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Band 1
Strafrechtsreform
für heute und morgen
Von
Erster Teil
Zweiter Teil
Kriminalpolitische Aufgaben
Erster Abschnitt
§ 1. Methodische Voraussetzungen
schaftliehen Leben ist, das erscheint auf 14 Seiten des Buches von S. 84-98
unter dem Titel "Kulture lle Umwelt" . o-
8 Eine Wendun g leitet ein Mezger in "Krimin alpolitik auf kriminol
gischer Grundlag e", 2. Aufl. 1942, vgl. namentli ch S. 164 ff. Auch die Aus-
führunge n Exners über die Wechselbeziehung von Anlage und Umwelt,
a.a.O. S. 27 ff und S. 272 ff., führen in der Konsequenz über Mezgerden natura-
listischen Ansatz hinaus; jedoch können weder Exner noch sich
Methodische Voraussetzungen 5
Es kann .auf doen folgenden Seiten natürlich nur eine sehr vor-
läufige Gesamtschau über dies·e Entwicklung geg.eben werden, die
aber auch heute schon zu sehr wesentlichen kriminalpolitischen Folge·
rungen berechtigt. Wir gliedern im folgenden diese Gesamtschau unter
den drei Gesichtspunkten A. der Anthropologie, B. der Soziologi-e und
C. der Persönlichkeitslehre. Die kriminalpolitischen Konsequenzen
werden in § 5 dargelegt.
des Tieres ohne weiteres betrügen. Auch in der Natur verfehlt das
Tier sehr häufig sowohl den Zweck der Selbsterhaltung als auch den
der Arterhaltung. Fehlleistungen sind ohnedies mit jedem biologischen
Prozeß unvermeidlich verbunden, weil jeder biologische Prozeß eine
Koovdination von vielen Bedingungen zur Voraussetzung hat, die
nach ·einfacher Wahrscheinlichkeitsrechnung häufig nicht koordiniert
sein werd-en. Die Art überlebt nur deshalb, weil die Instinktstruktur
auf die gewöhnliche ökologische Umwelt eingestellt ist, in welcher die
Signalsituationen hinreichend häufig mit der real intendierten Situation
übereinstimmen. In diese ökologische Umwelt ist das Tier gewisser-
maßen eingesperrt. Ist die Diskrepanz zwischen der Instinktstruktur
und d•er Variabilität der Umwelt .groß., so kann die Art nur durch eine
sehr große Fortpflanzungsrate erhalten werden.
2. Im Sinn der vergleichenden Verhaltenslehre besteht die beson-
dere biologische Situation des Menschen darin, daß Triebe und
Schemata bei ihm bis auf Restbestände abgebaut sind, daß er also
ohne einen festgelegten biologischen Handlungsplan zur Welt kommt.
Über die Gründe dieses Abbaues läßt sich beim heutigen Stande der
entwicklungsgeschichtlichen Forschun.g noch nichts Sicheres sagen. Der
Begriff der Selbstdomestikation beschreibt das Phänomen, erklärt es
aber nicht. Vielfach glaubt man die Ursache in der vorzeitigen Geburt
des Menschen zu finden, welche die Gehirnstruktur intrauterin noch
nicht zur Reife kommen läßt, so daß nach der Geburt Gewöhnungen
und Lernvorgänge die früher genetisch angelegte Instinktstruktur
überlagern können. An der Tatsache des Instinktabbaues selbst kann
heute kein Zweifel mehr sein.
Das Instinktgefüge des Menschen ist also biologisch eine offene
Struktur. Der Mensch ist damit off·en für jede denkbare Umwelt,
soweit er sie physiologisch meistern kann. Er ist befreit von der
Starrheit der Triebe und :Schemata. Garantier·en bereits beim Tier die
Auslösesignale der Schemata nur in oeiner hinreichenden Zahl von
Fällen, daß die real g·emeinte Situation .auch wirklich vorhanden ist,
so würde der Mechanismus der Triebe und Schemata den heutigen
Menschen unfähig machen, seine ständig wechselnden und höc..'1.st
komplizierten L ebensaufgaben zu erfüllen. Diesen Aufgaben V"ermag
er nur durch Lern- und Wahlhandlungen zu genügen.
3. Dennoch ist eine umfassende Inventur der beim Menschen vor-
handenen Triebe und Schemata kriminologisch unentbehrlich. Leider
läßt sich diese Inv·entur beim heutigen Stand des Wissens nur an-
näherungsweise aufstellen. Aber das Instinktgefüge erklärt immerhin
teilweise das normale und normwidrige Soz1alverhalten. In bezug auf
das abnorme Verhalten ist für die Situation des Menschen we sentlich,
daß er aus se inem phyloge netisch·e n Instinktgefüge, aus seiner Natur,
Das Programm einer neuen Kriminologie 9
die außer dem Menschen kein anderes Lebewesen sich stellt. Sicherlich
wurz·elt dieses Humanum in biologischen T.ief•enschichten, ohne daß es
aber aus diesen .abgeleitet werden könnte, da es etwas schlechthin
Neues darstellt. Dieses Neue ist das "kh", d ie sich selbst g-estaltende
bewiUßte Persönlichkeit, die ihre .geistigen Inhalt-e entnimmt aus den
im sozialen Leben vorhandenen objektiven geistigen Gehalten, oder
doch in Verbindung mit diesen schafft oder umgestaltet. Subjektiver
und objektiver Geist sind nur der "geschichtlichen" Betrachtung, nicht
dem naturwissenschaftlichen Denken erreichbar, sind aber nicht minder
real als die Gegenstände der Naturwissenschaft.
Will man dennoch von einer geistig-psychischen Triebstruktur des
Menschen sprechen, so ist Trieb in diesem Sinn eine erlebte Strebung,
während der Instinkt als außerbewußt gedacht wird 4 • Über den Auf-
bau unserer geistig-seelischen Strebungen gibt es ebensoviele Aussagen
als es Psychologen und Charakterologen gibt. Aber in einem Punkt
stimmen im Grunde heute alle diese höchstverschiedenen Systeme
übe r ein, nämlich darin, daß der Mensch auch als geistig-seelische
Struktur an sich allen Inhalten offen ist. Er ist zwar keiner Wachs-
tafel zu vergleichen, in w-elche man alles eintragen könnte, wie das
18. Jahrhundert gelegentlich wähnte. Das rätselhafte Lebenszentrum
der Persönlichkeit, das in einer lebendigen Struktur .angelegt ist, be-
mächtigt sich der t:mdierten Inhalte jeweils nur auf die ihm gemäße
Weise. Aber k-eine Persönlichkeitsstruktur weist an sich auf bestimmte
soziale Inhalte hin. Die allgemein verbreitete Vorstellung, daß das
Verbrech•en aus dem Zusammenwirken von Anlage und Umwelt zu-
stande komme, ist deshalb schief, weil sie den Irrtum nahelegt, als
sei der Mensch vermöge seiner Anlage überhaupt auf irgendeinen
bestimmten sozialen Weg gewiesen, der dann nachträglich und
von außen her von der Umwelt irgendwie beeinflußt oder ab-.
gelenkt werden könnte. In Wahrheit empfängt der Mensch alle seine
sozialen Handlungsantriebe, sozialen Handlungsvorstellungen und so-
zialen Wertvorstellungen erst aus dem verstehenden Zusammenleben
mit anderen. Hier gibt es schlechterdings keine Ausnahme. Der sub-
jektive Geist, das Ich, existiert überhaupt nur in der Atmosphäre des
objektiven Geist·es, er ist nichts für sich allein. Wer in einem See-
räuberstaat .aufwächst, wird notwendigerweise S eeräuber, wenn er
überhaupt die Kraft dazu hat. "Ununterrichtet e Taubstumme bleiben
auf der Stufe von Idioten", gelangen jedenfalls zu kein-em höheren
sozialen Verhalten5 •
4 Jaspers, a.a.O., S. 263 ff. bezeichnet den Trieb als erlebten Instinkt.
Damit wird aber der Instinkt bereits als zweckhaft gedacht.
5 Jaspers, a .a .O., S. 594. Klingh ammer, Mschr. Krim. Bd. 42, S. 68, wider-
sprich t dieser Aussa ge nur scheinbar, indem er mit Recht h ervorhebt, daß
de::- T::m:Jstu:~me nicht notwendigerweise nur verbal lernen muß.
Das Programm einer neuen Kriminologie 11
aus sozialen Gründen ein anderes S·ein muß als beim Durchschnitt.
Ein so guter Beobachter wie Max Kaufmann, der Verbrecher in Frei-
heit beobachtet hat, schildert gerade ihre außerordentliche Gefühls-
wärme8. Dasselbe l·ehr·en überwiegend die Selbstschilderungen aus der
Verbrecherwelt bei Jäger, Luz und Georg Fuchs9 .
Grundsätzlich muß zuletzt betont werden, daß beim Menschen alle
Tr~·ebe und Sch·emata, alle geistig-seelischen :Strebungen den Weg
durch das bildend·e Bewußtsein nehmen. Dieses bildende Bewußtsein
ist eingebettet in den objektiven Geist, d. h. in die verstehende Ge-
meinschaft der Menschen. Die Frage, wie das Wunder does normalen
soe;ialen Zusammenl·ebens zustande kommt, ist daher erst von der
Soziologie zu beantworten.
Die Antwort auf die so g·estellt>e Frage lautet: Der Mensch kommt
zu planvollem Handeln dadurch, daß er als geistiges Sozialwesen dazu
veranlagt ist, das in einer historischen Gemeinschaft herrschende
Gemeinschaftsurteil sich anzueignen, welches in der normalen Reiz-
situation für den Einzelnen denkt und durch den Einzelnen hindurch
handelt. Kein Mensch produziert die Masse seiner Denk- und Hand-
lungsinhalte selbst, kein Einzelner vermöchte jemals den Weg von
der Einzelerfahrung bis zum sinnvollen Handeln für sich allein zu-
rückzulegen. Gewöhnlich wendet man nur di-e Sozialvorstellungen der
Allgemeinheit auf den Einzelfall an11•
I. Die jeweils gültigen Gemeinschaftsurteile unterHegen dem ge-
schichtlichen Wechsel. In dieser Historizität der Normvorstellungen
Max Kaufmann, "Die Psychologie des Verbrechens" 1912, S. 196 ff., 247 f.
8
9 Jaeger, "Hinter Kerkermauern" 1906, auch Arch. Bd. 21, S. 1 ff., S. 201 ff.,
Bd. 23, S.1 ff., S. 197 ff.; Walter Luz, "Das Verbrechen in der Darstellung des
Verbrechers" 1927; Georg Fuchs, "Wir Zuchthäusler", München 1931.
10 Die Vergesellung ist ein geistiger Vorgang, die Soziologie daher Gei-
steswissenschaft, und zwar verstehende Sozialpsychologie. Sie arbeitet mit
dem Tatsachenmaterial, welches gegenwärtige soziale Beobachtung (ein-
schließlich Experiment) und die ethnologische, rechts- und sozialgeschicht-
liche Forschung liefern. Soziologie ist also eine im allgemeineren Sinne
historische Wissenschaft, welche typische historische gesellschaftliche Vor-
gänge und Abläufe, insbesondere auf ihre Motivationszusammenhänge, un-
tersucht. Wegweiser durch das von der neueren pragmatischen Soziologie
gesammelte Tatsachenmaterial bleiben die alten Meister. Unter ihnen ver-
möge seines sozialpsychologischen Ansatzes für uns besonders lehrreich Al-
fred Vierkandt, Gesellschaftslehre, 2. Aufl.. 1928. Über die Möglichkeiten so-
ziologischen Denkens unterrichtet umfassend Maus in seiner Geschichte der
Soziologie, Hdb. d. Soziologie hrsg. v. Ziegenfuß 1956, S. 1-120, das ethno-
logische Material bei Richard Thurnwald, Die menschliche Gesellschaft,
5 Bände 1931-1934. Viel historisches Material findet sich in den soziologi-
schen Schriften von Max Weber.
11 Vgl. erstmalig Strafrecht des deutschen Volkes, 1936, S. 26 ff.
Das Programm einer neucn Kriminologie 13
12 Dies ist die grundlegende und in der Ethnologie auch anerkannte Ent-
deckung der sogen. historischen Schule, vgl. Gräbner, Methode in der Eth-
nologie, 1909; gestritten wird nur über die Einzelheiten der Methode. Vgl.
Thurnwald, a.a.O., Bd. 1, S. 10 f.
13 Többen, Untersuchungsergebnisse an Totschlägern, 1932, S. 1, meint,
für den Normalen sei die Tötung eine so ungeheuerliche Tat, daß er vor
ihr zurückschrecke. Auch in "Neuere Beobachtungen über die Psychologie
der zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilten oder begnadigten Ver-
brecher", 1927, stellt er nicht ernstlich die Möglichkeit in Rechnung, daß ein
Großteil der "Lebenslänglichen" möglicherweise aus Durchschnittsmenschen
besteht, die gerade so gehandelt haben könnten, wie Durchschnittsmen-
schen in dieser Lebenssituation handeln. Auch Ohm, Haltungsstile Le-
benslänglicher, 1959, legt sich nicht die einfache Frage vor, ob nicht der
Durchschnittsmensch in Extremsituationen sich ebenso verhalten kann, wie
der Soldat im Krieg.
14 Die werdende neue Kriminologie
2 Mayor. Strofremlsroform
18 Die werdende neue Kriminologie
seins, daß Eltern unfähig sind, ihr·e Kinder zu erziehen, wenn sie
mit ihnen nicht mehr spielen können.
Diese Übersicht mag zeigen, daß die Konfliktssituationen nicht so
sehr infolge äußerer Nöte und Schwierigkeiten auftreten, als vielmehr
infolge der inneren Widersprüche des Gemeinschaftsurteils, der Grup-
penurteile und der Sozialformen. Über Bedeutung und Grenzen des
Einflusses äußerer wirtschaftlicher Verhältnisse haben wir in den letz-
ten Menschenaltern eine sehr eindrucksvolle Belehrung erfahren.
V. Liszt glaubte noch, daß das "Elend" die Hauptursache der Massen-
kriminalität sei17• In Wahrheit konnte man ·zur Zeit v. Liszts von
einem Massenelend in strengem Sinn schon nicht mehr reden, wohl
aber gab es ein solches zwei Menschenalter früher zu Beginn des
19. Jahrhunderts. Aber gerade damals war die Vermög·enskriminalität
relativ klein, wie dies die geringen Zahlen der Strafgefangenen dieser
Zeit beweisen. Nach Franz v. Liszts Anfängen nahm dann die Ver-
mögenskriminalität mit der steigenden Kaufkraft des Reallohnes er-
heblich ab, aber in diesen Zeitraum fällt nicht nur der wirtschaftliche
Aufstieg der Arbeiterschaft, sondern auch die seelische Verbürgoer-
lichung de.r arbeitenden Massen. Dagegen erleben wir heute einen
gefährlichen Anstieg der Vermögenskriminalität der Jugend und der
Halberwachsenen, obgleich in diesen Jahrgängen ein ganz ungewöhn-
licher Wohlstand herrs·cht. Die massenhafte Kriminalität der Nach-
kriegsjahre sowohl nach dem ersten, wie auch nach dem zweiten Welt-
krieg, weist nicht nur auf die wirtschaftliche Notlage, sondern vor
allem auf die seelisch·e Verwirrung dieser Zeit hin. Die Verbrechens-
bewegung läßt sich also nicht aus der äußeren Umwelt, sondern ent-
scheidend nur aus geistigen Vorgängen ableiten.
Es gilt, sich immer bewußt :zu bleiben, daß die Persönlichkeit des
Menschen niemals abgeschlossen da ist, sondern immer nur wird. Die
Psychologie oder allgemeiner die Persönlichkeitslehre hat also für
uns eine dreifache Aufgabe zu leisten. Sie hat die Voraussetzungen
der werdenden geistig-seelischen Struktur des Menschen als solche dar-
zustellen (vgl. II.), sie hat das Werden der Persönlichkeit S·elbst Z1U
verfolgen (vgl. III.), sie hat als augewandte Wissenschaft die päd-
agogischen Möglichkeiten zu erörtern (vgl. IV.).
Franz v. Liszt wirkte in einer Zeit, als der Liberalismus noch alle
Fasern des gesellschaftlichen Lebens durchdrang. Ind•em er sich gegen
das überlieferte Vergeltungsstrafrecht wandte, beabsichtigte er, das
irdischen Zwecken dienende Recht von letzten Überresten metaphy-
sischer Zwangsherrschaft zu befreien. Er wollte die liberale Ordnung
mit sozialem Gehalt erfüllen, um den Liberalismus erst zu vollenden.
