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Bealjaidcearru Im Winter 2024
Bealjaidcearru Im Winter 2024
Der Skipskjølen, auf samisch Bealjáidčearru, ist ein ganz besonderer Berg. Sein Gipfelmassiv
dominiert den gesamten Varanger-Nationalpark im äußersten Norden Norwegens, und sein riesiger
Gipfelsteinmann, der auf einem markanten Felssockel sitzt, ist von weit und breit zu sehen. 2024
wollte ich diesen Berg erstmals im Winter besteigen, mit Schneeschuhen. Was eine kleinere
Expedition von fünf Tagen erforderte.
Fünf Tage, das sagt sich so leicht. Doch da oben im Norden wechselt das Wetter rasch. Längere
Schönwetterperioden sind im Winter selten, und die Winde bisweilen recht stürmisch. Obwohl ich
auf meinen Sommerwanderungen bereits die "Linjehyttene" kennengelernt hatte, die auch im
Winter Unterschlupf bieten, hatte ich allerhöchsten Respekt vor diesem Projekt. Doch diesmal hatte
ich einen erfahrenen Tourengeher an meiner Seite, Dieter Salathé, einen Freund aus Berlevåg. Und
das Wetterglück war uns hold.
Die folgenden Bilder sind teils von mir, teils von Dieter oder Daniela Salathé (letztere
gekennzeichnet mit DiS bzw. DaS in der Bildunterschrift).
Von dort geht es dann weiter flussaufwärts, bis wir schließlich nach insgesamt acht Stunden die
Helheimhytta erreichen. Es ist bereits dämmrig, und der fast volle Mond taucht die
Schneelandschaft in mildes Abendlicht.
Es dämmert schon, als wir das Nebental zur Helheimhytta erreichen
Wir haben Glück. Zwei Tage vor uns hat ein norwegisches Pärchen, Bjørn und Solveig, die von
einer mächtigen Schneewächte bedeckte Eingangstür zur Hütte und auch jene zum Plumpsklo
freigeschaufelt. Wir finden ihre Eintragung im Hüttenbuch, und auch einen Link zu ihrem Blog,
www.bstur.no
An diesem Tag sind wir beide ziemlich erschöpft. Und hungrig. Ich selbst habe wie immer auf
solchen Touren mein Essen aus Gewichtsgründen rationiert: Müsli mit einer Extraportion Nüsse
zum Frühstück, zwei Riegel als Jause für untertags, eine kleine Instantsuppe und eine Packung
gefriergetrocknetes Turmat zum Abendessen. Doch ich staune nicht schlecht, als ich sehe, was
Dieter zusätzlich zur Basisverpflegung alles aus seinem Pulken zum Vorschein bringt (und
bereitwillig mit mir teilt): eine große Packung Landjäger, Knäckebrot mit Butter, Kekse,
Schokolade ...
Von der Wasserscheide oberhalb des Transportdalen sieht man bis zum Hanglefjell
Wir gehen auf der anderen Talseite weiter, bis wir nach einem Tagesmarsch von rund sechs Stunden
die Heimdalhytta erreichen. Und auch hier haben wir Glück. Aus dem Hüttenbuch erfahren wir,
dass Bjørn und Solveig auch diese Hütte vor uns angesteuert hatten und die Hüttentür zunächst
kaum aufgebracht hätten. Denn die Tür war von innen her festgeeist. Nur mit Mühe konnten sie die
Tür wenigstens so weit öffnen, dass einer von beiden nach innen schlüpfen und von dort die Tür
bearbeiten konnte.
Im Hintergrund taucht die linke Schulter des Bealjáidčearru auf
Das Problem mit der festgefrorenen Hüttentür sei eine typische Folge der Klimaveränderung,
erklärt Dieter. Anfang März hätte es hier heroben, atypisch für die Jahreszeit, Tauwetter gegeben.
Und dabei war feiner Schnee, der durch die Ritzen zwischen Tür und Türstock nach innen gelangt
war, geschmolzen und später zu Eis gefroren.
Im Hüttenbuch lesen wir auch, dass Bjørn und Solveig von hier weiter in Richtung Ragnarokkhytta
gegangen sind. Aus dem Blog der beiden erfahren wir später, dass sie die Tür der Ragnarokkhytta
nicht aufgebracht hatten. Auch ein gewisser Clement, der laut Hüttenbuch im Februar per Schi von
Vardø nach Alta unterwegs war, hatte die Tür der Ragnarokkhytta vergeblich zu öffnen versucht.
Hier bei Heimdal hatte er dann mehr Glück.
