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WOLFGANG WOlll...

ERS

Deliktstypen des Präventionsstrafrechts -


zur Dogmatik "moderner" Gefährdungsdelikte
Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge
Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser
em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hambwg

und Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder


ord. Professor der Rechte an der Universität Regensbwg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 126
Deliktstypen
des Präventions strafrechts -
zur Dogmatik "moderner"
Gefährdung sdelikte

Von

Wolfgang Wohlers

Duncker & Humblot . Berlin


In die Reihe aufgenommen als Habilitationsschrift, gedruckt
mit Unterstützung der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Wohlers, Wolfgang:
Deliktstypen des Präventionsstrafrechts - zur Dogmatik
"moderner" Gefährdungsdelikte / von Wolfgang Wohlers. -
Berlin : Duncker und Humblot, 2000
(Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 126)
Zugl.: Basel, Univ., Habil.-Schr., 1999
ISBN 3-428-09947-8

Alle Rechte vorbehalten


© 2000 Duncker & Humb10t GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck:
Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin
Printed in Germany
ISSN 0720-7271
ISBN 3-428-09947-8
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier
entsprechend ISO 9706 9
Für Antje
Vorwort

Das der vorliegenden Abhandlung zugrunde liegende Manuskript wurde im


Sommer 1998 abgeschlossen und die Arbeit im Frühjahr 1999 von der Juristischen
Fakultät der Universität Basel als Habilitationsschrift angenommen. Literatur und
Rechtsprechung sind im wesentlichen auf dem Stand August! September 1998.
Einzelne, nach Abschluß des Manuskripts erschienene Veröffentlichungen konnten
für die Drucklegung noch in den Fußnoten berücksichtigt werden - so unter ande-
rem die thematisch unmittelbar einschlägige Habilitationsschrift von Frank Zie-
schang: Die Gefährdungsdelikte.
Mein Dank geht an erster Stelle an meinen akademischen Lehrer, Herrn Prof.
Dr. Kurt Seelmann. Er hat die Entstehung der Arbeit von der Idee über die ersten
Versuche der Umsetzung bis zur Fertigstellung zunächst in Hamburg und dann von
Basel aus mit großem Engagement begleitet. Seine stets konstruktive und ermuti-
gende Kritik hat ohne Frage ganz entscheidend zum Gelingen des Projekts beige-
tragen. Auch die mit dem Wechsel von Hamburg nach Basel entstandenen organi-
satorischen Erschwernisse sind im Ergebnis durch die mit der Berücksichtigung ei-
ner anderen Rechtsordnung einhergehende Erweiterung des Blickfeldes mehr als
aufgewogen worden.
Zu danken habe ich des weiteren der Familie Seelmann für die während meiner
Forschungsaufenthalte in Basel gewährte Gastfreundschaft, Herrn Prof. Dr. Ulrich
Schroth für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie meinem Vater
für die Unterstützung bei der Korrektur der Druckfahnen. Die Freiwillige Akade-
mische Gesellschaft Basel hat die Drucklegung des Werks mit einem großzügigen
Druckkostenbeitrag gefördert - auch hierfür bedanke ich mich ganz herzlich.
Gewidmet ist das Buch meiner Frau. Sie hat die Entstehung der Arbeit von An-
beginn mit großem Interesse verfolgt und mich trotz umfangreicher eigener Ver-
pflichtungen nicht nur moralisch, sondern auch in technischer Hinsicht wesentlich
unterstützt - vielen Dank für alles.

Hamburg, im Oktober 1999 Wolfgang Wohlers


Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

Gegenstand und Gang der Untersuchung 21

I. Einführung in die Problemstellung........................................... .. .... 21

H. Gang der Untersuchung ........................................................... 25

2. Kapitel

Die Krise des "modemen" Strafrechts 29

I. Die Unterscheidung des "klassischen" und "modernen" Strafrechts ......... . ...... 29

I. Charakteristika des Strafrechts "klassischer Prägung" ............ . . . . . . . . . . . . . . . 31

2. Charakteristika des "modernen" Strafrechts. . .. . . . . . . ... . . . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . . . 33

H. Die Orientierung des Strafgesetzgebers an präventiven Zielsetzungen. . . . . . . . . . . . . . 36

III. Der gesellschaftliche Hintergrund der präventiven Orientierung des Gesetzgebers. . 39

IV. Das Legitimitätsdilemma "moderner" Strafrechtsnormen ............... . .......... 43

I. Vollzugsdefizite als Indiz der Krise des "modernen" Strafrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2. Unvereinbarkeit von Regelungsziel und Zurechnungsstruktur "moderner" Straf-


rechtsnormen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

3. Kapitel

Voraussetzungen und Problematik einer


Integration strafrechtlicher Normen in ein Gesamtsystem
staatlichen Risikomanagements 47
10 Inhaltsverzeichnis

4. Kapitel

Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht 49

I. Die Heterogenität der "Frankfurter Schule" .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

11. Kernstrafrecht und Prävention ..................................................... 54

1. Die Notwendigkeit einer kumulativen Legitimation strafrechtlicher Normen. . . . 54

2. Strafgesetzgebung als Handeln unter Ungewißheit ......... . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . 57

111. Der Rekurs auf einen vorpositiv-verbindlichen Begriff des Verbrechens............ 61

I. Die Konzeption des Verbrechens als "absolute" Untat .......................... 61

2. Die Abgrenzung des crimen publicum vom crimen privatum............. . ...... 61

3. Die Geschichtlichkeit des Strafrechts ........................................... 65


a) Die wertende Bestimmung strafrechtlicher Schutzgüter ..................... 65
b) Festlegung der Art und Weise des strafrechtlichen Schutzes ................. 69

IV. Ablösung strafrechtlicher Normen durch andere Instrumente zur Regelung sozialer
Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

1. Subsidiarität strafrechtlicher Normen gegenüber nicht-repressiven Instrumenta-


rien ................................... ....................... .................. 71
a) Das Verhältnis von Repression und Prävention .............................. 71
b) Konsequenzen für das "moderne" Strafrecht? ........................ . ...... 75

2. Substitution kriminalstrafrechtlicher Normen durch andere Formen repressiven


Zwangs........................................................................ 78
a) Das "Interventionsrecht" ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
b) Die Herabstufung von Kriminalstraftaten zu Ordnungswidrigkeiten......... 79
aa) Das Ordnungswidrigkeitenrecht als ein formal eigenständiges Rechts-
gebiet .................................................................. 81
bb) Die Abgrenzung von Kriminal- und Ordnungsunrecht .................. 84
(I) Die Lehre vom Verwaltungsunrecht (Goldschmidt) ................ 84
(2) Die Abgrenzung von Kultur- und Verwaltungs schaden (WoIO . . . . . . 85
(3) Die Unterscheidung sittlich indifferenter und sozialethisch mißbil-
ligenswerter Normverstöße ........................................ 87
(4) Die Unterscheidung personaler und überindividueller Interessen... 89
(a) Die sog. Schmidt'sche Formel... ... . ..... .... .. . . . .. . . . ... . .. . 89
(b) Die personale Rechtsgutslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Inhaltsverzeichnis 11

(5) Die Lehre vom Verbrechen als Verletzung des rechtlich konstituier-
ten Basisvertrauens (Wolff) .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
(6) Kriminal- und Ordnungsunrecht als graduell abgestufte Unrechts-
formen ............................................................ 100
(7) Der gemischt qualitativ-quantitative Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. \02
(8) Die Angemessenheit der angedrohten Sanktion als Zuordnungskri-
terium ............................................................. \05

V. Zwischenergebnis ................................................................. 109

5. Kapitel

Analyse des "modernen" Strafrechts 110

I. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes ..................................... 110

11. Das Umweltstrafrecht ............ . ............ . ................................... 111

I. Das bundesdeutsche Umweltstrafrecht . . . .. . . . . . . . . .. . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . I \I


a) Die Genese des Umweltstrafrechts als Teil des Nebenstrafrechts ............ 111
b) Die Verlagerung einzelner Normen in das StGB ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

2. Das UmweItstrafrecht der Schweiz ............................................. 115

3. Charakteristika des "modernen" UmweItstrafrechts ............... . .......... . .. 118


a) Die symbolische Funktion umweItstrafrechtlicher Normen .................. 119
aal Grundlagen der Begriffsbildung ........................................ 119
bb) Der symbolische Gehalt umweltstrafrechtlicher Normen............... 120
cc) Der symbolische Gehalt umweItstrafrechtlicher Gesetzgebung ......... 122
b) Die materielle Legitimität der Straftatbestände des UmweItstrafrechts ....... 126

4. Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität umweItstrafrechtlicher Nor-


men ............................................................................ 127
a) Rechtsgüterschutz im geltenden bundesdeutschen Umweltstrafrecht . . . . . . . .. 128
b) Umweltstrafrechtliche Normen als Problem der Rechtsgutstheorie .......... 130
aal Der Stand der Diskussion .............................................. 130
bb) Strafrechtlicher Schutz ökologischer Werte als Zweck an sich .......... 132
cc) Strafrechtlicher Schutz der Entscheidungsprärogative der Verwaltung .. 135
dd) Strafrechtlicher Schutz der Umwelt als Teil der Gewährleistung des sta-
tus positivus ........................................................... 139
12 Inhaltsverzeichnis

5. Zurechnungsprobleme im Anwendungsbereich umweltstrafrechtlicher Normen 140


a) Die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung umweltstrafrechtlicher Nor-
men ........................................................................ 140
b) Die Erfassung bagatellartiger Umweltbelastungen .......................... 141
aa) Legitimation der Pönalisierung im Hinblick auf den Gesamtschaden? .. 142
bb) Legitimation der Pönalisierung im Hinblick auf die Einzelhandlung? ... 143

6. Zwischenergebnis ................................. . ............................ 145

Ill. Das "moderne" Wirtschaftsstrafrecht .... ... ...... ... ......... ...... ........ ... .... 146

I. Die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes .............................. 146

2. Die Gesetze zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität....................... 148


a) Die Überführung von Straftatbeständen aus dem Nebenstrafrecht in das
Kernstrafrecht .............................................................. 150
b) Die Anpassung strafrechtlicher Normen an das sich wandelnde gesellschaft-
liche Umfeld ............................................................... 151
c) Die Schaffung von Straftatbeständen im Vorfeld des Betruges........ . ...... 154
aa) Ursachen der Vorverlagerung des Strafbarkeitsbereiches ............... 154
bb) Die Legitimation der Vorverlagerung des Strafbarkeitsbereiches ........ 157
(1) Der Subventionsbetrug (§ 264 dStGB) ............................. 157
(2) Der Kapitalanlagebetrug (§ 264a dStGB) .......................... 157
(3) Der Kreditbetrug (§ 265b dStGB) .................................. 158
cc) Die Legitimation über den Schutz individueller Vermögensinteressen .. 159
dd) Die Legitimation über den Schutz überindividueller Interessen ......... 164
(1) Der Einwand der systemwidrigen Differenzierung................. 164
(2) Die Legitimität des strafrechtliche Schutzes von Institutionen und
Funktionszusammenhängen des Wirtschaftsverkehrs .......... . . . .. 165
ee) Die Strafwürdigkeitslehre (Ouo) ........................ .. ............. 166
(1) Allgemeine Würdigung der Konzeption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

(2) Die Anwendung auf wirtschaftsdelinquente Verhaltensweisen ..... 171


(a) Der Subventionsbetrug (§ 264 dStGB) ......................... 173
(b) Der Kapitalanlagebetrug (§ 264a dStGB) ........ . . . ........... 174
(c) Der Kreditbetrug (§ 265b dStGB) ............................. 175
ff) Zwischenergebnis...................................................... 176
Inhaltsverzeichnis 13

IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

1. Genese und Struktur des Betäubungsmittelstrafrechts ........................ . .. 178


a) Die Ursachen der Reform des Betäubungsmittelstrafrechts .................. 178
b) Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Betäubungsmittelstrafrechts 179
c) Instrumentarien zur einzelfallbezogenen Korrektur des Strafbarkeitsberei-
ches ........................................................................ 185

2. Die Legitimation der Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln ....... 190
a) Das Rechtsgut der "Volksgesundheit" ....................................... 190
b) Die personale Integrität des Drogenkonsumenten ................. . ......... 192
c) Die Beeinträchtigung von Gemeinschaftsinteressen ......................... 196
aal Die Bekämpfung der mit dem Rauschmittelkonsum einhergehenden
Kriminalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
bb) Die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 199
d) Zwischenergebnis .......................................................... 202

V. Strafrechtsnormen zur Abwehr des mißbräuchlichen Umgangs mit moIekularbiolo-


gisehen und gentechnologischen Verfahren ........................................ 203

I. Das bundesdeutsche Gentechnikgesetz (GenTG) ................................ 204

2. Das bundesdeutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) ......................... 206

3. Der Entwurf eines schweizerischen Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) .. 207

4. Legitimation der Strafnormen 207

VI. Zwischenergebnis .................................. . .......................... . ... 212

6. Kapitel

Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität


strafrechtlicher Normen 213

I. Einleitung. . .. . .. . .. .. ....... . ... . ..................................... . ............ 213

11. Rechtsgüterschutz als Funktion strafrechtlicher Normen ... . ............ . .......... 215

111. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie ............................... 218

I. Die Unterscheidung von Individual- und Universalrechtsgütern ................. 221

2. Die Substanzhaltigkeit von Rechtsgütern ................................... . ... 223


14 Inhaltsverzeichnis

3. Die Anbindung der Rechtsgutstheorie an die Gesellschaftstheorie . . . . . . .. . . . . . .. 229


a) Das gesellschaftliche Umfeld als Kriterium strafschutzwürdiger Rechtsgüter 230
aal Das Seiende als Basis des Seinsollenden (v. Liszt) . . . . ... . . . . . ... . . . . . .. 230
bb) Die sozialwissenschaftlich "aufgeklärte" Rechtsgutstheorie ............ 237
b) Normative Maßstäbe zur Bestimmung des legitimen Anwendungsbereichs
strafrechtlicher Normen ................................................... " 241
aal Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz .................................... 241
bb) Verfassungsrechtliche Pönalisierungsgebote ............................ 242
cc) Die verfassungsrechtliche Werteordnung als Maßstab zur Legitimation
strafrechtlichen Zwangs .............................................. " 245
dd) Die Verfassungsrechtsordnung als Maßstab zur Begrenzung des Anwen-
dungsbereichs strafrechtlicher Normen ............... . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249

IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 253

I. Die grundsätzliche Formulierung des Ansatzes bei John Stuart Mill . . . . . . . . . . . .. 254

2. Die Ausdifferenzierung des Ansatzes durch Joel Feinberg ...................... 256

3. Die Rezeption der Konzeption in der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft 259

4. Kriterien zur Bestimmung strafrechtsfreier Sphären. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 262


a) Der "echte" Strafrechtsmoralismus ................................. :....... 264
aal Die Bezugnahme auf ein zeitlos-gültiges Sittengesetz .................. 264
bb) Der Schutz zentraler Wertvorstellungen als Schutz der Gesellschaft .... 266
b) Der "unechte" Strafrechtsmoralismus ....................................... 269
aal Moralwidriges Verhalten als Beeinträchtigung des öffentlichen Friedens 269
bb) Moralwidriges Verhalten als Beeinträchtigung von Interessen .......... 272
c) Das systemkritische Potential der Konzeption............................... 275

V. Zwischenergebnis ............................... . ................................. 279

7. Kapitel

Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts 281

I. Dogmatik der Gefahrdungsdelikte ................................................. 281

1. Die konkreten Gefährdungsdelikte .. .. . . . . . . . . . .. . .. . .. . .. . . .. .. . . . . . .. . . . .. . . .. 284

2. Die abstrakten Gefährdungsdelikte ............................................. 286


a) Abstrakte Gefährdungsde1ikte und Rechtsgüterschutz ....................... 287
b) Abstrakte Gefahrdungsdelikte als Selbstzwecknormen (Kindhäuser) ........ 292
Inhaltsverzeichnis 15

c) Ansätze zur Ausdifferenzierung der abstrakten Gefährdungsdelikte 296


aa) Das Eignungsdelikt als Deliktstypus zwischen abstraktem und konkre-
tem Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 297
bb) Modelle zur Kategorisierung der abstrakten Gefährdungsdelikte . . . . . . .. 299
cc) Maßstäbe zur Unterscheidung legitimer und illegitimer abstrakter Ge-
fährdungsdelikte ....................................................... 302

11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung ...................... 305

1. Einführung..................... .................................................. 305

2. Die Systematik im Überblick ................................................... 307

3. Das konkrete Gefährlichkeitsdelikt ............................................. 311

4. Das Kumulationsdelikt ......................................................... 318


a) Die grundsätzliche Legitimität der Pönalisierung von Kumulationsbeiträgen 318
b) Die Beschränkung auf realistischerweise zu erwartende Kumulationseffekte 322
c) Das Kriterium des minimalen Eigengewichts ............................... 324

5. Das Vorbereitungsdelikt ........................................................ 328

8. Kapitel

Schlußbetrachtung 338

Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 344

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 383
Abkürzungsverzeichnis

a.A. anderer Ansicht


a. a.O. am angegebenen Ort
AbfG Abfallgesetz
abI. = ablehnend(er)
Abs. Absatz
a.F. alter Fassung
AFG = Arbeitsförderungsgesetz
AMG Arzneimittelgesetz
AngVersG Angestelltenversicherungsgesetz
Anm. = Anmerkung
AO = Abgabenordnung
ARSP = Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie
Art. = Artikel
AT Allgemeiner Teil
AtG = Atomgesetz
BayObLG = Bayerisches Oberstes Landesgericht
BB Betriebsberater
BB!. Bundesblatt
Bd. Band
Bespr. Besprechung
BG Bundesgericht
BGB!. Bundesgesetzblatt
BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
BGH Bundesgerichtshof
BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen
BlmSchG = Bundes-Immissionsschutzgesetz
BJM Basler Juristische Mitteilungen
BNatSchG = Bundesnaturschutzgesetz
BR-Drucks. Bundesratsdrucksache
BSeuchG = Bundesseuchengesetz
BT = Besonderer Teil
BT-Drucks. Bundestagsdrucksache
BtmG Betäubungsmittelgesetz
BtmStrafR Betäubungsmittelstrafrecht
BV Bundesverfassung
Abkürzungsverzeichnis 17

BVerfG = Bundesverfassungsgericht
BVerfGE = Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
bzw. = beziehungsweise
ChemG = Chemikaliengesetz
dBtmG = Betäubungsmittelgesetz (Bundesrepublik Deutschland)
ders. = derselbe
d. h. = das heißt
Diss. = Dissertation
DJT = Deutscher Juristentag
DÖV = Die Öffentliche Verwaltung
dStGB = Strafgesetzbuch (Bundesrepublik Deutschland)
DVBl. = Deutsches Verwaltungsblatt
Ebd. = Ebenda
EDV = Elektronische Datenverarbeitung
EGMR = Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGStGB = Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch
Einl. = Einleitung
ESchG = Embryonenschutzgesetz
f(0. = folgende
FMedG = Fortpflanzungsmedizingesetz
Fußn. = Fußnote
GA = Goltdammer's Archiv für Strafrecht
GenTG = Gentechnikgesetz
GewO = Gewerbeordnung
GG = Grundgesetz
ggf. = gegebenenfalls
GSchG = Gewässerschutzgesetz
GWB = Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
h.M. = herrschende Meinung
i.d.R. = in der Regel
i.d.S. = in diesem Sinne
i.e. = im einzelnen
JA = Juristische Arbeitsblätter
JR = Juristische Rundschau
JuS = Juristische Schulung
JZ = Juristenzeitung
KJ = Kritische Justiz
KK-OWiG = Karlsruher Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz
KO = Konkursordnung
KrimJ = Kriminologisches Journal
krit. = kritisch(er)
KritV = Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung
2 Wohler.
18 Abkürzungsverzeichnis

LH = Lehrheft
lit. = littera
LK = Leipziger Kommentar
LMBG = Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz
MDR Monatsschrift für Deutsches Recht
MedR = Medizinrecht
MschrKrim = Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
m.w.N. = mit weiteren Nachweisen
NF = Neue Folge
n.E neuer Fassung
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NK Nomos Kommentar
Nr. Nummer
NStZ = Neue Zeitschrift für Strafrecht
NStZ-RR = Neue Zeitschrift für Strafrecht - Rechtsprechungsreport
NVwZ = Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
ÖJZ = Österreichische Juristenzeitung
öStGB = Strafgesetzbuch (Österreich)
OLG = Oberlandesgericht
OpiumG = Opiumgesetz
OrgKG = Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer
Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität
OWiG = Ordnungswidrigkeitengesetz
PflanzenschG = Pflanzenschutzgesetz
Rdnr. = Randnummer
RGB!. = Reichsgesetzblatt
RGSt = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RiStBV = Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren
RKnappschaftsG = Reichsknappschaftsgesetz
Rspr. = Rechtsprechung
RStGB = Reichsstrafgesetzbuch
RVO = Reichsversicherungsordnung
S. = Seite
SchI HA Schleswig-Holsteinische Anzeigen
schwBetmG = Betäubungsmittelgesetz (Schweiz)
schwStGB = Strafgesetzbuch (Schweiz)
SchwStGB Schweizerisches Strafgesetzbuch
SchwStrafR = Schweizerisches Strafrecht
SJZ = Schweizerische Juristenzeitung
SKStGB = Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch
s.o. siehe oben
sog. sogenannte
Abkürzungsverzeichnis 19

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands


SprengG = Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe
std. ständige
StGB = Strafgesetzbuch
StrafR Strafrecht
StrÄG = Strafrechtsänderungsgesetz
StRG Strafrechtsreformgesetz
StSG = StrahlenschutzgeselZ
StV = Strafverteidiger
StVG = Straßenverkehrsgesetz
SüdJZ = Süddeutsche luristenzeitung
Teilbd. = Teilband
TierschG = Tierschutzgesetz
UPR = Umwelt- und Planungsrecht
USG = Umweltschutzgesetz
vgl. = vergleiche
Vorbem. = Vorbemerkungen
Vol. = Volume
vs. = versus
WaffG = Waffengesetz
WeinG = Weingesetz
WHG = Wasserhaushaltsgesetz
WiKG = Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität
WiStG = Wirtschaftsstrafgesetz
wistra = Zeitschrift für Wirtschaft. Steuer. Strafrecht
WiVerw = Wirtschaft und Verwaltung
w.N.b. = weitere Nachweise bei
WStG = Wehrstrafgesetz
z. B. = zum Beispiel
ZBIV = Zeitschrift des Bernischen luristenvereins
ZfW = Zeitschrift für Wasserrecht
Ziff. = Ziffer
ZRP = Zeitschrift für Rechtspolitik
ZSR = Zeitschrift für Schweizerisches Recht
ZStR = Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht
ZStW = Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

2"
J. Kapitel

Gegenstand und Gang der Untersuchung

I. Einführung in die Problemstellung

Die aktuellen Entwicklungen der Strafrechtsordnungen der Bundesrepublik


Deutschland und der Schweiz zeigen vorbehaltlich der in einzelnen Detailfragen
bestehenden Divergenzen eine in der Grundtendenz weitgehende Übereinstim-
mung dahingehend, daß das Strafrecht in zunehmendem Maße als ein Instrument
staatlicher Sozialkontrolle verstanden wird, dessen Anwendung - zumindest auch,
wenn nicht sogar in erster Linie - der präventiven Beeinflussung bzw. Steuerung
gesellschaftlicher Entwicklungen dienen soll. Als bestimmende Faktoren dieser
Entwicklung sind im wesentlichen drei gesellschaftliche Phänomene zu benennen:
Zum ersten sind die modemen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts mit neuartigen,
als Folge des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses entstandenen Technolo-
gien konfrontiert, die - wie z. B. die Nutzung der Kernkraft oder die Gentechno-
logie - ein Gefahrenpotential aufweisen, das insbesondere im Hinblick auf die we-
der räumlich noch zeitlich eingrenzbaren möglichen Schadensfolgen als qualitativ
und quantitativ neuartig zu bewerten ist. Zweitens ist offenbar geworden, daß be-
reits die mit dem Einsatz herkömmlicher Technologien verbundenen Eingriffe in
die Umwelt ein derartiges Ausmaß erreicht haben, daß die Gefahrdung der natürli-
chen Lebensgrundlagen als nicht mehr nur theoretische Möglichkeit angesehen
werden muß. Drittens ist ein offenbar fortschreitender Verlust an gesamtgesell-
schaftlich akzeptierten Werten und Verhaltensmustern zu konstatieren, eine Ent-
wicklung, die sich nicht zuletzt in der zunehmenden Etablierung gesellschaftlicher
Subkulturen niederschlägt.
Lösungen für die skizzierten Problemlagen erhofft sich der Gesetzgeber nicht
zuletzt von einem Einsatz strafrechtlicher Mittel. Strafrechtliche Sanktionen sol-
len der Bekämpfung von umweltschädigenden und wirtschaftsdelinquenten Ver-
haltensweisen dienen. Der Konsum verbotener Rauschmittel soll mit den Mitteln
des Strafrechts unterbunden werden. Strafrecht soll den Einsatz potentiell als be-
drohlich empfundener neuartiger Technologien in einem als vertretbar erscheinen-
den Rahmen halten. Wahrend die Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutsch-
land auf diesem Wege bereits sehr weit fortgeschritten ist, d. h. strafbewehrte Ver-
botsnormen für alle oben genannten Bereiche geschaffen worden sind, befinden
sich entsprechende Reformvorhaben in der Schweiz teilweise noch im Gesetzge-
22 1. Kap.: Gegenstand und Gang der Untersuchung

bungsverfahren I oder sogar in der Vorphase zum eigentlichen Gesetzgebungsver-


fahren?
Die vorliegende Untersuchung soll der Frage nachgehen, unter welchen Voraus-
setzungen strafrechtlicher Zwang legitimerweise als ein Mittel zur Steuerung ge-
sellschaftlicher Entwicklungsprozesse eingesetzt werden kann. Das dringende Be-
dürfnis an einer Aufarbeitung dieser Fragestellung resultiert aus dem Umstand,
daß sich die Versuche einer strafrechtlichen Lösung der aufgezeigten Problem lagen
in der Praxis als weitgehend wirkungslos erwiesen haben. Gerade in den Berei-
chen, in denen der Gesetzgeber mit der Androhung strafrechtlichen Zwangs expli-
zit präventive Wirkungen erzielen wollte, sind in der Rechtswirklichkeit allenfalls
marginale Wirkungen festzustellen. Gemessen an den hochgesteckten Erwartungen
ist die im wesentlichen durch Vollzugsdefizite geprägte Rechtswirklichkeit des
Umwelt-, Wirtschafts- und Betäubungsmittelstrafrechts ein Indiz dafür, daß mit
den de lege lata existenten Straftatbeständen das selbstgesetzte Ziel einer präventiv
ausgerichteten Steuerung gesellschaftlicher Entwicklungen offenbar nicht erreicht
werden kann.
Zur Auflösung des Dilemmas einer präventiv orientierten, gemessen an den in-
soweit hochgesteckten Erwartungen in die verhaltenslenkende Wirkung aber ein-
deutig ineffektiven Strafrechtsordnung, sind in der kriminalpolitischen Diskussion
bisher im wesentlichen zwei - einander wechselseitig ausschließende - Lösungs-
ansätze entwickelt worden: Zum einen wird die Forderung erhoben, die einer ef-
fektiven Bekämpfung sozialer bzw. gesellschaftlicher Probleme hinderlichen tra-
dierten Regeln der Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu modifizieren,
d. h., die überkommenen Muster der Zurechnung personaler Verantwortlichkeit
durch Zurechnungsstrukturen zu ersetzen, die es ermöglichen sollen, vorausschau-
end, schnell und flexibel auf sich wandelnde Risikopotentiale zu reagieren. Andere
Autoren halten das Strafrecht für ein seinem Wesen nach zur vorausschauenden
Beeinflussung gesellschaftlicher Entwicklungen und Problem lagen grundsätzlich
ungeeignetes Instrument und befürworten deswegen die Beschränkung des Einsat-
zes strafrechtlicher Instrumente auf einen engen Bereich der vergeltenden Reaktion
bei Beeinträchtigungen gewichtiger Freiheitsinteressen.
Beide Ansätze werfen Fragen auf, die es als sehr zweifelhaft erscheinen lassen,
ob auf den vorgeschlagenen Wegen eine überzeugende Lösung gefunden werden
kann. Der auf einen Verzicht präventiver Funktionen abzielende Ansatz ist zu-
nächst der Schwierigkeit ausgesetzt, den im Hinblick auf die Legitimation staatli-
chen Strafens unbedenklichen Kembereich des Strafrechts zu beschreiben. Die
Forderung, an einer auf die Beeinträchtigung gewichtiger Freiheitsinteressen be-
schränkten, der Zurechnung individueller Verantwortlichkeit verpflichteten Straf-

I Vgl. die Botschaft zu einem Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflan-
zung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG), in: BBI. 1996111,205.
2 Vgl. den von Jenny und Kunz erarbeiteten "Bericht und Vorentwurf zur Verstärkung des
strafrechtlichen Schutzes der Umwelt".
I. Einführung in die ProblemstelIung 23

rechtsordnung ,,klassischer" Prägung festzuhalten, setzt voraus, daß es Kriterien


gibt, anhand derer entschieden werden kann, welche konkreten Verhaltensweisen
diesem Kernstrafrecht unterfallen sollen. Der Verweis darauf, daß es Rechtsgutsbe-
einträchtigungen gebe, auf die "notwendigerweise" mit repressiver Vergeltung rea-
giert werden müsse (Naucke) bzw. bei denen der Verzicht auf Strafe "schwer denk-
bar sei" (Prittwitz), beschreibt ein gesellschaftliches Phänomen, ohne dieses erklä-
ren oder gar legitimieren zu können. Die in diesem Zusammenhang anklingende
Vorstellung eines Strafrechts, das allein der Schuldvergeltung dient, wäre gewichti-
gen Bedenken ausgesetzt. Eine Gesellschaft, die die Existenz staatlicher Gewalt
nicht als Selbstzweck versteht, kann staatliches Zwangshandeln allein durch positi-
ve Folgen legitimieren. Vor diesem Hintergrund sind dann aber Funktionalisierun-
gen strafrechtlicher Nonnen nicht per se illegitim - im Gegenteil: der Verzicht auf
eine Rechtfertigung staatlichen Strafens durch positive Folgen müßte als ein
rechtskultureller Rückschritt angesehen werden.

Andererseits: Auch wenn sich das Strafrecht einer Mitwirkung an der Aufgabe,
die grundlegenden Bedingungen des gesellschaftlichen Miteinanders zu etablieren
bzw. zu gewährleisten, nicht ohne weiteres verweigern kann und es angesichts des
von bestimmten gesellschaftlichen Phänomenen ausgehenden Problemdrucks so-
gar als naheliegend erscheinen muß, daß gerade das Strafrecht, als das gewichtig-
ste Zwangsmittel im Instrumentarium staatlicher Sozialkontrolle, die insoweit er-
forderlichen präventiven Funktionen mitzutragen hat, müßte ein konsequentes Prä-
ventionsstrafrecht einschneidende Modifizierungen der überkommenen Muster der
Zurechnung personaler Verantwortlichkeit zur Folge haben. Sollen strafrechtliche
Nonnen in ein Gesamtsystem der staatlichen Lenkung und Steuerung gesellschaft-
licher Entwicklungen integriert werden, mit dem schnell und flexibel auf sich wan-
delnde Risikopotentiale reagiert werden kann, wäre es geradezu unangemessen
und sinnlos, erst auf bereits eingetretene Beeinträchtigung von Rechtsgütern mit
Strafe zu reagieren, statt dafür zu sorgen, daß es gar nicht erst zu Rechtsgutsverlet-
zungen kommt. Aufgabe des Strafrechts müßte es sein, das Verhalten der Rechts-
subjekte so zu beeinflussen, daß bereits potentielle Gefahrensituationen ausge-
schlossen werden. Sollen bestimmte Verhaltensweisen mit den Mitteln des Straf-
rechts unterbunden bzw. das Einhalten bestimmter, für das Funktionieren anony-
mer Handlungszusammenhänge unverzichtbarer Verhaltensweisen strafrechtlich
garantiert werden, dann muß der Gesetzgeber notwendigerweise auf Tatbestände
zurückgreifen, die nicht an die Schädigung bzw. konkrete Gefährdung eines be-
stimmten Handlungsobjektes anknüpfen, sondern sich in der bloßen Beschreibung
von Verhaltensweisen erschöpfen, die allein aufgrund ihres abstrakten Störpoten-
tials unterbleiben sollen. Beispielhaft: Eine Rechtsordnung, die umweltschädigen-
de Verhaltensweisen und den Umgang mit bestimmten Stoffen oder Technologien
mit den Mitteln des Strafrechts effektiv unterbinden oder das geordnete Funktio-
nieren wirtschaftlicher Handlungsabläufe strafrechtlich garantieren will, kann aus
rechtstechnischer Sicht nicht darauf verzichten, Verhaltensweisen allein aufgrund
ihrer potentiellen Gefährlichkeit zu pönalisieren.
24 1. Kap.: Gegenstand und Gang der Untersuchung

Selbst wenn man unterstellen würde, eine auf präventiv-funktionale Wirkung


ausgerichtete Strafrechtsordnung wäre tatsächlich in der Lage, das selbstgesteckte
Ziel der Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung zu erreichen, bliebe doch
die Aufgabe, die Legitimität dieser Strafrechtsordnung zu begründen. Maßgebend
wäre hier, daß mit der externen Konstituierung von Handlungsabläufen gleichzei-
tig auch individuelle Freiheitssphären festlegt werden, was wiederum bedeutet,
daß in dem Maße, in dem Verhaltensweisen unterbunden werden, eine Reduzie-
rung personaler Freiheit die Folge ist. Hieraus folgt, daß strafbewehrte Verhaltens-
normen nicht allein mit der Erwägung begründet werden können, daß eine auf ef-
fektiven Rechtsgüterschutz ausgerichtete Strafrechtsordnung auf entsprechende
Straftatbestände nicht verzichten kann. Entscheidend ist, ob die unter funktionalen
Gesichtspunkten als probat erscheinende Pönalisierung potentiell rechtsgutsgefähr-
licher Verhaltensweisen im Hinblick auf die "berechtigten Freiheitsansprüche des
Individuums" (Schünemann) als legitim begründet werden kann. Letztlich geht es
darum, ob man "dazu geneigt ist, um der Freiheit willen auf ein möglicherweise
wirksames Instrumentarium zur langfristigen Sicherung von Leib und Leben zu
verzichten oder aber, ob man um eben dieser Sicherung willen tradierten Vorstel-
lungen von Freiheitsschutz durch das Recht verabschiedet". 3 Arnold Koller hat die
Problematik 1992 in seinem Festvortrag zum Thema "Die Zukunft des schweizeri-
schen Strafrechts" prägnant wie folgt zusammengefaßt:
,,Das ,klassische' Strafrecht mit seinen klar umgrenzten Rechtsgütern, der Einzeitäterper-
spektive und vor allem dem individuellen Schuldvorwurf vermag zahlreichen neuen Her-
ausforderungen sehr wohl zu begegnen. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen wer-
den, dass bestimmte Bedrohungen sich den eben erwähnten Kriterien ganz oder weitge-
hend entziehen. Sei es, dass ein eindeutig begrenztes Rechtsgut nicht auszumachen ist, sei
es, dass der individuelle Schuldvorwurf ins Leere stösst. Fest steht indes, dass unser Straf-
recht nicht auf seine rechtsstaatlichen Fundamente verzichten darf...4

Die bisherigen Versuche, die Problematik der Legitimität bzw. Illegitimität des
modemen Präventionsstrafrechts zu bewältigen, sind weitgehend durch das Bemü-
hen geprägt, den legitimen Anwendungsbereich strafrechtlicher Normen über das
Instrumentarium der Rechtsgutstheorie zu bestimmen, wobei dann zum einen über
den Bereich strafrechtswürdiger Rechtsgüter und zum anderen um die Frage ge-
stritten wird, inwieweit auch Verhaltensweisen im Vorfeld der konkreten Beein-
trächtigung grundsätzlich strafrechtswürdiger Rechtsgüter pönalisiert werden dür-
fen. Stratenwerth, der in mehreren Publikationen den Erkenntniswert der Rechts-
gutstheorie angezweifelt hat,5 hat in seinem Einführungsreferat auf der Strafrechts-
lehrertagung 1993 in Basel seinerseits die Forderung erhoben, die Möglichkeiten
auszuloten, die tradierten Grundsätze der Zurechnung strafrechtlicher Verantwort-

3 Seelmann, Natur, S. 289.


4 Koller, ZStR 109 (1992), 338, 341.
5 Vgl. Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 9 ff.; ders., ZStR 1997,86,92 f.; ders., SchwStrafR
AT I, § 3 Rdnrn. 6 f. und insbesondere: ders., Festschrift für Lenckner, passim.
11. Gang der Untersuchung 25

lichkeit mit dem Ziel zu modifizieren, die präventive Wirksamkeit strafrechtlicher


Normen zu erhöhen. Allerdings hat auch Stratenwerth sowohl in seinem Referat
auf der Strafrechtslehrertagung als auch bei anderen Gelegenheiten lediglich her-
ausgearbeitet, daß nach Wegen zu suchen sei, wie das Strafrecht ohne Verlust
rechtsstaatlich unverzichtbarer Zurechnungsgrundsätze einen Beitrag zur Zu-
kunftssicherung leisten könne. Wie die Modifizierungen der tradierten Zurech-
nungsregeln aussehen könnten, läßt er letztlich ebenso offen6 wie Priuwitz, der
sich sowohl in seiner monografischen Auseinandersetzung mit dem Strafrecht der
Risikogesellschaft als auch in seinem Referat vor dem 15. Strafverteidigertag 1991
in Berlin ebenfalls auf Andeutungen beschränkt hat. 7
Mit der vorliegenden Untersuchung soll die von Stratenwerth und Prittwitz an-
gerissene Problematik mit einer doppelten Zielsetzung aufgegriffen werden: Zum
einen soll aufgezeigt werden, daß die Rechtsgutstheorie herkömmlicher Prägung
die Aufgabe, den legitimen Anwendungsbereich strafrechtlicher Normen abzu-
stecken, tatsächlich nicht zu erfüllen vermag. Zum zweiten soll sich die Unter-
suchung der - bedingt durch die Fixierung auf das Rechtsgutsparadigma - bisher
weitgehend vernachlässigten Frage widmen, welche Bedeutung den Tatbestands-
strukturen strafrechtlicher Normen im Hinblick auf die Legitimität strafrechtli-
chen Zwangs zukommt. Hier wird zu zeigen sein, daß die bisherige Unterschei-
dung zwischen Verletzungsdelikten auf der einen Seite und konkreten bzw. ab-
strakten Gefahrdungsdelikten als Vorfeldtatbeständen zu den Verletzungsdelikten
auf der anderen Seite zu undifferenziert ist, um die im Hinblick auf die Legiti-
mität strafrechtlichen Zwangs maßgeblichen Aspekte zu erfassen. Letztlich soll
die Untersuchung die These belegen, daß die Legitimität des modemen Präven-
tionsstrafrechts nur auf der Grundlage einer ausdifferenzierten Aufarbeitung der
im de lege lata geltenden Strafrecht vorzufindenden Deliktstypen beurteilt wer-
den kann.

11. Gang der Untersuchung

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die im kriminalpolitischen Diskurs - ins-


besondere von den Frankfurter Strafrechtslehrern Peter-Alexis Albrecht, Winfried
Hassemer, Wolfgang Naucke und ihren Schülern - vertretene These, derzufolge
das Erscheinungsbild der geltenden Strafrechtsordnung wesentlich dadurch ge-
kennzeichnet sein soll, daß neben das rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtete,
auf die gerechte Ahndung gewichtiger Freiheitsverletzungen gerichtete Strafrecht
"klassischer" Prägung ein auf die Steuerung gesellschaftlicher Entwicklungen ab-

6 Vgl. Stratenwerth ZStW 103 (1993),679,691 ff.; ders., Festschrift für Arthur Kaufmann,
S. 357 ff.; ders., Rektoratsrede, S. 15 ff.
7 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 383 ff.; ders. StV 1991,435,437 ff.
26 1. Kap.: Gegenstand und Gang der Untersuchung

zielendes "modernes" Strafrecht getreten sei. Im Anschluß an eine Darstellung der


- weitgehend unstreitigen - Analyse des Ist-Zustandes der Strafrechtsordnung (2.
Kapitel) werden in den bei den folgenden Kapiteln die vorgeschlagenen Wege zur
Lösung der Problematik des "modernen" Strafrechts dargestellt und gewürdigt: die
konsequente Funktionalisierung der Strafrechtsordnung einerseits (3. Kapitel) und
die Vorschläge zur Rückführung des Strafrechts auf ein Kernstrafrecht "klassi-
scher" Prägung andererseits (4. Kapitel). Die Auseinandersetzung mit den zur Lö-
sung der Legitimitätsprobleme des modernen Präventionsstrafrecht propagierten
Ansätzen wird einerseits ergeben, daß Strafrechtsnormen notwendigerweise gesell-
schaftliche Funktionen erfüllen müssen, da sie ansonsten als ein unverhältnismäßi-
ger staatlicher Zwangsmitteleingriff dem Verdikt der V~rfassungswidrigkeit unter-
fallen würden. Andererseits wird sich zeigen, daß die Funktionalität einer Straf-
rechtsnorm allein deren Legitimität ebenfalls nicht zu begründen vermag. Auch
die unter funktionalen Gesichtspunkten als probates Mittel erscheinende Pönalisie-
rung bestimmter Verhaltensweisen darf die personale Freiheitssphäre des Einzel-
nen nur so einschränken, daß die "berechtigten Freiheitsansprüche des Indivi-
duums" gewahrt bleiben. Der Beitrag, der von strafrechtlichen Normen zur Lösung
der anstehenden gesellschaftlichen Probleme zu erwarten ist, hängt damit - wie
insbesondere von Stratenwerth und Prittwitz bereits zutreffend hervorgehoben wur-
de - entscheidend davon ab, inwieweit tradierte Grundsätze der Zurechnung straf-
rechtlicher Verantwortlichkeit ohne Aufgabe rechtsstaatlich unverzichtbarer Frei-
heitssicherungen modifiziert werden können.

Im 5. Kapitel wird der Frage nachgegangen, welche Besonderheiten in der Zu-


rechnungsstruktur der Straftatbestände des "modernen" Strafrechts festzustellen
sind. Zu diesem Zweck werden einzelne, gemeinhin als zentrale Materien des "mo-
dernen" Strafrechts angesehene Teilbereiche der Strafrechtsordnung analysiert: das
Umweltstrafrecht, das (moderne) Wirtschaftsstrafrecht und das Betäubungsmiuel-
strafrecht. Außerdem werden die in jüngster Zeit als Reaktion auf Entwicklungen
im Bereich der Molekularbiologie, Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin be-
reits geschaffenen (Bundesrepublik Deutschland) bzw. im Gesetzgebungsverfahren
befindlichen (Schweiz) Strafnormen in die Untersuchung einbezogen. Die Analyse
wird ergeben, daß die Normen des "modernen" Strafrechts typischerweise nicht
personale Interessen als solche, sondern vielmehr die Voraussetzungen zur Entfal-
tung personaler Freiheit gewährleisten sollen, wie z. B. die Erhaltung der lebens-
notwendigen Umweltbedingungen, die Funktionsfähigkeit bestimmter Teilbereiche
der Wirtschaftsordnung oder die Wahrung des gesellschaftlichen Grundkonsenses.
Als Ergebnis der Analyse verbleiben zwei Problemstellungen: Zum einen bleibt zu
klären, welche kollektiven Interessen strafschutzwürdig bzw. anhand welcher Kri-
terien strafschutzwürdige von nicht strafschutzwürdigen Interessen abzugrenzen
sind. Des weiteren stellt sich die Frage, "wie" Kollektivinteressen legitimerweise
strafrechtlich zu schützen sind. Die Analyse wird insoweit ergeben, daß die Straf-
tatbestände des "modernen" Strafrechts einerseits eine Vorverlegung des Strafbar-
keitsbereichs in den Gefährdungsbereich zur Folge haben, daß aber andererseits re-
11. Gang der Untersuchung 27

lativ unklar ist, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen diese Vorverlegung als le-
gitim anzuerkennen ist.

Im 6. Kapitel wird der Frage nachgegangen, welche Interessen legitimerweise


als strafschutzwürdig anerkannt werden können. Die Untersuchung soll zum einen
zeigen, daß die Bemühungen der Strafrechtswissenschaft, den sachlichen Gehalt
strafwürdigen Verhaltens und hieraus resultierend Bindungen des Gesetzgebers bei
der Schaffung strafrechtlicher Normen aus der Rechtsgutstheorie heraus zu entwik-
kein, einen allenfalls eingeschränkten Erkenntnisgewinn versprechen. Die Unter-
suchung wird zeigen, daß die der Rechtsgutstheorie selbst zukommende Funktion
allein darin besteht, den Gesetzgeber zu verpflichten, das von ihm mit einem Straf-
tatbestand angezielte Schutzinteresse offenzulegen. Ob es sich hierbei dann um le-
gitime oder illegitime Interessen handelt, kann nicht aus dem Rechtsgutsbegriff
selbst abgeleitet werden, sondern ist anhand von normativen Kriterien zu entschei-
den, die von außen an die Rechtsgutslehren herangetragen werden müssen.

Auch eine derart normativ aufgeladene Rechtsgutstheorie kann allerdings nur


entscheiden, "ob" ein Interesse - bzw. genauer: das hinter dem Interesse stehende
"Etwas" - für sich gesehen strafschutzwürdig ist oder nicht. Da Straftatbestände
die ihnen zugrundeliegenden Schutzgüter regelmäßig nicht umfassend, sondern
von vornherein nur gegen bestimmte Beeinträchtigungen schützen, ist auch eine
normativ aufgeladene Rechtsgutstheorie darauf beschränkt, Strafrechtsnormen zu
falsifizieren, d. h., die Strafrechtsnormen zu delegitimieren, mit denen ein vor dem
Hintergrund der normativen Grundlage einer Gesellschaft illegitimes Interesse ver-
folgt wird.

Erweisen sich die vom Gesetzgeber verfolgten Interessen dagegen als grundsätz-
lich schutzwürdig, kann die Rechtsgutstheorie die Frage nach der Legitimität der
in Frage stehenden Strafnorm nicht beantworten. Entscheidend ist dann, ob die
vom jeweiligen Straftatbestand konkret erfaßten Verhaltensweisen im Hinblick auf
das dem Straftatbestand zugrundeliegende Schutzgut legitimerweise pönalisiert
werden dürfen. Die Problematik des "Wie" des strafrechtlichen Schutzes betrifft
neben Problemstellungen die, wie z. B. die Frage der Versuchsstrafbarkeit und der
Fahrlässigkeitshaftung, dem Allgemeinen Teil zuzurechnen sind, in besonderem
Maße die Frage nach der Deliktsstruktur. Ersichtlich muß es einen Unterschied ma-
chen, ob ein Straftatbestand Verhaltensweisen erfaßt, die unmittelbar zu einer Be-
einträchtigung des jeweils geschützten Interesses führen, oder aber Verhaltenswei-
sen pönalisiert werden, bei denen dies noch nicht bzw. nicht notwendigerweise der
Fall ist. Übersetzt in die gängigen Kategorien der Strafrechtsdogmatik ist damit
die Unterscheidung von Verletzungs- und Gefährdungsdelikten angesprochen. Be-
rücksichtigt man, daß die Straftatbestände des "modemen" Strafrechts durchgän-
gig als Gefährdungsdelikte aufzufassen sind (5. Kapitel), hängt die Legitimität des
"modemen" Strafrechts entscheidend von den Grenzen ab, die einer "legitimen"
Ausdehnung des Gefährdungsstrafrechts in den VorfeIdbereich realer Rechtsguts-
beeinträchtigungen gesetzt sind.
28 1. Kap.: Gegenstand und Gang der Untersuchung

Die Frage nach den Grenzen des (legitimen) Gefährdungsstrafrechts ist Gegen-
stand des 7. Kapitels. Zielsetzung ist es, zu zeigen, daß die Bewertung der Delikts-
strukturen der Straftatbestände des "modernen" Strafrechts eine ausdifferenzierte
Neukategorisierung der Deliktsgruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte zur Vor-
aussetzung hat. Im Ergebnis wird vorgeschlagen, innerhalb der Deliktsgruppe der
abstrakten Gefährdungsdelikte drei Deliktstypen zu unterscheiden, nämlich: kon-
krete Gefährlichkeitsdelikte, Kumulationsdelikte und Vorbereitungsdelikte. So-
dann wird der Versuch unternommen, Kriterien zu entwickeln, anhand derer die
Legitimität des Einsatzes der jeweiligen Deliktstypen bewertet werden kann.
Im abschließenden 8. Kapitel werden die im Rahmen der vorliegenden Untersu-
chung beispielhaft analysierten Teilbereiche der Strafrechtsordnung an den im 6.
und 7. Kapitel der Untersuchung gewonnenen Maßstäbe gemessen. Die insoweit
eher skizzenhaften Überlegungen sollen aufzeigen, weIche Fragestellungen im
Rahmen einer Einzelnormanalyse der Normen des Umwelt-, Wirtschafts- und Be-
täubungsmiuelstrafrechts sowie der Straftatbestände des modernen Fortpflan-
zungs-Medizinrechts zu behandeln wären und auf weIche Problemstellungen es
hierbei - im Hinblick auf die Legitimität dieser Strafnormen - entscheidend an-
kommen wird. Die ins Detail gehende Ausführung des Programms würde den Rah-
men einer Einzeluntersuchung sprengen; die vorliegende Untersuchung versteht
sich insoweit als Versuch, eine Grundlage für Arbeiten zu entwickeln, die sich der
speziellen Bewertung einzelner Normen widmen.
2. Kapitel

Die Krise des "modernen" Strafrechts

I. Die Unterscheidung des "klassischen"


und "modernen" Strafrechts

Die in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende des 2. Weltkrieges ein-
setzenden Bemühungen um eine grundsätzliche Reform des materiellen Strafrechts
waren hinsichtlich der Überarbeitung des Allgemeinen Teils des StGB mit dem In-
krafttreten des 2. StRG' zum Abschluß gekommen. Eine über die bereits vor dem
Inkrafttreten des 2. StRG durch das 1., 3. und 4. StRG2 bewirkte Teilentkriminali-
sierung des Sexualstrafrechts sowie der Landfriedens- und Demonstrationsdelikte
hinausgehende umfassende Reform auch des Besonderen Teils sollte weiteren Ein-
zeIgesetzen vorbehalten bleiben,3 die ihrerseits den wesentlichen Teil der Straf-
rechtsreform der 70er, 80er und 90er Jahre ausmachen. Anders als noch in den
50er und 60er Jahren hatten die Bemühungen des Gesetzgebers um die Reform des
Besonderen Teils des Strafrechts ab den 70er Jahren allerdings nicht mehr in erster
Linie die Entkriminalisierung zum Ziel, sondern waren vielmehr ausgerichtet auf
die Ausweitung des strafrechtlich relevanten Bereichs abweichenden Verhaltens. 4
Festzustellen ist, daß der in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen entstandene
- häufig massenmedial erzeugte, jedenfalls aber verstärkte - Problemdruck nahezu
automatisch kriminalpolitischen "Handlungsbedarf' zu erzeugen scheint, der sich
dann mehr oder weniger unvermittelt in Reformen der Strafrechtsordnung nieder-
schlägt. Stichwortartig kann an dieser Stelle auf die Verschärfung des politischen
Strafrechts als Reaktion auf linksterroristische und neofaschistische Aktivitäten,
auf die Entstehung bzw. Ausweitung des Betäubungsmittel-, Umwelt- und Wirt-
schaftsstrafrechts sowie - als prägnante Beispiele aus jüngerer Zeit - auf die Be-
mühungen um die Bekämpfung der "Organisierten Kriminalität" und die Kontrolle
der wissenschaftlichen Forschung durch die Straftatbestände des Gentechnikgeset-
zes (GenTG) und des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) verwiesen werden.

J Gesetz vom 4. 7.1969, BGB\.I, S. 717.


2 Gesetz vom 25. 6. 1969, BGB\. I, S. 645; Gesetz vom 20. 5. 1970, BGBI. I, S. 505 und
Gesetz vom 23. 11. 1973, BGB\. I, S. 1725.
3 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 4 Rdnr. 26.
4 Eser, Festschrift für Maihofer, S. 130 ff.; Hirsch, Gedächtnisschrift für H. Kaufmann,
S. 150/151, 160.
30 2. Kap.: Die Krise des "modernen" Strafrechts

Für die Schweiz ist eine Zweiteilung der Reformbemühungen festzustellen.


Zum einen ist das 1942 in Kraft getretene, aus dem Jahre 1937 stammende StGB
einer kontinuierlichen Reform unterzogen worden. Im Anschluß an die schwer-
punktartig auf den Allgemeinen Teil abzielende 2. Teilrevision durch das Bundes-
gesetz vom 18. März 1971 5 sind anschließend verschiedene Bereiche des Beson-
deren Teils überarbeitet worden. 6 Zum zweiten ist aber auch für die Schweiz eine
Tendenz zum Einsatz des Strafrechts als Instrument des gesellschaftlichen Krisen-
managements zu konstatieren. 7 Gegenstand der Intervention sind hier - ebenso
wie in der Bundesrepublik Deutschland - die Gebiete des Umwelt-, Wirtschafts-
und Betäubungsmittelstrafrechts sowie die Reaktion auf neuartige Bedrohungs-
phänomene wie insbesondere die "organisierte Kriminalität" und neuartige Ent-
wicklungen im Bereich der Molekularbiologie und Gentechnik. Ebenfalls in Par-
allele zur Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland favorisiert auch der
Schweizer Gesetzgeber auf diesen Gebieten tendenziell eher nebenstrafrechtliche
Lösungen. 8
In der Strafrechtswissenschaft ist die kontinuierlich fortschreitende Ausweitung
des strafrechtlich relevanten Bereichs abweichenden Verhaltens als Faktum un-
streitig; kontrovers ist, ob mit der quantitativen Zunahme strafrechtlicher Normen
gleichzeitig auch ein qualitativ neuartiges Strafrecht entstanden ist. Gemäß einer
wesentlich durch Arbeiten der Frankfurter Strafrechtslehrer Peter-Alexis Albrecht,
Winfried Hassemer und Wolfgang Naucke getragenen Analyse soll das aktuelle Er-
scheinungsbild der de lege lata geltenden Strafrechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland wesentlich durch ein Nebeneinander von "klassischem" und "moder-
nem" Strafrecht geprägt sein. Neben das rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtete,
auf die gerechte Ahndung gewichtiger Freiheitsverletzungen gerichtete Strafrecht
,,klassischer" Prägung sei - so die These - ein auf die Steuerung gesellschaftlicher
Entwicklungen abzielendes "modemes" Strafrecht getreten. Insgesamt gesehen ha-
be sich das Strafrecht damit zu einem unter dem Paradigma präventiver Zweckmä-
ßigkeit stehenden, der Durchsetzung beliebiger politischer Zwecksetzungen die-
nenden Instrument staatlicher Krisensteuerung entwickelt. 9 Die durch die kriminal-
politische Orientierung an präventiven Steuerungsansprüchen bedingte kontinuier-
liche Kapazitätsausweitung des Strafrechtssystems führe im Ergebnis zu einer
flächendeckenden Pönalisierung ganzer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens
und habe eine Auflösung bzw. Flexibilisierung der im Hinblick auf das Ziel eines

5 Vgl. hierzu Schultz, ZStR 99 (1982), 1,5 ff.; ders., ZStW 97 (1985), 371 ff.; ders., ZStR
109 (1992), 3, 8 f.
6 Vgl. Heine, Landesbericht, S. 703 ff., 721 ff.; Heine/Hein, Landesbericht, S. IOIO ff.;
Heine/Roulet, Landesbericht, S. 1285; Schultz, ZStR 99 (1982), 1, 19 ff.; ders., ZStW 97
(1985),371,378 ff.; ders., ZStR 109 (1992),3,9 ff.
7 Heine/Roulet, Landesbericht, S. 1281.

8 Vest, Landesbericht, S. 674.


9 Vgl. Hassemer, ZRP 1992, 378, 379 ff.; ders., Produktverantwortung, S. 4 ff.; ders.,
NStZ 1989,553,558; Naucke, KritV 1993, 135, 154 ff.; ders., KritV 1990,244,253 ff.
I. Die Unterscheidung des "klassischen" und "modernen" Strafrechts 31

effizienten Krisenmanagments hinderlichen Zurechnungsstrukturen des "klassi-


schen" Strafrechts zur Folge. 10

1. Charakteristika des Strafrechts "klassischer" Prägung

Die Gegenüberstellung eines ,,klassischen" und eines "modernen" Strafrechts


wirft die Frage auf, was den Gehalt des "klassischen" Strafrechts ausmachen soll
und durch welche Kriterien sich das "moderne" Strafrechts vom ,,klassischen"
Strafrecht unterscheiden läßt. Den Begriff des "klassischen" Strafrechts verbinden
sowohl Hassemer als auch Naucke - im Grundansatz übereinstimmend - mit dem
im Verlauf des 18. und 19. Jahrhundert in Anlehnung an die Philosophie der Auf-
klärung und des deutschen Idealismus entwickelten Modell einer Strafrechtsord-
nung.
Hassemer unterscheidet im wesentlichen drei Phasen in der Entwicklung des
staatlichen Strafrechts: Am Anfang der historischen Entwicklung steht seiner Auf-
fassung nach eine auf naturrechtlichen Vorstellungen basierende Strafrechtskon-
zeption. Die mit naturrechtlichen Vorstellungen verbundene Ableitung der Rechts-
ordnung aus verbindlich vorgegebenen höheren Rechtsprinzipien sei als Folge der
Erkenntniskritik der idealistischen Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts obso-
let und durch die Vorstellung von der Existenz eines Sozialvertrages als Grundlage
des gesellschaftlichen Miteinanders ersetzt worden. Normative Grundlage dieses
Sozi al vertrages sei die Gleichmäßigkeit und Wechselseitigkeit eines allgemeinen
Freiheitsverzichts als Grundlage einer Freiheitsverbürgung für alle. Das Strafrecht
dieser - von Hassemer als ,,klassisch" bezeichneten - Phase der Strafrechtsent-
wicklung habe allein die Funktion gehabt, die sozialvertraglichen Vereinbarungen
durch eine Absicherung des horizontal vereinbarten Freiheitsverzichts zu stabili-
sieren ll. Aus der Funktion des ,,klassischen" Strafrechts als Instrument der Ge-
währleistung bürgerlicher Freiheit leitet sich nach Hassemer zum einen der Grund-
satz der Subsidiarität des Strafrechts als letztes Mittel gesellschaftlicher Problem-
lösung und zum anderen die Konzentration auf den Schutz von Individualrechtsgü-
tern ab. Universalrechtsgüter seien im "klassischen" Strafrecht nur in dem Maße
als legitimer Schutzgegenstand strafrechtlicher Verbote in Betracht gekommen, als
ihr Schutz Voraussetzung für die freiheitsverbürgende Weiterexistenz des Gesell-
schaftskonsenses gewesen sei. 12

10 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1986,55,81; ders., StV 1994,265,266,269; Appel, Ver-


fassung, S. 35 f.; Hassemer ZRP 1992, 378, 381; ders. NStZ 1989,553,557; vgl. auch Krauß
KritV 1993, 183, 193; Müller-Dietz, Festschrift für R. Schmitt, S. 98; ders., Festschrift für
Triffterer, S. 677 f.; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 737 ff.
11 Hassemer, ZRP 1992, 378, 379; ders., Produktverantwortung, S. 4 ff.; ders., Theorie,
S. 29 ff.; ders., ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 137.
12 Hassemer, ZRP 1992, 378, 380.
32 2. Kap.: Die Krise des "modernen" Strafrechts

Naucke sieht die Entstehung des von ihm mit dem Adjektiv "rechtsstaatlieh"
versehenen Strafrechts darin begründet, daß das bis in das 18. Jahrhundert hinein
als Machtmittel des absoluten Staates mißbrauchte, durch seine Brutalität und poli-
tische Verfügbarkeit diskreditierte Strafrecht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts aus einer aufwendig geführten rechtsphilosophischen Debatte heraus in sei-
nen Grundlagen reformiert worden sei. Kern der Philosophie der Aufklärung sei
zum einen die Erkenntnis des Freiheitsstatus des Bürgers als Grundlage der staat-
lichen Gemeinschaft und zum anderen die Einsicht in die beständige Gefahrdung
dieser Grundfreiheit durch das Verhalten anderer sowie die Machtausübung des
Staates gewesen. Freiheitsverletzungen seien als Verbrechen erkannt und die Auf-
gabe des Staates darin gesehen worden, auf diese Verbr~chen mit Strafe zu reagie-
ren. 13 Das "philosophisch richtige Strafrecht" sei - so Naucke - "die Summe der
Regeln, die gegen die Machtausübung durch den Straftäter und gegen die Macht-
ausübung durch den Staat, also gegen Straftat und Strafe schützen. Diese Summe
von Regeln, die gegen Macht schützen, ist das rechtsstaatliehe Strafrecht.,,14 Sei-
nem klassischen Konzept nach beschränke sich das so legitimierte Strafrecht "auf
die Repression schweren Unrechts an der Freiheit der Person und der Gemein-
schaft. Konkret: das Kriminalrecht sieht die Repression der Gewaltdelikte gegen
die Person, die Freiheit und das Vermögen und die gewaltsame Verunsicherung der
Grundlagen der individuellen Freiheit, nämlich Staat und Gesellschaft, als seine
Zuständigkeit an. Alle anderen Sanktionsnotwendigkeiten, die in einem Gemein-
wesen verspürt werden mögen, gehören nach diesem Konzept in das Polizei-
recht.,,15 Das rechtsstaatliehe Strafrecht sei hart profiliert, es beinhalte einerseits
eine "strenge strafende Reaktion auf die Überwältigung der Freiheit eines anderen,
(und andererseits eine) strenge juristische Kontrolle dieser Reaktion selbst.,,16 Die
kriminalstrafrechtliche Sanktion der Strafe sei ausschließlich als Reaktion auf die
Verletzung gewichtiger Rechtsgüter zu legitimieren,17 insoweit aber gleichzeitig
auch unverzichtbar l8 und damit kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen
entzogen. 19 Was strafwiirdig sei, werde nicht beschlossen, sondern "erkannt", d. h.:
strafwürdig seien die jeder konkreten Gesellschaftsform vorgegebenen Mindestre-
geln der Verfassung der allgemeinen Freiheit. 20

13 Naucke, KritV 1993, 135, 137, 154, 157.


14 Naucke, KritV 1993, 135, 137; vgl. auch ders., KritV 1990, 244, 254.
15 Naucke, KritV 1993, 135, 143; ders., KritV 1990,244,247; vgl. auch Kargi, Rechtsgü-
terschutz, S. 60.
16 Naucke, KritV 1993, 135, 139; ders., Wechselwirkung, S. 20 ff.

17 Naucke, Wechselwirkung, S. 20, 33,35 f.

18 Naucke, Wechselwirkung, S. 37 f.
19 Naucke, Wechselwirkung, S. 35 ff.; ders., Aushöhlung, S. 485.

20 Naucke, Aushöhlung, S. 485.


I. Die Unterscheidung des "klassischen" und "modernen" Strafrechts 33

2. Charakteristika des "modernen" Strafrechts

Das "modeme" Strafrecht hat nach Auffassung bei der Autoren mit den Traditio-
nen des auf die Gewährleistung bürgerlicher Freiheit abzielenden "klassischen"
Strafrechts gebrochen. Nach Einschätzung Hassemers hat sich das "modeme"
Strafrecht zu einem Mittel gesellschaftlicher Steuerung und zu einem Instrument
der Volkspädagogik entwickelt. 21 Entscheidend für diese Entwicklung sei ein
Orientierungswechsel vom Paradigma der Strafgerechtigkeit zum Paradigma der
Prävention gewesen. Wahrend Folgenorientierung in der Phase des "klassischen"
Strafrechts allenfalls ein ergänzendes Kriterium richtiger Gesetzgebung gewesen
sei, sei es das alles beherrschende Ziel des "modemen" Strafrechts, bestimmte ex-
terne Erfolge zu erreichen. 22 Als Folge dieses Paradigmawechsels sei das Straf-
recht nicht mehr ultima ratio, sondern in zunehmenden Maße prima ratio des Ge-
setzgebers. 23 Der Topos des Rechtsgüterschutzes habe sich von einer negativen
Schranke zu einem verpflichtenden Kriterium der Pönalisierung entwickelt. 24
Naucke vertritt die Auffassung, das de lege lata geltende Strafrecht der Bun-
desrepublik Deutschland lasse allenfalls noch den Grundriß eines rechtsstaatli-
chen Strafrechts erkennen. Tatsächlich entspreche das auf den Fundamenten eines
rechtsstaatlichen Konzeptes errichtete Strafrecht diesen Vorgaben aber nicht
mehr. 25 Ausschlaggebend hierfür ist seiner Auffassung nach eine politisch moti-
vierte Entgrenzung des Strafrechts. Zwar sei das allein auf die Gewährleistung
des Freiheitsstatus des Bürgers abzielende, rechtsstaatlieh bzw. rechtsphiloso-
phisch "richtige" Strafrecht nicht nur philosophisches bzw. strafrechtsdogmati-
sches Konzept geblieben, sondern im 19. Jahrhundert auch in die Rechtswirklich-
keit umgesetzt worden,z6 etwa durch das von Feuerbach konzipierte Bayerische
Strafgesetzbuch von 1813 27 sowie weitere, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts erlassene Strafgesetzbücher?S Parallel zur Entwicklung der Rechtsstaatlich-

21 Hassemer. ZRP 1992.378.380; ders .. NStZ 1989.553.558; ders .• Einführung. S. 275;


vgl. auch Müller-Dietz. Festschrift für R. Schmitt. S. 98 ff.; Weigend, Festschrift für Triffte-
rer. S. 708.
22 Hassemer. ZRP 1992.378.380; ders .• JuS 1987.257.260 f.
23 Hassemer. ZRP 1992. 378. 381; ders .. JuS 1992. 110. 113; ders., ARSP-Beiheft 44
(1991). 130. 138; ders .. Strafrechtswissenschaft. S. 299; ders., Festschrift für. E. A. Wolff.
S. 118/119; vgl. auch Jung. GA 1996.507.515; Stächelin, Untermaßverbot. S. 275.
24 Hassemer. NStZ 1989.553.557; ders .• ZRP 1992.378. 380; ders .• Sozialtechnologie.
S. 331; vgl. auch Hohmann. Rechtsgut. S. 163 ff.; Park. Vermögensstrafe. S. 138; Stächelin.
Strafgesetzgebung. S. 42 ff.; Vormbaum. ZStW 107 (1995). 734. 758; Weigend. Festschrift
für Triffterer. S. 708 f. sowie bereits Volk. JZ 1982. 85. 88; Kunz. Bagatellprinzip. S. 27 f.
25 Naucke, KritV 1990, 244, 253.
26 A. A. Hassemer. ZRP 1992, 378, 379; ders., Grundlinien, S. 89 f.; Lüderssen, Einlei-
tung, S. 65; vgl. auch Stächelin, Untermaßverbot, S. 269.
27 Naucke. Entwicklungen. S. 25.

28 Naucke. KritV 1990,244,250/251.

3 Wohlers
34 2. Kap.: Die Krise des ,,modernen" Strafrechts

keit sei allerdings - beginnend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - eine
auf "Zermürbung" des strafrechtlichen Rechtsstaates abzielende Entwicklung
festzustellen. Insgesamt gesehen sei neben das rechtsstaatliche Hauptstrafrecht
ein sich stetig ausdehnendes, parteilich-politisch orientiertes, rechtsstaatswidriges
Nebenstrafrecht getreten. 29 Dieses Strafrecht habe nicht die Aufgabe gehabt, die
Freiheit des Bürgers zu schützen, sondern habe Vorteile bewahren sollen, deren
Gefährdung aufgrund eines in einem stetigen Wandelungsprozeß begriffenen, po-
litisch-pragmatischen Kalküls als Sozialstörung aufgefaßt worden sei. Angesichts
der Schwierigkeiten, vor dem Hintergrund politisch-pragmatischer Erwägungen
den Kreis legitimerweise schützenswerter Rechtsgüter zu bestimmen bzw. zu be-
grenzen, habe sich das Strafrecht insgesamt gesehen in der Folgezeit wieder zu
einem Instrument beliebig gehandhabter, parteilich-politischer Machtausübung
entwickelt. 30 Das auf die Funktion inhaltlich unbegrenzter, politisch-pragmatisch
gehandhabter Prävention von Sozialstörungen bezogene Strafrecht habe seine ei-
genständige Kontur verloren und sei auf den Stand der Zeit vor dem 18. Jahrhun-
dert zurückgefallen. 3J
Mit der Entgrenzung des politisch unabhängigen, auf die Repression schweren
Unrechts beschränkten rechtsstaatlichen Strafrechts rücke das Strafrecht - so die
Einschätzung Nauckes - wieder in die Nähe polizeilicher Ordnungsmechanismen.
Als Folge dieser Entwicklung verlagere sich das strafrechtliche Denken von pro-
fessioneller Rechtsstaatlichkeit zu kriminal politischer Phantasie und zu herbeige-
sehnten Präventionserfolgen. 32 Die mit der Ausrichtung auf präventive Zielsetzun-
gen verbundene Ausdehnung des strafrechtlichen Zugriffs auf den Bereich weniger
schwerwiegender Normverstöße 33 führe zwangsläufig zu einem Verlust an rechts-
staatlicher Förmlichkeit. 34 Ursprünglich rechtsstaatliche Maximen - wie etwa das
Gesetzlichkeitsprinzip oder das Analogieverbot - seien zu rein formalen, einer be-
liebigen inhaltlichen Ausfüllung zugänglichen Prinzipien verkommen. 35 Im Ergeb-
nis sei die Strafrechtsordnung de lege lata damit weder in der Lage, schweres Un-
recht - d. h. schwere Beeinträchtigungen der individuellen Freiheitssphäre - theo-
retisch angemessen hervorzuheben und praktisch verhältnismäßig zu bestrafen,36
noch seien Grenzen strafwürdigen Verhaltens erkennbar. Das Kemstrafrecht, vor
allem aber das Nebenstrafrecht wuchere ohne Grenzen und durchdringe alle gesell-
schaftlichen Bereiche. Die Unterschiede zwischen Strafrecht, Ordnungswidrigkei-

29 Naucke, KritV 1990,244,251 f.; ders., KritV 1993, 135, 144, 157.
30 Naucke, KritV 1993, 135, 154 ff.; ders., KritV 1990,244,254 f.
31 Naucke, KritV 1993, 135, 157/158.

32 Naucke, KritV 1993, 135, 136.


33 Vgl. Naucke, Wechselwirkung, S. 20 ff.

34 Vgl. hierzu i.e. Naucke, Wechselwirkung, S. 23 ff.


35 Vgl. i.e. Naucke, JuS 1989,862,865 ff. (zum Gesetzlichkeitsprinzip) und ders., KritV
1990,244,253 (zum Analogieverbot).
36 Naucke, KritV 1993,135,139; vgl. auch KargI, Rechtsgüterschutz, S. 62 ff.
I. Die Unterscheidung des "klassischen" und "modernen" Strafrechts 35

tenrecht und polizeilicher Gefahrenabwehr würden immer undeutlicher. 37 "Der Be-


griff und das Wort des Unrechts verschwinden aus dem juristischen Bereich. Un-
recht wird umstilisiert: zuerst zu abweichendem Verhalten, dann zu Konflikt,
schließlich, das vorläufige Ende der Entwicklung, zur Krise.,,38
Auch Hassemer beanstandet, daß die von ihm mit dem Stichwort "Kapazitäts-
ausweitung" gekennzeichnete Entwicklung im Ergebnis dahin führe, daß das Straf-
recht nur noch in einem laufend an Gewicht verlierenden Kernbereich Reaktions-
mittel auf schwerste Verletzungen der Freiheitsinteressen des Bürgers bleibe, sich
ansonsten aber zu einem flankierenden Instrument der Innenpolitik entwickelt ha-
be. 39 Die Ablösung der Strafgerechtigkeit durch die Prävention als Paradigma der
Strafrechtsentwicklung und die damit verbundene Orientierung an externen Folgen
begründet seiner Auffassung nach die strafgrundsätzliche Bedeutung, die nunmehr
empirischen Erfolgen des Strafrechts zukomme. 4o Die Orientierung an externen
Folgen will Hassemer - insoweit anders als Naucke - zwar nicht grundsätzlich in
Frage stellen;41 problematisch ist seiner Auffassung nach aber die Art und Weise,
in der die überkommenen Prinzipien des rechtsstaatlichen Strafrechts ,,klassischer"
Prägung als "altbacken" und im Hinblick auf die angestrebte effektive Kriminalpo-
litik hinderlich beiseitegeschoben würden. 42 Hierbei werde verkannt, daß die for-
malisierten und starren Grundsätze und Prinzipien des klassischen Strafrechts ein
unverzichtbares, die Freiheit des Bürgers vor ungerechtfertigten Belastungen
schützendes Korrektiv einer nach Effektivität strebenden Kriminalpolitik sei. 43
Darüber hinaus führe der unreflektierte großflächige Einsatz des Strafrechts zur
Verfolgung präventiver Zielsetzungen dazu, daß das Strafrecht angesichts unüber-
sehbarer Vollzugsdefizite in zunehmendem Maße als ein Gesetz mit rein symboli-
schem Charakter erscheinen müsse. 44
Wahrend Naucke zwar den Gegensatz eines - zumindest seiner Konzeption nach
- rechtsstaatlieh orientierten Hauptstrafrechts und eines parteilich-polititischen
rechtsstaatswidrigen Nebenstrafrechts betont, im Ergebnis dann aber doch dahin
tendiert, der Strafrechtsordnung als Ganzes zu attestieren, sie sei zu einem polizei-
lichen Funktionen verpflichteten Instrument bloßer Machtausübung verkommen,

37 Naucke, KritV 1993, 135, 143 ff.; ders., KritV 1990,244,253; vgl. auch Müller-Dietz,
Festschrift für R. Schmitt, S. 101.
38 Naucke, KritV, 1986, 189, 199/200.

39 Hassemer, ZRP 1992, 378, 381; ders., NStZ 1989,553,558; ders., Sozialtechnologie,
S. 329; vgl. auch F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 66 ff.
40 Hassemer, JuS 1987, 257, 265; ders. NStZ 1989, 553, 556; ders., Sozialtechnologie,
S. 331; vgl. auch Müller-Dietz, Festschrift für R. Schmitt, S. 103; zur Prävention als neues
Paradigma der Kriminalpolitik vgl. auch Park, Vermögensstrafe, S. 140 ff.
41 Hassemer, JuS 1987,257,264; ders., Einführung, S. 276.

42 Hassemer, Einführung, S. 274.

43 Hassemer, JuS 1987, 257, 264; ders., Einführung, S. 276.


44 Vgl. hierzu i.e. Hassemer, NStZ 1989,553 ff.; ders., JuS 1992, 110, 112 f.; ders., KritV
1993, 198, 203.

3'
36 2. Kap.: Die Krise des "modernen" Strafrechts

benennt Hassemer konkret bestimmte Teilbereiche, innerhalb derer sich der krimi-
nalpolitische "Handlungsbedarf' in der Entstehung "modemen" Strafrechts nieder-
geschlagen habe: "Das zentrale Gebiet strafgesetzlicher Neuerungen ist der Beson-
dere Teil, sowohl im StGB als auch im Nebenstrafrecht. Reformen bestehen hier
nicht in einer Rücknahme von Strafdrohungen, sondern in deren Erweiterung oder
Neuschaffung. Die zentralen Gebiete strafgesetzlicher Neuerungen sind: Umwelt,
Wirtschaft, Datenverarbeitung, Drogen, Steuer, Außenhandel, überhaupt: ,organi-
sierte Kriminalität'. ,,45 Die Gebiete, auf die sich das "modeme" Strafrecht konzen-
triere, hätten "sämtlich mit dem einzelnen Bürger, dem Individuum, nur mittelbar
zu tun. Unmittelbar sind sie Institutionen der Gesellschaft oder auch des Staates.
Der Rechtsgüterschutz wird im modemen Strafrecht zum Institutionenschutz. "
Diese Rechtsgüter seien keine Individual- sondern vielmehr "Universalrechtsgü-
ter", die der Gesetzgeber zum einen "vage und großflächig" formuliere und dar-
über hinaus über den Rückgriff auf die Deliktsform der "abstrakten Gefährdungs-
delikte" in einer Weise strafrechtlich absichere, die nicht nur die tradierten Struk-
turen der Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit auflöse und den Bereich
strafrechtlich relevanten Verhaltens erweitere, sondern letztlich den eigenständigen
Charakter strafrechtlich relevanten Unrechts in Frage stelle. 46

11. Die Orientierung des Strafgesetzgebers


an präventiven Zielsetzungen

Daß der Gesetzgeber strafrechtliche Normen tatsächlich als ein Instrument staat-
licher Sozialkontrolle versteht, durch dessen Einsatz gesellschaftliche Entwicklun-
gen gesteuert und Fehlentwicklungen korrigiert werden sollen, zeigt sich schon im
Titel der meisten bundesdeutschen Änderungsgesetze: "Gesetz zur Bekämp-
fung ... ,,47 Eine weitere Bestätigung ergibt sich aus einem kurzen Blick in die Ent-
wurfsbegründungen der in den letzten Jahrzehnten erlassenen Gesetze zur Reform
des Wirtschafts-, Umwelt- und Betäubungsmittelstrafrechts: Mit dem I. und 2.
WiKG wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber einen Beitrag zur "wirksameren Be-
kämpfung der Wirtschaftskriminalität,,48 leisten. Ziel der Reform war sowohl "ein
wirksamerer Strafrechtsschutz als auch eine Verbesserung vorbeugender Maßnah-
men".49 Auch in der Schweiz soll die Revision des Vermögens- und Urkunden-
strafrechts, die am I. Januar 1995 in Kraft getreten ist, "die traditionellen Vor-

Hassemer, ZRP 1992, 378, 381; ders., Strafrechtswissenschaft, S. 298.


45

46 Hassemer, ZRP 1992, 378, 381 f.; ders., Strafrechtswissenschaft, S. 299; vgl. auch Park,
Vermögensstrafe, S. 130 f., 137 ff.
47 Vgl. Hettinger, NJW 1996,2263,2264; Kempf, NJW 1997, 1729, 1731.

48 BT-Drucks. 10/318, S. I.

49 BT-Drucks. 7/3441, S. I; 7/5291, S. I.


H. Die Orientierung des Strafgesetzgebers an präventiven Zielsetzungen 37

schriften des Vermögensstrafrechts stärker auf den Kampf gegen die Wirtschafts-
kriminalität ausrichten. ,,50
Die Wirksamkeit der für die Bundesrepublik Deutschland mit dem 18. StrÄG an-
geziehen Reform der Straftatbestände zur Bekämpfung der Umwehkriminalität war
zwar von den im Gesetzgebungsverfahren angehörten Sachverständigen bezweifelt
worden,51 und auch der amtierende Justizminister Vogel hatte in den Plenarberatun-
gen des Bundestages hervorgehoben, daß ,,keine sensationellen Effekte" zu erwar-
ten seien. 52 Der Gesetzgeber ging aber dennoch davon aus, mit dem Gesetz zur Be-
kämpfung der Umweltkriminalität Möglichkeiten geschaffen zu haben, sowohl
schwerwiegenden Schädigungen und Gefährdungen der Umwelt wirksamer begeg-
nen zu können als auch die Durchsetzbarkeit umweltverwaltungsrechtlicher Rege-
lungen zu erleichtern. 53 Die Erwartungen an die nochmalige Reform des Umwelt-
strafrechts durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, mit dem in
der Bundesrepublik Deutschland nach Einschätzung des damaligen Bundesjustizmi-
nisters Kinkel das "schärfste Umweltstrafrecht der Welt" etabliert worden war, wa-
ren wiederum auf eine nochmalige Intensivierung der präventiven Wirkung gerich-
tet. 54 Auch in der Schweiz zielt die in Aussicht genommene Reform des Umwelt-
strafrechts auf eine "Verstärkung des strafrechtlichen Schutzes der Umwelt" ab. 55
Auch die Reform des Betäubungsmittelstrafrechts wurde in bei den Ländern von
Präventionserwartungen getragen. Nach den Vorstellungen des bundesdeutschen
Gesetzgebers hatte der Rauschgiftkonsum und die Rauschgiftkriminalität Ende der
sechziger Jahre in einem ungewöhnlichen und besorgniserregenden Maße zuge-
nommen. Zielsetzung des Gesetzgebers war es, "aus dem Opiumgesetz ein wir-
kungsvolles Instrument zur Kontrolle des Verkehrs mit Rauschgiften und zur Be-
kämpfung der Rauschgiftsucht zu machen.,,56 Die Novellierung des Opiumgeset-
zes diene dem Ziel, "der Rauschgiftwelle in der Bundesrepublik Deutschland Ein-
halt zu gebieten und damit große Gefahren für den Einzelnen und die
Allgemeinheit abzuwenden.,,57 Auch in der Schweiz sah sich der Gesetzgeber ver-
anlaßt, dem "in beängstigendem Ausrnass angestiegenen Missbrauch von Betäu-
bungsmitteln und Halluzinogenen in wirksamer Weise entgegenzutreten und so-
wohl die Ursachen als auch die Auswirkungen dieser Erscheinung in sinnvoller
und erfolgversprechender Weise zu bekämpfen.,,58

50 Botschaft über die Aenderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militär-
gesetzes vom 24. April 1991, BBI. 1991 II, 969, 971.
51 Vgl. Krüger, Entstehungsgeschichte, S. 161.
52 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 201. Sitzung der 8. Wahlperiode,
Mittwoch 13.2. 1980, S. 16041 (B).
53 Vgl. BT-Drucks. 8/2382, S. I; 8/3633, S. 19,21.

54 Vgl. Möhrenschlager, NStZ 1994,512,513; Schmidt/Schöne, NJW 1994,2514,2519.

55 So der Titel des von Jenny und Kunz erarbeiteten Berichts und Vorentwurfes.
56 BR-Drucks. 665/70 (neu), S. 7.

57 BR-Drucks. 665/70 (neu), S. 6.


38 2. Kap.: Die Krise des "modernen" Strafrechts

An den so formulierten Zielsetzungen wurde auch in der Folgezeit festgehalten.


In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Neuordnung
des deutschen Betäubungsmittelrechts vom 9. November 1979 wird hervorgeho-
ben: .,Der ständige Anstieg der Rauschgiftdelikte zwingt. zum Schutze der Volks-
gesundheit und der sozialen Interessen der Gesellschaft als äußerste Maßnahme
auch verschärfte strafrechtliche Vorschriften gegen diese Kriminalität zu erlas-
sen.,,59 ..Die Verbrechenstatbestände ... sollen ... (Maßnahmen gegen) bestimmte
Arten von Rauschgiftdelikten als besonders gefährliche und verabscheuungswürdi-
ge Angriffe gegen das Schutzgut .. Volksgesundheit" ermöglichen".60
Festzustellen ist allerdings eine gewisse Akzentverlagerung: Der Topos der Be-
kämpfung des illegalen Rauschgifthandels hatte im Rahmen des Gesetzgebungs-
verfahrens zum BtmG 1971 noch eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Im All-
gemeinen Teil der Gesetzesbegründung war er nur beiläufig erwähnt worden. 61
Die Notwendigkeit. für bestimmte besonders schwere Fälle einen Strafrahmen von
einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorzusehen. war zwar auch damals bereits
damit begründet worden. diese Regelung bilde ..ein wichtiges Instrument. nament-
lich zur Bekämpfung illegaler Händler.,,62 Bei den nachfolgenden. auf eine ver-
schärfte Repression abzielenden Novellierungen des BtmG rückt die zunächst mit
dem Begriff des ..aus Gewinnstreben handelnden Großtäter(s),,63 und sodann mit
dem Schlagwort der ..Bekämpfung der Organisierten Kriminalität,,64 umschriebene
Zielsetzung zunehmend in den Vordergrund. Gleiches gilt für den Topos der Um-
setzung internationaler Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. der im
Gesetzgebungsverfahren zum BtmG 1971 noch eher den Charakter einer lediglich
unterstützenden Hilfsargumentation hat. 65 der aber in der Folgezeit ebenfalls ei-
genständiges Gewicht erhält und auch zur Begründung strafverschärfender Neufas-
sungen des BtmG herangezogen wird. 66
In jüngster Zeit hat sich das Bemühen des bundesdeutschen Gesetzgebers. ge-
sellschaftliche Entwicklungen prospektiv mittels strafbewehrter Verhaltensverbote
bzw. durch ordnungsrechtliche Kodifizierungen und deren (neben-)strafrechtliche
Absicherung zu steuern. in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem im

58 Vg\. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ände-
rung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BB\. 1973 I, 1348, 1350. Auch in
der Literatur findet sich die Fonnulierung der "flutartigen Drogenwelle", vg\. Hug-Beeli,
ZStR 115 (\997), 249,250; Schultz, SJZ 68 (\972), 229.
59 BR-Drucks. 546/79, S. 35.

60 BR-Drucks. 546/79, S. 37.


61 BR-Drucks. 665/70 (neu), S. 5/6.

62 BR-Drucks. 665/70 (neu), S. 8.

63 BR-Drucks. 546/79, S. 35, 37.


64 Vg\. BT-Drucks. 12/989, S. 20 f., 30; 12/2720, S. 2.

65 Vg\. BR-Drucks. 665170 (neu), S. 3, 16.

66 Vg\. BR-Drucks. 546179, S. 23; BT-Drucks. 12/3533, S. 10.


III. Der gesellschaftliche Hintergrund der präventiven Orientierung des Gesetzgebers 39

Gentechnikgesetz67 und im Embryonenschutzgesetz68 niedergeschlagen. Beide


Gesetze sollen der wissenschaftlichen Forschung verbindliche Grenzen setzen, um
so einerseits die Vorteile der wissenschaftlichen Entwicklung nutzen zu können,
andererseits aber etwaigen Fehlentwicklungen bzw. Mißbräuchen bereits im Vor-
feld ihres Auftretens entgegenzuwirken. 69 Die Zwecksetzung des Gentechnikgeset-
zes besteht zum einen darin, Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflan-
zen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor mög-
lichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen bzw. dem
Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen (§ 1 Nr. 1 GenTG). Konkret soll das Ge-
setz einen rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und
Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten
der Gentechnik schaffen (§ 1 Nr. 2 GenTG).7o Mit dem Embryonenschutzgesetz
will der Gesetzgeber der Anwendung bestimmter, durch den wissenschaftlichen
Fortschritt technisch möglich gewordener bzw. zukünftig möglich werdender bio-
genetischer Verfahren entgegenwirken, insbesondere "jeder Manipulierung
menschlichen Lebens bereits im Vorfeld begegnen.'.71

IH. Der gesellschaftliche Hintergrund


der präventiven Orientierung des Gesetzgebers

Die Diskussion der Ursachen für die offenbar ständig zunehmende präventive
Orientierung des Strafgesetzgebers wurde in den letzten Jahren wesentlich durch
Bemühungen um die Rezeption einer im Anschluß an Arbeiten des Soziologen UI-
rich Beck unter dem Stichwort der "Risikogesellschaft" bekannt gewordenen Er-
klärungsansatzes geprägt. Gegenstand des kriminalpolitischen Diskurses war die
Frage, ob der "Risikogesellschaft" ein "Risikostrafrecht" korrespondiert bzw. die
im soziologischen Schrifttum mit dem Begriff der Risikogesellschaft umschriebe-
nen gesellschaftlichen Phänomene eine grundsätzliche Neubestimmung der Funk-
tion(en) strafrechtlicher Normen erforderlich machen.
In seiner Untersuchung zum Thema "Strafrecht und Risiko" hat Prittwitz72 den
Versuch unternommen, die für den kriminalpolitischen Diskurs relevanten Ergeb-

67 Gesetz zur Regelung der Gentechnik vom 20. 6. 1990, BGBI. I, S. 1080, Inkraftgetreten
am I. 7. 1990.
6K Gesetz zum Schutz von Embryonen vom 13. 12. 1990, BGBI. I, S. 2746, Inkraftgetreten
am I. I. 1991.
69 H.-L. Günther, ZStW 102 (1990), 269, 273 f.; Arthur Kaufmann, Festschrift für Oehler,
S.653.
70 Vgl. BT-Drucks. II 15622, S. I, 19 ff.

7\ BT-Drucks. 11/5460, S. I.
12 Strafrecht und Risiko, S. 49 ff.; vgl. daneben auch noch Hilgendorf, Strafrechtliche Pro-
duzentenhaftung, S. 17 ff. sowie die kritische Rezension beider Untersuchungen durch Kuh-
len, GA 1994, 347 ff.
40 2. Kap.: Die Krise des "modernen" Strafrechts

nisse der soziologischen Forschung zu einem Gesamtentwurf der "Risikogesell-


schaft" zusammenzuführen. Wesentliche Charakteristika der "Risikogesellschaft"
sieht er darin, daß das Vorhandensein qualitativ und quantitativ neuartiger Großri-
siken sowie eine gleichzeitig abnehmende Fähigkeit der einzelnen Mitglieder der
Gesellschaft, die mit menschlichen Verhalten bzw. gesellschaftlichen Entwicklun-
gen denknotwendig verbundenen Risiken zutreffend einzuschätzen, eine umfassen-
de gesellschaftliche Verunsicherung und ein hieraus resultierendes, zunehmendes
Bedürfnis nach normativer (Rück-)Versicherung begründen73 •
Im Anschluß an Arbeiten Becks und Perrows beschreibt Prittwitz zunächst die
als Nebenfolgen des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses entstandenen
Großrisiken, wie z. B. die Nutzung der Kernkraft oder der Gentechnologie, als
Hochrisiko-Systeme, deren Komplexität schon allein aufgrund des nicht auszu-
schließenden Faktors menschlichen Versagens unabweislich zu Unfällen führen
müsse. Da das Katastrophenpotential dieser Störfälle im Hinblick auf die Auswir-
kungen für außerhalb des Systems stehende unbeteiligte Personen und zukünftige
Generationen weder räumlich noch zeitlich eingrenzbar sei, seien diese Risiken als
qualitativ neuartige Großrisiken zu verstehen74 .
Die durch diesen Befund begründete Charakterisierung der Risikogesellschaft
als "Gefahrgesellschaft" verbindet Prittwitz mit den Erkenntnissen der von ihm als
"traditionelle Risikoforschung" bezeichneten Untersuchungen über den allgemei-
nen menschlichen bzw. gesellschaftlichen Umgang mit Risiken. Die wesentlichen
Ergebnisse dieser Untersuchungen bestehen seiner Auffassung nach darin, daß der
Mensch mit der objektiv zutreffenden Einschätzung von Risiken überfordert sei.
Dies gelte insbesondere dann, wenn es um kleine Wahrscheinlichkeiten oder um
die Folgenabschätzung bei komplexem Systemen gehe. Die zunehmende Komple-
xität und Ausdifferenzierung des gesellschaftlichen Systems begründe Befürchtun-
gen und Verunsicherungen, die zum Teil berechtigt, zu einem anderen Teil aber
auch - gemessen am Rationalitätsstandard der naturwissenschaftlichen Experten -
irreal seien. 75 Gestützt auf sozialpsychologische Untersuchungen 76, insbesondere
aber in Anlehnung an Arbeiten Evers und Nowotnys,77 interpretiert Prittwitz die
Risikogesellschaft als eine Gesellschaft, deren Reaktion auf tatsächliche oder ver-
meintliche Gefahren von dem Versuch geprägt sei, die real existierenden bzw. an-

73 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 77 ff., 167 f.; ders. StV 1991,435,438; vgl. auch
Callies NJW 1989, 1338; Kindhäuser, Universitas 1992,227,228 f.; Müller-Dietz, Funktio-
nen, S. 97; kritisch zum Ansatz Prittwitz Kuhlen, GA 1994,347,352; vgl. auch ders., a. a. 0.,
S. 357 f. zum Begriff des Risikostrafrechts.
74 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 50 ff.; vgl. auch Heine, Verantwortlichkeit, S. 61 ff.;
Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, S. 23 ff.; Preuß KritV 1989,3,8 f.; Schulz,
Kausalität, S. 75 f.
75 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 65 ff., \03 ff.; vgl. auch F. Herzog, Gesellschaftliche
Unsicherheit, S. 54 ff.
76 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. \07 ff.

77 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 62 ff.


III. Der gesellschaftliche Hintergrund der präventiven Orientierung des Gesetzgebers 41

genommenen Gefahren in Risiken umzudefinieren und diese Risiken - unter Zu-


rückdrängung der Kategorie des "Unglücks" - bestimmten Verursachem zuzuord-
nen. 78
Die von Prittwitz vorgetragene Analyse des gesellschaftlichen Ist-Zustandes
stößt soweit ersichtlich im Schrifttum auf keinen grundsätzlichen Widerspruch. 79
So ist z. B. auch F. Herzog der Auffassung, daß die Entstehung und Entwicklung
der von ihm unter dem Begriff des "Gefährdungsstrafrechts" zusammengefaßten
Kategorien strafrechtlicher Normen "zumindest teilweise als eine Reaktion auf ge-
sellschaftliche Orientierungsunsicherheiten angesichts von Innovationen, Komple-
xitätszuwächsen, Strukturwandel, Umbrüchen sei es im ökonomischen oder tech-
nologischen Bereich, in der kulturellen Ordnung oder im ethisch-moralischen und
politischen Grundkonsens interpretiert werden kann. ,,80 Angesichts eines Verlustes
an Verläßlichkeit der Absicherungen des Daseins und anderer traditioneller gesell-
schaftlicher Bezüge und angesichts einer Auflösung der werthaft-individuellen in-
neren Überzeugungen und Daseinsperspektiven läßt sich die Ausweitung der straf-
rechtlichen Sozialkontrolle auf den Bereich von Ordnungsgefährdungen nach An-
sicht Herzogs mit der Auflösung von Selbstgewißheit und Vertrauen, mit "diffu-
sen" Ängsten und erhöhten Sicherheitsbedürfnissen und der Notwendigkeit einer
Kompensation der verlorengegangen Innenlenkung durch ein auf staatlicher Norm-
setzung und zwangsweiser Normdurchsetzung basierendes Modell gesellschaftli-
cher Außen lenkung erklären. 81 Im Gegensatz zu Prittwitz versteht Herzog diese
Entwicklung allerdings nicht als ein Phänomen, das erstmalig mit dem Umbruch
der Industriegesellschaft zur Hochtechnologiegesellschaft aufgetreten ist. Seiner
Auffassung nach müssen bereits die Reichspolizeiordnungen der Jahre 1530, 1548
und 1570 als ein, angesichts entgegenstehender wirtschaftlicher, gesellschaftlicher
und politischer Realitäten allerdings faktisch untauglicher und nur als symbolische
Handlung zu interpretierender Versuch des Gesetzgebers angesehen werden, auf
einen gesellschaftlichen Strukturwandel bzw. gesellschaftliche Auflösungserschei-
nungen mit strafrechtlichen Sanktionsdrohungen zu reagieren. 82 Andere Autoren
haben darauf hingewiesen, daß bereits in den Rechtsordnungen der Industriegesell-
schaften des 19. Jahrhundert Strafrechtsnormen festzustellen seien, die dem von

78 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 378 ff.; vgl. auch Frehsee, StV 1996,222,227.
79 Auch die Kritik von Kuhlen, GA 1994,347,360 f. bezieht sich weniger auf die Einze1-
aussagen als vielmehr auf den von Kuhlen als nicht hinreichend aussagekräftig kritisierten
Versuch Prittwitz, ein Gesamtmodell der Risikogesellschaft zu entwickeln.
80 F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 54; vgl. auch Hohmann, Rechtsgut, S. 154;
Lüderssen StV 1987,163, 171.
81 F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 58, 69; vgl. auch Kindhäuser, Universitas
1992,227,233; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 740 f.
82 F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 74 ff.; vgl. auch Hilgendorf, Strafrechtli-
che Produzentenhaftung, S. 89 ff. mit dem Beispiel des mittelalterlichen Lebensmittelstraf-
rechts sowie auch Weber, in: Arzt/Weber, StrafR BT, LH 2, Rdnr. 46 f. Ablehnend zu den
Thesen Herzogs: Kratzsch JuS 1994, 372, 374 f., dessen Polemik allerdings in der Sache
nicht zu überzeugen vermag.
42 2. Kap.: Die Krise des "modernen" Strafrechts

Prittwitz als "Risikostrafrecht" bezeichneten "modemen" Strafrecht strukturell ent-


sprechen. 83 Daß es sich bei den Straftatbeständen des "modemen" Strafrechts um
einen an das Entstehen der "Risikogesellschaft" gebundenen völlig neuartigen Ty-
pus strafrechtlicher Normen handeln soll, kann nach alledem mit guten Gründen
angezweifelt werden.
Die Erkenntnis, daß die Wurzeln des an präventiv-funktionalen Zielvorstellun-
gen orientierten "modemen" Strafrechts zumindest bis in das 19. Jahrhundert zu-
rückreichen, spricht dafür, das Entstehen des "modemen" Strafrechts als den Ver-
such zu interpretieren, strafrechtliche Normen in ein instrumentelles Konzept prä-
ventiver staatlicher Lenkung und Steuerung gesellschaftlicher Prozesse zu integrie-
ren. Die Vertreter dieses Erklärungsansatzes gehen davon aus, daß vorindustrielle
Gesellschaftsformen mit strafrechtlichen Normen keinerlei präventiv-instrumentel-
len Zielsetzungen verbunden, sondern allein repressive Vergeltung geübt haben.
Steuerungswirkungen seien von strafrechtlichen Normen nur insoweit ausgegan-
gen, als das Strafrecht bestimmte grundlegende Erwartungsstrukturen, das "ethi-
sche Minimum" einer in sich gefestigten gesellschaftlichen Werteordnung, abgesi-
chert und so einen an strenge materielle und formelle Voraussetzungen geknüpften
formalen Rahmen für die Entfaltung gesellschaftlicher Autonomie gesetzt habe 84 •
Als Folge des technischen, ökonomischen und sozialen Wandels sei dieser Staats-
entwurf um eine sozialstaatliche Komponente ergänzt und das statisch auf die Si-
cherung des Freiheitsanspruches des Einzelnen ausgerichtete Formalrecht durch
ein dem intervenierenden Sozialstaat adäquates, an materialen Ordnungs- und Ge-
staltungszielen orientiertes regulatorisches Recht abgelöst worden. Entsprechend
dem Wandel von einem repressiv-limitierenden zu einem präventiv-gestaltenden
Steuerungsmodell sei es zu einer Umorientierung auch im Hinblick auf die Funk-
tion des Strafrechts gekommen: "Das ehemals reaktiv punktuell - also limitierend
- wirkende Formalrecht hat sich in ein prospektiv intendiertes, material-zweckra-
tionales Präventivrecht gewandelt. ,,85 Folge der Entwicklung weg von der dem re-
pressiv-limitierenden Modell entsprechenden fallweisen Reaktion auf abweichen-
des Verhalten hin zu einer - tendenziell flächendeckenden - Prävention gesell-
schaftlicher Instabilitätszonen sei eine "Verschiebung der Kontrolle von der krimi-
nellen Handlung zur kriminogenen Situation, vom pathologischen Fall, den man
einschließt, zur pathogenen Situation, die man überwacht.,,86 Im Ergebnis wandele
sich der freiheitliche Rechtsstaat zum sozial-autoritären Sicherheitsstaat 87 , dessen

83 Vgl. Kuhlen, GA 1994, 347, 358. 366; Naucke, KritV 1993, 135, 144 m. w. N.; vgl.
auch Schünemann, GA 1995, 201, 212, der auf die in den Strafgesetzbüchern der Aufklä-
rungszeit enthaltenen abstrakten Gefahrdungsdelikte verweist.
84 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 183; Krauß, KritV 1993, 183, 184, 193.

KS Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182. 184; vgl. auch ders., KritV 1986,55,58; ders .•
StV 1994,265,266.
K6 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182.202/203; vgl. auch ders., StV 1994,265.266;
Krauß. KritV 1993, 183. 193; Bussmann, in: Kriminalsoziologische Bibliografie, Heft 65,
S. 4 f., 15.
IV. Das Legitimitätsdilemma "moderner" Strafrechtsnormen 43

durch ein "Grundrecht auf Sicherheit" legitimiertes Credo darin bestehe, durch den
instrumentellen Einsatz strafrechtlicher Normen zur Lenkung und Steuerung ge-
sellschaftlicher Prozesse Sicherheit zu produzieren bzw. Ruhe und Ordnung zu ge-
währleisten. 88

IV. Das Legitimitätsdilemma


"moderner" Strafrechtsnormen

1. Vollzugsdefizite als Indiz der Krise


des "modernen" Strafrechts

Die Einschätzung, daß sich das Strafrecht - insbesondere die als Musterbeispiele
des "modemen" Strafrechts verstandenen Bereiche des Betäubungsmittel-, Um-
welt-und Wirtschaftsstrafrechts - derzeit in einer Krisensituation befindet oder
doch zumindest darauf zusteuert, ist weit verbreitet. Das wesentliche Indiz für die-
sen Befund wird gemeinhin darin gesehen, daß sich das "modeme" Strafrecht als
ungeeignet erwiesen hat, den Erwartungen an die präventive Wirksamkeit der neu
geschaffenen Straftatbestände zu genügen. 89
Anknüpfungspunkt dieser Einschätzung ist die Diskrepanz zwischen den Erwar-
tungen an die präventive Wirksamkeit des modemen Betäubungsmittel-, Umwelt-
und Wirtschaftsstrafrechts einerseits und den in der Rechtswirklichkeit festzustel-
lenden allenfalls marginalen Wirkungen bei der ,,Bekämpfung" der Betäubungs-
mittel-, Umwelt- und Wirtschaftsdelinquenz andererseits, die jedenfalls den öffent-
lich verbreiteten Erwartungen an die präventive Wirkung des Einsatzes strafrecht-
licher Normen in keiner Weise entspricht. Gerade dort, wo der Gesetzgeber - wie
z. B. im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht - den Versuch unternommen bzw.
durch die öffentliche Verbreitung entsprechender Ankündigungen die Erwartung
erzeugt hat, Verhaltensänderungen durch die Androhung strafrechtlicher Sanktio-
nen durchzusetzen, oder - wie insbesondere im Betäubungsmittelstrafrecht - ge-
sellschaftliche Mißstände allein mit den Mittel strafrechtlicher Repression behoben
werden sollen, sind, gemessen an der in den Gesetzgebungsverfahren deutlich ge-
wordenen Erwartungshaltung, geradezu eklatant erscheinende Vollzugsdefizite
festzustellen. 90
Sowohl im Bereich des Umweltstrafrechts als auch in Teilbereichen des Wirt-
schaftsstrafrechts stehen einem als nicht unerheblich eingeschätzten Dunkelfeld91

87 Callies, NJW 1989, 1338 f.; Krauß, KritV 1993, 183, 185.
K8 Krauß, StV 1989,315,317 f.; Heine, JZ 1995, 651, 653; Hesse, Schutzstaat, S. 118.
89 Nestler. Grundlagen. Rdnr. 285 weist zutreffend darauf hin, daß sich das Präventions-
strafrecht an seiner eigenen Zielsetzung messen lassen muß.
90 Vgl. Peter-Alexis Albrecht. KritV 1993, 163; Hassemer, ZRP 1992, 378, 382; Seel-
mann, KritV 1992,452,455.
44 2. Kap.: Die Krise des "modernen" Strafrechts

eher als marginal zu bezeichnende Verurteilungszahlen gegenüber. 92 Im Bereich


der Umweltdelikte ist die Anzahl der angezeigten Straftaten zwar drastisch gestie-
gen, der Großteil der eingeleiteten Verfahren wird aber eingestellt, die restlichen
Verfahren enden regelmäßig mit Geldstrafen im unteren Bereich. 93 Im Betäu-
bungsmittelstrafrecht sind die Verurteilungsziffern zwar absolut gesehen nicht un-
erheblich. 94 Abgesehen davon, daß aber auch in diesem Bereich von einem die
Verurteilungszahlen weit übersteigenden Dunkelfeld auszugehen ist,95 wird die
Annahme eines Vollzugsdefizits hier insbesondere daraus hergeleitet, daß die lau-
fend intensivierte strafrechtliche Bekämpfung des Rauschmittelgebrauchs offen-
sichtlich in keiner Weise geeignet zu sein scheint, die vom Gesetzgeber benannten
Ziele zu erreichen, nämlich: den Konsum von Betäubungsmitteln einzudämmen
bzw. die Strukturen des illegalen Rauschgifthandels zu zerschlagen. 96 Strafrecht-
lich erfaßt wird soweit ersichtlich allein die Ebene der Endverbraucher und der -
meist selbst abhängigen - kleinen Straßendealer; die mittleren bzw. oberen Ebenen
des illegalen Rauschgiftmarktes bleiben demgegenüber weitgehend unbehelligt. 97
Insoweit besteht wiederum eine Parallele zur Verfolgung der Umweltkriminalität,
wo ebenfalls überwiegend individuell-spontan begangene Umweltbeeinträchtigun-
gen im Bagatellbereich,98 nicht aber gewerblich bzw. industriell verursachte Um-
weltbeeinträchtigungen größeren Umfangs geahndet werden. 99 Auch im Bereich

91 Vgl. Eisenberg, Kriminologie, § 44 Rdnr. 12 m. w. N., § 46 Rdnr. 58.


92 Vg!. Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 191, 197; Eisenberg, Kriminologie, § 47
Rdnrn. 26 ff., 58 ff.; Heine/Meinberg, Gutachten, D 86; Kaiser, Kriminologie, §§ 74, 76;
Kindhäuser, Festschrift für Helrnrich, S. 984; Kloepfer 1Vierhaus, Umweltstrafrecht, Rdnrn.
188, 190; Schall, NJW 1990, 1263 f.
93 Albrecht/Heine/Meinberg, ZStW 96 (1984), 943, 961 ff.; Dölling, ZRP 1988,334 f.;
Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rdnrn. 58,61; Heine, Verantwortlichkeit, S. 80; Heine/Mein-
berg, Gutachten, D 73 ff., 91 ff.; Heine, Vollzugsdefizite, S. 11 ff.; Hümbs-Kruschel Krusche,
Umweltbelastungen, S. 203 ff., 225 ff., 241 ff.; Jenny 1Kunz, Bericht, S. 6 ff.; Kaiser, Krimi-
nologie, § 76 Rdnr. 5; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 98 f.; Kloepfer/Vierhaus, Umwelt-
strafrecht, Rdnrn. 191 f.; Meinberg, Rechtstatsachen, S. 215 ff.; Müller-Tuckfeld, KritV
1995,69,71; Rüther, KritV 1993,227,231; Stumm, plädoyer 6/1986, 9 ff.; VestlRonzani,
Landesbericht, S. 482 ff.; Vierhaus, ZRP 1992, 161.
94 Vg!. Eisenberg, Kriminologie, § 45 Rdnr. 132; Heine, Betäubungsmittelstrafrecht,
S.594ff.
95 Exakte Daten sind nicht verfügbar, vg!. Eisenberg, Kriminologie, § 45 Rdnrn. 133 ff.
96 Peter Albrecht, Betäubungsmittelstrafrecht, Ein!. Rdnr. 44; ders., plädoyer 1/1990, 26;
Heuinger, Entwicklungen, S. 14; Nestler, Grundlagen, Rdnrn. 289 ff.
97 Peter Albrecht, plädoyer 1/1990, 26; Eisenberg, Kriminologie, § 45 Rdnr. 131; Hasse-
mer, KritV 1993, 198,203; ders., JuS 1992, 110, 113; Jenny, Drogenpolitik, S. 171; Köhler,
ZStW 104 (1992), 3, 10; KrauB, KritV 1993, 183, 193; Kreuzer, Festschrift für Miyazawa.
S. 180; Schneider, StV 1992,489,490.
98 Vgl. Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rdnr. 64; Heine, Verantwortlichkeit, S. 80 ff.;
Heine/Meinberg, Gutachten, D 79 f.; Hümbs-Krusche/Krusche, Umweltbelastungen,
S. 128 ff.; dies., ZRP 1984,61,62 ff.; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 98 ff.; Kloepferl
Vierhaus, Umweltstrafrecht, Rdnrn. 183, 202 f.; Kunz, recht 1/1990, 15, 17; Meinberg,
Rechtstatsachen, S. 218 f.; Ronzani, Erfolg, S. 64, Rüther, KritV 1993, 227, 231.
IV. Das Legitimitätsdilemma "moderner" Strafrechtsnormen 45

der Wirtschaftskriminalität werden in der Praxis vornehmlich Fälle der Klein- und
Mittelkriminalität erfaßt. 100 Zumindest in ihrer derzeitigen Ausgestaltung haben
sich die Normen des Umwelt-, Betäubungsmittel- und Wirtschaftstrafrechts damit
als weitgehend ungeeignet erwiesen, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen,
d. h. die jeweiligen gesellschaftlichen Probleme zu bewältigen bzw. in nennens-
wertem Umfang zu deren Bewältigung beizutragen. 101
Indes: Trotz dieses nicht zu bestreitenden Befundes wäre es verfehlt, die an Voll-
zugsdefiziten festgemachte Krise als ein Problem nur des "modernen" Strafrechts
zu interpretieren. 102 Bei näherer Betrachtung ist nämlich nicht ersichtlich, mit wel-
cher Berechtigung das Verdikt der Ineffizienz gerade auf die Bereiche beschränkt
werden kann, die gemeinhin unter den Oberbegriff des "modernen" Strafrechts
subsumiert werden. Ein empirischer Beleg dafür, daß etwa die §§ 211 ff. dStGBI
Art. 111 ff. schwStGB einen signifikanten Beitrag zur Eindämmung von Tötungs-
handlungen leisten, existiert ebensowenig wie umgekehrt ein Beleg dafür, daß die
Abschaffung der § 324 dStGB I Art. 70 GSchG nicht noch eine Zunahme von Ge-
wässerverschmutzungen zur Folge hätte. 103 Würde man an die § 242 dStGB I
Art. 139 schwStGB die gleichen Maßstäbe anlegen, mit denen man die Ineffektivi-
tät etwa der § 29 dBtmG I Art. 19 schwBetmG begründen will, stände auch die In-
effektivität der § 242 dStGB I Art. 139 schwStGB außer Frage. 104 Ebensowenig
wie § 29 dBtmG ein geeignetes Instrument zur Eindämmung des Konsums illega-
ler Rauschmittel zu sein scheint, kann in § 242 dStGB ein geeignetes Mittel zur
faktischen Eindämmung von Laden- und Fahrraddiebstählen oder Kfz-Aufbrüchen
gesehen werden. 105

2. Unvereinbarkeit von Regelungsziel und


Zurechnungsstruktur "moderner" Strafrechtsnormen

Die wesentliche Ursache für die als mangelhaft erscheinende Effektivität straf-
rechtlicher Normen wird man darin sehen müssen, daß das auf den tradierten Prin-

'J9 Vgl. Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 191; Breuer, JZ 1994, 1077, 1080; Jennyl
Kunz, Bericht, S. 6 ff.; Kindhäuser, Festschrift für Helmrich, S. 984; Kloepfer/Vierhaus,
Umweltstrafrecht, Rdnrn. 204, 206; Meinberg, ZStW 100 (1988), 112, 122 ff.; Meurer, NJW
1988, 2065, 2071; Müller-Tuckfeld, Abschaffung, S. 469; ders., KritV 1995,69,72; Ronzani,
Erfolg, S. 64/65.
UW) Vgl. Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 194 f.; Bussmann, in: Kriminalsoziologi-
sche Bibliografie, Heft 65, S. 3.
JOI Vgl. Heine/Meinberg, Gutachten, D 97 f.; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 245,
369 f.
102 Vgl. Kuhlen, GA 1994,347,363 ff.

J03 Kuhlen, GA 1994,347,364 ff.; Schall, wistra 1992, 1,2 f.


104 Nestler, Grundlagen, Rdnr. 294.
lOS Vgl. Kuhlen, GA 1994,347,363.
46 2. Kap.: Die Krise des .. modernen" Strafrechts

zipien individuell-schuldhafter Erfolgszurechnung basierende Modell der Zurech-


nung strafrechtlicher Verantwortlichkeit instrumentell gesehen überfordert ist,
wenn es darum geht, Probleme zu bewältigen, die das Resultat hochkomplexer ge-
sellschaftlicher Verursachungszusammenhänge sind. Störungen der sozialen Ord-
nung, die auf grundlegenden Systemwidersprüchen beruhen, kann ebensowenig
mit der Zuschreibung individualisierter Verantwortlichkeit begegnet werden wie
Schäden bzw. Risiken, die auf personell nicht eindeutig abgrenzbare Verursa-
chungsbeiträge zurückzuführen sind. 106 Der Versuch, mit Strafrechtsnormen, die
ihrer grundsätzlichen Struktur nach (immer noch) in Anlehnung an die traditionel-
len Grundsätze des Schuldstrafrechts ,,klassischer" Prägung konzipiert werden,
präventive Zielsetzungen verfolgen zu wollen, führt in ein Dilemma, das Peter-
Alexis Albrecht zutreffend mit den Worten zusammengefaßt hat, "daß einerseits
die strikt kontextfreie Anwendung von rechtlichen Regeln in Widerspruch zu For-
derungen nach einer effizienz- und wirkungsorientierten Rechtsprechung gerät ...
(und) andererseits eine effizienz- und wirkungsorientierte Anwendung dieser Re-
geln schwierig iSt.,,107
Die Problematik des "modemen" Strafrechts besteht nun darin, das Dilemma
einer an präventiven Zielsetzungen orientierten, gemessen an den insoweit be-
stehenden Erwartungen in die verhaltenslenkende Wirkung aber notwendigerweise
ineffektiven Strafrechtsordnung in der einen oder anderen Richtung auflösen zu
müssen: Entweder müssen die einer effektiven Bekämpfung sozialer bzw. gesell-
schaftlicher Probleme hinderlichen tradierten Regeln der Zurechnung strafrechtli-
cher Verantwortlichkeit so modifiziert werden, daß die überkommenen Muster der
Zurechnung personaler Verantwortlichkeit durch Zurechnungsstrukturen ersetzt
werden, die es ermöglichen, vorausschauend, schnell und flexibel auf sich wan-
delnde Risikopotentiale zu reagieren; 108 oder es muß anerkannt werden, daß das
Strafrecht ein seinem Wesen nach zur prospektiven Beeinflussung gesellschaftli-
cher Entwicklungen und Problemlagen weitgehend ungeeignetes Instrument ist,
was dann allerdings ein Argument dafür sein könnte, den Einsatz strafrechtlicher
Instrumente von vornherein auf einen relativ engen Bereich der vergeltenden Re-
aktion bei Beeinträchtigungen gewichtiger Freiheitsinteressen zu beschränken
bzw. zurückzuführen.

106 Peter Albrecht, plädoyer 1/1990,26,27; Peter-Alexis Albrecht, StV 1994,265,267;


ders., KritV 1988, 182, 191/192; ders., KritV 1993, 163, 171; Bussmann, in: Kriminalsozio-
logische Bibliografie, Heft 65, S. 5; Hassemer NStZ 1989, 553, 558; Heine, NJW 1990,
2425, 2426; ders., Grundfragen, S. 69; J.C. Müller, KrimJ 1993, 82, 85/86; Prittwitz, StV
1991,435,440; Ronzani, Erfolg, S. 10 f. und passim, insbesondere S. 146 ff.
107 Peter-Alexis Albrecht KritV, 1986, 55, 68.
108 Vgl. Heine, JZ 1995, 651, 653; Hesse, Schutz staat, S. 93/94; Prittwitz, Strafrecht und
Risiko, S. 174 f., 263.
3. Kapitel

Voraussetzungen und Problematik einer


Integration strafrechtlicher Normen in ein Gesamtsystem
staatlichen Risikomanagements

Sollen strafrechtliche Nonnen in ein Gesamtsystem der staatlichen Lenkung


und Steuerung gesellschaftlicher Entwicklungen integriert werden, hat dies zur
Konsequenz, daß strafrechtliche Verbote nicht mehr nur als das letztes Mittel (ul-
tima ratio) zur Stabilisierung der sich aus den bestehenden gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen ergebenden sozialen Werte verstanden werden können, son-
dern vielmehr als Instrumente zu begreifen wären, mit denen die Bewertung
bestimmter Verhaltensweisen als "sozialschädlich" nicht nur nachvollzogen, son-
dern auch erzeugt werden kann, gegebenenfalls sogar erzeugt werden muß. 1 Sol-
len strafrechtliche Nonnen zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsgüter-
schutzes beitragen,2 indem sie als Teil eines Gesamtsystems staatlicher Gefah-
renabwehr andere Regelungs(sub)systeme, wie z. B. das Polizei- oder Zivilrecht,
ergänzen und deren Regelungskapazität verstärken,3 erscheint es als geradezu
sinnwidrig, erst auf bereits eingetretene Rechtsgutsverletzungen mit Strafe zu
reagieren, statt dafür zu sorgen, daß es gar nicht erst zu konkreten Rechtsguts-
verletzungen kommt. 4 Aufgabe des Strafrechts müßte es dann sein, das Verhalten
der Rechtssubjekte so zu beeinflussen, daß bereits potentielle Gefahrensituatio-
nen ausgeschlossen werden. 5
Das entscheidende Kriterium für die Ausgestaltung einer auf faktischen Rechts-
güterschutz abzielenden Strafrechtsordnung hätte die Orientierung an der Art der
zu regelnden Kausalprozesse zu sein. Entscheidend wäre, ob der Eintritt von
Rechtsgutsbeeinträchtigungen vom Zufall abhängt oder durch das eigenverant-
wortliche Verhalten der Rechtssubjekte beeinflußbar bzw. beherrschbar ist. Geht
man davon aus, daß strafrechtlich relevantes Unrecht bereits dann vorliegt, wenn
der zukünftige Eintritt einer Rechtsgutsbeeinträchtigung nur noch vom Zufall ab-
hängig ist, bedeutet dies: Ausschließlich und allein auf die Verantwortlichkeit des

I Vgl. Ttedemann / Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 340.


2 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 92, 119; ders., JuS 1994, 372, 376/377; vgl. auch
Schünemann, GA 1995,201,213.
3 Vgl. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 262 ff.
4 Vgl. Weber, ZStW-Beiheft 1987, 1,2; Weigend, Festschrift für Triffterer, S. 709.
5 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 92 f., 265; ders., GA 1989,49, 55 f.
48 3. Kap.: Integration strafrechtlicher Normen in staatlichen Risikomanagements

einzelnen Täters darf das Strafrecht nur dort abstellen, wo dieser tatsächlich bis
zum Moment der eigentlichen Rechtsgutsverletzung selbst noch in der Lage ist,
den Eintritt einer Rechtsgutsbeeinträchtigung durch eigenverantwortliches Verhal-
ten zu verhindern. Nur in diesem Bereich kann das klassische Erfolgsdelikt als der
im Hinblick auf das Ziel der Gefahrenabwehr angemessene Deliktstypus angese-
hen werden. Überall dort, wo der einzelne Täter mit der Verhinderung des Erfolgs-
eintritts überfordert ist, der zukünftige Eintritt einer Rechtsgutsbeeinträchtigung
mithin allein vom Zufall abhängen würde, ist durch eine entsprechende Ausgestal-
tung des Normensystems sicherzustellen, daß diesen Verhaltensweisen durch ent-
sprechende Verbote entgegengewirkt wird. Regelungsinstrument zur Beherrschung
des Zufalls ist das Gefährdungsdelikt. Für die Situation~n, in denen der Eintritt ei-
ner Rechtsgutsbeeinträchtigung noch durch das Verhalten einzelner Personen (auch
des potentiellen Opfers) abgewendet werden kann, erscheint das konkrete Gefähr-
dungsdelikt als angemessener Deliktstypus, weil hier der Eintritt einer Rechtsguts-
beeinträchtigung erst mit dem Eintritt einer Situation, bei der die zunächst noch
bestehenden Abwehrmöglichkeiten nicht mehr gegeben sind wesentlich vom Zu-
fall abhängt. Gefahrensituationen, die entweder aufgrund multipler Kausalzusam-
menhänge bereits von vornherein individuell nicht beherrschbar sind, oder die aus
Handlungsabläufen entstehen, die wegen gänzlich fehlender oder doch zumindest
eingeschränkter individuell-zwischenmenschlicher Kontakte weitgehend anonym
ablaufen, kann dagegen von vornherein allein durch generell-abstrakte Verhaltens-
verbote entgegengewirkt werden. 6
Sollen bestimmte Verhaltensweisen mit den Mitteln des Strafrechts unterbunden
bzw. die Einhaltung bestimmter Verhaltensweisen strafrechtlich garantiert werden,
die für das Funktionieren anonymer Handlungszusammenhänge notwendig sind,
muß der Gesetzgeber also zwangsläufig auf Tatbestände zurückgreifen, die nicht
an die Schädigung bzw. konkrete Gefährdung eines bestimmten Handlungsobjek-
tes anknüpfen, sondern sich in der bloßen Beschreibung von Verhaltensweisen er-
schöpfen, die aufgrund ihrer generellen Unbeherrschbarkeit unterbleiben sollen.?
Indes: Selbst wenn man unterstellen würde, daß eine auf funktionale Wirkung aus-
gerichtete Strafrechtsordnung tatsächlich in der Lage wäre, das selbstgesteckte Ziel
eines effektiven Rechtsgüterschutzes zu erreichen,8 darf doch andererseits nicht
übersehen werden, daß durch die externe Konstituierung von Handlungsabläufen
gleichzeitig auch individuelle Freiheitssphären festgelegt werden und in dem Ma-
ße, in dem Verhaltensweisen zum Schutz bestimmter Güter unterbunden werden,
die personale Freiheit eingeschränkt wirdY Angesichts dessen, daß die Frage der

6 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 41 ff.; Jakobs, StrafR AT, 6/ 86a; Kratzsch, Verhaltens-


steuerung, S. 119 ff., 269, 274 ff., 283 ff., 358 ff.; ders., Festschrift für Oeh1er, S. 68 f.; ders.,
GA 1989,49,67 ff.; ders., JuS 1994,372,378; Schünemann, GA 1995,201,212 f.
7 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 6/86a; ders., ZStW 97 (1985), 751, 767 ff.; vgl. auch Appel,
Verfassung, S. 573.
K Kritisch insoweit Stratenwerth ZStW 105 (1993), 679, 690 f.; Prittwitz, Risiken des Risi-
kostrafrechts, S. 57.
3. Kap.: Integration strafrechtlicher Normen in staatlichen Risikomanagements 49

Legitimität einer Regelung von der der Funktionalität einer Regelung zu trennen
ist,lO können strafbewehrte Verhaltensgebote bzw. -verbote nicht allein mit der Er-
wägung legitimiert werden, daß eine auf effektiven Rechtsgüterschutz ausgerichte-
te Strafrechtsordnung auf entsprechende Straftatbestände nicht verzichten kann.
Entscheidend ist, ob die unter funktionalen Gesichtspunkten als probat erscheinen-
de Pönalisierung potentiell!! rechtsgutsgefährlicher Verhaltensweisen im Hinblick
auf die ..berechtigten Freiheitsansprüche des Individuums,,!2 als (noch) legitim be-
gründet werden kann,!3 eine Entscheidung, die ersichtlich maßgebend von den
Kriterien abhängig ist, anhand derer die ,.Berechtigung" eines Freiheitsanspruches
bestimmt wird.
Daß es entscheidend darauf ankommt, weIcher Stellenwert der personalen Frei-
heitssphäre des Einzelnen zuerkannt wird, läßt sich beispielhaft an der von
Kratzsch entwickelten, auf einen ..optimalen" Rechtsgüterschutz!4 abzielenden
Konzeption einer Strafrechtsordnung zeigen. Die Bedeutung, die dem von
Kratzsch als ..materielle(n) Richtpunkt aller strafrechtlichen Regelungen" und als
..das materielle Endziel des Strafrechts" hervorgehobenen ..Rechtszustand, bei
dem jedem Menschen nach Maßgabe des Gleichheitsprinzips" ein .. Grundbestand
an elementaren Freiheitsrechten mit entsprechenden Herrschaftsraum und der
Möglichkeit der Selbstbestimmung (Autonomieprinzip)" zukommen soll, wird in
seiner praktischen Bedeutung weitgehend dadurch entwertet, daß bereits ..der Ver-
stoß gegen das allgemeine Schädigungsverbot, das Verursacherprinzip und, soweit
Gefährdungsdelikte in Frage stehen, das Prinzip der Risikoerhöhung" dazu führen
soll, daß ..derjenige die Aufgaben, Kosten und Risiken des strafrechtlichen Rechts-
güterschutzes zu übernehmen (hat), der mit einer Tat in die geschützte Rechtssphä-
re eines anderen eindringt und damit das ursprüngliche Gleichgewicht in den
Rechtsbeziehungen zwischen den Bürgern stört.,,!5 Wenn im Hinblick auf die an-

9 Dworkin, Bürgerrechte, S. 424; Feinberg, Vol. I, S. 207 f.; Jakobs, StrafR AT, 2/25b;
ders., ZStW 97 (1985),751,771; Kindhäuser, Gefährdung, S. 178, 182, 185; Müssig, Rechts-
güterschutz, S. 200 f.
10 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 363.
II Und damit notwendigerweise auch die Erfassung von Verhaltensweisen, die im konkre-
ten Einzelfall keine spezielle Verletzungsrelevanz aufweisen (vgl. Graul, Gefährdungsdelikte,
S. 150 f.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 231 ff.) bzw. deren Sozialschädlichkeit nicht feststeht,
sondern deren Unschädlichkeit nur nicht erwiesen ist (vgl. Kindhäuser, Gefahrdung, S. 283;
A.H. Meyer, Gefahrlichkeitsdelikte, S. 181 ff.; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337,
340).
12 Schünemann, GA 1995,201,213. Daß das Konzept der Person einer Funktionalisierung
des Strafrechts Grenzen setzt, betonen auch Cattaneo, Aufklärung, S. 35 ff. unter Hinweis auf
Naucke sowie Dworkin, Bürgerrechte, S. 36 f. unter Hinweis auf Hart; vgl. auch NolI, Fest-
schrift für Mayer, S. 220 f.
13 Engisch, Gerechtigkeit, S. 231, 242; Lewisch, Verfassung, S. 316; Müssig, Rechtsgüter-
schutz, S. 204; Zippelius, Gerechtigkeit, S. 82, 86.
14 Kratzsch, Festschrift für Oehler, S. 67/68.

15 Kratzseh, Verhaltenssteuerung, S. 351 ff., ders., GA 1989, 49, 55; ders., Festschrift für
Oehler, S. 69 ff.; ders., JuS 1994,372,377.

4 Wohler.
50 3. Kap.: Integration strafrechtlicher Normen in staatlichen Risikomanagements

gestrebte Optimierung des Rechtsgüterschutzes bereits die Erhöhung des Gefähr-


dungsrisikos für außerhalb der eigenen Rechtssphäre liegende Rechtsgüter als aus-
reichende Legitimation verstanden wird, strafrechtliche Verantwortlichkeit zu be-
gründen,16 ist nicht ersichtlich, daß sich ein vom Gesetzgeber als geeignete und er-
forderliche Maßnahme der Gefahrenabwehr angesehenes strafbewehrtes Verhal-
tensgebot überhaupt noch als illegitim erweisen kann. 17
Der Beitrag, der von strafrechtlichen Normen zur Lösung der anstehenden ge-
sellschaftlichen Probleme zu erwarten ist, hängt nach alledem davon ab, ob bzw.
inwieweit tradierte Grundsätze der Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit
ohne Aufgabe rechtsstaatlieh unverzichtbarer Freiheitssicherungen so modifiziert
werden können, daß die präventive Wirksamkeit des Strafrechts gesteigert wird. In
der aktuellen kriminalpolitischen Diskussion ist die Notwendigkeit einer derartigen
Modifizierung der Fragestellung insbesondere von Stratenwerth und Prittwitz her-
ausgearbeitet worden. Stratenwerth hat unter anderem in seinem Einführungsrefe-
rat auf der Strafrechtslehrertagung 1993 in Basel 18 die Forderung erhoben, nach
Wegen zu suchen, wie das Strafrecht ohne Verlust rechtsstaatlieh unverzichtbarer
Zurechnungsgrundsätze einen Beitrag zur Zukunftssicherung leisten könne. Wie
die Modifizierungen der tradierten Zurechnungsregeln aussehen könnten, ist bei
ihm allerdings ebenso offengeblieben wie bei Prittwitz, der sich sowohl in seiner
Habilitationsschrift als auch in einem Referat vor dem 15. Strafverteidigertag 1991
in Berlin auf einige Andeutungen beschränkt hat,19 der aber - insoweit wohl an-
ders als Stratenwerth - die Möglichkeit einer entsprechenden Modifizierung im Er-
gebnis doch eher skeptisch beurteilt. 20

16 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 360 sowie die Nachweise in der vorstehenden Fußno-


te.
17 F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 39 f.; vgl. auch Zieschang, Gefährdungs-
delikte, S. 363 f.
18 Vgl. Stratenwerth ZStW 103 (1993), 679, 691 ff.; ders., Festschrift für A. Kaufmann,
S. 357 ff.; ders., Rektoratsrede, S. 15 ff.
19 Vgl. z. B. Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 383 ff.; ders., StV 1991,435,437 ff.

20 Vgl. Prittwitz, Risiken des Risikostrafrechts, S. 50/51.


4. Kapitel

Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

I. Die Heterogenität der "Frankfurter Schule"

Die Auffassung, ein Verzicht auf instrumentelle Funktionen und die Beschrän-
kung auf den Bereich repressiver Vergeltung gewichtiger Freiheitsverletzungen
sei keine Verweigerung einer notwendigen Anpassung des Strafrechts an gewan-
delte gesellschaftliche Verhältnisse, sondern müsse vielmehr als das Ergebnis ei-
ner notwendigen Rückbesinnung auf das für eine freiheitlich-rechtsstaatliche Ge-
sellschaft allein legitime Modell einer Strafrechtsordnung interpretiert werden, ist
in der aktuellen kriminalpolitischen Diskussion insbesondere von den Frankfurter
Strafrechtslehrern Peter-Alexis Albrecht, Winfried Hassemer und Wolfgang
Naucke artikuliert worden. Wie oben bereits dargelegt wurde, I sind Hassemer
und Naucke in ihren Analysen der Strafrechtsentwicklung der letzten 200 Jahre
zu im wesentlichen übereinstimmenden Ergebnissen gelangt. Albrecht will zwar
die bei Hassemer und Naucke vorzufindende "idealistische rechtsphilosophische
Grundorientierung" durch eine steuerungstheoretische Sichtweise ersetzen, um so
die "gesellschaftstheoretische Abstinenz" juristisch-dogmatischer Modellbildun-
gen zu vermeiden. 2 In der Sache selbst fUhrt seine Interpretation der historischen
Entwicklung allerdings zu identischen Resultaten. Auch Albrecht sieht den we-
sentlichen Aspekt der Strafrechtsentwicklung darin, daß die ursprüngliche Funk-
tion repressiv-vergeltender Strafrechtsanwendung allein darin bestanden habe, die
Freiheit des einzelnen zu schützen, indem bestimmte Erwartungsstrukturen abge-
sichert wurden und so ein formaler Rahmen fUr die Entfaltung gesellschaftlicher
Autonomie entstand. Als Folge des einsetzenden technischen, ökonomischen und
sozialen Wandels sei das statisch-repressive Formalrecht des liberalen Staates
dann durch das dem intervenierenden Sozialstaat adäquate, an materiellen Ord-
nungs- und Gestaltungsvorstellungen orientierte regulatorische Recht abgelöst
worden. 3
Auch wenn Albrecht, Hassemer und Naucke sowohl in der Analyse der Straf-
rechtsentwicklung als auch in der (negativen) Einschätzung des derzeitigen Zu-
stands der Strafrechtsordnung4 zu weithin übereinstimmenden bzw. miteinander

I Vgl. oben S. 29 ff.


2 Vgl.Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182.
3 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 183 f.; ders., StV 1994,265,266.


52 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

kompatiblen Ergebnissen kommen, steht der von Schünemann 5 vorgenommenen


Zusammenfassung zu einer "Frankfurter Schule" der Umstand entgegen, daß die
zur Korrektur der übereinstimmend konstatierten (Fehl-)Entwicklung propagierten
Lösungswege nicht unerheblich voneinander abweichen: So befürworten zwar so-
wohl Hassemer als auch Naucke die Beschränkung auf einen Kernbereich strafbe-
wehrter Verbotsnormen, mit denen alIein die Verletzung fundamentaler Rechtsgü-
ter zu sanktionieren sei. Während aber Naucke insoweit auf einen in Anlehnung an
Ausführungen Kants definierten Bereich jeder GeselIschaftsform vorgegebener
und daher zeitlos strafwürdiger schwerer Freiheitsverletzungen rekurriert, 6 wilI
Hassemer entscheidend darauf abstelIen, ob die in Frage stehenden Strafnormen
dem Schutz der in einer konkreten geschichtlich gewachsenen Situation als unab-
dingbare Entfaltungsbedingungen der geselIschaftlichen Existenz des Menschen
dienen. Neben den seiner Auffassung nach in erster Linie strafwürdigen Beein-
trächtigungen von Individualrechtsgütern (insbesondere den "klassischen" Indivi-
dualrechtsgütern, wie z. B. Leben, Leib, Freiheit, Eigentum) will er Beeinträchti-
gungen bestimmter Universalrechtsgüter dann als strafrechtswürdig anerkennen,
wenn sich diese präzis umschreiben und entsprechend den Individualrechtsgütern
funktionalisieren lassen.? Die Bewältigung geselIschaftlicher Konfliktsituationen,
die sich nicht in der Verletzung von Rechtsgütern niederschlage, die Teil der so
definierten fundamentalen Freiheitssphäre des Einzelnen sind, sol1 durch das Ord-
nungswidrigkeitenrecht bzw. - de lege ferenda - einem an Präventionsbedürfnissen
orientierten, mit weniger intensiven Sanktionen ausgestatteten und deshalb einer
flexibleren Ausgestaltung der Zurechnungsvoraussetzungen zugänglichen, zwi-
schen Zivil- und öffentlichem Recht angesiedelten "Interventionsrecht" vorbehal-
ten bzw. - wie etwa das "Drogen problem" - durch andere gesel1schaftliche Maß-
nahmen der Konfliktregulierung bewältigt werden. 8
Im Gegensatz zu Hassemer und Naucke, die jedenfal1s einen Kernbereich straf-
rechtlicher Normen ausdrücklich als legitim anerkennen und dessen Beibehaltung
befürworten, geht es Peter-Alexis Albrecht soweit ersichtlich vornehmlich darum,
die Notwendigkeit einer umfassenden Entkriminalisierung, d. h. des Rückzugs

4 Vgl. insoweit auch die Beiträge in dem vom Frankfurter Institut für Kriminalwisenschaf-
ten 1995 unter dem programmatischen Titel "Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts" her-
ausgegebenen Sammelband.
S Schünemann, GA 1995,201 ff.; vgl. auch Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 29; Zie-
schang, Gefährdungsdelikte, S. 215; vgl. aber die abweichende Selbsteinschätzung bei Peter-
Alexis Albrecht, Festschrift für E. A. Wolff, S. I.
6 Ablehnend hierzu bereits Kindhäuser, GA 1989,493,505.

7 Hasserner, ZRP 1992, 378, 383; ders., KritV 1993, 198, 208; ders., Grundlinien, S. 90 ff.;
vgl. auch Hohmann, GA 1992,76,79; Vormbaum, ZStW \07 (1995), 734, 752.
8 Hasserner, ZRP 1992, 378, 383; ders., KritV 1993, 198, 206 ff.; vgl. auch Hohmann,
Rechtsgut, S. 209 ff.; F. Herzog, ZStW \05 (\993), 727, 749 ff.; Kindhäuser, Universitas
1992,227, 234 sowie Naucke, Wechselwirkung, S. 38 ff., der allerdings auch auf die Gefahr
hinweist, daß lediglich die Mittel der Unterdrückung umetikettiert und in ihrer Anwendung
entgrenzt werden (GA 1984, 199,2\0 f.).
1. Die Heterogenität der "Frankfurter Schule" 53

strafrechtlicher Reaktion zugunsten anderer Formen staatlicher Reaktion auf ab-


weichendes Verhalten zu begründen. Die Illegitimität des Versuchs, strafrechtliche
Normen als Instrument zur Bewältigung gesellschaftlicher Störungen einzusetzen,
ergibt sich für ihn daraus, daß die Strafwürdigkeit der zugrundeliegenden Verhal-
tensweisen nicht exakt, überzeugend und konsensgetragen normiert und kodifiziert
werden könne. Kein "rechtsstaatliches Strafrecht mit seinen notwendig komplexen
Verfahrenssicherungen kann wirtschaftliche Auswüchse und Fragwürdigkeiten,
schon gar nicht strukturelle System widersprüche und jedwede sozialschädliche
Verhaltensweise bewältigen." Hier sei die "Kärrnerarbeit dem Wirtschafts-, Sub-
ventions-, Sozial- und öffentlichen Recht zuzuweisen." Das Strafrecht könne "im
Hintergrund ... die Grundwerte der Gesellschaft ... stilisieren und ... manifestie-
ren". Es sei aber "nicht dazu bestimmt, die soziale Kontrolle der marktwirtschaft-
lichen Ordnung zu gewährleisten." Dafür sei "das strafrechtliche Schwert nicht ge-
eignet und - sehr bewußt - stumpf gehalten." Zugriffs- und Verführungssituationen
der Finanz- und Subventionsmärkte müßten diese selbst mit wirtschaftsrechtlichen
und wirtschaftspolitischen Steuerungsinstrumenten regulieren. Insbesondere in der
Grauzone ökonomischer Übervorteilung vermöge der strafrechtliche Unrechtsbe-
griff keine verbindlichen Konturen zu setzen. Umso mehr sei der Gesetzgeber ge-
fordert, hier verantwortliche Arbeit auf anderen Rechtsgebieten zu leisten. Auch
die am wirtschaftlichen Verkehr Beteiligten hätten gesteigerte Kontroll- und Über-
wachungspflichten. Das Strafrecht hingegen müsse "im eigenen Interesse auf das
Prinzip der Subsidiarität verwiesen werden.,,9 Als Fazit seiner Überlegungen pro-
pagiert Albrecht den durch materiellrechtliche Entkriminalisierung umzusetzenden
"Rückzug des Strafrechts aus dem allumfassenden Steuerungs anspruch" und die
"Hinwendung zu adäquaten Steuerungsformen und angemessenen rechtlichen
Steuerungsmedien, die das Zivilrecht, das öffentliche Recht und das Sozialrecht
bereithalten ... 10
Festzuhalten bleibt: Während Albrecht einen - letztlich vollständigen 11 - Ver-
zicht auf strafrechtliche Normen zugunsten zivilrechtlicher und verwaltungsrecht-
licher Steuerungsmechanismen befürwortet, geht es Naucke um eine Rückführung
und Beschränkung des Kriminalstrafrechts auf ein Mittel der Reaktion bei Beein-

9 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1993, 163, 171; vgl. auch ders., KritV 1988, 182, 192 f.,
197 f .. 205 ff.; Frehsee, StV 1996, 222, 229; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung,
S.42.
10 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1993,163, 180; ders. StV 1994,265,273; ders., Formali-
sierung, S. 256, 266; vgl. auch Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 759 f.
11 Berücksichtigt man, daß Albrecht sowohl die Legitimation strafrechtlicher Normen
durch den Gedanken des Schuldausgleichs ,jenseits seines pragmatisch-limitierenden
Zwecks" als "Metapher rur strafrechtliche Festschriften" (KritV 1988, 182,205) als auch die
Legitimation durch (general-)präventive Zielsetzungen als eine sich jeder empirischen Er-
folgsbilanzierung entziehende "terminologische WundeIWaffe" (StV 1994, 265 f.; KritV
1993, 163. 164) velWirft, stellt die Forderung nach Abschaffung instrumentell gesehen inef-
fektiver Strafrechtsnormen letztlich nichts anderes dar als die verklausulierte Forderung nach
gänzlicher Abschaffung des Strafrechts.
54 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

trächtigungen der jeder Gesellschaftsfonn vorgegebenen, zeitlos gültigen Min-


destregeln alltäglicher Freiheit. Hassemer verbindet Elemente bei der Ansätze: Er
propagiert die Beschränkung des Strafrechts auf den Schutz von Individualrechts-
gütern sowie überindividueller Rechtsgüter, die sich personal funktionalisieren
lassen. Nonnen, die dem Schutz nicht personal funktionalisierbarer und deshalb
nicht kriminalstrafwürdiger überindividueller Interessen dienen, sollen durch zi-
vil- und verwaltungsrechtliche Steuerungsmechanismen ersetzt, aus dem Krimi-
nalstrafrecht in das Ordnungswidrigkeitenrecht abgedrängt oder aber in einem de
lege ferenda zu schaffenden sog. "Interventionsrecht" zusammengefaßt werden.
Systematisieren lassen sich diese Vorschläge insoweit, als zu unterscheiden ist
zwischen der Forderung, Strafrechtsnonnen durch andere Regelungsinstrumente
zu ersetzen, weil diese eher geeignet erscheinen, die zugrundeliegenden Probleme
zu lösen (Albrecht, Hasserner) und der Forderung, den Anwendungsbereich straf-
rechtlicher Nonnen auf den unter nonnativen Gesichtspunkten angemessenen Be-
reich wirklich kriminalstrafwürdiger Verhaltensweisen zurückzuführen (Hasse-
rner, Naucke).

11. Kernstrafrecht und Prävention

1. Die Notwendigkeit einer kumulativen Legitimation


strafrechtlicher Normen

Will man mit Hassemer und Naucke an einem Kernbestand legitimer Straf-
rechtsnonnen festhalten, bedarf es Kriterien, anhand derer entschieden werden
kann, welche konkreten Verhaltensweisen diesem Kernstrafrecht unterfallen (sol-
len). Der Verweis darauf, daß es Rechtsgutsbeeinträchtigungen gebe, auf die not-
wendigerweise mit repressiver Vergeltung reagiert werden müsse (Naucke), bzw.
bei denen der Verzicht auf Strafe "schwer denkbar sei,,12, beschreibt ein gesell-
schaftliches Phänomen, ohne dieses erklären oder gar legitimieren zu können. Da
sowohl die durch die Strafandrohung bewirkte Einschränkung der personalen Frei-
heitssphäre als auch die Bestrafung selbst ein Übel darstellt, das in die grundrecht-
lich geschützte Freiheitssphäre des Nonnadressaten bzw. Bestraften eingreift,
müßte sowohl die Strafandrohung als auch die Bestrafung als eine mit dem Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatz nicht mehr vereinbare und deshalb verfassungswidrige
staatliche Maßnahme angesehen werden, wenn dieser Eingriff zweckfrei erfolgen
sollte. 13 In einer Gesellschaft, die die Existenz staatlicher Gewalt nicht als Selbst-
zweck anerkennt, kann auch Strafgesetzgebung kein Selbstzweck sein, sondern
muß sich - wie jedes andere staatliche Handeln mit Eingriffscharakter auch - als

12 Prittwitz, StV 1991, 435, 440.


\3 Paulduro, Verfassungsgemäßheit, S. 133.
11. Kernstrafrecht und Prävention 55

gesellschaftlich zweckvolles Handeln legitimieren. 14 Daß strafrechtliche Normen


kein Selbstzweck sein können, ist heute denn auch unstreitig. Im Gegensatz zu den
Verfechtern der noch bis in die 70er Jahre dieses Jahrhundert hinein vertretenen
(angeblich) zweckfrei-absoluten Straftheorien, 15 die sich bei näherem Hinsehen al-
lerdings durchgängig als auf die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen status
quo abzielende, verdeckt-relative Ansätze erweisen,16 gehen die Vertreter moder-
ner, ihrem eigenen Selbstverständnis nach absoluter Straftheorien davon aus, daß
der mit dem Institut der staatlichen Strafe herbeizuführende Tatschuldausgleich
kein Zweck in sich ist, sondern vielmehr durch die Bestrafung das durch die Straf-
tat gestörte Rechtsgleichheitsverhältnis wiederhergestellt werden soll.17
Die Problematik absoluter Straftheorien besteht nun darin, daß aus dem Gerech-
tigkeitsgedanken zwar der Satz abgeleitet werden kann, daß Unrechtstaten im In-
teresse der Rechtsgleichheit zu bestrafen sind,18 daß aber unter Bezugnahme auf
den Gerechtigkeitsgedanken allein weder gezeigt werden kann, daß eine bestimmte
Verhaltensweise zu Recht als Unrechtstat anzusehen ist,19 noch - umgekehrt - be-
gründet werden kann, warum nicht konsequenterweise jede Normübertretung Stra-
fe nach sich ziehen muß. 20 Da aber unstreitig nicht jede Normübertretung Anlaß
zur Anwendung strafrechtlichen Zwangs sein soll, kann die Legitimität bestimmter
Straftatbestände nicht allein mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Wieder-
herstellung des Rechtsgleichheitsverhältnisses begründet werden. Soll der Anwen-
dungsbereich strafrechtlicher Normen begrenzt werden, muß nachgewiesen wer-
den (können), daß sich eine bestimmte Verhaltensweise als ein mit dem bürgerli-
chen Zustand unvereinbarer Eingriff in fremde Freiheitssphären darstellt, was er-
sichtlich ohne Bezugnahme auf die konkreten gesellschaftlichen Zustände und die
sich hieraus ergebenden Bedürfnisse des Einzelnen gar nicht entschieden werden

14 Vgl. Frehsee, StV 1996,222,228; Gallas, Grenzen, S. 3; Jakobs, Schuldprinzip, S. 7;


Lagodny, Strafrecht, S. 305; Lüderssen, Abschaffen, S. 106, 135; Müller-Dietz, Festschrift
für Jescheck, S. 815; Schmidhäuser, Festschrift für E. A. Wolff, S. 453; Schünemann, Stellen-
wert, S. 115.
15 Besonders prägnant die Formulierung Maurachs von der "zweckgelösten Majestät" der
Vergeltungsstrafe (vgl. Maurach, Deutsches Strafrecht, S. 77).
16 Vgl. Frommei, Präventionsmodelle, S. 104 ff., 113 f.; Hassemer, Strafziele, S. 49 ff.;
Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 26 ff.; Naucke, Einfluß, S. 42; Papageorgiou,
Schaden, S. 53 f. Daß hinter der Funktionsbestimmung des Strafrechts stets ein bestimmtes
Staatsverständnis steht, betonen Cornelia Bohnert, Straftheorie, S. 183 f. und passim sowie
Müller-Dietz, Festschrift für Jescheck, S. 813.
17 Vgl. Köhler, Zusammenhang, S. 37 ff.; ders., Begriff der Strafe, S. 9 ff.; ders., StratR
AT, S. 43,48 ff.; E.A. Wolff, ZStW 97 (1985), 786, 818 ff.; vgl. auch Frisch, Schwächen,
S. 141.
18 V gl. insoweit Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 288; Neumann / Schroth, Theo-
rien, S. 15 f.; E.A. Wolff, ZStW 97 (1985), 786, 820/821.
19 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 29,37 ff.; Noll, Festschrift für Mayer, S. 229.
20 Vgl. Armin Kaufmann, Aufgabe, S. 266; Naucke, Einfluß, S. 41/42 Fußn. 61; Papage-
orgiou, Schaden, S. 48 f.
56 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

kann. 21 Eine Beschränkung der strafrechtlichen Ahndung auf bestimmte Normver-


stöße kann nur dann als plausibel anerkannt werden, wenn neben der Wiederher-
stellung des Rechtsgleichheitsverhältnisses der Schutz bestimmter Handlungsop-
tionen als ein weiterer (kumulativ notwendiger) Begründungstopos anerkannt
wird.
Straftatbestände bedürfen mithin einer doppelten Legitimation: 22 Einerseits muß
der in der Strafandrohung und Strafverhängung liegende Eingriff in die Freiheits-
sphäre des Einzelnen diesem gegenüber als eine mit dem Gerechtigkeitsgedanken
vereinbare Einschränkung seiner Freiheit legitimiert werden können. Andererseits
muß - nicht alternativ, sondern kumulativ - die Legitimation des staatlichen
Zwangseingriffs selbst begründet werden. Straftatbestände erweisen sich (nur)
dann als legitim, wenn sich die Verhängung einer angedrohten Sanktion als ein ge-
sellschaftlich sinnvoller und gleichzeitig im Hinblick auf das Verhalten des Täters
diesem gegenüber als gerecht erscheinender Eingriff begründen läßt. Vor diesem
Hintergrund sind Funktionalisierungen strafrechtlicher Normen dann aber nicht als
per se illegitim,23 im Gegenteil: der Verzicht auf eine Rechtfertigung staatlichen

21 Hieraus folgt im übrigen auch, daß der Satz Kants: "Das Strafgesetz ist ein kategori-
scher Imperativ" jedenfalls nicht auf bestimmte Strafnormen abzielen kann, die aufgrund ih-
res notwendigen Bezuges auf bestimmte empirische Gegebenheiten notwendigerweise nur
als hypothetische Imperative im Sinne der von Kant verwendeten Begrifflichkeiten aufgefaßt
werden können (vgl. auch Papageorgiou, Schaden, S. 78). Die Auffassung, daß entgegen tra-
dierter Auffassungen letztlich weder Kant noch Hegel als Vertreter reiner Vergeltungstheorien
angesprochen werden können, findet im Schrifttum zunehmend Unterstützung: vgl. Biele-
feldt, GA 1990, 108 ff.; Armin Kaufmann, Aufgabe, S. 266 ff.; Mayer, Festschrift für Eng-
isch, S. 69 ff.; Schild, Festschrift für E. A. Wolff, S. 434 ff.; Seelmann, Anerkennungsverlust,
S. 22 ff. (zu Hegel) und S. 127 ff. (zu Kant). Während Hegels Lehre zumindest einige Ele-
mente enthält, die nach heutigem Verständnis als Elemente einer präventiv orientierten Straf-
zwecklehre angesprochen werden müssen (vgl. Seelmann, a. a. O. sowie insbesondere Mül-
ler-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 281 ff. m. w. N. zum Streitstand), stellt sich im Hin-
blick auf die Lehre Kants das Problem, daß Kant die Frage, woraus sich die Berechtigung des
Staates zum Strafen herleitet, zumindest nicht ausdrücklich beantwortet hat (vgl. Höffe, Ka-
tegorische Rechtsprinzipien, S. 220, 227 ff., 243). Mit den Ausführungen zum Strafrecht in
der Metaphysik der Sitten hat Kant nicht eine strikt-absolute Straftheorie positiv begründet,
sondern sich darauf beschränkt, die Möglichkeit einer rein präventiv ausgerichteten Strafbe-
gründung zu widerlegen (vgl. Cattaneo, Strafrechtsphilosophie, S. 326, 329; ders., Aufklä-
rung, S. 43 f.; Papageorgiou, Schaden, S. 26 ff.; a.A. Höffe, Kriminalstrafe, S. 364 f.; vgl.
auch Oberer, Strafrechtslehre, S. 401 ff., der die positive Begründung der Strafberechtigung
aus der Lehre Kants vom höchsten Gut ableiten wiII; zustimmend insoweit Kindhäuser, GA
1989,493,504; kritisch demgegenüber Brandt, Gerechtigkeit, S. 449 ff., der die Auffassung
vertritt, die Notwendigkeit der Strafe als Folge der Normverletzung leite sich daraus her, daß
das Gesetz die Handlung notwendigerweise mit einer Strafe verbinde um die Gerechtigkeit
zu wahren. Daraus folge dann, daß sich der Tater mit seiner Handlung notwendigerweise
auch die Strafe zuziehe).
22 Gallas, Grenzen, S. 4; Maurach I Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 7 Rdnr. 1; Hart, Recht,
S. 66 ff.; Armin Kaufmann, Aufgabe, S. 265, 274 f.; Neumann, Kritik, S. 150; Papageorgiou,
Schaden, S. 56; Rawls, Regelbegriffe, S. 137 f.; Schild, Festschrift für E. A. Wolff, S. 434 ff.
23 Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, S. 45 f.; Prittwitz, StV 1991,435,437;
Lüderssen, Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 489.
11. Kernstrafrecht und Prävention 57

Strafens auch über die aus der Anwendung strafrechtlichen Zwanges resultieren-
den positiven Folgen für den einzelnen Bürger bzw. die Gesellschaft müßte letzt-
lich als ein rechtskulturel1er Rückschritt angesehen werden?4

2. Strafgesetzgebung als Handeln unter Ungewißheit

Erkennt man an, daß sich strafrechtliche Nonnen jedenfalls auch über positive
Folgen der Anwendung strafrechtlichen Zwanges legitimieren müssen, stel1t sich
das Problem, daß die Ergebnisse empirischer Forschung derzeit weder die präven-
tive Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit strafbewehrter Verhaltensverbote zu be-
legen vennögen. Relativ eindeutig dürfte allein der Befund sein, daß angesichts
der gesel1schaftlich vorherrschenden Einstellungen gegenüber "Vorbestraften" und
unter den derzeit im Strafvol1zug herrschenden Bedingungen von einer resoziali-
sierenden Wirkung der Vol1streckung von (Freiheits-)Strafen nicht ausgegangen
werden kann. 25 Ob die Androhung und Verhängung von Strafen ein geeignetes
Mittel ist, andere von der Begehung von Straftaten abzuhalten (negative General-
prävention) bzw. zu nonnkonfonnen Verhalten zu veranlassen (positive General-
prävention), ist dagegen weitgehend ungeklärt. Eine abschreckende Wirkung der
Strafandrohung erscheint für die Fälle nicht unplausibel, in denen das Verhalten
des Täters nicht allein emotional gesteuert, sondern zumindest auch rational kalku-
liert wird. Auch im Hinblick auf den kalkulierenden Täter kann die verhaltenssteu-
emde Wirkung anderer Faktoren indes weder ausgeschlossen noch im einzelnen
gewichtet werden, so daß eine - gemessen an den Maßstäben der empirischen So-
zialforschung - konsensfähige Bewertung der abschreckenden Wirkung strafrecht-
licher Zwangsanwendung nicht existiert. 26 Gleiches gilt für das Konzept der positi-
ven Generalprävention: Es erscheint plausibel, anzunehmen, daß die Strafandro-
hung und Strafverhängung die Bevölkerung in ihrem Glauben an die Legitimität
bestimmter Verhaltensgebote und -verbote bestätigt und so eine dispositionel1e
Nonnbindung bestärkt, die Basis und Grundlage des Einzelnen bei Entscheidungen
über situative Nonnbefolgung ist. 27 Die durch die Beobachtung des Al1tagslebens

24 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 376 f.; ders., StV 1991,435,437; Hassemer, Sozial-
technologie, S. 332; ders., JuS 1987,257,264; vgl. auch Lüderssen StV 1987, 163, 172 f.;
Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 3 Rdnrn. 12, 14.
25 V gl. Baratta, Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 407/408; Bock, JuS 1994, 89, 94 f.;
Lehne, KrimJ 1994,210,213; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 81 ff.; Noll, Fest-
schrift für Mayer, S. 222/223; w.N.b. Schöch, Festschrift für Jescheck, S. 1082; zu den me-
thodischen Problemen der empirischen Forschung in diesem Bereich vgl. Eisenberg, Krimi-
nologie, § 15 Rdnrn. 13 ff.; Göppinger, Kriminologie, S. 159 ff., 627 ff., jeweils m. w. N.
26 Vgl. Bock, JuS 1994,89,95 f.; Dölling, ZStW 102 (1990), 1,5 ff.; Kaiser, Kriminolo-
gie, § 31 Rdnr. 34; Lehne, KrimJ 1994,210,213 f.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention,
S. 100 ff.; Schöch, Festschrift für Jescheck, S. 1085, 1098 ff.; Schumann, Beweisbarkeit,
S.18.
58 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

bestätigte Grundannahme des gesellschaftlichen Miteinanders, daß Personen zu-


mindest in gewissen Grenzen zweckrational handeln und folglich dazu neigen, für
sie negative Folgen ihre Verhaltens zu vermeiden, läßt es zwar als plausibel er-
scheinen, daß auch die Androhung staatlich verhängter Strafen dazu beitragen
kann, daß Verhaltensnormen beachtet werden. 28 Da aber auch andere Faktoren für
die Norminternalisierung von Bedeutung sind,29 die behauptete Normstabilisie-
rungsfunktion latenten Charakter hat30 und darüber hinaus nicht auf kurzfristige,
sondern auf langfristige Veränderungen der dispositionellen Normbefolgungsmu-
ster abzielt,3! kann auch die normstabilisierende Wirkung strafrechtlicher Normen
mit einer den Maßstäben der empirischen Sozialforschung entsprechenden Sicher-
heit weder als nachgewiesen noch als widerlegt angeseh~n werden. 32
Angesichts des in eine non-liquet-Situation einmündenden Standes der empi-
risch-sozialwissenschaftlichen Forschung kann einerseits die Annahme einer die
präventiv wirkenden Normprogramme ergänzenden Wirkung strafrechtlicher Nor-
men nicht allein deshalb beiseitegeschoben werden, weil sie erfahrungswissen-
schaftlich nicht zu belegen ist. 33 Andererseits darf nicht unberücksichtigt bleiben,
daß es sich - angesichts des fehlenden Nachweises entsprechender Wirkungen -
um nicht mehr als eine Vermutung handelt, Strafgesetzgebung also nach alledem
eine Form des Handeins unter Ungewißheit ist. 34
Die in diesem Zusammenhang gelegentlich vertretene These, der Gesetzgeber
sei nach dem Grundsatz "in dubio pro libertate" gehindert, eine Verhaltensweise zu
pönalisieren, wenn Zweifel an der Tauglichkeit des Einsatzes strafrechtlichen
Zwanges bestehen,35 ist zurückzuweisen, da hier verkannt wird, daß nicht nur die

27 Vgl. Baunnann, GA 1994,368,374 ff. sowie 380 f.; DölIing, ZStW 102 (1990), 1,9 ff.;
Kuhlen, GA 1994, 347, 365; ders., Anmerkungen, S. 57 f.; skeptisch aber Lüderssen, Fest-
schrift für Arthur Kaufmann, S. 490.
28 Bock, JuS 1994, 89, 99; Gallas, Grenzen, S. 10 /11; Hoerster, GA 1970, 272, 274; Kai-
ser, Kriminologie, § 31 Rdnr. 44; Kuhlen, GA 1994,347,364 f.; Schmidhäuser, Festschrift
für E. A. Wolff, S. 445 f.
29 Baunnann, GA 1994, 368, 372 f.; Eisenberg, Kriminologie, § 41 Rdnrn. 3 ff.; Kaiser,
Kriminologie, § 31 Rdnrn. 37 f.
30 Zur Problematik der Latenz der angestrebten Nonnstabilisierungsfunktion vgl. i.e.
Bock, JuS 1994, 89, 97 f.; ders., ZStW 103 (1991), 636, 651 ff.
31 Vgl. Bock, JuS 1994,89,98; ders., ~tW 103 (1991), 636, 654 f.; DölIing, ~tW 102
(1990), I, 18 f.
32 Eisenberg, Kriminologie, § 15 Rdnrn. 11 ff., § 41 Rdnrn.6, 11 ff.; Göppinger, Krimino-
logie, S. 179,624; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 115 ff.; vgl. aber auch Schu-
mann, Beweisbarkeit, S. 19 ff., der eine empirische Verifizierung für notwendig und im
Grundsatz auch möglich erachtet.
33 Dölling, ~tW 102 (1990), 1,20; Göppinger, Kriminologie, S. 179.
34 Schulz, StV 1994,38,42.
35 Vgl. z. B. Hassemer, Theorie, S. 200; ders .. Strafrechtsdogmatik, S. 120; Jäger, Rechts-
güterschutz, S. 123 sowie ausführlich und differenzierend ders., Festschrift für Klug, S. 91 ff.
m.w.N.
11. Kernstrafrecht und Prävention 59

posItIve Pönalisierungsentscheidung, sondern auch die Entscheidung, von einer


Pönalisisierung Abstand zu nehmen, Auswirkungen auf die personale Freiheit des
Bürgers hat. 36 Eine Strafrechtsnorm ist dann legitim, wenn sich aus dem vom Ge-
setzgeber vorzunehmenden Abwägungsprozeß heraus begründen läßt, daß die mit
der Strafandrohung bzw. -verhängung verbundenen Einschränkungen der persona-
len Freiheitssphäre im Hinblick auf die zu vermutenden positiven Folgen der Pöna-
lisierung einer Verhaltensweise als ein gerechtfertigter staatlicher Zwangseingriff
erscheint. 37
Grundsätzlich bedarf gerade ein strafbewehrtes Verbot einer empirischen Basis,
die über den bloßen Verdacht der Sozialschädlichkeit hinausgehen muß. 38 Bei-
spielhaft: Angesichts des unstreitig hohen Wertes der Rechtsgüter der personalen
Integrität und vor allem des Lebens wäre es - vorbehaltlich der hier zunächst aus-
geblendeten Problematik der bewußten Selbstgefährdung39 - nicht sachgerecht,
das Verbot des Umgangs mit einem bestimmten Rauschmittel nicht bereits auf den
durch bestimmte Tatsachen gegründeten Verdacht der Gefährlichkeit stützen zu
dürfen. 4o Begründen bestimmte Tatsachen die Annahme, ein bestimmtes Rausch-
mittel sei geeignet, das Leben und / oder die personale Integrität eines potentiellen
Konsumenten in einem Maße zu gefährden, das signifikant über das Maß an Ge-
fährdung hinausgeht, das grundsätzlich mit der (exzessiven) Einnahme mehr oder
weniger jeden Genußmittels verbunden ist, wird man dem Gesetzgeber die Befug-
nis nicht absprechen können, den Umgang mit diesem Rauschmittel unter Strafe
zu stellen. Andererseits: Wird der Gefährlichkeitsverdacht in der Folgezeit wider-
legt oder auch nur nicht bestätigt, begründet dies die Illegitimität des Festhaltens
an der weiteren pönalisierung. 41 Die unter anderem den Entscheidungen des Bun-
desverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes zur Strafbewehrung des Um-
gangs mit Cannabisprodukten implizit zugrundeliegende Prämisse, wonach der

36 Treffend hierzu der Hinweis von H.-L. Günther (JuS 1978, 8, 10), die Fragestellung
müsse richtigerweise nicht lauten: "Im Zweifel für die Freiheit", sondern vielmehr "Im Zwei-
fel für wessen Freiheit"; zustimmend Lagodny, Strafrecht, S. 13; Stächelin, Strafgesetzge-
bung, S. 194/195; vgl. auch Appel, Verfassung, S. 412 ff.
37 Vgl. H.-L. Günther, JuS 1978,8,10.