So ist es aus dem Zeitgeist heraus zu verstehen, wenn die seinerzeit
moderne Schule nicht bemerkte, daß sie sowohl mit ihren Grund-
g-edanken als mit ihren einzelnen Vorschlägen die bürgerliche Freiheit
in Frage stellte.
Heute aber sollte man wissen, was Franz v. Liszt und seine Zeit-
genossen noch kaum wissen konnten, daß der Kampf um Rechtsgrund
und Zweck der Strafe zu einem Kampf um Kollektivismus oder Frei-
heit ,geworden ist. Ja, es besteht die dringende Gefahr, daß im Zuge
der noch "modernen" Auffassung das Rechtsprinzip des kollektiven
Wohlfahrtsstaates auch den privatesten Lebensbereich ergreift. Die
Fronten in diesem Kampf sind verwirrt. Einerseits kann auch ein
totalitäres Gesellschaftssystem nicht existieren, ohne dem Einzelnen
ein gewisses Maß individueller Selbsttätigkeit zu belassen, denn nur
der lebendige Mensch bewegt die geschichtlichen Kräfte. Andererseits
~teckt die Versuchung zum Kollektivismus in der modernen Zivili-
sati-on überhaupt, daher auch in den Staaten des freien Westens. Das
Verlangen nach einem störungsfreien vatianalen Ablauf des gesell-
schaftlichen Lebens, der Wunsch, sich gegen Krankheit und Verbrechen
zu sichern, machen sich im Drang der modernen unüberschaubaren
gesellschaftlichen Vorgänge so übermächtig geltend, daß um der
Sicherung ·des Lebens willen immer wieder auf die Freiheit und
damit auf das Leben selbst verzichtet wird. In der Tat sind die
kriminalpolitischen Methoden totalitärer Staaten mitunter bis zu
einem gewissen Gmd erfolgreich, nur vernichten sie das freiheitliche
Leben, zu dessen Schutz doch allein die Strafr·echtspflege dienen soll,
26 Freiheitliches oder kollektivistisches Strafrecht
gründete die klassische Theorie das Strafrecht auf deru Gedanken der
sühnenden Vergeltung. Die philosophische Deduktion hat von Kant
bis Hege!., die Strafrechtstheorie der Strafrechtslehrer hat von Klein-
schrod über Feuerbach bis Köstlin mancherlei Wandlungen durchge-
macht, deren Einz·elheiten wir hioer nicht verfolgen können. Wir heben
an diesen Gedankengängen nur hervor, was für uns heute wesentlich
ist und verwenden Formulierungen, wie sie uns heute angehen.
1. Der Verbrechensbegriff: Ist Freiheit selbstverantwortliche T-eil-
habe am Gesetz, welches dem gestaltlosen Leben Gestalt und Form
gibt, so verpflichtet das Rechtsgebot die Person sittlich im Gewissen,
und ·es kann nicht Aufgabe des Einzelnen sein, seine subj-ektive Ethik
zu erfinden. So fordert gerade der Personalismus - im Gegensatz zum
bloßen Individualismus - vom staatlichen Gesetz autoritative Ent-
scheidung über Wert und Unwert sozialen Handelns, er erachtet es als
legitime Aufgabe des Strafrechtes, Werttafeln aufzurichten. Inwieweit
das Naturrecht ein etwa fehlsames positives Gesetz aufhebt, ist eine
besondere F:vage und ist hier nicht zu erörtern. Das strafrechtliche Un-
r·echt ist also wesentlich Entgegensetzung des 1E inzelwillens ·geg>en den
objektiv gültigen Allgemeinwillen. Mit dem Bruch der verpflichtenden
Ordnung zerstört der einzelne Mensch sich selbst als Person. Das Ver-
brechen geht also über eine bloße Inreressenbesch.ädigung weit hinaus.
Mag all dies auch erst bei Hege! ganz klar werden, nur diese Grund-
auffassung rechtfertigt den pathetischen Ernst, mit dem Kant die Be-
strafung des Verbrechens fordert: " ... denn wenn die Gerechtigkeit
untergeht, hat oes keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben."
2. Lehre von der Strafe: Gehorcht der Einzelne dem Ges·etrz als
freier Mann, so muß es auch ihm überlassen bleiben, den We.g zum
Rechten und Guten aus eigener Kraft zu gehen. Der Satz, es sei besser
Verbrechen zu verhüten als zu strafen, wird also falsch, wenn die
Verhütungsmittel die freie sittliche Selbstverantwortung ausschalten.
Die Freiheit besteht ganz wesentlich darin, nicht überwacht zu wer-
den, eine liberte surveillee ist ein hölzernes Eisen. Erst wenn der Täter
seine Freiheit mißbraucht hat, verfällt oer nachträglich der gerechten
Strafe. Natürlich haben weder Kant noch Hege! bestritten, daß die
praktische Strafrechtspflege zu allen Zeiten dem Zweck der Ver-
brechensverhütung gedient hat, nur sehen sie den Rechtsgrund oder
den Sinn oder das Wesen der Strafe allein in der gerechten sühnenden
Vergeltung. Der Täter "muß vorher strafbar befunden sein, ehe noch
daran gedacht wird, aus dieser Strafe einig-en Nutzen für ihn selbst
oder seine Mitbürger zu ziehen" (Kant). Rechtsgrund und Zweck der
Strafe sind also str·eng zu scheiden, ni-emals kann der erlaubte und
vernünftig>e Präventionszweck die Strafe rechtfertigen.
32 Freiheitliches oder kollektivistisches Strafrecht
3 May4:!r. Strafr~tsr~form
34 Freiheitliches oder kollektivistisches Strafrecht
8 Methodisch sehr klar Ferri, a.a.O., S. 26: "Wenn die allgemeine Anthro-
pologie nach Quadre-Fages die Naturgeschichte des Menschen ist wie die
Zoologie die der Tiere, so ist die Kriminal-Anthropologie nichts anderes
als die Wissenschaft von einem einzelnen Typus oder einer Varietät des
Menschen, sie ist also die Naturgeschichte des Verbrechers, ..."
Der Rechtsbegriff der Freiheit 35
doene und insofern maßvolle Gewalt9 • Diese Gewalt dient dem Leben
der Gattung im iEinzelnen, aber auch notfalls gegen den Einzelnen.
Damit ist das Rechtsprinzip des totalitären Staates ausgesprochen.
Aus dieser Grundauffassung folgt, daß es Freiheit nur als Ungebun-
denheit, als bloßes Belieben geben kann, eben um der individuellen
Lebendigkeit willoen. Diese Freiheit tritt aber dann im Ernstfall vor
dem Interesse der Gattung rurück. Die Freiheit als sittliche Selbst-
verantwortung dagegen muß in das Wolkenkuckucksheim des Idealis-
mus verwiesen werden, denn so etwas kann das Exemplar der Gattung
Mensch nicht haben. Ebenso ist es begrifflich unmöglich, einen Men-
schen für seine Taten v·e rantwortlich .zu machen. Was für die Gattung
schädlich, was erhaltungs- oder entwicklungswidrig ist, muß entweder
geheilt oder beseitigt werden.
2. Die strafrechtlichen Folgerungen dieser Grundauffassung sind nur
selten in vollem Umfang gezogen worden.
Konsequent wäre es gewesen, auf den Begriff der Strafe überhaupt
zu verzichten. Jedoch hat die neuklassische Schule im Schulenstreit
erfolgreich nachgewiesen, daß die überlieferte Strafe für Staat und
Gesellschaft unentbehrlich sei, obgleich diese Schule selbst um 1900
weitgehend dem naturalistischen Ansturm erlegen, also der eigentlich
klassischen Theorie entfremdet war. Bezeichnend ist hier besonders
die Haltung Naglers, der in seinen Arbeiten über Strafe und Ver-
brechensprophylaxe die Unentbehrlichkeit der Strafe naturalistisch
oder aus der praktischen Rechtserfahrung begründet. So fand sich die
mod·erne Schule um 1910 damit ab, daß die Zeit für die Abschaffung
der Strafe noch nicht reif sei. Sie duldete die Strafe nur wegen ihrer
in der gegebenen historischen Situation noch zu bejahenden Zweck-
mäßigkeit.
Neben dieses Stmfrecht wird nun ein System krimineller Zweck-
maßnahmen g·estellt; es kommt zu dem von Stooß erfundenen Kom-
promiß der Zweispurigkeit. Zweispurigkeit bedeutet begrifflich, daß
derselbe Weg zum selben Ziel auf einer nebenher laufenden Spur ver-
folgt wiro. Auch die Fahrzeuge, die auf beiden Spuren fahren, pflegen
sich zu gleichen. In der Tat sehen die kriminellen sichernden und
bes&crnden Maßnahmen der Strafe so ähnlich, wie ein Ei dem anderen.
Das Prinzip der Zweispurigkeit proklamiert demnach schon in seinem
Namen den EtikettenschwindeL
Vom naturalistischen Standpunkt aus sind grundsätzlich alle frei-
heitsbeschränkenden Maßnahmen gegen den Kranken oder Schäd-
ling unproblematisch, welche durch die Zwecke der Gesellschaft ge-
fordert werden. Es bedarf keines weiteren Rechtsgrundes als der ge-
sellschaftlichen Notwendigkeit oder nur der Zweckmäßigkeit. Der
heutige Leser ist manchmal überrascht von der theoretischen Bru-
3.
36 Freiheitliches oder kollektivistisches Strafrecht
vgl. vor allem folgende Sätze Oetkers: "Zwei Welt- und Staatsanschau-
ungen liegen im Streit. Die eine erblickt in den Forderungen der Ethik
und den religiösen Vorstellungen, wie sie der suchende Menschengeist
im Laufe der geschichtlichen Entwicklung erfaßt, Grundpfeiler unserer
Kultur, hält fest an der individuellen Verantwortlichkeit nach dem Maße
der Einsicht des Menschen und seiner Widerstandskraft gegen Antriebe
zum Schlimmen, legt dem einzelnen nur bestimmt begrenzte Beschrän-
kungen im Interesse der Gesamtheit auf und sichert ihm einen breiten
Raum freier Betätigung, Die andere erklärt die überlieferte Ethik -
samt der Religion - die Ideen von Schuld, Zurechnungsfähigkeit, Sühne
für Vorurteile, die vor der modernen Wissenschaft in nichts zerflatter-
ten, rechnet nur mit den soziologisch erfaßten Begriffen des Schädlichen
und Nützlichen und beugt den einzelnen in seinem ganzen Tun und Lassen
unter die Zucht der allmächtigen Gemeinschaft."
1 Vgl. Jescheck, Das Menschenbild unser er Zeit und die Strafrechtsreform
1957, insbes. S. 15 ff.; Peters-Lang-Hinrichsen, Grundfragen der Strafrechts-
reform 1959, S. 96.
38 Freiheitliches oder kollektivistisches Strafrecht
das Belieben, das Glück des Menschen, sondern seine Berufung zur
Persönlichkeit. Wenn Worte einen Sinn haben, so ist Menschenwürde
eben das, was den Menschen von der Natur unterscheidet. Damit ist
aber der Kantische Satz aufgenommen, daß der Mensch "niemals bloß
als Mittel zu den Zwecken anderer gehandhabt werden darf, wowider
ihn seine .angeborene Persönlichkeit schützt". Setzen wir also die
Grundentscheidung für die Freiheit voraus, so haben wir an dieser
Stelle nur die wesentlichsten Konsequenzen zu nennen, die dann im
folg-enden 3. Abschnitt näher auszuführen sind.
1. Verboten ist, den Menschen für kollektive Zwecke zu gebrauchen;
jeder Eingriff in die substantiellen Rechte der Person, also in Leben,
Körper, Freiheit, Ehre bedarf daher eines diesen Eingriff rechtferti-
genden Grundes, der dann mehr und etwas anderes sein muß als der
Gedanke des kollektiven Nutzens. Dieser Satz gilt schlechthin für
jeden staatlich·en Eingriff, nicht nur für die Strafe. Er gilt insbeson-
dere .auch für ein etwaiges Recht krimineller Maßregeln. Die Frage,
inwieweit die Allgemeinheit echte Opfter vom einzelnen verlangen
kann, liegt auf einem ganz anderen Gebiet. In der Erfüllung des recht-
lich oder moralisch geschuldeten Opfers erweist und bewährt sich die
Persönlichkeit. Von einem solchen Opfer ist aber in dem Recht der
kriminellen Maßregeln offensichtlich nicht die Rede, sie werden viel-
mehr dem Betroffenen angetan. Ein Recht krimineller "Maßregeln",
mögen diese nun auf Sicherung oder Besserung abzielen, kann es also
überhaupt nicht geben, denn jedes solches Maßregelrecht mißbraucht
begrifflich den Menschen als Mittel für soziale Zwecke.
2. Die Strafe läßt sich - negativ gesprochen - nur auf den Ge-
danken der gerechten sühnenden Vergeltung gründen, will man die
Freiheit nicht antasten; die Strafe ist damit zugleich die einzig legi-
time Form unmittelbaren staatlichen Zwanges gegen den freien Mann.
Sollte die - positiv - von der klassischen Philosophie für das Ver-
geltungsrecht vorgebrachte Begründung nicht überzeugen, so könnten
wir uns scheinbar mit einer viel vertretenen Meinung auf die prak-
tische Unentbehrlichkeit der Strafe berufen. Aber die religiösen Gründe
Tolstois gegen jede Str:afe oder strafähnliche Maßnahmen sind sehr
ernst zu n•ehmen. Die Strafe ist nun einmal etwas Schreckliches, schein-
bar ein Böses, jede menschliche Gerechtigkeit ist fragwürdig. Nur ein
transzendenter Gesetzgeber kann der Obrigkeit das Strafamt ver-
Revolution verwertet, wie der heutige Gesetzgeber die Erfahrungen des to-
talitären Staates. Es ist hier nicht der Ort, auf die staatsrechtlichen Dis-
kussionen näher einzugehen. Sie leiden an dem Mißverständnis, als ob ein
Kompromiß zwischen Individualismus und staatlicher Notwendigkeit, d. h.
dem Kollektivismus, gefunden werden könne. Der Individualismus hat ge-
danklich und geschichtlich den Kollektivismus zur notwendigen Konsequenz.
:!'Tur der Personalismus entrinnt dem Dilemma.
Die rechtspolitische Auseinandersetzung der Gegenwart 43
leihen, wenn anders der Satz gültig sein soll: "Vergeltet nicht Böses
mit Bösem." Dieser Satz gilt aber nicht nur für den gläubigen Chris-
ten, sondern auch für die humane sittliche Vernunft. Der Vergeltungs-
gedanke kann also nicht als ein weltimmanent befriedigendes Prinzip
verstanden werden, das in abstrakter Reinheit durchzuexerzieren an
sich geboten wäre. Die Strafe bleibt immer eine Notmaßnahme. Sie
muß also alle wohltätigen spezialpräventiven Zwecke in sich aufneh-
men, soweit das mit der Gerechtigkeit der Strafe vereinbar ist. Es ist
daher von unserem Standpunkt aus unzulässiger Doktrinarismus, wenn
man unter der Flagge der Zweispurigkeit ein reinrassig gezüchtetes
Strafrecht ·einem irgendwie andersartigen Maßregelrecht gegenüber-
stellt, damit sich die beiden Spuren dogmatisch sauber trennen lassen.
Auch darin folg·en wir der richtig verstanden•en Vereinigungstheorie,
daß der Staat nur insoweit berechtigt ist, seine allzu menschliche und
fragwürdige Strafgerechtigkeit zu üben, als ihn die staatliche, d. h.
kriminalpolitische Notwendigkeit dazu zwingt. Gerade der Gedanke
sühnender Vergeltung drängt also zu äußerster Sparsamkeit im Ge-
brauch d•es schrecklichen Mittels der Strafe. Das gewissermaßen logi-
zistisch-ästhetische Bedürfnis nach einem architektonisch geschlossenen
umfassenden System strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes ist kein legi-
timer Grund, Menschen durch die Mühle der Strafrechtspflege zer-
mahlen zu lass·en. Den allgemeinen Güterschutz haben Privatrecht und
öffentliches Recht mit ihren Mitteln zu gewährleisten.
