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Justus-Liebig-Universität Historisches Institut

Betreuer Professor Dr. Hans-Jürgen Schröder

Elisabeth Schwarzhaupt
als Bundesgesundheitsministerin (1961-1966)

Wissenschaftliche Hausarbeit
zur Erlangung des Magistergrades

Harald Ille Lenaustraße 35 60318 Frankfurt


Tel. 069/50 69 67 04, 26. Februar 2003
„Elisabeth Schwarzhaupt hat Maßgebliches mitgestaltet. Sowohl ihre Person als auch ihr
Engagement fehlen heute im Deutschen Bundestag. Ich wünschte, wir hätten mehr Frauen,
die in der Art und Weise Politik betreiben, wie dies Elisabeth Schwarzhaupt getan hat.“
Werner Dollinger (Bundesschatzminister, 2001)

„Sie war von feingliedriger Statur. Ihr Gesicht schien mir von psychasthenischer Zartheit mit
einem Hauch von Melancholie. Aber die Haltung war sehr aufrecht, und der Mund hatte –
bei aller Weichheit – einen energischen Zug.“
Christa Meves (Publizistin,
2001)

„Ich kann doch nicht mit


einem Kühlschrank zusam-
menarbeiten.“
Konrad Adenauer (1961)

„Wir Frauen haben Elisabeth


Schwarzhaupt eine Menge
zu verdanken.“
Rita Süßmuth (Vorsitzende
Frauenunion, 2001)

„Gut aussehend, gute Rednerin mit der Technik der ‚sanften Gewalt’, ist sie alles andere als
ein Mannweib und wird gerade deshalb ihren Mann stehen.“
Hilde Purwin (Neue Rhein Zeitung, 1961)

„Wir haben uns mit Ihnen stets auf dem richtigen Weg gewusst, der nicht in noch mehr
Vermännlichung, sondern in die Vermenschlichung von Staat und Gesellschaft hineinführt.“
Rainer Barzel (CDU-Fraktionsvorsitzender)

“Putting in eleven or twelve-hour days is not unusual for her. Also, while the regular
Bundestag deputy usually limits its stay in Bonn to three days a week when Parliament is in
session, Dr. Schwarzhaupt spends five there. [...] An avid mountain climber and skier, the
new Minister prefers to spend her few leisure hours listening to classical recordings,
particularly to the works of the Bach family.”
The New York Times (1961)

„Als ihr im Februar, anlässlich ihres Geburtstagsempfanges in Bonn, Bundeskanzler Kohl


einen Blumenstrauß mit dem Umfang eines mittleren Wagenrades überreichen wollte,
konnte sie ihn nicht halten. Er war ihr zu schwer. Ein Maiglöckchenbukett hätte vielleicht
besser zu ihr gepasst, so zierlich und leichtfüßig wie sie mit ihren grauen Locken
daherkommt.“
Lore Kämper (Frankfurter Senioren-Zeitschrift)
Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ..................................................................................... 3
Einleitung .................................................................................................. 5
1.1 Problem- und Ausgangslage ................................................................................ 6
1.2 Quellen- und Literaturlage................................................................................. 10
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts...................................................15
2.1 Kindheit und Jugend ...........................................................................................16
2.2 Agitation gegen den Nationalsozialismus ......................................................... 18
2.3 Berufsverbot und Oberkirchenrat ......................................................................21
2.4 Die Bonner Zeit ................................................................................................... 24
3 Die Einrichtung des Ministeriums ..................................................... 28
3.1 Der Aufstand der Unionsfrauen gegen Adenauer .............................................31
3.2 Die Tierärzteschaft als Motor.............................................................................40
3.3 Die Organisation des Ministeriums................................................................... 45
3.4 Staatssekretärsfrage............................................................................................48
3.4.1 Die Koalitionsbildung 1961......................................................................... 49
3.4.2 Das Kandidatenkarussell.............................................................................51
3.4.3 Die erste Ministerin mit zwei Referenten.................................................. 55
3.5 Kanzlerkrisen und mehrfach wackelnder Stuhl ............................................... 56
4 Die Politik Schwarzhaupts ................................................................. 64
4.1 Gesundheitpolitik versus Sozialpolitik.............................................................. 67
4.2 Staatliche Initiative versus individuelle Verantwortung...................................71
4.3 Die Problematik des Artikels 2 GG .................................................................... 78
4.4 Die konkurrierende Gesetzgebung ....................................................................82
4.5 Das Scheitern des Jugendzahnpflegegesetzes .................................................. 87
4.6 Medizinische Entwicklungshilfe ........................................................................ 93
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ ........................................... 99
5.1 Reinhaltung der Luft ........................................................................................ 103
5.2 Reinhaltung des Wassers ................................................................................. 108
5.3 Bekämpfung des Lärms..................................................................................... 115
6 Der Contergan-Skandal.....................................................................123
4

6.1 Der Arzneimittelskandal .................................................................................. 124


6.1.1 Erste Vermutung: Radioaktivität als Ursache ........................................ 126
6.1.2 Das schlechte Management des Contergan-Falles ................................. 129
6.2 Die Reform des Arzneimittelgesetzes..............................................................131
6.3 Das Arzneimittel-Werbegesetz .........................................................................135
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts ................................................ 140
7.1 Kritik an der Gesundheitspolitik ..................................................................... 142
7.1.1 Die Einrichtung des Erste-Hilfe-Raumes bei der WHO in Genf ........... 146
7.1.2 Kritik an der Mütter- und Säuglingssterblichkeit................................... 149
7.1.3 Schwarzhaupts PR-Maschinerie ...............................................................152
7.2 Kritik an der Umweltpolitik ..............................................................................154
8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung.....................................159
9 Anhang ..............................................................................................166
9.1 Quellen............................................................................................................... 166
9.1.1 Unpublizierte Nachlässe, Dokumente und Akten .................................. 166
9.1.2 Veröffentlichte Quellen..............................................................................167
Literatur ........................................................................................................................ 171
Anlagen .........................................................................................................................174
Einleitung

Erklärung der weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion


Die weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU sind übereinstimmend der
Überzeugung, dass dem vierten Kabinett Adenauer eine Frau in einem
Ministeramt angehören muß.
Sie erwarten, dass der Kanzler seine den deutschen Wählerinnen
gegebene entsprechende Zusage einhalten wird.
In wiederholten Besprechungen haben die Frauen der CDU/CSU die
Bundestagsabgeordnete Frau Dr. jur. Elisabeth Schwarzhaupt für ein
Ministeramt vorgeschlagen.
1
Bonn, 10. November, 16.00 Uhr

M
it einer kurzen und ultimativen Presseerklärung vier Tage vor der Vereidi-
gung des vierten Kabinetts Adenauer wagt eine Gruppe weiblicher Bundes-
tagsabgeordneter den Machtkampf mit dem Kanzler: Der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland soll ab dem 14. November 1961 erstmals eine Frau angehö-
ren – ganz so, wie es Adenauer vor der Bundestagswahl versprochen habe. Die Frankfur-
ter Juristin Elisabeth Schwarzhaupt, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion, soll das erste weibliche Kabinettsmitglied der Bundesrepublik wer-
den. Welches Ministerium sie übernehmen soll, wäre ganz egal – notfalls müsse der
Kanzler eben ein neues schaffen. Versorgt mit belegten Brötchen, harrten Aenne Brauk-
siepe, Helene Weber und Margot Kalinke vor des Kanzlers Arbeitszimmer aus, um ihre
jahrelange Forderung endgültig durchzusetzen. Und tatsächlich: Am frühen Abend gab
Adenauer dem weiblichen Druck nach und Elisabeth Schwarzhaupt war erste Gesund-
heitsministerin der Bundesrepublik.2