38 Böllinger, KJ 1991,393,398 f.; vgl. auch Eisenberg, Kriminologie, § 23 Rdnr. 39; For-
ster, ZSR NF 114 (1995), 11, I, 52 f.; Lagodny, Strafrecht, S. 176 f., 518; Stächelin, Strafge-
setzgebung, S. 184, 198 ff. Vgl. auch Schroeder, Festschrift für Miyazawa, S. 534 ff., 545,
speziell zu den unzureichend aufgeklärten Hintergründen des bundesdeutschen Embryonen-
schutzgesetzes.
39 Vgl. hierzu unten S. 192 ff.

40 Böllinger, KJ 1991, 393, 399; vgl. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 328; Jäger,
Festschrift für Klug, S. 94 ff.; Lagodny, Strafrecht, S. 173 ff.; Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I
Rdnr. 11 a.
41 Eisenberg, Kriminologie, § 23 Rdnr. 49; H.-L. Günther, JuS 1978, 8, 11; Schneider, StV
1992,514,515; vgl. auch die abweichende Meinung des Bundesverfassungsrichters Sommer
(BVerfGE 90,145,221). Allgemein zur Pflicht des Gesetzgebers, eine Nachkontrolle durch-
zuführen: Appel, Verfassung, S. 588; NolI, Gesetzgebungslehre, S. 146 ff.; Peine, Systemge-
rechtigkeit, S. 136; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 200 ff.
60 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Gesetzgeber erst dann verpflichtet sein soll, eine ursprünglich auf einen Gefähr-
lichkeitsverdacht gestützte Pönalisierung zurückzunehmen, wenn der Gefährlich-
keitsverdacht eindeutig widerlegt sei, vermag nicht zu überzeugen. 42
Bezogen auf die Problematik des "modemen" Strafrechts bleibt im übrigen fest-
zuhalten: Soweit die Forderung nach einer Abschaffung des Umwelt-, Wirtschafts-
und Betäubungsmittelstrafrechts mit der "Ineffektivität" dieser Normen begründet
werden soll, ergibt sich wiederum das Problem, daß eine Beschränkung der so be-
gründeten Forderung auf die im Vordergrund der aktuellen kriminalpolitischen
Diskussion stehenden Teilbereiche der Strafrechtsordnung angesichts des Erkennt-
nisstandes zur präventiven Wirksamkeit strafrechtlicher Normen als weitgehend
willkürlich erscheinen muß. Unstreitig ist, daß die Straftatbestände des "moder-
nen" Umwelt-, Wirtschafts- und Betäubungsmittelstrafrechts die in sie gesetzten
präventiven Hoffnungen nicht erfüllt haben. Andererseits ist aber auch nicht erwie-
sen, daß z. B. ein Verzicht auf das "modeme" Umwelt- und Betäubungsmittelstraf-
recht die bestehenden gesellschaftlichen Probleme eher noch verschärfen würde,
also eine signifikante Zunahme umweltgefährdender Verhaltensweisen bzw. eine
weitere Zunahme des Rauschmittelkonsums 43 die Folge einer Entkriminalisierung
wäre. Letztlich folgt hieraus: Die Legitimität von Straftatbeständen kann nicht en
bloc verhandelt werden. Die Klassifizierung bestimmter Bereiche der Strafrechts-
ordnung unter dem Schlagwort des "modemen" Strafrechts bleibt insoweit ohne
jeden Erkenntnisgewinn. Entscheidend ist, ob sich konkrete Straftatbestände als
gerechtfertigte Einschränkungen der personalen Freiheitssphäre darstellen lassen.
Vor diesem Hintergrund kann es dann aber nicht von vornherein ausgeschlossen
werden, daß es nicht auch im Bereich umweltgefährdender bzw. wirtschaftsdelin-
quenter Verhaltensweisen oder im Hinblick auf den Umgang mit bestimmten Stof-
fen Verhaltensweisen geben soll, die als "Unrechtsspitzen" legitimerweise Strafe
nach sich ziehen müssen.

42 Vgl. BVerfGE 45, 187,252; 39, 1,5 sowie BVerfGE 90, 145, 183, wo gesicherte krimi-
nologische Erkenntnisse verlangt werden; BGHSt 38, 339, 342 sowie auch bereits BayObLG,
NJW 1969,2297. Auch der Gesetzgeber selbst scheint dieser Auffassung anzuhängen: vgl.
BR-Drucks. 546/79, S. 24. In der Literatur stößt die These auf Zustimmung (Gallwas, MDR
1969,892,895; Goerlich, JR 1977,89,90; Roos, Entkriminalisierungstendenzen, S. 210 f.)
und Ablehnung (Böllinger, KJ 1991,393,403; ders., KJ 1994,405,408 f., 414; Schneider,
StV 1992,514 f.). Allgemein zur Kontrolldichte der Rechtsprechung des BVerfG im Hinblick
auf Pönalisierungsentscheidungen des Gesetzgebers: Vogel, StV 1996, 110, 113 f. sowie La-
godny, Strafrecht, S. 173 ff., 318 f.; Paulduro, Verfassungsgemäßheit, S. 139 ff.; zur Rechts-
lage in Österreich vgl. Lewisch, Verfassung, S. 225 ff.
43 Vgl. Joset, ZStR 101 (1984), 152, 159 ff. sowie bereits oben S. 44 f.
III. Der Rekurs auf einen vorpositiv-verbindlichen Begriff des Verbrechens 61

III. Der Rekurs auf einen


vorpositiv-verbindlichen Begriff des Verbrechens

1. Die Konzeption des Verbrechens als "absolute" Untat

Die These, daß es möglich und notwendig sei, das Kriminalstrafrecht auf einen
feststehenden Kanon apriori strafrechtswürdiger Verhaltensweisen zu begrenzen,
wird in der aktuellen Diskussion insbesondere von Naucke vertreten. Strafrechts-
würdig sind seiner Auffassung nach allein die als "absolute Untaten" in ihrem Un-
rechtsgehalt von der jeweiligen Gesellschaftsform unabhängigen gewaltsamen Be-
einträchtigungen des Lebens, der menschlichen Würde, der Gesundheit und der
Freiheit. 44 Strafe als Reaktion auf diese "wirklichen Verbrechen" sei kein der Um-
setzung von Zweckmäßigkeitserwägungen dienendes vorbeugendes Instrument der
Sozialpolitik, sondern habe allein die Funktion, die unantastbare, aber angetastete
Ordnung wiederherzustellen, ein Übel mit einem Übel auszugleichen. 45 Nicht der
Strafgesetzgeber schaffe die Straftat; was strafwürdig sei, werde nicht beschlossen
oder konsentiert, sondern erkannt, und finde dann in der Form des Gesetzes seinen
Ausdruck. Wirklich strafwürdig - gleichzeitig aber auch im Sinne eines kategori-
schen Imperativs zwingend strafbedürftig - seien allein die Verhaltensweisen, die
den Bereich personaler Freiheit beeinträchtigen, der für jeden Bürger eines Staates
unabdingbar wichtig sei, gleichgültig, welches politische System herrsche. Straf-
würdiges Unrecht seien Mißachtungen der Freiheit durch Tötung, Körperverlet-
zung sowie Freiheitsberaubung - Vergewaltigung und Nötigung eingeschlossen.
Eine über diesen Bereich der Beeinträchtigung unabdingbarer personaler Freiheit
hinausgehende Ausweitung des Strafrechts sei Mißbrauch. 46 Betrug, Urkundenfäl-
schung, betrunkenes Fahren ohne Verletzung anderer, Steuerhinterziehung und Be-
stechung seien präventionsbedürftige Verhaltensweisen, die zwar eine Intervention
des Staates legitimieren könnten, keinesfalls aber eine vergeltende Bestrafung.47

2. Die Abgrenzung des crimen publicum vom crimen privatum

Zur Begründung seines Standpunktes stützt sich Naucke auf die von Kant aus
der rechtswissenschaftlichen Diskussion des 18. Jahrhunderts übernommene Un-
terscheidung des kriminalstrafwürdigen "crimen publicum" vom "crimen priva-
tum".4M Kant habe nicht jede Übertretung eines öffentlichen Gesetzes als vergel-

44 Naucke, Wechselwirkung, S. 35 f.
45 Naucke, Wechselwirkung, S. 36.
46 Vgl. Naucke, Wechselwirkung, S. 35 ff. sowie - besonders prägnant - ders., Aushöh-
lung, S. 485.
47 Naucke, Wechselwirkung, S. 38 ff.

4K Vgl. i.e. Naucke, Schi HA 1964,203,206 ff.; ders., Wechselwirkung, S. 40.


62 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

tungswürdiges Unrecht angesehen, sondern den Begriff der Verbrechen auf die
Übertretungen beschränkt, "die den, welcher sie begeht, unfähig macht, Staatsbür-
ger zu sein.,,49 Über diese allgemeine Umschreibung hinaus habe Kant den Bereich
der mit Strafe zu vergeltenden Verhaltensweisen nach der objektiven und subjekti-
ven Seite hin positiv bestimmt bzw. gegen nicht-strafwürdiges Verhalten abge-
grenzt: In subjektiver Hinsicht habe Kant alle fahrlässigen Taten aus dem Verbre-
chensbegriff ausgeschieden. 5o Auf der objektiven Seite habe Kant das öffentliche
Verbrechen (crimen publicum) vom Privatverbrechen (crimen privatum) unter-
schieden, wobei er allein die öffentlichen Verbrechen als mit Strafe zu vergeltende
Verhaltensweisen angesehen habe. 51
Öffentliches Verbrechen sei eine Tat nach Kant dann, wenn "das gemeine Wesen
und nicht bloß eine einzelne Person dadurch gefährdet wird.,,52 Als Privatverbre-
chen und damit nicht-strafwürdige Verhaltensweisen habe Kant "Veruntreuungen,
d.i. Unterschlagung der zum Verkehr anvertrauten Gelder oder Waren (und) Betrug
im Kauf und Verkauf bei sehenden Augen des anderen,,53 bezeichnet. Zur positi-
ven Bestimmung des Begriffs des crimen publicum habe Kant "falsch Geld oder
Wechsel machen, Diebstahl und Raub",54 Mord und Totschlag,55 Körperverlet-
zung,56 Notzucht,57 Päderastie,58 Hoch- und Landesverrat59, Beleidigung60 und
schließlich ein al1gemeines Verbrechen der "Bestialität" benannt. 61 Naucke hält
die auf Kant zurückgehende Beschränkung des Kriminalunrechts für im Grundsatz
überzeugend und auch in den Einzelheiten für weitgehend zutreffend. Unter Be-
zugnahme auf die von Kant als allgemeine Definition des öffentlichen Verbrechens
verstandene Bezeichnung als "Verletzung der Staatssicherheit" will Naucke einen
Diebstahl aber nur und erst dann als ein strafwürdiges Verbrechen anerkennen,
wenn es sich nicht um einen geringfügigen, sondern um einen großangelegten
Diebstahl handelt62 . Andererseits hält er auch eine Ausweitung des von Kant be-
schriebenen Anwendungsbereichs in bestimmten engen Grenzen für denkbar, wo-
bei er als Beispiel die vorsätzliche Brandstiftung nennt. 63

49 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 452.


50 Naucke, SchlHA 1964,203,207.
51 Naucke, SchlHA 1964,203,207/208.
52 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 452.

53 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 452; zur Einordnung des Betrugs vgl. Kühl, Festschrift
für Spendei, S. 96.
54 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 452, 454.

55 Ebd., S. 454 f., 458 f.


56 Ebd., S. 454.

57 Ebd., S. 488.
58 Ebd., S. 488.
59 Ebd., S. 455.

60 Ebd., S. 454.

61 Ebd., S. 488

62 Naucke, SchlHA 1964,203,208.


111. Der Rekurs auf einen vOipositiv-verbindlichen Begriff des Verbrechens 63

Der Standpunkt, bestimmte Verhaltensweisen könnten - und müßten - völlig un-


abhängig von jeder Berücksichtigung des gesellschaftlichen Umfeldes als apriori
strafwürdige Verbrechen erkannt werden, würde es ermöglichen, die Berücksichti-
gung der geschichtlich gewachsenen Gesellschafts- und Verfassungsordnung im
Rahmen von Pönalisierungsentscheidungen für irrelevant zu erklären und die hier-
durch bedingte Notwendigkeit wertender Entscheidungen des Gesetzgebers zu be-
streiten. Das Bemühen, Beurteilungsspielräume des Gesetzgebers dadurch zu mini-
mieren, daß nicht nur die Begriffs- und Prinzipienbestimmung, sondern darüber
hinausgehend die Ableitung des positiven Strafrechts ausschließlich auf rechtsphi-
losophische Erwägungen gestützt werden soll, ist allerdings durchgreifenden Be-
denken ausgesetzt.
Naucke selbst erkennt an, daß die aus dem römischen Recht stammende Abgren-
zung zwischen öffentlichen Verbrechen und Privatverbrechen in der praktischen
Umsetzung keine durchgängig überzeugenden Ergebnisse erbracht hat und manche
Zuordnung letztlich mehr oder weniger willkürlich erfolgt ist. 64 Vor diesem Hinter-
grund muß es als problematisch angesehen werden, daß Kant den Maßstab für die
Einordnung als öffentliches Verbrechen nicht hinreichend präzisiert, sondern be-
reits offengelassen hat, ob die Unfähigkeit, nach Begehung einer Tat noch Staats-
bürger zu sein bzw. die Gefährdung des ganzen Staatswesens als Gegensatz zur
bloßen Gefährdung einer einzelnen Person allein im Hinblick auf die konkret in
Frage stehende Tat zu beurteilen sein soll oder es darüber hinaus - oder statt dessen
- darauf ankommen soll, welche Auswirkungen sich für das Gemeinwesen ergeben
würden, wenn alle Mitglieder einer Gemeinschaft unter den gegebenen Umständen
so handeln würden, wie es der Täter getan hat. 65 Wenn das wesentliche Charakteri-
stikum des crimen publicum darin zu sehen ist, daß "das gemeine Wesen und nicht
bloß eine einzelne Person dadurch gefährdet wird", kann dies so interpretiert wer-
den, daß es um die Beeinträchtigung der Gemeinschaft als Friedensordnung geht.
Dann könnte aber praktisch jeder Bruch der Rechtsordnung als crimen publicum
und damit strafwürdig verstanden werden, jedenfalls wäre aber nicht ohne weiteres
einsichtig, warum der Diebstahl als crimen publicum, Betrug und Unterschlagung
dagegen als crimen privatum einzustufen sein sollen.66 Soll es dagegen auf die von
der Tat unmittelbar ausgehende Beeinträchtigung der Sicherheit der staatlich ver-
faßten Gemeinschaft ankommen, wäre wohl die Einstufung der Geld- und Wech-
sei fälschung als öffentliches Verbrechen nachvollziehbar, nicht aber die Einord-
nung des Mordes;67 und auch die Einstufung des Diebstahls als crimen publicum
könnte mit der Erwägung in Frage gestellt werden, daß ein einzelner Diebstahl für

63Naucke, SchIHA 1964,203,209.


64Naucke, SchIHA 1964, 203, 208; vgl. auch Kindhäuser, Gefährdung, S. 158 f.; ders.,
GA 1989,493,505; Oberer, Strafrechtslehre, S. 412.
65 Forschner, Kant, S. 394 Fußn. 12.

66 Kühl, Festschrift für Spendei, S. 97.


67 Oberer, Strafrechtslehre, S. 411.
64 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

sich gesehen eher als ungeeignet erscheint, das Eigentum aller unsicher zu ma-
chen.68
Unabhängig davon, welchen Maßstab man letztlich anlegen will, wird man ent-
gegen der Auffassung Nauckes ohne Berücksichtigung empirisch-pragmatischer
Erkenntnisse nicht auskommen können. Bereits die von Kant als Beispiel eines öf-
fentlichen Verbrechens genannte Geld- und Wechselfälschung ist offensichtlich
nicht ohne Bezugnahme auf bestimmte Gesellschaftsformen - nämlich solche, die
über eine entwickelte Wirtschaftsordnung verfügen - als strafwürdiges Verhalten
zu "erkennen". Noch deutlicher wird dies, wenn man mit Naucke die Abgrenzung
des (strafwürdigen) großen Diebstahls vom (nicht-strafwürdigen) kleinen Dieb-
stahl für notwendig erachten wollte. Auch die gerade· im Hinblick auf die von
Naucke propagierte Unterscheidung zwischen einfachen und großangelegten Dieb-
stahlstaten in besonderer Weise relevante Frage, unter welchen Umständen ein
Diebstahl geeignet erscheint, das Eigentum aller unsicher zu machen, kann ersicht-
lich nicht ohne Berücksichtigung der zugrundeliegenden gesellschaftlichen Ver-
hältnisse beurteilt und entschieden werden. 69 Hier ist einerseits zweifelhaft, ob ein
einzelner - auch: großangelegter - Diebstahl für sich gesehen überhaupt geeignet
sein kann, das Eigentum aller unsicher zu machen. Wird dies bejaht, ist dann ande-
rerseits wiederum nicht ohne weiteres - jedenfalls nicht ohne Bezugnahme auf be-
stimmte gesellschaftliche Bedingungen - einsichtig zu machen ist, warum nur ein
großangelegter Diebstahl geeignet sein soll, diesen Effekt zu erzielen. 7o Schließ-
lich würde sich abschließend die Frage stellen, wann ein Diebstahl als "großange-
legt" anzusehen ist. Soll entscheidend sein, daß ein Gemeinwesen durch eine Tat
dieser Art insgesamt verunsichert wird, wird man diese Frage nicht entscheiden
können, ohne die zeitlich und räumlich konkreten Gegebenheiten des gesellschaft-
lichen Umfeldes zugrunde zu legen. 7 )
Wenn Naucke schließlich Angriffe auf die vermögensrechtliche Freiheitssphäre
des Einzelnen nur dann als strafwürdige öffentliche Verbrechen gelten lassen will,
wenn diese durch einen Gewahrsamsbruch gekennzeichnet sind (Diebstahl und
Raub), und Verhaltensweisen, bei denen es an einem Gewahrsamsbruch fehlt (Be-
trug und Unterschlagung) als nicht strafwürdige Privatverbrechen versteht, zeigt
sich, daß die Strafwürdigkeit von Verhaltensweisen nicht allein aus der Beeinträch-
tigung der personalen Freiheitssphäre abgeleitet werden kann, sondern auch die Art

68 Seelmann, Anerkennungsverlust, S. 127 f.


69 Vgl. Seelmann, Anerkennungsverlust, S. 127 f.
70 Vgl. Höffe, Kriminalstrafe, S. 373; Oberer, Strafrechtslehre, S. 411.
71 V gl. H. Mayer, Festschrift für Engisch, S. 61, der darauf hinweist, daß in den zu Lebzei-
ten Kants geltenden Strafgesetzbüchern nur der besonders qualifizierte Diebstahl - etwa der
Diebstahl einer Sache mit einem Wert über 20 Goldgulden (= Wert von I - 2 Stück Großvieh)
- als Teil des Kriminalrechts im engeren Sinne angesehen wurde. Vor diesem Hintergrund
mag die von Naucke angestrebte Abgrenzung des großangelegten Diebstahls bei Kant impli-
zit vorausgesetzt sein. Grundlage wäre dann aber nicht ein apriori geltender Grundsatz, son-
dern die Übernahme einer geschichtlich gewachsenen Zuordnung.
IIl. Der Rekurs auf einen vorpositiv-verbindlichen Begriff des Verbrechens 65

und Weise der Beeinträchtigung von Bedeutung ist. Im Ergebnis zeigt sich damit
dann aber auch an dieser Stelle, daß dem "Erkennen" von "wirklichen Verbrechen"
bestimmte Wertungen vorausgehen müssen bzw. vorausgegangen sind. Die Annah-
me, daß der Einordnung bestimmter Delikte als crimen publicum bzw. crimen pri-
vatum allein apriori geltende Wertungen zugrunde liegen, würde letztlich wohl
auch der Lehre Kants widersprechen, nach der bei der praktischen Umsetzung all-
gemeiner Regeln notwendigerweise das konkrete gesellschaftliche Umfeld zu be-
rücksichtigen und insoweit auf empirische Erkenntnisse zurückzugreifen ist. 72

3. Die GeschichtIichkeit des Strafrechts


a) Die wertende Bestimmung strafrechtlicher Schutzgüter

Die These, daß es sich bei den Normen des (Kern-)Strafrechts um "absolute Un-
taten" handeln müsse, findet eine scheinbare Bestätigung darin, daß es elementare
Bedingungen menschlicher Existenz gibt, die - wie z. B. Leben und körperliche
Integrität - jedenfalls dem Grunde nach nicht zur Disposition stehen können und
deren Beeinträchtigung aus diesem Grund auch stets und in allen Gesellschaftsord-
nungen als strafwürdig anerkannt worden ist. Die Tötung eines Menschens ist denn
wohl auch die Untat, bei der das Prädikat des "Absoluten" noch am ehesten ange-
messen erscheint. 73 Selbst hier ist aber zu konstatieren, daß das - vorbehaltlich et-
waiger Sonderfälle, wie z. B. Notwehrlagen i. S. d. § 32 dStGB I Art. 33
schwStGB74 - grundsätzlich geltende Tötungsverbot de lege lata (vgl. §§ 211 ff.
dStGB I Art. 111 ff. schwStGB) allein für den geborenen Menschen gilt, während
zwar gezeugte, aber noch nicht geborene menschliche Lebewesen bis zum Zeit-
punkt der Nidation strafrechtlich gar nicht und danach - bis zur Geburt - einen in
sich nochmals gestuften, eingeschränkten strafrechtlichen Schutz erfahren
(§§ 218 ff. dStGBI Art. 118 ff. schwStGB).75 Die Begrenzung des absoluten Le-
bensschutzes auf den Bereich zwischen Geburt76 und Tod mag in früheren Zeiten
als ein aus der "Natur der Sache" folgendes Faktum erschienen sein. Der fort-
schreitende naturwissenschaftliche Erkenntnisstand zwingt indes zu der Erkennt-
nis, daß sowohl Endzeitpunkt als auch Anfangszeitpunkt des strafrechtlichen Le-
bensschutzes nicht als ein Faktum "erkannt", sondern aufgrund normativer Wer-
tungen festgelegt werden muß. 77

72 Höffe, Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. 31, 1977, 354, 369; ders., Krimi-
nalstrafe. S. 339 ff.; Kühl, GA 1977,353,361 f.; Pogge, Imperative, S. 178 f.
73 Papageorgiou, Schaden, S. 172/173.

74 V gl. AppeI. Verfassung, S. 325; Eser, in: Günther 1Keller, S. 285; Keller, in: Günther 1
Keller, S. 119 f.
75 V gl. Eser, in: Schönke 1 Schröder, Vorbem. § § 218 ff. Rdnrn. 33 ff.
76 Entscheidend ist nach herrschender Meinung das Einsetzen der Eröffnungswehen; vgl.
Eser, in: Schönkel Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rdnr. 13; Trechsel, SchwStGB, Vor Art. 111
Rdnr.3.

5 Wohlers
66 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Hinsichtlich der Festlegung des Anfangszeitpunktes des strafrechtlichen Le-


bensschutzes besteht heute Einigkeit dahingehend, daß ab dem Zeitpunkt der
Verschmelzung von Samen und Eizelle artspezifisch menschliches Leben vor-
liegt und damit bereits die befruchtete Eizelle und erst recht auch der Embryo
und der Fötus als individuelles, der Gattung homo sapiens zugehöriges Leben
aufzufassen sind. 78 Fraglich ist aber, ob befruchtete Eizellen, Embryonen und
Föten hinsichtlich des für sie geltenden Lebensschutzes berechtigterweise anders
behandelt werden können bzw. anders behandelt werden müssen als geborene
Menschen. Wahrend einige Autoren bereits die befruchtete Eizelle aufgrund ihrer
Zugehörigkeit zur Gattung homo sapiens als ,,Menschen" ansprechen und damit
den Beginn des menschlichen Lebensschutzes mit dem Zeitpunkt der Verschmel-
zung von Ei und Samen ansetzen müssen,19 wollen andere Autoren den Zeit-
punkt der Menschwerdung abweichend festsetzen, nämlich mit der Nidation,8o
der Entwicklung des Zentralnervensystems,81 der Lebensfähigkeit außerhalb des
Mutterleibes,82 der Geburt 83 oder der Entwicklung eines individuellen Überle-
bensinteresses. 84 An dieser Stelle kann und soll nicht zu der Frage Stellung ge-

77 Hilgendorf, NJW 1996, 758, 759; ders., NJW 1997, 3074, 3075; Hoerster, Abtreibung,
S. 65 ff.; ders., JR 1995,51; Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 182; Merke!, JZ 1996, 1145,
1154; Papageorgiou, Schaden, S. 291; Sternberg-Lieben, JA 1997,80,87; Taupitz, JuS 1997,
203,207. A.A. Weiß, JR 1992, 182, 183; ders., GA 1995,373,376; ders., NJW 1996,3064,
dessen Behauptung, der Begriff "Mensch" sei kein hochgradig unbestimmter Begriff, weil
jeder wisse, was gemeint sei und was nicht, angesichts des nachfolgend zu skizzierenden
Streitstandes allerdings nur mit Erstaunen zur Kenntnis genommen werden kann.
78 Vgl. nur Hruschka, JZ 1991,507; Trechsel, SchwStGB, Vor Art. 118 Rdnr. 2 sowie-
ais Protagonisten entgegengesetzter Standpunkte in der Frage des Lebensrechtes Nichtgebo-
rener - Hoerster, Abtreibung, S. 24 ff. sowie Singer, Ethik, S. 118 einerseits und Tröndle,
NJW 1991,2542 andererseits.
79 H.-L. Günther, GA 1987,433,436 f.; Gröner, in: Günther/Keller, S. 306; Hösle, Staat,
S. 37 ff.; Keller, in: Günther/Keller, S. 112 ff., 195; Rilinger, GA 1997,418,420; Tröndle,
NJW 1991,2542 f.; Graf Vitzthum, JZ 1985, 201, 208; ders., in: Günther/Keller, S. 71 ff.;
Weiß, JR 1992, 182, 183; ders., GA 1995, 373, 377 f.; ders., NJW 1996,3064,3065.
Weiß will aus diesem Standpunkt die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 211 ff., 223 ff.
StGB bei pränatalen Einwirkungen herleiten, wobei er die §§ 211 ff. de lege lata im Hinblick
auf § 218 StGB für gesperrt hält (vgl. Weiß, GA 1995,373,376 f.). Kritisch zur Gleichset-
zung des Begriffs ,,Mensch" mit dem Begriff "menschlichen Wesen" unter Bezugnahme auf
das Kriterium der Spezieszugehörigkeit: Fechner, JZ 1986,653,658; Hilgendorf, NJW 1996,
758,761; Jerouschek, JZ 1989,279,280 f.; Arthur Kaufmann, Festschrift für Oehler, S. 655
sowie insbesondere Hoerster, JZ 1991,503,504; ders., Abtreibung, S. 55 ff.; kritisch zu dem
von Hoerster erhobenen "Speziesismus"-Vorwurf: Hruschka, JZ 1991, 507, 508; Stürner, JZ
1991,505,506.
80 Zippelius, Gerechtigkeit, S. 329; w.N.b. Sternberg-Lieben, JuS 1986, 673, 677; Vief-
hues, GA 1991,455,458.
81 Hofmann, Festschrift für Krause, S. 119; Merkei, JZ 1996,1145,1152; vgl. auch Vief-
hues, GA 1991,455,456 m. w. N.
82 Vgl. die Nachweise bei Sternberg-Lieben, JuS 1986,673,677; Viefhues, GA 1991,455,
457; ablehnend hierzu: Singer, Ethik, S. 182 ff.
83 Vgl. Singer, Ethik, S. 181 f., der diesen Standpunkt allerdings selbst ablehnt.
III. Der Rekurs auf einen vOl1'ositiv-verbindlichen Begriff des Verbrechens 67

nommen werden, weIche der oben genannten Auffassungen vorzugswürdig er-


scheint. Festzuhalten bleibt aber, daß der Zeitpunkt der Menschwerdung artspezi-
fisch menschlicher Lebewesen eine von nonnativen Erwägungen getragene Wer-
tung darstellt,85 die es im übrigen, jedenfalls dann, wenn man nicht jedes artspe-
zifisch menschliche Wesen per se mit dem absolut geschützten Menschen gleich-
setzt, auch nicht von vornherein ausschließt, einen nach Entwicklungsstufen
abgestuften Rechtsstatus für eine adäquate Lösung zu halten. 86
Daß der Begriff "Mensch" ein nonnativer und kein deskriptiver Begriff ist, zeigt
sich im übrigen auch an der Auseinandersetzung über den Endzeitpunkt des
menschlichen Lebensschutzes. Unstreitig ist, daß der Lebensschutz mit dem Zeit-
punkt des Todes endet. Fraglich ist aber, wann ein Mensch tot ist. Ursprünglich ist
der Todeseintritt mit dem Versagen von Herz und Kreislauf gleichgesetzt worden.
Entwicklungen im Bereich der Reanimations- und Transplantationsmedizin haben
dann sowohl das Abstellen auf ein Kreislaufversagen als auch auf den sog. Herztod
als eine nicht sachgerechte Zäsur erscheinen lassen. 87 Herrschend ist heute das Ab-

84 So Singer, Ethik, S. 232 ff. sowie Hoerster, JuS 1989, 175 ff.; ders., ARSP 1990, 255 ff.;
ders .. Universitas 1991, 19 ff.; ders., Abtreibung, S. 19 ff., 69 ff.; ders., Neugeborene, S. 12 ff.,
der davon ausgeht, daß das Neugeborene ein entsprechendes Überlebensinteresse nicht vor
dem 4. Lebensmonat entwickelt (vgl. Hoerster, Neugeborene, S. 21 f.; ders., Abtreibung,
S. 79 ff.; vgl. auch Singer, Ethik, S. 197), der aber - wegen der Unsicherheit im Einzelfall -
aus "pragmatischen Gründen" im Rahmen einer rechtlichen Regelung dann doch auf den
Zeitpunkt der Geburt abstellen will; vgl. Hoerster, JZ 1991,503 f.; ders., GA 1992,245,248;
ders., Abtreibung, S. 128 ff.; ders., Neugeborene, S. 23 ff.; vgl. auch Singer, Ethik, S. 222).
Für eine Beschränkung auf personale Wesen - unter Ausschluß von Föten und Säuglingen -
als selbständige Interessenträger auch Papageorgiou, Schaden, S. 185 ff. Demgegenüber will
Merkei, in: Hegselmann/Merkel, S. 110 eine ,,minimale Fähigkeit zur subjektiven Empfin-
dung der eigenen Existenz" ausreichen lassen.
8S Fechner, in: Günther I Keller, S. 49 f.
86 Vgl. z. B. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Art. I I Rdnr. 51; Eser, Neuartige
Bedrohungen, S. 33 f., 40 ff.; ders., in: Günther I Keller, S. 122 ff.; Günther, in: Günther IKel-
ler, S. 138 f.; Hilgendorf, MedR 1994,429,430 ff.; ders., MedR 1995,396; ders., NJW 1996,
758,761; Jung, ZStW 100 (1988), 3, 32 ff.; Arthur Kaufman, JZ 1987,837,845; Loseh,
NJW 1992,2926,2930 f.; Singer, Ethik, S. 197; Stemberg-Lieben, JuS 1986,673,677; Zip-
pelius, Gerechtigkeit, S. 331 f.; kritisch hierzu Hoerster, Abtreibung, S. 47 ff.; ders., MedR
1995,394 f.; ders., NJW 1997,773,774, der allerdings selbst auch den ,.Respekt vor indivi-
duellem menschlichen Leben" als einen für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit noch nicht
geborener menschlicher Lebewesen relevanten Gesichtspunkt anerkennt (Hoerster, Abtrei-
bung, S. 109 f.). Der Unterschied zu dem z. B. von Günther und Jerouschek vertretenen An-
satz, die grundsätzliche Schutzwürdigkeit des Embryos aus einer Ausstrahlungswirkung der
Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. I Abs. I GG als Teil der objektiven Werteordnung abzuleiten (vgl.
H.-L. Günther, GA 1987,433,436; Jerouschek, JZ 1989,279,284 f.), besteht damit nicht im
Ansatz, sondern darin, daß Hoerster zu anderen Abwägungsergebnissen gelangt, weil er die
Interessen der Schwangeren höher gewichtet als das öffentliche Interesse an der Achtung des
Respekts vor individuellem menschlichen Leben (vgl. Hoerster, Abtreibung, S. 112 f.).
87 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rdnr. 16; Geilen, Festschrift für
Heinitz, S. 380 f.; Höfling, JZ 1995,26,28; Spiuler, JZ 1997,747,748; Stemberg-Lieben, JA
1997,80, 81 f.; Stratenwerth, Festschrift für Engisch, S. 531 ff.


68 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

stellen auf den sog. Himtod, d. h. den irreversiblen Ausfall der Gehirnfunktionen. 88
Abgesehen davon, daß auch hier zu klären bleibt, ob der Ausfall sämtlicher Hirn-
funktionen (sog. Gesamthirntodkonzept) oder aber der Ausfall der höheren Gehirn-
funktionen maßgebend sein soll,89 hat die durch die modeme Intensivmedizin er-
öffnete Möglichkeit, den Körper himtoter Menschen über nicht unerhebliche Zeit-
räume hinweg am endgültigen Absterben zu hindern, die Frage aufgeworfen, ob
man nicht - um der Gefahr entgegenzuwirken, daß Gehimtote als "Ersatzteillager"
mißbraucht werden - auf den unwiderruflichen Ausfall aller Organe abstellen sollte
(Hirn-Herz-Kreislauftod)90 oder andersherum - im Interesse etwaiger Organemp-
ranger - bereits der alsbaldig zu erwartende Eintritt des Gesamthirntodes als
Todeszeitpunkt angenommen werden sol1.91 Auch hier zeigt sich: der Tod ist kein
Ereignis, das erfahrungswissenschaftlieh "erkannt" werden kann, sondern eine Zä-
sur, die aufgrund normativer Maßstäbe gesetzt wird92 und bei der - wiederum -
auch die Möglichkeit eines gestuften Schutzes nicht von vornherein ausgeschlossen
ist. 93
Der Notwendigkeit normativer Zäsuren kann schließlich auch nicht mit der Er-
wägung die Spitze genommen werden, daß das legitime Strafrecht auf einen Kern-
bereich stets und immer als Untaten aufgefaßter Verhaltensweisen begrenzt werden
müsse bzw. begrenzt werden könne. Ein Blick in die Rechtsgeschichte zeigt
schnell, daß selbst die aus heutiger Sicht zum Kernbestand der weitgehend konsen-
tierten Wertungen zu zählende Zäsur der Geburt als Beginn des Tötungsverbotes in
anderen Epochen anders gesehen wurde 94 und gerade zu Beginn der Neuzeit das

88 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rdnr. 18; Hurtado Pozo, Partie
speciale, Rdnrn. 35 ff.; Maurach I Schroeder I Maiwald, StrafR BT I, § I Rdnr. 12; Taupitz,
JuS 1997, 203, 207; Trechsel, SchwStGB, Vor Art. 111 Rdnr. 4, jeweils m. w. N.; kritisch
zum Hirntodkonzept als "Ausdruck eines reduzierten Menschenbildes" z. B. Höfling, JZ
1995,26,32.
89 Vgl. Spiuler, JZ 1997,747,749 f.; Sternberg-Lieben, JA 1997,80,82 ff.

!IO Vgl. Höfling, JZ 1995,26,30; Sternberg-Lieben, JA 1997,80,85; Taupitz, JuS 1997,


203,207, jeweils m. w. N. Ablehnend hierzu: Eser, in: Schönkel Schröder, Vorbem. §§ 211 ff.
Rdnr. 18.
91 So Dencker, NStZ 1992,311,314 f.; a.A. Joerden, NStZ 1993,268,269 f.

92 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rdnr. 18; Geilen, Festschrift für Hei-
nitz, S. 385 ff.; Keller, ZStW 107 (1995), 457, 470 ff.; Merkel, in: Hegselmann/Merkel,
S. 88 ff.
93 Vgl. hierzu Spittler, JZ 1997,747,751.

94 V gl. Fechner, in: Günther I Keller, S. 44; Hruschka, JZ 1991, 507, 508 sowie i.e. Jerou-
schek, Lebensschutz, S. 12 ff., 26 ff., 276 ff.) mit dem Hinweis darauf, daß in antiken Gesell-
schaften Neugeborene erst mit der Annahme durch den Vater zu Mitgliedern der Gesellschaft
wurden. Die im Mittelalter einsetzende Bewertung der Abtreibung als Untat ist zunächst we-
sentlich durch christlich-kirchliche Einflüsse geprägt (vgl. Jerouschek, Lebensschutz, S. 30 ff.,
62 ff.; Singer, Ethik, S. 121 f., 223 f.). Die in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik
Deutschland gescheiterte und in anderen europäischen Ländern durchgesetzte sog. Fristenlö-
sung ist in der Sache nichts anderes als die Rückkehr zu der auf dem Sukzessivbeseelungs-
dogma beruhenden gemeinrechtlichen Rechtszustand (vgl. hierzu i.e. Jerouschek, Lebens-
III. Der Rekurs auf einen vorpositiv-verbindlichen Begriff des Verbrechens 69

Abtreibungsverbot nicht auf die Menschqualität des noch nicht geborenen Fötus,
sondern auf das öffentliche Interesse des Staates an der Mehrung der Bevölkerung
gestützt wurde. 95

b) Festlegung der Art und Weise des strafrechtlichen Schutzes

Des weiteren darf nicht verkannt werden, daß bei Pönalisierungsentscheidungen


- abgesehen möglicherweise von Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 96 - stets
auch entschieden werden muß, "wie", d. h. gegen welche Art von Beeinträchtigun-
gen ein Rechtsgut in welcher Weise strafrechtlich geschützt werden soll. Daß zu-
mindest die Entscheidung über das "Wie" des Strafrechtsschutzes den Stand und
Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht außer acht lassen darf, läßt sich
plastisch am Fall der Gebrauchsanmaßung an einem Pferd demonstrieren, eine
Verhaltensweise deren soziale Bedeutung und Strafwürdigkeit maßgebend davon
abhängt, ob es sich bei einem Pferd um ein überlebenswichtiges Arbeits- oder
Transportmittel oder aber um ein Tier handelt, dessen Verfügbarkeit allein im Rah-
men der Freizeitgestaltung von Bedeutung ist. 97
Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung des Waren- und Geldverkehrs: Die mit
der Einführung des Münzgeldes entstandenen besonderen Deliktsfonnen der
Münzverringerung 98 haben mit der Einführung des Papier- und Giralgeldes ihre
Bedeutung verloren bzw. sind durch andere Deliktsfonnen abgelöst worden. 99 Die
zunehmend komplexer ausgestalteten Wirtschaftsabläufe haben nicht nur neuartige
Möglichkeiten des Zugriffs auf das Eigentum und Vennögen anderer geschaf-
fen,lOo sondern auch die besondere Bedeutung des Schrift- und Beweisverkehrs
mit Urkunden begründet. 101 In gleicher Weise hat die technische Entwicklung so-
dann die Problematik der Einbeziehung von Fotokopien 102 und technischen Auf-
zeichnungen 103 in den althergebrachten Urkundenbegriff begründet. Hinzuweisen
ist schließlich auf die mit der Einführung der Computertechnologie verbundenen

schutz, s. 136 ff., 279; Maurach I Schroeder I Maiwald, StrafR BT, Teilbd. I, § 5 Rdnrn. 9,
13).
95 Vgl. Jerouschek, Lebensschutz, S. 208, 231, 285 sowie S. 261 f. unter Hinweis auf die
entsprechenden Positionen Feuerbachs und Mittennaiers.
96 Vgl. Gallas, Grenzen, S. 12.

97 Hasserner, Theorie, S. 150; vgl. auch Köhler, StrafR AT, S. 36.

98 Vgl. Radbruch/Gwinner, Geschichte, S. 258 ff.

99 R. Hasserner, Schutzbedürftigkeit, S. 27.

100 Vgl. hierzu: Hasserner, Theorie, S. 234 ff.


101 Hasserner, Theorie, S. 129; Hohmann, Rechtsgut, S. 141; M. J. Wonns, Bekenntnisbe-
schimpfung, S. 63.
102 Vgl. Hasserner, Theorie, S. 106 ff.
103 Zaczyk, Unrecht, S. 178.
70 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Auswirkungen auf den Ablauf des Wirtschaftsverkehrs und hieraus resultierend


der Ausgestaltung der Eigentums- und Vermögensdelikte. 104
Andere technische Entwicklungen - vom Straßenverkehr lO5 bis hin zu gentech-
nischen Eingriffen in das Erbgut - haben neuartige Gefährdungen für Leib und Le-
ben begründet. Schließlich haben Veränderungen des gesellschaftlichen Bewußt-
seins dazu geführt, daß die Einschätzung der von bestimmten Verhaltensweisen
ausgehenden Bedrohung revidiert wurde, mit der Folge, daß sich bestimmte De-
likte - wie z. B. Zauberei und Hexerei - vor dem Hintergrund des aktuellen gesell-
schaftlichen Bewußtseins als auf fehlerhaften Annahmen aufbauende Scheinpro-
bleme erwiesen haben und folgerichtig beseitigt worden sind. 106
Welche Verhaltensweisen als strafwürdiges Kriminalunrecht anzusehen sind,
kann nach alledem nicht aus dem gesellschaftlichen Nichts heraus "erkannt" wer-
den. Konkrete Straftatbestände sind das Ergebnis sinnstiftender Interpretation
wahrgenommener gesellschaftlicher Wirklichkeit. Sie werden in einem Verfahren
konstituiert, das als ein durch gewachsene soziale Werterfahrungen determinierter
und damit vom Kontext geschichtlicher Werterfahrung abhängiger Prozeß zu sehen
ist. 107 Wegen der Anbindung an die Bedingungen der Vergesellschaftung kann es
keinen absoluten, sondern nur einen relativen, d. h. einen innerhalb eines bestimm-
ten gesellschaftlichen Systems gültigen Verbrechensbegriff geben. 108 Auch das
Strafrecht kann sich der "Geschichtlichkeit des Rechts,,109 nicht entziehen. I 10

104 Vgl. im einzelnen hierzu unten S. 151 ff.


105 Vgl. Hassemer, Theorie, S. 147/148; Hohmann, Rechtsgut, S. 113; Köhler, StrafR AT,
S. 36; Zaczyk, Unrecht, S. 179.
106 Vgl. Hassemer, Theorie, S. 128 f., 222 f.; Zaczyk, Unrecht, S. 180. Die Annahme, es
handele sich beim Phänomen der Hexerei und Zauberei um das Ergebnis einer auf irrationa-
len Prämissen beruhenden Weitsicht ist allerdings nur und erst aus heutiger Sicht zutreffend
(vgl. Coing, Rechtsphilosophie, S. 166).
107 Frisch, Festschrift für Stree/Wessels, S. 72; Hassemer, Theorie, S. 106 ff., 124 ff.,
147 ff., 227 ff.; ders., Grundlinien, S. 92; ders., in: NK, Vor § I Rdnr. 283; Hohmann, Rechts-
gut, S. 112 ff.; Köhler, StrafR AT, S. 36; Marx, Definition, S. 46; Stratenwerth, StrafR AT,
Rdnr. 56; ders., SchwStrafR AT I, § 2 Rdnr. 12; M. J. Worms, Bekenntnisbeschimpfung,
S. 62 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 165 ff.
108 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 209 f.; Frisch, Festschrift für Stree/Wessels, S. 71 f.;
Hurtado Pozo, Partie generale, Rdnm. 37 f.; Kunz, Bagatellprinzip, S. 134, 144; Straten-
werth, Strafrechtsreform, S. 21 f.; ders., StrafR AT, Rdnr. 56; ders., SchwStrafR AT I, § 2
Rdnr. 12; Zipf, Kriminalpolitik, S. 92.
109 Vgl. allgemein: Coing, Rechtsphilosophie, S. 159 ff., 178; Arthur Kaufmann, Ge-
schichtlichkeit, S. 4 und passim.
110 Gallas, Grenzen, S. 16 f.; Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 456; Zaczyk, Unrecht,
S. 178 ff.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 71

IV. Ablösung strafrechtlicher Normen durch


andere Instrumente zur Regelung sozialer Konflikte

1. Subsidiarität strafrechtlicher Normen


gegenüber nicht-repressiven Instrumentarien
a) Das Verhältnis von Repression und Prävention

Dogmatischer Ansatzpunkt der von Hassemer, insbesondere aber von Peter-Ale-


xis Albrecht propagierten "Hinwendung zu adäquaten Steuerungsformen und an-
gemessenen Steuerungsmedien, die das Zivilrecht, das öffentliche Recht und das
Sozialrecht bereithalten",1\1 ist der im Grundsatz allgemein anerkannte subsidiäre
Charakter strafrechtlicher Normen. Der wesentliche Gehalt des Subsidiaritätsprin-
zips wird gemeinhin darin gesehen, daß Strafrechtsnormen als das gewichtigste In-
strument staatlicher Sozialkontrolle nur dann zur Anwendung kommen sollen,
wenn andere Instrumente zur Regelung eines sozialen Kontaktes nicht zur Verfü-
gung stehen. JJ2 Als zur Regelung sozialer Konflikte vorrangig in Betracht zu zie-
hende Instrumente gelten unter anderem Maßnahmen der polizeilichen Gefahren-
abwehr, öffentlich-rechtliche Fürsorgemaßnahmen, Selbstschutzmaßnahmen des
(potentiellen) Opfers unter Einschluß des Gebrauchmachens von zivilrechtlichen
Ersatzansprüchen sowie schließlich Formen der informellen Sozialkontrolle. JJ3
Im Hinblick auf die als wesentliche Teilbereiche des "modemen" Strafrechts im
Vordergrund der Kritik stehenden Normen des Umwelt-, Wirtschafts- und Betäu-
bungsmittelstrafrechts sind eine Vielzahl alternativer Instrumentarien benannt wor-
den. So wird beispielsweise vorgeschlagen, umweltstrafrechtliche Normen durch
marktorientierte Steuerungsmodelle zu ersetzen, die sich an der Höhe der verur-
sachten Emissionen orientieren und deren Zielsetzung darin bestehen soll, Maß-
nahmen zum Umweltschutz über die Androhung sonst eintretender finanzieller
Nachteile zu erzwingen. 1\4 Andere Autoren befürworten eine Verschärfung des zi-

1I1 Vgl. oben S. 51 ff.


112 BVerfGE 39, 1,47; Graven, L'infraction, S. 9 ff.; H.-L. Günther, JuS 1978,8, 11; R.
Hasserner, Schutzbedürftigkeit, S. 19 ff.; Arthur Kaufmann, Festschrift rur Henkel, S. 102;
Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 13; Roos, Entkriminalisierungstendenzen,
S. 215 f.; Roxin, JuS 1966,377,382; ders., StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 28; Rudolphi, in:
SKStGB, Vor § I Rdnr. 14; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 3 Rdnr. 12; Trechsel/Noll,
StrafR AT I, S. 25 f.; vgl. auch Haffke, KritV 1991, 165 f.
Hintergrund dieses Ansatzes ist die verfassungsrechtliche Verankerung des Subsidiaritäts-
prinzips als Teil des verfassungsrechtlich fundierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Zu
den sich aus der verfassungsrechtlichen Ausgangsssituation Österreichs ergebenden Abwei-
chungen vgl. Lewisch, Verfassung, S. 227 ff.
1I3 Vgl. z. B. Maurach/Zipf, StrafR AT, 1. Teilbd., § 2 Rdnr. 12 sowie ausführlich: Stäche-
lin, Strafgesetzgebung, S. 137 ff.
1I4 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 192; Hasserner, Neue Kriminalpolitik 1989,
46,49; Hohmann, Rechtsgut, S. 210 ff.; Meurer, NJW 1988,2065,2071; Rüther, KritV 1993,
227,244; Schall, wistra 1992, 1,7 ff.; kritisch hierzu: Heine/Meinberg, GA 1990, 1,6 f.
72 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

vilrechtlichen Haftungssystems. 115 Zu denken wäre weiterhin an eine stärkere Be-


tonung ökologischer Gesichtspunkte im Rahmen des Umweltverwaltungsrechts so-
wie die Etablierung organisierter "Gegenmacht" durch eine stärkere Beteiligung
gesellschaftlich relevanter Gruppen an umweltrelevanten Entscheidungsfindungs-
prozessen. 116 Des weiteren werden Maßnahmen im Bereich der Umwelt- und Wirt-
schaftsstrukturpolitik sowie Sozial- und Gesundheitspolitik gefordert, durch die
die Ursachen der entsprechenden Problemstellungen angegangen werden. 117 Insbe-
sondere im Hinblick auf das Wirtschaftsstrafrecht wird darüber hinaus auf die
Selbstverantwortlichkeit der Teilnehmer des Wirtschaftsverkehrs verwiesen. 118
Schließlich werden Maßnahmen der sog. technischen Prävention propagiert; bei-
spielsweise soll über die Einführung von Meldepflichten bei bestimmten fiskalpo-
litisch relevanten Vorgängen die Begehung von Steuerstraftaten, durch die Einfüh-
rung von Wegfahrsperren oder anderer technischer Mittel die Begehung von Kraft-
fahrzeugdiebstählen und über die Rotation von Behördenmitarbeitern und / oder
die Einführung von Kontrollausschüssen die Begehung von Korruptionsdelikten
wesentlich erschwert, vielleicht sogar weitgehend unmöglich gemacht werden. 119
Implizit liegt diesen Vorschlägen die Prämisse zugrunde, daß sowohl umwelt-
schädigende als auch wirtschaftsdelinquente Verhaltensweisen wie auch der Um-
gang mit bestimmten Suchtstoffen als Verhaltensweisen unerwünscht sind und un-
erwünschte Konsequenzen nach sich ziehen. Daß vor diesem Hintergrund sowohl
Maßnahmen der technischen Prävention als auch die auf die Bewältigung gesell-
schaftlicher Probleme abzielenden strukturpolitischen Entscheidungen unabhängig
von jeder präventiv oder repressiv ausgerichteten normativen Regelung als not-
wendige Instrumente der Bewältigung sozialer Konflikte anzusehen sind, sollte un-
streitig sein. Zweifelhaft erscheint dagegen, daß Maßnahmen der technischen Prä-
vention oder aber präventiv bzw. restitutiv konzipierte Normprogramme repressive
Normen überflüssig machen.
Im Hinblick auf Maßnahmen der technischen Prävention ist anzumerken, daß
derartige Maßnahmen regelmäßig nicht die den jeweiligen sozialen Konflikten zu-
grundeliegenden Ursachen beseitigen, sondern vielmehr darauf abzielen, konkrete
Begehungsweisen zu erschweren oder zu unterbinden. Konkret bedeutet dies, daß
Maßnahmen der technischen Prävention die Begehung von Straftaten nur bis zu

115 Schall, wistra 1992, 1, 7 sowie Hohmann, Rechtsgut, S. 213 ff., der allerdings seIbst
einräumt, daß die Verschärfung des zivilrechtlichen Haftungssystems den Einsatz strafrechtli-
cher Zwangsmittel nicht vollständig zu ersetzen vermag (a. a. 0., S. 217); vgl. auch Tucht-
feldt, ZStR 94 (1977), 214, 226 ff., der hierin ,.flankierende Maßnahmen" sieht.
116 Rüther, KritV 1993,227,244; vgl. auch F. Herzog, ZStW 105 (1993), 727, 749 f., be-
zogen auf die Kontrolle gentechnischer Forschung.
117 Vgl. Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 192 und 198; Hassemer, KritV 1993,
198,211 f.; ders., StV 1994, 333, 337.
118 Vgl. z. B. Kindhäuser, Legitimität, S. 133.

119 Vgl. Peter-A1exis Albrecht, KritV 1988, 182, 199; Dölling, Gutachten, C 44 ff.; Hasse-
mer, StV 1994, 333, 336; Ransiek, StV 1996,446,451/452,453.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 73

dem Zeitpunkt zu unterbinden vermögen, bis zu dem sich die Täter den neuen Ge-
gebenheiten angepaßt haben, was regelmäßig entweder in der Art geschieht, daß
sich die Begehungsweisen oder aber die Angriffsobjekte verändern. 120 Weiterhin
darf nicht verkannt werden, daß durch Maßnahmen der technischen Prävention
zwar einerseits das Ziel des "target hardening" erreicht werden kann, daß hiermit
aber als unerwünschte Nebenfolge zwangsläufig auch Einschränkungen der perso-
nalen Freiheitssphäre verbunden sind, wenn der private Lebensraum zur Festung
und im Extremfall zum selbstgeschaffenen Gefängnis des potentiellen Opfers
wird. 121
Zweifel daran, daß die Regelung sozialer Konflikte allein durch zivilrechtliche
Normprogramme sachgerecht erfolgen kann, leiten sich zunächst aus dem Um-
stand ab, daß die diesen Normprogrammen überantwortete Reaktion auf bestimmte
soziale Konflikte notwendigerweise sowohl von den individuellen Integritäts- und
Rehabilitierungsinteressen des betroffenen einzelnen als auch von dessen persönli-
cher Durchsetzungsmacht abhängig iSt. 122 Zivilrechtliche Normprogramme allein
erscheinen damit dann als unzureichend, wenn es um Konflikte geht, bei denen
entweder ein als Schaden einer konkreten Person zu definierender Erfolg nicht vor-
liegt, was insbesondere bei im Umweltbereich auftretenden sog. Langzeit- und
Summationsschäden der Fall sein kann,123 wenn es um die Regulierung von Kon-
flikten geht, bei denen die Durchsetzung einer Rechtsposition den Einzelnen über-
fordern würde 124 oder bei denen eine Reaktion im öffentlichen Interesse unabding-
bar erscheint und deswegen nicht von der persönlichen Bereitschaft des - mögli-
cherweise nur zufällig bzw. stellvertretend - betroffenen Einzelnen abhängig sein
sol1. 125 Hinzu kommt, daß ein allein auf die Restitution beschränktes Normensy-
stem die Problematik aufwirft, daß es schon aufgrund faktisch bestehender Entdek-
kungs- und Vollzugsdefizite geradezu rational wäre, zumindest die Option wahrzu-
nehmen, andere Personen zu schädigen. 126

120 Vgl. Kaiser, Kriminologie, § 31 Rdnrn. 27 f., insbesondere zu den Auswirkungen der
Maßnahmen zur technischen Prävention beim Bankraub; tendenziell optimistischer dagegen:
Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 140.
121 Sessar, MschrKrim 1997, 1, 16 f.

122 Albrechtl Heinel Meinberg, ZStW 96 (1984), 943, 947; Heine/Meinberg, GA 1990,1,
9.
123 Vgl. Hefendehl, GA 1997, 119, 134; Heine/Meinberg, GA 1990, 1,9; Schall, wistra
1992, 1,9; Stratenwerth, ZStW 105 (1993),679, 687 f.
124 Vgl. E. Brandt, Bedeutung, S. 149 sowie Roos, Entkriminalisierungstendenzen, S. 56
mit dem Hinweis darauf, daß Rechtsgüterschutz nicht zu einer allein für den sozial Besserge-
stellten erreichbaren Ware werden darf.
125 Vgl. Amelung, JZ 1983,617,618; Hefendehl, GA 1997, 119, 126.

126 Niggli, ZStR 111 (1993), 236, 248 ff.; Rehberg. Strafrecht I, S. 4. Soweit - um diesem
Einwand den Boden zu entziehen - die Integration pönaler Elemente in das zivilrechtliehe
Haftungssystem befürwortet wird (vgl. Rosengarten, NJW 1996, 1935, 1937 f.; Stächelin,
Strafgesetzgebung, S. 147 ff.), würde dies auf eine bloße Umetikettierung hinauslaufen. Dar-
über hinaus wäre die Gefahr gegeben, daß von der nun nicht mehr als "Strafe", sondern als
74 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

Im Hinblick auf die geforderte stärkere Verankerung bzw. Betonung bestimmter


Werte in verwaltungsrechtlichen Normprogrammen ist festzustellen, daß selbst die
Befürworter der Anhebung ökologischer Standards davon ausgehen, daß die Ver-
handlungs- und Konsensorientierung der Umweltverwaltung die Durchsetzung der
für notwendig erachteten Maßnahmen des Umweltschutzes in Frage stellt und des-
wegen ein unter ökologischen Gesichtspunkten verschärftes Umweltverwaltungs-
recht zu seiner Durchsetzung und Absicherung unstreitig der Ergänzung und Absi-
cherung durch strafrechtliche Normen bedarf. 127 Gleiches gilt für den Vorschlag,
die Interessen betroffener gesellschaftlicher Gruppen bzw. der Gesellschaft als
Ganzes durch die Teilhabe gesellschaftlich relevanter Gruppen am Prozeß der Ent-
scheidungsfindung zu gewährleisten. Wenn selbst die Be.fürworter prozedural gere-
gelter Muster der Konfliktbewältigung davon ausgehen, daß zumindest die Teil-
nahme und loyale Mitwirkung an diesem Verfahren der Entscheidungsfindung
durch staatlichen Zwang und damit auch durch stratbewehrte Verhaltensgebote si-
cherzustellen ist,128 wird deutlich, daß die präventiven die repressiven Normpro-
gramme nicht ersetzen, sondern nur den Vorrang bekommen sollen. Das Legitimi-
tätsproblem ist damit allerdings nicht gelöst, sondern nur verschoben: kann es legi-
tim sein, die (loyale) Mitwirkung an einem Verfahren zu erzwingen, dessen Ziel-
setzung selbst mit strafrechtlichen Mitteln nicht erzwungen werden darf?
Schließlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Einsatz präventiv ausge-
richteter Instrumentarien nicht ausschließen kann, daß es nicht doch - zumindest
in Einzelfällen - zu Beeinträchtigungen oder Störungen der jeweils geschützten In-
teressen kommen wird. 129 Wenn nun aber die Beeinträchtigung bestimmter Inter-
essen als "eigentlich" strafwürdig erscheint, würde die Entscheidung, die Stratbe-
dürftigkeit zu verneinen, weil ein sozialer Konflikt grundsätzlich auch auf andere
Weise geregelt werden kann, voraussetzen, daß die Beeinträchtigung "eigentlich"
strafschutzwürdiger Interessen dann hinnehmbar ist, wenn es sich um quantitativ
nicht ins Gewicht fallende Größen handelt. Abgesehen davon, daß unklar ist, ab
wann und unter welchen Voraussetzungen die Beeinträchtigung bestimmter Inter-
essen als nicht mehr relevant anzusehen ist, kann dieser Ansatz zumindest dann
nicht überzeugen, wenn es um Beeinträchtigungen personaler Belange bestimmter
Individuen oder aber um gewichtige überindividuelle soziale Belange geht. Da die
Entscheidung, ob man die beim Einsatz präventiv ausgerichteter Instrumentarien
verbleibenden Restrisiken aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive hinnehmen

Teil des rechtsstaatlich grundSätzlich unbedenklich erscheinenden "Schadensersatzes" ver-


standenen Sanktion unreflektiert und in weiterem Umfang Gebrauch gemacht werden würde,
als dies der Fall wäre, wenn "Strafen" angedroht werden (a.A. Lüderssen, Festschrift für Ar-
thur Kaufmann, S. 496 f., dessen Forderung nach einem "obrigkeitlich ausgestalteten Zivil-
prozess" (Einleitung, S. 107) in den Konsequenzen weitgehend dunkel bleibt).
127 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 192; Heine/Meinberg, GA 1990, I, 8 ff.;
Schall, wistra 1992, \, 9.
128 Vgl. Z. B. F. Herzog, ZStW \05 (1993), 727, 750 f.
129 Vgl. H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 193/194.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 75

kann oder sogar hinnehmen muß, jedenfalls auch von der Wertigkeit des geschütz-
ten Interesses mitbeeinflußt wird, ist zu konstatieren, daß präventiv und repressiv
wirkende Maßnahmen jedenfalls im Hinblick auf den Schutz gewichtigerer Inter-
essen von vornherein gar nicht im Verhältnis des "entweder-oder", sondern viel-
mehr in dem des "sowohl-als-auch" stehen. 130
Daß die Streichung von Strafrechtsnormen im übrigen nicht zwingend mit ei-
nem Zuwachs an personaler Freiheit gleichgesetzt werden kann,131 zeigt sich dar-
an, daß ein sozialer Konflikt stets durch andere Maßnahmen als den Einsatz straf-
rechtlichen Zwanges bewältigt werden kann - nötigenfalls eben durch den Ab-
bruch sozialen Kontaktes. 132 Abgesehen davon, daß dies letztlich zu einem im
Hinblick auf die Freiheitssphäre des Einzelnen möglicherweise inakzeptablen
Rückzug in einen als Festung ausgestalteten privaten Lebensraum führen könnte,
ist anzumerken, daß der Wegfall strafbewehrter Verhaltensnormen die Möglichkei-
ten sozialer Interaktion nur theoretisch für alle Mitglieder der Gesellschaft erwei-
tert, tatsächlich aber nur denjenigen zugute kommt, die faktisch in der Lage sind,
von diesem Freiheitsangebot - nötigenfalls auch gegen den Willen anderer - tat-
sächlich Gebrauch zu machen. 133 Vor diesem Hintergrund bedarf der Satz, daß
Strafrechtsnormen im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip erst dann zur Anwen-
dung kommen dürfen, wenn andere Instrumente zur Regelung eines sozialen Kon-
fliktes nicht zur Verfügung stehen, einer einschränkenden Ergänzung dahingehend,
daß als Alternativen zur Anwendung strafrechtlichen Zwanges allein solche Maß-
nahmen in Betracht kommen können, deren Auswirkungen die Personen treffen,
denen legitimerweise die Konsequenzen der Bewältigung des sozialen Konfliktes
aufgebürdet werden kann. 134

b) Konsequenzen für das "moderne" Strafrecht?

Selbstschutzmöglichkeiten potentieller Opfer kommen als eine repressive Maß-


nahmen ausschließende Alternative zur Bewältigung eines sozialen Konfliktes
dann in Betracht, wenn das potentielle Opfer entweder über ausreichende Selbst-
schutzmöglichkeiten verfügt, die es realisieren kann, ohne hierdurch gewichtige ei-
gene Interessen zu beeinträchtigen, bzw. dann, wenn die Integrität der betroffenen

130 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 79; Weber, ZStW 96 (1984), 376, 379 f.


131 Treffend hierzu bereits H.-L. Günther, JuS 1978,8, 10; vgl. auch Appel, Verfassung,
S. 412 ff.; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 101/102, 133 ff.; tendenziell a.A. wohl Prittwitz,
Das deutsche Strafrecht, S. 396.
132 Vgl. R. Hasserner, Schutzbedürftigkeit, S. 25 f.; Jakobs, StrafR AT, 2/27; Prittwitz,
Das deutsche Strafrecht, S. 396.
133 Vgl. Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 749.

134 Jakobs, StrafR AT, 2/27; vgl. auch Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 129 ff., der darauf
hinweist, daß auch die nicht intendierten Nebenfolgen einer Pönalisierung zu beachten sind.
76 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Interessen des Opfers aus anderen Gründen - unter nonnativen Gesichtspunkten 135
- als nicht schutzwürdig erscheint. 136 Selbst wenn dem Opfer der eigenverantwort-
liche Schutz seiner Interessen grundsätzlich zugemutet werden kann, erscheinen
Straftatbestände jedenfalls dann nicht als illegitim, wenn sie (allein) die Fallgestal-
tungen erfassen, in denen der Tater die dem Opfer legitimerweise zumutbaren
Selbsthilfemaßnahmen unterläuft. 137 Ein Beispiel hierfür ist der Straftatbestand
des Betruges (§ 263 dStGB / Art. 146 schwStGB), durch den die durch Tauschung,
nicht aber die durch bloße - täuschungsfreie - Überredung herbeigeführte Selbst-
schädigung im Vermögensbereich unter Strafe gestellt wird. I38 Der Ansatz, den
Einsatz strafender Sanktionen durch Maßnahmen des Selbstschutzes nicht nur zu
ergänzen, sondern zu ersetzen, kann nach alledem nur in einem sehr eingeschränk-
ten Umfang auf das Subsidiaritätsprinzip gestützt werden. Als ein Beispiel für die
Fallgestaltungen, in denen die Einführung einer Strafrechtsnorm eine Freiheitsbe-
schränkung nicht nur für den "Tater", sondern auch für das "Opfer" bedeutet, 139
kann auf den Straftatbestand des Scheck- und Kreditkartenmißbrauchs (§ 266b
dStGB) verwiesen werden, der den faktisch ohne weiteres zum Selbstschutz fähi-
gen Kreditinstituten letztlich gegen deren erklärten Willen vom Gesetzgeber ge-
radezu aufgezwungen wurde. 140
Im Hinblick auf Maßnahmen des präventiven Verwaltungszwanges hat der Ge-
setzgeber abzuwägen, welche Belastungen welchen Personen und / oder Institutio-
nen zur Vermeidung unerwünschter Konsequenzen bestimmter gesellschaftlicher
Entwicklungen aufgebürdet werden dürfen. Die Argumentation, der angedrohte
strafrechtliche Zwang treffe "nur" etwaige Normbrecher, während tatsächlich flä-
chendeckende Maßnahmen des präventiven Verwaltungszwanges, wie z. B. Aus-
kunfts- und Meldepflichten, auch die sich nonnkonform verhaltende Mehrheit der
Mitglieder einer Gesellschaft in ihrem Freiheitsstatus einschränken,141 vernachläs-

135 Zur Notwendigkeit einer normativen Bewertung vgl. R. Hassemer, Schutzbedürftig-


keit, S. 32 ff., 72.
136 Vgl. E. Brandt, Bedeutung, S. 149; Kratzseh, Verhaltenssteuerung, S. 365; ders., Fest-
schrift für Oeh1er, S. 75 f.; Schünemann, Festschrift für Faller, S. 262; ders., NStZ 1986,439;
ders., Festschrift für R. Schmitt, S. 128.
137 H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 194; A. Worms, An1egerschutz, S. 288 ff.; We-
ber, NStZ 1986,481,486.
138 Vgl. R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit, S. 43 ff.; Kratzseh, Festschrift für Oehler, S. 73.

139 Vgl. Kratzseh, Verhalte~ssteuerung, S. 364.

140 Vgl. hierzu einerseits Haffke, KritV 1991, 165, 167 ff. und andererseits Lagodny, Straf-
recht, S. 352 f., 356 ff. Zur entsprechenden Problematik bei Art. 148 schwStGB vgl. Schu-
barth, ZStW 92 (1980), 80, 92 ff.
141 Vgl. hierzu die kontroversen Stellungnahmen von Appel, Verfassung, S. 402 f., 407 f.,
542 ff.; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 291 f.; Heinz, GA 1977, 193, 198; F. Herzog, Ge-
sellschaftliche Unsicherheit, S. 119 ff.; Lagodny, Strafrecht, S. 345 ff.; Otto, ZStW 96
(1984),339,362; ders. MschrKrim 1980,397,404; Tiedemann, ZStW 87 (1975), 253, 266 f.;
ders., Strafrecht, S. 463 f.; ders., Festschrift für Stree/Wessels, S. 531; Volk. JZ 1982, 85, 88;
Weber, ZStW 96 (1984), 376, 380 f.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 77

sigt den spezifischen Charakter und das unterschiedliche Gewicht der jeweils in
Rede stehenden Beeinträchtigungen. Ebensowenig wie allein die bloße Anzahl der
von der Regelung eines sozialen Konfliktes Betroffenen entscheidend sein kann,
kann das Gewicht der in der Bestrafung liegenden Einschränkung der Rechtssphäre
durch die Erwägung marginalisiert werden, daß diese "nur" einen Normbrecher
treffe. Entscheidend ist, ob es der Mehrheit l42 zugemutet werden kann bzw. sogar
zugemutet werden muß, bestimmte Einschränkungen einer zunächst als umfassend
gedachten (vorgesellschaftlichen) Freiheitssphäre als Ausdruck immanenter Gren-
zen der gesellschaftlich konstituierten Freiheitssphäre des Einzelnen hinzunehmen.
Unabhängig hiervon ist die Legitimität der in der Strafandrohung und Bestrafung
liegenden Beschränkung der Freiheitssphäre des ,,Normbrechers" zu bewerten. An-
gesichts der schwerwiegenden Konsequenzen der Strafverhängung wird es regel-
mäßig naheliegen, in erster Linie präventive Maßnahmen zu ergreifen. Einem die
präventiven Maßnahmen sinnvoll ergänzenden Einsatz eines für sich gesehen legi-
timierbaren strafrechtlichen Zwanges steht das Subsidiaritätsprinzip aber jedenfalls
dann nicht entgegen, wenn die Pönalisierung einen über die Wirkung präventiver
Maßnahmen hinausgehenden bzw. diese ergänzenden Beitrag zu leisten vermag. 143
Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Der Einsatz repressiv und präventiv ausgerich-
teter Instrumentarien der sozialen Kontrolle steht nicht im Verhältnis des "entwe-
der-oder", sondern in dem des "sowohl-als-auch".I44 Die Entscheidung über die
Anwendung strafrechtlichen Zwangs wird nicht dadurch präjudiziert, daß auch an-
dere Instrumente der sozialen Kontrolle zur Verfügung stehen. Der Einsatz straf-
rechtlichen Zwanges muß aus sich selbst heraus als legitim begründet werden kön-
nen und kann nicht durch alternative zivil- oder öffentlich-rechtliche Instrumenta-
rien bzw. deren Fehlen präjudiziert werden. 145
Die unter Hinweis auf deren angebliche "Ineffektivität" erhobene Forderung
nach Abschaffung strafrechtlicher Normen kann nach alledem nicht auf den subsi-
diären Charakter des Strafrechts gegründet werden, sondern müßte auf das dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz immanente Verbot ungeeigneter oder unangemesse-
ner Zwangsausübung durch die öffentliche Gewalt gestützt werden. Daß die Mög-
lichkeit, mit strafrechtlichen Normen präventive Wirkungen zu erzielen, derzeit
nicht ohne weiteres verneint werden kann und die insoweit bestehenden Bedenken
im übrigen kein spezielles Problem des sog. "modemen" Strafrechts darstellt, ist
bereits dargelegt worden. 146 Die Problematik des unangemessenen Eingriffs kann

142 Vgl. auch Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 151 f., mit dem zutreffenden Hinweis dar-
auf, daß es auch darum gehe zu klären, ob eine bestimmte Regelung der Gesellschaft als sol-
cher zuzumuten ist.
143 Vgl. Grünwald, ZStW 83 (1971), 265 f.; Rudolphi, ZStW 83 (1971),133 ff.

144 Vgl. auch Lagodny, Strafrecht, S. 348,350 f.

145 Vgl. Gallas, Grenzen, S. 11 f. A.A. wohl Hamm, KritV 1993,213,215, der die Auffas-
sung vertritt, daß das Strafrecht überall dort, wo Schadensersatz den Rechtsfrieden nicht voll-
ständig wiederherstellen könne, die Aufgabe der kontrollierten Sozialkontrolle habe.
146 Vgl. oben S. 60.
78 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

nur im Hinblick auf konkrete Straftatbestände und nur unter Heranziehung norma-
tiver Maßstäbe beurteilt werden. Daß sich insoweit im Hinblick auf einige der dem
"modernen" Strafrecht zugerechneten Straftatbestände besondere oder neuartige
Probleme ergeben können, ändert nichts daran, daß die Legitimität dieser Straftat-
bestände aus sich selbst heraus begründet werden muß.

2. Substitution kriminalstrafrechtlicher Normen


durch andere Formen repressiven Zwangs

Das im Subsidiaritätsprinzip verankerte Verbot des übermäßigen Einsatzes staat-


lichen Zwangs umfaßt das Gebot, Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Verhal-
tensgebote bzw. -verbote nur dann kriminalstrafrechtlich zu ahnden, wenn keine
milderen Mittel der Repression zur Verfügung stehen. In der aktuellen Diskussion
um die Berechtigung der kriminalstrafrechtlichen Ahndung wirtschaftsdelinquen-
ter sowie umweltschädigender Verhaltensweisen wird diesbezüglich zum einen
eine Verlagerung der Normen des Wirtschafts- und Umweltstrafrechts in das Ord-
nungswidrigkeitenrecht und zum anderen die Überführung in ein neuartiges, zwi-
schen Zivil- und öffentlichem Recht angesiedeltes sog. "Interventionsrecht" propa-
giert.

a) Das "Interventionsrecht"

Der von Hassemer entwickelte Vorschlag, Strafrechtsnormen mit präventiv-in-


strumentellen Funktionen de lege ferenda aus dem Kernstrafrecht auszugliedern
und in einem gesonderten "Interventionsrecht" zusammenzufassen, soll im wesent-
lichen zwei Vorteile bieten: Zum einen soll der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung
der "Interventionstatbestände" nicht mehr zwingend an die Zurechnungsregeln des
Kernstrafrechts gebunden sein, könnte der Normeffektivität also ein größeres Ge-
wicht einräumen. Zum zweiten soll das verbleibende Kernstrafrecht von instru-
mentellen Funktionen entlastet und so aus seinem legitimatorischen Dilemma be-
freit werden. 147
Einer vertieften Auseinandersetzung mit diesem Ansatz steht der Umstand ent-
gegen, daß Hassemer das von ihm propagierte "Interventionsrecht" bisher weder
in seinen Zurechnungsstrukturen noch in seinen Rechtsfolgen konkret beschrieben
hat,148 eine Auseinandersetzung mit seinem Standpunkt mithin notwendigerweise
weitgehend spekulativen Charakter hätte. Die Annahme Stratenwerths, daß das

Hasserner, ZRP 1992,378,383.


147
Vgl. die diesbezügliche Kritik bei A1wart, 'ZBtW 105 (1993), 752, 754; Lagodny, Straf-
148
recht, S. 417; Schmidt/Schöne, NJW 1994,2514,2517; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 156.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 79

von Hassemer propagierte "Interventionsrecht" letztlich auf eine qualifizierte Art


von Verwaltungsstrafrecht bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht hinauslaufen und im
Ergebnis zu genau den Tatbeständen führen würde, die zuvor aus dem (Kern-)
Strafrecht ausgeschlossen wurden,I49 erscheinen allerdings nicht aus der Luft ge-
griffen. Insbesondere dann, wenn - was soweit ersichtlich den Intentionen Hasse-
mers entsprichtiSO - im "Interventionsrecht" an Sanktionen mit strafendem Cha-
rakter festgehalten wird, wären die Legitimitätsprobleme des Strafrechts lediglich
in ein anders bezeichnetes Rechtsgebiet verlagert worden. Die rechtsstaatlichen
Bedenken, die gegen die instrumentelle Funktion strafrechtlicher Normen geltend
gemacht werden, können indes nicht dadurch ausgeräumt werden, daß eine straf-
ende Sanktion als Sanktion suis generis definiert und quantitativ abgemildert wird.
Dies insbesondere dann nicht, wenn der Abmilderung der Sanktionen eine Ab-
schwächung von Verfahrensgarahtien und eine Flexibilisierung der Zurechnungs-
voraussetzungen gegenüberstehen SOll.151

b) Die Herabstufung von Kriminalstraftaten zu Ordnungswidrigkeiten

Der Eindruck, die von Hassemer erhobene Forderung nach einer Beschränkung
des Kernstrafrechts ziele weniger auf eine Entkriminalisierung als vielmehr auf
eine Abmilderung des repressiven Zugriffs, findet eine Bestätigung darin, daß Has-
semer alternativ zu der wohl eher als Langzeitperspektive zu verstehenden Forde-
rung, die als illegitim angesehenen Strafnormen in einem de lege ferenda erst noch
zu schaffenden "Interventionsrecht" zu konzentrieren, die Forderung erhebt, straf-
rechtliche Normen mit präventiv-instrumentalen Funktionen unter Abmilderung
der Strafrahmen in das Nebenstrafrecht oder in das Ordnungswidrigkeitenrecht zu
überführen. 152
Aufgegriffen und pointiert vertreten wird dieser Ansatz in der Dissertation sei-
nes Schülers Hohmann, in der dieser die These entwickelt und verteidigt, die Straf-

149 Stratenwerth, 'ZBtW Bd. 105 (1993),679,687 f.; ders., in der Einleitung zu: Ronzani,
Erfolg und individuelle Zurechnung im Umweltstrafrecht. Vgl. aber auch Hassemer, Straf-
rechtswissenschaft, S. 310: "Interventionsrechts ... ohne Zurechnungsprobleme, ohne Schuld-
voraussetzungen, ohne penibles Verfahren - aber dann auch ohne Strafen".
150 So zumindest auch die Einschätzung von Lüderssen, Abschaffen, S. 11; vgl. auch La-
godny, Strafrecht, S. 350,417.
151 Hirsch, Bekämpfung, S. 28; Lüderssen, Abschaffen, S. 11; vgl. auch Appel, Verfas-
sung, S. 596; Kühl, Rechtsgüter, S. 257.
Die gleichen Bedenken müssen dann allerdings auch für einen Vorschlag Lüderssens (StV
1997, 318, 320) gelten, der eine auf fiktiven Größen beruhende Schadensberechnung bei
Wettbewerbskartellen für Straftatbestände des Kriminalstrafrechts ablehnt und stattdessen
eine entsprechende Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht befürwortet.
152 Hassemer, ZRP 1992, 378, 383; kritisch insoweit: Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734,
752 ff.
153 Hohmann, Rechtsgut, S. 196; ders., GA 1992,76,84.
80 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

tatbestände des geltenden Umweltstrafrechts seien zwar für sich gesehen - als Ver-
botsnormen - nicht zu beanstanden,153 illegitim sei aber die Zuordnung dieser Nor-
men zum Kernstrafrecht des StGB. Grundlage der Argumentation Hohmanns ist
die von Hassemer entwickelte Konzeption der sog. personalen Rechtsgutslehre,
aus der Hohmann die Maxime ableitet, Normen des Kernstrafrechts dürften allein
dazu dienen, die in einer konkret-historischen Situation als Voraussetzungen und
Bedingungen der personalen Entfaltung der einzelnen Mitglieder einer Sozietät er-
kannten realen Gegebenheiten vor Beeinträchtigungen zu schützen. 154 Werde
durch eine Verhaltensweise ein die individuelle Freiheitssphäre konstituierendes
Individualrechtsgut beeinträchtigt, soll die entsprechende Verbotsnorm ein legiti-
mer Bestandteil des Kernstrafrechts sein. Werden dagegen - wie nach Auffassung
Hohmanns beispielsweise im Bereich des Umweltstrafrechts - lediglich Gefähr-
dungen im Vorfeld der Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern abgewehrt
oder aber die gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen für eine freie personale
Entfaltung des Bürgers geschützt, seien die entsprechenden Normen mit einem ab-
gemilderten Strafrahmen auszustatten und im Nebenstrafrecht anzusiedeln bzw. in
das Ordnungswidrigkeitenrecht zu überführen. 155
Der Gehalt des Vorschlags, als illegitim empfundene Normen des Kernstraf-
rechts in Ordnungswidrigkeitentatbestände umzuwandeln, hängt entscheidend von
dem Verhältnis ab, in dem Kriminalstrafrecht und Ordnungsrecht zueinander ste-
hen: 156 Handelt es sich um zwei wesensmäßig verschiedene Unrechtsbereiche, wä-
re die Überführung der wesensmäßig dem Ordnungsunrecht zugehörigen, de lege
lata aber (rechtsirrigerweise) dem Kriminalstrafrecht zugeordneten Tatbestände in
das Ordnungswidrigkeitenrecht ein zwingendes Gebot sachlich richtiger Rechtsge-
staltung. 157 Besteht ein wesensmäßiger Unterschied zwischen bei den Unrechtsbe-
reichen, ist das Abgrenzungskriterium aber so gestaltet, daß die Zuordnung der
umstrittenen Tatbestände zum Kriminalstrafrecht nicht in Frage gestellt wird, wäre
die Forderung nach einer Umwandlung der betreffenden Straftatbestände in Ord-
nungswidrigkeitentatbestände dagegen abzulehnen. Sollte sich schließlich erwei-
sen, daß ein wesensmäßiger Unterschied gar nicht besteht, würde sich die gefor-
derte Umwandlung als eine Forderung erweisen, deren kriminalpolitische Berech-
tigung zwar nicht abschließend widerlegt wäre, die andererseits aber auch nicht

154 Hohmann, Rechtsgut, S. 66 ff.; ders., GA 1992,76,77 ff.


155 Hohmann, Rechtsgut, S. 142 ff., 187, 198 ff.; ders., GA 1992,76,85 f.; a.A. Baumann.
ZfW 1973,63,67, der der Auffassung ist, daß zumindest die Nonnen des Umweltstrafrechts,
die sich gegen nicht allein bagatellartige Verhaltensweisen richten, legitimerweise dem Kem-
strafrecht angehören, weil der Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit zum "Kernbe-
reich des echten Kriminalstrafrechts gehört."
156 Vgl. Seelmann, Strafrecht, S. 193.

151 Für die Schweiz, die eine dem bundesdeutschen Recht entsprechende fonnale Tren-
nung zwischen Ordnungswidrigkeiten einerseits und Kriminalstraftaten andererseits nicht
kennt (vgl. Riklin, StrafR AT, § 1 Rdnm. 23 ff.; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 2 Rdnm.
39 ff.), müßte dies gegebenenfalls dann die Forderung nach Einführung einer entsprechenden
Unterscheidung begründen.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 81

mit dem Argument vertreten werden könnte, eine andere Lösung sei mit dem Ge-
bot sachlich richtiger Rechtsgestaltung unvereinbar.

aa) Das Ordnungswidrigkeitenrecht


als ein fonnal eigenständiges Rechtsgebiet

Die Tendenz, bestimmte, als nicht hinreichend gewichtig empfundene Delikte


aus dem Kernbereich des eigentlichen Kriminalstrafrechts auszuscheiden, bildet
eine kriminalpolitische Konstante der Strafrechtsgeschichte der letzten zwei Jahr-
hunderte. 158 Wahrend für den absolutistischen Staat die Kriminalitätsbekämpfung
und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung noch Teil der dem Staat insge-
samt obliegenden polizeilichen Aufgaben war, wurde die Gleichsetzung von Kri-
minalunrecht und Ordnungs unrecht als Folge der Aufklärung in zunehmendem
Maße als zweifelhaft empfunden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in einigen
süddeutschen Partikularstaaten das sog. Polizeistrafrecht in eigenständigen Kodifi-
kationen zusammengefaßt und damit auch äußerlich vom Kriminalstrafrecht abge-
setzt. 159 Die sich so andeutende Entwicklung hin zu einem eigenständigen Rechts-
gebiet wurde allerdings zunächst wieder unterbrochen, als der Gesetzgeber die Po-
lizeidelikte 1871 im Rahmen der Kodifizierung eines reichseinheitlichen Strafge-
setzbuches als Übertretungen in das RStGB einstellte und diese damit neben
Verbrechen und Vergehen als eine in materieller Hinsicht l60 nur quantitativ abge-
schichtete dritte Form des Kriminalunrechts etablierte. 161
Die unmittelbaren Wurzeln des bundesdeutschen Ordnungswidrigkeitenrechts
liegen nicht in den partikularstaatlichen Polizeistrafgesetzbüchern, sondern in den
erstmalig während des 1. Weltkrieges im Verordnungswege geschaffenen Befug-
nissen der Exekutive zur eigenständigen Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen
die zur Umsetzung der angeordneten Zwangsbewirtschaftung erlassenen Regeln
und Maßnahmen. Die Tendenz, Verwaltungsbehörden mit eigenständigen Befug-
nissen zur Ahndung bestimmter - vornehmlich wirtschaftsdelinquenter - Verhal-
tensweisen auszustatten, fand in den wirtschaftlichen Krisenjahren der Weimarer
Republik und vor allem während der nationalsozialistischen Herrschaft eine Fort-
setzung. Bedingt durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Wiederaufbaus
nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde die effiziente Ahndung weniger gewich-
tig erscheinender bzw. massenhaft auftretender wirtschaftsdelinquenter Verhaltens-

15S Vg!. Göhler, OWiG, Ein!. Rdnr. 2; Seelmann, Strafrecht, S. 192.


159 R. v. Hippe!, Strafrecht Bd. I, S. 327 ff., 349; Michels, Handlung, S. 13 f.
160 In verfahrensrechtlicher Hinsicht ergaben sich Besonderheiten daraus, daß Übertretun-
gen im Wege des Strafverfügungsverfahrens verfolgt werden konnten; vg!. hierzu: Bohnert,
in: KK-OWiG, Ein!. Rn. 7 f.; ders., Jura 1984, 11, 13.
161 R. v. Hippe!, Strafrecht Bd. I, S. 349; ders., Strafrecht Bd. 2, S. 105; Bohnert, in: KK-
OWiG. Ein!. Rdnrn. 5 f.; ders., Jura 1984. 11, 12; vgl. auch die Darstellung der Beratungen
zum RStGB bei Michels, Handlung, S. 14 f.

6 Wohler.
82 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

weisen durch die Verwaltungsbehörden dann auch nach dem Ende der nationalso-
zialistischen Herrschaft als eine praktische Notwendigkeit empfunden. 162
Das unmittelbar nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu-
nächst noch im Vordergrund stehende Bemühen, die im totalitären Staat ausgeufer-
te Ahndungsbefugnis der Verwaltungsbehörden auf ein mit dem rechtsstaatlichen
Gewaltenteilungsprinzip zu vereinbarendes Maß zurückzuführen,163 verlor alsbald
an Bedeutung. Festzustellen ist eine in den 50er Jahren einsetzende und bis zum
heutigen Tage anhaltende Tendenz zur kontinuierlichen Ausdehnung des Ord-
nungs(widrigkeiten)rechts neben und auch zu Lasten des eigentlichen Kriminal-
strafrechts. 164 Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren in erster Linie prag-
matische Gründe, insbesondere das Bedürfnis, die Strafjustiz von der Beschäfti-
gung mit minder gewichtigen Normverstößen zu entlasten, um so die gewichtige-
ren Deliktsbegehungen mit dem vorhandenen Bestand an Personal- und Sach-
mitteln bewältigen zu können bzw. diesen nicht im Gleichschritt mit der Zunahme
der Kriminalität aufstocken zu müssen. 165 Im Ergebnis hat sich das Ordnungswid-
rigkeitenrecht derzeit zu einem Sammelbecken heterogener Verhaltensweisen ent-
wickelt, deren gemeinsamer Nenner allein darin besteht, daß es sich um Normver-
stöße handelt, bei denen zwar auf eine repressive staatliche Reaktion nicht verzich-
tet werden soll, bei denen aber eine kriminalstrafrechtliche Ahndung nach Auffas-
sung des Gesetzgebers nicht erforderlich bzw. unangemessen erscheint. 166
Gesetzestechnisch ist die Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts zu ei-
nem - zumindest in formaler Hinsicht - eigenständigen Rechtsgebiet entscheidend
durch das Ordnungswidrigkeitengesetz vom 25. März 1952 und das Reformgesetz
vom 24. Mai 1968 vorangetrieben und schließlich mit der Abschaffung der 1871
eingeführten Kategorie der Übertretungen durch das EGStGB vom 2. März 1974
im wesentlichen abgeschlossen worden. 167 Unterschiede zum Kriminalstrafrecht
bestehen in erster Linie in verfahrensrechtlicher Hinsicht: Bei Ordnungswidrigkei-
ten gilt - anders als im Strafverfahren (§ 152 dStPO) - nicht das Legalitäts-, son-
dern das Opportunitätsprinzip (§ 47 OWiG); die Verfolgung der Ordnungswidrig-

Vg\. Eb. Schmidt, Festschrift für Amdt, S. 415 ff.


162

Vg\. hierzu Bohnert, in: KK-OWiG, Ein\. Rn. 16 ff., 24 ff.; ders., Jura 1984, 11, 15 ff.;
163
Michels, Handlung, S. 16; Eb. Schmidt, SüdJZ 1948, 225, 227 f.; ders., SüdJZ 1948,569,
571; ders., SüdJZ 1949,665,669 f.; ders., Festschrift für Arndt, S. 416 ff.; Tiedemann, ÖJZ
1972, 285, 286 f.
164 Vg\. Bohnert, in: KK-OWiG, Ein\. Rdnr. 39; ders., Jura 1984, 11, 18; Göhler, JZ 1968,
583; H.-L. Günther, Ordnungswidrigkeiten, S. 385 f.; Lang-Hinrichsen, Festschrift für H.
Mayer, S. 57 ff.; Mattes, Untersuchungen, S. 50, 53 ff.; Tiedemann, ÖJZ 1972,285,288; We-
ber, ZStW 92 (1980), 313, 319 ff.
165 Eb. Schmidt, JZ 1969,401; Tiedemann, ÖJZ 1972,285,288; vg\. auch Appel, Verfas-
sung, S. 91 ff.
166 H.-L. Günther, Ordnungswidrigkeiten, S. 388 f.; Lang-Hinrichsen, Festschrift für H.
Mayer, S. 62.
167 Vg\. Bohnert, in: KK-OWiG, Ein\. Rdnm. 36 ff., 41 ff.
IV. Ablösung strafrechtlicher Nonnen 83

keiten obliegt nicht der Staatsanwaltschaft, sondern den für einen Sachbereich zu-
ständigen Verwaltungsbehörden (§§ 35 ff. OWiG); die Strafjustiz wird mit Ord-
nungswidrigkeiten in der Regel nur dann beschäftigt, wenn der Betroffene gegen
den von der Verwaltung erlassenen Bußgeldbescheid Einspruch einlegt (§§ 67 ff.
OWiG); die verfahrensrechtlichen Absicherungen des Betroffenen sind gegenüber
dem bei Kriminaldelikten zur Anwendung kommenden Verfahrensrechts nicht un-
wesentlich beschränkt. 168
In seiner materiellrechtlichen Struktur entspricht das Ordnungswidrigkeiten-
recht dagegen weitgehend dem Kriminalstrafrecht: 169 Sowohl das Kriminalstraf-
recht als auch das Ordnungswidrigkeitenrecht verhängen als Reaktion auf die
Übertretung bestimmter Verhaltensnormen eine repressive Sanktion. Die Ord-
nungswidrigkeitentatbestände entsprechen in ihrer Struktur weitgehend den Straf-
tatbeständen des Kriminalstrafrechts. 170 Unterschiede bestehen allerdings in der
Sanktion selbst. Während im Kriminalstrafrecht neben der Geld- l7l auch Frei-
heitsstrafe verhängt werden kann, kennt das Ordnungswidrigkeitenrecht als
Hauptsanktion allein die Geldbuße (§ 17 OWiG)172, die allerdings - anders als
im Kriminalstrafrecht - auch gegen juristische Personen verhängt werden kann
(§ 30 OWiG). Anders als das Kriminalstrafrecht (§ 43 dStGB) kennt das Ord-
nungswidrigkeitenrecht auch keine Ersatzfreiheitsstrafe (vgl. aber § 96 OWiG:
Erzwingungshaft). Schließlich wird die Geldbuße nicht im Bundeszentralregi-
ster 173 vermerkt und hat im Gegensatz zur Kriminalstrafe nicht die Konsequenz,
daß der Betroffene als vorbestraft gilt.
De lege lata unterscheiden sich das Kriminal- und Ordnungs unrecht damit durch
die angedrohte Sanktion: Hat der Gesetzgeber als Sanktion eine Geldbuße vorgese-
hen, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit (vgl. § 1 Abs. 1 OWiG), hat er
dagegen eine Strafe angedroht, handelt es sich um eine Straftat. 174 Diese rein for-
male Abgrenzung kann indes nicht die Frage beantworten, warum auf bestimmte
Normbrüche mit Strafe zu reagieren ist, während andere Normbrüche eine Geldbu-

Vg!. §§ 71 ff. OWiG, insbesondere §§ 72, 74, 77, 77a, 78 OWiG.


168

Bohnert, in: KK-OwiG, Ein!. Rdnrn. 3, 161, Vor § I Rdnr. 10; Göhler, OWiG, Vor § I
169
Rdnr. 10; Mitsch, Ordnungswidrigkeiten, Teil I § 3 Rdnr. 4, Teil 11 § 2 Rdnr. 2.
170 Im OWiG hat der Gesetzgeber allerdings das sog. Einheitstätersystem etabliert (§ 14
OWiG).
171 Im Rahmen von 10,- DM (§ 40 dStGB) bis zu 7.2000,- DM (§ 40 dStGB i.V.m. § 54
Abs. 2 Satz 2 dStGB).
172 Grundsätzlich in einem Rahmen von 10,- DM bis 2000,- DM, bei entsprechender spe-
zialgesetzlicher Anordnung aber auch weit darüber hinaus.
173 Die Eintragungen in das Gewerbezentralregister (§§ 149 GewO) und das Verkehrsregi-
ster (§ 28 StVG) dienen anderen Zwecken (Göhler, OWiG, Vor § I Rdnr. 9).
174 Bohnert, in: KK-OWiG, Ein!. Rdnr. 3; Göhler, OWiG, Ein!. Rdnr. 9; Jakobs, StrafR
AT, 3/6; Jescheck, in: LK, Ein!. Rdnr. I I; Maurach I Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § I Rdnr. 32;
Mitsch, Ordnungswidrigkeiten, Teil I § 3 Rdnr. 4; Paulduro, Verfassungsgemäßheit, S. 171
18; Schmidhäuser, StrafR AT, 8/105.

6'
84 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

ße nach sich ziehen sollen. 175 Gerade im Hinblick darauf, daß zum einen die Sank-
tionen ihrer Art und ihrem Gewicht nach verschieden sind und zum anderen der
Adressatenkreis des Ordnungswidrigkeitenrechts im Gegensatz zum Strafrecht
auch juristische Personen direkt erfaßt (§ 30 OWiG), bedarf es einer an materiellen
Kriterien orientierten sachgerechten Abgrenzung beider Rechtsgebiete, 176 die dann
auch dem Gesetzgeber als kriminalpolitisches Leitbild dienen kann. 177

bb) Die Abgrenzung von Kriminal- und Ordnungsunrecht

Zur Abgrenzung des Kriminal- vom Ordnungsunrecht sind im wesentlichen drei


Auffassungen entwickelt worden: 178 Die Vertreter der sog. aliud-Theorien behaup-
ten einen qualitativen Unterschied zwischen Kriminal- und Ordnungsunrecht, der
entweder aus einem unterschiedlichen Charakter der jeweils geschützten Rechtsgü-
ter oder aber aus einem unterschiedlichen sozialethischen Unwertgehalt von Kri-
minalstraftat und Ordnungswidrigkeit abgeleitet wird. Andere Autoren halten Kri-
minal- und Ordnungsunrecht für graduell abgestufte Unrechtsformen, mit der Kon-
sequenz, daß die Abgrenzung allein nach quantitativen Kriterien erfolgen kann
und wesentlich dem Ermessen des Gesetzgebers obliegt. Neben diesen beiden Auf-
fassungen hat sich in den letzten Jahrzehnten ein dritter, vor allem durch die Recht-
sprechung des BVerfG begründeter Ansatz etabliert, der Elemente der qualitativen
Abgrenzungslehren mit denen der Lehre von der quantitativen Abschichtung ver-
bindet. Die Vertreter der sog. gemischt qualitativ-quantitativen Theorie gehen da-
von aus, daß einerseits qualitativ voneinander abgrenzbare Kembereiche des Kri-
minal- und des Ordnungsunrechts existieren und es andererseits einen Grenzbe-
reich zwischen beiden Unrechtsformen gibt. Soweit eine Verhaltensweise einem
der bei den Kembereichszonen zuzurechnen ist, soll die Ausgestaltung als Ord-
nungswidrigkeit bzw. Kriminalstraftat zwingend sein. Bei den dem Grenzbereich
zugehörenden Verhaltensweisen soll der Gesetzgeber dagegen nach pragmatischen
Gesichtspunkten darüber entscheiden dürfen, ob ein Delikt als Kriminalstraftat
oder als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet wird.

(I) Die Lehre vom Verwaltungsunrecht (Goldschmidt)

Basis des modemen rechtswissenschaftlichen Diskurses zur Frage der Abgren-


zung des Kriminal- vom Ordnungsunrecht sind Arbeiten, die James Goldschmidt

175 Jescheckl Weigend, StrafR AT. S. 58 f.; Paulduro. Verfassungsgemäßheit. S. 18; vgl.
auch Gallas. Grenzen. S. 2 bzgl. der grundsätzlichen Entscheidung zur Pönalisierung von
Verhaltensweisen.
176 Mitsch, Ordnungswidrigkeiten. Teil I § 3 Rdnr. 6.

177 Maurach I Zipf. StrafR AT. Teilbd. I, § I Rdnr. 33.


178 Vgl. auch den Überblick bei Paulduro. Verfassungsgemäßheit. S. 18 ff.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 85

zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlicht hat. 179 Der von Goldschmidt selbst
entwickelte Ansatz, Kriminal- und Ordnungsunrecht danach abzugrenzen, daß das
Kriminalstrafrecht die der Abgrenzung und Sicherung der Individualsphäre die-
nenden Rechtsgüter schützt, während das - von Goldschmidt als Verwaltungsun-
recht bezeichnete - Ordnungswidrigkeitenrecht die zur Förderung des über das in-
dividuelle Dasein hinausgehenden allgemeinen Wohls dienenden sog. Verwal-
tungsgüter schützen soll, gilt heute allerdings als überholt. 18o Die diesem Ansatz
zugrundeliegende, einem spätliberalen Staatsverständnis verhaftete Annahme eines
Gegensatzes von Rechts- und Verwaltungsordnung kann im sozialen Rechtsstaat
moderner Prägung nicht aufrechterhalten werden,181 da hier alle Zwecke der staat-
lichen Gemeinschaft und damit auch die Förderung der öffentlichen Wohlfahrt
Rechtszwecke und im übrigen staatliche Daseinsvorsorge und Freiheitssicherung
auch bereits rein faktisch nicht mehr voneinander zu trennen sind. 182

(2) Die Abgrenzung von Kultur- und Verwaltungsschaden (Wolf)

Die fortdauernde Bedeutung des Goldschmidt'schen Ansatzes für die heutige


Diskussion hat ihre Ursache darin, daß andere Autoren seine Überlegungen aufge-
griffen und - unter Betonung jeweils unterschiedlicher Elemente seiner Lehre -
weitergeführt haben. Zu nennen ist hier zunächst Erik Wolf, der die Lehre Gold-
schmidts zu Beginn der 30er Jahre aufgegriffen und in wertphilosophischer Ein-
kleidung refonnuliert hat. Ausgangspunkt der Überlegungen Wolfs ist die Prä-
misse, daß Basis einer Abgrenzung nicht die Seinssphäre, sondern nur die Sinn-
sphäre sein könne. 183 Entscheidend ist für Wolf, daß der Staat unter wertphiloso-
phisehen Gesichtspunkten in den Rechtswert, den Machtwert und den
Wohlfahrtswert zu gliedern sei. 184 Der Rechtswert werde im gewaltengeteilten
Staat von der Justiz vertreten, der Wohlfahrtswert von der Verwaltung. Das - von
Wolf als Justizstrafrecht bezeichnete 185 - Kriminalstrafrecht ziele auf Herstellung

179 Grundlegend: Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 529 ff.; w.N.b. Wolf, Festgabe


für Frank, S. 518 Fußn. 2.
180 Vg!. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 117 ff., 289 f.
181 Tatsächlich hat auch Goldschmidt selbst die These einer strikten Trennung von Rechts-
ordnung und Verwaltungsordnung in späteren Arbeiten modifiziert (vg!. Wolf, Festgabe für
Frank, S. 551, 557). Auch in diesen Arbeiten hielt Goldschmidt indes daran fest, daß der Ver-
waltung ein justizfreier Raum (innerhalb der Rechtsordnung) verbleibt (vg!. Wolf, Festgabe
für Frank, S. 559).
182 Bohnert, in: KK-OWiG, Ein!. Rdnrn. 80,94; Jescheck, JZ 1959,457,461; Krümpel-
mann. Bagatelldelikte. S. 166 ff.; Kunz, Bagatellprinzip, S. 149 f.; Mattes, ZStW 82 (1970),
25, 27; Michels, Handlung, S. 74 f.; Seelmann, Strafrecht, S. 196; Tiedemann, ÖJZ 1972,
285.290; Weber, ZStW 92 (1980). 313. 315 f.; Welzel, JZ 1957,130,132.
183 Wolf. Festgabe für Frank, S. 520/521.
184 Ebd., S. 521.
185 Ebd., S. 518.
86 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

von Gerechtigkeit ab,186 während das - wie bei Goldschmidt als Verwaltungsstraf-
recht bezeichnete - Ordnungsstrafrecht die Interessen der wohlfahrtsorientierten
Staatsverwaltung schützen soll. 187
Die Frage, weIche Verhaltensweisen als Beeinträchtigungen von Rechts- bzw.
Verwaltungsgütern durch das Kriminal- und Verwaltungsstrafrecht zu ahnden sind,
ist nach Wolf aus dem Rechts- und Wohlfahrts wert abzuleiten. Da der auf die Her-
stellung von Gerechtigkeit abzielende Rechtswert nur formellen Charakter habe,
müssen die vom Kriminalstrafrecht zu schützenden Rechtsgüter aus Wertnormen
abgeleitet werden, die Wolf im Anschluß an die Kulturnormenlehre M.E.
Mayers 188 mit den das ethische Minimum einer Gesellschaft darstellenden Kultur-
normen gleichsetzt. Kulturnormen sind nach Wolf nur langfristig und im Rahmen
der Wandlung des staatsphilosophischen Denkens Veränderungen zugänglich, wäh-
rend die auf eine Förderung der Wohlfahrt abzielenden Zwecksetzungen situations-
bezogen und damit einer fortlaufenden Veränderung unterworfen sind, mit der Fol-
ge, daß auch die entsprechenden Rechtsregelungen nur mit einem temporären Cha-
rakter ausgestattet seien. 189
Zu der Frage, wann konkret ein Kulturschaden vorliegt, äußert sich Wolf nicht
direkt. Das Vorliegen eines lustizdeliktes ist für ihn aber an die "Verletzung indivi-
dueller Belange" bzw. an einen ,,Angriff auf eine Individualperson" gekoppelt.
Wahrend bei einem lustizdelikt die Schädigung einer Person oder einer Sache es-
sentieller Bestandteil des Tatbestandes sei, soll die Besonderheit des mit dem Ver-
waltungsdelikt verbundenen Verwaltungsschadens "in der Unbezogenheit auf eine
individuelle Person oder Sache, in der Immaterialität des Verletzungserfolges und
in der Nichterfüllung einer konkretisierten (im Einzelfall und für den Einzelfall be-
fohlenen) staatlichen Aufgabe" liegen. 190
Wahrend Tater, die gegen kriminalstrafrechtlich zu schützende Kulturnormen
verstoßen, der inneren ethischen Überzeugung der Rechtsgemeinschaft zuwider-
handeln und damit einen Kulturschaden bewirken, beeinträchtigen Verwaltungsde-
likte allein kulturindifferente Verwaltungsinteressen. Der Verwaltungsschaden er-
schüttere zwar das objektive Rechtsbewußtsein, ein ethischer Vorwurf sei aber -
anders als bei der Bewirkung eines Kulturschadens - nicht zu erheben. 191 Hieraus
ergebe sich ein Unterschied im Wesen der lustiz- und Verwaltungsstrafe: Die Ver-
waltungsstrafe habe den Sinngehalt eines Zuchtmittels. Deshalb sei "mit der Verur-
teilung wegen eines Verwaltungsdeliktes auch keine capitas deminutio verbunden,
wie sie der Verurteilung wegen eines Kriminalverbrechens immanent ist. Geht es
doch hier nicht um die Mißbilligung eines Gesellschaftsfeindes oder rechtsindiffe-

186 Ebd., S. 523.


187 Ebd., S. 521/522, 536.
188 Ebd., S. 541 ff.
189 Ebd., S. 542 f.
190 Ebd., S. 566, 568.
191 Ebd., S. 520, 525 f., 565 ff.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 87

renten Kulturgenossen, der zum Staatsbürger und Rechtsgenossen erst erzogen


werden soll, sondern um einen sozialnachlässigen, staatsindolenten Rechtsgenos-
sen, der zur Aktivierung seiner Rechtspersonalität angehalten und aufgerufen wer-
den soll. Die (Verwaltungs-)Strafe wirkt deshalb auch nicht als Pflichtensteige-
rung, sondern als Pflichtenmahnung.,,192
Aus heutiger Sicht ist gegen den von Wolf vertretenen Ansatz einzuwenden, daß
in einem Rechtsstaat moderner Prägung nicht nur die Justiz, sondern auch die Ver-
waltung die Aufgabe hat, an der Verwirklichung einer an der Idee der Gerechtig-
keit orientierten Sozialordnung mitzuwirken. 193 Die wertphilosophisch eingeklei-
dete Reformulierung der Goldschmidt'schen These einer Trennung der Sphären
von Justiz und Verwaltung hat in der Diskussion nach 1945 denn auch - soweit er-
sichtlich - keine Vertreter mehr gefunden. 194

(3) Die Unterscheidung sittlich indifferenter


und sozialethisch mißbilligenswerter Normverstöße

Im Vordergrund der Diskussion steht nun die ebenfalls bereits bei Gold-
schmidt 195 thematisierte, in ihrer grundlegenden Bedeutung aber insbesondere von
Wolf betonte Unterscheidung zwischen sittlich indifferenten bloßen Regelverlet-
zungen einerseits und Verstößen gegen elementare Rechtsnormen andererseits, auf
die mit einer sozialethischen Mißbilligung zu reagieren sei. Die Berechtigung die-
ser Abgrenzung des Ordnungsunrechts vom Kriminalunrecht ist in der Literatur
zwar bis zum heutigen Tage umstritten geblieben,l96 hat aber unter anderem auch
die Rechtsprechung des BGH 197 und des BVerfG 198 beeinflußt.
Problematisch an diesem Ansatz ist zum einen, daß Rechtsordnung und Sitten-
ordnung nicht gleichgesetzt werden dürfen, insbesondere Rechtspflichten nicht di-
rekt (unvermittelt) aus der Sittenordnung abgeleitet werden können. 199 Im übrigen
ist festzustellen, daß es eine vorgegebene sozialethische Werteordnung, an die
ohne weiteres angeknüpft werden könnte, gar nicht gibt,200 das Grenzkriterium der

192 Ebd., S. 585.


193 Jescheck, JZ 1959,457,461; H. Mayer, StrafR AT, § 11 V. 2.; Michels, Handlung,
S. 29; Mattes, Untersuchungen, S. 139 ff.
194 Ausdrücklich ablehnend insbesondere Mattes, Untersuchungen, S. 206 ff.

19S Goldschmidt, Festgabe für Koch, S. 422 ff.


196 Zustimmend z. B. Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 1 Rdnr. 39; Stratenwerth,
StrafR AT, Rdnr. 50; ablehnend: Appel, Verfassung, S. 220 ff.; Roxin, StrafR AT, Teilbd. I,
§ 2 Rdnr. 50; Schmidhäuser, StrafR AT, 8/105.
197 BGHSt 11,263,264.
198 BVerfGE 9, 167, 171.
199 Mattes, Untersuchungen, S. 216 ff.; ders., ZStW 82 (1970), 25, 28 ff.; Schoreit, GA
1967.225.229.
200 Vgl. Kunz. Bagatellprinzip, S. 151 f.; Mattes, Untersuchungen, S. 176 ff.
88 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Sozialethik mithin unsicher bleibt,201 was wiederum der maßgebende Grund dafür
sein dürfte, daß die Maßstäbe, anhand derer sittlich bzw. sozialethisch indifferente
von sittlich bzw. sozialethisch mißbilligenswerten Verhaltensweisen abgegrenzt
werden sollen, bis heute unklar und umstritten geblieben sind.
So haben insbesondere Richard Lange und Hans Gerhard Michels die Auffassung
vertreten, daß das Kriminalunrecht Verstöße gegen Normen erfasse, die dem Ge-
setzgeber vorgegeben sind und von ihm (nur) anerkannt werden, während das Ord-
nungsunrecht Verstöße gegen vom Gesetzgeber selbst neu errichtete Gebote und
Verbote erfasse. Der Unrechtsgehalt eines Verstoßes gegen eine Ordnungsnorm er-
schöpft sich ihrer Auffassung nach in der durch die bloße Zuwiderhandlung gegen
staatlich aufgestellte Verbotsnormen begründeten formellen Rechtswidrigkeit, wäh-
rend ein Verstoß gegen die durch das Kriminalstrafrecht geschützten vorpositiven
Rechtsgüter ein sozialethisches Unwerturteil nach sich ziehen soll?02
Gegen diesen Ansatz ist zunächst einzuwenden, daß jede staatlich gesetzte
Rechtsnorm dem Zweck dienen muß, das gesellschaftliche Miteinander nach den
Maßstäben sozialer Gerechtigkeit zu gestalten?03 Verhaltensnormen, denen die
aus dieser Zwecksetzung abzuleitende verpflichtende Verbindlichkeit fehlt, könn-
ten auch nicht als sittlich indifferente Ordnungsnormen aufrechterhalten (und als
Ordnungswidrigkeiten geahndet) werden, sondern müßten vielmehr gänzlich be-
seitigt werden?04 Entgegen Michels 205 ist ein sozialethischer Unrechtsgehalt aber
selbst bei Verstößen gegen das Rechtsfahrgebot und Geschwindigkeitsbeschrän-
kungen zu bejahen?06 Bei Verstößen gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen er-
gibt sich dies unmittelbar aus dem Gefährdungscharakter, der diesen Verhaltens-
weisen eigen ist. Beim Rechtsfahrgebot kommt es nicht darauf an, daß die entspre-
chende Verhaltensnorm ursprünglich einmal willkürlich gesetzt wurde. Maßgebend
ist die Bedeutung, die der Norm im Kontext der Gesamtrechtsordnung zukommt.
Hier ist es aber so, daß ein Straßenverkehr ohne verbindliche Verhaltensnormen
nicht funktionieren kann bzw. erhebliche Gefährdungen der Verkehrsteilnehmer
die Folge wären?07

Bohnert, in: KK-OWiG, Ein!. Rdnm. 100 ff.; Tiedemann,.Gutachten, C 37.


201
Lange, JZ 1956,73,79; ders., JZ 1956,519,521 f.; ders., JZ 1957,233,237 f.; Mi-
202
chels, Handlung, S. 46 ff., 52 f., 57, 69 ff., 87. Amelung hat die Lehre Langes und Michels
reformuliert. Er hält die Abgrenzung beider Unrechtsbereiche für eine Frage der Gewissens-
bildung. Entscheidend sei, daß die Tatbestände des Strafrechts an Normen anknüpfen, die
von der kulturellen Tradition einer Gesellschaft geprägt werden und die der Mensch im Sta-
dium seiner primären Sozialisierung verinnerliche, während die Ordnungswidrigkeitentatbe-
stände an eine in Legitimitätsvorstellungen wurzelnde Bereitschaft des Normadressaten an-
knüpfen, staatlichen Befehlen Folge zu leisten (Rechtsgüterschutz, S. 292).
203 Mattes, Untersuchungen, S. 130 ff.
204 Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 173; Kunz, Bagatellprinzip, S. 152; Mattes, ZStW
82 (1970), 25, 29; ders., Untersuchungen, S. 163 ff., 170 ff., 228 ff., 238 f.
205 Michels, Handlung, S. 51 f.
206 Schmidhäuser, StrafR AT, 8/105.
207 Vg!. Mattes, Untersuchungen, S. 166 f., 191 ff., 228 Fußn. 91.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 89

Da sich das gesellschaftliche Umfeld ständig ändert, kann der Auftrag zur sozial
gerechten Konstituierung des gesellschaftlichen Miteinanders nicht durch die Be-
wahrung eines überkommenen Normenbestandes erfüllt werden, sondern muß
auch und gerade die als Reaktion auf gewandelte gesellschaftliche Anforderungen
vom Gesetzgeber neu geschaffenen Normen mitumfassen. Wenn aber grundsätz-
lich alle Normen dem materiellen Geltungsgrund der Herstellung sozialer Gerech-
tigkeit verpflichtet sind, kann weder die Zeitbedingtheit einer Norm noch deren
(relative) Neuheit etwas über die sozialethische Relevanz bzw. Indifferenz dieser
Norm aussagen. 208 Im übrigen würde eine auf die Geltungsdauer abhebende Zu-
ordnung schon aufgrund dessen, daß ein Grenzwert für den Umschlag einer Un-
rechtsform in die andere nicht ersichtlich ist, jedenfalls in der praktischen Anwen-
dung auf eine quantitative Abschichtung hinauslaufen,z09

(4) Die Unterscheidung personaler und überindividueller Interessen

(a) Die sog. Schmidt'sche Formel


Andere Autoren haben an die ebenfalls bereits bei Goldschmidt und Wolf vor-
zufindende Unterscheidung zwischen der Beeinträchtigung personaler Lebensin-
teressen einerseits und der Beeinträchtigung überpersonaler Interessen anderer-
seits angeknüpft. So unterscheidet z. B. Eberhard Schmidt den Bereich der mate-
riellen Lebensinteressen, in dem sich die auf die Erhaltung des Staates und der
einzelnen Individuen gerichteten Interessen betätigen, von dem Bereich verwal-
tungsmäßiger Interessen, der sich aus den Beziehungen zwischen den VerwaI-
tungsbehörden und den einzelnen in ihrer Funktion als Hilfsorgane der Verwal-
tung ergibt. 2\0 Maßgebend ist für Schmidt, daß Verstöße gegen Verwaltungsinter-
essen keinen greif- oder meßbaren Rechtsgutsschaden einer einzelnen Person
oder einer als personifiziert gedachten Personengesamtheit - etwa der Allgemein-
heit oder des Staates - begründen, sondern allein die Gehorsamspflicht des ein-
zelnen Staatsbürgers gegenüber den Verwaltungsbehörden betreffen. Der bloße
Ungehorsam gegenüber den Verwaltungsbehörden begründe kein Kriminalun-
recht, auf das durch Strafe (und damit zwingend: durch die Strafjustiz) zu reagie-
ren sei, sondern könne als bloße Lässigkeit mit Bußgeldern (und damit: durch die
Verwaltung) geahndet werden,zll

208 Mattes, ZStW 82 (1970), 25, 27.


209 So auch ausdrücklich Lange, JZ 1956, 73,77 f.; Michels, Handlung, S. 83 ff.; kritisch
hierzu: Mattes, Untersuchungen, S. 21 f., 25. Auch Amelung erkennt im Rahmen seiner Re-
formulierung des Ansatzes von Lange und Michels an, daß es an einer begrifflich-konkreten
Grundlage zur Abgrenzung von Kriminalstraftaten und Ordnungswidrigkeiten fehle und des-
wegen die Grenze im Wege "legislatorischer Willensentscheidungen" zu markieren sei
(Rechtsgüterschutz, S. 294)
210 Eb. Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 20.
211 Eb. Schmidt, Festschrift für Amdt, S. 423 f.; ders., Wirtschaftsstrafrecht, S. 20 f., 26 ff.
90 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Bezogen auf die für ihn im Vordergrund stehende Abgrenzung zwischen Wirt-
schaftsstraftaten und Wirtschaftsordnungswidrigkeiten war nach Eb. Schmidt eine
Wirtschaftsstraftat dann anzunehmen, wenn eine Zuwiderhandlung im konkreten
Einzelfall nach Umfang oder Auswirkung die Wirtschaftsordnung erheblich beein-
trächtigt oder wenn in der konkreten Tat eine besondere, die Wirtschaftsordnung in
grundsätzlicher Hinsicht mißachtende Einstellung des Taters deutlich wird?12 Ge-
gen diese in § 6 WiStG 1949213 Gesetz gewordene sog. Schmidt'sche Formel wird
geltend gemacht, der Differenzierungsleitsatz werde der von Schmidt selbst propa-
gierten qualitativen Trennung beider Unrechtsbereiche nicht gerecht, weil mit ei-
ner auf den konkreten Einzelfall abstellenden Unterscheidung eine Abgrenzung
nach Unrechtstypen aufgegeben und damit letztlich nicht nach Qualitäten, sondern
nach Quantitäten abgegrenzt werde?14 Die zu Recht gerügte dogmatische Inkonse-
quenz des Ansatzes dürfte in erster Linie darauf zurückzuführen sein, daß es
Schmidt tatsächlich gar nicht so sehr darum ging, eine dogmatisch schlüssige Kon-
zeption zur Abgrenzung des Kriminalunrechts vom Ordnungsrecht zu begründen,
sondern darum, die den Verwaltungsbehörden während der nationalsozialistischen
Herrschaft - insbesondere im Bereich des Wirtschaftsverkehrs - zugewachsenen
umfassenden Ahndungsbefugnisse auf das einem gewaltengeteilten Rechtsstaat an-
gemessene Maß zurückzuführen. 215
Unabhängig hiervon ist zu fragen, ob die von Schmidt aufgegriffene Trennung
zwischen der sozialethisch zu mißbilligenden Beeinträchtigung personaler Lebens-
interessen einerseits und der sozialethisch indifferenten Beeinträchtigung überper-
sonaler Interessen andererseits zu überzeugen vermag. Letztlich handelt es sich um
eine Abgrenzung, die im Grundansatz auf der Unterscheidung zwischen Indivi-
dualrechtsgütern und überpersonalen Rechtsgütern aufbaut und die der Sache nach
bereits von Feuerbach mit seiner Unterscheidung zwischen Straftaten als Verlet-
zung subjektiver Rechte und Polizeiübertretungen als Verletzungen staatlicher Ge-
bote vertreten wurde. 216 Da bestimmte Verletzungen von Gemeinschaftsinteressen
seit jeher dem Kernbereich des Strafrechts zugerechnet werden, haben sich die
Vertreter dieses Ansatzes allerdings stets genötigt gesehen, den Staat selbst als eine
personifizierte Einheit mit eigenen subjektiven Rechten bzw. individuellen Rechts-
gütern zu behandeln. Daß die Beeinträchtigung bestimmter überindividueller
Rechtsgüter als kriminalstrafwürdig behandelt wird, stellt dann allerdings die Be-
rechtigung des gesamten Grundansatzes in Frage: 217 Zum einen erscheint es als

212 Eb. Schmidt, SüdJZ 1948.225,231 ff.; ders .• SüdJZ 1948.569.572; ders .• Wirtschafts-
sstrafrecht, S. 26 f., 33; ders .• JZ 1951, 101, 103.
213 Vgl. auch § 6 WiStG 1952 sowie § 3 WiStG 1954.

214 Bohnert, in: KK-OWiG, Eint. Rdnr. 75; Jakobs, StrafR AT, 3/5; Krümpelmann, Baga-
telldelikte. S. 153 f.; Mattes. Untersuchungen. S. 88 ff.
21S Vgl. Eb. Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 9, 25, 31 ff., 58; ders., SüdJZ 1948. 225,
230 f.; ders., JZ 1951. 101. 102/103; ders .• Festschrift für Amdt, S. 419, 425 f.; ders., in:
Niederschriften. S. 68. 336.
216 Feuerbach. Lehrbuch. §§ 22.432 f.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 91

willkürlich, den Staat im Wege einer Fiktion als eine personifiziert gedachte Insti-
tution den natürlichen Personen gleichzustellen, nicht aber auch andere gesell-
schaftliche oder staatliche Institutionen entsprechend zu behandeln. Zum anderen
stellt sich die Frage, warum nur bestimmte staatliche Interessen als strafrechtswür-
dig anerkannt werden sollen. Auch die Fiktion, den Staat als personifiziertes We-
sen zu behandeln, ändert nichts daran, daß es sich sowohl bei dem Interesse an der
Bestandserhaltung des Staates als auch bei dem Interesse an der Wahrung der
Funktionstüchtigkeit seiner Organe und Institutionen sämtlich um überpersonale
Interessen handelt. 218 Will man den Bereich kriminalstrafwürdiger Rechtsgutsbe-
einträchtigungen nicht auf die Verletzung von Individualrechtsgütern beschränken,
fehlt es an begrifflichen Kriterien zur Abgrenzung der kriminalschutzwürdigen
überpersonalen Rechtsgüter, was wiederum zur Folge hat, daß auch dieser Ansatz
auf eine quantitative Abschichtung hinauslaufen würde.

(b) Die personale Rechtsgutslehre


Ein weiteres auf der Unterscheidung individueller und überindividueller Belan-
ge aufbauendes Abgrenzungsmodell wird von Hohmann vertreten. Wie bereits
oben angedeutet wurde,219 erhebt Hohmann den Anspruch, eine Abgrenzung von
Ordnungswidrigkeiten und Kriminalstraftaten aus der von Hassemer entwickelten
sog. personalen Rechtsgutslehre ableiten zu können.
Nach Hassemer stellt die Lehre vom Rechtsgut das materiale Substrat der Theo-
rie des Verbrechens dar. 220 Die Rechtsgutslehre soll die Faktoren aufzeigen, die
menschliches Verhalten als Verbrechen erscheinen lassen 221 und damit Aufschluß
über die Frage geben, welche Verhaltensweisen legitimerweise als strafwürdiges
Kriminalunrecht angesehen werden können?22 Basis der von Hassemer entwickel-
ten sog. personalen Rechtsgutslehre ist die einem liberalen Staatsverständnis ver-
pflichtete Annahme, daß "der Staat nicht Selbstzweck ist, sondern nur die Entfal-
tung und Sicherung der Lebensmöglichkeiten von Menschen zu befördern hat,,223
und Strafrechtsgüter deshalb als "strafrechtlich schutzbedürftige menschliche In-
teressen" zu definieren sind. 224 Hieraus leitet sich dann der für die personale

217 Vgl. Seelmann, Strafrecht, S. 193.


218 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 289 f.
219 Vgl. oben S. 79 f.
220 Hassemer, Theorie, S. 16.
221 Hassemer, Theorie, S. 133.
222 Hassemer, Theorie, S. 140.
223 Hassemer, Grundlinien, S. 91; vgl. auch Hohmann, Rechtsgut, S. 66 ff.; ders., GA
1992, 76, 77 f.
224 Hassemer, Grundlinien, S. 91; ders., in: NK, Vor § I Rdnr. 287; vgl. auch Hohmann,
Rechtsgut, S. 72 f.; ders., GA 1992,76,77 f.: "personale Entfaltungsvoraussetzungen und -be-
dingungen". Hassemer versteht dieses Grundprinzip der aktuellen normativen gesellschaftli-
chen Verständigung als das Ergebnis der am Grundgesetz orientierten sozialen Werterfah-
92 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Rechtsgutskonzeption zentrale Satz ab, daß "die Interessen der Allgemeinheit und
des Staates vom einzelnen her zu funktionalisieren" sind?25 Hassemer erkennt an,
daß es sich bei dem Menschen um ein vergesellschaftetes Wesen handelt, das seine
Interessen und Güter nur in Gemeinschaft mit anderen und damit in gesellschaft-
lichen und staatlichen Institutionen wahren und verwirklichen kann?26 Der Schutz
dieser Institutionen 227 sei aber nur insoweit als legitim anzuerkennen, "als sie sich
als - vennittelte - Interessen des Individuums nachweisen lassen".228 Der Schutz
gesellschaftlicher oder staatlicher Institutionen und auch der Schutz von Gütern,
die nicht einzelnen Personen als Teil ihrer individuellen Freiheitssphäre zugeordnet
werden können, darf demzufolge nur so weit reichen, "als er die Bedingung der
Möglichkeit des Personenschutzes ist.,,229
Wegen der nur mittelbaren Bedeutung für die Freiheit der Person sei der Schutz
gesellschaftlicher oder staatlicher Institutionen sowie der Schutz von Gütern, die
der Zuordnung zu einzelnen Personen entzogen seien, in besonderer Weise legiti-
mierungsbedürftig230 und deshalb beim strafrechtlichen Schutz dieser sog. Uni ver-
salrechtsgüter eine besondere Zurückhaltung geboten. Die Erweiterung des Rechts-
güterschutzes durch Verhaltenskriminalisierungen im Vorfeld der unmittelbaren
Beeinträchtigung klassischer Individualrechtsgüter setze zum einen voraus, daß so-
wohl der Wert des geschützten Rechtsguts als auch die Intensität der Bedrohung
als hoch anzusehen seien. 231 Weiterhin müsse die Ausgestaltung der Straftatbestän-
de im Hinblick auf die Strafdrohung "vergleichsweise milde ausfallen" und "die
gebotenen Erleichterungen" aufweisen, worunter Hassemer insbesondere den Ver-
zicht auf die Kriminalisierung fahrlässigen Verhaltens und den Verzicht auf eine
Versuchsstrafbarkeit versteht. 232 Als eine Konsequenz der von ihm vertretenen
Lehre geht Hassemer davon aus, daß die Straftatbestände des Umweltstrafrechts

rung (Hassemer, Theorie, S. 231 ff.). Hohmann betont, daß das personale Staats- und Rechts-
verständnis im Einklang mit der überwiegenden Zahl der in der zeitgenössischen Philosophie
vertretenen Modelle und auch im Einklang mit dem Menschenbild des Grundgesetzes steht
(Hohmann, Rechtsgut, S. 69 f.).
225 Hassemer, Theorie, S. 231 ff.; ders., Grundlinien, S. 90, 92; ders., Produktverantwor-
tung, S. 22.
226 Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 281.
227 Hassemer nennt hier beispielhaft: Wirtschaft, Beamtenschaft, Rechtspflege, Versiche-
rungen, Schulen, Militär, Familie (vgl. NK, Vor § I Rdnr. 281).
228 Hassemer, Grundlinien, S. 91 f.; ders., in: NK, Vor § I Rdnr. 275 f.; vgl. auch Hoh-
mann, Rechtsgut, S. 142; ders., GA 1992,76,79.
229 Hassemer, Grundlinien, S. 91.
230 Hassemer, Grundlinien, S. 92; ders., in: NK, Vor § I Rdnr. 281. Daß die Existenzbe-
rechtigung kollektiver Rechtsgüter in grundSätzlicher Hinsicht nicht bestritten wird, betont
Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 74 ff., 79; ders., Interdependenzen, S. 250 f.; vgl. auch Lü-
derssen, ZStW \07 (1995), 877, 899.
231 Hassemer, Theorie, S. 207 ff., 219 f.
232 Hassemer, Grundlinien, S. 92; ders., in: NK, Vor § I Rdnr. 280 i.Y.m. Rdnr. 260; vgl.
auch Hohmann, Rechtsgut, S. 142 ff.; ders., GA 1992,76,79.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 93

nicht die Umwelt um ihrer selbst willen schützen, sondern als Medium menschli-
cher Gesundheits- und Lebensbedürfnisse?33 Die Vorschriften des Umweltstraf-
rechts leisten "nicht einen Schutz vor direkten Angriffen auf menschliches Leben
und menschliche Gesundheit ( ... ), sondern einen Schutz vor solchen Angriffen,
die sich gegen die Objekte der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen rich-
ten, denen aber letztlich ein indirekter Angriff auf menschliches Leben und
menschliche Gesundheit innewohnt".234
Aufbauend auf der personalen Rechtsgutslehre Hassemers vertritt Hohmann die
Auffassung, die §§ 324 ff. dStGB seien "zum größten Teil als abstrakte Gefähr-
dungsdelikte bezüglich des Lebens und der Gesundheit des Menschen und nicht,
wie überwiegend angenommen, als Verletzungsdelikte in bezug auf die Umwelt
bzw. deren einzelne Erscheinungsformen Gewässer, Boden, Luft sowie pflanzli-
ches und tierisches Leben zu qualifizieren.'.235 Hieraus leiten sich für ihn dann
weitreichende Konsequenzen ab: Hohmann bejaht zwar die grundsätzliche Not-
wendigkeit, den Schutz der Umwelt (auch) durch die Pönalisierung bestimmter
umweltschädigender Verhaltensweisen sicherzustellen; er erkennt darüber hinaus
sogar an, daß es sich bei den §§ 324 dStGB um Normen handelt, deren grundsätz-
liche Legitimität zu bejahen sei. 236 Weil durch diese Straftatbestände aber "ledig-
lich Gefährdungen menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit und diese
bereits weit im Vorfeld pönalisiert werden", sei es geboten, die Strafrahmen der
Umweltdelikte abzusenken und auch innerhalb der Umweltdelikte danach abzustu-
fen, ob an eine abstrakte Gefährdung, eine konkrete Gefährdung oder eine beson-
ders hohe Intensität der Gefährdung menschlichen Lebens oder menschlicher Ge-
sundheit angeknüpft werde?37 De lege lata sei bei den §§ 324 ff. dStGB zwar eine
Abstufung innerhalb der Deliktsgruppe der Umweltdelikte vorhanden; die Straf-
drohungen seien aber dennoch illegitim, da sie sowohl im Vergleich zu den Kör-
perverletzungsdelikten der §§ 223 ff. dStGB als auch im Hinblick auf die struktu-
rell vergleichbaren Normen des Verkehrsstrafrechts unverhältnismäßig hoch sei-
en?3X Weil die erfaßten Verhaltensweisen nur mit wenig Wahrscheinlichkeit zu ei-
ner wirklichen Gefahr für menschliches Leben und menschliche Gesundheit
führen, seien die Normen - mit Ausnahme der §§ 330, 330a dStGB - nicht im
Kernstrafrecht, sondern - ebenso wie die Verkehrsdelikte - bei gleichzeitiger Ab-
senkung der überzogenen Strafrahmen im Nebenstrafrecht bzw. Ordnungswidrig-
keitenrecht anzusiedeln. 2w

233 Hassemer, Grundlinien, S. 92; ders., in: NK, Vor § I Rdnr. 279.
234 Hohmann, GA 1992,76,84; vgl. auch Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 280.
235 Hohmann, Rechtsgut, S. 197.
236 Hohmann, Rechtsgut, S. 196; ders., GA 1992,76,84.
237 Hohmann, Rechtsgut, S. 198.
m Hohmann, Rechtsgut, S. 198 f.
239 Hohmann, Rechtsgut, S. 199 f.; ders., GA 1992, 76, 85 f.; vgl. auch Hassemer, Grund-
linien, S. 93, dessen Hinweis darauf, daß man "die meisten Tabestände aus dem Katalog der
94 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Die Frage bleibt, warum Strafnormen, die nicht unmittelbar klassische Indivi-
dualrechtsgüter schützen, zwingend aus dem Kernstrafrecht in das Nebenstrafrecht
bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht verlagert werden müssen. Für Hohmann ergibt
sich die Antwort auf diese Frage aus der von ihm als Grundprämisse vorausgesetz-
ten Notwendigkeit, Individual- und Kollektivrechtsgüter in ein Verhältnis der
Über- / Unterordnung zu setzen, was dann - als Konsequenz der "personalen"
Sichtweise - zu der Schlußfolgerung führen soll, daß das Kernstrafrecht auf den
Schutz der höherwertigen Individualrechtsgüter beschränkt bleiben müsse. Indes:
Worin liegt die Notwendigkeit oder auch nur Plausibilität des von Hohmann im
Anschluß an Hassemer behaupteten zwingenden Über- / Unterordnungsverhältnis-
ses von Individual- und Universalrechtsgütern? Warum sollen nicht auch Uni ver-
salrechtsgüter Straftatbestände des Kernstrafrechts legitimieren können?
Aus dem Umstand, daß die staatliche Gemeinschaft der Gewährleistung der
Freiheit des Einzelnen und damit auch der Schutz von Kollektivrechtsgütern letzt-
lich der Gewährleistung der freien Entfaltung der Gesellschaftsmitglieder zu die-
nen hat,240 kann nicht abgeleitet werden, daß das Kernstrafrecht auf den Schutz
vor Beeinträchtigungen konkreter Individualrechtsgüter beschränkt bleiben
muß?41 Auch die Vertreter personaler Rechtsgutskonzeptionen erkennen an, daß
die Einbindung in die Gesellschaft einen Teil der Personalität des vergesellschafte-
ten Individuums ausmacht. 242 Grundlage der personalen Entfaltung ist ohne Frage
die Anerkennung einer individuellen Freiheitssphäre. Angesichts dessen, daß in ei-
ner modernen Gesellschaft aber praktisch keine Freiräume existieren, die es einem
Mitglied der Gesellschaft ermöglichen würden, von seiner Freiheit in einer über
das forum internum hinausgehenden Art und Weise Gebrauch zu machen, ohne
gleichzeitig die Freiheitssphäre anderer Mitglieder der Gesellschaft zu beeinträch-
tigen bzw. mit deren Freiheitsausübung zumindest potentiell in Konflikt zu gera-
ten,243 müssen neben dem Bestand an individuellen Freiheitsrechten auch die
Grundbedingungen gewährleistet werden, die es dem einzelnen überhaupt erst er-
möglichen, von seiner - insoweit notwendigerweise nicht schrankenlosen - Frei-
heit tatsächlich auch Gebrauch machen zu können?44 Wenn aber die freie Entfal-
tung des einzelnen nicht allein - im Sinne eines status negativus - durch die Frei-

§§ 324 ff. StGB eher als Verwaltungsunrecht qualifizieren müsse", darauf hindeutet, daß er
eine Verschiebung in das Ordnungswidrigkeitenrecht für sachgerecht hält.
240 Hohmann, Rechtsgut, S. 63, 70 f.; vgl. auch bereits Marx, Definition, S. 81.
241 Kritisch hierzu auch Kuhlen, ZStW \05 (1993),697,703 f.; ders., Strafrechtsbegren-
zung, S. 92.
242 Hohmann, Rechtsgut, S. 67 f., 70; vgl. im übrigen hierzu: Marx, Definition, S. 32 f.,
38 ff., 41 ff.
243 Vgl. Höffe, Gerechtigkeit, S. 325, 331 f., 382; Kersting, Freiheit, S. 50 f.
244 Jenny / Kunz, Bericht, S. 48; Marx, Definition, S. 58 ff.; Rüdiger, Bekämpfung, S. 85/
86; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 311; Stratenwerth, Festschrift für A. Kaufmann, S. 357
sowie umfassend - unter Anknüpfung an Rawls und Feinberg - Papageorgiou, Schaden,
S. 131 ff.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 95

heit vor Beeinträchtigungen, sondern auch durch die Möglichkeit bestimmt wird,
von dieser Freiheit faktisch Gebrauch zu machen, erscheint die Gewährleistung
der elementaren Grundvoraussetzungen für die Ausübung von Freiheit (status posi-
tivus) als ein für die freie personale Entfaltung elementarer und deshalb grundsätz-
lich strafschutzwürdiger sozialer Wert. 245 Berücksichtigt man weiterhin, daß be-
stimmte soziale Gegebenheiten, wie z. B. die Erhaltung der unverzichtbaren Le-
bensgrundlagen, nicht - wie etwa Eigentum an bestimmten Sachen - einzelnen In-
dividuen, sondern allein der Gemeinschaft der vergesellschafteten Individuen als
solcher - unter Einschluß auch zukünftiger Generationen 246 - zugeordnet werden
können,247 wird deutlich, daß der möglicherweise der Lebenssituation eines wirt-
schaftlich unabhängigen Besitzbürgers im gesellschaftlichen Umfeld des 18. und
19. Jahrhunderts adäquat erscheinende Bezug auf den alleinigen Schutz vor Beein-
trächtigungen des status negativus 248 jedenfalls dem heutigen gesellschaftlichen
Umfeld und den sich hieraus ergebenden Notwendigkeiten, die Möglichkeit freier
personaler Entfaltung zu schützen, nicht gerecht zu werden vermag. 249
Im übrigen ist der Standpunkt Hohmanns auch unter Zugrundelegung der Prä-
missen der personalen Rechtsgutskonzeption als nicht überzeugend zurückzuwei-
sen: Daß sich um den außer Streit stehenden Kernbereich strafrechtswürdiger Indi-
vidualrechtsgüter (Leben, Leib, Freiheit) eine Vielzahl von Individual- aber auch
Univeralsrechtsgütern gruppieren, die - je nach dem Stand der gesellschaftlichen,
kulturellen und technischen Entwicklung - elementare Garantien für die Gewähr-
leistung der Rechtssphäre des einzelnen darstellen und deren Beeinträchtigung aus
diesem Grunde als strafwürdiges Unrecht anzuerkennen ist, wird nämlich auch von
Hassemer nicht in Frage gestellt. 25o Vielmehr werden "schwere und in ihrem Un-
rechtsgehalt sichtbare Gefährdungen, wie sie etwa unser Strafgesetzbuch in den
§§ 306 ff. immer enthalten hat" als integraler Bestandteil des "Kernstrafrechts" an-

245 Vgl. Hefendehl, GA 1997, 119, 122; Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 856; Kindhäuser,
ZStW 107 (1995), 701, 707; Kunz, Bagatellprinzip, S. 28, 150; ders., recht 1/1990, 15;
Marx, Definition, S. 54 ff., 58 ff., 79 ff.; Mattes, Untersuchungen, S. 107 ff.; Müssig, Rechts-
güterschutz, S. 155 f., 185 f., 192, 224; Qtto, Rechtsgutsbegriff, S. 5; ders., Mißbrauch,
S. 457; Roxin, JuS 1966,377,381 f.; ders., StrafR AT, Teilbd. 1, § 2 Rdnr. 6; Wolff, Abgren-
zung, S. 206/207; M.J. Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 64.
246 Bloy, ZStW 100 (1988), 485, 497; Noll, Universitas 1971, 1021; Schünemann, Fest-
schrift für Triffterer, S. 441 sowie umfassend: Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679 ff.
247 Kareklas, Rechtsgut, S. 95.

248 Vgl hierzu: Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 26 f.; Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 9 ff.

249 Kareklas, Rechtsgut, S. 88 f.; Kindhäuser, Rechtsgüterschutz, S. 265; Kratzsch, Verhal-


tenssteuerung, S. 379; Kunz, recht 1/1990, 15; Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 190; Peine,
Systemgerechtigkeit, S. 126 f.; Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 689 ff.; vgl. im übrigen
auch Hohmann, Rechtsgut, S. 113, 141, 195, der selbst anerkennt, daß die Rechtsgutslehre
auf das gewandelte gesellschaftliche Umfeld reagieren muß, wenn sie nicht "anachronistisch"
erscheinen wolle.
250 Hassemer, Theorie, S. 147 ff., 192 f., 221 ff.; ders., Grundlinien, S. 92 f.; ders., ZRP
1992,378,383; ders., in: NK, Vor § I Rdnr.281.
96 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

erkannt und neben den Brandstiftungsdelikten sollen auch Trunkenheit im Straßen-


verkehr, gefährliche Eingriffe in den Luftverkehr, die Bildung krimineller Vereini-
gungen und die Staatsgefährdung Beispiele dafür sein, "wie der Schutz von
Rechtsgütern im Vorfeld ihrer Verletzung organisiert werden kann.,,251 Angesichts
der allgemein anerkannten erheblichen sozialschädlichen Konsequenzen umwelt-
schädigender Verhaltensweisen 252 stellt sich dann aber die weder von Hassemer
noch von Hohmann überzeugend beantwortete Frage, warum gerade die Erhaltung
elementarer Umwelt medien ein von vornherein illegitimer Schutzgegenstand
(kern-)strafrechtlicher Tatbestände sein soll. Vor dem Hintergrund, daß die von
umwelt schädigenden Verhaltensweisen (insgesamt) ausgehende Bedrohungsinten-
sität sehr hoch ist und ständig zunimmt 253 und deshalb diese Verhaltensweisen als
in hohem Maße sozialschädlich angesehen werden müssen, kann die Zuordnung
umweltschädigender Verhaltensweisen zum Anwendungsbereich der Normen des
Kriminalstrafrechts nicht ohne weiteres als unvertretbar angesehen werden. 254
Hohmann hält dem entgegen, der Gesichtspunkt der Sozialschädlichkeit sei nur
einer von mehreren Gesichtspunkten, die bei der Kriminalisierung eines Verhaltens
zu berücksichtigen seien. Da auch im Ordnungswidrigkeitenrecht für besonders so-
zialschädliche Verhaltensweisen hohe Geldbußen angedroht werden könnten,
müsse für die Frage, wo die Vorschriften des Umweltstrafrechts zu lozieren seien,
allein die Intensität der Rechtsgutsgefährdung entscheidend sein?55 Im Anschluß
an Hassemer will Hohmann in der Rechtsgutsverletzung eine zwar notwendige,
nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für die Kriminalisierung einer Verhal-
tensweise sehen. 256 Die Entscheidung, eine bestimmte Verhaltensweise zu krimi-
nalisieren, könne - so die Argumentation Hassemers - nicht allein anhand des To-
pos des Rechtsgüterschutzes entschieden werden,257 sondern müsse darüber hinaus
vor einer Reihe weiterer Prinzipien Bestand haben. Zu diesen Prinzipien gehöre
der Grundsatz der Subsidiarität, der besage, daß strafrechtliche Mittel nur dann am
Platze seien, wenn eine andere Reaktion dem Konflikt nicht gerecht werden könne;
der Grundsatz der Sozialschädlichkeit, nach dem der Konflikt "uns alle" betreffen
müsse und nicht nur Tater und Opfer. Weiterhin dürfe eine Strafdrohung gleich
weIcher Art die Fundamente unserer Rechtskultur nicht antasten. Zu beachten sei-
en insbesondere die Grundsätze der Toleranz, der Humanität und der Wahrung der

251 Hassemer, Produktverantwortung, S. 20/21.


252 Vgl. Hassemer, Theorie, S. 234; Jenny / Kunz, Bericht, S. 3; Seelmann, Strafrecht,
S.199.
253 Hassemer, Theorie, S. 234.

254 Vgl. Kühl, Rechtsgüter, S. 258; Seelmann, Strafrecht, S. 199 sowie Roy Kunz, Verlet-
zungen, S. 21/22, 28; NolI, Umweltschutz, S. 394.
m Hohmann, Rechtsgut, S. 200; in dieser Richtung wohl auch Kasper, Erheblichkeits-
schwelle, S. 96 ff.
256 Hassemer, Grundlinien, S. 88; ders., Theorie, S. 214 ff.; ders., in: NK, Vor § I Rdnr.
196; vgl. auch Hohmann, GA 1992,76, 80.
257 Hassemer, Grundlinien, S. 87; vgl. auch Stächelin, Untermaßverbot, S. 278 f.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 97

Menschenwürde. Schließlich besage der Grundsatz "in dubio pro libertate", daß
Zweifel an der Legitimität einer Kriminalisierung durch den Verzicht auf eine
strafrechtliche Regelung zu lösen seien?58 Da die einzelfallbezogene Konkretisie-
rung der genannten kriminal politischen Maximen einen Wertungsakt voraussetze,
der keine mit mathematischer Sicherheit begründbaren Ableitungen ermögliche,
verbleibe dem Gesetzgeber bei der Definition kriminellen Handeins allerdings not-
wendigerweise ein erheblicher Entscheidungsspielraum, 259 der sich nicht nur auf
das "Ob", sondern auch auf das "Wie" der Kriminalisierung erstrecke. 260 Festzu-
halten bleibt, daß die auf die Unterscheidung der Beeinträchtigung individueller
und überindividueller Rechtsgüter abstellende Forderung, die Straftatbestände der
§§ 324 ff. dStGB unter Abmilderung der Sanktionsrahmen in das Ordnungswidrig-
keitenrecht zu überführen, nach alledem auch unter Heranziehung der Maßstäbe
der personalen Rechtsgutslehre als eine Forderung erscheint, deren sachliche Be-
rechtigung einer näheren Begründung bedürftig wäre, die aber keinesfalls als ein
zwingendes Gebot richtiger Rechtssetzung anerkannt werden kann. 261

(5) Die Lehre vom Verbrechen als Verletzung


des rechtlich konstituierten Basisvertrauens (Wolff)

Daß Kriminal- und Ordnungsunrecht als qualitativ selbständige Unrechtsberei-


che voneinander abzugrenzen seien, ist auch von Ernst Amadeus Wolff betont wor-
den?62 Ausgehend von der These, Kriminalunrecht sei zu definieren als Verlet-

258 Hassemer, Theorie, S. 196 ff.; ders., Grundlinien, S. 88; ders., in: NK, Vor § 1 Rdnrn.
202 ff.; Hohmann, Rechtsgut, S. 166 ff.; ders., GA 1992, 76, 80, wo die Illegitimität der
Straftatbestände des geltenden Umweltstrafrechts des StGB nicht aus Rechsgutserwägungen
sondern daraus abgeleitet wird, daß bei der Ausgestaltung dieser Strafnormen andere straf-
rechtliche Grundsätze (der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Subsidiaritätsprinzip, das
Bestimmtheitsgebot und der Grundsatz "in dubio pro libertate") mißachtet werden, was - wie
Hohmann selbst erkennt, a. a. 0., S. 168 - mit der Frage, ob diese Straftatbestände den Vor-
gaben der (personalen) Rechtsgutslehre entsprechen, nichts zu tun hat.
259 Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 221; Hohmann, Rechtsgut, S. 168.
260 Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 379.
261 Anzumerken ist, daß sich die mit dem Ziel einer Beschränkung des staatlichen Strafens
erhobene Forderung nach einer Abdrängung bestimmter Straftatbestände in das Ordnungs-
widrigkeitenrecht im Ergebnis sogar als kontraproduktiv erweisen kann. Zum einen wird eine
Abmilderung der Sanktionen durch einen Verlust an schützenden Verfahrensgarantien erkauft
(vgl. Naucke, GA 1984, 199,205; Weigend, Festschrift für Miyazawa, S. 556); zum anderen
zeigt sich immer wieder, daß der Gesetzgeber von dem als weniger gewichtig und deshalb
offenbar auch als weniger bedenklich angesehenen Instrument des Ordnungswidrigkeiten-
rechts inflationären Gebrauch macht, was im Ergebnis nicht zu einer Reduktion, sondern zu
einer Ausdehnung der staatlichen Repression führt (vgl. Hirsch, ZStW 92 (1980), 218, 243;
Lang-Hinrichsen, Festschrift für H. Mayer, S. 62; Mitsch, Ordnungswidrigkeiten, Teil I, § 3
Rn. 16; Vogler, ZStW 90 (1978),132,156; Weber, ZStW 92 (1980), 313, 319 ff.; zu optimi-
stisch daher wohl: Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 154 f.).
262 Wolff, Abgrenzung, S. 157.