3. 1Es klingt weltfremd ·und doktrinär, wenn wir die Möglichkeit
eines Rechts krimim~ller Maßregeln überhaupt bestr·eiten, so weit diese
Maßregeln in die Substanz der Persönlichkeit eingr·eifen. Aber bereits
Kant hat sich gegen den Gemeinplatz des angeblich gesunden Men-
schenverstandes wehren müssen, daß in der Praxis richtig sein könne,
was in der Theorie falsch sei. In Wahrheit hat das bisherige Maßregel-
recht einen kaum noch wegzuleugnoenden Miß·erfolg erlitten. Wir
müssen aber das Problem nur richtig formulieren, um den Weg zur
Lösung :zru finden. Wenn es wirklich Menschen gibt, die zu freier
Lebensgestaltung im Sinne sittlicher Selbstverantwortung nicht fähig
sind, so heißt es, sie zur Freiheit zu verurteilen, nicht aber, ihve Frei-
heit rechtlich anzuerkennen, wenn man sie dem gleichen Personen-
recht unterwirft, das für den gesunden Durchschnitt gilt. Ebenso wie
der Unmündige unter fürsorgender Gewalt steht, ebenso darf man
grundsätzlich auch sozial hilflose Menschen unter wohltätige für-
sorgende Aufsicht stellen, damit sie nach dem Maße ihrer Fähigkeiten
ihr Leben unser dieser Aufsicht vernünftig gestalten können. In der
Tat ist dieser Gedanke in einer für den Str afrechtstheroretiker viel-
leicht überraschenden Weise im Sozialhilfgesetz § 72 anerkannt wor-
den. Es ist aber leichter, ein solches fürso rgendes Personenr echt als die
44 Freiheitliches oder kollektivistisches Strafrecht
Kritische Folgerungen
§ 5. Kritische Folgerungen
Wir woll~n den ersten Teil dieser Schrift mit einer grundsätzlichen
Kritik des Entwurfs abschließen, dire im zweiten Teil in d~n Einzel-
heiten zu entfalten sein wird.
Der KriminoLoge muß zwar bei dem gegenwärtig·en Stande seiner
Wissenschaft mit Vorschlägen sehr vorsichtig sein. Einige grund-
legende Aussagen ergeb€n sich jedoch aus unseren Ausführung€n in
Abschnitt I. Dem Strafrechtsthreor€tiker ist jedenfalls äußerste Wach-
samkeit geboten, damit nicht kriminalpolitisch€ Vielgeschäftigkeit die
Freiheit in Gefahr bringt. Sowohl in kriminologischer wie in straf-
rechtstheoretisch€r !Sicht ·erscheint also eine neue Weichenstellung
geboten.
I. Grundhaltung des Entwurfs. Betrachtet man den Inhalt des Ent-
wurfs, so hat res zunächst d€n Anschein, als sei nur der Kompromiß
von 1909/13 €ndgültig V€rwirklicht und gleichz·eitig W€itergebildet. iEs
bleibt auf der ein€n S€ite das überlief€rte, auf die Tatsclwld bezog€ne
Recht der verg.eltenden und sühnenden Straf~ bestehen. Danehen wird
ein System bessernder und sichernder Maßnahmen errichtet. Und doch
bez·eichnet dies€r Entwurf eine neu€ Zeit mit neu~n Grundanschau-
ungen und lUDausgeglichenen Widersprüchen. Er will allerdings nicht
die Weichen neu stellen.
1. Wenn der Entwurf heute 1960 am Tatstrafrecht festhält, so gibt
dies dem Kompromiß von 1909/13 einen neuen Sinn. Für die seinerzeit
moderne Schule war das letzte Ziel der Strafrechtsreform die allmäh-
liche Abschaffung des Strafrechts. Vi•elleicht hat der alternde Franz
v. Liszt um 1910 an manch€n Thesen seiner Jugend gezweifelt, im
Ganzen hat sich aber die moderne Schule nur deshalb oof den Kom-
promiß eingelassen, weil die Zeit für ·ein folgerichtiges Zweckstrafrecht
oder besser Sanktionenrecht - etwa im Sinne des italienischen Ent-
wurfes von Ferri - noch nicht reif schien. Der vorliegende Entwurf
spricht dagegen ein unzweideutiges Bekenntnis aus zu einem auf die
Tatschuld bezogenen Strafrecht, welches in seinen Grundlagen als un-
erschütterlich angesehen wird.
46 Kritische Folgerungen
4 Moyer. StrafrecMsr~~tform
50 Kritische Folgerungen
4'
52 Kritische Folgerungen
zu versetzen, weil man ihn auf dem Dorf leichter überwachen kann,
aber durch Kombination von Aufenthaltsbeschränkung und bestimmte
Verbote könnte man praktisch ein solch·e s Ergebnis herbeiführen. !Es
läßt sich z. B. auch nicht leugnen, daß z. B. gewisse Bedi•enungsgewerbe
kriminell anfällig sind. Durch jedes Verbot wird aber der Strafrichter
mittelbar als •ungelernter Berufsberater tätig und kann den Proban-
den mittelbar in eine diesem verhaßte Berufslaufbahn rlwingen. Auch
die Auferlegung von Meldepflichten kann die Ausübung bestimmter
Berufe ganz unmöglich machen.
Neben diese Weisungen tritt möglicherweise - bei Jugendlichen
zwingend - Überwachung und Leitung des Probanden durch den
Bewährungshelfer. Diesem Bewährungshelfer steht eine in Voraus-
setzungen und Hilfsmitteln noch völlig ungeklärte Zwangsgewalt zu.
Jedenfalls hängt es von dem Bericht des Helfers ab, ob die Straf-
aussetzung widerrufen wird oder nicht. Ob der Helfer eine eigene
echte Anordnungsgewalt hat, ist bestritten. Sich·erlich kann er die-
jenigen bindenden Anordnungen treffen, welche ihm Leitung und
Aufsicht garantier·en, also z. B. den Probanden zu Sprechstunden be-
stellen. Manche Gerichte legen dem Probanden sogar auf, er habe
sich auch sonstigen Weisungen tdes Bewährungshelfers zu fügen. Aber
auch wenn man eine solche Praxis für unzulässig hält, so würde doch
auch der Rat d>es Helfers, die Freizeit in bestimmter Weise zuzubrin-
gen, den Arbeitsverdienst in bestimmter Weise ZJU verwerten, be-
stimmten Jugendorganisationen beizutreten, sich nur wenig von einer
bindenden Anmdnung unterscheiden. Denn hinter solchen Ratschlägen
steht die Macht des Bewährungshelfers, der durch seinen Bericht den
etwaigen Vollzug der Strafe beeinflußt.
Nun wird keine Suppe so heiß gegessen, wie sie gekocht wird, und
auf dem Gebiet der probation wird sogar mit besonders viel Wasser
gekocht. Rechnen wir, daß im Jahr 1957 rund 60 000 auf Freiheits-
strafe lauttmde Urteile gegen Heranwachsende und Vollerwachsene
zur Bewährung ausgesetzt wurden, so kann offenbar vorerst von
einer wirklichen Überwachung und Leitung solcher Menschenmass·en
gar keine Rede sein. In welchem Umfange heute wirklich Weisungen
g-egen Vollerwachsene oergehen, läßt sich nicht feststellen, Bewährungs-
hilfe wird sich·erlich nur selten angeordnet. Damit erhalten diese Mög-
lichkeiten aber erst recht den Charakter völliger Willkürlichkeit und
gelegentliche Weisungen dürften mehr schaden als nützen. Wir haben
an diesrer Stelle aber das Recht der Weisungen und der Bewährungs-
aufsicht so 'ZU betrachten, wie es geplant ist; und in der Planung sieht
es eben so aus, wie wir ·es dargestellt haben. Für derart weitgehende
Rechtsbeschränkungen eines Menschen lassen sich im modernen Recht
überhaupt keine Paralloelen finden. Der Proband g·eht wesentlicher
Kritische Folgerungen 53
werden die Behörden und ihr Objekt in der Mehrzahl der Fälle ver-
schiedener Ansicht sein. Wenn man nach § 3 des Sozialhilfegesetzes
auf den Wunsch des Hilfsbedürftigen wirklich hört, so wird sein
Wunsch in aller Reg.el sein, den guten Rat des § 73 Sozialhilfegesetzes
nicht ZJU befolgen. Es ist aber auch nicht wahr, daß die probation
gegenüber der Freiheitsstrafe als milder·e Maßnahme ohne weiteres
erlaubt sei. Ob probation oder Vollzug milder ist, kann nur im Einzel-
fall entschieden werden. Jedenfalls dauert die Überwachung bei pro-
bation viel länger und die längere Dauer wiegt vielleicht die viel
kürzere Freiheitsstrafe auf. Man wage doch nur einmal dem Proban-
den ernstlich die Frage zu stellen, ob er lieber die kurze Freiheits-
strafe oder die lange Überwachung wählt. Diese Wahl hat der Ge-
setzgeber der §§ 23 ff. StGB dem Verurteilten wohlweislich versagt,
und der Entwurf will sie ihm auch nicht gewähren. Die wohltätige
Absicht nimmt also der aufgedrängten Hilfe nicht den Charakter der
schmerzlichen Rechtseinschränkung, ob sie nun als Hilfe nach dem
Sozialhilfegesetz oder als probation nach dem Strafgesetzbuch auf-
gedrängt wird. Solche Maßnahmen können also ihre Rechtfertigung
immer nur darin finden, daß sie als Statusveränderungen notwendig
und gerecht sind.
Wir leiten aus unseren Grundgedanken folgende Thesen ab.
a) Es sind alle Möglichkeiten der gerechten Strafe auszuschöpfen.
Die Freiheitsstrafe ist keine Beeinträchtigung der v·erfassungsmäßigen
Freiheit. Der Bestrafte hat sein Strafleiden zu dulden, bleibt aber
darüber hinaus und ist jedenfalls nach StrafverbüBung ein freier
Mann. Deshalb ist die Strafe grundsätzlich vorzuziehen, und sie ist so
einzusetzen, daß gefährliche die Freiheit beschränkende Maßnahmen
auch in Form eines fürsorgenden Personenrechts tunliehst vermieden
werden können.
b) Zweckmaßnahmen, die lediglich aus dem Gesichtspunkt der
Nützlichkeit- sei es auch des Nutzens für den Betroffenen selbst -
in die Substanz der Persönlichkeitsrechte eingreifen, sind in allen
Fällen unzulässig, mögen sie nun strafrechtlich oder fürsorger·e chtlich
begründet sein. Möglich ist eine auf den Zweck der Fürsorge ab-
gestellte Statusänderung nur dann, wenn der Habitus der betroffenen
Person es ihr unmöglich macht, ihr Leben in freier sittlicher Selbst-
verantwortung zu g-estalten. Ein solches Recht der Statusveränderung
ist um der allgemeinen Freiheit und Gleichheit willen nur in engen
Grenzen zul.ässig und an möglichst strenge rechtsstaatliche Voraus-
setz.ungen zu kruüpfen.
c) Niemals kann ein einzelner, gar geringfügiger Vorfall als solcher
einen hinreichenden G r und für eine Statusveränderung abgeben.
56 Kritische Folgerungen
Kriminalpolitische Aufgaben
Erster Abschnitt
s•
68 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
von 11521 • Diese Schillinge wurden 1532 in der CCC durch fünf Gold-
gulden ersetzt, deren Goldwert nach der Reichsmünzordnung von 1559
immerhin nicht ·ganz 5 mal 3 = 15 gr fein betrug, also etwa 40 Gold-
mark der früheren deutschen Goldwährung. Dies war damals ein ganz
außerordentlich hoher Realwert, man konnte z. B. in Schleswig-Hol-
stein etwa zwei Mastochsen dafür kaufen2 • Derartige Werte lassen sich
praktisch nicht ohne Bruch des öffentlichen Friedens entwenden, und
so hat die Landfriedensordnung die Sache eben auch beurteilt. Diese
Untergrenze des eigentli<:h kriminellen Diebstahls blieb im wesent-
lichen bis zum 1Ende des alten Reiches bestehen. Denn wenn Carpzow3
fünf beste 'Ungarische Gulden, der bayerische Kriminalkodex von 1751
dagegen 20 schw;ächere neuere Gulden4 fordert, so ist dies immer un-
gefähr der gleiche Realwert. Der Täter dieses schweren Diebstahls" ist
immer ein halber Räuber oder ein Marodeur oder dergleichen. Immer-
hin will CCC Art. 160 auch beim ersten Diebstahl über fünf Gulden
Wert die Todesstrafe noch vermieden wissen, während Carpzow, hier
auf sächsisches Recht gestützt, strenger ist. Was man aber bei der Er-
innerung an die Todesstrafe bei Diebstahl überhaupt vergißt, das ist
die Tatsache, daß für den ersten geringeren Diebstahl in der CCC nur
Duplierung angedroht ist, vgl. Art. 157, und dabei denkt die CCC
nicht an die kleinsten Diebstähle, die überhaupt nicht vor die Schöffen
kommen. Carpzow ist also hier strenger als die CCC, er spricht von
Landesverweisung und Körperstrafen, kurzfristigem Carcer und Mul-
tierung. Aber auch er berichtet, daß tatsächlich die Masse der kleinen
Diebstähle nur multiert werden5 • Was es mit den kleinsten Diebstählen
auf sich hatte, sieht man am besten wieder im Codex Criminalis Ba-
varicus, der Diebstähle unter dreißig Kreuzer beim Niedergericht läßt6 ,
wo ja zunächst nur Multierung denkbar ist. Dreißig Kreuzer sind aber
ein halber Gulden, die Kaufkraft darf man in heutigem Gelde doch
1 Vgl. Rudolf His, Das Strafrecht des Deutschen Mittelalters Bd. 2, 1935,
S.178 ff. Die Grenze ist wohl alt-indogermanisch; vgl. Ernst Mayer, Ger-
manische Wergelder sowie Weiderechte und Römische Multa, Tijdschrift
voor Rechtsgeschiedenis Deel VIII, 1928, S. 1 ff.
2 Vgl. CCC Art.157; über die Reichsmünzordnung vgl. Sehröder v. Kii.nß-
berg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 6. Aufl. 1922, S. 925; unser
altes Zwanzigmarkstück wog bekanntlich 7,1685 g fein.
über die Realkaufkraft gibt es leider zusammenfassende Werke nicht.
Doch genügt für unsere Zwecke die vortreffliche Arbeit von Waschi nski,
Währung, Preisentwicklung und Kaufkraft des Geldes in Schleswig-Holstein
von 1226-1864 (Quellen und Forschungen zur Geschichte von Schleswig-
Holstein) 1952; vgl. insbes. die Tabelle B 1-3.
3 Vgl. Practica Nova Qu. 78 nr. 29.
4 Codex Crim. Bav., 1. Teil, 2. Cap., §§ 2-4, dazu die Anmerkungen von
Kreittmayr, § 3 a.
5 Vgl. Practica Nova Qu. 78 nr. 100.
6 Cod. Crim. Bav., l.Teil, 2. Cap., § 2.
70 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
wohl auf oetwa 40 Mark V€ranschlagen. Aber auch bei dem kleinen
landgerichtliehen Diebstahl von 30 Kreuzer bis 20 Guld€n war noch
Multierung grundsätzlich m-öglich.
Betrug in unserem heutigen Sinne war bekanntlich nach der CCC
überhaupt nicht strafbar, strafbar waren zunächst nur die hervor-
g€hobenen Fälle der eigentlichen Fälschung.
Der absolutistische Fürstenstaat erließ dem Rückfalldieb oder schwe-
ren und großen Dieb die Todesstrafe, dehnte aber die milder gewor-
denen Diebstahlsstrafen auf den mittleven Diebstahl aus. Erst das bür-
gerliche 19. Jahrhundert hat dann auch den kleinsten Diebstahl krimi-
nalisiert und den Betrug sowie die Unterschlagung allgemein unter
öffentliche Strafe gestellt.