1
Manuskript der Erklärung der weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom
10.11.1961, Archiv für Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin (ACDP), Signatur 01-048-002/3.
2
Das ungewöhnliche „sit-in“ der Unionsfrauen wird ausführlich in Kap. 3.1 dargestellt. Vgl. Hanna-
Renate Laurien, Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986), in: Hans Sarkowicz (hg.), Sie prägten Deutsch-
land. Eine Geschichte der Bundesrepublik in politischen Portraits, München 1999, S. 69-83, die auf S.
60 den Begriff verwendet. Vgl. ausführlich auch Heike Drummer und Jutta Zwilling, Elisabeth Schwarz-
haupt. Eine Biografie, in: Die Hessische Landesregierung (hg.): Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986).
Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 14-136, S. 91f.
Einleitung 6

Diese Anekdote ist bei Frauenverbänden weithin bekannt, zeigt sie doch auf charman-
te Art und Weise, wie mit ein wenig weiblichem Druck selbst ein so unnachgiebiger
Machtpolitiker wie Konrad Adenauer „weichgeklopft“ werden konnte. Ein „Happening“
im Vorraum des Kanzlerzimmers, Schnittchen und Witzchen3 – und plötzlich hat die
Bundesrepublik eine Frau als Ministerin. Eine naiv anmutende Betrachtungsweise, und
doch die vorherrschende in der so überschaubaren Schwarzhaupt-Historiografie.

1.1 Problem- und Ausgangslage


Wenn die interessierte Öffentlichkeit bislang etwas von der ersten Ministerin der
Bundesrepublik wusste, dann war es ebenfalls diese Anekdote. Von ihrer Politik, von
ihren gesundheitspolitischen Konzepten ist weitaus weniger bekannt. Eine Darstellung
über ihre Ministerzeit sucht man vergeblich. Selbst die wenigen Biografien, die es über
diese „Karrierefrau“ des 20. Jahrhunderts gibt, sparen die fünf Jahre als Mitglied am
Kabinettstisch Adenauers und Erhards weitgehend aus. Warum ist das so? Und: Was war
Elisabeth Schwarzhaupt für eine Frau? Welche Schwerpunkte setzte ihre Politik? Und:
Warum ist sie gerade heute so gut wie vergessen, wo sie doch so grundlegende Entschei-
dungen hin zu einer nachhaltigen, umweltbewussten und verbraucherorientierten Politik
traf? Fragen, die zeigen, wie schwierig sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
der ersten Ministerin der Bundesrepublik gestaltet: lückenhaft und „dünn“ die Literatur-
lage, die Archivregale stattdessen überbordend – das junge Ministerium hat bis zu seiner
Umorganisation innerhalb der sozial-liberalen Koalition über 170 Regalmeter Akten hin-
terlassen.4 Eine Monografie, die diese Akten verarbeitet hätte, gibt es aber noch nicht.
Undurchsichtig auch die zeitgenössischen Einschätzungen der Ministerin und ihrer
Politik: Ihrer eigenen Partei erschien sie zu liberal, der SPD hingegen zu klerikal zu sein,
die FDP lag mit ihr personalpolitisch und inhaltlich über Kreuz, was auch Adenauer er-
zürnte; sie nervte die Bundestagsverwaltung, weil sie in ihrem Ministerausweis die
männlichen Artikel in dem Satz „Der Inhaber ist der Minister für“5 mit schwarzer Tinte
einfach durchstrich, der „Spiegel“ spöttelte über sie, wo er nur konnte6, hielt in den weni-
gen Artikeln sie und ihr Ministerium für „schlicht überflüssig“ – und die beiden Bundes-
kanzler Erhard und Kiesinger nutzten ihr vermeintlich unbedeutendes und kompetenz-
armes „Alibi“-Ministerium als beinahe „natürliche“ Verhandlungsmasse bei Koalitions-
gesprächen. Kurz: Elisabeth Schwarzhaupt hinterließ einen Eindruck von Überforderung
und Renitenz, war weder medizinisch gebildet noch gesundheitspolitisch näher interes-
siert. Fritz Riege, der ein Standardwerk zur Gesundheitspolitik schrieb, ignorierte sie

3
Siehe ebd., S. 91
4
Siehe Bestandsnachweis auf http://www.bundesarchiv.de.
5
Faksimile ihres Ministerausweises in: Heike Drummer und Jutta Zwiling, Elisabeth Schwarzhaupt – ein
Leben in Bildern, in: Die Hessische Landesregierung (hg.), Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Port-
rait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 137-157, S. 144.
6
Besonders im Jahrgang 1962 erscheint sie unverhältnismäßig oft anekdotenhaft in der spöttischen
Spiegel-Rubrik „Personalien“. Auch in der Bildauswahl ließ der Spiegel oft journalistische Fairness
vermissen, in dem er mehrfach ein wenig vorteilhaftes Foto abdruckte, dass die Ministerin in sichtbar
derangiertem Zustand zeigt (siehe etwa Spiegel 8/1962, S. 37).
Einleitung 7

gleich völlig und machte kurzerhand ihre SPD-Nachfolgerin Käte Strobel7 zur ersten Ge-
sundheitsministerin.8 Alles Gründe also, Elisabeth Schwarzhaupt dem gerechten Verges-
sen anheim fallen zu lassen, die Gründung nachhaltiger Gesundheits- und Umweltpolitik
der Großen bzw. der sozial-liberalen Koalition zuzuschreiben und die unverheiratete O-
berkirchenrätin aufgrund ihrer politischen Initiative, das Scheidungsrecht zu verschär-
fen, ins klerikal-reaktionäre Abseits zu stellen?9
Die Antwort kann nur ein entschiedenes „Nein!“ sein, verzerren die oben genannten
Einschätzungen doch das wahre Bild von der klugen und charmanten, durchsetzungsfä-
higen, aber loyal-diplomatischen politischen „Quereinsteigerin“. Sie war zwar christlich
geprägt, dachte aber keineswegs klerikal. Gerade in der Familienpolitik fuhr sie als Bun-
destagsabgeordnete einen beachtlich progressiven Kurs innerhalb der Nachkriegs-CDU,
stärkte die Gleichstellung von Mann und Frau und setzte sich ganz besonders für die
Rechte nichtehelicher Kinder ein, die sie den ehelichen Kindern in allen Belangen gleich-
stellte. Elisabeth Schwarzhaupt beendete mit ihren Initiativen so – spät, aber immerhin
– einen Teil der überkommenen familienpolitischen Vorstellungen der Nachkriegszeit.
Und sie beendete die überkommenen Vorstellungen von einem brodelnden Wirt-
schaftswachstum, das auf Kosten der natürlichen Lebensbedingungen den Unternehmen
einseitig die Profite und den Bürgern sowie der Umwelt im Gegenzug dafür die Quittung
bescherte. Sie forderte bei Adenauer die Kompetenz für den Umweltschutz ein und bün-
delte damit erstmals die umweltpolitische Administration in einer eigenen, der Human-
medizin und den Verbraucherschutzfragen gleichgestellten Hauptabteilung. Zudem for-
derte sie von der Lebensmittel- und der pharmazeutischen Industrie Transparenz, was
sowohl die Haltbarkeit der Waren als auch ihre inhaltliche Zusammensetzung anbetraf.
Elisabeth Schwarzhaupt dachte also „modern“. Dass sie sich im Gegensatz zu Aenne
Brauksiepe oder Helene Weber auch so kleidete, dokumentierte schon rein äußerlich,
dass sie sich von ihren älteren, noch tief in der Gedankenwelt der Weimarer Republik
verhafteten Fraktionskolleginnen progressiv absetzen wollte.10 Wer also war Elisabeth
Schwarzhaupt? Wie sah ihre Politik aus? Hatte der „Spiegel“ letztlich recht, wenn er ihr