7 Wohlers
98 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

zung des rechtlich konstituierten Basisvertrauens, durch die andere oder der Staat
in einer Art verletzt werden, auf die sie sich - in dem von der Rechtsordnung ein-
geräumten selbstorientierten Dasein - nicht aus eigener Kraft einstellen können,263
versucht Wolff Maßstäbe für die Zuordnung bei Beeinträchtigungen sowohl indivi-
dueller als auch überpersonaler Belange zu entwickeln: 264 Als Beispiel für den
Schutz individueller Belange greift Wolff auf das Straßenverkehrsrecht zurück.
Angesichts dessen, daß es sich beim Straßenverkehr um einen Bereich handele, in
dem sich die Bürger nur begrenzt aufeinander einstellen und Gefahren nur unzurei-
chend begegnen könnten, seien Regeln zur Ordnung des Straßenverkehrs sowie
Zwangsregeln zur Durchsetzung dieser Regeln zu akzeptieren. Verstöße gegen die
Regeln des Straßenverkehrs seien dann als Kriminalunrecht aufzufassen, wenn der
Täter "ein Mittel einsetzt, das ihm der Art nach unbeherrschbar ist und andere eine
solche Gefahr nicht in Kauf nehmen würden.,,265 Während Wolff unter Zugrunde-
legung dieses Maßstabes "noch gute Gründe für die Berechtigung" sieht, die Trun-
kenheitsfahrt (§ 316 dStGB) als Kriminaldelikt aufzufassen, soll § 21 Ziff. 2 StVG
(Fahren ohne Fahrerlaubnis) eindeutig eine Ordnungswidrigkeit darstellen. 266
Im Hinblick auf den Schutz überindividueller Belange greift Wolff zunächst das
Beispiel von Einwirkungen in den Tätigkeitsbereich der Polizei heraus. Kriminal-
unrecht stelle die Einwirkung in den Tätigkeitsbereich eines staatlichen Organs
dann dar, wenn das staatliche Organ "bei ordnungsgemäßer Leistung zur Erfüllung
seiner Aufgaben darauf angewiesen ist, solche Angriffe nicht erdulden zu müssen."
Vor diesem Hintergrund will Wolff sowohl die Strafvereitelung (§ 258 dStGB) als
auch die falsche Verdächtigung (§ 164 dStGB) als Kriminalunrecht auffassen, nicht
dagegen das Vortäuschen einer Straftat (§ 145d dStGB). Es sei "kein rationaler
Grund ... zu finden, warum der Einzelne jeder anderen noch so wichtigen staatli-
chen Stelle straflos Arbeit bereiten kann, nicht aber der Polizei".267 Bezogen auf
Delikte im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung sei Kriminalunrecht erst
dann gegeben, wenn der Angriff die Möglichkeiten der staatlichen Organe, die Er-
haltung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten, so vermindere, "daß eine or-
dentliche, auf das Allgemeine ausgerichtete Staatsführung in ihren normalen Tätig-
keiten sich darauf nicht oder nur als Krisenleistung einstellen kann", was beispiels-
weise beim Landfriedensbruch nicht der Fall sei. 268 Demgegenüber wäre das
Gründen und die Unterhaltung von Vereinigungen, die auf die Destabilisierung des
Gemeinwesens durch Angriffe auf Schaltstellen und Schlüsselpersonen des Ge-
meinwesen abzielen, als Kriminalunrecht aufzufassen?69 Gleiches gelte schließ-

263 Wolff, Abgrenzung, S. 212 f.; vgl. auch bereits ders., ZStW 97 (1985), 787, 819.
264 Vgl. Wolff, Abgrenzung, S. 218 ff.
265 Wolff, Abgrenzung, S. 218 f. Der Sache nach handele es sich um schwere, konkret be-
schriebene Sorgfaltspflichtverletzungen, a. a. 0., S. 220.
266 Wolff, Abgrenzung, S. 220.
267 Wolff, Abgrenzung, S. 220 f.
268 Wolff, Abgrenzung, S. 221.
269 Wolff, Abgrenzung, S. 223.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 99

lieh für die Verletzung der Hilfspflicht in Unglückssituationen, in denen weder der
einzelne selbst sich helfen könne, noch die zur Hilfeleistung bestellten Träger
staatlicher Gewalt zur Stelle seien. 27o
Die von Wolff selbst gegebenen Beispiele belegen indes, daß auch seine Lehre
eine begrifflich scharfe Abgrenzung bei der Unrechtsbereiche nicht zu bieten ver-
mag: Zunächst bleibt stets zu klären, ob das jeweils verletzte Interesse Bestandteil
des grundlegenden Anerkennungsverhältnisses ist, was angesichts des hohen Ab-
straktionsgrades dieses Kriteriums bereits nicht unerhebliche Wertungsspielräume
eröffnet. Darüber hinaus kann aber auch die weitere Frage, ob sich der betroffene
einzelne bzw. das betroffene staatliche Organ auf diese Art der Verletzung einstel-
len kann, ebenfalls nur bewertend gelöst werden, was letztlich dahin führt, daß es
gar nicht darum geht, ob sich der Betroffene auf die Art der Verletzung einstellen
,,kann", sondern vielmehr darum, ob er sich - bei wertender Betrachtung - auf
diese Art der Verletzung einstellen muß bzw. einzustellen hat. 271
Im Hinblick auf das von Wolff herangezogene Beispiel des Straßenverkehrs-
rechts muß also zum einen die Bedrohungsintensität der jeweils in Frage stehenden
Verhaltensweise bewertet und zum anderen entschieden werden, ob andere eine
solche Gefahr in Kauf nehmen würden. Mit anderen Worten: Die Verhaltensweise
selbst und die mit ihr verbundene Gefahrensituation sind jeweils auf einer Skala
einzuordnen, die sich zwischen den Polen "beherrschbar" und "unbeherrschbar"
sowie "tolerabel" und "intolerabel" erstreckt. Erst die Gesamtbetrachtung der vor-
angegangenen Bewertungen ergibt dann die endgültige Zuordnung zum Kriminal-
oder Ordnungsunrecht, die ersichtlich nicht mehr als das Ergebnis einer begriff-
lich-qualitativen Abgrenzung interpretiert werden kann. Die von Wolff vorgenom-
mene Zuordnung der von § 316 dStGB erfaßten Verhaltensweisen zum Bereich des
Kriminalunrechts und der von § 21 StVG erfaßten Verhaltensweisen zum Bereich
des Ordnungsunrechts ist keinesfalls zwingend. 272 Für die weiteren von Wolff her-
angezogenen Beispiele gilt nichts anderes. Sowohl die Frage, welche Beeinträchti-
gungen bei der Durchführung ihrer Aufgaben staatliche Organe "nicht erdulden ...
müssen" als auch die Frage, ob bestimmte Verhaltensweisen die Möglichkeiten
staatlicher Organe, die Erhaltung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten, so
vermindern, "daß eine ordentliche, auf das Allgemeine ausgerichtete Staatsführung
in ihren normalen Tätigkeiten sich darauf nicht oder nur als Krisenleistung einstel-
len kann",273 setzen komplexe Bewertungen voraus, was dazu führt, daß für die
Abgrenzung beider Unrechtsbereiche jedenfalls in der praktischen Umsetzung die
aliud-These nicht durchgehalten werden kann und einer gleitenden Bewertung des
Unrechtsgehalts weichen muß?74

Wolff. Abgrenzung, S. 223.


270

Vgl. Wolff, ZStW 97 (1985), 787, 819: Verbrechen als Verletzung des "festgelegten"
271
öffentlichen Basisvertrauens.
272 Vgl. hierzu unten S. 315 ff.
273 Richtigerweise müßte es auch hier wieder heißen: " ... einstellen muß."

7"
100 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kemstrafrecht

(6) Kriminal- und Ordnungsunrecht als graduell abgestufte Unrechtsfonnen

Als Ergebnis der bisherigen Betrachtung bleibt festzuhalten: Die Versuche, Kri-
minalunrecht und Ordnungsunrecht als wesensverschiedene Unrechtsbereiche von-
einander abzugrenzen, müssen sämtlich als gescheitert angesehen werden. Entwe-
der lassen sich die vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien mit grundlegenden Prä-
missen des modemen Rechtsstaatsdenkens nicht vereinbaren (Goldschmidt, Wolf)
oder sie laufen darauf hinaus, daß unter dem Deckmantel eines angeblichen We-
sensunterschiedes 275 letztlich doch nach quantitativen Maßstäben abgegrenzt wird.
Aus dem Fehlen begrifflich faßbarer Kriterien zur qualitativ-wesensmäßigen Un-
terscheidung bei der Unrechtsbereiche ist von einer nicht unbeträchtlichen Zahl
von Autoren der Schluß gezogen worden, daß es sich beim Kriminal- und Ord-
nungsunrecht um nur quantitativ abzuschichtende Unrechtsabstufungen handeln
könne. 276 Als Konsequenz dieses Ansatzes wird die Auffassung vertreten, daß es
Aufgabe des Gesetzgebers sei, den Anwendungsbereich des Kriminalstrafrechts
abzugrenzen. 277
Dieser Ansatz erscheint zunächst plausibel. Er trägt einerseits dem Umstand
Rechnung, daß ein qualitatives Abgrenzungskriterium zur durchgängigen begriffli-
chen Unterscheidung von Kriminal- und Ordnungsunrecht bisher nicht gefunden
wurde; darüber hinaus verträgt er sich mit dem de lege lata zu konstatierenden hete-
rogenen Gesamtbild des Rechts der Ordnungswidrigkeiten. Soweit die Notwendig-
keit einer quantitativen Abgrenzung allerdings darauf gestützt werden soll, daß das
Ordnungsunrecht de lege lata keine einheitliche Materie darsteIle, die anhand eines
begrifflichen (Abgrenzungs-)Kri teri ums definiert werden könne,278 oder die Un-

274 Soweit Wolff davon auszugehen scheint, daß der Gesetzgeber davon absehen kann,
Kriminalunrecht als solches zu ahnden, und stattdessen eine Ausgestaltung als Ordnungswid-
rigkeit zu wählen (vgl. Wolff, Abgrenzung, S. 219), ist auch dies mit seinem Grundansatz
einer qualitativ-begrifflichen Abgrenzung beider Unrechtsbereiche nicht ohne weiteres zu
vereinbaren.
m Im einzelnen: Verletzung gesellschaftlich vorgegebener Verhaltensregeln als Gegensatz
zur bloßen Zuwiderhandlung gegen staatlich gesetzte Regeln; sozialethisch indifferente ge-
gen sozialethisch zu mißbilligende Regelverstöße; Verhaltensweisen, auf deren Kompensati-
on der Einzelne oder staatliche Organe sich einstellen können bzw. einstellen müssen oder
nicht einstellen können bzw. einstellen müssen.
276 R. v. Hippe\, Strafrecht, Bd. 2, S. 118 m. w. N. aus dem älteren Schrifttum; Appel, Ver-
fassung, S. 506; Baumann, ZfW 1973,63,66/67; Hirsch, ZStW 92 (\980), 218, 242; Je-
scheck, JZ 1959,457,461; H. Mayer, StrafR AT, S. 72; Sax, Grundsätze, S. 922 f.; Schmid-
häuser, StrafR AT, 8/105; Tiedemann, ÖJZ 1972,285,290; Weber, ZStW 92 (\980),313,
316 ff.; Weigend, Festschrift für Miyazawa, S. 556; Welzel, JZ 1956,238,240 f.; ders., JZ
1957,130,131 f.
277 Göhler, OWiG, Vor § I Rdnr. 7; ders., JZ 1968,583,586; Hirsch, Bekämpfung, S. 20;
Hack, Probleme. S. 131 f.; Rehberg, Strafrecht I. S. 5; Stratenwerth. StrafR AT, Rdnr. 42;
ders., SchwStrafR AT I, § 2 Rdnr. 40; Tiedemann, Gutachten, C 38; Trechsell Noll. StrafR
AT!, S. 31.
278 SO Z. B. Jescheck I Weigend, StrafR AT, S. 58; Jescheck. JZ 1959,457,461 f.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 101

möglichkeit einer qualitativen Abgrenzung damit begründet werden soll, daß für
die geltende Rechtsordnung eine qualitative Verschiedenheit von Kriminaldelikten
und Ordnungswidrigkeiten nicht durchgängig zu belegen sei,279 vermag dies nicht
zu überzeugen. Auch wenn der Gesetzgeber praktisch so verfährt und die Rechts-
lage de lege lata folgerichtig nur so zu erklären ist,28o wäre es doch zirkelhaft, aus
der Analyse der de lege lata bestehenden Rechtsordnung die materielle Legitimati-
on eben dieser Rechtsordnung ableiten zu wollen. Die Notwendigkeit externer Ab-
grenzungsmaßstäbe ergibt sich schon daraus, daß der Gesetzgeber selbst auf externe
Maßstäbe angewiesen ist, wenn er zu entscheiden hat, ob neu zu schaffende Sank-
tionstatbestände als Straftatbestand oder als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet wer-
den sollen. Eben diese (externen) Maßstäbe können und müssen dann aber auch her-
angezogen werden, wenn die vom Gesetzgeber vorgenommene Abgrenzung beider
Unrechtsbereiche auf ihre materielle Berechtigung hin untersucht wird.
Der Verzicht auf die Konkretisierung externer Abgrenzungsmaßstäbe würde die
Abgrenzung dem Gesetzgeber überantworten, dessen Entscheidungen einer exter-
nen Kontrolle weitgehend entzogen und damit selbst im Hinblick auf systemimma-
nente Fehlleistungen nur eingeschränkt überprüfbar wären. Entgegen Eberhard
Schmidt kann dies nicht mit den Hinweis darauf für unbedenklich erklärt werden,
daß man es dem Gesetzgeber eines Rechtsstaates zutrauen dürfe, die immer erneut
zu lösende Aufgabe der materiellen Unterscheidung zwischen Straftat und Ord-
nungswidrigkeit gewissenhaft zu prüfen?8) Abgesehen davon, daß schon die ver-
breitete - und zum Teil auch in der Sache sehr scharfe - Kritik an den im Einzelfall
vom bundesdeutschen Gesetzgeber vorgenommenen Zuordnungen 282 die Berechti-
gung dieser Einschätzung als zweifelhaft erscheinen läßt, kann es nicht überzeu-
gen, den Verzicht auf Maßstäbe zur Kontrolle der materiellen Berechtigung gesetz-
geberischer Entscheidungen durch den Hinweis auf den zu vermutenden guten
Willen des Gesetzgebers legitimieren zu wollen. Soll es sachgerecht sein, einer-
seits einen qualitativen Unterschied von Kriminal- und Ordnungsunrecht zu leug-
nen und andererseits die jeweiligen Delikte in zwei grundlegend voneinander ab-
weichenden Verfahrensarten zu verfolgen und mit unterschiedlichen Sanktionen zu
ahnden, kann die Zuordnung nicht dem Belieben des Gesetzgebers überantwortet
werden. Der mit der Zuordnung verbundenen unterschiedlichen Sanktion bzw.
staatlichen Reaktion muß eine entsprechende Abgrenzung von Kriminal- und Ord-
nungsunrecht korrespondieren. 283

279 So z. B. Göhler, Vor § I Rdnrn. 4 f.; Jakobs, StrafR AT, 3/8; Lang-Hinrichsen, JZ
1970,796.
280 Vgl. Mattes, Untersuchungen, S. 75 ff.
281 Eb. Schmidt, Festschrift für Arndt, S. 431; ders., JZ 1951, 101, 103; vgl. auch Michels,
Handlung, S. 83 ff.
282 Beispielhaft sei hier auf die Zuordnung der § 264 Abs. 3 dStGB, § 21 StVG zum Be-
reich des Kriminalunrechts und der §§ 38 f. GWB zum Bereich des Ordnungsunrechts ver-
wiesen, vgl. Weber, ZStW 92 (1980), 313, 317; Müller-Dalhoff, Abgrenzung, S. 51 ff.; Tiede-
mann, Gutachten, C 38.
102 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

(7) Der gemischt qualitativ-quantitative Ansatz

Das Dilemma, daß einerseits die Vertreter der aliud-Theorien nicht in der Lage
sind, Abgrenzungskriterien zu benennen, anhand derer eine begrifflich-konkrete
Unterscheidung von Kriminal- und Ordnungsunrecht erfolgen kann, und anderer-
seits eine rein quantitative Abgrenzungstheorie die Zuordnung bestimmter Verhal-
tensweisen letztlich dem Belieben des Gesetzgebers überantwortet, damit aber
auch die sachliche Berechtigung der qualitativ unterschiedlichen Art und Weise
der staatlichen Reaktion in Frage stellt, dürfte der maßgebliche Grund dafür sein,
daß heute die Tendenz vorherrschend ist, qualitative und quantitative Kriterien zu
kombinieren. Die Vertreter des sog. gemischt qualitativ-quantitativen Ansatzes ge-
hen davon aus, daß sowohl das Kriminalstrafrecht als auch das Ordnungswidrig-
keitenrecht dem Rechtsgüterschutz dienen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht sei
aber dadurch gekennzeichnet, daß es weniger gefährliche Verhaltensweisen bzw.
weniger schwerwiegende Beeinträchtigungen der geschützten Handlungsobjekte
zum Gegenstand habe. Außerdem fehle es an jenem hohen Grad von Verwerflich-
keit der Tätergesinnung, der allein das der Kriminalstrafe anhaftende schwere so-
zialethische Unrechts urteil rechtfertigen könne. Im Ergebnis bedeute dies, daß es
einerseits einen Kernbereich sozialethisch verwerflicher Verhaltensweisen gebe,
der einer Behandlung als bloßes Ordnungsunrecht nicht zugänglich sei, und ande-
rerseits einen Kernbereich bloßen Ordnungsunrechts, der wiederum nicht als Kri-
minalunrecht behandelt werden dürfe. Außerhalb dieser Kernbereiche soll der Ge-
setzgeber dagegen nach pragmatischen Gesichtspunkten darüber entscheiden kön-
nen, ob eine bestimmte Verhaltensweise als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit
auszugestalten sei. 284
Die Bedeutung, die dem gemischt qualitativ-quantitativen Ansatz derzeit zu-
kommt, beruht nicht zuletzt darauf, daß er maßgebend vom BVerfG entwickelt
wurde und seitdem der Rechtsprechung dieses Gerichts zugrunde liegt. Das BVerfG
geht davon aus, daß es einen Kernbereich des Strafrechts gibt, der dem Zugriff des
Gesetzgebers entzogen ist. Zu diesem Kernbereich gehören "alle bedeutsamen Un-
rechtstatbestände"?85 Weiterhin gehören zum Bereich des Strafrechts "auch alle

283 Schoreit, GA 1967,225; vgl. auch Eb. Schmidt, JZ 1969,401,402.


284 Baumann/Weber/Mitsch, StrafR AT, § 4 Rdnr. 16; Göhler, OWiG, Vor § I Rdnrn. 7 f.;
Jakobs, StrafR AT, 3/7 f., 10; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 59; Jescheck, in: LK, Einl.
Rdnr. 11; Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 1 Rdnrn. 32, 35; Mitsch, Ordnungswidrig-
keiten, Teil I § 3 Rdnrn. 11, 14; Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnm. 51 f.; vgl. auch Mül-
ler-Dalhoff, Abgrenzung, S. 241 f., der wiederum darauf abstellen will, daß die gemischt
qualtitativ-quantitative Theorie der Rechtswirklichkeit am nächsten komme und durch die
gegenwärtige Rechtslage eine solche Festigkeit erlangt habe, daß grundSätzliche Zweifel an
ihr nicht mehr angebracht seien.
Umstritten ist, ob bei Zugrundelegung des gemischt qualitativ-quantitativen Ansatzes be-
stimmte Verhaltensweisen, die - wie z. B. der Diebstahl - grundSätzlich dem Kernbereich
zugeordnet werden, hinsichtlich bagatellartiger Begehungweisen als Ordnungswidrigkeiten
ausgestaltet werden können (bejahend: Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 51; verneinend:
Jakobs, StrafR AT, 3/10).
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen \03

minder gewichtigen strafrechtlichen Unrechtstatbestände, wenn und solange sie


durch Kriminalstrafe geahndet werden".286 Derartige minder gewichtigen straf-
rechtlichen Tatbestände könne der Gesetzgeber aber in Ordnungswidrigkeiten, die
durch Buße geahndet werden, umwandeln?87 Schließlich soll es einen Bereich
reiner Ordnungswidrigkeiten geben, der nach Auffassung des BVerfG Gesetzes-
übertretungen umfaßt, die nach allgemeinen gesellschaftlichen Auffassungen nicht
als kriminalstrafwürdig gelten. 288
Der Unterscheidung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten liegt nach Auf-
fassung des BVerfG eine differenzierende Bewertung des sozialethischen Unwert-
gehaltes der zugrundeliegenden Verhaltensweisen zugrunde. 289 ,,Aufgabe des
Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen.
Was zweifellos in den Kembereich des Strafrechts gehört, läßt sich an Hand der
grundgesetzlichen Werteordnung mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln. Mit
der gleichen Bestimmtheit läßt sich sagen, daß gewisse, minder gewichtige, über-
kommene strafrechtliche Tatbestände aus diesem Kembereich herausfallen.
Schwieriger ist es, die exakte Grenzlinie zwischen dem Kembereich des Straf-
rechts und dem Bereich der bloßen Ordnungswidrigkeiten zu ziehen, zumal in die-
sem Grenzbereich die in der Rechtsgemeinschaft herrschenden Anschauungen
über die Bewertung des Unrechtsgehaltes einzelner Verhaltensweisen in besonde-
rem Maße dem Wechsel unterworfen sind. ,,290 Im Grenzbereich zwischen Krimi-
nalunrecht und Ordnungsunrecht bestehen nach Auffassung des BVerfG dagegen
nur graduelle Unterschiede. Hier sei es Sache des Gesetzgebers, die exakte Grenz-
linie unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten historischen Situation im
einzelnen verbindlich und im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Werteord-
nung festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht könne die diesbezüglichen Ent-
scheidungen des Gesetzgebers nur daraufhin überprüfen, ob sie im Einklang mit
der verfassungsrechtlichen Werteordnung stehen und den ungeschriebenen Verfas-
sungsgrundsätzen und den Grundentscheidungen des Grundgesetzes entspre-
chen. 291 Diese Prüfung habe sich "nicht an einem engen Verhältnismäßigkeits-
grundsatz auszurichten; vielmehr ist dem Gesetzgeber ein nicht unerheblicher
Spielraum eigenverantwortlicher Bewertung einzuräumen".292

285 BVerfGE 22, 49, 81; 22, 125, 1321133; 23, 113, 126; 42, 272, 289.
286 BVerfGE 22, 49,81; 23,113,126.
287 BVerfGE 22, 49, 81; 22,125,133; 23,113,126; 27,18,

288 BVErfGE 8,197,207; 9,167,172; vgl. hierzu auch Lagodny, Strafrecht, S. 422/423:
Verletzungen verwaltungsrechtlicher Auflagen; leichtere Verstöße gegen Verkehrsregelungen.
289 BVerfGE9, 167, 172; 27,18,29.

290 BVerfGE 27, 18,29 f.


291 BVerfGE 27, 18, 30; 37,201,212; 42, 272, 289; 51, 60, 74; 80, 282, 286; 90, 145, 173.

292 BVerfGE 80, 282, 286; a.A. der Verfassungsrichter Sommer in seinem Minderheitsvo-
tum in BVerfGE 90, 145, 213 ff.: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei ein Verfassungs-
grundsatz, dessen Einhaltung durch den Gesetzgeber das BVerfG zu überwachen habe, was
notwendigerweise eine eigene wertende Entscheidung des BVerfG erforderlich mache.
104 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Vordergründig scheint der gemischt qualitativ-quantitative Ansatz gegenüber ei-


ner rein quantitativen Abgrenzung beider Unrechtsbereiche den Vorteil zu bieten,
daß beide Unrechtsformen in ihren Kernbereichen qualitativ unterschieden werden
und damit eindeutig voneinander abgrenzbar sind, was dann zur Folge hat, daß das
einer an rationalen Kriterien orientierten externen Kontrolle weitgehend entzogene
gesetzgeberische Ermessen allein im Grenzbereich zwischen beiden Unrechtsfor-
men zum Tragen kommt. Tatsächlich ist es aber so, daß eine hinreichend präzise
Bestimmung der Kernbereiche bisher aussteht. Der Rechtsprechung des BVerfG ist
allein zu entnehmen, das Beeinträchtigungen der Unverletzlichkeit menschlichen
Lebens zum Kernbereich des Kriminalunrechts zu rechnen sind,293 während z. B.
die Regelung des Bagatelldiebstahls, das Fahren ohne Fahrerlaubnis und die Art
und Weise der repressiven Reaktion auf Sitzdemonstrationen bereits dem Grenzbe-
reich zugerechnet werden.2 94 Darüber hinaus verweist das BVerfG darauf, daß es
sich bei den dem Kriminalunrecht zuzurechnenden Normverstößen um die "Verlet-
zung elementarer Werte des Gemeinschaftslebens" handeln müsse, die über ihr
bloßes Verbotensein hinaus "in besonderer Weise sozialschädlich" seien und deren
Verhinderung daher für das geordnete Zusammenleben der Menschen "besonders
dringend" ist. 295 Wenn aber die Zuordnung zum Kern- oder Grenzbereich nicht
randscharf möglich ist,296 bleibt notwendigerweise die Abgrenzung insgesamt un-
scharf. Die Dreiteilung der Unrechtsmaterie in zwei Kernbereiche und einen
Grenzbereich bringt damit im Ergebnis keinen Gewinn gegenüber einer rein quan-
titativen Abgrenzung, sondern verschleiert lediglich die Tatsache, daß die Zuord-
nung letztlich doch dem an quantitativen Erwägungen orientierten Ermessen des
Gesetzgebers überantwortet bleibt.
Soweit sich das BVerfG zu den Kriterien äußert, anhand derer sich der Gesetz-
geber bei der Zuordnung eines Normverstoßes zum Kriminal- oder Ordnungsun-
recht orientieren kann, greift es auf die Summe der von den Vertretern der aliud-
Theorien entwickelten Abgrenzungskriterien zurück. Ordnungswidrigkeiten sind
nach Auffassung des BVerfG Verstöße gegen Verhaltensnormen, bei denen der
Schuldvorwurf
"die Sphäre des Ethischen nicht erreicht. Dem Tater wird - der Idee nach - nicht Aufleh-
nung gegen die staatliche Rechtsordnung in einem grundsätzlichen, mit fehlerhafter Per-
sönlichkeitshaltung zusammenhängenden Sinne zur Last gelegt; demgemäß fehlt der Geld-
buße der Ernst der staatlichen Strafe. Es liegt bloßer Ungehorsam gegen ,technisches',
zeit- und verhältnisbedingtes Ordnungsrecht der staatlichen Verwaltung vor, auf den diese
mit einer scharfen ,Pflichtenmahnung' (Erik Wolf) antwortet."297

293 BVerfGE 88,203,257.


294 BVerfGE 50, 205, 213; 51, 60, 74; 73, 206, 248; zustimmend Lagodny, Strafrecht,
S.448.
295 BVerfGE 50, 205, 213; 88, 203, 258; umfassende Nachweise der Rechtsprechung des
BVerfG bei Lagodny, Strafrecht, S. 420 ff.; kritisch zur Rechtsprechungslinie des BVerfG:
Appel, Verfassung, S. 63 ff., 198 ff.
296 Jakobs, StrafR AT, 3/1,10.
IV. Ablösung strafrechtlicher Nonnen 105

In ähnlicher Weise greifen auch andere Vertreter des qualitativ-quantitativen An-


satzes mehr oder weniger offen die von den Vertretern qualitativer Abgrenzungs-
lehren entwickelten Kriterien auf, interpretieren bzw. verwenden diese aber als
quantifizierbare Kriterien. So meint Jakobs, die Nähe zu sozialadäquatem Verhal-
ten oder die bagatellhaften Konsequenzen eines Verhaltens sprächen für eine Rege-
lung im Ordnungswidrigkeitenrecht. Gleiches gelte für Verstöße gegen Verhaltens-
normen, die "auswechselbare" Staatsziele schützen, während bei der Beeinträchti-
gung "fixer" Staatsziele Straftaten vorliegen sollen. 298 Andere Autoren sehen das
maßgebliche Kriterium der graduellen Abschichtung im sozialethischen Unwertge-
halt eines Normverstoßes, der wiederum anhand der Wertigkeit des betroffenen
Rechtsguts, der Intensität und des Grades der Rechtsgutsbeeinträchtigung sowie
der Verwerflichkeit der Tatergesinnung zu bestimmen sei. 299
Zusammenfassend ist eine angesichts des im Ansatz so kontrovers erscheinen-
den Meinungsstandes doch überraschend weitgehende Übereinstimmung dahinge-
hend festzustellen, daß Kriminal- und Ordnungsunrecht letztlich nach quantitati-
ven Maßstäben voneinander abzugrenzen sind. Bei den Vertretern qualitativer
Abgrenzungslehren wird dieser Umstand zwar im Grundsatz geleugnet, in der
praktischen Durchführung dieser Lehren sind aber Konzessionen an quantitative
Abgrenzungsmaßstäbe festzustellen, die den behaupteten qualitativen Unterschied
bei der Unrechtsbereiche durchgreifend in Frage stellen. Auch der qualitativ-quan-
titative Ansatz hat sich in der praktischen Durchführung als eine verdeckt-quantita-
tive Abgrenzungsmethode erwiesen.

(8) Die Angemessenheit der angedrohten Sanktion


als Zuordnungskriterium

Nachdem sich eine qualitative Abgrenzung der Unrechtsbereiche als undurch-


führbar erwiesen hat, verbleibt als potentielles Kriterium für die Zuordnung die
Anknüpfung an die Sanktion. In der modemen Literatur wird insoweit die - wie-
derum auf Goldschmidt und Wolf zurückgehende - These vertreten, daß Kriminal-
strafe und Geldbuße wesensverschiedene Sanktionen seien. Der Kriminalstrafe sei
ein sozialethischer Tadel wesensimmanent, während die Geldbuße eine bloße
Pflichten mahnung darsteIle. 3OO Auch das BVerfG vertritt die Auffassung, daß nur
die Kriminalstrafe eine mit einem ethischen Schuldvorwurf verbundene echte Stra-

297 BVerfGE 9,167,171.


298 Jakobs, StrafR AT, 3/9.
299 H.-L. Günther, Ordnungswidrigkeiten, S. 390 ff.; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 59;
Mitsch, Ordnungswidrigkeiten, Teil I § 3 Rdnr. 10; Müller-Dalhoff, Abgrenzung, S. 220 ff.
300 Göhler, OWiG, Vor § I Rdnr. 9; Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. 1, § I Rdnr. 39; Eh.
Schmidt, SüdJZ 1948,225,234 f.; ders., Wirtschaftsstrafrecht, S. 39 ff.; Steindorf, in: KK-
OWiG, § 17 Rdnrn. 5 ff.; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 43; kritisch hierzu Appel, Verfas-
sung, S. 91 f.
106 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

fe sei. 30l Der Buße des Ordnungswidrigkeitenrechts fehle der "Ernst der staatli-
chen Strafe". Mit der an die Ordnungswidrigkeit geknüpften Sanktion sei lediglich
eine "nachdrückliche Pflichtenmahnung" bezweckt. 302 Das BVerfG erkennt an,
daß sich Geldbuße und Geldstrafe in finanzieller Hinsicht für den Betroffenen glei-
chermaßen nachteilig auswirken. 303 Der maßgebende Unterschied sei aber nicht
das Gewicht, mit dem "die Geldstrafe in das Vermögensrecht des Betroffenen ein-
greift. Wesentlich ist das mit der Festsetzung einer Geldstrafe als Kriminalstrafe
notwendig verbundene Unwerturteil, der Vorwurf einer Auflehnung gegen die
Rechtsordnung und die Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs.,,304 Ande-
rerseits hält das BVerfG aber auch die Eintragung als Vorstrafe und die Möglich-
keit der Umwandlung in eine Freiheitsstrafe für Merkm(!le und Wirkungen, die der
Kriminalstrafe eigentümlich sind, und die - im Hinblick auf die Verhängung durch
den Richter bzw. die Verwaltungsbehörde - unterschiedliche Behandlung von Kri-
minalstrafe und Buße rechtfertigen sollen. 305
Indes: Da sich die Prämisse, daß es sich bei Kriminal- und Ordnungsunrecht um
zwei wesensverschiedene Unrechtsbereiche handeln soll, als unzutreffend erwie-
sen hat, kann hieraus eine wesensmäßige Andersartigkeit von Kriminalstrafe und
Geldbuße nicht abgeleitet werden. 306 Entscheidend ist, ob "Kriminalstrafe" und
"Geldbuße" für sich gesehen als wesensverschiedene Sanktionen angesprochen
werden können. Das Wesen der Kriminalstrafe wird maßgeblich durch zwei Mo-
mente geprägt: Die Strafe ist ein Übel, das einer Person als Konsequenz eines
Normverstoßes zugefügt wird (Strafe als Übelszufügung), und sie ist Ausdruck der
Mißbilligung, daß der Täter der ihm obliegenden Verantwortung für die Einhaltung
der Rechtsordnung nicht gerecht geworden ist (Strafe als Tadel).307 Beide Mo-
mente treffen indes auch auf die Geldbuße zu: Auch die Geldbuße ist ein Übel, das
als Reaktion auf einen schuldhaft begangenen Verstoß gegen eine sanktionsbe-
wehrte Verbotsnorm auferlegt wird. 308 Ebensowenig wie die Kriminalstrafe gleicht

301 BVerfGE 22, 49, 79; 22, 125, 132; 25, 269, 286; 42, 272, 288; 88, 203, 258; 90, 145,
173,200,213.
302 BVerfGE 22, 49, 79; 27,18,33; 42, 272, 288/289; vgl. auch BGH, NJW 1993,3081,
3083.
303 BVerfGE 27,18,33; 42, 272, 290

304 BVerfGE 22, 49,80; 27,18,33; 27,36,40; 43,101,105.

305 BVerfGE 22, 49,80; vgl. auch BVerfGE 8, 197,207; 9, 167, 172,27,36,40 wo aber
zusätzlich auch auf den "geringeren Unrechtsgehalt" und den "Grad des ethischen Unwertge-
halts" abgestellt wird; in anderen Entscheidungen des BVerfG stehen diese Kriterien gänzlich
im Vordergrund, vgl. BVerfGE 42, 272, 288 f.
306 Vgl. hierzu i.e. Mattes, Untersuchungen, S. 253 ff., insbesondere S. 272 ff., 289.

307 Androulakis, 'Z1)tW 108 (1996), 300, 303 ff.; Baumann 1Weber 1Mitsch, StrafR AT,
§ 34 Rdnrn. I f.; Duff, Prävention, S. 189 ff.; Gallas, Grenzen, S. 4; v. Hirsch, Tadel und
Prävention, S. 103 ff.; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 65; Jescheck, in: LK, Einl. Rdnr. 23;
Hörnle/Hirsch, GA 1995, 261, 265 ff.; Kindhäuser, GA 1989, 493; Neumann/Schroth,
Theorien, S. 6 ff.; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 34 ff.; ders., StrafR AT, 217; Welzel,
Strafrecht, § 32 I.I.a.
IV. Ablösung strafrechtlicher Normen 107

die Geldbuße die durch die konkrete Tat bewirkten Schäden aus, sondern dient -
wie jede repressive staatliche Reaktion - allein dem Ausgleich des durch die Tat
bewirkten Geltungsschadens für die übertretene Verhaltensnorm bzw. der Wieder-
herstellung des Geltungsanspruchs der Rechtsordnung. 309 Ihrem Wesen nach ist
die Geldbuße damit aber eine Strafe310 bzw. wie die Strafe eine repressive staatli-
che Sanktion und nicht etwa ein Mittel des Verwaltungszwanges. 311 Andererseits:
Auch wenn es für den Betroffenen damit zunächst als mehr oder weniger gleich-
gültig erscheinen könnte, ob ihm eine den Rechtstadel ausdrückende Vermögens-
einbuße unter der Flagge ,,(Geld-)Strafe" oder aber der ,,(Geld-)Buße" auferlegt
wird, ist doch zu berücksichtigen, daß die Sanktionen des de lege lata geltenden
Ordnungswidrigkeitenrechts zum einen in objektiver Hinsicht grundsätzlich von
geringerem Gewicht sind als die Sanktionen des Kriminalstrafrechts 312 und auch
der mit der Verhängung einer Buße verbundene Diskriminierungseffekt weniger
schwer wiegt als der einer Kriminalstrafe,313 was insbesondere darin zum Aus-
druck kommt, daß nur die kriminalstrafrechtliche Sanktion den Täter in den recht-
lichen Status eines "Vorbestraften" versetzt. 314
Die de lege lata bestehenden Unterschiede in der Ausgestaltung der Sanktionen
ändern zwar nichts daran, daß es sich sowohl bei der Kriminalstrafe als auch bei
der Geldbuße des Ordnungswidrigkeitenrechts ihrer Rechtsnatur nach um repressi-
ve staatliche Sanktionen handelt. 315 Sie sind aber ein Indiz dafür, daß die Abgren-
zung der bei den ihrem Wesen nach nicht qualitativ unterscheidbaren Unrechtsbe-
reiche insoweit nach quantitativen Maßstäben zu erfolgen und hierbei das Maß des
Unrechtsgehalts der Tat dem Gewicht der Sanktion zu entsprechen hat. Wenn es
sich aber beim Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht um zwei nur
graduell unterscheidbare Unrechtsbereiche handelt, deren Abgrenzung nach dem
Prinzip der Subsidiarität zu erfolgen hat, bedeutet dies, daß die Ausgestaltung als
Ordnungswidrigkeit dann geboten ist, wenn auch die mildere Art der repressiven
Sanktionierung den mit dieser staatlichen Reaktion auf einen Normbruch verfolg-
ten Sinn und Zweck zu erreichen vermag. 316 Entscheidend wäre hiernach, welches

308 BVerfGE 20,323,331; Göhler, OWiG, Vor § I Rdnr. 10; Schoreit, GA 1967,225,232;
Weber, ZStW 92 (\ 980), 313, 315; Mattes, Untersuchungen, S. 290, 292 f.; Michels, Hand-
lung, S. 33.
309 Mattes, ZStW 82 (\970), 25, 30; ders., Untersuchungen, S. 288 f.

310 Appel, Verfassung, S. 505; Bohnert, in: KK-OWiG, Einl. Rdnr. 81; H. Mayer, StrafR
AT, S. 71 f.
311 Mattes, Untersuchungen, S. 290; Michels, Handlung, S. 33.

312 Vgl. Mitsch, Ordnungswidrigkeiten, Teil 111, § I Rdnr. 4, der davon spricht, daß die
Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts "weniger Druck" erzeugen.
313 Mitsch, Ordnungswidrigkeiten, Teil III, § I Rdnr. 3.
314 Vgl. Lagodny, Strafrecht, S. 437; Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 49.

31S Mattes, Untersuchungen, S. 298.

316 Appel, Verfassung, S. 506 f., 554 ff.; Lagodny, Strafrecht, S. 146; Roxin, StrafR AT,
Teilbd. I, § 2 Rdnr. 49; Schmidhäuser, StrafR AT, 8/105 f.
108 4. Kap.: Die Beschränkung auf ein Kernstrafrecht

Maß an diskriminierender Wirkung der Sanktion dem Gesetzgeber aufgrund der


von ihm vorgenommenen kriminalpolititschen Bewertung der Tat als angemessen
erscheint. 317
Bezogen auf die Abdrängung bestehender Straftatbestände aus dem Kriminal-
strafrecht in das Ordnungswidrigkeitenrecht bedeutet dies: Geboten ist die Um-
wandlung von Straftatbeständen in Ordnungswidrigkeiten nur dann, wenn es sich
um Verhaltensweisen handelt, auf die aufgrund eines geringen Unwertgehaltes an-
gemessen mit den weniger gewichtigen Sanktionen des Ordnungswidrigkeiten-
rechts zu reagieren iSt. 318 Der im Hinblick auf die notwendige Abschichtung gra-
duell zu unterscheidender Unrechtsbereiche zunächst naheliegende Versuch, die
Abgrenzung des Anwendungsbereiches des Kriminalstrafrechts nach unten hin
durch ein Bagatellprinzip zu strukturieren, hat zu keinen praktisch handhabbaren
Maßstäben geführt. 319 Als weiterführend könnte sich aber der von E.A. Wolff ent-
wickelte Vorschlag erweisen, danach zu unterscheiden, ob es sich um Normverstö-
ße handelt, auf deren Bewältigung sich die betroffenen Individuen bzw. gesell-
schaftlichen Gruppierungen oder staatlichen Stellen aus eigener Kraft einstellen
müssen, oder ob es sich um Normverstöße handelt, bei denen dies nicht oder nur
als Krisenleistung erwartet werden kann. Wie bereits oben dargestellt wurde,32o
setzt die Anwendung dieses Maßstabes komplexe Bewertungen voraus: Die Ent-
scheidung, ob bei normativer Betrachtung erwartet werden kann, daß die von ei-
nem Normverstoß Betroffenen diesen aus eigener Kraft bewältigen, ist von mehre-
ren Faktoren abhängig: Bedeutsam ist zunächst, die Qualifikation des konkret be-
troffenen Interessenträgers. Die Selbstschutzfähigkeiten von einzelnen natürlichen
Personen, Vereinigungen mehrerer natürlicher Personen und staatlichen Stellen un-
terscheiden sich nicht nur rein faktisch, sondern müssen - wie von E.A. Wolff in
der Sache auch bereits praktiziert - auch in normativer Hinsicht mit verschiedenen
Maßstäben gemessen werden. Darüber hinaus ist zum einen die Bedeutung und der
Stellenwert des beeinträchtigten Interesses zu gewichten und zum anderen die Art
und Weise des konkret in Frage stehenden rechtsgutsschädigenden Eingriffs in die
Abwägung einzubeziehen. Die im Hinblick auf die Produktion überprüfbarer Er-

317 Seelmann, Strafrecht, S. 197 f.; vgl. auch Tiedemann, ÖJZ 1972,285,290 sowie Kind-
häuser, Gefährdung, S. 343 ff.; Kuhlen, GA 1986,398,406; Lagodny, Strafrecht, S. 359 so-
wie Kunz, Bagatellprinzip, S. 159 ff., der einerseits auf gesellschaftlich existente Strafbedürf-
nisse abstellen will, der andererseits aber dem Gesetzgeber die Berechtigung zuspricht, die-
sen Strafbedürfnissen nicht stets nachzugeben (a. a. 0., S. 163 ff.).
318 Voraussetzung ist aber stets, daß es sich um Verhaltensweisen handelt, bei denen die
Legitimität einer repressiven staatlichen Reaktion im Grundsatz außer Frage steht. Soweit
nicht nur das Gewicht der repressiven Sanktion, sondern die grundsätzliche Legitimität der
Kriminalisierung dieser Verhaltensweisen in Frage steht, wäre die Abdrängung in das Ord-
nungswidrigkeitenrecht keine Lösung der Problematik, da sich nur das Gewicht, nicht aber
der Charakter der repressiven Ahndung ändern würde; vgl. Weigend, Festschrift für Miyaza-
wa, S. 556 (bzgl. straßenverkehrsrechtlicher Verstöße).
319 Vgl. Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 149 ff.; Kunz, Bagatellprinzip, S. 156 ff., 189 ff.

320 Vgl. oben S. 97 ff.


V. Zwischenergebnis 109

gebnisse wünschenswerte weitergehende Strukturierung des Abwägungsprozesses


sollte über die Ausdifferenzierung der genannten Kriterien zu erreichen sein. Bei
der Bestimmung der Wertigkeit der betroffenen Interessen können die im Rahmen
der Rechtsgutstheorie und im Zusammenhang mit den Abwägungsfragen beim
rechtfertigenden Notstand entwickelten Maßstäbe der Gewichtung von Interessen
fruchtbar gemacht werden. 321 Für die Bewertung der Art und Weise des schädigen-
den Eingriffs fehlt es derzeit noch an verwertbaren Erkenntnissen. Die an die
Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Gefährdungsdelikten anknüpfenden Erwä-
gungen Hassemers und Hohmanns weisen in die richtige Richtung, sind aber zu
holzschnittartig. Weiterführende Erkenntnisse dürften eine ausdifferenzierte Neu-
kategorisierung der verschiedenen Deliktstypen des Gefährdungsstrafrechts zur
Voraussetzung haben.

v. Zwischenergebnis
Die Auseinandersetzung mit den zur Lösung der Legitimitätsprobleme des mo-
demen Präventionsstrafrecht bisher entwickelten Ansätze hat deutlich gemacht,
daß es verfehlt wäre, die Problematik auf eine Entscheidung "zwischen Funktiona-
lismus und ,alteuropäischem' Prinzipiendenken,,322 zurückführen zu wollen. Die
obigen Ausführungen haben einerseits ergeben, daß Strafrechtsnormen notwendi-
gerweise gesellschaftliche Funktionen erfüllen müssen, da sie sonst als ein unver-
hältnismäßiger staatlicher Zwangsmitteleingriff dem Verdikt der Verfassungswid-
rigkeit unterfallen würden. 323 Andererseits hat sich gezeigt, daß die Funktionalität
einer Strafrechtsnorm allein deren Legitimität ebenfalls nicht zu begründen ver-
mag. Auch die unter funktionalen Gesichtspunkten als probates Mittel erscheinen-
de Pönalisierung bestimmter Verhaltensweisen darf die personale Freiheitssphäre
des einzelnen nur so einschränken, daß die "berechtigten Freiheitsansprüche des
Individuums" gewahrt bleiben. 324 Der Beitrag, der von strafrechtlichen Normen
zur Lösung der anstehenden gesellschaftlichen Probleme zu erwarten ist, hängt -
wie insbesondere von Stratenwerth und PriUwitz bereits zutreffend hervorgehoben
- entscheidend davon ab, inwieweit tradierte Grundsätze der Zurechnung straf-
rechtlicher Verantwortlichkeit ohne Aufgabe rechtsstaatlich unverzichtbarer Frei-
heitssicherungen so modifiziert werden können, daß die präventive Wirksamkeit
des Strafrechts gesteigert wird. Mit anderen Worten: Entscheidend ist, welche
Deliktstypen legitimerweise im (Kriminal-)Strafrecht zur Anwendung kommen
dürfen.

321 Vgl. auch die Abwägungskriterien bei Feinberg, Vol. I, S. 203 ff.. 216 f.
322 So aber das Generalthema der im Mai 1995 in Rostock abgehaltenen Strafrechtslehrer-
tagung.
323 Vgl. oben S. 54 ff.
324 Vgl. oben S. 47 ff.
5. Kapitel

Analyse des "modernen" Strafrechts

I. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, was das "modeme" Straf-
recht seinem Wesen nach ausmacht und welche Besonderheiten in der Zurech-
nungsstruktur der Straftatbestände des "modemen" Strafrechts festzustellen sind.
Da eine umfassende Aufarbeitung des Phänomens des "modemen" Strafrechts im
Rahmen einer einzelnen Untersuchung schon aus Kapazitätsgrunden nicht geleistet
werden kann, muß die Analyse von vornherein darauf beschränkt werden, Tenden-
zen und Ergebnisse der jüngeren Strafrechtsreform beispielhaft zu verdeutlichen.
Die Auswahl der in die Untersuchung einbezogenen Teilbereiche orientiert sich
weitgehend an den von Hassemer als zentral benannten Bereichen des "modemen"
Strafrechts:
,,Das zentrale Gebiet strafgesetzlicher Neuerungen ist der Besondere Teil, sowohl im StGB
als auch im Nebenstrafrecht. ( ... ) Die zentralen Gebiete strafgesetzlicher Neuerungen
sind: Umwelt, Wirtschaft, Datenverarbeitung, Drogen, Steuer, Außenhandel, überhaupt:
,organisierte Kriminalität·... l

Angesichts dessen, daß alle der von Hassemer als zentrale Gebiete des "moder-
nen" Strafrechts hervorgehobenen Bereiche entweder noch heute Teil des sog. Ne-
benstrafrechts sind oder aber die heute im Kernstrafrecht angesiedelten Straftatbe-
stände aus dem Nebenstrafrecht in das StGB übernommen wurden, muß die Ana-
lyse die Entwicklung im Nebenstrafrecht einbeziehen. Beispielhaft soll insoweit
die Entwicklung und Struktur des Betäubungsmittelstrafrechts aufgearbeitet wer-
den. Als weitere Beispiele rur eine auf die "Pönalisierung ganzer Bereiche des ge-
sellschaftlichen Lebens" abzielende Reform (auch) im Bereich des Kernstrafrechts
werden die auf die Bekämpfung umweltschädigender und wirtschaftsdelinquenter
Verhaltensweisen abzielenden Bemühungen analysiert. Schließlich soll - insoweit
über die von Hassemer beispielhaft benannten Bereiche hinausgehend - auf die in
jüngster Zeit als Reaktion auf Entwicklungen im Bereich der Molekularbiologie,
Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin in der Bundesrepublik Deutschland
geschaffenen bzw. in der Schweiz im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Straf-
tatbestände eingegangen werden.

1 Hassemer, ZRP 1992, 378, 381.


11. Das Umweltstrafrecht 111

11. Das Umweltstrafrecht

1. Das bundesdeutsche Umweltstrafrecht


a) Die Genese des Umweltstrafrechts als Teil des Nebenstrafrechts

Die bis in die 60er Jahre dieses Jahrhunderts sowohl von der Masse der Bevöl-
kerung als auch von der weitaus überwiegenden Mehrzahl der politischen Ent-
scheidungsträger als weitgehend selbstverständlich hingenommene unbegrenzte
Verfügbarkeit der Umweltmedien Wasser, Luft und Boden hat sich in den letzten
Jahrzehnten zu einem Problemfeld von elementarer gesellschaftspolitischer Bri-
sanz entwickelt. Die wachsende Bedeutung, die dem Schutz der natürlichen
Umwelt zugemessen wurde, schlug sich zu Beginn der 70er Jahre in der Neukodi-
fizierung bzw. Reform von ca. 600 Gesetzen und Verordnungen nieder, deren vor-
nehmliches Ziel darin bestand, den zuständigen Verwaltungsbehörden eine voraus-
schauend-planende Bewirtschaftung sowie den präventiv-kontrollierenden Schutz
einzelner Umweltmedien zu ermöglichen. 2 In die als gewichtiger angesehenen Ko-
difizierungen des Umweltrechts wurden durchgängig Normen eingestellt, durch
die Zuwiderhandlungen gegen die in den jeweiligen Gesetzen statuierten Hand-
lungsnormen bzw. mit denen verwaltungsrechtlich nicht genehmigte Beeinträchti-
gungen der jeweils geschützten Umweltmedien unter Strafe gestellt bzw. als Ord-
nungswidrigkeitentatbestände ausgestaltet wurden? Strafrechtlich geahndet wer-
den sollten insbesondere Gewässerverunreinigungen, bestimmte Formen des Um-
gangs mit Abfällen sowie Luftverunreinigungen.
Gewässerverunreinigungen waren zwar bereits 1957 durch das Wasserhaushalts-
gesetz unter Strafe gestellt worden. 4 Zielsetzung des WHG 1957 war es aber noch
gewesen, Gewässer als Nahrungsmittel, Rohstoff und Betriebsmittel zu erhalten. 5
Im Rahmen einer Bewirtschaftungskonzeption wurde die strafrechtliche Verant-
wortlichkeit an die Verletzung bestimmter Rechtsnormen des WHG gebunden, die
den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigungen oder sonstige nachteilige Verän-
derungen ihrer Eigenschaften geWährleisten sollten. 6 Die Beschränkung der ein-

2 Albrecht/Heine/Meinberg, ZStW 96 (1984), 943, 945; Heine/Meinberg, Gutachten, D


18; vgl. auch den Überblick über die Gesetzgebungstätigkeit bei Herrmann, ZStW 91 (1979),
281,284 f. sowie Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 16,42 ff.
3 Vgl. den Überblick über die gesetzgeberische Tätigkeit bei Triffterer, ZStW 91 (1979),
309,314 ff. Die Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeit wurde insbesondere zur Absicherung
spezialgesetzlich begründeter Verhaltenspflichten gewählt; vgl. insoweit Herrmann, ZStW 91
(1979), 281, 294 f. sowie i.e. Leibinger, Beiheft zu ZStW 90 (1978), 69, 74 ff.
4 V gl. § 38 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushaltes (Wasserhaushaltsgesetz -
WHG) vom 27. 7. 1957, BGBI. I, S. 1110, in der Fassung des Änderungsgesetzes vom
19. 2. 1959, BGBI. I, S. 37.
5 BT-Drucks. 1I/20n, S. 15.

6 BT-Drucks. 1I/2072, S. 44.


112 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

schlägigen Tathandlungen auf die Verletzung der wasserrechtlichen Verbote des


Einbringens bzw. Einleitens und des Lagerns bzw. Ablagerns von Stoffen sowie
des Beförderns von Flüssigkeiten und Gasen durch Rohrleitungen wurde im Rah-
men der Neufassung des WHG 19767 zugunsten des alleinigen Abstellens auf den
Handlungserfolg der Gewässerverunreinigung aufgegeben. 8 Weiterhin wurde auf
das Erfordernis einer "schädlichen" Verunreinigung verzichtet (§ 38 WHG 1976).9
Zielsetzung des Gesetzgebers war es nun nicht mehr, die Inkriminierung von Be-
einträchtigungen im Bagatellbereich auszuschließen \0 und nur "die wirklich
schwerwiegenden Angriffe ... gegen die Reinheit des Wassers,,11 zu erfassen; pö-
nalisiert werden sollten künftig "alle Fälle, in denen Gewässer schädlich verunrei-
nigt werden".12 Wurde durch die unbefugte Verunreinigung eines Gewässers das
Leben oder der Gesundheit eines anderen, Sachen von bedeutendem Wert, die öf-
fentliche Wasserversorgung oder eine staatlich anerkannte Heilquelle gefährdet,
war ein Qualifikationstatbestand einschlägig (§ 39 WHG 1976).13
Unzulässige Abfallbeseitigungen wurden 1972 unter Strafe gestellt (§ 16 AbfG
1972),14 wobei die Strafbarkeit an den Umgang mit bestimmten gefährlichen Stof-
fen unter Verstoß gegen die Verbote des § 4 AbfG sowie an das Betreiben einer
Anlage unter Verstoß gegen § 7 AbfG anknüpfte und eine konkrete Gefährdung
von Leib und Leben bzw. die konkrete Gefahr der Kontaminierung von Lebensmit-
teln zur Voraussetzung hatte. Als Folge der durch verschiedene Giftmüllskandale
erwiesenen Ineffektivität der bestehenden RegeJung l5 wurde der zunächst als kon-
kretes Gefährdungsdelikt ausgestaltete Straftatbestand 1976 16 in ein abstraktes Ge-
fährdungsdelikt umgewandelt, das den unsachgemäßen Umgang mit gesundheits-
gefährlichen Abfallstoffen sowie das Betreiben einer Abfallbeseitigungsanlage
ohne die erforderliche Genehmigung unter Strafe stellte (§ 16 AbfG 1977). Die Le-

7 Durch das 4. Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 26. 4. 1976, BGBI.
I, S. I 109; vgl. hierzu Riegel, NJW 1976, 783 ff. In der Literatur waren entsprechende Forde-
rungen erhoben worden, vgl. z. B. Kohlhaas, ZfW 1974, 331, 340.
8 BT-Drucks. 7/888, S. 21; 7/1088, S. 20.
9 Zu § 38 WHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. 12. 1976, BGBI. I, S. 3017,
vgl. Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912, 924 Anm. 49; Leibinger, Beiheft zu
ZStW 90 (1978), 69, 74 f. m. w. N.; Riegel, NJW 1976,783,784 f.; Triffterer, Umweltstraf-
recht, S. 43 f.; Wernicke, NJW 1977, 1662, 1663.
10 Vgl. BT-Drucks. 11/2072, S. 15.
11 V gl. den schriftlichen Bericht des 2. Sonderausschusses - Wasserhaushaltsgesetz - über
den Entwurf eines Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts, BT-Drucks. 11 13536, S. 15.
12 BT-Drucks. 7/888, S. 12.
13 Vgl. hierzu: Wernicke, NJW 1977, 1662, 1666 ff.

14 Gesetz über die Beseitigung von Abfällen (Abfallbeseitigungsgesetz - AbfG) vom


7.6. 1972, BGBI. I, S. 873.
15 Vgl. BT-Drucks. 7/2593, S. 10 unter Hinweis auf die in der Praxis aufgetretenen Nach-
weisschwierigkeiten; Krüger, Entstehungsgeschichte, S. 100 f.; Laufhüttel Möhrenschlager.
ZStW 92 (1980). 912, 953; Steindorf. in: LK, § 326. Entstehungsgeschichte Rdnr. 3.
16 Gesetz vom 21. 6.1976, BGBI. I, S. 1601.
11. Das Umweltstrafrecht 113

gitimität der Ausgestaltung als abstraktes Gefährdungsdelikt wurde aus der beson-
deren Gefahrenträchtigkeit der inkriminierten Verhaltensweisen und aus der hohen
Wertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter - Leben und Gesundheit der Bürger -
hergeleitet. 17 In Fällen einer konkreten Gefährdung von Leib, Leben oder Sachen
von bedeutendem Wert war wiederum ein Qualifikationstatbestand einschlägig
(§ 16 Abs. 3, 4 AbfG 1977).18 Für den unbefugten Umgang mit Kernbrennstoffen
und sonstigen radioaktiven Stoffen wurden mit den §§ 45 ff. des Atomgesetzes ei-
genständige Straftatbestände geschaffen. 19
Im Bereich des Immissionsschutzrechts wurden die ursprünglich in der GewO
enthaltenen Strafbestimmungen im Jahre 1974 durch die §§ 63 f. BImSchG 20 ab-
gelöst. Auch die §§ 63 f. BImSchG knüpften an die Verletzung bestimmter Betrei-
berpflichten an. Unter Strafe gestellt wurden das Betreiben einer genehmigungsbe-
dürftigen Anlage ohne Genehmigung sowie Zuwiderhandlungen gegen bestimmte
durch Rechtsverordnungen oder aufgrund von Rechtsverordnungen durch Verwal-
tungsakte ergangener Anordnungen, wobei - dem Zuge der Zeit entsprechend -
auf das Erfordernis einer konkreten Gefährlichkeit des Anlagenbetriebs verzichtet
wurde (§ 63 BImSchG 1974). Soweit es zu einer konkreten Gefährdung des Le-
bens oder der Gesundheit eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem
Wert kam, wurden diese Fälle durch einen Qualifikationstatbestand erfaßt (§ 64
BImSchG 1974).2 1

b) Die Verlagerung einzelner Nonnen in das StGB

1980 wurden einige der bisher verstreut im Nebenstrafrecht angesiedelten Straf-


tatbestände des Umweltstrafrechts durch das 18. StrÄG 22 in das StGB überführt
und als §§ 324 ff. dStGB in einem eigenen Abschnitt zusammengefaßt. 23 Zielset-
zung des Gesetzgebers war es, die bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen zu
harmonisieren und bestehende Ahndungslücken zu schließen, um so umfassende

17 BT-Drucks. 7/2593, S. 10.


18 Zu § 16 des Abfallbeseitigungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom
5. I. 1977, BGB\. I, S. 41, vg\. Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 49 f.
19 Zu den Strafvorschriften des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie
und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG) in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 31. 10. 1976, BGB\. I, S. 3053, vgl. Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 50 f.
20 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen,
Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz -
BlmSchG) vom 15.3. 1974, BGB\. I, S. 721.
21 Vg\. Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 47 f.
22 Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 18. März 1980, BGB\. I, S. 373.
23 Zu den auch heute noch im Nebenstrafrecht befindlichen Strafvorschriften vg\. die
Übersicht bei Kloepfer/Vierhaus, Umweltstrafrecht, Rdnr. 5; Steindorf, in: LK, Vor § 324
Rdnr.7g.

8 Wohlers
114 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen, mit denen schwerwiegenden


Schädigungen und Gefährdungen der Umwelt wirksamer entgegengetreten werden
sollte, als dies nach der bisherigen Rechtslage möglich war. Die Überführung der
Nonnen in das StGB zielte darauf ab, "den sozialschädlichen Charakter solcher
Taten verstärkt in das öffentliche Bewußtsein der Allgemeinheit zu bringen" und
sollte die präventive Wirkung des Umweltstrafrechts erhöhen. 24
Ein neues Aufgabenfeld wurde dem Strafrecht durch die §§ 324 ff. dStGB 1980
mithin nicht erschlossen; beabsichtigt war allein eine Intensivierung der Strafver-
folgung, die im wesentlichen über die Erweiterung der Versuchsstrafbarkeit und
die Verschärfung von Strafandrohungen erreicht werden sollte: 25 Die "unbefugte"
Verunreinigung von Gewässern war bereits durch § 38 WHG 1976 unter Strafe ge-
steIlt worden. Im Rahmen der Umwandlung des § 38 WHG in den § 324 dStGB
wurde lediglich der Strafrahmen verschärft und die Versuchsstrafbarkeit erwei-
tert. 26 Die durch § 325 dStGB 1980 erfaßten Luftverunreinigungen und Lännbelä-
stigungen waren bereits durch die §§ 63 f. BImSchG unter Strafe gestellt. Abwei-
chend von den §§ 63 f. BImSchG wurde im Hinblick auf die diesbezüglich aufge-
tretenen Nachweisschwierigkeiten auf das Tatbestandsmerkmal des konkreten
Schadens bzw. der konkreten Gefahr verzichtet. Gefordert war nun, daß die Verhal-
tensweise generell geeignet war, einen Schaden herbeizuführen?7 Vorläufer des
die unbefugte Abfallbeseitigung erfassenden § 326 dStGB 1980 waren die § 16
AbfG und § 45 AtG?8 Wiederum wurde der Strafrahmen angehoben und zusätz-
lich der Begriff des Abfalls erweitert?9 Die Ausgestaltung als abstraktes Gefähr-
dungsdelikt war hier bereits durch die Neufassung des AbfG im Jahre 1976 einge-
führt worden. Die §§ 327, 328 dStGB 1980 haben Vorläufer in den § 45 AtG, § 63
Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und § 16 Abs. 1 AbfG. 3o Anders als die Vorgängernonnen

24 BT-Drucks. 8/2382, S. 1,9 ff.; 8/3633, S. 19,21; vgl. auch Sack, NJW 1980, 1424.
Die Verlagerung in das Kernstrafrecht war auch in der strafrechtsdogrnatisch-kriminalpoliti-
sehen Diskussion der 70er Jahre mehrheitlich befürwortet worden, vgl. Laufhütte/Möhren-
schlager, ZStW 92 (1980), 912 f. m. w. N. in Fußn. 3; kritisch hierzu: Steindorf, in: LK, Vor
§ 324 Rdnr. 4 m. w. N.
25 Perschke, wistra 1996, 161; Vgl. auch Heine 1Meinberg, Gutachten, D 19, die anmerken,
daß "kein prinzipieller Mangel an Strafnormen" bestanden habe.
26 BT-Drucks. 8/2382, S. 13 ff.; vgl. auch Bottke, JuS 1980,539,540; LaufhüttelMöh-
renschlager, ZStW 90 (1980), 912, 928 ff.; Sack, NJW 1980, 1424 f.; Tiedemann, Neuord-
nung, S. 15, 19 f.; Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 43 ff.
27 BT-Drucks. 8/2382, S. 15 f.; vgl. auch Bottke, JuS 1980,539,540; Laufhütte 1Möhren-
schlager, ZStW 92 (1980), 912, 940 ff.; Tiedemann, Neuordnung, S. 16, 20 ff.; Triffterer,
Umweltstrafrecht, S. 47 ff.
28 Vgl. Sack, NJW 1980, 1424, 1426.

29 BT-Drucks. 8/2382, S. 16 ff.; vgl. auch Bottke, JuS 1980,539,541; Laufhütte/Möh-


renschlager, ZStW 92 (1980), 912, 953 ff.; Tiedemann, Neuordnung, S. 16,20 f.; Triffterer,
Umweltstrafrecht, S. 49 ff.
30 Vgl. Sack, NJW 1980, 1424, 1427; Steindorf, in: LK, § 327, Entstehungsgeschichte
Rdnr.l.
11. Das Umweltstrafrecht 1\5

wurden auch die §§ 327, 328 dStGB 1980 nicht mehr als konkrete Gefahrdungsde-
likte ausgestaltet. Gleiches gilt für den § 329 dStGB 1980, der an die Stelle des
§ 63 Abs. I BImSchG trat. 31 Die bisher in den jeweiligen Spezialgesetzen geregel-
ten Qualifikationstatbestände für die Fälle der konkreten Gefährdung von Leib, Le-
ben oder fremden Sachen von bedeutendem Wert wurden in § 330 dStGB zusam-
mengefaßt. 32 Die einzige durch das 18. StrÄndG neu geschaffene Vorschrift des
§ 330a dStGB ist keine dem Umweltstrafrecht im engeren Sinne zuzurechnende
Strafnonn, sondern ein die Herbeiführung (konkreter) Lebens- und Leibesgefahren
inkriminierender Straftatbestand. 33
Durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität34 wurde die
mit dem 18. StrÄG eingeleitete Refonn des Umweltstrafrecht mit gleicher Ziel-
richtung fortgesetzt. 35 Als wesentliche Neuerungen wurden ein eigenständiger
Straftatbestand zum Schutz des Bodens (§ 324a dStGB) geschaffen und der § 325
dStGB 1980 in zwei Tatbestände aufgespalten: § 325 dStGB n.F. dient dem Schutz
der Luft als Umweltmedium, während die Verursachung von Länn, Erschütterun-
gen und nichtionisierenden Strahlen nunmehr durch § 325a dStGB erfaßt werden
soll.36

2. Das Umweltstrafrecht der Schweiz

Anders als das Umweltstrafrecht der Bundesrepublik Deutschland ist das gelten-
de Umweltstrafrecht der Schweiz auch heute noch in seiner Gesamtheit Teil des
Nebenstrafrechts. 37 In Umkehrung des für die Bundesrepublik Deutschland festzu-
stellenden Trends hin zu einer kernstrafrechtlichen (Teil-)Lösung wurde in der
Schweiz sogar der ursprünglich im Kernstrafrecht angesiedelte Straftatbestand der
Tierquälerei (Art. 264 schwStGB) in das Tierschutzgesetz überführt. 38 Die in der
Literatur befürwortete39 Überführung bestimmter Straftatbestände des Umwelt-

Vgl. Sack, NJW 1980, 1424, 1427 f.


31

Vgl. Sack, NJW 1980, 1424, 1428 f.; Steindorf, in: LK, § 330 Rdnr. 1.
32
33 Steindorf, in: LK, § 330a Rdnrn. 1 f.

34 Einunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz vom 27. 6. 1994, BGBI. 1, S. 1440.

3S Vgl. Möhrenschlager, NStZ 1994, 512, 514; zum Gesetzgebungsverfahren vgl. auch:
Steindorf, in: LK, Vor § 324 Rdnrn. 8a ff.
36 Vgl. i.e. Breuer, JZ 1994, 1077, 1081 f., 1087 f.; Möhrenschlager, NStZ 1994,512,
516 ff.; Schmidtl Schöne, NJW 1994,2514,2517 f.
37 Ronzani, Erfolg, S. 5. Zur geschichtlichen Entwicklung des Umweltstrafrechts in der
Schweiz vgl. den Überblick bei Alkalay, Umweltstrafrecht, S. 18 ff. sowie Vest/Ronzani,
Landesbericht, S. 391 ff.
3S Vgl. Schultz, ZStR 99 (1982), 1,9; ders., ZStW 97 (1985), 371, 378; kritisch hierzu -
im Hinblick auf die in der Verlegung in das Nebenstrafrecht liegende Abwertung des Tier-
schutzes - Vogel-Etienne, Tierschutz, S. 232.
39 Vgl. Z. B. Roy Kunz, Verletzungen, S. 79; Vest/Ronzani, Landesbericht, S. 487.

8'
116 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

strafrechts in das Kernstrafrecht dürfte nun aber wohl für die Zukunft zur Entschei-
dung anstehen. 4o
De lege lata bedrohen die Straftatbestände des Umweltstrafrechts der Schweiz
als Annexbestimmungen Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Normen des Um-
weltverwaltungsrechts mit Strafe. 41 Neben den Strafbestimmungen einiger Spe-
zialgesetze - verwiesen sei hier insbesondere auf die Art. 70 ff. des Gewässer-
schutzgesetzes (GSchG),42 Art. 43 ff. des Strahlenschutzgesetzes (StSG)43 und
Art. 29 ff. des Atomgesetzes 44 - sind in diesem Zusammenhang die Art. 60 f. des
Umweltschutzgesetzes (USG) von Bedeutung, mit denen Verstöße gegen Verhal-
tensnormen pönalisiert werden, die entweder in dem am 1. Januar 1985 in Kraft
getretenen Umweltschutzgesetz selbst, in anderen umwelt(verwaltungs)rechtlichen
Gesetzen oder aber auf gesetzlicher Grundlage im Verordnungswege statuiert wer-
den. 45 Erfaßt werden Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Normen des Umwelt-
verwaltungsrechts. Zusätzlich zu diesen, gemeinhin als abstrakte Gefahrdungsde-
likte interpretierten Grundtatbeständen46 finden sich regelmäßig Qualifikationstat-
bestände, die eingreifen, wenn es zu einer "schweren" Gefahrdung von Menschen
oder bestimmten Umweltmedien gekommen ist. 47

40 Jenny und Kunz treten in dem Bericht und Vorentwurf zur Verstärkung des strafrechtli-
chen Schutzes der Umwelt für eine Zweiteilung der umweltstrafrechtIichen Normen ein. Die
an die Mißachtung bestimmter Normen des Umweltverwaltungsrechts anknüpfenden straf-
rechtlichen Annexbestimmungen sollen ihrer Auffassung nach im Nebenstrafrecht verblei-
ben. Die neu einzuführende Deliktsgruppe der Tatbestände mit originär ökologischem
Rechtsgutsbezug soll dagegen - zur Beförderung eines gesellschaftlichen Wertewandels - in
das Kernstrafrecht eingestellt werden; vgl. i.e. Jenny I Kunz, Bericht, S. 55 ff.
41 Jenny I Kunz, Bericht, S. 15; Ronzani, Erfolg, S. 5 f.; Vest I Ronzani, Landesbericht,
S.399,447
42 Vgl. hierzu: Heine/Roulet, Landesbericht, S. 1292.

43 Vgl. hierzu: Vest, Landesbericht, S. 686.

44 Vgl. hierzu: Jenny/Kunz, Bericht, S. 44 ff.; Vest/Ronzani, Landesbericht, S. 429 ff.;


Vest, Landesbericht, S. 686; zur Entstehungsgeschichte und zu den (Gefahrdungs-)Straftatbe-
ständen des schweizerischen Atomgesetzes vgl. Frey, ZStR 78 (1962), 70, 74 ff.
45 Alkalay, Umweltstrafrecht, S. 15 ff., 46; Ettler, Kommentar USG, Vorbemerkungen zu
Art. 60-62 Rdnrn. 4 ff.; Art. 60 Rdnr. I, Art. 61 Rdnr. 1.
Da insbesondere die in Bezug genommenen Verordnungen zum Teil erst noch erlassen
werden mußten (vgl. im einzelnen Alkalay, Umweltstrafrecht, S. 38 ff.; Heinel Spalinger,
Landesbericht, S. 1353 f.; Heinel Hein, Landesbericht, S. 1015) standen die entsprechenden
Strafnormen längere Zeit lediglich auf dem Papier (Jenny I Kunz, Bericht, S. 15).
46 V gl. Jenny I Kunz, Bericht, S. 17 ff. zu Art. 60 Abs. I erster Halbsatz, 61 USG sowie
Jenny I Kunz, Bericht, S. 32 ff. zu Art. 70 lit. c-g, 71 GSchG.
47 Vgl. Jenny I Kunz, Bericht, S. 28 ff. zu Art. 60 Abs. I zweiter Halbsatz USG. Als pro-
blematisch hat sich die Auslegung des Begriffs der ..schweren Gefahr" erwiesen (vgl. hierzu:
Alkalay, Umweltstrafrecht, S. 76 f.; Vest I Ronzani, Landesbericht, S. 399,448).
Das GSchG in der geltenden Fassung aus dem Jahre 1991 enthält - anders als das GSchG
in der Fassung aus dem Jahre 1971 - einen entsprechenden Qualifikationstatbestand nicht,
was in der Literatur als ein Mangel angesehen wird; vgl. Jenny I Kunz, Bericht, S. 33; Vestl
Ronzani, Landesbericht, S. 424.
II. Das Umweltstrafrecht 117

Tatbestände, in denen die Beeinträchtigung bestimmter Umweltmedien für sich


gesehen pönalisiert wird, finden sich allein im Gewässerschutzgesetz (Art. 70
Abs. 1 lit. a und b GSchG).48 Am Anfang der Entwicklung steht hier der noch rein
verwaltungsakzessorisch ausgestaltete Art. 15 des Gewässerschutzgesetzes aus
dem Jahre 1955, der sich in der praktischen Anwendung als weitgehend ineffektiv
erwiesen hatte, weil er an die Zuwiderhandlung gegen Verhaltensnonnen gebunden
war, die ihrerseits zu allgemein gehalten waren. 49 Mit der Revision des Gewässer-
schutzgesetzes im Jahre 1971 sollten unter anderem auch verschärfte Sanktions-
nonnen geschaffen werden. 50 Neben der - aus generalpräventiven Gründen für
notwendig erachteten 51 - Anhebung der Strafandrohungen wurde auch die Struktur
des Tatbestands verändert. Art. 37 GSchG 1971 pönalisierte nunmehr in Abs. 1
Unterabsatz 1 das Einbringen von Stoffen, die "geeignet sind", eine Gewässerver-
unreinigung hervorzurufen. In Abs. 1 Unterabsatz 2 wird das Ablagern oder Ver-
sickernlassen von Stoffen außerhalb eines Gewässers erfaßt, soweit dadurch die
Gefahr einer Verunreinigung des Wassers geschaffen wird. In Abs. 1 Unterabsatz 3
werden schließlich ungenehmigte Grabungen zur Ausbeutung von Kies, Sand und
anderen Materialien erfaßt. 52 Während die Straftatbestände der Unterabsätze 3 und
2 unstreitig als abstrakte bzw. konkrete Gefährdungsdelikte interpretiert wurden,53
bestand keine Einigkeit darüber, ob es sich bei dem Straftatbestand des Unterabsat-
zes 1 um ein konkretes Gefährdungsdelikt oder aber um ein Erfolgsdelikt han-
delte. 54 Mit der Neufassung des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991
wurde die Gewässerverunreinigung in Art. 70 Abs. 1 lit. a und b geregelt. Erfaßt
wird bereits die Herbeiführung einer "Gefahr einer Verunreinigung des Wassers"
durch die Zuführung wassergefährdender Stoffe in ein Gewässer (Art. 70 Abs. 1
lit. a GSchG) bzw. das Unterlassen sichernder Maßnahmen durch den Inhaber einer
wassergefährdenden Anlage (Art. 70 Abs. 1 lit. b GSchG).
In ihrem "Bericht und Vorentwurf zur Verstärkung des strafrechtlichen Schutzes
der Umwelt" befürworten Jenny und Kunz die Einführung neuer bzw. weiterer De-
liktstatbestände mit originär ökologischem Rechtsgutsbezug. 55 Erfaßt werden sol-
len zum einen Verhaltensweisen, die "geeignet sind", die Umweltmedien Wasser,
Boden und Luft "nicht unerheblich" bzw. "nachhaltig" zu beeinträchtigen; des wei-
teren Verhaltensweisen, die geeignet sind, "die Gesundheit von Menschen oder
Tiere(n), Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen". In
der Sache würde eine derartige Refonn das Umweltstrafrecht der Schweiz in we-

48 Vgl. Jenny I Kunz, Bericht, S. 33, 35 ff.


49 Roy Kunz, Verletzungen, S. 59; Vest/Ronzani, Landesbericht, S. 423 Fußn. 179.
50 Roy Kunz, Verletzungen, S. 67 ff.

51 Vgl. Vest/Ronzani, Landesbericht, S. 423.

52 Zu Art. 37 GSchG 1971 vgl. Roy Kunz, Verletzungen, S. 69 ff.; Piraccini, Vergehenstat-
bestände, S. 41 ff.
53 Vgl. nur Piraccini, Vergehenstatbestände, S. 106 ff., 111.
54 Vgl. Piraccini, Vergehenstatbestände, S. 101 ff.

55 Vgl. Jenny I Kunz, Bericht, S. 93 ff.


118 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

sentlichen Punkten dem geltenden Umweltstrafrecht der Bundesrepublik Deutsch-


land angleichen. Die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Deliktsstruktur begrün-
den Jenny und Kunz mit der Erwägung, der auf die Verletzung von Individual-
rechtsgütern abstellende ,,klassische" Rechtsgüterschutz müsse durch Gefahr-
dungsdelikte ergänzt werden. Zu erfassen seien,
"originär ökologisch definierte Gefährdungen bestimmter Segmente oder Aspekte der Um-
welt im Sinne eines überindividuellen Rechtsgüterschutzes. Während ansonsten üblicher-
weise die Gestaltungsfortn des abstrakten Gefährdungsdelikts gewählt wird, wo es um Ge-
fahren für Interessen der Allgemeinheit geht, und Gefahren für Rechtsgüter des Einzelnen
als konkrete Gefährdungsdelikte vertypt werden, führt der Vorentwurf die dritte Kategorie
des potentiellen Gefährdungsdelikts ein, bei dem die Gefahr sich sowohl auf individuelle
wie auf überindividuelle Rechtsgüter beziehen kann. Das potentielle Gefährdungsdelikt
zeichnet sich dadurch aus, dass bei ihm die generelle Gefährlichkeit der Handlung durch
das Erfordernis der ,,Eignung" zur Herbeiführung eines konkreten Erfolges umschrieben
wird. Die Kategorie des potentiellen Gefährdungsdelikts stellt für weite Bereiche des Um-
weltstrafrechts eine angemessene Risikovertypung dar, die einen Mittelweg markiert zwi-
schen einer oft zu engen und damit strafwürdiges Verhalten nicht genügend erfassenden
konkreten Gefährdung und einer oft zu weiten Ausdehnung des Strafbarkeitsbereichs bei
der abstrakten Gefährdung. Die potentielle Gefährdung verzichtet auf das Erfordernis des
Eintritts einer konkreten Gefährdung, die unmittelbar in eine Schädigung umzuschlagen
droht. Dadurch wird die Strafbarkeit begründet, bevor gleichsam das Kind über dem Brun-
nenrand schwebt, und es werden diffizile Beweisprobleme vertnieden. Andererseits stellt
die potentielle Gefährdung auf die konkreten Umstände der Handlungssituation ab, aus de-
nen sich eine generelle Schädigungseignung der Handlung ergeben muss, und verlangt da-
mit mehr als die abstrakte Gefährdung. ,,56

3. Charakteristika des "modernen" Umweltstrafrechts

Die Entstehungs- und Refonngeschichte des Umweltstrafrechts bestätigt zu-


nächst die These, daß die Ausweitung des Bereichs strafrechtlich relevanter Verhal-
tensweisen tendenziell eher im Nebenstrafrecht als im Kernstrafrecht stattfindet.
Trotz der in der Bundesrepublik Deutschland stattgefundenen Verlagerung einiger
Straftatbestände in das Kernstrafrecht, befindet sich auch dort die Mehrzahl der
Straftatbestände des Umweltstrafrechts immer noch im Nebenstrafrecht. 57 Weiter-
hin ist festzuhalten, daß die Refonneingriffe regelmäßig darauf abzielten, die prä-
ventive Wirkung umweltstrafrechtlicher Nonnen zu stärken, indem über eine Modi-
fizierung und Reduzierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen die Möglichkeit der
Anwendung strafrechtlichen Zwangs ausgeweitet bzw. erleichtert wurde. Die Über-
führung einiger Nonnen aus dem Nebenstrafrecht in das Kernstrafrecht sollte die
generalpräventive Wirkung umweltstrafrechtlicher Nonnen verstärken.

56 Jenny / Kunz, Bericht, S. 96 f.


57 Vgl. z. B. die §§ 63 ff. BSeuchG, §§ 51 f. LMBG, § 51 PfIanzenschG, §§ 40, 42
SprengG, § 17 TierschG; § 27 ChemG; § 30 BNatSchG.
11. Das Umweltstrafrecht 119

a) Die symbolische Funktion umweltstrafrechtlicher Normen

Ob der Überführung umweltstrafrechtlicher Normen in das Kernstrafrecht tat-


sächlich ein generalpräventiver Effekt beizumessen ist, erscheint zumindest zwei-
felhaft. Da weite Teile der Bevölkerung keine konkreten Kenntnisse über den Be-
reich strafbarer Verhaltensweisen haben, vielmehr die mehr oder weniger undiffe-
renzierte Meinung vorherrschend zu sein scheint, daß unrechtmäßiges Verhalten
auch strafbar ist - wobei dann mangels entsprechender Kenntnisse auch nicht zwi-
schen dem StGB und den Gesetzen des Nebenstrafrechts differenziert werden kann
-, wird man einen generalpräventiven Effekt nicht von der Verlagerung bestimmter
Normen in das StGB erwarten können, sondern wird vielmehr davon ausgehen
müssen, daß - wenn überhaupt - der Öffentlichkeitswirkung des Gesetzgebungs-
verfahrens selbst ein generalpräventiver Effekt zukommen kann. Dieser Befund
dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, daß gerade das Umweltstrafrecht nach
verbreitet vertretener Auffassung als ein Beispiel "symbolischer" Strafgesetzge-
bung angesehen wird. 58

aa) Grundlagen der Begriffsbildung

Die Charakterisierung einer Rechtsnorm als "symbolisch" bezieht ihren Bedeu-


tungsgehalt aus dem Gegensatz zu den "instrumentellen" Funktionen des Rechts. 59
Ansatzpunkt und Grundlage dafür, strafrechtliche Normen als "symbolisch" zu eti-
kettieren, ist die Prämisse, strafrechtliche Normen hätten die (instrumentelle)
Funktion, unerwünschte Verhaltensweisen zu unterbinden bzw. abweichendes Ver-
halten zu sanktionieren, um so bestimmte Normansprüche faktisch durchzuset-
zen. 60 Die Diskrepanz zwischen der vorausgesetzten faktischen Wirkungsrelevanz
einerseits und den offenkundigen und zum Teil auch erheblichen Vollzugsdefiziten
bei der "Umsetzung" strafrechtlich geschützter Normansprüche andererseits be-
gründet dann den Schluß, daß Strafrechtsnormen angesichts ihrer instrumentellen
Ineffektivität lediglich symbolische Bedeutung haben können. 61
Bei strafrechtlichen Normen stellt sich allerdings das Problem, daß Straftatbe-
ständen stets vom Gesetzgeber für schutzwürdig erachtete Werte zugrunde liegen,
strafrechtliche Verbotsnormen also stets Wertansprüche symbolisieren. 62 Die ledig-

58 Vgl. Peter-AIexis Albrecht, KritV 1988, 182, 188 ff.; Hassemer, NStZ 1989,553,554;
ders., Neue Kriminalpolitik 1989,47; Hegenbarth, ZRP 1981,201,202; Kasper, Erheblich-
keitsschwelle, S. 111 ff.; Kindhäuser, Universitas 1992,227,233; Müller-Tuckfeld, Abschaf-
fung, S. 475 f.; Seelmann, KritV 1992,452,460; Voß, Gesetzgebung, S. 28, 74.
59 Hegenbarth, ZRP 1981,201; Kindermann, Gesetzgebung, S. 222.

!iO V gl. Hassemer, NStZ 1989, 553, 556.


61 Hassemer, ZRP 1992,378,382; vgl. auch J.C. Müller, KrirnJ 1993,82,86 f.

62 Vgl. Hassemer, NStZ 1989,553,554 ff.; Pritwitz, Strafrecht und Risiko, S. 255; Seel-
mann, KritV 1992,452,461 ff.; Voß, Gesetzgebung, S. 46 f.
120 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

lich für einige ausgewählte Strafnormen benutzte Etikettierung als "symbolische"


Norm bedarf vor diesem Hintergrund einer inhaltlich begründeten Abgrenzung
dieser Normen von den sonstigen "normal-symbolischen" Strafnormen. 63 Um die
Berechtigung der Unterscheidung zu untersuchen, ist auf die in der Literatur ent-
wickelte Typologie der symbolischen Gesetzgebung zurückzugreifen. Im Hinblick
auf Strafnormen werden im wesentlichen drei Fallgruppen unterschieden: Normen
mit Appellcharakter, gesetzgeberische Wertbekenntnisse und gesetzgeberische Er-
satzreaktionen. 64 Die Kategorien symbolischer Normen unterscheiden sich im
Grundsatz dadurch, daß der symbolische Gehalt einer Norm entweder aus der
Norm selbst (gesetzgeberische Wertbekenntnisse; Normen mit Appellcharakter)
oder aber aus dem der Norm zugrundeliegenden Gesetzgebungsverfahren abgelei-
tet wird (gesetzgeberische Ersatzreaktionen).

bb) Der symbolische Gehalt umweltstrafrechtlicher Normen

Unter gesetzgeberischen Wertbekenntnissen werden Normen verstanden, die der


Gesetzgeber zu dem Zweck erläßt, in bekenntnishafter Weise einer Wertentschei-
dung normativen Ausdruck zu verleihen, ohne gleichzeitig das Ziel zu verfolgen,
gesellschaftliche Verhaltensweisen beeinflussen bzw. steuern zu wollen. 65 Ein typi-
sches Beispiel eines gesetzgeberischen Wertbekenntnisses wird in der Regelung
der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (§§ 218 ff. dStGB) gesehen. 66 Be-
gründet wird diese Zuordnung damit, daß es dem Gesetzgeber angesichts der Inef-
fektivität eines strafbewehrten Abtreibungsverbotes nicht um die effektive Durch-
setzung des Normbefehls, sondern allein darum gegangen sei, öffentlichkeitswirk-
sam in einem moralischen Streit Stellung zu beziehen, in dem es vordergründig
um die ethischen Prinzipien der Selbstbestimmung der Frau über ihre Nachkom-
menschaft einerseits und die Bekräftigung des Verbots, "werdendes Leben zu tö-
ten" andererseits gegangen sei,67 letztlich aber um die Rolle der Frau in der Gesell-
schaft.68 Als weiteres Beispiel figuriert der Straftatbestand des Völkermords
(§ 220a dStGB). Der symbolische Charakter dieser Norm wird daraus abgeleitet,
daß ihr instrumenteller Einsatz von vornherein kaum zu erwarten sei, so daß sich
die Bedeutung der Norm darin erschöpfe, zu dokumentieren, daß man aus der Ge-
schichte gelernt habe. 69

63 V gl. Kindermann, Gesetzgebung, S. 229.


64 Vgl. Voß, Gesetzgebung, S. 26 ff.; Hassemer, NStZ 1989, 553, 554.
65 Voß, Gesetzgebung, S. 26 f.; NolI, Gesetzgebungslehre, S. 157.

66 Vgl. Hassemer, NStZ 1989,553,554; Hegenbarth, ZRP 1981, 201, 202; Schmehl, ZRP
1991,251,252.
67 Blankenburg, ARSP 1977, 31, 42; Voß, Gesetzgebung, S. 154 ff.

68 V gl. Voß, Gesetzgebung, S. 203 ff.

69 Hassemer, NStZ 1989, 553, 556; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 256.
11. Das Umweltstrafrecht 121

Anders als bei den gesetzgeberischen Wertbekenntnissen soll bei Nonnen mit
Appellcharakter zwar grundsätzlich beabsichtigt sein, auf das faktische Verhalten
der Gesellschaftsmitglieder einzuwirken. Diese Beeinflussung soll aber nicht di-
rekt und durch den instrumentellen Einsatz der Nonn bewirkt werden; beabsichtigt
seien vielmehr Bewußtseinsveränderungen, die zukünftig - in der Regel erst auf
längere Sicht - zu autonomen Verhaltensänderungen führen sollen. 7o Als ein typi-
sches Beispiel gilt hier neben einigen Straftatbeständen des "modemen" Wirt-
schaftsstrafrechts71 in erster Linie das Umweltstrafrecht: 72 Mit der Überführung
der entsprechenden strafbewehrten Verbote aus den Gesetzen des Nebenstrafrechts
in das StGB habe der Gesetzgeber das Bewußtsein für die Gefährlichkeit und So-
zialschädlichkeit umweltgefährdenden Verhaltens stärken wollen, um so allmähli-
che Bewußtseins- und Verhaltens änderungen zu bewirken. 73
Die Beispiele zeigen, daß der gemeinsame Charakter gesetzgeberischer Wertbe-
kenntnisse und Nonnen mit Appellcharakter darin besteht, eine Wertentscheidung
des Gesetzgebers zu dokumentieren und ihr nonnativen Ausdruck zu verleihen.
Der Unterschied beider Nonntypen liegt allein darin, daß bei reinen gesetzgeberi-
schen Wertbekenntnissen ein gesellschaftlich bereits akzeptierter Wert symbolisiert
wird, während bei Nonnen mit Appellcharakter die der gesetzgeberischen Wertent-
scheidung zugrundeliegende Wertvorstellung in der Gesellschaft erst begründet
oder aber bestärkt werden soll. Die sachliche Berechtigung der Unterscheidung
beider Nonntypen ist allerdings zumindest für den Bereich des materiellen Straf-
rechts zu bezweifeln. Angesichts der Schwierigkeiten, verläßliche empirische Da-
ten über die gesellschaftliche Akzeptanz bestimmter Wertvorstellungen zu ennit-
teIn, läuft die Zuordnung eines Straftatbestandes zu einer der beiden Kategorien
darauf hinaus, daß sich der Zuordnende entweder an den im Gesetzgebungsverfah-
ren geäußerten Vorstellungen oder Einschätzungen orientiert oder aber seine per-
sönlichen Vorstellungen zugrundelegt. In jedem Fall handelt es sich um eine mehr
oder weniger willkürliche Zuordnung. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß
die instrumentelle Aktualität einer Nonn von ihrem gesellschaftlichen Umfeld ab-
hängig ist, das wiederum selbst Wandlungen unterliegt. Deutlich wird dies, wenn
man sich vor Augen führt, daß selbst eine stets als rein theoretisches Wertbekennt-
nis eingeschätzte Nonn wie der § 220a dStGB (V6Ikennord) unter bestimmten
Voraussetzungen - hier durch die mit den kriegerischen Auseinandersetzungen der
verschiedenen Volksgruppen im ehemaligen Jugoslawien verbundenen Kriegsver-
brechen - praktische Anwendungsrelevanz erfahren kann. 74

70 Voß, Gesetzgebung, S. 28
71 Vgl. hierzu Bussmann, KritV 1989, 126, 127 f.
72 Hassemer, NStZ 1989,553,554; Hegenbarth, ZRP 1981,201,202.

73 Peter-Alexis Albrecht, KritV 1988, 182, 188; Voß, Gesetzgebung, S. 28, 74.

74 Vgl. BayObLG, NJW 1998,392 mit Bespr. Ambos, NStZ 1998,138; vgl. auch Ambos/
Ruegenberg, NStZ-RR 1998, 161, 170 mit Hinweis auf eine weitere Entscheidung des OLG
Düsseldorf.
122 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Darüber hinaus bestehen aber auch aus normativer Sicht Bedenken, allein be-
stimmte Normen des materiellen Strafrechts als "symbolisch" zu etikettieren und
damit implizit einen sachlichen Unterschied zu anderen Strafnormen zu behaupten.
Zu beachten ist, daß die unmittelbare Funktion strafrechtlicher Normen darin be-
steht, bestimmte gesetzgeberische Wertentscheidungen zu symbolisieren und die
Grundlage für die repressive Ahndung etwaiger Verstöße gegen diese Normansprü-
che zu schaffen. Angesichts der derzeit - und aufgrund der bestehenden Schwierig-
keiten bei der Beurteilung präventiver Wirkungen wohl auch zukünftig - fehlenden
empirischen Daten kann die präventive Funktion strafrechtlicher Normen allenfalls
qualitativ begründet, nicht aber quantitativ nachgewiesen werden. 75 Wegen des
Fehlens hinreichender empirischer Daten über die tat~ächliche gesellschaftliche
Verbreitung abweichenden Verhaltens, haben Aussagen zum "symbolischen" Cha-
rakter bestimmter Strafnormen, zumindest dann, wenn ein signifikanter Unter-
schied zu anderen Strafnormen behauptet werden soll, eher den Charakter eines
Glaubensbekenntnisses als den einer empirischen Aussage. 76 Da grundsätzlich al-
len Strafnormen eine symbolische Funktion zukommt, ist die Etikettierung eines
Straftatbestandes als symbolische Norm mithin einerseits eine Selbstverständlich-
keit, andererseits aber irreführend, wenn und soweit mit dieser Bezeichnung ein
grundSätzlicher Unterschied zu anderen nicht-symbolischen Strafnormen behauptet
werden soll.77

cc) Der symbolische Gehalt umweltstrafrechtlicher Gesetzgebung

Die Erkenntnis, daß grundsätzlich alle Strafnormen zumindest auch symbolische


Funktionen haben, legt die Annahme nahe, daß die Behauptung eines nur symboli-
schen Gehalts bestimmter Strafrechtsnormen tatsächlich gar nicht auf diese Nor-
men selbst abzielt, sondern lediglich als ein Schlagwort dient, an dem Standpunkte
festgemacht werden sollen, die eigentlich auf einer ganz anderen Ebene angesie-
delt sind. Der Umstand, daß die Typologie der symbolischen Gesetzgebung mit
den sog. gesetzgeberischen Ersatzreaktionen eine Fallgruppe entwickelt hat, die
ausdrücklich auf die Gesetzgebung abstellt, legt die Annahme nahe, daß es sich bei
dieser Ebene um die Strafrechtsgesetzgebung an sich und die ihr zugrundeliegende
Kriminalpolitik handelt.
Wahrend der symbolische Gehalt gesetzgeberischer Wertbekenntnisse bzw.
Normappelle aus den jeweiligen Normen selbst abgeleitet wurde, soll der symboli-
sche Gehalt gesetzgeberischer Ersatzreaktionen durch die dem Gesetzgebungsver-

75 Vgl. hierzu bereits oben S. 57 ff.


76 Vgl. Hegenbarth, ZRP 1981, 201, 204.
77 Vgl. Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 23. Daß Unterschiede im Verhältnis des
symbolischen bzw. präventiven Gehalts keinen Unterschied qualitativer, sondern lediglich
quantitativer Art begründen, erkennt auch Hassemer an; vgl. Hassemer, NStZ 1989, 553,
556.
11. Das Umweltstrafrecht 123

fahren zugrundeliegenden Motive und Intentionen begründet werden. Der grund-


sätzliche Unterschied zu den anderen Typenmustern symbolischer Gesetze wird
darin gesehen, daß die symbolische Funktion einer Norm hier nicht offengelegt,
sondern im Gesetzgebungsverfahren vielmehr eine instrumentelle Funktion der
Norm vorgetäuscht werde. 78 Tatsächlich würde das gesamte Gesetzgebungsverfah-
ren allein dem Ziel dienen, Systemvertrauen zu erzeugen bzw. zu stabilisieren. Das
gemeinsame Merkmal gesetzgeberischer Ersatzreaktionen liege darin, daß Normen
geschaffen werden, deren Ineffektivität zur Bewältigung der dem Gesetzgebungs-
verfahren zugrundeliegenden gesellschaftlichen Krisensituation dem Gesetzgeber
bewußt sei, die aber dennoch erlassen werden, um entweder die Handlungsfahig-
keit bzw. Handlungskompetenz des Gesetzgebers unter Beweis zu stellen oder aber
einem Handlungsdruck nachzugeben, der ansonsten dazu zwingen würde, andere
Maßnahmen zu ergreifen, die aus sonstigen, in der Regel fiskalischen Gründen als
nicht wünschenswert angesehen werden. 79
Unterschieden wird gemeinhin zwischen sog. Alibigesetzen einerseits und Kom-
promißgesetzen andererseits. Der spezifische Charakter der Alibigesetzgebung soll
darin liegen, daß sich die verschiedenen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten
Akteure und Institutionen entweder darin einig sind, ein Gesetz mit einem be-
stimmten, funktional ineffektiven Inhalt zu schaffen oder aber ein Akteur des Ge-
setzgebungsverfahrens seine diesbezügliche Intention durchzusetzen vermag.
Demgegenüber soll die instrumentelle Ineffektivität der gesetzlichen Regelung bei
sog. Kompromißgesetzen darauf beruhen, daß ein im Hinblick auf die angestrebten
Funktionen der Norm sinnvoller Ausgleich zwischen den verschiedenen, im Ge-
setzgebungsverfahren wirksam werdenden Interessen und Auffassungen nicht ge-
funden und dieser Dissens durch einen Formelkompromiß - in der Regel durch
Generalklauseln bzw. offene Rechtsbegriffe - zugedeckt wird. Die Entscheidung
darüber, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Art und Weise die mit der ge-
setzlichen Regelung angezielte Funktion erreicht wird, bleibt dann anderen Institu-
tionen - bei Strafrechtsnormen in der Regel den Strafverfolgungsorganen - über-
lassen. 8o
Als Beispiel strafrechtlicher Alibigesetzgebung wird - bezogen auf die Bundes-
republik Deutschland - neben der Novellierung des Betäubungsmittelstrafrechts81
in erster Linie auf die Terrorismusgesetzgebung der 70er und 80er Jahre verwie-
sen. 82 Der Gesetzgeber habe mit der im Hinblick auf eine instrumentelle Bewälti-

7H Hassemer, NStZ 1989, 553, 556; Seelmann, KritV 1992,452,461.


79 Peter-Alexis Albrecht, StV 1994, 265, 267; Amelung, ZStW 92 (1980), 19, 54 ff.; He-
genbarth, ZRP 1981,201; Kindermann, Gesetzgebung, S. 234; Prittwitz, Strafrecht und Risi-
ko, S. 258; Schmehl, ZRP 1991,251,253.
RO Vgl. NolI, Gesetzgebungslehre, S. 158; Schmehl, ZRP 1991,251,253; Voß, Gesetzge-
bung, S. 31 ff.
R) V gl. insoweit: Kreuzer, Festschrift für Miyazawa, S. 185, sowie i.e. unten S. 178 ff.

R2 Hassemer, NStZ 1989, 553, 554; Voß, Gesetzgebung, S. 146 f., 197 ff.
124 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

gung des Terrorismusproblems ineffektiven Verschärfung bestehender Strafdro-


hungen sowie der Neuschaffung zusätzlicher Straftatbestände einem in der Bevöl-
kerung bestehenden Gefühl der Bedrohung entgegenwirken und angesichts einer
verbreiteten öffentlichen Empörung Handlungsfähigkeit demonstrieren und so Sy-
stemvertrauen schaffen wollen. 83 Genannt werden aber auch die Neufassung des
Straftatbestandes der Volksverhetzung (§ 130 dStGB) in den Jahren 1960 und
1985, denen jeweils antisemitische und neonazistische Ausschreitungen vorausge-
gangen waren. Ziel dieser - angesichts der bestehenden gesetzlichen Regelungen
weitgehend überflüssigen - gesetzgeberischen Initiativen sei es gewesen, den Wil-
len des Gesetzgebers zu demonstrieren, einem Auftreten neofaschistischer Bewe-
gungen entgegenzutreten. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber so ein Ventil geschaf-
fen, mit dem er dem Druck ausweichen konnte, die tatsächlichen gesellschaftlichen
Ursachen der Ausschreitungen sowie die im Bereich der Strafverfolgungsorgane
liegenden Ursachen der inadäquaten staatlichen Reaktion hierauf aufzuarbeiten. 84
Als weitere Beispiele einer vor allem außenpolitisch motivierten Alibigesetzge-
bung geiten die anläßIich der drohenden Verjährung für die während des 3. Reiches
begangenen Mordtaten beschlossene, im Hinblick auf die einer Verfolgung etwai-
ger noch lebender Täter allerdings erkennbar ineffektive Aufhebung der Verjäh-
rungsvorschrift für Mord im Jahre 197985 sowie die - von anderen Autoren der
Fallgruppe gesetzgeberischer Wertbekenntnisse zugeordnete - Schaffung des
Straftatbestandes des Vdlkermords (§ 220a dStGB) im Jahre 1954.86
Mit der Begründung, der Gesetzgeber benutze umweltstrafrechtliche Normen
als eine - zumindest vordergründig - billige Ersatzmaßnahme für die aus verschie-
denen - insbesondere ökonomischen, fiskalischen und wahltaktischen - Gründen
letztlich gar nicht gewollte effektive Bekämpfung der systembedingten Ursachen
der Umweltzerstörung, könnte auch das UmweItstrafrecht in die Kategorie der Ali-
bigesetzgebung eingeordnet werden. 87 In der Literatur wird das - von anderen
Autoren der Fallgruppe der Normen mit Appellcharakter zugerechnete - Umwelt-
strafrecht allerdings in erster Linie als strafrechtliches Beispiel für ein faktisch in-
effektives Kompromißgesetz bezeichnet. 88 Daß die bestehenden Normen des Um-
weltstrafrechts ungeeignet sind, umweltgefährdendem Verhalten effektiv entgegen-
zuwirken, wird auf eine unzureichende Ausgestaltung dieser Normen zurückge-
führt. Ursächlich hierfür sei der Umstand gewesen, daß die Probleme einer
praktischen Umsetzung der Verbotsnormen aufgrund unüberbrückbarer Meinungs-

83 Hassemer, NStZ 1989,553,554; Kindermann, Gesetzgebung, S. 234 f.; NoH, ZSR NF


100 (1981),347,361 f.; Voß, Gesetzgebung, S. 146, 199.
84 Amelung, ZStW 92 (1980),19,60; Kindermann, Gesetzgebung, S. 237.
8S Hassemer, NStZ 1989,553,554; Voß, Gesetzgebung, S. 102, 138.
86 Amelung, ZStW 92 (1980),19,56; Hassemer, NStZ 1989,553,554.

87 In diese Richtung argumentiert beispielsweise Lehne, KrimJ 1994,210,220.


88 Peter-Alexis Albrecht KritV 1988, 182, 188 ff.; Hassemer, NStZ 1989, 553, 554; ders.,
Neue Kriminalpolitik, 1989,47; Kindhäuser, Universitas 1992,227,233; MüHer-Tuckfeld,
Abschaffung, S. 475 f.; vgl. auch Seelmann, KritV 1992,452,460.
11. Das Umweltstrafrecht 125

gegensätze nicht bereits im Gesetzgebungsverfahren selbst gelöst wurden, sondern


den mit dem Gesetzesvollzug beauftragten Stellen überantwortet und damit an
Stellen delegiert wurden, die aus fiskalischen und ökonomischen Gründen heraus
an einer strikten Durchsetzung strafrechtlicher Verbote gar nicht interessiert sei-
en. 89
Auch im Hinblick auf die Fallgruppe der gesetzgeberischen Ersatzreaktionen ist
zunächst wiederum auf die Problematik fehlender empirischer Belege zu verwei-
sen. Abgesehen von den bereits aus der Methodenlehre bekannten Schwierigkei-
ten, die einem Gesetzgebungsakt zugrundeliegenden Intentionen und Motive auf-
zuklären,90 stellt sich im Hinblick auf den Vorwurf eines täuschenden Verhaltens
des Gesetzgebers das weitere Problem, etwaige Motive und Intentionen daraufhin
zu prüfen und zu bewerten, ob diese tatsächlich gegeben waren oder nur vorge-
täuscht wurden. 91
Auch wenn man mit einer verbreiteten Auffassung in der Literatur allein auf die
einer Norm zukommenden Funktionen abstellt und das Kriterium symbolischer
Gesetzgebung darin sehen will, daß der Gesetzgeber Normansprüche statuiere,
ohne gleichzeitig auch die objektiv notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaf-
fen, daß diese Ansprüche auch erfüllt werden können,92 ändert dies nichts daran,
daß die Bestimmung der - wie auch immer zu ermittelnden - manifesten und / oder
latenten Funktionen sowie die Auswahl der für die Bewertung maßgeblichen Funk-
tionen ein Akt der Wertung bleibt. 93 Angesichts der empirisch weder zu verifizie-
renden noch zu widerlegenden Annahmen präventiver Wirksamkeit bzw. Unwirk-
samkeit strafrechtlicher Normen kommt den entsprechenden Etikettierungen kein
eigenständiger argumentativer Gehalt zu. Die nach alledem verbleibende Funktion
des Diskurses um den symbolischen Charakter des "modernen" Strafrechts dürfte
darin liegen, im Streit um eine expansive oder restriktive Kriminalpolitik die ei-
gentlichen Sachfragen hinter einem schon beinahe demagogisch anmutenden
Schlagabtausch zu verbergen. Es erscheint angezeigt, auf die abwertende Kenn-
zeichnung bestimmter Straftatbestände als bloß "symbolische" Normen zu verzich-
ten, und sich stattdessen auf die Frage der materiellen Legitimität der entsprechen-
den Strafrechtsnormen zu konzentrieren.

89 Blankenburg, ARSP 1977, 31, 45 ff.


90 Vgl. Hassemer, NStZ 1989,553,555; Kindermann, Gesetzgebung, S. 225 ff.; Voß, Ge-
setzgebung, S. 55 ff.
91 Vgl. Voß, Gesetzgebung, S. 32, mit dem Hinweis darauf, daß auch nicht nachgewiesen
sei, daß der Gesetzgeber an die instrumentelle Wirksamkeit der Terrorismusgesetzgebung
nicht geglaubt habe. Darüber hinaus ist bei der Schaffung der §§ 324 ff. dStGB die Zielset-
zung der Bewußtseinsänderung nicht etwa versteckt, sondern ganz offen vertreten worden,
vgl. J.C. Müller, KrimJ 1993,82,92, sowie oben S. 37.
92 Kindermann, Gesetzgebung, S. 227 f.; Blankenburg, ARSP 1977,31,43; Schmehl, ZRP
1991,251.
93 Kritisch auch: Voß, Gesetzgebung, S. 74 ff.
126 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

b) Die materielle Legitimität


der Straftatbestände des Umweltstrafrechts

Im Hinblick auf den als strafrechtlich relevant definierten Bereich umweltschä-


digender Verhaltensweisen ist als das wesentliche Ergebnis der Reform eine durch
die Modifizierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen bedingte grundlegende Verän-
derung der Deliktsstruktur der Straftatbestände des bundesdeutschen Umweltstraf-
rechts festzustellen. Wie dargelegt,94 waren die Straftatbestände des Umwelt(ne-
ben)strafrechts zunächst so konzipiert, daß nur der Verstoß gegen bestimmte ver-
waltungsrechtliche Ge- oder Verbote als strafbar definiert wurde - und dies auch
nur dann, wenn es zu einer konkreten Gefährdung von Leib, Leben oder Sachen
von bedeutendem Wert gekommen war. In der Folgezeit wurde zum einen die Be-
schränkung auf bestimmte Tathandlungen gelockert, vor allem aber auf das mit
nicht unerheblichen Nachweisschwierigkeiten behaftete und den Strafbarkeitsbe-
reich erheblich einschränkende Erfordernis einer konkreten Gefährdung bestimm-
ter Rechtsgüter verzichtet, mithin vom Typus her als abstrakt gefährlich definierte
Verhaltensweisen als solche unter Strafe gestellt. 95
Begründet wurde die Reduzierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen mit der in
der praktischen Anwendung erwiesenen Ineffektivität der Normen. 96 Bedenken da-
hingehend, daß die Reduzierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen möglicherweise
zu einer illegitimen Pönalisierung führen könnte, sind soweit ersichtlich allein im
Rahmen der Beratungen des Rechtsausschusses des Bundestages artikuliert wor-
den. Die im Bericht des Rechtsausschusses nur kurz erwähnten Bedenken einer
Minderheit, "das Rechtsinstitut der abstrakten Gefährdungsdelikte in diesem Um-
fang im Bereich des Umweltschutzes einzusetzen",97 sind von der Mehrheit aller-
dings nicht geteilt worden - im Gegenteil:
"Die Mehrheit begrüßt es auch, daß der Entwurf, wie bereits zum Teil das geltende Recht,
die Tatbestände, soweit wie möglich, als abstrakte Gefahrdungsdelikte ausgestaltet. Erfah-
rungen mit früheren gesetzlichen Regelungen und gleichartige Erfahrungen im Ausland
hätten gezeigt, daß ein effektiver strafrechtlicher Umweltschutz durch konkrete Gefahr-
dungsdelikte regelmäßig nicht zu erreichen sei. Der Verzicht auf den oft äußerst schwieri-
gen Nachweis einer konkreten Gefährdung oder Schädigung ermögliche es auch, das Pro-
blem der kumulativen Umweltbelastung sachgerecht zu lösen. Beim abstrakten Gefahr-
dungsdelikt werde nämlich lediglich ein bestimmtes Verhalten unter Strafe gestellt, ohne
daß es auf den Eintritt einer Gefahr oder eines Schadens ankomme. Beim abstrakt-konkre-
ten Gefahrdungsdelikt reiche die generelle Kausalität aus. Erleichtert werde damit auch
der Nachweis tatbestandsmäßigen Verhaltens. Die Mehrheit ist der Auffassung, daß allein
diese weitgehende Ausgestaltung der Tatbestände der Bedeutung des Rechtsguts gerecht
werde.,,98

94 Vgl. oben S. 111 ff.


95 Vgl. Heine, Vollzugsdefizite, S. 22; Weigend, Festschrift für Triffterer, S. 696 f. sowie
ausdrücklich BT-Drucks. 8/2382, S. 19 f. bzgl. der §§ 327, 328 dStGB.
96 Vgl. z. B. BT-Drucks. 8/2382, S. 16/17 bzgl. § 326 dStGB.

97 BT-Drucks. 8/3633, S. 22.


11. Das Umweltstrafrecht 127

Blickt man auf die Strafrechtswissenschaft, ist festzustellen, daß sowohl die Fra-
ge der grundsätzlichen Strafwürdigkeit umweltschädigender Verhaltensweisen als
auch die Auseinandersetzung mit der Ausgestaltung dieser Straftatbestände erst
mit der Überführung einiger dieser Tatbestände in das StGB zu einer Thematik
wurde, die auch außerhalb eines kleinen Kreises von Spezialisten für erörterungs-
würdig erachtet wurde. 99 Ein positiv zu bewertender Effekt der Überführung eini-
ger Normen des Umwelt(neben)strafrechts in das StGB dürfte damit jedenfalls
darin zu sehen sein, daß die - von einigen Autoren 100 mit dieser Verlagerung als
Hoffnung verknüpfte - "verstärkte wissenschaftliche Beschäftigung und Durch-
dringung" dazu beitragen kann, daß diese, ihrer Struktur nach für das Nebenstraf-
recht geradezu prototypisch anmutenden Tatbestände zum Gegenstand strafrechts-
wissenschaftlicher Forschung geworden sind.

4. Die Rechtsgutstheorie als Maßstab


der Legitimität umweltstrafrechtlicher Normen

Festzuhalten ist, daß sich die Strafrechtswissenschaft einer eingehenden Diskus-


sion der sich aus der Modifizierung bzw. Reduzierung der Zurechnungsvorausset-
zungen ergebenden Veränderung der Deliktsstrukturen umweltstrafrechtlicher Nor-
men bisher weitgehend entzogen und sich stattdessen auf die Erörterung der Frage
konzentriert hat, welche Rechtsgüter durch die Straftatbestände des Umweltstraf-
rechts geschützt werden sollen bzw. legitimerweise geschützt werden können. Der
Ansatz, strafrechtliche Normen über den Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes
zu legitimieren, ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts soweit ersichtlich erst-
malig von Birnbaum entwickelt worden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts, insbesondere durch Arbeiten Bindings, hat sich in der deutschen Strafrechts-
wissenschaft dann die Auffassung etabliert, daß der Kern bzw. das materiale Sub-
strat strafbarer Handlungen in der Beeinträchtigung (Verletzung oder Gefahrdung)
eines Rechtsguts liege, die Aufgabe des staatlichen Strafrechts mithin im Rechts-
güterschutz zu sehen sei. 101 Als Konsequenz der besonderen Bedeutung, die dem
Rechtsgutsgedanken in der Strafrechtswissenschaft derzeit beigemessen wird, soll
es für die Legitimität von Strafrechtsnormen wesentlich darauf ankommen, ob die

98 BT-Drucks. 8/3633, S. 21/22.


99 Kritisch zur stiefmütterlichen Behandlung des Nebenstrafrechts durch die Strafrechts-
wissenschaft - bezogen auf das Betäubungsmittelstrafrecht - Peter Albrecht, BtmStrafR,
Ein\. Rdnr. 8; Kreuzer, Festschrift für Miyazawa, S. 178.
100 Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912, 914; Tiedemann, Neuordnung,
S. 18/19; kritisch hierzu: Steindorf, in: LK, Vor § 324 Rdnr. 4.
101 Hurtado Pozo, Partie generale, Rdnrn. 31 ff. m. w. N. Zur Dogmengeschichte der
Rechtsgutstheorie vg\. i.e. die umfassenden Arbeiten von Amelung, Rechtsgüterschutz und
Schutz der Gesellschaft; Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens; Sina, Die Dog-
mengeschichte des strafrechtlichen Begriffs "Rechtsgut".
128 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

jeweils in Frage stehenden Straftatbestände dem Schutz eines als strafwürdig anzu-
erkennenden Rechtsgutes dienen. Der durch die Ausgestaltung der Zurechnungs-
voraussetzungen bedingten Deliktsstruktur wird demgegenüber eine al1enfal1s
nachrangige Bedeutung zugestanden, die sich im wesentlichen darin erschöpfen
sol1, die Art und Weise der über den Rechtsgutsgedanken als grundsätzlich legitim
erwiesenen Anwendung strafrechtlichen Zwangs technisch auszugestalten. 102

a) Rechtsgüterschutz im geltenden bundesdeutschen Umweltstrafrecht

Die Suche nach "dem" Rechtsgut der de lege lata gelt~nden Straftatbestände des
bundesdeutschen Umweltstrafrechts ergibt, daß die §§ 324 ff. dStGB selbst eine in
sich konsistente Rechtsgutskonzeption nur bedingt erkennen lassen. 103 Zwar war
in der Begründung des Entwurfs hervorgehoben worden:
"Der Lebensraum und die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen - und zwar so-
wohl des einzelnen Menschen, als auch der gesamten Bevölkerung - verdienen den straf-
rechtlichen Schutz und die Beachtung, die im Kernbereich des Strafrechts zum Schutze
der klassischen, insbesondere individualrechtlichen Rechtsgüter seit langem selbstver-
ständlich sind. Der strafrechtliche Schutz darf sich nicht allein auf den Schutz menschli-
chen Lebens und menschlicher Gesundheit vor den Gefahren der Umwelt beschränken; er
muß auch den Schutz elementarer Lebensgrundlagen wie Wasser, Luft und Boden als Be-
standteile menschlichen Lebensraumes einbeziehen und solche ökologischen Schutzgüter
auch als Rechtsgüter anerkennen. Die Tatbestände des Lebens- und Gesundheitsschutzes
im Strafgesetzbuch, mit denen auch Fälle von umweltschädigendem Verhalten geahndet
werden können, reichen nicht aus. Eine Ergänzung und Erweiterung des Strafrechts, wie
dies zunehmend schon in den verwaltungsrechtlichen Umweltschutzgesetzen, insbesonde-
re in den letzten Jahren vorgenommen wurde, ist daher unumgänglich. " 104

Ergänzend hierzu war in der Begründung zur Beschlußempfehlung des Rechts-


ausschusses ausgeführt worden:
"Durch den Gesetzentwurf werden die wichtigsten Straftatbestände gegen die Umwelt aus
dem Nebenstrafrecht in das Strafgesetzbuch übernommen. Damit soll mehr als bisher der
sozialschädliche Charakter von Umweltstraftaten in das Bewußtsein der Öffentlichkeit ge-
rückt werden. Denn der Schutz von Wasser, Luft, Boden usw. ist für die Erhaltung des
Lebensraumes unabdingbar und hat einen hohen Stellenwert. Daher kann kein Zweifel be-
stehen, daß die ökologischen Schutzgüter Rechtsgüter sind, die den klassischen, mehr in-
dividuellen Rechtsgütern des Strafgesetzbuches, wie Leben, Gesundheit, Eigentum gleich-
wertig sind. Diese Gleichstellung wird deutlicher, wenn die Straftatbestände zum Schutz
der Umwelt in das Kernstrafrecht des Strafgesetzbuches eingestellt werden. Damit kommt
auch das staatliche Unwerturteil verstärkt zum Ausdruck."IOS

102 Näher hierzu unten Kapitel 6 und 7.


103 Die unübersichtliche und uneinheitliche Struktur des Umweltstrafrechts ist bereits für
den im wesentlichen durch das 18. StrÄG geschaffenen Rechtszustand beanstandet worden;
vgl. Maurachl Schroeder 1Maiwald, StrafR BT, Teilbd. 2, § 58 Rdnrn. 12 ff.
104 BT-Drucks. 8/2382, S. 91 10.
11. Das Umweltstrafrecht 129

Der in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommende Wille, durch


die §§ 324 ff. dStGB (i.d.F. des 18. StrÄG) "die besonders wichtigen umweltrele-
vanten Bereiche", "vor allem die Gewässer, Luft, Boden sowie ökologisch beson-
ders bedeutsamen Bestandteile des Naturhaushaltes" strafrechtlich zu schützen, 106
hat dann aber im Gesetz selbst nur eingeschränkt Niederschlag gefunden. 107 Zwar
werden Umweltmedien im Zusammenhang mit der Beschreibung des tatbestandli-
chen Verhaltens erwähnt. Konzipiert waren die Straftatbestände des Umweltstraf-
rechts aber entweder als Gefährdungsdelikte mit der alleinigen Schutzrichtung
"Leben und Gesundheit des Menschen" oder aber mit der Zielsetzung sowohl öko-
logisch als auch anthropologisch orientierten Rechtsgütern Schutz zu gewähren. 108
Die Tendenz, Umweltgüter als eigenständige Rechtsgüter zu schützen, wurde kon-
sequent allenfalls in § 324 dStGB für den Bereich des Gewässerschutzes verwirk-
licht. 109 Insgesamt gesehen stand damit bei den §§ 324 ff. dStGB (a.F.) eher der
Individualgüterschutz im VordergrundY o Die Neufassung der §§ 324 ff. dStGB
durch das 31. StrÄG vom 27. 6. 1994 111 hat an diesem Zustand in grundsätzlicher
Hinsicht nichts geändert. 112 Auch jetzt sind im wesentlichen drei mehr oder weni-
ger unverbunden nebeneinander stehende Strukturprinzipien zu erkennen: Zum ei-
nen sollen bestimmte Umweltmedien geschützt werden; 113 zum anderen werden
bestimmte Tätigkeiten 114 und schließlich wird noch der Umgang mit bestimmten
Stoffen 115 unter Strafe gestellt.
Die Straftatbestände, die auf den Umgang mit bestimmten, als gefährlich einge-
stuften Stoffen abstellen, dienen in erster Linie dem Schutz von Individuairechts-
gütern. Bei den §§ 328 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 330a dStGB ergibt sich dies daraus,
daß vorausgesetzt wird, daß durch den Umgang mit den dort genannten Stoffen
entweder Gesundheit, Leib oder Leben eines anderen oder aber für den Täter frem-
de Sachen gefährdet werden. Die Bezugnahme auf den Schutz konkreter Indivi-
dualrechtsgüter ist bei § 328 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 dStGB (Umgang mit Kernbrenn-
stoffen) zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen. Aus dem Zusammenhang mit
§ 328 Abs. I Nr. 2, Abs. 3 dStGB dürfte aber herzuleiten sein, daß bei der Ausge-

lOS BT-Drucks. 8/3633, S. 19.


106 Vgl. BT-Drucks. 8/2382, S. 10 f.
107 Vgl. i.e. Breuer, NJW 1988,2072,2074 ff.
108 Vgl. Rengier, NJW 1990,2506,2511 f. zu §§ 325, 326 dStGB a.F.
109 V gl. Kareklas, Rechtsgut, S. 117 f.
110 So auch die Einschätzung von Kareklas, Rechtsgut, S. 169 f.
111 Einunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz - Zweites Gesetz zur Bekämpfung der
Umweltkriminalität - (31. StraÄndG - 2. UKG), BGBI. 1994, Teil I, S. 1440 ff.
112 So auch Breuer, JZ 1994, 1077, 1081 ff., 1088.
113 § 324: Gewässer; § 324a: Boden; § 325: Luft; § 329: Schutzgebiete.
114 §§ 325a, 329 Abs. 1 Satz I: Verursachung von Lärm, Erschütterungen und nichtionisie-
renden Strahlen; § 326: Abfallbeseitigung; § 327: Betreiben bestimmter Anlagen.
11S § 328: Umgang mit radioaktiven Stoffen, Gefahrstoffen i. S. d. Chemikaliengesetzes
und gefährlichen Gütern; § 330a: Freisetzen von Giften.

9 Wohler.
130 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

staltung des Tatbestands die Auffassung zugrunde lag, daß der Umgang mit Kern-
brennstoffen per se eine (abstrakte) Gefahrdung der oben genannten Individual-
rechtsgüter beinhaltet. Durchbrochen wird das Prinzip, Individualrechtsgüter im
Vorfeld einer Verletzung zu schützen, dadurch, daß in § 328 Abs. 3 dStGB auch
eine Gefahrdung von "ihm (dem Tater) nicht gehörenden Tiere(n)" unter Strafe ge-
steilt wird. Aus der Abweichung von der Formulierung "oder fremde Sachen" er-
gibt sich, daß hier auch die Gefahrdung von herrenlosen Tieren ausreichen SOIl.116
Die Tatbestände, die bestimmte Tatigkeiten unter Strafe stellen, dienen teilweise
dem Individualgüterschutz (§§ 325a Abs. 1, Abs. 2, 326 Abs. 1 Nr. 1-3 dStGB),
teilweise dem Schutz von Umweltmedien bzw. Bestandteilen der Natur (§ 326
Abs. 1 Nr. 4 dStGB) und teilweise der Gewährleistung der Dispositions- und Ent-
scheidungsbefugnis der zuständigen Genehmigungsbehörden (§ 327 dStGB).ll7
Darüber hinaus werden auch wieder ökologische Rechtsgüter geschützt, nämlich
herrenlose Tiere (§ 325a Abs. 2 dStGB) und Schutzgebiete (§ 329 Abs. 1 Satz 1
dStGB). Bei den Straftatbeständen, die auf bestimmte Schutzobjekte abstellen,
werden bestimmte Umweltmedien, 118 aber auch Individualrechtsgüter geschützt
(§§ 324a Abs. 1 Nr. 1,325 Abs. 1, Abs. 2 LY.m. Abs. 4 dStGB).
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Das geltende bundesdeutsche Umwelt-
strafrecht scheint sowohl auf den Schutz klassischer Individualrechtsgüter abzuzie-
len, als auch auf den Schutz bestimmter UmweItmedien, wobei es sich zum Teil
um elementare Lebensgrundlagen der Menschheit handelt (Wasser, Boden, Luft)
zum Teil aber auch ökologische Werte geschützt werden sollen, bei denen der Be-
zug auf den Schutz elementarer Lebensgrundlagen der Menschheit nicht ohne wei-
teres ersichtlich ist. Bei einigen Strafttatbeständen stellt sich darüber hinaus die
Frage, ob sie letztlich nicht bloßen Verwaltungsungehorsam als solchen unter Stra-
fe stellen.

b) UmweltstrafrechtIiche Normen als Problem der Rechtsgutstheorie

aa) Der Stand der Diskussion

Das oben skizzierte, relativ heterogen erscheinende Bild des geltenden bundes-
deutschen Umweltstrafrechts findet eine Entsprechung in der Auseinandersetzung

116 Vgl. - zu parallel gelagerten Problemstellungen - Steindorf, in: LK, § 325 Rdnr. 12;
§ 325a Rdnr. 23.
ll7 So z. B. Tröndle, StGB, § 327 Rdnr. 1 sowie - zu § 327 StGB a.F. - Maurach I Schroe-
der/Maiwald, StrafR BT, Teilbd. 2, § 58 Rdnr. 20; Rengier, NJW 1990,2506,2513; Horn,
Natur + Recht 1988,63,64; ders., NJW 1988,2335,2337; ders., in: SKStGB, § 327 Rdnr. 1.
118 §§ 324, 324a Abs. 1 Nr. 1: Wasser; § 324a Abs. 1 Nr. 2: Boden; § 325 Abs. 2: Luft;
§§ 324a Abs. 1 Nr. 1, 325 Abs. 1: Flora und Fauna; § 329 Abs. 2, Abs. 3: Schutzgebiete.
Durch die Legaldefinition in § 325 Abs. 4 dStGB bekommt der Schutz der Luft in § 325 Abs. 2
dStGB allerdings auch einen individualschützenden Charakter.
H. Das Umweltstrafrecht 131

über die Frage, weIche Rechtsgüter überhaupt legitimerweise Schutzgut von Straf-
tatbeständen des Umweltstrafrechts sein können. Im wesentlichen sind hier vier
Auffassungen zu unterscheiden:
Von einigen Autoren wird eine sog. (rein) ökologische Sichtweise vertreten. 1l9
Rechtsgut des Umweltstrafrechts sind nach dieser Auffassung die Umwelt und die
ihr angehörenden Umweltgüter um ihrer selbst willen. Die Umwelt bzw. deren Be-
standteile, insbesondere: Boden, Luft, Wasser, Flora und Fauna, werden als eigen-
ständige Schutzgüter angesehen, unabhängig davon, ob ihr Schutz den Lebensbe-
dingungen des Menschen dienlich ist oder nicht. 120
Im Gegensatz hierzu wurde - insbesondere von den Verfassern des Alternativ-
entwurfes zum Strafgesetzbuch - eine rein anthropozentrische Sichtweise vertre-
ten. 121 Schutzgut umweltstrafrechtlicher Normen sind nach dieser Auffassung al-
lein die klassischen Individualrechtsgüter des Menschen, also insbesondere Leben
und Gesundheit. 122 Die Umweltmedien (Luft, Boden, Wasser, Flora und Fauna)
sind allein deshalb und nur in dem Maße schutzwürdige Handlungsobjekte straf-
rechtlicher Verbotsnormen, als diese dem Schutz menschlichen Lebens und
menschlicher Gesundheit vor den Gefahren der Umwelt dienen. Diese, zwischen-
zeitlich in der aktuellen Diskussion weitgehend nicht mehr vertretene Auffassung,
hat jüngst durch die von Hohmann propagierte Anwendung der personalen Rechts-
güterlehre Hassemers eine Renaissance erfahren. 123
Insbesondere von Verwaltungsrechtlern wird die Auffassung vertreten, daß im
Hinblick auf die Notwendigkeit, umweltstrafrechtliche Normen auf die jeweils zu-
grundeliegenden umweltverwaltungsrechtlichen Vorgaben abzustimmen (Stich-
wort: Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts), als Rechtsgut umweltstraf-
rechtlicher Normen allein die behördlich verwaltete Umwelt in Betracht kommen
könne. Schutzgut der Umweltstrafnormen soll hiernach z. B. der von den VerwaJ-
tungsbehörden definierte Zustand eines Gewässers sein 124 bzw. die Dispositionsbe-
fugnis der Wasserbehörden, den Wasserhaushalt zum Wohle der Allgemeinheit
und im Einklang damit zum Nutzen der einzelnen Bürger in optimaler Weise zu
ordnen und zu bewirtschaften. 125

Zu den ethischen Grundlagen vgl. die Darstellung bei Hohmann, Rechtsgut, S. 74 ff.
119

Arzt, Kriminalistik 1981, 117, 120; Ettler, Kommentar USG, Vorbemerkungen zu


120
Art. 60-62 Rdnr. I; Maurach/Schroeder/Maiwald, StrafR BT, Teilbd. 2, § 58 Rdnr. 19;
Schünemann, Festschrift für Triffterer, S. 452 f.; Weber, in: Arzt/Weber, BT, LH 2, Rdnrn.
356 f. und wohl auch Krey, StrafR BT I, Rdnr. 813.
121 Alternativ-Entwurf, S. 49; vgl. hierzu auch: Backes, JZ 1973,337, 340 f.; Baumann,
ZfW 1973,63,70 ff.; Kareklas, Rechtsgut, S. 92 ff.
122 Vgl. z. B. Baumann, ZfW 1973,63,67; Schmidhäuser, StrafR BT, 15/47.

123 Vgl. Hohmann, Rechtsgut, S. 179 ff., 195; ders., GA 1992,76,84.

124 Vgl. z. B. Papier, Natur + Recht 1986, 1,2 f.

125 So Wachenfeld, Minimierungsgebot, S. 48 ff., unter Bezugnahme auf Rudolphi, NStZ


1984, 193, 195, der dieser Auffassung allerdings wohl nicht ohne weiteres zugerechnet wer-
den kann.

9'
132 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Im strafrechtlichen Schrifttum herrschend ist eine als ökologisch-anthropolo-


gisch bezeichnete Sichtweise. Die Bestandteile der natürlichen Umwelt, also: Luft,
Boden, Wasser, Flora und Fauna, werden einerseits - im Anschluß an die oben zi-
tierten Materialien zum 18. StrÄG 126 - als eigenständige Rechtsgüter anerkannt.
Andererseits sollen die ökologischen Rechtsgüter nicht um ihrer selbst willen ge-
schützt werden, sondern als Bestandteile des menschlichen Lebensraumes und als
Garanten für den Fortbestand der elementaren Lebensgrundlagen des Menschen
als Gattung. Hieraus folgt dann, daß der Schutz einer bestimmten Pflanzen- oder
Tierart nicht damit begründet werden kann, daß diese Art um ihrer selbst willen
erhalten bleiben soll. Strafrechtswürdig ist der Schutz nur dann, wenn die Weiter-
existenz dieser Art den Lebens- und Überlebensinteressen des Menschen ent-
spricht. 127

bb) Strafrechtlicher Schutz ökologischer Werte als Zweck an sich

Die mit einer rein ökologischen Sichtweise notwendigerweise verbundene An-


nahme, der belebten und unbelebten Natur als solcher, einzelnen Bestandteilen der
Natur bzw. natürlichen Umwelt ständen eigene Rechte zu, steht in Widerspruch zu
der de lege lata geltenden Rechtsordnung, die grundsätzlich allein Menschen und
die in gleicher Weise am Rechtsverkehr teilnehmenden juristischen Personen, nicht
aber Tiere, Pflanzen oder Bestandteile der unbelebten Natur als Träger von Rech-
ten anerkennt. 128 De lege ferenda wäre es zwar rein rechtstechnisch gesehen ohne
weiteres denkbar, den Kreis der Träger von Rechten auszuweiten. 129 Eine Rechts-
ordnung, die auch Naturbestandteile als Träger eigener Rechte anerkennt, wäre
aber nicht nur mit dem herrschenden anthropozentrischen Welt- und Gesellschafts-
bild nicht zu vereinbaren; 130 sie würde darüber hinaus das grundlegende Problem
heraufbeschwören, Rechtssubjekte anerkennen zu wollen, ohne diese gleichzeitig
auch als Adressaten korrespondierender Rechtspflichten in Anspruch nehmen zu

126 Vgl. BT-Drucks. 8/2382, S. \, 9 ff.; 8/3633, S. 19.


127 Bloy ZStW 100 (\ 988),496,498; ders., JuS 1997,577,578 ff.; eramer, in: Schönkel
Schröder, Vorbem. §§ 324 ff. Rdnr. 8; Jenny 1Kunz, Bericht, S. 49; Kühl, Rechtsgüter,
S. 261 ff.; ders., in: Lackner, Vor § 324 Rdnr. 7; Meurer, NJW 1988,2065,2067; Rengier,
NJW 1990,2506,2515; Rogall, Festschrift Universität Köln, S. 511 f.; Roxin, StrafR AT,
Teilbd. I, § 2 Rdnr. 22; Steindorf, in: LK, Vor § 324 Rdnrn. 12 ff., 18; Tröndle, StGB, Vor
§ 324 Rdnr. 3; Wesseis, StrafR BTl, Rdnr. 1019; vgl. auch BGH JR 1987,470,472 mit zust.
Anm. Schmoll er und Anm. Rudolphi, NStZ 1987, 324, 325 f.
128 Vgl. Hohmann, Rechtsgut, S. 93 f., 101 f.; Müller-Tuckfeld, Abschaffung, S. 462; VG
Hamburg, NVwZ 1988, 1058.
129 Vgl. Birnbacher, Natur, S. 122; Leimbacher, Rechte, S. 59 ff.; ders., Universitas 1994,
106,114 f.
130 Vgl. Kareklas, Rechtsgut, S. 10 ff., 114; Hohmann, Rechtsgut, S. 110. Auch der An-
satz, "Rechte" aus "Interessen" abzuleiten, kann allenfalls "Tier-Rechte" begründen, scheitert
aber bei nicht empfindungsfähigen Bestandteilen der Natur, vgl. Birnbacher, Natur, S. 71;
Schöne-Seifert, Rechte, S. 79.
II. Das Umweltstrafrecht 133

können. 13l Im Ergebnis würde die Rechtsordnung damit die Funktion verlieren,
grundlegende Regelungen für die soziale Kooperation originär-moralischer Sub-
jekte l32 zu begründen. 133
Der Versuch, die Rechtsordnung über die Regelung des sozialen Miteinanders
hinaus zu einer auch die ökologisch-naturwissenschaftliche Weltordnung umfas-
senden Gesamtregelung weiterzuentwickeln, würde im übrigen auch die Grenzen
dessen sprengen, was eine von Menschen gesetzte Ordnung überhaupt zu leisten
vermag. Eine ökologische Rechtsordnung müßte, wollte man nicht den von vorn-
herein zum Scheitern verurteilten Versuch unternehmen, die Entwicklung der Welt
zum Stillstand zu bringen, um so den status quo zu konservieren, zunächst einmal
Maßstäbe für die Bewertung bestimmter Entwicklungen besitzen. Aufgrund des
notwendigerweise nur unzureichenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisstandes
der Menschheit und der Unmöglichkeit, den Faktor ,.Mensch" - auch nur gedank-
lich - aus dem Prozeß der Entwicklung des Planeten Erde herauszurechnen, 134 wä-
re es bereits rein praktisch unmöglich, abschließende Entscheidungen darüber zu
treffen, ob bestimmte, großräumig ablaufende Entwicklungen als Teil der natürli-
chen Entwicklung schützenswert wären, oder aber bekämpft werden müssen, weil
es sich um unnatürliche Eingriffe in die natürliche Entwicklung handelt. 135 Da
man nicht mit der Natur, sondern nur über diese kommunizieren kann,136 ist es un-
abdingbar, daß der Mensch bzw. die für die Rechtsetzung zuständigen Organe der
menschlichen Gesellschaft definieren, welche Rechte der Natur bzw. einzelnen
(ggf. welchen?)137 Bestandteilen der Natur zukommen und wie notwendigerweise

131 Zur notwendigen Korrespondenz von Rechten und Pflichten vgl. Krawietz, Festschrift
für Stree/Wessels, S. 34; a.A. Leimbacher, Rechte, S. 50 f. In älteren Rechtsordnungen war
diesem Grundsatz dadurch Rechnung getragen worden, daß beispielsweise auch Tiere als
Adressaten von (Rechts-)Pflichten behandelt und folgerichtig unter anderem "bestraft" wer-
den konnten, vgl. Höffe, Moral, S. 219 f.; Vogel-Etienne, Tierschutz, S. 78 ff., wo allerdings
in Abrede gestellt wird, daß hierbei die Vorstellung der Rechtssubjektivität der Tiere maßge-
bend war.
132 Zu den Mindestvoraussetzungen für die Anerkennung originärer moralischer Subjekte
vgl. beispielsweise Papageorgiou, Schaden, S. 197 ff.; Rawls, Theorie, S. 548 ff.
133 Vgl. Hirsch, Bekämpfung, S. 16; Roxin, JuS 1966,377,381; ders., StrafR AT, Teilbd.
I, § 2 Rdnr. 9; Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 159 f.; ders., in: SKStGB, Vor § I Rdnr. I.
Einzuräumen ist, daß nach der hier vertretenen Auffassung die Legitimation des Straftatbe-
stands der Tierquälerei allenfalls als eine Ausnahmevorschrift zu begründen ist, vgl. hierzu
die Diskussion bei Merke\, Strafrecht, S. 285 ff., 310, der dafür eintritt, das "Dogma, Straf-
recht dürfe ausschließlich menschliche Interessen oder Bedingungen menschlichen Sozialle-
bens schützen" insoweit zu modifizieren.
134 Vgl. Höffe, Moral, S. 105 f.; Saladin, recht 1/1989, I: Der Mensch habe schon immer
in die Natur eingegriffen; neuartig seien allein die Art und Weise sowie das Ausmaß der Ein-
griffe.
135 Vgl. Fetscher, Festschrift für Maihofer, S. 146: Es könne nur darum gehen, Eingriffe in
die Natur zu steuern, nicht aber darum, diese zu unterlassen.
136 Krawietz, Festschrift für Stree/Wesels, S. 34 sowie - aus diskursethischer Perspektive
- Ott, Begründung, S. 327 f.: Es handele sich um "advokatorische Diskurse", die Natur habe
die Rolle eines "moral patient" inne.
134 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

auftretende Konflikte zwischen den Rechtspositionen der Natur und Rechtspositio-


nen natürlicher oder juristischer Personen zu lösen wären. 138 Es geht also nicht um
Rechte der Natur, sondern vielmehr um die Verantwortlichkeit des Menschen für
die Natur. 139
Ökologische Schutzgegenstände werden nicht als naturgegeben vorgefunden, 140
sondern nach spezifischen Standards normativ definiert. 141 Vor diesem Hinter-
grund muß es dann aber auch im Hinblick auf den Schutz der Umwelt dabei blei-
ben, daß die Rechtsordnung nicht als Instrument zur Durchsetzung bestimmter
Moralvorstellungen, sondern allein dazu dienen darf, die in einer konkreten ge-
schichtlichen Entwicklungsstufe notwendigen Voraussetzungen für ein gedeihli-
ches Zusammenleben einzelner Individuen durch die Errichtung einer Zwangsord-
nung zu gewährleisten. Der Sinn und Zweck umweltstrafrechtlicher Normen darf
sich dann aber nicht darin erschöpfen, bestimmte, moralisch determinierte Wert-
vorstellungen um ihrer seIbst willen umzusetzen, sondern muß vielmehr darin ge-
sehen werden, die für den Menschen als Bestandteil der Gattung homo sapiens not-
wendigen Umweltbedingungen - in dessen aufgeklärtem Selbstinteresse 142 - vor
Beeinträchtigungen zu schützen. 143 Der Einwand, der Mensch sei als Teil der
Schöpfung zwingend darauf angewiesen, daß die Natur in ihrer ineinander verwo-
benen Gesamtheit erhalten bleibe, läßt außer acht, daß die Existenz der menschli-
chen Gemeinschaft das Aussterben unzähliger Pflanzen- und Tierarten überlebt
und auch das als Teil der Gesamtentwicklung anzusehende Verhalten der Mensch-

131 Vgl. hierzu Hohmann, Rechtsgut, S. 98, der zu Recht darauf hinweist, daß etwa auch
das Aids-Virus bzw. das Pocken virus entsprechende "Rechte" haben könnten bzw. haben
müßten; vgl. auch Arthur Kaufmann, Festschrift für Spende!, S. 63 ff.; Schreiber, Herausfor-
derung, S. 15.
138 Fetscher, Festschrift für Maihofer, S. 141 f.; Hohmann, Rechtsgut, S. 95 ff.; Kareklas,
Rechtsgut, S. 15 f.; Kindhäuser, Festschrift für Helrnrich, S. 970 f., 978 f.; Kühl, Rechtsgüter,
S. 261; Lüderssen, zitiert nach; Vitt, ZStW 105 (1993), 803, 807; Müller-Tuckfeld, Abschaf-
fung, S. 462; Schreiber, Herausforderung, S. 14; vgl. auch Singer, Ethik, S. 173 ff.
139 Krawietz, Festschrift für Stree 1Wesseis, S. 37; vgl. auch Leimbacher, Universitas
1994,106,111/112; Vogel-Etienne, Tierschutz, S. 172 f.
140 Vgl. Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 13, mit dem zutreffenden Hinweis darauf, daß es
so etwas wie eine "unberührte" Natur nie gegeben hat; ders., ZStW 105 (1993), 679, 683;
vgl. auch Schreiber, Herausforderung, S. 15, sowie Krawietz, Festschrift für Stree 1 Wesseis,
S. 32: "naturalistischer Fehlschluß".
141 Keller, ZStW 107 (1995), 457, 476 Anm. 71; Tiedemann, Neuordnung, S. 28.

142 Vgl. Birnbacher, Natur, S. 132 ff.; Geddert-Steinacher, Umweltschutz, S. 35; Höffe,
Moral, S. 211 ff.; Schreiber, Herausforderung, S. 15; Vest/Ronzani, Landesbericht, S. 443
m. w. N.
143 Bloy, JuS 1997,577,579 f.; vgl. auch Singer, Ethik, der zutreffend darauf hinweist,
daß erstens auch eine anthropozentrische Sichtweise den Schutz der Natur verlangt (a. a. 0.,
S. 340 f., 346 f.) und es - zweitens - auch den Vertretern ökologischer Konzeptionen in der
Sache letztlich darum gehe, eine stärkere Betonung ökologischer Aspekte gerade gegenüber
ökonomischen Belangen durchzusetzen (a. a. 0., S. 350 ff.). Daß diese Einschätzung wohl
zutreffend ist, zeigt sich beispielhaft an den Ausführungen von Leimbacher, Rechte, S. 112 ff.
und passim; vgl. auch Tribe, Plastikbäume, S. 56 ff.
11. Das Umweltstrafrecht 135

heit notwendigerweise zu Eingriffen in den Ablauf der Entwicklung des Planeten


Erde führen muß, was wiederum auch zukünftig zum Verschwinden weiterer Spe-
zies bzw. zu einer mehr oder weniger grundlegenden Umgestaltung der unbelebten
Natur führen muß und führen wird. l44 Herzustellen wäre der strafbewehrte Ver-
botsnormen legitimierende Sozialbezug nur dadurch, daß man die belebte Natur
als überlebensnotwendige Genquelle bzw. die unbelebte Natur als in ihrer Gesamt-
heit unverzichtbaren Lebensraum der Menschheit anerkennen würde. 145 Diese
Sichtweise wäre dann aber schon nicht mehr ökologisch, sondern anthropozen-
trisch ausgerichtet. 146

ce) Strafrechtlicher Schutz der Entscheidungsprärogative der Verwaltung

Argumentativer Ansatzpunkt der Vertreter der sog. administrativen Sichtweise,


die das Rechtsgut etwaiger Umweltstrafnormen im Schutz der behördlich verwal-
teten Umweltgüter sehen wollen, ist die Verwaltungsakzessorietät des Umwelt-
strafrechts. Mit Ausnahme des § 330a dStGB werden die von den Straftatbestän-
den des bundesdeutschen Umweltstrafrechts erfaßten Verhaltensweisen jeweils un-
ter Bezugnahme auf Regelungen des Umweltverwaltungsrechts bestimmt. So muß
der Täter "unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" (§§ 324a, 325, 325a,
326 Abs. 3 dStGB), "außerhalb einer ... zugelassenen Anlage oder unter wesent-
licher Abweichung von einem vorgeschriebenen oder zugelassenen Verfahren"
(§ 326 Abs. 1 dStGB) oder "entgegen einem (vollziehbaren) Verbot" bzw. "ohne
die erforderliche Genehmigung" (§§ 326 Abs. 2, 327, 328, 329 dStGB) gehandelt
haben. Trotz der unterschiedlichen Formulierungen stimmen diese Einschränkun-
gen des Strafbarkeitsbereiches der Sache nach im wesentlichen überein, da sich ge-
mäß § 330d Nr. 4 dStGB eine "verwaltungsrechtliche Pflicht" aus Rechtsnormen,
gerichtlichen Entscheidungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen und insbesondere
Verwaltungsakten ergeben kann. Bei § 324 dStGB fehlt eine entsprechende Be-
schränkung des Bereichs strafbaren Verhaltens, so daß grundsätzlich erst einmal
jede Verhaltensweise erfaßt ist, durch die "ein Gewässer verunreinigt oder sonst
dessen Eigenschaften nachteilig verändert" wird. Widersprüche zu den Wertungen
der Primärrechtsordnung werden hier dadurch vermieden, daß eine verwaltungs-
rechtliche Genehmigung die Strafbarkeit ausschließt, weil das Verhalten des Ta-
ters, wenn es durch eine entsprechende verwaltungsrechtliche Bewilligung oder
Erlaubnis gedeckt wird, nicht als "unbefugt" anzusehen ist.
Unabhängig davon, ob die Verwaltungsrechtskonformität des potentiell strafba-
ren Verhaltens bereits die Tatbestandsmäßigkeit ausschließt oder aber einen Recht-

144 Daß Ausmaß der aktuellen Umweltprobleme und auch das Tempo des Artensterbens
sind kein qualitativ. sondern vielmehr ein quantitativ "neues" Problem, vgl. Höffe, Moral,
S. 111 ff.
145 In dieser Richtung wohl Rengier NJW 1990, 2506, 2514.

146 Steindorf, in: LK, Vor § 324 Rn. 13; vgl. auch Feinberg, Rechte der Tiere, S. 158.
136 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

fertigungsgrund darstellt 147 und unabhängig davon, ob auf die nonnative Rechts-
lage (Verwaltungsrechtsakzessorietät) oder auf die durch Einzelentscheidungen der
Verwaltung entstandene Rechtslage (Verwaltungsaktsakzessorietät) abzustellen
ist,148 macht die Abhängigkeit des Umweltstrafrechts von den Vorgaben des Um-
weltverwaltungsrechts dieses in seiner Effektivität von den zugrundeliegenden ver-
waltungsrechtlichen Regelungen und der diese Regelungen umsetzenden Verwal-
tungspraxis abhängig. 149 Offensichtlich ist dies insbesondere dort, wo nur das Han-
deln entgegen einer verwaltungsrechtlichen Anordnung den Tatbestand erfüllt,
oder das Innehaben einer Genehmigung ein tatbestandsmäßiges Verhalten oder
aber die Rechtswidrigkeit ausschließt. Ist im ersten Fall eine verwaltungsrechtliche
Verbotsverfügung nicht erlassen bzw. im zweiten Fall eine verwaltungsrechtlich
gesehen rechtswidrige Genehmigung erteilt worden, werden von der im Umwe1t-

147 Während eine Genehmigung bei § 324 dStGB nahezu unstreitig als ein die Rechtswid-
rigkeit umweltschädigenden Verhaltens ausschließender Rechtfertigungsgrund angesehen
wird (Cramer, in: Schönke/Schröder, Vorbern. §§ 324 ff. Rdnr. 11 f.; Horn, in: SKStGB, Vor
§ 324 Rdnr. 12; § 324 Rdnr. 6; Steindorf, in: LK, § 324 Rdnr. 72 ff.; Tröndle, StGB, Vor § 324
Rdnr. 4b; § 324 Rdnr. 7; vgl. aber auch Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 37, der zumin-
dest für bestimmte Fallgruppen eine Zuordnung des Merkmals zum Tatbestand befürwortet;
w.N. zu abweichenden Ansichten bei Heine/Meinberg, Gutachten, D 46 Fußn. 90; gleiches
muß im Hinblick auf das in § 326 dStGB enthaltene Merkmal des "unbefugten" HandeIns
gelten; vgl. Steindorf, in: LK, § 326 Rdnr. 133), wird das Verhalten "unter Verletzung verwal-
tungsrechtIicher Pflichten" bei den §§ 324a ff. StGB von der h.M. durchgängig als ein Merk-
mal des objektiven Tatbestands verstanden (Cramer, in: Schönke I Schröder, Vorbem.
§§ 324 ff. Rdnr. 13; Kühl, in: Lackner, § 325 Rdnr. 5; Scheele, Bindung, S. 31 f.; Steindorf,
in: LK, § 325 Rdnr. 26; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 342 f.; Tröndle, StGB,
§ 330d Rdnr. 5, Vor § 324 Rdnr. 4b; Wimmer, JZ 1993,67,68; Winkelbauer, Verwaltungsak-
zessorietät, S. 20 ff.; a.A. Lenckner, Festschrift für Pfeiffer, S. 40 ff.; Horn, UPR 1983,362,
366, die für eine Einordnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit eintreten), während
andere Autoren danach unterscheiden wollen, ob ein Tatbestand auch ohne Rekurs auf die
Verletzung verwaltungsrechtIicher Pflichten einen ausreichend substantiierten Unrechtssach-
verhalt umschreibt, oder aber das Handeln gegen ein Verbot bzw. ohne Genehmigung als In-
dikator für die strafwürdige Sozialschädlichkeit unverzichtbar erscheint (Frisch, Verwal-
tungsakzessorietät, S. 27 ff.; Rengier, ZStW 101 (1989),874,878 f.).
Letztlich dürften beide Auffassungen zu keinen wesentlich abweichenden Ergebnissen füh-
ren. Maßgebend hierfür ist, daß man einen auf die Verletzung verwaltungsrechtIicher Pflich-
ten verzichtenden Unrechtssachverhalt im Bereich umweltschädigenden Verhaltens nur dann
als in sich hinreichend substantiiert wird ansehen können, wenn die zugrundeliegende Ver-
haltsensweisen von der Primärrechtsordnung per se mißbilligt, mithin verwaltungsrechtlich
einem repressiven Verbot (mit Befreiungsvorbehalt) unterworfen werden. Gehört eine Verhal-
tensweise dagegen dem Bereich der grundrechtlich geschützten, aber einem präventiven
Kontrollvorbehalt der Verwaltung unterworfenen Freiheitssphäre an, dürfte die Verletzung
verwaltungsrechtIicher Pflichten regelmäßig ein für die Sozialschädlichkeitswertung unver-
zichtbarer Indikator sein.
148 Zu dieser Unterscheidung vgl. Breuer DÖV 1987, 169, 179; ders., NJW 1988,2072,
2078; ders., JZ 1994, 1077, 1083 f.; Bergmann, Strafbewehrung, S. 21 ff., 34 ff.; Jennyl
Kunz, Bericht, S. 58 f.; Rogall, GA 1995,299,302 f.; Scheele, Bindung, S. 19 ff.; Vest/Ron-
zani, Landesbericht, S. 463.
149 Die Vollzugsdefizite des Umweltstrafrechts sind insoweit (auch) durch die normative
Struktur des Umweltstrafrechts bedingt, vgl. Kunz, recht 1/1990, 15, 17.
11. Das Umweltstrafrecht 137

verwaltungsrecht kodifizierten Primärrechtsordnung nicht gebilligte Beeinträchti-


gungen der Umwelt durch rechtsfehlerhaftes Verhalten der Verwaltung straflos ge-
stellt. Die Abhängigkeit besteht aber auch dort, wo das tatbestandliche Verhalten
einen Verstoß gegen bestimmte umweltrechtliche Regelungen (i.d.R.: gegen
Rechtsverordnungen) voraussetzt. Werden z. B. die von den Umweltstrafnormen in
bezug genommenen Rechtsverordnungen nicht entsprechend den (natur)wissen-
schaftlichen Erkenntnissen auf den jeweiligen "Stand der Technik" aktualisiert,
sind wiederum Verhaltensweisen, die der Sache nach inakzeptabel erscheinen, auf-
grund von Versäumnissen der Exekutive oder, soweit es sich um Verweisungen auf
gesetzliche Regelungen handelt, der Legislative straflos gestellt.
Im strafrechtlichen Schrifttum wird die Verwaltungsakzessorietät von einigen
Autoren als das entscheidende Hindernis für ein effektives Umweltstrafrecht gese-
hen. 150 Die Notwendigkeit der Verwaltungsakzessorietät umweltstrafrechtlicher
Normen ergibt sich aber zwingend daraus, daß in hochindustrialisierten Gesell-
schaften wie denen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz auf viele un-
streitig umweltschädigende Verhaltensweisen nicht verzichtet werden kann, weil
diese entweder - wie z. B. die Energiegewinnung - für die Gesamtgesellschaft
oder aber - wie z. B. der individuelle Kraftfahrzeugverkehr 151 - nach der (noch)
vorherrschenden gesellschaftlichen Anschauung im Hinblick auf die Freiheitssphä-
re des einzelnen Gesellschaftsmitglieds unverzichtbar sind. Wenn aber ein umfas-
sendes Verbot sämtlicher oder aber bestimmter umweltschädigender Verhaltens-
weisen angesichts des gegebenen gesellschaftlichen Umfelds nicht möglich ist,
können von vornherein allein die nach der Primärrechtsordnung unzulässigen Be-
einträchtigungen der Umweltmedien als strafwürdig definiert werden, wobei das
Strafrecht dann, um das Entstehen einer in sich widersprüchlichen Gesamtrechts-
ordnung zu verhindern,152 zwingend die insoweit durch das jeweils einschlägige
Zivil- und Verwaltungsrecht bereits vorgegebenen Wertungen zu berücksichtigen
hat. 153 Eine Bestimmung der Strafwürdigkeitsgrenzen ohne ausdrückliche Inbe-
zugnahme der verwaltungsrechtlichen Vorgaben könnte allenfalls bei schwerwie-

150 Vgl. z. B. Kühl, in: Lackner, Vor § 324 Rdnr. 3; Schall, wistra 1992, 1,4; ders., NJW
1990,1263,1265 f.
151 Vgl. Alkalay, Umweltstrafrecht, S. 31.

152 Dies ist der unstreitige Kerngehalt des Topos "Einheit der Rechtsordnung"; vgl. Ro-
gall, GA 1995,299,308 f.; Scheele, Bindung, S. 65 f. m. w. N.
153 Appel, Verfassung, S. 431 ff.; Backes, ZRP 1975,229; Frisch, Verwaltungsakzessorie-
tät, S. 7 ff., 34 ff.; Breuer, NJW 1988, 2072,2078; Heine/Meinberg, GA 1990, 1, 13/14;
Heine, NJW 1990, 2425,2426; Jenny 1Kunz, Bericht, S. 53 f.; Kasper, Erheblichkeitsschwel-
le, S. 85 ff.; Kindhäuser, Festschrift für Helrnrich, S. 979 f.; Kuhlen, ZStW 105 (1993), 697,
709; Meurer, NJW 1988, 2065, 2068/2069; Rogall, Festschrift Universität Köln, S. 521;
Scheele, Bindung, S. 25 f.; Schünemann, Festschrift für Triffterer, S. 443/444; Vest/Ronza-
ni, Landesbericht, S. 463; vgl. auch Hassemer, Festschrift für Lenckner, S. 114 f., der aller-
dings der Auffassung ist, die "auf den Feldern des modernen Strafrechts vermutlich unaus-
weichliche" VerwaItungsakzessorietät bedrohe "die Geltung strafrechtlicher Normen über-
haupt".
138 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

genden umweltbeeinträchtigenden Verhaltensweisen in Betracht kommen, die -


wie etwa die de lege lata von § 330a dStGB erfaßten Verhaltensweisen - von vorn-
herein und prinzipiell nicht erlaubnisfähig sind bzw. sein können. 154 Eine weiter-
gehende genuin strafrechtliche Bestimmung strafwürdiger umweltschädigender
Verhaltensweisen erscheint weder durchführbar noch - aus den oben genannten Er-
wägungen heraus - überhaupt erstrebenswert. 155
Trotz dieses Befundes wäre es aber verfehlt, das Rechtsgut umweltstrafrechtli-
cher Normen im Schutz der behördlich verwalteten Umweltgüter sehen zu wollen.
Maßgebend hierfür sind zwei Erwägungen: Wenn das Rechtsgut umweltstrafrecht-
licher Normen nicht in der Gewährleistung der für die Fortexistenz der für die Gat-
tung homo sapiens notwendigen Umweltbedingungen, sondern vielmehr darin ge-
sehen wird, die Entscheidungsprärogative der Exekutive bei der Bewirtschaftung
von Umweltmedien sicherzustellen, wäre das geschützte Rechtsgut letztlich der
Gehorsam gegenüber der Verwaltung. Da aber die Bewirtschaftung der natürlichen
Ressourcen durch die Verwaltung kein Selbstzweck ist, sondern der Erhaltung der
unverzichtbaren Lebensgrundlagen dienen soll, erscheint es sachgerecht, auch ei-
nen etwaigen strafrechtlichen Umweltschutz auf diesen Endzweck selbst zu bezie-
hen. 156 Darüber hinaus wären Umweltgüter, die die Verwaltung nicht einem kon-
kreten Regime unterstellt hat, aus dem strafrechtlichen Schutz entlassen,157 es sei
denn, man würde - was dann allerdings die Inkonsequenz der administrativen
Rechtsgutsdefinition offenbaren würde l58 - in diesen Fällen ersatzweise auf einen
wie auch immer definierten "Naturzustand" abstellen.