Dieser historische Exkurs mag zeigen, daß unsere heutige Regelung,
welche auch unbedeutende Angriffe gegen fremdes Vermögen mit Kri-
minalstrafe bestraft, sich nicht auf eine historisch erwiesene Notwen-
digkeit berufen kann. Sie ist vielmoehr ganz und gar unvernünftig. Mit
Recht hat darum die SPD in den Reichstagsverhandlungen von 1928
bis 1930 einen zaghaften Widerspruch gegen diese Übersteigerung des
bürgerlichen Sekuritätsbedürfnisses angemeldet, indem sie vorschlug,
den gewöhnlichen Diebstahl in ein Antragsdelikt zu verwandeln7 •
Sie ließ es sich aber gefallen, daß die Entscheidung darüber bis zur
zweiten Lesung zurückgestellt wurde, so daß die Zusammenstellung
der Ausschußberatungen von 1930 den Antrag der SPD als erledigt er-
scheinen ließ. Dabei hatte dieser Antrag den guten Grund für sich,
daß alle Vermögensrechte verzichtbar sind, so daß die Offizialverfol-
gung problematisch erscheint. Auch die häufig wiederholte Behaup-
tung, daß die Vermögensd.elikte, insbesondere der Diebstahl, auf nied-
rige Gesinnung oder eine kriminelle Persönlichkeit hinwiesen, ist offen-
sichtlich haltlos. Der junge Dieb begeht die Tat mehr oder weniger
aus Leichtsinn, Übermut oder Trotz. Im übrigen sind Diebstahl, Unter-
schlagung und der gewöhnliche Betrug eben die heimliche Selbsthilfe
des Schwachen.
Gerade im Gebiet des Vermögensstrafrechts ist es also dringend er-
forderlich, sowohl die Tatbestände einzuschränken als auch weitere
Verfolgungsvoraussetzungen vorzuschalten.
Von den 179 000 Verurteilungen unserer berichtigten Gruppen schla-
g·en zu Buch:
geschützt sein soll, als das nur in § 289 StGB geschützte an sich viel
stärkere Faustpfandrecht. Auch das Vorbehaltseigentum kann straf-
rechtlich nicht dem Volleigentum gleichgestellt werden. Es darf nicht
zugelassen werden, daß durch Privatvertrag eine öffentliche Strafbar-
keit vereinbart werden kann. Alle Bestrafungen dieser Art laufen auf
das reaktionäre Bestreben hinaus, den insolventen Schuldner als sol-
chen zu strafen.
Dagegen bedarf das Geld besonderen strafrechtlichen Schutzes. Da
Geld im Verkehr wesentlich als Wertträger, nicht aber als eigentums-
fähige 1Einzelsache behandelt wird, so wird Geld meist Eigentum des
Empfängers, auch wenn dieser das Geld für einen anderen in Empfang
nehmen, verwahren oder verwenden soll. In den meisten Fällen ist
der Empfänger auch berechtigt, das angebliche fremde Geldeigentum
in eine bloße Forderung zu verwandeln, indem er es auf ein Bankkonto
einzahlt. Nur wenn der Empfänger ausnahmsweise gehalten ist, Geld
als unterscheidbare Sache auch gesondert aufzubewahren, bleibt es in
Händen des Empfängers fremdes Eigentum. Die strafrechtliche Recht-
sprechung fingiert im Gegensatz zur konkursrechtlichen vielfach frem-
des Sacheigentum, indem sie sachenrechtliche Einigungen 11.1nterstellt,
die weder psychologisch noch normativ anerkannt werden können. Da-
durch entstehen schwer erträgliche Unsicherheiten. In Wahrheit kommt
es allein darauf an, ob bezüglich der Geldsumme ein Kreditgeschäft
vereinbart war, oder d•er Empfänger ·gehalten sein sollte, die Summe
greifbar zu verwahren. Liegt der letztere Fall vor, so ist die Summe
eine fremde Sache. Mit einer solchen Fassung des Unterschlagungstat-
bestandes w:är·e auch der Untreuetatbestand entlastet.
Genauer zu formulieren ist auch der Begriff der Aneignung. Die
Rechtsprechung hat praktisch den Versuch der Unterschlagung schon
zur vollendeten Unterschlagung erhoben, indem sie als Aneignung jede
Bekundung des Aneignungswillens genügen läßt11• Ohne eine solche
äußere Bekundung fehlt aber die für den Versuch unentbehrliche Ma-
nifestation des Aneignungswillens. Das ist gerade bei der Unterschla-
gung sehr mißlich, weil damit der Weg z.um strafbefreienden Rück-
tritt von vornherein abgeschnitten wird. Nun ist es aber immer eine
schwere Versuchung, wenn jemand fremde Werte mehr oder minder
unkontrolliert in der Hand hat. Der Wille, anvertrautes fremdes Gut
anzutasten, sollte daher nur dann strafbar sein, wenn er in entschie-
dener Tat festgehalten wird. Es muß also ein breiterer Weg für den
Rücktritt offengehalten werden. Die Unterschlagung sollte daher erst
vollendet sein, wenn der Täter dem Berechtigten tatsächlich die Ver-
fügll.lngsmacht über sein Eigentum entzieht. Damit bleibt auch die
11 Vgl. die Nachweise bei Schönke-Schröder (10. Aufl.) zu § 246 V.
74 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
6 Mayer. Strafrechtsrliform
82 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
8 Nur diese an sich bereChtigte Frage stellt die Begründung S. 334 ff.
7 Binding, Lehrb. Bd. 1, S. 194, redet von einem ReChtsgut der Ge-
sChleChtsehre, ohne dies saChliCh zu definieren, gibt vielmehr § 49 II nur
Ableitungen, die siCh in dieser Form kaum ableiten lassen. Er verweist auf
die "Grenzen von ReCht und Sitte", ohne zu sagen, welChen Sinn diese
Grenzen haben. AuCh GrassbergeT in Festschrift für Eberhard Schmidt,
S. 333 f., setzt die sexuelle Sitte lediglich in ihrer TatsäChlichkeit voraus.
Heute enthalten sich die meisten jeder grundsätzlichen Stellungnahme; vgl.
Welzel, Lehrb. 7. Aufl., § 63. Maurach, Besonderer Teil, 3. Aufl., S. 376 ff.
Schönke-Schröder, "orbemerkung vor 13. Abschnitt I, sagt geradezu: "Ge.,
schützt werden die Grundsätze, die nach der tatsächlichen Entwicklung
innerhalb des deutsChen Volkes bezüglich der geschlechtliChen Verhältnisse
gelten." Mezger, Strafr., besonderer Teil, § 22, sChreibt zwar: ,.Die maß-
gebende Ordnung des gesellschaftlichen Lebens liegt für das heutige ReCht
in der EinriChtung der Ehe." Aber daraus zieht Mezger keine eigentlichen
rechtlichen Konsequenzen.
Die Referate von Niggemeyer, Renee König, Baader auf der Arbeits-
tagung des Bundeskriminalamtes über Sittlichkeitsverbrechen 1959 kommen
zu keinerlei wirklichem Ergebnis. Gescholten wird viel über die Sitten-
riChterei in Strafurteilen, vgl. NJW 1961, S. 1569. Tatsächlich sind die Ur-
teile der NJW 1959, S. 1092 und 1961, S, 838, niCht miteinander zu verein-
baren und zeigen, daß das allgemeine Sittlichkeitsempfinden keine wirk-
lichen Antworten gibt.
88 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
also das Gesetz nicht ablesen, es hat vielmehr dieser die Form zu
geben. Für den Gesetzgeber .gilt Goethes Vers in besonderem Maße:
"Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend ge-
sinnt ist,
Der vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter.
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich."
Zwei Grundauffassungen stehen sich gegenüber, die natürlich auch
in verschiedenartigen Kompromissen miteinander verbunden werden.
Die gegenwärtige Gesetzgebung hat zur historischen Grundlage die
christliche Vorstellung der religiös begründeten Monogamie, daß von
Anbeginn ein Mann und ein Weib geschaffen sei, und beide unlöslich
ein Fleisch werden sollen, vgl. Matth. 19. Diese Vorstellung erkennt
die große Bedeutung der Sexualität als einer göttlichen Schöpfergabe
durchaus an, weist aber die Geschlechtlichkeit ausschließlich in die
Ehe. Diese Forderung verliert nicht deshalb ihre Geltung, weil mensch-
liche Schwäche ihre volle Verwirklichung ausschließt. Aus der ster-
benden Antike übernimmt die christliche Tradition auch ein gutes Teil
urtümlicher Sexualangst, die VorsteUung, daß der Mensch in der
sexuellen Ekstase die Person verliere und unrein werde. Die aus
dieser biologisch an sich natürlichen Angst stammenden Übertrei-
bungen können im Ganzen heute als abgetan gelten.
Die Gegenmeinung verehrt in der zur Erotik sublimierten Sexualität
gerade in ihrer wechselhaften Lebendigkeit das eigentliche Lebens-
prinzip und Lebensglück. Die Ehe wird von hier aus leicht zum äußer-
lichen Zwang, sie ist jedenfalls nur die äußere Form einer erotischen
Bindung. Die naturhafte Kraft soll allerdings gesund und "rein" blei-
ben, was in der Hauptsache heißt, daß !Erotik und Sexualität nicht aus-
einanderfallen sollen. Für diese erotische Weltdeutung ist die Pro-
stitution das schlimmste Skandalen, das es geben kann, denn es kommt
eben alles darauf an, daß die Sexualität in der Erotik ihre Weihe und
Rechtfertigung erhält. Allerdings wird diese Auffassung nur selten in
voller Klarheit vertreten, denn sie stößt sich eben an der Macht der
christlich bestimmten Überlieferung. Außerdem kann sich auch der
ideologische Naturalismus einfach nicht der nüchternen Menschheits-
erfahrung entziehen, daß die dämonische Macht der Sexualität die
höhere Persönlichkeit und die menschliche Ordnung bedroht. So tarnt
sich dieser Naturalismus vielfach mit dem idealistischen Gedanken,
daß in der Intimsphäre des Menschen nur die freie Gewissensentschei-
dung gelten dürfe. Man legt Wert auf "Reinheit" des Geschlechts-
lebens, d. h. man macht den vergeblichen Versuch, ausgerechnet das
Triebleben als solches irgendwelchen Idealnormen zu unterwerfen.
Insbesondere will man die frühzeitige Se:x,ualität unterbinden, da in
Verbrechen gegen die Person 89
ihr die höhere Erotik noch fehle. Dies wird aber begreiflicherweise
von der Jugend entschieden bestritten, zumal kein moralisches Prinzip
der Jugend weniger einleuchtet, als der Satz: "Das ist nichts für kleine
Mädchen."
Es kann schon aus historisch-politischen Gründen gar kein Zweifel
darüber sein, daß sich der Gesetzgeber im Prinzip für die in der ge-
gebenen christlichen Volksreligion begründete Überlieferung ent-
scheiden muß. Nur der Puritanismus nach Reformation und Gegen-
reformation hat aber aus dieser Überlieferung den Schluß gezogen,
daß das Strafrecht alle geschlechtliche Unordnung bestrafen müsse. Ge-
hölt die Geschlechtlichkeit in die Ehe, so tritt die ideologische Forde-
rung des Einklangs von Sexualität und Erotik in den Hintergrund, es
gibt keinen Unterschied von reiner und unreiner Sexualität. Sie er-
scheint in allen ihren Formen, auch in der Prostitution, als natürlich,
aber eben nur als ungeordnet und der Ordnung in der Ehe be-
dürftig. !Eine Ausnahme machen nur eigentliche Erkrankungen der
Triebrichtung. Aber es kann, so gesehen, zunächst nur die Aufgabe
von Familie und Gesellschaft, die Pflicht des Einzelnen selbst sein, den
Trieb in Zucht zu nehmen. Die geschichtliche Erfahrung lehrt zudem,
daß jeder Versuch, die Unzucht als solche zu strafen, an der Über-
macht des Triebes scheitert. Der Staat kann also nicht allgemein jede
Unzucht, sondern nur die besonders schweren Formen der Unzucht,
wie die gewaltsame Unzucht oder die Verführung unschuldiger Ju-
gend, verbieten. Vor allem muß der GeStetzgeber klare Grundsätze auf-
stellen, insbesondere unmißverständlich sagen, was Unzucht ist. Ver-
weist er hier, wie die Rechtsprechung irrig meint, auf das normale
Schamgefühl8 , so gibt er den vortrefflichen Rat, die Gesellschaft möge
sich wie Münchhausen am eigenen Zopf aus dem Sumpfe ziehen. Will
der ·Gesetzgeber die Eheordnung schützen, so ist Unzucht einfach die
unmittelbare Erregung oder Befriedigung des Triebes außerhalb der
Ehe, wenn auch nicht jede Unzucht strafbar ist. In der Ehe ist Unzucht
nur insofern denkbar, als das Prinzip der Monogamie verletzt wird.
Es kann aber niemals Aufgabe des Gesetzgebers sein, dem wunder-
lichen Eros bestimmte Betätigungsweisen als "rein" vorzuschreiben,
andere als "unrein" zu verbieten.
Die Strafbestimmung gegen den Ehebruch hat daher als die eigent-
liche Kernbestimmung den Abschnitt über Sittlichkeitsverbrechen zu
eröffnen, wie dies vor 1943 der Fall war. Ohne diese Kernbestimmung
werden alle übrigen unverständlich. Dann muß das Kuppeleiverbot
folgen, das wie heute grundsätzlich die Förderung fremder Unzucht
unter Strafe stellt, wenn auch auf besonders schwierige Verhältnisse
8 Vgl. die Nachweise bei Schönke-Schröder, § 174 II 1.
90 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
nissen, wenn man glaubt, die Frau vor dem geschlechtlichen Verlan.gen
des Mannes schützen zu sollen. Dieser Gesichtspunkt hatte eine gewisse
Berechtigung zu der Zeit, als die Frau unter der Herrschaft des Mannes
weitgehend geschützt und daher unerwarteten Angriffen gegenüber
wehrlos war. Die freie Frau der Gegenwart, gerade auch die weib-
liche Jugend, muß und kann sich selbst schützen. Die sittliche Ord-
nung hängt heute an der sittlichen Selbstverantwortung der Frau.
3. Der Ehebruch kann unmöglich straflos bleiben, soll nicht die Ehe
ihre in Art. 6 Grundgesetz ·garantierte verfassungsrechtliche Stellung
einbüßen. Der freie Westen wird die Partie gegen die Strenge der
totalitären Ordnung verlieren, wenn er nicht mit der Leichtfertigkeit
in Dingen der Ehe aufräumt. Andererseits sind hier Leidenschaften,
und nicht nur sinnliche, im Spiel, die der Macht der Gesetze spotten.
Man muß also sehr genau bedenken, was sich heute tun läßt, und darf
sich nicht auf herkömmliche Bestimmungen verlassen. Die nachträg-
liche Bestrafung des Ehebruchs nach Auflösung der Ehe, wie sie im
geltenden !Weht stattfindet, wird von den Gerichten nicht mit Unrecht
als Racheakt empfunden. Daher werden meist ganz niedrige Strafen
verhängt, die sich wie Hohn auf die Ehe ausnehmen.
Entsprechend der in der Familienrechtsnovelle sichtbaren Tendenz
sollte daher die Strafbestimmung der Erhaltung der Ehe dienen. Da-
her kann sich der unentbehrliche Strafantrag immer nur gegen den
Störer der Ehe richten, der aber erst dann strafbar werden sollte,
wenn er trotz förmlicher Ahmahnung durch einen Rechtsanwalt im
Ehebruch beharrt. Letztere Regelung entspricht älteren Rechtsvorstel-
lungen, die insoweit verdienen wiederaufgenommen zu werden. Die
Tat wird straflos, wenn der mitschuldige Ehegatte seinerseits die ehe-
liche Gemeinschaft überhaupt löst. Dann kann man nämlich dem
Störer nicht mehr zumuten, sich der gesetzlosen Gemeinschaft zu ent-
halten12.
Der Verfasser verkennt nicht, daß eine solche Vorschrift sehr realen
Ernst mit der Ehebruchsstrafe macht. Das ist aber in unserer Zeit auch
nötig. Hier muß der Pelz gewaschen, also auch wirklich naß gemacht
werden. Aber der Vorschlag enthält keine üboertriebene Strenge. Bevor
der gekr·ä nkte Teil sich zur förmlichen Ahmahnung entschließt, wird
er lange überlegen und verhandeln. Beim Verhandeln hat er eine
starke Waffe und anwaltschaftliehe Beratung. Bleibt der gekränkte
Teil untätig, so wird er in den Verwirrungen dieser Welt meist gute
Gründe haben; aber auch schlechte Gründe berechtigen den Staat nur
dann einzugreifen, wenn eigentliche Kuppelei vorliegen sollte. Kommt
es zur Abmahnung, so wird der Störer sich gewöhnlich zurückziehen,
12 Also der F a ll, den Fontane in L. adultera behandelt hat.
92 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
die Frage gestellt werden, ob und inwieweit ein Angriff auf die
Willensfreiheit die Unzuchtshandlung strafwürdig macht.
