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Drama während der

Goethezeit
2. Teil
Das Shakespeare-Modell

• Shakespeare findet bei den Stürmern und Drängern


großen Anklang und wird als Vorbild für eine neue
Dichtung angesehen, die Gefühlsintensität an die
Stelle von Rationalität setzt.
• Im Sturm und Drang verlieren die rational
begründeten Regeln der traditionellen Poetik ihre
Geltung und machen dem auf Emotion gegründete
Gegenkonzept des „Natur-Genies“ Platz.
• Diesem dient William Shakespeare als
literaturgeschichtliches Paradigma.
• Bei Shakespeare liegt das zentrale Problem in der Kollision von
Subjektivität und Objektivität.
• Der Konflikt zwischen der prätendierten Freiheit des Wollens eines
Individuums und den äußeren Notwendigkeiten seiner Umgebung
wird in seinen Stücken dargestellt.
• Lebensnähe der Problematik und Figuren.
• Die dramatische Poesie ist die getreue Nachahmung der Natur, die
auch deren Hässlichkeit einbezieht und nichts Natürliches verhüllt
(keine Idealisierung! Vgl. Lenz).
• Die Aufgabe jedes Dichters, sagen die Stürmer und Dränger, liegt
darin, schöpferisch tätig zu werden und das, was der göttliche
Schöpfer getan hat, nachzuahmen.
Goethe und Schiller über das Drama

• Über epische und dramatische Dichtung (1797):

„Der Epiker und Dramatiker sind beide den


allgemeinen poetischen Gesetzen unterworfen,
besonders  dem Gesetze der Einheit und dem Gesetze
der Entfaltung; ferner behandeln sie beide ähnliche
Gegenstände und können beide alle Arten von
Motiven brauchen; ihr großer wesentlicher
Unterschied beruht aber  darin, daß der Epiker die
Begebenheit als vollkommen vergangen vorträgt, und
der Dramatiker sie als  vollkommen gegenwärtig
darstellt.“
Epos vs. Drama/Tragödie

• Goethe und Schiller äußern sich über Ähnlichkeit und Differenz von Epos
und Tragödie:

„Die Gegenstände des Epos und der Tragödie sollten rein menschlich,
bedeutend und pathetisch sein:  die Personen stehen am besten auf
einem gewissen  Grade der Kultur, wo die Selbsttätigkeit noch auf sich
allein angewiesen ist, wo man nicht moralisch, politisch, mechanisch,
sondern persönlich wirkt. Die  Sagen aus der heroischen Zeit der
Griechen waren in  diesem Sinne den Dichtern besonders günstig. Das
epische Gedicht stellt vorzüglich persönlich  beschränkte Tätigkeit, die
Tragödie persönlich beschränktes Leiden vor; das epische Gedicht den
außer sich wirkenden Menschen: Schlachten, Reisen, jede  Art von
Unternehmung, die eine gewisse sinnliche  Breite fordert; die Tragödie
den nach innen geführten Menschen, und die Handlungen der echten
Tragödie  bedürfen daher nur wenigen Raums.“
Die Welt als Ausgangspunkt der Dichtung

• Laut Goethe und Schiller wiederspiegelt sowohl Drama als


auch Erzählung unterschiedliche Aspekte der Welt:
1) „die physische,[…] wozu die dargestellten Personen
gehören und die sie  umgibt. In dieser steht der Dramatiker
meist auf  einem Punkte fest, der Epiker bewegt sich freier
in  einem größern Lokal; zweitens die entferntere Welt, 
wozu ich die ganze Natur rechne. Diese bringt der  epische
Dichter, der sich überhaupt an die Imagination wendet,
durch Gleichnisse näher, deren sich der  Dramatiker
sparsamer bedient".
2) die sittliche Welt erscheint in beiden Dichtungsformen.
3) „die Welt der Phantasien, Ahnungen, Erscheinungen,
Zufälle und Schicksale.“
Rhapsode/Erzähler vs. Mime