7
Käte Strobel (1907-1996) war die erste sozialdemokratische Ministerin im ansonsten reinen Männer-
kabinett der Großen Koalition, und zwar von 1966 bis 1969 als Nachfolgerin Elisabeth Schwarzhaupts
im Bundesministerium für Gesundheitswesen. In der sozial-liberalen Koalition übernahm sie von 1969
bis 1972 das Ministerium für Jugend und Familie. Mehr zu Käte Strobel u.a. unter http://www.politeia-
project.de/biographien/strobel/strobel4.html und bei Birgit Meyer, Käte Strobel (1907-1996), in: Hans
Sarkowicz (hg.), Sie prägten Deutschland. Eine Geschichte der Bundesrepublik in politischen Portraits,
München 1999, S. 170-183.
8
Fritz Riege, Gesundheitspolitik in Deutschland. Aktuelle Bilanz und Ausblick, Berlin 1993, S. 22. „Böse
Zungen behaupten sogar, dass dieses Haus [also das Gesundheitsministerium, d.Verf.] seine Entste-
hung nur der Tatsache verdankt, dass mit Käte Strobel (SPD) eine Frau zur Verfügung stand, die so-
wohl fachlich qualifiziert war als auch in der Lage, die weibliche Kabinetts-Unterbesetzung so aus-
zugleichen, dass Wählerinnen damit vorerst zufrieden sein konnten.“ Mit Ausnahme der fachlichen
Kompetenz – jedoch war auch Käte Strobel keine Medizinerin – treffen die Vorwürfe der „bösen Zun-
gen“ auch auf die eigentliche erste Ministerin zu; Rieges Pointe wäre mit Elisabeth Schwarzhaupt als
Beispiel also noch weitaus zündender gewesen. Er nimmt sie in seiner Einführung in die Gesundheits-
politik also schlicht nicht zur Kenntnis.
9
Vgl. Konrad Fuchs, Elisabeth Schwarzhaupt, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon,
http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/ schwarzhaupt_e.shtml.
10
Vgl. u.a. Angela Keller-Kühne, Protestantin Elisabeth Schwarzhaupt und Katholikin Helene Weber:
Zwei weibliche Pole in der Union? in: Die Hessische Landesregierung (hg.): Elisabeth Schwarzhaupt
(1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 186-193,
S.187.
Einleitung 8

Ministerium für „überflüssig“ hielt?11 Oder stellte sie doch einige grundlegende Weichen
für einen politischen Zug, der erst in den 1980er Jahren so richtig in Fahrt kommen –
und damit erst richtig beachtet werden sollte?
Diesen Fragen will diese Arbeit nachgehen. Ein erster Schlüssel zur Beantwortung
dieser Fragen liegt in Elisabeth Schwarzhaupts Lebensumständen verborgen. Wie war es
möglich, dass sie eine beispielhafte Karriere beginnen konnte – zu einer Zeit, als Frauen
solche beruflichen Aufstiege meist noch verwehrt waren? Woher rührte ihr politisches
Interesse, und wo lagen ihre Interessensschwerpunkte? Ein kurzer Blick auf Kindheit
und Jugend, ihre Agitation gegen den aufkommenden Nationalsozialismus sowie ihren
Aufstieg zur ersten Oberkirchenrätin Deutschlands lässt besser verstehen, warum ausge-
rechnet sie die erste Ministerin in Westdeutschland werden konnte. Kapitel 2 macht die
biografischen Eckpunkte deutlich, die die Voraussetzung schufen für ihre parlamentari-
sche Karriere.
Mit der bekannten Anekdote beginnt das dritte Kapitel – bzw. dessen erstes Unterka-
pitel 3.1. Das „sit-in“ war die Voraussetzung dafür, dass Adenauer das Ministerium ein-
richtete. Aber mit diesem „sit-in“ war die Arbeit für Elisabeth Schwarzhaupt nicht etwa
getan, sie begann damit erst. Auch wenn ihre Biografen diesen Zeitraum aussparen – sie
hat mit ihrem Ministerium durchaus gesundheitspolitische Weichen gestellt, die es lohnt,
sie einmal näher zu betrachten. Das dritte Kapitel versucht, die Fragen rund um die Ein-
richtung und Organisation des Gesundheitsministeriums, dessen Chefin sie von 1961 bis
1966 war, zu beleuchten und zu beantworten. Welche Aufgaben gab Adenauer dem Mi-
nisterium auf den Weg, nachdem die oben erwähnte Gruppe weiblicher Unionsabgeord-
neter das Ressort für Elisabeth Schwarzhaupt erfolgreich gefordert hatte? Welche ge-
sundheitspolitische Berufsgruppe profitierte am meisten von dem neuen Ressort (Kap.
3.2)? Wie war es organisiert (Kap. 3.3)? Weil das Ministerium innerhalb der Koalitions-
verhandlungen noch keine Rolle spielte und erst kurz vor Unterzeichnung des Koaliti-
onsvertrages als zusätzliches zwanzigstes Ministerium von Adenauer eingerichtet wurde,
sprengte es die personalpolitischen Absprachen zwischen Union und FDP, die zum Aus-
gleich einen liberalen Staatssekretär an Schwarzhaupts Seite forderte. Die Wirren um die
Besetzung dieses politischen Amtes sollen in Kapitel 3.4 kurz dargestellt werden.
Während ein beamteter Staatssekretär der frühen 1960er Jahre ausschließlich admi-
nistrative Aufgaben zu erfüllen hatte,12 war die Ministerin für die politischen Vorgaben
zuständig. Wie grenzt sich Gesundheitspolitik von der umfassender definierten Sozialpo-
litik ab (Kap. 4.1), und wie war Elisabeth Schwarzhaupts Sicht der Dinge: Muss Gesund-
heitspolitik vermehrt auf staatliche Initiativen setzen und dabei den christlich-
demokratischen Grundsatz, so wenig staatlicher Verantwortung wie möglich das Wort zu
reden, verletzen (Kap. 4.2)? Wo sich Elisabeth Schwarzhaupt in dem ideologisch sehr
verminten Feld staatlich oder privat organisierter Gesundheitspolitik selbst positionierte,
stellt das vierte Kapitel dar, das auch schlaglichtartig Kernprobleme ihrer Politik betrach-

11
Der Spiegel 48/1961, S. 29.
12
Vgl. hierzu u.a. Thomas Ellwein und Joachim Jens Hesse, Das Regierungssystem der Bundesrepublik
Deutschland. 6., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Opladen 1987, S. 302f. Parlamentarische
Staatssekretäre, die „den Minister vor allem in der politischen Außenvertretung, bevorzugt dem Parla-
ment gegenüber“, entlasten sollten, wurden erst nach Ende der Amtszeit Elisabeth Schwarzhaupts in
den Schlüsselressorts der Großen Koalition, nach 1969 dann für alle Ministerien eingeführt. Ebd., S.
303.
Einleitung 9