154 Heine/Meinberg, GA 1990, 1, 13, 17 f.; Meinberg, 'ZStW 100 (1988), 112, 155; Ro-
gaB, Festschrift Universität Köln, S. 523; SchaB, wistra 1992, 1,4; Scheele, Bindung, S. 261
27; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 342.
Vgl. auch Alkalay, Umweltstrafrecht, S. 9/10 sowie Kunz, recht 1/1990, 15, 18: Ein et-
waiger Verzicht auf die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung müßte durch den Rückgriff
auf konkrete Gefährdungsdelikte kompensiert werden.
155 A.A. Schünemann, wistra 1986,235,239 f.; ders., Festschrift für Triffterer, S. 444 ff.
Sein Vorschlag, danach zu unterscheiden, ob die jeweils zugrundeliegende Verfügung mit
Wirkung ex tunc oder nur ex nunc zurückgenommen werden könne (wistra 1986, 235, 240),
verkennt, daß zivil- und öffentlich-rechtliche Rückwirkungsfiktionen für das Strafrecht ohne
Bedeutung sind (so zutreffend: Rengier, 'ZStW 101 (1989),874,891; vgl. auch Scheele, Bin-
dung, S. 38 ff., 43). Schünemann will den Bedenken gegen die Konsequenzen seines Stand-
punktes auf der subjektiven Ebene Rechnung tragen (vgl. Schünemann, Festschrift für Triff-
terer, S. 447 f.)
Auch die im Schrifttum im Hinblick auf die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstra-
frechts erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. z. B. SchaB, NJW 1990, 1263,
1266; ders., wistra 1992, 1,5) greifen im Ergebnis nicht durch; vgl. BVerfGE 75, 329 ff. so-
wie aus der Literatur insbesondere Kühl, Festschrift für Lackner, S. 829 ff.
156 Vgl. Bloy, JuS 1997,577,578; Kuhlen, 'ZStW 105 (1993),697,705.
157 Kareklas, Rechtsgut, S. 105; RogaB, Festschrift Universität Köln, S. 511.
158 Kareklas, Rechtsgut, S. 105 Fußn. 50; Kasper, ErheblichkeitschweBe, S. 65; Rengier,
NJW 1990, 2506, 2509; Wachenfeld, Minimierungsgebot, S. 47 f.
11. Das Umweltstrafrecht 139

dd) Strafrechtlicher Schutz der Umwelt


als Teil der Gewährleistung des status positivus

Gemeinsamer Ausgangspunkt der ökologisch-anthropologischen und der rein


anthropologischen Auffassung zur Bestimmung des von den Straftatbeständen des
Umweltstrafrechts geschützten Rechtsgutes ist die Prämisse, daß die Aufgabe des
Strafrechts darin besteht, die notwendigen Voraussetzungen für ein gedeihliches
Zusammenleben freier Individuen zu gewährleisten. Strafrechtswürdige Rechtsgü-
ter sind hiernach die angesichts des jeweils historisch gewachsenen sozialen Um-
feldes als unverzichtbare Bedingungen personaler Entfaltung der Rechtsordnung
vorgegebenen sozialen Werte. 159 Daß der Schutz der für die Fortexistenz der Gat-
tung homo sapiens notwendigen Umweltmedien (Wasser, Luft, Boden) sowie der
nichtmenschlichen biotischen Elemente des Naturhaushaltes kein sittlich-morali-
scher Selbstzweck ist, sondern angesichts der in der heutigen Gesellschaft be-
stehenden Gefährdungen der Erhalt dieser unverzichtbaren natürlichen Ressourcen
eine soziale Aufgabe von hohem Rang darstellt, wird - soweit ersichtlich - allge-
mein anerkannt. 160 Wie bereits oben dargelegt, stellt neben der Abwehr von Ein-
griffen in die personale Freiheitssphäre auch die Gewährleistung der Grundvoraus-
setzungen für die Ausübung personaler Freiheit - und damit auch der Schutz der
elementaren Umweltmedien - ein legitimes Ziel strafrechtlicher Nonnen dar. 161
Da die Straftatbestände des Umweltstrafrechts damit aber nicht dem Schutz
der personalen Freiheitssphäre konkreter Personen zuzurechnender individueller
Interessen dienen, sondern vielmehr auf die Gewährleistung überindividueller (kol-
lektiver) Interessen abzielen, wird man das geschützte Rechtsgut nicht erst im
(mittelbaren) Schutz der Individualrechtsgüter Leben, Leib und Gesundheit vor
Beeinträchtigungen zu sehen haben, sondern muß das kollektive Interesse am Fort-
bestand der für die Existenz menschlicher Individuen unverzichtbaren Umweltbe-
dingungen als ein eigenständiges kollektives Rechtsgut anerkennen. 162

159 Vgl. die Nachweise oben S. 132, Fußnote 127.


160 Vgl. als Vertreter der ökologisch-anthropologischen Rechtsgutstheorie: Bloy, ZStW
100 (1988),485,496; Kareklas, Rechtsgut, S. 97; Kuhlen, ZStW 105 (1993),697,705; NoH,
Universitas 1971, 1021 f.; als Vertreter der personalen Rechtsgutslehre: Hohmann, Rechtsgut,
S. 196; ders., GA 1992, 76, 84.
161 Vgl. oben S. 94 ff.

162 Vgl. auch Zaczyk, Unrecht, S. 174: Umwelt als ein Element der vermittelten Freiheit.
140 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

5. Zurechnungsprobleme im
Anwendungsbereich umweltstrafrechtIicher Normen

a) Die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung


umweltstrafrechtlicher Normen

Die obigen Ausführungen haben ergeben, daß den Nonnen des Umweltstraf-
rechts mit der Sicherung der für das Überleben der Gattung homo sapiens notwen-
digen Umweltbedingungen eine für sich gesehen legitime Zielsetzung zugrunde
liegt. Als problematisch erweist sich weniger das den Straftatbeständen des gelten-
den Umweltstrafrechts zugrundeliegende Rechtsgut als solches, als vielmehr die
sich aus der - wie oben dargelegt: notwendigen - verwaltungsakzessorischen Aus-
gestaltung dieser Straftatbestände ergebende Einschränkung des Anwendungsbe-
reichs umweltstrafrechtlicher Nonnen. Diese führt einerseits dazu, daß die Straftat-
bestände des geltenden Umweltstrafrechts ihrer Struktur nach Beeinträchtigungen
im Bagatellbereich und / oder Fälle erfassen, bei denen sich das Unrecht der straf-
rechtlich erfaßten Handlungen in der bloßen Nichtbeachtung vorgeschalteter Ge-
nehmigungsverfahren erschöpft,163 während andererseits - wiederum als Folge der
notwendigen verwaltungsakzessorischen Ausgestaltung - ein nicht unerheblicher
Anteil umweltschädigender Verhaltensweisen dem strafrechtlichen Zugriff bereits
im Ansatz dadurch entzogen ist, daß entweder eine Genehmigung vorliegt oder
aber ein verwaltungsrechtlich gesehen materiell rechtmäßiges Verbot nicht erlassen
wurde.
Hieraus folgt, daß die Nonnen des Umweltstrafrechts sich dadurch von anderen
Strafnonnen unterscheiden, daß sie nicht erst aufgrund faktischer Vollzugsdefi-
zite, 164 sondern bereits aus strukturellen Gründen notwendigerweise darauf be-
schränkt sind, die jeweiligen Schutzgüter nicht umfassend, sondern allein vor den
nach der Primärrechtsordnung unzulässigen Beeinträchtigungen zu schützen. 165
Bedenken erweckt der bereits im Ansatz eingeschränkte Zugriff des Umweltstraf-
rechts zunächst deshalb, weil gerade die prima vacie besonders gewichtig erschei-
nenden industriellen Inanspruchnahmen bzw. Belastungen von Umweltmedien in
der Regel durch entsprechende verwaltungsrechtliche Genehmigungen straflos ge-
stellt werden. 166 Indes: Die Beschränkung auf verwaltungsrechtlich unzulässige
Belastungen der Umwelt ist - wie oben gezeigt wurde - unumgehbar. Die Frage,
ob es angemessen ist, bestimmte Umweltbelastungen strafrechtlich zu verfolgen,
wenn andere (verwaltungsrechtlich erlaubte) von vornherein nicht verfolgbar sind,

163 Kareklas, Rechtsgut, S. 108 f.; Müller-Tuckfeld, KritV 1995,69,91.


164 Zu den Beweisschwierigkeiten vgl. etwa NolI, Umweltschutz, S. 397 f.
165 So die zutreffende Analyse von Kuhlen ZStW 105 (1993), 697, 709 ff.; vgl. auch NolI,
Umweltschutz, S. 399.
166 Vgl. F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 150, der im Hinblick auf den Gewäs-
serschutz das eigentliche Problem in den erlaubten Einleitungen sieht; vgl. auch Müller-
Tuckfeld, KritV 1995,69, 82 f.; ders., Abschaffung, S. 476 ff.; Duo, Jura 1991, 308, 309.
II. Das Umweltstrafrecht 141

beurteilt sich danach, ob ein hinreichend gewichtiges Interesse daran besteht, daß
wenigstens die unzulässigen (verwaltungsrechtlich nicht erlaubten) Belastungen
unterbleiben.
Des weiteren führt die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung umweltstraf-
rechtlicher Normen dazu, daß es - jedenfalls vom Wortlaut der Norm her - nicht
darauf ankommt, ob ein bestimmtes Verhalten materiellrechtlich gesehen als ver-
waltungsrechtlich zulässig anzusehen ist, sondern vielmehr entscheidend sein soll,
ob das Verhalten durch formell wirksame ErIaubnisakte der Verwaltung gedeckt
ist. Insbesondere dann, wenn man mit einer in der Literatur verbreitet vertretenen
Auffassung die bloße Genehmigungsfähigkeit formell-illegaler Verhaltensweisen
als strafrechtlich irrelevant erachtet,167 stellt sich mit besonderer Dringlichkeit die
Frage, ob die bloße Mißachtung verwaltungsrechtlicher ErIaubnisvorbehalte eine
strafrechtliche Ahndung legitimieren kann. Gleiches gilt für die Straftatbestände,
die - wie z. B. die §§ 327, 328 dStGB - den bloßen Umgang mit bestimmten Stof-
fen unter Strafe stellen. Wird hier bloßer Verwaltungsungehorsam um seiner selbst
willen gestraft oder gibt es legitime Gründe, derartige Verhaltensweisen unter
Strafandrohung zu verbieten?

b) Die Erfassung bagatellartiger UmweItbelastungen

Da zu konstatieren ist, daß es sich bei den, dem strafrechtlichen Zugriff offenste-
henden UmweItbelastungen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil um sozialübliche
Verhaltensweisen handelt, die im übrigen - jedenfalls für sich gesehen - regelmä-
ßig auch eher dem Bagatellbereich zuzurechnen sind, stellt sich die weitere Frage,
ob trotz des Fehlens einer evidentermaßen sozialethisch zu mißbilligenden Un-
rechtshandlung an der kriminalstrafrechtlichen Ahndung festgehalten werden
kann. 168 Zu klären bleibt, ob die erfaßten umweltschädigenden Verhaltensweisen
im Hinblick auf den allenfalls minimalen Unrechtsgehalt der jeweiligen Einzel-
handlung 169 aus dem Strafwürdigkeitsbereich auszuscheiden sind,170 oder aber im

167 Vgl. eramer, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 324 ff. Rdnr. 19; Maurach/Schroe-
der 1 Maiwald, StrafR BT, Teilbd. 2, § 58 Rdnr. 6; Meurer, NJW 1988, 2065, 2068; Rogall,
Festschrift Universität Köln, S. 525; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 343 sowie
Tröndle, StGB, Vor § 324 Rdnr. 4d m. w. N.
Andere Autoren wollen die Strafbarkeit des formell illegalen Verhaltens dann ausschlie-
ßen, wenn der Täter materiellrechtlich gesehen einen gebundenen Anspruch auf Erteilung der
Erlaubnis hat, vgl. Bloy, ZStW 100 (1988), 485, 506; Schall, NJW 1990, 1263, 1267. Ob
gleiches auch dann gelten kann, wenn die Genehmigung im Ermessen der Behörde steht, ist
umstritten: ablehnend z. B. Breuer, NJW 1988, 2072, 2079; Papier, Natur + Recht 1986, 1,6;
Rengier, ZStW 101 (1989), 874, 902 ff.; bejahend z. B. Frisch, Verwaltungsakzessorietät,
S. 46 ff.
16M Vgl. Heine, Vollzugsdefizite, S. 18/19; Ronzani, Erfolg, S. 94 ff.; Seelmann, NJW
1990,1257,1260.
169 Vgl. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 22 ff.
142 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Hinblick auf die letztlich per saldo doch erheblichen Umweltbelastungen generell
oder unter bestimmten Voraussetzungen als strafwürdig anzusehen sindY I

aa) Legitimation der Pönalisierung im Hinblick auf den Gesamtschaden ?

In der Literatur wird die Pönalisierung bagatell artiger Umweltverstöße von eini-
gen Autoren jedenfalls für die Fälle als legitim erachtet, in denen der Täter wisse
bzw. damit rechne, daß sich sein Verhalten im Zusammenwirken mit dem Verhal-
ten anderer Personen der Summe nach als erheblich darstellen werde bzw. durch
den für sich gesehen minimalen Beitrag des Täters die Erheblichkeitsschwelle
überschritten werde. 172 Hiergegen spricht zunächst, daß der Ansatz, allein die Per-
sonen strafrechtlich haften zu lassen, deren Einzelbeitrag entweder dazu geführt
hat, daß eine Vielzahl von Bagatellbeeinträchtigungen im Ergebnis die Erheblich-
keitsschwelle überschritten haben bzw. die wirksam geworden sind, nachdem die
Erheblichkeitsschwelle bereits überschritten wurde, die strafrechtliche Verantwort-
lichkeit weitgehend willkürlich verteilt. Da für den Bürger nicht erkennbar ist, ob
eine nach normativen Grundsätzen gesetzte Erheblichkeitsschwelle faktisch bereits
überschritten ist bzw. durch seinen Minimalbeitrag überschritten werden wird,
würde letztlich der Zufall darüber entscheiden, wer die strafrechtliche Verantwort-
lichkeit für eine bestimmte Umweltschädigung zu tragen hätte. 173 Im übrigen: Eine
überzeugendende Begründung, warum allein derjenige haften soll, der zufälliger-
weise nicht den vorletzten, sondern den Einzelbeitrag geliefert hat, durch den die
Erheblichkeitsschwelle dann überschritten wurde, ist nicht ersichtlich, insbesonde-
re deshalb nicht, weil ohne die vorhergehenden Einzelbeiträge ein Überschreiten
der Erheblichkeitsschwelle nicht verursacht worden wäre. 174
Will man den Täter nicht für seinen eigenen Bagatellbeitrag, sondern für den
über der Erheblichkeitsschwelle liegenden "Gesamtschaden" haften lassen,175 wür-
de sich im übrigen die Frage stellen, ob dies überhaupt möglich ist, wenn die Vor-
aussetzungen für eine Zurechnung fremden Verhaltens gemäß den §§ 25 ff. dStGB
nicht gegeben sind, ob also mit anderen Worten das bloße Wissen um das mögliche

170 So z. B. Meurer, NJW 1988,2065,2068.


171 So z. B. Cramer, in: Schönke! Schröder, Vorbem. §§ 324 ff. Rdnr. 10; Hirsch, Bekämp-
fung, S. 21; Wegscheider, ÖJZ 1983,90,95.
172 Möhrenschlager, WiVerw 1984, 47, 62 ff.; vgl. auch Rogall, Festschrift Universität
Köln, S. 520; Saal, Straftat, S. 96; a.A. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 78 f.; Lenckner,
in: Schönke!Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 83.
173 Im übrigen: Bedingt durch den systemischen Charakter der hier einschlägigen Schädi-
gungsprozesse wäre faktisch der Nachweis wohl gar nicht zu führen, vgl. Ronzani, Erfolg,
S. 43 ff., 49 f.
174 So zutreffend Jakobs und Puppe, zitiert nach: Perron, ZStW 99 (1987), 637, 657 und
659; vgl. auch Feinberg, Vol. 1, S. 228 f.; a.A. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 168 f.,
171 (mit einer Differenzierung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten).
175 Vgl. z. B. Wegscheider, ÖJZ 1983,90,95.
11. Das Umweltstrafrecht 143

Fehlverhalten anderer Personen eine ausreichende Grundlage dafür sein kann, dem
Täter die durch andere Personen verursachten Umweltbeeinträchtigungen als eige-
nes Unrecht zuzurechnen. 176 Da eine gesetzliche Grundlage für die Verpflichtung
des einzelnen, sein Verhalten im Hinblick auf das zu antizipierende Verhalten an-
derer Personen einzuschränken, nicht ersichtlich ist,I77 wird man eine strafrechtli -
che Verantwortlichkeit des einzelnen aus der bloßen Mitverursachung des Gesamt-
schadens nicht ohne weiteres herleiten können. 17S

bb) Legitimation der Pönalisierung im Hinblick auf die Einzelhandlung ?

Das Problem der Zurechnung fremdverursachter Unrechtsanteile würde entfal-


len, wenn man die Strafwürdigkeit der von den Tatbeständen des Umweltstraf-
rechts erfaßten Verhaltensweisen aus sich selbst heraus begründen könnte. Um eine
derartige Begründung hat sich insbesondere Kuhlen bemüht. Ausgangspunkt sei-
nes Ansatzes ist die Erkenntnis, daß es sich bei den Straftatbeständen des gelten-
den Umweltstrafrechts - konkret: des Straftatbestandes der Gewässerverunreini-
gung (§ 324 dStGB) - weder um Erfolgs- noch um Geflihrdungsdelikte herge-
brachter Art handelt, sondern um einen eigenständigen Deliktstyp, den Kuhlen als
Kumulationsdelikt bezeichnet. Das Kumulationsdelikt erfaßt Einzelhandlungen,
die zwar für sich gesehen das geschützte Umweltmedium weder verletzen l79 noch
gefährden können, bei denen andererseits aber eine Verletzung oder Geflihrdung
dann nicht auszuschließen ist, wenn nicht durch ein sanktionsbewehrtes Hand-
lungsverbot verhindert wird, daß sich eine Vielzahl anderer entsprechend verhal-
ten. lso Die Legitimität des Kumulationsdeliktes ergibt sich für Kuhlen aus der Not-
wendigkeit, nicht nur konkret bzw. abstrakt geflihrliche Handlungen durch entspre-
chende Verhaltensnormen zu verbieten, sondern darüber hinaus auch solche Hand-
lungen, die nur über das Problem der großen Zahl lSI zu einer Geflihrdung führen

176 Ablehnend hierzu Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 75 ff., 87 ff.: Die §§ 324 ff.
dStGB würden zu Beteiligungsdelikten umgestaltet, was mit dem geltenden System der Be-
teiligungsformen nicht zu vereinbaren sei.
177 Vgl. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 142: Keine GarantensteIlung des Ersthan-
deInden gegenüber dem Umweltmedium und I oder den anderen handelnden Personen; die
Annahme von Ingerenz wäre zirkelschlüssig.
178 Vgl. Bloy, JuS 1997, 577, 583; Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 153 ff., 168 f.;
Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 140; Nestler, Grundlagen, Rdnr. 264 f.; Puppe, in: NK,
Vor § 13 Rdnr. 77; Samson, ZStW 99 (1987), 617, 628 ff.
179 Geht man - wie es der h.M. entspricht und auch hier vertreten wird, vgl. oben S. 139-
davon aus, daß § 324 dStGB das Umweltmedium Wasser als notwendige Vorausetzung für
die Existenz der Gattung homo sapiens schützen soll, muß sich auch die Definiton des delik-
tischen Erfolgs an dieser Prämisse orientieren, was zur Folge hat, daß nicht jeder Verursa-
chungsbeitrag für sich gesehen bereits als "Erfolg" zu behandeln ist. Vgl. Daxenberger, Ku-
mulationseffekte, S. 56 ff.
180 Kuhlen GA 1986,389,399 ff.; ders., ZStW 105 (1993), 697, 716; ablehnend zur Kon-
zeption des "Kumulationsdelikts": Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 241 ff.
144 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

können. Der Egoismus des Einzelnen, der dahin tendiere, die Normbefolgung den
anderen Gesellschaftsmitgliedern zu überlassen, selbst aber Verhaltensnormen
dann zu mißachten, wenn die Normübertretung für sich gesehen vorteilhaft sei,
zwinge dazu, auch diese Verhaltensnormen durch Sanktionsnormen abzusi-
chem. 182
Die weitere Frage, ob als Sanktionsnorm ein Straftatbestand die angemessene
Lösung sei, hält Kuhlen für noch nicht abschließend geklärt, er tendiert aber dahin,
dies zu bejahen, da angesichts der mit der drohenden Umweltzerstörung verbunde-
nen gewaltigen Gefahren eine moralische Verpflichtung bestehe, dieser Entwick-
lung mit dem hierzu geeigneten Instrument der Kumulations(strat)tatbestände ent-
gegenzuwirken. Angesichts des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter, der
mit dem Phänomen der großen Zahl verbundenen gravierenden sozialen Probleme
und im Hinblick darauf, daß eine überzeugende materielle Abgrenzung von Straf-
taten und Ordnungswidrigkeiten bisher nicht gelungen sei, müsse und dürfe der
Gesetzgeber sich daran orientieren, daß die Ausgestaltung der Sanktionsnorm als
Straftatbestand präventiv wirksamer sei als die Wahl eines Ordnungswidrigkeiten-
tatbestandes. 183 Daß es angesichts der durch den Verzicht auf jeglichen aktuellen
Unrechtsgehalt der konkreten Tathandlung l84 bedingten Auflösung der überkom-
menen Zurechnungs strukturen des traditionellen Strafrechts 185 ausreichen kann,
die Legitimität der Pönalisierung für sich gesehen definitionsgemäß ungefährlicher
Kumulationsbeiträge allein aus der Zweckmäßigkeit einer derartigen Regelung l86
abzuleiten, erscheint indes zweifelhaft. Kuhlen selbst erkennt an, "daß reine Ku-
mulationsbeiträge schwerlich den Handlungs- und Gesinnungsunwert aufweisen,
der ,die schwere moralische Disqualifizierung durch die öffentliche Strafe' erfor-
derlich macht". 187 Diese Erkenntnis wirft dann allerdings nicht nur die von Kuhlen
als Möglichkeit in den Raum gestellte Frage auf, ob nicht z. B. eine Herabstufung
bloßer Kumulationsbeiträge bei Gewässerverschmutzungen zur Ordnungswidrig-
keit angemessen wäre. 188 Zu klären bleibt nicht nur, ob es mildere Möglichkeiten
der Sanktionsbewehrung gibt; entscheidend ist, ob eine positive Begründung dafür

181 Vgl. hierzu: Buchanan, Ethics Vol. 76 (1965 -66), 1,6 ff.
182 Kuhlen, GA 1986,389,402; ders., ZStW 105 (1993), 697, 721.
183 Kuhlen, GA 1986,389,405 f.

184 Hierauf beruht der Vorwurf, der Typus des Kumulationsdeliktes verstoße gegen den
Schuldgrundsatz (vgl. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 65 f.; Müller-Tuckfeld, KritV
1995,69,75; ders., Abschaffung, S. 466; Rogall, Festschrift Universität Köln, S. 520) und
verkenne den ultima-ratio-Gedanken, weil die entsprechenden Tatbestände letztlich keine
Grenze mehr hätten (vgl. Schulz, Kausalität, S. 83 f.)
185 Vgl. See1mann, NJW 1990, 1257, 1260; ders., Natur, S. 286/287.

186 Die im übrigen auch in Frage gestellt werden kann, vgl. Daxenberger, Kumulationsef-
fekte, S. 65 sowie F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 145 ff., der sich gegen die
"unhaltbare Instrumentalisierung des Strafrechts zu Zwecken der Volkspädagogik" wendet.
187 Kuhlen, GA 1986,389,403 ff.

188 Kuhlen, GA 1986,389,408; vgl. auch ders., ZStW 105 (1993), 697, 717.
11. Das Umweltstrafrecht 145

gefunden werden kann, daß die repressive Ahndung überhaupt eine sachlich ange-
messene Reaktion darstellt. 189

6. Zwischenergebnis

Geht man von der Prämisse aus, daß die Androhung und Anwendung strafrecht-
lichen Zwangs dann legitim sein soll, wenn hierdurch elementare Lebensinteressen
vergesellschafteter menschlicher Individuen geschützt werden sollen, kann die
grundsätzliche Schutzwürdigkeit der für die Fortexistenz menschlicher Lebewesen
unabdingbaren Umweltmedien nicht ernsthaft bestritten werden. Die im Schrifttum
soweit ersichtlich nicht in Frage gestellte Annahme der grundsätzlichen Schutz-
würdigkeit vermag die Frage nach der Legitimität der Straftatbestände des Um-
weltstrafrechts indes in keiner Weise zu beantworten, sondern bildet erst die Basis,
auf deren Grundlage dann die Erwägungen zur Legitimität der Anwendung straf-
rechtlichen Zwangs aufbauen müssen. Die eigentliche Problematik der Straftatbe-
stände des "modernen" Umweltstrafrechts liegt nicht im Rechtsgut, sondern in der
Deliktsstruktur der betreffenden Straftatbestände begründet. 190
Werden Verhaltensweisen als strafwürdig definiert, die überhaupt erst im Zu-
sammenwirken mit anderen - für sich gesehen ebenfalls nicht schädigungswirksa-
men - Verhaltensweisen zu einer im Hinblick auf die (Fort-)Existenz der Mensch-
heit relevanten Beeinträchtigung der jeweiligen Umweltmedien führen können,
handelt es sich um Straftatbestände, die nicht ohne weiteres in das tradierte Sche-
ma der strafrechtlichen Deliktstypen eingeordnet werden können. Die Strafwürdig-
keit von Kumulationsbeiträgen bedarf einer näheren Begründung, die zum einen -
entgegen Kuhlen - nicht einfach allein aus der Notwendigkeit abgeleitet werden
kann, entsprechende Verhaltensverbote praktisch durchzusetzen, die aber zum an-
deren - entgegen F. Herzog - auch nicht mit dem pauschalen Verweis auf die Frag-
würdigkeit eines Gefährdungsstrafrechts überzeugend widerlegt werden kann.
Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Straftatbestände des Umweltstrafrechts, bei

189 Bejahend z. B. Ahn, Dogmatik, S. 121, mit dem Hinweis darauf, daß es sich bei der
abstrakten Gefährdung um einen nach unten offenen Begriff handele und das tatbestandsmä-
ßige Verhalten des Kumulationsdelikts dem geschützten Rechtsguts bereits "kritisch gegen-
übersteht". Ablehnend dagegen Brahms, Definition, S. 145, die eine unstatthafte Unrechtsbe-
gründung ex iniuria tertii moniert, sowie Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 61 ff., der die
Pönalisierung von Kumulationsbeiträgen für kriminalpolitisch kontraproduktiv und für un-
vereinbar mit Art. 103 Abs. 2 GG erachtet. Soweit Samson, ZStW 99 (1987), 617, 635,
meint, die Konzeption des Kumulationsdelikts laufe darauf hinaus, das Zurechnungsproblem
durch eine Veränderung der Erfolgsdefinition überflüssig zu machen, kann dem nicht gefolgt
werden.
190 So auch VestlRonzani, Landesbericht, S. 487/488: "Als eine zentrale Grundsatzfrage
des Umweltstrafrechts (wie auch anderer Teile des modemen Strafrechts) stellt sich die nach
Vorteilen und Risiken von (abstrakten) Gefahrdungsdelikten, bei denen die vereinfachte Zu-
rechnung durch eine Vorverlagerung des Strafrechts erkauft wird."

10 Wohlers
146 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

denen die bloße Mißachtung eines Erlaubnisvorbehalts als eine für sich gesehen
strafwürdige Verhaltensweise definiert wird. Da - wie oben dargelegt 191 - als
Rechtsgut dieser Straftatbestände nicht die Funktionsfähigkeit der Umweltverwal-
tung angesehen werden kann, stellt sich auch hier die Frage, ob und wenn ja wie
Straftatbestände mit einer derartigen Deliktsstruktur als legitim angesehen werden
können.

111. Das "moderne" Wirtschaftsstrafrecht

1. Die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

Jede rechtsdogmatisch ausgerichtete Untersuchung auf dem Gebiet des Wirt-


schaftsstrafrechts steht zunächst vor dem Problem, den Untersuchungsgegenstand
zu erfassen bzw. sinnvoll zu begrenzen. 192 Ursächlich für die insoweit bestehenden
Schwierigkeiten ist der Umstand, daß soweit ersichtlich weder eine konsensfähige
Definition des Begriffs der Wirtschaftskriminalität noch des Wirtschaftsstrafrechts
existiert. 193 Das Bestreben, wirtschaftsdelinquentes Verhalten als einen gegenüber
anderen Teilbereichen abweichenden Verhaltens abgrenzbaren Bereich kriminellen
Unrechts zu definieren, hat seinen historischen Ausgangspunkt bei der auf Suther-
land zurückgehenden Definition wirtschaftsdelinquenten Verhaltens als "white-col-
lar-crime". 194 Wirtschafts straftaten sollen hiernach Verbrechen sein, die von Ange-
hörigen einer hohen sozialen Schicht im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit be-
gangen werden. 195 Als Grundlage einer materiellrechtlichen Definition ist diese tä-
terorientierte Betrachtungsweise ebenso ungeeignet wie ein strafprozessual-
kriminaltaktischer Ansatz, demzufolge eine Wirtschafts straftat dann vorliegen soll,
wenn im Einzelfall ein sehr ho her Schaden entstanden ist oder besondere Ermitt-
lungs- bzw. Nachweisschwierigkeiten auftreten, vor allem weil der Täter besondere
Gestaltungsmöglichkeiten oder Formen des Wirtschaftslebens ausgenutzt bzw.
mißbraucht hat. 196
Sollen bestimmte Verhaltensweisen als ein auch in materiellrechtlicher Hinsicht
eigenständiger Teilbereich strafrechtlichen Unrechts anerkannt werden, setzt dies
voraus, daß die diesbezüglichen Straftatbestände Verhaltensweisen mit einem spe-

191 Vgl. oben S. 135 ff.


192 Vgl. Schubarth, ZStR 90 (1974),384.
193 Vgl. Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rdnr. I; Kaiser, Kriminologie, § 74 Rdnrn. I ff., 6;
Krauskopf, ZStR 110, 76 ff.
194 Abgedruckt in: Sack / König, Kriminalsoziologie, S. 187 ff.
195 Vgl. hierzu: Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 6 ff.; Kaiser, Kriminologie, § 72 Rdnrn.
I ff.; Otto ZStW 96 (1984), 339, 340; Tiedemann, Gutachten, C 27; kritisch Volk, JZ 1982,
85.
196 Vgl. Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 10 ff.; Heinz, System, S. 158 ff.
III. Das "modeme" Wirtschaftsstrafrecht 147

zifischen Unrechtsgehalt erfassen.!97 Aus materiellrechtlicher Sicht werden Wirt-


schaftsdelikte daher gemeinhin definiert als Straftatbestände, die Verhaltensweisen
erfassen, die das Funktionieren der geltenden Wirtschaftsordnung insgesamt oder
einzelner ihrer Institute beeinträchtigen und damit den Bestand und die Arbeits-
weise dieser Wirtschaftsordnung gefährden.!98 Abgesehen von den direkt auf den
Schutz bestimmter Institutionen oder Funktionszusammenhänge der Wirtschafts-
ordnung abzielenden und deshalb noch relativ eindeutig als "Wirtschaftsdelikte im
engeren Sinne" anzusprechenden Straftatbeständen!99 bleibt aber auch unter Zu-
grundelegung dieser Definition zweifelhaft, ob - und wenn ja: welche - Straftatbe-
stände mit indirekten Wirkungen auf den Wirtschaftssektor noch in den Begriff des
Wirtschaftsstrafrechts einzubeziehen sind. Beispielhaft sei nur auf die Nonnen des
Umweltstrafrechts verwiesen, die von einigen Autoren als Teil des Wirtschafts-
strafrechts verstanden, zunehmend aber als ein rechtsdogmatisch eigenständiger
Bereich eingeordnet werden?OO Schließlich können sogar die traditionell als Kem-
bereich des hergebrachten Eigentums- und Vennögensstrafrechts geltenden Straf-
tatbestände - wie insbesondere der Betrug (§ 263 dStGBI Art. 146 schwStGB) -
wegen ihres zumindest mittelbaren Bezugs auf das Funktionieren der Wirtschafts-
ordnung als "Wirtschaftsdelikte im weiteren Sinne" verstanden werden. 20 !
Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat sich im Rahmen seiner auf die Bekämp-
fung wirtschaftsdelinquenten Verhaltens abzielenden Refonneingriffe stets an ei-
nem - zumindest aus dogmatischer Sicht eher fragwürdigen - weiten Begriff der
Wirtschaftsdelikte orientiert, der insbesondere auch die allgemeinen Eigentums-
und Vennögensdelikte einbezieht. 202 Eine umfassende Aufarbeitung der Entwick-

!97 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 15; atto, Jura 1989, 24, 26; Schubarth, ZStR 90
(1974), 384, 386.
198 Bottke, wistra 1991, I, 4; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 29 f., 64 ff.; Heinz, GA
1977, 193, 196; atto, ZStW 96 (1984), 339, 342; ders., MschrKrim 1980,397,399/400;
ders., Jura 1989,24,26; Tiedemann, Gutachten, C 29; ders., Wirtschaftsstrafrecht 2, S. 50 ff.;
ders., JuS 1989,689,691; ders., Tatbestandsfunktionen, S. 67, 69; Weber, ZStW 96 (1984),
376, 378; a.A. Schubarth, ZStR 90 (1974), 384, 389, der eine abstrakte Bestimmung der
Straftatbestände, die zu den Wirtschaftsdelikten zu rechnen sind, für unmöglich erachtet.
199 In der Literatur scheint sich die Einteilung des Gesamtbereiches in (I) Strafnormen
zum Schutz der Volkswirtschaft, (2) Strafnormen zum Schutz der Betriebswirtschaft, (3)
Strafnormen zum Schutz der staatlichen Finanzwirtschaft und (4) Strafnormen zum Schutz
der Allgemeinheit und des Verbrauchers durchzusetzen, vgl. atto, ZStW 96 (1984), 339,
351 ff. Auch hier ist aber bei bestimmten Deliktsgrupen - z. B. Verstöße gegen Arbeits-
schutz- und Unfallverhütungsvorschriften, Umweltdelikte, Steuer- und Zolldelikte - frag-
lich, ob diese Tatbestände bestimmte Schutzgegenstände wegen ihrer Funktion als Wirt-
schaftsfaktor erfassen (vgl. Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 65 ff.; atto, ZStW 96 (1984),
339. 353 f.).
200 Vgl. z. B. atto, ZStW 96 (1984), 339, 354 m. w. N.

201 Bottke, Legitimität, S. 109.


202 Heinz, System, S. 160. Dem entspricht es, daß auch in der praktischen Strafrechtsan-
wendung die überwiegende Mehrzahl der als Wirtschaftsstraftaten eingeordneten Delikte als
Betrug i. S. d. § 263 erfaßt werden, vgl. Kaiser, Kriminologie, § 74 Rdnr. 24.

10'
148 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

lung der nicht nur im Strafgesetzbuch selbst, sondern zu einem großen Teil in einer
Vielzahl von Gesetzen des Nebenstrafrechts verstreuten Normen des so verstande-
nen Wirtschaftsstrafrechts kann und soH an dieser SteHe nicht geleistet werden?03
Die sowohl in der Literatur zum Wirtschaftsstrafrecht als auch in den SteHungnah-
men zum "modemen" Strafrecht stets hervorgehobene besondere Bedeutung der
im Rahmen des 1. und 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität
(WiKGl04 neu in das StGB der Bundesrepublik Deutschland eingesteHten Straf-
tatbestände, rechtfertigt es, die nachfolgende Analyse beispielhaft auf die durch
diese bei den Reformgesetze geschaffenen neuen Straftatbestände des "modemen"
Wirtschaftsstrafrechts zu beschränken. Entsprechend bezieht sich die Analyse der
Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts in der Schweiz auf die Revision des Ver-
mögensstrafrechts aus dem Jahre 1995. 205

2. Die Gesetze zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität

Durch das bundesdeutsche 1. WiKG wurden insbesondere die Straftatbestände


des Subventionsbetruges (§ 264 dStGB) und des Kreditbetruges (§ 265b dStGB)
neu geschaffen sowie die Konkursdelikte aus der Konkursordnung in das StGB
überführt (§§ 283 dStGB). Durch das 2. WiKG wurden einige, zusammenfassend
als Computerdelikte bezeichnete Straftatbestände (§§ 202a, 263a, 269, 270, 274
Abs. 1 Nr. 2, 303a, 303b dStGB), der Kapitalanlagebetrug (§ 264a dStGB) sowie
der Scheck- und Kreditkartenmißbrauch (§ 266b dStGB) geschaffen und mit § 266a
dStGB eine Norm in das StGB eingestellt, die sich gegen die Veruntreuung von
Arbeitsentgelten richtet. Die nachfolgende Analyse wird ergeben, daß auch im
Hinblick auf diesen Bereich der Strafrechtsreform die bereits im Rahmen der Dar-
legungen zur Reform des Umweltstrafrechts deutlich gewordenen Tendenzen fest-
zusteHen sind: Der Gesetzgeber hat auch im Hinblick auf die Straftatbestände des
Wirtschaftsstrafrechts den Ansatz verfolgt, die präventive Wirkung bestimmter

203 Einen Überblick über die - in ihrer Zuordnung im einzelnen nicht unumstrittenen -
Deliktsgruppen gibt Heinz, System, S. 167 ff.; vg!. auch Eisenberg, Kriminologie, § 47
Rdnr. 24; Kaiser, Kriminologie, § 74 Rdnrn. 24 ff.; Tiedemann, JuS 1989,689,691 ff.
204 Gesetze vorn 29.7. 1976, BGB!. I, S. 2034 sowie vorn 15.5. 1986, BGB!. I, S. 721.
205 Außen vor bleiben sowohl der 1987 in der Schweiz eingeführte sog. Insiderstraftatbe-
stand (Art. 161 schwStGB) als auch die in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutsch-
land neu geschaffenen Straftatbestände zur Bekämpfung der Geldwäsche (Art. 305bis
schwStGB sowie § 261 dStGB). Die Normen sind aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte (vg!.
hierzu - bezogen auf die Rechtsentwicklung in der Schweiz -: Ackermann, Geldwäsche, § 5
Rdnrn. 16 ff.; Forster, ZSR NF 114 (1995),11, I, 134 ff., 140 ff.; Heinel Hein, Landesbericht,
S. 10 10 f.; Heine I Spalinger, Landesbericht, S. 1369; Schmid, Insiderstrafrecht, S. 57 ff.;
Schubarth, Gedächtnischrift für Noll, S. 303 ff.; Trechsell Noll, StrafR AT I, S. 5) zwar kri-
minalpolitisch hochinteressant, dürften aber - gerade wegen ihres spezifischen Hintergrundes
- doch eher ungeeignet sein, Aufschlüsse über die im Rahmen der vorliegenden Untersu-
chung interessierenden "allgemeinen" Entwicklungstendenzen zu geben.
III. Das "modeme" Wirtschaftsstrafrecht 149

strafrechtlicher Normen dadurch zu verstärken, daß Straftatbestände des Neben-


strafrechts in das Kernstrafrecht überführt wurden. Des weiteren war es sein Ziel,
Strafbarkeitslücken zu schließen und Straftatbestände zu schaffen, die den Bereich
strafrechtlich relevanter und erfaßbarer Verhaltensweisen in das Vorfeld bereits
existenter Straftatbestände ausgedehnt haben.
Auch in der Schweiz war die Reform des Vermögensstrafrechts nicht auf die
Schaffung spezieller Wirtschaftsstraftatbestände gerichtet. 206 Vielmehr sollten Un-
stimmigkeiten im bestehenden Vermögensstrafrecht beseitigt sowie auf das gewan-
delte gesellschaftliche Umfeld, insbesondere das Aufkommen der Computer und
des bargeldlosen Zahlungsverkehrs reagiert werden. 207 In der Botschaft über die
Aenderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärgesetzes vom
24. April 1991 wird diesbezüglich ausgeführt: "Die vorliegende Revision be-
zweckt nun insbesondere, die traditionellen Vorschriften des Vermögensstrafrechts
stärker auf den Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität auszurichten. Zugleich
sollen neuere technische und gesellschaftliche Entwicklungen, wie namentlich die
elektronische Datenverarbeitung sowie der Check- und Kreditkartenverkehr, wei-
che die Vorgehensweise heutiger Delinquenten nachhaltig beeinflusst haben, straf-
rechtlich erfasst werden.,,208 Neben einer Umstellung und Neuordnung der alten
Straftatbestände des Vermögensstrafrechts 209 sowie einer Reform der Schuldbei-
treibungs- und Konkursdelikte (Art. 163 bis 171 schwStGB) sind zur besseren Er-
fassung neuartiger Kriminalitätsformen der Urkundenbegriff im Hinblick auf
die sog. "Computerurkunde" geändert, mit den Art. 143, 143bis, 144bis, 147
schwStGB spezielle Computerdelikte sowie mit Art. 148 schwStGB ein Straftatbe-
stand des Scheck- und Kreditkartenmißbrauchs geschaffen worden.

206 Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wurde und wird als ein in erster Linie
prozessuales (insbesondere: Beweis-)Problem angesehen, vg\. Schultz, ZStW 97 (1985), 371,
395; ders. ZStR 99 (1982), 1,24; ders. ZStR 109 (1992),3,17 sowie die Botschaft über die
Aenderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare
Handlungen gegen das Vermögen und Urkundenfälschung), in: BB\. 1991 11,969,978.
207 Forster, ZSR NF 114 (1995), 11, I, 149 ff.; Heine, Landesbericht, S, 723; Heine/Rou-
let, Landesbericht, S. 1304 f.; Kunz, ZBJV 132 (1996), 189, 190; Müller, ZStR 113 (1995), I,
4 und 10; Schmid, ZStR 104 (1987), 129; ders., Computer- sowie Check- und Kreditkarten-
kriminalität, § I Rdnr. I; ders., SJZ 91 (1995), I; Schild Trappe, ZBJV 133 (1997), I;
Schultz, ZStW 97 (1985), 371, 394 f.; ders. ZStR 99 (1982), 1,25; ders., ZStR 109 (1992), 3,
17 f.; Trechsell Noll. StrafR AT I, S. 5.
208 BB\. 199111,969,971; vg\. auch bereits Koller, ZStR 109 (1992),338,339: Das neue
Vermögensstrafrecht soll "die Voraussetzungen für eine erfolgreichere Bekämpfung der Wirt-
schaftskriminalität schaffen". Es soll "in erster Linie die verschiedenen Spielarten der Com-
puterdelinquenz sowie des Kreditkartenmissbrauchs erfassen."
209 Vg\. hierzu die Botschaft über die Aenderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches
und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlungen gegen das Vermögen und Urkundenfäl-
schung), in: BB\. 1991 11,969,972 sowie 997 f.
150 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

a) Die Überführung von Straftatbeständen


aus dem Nebenstrafrecht in das Kernstrafrecht

Beispiele für die bereits im Zusammenhang des Umweltstrafrechts konstatierte


Tendenz des bundesdeutschen Gesetzgebers, bereits bestehende Straftatbestände
aus dem Nebenstrafrecht in das Kernstrafrecht zu überführen, um ihre präventive
Wirkung zu steigern, sind zum einen die durch das 1. WiKG als §§ 283 ff. in das
bundesdeutsche StGB eingestellten Konkursdelikte 21O und zum anderen der durch
das 2. WiKG geschaffene § 266a dStGB.
Die Bankrottdelikte waren 1871 ohne wesentliche konzeptionelle Änderungen
aus dem Preußischen Strafgesetzbuch als §§ 281 ff. in das RStGB übernommen
und dann mit Wirkung vom 1. 10. 1879 als §§ 209 ff. in die Reichskonkursordnung
von 1877 überführt worden. 211 Mit den §§ 283 ff. dStGB wurde dem Strafrecht
also kein neues Aufgabenfeld erschlossen, sondern lediglich - vornehmlich mit
der Zielsetzung einer Stärkung der generalpräventiven Wirkung 212 - bestehende
Straftatbestände aus dem Nebenstrafrecht (§§ 239 f. KO) in das Strafgesetzbuch
(rück-)überführt?13 Mit dem durch das 2. WiKG geschaffenen § 266a dStGB wur-
den die §§ 529, 1428 RVO, § 225 AFG, § 150 AngVersG, § 234 RKnappschaftsG
wegen der besonderen Bedeutung, die dem Aufkommen der Mittel für die Sozial-
versicherung für die Interessen der Versichertengemeinschaft zugemessen wird, in
das Strafgesetzbuch eingestellt. Auch hier ging es dem Gesetzgeber im wesentli-
chen darum, die präventive Wirkung bestimmter, bisher im Nebenstrafrecht "ver-
steckter" Straftatbestände durch eine Überführung in das Kernstrafrecht zu stär-
ken. 214

210 Die Reform der Schuldbeitreibungs- und Konkursdelikte der Art. 163 bis 171
schwStGB stellt sich demgegenüber in erster Linie als der Versuch dar, die entsprechenden
Straftatbestände an ein geändertes normatives Umfeld anzupassen, vgl. hierzu i.e. Müller,
ZStR 113 (1995), 1,16.
211 Vgl. Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 283 bis 283d Rdnr. 15; Tiedemann, in: LK, Vor § 283
Rdnr.38.
212 BT-Drucks. 7/3441, S. 34; vgl. auch die entsprechenden Forderungen von Tiedemann
in seinem Gutachten, zum 49. DJT sowie die Beschlüsse des 49. DJT, in: Verhandlungen des
49. DJT, 1972, Bd. I, C 45; Bd. 11, M 200.
m Außerdem sollte durch die Modifizierung der §§ 239 f. KO zum einen sichergestellt
werden, daß im Falle der Zahlungseinstellung bzw. Eröffnung oder Ablehnung des Konkurs-
verfahrens auch rechtlich neutrale Handlungen zu strafrechtlich relevantem Unrecht führen
konnten (vgl. BT-Drucks. 7/3441, S. 19). Zum anderen sollte die Effektivität des Konkurs-
strafrechts durch eine Ausweitung der Straftatbestände und den Verzicht auf mit Nach-
weisschwierigkeiten behaftete Tatbestandsmerkma1e (insbesondere: die in § 239 KO voraus-
gesetzte sog. Gläubigerbenachteiligungsabsicht) gestärkt werden (BT-Drucks. 7/344 I,
S. 19 f.). Daß damit der Anwendungsbereich der Konkursdelikte erweitert und die strafrecht-
liche Verantwortlichkeit im Ergebnis an eingeschränkte Voraussetzungen geknüpft wurde, ist
eine Frage, die später aufzugreifen sein wird (vgl. unten Seite 154 ff.).
214 BT-Drucks. 10/318. S. 12.25 ff.
III. Das "modeme" Wirtschaftsstrafrecht 151

Zur Bewertung dieser Tendenz der Gesetzgebung kann auf die entsprechenden
Ausführungen zum Umweltstrafrecht verwiesen werden. Auch hier gilt: Die vom
Gesetzgeber erwarteten präventiven Wirkungen der Verlagerung mögen zweifel-
haft und die Vorgehensweise des Gesetzgebers kriminalpolitisch fragwürdig sein;
in der Sache selbst kommt es allein darauf an, ob sich die Straftatbestände noch als
legitime Einschränkungen der "berechtigten Freiheitsansprüche der Bürger" be-
gründen lassen. Die Antwort auf diese Frage ist dann aber unabhängig davon, ob
sich die entsprechende Norm im StGB oder in einem Gesetz des Nebenstrafrechts
befindet.

b) Die Anpassung strafrechtlicher Normen


an das sich wandelnde gesellschaftliche Umfeld

Die Tendenz, Lücken im bestehenden Strafrechtsschutz zu schließen, kann bei-


spielhaft durch die sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der
Schweiz geschaffenen sog. Computerdelikte und den gleichfalls in bei den Ländern
eingeführten Tatbestand des Scheck- und Kreditkartenmißbrauchs illustriert wer-
den.
Sowohl die durch das 2. WiKG in das bundesdeutsche StGB eingestellten
§§ 202a, 263a, 269, 270, 274 Abs. 1 Nr. 2, 303a, 303b dStGB als auch die Art. 143,
l43bis, 144bis, 147 schwStGB stellen nichts anderes dar als eine Reaktion des Ge-
setzgebers auf das Phänomen der sog. "Computerkriminalität". Das Auftreten der
"Computerkriminalität" ist seinerseits wieder die Folge eines technischen Wande-
lungsprozesses, dessen wesentliche Charakteristika darin bestehen, daß Informatio-
nen sowohl im privaten Bereich als auch im Wirtschaftsverkehr in zunehmendem
Maße nicht mehr in geschriebener Form festgehalten, sondern als Daten abgespei-
chert und ausgetauscht werden: EDV-Anlagen treten an die Stelle von Buchfüh-
rungsunterlagen; Vermögenswerte, Warenbestände und (Betriebs-)Geheimnisse
werden mittels Computern verwaltet; die Vorbereitung, der Abschluß und die
Durchführung von Rechtsgeschäften sind in zunehmendem Maße an den Einsatz
von Computern gebunden und von den durch Computer verwalteten und bereitge-
stellten Informationen abhängig. 215
Ebenso wie der Einsatz von EDV-Anlagen ist auch der Mißbrauch von EDV-An-
lagen oder der Zugriff auf Computerdaten nichts anderes als eine Reaktion auf ge-
wandelte technische Verhältnisse: Ein Tater, der sich vor der Einführung der Com-
putertechnologie Informationen dadurch verschafft hat, daß er in schriftlich abge-
faßte Unterlagen Einblick genommen bzw. diese an sich gebracht hat, kann diese
Informationen nunmehr dadurch erlangen, daß er sich Zugriff auf die EDV-Anlage
verschafft, in der diese Informationen abgespeichert sind. Anders als bei schriftlich

215 Vgl. Möhrenschlager, wistra 1986, 128.


152 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

fixierten Informationen kann die Vernichtung computererfaßter Informationen da-


durch erfolgen, daß die betreffenden Daten gelöscht werden, ohne daß es einer Be-
schädigung oder gar Zerstörung des Datenträgers bedarf. Dienstleistungen oder
Warenlieferungen können durch eine Computermanipulation erschlichen werden,
ohne daß es der Täuschung eines Menschen bedarf. 216 In strafrechtlicher Hinsicht
hatte diese Entwicklung die Konsequenz, daß Computerdaten mangels eines sach-
lichen Substrats von den hergebrachten Straftatbeständen des Eigentums-, Vermö-
gens- und Urkundenstrafrechts nicht in dem Maße erfaßt wurden, wie dies bei
schriftlich niedergelegten Informationen der Fall ist: Die mißbräuchliche Inan-
spruchnahme automatisierter Geschäftskontakte wird von den Straftatbeständen
des Diebstahls, des Betrugs und der Untreue ebensowenig erfaßt wie der Tatbe-
stand der Urkundenfälschung die Manipulation an Computerdaten erfassen kann,
deren Verläßlichkeit aber im Rechtsverkehr eine immer größere Bedeutung erhal-
ten hat. 217 Sowohl der bundesdeutsche als auch der Schweizer Gesetzgeber hat auf
die durch die technische Entwicklung bedingte Ineffektivität des Strafrechts gegen-
über computerbezogenen Angriffen auf die Geheimhaltungs-, Eigentums- und Ver-
mögensinteressen der am Rechtsverkehr teilnehmenden natürlichen und juristi-
schen Personen dadurch reagiert, daß er eine Anzahl von Straftatbeständen ge-
schaffen hat, die in Anknüpfung an bestehende Straftatbestände die aufgetretenen
Stratbarkeitslücken schließen und den bestehenden Strafrechtsschutz den gewan-
delten gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen sollen.2 18

216 Umfassende Darstellung der einschlägigen Verhaltensweisen bei Sieber, Computerkri-


minalität und Strafrecht, S. 39 ff., 2/97 ff.; ders., Informationstechnologie und Strafrechtsre-
form, S. 15 ff.; vg\. auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht 2, S. 150 ff.
21? Vg\. - bezogen auf die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland - BT-Drucks.
10/318, S. 12, 17; BT-Drucks. 10/5058, S. 24 f., S. 33 f.; Bottke, wistra 1991, 1,6; Möhren-
schlager, wistra 1986, 128, 130; ders., wistra 1991,321,325 ff.; Sieber, Computerkriminali-
tät, S. 194 ff.; ders., Informationstechnolgie, S. 36 f.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht 2,
S. 154 ff.
Zu den entsprechenden Lücken im Bereich des schweizerischen Strafrechts vg\. die Bot-
schaft über die Aenderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärgesetzes
vom 24. April 1991, BB\. 1991 11,969,983 ff. sowie Schmid, ZSR NF 104 (1985) 11, 135,
213 f. Das Bundesgericht hatte Computermanipulationen unter bestimmten Voraussetzungen
als Betrug bestraft (vg\. BGE 96 IV 185; kritisch hierzu: Stratenwerth, ZStR 98 (1981), 229,
230 f.) und den Begriff der Urkunde auf die sog. "Computerurkunde" ausgedehnt (vg\. BGH
III IV 119 ff.; 116 IV 343, 352 f.). Die in der Reformdiskussion umstrittene Frage, ob man
auch im Bereich des Urkundenstrafrechts entsprechende Spezialtatbestände zu schaffen habe
(so z. B.: Jenny/Stratenwerth, ZStR 108 (1991),197 ff.; Schultz, ZStR 109 (1992), 3,19 ff.)
oder aber - entsprechend den Vorgaben der bundesgerichtlichen Rechtsprechung - den Ur-
kundenbegriff des Art. 110 Ziff. 5 schwStGB erweitern solle (so z. B. Schmid, ZStR 109
(1992),98, 101 ff.) hat der Gesetzgeber dahingehend entschieden, daß er der letztgenannten
Alternative gefolgt ist (vg\. die Botschaft über die Aenderung des Straggesetzbuches vom 24.
April 1991, in: BB\. 199111,969,990 ff.; kritisch hierzu: Forster, ZSR NF 114 (1995) II, I,
150 f.; Kunz, ZBJV 132 (1996), 189, 199 ff.; Stratenwerth, SchwStrafR BT 11, § 35 Rdnrn.
30 ff.; Vest, Landesbericht, S. 682 f.).
218 BB\. 1991 II, 969, 971; Rehberg/Schmid, Strafrecht III, § 13 Ziff. I; Schmid, ZStR
113 (1995), 22, 23; Vest, Landesbericht, S. 678 ff. für die Schweiz sowie BT-Drucks. 10/
III. Das "moderne" Wirtschaftsstrafrecht 153

Anders liegt es bei dem im Rahmen des 2. WiKG neu geschaffenen Straftatbe-
standes des Mißbrauchs von Scheck- und Kreditkarten (§ 266 b dStGB). Vorder-
gründig wollte der Gesetzgeber zwar auch mit diesem Straftatbestand eine durch
die Rechtsprechung des BGH219 im Grenzbereich zwischen Betrug und Untreue
entstandene Lücke des strafrechtlichen Vermögensschutzes schließen. 22o Zurück-
zuführen war auch diese Strafbarkeitslücke auf bestimmte Veränderungen im ge-
sellschaftlichen Umfeld, konkret: das Auftreten von Euroscheck- und Kreditkarten
als Zahlungsmittel. 221 Anders als bei den Straftatbeständen des Computerstraf-
rechts wurde mit der Einführung des § 266b dStGB aber nicht nur der Anwen-
dungsbereich bereits bestehender Normen an die technische Entwicklung ange-
paßt, sondern - je nach Sichtweise - ein spezieller Untreuetatbestand unter Ver-
zicht auf die Strafbarkeitsvoraussetzung der sonst bei § 266 dStGB vorausgesetz-
ten Vermögensbetreuungspflicht bzw. ein betrugsähnliches Delikt unter Verzicht
auf die bei § 263 dStGB notwendige Strafbarkeitsvoraussetzung des täuschungsbe-
dingten Irrtums kreiert. Diese Ausweitung des Strafbarkeitsbereiches durch Redu-
zierung von Strafbarkeitsvoraussetzungen legt es nahe, den § 266b dStGB weniger
als eine Folge der Anpassung strafrechtlicher Normen an das gewandelte gesell-
schaftliche Umfeld, sondern vielmehr als ein Beispiel für die im Anschluß näher
zu beleuchtende Tendenz des Gesetzgebers zu interpretieren, den Bereich straf-
rechtlich relevanter Verhaltensweisen durch die Reduzierung von Strafbarkeitsvor-
aussetzungen auszuweiten. Gleiches gilt für den ebenfalls als Reaktion auf die eine
Strafbarkeit verneinende Rechtsprechung des Bundesgerichtes222 innerhalb kürze-
ster Zeit 223 geschaffenen Art. 148 schwStGB. Die "Aushilfsfunktion" dieses in sei-
ner Notwendigkeit heftig umstrittenen Straftatbestandes 224 wird insbesondere dar-

318, S. 11, 16 ff., 31 ff.; 10/5058, S. 1,24,28 ff., 33 ff.; Bottke, wistra 1991, 1,6; Hettinger,
Entwicklungen, S. 19; Weber, in: Arzt/Weber, StrafR BT, LH 4, Rdnr. 65 für die Bundesre-
publik Deutschland.
219 Konkret war es die Entscheidung BGHSt 33, 244, die den Gestzgeber noch während
des bereits laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur Schaffung des § 266b dStGB veranlaßte.
220 Vgl. BT-Drucks. 10/5058, S. 32 sowie Haffke, KritV 1991, 165, 167; Hirsch, Gedächt-
nisschrift für H. Kaufmann, S. 152; Kühl, in: Lackner, § 266b Rdnr. 1; Lenckner, in: Schön-
ke/Schröder, § 266b Rdnr. 1; Ouo, wistra 1986, 150, 151; Ranft, JuS 1988, 673, 674;
Schlüchter, 2. WiKG, S. 106 f.
221 Vgl. hierzu - bezogen auf die entsprechende Rechtlage in der Schweiz -: Buser, Straf-
taten, S. 45 ff., insbesondere S. 107 ff.; Eckert, Erfassung, S. 69 ff.; Schmid, ZStR 104
(1987),129,131 ff.; ders., ZSR NF 104 (1985), 11,135,214 ff.
222 Vgl. BGE 112 IV 79 und hierzu Müller, ZStR 113 (1995), I, 10; Rehberg / Schmid,
Strafrecht III, § 20 vor Ziff. I; Schild Trappe, ZBJV 133 (1997), I, 2 ff.
223 Vgl. Killias / Kuhn, Festschrift für Rehberg, S. 192.

224 Vgl. einerseits - kritisch - Buser, Straftaten, S. 118 ff.; Killias/Kuhn, Festschrift für
Rehberg, S. 190 m. w. N. sowie andererseits - bejahend - Schmidli, Missbrauch, S. 132 ff. In
der Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärge-
setzes vom 24. April 1991, BBl. 1991 11, 969, 1024/ 1025 wird darauf abgestellt, "dass diese
Instrumente des Zahlungs- und Kreditverkehrs, die aus unserem Alltagsleben nicht mehr
wegzudenken sind und die in Zukunft sicherlich eine noch grössere Bedeutung erlangen wer-
den, des strafrechtlichen Schutzes bedürfen."
154 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

an deutlich, daß er als subsidiär zurücktreten soll, wenn der Tatbestand des Betru-
ges (Art. 146 schwStGB) erfüllt ist. 225

c) Die Schaffung von Straftatbeständen im Vorfeld des Betruges

Die Zielsetzung des 1. und 2. WiKG bestand darin, die Voraussetzungen für eine
effektivere Bekämpfung wirtschaftskrimineller Verhaltensweisen zu schaffen. Ne-
ben der Erhöhung der präventiven Wirksamkeit bereits bestehender strafrechtlicher
Normen und der Schließung von Strafbarkeitslücken sollte dieses Ziel insbesonde-
re dadurch erreicht werden, daß auf die in der praktischen Anwendung der be-
stehenden Straftatbestände aufgetretenen Nachweisschwierigkeiten mit der Schaf-
fung neuer, den praktischen Beweisproblemen Rechnung tragender Straftatbestän-
de reagiert wurde. Wie bereits oben dargelegt,226 müssen sowohl die Ausgestaltung
der Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 266b dStGB als auch die im Rahmen der
Rücküberführung der §§ 283 ff. dStGB in das Strafgesetzbuch vorgenommenen
Modifikationen der Strafbarkeitsvoraussetzungen der Konkursdelikte vor dem Hin-
tergrund dieser Zielsetzung des Gesetzgebers gesehen werden. Die prägnantesten
Beispiele dieser, die Reform des "modemen" Wirtschaftsstrafrechts der Bundesre-
publik Deutschland wesentlich prägenden Entwicklung sind aber die durch das 1.
und 2. WiKG als "abstrakte Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Betruges" geschaf-
fenen Sondertatbestände zur Bekämpfung des Subventions-, Kapitalanlage- und
Kreditbetruges (§§ 264, 264a, 265b dStGB).227 In der Schweiz gab und gibt es ent-
sprechende Straftatbestände nicht. 228

aa) Ursachen der Vorverlagerung des Strajbarkeitsbereiches

Anlaß für das gesetzgeberische Bemühen, die Bekämpfung wirtschaftsdelin-


quenter Verhaltensweisen im Rahmen der Subventionserschleichung, des Kapital-
anlageschwindels und des Kreditbetruges zu intensivieren, waren bei der prakti-
schen Anwendung des allgemeinen Betrugstatbestandes (§ 263 dStGB) aufgetrete-

225 Trechsel, SchwStGB, Art. 148 Rdnr. 14; zu Einzelheiten vgl. die Botschaft über die
Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärgesetzes vom 24. April
1991, in: BBI. 1991 11,969,1025.
226 Vgl. oben S. 150, Fußn. 213, sowie S. 153 f.
227 Hinzuweisen ist darauf, daß der Gesetzgeber mit dem am 20. 8. 1997 in Kraft getrete-
nen Gesetz zur Bekämpfung der Korruption (Gesetz vom 13.8. 1997, BGBI. I, S. 2038) einen
weiteren Spezialtatbestand (§ 298 dStGB) geschaffen hat, mit dem sog. Submissionsbetrüge-
reien erfaßt werden sollen; vgl. hierzu: Dölling, Gutachten, C 63/64, 93 ff.; Korte, NStZ
1997,513,516 f.; Kudlich, JuS 1998,378,379; Lüderssen, BB 1996, Beilage 11, S. 3 ff.;
Ouo, ZRP 1996, 300, 302 ff.
228 Vgl. Krauß, Festschrift für Vischer, S. 67 ff., der die Einführung eines dem § 264 StGB
entsprechenden Tatbestandes der Subventionserschleichung für geboten erachtet.
111. Das "moderne" Wirtschaftsstrafrecht 155

ne Schwierigkeiten: 229 Im Hinblick auf die Fälle der mißbräuchlichen Inanspruch-


nahme von Subventionen ergaben sich diese Schwierigkeiten zum einen aus dem
insbesondere wegen der oft unklaren Vergabevoraussetzungen schwierigen Nach-
weis einer Täuschungshandlung des Subventionsempfängers bzw. eines hiermit
korrespondierenden Irrtums der Subventionsbehörde. Darüber hinaus war das Tat-
bestandsmerkmal des Vermögensschadens problematisch, der - zumindest bei ei-
nem Festhalten am wirtschaftlichen Vermögensbegriff - dogmatisch sauber nur
über die Anwendung der bereits im Grundsatz umstrittenen sog. Zweckverfeh-
lungslehre konstruiert werden konnte. Schließlich war auch der Nachweis eines
vorsätzlichen Verhaltens des Subventionsempfängers regelmäßig mit nicht uner-
heblichen Problemen verbunden. 23o
Auch beim sog. Kapitalanlageschwindel scheiterte die Ahndung über § 263
dStGB sehr häufig am Nachweis eines vorsätzlich-täuschenden Verhaltens des An-
bieters der Kapitalanlage sowie am Nachweis eines auf das Verhalten des Anbie-
ters kausal rückführbaren konkreten Vermögensschadens des Kapitalanlegers. 231
Weiterhin konnte der Strafrechtsschutz über den allgemeinen Betrugstatbestand in
der Regel erst dann zum Tragen kommen, wenn die Kapitalanleger bereits einen
Schaden erlitten und sich die Täter nicht selten dem Zugriff der Strafverfolgungs-
behörden entzogen hatten. 232 Bei der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Kre-
diten bezogen sich die Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung des allge-
meinen Betrugstatbestandes ebenfalls in erster Linie auf den Nachweis des Vorlie-
gens einer Täuschungshandlung des Kreditnehmers, eines hierdurch bedingten hin-
reichend konkreten Vermögensschadens des Kreditgebers sowie allgemein auf den
Betrugsvorsatz des Kreditnehmers. 233
Der Gesetzgeber hat auf die aufgetretenen Schwierigkeiten dadurch reagiert,
daß er bei den neu geschaffenen Sondertatbeständen des Subventions-, Kapital-
anlage- und Kreditbetrugs auf die bei der Anwendung des allgemeinen Betrugs-

229 Umfassend hierzu: Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 78 ff.


23D Vgl. i.e. BT-Drucks. 7/3441, S. 16 f.; Eberle, Subventionsbetrug, S. 4 ff.; Geerds,
Wirtschaftsstrafrecht, S. 80 ff., 93 f., 96 f., 107 f., 109 ff.; Hack, Probleme, S. 41 ff.; Herzog,
Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 123 ff.; Duo, Jura 1989,24,28; Ranft, JuS 1986,445,449;
Samson I Günther, in: SKStGB, § 264 Rdnrn. 3 ff.; Sannwald, Rechtsgut, S. 55 ff.; Tiede-
mann, ZStW 86 (1976), 897, 910: ders., Wirtschaftsstrafrecht 2, S. 91 ff.; ders., NJW 1986,
3163.
231 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 98 ff., 153 ff.; Jaath, Festschrift für Dünnebier,
S. 590 ff.; A. Worms, Anlegerschutz, S. 176 ff.; ders., wistra 1987,242, 245; Tiedemann, JZ
1986, 865, 872.
Zu dem ebenfalls als mangelhaft eingeschätzten Anlegerschutz durch andere strafrechtli-
che Normen vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 21 f.; Möhrenschlager, wistra 1982, 201, 205;
Joecks, wistra 1986, 142, 143; A. Worms, Anlegerschutz, S. 196 ff.
232 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 186 ff.; Tiedemann, JZ 1986, 865, 872.
233 Vgl. BT-Drucks. 7/3441, S. 18; 7/5291, S. 14; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 82 ff.,
97, 102 ff.; Lampe, Kreditbetrug, S. 8 ff.; Duo, Jura 1989,24,29; Tiedemann, Gutachten, C
65 f.; ders., Wirtschaftsstrafrecht 2, S. 58.
156 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

tatbestandes problematischen Tatbestandsmerkmale verzichtet, d. h. die Straftat-


bestände auf die vorsätzliche - bzw. im Falle des Subventionsbetruges sogar
leichtfertige 234 - Abgabe wahrheitswidriger Erklärungen reduziert und damit be-
reits bloße Täuschungen als solche inkriminiert hat. Abweichend von der Grund-
norm des § 263 dStGB hat der Gesetzgeber ganz bewußt auf die Strafbarkeits-
voraussetzungen des Irrtums und des Vermögensschadens verzichtet und mit
dem alleinigen Abstellen auf das Merkmal einer Täuschung auch solche Verhal-
tensweisen als vollendete Delikte unter Strafe gestellt, die bei der Ausgestaltung
als Erfolgs(vermögens)delikt i. S. d. § 263 dStGB allenfalls als Versuch strafbar
wären. 235
Die Vorgehensweise des Gesetzgebers muß allerdings den Einwand provozie-
ren, daß Schwierigkeiten beim Nachweis bestimmter Tatbestandsmerkmale un-
streitig keine hinreichende Legitimation dafür geben, neue, allein auf die fakti-
schen Möglichkeiten des forensischen Nachweises zugeschnittene Straftatbestän-
de zu schaffen?36 Daß es entscheidend darauf ankommt, daß auch der in den
Strafbarkeits- bzw. Beweisvoraussetzungen reduzierte Straftatbestand eine als sol-
che strafwürdige Verhaltensweise umschreiben muß,237 wurde auch im Gesetzge-
bungsverfahren des 1. und 2. WiKG nicht in Frage gestellt. Sowohl im Rahmen
der Begründung des Entwurfs zum 1. WiKG als auch des 2. WiKG wird grund-
sätzlich anerkannt,
"daß allein praktische Schwierigkeiten bei der Anwendung des Betrugstatbestandes nicht
die Einführung leichter handhabbarer Straftatbestände rechtfertigen. Derartige Reformen
sind vielmehr aus rechtsstaatlichen Gründen nur dann vertretbar, wenn vor allem im Hin-
blick auf das geschützte Rechtsgut auch das durch Vorfeldtatbestände erfaßbare Verhalten
als strafwürdiges Unrecht erscheint. •.238

Analysiert man die Materialien der Gesetzgebungsverfahren im einzelnen, wird


indes rasch deutlich, daß die Gründe, aufgrund derer sich der Gesetzgeber als be-
rechtigt ansah, die §§ 264, 264a und 265b dStGB als "verselbständigte Versuchs-

234 Vgl. § 264 Abs. 3 dStGB.


235 Vgl. Peter-Alexis Albrecht, KritV 1993, 163, 168 ff.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 381.
236 Vgl. hierzu die insbesondere gegen § 264 dStGB gerichtete Kritik, es handele sich le-
diglich um einen Auffangtatbestand für nicht erweisbares vorsätzliches Verhalten und damit
letztlich um eine Verdachtsbestrafung (Samson I Günther, in: SKStGB, § 264 Rdnrn. 13,
16 ff.; F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 132 ff.; Hirsch, Bekämpfung, S. 20;
Schubarth ZStW 92 (1980), 80, 10 I).
Gleiches würde für § 265b dStGB gelten, bei dem vermutet wird, daß die Norm letztlich
nur ein Aufhänger sei, der es den Strafverfolgungsorganen ermöglichen soll, Zwangsmaßnah-
men zum Nachweis eines Betrugsdeliktes i. S. d. § 263 StGB zu ergreifen, vgl. Duo, Jura
1989,24,31; ders., ZStW 96 (1984),339.364/365; Schubarth, ZStW 92 (1980), 80, 92.
237 Vgl. Lagodny, Strafrecht, S. 313 f.; Lewisch, Verfassung, S. 301; Tiedemann, ZStW 87
(1975), 253, 275 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht I, S. 87 ff., 112; Weber, ZStW 96 (1984),
376, 390; Weigend, Festschrift für Triffterer, S. 707; A. Worms, Anlegerschutz, S. 272; Zie-
schang, Gefahrdungsdelikte, S. 366 m. w. N.
238 BT-Drucks. 7/3441, S. 18; 10/318, S. 22.
III. Das "moderne" Wirtschaftsstrafrecht 157

delikte" bzw. "abstrakte Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Betruges,,239 auszuge-


stalten, durchgängig rein pragmatischer Natur waren.

bb) Die Legiti11Ultion der Vorverlagerung des Strafbarkeitsbereiches

(1) Der Subventionsbetrug (§ 264 dStGB)

Daß es sich bei der Erschleichung direkter Subventionen um sozialschädliches,


mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfendes Unrecht handelt, stand für den
Gesetzgeber außer Frage?40 Anlaß, die mißbräuchliche Inanspruchnahme von
Subventionen durch § 264 dStGB unter Strafe zu stellen, war die Annahme, daß in
einer Vielzahl von Fällen öffentliche Mittel zweckwidrig erlangt und damit volks-
wirtschaftlich fehlgeleitet werden, was dann wiederum zu nicht unerheblichen
Schädigungen führe. 241 Die gegenüber der Regelung in § 263 dStGB 242 zu konsta-
tierende Vorverlagerung und Ausweitung des Strafbarkeitsbereiches auf eine bloße
Tauschungshandlung wurde im Gesetzgebungsverfahren nur beiläufig mit dem
Hinweis legitimiert, daß niemand gezwungen sei, eine Subvention zu beantragen
und für denjenigen, der freiwillig und zu seinem Vorteil eine unentgeltliche Lei-
stung des Staates in Anspruch nehme, die strafrechtliche Absicherung der ohnehin
selbstverständlichen Wahrheitspflicht keine unzumutbare Belastung darstelle. 243
Nach Auffassung des Gesetzgebers korrespondiert der unentgeltlichen Inanspruch-
nahme öffentlicher Gelder eine erhöhte Verantwortlichkeit gegenüber der Allge-
meinheit,244 die es als rechtspolitisch geboten erscheinen lasse, den Strafrechts-
schutz für die mißbräuchliche Inanspruchnahme direkter Subventionen an die
durch die Strafnormen der Abgabenordnung erfaßte Erschleichung indirekter Sub-
ventionen in der Form von Steuervorteilen anzugleichen. 245

(2) Der Kapitalanlagebetrug (§ 264a dStGB)

Mit der Einführung des Straftatbestandes des Kapitalanlagebetrugs (§ 264a


dStGB) wollte der Gesetzgeber zum einen den Anlegerschutz verbessern. Über

239 So bzgl. des § 264 dStGB: BT-Drucks. 7/3441, S. 25; 7/5291, S. 5; bzgl. des § 264a
dStGB: BT-Drucks. 10/318, S. 12; bzgl. des § 265b dStGB: BT-Drucks. 7/5291, S. 14.
240 Vgl. BT-Drucks. 7/5291, S. 4 f.

241 BT-Drucks.7/344I,S.15.

242 Vgl. BT-Drucks. 7/3441, S. 15 ff.; 7/5291, S. 3 f.

243 BT-Drucks. 7/5291, S. 4.

244 Vgl. BT-Drucks. 7/5291, S. 8.

245 BT-Drucks. 7/3441, S. 17, 24. Vgl. auch Krauß, Festschrift für Vi scher, S. 69, der die
Strafwürdigkeit des Gefährdungsdeliktes der Subventionserschleichung aus der Möglichkeit
ableiten will, daß die Vergabebehörde eine Entscheidung treffen könnte, mit der sie den Sub-
ventionszweck sachlich verfehle.
158 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

den individuellen Vermögensschutz hinaus sollte aber auch das Vertrauen in die
Redlichkeit des Kapitalmarktes gestärkt werden, dessen Funktionsfähigkeit für die
Wirtschaftsordnung von wesentlicher Bedeutung sei. 246 Die Notwendigkeit eines
in den Bereich der Vermögensgefährdung vorverlegten strafrechtlichen Anleger-
schutzes wurde damit begründet, daß die zumeist unerfahrenen Anleger in beson-
derem Maße schutzbedürftig, die bestehenden strafrechtlichen Normen aber weit-
gehend ineffektiv seien. 247 Der Gesetzgeber verkenne nicht, "daß praktische
Schwierigkeiten bei der Anwendung des Betrugstatbestandes allein die Einführung
leichter handhabbarer Straftatbestände nicht rechtfertigen. Solche Tatbestände sind
aus rechtsstaatlichen Gründen vielmehr nur dort vertretbar, wo vor allem im Hin-
blick auf das geschützte Rechtsgut das durch Vorfeldtatbestände erfaßte Verhalten
als strafwürdiges Unrecht erscheint." Dies sei aber vorliegend der Fall:
,,Die Bekämpfung des Versuchs, mit täuschenden Angaben andere zur Anlage ihres Geldes
zu veranlassen, dient nämlich nicht nur dem Schutz des individuellen Vermögens. Solche
Verhaltensweisen sind vielmehr, wenn sie in einer gewissen Massenhaftigkeit auftreten,
geeignet, das Vertrauen in den Kapitalmarkt zu erschüttern und damit das Funktionieren
eines wesentlichen Bereichs der geltenden Wirtschaftsordnung zu gefährden. Daß es dem
Entwurf gerade auch um den Schutz dieses überindividuellen Rechtsgutes geht, wird durch
die Ausklammerung der Individualtäuschung sichtbar. In dieser Beschränkung sieht der
Entwurf die Rechtfertigung für die Bestrafung des gefährlichen Verhaltens. ,,248

(3) Der Kreditbetrug (§ 265b dStGB)

Anlaß der Regelung des Kreditbetruges (§ 265b dStGB) war die Erwägung, daß
die Vergabe von Krediten an Kreditnehmer, denen die Kreditwürdigkeit fehlt und
die als Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr zu einer Vielzahl anderer Personen in
rechtlichen Beziehungen treten, in mehrfacher Hinsicht eine erhebliche Gefahr
darstellt:
"Der Verlust der Kreditsumme mindert nicht nur das Vermögen des Kreditgebers; er bringt
vielmehr auch diejenigen Personen in die Gefahr empfindlicher Vermögensschädigungen,
die ihrerseits den Kreditgebern Kredite gewährt haben. Noch gefährlicher ist die Kreditge-
währung an nicht kreditwürdige Darlehensnehmer aber für diejenigen Personen, denen der
Darlehensnehmer wegen der ihm durch den Kredit verschafften Mittel als kreditwürdig er-
scheint und die deshalb mit ihm in geschäftliche Beziehungen treten oder Forderungen aus
bereits bestehenden Beziehungen stunden. Die Erfahrung zeigt, daß der diesen Personen
durch wirtschaftliche Schwierigkeiten des Kreditnehmers entstandene Schaden vermieden
werden kann, wenn dem Kreditbewerber der Kredit versagt wird. ,,249

246 BT-Drucks. 10/318, S. 12.


247 BT-Drucks. 10/318, S. 21 f.; zur Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des indivi-
duellen Anlegers vgl. i.e. A. Worms, Anlegerschutz, S. 245 ff., 274 ff.
248 BT-Drucks. 10/318, S. 22.

249 BT-Drucks.7/344I,S.17.
III. Das "modeme" Wirtschafts strafrecht 159

Die Regelung des § 265b dStGB sei erforderlich, weil sich § 263 dStGB in der
Praxis als nicht ausreichend erwiesen habe, den aus der Kreditvergabe an kreditun-
würdige Personen resultierenden Gefahren zu begegnen. 25o Auch hier heißt es in
der Begründung des Entwurfs, es werde nicht verkannt, "daß allein praktische
Schwierigkeiten bei der Anwendung des Betrugstatbestandes nicht die Einführung
leichter handhabbarer Straftatbestände rechtfertigen. Derartige Refonnen sind viel-
mehr aus rechtsstaatlichen Gründen nur dann vertretbar, wenn vor allem im Hin-
blick auf das geschützte Rechtsgut auch das durch Vorfeldtatbestände erfaßbare
Verhalten als strafwürdiges Unrecht erscheint." Dies sei hier aber der Fall:
"Wie die eingangs angestellten Überlegungen bereits ergeben, drohen die durch eine wirt-
schaftlich unvertretbare Kreditgewährung an Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr ausgelö-
sten Gefahren nicht nur dem Vermögen des Kreditgebers, sondern einer Vielzahl von Per-
sonen, die mit den Vertragspartnern in rechtlichen Beziehungen stehen. Nehmen solche
Vorgänge entsprechende Größenordnungen an, kann der Fehlschlag der Vorhaben des Kre-
ditnehmers zu Erschütterungen der gesamten Wirtschaftsordnung und zu einem Verlust
des Vertrauens in ihr Funktionieren führen, dem auch mit strafrechtlichen Mitteln entge-
gengewirkt werden muß. Wer deshalb als Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr Kredite durch
Täuschung zu erlangen versucht, handelt bereits im Hinblick auf die damit verbundene ge-
nerelle Gefahr strafwürdig. ,,251

Im Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsrefonn werden diese Erwä-


gungen wie folgt ergänzt:
"Kreditbetrügereien größeren Ausmaßes gefährden jedoch nicht nur die wirtschaftliche
Existenz des Kreditgebers, sondern darüber hinaus auch die Kreditwirtschaft als solche
und damit die Volkswirtschaft insgesamt. Durch erschlichene Kredite können außer dem
Kreditgeber auch dessen Gläubiger in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten mit mögli-
chen weiteren Auswirkungen auf deren Gläubiger. Auch Gläubigern des Kreditnehmers
können hierdurch Schäden entstehen, weil bei ihnen infolge der Kreditgewährung ein fal-
scher Eindruck von der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers entstanden ist, der sie zu wei-
teren Kreditgewährungen veranlaßt hat. Schließlich können sich die nachteiligen Folgen
aus erschlichenen Krediten auf die Arbeitnehmer der Betroffenen auswirken.,,252

cc) Die Legitimation über den Schutz individueller Vermögensinteressen

Die im Gesetzgebungsverfahren explizit aufgestellte und auch in den oben wie-


dergegebenen Begründungen zur Legitimität dieser Straftatbestände anklingende
Behauptung, es handele sich um "verselbständigte Versuchsdelikte" bzw. "ab-
strakte Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Betruges" setzt voraus, daß die Straftat-
bestände der §§ 264, 264a, 265b dStGB im Hinblick auf den Topos des Vennö-

250 BT-Drucks. 7/3441, S. 18; 7/5291, S. 14.


m BT-Drucks. 7/3441, S.18.
252 BT-Drucks. 7/5291, S. 14.
160 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

gensschutzes legitimiert werden können. 253 Dieser These ist zu widersprechen.


Ausgangspunkt ist hierbei die Erwägung, daß sich der Gesetzgeber an seinen eige-

253 Das durch § 264 dStGB geschützte Rechtsgut soll nach verbreiteter Auffassung die Pla-
nungs- und Dispositionsfreiheit der öffentlichen Hand sein (vgl. Tröndle, StGB, § 264 Rdnr. 3
m. w. N.; vgl. auch Jung, JuS 1976,757,758). Der hiergegen zu Recht erhobene Einwand, daß
angesichts der Normgebundenheit staatlichen Hande1ns von einer "Freiheit" im eigentlichen
Sinne nicht gesprochen werden könne (vgl. Hack, Probleme, S. 65 f.) und die Planungs- und
Dispositionsfreiheit der öffentlichen Hand jedenfalls kein Selbstzweck sei, sondern bestimm-
ten inhaltlichen Zwecken dienen müsse (Hack, Probleme, S. 65 ff.; Lenckner, in: Schönkel
Schröder, § 264 Rdnr. 4; Maurach/Schroder/Maiwald, StrafR BT, Teilbd. 1, § 41 Rn. 165;
Maiwald, ZStW 96 (1984), 66, 77), führt zu der derzeit wohl herrschenden Ansicht, derzufol-
ge § 264 dStGB das Allgemeininteresse an einer wirksamen und zweckgerechten staatlichen
Wirtschaftsförderung schützen soll (Achenbach, JR 1988,251,253; Bottke, wistra 1991, 1,7;
Cerny, MDR 1987,271,272; Geerds, Wirtschafts strafrecht, S. 250; Kühl, in: Lackner, § 264
Rdnr. 1; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 264 Rdnr. 4; Otto, Jura 1989,24,29; Tiedemann,
Wirtschafts strafrecht 1, S. 109 f.; ders., Wirtschafts strafrecht 2, S. 106; ders., in: LK, § 264
Rdnr. 11; Wesseis, StrafR BT 2, Rdnr. 648). Innerhalb der herrschenden Ansicht ist umstritten,
ob zusätzlich auch noch das öffentliche Vermögen geschützt wird (bejahend Jung, JuS 1976,
757,758; Kühl, in: Lackner, § 264 Rdnr. 1; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 264 Rdnr. 4;
Schmidt-Hieber, NJW 1980,322, 324; Wesseis, StrafR BT 2, Rn. 648; ablehnend dagegen:
Tiedemann, in: LK, § 264 Rdnrn. 13 f.). In der Literatur wird z.T. auch die entgegengesetzte
Auffassung vertreten, derzufolge Rechtsgut des § 264 StGB allein das öffentliche Vermögen
sein soll (Hack, Probleme, S. 63 ff.; Hirsch, Bekämpfung, S. 18; Maiwald, ZStW 96 (1984),
66,78; Maurach/Schroeder/Maiwald, StrafR BT, Teilbd. I, § 41 Rdnr. 165; Ranft, NJW
1986,3163,3165; Sannwald, Rechtsgut, S. 65; Schmidhäuser, StrafR BT, 11/97). Der mittel-
bare Schutz der Institution des Subventionswesens als wichtiges Instrument der staatlichen
Wirtschaftslenkung ist hiernach ein im Schutz des öffentlichen Vermögens mitenthaltener blo-
ßer Schutzreflex (Hack, Probleme, S. 68, 71; Sannwald, Rechtgut, S. 65).
Geschütztes Rechtsgut des § 264a dStGB ist nach h.M. in erster Linie das Vertrauen der All-
gemeinheit in den Kapitalmarkt, dessen Funktionsfähigkeit eine entscheidende Voraussetzung
für die Entfaltung und Nutzung wirtschaftlicher Produktivkräfte darstelle (BT-Drucks. 101
318, S. 12; Bottke, wistra 1991, I, 8; Cerny, MDR 1987, 271, 272; Cramer, in: Schönkel
Schröder, § 264a Rdnr. I; Geerds, Wirtschafts strafrecht, S. 204 ff.; Jaath, Festschrift für Dün-
nebier, S. 607; Kühl, in: Lackner, § 264a Rdnr. I; Ouo, Jura 1989, 24, 31; Tröndle, StGB,
§ 264a Rdnr. 4; Weber, NStZ 1986,481, 486; Wesseis, StrafR BT 2, Rdnr. 658). Während eini-
ge Vertreter der h.M. der Auffassung sind, daß § 264a dStGB neben der o.g. Zielrichtung auch
dem Schutz individueller Vermögensinteressen von Kapitalanlegem dienen solle (Kühl, in:
Lackner, § 264a Rdnr. I; Tröndle, StGB, § 264a Rdnr. 4; Weber, NStZ 1986, 481, 486), gehen
andere Autoren davon aus, daß allein das Vermögen der Kapitalanleger geschützt werde
(Joecks, wistra 1986, 142, 144; Maurach/Schroeder/Maiwald, StrafR BT, Teilbd. 1, § 41
Rdnr. 166; Schlüchter, 2. WiKG, S. 156; Samson/Günther, in: SKStGB, § 264a Rdnr. 7; A.
Worms, Anlegerschutz, S. 268, 311; ders., wistra 1987, 242, 245). Der Schutz des redlichen
Umgangs miteinander auf dem Kapitalmarkt ist nach dieser Auffassung lediglich Motiv für
die Schaffung der Vorschrift gewesen (Samson/Günther, in: SKStGB, § 264a Rdnr. 7). Der
durch § 264a StGB bewirkte Vertrauens schutz für den Kapitalmarkt als Institution sei nichts
anderes als ein vom Vermögensschutz ausgehender Reflex (Joecks, wistra 1986, 142, 144; A.
Worms, wistra 1987,242,245; ders., Anlegerschutz, S. 314 f.; vgl. auch Schlüchter, 2. WiKG,
S. 176, die den Kapitalmarkt als Schutzgut mangels einer hinreichenden Abgrenzbarkeit bzw.
Bestimmbarkeit ablehnt).
§ 265b dStGB soll nach allgemeiner Auffassung das Vermögen des einzelnen Kreditgebers
schützen (Heinz, GA 1977, 225, 226; Kühl, in: Lackner, § 265b Rdnr. I; Lenckner, in: Schön-
III. Das "modeme" Wirtschaftsstrafrecht 161

nen Vernünftigkeitskriterien bzw. Wertungen festhalten lassen muß?54 Hat er ein


System geschaffen, muß er dieses entweder folgerichtig weiterentwickeln oder
aber durch eine neues - dann auch wieder in sich folgerichtig entwickeltes bzw. zu
entwickelndes - System ersetzen. 255 Abweichungen von den für ein System prä-
genden Leitgesichtspunkten erfordern eine besondere, die differenzierende Rege-
lung legitimierende Begründung?56 Die oben skizzierte Begründung kann nicht
darüber hinwegtäuschen, daß - letztlich aus rein pragmatischen Gründen - der
Strafrechtsschutz für bestimmte Vermögensmassen vorverlagert wurde, ohne daß
der durch diese Sonderbehandlung bestimmter Vermögensträger bedingte Eingriff
in die innere Konsistenz des strafrechtlichen Vermögensschutzes auch nur annähe-
rungsweise überzeugend gerechtfertigt wird.
Abgesehen davon, daß im Hinblick auf § 264a dStGB die vom Gesetzgeber pau-
schal behauptete besondere Schutzbedürftigkeit bzw. Schutzwürdigkeit des Kapi-
talanlegers einer näheren Begründung bedürftig gewesen wäre/57 ist sowohl bei
§ 264a dStGB als auch bei § 265b dStGB aussschlaggebend, daß anderen Vermö-
gensträgern - und auch den gleichen Vermögensträgern in den Fällen, in denen es
um ein Kreditgeschäft bzw. eine Kapitalanlage geht, die von den §§ 264a, 265b
dStGB nicht erfaßt werden - ein entsprechend vorverlagerter strafrechtlicher Ver-
mögensschutz nicht gewährt wird. Angesichts dessen, daß im Falle einer gelunge-
nen Tauschung jeder Vermögensträger gleichermaßen hilf- und damit auch schutz-

ke 1Schröder, § 265b Rdnr. 3; Qtto, Jura 1989, 24, 29; Tröndle, StGB, § 265b Rdnr. 6). Um-
stritten ist, ob sich der Schutzzweck der Norm hierin erschöpft (So z. B. Maurach 1Schroe-
der/Maiwald, StrafR BT, Teilbd. \, § 41 Rdnr. 166; Samson/Günther, in: SKStGB, § 265b
Rdnrn. 2 f.; Schmidhäuser, StrafR BT, 1111 (0) oder auch bzw. möglicherweise sogar in er-
ster Linie das Allgemeininteresse an der Verhütung von Gefahren, die der Wirtschaft im gan-
zen infolge der vielfältigen Abhängigkeiten von Gläubigem, Schuldnern und Arbeitnehmern
aus der ungerechtfertigten Vergabe von Wirtschaftskrediten erwachsen können (vgl. Kühl, in:
Lackner, § 265b Rdnr. I), das Kollektivinteresse an der Funktionsfähigkeit des Kredits als
Instrument des Wirtschaftsverkehrs (vgl. Lenckner, in: Schönke 1Schröder, § 265b Rdnr. 3;
Qtto, Jura 1989,24,29; Tröndle, StGB, § 265b Rdnr. 6) bzw. die Institution der Kreditwirt-
schaft (vgl. BT-Drucks. 7/3441, S. 18 f.; 7/5291, S. 14, 16; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht,
S. 233 ff.; Jung, JuS 1976,757,759; Lampe, Kreditbetrug, S. 37 ff.; Lenckner, in: Schönkel
Schröder, § 265b Rdnr. 3; Qtto, Jura 1989, 24, 29; Tiedemann, JuS 1989, 689, 691; ders., in:
LK, § 265b Rdnrn. 9 ff.) als (mit-)geschützt anzusehen ist (ablehnend insoweit Heinz, GA
1977,225,226, mit dem Argument, daß es sich nur um eine mittelbare Folge aufgrund der
Verflochtenheit der Wirtschaft handele).
254 Starck, in: v.Mangoldt 1 Klein 1Starck, Art. 3 Abs. I Rdnr. 33; vgl. auch Frisch, Fest-
schrift für Stree/Wessels, S. 88 f.; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 61.
m Lagodny, Strafrecht, S. 472; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 229 und passim; Rupp, Ge-
setzeskontrolle, S. 380; Starck, in: v. Mangoldt 1Klein 1Starck, Art. 3 Abs. I Rdnr. 33; Wendt,
NVwZ 1988, 778, 783 und 786.
256 Appel, Verfassung, S. 585 ff.; Gusy, NJW 1988, 2505, 2507 f.; Lagodny, Strafrecht,
S. 471; Robbers, DÖV 1988, 749, 755 f.; Rupp, Gesetzeskontrolle, S. 381/382; Schoch,
DVBI. 1988,863,878; Starck, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Abs. I Rdnr. 33; Wendt,
NVwZ 1988.778.780 f. und 7821783; vgl. auch Peine. Systemgerechtigkeit, S. 53 ff.
m Vgl. hierzu A. Worms, Anlegerschutz, S. 245 ff., 274 ff.

11 Wohlers
162 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

los ist, kann die punktuelle Sonderbehandlung bestimmter Kapitalanleger und Kre-
ditgeber als eine innerhalb des Gesamtsystems des strafrechtlichen Vermögens-
schutzes legitime Differenzierung nicht begründet werden.
Gleiches hat im Ergebnis auch für den Straftatbestand des Subventionsbetrugs
(§ 264 dStGB) zu gelten. Die partielle Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes für
bestimmte Angriffe auf das Vermögen der öffentlichen Hand läßt sich mit dem Ge-
bot einer in sich stimmigen Ausgestaltung des Systems des strafrechtlichen Vermö-
gensschutzes nicht vereinbaren. 258 Selbst wenn man unterstellen würde, daß die
vom Gesetzgeber lediglich postulierte Wahrheitspflicht des Subventionsempfän-
gers gegenüber dem öffentlichen Subventionsgeber tatsächlich besteht, wäre damit
nicht zugleich dargetan, daß die bloße Verletzung dieser Wahrheitspflicht ohne
weiteres als ein strafwürdiges Verhalten anzusehen ist. Wenn der Gesetzgeber - im
Anschluß an entsprechende Ausführungen Tiedemanns 259 - die Strafwürdigkeit
des täuschenden Verhaltens des Subventionsempfängers aus einer besonderen
Strafwürdigkeit des Angriffs auf das in seiner Schutzfahigkeit beschränkte Vermö-
gen der öffentlichen Hand herleiten will,260 ist dem entgegenzuhalten, daß die ge-
minderte Schutzfähigkeit der öffentlichen Hand bereits faktisch zweifelhaft er-
scheint. 261
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, bei täuschenden Angrif-
fen auf das öffentliche Vermögen könne auf den Irrtum als Strafbarkeitsvorausset-
zung verzichtet werden, weil der Irrtum eines Staatsbediensteten angesichts der
Zweckbindung des öffentlichen Vermögens keine adäquate Strafbarkeitsvoraus-
setzung darstelle,262 ist dem entgegenzuhalten, daß es inkonsequent ist, bei den
§ 264 dStGB unterfallenden Subventionen den Irrtum eines Staatsbediensteten
für verzichtbar zu erachten, während bei allen anderen täuschenden Angriffen auf
das öffentliche Vermögen - unter Einschluß der täuschenden Erschleichung von
Subventionen, die nicht dem Anwendungsbereich des § 264 dStGB unterfallen -
an dieser der Sache nach inadäquaten Strafbarkeitsvoraussetzung festgehalten
wird. Wenn schließlich der Verzicht auf die Strafbarkeitsvoraussetzung des Ver-
mögensschadens für unschädlich erklärt wird, weil mit dem täuschenden Verhal-
ten des Subventionsempfängers eine Handlung umschrieben sei, die regelmäßig
zu einem Vermögensschaden der öffentlichen Hand führen würde,263 ändert dies
nichts daran, daß264 das täuschende Verhalten des Subventionsempfängers eben

258 Vgl. Hirsch, Bekämpfung, S. 20.


259 Vgl. Tiedemann, Gutachten, C 49; ders., Wirtschaftsstrafrecht I, S. 87; ders., ZStW 87
(1975), 253, 276.
260 Vgl. BT-Drucks. 7/3441, S. 17,24/25,27; 7/5291, S. 4; ablehnend zu einer Unter-
scheidung zwischen privatem und öffentlichen Vermögen Geerds, Wirtschaftsstrafrecht,
S. 246 f.
261 Vgl. F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 130 f.

262 Hack, Probleme, S. 61.

263 Hack, Probleme, S. 62.


264 Dies erkennt letztlich auch Hack an (Probleme, S. 99 ff.).
III. Das "modeme" Wirtschaftsstrafrecht 163

allenfalls regelmäßig zu einem Vermögensschaden der öffentlichen Hand führt,265


andererseits aber eben auch Fälle erfaßt werden, in denen dies nicht der Fall ist.
Da aber die Erfassung aller auch nur abstrakt gefährlicher Verhaltensweisen eines
Subventionsempfangers nicht durch die besondere Schutzbedürftigkeit der öffent-
lichen Hand gerechtfertigt werden kann, muß es dabei bleiben, daß auch die
Strafwürdigkeit des schlicht täuschenden Verhaltens eines Subventionsempfangers
nicht im Hinblick auf das Rechtsgut des (öffentlichen) Vermögens begründet wer-
den kann. 266
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß weder § 264 dStGB noch die §§ 264a, 265b
dStGB über den Topos des Vermögensschutzes legitimiert werden können. Auch
wenn die Unterbindung der erfaßten Verhaltensweisen letztendlich dem Vermö-
gensschutz zugute kommt, ändert dies nichts daran, daß die Strafwürdigkeit eines
im Hinblick auf die Strafbarkeitsvoraussetzungen reduzierten Straftatbestandes aus
sich selbst heraus begründet werden muß. Wird eine bloße Tauschungshandlung
pönalisiert, muß bereits die Tauschungshandlung für sich gesehen strafwürdig sein.
Da der Gesetzgeber die Grenze des strafwürdigen Verhaltens im Hinblick auf den
Schutz des Individualvermögens vor täuschenden Verhaltensweisen aber durch
§ 263 dStGB bereits in der Weise gezogen hat, daß nicht bereits die bloße Tau-
schungshandlung für sich gesehen ausreicht, das Verhalten als ein (vollendetes) de-
liktisches Verhalten zu kriminalisieren, und auch das durch § 264 Abs. 3 dStGB
inkriminierte fahrlässige Verhalten im Vermögensstrafrecht keine Parallele hat,267

265 Auf die Schwierigkeiten, in den Fällen des Subventionsbetruges auf der Grundlage des
wirtschaftlichen bzw. juristisch-ökonomischen Vennögensbegriffes einen Vennögensschaden
i. S. d. § 263 StGB zu begründen, sei an dieser Stelle nur hingewiesen; vgl. hierzu i.e. Geerds,
Wirtschaftsstrafrecht. S. 110 ff.
2M Daß die gerade im Hinblick auf § 264 dStGB zu vermutende Intention, den der öffent-
lichen Verwaltung im Rahmen der Subventionsvergabe ansonsten entstehenden Kontrollauf-
wand durch strafbewehrte Verhaltensnormen zu reduzieren, um so Verwaltungskosten einzu-
sparen, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Subventionsempfängers nicht zu begrün-
den vermag, bedarf keiner weiteren Ausführung; vgl. insoweit nur F. Herzog, Gesellschaftli-
che Unsicherheit, S. 131 f.
267 Die auch im Gesetzgebungsverfahren selbst hervorgehobene Parallele zu den Fällen
der Verletzung der Abgabenordnung spricht dafür, daß jedenfalls das durch § 264 Abs. 3
dStGB erfaßte leichtfertige Verhalten - entsprechend § 378 AO - kein Kriminalunrecht dar-
stellt und die leichtfertige Subventionserschleichung deshalb zumindest de lege ferenda als
Ordnungswidrigkeitentatbestand ausgestaltet werden müßte (vgl. Hack, Probleme, S. 143 ff.;
Samson I Günther, in: SKStGB, § 264 Rdnrn. 12, 15,20). Soweit das Wesen des § 264 Abs. 3
dStGB als Kriminalstraftat in der Literatur mit einer höheren kriminellen Energie desjenigen
legitimiert werden soll. der dem Staat vorhandene Mittel entziehe, statt lediglich sein Vermö-
gen dem staatlichen Zugriff vorzuenthalten (Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 314), wird der
Gesichtspunkt vernachlässigt, daß § 378 AO im Gegensatz zu § 264 dStGB einen Vermö-
gensschaden des Staates zur Voraussetzung hat (vgL Hack, Probleme, S. 143 ff.).
Vgl. im übrigen auch Arzt, Beweisschwierigkeiten, S. 94 f., mit dem zutreffenden Hinweis
darauf, daß sich die Überdehnung des Strafbarkeitsbereiches auch dann ergibt, wenn man die
Funktion als Verdachtsbestrafung bei möglicherweise vorsätzlich handelnden Tater akzeptie-
ren würde, weil nicht nur der möglicherweise vorsätzlich handelnde Tater, sondern auch der
eindeutig (nur) fahrlässig handelnde Täter erfaßt wird.

11*
164 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

würde die Annahme, es handele sich bei den §§ 264, 264a, 265b dStGB um Ver-
mögensdelikte, die hergebrachten Strukturen des strafrechtlichen Vermögensschut-
zes sprengen. 268

dd) Die Legitimation über den Schutz überindividueller Interessen

Nachdem die Legitimation über den Topos des Vermögensschutzes gescheitert


ist, stellt sich die Frage, ob es überindividuelle bzw. soziale Belange gibt, die die
Pönalisierung der durch die §§ 264, 264a, 265b dStGB erfaßten Tauschungshand-
lungen als solche zu rechtfertigen vermögen. Auch insoweit finden sich bereits in
den Materialien der Gesetzgebungsverfahren verwertbare Ansatzpunkte: Im Hin-
blick auf § 264a dStGB hat der Gesetzgeber als Schutzgut das Vertrauen in die In-
stitution des Kapitalanlagemarktes genannt,269 bei § 265b dStGB hat er auf die Er-
schütterungen des Vertrauen in das Funktionieren der gesamten Wirtschaftsord-
nung verwiesen.2 7o Hierauf aufbauend sind in der Literatur als Schutzgut dieser
Normen das Vertrauen bzw. die Funktionsfähigkeit des Kreditwesens und des Ka-
pitalanlagemarktes genannt worden. 271 Entsprechend kann man bezüglich des
§ 264 dStGB an das Vertrauen in die Integrität bzw. das Funktionieren der staatli-
chen Wirtschaftsförderung denken.2 72

(1) Der Einwand der systemwidrigen Differenzierung

Gegen die Konzeption, die Legitimation der §§ 264, 264a, 265b dStGB aus
dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit bestimmter Teilbe-
reiche der Wirtschaftsordnung abzuleiten, ist - insbesondere im Hinblick auf die
§§ 264a, 265b dStGB - der Einwand erhoben worden, daß diese Straftatbestände
unter Zugrundelegung dieser Rechtsgutskonzeption nicht systemgerecht konzi-
piert wären. Zur Begründung wird darauf verwiesen, daß unter ZugrundeIegung
der Konzeption der §§ 264a, 265b dStGB als Straftatbestände zum Schutz der
Funktionsfähigkeit bzw. Integrität des Kapitalmarktes bzw. des Kreditwesens als
Teilbereich der Gesamtwirtschaftsordnung bzw. als Instrument des Wirtschafts-
verkehrs konsequenterweise nicht nur die Anbieter von Kapitalanlagen, sondern
auch die Kapitalanleger erfaßt werden müßten, da diese für Störungen des Kapi-
talmarktes zumindest mitverantwortlich seien?7) Im Hinblick auf § 265b dStGB

2bR Hirsch. Gedächtnisschrift für H. Kaufmann. S. 151.


2b~ BT-Drucks. 10/318. S. 12.22.
270 BT-Drucks. 7/3441. S. 18.

27\ Vgl. die Nachweise oben S. 160. Fußn. 253.

m So die h.M .• vgl. z. B. Bottke. wistra 1991. 1.7: Kühl, in: Lackner. § 264 Rdnr. I: Ouo.
Jura 1989. 24. 29: Tiedemann. in: LK. § 264 Rdnr. 11: Wesseis. StrafR BT2. Rdnr. 648. je-
weils m. w. N.
III. Das .,moderne" Wirtschaftsstrafrecht 165

wird moniert, daß dann, wenn die Funktionsfähigkeit des Kreditwesens bzw. des
Kredits als Instrument des Wirtschaftsverkehrs gewährleistet werden solle, nicht
nur der Kreditnehmer, sondern auch der unverantwortlich handelnde Kreditgeber
erfaßt werden müsse 274 und es im übrigen nicht auf die Täuschung des Kreditge-
bers ankommen könne, sondern vielmehr die (volks-)wirtschaftliche Vertretbar-
keit des Kreditgeschäfts das maßgebende Kriterium sein müsse. 275 Dem ist entge-
genzuhalten, daß es einen Grundsatz, daß Pönalisierungen wirtschafts bezogener
Verhaltensweisen stets alle an einem Rechtsgeschäft beteiligten Parteien erfassen
müssen, nicht gibt. Insbesondere dann, wenn Anlaß der Pönalisierung ein auf
Täuschung der Gegenseite angelegtes Verhalten einer Vertragspartei ist, wird man
eine asymmetrische Pönalisierung als eine sachlich angemessene Differenzierung
ansehen können. 276

(2) Die Legitimität des strafrechtlichen Schutzes von


Institutionen und Funktionszusammenhängen des Wirtschafts verkehrs

Wenn der Schutz der Handlungsfähigkeit bestimmter Institutionen bzw. der Inte-
grität bestimmter Funktionszusammenhänge als überindividuelle Belange die PÖ-
nalisierung der durch die §§ 264, 264a, 265b dStGB erfaßten bloßen Täuschungs-
handlungen legitimieren soll, setzt dies allerdings voraus, daß derartige Schutzgü-
ter überhaupt legitime Schutzgegenstände strafbewehrter Verhaltensnormen sein
können. Wie bereits oben dargelegt wurde,277 dienen Strafrechtsnormen dem
Schutz der für das Zusammenleben in der Gemeinschaft notwendigen Grundvor-
aussetzungen menschlicher Koexistenz. Grundlage der personalen Entfaltung des
einzelnen ist zum einen die Anerkennung einer individuellen Freiheitssphäre. An-
gesichts dessen, daß in einer modernen Gesellschaft praktisch keine Freiräume
mehr existieren, die es einem Mitglied der Gesellschaft ermöglichen würden, von
seiner Freiheit in einer über das forum internum hinausgehenden Art und Weise
Gebrauch zu machen, ohne gleichzeitig die Freiheitssphäre anderer Gesellschafts-
mitglieder zu beeinträchtigen bzw. mit deren Freiheitsausübung (zumindest poten-
tiell) in Konflikt zu geraten, müssen neben dem Bestand an individuellen Freiheits-
rechten aber auch die Grundbedingungen gewährleistet werden, die es dem einzel-
nen überhaupt erst ermöglichen von seiner - insoweit notwendigerweise nicht
schrankenlosen - Freiheit tatsächlich Gebrauch zu machen.

m Vgl. Joecks, wistra 1986, 142, 144; A. Worms, wistra 1987,242,245; ders., Anleger-
schutz, S. 314 f.
!74 Schubarth, ZStW 92 (1980), 80, 91 f.

!7~ Samson I Günther, in: SKStGB, § 265b Rdnr. 2.


!76 Vgl. Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 206 f.. 214, 235, 322; Lenckner, in: Schönkel
Schröder, § 265b Rdnr. 3.
m Vgl. oben S. 94 ff.
166 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Im Hinblick auf die Kategorie der Wirtschaftsdelikte bedeutet dies: 278 Zu den
Grundlagen der personalen Entfaltung gehört auch die Existenz eines Ordnungs-
rahmens, der es dem einzelnen ermöglicht, sich wirtschaftlich zu betätigen und
so seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Da sich die Wirtschaftsordnung im
Laufe ihrer Entwicklung zu einem immer komplexer werdenden sozialen System
ausdifferenziert hat, könnte die Strafwürdigkeit von Verhaltensweisen, die die
Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung bzw. bestimmter Abläufe innerhalb
der Wirtschaftsordnung beeinträchtigen oder stören, neben dem Schutzgut der
Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung als solcher auch aus der Beeinträchti-
gung bestimmter Institutionen, Handlungsabläufe oder Funktionszusammenhänge
des Wirtschaftslebens abgeleitet werden. Problematisch hieran ist, daß einerseits
unter rein pragmatischen, auf den möglichst effizienten Schutz wirtschaftlicher
und gesellschaftlicher Handlungsabläufe ausgerichteten Gesichtspunkten grund-
sätzlich jedes neu auftretende Schutzinteresse zur Entstehung eines überindivi-
duellen Rechtsguts führen kann, andererseits aber zu berücksichtigen ist, daß eine
schrankenlose Anerkennung von Gemeinwohlinteressen und Gemeinschaftswer-
ten als überindividuelle Rechtsgüter die Gefahr begründen würde, daß der Straf-
rechtsschutz unangemessen ausgeweitet wird?79 Entscheidend ist damit, anhand
welcher Kriterien strafrechtlich als schützenswert anzuerkennende überindividueI-
le Schutzgüter von strafrechtlich nicht schutzwürdigen Schutzgütern abzugrenzen
sind.2 8o

ee) Die Strafwürdigkeitslehre (Otto)

Das Bestreben, Pönalisierungsentscheidungen auf rationale Erwägungen zu stüt-


zen, setzt voraus, daß es Kriterien gibt, anhand derer die Strafwürdigkeit der Be-
einträchtigung bestimmter Schutzgüter intersubjektiv überzeugend beurteilt wer-
den kann. Otto, der in mehreren Publikationen den Versuch unternommen hat, die
Strafwürdigkeitslehre als System der den Gesetzgeber bei der Pönalisierung leiten-
den Erwägungen zu entwickeln, vertritt die These, die Strafwürdigkeit eines Ver-
haltens finde ihren unmittelbaren Bezug "im sachlichen Gehalt der Strafe". In der
Bestrafung komme "eine bewußte und gewollte Mißbilligung der Tat und des Ta-
ters zum Ausdruck", sie enthalte damit "ein sozialethisches Unwerturteil". Da die
Bestrafung einen schweren Eingriff in Freiheit, Persönlichkeitsentwicklung und
Würde des Bestraften zur Folge habe, erfordere die grundgesetzlieh verbürgte Ach-
tung der Freiheit und Würde des Betroffenen, aber auch der Grundsatz der Verhält-
nismäßigkeit, Strafe nur dort als Reaktion zuzulassen, wo sie unerläßlich sei, um

278 Vgl. Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 279, 283; lescheck, JZ 1959, 457, 458; Quo,
Mißbrauch, S. 457; Tiedernann, Tatbestandsfunktionen, S. 119 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht
I,S.139.
279 Vgl. F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 118; Volk, JZ 1982,85,87 f.

2RO Vgl. Hirsch, Bekämpfung, S. 15.


III. Das "moderne" Wirtschafts strafrecht 167

den Rechtsfrieden zu gewährleisten. Strafwürdig sei ein Verhalten, "das deshalb


sozialethisch zu mißbilligen ist, weil es geeignet ist, die sozialen Beziehungen in-
nerhalb der Rechtsgemeinschaft erheblich zu gefährden oder zu schädigen. Bloß
lästige oder unerwünschte Verhaltensweisen erreichen diesen Grad der Sozial-
schädlichkeit oder Sozialgefährlichkeit nicht, es muß sich vielmehr um gravieren-
de Rechtsgutsverletzungen handeln. ,,281
Ob eine Rechtsgutsverletzung so gravierend sei, daß sie eine Pönalisierung er-
forderlich mache, will Otto in einem Verfahren ermitteln, das sich mit den "sozial-
ethischen Grundentscheidungen der Gesellschaft" sowie den Erkenntnissen "krimi-
nologisch-empirischer Untersuchungen über die realen Möglichkeiten der Verwirk-
lichung dieser Entscheidungen in konkreten Konfliktsituationen" bewertend aus-
einandersetzen soll. Bei der Bewertung der zu schützenden Rechtsgüter komme
der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes entscheidende Bedeutung zu. Das
Grundgesetz verkörpere in seinem Grundrechtskatalog eine objektive Werteord-
nung, "in der die wesentlichen sozialethischen Grundentscheidungen den Rang
verfassungsrechtlicher Entscheidungen erhalten haben. Je höher der Rang eines
Rechtsguts in dieser Wertordnung ist, um so eher wird jede erhebliche Gefährdung
oder Verletzung dieses Rechtsguts strafwürdig erscheinen. Je geringer dieser Rang
ist, um so mehr wird es angemessen sein, nur einzelne Beeinträchtigungen, denen
nämlich eine besonderes Maß an sozialem Unwert zukommt, als strafwürdig ein-
zuordnen, so z. B. wenn die Verletzung eines derartigen Rechtsguts zu einer dar-
über hinausgehenden weiteren Schädigung eines anderen Rechtsguts, etwa der
Freiheit der Willensbildung oder -betätigung, der Vertrauens- oder Gewahrsams-
sphäre bzw. des individuellen Vermögens führt. Insofern bestimmen Handlungs-
und Erfolgsunwert die Strafwürdigkeit einer Verhaltensweise.,,282
Die bereits im Zusammenhang mit der Beschränkung des Strafwürdigen auf gra-
vierende Rechtsgutsverletzungen angedeutete Begrenzung des Anwendungsberei-
ches strafrechtlicher Normen wird durch das die Strafwürdigkeit ergänzende Krite-
rium der Strafbedürftigkeit nochmals betont. Das Kriterium der Strafbedürftigkeit
bringe zum Ausdruck, "daß die Strafe unerläßliches Mittel ist, um die Gesellschaft
vor strafwürdigen Rechtsgutsbedrohungen oder -verletzungen zu schützen und die
Rechtsordnung zu bewahren". Der Unterschied zur Strafwürdigkeit bestehe darin,
daß die Strafwürdigkeit "wesentlich durch die Wertung der Sozialschädlichkeit ei-
nes Verhaltens bestimmt wird", während die Strafbedürftigkeit "vorrangig das
Zweckmoment staatlicher Strafe" erfasse. Das Zweckmoment der Strafe stehe "der
Bestrafung eines strafwürdigen Verhaltens dann entgegen, wenn andere, weniger

28\ Ouo, ZStW 96 (1984),339,347; ders., NJW 1979,681,683; ders., MschrKrim 1980,
397,400 f.; ders., Gedächtnisschrift für Schröder, S. 54 f.; ders., Jura 1989,24,27; vgl. auch
Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 286 ff.; Costa-Andrade, Strafwürdigkeit, S. 130; H.-L. Gün-
ther, JuS 1978, 8, 12 f.; ders., Strafrechtswidrigkeit, S. 237; Langer, Sonderverbrechen,
S. 330; Schmidhäuser, StrafR AT, 2/ 14.
282 Ouo, ZStW 96 (1984),339,347 f.; ders., NJW 1979,681,683; ders., MschrKrim 1980,
397,401; ders., Gedächtnisschrift für Schröder, S. 55 f.
168 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

gravierende Eingriffe als die Pönalisierung des Verhaltens, die einen besseren oder
zumindest den gleichen Erfolg versprechen, zur Verfügung stehen,,?83

(l) Allgemeine Würdigung der Konzeption

Den Ausführungen Ottos kann zunächst entnommen werden, daß das maßgebli-
che Kriterium zur Bestimmung der als Kriminalunrecht zu behandelnden Verhal-
tensweisen die Strafwürdigkeit sein soll. Der Strafbedürftigkeit kommt allein die
Funktion eines Korrektivs zu, anhand dessen die tatsächliche Pönalisierungsbe-
dürftigkeit eigentlich strafwürdiger Verhaltensweisen verneint werden soll, wenn
alternativ andere, weniger gravierende, gleichzeitig aber mindestens ebenso wirk-
same Steuerungsmechanismen zur Verfügung stehen.
Die Wirkung, die der Strafbedürftigkeit als ein den Anwendungsbereich straf-
rechtlicher Normen beschränkendes Kriterium in der praktischen Umsetzung zu-
kommen kann, hängt zunächst davon ab, ob man die vergleichende Bewertung der
Eingriffsintensität verschiedener Steuerungsmechanismen auf die Auswirkungen
beschränkt, die diese Maßnahmen für die als potentiellen Tater in Betracht kom-
mende Einzelperson haben, oder ob man auf die gesamtgesellschaftlichen Auswir-
kungen abstellt. Entscheidend wird die Korrekturfunktion der Strafbedürftigkeit
aber vor allem dadurch in Frage gestellt, daß keine zivil- oder verwaltungsrechtli-
chen Präventivmaßnahmen denkbar sind, die es ausgeschlossen erscheinen lassen,
daß es nicht doch - zumindest in Einzelfällen - zu Beeinträchtigungen oder Stö-
rungen der jeweils geschützten Interessen kommt. 284 Wenn aber bestimmte Verhal-
tensweisen als "eigentlich strafwürdig" anzusehen sind, würde die Entscheidung,
die Strafbedürftigkeit im Hinblick auf alternative Regelungsinstrumentarien zu
verneinen, voraussetzen, daß die Beeinträchtigung "eigentlich (straf-)schutzwürdi-
ger" Interessen dann hinzunehmen ist, wenn es sich um nur gelegentlich auftreten-
de Beeinträchtigungen handelt. Ob man das gelegentliche oder seltene Auftreten
eigentlich strafwürdiger Verhaltensweisen hinnehmen kann bzw. soll, stellt ein
Problem "normativer Verzichtbarkeit" dar,285 hängt also von der Bedeutung und
Wertigkeit des geschützten Interesses und damit von der Strafwürdigkeit der in
Frage stehenden Verhaltensweise ab, was wiederum bedeutet, daß außerstrafrecht-
liche Prävention und der Einsatz strafrechtlicher Zwangsandrohungen zumindest
dann, wenn es um Beeinträchtigungen gewichtiger Belange geht, nicht im Verhält-

283 Duo, ZStW 96 (1984),339,348; ders., NJW 1979,681,683; ders., MschrKrim 1980,
397, 403; ders., Jura 1989, 24, 27; ders., Gedächtnisschrift für Schröder, S. 56; vgl. auch
Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 291; H.-L. Günther, JuS 1978,8,11 f.
Kritisch hierzu Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 58 ff.: zweckorientierte Erwägungen
seien vom Strafwürdigkeitsurteil nicht zu trennen; vgl. auch Romano, Strafwürdigkeit, S. 109.
284 Vgl. H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 193/194, sowie oben S. 74 f.
285 Vgl. Frisch, Festschrift für Stree/Wessels, S. 78 f.; H.-L. Günther, Strafrechtswidrig-
keit, S. 194.
III. Das "modeme" Wirtschaftsstrafrecht 169

nis des "Entweder-oder" stehen, sondern in dem des "Sowohl-Als-auch",z86 Da der


Stratbedürftigkeit nach alledem ein von der Strafwürdigkeitsbeurteilung unabhän-
giger, eigenständiger Gehalt nicht zukommt, muß der Schutz vor einem unange-
messenen und deshalb mißbräuchlichen Einsatz des strafrechtlichen Instrumentari-
ums letztlich allein durch das Kriterium der Strafwürdigkeit geleistet werden.
Die Strafwürdigkeit eines Verhaltens soll nach Otto "ihren unmittelbaren Bezug
im sachlichen Gehalt der Strafe" bzw. in dem durch die Strafe zum Ausdruck kom-
menden "sozialethischen Unwerturteil" finden,z87 Die Bedeutung, die dem postu-
lierten Bezug auf den sachlichen Gehalt der Strafe als Kennzeichen kriminellen
Unrechts in der Konzeption Ottos zukommen soll, bleibt allerdings weitgehend
dunkel. Auch die sozialethische Mißbilligung der Verhaltensweise hat soweit er-
sichtlich keine eigenständige Bedeutung für die Strafwürdigkeit, die damit letztlich
auf nichts anderes als das Ergebnis einer Sozialschädlichkeitsbeurteilung gestützt
wird: 288 Weil eine Verhaltensweise (in gravierendem Maße) sozialschädlich ist, ist
sie strafwürdig und gleichzeitig bzw. eben deswegen auch sozialethisch zu mißbil-
ligen. 289
Für die Bewertung der Sozialschädlichkeit einer Verhaltensweise will Otto zum
einen die "sozialethischen Grundentscheidungen der Gesellschaft" und zum ande-
ren aus "kriminologisch-empirischen Untersuchungen" gewonnene Erkenntnisse
heranziehen. 290 Im Hinblick auf die Berücksichtigung kriminologisch-empirischer
Erkenntnisse ist zu konstatieren, daß es Erkenntnisse darüber, wie sich beispiels-
weise bestimmte Verhaltensweisen einzelner Teilnehmer am Wirtschaftsleben auf
die Wirtschaftsordnung insgesamt oder die Interessensphäre anderer Teilnehmer
am Wirtschaftsleben auswirken, praktisch nicht gibt, so daß die Annahme bzw.
Nichtannahme bestimmter Folgewirkungen bestenfalls auf plausibel begründeten
Vermutungen basiert. 291
Ähnlich gelagerte Probleme wirft die geforderte Orientierung an den "sozial-
ethischen Grundentscheidungen der Gesellschaft" auf. Zu klären wäre hier zu-
nächst die von Otto nicht näher erörterte Frage, ob die in einer Gesellschaft fak-

286 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 79; Weber, ZStW 96 (1984), 376, 379 f., sowie
oben S. 73.
287 Vgl. auch H.-L. Günther, JuS 1978,8,13.
288 So ausdrücklich Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 112, 142; vgl. auch Sieber,
Computerkriminalität, S. 264.
289 Vgl. Kunz, Bagatellprinzip, S. 127; A. Worms, Anlegerschutz, S. 270/271.
290 Andere Autoren nennen, ohne daß dies soweit ersichtlich zu einer abweichenden Auf-
fassung führt, als Kriterien der Strafwürdigkeit den Rang des beeinträchtigten Rechtsguts
und die Sozialgefahrlichkeit des Angriffsverhaltens; vgl. z. B. Geerds, Wirtschaftsstrafrecht,
S. 288; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 51.
291 Vgl. H.-L. Günther, JuS 1978,8, \0; Heinz GA 1977, 193, 199 ff.; Geerds, Wirtschafts-
strafrecht, S. 46 ff. hält eine auf einer Prognose basierende Verdachtspönalisierung für zuläs-
sig, bejaht aber andererseits auch eine Pflicht des Gesetzgebers, seine Prognose zu verifizie-
ren (a. a. 0., S. 48 ff.). Vgl. auch oben S. 59 f.
170 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

tisch herrschenden sozialethischen Grundentscheidungen oder aber die in einer Ge-


sellschaft normativ für verbindlich erklärten sozialethischen Grundentscheidungen
maßgebend sein sollen. Wollte man auf die faktisch herrschenden sozialethischen
Grundentscheidungen abstellen, würde sich die Frage stellen, wann bestimmte so-
zialethische Anschauungen als für eine Gesellschaft verbindlich anzusehen sind.
Klärungsbedürftig wäre hier zunächst, welcher Grad von Zustimmung erforderlich
sein soll. Würde man eine allseitige Zustimmung voraussetzen, wären als verbind-
lich anerkannte sozialethische Anschauungen praktisch nicht mehr vorhanden, je-
denfalls aber wohl nicht mehr feststellbar. Würde man auf eine allseitige Zustim-
mung verzichten, würde sich die Frage stellen, welcher Grad an Zustimmung zu
verlangen wäre und wie und wodurch das ausreichende Maß an Zustimmung doku-
mentiert werden soll, ob also beispielsweise bereits die widerstrebende Anpassung
an bestimmte Normen als ausreichend anzusehen ist oder aber eine weitergehende
Identifikation - bis hin zur reflektierten Internalisierung einer Norm - erforderlich
sein soll.292 Da die sozialethischen Anschauungen durch den sozialen Status und
die gesellschaftliche Stellung einer Person zumindest mitbestimmt werden, würde
sich darüber hinaus die Frage stellen, ob es allein auf die Zustimmung einer - evtl.
qualifizierten - Mehrheit oder aber auf die Zustimmung einer - wie auch immer
näher zu definierenden - gesellschaftlich relevanten Gruppe ankommen soll. Sollte
man sich auf die Relevanz einer Mehrheitsmeinung bzw. einer gesellschaftlich re-
levanten Gruppierung verständigen können, wäre schließlich noch zu klären, ob
bestimmte sozialethische Grundentscheidungen auch gegen den Willen der in ei-
nem besonderem Maße von einer Regelung Betroffenen getroffen werden können
und in welchem Maße deren Interessen und Anschauungen berücksichtigt werden
müssen. 293
All dies zeigt, daß der Versuch, die in einer Gesellschaft herrschenden sozial-
ethischen Grundentscheidungen zur Richtschnur der Strafwürdigkeitsbewertung zu
machen, nicht auf empirische Erkenntnisse gestützt werden kann, sondern auf nor-
mative Festsetzungen zurückgegriffen werden muß, letztlich also die für die Aus-
gestaltung einer konkreten Rechtsordnung einer Gesellschaft verbindliche Verfas-
sungsordnung zum Ausgangspunkt der Strafwürdigkeitsbewertung zu nehmen wä-
re?94 Die grundlegende Problematik der Strafwürdigkeitslehre wird man nach
alledem darin sehen müssen, daß die als Ergänzung bzw. Anreicherung der lücken-
haften und abstrakten verfassungsrechtlichen Werteordnung heranzuziehenden Ge-
sichtspunkte in ihrem Gehalt und Gewicht durchaus unklar bleiben,295 was im Er-
gebnis dazu führt, daß die kriminalpolitische Funktion der Strafwürdigkeit als
Kurzformel für die Summe der den Gesetzgeber leitenden kriminalpolitischen und

292 Vgl. Lüderssen, Genesis. S. 216.


293 Grundlegend zur Problematik der empirisch orientierten Anerkennungstheorien Lü-
derssen. Genesis. S. 143 ff.• insbesondere S. 171 ff.
294 Bottke. Legitimität. S. 113.

295 Vgl. Alwart. Strafwürdiges Versuchen. S. 30/31; Appel. Verfassung. S. 396 ff.; Frisch.
Festschrift für Stree/Wessels. S. 80; Volk. ZStW 97 (1985). 871. 894 f.
III. Das ..modeme" Wirtschaftsstrafrecht 171

verfassungsrechtlichen Grundsätze zwar im Grundansatz weitgehend außer Streit


steht;296 diese Übereinstimmung im Grundsätzlichen ändert aber nichts daran, daß
die Strafwürdigkeitsbewertung in der praktischen Anwendung im wesentlichen
darauf hinausläuft, daß die Strafwürdigkeit der in Frage stehenden Verhaltenswei-
sen in der Regel lediglich mehr oder weniger pauschal behauptet, nicht aber sub-
stantiiert begründet wird. Beispielhaft belegen läßt sich diese These an den Versu-
chen, die Strafwürdigkeit wirtschaftsdelinquenter Verhaltensweisen zu begründen.

(2) Die Anwendung auf wirtschaftsdelinquente Verhaltensweisen

Im Grundansatz sind sich die Vertreter der Strafwürdigkeitslehre darin einig,


daß die Strafwürdigkeit wirtschaftsdelinquenter Verhaltensweisen aus den Konse-
quenzen abgeleitet werden muß, die sich aus den in Frage stehenden Regelverlet-
zungen für den Bestand oder das Funktionieren der Wirtschaftsordnung und ihrer
Institutionen ergeben. 297 Die Gewichtung dieser Konsequenzen soll anhand von
Wertmaßstäben erfolgen, die einerseits aus verfassungsrechtlich und ethisch-welt-
anschaulich fundierten Grundprinzipien abgeleitet werden, bei denen aber anderer-
seits auch die Erkenntnisse der Ökonomie sowie die vorstrafrechtliche Ausgestal-
tung der Rechtsordnung berücksichtigt werden sollen. 298 Die praktischen Maßstä-
be, die auf dieser Basis entwickelt und dann im konkreten Einzelfall angelegt wer-
den, differieren allerdings nicht unerheblich:
Während Bottke der Auffassung ist, der Unrechtsgehalt von Verstößen gegen die
Regeln des Wirtschaftslebens werde "wesentlich durch die abstrakte Gefährdung
der sozialen Marktwirtschaft bzw. ihrer konstitutiven Prinzipien oder Elemente,
nicht hingegen durch die konkrete Gefährdung eines Individualinteresses be-
stimmt,,,299 vertritt Otto die Auffassung, daß ein solcher Verstoß erst dann den Un-
rechtsgehalt einer Kriminalstraftat aufweise, wenn die Regelverletzung entweder
unmittelbar das gesamte wirtschaftspolitische Ordnungssystem in Frage stelle oder
zu der Regelverletzung ein weiteres, zusätzliches Strafwürdigkeitselement hinzu-
trete, wie insbesondere die Schädigung oder Gefährdung fremden Vermögens?lO
Kriminalstrafwürdiges Unrecht seien - so Otto - nicht "nur Verhaltensweisen, die
jene Normen verletzen, die die Wirtschaftsordnung und ihre Institute konstituieren
und auf die Schädigung anderer (Allgemeinheit, Verbraucher, Marktbeteiligte) im
Sinne einer Minderung der Gesamtvermögensmasse des Betroffenen abzielen",
sondern vor allem auch "jene Regelverletzungen, die zugleich auf wirtschaftlich

296 Vgl Costa-Andrade, Strafwürdigkeit, S. 131; Volk, ZStW 97 (1985), 871, 872, 898.
297 Vgl. Bottke, wistra 1991, 1,4; ders., Legitimität, S. 115; Otto, MschrKrim 1980,397,
402.
29K Vgl. Bottke, Legitimität, S. 114 ff.
299 Bottke, wistra 1991, I, 4.
300 Otto, ZStW 96 (1984), 339, 357 f., 363.
172 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

zweckverfehlten Mittelaufwand anderer gerichtet sind". Evident sei die Strafwür-


digkeit dieser Verhaltensweisen insbesondere dann, "wenn ein derartiges Verhalten
im geschäftlichen Verkehr quantitativ massenhaft verwirklicht wird".301 Bei Ver-
mögensgefährdungen bzw. -schädigungen soll es nach Otto auf den Grad der Ge-
fahrdung ankommen: Liegt die Vermögensgefährdung "typischerweise weit ent-
fernt von dem verpönten Verhalten oder ist sie sogar im Regelfall des Verhaltens
zweifelhaft, so ist das Verhalten nicht geeignet, das Vertrauen in das Funktionieren
der Wirtschaftsordnung und ihrer Institute derart gravierend zu beeinträchtigen,
daß es mit Strafe bedroht werden müßte". Hier biete das Ordnungswidrigkeiten-
recht sachgerechte Ahndungsalternativen. 302
Geerds vertritt schließlich die Auffassung, der Unrechtsgehalt wirtschaftsdelin-
quenter Verhaltensweisen sei angesichts der Schwierigkeiten, die Gefährlichkeit
dieser Verhaltensweisen in einem System hoher Komplexität überhaupt nachwei-
sen bzw. beurteilen zu können, vom Erfolgs- auf den Handlungsunwert zu verla-
gern. 303 Als Umstände, die das Verhalten als strafwürdig erscheinen lassen, be-
nennt er zunächst Gefahren für andere durch den (potentiellen) Straftatbestand
nicht unmittelbar geschützte Rechtsgüter, die typischerweise von der zu beurteilen-
den Verhaltensweise ausgehen, wie z. B. Vermögensgefahrdungen oder die Gefahr
eines zweckverfehlten Mitteleinsatzes. 304 Weitere Indizien für die Strafwürdigkeit
sollen sein: fehlende Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers; ein besonders rück-
sichtsloses Verhalten des Täters, insbesondere die Beeinträchtigung von Institutio-
nen, deren Funktionieren für die Wirtschaftsordnung unerläßlich ist und in deren
Funktionsfahigkeit ein besonderes Vertrauen gesetzt wird;305 ein quantitativ massi-
ves Vorgehen des Täters;306 die Kontrollmöglichkeiten, die dem Täter verbleiben,
um eine Beeinträchtigung zu vermeiden;307 die von einer Verhaltensweise ausge-
hende Sog- und Ansteckungswirkung. 308
Der Eindruck, daß es sich bei den genannten Kriterienkatalogen um mehr oder
wenig beliebige Ansammlungen von Topoi handelt, denen keine die Strafwürdig-
keitsbewertung leitende Gesamtsystematik zugrundeliegt, verfestigt sich, wenn
man die Anwendung dieser Konzeptionen im konkreten Einzelfall in die Betrach-
tung einbezieht, was nachfolgend beispielhaft anhand der Bemühungen um die Be-
urteilung der Strafwürdigkeit der von den §§ 264, 264a, 265b dStGB erfaßten Ver-
haltensweisen geschehen soll.

301 Otto, ZStW 96 (1984), 339, 360.


302 Otto, ZStW 96 (1984), 339, 363/364; ders., ZRP 1996, 300, 303.
303 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 289 f.; vgl. auch bereits Tiedemann, Tatbestandsfunk-
tionen, S. 126; ders., Gutachten, C 48.
304 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 290.

305 Ebd., S. 46.

306 Ebd., S. 290.


307 Ebd., S. 45 f.

308 Ebd., S. 46.


III. Das "moderne" Wirtschaftsstrafrecht 173

(a) Der Subventionsbetrug (§ 264 dStGB)


Wie bereits oben gezeigt wurde, hat der Gesetzgeber die Täuschung bei der miß-
bräuchlichen Inanspruchnahme von Subventionen durch § 264 dStGB mit dem
Ziel unter Strafe gestellt, etwaigen, aus der Fehlleitung öffentlicher Mittel resultie-
renden volkswirtschaftlichen Schäden entgegenzuwirken. 309 Auch in der Literatur
wird die Strafwürdigkeit der mißbräuchlichen Erschleichung von Subventionen
zum einen aus den mit dieser Verhaltensweise verbundenen sog. Sog-, Anstek-
kungs- und Spiralwirkungen abgeieitet 310 und zum anderen auf die qualifizierte
Sozial schädlichkeit des auf einen zweckverfehlten Mitteleinsatz der öffentlichen
Hand abzielenden Verhaltens verwiesen. 311 Dieser Argumentation ist zunächst ent-
gegenzuhalten, daß es an empirischen Belegen zu den behaupteten Sog-, Anstek-
kungs- und Spiralwirkungen fehlt 312 und - wie bereits oben dargelegt wurde 313 -
weder die besondere Schutzwürdigkeit der öffentlichen Hand noch die besondere
Sozialschädlichkeit der Beeinträchtigung der Vermögensinteressen der öffentlichen
Hand dargetan ist.
Bottke meint, die Kriminalisierung der durch § 264 dStGB erfaßten mißbräuch-
lichen Inanspruchnahme von Subventionen sei legitim, "wenn und soweit sie ent-
weder die allokative Effizienz eines ohne Subventionen in seinem Bestand oder
Funktionieren bedrohten Marktes sicherzustellen trachtet (etwa des Agrarmarktes
der EG) oder dafür sorgt, daß Leistungen, die auf einem freien Markt nicht zu ko-
stendeckenden Preisen angeboten bzw. nachgefragt werden, im Interesse des Er-
haltes öffentlicher Güter (etwa der Natur durch eine ökologisch arbeitende Land-
wirtschaft) angeboten werden".314 Hiergegen ist einzuwenden, daß die wirtschafts-
politische Funktion bestimmter Subventionen zumindest zweifelhaft ist bzw. mit
guten Gründen verneint werden kann 315 und sich gerade im Hinblick auf den von
Bottke als Beispiel herangezogenen Agrarmarkt der EG die Frage stellt, ob dieses
allein durch Subventionen gewährleistete Marktsystem mit künstlich hoch gehalte-
nen Preisen gesamtgesellschaftlich gesehen überhaupt ein schützenswertes Gut
darstellen kann. Daß der Gesetzgeber befugt ist, Maßnahmen zu ergreifen, um ei-
ner mißbräuchlichen Inanspruchnahme staatlicher Leistungen entgegenzuwirken,
steht auch dann außer Frage, wenn diese Leistungen in ihrer gesamtgesellschaftli-
chcn Wirkung fragwürdig erscheinen. Ob es aber legitim ist, etwaige Verstöße ge-
gen ein aufgrund bestimmter politischer Entscheidungen entstandenes Marktsy-
stcm auch dann strafrechtlich zu ahnden, wenn die zugrunde liegende Wirtschafts-

3m BT-Drucks. 7/3441, S. 15.


3111 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 307 f., im Anschluß an Tiedemann, Wirtschaftsstraf-
recht I, S. 25 f.
311 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 308 f.

312 Vgl. Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rdnr. 17.

313 Vgl. oben S. 162.

314 Bottke, wistra 1991, 1,7.

m Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 309 f.


174 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

politik offenbar unvernünftig erscheint, ist eine andere Frage, die einer gesonderten
Begründung bedürfte?16 Daß das Bestehen eines (Teil-)Marktes sichergestellt wer-
den soll, ist keine Begründung, sondern wirft vielmehr die Frage auf, ob das Fort-
bestehen dieses Teilmarktes als ein strafschutzwürdiges Interesse anzusehen ist.

(b) Der Kapitalanlagebetrug (§ 264a dStGB)


§ 264a dStGB pönalisiert irreführende Angaben durch Anbieter und Vertreiber
von Kapitalanlagen. Mit der Einführung des Straftatbestandes wollte der Gesetzge-
ber zum einen den Anlegerschutz verbessern. Über den individuellen Vermögens-
schutz hinaus sollte aber auch das Vertrauen in die Redlichkeit des Kapitalmarktes
gestärkt werden. 317 Die vom Gesetzgeber implizit vorausgesetzte wirtschaftspoliti-
sche Bedeutung eines funktionierenden Kapitalmarktes wird auch in der Literatur
nicht in Frage gestellt. 318 Bottke führt insoweit aus, es handele sich um "ein Essen-
tial einer freien Marktwirtschaft, nämlich das optimale Funktionieren eines profit-
effizienten Kapitalanlagenmarktes, in dem die Kapitalanleger aufgrund von gegen-
über einem größeren Kreis von Personen gemachter wahrer Angaben über für die
Kapitalanlage erhebliche Umstände die profiteffizienteste Kapitalanlageentschei-
dung binnen kurzer Zeit (time is money) und ohne sonstig kostenintensive Über-
prüfung der Wahrheit der gemachten Angaben fällen können". Die Strafvorschrift
des § 264a dStGB solle "die Marktwirtschaft auf einem ihrer Teilmärkte, dem Ka-
pitalmarkt, vor einer ineffizienten Vergeudung knapper Ressourcen, hier des Kapi-
tals, schützen und deren optimale Allokation, herausgebildet aufgrund irrtumsfrei-
er individueller Entscheidungen der Marktsubjekte, sicherstellen". 319
Dieser Argumentation ist zunächst wiederum entgegenzuhalten, daß angesichts
fehlender empirischer Erkenntnisse sowohl die Annahme einer Beeinträchtigung
des Vertrauens der Anleger in das Funktionieren des Kapitalmarktes als auch die
These einer Beeinträchtigung der Allokationsfähigkeit des Kapitalmarktes allein
auf Vermutungen basieren. 32o Die in der Vergangenheit mehrfach beobachtete Ab-
kehr des Anlegerpublikums von bestimmten, durch unseriöses Geschäftsgebaren in
die Schlagzeilen geratenen Anlageformen kann zwar als Indiz für die Notwendig-
keit eines strafrechtlichen Schutzes des seriösen Kapitalmarktes gesehen wer-
den;321 es kann aber auch als Beleg dafür dienen, daß die von § 264a dStGB er-
faßten mißbräuchlichen Verhaltensweisen überhaupt ungeeignet sind, das Vertrau-
en der Allgemeinheit in den Kapitalmarkt als Institution in Frage zu stellen, son-
dern allenfalls das Vertrauen in bestimmte Anlageformen oder -gegenstände. 322

316 Ablehnend z. B. Tiedemann, Festschrift für Stree/Wessels, S. 534 f.


317 BT-Drucks. 10/318, S. 12.
318 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 318 f.
319 Bottke, wistra 1991, 1,8.
320 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 209.
321 Ebd., S. 210 ff., 320 f.
322 A. Worms, Anlegerschutz, S. 260 ff., 276, 279, 313 f.
III. Das "modeme" Wirtschaftsstrafrecht 175

Dies legt die Vennutung nahe, daß die Annahme eines allgemeinen Vertrauens in
den Kapitalmarkt als solchen in der gesellschaftlichen Kommunikationsstruktur
überhaupt keine Entsprechung findet, was wiederum den Schluß zuläßt, daß § 264a
dStGB auf eine Kommunikationsstruktur abzielt, die in der Wirklichkeit der Anla-
geberatung keine Rolle spielt. 323
Angesichts dessen, daß eine Beeinträchtigung des Kapitalmarktes als Institution
zweifelhaft erscheint, wird die Strafwürdigkeit der von § 264a dStGB erfaßten Ver-
haltensweisen auch in der Literatur aus dem Umstand abgeleitet, daß das Angriffs-
verhalten auf den zweckverfehlten Mitteleinsatz des Anlegers abzielt. 324 Dies läuft
dann aber im Ergebnis auf nichts anderes als einen vorverlegten Vennögensschutz
hinaus, der aus den bereits oben dargelegten Gründen als illegitim erscheint. Des
weiteren fehlt es an einer Begründung dafür, warum hier der Schutz gegen jede -
auch noch so leicht durchschaubare - Lüge der Sphäre des Staates zuzurechnen sein
soll und nicht von den Teilnehmern am Wirtschaftsverkehr autonom zu leisten ist. 325

(e) Der Kreditbetrug (§ 265b dStGB)


§ 265b dStGB pönalisiert unwahre Angaben von Kreditnehmern. Hintergrund
der auf betriebsbezogene Kredite beschränkten Regelung war die Erwägung, daß
die Vergabe von Krediten an Kreditnehmer, denen die Kreditwürdigkeit fehlt und
die als Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr zu einer Vielzahl anderer Personen in
rechtlichen Beziehungen treten, volkswirtschaftlich gesehen eine erhebliche Ge-
fahr darstellen kann. 326 Die Inkriminierung wahrheitswidriger Angaben im Rah-
men eines Kreditantrages soll verhindern, daß es über das massenhafte Auftreten
solcher Vorgänge zu Erschütterungen der gesamten Wirtschaftsordnung und zu ei-
nem Verlust des Vertrauens in ihr Funktionieren kommt. 327
Wahrend Otto die Strafwürdigkeit der von § 265b dStGB erfaßten Verhaltens-
weisen mit der Erwägung verneint, daß die täuschenden Angaben hier im Rahmen
eines rechtsgeschäftlichen Kontaktes gemacht werden, der seiner Funktion nach
gerade darauf angelegt sei, daß der Kreditgeber die Angaben des potentiellen Kre-
ditnehmers prüfe,328 hält Bottke die Kriminalisierung für legitim, "weil der Kredit-

323 Zaczyk, Gesellschaftsgefahrlichkeit, S. 126 f.; zustimmend: Lüderssen, ZStW 107


(1995), 877, 900.
324 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 321.

325 Vgl. Kindhäuser, Legitimität, S. 133; ders., ZStW 103 (1991), 398, 400 ff.; a.A. Bott-
ke, Legitimität, S. 121 f.; vgl. aber auch Schlüchter, 2. WiKG, S. 156, mit dem Hinweis dar-
auf, wie eine Beeinträchtigung des Kapitalmarktes schlüssig dargetan werden soll, wenn es
schon nicht gelingt, das Vermögen eines einzelnen Anlegers als konkret gefahrdet nachzu-
weisen.
326 BT-Drucks. 7/3441, S. 17f.; 7/5291, S. 14.

327 BT-Drucks.7/3441,S.18.

328 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 336 ff.; Otto, ZStW 96 (1984),339,364; ders., Jura
1989,24, 30; vgl. auch Wolff, Abgrenzung, S. 215 f., mit dem Hinweis darauf, daß keine
Beinträchtigung des Basisvertrauens vorliege.
176 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

betrug ein wesentliches Essential einer freien Marktwirtschaft, nämlich das Funk-
tionieren des Kreditmarktes, bei übersingulärem Auftreten in Frage stellen wür-
de".329
Diese Ausführungen lenken den Blick darauf, daß es sich bei § 265b dStGB -
zumindest dann, wenn man auf den Schutz des Kapitalmarktes als solchen abstellt,
der durch einen einzelnen Kreditbetrug gar nicht geschädigt werden kann 330 - um
einen Straftatbestand handelt, bei dem Verhaltensweisen unter Strafe gestellt wer-
den, die erst dann zu einer Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts beitragen
können, wenn sie massenhaft vorgenommen werden. Daß es sich beim Kredit-
markt bzw. bei der Kreditwirtschaft um Institutionen handelt, deren Integrität der-
artige Pönalisierungen zu legitimieren vermag, bedürfte einer näheren Begrün-
dung. 33 ! Zwar wird die volkswirtschaftliche Bedeutung eines funktionierenden
Kreditmarktes ebensowenig zu bestreiten sein wie die im Gesetzgebungsverfahren
beschworenen, sich aus Kreditbetrügereien größeren Ausmaßes für einzelne Kre-
ditinstitute und infolge weiterer Kettenreaktionen auch gesamtwirtschaftlich erge-
benden Auswirkungen?32 Daß die Funktionsfähigkeit des Kreditwesens, nicht aber
auch die Funktionsfähigkeit des Immobilienmarktes, zu den rechtlich garantierten
Bedingungen der freien Entfaltung des einzelnen gehört, wird man andererseits
ebensowenig behaupten können. 333 Im übrigen: Selbst wenn man unterstellt, daß
es sich beim Kreditmarkt um ein besonders wichtiges Essential einer freien Markt-
wirtschaft handelt, bliebe es doch dabei, daß hier die Pönalisierung von Verhaltens-
weisen zu legitimieren wäre, die für sich gesehen gar nicht in der Lage sind, das
zugrundeliegende Rechtsgut zu beeinträchtigen.

jj) Zwischenergebnis

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, daß die Bemühungen. die Schutzwür-
digkeit bestimmter Institutionen oder Funktionszusammenhänge durch den Rück-
griff auf Strafwürdigkeitskriterien beurteilen zu wollen. sowohl in den Prämissen
als auch in den Ergebnissen weitgehend beliebig bleiben. In der praktischen Um-
setzung bekommt der Schutz bestehender gesellschaftlicher Institutionen regelmä-
ßig ein derartiges Eigengewicht. daß letztlich das Seinsollende weitgehend unre-
flektiert mit dem (angeblich) Soseienden gleichgesetzt wird. Begründungsansätze.
die hinausgehen über die mehr oder weniger substantiiert vorgetragene Behaup-
tung der besonderen Bedeutung, die bestimmten Institutionen für die Funktionsfä-

329 Bottke. wistra 1991. I, 7; ders., Legitimität, S. 122.


330 Vgl. Kindhäuser, Legitimität, S. 129.
33 J Bejahend - allerdings ohne nähere Begründung - Lenckner, in: Schönke / Schröder,
§ 265b Rdnr. 4.
332 Vgl. auch Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 336.

m Kindhäuser, Legitimität, S. 129.


III. Das ..moderne" Wirtschafts strafrecht 177

higkeit der Gesamtgesellschaft zukommen soll, sind trotz der im Ansatz betonten
Bedeutung, die den Erkenntnissen der empirischen Wissenschaften zukommen
soll, nicht ersichtlich.
Im Hinblick auf die Straftatbestände des Subventions-, Kapitalanlage- und Kre-
ditbetrugs (§§ 264, 264a, 265b dStGB) bedeutet dies: Sollen die Pönalisierungsent-
scheidungen des Gesetzgebers auf ihre Sachgerechtigkeit hin bewertet werden, ist
zunächst - als Basis aller weiteren Bewertungsschritte - das jeweils geschützte
Rechtsgut zu bestimmen und auf seine Schutzwürdigkeit hin zu untersuchen. Die
obigen Ausführungen haben ergeben, daß Schutzgut der §§ 264, 264a, 265b dStGB
nicht das Vermögen der öffentlichen Hand oder anderer Vermögensträger sein
kann, sondern allein die Funktionsfähigkeit bestimmter Teilbereiche der Wirt-
schaftsordnung. Im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit dieser Teilmärkte ist in der
Literatur zu Recht kritisiert worden, daß die Annahmen des Gesetzgebers - insbe-
sondere die behaupteten Sog-, Ansteckungs- und Spiral wirkungen - bisher nicht
überzeugend nachgewiesen werden konnten. In gleicher Weise ist zu Recht darauf
verwiesen worden, daß die Straftatbestände auf unzutreffenden Prämissen zur
Struktur der jeweils erfaßten Kommunikationsvorgänge aufbauen könnten.
Aber selbst dann, wenn sich die empirischen Annahmen des Gesetzgebers als
zutreffend erweisen sollten, kann hieraus nicht ohne weiteres auf die Legitimität
der entsprechenden Straftatbestände geschlossen werden. Vielmehr ergibt sich
dann ein weiteres, in der bisherigen Diskussion soweit ersichtlich weitgehend ver-
nachlässigtes Problem: Auch im Hinblick auf die §§ 264, 264a, 265b dStGB ist
nämlich zu konstatieren, daß es sich hier - wie auch schon bei den Straftatbestän-
den des Umweltstrafrechts - um Straftatbestände handelt, die Verhaltensweisen er-
fassen, die für sich gesehen das dem jeweiligen Straftatbestand zugrundeliegende
überindividuelle Rechtsgut gar nicht beeinträchtigen können, deren Strafwürdig-
keit also letztlich aus der Erwägung abgeleitet wird, daß das Rechtsgut Schaden
nehmen könnte, wenn sich viele oder alle Mitglieder einer Gesellschaft entspre-
chend verhalten würden. Angesichts dessen, daß der einzelne Tater für das eigen-
verantwortliche Verhalten anderer Mitglieder der Gesellschaft grundsätzlich nur
unter bestimmten, hier nicht gegebenen Voraussetzungen (vgl. §§ 25 ff. dStGB)
strafrechtlich verantwortlich zu sein scheint, ist jedenfalls nicht ohne weiteres ein-
sichtig, daß die Strafwürdigkeit einer Verhaltensweise legitimerweise aus den im
Falle massenhafter Begehung resultierenden Konsequenzen abgeleitet werden
kann. 334

334 Ablehnend z. B. Zaczyk. Gesellschaftsgefährlichkeit, S. 118.

12 Wohlers
178 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht

1. Genese und Struktur des Betäubungsmittelstrafrechts


a) Die Ursachen der Reform des Betäubungsmittelstrafrechts

Die Pönalisierung des Umgangs mit Rauschmitteln ist kein erstmalig in den letz-
ten Jahren oder Jahrzehnten auftretendes Phänomen "moderner" Strafgesetzge-
bung. Rechtliche Grundlage des Umgangs mit Betäubungsmitteln war in der Bun-
desrepublik Deutschland das aus dem Jahr 1929 stammende Opiumgesetz und in
der Schweiz das zur Umsetzung des Opiumabkommens aus dem Jahre 1912 erlas-
sene Betäubungsmittelgesetz aus dem Jahre 1924. 335 Beide Gesetze enthielten von
vornherein auch strafrechtliche Sanktionen für den unbefugten Umgang mit Betäu-
bungsmitteln, die in der praktischen Strafrechtsanwendung allerdings zunächst von
eher marginaler Bedeutung waren?36 Der - jedenfalls in quantitativer Hinsicht -
überragende Stellenwert, der dem Betäubungsmittelstrafrecht für die praktische
Strafrechtspflege derzeit zukommt, ist das Ergebnis der in den 70er Jahren einset-
zenden Bemühungen, das gesellschaftliche Problem des zunehmenden Konsums
von Betäubungsmitteln mit den Mitteln des Strafrechts zu "bekämpfen".
Anlaß der Novellierung des Betäubungsmittelrechts war - übereinstimmend in
bei den Ländern - ein nach Einschätzung des Gesetzgebers mit dem Ende der 60er
Jahre in ungewöhnlichem und besorgniserregendem Maße zunehmender Rausch-
mittelkonsum. 337 In der Begründung des aus dem Jahre 1970 stammenden Geset-
zesentwurfs zur Novellierung des bundesdeutschen Opiumgesetzes heißt es hierzu:
,,Der Mißbrauch von Rauschgiften, die im Opiumgesetz als Betäubungsmittel be-
zeichnet werden, droht ein gefährliches Ausmaß zu erreichen. Dieses Phänomen
läßt sich nicht mehr als eine vorübergehende Mode deuten und abtun. Einer Seuche
gleich breitet es sich mehr und mehr auch in der Bundesrepublik Deutschland aus.
Immer weitere Kreise der Bevölkerung werden von dieser Welle erfaßt. In besonde-
rem Maße droht der Jugend Gefahr, oft schon während der Pubertät.,,338 Zielsetzung
des Gesetzgebers war es, "aus dem Opiumgesetz ein wirkungsvolles Instrument zur
Kontrolle des Verkehrs mit Rauschgiften und zur Bekämpfung der Rauschgiftsucht
zu machen".339 Die Novellierung des Opiumgesetzes diene dem Ziel, "der Rausch-
giftwelle in der Bundesrepublik Deutschland Einhalt zu gebieten und damit große
Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit abzuwenden". 340

335 Vgl. hierzu Stämpfli, SJZ 22 (1925/26), 193 sowie Heine, Betäubungsmittelstrafrecht,
S. 561; Lüth, ZStR 67 (1952), 474, 475.
336 Vgl. Hug-Beeli, ZStR 115 (1997), 249, 251; Nestler, Grundlagen, Rdnr. 19; Schultz,
SJZ 68 (1972), 229; ders., ZStR 113 (1995), 273.
337 Vgl. Hug-Beeli, ZStR 115 (1997), 249, 250 sowie Schultz, SJZ 68 (1972),229, die-
bezogen auf die Situation in der Schweiz - von "flutartigen Drogenwellen" sprechen.
338 BR-Drucks. 665/70 (neu), S. 5.

339 BR-Drucks. 665170 (neu), S. 7.


IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 179

Auch in der Schweiz war der Gesetzgeber der Auffassung, einem "zunehmenden
Missbrauch von Halluzinogenen" entgegenwirken zu müssen. 341 Es müsse bezwei-
felt werden, daß die geltenden rechtlichen Grundlagen ausreichen würden, dem "in
beängstigendem Ausrnass angestiegenen Missbrauch von Betäubungsmitteln und
Halluzinogenen in wirksamer Weise entgegenzutreten und sowohl die Ursachen
als auch die Auswirkungen dieser Erscheinung in sinnvoller und erfolgverspre-
chender Weise zu bekämpfen". Man habe feststeHen müssen, "dass die geltende
rechtliche Regelung den inzwischen eingetretenen grundlegenden Veränderungen,
d. h. der auch in unserem Lande in weiten Kreisen um sich greifenden WeHe des
Betäubungsmittelmissbrauchs, nicht mehr zu genügen vennochte". 342 An anderer
SteHe heiBt es dann: "Die missbräuchliche Verwendung von Betäubungs- und
Suchtmitteln ist auch in unserem Lande zu einem ernsten und bedeutungsvoHen
Problem geworden. Es besteht die Gefahr, dass immer mehr Mitbürger, insbeson-
dere Jugendliche, in ihrer Gesundheit geschädigt werden. Im Zusammenhang da-
mit stehen als Folgeerscheinungen die Zunahme der Kriminalität und schwere
wirtschaftliche Schäden. Zahlreiche abhängige Personen werden in jungen Jahren
arbeitsunfähig, und die Allgemeinheit hat bedeutende Kräfte und Mittel zur Be-
kämpfung oder Heilung der Sucht aufzuwenden. In der Bundesrepublik Deutsch-
land zählt man bereits Tausende solcher ,1ungrentner' .,,343

b) Die Ausweitung des Anwendungsbereichs


des Betäubungsmittelstrafrechts

Rechtstechnisch hat der Gesetzgeber das Ziel, den Konsum bestimmter Betäu-
bungsmittel durch strafbewehrte Verhaltensverbote effizient zu unterbinden, im
wesentlichen durch den Rückgriff auf zwei gesetzestechnische Gestaltungsmög-
lichkeiten zu erreichen versucht: Zum einen werden die vom BtmG erfaBten Be-
täubungsmittel im Wege einer offenen Verweisung auf eine von der Exekutive im
Wege der Rechtsverordnung zu erlassenden - und damit laufenden Ergänzungen
zugänglichen - Liste verbotener Rauschmittel definiert (§ 1 dBtmG; Art. 1 Abs. 2
und 3 schwBetmG), was die Möglichkeit eröffnet, die Verbotsmaterie laufend zu
aktualisieren, d. h. in der praktischen Umsetzung: durch das Hinzufügen neuer

340 BR-Drucks. 665170 (neu), S. 6. Zu den vergleichbaren Argumentationen des schwei-


zerischen Gesetzgebers vgl. Hug-Beeli, ZStR 115 (1997), 249, 253 sowie 263.
34\ Vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ände-
rung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BBI. 1973 1,1348,1349.
342 Vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ände-
rung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BBI. 1973 I, 1348, 1350. Auch in
der Literatur wird von einer "flutartigen Drogenwelle" gesprochen, vgl. Hug-Beeli, ZStR 115
(1997), 249, 250; SchuItz, SJZ 68 (1972), 229.
343 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Änderung des
Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BBI. 1973 1,1348,1353.

