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Leben als Hausf rau und Mut ter

Ich bin dann mal zu Hause


Gut ausgebildete Frauen entscheiden sich nach der Geburt ihrer Kinder für ein Leben
als Hausfrau. Warum? Drei Opting-out-Mütter erklären ihren unkonventionellen Weg.

Von Heike Kleen

"Mutter sein ist ein sehr anspruchsvoller Job", sagt Julia Canzler. Die 45-Jährige hat
Kommunikationswissenschaft, Medienrecht und Wirtschaftspsychologie studiert und
viele Jahre in der Verlagsbranche gearbeitet. Heute ist sie Hausfrau und Mutter, ihre
Kinder sind vier, acht und zehn Jahre alt. Sie selbst sieht sich nicht als Hausfrau.
Schließlich sitze sie nicht nur zu Hause, sondern genieße es, viel Zeit mit
ihrer Familie zu verbringen: "Ich habe für mich persönlich das Gefühl, dass ich auf die
Interessen meiner Kinder eingehen kann, von denen ich womöglich gar nichts
mitbekommen hätte, wenn ich ihnen nicht so zugewandt wäre."

Einer Mutter, die sich täglich zwischen Büro und Kita abhetzt, sausen bei diesem Satz
vermutlich die Ohren. "Opting-out"-Mütter, also gut ausgebildete Frauen, die mit der
Geburt ihres ersten Kindes ihre Erwerbstätigkeit aufgeben und in Vollzeit für ihre
Familie da sind, gelten heute als unmodern. Man wirft ihnen vor, keine beruflichen
Ambitionen zu haben und sich von einem Mann abhängig zu machen. Sie selbst

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haben Angst vor Verurteilung und Kritik und oft das Gefühl, sich rechtfertigen zu
müssen. So auch Julia Canzler. Ihren anspruchsvollen Job habe sie gemocht, bevor
sie Kinder bekam, doch als Mutter habe sie gemerkt, dass die Karriere- und die
Familienwelt für sie nicht mehr zusammenpassten. "Ich hatte sehr lange
Arbeitszeiten und einen hohen Anspruch an mich selbst", sagt Julia Canzler. "Als
mein zweiter Sohn in die Krippe kam und in einem Jahr elf Infekte hatte, habe ich
gemerkt, dass ich so nicht länger arbeiten kann." Also entschied sie sich, beruflich
kürzer zu treten und lieber ganztags Mutter zu sein, anstatt sich zwischen zwei Jobs
zerrissen zu fühlen.

Auch Sandra Hoffmann hat sich für ein Leben als Vollzeitmutter entschieden. Die 48-
Jährige war 18 Jahre lang im Immobiliensektor tätig, hat sich um Hausverwaltungen,
Vermietungen und Besichtigungen gekümmert. "Der Job hat mir Spaß gemacht, er
war abwechslungsreich, spannend – und herausfordernd. Dann kam mein erstes
Kind und ich bin zu meinem Mann in eine andere Stadt gezogen." Das Paar bekam
zwei weitere Kinder, alle im Abstand von circa drei Jahren. "Wir haben beschlossen,
dass ich bei jedem Kind drei Jahre Elternzeit nehme und ich in dieser Phase zu Hause
bleibe. Ich habe die Kinder erst mit drei in den Kindergarten gegeben."

Für Hoffmann war weniger die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie der Auslöser
für ihre Entscheidung, sondern der Wunsch, dass ihre Kinder so aufwachsen wie sie
selbst: "Meine Mutter war zu Hause, und ich habe mich immer gefreut, dass mittags
das Essen auf dem Tisch stand", sagt sie. "Meine Kinder sollen das auch genießen."
Mütter wie Julia und Sandra sind zwar heute in der Minderheit, im Jahr 2019 waren
in Deutschland 74,7 der Mütter mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren
erwerbstätig. Aber man kann sie auch nicht als antiquierte Ausnahmen bezeichnen,
denn jede vierte Mutter geht entsprechend keiner bezahlten Arbeit nach. Gefällt es
den Opting-out-Müttern tatsächlich, sich den ganzen Tag um ihre Kinder zu
kümmern? Oder fühlen sie sich von einer Arbeitswelt abgeschreckt, die zwischen
befristeten Arbeitsverträgen oder der harten Realität einer Selbstständigkeit wenig
Raum für Gedanken über Kitaschließzeiten und außerschulische Betreuung lässt?