Ich stelle mir das frustrierend vor, wenn du nach einem langen und anstrengenden Fußmarsch
endlich die Hütte erreichst und dann erst recht das Zelt vor der Hütte aufschlagen musst, weil du
nicht hinein kannst. Uns blieb während der gesamten Tour eine Übernachtung im Zelt erspart. Und
darüber war ich froh. Denn bei Nachttemperaturen von 17 bis 19 °C minus (laut Wettervorhersage)
wäre das ziemlich ungemütlich gewesen.
Rechts hinten das "Krapferl", das von oben eher wie ein Kipferl mit Zuckerglasur aussieht
Der Gipfel scheint zum Greifen nah. Doch wie so oft hier ist der Schein trügerisch. Wir gehen und
gehen. Irgendwann verlieren wir den Gipfel in einer sanften Bodenmulde sogar aus den Augen, bis
wir schließlich nach knapp drei Stunden Fußmarsch (von der Hütte aus) doch davor stehen. Der
Gipfelsteinmann hat sich in ein Schneekleid mit barocken Kurven gehüllt. Und der Felssockel ist
mit Eiskristallen übersät, die in der Sonne prunkvoll glitzern.
Dieter lässt mir den Vortritt beim "Gipfelsturm" (DiS)
Der Ausblick ist herrlich. Auf der einen Seite sehen wir hinüber bis zum Varangerfjord, zum
Hanglefjell und zum Stangenestind. Auf der anderen Seite erstrecken sich die Täler und Kuppen des
Nationalparks. Und unter uns, etwa 3,5 km vom Gipfel entfernt, ein kleiner schwarzer Punkt, die
Ragnarokkhytta.
Ausblick auf den Kjøltindan
Links der Gárgaš und das Sandfjordelvdalen, rechts Kjøltindan und Grythaugen
Rast im Windschatten (DiS)
Am Rückweg inspizieren wir noch das tief eingeschnittene Seitental, das uns schon beim Aufstieg
imponiert hatte, und besteigen auch das "Krapferl", wo Dieter eine sms an Daniela wegschickt.
Es ist erstaunlich, wie oft Dieter auf dieser Tour eine sms-Verbindung zu Daniela herstellen konnte,
vor allem auf Kuppen und in höheren Lagen. Ich hatte bei meinen Solotouren im Varanger-
Nationalpark bislang das Handy tief im Rucksack vergraben mitgetragen in dem Bewusstsein, hier
in dieser menschenleeren Gegend wirklich allein zu sein, ohne Handykontakt zur Außenwelt. Und
in der Regel gar nicht probiert, eine Verbindung herzustellen. Das hat etwas Wohltuendes und
Befreiendes an sich. Aber es gibt doch auch Situationen, wo ein Kontakt zur Außenwelt hilfreich ist,
und zwar für beide Seiten.
Und nun sitzen wir also in der warmen Hütte, ausgeruht nach dieser leichten Tour ohne Gepäck,
und lesen im Hüttenbuch nach, was Harald G. Sunde dort 2018 geschrieben hat, als er mit einem
Lokalkundigen hier heroben auf der Kjølstua war, wie die Heimdalhytta früher hieß. (Näheres über
die Rolle der Kjølstua im Partisanenkampf gegen die deutsche Besatzung findest du in meinem
Beitrag über den Grythaugen.)
Dieter, der Harald Sunde persönlich kennt, erzählt noch, dass Sunde eigentlich Arzt von Beruf ist
und in Kirkenes lebt. Er hat sich als Hobbyhistoriker mit einer umfassenden Dokumentation der
Geschichte der Partisanen während des zweiten Weltkriegs hier heroben im Norden profiliert. Für
sein Buch "I partisanenes fotspor" hat Sunde insgesamt 22 Partisanenverstecke und Aussichtsposten
in Finnmark und Nord-Troms persönlich aufgesucht und mit Bildern, GPS-Positionen und genauen
Beschreibungen auch für andere zugänglich gemacht. Sunde hat sogar einen eigenen Verlag
gegründet, Beallječohkka Innovation, in dem er auch Bücher anderer Autoren zu lokalhistorischen
Themen veröffentlicht.