12*
180 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Rauschmittel zu erweitern. Während die Rechtsprechung diese Art der Bestim-


mung der Verbotsmaterie für unbedenklich erachtet,344 wird die Regelung in der
Literatur für verfassungswidrig gehalten. 345 Auf eine nähere Auseinandersetzung
mit dieser, in ihren grundsätzlichen Bedeutung bereits mehrfach behandelten ver-
fassungsrechtlichen Fragestellung soll im vorliegenden Zusammenhang verzichtet
werden. 346
Von Interesse ist im vorliegenden Zusammenhang die zweite Grundkonstante
der Reform des Betäubungsmittelstrafrechts: Die Tendenz, möglichst alle, auch
nur mittelbar auf dem Umgang mit Betäubungsmitteln bezogenen Verhaltenswei-
sen in den Strafbarkeitsbereich einzubeziehen. 347 Katalogartig ausgestaltete Aufli-
stungen potentieller Tathandlungen finden sich zwar nicht nur in den Betäubungs-
mittelgesetzen, sondern auch in zahlreichen anderen Straftatbeständen des Neben-
strafrechts. 348 Eine Besonderheit des Betäubungsmittelstrafrechts ist aber die letzt-
lich auf eine totale Pönalisierung abzielende Tendenz des Gesetzgebers, den im
Grundsatz bereits in § 10 des bundesdeutschen üpiumgesetzes 349 bzw. Art. 11 des
schweizerischen Betäubungsmittelgesetzes 1924 angelegten Tatbestandskatalog 350
im Zuge der weiteren Reform stetig um weitere Tatbegehungsweisen zu ergänzen,
um so der Zielsetzung einer "umfassende(n) Kriminalisierung jedes unerlaubten
Kontaktes mit illegalen Drogen" möglichst nahe zu kommen. 351
Der Tathandlungskatalog des Art. 11 des schweizerischen BetmG 1924 hatte be-
reits 1951 und 1968 gewisse Erweiterungen erfahren (Art. 19 schwBetmG).352 Be-
zeichnend ist hierbei, daß die Tathandlungsalternativen des "Anbauens" und des

344 Vgl. BVerfG, StV 1997,405 f.; BayObLG, NStZ 1995,194. Das BVerfG hatte im Hin-
blick auf Haschisch einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG zunächst mit der Begründung
verneint, daß dieser Stoff bereits bei Erlaß des Gesetzes in die Liste aufgenommen war (vgl.
BVerfG, NJW 1992, 107).
345 Vgl. Peter Albrecht, Betäubungsmittelstrafrecht, Einl. Rdnr. 16; Kaschkat, Festschrift
für Krause, S. 123 ff.
346 Zum Bedeutungsgehalt des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG, § I StGB
vgl. Appel, Verfassung, S. 116 ff.; Eser, in: Schönkel Schröder, § I Rdnrn. 18 ff.; Gribbohm,
in: LK, § I Rdnrn. 26 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz 1Dürig, Art. 103 11 Rdnrn. 178 ff.,
jeweils m. w. N. Zu Art. I schwStGB vgl. NoH, ZStR 72 (1957), 361, 363 ff.; kritisch zur
Umsetzung der normativen Postulate Süß, Bestimmtheitsgebot, S. 209 ff.
347 Vgl. Hasserner, JuS 1987,257,258; ders., KritV 1993, 198,203; Köhler, ZStW 104
(1992), 3, 8; Kreuzer, Festschrift für Miyazawa, S. 187 f.; Scheerer, Genese, S. 82 f.
348 Vgl. beispielhaft - bezogen auf die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland -
die Tatbegehungskataloge in den §§ 52a ff. WaffG und 95 ff. AMG.
34~ Gesetz vom 10. 12. 1929, RGBII, S. 215.
350 Vgl. hierzu i.e. Stämpfli, SJZ 22 (1925/26), 193, 199.

35\ Peter Albrecht, plädoyer 1/1990,26; ders., BtmStrafR, Einl. Rdnr. 25, Art. 19 Rdnrn.
3,36; Heine, Betäubungsmittelstrafrecht, S. 564, 567 ff.; Joset, ZStR 101 (1984), 152, 155.
352 Vgl. Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19 Rdnr. 35 sowie die Botschaft des Bundesrates
an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Änderung des Bun-
desgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BBI. 1968 I, 737, 743 f.
IV. Das BetäubungsmitteIstrafrecht 181

"Gewinnens" in das Gesetz aufgenommen wurden, um entsprechenden Rechtshil-


feersuchen entsprechen zu können. 353 Mit der Pönalisierung von "Finanzierungs-
operationen" wurden - auch nach Auffassung des Gesetzgebers 354 - "zwar meist
schon als Teilnahmehandlungen" strafbare Handlungen zu einem eigenständigen
täterschaftIichen Delikt aufgewertet. Die Revision des Jahres 1975 erweiterte den
Tathandlungskatalog dann nochmals, wobei insbesondere auf die Pönalisierung der
"öffentlichen Aufforderung zum Betäubungsmittelkonsum" und auf die Pönalisie-
rung des "Konsums" in Art. 19a schwBetmG hinzuweisen ist. 355 Durch Art 19c
schwBetmG wird sogar die versuchte Anstiftung zum unbefugten Betäubungsmit-
telkonsum zu einem eigenständigen Delikt erhoben. Insgesamt gesehen werden für
den Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts die hergebrachten Grenzen zwischen
den Beteiligungsformen der Täterschaft und Teilnahme aufgelöst und die Grenze
zwischen strafbarem Versuch und straflosen Vorbereitungshandlungen ver-
wischt. 356
Vor der Reform des Jahres 1975 hatte das Bundesgericht Konsumenten von Be-
täubungsmitteln zwar nicht wegen des Konsums selbst, wohl aber wegen Vorberei-
tungshandlungen zum Konsum unter Anwendung des Art. 19 schwBetmG verur-
teilt, etwa wegen des Erwerbs, des Aufbewahrens oder der Einfuhr von Betäu-
bungsmitteln. 357 In der Literatur war die Legitimität der Pönalisierung des Kon-
sums umstritten 358 und auch im Gesetzgebungsverfahren wurde die Behandlung
des Konsums als der "heikelste Punkt" der Reform angesehen. 359 Mit der Revision
des Jahres 1975 verfolgte der Gesetzgeber eine doppelte Zielsetzung: "Die Strafbe-
stimmungen sehen eine klarere Regelung der Bestrafung des Konsums als solchen,
eine strengere Ahndung des BetäubungsmitteIhandels und eine Milderung bei der
Bestrafung des bIossen Konsums vor. ,,360 Die vom Gesetzgeber intendierte Diffe-

m VgI. i.e. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines
Bundesgesetzes über die Änderung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BBI.
1968 I. 737. 743.
354 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesge-
setzes über die Änderung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel. in: BBI. 1968 I,
737.743.
m VgI. Schütz. Strafbestimmungen. S. 31 sowie die Botschaft des Bundesrates an die
Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Änderung des Bundesge-
setzes über die Betäubungsmittel. in: BBI. 1973 H. 1347. 1352.
356 VgI. Peter Albrecht. BtmStrafR. Art. 19 Rdnrn. 7. 115 ff.• 129 ff.; Vest. Landesbericht,
S.71O.
m VgI. z. B. BGE 95 IV 179 sowie Peter Albrecht, BtmStrafR. Art. 19a Rdnr. I; Heine.
Betäubungsmittelstrafrecht, S. 562.
358 Ablehnend z. B. Schultz SlZ 68 (1972). 229 ff., ders .• SlZ 69 (1973), 65 ff.; vgI. auch
ders., ZStR 113 (1995), 273, 275; bejahend dagegen Bertschi, SlZ 68 (1972), 369 ff.; Schütz,
Strafbestimmungen, S. 63 f.; abwägend: Wartburg, Drogenmissbrauch, S. 312 ff.
35~ VgI. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines
Bundesgesetzes über die Änderung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BBI.
1973 H, 1347, 1367 sowie Peter Albrecht, BlM 1983,217; ders., BtmStrafR, Art. 19a Rdnr.
I; Schultz, ZStR 113 (1995), 273, 274.
182 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

renzierung zwischen Betäubungsmittelhändlem und Betäubungsmittelkonsumen-


ten ist in der Praxis gescheitert,361 was seine wesentliche Ursache darin hat, daß in
der Rechtswirklichkeit der ausschließliche Eigenkonsument 362 offenbar eher eine
Ausnahmeerscheinung darstellt. 363
In der Bundesrepublik Deutschland hatte die Ausweitung des strafrechtlich rele-
vanten Bereichs unter anderem zur Folge, daß mit dem BtmG 1972 der Besitz von
Betäubungsmitteln sowie Mitteilungen über die Möglichkeiten zum unbefugten
Umgang mit diesen 364 (§ 29 Abs. 1 Nr. 10 dBtmG) und durch das BtmG 1982
schließlich das Bereitstellen von Geldmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 13 dBtmG) und die
Verherrlichung des unbefugten Umgangs mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1
Nr. 12 dBtmG) unter Strafe gestellt wurden,365 was letztlich dazu führt, daß auch
materiell gesehen eher als Beihilfehandlungen aufzufassende Verhaltensweisen 366
als täterschaftliches Verhalten erlaßt werden. 367 Im übrigen werden de lege lata
nicht nur auf den Umgang mit Betäubungsmitteln bezogene Vorbereitungs- bzw.
Teilnahmehandlungen unter Strafandrohung gestellt, sondern - zumindest dem
Wortlaut der Norm nach - selbst solche Verhaltensweisen, die allein darauf abzie-
len, der zunehmenden Verelendung schwer Drogenabhängiger entgegenzuwirken.
Verwiesen werden kann hier zunächst darauf, daß selbst die Abgabe steriler Ein-
malspritzen an Betäubungsmittelabhängige durch den § 29 Abs. 1 Satz 2 dBtmG

360 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesge-
setzes über die Änderung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel, in: BBl. 1973 H,
1347,1348. Vgl. auch Peter Albrecht, plädoyer, 3/1983, 7; Killias/Grapendaal, ZStR 115
(1997),94, 101; Schütz, Strafbestimmungen, S. 31; Schultz, ZStR 113 (1995), 273; Weiss,
ZStR 95 (1978),191,192.
361 So auch Schultz, ZStW 97 (1985), 371, 403.

362 Die Rechtsprechung gewährt allein dem ausschließlichen Eigenkosmumenten die Privi-
legierung gemäß den Art. 19a, 19b BetmG (vgl. Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19a Rdnrn.
18 ff. m. w. N.; Heine/Roulet, Landesbericht, S. 1326; Vest, Landesbericht, S. 710) und be-
handelt alle auch-Konsumenten als Händler: BGE 102 IV 125; 1181V 202 ff.; 119 IV 180,
183; vgl. auch Heine, Betäubungsmittelstrafrecht, S. 580 f.; Schmid, SJZ 72 (1976), 91 ff.; kri-
tisch hierzu: Peter Albrecht, BJM 1983,217,223; ders., plädoyer 1/1990,26,27; Joset, ZStR
100 (1983),187, 189 f.; ders., ZStR 101 (1984), 152, 156; Weiss, ZStR 95 (\978), 191,203 f.
363 Die Forderung nach einer Entkriminalisierung des Drogenkonsums wird nicht nur in
der Literatur erhoben (vgl. z. B. Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19a Rdnrn. 8 f. m. w. N.;
Schultz, ZStR 113 (1995) 273, 278), sondern auch von Expertenkommissionen für die Revi-
sion des BetmG unterstützt (vgl. Heine/Hein, Landesbericht, S. 1026; Killias/Grapendaal,
ZStR 115 (1997), 94,101).
364 Vgl. BR-Drucks 665170 (neu), S. 13 ff.

365 Vgl. BR-Drucks 546179, S. 35 f.

366 Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung sicherstellen, daß durch die Pönalisierung
des Bereitstellens von Geldmitteln als eigenständiges täterschaftliches Verhalten die Versor-
gung des illegalen Rauschgiftmarktes mit zusätzlichen Geldmitteln auch dann strafrechtlich
geahndet werden kann, wenn die Haupttat (= das Handeltreiben mit Btm) nicht begangen
oder versucht wird; vgl. BR-Drucks. 546179, S. 35 f.
367 Hasserner, KritV 1993, 198,203.
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 183

ausdrücklich aus der Tatbestandsalternative des Verschaffens von Gelegenheit zum


Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 dBtmG) ausgenommen werden mußte. 368 Ein
weiterer Beleg ist die anhaltende Diskussion um die Strafbarkeit der Einrichtung
und Unterhaltung sog. Fixerstuben oder Gesundheitsräume. 369
Verschärft wird die in der Systematik der Gesetze angelegte Nivellierung der
Beteiligungsformen in der Bundesrepublik Deutschland durch eine sehr weite Aus-
legung der in der praktischen Strafrechtsanwendung besonders bedeutsamen Tatbe-
standsalternativen der Einfuhr und des Handeltreibens i. S. d. § 29 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 dBtmG. 37o Die Alternative des Handeltreibens soll hiernach erfüllt werden
durch jede eigennützige, nach den subjektiven Vorstellungen des Täters auf den
Umsatz von Betäubungsmitteln abzielende Tätigkeit. 37l Dies hat zur Konsequenz,
daß unter anderem auch bereits der bloße Besitz bzw. das Sichverschaffen von Be-
täubungsmitteln zum Zwecke gewinnbringender Veräußerung als unerlaubtes Han-
deltreiben i. S. d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 dBtmG anzusehen ist,372 was dann wiederum
dazu führt, daß sogar die Anwendung der Qualifikationstatbestände der §§ 30
Abs. 1 Nr. 1, 30a dBtmG sowie gemäß § 30c dBtmG die Verhängung einer Vermö-
gensstrafe möglich wird. Weiterhin kann nach dieser Auslegung ein vollendetes
Handeltreiben i. S. d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 dBtmG selbst dann vorliegen, wenn ein
Umsatz bzw. Absatz objektiv gar nicht möglich ist, etwa weil die Betäubungsmit-
tel, um die es dem Täter geht, gar nicht existieren oder von der Polizei bereits si-
chergestellt wurden. 373 Auch das bloße Anfragen oder Versprechen, Drogen zu lie-
fern oder abzunehmen, fällt unter den Begriff des - vollendeten! - Handeltrei-
bens. 374 Die auch für das BtmG geltende Differenzierung der Beteiligungsformen
der §§ 25 ff. dStGB und die im Hinblick auf die gemäß § 29 Abs. 2 dBtmG ange-

368 Zur Strafbarkeit der Ausgabe von Fixerutensilien, insbesondere Spritzen vgI. Körner,
BtmG, § 29 Rdnm. 1016 ff.
Zu der in der Grundanlage vergleichbaren Diskussion über die Zulässigkeit einer kontrol-
lierten Abgabe von Heroin vgI. die Kontroverse zwischen Huber, SJZ 88 (1992), 47 ff. und
Jenny, plädoyer 2/1992, 44 ff.
369 Hierzu Körner, BtrnG, § 29 Rdnm. 1034 ff.; ders., ZRP 1995,453 ff. m. w. N. Zur
Rechtslage in der Schweiz vgI. Schultz, ZStR 106 (1989), 276 ff.
370 VgI. den Überblick bei Nestler, Grundlagen, Rdnrn. 320 ff., 357 ff.; Paul, StV 1998,
623.
371 VgI. BGHSt 43, 158, 161/162 m. w. N.; BGH, StV 1985, 14; 1995, 198 f.; BGH,
NSIZ-RR 1996,374. Allerdings betont auch der Bundesgerichtshof, daß "nicht jede Eigen-
nützigkeit" für die Annahme täterschaftlicher Begehung ausreichen soll (BGH, NSIZ-RR
1997, 86). Insbesondere "eine ganz untergeordnete Tätigkeit genügt in aller Regel nicht"
(BGH, StV 1995, 198 f.); kritisch zur Rspr.: Kreuzer, Festschrift für Miyazawa, S. 189.
372 VgI. BGH, NSIZ 1993,44,45; 1996,93.

373 BGH, NSIZ 1992,38,39; 1992, 191; 1994,441 mit abI. Bespr. Krack, JuS 1995,585,
586 f.; BGH, NSIZ-RR 1996, 374; BGH, StV 1996,662,663; vgI. auch bereits BGHSt 6,
246,247 zu § 10 Abs. I Nr. 1 OpiumG.
374 VgI. BGH, StV 1992,517 mit krit. Anm. Roxin, 519 f.; vgI. auch Roxin, StrafR AT,
Teilbd. I, § 2 Rdnr. 26: die Rechtsprechung nähere "sich bedenklich einem Gesinnungsstraf-
recht".
184 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

ordnete Versuchsstrafbarkeit notwendige Abgrenzung des (straflosen) Vorberei-


tungs- vom Versuchs- und Vollendungsstadium verlieren so jede unrechtssystema-
tische Bedeutung. 375 Sowohl die Abgrenzung der Beteiligungsformen als auch die
Abschichtung des Vorbereitungs-, Versuchs- und Vollendungsstadiums haben im
wesentlichen nur noch die Funktion, den Strafzumessungsvorgang mit einer dog-
matischen Scheinbegründung zu unterfüttern.
Mit der Zielsetzung, durch eine umfassende Kriminalisierung jedes unerlaubten
Kontaktes mit illegalen Drogen den Umgang mit diesen Stoffen zu unterbinden,376
tendierten auch die Gerichte der Schweiz zunächst dahin, Vorfeldaktivitäten mög-
lichst weitgehend als eigenständige Taten zu erfassen. Des weiteren wurden die
Straftatbestände des schweizerischen Betäubungsmittelgesetzes als abstrakte Ge-
fahrdungsdelikte behandelt,377 was insbesondere zur Folge hatte, daß es unbeacht-
lich war, ob von den Tathandlungen gemäß Art. 19 Ziff. 1 schwBetmG Gefahrdun-
gen für eine oder mehrere Personen ausgingen und ob diese Person(en) bereits vor-
her Kontakt mit Betäubungsmitteln gehabt hatten - gegebenenfalls: bereits süchtig
waren - oder nicht. 378 Ebenso sollte es für die Annahme eines schweren Falles
i. S. d. Art. 19 Ziff. 2 lit. a schwBetmG ("wenn ... sich die Widerhandlung auf eine
Menge von Betäubungsmitteln bezieht, weIche die Gesundheit vieler Menschen in
Gefahr bringen kann") allein auf die bloße Menge, nicht aber auf die Art und Qua-
lität des Rauschmittels und auch nicht auf die Zahl der konkret belieferten Perso-
nen ankommen. 379
Mit dem Beginn der 90er Jahre sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtes
allerdings bedeutsame Änderungen in Richtung auf eine restriktivere Anwendung
des Betäubungsmittelstrafrechts festzustellen. So werden zum einen die Tatbe-
standsalternativen im Vorfeldbereich - wie beispielsweise das Anstaltentreffen
zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6
schwBetmG) oder die Finanzierung des unerlaubten Verkehrs mit Betäubungsmit-
teln (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 schwBetmG) - restriktiver angewandt. Während nach
der älteren Linie der Rechtsprechung bereits eine gewöhnliche Darlehensgewäh-
rung in Kenntnis des Verwendungszwecks ausreichen sollte und sich sogar die
Freier von drogensüchtigen Prostituierten wegen Finanzierung des Verkehrs mit
Betäubungsmitteln strafbar machten,38o wird nunmehr jedenfalls die Erfüllung nor-

375 Kempf, NJW 1997, 1729, 1732; Kreuzer, Festschrift für Miyazawa, S. 189; Nestler,
Grundlagen, Rdnr. 357, 360 ff., 364 ff.; Paul, StV 1998,623,624 f. Vg!. auch Harzer, StV
1996, 336, 337, die darlegt, daß die Auslegung des Handeltreibens als Unternehmensdelikt
im Ergebnis zur Pönalisierung des "Versuchs des Versuchs des Handeltreibens" führt.
376 Peter Albrecht, plädoyer I! 1990, 26; ders., BtmStrafR, Ein!. Rdnr. 25; Joset, ZStR 101
(1984), 152, ISS.
377 Hug-Beeli, ZStR 115 (1997), 249, 254 ff.; vg!. auch Heine! Spalinger, Landesbericht,
S. 1399 f.; Heine! Hein, Landesbericht, S. 1042; Schütz, Strafbestimmungen, S. 60.
378 BGE 118 IV 200, 205.

379 BGE 106 IV 227; 111 IV 31; kritisch hierzu insbesondere Jenny, Beiheft Nr. I zur
ZSR, S. 97 ff.; anders jetzt BGE 117 IV 314, 319 ff.
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 185

maler vertraglicher Verpflichtungen gegenüber einem Drogenabhängigen aus dem


Stratbarkeitsbereich ausgeschieden. 381 Ein Anstaltentreffen i. S. d. Art. 19 Ziff. 1
Abs. 6 schwBetmG wird nunmehr nur noch dann angenommen, wenn die delikti-
sche Bestimmung der entsprechenden Verhaltensweise dem äußeren Erscheinungs-
bild nach klar zu erkennen ist; Verhaltensweisen, die ebensogut einem gesetzmäßi-
gen Zweck dienen können - etwa: das Umtauschen von Schweizer Franken in hol-
ländische Gulden - werden nicht mehr erfaßt. 382 Im Hinblick auf die Anwendung
des schweren Falles (Art. 19 Ziff. 2 schwBetmG) unterscheidet das Bundesgericht
nunmehr zwischen harten und weichen Drogen383 und stellt des weiteren nicht
mehr auf die bloße Menge des "Stoffes" ab, sondern auf die Menge des Drogen-
wirkstoffes. 384

c) Instrumentarien zur einzelfallbezogenen


Korrektur des Stratbarkeitsbereichs

Das Bestreben, den Anwendungsbereich strafrechtlicher Nonnen im Wege einer


katalogartigen Aufzählung strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen möglichst
umfassend auszugestalten, hat zwar im Nebenstrafrecht seinen Schwerpunkt, ist
aber nicht auf das Nebenstrafrecht beschränkt. Auch im Kernstrafrecht sind Straf-
tatbestände mit zum Teil katalogartig-umfassenden Aufzählungen stratbarer Ver-
haltensweisen vorzufinden. Alternativ und zum Teil auch ergänzend zur katalogar-
tigen Umschreibung des pönalisierten Verhaltens greift der Gesetzgeber entweder
auf die Option generalklauselartig fonnulierter Tatbestandsmerkmale (" ... oder in
sonstiger Weise ... ") zurück, die es ennöglichen sollen, erst zukünftig auftretende
und deshalb noch nicht typisierbare sozialschädliche Verhaltensweisen zu erfas-
sen 385 , oder er umschreibt den Stratbarkeitsbereich derart vage und weit, daß auch
bei diesen "catch-all-Tatbeständen.. 386 - wie z. B. bei § 324 Abs. 1 dStGB: "Wer
unbefugt ein Gewässer verunreinigt .....387 - die Möglichkeit einer totalen Pönali-
sierung zumindest angelegt ist. 388

380 Vgl. Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19 Rdnrn. 71 Cf.; Heine, Betäubungsmittelstraf-
recht, S. 570 f.
381 BGE 121 IV 293; zustimmend hierzu Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19 Rdnr. 95;
kritsch dagegen Hug-Beeli, ZStR 115 (1997), 249, 257 Cf.
382 BGE 117 IV 309, 312 f.; zustimmend bzw. noch weitergehend Peter Albrecht,
BtmStrafR, Art. 19 Rdnrn. 124, 127 f.; kritisch Hug-Beeli, ZStR 115 (1997), 249, 257 ff.
383 BGE 117 IV 309, 312 f.; zustimmend Peter Albrecht, plädoyer 4/1992, 28, 29; ableh-
nend dagegen Hug-Beeli, ZStR 115 (1997), 249, 262 ff.
384 BGE 119 IV 180; vgl. hierzu Vest, Landesbericht, S. 711.

385 Vgl. BT-Drucks. 7/3441, S. 33; 7/5291, S. 18 zu § 283 Abs. I Nr. 8 dStGB.

386 Vgl. Heine, Vollzugsdefizite, S. 22.

387 Kritisch zur mangelhaften Abschichtung der tatsächlich strafwürdigen Verhaltenswei-


sen durch § 324 dStGB Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 125; Rogall, Festschrift Univer-
sität Köln, S. 517/518; Ronzani, Erfolg, S. 56 Cf., insbesondere S. 61 f.
186 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Um der Gefahr entgegenzuwirken, die durch einen konkreten Sach- und Perso-
nalmittelbestand in ihrer Verarbeitungskapazität beschränkte Strafrechtspflege fak-
tisch zu überfordern, hat der Gesetzgeber materieHrechtliche Korrektive und pro-
zessuale Instrumentarien geschaffen, die es ermöglichen soHen, in FäHen, in denen
dies opportun erscheint, von einem Einschreiten abzusehen. 389 Auf materiellrecht-
licher Ebene werden die grundsätzlich auf eine möglichst umfassende Pönalisie-
rung abzielenden Zurechnungsstrukturen durch Korrektive ergänzt, die - wie z. B.
das Merkmal der "Unbefugtheit" in § 324 Abs. 1 dStGB oder das Merkmal des
"den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden"
Verhaltens in § 283 Abs. 1 Nr. 8 dStGB - die Möglichkeit eröffnen, den Strafbar-
keitsbereich zumindest in gewissem Umfang wieder. einzugrenzen. Der unbe-
stimmte bzw. wertungsabhängige Charakter sowohl der strafbarkeitsbegründenden
als auch strafbarkeitsbegrenzenden Zurechnungselemente führt insgesamt gesehen
aHerdings dazu, daß die Entscheidung darüber, welche Verhaltensweisen konkret
dem Strafbarkeitsbereich unterfaHen, in weitem Umfang erst bei der Bewertung
konkreter Sachverhalte erfolgen kann und damit in erster Linie durch und aufgrund
von Entscheidungen der Strafverfolgungsorgane getroffen wird.
Die bestimmende RoHe, die den Strafverfolgungsorganen bei der Konkretisie-
rung des Strafbarkeitsbereichs zukommt, beschränkt sich indes nicht mehr nur dar-
auf, wertungsabhängige Elemente der materiellrechtlichen Zurechnungsstruktur
auszufüHen, sondern geht weit darüber hinaus. In der Bundesrepublik Deutschland
haben sich insbesondere die §§ 153 ff. dStPO zum praktisch wichtigsten Instru-
ment der verfahrensrechtlichen Aussonderung in concreto nicht-strafbedürftiger
Tatbestandsverwirklichungen entwickelt,390 die es den Strafverfolgungsorganen
nunmehr bis weit in den Bereich der mittleren Kriminalität hinein ermöglichen,
entweder bereits von vornherein auf eine Strafverfolgung zu verzichten oder aber
das Verfahren gegen Auferlegung von Weisungen oder Auflagen ohne Entschei-
dung über das Vorliegen einer Straftat zu beenden. 391 Zu verweisen ist außerdem
auf die §§ 29 Abs. 5, 31, 31a dBtmG, die für den quantitativ bedeutsamen Bereich
der Betäubungsmittelkriminalität weitere Möglichkeiten eröffnen, in BagateHfäHen
bzw. als Gegenleistung für eine Kooperation des Beschuldigten mit den Strafver-
folgungsbehörden das Verfahren einzusteHen bzw. von einer Bestrafung abzuse-
hen. In der Schweiz existiert eine entsprechende Regelung in Art. 19a Ziff. 2

388 Vgl. BT-Drucks. 8/2382, S. 10 f., 13 sowie Tiedemann, Neuordnung, S. 30 mit dem
Hinweis darauf, daß ein "absoluter" Gewässerschutz bereits durch § 38 WHG 1976 etabliert
worden war.
389 Vgl. Peter-Alexis Albrecht, KritV 1993, 163, 171 f.; ders., StV 1994,265,269 f.; Has-
semer, ZRP 1992, 378, 383.
390 Vgl. Fezer, ZStW 106 (\994), I, 26 f.; Hirsch, Gedächtnisschrift für H. Kaufmann,
S. 141, jeweils m. w. N.
39\ So verstehen z. B. Heine/Meinberg, Gutachten, D 92/93 die Rolle der §§ 153, 153a
StPO dahingehend, den Strafverfolgungsorganen die Aussonderung von Grenzfällen der
Strafwürdigkeit zu ermöglichen, die aufgrund der Weite des § 324 dStGB zu Unrecht in die
Verfolgung gelangt sind; vgl. auch Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 125.
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 187

schwBetmG, der vorsieht, daß in leichten Fällen des unbefugten Eigenkonsums


das Verfahren eingestellt oder von einer Strafe abgesehen werden kann. Im Ergeb-
nis bedeutet dies: Prozessuale Instrumentarien ersetzen oder ergänzen - als Surro-
gat für entsprechende materiellrechtliche Beschränkungen - das den Bereich straf-
baren Verhaltens nicht mehr abschließend definierende materielle Strafrecht. 392
Die Tendenz, den Anwendungsbereich zu weit gefaßter Straftatbestände nicht
durch eine Entkriminalisierung und damit auf der Ebene des materiellen Rechts,
sondern über verfahrensrechtliche Instrumentarien auf ihren materiell legitimen
Geltungsbereich zurückzuführen, ist vom BVerfG bereits in seiner Entscheidung
zur Behandlung des Bagatelldiebstahls 393 nicht beanstandet und dann durch den
sog. Cannabis-Beschluß 394 ausdrücklich bestätigt worden. Gegenstand der Ent-
scheidung war die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 29 dBtmG, der - auch
nach Auffassung des BVerfG - nicht strafbedürftige Fälle der Ein- und Durchfuhr
bzw. des Erwerbs und Besitzes geringer Mengen von Cannabisprodukten zum Ei-
genverbrauch erfaßt. 395 Der hierdurch eigentlich begründete Verstoß gegen das
verfassungsrechtliche Übermaßverbot 396 wird nach Auffassung des BVerfG im Er-
gebnis dadurch kompensiert, daß den Strafverfolgungsorganen über die §§ 153,
153b dStPO, 31a dBtmG die Möglichkeit eröffnet sei, das Strafverfahren in den
nicht strafwürdigen Fällen im Wege einer Verfahrenseinstellung zu beenden oder
gemäß § 29 Abs. 5 dBtmG von Strafe abzusehen. 397
Der Einsatz verfahrensrechtlicher Bestimmungen als funktionales Äquivalent ei-
ner abschließenden materiellrechtlichen Bestimmung des Bereiches strafbaren Ver-
haltens 398 vermag aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen: Es ist widersprüch-

392 Frisch, Festschrift für Stree 1WesseIs, S. 101; ders., Strafbarkeitsvoraussetzungen,


S. 229 f.; vgl. auch Kunz, Bagatellprinzip, S. 90 f.
393 Vgl. BVerfGE 50, 209, 213 f.

394 BVerfGE 90, 145 mit abI. Bespr. Nelles/Velten, NStZ 1994, 366 ff.

395 Vgl. BVerfGE90, 145, 188 und 192.

396 Die von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter des BVerfG auf dem 20. Strafverteidi-
gertag vorgetragene Interpretation des Cannabis-Beschlusses, derzufolge nach Auffassung
des BVerfG die umfassende Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln - einschließ-
lich der Tatbestandsaltemativen des Besitzes und des Erwerbs - aus generalpräventiven
Gründen legitim sein soll, dürfte mit dem Beschluß selbst nur schwer zur Deckung zu brin-
gen sein; vgl. aber Franke, Strafgewalt, S. 232.
397 BVerfGE 90, 145, 189 ff., 193; vgl. auch BVerfG, NStZ 1995, 37; zur äußerst restrikti-
ven Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch die Strafrechtsprechung vgl. BayObLG,
NStZ 1994, 496 f.; OLG Düsseldorf, NStZ 1995, 94,95; OLG Zweibrücken, NStZ 1995,
193, 194; zu den Richtlininen zur Anwendung des § 31a BtmG vgl. Schneider, StV 1994,
390 ff.
39M Vgl. Franke, Strafgewalt, S. 232; grundsätzlich bejahend zur Austauschbarkeit von ma-
teriellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Lösungen auch Appel, Verfassung, S. 589 f.;
Gössel, Festschrift für Dünnebier, S. 135/136; Wolter, Dogmatik, S. 3 ff. sowie Kuhlen,
Strafrechtsbegrenzung, S. 95; kritisch hierzu Frisch, Straftat, S. 202 f. mit dem Hinweis dar-
auf, daß dies in der Sache darauf hinauslaufe, "Sachverhalte, die die Schwelle des Kriminal-
unrechts nicht erreichen, aber in gewisser Weise ahndungsbedürftig erscheinen (Normbe-
188 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

lieh, wenn der Gesetzgeber ein Verhalten einerseits materiellrechtlich für strafbar
erklärt und andererseits darauf setzt, daß die Strafverfolgungsorgane von verfah-
rensrechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen werden, von einer Verfolgung
abzusehen. 399 Darüber hinaus darf nicht vernachlässigt werden, daß die erst wäh-
rend des Strafverfahrens mögliche Korrektur materiellrechtlich zu weit gefaßter
Straftatbestände dazu führt, daß der bei materiellrechtlicher Betrachtung letztlich
zu Unrecht Beschuldigte zunächst einmal belastenden Ermittlungsmaßnahmen
ausgesetzt ist. 4OO Weiterhin ist er der Gefahr ausgesetzt, mit den Kosten seiner Ver-
teidigung und möglicherweise auch mit den Kosten des Verfahrens belastet zu wer-
den. Schließlich bleiben die Möglichkeiten, Rechtsanwendungsgleichheit bzw. die
Respektierung der verfassungsrechtlich gebotenen Strafwürdigkeitsgrenzen gegen
bzw. durch die Strafverfolgungsorgane durchzusetzen, weit hinter den Möglichkei-
ten zurück, die eine materiellrechtliche Entkriminalisierung eröffnen würde. 401 Da
das Problem der übermäßigen Reichweite von Strafrechtsnormen ein Problem des
materiellen Rechts ist, erscheint es nach alledem sachgerecht, auch die Lösung des
Problems im materiellen Recht anzusiedeln. 402
Die prozessuale Verfolgungsbeschränkung stellt aber nicht nur die für den be-
troffenen Bürger gegenüber einer materiellen Tatbestandskorrektur belastendere
Alternative dar. Mißachtet wird darüber hinaus auch der Grundsatz, daß es in einer
gewaltengeteilten Demokratie Aufgabe des Gesetzgebers ist, den Bereich strafba-
ren Verhaltens abstrakt-generell abzugrenzen und gesetzlich bestimmt zu bezeich-
nen. 403 Das Bundesverfassungsgericht selbst betont in ständiger Rechtsprechung,

kräftigungsbedürfnisse wecken), in einer relativ einfachen Weise zu erledigen"; vgl. auch


Freund, Legitimationsfunktion, S. 60, der die Grenzen des Strafwürdigen im materiellen
Recht regeln will und erst jenseits dieser Grenze einen an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten
orientierten Ersatz materieller durch verfahrensrechtliche Regelungen für erwägenswert hält
(a. a. 0., S. 60 ff.), wobei er schon der Durchführung des Verfahrens selbst einen Sanktions-
charakter zuspricht (a. a. 0., S. 65).
Eine am Opportunitätsprinzip orientierte verfahrensrechtliche Einstellungslösung für Fälle
des Kleinhandels mit Betäubungsmitteln befürworten Killias I Grapendaal, ZStR 115 (1997),
94, 103 ff.; zum Alternativmodell einer an § 42 öStGB orientierten materiellrechtlichen Lö-
sung vgl. Driendl, ZStR 97 (1980), I ff.
399 Weigend, ZStW 109 (1997), 103, 107.

400 Nach der Einschätzung von Kreuzer, Festschrift für Miyazawa, S. 190, ist dies jeden-
falls im Hinblick auf das Betäubungsmittelstrafrecht auch gewollt.
401 Nelles/Velten, NStZ 1994, 366, 367 ff.; Gusy, JZ 1994, 863, 864; Schneider, StV
1994,390,391; Wolter, GA 1996,207,229; vgl. auch bereits Frisch, Festschrift für Streel
WesseIs, S. 105; ders., Verwaltungsakzessorietät, S. 126, 132; Kasper, Erheblichkeitsschwel-
le, S. 107 f.; Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 40 f.; Naucke, GA 1984, 199, 206; vgl. aber auch
Killias/Grapendaal, ZStR 115 (1997),94, 106 f., die der Gefahr der WiIIkürlichkeit durch
die Anwendung von Richtlinien begegnen wollen. Vgl. auch Lagodny, Strafrecht, S. 461 ff.,
mit dem Hinweis darauf, daß de lege lata auch der Richter zu einem ungerechtfertigten
Schuldspruch gezwungen werden kann, wenn die Staatsanwaltschaft die Zustimmung zu ei-
ner sachlich gebotenen Einstellung des Verfahrens verweigere.
402 Frisch, Festschrift für Stree/Wessels, S. 105; ders., Verwaltungsakzessorietät, S. 134;
Weigend, ZStW 109 (1997), 103, 106 m. w. N.; vgl. auch Driendl, ZStR 97 (1980), I, 10.
IV. Das Betäubungsmiuelstrafrecht 189

Art. 103 Abs. 2 GG sei die Verpflichtung des Gesetzgebers zu entnehmen, die Vor-
aussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und An-
wendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung
ermitteln lassen. Diese Verpflichtung diene - so das Bundesverfassungsgericht -
einerseits dem rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten, der vorhersehen kön-
nen soll, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht sei. Darüber hinaus
soll sichergestellt werden, "daß nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entschei-
det." Art. 103 Abs. 2 GG enthalte einen strengen Gesetzesvorbehalt, "der es der
vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzun-
gen einer Bestrafung selbst zu entscheiden. ,,404 Wenn aber Straftatbestände entwe-
der über umfassende Tathandlungkataloge oder über generalklauselartig vage um-
schriebene Tatbestandsmerkmale zunächst einmal uferlos weit gefaßt werden und
die "Tendenzangaben,,405 des Gesetzgebers dann erst im Einzelfall und durch Ent-
scheidungen der Strafverfolgungsorgane auf den materiell legitimen Bereich straf-
würdigen Verhaltens zurückgeführt werden können, wird der Grundsatz, "daß der
Gesetzgeber und nicht erst die Gerichte über die Ahndbarkeit entscheiden",406
mißachtet. 407 Daß sich die Aufgabe des Gesetzgebers nicht darin erschöpfen kann,
den äußersten Rahmen des potentiell strafbaren Bereichs zu umschreiben, sondern
darüber hinaus die Grenzlinie zwischen strafbarem und nicht-strafbarem Verhalten
durch den Gesetzgeber selbst zu bestimmen ist, hat die entscheidungstragende
Mehrheit des BVerfG im Cannabis-Beschluß verkannt, wo allein auf die Kompo-
nente der Vorhersehbarkeit der Bestrafung - genauer: der Möglichkeit der Bestra-
fung - abgestellt wird. 408

403 Nelles I Velten, NStZ 1994, 366, 370; Wolter, GA 1996, 207, 229; Frisch, Strafbarkeits-
voraussetzungen, S. 231; ders. , VelWaltungsakzessorietät, S. 126, 132, 134.
Allgemein zur Bedeutung des Prinzips der gewaltengeteilten Demokratie für den Grund-
satz der Gesetzesbestimmtheit vgl. Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 5 Rdnr. 20 sowie das Son-
dervotum des Verfassungsrichters Sommer zum Cannabis-Beschluß des BVerfG, NJW 1994,
1588, 1590 sowie die insoweit zus!. Anmerkungen von Ambos, MschrKrim 1995,47,48 f.;
Böllinger, KJ 1994, 405, 408; Kniesei, ZRP 1994, 352, 357; Lüderssen, StV 1994, 508, 509
Fußn. 15; a.A. Lampe, Festschrift für R. Schmitt, S. 93, der dem Richter die Aufgabe zu-
spricht, auf der Basis des StGB gestaltend in das soziale Leben einzugreifen.
404 BVerfG, NJW 1995,2776,2777; BVerfGE47, 109, 120; 71,103,114; 75,329,341;
87,209,223 f.; 87, 363, 391; BVerfG, NStZ 1989,229,230; vgl. auch Appel, Verfassung,
S. 118; Grünwald, ZStW 76 (\964), I, 13 f., 16; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 116;
Krey, Festschrift für Blau, S. 130 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103 Abs. II
Rdnrn. 180, 184.
405 Frisch, VelWaltungsakzessorietät, S. 126.

406 BVerfGE87, 399,411; vgl. auch BVerfGE92, I, 12; BVerfG, StV 1997,407.

407 Vgl. Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 134; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 108 f.,


115 ff.
40K BVerfGE 90, 145, 190 f.; anders das abweichende Votum des Richters Sommer: BVerf-
GE 90, 145,224.
190 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

2. Die Legitimation der Pönalisierung


des Umgangs mit Betäubungsmitteln

Auch wenn der Versuch, den Anwendungsbereich der Straftatbestände des


BtmG im Wege einer katalogartigen Auflistung strafrechtlich relevanter Verhal-
tensweisen möglichst umfassend auszugestalten, weder als eine originäre noch als
eine singuläre Schöpfung der modernen Strafgesetzgebung angesehen werden
kann, ist doch bereits die aus dem Versuch der totalen Pönalisierung resultierende
Auflösung der tradierten Zurechnungsstrukturen ein deutliches Indiz dafür, daß
sich Straftatbestände von der Art der § 29 dBtmG / Art. 19 schwBetmG nicht mehr
in die tradierten Kategorien der Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit
einordnen lassen. Nimmt man weiterhin zur Kenntnis, daß angesichts der ständig
variierten legislativen Begründungen, mit denen die stetige Ausdehnung des Straf-
barkeitsbereiches legitimiert werden soll, auch das durch die Straftatbestände des
Betäubungsmittelstrafrechts geschützte Rechtsgut weitgehend diffus bleibt, liegt
die Annahme nahe, daß es überhaupt an einer auf rationalen Erwägungen aufbau-
enden Legitimation dieser Straftatbestände fehlt.

a) Das Rechtsgut der "Volksgesundheit"

In Literatur und Rechtsprechung wird das Konglomerat der im Zusammenhang


mit der Pönalisierung des Umgangs mit Rauschmitteln vom Gesetzgeber genann-
ten Motive in der Regel unter dem - gelegentlich auch vom Gesetzgeber selbst
verwendeten409 - Oberbegriff "Schutz der Volksgesundheit" zusammengefaßt. 41O
Das Bundesgericht führt insoweit aus:
,,Das Ziel der Betäubungsmiuelgesetzgebung besteht darin, die Gesellschaft vor gesund-
heitlichen Beeinträchtigungen als Folge von Drogenmissbrauch und der damit zusammen-
hängenden Driuwirkungen zu schützen. Jeglicher auf Absatz gerichtete Umgang mit Be-
täubungsmitteln ist der Beginn einer Gefährdung der Gesundheit des potentiellen Verbrau-
chers und schließlich der Volksgesundheit.,,411

In der Diktion des Bundesgerichtshofes liest sich dies vergleichbar wie folgt:
"Schutzgut der betäubungsmiuelrechtlichen Strafnormen sind nicht allein und in erster Li-
nie das Leben und die Gesundheit des einzelnen wie bei den §§ 211 f., 222, 223 ff. StGB.
Vielmehr sol\ Schäden vorgebeugt werden, die sich für die Allgemeinheit aus dem verbrei-
teten Konsum vor allem harter Drogen und den daraus herrührenden Gesundheitsbeein-
trächtigungen der einzelnen ergeben (Schutzgut ,Volksgesundheit'; ... )".412

409 Vgl. BR-Drucks. 546/79, S. 37.


410 Vgl. Peter Albrecht, BtmStrafR, Einl. Rdnr. 29 m. w. N.; Endriß/Malek, Betäubungs-
mittelstrafrecht, Rdnr. 22; Hirsch, Bekämpfung, S. 17; Hug-Beeli, ZStR 115 (\997), 249,
262; Schütz, Strafbestimmungen, S. 58 f., 64/65.
411 BG, Entscheid vom 3. Juni 1991-215,64 ff., hier zitiert nach: Hug-Beeli, ZStR 115
(\997),249,263.
IV. Das Betäubungsmiuelstrafrecht 191

Gegen die Verwendung des Begriffs der Volks gesundheit ist einzuwenden, daß
von einem über die Summe der Körper der einer Gesellschaft angehörigen jeweili-
gen Einzelindividuen hinausgehenden, gesonderten "Volkskörper" allenfalls in ei-
nem metaphorischen Sinne gesprochen werden kann, die Volksgesundheit mithin
nichts anderes ist bzw. sein kann, als eine Bezeichnung für die Summe der Gesund-
heit der einzelnen Gesellschaftsmitglieder.413 Das Schlagwort des Schutzes der
Volksgesundheit ist damit bereits begrifflich ungeeignet, die im Gesetzgebungsver-
fahren für die Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln genannten Ziel-
setzungen adäquat zu erfassen.
Eine allein begriffliche Kritik am Schlagwort der Volksgesundheit würde indes
zu kurz greifen. Tatsächlich will nämlich auch der Gesetzgeber die Straftatbestän-
de des Betäubungsmittelstrafrechts gar nicht durch den Schutz der Gesundheit ei-
nes wie auch immer gearteten "Volkskörpers" legitimieren. Verfolgt werden viel-
mehr mehrere verschiedene Schutzinteressen, insbesondere: 414 der Schutz des Le-
bens sowie der personalen (physischen und psychischen) Integrität des Drogenkon-
sumenten, das Interesse, einer Desintegration der Gesellschaft durch grundsätzlich
abweichende Lebensstile entgegenzuwirken, das Interesse, die durch den drogen-
bedingten Ausfall einzelner Gesellschaftsmitglieder und die zu deren Wiederein-
gliederung notwendigen Rehabilitierungsmaßnahmen sowie die mit dem Drogen-
konsum verbundene Begleitkriminalität, insbesondere in der Form der sog. Be-
schaffungskriminalität, zu vermeiden, und schließlich das Interesse, die - unter an-
derem - im Bereich des Drogenhandels tätige "Organisierte Kriminalität" zu
bekämpfen und den insoweit von der Bundesrepublik Deutschland - bzw. der
Schweiz - eingegangenen internationalen Verpflichtungen zu genügen. Maßge-
bend ist damit, ob diese im Gesetzgebungsverfahren benannten konkreten Interes-
sen geeignet sind, die Strafnormen zu legitimieren.
Die Klärung der Frage, ob die oben genannten Interessen das strafbewehrte Ver-
bot des Umgangs mit Rauschmitteln zu legitimieren vermögen, wird weiterhin da-
durch kompliziert, daß - bedingt durch die Tatbestandsstruktur der §§ 29 ff.
dBtmG / Art. 19 ff. schwBetmG sowie den durch die Bezugnahme auf die in § 1
dBtmG / Art. 1 schwBetmG genannten Rechtsverordnungen außerordentlich weit
gefaßten Anwendungsbereich - weitere Differenzierungen erforderlich sind: Zum
einen ist zu trennen zwischen Tatbestandsalternativen, die Verhaltensweisen des
Betäubungsmittelkonsumenten selbst betreffen, und solchen, die Verhaltensweisen
von Personen erfassen, die anderen Personen den Konsum ermöglichen. Darüber

412 BGHSt 37,179,182 mit zustimmenden Anm. Beulke/Schröder, NStZ 1991, 393, 394
und Rudolphi, JR 1991, 572, 573 f. sowie einer krit. Anm. von Nestler-Tremel, StV 1992,
273,276.
413 Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 216/217; ders., Festschrift für Stree I Wesseis,
S. 94; Köhler, MDR 1992,739; ders., ZStW 104 (1992),3,27 f.; Puppe, in: NK, Vor § 13
Rdnr. 174.
414 Vgl. hierzu Peter Albrecht, BtmStrafR, Einl. Rdnm. 30 ff.; Jenny, Drogenpolitik,
S. 169; Nestler, Grundlagen, Rdnrn. 24 ff.
192 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

hinaus ist jeweils innerhalb dieser Gruppen nochmals zwischen den verschiedenen
Suchtstoffen zu differenzieren, insbesondere zwischen Betäubungsmitteln mit ge-
ringem Gefährdungspotential (sog. weiche Drogen) und Betäubungsmitteln mit ho-
hem Gefährdungspotential (sog. harte Drogen).

b) Die personale Integrität des Drogenkonsumenten

Sollen Gefährdungen für das Leben, die Psyche und den Körper des Drogenkon-
sumenten die Pönalisierung des Umgangs mit bestimmten Rauschmitteln legiti-
mieren, stellt sich zunächst das Problem, das Gefährdungspotential eines konkreten
Rauschmittels empirisch zu erfassen. Angesichts der Schwierigkeit, insoweit ver-
läßliche Erkenntnisse zu gewinnen,415 ist auf die bereits oben dargestellten Grund-
sätze zu verweisen: 416 Einerseits vermag bereits die Vermutung der Gefährlichkeit
eine vorbeugende Pönalisierung zu rechtfertigen, andererseits wird die vorläufige
Pönalisierung illegitim, wenn die Gefährlichkeitsvermutung entweder falsifiziert
oder aber nicht innerhalb eines überschau baren Zeitraumes positiv bestätigt wird.
Beispielhaft: Die Pönalisierung des Umgangs mit Cannabisprodukten wird man
angesichts dessen, daß die Annahme einer von diesen Produkten ausgehenden Ge-
fahr für Körper und Gesundheit des Konsumenten von den Ergebnissen der empiri-
schen Drogenforschung widerlegt wird oder doch zumindest nicht bestätigt werden
konnte, nicht mehr auf den Gesichtspunkt stützen können, daß dies dem Schutz der
personalen Integrität potentieller Konsumenten dienen SOll.417
Selbst dann, wenn - wie beispielsweise für Heroin418 - die Gefährlichkeit eines
Rauschmittels nachgewiesen ist, folgt hieraus aber noch nicht ohne weiteres, daß
die Pönalisierung des Umgangs mit diesem Stoff durch die Zielsetzung, die perso-
nalen Rechtsgüter des Konsumenten schützen zu wollen, ohne weiteres begründet
werden kann. Zu berücksichtigen ist, daß grundsätzlich niemand von Rechts wegen
verpflichtet ist, seinen Körper gesund bzw. sich selbst am Leben zu erhalten, die
bloße Selbstgefährdung also kein strafrechtlich relevantes Unrecht darstellt. 419

415 Vgl. Köhler, ZStW 104 (1992),3,29 ff.


416 Vgl. oben S. 59.
417 So auch: Peter Albrecht, BtmStrafR, Einl. Rdnr. 16; Papageorgiou. Schaden. S. 224
Fußn.370.
418 Der Umstand. daß auch Heroin kontrolliert konsumiert werden kann und von einem
großen Anteil der Konsumenten auch tatsächlich kontrolliert konsumiert wird (vgl. Böllinger.
KJ 1991, 393, 394 f.; Köhler, ZStW 104 (1992). 3. 11. 34 f.; Nestler, Buffalo Criminal Law
Review. Vol. I (1998). 661. 672), ändert nichts daran. daß Heroin als Stoff gefährlich ist (so
auch Nestler, Grundlagen, Rdnr. 62).
419 Peter Albrecht. BtmStrafR. Art. 19a Rdnr. 3; Donatsch. ZStR 105 (\988). 361. 365 f.;
Haffke. ZStW 107 (1995). 76 I. 775 ff.; Hohmann I Matt. JuS 1993. 370. 373 f.; Jenny. Dro-
genpolitik. S. 170; Nigglil Amstutz. Drogalkohol 1993.217.221 ff. sowie Nestler. Rechtsgü-
terschutz. S. 74; ders .• Grundlagen. Rdnrn. 72 ff.. jeweils unter Hinweis darauf. daß die
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 193

Wenn aber der Drogenkonsument seine Gesundheit und auch sein Leben gefährden
darf, kann weder die Pönalisierung des Konsums gefährlicher Rauschmittel noch
die Pönalisierung der den Eigenkonsum vorbereitenden Verhaltensweisen des Kon-
sumenten im Hinblick auf dessen Selbstgefährdung legitimiert werden. 42o Im Er-
gebnis dürfte diese These weitgehend unstreitig sein. Die auf den ersten Blick ge-
genteilige Auffassung des Bundesgerichtshofes, derzufolge der Schutzzweck der
Vorschriften des BtmG eine Einschränkung des Prinzips der Selbstverantwortung
und damit der Grundsätze der bewußten Selbstgefährdung verlange, basiert auf der
Annahme, daß die Straftatbestände des BtmG neben dem Schutz der körperlichen
Integrität noch weitere Schutzzwecke verfolgen, die der Disposition des Drogen-
konsumenten entzogen sind. 421 Dieser Frage wird weiter unten nachzugehen sein.
Festzuhalten bleibt, daß unabhängig davon, welches Gefährlichkeitspotential ein
bestimmtes Rauschmittel konkret besitzt, die Pönalisierung von Verhaltensweisen
auf der Konsumentenseite jedenfalls nicht auf das Rechtsgut der körperlichen Inte-
grität bzw. des Lebens gestützt werden kann. 422
Der Grundsatz, daß die bewußt und eigenverantwortlich423 eingegangene Selbst-
gefährdung kein strafrechtlich relevantes Unrecht darstellen kann, hat aber nicht
nur Bedeutung für das selbstgefährdende Verhalten des Drogenkonsumenten
selbst. Er ist darüber hinaus von Bedeutung für das Verhalten von Personen, die

eigenverantwortliche Selbstgefahrdung Teil der durch Art. 2 Abs. I GG geschützten allge-


meinen Handlungsfreiheit ist; demgegenüber die rechtsethische Perspektive betonend: Köh-
ler, ZStW 104 (1992), 3,18 ff.
420 Böllinger. KJ 1991. 393, 405 f.; Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 216; ders.,
Festschrift für Stree I Wesseis. S. 94; Stratenwerth. SchwStrafR AT I, § 3 Rdnr. 12.
421 BGHSt 37.179,181 f. mit zust. Anm. Rudolphi, JR 1991,572,573 und Beulke/Schrö-
der. NStZ 1991. 393 f.; vgl. auch BGHSt 39, 322, 325; Bertschi, SJZ 68 (1972), 369, 370;
eramer. in: Schönke/Schröder, § 15 Rdnr. 155; Frisch, NStZ 1992,62; Nestler, Grundlagen,
Rdnrn. 89 ff.; Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 79a. Nestler-Tremel (StV 1992,273,275
und 277) stimmt dem BGH bzgl. der Grundtatbestände des Betäubungsmittelstrafrechts zu,
meint aber. die Argumentation könne nicht auf die Qualifikationen übertragen werden, die an
die Gefährdung einer individuellen Person anknüpfen (vgl. auch Frisch. NStZ 1992,62; a.A.
Otto Jura 1991.443.444). Gänzlich ablehnend Böllinger, KJ 1994,405.409.
422 Ambos. MschrKrim 1995,47.50; Jenny, Drogenpolitik, S. 169/170; Nestler, Rechts-
güterschutz. S. 74; vgl. auch Lenckner. in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 101b;
BGE 117 IV 314, 318 ff.; 120 IV 256, 258 f.; a.A. BVerfGE 90,145,174 ff.; BVerfG, StV
1997. 407. Vgl. auch Feinberg, Vol. 3. S. 134 ff., zur paraBel gelagerten Problematik des
strafbewehrten Verbots des Fahrens ohne Sicherheitsgurt bzw. Schutzhelm sowie ders., Vol.
4. S. 170, 172 zur Selbstverstümmelung, um sich dem Kriegsdienst zu entziehen sowie zur
(einverständlichen) Schlägerei.
423 Zu den insoweit relevanten Abgrenzungskriterien vgl. i.e. BGHSt 36, I, 17; BGH,
NStZ 1985.25,26; 1986,266,267; 1994,83; BayObLG, JZ 1997,521,522 mit Anm. Otto;
Amelung. NJW 1996,2393 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 162 ff.; ders., NStZ
1992, 1. 3; ders .• NStZ 1992, 62. 63 f.; Kühl, StrafR AT. 4/88 ff.; Nestler, Grundlagen,
Rdnrn. 121 ff.• 222 ff.; Otto. Festschrift für Tröndle, S. 169 ff.; umfassend auch: Feinberg,
Vol. 3. S. 106 ff.• 113 ff .• 117 ff.• 143 ff. sowie spezieB im Hinblick auf den Btm-Konsum:
a.a.0 .. S.120f.• 127ff.,160f.

13 Wohler.
194 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

durch ihr Verhalten anderen Personen den Konsum ermöglichen. Behält der Kon-
sument die freie Entscheidung darüber, ob er ein Rauschmittel konsumieren will
oder nicht, kann die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens der Personen, die ihm
den Konsum ermöglicht haben, nicht auf die Zielsetzung gestützt werden, das Le-
ben bzw. die körperliche Integrität des Konsumenten gegen dessen freien Willen
zu schützen. 424 Insoweit kann nichts anderes gelten als im Rahmen der Tötungs-
und KörperverietzungsdeJikte: 425 Abgesehen von den Fällen der Nötigungs- bzw.
Irrtumsherrschaft ist auch ein fremdgefährdendes Verhalten erst dann strafrechtlich
relevant, wenn die Entscheidung zur Selbstgefährdung nach den Maßgaben der
Strafrechtsordnung keine Entlastung des Dritten bewirken kann, etwa weil der Ein-
willigende z. B. aufgrund seiner Jugend oder infolge einer - insbesondere: sucht-
bedingten - Beeinträchtigung seiner Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit habituell
bzw. situativ nicht kompetent ist, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu tref-
fen. 426
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, daß bei Rauschmitteln
mit besonders hohem Suchtpotential - beispielhaft: Heroin - ein umfassendes Ver-
bot umsatz- und abgabeorientierter Verhaltensweisen aufgrund des ihnen innewoh-
nenden unbeherrschbaren Gefahrenpotentials legitim sein soll,427 kann dem nicht
gefolgt werden. Der Gesichtspunkt, daß sich Konsumenten bestimmter, mit einem
besonders hohen Suchtpotential ausgestatteter Rauschmittel mehr oder weniger

424 Vgl. Frisch, Festschrift für Stree 1Wesseis, S. 95; Nestler-Tremel, StV 1992,273,274;
Neumann, GA 1996,36,38 f.; Rudolphi, JR 1991,572,573; ders., in: SKStGB, Vor § I Rdnr.
79a; a.A. Puppe, in: NK, Vor § 13 Rdnr. 173, die aus der positivrechtlichen Pönalisierung des
Inverkehrbringens von Betäubungsmitteln auf die Möglichkeit der Zurechnung beim Betäu-
bungsmittellieferanten schließen will.
425 Grundlegend hierzu: BGHSt 32, 262 ff. mit Anm. Kienapfel, JZ 1984,751, Anm. Ro-
xin NStZ 1984,411 und Bespr. Stree, JuS 1985, 179 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhal-
ten, S. 154 ff.; ders., NStZ 1992, 1,6; ders., NStZ 1992,62,63; Nestler, Grundlagen, Rdnrn.
102 ff.; vgl. jetzt aber auch BGHSt 39, 322, 325 f. mit Bespr. Bernsmann/Zieschang, JuS
1995, 775 ff.; a.A. Weber, Festschrift für Spende!, S. 373 ff., der gerade im Gegenteil aus
dem Bestehen der Normen des BtmG folgern will, daß auch hinsichtlich der §§ 222,230 eine
Zurechnung geboten sei.
426 Böllinger, KJ 1991,393,406; Cramer, in: Schönke/Schröder, § 15 Rdnr. 156; Fein-
berg, Vol. I, S. 116; ders., Vol. 3, S. !O; Gusy, JZ 1994, 863; Hohmann, MDR 1991, 1117 f.;
Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 36 f.; Lenckner, in: Schönkel Schröder, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr.
!OIe; Nestler, Rechtsgüterschutz, S. 75 Fußn. 55; Nestler-Tremel, StV 1992,273,275 Fußn.
29; Papageorgiou, Schaden, S. 225, 228 f.; Rdolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 79b. Daß bei
einer Teil-Entpönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln Mißbräuche nicht auszu-
schließen sind, kann eine umfassende Pönaisierung ebenfalls nicht legitimieren; vgl. inso-
weit: Haffke, ZStW !O7 (1995), 761, 781 f.; Nestler, Rechtsgüterschutz, S. 65.
427 Vgl. Harzer, StV 1996, 336, 337/338 sowie Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 38 f., bezo-
gen auf "qualifiziert gefährliche" Drogen wie z. B. Heroin. Der Sache nach muß dieser
Standpunkt auch von den Autoren geteilt werden, die aus der auf Hegel zurückgehenden
Pflicht ,,Person zu sein" die Legitimität des Selbstmordes ableiten, vgl. z. B. Hösle, Staat,
S. 50 ff., der allerdings im Hinblick auf die Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmit-
teln auf die gesellschaftlichen Folgekosten verweist; ablehnend: Nestler, Grundlagen, Rdnrn.
206 ff.; ders., Buffalo Criminal Law Review, Vol. 1(1998),661,675 f.
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 195

zwingend in eine konstitutionelle Abhängigkeit begeben, vennag eine Pönalisie-


rung unstreitig nicht zu tragen. Ob man dieses Ergebnis daraus ableitet, daß die
Möglichkeit zur (eigenverantwortlichen) Selbstaufgabe Teil bzw. Ausdruck der
Autonomie der Person ist,428 oder ob man die Selbstnegation des autonomen Sub-
jekts zwar als vernunftwidrig ansieht, andererseits aber davon ausgeht, daß sich
aus derartigen Pflichtverletzungen im Selbstverhältnis keine rechtlich relevante
Zwangsbefugnis ableiten läßt,429 kann hierbei offenbleiben. 43o
Zu diskutieren bleibt der Gesichtspunkt, daß die Begrenzung der Abgabe (nur)
an eigenverantwortliche Konsumenten nicht gewährleistet bzw. im Nachhinein
möglicherweise nicht mehr aufgeklärt werden kann. 431 Indes: Bloße Beweis-
schwierigkeiten können eine Pönalisierung nicht tragen. 432 Eine umfassende Pöna-
lisierung wäre damit allenfalls dann gerechtfertigt, wenn anderenfalls - als Konse-
quenz einer Situation des vollständigen Beweismittelverlustes - die Rechtsgüter
etwaiger nicht eigenverantwortlicher Konsumenten dem beliebigen Zugriff offen-
stehen würden, was allerdings ersichtlich nicht der Fall ist, da regelmäßig der Kon-
sument auch noch nach der Tat als Zeuge zur Verfügung steht. Sollte sich der Zeu-
ge weigern, an der Aufklärung mitzuwirken, dürfte auch kein Anlaß bestehen, das
Strafverfahren durchzuführen - jedenfalls soweit es um den Schutz des personalen
Interesses an der Körperintegrität geht. Festzuhalten bleibt: Die - für sich gesehen
legitime - Zielsetzung, die körperliche Integrität und das Lebens des Drogenkon-
sumenten zu schützen, vennag lediglich die Pönalisierung fremdgefahrdender Ver-
haltensweisen zu legitimieren und auch diese nur insoweit, als der Gefährdete
strafrechtlich als eine eingeschränkt kompetente Person anzusehen ist.

428 Vgl. Charlesworth, Leben, S. 42 f.; Feinberg, Vol. 3, S. 71 ff.; Frisch, Selbstbestim-
mung, S. 117. 120, 124/125, sowie Nestler, Grundlagen, Rdnm. 206 ff., mit dem Hinweis
darauf, daB der als Folge des Konsum von Betäubungsmitteln - auch sog. harter Drogen, wie
z. B. Heroin - eintretende Freiheitsverlust schon empirisch gesehen nicht mit dem aus einer
Selbstversklavung resultierenden Freiheitsverlust gleichgesetzt werden kann, da weder ein
vollständiger noch ein irreversibler Freiheitsverlust eintrete.
429 So Köhler, ZStW 104 (1992), \, 21.

430 Eine Fallgestaltung, in der sich die Pflicht, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen,
aus einer besonderen Rechtspflicht gegenüber anderen herleitet - wie z. B. bei dem in § 17
WStG erfaBten Verbot der Selbstverstümmelung - liegt hier ersichtlich nicht vor (vgl. Köhler,
ZStW 104 (1992), 1,21). Abgesehen davon, würde dieser Ansatz - ebenso wie das von Fein-
berg, Vol. 3, S. 22/23 vorgeschlagene "garrison model", demzufolge es Situationen geben
kann, in denen sich der einzelne der Mitwirkung an der Erhaltung der Gemeinschaft nicht
entziehen darf, den Gesichtspunkt des Schutzes personaler Interessen (des Konsumenten)
überschreiten.
431 Auf die Unkontrollierbarkeit der Verbreitung und die hieraus resultierenden Gefahren
für nicht veranwortungsfahige Konsumenten heben ab: Köhler, ZStW 104 (1992), 1,37 ff.;
Roxin. StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 19; vgl. auch Feinberg, Vol. 3, S. 175.
432 Papageorgiou, Schaden, S. 235 FuBn. 385 zur Parallelproblematik bei § 216 dStGB.

13'
196 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

c) Die Beeinträchtigung von Gemeinschaftsinteressen

Wie dargelegt, wird die Legitimität des Betäubungsmittelstrafrechts in zuneh-


mendem Maße auf die Erwägung gestützt, der Drogenkonsum solle wegen seiner
schädlichen Auswirkungen auf die Allgemeinheit unterbunden werden. 433 Ge-
schützt werde "das Interesse des Staates an der Erhaltung eines gesunden Bürger-
standes und einer lebensfähigen Gesellschaftsordnung, also die Funktionsfähigkeit
der Gesellschaft".434 Gegen die an Gemeinschaftsbelangen orientierte Bestim-
mung des Rechtsguts der betäubungsmiuelrechtlichen Straftatbestände ist zunächst
eingewandt worden, daß ein etatistisch-institutioneller Ansatz das Schutzgut ufer-
los ausweite und dem Rechtsgutsbegriff so jede limitierende Funktion genommen
werde. 435 Darüber hinaus wird der Einwand erhoben, daß in einer freiheitlich kon-
stituierten Gesellschaft von Einzelindividuen losgelöste Interessen des Staates
bzw. der Allgemeinheit überhaupt nicht anerkannt werden könnten. 436
Im Hinblick auf den letztgenannten Einwand ist in Erinnerung zu rufen, daß
auch eine auf die wechselseitig-allgemeingültige Eröffnung und Einschränkung
personaler Freiheitssphären als Basis der äußeren Betätigung von Subjektivität
ausgerichtete Konzeption anerkennen muß, daß Handlungsverbote nicht allein auf
die Unverletzlichkeit von (personalen) Freiheitsrechtsgütern gestützt werden kann,
sondern - was bereits dargelegt wurde 437 - die Gewährleistung freier Subjektivität
auch den Schutz bestimmter überpersonaler Rechtsgüter voraussetzt. 438 Gerade in
einer modemen Gesellschaft kann die Aufgabe des Staates nicht nur darin be-
stehen, die Freiheitssphäre des einzelnen gegen Übergriffe seiner Mitbürger bzw.
staatlicher Stellen zu schützen (status negativus). Aufgabe des Staates muß es dar-
über hinaus auch sein, bestimmte Funktionszusammenhänge, die aufgrund der
Komplexität der Bedingungen der Vergesellschaftung nicht mehr über ein intersub-
jektives Vertrauensverhältnis gewährleistet werden können, als Voraussetzungen
der Nutzung von Freiheit normativ zu stabilisieren (status positivus).439 Vor die-
sem Hintergrund können Allgemeininteressen als das gebündelte Interesse aller
Bürger an der Gewährleistung der grundlegenden Funktionszusammenhänge ge-
sellschaftlichen Lebens begriffen werden. 440 Festzuhalten ist allerdings - und dies
betrifft die Kritik an der uferlosen Weite des Schutzes der Funktionsfähigkeit der

433 Rudolphi, JR 1991, 572, 573 f.


434 Beulke I Schröder, NStZ 1991, 393, 394 m. w. N.
435 Nestler-Tremel. StV 1992, 273, 276; Schneider, StV 1994, 390.

436 Köhler, MDR 1992, 739 f., der hieraus schlußfolgert, das Rechtsgut der betäubungs-
mittelstrafrechtIichen Tatbestände könne allein personale Qualität haben.
437 Vgl. oben S. 94 ff.

438 Vgl. Beck, Unrechtsbegründung, S. 56 ff., insbesondere S. 60; Köhler, ZStW 104
(1992),3,15 f.; Nestler, Rechtsgüterschutz, S. 71 f.
439 Vgl. oben S. 94 f. sowie Beck, Unrechtsbegründung, S. 84 f.

440 Vgl. oben S. 94,139 sowie Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 152 ff., 185 f., 192,224.
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 197

Gesellschaft -, daß der rechtliche Schutz der Grundvoraussetzungen freiheitlicher


Lebensgestaltung auf die gesellschaftlichen Interessen beschränkt bleiben muß, die
der Erhaltung bzw. Gewährleistung von Funktionszusammenhängen dienen, die
als Grundvoraussetzungen einer freiheitlichen Lebensgestaltung unverzichtbar
sind. 441 Die Frage ist nun: Sind die im Hinblick auf die Legitimation der Normen
des Betäubungsmittelstrafrechts genannten Zielsetzungen in der Lage, die Pönali-
sierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln zu tragen?

aa) Die Bekämpfung der mit dem


Rauschmittelkonsum einhergehenden Kriminalität

Im Hinblick auf die mit dem Drogenkonsum verbundene Beschaffungskrimina-


lität ist anzumerken, daß die Eigentums- und Vermögensinteressen der potentiellen
Opfer von Beschaffungsdelikten in strafrechtlicher Hinsicht durch die Straftatbe-
stände des Eigentums- und Vermögensstrafrechts geschützt werden. Betäubungs-
mitteldelikte als "abstrakte Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Diebstahls" würden
das insoweit der geltenden Strafrechtsordnung zugrundeliegende System des Ei-
gentums- und Vermögensschutzes sprengen. 442
Das Ziel, durch die Pönalisierung des Umgangs mit Rauschmitteln dem gemein-
schädlichen Wirken der den Drogenmarkt beherrschenden kriminellen Organisa-
tionen entgegenzuwirken, ist in der Bundesrepublik Deutschland soweit ersichtlich
erstmalig im Gesetzgebungsverfahren zum OrgKG ausdrücklich in den Vorder-
grund gestellt worden. Dies überrascht nicht, da der Topos der "Bekämpfung der
Organisierten Kriminalität" überhaupt erst in jüngerer Zeit in der kriminalpoliti-
schen Diskussion hervorgetreten ist, diese Argumentation also weder bei der
Schaffung des bundesdeutschen BtmG noch im Rahmen früherer Novellierungen
dieses Gesetzes von Bedeutung sein konnte. Auch wenn man konzediert, daß ein
Gesetz bedingt durch Veränderungen des gesellschaftlichen Umfelds durch Zielset-
zungen legitimiert werden kann, die bei der Schaffung des Gesetzes keine oder nur
untergeordnete Bedeutung hatten, ist gerade der Rekurs auf das Schlagwort der Be-
kämpfung der Organisierten Kriminalität erheblichen Bedenken ausgesetzt. Pro-
blematisch ist zunächst, daß auch heute noch weitgehend unklar ist, was konkret
unter dem Begriff der Organisierten Kriminalität zu verstehen ist. 443 Ohne kon-
krete Vorstellungen darüber, was Organisierte Kriminalität ist und wie ihr begegnet
werden kann, ist der Topos der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität letzt-

441 Diese zu bestimmen, ist das grundlegende Problem präventiv orientierter Strafrechtssy-
steme (v gl. Beck, Unrechtsbegründung, S. 46 ff., 53; Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 72, 94 f.,
137, 142, 165; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 58).
442 Vgl. hierzu oben S. 159 ff. sowie Nestler, Grundlagen, Rdnrn. \09 f., 240 ff., mit dem
Hinweis darauf, daß das Prinzip der Selbstbestimmung der Zurechnung der (Beschaffungs-)
Straftaten beim Hintermann entgegensteht.
443 Vgl. Z. B. die Anlage E Ziff. 2 zu den RiStBY.
198 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

lich nicht mehr als ein Appell an affektbeladene Bedrohungsgefühle. Weiterhin ist
anzumerken, daß es widersprüchlich erscheinen muß, Kriminalität, deren (organi-
sierte) Begehung bekämpft werden soll, durch die Pönalisierung bestimmter Ver-
haltensweisen erst zu schaffen, damit man sie dann bekämpfen kann. 444 Abgesehen
von allen sonstigen, mit der Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln
einhergehenden negativen Effekten 445 ist der Verweis auf die Bekämpfung der (or-
ganisierten) Drogenkriminalität mithin schlicht zirkelhaft. 446 Geht man davon aus,
daß die Organisierte Kriminalität auch auf anderen Gebieten kriminell tätig ist,
würde dieser Vorwurf zwar entfallen. Bedenklich wäre dann aber, daß der Umgang
mit Drogen pönalisiert wird, weil man bestimmte Personen, die man präsumtiv als
besonders gefährliche Kriminelle eingestuft hat, im Hinblick auf ihre sonstigen
Aktivitäten nicht zu fassen vermag. Die Grenzen einer tatorientierten Strafwürdig-
keitsbestimmung wären hier eindeutig überschritten. 447
Gleiches gilt im Ergebnis für den Topos, wonach das strafbewehrte Verbot des
Umgangs mit Rauschmitteln dem Ziel diene, Verpflichtungen zu erfüllen, die die
Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz durch den Abschluß von internatio-
nalen Verträgen und Übereinkommen betreffend die Kontrolle von Suchtstoffen
und psychotropen Stoffen eingegangen sind. Abgesehen davon, daß bereits fraglich
ist, in weIchem Umfang diesen internationalen Verträgen und Übereinkommen
überhaupt eine Verpflichtung zum Erlaß strafbewehrter Umgangsverbote zu ent-
nehmen ist,448 können Verhaltensweisen nicht allein deshalb als sozialethisch zu
mißbilligendes Kriminalunrecht angesehen werden, weil sich die Bundesrepublik
Deutschland und die Schweiz im Rahmen internationaler Vereinbarungen ver-
pflichtet haben, diesen Verhaltensweisen entgegenzuwirken. 449 Festzuhalten
bleibt: Die Zielsetzung, das Phänomen der Organisierten Kriminalität bekämpfen
zu wollen, kann die Pönalisierung des Umgangs mit Rauschmitteln nicht legitimie-
ren - und dies unabhängig davon, ob diese Zielsetzung durch innerstaatliche oder
supranationale Erwägungen motiviert wird.

444 Böllinger, KJ 1994, 405, 414; Nestler, Rechsgüterschutz, S. 75/76.


445 Vgl. hierzu Peter Albrecht, BtmStrafR, Einl. Rdnr. 46; Alldridge, Drug dealing,
S. 243 f.; Joset, ZStR 101 (1984), 152, 157; Kreuzer, Festschrift für Miyazawa, S. 181 f.;
Wartburg, Drogenmissbrauch, S. 317 ff.; Weiss, Beiheft 1 zur ZSR, S. 92.
446 Ambos, MschrKrim 1995,47,50; Gusy, JZ 1994,863,863/864.
447 Vgl. auch Böllinger, KJ 1994,405,415; Nestler, Rechtsgüterschutz, S. 76; Schneider,
StV 1994,390; LG Lübeck, StV 1992, 168, 180.
448 Vgl. Ambos, MschrKrim 1995,47,51; Böllinger, KJ 1994,405,410; Joset/ Albrecht,
ZSR NF 105 (1986), 1., 243, 245; A. Keller, StV 1996,55,56 ff.; Kuckelsberg, JA 1994, 16,
17 ff.; Scheerer, ZRP 1996,187, 189 ff.; Schneider, StV 1992,489 ff.; ders., StV 1994,390;
Schultz, SJZ 68 (1972), 229, 232 ff.
449 Vgl. Böllinger, KJ 1994,405,410; Gusy, JZ 1994,863; Köhler, ZStW 104 (1992), 3,
60 ff.; Stäche1in, Strafgesetzgebung, S. 290 f.
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 199

bb) Die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft

Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft wird im Zusammen-


hang mit dem Konsum von Rauschmitteln unter mehreren Gesichtspunkten disku-
tiert. Zum einen wird abgestellt auf gesellschaftliche Folgelasten, die dadurch ent-
stehen, daß Drogenkonsumenten den Anforderungen des gesellschaftlichen Lebens
nicht mehr gewachsen sind, mit der Folge, daß zum einen die entstehenden Lei-
stungsausfälle in Schule, Ausbildung, Beruf und Familie durch geeignete Maßnah-
men kompensiert werden müssen und zum anderen Rehabilitierungsmaßnahmen
erforderlich werden. Da diese kostenintensiven Maßnahmen der Gesellschaft zur
Last fallen, soll die Gesellschaft berechtigt sein, sich gegen deren Ursachen - den
Drogenkonsum - auch mit dem Mittel des Strafrechts zu wehren. Weiterhin wird
geltend gemacht, daß der Konsum von Drogen die Persönlichkeitsentwicklung ins-
besondere von Jugendlichen sowie die soziale Einordnung der Drogenkonsumen-
ten gefährde.
Abgesehen davon, daß jedenfalls der Topos des Jugendschutzes ein umfassendes
Umgangsverbot von vornherein nicht legitimieren könnte,450 sind auch hier zu-
nächst wieder Bedenken an der Tragfähigkeit der empirischen Annahmen anzu-
melden. Nach den Ergebnissen der neueren Drogenforschung muß davon ausge-
gangen werden, daß die meisten Konsumenten weicher und harter Drogen ein sozi-
al unauffälliges Leben führen,451 also weder im Ausbildungs- noch im Arbeitspro-
zeß ausfallen und von daher auch keiner kostenintensiven Rehabilitierungsmaß-
nahmen bedürfen. Die Entwicklung abweichender Verhaltensweisen durch einen
Teil der Rauschmittelkonsumenten ist damit nicht allein - und wohl auch nicht in
erster Linie - auf den Genuß von Rauschmitteln selbst, sondern vielmehr auch und
gerade auf gesellschaftliche Ausgrenzungsmaßnahmen zurückzuführen, nicht zu-
letzt auf die Kriminalisierung des Drogenkonsums selbst, die dazu führt, daß Dro-
genkonsumenten - gerade dann, wenn sie keiner statushohen und loder finanziell
bessergestellten Gruppe der Gesellschaft angehören - in eine Subkultur abgedrängt
und den negativen Begleiterscheinungen eines sich entwickelnden schwarzen
Marktes ausgesetzt werden. 452 Im übrigen fehlt es an einer Begründung dafür, war-
um die Folgekosten des Rauschmittelkonsums nicht - wie die Folgen anderer, ge-
sundheitsriskanter Verhaltensweisen, wie z. B. Alkoholkonsum, Rauchen und Ex-
tremsportarten, von der Solidargemeinschaft zu tragen sind. 453

450 Vgl. Haffke, ZStW 107 (1995), 761, 782; Nestler, Grundlagen, Rdnrn. 223 ff.; a.A. -
ohne überzeugende Begründung - Schütz, Strafbestimmungen, S. 61 f.
451 Vgl. Böllinger, KJ 1991,393,394 f.; Köhler, ZStW 104 (1992),3, ll, 34 f.; Nestler,
Grundlagen, Rdnr. 212.
452 Vgl. Hassemer, KritV 1993, 198,204 ff.; Köhler, ZStW 104 (1992),3, 10 ff.

m Vgl. Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19a Rdnr. 5; Böllinger KJ 1991,393,406; Fein-
berg, Vol. 1, S. 24 f.; ders., Vol. 3, S. 92 f, 138 ff.; Haffke, ZStW 107 (1995), 761, 780; Hoh-
mann / Matt, JuS 1993, 370, 372; Jenny, Drogenpolitik, S. 170 sowie Nestler, Grundlagen,
Rdnrn. 236 f., mit dem Hinweis darauf, daß die Vernachlässigung sozialer Verpflichtungen
200 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Der Gesetzgebungsgeschichte der Betäubungsmittelgesetze der Schweiz und der


Bundesrepublik Deutschland sind im übrigen relativ eindeutige Belege dafür zu
entnehmen, daß nicht der Drogenkonsum die Ursache war für die Etablierung ab-
weichender gesellschaftlicher Verhaltensmuster, sondern vielmehr der in den vor-
herrschenden gesellschaftlichen Verhaltensmustern nicht vorgesehene Konsum be-
stimmter Rauschmittel ein Symbol zu sein scheint, mit dem Gesellschaftsmitglie-
der - bewußt oder unbewußt - ihren Protest gegen gerade diese etablierten gesell-
schaftlichen Verhaltensmuster zum Ausdruck bringen. 454 Scheerer hat im
einzelnen aufgezeigt, daß die vom Gesetzgeber des Jahres 1970 beschworene, sich
angeblich seuchenartig in der Bundesrepublik Deutschland ausbreitende "Rausch-
giftwelle" ein Phänomen war, daß von der Politik für die Zwecke eines morali-
schen Kreuzzuges instrumentalisiert und über die Medien in die Öffentlichkeit
transportiert wurde. Entscheidender Auslöser für die unterschiedslose Pönalisie-
rung des Konsums harter und weicher Drogen war die, anders als bei den Rausch-
mittelkonsumenten früherer Zeiten, im Konsum von Drogen - insbesondere Ha-
schisch - offen manifestierte Nichtanerkennung der herrschenden sozialen Nor-
men. 455 Mit anderen Worten: Auf die Instrumentalisierung des Konsums von Ha-
schisch als Symbol abweichenden Verhaltens erfolgte die Instrumentalisierung des
Vorgehens gegen den Konsum von Rauschgiften - insbesondere von Haschisch -
als Symbol dafür, daß die Nichtanerkennung herrschender Sozialkonventionen von
der Gesellschaft weder akzeptiert noch toleriert, sondern vielmehr der Archetyp
des selbstüberwachten und selbstkontrollierten Bürgers verteidigt wird. 456
Letztlich führt dies zu der Erkenntnis, daß der Konsum von Rauschmitteln zwar
keine reale Gefahr für die Existenz funktionsfähiger gesellschaftlicher Systeme
darstellt, wohl aber als Ausdruck einer Ablehnung der herrschenden gesellschaft-
lichen Konventionen bei der Mehrheit der konventionstreuen Gesellschaftsmitglie-
der Bedrohungsgefühle weckt. Diese schlagen sich in dem Bedürfnis nieder, einer-
seits ein weiteres Anwachsen der Protestgruppe zu verhindern und andererseits die
Konformität der Gesellschaft dadurch wiederherzustellen, daß die bereits in die
Protestgruppe abgewanderten Personen entweder zwangsweise reassimiliert oder,
wenn und soweit nicht einmal eine rein äußerliche Wiedereingliederung in die her-
gebrachten Verhaltensmuster erreicht werden kann, aus der Gesellschaft ausge-
grenzt werden. Der tatsächliche Grund für die Pönalisierung des Umgangs mit
Rauschmitteln ist dann aber nicht die Sozialschädlichkeit des Rauschmittelkon-
sums als solcher, sondern der im Rauschmittelkonsum - gemessen an den tradier-

abgesehen von engbegrenzten - und im übrigen: begründungsbedürftigen! - Ausnahmen, wie


z. B. dem § 170b dStGB, kein strafrechtlich relevantes Unrecht darstellen kann.
454 Vgl. BayObLG, NJW 1969,2297: Haschisch als "Symbol der Revolte gegen die be-
stehende Ordnung der Dinge".
455 Vg!. Scheerer, Genese, S. 78 ff., insbes. S. 87 ff. sowie Weiss, Beiheft I zur ZSR,
S. 86 ff.
456 Haffke, ZStW 107 (1995), 761, 784 f.; vg!. auch Peter Albrecht, BtmStrafR, Ein!. Rdnr.
47: der verunsicherten Bevölkerung solle das Gefühl der Sicherheit vermittelt werden.
IV. Das Betäubungsmittelstrafrecht 201

ten gesellschaftlichen Konventionen - zum Ausdruck kommende abweichende Le-


bensstil des Rauschmittelkonsumenten,457 der bezogen auf die vorherrschenden so-
zialen Konventionen als moral widrig erscheint, was dann den Anlaß für eine pöna-
lisierende Ausgrenzung i.S.e. Freund-Feind-Identifikation liefert. 458
Vordergründig scheint eine derartige Bestimmung des Rechtsguts mit dem in
der aktuellen kriminalpolitischen Diskussion soweit ersichtlich allgemein aner-
kannten Grundsatz in Widerspruch zu stehen, daß die Pönalisierung bloßer Moral-
widrigkeiten bzw. der Einsatz strafrechtlichen Zwangs zur Durchsetzung von Wert-
vorstellungen allein um ihrer selbst willen illegitim ist. 459 Die Illegitimität der PÖ-
nalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln scheint vor diesem Hintergrund
keiner weiteren Begründung bedürftig zu sein. Indes: Unstreitig ist allein das Ver-
bot bloße Moralwidrigkeiten zu pönalisieren bzw. Wertvorstellungen ausschließ-
lich um ihrer selbst willen durchsetzen zu wollen. 46o Bei näherer Betrachtung wird
aber schnell klar, daß Wertvorstellungen regelmäßig gar nicht nur um ihrer selbst
willen geschützt werden. Wie oben am Beispiel des Rechsguts "Leben" bereits an-
gedeutet wurde,461 sind (Straf-)Rechtsgüter das Ergebnis eines durch die Verarbei-
tung empirischer Erkenntnisse und normativer Wertungen gesteuerten Prozesses
gesellschaftlicher Verständigung. Wenn sich aber das Selbstverständnis einer Ge-
sellschaft zumindest auch über Wertvorstellungen determiniert, zeigt dies, daß die
Koexistenz von Individuen innerhalb einer Gesellschaft an ein Mindestmaß allge-
mein anerkannter Wertvorstellungen gebunden ist,462 was dann wiederum dahin
führt, daß jedenfalls der Schutz der für eine bestimmte Gesellschaftsform zentralen
Wertvorstellungen nicht nur dem Schutz bloßer Moralvorstellungen um ihrer selbst
willen, sondern gleichzeitig dem Erhalt der Gesellschaft bzw. des gesellschaftli-
chen status quo dient. Die Frage, ob - und wenn ja: unter weIchen Voraussetzun-
gen - die Pönalisierung von Verhaltensweisen, die bestimmte Wertvorstellungen
manifestieren, als legitim anzuerkennen ist, kann mithin nicht durch einen schlich-
ten Verweis auf das Verbot der Pönalisierung bloßer Moralwidrigkeiten erledigt
werden, sondern bedarf einer näheren Untersuchung. 463

457 Peter Albrecht, BtmStrafR, Ein\. Rdnrn. 47 f.; Köhler, 'ZStW 104 (1992), 3, 8; Papage-
orgiou, Schaden, S. 224 Fußn. 370; vg\. auch Schneider, StV 1992,514,516, der diesen To-
pos als Grund einer Kriminalisierung offenbar grundsätzlich für legitim hält, im konkreten
Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabisprodukten aber darauf abstellen will, daß der
Drogenkonsum heutzutage kein Symbol der Revolte gegen die bestehende Ordnung mehr
sei, nicht zuletzt auch wegen der weiten Verbreitung diesen Verhaltens in der Bevölkerung.
458 Vg\. Haffke, 'ZStW 107 (1995), 761, 787 sowie Papageorgiou, Schaden, S. 230: Es ge-
he um die Bekämpfung lasterhaften Verhaltens, vergleichbar etwa "abnormalen" Sexualprak-
tiken.
459 Böllinger, KJ 1991,393,406; Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 217.

460 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 318 ff.; Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 38 f.; Jung, 'ZStW
100 (1988),3, 12; Marx, Definition, S. 84 ff.; Roxin, JuS 1966,377,382; ders., StrafR AT,
Teilbd. I, § 2 Rdnr. 12; Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 10
461 Vg\. oben S. 65 ff.

462 Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 63.


202 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

d) Zwischenergebnis

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, daß das geltende Betäubungsmittel-


strafrecht schon unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgutstheorie gewichtigen Zwei-
feln ausgesetzt ist. Die Zielsetzung, die körperliche Integrität bzw. das Leben et-
waiger Konsumenten zu schützen, hat sich als nicht tragfähig erwiesen. Der Pöna-
lisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln steht nicht nur auf der Konsumen-
tenseite der Grundsatz der Straflosigkeit eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
entgegen. Auch für die sich als Vorbereitungshandlungen für eine eigenverantwort-
liche (Selbst-)Gefahrdung von Konsumenten darstellenden Verhaltensweisen auf
der Anbieterseite scheidet eine Legitimation über den Topos des Schutzes der kör-
perlichen Integrität der Konsumenten jedenfalls dann aus, wenn hierdurch auch
Verhaltensweisen erfaßt werden sollen, die auf den Konsum durch eigenverant-
wortliche Konsumenten abzielen. Im Ergebnis bedeutet dies, daß eine nicht auf die
Abgabe an nicht-eigenverantwortliche Konsumenten beschränkte Pönalisierung
des Umgangs mit Suchtstoffen von vornherein nur über den Schutz von Gemein-
schaftsinteressen zu legitimieren ist.
Insoweit sind zwei denkbare Begründungsstränge voneinander zu trennen. Zum
ersten: Sollte es empirisch nachweisbar sein, daß die Konsumenten bestimmter
Suchtstoffe nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenverantwortlich
zu bestreiten, könnte der weitverbreitete Konsum derartiger Stoffe die Funktions-
fähigkeit der Gesellschaft als solche in Frage stellen und würde damit auch die In-
teressen der Nichtkonsumenten, an der Gewährleistung der grundlegenden Funkti-
onszusammenhänge des gesellschaftlichen Miteinanders als Basis für eine Entfal-
tung personaler Freiheit beeinträchtigen. Die Frage ist dann, ob die Interessen der
anderen Gesellschaftsmitglieder daran, von etwaigen Zusatzbelastungen als Folge
des Ausfalls von Drogenkonsumenten verschont zu bleiben, Relevanz haben
kann. 464 Zum zweiten: Das Ausleben des mit dem Konsum von Betäubungsmitteln
verbundenen Lebenskonzeption kann andere Mitglieder der Gesellschaft irritieren,
stören und möglicherweise mehr oder weniger heftige Abgrenzungs- bzw. Ab-
wehrreaktionen hervorrufen. Die Frage ist, ob - und wenn ja: unter welchen Vor-
aussetzungen - bestimmte Lebenskonzeptionen bzw. die durch sie hervorgerufenen
gesellschaftlichen Reaktionen eine Pönalisierung zu rechtfertigen vermögen.
Im Hinblick auf beide Begründungsstränge ist weiterhin zu berücksichtigen, daß
nicht bereits jede Einzelhandlung für sich gesehen, sondern erst die Summe einer
Vielzahl von Einzelhandlungen die befürchteten Beeinträchtigungen herbeizufüh-
ren vermag. Hieraus folgt: Auch bei den Straftatbeständen des Betäubungsmittel-
strafrechts handelt es sich nicht um Erfolgsdelikte klassischer Prägung, sondern

463 Vgl. hierzu i. e. unten S. 264 ff.


464 Vgl. hierzu Feinberg, Vol. I, S. 221 f.; der., Vol. 3, S. 18 f., der auf dieser Grundlage
die Legitimation der Pönalisierung von Duellen und einverständlichen Schlägereien rechtfer-
tigen will, sowie Gräfrath, MiIl, S. 25 bezogen auf die "Helmpflicht" für Motorradfahrer.
V. Molekularbiologische und gentechnologische Verfahren 203

vielmehr um Kumulationsdelikte,465 deren Strafwürdigkeit gegebenenfalls aus der


Erwägung hergeleitet werden muß, daß es zu schädlichen Konsequenzen kommen
könnte, wenn sich eine Vielzahl von Personen - unabhängig voneinander - ent-
sprechend verhalten würde. In besonderer Weise gilt dies für die Verhaltensweisen
auf der Anbieterseite, bei denen nicht nur der einzelne "Anbieter" für sich gesehen
kein relevantes Risiko zu begründen vermag, sondern darüber hinaus das Verhalten
auf der "Anbieterseite" ohne entsprechende Mitwirkungshandlungen auf der Kon-
sumentenseite von vornherein keinerlei Wirkungen zu entfalten vermag. 466

V. Strafrechtsnormen zur Abwehr


des mißbräuchlichen Umgangs mit molekularbiologischen
und gentechnologischen Verfahren

Während in den 70er Jahren die von der Zerstörung bzw. chemischen Vergiftung
der Umweltmedien Wasser, Luft und Boden ausgehenden Gefahren im Vorder-
grund der gesellschaftlichen und kriminal politischen Auseinandersetzung standen,
trat beginnend mit den 80er Jahren eine neuartige Gefährdung in den Vordergrund:
Die aufgrund von Entwicklungen in der Molekularbiologie sowie Reproduktions-
und Gentechnologie nunmehr zumindest in den Bereich des Möglichen gerückte
Veränderung von Flora und Fauna sowie des Menschen selbst. Den möglichen Vor-
teilen dieser Entwicklung - beispielsweise im Bereich der Nahrungsmittelproduk-
tion und bei der Bekämpfung von Umweltschäden und Krankheiten - korrespon-
diert neben dem Szenario einer durch gentechnisch manipulierte Organismen her-
vorgerufenen, in ihren Konsequenzen nicht einschätzbaren Veränderung der Um-
welt vor allem die Befürchtung, daß die gleichen Erkenntnisse letztlich auch zu
manipulativen Eingriffen in die genetische Identität des Menschen führen und da-
mit letztlich die gezielte Züchtung von Menschen mit bestimmten Eigenschaften
ermöglichen könnten.467 Die Ambivalenz der antizipierten Entwicklung zeigt sich
beispielhaft daran, daß ein elaboriertes genetisches Screening einerseits helfen
kann, Krankheiten zu erkennen und zu heilen, andererseits aber auch die Grundla-
gen für Differenzierungen nach genetischen Potentialen schafft, die von einer Ab-
stufung des Krankenversicherungsschutzes bis zu einer eugenisch motivierten Ab-
treibungspraxis reichen können. 468

465 So auch: Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19 Rdnrn. 19 ff.; Nestler, Grundlagen, Rdnr.
265; Wartburg, Drogenmissbrauch, S. 303.
466 Zweifel an der Legitimierbarkeit bei Peter Albrecht, BtmStrafR, Art. 19 Rdnr. 25.

467 Vg!. beispielsweise die Botschaft des Schweizerischen Bundesrates über die Volksini-
tiative ,,zum Schutz des Menschen vor Manipulationen in der Fortpflanzungstechnologie"
vom 26. Juni 1996, BB!. 1996 IlI, 205, insbesondere S. 208, 219, 227.
468 Vg!. H.-L. Günther, in: Günther/Keller, S. 226 ff.; Jung, ZStW 100 (1988),3,36 f.;
Arthur Kaufmann, Prometheus, S. 262; Rolf Keller, JR 1991,441,445 f.; Lange, in: Gün-
ther / Keller, S. 9, 16 f.; Graf Vitzthum, in: Günther / Keller, S. 68 f.
204 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

In der Bundesrepublik Deutschland hat sich das Bemühen des Gesetzgebers,


diese Entwicklung durch ordnungsrechtliche Kodifizierungen und deren (neben-)
strafrechtliche Absicherung zu steuern, zum einen in dem der Sache nach zum
Umweltrecht469 zu rechnenden sog. Gentechnikgesetz 470 und zum anderen im sog.
Embryonenschutzgesetz471 niedergeschlagen. Ziel der gesetzgeberischen Bemü-
hungen war es, der wissenschaftlichen Forschung verbindliche Grenzen zu setzen,
um so einerseits die Vorteile der wissenschaftlichen Entwicklung nutzen zu kön-
nen, andererseits aber etwaigen Fehlentwicklungen bzw. Mißbräuchen bereits im
Vorfeld ihres Auftretens entgegenzuwirken. 472
In der Schweiz ist zwar 1992 mit Art. 24novies BVeine verfassungsrechtliche
Grundlage geschaffen worden, die den Bund zum Erlaß von Vorschriften für den
Bereich der Humangenetik und Fortpflanzungsmedizin ermächtigt 473 und gleich-
zeitig bereits dezidierte inhaltliche Vorgaben enthält. Der Entwurf eines Bundesge-
setzes über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizinge-
setz) befindet sich derzeit aber noch im Gesetzgebungsverfahren. 474 Die durch das
Fehlen einer bundesgesetzlichen Kodifikation zur Fortpflanzungsmedizin begrün-
dete Lücke haben mehrere Kantone durch eigene Regelungen zu schließen ver-
sucht. 475 Die in ihrer Grundtendenz sehr restriktiven Regelungen des Kantons St.
Gallen und des Kantons Basel-Stadt haben allerdings in zentralen Teilen vor dem
Bundesgericht keinen Bestand gehabt. 476

1. Das bundesdeutsche Gentechnikgesetz (GenTG)

Die Zwecksetzung des Gentechnikgesetzes besteht zum einen darin, Leben und
Gesundheit von Menschen, Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem

469 In der Schweiz finden sich die entsprechenden Regelungen im Umweltschutzgesetz


(USG). Zu den Strafnormen der Art. 60 Abs. Ilit. e - p USG vg\. Vest, Landesbericht, S. 674,
686f.
470 Gesetz zur Regelung der Gentechnik vom 20.6. 1990, BGB\. I. S. 1080, Inkraftgetre-
ten am 1. 7. 1990.
471 Gesetz zum Schutz von Embryonen vom 13. 12. 1990, BGB\. I, S. 2746, Inkraftgetre-
ten am 1. 1. 1991.
472 H.-L. Günther, ZStW 102 (1990), 269, 273 f.; Arthur Kaufmann, Festschrift für Oehler,
S.653.
473 BGE 119 Ia 460, 469. Zur Entstehungsgeschichte vg\. die Botschaft des Schweizeri-
schen Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung
(Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) vom 26. Juni 1996, in: BB\. 1996,205,213.
474 Vg\. die Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die
medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) vom 26. Juni
1996, in: BB\. 1996 III, 205 ff.
475 Zum Stand der kantonalen Gesetzgebung vg\. die Botschaft des Schweizerischen Bun-
desrates zu einem Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflan-
V. Molekularbiologische und gentechnologische Verfahren 205

Wirkungsgefüge und Sachgütern vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfah-


ren und Produkte zu schützen bzw. dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen
(§ 1 Nr. 1 GenTG). Konkret soll das Gesetz einen rechtlichen Rahmen für die Er-
forschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, techni-
schen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik schaffen (§ 1 Nr. 2
GenTG).477 Schwerpunktmäßig regelt das Gesetz das Verfahren zur Genehmigung
und Überwachung des Betriebs gentechnischer Anlagen sowie zum Freisetzen und
Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen. 478 Die Einhaltung der
vom Gesetzgeber als wesentlich erachteten Ge- und Verbote des Gesetzes sowie
der zur Ausführung des GenTG zu erlassenden Rechtsverordnungen will der Ge-
setzgeber durch Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände absichern. 479 Neben
den als Ordnungswidrigkeiten tatbestand ausgestalteten Verstößen gegen bestimmte
Betreiberpflichten (§ 38 GenTG) enthält § 39 GenTG auch Straftatbestände, die
der Gesetzgeber insbesondere aus generalpräventiven Gründen für notwendig ge-
halten hat. 48o Strafbar macht sich unter anderem, wer gentechnisch veränderte Or-
ganismen ohne entsprechende Genehmigung freisetzt oder eine gentechnische An-
lage ohne Genehmigung betreibt (§ 39 Abs. 2 GenTG). Werden Leib oder Leben
anderer, fremde Sachen von bedeutendem Wert oder Bestandteile des Naturhaus-
haltes von erheblicher ökologischer Bedeutung gefährdet, macht sich strafbar, wer
gentechnische Arbeiten außerhalb einer nach dem GenTG vorgesehenen Anlage
durchführt, bestimmten Auflagen der Genehmigungsbehörde oder bestimmten An-
zeigepflichten nicht nachkommt sowie bestimmten Rechtsverordnungen zuwider-
handelt (vgl. § 39 Abs. 2 GenTG). Gemäß § 39 Abs. 4 GenTG ist der Versuch und
gemäß den Abs. 5 -7 auch fahrlässiges Verhalten unter Strafe gestellt.
Im Hinblick auf die Problematik der Legitimität der Straftatbestände des GenTG
kann zunächst auf die Ergebnisse der Analyse des Umweltstrafrechts zurückgegrif-
fen werden. Wie dort im einzelnen dargelegt wurde, stellt die Erhaltung der für die
Fortexistenz der Menschheit notwendigen Umweltbedingungen ein im Grundsatz
strafschutzwürdiges Gemeininteresse dar. Ebenso wie bei den Straftatbeständen
des Umweltstrafrechts erweist sich damit auch bei den Straftatbeständen des
GenTG nicht das geschützte Rechtsgut als solches, sondern die Art und Weise der
Schutzgewährung als problematisch: Parallel zur Ausgestaltung der §§ 327, 328
StGB wird der Sache nach die Mißachtung verwaltungsrechtlicher Erlaubnisvorbe-
halte pönalisiert.

zungsmedizingesetz, FMedG) vom 26. Juni 1996, in: BBl. 1996111,205,210 ff. sowie Wie-
senbart, Landesbericht, S. 190 ff.
476 Vgl. BGE 115 la 234; 119 la 460.

477 Vgl. BT-Drucks. 11/5622, S. I, 19 ff.

47H Hirsch 1Schmidt-Didczuhn, ZRP 1989,458; zum Regelungsinhalt i.e. vgl. Fritsch 1Ha-
verkamp, BB 1990, Beilage 31, S. 3 ff.; Hirsch 1 Schmidt-Didczuhn, NVwZ 1990,713,715 ff.
479 Hirsch 1Schmidt-Didczuhn, ZRP 1989,458,462; dies., NVwZ 1990,713,717.
4KO Vgl. BT-Drucks. 11/5622, S. 2, 21.
206 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Die Legitimität der Straftatbestände des GenTG setzt zunächst voraus. daß es
von der Sache her überhaupt angemessen ist. auf die Mißachtung von Erlaubnis-
vorbehalten repressiv ahndend zu reagieren. Kann diese Frage bejaht werden. wür-
de sich die weitere Frage stellen. ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine
Ausgestaltung als Straftatbestand und nicht als Ordnungswidrigkeitentatbestand
sachangemessen erscheint. Bei der Abklärung beider Fragestellungen wird zu be-
rücksichtigen sein. daß anders als bei den Straftatbeständen des Umweltstrafrechts.
wo im Grundsatz gesichert erscheint. daß eine massenhafte Begehung der pönali-
sierten Verhaltensweisen die Umweltbedingungen negativ beeinträchtigen würde.
im Hinblick auf die durch die Straftatbestände des GenTG erfaßten Verhaltenswei-
sen eine vergleichbar gesichert erscheinende Erkenntnisgrundlage nicht existiert.
Konkret stellt sich damit die Frage. ob es legitim sein kann. die Beachtung von Er-
laubnisvorbehalten mit den Mitteln strafrechtlichen Zwangs sicherstellen zu wol-
len. wenn nur die mehr oder weniger schlüssig begründete bzw. nicht zu widerle-
gende Vermutung besteht. daß entsprechende Verhaltensweisen negative Auswir-
kungen auf ein an sich gesehen strafschutzwürdiges Schutzgut haben können.

2. Das bundesdeutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG)

Mit dem Embryonenschutzgesetz will der Gesetzgeber der Anwendung be-


stimmter. durch den Fortschritt des naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozesses
technisch möglich gewordener bzw. zukünftig möglich werdender biogenetischer
Verfahren entgegenwirken. insbesondere .jeder Manipulierung menschlichen Le-
bens bereits im Vorfeld begegnen".481 Anders als beim GenTG hat der Gesetzgeber
mit dem ESchG keine umfassende ordnungsrechtliche Rahmenregelung für die
Anwendung neuer Fortpflanzungstechniken geschaffen. sondern sich darauf be-
schränkt. die mißbräuchliche Anwendung bestimmter Fortpflanzungstechniken un-
ter Strafe zu stellen. Pönalisiert wird der Einsatz biomedizinischer Verfahren. die
entweder eine sog. gespaltene Mutterschaft zur Folge hätten oder mit denen die
Grundlagen für eine nicht allein am Ziel der Überwindung von Fertilitätsstörungen
orientierte Produktion von Embryonen geschaffen werden (§ 1 ESchG). die fremd-
nützige Verwendung menschlicher Embryonen (§ 2 ESchG). die Geschlechtswahl
durch Auswahl der Samenzellen (§ 3 ESchG). die eigenmächtige Befruchtung (§ 4
ESchG). die künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen (§ 5 ESchG).
das Klonen (§ 6 EschG) sowie die Chimären- und Hybridbildung (§ 7 ESchG).
Schließlich wird durch die §§ 9. 11 ESchG die Anwendung bestimmter Fortpflan-
zungstechniken einem strafbewehrten Arztvorbehalt unterstellt. 482

481 BT-Drucks. 11/5460. S. I.


482 Zu Einzelheiten der Regelung vgl. den Überblick bei Deutsch. NJW 1991.721.722;
Jung. JuS 1991. 431. 432 f. sowie die Kommentierung in: Keller/Günther / Kaiser. Embryo-
nenschutzgesetz.
V. Molekularbiologische und gentechnologische Verfahren 207

3. Der Entwurf eines schweizerischen


Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG)

Anders als das bundesdeutsche ESchG ist das FMedG nicht als ein reines Straf-
gesetz konzipiert, sondern soll in umfassender Weise festlegen, "unter welchen
Voraussetzungen die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung beim
Menschen angewendet werden dürfen" (Art. 1 Abs. 1 Entw. FMedG). Die im 4.
Kapitel des Gesetzes (Art. 29 ff. des Entwurfs) zusammengefaßten Strafbestim-
mungen entsprechen inhaltlich allerdings weitgehend den Normen des bundesdeut-
schen ESchG. Pönalisiert werden sollen: die mißbräuchliche Gewinnung bzw. Ver-
wendung menschlicher Embryonen (Art. 29 bis 32 Entw. FMedG), die Ge-
schlechtswahl (Art. 33 Entw. FMedG), die eigenmächtige Befruchtung (Art. 34
Entw. FMedG), die künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen (Art. 35
Entw. FMedG), das Klonen sowie die Chimären- und Hybridbildung (Art. 36
Entw. FMedG). Schließlich sollen durch Art. 37 Entw. FMedG Zuwiderhandlun-
gen gegen bestimmte Regelungen des FMedG als Übertretungen geahndet werden.

4. Legitimation der Strafnormen

Daß der Gesetzgeber der Anwendung bzw. Umsetzung der im Rahmen naturwis-
senschaftlicher Forschung gewonnenen Erkenntnisse Grenzen setzen kann und
auch setzen muß, wenn von dieser Gefahren ausgehen, dürfte im Grundsatz un-
streitig sein. Problematisch ist aber, in welcher Weise dies geschehen kann, insbe-
sondere, ob insoweit der Einsatz strafrechtlicher Normen als ein legitimes Instru-
ment angesehen werden kann. 483 In der Literatur war die im bundesdeutschen Ge-
setzgebungsverfahren selbst vollkommen unstreitige Notwendigkeit des Rückgriffs
auf strafrechtliche Normen484 vornehmlich mit dem Argument in Zweifel gezogen
worden, der Gesetzgeber würde hier Normen zur Regelung von science-fiction-
Sachverhalten schaffen. 485 Indes: Abgesehen davon, daß der Gesetzgeber vor der

483 Grundsätzlich ablehnend z. B. F. Herzog, 'ZStW 105 (1993), 727 ff.


484 Vgl. BT-Drucks. 11/5460, S. 6; 11/5710, S. 10; 11/8057, S. 12 f. Gestritten wurde
allein darüber, ob man sich auf die Regelung des strafrechtlich Verbotenen beschränken sollte
(so der dann auch im wesentlichen Gesetz gewordene Entwurf BT-Drucks. 11 /5460) oder
eine Gesamtregelung aller mit den neuen Fortpflanzungstechniken zusammenhängenden Fra-
gestellungen - unter Einschluß der Regelung des strafrechtlich verbotenen Verhaltens - anzu-
streben sei (so der Enwurf der SPD-Fraktion, BT-Drucks. 11 /5710, S. 9 f.; für eine umfassen-
des Gesamtkonzept hatte sich auch der Bundesrat ausgesprochen, vgl. BR-Drucks. 745/90).
Darstellungen der Vorgeschichte des Gesetzgebungsverfahrens und des Gesetzgebungsver-
fahrens selbst finden sich bei Hektor, S. 25 ff., 78 ff.; Rolf Keller, in: Keller / Günther / Kaiser,
B III Rdnrn. I ff.
485 Vgl. F. Herzog, 'ZStW 105 (1993), 727; Arthur Kaufmann, Festschrift für Oehler,
S. 649 ff., 664/665; ders., Prometheus, S. 271, 273; ders., JZ 1987,837,834 und 845; Graf
208 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

Situation stand, daß vor dem Inkrafttreten des ESchG zumindest mit extra korporal
erzeugten und nicht auf eine Frau übertragenen Embryonen praktisch nach Belie-
ben verfahren werden konnte,486 vernachlässigt dieser Einwand die Besonderheit
des rasanten und in Sprüngen fortschreitenden naturwissenschaftlichen Erkenntnis-
prozesses, der - wenn er denn vom Gesetzgeber überhaupt gesteuert bzw. in be-
stimmten Bahnen gehalten werden soll - notwendigerweise dazu zwingt, die zu er-
wartenden Entwicklungen der naturwissenschaftlichen Forschung vorausschauend
zu bewerten und Normen zu schaffen, mit denen das Verhalten der Forscherge-
meinschaft präventiv gesteuert wird. 487
Die in der Sache entscheidende Frage, ob es angemessen ist, diese Steuerung
mit den Mitteln des Strafrechts leisten zu wollen, ist in der Diskussion regelmäßig
allenfalls beiläufig behandelt und soweit ersichtlich fast durchgängig bejahend be-
handelt worden. 488 Interpretiert werden die Straftatbestände des ESchG gemeinhin
als Schutznormen im Hinblick auf die personale Würde des Menschen. 489 Analy-
siert man die Straftatbestände näher, zeigt sich allerdings schnell, daß allein das
strafbewehrte Verbot der eigenmächtigen Befruchtung auf den Schutz des Persön-
lichkeitsrechts und des Selbstbestimmungsrechts des Samenspenders und der Ei-
spenderin abzielt,490 während alle anderen Straftatbestände dazu dienen sollen, das

Vitzthum, in: Günther / Keller, S. 77; Schroeder, Festschrift für Miyazawa, S. 533; a.A. z. B.
Fechner, JZ 1986,653,661; H.-L. Günther, ZStW 102 (1990), 269, 276; ders., in: Keller/
Günther / Kaiser, B IV. Rdnr. 19; Hofmann, JZ 1986, 253, 254 und im Ergebnis auch Schmid,
Festschrift für Hegnauer, S. 436 f., der allerdings zu Recht die Notwendigkeit empirischer Er-
kenntnisse betont.
486 Vgl. Eser, Neuartige Bedrohungen, S. 8 ff.; ders., in: Günther/Keller, S. 266; H.-L.
Günther, in: Günther/Keller, S. 138 f.; Hektor, S. 12 ff.; Jung, ZStW 100 (1988),3,7 f. und
19 f.; Rolf Keller, in: Keller/Günther/Kaiser, B I Rdnrn. 1 ff.; Sternberg-Lieben, JuS 1996,
673,675; zu den diesbezüglichen Regelungen des ärztlichen Standesrechts vgl. Eser, Neuarti-
ge Bedrohungen, S. 10 f., Hektor, S. 10 ff. Auch das kurz zuvor erlassene GenTG hat den
Bereich der Humangenetik nicht erfaßt, vgl. Rolf Keller, JR 1991, 441, 442 unter Hinweis
auf BT-Drucks. 11/5622, S. 23; zur ähnlich unbefriedigenden Rechtslage in der Schweiz vgl.
Schmid, Festschrift für Hegnauer, S. 438 f., 447 f.
487 H.-L. Günther, ZStW 102 (1990),269,276 f.; ders., in: Keller/Günther/Kaiser, B IV.
Rdnr. 14 ff.
488 Dezidiert ablehnend zum Einsatz strafrechtlichen Zwangs soweit ersichtlich allein F.
Herzog, ZStW 105 (1993), 727 ff., dessen Vorschlag, auf ein Verfahren der Selbstkontrolle
durch die Forschungsgemeinschaft bzw. Ethikkommissionen zu vertrauen, von anderen Auto-
ren als nicht hinreichende Alternative angesehen wird, vgl. z. B. H.-L. Günther, in: Günther/
Keller, S. 144; Gröner, in: Günther/ Keller, S. 316 f.; Rolf Keller, in: Günther/ Keller, S. 196.
Daß dieser Vorschlag das Problem der Legitimität der Anwendung strafrechtlichen Zwangs
nicht löst, sondern lediglich verlagert, ist bereits oben (vgl. S. 74) dargelegt worden.
489 Im Entwurf des schweizerischen FMedG wird der intendierte Schutz der Menschen-
würde in Art. lAbs. 2 sogar ausdrücklich betont. Vg!. aber auch die Botschaft des Schweize-
rischen Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung
(Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) vom 26. Juni 1996, in: BB!. 1996 II1, 205, 222 ff.,
wo richtigerweise der Status dieser Regelung als konkretisierungsbedürftige Progammlinie
hervorgehoben wird.
V. Molekularbiologische und gentechnologische Verfahren 209

Festhalten der Gesellschaft an bestimmten, auch für die Forschergemeinschaft als


verbindlich gesetzten Wertvorstellungen zu dokumentieren bzw. im Falle der Zu-
widerhandlung kontrafaktisch zu bekräftigen. 491
So läßt beispielsweise der Versuch, die Strafbewehrung bestimmter reprodukti-
onstechnischer Verfahren mit der Beeinträchtigung der personalen Würde des be-
troffenen Embryos zu begründen, außer acht, daß ein Wesen, das ohne den pönali-
sierten Eingriff gar nicht existent wäre, durch diesen Eingriff kaum in seiner indi-
viduellen Rechtssphäre beeinträchtigt sein kann. 492 Tangiert ist nicht die individu-
elle personale Würde des betroffenen Embryos, sondern die dem Embryo nach den
als relevant definierten Wertvorstellungen als artspezifisch menschlichem Wesen
zukommende Würde. 493 Nicht die Herstellung von Embryonen, sondern allenfalls
deren Verwendung im Rahmen einer sog. verbrauchenden Forschung kann die in-
dividuelle Rechtssphäre der betroffenen Embryonen beeinträchtigen. 494 Auch die
gezielte Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken verletzt - jedenfalls
für sich gesehen - nicht die individuelle Rechtssphäre des Embryos, sondern ver-
stößt gegen die (Wert-)Vorstellung, daß menschliches Leben stets als Selbstzweck
zu behandeln ist und nicht zum bloßen Objekt gemacht werden darf. 495
Auch andere reproduktionstechnische Verfahren, wie z. B. das (einverständli-
che) Klonen oder die (einverständliche) Chimären- oder Hybridbildung tangieren
nicht die ,,Menschenwürde,,496 konkreter Wesen, sondern die vorherrschenden Vor-

490 Vgl. Jung, ZStW 100 (1988),3,26; Rolf Keller, in: Keller/Günther/Kaiser, § 4 Rdnr.
4. Daß diese Norm neben den bereits bestehenden §§ 223, 240 dStGB eher überflüssig ist,
zeigt Schroeder, Festschrift für Miyazawa, S. 543.
491 H.-L. Günther, ZStW 102 (1990), 269, 291; ders., in: Günther/Keller, S. 142 f.; Jung,
ZStW 100 (1988),3, 15 f.; ders., JuS 1991,431,433; Schroeder, Festschrift für Miyazawa,
S. 534 ff.; Seelmann, Festschrift für E. A. Wolff, S. 488 ff.
492 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. I I Rdnr. 58; Feinberg, Vol. 1,
S. 99 ff.; ders., Vol. 4, S. 27 ff.; Seelmann, Festschrift für E. A. Wolff, S. 485 f.
493 Vgl. Eser, Neuartige Bedrohungen, S. 37 f.; Fechner, JZ 1986,653,655; Hektor, S. 75;
Hofmann, JZ 1986, 253, 259 f. Deutlich wird dies bei Gröner, in: Günther / Keller, S. 308,
310, wo ausgeführt wird, daß es auf die persönliche Einwilligung des Klon-Vorbildes und des
Klons nicht ankommen könne, weil Leitidee der Verfassung nicht das Leben an sich, sondern
menschenwürdiges Leben sei und hieraus dann abgeleitet wird, daß Leben, das notwendiger-
weise ohne Verletzung der Menschenwürde nicht möglich sei, nicht zur Entstehung gelangen
dürfe. Vgl. auch Hösle, Staat, S. 47: Delikte gegen die Menschenwürde als Handlungen, die
sich nicht gegen eine konkrete lebende Person richten, sondern "gegen etwas, das als Symbol
des Menschen fungiert, und die dasjenige radikal in Frage stellen, was den innersten Wert des
Menschen als Geisteswesen ausmacht".
494 Zur Unzulässigkeit einer "verbrauchenden" Forschung vgl. auch bereits BGE ll9 Ia
460,502 f.
495 Vgl. Z. B. H.-L. Günther, ZStW 102 (1990), 269, 289; Hegnauer, Festschrift für Häfe-
\in, S. 142; Jung, ZStW 100 (1988), 3, 31/32; Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 319/
320.
496 Zur Notwendigkeit, diese Leerformel zu konkretisieren, vgl. Arthur Kaufmann,
Rechtsphilosophie, S. 314, 323 f. sowie Schroeder, Festschrift ftir Miyazawa, S. 540 f.

14 Wohlers
210 5. Kap.: Analyse des "modernen" Strafrechts

stellungen davon, welche Art des Umgangs mit menschlichem Leben gesellschaft-
lich toleriert werden kann. Erst auf der Basis eines um entsprechende Wertungen
angereicherten Menschenbildes kann begründet werden, daß jede Form von Euge-
nik sittenwidrig und tabu sei,497 genetische Manipulationen das Recht eines Men-
schen beeinträchtigen, "Produkt eines Zufalls zu sein und um das eigene Schicksal
nicht zu wissen",498 daß Klonen menschlicher Lebewesen den Anspruch verletzen
soll, "nicht Kopie eines anderen Individuums zu sein, sondern eine eigene, unwie-
derholbare Persönlichkeit,,499 und deshalb zur Beeinträchtigung des ,,Mindestindi-
vidualitätsschutzes" führe,soo daß die Chimären- bzw. Hybridbildung wegen eines
Verstoßes gegen ein ,,Demütigungsverbot" abzulehnen sei SO! bzw. zur Durchbre-
chung "naturgegebener" Grenzen zwischen den Arten führe und so das Wesen und
die Einzigartigkeit des Menschen antaste. S02
Als ein letztes Beispiel sei auf das Verbot der Geschlechterwahl verwiesen. Da
die geschlechtsspezifisch ausgerichtete Auswahl bereits vor der Befruchtung statt-
gefunden hat, werden auch hier keine Sachverhalte erfaßt, bei denen bereits be-
fruchtete Eizellen abgetötet werden. s03 Geschützt werden also nicht konkret exi-
stente, artspezifisch menschliche Lebewesen, sondern vielmehr "das Menschenbild
des genetisch nicht manipulierten Menschen".s04
Festzuhalten bleibt: Bei den Straftatbestände des ESchG und des FMedG geht es
nicht um den Schutz individueller Interessen, sondern um die Zuschreibung von
Lebensinteressen, ein Prozeß, der seinerseits maßgeblich durch den jeweiligen
"weltanschaulichen Standpunkt"SOs bzw. den Horizont gesellschaftlicher Wertvor-

497 Vgl. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 I Rdnr. 61; Arthur
Kaufmann, Festschrift für Oehler, S. 666.
498 Vgl. Benda, NJW 1985, 1730, 1732; Arthur Kaufmann, JZ 1987, 837, 845/846; ders.,
Rechtsphilosophie, S. 326 f.; Graf Vitzthum, JZ 1985,201,208.
499 So die Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zu einern Bundesgesetz über die
medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) vorn 26. Juni
1996, in: BBI. 1996111,205,283.
soo Vgl. Benda, NJW 1985, 1730, 1733; Gröner, in: Günther/Keller, S. 307 f.; Arthur
Kaufmann, Prometheus, S. 272 f.; ders., JZ 1987, 837, 841; Rolf Keller, Festschrift für
Lenckner, S. 480/481: "Dem auf solche Weise erzeugten Menschen würden seine Erbanla-
gen von anderen zugeteilt, er würde zum Objekt herabgewürdigt, ihm würde die Individuali-
tät der menschlichen Persönlichkeit geraubt und menschliches Leben würde instrumentali-
siert."
SOl Vgl. Arthur Kaufmann, JZ 1987, 837, 841; vgl. auch Gröner, in: Günther/Keller,
S. 303 f., 312 ff.
S02 V gl. Gröner, in: Günther / Keller, S. 304

S03 Vgl. Rolf Keller, JR 1991,441,443.

S04 RolfKeller,JR 1991,441,443.

sos Vgl. Zippelius, Gerechtigkeit, S. 329. Bestätigt wird dies, wenn Deutsch, NJW 1991,
721, 723 als Schutzgegenstand der Regelungen des ESchG die Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2
und Art. 6 GG als Teil der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes versteht und Benda,
NJW 1985, 1730, 1733 den Grund für ein Verbot genetischer Untersuchungen darin sieht,
V. Molekularbiologische und gentechnologische Verfahren 211

stellungen determiniert ist. 506 Da aber - jedenfalls in einer pluralistischen Gesell-


schaft - die einem bestimmten "Konzept der Menschheit"so7 entsprechenden parti-
kularen Vorstellungen von der "Natur des Menschen" bzw. der "Heiligkeit der
menschlichen Natur" nicht ohne weiteres Verbindlichkeit beanspruchen dürfen,sos
stellt sich die Frage, ob es legitim sein kann, derartige Überzeugungen strafrecht-
lich zu schützen.
Soweit die Notwendigkeit strafbewehrter Verbotsnormen mit der Erwägung be-
gründet werden soll, es gelte einer tiefgreifenden Veränderung des Wertebewußt-
seins der Gesellschaft entgegenzuwirken,s09 scheint dies zunächst darauf hinzu-
deuten, daß hier Wertvorstellungen um ihrer selbst willen geschützt werden sollen.
Tatsächlich steht aber die Erwägung im Hintergrund, der befürchtete Wandel des
Wertebewußtseins werde nicht nur die derzeit herrschenden Wertvorstellungen be-
seitigen oder an den Rand drängen, sondern könne Konsequenzen haben, die sich
letztlich in aktuellen Beeinträchtigungen der Interessen personaler Wesen nieder-
schlagen werden. Beispielhaft sei auf die von Benda als mögliche Folge der präna-
talen Diagnose befürchtete gesellschaftliche Nichtakzeptanz Behinderter verwie-
sen. 510 Weitere Beispiele sind die von Arthur Kaufmann angeführte Möglichkeit
einer Produktion von Sklaven oder lebenden Ersatzteillagern im Wege des Klo-
nensSll sowie die von Gröner artikulierte Gefahr einer Aushöhlung der Unantast-
barkeit des menschlichen Individuums als Folge eines durch Chimären- und Hy-
bridbildungen zweifelhaft werdenden Status von Individuen als Menschen. 512

daß es die Würde des Menschen in schwerster Weise verletzen würde, wenn entschieden wür-
de. "was krankhafte Abweichung von einer Norm ist, die besagt, wie Menschen beschaffen
sein sollten." Tatsächlich ist dann nicht die personelle Würde bestimmter menschlicher Lebe-
wesen, sondern das Menschenbild verletzt, demzufolge alle menschlichen Lebewesen unab-
hängig von ihrer körperlichen und geistigen in gleicher Weise "wertvoll" sind.
S06 Eser, in: Günther / Keller, S. 286 f.; Fechner, in: Günther I Keller, S. 38 f., 48.

507 Vgl. Jung, ZStW 100 (1988),3,34.


508 Vgl. die Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zu einern Bundesgesetz über die
medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) vorn 26. Juni
1996, in: BBI. 1996 III, 205, 229 f., 277 sowie Arthur Kaufmann, JZ 1987,837,841. Festzu-
stellen ist allerdings, daß im Rahmen der Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens zur
Schaffung des bundesdeutschen Embryonenschutzgesetzes und auch im Gesetzgebungsver-
fahren selbst de facto auf ein wesentlich moraltheologisch geprägtes Menschenbild zurückge-
griffen worden ist, vgl. i.e. Hektor, S. 43 ff., insbes. S. 45, 52 ff., 61 f., 77 und S. 179 ff. Das
gleiche Phänomen zeigt sich in der Diskussion um das Abtreibungsverbot, vgl. z. B. Stümer,
JZ 1990,709,719; ders., JZ 1991,503,504. Auch die Regelungen in den §§ 218, 218a StGB
sind Zugeständnisse an weltanschauliche und ideologische Festlegungen, vgl. Fechner, JZ
1986,653,660; kritisch hierzu: Hoerster, Abtreibung, S. 115 ff.; ders., JZ 1991,503,504.
Letztlich stellt sich das Prinzip der ,,Menschenwürde" als das säkularisierte Äquivalent des
theologischen Konzepts der "Heiligkeit des menschlichen Lebens" dar, vgl. Neumann,
ARSP-Beiheft 44 (1991), 248, 252.
509 Vgl. z. B. Benda, NJW 1985, 1730, 1734.
510 Benda, NJW 1985, 1730, 1734; vgl. auch Seelmann, Festschrift für E. A. Wolff, S. 489.

m Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 323, 326.


512 Gröner, in: Günther I Keller, S. 313 ff.

14"
212 5. Kap.: Analyse des "modemen" Strafrechts

Klärungsbedürftig ist damit, ob die Anwendung strafrechtlichen Zwangs durch


die Zielsetzung legitimiert werden kann, einem Wandel des gesellschaftlichen
Wertebewußtseins entgegenwirken zu wollen. Kann die Pönalisierung bestimmter
Verhaltensweisen mit der Erwägung legitimiert werden, daß ansonsten eine in ih-
rem möglichen Endergebnis als negativ zu bewertende Entwicklung eingeleitet
wird? Oder mit anderen Worten: Kann die Pönalisierung von für sich gesehen noch
nicht als sozialschädlich anzusehenden Verhaltensweisen im Hinblick auf die Ge-
fahr eines zu befürchtenden Dammbruchs legitimiert worden? Für eine Pönalisie-
rung könnte die pragmatische Erwägung sprechen, daß Verhaltensmaßstäbe vertei-
digt werden müssen, wenn und solange man sie noch hat. 513 Andererseits gilt auch
hier: Die pragmatische Notwendigkeit, Straftatbestände mit einer bestimmten De-
liktsstruktur auszustatten, weil man ein bestimmtes Ziel erreichen will, vermag
nicht zu begründen, daß es richtig und angemessen ist, ein Ziel mit dem Einsatz
strafrechtlicher Mittel erreichen zu wollen. 514

VI. Zwischenergebnis

Die Analyse der als Beispiele "moderner" Strafgesetzgebung untersuchten Teil-


bereiche der Strafrechtsordnung hat ergeben, daß die Strafnormen des "modemen"
Strafrechts typischerweise nicht personale Interessen als solche, sondern vielmehr
die Voraussetzungen der Entfaltung personaler Freiheit gewährleisten sollen, wie
z. B. die Erhaltung der lebensnotwendigen Umweltbedingungen, die Funktionsfä-
higkeit bestimmter Teilbereiche der Wirtschaftsordnung oder die Wahrung des ge-
sellschaftlichen Grundkonsenses. Derartige, dem einzelnen Individuum nur indi-
rekt zugutekommende kollektive Interessen haben sich zwar als grundsätzlich
schutzwürdig erwiesen. Es verbleiben aber zwei Problemstellungen: Zum einen
bleibt zu klären, welche kollektiven Interessen strafschutzwürdig sind bzw. anhand
welcher Kriterien strafschutzwürdige von nicht strafschutzwürdigen Interessen ab-
zugrenzen sind. Des weiteren stellt sich die Frage, "wie" Kollektivinteressen legiti-
merweise strafrechtlich zu schützen sind. Die Analyse hat insoweit ergeben, daß
die untersuchten Straftatbestände jedenfalls keine Erfolgsdelikte klassischer Prä-
gung darstellen. Zu klären ist insbesondere, ob Verhaltensweisen, die nur dann ei-
nen Beitrag zu realen Beeinträchtigungen zu leisten vermögen, wenn sich entweder
eine Vielzahl von Personen entsprechend verhalten oder aber andere Personen an
das Vorverhalten deIiktisch anknüpfen, legitimerweise unter Strafandrohung ge-
steilt werden dürfen.

513 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte, S. 416.


514 Wenn und soweit man zur Begründung entsprechender Strafnonnen auf die Verände-
rung bzw. Abstumpfung des Wertebewußtseins abheben will, ist zu berücksichtigen, daß es
sich nicht um Verletzungsdelikte, sondern um Gefahrdungsdelikte handelt, vgl. Misch, Ge-
fühle, S. 32.
6. Kapitel

Die Rechtsgutstheorie als Maßstab


der Legitimität strafrechtlicher Normen

I. Einleitung

Die Analyse ausgewählter Teilbereiche der Strafrechtsordnungen der Schweiz


und der Bundesrepublik Deutschland hat gezeigt, daß die Nonnen des "modemen"
Strafrechts nur dann auf den Schutz sog. Individualrechtsgüter klassischer Prägung
(wie z. B. Leib, Leben, Eigentum) abzielen, wenn bestimmte Verhaltensweisen im
Vorfeld der Beeinträchtigung konkreter Individualrechtsgüter pönalisiert werden.
Beispielhaft sei hier auf die §§ 327,328 dStGB verwiesen, die den Betrieb gefähr-
licher Anlagen bzw. den Umgang mit geflihrlichen Stoffen unter bestimmten Vor-
aussetzungen unter Strafe stellen. In der Regel zielen Straftatbestände des "moder-
nen" Strafrechts aber auf den Schutz von Interessen ab, die nicht Bestandteil der
unmittelbar-individuellen Rechtssphäre einzelner Personen sind, vielmehr geht es
um Belange, an denen grundsätzlich alle Mitglieder der Gesellschaft ein gleichge-
richtetes, ganzheitliches (gesamthänderisches) Interesse haben. Beispiele sind das
kollektive Interesse an der Erhaltung der für das menschliche Überleben unver-
ziehtbaren Umweltbedingungen (§§ 324 ff. dStGB) sowie das kollektive Interesse
an der Funktionsfähigkeit der für die Bedarfsdeckung notwendigen Institutionen
der Wirtschaftsordnung (§§ 264, 264a, 265b dStGB). Schließlich hat die Analyse
des weiteren ergeben, daß einige Straftatbestände des "modemen" Strafrechts nicht
dem Schutz kollektiver Interessen gegenstandsbezogener Art dienen sollen, son-
dern auf den Schutz bestimmter Wert- bzw. Moralvorstellungen abzielen. Beispiel-
haft kann insoweit auf die Nonnen des Betäubungsmittelstrafrechts sowie des bun-
desdeutschen Embryonenschutzgesetzes verwiesen werden, mit denen der Gesetz-
geber die Bekämpfung bestimmter Lebensentwürfe bzw. die Stabilisierung eines
bestimmten Menschenbildes zu erreichen sucht.
Die verbindliche FestIegung der strafrechtlich geschützten Belange kann in ei-
ner gewaltengeteilten Demokratie unstreitig allein durch den Gesetzgeber erfol-
gen. 1 Hiervon zu trennen ist allerdings die Frage, ob es sich bei den de lege lata
durch den Gesetzgeber festgelegten bzw. bei den de lege ferenda erwogenen
Schutzobjekten um legitimerweise schützenswerte, insbesondere: strafrechtlich

I Vgl. nur M. J. Worrns, Bekenntnisbeschimpfung, S. 79.


214 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

schutzwürdige Belange handelt. Wie bereits oben dargelegt wurde,2 führt die An-
wendung strafrechtlichen Zwanges notwendigerweise zu Grundrechtseingriffen, so
daß die Freiheit des Gesetzgeber bei der Bestimmung des legitimen Anwendungs-
bereichs strafrechtlicher Normen von vornherein jedenfalls durch die von der Ver-
fassungsrechtsordnung vorgegebenen Werte und Prinzipien beschränkt ist. 3 Wei-
chen Bindungen der Gesetzgeber bei seinen Pönalisierungsentscheidungen im ein-
zelnen unterliegt, ist allerdings weitgehend ungeklärt. Die Bemühungen der Straf-
rechtswissenschaft, den materialen Gehalt strafwürdigen Verhaltens zu erfassen,
konzentrieren sich derzeit vornehmlich auf die Lehre vom Rechtsgut. Daß sich das
materielle Substrat der Straftat aus einer Rechtsgutsbeeinträchtigung ergeben
müsse und es folglich Strafvorschriften ohne Rechtsgutsbezug legitimerweise nicht
geben dürfe, kann zwar als Grundsatz in nahezu allen Standardwerken des Straf-
rechts nachgelesen werden. 4 Eine nähere Auseinandersetzung mit dem derzeitigen
Stand der Rechtsgutstheorie führt dann allerdings zu einem im Hinblick auf den
vorgeblich zentralen Stellenwert dieser Theorie doch überraschenden Befund: So-
weit ersichtlich ist es bisher nämlich weder gelungen, einen Kreis strafrechtlich re-
levanter Rechtsgüter zu bestimmen,5 noch kann - trotz nicht unerheblicher Bemü-
hungen 6 - der Gehalt oder auch nur der Begriff des Rechtsguts selbst als geklärt
angesehen werden. 7

2 Vgl. oben S. 48 f.
3 Jescheck, in: LK, Vor § 13 Rdnr. 8.
4 Vgl. den Überblick über den Meinungsstand bei Stratenwerth, Festschrift für Lenckner,
S. 377 m. w. N. in den Fußnoten 3 und 4. Stratenwerth spricht insoweit von einem ,,Dogma".
S Roxin, StrafR AT, Teilbd. 1, § 2 Rdnr. 5; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnrn. 54,56, 58;
Lagodny, Strafrecht, S. 148 ff.; Lüderssen, BB 1996, Beilage 11, S. 6.
6 Zur dogmengeschichtlichen Entwicklung vgl. insbesondere die umfassenden Arbeiten
von Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft; Hasserner, Theorie und Sozio-
logie des Verbrechens; Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs "Rechts-
gut".
1 Vgl. Appel, Verfassung, S. 344 ff.; Hurtado Pozo, Partie generale, Rdnrn. 32 ff.; Kühl,
Rechtsgüter, S. 248, sowie insbesondere die Ausführungen von Stratenwerth, Festschrift für
Lenckner, S. 379 ff.; vgl. auch bereits ders., SchwStrafR AT I, § 3 Rdnr. 6 f.; ähnlich pessimi-
stisch Trechsel, in: Trechsell NolI, StrafR AT I, S. 24: ,,Letztlich erweist sich dieser Begriff
als inhaltsleer und verzichtbar." Vgl. auch Merkei, Strafrecht, S. 276 mit dem Hinweis dar-
auf, es wäre "eine Art Wunder der logischen Transsubstation, könnte man zwar ansonsten
und außerhalb des Rechtsgutsbegriffs nicht sagen, was der Staat bestrafen darf, brauchte aber
für eine Antwort auf die Frage nichts weiter als die Einsetzung der Formel vom ,Rechtsgut'
in ein entsprechendes Votum pro oder contra." Optimistischer dagegen Eser, Festschrift für
Mestmäcker, S. 1011: "immer noch ausstehende endgültige Klärung".
11. Rechtsgüterschutz als Funktion strafrechtlicher Normen 215

11. Rechtsgüterschutz als Funktion


strafrechtlicher Normen

Anlaß, dem herrschenden Rechtgutsparadigma skeptisch gegenüberzustehen,


könnte die Erkenntnis sein, daß das Strafrecht zum faktischen Schutz von Rechts-
gütern einen allenfalls mittelbaren Beitrag zu leisten vermag. Da die Verhängung
einer Strafe voraussetzt, daß eine pönalisierte Verhaltensweise bereits vorgenom-
men wurde, kann der Einsatz strafrechtlicher Sanktionen aktuelle Rechtsgutsbeein-
trächtigungen nicht verhindern, sondern setzt diese im Gegenteil als Anlaß für die
Sanktionierung geradezu voraus. Mit anderen Worten: Aufgabe des Strafrechts
kann jedenfalls nicht der Schutz von Rechtsgütern vor gegenwärtigen Beeinträchti-
gungen sein; gerade dann, wenn das Strafrecht real in Aktion tritt, kommt es regel-
mäßig zu spät. 8 Andererseits kann aber davon ausgegangen werden, daß die An-
drohung und Verhängung von Strafen - dies ist jedenfalls die grundlegende Prä-
misse aller präventiv orientierten Strafrechtslehren - einen Beitrag dazu leistet,
daß zukünftige Rechtsgutsbeeinträchtigungen unterbleiben, indem nämlich ein Ab-
schreckungseffekt erzielt bzw. die Normgeltung stabilisiert wird. 9
Welzel hat aus diesem Befund die Konsequenz gezogen, daß zumindest die un-
mittelbare Funktion strafrechtlicher Zwangsanwendung allein in der kontrafakti-
schen Stabilisierung von Normen gesehen werden könne. Seiner Auffassung nach
versucht das Strafrecht Rechtsgüterschutz dadurch sicherzustellen, "daß es die auf
Rechtsgüterverletzung abzielenden Handlungen verbietet und bestraft" und hier-
durch "die Geltung der positiven sozialethischen Aktwerte" sichere. "Diese in der
beständigen rechtlichen (d. h. legalen, nicht notwendig moralischen) Gesinnung
wurzelnden Werte rechtmäßigen HandeIns bilden den positiven sozialethischen
Hintergrund der strafrechtlichen Normen. Ihre reale Befolgung sichert das Straf-
recht dadurch, daß es den bestätigten Abfall von ihnen in den treubrüchigen, zucht-
losen, unehrlichen, unredlichen Handlungen bestraft. Die zentrale Aufgabe des
Strafrechts liegt also darin, durch Strafdrohung und Strafe rür den wirklich betätig-
ten Abfall von den Grundwerten rechtlichen HandeIns die unverbrüchliche Gel-
tung dieser Aktwerte sicherzustellen.,,10 Indem das Strafrecht "den wirklich betä-
tigten Abfall von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung verfemt und bestraft, of-
fenbart es in der eindrucksvollsten Weise, die dem Staat zur Verfügung steht, die
unverbrüchliche Geltung dieser positiven Aktwerte, formt das sozialethische Urteil
der Bürger und stärkt ihre bleibende rechtstreue Gesinnung".l1 Dem Strafrecht
müsse es "weniger auf das aktuelle positive Ergebnis der Handlung als auf die blei-

8 Welzel, Strafrecht, S. 3; ders., Festschrift für Gierke, S. 297; vgl. auch Appel, Verfas-
sung, S. 452 ff.; Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 77, 84; Tiedemann, Tatbestandsfunktio-
nen, S. 116.
9 Vgl. i. e. oben S. 57 f. sowie Appel, Verfassung, S. 440 ff., 459 ff.

10 Welzel, Strafrecht, S. 2 (Klammerzusatz im Original).

11 Welzel, Strafrecht, S. 3.
216 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

bende positive Handlungstendenz der Rechtsgenossen ankommen ( ... ) Die Ach-


tung vor den Rechtsgütern (also die Geltung der Aktwerte) zu sichern, ist wichti-
ger, als im aktuellen Einzelfall ein positives Ergebnis zu erreichen". 12
Soweit Welzel entgegengehalten wird, seine Konzeption begründe die Gefahr
des Abrutschens in ein Gesinnungsstrafrecht, 13 kann dem im Ergebnis nicht ge-
folgt werden. Tatsächlich hat Welzel den Gedanken des Rechtsgüterschutzes näm-
lich gar nicht verworfen,14 sondern vielmehr versucht, diesen umfassender bzw.
tiefergehend zu begründen. Die Stabilisierung von Normansprüchen ist auch für
Welzel 15 - jedenfalls dann, wenn man die endgültige Ausgestaltung seiner Lehre
in der Zeit nach 1945 zugrundelegt - weder Selbstzweck noch auf den Schutz von
Gesinnungen ausgerichtet, sondern Mittel zum Zweck des Rechtsgüterschutzes:
Aufgabe des Strafrechts soll sein "der Schutz der elementaren sozialethischen Ge-
sinnungs-(Handlungs-)werte und erst darin eingeschlossen der Schutz der einzel-
nen Rechtsgüter,,16 bzw. mit anderen Worten: ,,Aufgabe des Strafrechts ist der
Rechtsgüterschutz durch den Schutz der elementaren sozialethischen Handlungs-
werte.,,17 Zur Begründung führt Welzel aus: ,,Nur über die Sicherung der elemen-
taren sozialethischen Handlungswerte ist ein wirklich dauerhafter und durchgrei-
fender Schutz der Rechtsgüter zu erreichen. Durch die umfassendere sozialethische
Funktion des Strafrechts wird der Rechtsgüterschutz tiefer und stärker gewährlei-
stet als durch den alleinigen Güterschutzgedanken. Die Aktwerte der Treue, des
Gehorsams, der Achtung vor der Person usf. haben den längeren Atem und den
weiteren Blick als der bloße Güterschutz. Hinter ihnen tritt der nur aktuelle Nutzen
oder Schaden zurück vor dem dauerhaften Gewinn, der in der beständigen rechts-
treuen Gesinnung der Bürger liegt." 18
Auch wenn der Vorwurf der Begründung eines Gesinnungsstrafrechts zu Un-
recht erhoben wird, muß doch andererseits festgestellt werden, daß Welzel die Vor-
aussetzungen, unter denen Rechtsgüterschutz mit den Mitteln des Strafrechts be-
trieben werden kann, zwar im Ansatz zutreffend erkannt, daß er aber die aus der
Perspektive seines Ansatzes entscheidungserheblichen gesellschaftstheoretischen

12 Welzel, Strafrecht, S. 3.
13 Vgl. z. B. Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966), 345, 368; Rudolphi, in:
SKStGB, Vor § I Rdnr. 2; MJ. Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 73 f. m. w. N.; vgl. aber
auch die relativierende Stellungnahme von Kühl, Unterscheidung, S. 152 ff.
14 Vgl. Bettiol, ZStW 72 (1960), 276, 280; Stratenwerth, ZStR 79 (1963), 233, 239.

15 So auch die Einschätzung von Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnrn. 251 f.; Roxin, StrafR
AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 45; kritisch hierzu: Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 33 f.
Hinzuweisen ist darauf, daß Welzel selbst (Strafrecht, S. 80) vor den Gefahren eines Gesin-
nungsstrafrechts ausdrücklich gewarnt hat. Vgl. im übrigen auch Amelung, Rechtsgüter-
schutz, S. 273 ff. sowie allgemein zur Problematik der Unterscheidung von Gesinnungswer-
ten und Rechtsgütern: Papageorgiou, Schaden, S. 97 f.
16 Welzel, Strafrecht, S. 4.

17 Welzel, Strafrecht, S. 5.
18 Welzel, Strafrecht. S. 4.
11. Rechtsgüterschutz als Funktion strafrechtlicher Normen 217

Grundlagen nur unzureichend weiterverfolgt hat. Seine Konzeption erschöpft sich


in dem Nachweis, daß Rechtsgüter durch den Einsatz strafrechtlichen Zwanges al-
lenfalls mittelbar geschützt werden können. Maßstäbe bzw. Kriterien zur Bestim-
mung der als schutzwürdig anzuerkennenden Rechtsgüter können seinen Ausfüh-
rungen dagegen nicht entnommen werden. 19
Wenn Jakobs die Aufgabe des Strafrechts unter Verzicht auf den Gedanken des
Rechtsgüterschutzes mit der kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltensnormen
identifizieren will, kann dies nach dem oben Gesagten nur überzeugen, solange
man nicht nach der Funktion bestimmter strafrechtlicher Normen, sondern allein
nach der Funktion des Strafrechts als Institution fragt. Nur auf dieser Ebene be-
stehen keine Bedenken, "die Enttäuschungsfestigkeit der wesentlichen normativen
Erwartungen ( ... ) als das vom Strafrecht zu schützende Gut (zu) definieren.,,2o
Wie von Jakobs selbst zugestanden wird, darf das auf das Strafrecht als Institution
bezogene "Strafrechtsgut" der Normgeltung dann allerdings nicht mit dem Rechts-
gut als Schutzgegenstand jeweils konkreter Strafrechtsnormen gleichgesetzt wer-
den. 21 Auch wenn man die Funktion strafrechtlicher Normen darin sieht, Verhal-
tensnormen kontrafaktisch zu stabilisieren, kann die Legitimation konkreter straf-
rechtlicher Normen nicht allein aus der Funktion der Normstabilisierung abgeleitet
werden: 22 Versteht man Normen als Erwartungen, an denen man auch im Falle der
Enttäuschung festhalten will und sieht man in der Bestrafung eine Form der Verar-
beitung von Enttäuschung auf Kosten des Bestraften, kommt es entscheidend dar-
auf an, wann es legitim ist, auf einen Normbruch gerade mit dem Mittel der Strafe
zu reagieren. Anderenfalls wäre ein relevanter Unterschied zwischen der Pönalisie-
rung von Tötungshandlungen einerseits und andererseits einem Straftatbestand, der
ein rein symbolisches Handeln unter Strafe stellt (beispielhaft: die Mißachtung
staatlicher Symbole), nicht mehr auszumachen. 23 Da aber unstreitig nicht jede Ver-
haltensnorm unterschiedslos durch Sanktionsnormen abgesichert werden soll, kann
die Legitimität konkreter strafrechtlicher Normen nicht ohne Bezug zu dem jeweils
geschützten "Etwas" beurteilt werden.

19 Kritisch zur unzureichenden Aufarbeitung der im Grundsatz aufgezeigten gesellschafts-


theoretischen Bezüge bei und durch Welzel: Hassemer, Theorie, S. 112 ff.; Müssig, Rechts-
güterschutz, S. 32 ff.
20 So Jakobs, StrafR AT, 2/2; vgl. auch Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 140 ff.

21 Jakobs, StrafR AT, 217; vgl. auch bereits Welzel, ZStW 58 (1938), 491, 512 Fußn. 30.
22 V gl. auch Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 142, 151. So aber Appel, Verfassung, S. 440 ff.,
der die Funktion der Strafrechtsnormen darin sieht, die Autorität der normsetzenden Instanz
bzw. die Rechtsstellung des Rechtsunterworfenen zur Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen
(a. a. 0., S. 464).
23 V gl. Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 68 mit dem Hinweis darauf, daß funk-
tionalistische Strafrechtslehren zu diesem Zweck der Ergänzung durch eine normative Theo-
rie bedürfen. Appel, Verfassung, S. 442, 491 ff., 558 ff., verweist insoweit auf die Grundrech-
te und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
218 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

111. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie

Im Rahmen der Bemühungen um die Rechtsgutstheorie stehen sich im wesent-


lichen zwei grundsätzlich voneinander abweichende Konzeptionen gegenüber: die
systemimmanenten bzw. methodischen Rechtsgutslehren einerseits und die sy-
stemkritischen bzw. materialen Rechtsgutslehren andererseits. 24
Die systemimmanenten Rechtsgutslehren tendieren dahin, den Begriff des
Rechtsguts mit dem des Interesses bzw. Wertes gleichzusetzen. Sie definieren
Rechtsgüter beispielsweise als "Lebensinteressen der Gemeinschaft, denen das
Strafrecht seinen Schutz gewährt. ,,25 Das Rechtsgut sei "als ein rechtlich geschütz-
ter abstrakter Wert der Sozialordnung zu verstehen, an' dessen Erhaltung die Ge-
meinschaft ein Interesse hat".26 Die Gleichsetzung der Rechtsgüter mit "geistigen
Werten der Sozialordnung"27 eröffnet zwar einerseits die Möglichkeit, alle über-
haupt nur denkbaren Straftatbestände in den Anwendungsbereich der Rechtsguts-
theorie einzubeziehen, läuft aber andererseits darauf hinaus, den Rechtsgutsbegriff
inhaltlich zu entleeren. Eine Rechtsgutstheorie, die - wie es Binding in seiner klas-
sischen Definition formuliert hat - "alles, was in den Augen des Gesetzgebers als
Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von Wert ist, an
dessen unveränderter und ungestörter Erhaltung sie nach seiner Ansicht ein Inter-
esse hat und das er deshalb durch seine Normen vor unerwünschter Verletzung
oder Gefahrdung zu sichern bestrebt ist,,28 zum Rechtsgut erklärt, die also den Be-
griff des Rechtsguts mit dem der ratio legis gleichsetzt, ist von vornherein auf die
deskriptive Systematisierung der geltenden Strafrechtsordnung beschränkt. 29 Die
für die Auslegung und Anwendung der de lege lata geltenden Strafrechtsnormen
hilfreichen Funktionen der systemimmanenten Rechtsgutstheorie 3o sollen nicht in
Abrede gestellt werden. Wenn es aber - wie in der vorliegenden Untersuchung -
weder um die Systematisierung der de lege lata geltenden Normen noch um die
Etikettierung bestimmter dogmatischer Unterscheidungen, sondern vielmehr um

24 Grundlegend hierzu: Hasserner, Theorie, S. 19 ff.; vgl. auch Müssig, Rechtsgüterschutz,


S. 9; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 32 m. w. N. sowie Baratta, Festschrift für Arthur Kauf-
mann, S. 393 ff., insbesondere S. 398 mit dem Hinweis darauf, daß es sich nicht um zwei
voneinander getrennte Bereiche, sondern um "zwei Momente eines Kontinuums" handele.
2S Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 256; Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 19 Rdnr.
4; Schmidhäuser, StrafR AT, 2/30; Wesseis, StrafR AT, Rdnr. 7.
26 Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 257/258; Jescheck, in: LK, Vor § 13 Rdnr. 6; Krüm-
pelmann, Bagatelldelikte, S. 84; Schmidhäuser, Festschrift für Engisch, S. 443/444.
27 Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 259; vgl. auch Wesseis, StrafR AT, Rdnr. 8: "ideelle
Sozial werte".
28 Binding, Normen I, S. 353 ff.
29 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 7.

JO Vgl. Hasserner, Theorie, S. 57 ff.; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 258 f.; Jescheck,
in: LK, Vor § 13 Rdnr. 8; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 9; Mau-
rach 1Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 19 Rdnr. 17.
111. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 219

die Frage geht, ob der Gesetzgeber bestimmten Interessen legitimerweise straf-


rechtlichen Schutz gewähren darf, können von einer derart inhaltlich entleerten
Rechtsgutstheorie ersichtlich keine irgendwie relevanten Aussagen erwartet wer-
den. 3l
Grundlegend anders ist dies bei den systemkritischen Rechtsgutslehren, deren
Vertreter gerade den Ansatz verfolgen, den Begriff des Rechtsguts mit materiellem
Gehalt zu versehen, um so die legitimerweise strafschutzwürdigen von den nicht
strafschutzwürdigen Interessen unterscheiden zu können. 32 Daß es Straftatbestände
gibt und schon immer gegeben hat, die mit einem inhaltlich aufgeladenen Rechts-
gutsbegriff nicht zu erfassen und damit auch nicht zu legitimieren sind,33 wäre nur
dann ein von vornherein durchgreifendes Argument gegen diesen Ansatz, wenn
man, was aber auf eine petitio principii hinauslaufen würde, bereits im Vorwege
von der Legitimität eben dieser Straftatbestände ausgehen wollte. Auch der Hin-
weis darauf, daß diese Straftatbestände unbeanstandet bzw. in ihrer Legitimität un-
streitig seien,34 kann die Suche nach den diese Wertung tragenden Sachgesichts-
punkten nicht ersetzen. Für das der vorliegenden Untersuchung zugrundeliegende
Erkenntnisinteresse kommt es entscheidend darauf an, ob die systemkritische
Rechtsgutslehre den selbstgesetzten Anspruch zu erfüllen vermag, "dem Strafge-
setzgeber ein plausibles und verwendungsfähiges Kriterium seiner Entscheidungen
an die Hand zu geben und zugleich einen externen PfÜfungsmaßstab für die Ge-
rechtigkeit dieser Entscheidungen zu entwickeln".35
Problematisch ist hier zunächst, daß auch innerhalb der systemkritischen
Rechtsgutslehren keine konsensfähigen Kriterien und Maßstäbe zur begrifflichen
Konturierung des Rechtsgutsbegriffs ersichtlich sind. Als gesichert kann allein gel-
ten, daß das Rechtsgut nicht mit dem Interesse gleichgesetzt werden darf, das den
Gesetzgeber veraniaßt haben mag, eine Strafnorm zu schaffen (bzw. dies zu erwä-
gen), sondern vielmehr mit dem "Etwas", auf das sich dieses Interesse bezieht. 36
Dieses "Etwas" ist von den Vertretern systemkritischer Rechtsgutslehren unter an-

31 Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966), 345, 381; Fischer, Öffentlicher Frie-
de, S. 539 ff.; Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 203; Marx, Definition, S. 14, 19 ff.;
Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 174 f.; Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 154; Stächelin,
Strafgesetzgebung, S. 34; MJ. Worrns, Bekenntnisbeschimpfung, S. 24; tendenziell a.A. Ja-
kobs, StrafR AT, 2/ 12, der einen Rest kritischer Potenz darin sehen will, daß der Gesetzgeber
angehalten wird, einen Wert überhaupt zu benennen.
32 Appel, Verfassung, S. 342 f.; Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 261; Rudolphi, Fest-
schrift für Honig, S. 154; einen Überblick über die neueren systemkritischen Ansätze gibt
MJ. Worrns, Bekenntnisbeschimpfung, S. 31 ff.; kritisch hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz,
S. 208 ff.; ders., Sozialschädlichkeit, S. 278, der die Auffassung vertritt, der Rechtsgutsbe-
griff könne nicht mehr leisten als das, was die systemimmanenten Rechtsgutstheorien errei-
chen wollen.
33 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 2/16 ff.; Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 17/18; ders., ZStW
105 (1993), 679, 694; ders., ZStR 115 (1997), 86,92.
34 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 5.
35 Hassemer, in: NK, Vor § 1 Rdnr.261.
220 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

derem 37 umschrieben worden als "Objekte" oder "Gegenstände,,38, "Zustände,,39,


"Gegebenheiten,,4o, "Partizipationschancen,,41 und "Funktionseinheiten,,42. Die
begriffliche Vielfalt ist Ausdruck dessen, daß noch weitgehend ungeklärt ist, ob
und inwieweit Rechtsgüter einen real-gegenständlichen Bezugspunkt haben müs-
sen. Konkret geht es um die Frage, ob neben körperlich-substanzhaften Objekten
von der Art des menschlichen Körpers auch Interaktionszusammenhänge, wie etwa
das Subventionswesen, oder gar rein geistige oder ideelle Werte, wie z. B. die Be-
wahrung eines bestimmten Menschenbildes, legitime Schutzgegenstände straf-
rechtlicher Nonnen sein dürfen. Zu konstatieren ist, daß der Verzicht auf reale Ge-
genständlichkeit das kritische Potential der Rechtsgutstheorie tendenziell minimie-
ren würde, während andererseits eine Beschränkung auf gegenständliche Schutz-
objekte das kritische Potential des Rechtsgutsbegriffs erhöhen und bei einer
Beschränkung auf "handfeste" Rechtsgutsobjekte möglicherweise tatsächlich die
von den Kritikern des "modemen" Strafrechts befürwortete weitgehende Be-
schränkung auf einen relativ kleinen Kreis klassischer Individualrechtsgüter er-
zwingen könnte.
Für die Belange der vorliegenden Untersuchung erscheint es weder erforderlich,
die Dogmengeschichte der Rechtsgutstheorie nachzuzeichnen,43 noch ist es not-
wendig, den aktuellen Meinungsstand zur Klärung des Rechtsgutsbegriffs im ein-
zelnen darzustellen. 44 Als relevant erweisen sich vielmehr zwei relativ klar umris-
sene Fragestellungen: Kann bzw. muß der Kreis strafschutzwürdiger Rechtsgüter
auf eine durch bestimmte Qualifikationen gekennzeichnete, in sich geschlossene
Klasse von Gütern beschränkt werden? Inwieweit können bzw. müssen Interessen,
die nicht gegenständlich-substanzhaft verkörpert sind, in den Kreis strafschutzwür-
diger Rechtsgüter einbezogen werden?