ten will. Welche Rolle spielte das Grundgesetz, welche die Länder in Elisabeth Schwarz-
haupts praktischer Politik (Kap. 4.3 bis 4.5)? Die verfassungsrechtliche Problematik, die
dem Schwarzhaupt-Ressort immer wieder zu schaffen machte – sei es bei der Einführung
der Schluckimpfung gegen die Kinderlähmung oder in der Ablehnung des Jugendzahn-
pflegegesetzes durch den Bundesrat als Konsequenz der konkurrierenden Gesetzgebung
–, führte im Gesundheitsministerium zu einer Initiative, die eine Änderung des Grundge-
setzes vorsah. Der Kampf Elisabeth Schwarzhaupts mit den eifersüchtig über ihre Kom-
petenzen wachenden Bundesländern und ihr Versuch, durch eine Verfassungsänderung
das Heft des Handels selbst in die Hand zu bekommen, will dieses Kapitel kurz anreißen.
Ebenfalls nur kurz angerissen werden kann der umweltpolitische Aspekt Schwarz-
hauptscher Politik. Von der offiziellen Umweltgeschichtsschreibung ignoriert, muss Eli-
sabeth Schwarzhaupt sowohl als erste informelle Verbraucherschutz- als auch als erste
inoffizielle Umweltministerin Deutschlands gelten. Die ministerielle Verantwortung für
sauberes Wasser, frische Luft und weniger Lärm war die einzige Bedingung, die Elisabeth
Schwarzhaupt an Adenauer stellte, als dieser ihr das Gesundheitsministerium übertrug,13
und sie sollte eine der wichtigsten politischen Aufgaben Elisabeth Schwarzhaupts wer-
den. Das umwelt- und gesundheitspolitische Aufgabentripel „Reinhaltung von Wasser
und Luft“ sowie die „Bekämpfung des Lärms“ taucht derart ostinat in Schwarzhaupt-
schen Reden und Manuskripten auf, dass ihm ein eigenes Kapitel, das fünfte, gewidmet
ist. Wiederum nur schlaglichtartig sollen für jeden dieser drei umweltpolitischen Berei-
che ein oder zwei beispielhafte gesetzgeberische Maßnahmen Elisabeth Schwarzhaupts
vorgestellt werden, die auch ein wenig über ihre Prinzipien erzählen, die einesteils unver-
rückbar, andererseits kaum ausgeprägt erschienen.
In Elisabeth Schwarzhaupts Amtszeit fiel – sie war gerade einmal fünf Tage im Amt –
mit dem Contergan-Fall die größte Arzneimittelkatastrophe der deutschen Geschichte,
für die sie zwar nicht politisch verantwortlich gemacht werden konnte, für deren schlech-
tes Management sie aber heftige Kritik bezog. Dem Contergan-Fall und der gesetzgeberi-
schen Reaktion der Gesundheitsministerin durch eine Novelle des Arzneimittelgesetzes
sowie dem Verbot irreführender Arzneimittelwerbung ist Kapitel 6 gewidmet, ehe ein
kurzer Überblick über die zeitgenössische und die akademische Kritik an der Politik der
ersten Ministerin Westdeutschlands (Kap. 7) die Arbeit beschließen soll. Im Anhang
schließlich sind alle Verordnungen und Gesetze, die unter Elisabeth Schwarzhaupts Ägi-
de in Kraft getreten sind, enumeriert – sie können dann einfacher im Bundesgesetzblatt
nachgeschlagen werden. Ebenso ist dort ein Organisationsschema des neu gegründeten
Ministeriums angehängt, wodurch die eine oder andere Personalie leichter zuzuordnen
ist. Wichtig erscheint mir auch ein kurzer Blick auf die Quellen- und Literaturlage.

13
Siehe Gespräch Frau Bundesminister a.D. Dr. Elisabeth Schwarzhaupt mit Herrn Heribert Koch (Ar-
chiv) am 11.3.1976 in Frankfurt/M., ACDP 01-048-001/2, S. 19.
Einleitung 10

1.2 Quellen- und Literaturlage


Elisabeth Schwarzhaupt wäre am 7. Januar 2001 einhundert Jahre alt geworden. Zu
diesem Anlass gab die Hessische Landesregierung eine 300 Seiten starke Biografie über
die Frankfurterin, die während ihrer Bonner Zeit für den Wahlkreis Wiesbaden im Bun-
destag saß, heraus.14 Diese aktuellste Biografie der ersten Ministerin in einem bundes-
deutschen Kabinett stützt sich in weiten Teilen auf eine mittlerweile vergriffene Biografie,
die kurz vor ihrem Tod erschien und noch von ihr selbst autorisiert werden konnte.15 Aus
Elisabeth Schwarzhaupts eigener Feder stammt zudem ein autobiografischer Bericht, den
sie 1983 für den Deutschen Bundestag verfasste16, sowie ein von ihr maschinenschriftlich
angefertigter, zehnseitiger Lebenslauf, der sich in den Beständen der Konrad-Adenauer-
Stiftung befindet17. Das dort ansässige Archiv für Christlich-Demokratische Politik
schließlich führte 1976 zu Dokumentationszwecken ein eigenes Interview mit der lang-
jährigen CDU-Bundestagsabgeordneten, das einige neue Fakten aus dem Leben Elisa-
beth Schwarzhaupts enthüllt.18
Alle diese biografischen Quellen und deren literarische Derivate sind zwar profund
und faktenreich, haben aber den wissenschaftlichen Makel, als Primärquellen weitge-
hend subjektiv zu sein. Hanna-Renate Laurien hat durch ihr Schwarzhaupt-Porträt in-
nerhalb der HR-Sendereihe „Sie prägten Deutschland“ zwar ein wenig für Abhilfe gesorgt
und eine autonomere Biografie der Ministerin verfasst.19 Eine Betrachtung Elisabeth
Schwarzhaupts, die speziell ihre Ministerjahre und ihr Wirken als Chefin des Gesund-
heitsressorts in den Blick nähme, steht allerdings noch aus – ebenso wie eine historiogra-
fische Darstellung der Gesundheitspolitik der 1960er Jahre.20
Auch Ursula Salentin und das Autorenduo Heike Drummer und Jutta Zwilling, die die
beiden „Standardwerke“ über das Leben der ersten Ministerin verfasst haben, sparten die
Ministerjahre in ihren beiden Biografien ebenfalls weitestgehend aus. Einzig das Ge-
spräch Elisabeth Schwarzhaupts mit dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik
erhellt ein wenig diesen prominentesten Zeitabschnitt im Leben der Frankfurterin.

14
Hessens Ministerpräsident Roland Koch im Vorwort zur Motivation dieser Veröffentlichung: „Mit diesem
Buch will die Hessische Landesregierung die Erinnerung an eine außergewöhnliche und bedeutende
Persönlichkeit der Zeitgeschichte aus Hessen, die besonders auch jungen Menschen viel zu sagen
hat, wach halten“. Roland Koch, Vorwort, in: Die Hessische Landesregierung (hg.), Elisabeth Schwarz-
haupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 9-
10, S. 9.
15
Ursula Salentin, Elisabeth Schwarzhaupt – erste Ministerin der Bundesrepublik. Ein demokratischer
Lebensweg, Freiburg im Breisgau 1986.
16
Elisabeth Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, in: Deutscher Bundestag (hg.), Abgeordnete des Deut-
schen Bundestags. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 2, Boppard am Rhein 1983, S. 239-283.
17
Elisabeth Schwarzhaupt, Ausführlicher eigener Lebenslauf, ohne Titel, ohne Datum (vermutlich 1979),
ACDP 01-048-001/3. Im Archiv für Christlich-Demokratische Politik befinden sich noch weitere kleinere
autobiografische Rückblicke, die hier nicht gesondert aufgeführt werden.
18
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 1-41.
19
Hanna-Renate Laurien (geb. 1928) wurde 1971 zur Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Kultus-
ministerium, 1976 selbst Kultusministerin. 1981 bis 1995 Senatorin in Berlin, 1991 bis 1995 Präsidentin
des Berliner Abgeordnetenhauses. Zahlreiche kirchliche Ehrenämter. Bis 2001 Vorsitzende des Diöze-
sanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin.
20
Siehe hierzu: Franz-Xaver Kaufmann, Der Begriff Sozialpolitik und seine wissenschaftliche Deutung, in:
Hans Günter Hockerts (hg.), Grundlagen der Sozialpolitik. Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland
seit 1945, Baden-Baden 2001, S. 3-102, S. 94.
Einleitung 11

