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Vorlesung „Lehren des Strafrecht AT und

Delikte gegen die Person “

Professor Dr. Felix Herzog


Sommersemester 2024

Mord und Totschlag I


Systematisches Verhältnis zwischen § 211 und § 212

Kritik
 Der Wortlaut der §§ 211, 212 ist historisch bedingt und
wegen der zugrundeliegenden gesetzgeberischen
Überlegungen heute nicht mehr argumentativ
verwendbar.
 BGH vermischt die Frage des Stufenverhältnisses
(Grunddelikt/Qualifikation) mit der Frage, ob die
Mordmerkmale „echte Tatbestandsmerkmale“ sind oder
nur einen „schweren Fall“ des Totschlags kennzeichnen.
 Lösung des BGH führt zu unbefriedigenden Ergebnissen
bei der Anwendung von § 28 bei mehreren Tatbeteiligten
– dazu später.
Die Mordmerkmale der ersten Gruppe (1)
1. Besondere Verwerflichkeit des Beweggrundes; Prüfung
im subjektiven Tatbestand (h. M.) oder in der Schuld

 Mordlust:
Tötung allein aus dem Motiv heraus, einen anderen
Menschen sterben sehen zu wollen/Tötung aus
unnatürlicher Freude an der Vernichtung eines
Menschenlebens.
 Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs:
Tötung, um sich durch den Tötungsakt sexuelle
Befriedigung zu verschaffen/Tötung, um sich an der
Leiche sexuell zu befriedigen/Tötung durch Sexualtäter,
der den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt, um
typischerweise den Geschlechtsverkehr durchführen zu
können.
Die Mordmerkmale der ersten Gruppe (2)

 Habgier:
Tötung aus rücksichtslosem Gewinnstreben um jeden
Preis.

 sonstige niedrige Beweggründe:


Beweggründe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung
auf tiefster Stufe stehen, durch ungehemmte, triebhafte
Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich
sind.
Achtung: sind erst zu prüfen, wenn kein spezielles
Motivmerkmal erfüllt ist!
Die Mordmerkmale der zweiten Gruppe (1)
2. Besondere Verwerflichkeit der Tatbegehungsweise,
Prüfung im objektiven Tatbestand.

 heimtückische Tatbegehung: Tötung unter


Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers.
 Arglos ist, wer sich zur Zeit der Tat keines Angriffs auf
seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben
versieht.
 Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit in seiner
Verteidigung stark eingeschränkt ist.

 Der Täter muss die Arg- und Wehrlosigkeit


ausnutzen, d. h. sich im Wege planmäßigen
Vorgehens bewusst zu einem Überraschungsangriff
zunutze machen.
Die Mordmerkmale der zweiten Gruppe (2)

 grausame Tatbegehung:
Grausam tötet, wer dem Opfer besondere Schmerzen
oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus
gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung zufügt.

 Tatbegehung mit gemeingefährlichen Mitteln:


Tötung mit Mitteln, die der Täter nicht voll beherrscht
und deren Einsatz deshalb geeignet ist, eine größere
Zahl von Menschen an Leib und Leben zu gefährden.
- Was die Mindestzahl der betroffenen Repräsentanten betrifft, so
lässt man, soweit Zahlen genannt werden, als Untergrenze für
die „Mehrzahl“ überwiegend drei Personen genügen.
- Die Rechtsprechung hat sich zur Größenordnung noch nicht
geäußert und verwendet undifferenziert nebeneinander die
Begriffe „Mehrzahl“, „Vielzahl“ und „unbestimmte Anzahl“ (vgl.
BGH NStZ 2006, 167, 168; 2020, 284)
Die Mordmerkmale der dritten Gruppe