• Der Rhapsode (Erzähler) versteht sich als ein


höheres Wesen und ist an Vergangenem
interessiert und daran, dieses objektiv und im
Namen der Allgemeinheit darzustellen.
• Der Mime versteht sich als Darsteller spontaner
Affekte:
„Der Mime […] stellt sich als ein bestimmtes
Individuum dar, er will, daß man an ihm und seiner
nächsten  Umgebung ausschließlich teilnehme, daß
man die  Leiden seiner Seele und seines Körpers
mitfühle,  seine Verlegenheiten teile und sich selbst
über ihn  vergesse.“
Schiller und Die Schaubühne als eine
moralische Anstalt betrachtet (1784)
• wiederspiegelt Schillers klassizistischen Glauben an die
moralische Veränderbarkeit des Menschen durch die Kunst:
„Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der
weltlichen Gerichte sich endigt. Wenn die Gerechtigkeit für
Gold verblindet und im Solde der Laster schwelgt, [...]
übernimmt die Schaubühne Schwert und Waage und reißt die
Laster vor einen schrecklichen Richterstuhl. [...] Wenn keine
Moral mehr gelehrt wird, keine Religion mehr Glauben findet,
wenn kein Gesetz mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch
anschauern, wenn sie die Treppen des Palastes herunter
wankt und der Kindermord jetzt geschehen ist.‟( „Die Schaubühne als
moralische Anstalt betrachtet“.In: Werke, Bd. 1, Berlin-Weimar: Aufbau, 1981, S.236f.)
• Friedrich Schiller sieht Religion, Gesetz und Theater in enger
Verbindung miteinander, und sie treffen sich im Bereich des
Sinnlichen/Materiellen.
„eine Schule der praktischen Weisheit"
• „Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt
des Staats - eine Schule der praktischen Weisheit, ein
Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer
Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen
Seele. ‟
• Schiller verbindet die Schaubühne mit dem Gedanken
gesellschaftlichen und nationalen Bewusstseins, das sich in der
Kunst spiegelt:
„Unmöglich kann ich hier den großen Einfluß übergehen, den eine gute
stehende Bühne auf den Geist der Nation haben würde. Nationalgeist eines
Volks nenne ich die Ähnlichkeit und Übereinstimmung seiner Meinungen
und Neigungen bei Gegenständen, worüber eine andere Nation anders
meint und empfindet. Nur der Schaubühne ist es möglich, diese
Übereinstimmung in einem hohen Grad zu bewirken, weil sie das ganze
Gebiet des menschlichen Wissens durchwandert, alle Situationen des
Lebens erschöpft und in alle Winkel des Herzens hinunter leuchtet.“
Über die tragische Kunst (1792)