Ursula Salentins „Elisabeth Schwarzhaupt – erste Ministerin der Bundesrepublik. Ein


demokratischer Lebensweg“ erschien 1986 und fußt auf nur zwei Hauptquellen: Einer-
seits beruft sich die Autorin auf ein Gespräch, das sie mit Elisabeth Schwarzhaupt für die
Buchrecherche führen konnte, andererseits bedient sie sich autobiografischen Angaben
der Ministerin, die dem Sammelband „Abgeordnete des Deutschen Bundestages“ ent-
nommen sind.21 Weitere und umfassendere Quellen sind von Ursula Salentin nicht ver-
wendet worden22, die Biografie muss daher – obwohl sie als „Standardwerk“ gelten kann
– kritisch bewertet werden.
Trotzdem diente sie der zweiten und bislang letzten großen Biografie Elisabeth
Schwarzhaupts, die als „Geschenk“ der Hessischen Landesregierung zum 100. Ge-
burtstag der Frankfurterin gelten kann, als Hauptquelle. Die Drummer/Zwilling-
Biografie ist umfangreicher und profunder als diejenige Ursula Salentins, sie blendet die
Ministerjahre Schwarzhaupts aber ebenfalls fast völlig aus. Heike Drummer und Jutta
Zwilling legen – ebenso wie zuvor schon Ursula Salentin – ihr Augenmerk auf die
Schwarzhauptsche Familien- und Frauenpolitik, die innerhalb der Unionsparteien zu
einem deutlichen Schub hin zu einem moderneren, gleichberechtigteren Frauen- und
Familienbild führte und sich auch in der Gesetzgebung niederschlug.
In der Adenauer-Historiografie spielt Elisabeth Schwarzhaupt keine Rolle. Hans-Peter
Schwarz, der profundeste Adenauer-Biograf, erwähnt sie aus Chronistenpflicht nur ein
einziges Mal, als er auf die Kabinettsliste vom November 1961 zu sprechen kommt. Dass
sie die erste Frau in einem westdeutschen Kabinett ist, ist ihm eine Erwähnung wert –
mehr aber auch nicht.23 Ebenso sucht man den Namen der Ministerin in den Personen-
registern anderer Adenauer-Biografien vergeblich.24 Das kann den Biografen nicht kri-
tisch angelastet werden – Adenauer selbst strafte seine erste Ministerin mit Nichtbeach-
tung sowohl in seinen Erinnerungen, als auch etwa in den Teegesprächen.25
Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierungen, denen Elisabeth Schwarzhaupt an-
gehörte, sind zurzeit noch nicht veröffentlicht. Dies verhindert einen Einblick in die Poli-
tik der Ministerin aber nicht allzu sehr, da kaum wichtige gesundheitspolitische Debatten
in den Kabinettssitzungen zu erwarten sind. Dies gab Elisabeth Schwarzhaupt dem Ar-
chiv für Christlich-Demokratische Politik in St. Augustin 1976 auch zu Protokoll:

Frage: Wie sind so gesundheitspolitische Fragen im Kabinett behandelt worden? Hat


Adenauer, haben sich die Kabinettskollegen da ganz auf Sie verlassen, sind die ohne
weiteres so vom Tisch, sind die einfach abgehakt worden?
Frau Dr. Schwarzhaupt: Im allgemeinen haben die keine großen Debatten hervorgerufen.
Vieles davon ist sogar im Umlaufwege erledigt worden, z.B. so etwas wie die Lebensmittel-

21
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 239-283.
22
Anmerkungen in Salentin, Schwarzhaupt, S. 86f.
23
Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, S. 699f.
24
Siehe etwa Anneliese Poppinga, „Das Wichtigste ist der Mut“. Konrad Adenauer – die letzten fünf
Kanzlerjahre, Bergisch Gladbach 1994; Henning Köhler, Adenauer. Eine politische Biografie, Frankfurt
am Main 1994; Peter Koch, Konrad Adenauer. Eine politische Biographie, Reinbek bei Hamburg 1985;
Terence Prittie, Konrad Adenauer. Vier Epochen deutscher Geschichte, Stuttgart/Frankfurt 21971.
25
Konrad Adenauer, Erinnerungen 1959-1963. Fragmente, Stuttgart 1968. In den Teegesprächen er-
wähnt er Elisabeth Schwarzhaupt ganz nebenbei einmal in ihrer Funktion als „unsere Gesundheits-
ministerin“, ihren Namen nennt er aber nicht. Hans-Peter Mensing, Adenauer. Teegespräche 1961-
1963, Berlin 1992.
Einleitung 12

kennzeichnungsverordnung oder kleine Änderungen der Tierärzteordnung oder so etwas.


26
Das ist zwar Kabinettssache, wird aber im Umlaufwege schriftlich erledigt.

In den 1960er Jahren waren gesundheitspolitische Fragestellungen eng mit umwelt-


politischen Missständen verschränkt, Elisabeth Schwarzhaupt könnte darum von der
Umweltschutz-Forschung in den Blick genommen worden sein. Doch auch in diesem
Wissenschaftsbereich muss Fehlanzeige gemeldet werden: Die Umweltschutz-Forschung
nimmt die 1960er Jahre schlicht nicht zur Kenntnis, für sie beginnt bundesdeutsche
Umweltpolitik erst mit der Umweltgesetzgebung der sozial-liberalen Koalition 1971. Dem
„Lern- und Arbeitsbuch Umweltpolitik“, das die Bundeszentrale für politische Bildung im
Jahre 2000 herausgegeben hat, muss sogar dezidiert „Verschleierungstaktik“ vorgewor-
fen werden: Es „umschifft“ die Umweltpolitik der 1960er Jahre auf eine so gezielte Wei-
se, dass dahinter eine Methode vermutet werden muss, die umweltpolitischen Anstren-
gungen dieses Jahrzehnts – und damit auch diejenigen Elisabeth Schwarzhaupts – ganz
bewusst zu verschweigen.27 Eine Monographie zur Umweltpolitik Elisabeth Schwarz-
haupts steht daher ebenfalls noch aus.
Dass Elisabeth Schwarzhaupt weithin vergessen ist, zeigt die Literaturlage im letzten,
aber für sie wichtigsten Bereich am deutlichsten: der Frauen- und Familienforschung.
Obwohl Elisabeth Schwarzhaupt als Frauenrechtlerin gelten muss, die bereits 1932 als
DVP-Parteimitglied gegen das Frauenbild der Nationalsozialisten anschrieb, im Bundes-
tag das Eherecht reformierte, die rechtliche Gleichstellung von ehelichen und uneheli-
chen Kindern vorantrieb und schon allein mit ihrer Biografie für die Gleichstellung von
Mann und Frau stand, spielt sie auch in der emanzipatorischen oder gar feministischen
Literatur kaum eine Rolle.28 Ihre Biografin Hanna-Renate Laurien konnte sich darüber
nur wundern:

Ich habe leider nicht feststellen können, dass man, von dem großen Bonner Empfang aus
Anlaß ihres 85. Geburtstages abgesehen, sich in der Gesellschaft und auch in der CDU
bewusst war und ist, was sie für unser Land geleistet hat. Bei der Vorbereitung dieses
Beitrages stieß ich auf abgründige Unwissenheit auch dort, wo man sie nicht vermutet hätte.
Als die Frauen-Union der CDU 1998 ihren 50. Gründungstag feierte und eine flotte Schrift
Wir sind am Zug! herausgab, in der sie auch der Vorkämpferinnen gedachte, wurden
Mathilde Gantenberg, Dr. Else Brökelschen, Dr. Christine Teusch, Helene Weber genannt,
wurden Aenne Brauksiepe und Helga Wex zitiert, aber Elisabeth Schwarzhaupt kam nicht
vor. Schicksal der Seiteneinsteiger? Nein, aber wohl Schicksal einer Frau, die große
Sachkompetenz hatte, vieles auf den Weg gebracht, aber sich in dieser Zeit nicht um den
parteilichen Stallgeruch gekümmert hat.29