"Was machst du eigentlich den ganzen Tag?" lautet die klassische Frage, die auch
Julia Canzler kennt. Sie sagt: "Ich habe einen ausgefüllten Tag, und selbst wenn ich
mir Zeit für mich nehme oder zum Pilates gehe, kommt diese Selbstfürsorge auch
meinen Kindern zugute. Ein erfüllender Beruf ist natürlich genauso Selbstfürsorge.
Aber dafür braucht man das entsprechende Set-up, um sich nicht selbst zu zerreißen
und täglich zwischen Arbeit und Kita abzuhetzen."

Gestresste Eltern sieht Isod Bötzel, ehemalige Gymnasiallehrerin für Deutsch,


Englisch und Französisch, jeden Tag. Die 60-Jährige wohnt neben einer Kita und sagt:
"Mir tun die jungen Mütter leid, die morgens und nachmittags mit ihren großen

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Fahrrädern angehetzt kommen. Die sehen alle nicht entspannt und fröhlich aus, sind
immer unter Zeitdruck. Ob die sich jemals ausruhen können?" Bötzel hat sich vor 27
Jahren, als das erste ihrer drei Kinder geboren wurde, für ein Leben zu Hause
entschieden und würde es, so sagt sie, heute wieder so machen. "Ich habe mein
Studium und meinen Beruf geliebt, aber Kinder erziehen fand ich auch toll. Das war
ein Teil von mir, der mich genauso gut ausfüllt hat wie mein Job."

In den Jahren als Hausfrau und Mutter hat sie sich in der Kirche und der Jungen
Volkshochschule ehrenamtlich engagiert, um dort ihre Qualifikationen einzubringen.
Aber am meisten freut sie sich, wenn ihre Kinder heute sagen: "Es war schön, dass
du immer da warst." Dann hält sie kurz inne und lacht: "Aber sie kannten es natürlich
auch nicht anders."

Das bisschen Haushalt …


Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass das Kümmern um die Kinder und den
Familienalltag – also die sogenannte Carearbeit – auch Arbeit ist. Sie wird nur nicht
bezahlt und in der öffentlichen Wahrnehmung wenig wertgeschätzt. Diese
Carearbeit wird bis heute größtenteils von Frauen übernommen, Frauen kümmern
sich pro Tag durchschnittlich vier Stunden und 13 Minuten unbezahlt um Haushalt
und Kinder, Männer nur 2 Stunden und 46 Minuten – also fast anderthalb Stunden
weniger. Gender-Care-Gap1 wird dieser Unterschied genannt. Vollzeitmütter machen
automatisch den Großteil dieser Carearbeit, so ist es auch bei Canzler, Hoffmann und
Bötzel. Das ist schließlich der Deal: der eine bringt das Geld nach Hause, die andere
kümmert sich um den Familienalltag. Julia Canzler bezeichnet diese Aufteilung als
fair: "Der eine steuert mehr Geld bei und der andere mehr Zeit. Aber wie man das
aufteilt, muss jede Familie für sich entscheiden", sagt sie. Was keine der Frauen zu
stören scheint: die finanzielle Abhängigkeit.

Darüber hinaus muss man sich das Ein-Verdiener-Modell auch leisten können. Das ist
in den letzten Jahrzehnten zunehmend schwieriger geworden, zum einen sind die
Lebensmittel- und Energiekosten sowie die Mieten insbesondere in Ballungszentren
stark gestiegen, die Löhne wurden jedoch nicht gleichermaßen erhöht. Aber auch die
Ansprüche an die Ausbildung und Ausstattung der Kinder sowie an Urlaube sind
gewachsen. Im Jahr 2018 gaben Paare mit einem Kind im Schnitt 763 Euro im Monat
für ihren Nachwuchs aus. Im Vergleich zum Jahr 2013 (660 Euro) sind die Ausgaben
für ein Kind um knapp 16 Prozent gestiegen. Wenn mit nur einem Einkommen eine
mehrköpfige Familie ernährt werden soll, braucht es ein entsprechend hohes Gehalt
– und das erwirbt, wenn überhaupt, meist noch der Mann.