Abzulehnen ist in § 206 Entw. die Fassung "eine unzüchtige Hand-
lung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen, die das allgemeine
Scham- und Schicklichkeitsgefühl in gesclllechtlicher Beziehung er-
heblich verletzt". Es ist vielmehr klarzustellen, daß der Genötigte
körperlich an einer unzüchtigen Handlung beteiligt wird. Andere Aus-
schreitungen e!"eignen sich meist im Gefolge zweifelhafter Vergnügun-
gen, mit denen sich das Strafrecht nicht befassen sollte. 'Erst recht
ist nicht ersichtlich, weshalb der Geschlechtsverkehr mit einer hoch-
gradig Schwachsinnigen strafbar sein soll, zumal wenn diese - wie
der Entwurf richtig sieht- geschlechtlich sehr aktiv ist. Die Regelung
des Entwurfs würde doch zur strengen Verwahrung solcher Frauen
nötigen, damit sie kein Unheil anrichten. Der Zustand der Anstalten,
in denen solche mannstollen Geisbesschwacllen angesammelt werden.
wäre ebenso fürchterlich, wie das Schicksal solcher Mädchen selbst in
diesen Anstalten.
b) Sehr fragwürdig sind bereits die Jugendschutzbestimmungen des
geltenden Rechts §§ 176 Ziff. 3 und 182 StGB, insbesondere ihre Er-
weiterung durch § 185 StGB. Die Vorschläge des Entwurfes gehen
erst recht zu weit. Zwar verdient die Schändung von Kindern unter
14 Jahren strenge Strafe, sofern sie von Vollerwachsenen, u. U. mil-
dere, soweit sie von Heranwachsenden begangen wird. Aber man darf
docll nicht übersehen, daß nun einmal sehr viele Kinder unter sich
längst sexuelle Spielereien betrieben haben und auch ganz genau
wissen, was sie tun, bevor sie Opfer eines sexuellen Angriffes wer-
den. Es ist übrigens erzieherisch völlig verfehlt, wenn verdorbenen
Kindern das Gefühl der Mitschuld erspart wird.
Keinesfalls darf der Vorschlag des § 216 Entw. Gesetz werden, daß
der Täter schon bei Fahrlässigkeit gestraft wird. Di-e biologisch an
sich zu hohe Altersgrenze ist überhaupt nur deshalb erträglich, weil
der Täter straflos bleibt, wenn die körperliche !Erscheinung und das
Verhalten des "Kindes" es älter ersclleinen lassen, als es nach seinen
Jahren ist. Im übrigen sollte die Tat nicht ohne Antrag des Erziehers
verfolgt werden. Er ist berufen zu entscheiden, ob nicht das Straf-
verfahren gerade ein unschuldiges Kind weit mehr schädigt, als das
sexuelle Erlebnis selbst. Weil es aber in der Tat gefährliche "Kinder-
freund-e" gibt, weil in anderen Fällen die öffentlich·e Sittlichkeit mög-
licherweise die Bestrafung dringend verlangt, so muß außerdem dem
zuständigen Jugendamt ein eigenes Antragsrecht gegeben werden.
Der Jugendliche sollte dagegen nur gestraft werden dürfen, w enn
das "Opfer" nicht geschlechtsreif ist. Es ist absurd, de n vorzeitigen
Geschle chtsverkehr einseitig am männlichen Teil zu bestrafen. Auch
Verbrechen gegen die Person 95
Vorsicht geboten. Es ist also zu begrüßen, daß der 1Entwurf für die
Bestrafung der einfachen Päderastie eine beischlafsähnliche Handlung
voraussetzt. Die 1Sodomi•ebestimmung wäre besser zu streichen. Die
Verfolgung des Exhibitionismus gleicht manchmal einer Hexenjagd.
Er ist in den meisten Fällen zwar eine Schamverletzung aber keine
echte Gefährdung.
8. Zur Frage der Prostitution hat der schon zitierte Hohenlohe14
geschrieben: "Das ganze Getue über Prostitution ist auf männ-
lic.l}er Seite Heuchelei, auf weiblicher Hysterie." Die oben zitierten
Ausführungen dieses Staatsmannes gehen folgendermaßen we iter:
"Das Ergebnis wird nur sein, daß die Heuchelei zunimmt und daß
die Befriedigung des Triebes sich auf widernatürliche Weise vollzieht.
Wir haben aber wahrlich schon genug Päderasten um sie nicht künst-
lich zu z,üchten." Es wird sif'.h nicht leugnen lassen, daß die von
Hohenlohe ·prophezeite Zunahme der Päderastie zeitlich mit der zu-
nehmenden Bekämpfung der Prostitution zusammenfiel. Der Weg zum
anderen Geschlecht ist für einen großen Teil der jungen Männer sehr
weit. Wie die Erfahrungen in den au.Eerchristlichen Kulturen beweisen,
ist die Prostitution kein unnatürliches Verhalten, der Schutzwall da-
gegen ist zwar die Scham, nicht aber das bloße natürliche Geschlechts-
empfinden des Weibes15• Es ist auch nicht einmal wahr, daß d1e
Prostitution in unseren Kulturverhältnissen notwendig die Person
zerstören müsse. Sie ist einfache, wenngleich primitive Unzucht, jeden-
falls entschuldbarer als der 1Ehebruch und im Ganzen sozial ungefähr-
licher als die freie Liebe. Daß sie eine Brutstätte des Verbrechens
sei, ist schlechthin unrichtig. Unerfreulich bleibt sie aber jedenfalls.
Der Strafgesetzgeber hat sich um die Prostitution an sich ebenso
wenig zu kümmern, als um andere Formen der einfachen Unzucht
auch. In dieser Sache bestehen aber folgende öffentlichen Interessen.
Man muß verhüten, daß die Prostitution frech anlockt, daß sie nicht
die Gesundheit schädigt und nicht die allgemeine Kriminalität be-
günstigt. Der Staat muß alles tun und vielleicht noch mehr unter-
lassen, damit diese Mädchen und Frauen nicht zugrundegehen. Jede
direkte oder indirekte VerfolgtUng der Prostitution ist daher einzu-
stellen, übrigens auch deshalb, weil die einseitige Verfolgung16 der
Prostitution die anderweite Unzucht legitimiert. Deshalb ist insoweit
7 Mayer. Strafrechtsreform
98 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
7*
100 Quantitative Einschränkung des Strafrechts
In der Masse der Fälle, nämlich bei rund 7000 Tätern handelt es sich
aber um Vorbestrafte, das heißt sozial äußerst schwache Täter, von
denen ein erheblicher Teil nicht geordnet lebt. Darauf deutet auch,
daß in der Mehrzahl der Fälle kein Strafaufschub zugebilligt werden
konnte und daß immerhin 6000 Gefängnisstrafen von mehr als drei-
monattger Dauer ausgesprochen wurden. Wer eine Anzahl solchel'
Akten in doer Hand .gehabt hat, weiß, daß die Strafanzeige wegen
Unterhaltsverletzung der Strafentlassung verhältnismäßig früh nach-
folgt, wenn der Strafentlassene bestenfalls ein Bein auf dem Boden
hat. Der Verfasser wäre bereit Straflisten zu sammeln, aus denen sich
ergeben würde, daß der letzte -ehrliche Versuch eines sozial Hilflosen,
wieder in geordnete Verhältnisse zu kommen, häufig durch solche
Unterhaltsklagen vereitelt wird. Aber der Strafentlassene ist Dür die
Wohlfahrt ein Asozialer.
Zweiter Abschnitt
1 Vgl. Str. d. dt. V., S. 111 ff.; SJZ 1947, Spalte 12 ff.; Lb. ATl § 13 V; Mat.
weil er dem Fall A so ähnlich ist, so meldet sich gleich der Fall C,
der nun seinerseits dem Fall B ebenso ähnlich ist wi·e der Fall B
dem Fall A, vor Einbeziehung des Falles B, aber vom Fall A deutlich
unterschieden werden konnte. So geht es in der Reihe C, D, E un-
endlich weiter bis zur kriminellen Bestrafung geringfügigster Ord-
nungswidrigkeiten, ja völlig harmloser Handlungen. Dies läßt sich
am besten an der allzuweitherzigen Auslegung des § 263 StGB ver-
folgen. Als man das Schwarzfahren als Betrug bestrafte, indem man
die Tatbestandsmerkmale der 'Däuschung und der Vermögensschädi-
gung verwässerte, beschritt man einen gefährlichen Weg. Anschließend
wurde Betrug, wenn man mit einem Zweier statt mit einem Zehner
vom Fernsprechautomaten aus das Fräulein an der Vermittlung in
Tätiglreit setzte. Zwischen dem Betrieb mit Handvermittlung und
dem Selbstwählverkehr läßt sich dann aber ein Unterschied kaum noch
machen. Der Unsinn lag aber nicht in dieser Grenze, sondern er be-
gann bereits mit der Bestrafung des Schwarzfahrens als Betrug. Der
nationalsozialistische Gesetzgeber hat dann die scheinbare Konsequenz
in § 265 a StGB zum Gesetz erhoben, so daß es heute strafbar ist,
wenn jemand in der abgeschlossenen Waldwirtschaft dem Musik-
automaten im kalten Winter das schöne Lied von der grünen Waldes-
lust entlockt. Im Strafprozeß steht nämlich dem Bestreben, jreden
materiell 'Schuldigen mit der Strafe zu erreichen, kein inhaltlich be-
stimmtes Gegeninteresse gegenüber. Im Zivilprozeß dagegen ist die
Analogie deshalb ungefährlich, weil der Beklagte nicht nur sein all-
gemeines Freiheitsinteresse, sondern jederzeit ihöchst bestimmte
konkrete Gegeninteressen gegen das Interesse des Klägers geltend
mach·en kann. Außerdem ist die Analogie im Zivilrecht deshalb uner-
läßlich, weil der Richter eine positive RegeLung in jedem Falle geben
muß, während das fragmentarische Strafrecht den Begriff der so-
genannten Lücke gedanklich nicht zuläßt.
2. Die Tatbestandsgarantie ist aber auch staatsrechtlich von höchster
Bedeutung. a) Nur gesetzlich bestimmtre Tatbestände schützen den
Einzelnen vor willkürlicher Anwendung des Gesetzes. Der Satz nulla
poena sine lege ist nicht sowohl eine Magna-Charta des Verbrechers,
als vielmehr ·eine unerläßliche Rechtsgarantie für den freien Bürger.
Dires ist besonders deutlich geworden, als nach 1933 die Auslegungs-
grenze des § 266 alter Fassung ins Schwanken geriet, und es mit Hilfe
von Anklagen und Verhaftungen aus § 266 gelang, die Gleichschaltung
der Banken und der Industrie herbeizuführen. Die wenigsten dieser
Verfahren endeten mit einer Ve11urteilung, aber sie verdrängten die
unerwünschten Inhaber wirtschaftlicher Macht aus ihren wirtschaft-
lichen Positionen. Auch in einem Rechtsstaat können wirtschaftliche
108 Die gesetzliche Bestimmtheit der TatbeständP.
und politische Gruppen die Freiheit der Bürger bedrohen, indem sie
diese unter den Druck von Strafanzeigen setzen.
b) Sobald die Tatbestände flüssig werden, verschwindet die Gewalten-
teilung, nicht nur zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung, sondern
auch zwischen Regi•erung und Verwaltung einerseits und Recht-
sprechung andererseits. Diese Gewaltenverwirrung gefährdet die
Aktionsfähigkeit des modernen demokratischen Staates, wenn die
Justiz sich das Recht nimmt, ·entscheidende Akte der Verwaltung,
möglicherweis·e sogar Akt•e der Außenpolitik vor ihr Forum zu ziehen.
Dies ist formal immer möglich, weil jeder irgendwie bedeutsame Ver-
waltungsakt irgendwelche personelle Konsequenzen zu haben pflegt.
So hielten die Personalberater des Wirtschaftsministeriums es anläß-
lich des Israel-Vertrages für nötig, einen Beamten in ein anderes
Referat zu versetzen, weil dieser mit Recht oder Unrecht in den
Geruch eines ·entschiedenen Gegners des Israel-Vertrages gekommen
war. Darin sah dieser Beamte ·eine persönliche Benachteili~ung, ein
gegen ihn gerichtetes Verfahren im Sinne des § 164 Abs. 2 StGB.
Diese Rechtsanschauung haben sich die Banner Justizbehörden zu eigen
gemacht. Bei dieser vom Wortlaut her möglichen Auffassung des § 165
Abs. 2 StGB, hier Abs. 5, mußte dann der Richtoer sich auf die Jagd
nach dem angeblich unsachlichen oder üblen Motiv begeben, in einer
Sache, in der es sich ausschließlich um die personellen Konsequenzen
einer grundlegenden außenpolitischen Entscheidung handelte. In der
Urteilsbegründung des Banner Landgerichts wird dabei mittelbar
immer wieder zur Frage des Wertes oder Unwertes der Vorderasien-
Politik des Auswärtigen Amtes Stellung genommen. Ähnliche Schwie-
rigkeiten bringt die unbestimmte Fassung des § 266 StGB mit sich.
Wenn wirklich die Bildung von schwarzen Fonds Untreue ist, so kann
jeder Amtsrichter sich an di•e Stelle des Rechnungshofes setzen, was
denn auch schon wirklich geschehen ise.
III. Durchführung des Grundsatzes: Die Verfasser des Entwurfs
haben sich offensichtlich bemüht, der Tatbestandsgarantie zum Leben
zu verhelfen. Sehr erfreulich sind insofern die vorgeschlagenen Be-
stimmungen über Nötigung odoer Untreue, wobei hier materielle Ein-
zelheiten nicht disk.utiert werden sollen. Aber die Aufgabe, die hier
gestellt wird, ist eine unendliche und kein kodifikatorischer !Entwurf
vermag sie auch nur annähernd zu lösen. Zwischen dem Ärgernis
widerspruchsvoller Kasuistik und formalistischer Auslegung einer-
seits und der Gefahr der Unbestimmtheit und Willkürlichkeit anderer-
seits hin und her geworfen, muß das Strafrec.'ü das Ziel eines zugleich
7 Ein Fall dieser Art ist dem Verf. bekannt geworden. Er ging allerdings
schließlich doch nicht über die Staatsanwaltschaft hinaus.
Die Tatbestandsgarantie als magna charta libertatis 109
1 Vgl. dazu meine Abhandlung in der Festschrift für Rittler, S. 244 ff.
Es bleibt freilich die große Schwierigkeit übrig, daß die Teilnahme am
Sonderverbrechen allgemein als strafbar gilt, denn daß die Theorie die
durch Nagler begründete Lehre aufgibt, ist kaum zu erwarten. Diese Kon-
sequenz ist in Einzelfällen sehr unerfreulich, namentlich bei Standesver-
brechen im engeren Sinne.
2 Vgl. Lb. § 17. Der Verfasser hofft, sich demnächst zu dieser Frage aus-
führlicher äußern zu können.
3 Vgl. Kraus, Z Bd. 23, S. 783 ff., über anschließende Diskussion mein
Lb., S. 120.
110 Die gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände
Nun mag man die körperliche Züchttgung für ein geeignetes Er-
ziehungsmittel halten oder nicht, die heute übliche durch die Justiz..,
pressestellen veranlaßte Berichterstattung über angeblichen Mißbrauch
der ·elterlichen Erziehungsgewalt hat immerhin auch Anteil an !Er·
Ziehungsmüdigkeit rund Autoritätsverlust des Elternhauses.