26
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 30. Die Kenntnis der bisher einsichtigen Kabi-
nettsprotokolle stützt die Vermutung, das zumindest unter Adenauer gesundheitspolitische Fragen ers-
tens nicht allzu prominent und zweitens keinesfalls kontrovers zur Sprache gekommen sein werden.
27
Vgl. Martin Jänicke, Philip Kunig und Michael Stitzel, Lern und Arbeitsbuch Umweltpolitik. Politik, Recht
und Management des Umweltschutzes in Staat und Unternehmen, Bonn 2000.
28
Vgl. etwa: Irene Stoehr, „Feministischer Antikommunismus“ und weibliche Staatsbürgerschaft in der
Gründungsdekade der Bundesrepublik, in: Feministische Studien 1/1998, S. 86-94: „Von der Existenz
eine „Frauenbewegung“ kann nach Überzeugung feministischer Historikerinnen oder Laiinnen in der
Restaurationsphase der Adenauer-Ära wohl kaum die Rede sein.“ Stoehr sieht das zwar anders, igno-
riert die erste Ministerin in ihrem Gegenteilsbeweis aber ebenfalls.
29
Laurien, Schwarzhaupt, S. 83.
Einleitung 13

Dass sie in der parteipolitisch eher „links“ einzustufenden feministischen Literatur


nicht auftaucht, mag noch verständlich sein, dass aber selbst die Frauen in ihrer eigenen
Partei sie vergessen haben, ist kaum verständlich. Eine positive Ausnahme innerhalb der
Frauen-Forschung stellt daher das Politeia-Projekt der Universität Bonn dar, dessen poli-
tische Frauen-Biographien sowohl auf CD-Rom als auch per Internet erreichbar sind.30
Hier nimmt Elisabeth Schwarzhaupts Kurzbiografie einen – alphabetisch bedingten –
Platz zwischen Alice Schwarzer und Elisabeth Selbert ein; damit dokumentieren die Au-
torinnen adäquat Schwarzhaupts Platz in der deutschen Frauenbewegung.
Bei dieser dünnen Literaturlage verwundert es nicht mehr, dass auch das Internet im
Falle Elisabeth Schwarzhaupts keine allzu reich gefüllte Fundgrube ist; zum 100. Ge-
burtstag der Ministerin erschienen einige Würdigungen, und manche frauenpolitisch
motivierten Webseiten nehmen sich der Kurzbiografie der Ministerin an. Was aufgrund
der doch sehr überschaubaren Quantität der Webseiten erschrecken muss, sind die quali-
tativen Mängel und schieren Fehler mancher – ansonsten durchaus als seriös einzustu-
fender – Informationen.
Eklatante Beispiele sind etwa ein ins Netz gestelltes Feature Radio Bremens unter
dem Titel „Nicht nur mit den Waffen der Frau. Der lange Weg zur Emanzipation“ der
Autorin Heide Soltau, die Ausschnitte aus einem kurzen Audio-Statement Elisabeth
Schwarzhaupts von 1983 verwendet.31 Der Beitrag weist zwar korrekterweise darauf hin,
dass Schwarzhaupt als Justizministerin gehandelt wurde, schiebt ihr dann aber fälschli-
cherweise das Familienministerium unter – ein aufgrund des verwandten Archivmateri-
als unverständlicher Schnitzer, der der Autorin hier unterlaufen ist.32
Ist die Ministeriumskonfusion im Radio-Feature als Unkonzentriertheit der Autorin
hinnehmbar, muss vor dem Schwarzhaupt-Artikel des Biographisch-Bibliographischen
Kirchenlexikons hingegen dringend gewarnt werden – die wenigen Zeilen strotzen nur so
vor Fehlern und Fehlinterpretationen.33 Wenn der Autor des Artikels, Konrad Fuchs,
behauptet, Elisabeth Schwarzhaupt habe sich 1945 der CDU angeschlossen, sei am
14.1.1961 Ministerin geworden und habe 1966 das Bundesverdienstkreuz sowie 1967 die
hessische Wilhelm-Leuschner-Medaille erhalten, dann sind alle diese Fakten falsch da-
tiert – sie sind aber teilweise als Druckfehler und Zahlendreher zu erklären.34 Ärgerlicher
ist die inhaltliche Verdrehung der Tatsachen, die Fuchs vornimmt. Mit dem Satz: „Als
Bundestagsabgeordnete engagierte sie sich für eine konservative Ehegesetzgebung, die
eine Erschwerung der Ehescheidung vorsah“, der zudem der einzige vollständige Satz des

30
Lehrgebiet Frauengeschichte der Universität Bonn (hg.): Politeia. Deutsche Geschichte nach 1945 aus
Frauensicht, Bonn 2002, http://www.politeia-project.de.
31
Audiostatement erhältlich auf DRA Audio-CD 9, Track 25: Die CDU-Politikerin Elisabeth Schwarzhaupt,
1962 erste Frau in einem Ministeramt (für Gesundheit), zu ihrer Berufung ins Kabinett Adenauer (Sen-
dung 5.6.1983). http://www.dra.de/cd09.htm.
32
Heide Soltau, Nicht nur mit den Waffen der Frau. Der lange Weg zur Emanzipation, Onlineressource
unter http://www.radiobremen.de/online/wahl2002/themen/waffen_frau.pdf, S. 1-15, S. 10.
33
Das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon erscheint im Verlag Traugott Bautz. Der Schwarz-
haupt-Artikel Konrad Fuchs’ liegt dem Verfasser in der „letzten Änderung“ des Verlags vom 07.08.2002
als Onlineressource vor und ist einsehbar unter http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/ schwarzhaupt_e.shtml.
34
Schwarzhaupt schloss sich der CDU erst nach langem Zögern im März 1953 an und wurde am 14.
November 1961 als Ministerin vereidigt. Das Großkreuz des Bundesverdienstordens erhielt Elisabeth
Schwarzhaupt am 10.12.1965 aus der Hand des Bundeskanzlers Ludwig Erhard, die hessische Wil-
helm-Leuschner-Medaille im Juni 1976 aus der Hand des Ministerpräsidenten Albert Osswald auf dem
Hessentag in Bensheim.
Einleitung 14

gesamten Artikels ist, zeichnet Fuchs ein Zerrbild sowohl der Ministerin als auch ihrer
Familienrechtsreform – diese wird in Kapitel 2.4 etwas näher erläutert.35 Dass Fuchs
darüber hinaus die Erfolge Schwarzhaupts in der Gesundheits- und Umweltpolitik, in der
Gleichstellung von Mann und Frau sowie in der Gleichstellung von ehelich und unehelich
geborenen Kindern schlicht verschweigt, zeichnet ein sehr unsympathisch-reaktionäres
Bild der Oberkirchenrätin und wird ihr inhaltlich damit nicht gerecht. Die Biografie der
Ministerin in Kapitel 2 kann dieses Bild revidieren.
Die Quellenlage ist hingegen gut: Sowohl im Archiv für Christlich-Demokratische Po-
litik in St. Augustin sowie im Bundesarchiv Koblenz sind Nachlässe der Ministerin einzu-
sehen, zudem sind im Bundesarchiv auch die nachgelassenen Akten ihres Ministeriums
vorhanden. Aus diesen Quellen lässt sich sowohl ihre Biografie als auch die großen Linien
ihrer Politik nachzeichnen.36

35
Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961. Siehe ausführlicher in Kapitel 3.5 und vgl. auch:
Elisabeth Schwarzhaupt, Reform des Scheidungsrechts. Ein schwieriges Problem: die Versorgung der
Ehefrau, in: Die Hessische Landesregierung (hg.), Elisabeth Schwarzhaupt. Portrait einer streitbaren
Politikerin und Christin (1901-1986), Freiburg im Breisgau 2001, S. 270-271.
36
Der Nachlass Schwarzhaupts ist bei der Konrad-Adenauer-Stiftung unter der Bestandsnummer ACDP
01-048 abgelegt; der Nachlass im Bundesarchiv unter N1177, und die Akten des Bundesministeriums
für Gesundheitswesen finden sich im Bestand B142.
2 Das Leben Elisabeth
Schwarzhaupts