Auf dem Hochplateau Richtung Helheim finden wir dann großen Spaß daran, all die interessanten,
wundersamen Schneeverwehungen zu studieren und zu deuten. Es ist erstaunlich, welch zarte und
fantasievolle Muster der Wind in die weiße Oberfläche fräst. Auf der Suche nach immer neuen
Motiven hinterlassen wir schlingernde Spuren im Schnee. So als ob wir schon einige "drams"
(Gläser Schnaps) intus hätten ;-)
Schneebilder – Adler
Schneebilder – vermummte Gestalt
Schneebilder – Wikingerschiff
Anschließend tausche ich mit Dieter – er nimmt meinen Rucksack, und ich spanne mich vor den
Pulken, um einmal auszuprobieren, ob das etwas für mich wäre. Das Gefühl, den Rücken frei zu
haben, ist wunderbar. Aber ich tue mir etwas schwer, mit den ruckelnden Bewegungen des Gefährts
hinter mir meinen Rhythmus zu finden. Mit dem Pulken ist man auch weniger flexibel im Gelände,
und bergauf kann das Ziehen durchaus schweißtreibend sein.
Als wir die Helheimhytta erreichen, entdeckt Dieter, dass er einen seiner beiden Fäustlinge verloren
hat, den er sich beim Tragen meines Rucksacks zwischen das zugegeben etwas spartanische und
harte Traggestell und die Auflagefläche am Rücken gesteckt hat. Während er nochmals zurück geht,
um den Fäustling zu suchen, beginne ich die Tür der Hütte freizuschaufeln, vor der sich seit
unserem letzten Besuch wieder Schnee angesammelt hat.
Dort, wo die Rávdoljohka in die Uhcit Rávdol mündet, studieren wir rechterhand die Abzweigung
eines kleinen Seitentals, das laut Karte hinüber ins Ordotal mündet, und zwar kurz vor dem
Ordosee. Das wäre eine deutliche Abkürzung. Aber wir wissen nicht, wie steil der Abstieg drüben
auf der anderen Seite ist, und entscheiden uns deshalb über den etwas längeren Weg via Delinga.
Hier vereinigt sich die Rávdoljohka mit der Uhcit Rávdol
Spuren im Schnee
Winterharter Strauch
Als wir bei der Delinga ankommen, treffen wir auf die ersten Schneemobilspuren. Das
Osterwochenende steht bevor. Und um diese Zeit fahren die meisten Norweger zu ihren Hütten und
schwärmen mit ihren Schneemobilen aus, um die Gegend zu genießen oder waghalsige Loopings
auf Steilhängen zu drehen. Oder sie hocken stundenlang auf den zugefrorenen Seen zum Eisfischen.
Wir folgen den Schneemobilspuren talaufwärts nach Ordo. Und als wir jene Stelle passieren, wo
das oben beschriebene Seitental kurz vor Ordo einmündet, stellten wir fest, dass der Abstieg ins
Haupttal dort durchaus möglich gewesen wäre. Dies als kleine Notiz im Hinterkopf für ein
nächstesmal.
Hier ist der Ort, wo das kleine Seitental kurz vor Ordo ins Haupttal mündet
Das Hüttendorf Ordo taucht vor uns auf, dahinter liegt der zugefrorene See
Um den Trubel rund um das Hüttendorf Ordo zu umgehen, gehen wir kurz davor schräg rechts den
Hang hinauf, um weiter oben auf die Stichstraße von Ordo hinauf zum Riksveien 890 zu gelangen.
Diese "Abkürzung" stellt sich jedoch als etwas beschwerlich heraus. Denn wir müssen dabei zwei
Talfurchen überqueren, die wir vorher in der strahlend weißen Schneelandschaft nicht ausmachen
konnten. Ein kurzer Blick in die Karte hätte gereicht, um uns vorzuwarnen ...
Schließlich erreichen wir die Autostraße bei den Ordogaragen, wo die Einheimischen ihre
Schneemobile parken und auftanken. Und wie durch ein Wunder kommt uns Daniela genau in
jenem Augenblick mit dem Auto entgegen, als wir die Schneeschuhe am Straßenrand abschnallen.
Auf der Rückfahrt nach Berlevåg sehen wir dann noch im Vestre Styrdalen vier Elche unweit der
Straße im Gebüsch. Es sind die ersten Elche hier heroben, die ich aus der Nähe sehe. Wir
beobachten sie ausgiebig mit dem Fernglas. Dann geht es weiter zum Haus der Salathés, wo es
bereits wunderbar nach Bacalao duftet.
Eigentlich hätte die Geschichte ja hier enden sollen. Doch Dieter meinte nach der Lektüre meines
Textes, dass "die Wettergötter nochmals etwas Ruhm und Dank verdient hätten. Vielleicht auch wir
für geschicktes Planen, für's Stehvermögen und für's Durchführen. Und wie begeistert wir waren
über die ganze Tour."
Ja, begeistert, und auch glücklich und dankbar, waren wir tatsächlich! Es war eine wunderbare Tour,
ein außerordentliches Erlebnis. Und auch eine gewisse Herausforderung, trotz der freundlichen
Wetterbedingungen.