3. Besondere Verwerflichkeit des Zwecks der Tat,


Prüfung im subjektiven Tatbestand.
 Ermöglichungsabsicht:
Täter tötet, um so die Begehung einer anderen Straftat
zu erleichtern. Die Tötung muss als Mittel zur
Ermöglichung der anderen Straftat eingesetzt werden.
 Verdeckungsabsicht:
Tötung in dem Bestreben, das Bekanntwerden einer
anderen - nicht notwendigerweise objektiv vorliegenden -
Straftat zu verhindern oder die Aufklärung zu
erschweren.
Beachte: Absicht muss lediglich hinsichtlich der
Ermöglichung oder Verdeckung der anderen
Tat vorliegen, in Hinblick auf die Tötung
genügt dolus eventualis
Restriktive Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke (1)

 Problem:
Die Definition des Heimtückemerkmals erfasst auch
Fälle, in denen die Strafandrohung des § 211 StGB
(lebenslange Freiheitsstrafe) weder durch
besondere Verwerflichkeit noch besondere
Tätergefährlichkeit gerechtfertigt wird.
Gerade hier ist also die Forderung des BVerfG nach
einer restriktiven Auslegung der Mordmerkmale zu
beachten!
Restriktive Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke (2)

I. Restriktionsansätze auf der Ebene des


Heimtückemerkmals

 Teile der Literatur:


“Tücke” setzt einen besonders verwerflichen
Vertrauensbruch voraus

 BGH in vereinzelt gebliebener Entscheidung:


feindliche Willensrichtung erforderlich
- Beachte: Dem schon immer fraglichen Element der
feindseligen Willensrichtung kommt nunmehr auch
nach BGHSt 64, 111 kaum noch Bedeutung zu
Restriktive Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke (3)

II. Ansatz zur restriktiven Auslegung aller


Mordmerkmale:
Lehre von der negativen Typenkorrektur

 Teile der Literatur:


Verwirklichung eines Mordmerkmals ist nur ein
Indiz für die besondere Verwerflichkeit,

§ 211 dennoch (-), wenn die Tötung aufgrund


umfassender Gesamtwürdigung
ausnahmsweise nicht als besonders verwerflich
erscheint.
Restriktive Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke (4)

III. Rechtsfolgenlösung für die Heimtücke

 BGH: in extremen Ausnahmefällen kann trotz


Verwirklichung des Merkmals der Heimtücke von der
lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen werden.
Verurteilung erfolgt zwar gemäß § 211 StGB.
Strafe wird aber nach § 49 I Nr. 1 StGB gemildert,
wenn “außergewöhnliche Umstände” vorliegen.

 Bsp.: Notstandsnähe, Mitleid, gerechter Zorn,


schwere Provokation, zermürbender Dauerkonflikt.
Restriktive Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke (5)

 Beachte:
Ebenfalls diskutiert wird eine besondere restriktive
Auslegung im Bereich der
Verdeckungsabsicht,
da Motiv der Selbstbegünstigung in §§ 157, 258 Abs.
5 gerade entlastend wirkt, so dass das Mordmerkmal
systemwidrig erscheint.
Dealer-Fall (1)

Weil es der Drogendealer Herr König


ablehnt, seinem Stammkunden Herrn
Thomas, der an diesem Tag kein Geld hat,
das dringend benötigte Heroin für den
nächsten „Trip“ unentgeltlich zur
Verfügung zu stellen, greift dieser zu
einem Messer und tötet Herrn König, um
an das Heroin zu kommen. Den bei Herrn
König aufgefundenen Stoff nimmt Herr
Thomas an sich und verbraucht ihn in den
nächsten Tagen.
Dealer-Fall (2)
Dealer-Fall (3)
Habgier (4)
„Eine ungewöhnliche, ungesunde und sittlich
verwerfliche Steigerung des Erwerbssinns liegt ...
nicht nur dann vor, wenn es dem Täter darauf
ankommt, sich in außerordentlichem Maß zu
bereichern. Nach dem Sinn des Gesetzes .. kann
es auf ein Streben nach beträchtlichem Gewinn,
das je nach der Lage des Täters eher ein
verständliches Tatmotiv abgeben könnte, nicht
entscheidend ankommen; es muß vielmehr
genügen, wenn der Täter von dem Verlangen
getrieben ist, um jeden Preis und ohne jede
Rücksicht irgendeinen dem Opfer zustehenden
Vermögensgegenstand zu erwerben. ...
Habgier (5)
Habgier ist daher insbesondere dann gegeben,
wenn der Täter den Tod eines Menschen deshalb
anstrebt oder in Kauf nimmt, weil er sich unter
völliger Mißachtung seiner elementaren Rechte
und Interessen in den Besitz seiner Habe setzen
will.“