36 Stratenwerth, Festschrift für Lenckner, S. 379 f.


37 Vgl. auch Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 286; Jakobs, StrafR AT, 2/ 15; Lenckner, in:
Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 9; Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 34;
Stratenwerth, Festschrift für Lenckner, S. 378; Vogel-Etienne, Tierschutz, S. 122 f., jeweils
m.w.N.
38 Marx, Definition, S. 9 f., 62.

39 Otto, Rechtsgutsbegriff, S. 8.

40 Roxin, StrafR AT, Teilbd. 1, § 2 Rdnr. 9.


41 Callies, Theorie, S. 132 ff., 142.
42 Hoyer, Eignungsdelikte, S. 36; Rudolphi, Festschrift für Honig, S .. 163.
43 Vgl. hierzu die bereits oben S. 214 Fußn. 6 genannten Abhandlungen.

44 Vgl. hierzu aus neuerer Zeit die Arbeit von MJ. Worms, Bekenntnisbeschimpfung,
S. 31 ff.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 221

1. Die Unterscheidung von Individual-


und Universalrechtsgütern

Im Rahmen der Rechtsgutstheorie werden gemeinhin die Subkategorien der In-


dividual- und Universalrechtsgüter unterschieden. 4s Beispiele für Individualrechts-
güter sind das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit und
das Eigentum des einzelnen an bestimmten Gegenständen. Beispiele für Universal-
rechtsgüter sollen sein: der Bestand des Staates und seiner freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung, die Wahrung von Staatsgeheimnissen, die Rechtspflege, die
Unbestechlichkeit von Amtsträgem, die Sicherheit des Geldverkehrs und die Zu-
verlässigkeit von Urkunden im Rechtsverkehr. 46
Allgemein wird die Unterscheidung nach dem Rechtsgutsträger und - damit zu-
sammenhängend - nach der Dispositionsbefugnis über das Rechtsgut als eine im
Hinblick auf die systemimmanenten Funktionen der Rechtsgutstheorie unverzicht-
bare Differenzierung anerkannt. 47 Insbesondere soll die Differenzierung dem Um-
stand Rechnung tragen, daß die Einwilligung einer Person in die Beeinträchtigung
eines Rechtsguts diesem Vorgang dann - aber auch nur dann - den Unrechtsgehalt
nehmen kann, wenn diese Person alleiniger Träger des Rechtsguts ist.48 Keine Ei-
nigkeit besteht demgegenüber in der Frage, ob die Unterscheidung von Individual-
und Universalrechtsgütern darüber hinaus auch für die systemkritische Funktion
der Rechtsgutstheorie Bedeutung hat. Während die Vertreter sog. dualistischer
Rechtsgutslehren Individual- und Universalrechtsgüter als gleichberechtigte Sub-
kategorien anerkennen,49 konzipieren die Vertreter sog. monistischer Ansätze
Rechtsgüter entweder nur vom Staat oder nur vom Individuum her,so was dann zur
Konsequenz hat, daß beispielsweise die Vertreter monistisch-personaler Rechts-
gutsiehren Universalrechtsgüter als eine eigenständige Kategorie ablehnen bzw.
diese "nur insoweit für legitim halten, als sie der personalen Entfaltung des Indivi-
duums dienen."sl

45 Vgl. Hurtado Pozo, Partie generale, Rdnr. 29.


46 Vgl. Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 259; Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 19
Rdnr. 11; WesseIs, StrafR AT, Rdnr. 7.
47 Vgl. Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnrn. 269 f.; Jescheck, in: LK, Vor § 13 Rdnr. 6; Mau-
rach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 19 Rdnr. 10; Schmidhäuser, StrafR AT, 2133; M.J. Worms,
Bekenntnisbeschimpfung, S. 53; kritisch hierzu: Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 178 ff.
4K Daß - zumindest de lege lata - der Umkehrschluß nicht trägt, zeigen die §§ 216, 226a
dStGB; vgl. Hassemer, Theorie, S. 83 f.
49 V gl. z. B. Riklin, StrafR AT I, § 4 Rdnr. 4; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 113 ff.,
120.
50 V gl. Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 271; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 17 f.
m.w.N.
51 Vgl. Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 271; vgl. auch Kasper, Erheblichkeitsschwelle,
S. 20 f., mit dem Hinweis darauf, daß hieraus die besondere Legitimationsbedürftigkeit resul-
tiere. Kritisch zur Möglichkeit einer vollständigen Reduzierbarkeit kollektiver Güter auf indi-
viduelle Rechte bzw. individueller Rechte auf kollektive Güter: Alexy, Vernunft, S. 253 ff.
222 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Tatsächlich kann die Unterscheidung von Individual- und Universalrechtsgütern


schon deshalb nicht überzeugen, weil die vorgeblich klare Abgrenzung beider Sub-
kategorien bei näherer Betrachtung gar nicht überzeugend durchgeführt werden
kann. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist bereits dargelegt worden, daß
die personale Freiheitssphäre des einzelnen Individuums neben der Gewährlei-
stung eines bestimmten Güterbestandes (status negativus) auch die Gewährleistung
der Grundvoraussetzungen für die Ausübung personaler Freiheit (status positivus)
beinhaltet. 52 Hieraus folgt dann aber, daß die einzelnen Mitglieder einer Gesell-
schaft als Individuen ein kollektives - man könnte auch sagen: gesamthänderisches
- Interesse an der Gewährleistung der für die Entfaltung ihrer individuellen Frei-
heit notwendigen Grundvoraussetzungen haben. 53 Dieser Bezug zur Sphäre des In-
dividuums wird vernachlässigt, wenn die kollektiven Interessen am Bestand derar-
tiger Rechtsgüter entweder als Rechtsgüter der Gemeinschaft oder aber - als Aus-
druck einer mehr etatistischen Sichtweise - als Rechtsgüter des Staates gedeutet
werden. Berücksichtigt man weiterhin, daß bisher soweit ersichtlich nicht überzeu-
gend begründet werden konnte, daß es sich bei dem Interesse an der Bestandserhal-
tung des Staates und der Funktionsfähigkeit staatlicher Organe oder gesellschaftli-
cher Institutionen um eigenständige Interessen des Staates, seiner Organe bzw. ge-
sellschaftlicher Institutionen selbst und nicht vielmehr um das kollektive Interesse
der Mitglieder der Gesellschaft handelt, wird man die strikte Trennung zwischen
Individual- und Universalrechtsgütern nicht aufrechterhalten können. 54
Wenn aber Lebensgüter des einzelnen stets auch mittelbar Lebensgüter der Ge-
sellschaft sind und gleichzeitig die auf die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft ab-
zielenden Belange zugleich dem einzelnen zugute kommen,55 muß konsequenter-
weise nicht nur die Konzeption eines Dualismus von Individual- und Universal-
rechtsgütern als qualitativ verschiedene Rechtsgutskategorien, sondern auch der
von den Vertretern der monistisch-personalen Rechtsgutslehre unternommene Ver-
such einer Hierachisierung von Individual- und Universalrechtsgütern als nicht
weiterführend aufgegeben werden. 56 Als Maßstab für eine sachgerecht ausgestalte-
te systemkritische Rechtsgutstheorie scheidet die Unterscheidung von Individual-
und Universalrechtsgütern aus. 57

52 Vgl. i. e. oben S. 94 ff.


53 Vgl. Feinberg, Vol. 1, S. 223; ders., Vol. 4, S. 33; Papageorgiou, Schaden, S. 281; Post-
ema, Ethics, Vol. 97 (1986-1987), 414, 422 f.; Rawls, Theorie, S. 300. Grundlegend zur be-
grifflichen Bestimmung des kollektiven Guts als "nicht distributiv": Alexy, Vernunft, S. 239 f.
54 So auch Hassemer, Theorie, S. 231 ff.; vgl. auch bereits Marx, Definition, S. 80 ff.
55 Schmidhäuser, StrafR AT, 2/30; vgl. auch Hassemer, in: NK, Vor § 1 Rdnr. 281; Schulz,
Strafrecht, S. 236 und der Sache nach wohl auch der von Eser, Festschrift für Mestmäcker,
S. \023, vorgeschlagene duale (institutionell-individuelle) Verbrechensbegriff.
56 Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 182; a.A. wohl Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 75 ff.

57 Daß die Differenzierung für die oben angesprochenen systemimmanenten Funktionen


mehr zu leisten vermag, als eine rein begriffliche Umschreibung, ist nach dem Gesagten
durchaus zweifelhaft, bedarf im vorliegenden Zusammenhang aber keiner Vertiefung.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 223

2. Die Substanzhaltigkeit von Rechtsgütern

Die Frage nach der notwendigen Substanzhaltigkeit des Rechtsguts steht mit der
heute unstreitig anerkannten Unterscheidung des Rechtsguts vom Handlungsobjekt
in einem nur äußerlichen Zusammenhang. Wahrend das Rechtsgut das "Etwas" ist,
auf dessen Erhalt bzw. Schutz sich das Interesse des Gesetzgebers bezieht, ist das
Handlungsobjekt der reale Gegenstand, an dem sich die tatbestandsmäßige Hand-
lung vollzieht. 58 Bei einigen Straftatbeständen, wie insbesondere den Tötungs- und
Körperverletzungsdelikten, sind Rechtsgut und Handlungsobjekt zwar scheinbar
identisch. 59 Selbst bei Individualrechtsgütern klassischer Prägung ist dies aber
nicht der Regelfall. So ist beispielsweise beim Diebstahl das Handlungsobjekt (die
Sache) nicht mit dem Rechtsgut (der tatsächlichen Herrschaftsbeziehung über die
Sache) identisch. Vermeidet man die Gleichsetzung des Rechtsguts mit dem Hand-
lungsobjekt, wird deutlich, daß auch Individualrechtsgüter klassischer Prägung,
wie z. B. die beim klassischen Diebstahlstatbestand geschützte Herrschaftsmacht
über bestimmte Sachen, nicht selbst gegenständlich-substanzhaft sind, sondern
sich auf ein gegenständlich-substanzhaftes Substrat beziehen. 60 Deutlicher wird
dies noch bei überindividuellen Rechtsgütern. So ist beispielsweise beim Straftat-
bestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt das geschützte Rechtsgut die un-
gestörte Vollstreckungstätigkeit der staatlichen Organe, während Handlungsobjekt
der einzelne angegriffene Vollstreckungsbeamte ist. Im vorliegenden Zusammen-
hang geht es nicht um die Differenzierung von Rechtsgut und Handlungsobjekt,
sondern allein um die Frage, inwieweit das Rechtsgut selbst, also: das ,,Etwas",
auf dessen Schutz sich das Interesse des Gesetzgebers bezieht, substanzhaften Cha-
rakter haben muß.
Eine Einschränkung des Kreises legitimerweise strafschutzwürdiger Belange
könnte sich aus der Erwägung herleiten, daß über den Rechtsgutsbegriff die Straf-
würdigkeit von Verhaltensweisen im Hinblick auf die mit diesen Verhaltensweisen
verbundenen sozialethischen bzw. sozialschädlichen Auswirkungen bewertet wer-
den soll. Möglich ist diese Bewertung nämlich nur dann, wenn die als Rechtsgüter
in Betracht gezogenen Interessen derart konkretisiert sind, daß die Auswirkungen
konkreter Verhaltensweisen auf die Integrität des Rechtsguts rational beurteilt wer-
den können. 61

58 Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 14/15; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 259/260; Mau-


rach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 19 Rdnm. 14 ff.; Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 10;
Schmidhäuser, Festschrift für Engisch, S. 444; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnrn. 209 f.; Vogel-
Etienne, Tierschutz, S. 124; Wesseis, StrafR AT, Rdnr. 8.
59 Vgl. Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 34; Schmidhäuser, StrafR AT, 2/32.

60 Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966), 345, 381/382; Rudolphi, Festschrift
für Honig, S. 164; ders., in: SKStGB, Vor § 1 Rdnr. 9; Stratenwerth, Festschrift für Lenckner,
S.384.
61 Vgl. Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 17; Kindhäuser, Legitimität, S. 129; Schlüchter, 2.
WiKG, S. 4 ff., 42 ff.; MJ. Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 82.
224 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Unmittelbar einsichtig ist, daß Strafrechtsnormen, die gegenständlich-substanz-


haft verkörperte ("handfeste") Rechtsgüter schützen sollen, der Forderung nach
feststellbarer Beeinträchtigungskausalität eher zu genügen vermögen als Straf-
rechtsnormen, die der Desintegration eines Interaktionszusammenhanges entge-
genwirken oder gar eine Wertvorstellung vor einem Geltungsverlust bewahren sol-
len. Daß der Schutz von Individualrechtsgütern klassischer Prägung gemeinhin als
unter Legitimitätsgesichtspunkten im Grundsatz unproblematisch angesehen wird,
dürfte seine wesentliche Ursache denn auch gerade darin haben, daß die Beein-
trächtigung substanzhaft-gegenständlich verkörperter Interessen, wie z. B. des In-
teresses an der Unversehrtheit des eigenen Körpers oder des Interesses an der un-
gestörten Verfügbarkeit bestimmter körperlicher Gegen!itände, regelmäßig weitge-
hend unproblematisch nachvollzogen werden kann. 62 Zwar gibt es auch einzelne
Individualrechtsgüter klassischer Prägung, bei denen - wie beispielsweise bei den
Rechtsgütern der ,,Ehre,,63 oder der "Willensfreiheit,,64 - die Annahme einer sub-
stanzbezogenen Verletzungstauglichkeit nicht unproblematisch ist;65 in der Regel
geht die Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern aber mit der Beeinträchti-
gung eines konkret-gegenständlichen Tatobjektes einher, das als Handlungsobjekt
den als Rechtsgut zu schützenden werthaften Zustand "verkörpert" und so zumin-
dest die Illusion erzeugt, es gehe darum, konkret-substanzhafte Objekte vor Beein-
trächtigungen zu bewahren. 66
Auch die Annahme, der strafrechtliche Schutz überindividueller Belange sei in
besonderer Weise legitimierungsbedürftig,67 dürfte weitgehend aus der spezifi-
schen Funktion von Universalrechtsgütern heraus zu erklären sein. Diese besteht
nämlich darin, den Schutz bestimmter staatlicher oder gesellschaftlicher Institutio-
nen bzw. bestimmter Funktions- oder Interaktionszusammenhänge zu gewährlei-
sten. Anders als bei Individualrechtsgütern klassischer Prägung kann die Beein-
trächtigung überindividueller Rechtsgüter in der Regel nicht an der Beeinträchti-
gung eines konkreten, gegenständlich faßbaren Angriffsobjekts festgemacht
werden, sondern schlägt sich allein in der von vornherein schwer faßbaren Desor-
ganisation problemspezifisch strukturierter gesellschaftlicher Subsysteme nieder. 68
Da auch im Hinblick auf innerhalb hochkomplexer Systeme auftretender Störun-
gen am Grundsatz der individuellen (strafrechtlichen) Verantwortlichkeit für eine
Beeinträchtigung festzuhalten ist,69 ist auch und gerade bei überindividuellen

62 Vgl. Stratenwerth, Festschrift für Lenckner, S. 380.


63 Vgl. Ronzani, Erfolg, S. 21 Fußn. 33.
M Vgl. Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966),345,389.

65 Vgl. Graul, Gefährdungsdelikte, S. 29 ff.; Martin, Strafbarkeit, S. 30; Müssig, Rechts-


güterschutz, S. 3 f., 47; Saal, Straftat, S. 92 f.; Stratenwerth, Festschrift für Lenckner, S. 380.
M Vgl. Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 12.
67 V gl. z. B. Hassemer, Grundlinien, S. 92; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 20 f.
68 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 356; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 40; Stratenwerth,
Festschrift für Lenckner, S. 385 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 85; ders., Tatbe-
standsfunktionen, S. 123 f.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 225

Rechtsgütern die hinreichende Konturierung des Schutzobjektes eine unverzicht-


bare Voraussetzung legitimer Strafgesetzgebung. 7o
Die Forderung nach Substanzhaftigkeit von Rechtsgütern wird vornehmlich aus
älteren Stellungnahmen von Jäger und Roxin herausgelesen. In seiner 1957 veröf-
fentlichten Untersuchung zur Legitimität der Sittlichkeitsdelikte hatte Jäger die
Auffassung entwickelt, Rechtsgüter seien "werthafte Zustände, die durch mensch-
liches Handeln verändert und die deshalb auch durch strafgesetzliche Regelungen
vor solchen Veränderungen bewahrt werden können. Mit anderen Worten: es sind
verletzbare, schützbare Zustände". 71 In seiner 1963 in erster Auflage veröffentlich-
ten Habilitationsschrift hatte Roxin - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Jäger
- Rechtsgüter noch definiert als "abgrenzbare, in der Außenwelt verwirklichte und
deshalb durch äußeres Handeln zu beeinträchtigende werthafte Zustände, wie Le-
ben, Gesundheit, Eigentum, Freiheit der Willensbildung, die Funktionsfähigkeit
der Staatsorgane und dergleichen. Begriffen, wie denen der Sittlichkeit, des Ge-
meinwohls, des Volksempfindens, der ethischen Ordnung oder der allgemeinen
Menschenwürde ist eine derart anschaulich-greifbare Zuständlichkeit nicht eigen.
Es handelt sich deshalb bei ihnen nicht um Rechtsgüter in dem hier angedeuteten
Sinne".72 Indes: Daß es sich bei Rechtsgütern tatsächlich nicht um konkrete, sinn-
lich wahrnehmbare Gegenstände handeln kann, Rechtsgüter also nicht etwas
..Greifbares" sind, wird nicht nur von Jäger73 ausdrücklich anerkannt; auch den
Äußerungen Roxins 74 ist zu entnehmen, daß er auf dem Standpunkt steht, daß es
sich bei Rechtsgütern eben nicht um dinglich-substanzhafte Gebilde, sondern um
beeinträchtigungs fähige reale Gegebenheiten handeln muß, d. h. um Gegebenhei-
ten, die nachvollziehbaren Veränderungen unterworfen werden können. 75 Ent-
scheidend ist damit, wo die Grenze der notwendigen Substanzhaftigkeit strafrecht-
lich relevanter Rechtsgüter liegt bzw. - anders formuliert - wie weit Rechtsgüter
..vergeistigt" werden dürfen.
Erkennt man das Erfordernis der realen Beeinträchtigungsfähigkeit grundsätz-
lich an, müssen jedenfalls Begriffe höchster Allgemeinheit 76 als Rechtsgüter aus-
scheiden. Die Wirtschaftsordnung als solche77 kann hiernach ebensowenig ein

69 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht. S. 41 ff.; Lampe. Kreditbetrug. S. 39 f.; Schlüchter. 2.


WiKG. S. 156; vgl. auch Stratenwerth. ZStW 105 (1993). 679. 686.
70 Hirsch. Bekämpfung. S. 17 ff.; Stratenwerth. Festschrift für Lenckner. S. 388.

71 Jäger. Rechtsgüterschutz. S. 13.

n Roxin. Tatherrschaft. S. 413.


73 Jäger. Rechtsgüterschutz. S. 14 f.

74 V gl. oben. Fußn. 72.

75 So auch Ronzani. Erfolg. S. 33 ff.; M.1. Worms. Bekenntnisbeschimpfung. S. 65. 82.

76 Jäger. Rechtsgüterschutz. S. 16 f. spricht - unter Bezugnahme auf Schopenhauer - pla-


stisch von ..hohlen Begriffen".
77 Geerds. Wirtschaftsstrafrecht. S. 280. 283; Tiedemann. Tatbestandsfunktionen. S. 122.
Gleiches gilt für die obersten Ziele der Wirtschaftspolitik. wie z. B. Budgetgleichgewicht,
Geldstabilität. vgl. Tiedemann. Tatbestandsfunktionen. S. 123 f.

15 Wuhlers
226 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

strafrechtlich relevantes Rechtsgut sein wie der freie bzw. faire Wettbewerb,78 die
öffentliche Ordnung,19 der öffentliche Friede,8o die Sittlichkeit,81 die innere Si-
cherheit 82 oder auch die Umwelt als solche. 83 Demgegenüber wird diesem Erfor-
dernis offensichtlich entsprochen, wenn sich der zu schützende Belang wie etwa
beim Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit in einem physisch-kausal verletz-
baren konkreten Handlungsobjekt verkörpert. Indes: Da die für das Leben in einer
modemen Gesellschaft relevanten Belange nicht überzeugend als eine Anhäufung
bzw. ein Bestand gegenständlich verfestigter Güter beschrieben werden können,84
wäre es verfehlt, eine Beschränkung auf konkret-gegenständliche ("handfeste")
Rechtsgüter zu verlangen. Auch bei Schutzgütern, die - wie z. B. das "Kreditwe-
sen", der "Kapitalanlagemarkt" oder das "Subventionswesen" - auf ein empirisch
feststell bares Substrat konkreter Interaktionszusammenhänge und Handlungsab-
läufe aufbauen, kann die reale Beeinträchtigungsfähigkeit85 und damit die für die
Annahme der Legitimität strafrechtlichen Schutzes grundlegende Beeinträchti-
gungsfähigkeit nicht von vornherein in Abrede gestellt werden.
Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß - abgesehen von einigen, die personale
Freiheitssphäre unmittelbar konstituierenden Rechtsgütern, insbesondere: Leben
und körperliche Unversehrtheit - Rechtsgüter regelmäßig nicht umfassend, son-
dern nur gegen bestimmte Formen der Beeinträchtigung geschützt werden. Ebenso
wie beispielsweise die Straftatbestände zum Schutz des Vermögens nur bestimmte
Formen der Beeinträchtigung, nämlich: täuschungsbedingte (§ 263 dStGB /
Art. 146 schwStGB), nötigungsbedingte (§ 253 dStGB / Art. 156 schwStGB) und
unter Ausnutzung bestimmter Vertrauensstellungen (§ 266 dStGB / Art. 158
schwStGB) bewirkte Vermögensschädigungen erfassen, wird auch überindividuel-
len Belangen kein umfassender, sondern lediglich ein partieller Strafrechtsschutz
gewährt. Wie bereits oben dargelegt,86 schützen z. B. die §§ 264a, 265b dStGB
nicht das Kreditwesen als solches bzw. die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes
umfassend, sondern nur in einem bestimmten Ausschnitt und in bestimmter Hin-
sicht, d. h. gegen eine bestimmte Art und Weise der Beeinträchtigung. Konkret: Er-
faßt wird allein die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Kreditmarktes

78 Vgl. Lüderssen, StV 1997,318,320.


79 Vgl. Wolff, Abgrenzung, S. 221 unter Hinweis auf Binding, Normen I, S. 352.
80 Köhler, StrafR AT, S. 33.

81 Binding, Normen I, S. 352/353; vgl. auch: Amelung, Sozialschädlichkeit, S. 275; For-


ster, ZSR NF 114 (1995),11, 1,50 Fußn. 204; Welzel, ZStW 58 (1939), 511 Fußn. 30; M.J.
Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 80.
82 Köhler, StrafR AT, S. 33.

83 Bloy, JuS 1997,577,579 f.; Hirsch, Bekämpfung, S. 16; Jenny/Kunz, Bericht, S. 49;
Ronzani, Erfolg, S. 36 ff., 43; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 3 Rdnr. 9.
84 Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 155 f.; Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 17; vgl. auch be-
reits Welzel, ZStW 58 (1938), 491, 514 f.
85 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 199.

86 Vgl.obenS.157ff.,174ff.
111. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 227

bzw. des Kapitalanlagemarktes durch wahrheitswidrige Angaben in Kreditanträgen


bzw. durch täuschende Angaben bei der Vermarktung von Kapitalanlagen. Daß in-
soweit sowohl eine empirische Kontrolle der Schädigungsrelevanz der in Frage
stehenden Verhaltensweisen als auch eine Bewertung der Schutzwürdigkeit des be-
troffenen Interaktionszusammenhangs grundsätzlich möglich ist, wird man nicht in
Abrede stellen können 87 - ob sie jeweils gegeben ist, ist eine Frage der Einzel-
normprüfung.
Als Kandidaten für einen grundSätzlichen Ausschluß aus dem Kreis strafschutz-
würdiger Rechtsgüter verbleiben damit vollständig substanzlose Rechtsgüter, wie
z. B. Gefühle oder Moral- bzw. Wertvorstellungen. Gemäß einer in der Strafrechts-
wissenschaft verbreitet vertretenen Auffassung soll eine der wesentlichen Errun-
genschaften der Rechtsgutstheorie gerade darin liegen, die Illegitimität des straf-
rechtlichen Schutzes bloßer Moral- oder Wertvorstellungen erwiesen zu haben. 88
Als wesentliche Beispiele wird in diesem Zusammenhang gemeinhin auf die Ab-
schaffung der Delikte der Hexerei und Zauberei sowie - aus neuerer Zeit - auf die
Reform des Sexualstrafrechts und hier insbesondere auf die Abschaffung der De-
likte verwiesen, die die Sittlichkeit allein um ihrer selbst willen schützen sollten,
wie z. B. die Straftatbestände der Sodomie und der Homosexualität. 89 Indes: Bei
näherem Hinsehen wird schnell deutlich, daß diese Delikte nicht etwa deshalb be-
seitigt wurden, weil sie nicht dem Schutz "greifbarer" Rechtsgüter dienten, son-
dern vielmehr deshalb, weil die zugrunde liegenden Schutzgegenstände als nicht
mehr schutzbedürftig angesehen wurden. 90 Die Beseitigung der Delikte der Zaube-
rei und Hexerei war nicht durch die Erkenntnis bedingt, daß es sich um substanzlo-
se Phänome handele, sondern dadurch, daß die Existenz dieser Phänome überhaupt
in Frage gestellt wurde. Deutlicher ist dies noch bei den Sittlichkeitsdelikten. Ent-
scheidend war hier nicht die Tatsache, daß es sich bei der Sittlichkeit als solcher
und auch bei einzelnen sittlich geprägten Wert- oder Moralvorstellungen um sub-
stanzlose Phänome handelt. Entscheidend war die sich seit der Aufklärung zuneh-
mend durchsetzende Überzeugung, daß bestimmte Bereiche des sittlichen Verhal-

87 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß nur bestimmte Institutionen und
Funktionszusammenhänge, nicht aber das "Vertrauen" in die Funktionsfähigkeit von Institu-
tionen oder Funktionszusammenhängen Schutzgut strafrechtlicher Normen sein kann. Abge-
sehen davon, daß das "Vertrauen" ein in seiner Schädigungsfähigkeit ebensowenig greifbarer
Begriff ist wie "die Wirtschaftsordnung", "die Umwelt" oder "die öffentliche Ordnung", ist
Grundlage der personalen Existenz nicht das Vertrauen in bestimmte Funktionszusammen-
hänge, sondern deren Funktionsfähigkeit selbst. Zwar kann diese durch einen Vertrauensver-
lust in Frage gestelJt werden. Dies ändert aber nichts daran, daß über den Vertrauensschutz
letztlich die Verfügbarkeit des Funktionszusammenhanges selbst gewährleistet werden solJ
(so zutreffend: DölJing, Gutachten, C 49; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 311).
88 Vgl. nur Roxin, StrafR AT, Teilbd. J, § 2 Rdnr. 11 f.
89 Hassemer, Strafrechtswissenschaft, S. 283 f.; ders., Festschrift für E. A. Wolff, S. 110;
Kühl, Rechtsgüter, S. 250 f.
90 Frisch, Festschrift für Stree I Wesseis, S. 72 f.; ders., Strafbarkeitsvoraussetzungen,
S.206.

15'
228 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

tens einer staatlichen Reglementierung entzogen sind. 91 Paradigmatisch hierfür ist


der sog. Wolfenden Report, in dem das unter dem Vorsitz von Sir John Wolfenden
tagende Committee on Homosexual Offences and Prostitution den Standpunkt ver-
tritt: "homosexual behaviour between consenting adults in privat should no longer
be a criminal offence" und dies mit dem Argument begründet: "there must remain
arealm of private morality and immorality which is, in brief and crude terms, not
the law's business".92
Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß eine Beseitigung substanzloser
Rechtsgüter notwendigerweise auch Straftatbestände erfassen müßte, die - soweit
ersichtlich - in ihrer Legitimität unbestritten sind, wie beispielsweise die Ehrde-
likteY3 Auch wenn man sich auf eine allgemein akzeptierte Definition des Phäno-
mens "Ehre" bisher nicht verständigen konnte,94 daß es sich bei der Ehre um etwas
Substanzloses handelt, dürfte unstreitig sein. 95 Nicht die "Ehre" selbst kann in ir-
gendeiner Art und Weise substanzhaft beeinträchtigt werden. Einer Beeinträchti-
gung zugänglich ist allenfalls der hinter diesem Phänomen stehende soziale Gel-
tungsanspruch bzw. das als Träger des Ehranspruchs in seinem Selbstwertgefühl
getroffene Individuum. Wenn trotzdem allgemein an der Berechtigung dieser Straf-
tatbestände festgehalten wird, ist dies ein Indiz dafür, daß es letztlich gar nicht auf
eine empirisch nachweisbare substanzhafte Beeinträchtigung ankommt, sondern
vielmehr darauf, daß die Annahme einer Beeinträchtigung der vorherrschenden
Rationalitätsstruktur einer Gesellschaft entspricht bzw. mit dieser vereinbar ist. 96
Sieht man den Menschen nicht als bloße bio-physikalische Einheit, sondern als ein
in sozialen Bezügen stehendes Individuum, wäre es verfehlt, die das Beziehungs-
geflecht stützenden Faktoren allein deshalb aus dem Kreis potentiell strafschutz-
würdiger Rechtsgüter auszuschließen, weil es sich um substanzlose Phänomene
handelt. 97
Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß Rechtsgüter weder als Entitä-
ten in der Lebenswelt vorgefunden noch anhand begrifflicher Merkmale positiv
umschrieben werden können. Konkret bedeutet dies, daß über den Rechtsgutsbe-

91 Vgl. Forster, ZSR NF 114 (1995),11, I, 12; Lüderssen, ZStW 107 (1995), 977, 898;
Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 10 unter Hinweis auf Locke und Humboldt.
92 Wolfenden Report, hier zitiert nach: Devlin, Enforcement, S. 3; vgl. auch Feinberg, Vol.
4, S. 134; Hart, Morality, S. 14/15.
93 Vgl. M.J. Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 52 sowie Zaczyk, Unrecht, S. 199 mit
dem zutreffenden Hinweis darauf, daß der gleiche Einwand auch im Hinblick auf Aussagede-
likte sowie Delikte gegen die Willensfreiheit (Nötigung und Delikte gegen die sexuelle
Selbstbestimmung) zu erheben wäre. Zur besonderen Bedeutung der Ehre vgl. auch Rawls,
Theorie, S. 479 ff., 590 ff.; ders., Idee, S. 189 ff.: Grundgut der Selbstachtung.
94 Vgl. den Überblick über den Meinungsstand bei Herdegen, in: LK, 10. Auflage, Vor
§ 185 Rdnrn. 5 ff.; Stratenwerth, SchwStrafR BT I, § 11 Rdnrn. 2 ff.
9~ Keller, ZStW 107 (1995), 457, 475.

% Vgl. Hassemer, Theorie, S. 237 f.

97 Vgl. Schulz, Strafrecht, S. 236/237; Zaczyk, Unrecht, S. 199.


III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 229

griff selbst weder komplexe Lebenszusammenhänge noch die als ordnungstiftende


Faktoren einer Gesellschaft dienenden kulturell geprägten Verhaltensnormen noch
Gefühlszustände von vornherein als legitime Schutzgegenstände strafrechtlicher
Normen ausscheiden müssen. Als Ergebnis der Bemühungen um den Rechtsguts-
begriff verbleibt allein die Erkenntnis, daß Rechtsgüter soweit konkretisiert sein
müssen, daß ihre Beeinträchtigung bzw. Nichtbeeinträchtigung durch ein bestimm-
tes Verhalten nachvollziehbar geprüft werden kann, wobei sich dann allerdings der
Prüfungsmaßstab wiederum an der Rationalitätsstruktur der jeweiligen Gesell-
schaft zu orientieren hat. 98

3. Die Anbindung der Rechtsgutstheorie


an die Gesellschaftstheorie

Die vorstehenden Ausführungen legen die Vermutung nahe, daß sich die "sy-
stemkritische" Funktion der Rechtsgutstheorie im wesentlichen darauf beschrän-
ken muß. dem Gesetzgeber gegenüber die - im Hinblick auf die verfassungsrecht-
liche Fundierung des Strafrechts auch ohne Bezugnahme auf die Rechtsgutstheorie
selbstverständliche - Notwendigkeit zu betonen, die mit einer Pönalisierung ver-
folgten Zielsetzungen offenzulegen, um so eine Basis zu schaffen, auf der dann die
Legitimität der jeweils in Frage stehenden Normen diskutiert werden kann. 99 Will
man an der Rechtsgutslehre als einem wesentlichen Prüfstein legitimer Strafge-
setzgebung festhalten, 100 muß die an begriffliche Merkmale anknüpfende Rechts-
gutslehre verabschiedet und durch einen auf gesellschaftstheoretischer Grundlage
neu konzipierten Ansatz ersetzt werden. 101 Die für die Konstituierung von Rechts-
gütern maßgebenden Kriterien können nicht dem Rechtsgutsbegriff entnommen
werden,102 sondern müssen vielmehr von außen an die Rechtsgutstheorie herange-
tragen und in diese integriert werden. 103 Rechtsgüter sind deshalb als das Produkt
eines wesentlich durch den jeweiligen Bezugsrahmen der gesellschaftlichen Ver-
ständigung über die den Bedürfnissen des einzelnen und der Gesamtheit entspre-

98 Vgl. Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966), 345, 375 f. (insbesondere zum
Stellenwert der individuellen Freiheit); Trechsell Noll, StrafR AT I, S. 25; Stratenwerth,
SchwStrafR AT I, § 3 Rdnr. 8.
99 So Killias/Rehbinder, ZBJV 119 (1983), 291,293; vgl. auch Frisch, Festschrift für
Stree/Wessels, S. 72; Jakobs, StrafR AT, 2/12; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 3 Rdnrn.
10 ff.
100 Die systemimmanenten Funktionen der Rechtsgutstheorie stehen außer Streit und sol-
len auch durch die obigen Ausführungen nicht in Zweifel gezogen werden.
101 Roxin, JA 1980,545,546/547.

IO~ Jakobs, StrafR AT. 21 15; vg. auch Frisch, Festschrift für Stree/Wessels, S. 72 f.; ders.,
Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 205.
103 Jakobs, StrafR AT. 2/22; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnrn. 64 ff.
230 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

chende "richtige" soziale Ordnung lO4 determinierten gesellschaftlichen Selektions-


prozesses zu verstehen. 105
Entgegen einer verbreitet vertretenen Auffassung ist es damit aber bereits im
Ansatz verfehlt, der Rechtsgutstheorie selbst einen liberalen oder autoritären Ge-
halt zuerkennen zu wollen. I06 Über den liberalen oder autoritären Gehalt einer
Strafrechtsordnung entscheidet nicht die Rechtsgutstheorie als solche, sondern
vielmehr die wesentlich durch die Verfassungsrechtsordnung zur Geltung ge-
brachte Konzeption einer Gesellschaft. Als Quellen der für die Bewertung straf-
rechtlicher Normen bzw. potentiell strafwürdiger Verhaltensweisen relevanten
Maßstäbe und Kriterien ist zum einen der Rückgriff auf die in einer konkreten ge-
sellschaftlichen Situation faktisch gegebenen Strukturen (die Systembedingungen)
und zum anderen die Orientierung an den für eine Gesellschaft verbindlichen nor-
mativen Grundsätzen gefordert worden.

a) Das gesellschaftliche Umfeld als


Kriterium strafschutzwürdiger Rechtsgüter

aa) Das Seiende als Basis des Seinsollenden (v. Liszt)

Der Ansatz, strafschutzwürdige Rechtsgüter nicht anhand normativer Kriterien


zu bestimmen, sondern vielmehr aus dem in einer historisch konkreten Situation
gegebenen gesellschaftlichen Umfeld abzuleiten, ist insbesondere durch Franz
von Liszt vertreten worden. Von Liszt sah in Rechtsgütern die durch das Recht
geschützten Lebensinteressen des einzelnen oder der Gemeinschaft. 107 Rechtsgü-
ter werden seiner Auffassung nach nicht durch die Rechtsordnung erzeugt, son-
dern durch das Leben. Zu Rechtsgütern werden Interessen zwar erst dadurch, daß
ihnen Rechtsschutz gewährt wird, jedoch "wurzeln die Rechtsnormen letzten
Grundes in dem Wissen wie in den religiösen, sittlichen und ästhetischen An-
schauungen des Staatsvolkes; sie finden hier ihren festen bodenständigen Halt
und empfangen hier den Antrieb zur Entwicklung. Das Recht ist eine Kulturer-
scheinung und unlöslich mit der Gesamtkultur verbunden.,,108 Erkenntnistheoreti-

104 Vgl. Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 59.


105 Vgl. Bettiol, ZStW 72 (1960), 276, 283; Eser, Duquesne University Law Review 4
(1966),345,378 f., 394 ff., 413; Forster, ZSR NF 114 (1995),11, 1,47 f.; Frisch, Festschrift
für Stree 1 WesseIs, S. 72; Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnrn. 282 ff.; Lampe, Festschrift für
Welzel, S. 153 ff.; Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 157 ff.; Rudolphi, Festschrift für Honig,
S. 164; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 56.
106 So wohl auch Papageorgiou, Schaden, S. 90 Fußn. 46; vgl. aber andererseits auch
a. a. 0., S. 92.
107 Vgl. v. Liszt, ZStW 8 (1888),133,138/139.

108 v. Liszt, Lehrbuch, S. 4; vgl. auch ders., Zweckgedanke, S. 147; ders., Handlungsbe-
griff, S. 223.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 231

sehe Basis dieses Ansatzes ist die These, "das Seinsollende (könne) ausschließ-
lich aus dem Seienden abgeleitet werden. Oder genauer gesprochen: Indem wir
das Seiende als ein geschichtlich Gewordenes betrachten und danach das Werden-
de bestimmen, erkennen wir das Seinsollende. Werdendes und Seinsollendes sind
insoweit identische Begriffe. Nur die erkannte Entwicklungstendenz gibt uns über
das Seinsollende Aufschluß; für unsere menschliche Zwecksetzung bleibt uns nur
die Hemmung oder Förderung eines von menschlicher Willkür unabhängigen Ent-
wicklungsganges."I09
Dieser an die Kulturnormenlehre M. E. Mayers anknüpfende Ansatz ist - dies
ist heute soweit ersichtlich unstreitig - durchgreifenden Einwänden ausgesetzt:
Anzuerkennen ist, daß rechtliche Regelungen stets in historisch gewachsenen Si-
tuationen geschaffen werden und notwendigerweise darauf abzielen, ein konkretes
soziales Umfeld zu gestalten. Daß das Recht der sozialen Wirklichkeit Rechnung
zu tragen hat und der Gesetzgeber deswegen die Erkenntnisse der Wissenschafts-
zweige, die sich mit der Erforschung der gesellschaftlichen Realität befassen, nicht
übergehen darf, wenn er sachgerechte Regelungen treffen will, ist insoweit unstrei-
tig, als der Gesetzgeber gehalten ist, keine Normen zu setzen, die faktisch Unmög-
liches verlangen bzw. zur Durchsetzung eines bestimmten Zweckes ungeeignete
Maßnahmen anordnen würden. 110 Anzuerkennen ist also, daß das geschichtlich-so-
ziale Umfeld die zur Regelung eines konkreten Problems zur Verfügung stehenden
Alternativen von vornherein auf die Lösungen beschränkt, die sich in die bestehen·
de Rechtsordnung einfügen 11 I und auf der Grundlage der geschichtlich gewachse-
nen gesellschaftlichen Wertungen, Interessen und Zwecksetzungen überhaupt
denk-, diskussions- und durchsetzungsfähig sein können. 112
Daß aus den auf erfahrungs wissenschaftlicher Grundlage gewonnenen Erkennt
nissen über die Realität des gesellschaftlichen Miteinanders (den sog. Seinstatsa-
chen) darüber hinaus auch in positiver Hinsicht konkrete Regelungsinhalte (Sol·
lensnormen) abgeleitet werden können, kann demgegenüber nicht angenommen
werden. Gegen die These von der Ableitbarkeit des Seinsollenden aus dem Seien
den, mit der v. Liszt bereits im zeitgenössischen Schrifttum wenig Anklang gefun-
den hat,1I3 ist zunächst einzuwenden, daß die Annahme, es sei der menschlichen

109 v. Liszt, ZStW 26 (1906),553,556; ders., ZStW 27 (1907), 91, 92 ff.; vgl. auch Feisen
berger, ZStW 27 (1907), 460: Aus dem Seienden sei der Zweck zu entnehmen, der dann das
Seinsollende setzt; an hand des Zwecks könne aus dem Seienden das Seinsollende erkannt
werden; Weinkauff, NJW 1960, 1689, 1696.
110 Coing, Rechtsphilosophie, S. 187 ff.; Engisch, Gerechtigkeit, S. 238 ff.; Habermas.
Faktizität und Geltung, S. 394 f.; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 98 ff.; Radbruch, Natur der
Sache, S. 233 f.; Stratenwerth, Problem, S. 27; Würtenberger, JZ 1955, 1,3.
111 Vgl. Luhmann, Rechtsoziologie, S. 239, 325.

112 Vgl. Forster, ZSR NF 114 (1995),11, I, \03; Luhmann, Rechtssoziologie, S. 126, 140,
298 ff.; Radbruch, Natur der Sache, S. 237; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 3 Rdnr. 4.
113 Vgl. Mezger, Sein, S. 42 ff. sowie Radbruch ZStW 27 (1907), 246 und 742, jeweils
m.w.N.
232 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Zwecksetzung überlassen, einen von menschlicher Willkür unabhängigen Entwick-


lungsgang zu hemmen oder zu fördern, bereits in sich widersprüchlich erscheint.
Des weiteren ist zu konstatieren, daß v. Liszt eine überzeugende Antwort darauf
schuldig geblieben ist, anhand welcher Kriterien zwischen schutzwürdigen und
nicht schutzwürdigen (Lebens-)Interessen unterschieden werden soll bzw. unter-
schieden werden kann. 114 Der Verweis auf die "Kultur" mag vor dem Hintergrund
eines rein naturalistischen Weltbildes als ausreichend erscheinen; nachdem sich
der an eine derart verkürzte Sicht des sozialen Lebens anknüpfende Erkenntnisop-
timismus als geradezu naiv erwiesen hat, wird man differenziertere Ansätze ver-
langen müssen. 115
Die Annahme, das Seiende könne als solches objektiv erkannt werden, vernach-
lässigt, daß bereits das Erkennen des Seienden tatsächlich einen durch Wertungen
beeinflußten Prozeß der Konstruktion des Seienden darstellt. 116 Versuche, die für
die Bewertung des Seinsollenden notwendigen Maßstäbe einer den realen gesell-
schaftlichen Verhältnissen selbst innewohnenden Ordnung zu entnehmen, sind
stets an der Tatsache gescheitert, daß jeder ontologisch ausgerichteten, auf der Na-
tur des Menschen oder der Natur der Dinge aufbauenden Begründung des Rechts
Wertungen zugrunde liegen, anhand derer die Natur der Dinge bzw. des Menschen
überhaupt erst abgeleitet wird. 1l7 Die als "Natur der Sache" bezeichnete, einem
Sachverhalt angeblich immanente innere Ordnung hat sich als Wertung erwiesen,
die in einer mehr oder minder langen Tradition geprägt wurde und allein deshalb
als die natürliche Ordnung eben dieses Sachverhalts erscheint. \18
Was als ,,Natur" einer Sache erscheint, hängt allein davon ab, welche Sachver-
haltsmomente aufgrund einer wertenden Betrachtung aus der Masse der in der
Seinssphäre vorfindbaren Fakten als wesentlich herausgehoben werden. 119 Der Re-
kurs auf die einem Sachverhalt angeblich immanente innere Ordnung führt im Er-
gebnis dazu, daß die notwendigerweise vorzunehmende Auswahl entweder durch
eine auf die Evidenz des Ergebnisses aufbauende bloße Behauptung ersetzt oder

114 Daß die vorgefundenen Interessen "gegeneinander abgewogen" werden müssen, hatte
auch v. Liszt nicht in Abrede gestellt; vgl. ders., Zweckgedanke, S. 147.
115 Zur fehlenden inhaltlichen Begrenzung der Liszt'schen Rechtsgutslehre vgl. Le. Ame-
lung, Rechtsgüterschutz, S. 87 ff.; kritisch zur Unbestimmtheit des Liszt'schen Ansatzes auch
Jakobs, StrafR AT, 2/13; Papageorgiou, Schaden, S. 93,106.
Vgl. auch Bohnert, Straftheorie, S. 33 ff.: v. Liszt habe gar nicht ernsthaft die geschichtli-
che Entwicklung aufgearbeitet,sondern diese als Folie für die Darstellung seiner rechtspoliti-
schen Ziele genutzt. Bei dem Liszt'schen Ansatz handele es sich um einen teleologischen An-
satz in dem das ,,richtigerweise" zu Sollende tatsächlich normativ gesetzt werde.
116 Lüderssen, Genesis, S. 49, 150.

117 Dreier, Begriff, S. 116; Engisch, Gerechtigkeit, S. 221 f., 230 f., 237 f.; Kaufmann, Bei-
träge, S. 81; Stratenwerth, Problem, S. 20.
118 Engisch, Gerechtigkeit, S. 237 f., 244 f.; Seelmann, Rechtsphilosophie, § 8 Rdnr. 22.

119 Coing, Rechtsphilosophie, S. 190; Radbruch, Natur der Sache, S. 235; Stratenwerth,
Problem, S. 22, 24 f., 27; vgl. aber auch Küpper, Grenzen, S. 35 f.: Der Rekurs auf die Natur
der Sache solle nur die vorschnelle Zuflucht zu Wertungen verhindern.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 233

aber die tatsächlich maßgeblichen Wertungen hinter dem Postulat der Erkenntnis
einer dem Sachverhalt immanenten Ordnung verborgen werden. 120 Zur Illustrie-
rung kann beispielhaft auf die Bemühungen Maihofers zum Rechtsquellencharak-
ter der ,,Natur der Sache,,121 verwiesen werden. Maihofer vertritt hier die These,
daß aus der Seinsstruktur von Lebenssachverhalten Sinnstrukturen abgeleitet wer-
den können. Maßgebend sollen die Erwartungen sein, die die Träger sozialer Le-
bensrollen 122 an den Anderen als Solchen stellen. Ermittelt werden sollen die Rol-
lenerwartungen dadurch, daß sich der Träger eine Rolle (z. B.: als Sohn) die Frage
stellt, was er als Träger der komplementären Rolle des Anderen (im Beispiel: als
Vater) von Trägern der anderen Rolle (im Beispiel: als Sohn) erwarten würde. 123
Was konkret von einem "vernünftigen" Träger einer Rolle "berechtigterweise" er-
wartet werden darf, soll und kann nach Maihofer anhand der Goldenen Regel und
des Kategorischen Imperativs ermittelt werden. 124
Hierzu ist anzumerken, daß der Kategorische Imperativ als solcher von Kant
nicht als Maßstab zur Ableitung des Seinsollenden verstanden worden ist,125 son-
dern allein die Auswahl von Verhaltensmaximen ermöglichen soll - und zwar vor
dem Hintergrund bestimmter, als feststehend vorausgesetzter gesellschaftlicher In-
stitutionen bzw. menschlicher Interessen. 126 Bei seinen in der Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten zur Erläuterung des Kategorischen Imperativs herangezoge-
nen Beispielen der Selbsttötung aus Lebensüberdruß, 127 des Menschen, der sich
dem Vergnügen ergibt, statt an der Entwicklung seiner naturgegebenen Anlagen
und Talente zu arbeiten 128 sowie des Menschen, der sich gegenüber der Not ande-
rer gleichgültig verhält,129 setzt Kant voraus, daß es im Interesse des Menschen
liege, Selbsttötungen zu unterlassen,130 an der Erweiterung und Verbesserung der

120 Vgl. Dreier, Begriff, S. 117 ff.; GutzwiIler, Lehre, S. 21 f.; E. Kaufmann, JuS 1987,
848,850 f.
121 Maihofer, Archiv für Rechtsphilosophie, Bd. 44 (1958), 145, 163 ff.

122 Maihofer nennt als Beispiele die Rollenpaare Vater und Sohn sowie Lehrer und Schüler.

123 Maihofer, Archiv für Rechtsphilosophie, Bd. 44 (1958), 145, 167.

124 Maihofer, Archiv für Rechtsphilosophie, Bd. 44 (1958), 145, 167 ff.

125 Dieser Gesichtspunkt verliert allerdings an Gewicht, wenn man in dem insoweit wohl
einschlägigen allgemeinen Rechtsgesetz der (äußeren) Freiheit (Metaphysik der Sitten, Ein-
leitung in die Rechtslehre, § B) eine spezialisierte Version des Kategorischen Imperativs
sieht; vgl. hierzu: Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 290 ff.; Kersting, Freiheit, S. 26, 128;
Kühl, Unterscheidung, S. 142.
126 Engisch, Gerechtigkeit, S. 210; Höffe, Verallgemeinerung, S. 212/213; Pogge, Impera-
tive, S. 190; vgl. auch Maus, Demokratietheorie, S. 267 ff., 283 f., 330 f.: der kategorische
Imperativ als Instrument zum Ausschluß bestimmter Maximen.
127 Kant, Grundlegung zur Metaphyik der Sitten, S. 52

128 Ebd., S. 53 f.

129 Ebd., S. 54.

130 Höffe, Kategorischer Imperativ, S. 373 ff.; Hoerster, Kategorischer Imperativ, S. 470 f.;
Kelsen, Rechtslehre, S. 370; Welzel, Naturecht, S. 171; kritisch zur Argumentation bei Kant:
Papageorgiou, ARSP-Beiheft 51 (1993), 198,203 f.
234 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

naturgegebenen menschlichen Anlagen zu arbeiten, statt nach Vergnügungen zu


streben 131 und in Notsituationen Hilfe von anderen Personen zu erhalten. 132 Nicht
durch logische Deduktion,133 sondern erst und nur auf der Basis dieser Grundan-
nahmen vermag Kant dann die Selbstwidersprüchlichkeit der in Frage stehenden
Maximen und damit deren Unvereinbarkeit mit dem Kategorischen Imperativ zu
begründen. 134 Gleiches gilt für das Beispiel der Person, die, um sich aus einer fi-
nanziellen Notlage zu befreien, erwägt, sich mit dem falschen Versprechen, dieses
zurückzahlen zu wollen, Geld zu leihen,135 sowie das Beispiel desjenigen, der die
Maxime verfolgt, sein Vermögen durch alle sicheren Mittel zu vergrößern und der
ein ihm anvertrautes Gut in Händen hält (Depositum), dessen Eigentümer verstor-
ben ist und der erwägt, den Besitz - für den keine Beweismittel existieren - dem
Erben gegenüber abzuleugnen,136 wo neben der Existenz der Institutionen des Pri-
vateigentums und des Geldes die Existenz bestimmter Vertragstypen vorausgesetzt
wird. 137
Daß Kant sich bei der Erörterung des Beispiels des lügnerischen Versprechens
zunächst darauf beschränkt hat, die Unvereinbarkeit mit dem Kategorischen Impe-
rativ damit zu begründen, daß die Erhebung dieser Maxime zu einem allgemeinen
Gesetz das Versprechen (als Institution) und den Zweck, den man mit ihm verfol-
gen kann, unmöglich machen würde, da niemand mehr einem Versprechen glauben
würde,138 und er sich beim Beispiel des Depositums gänzlich auf die Bemerkung
zurückzieht, "daß ein solches Prinzip, als Gesetz, sich selbst vernichten würde,
weil es machen würde, daß es gar kein Depositum gäbe",139 hat den bereits von
Hegel 140 erhobenen Einwand provoziert, worin denn der Widerspruch liegen solle,

131 Höffe, Kategorischer Imperativ, S. 380 f.; ders., Verallgemeinerung, S. 225; Hoerster,
Kategorischer Imperativ, S. 473; Kelsen, Rechtslehre, S. 371; Pogge, Imperative, S. 180.
132 Höffe, Kategorischer Imperativ, S. 383; ders., Verallgemeinerung, S. 225; Hoerster,
Kategorischer Imperativ, S. 471 ff.; Kelsen, Rechtslehre, S. 372; Pogge, Imperative, S. 179 f.;
vgl. auch Rawls, Theorie, S. 374.
133 Daß es bei den von Kant gebildeten Beispielen nicht um logisch widersprüchliche Re-
geln geht, steht außer Streit, vgl. nur Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 302; Höffe, Kategori-
scher Imperativ, S. 373 ff.; Hoerster, Kategorischer Imperativ, S. 458 ff.; Kelsen, Rechtslehre,
S. 369 ff.; Patzig. Ethik, S. 154.
134 Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphyik der Sitten, S. 61 ff. sowie Patzig, Ethik,
S. 156/157.
135 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 52 f.

136 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 136.


137 Engisch, Gerechtigkeit, S. 209 f.; Kelsen, Rechtslehre, S. 371; vgl. aber auch Zaczyk,
Unrecht, S. 144 f.
138 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 53; zu dieser pragmatisch-utilitaristi-
schen Begründung des Nicht-wollen-könnens vgl. auch Hoerster, Kategorischer Imperativ,
S. 468 ff.
139 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 136.

140 Hegel, Behandlung des Naturrechts, S. 462; vgl. auch Hoerster, Kategorischer Impera-
tiv, S. 467 f.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 235

wenn es kein Depositum mehr gäbe. Angesichts dessen, daß grundsätzlich jede Re-
gel mit beliebigem Inhalt zu einem allgemeinen Gesetz erhoben werden kann,
wenn und soweit man nur bereit ist, die Konsequenzen aus diesem Gesetz zu tra-
gen,141 müßte die bloße Anwendung des Kategorischen Imperativs in seiner
(Grund-)Form als Prinzip der Verallgemeinerung tatsächlich dazu führen, daß sich
allein die Maximen als selbstwidersprüchlich erweisen würden, bei denen eine Re-
gel nur im Einzelfall gebrochen werden soll, wie z. B. im Falle eines Diebstahls
durch eine Person, die für sich selbst und grundsätzlich an der Institution des Pri-
vateigentums festhalten Will. 142
Soll die Ableitung bestimmter inhaltlicher Strukturen des Seinsollenden ermög-
licht werden, setzt dies also voraus, daß der Kategorische Imperativ zuvor mit ent-
sprechenden inhaltlichen Grundsätzen aufgeladen wird, was etwa bei Kant über
die Formel geschieht, daß der Mensch stets und unter allen Umständen als Zweck
an sich zu behandeln sei,143 ein Ansatz, der von anderen Autoren aufgegriffen und
vertieft worden ist,l44 der dann aber darauf hinausläuft, daß sich die vordergründig
anhand des Kategorischen Imperativs entwickelten Inhalte tatsächlich aus diesem
Menschen- oder Weltbild herieiten. 145 Beispielhaft: Beim lügnerischen Verspre-
chen leitet Kant die Unvereinbarkeit der Maxime mit dem Kategorischen Impera-
tiv daraus her, daß sich derjenige, der "ein lügenhaftes Versprechen gegen andere
zu tun im Sinne hat, sofort einsehen (muß), daß er sich eines anderen Menschen
bloß als mittels bedienen will, ohne daß dieser zugleich den Zweck in sich enthalte.
Denn der, den ich durch ein solches Versprechen zu meinen Absichten brauchen
will, kann unmöglich in meine Art, gegen ihn zu verfahren, einstimmen und also
selbst den Zweck dieser Handlung enthalten." Deutlicher werde der Widerstreit ge-
gen das Prinzip - so Kant - noch bei Angriffen auf Freiheit und Eigentum anderer.
Hier leuchte klar ein, daß sich der Täter "der Person anderer bloß als Mittel be-
diene, ohne in Betracht zu ziehen, daß sie, als vernünftige Wesen, jederzeit zu-

141 Kelsen, Rechtslehre, S. 369 ff.; Welzel, Naturrecht, S. 169 f.


142 Klesczewski, ARSP-Beiheft 66 (1997), 77, 79; Welzel, Naturrecht, S. 169/170; ders.,
SüdJZ 1947,409,411 sowie allgemein: Hegel, Behandlung des Naturrechts, S. 459 ff.; ders.,
Philosophie des Rechts, § 135; Engisch, Gerechtigkeit, S. 211; SeeIman, Rechtsphilosophie,
§ 8 Rdnr. 23.
143 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61; vgl. hierzu auch Dreier, Recht-
Moral-Ideologie, S. 295; Arthur Kaufmann, Problemgeschichte, S. 73; Naucke, Kant, S. 20 f.
144 Vgl. hierzu: Klesczewski, ARSP-Beiheft 66 (1997), 77, 81; Köhler, Fahrlässigkeit,
S. 178 ff.; ders., Begriff der Strafe, S. 44 ff.; Wolff, ZStW 97 (1985), 786, 806 ff.; ders., Ab-
grenzung, S. 162 ff., 178 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 147 ff., 154 ff.; vgl. auch Cattaneo, Aufklä-
rung, S. 261 ff. mit Hinweisen auf Kriminalwissenschaftler des ausgehenden 18. Jahrhun-
derts.
Zur grundlegenden Bedeutung des Begriffs der (autonomen) Person im Rahmen kantisch
geprägter Lehren vgl. auch Rawls, Idee, S. 81 ff.; ders., Politischer Liberalismus, S. 84 ff.,
97 ff. und passim, sowie Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 205, 292 ff. bzgl. prozedu-
raler Theorien.
145 Vgl. H. Mayer, Festschrift für Engisch, S. 56 f.; Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie.
S.200.
236 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

gleich als Zwecke, d.i. nur als solche, die von derselben Handlung auch in sich den
Zweck müssen enthalten können, geschätzt werden sollen". 146
Wenn aber die Frage, ob eine Maxime in der praktischen Anwendung als allge-
meines Verhaltensgebot tauglich ist, stets auch vom gesellschaftlichen Kontext ab-
hängig ist, in dem sie praktiziert werden soll, verweist dies auf die Notwendigkeit
empirischer Erkenntnisse bzw. bestimmter Annahmen zum gesellschaftlichen Um-
feld. 147 Bezogen auf den Versuch Maihofers, den Kategorischen Imperativ heran-
zuziehen, um aus der Seinsstruktur bestimmter Lebenssachverhalte Sinnstrukturen
ableiten zu können, führt dies in einen Zirkel: Bei der Anwendung des Maßstabs,
anhand dessen die Sinnstruktur eines Lebenssachverhalts ermittelt werden soll,
müßte man sich auf eben die Seinsstrukturen stützten, deren Sinnstruktur erst noch
ermittelt werden soll. Vor diesem Hintergrund bleibt letztlich offen, wie die von
Maihofer geforderte Abgrenzung berechtigter / vernünftiger von unberechtigten /
unvernünftigen Erwartungen erfolgen SOll.148 Tatsächlich scheint Maihofer selbst
implizit die Grundnorm anzuwenden, daß man sich so verhalten soll, wie es der
Vernunft entspricht, was dann aber darauf hinausläuft, daß der wahre Willen "ver-
nünftiger" Personen tatsächlich nicht anders als durch eine Bewertung und Abwä-
gung der jeweils in Frage stehenden kollidierenden Interessen ermittelt und das Er-
gebnis dieser Bewertung dann als die in der Seinsstruktur des Lebenssachverhalts
angelegte Sinnstruktur präsentiert wird. 149
Die These, das Seiende - und anhand dieser Erkenntnis das Seinsollende - ob-
jektiv bestimmen zu können, führt letztlich dahin, daß bestimmte kulturelle, geisti-
ge oder materielle Gegebenheiten aus der Gesamtheit des Seins als die für die Be-
stimmung der maßgeblichen Seinsstrukturen herausgegriffen werden, ohne daß der
notwendigerweise wertende und damit in gewisser Weise auch voluntaristische
Charakter dieses Prozesses offengelegt oder auch nur anerkannt wird. ISO Unver-

146 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61/62; vgl. auch Pogge, Imperative,
S. 184. Höffe will im Hinblick auf das Beispiel des lügnerischen Versprechens die Selbstwi-
dersprüchlichkeit der Maxime mit der Erwägung begründen, daß dem Versprechen eine
Selbstbindungskomponente innewohne, die bei einem lügnerischen Versprechen notwendi-
gerweise zu einem Selbstwiderspruch führe (Höffe, Kategorischer Imperativ, S. 378 f.; ders.,-
Verallgemeinerung, S. 224, 226 ff.; ebenso: Patzig, Ethik, S. 154). Ob diese Begründung für
das Beispiel des lügnerischen Versprechens zu überzeugen vermag, kann hier dahinstehen, da
jedenfalls eine Übertragung auf andere Beispiel - insbesondere das des Depositums - nicht
möglich erscheint (vgl. Patzig, Ethik, S. 57 f., 154; a.A. Wolff, Abgrenzung, S. 173 f., der
offenbar von einer konkludenten Zusicherung der Rückgabe ausgeht).
147 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 40; Dreier, Recht-Moral-Ideologie,
S. 303 ff.; Höffe, Kategorischer Imperativ, S. 369; ders., Kriminalstrafe, S. 339 ff.; ders .. Ver-
allgemeinerung, S. 213 f.; Arthur Kaufmann, Problemgeschichte, S. 71; Kühl, GA 1977,353,
361 f.; Pogge, Imperative, S. 178 f.; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 107; vgl. auch Zaczyk.
Unrecht, S. 149 ff., 163, 165 ff.
148 Ellscheid, Naturrechtsproblem, S. 238.

149 Dreier, Begriff, S. 81.

150 Vgl. hierzu bereits Mezger, Sein, S. 56 f.; Engisch.ldee, S. 115.


III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 237

ziehtbare Voraussetzung einer rationalen Gesetzgebung ist es aber, daß die sowohl
in die Ennittlung als auch in die Bewertung des Seienden notwendigerweise ein-
fließenden Wertungen offengelegt und damit überhaupt erst einer kritischen Dis-
kussion zugänglich gemacht werden. Der entscheidende Mangel der auf system-
theoretischen Prämissen beruhenden Ansätze zur Strukturierung der (Straf-)
Rechtsordnung liegt nach al1edem weniger in der Wertneutralität und hieraus resul-
tierenden inhaltlichen Offenheit systemtheoretischer Ansätze,151 als vielmehr dar-
in, daß der nicht nur aber doch gerade bei den Vertretern systemtheoretisch fun-
dierter Strafrechtsmodel1e vorzufindende Ansatz, "al1ein" darzustel1en, wie die als
System verstandene Gesel1schaft strukturiert sei, den bereits bei von Liszt vorhan-
denen Fehlschluß wiederholt. Daß die sowohl beim Prozeß der Konstruktion der
gesel1schaftlichen Realität als auch bei der Bewertung des - angeblich wertfrei er-
mittelten - Soseins der gesel1schaftlichen Ordnung einfließenden Wertungen nicht
offengelegt werden, hat zur Folge, daß das auch bei den Vertretern systemtheoreti-
scher Ansätze notwendigerweise nonnativ begründete Vorverständnis davon, wie
eine Gesel1schaft strukturiert sein SOll,152 der Diskussion entzogen wird, was kon-
kret bedeutet, daß entweder die faktisch herrschenden Vorstel1ungen davon, wie
eine Gesellschaft strukturiert sein sol1, als gegeben zugrundelegt und gegen Kritik
abgeschinnt oder aber unter dem Deckmantel der angeblich wertfreien Erkenntnis
des Soseins das eigene nonnativ begründete Vorverständnis der jeweiligen Autoren
verschleiert wird. 153

bb) Die sozialwissenschaftlich "aufgeklärte" Rechtsgutstheorie

Als Versuch, den v. Liszt'schen Grundansatz der Orientierung an den Gegeben-


heiten des gesellschaftlichen Gesamtkontextes 154 auf sozialwissenschaftlich aufge-
klärter Basis fortzuführen, können insbesondere die zu Beginn der 70er Jahre die-
ses Jahrhunderts von Amelung und Hassemer vorgelegten Untersuchungen zur
Rechtsgutstheorie interpretiert werden. Wahrend Amelung dafür plädiert, die
Rechtsgutstheorie durch eine systemtheoretisch ausgerichtete Theorie der Sozial-
schädlichkeit zu ersetzen, ISS wil1 Hassemer an der Rechtsgutstheorie als Theorie

151 Vgl. hierzu Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 254; Hohmann, Rechtsgut, S. 1301131;
Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 701, 708 f.; Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 72, 142, 165;
Schild, GA 1995, 101, 119. Letztlich wird dies von den Vertretern systemtheoretisch ausge-
richteter Strafrechtssysteme auch gar nicht bestritten, vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz,
S. 359 f., 366; Jakobs, StrafR AT, 1/1,2/25; ders., ZStW 107 (1995), 843, 847 Anm. 10.
152 Hassemer, in: NK, Vor § I Rdnr. 254; Hohmann, Rechtsgut, S. 127; vgl. auch Jakobs,
Nonn, S. 64.
153 Lüderssen, Genesis, S. 89, 150.

154 Der grundlegende Fortschritt des v. Liszt'schen Ansatzes ist deshalb mit Merkel (Straf-
recht, S. 282 f.) in der Öffnung des Strafrechtsdenkens hin zu den Sozialwissenschaften zu
sehen.
155 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 330 ff.; kritisch hierzu im Hinblick auf den mangelnden
Erkenntniswert des Begriffs der Sozialschädlichkeit: Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 22 ff.
238 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

zur Bestimmung des materiellen Substrats strafwürdigen Verhaltens festhalten, be-


tont aber, daß Rechtsgüter nicht im sozialen Umfeld vorgefunden bzw. als etwas
Vorgegebenes "erkannt", sondern im Rahmen eines Prozesses gesellschaftlicher
Verständigung konstituiert werden müssen. 156 Im Rahmen des für die Konstitution
strafrechtlicher Schutzobjekte maßgebenden Kontextbezuges sind nach Auffas-
sung Hassemers nicht nur die gesellschaftlich vorgegebenen Interaktionszusam-
menhänge zu beachten, sondern darüber hinaus auch tiefenpsychologische Phäno-
mene wie Bedrohungsängste und Tabuvorstellungen. 157
Amelung und Hassemer haben zwar die gesellschaftstheoretische Unzulänglich-
keit des v. Liszt'schen Ansatzes aufgezeigt und den Weg gewiesen, auf dem der
bei v. Liszt vorhandene blinde Fleck mit Inhalt zu füllen wäre. Gleichzeitig haben
sie hierbei aber auch noch deutlicher als v. Liszt selbst das grundlegende legitima-
torische Defizit einer rein soziologisch orientierten Theorie strafwürdigen Verhal-
tens ans Licht gebracht: Ein gesellschaftstheoretisch aufgeklärter Ansatz kann
zwar aufzeigen, welche Bedingungen menschlichen Zusammenlebens geschützt
werden müssen, um den (Fort-)Bestand eines konkreten gesellschaftlichen Umfel-
des sicherzustellen; ebenso können auf dieser Grundlage die gesellschaftlichen
Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen mehr oder weniger exakt prognosti-
ziert werden. Der Wert dieser Erkenntnisse bleibt allerdings rein deskriptiv: Allein
auf gesellschaftstheoretischer Basis kann weder überzeugend dargetan werden, daß
der Fortbestand und nicht etwa die Umwandlung einer konkreten Gesellschafts-
fonn in eine andere Gesellschaftsfonn als erstrebenswert anzusehen ist, noch kann
entschieden werden, daß bzw. ob einer - aufgrund welcher Kriterien? - als negativ
angesehenen Veränderung angemessenerweise gerade mit den Mitteln des Straf-
rechts entgegenzutreten ist. 158
Um dem Einwand eines Mißverständnisses vorzubeugen, ist darauf hinzuwei-
sen, daß weder Amelung noch Hassemer die Notwendigkeit eines nonnativen
Kontroll- und Korrektunnaßstabs verkannt oder auch nur in Abrede gestellt haben.
Hassemer ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe das Wertebewußtsein der Ge-
sellschaft zwar zu berücksichtigen,159 er sei aber nicht gehalten, die in der Gesell-
schaft herrschenden Bedrohungsvorstellungen und Tabuvorstellungen ohne weite-
res in Pönalisierungsentscheidungen umzusetzen, im Gegenteil: der Gesetzgeber
habe die Legitimität der in der Gesellschaft gewachsenen Bestrafungsbedürfnisse
anhand nonnativer Maßstäbe zu bewerten und könne trotz eines in der Gesellschaft
faktisch gegebenen Bestrafungsverlangens von einer Pönalisierung absehen. 160

156 Hassemer, Theorie, S. 121 ff.


157 Hassemer, Theorie, S. 130 ff., 160 ff.
158 Vgl. Fischer, Öffentlicher Friede, S. 562 f., 576 ff., 587/588; Papageorgiou, Schaden,
S. 94 f.; Schulz, Rechtsgut, S. 274 f.; MJ. Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 75.
159 Hassemer, Theorie, S. 126 ff.
160 Hassemer, Theorie, S. 239 ff.; vgl. auch Kunz, Bagatellprinzip, S. 159 ff., 166 ff.;
grundsätzlich kritisch zur Berücksichtigung von Bestrafungsbedürfnissen: Alwart, Strafbares
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 239

Auch Amelung erkennt an, daß die von ihm als Theorie zur Ermittlung der Bedin-
gungen des menschlichen Zusammenlebens favorisierte soziologische Systemtheo-
rie allein darauf beschränkt ist, die sich als Störungen von Interaktionsprozessen
und Beeinträchtigungen individueller Handlungschancen niederschlagenden Fol-
gen bestimmter Verhaltensweisen aufzudecken. 161 Die für die Einordnung der
aufgedeckten Konsequenzen als sozialschädlich oder -nützlich unverzichtbaren
normativen Bewertungskriterien seien der Systemtheorie extern vorzugeben. 162
Wahrend Hassemer die normative Bewertung als ein von der eigentlichen Rechts-
gutskonstitution zu trennendes Problem der "Schutztechnik" versteht,163 will Ame-
lung die Bewertung der Sozialschädlichkeit von Verhaltensweisen unter Rückgriff
auf die Verfassungsrechtsordnung vornehmen. 164
Festzuhalten bleibt: Anhand erfahrungswissenschaftlich gewonnener Erkennt-
nisse über die Struktur einer Gesellschaft kann allenfalls entschieden werden, weI-
che Verhaltensweisen unterbunden werden müssen, um den Bestand einer Gesell-
schaftsordnung zu gewährleisten; ob aber die konkrete Struktur der Gesellschaft
überhaupt als erhaltenswürdig anzusehen ist, muß anhand von Wertungen entschie-
den werden, die ihrerseits weder erfahrungswissenschaftlich gewonnen noch be-
gründet werden können. 165 Beispielhaft: Selbst wenn sich erfahrungswissenschaft-
Iich belegen ließe, daß die rechtlichen Regelungen über die Zulässigkeit oder Un-
zulässigkeit von Abtreibungen Einfluß darauf hätten, daß Schwangerschaften in
größerem oder kleinerem Umfang unterbrochen werden, hängt die Frage, ob Ab-
treibungen zugelassen oder - möglicherweise auch unter Strafandrohung - verbo-
ten werden sollen, davon ab, wie man die erfahrungswissenschaftlich gewonnenen
Erkenntnisse über die Auswirkungen der jeweiligen Regelung bewertet, insbeson-
dere davon, welchen Stellenwert man dem Selbstbestimmungsrecht der Schwange-
ren, dem Lebensrecht des Fötus und den Auswirkungen von Schwangerschaftsun-
terbrechungen auf das Bevölkerungswachstum beimißt. 166

Versuchen, S. 50 ff.; Volk, Z15tW 97 (1985), 871, 895 f.; zum normativen Gehalt der Lehre
Hassemers vgl. auch: Kayßer, Abtreibung, S. 27.
161 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 350 ff.; vgl. auch Appel, Verfassung, S. 368.
162 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 359/360, 363 Fußn. 67, 368.
163 Hassemer, Theorie, S. 192 ff., insbesondere S. 213 ff.
164 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 369, 389 f.; ders., Sozialschädlichkeit, S. 278. Kritisch
zum - aus seiner Sicht: unzureichenden - Verfassungsbezug bei Amelung: Appel, Verfas-
sung, S. 309.
165 Daß Sollensnormen nicht aus Seinstatsachen abgeleitet werden können, ist bereits
durch Hume und Kant im einzelnen dargelegt worden (vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft,
S. 498 ff.) und steht in der heutigen Diskussion außer Frage, vgl. Höffe, Staat, S. 42; ders.,
Gerechtigkeit, S. 102 ff.; Papageorgiou, Schaden, S. 247; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 97,
99; Stratenwerth, Strafrechtsreform, S. 21 f.; a.A. Maclntyre, Verlust, S. 75 ff.
166 Bobbio, Begriff, S. 94/95; vgl. hierzu den Überblick bei Kindl, Bewertungsmöglich-
keiten, S. 74 ff.
240 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Andererseits wäre es aber auch verfehlt, die Bedeutung empirischer Erkennt-


nisse zu unterschätzen: 167 Will man beispielsweise die Strafwürdigkeit der von
den §§ 264, 264a, 265b dStGB erfaßten täuschenden Verhaltensweisen angemes-
sen bewerten, setzt dies voraus,168 daß Klarheit darüber herrscht, ob von diesen
Verhaltensweisen - wie immer wieder behauptet, aber auch bestritten wird - Sog-,
Ansteckungs- und Spiralwirkungen ausgehen. Weiterhin erscheint es unabdingbar,
sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob diese Straftatbestände in ihrer Ausgestal-
tung der wirklichen Kommunikationsstruktur gerecht werden. Sollte sich beispiels-
weise der Einwand, daß Kapitalanleger bei ihren Anlageentscheidungen entweder
gar nicht oder doch nicht allein auf die Angaben der Anbieter vertrauen, als zutref-
fend erweisen, würde dies dafür sprechen, die Pönalisierung der durch § 264a
dStGB erfaßten bloßen Tauschungshandlungen als sachwidrig anzusehen. Letztlich
wird man aber auch bei den §§ 264, 264a, 265b dStGB auf eine an normativen
Maßstäben orientierte Bewertung der erfahrungs wissenschaftlich gewonnenen Er-
kenntnisse nicht verzichten können. Auch wenn man beispielsweise die volkswirt-
schaftlichen Folgewirkungen staatlicher Subventionen ermittelt hat, kann doch nur
wertend entschieden werden, ob diese Auswirkungen in ihrer Gesamtheit das Sub-
ventionswesen im Ergebnis als einen schützens werten Teilbereich der Wirtschafts-
ordnung erweisen. Selbst wenn man dies bejahen würde, wäre weiterhin zu klären,
ob es angemessen ist, diesen Schutz durch die Anwendung strafrechtlichen
Zwangs zu realisieren, oder ob man nicht eher auf Maßnahmen der Binnenkontrol-
le - z. B.: eine verstärkte Kontrolle der Subventionsvoraussetzungen durch die
Subventionsbehörde - zurückgreifen soll. Wie oben bereits dargelegt wurde, 169
kann dies nicht durch den Hinweis auf die Subsidiarität strafrechtlicher Normen er-
ledigt werden; stehen alternative Regelungsinstrumente zur Verfügung, muß an-
hand normativer Kriterien entschieden werden, ob beispielsweise Subventionsbe-
hörden oder Kreditinstitute berechtigterweise auf die Angaben von Antragstellern
vertrauen dürfen oder nicht. Gleiches gilt im Hinblick auf die Frage, ob die An-
wendung strafrechtlichen Zwangs an Verhaltensweisen anknüpfen darf, von denen
für sich gesehen keine das Schutzgut real beeinträchtigenden Wirkungen ausgehen.
Als Ertrag der Bemühungen um die gesellschaftstheoretische Fundierung der
Strafrechtsordnung bleibt festzuhalten: Die gesellschaftstheoretische Orientierung
ist als Basis jeder Pönalisierungsentscheidung unverzichtbar, die ohne vorherge-
hende Aufklärung der faktischen Zusammenhänge und Auswirkungen von Verhal-
tensweisen praktisch in der Luft hängen würde. 170 Eine abschließende Entschei-
dung ist auf dieser Ebene allerdings nur dann möglich, wenn die in Aussicht ge-
nommene Strafnorm auf einen Schutzgegenstand abzielt, der sich entweder bei nä-

167 So auch Lüderssen. ZStW \07 (1995). 877. 893 ff.


168 Vgl. auch bereits oben S. 157 ff.
169 Vgl. oben S. 71 ff.

170 Vgl. Rudolphi. in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 7 sowie umfassend Lüderssen. ZStW \07
(1995).877.893 ff.; Müssig, Rechtsgüterschutz. S. 163 ff.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 241

herer Betrachtung als gar nicht existent herausstellt oder der so wie beabsichtigt
gar nicht geschützt werden kann. Abgesehen von den Fällen der fehlenden Zweck-
tauglichkeit einer in Aussicht genommenen Pönalisierung wird durch die gesell-
schaftstheoretische Analyse allein die Basis für eine an normativen Maßstäben
orientierte kritische Reflexion geschaffen, die dann den eigentlich entscheidenden
Kern der strafrechtlichen Legitimationsproblematik darstellt. 171

b) Normative Maßstäbe zur Bestimmung


des legitimen Anwendungsbereichs strafrechtlicher Normen

Die Notwendigkeit, die Legitimität strafrechtlicher Normen anhand normativer


Maßstäbe zu bewerten, legt es nahe, auf die auch für den Strafgesetzgeber verbind-
liche Verfassungsrechtsordnung als Inbegriff der normativen Identität einer kon-
kreten Gesellschaft zurückzugreifen. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland
wäre dann in erster Linie das Grundgesetz der institutionelle Bezugspunkt der
strafrechtlichen Legitimationsproblematik. 172 Während einige Autoren den in
Art. 20 GG angelegten Rechtsstaats- bzw. Sozialstaatsgrundsatz als Maßstab
fruchtbar zu machen suchen, 173 hebt Kratzsch hervor, der soziale Rechtsstaat habe
"von Grundrechts wegen" die grundrechtlieh garantierten Freiheiten auch vor Be-
einträchtigungen durch Dritte aktiv zu schützen. 174 Ergänzend verweist Kratzsch
auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Eine strafrechtliche Sanktionierung be-
stimmter Verhaltensweisen sei dann zulässig, wenn dies als Mittel zum Schutz von
Rechtsgütem notwendig und der Eingriff in das Freiheitsrecht des Individuums er-
forderlich sei. Darüber hinaus müsse die strafrechtliche Norm das Übermaßverbot
beachten; Inhalt und Voraussetzungen strafrechtlicher Normen seien so auszuge-
stalten, daß dem Normadressaten nichts übermenschliches abverlangt werde. 175

aa) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Unstreitig ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit - verstanden als Geeignetheit,


Erforderlichkeit und Zumutbarkeit staatlichen Handelns l76 - als ein jegliches staat-
liches Handeln begrenzendes Prinzip,177 auch bei der Ausgestaltung strafrechtli-

171 Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 162 f.


172 Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 167 f.; vgl. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 363
Fußn. 67. 367 ff.; Sax, Grundsätze, S. 912 f.; kritisch hierzu Naucke. Legitimation, S. 158 ff.
173 Vgl. Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 159; Thoss, Verhältnis, S. 75 ff.; kritisch: Ap-
pe!. Verfassung, S. 308.
174 Kratzsch. Verhaltenssteuerung, S. 92, 119; ders., JuS 1994,372, 376/377.

175 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 95 f., 267.

176 Vgl. hierzu i.e. H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 186 f., 192 ff., 214 ff.

177 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, 11. Abschnitt VII, Rdnr. 71; M.Ch. Jakobs,
DVBI. 1985,97. 101; Paulduro, Verfassungsgemäßheit, S. 109: "straflimitierender Faktor".

16 Wohler.
242 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

cher Nonnen zu beachten. 178 Ausdruck des auch für strafrechtliche Nonnen gel-
tenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist nach verbreiteter Auffassung insbeson-
dere der Subsidiaritätsgrundsatz, demzufolge auf strafrechtliche Verbotsnonnen
nur als letztes Mittel (ultima ratio) staatlichen Zwangs zurückgegriffen werden
darf. 179 Abgesehen davon, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz damit bereits im
Ansatz als Ennächtigungsgrundlage für staatliche Eingriffsbefugnisse ausscheidet,
darf auch seine begrenzende Funktion nicht überschätzt werden. 180
Als ungeeignet erweisen sich nur die Nonnen, die den empirischen (Vor-)Gege-
benheiten der Nonnsetzung nicht hinreichend Rechnung tragen. Zumindest dann,
wenn man - wie es hier vertreten wird - davon ausgeht, daß strafrechtliche Nor-
men präventive Wirkungen entfalten können, beschränkt sich die Funktion des Kri-
teriums der Geeignetheit darauf, Strafnonnen zu delegitimieren, die etwas faktisch
Unmögliches verlangen bzw. an faktisch nicht gegebene Voraussetzungen anknüp-
fen. 181 Daß sich das aus dem Gebot der Erforderlichkeit staatlicher Zwangsanwen-
dung abgeleitete Prinzip der Subsidiarität strafrechtlicher Nonnen bei näherem
Hinsehen als eine vordergründige Scheinlösung erweist, die nicht darüber hinweg-
täuschen kann und darf, daß es letztlich allein auf die Zumutbarkeit der Anwen-
dung strafrechtlichen Zwangs ankommt, wurde bereits oben dargelegt. 182 Schließ-
lich ist zu konstatieren, daß auch die die Nonnsetzungskompetenz des Gesetzge-
bers beschränkende Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes i.e.S. (Zumut-
barkeit) letztlich davon abhängig ist, welchen Stellenwert der von staatlicher
Bevonnundung freien personalen Freiheitssphäre zugesprochen wird.

bb) Veifassungsrechtliche Pönalisierungsgebote

Der in der bundesdeutschen Strafrechtswissenschaft im Anschluß an einige Ent-


scheidungen des BVerfG aufgegriffene Ansatz, strafrechtliche Verbotsnonnen aus

178 BVerfGE 6, 389,433; 39, 1,47; 88, 203, 257 f.; 90, 145, 172 f.; Appel, Verfassung,
S. 171 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77; Gal1was, MDR 1969, 892, 893 Fußn.
7; Groth, NJW 1979,743,744 ff.; H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 179 ff.; Hektor,
Relevanz, S. 159 ff.; Lewisch, Verfassung, S. 194 ff.; Paulduro, Verfassungsgemäßheit,
S. 108 ff.; Roos, Entkriminalisierungstendenzen, S. 207 f.; Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I
Rdnrn. 12 ff.; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. \01 ff.; Vogel, StV 1996, 110, 113 ff.
179 Vgl. BVerfGE 39, I, 47; R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit, S. 19 ff.; Jakobs, StrafR
AT, 2/27; Jescheck, in: LK, Einl. Rdnr. 3; Maurach/Zipf, StrafR AT, 1. Teilbd., § 2 Rdnr.
13; Mül1er-Dietz, Festschrift für Dreher, S. \08 f.; Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnrn.
38 ff.; Rudolphi ZStW 83 (1971), 105, 114 f.; ders., in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 14; Schmid-
häuser, StrafR AT, 1/5,2/14; weitergehend Brandt, Bedeutung, S. 152, der im Anschluß an
Arthur Kaufmann (Festschrift für Henkel, S. 89 ff.) neben der negativen Komponente eine
positive Komponente des Subsidiaritätsprinzips betont, die besagen soll, daß der Staat, soweit
dies möglich ist, Konfliktregulierungen kleineren sozialen Einheiten zu überlassen hat.
180 Vgl. hierzu Appel, Verfassung, S. 181 ff.

181 Kritisch hierzu Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 123 ff.


182 Vgl. S. 71 ff. sowie Appel, Verfassung, S. 141 ff.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 243

verfassungsrechtlichen Pönalisierungsgeboten abzuleiten, erweist sich bei näherer


Betrachtung als ebenfalls nicht weiterführend. Zwar hat das BVerfG mehrfach ent-
schieden, daß der Gesetzgeber zur Erfüllung einer ihm obliegenden staatlichen
Schutzpflicht verfassungsrechtlich gehalten sein kann, (auch) das Mittel des Straf-
rechts einzusetzen, um einen effektiven Lebensschutz sicherzustellen. 183 Aber
auch nach Auffassung des BVerfG stehen verfassungsrechtlich begründete Pönali-
sierungsgebote unter einem zweifachen Vorbehalt: Zum einen muß die zugunsten
des Lebens bestehende verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates unter Be-
rücksichtigung des Maßes der Sozialschädlichkeit der in Frage stehenden Verhal-
tensweisen gegen kollidierende verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter ab-
gewogen werden; 184 zum zweiten ist der Einsatz des Strafrechts erst dann verfas-
sungsrechtlich geboten, wenn anders ein effektiver Lebensschutz nicht sicherge-
stellt werden kann. 185 Entscheidend ist, daß auch nach Auffassung des BVerfG
sowohl die für die Konkretisierung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten erfor-
derliche Abwägung mit anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Wer-
ten, als auch die Einschätzung der Wirksamkeit etwaiger alternativ zur Verfügung
stehender Maßnahmen unstreitig in erster Linie dem Gesetzgeber obliegt, dem in-
soweit ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist. 186
Im Ergebnis bedeutet dies, daß ein verfassungsrechtliches Pönalisierunsgebot al-
lenfalls dann in Betracht kommen kann, wenn die Strafbewehrung das einzige Mit-
tel ist, um eine gravierende Beeinträchtigung "elementarer" bzw. "fundamentaler"
Rechtsgüter entgegenzuwirken. 187 Die Frage, wann eine gravierende Beeinträchti-
gung eines elementaren Rechtsguts gegeben ist, ist nicht einmal in Ansätzen be-
friedigend geklärt. Tiedemann verweist auf konkret verfassungsrechtlich ge-

183 BVerfGE 39, 1, 46 f.; 46, 160, 164 f.; 88, 203, 257 f.
184 BVerfGE 39, 1,44 ff.; 88,203,254.
185 BVerfGE 39, 1,47; 88, 203, 257 f.; vgl. auch BVerfGE 46, 160, 164 f.; 77, 170,215;
Müller-Dietz, Festschrift für Dreher, S. 108 ff.; Tiedemann, Verfassungsrecht, S. 51.
186 BVerfGE 39, 1,44 ff.; 46, 160, 164; 50, 142, 162; 88, 203, 255; Alexy, Grundrechte,
S. 420 ff.; Appel, Verfassung, S. 70 ff.; Eser, in: Schönkel Schröder, Vorbem § I Rdnr. 29;
Hassemer, in: NK, Vor § 1 Rdnr. 199; Hermes, Grundrecht, S. 263; Hesse, Verfassungsrecht,
Rdnr. 350; Isensee, Sicherheit, S. 39 ff., 46 f.; ders., Handbuch, § 111 Rdnrn. 8, 151 ff.; Klein,
NJW 1989,1633,1637 f.; Klein, DVBI. 1994,489,495; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 126;
vgl. auch Robbers, Sicherheit, S. 204 ff., der die Leitfunktion des Parlaments bei der Zuord-
nung und Konkretisierung der Schutzrechte betont sowie Unruh, Schutzpflichten, S. 23 f.,
74 ff., der hervorhebt, es handele sich um Optimierungsgebote, die der Umsetzung durch Ge-
setze bedürften.
187 Kriele, JZ 1975, 222; Lang-Hinrichsen, FamRZ 1974, 497, 504; Müller-Dietz, Fest-
schrift für Dreher, S. 114; Paulduro, Verfassungsgemäßheit, S. 92; Roxin, StrafR AT, Teilbd.
I, § 2 Rdnr. 37; Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. I; Zipf, Kriminalpolitik, S. 105.; auch
insoweit zweifelnd: Appel, Verfassung, S. 68 f. Zur Bedeutung des bereits in BVerfGE 39, I,
51 angedeuteten (vgl. Kriele, JZ 1975, 222, 223; Müller-Dietz, Festschrift für Dreher,
S. 115 f.) und nunmehr von BVerfGE 88, 203, 257 f. ausdrücklich als Korrektiv eingeführten
sog. "Untermaßverbotes" vgl. die kritischen Stellungnahmen von Starck, JZ 1993, 816, 817
und Hain, DVBI. 1993,982 ff.; kritisch auch Unruh, Schutzpflichten, S. 83 ff.

16'
244 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

schützte Werte wie z. B. Leben, Gesundheit, Bewegungsfreiheit und Eigentum. 188


Kühl will demgegenüber auf "die elementarsten Voraussetzungen bzw. Manifes-
tationen der äußeren Freiheit" abstellen, wozu er das Leben aber auch die private
Verfügungsrnacht über Sachen rechnet. 189 Wolter meint, eine Pflicht zur Strafbe-
wehrung bei der Beeinträchtigung "extremer Menschenwürdepositionen"l90 an-
nehmen zu können. Da zumindest bei Beeinträchtigungen des Rechtsguts Eigen-
tum und auch bei "extremen" (?) Menschenwürdepositionen bereits die Bestim-
mung des Schutzgegenstandes Wertungen erforderlich macht und angesichts regel-
mäßig zur Verfügung stehender alternativer Schutzmöglichkeiten die für eine
verfassungsrechtlich begründete Pönalisierungspflicht notwendige ,,Ermessensre-
duzierung auf Null,,191 nur in den seltensten Fällen überhaupt einmal gegeben sein
wird, dürfte das verfassungsrechtlich gebotene Strafrecht damit in keinem Fall
über die klassischen Straftatbestände zum Schutz des Lebens, der körperlichen Un-
versehrtheit, der Freiheit und - was aber auch schon zweifelhaft sein kann - des
Eigentums hinausreichen.
Die über ausdrückliche verfassungsrechtliche Bestimmungen - vgl. etwa Art. 26
Abs. 1 GG - hinausgehende Ableitung konkreter verfassungsrechtlicher Pönalisie-
rungsgebote steht vor dem Problem, daß der verfassungsrechtlich verbürgte Werte-
katalog selbst ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftig ist, eine verfassungs-
rechtliche Ableitung mithin im Ergebnis darauf hinausläuft, daß der Verfassung
Pönalisierungsgebote entnommen werden, die zuvor erst in den grundrechtlichen
Wertekatalog hineininterpretiert wurden. 192 Soweit beispielsweise unter Verweis
auf staatliche Schutzpflichten eine verfassungsrechtlich fundierte Pflicht zur Pöna-
lisierung umweltschädigender Verhaltensweisen behauptet wird,193 kann dem be-
reits deswegen nicht gefolgt werden, weil es insoweit an einer hinreichend konkre-
ten Grundrechtsposition als Basis einer entsprechenden staatlichen Schutzpflicht
fehlt. 194 Mittelbar ergeben sich Schutzreflexe zugunsten der Umwelt zwar dann,
wenn umweltschädigende Verhaltensweisen verfassungsrechtlich geschützte Werte
wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz I GG)
oder das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) beeinträchtigen. 195 Eine über den Kernbe-

\88 Tiedemann, Verfassungsrecht, S. 53.


\89 Kühl, GA 1977, 353, 364 f.
\90 Vgl. Wolter, Menschenrechte, S. 13, der als Beispiel Verhaltensweisen nennt, die auf
eine gentechnische Entschlüsselung des Menschen abstellen.
\9\ Vgl. Paulduro, Verfassungsgemäßheit, S. 149; Robbers, Strafpflichten, S. 152/153.

\92 R. Herzog, JR 1969,441,445; vgl. auch Gallwas, MDR 1969,892,894 f.

\93 Bottke, JuS 1980, 539, 540; Steindorf, in: LK, Vor § 324 Rdnr. 11; vgl. auch Kühl,
Festschrift für Lackner, S. 838 f.; Schmidt 1Schöne, NJW 1994,2514,2516; Kriele, JZ 1975,
222, 224 hatte diese Forderung als Konsequenz der Entscheidung BVerfGE 39, I vorhergese-
hen.
\94 Art. 2 Abs. 2 Satz I GG kann ein umfassendes Grundrecht auf Umweltschutz nicht
entnommen werden; vgl. Kunig, in: v. Münch, Grundgesetzkommentar, Art. 2 Rdnr. 71; v.
Mangoldtl Klein 1Starck, Grundgesetz, Art. 2 Rdnr. 158; BVerwGE 54,211,219.
111. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 245

reich der Tötungs-, Körperverletzungs- und Eigentumsdelikte hinausgehende Ver-


pflichtung zur Pönalisierung umweltschädigender Verhaltensweisen kann hier aber
bereits deswegen nicht in Betracht kommen, weil stets auch andere, nicht von
vornherein aussichtslose Alternativmaßnahmen zur Verfügung stehen, so daß je-
denfalls die für eine Verpflichtung zur Strafbewehrung erforderliche Ermessensre-
duzierung nicht gegeben iSt. 196 Daß der Gesetzgeber nunmehr durch Art. 20a
GG 197 verpflichtet wird, "die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der ver-
fassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung" zu schützen, ändert an diesem
Befund im Ergebnis nichts. Art. 20a GG konstituiert kein Grundrecht auf Umwelt-
schutz, sondern stellt allein eine Staatszielbestimmung dar,198 die den bundesdeut-
schen Gesetzgeber zwar einerseits verpflichtet, geeignete Umweltschutzvorschrif-
ten zu eriassen,199 die es aber anderseits der politischen Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers überläßt, wie und mit welchen Mitteln er der ihm auferlegten Ver-
pflichtung genügen will 200 und deren wesentliche Funktion damit allein darin be-
steht, den Wert des Umweltschutzes im Rahmen der Abwägung mit anderen, ver-
fassungsrechtlich geschützten Werten zu stärken. 201

cc) Die verfassungsrechtliche Werteordnung als Maßstab


zur Legitimation strafrechtlichen Zwangs

Auch wenn der Verfassung direkte Pönalisierungsgebote nicht entnommen wer-


den können, könnte die Verfassungsrechtsordnung dem Strafgesetzgeber doch we-
nigstens Handlungsorientierung vermitteln. So hat z. B. das BVerfG die Auffas-
sung vertreten, das, was zweifellos in den Kernbereich des Strafrechts gehöre,

195 Vg\. BVerfGE 56. 54, 63; Geddert-Steinacher. Umweltschutz, S. 38; Hofmann. Tech-
nik. § 21 Rdnrn. 33. 37 f.; Scholz. in: Maunz I Dürig. Art. 20a Rdnr. 8; Steinberg. NJW 1996,
1985. 1987 ff.; Tsai. Umweltschutzpflicht. S. 183 ff.
196 Klein. NJW 1989. 1633, 1638; vg\. auch Lagodny. Strafrecht, S. 445 ff., der auf die
Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers verweist; Tsai, Umweltschutzpflicht. S. 209 f .•
der auf das sog. Untermaßverbot verweist, im Ergebnis aber auch die Leistungsfähigkeit der
grundrechtlich fundierten Schutzpflichtkonstruktion als "nicht sonderlich hoch" veran-
schlagt.
197 Eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994, BGB\.
I,S.3146.
198 Scholz, in: Maunz I Dürig. Art. 20a Rdnrn. 17 f., 32.
199 Jarras/Pieroth, GG, Art. 20a Rdnr. 7; Scholz. in: Maunz/Dürig, Art. 20a Rdnm. 18,
46; Tsai. Umweltschutzpflicht, S. 125.
200 Jarras/Pieroth, GG, Art. 20a Rdnrn. 4, 7; Schmidt-Bleibtreu I Klein. GG, Art. 20a
Rdnr. 4; Sc holz, in: Maunz/Dürig, Art. 20a Rdnrn. 18,35,47; Schröder. DVB\. 1994,835,
837; Steinberg, NJW 1996. 1985. 1991 f.; Tsai. Umweltschutzpflicht. S. 115 ff., 122 ff.,
154 ff.
201 Geddert-Steinacher, Umweltschutz, S. 52; Scholz. in: Maunz/Dürig. Art. 20a Rdnm.
41. 47 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein. Grundgesetz, Art. 20a Rdnr. 5; Tsai. Umweltschutz-
pflicht. S. 88 ff.. 132 ff.; Uhle. DÖV 1993.947.951.
246 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

lasse sich "an Hand der grundgesetzlichen Werteordnung mit hinreichender Be-
stimmtheit ennitteln." Mit gleicher Bestimmtheit lasse sich sagen, "daß gewisse,
minder gewichtige, überkommene strafrechtliche Tatbestände aus diesem Kembe-
reich herausfallen. ,,202 An konkreten Zuordnungen kann der Rechtsprechung des
BVerfG allerdings allein entnommen werden, daß Beeinträchtigungen der Unver-
letzlichkeit menschlichen Lebens zum Kembereich des Kriminalunrechts zu rech-
nen sind,203 die Regelung des Bagatelldiebstahls dagegen bereits in den Grenzbe-
reich fällt. 204 Darüber hinaus verweist das BVerfG darauf, daß es sich bei den dem
Kriminalunrecht zuzurechnenden Normverstößen um die "Verletzung elementarer
Werte des Gemeinschaftslebens" handeln müsse, die über ihr bloßes Verbotensein
hinaus "in besonderer Weise sozialschädlich" seien und deren Verhinderung daher
für das geordnete Zusammenleben der Menschen "besonders dringend" ist. 205
In der Literatur hat insbesondere Sax die strafrechtliche Rechtsgüterordnung als
Konkretisierung grundgesetzlicher Wertentscheidungen interpretiert. Die straf-
rechtlich geschützten Rechtsgüter sollen seiner Auffassung nach als ,,Mittelwerte"
die Grundlage für die Entfaltung der sozialethischen Grundwerte (der "Überwer-
te") des Grundrechtskataloges bilden. 206 Die Problematik dieses Ansatzes besteht
darin, daß die verfassungsrechtliche Werteordnung - jedenfalls dann, wenn man
sie nicht allein auf die durch den Grundrechtskatalog der Art. 1 ff. GG ausdrück-
lich geschützten Werte beschränkt 207 und I oder den Schutzbereich des Art. 2
Abs. 1 GG der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend weit be-
stimmt 208 - praktisch keinen "wertfreien" Raum offenläßt, sich also ein als Legiti-
mationstopos für eine strafrechtliche Norm verwendungsfähiger verfassungsrecht-
lich relevanter Wert stets finden läßt. Soll der Anwendungsbereich strafrechtlicher
Normen begrenzt werden, kann dies vor diesem Hintergrund nur dann geschehen,
wenn man die Aufgabe des Strafrechts - in Übereinstimmung mit der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - auf den Schutz gewichtiger bzw.
elementarer Rechtsgüter beschränkt. 209

202 BVerfGE 27,18,29 f.; vgl. auch BVerfGE 37, 201, 212; 42, 272, 289; 51, 60, 74; 80,
282,286;90,145,173.
203 BVerfGE 80, 203, 257.
204 BVerfGE 50, 205, 213.
205 BVerfGE 50, 205, 213; 88, 203, 258; vgl. auch Paulduro, Verfassungsgemäßheit,
S. 126 ff. sowie Vogel, StV 1996, 110, 111 ff., der darlegt, daß in der praktischen Umsetzung
der restriktive Gehalt dieser Maxime nicht zum Tragen gekommen sei, da das BVerfG bisher
praktisch jeden über den Bereich des bloßen Verwaltungs ungehorsams hinausgehenden Ge-
meinschaftsbelang als strafschutzwürdig anerkannt habe.
206 Sax, Grundsätze, S. 912 f.; kritisch hierzu Appel, Verfassung, S. 372 ff.
207 Die Notwendigkeit der Einbeziehung der außerhalb des eigentlichen Grundrechtska-
taloges liegenden Wertentscheidungen betont zu Recht Amelung, Rechsgüterschutz, S. 312 f.
208 BVerfGE 6,32,36 ff. und seither std. Rspr., vgl. z. B. BVerfGE 80,137,152 ff.
209 BVerfGE 45, 187,253; 51. 60, 74 f.; 80, 244, 255 f.; 88, 203, 257; 90, 145, 175 sowie
184; vgl. auch die Analyse der Rspr. des BVerfG bei Vogel, StV 1996, 110, 111 ff.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 247

Indes: Selbst für den engeren Bereich der grundrechtlieh geschützten Freiheits-
rechte können der Verfassungsrechtsordnung jedenfalls keine unmittelbar umsetz-
baren Handlungsdirektiven entnommen werden. Notwendig ist zum einen eine
Exegese des verfassungsrechtlich geschützten Wertes selbst - beispielhaft: was
umfaßt die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG? Worin konstituiert sich die Freiheit
der Person i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG? Wann beginnt bzw. endet das mensch-
liche Leben?2\O Zum anderen muß entschieden werden, welche Beeinträchtigun-
gen einer grundrechtlieh geschützten Freiheitssphäre auch unter Berücksichtigung
entgegenstehender - in der Regel ebenfalls verfassungsrechtlich geschützter bzw.
anerkannter - Werte als strafrechtswürdige Beeinträchtigung etwa des Eigentums
i. S. d. Art. 14 GG, der körperlichen Freiheit i. S. d. Art. 2 Abs. 2 GG oder der
Willensfreiheit i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG anzusehen sind.
Hinzu kommt, daß der notwendigerweise abstrakten Verfassungsrechtsordnung
Aussagen über die sozialethische Bewertung einzelner Phänomene des gesell-
schaftlichen Zusammenlebens regelmäßig nur im Wege einer Exegese entnommen
werden können. Verdeutlichen läßt sich dies am Beispiel des bundesdeutschen
Wirtschaftsstrafrechts: 211 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ge-
währleistet kein konkretes Wirtschaftssystem, sondern konstituiert allein be-
stimmte Rahmenbedingungen, wie z. B. die Vertragsfreiheit, die Koalitionsfreiheit,
die Tarifautonomie, die Berufsfreiheit, das Institut des (sozialgebundenen) Privat-
eigentums und die Möglichkeit der Verstaatlichung?12 Den Art. 2 Abs. I, 9, 11,
12, 14, 15,20 Abs. 1 und 109 GG kann damit zwar die - über Art. 79 Abs. 3 GG
verfestigte - Absage sowohl an eine rein liberalistische, jede wirtschaftspolitische
Einflußnahme des Staates ausschließende, als auch an eine staatsautoritäre, allein
auf dirigistischen staatlichen Eingriffen aufbauende Wirtschaftsordnung, sowie das
Bekenntnis zu einer gemischt liberalsozialen Wirtschaftsverfassung entnommen
werden, in der einerseits die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des einzelnen ge-
währleistet sein soll, andererseits aber auch gegen eine mißbräuchliche Marktbe-
herrschung eingeschritten werden kann?13 Die Ausgestaltung der Wirtschaftsord-
nung ist dann aber Aufgabe des Gesetzgebers, dessen grundSätzliche Gestaltungs-
freiheit allein durch die bundesstaatliehe Kompetenzverteilung sowie dadurch
Grenzen gesetzt werden, daß er den sozialstaatlichen Auftrag, rechtsstaatliehe Ver-

210 Vgl. hierzu bereits oben S. 65 ff.


211 Wirtschaftsdelinquentes Verhalten fällt unstreitig nicht in den durch grundrechtlich
fundierte Pönalisierungsgebote gewährleisteten Kernbereichs der für den Bestand der staatli-
chen Gemeinschaft wesentlichen sozialethischen Grundentscheidungen; vgl. nur A. Worms,
Anlegerschutz, S. 270.
212 BVerfGE 4, 7, 17 f.; 50, 290, 336 ff.; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 369; Arndt, in:
Steiner, Abschnitt VII. Rdnr. 39; Badura, JuS 1976,205,208; R. Herzog, in: Maunz/Dürig,
Art. 20, 11. Abschnitt VIII. Rdnr. 60; Maunz-Zippelius, Staatsrecht, § 28 I; Papier, in:
Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 32.
213 Arndt, in: Steiner, Abschnitt VII. Rdnr. 40; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, 11.
Abschnitt VIII. Rdnm. 60 f.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnrn. 33 f.; ders., Wirt-
schaftsordnung, § 18 Rdnrn. 15, 19; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Einl. Rdnrn. 61 ff.
248 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

fassungsgrundsätze und grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen zu beachten


hat. 214 Konkrete, dem Gesetzgeber verbindlich vorgegebene Aussagen über die
Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung oder einzelner ihrer Institutionen können
dem Grundgesetz unstreitig nicht entnommen werden. 215
Maßgebend für die Beurteilung der Strafwürdigkeit wirtschaftsdelinquenten
Verhaltens ist somit eine Bewertung der Sozialschädlichkeit, die zwar durch die
verfassungsrechtlich vorgegebene Werteordnung mitgeprägt wird, die aber nicht
deduktiv aus der Verfassung abgeleitet werden kann?16 Im Ergebnis bedeutet dies:
Die verfassunsrechtliche Ordnung ist zwar ein Leitbild, an dem sich der Gesetzge-
ber bei der Ausgestaltung der Strafrechtsordnung orientieren kann und orientieren
muß?17 Bezogen auf die Verfassungsrechtsordnung der Bundesrepublik Deutsch-
land kann diese Orientierung aber allenfalls der Gefahr entgegenwirken, daß der
Ausgestaltung der Strafrechtsordnung die Richtigkeitsvorstellungen paternali-
stisch-absolutistischer, kollektivistischer oder totalitärer Gesellschaftsmodelle zu-
grunde gelegt werden; verbindliche Handlungsanweisungen für oder gegen die PÖ-
nalisierung bestimmter Verhaltensweisen können der Verfassung dagegen nicht
entnommen werden. Maßgebend bleibt stets, aufgrund welcher Kriterien ein kon-
kretes Interesse als so schützenswert erscheint, daß die freiheitsbeeinträchtigenden
Wirkungen der Pönalisierung durch den erzielten Rechtsgüterschutz zumindest
aufgewogen werden. 218
Daß die Werteordnung der Verfassung tatsächlich "eine verläßliche Richtschnur
für die Entscheidung der Frage (bietet), welche Rechtsgüter derart hochrangig
sind, daß sie strafrechtlichen Schutz verdienen,,,219 wird man nach alledem be-
zweifeln müssen. Hinreichend bestimmte Aussagen darüber, was mit den Mitteln
des Strafrechts geschützt werden darf oder muß, kann weder dem Katalog der
Grundrechte noch dem Rechtsstaats- 220 oder Sozialstaatsprinzip221 in hinreichen-
der Klarheit bzw. in nennenswertem Umfang entnommen werden?22

214 BVerfGE 50,290,337 f.; Badura, JuS 1976,205,208 f.; ders., in: Schmidt-Aßmann, 3.
Abschnitt Rdnm. 19 f.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 32.
215 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 369; Bottke, wistra 1991, 1,3 f.; Dingeldey, Insider-
Handel, S. 129; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 288 f.; Otto ZStW 96 (1984), 339, 356 f.;
ders., MschrKrim 1980, 397, 401 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 148 ff.; A.
Worms, Anlegerschutz, S. 270.
216 Vgl. hierzu Hassemer, Theorie, S. 234 ff.; Papageorgiou, Schaden, S. 249.
217 Vgl. Woesner, NJW 1966, 1729; Zipf, Kriminalpolitik, S. 103, 106.
218 Vgl. Rudolphi, ZStW 83 (1971), lOS, 115 f.
219 Weber, in: Baumann I Weber I Mitsch, StratR AT, § 3 Rdnr. 12.
220 Vgl. hierzu die letztlich nicht über eine Ansammlung wenig konkreter Leittopoi (Idee
der materialen Gerechtigkeit, Achtung personaler Freiheit, Gebot der Toleranz) hinausrei-
chenden Bemühungen um die Konkretisierung des Aussagegehalts des Rechtsstaaatsprinzip
bei Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 159; kritisch hierzu: Appel, Verfassung, S. 308, 311.
Zur Notwendigkeit eines Bezuges auf überpositive Prinzipien vgl. auch Naucke, Legitimati-
on, S. 156 ff., insbesondere S. 158, 168.
III. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 249

Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn man mit Jakobs die "Wirklichkeit des
sozialen Lebens" und die "verfassungsrechtlichen Normen" als alleinige Maßstäbe
der materiellen Legitimität der Strafrechtsordnung zurückweist223 und für eine An-
bindung der Zurechnung strafrechtlicher Schuld an die Anerkennung des Men-
schen als Person und Bürger plädiert: Jakobs leitet aus dem Begriff der Person die
Stellung des einzelnen als gleichberechtigter Träger von Rechten her. 224 Aus der
mit dem Status als Bürger - einer "freiheitlichen" Gesellschaft - verbundenen Exi-
stenz einer der gesellschaftlichen Kontrolle vollständig entzogenen Privatsphäre
ergibt sich für ihn, daß auch bei einem über die Privatsphäre hinauswirkenden Ver-
halten die Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit erst dann zulässig sein
kann, wenn und soweit sich der einzelne "aktuell anmaßt, fremde Organisations-
kreise zu gestalten. ,,225
Kindhäuser hat insoweit zutreffend angemerkt, die von Jakobs eingeführte Kate-
gorie des "Bürgers" verweise der Sache nach allein darauf, daß im Rahmen der
Normgenese auch die Grundrechte des Täters hinreichend zu berücksichtigen sei-
en?26 Entscheidend bleibt also auch bei diesem Ansatz, anhand welcher Kriterien
bestimmt werden kann bzw. bestimmt wird, was - "in einer freiheitlichen Gesell-
schaft" - Teil der jeder staatlichen Einwirkung entzogenen Privatsphäre ist bzw.
wann - "in einer freiheitlichen Gesellschaft" - eine Anmaßung der Gestaltung
fremder Organisationskreise zu konstatieren ist. Daß dies bei einem entsprechen-
den Vorverständnis zu einer sehr weitgehenden Beschneidung der personalen Frei-
heit führen kann, zeigt in aller Deutlichkeit die von Kratzsch entwickelte, auf "op-
timalen Rechtsgüterschutz" abstellende Konzeption einer Strafrechtsordnung. 227

dd) Die Verfassungsrechtsordnung als Maßstab


zur Begrenzung des Anwendungsbereichs strafrechtlicher Normen

Auch wenn der Verfassungsrechtsordnung nicht mit hinreichender Klarheit ent-


nommen werden kann, welche Verhaltensweisen in positiver Hinsicht als straf-

221 Vgl. die diesbezüglichen Bemühungen von Thoss, Verhältnis, S. 75 ff. sowie hierzu die
kritische Stellungnahme von Stratenwerth, Strafrechtsreform, S. 19 f.
222 Eser, Festschrift für Mestmäcker, S. 1019; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem.
§§ \3 ff. Rdnr. 10; vgl. auch Müller-Dietz, Festschrift für R. Schmitt, S. 115, der hierin den
Grund für die Wiederbelebung der Bemühungen um rechts philosophische Orientierung sieht.
223 Jakobs, StrafR AT, 1/15 Anm. 15 a.E., 2/1.
224 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 853 ff.; ders., Schuldprinzip, S. 26 f.; ders., ZStW 101
(1989), 516, 537; vgl. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 388 ff., der ebenfalls liberale
Grenzen des am Sozialschädlichkeitsgedanken orientierten funktional ausgerichteten Straf-
rechtssystems anerkennen will.
225 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 755 f., 762.
226 Kindhäuser, Gefährdung, S. 183, 185/186.
227 Vgl. oben S. 49 f.
250 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

schutzwürdig anzusehen sind, könnten der Verfassung doch möglicherweise Krite-


rien zu entnehmen sein, anhand derer sich entscheiden ließe, daß bestimmte Ver-
haltensweisen nicht als strafwürdig angesehen werden dürfen. Die Rechtsgutstheo-
rie wird bei einem derartigen Ansatz allerdings nicht mehr als Theorie des mate-
riellen Substrats des Verbrechens, sondern als Ansatz zur Begrenzung der staatli-
chen Strafgewalt verstanden. Dem entspricht es, wenn Otto formuliert, es gehe
"bei der Forderung nach Rechtsgüterschutz in den Deliktstatbeständen um die For-
derung an den Gesetzgeber, mit rational nachprütbaren Argumenten den Beweis
zu führen, daß er ein sozial wichtiges bonum durch den Deliktstatbestand schützt
und daß sich dieser Strafrechtsschutz mit dem Gefüge der Wertentscheidungen der
Rechtsgesellschaft in Einklang hält".228
Der Ansatz, dem kriminalpolitischen Ermessen des Gesetzgebers über das In-
strument der Rechtsgutstheorie Grenzen zu setzen, wird in der aktuellen Auseinan-
dersetzung insbesondere von Roxin und Rudolphi vertreten: 229 Roxin definiert
Rechtsgüter jetzt als "Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die dem einzelnen
und seiner freien Entfaltung im Rahmen eines auf dieser Zielvorstellung (= eines
auf die Freiheit des einzelnen gegründeten Rechtsstaates) autbauenden sozialen
Gesamtsystems oder dem Funktionieren dieses Systems selbst nützlich sind,,?30
Aus diesem, dem Gesetzgeber vorgegebenen Rechtsgutsbegriff leitet sich für Ro-
xin insbesondere das Verbot ab, reine Moralwidrigkeiten oder ideologische Zielset-
zungen durch Strafrechtsnormen zu schützen. 231 Des weiteren sollen sich auch
Strafvorschriften, die die Ungleichheit unter Menschen begründen oder zur Bestra-
fung von Meinungsäußerungen führen, als illegitim erweisen. 232
Rudolphi ist der Ansicht, der Gesetzgeber könne "nur solche sozialen Gegeben-
heiten zum Schutzgut strafrechtlicher Normen erheben, die für die verfassungsge-
mäße Stellung und Freiheit des einzelnen Bürgers und für unser sich im Rahmen
der Verfassung bewegendes Gesellschaftsleben notwendig sind.,,233 Demgegen-
über dürfen "all die sozialen Gegebenheiten nicht zu strafrechtlichen Schutzgütern
erhoben werden, die für unser sich im Rahmen der Verfassung bewegendes Gesell-
schaftsleben nicht notwendig sind. Dazu gehören vor allem die moralischen Ver-
haltensanforderungen, deren Befolgen zur Schaffung oder Erhaltung eines auf der
Freiheit und Verantwortung des Individuums basierenden Gesellschaftslebens nicht
notwendig ist.,,234 In ähnlicher Weise heißt es an anderer Stelle: "Berechtigt ist der

228 Dtto, Rechtsgutsbegriff, S. 15; vgl. auch Appel, Verfassung, S. 66, 199,330/331 und
passim.
229 Vgl. aber auch Amelung, Sozialschädlichkeit, S. 278; Appel, Verfassung, S. 21, 51,
55 ff. und passim; Jescheck, in: LK, Vor § 13 Rdnr. 7; Lagodny, Strafrecht, S. 151 ff., MJ.
Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 83.
230 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 9.
231 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnrn. 11 f.
232 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 13.
233 Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 5.
234 Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 5 a.E.
111. Das systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie 251

Gesetzgeber zum Erlaß einer Strafnorm nur dann, wenn sie zur Wahrung und Si-
cherung der Lebensbedingungen unserer auf der Freiheit und Verantwortung der
Person basierenden Gesellschaft notwendig ist. Dagegen hat der Staat nicht das
Recht, den einzelnen mit Hilfe von Strafdrohungen zu zwingen, bestimmte reli-
giöse, moralische oder sonstige Wertvorstellungen zur Richtschnur seines Verhal-
tens zu wählen, wenn deren Befolgen keinerlei Funktion für die Schaffung oder
Einhaltung eines auf der Freiheit und Verantwortung des Individuums beruhenden
gesellschaftlichen Lebens zukommt.,,235 Des weiteren ergebe sich, "daß der Schutz
von Universalinteressen nur insoweit legitim ist, soweit er sich als notwendig er-
weist, um die für eine freie Entfaltung der Bürger notwendigen Voraussetzungen
zu sichern. Der Schutz staatlicher Einrichtungen und sonstiger Universalinteressen
darf daher nicht um ihrer selbst willen erfolgen.,,236
Die zitierten Passagen lassen deutlich erkennen, daß es sich bei der von Roxin
und Rudolphi befürworteten Rechtsgutstheorie um einen verfassungspositivisti-
schen Ansatz handelt. So kann beispielsweise das Verbot, seine Bürger in religiöser
Hinsicht zu bevormunden zwar für ein säkulares und pluralistisch verfaßtes Gesell-
schaftssystem ohne weiteres aus der rein weltlichen Zielsetzung des Staates herge-
leitet werden 237 - für ein religiös-fundamentalistisches Staatswesen müßten aber
ersichtlich andere Grundsätze gelten. 238 Daß ein an verfassungsrechtlichen Vorga-
ben orientierter Ansatz dem Strafrecht von vornherein keine zeitlos gültigen, son-
dern allenfalls die in einer bestimmten historischen Situation für eine konkrete Ge-
sellschaft verbindlichen Grenzen zu setzen vermag, spricht allerdings nicht gegen
diesen Ansatz, sondern ist nichts anderes als die zwingende Konsequenz der oben
bereits aufgezeigten Geschichtlichkeit des Rechts. 239
Auch dann, wenn man den modemen Verfassungsstaat westlicher Prägung als
Positivierung des aufgeklärten Vernunft(rechts)denkens versteht,240 kann die
Orientierung an den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht durch einen Rekurs auf
ein ethisches Hintergrundkonzept ersetzt bzw. überspielt werden. Anerkannterma-
ßen können weder aus den von Kant in den §§ Bund C der Einleitung zur Rechts-
lehre aufgestellten Grundsätzen 241 noch aus den im Zuge vertragstheoretischer

235 Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. I.


236 Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. I a.E.
237 Vgl. Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 160; ders., in: SKStGB, Vor § I Rdnr. I
m.w.N.
238 Vgl. hierzu Feinberg, Vol. I, S. 39 Fußn. 2; Charlesworth, Leben, S. 27. Gleiches gilt
für eine kommunistische bzw. real-sozialistische Gesellschaft, vgl. Wasek, Moralwidrige Tat,
S.375.
239 Vgl. oben S. 65 ff.
240 Alexy, ARSP-Beiheft 44 (1991), 30,43; Haberrnas, Faktizität und Geltung, S. 552;
Kaufmann, JuS 1978,361,364; Köhler, StrafR AT, S. 15; Marx, Definition, S. 32133; MJ.
Worrns, Bekenntnisbeschimpfung, S. 57 f.
241 "Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen
mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt
252 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

bzw. diskursethischer Reformulierungen seiner Lehre 242 entwickelten obersten


Rechtsprinzipien direkt konkrete Rechtsnormen deduziert werden. 243 Um für ein
konkretes soziales Umfeld Wirksamkeit erlangen zu können, müssen die für sich
gesehen zunächst im wesentlichen auf den formalen Grundsatz der Gleichbehand-
lung beschränkten allgemeinen Rechtsprinzipien 244 zunächst einmal mit den zeit-
lich-räumlich gegebenen gesellschaftlichen Kontextbedingungen vermittelt wer-
den?45 Die Verständigung über die rechtlichen Grenzen, innerhalb derer Konzepte
des Guten verfolgt werden können,246 erfolgt notwendigerweise über bzw. inner-
halb der Institution des Staates als der Organisationsform der Gesellschaft. 247 Das
wesentliche Ergebnis der normativen Verständigung ist dann die Staatsverfas-
sung?48 Wenn aber die verfassungsrechtliche Ordnung die Ebene des Konkretisie-
rungsprozesses darstellt, auf der erstmalig und grundlegend allgemeine Rechtsprin-
zipien auf ein gegebenes gesellschaftliches Umfeld hin ausgerichtet werden,249

werden kann." (Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B) "Eine jede
Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit je-
dermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc" (a. a. 0.,
§ C). Der Sache nach entspricht dies dem I. Gerechtigkeitsgrundsatz bei Rawls, vgl. Rawls,
Idee, S. 60. Zur Neufassung dieses Satzes vgl. Rawls, Idee, S. 160 f., 203 ff.
242 Als Beispiel einer vertragstheoretischen Reformulierung sei hier auf die von Rawls
entwickelte Gerechtigkeitskonzeption verwiesen. Rawls selbst versteht seinen Ansatz als eine
Fortführung der Kantischen Lehre, vgl. Rawls, Theorie, S. 12, 27, 283 ff., insbesondere
S. 289; ders., Idee, S. 80 ff., 75; ders. Politischer Liberalismus, S. 399: "prozedurale Deutung
der Kantischen Lehre". Zu den Unterschieden zwischen beiden Konzeptionen vgl. Rawls, Po-
litischer Liberalismus, S. 180 ff. sowie Pogge, Rawls, S. 189 ff. Als diskursethische Reformu-
lierung des Kantischen Ansatzes kann auf die Habermas'sche Diskursethik verwiesen wer-
den, vgl. insbesondere: Habermas, Faktizität und Geltung, S. 49 ff.; Kersting, Freiheit, S. 19 f ..
36. Daß es sich bei der Diskurstheorie um eine Reformulierung der Lehre Kants handelt, be-
tont auch Alexy, ARSP-Beiheft 51 (1993), 11, 14 ff.
243 Vgl. Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 275 ff. und auch K. Günther, Möglich-
keiten, S. 210: Die Diskursethik könne nicht aus sich selbst heraus bestimmen, "weIche
Rechte in weIcher Weise geschützt werden sollen".
244 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte, S. 297; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 157. Zur
Konzeption der "Person" als notwendigem inhaltlichen Fundament prozeduraIer Ansätze vgl.
Arthur Kaufmann. Rechtsphilosophie, S. 205, 292 ff.
245 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 157, 193; Höffe, Gerechtigkeit. S. 429; Arthur
Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 84, 148; Köhler, StrafR AT, S. 17, 36; Rawls, Theorie.
S. 224 f.; ders., Idee, S. 62, 163, 211; ders., Politischer Liberalismus, S. 408, 414 sowie bei-
spielhaft S. 457 ff.; Wolff, Abgrenzung, S. 185 ff., 194 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 162/163, 165 ff.
246 Zur Konzeption des Vorrangs des Rechten vor dem Guten vgl. Rawls, Theorie, S. 50,
486 ff., 610 f.; ders., Idee, S. 288 ff., 296 ff., 323 ff., 334; ders., Politischer Liberalismus,
S. 266 ff.
247 Höffe, Gerechtigkeit, S. 428 ff.; Wolff, ZStW 97 (1985), 786, 814 ff.; ders., Abgren-
zung, S. 202 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 181 ff.
248 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 238; Kersting, Freiheit, S. 212; Köhler,
StrafR AT, S. 16,36; Merkei, Strafrecht, S. 280 f.; Zaczyk, Unrecht, S. 184.
249 Vgl. hierzu Rawls, Theorie, S. 30, 224 ff.; ders., Idee, S. 163, 168, 209 ff.; Wittig,
ZStW 107 (1995), 251, 273 f.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 253

dann müssen Maßstäbe zur Bewertung konkreter Normen notwendigerweise der


Verfassungsrechtsordnung entnommen werden, d. h. konkret: die Legitimität oder
Illegitimität der Pönalisierung einer Verhaltensweise muß zwingend aus der Ver-
fassungsrechtsordnung hergeleitet werden bzw. mit dieser vereinbar sein.
Beispielhaft: Wenn die Funktion der staatlichen Rechtsordnung in Umsetzung
des neuzeitlichen, wesentlich durch die Philosophie der Aufklärung inspirierten
personalen Staats- und Rechtsverständnisses des abendländischen Rechtskreises
darin gesehen wird, die Voraussetzungen und Bedingungen zu sichern, die notwen-
dig und erforderlich sind, damit sich der einzelne als ein sozialgebundenes Indivi-
duum entfalten kann,25o dann müssen konsequenterweise auch die für die Aus-
übung staatlicher Strafgewalt verbindlichen Maßstäbe und Grenzen aus der in der
Tradition der europäischen Geistesentwicklung verankerten Verfassungsrechtsord-
nung entnommen werden. Erkennt man weiterhin an, daß es in einer gewaltenge-
teilten Demokratie dem Gesetzgeber obliegt, die durch die verfassungsrechtliche
Ordnung fixierte normative gesellschaftliche Verständigung durch einfachgesetzli-
che Regelungen zu konkretisieren, können auch die dem Gesetzgeber bei dieser
Aufgabe gesetzten Grenzen nur der Verfassungsrechtsordnung entnommen wer-
den. 251 Die Annahme weiterreichender Beschränkungen liefe auf eine Kritik an
der Verfassungsrechtsordnung selbst hinaus, die - für sich gesehen - ohne Frage
legitim ist, die aber auf eine Abänderung der Verfassungsrechtsordnung abzielen
muß und die deshalb im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, in der es um die
Frage nach der Legitimität der einfachgesetzlichen Normen des Strafrechts geht,
nicht weiter verfolgt werden kann?52

IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat

Wie eben dargelegt, kann die Frage nach den Grenzen des legitimen Anwen-
dungsbereichs strafrechtlicher Normen nur vor dem Hintergrund einer konkreten
gesellschaftlichen Konzeption gestellt und nicht in zeitlos-gültiger Art und Weise,
sondern ebenfalls nur bezogen auf ein konkretes gesellschaftliches Modell beant-
wortet werden. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies: Es ist der Frage
nachzugehen, ob und wenn ja welche Grenzen der Anwendung strafrechtlichen
Zwangs in einer wesentlich durch die Modellvorstellung einer Gemeinschaft freier

250 Höffe, Gerechtigkeit, S. 284; Arthur Kaufmann, JuS 1978,361,364; Marx, Definition,
S. 31 ff.; M.J. Wonns, Bekenntnisbeschimpfung, S. 54 ff.
251 Vgl. Appel, Verfassung, S. 388, 450, 454, 486 f. und passim; Forster, ZSR NF 114
(\ 995), 11, I, 51. Soweit die Verfassung - wie z. B. Art. 24novies BV im Hinblick auf die
Regelung der Fortpflanzungsmedizin - sehr dezidierte Detailregelungen enthält, führt dies
zwingend zu einer entsprechend weitgehenden Vorfestlegung des Strafgesetzgebers.
252 Zur Bindung an die jeweils übergeordnete Ebene vgl. auch Rawls, Idee, S. 213; ders.,
Politischer Liberalismus, S. 460.
254 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

und gleicher Rechtsgenossen geprägten, pluralistischenGesellschaft des ausgehen-


den 20. Jahrhunderts gesetzt sind.
Der damit verfolgte Ansatz, dem Gesetzgeber über die Rechtsgutstheorie
Schranken zu setzen, darf nicht als eine bloße Umkehrung des an der verfassungs-
rechtlichen Werteordnung orientierten Ansatzes zur positiven Bestimmung straf-
schutzwürdiger Rechtsgüter interpretiert werden. Aus den oben zitierten Ausfüh-
rungen geht deutlich hervor, daß es auch Roxin und Rudolphi gerade nicht um die
Bestimmung von "Werten" geht, die als nicht hinreichend elementar bzw. nicht
hinreichend gewichtig anzusehen wären, um eine Pönalisierung rechtfertigen zu
können. Der entscheidende Wechsel der Perspektive liegt darin, daß nicht danach
gefragt wird, ob eine bestimmte Verhaltensweise hinreichend gewichtige Entfal-
tungs- und Daseinsbedingungen beeinträchtigt und deshalb mit den Mitteln des
Strafrechts bekämpft werden darf; gefragt wird vielmehr danach, ob das in Frage
stehende Verhalten als ein legitimer Grund für ein staatliches Eingreifen anerkannt
werden kann. Gefragt ist mit anderen Worten nach den Grenzen der dem staatli-
chen Zugriff offen stehenden Sphäre bzw. - spiegelbildlich - nach den Grenzen ei-
nes dem strafrechtlichen Zugriff entzogenen Bereichs privater Lebensgestal-
tung. 253

1. Die grundsätzliche Formulierung


des Ansatzes bei John Stuart Mill

Dieser neben dem bereits oben zitierten Wolfenden Report auch in einer Bot-
schaft des Schweizer Bundesrates aus dem Jahre 1985 254 anklingende Ansatz ist
bereits 1859 in einer insbesondere im anglo-amerikanischen Rechtskreis wirkungs-
geschichtlich bedeutsamen Art und Weise von John Stuart Mill in seinem Essay
On Liberty entwickelt worden?55
Im vierten Kapitel dieses Essays, in dem er die Grenzen der Autorität der Ge-
sellschaft über das Individuum thematisiert, faßt Mill die Problematik knapp und
prägnant in drei Fragen zusammen: "Wo ist denn nun also die gerechte Grenze für
die Herrschaft des Individuums über sich selbst? Und wo beginnt die Autorität der
Gesellschaft? Ein wie großer Teil des menschlichen Lebens sollte dem Individu-
um, wieviel davon der Gesellschaft vorbehalten bleiben?,,256 Bereits in der Einlei-
tung dieser Schrift hatte Mill die Auffassung vertreten, "daß der einzige Grund,

2S3 Zur rein negativen Funktion der Verfassungsrechtsordnung als Rahmen der Strafge-
setzgebung vgl. auch bereits Eser, Duquesne University Law Review 4 (I %6), 345, 400 und
415.
254 Vgl. Stratenwerth, Rektoratsrede, S. 11.
255 Zu den geistesgeschichtlichen Wurzeln des Schadensprinzips vgl. Papageorgiou, S. 101
m.w.N.
256 MiII, Freiheit, S. 103.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 255

aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines
ihrer Mitglieder einzumengen befugt ist, der ist: sich selbst zu schützen. Daß der
einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds
einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, der ist: die Schädigung
anderer zu verhüten ... Nur insoweit sein Verhalten andere in Mitleidenschaft zieht,
ist jemand der Gesellschaft verantwortlich."257 Der allein der eigenverantwortli-
chen Selbstbestimmung unterliegende Bereich umfaßt nach Mill "als erstes das in-
nere Feld des Bewußtseins und fordert hier Gewissensfreiheit im weitesten Sinne,
ferner Freiheit des Denkens und Fühlens, unbedingte Unabhängigkeit der Meinung
und der Gesinnung bei allen Fragen, seien sie praktischer oder philosophischer,
wissenschaftlicher, moralischer oder theologischer Natur. Die Freiheit, Meinungen
in Wort und Schrift zu vertreten, scheint unter einen andersartigen Grundsatz zu
fallen, da sie zu dem Teil persönlicher Lebensführung gehört, die andere Leute
mitbetrifft. Aber da sie fast von gleicher Bedeutung ist wie Gedankenfreiheit
selbst, und zum großen Teil auf denselben Gründen beruht, ist sie praktisch un-
trennbar von ihr. Zweitens verlangt dies Prinzip Freiheit des Geschmacks und der
Studien, Freiheit, einen Lebensplan, der unseren eigenen Charakteranlagen ent-
spricht, zu entwerfen und zu tun, was uns beliebt, ohne Rücksicht auf die Folgen
und ohne uns von unseren Zeitgenossen stören zu lassen - solange wir ihnen nichts
zuleide tun -, selbst wenn sie unser Benehmen für verrückt, verderbt, oder falsch
halten. Drittens: aus dieser Freiheit jedes einzelnen folgt - in denselben Grenzen -
diejenige, sich zusammenzuschließen, die Erlaubnis, sich zu jedem Zweck zu ver-
einigen, der andere nicht schädigt, unter der Voraussetzung, daß die sich vereinen-
den Personen voll erwachsen sind und nicht unter Zwang oder veraniaßt durch Vor-
spiegelungen in eine Verbindung treten.,,258
Das wesentliche Defizit seines Ansatzes besteht darin, daß Mill es unterlassen
hat, den Gehalt der selbst in der oben zitierten zentralen Passage nur skizzenhaft
entworfenen Grundsätze näher zu bestimmen. 259 Trotz oder auch gerade wegen ei-
niger im weiteren Verlauf seiner Ausführungen angeführter Beispiele bleibt die
von ihm befürwortete Abgrenzung der dem staatlichen Zugriff offenstehenden
bzw. verschlossenen Sphären weitgehend dunkel. Beispielhaft sei nur darauf ver-
wiesen, daß Mill - ausweislich des obigen Zitats - zwar einerseits die Verderbtheit
eines Verhaltens nicht als einen Grund anerkennen will, der die Einbeziehung eines
Verhaltens in die Sphäre der Gesellschaft zu rechtfertigen vermag, daß er aber an-
dererseits im weiteren Verlauf seiner Ausführungen Vergehen gegen die Schick-
lichkeit als Beleidigung der guten Sitten ansieht und ihre Bestrafung ohne weiteres
für legitim erachtet. 260 Insgesamt gesehen ist zu konstatieren: Da - was Mill selbst

257 Mill, Freiheit, S. 16 f.


258 Mill, Freiheit, S. 20.
259 So auch Schlenke in seinem Nachwort zu Mill, Freiheit, S. 170; zur Interpretation des
Millschen Ansatzes vgl. Hart, Morality, S. 42 f.
260 Mill, Freiheit, S. 135; vgl. hierzu auch J.C. Wolf, Zeitschrift für Philosophische For-
schung 44 (1988), 454, 455 f.; kritisch hierzu Feinberg, Vol. I, S. 14 sowie Gräfrath, Mill,
256 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

erkannt hat - das Ausleben einer Lebenskonzeption praktisch immer Auswirkun-


gen auf das soziale Umfeld des Individuums hat, kann es nicht darauf ankommen,
daß die Interessenkreise anderer Individuen betroffen sind - dies ist stets der Fall.
Entscheidend ist, ob es sich um eine Beeinträchtigung fremder Interessenkreise
handelt, die - gemessen an den in der Gesellschaft vorherrschenden Maßstäben -
sozial unerträglich ist261 und deshalb ein staatliches Eingreifen zu legitimieren ver-
mag. Entscheidend ist also, weIche Grenzen in einer konkreten Gesellschaft dem
Zugriff staatlicher Instanzen gesetzt sind. Konkret ist danach zu fragen, ob eine
Gesellschaft einen staatsfreien oder doch zumindest strafrechtsfreien Bereich der
Lebensgestaltung anerkennt und wie dieser gegebenenfalls ausgestaltet ist.
Roxin und Rudolphi scheinen eine derartige Beschränkung der staatlichen Ein-
griffsbefugnis jedenfalls für Verhaltensweisen annehmen zu wollen, die Ausdruck
religiöser, moralischer oder sonstiger Wertvorstellungen sind. Allerdings betonen
sie - nach dem oben Gesagten: zu Recht -, daß dies nur für ,,reine" Moralwidrig-
keiten gelten könne (Roxin), deren Befolgung also ,,keinerlei Funktion für die
Schaffung oder Einhaltung eines auf der Freiheit und Verantwortung des Indivi-
duums beruhenden gesellschaftlichen Lebens zukommt" (Rudolphi). Damit stellen
sich mehrere Fragen: Wann bzw. unter weIchen Voraussetzungen kann man davon
ausgehen, daß ein (moralwidriges) Verhalten keinerlei Auswirkungen auf das auf
der Freiheit und Verantwortung des Individuums beruhende gesellschaftliche Le-
ben hat? Wann bzw. unter weIchen Voraussetzungen greifen soziale Kontakte über
den dem staatlichen Zugriff entzogenen Bereich der selbstbestimmten Lebensge-
staltung hinaus? Liegt eine relevante Beeinträchtigung fremder Interessen bereits
dann vor, wenn die in Frage stehende Verhaltensweise mit den Wertvorstellungen
anderer Individuen nicht zu vereinbaren ist? Bedarf es möglicherweise einer über
die bloße Ablehnung hinausgehenden Beeinträchtigung oder Desorientierung an-
derer Individuen bzw. einer Desintegration gesellschaftlicher Lebens- und Funkti-
onszusammenhänge?

2. Die AusditTerenzierung des Ansatzes durch Joel Feinberg

Um eine differenzierte und auf das pluralistische Gesellschaftsmodell bezogene


Aufarbeitung des Mill'schen Grundansatzes hat sich insbesondere der amerikani-
sche Rechtsphilosoph Joel Feinberg bemüht. Seine unter dem Obertitel "The Moral
Limits of the Criminal Law" in den Jahren 1984 bis 1988 vorgelegte vierbändige
Studie ist der Frage gewidmet: "Wh at sorts of conduct may the state rightly make
criminal?,,262 Ausgehend vom Grundwert der Freiheit des Individuums sucht Fein-

S. 112/113: die eine Ergänzung durch das "Ärgernisprinzip" (offen se principle) für notwen-
dig erachten.
261 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 2/22 f. sowie bereits Welzel, ZStW 58 (1938), 491, 516.

262 Feinberg, Vol. I, S. 3; vgl. auch Postema, Ethics Vol. 97 (1986-87),414,415.


IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 257

berg nach den für eine liberale Gesellschaft verbindlichen "liberty-limiting prin-
ci pies" bzw. "coercion-Iegitimizing principles",263 wobei er neben dem bereits von
Mill selbst propagierten Schadensprinzip (harm-principle) als weitere potentielle
Kriminalisierungsgründe das Belästigungsprinzip (offense-principle) sowie zwei
Formen moralistischer Erwägungen (legal paternalism sowie legal moralism) erör-
tert. Ziel seiner Untersuchung ist es, den Nachweis zu erbringen, daß in einer libe-
ralen Gesellschaft die Pönalisierung von Verhaltensweisen legitimerweise neben
einem elaborierten harm-principle auch auf ein entsprechend ausdifferenziertes of-
fense-principle gestützt werden kann, während paternalistische oder sonstige mora-
listische Erwägungen eine Pönalisierungsentscheidung in keiner Weise zu tragen
vermögen. 264 Methodisch beginnt Feinberg mit dem von ihm als Kriminalisie-
rungsgrund für im Grundansatz unproblematisch erachteten Schadensprinzip (Vol.
1: Harm to Others),265 um sich dann den als schwieriger und kontrovers einge-
schätzten Prinzipien zuzuwenden: dem Belästigungsprinzip (Vol. 2: Offense to
Others), dem Strafrechtspaternalismus (Vol. 3: Harm to Self) und dem Strafrechts-
moralismus (Vol. 4: Harmless Wrongdoing).
Den ersten Band widmet Feinberg einer Aufarbeitung des im Ansatz bereits von
Mill (als einzig tragfähige Begründung für eine Einschränkung der personalen
Freiheit) postulierten Schadensprinzip (harm-principle). Daß die Schädigung ande-
rer Personen als ein im Hinblick auf die Pönalisierung von Verhaltensweisen rele-
vanter Gesichtspunkt anzuerkennen ist, steht für Feinberg außer Frage. Ausgehend
von der Erkenntnis, daß mit der Institution des Strafrechts nicht Schäden als solche
verhindert werden können, sondern schädigenden Verhaltensweisen (acts of har-
ming) entgegengewirkt werden soll,266 definiert Feinberg die strafrechtlich rele-
vante Schädigung (harm) als Beeinträchtigung von Interessen (setback of interest),
die sich gleichzeitig auch als Verletzung eines Rechts (violation of a person's
rights) darstellt. 267 Als strafrechtlich relevante Interessen erkennt Feinberg weder
die bloßen Wünsche und Neigungen (passing wants) noch die Zielsetzungen (in-
strumental wants, focal aims) einer Person an, sondern allein Wohlfahrtsinteressen
(welfare interests),268 d. h. Interessen, die gerichtet sind auf die Gewährleistung
der Grundvoraussetzungen für die Umsetzung einer eigenständigen Lebensplanung
("basic requisites of a man's well-being,,).269
Werden eine oder mehrere Personen durch ein Verhalten in ihren Wohlfahrtsin-
teressen beeinträchtigt270 und stellt sich das Verhalten gleichzeitig noch als Ein-

263 Feinberg, Vol. I, S. 9.


264 Feinberg, Vol. 1, S. 14 f.; vgl. auch Postema, Ethics Vol. 97 (1986-87), 414, 415 f.
265 Vgl. hierzu auch die Rezension von Neumann, ARSP 1986, 118 ff.
266 Feinberg, Vol. I, S. 31.
267 Feinberg, Vol. I, S. 36.

268 Vgl. Feinberg, Vol. I, S. 37 ff.

269 Vgl. Feinberg, Vol. I, S. 37,57; vgl. hierzu 1. C. Wolf, Zeitschrift für Philosophische
Forschung 42 (1988), 454, 457 ff.

17 Wohlers
258 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

griff in fremde Rechtspositionen dar, ist zwar eine im Grundsatz strafrechtlich rele-
vante Schädigung gegeben. Einen Automatismus dergestalt, daß aus dem Vorlie-
gen einer strafrechtlich relevanten Schädigung unmittelbar auf die Legitimität der
Pönalisierung geschlossen werden muß, weist Feinberg allerdings zurück. Die mit
der Pönalisierung einer Verhaltensweise verbundene Einschränkung der Freiheit
macht seiner Auffassung nach vielmehr eine Abwägung erforderlich, die er durch
mehrere Abwägungsmaßstäbe (mediating maxims) zu strukturieren versucht. 271
Festzuhalten bleibt: Die strafrechtliche relevante Schädigung einer oder mehrerer
anderer Personen ist nach Feinberg ein Umstand, der den Gesetzgeber zur Pönali-
sierung einer Verhaltensweise berechtigen kann, nicht aber zwingend berechtigen
muß.
Neben dem Schädigungsprinzip (harm-principle) will Feinberg mit dem Belästi-
gungsprinzip (offense-principle) einen weiteren Gesichtspunkt anerkennen, der
eine Kriminalisierung grundsätzlich zu rechtfertigen vermag. 2n Mit dem Begriff
der "offenses" will Feinberg nicht weniger gewichtige "harms", sondern die von
Schädigungen zu unterscheidenden Phänomene der als negativ empfundenen Ge-
fühlszustände (disliked states of mind) erfassen. 273 Feinberg ist der Auffassung,
daß das Hervorrufen einer Belästigung unter zwei Voraussetzungen als Grund für
eine Kriminalisierung anzuerkennen sei: Zum ersten muß es sich um ein Verhalten
handeln, das gleichzeitig auch als Eingriff in fremde Rechte anzusehen ist (wrong-
ful offensive conduct);274 zum zweiten müssen die Interessen des sich-gestört-Füh-
lenden gegen die Interessen der agierenden Person abgewogen werden. 275
Im dritten und vierten Band seines Gesamtwerkes setzt sich Feinberg dann aus-
führlich mit den Phänomenen des "legal paternalism" und des "legal moralism"
auseinander. Eine paternalistisch begründete Legitimation strafrechtlicher Normen
lehnt er als eine mit der Autonomie der Person unvereinbare Erwägung ab. Eine in
der Tradition des politischen Liberalismus stehende Gesellschaft dürfe die für ein
"gutes" Leben relevanten ,,richtigen" Werte und Ziele nicht von Staats wegen ver-
bindlich vorschreiben, sondern müsse es dem einzelnen überlassen, seine persönli-
che Konzeption des Guten innerhalb des durch die Freiheit der anderen Bürger ge-
setzten Rahmens selbst und eigenverantwortlich zu finden. 276 Auch eine eigenstän-
dig-moralistische Begründung strafrechtlicher Normen lehnt Feinberg als mit der
Autonomie der Person unvereinbar ab. Er erkennt an, daß auf normative Erwägun-

270 Zur Einbeziehung kollektiver Interessen in die Interessensphäre einer Person vgl. Fein-
berg, Vol. I, S. 63.
271 Vgl. Feinberg, Vol. I, S. 187 ff., 218 ff.
272 Feinberg, Vol. 2, S. I f.
273 Feinberg, Vol. 2, S. 3 ff.
274 Feinberg, Vol. 2, S. I f., 68.
275 Zu den im Rahmen des Abwägungsprozesses (balancing test) relevanten Topoi vgl.
i.e.: Feinberg, Vol. 2, S. 25 ff.
276 Feinberg, Vol. 3, S. 52 ff., insbesondere S. 57 ff.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 259

gen bei der Bestimmung von strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen nicht ver-
zichtet werden kann?77 Die Berücksichtigung normativer Gesichtspunkte bei der
Bestimmung strafrechtlich relevanter Schädigungen (wrongful harms) und Belästi-
gungen (wrongful offenses) könne aber nicht gleichgesetzt werden mit der Durch-
setzung partikularer Wertvorstellungen um ihrer selbst willen,278 ein Gesichts-
punkt, der für eine dem Grundwert der Autonomie der Person verpflichtete und da-
mit zwingend pluralistisch strukturierte liberale Gesellschaft 279 von vornherein als
legitimer Grund für die Kriminalisierung von Verhaltensweisen auszuscheiden ha-
be. 28o

3. Die Rezeption der Konzeption


in der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft

In der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft ist die Diskussion der Grenzen


des legitimen Anwendungsbereichs strafrechtlicher Normen bisher überwiegend in
der Binnenperspektive geführt worden, was konkret bedeutet: im wesentlichen un-
ter Zugrundelegung des Rechtsgutsdogmas. 281 Den - soweit ersichtlich ersten -
Versuch einer vertieften Auseinandersetzung mit der oben skizzierten Konzeption
Feinbergs stellt eine 1994 von Konstantinos A. Papageorgiou unter dem Titel
"Schaden und Strafe" veröffentlichte Untersuchung dar.
Ziel dieser Studie ist es, die Grundzüge einer Theorie der Kriminalisierung in
Anknüpfung an die Tradition des wesentlich durch Humboldt und Mill geprägten
philosophischen Liberalismus zu entwickeln. Das grundlegende Ideal des politi-
schen Liberalismus sieht Papageorgiou in der Gewährleistung der möglichst um-
fassenden, von innen geleiteten Entwicklung des Individuums. Voraussetzung einer
autonomen Entwicklung des Individuums sei ein Grundbestand an Freiheitsrechten
sowie die Gewährleistung eines sozialen Umfeldes, in dem die grundlegenden Vor-
aussetzungen für eine Umsetzung individueller Lebensplanungen gewährleistet
werden. 282 Ausgehend von der Erkenntnis, daß das Strafrecht nicht nur eine die

277 Feinberg, Vol. 4, S. 11 f.; vgl. auch die obigen Ausführungen zur normativen Kompo-
nente des hann-principle und offense-principle.
278 Feinberg, Vol. 4, S. 12; vgl. auch MacCormick, Disestablishment, S. 220 f.
279 Vgl. Feinberg, Vol. 4, Kapitel 29A. insbesondere S. 108 ff. Zur Abgrenzung des Libe-
ralismus vom Relativismus vgl. auch Feinberg, Vol. 4. S. 305 ff., 333 ff.
280 Feinberg. Vol. 4, S. 67/68.
281 Die Frage. ob die durch Feuerbach entwickelte Konzeption die Möglichkeit einer an-
dersartigen Entwicklung geboten hätte, kann hier dahinstehen, da dieser Ansatz neben der
sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts durchsetzenden Variante der Rechtsgutstheorie keine
weitergehende strafrechtspraktische oder dogmengeschichtliche Wirkung gehabt hat; vgl.
hierzu i.e.: Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 28 ff., 52 ff.
282 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 256 f., 279.

17'
260 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Freiheit des einzelnen schützende, sondern auch die Freiheit einschränkende Insti-
tution darstellt, sucht Papageorgiou nach Gründen, die eine Pönalisierung von Ver-
haltensweisen zu rechtfertigen vennögen. Den stärksten und seiner Auffassung
nach letztlich auch einzigen Grund zum Kriminalisieren sieht er im sog. Schadens-
prinzip. Etwaigen anderen Prinzipien (Paternalismus-, Belästigungs- und Moralis-
musprinzip) mißt Papageorgiou keine eigenständige, sondern nur eine negativ, ab-
grenzende Funktion zu: diese Prinzipien seien als Abgrenzungstopoi des Schadens-
prinzips selbst zu verstehen. 283
Den Begriff der Schädigung definiert Papageorgiou zunächst im Anschluß an
Feinberg als Beeinträchtigung von Interessen?84 Interessen sind nach Papageor-
giou die begründende Basis moralischer und rechtlicher personale~85 Ansprüche
und Verpflichtungen?86 Eine in diesem Sinne als Schädigung anzusehende Interes-
senbeeinträchtigung liege - so Papageorgiou - weder in der Nichterfüllung subjek-
tiver Zwecksetzungen (Wünsche, Neigungen etc.)287 noch in der bloßen objektiven
SChlechterstellung,288 noch in der Nichtverwirklichung eines Entwicklungsinteres-
ses (wie z. B. ein guter Musiker oder Sportler zu werden).289 Unter Anlehnung an
die Vorarbeiten Feinbergs definiert Papageorgiou den Begriff des strafrechtlich re-
levanten Schadens zunächst als Beeinträchtigung von Wohlfahrtsinteressen, d. h.
als Beeinträchtigung der - in der konkreten Ausgestaltung vom jeweils gegebenen
sozialen Umfeld abhängigen 290 - Grundvoraussetzungen zur Verwirklichung indi-
vidueller Lebensplanungen. 291 Abweichend von der Konzeption Feinbergs, dem er
einen zu flachen, allein an der Beeinträchtigung äußerlich verletzbarer, substanz-
hafter Entitäten orientierten Schadensbegriff vorwirft,292 ersetzt Papageorgiou den
Begriff des Wohlfahrtsinteresses letztlich dann durch den des Sicherheitsinteres-
ses. 293 Zwar sollen auch Sicherheitsinteressen eine fundamentale Rolle für das
Entwicklungsanliegen der Individuen haben, aber: ,,Ihr Anspruchskern besteht im
Gegensatz zu den Wohlfahrtsinteressen nicht in der Leistung eines bestimmten
Wohlfahrtsniveaus, sondern lediglich in der symbolisch manifestierbaren Achtung
gegenüber gewissen Positionen, deren symbolische Unverbrüchlichkeit (Sicher-

283 Papageorgiou, Schaden, S. 89 f.


284 Papageorgiou, Schaden, S. 104/105.
285 Personale Wesen sind nach Papageorgiou Wesen, die über Selbstbewußtsein verfügen,
die Wirklichkeit rational erfassen und mit anderen durch das Medium der Sprache kommuni-
zieren, sich Ziele setzen und demgemäß auch handeln können (vgl. Papageorgiou, Schaden,
S. 107, 185 ff.).
286 Papageorgiou, Schaden, S. 106/107.
287 Papageorgiou, Schaden, S. 111 ff.
288 Papageorgiou, Schaden, S. 116 f.
289 Papageorgiou, Schaden, S. 119 ff., 152.
290 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 153,215.
291 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 131 ff.
292 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 139 ff., 156.
293 Papageorgiou, Schaden, S. 156.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 261

heit) eine notwendige Bedingung zur Konzipierung und Entfaltung eines würdigen
Lebens ist. ,,294
Welche Verhaltensweisen als Beeinträchtigung der unerläßlichen Voraussetzun-
gen für die Umsetzung der autonomen Konzeption eines "guten" Lebens als Beein-
trächtigung von Sicherheitsinteressen und deshalb als strafwürdig anzusehen seien,
lasse sich nicht apriori und ein für allemal sagen, sondern sei "eine Frage des kul-
turellen Zusammenhangs", wobei auf der Hand liege, daß hier "gewisse quantitati-
ve Kriterien, wie etwa die von Winfried Hassemer vorgeschlagenen Kategorien
der Häufigkeit einer Interessenverletzung, der Bedarfsintensität des verletzten Guts
und der gesellschaftlich wahrgenommenen Bedrohungsintensität der Verletzung
ausschlaggebend sein dürften".295 Eine dem normativen Prozeß der Konstituierung
von Sicherheitsinteressen vorgegebene inhaltliche Beschränkung will Papageorgou
allerdings durch die den Sicherheitsinteressen gegenübergestellte Kategorie der
Freiheitsinteressen erreichen. 296 Das Freiheitsinteresse fordere, die im Hinblick
auf die Anerkennung der Autonomie der Person als oberster Wert elementaren Be-
dingungen der Authentizität einer individuellen Lebensplanung zu gewährlei-
sten. 297 Zwar sei auch die konkrete Ausgestaltung des Freiheitsinteresses kontext-
abhängig; an der grundsätzlichen Notwendigkeit, die Autonomie der Person - ver-
standen als Urheberschaft über den eigenen Lebensplan - jedenfalls im Grundsatz
zu gewährleisten, ändere dies nichts 298 - jedenfalls nicht für eine Gesellschaft, die
es grundsätzlich dem einzelnen selbst überlassen will, zu entscheiden, was er unter
einem "guten" oder "würdigen" Leben zu verstehen hat?99
Wie bereits oben angedeutet, erkennt Papageorgiou weder das Belästigungsprin-
zip ("offense-principle,,)3oo noch - insoweit in voller Übereinstimmung mit Fein-
berg - paternalistische oder moralistische Prinzipien 301 als eigenständige Krimina-
lisierungsgründe an. Die von Feinberg über das offense-principle erfaßten Belästi-
gungen will Papageorgiou erst und nur dann als Kriminalisierungsgrund anerken-
nen, wenn hiervon Interessen betroffen werden, die unter normativen Gesichts-
punkten als dem Zugriff Dritter entzogene Sicherheitsinteressen anerkannt sind.
Beispielhaft nennt er das Interesse an der Achtung der Persönlichkeit (Ehre) und
das Interesse an der Herrschaft bzw. Kontrolle über den privaten Bereich (Haus-
recht).302 Hinsichtlich paternalistischer bzw. moralistischer Erwägungen vertritt

294 Papageorgiou, Schaden, S. 156.


295 Papageorgiou, Schaden, S. 156/157.
296 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 158 ff.
297 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 163 ff.
298 Vgl. Papageorgiou, S. 165 ff.

299 Zum Charakter des Freiheitsinteresses als quasideontologische Sperre gegenüber den
konsequentialistischen Sicherheitsinteressen vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 159 ff.
300 Papageorgiou, Schaden, S. 263 ff.
301 Zum Paternalismus als Pönalisierungsgrund vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 216 ff.;
zum Moralismus vgl. a. a. 0., S. 243 ff.
262 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Papageorgiou einen differenzierten Standpunkt: Ausgehend von der Prämisse, daß


strafrechtliche Normen nicht die Aufgabe haben (können), empirisch-feststellbare
Schäden abzuwenden, sondern vielmehr die für die Identität eine Gesellschaft
grundlegenden Wertvorstellungen und Überzeugungen durch symbolische Reak-
tionen kontrafaktisch stabilisieren sollen,303 kommt er zu dem Ergebnis, daß die
Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen nur der äußere Anlaß für das Eingrei-
fen strafrechtlicher Normen darstellt, der eigentliche Grund der Sanktionierung
aber darin besteht, die grundlegenden Wertentscheidungen einer als verbindlich
postulierten Moralität der Gesellschaft zu schützen. 304 Allerdings gelte auch hier:
"Welche Verhaltensweisen nun das symbolische Gewicht einer moralischen Verlet-
zung dieser Wertungen in sich tragen, bleibt freilich eine kontingente Frage (und
ein Ergebnis fairen moralischen Arguments).,,305
Vergleicht man die von Papageorgiou selbst als Versuch einer Theorie der straf-
rechtlichen Moralität verstandene Konzeption mit dem von Feinberg entwickelten
System, ergeben sich geringere Differenzen als dies wohl von Papageorgiou selbst
angenommen wird. Soweit Papageorgiou gegenüber Feinberg den Vorwurf erhebt,
dessen Schadensbegriff vernachlässige die im Hinblick auf die Funktion strafrecht-
licher Normen relevanten normativen Aspekte, scheint Papageorgiou zu überse-
hen, daß die Berücksichtigung normativer Gesichtspunkte in der Konzeption Fein-
bergs dadurch sichergestellt wird, daß eine strafrechtlich relevante Schädigung erst
dann gegeben ist, wenn eine oder mehrere Personen durch ein Verhalten in ihren
Wohlfahrtsinteressen beeinträchtigt und gleichzeitig noch in ihren Rechten verletzt
werden. Da dies nach Feinberg auch für das offense-principle gilt, unterscheiden
sich beide Konzeptionen letztlich allein darin, daß Papageorgiou die normativen
Gesichtspunkte in den Begriff des Schadens hineinzieht, während Feinberg diese
als eine eigenständige Komponente der strafrechtlich relevanten Schädigung / Be-
lästigung versteht. Zuzugeben ist Papageorgiou, daß die von Feinberg vorgenom-
mene Aufspaltung in zwei Komponenten zu Schwierigkeiten bei der Beeinträchti-
gung nicht gegenständlich-substanzhafter (Wohlfahrts- bzw. Sicherheits-)Interes-
sen führt, da es hier an einem faktisch beeinträchtigungsfähigen Tatobjekt fehlt.