Die Frage mag am praktischen Beispiel erläutert werden. Ein Be-
amter, der sich vom Militäranwärter bis in den gehobenen
Dienst emporgearbeitet hatte, wollte seinen Sohn auf der höheren
Schule halten. Der Junge verglich das sparsame lieben seiner Eltern
und sein geringes Taschengeld mit den Möglichkeiten, die sein Freund,
ein Elektrikerlehrling, hatte, und wollte deshalb aus der Schule aus-
scheiden. Die Mutter meldete den Sohn ihinter dem Rücken des Vaters
in die Mittelschule um, der Vater bestand wenigstens auf vollendetem
Abschluß dieser Schule. In diesem Konflikt kam der Junge zum Dieb-
stahl. Die erste Tat konnte .der Vat<er durch seine guten Beziehungen
zu Polizeibeamten vertuschen. Bei der zweiten war dies nur noch
schwer möglich. Nun wollte der Vater mit körperlicher Züchtigung
einschreiten und benutzte dazu eine Peitsche. Die Sache mißlang, weil
der Junge durch das Fenster der Hochparterrewohnung auf die Straße
entfloh. Gegen den Vater wurde ein Strafverfahren eingeleitet. In
einem anderen Fall wurde ein Vater bestraft, der seine 15jährige Toch.,.
ter - wie es heißt - "maßlos" gezüchtigt hat, weil sie wied•erholt
Veruntreuungen beging, sich herumtrieb, von der Polizei aufgegriffen
wurde rund häufig wechselnden Geschlechtsverkehr ausübte6 •
Derartige - auch sehr harte - Züchtigungen galten in früheren
Zeitren allgemein als sinnvolles ZüchtigungsmitteL Will man mit dieser
Überlieferung brechen, so muß man dies schon klar sagen, zumal die
betreffenden Eltern meist die Kinder nur vor der Fürsorgeerziehung
bewahren wollen, in der nacll ihrer Vorstellung junge Diebe l!lnd Huren
sich wechselseitig weiter verführen. Man kann in solchen Fällen -
und dires sind die typischen - die Strafbarkeit aber auch nicht von
der Gesinnung abhängig machen. Die seelischen Konflikte steigern
sich beim Erziehungsnotstand derart, daß unbeherrschter Zorn kaum
noch vermieden werden kann, ja sich sogar Haßkomplexe aufdrängen.
Aber nur in einer begrenzten Zahl von Fällen erdulden Kinder dann
schwerwiegendes, manchmal entsetzliches Leid. Krankhafte Reaktio-
nen und ausweglos gewordene Konflikte gehen ineinander über. Bett-
nässer und !Einkoter bringen auch gesunde Eltern allmählich in völlige
Verzweiflung, zumal ärztliche Hilfe auch heute noch bei diesen Er-
6 Den ersten Fall entnehme ich einer selbst angestellten Aktendurchsicht.
der im Bereiche des OLG Schleswig durch zwei Jahre hindurch erwach-
senen Strafakten über § 223 b, der zweite findet sich bei Wolfgang Nix, Die
Mißhandlungen Abhängiger, Bonn. Diss. 1958, S. 72.
6 Mayar. Strafr~tsr~form
114 Die gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände
und bei der Untreue Bez.ug genommen werden könnte. Die Rechtspre-
chung ist hier offensichtlich überfordert.
Bei der Erpressung ist die Drohung auf die gefährliche Drohung
im Sinne des § 11 Ziff. 7 zu beschränken. Ich möchte zwar meinen
Antikritikern gegenüber daran festhalten, daß die geg·enwärtige Fas-
sung des § 253 StGB im Gegensatz zu der des § 240 StGB gerade noch
mit Art. 103 GG vereinbar ist. Dioes bedeutet aber nicht, daß diese
Fassung erwünscht ist. Alle Einzeluntersuchungen über die Krimino-
logie der Erpressung z.eigen, daß in der Praxis nur ganz bestimmte
Fälle der Erpressung eine Rolle spielen, die alle durch die !Erpressung
mit einer gefährlichen Drohung im Sinne des Entwurfs ~deckt wer-
den. Alle anderen theoretisch formulierten Beispiele kommen nicht
vor. Es ist daher unberechtigt, die Bestimmungen mit einer unnöttgen
Unsicherheit z,u beLasten, insbesondere deshalb, weil dioe Ausübung
wirtschaftlicher Macht sonst einer u. U. sehr wenig sachverständigen
Prüfung unterzogen werden könnte.
Sehr zu billigen ist die neue Fassung der Untreuebestimmung. Es
zeigt sich eben, daß subtile Fragen nicht mit einer kurzen Vorschrift
geregelt werden können. Zur Verteidi~ng der neuen Fassung darf
nur darauf hingewiesen werden, daß bereits die alte Fassung des
§ 266 StGB vor der unglückseligen Novelle von 1933 die Möglichkeit
gebotoen hat, in einer rechtstaatswidrigen Weise die Vorstände der
Aktiengesellschaften und Genossenschaften politisch gleichzuschalten.
Die bisherige Fassung bedeutet eine unerträgliche Unsicherheit für
die leitenden Personen der Wirtschaft. Nur wäre die Vorschrift durch
eine Definition des Begriffes des Vermögensnachteils noch zu ver-
bessern.
3. Die Probleme des politischen Strafrechts einschließlich der §§ 166,
167 Entw. sowie der Straftaten gegen Staat und öffentliche Ordnung
überhaupt, müssen hier aus Raumgründen ausgeklammert woerden, sie
führen in zu ausgedehnte Sachbereiche.
4 Über Vergeltung und Sühne vgl. heute Karl Peters, Grundprobleme der
Kriminalpädagogik, S. 95 ff., S. 100 ff. M. E. bilden Vergeltung und Sühne,
beide im Rechtssinn verstanden, eine dialektische Einheit.
Ein neuer Plan 123
III. Die echten Maßnahmen des Kriminalrechts, die als solche zu-
lässig sind, weil sie nicht in die Substanz der Person eingreifen, kön-
nen hier ebenfalls nicht ausführlich behandelt werden. Sie haben ihre
Hauptbedeutung im Nebenstrafrecht. Das interessante Thema ist nicht
von grundsätzlicher Bedeutung.
IV. Fürsorge für Gefährdete, sozial Hilflose und Gefährliche. Soweit
nicht sühnende Strafe verwirkt ist, können Störungen oder Gefahren,
die von gefährdeten, sozial hilflosen oder auch im eigentlichen Sinne
gefährlichen Personen ausgehen und zugleich Gefahren für diese Per-
sonen s•elbst mit sich bringen, nur im Wege fürsorgender Tätigkeit von
Staat und Gesellschaft behoben oder gebannt werden. Man darf nicht
mit einer falschen Zivilistischen Analogie solche Störungen oder Ge-
fahren als eine Art von objektivem Unrecht ansehen, weil sie eben
irgendwelche Interessen Einzelner oder der Allgemeinheit beeinträch-
tigen. Echte Schuld fordert Sühne. Wo keine Schuld vorhanden ist oder
doch nicht in Betracht gezogen wird, dürfen Störungen nicht anders
betrachtet werden, denn als soziale Krankheiten. Diese Betrachtungs-
weise mag z. B. dem gefährlichen SittlichkeitsV'erbrecher gegenüber -
der übrigens seine Schuld sühnen muß - als allzu human erscheinen.
Es gibt aber auch für den Schutz der Allgemeinheit keinen besseren
Weg als den der Fürsorge.
Fürsorge ist ohne weiteres möglich, soweit sie nicht in die Rechte
dessen eingreift, dem geholfen werden soll. Ist es aber nötig, die recht-
liche Bewegungsfreiheit des Betroffenen zu beschränken, so ist auch die
wohlwollende Absicht der Fürsorge, niemals ein ausreichender Grund,
einen Menschen nach den Zwecken anderer zu behandeln. Der Satz
Kants richtet sich nicht nur gegen die relativ begründete Strafe, nicht
nur gegen kriminelle Maßregeln, sond•ern auch gegen Fürsorgemaß-
nahmen, welche in die Rechte der Person eingreifen. Soweit also ein
solcher tEingriff unentbehrlich ist, muß der Rechtsgrund in der be-
sonderen Verfassung dieser Personen gesehen werden, vermöge deren
sie unfähig sind, ihr Leben ohne fremde Hilfe zu führen. Diese beson-
dere Verfassung der Person muß aber in einem Statusprozeß festgestellt
sein, bevor fürsorgende Maßnahmen in Freiheitsrechte eingreifen. Vor-
läufige Maßnahmen sind natürlich auch vor einer endgültigen !Entschei-
dung denkbar.
Nach § 72 BSHG soll zwar allen Personen Hilfe gewährt werden,
die aus Mangel an innerer Festigkeit ein geordnetes Leben in der Ge-
meinschaft nicht führen können. Auch § 39 Abs. 1 BSHG ist heranzu-
ziehen, der allen denjenigen Hilfe verspricht, deren geistige Kräfte
schwach entwickelt sind, sowie Abs. 2 derselben Bestimmung, der den
Kreis der geistig Behinderten noch weiter faßt. Aber sehen wir von
den geistig Behinderten ab, so kennt doch das BSHG als einzige Form
128 Strafensystem, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
der Hilfe die Anstaltshilfe. Auch kann vom Strafentlassenen als sol-
chem nicht behauptet werden, daß er aus Mangel an innerer Festigkeit
kein geordnetes Leben führen könnte. Gefährdet sind aber alle Straf-
entlassenen durch das soziale Handicap, das sie erleiden, sie bedürfen
also verschiedener Formen der Sozialhilfe. Nun mag es sein, daß man
daran gedacllt hat, die Strafentlassenenfürsorge und jede Form ambu-
lanter Fürsorge für Gefährdete der Justiz zu überlassen. Dies wäre
aber sachlich schon deshalb verfehlt, weil die Strafentlassenenfür-
sorge der Justiz allein nicllt zum Ziel kommen kann. Es wäre aber
auch sehr bedenklich, wenn insoweit die Subsidiaritätsklausel ent-
fiele, welche der freien Wohlfahrts- und Hilfstätigkeit die Möglichkeit
gibt mitzuhelfen. Ohne diese Mitwirkung ist aber gerade in unserem
Bereich gar nicht auszukommen. Verständlicll wäre es allerdings, wenn
die Justiz sich hier ein Monopol v·erschaffen möchte, damit die Be-
strebungen der Reformer nicht gänzlich von der Entwicklung des Für·
sangerechts illusorisch gemacht würden. Aber für die Sache wäre ein
solches Justizmonopol nicht gut.
Das Sozialhilfegesetz legt aber auch die statusrechtlichen Voraus-
setzungen in rechtsstaatliclrem Sinne nicht hinreichend fest, die zu
fürsorgenden Eingriffen in die persönliche Freiheit berechtigen sollen.
Dies wird noch näher zu bespr·echen sein. Auch das gerichtliche Ver-
fahren bei Freiheitsentziehungen nach dem Gesetz vom 29. Juni 1956
genügt nicllt den Ansprüchen, die an einen statusrechtlichen Prozeß zu
stellen sind. Dieses Gesetz bezieht sich außerdem nur auf die volle
Freiheitsentziehung in der Form der Anstaltsunterbringung, gilt also
dort nicht, wo nur eine ambulante Überwachung in Betracht kommt.
1. Strafentlassenen ist ganz allgemein Hilfe zu gewähren. Ob und
in welchem Umfang sie aufzudrängen wäre, kann hier nicht erörtert
werden. Aber mindestens muß jeder Strafentlassene wissen, daß er bei
einer besonderen Stelle Rat und Hilfe erhält, wenn er keinen Arbeits-
platz findet, oder Gefahr läuft, aus seinem Arbeitsplatz verdrängt zu
werden, oder wenn er auf sonstige soziale Schwierigkeiten stößt. Ein
besonders schwieriges Problem für den Strafentlassenen ist die Unter-
haltsleistung für uneheliche Kinder oder für Kinder aus Alimenten-
zwangsehen, seien diese bereits wieder geschieden oder nicht. Es muß
dafür gesorgt werden, daß dem unterhaltspflichtigen Strafentlassenen
hinr·eichende Zeit zum Wiederaufbau seiner Existenz gelassen wird.
Doch soll dies Beispiel hier nur genannt werden, um zu zeigen, wie
groß und mannigfaltig der Bereich sozialer Hilfe ist. Die Schwie-
rigkeiten sind um so größer, weil gerade die ehrenhaften Strafentlas-
senen den Weg zu staatlichen Stellen scheuen, um nicht an ihre soziale
Demütigung erinnert zu werden. Um so mehr muß durch die Gesetz-
gebung die Zusammenarbeit von Justiz, Sozialhilfebehörden und freier
Ein neuer Plan 129
I. Sie eignet sich als gewöhnliche Hauptstrafe für alle, aber auch
nur für Fälle leichterer Kriminalität. Nur in diesem Sinne hat sich
das Geldstrafengesetz von 1921 bewährt. Aus diesen Erfahrun-
gen sind heute die endgültigen Folgerungen zu ziehen. Das Straf-
gesetz sollte in allen denjenigen Fällen von vornherein Geldstrafe
zur Wahl stellen, in denen möglicherweise eine Geldstrafe angemessen
erscheint. Es wäre noch zu prüfen, ob dann nicht überhaupt auf den
§53 Entw., der dem heutigen§ 27 b StGB entspricht, verzichtet werden
könnte. Jedenfalls ist es im Regelfall unnötig und erziehungswidrig,
den Bestraften durch die Feststellung zu demütigen und zu diffamie-
ren, er habe eigentlich eine Freiheitsstrafe verdient. Demnach müßte
die Geldstrafe gerade auch bei den wichtigsten Vermögensdelikten, wie
einfachen Diebstahl, Unterschlagung, Untreue, Betrug, zur ord~mtlichen
Mindeststrafe werden, oder als solche verbleiben.
li. Im modernen Sozialstaat können alle Menschen, welche über-
haupt ein geordnetes Leben führen, eine ihrem Einkommen augepaßte
Geldstrlj.fe bezahlen, auch Rentenempfänger. Es bedarf nur einer ent-
sprechenden Änderung des Vollstreckungsrechts. Gegenüber Personen,
die kein geordnetes Leben führen, kommen aber ohnedies nur andere
Strafen bzw. Maßnahmen in Betracht. Dennoch bleibt die Ersatz-
freiheitsstrafe unentbehrlich. Sie sollte drei Monate nicht übersteigen
dürfen und nur dann vollstreckt werden, wenn der Verurteilte schuld-
haft die Geldstrafe nicht bezahlt.
III. Als Strafe für geringfügige Straftaten darf die Geldstrafe nie-
mals über 90 Tagessätze hinausgehen. Es soll nicht bestritten werden,
daß höhere Geldbeträge ein sehr wirksames Strafmittel bei schweren
Delikten, namentlich in der Form der Nebenstrafe, sein können.
Es ist aber ein altes liberales Anliegen, höhere Geldstrafen nicht zu-
zulassen. Bereits die Magna Charta und die Bill of Rights verbieten
Geldstrafen von übermäßiger Höhe. Um 1800 wurden überall die
älteren hohen Geldstrafen beseitigt, soweit sie konfiskatorisch wirken
konnten. Seitdem lagen und liegen die Geldstrafenmaxima ziemlich
1 Vgl. die Literatur bei v. Liszt - Eberhard Schmidt, Lehrb., 26. Aufl.,
§ 61, insbes. Goldschmidt, Vg. Allg. T., Bd. 4, S. 398, Oetker, G. S. Bd. 88,
S. 161. Sehr lehrreich die Zusammenstellung der gesamten Diskussion zum
Entwurf 09 in "Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen über den
Vorentwurf" 1911, S. 51 f.
Die Geldstrafe 131
und nicht drei Jahre. Nur bei schlecllter Führung werden sie in An-
stalten der Klasse 2 verwiesen. Die zweite Klasse der Gefangenen
gelangt in ein Progressivsystem, das in den üblichen strengeren For-
men beginnt. Diese Gruppe verliert die Anlehnung an die kraft-
volleren und .gesünderen Leidensgenossen. Sie wird auch meist sehr
viel länger in Haft gehalten als die erste. Ziemlich trostlos ist das
Schicksal der dritten Gruppe, der Schwachsinnigen, der Psychopathen,
die meist Neurotiker sind. Wenn man nur Menschen zusammensperrt,
die im Zusammenleben ihre eigene Lebensunfähigkeit steigern, so
können kaum noch Hafterleichterungen gewährt werden. Diese Gruppe
wird also viel härter behandelt, bleibt auch länger in Haft und wird
meist nach Haftenlassung schnell wieder rückfällig.
Die angeblichen Erfolge in der ersten Gruppe sind unecht, denn
diese Sträflinge hatten ohnedies eine günstige Prognose, die Miß-
erfolgte der dritten Gruppe pflegt man zu übersehen, die entsprechen-
den Anstalten nicht vorzuzeigen. Aber auch bei den Besseren leidet
der Glaube an die unparteiische Gerechtigkeit des Staates. Dieses
System ist also nicht zu empfehlen. Man muß vielmehr ein System
anstreben, in dem sich jeder durch Leistung oder Versagen selbst
qualifiziert.
Eine andere Frage ist es, ob nicht ·etwa eigentlich Kranke, also
schwere Psych.opathen oder Neurotiker in besonderen Anstalten
psychotherapeutisch behandelt werden sollen.