• Schiller verteidigt und vertritt eine durch und durch


aristotelische Auffassung über die Tragödie als Form der
Nachahmungskunst mit Implikation der Rührung (Mitleid):
„Die Tragödie wäre demnach dichterische Nachahmung
einer zusammenhängenden Reihe von Begebenheiten (einer
vollständigen Handlung), welche uns Menschen in einem
Zustand des Leidens zeigt und zur Absicht hat, unser Mitleid
zu erregen. Sie ist erstlich – Nachahmung einer Handlung.
Der Begriff der Nachahmung unterscheidet sie von den
übrigen Gattungen der Dichtkunst, welche bloß erzählen
oder beschreiben. In Tragödien werden die einzelnen
Begebenheiten im Augenblick ihres Geschehens, als
gegenwärtig, vor die Einbildungskraft oder vor die Sinne
gestellt; unmittelbar, ohne Einmischung eines Dritten.“
• „[...] die Tragödie hat einen poetischen Zweck, […] sie stellt eine
Handlung dar, um zu rühren und durch Rührung zu ergötzen [...] Die
Tragödie ist Nachahmung einer Handlung, welche uns Menschen im
Zustand des Leidens zeigt. [...] Nur das Leiden sinnlich moralischer
Wesen, dergleichen wir selbst sind, kann unser Mitleid erwecken [...]
Die Tragödie [...] vereinigt alle diese Eigenschaften, um den
mitleidigen Affekt zu erregen.“
• Schiller spricht von dem „Vergnügen an tragischen Gegenständen“,
womit er eine Ästhetik der Sittlichkeit formuliert.
• In seinem Konzept hat die Komödie keinen Platz, weil der Humor und
das Lachen jeder Art der Philosophie widerspricht, so Schiller.
• Schiller findet die großen Stoffe der Tragödie vor allem in der
Geschichte und nicht im täglichen Leben.
• Obwohl Schiller den performativen Charakter des
Theaters als Ergebnis von Körperlichem und
Geistigem erkannt hatte, bevorzugte er das Geistige
auf Grund seiner idealistischen Bildung.
• Er verortet das Hauptanliegen des Theaters in die
Bereiche von Erziehung, Moral und Ethos.
• Damit verhindert er jeden Versuch des Theaters aus
dem Regelkanon auszubrechen.
• Er ist für das traditionalistische Illusions- und
Nachahmungstheater im 19. Jahrhundert
verantwortlich.
Friedrich Schlegel über die
(griechische) Komödie
• 1794 „Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie“.
(1)
• Das komische Genie, so Schlegel, ist nicht mehr frei, denn
„es schämt sich seiner Fröhlichkeit und fürchtet, durch seine
Kraft zu beleidigen.“
• Der Autor weist hier auf einen ambivalenten Aspekt hin:
Zum einen schreibt er der Komödie eine kritische Funktion
zu, zum andern legt er ein rezeptionskritisches Moment
offen, und zwar die unausgesprochene Erwartung jedes
Lesers/Zuschauers auf Unterhaltung.

(1)In: Werke in zwei Bänden. Berlin und Weimar: Aufbau, 1980, S.3- 14
• das komische Genie begnügt sich damit „ernsthafte
dramatische Handlungen aus dem häuslichen Leben
mit seinen Reizen zu schmücken. Aber damit hört
die eigentliche Komödie auf; komische Energie wird
unvermeidlich durch tragische Energie ersetzt: und
es entsteht eine neue Gattung, eine Mischung des
komischen und des tragischen Drama [...].“[1]

[1] Ebd.
• Schlegel versteht die Komödie als „Teil von dem
Feste des Bacchus, welcher Gott ein Bild der
Lebenskraft und des Genusses war. Diese
Vermählung des Leichtesten mit dem Höchsten, des
Fröhlichen mit dem Göttlichen enthält eine große
Wahrheit“[1] nämlich jene der sinnlichen Freude.

[1] Schlegel, S. 3-4


• Schlegel fasst die Komödie und damit das Theater
als Ausdruck von Sinnlichkeit auf und schreibt
jeglichen Verfall der Kunst auf die Gefahr zurück,
die aus sinnlicher Ausschweifung resultiert.
• Im Vergleich zur Tragödie, die ihr Publikum spannt
und erhebt, so Schlegel, verführt die Komödie ihr
Publikum und beschleunigt das Verderben des
Geschmacks.
• Schlegel verortet die Komödie in die Bereiche der physischen
Reizbarkeit und Fassungskraft des Publikums.
• Auf diese Weise entsteht die Mischung des Komischen und
Tragischen von dem Schlegel spricht und in der bereits Lenz und
andere Stürmer und Dränger, und später Büchner das Wesen des
Theatralischen entdeckt hatten.
Empfohlene Literatur

• Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen über


das Theater
• Friedrich Schiller, Johann Wolfgang v. Goethe: Über
epische und dramatische Dichtung
• Friedrich Schiller: Die Schaubühne als eine
moralische Anstalt betrachtet.
• Friedrich Schiller: Über die tragische Kunst.
• Friedrich Schlegel: Vom ästhetischen Werte der
griechischen Komödie.

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