Ich wurde 1901 in Frankfurt geboren, also gerade rechtzeitig, um zwei


Weltkriege, zwei Inflationen und die Bedrohung der Erde mit einem
dritten, einem Atomkrieg, mitzuerleben.37
Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

V
ier Jahre vor ihrem Tode am 30. Oktober 1986 blickte Elisabeth Schwarzhaupt
auf ihr Leben zurück und schrieb diesen obigen zynischen Einstieg für eine
autobiographische Skizze nieder. War sie eine Zynikerin? Man kann Elisabeth
Schwarzhaupt zwar nicht in einfach psychologische Kategorien fassen, aber Zynismus lag
ihr wirklich fern. Im Gegenteil: Liselotte Funcke, die mit ihr im Bundestag saß, charakte-
risierte die Frankfurterin folgendermaßen:

Ich schätzte an ihr ihre Zuverlässigkeit, Offenheit, Menschlichkeit, ihre persönliche


Bescheidenheit und ihren Mut, ihre Meinung auch gegen andere Vorstellungen ihrer Partei
zu vertreten. Man merkte ihr an, dass sie in einem liberalen Elternhaus groß geworden war
38
und daraus die Kraft zu unabhängigem Denken und Handeln bezog.

Obwohl Elisabeth Schwarzhaupt bereits 60 Jahre alt war, als Adenauer sie zur Minis-
terin berief, war ihre Persönlichkeit immer noch nicht machtpolitisch korrumpiert, son-
dern hatte sich die Ideale ihres Elternhauses bewahrt. Sie war, obwohl sie bürgerlich
aufwuchs, einfach in ihren materiellen Ansprüchen geblieben. Um Elisabeth Schwarz-
haupts politisches Denken also zu verstehen, muss kurz ihre Biografie betrachtet werden.

37
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241. Der Bericht ist 1983 erschienen, das Manuskript erstellte
Elisabeth Schwarzhaupt allerdings bereits im August 1982. Ebd., S. 237.
38
Liselotte Funcke, Erinnerungen an Elisabeth Schwarzhaupt, in: Die Hessische Landesregierung (hg.):
Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im
Breisgau 2001, S. 162-172, S. 163.
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 16

2.1 Kindheit und Jugend

Wenn ich [die] heute gängigen Darstellungen von der repressiven


Familienerziehung früherer Generationen lese, finde ich meine Kind-
heit und mein Elternhaus nicht wieder. Ich wurde nie geschlagen. Wer
nicht pünktlich oder mit ungewaschenen Händen zum Essen kam, der
musste damit rechnen, dass ihm der sonntägliche Nachtisch entzogen
wurde. Das war bitter, aber ich glaube nicht, dass es mich seelisch
geschädigt hat. Ernsthaft bestraft wurde, wer gelogen hatte.39
Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

Elisabeth Schwarzhaupt wurde am 7. Januar 1901 in Frankfurt am Main geboren. Ihr


Elternhaus – Ursula Salentin zufolge „christlich, liberal, konservativ und national ge-
sinnt“40 – gehörte dem Frankfurter Bildungsbürgertum an. Vater Wilhelm war zunächst
Lehrer, dann Oberschulrat in der Handelsstadt am Main, was die spätere Berufswahl der
Tochter nicht unbedeutend beeinflusste. Zudem war Wilhelm Schwarzhaupt politisch in
der Deutschen Volkspartei unter Gustav Stresemann aktiv, für die er von 1918 bis 1933
im Preußischen Landtag saß und deren Vorgängerin, der Nationalliberalen Partei, er be-
reits im Kaiserreich angehörte.41 Als „überzeugter Anhänger Gustav Stresemanns“ sei ihr
Vater stärker „dem linken Flügel der Deutschen Volkspartei zuzurechnen gewesen [...] als
dem rechten, dem der Industriellen von Rhein und Ruhr.“42
Ihre Mutter Frieda, geborene Emmerich, entstammte einer wohlhabenden Kauf-
mannsfamilie und erhielt, zusammen mit ihrer Schwester, um 1895 eine Ausbildung zur
Lehrerin – was zu dieser Zeit für Mädchen ihrer Schicht alles andere als üblich war. Si-
cher ist, dass ein liberaler Geist im Elternhause der Mutter geherrscht haben muss – zu-
mindest erinnert sich Elisabeth Schwarzhaupt in ihrem Lebensbericht an die fortschritt-
liche Grundeinstellung ihres Großvaters, „der meinte, seine Töchter sollten nicht darauf
angewiesen sein, ‚einen Mann zu bekommen’.“43 Diese Haltung war in den patriarcha-
lisch strukturierten 1890er Jahren zwar nicht die Regel, aber doch hier und da vorhan-
den – und griff zudem immer mehr Raum, vor allem in intellektuellen Kreisen:44

39
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241.
40
Salentin, Schwarzhaupt, S. 9. In Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 242, schätzt Elisabeth
Schwarzhaupt ihre Eltern übereinstimmend als „national, liberal und kaisertreu“ ein, wobei ihre Mutter
„sicher die konservativere von beiden“ war.
41
Einen kurzen Überblick über das Parteiensystem des Kaiserreichs gibt u.a. Hans-Ulrich Wehler, Das
7
Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1994, S. 78-89. Zur Nationalliberalen Partei siehe beson-
ders S. 80-83.
42
So Schwarzhaupt gegenüber Ursula Salentin, Schwarzhaupt, S. 10f. Die Nationalliberale Partei sah
sich selbst als Partei der intellektuellen Oberschicht, der Gymnasiallehrer und höheren Staatsbeamten
sowie der Großindustrie.
43
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241.
44
Wehler, Kaiserreich, S. 123, spricht von einer „schichteigentümlichen Auflockerung“, die es seit den
1890er Jahren gab, „wobei auch damals schon größere Liberalität und großzügigere Erziehung an
steigendes Bildungsniveau und materielle Sicherheit gebunden gewesen zu sein scheinen“. Beide
Voraussetzungen sind in Schwarzhaupts Familie gegeben. Der Gedanke der Gleichstellung von Mann
und Frau erhielt entscheidende Impulse durch die aufkommende Sozialdemokratie: August Bebel, Die
Frau und der Sozialismus, Zürich 1879, brachte es auf über 60 Auflagen und war bis 1895 bereits in 13
Sprachen übersetzt. Zudem wurde bereits 1865 in Leipzig, dem eigentlichen Erscheinungsort der Be-
belschen Schrift, der Allgemeine Deutsche Frauenverein gegründet, der 1894 im Bund Deutscher
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 17

Meine Eltern, und in besonderem Maße eine Schwester meiner Mutter, waren von der
Frauenbewegung der achtziger Jahre, von Schriften von Helene Lange und Gertrud Bäumer
beeinflußt. Mein Elternhaus war bewußt evangelisch und liberal im Sinne von Friedrich
Naumann.45

Diese Grundkonstellation, dass beide Elternteile ausgebildete Lehrer waren und sich
mit fortschrittlichem Gedankengut auseinander setzten, prägte Elisabeth Schwarzhaupts
weitere persönliche Entwicklung, eine der wichtigsten Weichenstellerinnen bundesdeut-
scher Gleichstellungspolitik zu werden. Die Rolle, die ihre Mutter als faktischer Haus-
haltsvorstand während des Ersten Weltkrieges eingenommen hatte – ihr Vater war als
Lazarettinspektor eingezogen worden – tat ein Übriges hin zu dieser Entwicklung:

Meine Mutter war in eine Übergangszeit der Entwicklung vom Großfamilien-Haushalt zu der
modernen Kleinfamilie geraten, ohne daß der familiäre Lebensstil und das
Rollenverständnis der Frau diesen Veränderungen gefolgt waren. Daß ich dies in dem
aufnahmefähigen Alter zwischen dreizehn und neunzehn Jahren miterlebte, hat mich immer
wieder in doppelter Weise bewegt. Ich selbst wollte diese Rolle, die meine Mutter vorlebte,
nicht übernehmen. Zu einem Thema meines Lebens wurde die Frage, wie man die Rolle der
Frau an neue Gesellschaftsformen so anpassen könnte, daß sie Kinder haben und doch mit
gleichen Entwicklungschancen leben könnte wie der Mann.46