aus: BGHSt 29,


317
Bremer Bunkermord (1)
A hält sich seit Jahren in Deutschland im
kurdischstämmigen Umfeld auf und ist mit der
PKK verbunden. Der auf Grund einer Verletzung
im bewaffneten Kampf der PKK in der Türkei
querschnittsgelähmte und auch in Deutschland
von PKK-Sympathisanten als Kriegsheld verehrte
A, teilt der Mutter seiner Freundin D entgegen den
Regeln der kurdischen Gesellschaft mit, dass er
beabsichtige, die D zu heiraten. Dies stößt
insbesondere bei dem Vater der D auf
kategorische Ablehnung, zum einen weil der A „als
Behinderter nicht der richtige Mann für seine
Tochter sei“, zum anderen weil dieser als PKK-
Mitglied sie nicht heiraten dürfe. …
Bremer Bunkermord (2)
Aus diesen Gründen fühlt sich der Vater in seiner
Ehre verletzt und verlangt von dem (inoffiziellen)
PKK-Chef der Stadt die Wiederherstellung seiner
Ehre, da die PKK für das Verhalten ihrer
Mitglieder verantwortlich sei. Trotz mehrere
Versuche des Vaters, die Beziehung des A zu D
zu beenden, sowie einer zunehmenden
Ausgrenzung des A aus der kurdischen
Gemeinschaft, heiraten der A und die D heimlich
nach islamischem Recht. Da die als unehrenhaft
empfundene Beziehung weiterhin für
Gesprächsstoff sorgt, befiehlt der PKK-Chef der
Stadt, A und D zu töten und beauftragt M. M ist
zwar über den Befehl „konsterniert“ und versucht
ihn abzuwenden, führt ihn aber gleichwohl aus.
(„Bremer Bunkermord“).
vgl. BGH StV 2003, 19; Bespr. JA 2002, 749
Niedrige Beweggründe (3)
„Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur
Tat »niedrig« sind, also nach allgemeiner sittlicher
Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich
weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag
als verwerflich und deshalb als besonders
verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer
Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für
die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen
Faktoren zu erfolgen.“ …
Niedrige Beweggründe (4)
„Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines
Beweggrundes den Vorstellungen der
Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik
Deutschland und nicht den Anschauungen einer
Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen
Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt,
zu entnehmen.“ …
Niedrige Beweggründe (5)
„Nur ausnahmsweise, wenn dem Täter bei der Tat
die Umstände nicht bewußt waren, die die
Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, oder
wenn es ihm nicht möglich war, seine
gefühlsmäßigen Regungen, die sein Handeln
bestimmen, gedanklich zu beherrschen und
willensmäßig zu Steuern, kann anstatt einer
Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen
Beweggründen lediglich eine Verurteilung wegen
Totschlages in Betracht kommen.“

aus: BGH StV 2003, 19


Blutrache-Fall (1)

Herr Salgin, Onkel des Herrn Aydin, vergewaltigt


dessen Ehefrau, die daraufhin mehrere
Suizidversuche unternimmt. Herr Salgin brüstet
sich vor Dritten mit der Tat und droht Herrn Salgin
bei einem Zusammentreffen, auch ihn zu
vergewaltigen und zu töten. Nach langem innerem
Ringen entschließt sich Herr Aydin, diese
unerträgliche Situation zu beenden und die Leiden
seiner Frau und die erlittenen Ehrverletzungen zu
vergelten, und besorgt sich eine Pistole, um Herrn
Salgin zu töten. …
Blutrache-Fall (2)