4. Nil nocere! Es kommt also in allererster Lini'€ darauf an, Strafe
und Strafvollzug so unschädlich zu gestalten, als dies nur irgend mög-
lich ist. Die von Molien~ als ;Quacksalberei verspottete Medizin krankte
selbst an ihrer Vielgeschäftigkeit und stiftete mit einer Fülle von
Medikamenten oft mehr Schaden als Nutzen. Erst als die Medizin
ihre relative Ohnmacht einsah, erlebte sie ihren glänzenden Aufstieg.
Zuerst heißt es nil nocere, dann mag man sichere Behandlungsmetho-
den anwenden.
Da in der Einsperrung ein Hauptübel liegt, so ist sie möglichst zu
vermeiden und durch den unten näher dargestellten Strafdienst zu
ersetzen.
Zum anderen sollte man der Versuchung entsagen, die Macht des
Strafvollzugs zu einer angeblich der Persönlichkeit angepaßten Be-
handlung zu mißbrauchen. J·e de solche Behandlung ist begrifflich
willkürlich. Der Sträfling verlangt aber vom Richter und vom Voll-
zugsbeamten in erster Linie Gerechtigkeit. Das wird durch alle Haft-
memoir~m belegt. Die Dauer der Strafe muß daher durch den Richter
eindeutig bestimmt werden. Der Sträfling muß sich aber nach dem
Grundsatz der belohnenden Vergeltung Vollzugserleichterungen und
Strafdienst und Freiheitsstrafe 141
1 Der vorgetragene Gedankengang läßt sich aus der Literatur nicht mehr
unmittelbar belegen. Jeder Kundige kann ohnedies ersehen, was der Verf.
aus der Reformliteratur gelernt hat. Aber es ist nicht die Aufgabe dieses
Buches, über die literarischen Auseinandersetzungen zu berichten.
Die Behandlung der Gefährdeten 145
fO Mayer, Strafr4Xhtsreform
146 Strafensystem, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
, c.
148 Strafensystem, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
gebnis nur eine Verwarnung ist. Auf die Benennung der zugrunde
gelegten Strafe im Tenor des Urteils kann allerdings nicht verzichtet
werden. Genügt eine bloße Geldstrafe, so ist es, wie wir oben dar-
gel.egt haben, nicht sinnvoll, den Verurteilten mit dem Makel einer
härteren Strafe auch nur indirekt zu belegen. Kommt Bewährungs-
dienst, d. h. eine freiheitsbeschränkende Strafe von mehr als 3 Monaten
in Betracht, so liegt der Fall doch so schwer, daß dem Verurteilten die
Rüge, er habe im Grunde eine freiheitsbeschränkende Strafe verdient,
nicht erspart werden kann. Bewährt sich der Verwarnte nicht, so wird
er nicht doppelt bestraft. Die Verwendung der zugrundegelegten frei-
heitsbeschränkenden Strafe als Einzelstrafe bei der Bildung der Ge-
samtstrafe ist unter dem Gesichtspunkt des Rückfalles durchaus ge-
rechtfertigt. Man kann auch nicht sagen, daß eine derartige Rückfall-
bestimmung zu hart wäre.
Der Vorschlag empfiehlt sich durch seine Einfachheit, er läßt sich
noch ·glatter und einfacher durchführen als die im Entwurf 1936 vor-
gesehene V:erwarnung mit Strafvorbehalt.
b) Unser Vorschlag ist teils milder, teils strenger als das g·elt·ende
oder vom Entwurf vorgeschlagene Recht, und zwar strenger insofern,
als Strafaufschub bei Strafen von weniger als 3 Monaten Dauer nicht
vorgesehen ist. Diese Strenge ist aber auch erforderlich.. Im Jahre 1958
wurden rund 100 000 Erwachsene und Heranwachsende zu Gefängms-
strafen von wenig·er als 3 Monaten Dauer verurteilt, davon wurde die
knappe Hälfte zur Bewährung ausgesetzt. Da wäre es besser gewesen,
in diesen Fällen auf Geldstrafe zu erkennen oder das Verfahren wegen
Gering:ßügigkeit einzustellen, falls man doch nicht ernsthaft strafen
wollte. Beschränkt man aber den quantitativen Umfang des Strafrechts
im Sinne unserer Vorschläge, so sollte es nur noch selten vorkommen,
daß jemand aus formalen Gründen verurteilt werden muß, der eine
Strafe in Wahrheit gar nicht verdient hat. Daneben bleibt auch nach
unseren Vorschlägen natürlich die proz·essuale Möglichkeit, die Sache
wegen Geringfügigkeit einzustellen. Will man aber wirklich strafen,
so soll man milde Strafen, wie Geldstrafe und bürgerliche Schulung,
auch vollstrecken. Kommt es zur subsidiären Haftstrafe, so fehlen
ohnedies die Voraussetzungen eines Strafaufschubes.
Nur wenn Bewährungsdienst zwischen 3 und 6 Monaten verhängt
werden müßte, so sollte ein neuer Versuch mit einer Verwarnung ge-
macht werden. iEs liegt kein Widerspruch darin, daß die geringfügigen
Strafen vollstreckt werden, die erste ernste !Strafe dagegen durch eine
Verwarnung ersetzt wird, denn dies geschieht, um einen schweren Ein-
griff in die persönliche Entwicklung nochmals zu vermeiden.
Unser Vorschlag ist insofern milder als das geltende Recht, als eine
Gefängnisstrafe von vornherein nicht ausgesprochen wird. Darunter
150 Strafensystem, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
dürfte aber die Eindruckskraft der Verwarnung kaum leiden. Die Ver-
warnung hat gegenüber dem Strafaufschub den großen psychologischen
Vorteil, daß der Staat aufrichtig sagt, was er tut, und sich in keinen
Widerspruch mit sich selbst begibt; sie hat außerdem den Vorzug,
daß sie den Bestraften überhaupt nicht mit dem Makel einer Freiheits-
strafe belastet und daß sofort mit dem Ausspruch der Verwarnung der
Verurteilte die Sache hinter sich hat und neu anfangen kann.
c) Der Strafausspruch gründet sich nach unserem Vorschlag nicht auf
eine mehr oder weniger willkürliche Prognose, etwa auf einen bloßen
Bersönlichkeits·eindruck, sondern darauf, daß wirklich subjektive mil-
dernde Strafzumessungstatsachen festgestellt werden. Der vorgeschla-
gene Text bedarf insofern keiner Erläuterung.
III. Friedensbürgschaft (Wohlverhaltensbürgschaft). Die Einführung
dieses Instituts ist wiederholt von Oetker5 mit guten Gründen, leider
vergeblich, gefordert worden. Der romantisch klingende Name wäre
heute durch die Bezeichnung Wohlverhaltensbürgschaft zu ersetz·e n. Sie
besteht in der Hinterlegung einer Geldsumme, oder unter den heutigen
sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der allmählichen Auf-
bringung der Bürgschaftssumme durch Lohnabzug. In der ltetzteren
Form hätte di•e Friedensbürgschaft den weiteren Vorteil, daß sie den
Gefährdeten nötigt, mit seinem Geld sorgsam umzugehen und sich in
den jungen Jahren eine Sparsumme anzusammeln, in denen erfah-
rungsgemäß der Lohn die vernünftigen Bedürfnisse erheblich über-
steigt. Diese gesparte Summe würde dann bei Wohlverhalten, u. U. vor-
zeitig, anläßlich der Eheschließung ausgezahlt werden können.
Die Wohlverhaltensbürgschaft kann niemals aufgedrungen, sie kann
nur angeboten werden. Solches Angebot wäre einer der Gründe, die
den Richter dazu berechtigen können, anstatt einer auf Bewährungs-
dienst lautenden Strafe auf ·eine bloße Verwarnung zu erkennen.
Wird der Täter vückfällig, so verfällt die Friedensbürgschaft als
Geldstrafe. Daraus ergibt sich unsere Vorschrift, daß entweder eine
Friedensbürgschaft anzunehmen oder auf Geldstrafe zu erkennen ist.
Beides, Geldstrafe und Bürgschaft kann der Verurteilte nicht zugleich
aufbringen. Mit Recht hat aber Oetker immer wieder darauf hinge-
wiesen, daß an d er Wirksamkeit der Maßregel wohl kaum gezweifelt
werden kann.
Mit der Fried·ensbürgschaft können zugleich besondere Verpflich-
tungen auferlegt werden. Als solche kommt nur die Verpflichtung zur
Wiedergutmachung in Betracht, wobei es aber nicht nur auf die finan-
zielle Wiedergutmachung abzust•ellen ist. Hauptsächlicher Fall der
ideellen Wiedergutmachung ist die Abbitte. Der mögliche Inhalt einer
5 Oetker, G. S. Bd. 92, S. 2, Anm. 1, mit Literaturangaben.
Die Behandlung der Gefährdeten 151
aus Anlaß einer Straftat aufgeworfen werden, aber die einz·elne Tat
kann keinen hinreichenden Grund für eine Statusveränderung ab-
geben. Auch die hinter der Überwachung stehende Sanktion des Voll-
zuges einer Strafe reicht weder aus noch ist sie überhaupt eine pädago-
gisch geeignete Form des Zwanges.
Daraus sind nachstehende Folgerungen zu ziehen:
1. Ihrem Inhalt nach ist die Bewährungsaufsicht, wie dargelegt, eine
Statusveränderung. Sie unterstellt nach dem heutigen Recht der
§§ 23 ff. StGB den Verurteilten der Aufsicht und Anweisung eines Be-
währungshelfers oder doch besonderen Weisungen des Richters.
Pädagogisch gesehen ist die Bewährungsaufsicht Nacherziehung jun-
ger Menschen, die noch nicht reif sind, über ihr Leben in voller Frei-
heit zu bestimmen, si•e ist daher nur zwischen dem 18. und dem 25. Le-·
bensjahr sinnvoll. Aus dem Prinzip der Nacherziehung ergibt sich, daß
dem staatlichen Erzieher volle Erziehungsgewalt zukommt, soweit dies
für den 1Erziehungszweck erforderlich ist. Bei Heranwachsenden sollte
in das elterliche Erziehungsrecht nur soweit notwendig eingegriffen
werden. Wünsche des Probanden, die sich auf die Entfaltung seiner
Persönlichkeit, insbesondere auf die BerufsausbiLdung oder Berufs-
tätigkeit, beziehen, sind soweit als möglich zu berücksichtigen. Zu die-
sem Zweck hat das Gericht einen Erziehungsplan aufzustellen, der auf
Antrag eines der Beteiligten geändert werden kann. Unmittelbare
Weisungen des Gerichts außerhalb ·eines solchen Nacherziehungsplanes
sind als pädagogische Halbheit abzulehnen. Man kann nicht im Vor-
übergehen ·erziehen. Daher muß die Erziehungsgewalt in jedem Fall
einem Amtsvormund übertragen werden, welcher deren Ausübung den
Eltern überlassen kann. Als Amtsvormünder kommen namentlich die
Vorstände oder höher·e n Beamten einer Fürsorgeerziehungsanstalt in
Betracht, insbesondere derjenigen, in welche der Proband früher ein-
gewiesen war. Dem Amtsvormund stehen als ausführende Organe Be-
währungshelfer zur Seite, soweit die Erziehungsmöglichkeiten der
Eltern nicht ausreichen.
2. Auch die Bewährungsaufsicht bedarf einer rechtlichen Sanktion.
Als solche kommt die lEinweisung zur Nacherziehung in eine Er-
ziehungsanstalt in Betracht, wenn der Zögling sich beständig den An-
weisungen des Bewährungshelfers oder Amtsvormundes widersetzt.
Die Bewährungsaufsicht ist zu unterbrechen, solange der Zögling
Strafdienst oder Freiheitsstrafe verbüßt.
3. Aus rechtsstaatliehen Gründen empfiehlt es sich, Bewährungs-
aufsicht nur aus Anlaß einer gerichtlichen Straf·e anzuordnen. Es muß
aber bereits genügen, wenn der Gefährdete zur Strafe der bürger-
lichen Schulung verurteilt werden mußte. Die materielle Voraussetzung
Einordnung der Vergesellungsschwierigen 153
der Bewährungsaufsicht ist aber nicht die Straftat als solche, sondern
die ungeregelte Lebensführung des Gefährdeten. Das gewöhnliche
Merkmal der ungeregelten Lebensführung ist, daß der Gefährdete
keine regelmäßige Arbeit sucht und ausübt. Es genügen aber auch
Trunksucht und Verschwendung, Landstveicherei und wiederholte Be-
gehung von Straftaten. Geschlechtliche Unordnung genügt als solche
nicht, man sollte auch nicht den Versuch machen, die Prostitution durch
Bewährungsaufsicht zu unterbinden. Eine genauere Formulierung
dieser Gedanken könnte nur in .einer Diskussion erarbeitet werden.
4. Die Anordnung der Bewährungsaufsicht gehört ebenso wie die
Anordnung der Fürsorgeerziehung grundsätzlich in die Hände des
Richters der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Es ist immer mißlich, auf
Grund eines Strafverfahrens derartige Anordnungen zu treffen. Ge-
rade die Fürsorgeerziehung leidet darunter schwer, daß sie bei Jugend-
lichen im Rahmen eines Strafverfahrens angeordnet werden kann. Mit
Recht geht daher die Tendenz der internationalen Bewegung des
Jugendrechtes dahin, diese Maßnahmen allein den Erziehungsbehörden
vorzubehalten6 , was zur Zuständigkeit des Richters der freiwilligen
Gerichtsbarkeit führt. Über die rechtsstaatlich·e Ausgestaltung dieses
Verfahrens wird man erst nach längeren Erfahrungen Genaueres sagen
können.
Der Verfasser ist sich darüber klar, daß diese Skizze noch kein ab-
schließendes Bild von dem gibt, was gesetzlich zu bestimmen und was
praktisch zu tun ist. Es kann aber im Rahmen dieser Ausführungen
nur darauf ankommen, den Grundgedanken zu entwickeln, die ge-
nauere Gestalt kann er erst in der Diskussion erhalten, wenn der
Grundgedanke akzeptiert ist.
Der Verfasser setzt sich nur ungern mit obiger neugeprägter Be-
zeichnung dem Verdacht eigenwilligen Sprachgebrauchs aus. Aber alle
gebräuchlichen Termini, wie Gewohnheitsverbrecher oder auch Hang-
täter, sind nicht nur anfrechtbar, sondern irveführend.
I. Name und Sache: iEs kommt auf eine Bezeichnung an, welche
:weder zu vorschnellen, etwa moralisierenden Wertungen, noch zu vor-
eiligen soziologischen oder psychologischen Kausalurteilen verführt.
Ungenau, aber immerhin noch verhältnismäßig unschädlich sind die
6 Vgl. den Bericht von Ivar Strahl über den Stockholmer Kongreß der
Defense sociale Z. Bd. 70, S. 150 ff.
1 Ach hier gilt, was oben .Anm. 1 zu § 16 gesagt ist.
154 Strafensystem, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
rere Straftaten. Insofern ist die Grenze zwischen Rezidivisten und Lei-
stungsschw:achen flüssig.
Der inhaltliche Umfang der beiden Gruppen kann jeweils nur durch
eine Typologie erfaßt werden. Wir geben im folgenden eine Übersicht
über die kriminalpolitischen Sozialtypen, also eine Einteilung nach
Art und Größe der von diesen Typen drohenden Gefahren. Kurze
Hinweise auf die Ätiologie, die erforderlich sind, sollen nicht eine ätio-
logische Typologie ersetzen, die hier nicllt beabsichtigt ist.
1. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Rezidivisten ist wirklich
gefährlich im gewöhnlichen Sinne des Wortes, d. h. richtet wirklich
erheblichen Schaden an fremden Rechtsgütern an.
a) Der energische aktive Vermögensverbrecher kommt im Leben
viel seltener vor als im Kriminalroman. Gewalttätig im weiteren Sinne
handelt bereits der energische Einbrecher, erst recht der Räuber im
Sinne des § 249 StGB. Heide schonen zwar meist Leben und Gesund-
heit der Geschädigten, sind aber doch bereit, ernste Hindernisse zu
überwinden. Der echte Gangster gr·eift auch zur schweren Gewalt
gegen die Person. Jede derartige Lebensweisre erfordert zu große
Energie, als daß sie nicht bis zu einem gewissen Grade willentlich ge-
wählt sein müßte. Dennoch sollte man nicht von Berufsverbrechern
reden, denn auch der energische Verbrecher betrachtet sreine Lebens-
weise nicht als einen Beruf. Nach allen sorgfältigen Einzelschilderun-
gen ist er weder ein "geborener" noch ein "berufener", sondern wird
in einem schweren Lebenskonflikt während der Entwicklungszeit aus
der Bahn gedrängt. Gerade der energische und phantasievolle Mensch
kann unter den Bedingungen der techniscllen Zivilisation leicht dem
"Zivilisationskonflikt" zum Opfer fallen. Insofern ist also auch der
habituelle Gewaltverbrecher ein "Schwieriger". Der energische Ver-
brecher bietet siclJ. nicht so leicht als Untersuchungsobj·ekt dar, doch
dürften die Anforderungen eines solchen Lebens zu groß sein, als daß
sie von psyclJ.isch Abartigen erfüllt werden könnten. In Betracht käme
nur Gemütskälte, aber wahrscheinlich !handelt es sich nUT um eine
g·e wisse Willenshärte.
b) Gefährliche Triebverbrecher sind ein Opfer ihrer Triebstörung,
also zunächst Schwierige. So häufig sadistische Mordlust als Massen-
wahn in erregten Zeiten auftl'eten kann, so selten gibt es den habi-
tuellen sadistischen Lustverbn~cher. Häufiger sind leider die fragwür-
digen Kinderfreunde, von denen die wirkliclJ. gefährlichen selten, da-
gegen die geistig irgendwie Geschädigten leicht gefaßt werden. Bei den
letzteren kommt es in den seltensten Fällen zum Beischlaf, gewöhnlich
handelt es sich um sexuelle Spielereien mit Kindern, die ihrerseits die
ihnen bereits bekannten Spielereien mit Erwachsenen fortsetzen.
Einordnung der Vergesellungsschwierigen 157
festgehalten wurde, dann aber seine Praxis noch 20 Jahre bis zu seinem
Tode erfolgreich ausübte.
6 Bumke, Lehrb. der Geisteskrankheiten, 3. Aufl. 1929, S. 201 ff. Ich
wähle absichtlich diese ältere Auflage, weil Bumcke später zu Kompro-
missen neigte.
7 Für Kretschmer ist Psychopathie eine Randerscheinung oder Teilerschei-
nung der echten Psychose; vgl. Körperbau und Charakter, 21./22. Aufl.
1955, S. 163: "Wir bezeichnen als schizoid cycloid die zwischen krank und ge-
sund fluktuierenden abnormen Persönlichkeiten, die die psychologischen
Grundsymptome der schizophrenen und der zirkulären Psychosen in dem
leichteren Grade einer Persönlichkeitsspielart widerspiegeln." Danach wäre
Psychopathie eine Geisteskrankheit leichteren Grades.
8 Kurt Schneider, Die psychopathischen Persönlichkeiten, 3. Aufl. 1943,
S. 13: "Hier sei nur nochmals festgestellt, daß keinerlei sachliche Veran-
lassung besteht, die abnormen psychopathischen Persönlichkeiten krankhaft
zu heißen." Die Auseinandersetzung Kretschmers, a.a.O., S. 396, mit Kurt
Schneider geht daher an dem Kern der Sache vorbei.
9 Vgl. Kurt Schneider, Klinische Psychopathologie, 4. Aufl. 1955, S. 42 ff.
vielmehr auf der Tatsache an, daß man eine Reihe von Häftlingen
um ihrer selbst willen nach der Entlassung aus der Fürsorgeerziehung
oder dem Jugendstrafvollzug sich nicht selbst überlassen kann. Dieser
Gedanke ist grundsätzlich b€rechtigt, läßt sich aber in anderer Weise
v·erwirklichen. Keinesfalls kann aus den Verhandlungen der großen
Strafrechtskommission entnommen werden, daß diese in der Gesamt-
heit hinter dem Vorschlag des Entwurfes stünde, denn nur eine Min-
derheit hat offenbar diese Jungtäterverwahrung als sichernde Maß-
nahme auffassen wollen, die Mehrheit scheint an eine Art Nacherzie-
hung gedacht zu haben.
Über die Psychopathenverwahrung des § 82 Entw. haben wir bereits
in III. berichtet.
Der Entwurf behält außerdem die Entziehun·g sanstalt § 83 iEntw.,
das Arbeitshaus § 84 Entw. mit gewissen Änderungen bei.
Es liegt auch noch in der Tendenz der bisherigen Entwicklung, wenn
der Entwurf in § 87 es zuläßt, daß gewisse Maßnahmen vor der Frei-
heitsstrafe vollzogen werden. Beschränkungen in der Dauer der Unter-
bringung vgl. § 89 Entw. und neue Vorschriften bezüglich der Über-
prüfung § 90 sind zu begrüßen, ändern ab€r das Gesamtbild nicht.
Wirklich neue Wege beschreitet dagegen der Entwurf mit der Ein-
führung der Sicherungsaufsicht §§ 91 bis 98 und der Aussetzung von
Maßregeln zur Bewährung, §§ 105 bis 108. Hier wird endlich die me-
chanische Vorstellung aufgegeben, daß man einen Menschen einsperren
müsse, um die Gesellschaft zu schützen.
2. Die praktischen Erfahrungen, welche seit 1933 mit den Maß..,
regeln des Gewohnheitsverbr·e chergesetzes gemacht worden sind, er-
mutigen keinesfalls, mit dem Entwurf den damals beschrittenen Weg
weiter zu gehen.
a) Die Erfahrungen mit § 42 b StGB zeigen einerseits, daß diese
Bestimmung überflüssig war, soweit sie überhaupt Nutzen bringen
kann. Auch ohne diese Bestimmung wären gemeingefährliche Geistes-
kranke in Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen worden, nur wären
die Ärzte in der Heilbehandlung nicht durch den Verwahrungszwang
beschränkt. Die Einweisung sogenannter Psychopathen in Heil- und
Pfl.egeanstalten hat sich nach allgemeiner Überzeugung nicht bewährt.
Die Behandlung der Süchtigen in Entziehungsanstalten ist so gut und
so schlecht als sie sein kann. Neue Gesichtspunkte sind seit 1933 hier
nicht zutage getreten. Das Arbeitshaus hat auch seit 1933 nicht ver-
mocht, Menschen, die der Arbeitsstetigkeit ermangeln, zur Arbeits-
fr·eudigkeit zu erziehen. Die Leistungen des Arbeitshauses stehen
eben nur eine grundsätzliche Mehrheit bezeugt, wobei aber bezüglich der
Ausgestaltung alles offen bleibt.
Einordnung der Vergesellungsschwierigen 163
11 Mayer, Strafred-.tsreform
164 Strafe~system, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
nicht so, daß etwa die Kriminalität nach dem 30. Lebensdahr "ver-
sandet" und eine größere Zahl von Sicherungsverwahrten wenigstens
im drittlen Lebensjahrzehnt tatsächlich aktive Gewaltverbrecher ge-
wesen wären. Für diese Annahme ergeben die Straflisten keinen An-
haltspunkt. Es scheint vielmehr doch so zu sein, daß der akti,v e habi-
tuelle Gewaltverbrecher rechtz·e itig den Kampf g·egen die übermäch-
tige Staatsgewalt aufgibt, wozu er als Willensmensch auch in der
Lage ist. Ob er dabei immer in sehr ehrenwerte Betätigungen hinüber-
wechselt, mag dahingestellt bleiben, ein Bedürfnis der Sicherungs-
verwahrung scheint hier nicht mehr zu bestehen.
Die Masse der Sicherungsverwahrten besteht aus Vermögensver-
brechern, die verhältnismäßig unbedeutende Straftaten begangen
haben, nur haben sie eben eine sehr lange Strafliste. Man ist geradezu
betroff.en, wenn man in diesen Straflisten und den zugehörigen Straf-
akten immer wieder sieht, daß sogar Taten, die nahe an der Grenze
des Notdiebstahls oder Notbetrugs liegen, bei häufig rückfälligen
Tätern außerordentlich hart bestraft werden und dem Verurteilten
schließlich die SicherungS'V'erwahrung einbringen. Den aktenmäßigen
Unterlagen entspricht der persönliche Eindl'uck, den man beim Besuch
der Verwahrten ·gewinnt. Auch nach dem Urteil der Vollzugsbeamten
und psychologischen Gutachter handelt es sich ganz überwiegend rum
sogenannte "schwache Hangtäter", Menschen, welche eben nicht in der
Lage sind, ein geordnetes Leben in Freiheit zu führen. Auch die
Heiratsschwindler und Hochstapler entsprechen überwiegend nicht
dem Bild, das man sich von ihnen draußen macht. Auch hier über-
wieg·en die minderwichtigen Akteure.
Auch wenn man die Akten der Sittlichkeitsverbrecher überprüft,
ändert sich das Bild nicht wesentlich. Schwere Angriffe gegen die
geschlechtliche Fre~heit, ·echte Kinderschändung finden sich nur selten.
Bei den Pädophilen handelt ·e s sich überwiegend um Spielereien mit
Kindern, die nicht unerfahren sind, sonst um Geschlechtsverkehr mit
frühreifen Mädchen. Besonders tragisch, allerdings auch ernst zu
nehmen, sind die Fälle der Homosexuellen, unter denen sich mög-
licherweise geistig an sich hochstehende Menschen befinden, welche
aber immer wieder dem unglücklichen Liebestrieb zu jungen Männern
und Knaben nicht widerstehen können und diese verführen.
So steht im ganzen die Sicherungsverwahrung in keinem richtigen
Verhältnis zur Größe der sogenannten Gefahr, die von den Ver-
urteilten ausgeht. Infolgedessen wird die Sicherungsverwahrung auch
gar nicht wirklich als solche vollzogen. Die allermeisten Verwahrten
werden doch etwa nach Ablauf von drei Jahren entlassen, die Straf-
zeit wird also nur auf einen falschen Titel verlängert. Dies ist aber
für den Vollzug um so nachteiliger, als sich ohnedies zwischen Siehe-
Einordnung der Vergesellungsschwierigen 165
t1 •
166 Strafensystem, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
§
"Hat jemand durch mindestens drei vorsätzlich gegen fremdes Vermögen
gerichtete Straftaten, von denen er wenigstens eine nach Vollendung des
25. Lebensjahres begangen hat, jeweils Zuchthaus oder Gefängnis oder Be-
währungsfrist von mindestens 6 Monaten oder Jugendstrafe verwirkt, so
wird er, wenn er mit dem Willen zur Vornahme weiterer einschlägiger
Straftaten, einen schweren Betrug, eine Erpressung, einen Raub oder einen
schweren Diebstahl begangen hat, mit Zuchthaus von 5 Jahren bestraft."
"War die letzte Tat ein Raub oder eine gleich dem Raube zu strafende
Tat, so wird er mit Zuchthaus von 10 Jahren bestraft."
"Wenn der Täter sich in der Strafhaft gut führt und außerdem glaubhaft
zu machen vermag, daß er den ernsten Willen und die äußere Möglichkeit
besitzt, künftig ein gesetzmäßiges Leben zu führen, so kann er frühestens
nach Verbüßung von einem Drittel der Strafzeit vorläufig entlassen werden.
Er steht mindestens bis zur Beendigung der Strafzeit unter Sicherungsauf-
sicht."
Absatz 4 und 5 müßten entsprechend aus § 85 Abs. 2 und 3 des Entwurfs
übernommen werden.
Bezüglich der Strafzeit wäre noch zu bemerken, daß die allgemeine Mög-
lichkeit der Haftverkürzung bei Wohlverhalten jedem Häftling auf jeden
Fall zugute kommen müßte.
Es kommt für die Abgrenzung des Typus des aktiv energischen
habituellen Gewalttäters eben gerade auf den Willen der Wieder-
holung an. Dieser Wille begründet die besondere Verantwortung, er
ist das besondere kriminologisch·e Merkmal dies·e r Gruprpe, er läßt sich
auch im Wege der freien Beweiswürdigung mit hinreichender Sicher-
heit feststellen. Die Strafe gründet sich dann auf erhöhte Schuld,
nicht auf eine gänzlich unsichere Prognose. Wenn der Entwurf es in
einigen Bestimmungen auf berufsmäßige Begehung abstellt, so würde
das dte Strafmöglichkeit zu sehr einschränken, wenn man den Begriff
des Berufes in seinem eigentlichen Sinn nimmt.
Der Vorschlag würde praktisch bedeuten, daß wirklich gefährliche
Täter rechtzeitig mit der vollen Härte des Gesetzes bekannt würden,
daß sie aber gleichzeitig die Chance erhielten, durch eine innere
Wandlung der sozialvernichtenden Wirkung der Strafe zu entgehen.
Man kann übrigens darüber streiten, ob man eine solche Bestimmung
nicht besser schon gegen jeden volljährigen Täter anwenden sollte.
Man würde dann diese zwar an sich bewußt lebenden, aber in der
Jugend doch verwirrten Täter zugleich über die gefährlichsten Jahre
der Nachpubertät sicher hinwegbringen. Auch eine harte Strafe ist
erträglich, psychisch unerträglich ist die sichernde Maßnahme, die sich
dem Betroffenen gegenüber nicht auf den echten und ausreichenden
Rechtsgrund der Schuld berufen will.
Wenn man die Anwendung einer solchen Bestimmung durchdenkt,
werden gewisse Schwierigkeiten bei den gefährlichen Hochstaplern
168 Strafensystem, Kriminalrecht, fürsorgendes Personenrecht
kommt, welche mit gefährlichen Trieben behaftet sind, die sich gegen
Leib und Leben und gegen die geschl€chtliche Unversehrtheit richren.
In diesen Fällen liegt in der Tat ein echter Notstand d-er Allgemein-
heit vor, während bei der Masse der Verwahrungsfälle nach heutigem
Recht von einem solchen Notstand nicht entfernt die Rede sein kann.
Jedoch erscheint mir eine Bestimmung, welche primär Verwahrung
anordnet, überflüssig zu sein. Denn wenn ein Täter dieser Art wirklich
gefaßt wird, so hat ·er doch möglicherweise mit lebenslänglicher Frei-
heitsstrafe, mindestens aber mit so hoher Freiheitsstrafe zu rechnen.
daß dem Sicherungsbedürfnis Genüge getan wird. Die sadistischen
Reihenmörder können ja nicht deshalb ihre schreckliche Laufbahn so
lange Z-eit fortsetzen, weil man nicht rechtzeitig mit Sicherungsmaß-
nahmen gegen sie eingeschritten ist, sondern ganz einfach deshalb,
weil man sie niemals unter Umständen gefaßt hat, die auf eine derart
gefährliche Triebrichtung hinweisen. Handelt es sich um Homo-
sexuelle, dürfte die Sicherungsaufsicht regelmäßig genügen. Hinter
der Sicherungsaufsicht steht aber immer subsidiär die Sicherungsver-
wahrung, wenn der Beaufsichtigte sich der Aufsicht entzieht, oder
wenn er sich in höherem Grade als gefährlich erweist.
6. Die erforderlichen Entscheidungen sind in einem Statusprozeß zu
treffen. Die Formen dieses Prozesses können hier nicht näher dar-
gelegt werden; es kommt darauf an, in sorgfältiger Hemühung die
Grundlagen über die persönlichen Lebensumstände, über die Per-
sönlichkeit und die bisherige Lebensführung zu ermitteln. Die erste
'Entscheidung lautet entweder auf Anordnung der Schutzhilfe oder
der Sicherungsaufsicht Auf Grund dieser Entsch·eidung ist ein Hilfs-
plan oder Sicherungsplan von der Schutzhilre- bzw. Sicherungsauf-
sichtsbehörde zu entwerfen, der der B-estätigung des Gerichtes bedarf.
Dabei ist der Betroffene ausreichend zu hören. Muß Anstaltsunter-
bringung oder gar Verwahrung angeordnet werden, so bedarf es
jeweils einer zusätzlichen richterlichen Entscheidung.
Es würde nicht sehr viel Mühe kosten, diese Skizz.e näher auszu-
führen und einen förmlichen Gesetzesentwurf in schönen Paragraphen
daraus zu machen. Doch kann dies nicht die Aufgabe dieser Zeilen
sein. Zunächst bedürfen die Grundzüge dieser hier vorgebrachten Vor-
schläge einer Diskussion. Aber soviel darf .gesagt werden , daß durch
den Vorstoß des Fürsorgerechres im Sozialhilfegesetz das ganz·e Ge-
bäude der Maßnahmen des Entwurfs ins Wanken geraten ist. Die
Fr·e iheit des einz·elnen muß gegen kollektivistische Bestrebungen so-
wohl im Strafrecht wie im Fürsorgerecht verteidigt werden. Die für-
sorgerechtliehen und die strafrechtlichen Problteme müssen als eine
Einh-eit gesehen werden.