4. Kriterien zur Bestimmung strafrechtsfreier Sphären

Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es, die Frage zu beantworten, ob in ei-
ner modemen pluralistischen. Gesellschaft eine wie auch immer abzugrenzende,

302 Papageorgiou, Schaden, S. 269. In dieser Richtung wohl auch MacCormick, Disesta-
blishment. S. 220; vgl. auch Marshall, Feminism, S. 387: Der durch Pornografie hervorgeru-
fene ,,harm" resultiere aus der Erniedrigung der Frau zum Objekt. .
303 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 254 f.

304 Vgl. Papageorgiou, Schaden. S. 256 f.

305 Papageorgiou. Schaden, S. 254.


IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 263

dem staatlichen Zugriff entzogene (strafrechtsfreie) Sphäre existiert. Es geht also


nicht darum, positiv zu begründen, daß und welche Verhaltensweisen legitimerwei-
se durch den Gesetzgeber pönalisiert werden dürfen, sondern darum, ob und wenn
ja hinsichtlich welcher Verhaltensweisen eine Pönalisierung von vornherein als
nicht gerechtfertigt begründet werden kann. Vor diesem Hintergrund bietet es sich
an, den von Feinberg und Papageorgiou verfolgten Ansatz auf den Kopf zu stellen,
d. h.: Es wird nicht zunächst untersucht, welche Prinzipien eine Pönalisierung
grundsätzlich zu legitimieren vermögen, um dann hiervon Prinzipien abzugrenzen,
die dies nicht vermögen; Ausgangspunkt ist vielmehr die Frage, ob es Prinzipien
gibt, die - jedenfalls in einer auf der Autonomie des Individuums aufbauenden plu-
ralistischen Gesellschaft - eine Pönalisierung nicht zu rechtfertigen vermögen.
Entscheidend ist dann, ob diese Negativprinzipien tatsächlich zu einer strikten Be-
schränkung des gesetzgeberischen Ermessens und damit zur Konstituierung einer
eingriffsfesten Sphäre führen (können).
Als potentielles Negativkriterium drängt sich der Moralismus auf. 306 Wie die
vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, lehnen nicht nur die Vertreter des auf
Mill zurückgehenden harm-principle (Feinberg, Papageorgiou),307 sondern auch
die Vertreter der Rechtsgutslehre (Roxin, Rudolphi) eine moralistische Legitimati-
on strafrechtlicher Normen ab. Der Sache nach entspricht dieser Ansatz der maß-
gebend auf Kant zurückgehenden Unterscheidung von Legalität und Moralität, der-
zufolge Regelungsgegenstand des Rechts von vornherein allein der Bereich der äu-
ßeren Freiheit sein kann. 308 Daß in einer modemen pluralistischen Gesellschaft
bloße Gesinnungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen nicht allein um ihrer
selbst willen pönalisiert werden dürfen, steht also einerseits außer Streit;309 ande-
rerseits stellt sich aber die Frage, ob mit dem Verbot der Pönalisierung reiner Mo-
ralwidrigkeiten um ihrer selbst willen nicht ein Gegner bekämpft wird, der gar
nicht (mehr) existent ist. Jedenfalls die modemen Befürworter der Pönalisierung
unsittlicher oder sonstwie moral widriger Verhaltensweisen begründen ihre Forde-
rung nach einer Pönalisierung derartiger Verhaltensweisen nämlich allenfalls noch
vordergründig mit der Moralwidrigkeit der Handlungen selbst; neben diese oft
wohl eher aus rhetorischen Gründen in den Vordergrund geschobene Argumenta-
tion treten dann stets konsequentualistische Argumente: Befürchtet wird eine Be-
unruhigung der Personen, die von dem unmoralischen Tun Kenntnis erlangen, hier-
aus möglicherweise resultierende Störungen des öffentlichen Friedens und -
schlimmstenfalls - eine Desintegration der gesamten Gesellschaft. 310 Auch unter

306 Vgl. Forster, ZSR NF 114 (1995),11., 1,49.


307 Vgl. auch Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966), 345, 367 f.
308 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 324, 337; vgl. hierzu: Kersting, Freiheit, S. 97 ff.;
Kühl, Unterscheidung, S. 172; ders., Festschrift für Spende!, S. 80 ff.
309 Vgl. statt aller: Graven, L'infraction, S. 4; Riklin, StrafR AT I, § 4 Rdnr. 5 sowie Hurta-
do Pozo, Partie generale, Rdnrn. 44 f., mit dem Hinweis darauf, daß der Versuch, Moralvor-
stellungen mit den Mitteln des Strafrechts verbindlich vorzuschreiben, ein tyrannisches Sy-
stem zur Folge habe.
264 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Zugrundelegung der Kantischen Unterscheidung von Legalität und Moralität ist le-
diglich der direkte Zugriff auf die Gesinnung als solche unstatthafe ll - Verhaltens-
weisen, die Ausdruck einer Gesinnung sind, und die Grenzen der äußeren Freiheit
überschreiten, können dagegen sehr wohl Gegenstand rechtlicher Regelungen sein.

a) Der "echte" Strafrechtsmoralismus

Als Beispiel für eine unmittelbar-moralistische Strafrechtsbegründung wird ge-


meinhin zum einen auf die Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichts-
hofes vom 17. Februar 1954 zu den Kuppeleidelikten der §§ 180, 181 dStGB a.F.
sowie zum anderen auf die Ausführungen verwiesen, mit denen Patrick Devlin
1958 im Rahmen seiner ,,Maccabaean Lectures in Jurisprudence" vor der British
Academy die grundsätzliche Legitimität der Pönalisierung moral widrigen Verhal-
tens verteidigt hat.

aa) Die Bezugnahme auf ein zeitlos-gültiges Sittengesetz

Der Große Senat des Bundesgerichtshofes hatte in der genannten Entscheidung


die Frage zu entscheiden, ob der Geschlechtsverkehr zwischen Verlobten als "Un-
zucht" zu bewerten sei. Der Senat ist der Auffassung, daß grundsätzlich auch der
geschlechtliche Verkehr zwischen Verlobten als "Unzucht" anzusehen sei. 312 Zur
Begründung beruft er sich auf die Normen des Sittengeseztes. Diese "gelten aus
sich selbst heraus; ihre (starke) Verbindlichkeit beruht auf der vorgegebenen und
hinzunehmenden Ordnung der Werte und der das menschliche Zusammenleben re-
gierenden Sollenssätze; sie gelten unabhängig davon, ob diejenigen, an die sie sich
mit dem Anspruch auf Befolgung wenden, sie wirklich befolgen und anerkennen
oder nicht; ihr Inhalt kann sich nicht deswegen ändern, weil die Anschauungen
über das, was gilt, wechseln".313 Nach Auffassung des Senats kann es "nicht zwei-
felhaft sein, daß die Gebote, die das Zusammenleben der Geschlechter und ihre ge-
schlechtlichen Beziehungen grundlegend ordnen und die dadurch zugleich die ge-
sollte Ordnung der Ehe und der Familie (in einem entfernteren Sinne auch die des
Volkes) festlegen und verbürgen, Normen des Sittengesetzes sind und nicht bloße

310 Zu den Schwierigkeiten, einen "echten" Strafrechtsmoralisten zu finden vgl. auch Pa-
pageorgiou, Schaden, S. 257 ff.; zur Schwierigkeit der Bestimmung "bloßer" Moralwidrig-
keiten vgl. Appel, Verfassung, S. 355 f.
311 Vgl. Kühl, Unterscheidung, S. 146 f.; ders., Festschrift für Spende!, S. 84.

312 Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Verlobten ernsthaft zur Ehe entschlossen
sind, der Eheschließung aber zwingende Hindernisse entgegenstehen, die von den Verlobten
nicht zu verantworten sind und in absehbarer Zeit nicht behoben werden können; vgl. BGHSt
6,46,54 f.
313 BGHSt 6, 46,52; zustimmend Weinkauff, NJW 1960, 1689, 1691.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 265

dem wechselnden Belieben wechselnder gesellschaftlicher Gruppen ausgelieferte


Konventionsregeln.,,314 Hieraus folgert der Senat sodann: "Die sittliche Ordnung
will, daß sich der Verkehr der Geschlechter grundsätzlich in der Einehe vollziehe,
weil der Sinn und die Folge des Verkehrs das Kind ist. Um seinetwillen und um
der personhaften Würde und der Verantwortung der Geschlechtspartner willen ist
dem Menschen die Einehe als Lebensform gesetzt. Nur in der Ordnung der Ehe
und in der Gemeinschaft der Familie kann das Kind gedeihen und sich seiner
menschlichen Bestimmung gemäß entfalten. Nur in dieser Ordnung und in dieser
Gemeinschaft nehmen sich die Geschlechtspartner so ernst, wie sie es sich schul-
den. Gerade weil die naturhaft nächste Beziehung der Geschlechter so folgenreich
und zugleich so verantwortungsbeladen ist, kann sie sich nur in der ehelichen Ge-
meinschaft zweier einander achtender und einander zu lebenslanger Treue ver-
pflichteter Partner sinnvoll erfüllen. Indem das Sittengesetz dem Menschen die
Einehe und die Familie als verbindliche Lebensform gesetzt und indem es diese
Ordnung auch zur Grundlage des Lebens der Völker und Staaten gemacht hat,
spricht es zugleich aus, daß sich der Verkehr der Geschlechter grundsätzlich nur in
der Ehe vollziehen soll und daß der Verstoß dagegen ein elementares Gebot ge-
schlechtlicher Zucht verletzt."315
Unabhängig davon, daß einige Passagen der Entscheidungsgründe dahingehend
interpretiert werden können, daß es dem Großen Senat implizit (auch) um das
Wohl des Kindes gegangen sei,316 wird man die Entscheidung letztlich doch so
verstehen müssen, daß der Große Senat tatsächlich meinte, auf ein von den sich
wandelnden gesellschaftlichen Überzeugungen abgehobenes, zeitlos gültiges (ob-
jektives) ,,sittengesetz" zurückgreifen zu können?1? Im Gegensatz zu autoritären
bzw. dogmatisch-totalitaristischen Gesellschaften, bei denen sich die (zumindest:
partielle) Identität von Recht und Moral als ein bestimmender Teil der gesellschaft-
lichen Grundstruktur darstellt,318 ist der Ansatz, bestimmte Vorstellungen eines
moralisch "richtigen" Verhaltens für die Gesellschaft verbindlich festzuschreiben,
für eine pluralistische Gesellschaft, deren moralischer Grundkonsens ja gerade dar-
in besteht, daß - in den Grenzen des Rechten (Rawls) bzw. der äußeren Freiheit
(Kant)319 - eine Vielzahl verschiedener Konzeptionen des "Guten" nebeneinander
bestehen sollen,32o von vornherein unannehmbar. Hinzu kommt, daß nicht ersicht-

314 BGHSt 6, 46, 53; vgl. auch Weinkauff, NJW 1960, 1689, 1691.
315 BGHSt 6, 46, 53 f.
316 Vgl. hierzu Papageorgiou, Schaden, S. 258 f.

317 Bestätigt wird diese Interpretation durch die Entscheidung BGHSt 6, 147, 153, in der
der Große Senat die Verpflichtung zur Abwendung eines Selbstmordes ebenfalls aus einem
vorgegebenen Sittengesetz abgeleitet hat; vgl. auch Arthur Kaufmann, JuS 1978,361,362.
318 Vgl. Feinberg, Vol. 4, S. 39 Fußn. 2; Arthur Kaufmann, JuS 1978,361,363.

319 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337.

320 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte, S. 439 sowie umfassend Rawls, Idee, S. 364 ff., ders., Po-
litischer Liberalismus, S. 266 ff., der im übrigen auch immer wieder darauf hinweist, daß das
Faktums des Pluralismus nicht als Manko aufzufassen ist, sondern als eine zwingende Kon-
266 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

lich ist, wie der konkrete Gehalt des objektiven Sittengesetzes überhaupt bestimmt
werden soll. Will man - was der Senat ja ausdrücklich abgelehnt hat - nicht auf
die Vorstellungen bestimmter (welcher?) gesellschaftlicher Gruppen abstellen,
läuft dieser Ansatz letztlich darauf hinaus, daß die persönlichen Wertvorstellungen
des zur Bestimmung der Wert- bzw. Moralvorstellungen berufenen Organe der Le-
gislative bzw. Judikative die für eine Gesellschaft "gültigen" Maßstäbe bestimmen.
Die Vorstellung eines zeitlos-gültigen Sittengesetzes ist nicht nur durch die nach-
folgende Reform der Sittlichkeitsdelikte in praktischer Hinsicht widerlegt worden;
auch der Bundesgerichtshof geht nunmehr davon aus, daß die Vorstellungen dar-
über, was mit dem Grundbestand der für die Gemeinschaft verbindlichen Wertvor-
stellungen nicht mehr vereinbar ist, einem Wandel unterliegt?21 Festzuhalten
bleibt: Da es ein allgemein und zeitlos gültiges Sittengesetz nicht gibt,322 kann die
Pönalisierung von Verhaltensweisen auf diesem Wege nicht legitimitert werden.

bb) Der Schutz zentraler Wertvorstellungen als Schutz der Gesellschaft

Ausgangspunkt der Überlegungen Devlins ist die Prämisse, die Koexistenz von
Individuen innerhalb einer Gesellschaft sei an ein Mindestmaß allgemein aner-
kannter Wertvorstellungen gebunden,323 was zur Konsequenz hat, daß zumindest
der Schutz der für eine bestimmte Gesellschaftsform zentralen Wertvorstellungen
nicht nur dem Schutz von Moralvorstellungen um ihrer selbst willen dient, sondern
vielmehr auf den Erhalt des gesellschaftlichen status quo abzielt und aus diesem
Grunde - und in diesem Rahmen - als legitim anzusehen sein soll.324
Abgesehen davon, daß dieser Ansatz ersichtlich über den Schutz bloßer Moral-
widrigkeiten um ihrer selbst willen hinausgeht, tatsächlich also wohl schon nicht
mehr als Versuch der Begründung eines "echten" Strafrechtsmoralismus zu inter-
pretieren ist,325 stellt sich die Frage, anhand welcher Kriterien man schlicht-mora-
lische Positionen von den für eine Gesellschaft zentralen Wertvorstellungen bzw.
Überzeugungen abschichten kann, deren Beeinträchtigung öffentliche Interessen

sequenz der Bürden der Vernunft (Rawls, Idee, S. 336 ff.; ders., Politischer Liberalismus,
S. 127 ff., 134 ff.; vgl. auch Köhler, StrafR AT, S. 16; Wolff, Abgrenzung, S. 185).
321 BGHSt 23, 40, 42 f.; 23, 240, 243; 24, 318, 319; vgl. auch EGMR, NJW 1984,541,
543 sowie Arthur Kaufmann, JuS 1978,361,362.
322 Vgl. Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 34.

323 DevIin, Enforcement, S. 10, 114; vgl. auch Feinberg, Vol. 4, S. 135 f.; Hart, Morality,
S. 48, 51; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 783; ders., Norm, S. 72 f.; Patzig, Ethik, S. 21; Post-
ema, Ethics Vol. 97 (1986-87), 414, 421 ff.; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 63.
324 DevIin, Enforcement, S. 7 ff.; vgl. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 346 f., 378;
Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 207; Jung, ZStW 100 (1988), 3,13; Lewisch, Verfas-
sung, S. 224.
m Vgl. Dworkin, Bürgerrechte, S. 393 f.; Kleinig, ARSP 65 (1979), 329, 333 sowie insbe-
sondere Devlin, Enforcement, S. 17, wo deutlich wird, daß es DevIin um die Auswirkungen
von Verhaltensweisen und nicht um deren Unmoral als solche geht.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 267

berühren würde. 326 Der gerade in einer demokratisch strukturierten Gesellschaft


zunächst naheliegende Rekurs auf das formale Kriterium der Vorstellungen und
Überzeugungen der Mehrheit der Bevölkerung führt hier nicht weiter?27 Fraglich
ist bereits, ob man die im Hinblick auf konkrete Problembereiche bestehenden Vor-
stellungen und Überzeugungen einer wie auch immer qualifizierten Mehrheit der
Bevölkerung überhaupt mit hinreichender Sicherheit empirisch ermitteln kann. 328
Selbst wenn man dieses Problem praktisch lösen könnte, würde sich zwingend die
weitere Frage stellen, unter welchen Voraussetzungen die Mehrheit einer Gesell-
schaft überhaupt berechtigt bzw. legitimiert ist, ihre partikulären Überzeugungen
der Minderheit aufzuwingen. 329
Devlin selbst weicht dieser Problematik dadurch aus, daß er auf ein anderes Kri-
terium zurückgreift: die Orientierung an einer "common morality", deren Inhalt er
mit den Auffassungen und Einstellungen des ,,reasonable man" bzw. der ,,right-
minded person" gleichsetzen will. 33o Dem Einwand, daß es sich beim ,,Mann auf
der Straße,,33) um ein beliebig manipulierbares Kunstprodukt handelt,332 hat Dev-
lin dadurch zu entkräften versucht, daß er ihn - was aufgrund seiner richterlichen
Tätigkeit naheliegend erscheint - mit dem Idealtyp des Geschworenen ("the man
in the jury box") identifiziert. 333 Auch diese Erläuterung kann indes nicht darüber
hinwegtäuschen, daß es sich hier nur um einen virtuellen Geschworenen handeln
kann, so daß auch dieser Ansatz letztlich wieder darauf hinauslaufen würde, daß
die subjektiven Wert- bzw. Moralvorstellungen dessen, der eine Entscheidung zu
fällen hat, als die für die Gesellschaft "gültigen" Wert- bzw. Moralvorstellungen
des "reasonable man" ausgegeben werden.
Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen würde, daß die für die Gesell-
schaft maßgeblichen Wertvorstellungen und Überzeugungen mit den - wie auch
immer festgestellten bzw. festgelegten - vorherrschenden Moralvorstellungen
identisch sind, wäre weiterhin erklärungsbedürftig, warum dem Wandel gesell-

326 Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung betont zu Recht Jung, ZStW 100 (1988), 3,
39.
327 Vgl. Hoerster, ZStW 82 (1970), 538, 547 f.
328 Ablehnend: Hart, Morality, S. 63, 68; vgl. auch Dworkin, Bürgerrechte, S. 219, sowie
oben S. 169 f.
329 Kritisch hierzu: Dworkin, Bürgerrechte, S. 219 f., 237 ff.; Feinberg, Vol. 4, S. 52; Hart,
Morality, S. 77 ff.; Pawlowski, ARSP-Beiheft 44 (1991),260,267; allgemein zur Problema-
tik der Mehrheitsregel: Rawls, Theorie, S. 392 ff.
330 Devlin, Enforcement, S. 15; vgl. auch S. IX ("average Englishman").

331 Auch diese Umschreibung wird von Devlin selbst benutzt: Devlin, Enforcement, S. 15
("the man in the street"); vgl. auch a. a. 0., S. 90: "the ordinary man".
332 Vgl. Ashworth, Principles, S. 43 f.; Charlesworth, Leben, S. 33 f.; Feinberg, Vol. 4,
S. 137 f.; Hoerster, ZStW 82 (1970), 538, 540 f.
333 DevIin, Enforcement, S. 15: "For my purpose I should like to call hirn the man in the
jury box, for the moral judgement of society must be something about wh ich any twelve men
or women drawn at random might after discussion be expected to be unanimous." Vgl. auch
a. a. 0., 90 ff.
268 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

schaftlicher Wertvorstellungen (mit den Mitteln des Strafrechts) entgegenzutreten


ist. Devlin ist der Auffassung, daß eine Gesellschaft das Recht habe, sich gegen
Verhaltensweisen zu wehren, die die für die Gesellschaft konstitutiven Wertvorstel-
lungen angreifen und damit - entweder direkt oder als Konsequenz eines über
mehrere Stufen der Desintegration verlaufenden Aufweichungsprozesses - letzt-
lich die Existenz der Gesellschaft selbst bedrohen. 334 Auch dieser Gedankengang
vermag nicht zu überzeugen: Zum einen ist bereits nicht ersichtlich, daß der von
Devlin behauptete Domino-Effekt überhaupt als gegeben angenommen werden
kann. 335 Zum zweiten verkennt Devlin, daß die Existenz einer Gesellschaft kein
Selbstzweck ist. Sieht man die Funktion einer Gesellschaft aber darin begründet,
den Mitgliedern der Gesellschaft einen Rahmen für die Entfaltung ihrer personalen
Freiheit zur Verfügung zu stellen, führt weder die Propagierung abweichender
Wertvorstellungen noch der faktische Wandel der in einer Gesellschaft vorherr-
schenden Wertvorstellungen zum Untergang der Gesellschaft, sondern lediglich
dazu, daß sich die konkrete Form der Gesellschaft wandelt. 336 Da weder die Ge-
sellschaft als solche noch die Mehrheit der Mitglieder einer Gesellschaft als Grup-
pe einen Anspruch darauf hat, die als das Ergebnis einer historischen Entwicklung
gerade bestehende Gestalt einer Gesellschaft - allein um ihrer selbst willen - auf
ewig zu konservieren,337 kann sich die Schutzwürdigkeit von Wertvorstellungen
nur aus den mit diesen Wertvorstellungen verbundenen Interessen der einzelnen
Mitglieder einer Gesellschaft ableiten. 338 Hieraus folgt: Die Strafwürdigkeit von
Verhaltensweisen, die die in einer Gesellschaft bestehenden Wertvorstellungen in
Frage stellen bzw. mit diesen nicht konform gehen, muß einerseits notwendiger-
weise durch eine Bewertung der jeweils in Frage stehenden gegensätzlichen Inter-
essen ermittelt werden;339 andererseits muß die Bewertung des sozialen Wandels
als positive oder negative Entwicklung notwendigerweise wieder vor dem Hinter-
grund der normativen Grundlagen der Gesellschaft erfolgen. 340

334 Devlin, Enforcement, S. 11, 13 f.


335 Kritisch zu den empirischen Annahmen Devlins insbesondere: Feinberg, Vol. 4, S. 43,
136, 141, Hart, Morality, S. 51 ff.; Kleinig, ARSP 65 (1979), 329, 333; Papageorgiou, Scha-
den, S. 260 f.; zu den Anforderungen an eine auf Dammbruchargumenten (slippery-slope)
basierende Argumentation vgl. Charlesworth, Leben. S. 51; Hegselmann, in: Hegselmann/
Merkei, S. 206 ff. sowie unten S. 324 f.
336 Papageorgiou, Schaden, S. 260 f.

337 Feinberg, Vol. 4. S. 52 ff.; Hart, Morality, S. 50 ff., 69 ff.; ders., Recht, S. 88 ff.; Hoer-
ster, 'Z1ltW 82 (1970), 538, 554 ff.; vgl. auch Postema, Ethics Vol. 97 (1986-87), 414, 432;
a.A. wohl Weinkauff, NJW 1960, 1689, 1696.
338 Vgl. Feinberg, Vol. 4, S. 56 ff.

339 Vgl. Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 207 f.

340 Vgl. Feinberg, Vol. 4, S. 65 f. und Postema, Ethics Vol. 97 (1986-87), 414, 438, mit
dem Hinweis darauf, daß auch der Liberalismus eine Konzeption von "public morality" dar-
stellt.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 269

b) Der "unechte" Strafrechtsmoralismus

Die Vertreter "unecht"-moralistischer KriminalisierungsbegfÜndungen wollen


moral widriges Verhalten nicht im Hinblick auf eine bestimmten Verhaltensweisen
innewohnende Unmoral unter Strafe stellen, sondern über die Pönalisierung den
mit diesen Verhaltensweisen einhergehenden, als negativ eingestuften Außenwir-
kungen entgegenwirken. Moralwidriges Verhalten kann bei anderen Personen Re-
aktionen in einem Spektrum hervorrufen, das faktisch von einer bloßen (evtl. ver-
blüfften oder auch indignierten) Kenntnisnahme bis hin zu heftigsten Abgren-
zungs- und Bekämpfungsbemühungen reichen kann. 341 Für die nachfolgenden
Ausführungen sollen zwei - in der sozialen Wirklichkeit regelmäßig ineinander
verflochtene - Gesichtspunkte unterschieden werden: 342 Zum einen die Auswir-
kungen moralwidrigen Verhaltens auf die Interessen von Personen und zum ande-
ren die Auswirkungen, die moralwidriges Verhalten für das gesellschaftliche Mit-
einander als solches haben kann.

aa) Moralwidriges Verhalten als Beeinträchtigung


des öffentlichen Friedens

Verbreitet wird die Störung des öffentlichen Friedens als das Kriterium angese-
hen, anhand dessen die Abgrenzung "reiner" Moralwidrigkeiten von strafrechtlich
relevantem (moral widrigen) Verhalten vorzunehmen ist. Bei Roxin heißt es etwa:
"Die Verweisung reiner Moralwidrigkeiten aus dem Strafrecht bedeutet nicht, daß
nicht auch "Empfindungen" und dergleichen ggf. strafrechtlich geschützt werden
dürften. Wer das weltanschauliche Bekenntnis eines anderen öffentlich beschimpft
(§ 166), wer Leichtenteile wegnimmt (§ 168) oder öffentlich sexuelle Handlungen
vornimmt (§ 183a), stört durch die empörte Erregung, die er dadurch bei dem Be-
troffenen oder der Allgemeinheit hervorruft, den öffentlichen Frieden, ohne den
auch ein freiheitliches soziales System nicht bestehen kann.,,343
Gegen die Annahme, daß es sich bei der empörten Erregung der Betroffenen
oder der Allgemeinheit um einen Gesichtspunkt handelt, der für sich gesehen PÖ-
nalisierungsentscheidungen zu legitimieren vermag, sind indes Einwände zu erhe-
ben: Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das bloße Abstellen auf das Faktum der

341 In der Literatur ist verschiedentlich erwogen worden, Gefühle bzw. seelische Zustände
als Schutzgut strafrechtlicher Normen anzuerkennen (vgl. Schrag, Gefühl zustände, S. 26;
Misch, Gefühle, S. 50; Rüping, GA 1977,299,304 f.). Als problematisch hat sich hierbei er-
wiesen, daß Gefühle weder standardisiert noch typisiert werden können, weshalb eine Be-
schränkung auf bestimmte Gefühle unumgehbar ist (vgl. Schrag, Gefühlzustände, S. 120 ff.,
124; Misch, Gefühle, S. 50 f.). Dies bedeutet dann aber, daß es nicht um Gefühle an sich,
sondern um das hinter den Gefühlen stehende "Etwas" geht.
342 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch bereits Schrag, Gefühlszustände, S. 118.

343 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 12.


270 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

empörten Reaktion die Frage nach der Berechtigung der Empörung abschneiden
und damit die Pönalisierungsentscheidungen des Gesetzgebers auf den Nachvoll-
zug - gegebenenfalls auch vollkommen irrationaler344 - gesellschaftlicher Reak-
tionen reduzieren würde. 345 Dem insbesondere von Hassemer 346 und Jakobs 347
vorgetragenen Argument, ein gewisses Maß an Irrationalität sei als Grundfaktum
einer nicht vollständig rationalen Gesellschaft zu akzeptieren und auch bei Krimi-
nalisierungsentscheidungen in Rechnung zu stellen, kann allenfalls als Beschrei-
bung des faktischen Ist-Zustandes anerkannt werden. 348 Im übrigen ist aber daran
festzuhalten, daß auch in einer nur unvollkommen rational agierenden Gesellschaft
eine Kriminalisierungsentscheidung durch Argumente gestützt werden muß und
nicht durch den Verweis auf die faktisch gegebene Empörung einzelner Betroffener
oder der Allgemeinheit legitimiert werden kann. 349 Eine derartige Verkürzung der
Legitimationsanforderungen würde letztlich den Einwand des naturalistischen
Fehlschlusses begründen. 35o
Der Umstand, daß neben dem bloßen Faktum der Empörung auch die Berechti-
gung der Empörung bzw. die nonnative Berechtigung der desorientierenden Wir-
kung des die Empörung hervorrufenden Verhaltens entgegenzutreten, in die Pöna-
lisierungsentscheidungen miteinbezogen werden muß, macht deutlich, daß der Be-
griff des öffentlichen Friedens nicht einen Zustand faktischer Ungestörtheit um-
schreibt, sondern den Zustand des Rechtsfriedens, d. h. der öffentliche Friede ist
gestört, wenn Rechte bzw. Rechtspositionen nicht mehr gesichert bzw. in Frage ge-
stellt sind. 351 Der öffentliche Friede hat damit aber keinen eigenständigen argu-
mentativen Gehalt, sondern stellt nichts anderes dar als eine Leerfonnel für die Ge-
samtheit der in einer Gesellschaft (nonnativ) anerkannten Rechtspositionen. 352

344 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 264 Fußn. 438 mit dem Hinweis darauf, daß bei die-
sem Ansatz auch das Verbot von eindeutig gesellschaftlich wertvollen Verhaltensweisen
denkbar wäre.
345 Rawls, Theorie, S. 261 weist darauf hin, daß die Stärke von Gefühlen nichts mit Ge-
rechtigkeit zu tun hat, sondern allein für die politische Umsetzbarkeit einer bestimmten Re-
gelung von Bedeutung ist.
346 Hasserner, Theorie, S. 242 ff.
347 Jakobs, StrafR AT, 2/20.

348 Vgl. aber Kunz, Bagatellprinzip, S. 162 ff., der zu Recht darauf hinweist, daß die - im
Grundsatz auch von ihm bejahte - Abhängigkeit des Strafgesetzgebers von dem in einer Ge-
sellschaft vorhandenen Strafschutzverlangen keine absolute, sondern eine relative ist.
349 Dworkin, Bürgerrechte, S. 412 ff.; vgl. auch a. a. 0., S. 405, wo Dworkin zu Recht
darauf hinweist, daß Empörung einer Grundlage bedarf, um als berechtigt anerkannt zu wer-
den, nicht aber als bloße Faktum selbst Grundlage für normative Schlußfolgerungen sein
kann. Zu Tabuverletzungen vgl. auch Feinberg, Vol. 4, S. 21.
350 Treffend Dworkin, Bürgerrechte, S. 390, mit dem Hinweis darauf, daß auch die Moral
des größten Pöbelhaufens nicht - aus sich selbst heraus - zur verbürgten Wahrheit werden
könne.
351 Vgl. Fischer, NStZ 1988,159,163; ders., GA 1989,445,451.

352 Fischer, Öffentlicher Friede, S. 599 f.; ders., NStZ 1988, 159, 163.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 271

Maßgebend für die Berechtigung der Pönalisierung kann nicht das bloße Faktum
der in der Empörung zum Ausdruck kommenden Störung des inneren Gleichge-
wichts einzelner Personen bzw. von Gruppen innerhalb der Gesellschaft sein; ent-
scheidend ist, ob die Empörung unter normativen Gesichtspunkten als berechtigt
anzusehen ist, was dann zu bejahen ist, wenn durch das die Empörung hervorrufen-
de Verhalten in der Gesellschaft anerkannte Rechtspositionen in einer nicht ge-
rechtfertigten Art und Weise beeinträchtigt werden. 353 Beispielhaft kann insoweit
auf eine Entscheidung des Bundesgerichts verwiesen werden, derzufolge Verhal-
tensweisen, die eine bestimmte religiöse Auffassung beschimpfen oder verspotten
erst und nur dann strafrechtsrelevant sind, wenn es sich um schwerwiegende Belei-
digungen bzw. Provokationen handelt, nämlich: um "auf Hohn und Schmähung
ausgerichtete, durch Form und / oder Inhalt das elementare Gebot der Toleranz
(Glaubens- und Kultusfreiheit) verletzende" Verhaltensweisen. 354
Hieraus folgt, daß nicht bereits die im Hinblick auf eine empörte Erregung Drit-
ter oder der Allgemeinheit gegebene Gefahrdung des sozialen Friedens die Annah-
me strafwürdigen Unrechts zu tragen vermag,355 sondern die mit der Verhaltens-
weise verfolgten Interessen mit den Interessen anderer Gesellschaftsmitglieder ab-
gewogen werden müssen, in ihren eigenen (abweichenden) Wertvorstellungen und
Überzeugungen bzw. in der Integrität ihres Gefühlszustandes nicht beeinträchtigt
zu werden. 356 Basis dieses Abwägungsprozesses sind notwendigerweise Vorab-
Annahmen zum maßgeblichen Grundkonsens der jeweiligen Gesellschaft, insbe-
sondere im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des Bereichs der jeder staat-
lichen und damit auch strafrechtlichen Einwirkung entzogenen (Privat-)Sphäre des
Bürgers. 357

353 Vgl. Stratenwerth, Festschrift für Lenckner, S. 386; Zipf, NJW 1969, 1944: Friedens-
schutz als Existenzvoraussetzung für eine pluralistische Gesellschaft, d. h.: das Strafrecht
steckt den äußeren Rahmen für weltanschauliche Auseinandersetzungen ab.
354 BG, Urteil des Kassationshofes vom 13. März 1986, in: Blätter für Zürcherische Recht-
sprechung, 85 (1986), 97, 113.
355 Vgl. aber Rudolphi, in: SKStGB, Vor § I Rdnr. 11; ders., Festschrift für Honig, S. 165,
der - unter Hinweis auf Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 346 ff. - die Pönalisierung von ma-
nifesten Verstößen gegen die in einer Gesellschaft tief institutionalisierten Kultumormen im
Hinblick auf die Gefahr sonst drohender Selbsthilfemaßnahmen der Bevölkerung für legitim
erachtet, gleichzeitig aber flir einen zurückhaltenden Umgang mit den Friedensschutzdelikten
eintritt, da diesen die Gefahr immanent sei, daß der Gesetzgeber die Bürger bevormunde.
356 Vgl. Ashworth, Principles, S. 45 ff.; Frisch, in: Festschrift für Stree und WesseIs,
S. 73 f.; Marx, Definition, S. 87; MerkeI, Strafrecht, S. 307 f., 420 f.; Schrag, Gefühlzustände,
S. 124 f.; vgl auch Wasek, ZStW 99 (1987), 288, 302, der als Maßstab auf ein ,,moralisches
Minimum" abstellen will, worunter er die elementaren moralischen Werte versteht, die im
allgemeinen in der Gesellschaft nicht in Zweifel gezogen werden und deren Beachtung ohne
besondere Entsagungen sowie ohne persönliche Gefahrdungen möglich ist. Kritisch gegen-
über einem strafrechtlichen Schutz bestimmter Wertvorstellungen demgegenüber Seelmann,
Festschrift für E. A. Wolff, S. 492 f., der nur den Schutz der Orientierungskompetenz als sol-
cher für legitim erachtet.
357 Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 207 f.; Jakobs, StrafR AT, 2121; Rudolphi,
Festschrift für Honig, S. 160 f.; vgl. auch Stratenwerth, Festschrift für Lenckner, S. 389 f.
272 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

bb) Moralwidriges Verhalten als Beeinträchtigung von Interessen

In der Strafrechtswissenschaft wird die dem strafrechtlichen Zugriff entzogene


Privatsphäre verbreitet mit Aktivitäten "außerhalb der Öffentlichkeit" identifi-
ziert. 358 Paradigmatisch für die Abgrenzung bloßer "private immorality" von straf-
rechtsrelevanter "public indecency" sind dann Differenzierungen der folgenden
Art: "Homosexual intercourse between consenting adults in private is immoral ac-
cording to conventional morality, but not an affront to public decency, though it
would be both if it took place in public.,,359 Indes: Stellt man auf die durch ein mit
den konventionellen Moralmaßstäben nicht zu vereinbarendes Verhalten hervorge-
rufene Empörung ab, läßt sich aus der Unterscheidung zwischen Verhalten in der
Öffentlichkeit und Verhalten im Privatbereich ein qualitativer Unterschied nicht
herleiten. Hart hat hierzu richtig festgestellt: "For offence to feelings, it may be
said, is given not only when immoral activities or their commercial preliminaries
are thrust upon unwilling eyewitnesses, but when those who strongly codemn cer-
tain sexual practices as immoral learn that others indulge in them in private. Be-
cause this is so, it is pointless to attend to the distinction between what is done
privately and what is done in public.,,360
Da mit Ausnahme des rein geistigen Selbstgesprächs praktisch jede menschliche
Aktivität soziale Auswirkungen hat bzw. - für den Handelnden nicht beherrschbar
- haben kann,361 ist es verfehlt, die dem staatlichen Zugriff entzogene Sphäre mit
dem gegenständlichen Bereich der eigenen Wohnung gleichzusetzen. Vielmehr
muß die strafrechtsfreie Sphäre als die Sphäre verstanden werden, innerhalb derer
es dem einzelnen erlaubt ist, sich unabhängig davon, daß sein Verhalten soziale
Auswirkungen hat, allein seinen eigenen Wertmaßstäben gemäß zu verhalten. 362
Die Sphäre, innerhalb derer sich der einzelne betätigen kann, ohne die Verhaltens-
erwartungen Dritter in Rechnung stellen zu müssen, bestimmt sich notwendiger-
weise anhand normativer Maßstäbe. 363 Die Notwendigkeit einer normativ begrün-
deten Abschichtung strafrechtsrelevanter Beeinträchtigungen von solchen Außen-
wirkungen, die die Betroffenen entweder eigenverantwortlich verarbeiten müssen
oder die den Staat nur zu weniger gewichtigen Maßnahmen berechtigen, leitet sich
im wesentlichen aus zwei Gesichtspunkten her: Zum einen hängen die Auswirkun-
gen bestimmter Aktivitäten von einer Reihe kontingenter Faktoren ab. So kann
beispielsweise vulgäres oder obszönes Verhalten von Dritten als bloße (unange-
nehme) Belästigung empfunden werden, es kann aber in Extremfällen auch zu phy-

358 Vgl. z. B. Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 12 a.E.


359 Hart, Morality, S. 45; vgl. auch Ashworth, Principles, S. 46; EGMR. NJW 1984,541,
542.
360 Hart, Morality, S. 45.
361 Vgl. von Hirsch, Harm Principle, S. 260; Jakobs, ZStW 89 (1977), I, 20; Papageor-
giou, Schaden, S. 268 f.
362 Vgl Feinberg, Vol. 4, S. 134; Hart, Morality, S. 47.

363 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 322 ff.


IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 273

sischem Leiden ("Schockschäden") führen. 364 Zum zweiten haben Verhaltenswei-


sen neben Nahwirkungen auch Fernwirkungen. Beispielhaft: Der exzessive Kon-
sum von Rauschdrogen bzw. anderen Suchtstoffen oder das Nichnragen eines Si-
cherheitshelmes beim Motorradfahren kann die Arbeitsfähigkeit des Konsumenten
einschränken und seine Gesundheit beeinträchtigen. Hierdurch bedingt kann sich
die Notwendigkeit von Rehabilitierungsmaßnahmen ergeben, deren Kosten dann-
neben der Kompensation der aus der Arbeitsunfahigkeit resultierenden (Steuer-)
Mindereinnahmen - letztlich auf die anderen Mitglieder der Gesellschaft umgelegt
werden. 365 Sowohl die Frage, ob derartige Fernwirkungen von Verhaltensweisen
noch als strafrechtsrelevante Beeinträchtigungen Dritter anzusehen sind,366 als
auch die weitere Fragestellung, welche seelischen Belastungen den unstreitig straf-
rechtsrelevanten Schädigungen anderer gleichzustellen sind, muß anhand normati-
ver Maßstäbe entschieden werden, wobei dann im Ergebnis nicht ausgeschlossen
ist, daß für Aktivitäten in der Öffentlichkeit andere Maßstäbe gelten als für Verhal-
tensweisen, die nicht in der direkten Öffentlichkeit stattfinden. 367
Verhaltensweisen, deren Pönalisierung von vornherein - d. h. auch ohne Abwä-
gung der jeweils in Frage stehenden gegenläufigen Interessen - nicht in Betracht
kommen kann, können nur solche Verhaltensweisen sein, deren soziale Auswirkun-
gen - vor dem Hintergrund des jeweiligen gesellschaftlichen Grundkonsenses - kei-
nerlei normatives Gewicht zukommt. Im Hinblick auf eine Gesellschaft, die sich als
eine dem Grundsatz personaler Autonomie verpflichtete pluralistische definiert, ist
in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß für die Identitätsstruktur einer
solchen Gesellschaft das Nebeneinander verschiedener Konzepte sinnvoller Le-
bensgestaltung keinen Mangel darstellt, sondern vielmehr den Grundkonsens wi-
derspiegelt. 368 Hieraus folgt: Dem Interesse des einzelnen, in einer seinen subjekti-
ven Anschauungen entsprechenden homogenen Gesellschaft zu leben, kann von
vornherein kein Gewicht zukommen. Der bloße Wunsch, in seinen Wertvorstellun-
gen und Überzeugungen nicht durch abweichende Vorstellungen gestört oder beun-
ruhigt zu werden, ist daher für sich gesehen strafrechtlich irrelevant. 369 Anderer-

364 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 7/65.


365 Vgl. Feinberg, Vol. 1, S. 221; ders., Vol. 3, S. 22 f.; von Hirsch, Harrn Principle, S. 275;
Kleinig, ARSP 65 (1979), 329, 335 ff.; Papageorgiou, Schaden, S. 221 Fußn. 364.
366 Kritisch hierzu Ashworth, Principles, S. 44, mit dem Hinweis darauf, daß eine Einbe-
ziehung von ,,remote harrn" zu einer enormen Ausdehnung des strafrechtlich relevanten Be-
reichs führen würde. Indes: Dies ist - jedenfalls für sich gesehen - kein Argument, sondern
ein bloßes Faktum.
367 Vgl. Amelung, Rechsgüterschutz, S. 325 f.; DevIin, Enforcement, S. 19; Hart, Morali-
ty. S. 47/48; Papageorgiou, Schaden, S. 269/270.
368 Stratenwerth, Strafrechtsreform, S. 26; ders., StrafR AT, Rdnr. 63; vgl. auch Beck, Un-
rechtsbegründung, S. 102 f., der aufzeigt, daß die vom Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland vorgegebene Entscheidung für eine pluralistische Demokratie auch im Bereich
politischer Tätigkeit einer Pönalisierung nonkonformer Auffassungen entgegensteht.
369 Vgl. Feinberg, Vol. 4, S. 55 ff., 64; Papageorgiou, Schaden, S. 229 ff.; Rawls, Theorie,
S. 490; ders., Politischer Liberalismus, S. 134 ff., 224 f.

18 Wohlers
274 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

seits ist es aber auch nicht so, daß Verhaltensweisen, mit denen ein bestimmter Le-
bensstil propagiert und / oder umgesetzt wird, einer Kriminalisierung Stets und unter
allen Umständen entzogen sind. Zum einen kann die Propagierung bzw. Umsetzung
radikal unduldsamer Ideologien die Vertreter anderer Lebenskonzeptionen in ihren
rechtlich anerkannten Interessen beeinträchtigen, wenn und soweit sie darauf abzie-
len, andere Überzeugungen aktiv kämpferisch auszuschließen. 37o Unabhängig hier-
von kann auch die Art und Weise, in der beliebige Wertvorstellungen propagiert
werden, bereits für sich gesehen mit den Grundsätzen einer pluralistischen Gesell-
schaft nicht zu vereinbaren sein. 371 Schließlich können die Folgen der Umsetzung
eines Lebensstils andere Personen in ihren Rechten beeinträchtigen: Zum einen
führt bereits die Endlichkeit der natürlichen Lebenswelt dazu, daß das Ausleben ei-
ner Lebensplanung Ressourcen verbraucht und Platz in Anspruch nimmt, wodurch
andere Personen in der Möglichkeit der Entfaltung beeinträchtigt werden (kön-
nen).372 Zum anderen kann die Umsetzung eines Lebensstils die Interessen anderer
Personen dadurch beeinträchtigen, daß sich der einzelne der Mitwirkung an einer
Gemeinschaftsaufgabe (beispielhaft: Steuerzahlung) entzieht.
Festzuhalten bleibt: Eine Verhaltensweise kann Anlaß zur Pönalisierung geben,
wenn die sozialen Auswirkungen des Verhaltens andere Personen in rechtlich ge-
schützten Interessen beeinträchtigen. 373 Ob tatsächlich Anlaß zur Pönalisierung
besteht, hängt davon ab, daß die sozialen Auswirkungen der zur Pönalisierung an-
stehenden Verhaltensweise die Einschränkung der Freiheit des Handelnden auch
unter Berücksichtigung seiner Interessen als angemessen erscheinen lassen. 374 Un-

370 Vgl. Charlesworth. Leben, S. 35; Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 339 ff.;
Rawls. Theorie. S. 246 ff.; ders .• Idee. S. 312 ff .• 364 ff.• 381 f.; ders .• Politischer Liberalis-
mus. S. 268 f.. 309.
Derartige Verhaltensweisen verlassen den für eine pluralistische Gesellschaft verbindli-
chen Rahmen des Rechten. da Pluralismus nicht mit Relativismus gleichgesetzt werden darf
(vgl. Charlesworth. Leben. S. 10; Feinberg. Vol. 4 .• S. 305 ff .• 333 ff.; Rawls. Idee. S. 312 ff .•
364 ff.). sondern vielmehr - innerhalb bzw. für eine pluralistische Gesellschaft - der tolerante
Umgang mit abweichenden Auffassungen seinerseits einen Grundwert darstellt (Charles-
worth. Leben. S. 24 f .• 33 ff.; Feinberg. Vol. 4. S. 88. 108 ff.; Höffe. Staat. S. 112 ff.; Rawls.
Idee. S. 306 ff.. 388 ff.).
Kritisch zur Legitimität der politischen Kommunikationsdelikte im Hinblick auf die grund-
legende Bedeutung der Kommunikation für eine freie Gesellschaft beispielsweise Jakobs.
ZStW 97 (1985). 751. 781 ff.; grundSätzlich ablehnend auch Köhler. NJW 1985. 2389.
2390 f .• der die Auffassung vertritt. die Inkriminierung betimmter Gesinnungen (auch faschi-
stischer) könne kein legitimer Gegenstand einer Pönalisierung sein ...insofern dadurch nicht
tätig-entschlossen die rechtlich-äußere Freiheit anderer beeinträchtigt wird".
371 Erfaßt werden hier zum einen die auf Zwang oder Manipulation beruhenden. den Sta-
tus des Individuums als autonome Person in Frage stellenden Verhaltensweisen. zum anderen
aber auch die Beeinflussung von Jugendlichen oder anderen nicht voll verantwortlichen Per-
sonen. vgl. Ashworth. Principles. S. 44 f.
372 Vgl. hierzu Höffe. Gerechtigkeit. S. 325. 331 f.. 382; Kersting. Freiheit. S. 50 f.
373 Papageorgiou. Schaden. S. 269.

374 Vgl. Eser. Duquesne University Law Review 4 (1966).345.396 sowie 414; Feinberg.
Vol. 1. S. 202 ff.; ders .. Vol. 2. S. 26 ff.; Trechsel/Noll. StrafR AT I. S. 26.
IV. Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 275

ter weIchen Voraussetzungen die Beeinträchtigung bestimmter Interessen eine PÖ-


nalisierung zu rechtfertigen vermag, kann nicht abstrakt entschieden werden, son-
dern muß für jede in Betracht zu ziehende Strafnorm gesondert geprüft werden.
Fälle, in denen eine Abwägung der gegenläufigen Interessen nicht erforderlich ist,
dürften im Rahmen praktischer Strafgesetzgebung eher die Ausnahme sein. 375

c) Das systemkritische Potential der Konzeption

Das die Freiheit des Gesetzgebers beschränkende systemkritische Potential einer


auf die Abwägung gegenläufiger Interessen abhebenden Konzeption wird durch
zwei Faktoren begrenzt: Zum einen - dies ist soeben dargelegt worden - hat in
einer endlichen Welt notwendigerweise jede über den Bereich des forum internum
hinausgreifende Verhaltensweise soziale Auswirkungen, die - jedenfalls mittelbar
- individuelle oder kollektive Interessen anderer Mitglieder der Gesellschaft be-
rühren. Dies hat zur Folge, daß eine per se "strafrechtsfreie" Sphäre praktisch nicht
existent ist.
Zum zweiten darf nicht verkannt werden, daß dem Gesetzgeber auch im Rah-
men des Abwägungsprozesses nicht unerhebliche Freiräume verbleiben. Insoweit
ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Interessen, die letztlich gegeneinander ab-
gewogen werden sollen, zunächst einmal definiert werden müssen. Ohne Frage hat
der Gesetzgeber insoweit kein vollkommen freies Ermessen; bezogen auf eine der
Konzeption des autonomen Individuums verpflichtete pluralistische Gesellschaft
sind ihm in zweifacher Hinsicht Grenzen gesetzt: Zunächst können nur die Inter-
essen als strafrechtlich relevante Interessen anerkannt werden, die sich innerhalb
des normativen Rahmens der Gesellschaft halten. Wie bereits oben dargelegt wur-
de, hat dies für eine pluralistische Gesellschaft zur Konsequenz, daß Verhaltens-
weisen, die darauf abzielen, den Pluralismus als Grundstruktur der Gesellschaft zu
bekämpfen, von vornherein keinem als legitim anzuerkennenden Interesse dienen
können. Ebensowenig ist das Interesse an der Unterdrückung bestimmter Konzep-
tionen des Guten ein strafrechtlich legitimes Interesse - jedenfalls dann, wenn sich
die bekämpfte Konzeption des Guten ihrerseits noch innerhalb des Rahmens der
normativen Grundstruktur der pluralistischen Gesellschaft bewegt. Schließlich ist
es ebenfalls kein anerkennenswertes Interesse, der eigenen Konzeption des Guten
einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen Konzeptionen des Guten ver-
schaffen zu wollen. 376

375 Folgt man der Rechtsprechung des BVerfG. so beschränkt sich der jedem staatlichen
Zugriff absolut entzogene "Kernbereich privater Lebensgestaltung" de facto auf Verhaltens-
weisen ohne jeden Sozialbezug (vgl. Paulduro, Verfassungsgemäßheit. S. 96/97,107,126).
376 Vgl. Papageorgiou, Schaden, S. 229 ff.; Rawls. Politischer Liberalismus, S. 135 f.,
224 f., 289; Riklin, StrafR AT I, § 4 Rdnr. 15. sowie oben S. 273 f.
276 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

Des weiteren resultieren Einschränkungen des gesetzgeberischen Ermessens


aus der Konzeption des Bürgers als autonome Person. 377 Konkret bedeutet dies:
Die personalen Interessen einer Person dürfen nicht gegen deren Willen geschützt
werden. Wenn es darum geht, daß bestimmte Personen im Einzelfall mit einer Be-
einträchtigung ihrer Interessen einverstanden sein können, kann dem durch die
Zubilligung von Rechtfertigungsgründen angemessen Rechnung getragen werden.
Sind dagegen Fallgestaltungen zu entscheiden, in denen es um die Pönalisierung
selbstgefahrdenden Verhaltens als solches geht,· steht dem der Grundsatz volenti
non fit inuria entgegen. Dies wurde bereits oben im Zusammenhang mit den Vor-
schriften des Betäubungsmittelstrafrechts im einzelnen ausgeführt. 378 Tatsächlich
gehen die Auswirkungen des Grundsatzes aber noch weiter: Wenn es um Interes-
sen anderer Personen geht, die an die des sich selbst Gefährdenden lediglich an-
knüpfen bzw. auf diesen aufbauen, können auch diese Interessen eine Pönalisie-
rung nicht stützen, da anderenfalls der Grundsatz volenti non fit inuria praktisch
ausgehebelt würde. 379 Bezogen auf das Beispiel des Betäubungsmittelstrafrechts
bedeutet dies, daß das Interesse der Nicht-Konsumenten, die sozialen Folgen des
Drogenkonsums nicht über erhöhte Steuern kompensieren zu müssen, ebensowe-
nig als ein strafrechtlich relevantes Interesse anzuerkennen ist wie das etwaiger
Unterhaltsberechtigter an der Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des sich seIbst
Gefährdenden. 380
Auch wenn nach alledem von einem vollkommen freien Ermessen des Gesetz-
gebers keine Rede sein kann: daß ihm bei der Festlegung strafrechtlich relevanter
Interessen insgesamt gesehen ein nicht unerheblicher Freiraum verbleibt, kann
ebensowenig in Abrede gestellt werden,
Hinzu kommt eine weitere Erwägung: Die Notwendigkeit, unendlich vielgestal-
tige Interessenlagen durch eine relativ überschaubare Zahl allgemeinverbindlicher
Normen regeln zu müssen, macht es erforderlich, daß sich der Gesetzgeber sowohl
im Hinblick auf die Definition der jeweils betroffenen Interessen als auch im Hin-
blick auf das Gewicht etwaiger Beeinträchtigungen dieser Interessen an einer - de
facto gar nicht existenten - "standard person" und deren "standard interests" bzw.

377 Vgl. oben S. 273 f. sowie Appel, Verfassung, S. 110 f., 517.
378 Vgl.obenS.192ff.
379 Neumann, ARSP 1986, 118, 124; vgl. auch Paulduro, Verfassungsgemäßheit, S. 172:
Die Pönalisierung selbstgefahrdenden Verhaltens müsse auf Gemeinschaftsbelange gestützt
werden, die mit dem durch die Selbstgefährdung betroffenen personalen Interesse nicht "teil-
identisch" seien; sowie von Hirsch, Harm Principle, S. 262: Die Interessen müssen für sich
gesehen die Kriminalisierung legitimieren können. Vor diesem Hintergrund kann dann z. B.
das Interesse daran, daß ein UnterhaItsverpflichteter seine Arbeitskraft möglichst optimal ein-
setzt, nicht herangezogen werden. Die Rechtsprechung zur Strafbarkeit wegen Unterhalts-
pflichtverletzungen durch das Herbeiführen der Arbeitsunfähigkeit bzw. des Arbeitsplatzver-
lustes (vgl. hierzu: Lenckner, in: Schönkel Schröder, § 170b Rdnr. 27; Trechsel, SchwStGB,
Art. 217 Rdnr. 13) wird diesen Grundsätzen nicht gerecht.
380 Insoweit a.A. wohl MilI, Freiheit, S. 112.
IV, Grenzen der Strafgewalt im pluralistischen Staat 277

"standard vulnerabilities" orientiert. 381 Beispielhaft bedeutet dies: Das Interesse


des Eigentümers daran, daß die in seinem Eigentum stehenden Sachen nicht - zu-
mindest nicht gegen seinen Willen - beschädigt werden, kann auch dann als ein
strafrechtlich relevantes (Standard-)Interesse anerkannt werden, wenn es Personen
gibt, die an persönlichem Eigentum kein Interesse haben und I oder die Institution
des persönlichen Eigentums ablehnen. Entscheidend ist, daß die Institution des per-
sönlichen Eigentums mit der normativen Grundstruktur der Gesellschaft zu verein-
baren ist,382 was man für eine kapitalistisch orientierte Gesellschaft westlicher Prä-
gung bejahen, für eine kommunistisch bzw. real-sozialistisch orientierte Gesell-
schaft dagegen verneinen müßte.
Weiterhin bedarf es der standardisierten Bewertung etwaiger Beeinträchtigun-
gen. Wiederum beispielhaft: Unabhängig davon, daß verschiedene Menschen ein
jeweils unterschiedlich definiertes Interesse daran haben, in ihrer körperlichen In-
tegrität nicht beeinträchtigt zu werden, müssen die Maßstäbe, anhand derer eine
strafrechtlich relevante Beeinträchtigung der Körperintegrität zu messen ist, ab-
strakt festgelegt werden. So kann beispielsweise der Strafrechtsschutz nicht nur
auf akut wehrlose Personen beschränkt werden, sondern muß z. B. auch den kör-
perlichen Angriff auf eine wehrhafte Person, etwa einen Kampfsportier, erfassen.
Andererseits scheiden bestimmte, subjektiv möglicherweise als nicht unerhebliche
Schädigung empfundene Beeinträchtigungen, wie z. B. psychische Verletzungen
als Folge des rüden Benehmens einer anderen Person383 oder die den Eigentümer-
interessen zuwiderlaufende bloße Verunstaltung der äußeren Gestalt eines Gegen-
standes, dann als strafrechtlich relevante Schädigung aus, wenn diese nicht als Teil
des jeweils abstrakt definierten (standardisierten) Interesses anerkannt werden.
Schließlich müssen auch die Anforderungen an die Intensität einer im Grundsatz
verpönten Einwirkung in gewissen Grenzen standardisiert werden. 384
Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß sich die Abwägung nur in den wenig-
sten Fällen auf einen bloßen Vergleich der Wertigkeit der (standardisierten) Inter-
essen und des Ausmaßes der zu erwartenden, in ihrer Bedeutung ebenfalls standar-
disierten Beeinträchtigungen beschränken kann. Denkbar ist dies von vornherein
nur dann, wenn es um die Beeinträchtigung von Interessen geht, denen einerseits
ein umfassender und andererseits ein von vornherein allein auf die Abwehr realer
Beeinträchtigungen beschränkter Schutz gewährt wird. Da im geltenden Strafrecht,
abgesehen von den Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Integrität, ge-
meinhin keinem Interesse ein umfassender Schutz gegen Beeinträchtigungen ge-

381 Vgl. Feinberg, Vol. I, S. 188, 192; ders., Vol. 2, S. 33 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges
Verhalten, S. 128; Papageorgiou, ARSP-Beiheft 51 (1993), 198,210; Stächelin, Strafgesetz-
gebung, S. 62.
382 Vgl. Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966),345,396 f. und 414 f.

383 Zu diesem Beispiel: Feinberg, Vol. 1, S. 188/189.


384 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 129 anhand des Beispiels der "Dro-
hung". Zu den insoweit im Hinblick auf einen Gefühlsschutz auftretenden Problemen vgl.
Schrag, Gefühlsschutz, S. 120 ff.
278 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

währt wird,385 kommt es neben der Bestimmung des als strafschutzwürdig aner-
kannten Interesses entscheidend darauf an, in welchem Umfang und gegenüber
welchen Angriffsarten Schutz gewährt werden soll.386 Mit anderen Worten: Die
Legitimität eines Straftatbestandes kann nicht bereits dann bejaht werden, wenn
feststeht, daß mit einer Strafnorm ein für sich gesehen wertvolles ,,Etwas" ge-
schützt werden soll; maßgebend ist vielmehr, ob die vom jeweiligen Straftatbe-
stand konkret erfaßten Verhaltensweisen im Hinblick auf das dem Straftatbestand
zugrundeliegende Schutzgut legitimerweise pönalisiert werden dürfen. Beispiel-
haft: Die Legitimität der §§ 253, 263 dStGB / Art. 146, 156 schwStGB ist nicht an
der Frage zu messen, ob das Vermögen ein schützenswertes Rechtsgut ist. Ent-
scheidend ist, ob es legitim erscheint, auf täuschungsbedingte bzw. durch Nötigung
mit Gewalt oder Drohung veranlaßte Selbstschädigungen mit dem Mittel straf-
rechtlicher Sanktionen zu reagieren.
Daß die Legitimität eines Straftatbestandes neben der Bewertung des als grund-
sätzlich strafschutzwürdig anerkannten Interesses - dem "Ob" der Pönalisierungs-
entscheidung - entscheidend davon abhängt, in welchem Umfang und gegenüber
welchen Angriffsarten - also "wie" - diesen Interessen strafrechtlicher Schutz ge-
währt werden soll, wird zwar im Grundsatz anerkannt. 387 Die Bedeutung des
"Wie" des strafrechtlichen Schutzes ist bisher allerdings vornehmlich als Einwand
gegen die Rechtsgutstheorie geltend gemacht worden. 388 Von den Vertretern der
Rechtsgutstheorie selbst ist das "Wie" des strafrechtlichen Schutzes dagegen als
eine neben der Bestimmung des Rechtsguts offenbar eher nachrangig angesehene
Fragestellung weitgehend vernachlässigt worden. Allein Hassemer hat die eigen-
ständige Funktion dieser - auch von il)m allerdings bezeichnenderweise mit dem
eher abwertenden Begriff der "Schutztechnik" bezeichneten - Problematik einige
Aufmerksamkeit gewidmet. Seine diesbezüglichen Ausftihrungen 389 bleiben je-
doch in relativ allgemein gehaltenen Ansätzen stecken und beziehen sich dort, wo
sie konkreter werden, auf Problemstellungen, die dem Allgemeinen Teil zuzurech-
nen sind, wie z. B. die Versuchsstrafbarkeit und die Strafbarkeit fahrlässigen Ver-
haltens.
Daß es sich bei der Tatbestandsstruktur selbst um einen im Rahmen des Abwä-
gungsprozesses mit eigenständigem Gewicht ausgestatteten Gesichtspunkt handeln

385 Jakobs, StrafR AT, 2/4, 23; Jenny, ZBJV 124 (1988), 393, 396; A.H. Meyer, Gefähr-
lichkeitsdelikte, S. 180.
386 Eser, Duquesne University Law Review 4 (1966),345,399; Jakobs, StrafR AT, 2/23 f.;
Jenny, ZBJV 124 (1988), 393, 397 f.; Maurach 1Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 19 Rdnr. 7; Tie-
demann, Tatbestandsfunktionen, S. 115/116.
387 Jakobs, StrafR AT, 2/23 f.; Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. I, § 19 Rdnr. 7 sowie
umfassend: Feinberg, Vol. I, S. 187 ff.
388 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 2/4, 23; A.H. Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 180; Welzel,
Strafrecht, S. 5.
389 Hassemer, Theorie, S. 204 ff., 215 f.; Schulz, Rechtsgut, S. 279; Stächelin, Strafgesetz-
gebung, S. 56.
V. Zwischenergebnis 279

könnte, wird demgegenüber nicht vertieft. 39O Tatsächlich muß es aber einen grund-
legenden Unterschied machen, ob ein Straftatbestand Verhaltensweisen erfaßt, die
unmittelbar zu einer Beeinträchtigung des jeweils geschützten Interesses führen,
oder aber Verhaltensweisen pönalisiert werden, die für sich gesehen noch nicht
bzw. nicht notwendigerweise zu einer realen Beeinträchtigung des in Frage stehen-
den Interesses führen. 391 Eine Strafrechtsdogmatik, die sich mit der - gerade im
Hinblick auf die Normen des "modemen" Strafrechts - unzureichenden Differen-
zierung zwischen Erfolgsdelikten einerseits und konkreten sowie abstrakten Ge-
fährdungsdelikten andererseits zufriedengibt, fehlt es bereits an einer der Proble-
matik angemessenen Systematik.

v. Zwischenergebnis
Der Versuch, dem Anwendungsbereich strafrechtlicher Normen mit dem Instru-
mentarium der Rechtsgutstheorie allein Grenzen setzen zu wollen, hat sich als un-
zureichend erwiesen. Dem Rechtsgutsbegriff selbst fehlt ein eigenständiger mate-
rieller Gehalt. Ein kritisches Potential kommt der Rechtsgutstheorie deshalb nur
dann und in dem Maße zu, in dem der Rechtsgutsbegriff normativ angereichert
wird. Das systemkritische Potential und auch der liberale oder autoritäre Gehalt
der Rechtsgutstheorie werden damit aber nicht durch den Rechtsgutsbegriff vorge-
geben, sondern hängen von den Maßstäben ab, die von außen an die Rechtsguts-
lehre herangetragen und in diese integriert werden.
Das eigenständige systemkritische Potential der Rechtsgutstheorie beschränkt
sich im übrigen darauf, aus den vom Gesetzgeber mit dem Erlaß einer Strafnorm
verfolgten Zielsetzungen diejenigen auszufiltern, die sich vor dem Hintergrund der
normativen Verständigung einer Gesellschaft als illegitim begründen lassen. Er-
weisen sich die Zielsetzungen, die der Gesetzgeber verfolgt als von vornherein il-
legitim, ist die entsprechende Strafnorm delegitimiert. Wie oben dargelegt, wird
man dies bei den Normen des Betäubungsmittelstrafrechts sowie bei den Normen
des ESchG und FMedG zumindest in Erwägung zu ziehen haben. 392
Erweisen sich die Zielsetzungen des Gesetzgebers dagegen als grundsätzlich le-
gitim, hängt die Legitimität der in Frage stehenden Strafnormen entscheidend von
der sich aus dem Verhältnis der jeweils erfaßten Verhaltensweisen zu dem als
Rechtsgut geschützten "Etwas" ergebenden Deliktsstruktur ab. Beispielhaft: Sieht

390 Vgl. aber Schulz, Rechtsgut, S. 279, der eine Bestimmung der "angemessenen Schutz-
modi" anmahnt, sowie Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 55; ders., Interdependenzen, S. 246 f.,
252 ff.: Abzustellen sei auf die ,.Angriffswege".
391 So auch Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 90; vgl. auch von Hirsch, Harm Principle,
S. 262 ff., der eine Ergänzung der "Standard-Harm-Analysis" durch ,,fair-imputative-princip-
les" für erforderlich erachtet.
392 Vgl. oben S. 190 ff., 207 ff.
280 6. Kap.: Die Rechtsgutstheorie als Maßstab der Legitimität

man das Schutzgut der Straftatbestände der Gewässerverunreinigung (§ 324


dStGB I Art. 70 Abs. I lit. a und b GSchG) in der Erhaltung eines für das Überle-
ben der Gatttung homo sapiens notwendigen Umweltmediums, kommt es entschei-
dend auf die Berechtigung des Gesetzgebers an, Verhaltensweisen zu pönalisieren,
die überhaupt erst im Zusammenwirken mit anderen Verhaltensweisen zu einer im
Hinblick auf das Überleben der Menschheit relevanten Beeinträchtigung führen
können. Um die Problematik der Deliktsstruktur strafrechtlicher Normen - gerade
des "modemen" Strafrechts - angemessen bewerten zu können, ist zunächst eine
differenzierte Systematik der "Typen der Tatbestandsmäßigkeit" zu entwickeln. 393

393 In der Herangehensweise ist der Ansatz, auf Deliktstypen als Zwischenstufen zwischen
den Einzeltatbeständen und dem aHgemeinen Verbrechensbegriff abzusteHen, dem Bemühen
Erik Wolfs verpflichtet, aHgemeine Lehren des Besonderen Teils zu entwickeln, vgl. Wolf,
Typen der Tatbestandsmäßigkeit, 1931. Kritisch zum Wert der Tatbestandslehre als "Al1ge-
meiner Teil des Besonderen Teils" Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. 1, § 20 Rdnr. 25.
7. Kapitel

Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

J. Dogmatik der Gefährdungsdelikte

In der strafrechtsdogmatischen Diskussion wird der Unterscheidung verschiede-


ner Deliktstypen gemeinhin eine in erster Linie systematisierende Funktion zuer-
kannt. Der Umstand, daß bestimmte Straftatbestände Verhaltensweisen erfassen,
die unmittelbar eine Beeinträchtigung der jeweils geschützten Interessen zur Folge
haben, während andere Straftatbestände Verhaltensweisen pönalisieren, die für sich
gesehen noch nicht bzw. nicht notwendigerweise zu einer realen Beeinträchtigung
der geschützten Interessen führen, schlägt sich vornehmlich in der Unterscheidung
von Verletzungs- und Gefährdungsdelikten nieder: Während bei Verletzungsdelik-
ten der Tatbestand Verhaltensweisen erfaßt, die eine direkte Beeinträchtigung des
geschützten Interesses zur Folge haben, werden durch Gefährdungsdelikte Verhal-
tensweisen erfaßt, die nicht zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung eines ge-
schützten Rechtsguts(objekts) führen, sondern eine Situation begründen, aus der
sich eine Beeinträchtigung entwickeln kann, nicht aber notwendigerweise entwik-
keIn muß. 1 Innerhalb der Gefährdungsdelikte werden dann wiederum zwei Tatbe-
standskategorien unterschieden: Konkrete Gefahrdungsdelikte erfassen die Verhal-
tensweisen, bei denen das jeweils geschützte Interesse im Einzelfall zwar nicht
notwendigerweise real beeinträchtigt, aber doch zumindest konkret gefährdet wird,
während abstrakte Gefährdungsdelikte die Verhaltensweisen erfassen, denen "typi-
scherweise die Herbeiführung einer konkreten Gefahr eigen" ist und "deren Straf-
würdigkeit auf der generellen Gefährlichkeit der tatbestandsmäßigen Handlung für
bestimmte Rechtsgüter beruht".2 Während bei den konkreten Gefährdungsdelikten

1 Vgl. Graven, L'infraction, S. 82 f.; Jescheck, in: LK, Vor § 13 Rdnr. 50; Lenckner, in:
Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 129; Maurach/Zipf, StrafR AT, Teilbd. 1, § 20
Rdnr. 29; Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 10 Rdnr. 122; Schroeder, ZStW Beiheft 1982,.1,2 f.;
Schwander, ZStR 66 (1951), 440, 441/442; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 9 Rdnr. 15;
Trechsel/Noll, StrafR AT I, S. 68 f.
2 Brehm, JuS 1976, 22; eramer, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 306 ff. Rdnrn. 2 f.;
Gallas, Festschrift für Heinitz, S. 183; Jakobs, StrafR AT, 6/78, 86; Jescheck/Weigend,
StrafR AT, S. 264; Köhler, StrafR AT, S. 31; Ostendorf, JuS 1982,426; Saal, Straftat, S. 63;
Schneider, Jura 1988,460,461; Schröder, ZStW 81 (1969),7; Schünemann, JA 1975,787,
793; Schwander, ZStR 66 (1951), 440, 442 und 450; Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 212;
ders., SchwStrafR AT I, § 9 Rdnr. 15; Trechsel/Noll, StrafR AT I, S. 69; Weber, ZStW
282 7. Kap.: Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts

die Erfüllung des Tatbestands an den Eintritt der Gefahrensituation im Einzelfall


gebunden ist, der Eintritt des Gefahrerfolges also ein Tatbestandsmerkmal darstellt,
ist die Gefahrlichkeit der pönalisierten Verhaltensweise beim abstrakten Gefahr-
dungsdelikt kein Tatbestandsmerkmal, sondern nur Grund bzw. Motiv für die Exi-
stenz der Strafnorm?
Soweit es um die Bewertung der Legitimität konkreter Straftatbestände geht,
wird gemeinhin das Verletzungsdelikt als der normative Grundtypus strafrechtli-
cher Normen gesehen,4 dessen Einsatz - wenn und soweit ein strafrechtlich schüt-
zenswertes Rechtsgut gegeben ist - keiner weitergehenden Legitimation bedürftig
erscheint. 5 Diskutiert bzw. problematisiert werden in diesem Bereich allenfalls die
von Hassemer als Probleme der "Schutztechnik" benannten Fragestellungen, wie
insbesondere die Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes in den Versuchsbereich
und die Ausdehnung der Strafbarkeit auf fahrlässiges Verhalten. 6
Gänzlich anders ist dies bei den Gefährdungsdelikten. Der Einsatz konkreter
und abstrakter Gefährdungsdelikte wird als in besonderer Weise legitimierungsbe-
dürftig angesehen und im Ergebnis nur dann für legitim erachtet, wenn die Straf-
norm auf den Schutz eines als besonders schützenswert erscheinenden Rechtsguts
abzielt. 7 Beispielhaft kann insoweit auf den Bericht des Rechtsausschusses zum
Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität verwiesen werden,
in dem es heißt: ,,Die Mehrheit ist der Auffassung, daß allein diese weitgehende
Ausgestaltung der Tatbestände als abstrakte Gefährdungsdelikte der Bedeutung
des Rechtsguts gerecht werde."g Vergleichbare Argumentationsmuster finden sich

Beiheft 1987, 1, 21; Welzel, Strafrecht, § 12 11; kritisch hierzu: Zieschang, Gefährdungsde-
likte, S. 15 ff.
3 Arzt/Weber, StrafR BT, LH 2, Rdnrn. 44 f.; Baumann/Weber/Mitsch, StrafR AT, § 8
Rdnrn. 42 f.; Brehm, Dogmatik, S. 9; Fischer, GA 1989,445; Jescheck/Weigend, StrafR AT,
S. 264; Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 431; Maurach / Zipf, StrafR AT, Teilbd. 1, § 20 Rdnr.
31; Ostendorf, JuS 1982,426,428 f.; Riklin, StrafR AT I, § 9 Rdnr. 15; Roxin, StrafR AT,
Teilbd. 1, § 2 Rdnr. 25, § 10 Rdnr. 123, § 11 Rdnr. 121, 127; Saal, Straftat, S. 63/64; Schmid-
häuser, StrafR AT, 8/41, 103; Schneider, Jura 1988, 460, 461; Schroeder, ZStW Beiheft
1982, 1,3; Schünemann, JA 1975,787,793; Tröndle, StGB, Vor § I3 Rdnr. 13a. Abstrakte
Gefahrdungsdelikte können sowohl Tätigkeits- als auch Erfolgsdelikte (im formellen Sinne)
sein, vgl. Graul, Gefahrdungsdelike, S. 108 ff.; a.A. Arzt, ZStR 107 (1990), 168, 170.
4 Vgl. Ronzani, Erfolg, S. 15 ff. Abgesehen davon, daß es auch im StGB eine nicht unwe-
sentliche Anzahl von Gefahrdungsdelikten gibt (vgl. Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 50 f.;
Kindhäuser, Gefahrdung, S. 225), entspricht dies dem heutigen Bild der Strafrechtsordnung
jedenfalls dann nicht mehr, wenn man das Nebenstrafrecht in die Betrachtung einbezieht, wo
die Gefahrdungsdelikte eindeutig dominieren; vgl. Weber, ZStW Beiheft 1987, I sowie Berz,
Tatbestandsverwirklichung, S. 53 f.; Schünemann, JA 1975,787,792.
S Vgl. z. B. Arzt/Weber, StrafR BT, LH 2, Rdnr. 5; Kindhäuser, Gefährdung, S. 163; Stä-
chelin, Strafgesetzgebung, S. 91.
6 Vgl. insbesondere Hassemer, Theorie, S. 204 f.
7 Vgl. z. B. Hassemer, Theorie, S. 207 f.; A.H. Meyer, Gefahrlichkeitsdelikte, S. 206; kri-
tisch hierzu Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 90.
s BT-Drucks. 8/3633, S. 22.
1. Dogmatik der Gefahrdungsdelikte 283

aber auch in der Strafrechtsdogmatik. So will beispielsweise Lenckner Kumulati-


onsdelikte wie den § 265b dStGB nur bei einem "besonders qualifizierten Schutz-
gut" für gerechtfertigt erachten. 9 Dölling ist der Auffassung, die Strafbewehrung
von Genehmigungsvorbehalten sei legitim, "wenn die Norm dem Schutz eines
Rechtsguts von hohem Rang dient und der Bestand des Rechtsguts in erheblichem
Maße von der Befolgung der Norm abhängt". 10 Auch für Lagodny ist das Gewicht
der geschützten Interessen von entscheidender Bedeutung: "Für Verbote abstrakter
Gefährdung kann man formulieren: Je weniger plausibel das Bestehen einer ab-
strakt-generellen Gefahr für die ,Gemeinwohlinteressen' als Rechtsgut im grund-
rechtsdogmatischen Sinne ist, umso größer muß das Gewicht der zu schützenden
Rechtsgutsinteressen sein. Nur dann kann den ,Gemeinwohlinteressen ' der Vorrang
vor den gegenläufigen abwehrrechtlichen Grundrechtsinteressen eingeräumt wer-
den. Hierauf aufbauend kann man für die Legitimation eines Verbots abstrakter
Gefährdung formulieren: Je höher das zu schützende ,Gemeinwohlinteresse'
(Rechtsgut), umso eher darf anstelle von Verboten konkreter Gefährdung auf Ver-
bote abstrakter Gefährdung zurückgegriffen werden. Für dessen kriminalstrafrecht-
liche Sanktionierung ist aber das besondere Gewicht der tangierten Abwehrgrund-
rechte zu berücksichtigen. Je undifferenzierter und ,großflächiger' die zugrundelie-
gende Verhaltensvorschrift ist, umso größer wird der Legitimationsdruck für eine
gerade kriminalstrafrechtliche Sanktionsvorschrift. "lI
Der ausschlaggebende Grund für die unterschiedliche Bewertung von Verlet-
zungs- und Gefährdungsdelikten dürfte der Umstand sein, daß über die Etablierung
von Gefährdungsdelikten der durch Verletzungsdelikte erfaßbare Bereich straf-
rechtlich relevanten Verhaltens in zwei Stufen erweitert wird. 12 Konkrete Gefähr-
dungsdelikte erfassen die Verhaltensweisen, die ein Rechtsgutsobjekt unmittelbar
gefährdet haben, bei denen dann aber die Verletzung letztlich doch ausgeblieben
ist; abstrakte Gefährdungsdelikte erfassen Verhaltensweisen, bei denen es weder
zu einer realen Beeinträchtigung noch zu einer konkreten Gefährdung des ge-
schützten Rechtsgutsobjekts gekommen sein muß. Beispielhaft: Während die
§§ 212, 222, 223, 230, 303 dStGB im Falle einer Trunkenheitsfahrt erst dann zur
Anwendung kommen, wenn ein anderer Mensch tatsächlich ums Leben gekommen
ist oder in seiner körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt bzw. eine fremde Sa-
che beschädigt wurde, greift § 315c dStGB auch dann ein, wenn es "nur" zu einer
konkreten Gefährdung eines anderen Menschen bzw. einer fremden Sache (von be-
deutendem Wert) gekommen ist. Für die Anwendung des § 316 dStGB braucht es

9 Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 265b Rdnr. 4; vgl. auch Ahn, Dogmatik, S. 121.
10 Dölling, JZ 1985, 461, 463.
11 Lagodny, Strafrecht, S. 520, vgl. auch a. a. 0., S. 442, 483.

12 Vgl. auch Ronzani, Erfolg, S. 23, der ein auf den fehlenden äußerlichen Erfolg zurück-
zuführendes Defizit an corpus-delicti-Funktion konstatiert. Arzt, ZStR 107 (1990), 168, 171 f.
meint, dieser Mangel könne durch eine größere Bestimmtheit der Tathandlungsbeschreibung
ausgeglichen werden. Die Frage ist aber doch, woraus sich die Legitimität der Pönalisierung
der - unterstellt: genau beschriebenen - Verhaltensverbote herleiten soll.
284 7. Kap.: Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts

schließlich nicht einmal zu einer konkreten Gefährdung eines Menschen oder einer
Sache gekommen zu sein; hier reicht es bereits aus, daß der Täter das Fahrzeug in
fahruntüchtigem Zustand geführt hat. 13
Obwohl der Deliktstypus der abstrakten Gefährdungsdelikte gemeinhin ex nega-
tivo definiert wird, d. h.: abstrakte Gefährdungsdelikte (stets) dann vorliegen sol-
len, wenn der Gesetzgeber weder eine Verletzung noch eine konkrete Gefährdung
des durch die Norm geschützten Rechtsguts als tatbestandlichen Erfolg vorgesehen
hat,14 versucht man dennoch, auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten - wenig-
stens verbal - den Rechtsgutsbezug aufrechtzuerhalten. Beispielhaft hierfür ist die
von Cramer entwickelte Lehre des Stufenverhältnisses von Verletzungs- und Ge-
fährdungsdelikten. Cramer geht davon aus, daß "nicht das Motiv des Gesetzgebers,
sondern die von einem Verhalten ausgehende tatsächliche oder potentielle Beein-
trächtigung eines Rechtsguts ... für das Verbrechen kennzeichnend (ist). Man wird
deshalb die abstrakten Gefährdungsdelikte als eine Vorstufe der konkreten zu be-
zeichnen haben, als eine Vorstufe nämlich, die - entsprechend dem Verhältnis zwi-
schen konkreter Gefährdung und Verletzung - die Wahrscheinlichkeit einer
Rechtsgutsgefährdung in sich trägt. Damit sind die möglichen Beziehungen zwi-
schen den hier in Betracht kommenden Deliktsarten einerseits und dem angegriffe-
nen Rechtsgut andererseits hergestellt: Verletzung bedeutet den Eintritt eines Scha-
dens, konkrete Gefährdung die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung und abstrakte
Gefährdung die Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefährdung.,,15

1. Die konkreten Gefährdungsdelikte

Der Deliktstypus des konkreten Gefährdungsdelikts ist weder seiner Struktur


nach umstritten, noch wird - soweit ersichtlich - die Legitimität konkreter Gefähr-
dungsdelikte in grundsätzlicher Hinsicht in Zweifel gezogen. Zwar ist im einzelnen
durchaus ungeklärt, anhand welcher Kriterien das Vorliegen einer "konkreten Ge-
fahr" zu ermitteln ist; 16 dieser Dissens ändert aber nichts an der grundsätzlichen

13 Kindhäuser, Gefahrdung, S. 226 weist zu Recht darauf hin, daß § 316 dStGB aufgrund
seiner fonnellen Subsidiarität sogar ausschließlich dann zur Anwendung kommt, wenn es zu
einer Gefährdung/Verletzung gerade nicht gekommen ist.
14 Vgl. z. B. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 57; Graul, Gefährdungsdelikte, S. 140 f.;
Kindhäuser, Gefahrdung, S. 225.
15 Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 68/69; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119; in
der Sache ähnlich: Ahn, Dogmatik, S. 103; kritisch hierzu: Zieschang, Gefahrdungsdelikte,
S. 23 ff., 68 ff.
16 Vgl. hierzu: Arzt/Weber, StrafR BT, LH 2 Rdnrn. 64 ff.; Crarner, in: Schönke/Schrö-
der, Vorbem. §§ 306 ff. Rdnr. 5; Gallas, Festschrift für Heinitz, S. 177 ff.; Hoyer, Eignungs-
delikte, S. 73 ff., 92 ff.; Horn, Gefahrdungsdelikte, S. 31 ff.; ders., in: SKStGB, Vor § 306
Rdnr. 5 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 192 ff., 201 ff.; Osten dorf, JuS 1982,426,429 ff.;
Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 11 Rdnr. 122 ff.; Schroeder, ZStW Beiheft 1982, I, 11 ff.;
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 285

Übereinstimmung dahingehend, daß die konkrete Gefährdung eines Rechtsgutsob-


jekts als ein die Anwendung strafrechtlicher Zwangsmittel legitimierender Sach-
verhalt anerkannt wird. Auch die Autoren, die die Legitimität konkreter Gefähr-
dungsdelikte ohne eine Bezugnahme auf die (besondere) Wertigkeit des vor realen
Beeinträchtigungen zu schützenden Rechtsguts begründen wollen, ziehen nicht die
grundsätzliche Legitimität dieses Deliktstyps in Zweifel, sondern betonen lediglich
die Notwendigkeit einer andersgearteten Begründung. Diese wird darin gesehen,
daß die Ungefährdetheit des Rechtsgutsobjekts bereits einen Wert an sich darstel-
len kann, daß also die Herbeiführung einer "Existenzkrise" für das Rechtsgutsob-
jekt bzw. die aktuelle "Erschütterung der Daseinsgewißheit" des geschützten Inter-
esses 17 als ein eigenständig neben der Verletzung stehender strafwürdiger "Er-
folg"18 angesehen werden kann.
Für die Belange der vorliegenden Untersuchung bedarf es einer näheren Ausein-
andersetzung mit der Deliktsgruppe der konkreten Gefährdungsdelikte nicht, da
dieser Deliktstypus für einen an präventiven Zielsetzungen orientierten Gesetzge-
ber aus zwei Gründen weitgehend bedeutungslos ist: Zum ersten ist zu berücksich-
tigen, daß das Vorliegen einer konkreten Gefahr - unabhängig von allen insoweit
im einzelnen bestehenden Meinungsverschiedenheiten - unstreitig die aktuelle Ge-
fährdung eines Rechtsgutsobjekts zur Voraussetzung hat. Da eine derartige Gefähr-
dungssituation im Hinblick auf überpersonale Schutzgüter allenfalls bei ,,Megaver-
stößen,,19 denkbar erscheint, bleibt der Anwendungsbereich konkreter Gefähr-
dungsdelikte praktisch gesehen auf den Schutz von Individualrechtsgütern klassi-
scher Prägung beschränkt. Im Hinblick auf den im Rahmen des "modernen"
Strafrechts im Vordergrund stehenden Schutz überpersonaler Rechtsgüter muß ent-
weder auf strafbewehrte Gefährdungsverbote verzichtet oder aber auf abstrakte
Gefährdungsdelikte ausgewichen werden. 20
Hinzu kommt, daß konkrete Gefährdungsdelikte auch dort, wo sie anwendbar
sind, letztlich keine über die Etablierung von Verletzungsdelikten hinausgehende

Schröder, ZStW 81 (1969),7,8 ff.; Schünemann, JA 1975,787,793 ff., Wolter, Zurechnung,


S. 200 ff.; Zieschang, Gefährdungdelikte, S. 36 ff.
17 Binding, Normen I, S. 372 ff.; Kindhäuser, Gefährdung S. 210 ff., 214/215, 277; vgl.
auch bereits Gallas, Festschrift für Heinitz, S. 176; Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 55 f.;
Hoyer, Eignungsdelikte, S. 37 f.
18 Daß die konkreten Gefährdungsde\ikte Erfolgsdelikte (im formellen Sinne) sind, ist
heute unstreitig, vgl. Arzt, ZStR 107 (1990), 168, 170; Graul, Gefährdungsdelikte, S. 24;
Martin, Strafbarkeit, S. 45 ff., Riklin, StrafR AT I, § 9 Rdnr. 17; Zieschang, Gefährdungsde-
likte, S. 35 m. w. N.
19 Der Ausdruck wurde geprägt von Hefendehl, JR 1996, 353, 354.

20 Insoweit ist es richtig, daß die abstrakten Gefährdungsdelikte das dem Wesen überindi-
vidueller Rechtsgüter entsprechende Mittel der Gesetzestechnik darstellen, vgl. Tiedemann,
Wirtschaftsstrafrecht Bd. I, S. 85 f.; ütto, ZStW 96 (1984), 339, 362; kritisch hierzu Herzog,
Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 129 f., der allerdings zu übersehen scheint, daß mit dieser
Erkenntnis nicht zwingend auch der Schluß verbunden ist, daß es dann legitim sein muß, ab-
strakte Gefährdungstatbestände zu schaffen.
286 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

verhaltenssteuernde Funktion aufweisen. 21 Eine eigenständige präventive Rele-


vanz kommt konkreten Gefährdungsdelikten allenfalls in den Fällen zu, in denen
trotz der konkreten Gefährdungssituation eine Beeinträchtigung (Verletzung) letzt-
lich ausgeblieben ist. Geht man aber - was im Ergebnis wiederum weitgehend un-
streitig ist - von einem Gefahrbegriff aus, bei dem das Ausbleiben der Verletzung
letztlich auf Zufall beruht, stellt sich die Frage, welche zusätzliche Wirkung (kon-
krete) Gefährdungsverbote neben Verletzungsverboten haben sollen bzw. haben
können. Auch hier gilt: Will man eine über die Etablierung von Verletzungsverbo-
ten hinausreichende Verhaltenssteuerung erzielen, wird man dies nicht über kon-
krete Gefährdungsdelikte erreichen können, sondern muß abstrakte Gefährdungs-
delikte etablieren. 22

2. Die abstrakten Gefährdungsdelikte

Die mit der Statuierung abstrakter Gefährdungsdelikte verbundene Ausweitung


bzw. Vorverlagerung des Strafbarkeitsbereiches wird gemeinhin im Hinblick auf
eine angenommene faktische Verbesserung des Rechtsgüterschutzes als positiv be-
wertet. 23 Ein weiterer positiver Effekt wird darin gesehen, daß das Verletzungs-
und konkreten Gefährdungsdelikten anhaftende Zufallsmoment entfällt,24 d. h. die
Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist bei abstrakten Gefährdungsde-
likten nicht von Umständen abhängig, auf die der einzelne Täter keinen Einfluß
hat, wie z. B. die Tatsache, ob ihm bei einer nächtlichen Trunkenheitsfahrt ein Pas-
sant begegnet oder nicht und ob es aufgrund irgendwelcher Umstände zu einer
konkreten Gefährdung bzw. Verletzung von Passanten gekommen ist. Andererseits
wird nicht übersehen, daß bei den allein an die Vornahme bestimmter Verhaltens-
weisen anknüpfenden abstrakten Gefährdungsdelikten - jedenfalls dem Wortlaut
der Norm nach - notwendigerweise auch die Verhaltensweisen (mit-)erfaßt wer-
den, bei denen - aufgrund bestimmter, im Tatbestand nicht berücksichtigter Um-
stände - eine Gefährdung bzw. reale Beeinträchtigung eines Rechtsgutsobjekts im
konkreten Einzelfall unwahrscheinlich oder sogar von vornherein ausgeschlossen
ist. 25 Beispielhaft sei hier nur auf die gängigen Beispiele einer folgenlosen Trun-

21 Vgl. Kindhäuser, Gefährdung, S. 163 ff.


22 Kritisch zum "Wert" konkreter Gefährdungsdelikte auch Horn, Gefährdungsdelikte,
S. 2ll ff., der deswegen die Etablierung der von Armin Kaufmann und den Verfassern des
Alternativentwurfs geforderten "Risikodelikte" befürwortet.
23 Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 55 ff.; Saal, Straftat, S. 71 f.
24 Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 62 ff.; Saal, Straftat, S. 72 f.; Schneider, Jura 1988,
460,462.
25 Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 101 ff.; Hoyer, Eignungsdelikte, S. 33 ff.;
A.H. Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 154 ff.; Saal, Straftat, S. 77 ff.; Schneider, Jura 1988,
460,462; Schünemann, JA 1975,787,797 f.; kritisch gegenüber derartigen Legitimationsver-
suchen Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 375 ff.
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 287

kenheitsfahrt auf einem einsam gelegenen und menschenleeren Feldweg oder die
,.kontrollierte" Inbrandsetzung eines Ferienbungalows außerhalb der Saison ver-
wiesen. Die Legitimation stratbewehrter abstrakter Gefährdungsverbote muß auch
und gerade die Berechtigung der Pönalisierung dieser Fallgestaltungen befriedi-
gend erklären (können).26

a) Abstrakte Gefährdungsdelikte und Rechtsgüterschutz

Das aus der Etablierung abstrakter Gefährdungsdelikte einerseits und dem Fest-
halten am Angriffsparadigma der Rechtsgutstheorie als Legitimationsgrundlage
strafrechtlicher Normen andererseits resultierende Dilemma hatte einige Autoren
zu der Forderung veraniaßt, die Anwendung abstrakter Gefährdungsdelikte jeden-
falls fUr die Fallgestaltungen auszuschließen, bei denen Rechtsgutsbeeinträchtigun-
gen sicher ausgeschlossen sind. Den insoweit von Rabl, Schröder und Backmann27
entwickelten Ansätzen zur Reduktion des Anwendungsbereichs abstrakter Gefähr-
dungsdelikte liegt die Prämisse zugrunde, daß eigentlich nur die Verletzung bzw.
konkrete Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts strafwürdig ist und die Pönalisierung
abstrakter Gefährdungen deswegen auf einer Fiktion bzw. Präsumtion der Gefähr-
dung autbauen muß. 28 Während Rabl dem Angeklagten die Möglichkeit eröffnen
will, den Gegenbeweis der Ungefährlichkeit zu fUhren,29 soll nach den von Back-
mann und Schröder entwickelten Konzeptionen das Gericht von Amts wegen die
gesicherte Nichtexistenz einer Gefahr zu prüfen haben. 30
Gegenüber diesen Ansätzen ist zunächst der Einwand zu erheben, daß die Ge-
fahrpräsumtion unvermeidbarerweise zu Friktionen mit dem Schuldgrundsatz des
materiellen Rechts fUhren muß und darüber hinaus - jedenfalls dann, wenn die Be-
weislast für das Vorliegen einer Situation hinreichender Ungefährlichkeit dem An-
geklagten obliegt - mit elementaren Grundsätzen des Strafverfahrensrechts, na-
mentlich der Amtsaufklärungsmaxime und dem Grundsatz "in dubio pro reo" in
Widerspruch gerät. 31 Des weiteren ist zu konstatieren, daß eine konsequente Re-

26 Die Rechtsprechung des BVerfG ist insoweit eher unergiebig. Den einschlägigen Ent-
scheidungen kann lediglich entnommen werden, daß der Rückgriff des Gesetzgebers auf ab-
strakte Gefährdungsdelikte nach Auffassung des BVerfG "von Verfassungs wegen keinen Be-
denken begegnet" bzw. nicht als "schlechthin verfassungswidrig" angesehen werden muß;
vgl. BVerfGE 28, 175, 188; BVerfG, NJW 1977, 2207 sowie hierzu: Lagodny, Straftat,
S. 438 ff.; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 96; Vogel, StV 1996, 110, 113.
27 Backmann, JuS 1977,444,447 f.; Rabl, Gefahrdungsvorsatz, S. 19 ff.; Schröder, 'ZStW
81 (1969),7, 16f.
28 So ausdrücklich Schröder, ZStW 81 (\969),7,16; vgl. auch Graul, Gefährdungsdelikte,
S. 151 ff.; Arthur Kaufmann, JZ 1963,425,432.
29 Rabl, Gefährdungsvorsatz, S. 21
30 Vgl. Backmann, JuS 1977,444,448; Schröder, ZStW 81 (1969),7,16.
31 Vgl. Brehm, Dogmatik, S. 38 ff.; Graul, Gefährdungsdelikte, S. 232 ff.; Hoyer, Eig-
nungsdelikte, S. 42; Martin, Strafbarkeit, S. 62 ff.; Volz, Unrecht, S. 32 ff.
288 7. Kap.: Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts

duktion des Anwendungsbereichs darauf hinauslaufen würde, abstrakte in konkrete


Gefahrdungsdelikte umzufonnen und damit letztlich die eigenständige Deliktsfigur
des abstrakten Gefährdungsdelikts aufzugeben - ein Ergebnis, das angesichts der
bereits oben dargelegten eingeschränkten präventiven Wirkung konkreter Gefahr-
dungsdelikte für einen an präventiven Wirkungen interessierten Gesetzgeber eine
problematische Lösung darstellen muß. 32
Festzustellen ist allerdings, daß eine konsequente Umsetzung des Ansatzes so-
weit ersichtlich gar nicht angestrebt wurde. Auch den Befürwortern der Redukti-
onskonzeptionen ging es stets nur darum, eine Strafbarkeit in den Fällen eindeuti-
ger Ungefahrlichkeit zu verneinen. Darüber hinaus waren die entsprechenden Be-
mühungen stets nur auf einige wenige abstrakte Gefährdungsdelikte gerichtet, bei
denen - wie insbesondere bei § 306 dStGB (a.F.) - eine entsprechende Reduktion
des Anwendungsbereichs praktisch durchführbar erschien, während bei anderen
abstrakten Gefahrdungsdelikten - wie z. B. Übertretungen von Verkehrsvorschrif-
ten und beim unbefugten Besitz von Waffen, Sprengstoff sowie dem Handel mit
Rauschgiften - der Beweis des Gegenteils als von vornherein unzulässig angese-
hen wurde. 33 Der Umstand, daß hinsichtlich der letztgenannten Deliktsgruppe
ohne jedes Problembewußtsein eine allein auf pragmatische Notwendigkeiten ab-
stellende, rein funktionelle Begründung als Legitimation akzeptiert wurde,34 zeigt,
daß die Konzeption der Gefahrpräsumtion das Legitimitätsdilemma der abstrakten
Gefahrdungsdelikte nicht lösen, sondern lediglich punktuell entschärfen sollte. In
der strafrechtsdogmatischen Diskussion der letzten Jahre wird die letztlich als in-
konsequente Verlegenheitslösung zu interpretierende Präsumtionstheorie denn
auch nicht mehr vertreten. 35
Verzichtet man auf die Konstruktion einer Gefahrfiktion bzw. -präsumtion, stellt
sich die Legitimation der abstrakten Gefährdungsdelikte nicht als ein Problem des
Schuldgrundsatzes dar. Maßgebend ist vielmehr, "ob ein nur abstrakt gefährliches
Verhalten unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes bei Strafe verboten
und unter weIchen Voraussetzungen diese Deliktsart als Angriff auf rechtlich ge-
schützte Interessen bewertet werden kann".36 Cramer hat die Auffassung entwik-
kelt, daß in der abstrakten Gefahrlichkeit einer Verhaltensweise ein Rechtsgutsan-
griff zu sehen sei, der sich, verglichen mit der unmittelbaren Beeinträchtigung
bzw. konkreten Gefahrdung, lediglich als weniger intensiv darstelle. Die Unwertig-
keit und hieraus resultierend die Strafwürdigkeit potentiell gefahrlicher Verhaltens-

32 Ahn, Dogmatik, S. 22; Horn, Gefahrdungsdelikte, S. 21/22; Schünemann, JA 1975,


787,795.
33 Vgl. Schröder, ZStW 81 (1969), 7, 16 f.

34 Vgl. etwa Schröder, ZStW 81 (1969),7, 17.


35 Vgl. die umfassende Aufarbeitung des Meinungsstandes bei Graul, Gefahrdungsdelikte,
S.140ff.
36 Vgl. eramer, Vollrauschtatbestand, S. 62, 74 f.; Hoyer, Eignungsdelikte, S. 33 ff.; Mar-
tin, Strafbarkeit, S. 82; vgl. auch Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 115 f. und kritisch hier-
zu Martin, Strafbarkeit, S. 71 f.
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 289

weisen leite sich aus dem Umstand ab, daß auch (nur) potentiell gefährliche Ver-
haltensweisen ihrer sozialen Bedeutung nach auf die Erschütterung der Daseinsge-
wißheit gerichtet seien. 37
Gegenüber diesem Ansatz ist von verschiedener Seite der Einwand erhoben
worden, Cramer begründe die Unwertigkeit der bloß gefährlichen Handlung nicht
aus sich heraus, sondern leite diese in nicht tragfähiger Weise aus einer Beziehung
der bloß gefährlichen Handlung zur konkreten Gefährdung ab. 38 Seine Konzeption
stelle den untauglichen Versuch dar, beim abstrakten Gefährdungsdelikt einen Er-
folg zu begründen. 39 Die Berechtigung dieser - wohl im wesentlichen durch die
von Cramer entwickelte und bereits oben zitierte Definition der Deliktstypen40 -
von ihm selbst provozierten Kritik soll hier nicht weiter verfolgt werden. 41 Ein
durchgreifender Mangel seiner Konzeption liegt jedenfalls darin, daß Cramer seine
These, generell gefährliche Verhaltensweisen seien ,,ihrer sozialen Bedeutung nach
auf die Erschütterung der Daseinsgewißheit gerichtet", weder in ihren Vorausset-
zungen noch in ihren Konsequenzen näher beleuchtet. 42 Vor diesem Hintergrund
bleibt dunkel, ob sich die Strafwürdigkeit aus einer potentiellen oder aktuellen Er-
schütterung der Daseinsgewißheit in objektiver Hinsicht ergeben soll, oder ob der
subjektive Wille, eine Handlung in Kenntnis ihres Potentials zur Erschütterung der
Daseinsgewißheit vorzunehmen, ausreichen soll, die Strafwürdigkeit des Verhal-
tens zu begründen.
Andere Autoren haben den Versuch unternommen, den Unwertgehalt abstrakter
Gefährdungsdelikte ausdrücklich vom Erfolgsunrecht abzukoppeln und allein über
das Verhaltensunrecht zu begründen. So ist beispielsweise Volz der Auffassung,
der Unrechts- und Schuldgehalt des abstrakten Gefährdungsdelikts werde durch
das Eingehen des mit einer generell gefährlichen Handlung verbundenen Risikos
der möglichen Verletzung eines Rechtsguts bestimmt; der Unwert der Verhaltens-
weise ergebe sich aus der mit der Risikoeingehung verbundenen Pflichtverlet-
zung. 43 Brehm vertritt die Auffassung, strafwürdig sei bereits die in der Mißach-
tung einer Verhaltenspflicht liegende Pflichtwidrigkeit als solche. 44 Festzustellen
ist allerdings, daß es weder Volz noch Brehm gelungen ist, aufzuzeigen, daß und
warum die bloße Pflichtwidrigkeit bereits für sich gesehen eine Pönalisierung zu

37 Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 65.


38 Volz, Unrecht, S. 49 f.; vgl. auch Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 23 ff., mit dem zu-
treffenden Hinweis darauf, daß sich die Bezeichnung als abstraktes Gefährdungsdelikt als un-
präzise und irreführend erweist.
39 Brehm, Dogmatik, S. 83.
40 Vgl. etwa die Kritik von Arthur Kaufmann, JZ 1963,425,433 an der Definition der ab-
strakten Gefahr als "Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit der Verletzung".
41 Vgl. hierzu Ahn, Dogmatik, S. 77; Martin, Strafbarkeit, S. 66 f.; Zieschang, Gefähr-
dungsdelikte, S. 72 f.
42 Kritisch auch Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 167.
43 Volz, Unrecht, S. 143 ff.
44 Brehm, Dogmatik, S. 123 ff.

19 Wohlers
290 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

legitimieren vermag. 45 Auch der Hinweis Brehms, abstrakte Gefährdungsdelikte


seien als fahrlässige Versuchsdelikte zu interpretieren,46 führt nicht weiter, sondern
verschiebt lediglich die Fragestellung. Entscheidend ist dann, ob und wenn ja aus
welchen Gründen bzw. unter welchen Voraussetzungen bereits der fahrlässige Ver-
such als strafwürdig anzusehen ist.
Des weiteren ist zu konstatieren, daß sowohl Volz als auch Brehm ihren eigenen
Lösungsansatz nicht konsequent durchhalten, wenn sie beide eine Nichtanwendung
abstrakter Gefährdungsdelikte für Fallgestaltungen befürworten, in denen eine tat-
sächliche Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts von vornherein sicher aus-
geschlossen ist.47 Die Umwandlung abstrakter Gefährdungsdelikte in nichtaus-
schließbar-konkrete Gefährdungsdelikte muß gerade angesichts des Ausgangs-
punktes beider Autoren als verfehlt angesehen werden: Wenn Brehm bereits die
Pflichtwidrigkeit für strafwürdig erachtet, stellt sich die von ihm nicht beantwor-
tete Frage, warum dies dann nicht mehr gelten soll, wenn - was hiervon unabhän-
gig ist - ein Verletzungserfolg ausgeschlossen erscheint. 48 Volz scheint diesem
Einwand von seinem Ansatz her mit dem Argument begegnen zu können, daß bei
bewußter Gefahrvermeidung eben kein Risiko eingegangen werde. Dem ist aber
entgegenzuhalten, daß das mit einer Handlung generell verbundene Risiko nicht
im Einzelfall ausgeschlossen, sondern allein die Verwirklichung des Risikos ver-
hindert werden kann. 49 Hält man das einer Verhaltensweise immanente, generelle
Risiko aber für ausreichend, eine Pönalisierung zu legitimieren, ist nicht ersicht-
lich, warum dies dann nicht mehr gelten soll, wenn die - wiederum: hiervon unab-
hängige - Möglichkeit einer konkreten Gefährdung für den Einzelfall ausgeschlos-
sen ist. 50 Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß Brehm seine (Einschrän-
kungs-)Konzeption ausschließlich für Delikte wie den § 306 dStGB (a.F.) entwik-
kelt hat,51 diese aber beispielsweise nicht auf die Normen des Verkehrsstrafrechts
ausdehnen will. Bei diesen könne eine Einschränkung wegen erwiesener Ungefähr-
Iichkeit im Einzelfall nicht in Betracht kommen, weil es sich hier um Normen mit

4S Vgl. Kindhäuser, Gefährdung, S. 252 f. und 259 f., der zu Recht darauf hinweist, daß
die Verletzung von Sorgfaltsnormen für sich gesehen nicht ohne weiteres eine Pönalisierung
zu legitimieren vermag.
46 Brehm, Dogmatik, S. 137.

47 Brehm begründet die einschränkende Auslegung des § 306 dStGB a.F. mit der Notwen-
digkeit eines Rechtsgutsbezugs (Dogmatik, S. 126). Volz will in analoger Anwendung der
§§ 90a Abs. 6, 158, 186,310 (a.F.) dStGB den Täter wenigstens straffrei stellen, wenn er dem
Entstehen der generellen Gefahr bewußt entgegengewirkt hat (Unrecht, S. 162 ff.; kritisch
hierzu: Saal, Straftat, S. 81 f. m. w. N.). Für eigentlich angemessen hält er einen Tatbestands-
ausschluß (Volz, Unrecht, S. 167 f., 170).
48 Vgl. Wolter, Zurechnung, S. 287.

49 Vgl. Wolter, Zurechnung, S. 286; Kindhäuser, Gefährdung, S. 254/255.

so Vgl. Kindhäuser, Gefährdung, S. 234 f. mit dem zutreffenden Hinweis darauf, daß die
spezielle Verletzungsrelevanz bei den abstrakten Gefährdungsdelikten gerade irrelevant ist
und deswegen ein Gegenbeweis der Ungefährlichkeit nicht in Betracht kommen könne.
SI Brehm, Dogmatik, S. 138.
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 291

Organisationsfunktion handele, die einen geregelten Zustand konstituieren und er-


halten sollen. 52 Woraus sich die Legitimation für diese Differenzierung ergibt, wird
von Brehm nicht näher dargelegt. 53
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß den oben skizzierten Konzeptionen
keine überzeugenden Kriterien zur Bewertung der Legitimität abstrakter Gefahr-
dungsdelikte zu entnehmen sind. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überra-
schen, daß letztlich - soweit nicht auf den Gesichtspunkt der besonderen Wertig-
keit des Rechtsguts 54 zurückgegriffen wird - rein pragmatisch-funktionelle Erwä-
gungen vorherrschen, die dann jeweils mit mehr oder weniger schlechtem dogma-
tischen Gewissen vorgetragen werden. 55 Da aber weder das praktische Bedürfnis
nach einer ..Großregelung"56 noch die Erleichterung der Strafverfolgung durch
Verzicht auf prozessual schwer nachweisbare Tatbestandsmerkmale 57 als eine aus-
reichende Legitimation anerkannt werden können, bedarf es weitergehender Be-
mühungen um eine dem eigenständigen Unwertgehalt der jeweils erfaßten Verhal-
tensweisen angemessene Legitimation. 58
Der Versuch, die Pönalisierung von Verhaltensweisen im Vorfeld einer realen
Beeinträchtigung über die Wertigkeit der jeweils geschützten Interessen zu legiti-
mieren, ist zwei Einwänden ausgesetzt: Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, daß -
wie oben bereits im einzelnen dargelegt wurde - die Rechtsgutstheorie handlungs-
leitende Kriterien für die Bewertung von Straftatbeständen wenn überhaupt nur in
einern sehr eingeschränkten Maße bereitzustellen vermag. Angesichts dessen er-
scheint es dann jedoch als sehr gewagt, in der ..Wertigkeit" eines Rechtsguts den
entscheidenden Maßstab für die Ausgestaltung des Bereichs strafrechtlich relevan-
ter Verhaltensweisen sehen zu wollen. Des weiteren darf nicht verkannt werden,
daß Gefahrdungsdelikte per definitionem dadurch gekennzeichnet sind, daß es ge-
rade (noch bzw. doch) nicht zu einer realen Rechtsgutsbeeinträchtigung gekommen
ist59 und bei den abstrakten Gefahrdungsdelikten auch die Fallgestaltungen (mit)-
erfaßt werden, bei denen es nicht einmal zu einer konkreten Gefahrdung gekom-

52 Brehm, Dogmatik, S. 139 ff.


53 Kritisch auch Hoyer, Eignungsdelikte, S. 42 ff., der eine Sonderbehandlung unter Rück-
griff auf die von Brehm genannen funktionalen Aspekte ablehnt, gerade für die Straßenver-
kehrsdelikte aber eine Lösung bei ..gründlicher Rechtsgutsanalyse" für möglich erachtet.
54 So wohl- implizit - Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 67.

55 Vgl. neben Brehm (s.o. Fußn. 51 f.) noch Graul, Gefährdungsdelikte, S. 151; Arthur
Kaufmann, JZ 1963,425,433; Schröder, ZStW 81 (1969),7, 16 f.
56 So aber insbesondere Kratzsch, Verhaltenssteuerung, passim; vgl. auch Martin, Strafbar-
keit, S. 55; Saal, Straftat, S. 75 f.: Die Ausweitung des Bereichs strafrechtlich relevanten Ver-
haltens wird als eine Wohltat für den Normadressaten interpretiert, mit der dem einzelnen die
Last einer von ihm selbst gar nicht zu erbringenden Leistung abgenommen werde.
57 V gl. beispielsweise Martin, Straftat, S. 55; kritisch hierzu: Kindhäuser, Gefährdung,
S. 239 f.
58 Kindhäuser, Gefährdung, S. 227.
59 Kindhäuser, Gefährdung, S. 227.

19"
292 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

men ist, dies möglicherweise sogar von vornherein auszuschließen war. Anders als
Verletzungsdelikte sind Gefährdungsdelikte deshalb von vornherein nicht unter
dem Gesichtspunkt der Venneidung einer Rechtsgutsverletzung zu legitimieren,
sondern bedürfen einer dem spezifischen Unwertgehalt der jeweils erfaßten Ver-
haltensweise angemessenen eigenständigen Legitimation. 60

b) Abstrakte Gerährdungsdelikte als Selbstzwecknormen


(Kindhäuser)

Ein Ansatz, abstrakte Gefährdungsdelikte ohne unmittelbare Bezugnahme auf


den Gesichtspunkt des Schutzes von Rechtsgütern vor realen Beeinträchtigungen
zu legitimieren, ist von Kindhäuser entwickelt worden. Seiner Auffassung nach
kommt es für die Legitimation abstrakter Gefährdungstatbestände allein auf die
Legitimität der einem abstrakten Gefährdungstatbestand zugrundeliegenden Ver-
haltensnonn an. Könne die jeweils zugrundeliegende Verhaltensnonn als solche le-
gitimiert werden, ergebe sich die Legitimation der Pönalisierung aus dem Charak-
ter der Sanktionsnonn als Selbstzwecknonn. 61
Ausgangspunkt der Überlegungen Kindhäusers ist die Erkenntnis, daß straf-
rechtliche Sanktionen nur dadurch einen (mittelbaren) Beitrag zum Rechtsgüter-
schutz zu leisten vennögen, daß sie die Geltung von Verhaltensnonnen durchset-
zen, deren Einhaltung ihrerseits dann den Rechtsgüterschutz bewirkt.62 Deshalb
sei zum einen die Legitimität von Verhaltens- und Sanktionsnonnen voneinander
zu trennen,63 zum anderen müsse die 'Legitimation der Strafe als Institution von
der Legitimität der Pönalisierung bestimmter Handlungen bzw. konkreter Straftat-
bestände getrennt werden. 64 Die Strafe bzw. das Strafrecht als Institution legitimie-
re sich aus dem Umstand, daß der Staat sicherstellen müsse, daß sich "Trittbrett-
fahren" nicht lohne. 6s Da mit dieser Begründung ersichtlich jeder Verstoß gegen
eine legitime Verhaltensnonn als strafwürdig erscheinen muß, kann Kindhäuser im
Hinblick auf die Auswahl der zu pönalisierenden Verhaltensweisen keine strikten
Grenzen benennen, sondern muß sich auf den relativ vagen Hinweis beschränken,
daß hier ein "Gebot kriminalpolitischer Zurückhaltung" Geltung beanspruche. 66

60 Kindhäuser, Gefährdung, S. 227; ders., Rechtsgüterschutz, S. 272 f.; vgl. hierzu auch
bereits oben S. 215 ff.
61 Kindhäuser, Gefährdung, S. 272 ff.
62 Ebd., S. 132 ff.

63 Ebd., S. 153.

64 Ebd., S. 153/154.
6S Ebd., S. 154 ff.; vgl. zu dieser Argumentation auch: Höffe, Staat, S. 70 ff.; Raw1s, Theo-
rie, S. 300 ff.
66 Kindhäuser, Gefährdung, S. 159.
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 293

Die Legitimation der strafbewehrten Gefährdungsverboten zugrundeliegenden


Verhaltensnormen leitet Kindhäuser daraus her, daß die Gewährleistung von Si-
cherheit im Umgang mit Gütern eine notwendige Voraussetzung für die personale
Entfaltung des Individuums darstelle. Die Gewährleistung von Sicherheit sei zum
Teil vom Individuum selbst zu leisten. Da aber das einzelne Individuum bestimmte
Risiken gar nicht autonom kompensieren könne, müsse die vom einzelnen nicht
oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand zu leistende Vorsorge zur ungefähr-
lichen Verfügung über Güter im Rahmen des sozial Adäquaten heteronom kom-
pensiert werden. 67 Bei den abstrakten Gefährdungstatbeständen zugrundeliegenden
Verhaltensnormen handele es sich um Verbote, "die zur sorgelosen Verfügung über
Güter notwendigen (heteronomen) Sicherheitsbedingungen zu beeinträchtigen".68
Ziel der Verhaltensnormen sei es, den für den rationalen Umgang mit Gütern erfor-
derlichen Zustand an Sicherheit rechtlich zu garantieren. 69 Die Vermittlung be-
gründeter Sorgelosigkeit sei als eine der elementaren Aufgaben des Rechts anzuse-
hen: 70 "Die Vermittlung der Gewißheit, gefahrlos über Güter verfugen zu können,
ist legitimer Bestandteil des Rechtsgüterschutzes, wenn Rechtsgüter als Güter defi-
niert werden, die der freien persönlichen Entfaltung dienen.,,71 Sicherheit meine
"die Gewißheit künftiger Gefahrlosigkeit im Sinne einer fUr eine rationale Verfü-
gung über Güter ausreichenden Überzeugung vom Ausbleiben gegebenenfalls
nicht gezielt abschirmbarer schadensrelevanter Bedingungen und die auf dieser
Gewißheit basierende Sorgelosigkeit. Sicherheit ist mit anderen Worten die objek-
tiv begründete Erwartung eines rational urteilenden Subjekts, gefahrlos Güter zur
Verwirklichung bestimmter Zwecke einsetzen zu können. Oder kürzer: Sicherheit
ist berechtigte Sorgelosigkeit bei der Verfügung über Güter."n
Ersichtlich handelt es sich bei dem Topos der Sicherheit um einen konkretisie-
rungsbedürftigen BegrifC3 dessen handlungsleitendes Potential wesentlich davon
abhängig ist, daß es gelingt, überzeugende Antworten auf zwei Fragen zu geben: 74

67 Ebd., S. 279.
68 Ebd., S. 280.
69 Ebd., S. 280 f.; ders., Rechtsgüterschutz, S. 276.
70 Kindhäuser, Gefährdung, S. 284 ff.; kritisch zum "Recht auf Freisein von Furcht" Rob-
bers, Sicherheit, S. 223 ff.
71 Kindhäuser, Gefährdung, S. 287.
72 Ebd., S. 282.

73 Vgl. Martin, Strafbarkeit, S. 74: "leere Begriffshülse".


74 Vgl. hierzu zum einen die ablehenden Stellungnahmen von Ahn, Dogmatik, S. 12; Ja-
kobs, StrafR AT, 6/86 Fußn. 174; Kratzsch, JuS 1994,372,376; A.H. Meyer, Gefährlich-
keitsdelikte, S. 151 f.; Roxin, StrafR AT, Teilbd. 1, § 11 Rdnr. 131; Saal, Straftat, S. 87; Zie-
schang, Gefährdungsdelikte, S. 354 ff., die im Kindhäuserschen Sicherheitsbegriff eine über-
flüssige und in der Sache gefährliche, weil weitgehend konturlose Paraphrasierung des
Rechtsgutsbegriffs sehen; vgl. im übrigen auch die kritische Stellungnahme von Müssig,
Rechtsgüterschutz, S. 202 ff., der den fehlenden Erkenntnisgewinn des Kindhäuserschen An-
satzes aus der Parallelität des Kindhäuserschen Sicherheitsbegriffs mit dem allgemeinen Be-
griff der NormgeItung ableitet.
294 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit ein rationales Subjekt berechtig-
terweise sorgelos sein kann? Anhand welcher Kriterien ist zu entscheiden, ob diese
Bedingungen autonom (durch das Subjekt selbst) oder heteronom (durch die
Rechtsordnung) zu gewährleisten sind?
Die Problematik der Abgrenzung autonom und heteronom zu gewährleistender
Sicherheit erledigt Kindhäuser mit dem knappen Hinweis darauf, daß sich "die An-
schauungen über die sozial nützliche Be- und Entlastung des einzelnen mit Risiken
ständig (wandeln) und zudem bereichsabhängig sind; insoweit ist ein gewisses
Maß an Positivismus durchaus angebracht".75 Darüber hinaus soll aber auch bei
der Bestimmung der Bedingungen berechtigter Sorgelosigkeit gelten, daß "die Be-
dingungen der Sicherheit und dementsprechend Art und Weise ihrer Beeinträchti-
gung bereichsabhängig (sind). Deshalb scheint es kaum möglich zu sein, Merk-
male abstrakt gefährdenden Verhaltens zu benennen, die auf so unterschiedliche
Bereiche wie die Sicherheit des Rechtsverkehrs oder die Sicherheit des Bahn-,
Luft-, Schiffs- oder Straßenverkehrs, rur technische und soziale Sicherheit oder für
die Sicherheit von Lebensbedingungen (Nahrung, Wohnung, Umwelt usw.) glei-
chermaßen zutreffen.,,76 Im Ergebnis schlägt Kindhäuser vor, die Legitimation ab-
strakter Gefährdungsverbote in fünf Schritten prüfen: 77
1. Zunächst sei nach dem Zweck der Norm zu fragen, d. h. nach der Art und
Weise der Verfügung über Güter, die frei von Sorge erfolgen können soll.
2. Sodann sei der Gegenstand der Sorge zu definieren. Zu klären sei, vor was
man bei der in Frage stehenden Verfügung über Güter Furcht haben könne.
3. In einem dritten Analyseschritt sei nach der Berechtigung der Sorge zu fra-
gen.
4. ,,Des weiteren ist unter dem Aspekt der Interessenkoordination zu klären, ob
die Schadensvorsorge Sache des einzelnen ist oder ob sie seine Kapazitäten über-
steigt bzw. unzumutbar ist." Bei der Entscheidung dieser Frage seien dann nicht
nur die sozialen Folgekosten, sondern auch die "normative Verständigung" der Ge-
sellschaft über den Grad des tolerierbaren Mißbrauchs zu berücksichtigen.
5. "Steht fest, daß die Schadensvorsorge dem einzelnen nicht obliegt, für die sor-
gelose Verfügung über Güter aber erforderlich ist, so ist sie normativ auszugleichen.
Mit Blick auf diese normative Kompensation und ihren Zweck, Sorgelosigkeit zu
vermitteln, ist im Rahmen des letzten Analyseschrittes der jeweilige Delikts-
tatbestand auszulegen." Die Sicherung der normativen Kompensation sei Zweck
der Sanktionsnorm; diese habe der normativen Garantie Geltung zu verschaffen.
Kindhäuser verkennt nicht, daß sowohl die Bestimmung der Bedingungen be-
rechtigter Sorgelosigkeit als auch die Frage, ob die (autonome) Schadensvorsorge

7S Kindhäuser, Gefährdung, S. 279.


76 Ebd., S. 281.
77 Ebd., S. 288 f.
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 295

dem einzelnen zumutbar ist, die Substantiierung nonnativer Begriffe erforderlich


macht. 78 Als Differenzierungskriterien benennt er die Unterscheidung danach, ob:
1. die gefahrlose Verfügung über ein Gut bestimmten Individuen bzw. Gruppen
oder aber der Allgemeinheit gewährleistet wird; 79
2. die gefahrlose Verfügung über Güter durch eine bestimmte Person bzw.
Gruppe (spezieller Schutz) oder durch die Allgemeinheit (genereller Schutz) ge-
währleistet werden S011;80
3. die Disposition über Güter unmittelbar gewährleistet werden soll oder da-
durch, daß die Arbeit von Institutionen gesichert wird, die Aufgaben zum Wohle
des einzelnen erfüllen;81
4. die zu gewährleistende Sicherheit objekt- oder subjektbezogen ist, d. h.: ob
die zu gewährleistende Sicherheit die Zuverlässigkeit nicht-personaler Rahmenbe-
dingungen oder die Verläßlichkeit von Personen betrifft. 82
Es kann und soll nicht bestritten werden, daß die genannten Kriterien bei der
Bewertung der Legitimität abstrakter Gefährdungsverbote zu beachten sind. Zu
konstatieren ist aber, daß diese Kriterien bei Kindhäuser weitgehend unverbunden
nebeneinander stehen: weder werden übergreifende Maßstäbe entwickelt, noch ist
eine den Abwägungsprozeß strukturierende Systematik erkennbar. Im Hinblick auf
die Frage nach den Grenzen einer legitimen Etablierung abstrakter Gefährdungs-
verbote bedeutet dies: Insbesondere dann, wenn man Kindhäuser darin folgt, ab-
strakte Gefährdungsdelikte als Sanktionsnonnen für Selbstzwecknonnen zu hal-
ten,83 muß man die von Kindhäuser selbst aufgeworfene Frage, "ob unter der Vor-
aussetzung der Legitimität von Strafe als Sanktion auch die Mißachtung der Nor-
men abstrakter Gefährdungsdelikte mittels Strafe geahndet werden darf',84
zwingend bejahen. Etwaige Einschränkungen des Bereichs strafrechtlich relevan-
ten Verhaltens können sich von vornherein allenfalls noch über das vage Korrektiv
eines kriminalpolitischen Kalküls ergeben. 8s
Genau an diesem Punkt muß allerdings auch die Kritik ansetzen: Das entschei-
dende Defizit des Kindhäusersehen Ansatzes liegt in der Prämisse, Sanktionsnor-
men seien Selbstzwecknonnen. Kindhäuser übersieht, daß die Sphäre personaler

78 Vgl. Kindhäuser, Gefährdung, S. 287, 289, 294 f.; ders., Rechtsgüterschutz, S. 277. Vor
diesem Hintergrund erscheint die auf die durch das AbsteHen auf das subjektive Sicherheits-
empfinden des einzelnen begründete Gefahr einer uferlosen Ausdehnung der Strafbarkeit ver-
weisende Kritik (vgl. Saal, Straftat, S. 87 m. w. N.) als nicht berechtigt.
79 Kindhäuser, Gefährdung, S. 294.

80 Ebd., S. 294 f.
81 Ebd., S. 310.

82 Ebd., S. 311.

83 Ebd., S. 338.

84 Ebd., S. 339.
85 Ebd., S. 340 ff.
296 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

Verantwortlichkeit nicht schon durch Verhaltensnonnen, sondern erst durch Sank-


tionsnonnen konstituiert wird - und dies in Abhängigkeit von der Wahl bestimmter
Deliktstypen in durchaus differenzierter Art und Weise. 86 Vor diesem Hintergrund
bedarf die Pönalisierung abstrakt (generell) gefährlicher Verhaltensweisen einer
gegenüber der zugrundeliegenden Verhaltensnonn eigenständigen Legitimie-
rung. 87 Erforderlich ist eine zwei stufige Prüfung, die Frisch - bezogen auf die Pro-
blematik der objektiven Zurechnung beim Erfolgsdelikt - wie folgt umschrieben
hat:
,,Es geht - zusammengefaßt - darum, in einer Art zwei stufigem Verfahren zu ventilieren,
erstens, ob die Mißbilligung bestimmter risikobeladener Verhaltensweisen im Blick auf
die Handlungsfreiheit als geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Erhal-
tung bestimmter Güter erscheint, und zweitens: ob es zur Aufrechterhaltung der Geltungs-
kraft und Unverbruchlichkeit der Norm erforderlich und angemessen erscheint, auf die sol-
chermaßen mißbilligten Risikoschaffungen im Gewand der Erfolgsdelikte mit Strafe zu
reagieren. ,,88

Die von Kindhäuser in ihrer eigenständigen Bedeutung verkannte Frage ist also,
ob die mit einer strafrechtlichen Verhaltensregulierung verbundenen, je nach Wahl
des Deliktstyps unterschiedlich verteilten "Kosten" den ,,richtigen" Adressaten
treffen bzw. gerecht unter den potentiellen Regelungsadressaten aufgeteilt sind. Im
Hinblick auf die Pönalisierung bestimmter, als generell gefährlich eingeschätzter
Verhaltensweisen muß gezeigt werden, daß bereits die bloße Zuwiderhandlung -
auch dann, wenn im konkreten Einzelfall eine Gefährdung und! oder Beeinträchti-
gung ausgeschlossen ist - eine Bestrafung zu legitimieren vennag. Diese Frage
kann weder über den Hinweis auf eine besondere Wertigkeit der - zumindest in
einem bestimmten Bruchteil von Fällen gar nicht gefährdeten - geschützten
Rechtsgüter noch durch den Verweis auf ein Grundrecht auf Sicherheit erledigt
werden. Erforderlich ist vielmehr eine differenzierte Bewertung der in Frage ste-
henden Risikotypen. 89 Zu klären ist, ob überhaupt und wenn ja, bei welchen "Ty-
pen der Risikoschaffung" eine Pönalisierung zu legitimieren ist.

c) Ansätze zur AusditTerenzierung der abstrakten Gerahrdungsdelikte

Die obigen Ausführungen haben ergeben, daß die gemeinhin unter der Bezeich-
nung "abstrakte Gefährdungsdelikte" zusammengefaßten Straftatbestände ex nega-

86 Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 197 ff. unter Hinweis auf Jakobs, StrafR AT, 6/77 ff.;
vgl. auch Jakobs, Norm, S. 86 f.
87 So richtig Müssig, Rechtsgüterschutz, S. 204 f. sowie Lagodny, Strafrecht, S. 291 ff.;
vgl. auch bereits Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff.
88 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 80.
89 Die Notwendigkeit, verschiedene "Typen der Risikoschaffung" zu unterscheiden, betont
auch bereits Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 78.
I. Dogmatik der Gefahrdungsdelikte 297

tivo über das Fehlen einer realen Rechtsgutsbeeinträchtigung bzw. einer konkreten
Gefahr für ein Rechtsgut nur höchst unzureichend definiert werden können. Was
üblicherweise als "abstrakte Gefährdung" firmiert, ist tatsächlich die "typische"
bzw. "generelle Gefährlichkeit der Verhaltensweise". Entgegen einer in der Litera-
tur verschiedentlich geäußerten Auffassung,90 können im übrigen auch schon im
geltenden Recht innerhalb der Gruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte ohne
weiteres verschiedene Subkategorien generell gefährlicher Verhaltensweisen unter-
schieden werden, was es geboten erscheinen läßt, eine differenzierte Neukategori-
sierung dieser Deliktsgruppe anzustreben. 91

aa) Das Eignungsdelikt als Deliktstypus zwischen


abstraktem und konkretem Gejährdungsdelikt

Ein erster Versuch, innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte zu einer Diffe-


renzierung zu kommen, läuft darauf hinaus, von den abstrakten Gefahrdungsdelik-
ten mit abschließend festgelegten Merkmalen die Straftatbestände abzugrenzen,
bei denen der Gesetzgeber die Strafbarkeit an eine - im einzelnen mit unterschied-
lichen Begriffen umschriebene - Eignung zur Gefährdung geknüpft hat. Diese von
Schröder92 zunächst noch als abstrakt -konkrete Gefährdungsdelikte, von anderen
Autoren als potentielle Gefahrdungsdelikte 93 und heute allgemein als Eignungsde-
likte 94 bezeichneten Straftatbestände sollen sich von den "normalen" abstrakten
Gefährdungsdelikten dadurch unterscheiden, daß der Gesetzgeber hier nicht eine
bestimmte Verhaltensweise schlicht um ihrer selbst willen verboten, sondern sich
am Entstehen einer Gefahrenquelle orientiert hat. In Abhängigkeit davon, wie kon-
kret der Gesetzgeber die Maßstäbe vorgibt, anhand derer die Gefahrenquelle als
gegeben anzunehmen ist, soll ein Straftatbestand vorliegen, der sich den konkreten
oder den "normalen" abstrakten Gefährqungsdelikten annähert. 95 Während Schrö-
der96 die Eignungsdelikte noch überwiegend der Kategorie der konkreten Gefähr-
dungsdelikte zugeordnet und auch Gallas eine Aufteilung in die Kategorien der
konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikte befürwortet hatte,97 werden Eig-

90 Vgl. z. B. Bohnert, JuS 1984, 182, 187.


91 So auch Ahn, Dogmatik, S. 117 ff.; Hirsch, Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 557 f.;
Horn, in: SKStGB, Vor § 306 Rdnr. 17; Roxin, StrafR AT, Teilbd. 1, § 11 Rdnr. 127; Schüne-
mann, JA 1975, 787, 798; vgl. auch die Analyse der Deliktsstrukturen einer Reihe von Straf-
tatbeständen des geltenden bundesdeutschen StGB bei Zieschang, Gefährdungsdelikte,
S. 206 ff.
92 JZ 1967, 522; ders., ZStW 81 (1969),7,17 ff.; vgl. auch Schünemann, JA 1975,787,793.

93 Tröndle, StGB, Vor § 13 Rdnr. Ba; vgl. auch Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 101 f.
94 Vgl. insbesondere: Hoyer, Eignungsdelikte, passim; ders., JA 1990, 183 ff.

95 V gl. Graul, Gefährdungsdelikte, S. 117 ff.

96 Schröder, ZStW 81 (1969),7,21 f.; ders., JZ 1967,522,523 ff.; kritisch zu der Diffe-
renzierung Schröders: Hoyer, Eignungsdelikte, S. 20 ff.; Wolter, Zurechnung, S. 186 tT.; Zie-
schang, Gefährdungsdelikte, S. 171 ff.
298 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

nungsdelikte heute entweder als dritte Kategorie zwischen den abstrakten und kon-
kreten Gefährdungsdelikten98 oder aber als besondere Gestaltungsform der ab-
strakten Gefährdungsdelikte interpretiert. 99
Mit den Eignungsdelikten soll der von den Vertretern der Präsumtionstheorien
angenommene Verstoß gegen das Schuldprinzip abgemildert und so die "Anstößig-
keit abstrakter Gefährdungstatbestände im Hinblick auf das Schuldprinzip" ausge-
räumt lOO bzw. der nach Auffassung der Vertreter der generellen Gefährlichkeit not-
wendige "straflegitimierende Rechtsgutsbezug" hergestellt werden. 101 Problema-
tisch ist dieser Ansatz deshalb, weil anerkanntermaßen von der Feststellung einer
generellen Eignung zur Gefährdung nicht auf die tatsächliche Gefährdung im Ein-
zelfall geschlossen werden kann. 102 Zu Recht sieht Hoyer deshalb die Funktion
von Eignungsklauseln darin, daß der Gesetzgeber nicht mehr tolerable Gefahren-
quellen definiere. 103 Verhaltensweisen, die das Entstehen derartiger Gefahrenquel-
len zur Folge haben, seien als verletzungsbezogen fahrlässigkeitsvermittlungsfähi-
ges Verhalten strafwürdig. 104 Der Eignungsklausel komme die Funktion zu, den
Grenzwert nicht mehr tolerabler Risikosetzungen zu umschreiben. lOS
Abgesehen davon, daß sich an dieser Stelle wiederum die Frage erheben würde,
welche Risikosetzungen der Gesetzgeber aus welchen Gründen legitimerweise als
nicht mehr tolerabel einstufen darf, wird man den von Hoyer entwickelten Ansatz
letztlich nicht auf die Eignungsdelikte im formellen Sinne beschränken können,
sondern als einen für alle abstrakten Gefährdungsdelikte relevanten Gesichtspunkt
begreifen müssen: 106 Der Sache nach geht es darum, zu zeigen, daß bestimmte
Verhaltensweisen aufgrund der ihnen innewohnenden Gefährlichkeit bei Strafe
verboten sein sollen. Daß es neben den "normalen" abstrakten Gefährdungsdelik-
ten (= generelle Gefährdungsverbote ohne Geeignetheitsklausel) noch die Gruppe

97 Vgl. GaIlas, Festschrift flir Heinitz, S. 181 f.; ablehnend Hoyer, Eignungsdelikte, S. 26 f.;
Graul, Gefährdungsdelikte, S. 117 ff.; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 166 ff.
98 Hoyer, Eignungsdelikte, S. 201; ders., JA 1990, 183; Baumann/Weber/Mitsch, StrafR
AT, § 8 Rdnr. 44 und wohl auch Fischer, GA 1989,445, 454.
99 Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 60; Cramer, in: Schönke/Schröder, Vorbem.
§§ 306 ff. Rdnr. 3; GaIlas, Festschrift für Heinitz, S. 175, 183; Horn, in: SKStGB, Vor § 306
Rdnrn. 3, 18; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 264; Kasper, ErheblichkeitsschweIle, S. 191/
192; Martin, Strafbarkeit, S. 98 f.; Roxin, StrafR AT, Teilbei. I, § II Rdnr. 135; Saal, Straftat,
S. 65; Schroeder, ZStW Beiheft 1982, I, 4; Weber, in: Arzt/Weber, StrafR BT, LH 2,
Rdnrn. 80 ff.; vgI. auch BGH, JR 1997,253,253/254 m. w. N. aus der Rspr. des BGH.
100 Vgl. z. B. Weber, in: Arzt/Weber, StrafR BT, LH 2 Rdnrn. 54, 80 ff.
101 Vgl. Hoyer, Eignungsdelikte, S. 37, 47.
102 Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 52 f.; zur Problematik der Unklarheit über den Gehalt
des "Geeignetheitsmerkmals" vgl. Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 197 ff.
103 Vgl. Hoyer,JA 1990, 183, 186f.
104 Vgl. i.e. Hoyer, Eignungsdelikte, S. 49 f., 55 ff., \07.
105 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 279.
106 Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 200 f., 208. Den Darlegungen in JA 1990, 183,
186 ff. ist zu entnehmen, daß dies letztlich wohl auch den Intentionen Hoyers entspricht.
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 299

der Eignungsdelikte im formellen Sinne gibt, wird erklärlich, wenn man berück-
sichtigt, daß in einigen Fällen die nicht tolerablen Risiken allein durch die Um-
schreibung bestimmter Verhaltensweisen definiert werden können,107 während bei
anderen Verhaltensweisen eine zusätzliche - an jeweils unterschiedlich gefaßte
Kriterien gebundene - Gefährlichkeitsprüfung hinzukommen muß. 108
Eine Fortftihrung dieses Ansatzes müßte sich mit der Frage auseinandersetzen,
wie weit der Gesetzgeber die Gefahrkriterien zu konkretisieren hat. 109 Des weite-
ren wäre zu klären, ob eine wie auch immer ausgestaltete Eignungsklausel im We-
ge der Auslegung auch in die abstrakten Gefährdungsdelikte hineinzulesen ist, die
eine solche nicht enthalten. HO Eine Beschäftigung mit diesen Fragestellungen kann
an dieser Stelle zurückgestellt werden. Festzuhalten bleibt, daß dieser Ansatz zwar
die spezifische Legitimationsbedürftigkeit der Pönalisierung generell gefährlicher
Verhaltensweisen aufzeigt, gleichzeitig aber auch deutlich macht, daß der struktu-
rellen Heterogenität der unter dem Sammelbegriff der abstrakten Gefährdungsde-
likte zusammengefaßten Deliktstypen hinreichend Rechnung zu tragen ist.

bb) Modelle zur Kategorisierung der abstrakten Gefährdungsdelikte

Modelle zur Strukturierung der Deliktsgruppe der abstrakten Gefährdungsde-


likte sind bereits von verschiedenen Autoren vorgelegt worden. Als wirkungs-
mächtig hat sich insbesondere ein von Schünemann III entwickelter und in seinen
wesentlichen Grundzügen unter anderem von WoIter l12 und Roxin l13 übernomme-
ner Ansatz erwiesen.
Unterschieden werden hiernach im wesentlichen vier Deliktskategorien: 114 Zu-
nächst eine von Schünemann als "fahrlässige Versuchsdelikte" , 115 von Roxin als

107 Volz, Unrecht, S. 148. Diese Auffassung dürfte auch der Entscheidung BGH, JR 1997,
253, 253/254 mit Anm. Sack zugrundezuliegen.
108 Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 59 f.; Brehm, Dogmatik, S. 83; Cramer, Voll-
rauschtatbestand, S. 69 f.; Martin, Strafbarkeit, S. 99 ff.; Zieschang, Gefährdungsdelikte,
S. 201 f. sowie Fischer, GA 1989,445,447/448, der in der Eignungsklausel ein "restriktives
Tatbestandsmerkmal" sieht.
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 59; zu den für die Annahme eines "konkret ge-
fährlichen Zustands" relevanten Umständen und Maßstäben vgl. Zieschang, Gefährdungsde-
likte, S. 87 ff.
109 Vgl. Hoyer, JA 1990, 183, 184; Iburg, NStZ 1997,547 m. w. N.

110 Vgl. Hoyer, Eignungsdelikte, S. 200 f.; Saal, Straftat, S. 66 ff.


111 JA 1975,787,798.

112 Zurechnung, S. 276 ff.


113 StrafR AT, Teilbd. 1, § 11 Rdnrn. 128 ff.
114 Wolter unterscheidet mit den "Risikodelikten" (Zurechnung, S. 325 f.; vgl. auch Armin
Kaufmann, JZ 1971, 569, 576), den "Prüfstellendelikten" (Zurechnung, S. 320 f.; vgl. auch
Armin Kaufmann, JZ 1971,569,576) und den von ihm im Rahmen der Massenhandlungen
als zweite Unterkategorie angeführten Verhaltensweisen, bei denen die Kontroll- und Über-
300 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

,,klassische abstrakte Gefährdungsdelikte,,116 und von Wolter als "uneigentlich ab-


strakte Gefährdungsdelikte,,117 bezeichnete Nonnengruppe, für die beispielhaft der
Straftatbestand des § 306 dStGB (a.F.) steht und bei denen in erster Linie die Not-
wendigkeit einer einschränkenden Auslegung des Anwendungsbereichs diskutiert
und von der h.M. unter im einzelnen bestrittenen Voraussetzungen bejaht wird. 118
Daneben steht die von Wolter als "eigentliche abstrakte Gefährdungsdelikte,,119
bezeichnete, sonst aber unter dem Begriff der ,,Massenhandlungen" finnierende
Deliktskategorie. Hier sollen Verhaltensweisen erfaßt werden, bei denen aus lern-
theoretischen Gründen eine Pönalisierung geboten sei. Weil es dem einzelnen Bür-
ger nicht erlaubt werden könne, im Einzelfall über die Verbindlichkeit eines Ver-
bots selbstverantwortlich zu entscheiden, müsse eine einschränkende Auslegung
von vornherein ausscheiden. 120 Die eigentlichen abstrakten Gefährdungsdelikte
seien deshalb "insofern restriktiv zu handhaben, als für sie nur präzise gefaßte Ver-
haltensweisen in Betracht kommen, die generell Ursache schwerster Rechtsguts-
gefährdungen und -verletzungen sein können".121 Als typisches bzw. klassisches
Beispiel gilt die Trunkenheit im Verkehr (§ 316 dStGB).
Die dritte Kategorie bilden die sog. Delikte mit vergeistigtem Zwischenrechts-
gut. Hier sollen Verhaltensweisen erfaßt werden, bei denen ein durch die sozialen
Anschauungen konstituiertes vergeistigtes Zwischenrechtsgut verletzt wird. Als ty-
pische Beispiele gelten die Falschaussage- und Bestechungsdelikte. 122 Die vierte

wachungsmöglichkeit im Vordergrund steht (Zurechnung, S. 277), drei weitere Deliktskate-


gorien, bei denen aber zweifelhaft ist, ob diesen tatsächlich ein eigenständiger Anwendungs-
bereich zukommt. Bei den Prüfstellendelikten und den aus Überwachungsgründen pönalisier-
ten Massenhandlungen dürften letztlich die gleichen Verhaltensweisen in Frage stehen. Auch
die Risikodelikte wird man verschiedenen anderen Deliktskategorien zuordnen können (vgl.
Graul, Gefährdungsdelikte, S. 128 ff.; Horn, Gefährdungsdelikte, S. 213 ff.).
l\S JA 1975,787,798.

116 StrafR AT, Teilbd. I, § 11 Rdnr. 128.

117 Zurechnung, S. 278.


118 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 6/89 m.w.N. sowie Le. Woher, Zurechnung, S. 278 ff., 292 ff.,
der es ablehnt, mit Schünemann bereits den untauglichen fahrlässigen Versuch für strafwür-
dig zu erachten. Zu fordern sei, daß der Täter ein vollumfänglich adäquates Todesrisiko ge-
schaffen habe. Grundsätzlich ablehnend gegenüber einer einschränkenden Auslegung des
§ 306 dStGB insbesondere Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. II1 ff., 277 ff.; vgl. auch Graul,
Gefährdungsdelikte, S. 358 ff., die nur Einschränkungen der Strafbarkeit für zulässig erach-
tet.
119 Zurechnung, S. 277.

120 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 11 Rndr. 133; Schünemann, JA 1975,798; Woher, Zu-
rechnung, S. 187,277,319 f.; vgl. auch Jakobs, StrafR AT, 6/88; Ahn, S. 118 ff.; Graul, Ge-
fährdungselikte, S. 154 Fußn. 70; Hoyer, JA 1990, 183, 185; Lagodny, Strafrecht, S. 442,
481; kritisch hierzu: F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 35.
121 WoIter, Zurechnung, S. 303.

122 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 11 Rdnr. 134; Schünemann, JA 1975,787,793 und 798;
Woher, Zurechnung, S. 303, 328 f.; vgl. auch Saal, Straftat, S. 103 ff.; kritisch hierzu Jakobs,
StrafR AT, 2/25b a.E.
I. Dogmatik der Gefährdungsdelikte 301

und letzte Kategorie bilden dann schließlich die bereits oben angesprochenen Eig-
nungsdelikte. 123
Gegen die skizzierte Kategorienbildung ist einzuwenden, daß das Bedürfnis
nach Verhaltenssteuerung mit der Legitimation des Einsatzes strafrechtlichen
Zwangs vermengt wird. Insbesondere die Subkategorien der ,,Massenhandlungen"
und der "Delikte mit vergeistigtem Zwischenrechtsgut" erschöpfen sich darin, eine
aus pragmatischen Gründen für opportun gehaltene Pönalisierung mit einer
Scheinbegründung zu legitimieren. 124 Soweit zur Unterscheidung der - in der Ter-
minologie Roxins - ,,klassischen abstrakten Gefahrdungsdelikte" von den ,,Mas-
senhandlungen" wesentlich darauf abgestellt wird, daß bei der einen Kategorie
eine einschränkende Auslegung des Anwendungsbereichs geboten und bei der an-
deren Kategorie ausgeschlossen sei, mag dies eine für den Rechtsanwender rele-
vante Differenzierung sein; bezogen auf die Rolle des Gesetzgebers beschreibt die
Begründung, bei den sog. Massenhandlungen sei eine strikte Pönalisierung unab-
dingbar, einen geradezu klassischen Zirkelschluß: die Legitimität der Norm hängt
ja gerade davon ab, daß es legitim ist, die sog. Massenhandlungen allein aufgrund
ihrer generellen Gefährlichkeit unter Strafandrohung zu stellen. Der Verweis auf
"lerntheoretische" Notwendigkeiten führt ebenfalls nicht weiter, sondern ver-
schiebt allein die Fragestellung. Zu begründen 125 wäre, daß "lerntheoretische"
Notwendigkeiten eine Pönalisierung zu tragen vermögen. 126
Die Kategorien der ,,Eignungsdelikte" und der ,,Delikte mit vergeistigtem Zwi-
schenrechtsgut" erschöpfen sich im wesentlichen darin, bestimmte, de lege lata
geltende Straftatbestände anhand bestimmter Merkmale in Kategorien zusammen-
zufassen. Abgesehen davon, daß man - wie bereits oben dargestellt wurde - die

123 Roxin, StrafR AT, Teilbd. I, § 11 Rdnr. 135; Schünemann, JA 1975,787,793; Wolter,
Zurechnung, S. 321 ff.
124 Vgl. auch F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 34 ff.; Kindhäuser, Gefähr-
dung, S. 269.
125 Eine materielle Begründung für die Strafwürdigkeit von Massenhandlungen will Hoyer
daraus herleiten, daß die Integrität des in Frage stehenden Rechtsguts nicht der Beurteilungs-
kompetenz der jeweils handelnden Personen ausgesetzt werden solle (JA 1990, 183, 185).
Strafgrund sei - wie auch beim untauglichen Versuch - das sich aus der Möglichkeit von
Fehleinschätzungen ergebende Irrtumsrisiko (JA 1990, 183, 186). Die Frage ist aber: Kann
dies auch dann gelten, wenn es an dem für den (untauglichen) Versuch konstitutiven subjekti-
ven Bezug auf den Unrechtserfolg fehlt?
126 Kritisch insoweit auch Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 373. Gleiches gilt für einen
von Saal entwickelten Ansatz, der danach unterscheiden will, ob durch das abstrakte Gefähr-
dungsdelikt ein Individualrechtsgut oder ein Rechtsgut der Allgemeinheit geschützt werden
soll. Während er bei der erstgenannten Kategorie eine Ausscheidung der erwiesenermaßen
ungefährlichen Verhaltensweisen aus dem Strafbarkeitsbereich für geboten erachtet, soll dies
bei der zweiten Kategorie nicht möglich und (deshalb?) auch nicht geboten sein (Saal, Straf-
tat, S. 90 ff.). Für notwendig erachtet er dann allerdings die Ausgrenzung von Minimalverstö-
ßen (Ebd., S. 95 ff., 112 ff.). Daß es legitim ist, die nicht unter die Bagatellklausel fallenden,
möglicherweise für Kollektivrechtsgüter gefährlichen Verhaltensweisen unter Strafe zu stei-
len, wird von Saal dann allerdings nicht begründet, sondern schlicht vorausgesetzt.
302 7. Kap.: Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts

Kategorie der Eignungsdelikte wohl eher nicht als eine unter materiellen Gesichts-
punkten eigenständige Deliktskategorie anerkennen kann und die Kategorie der
Delikte mit vergeistigtem Zwischenrechtsgut alle bereits oben dargelegten Proble-
me der Rechtsgutstheorie übernimmt und deshalb allenfalls zu einer sehr randun-
scharfen Deliktskategorie führen kann,127 bleibt auch hier die eigentliche Legiti-
mationsproblematik offen: Wann bzw. unter welchen Voraussetzungen ist es legi-
tim, auf die Deliktsgruppe der Eignungsdelikte zurückzugreifen? Wann bzw. unter
welchen Voraussetzungen darf der Gesetzgeber welchen - wie auch immer be-
stimmten bzw. konkretisierten - vergeistigten Zwischenrechtsgütern strafrechtli-
chen Schutz gewähren? Da abstrakte Gefahrdungsdelikte unstreitig eine Auswei-
tung des Stratbarkeitsbereiches auf Verhaltensweisen zur Folge haben, die weder
von Verletzungs- noch von konkreten Gefahrdungsdelikten erfaßt wären, ist maß-
gebend, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen es legitim sein kann, eine
Verhaltensweise allein aufgrund der ihr innewohnenden generellen bzw. typischen
Gefahrlichkeit zu pönalisieren.

cc) Maßstäbe zur Unterscheidung legitimer


und illegitimer abstrakter Gefährdungsdelikte

In der Strafrechtswissenschaft haben verschiedene Autoren Vorschläge entwik-


kelt, anhand derer zwischen legitimen und illegitimen Gründen ftir die Schaffung
abstrakter Gefahrdungsdelikte unterschieden werden soll. So will beispielsweise
Weber 128 die Schaffung abstrakter Gefahrdungsdelikte dann ftir legitim erachten,
wenn die Verantwortlichkeit für einen eingetretenen Erfolg trotz stark schadensge-
neigtem Verhalten nicht sicher feststellbar 129 bzw. die Feststellung eines Verlet-
zungserfolges schwierig sei 130 oder es darum gehe, die Zufallskomponente auszu-
schalten. 13l Illegitim soll es dagegen sein, wenn durch abstrakte Gefahrdungstatbe-
stände der präventive Verwaltungszwang gestärkt 132 oder Zugriffsgründe geschaf-
fen werden. 133 Letztlich bleibt aber auch hier wieder offen, warum es legitim sein
soll, Straftatbestände zu schaffen, um so die Zufallskomponente auszuschalten
oder Feststellungsschwierigkeiten zu umgehen. l34

127 Vgi. F. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 34 f. mit dem zutreffenden Hinweis


darauf, daß keine Kriterien ersichtlich sind, anhand derer das Vorliegen eines (legitimen)
Zwischenrechtsguts geprüft werden kann; in der Sache ähnlich: Zieschang, Gefahrdungsde-
likte, S. 371. Wie unten zu zeigen sein wird, wird man diese Deliktskategorie wohl eher über
den Begriff des Kumulationsdelikts erfassen können; vgl. Jakobs, StrafR AT, 6/88 sowie
Wolter, Zurechnung, S. 328 f.
128 ZStW Beiheft 1987, 1,23 ff.
129 Beispiele: §§ 227 a.F. (= § 231 n.F.), 283 dStGB.
130 Beispiele: §§ 94 ff., 153 ff., 234a Abs. 3, 241a, 324 ff. dStGB; § 95 AMG, §§ 51 f.
LMBG, § 67 WeinG.
131 Beispiel: § 316 dStGB.
I. Dogmatik der Geflihrdungsdelikte 303

Jakobs erkennt an, daß das Bedürfnis nach abstrakten Gefährdungsdelikten von
den Voraussetzungen zu trennen ist, unter denen der Erlaß entsprechender Nonnen
legitim sein kann. Das Bedürfnis für abstrakte Gefährdungsdelikte leitet sich für
ihn aus der Notwendigkeit der Standardisierung von Verhaltensweisen ab. 135 Hin-
sichtlich der Legitimierung entsprechender Straftatbestände geht er von der Prä-
misse aus, daß der Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes nicht verabsolutiert wer-
den dürfe, sondern vielmehr - in einer freiheitlichen Gesellschaft - ein dem staat-
lichen Zugriff entzogener Freiraum des Individuums zu respektieren sei. 136 Dieser
Freiraum umfasse neben dem unstreitigen Bereich des forum internum auch die
der Privatsphäre des 9ürgers zuzurechnenden Verhaltensweisen, wie z. B. einver-
nehmliche Kontakte mit anderen Bürgern, sozialadäquates sowie per se unauffälli-
ges externes Verhalten. 137 Legitim könne eine Pönalisierung erst dann sein, wenn
sich der Bürger anmaße, fremde Organisationskreise in einer ihm nicht zukommen-
den Art und Weise zu organisieren. 138 Zur Bewertung der in Frage stehenden Straf-
tatbestände will Jakobs auf drei Tatbestandstypen zurückgreifen: 139
1. Externes Verhalten, das eo ipso störe und bei dem lediglich die Schadensnei-
gung generalisierend bestimmt werde. Beispiele seien hier die Aussagedelikte der
§§ 153 ff. dStGB sowie die schwere Brandstiftung gemäß § 306 (a.F.) dStGB.
2. Verhaltensweisen, bei denen die externe Störung generalisierend festgelegt
werde. Als Beispiele nennt Jakobs hier neben der folgenlosen Trunkenheitsfahrt
(§ 316 dStGB) die §§ 283, 328 dStGB.
3. Verhaltensweisen, die ohne ein nachfolgendes Zutun des Täters oder einer an-
deren Person überhaupt nicht oder allenfalls minimal gefährlich seien. Beispielhaft
seien hier die Straftatbestände der §§ 52 ff. WaffG.
Die Legitimation der in die beiden erstgenannten Kategorien einzuordnenden
Straftatbestände scheint Jakobs für zumindest im Grundsatz weitgehend unproble-
matisch zu halten. Da hier das gefährliche Verhalten komplett vollzogen sei, sei
die Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht größer als beim vollendeten Versuch. 140
Diese ,,kleinstmögliche" Vorverlagerung sei als legitim anzusehen, wenn der Täter
sich der Möglichkeit begeben habe, "eine riskante Gestaltung seines Organisati-

132 Vgl. Weber, ZStW Beiheft 1987, 1,30.


133 Beispiele: §§ 129, 129a dStGB.
134 Ablehnend insoweit: Zieschang, Gefahrdungsdelikte, S. 385 f.

135 Jakobs, StrafR AT, 61 86a.

136 Jakobs, StrafR AT, 21 25a, 25b; ders., ZStW 97 (\985), 751, 753 ff.

137 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 761 f.; kritisch zur mangelnden Klarheit der Abgren-
zung: Hirsch, Lampe, Kühl und Tiedemann, zitiert nach: Gropp, ZStW 97 (1985), 919, 922 f.,
925 f. und hierzu wiederum die Entgegnung von Jakobs, zitiert nach Gropp, ZStW 97 (1985),
919,928 f.
138 Jakobs, StrafR AT, 2/25a, 6/86a; ders., ZStW 97 (1985), 751, 762.

139 Jakobs, StrafR AT, 61 86a; ders., ZStW 97 (\985), 751, 768 ff.
140 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 6/86a, S. 173; ders., ZStW 97 (\985), 751, 769.
304 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

onskreises zu entschärfen,,141 und kein volldeliktisches Verhalten mehr nachfolgen


müsse. 142 Anzumerken ist hierzu, daß die Begründung über eine Gleichsetzung
mit dem vollendeten Versuch dem Einwand ausgesetzt ist, daß die Pönalisierung
generell gefährlicher Verhaltensweisen auch und gerade die Fälle erfaßt, in denen
es an der für das Versuchsdelikt charakteristischen subjektiv-finalen Verknüpfung
mit einer prospektiv erwarteten Schädigung fehlt. Vor diesem Hintergrund wäre
wohl eher die Gleichsetzung mit dem fahrlässigen Versuch angemessen, die dann
aber - wie bereits oben angemerkt wurde 143 - die Frage nach der Legitimität der
Pönalisierung des fahrlässigen Versuchs aufwirft.
In der Sache selbst verbleibt damit der Hinweis auf die durch den Kontrollver-
lust qualifiziert riskante Gestaltung des eigenen Organisationskreises. Daß es sich
hierbei um den auch für Jakobs letztlich entscheidenden Gesichtspunkt handeln
dürfte, bestätigen die Ausführungen zu den Straftatbeständen der dritten Kategorie,
bei der Jakobs eine problematische Vorverlagerung der Strafbarkeit konstatiert l44
und letztlich eine differenzierende Sichtweise befürwortet: Eine Pönalisierung sei
auch hier nur dann legitim, wenn der Tater nicht mehr in der Lage sei, "eine ris-
kante Gestaltung seines Organisationskreises zu entschärfen.,,145 Hervorgehoben
wird der Fall, daß "Prototypen von Deliktsmitteln" produziert werden (z. B. Waf-
fen, Falschgeld, gefälschte Pässe, Rauschgift), die von irgendeiner beliebigen Per-
son - auch gegen den Willen des Produzenten - für deliktische Zwecke genutzt
werden können. 146 Ein illegitimer Eingriff in den Internbereich des Bürgers liege
demgegenüber dann vor, wenn - wie etwa bei § 267 Abs. 1 I. Alt. dStGB 147 - eine
Interpretation der Verhaltensweise ohne Rückgriff auf den Planungszusammen-
hang des Taters überhaupt nicht möglich sei. 148
Jakobs geht davon aus, daß die Legitimation von Straftatbeständen entscheidend
von den für die Bestimmung der Sphäre der Verantwortlichkeit des einzelnen Bür-
gers maßgebenden Kriterien abhängig ist. Sein Versuch, die Sphäre der Verant-

141 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 766.