Er sucht Herrn Salgin in einer Kneipe auf und stellt


sich dort zunächst an die Theke, ohne dass ihm der
an einem der Tische sitzende und dort Karten
spielende Herr Salgin Beachtung schenkt.
Nachdem Herr Aydin erkannt hat, dass Herr Salgin
nicht mit einem Angriff rechnet, dreht er sich um
und erschießt ihn.
Fessel-Fall (1)

Frau Kunz tauscht mit ihrer Nachbarin Frau Müller


im Bett ihrer Wohnung Zärtlichkeiten aus. Plötzlich
droht Frau Müller, die unvermittelt mit der Situation
nicht mehr zurechtkommt, sie werde ihrem
Freundeskreis und in der Nachbarschaft von der
bisexuellen Veranlagung der Frau Kunz erzählen.
Frau Kunz gerät dadurch in einen Zustand der
Angst und Verstörung. Um zu verhindern, dass
Frau Müller sich jetzt entfernt, ohne dass die
Angelegenheit geklärt ist, fesselt Frau Kunz Frau
Müller an Händen und Füßen an die Bettpfosten.

Fessel-Fall (2)

Damit ist Frau Müller einverstanden; sie erklärt


Frau Kunz: „Wenn Du das jetzt brauchst, um das
Gefühl zu haben, dass ich nicht abhauen kann,
bevor wir die Sache geklärt haben, dann binde
mich halt ans Bett“.
Die folgende Aussprache unter diesen
Begleitumständen verläuft sehr emotional und
eskaliert in wechselseitigen Beleidigungen. Dabei
reift in Frau Kunz nach und nach der Entschluss,
die Situation auszunutzen, um Frau Müller
endgültig „mundtot“ zu machen. …
Fessel-Fall (3)

Sie steht schließlich vom Bett auf, holt aus einer


Kommode ein Tuch und faltet dies vor den Augen
der gefesselten Frau Müller mit den Worten „Damit
werden ich dich jetzt erdrosseln“ auf doppelte
Fingerbreite. In Todesangst schreit Frau Meier nun
laut um Hilfe und fleht um ihr Leben, wird aber
dennoch von Frau Kunz mit dem Tuch erdrosselt.
Gartenscheren-Fall (1)

Herr Arndt geht schon seit vielen Jahren


Phantasien nach, einen Menschen auf besonders
bestialische Weise zu töten. Als über Frau Keller,
eine Frau aus seinem entfernten Bekanntenkreis,
schlecht gesprochen wird, reift in Herrn Arndt der
Plan, diesen „minderwertigen“ Menschen, der es
nicht „anders verdient“ hat, zu töten. Unter einem
Vorwand lädt er Frau Keller zu sich nach Hause
ein. Er will sie bei der Tat besonders quälen und
seiner Gewalttätigkeit ausgeliefert sehen. …
Gartenscheren-Fall (2)