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Der Gender Pay Gap beschreibt den geschlechtsspezifischen Verdienstunterschied zwischen Frauen und
Männern.

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Das liegt auch am Gender-Pay-Gap, der mitverantwortlich für die Entscheidung ist,
dass die Frau häufiger zu Hause bleibt. Frauen verdienten 2020 in Deutschland
durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Das liegt auch daran, dass Frauen
häufiger in Teilzeit und Minijobs oder in Branchen und Berufen arbeiten, die
schlechter bezahlt werden. Aber selbst der bereinigte Gender-Pay-Gap beträgt sechs
Prozent, Arbeitnehmerinnen verdienen selbst bei vergleichbarer Tätigkeit und
Qualifikation weniger als Männer. Auf das Gehalt der Frau kann eine junge Familie
also leichter verzichten als auf das Gehalt des Mannes, auch darum stecken viele
junge Mütter beruflich zurück. Den Gehaltsunterschied zu ihren Partnern holen sie in
den meisten Fällen nie wieder auf.

Auch die Männer von Julia Canzler, Sandra Hoffmann und Isod Bötzel verdienten vor
der Familiengründung mehr Geld als ihre Partnerinnen. Damit war der Weg frei für
die klassische Rollenaufteilung mit dem Mann als Hauptverdiener und Ernährer.
Doch Julia, Sandra und Isod empfinden es nicht als Belastung, finanziell von ihren
Partnern abhängig zu sein. Sie sagen, sie hätten sich freiwillig für die Familie und
gegen den Beruf entschieden. "Mein Mann gibt auch viel auf", sagt Julia Canzler. "Ich
profitiere davon, dass die Kinder mich in ihre Welt reingucken lassen. Da entstehen
Momente der Vertrautheit, die mein Mann viel seltener hat." Für die drei Frauen ist
klar, dass das Einkommen des Mannes das gemeinsame Familieneinkommen ist. Sie
wissen, dass eine Scheidung oder der Verlust des Partners ihre Situation drastisch
verändern würde, aber sie fühlen sich finanziell gut versorgt und haben keine
Zukunftsängste. Julia Canzler sagt: "Wenn mein Mann als Alleinverdiener wegfiele,
müsste ich mein Leben natürlich neu ordnen. Aber aufgrund meiner Ausbildung und
Berufserfahrung habe ich das Vertrauen, dass ich das hinbekäme."

Doch wie wird es sich anfühlen, wenn die eigene Rente später höchstens für einen
Friseurbesuch anstatt für den Lebensunterhalt reichen wird? Isod Bötzel bleibt
gelassen: "Natürlich fallen meine Rentenbescheide sehr niedrig aus, aber das macht
mir nichts aus. Geld war mir nie wichtig, und wir haben alles so geregelt, dass ich
abgesichert bin. Trotzdem würde ich heute niemandem raten, finanziell abhängig zu
sein."

Julia Canzler und Sandra Hoffmann denken momentan lieber darüber nach, wie es
sein wird, eines Tages wieder zu arbeiten. Für sie ist die Entscheidung, bei den
Kindern zu bleiben, kein Entschluss für die Ewigkeit. Ihr sei klar, dass es nach zehn
Jahren Pause nicht einfach sein werde, in den Beruf zurückzufinden, sagt Julia
Canzler. Aber sie ist optimistisch. "Ich habe in den Jahren zu Hause nicht viel
verloren. Ich habe sehr viel über mich selbst gelernt, und wenn ich wieder arbeiten
gehe, bin ich ein anderer Mensch, weil ich viel an Erfahrung gewonnen habe." Die
60-jährige Isod Bötzel sagt, sie habe oft das Gefühl gehabt, sich für ihr
Zuhausebleiben erklären zu müssen, als viele ihrer Freundinnen nach der Elternzeit

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wieder anfingen zu arbeiten. Auch Sandra Hoffmann sagt: "Seit ich aus der Elternzeit
raus bin, habe ich manchmal den Eindruck, mich für meinen Lebensentwurf
rechtfertigen zu müssen." In diesem Moment klingelt ihr Handy, ein Notruf aus dem
Kindergarten. Der Kleine hat erhöhte Temperatur, sie muss ihn abholen. In diesem
Moment, sagt sie, sei sie froh, sich bei keinem Chef entschuldigen zu müssen...

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