142 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 769. Soweit Jakobs außerdem noch das Bedürfnis nach
Standardisierung betont (vgl. a. a. 0., S. 767; vgl. auch a. a. 0., S. 770 - die an dieser Stelle
gegebenen Beispiele passen nicht zu der Kategorie der Vorbereitungshandlungen, sondern ge-
hören in den Zusammenhang der ersten beiden Kategorien), muß dies als eine mit seinem
Grundansatz nicht zu vereinbarende Argumentation außer Betracht bleiben.
143 Vgl. oben S. 289 f.

144 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 769.


145 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 766.

146 Jakobs, StrafR AT, 6/86a, S. 173; ders., ZStW 97 (1985), 751, 770 f.; vgl. auch Ahn,
Dogmatik, S. 123 ff., der die Pönalisierung des unerlaubten Waffenbesitzes für unverhältnis-
mäßig, die Pönalisierung der Ge\dfälschung und des unerlaubten Besitzes von Betäubungs-
mitteln dagegen für legitimierbar erachtet.
147 Vgl. insoweit auch Ahn, Dogmatik, S. 122 f., der ebenfalls die Legitimität der Straf-
norm verneint.
14M Jakobs, StrafR AT, 6/86a, S. 173/174; ders., ZStW 97 (1985), 751, 758 ff., 771 ff.
11. Abstrakte Gefahrdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 305

wortlichkeit durch das Kriterium der unerlaubt riskanten Gestaltung des eigenen
Organisationskreises bzw. der - damit verbundenen? - Anmaßung der Gestaltung
anderer Organisationskreise zu bestimmen, erscheint ausbaufahig, aber auch aus-
baubedürftig. Notwendig dürfte insbesondere eine genauere Ausarbeitung der Kri-
terien sein, anhand derer zu beurteilen ist, ab wann eine Gestaltung des eigenen
Organisationskreises als unerlaubt riskant anzusehen ist. Da praktisch jede Verhal-
tensweise Auswirkungen auf den sozialen Nah- und/oder Fernbereich des Han-
delnden hat,149 wird man nicht auf eine faktische Beherrschbarkeit der Folgewir-
kungen abstellen können, sondern vielmehr Kriterien heranziehen müssen, anhand
derer die normativ noch als tolerabel erscheinenden von den nicht mehr hinnehm-
baren Risiken unterschieden werden können. Zu berücksichtigen ist dann aber
auch, daß generell gefährliche Verhaltensweisen höchst unterschiedliche Risikopo-
tentiale aufweisen: Während das immanente Risiko einiger Verhaltensweisen darin
besteht, daß bereits das unbewußte Verhalten anderer Personen das Risiko zur kon-
kreten Gefährdung oder gar Schädigung eines Interesses komplettieren kann - bei-
spielhaft: der Passant betritt die Fahrbahn, auf der sich der alkoholisierte Kraftfah-
rer nähert -, ist bei anderen Verhaltensweisen ein bewußtes Anknüpfen des Täters
oder einer anderen Person notwendig - beispielhaft: die Schädigung kollektiver
Rechtsgüter setzt regelmäßig gleichgerichtete Verhaltensweisen einer Vielzahl von
Personen voraus. Bei wieder anderen Verhaltensweisen muß der Handelnde selbst
oder eine andere Person das "Ergebnis" der Verhaltensweise zum Ausgangspunkt
für eine eigene Handlung nehmen. Die entscheidende Fragestellung lautet also:
Welches nachfolgende Verhalten welcher Person muß der Täter als Teil des von
ihm zu organisierenden Verhaltenskreises mitverantworten und aus diesem Grunde
in seine Verhaltensorientierung einbeziehen?lso

11. Abstrakte Gerährdungsdelikte


als Typen der RisikoschatTung

1. Einführung

Als ein wesentliches Ergebnis der obigen Ausftihrungen bleibt festzuhalten, daß
abstrakte Gefährdungsdelikte nicht über das Fehlen einer realen Rechtsgutsbeein-
trächtigung und / oder das Fehlen einer konkreten Gefahr für ein Rechtsgutsobjekt
definiert werden können. Der gemeinsame Nenner der in dieser Deliktsgruppe ver-
sammelten Straftatbestände ist nicht die "abstrakte Gefährdung" eine Rechtsguts,
sondern vielmehr die den jeweils in Frage stehenden einzelnen Verhaltensweisen
immanente "generelle Gefahrlichkeit". Der Sache nach sind abstrakte Gefähr-

149 Hierzu bereits Jakobs, ZStW 89 (1977), 1,20; vgl. auch oben S. 273 f.
ISO Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 770; vgl. auch von Hirsch, Hann Principle, S. 266/267.

20 Wohlers
306 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

dungsdelikte damit eigentlich gar keine Gefährdungsdelikte, sondern vielmehr


,,Risiko- bzw. Gefährlichkeitsdelikte".151 Die nachfolgend zu entwickelnde Neu-
strukturierung der gemeinhin in der Kategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte
zusammengefaßten Straftatbestände knüpft an diese Erkenntnis an. Ziel des hier
vertretenen Ansatzes ist es, innerhalb der Gruppe der abstrakten Gefährdungsde-
likte verschiedene "Typen der Risikoschaffung" (Frisch)152 voneinander abzugren-
zen, um dann prüfen zu können, ob und unter welchen Voraussetzungen bei Ver-
wendung dieser Deliktstypen der Einsatz strafrechtlicher Zwangsmittel zu legiti-
mieren ist.
Die an die Straftatbestände des geltenden Rechts anknüpfende induktive Vorge-
hensweise könnte den Einwand provozieren, sie wiederhole den oben im Hinblick
auf die Strukturierungsmodelle anderer Autoren kritisierten Ansatz, die vom Ge-
setzgeber für opportun erachteten Pönalisierungsentscheidungen lediglich systema-
tisierend nachzuvollziehen. Diesem Einwand ist zunächst entgegenzuhalten, daß
die Erfassung und Strukturierung des Stoffes nicht notwendigerweise die Bewer-
tung präjudizieren muß. Wenn und soweit beide Schritte bewußt voneinander ge-
trennt und insbesondere die Legitimation einer Pönalisierung nicht aus dem Motiv
des Gesetzgebers abgeleitet wird, dürfte eine Vermengung mit ausreichender Si-
cherheit zu vermeiden sein. Des weiteren ist zu konstatieren, daß der erste Schritt
der Erfassung und Strukturierung des Stoffes gar nicht anders als induktiv durch-
geführt werden kann. 153
Abgesehen davon, daß es nicht durchführbar erscheint, eine Systematik der De-
liktstypen sozusagen "am grünen Tisch" zu konstruieren, bietet die Vorgehenswei-
se, sich an den Straftatbeständen des geltenden Rechts zu orientieren, eine Reihe
von Vorteilen: Zum ersten kann die amorphe Masse der gemeinhin unter dem Sam-
melbegriff der "abstrakten Gefährdungsdelikte" zusammengefaßten Straftatbestän-
de aufgespalten und so einer den jeweiligen Besonderheiten Rechnung tragenden
Untersuchung zugänglich gemacht werden; zum zweiten wird durch die Herausar-
beitung bestimmter Deliktstypen die eigenständige Bedeutung der bei der Bewer-
tung einzelner konkreter Straftatbeslände nicht hinreichend deutlich hervortreten-
den und deshalb häufig in ihrer Bedeutung vernachlässigten Deliktsstruktur betont.
Schließlich spricht für den hier gewählten Ansatz seine Flexibilität: Sollte sich zu
einem späteren Zeitpunkt erweisen, daß ein bestimmter Deliktstypus nicht hinrei-
chend berücksichtigt wurde, kann die Gesamtsystematik ohne weiteres entspre-

151 So bereits zutreffend Hirsch, Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 549 f., 558 im An-
schluß an A.H. Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 183 ff.; vgl. auch Horn, in: SKStGB, Vor
§ 306 Rdnr. 15.
152 Vgl. auch bereits Jenny I Kunz, Bericht, S. 96, die in dem von ihnen als potentielles
Gefährdungsdelikt bezeichnete Deliktstyp eine für weite Bereiche des Umweltstrafrechts
..angemessene Risikovertypung" sehen.
153 Vgl. auch die entsprechende Vorgehensweise bei Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhal-
ten, S. 86 ff.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 307

chend angepaßt werden, ohne daß dies die sonstige Systematik mitsamt der aus ihr
gewonnenen Erkenntnisse zwingend entwerten würde.
Die ausschließlich dienende Funktion der nachfolgend zu entfaltenden Systema-
tik zeigt sich schließlich auch daran, daß eine randscharfe Zuordnung einzelner
Straftatbestände weder beabsichtigt noch notwendig ist. Wenn bei einzelnen Straf-
tatbeständen des geltenden Rechts mehrere der nachfolgend entwickelten Typen
der Risikoschaffung kombiniert auftreten, stellt dies nicht die Systematik als sol-
che in Frage, sondern bedeutet nur, daß die Legitimität dieser Straftatbestände im
Hinblick auf die durch die kombinierten Deliktstypen in ihrer Gesamtheit reprä-
sentierten Problemstellungen begründet werden muß.

2. Die Systematik im Überblick

Im Rahmen einer auf das Kriterium des immanenten Risikopotentials von Ver-
haltensweisen abstellenden Systematik müssen zunächst in grundsätzlicher Hin-
sicht zwei Kategorien von Straftatbeständen unterschieden werden: zum einen die
Tatbestände, die Verhaltensweisen erfassen, durch die Interessen (Rechtsgüter) un-
mittelbar beeinträchtigt werden; zum anderen Tatbestände, die Verhaltensweisen
erfassen, die für sich allein gesehen ein gegebenes Interesse (Rechtsgut) noch nicht
unmittelbar beeinträchtigen.
Die erste Kategorie bilden die in herkömmlicher Terminologie als Erfolgsdelikte
und konkrete Gefährdungsdelikte bezeichneten Straftatbestände - wenn und soweit
sie auf den Schutz personaler Interessen (Individualrechtsgüter) abzielen. Hierbei
kann es auch Fälle geben, in denen das Interesse am Bestand bzw. an der Nutzbar-
keit personaler Interessen erst durch die Summierung mehrerer, unabhängig von-
einander erbrachter Einzelbeiträge verschiedener Personen beeinträchtigt wird.
Zur Veranschaulichung kann neben dem von Daxenberger erörterten Beispiel des
durch zahlreiche Passanten im Laufe eines Jahres verursachten "Trampelpfades"
auf einem Grundstück l54 insbesondere auf das Rechtsgut der ,,Ehre" verwiesen
werden: Das Interesse an der Wahrung eines gesellschaftlichen Achtungsanspru-
ches wird erst dadurch real beeinträchtigt, daß dem Rechtsgutsträger von einer als
relevant anzusehenden Anzahl von Gesellschaftsmitgliedem der ihm zukommende
Achtungsanspruch abgesprochen bzw. dieser in der sozialen Interaktion nicht ge-
bührend beachtet wird. Unter Zugrundelegung der hier zu entwickelnden Systema-
tik handelt es sich bei den Ehrdelikten damit um den Sonderfall eines auf den
Schutz eines personalen Interesses abzielenden kombinierten Kumulations- und
Vorbereitungsdelikts. 155 Dies alles ändert aber nichts daran, daß im Regelfall per-

IS4 Vgl. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. ISS.


Vgl. auch Keller, ZStW 107 (1995),457,475: Der Mangel an äußerer Gegenständlich-
ISS
keit der Ehre führe in die Nähe der abstrakten Gefahrdungsdelikte.

20'
308 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

sonale Interessen bereits durch das Verhalten einer einzelnen Person effektiv beein-
trächtigt - und das heißt: geschädigt - werden können. 156
Grundlegend anders ist dies bei kollektiven Interessen: Ein auf den Schutz kol-
lektiver Interessen abzielender Einsatz von Erfolgs- und I oder konkreten Gefahr-
dungsdelikten wäre auf die - aus praktischer Sicht eher irrelevant, wenn nicht so-
gar absurd anmutende - Pönalisierung von ,,Megaverstößen" (Hefendehl) be-
schränkt. Beispielhaft: Das Interesse an der Funktionsfähigkeit bestimmter staatli-
cher Institutionen, wie z. B. der Rechtspflege, der Verwaltung usw., kann schon
von vornherein durch das Verhalten einzelner Personen nicht in einer als relevant
anzusehenden Art und Weise beeinträchtigt werden. 157 Andere kollektive Interes-
sen, wie z. B. das Interesse an intakten Umweltmedien, können zwar zumindest
theoretisch durch ,,Megaverstöße" relevant beeinträchtigt werden. Hier würde sich
aber nicht nur die Frage stellen, ob nach derartigen ,,Megaverstößen" überhaupt
noch eine Institution zur Verfügung steht, die eine strafrechtliche Ahndung durch-
setzen kann, sondern auch, welchem Zweck diese Ahndung dann noch dienen soll.
Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß derartige ,,Megaverstöße" regelmäßig gar
nicht das Werk einer einzelnen Person sind, sondern vielmehr das Ergebnis der
Summation einer Vielzahl für sich gesehen irrelevant erscheinender Einzelbeiträ-
ge. Sollen kollektive Rechtsgüter vor Beeinträchtigungen katastrophaler Art ge-
schützt werden, müssen die einzelnen Kumulationsbeiträge erfaßt werden, bevor
sich diese zu einer ,,Megabeeinträchtigung" summieren können. 158 Hieraus folgt:
Ein auf den Schutz kollektiver Rechtsgüter abzielender Gesetzgeber kann sich
nicht auf den Deliktstypus des Erfolgsdelikts zurückziehen, sondern muß Verhal-
tensweisen erfassen, die zwar fur sich gesehen das jeweils betroffene kollektive in-
teresse (Rechtsgut) nicht in relevanter Art und Weise beeinträchtigen können, die
aber, wenn und soweit es zu einer Vielzahl gleichgerichteter Handlungen kommt,
als Teilbeitrag zu einem ,,Megaverstoß" anzusehen wären. 159 Erfaßt werden müs-
sen damit aber notwendigerweise Verhaltensweisen, die ein kollektives Interesse
nicht unmittelbar beeinträchtigen, sondern vielmehr Verhaltensweisen, die zwar
mittelbar zu einer Beeinträchtigung führen können, bei denen es aber nicht sicher
ist, ob es zu einer derartigen Schädigung tatsächlich kommen wird. Der Schutz

156 Auch in den Fällen der Schädigung eines personalen Interesses als Folge einer Summa-
tion für sich gesehen nicht ausreichender Einzelbeiträge bei unbewußtem Zusammenwirken
mehrerer Personen stellt sich das Problem der objektiven Zurechenbarkeit des Gesamtscha-
dens.
157 Vgl. Feinberg, Vol. I, S. 11,225,228; Papageorgiou, Schaden, S. 282; Weber, ZStW
Beiheft 1987, 1,9 f. mit dem Hinweis darauf, daß auch der Bestand eines Staates nur durch
das arbeitsteilige - nicht aber notwendig unter die Voraussetzungen der §§ 25 ff. dStGB fal-
lende - Zusammenwirken mehrerer Personen konkret gefährdet bzw. beeinträchtigt werden
kann.
158 Angesichts der ,,Robustheit" kollektiver Güter wäre dieses Ziel aus rein funktionalisti-
scher Sicht bereits dann erreicht, wenn eine Minderheit der Bürger veranlaßt werden könnte,
an der Bereitstellung eines kollektiven Gutes mitzuwirken (vgl. Baurrnann, Markt, S. 564).
159 Vgl. Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 124.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 309

kollektiver Rechtsgüter fällt damit grundsätzlich in den Bereich der zweiten De-
liktskategorie.
Das gemeinsame Kennzeichen der durch die zweite Deliktskategorie erfaßten
Verhaltensweisen liegt darin, daß hier eine reale Beeinträchtigung eines gegebenen
Interesses nicht aus der durch den Straftatbestand erfaßten Verhaltensweise allein
resultieren kann, sondern der Erfolg erst durch ein weiteres Verhalten des Täters
oder einer anderen Person (des Opfers oder eines Dritten) herbeigeführt wird. Bei
den Straftatbeständen des geltenden Rechts lassen sich im wesentlichen drei Sub-
kategorien mit jeweils unterschiedlichem Risikopotential unterscheiden: 160
I. Die Verhaltensweisen, deren Gefährlichkeit darauf beruht, daß sie zu Situatio-
nen führen, die für den Tater nicht mehr steuerbar sind und die - wenn nur ein ent-
sprechendes Tatobjekt (Rechtsgutsobjekt) in den Einwirkungsbereich des Täters
gelangt wäre - ohne weiteres eine konkrete Gefährdung und gegebenenfalls auch
eine Beeinträchtigung zur Folge gehabt hätten. 161 Im Anschluß an Hans Joachim
Hirsch 162 wird man diese Tatbestände als "konkrete Gefährlichkeitsdelikte" be-
zeichnen köm~en. 163 Der Sache nach handelt es sich um potentielle Erfolgs- bzw.
potentiell-konkrete Gefährdungsdelikte. 164 Der Anwendungsbereich dieses De-
Iiktstyps ist folgerichtig wiederum auf den Schutz personaler Interessen (Indivi-
dualrechtsgüter) beschränkt. Charakteristische Beispiele aus dem de lege lata gel-
tenden Strafrecht wären insoweit die folgenlose Trunkenheitsfahrt (§ 316 dStGB)
sowie die schwere Brandstiftung (§ 306 dStGB a.F. = § 306a dStGB n.F.).
2. Die Verhaltensweisen, die zwar für sich allein gesehen ein rechtlich geschütz-
tes Interesse nicht zu beeinträchtigen vermögen, die aber im Zusammenwirken mit
anderen, gleichgerichteten Verhaltensweisen zu einer relevanten Beeinträchtigung

160 Übereinstimmung in der Sache besteht zu der Kategorisierung bei von Hirsch, Harrn
Principle, S. 262 ff. Zieschang unterscheidet im Rahmen seiner Untersuchung vier Subkate-
gorien von nicht-Verletzungsdelikten: konkrete Gefährdungsdelikte, abstrakte Gefährdungs-
delikte, potentielle Gefährdungsdelikte und konkrete Gefährlichkeitsdelikte (Gefährdungsde-
likte, S. 347). Hinsichtlich der Subkategorie des konkreten Gefährlichkeitsdeliktes besteht
eine Parallele zu der vorliegenden Unersuchung. Die der Subkategorie der abstrakten und po-
tentiellen Gefährdungsdelikte zugerechneten Delikte werden in der vorliegenden Untersu-
chung den Subkategorien der Kumulations- und Vorbereitungsdelikte zugerechnet. Die weite-
re Subkategorie der konkreten Gefährdungsdelikte ist bereits behandelt worden (vgl. oben
S. 284 ff.).
161 Vgl. Hoyer, JA 1990, 183, 187 f.; ders., Eignungsdelikte, S. 97 ff., 107 sowie Martin,
Strafbarkeit, S. 83 ff., die in der Etablierung derartiger Gefahrenquellen eine dem Erfolg der
konkreten Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts strukturell vergleichbare Verursachung eines
"abstrakten Gefahrerfolgs" sehen.
162 Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 559; vgl. auch Zieschang, Gefahrdungsdelikte,
S. 53 f.
163 Näher zur Bedeutung des Adjektivs "konkret" in diesem Zusammenhang: A.H. Meyer,
Gefährlichkeitsdelikte, S. 191 ff.; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 54 ff.
164 Zum Begriff der potentiell konkreten Gefahr vgl. bereits Jakobs, ZStW 97 (1985), 751,
767 Fußn. 20.
310 7. Kap.: Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts

führen können. Wie bereits oben dargelegt wurde,I65 ist der Hauptanwendungsbe-
reich für diesen, hier in Fortführung der von Kuhlen geprägten Begrifflichkeit als
Kumulationsdelikt bezeichneten Deliktstypus der Schutz kollektiver Interessen.
Beispiele des geltenden Rechts sind neben den Straftatbeständen zum Schutz von
Umweltmedien (§§ 324 ff. dStGB) die auf den Schutz bestimmter Institutionen des
Staates (z. B.: Rechtspflege) bzw. gesellschaftlicher Funktionszusammenhänge
(z. B.: §§ 264 ff. dStGB) abzielenden Straftatbestände.
3. Die Verhaltensweisen, deren Risikopotential darin besteht, daß entweder der
Handelnde selbst oder aber eine andere Person an das Ergebnis der in Frage ste-
henden Verhaltensweise zur Verwirklichung deliktischer Zwecke anknüpfen kann.
Dieser - hier als Vorbereitungsdelikt bezeichnete - Deliktstypus hat im geltenden
Recht sowohl im Hinblick auf personale als auch kollektive Interessen Bedeutung.
Als Beispiel für das Bemühen, möglichen Beeinträchtigungen personaler Interes-
sen bereits im Vorfeld einer realen Gefährdung entgegenzuwirken, kann auf die
Straftatbestände verwiesen werden, die den Umgang mit gefährlichen Stoffen
(Chemikalien, Arzneimittel usw.) oder Gegenständen (Waffen, Sprengstoff usw.)
unter Strafe stellen. Bei den Straftatbeständen, die bestimmte Verhaltensweisen im
Vorfeld der Beeinträchtigung kollektiver Interessen unter Strafe stellen, liegt regel-
mäßig eine Kombination von Vorbereitungs- und Kumulationsdelikten vor. Bei-
spielhaft: die §§ 146 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 149, 152a, 267 Abs. I, 1. und 2. Alt., 275
dStGB erfassen Vorbereitungshandlungen, die nur bzw. erst dann zu einer realen
Beeinträchtigung des geschützten kollektiven Interesses führen (können), wenn es
in einer relativ großen Zahl von Einzelfällen zu entsprechenden Vorbereitungs-
und Anknüpfungstaten kommt.
Die Einordnung konkreter Straftatbestände in die oben entwickelte Systematik
hängt entscheidend von der Auswahl der zur Legitimation des Straftatbestandes
herangezogenen Interessen ab. Anschaulich läßt sich dies an den Straftatbeständen
des Betäubungsmiuelstrafrechts belegen: Stellt man - unter Vernachlässigung bzw.
vorbehaltlich der besonderen Problematik der bewußten Selbstgefährdung - auf
den Schutz der körperlichen Integrität des Drogenkonsumenten ab, stellen sich die
Straftatbestände, die das Verhalten auf der Anbieterseite erfassen, als Vorberei-
tungsdelikte zum Schutz eines personalen Interesses dar. Stellt man demgegenüber
auf die sozialen Folgekosten des Drogenkonsums ab, handelt es sich - soweit das
Verhalten des Konsumenten unter Strafe gestellt wird - um ein Kumulationsdelikt
sowie um ein kombiniertes Vorbereitungs- und Kumulationsdelikt, soweit das Ver-
halten auf der Anbieterseite erfaßt ist. Ein weiteres Beispiel sind die §§ 326, 327,
328 dStGB: Sieht man das geschützte Interesse in der Gewährleistung der körper-
lichen Integrität einzelner Individuen, handelt es sich bei diesen Straftatbeständen
um konkrete Gefährlichkeitsdelikte; stellt man dagegen auf das kollektive Inter-
esse an der Erhaltung der Umweltmedien ab, würde es sich um Kumulationsdelikte
handeln.

16S Vgl. oben S. 308 f.


11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 311

Die Anforderungen, die an die Legitimation eines Straftatbestandes zu stellen


sind, werden nicht unwesentlich durch die Zuordnung des jeweiligen Straftatbe-
standes mitbestimmt. 166 Anders als bei den ,,klassischen" Straftatbeständen der er-
sten Deliktskategorie, deren Legitimation allein eine Abwägung des personalen In-
teresses des (potentiellen) "Täters" an der Wahrnehmung seiner Handlungsfreiheit
mit dem Interesse des (potentiellen) "Opfers" an der Wahrung seiner personalen
Interessen zur Voraussetzung hat,167 werfen die für das "moderne" Strafrecht viel
bedeutsameren Straftatbestände der zweiten Deliktskategorie eine zusätzliche Pro-
blematik auf: Auch wenn sich im Einzelfall erweisen sollte, daß sich das Interesse
des "Täters" an der Ausübung seiner Handlungsfreiheit angesichts der seinem Ver-
halten immanenten Risiken nicht gegen die Interessen der möglicherweise letztlich
betroffenen "Opfer" durchsetzen kann, bedarf die Strafbewehrung einer über die
Legitimation des Verhaltensverbots hinausgreifenden eigenständigen Begründung,
wobei je nach Deliktstypus unterschiedliche Problemstellungen zu bewältigen
sind: Bei den konkreten Gefährlichkeitsdelikten stellt sich die Frage, ob und wenn
ja unter welchen Voraussetzungen bei Strafe verlangt werden kann, daß potentiell
gefährliche Verhaltensweisen unterlassen werden. Bei den Kumulations- und Vor-
bereitungsdelikten ist zu klären, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen
bei Strafe verlangt werden kann, daß das eigenverantwortliche Verhalten anderer
Personen als ein handlungsleitender Faktor antizipiert wird. 168

3. Das konkrete Gerährlichkeitsdelikt

Wie oben dargelegt, erfaßt der Deliktstypus des konkreten Gefährlichkeitsdelikts


Verhaltensweisen, bei denen eine konkrete Gefährdung bzw. Schädigung nur des-
wegen ausgeblieben ist, weil sich kein Rechtsgutsobjekt im Einwirkungsbereich
des Taters befand. Der Sache nach handelt es sich bei den diesem Deliktstypus an-
gehörenden Straftatbeständen um tatbestandlich vertypte Gefahrsetzungen. 169 Die

166 Vgl. insoweit auch Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 380 ff., der - basierend auf der
von ihm vorgenommenen Kategorisierung der Gefährdungsdelikte (vgl. oben Seite 309 FuBn.
160) - die Subkategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte als illegitim ablehnt. Die de lege
lata existenten abstrakten Gefährdungsdelikte seien entweder in konkrete Gefährlichkeits-
oder potentielle Gefährdungsdelikte umzuwandeln (a.a.O. S. 384 f., 389) oder aber in das
Ordnungswidrigkeitenrecht zu überführen (a. a. 0., S. 392 f.). Die Subkategorien der konkre-
ten Gefährlichkeits- und potentiellen Gefährdungsdelikte hält Zieschang für legitim, soweit
es um den Schutz "besonders bedeutsamer Rechtsgüter" gehe (a. a. 0., S. 388, 389 f.). Die
vorliegende Untersuchung hat gezeigt, daß diese Argumentation zu kurz greift.
167 Für die insoweit heranzuziehenden Maßstäbe wird auf die Darlegungen oben am Ende
des 6. Kapitels (S. 275 ff.) sowie auf die Darstellung der "Standard-Harm-Analysis" bei von
Hirsch, Harm Principle, S. 261 verwiesen.
168 Zur Notwendigkeit einer Ergänzung der Standard-Harm-Analysis durch den Gesichts-
punkt der "fair-imputation" vgl. auch bereits von Hirsch, Harm Principle. S. 262 ff.
169 Vgl. Köhler, StrafR AT, S. 148.
312 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

im Hinblick auf die Legitimität dieses Deliktstypus relevante Frage lautet: Unter
welchen Voraussetzungen ist der Gesetzgeber legitimerweise berechtigt, potentiell
gefährliche Verhaltensweisen für sich gesehen, d. h. ohne einen - auch nur subjek-
tiven - Bezug zur Schädigung bzw. konkreten Gefährdung eines Rechtsguts(ob-
jekts), als verselbständigte Gefahrsetzungen unter Strafandrohung zu stellen?
Die Strafrechtswissenschaft hat sich mit dieser Frage bisher eher am Rande be-
schäftigt. Charakteristisch für die eher beiläufige, die Legitimitätsproblematik
weitgehend vernachlässigende Herangehensweise sind Stellungnahmen, in denen
die Berechtigung des Gesetzgebers, gefährliche Verhaltensweisen bereits im Vor-
feld realer Gefährdungen bzw. Verletzungen zu unterbinden, entweder begrün-
dungslos postuliert oder aber mit dem Verweis auf einen effizienteren Rechtsgüter-
schutz legitimiert wird. Beide Ansätze greifen zu kurz: Wenn beispielsweise
Schröder ausführt, es werde "in der Tat kaum zu bestreiten sein, daß der Gesetz-
geber legitimiert sein muß, bestimmte Formen menschlichen Verhaltens allein des-
wegen unter Strafe zu stellen, weil aus ihnen typischerweise Gefahren für rechtlich
geschützte Interessen zu resultieren pflegen",170 mag diese Aussage letztlich rich-
tig sein - sie bedarf dann aber einer Begründung, die über den von Schröder gege-
benen Hinweis auf die unkontrollierbaren Folgen bestimmter Verhaltensweisen
und die Unpraktikabilität einer ausschließlich auf dem Prinzip der konkreten Ge-
fährdung aufbauenden Strafrechtsordnung l71 hinausgehen muß. Dem Ansatz, die
Legitimation der Pönalisierung generell gefährlicher Verhaltensweisen im Vorfeld
realer Beeinträchtigungen mit dem Gesichtspunkt einer Verbesserung des Rechts-
güterschutzes begründen zu wollen,l72 ist entgegenzuhalten, daß - wie bereits
mehrfach betont wurde - die Funktionalität einer normativen Regelung nicht mit
deren Legitimität vermengt werden darf. 173 Die Frage bleibt also: Stellt die einer
Verhaltensweise immanente generelle Gefährlichkeit einen Umstand dar, der eine
Pönalisierung zu legitimieren vermag?
Binding war der Auffassung, der Gesetzgeber sei berechtigt, generell gefährli-
che Verhaltensweisen zu pönalisieren, wenn die nicht zu vermeidende (Mit-)Erfas-

170 Schröder, ZStW 81 (1969),7, 16.


171 Vgl. Schröder, ZStW 81 (1969),7, 16, wo neben dem Teilbereich des Straßenverkehrs-
rechts auf den Rauschgifthandel und auf den Waffenbesitz verwiesen wird.
172 So insbesondere Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 277 ff. in Umsetzung seiner auf die
Optimierung des Rechtsgüterschutzes absteHenden Konzeption; vgl. auch Saal, Straftat,
S. 76/77 sowie Lagodny, Strafrecht, S. 440, 442 mit dem Hinweis darauf, daß bestimmte Ge-
meinwohlinteressen anders gar nicht zu schützen sind.
173 Hoyer, Eignungsdelikte, S. 100 will die Legitimation der vom Eintritt eines Erfolges
an einem konkreten Rechtsgutsobjekt unabhängigen Strafnorm damit begründen, daß die
Normakzeptanz hier auf andere Weise gewahrt werde, nämlich durch die Beschränkung auf
Bereiche, in denen besonders schutzwürdige Rechtsgüter in Frage stehen, sowie durch An-
drohung und Verhängung relativ niedriger Strafen. Indes: Entscheidend ist, ob die Pönalisie-
rung überhaupt zu legitimieren ist. Diese Frage ist vorrangig und kann weder durch den Ver-
weis auf die grundsätzliche Schutzwürdigkeit eines Rechtsguts noch durch eine Abschwä-
chung der Strafandrohung überspielt werden.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 313

sung auch konkret harmloser (Einzel-)Handlungen das angesichts der jeweils zu


erwartenden Freiheitsbeschränkungen kleinere Übel darstelle. Als Kriterien für
den Abwägungsprozeß nennt er: den Prozentsatz der schädlichen bzw. unschädli-
chen Handlungen, die Schwere der zu erwartenden Auswirkungen und das hinter
der Vornahme der Handlung stehende Bedürfnis. 174 In der Sache übereinstimmend
betont auch Feinberg, daß neben der Art und dem Gewicht des zu erwartenden
Schadens insbesondere auch die Wahrscheinlichkeit, daß dieser eintritt, zu beach-
ten sei; je gewichtiger der Schaden, desto geringer könne die Wahrscheinlichkeit
sein und umgekehrt. Das aus der Zusammenschau von potentiellem Schaden und
Wahrscheinlichkeit dcs Eintritts ermittelte Maß an Risiko (degree of risk) sei dann
gegen die soziale Wertigkeit des in Frage stehenden Verhaltens abzuwägen. 17s So-
wohl Binding als auch Feinberg beschränken sich allerdings darauf, die Erwägun-
gen zu beschreiben, die der Gesetzgeber vernünftigerweise anzustellen hat, wenn
er Sorgfaltsmaßstäbe über konkrete Gefährlichkeitsdelikte etablieren möchte. Daß
er hierzu überhaupt berechtigt ist, wird dagegen weder von Binding noch von Fein-
berg näher begründet, sondern - wie von anderen Autoren auch 176 - implizit vor-
ausgesetzt. 177
Jakobs will eine Überschreitung der Untergrenze der strafrechtlich relevanten
Risikosetzung dann annehmen, wenn ein Mensch ein Risiko vermeidbar aus sei-
nem Organisationskreis entläßt, ohne zugleich die Revokation des Risikos zu orga-
nisieren oder zuvor organisiert zu haben. 178 Ein auf die bloße "Freisetzung" eines
Risikos abhebender Ansatz wäre allerdings einem doppelten Einwand ausgesetzt:
Zum ersten können - worauf auch und gerade Jakobs selbst immer wieder hinge-

174 Bindig, Nonnen I, S. 399 f.


175 Feinberg, Vol. 1, S. 190 ff.
176 Vgl. beispielsweise Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 113 f. sowie Cramer, Voll-
rauschtatbestand, S. 67 f., der eine Pönalisier:ung dann ftir legitim erachten will, wenn eine
Verhaltensweise den "Keim der Gefährlichkeit" in sich trägt, d. h. die "naheliegende Mög-
lichkeit einer Gefahr" bzw. die "Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsgefährdung" begründet.
A.H. Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 205, verlangt im Anschluß an Schmidhäuser (StrafR
AT, 8/31) einen Grad der Gefährlichkeit, der "über den aus der Natur des Miteinander in
einer Gesellschaft folgenden Grundbestand an Gefahren hinaus geht". Abgesehen von der
fehlenden Behandlung der Grundsatzproblematik ist diesen Ansätzen entgegenzuhalten, daß
es ihnen an handhabbaren Maßstäben fehlt. Wann trägt eine Verhaltensweise den "Keim der
Gefährlichkeit" in sich? - bzw. welche Verhaltensweise enthält keinen "Keim" der Gefähr-
lichkeit? Wann ist ein Grad an Gefährlichkeit erreicht, der nicht mehr Teil des aus der "Natur
des Miteinanders in einer Gesellschaft" resultierenden Risikos ist?
177 Anders Stächelin, der die Auffassung vertritt, die ex ante Festlegung einer Verhaltens-
weise durch den Gesetzgeber stelle einen Verstoß gegen das Willkürverbot dar, weil auch die
Fälle erfaßt werden, in denen eine generell gefährliche Verhaltensweise im Einzelfall be-
herrscht werden könne (Strafgesetzgebung, S. 95 ff.), dessen Auffassung allerdings auf der
im vorliegenden Zusammenhang als petitio principii zurückzuweisenden Prämisse beruht,
daß nur eine reale Beeinträchtigung oder konkrete Gefährdung die Existenz einer Strafnonn
zu rechtfertigen vennöge (vgl. a. a. 0., S. 97).
178 Vgl. Jakobs, Festschrift ftir Lackner, S. 69 unter Hinweis auf ders., ZStW 97 (1985),
751,761 ff.
314 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

wiesen hat - jedenfalls in einer hochtechnisierten "modemen" Gesellschaft des


späten 20. Jahrhunderts riskante Verhaltensweisen nicht umfassend verboten wer-
den, sondern müssen - zumindest in bestimmten Teilbereichen - als erlaubt einge-
stuft und entsprechend behandelt werden. 179 Zum zweiten können Risiken nicht
nur durch den Urheber selbst, sondern auch durch andere Personen beherrscht wer-
den - daß unter bestimmten Voraussetzungen berechtigterweise erwartet bzw. ver-
langt werden darf, daß sich andere Personen auf das bestimmten Verhaltensweisen
innewohnende Risikopotential einstellen, ist die grundlegende Prämisse der Lehre
von der objektiven Zurechnung. 180 Vor diesem Hintergrund verbietet es sich dann
aber, das einer Verhaltensweise immanente Risikopotential als solches ohne weite-
res als hinreichenden Grund für eine Pönalisierung anzuerkennen. 181
Ein bereits für sich gesehen strafrechtlich relevantes Risiko kann vielmehr erst
dann angenommen werden, wenn das einer Verhaltensweise anhaftende Risiko we-
der durch den Handelnden selbst hinreichend sicher beherrscht noch - im Rahmen
zumutbarer Anstrengungen l82 - durch andere Personen kompensiert werden
kann. 183 Die Etablierung einer ihrer Art nach unbeherrschbaren und vor dem Hin-
tergrund der normativen Verständigung der Gesellschaft intolerabel erscheinenden
Gefahrenquelle stellt eine mit dem allgemeinen Rechtsgleichheitsverhältnis unver-
einbare und deshalb strafwürdige Anmaßung von Gestaltungsmacht dar. 184 Die
Frage, welche Verhaltensweisen ein entsprechendes Risikopotential aufweisen,
kann allein im Rahmen einer Einzelnormprüfung ermittelt werden,185 wobei sich
dann empirische und normative Fragestellungen mischen: Zum einen ist zu klären,
ob und wenn ja durch wen eine bestimmte Gefahrensituation (noch) beherrschbar
ist. Erweist sich eine Gefahrensituation als für sich gesehen unbeherrschbar, ist in
normativer Hinsicht zu entscheiden, ob auf die Herbeiführung dieser Situation zu
verzichten oder aber das Risiko einer eventuellen Schädigung von den insoweit
Betroffenen hinzunehmen ist. Erweist sich eine Gefahrensituation als durch andere
Personen als den Handelnden selbst beherrschbar, stellt sich die Frage, ob es diesen
Personen zugemutet werden kann oder muß, für eine Kompensation des Risikos
Sorge zu tragen. 186

179 Vgl. Cramer, in: Schönkel Schröder, § 15 Rdnr. 144; Frisch, Tatbestandsmäßiges Ver-
halten, S. 90 ff., 105 f.; Jakobs, StrafR AT, 7/35, 42; ders., 'ZStW Beiheft 1974,6,12 ff.
180 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 7/76 f.
181 Vgl. auch bereits Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 72, 105 mit dem Hinweis
darauf, daß ein "bei jedwedem Risiko ansetzendes Verhaltensverbot zu einer absoluten Kne-
belung der Handlungsfreiheit führen" würde.
182 Wie bereits oben Seite 97 ff. in Auseinandersetzung mit dem von E.A. Wolff zur Ab-
grenzung des legitimen Anwendungsbereichs strafrechtlicher Normen entwickelten Ansatz
dargelegt wurde, handelt es sich hierbei um ein normatives Korrektiv; vgl. auch Frisch, Tat-
bestandsmäßiges Verhalten, S. 104 - dort allerdings im Hinblick auf das Verhalten eines po-
tentiellen Täters.
183 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 96, 98; Hoyer, Eignungsdelikte, S. 95 ff.
184 Vgl. Wolff, Abgrenzung, S. 219.
185 So auch: Wolff, Abgrenzung, S. 220.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 315

Die insoweit notwendig werdenden Abwägungen können an dieser Stelle ledig-


lich beispielhaft veranschaulicht werden: Relativ unproblematisch sind die Verhal-
tensweisen, mit denen oder durch die eine unbeherrschbare Gefahrensituation eta-
bliert wird und bei denen gleichzeitig gewichtige Interessen auf dem Spiel stehen.
Beispiele hierfür sind Trunkenheitsfahrten (§ 316 dStGB) und die Inbrandsetzung
menschlicher Behausungen (§ 306 Nr. 2 dStGB a.F. = § 306a Abs. 1 Nr. 1 dStGB
n.F.). Die von einem fahruntüchtigen Fahrzeuglenker ausgehenden Gefahren kön-
nen weder von diesem selbst - sonst wäre er nicht fahruntüchtig - noch von ande-
ren Verkehrsteilnehmern beherrscht werden. Auch bei der Inbrandsetzung einer
menschlichen Behausung können regelmäßig weder der Brandstifter selbst noch
andere Personen eine Gefährdung von Menschenleben mit hinreichender Sicher-
heit ausschließen. 187 Angesichts dessen, daß es hier um Gefahren für Leib und Le-
ben anderer geht, und nicht ersichtlich ist, welche vor dem Hintergrund der norma-
tiven gesellschaftlichen Verständigung als auch nur vergleichbar werthaft anzuer-
kennenden Interessen für die Vornahme derartig riskanter Verhaltensweisen ins
Feld geführt werden sollten, kann die Legitimität der entsprechenden Straftatbe-
stände l88 nicht in Zweifel gezogen werden.
Ein Gegenbeispiel soll nach E.A. Wolff der Straftatbestand des Fahrens ohne
Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) darstellen. Wahrend man - so E.A. Wolff - noch gute
Grunde für die Berechtigung der Ausgestaltung der Trunkenheitsfahrt (§ 316
dStGB) als Kriminalstraftat finden könne, sei ,,§ 21 StVG, besonders Ziffer 2, kein

186 Vgl. Jakobs, StrafR AT, 7/35, 42 ff. sowie ders., ZStW Beiheft 1974,6, 13, 15/16, der
ebenfalls die Notwendigkeit betont, strafrechtlich irrelevante (erlaubte) von strafrechtlich re-
levanten (unerlaubten) Risiken im Rahmen einer Abwägung der jeweils in Frage stehenden
Interessen abzugrenzen.
187 Soweit in bezug auf die schwere Brandstiftung Einschränkungen des Anwendungsbe-
reichs für die Fälle hinreichender Vorsorge gegenüber einer Gefahrverwirklichung diskutiert
wird, dürfte es sich weitgehend um ein Scheinproblem handeln. Wenn in der Literatur eine
Reduktion des Anwendungsbereiches der Norm für die Fälle befürwortet wird, in denen der
objektiven Sachlage nach "eine Gefahrdung von Menschenleben offensichtlich ausgeschlos-
sen war, und der Täter sich vor der Tat davon in einer jeden Zweifel behebenden Weise Ge-
wißheit verschafft hat," kann dies von vornherein allenfalls "bei kleineren, auf einen Blick
überschaubaren Objekten" in Betracht kommen (vgl. Wesseis, StrafR BT 1, Rdnr. 927). Tat-
sächlich wird man eine hinreichend zuverlässige Abschirmung des Risikopotentials aber
selbst für die von BGHSt 26, 121, 125 offengelassene Fallgruppe der Inbrandsetzung von
"einräumigen Hütten oder Häuschen" nicht ohne weiteres annehmen können - Voraussetzung
wäre hier, daß das Objekt durchsucht und darüber hinaus sichergestellt wird, daß auch nach
der Inbrandsetzung niemand in das Objekt hineingelangen kann.
Im übrigen: Die in der Literatur befürwortete Reduktion des Anwendungsbereiches würde
den Gewaltenteilungsgrundsatz verletzen, vgl. hierzu: Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 94, 97
m.w.N.
188 Soweit es darum geht, etwaigen Sonderfällen gerecht zu werden (beispielhaft: der ein-
zig erreichbare, aber alkoholisierte Arzt wird zu einem Notfallpatienten gerufen), ist dies
keine Frage der Tatbestandsmäßigkeit. Etwaige Beschränkungen des Stratbarkeitsbereiches
sind hier über die Etablierung von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen zu gewähr-
leisten.
316 7. Kap.: Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts

Vergehen, sondern eine Ordnungswidrigkeit, und das ist so sicher, daß man minde-
stens Ziffer 2 der Vorschrift für verfassungswidrig halten muß".189 Auf eine nähere
Begründung dieser Einschätzung hat Wolff verzichtet, was insbesondere deshalb
bedauerlich ist, weil andere Autoren zu einem genau entgegengesetzten Ergebnis
gelangen. So ist beispielsweise Lagodny der Auffassung, die Ausgestaltung des
Fahrens ohne Fahrerlaubnis als Kriminalstraftat sei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Zur Begründung führt er aus: "Kraftfahrzeuge soll man erst führen,
wenn staatlicherseits die grundsätzliche Eignung festgestellt ist; es soll nicht dar-
auf ankommen, ob ein Individuum sich selbst in der Lage fühlt, ein Kraftfahrzeug
sicher zu führen .... Da es andererseits um die ,Jnanspruchnahme" einer Gefahren-
quelle geht, die für Leib und Leben von Verkehrsteilnehmern und Nichtverkehrs-
teilnehmern sehr erheblich ist, kann auch das "Gemeinwohlinteresse" der Verhal-
tensvorschrift nicht so gering veranschlagt werden, daß der strafrechtliche Vorwurf
nicht legitimiert werden könnte."l90
Entscheidend ist: Kann die Mißachtung der Einschätzungsprärogative der Ver-
waltung eine Pönalisierung legitimieren? Die Auffassung, bei Verhaltensweisen,
die einerseits nicht generell untersagt werden können, weil an ihnen ein anerken-
nenswertes Interesse besteht, die andererseits aber generell als gefrihrlich anzuse-
hen seien, könne der Gesetzgeber zu Kontrollzwecken zum Erlaubnisvorbehalt
greifen und diesen dann auch strafrechtlich absichern, ist weit verbreitet. 191 Will
man der Gefahr entgehen, bloßen Verwaltungsungehorsam allein um seiner selbst
willen zu ahnden, müssen die in Frage stehenden Verhaltensweisen allerdings ei-
nen über den rein formellen Genehmigungsverstoß hinausgehenden materiellen
Unwertgehalt aufweisen. Zu bejahen ist dies bei Verhaltensweisen, die nach den
vorrangigen Wertungen der Primärrechtsordnung kein Bestandteil der grund-
rechtlich geschützten Freiheitssphäre des einzelnen sind. Derartige Verhaltens-
weisen können allenfalls dann als erlaubt angesehen werden, wenn die Verwal-
tung, der insoweit vom Gesetzgeber die Befugnis erteilt worden ist, die der
grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit entzogene Verhaltensweise im Ein-
zelfall und ausgerichtet an den vom Gesetzgeber vorgegebenen Abwägungskrlte-
rien zu gestatten, eine entsprechende Genehmigung auch tatsächlich erteilt hat
(sog. repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt).192 Die Benutzung eines Kraft-
fahrzeuges ist nun allerdings unstreitig Teil der grundrechtlich geschützten Frei-
heitssphäre, so daß der materielle Unrechtsgehalt des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
nicht aus einer generellen Unwertigkeit des Fahrzeugführens an sich abgeleitet
werden kann.

189 Wolff, Abgrenzung, S. 220.


190 Lagodny, Strafrecht, S. 444.
191 Binding, Normen I, S. 400 f.; Dölling, JZ 1985, 462 f.; Kindhäuser, Gefährdung,
S. 320 ff.; SchaH, NStZ 1997,577,580.
192 Insoweit zutreffend: Tiedemannl Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 342/343; vgl. auch
Martin, Strafbarkeit, S. 96 f.; OLG Köln, wistra 1991,74,75 bzgl. § 327 dStGB.
11. Abstrakte Gefahrdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 317

Zu klären bleibt, was hinsichtlich der Verhaltensweisen gilt, die zwar einerseits
als Teil der grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre des einzelnen anzusehen
sind, die andererseits aber dennoch einem präventiven Erlaubnisvorbehalt unterlie-
gen. Kindhäuser will eine Pönalisierung hier dann für legitim erachten, wenn nur
über das Verwaltungsverfahren die für die künftige Gefahrlosigkeit im Umgang
mit Gütern notwendigen Erkenntnisse gewonnen werden können, wenn also erst
die Prüfung durch die Verwaltung einen Vertrauenstatbestand schaffe, der das Ein-
gehen des Risikos als hinnehmbar erscheinen lasse. 193 Legitim sei die Pönalisie-
rung des Verwaltungsungehorsams dann, "wenn der verwaltungsrechtlichen Gefah-
renkontrolle als solcher ein hoher Wert zukommt, was namentlich anzunehmen ist,
wenn durch die Gefahrenkontrolle elementaren Ängsten begegnet werden soll.,,194
Gegen diesen Ansatz ist einzuwenden, daß das bloße Abstellen auf subjektive Si-
cherheitsbedürfnisse kein hinreichend klares Abgrenzungskriterium zu bieten ver-
mag. 195 Ein materieller Unwertgehalt kommt einem Verstoß gegen den Erlaubnis-
vorbehalt nur dann zu, wenn die entsprechenden Verhaltensweisen überhaupt erst
nach vorgängiger behördlicher Kontrolle als noch bzw. schon tolerabel erscheinen-
de Gefahrenquellen anerkannt werden können. 196 Demgegenüber fehlt es an einem
materiellen Unwertgehalt, wenn der Genehmigungsvorbehalt allein anderen Zwek-
ken dient, wie insbesondere der Erleichterung der behördlichen Aufgabenerfül-
lung. 197 Hinsichtlich des Beispiels des Fahrens ohne Fahrerlaubnis dürfte unstrei-
tig sein, daß der Genehmigungsvorbehalt nicht der Erleichterung der behördlichen
Aufgabenerfüllung dienen, sondern vielmehr sicherstellen soll, daß nur die Perso-
nen ein Kraftfahrzeug führen, bei denen aufgrund der Anforderungen, die an die
Erteilung der Fahrerlaubnis geknüpft sind, davon ausgegangen werden kann, daß
das hieraus resultierende Risiko hingenommen werden kann. Jedenfalls im Hin-
blick auf die Tat nach § 21 Abs. 1 Ziff. 1 StVG wird man damit von einem legiti-
men Gefährlichkeitsdelikt ausgehen müssen. 198 Soweit Wolff in seiner Kritik an
§ 21 StVG insbesondere die Verfassungswidrigkeit "der Ziffer 2" hervorhebt, kann
die Berechtigung dieser Bewertung an dieser Stelle noch nicht entschieden werden.
§ 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG stellt die Überlassung eines Kraftfahrzeugs an einen ande-
ren unter Strafe, der seinerseits die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besitzt. § 21

193 Vgl. Kindhäuser, Gefährdung, S. 325 sowie Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337,
343. Der Sache nach ist dies der Gedanke, der auch hinter den von den Verfassern des Alter-
nativentwurfs vorgeschlagenen Prüfstellendelikten stand, vgl. Horn, Festschrift für Welzel,
S. 733 f. sowie die Begründung des Altemativentwurfs, S. 75.
194 Tiedemann I Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 343; vgl. auch Kleine-Cosack, Kausalitäts-
probleme, S. 180.
195 Kritisch hierzu bereits Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 109 Fußn. 319 a.E.

196 Vgl. Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 109.

197 So auch bereits Weber, ZStW Beiheft 1987, 1,30.

198 Geht man mit dem hier vertretenen Ansatz davon aus, daß sich Kriminalstraftaten und
Ordnungswidrigkeiten nicht qualitativ, sondern quantitativ unterscheiden, kann es angemes-
sen sein, das Fahren ohne Fahrerlaubnis als Ordnungswidrigkeit zu ahnden - zwingend ist
dies indes nicht.
318 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

Abs. 1 Nr. 2 StVG stellt damit im Rahmen der hier zugrundeliegenden Systematik
überhaupt kein konkretes Gerahrlichkeitsdelikt dar, sondern vielmehr ein Vorberei-
tungsdelikt.

4. Das Kumulationsdelikt

Der hier - im Anschluß an die von Kuhlen geprägte Begrifflichkeit - als Kumu-
lationsdelikt bezeichnete Deliktstypus ist im Verlauf der Untersuchung erstmalig
im Zusammenhang mit den Straftatbeständen des Umweltstrafrechts hervorgetre-
ten. 199 Im weiteren Verlauf der Untersuchung hat sich dann gezeigt, daß es sich
hierbei nicht nur um einen im Rahmen der "modernen" Strafrechtsgesetzgebung
immer wieder auftauchenden Deliktstyp handelt, sondern vielmehr um den
Deliktstyp, der allgemein mit dem Schutz kollektiver Interessen verbunden ist. Mit
dem Kumulationsdelikt sollen Verhaltensweisen erfaßt werden, die zwar für sich
gesehen das jeweils geschützte - zumeist: kollektive - Gut in seiner Integrität we-
der real beeinträchtigen noch auch nur konkret gefahrden können, bei denen aber
andererseits eine Beeinträchtigung nicht auszuschließen ist, wenn sich eine Viel-
zahl von Personen entsprechend verhalten würde. Wie ebenfalls bereits dargelegt
wurde,2oo kann die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht unter Bezugnahme auf
den aus der Kumulation der unabhängig voneinander erbrachten Einzelbeiträge
(möglicherweise) resultierenden Gesamtschaden begründet werden. Die Frage
bleibt: Können Verhaltensweisen, die nur in Kumulation mit dem Verhalten ande-
rer zu Schädigungen führen können, überhaupt legitimerweise pönalisiert wer-
den?201

a) Die grundsätzliche Legitimität


der Pönalisierung von Kumulationsbeiträgen

Wie bereits oben dargelegt wurde, hatte bereits Kuhlen einerseits anerkannt,
"daß reine Kumulationsbeiträge schwerlich den Handlungs- und Gesinnungsun-
wert aufweisen, der ,die schwere moralische Disqualifizierung durch die öffentli-
che Strafe' erforderlich macht." Andererseits könne aber - so Kuhlen - angesichts
der aus dem Phänomen der großen Zahe02 resultierenden gravierenden sozialen
Probleme - wie z. B. der drohenden Umweltzerstörung - gar nicht darauf verzich-
tet werden, die zur Erhaltung der in Frage stehenden (kollektiven) Güter notwendi-
gen Verhaltensnormen durch Sanktionsnormen abzusichern. 203 Insoweit gilt aber

199 Vgl. oben S. 142 ff.


200 Vgl. oben S. 142 f.
201 So auch: Papageorgiou, Schaden, S. 282.
202 Vgl. hierzu: Buchanan, Ethics, Vol. 76 (1965 - 66), 1, 6 ff. sowie Kuhlen, zitiert nach:
Perron, ZStW 99 (1987), 637, 658.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 319

auch hier: Der Versuch, die Legitimität der Pönalisierung von Kumulationsbeiträ-
gen aus der faktischen ,,Notwendigkeit" abzuleiten, Verhaltensnormen durch Sank-
tionsnormen abzusichern, verwechselt Funktionalität mit Legitimität. Der Hinweis
darauf, daß es darum gehe, die schädlichen Konsequenzen zu vermeiden, die ein-
treten würden, wenn sich alle oder doch eine größere Anzahl von Personen ent-
sprechend verhalten,204 mag das Motiv offenlegen, das den Gesetzgeber veranlaßt
(hat), entsprechende Sanktionsnormen zu schaffen. Abgesehen davon, daß auf die-
sem Wege jedenfalls im Grundsatz die Sanktionsbewehrung jeglichen Verhaltens-
verbots "legitimiert" werden könnte,20S ist damit aber noch keine Begründung da-
für ersichtlich, daß dzr Gesetzgeber diese Zielsetzung legitimerweise gerade mit
dem Mittel der Pönalisierung verfolgen darf. Gleiches gilt für die Erwägung, der
Egoismus des einzelnen tendiere dahin, die für den Erhalt bestimmter Güter not-
wendige Normbefolgung den anderen Gesellschaftsmitgliedern zu überlassen, sich
selbst aber von der Normbefolgung freizustellen. 206 Abgesehen davon, daß zum
einen der umschriebene Verhaltensmodus nicht ohne weiteres auf jede Verhaltens-
norm übertragen werden kann,207 und zum anderen die Bereitstellung bzw. Erhal-
tung kollektiver Güter gar nicht an die durchgängige Mitwirkung sämtlicher
Mitglieder der Gesellschaft gebunden ist,20S bleibt festzuhalten, daß diese Argu-
mentation das Problem des sog. "Trittbrettfahrens" allein beschreibt. Die Schluß-
folgerung, daß die Absicherung der entsprechenden Verhaltensnormen durch Sank-
tionsnormen angemessen sei, bedarf einer über funktionalistische Erwägungen hin-
ausgehenden, eigenständigen Begründung.
Die nachfolgend zu entwickelnde Begründung der grundsätzlichen Legitimität
von Kumulationsdelikten kann an einige Äußerungen Feinbergs anknüpfen. Fein-
berg ist der Auffassung, Trittbrettfahren ("freeloading") sei "generally thought to
be the clearest example of unfair advantage-taking. ,,209 Entscheidend für diese
Bewertung sei - so Feinberg -, daß der Trittbrettfahrer seine Mitmenschen aus-
beute: "In various cooperative undertakings, each person must do his own share
if all are to gain, but it is possible for a person to cheat, not do his share, and thus

203 Vgl. oben S. 143 f.


204 Vgl. insbesondere die oben S. 144 referierten Stellungnahmen von Kuhlen; ebenso:
Brehm, JuS 1976, 22, 24; Feinberg, Vol. 1, S. 11; ders., Vol. 4, S. 211, 222; Saal, Straftat,
S.96.
205 Vgl. Feinberg, Vol. I, S. 226 sowie Kindhäuser, zitiert nach: Vitt, 'Z}!,tW 105 (1993),
803,810; Samson, zitiert nach: Perron, 'Z}!,tW 99 (1987), 637, 663.
206 Vgl. Brehm, JuS 1976,22,24; Kuhlen, GA 1986,389,402; ders., 'Z}!,tW 105 (1993),
697,721. Näher zur Beschreibung des Phänomens des "Trittbrettfahrens": Baurrnann, Markt,
S. 154 ff., 564 ff.; Höffe, Gerechtigkeit, S. 412 ff.; Rawls, Theorie, S. 300 ff., 371, 539; Wit-
tig, 'Z}!,tW 107 (1995), 251, 263.
207 Vgl. Feinberg, Vol. 1, S. 226.

208 Vgl. Baurrnann, Markt, S. 564 f.: Ausreichend ist bereits die loyale Mitwirkung einer
Minderheit, im Einzelfall kann ein kollektives Gut rein faktisch sogar durch ein einzelnes In-
dividuum bereitgestellt werden.
209 Feinberg, Vol. 4, S. 183 (Hervorhebung im Original).
320 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

take his benefit as "free" only because the others are doing their shares. By chea-
ting, the freeloader exploits the others' cooperativeness to his own benefit. He
"takes advantage of them," as we say. If many of his partners did the same, then
the result would be hann to the interests of everyone in the group. But when no
others do the same, hannful effects of one free-ridermay be so trivial and diluted
as to count for nothing. When one rider (only) avoids paying his train fare, the
others' shares of the costs of the railroad, reflected in the owner's adjusted prices,
may go up only a tiny fraction of a penny because of his nonpayment. But the
others have voluntarily foregone the benefits he got in expectation that he would
forgo them too. Their grievance is not that their interests were hanned, and surely
not that they were morally offended by what he did (They were offended because
of the perceived wrong done them; the basis of the wrong was not simply that
they were offended.) Their grievance is simply that he took unfair advantage of
their trust and profited only because of their forbearance.,,210 An späterer Stelle
heißt es dann: "Part of what seems outrageous in the cheating and freeloading
cases is that A, who is morally defective, should gain relative to B and others
precisely because B and the others are morally superior to hirn. This puts the mo-
ral uni verse out of joint: untrustworthiness ist rewarded and honesty is penalized
(or at least unrewarded).,,211 The "distinctively offensive element ist not that B
has suffered a loss but that A has made a profit. We are not indignant that B must
pay an additional penny on his telephone bill, but that A has made a good thing
for hirnself out of his nonpayment.,,212
Die Frage ist nun: Kann die Berechtigung zur Pönalisierung von Kumulations-
beiträgen aus dem Gesichtspunkt abgeleitet werden, daß der "Trittbrettfahrer" sich
der Mitwirkung an der Erhaltung eines kollektiven Gutes verweigert? Feinberg ist
der Auffassung, daß sich die Pönalisierung der hier in Frage stehenden Kumulati-
onsbeiträge über das hann-Prinzip legitimieren läßt: "The hann principle also can
be stretched without strain to handle the cases of cheating and freeloading ( ... )
When a cheater takes unfair advantage of the law-abiding forbearance of others to
achieve a gain for hirnself, he may not directly cause hann to anyone, but if his
conduct were to become common, then it would have immensely hannful conse-
quences for social practices and institutions in which all have a stake. The ultimati-
ve rationale of rules proscribing such conduct is to protect us from social hanns be
preventing the frequent occurrence of cheating.,,213 Indes: Wie bereits dargelegt
wurde, kann der letztlich zu erwartende Gesamtschaden nicht zur Begründung der
auf die Mitwirkung an der Bereitstellung und Erhaltung kollektiver Güter abzielen-
den Verhaltensnormen herangezogen werden. Des weiteren ist festzustellen, daß
eine allein an den Umstand der Mißachtung der Verhaltensnorm anknüpfende Le-

210 Feinberg, Vol. 4, S. 13/14.


2ll Feinberg, Vol. 4, S. 202.
212 Feinberg, Vol. 4, S. 203.
213 Feinberg, Vol. 4, S. 211, vgl. auch, a. a. 0., S. 222.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 321

gitimation von Kumulationsdelikten auf eine eigenständige Begründung der Sank-


tionsnorm verzichten würde, was nach dem hier in Auseinandersetzung mit der
von Kindhäuser vertretenen Lehre der Sanktionsnorm als Selbstzwecknorm ent-
wickelten Ansatz abzulehnen iSt. 214
Entscheidend ist, ob die Pönalisierung von Kumulationsbeiträgen stattdessen
auf die in der Mitwirkungsverweigerung zum Ausdruck kommende Unmoral (un-
fair advantage-taking) gestützt werden kann. Feinberg selbst lehnt es ab, Pönalisie-
rungen auf ein "exploitation principle" zu stützen - ein derartiger Ansatz würde
seiner Auffassung nach auf eine unstatthafte Form des "legal moralism" hinauslau-
fen. 215 Auf den ersten Blick scheint dieser Einwand dem oben entwickelten Grund-
satz zu entsprechen, daß es für eine modeme pluralistische Gesellschaft unange-
messen ist, moralische Standpunkte mit den Mitteln des Strafrechts durchzusetzen.
Wie ebenfalls bereits oben dargelegt wurde, beinhaltet dieser Grundsatz aber ledig-
lich das Verbot, bestimmte moralisch begründete Lebensentwürfe (Konzeptionen
des Guten) mit den Mitteln des Strafrechts gegen andere partikulare Lebensentwür-
fe durchzusetzen. Er besagt dagegen nicht, daß es unstatthaft wäre, mit den Mitteln
des Strafrechts auf Verhaltensweisen zu reagieren, die den für die pluralistische
Gesellschaft verbindlichen Rahmen des Rechten überschreiten. 216 Dieser Rahmen
des Rechten ist unstreitig überschritten, wenn konkrete personale Interessen ande-
rer Personen ohne deren Einverständnis beeinträchtigt werden. Für die Mitglieder
einer staatlich verfaßten Gesellschaft beschränken sich die Rechtspflichten des ein-
zelnen aber nicht auf die bloße Beachtung des neminem laede, sondern umfassen
darüber hinaus die Verpflichtung, an der Gewährleistung des Zustandes mitzuwir-
ken, in dem ,jedem das Seine erhalten werden kann (suum cuique tribuere)".211
Da, wie bereits oben dargestellt wurde,218 die Mitglieder einer modemen pluralisti-
schen Gesellschaft darauf angewiesen sind, daß bestimmte kollektive Güter bereit-
gestellt und in ihrer Funktionsfähigkeit erhalten werden, stellt das auf die Verwei-
gerung einer fairen Mitwirkung an der Bereitstellung und Erhaltung kollektiver
Güter abzielende Trittbrettfahren die Anmaßung einer mit dem Grundsatz gleicher
Rechte aller Personen unvereinbaren Rechtsposition dar?19

214 Vgl. oben S. 295 f.


215 Feinberg, Vol. 4, S. 213 ff.
216 Vgl. hierzu oben S. 273 f. sowie Papageorgiou, ARSP-Beiheft 51 (1993), 198,208 un-
ter Hinweis auf Kant.
217 Kant, Metaphysik der Sitten, Einteilung der Rechtslehre, Abschnitt A: Allgemeine Ein-
teilung der Rechtspflichten, S. 344; vgl. hierzu auch: Kersting, Freiheit, S. 220 ff.
Daß die Pönalisierung von Kumulationsbeiträgen an die Verletzung entsprechender (Mit-
wirkungs-)Pflichten anknüpfen muß, betont bereits Tiedemann, Tatbestandsfunktionen,
S. 124 ff.; vgl. auch von Hirsch, Harm Principle, S. 268.
218 Vgl. oben S. 94 ff.

219 In diese Richtung argumentiert möglicherweise auch Papageorgiou, Schaden, S. 282 ff.,
der die Legitimation der Pönalisierung von Kumulationsbeiträgen damit begründet, daß der
Verlust an individueller Autonomie im Hinblick auf den Bestand einer kollektiven Sicher-
heitsmoralität hinnehmbar sei. Anderer Ansicht aber wohl Buchanan, Ethics, Vol. 76 (1965-

21 Wohler,
322 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

Erkennt man an, daß die Legitimation strafrechtlicher Sanktionen dem Täter ge-
genüber in der Wiederherstellung des durch sein Verhalten gestörten Rechtsgleich-
heitsverhältnisses liegt,22o wird schnell deutlich, daß die Pönalisierung von Kumu-
lationsbeiträgen auf dieser Ebene keinen grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt ist.
Als problematisch erweist sich damit nicht die Legitimation der Pönalisierung von
Kumulationsbeiträgen als solche, sondern vielmehr die Auswahl der konkret zu
pönalisierenden Verhaltensweisen. Wie oben bereits dargelegt wurde, bedarf die
Etablierung konkreter Straftatbestände einer zweifachen Legitimation: zum einen
muß sich die Androhung und gegebenenfalls Verhängung einer Strafsanktion als
Maßnahme zur Wiederherstellung des gestörten Rechtsgleichheitsverhältnisses
rechtfertigen lassen - wie soeben dargelegt, ist dies vorliegend zu bejahen. Zum
zweiten muß sich der mit der Strafandrohung und Sanktionierung verbundene Ein-
griff als eine gesellschaftlich gesehen sinnvolle und im Hinblick auf das Verhalten
des Täters verhältnismäßige Einschränkung seiner grundrechtlich geschützten Frei-
heitssphäre begründen lassen. 221 Hinsichtlich einer Pönalisierung von Kumulati-
onsbeiträgen sind insoweit zwei Problembereiche von besonderer Relevanz: zum
einen kann ein Kumulationsbeitrag nur dann als hinreichend sozialschädlich ange-
sehen werden, wenn die Annahme von Kumulationseffekten hinreichend reali-
stisch ist; zum zweiten stellt sich die Frage, ob ein Kumulationsbeitrag ein be-
stimmtes minimales Eigengewicht haben muß, wenn er als strafwürdig behandelt
werden soll.

b) Die Beschränkung auf realistischerweise


zu erwartende Kumulationseffekte

Daß die Pönalisierung auf Verhaltensweisen zu beschränken ist, bei denen reali-
stischerweise mit Kumulationseffekten zu rechnen ist, steht zwar im Grundsatz au-
ßer Streit. 222 Als problematisch erweist sich aber die Suche nach praktisch hand-
habbaren Maßstäben. 223 Einen ersten Eindruck der in diesem Zusammenhang auf-
tretenden diffizilen Problemstellungen vermitteln die folgenden Ausführungen
Feinbergs: "The legislator must consider not only how many people would refrain
from doing certain actions even if those actions were legally permitted, but also
why they would refrain. Some types of behaviour are socially harmful if generally

66), 1,9: "The individual is simply reacting to an enviroment in which he finds hirnself, to
,,nature", so to speak, not in any way against his fellow citizens."
220 Vgl. hierzu oben S. 54 ff.

22! Vgl. hierzu oben S. 47 ff., 54 ff.


222 Vgl. Feinberg, Vol. I, S. 226 f.; Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 141; Kuhlen,
ZStW 105 (1993), 697, 716 Fußn. 91; J.C. Wolf, Zeitschrift für Philosophische Forschung 42
(1988),454,462/463.
223 Grundsätzlich skeptisch insoweit Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 64; vgl. auch
Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 105.
11. Abstrakte Gefahrdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 323

done, socially innocuous if done only by a few, and yet such that not many would
want to engage in them, or would find it in their interests to do so, even if they
were permitted. The harm principle provides no warrant for the prohibition of such
conduct. On the other hand, some types of behaviour are harmful if widely done,
harmless if done by only a few, and in almost everyone's interest to do; yet even if
permitted, these acts would not be done by enough people to cause harm, because
many or most people would refrain out of moral scruples or civic spirit from doing
what is in their interest. In this example, it is only because many or most people
sacrifice their own interests out of higher motives in refraining from doing what ist
legally permitted, that the conduct in question is "harmless." If the legislature's
application of the harm principle is informed by a sense of justice, the conduct in
question will not be permitted.,,224
In grundsätzlicher Hinsicht sind zunächst einmal zwei Kategorien von Progno-
seentscheidungen zu unterscheiden: zum einen die Prognose, bei der die Auswir-
kungen der in Frage stehenden Verhaltensweisen bekannt sind, bei denen es also
allein um die Frage geht, wie sicher davon ausgegangen werden kann, daß es zu
einer hinreichenden Vielzahl von Einzelbeiträgen kommen wird; zum zweiten die
Prognose, bei der bereits unsicher ist, welche Auswirkungen die in Frage stehen-
den Verhaltensweisen haben werden. Auch wenn eine randscharfe Zuordnung in
der Praxis nur in den seltensten Fällen möglich sein wird, lassen sich einzelne
Straftatbestände doch zumindest schwerpunktmäßig der einen oder anderen Kate-
gorie zuordnen. Ein Beispiel für die erste Kategorie dürften die Straftatbestände
zum Schutz bestimmter Umweltmedien darstellen. Beispielhaft: Daß - und grund-
sätzlich auch: wie - die Einleitung bestimmter Stoffe in ein Gewässer dessen Ei-
genschaften verändern kann, ist von den empirischen Wissenschaften hinreichend
geklärt. Die Frage ist, ob tatsächlich mit einer Anzahl von Einzelbeiträgen zu rech-
nen ist, die in der Kumulation das Kollektivgut beeinträchtigen würden. Für die
Beantwortung dieser Frage gelten die bereits oben dargelegten Grundsätze, d. h.:
die Einschätzungsprärogative liegt einerseits grundsätzlich beim Gesetzgeber; die-
ser hat aber andererseits kein freies Ermessen, sondern muß sich an den Erkennt-
nissen der empirischen Wissenschaften orientieren und gegebenenfalls dafür sor-
gen, daß entsprechende Erkenntnisse gewonnen werden (Verifizierungsverpflich-
tung).225
Beispiele für die zweite Prognosekategorie sind die Straftatbestände des Sub-
ventions-, Kapitalanlage- und Kreditbetrugs (§§ 264, 264a, 265b dStGB). Bei die-
sen Straftatbeständen ist nicht nur unsicher, ob es überhaupt in einer als relevant
anzusehenden Anzahl von Einzelfällen zu entsprechenden Täuschungsversuchen
kommen würde. Als problematisch erweisen sich darüber hinaus auch die zur Le-
gitimation dieser Straftatbestände immer wieder ins Feld geführten "Sog-, Anstek-
kungs- und Spiralwirkungen", für die es bisher soweit ersichtlich ebenfalls an em-

224 Feinberg, Vol. I, S. 226.


225 Vgl. oben S. 60, 239 f.

21'
324 7. Kap.: Grenzen des Geflihrdungsstrafrechts

pirischen Belegen fehlt. 226 Noch krasser liegt es bei den Straftatbeständen des bun-
desdeutschen Embryonenschutzgesetzes. Der zur Legitimation dieser Straftatbe-
stände herangezogene Gesichtspunkt des potentiellen Wertewandels bzw. -verlu-
stes basiert allein und ausschließlich auf der Annahme, die in Frage stehenden Ver-
haltensweisen könnten einen Dammbruch zur Folge haben, der dann letztlich zu
anerkanntermaßen katastrophalen Ergebnissen führen würde (Menschenzüchtung,
gesellschaftliche Nichtakzeptanz Behinderter usw.). Empirische Erkenntnisse, die
diese Vermutung bestätigen oder widerlegen könnten, sind indes nicht vorhanden.
Zu klären ist, welcher Stellenwert derartigen Argumentationsmustern ("Damm-
brucherwägungen", "Schiefe-Bahn-Argumentationen") im Rahmen der Legitimati-
on von Pönalisierungsentscheidungen zukommen kann. Für die Berücksichtigung
derartiger Argumentationsmuster sprechen zwei Gesichtspunkte: zum einen die Er-
wägung, daß man Verhaltensmaßstäbe verteidigen muß, wenn und solange man sie
noch hat;227 zum anderen der Umstand, daß bestimmte Interessen ein derartiges
Gewicht haben können, daß auch bereits geringe Risiken inakzeptabel erscheinen
müssen. 228 Andererseits stellt die Argumentation mit ,,Dammbruchgefahren" aber
ein nahezu beliebig verwendbares ad hoc-Argument dar, mit dem dann angesichts
der grundsätzlich nie auszuschließenden Möglichkeit eines "mißbräuchlichen"
Verhaltens das Verbot praktisch jeder technischen Neuerung legitimiert werden
könnte. 229 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die bloße Behauptung eines
"Schiefe-Bahn-Effektes" erst dann zu einem "Schiefe-Bahn-Argument" wird,
wenn als Beleg für diese Behauptung mehr vorgetragen werden kann "als nur die
logische Möglichkeit, daß ... etwas schiefgehen könnte, denn diese logische Mög-
lichkeit besteht überall und jederzeit; n;tan sollte vielmehr mindestens Indizien an-
geben können und den Mechanismus des Ins-Rutschen-Kommens auf Basis mög-
lichst guter psychologischer und gesellschaftswissenschaftlicher Theorien zu skiz-
zieren versuchen".23o

c) Das Kriterium des minimalen Eigengewichts

Daß einem Kumulationsbeitrag ein bestimmtes minimales Eigengewicht zukom-


men muß, um strafrechtlich relevant zu sein, steht soweit ersichtlich ebenfalls
weitgehend außer Streit. 231 So wird beispielsweise die Auffassung vertreten, der

226 Vgl. Eisenberg, Kriminologie. § 47 Rdnr. 17.


227 Vgl. Dworkin. Bürgerrechte. S. 416.
228 Vgl. Birnbacher, in: Hegselmann I Merkei, S. 41 f.

229 Vgl. Wolf, in: Hegselmann/Merkel. S. 194. Anzumerken ist. daß konsequenterweise
nicht nur etwaige Neuerungen, sondern jede wie auch immer geartete Verwendung bestehen-
der technischer Verfahren als potentielle Quelle verwerflicher Mißbräuche und I oder Ent-
wicklungen anzusehen wäre.
230 Hegselmann, in: Hegselmann/Merkel, S. 207 f.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 325

Anwendungsbereich des § 324 dStGB werde trotz der vordergründigen Ausgestal-


tung der Nonn als "catch-all-Tatbestand"232 durch eine dem Tatbestand implizite
Erheblichkeitsschwelle eingeschränkt, die bestimmte Minimalverstöße, wie z. B.
das ungereinigte Baden in einem Gewässer oder das Einbringen von Flüssigkeiten
in minimalen Mengen, aus dem Stratbarkeitsbereich ausgrenze. 233 Als dogmati-
sche Grundlage für den Ausschluß von Minimalverstößen wird gemeinhin auf das
sog. Geringfügigkeits- oder auch Bagatellprinzip verwiesen,234 wobei wiederum
Einigkeit darin besteht, daß die für den Einsatz strafrechtlicher Sanktionen rele-
vante Geringfügigkeitsgrenze nicht absolut, sondern allenfalls delikts bezogen ge-
setzt werden kann. 235 Die Frage ist, anhand welcher Kriterien die nicht mehr hin-
nehmbar erscheinenden Kumulationsbeiträge von den noch tolerabel erscheinen-
den abgegrenzt werden können.
Eine allein auf das quantitative Gewicht des einzelnen Kumulationsbeitrages ab-
stellende Bagatellklausel 236 wäre dem Einwand ausgesetzt, die gerade auf die Er-
fassung der für sich gesehen irrelevant erscheinenden Kumulationsbeiträge abzie-
lende Tatbestandsstruktur des Kumulationsdelikts zu verfehlen. Bezogen auf das
Beispiel der auf den Schutz von Umweltmedien abzielenden Straftatbestände be-
deutet dies: die Orientierung an bestimmten - im übrigen gerade im Umweltbe-
reich eher willkürlich anmutenden 237 - Grenzwerten kann nicht überzeugen. 238 Al-
ternativ wird in der Literatur eine Einschränkung des Strafbarkeitsbereichs durch
Eignungsklauseln befürwortet. Im Hinblick auf die Straftatbestände des Umwelt-
strafrechts wird von Rogall und Kuhlen die Beschränkung auf Verhaltensweisen
gefordert, denen die Eignung zur Schädigung von Menschen, Tieren oder Pflanzen
innewohne. 239 Kasper schlägt - de lege ferenda - vor, den Straftatbestand der Ge-

231 Vgl. Kuhlen, GA 1986, 389, 407 f.; ders., WiVerw 1991, 181, 199 und 201; ders.,
ZStW 105 (1993),697,717; Lenckner, in: Schönkel Schröder, Vorbern. §§ 13 ff. Rdnr. 83.
232 So die plastische Kennzeichnung von Heine, Vollzugsdefizite, S. 22.

m Vgl. Kasper, Erheblichkeitschwelle, S. 77 ff., der allerdings auch zutreffend darauf hin-
weist, daß in der praktischen Anwendung des § 324 dStGB die Erheblichkeitsschwelle eher
niedrig angesetzt wird, was dahin führt, daß die Einbeziehung bagatellartiger Verhaltenswei-
sen eher die Regel als die Ausnahme darstellt.
234 Vgl. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 49 sowie Saal, Straftat, S. 112/113, jeweils
unter Bezugnahme auf die umfassenden Arbeiten von Kunz und Krümpelmann.
235 Vgl. Brahms, Definition, S. 139 f.; Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 50 ff.; Frisch,
Festschrift für Stree/Wessels, S. 106; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 43 ff.; Krümpel-
man, Bagatelldelikte, S. 38 ff.; Kunz, Bagatellprinzip, S. 244 f. und passim; Roxin, StrafR
AT, Teilbd. 1, § 10 Rdnr. 41; Saal, Straftat, S. 122,124.
236 Vgl. Z. B. Brahms, Definition, S. 142 ff., die im Hinblick auf Gewässerverunreinigun-
gen die Aufstellung von Toleranzwerten im Rahmen von Bewirtschaftungskonzeptionen be-
fürwortet.
237 Vgl. Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 50 Fußn. 80, 52 f.; Ronzani, Erfolg, S. 62,
105 f.
238 Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 134 ff.; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 189.

239 Rogall, Festschrift Universität Köln, S. 519 f.; Kuhlen, ZStW 105 (1993),697,717 f.;
Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 236 ff.
326 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

wässerverunreinigung so auszugestalten, daß nur die Verhaltensweisen erfaßt wer-


den, denen entweder "die Eignung zur Schädigung der Gesundheit eines anderen
gegeben ist" oder aber "eine Schädigung eines Tier- oder Pflanzenbestandes ein-
tritt.,,240 Auch Jenny und Kunz fordern in ihrem Bericht und Vorentwurf zur Revi-
sion des schweizerischen UmweItstrafrechts Tatbestände mit Eignungsklauseln.
Diese sollen entweder an die Eignung zur "nicht unerheblichen" bzw. "nachhalti-
gen" Beeinträchtigung eines Umweltmediums oder aber an die Eignung zur Schä-
digung der "Gesundheit von Menschen oder Tiere(n), Pflanzen oder Sachen von
bedeutendem Wert" anknüpfen?41
Anzumerken ist zunächst, daß die vorgeschlagene Orientierung an einer Eig-
nung zur Schädigung von Menschen die entsprechenden Straftatbestände in kon-
krete Gefährlichkeitsdelikte umgestalten würde. 242 Die mit einer derartigen Um-
wandlung verbundene Beschränkung des Strafbarkeitsbereichs könnte letztlich
aber nur dann überzeugen, wenn Kumulationsbeiträge als solche das Strafrecht
grundsätzlich nichts angehen würden. Daß dies nach der hier vertretenen Auffas-
sung nicht der Fall ist, wurde oben dargelegt,243 und wird letztlich auch von vorge-
nannten Autoren nicht in Frage gestellt, die - alternativ und unabhängig von jegli-
cher Gesundheitsgefährdung - auch die Schädigung eines Pflanzen- oder Tierbe-
standes ausreichen lassen wollen.
Da aber - wie ebenfalls oben dargelegt wurde244 - der Schutz von Tieren und
Pflanzen um ihrer selbst willen kein legitimes Anliegen einer strafrechtlichen Re-
gelung sein kann, ist auch dieses Kriterium gewichtigen Bedenken ausgesetzt. Kas-
per vertritt die Auffassung, der unverzichtbare Bezug zu den zentralen menschli-
chen Existenz- und Entfaltungsbedingungen setze eine erhebliche Schädigung vor-
aus, an der es bei der Schädigung einzelner Tiere oder Pflanzen fehle, die aber
dann gegeben sei, wenn entweder die Ausrottung einzelner Arten oder aber der
Tier- bzw. Pflanzenbestand als solcher bedroht sei. 245 Seine These, eine derartige
Schädigung des Tier- oder Pflanzenbestandes sei "ein unwiderlegliches Indiz da-
für, daß die Verunreinigung so erheblich war, daß auch menschliche Existenzbe-
dingungen beeinträchtigt wurden und die Tat damit strafwürdig ist,'·246 wird man
allerdings nicht ohne weiteres als überzeugend ansehen können: sollen tatsächlich
"zentrale menschliche Existenz- und Entfaltungsbedingungen" beeinträchtigt sein,
wenn Einleitungen in einen kleinen Teich dazu führen, daß eine dort heimische, an
besondere Wasserbedingungen gebundene Fischart ausstirbt?

240 Vgl. Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 200 ff., 211.


241 Vgl. bereits oben S. 117 f.
242 Dies gilt jedenfalls dann, wenn man mit Kasper (Erheblichkeitsschwelle, S. 200 ff.
m. w. N. auch zu abweichenden Auffassungen) den Begriff der Gesundheitsbeschädigung mit
dem der Gesundheitsbeschädigung i. S. d. § 223 dStGB gleichsetzt.
243 Vgl. oben S. 318 ff.

244 Vgl. oben S. 132 ff.


24S Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 203 ff.
246 Ebd., S. 213.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 327

Frisch, an dessen Ausführungen247 Kasper anknüpft,248 führt aus, Kumulations-


beiträge seien als strafrechtlich relevant einzustufen, wenn "man (bei entsprechen-
der Möglichkeit) Maßnahmen zur Beseitigung der Störung ergreift oder bei akzep-
tablen Kosten ergreifen würde. Denn wenn man dies tut (oder tun würde), so belegt
dies, daß die entsprechende Beeinträchtigung die in der Gemeinschaft als wün-
schenswert angesehene Entfaltungsgrundlage getroffen hat. Der Verzicht auf ent-
sprechende Maßnahmen bildet dagegen, wenn er nicht nur durch deren Kosten er-
zwungen ist, ein gewichtiges Indiz dafür, daß die entsprechende Beeinträchtigung
die Existenz- und Entfaltungsbedingungen offenbar nicht tangiert. ,,249 Zu konsta-
tieren ist, daß auf der Grundlage dieses Ansatzes die Orientierung an der Schädi-
gung eines Tier- oder Pflanzenbestandes wohl eher als eine zu hoch gesteckte Er-
heblichkeitsschwelle anzusehen wäre. Deutlich wird damit allerdings auch, daß die
Orientierung an der Schädigung eines Tier- oder Pflanzenbestandes letztlich nichts
anderes darstellt als die Festlegung eines normativen Ersatzgrenzwertes. 2SO
Im Rahmen der Würdigung der Vorschläge zur Eingrenzung des § 324 dStGB
darf im übrigen nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Forderung nach einer Be-
schränkung des Umweltstrafrechts auf die "wirklich gravierenden Verunreinigun-
gen" letztlich - in den Worten Nauckes - nicht auf eine wirkliche, sondern viel-
mehr nur auf eine scheinbare Entkriminalisierung abzielt. Auch für die Befürwor-
ter einer Beschränkung des Kreises strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen steht
fest: ,,Der Staat muß auch weiterhin gegen für sich gesehen nicht gravierende und
damit nicht strafwürdige Verunreinigungen vorgehen und bestehende (verwal-
tungsrechtliche) Verbote sanktionieren.,,2S1 Als angemessene Lösung wird die
Ahndung als Ordnungswidrigkeit angesehen2s2 und zur Begründung auf die Unter-
schiede zwischen den Sanktionen der Strafe einerseits und der (ordnungsrechtli-
chen) Geldbuße andererseits verwiesen: die (Kriminal-)Strafe sei als eine Sanktion
mit gravierendem sozialethischen Vorwurf nur für einen engeren Kreis von auch
unter sozialethischen Aspekten besonders unerträglichen Verstößen legitimierbar;
demgegenüber sei die Geldbuße nicht mit einem ethischen Schuldvorwurf verbun-
den, sondern werde lediglich als eine nachdrückliche Pflichtenmahnung empfun-
den, die keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Ansehens und des Leu-
munds des Betroffenen zur Folge habe. 253
Geht man mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, daß sich ein qualitati-
ver Unterschied zwischen Kriminalstraftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht be-

247 Vgl. Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 140.


248 Vgl. Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 189 f.
249 Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 141.

250 Zu der entsprechenden Regelung in § 180 Abs. 2 öStGB vgl. Ronzani, Erfolg, S. 67.
251 Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 214.
252 Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 214 ff.; vgl. auch Frisch, Verwaltungsakzessorietät,
S. 141; Kuhlen, ZStW 105 (1993), 697, 717.
m Vgl. Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 139; Kasper, Erheblichkeitsschwelle, S. 215.
328 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

gründen läßt, erweist sich die vorgeschlagene Zuordnung gravierender und weni-
ger gravierender Verschmutzungsbeiträge als sachangemessen und geboten - je-
denfalls soweit eine Rechtsordnung die Unterscheidung von Kriminalstraftaten
und Ordnungswidrigkeiten kennt. Andererseits: Rechtsordnungen, in denen diese
Trennung nicht existiert, sind keinesfalls gehalten, die weniger gravierenden Ver-
schmutzungsbeiträge straflos zu stellen - wären diese einer repressiven Ahndung
von vornherein nicht zugänglich, käme nämlich auch die Ahndung als Ordnungs-
widrigkeit nicht in Betracht. 254

5. Das Vorbereitungsdelikt

Wie oben dargelegt wurde, liegt das spezifische Risikopotential der hier als Vor-
bereitungsdelikte bezeichneten Verhaltensweisen darin, daß entweder der Handeln-
de selbst oder aber eine andere Person an das Ergebnis der in Frage stehenden Ver-
haltensweise anknüpfen und hieraus dann die Beeinträchtigung eines Interesses re-
sultieren kann. Der Unterschied zum Kumulationsdelikt besteht darin, daß die vor-
liegend zu untersuchenden Verhaltensweisen keinen unmittelbaren (Teil-)Beitrag
zur Schädigung des in Frage stehenden Interesses leisten, sondern lediglich eine
Situation schaffen, auf die zu deliktischen Zwecken aufgebaut werden kann. Bei-
spielhaft: Selbst die massenhafte Herstellung falscher Banknoten oder gefährlicher
Gerätschaften - wie z. B. Waffen - ist für sich gesehen ungeeignet, irgendwelche
rechtlich zu schützenden Interessen real zu beeinträchtigen. Hierfür bedarf es viel-
mehr bestimmter Anknüpfungshandlungen: Banknoten müssen in den Verkehr ge-
bracht, Waffen müssen benutzt werden. Unter Strafe gestellt ist aber nach gelten-
dem Recht nicht nur das Inverkehrbringen falscher Banknoten bzw. das Benutzen
einer Waffe, sondern bereits das bloße Herstellen von Falschgeld (§ 146 Abs. 1
Nr. 1 dStGB I Art. 240 Abs. 1 schwStGB) und sogar Vorbereitungshandlungen zum
Herstellen von Falschgeld (§ 149 dStGBI Art. 247 schwStGB); neben dem bloßen
(unberechtigten) Besitz einer Waffe ist auch das nicht genehmigte Herstellen, In-
standsetzen, Erwerben, Vertreiben und Überlassen von Waffen strafbar (vgl. §§ 52a
f. WaffG). Neben einigen weiteren Normen des Kernstrafrechts (vgl. etwa § 267
Abs.l 1. Alt. dStGBI Art. 251 schwStGB)255 finden sich weitere Vorbereitungsde-
likte insbesondere in den Gesetzen des Nebenstrafrechts, in denen der Umgang mit
bestimmten Stoffen oder Gegenständen unter Strafe gestellt wird. Lediglich bei-
spielhaft sei hier auf die § 29 dBtmG I Art. 19 schwBetmG verwiesen?56

254 So auch Kuhlen, 'liltW 105 (1993),697,718.


255 Nach Schultz, 'liltR 107 (1990), 68 handelt es sich bei der Urkundenfälschung um ein
Vorbereitungsdelikt zum Gebrauch und ein Vor-Vorbereitungsdelikt im Hinblick auf einen et-
waigen Betrug.
256 Vgl. Nestler, Rechtsgüterschutz, S. 66 ff. - ebenfalls anhand der Beispiele aus dem Be-
reich des BtmG und des WaffG; ders., Grundlagen, Rdnr. 244.
11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 329

Die Frage ist nun: Können Verhaltensweisen, die, wie z. B. der bloße Besitz ei-
nes als potentiell gefährlich anzusehenden Objektes, für sich gesehen rechtlich re-
levante Interessen gar nicht zu schädigen vennögen, legitimerweise unter Strafan-
drohung gestellt werden?2s7 Nach der in der Rechtsprechung und auch im Schrift-
tum vorherrschenden Meinung können Vorbereitungshandlungen zwar dann, wenn
die Anforderungen der §§ 25 ff. dStGB erfüllt sind, eine strafrechtliche Verant-
wortlichkeit im Hinblick auf einen im konkreten Einzelfall eingetretenen delikti-
schen Erfolg begründen. Voraussetzung ist hier aber stets ein Handeln in bezug auf
den konkret eingetretenen deliktischen Erfolg.2s8 Entscheidend ist damit, ob die
Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit auch dann zu legitimieren ist,
wenn es an dem von den §§ 25 ff. dStGB vorausgesetzten subjektiven Bezug fehlt.
Zu berücksichtigen ist hier, daß die Strafbewehrung, wenn und sOweit sich die Ver-
haltensweisen, mit denen entweder der Handelnde selbst oder aber andere Perso-
nen an die Vorbereitungshandlung anknüpfen, als eigenverantwortliches Handeln
darstellen,2s9letztlich darauf hinausläuft, bestimmten Personen die Verantwortlich-
keit für die vorweggenommene Abwehr potentiellen deliktischen Verhaltens ande-
rer Personen aufzuerlegen.260
Dem könnte nun allerdings das in der modemen Dogmatik weithin anerkannte
Prinzip der Selbst- bzw. Eigenverantwortlichkeit entgegenstehen: Dieses soll- so-
zusagen als Kehrseite der für das Strafrecht konstitutiven Autonomiefiktion - be-
sagen, daß "der dem einzelnen zugewiesene Verantwortungsbereich und die ihn
darin treffenden Verhaltenspflichten in der Weise zu begrenzen sind, daß man sich
grundsätzlich nicht darauf einstellen muß, daß andere sich Dritten oder sich selbst
gegenüber sorgfaltswidrig verhalten". 261 Hieraus ergebe sich, "daß der Verantwor-
tungsbereich des einzelnen sich grundSätzlich auf sein eigenes Handeln beschränkt
und nur unter besonderen Umständen auch dasjenige anderer mitumfaßt. .. Dage-
gen gibt es grundsätzlich kein Verbot von Handlungen, durch die andere zu sich
selbst oder Dritte gefährdendem Verhalten veraniaßt werden können. Denn wie je-
mand auf mein Verhalten reagiert, unterliegt grundSätzlich allein seiner Verantwor-
tung.,,262 "Soll abweichend von diesem Grundsatz auch sein (= des mittelbaren
Mitverursachers) Beitrag als Unrecht angesehen werden, er also Verantwortung
oder Mitverantwortung für das Tun eines anderen tragen, so bedarf dies folglich
besonderer Gründe",263 die es rechtfertigen können, "den Verantwortungsbereich

257 Lagodny, Strafrecht, S. 321 ff., 335 hält reine Besitzdelikte für verfassungswidrig. weil
diese auf eine allein dem Polizeirecht angemessene Zustandshaftung hinauslaufen.
258 Vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder, § 15 Rdnr. 148.
259 Fehlt es hieran, kann sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorbereitungstäters
unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Täterschaft ergeben.
260 Vgl. Bloy, Beteiligungsform, S. 138; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 312.
261 Schumann, Handlungsunrecht, S. 5; vgl. auch Cramer, in: Schönke/Schröder, § 15
Rdnr. 148; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 101; ders., Festschrift
für Engisch, S. 506.
262 Schumann, Handlungsunrecht S. 6; vgl. auch a. a. 0., S. 42, 69.
330 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

des mitverursachenden Hintermanns auf das Handeln einer anderen Person zu er-
strecken" .164
Die Problematik, unter welchen Voraussetzungen der Bereich strafrechtlicher
Verantwortlichkeit einer Person das Verhalten anderer Personen mitumfaßt, ist so-
weit ersichtlich bisher vornehmlich im Hinblick auf die Zurechenbarkeit konkreter
deliktischer Erfolge behandelt worden. Zwar werden im Hinblick auf die Pönali-
sierung von Vorbereitungshandlungen als solche - d. h.: von Pönalisierungen ohne
Bezugnahme auf die Mitverursachung einer Schädigung im Einzelfall und ohne
Anknüpfung an einen konkreten Planungszusammenhang - nicht ohne weiteres die
gleichen Maßstäbe gelten können. Eine Auseinandersetzung mit den im Rahmen
der Zurechnungslehren gewonnenen Erkenntnissen dürfte aber dennoch weiterfüh-
rend sein. Man wird nämlich davon ausgehen können, daß überhaupt nur die Ver-
haltensweisen, die im Falle eines entsprechenden subjektiven Bezuges zu einer
konkreten Rechtsgutsverletzung eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für einen
konkret eingetretenen deliktischen Erfolg begründen können, auch als Gegenstand
eines eigenständigen Vorbereitungsdeliktes in Betracht kommen können.
Ausgangspunkt der Diskussion über die Zurechnung mittelbar bewirkter delikti-
scher Erfolge ist die Lehre vom Regreßverbot gewesen. Den Vertretern dieser Leh-
re ging es in erster Linie darum, die These zu begründen, daß jedenfalls eine fahr-
lässig ermöglichte Vorsatztat eines Zweithandelnden eine strafrechtliche Verant-
wortlichkeit des Ersthandelnden nicht zu begründen vermöge. 26S Die auf eine Un-
terbrechung des Kausalzusammenhangs abstellende ursprüngliche Variante der
Lehre vom Regreßverbot wird zwar heute soweit ersichtlich allgemein als nicht
überzeugend abgelehnt. 266 Andererseits wird aber zunehmend anerkannt, daß die
aus dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortlichkeit resultierende Beschränkung
individueller Verantwortungsbereiche auf die Bewertung sowohl der fahrlässigen
als auch der vorsätzlichen Mitwirkung am Vorsatzdelikt eines anderen auswirken
muß und unter bestimmten Voraussetzungen eine Unterbrechung des Zurechnungs-
zusammenhangs bewirken kann. 267 Allerdings gilt noch immer das 1981 von Stra-

263 Schumann, Handlungsunrecht, S. 42.


264 Schumann, Handlungsunrecht, S. 70; vgl. auch Bloy, Beteiligungsform, s. 138; Lenck-
ner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. IOla; ders., Festschrift für Engisch,
S.506.
265 Vgl. Naucke, ZStW 76 (1964), 409 f.; Wehrle, Regressverbot, S. 1 f.
266 Vgl. Bloy, Beteiligungsform, S. 136; Roxin, Festschrift für Tröndle, S. 177 f.; ders.
StrafR AT, Teilbd. I, § 24 Rdnr. 27; Wehrle, Regressverbot, S. 23 ff., 31; vgl. auch bereits
RGSt 61, 318, 319 f., wo im Hinblick auf die Einschränkung des Verantwortungsbereichs
zwar auf das Kriterium der Vorhersehbarkeit des nachfolgenden Handeins einer anderen Per-
son verwiesen wird, wobei dann aber schon ein normativer Ansatz zum Tragen kommt: "bei
Anwendung der gebotenen (!) und ... möglichen Aufmerksamkeit" (a. a. 0., S. 321).
267 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 233 ff.; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1,5 ff.;
Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 424 ff.; Otto, Festschrift für Maurach, S. 96 ff.; Puppe, in:
NK, Vor § 13 Rdnr. 155; Roxin, Festschrift für Tröndle, S. 179 ff.; Rudolphi, in: SKStGB,
Vor § 1 Rdnr. 72; Wehrle, Regressverbot, S. 32.
11. Abstrakte Gefahrdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 331

tenwerth gezogene Fazit: "Die weitere Frage, nach welchen Kriterien die Verant-
wortungsbereiche gegeneinander abzugrenzen sind, ist vorerst allerdings noch we-
nig geklärt. ,,268
Neben dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit des (deliktischen) Handeins an-
derer Personen werden als Maßstäbe zum einen die Sozialadäquanz des Verhaltens
und zum anderen ein sog. Vertrauensgrundsatz diskutiert. Die Lehre von der So-
zialadäquanz soll besagen, daß Verhaltensweisen, die sich völlig im Rahmen der
normalen, geschichtlich gewachsenen sozialen Ordnung des Lebens bewegen,
auch dann eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zu begründen vermögen,
wenn sie vom Wortlaut einer Strafnorm mitumfaßt sind. 269 Abgesehen von der völ-
ligen Unbestimmtheit dieses Maßstabes - wann ist eine Verhaltensweise "im sozia-
len Leben gänzlich unverdächtig,,?27o - muß dieser Ansatz jedenfalls daran schei-
tern, daß zum einen grundsätzlich jede Verhaltensweise in einen deliktischen Sinn-
zusammenhang integriert werden kann und zum anderen das im Verkehr Übliche
nicht zwingend mit dem vom Recht Gewollten identisch sein muß. 271 So kann bei-
spielsweise der Verkauf eines Gegenstandes nicht allein deshalb aus dem Bereich
strafrechtlich relevanten Verhaltens ausgeschieden werden, weil die Durchführung
von Kaufgeschäften ein für sich allein gesehen sozial unauffälliges bzw. übliches
Geschehen darstellt; entscheidend ist vielmehr, wie die Verantwortungsbereiche
von Käufer und Verkäufer gezogen werden. Soll der Verkäufer strafrechtlich dafür
einzustehen haben, daß mit dem Kaufgegenstand keine deliktischen Pläne verfolgt
werden? Im Ergebnis wird die Bestimmung des Verantwortungsbereichs zum einen
vom jeweiligen Kaufgegenstand abhängen müssen - der Verkauf einer Schußwaffe
kann nicht ohne weiteres dem Verkauf eines Stemmeisens und dieses Geschehen
wiederum nicht dem Verkauf eines Schraubenziehers gleichgesetzt werden. Zum
anderen muß die Bestimmung der Verantwortungsbereiche anhand normativer
Maßstäbe erfolgen, d. h.: es geht um die Abgrenzung der wegen ihrer Unverzicht-
barkeit für die Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenlebens in einer bestimm-
ten Gesellschaft für unerläßlich erachteten und deshalb erlaubten Risiken von den
nicht mehr erlaubten. 272
Noch deutlicher wird die Notwendigkeit einer normativen Abgrenzung, wenn
man die Bemühungen verfolgt, die strafrechtliche Irrelevanz bestimmter Verhal-

268 Stratenwerth, StratR AT, Rdnr. 1164 (Hervorhebung im Original).


269 Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 69; Roxin, StratR AT,
Teilbd. I, § IO Rdnr. 33; Stratenwerth, StratR AT, Rdnr. 340.
270 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 237, 296; Jakobs, StratR AT, 24/14;
ders., ZStW 89 (1977), 1,5: Es kommt auf den Kontext an, in dem das Verhalten interpretiert
wird.
271 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 237,296,311; Jakobs, StratR AT, 7/35 f.;
Lenckner, Festschrift für Engisch, S. 496.
272 Cramer, in: Schönkel Schröder, § 15 Rdnr. 146; Jakobs, StratR AT, 7/35 f.; Lenckner,
in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 93; Roxin, StratR AT, Teilbd. I, § IO Rdnrn.
36 ff.; Stratenwerth, StratR AT, Rdnr. 342.
332 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

tensweisen aus einem sog. Vertrauensgrundsatz abzuleiten. Dieser ursprünglich


für den Bereich des Straßenverkehrs entwickelte, in der Sache aber für alle Be-
reiche gefahrträchtiger Verhaltensweisen relevante Grundsatz 273 besagt, "daß je-
der Verkehrsteilnehmer auf verkehrsgerechtes Verhalten der anderen ,vertrauen'
darf, d. h. sich bei seinem Verhalten nicht auf verkehrswidriges oder unvernünf-
tiges Handeln anderer einzustellen braucht". 274 Auch hier geht es aber nicht um
die Anerkennung eines faktisch bestehenden Vertrauens, sondern vielmehr um
ein normatives Vertrauendürfen. 275 Einerseits soll der Vertrauens grundsatz näm-
lich dann nicht eingreifen, wenn der Handelnde zwar auf das verkehrsgerechte
Verhalten anderer faktisch vertraut hat, er dies aber aufgrund bestimmter Um-
stände nicht hätte tun dürfen; andererseits soll es auf ein faktisch gegebenes Ver-
trauen dann nicht ankommen, wenn der Handelnde zu der Erwartung berechtigt
war, der andere werde sich verkehrsgerecht verhalten. 276 Im Ergebnis ist der Ver-
trauensgrundsatz damit aber nichts anderes als eine Leerformel für die Abgren-
zung rechtlich erlaubter gegenüber rechtlich mißbilligten Risikosetzungen. Die
Frage, wie die Verantwortungsbereiche verschiedener Personen voneinander ab-
gegrenzt bzw. miteinander koordiniert werden, kann nicht aus dem Vertrauens-
grundsatz abgeleitet, sondern muß unter Heranziehung anderweitiger Kriterien
entschieden werden. 277
Im Hinblick auf die Zurechenbarkeit konkreter deliktischer Erfolge wird ver-
breitet die These vertreten, es komme entscheidend auf die Vorhersehbarkeit des
(Fehl-)Verhaltens anderer Personen an: pflichtwidrige Schädigungen durch Dritte
seien nur dann in Rechnung zu stellen, "wenn dafür im Einzelfall besondere An-
zeichen vorhanden sind".278 Beispielhaft kann dieser Ansatz anhand der Problema-
tik des Zugänglichrnachens von Deliktswerkzeugen, insbesondere Waffen, ver-
deutlicht werden: Das Herumliegenlassen einer geladenen und ungesicherten Waf-
fe soll auch dann keine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen, wenn ein an-
derer die Waffe "vorsätzlich oder grob fahrlässig - etwa ohne zu prüfen, ob sie
geladen ist - auf einen Dritten richtet und abdrückt. ,,279 Anders zu beurteilen sei

273 Cramer, in: Schönke/Schröder, § 15 Rdnr. 151; Graven, L'infraction, S. 217; Rehberg,
Strafrecht I, S. 244; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 16 Rdnr. 49; TrechsellNoll, StrafR AT
I, S. 240; Wehrle, Regressverbot, S. 54 ff.
274 Schumann, Handlungsunrecht, S. 7; vgl. auch Puppe, in: NK, Vor § 13 Rdnr. 150; Ro-
xin, Festschrift für Tröndle, S. 1861187; Stratenwerth, SchwStrafR AT I, § 16 Rdnr. 49;
Wehrle, Regressverbot, S. 52 f.
275 Bloy, Beteiligungsform, S. 139 f.; Daxenberger, Kumulationseffekte, S. 144; Jakobs,
StrafR AT, 7/51; Stratenwerth, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 392 f.
276 Zur Frage, wann dies im einzelnen anzunehmen ist, vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1,
14; ders., ZStW Beiheft 1974,6, 16 ff.; ders., StrafR AT, 7/54 ff.; Puppe, in: NK, Vor § 13
Rdnrn. 150, 152; Stratenwerth, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 392, 397 ff.; ders., StrafR AT,
Rdnrn. 1157 ff.; ders., SchwStrafR AT I, § 16 Rdnrn. 50 ff.
277 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 237 f.

278 Rudolphi, in: SKStGB, Vor § 1 Rdnr. 73; vgl. auch Puppe, in: NK, Vor § 13 Rdnr. 156
sowie umfassend: Schmoller, Festschrift für Triffterer, S. 227 ff., 239 ff.
11. Abstrakte Gefahrdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 333

dagegen der Fall, "in dem ein Jäger in einer Wirtsstube, während ein heftiger Streit
im Gange ist, ein geladenes Gewehr an die Wand hängt: Sofern nämlich aufgrund
des Streits ein Gebrauchmachen von der Waffe absehbar ist, handelt es sich um
einen Fall des Voraussehbaren nachträglichen Fehlverhaltens. ,,280
Die zunächst stringent erscheinende Unterscheidung zwischen konkret vorher-
sehbarem einerseits und nicht vorhersehbarem Fehlverhalten Dritter andererseits
verliert seine Plausibilität spätestens dann, wenn Fälle in die Betrachtung einbezo-
gen werden, deren Zuordnung nicht so offensichtlich iSt. 281 In der Entscheidung
RGSt 34, 91, 94 hat der 4. Strafsenat des Reichsgerichts es für hinreichend vorher-
sehbar gehalten, daß ein an der Garderobe in der Tasche eines Mantels abgegebe-
ner geladener Revolver "auf irgend eine Weise in die Hände eines Anderen gelan-
gen, sich dabei entladen und daß in dem mit Menschen gefüllten Raume jemand
von dem Geschosse getroffen werden konnte". Die Entscheidung zeigt, daß es we-
niger auf die faktisch-empirische Vorhersehbarkeit eines konkreten deliktischen
Erfolgs ankommt, als vielmehr darauf, daß aus der Herrschaft über eine Gefahren-
quelle bestimmte Anforderungen an das Verhalten resultieren. Welche Anforderun-
gen dies im einzelnen sind, richtet sich nach der Art des gefährlichen Gegenstan-
des bzw. Stoffes. 282 Daß das Herumliegenlassen einer geladenen Schußwaffe -
völlig unabhängig von einem im Einzelfall konkret naheliegenden Mißbrauch -
mit den in § 42 WaffG zum Ausdruck kommenden Wertungen zu vereinbaren ist,
erscheint durchaus zweifelhaft,283 ist aber jedenfalls eine Frage, die ersichtlich
nicht anhand empirischer, sondern vielmehr normativer Maßstäbe zu entscheiden
ist.
Stratenwerth und auch Jakobs vertreten die Auffassung, daß die Mitwirkung an
der Deliktsverwirklichung durch einen anderen nur dann eine strafrechtliche Ver-
antwortlichkeit des Hintermannes begründen soll, wenn das mittelbar verursa-
chende Verhalten gar nicht anders als ein Beitrag zur Durchführung eines Delik-
tes interpretiert werden kann, wenn also der Charakter der Verhaltensweise als
,,Deliktsbeitrag nicht nur als möglicher, sondern als ihr einzig denkbarer Zweck
erscheint".284 Auch Lesch ist der Auffassung, daß es entscheidend darauf an-

279 Schmoller, Festschrift für Triffterer, S. 238.


280 Schmoller, Festschrift für Triffterer, S. 238 Fußn. 54; vgl. auch Roxin, Festschrift für
Tröndle, S. 194 für die Fälle "erkennbarer Tatgeneigtheit" sowie RGSt 64, 370, 374 m. w. N.
und dem Hinweis auf die zwei Fallgestaltungen : ,,Liegenlassen eines Revolvers in einer Ver-
brecherkaschemme"; "Hängen eines geladenen Gewehrs an die Wand des Wirtshaustanzsaa-
les, wo betrunkene Burschen miteinander im Wortwechsel sind und jeden Augenblick tätlich
werden können."
281 Grundsätzlich kritisch zur fehlenden Stringenz der Vertreter der Vorhersehbarkeitslö-
sung auch bereits Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 231 ff.
282 Vgl. hierzu Cramer, in: Schönke/Schröder, § 15 Rdnr. 154; Wehrle, Regressverbot,
S. 107 Fußn. 80 sowie OLG Stuttgart, JR 1997,517,518 mit Anm. Gössel.
283 Ablehnend z. B. OLG Stuttgart, JR 1997, 517, 518; vgl. auch Stratenwerth,
SchwStrafR AT I, § 16 Rdnr. 55; Wehrle, Regressverbot, S. 107 f.; a.A. BGE 105 IV 332.
334 7. Kap.: Grenzen des Gefährdungsstrafrechts

komme, ob "ein Verhalten keine andere sozial sinnvolle Erklärung mehr zuläßt,
als diejenige, daß eine solidarische Assoziation mit den Organisations akten ande-
rer zur Desavouierung einer ganz bestimmten Norm gewollt ist. Solange ein Ver-
halten hingegen nach seiner objektiven Erscheinung unter Berücksichtigung des
sozialen Kontextes und der Rolle des Akteurs noch sinnvoll als ubiquitär bzw.
sozialadäquat interpretiert werden kann, geht den Handelnden der deliktische
Ausgang nichts an: Er braucht sich den normverletzenden Verhaltenssinn eines
anderen nicht aufdrängen lassen. ,,285 Aus dem Verkauf eines Messers durch den
Inhaber eines Haushaltswarengeschäftes resultiere auch dann keine strafrechtliche
Verantwortlichkeit, wenn zum Zeitpunkt des Verkaufs vor dem Geschäft eine
Schlägerei stattfindet: Das Verhalten des Geschäftsinhabers "ist mit seiner sozia-
len Rolle sinnvoll erklärbar und auf ein Verhalten des Täters bezogen, das an sich
legal ist, sowie auch ohne nachfolgende strafbare Handlungen sozial und indivi-
duell sinnvoll bleibt". 286
Andere Stimmen in der Literatur halten eine derartige Einschränkung des Verant-
wortungsbereichs für nicht sachgerecht, da man im allgemeinen nicht "auf das Aus-
bleiben einer Vorsatztat vertrauen dürfe, auch wenn Anhaltspunkte für das Gegen-
teil bestehen. Auch die Ermöglichung oder Erleichterung einer vorsätzlichen Straf-
tat, zu der sich ein anderer erkennbar entschließen könnte, muß die Fahrlässigkeits-
haftung begründen".287 Die Sorgfaltspflichtverletzung beginne "nicht erst, wenn
die Handlung objektiv keinen anderen Sinn haben kann, als Beihilfe zu einer vor-
sätzlichen Rechtsverletzung zu leisten".288 "Die Gefahr, Mittel, Gelegenheit oder
Motive zu einem Verbrechen zu liefern, unterscheidet sich als Grund von Sorgfalts-
pflichten durch nichts prinzipiell von der Gefahr, eine Mitursache für einen natürli-
chen Schadensprozeß zu setzen. Für beide Gefahrenarten gilt, daß das Recht sinn-
vollerweise nicht jede schlechthin denkbare Vorkehrung gegen sie verlangt; man
darf Brötchen oder Pralinenschachteln an potentielle Giftmörder verkaufen, aber
auch Autos, Motorräder oder Segelboote an potentielle Unfallverursacher. Gleich-
wohl gebietet das Recht auch eine gewisse Sorgfalt zur Vorbeugung gegen Verbre-
chen wie gegen Unglücksfälle. Einen allgemeinen Grundsatz, daß die Verbrechen
anderer einen nichts angehen, sofern man nicht vorsätzlich und in Zusammenarbeit
mit den Tätern an ihnen teilnimmt, oder daß man unter allen Umständen darauf ver-
trauen dürfe, daß andere keine Verbrechen begehen, gibt es nicht. ..289
Ob die Kritiker den von Stratenwerth, Jakobs und Lesch vertretenen Ansatz
richtig interpretieren, wenn sie davon ausgehen, daß eine strafrechtliche Verant-

284 Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 1164; vgl. auch Jakobs, ZStW 89 (1977), 1,23 ff.; je-
denfalls im Ergebnis übereinstimmend wohl auch Samson, ZStW 99 (1987), 617, 633.
285 Lesch, ZStW 105 (1993), 271, 285/286.

286 Lesch, ZStW 105 (1993),271,286.

287 Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 574 (Hervorhebung im Original).

288 Puppe, in: NK, Vor § 13 Rdnr. 156.

289 Puppe, in: NK, Vor § 13 Rdnr. 159.


11. Abstrakte Gefährdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 335

wortlichkeit nur dann in Betracht kommen soll, wenn der Verursachungsbeitrag


objektiv gesehen keinen anderen als einen deliktischen Sinnbezug haben kann, 290
soll hier nicht im einzelnen geprüft werden. Da es weder Verhaltensweisen mit ei-
nem ausschließlich deliktischen Sinnbezug noch andererseits Verhaltensweisen
gibt, bei denen die Möglichkeit eines deliktischen Sinnbezugs von vornherein aus-
geschlossen ist,291 würde sich ein derartiger Ansatz selbst ad absurdum führen.
Tatsächlich stellt aber jedenfalls Stratenwerth ausdrücklich darauf ab, daß der de-
liktische Sinnbezug des in Frage stehenden Verhaltens "nach Lage der Dinge im
konkreten Fall" als der "einzig denkbare Zweck erscheint".292 Relevante Unter-
schiede zu der von P"Jppe und anderen vertretenen Auffassung dürften dann aber
letztlich gar nicht mehr bestehen.
Eine schlichte Übertragung der bei der Zurechnung konkreter deliktischer Erfol-
ge maßgebenden Grundsätze auf die Problematik der eigenständigen Pönalisierung
von (potentiellen) Vorbereitungshandlungen kann nicht in Betracht kommen, da
bei letzteren gerade nicht auf die Umstände des konkreten (Einzel-)Falles abge-
stellt werden kann. Soll die Option der eigenständigen Pönalisierung bestimmter
Vorbereitungshandlungen nicht von vornherein aufgegeben werden, ist angesichts
der bereits mehrfach hervorgehobenen grundsätzlichen Ambivalenz jeglichen Ver-
haltens 293 auf die einer Verhaltensweise bestimmungsgemäß zukommende Funk-
tion abzustellen. Legt man diesen Ansatz zugrunde, ergibt sich eine Zweiteilung
der in Frage stehenden Verhaltensweisen: 294 Zunächst die Verhaltensweisen, die
bei bestimmungsgemäßer Anknüpfung entweder gar keinen oder doch jedenfalls
keinen eindeutigen deliktischen Sinnbezug aufweisen und die deshalb einer eigen-
ständigen Pönalisierung von vornherein entzogen sind. Die nie auszuschließende
Möglichkeit einer mißbräuchlichen Anknüpfung kann die Pönalisierung nicht
rechtfertigen. Sie wäre Ausdruck einer die Handlungsfreiheit unangemessen ein-
schränkenden, mit dem Menschenbild des Grundgesetzes unvereinbaren ,,Mißtrau-
ensgesellschaft" .295

290 So neben Puppe, in: NK, Vor § 13 Rdnr. 156 auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhal-
ten, S. 290 bei und in Fußn. 209; Roxin, Festschrift für Tröndle, S. 190; ders., StrafR AT,
Teilbd. 1, § 24 Rdnr. 29.
291 Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977),1,20; ders., StrafR AT, 7/35; Lenckner, Festschrift für
Engisch, S. 493; Roxin, Festschrift flir Tröndle, S. 187; ders., StrafR AT, Teilbd. I, § 24 Rdnr.
26; Wehrle, Regressverbot, S. 74.
292 Stratenwerth, StrafR AT, Rdnr. 1164 (Hervorhebung nicht im Original); vgl. auch ders.,
SchwStrafR AT I, § 16 Rdnr. 55.
293 Einerseits kann der Verkauf von Gegenständen mit einem eher niedrigen Gefährdungs-
potential (Brötchen, Pralinen etc.) in einen deliktischen Planungszusammenhang integriert
werden; andererseits ist es nicht ausgeschlossen, daß ein potentiell gefährlicher Gegenstand
zu anderen als deliktischen Zwecken genutzt wird (beispielhaft: der Waffennarr hortet seine
ungeladenen Pistolen in einem Tresor).
294 Die nachfolgende Differenzierung lehnt sich an die von Frisch, Tatbestandsmäßiges
Verhalten, S. 280 ff. entwickelte Kategorisierung an.
295 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 253,269 f.
336 7. Kap.: Grenzen des Gefahrdungsstrafrechts

Anders liegt es dagegen bei Verhaltensweisen, an die bestimmungsgemäß nur zu


deliktischen Zwecken angeknüpft werden kann. Da der Vorbereitung deliktischen
Handeins ersichtlich kein relevanter sozialer Wert zukommen kann, stellt sich hier
die Frage, ob allein die Möglichkeit einer nicht-deliktischen Anknüpfungshand-
lung die Pönalisierung als illegitim erweist. Beispielhaft: Kann die Produktion und
das Zugänglichmachen von Schußwaffen pönalisiert werden, obwohl Fallgestal-
tungen denkbar sind, in denen eine Waffe sozial werthaftem Handeln dient, wie
z. B. dem Selbstschutz gefährdeter Personen? Letztlich wird man die Frage, so wie
sie formuliert ist, weder bejahen noch verneinen können. Erforderlich ist eine Aus-
gestaltung der Strafbarkeitsvoraussetzungen, die derartigen Fallgestaltungen Rech-
nung trägt. Bezogen auf das obige Beispiel läßt sich dies rechtstechnisch durch die
Beschränkung des Strafrechts auf den "unberechtigten" Umgang mit Schußwaffen
sicherstellen. Jedenfalls dann, wenn etwaigen sozial werthaften Gebrauchsformen
durch eine spezifische Ausgestaltung der Strafbarkeitsvoraussetzungen Rechnung
getragen wird, wird man das Verbot des BereitsteIlens von Gegenständen, die ihrer
spezifischen Funktion nach in erster Linie als Deliktswerkzeuge in Betracht kom-
men, als legitim anerkennen müssen. 296
Zu klären bleibt: Steht das Prinzip der Selbstverantwortung der Sanktionierung
legitimerweise verbotsfähiger Vorbereitungshandlungen entgegen? Wie bereits
oben dargestellt, will Jakobs die Pönalisierung der Produktion und des BereitsteI-
lens von "Prototypen von Deliktsmitteln" als legitim anerkennen. 297 Nestler geht
zwar davon aus, daß das Prinzip der Selbstverantwortung einer Sanktionierung von
Vorbereitungshandlungen grundsätzlich entgegensteht, nimmt aber an, daß das
Verantwortungsprinzip nicht absolut gilt, sondern "bereichsspezifisch, wie im
Schußwaffenstrafrecht, durch eindeutig überwiegende, entgegenstehende Interes-
sen außer Kraft gesetzt werden" kann.298 Indes: Wie im Verlaufe der vorliegenden
Untersuchung bereits mehrfach betont wurde, kann die Legitimität einer Strafnorm
nicht aus deren Funktionalität abgeleitet werden. Als Sanktionsnorm kann ein
Straftatbestand erst dann als legitim angesehen werden, wenn und soweit sich eine
sozialschädliche Verhaltensweise darüber hinaus auch noch als Anmaßung einer
mit dem allgemeinen Rechtsgleichheitsverhältnis unvereinbaren Rechtsposition
darstellt. Bezogen auf das hier in Frage stehende Zugänglichmachen von qualifi-
ziert gefährlichen Gegenständen ist zu berücksichtigen, daß der Umgang mit derar-
tigen Gegenständen nur dann als erlaubt gelten kann, wenn gleichzeitig Sorge ge-
tragen wird, daß diese nicht in falsche Hände geraten. 299 Im Falle der Vernachläs-
sigung des insoweit angemessenen Sicherungs- bzw. Organisationssolls kann der
Umgang mit qualifiziert gefährlichen Gegenständen nicht mehr als eine im Rah-
men des allgemeinen Rechtsgleichheitsverhältnisses liegende Verhaltensweise an-

296 So auch: Nestler, Rechtsgüterschutz, S. 7l.


297 Vgl. Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 770 ff.; ders., StrafR AT, 6/86a; ders., GA 1996,
253,264.
298 Nestler, Grundlagen, Rdnr. 244.
299 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 247 f., 253 f., 334, 360 ff.
11. Abstrakte Gefahrdungsdelikte als Typen der Risikoschaffung 337

erkannt werden. Hieraus folgt dann aber nicht nur, daß der Handelnde für die aus
etwaigen Anknüpfungstaten resultierenden deliktischen Erfolge verantwortlich ge-
macht werden kann?OO Als Anmaßung einer ihm nicht zustehenden Rechtsposition
kann sein Verhalten darüber hinaus auch Gegenstand einer eigenständigen Sankti-
onsnorm sein.

300 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 250 ff., 334 f. mit dem Hinweis darauf,
daß es sich der Sache nach um eine Haftung nach UnterlassensgrundSätzen handelt.

22 Wohlers
8. Kapitel

Schlußbetrachtung

Wenden wir uns abschließend wieder der Ausgangsfrage der Untersuchung zu,
so ist zunächst festzuhalten, daß der Streit über die Legitimität des "modemen"
Strafrechts auf einer bereits im Ansatz verfehlten Prämisse aufbaut. Die als Kenn-
zeichen des "modemen" Strafrechts angesehene "Vorverlegung des Strafrechts in
den Gefahrdungsbereich" (Felix Herzog) erhält angesichts der aktuellen kriminal-
politischen Entwicklung zwar einen besonderen Stellenwert, unter dogmatischen
Gesichtspunkten handelt es sich hierbei jedoch um eine für jede Strafrechtsord-
nung grundlegende Problemstellung. In der Sache selbst haben sich alle Bemühun-
gen um eine pauschale Lösung der Problematik als verfehlt erwiesen: Weder kann
der Beschränkung des Strafrechts auf den Schutz individueller Rechtsgüter zuge-
stimmt werden, 1 noch hat sich das Geflihrdungsstrafrecht als solches als eine per
se illegitime Ausdehnung des Anwendungsbereichs strafrechtlicher Normen erwie-
sen? Eine Lösung kann mithin von vornherein nicht en bloc erfolgen,3 sondern
muß den ebenso beschwerlichen wie unspektakulären Weg der Einzelnormprüfung
gehen. 4 Konkret bedeutet dies, daß nicht zu verhandeln ist über die Legitimität des
"modemen" Strafrechts, der abstrakten Geflihrdungsdelikte oder auch nur über die
Statthaftigkeit der Pönalisierung von generell geflihrlichen Handlungen, von Ku-
mulationsbeiträgen oder von Vorbereitungshandlungen. Zu untersuchen ist viel-
mehr die Legitimität konkreter Einzelnormen, wobei dann - insoweit wird man
der Einschätzung Roxins folgen können - eine Durcharbeitung der einzelnen Tat-
bestände ergeben wird, daß sich "viele von ihnen als rechtsstaatlich unhaltbar er-
weisen".5
Der Versuch, auch nur die Straftatbestände der im Rahmen der vorliegenden Un-
tersuchung beispielhaft analysierten Teilbereiche der Strafrechtsordnung einer ent-
sprechenden Einzelnormprüfung zu unterziehen, würde den Rahmen der vorliegen-
den Untersuchung sprengen. Die nachfolgenden skizzenhaften Überlegungen sol-
len jedoch andeuten, auf welche Fragestellungen derartige Arbeiten zum Umwelt-,
Wirtschafts- und Betäubungsmittelstrafrecht sowie zu den Straftatbeständen des

I Vgl. oben S. 94 ff., 221 ff.


2 Vgl. oben S. 281 ff.
3 Vgl. hierzu auch bereits oben Seite 51 ff.
4 So auch bereits Roxin, StratR AT, Teilbd. I, § 2 Rdnr. 26.
5 Ebd.
Schlußbetrachtung 339

ESchG und des in Aussicht genommenen FMedG eingehen müssen und auf welche
Problemstellungen es letztlich entscheidend ankommen wird.
I. Die Problematik des Umweltstrafrechts liegt nach der hier vertretenen Auffas-
sung ersichtlich nicht im Bereich der Rechtsgutstheorie: die Gewährleistung der
überlebensnotwendigen Umweltbedingungen stellt unstreitig ein für jede Gesell-
schaft sozialwichtiges bonum dar. Zumindest die Gewährleistung der Integrität der
wesentlichen Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft) muß vor diesem Hintergrund
als ein grundsätzlich strafschutzwürdiges Kollektivinteresse anerkannt werden. 6
Das eigentliche Legitimationsproblem liegt in der Deliktsstruktur. Wie gezeigt,
handelt es sich bei den entsprechenden Straftatbeständen (beispielhaft: § 324
dStGB) um Kumulationsdelikte, deren Legitimation wesentlich davon abhängt, ob
schädigungsrelevante Kumulationseffekte tatsächlich mit hinreichender Sicherheit
zu erwarten sind. 7 Hier muß zunächst entschieden werden, was als ein relevanter
Kumulationseffekt anzusehen ist; ob derartige Effekte zu erwarten sind, ist dann
eine letztlich empirische Fragestellung. 8 Des weiteren ist anhand normativer Maß-
stäbe zu entscheiden, ob erst Kumulationsbeiträge ab einem bestimmen Eigenge-
wicht als strafrechtlich relevant anerkannt werden sollen, was jedenfalls im Hin-
blick auf umweltschädigende Verhaltensweisen letztlich wohl zu verneinen ist. 9
Soweit umweltstrafrechtliche Normen nicht bestimmte Umweltmedien, sondern
vielmehr einzelne Personen vor Beeinträchtigungen als Folge umweltschädigender
Verhaltensweisen schützen sollen (beispielhaft: § 326 Abs. 1 Nr. 1-3 dStGB),
handelt es sich der Sache nach um Normen zum Schutz des unstreitig als straf-
schutzwürdig anerkannten Schutzgutes der Gewährleistung der körperlichen Inte-
grität. Der Deliktsstruktur nach handelt es sich bei diesen Straftatbeständen um
konkrete Gefahrlichkeitsdelikte, die nur dann als legitim anerkannt werden kön-
nen, wenn sie Verhaltensweisen erfassen, deren immanentes Risiko weder durch
den Handelnden selbst, noch - im Rahmen zumutbarer Anstrengungen - durch an-
dere Personen hinreichend kompensiert werden kann. 10
Soweit Straftatbestände des Umweltstrafrechts weder an einen realen Beitrag
zur Schädigung eines Umweltmediums noch an die Gefahrdung konkreter Indivi-
duen anknüpfen, sondern Verhaltensweisen erfassen, bei denen schon die Möglich-
keit eines Kumulationsbeitrages ausreichen soll (beispielhaft: Art. 70 Abs. 1 lit. a
und b GSchG) oder die bloße Zuwiderhandlung gegen Anordnungen der Umwelt-
verwaltung unter Strafandrohung gestellt wird (beispielhaft: Art. 70 Abs. 1 lit. c -
g GSchG), erscheint deren Legitimität höchst zweifelhaft. Ebenso wie bei der Ge-
fährdung individueller Rechtsgutsinteressen wird man auch im Hinblick auf die
Gefährdung kollektiver Rechtsgüter an die Verursachung einer unbeherrschbaren

6 Vgl. oben S. 94 ff., 139 f.


7 Vgl. oben S. 141 ff., 318 ff.
8 Vgl. oben S. 322 ff.
9 Vgl. oben S. 324 ff.
10 V gl. oben S. 311 ff.

22'
340 Schluß betrachtung

Gefahrensituation anknüpfen müssen. Art. 70 Abs. 1 lit. a und b GSchG können


damit wohl nur dann als legitim anerkannt werden, wenn man sie dahingehend in-
terpretiert, daß eine "unbeherrschbare" Gefahr für eine Verunreinigung eingetreten
sein muß. Soweit Art. 70 Abs. I lit. c - g GSchG eine Bestrafung bei Zuwider-
handlungen gegen verwaltungsbehördliche Anordnungen ermöglicht, ohne daß es
zu einer derartigen Gefahrensituation gekommen sein muß, ist die Strafwürdig-
keitsgrenze nicht erreicht.
2. Im Hinblick auf die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung behandelten
Straftatbestände des "modernen" Wirtschaftsstrafrechts ist zu differenzieren: Bei
den sog. Computerdelikten haben die hier behandelten Problemstellungen keine
praktische Bedeutung, da es nicht um die Vorverlegung des Strafbarkeitsbereiches
geht, sondern darum. bestehende strafrechtliche Verbote einem gewandelten ge-
sellschaftlichen Umfeld anzupassen. 11 Auch die Pönalisierung des Scheck- und
Kreditkartenmißbrauchs stellt weniger ein Problem der Vorfeldkriminalisierung
dar; zweifelhaft ist hier die Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip.12
Anders liegt es bei den in der Bundesrepublik Deutschland neu in das Strafge-
setzbuch aufgenommenen "Straftatbeständen im Vorfeld des Betruges". Wie ge-
zeigt, können die Straftatbestände des Subventions-, Kapitalanlage- und Kreditbe-
truges (§§ 264, 264a, 265b dStGB) allenfalls über das Interesse an der Funktions-
fähigkeit bestimmter wirtschaftlicher Institutionen bzw. Funktionszusammenhänge
legitimiert werden. 13 Da nicht das Verhalten eines einzelnen, sondern nur das miß-
bräuchliche Verhalten einer Vielzahl von Personen die Funktionsfähigkeit der je-
weiligen Institutionen in Frage stellen kann, handelt es sich auch hier wiederum
um Kumulationsdelikte. 14 Die Legitimation dieser Straftatbestände muß in grund-
sätzlicher Hinsicht angezweifelt werden: Zum einen fehlen überzeugende Belege
für die behaupteten Kumulationseffekte, zum anderen kann - insbesondere im Hin-
blick auf die §§ 264a, 265b dStGB - mit guten Gründen angezweifelt werden, daß
die Tatbestände die in der Lebenswirklichkeit vorzufindenden tatsächlichen Hand-
lungsabläufe überhaupt angemessen erfassen. 1S
3. Die Problematik des Betäubungsmittelstrafrechts liegt demgegenüber nach
der hier vertretenen Auffassung schwerpunktmäßig im Bereich der Rechtsguts-
theorie. Entscheidend ist, daß es an einem legitimen Schutzgegenstand fehlt: Wie
oben im einzelnen dargelegt wurde, muß die "Volksgesundheit" als potentielles
Rechtsgut von vornherein ausscheiden. 16 Einer Legitimation betäubunsmittelstraf-
rechtlicher Normen im Hinblick auf den Schutz von Leib und Leben des Betäu-
bungsmittelkonsumenten steht der Grundsatz entgegen, daß Selbstgefährdungen

11 Vgl. oben S. 151 ff.


12 Vgl. oben S. 76, 153 f.
13 V gl. oben S. 159 ff.
14 Vgl. oben S. 176 ff.

IS V gl. i. e. oben S. 171 ff.


16 Vgl. oben S. 190 ff.
Schluß betrachtung 341

kein strafrechtliches Unrecht zu begründen vennögen. 17 Entgegen einer weit ver-


breiteten Meinung kann das geltende Betäubungsmitte1strafrecht im übrigen weder
über die Interessen anderer Personen an der Nichtrealisierung der - eigenverant-
wortlichen 18 - Selbstgefahrdung des Konsumenten,19 noch durch das gesellschaft-
liche Interesse an der Verhinderung bzw. Bekämpfung der gesamtgesellschaftli-
chen Konsequenzen bzw. Folgeerscheinungen des Drogenkonsums legitimiert wer-
den. 2o Auch der für die reale Entwicklung des Betäubungsmittelstrafrechts wohl
letztlich entscheidende Gesichtspunkt, eine bestimmte, als abweichend definierte
Lebenskonzeption zu unterdrücken bzw. die Verbindlichkeit eines anderen Ideals
zu betonen,21 vennag jedenfalls in einer aufgeklärten und pluralistischen Gesell-
schaft eine Pönalisierung nicht zu tragen. 22
Soweit man - entgegen der hier vertretenen Auffassung - daran festhalten will,
daß die Gesellschaft aufgrund der Folgewirkungen des Umgangs mit Rauschmit-
teln berechtigt ist, diesen zu pönalisieren, würde sich die Problematik der Delikts-
struktur ergeben: Soweit Verhaltensweisen auf der Konsumentenseite pönalisiert
werden, handelt es sich um Kumulationsdelikte, wenn Verhaltensweisen auf der
Anbieterseite erfaßt werden, handelt es sich um kombinierte Kumulations-Vorbe-
reitungsdelikte. 23 Das Paradoxe an dem Versuch, den Umgang mit bestimmten
Rauschmitteln strafrechtlich "bekämpfen" zu wollen, zeigt sich daran, daß die Le-
gitimation der Pönalisierung - wenn man auf die unerwünschten Folgewirkungen
des Konsums abhebt - gerade auf der Anbieterseite einen nochmals erhöhten Auf-
wand erforderlich machen würde und letztlich daran scheitern müßte, daß die in
Frage stehenden Verhaltensweisen erst über die Entscheidung des - eigenverant-
wortlichen 24 - Konsumenten eine relevante Gefahr begründen können.
4. Auch die Bemühungen um einen strafrechtlichen Schutz vor "mißbräuchli-
chem" Umgang mit den Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin sind bereits auf
der Stufe der Rechtsgutsbestimmung erheblichen Bedenken ausgesetzt: Soweit die
entsprechenden Straftatbestände des ESchG und des FMedG dem Schutz der Wür-
de des Menschen dienen sollen, kann damit nicht der Schutz der individuellen
Rechtssphäre des - beispielsweise geklonten - Individuums gemeint sein; ge-
schützt wird vielmehr eine bestimmte Wertvorstellung, die festlegt, was einen

17 Vgl. oben S. 192 ff.


18 Daß der Gesichtspunkt, nicht-eigenverantwortliche Personen vor Selbstgefährdungen
zu schützen, eine - gegenüber dem derzeitigen Rechtszustand allerdings erheblich einge-
schränkte - Pönalisierung zu rechtfertigen vermag, wird nicht in Frage gestellt; vgl. hierzu
auch bereits oben S. 199, Fußn. 450.
19 Vgl. oben S. 276.

20 Vgl. oben S. 196ff.


21 Vgl. oben S. 199 ff.
22 Hierzu i. e. oben S. 262 ff., insbesondere S. 275 f.
23 Vgl. bereits oben S. 202 f.
24 Soweit man auf die Möglichkeit des Konsums durch nicht-eigenverantwortliche Konsu-
menten abheben will, ist auf die Ausftihrungen in Fußn. 18 zu verweisen.
342 Schlußbetrachtung

Menschen ausmacht bzw. ausmachen soll.25 Aus der bisherigen Diskussion dieser
Problematik wird nicht deutlich, daß es sich hierbei um mehr handelt als um den
Versuch, ein partikulares Weltbild zu schützen, was dann konsequenterweise dazu
führen müßte, die Strafschutzwürdigkeit jedenfalls für eine weltanschaulich neu-
trale Gesellschaft abzulehnen. Im übrigen wäre selbst dann, wenn man davon aus-
gehen wollte, daß es sich bei dem geschützten ,.Menschenbild" um einen Bestand-
teil des normativen Grundkonsenses einer Gesellschaft handelt, allenfalls der erste
Schritt zur Legitimation dieser Normen getan.
Etwaige Mißbräuche der Fortpflanzungsmedizin können - jedenfalls für sich ge-
sehen - weder den Grundkonsens der Gesellschaft noch das diesen Grundkonsens
widerspiegelnde Menschenbild in Frage stellen. Tatsächlich geht es den Befürwor-
tern strafrechtlicher Lösungen auch nicht um die konkrete Einzelhandlung, son-
dern um die Folgewirkungen der als mißbräuchlich definierten Anwendungen der
Fortpflanzungsmedizin. Befürchtet wird ein schleichender Werteverlust, der im Er-
gebnis nachteilige Konsequenzen für das gesellschaftliche Miteinander oder für
bestimmte Personengruppen, wie z. B. körperlich oder geistig Behinderte, haben
kann. 26 Da ein derartiger Effekt ersichtlich nicht von einem Einzelfall der miß-
bräuchlichen Anwendung fortpflanzungsmedizinischer Techniken hervorgerufen
werden kann und im übrigen zur Voraussetzung hat, daß ein nicht unerheblicher
Teil der Mitglieder einer Gesellschaft in seinen Wertvorstellungen beeinflußt wird,
handelt es sich bei den in Frage stehenden Strafrechtsnormen wiederum um kom-
binierte Kumulations-Vorbereitungsdelikte. Die Legitimität dieser Straftatbestände
muß schon deshalb als zweifelhaft angesehen werden, weil die entsprechenden Er-
wägungen über den Status bloßer Behauptungen bzw. Befürchtungen eines
,.Dammbruchs" nicht hinausgehen. Den Anforderungen an realistischerweise zu
erwartende Kumulationseffekte genügt dies nicht. 27 Hinzu kommt, daß es gerade
in einer auf der Konzeption des Bürgers als autonome Person aufbauenden Gesell-
schaft widersprüchlich erscheint, diesen Bürger paternalistisch mit den Mitteln des
Strafrechts vor einer etwaigen - nicht durch Tauschung und loder Drohung be-
wirkten - Veränderung seines Welt- oder Menschenbildes bewahren zu wollen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sich Grenzen eines noch legitimen
Gefährdungsstrafrechts nicht abstrakt benennen lassen. Die im Rahmen der vorlie-
genden Untersuchung entwickelte Systematik erhebt aber den Anspruch, ein In-
strumentarium für eine differenziertere und damit zumindest tendenziell auch
sachlich angemessenere Bewertung einzelner Normen des Gefährdungsstrafrechts
zur Verfügung zu stellen: Ausgangspunkt der Bewertung konkreter Einzelnormen
ist und bleibt die Bestimmung des durch die Norm geschützten Interesses (Rechts-
guts). Die Rechtsgutstheorie selbst ist allerdings von vornherein darauf beschränkt,
die vor dem Hintergrund der für eine konkrete Gesellschaft verbindlichen normati-

~ Vgl. oben S. 207 ff.


26 Vgl. oben S. 211 f.
27 Vgl. hierzu oben S. 323 f.
Schlußbetrachtung 343

ven Verständigung illegitimen Schutzinteressen auszufiltern. Erweist sich ein


Rechtsgut als grundsätzlich schützenswert, hängt die Legitimität der Norm ent-
scheidend von der Deliktsstruktur ab, die sich wiederum aus dem Verhältnis der
jeweils erfaßten Verhaltensweisen zu dem als Rechtsgut geschützten "Etwas" er-
gibt. Die durch die Deliktsstruktur festgelegte Art und Weise des Schutzes muß
sich mit den berechtigten FreiheitsanspfÜchen des Individuums vereinbaren lassen.
Letztlich ist die Legitimität konkreter Einzelnormen an den für den jeweiligen De-
liktstypus spezifischen Kriterien zu messen, die in der vorliegenden Arbeit für die
Deliktstypen des konkreten Gefahrlichkeitsdelikts, des Kumulationsdelikts und des
Vorbereitungsdelikts dargelegt wurden. 28

28 Vgl. oben S. 311 ff.


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Sachwortverzeichnis

Abfallbeseitigung 112f., 114 - Nivellierung der Zurechnungsstrukturen


absolute Untaten 61 180 ff.
absoluter Lebensschutz 65 - präventive (Un-)wirksamkeit 44
abstrakte Gefährdungsdelikte 18, 126, - prozessuale Beschränkung des Anwen-
281 ff., 286 ff. dungsbereichs 185 ff.
- als Typen der Risikosetzung 305 ff. - restriktive Anwendung (in der Schweiz)
- Ausdifferenzierung der Deliktskategorie 184 f.
296 ff. - Schutz der personalen Integrität 192 ff.
- als Selbstzwecknormen 292 ff. - Schutz von Gemeinschaftsgütern 196 ff.
- Reduktion des Anwendungsbereichs - Selbstgefährdung 192 ff., 340 f.
287 ff. - Volksgesundheit 190 f.
siehe auch: Eignungsdelikte, konkrete - (als) Wertbekenntnis 200 f.
Gefährlichkeitsdelikte, Kumulationsde- Bodenverunreinigung 115
likte, Vorbereitungsdelikte Bürger (als autonome Person) 249, 276,303
Angriffswege 278 f.
Ausweitung des Strafrechts 29 f., 34 f., 81, Cannabis-Beschluß (des BVerfG) 187 f.
118, 180 ff., 185 Computerdelikte, Computerkriminalität
- materiellrechtliche Korrektive 186 149,151 f., 340
- prozessuale Korrektive 186 ff. crimen publicum, crimen privatum (Abgren-
zung von) 61 ff.
Bagatelldelikte, siehe: Kumulationsdelikte,
Umweltstrafrecht Dammbruchargumentation 212, 324, 342
Bankrottdelikte 150 Daseinsgewißheit (Erschütterung der -), sie-
Belästigungsprinzip, siehe: offen se principle he: Sorgelosigkeit
Bestimmtheitsgebot 179 f., 188 f. Deliktsstruktur
Beweisschwierigkeiten 118, 154 ff., 195, - als eigenständiger Legitimationstopos
302 strafrechtlicher Normen 278 f.
Brandstiftung (schwere) 288, 290, 300, 303, - und Präventionsorientierung 45 f.
309,315 - Veränderung durch Reduzierung der
Betäubungsmittelstrafrecht Strafbarkeitsvoraussetzungen 118, 126 f.
- Ausweitung des Anwendungsbereichs De1iktstypen (des Präventionsstrafrechts)
180 ff. 281, 306, 307 ff.
- Begleitkriminalität 197 f.
- Entwicklung 178 ff. Effektivitätsdilemma (des ..modernen"
- gesellschaftliche Folgekosten (des Kon- Strafrechts) 43 ff.
sums) 199 ff. Eigenverantwortlichkeitsprinzip 329, 336
- Intentionen des Gesetzgebers 37 f., 178 f., Eignungsdelikte 297 ff., 30 I f.
190 ff. Embryonenschutzgesetz 39, 206, 341
- internationale Abkommen 198 Entkriminalisierung 52 f.
- Jugendschutz 178 f., 194, 199 Erfolgsdelikt 307
384 Sachwortverzeichnis

fahrlässiger Versuch 290, 299, 304 - -abwägung 99,108 f., 271, 312 ff.
Feststellungsschwierigkeiten, siehe: Be- - kollektive 308, 319, 339
weisschwierigkeiten - personale 307, siehe auch: Rechtsgüter,
Folgenorientierung (des Strafrechts), siehe: individuelle
Prävention, Orientierung des Gesetzge- - Sicherheits-, siehe: hann principle
bers - Standardisierung von - 276 ff.
Fortpflanzungsmedizin 203 ff. - Unterscheidung personaler und überper-
Fortpflanzungsmedizingesetz 207 sonaler 89 ff., 98
Frankfurter Schule 30, 51 ff. - Wohlfahrts- , siehe: hann principle
Freiheitssphäre (bürgerliche) 52 Interventionsrecht 78 f.
- als Begrenzung und Korrektiv für staatli-
che Eingriffe 49,249,303 Kapazitätsausweitung, siehe: Ausweitung
- status negativus 94,165,196,222,321 des Strafrechts
- status positivus 94 f., 139, 165, 196,222, Kapitalanlagebetrug 155, 157 f., 160 Fußn.
321 253,161,174 f., 226 f., 240
kategorischer Imperativ 56 Fußn. 21,233 ff.
Gefährdungsdelikte, siehe auch: abstrakte Kernstrafrecht
Gefährdungsdelikte - Beschränkung auf ein - 33 f., 52, 54
- abstrakt-konkrete 126, 297
- Lehre vom Kembereich (BVerfG) 102 ff.,
- konkrete 118, 281 f., 284
245 f.
- potentielle 118
- Verbrechen als absolute Untaten 61 ff.
Gefahrgesellschaft 40
Kollektivgut, siehe: Rechtsgüter, kollektive
Generalprävention 57
konkrete Gefährlichkeitsdelikte 306, 309,
generelle Gefährlichkeit, siehe: Verhalten
311 ff., 339
Gentechnikgesetz 39, 204 f.
Konkursdelikte 150
Gentechnologie 203 ff.
Konzeption des Guten 252, 265, 275
Geschichtlichkeit des Strafrechts 68 ff., 88 f.,
Kreditbetrug 155 f., 158 f., 160 Fußn. 253,
231,251 ff.
161, 175 f., 226 f., 240, 283
Gesetz der großen Zahl, siehe: Phänomen
Kriminalstrafe 105 ff.
der großen Zahl
Krise des (modernen) Strafrechts 45
Gesinnungsstrafrecht 215 ff.
- siehe auch: Vollzugsdefizite
(unerlaubt riskante) Gestaltung fremder Or-
Kumulations
ganisationskreise 303 ff., 313 f.
Großregelung 291 - -beiträge 144 f., 176, 307 f.
Grundrecht auf Sicherheit 43 - -delikte 143, 145, 177,283,310,318 ff.,
Güterabwägung, siehe: Interessenabwägung 340 ff.
- -effekte (realistische) 322 ff., 339 f., 342
Haftung inuria tertii 142 f. - Erfassung von Bagatellen 325 ff.
Handeln unter Ungewißheit 57 ff. - siehe auch: Phänomen der großen Zahl
Handlungsobjekt 223
harm principle 254 f., 257 f., 260 ff. Legitimation staatlichen Strafens 54 ff.
Humangenetik 203 ff.
Massenhandlungen 300 f.
in dubio pro Iibertate 58, 97 Mensch
Individualrechtsgüter, siehe: Rechtsgüter, - Beginn des Menschseins 66 f.
individuelle - Ende des Menschseins 67 f.
Institutionen, siehe: Rechtsgüter - Menschenbild, siehe: Menschenwürde
Interessen Menschenwürde 208 ff.
Sachwortverzeichnis 385

Molekularbiologie 203 ff. Rahmen des Rechten 265,321


Moralwidriges Verhalten 255 f., 258, 263 ff. Rechtsgüterschutz
- als Basis des Strafrechts 33, 214
Natur der Sache 232 f. - effektiver, optimaler 47 ff.
naturalistischer Fehlschluß 176 - mittelbarer durch kontrafaktische Stabili-
Naturrecht, siehe: Sittengesetz sierung von Erwartungen 215 ff.
non liquet, siehe: Handeln unter Ungewiß- - und abstrakte Geflihrdungsdelikte 286 ff.
heit Rechtsgut, -güter
Normgeltung - als materiales Substrat der Straftat 127 f.,
- empirisch-faktische 43 ff., 57 ff. 214
Normverstoß - Beeinträchtigung von - 223 f., 281
- sittlich indifferenter 87 ff. - Beeinträchtigungsfahigkeit 225 ff.
- sozialethischer Unwertgehalt 87 ff., 103 - Begriff 214,218 ff.
- empirische Basis 168, 170, 230 ff.
öffentlicher Frieden 269 ff. - Funktionszusammenhänge als - 165
offense principle 257 f., 261 - Hierachisierung individueller und überin-
Ordnungs unrecht, siehe: Ordnungswidrig- di vidueller 94, 221 f.
keitenrecht - Individualrechtsgüter 31, 52, 192 ff., 213,
Ordnungswidrigkeiten(recht) 221
- Abgrenzung zum Kriminalstrafrecht 84 ff. - Institutionen als - 165
- Entwicklung 81 ff. - normative Maßstäbe zur Bestimmung
- Geldbuße 83 f., 106 ff. 168, 229 ff., 237 ff., 241 ff.
- qualitative (Abgrenzungs-)Theorie 84 ff. - kollektive 213, 308 f., 318
- quantitative (Abgrenzungs-)Theorie 100 f. - Menschenwürde als - 208 ff.
- gemischt qualitativ-quantitative Theorie - Moralvorstellungen als -, siehe: Rechts-
102 güter, Wertvorstellungen
- Unterschiede zum Kriminalstrafrecht 82 f. - ökologische 127 ff., 132 ff.
- Substanzhaltigkeit von - 220, 223 ff.
Paternalismus 257 f., siehe auch: Selbstge- - überindividuelle 31, 36, 89 ff., 92, 93 ff.,
fährdung 158,164, 196 ff., 221, 224
Person - Universalrechtsgüter, siehe: Rechtsgüter,
- als autonomes Individuum 235, 249, überindividuelle
275 ff. - -verletzung, siehe: Rechtsgüter, Beein-
- standard person 276 f. trächtigung
personale Freiheit, siehe: Freiheitssphäre - Volksgesundheit als - 190 ff.
Polizeidelikte, siehe: Ordnungswidrigkeiten- - Wertvorstellungen als - 134, 200 f., 210 f.,
recht, Entwicklung 213,227,341 f.
Prävention - Zwischenrechtsgut 300 f.
- Orientierung des Gesetzgebers 36 ff., Rechtsgutslehre
178 ff. - dualistische 221
- technische 72 f. - gesellschaftstheoretische Anbindung
Präventionsstrafrecht 229 ff., 237 ff.
- 30,35,42 - materiale, siehe: systemkritische
- Beherrschung des Zufalls 47 ff. - methodische, siehe: systemimmanente
- Problematik der Deliktsstruktur 45 f. - monistische 221
Phänomen der großen Zahl 143 f., 318 - personale 91 ff., 221
prozessuale Äquivalente, siehe: Ausweitung - systemimmanente 218
des Strafrechts, prozessuale Korrektive - systemkritische 218 f.

25 Wohlers
386 Sachwortverzeichnis

- verfassungspositivistische 249 ff. strafrechtsfreie Sphäre


Rechtsgutsobjekt 285, 309 - im pluralistischen Staat 253 ff., 262, 271 f.
- siehe auch: Handlungsobjekt Straftheorie(n) 55 f.
Rechtsgutstheorie, siehe: Rechtsgutslehre Strafwürdigkeit 166 ff.
RegreBverbot 330 Strafzweck(e) 54 ff.
Risikodelikt, siehe: konkretes Geflihrlich- Subsidiarität des Strafrechts 71 ff.
keitsdelikt - gegenüber anderen Formen repressiven
Risikogesellschaft 39 ff. Zwangs 78 ff.
Risikostrafrecht 39, 42 - gegenüber dem Verwaltungsrecht 74, 76 f.
Risikotypen 118, 296, 306 - gegenüber dem Zivilrecht 73
- wegen Selbstschutzmöglichkeiten des
Sanktionsnorm 292, 295 f., 318 Opfers 75 ff.
Schadensprinzip, siehe: harrn principle Subventionsbetrug 155, 157, 160 FuBn. 253,
Scheck- und KreditkartenmiBbrauch 76, 162 f., 173f., 240
149,153,340 symbolisches Strafrecht 119 ff.
Schiefe-Bahn-Argumentation, - Alibigesetze 123
siehe: Dammbruchargumentation - gesetzgeberische Ersatzreaktionen 122 ff.
Schmidt'sche Formel 89 ff.
- gesetzgeberische Wertbekenntnisse 120,
Schutzobjekt, siehe: Rechtsgut
200f.
Schutztechnik, siehe: Angriffswege
- KompromiBgesetze 123
Sein-Sollens-Problematik 230 ff.
- Normen mit Appellcharakter 120 f., 124
Selbstgefährdung (eigenverantwortliche)
systemtheoretisch fundierte Strafrechtsmo-
192 ff.
delle 237
Selbstverantwortung, siehe: Eigenverant-
Systemgerechtigkeit der Strafrechtsordnung
wortlichkeitsprinzip
161 ff., 164 ff.
Selbstzwecknorm 292, 295 f., 321
Sicherheit
Tatbestandsstruktur, siehe: Deliktsstruktur,
- als Grundrecht 43
Deliktstypen
- im Umgang mit Gütern 293 ff.
Trittbrettfahren 143 f., 292, 319 f., 321
Sicherheitsinteressen, siehe: harrn principle
Sicherheitsstaat 42 f., 51
U1tima-ratio-Prinzip 31,47
Sittengesetz (als PönalisierungsmaBstab)
Umweltstrafrecht
264f.
slippery-slope-Argumentation, siehe: - Entwicklung III ff.
Dammbruchargumentation - Erfassung von Bagatellen 141 ff., 325 ff.
Sorgelosigkeit (berechtigte) 293 f. - Gewässerverunreinigung III f., ll4,
Sozialadäquanz 331 ll6f.
Sozialschädlichkeit (als Basis einer Pönali- - Herabstufung zu Ordnungswidrigkeiten
sierung) 59 f., 96, 169,223 79 ff., 93
Standardisierung - Intentionen des Gesetzgebers 37, ll3 f.,
- bei der Verhaltenssteuerung 303 128 f.
- siehe auch: Interessen, Standardisierung - Luftverunreinigung 113 ff.
von - - präventive (Un-)wirksamkeit 43 f.
Strafbedürftigkeit 167 f. - Problematik des - 339
Strafrecht - UmweItmedien als Rechtsgüter 128 ff.
- klassisches 31 ff. - verfassungsrechtliche Pönalisierungsge-
- Legitimation 54 ff. bote 244f.
- modernes 30, 33,42, llO - siehe auch: VerwaItungsakzessorietät
Sachwortverzeichnis 387

Ungehorsam (bloßer), siehe: Verwaltungs- Vorbereitungsdelikte 307, 310, 328 ff., 341 f.
ungehorsam Vorfeldkriminalisierung 92
Universalrechtsgüter, siehe: Rechtsgüter, Vorhersehbarkeit (des Fehlverhaltens ande-
überindividuelle rer) 332 f.
Vorverlegung des Strafrechtsschutzes
Verfolgungsdefizite, siehe: Vollzugsdefizite - durch Gefährdungsdelikte 283 f., 303,
Verfahrenseinstellung, siehe: Ausweitung 338
des Strafrechts, prozessuale Korrektive - Straftatbestände im Vorfeld des Betruges
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 241 f. 154 ff., 340
Verhalten
- generell gefährliches 281, 297, 305 Wirtschaftskriminalität
- immanentes Risikopotential 303 ff.,
- Begriff 146 ff.
309 ff.
- Ansteckungs-, Sog- und Spiralwirkungen
- typischerweise gefährliches 281, 297
158 f., 173, 177,323 f.
Verhaltensnorm 292, 318
- Sozialschädlichkeit 171 ff.
Verhaltenssteuerung durch Strafrecht 30,
Wirtschaftsstrafrecht
285 f.
Verlagerung von Strafnormen in das Kern- - Entwicklung 148 ff.
strafrecht 113 ff. - präventive (Un-)wirksamkeit 43 ff.
Verifizierungsverpflichtung (des Gesetzge- - zum Schutz individueller Interessen
bers) 60 159 ff.
Verletzungsdelikte 282 - zum Schutz überindividueller Interessen
Vertrauensgrundsatz 332 165 f.
Verunsicherung (gesellschaftliche) 40 f. - verfassungsrechtliche Pönalisierungsge-
Verwaltungsakzessorietät 135 ff., 140 f. bote 247 f.
Verwaltungsschaden I Verwaltungsstraf- Wohlfahrtsinteressen, siehe: harm principle
recht/Verwaltungsunrecht 84 ff.
Verwaltungsungehorsam, bloßer 130, 141, Zurechnungsprobleme bei anonymen oder
145 f., 302, 316ff., 339 komplexen Handlungsstrukturen 45 f.
Vollzugsdefizite 43 ff. Zwischenrechtsgut, siehe: Rechtsgüter

25'

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