Daher schlägt er Frau Keller plötzlich eine


Weinflasche auf den Kopf, fesselt sie, tritt auf die
am Boden Liegende ein, versucht, ihr mit einer
Gartenschere den Bauch aufzuschneiden und
stranguliert sie schließlich zeitlich ausgedehnt bis
zum Eintritt ihres Todes.
Grausamkeit (3)
„Das Mordmerkmal «grausam» kennzeichnet eine
bestimmte Gesinnung des Täters und Tatumstände,
welche es bedingen, dass dem Opfer besondere
Schmerzen oder Qualen zugefügt werden. Diese
Tatumstände sind Bestandteil des Tatgeschehens,
das der gesetzliche Tatbestand beschreibt. […]
Infolgedessen beginnt ein Mord erst, wenn der Täter
nach seiner Vorstellung zum Töten eines anderen
Menschen unmittelbar ansetzt, also den Entschluss
zum Töten gefasst hat und ihn so betätigt, dass sein
gewolltes Verhalten Akt des Tötens ist oder (ohne
Zwischenakte) in das Töten des Opfers übergeht. …
Grausamkeit (4)
Was vor dieser Betätigung liegt, kann in der Regel
nicht Moment des vorsätzlichen Tötens und von
Umständen sein, die es bedingen, dass beim
Vorgang des Tötens dem Opfer besondere
Schmerzen oder Qualen zugefügt werden. […]
Das grausame Verhalten muss sich aus
Umständen ergeben, unter welchen nach dem
Tatplan die Tötung eingeleitet oder vollzogen
werden soll, die also vom Tötungsvorsatz umfasst
sind.“
aus: BGH NStZ 1986, 265
Brennendes Bett-Fall (1)
A legt sich auf sein Bett und raucht. Kurze Zeit
darauf schläft er mit der noch brennenden Zigarette
in der Hand ein. Er erwacht, als das Bett schon in
Flammen steht. Er springt auf, ergreift seine Jacke
und verlässt in Panik das Haus. Als er auf der
Straße steht und es in der Wohnung brennen sieht,
fällt ihm ein, dass sich dort noch zwei Männer
befinden. Obwohl er die ihnen drohende Gefahr
erkennt, benachrichtigt er weder die Feuerwehr
noch die Polizei, sondern geht zu einem Bekannten
und mit ihm in eine Gaststätte. …
Brennendes Bett-Fall (2)
Die Feuerwehr, die von Nachbarn verständigt
worden ist, erscheint zwar alsbald am Brandort,
aber ein Mann ist in der Wohnung bereits erstickt,
der andere kann aus ihr entkommen. Er wird mit
Brandverletzungen ins Krankenhaus gebracht.

vgl. BGHSt 34, 13


Gemeingefährliches Tatmittel (3)
„Das angenommene Mordmerkmal »mit gemeinge-
fährlichen Mitteln« liegt hier nicht vor. Es erfordert,
dass der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in
der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von
Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil
er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner
Gewalt hat. Die Qualifikation hat ihren Grund in der
besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein
Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren
für andere durchzusetzen sucht. Sie ist darum nicht
gegeben, wenn der Täter eine bereits vorhandene
gemeingefährliche Situation nur zur Tat ausnutzt.

Gemeingefährliches Tatmittel (4)

Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Gefahr


zufällig entstanden oder von einer an dem
Tötungsverbrechen unbeteiligten Person
verursacht oder ... vom Täter selbst ohne
Tötungsvorsatz herbeigeführt worden ist.“

aus: BGHSt 34, 13


Zeitschriftenwerber-Fall (1)
Der als Zeitschriftenwerber tätige Herr Ganzke
sucht die 73-jährige Frau Seefeld in ihrer
Wohnung auf, um sie zum Abonnieren einer
Zeitschrift zu veranlassen. Seine Bemühungen
haben freilich keinen Erfolg. Als Frau Seefeld ihm
einen kleineren Geldbetrag anbietet, lehnt er
empört ab und will die Wohnung verlassen. Aus
Versehen betritt er das Schlafzimmer, was Frau
Seefeld dazu veranlasst, ihn an der Schulter zu
fassen und anzuschreien: „Jetzt willst Du mich
wohl auch noch beklauen?“ Herr Ganzke reißt
sich los, indem er Frau Seefeld mehrere
Faustschläge versetzt. …
Zeitschriftenwerber-Fall (2)
Infolge des letzten Schlages stürzt Frau Seefeld
nach hinten, schlägt mit dem Kopf auf die
Bettkante auf und bleibt bewusstlos liegen. Herr
Ganzke ist schockiert und denkt sofort an seine
noch laufende Bewährungszeit aus einer
Verurteilung wegen einer ähnlichen Gewalttat. Um
zu verhindern, dass die jetzige Tat entdeckt wird,
erdrosselt er die noch lebende Frau Seefeld.
Überroll-Fall (1)
Nachdem er von seinem Bruder Max wegen seiner
Fettleibigkeit gehänselt wurde, entschließt sich
Herr Huber weit nach Mitternacht, mit einem auf
dem Hof geparkten Pkw ziellos herumzufahren
und sich „abzureagieren“. Weil er aber nicht im
Besitz einer Fahrerlaubnis ist, will ihn Max daran
hindern. Er legt sich deshalb quer vor den Pkw auf
den Boden. Herr Huber fasst dies als eine weitere
Provokation auf. Um sich nicht dem Willen des
gehassten Bruders beugen zu müssen, überrollt er
diesen. Dabei ist ihm völlig gleichgültig, ob Max
dabei zu Tode kommen könnte. Max erliegt einige
Wochen später seinen schweren Verletzungen.
§ 213 1. Alt. - Definitionen
 Misshandlungen = erhebliche
Beeinträchtigungen, die auch seelischer Art sein
können; eine Gesundheitsbeschädigung ist nicht
erforderlich.
 schwere Beleidigungen = schwere Kränkungen
jeglicher Art; eine strafbare Ehrverletzung braucht
nicht vorzuliegen.
 ohne eigene Schuld = der Täter darf keine
genügende Veranlassung gegeben haben; auf
strafrechtliche Schuld kommt es nicht an; ggf.
muss die Reaktion des Opfers unter dem
Gesichtspunkt der Angemessenheit geprüft
werden.
Affekt

 Prüfung, ob eine affektive Spannung gegen das


Vorliegen des Mordmerkmals („niedriger
Beweggrund“ u.a.) spricht.

 Wenn § 211 verneint wird: Prüfung,


ob ein minder schwerer Fall des Totschlags nach §
213 1. Alt. vorliegt.

 Liegen die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. vor,


ist zwingend der gemilderte Strafrahmen des § 213
anwendbar.
Affekt

Unterschiede zur Berücksichtigung eines Affekts i.


R. des § 21:
 ein Affekt im engeren Sinne („tiefgreifende
Bewusstseinsstörung“) braucht nicht vorzuliegen

 der Affekt muss aus der Provokation durch das


Opfer hervorgehen

 die Strafmilderung ist zwingend, nicht nur


fakultativ
Prüfungsaufbau - § 211 (1)

Bei der Prüfung des Mordtatbestandes ist


zunächst zu entscheiden, ob man dem BGH (I.)
folgt, wonach der Mord ein selbständiges Delikt
ist, oder ob man der herrschenden Lehre (II.) folgt,
die in § 211 StGB eine Qualifikation des
Totschlags gemäß § 212 StGB erblickt. Danach
richtet sich die Prüfungsreihenfolge bzw. der
Prüfungsaufbau.
Prüfungsaufbau § 211 (2)
I. = Aufbau nach BGH:

Tatbestand: § 211
Objektiver Tatbestand
 hier müssen die objektiven
Tatbestandsmerkmale des § 212 mit
einfließen: Handlung, Erfolg, Kausalität
 ggf. Mordmerkmale der 2. Gruppe
Subjektiver Tatbestand
 Vorsatz bzgl. § 212, ggf. auch bzgl. der
Mordmerkmale der 2. Gruppe
 ggf. Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe
Rechtswidrigkeit
Schuld
Prüfungsaufbau - § 211 (3)

II. = Aufbau nach h. L.


• § 212 I : Tatbestand, Rechtswidrigkeit und
Schuld

• § 211 II :
 Verweis auf oben geprüftes und vorliegendes
Grunddelikt (§ 212)
 Objektiver Tatbestand (Mordmerkmale der 2.
Gruppe)
 Subjektiver Tatbestand (Vorsatz bzgl.
Mordmerkmale der 2. Gruppe; Mordmerkmale
der 1. und 3. Gruppe)

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