Elisabeth Schwarzhaupt kam bereits in der Schulzeit in den Genuss jener „gleichen
Entwicklungschancen“: Sie besuchte die Frankfurter Schillerschule, zu dieser Zeit wohl
die beste Mädchenschule Deutschlands, die als erste Frankfurter Schule überhaupt Mäd-
chen zum Abitur führte.47 Ostern 1920 bestand sie hier die Reifeprüfung und wollte
Journalistin werden, was der Vater aber ablehnte. Statt dessen empfahl er „der Unglück-
lichen“48, ein Examen als Lehrerin für Volks- und Mittelschulen am Oberlyzeum abzule-
gen. „Unwillig und nicht besonders gut“49 bestand sie ein Jahr später, wusste aber unab-
änderlich, dass sie auf keinen Fall Lehrerin werden wollte. Ihre Eltern waren beide
Lehrer; sie hielt sich jedoch für „ganz unbegabt für pädagogische Aufgaben“50, überrasch-
te ihren Vater stattdessen mit dem Vorschlag, Jura studieren zu wollen:

Jugendrichter oder Vormundschaftsrichter wollte ich werden. Mein Vater stimmte zu,
obgleich damals Frauen noch nicht zum Richteramt zugelassen wurden; aber er verließ sich
darauf, daß dies bald kommen würde, und daß Juristinnen auch in der Verwaltung in den
kommenden Jahren Chancen hätten.51

Frauenvereine aufging, und 1889 gründet Helene Lange in Berlin das erste deutsche Mädchengymna-
sium.
45
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241.
46
Ebd, S. 243.
47
Ebd., S. 244: „Bei der liberalen Haltung meiner Eltern und ihrem Interesse für die Frauenbewegung
war es selbstverständlich, daß ich 1914 in die Untertertia [...] eintrat.“
48
Drummer/Zwilling, Biografie, S. 28, schließen nicht aus, „dass der Vater im Geheimen die Hoffnung
hegte, Elisabeth könnte an der Pädagogik Gefallen finden und die berufliche Tradition innerhalb der
Familie fortsetzen.“
49
Salentin, Schwarzhaupt, S. 19.
50
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 244.
51
Ebd., S. 244f. Salentin, Schwarzhaupt, S. 19, vermutet, dass ihr Vater „selbst gern Jurist geworden
wäre, doch durch den frühen Tod seines Vaters daran gehindert wurde.“ Elisabeth Schwarzhaupt hatte
zwar während des Lehrerinnenexamens nachmittags Vorlesungen über Arthur Schopenhauer und
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 18

Für die Zwanziger und Dreißiger Jahre war diese Perspektive zutreffend – mit der
Machtübernahme der Nationalsozialisten sanken die Chancen von Juristinnen auf eine
Richterkarriere aber auf Null. Elisabeth Schwarzhaupt hat eine solche Entwicklung vor-
ausgeahnt und in den frühen Dreißiger Jahren – noch bevor Hitler an die Macht kam –
vor dem indiskutablen Frauenbild der Nazis gewarnt.

2.2 Agitation gegen den


Nationalsozialismus

Der Anfang des Dritten Reiches war für meine Umwelt und für mich
persönlich in vieler Hinsicht ein Ende, ein Zusammenbruch. Der Tag,
der diesen Zusammenbruch einleitete, der 30. Januar 1933, verlief
aber denkbar undramatisch. Er brachte zwar große Überschriften in
den Zeitungen; das, was uns bevorstand, war verdeckt durch die
Schau, mit der dieser Kanzlerwechsel vor sich ging. Das Unheil kam
auf leisen Sohlen angeschlichen.52
Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begann Elisabeth Schwarzhaupts politi-
sches Engagement, das zuvor schon durch Tischgespräche ihres Vaters mit Landtagskol-
legen, die immer mal wieder auf der Durchreise durch Frankfurt waren, geweckt wurde.
Die Initialzündung, politisch aktiv zu werden, bekam sie allerdings in der Auseinander-
setzung mit dem aufkommenden Nationalsozialismus. Die Lektüre von Adolf Hitlers
„Mein Kampf“ und Alfred Rosenbergs „Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts“, die sie
1928 von einem Studienfreund während ihrer Referendarausbildung in Berlin bekam,
„erschütterte“53 sie.

Lange Zeit über war Elisabeth Schwarzhaupt parteipolitisch inaktiv geblieben. Nun trat sie
der Deutschen Volkspartei bei. Es war ihr klar geworden, daß man sich gegen diese Gefahr
organisieren mußte. Die frauenfeindliche Haltung der Nationalsozialisten – ihre rein

Neuere Geschichte an der Frankfurter Universität gehört, den entscheidenden Anstoß für den juristi-
schen Beruf gab indes eine Jugendgerichtsverhandlung, „in der der amtierende Richter in psycholo-
gisch einfühlsamer Weise mit jungen Rechtsbrechern umging. ‚Der Geist der Güte und nicht der Stren-
ge und Härte’, den Elisabeth Schwarzhaupt bei dieser Verhandlung erlebte, hat ihre Berufsentschei-
dung maßgeblich beeinflußt.“ Ebd.
52
Elisabeth Schwarzhaupt, Der Anfang, der ein Ende war, Manuskript vom Mai 1983, ACDP 01-048-
015/1, S. 1. Ob das Unheil der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft tatsächlich „auf leisen
Sohlen angeschlichen kam“, oder ob nicht viel eher politische Beobachter dieses Unheil bereits in den
Jahren zuvor antizipieren konnten, kann hier nicht diskutiert werden. Vgl. aber Ian Kershaw, Hitler
1889-1936, Aus dem Englischen von Jürgen Peter Krause und Jörg W. Rademacher, München 2002,
S. 512: „Die Ereignisse kulminierten im Januar 1933 zu einem außergewöhnlichen politischen Drama,
das sich jedoch weitgehend außer der Sicht des deutschen Volkes abspielte.“
53
So in Elisabeth Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S.3: „In den letzten Jahren vor
1933, so von 1928 ab fing ich wieder an, mich politisch zu interessieren, und zwar war der Anlaß, daß
ich ‚Mein Kampf’ von Hitler las. Dieses Buch hat mich so erschüttert, und zwar wegen seines Niveaus,
wegen dieser primitiven, demagogischen Art, daß ich sagte: ‚Das darf doch nicht passieren, daß dieser
Mann eine große politische Rolle in Deutschland spielt’.“
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 19

männlich ausgerichteten Strukturen, ihr dümmlich biologisches Frauenbild – wurde ihr zum
54
Anstoß, aktiv gegen diese Bewegung anzugehen, vor Hitler zu warnen.

Schwarzhaupts politische Agitation gegen den Nationalsozialismus beschränkte sich


nicht nur auf Wahlkampfreden im kleinen Kreis – sie gewann auch zunehmend Publizi-
tät, und sie suchte diese. 1932 vertrieb die Deutsche Volkspartei daher zwei Broschüren
Schwarzhaupts mit den Titeln: „Was hat die deutsche Frau vom Nationalsozialismus zu
erwarten?“55 und „Die Stellung der Frau im Nationalismus.“56 Diese Wahlkampfbroschü-
ren, die sogar zweimal aufgelegt wurden57, stützten sich auf einen Artikel, den die junge
Assessorin in der Frankfurter Zeitung bereits Ende der zwanziger Jahre veröffentlicht
hatte. Hauptpunkte der Schriften: Warnung vor einem „rollback“ der bisher erreichten
Frauenrechte in einem nationalsozialistischen System, sei es:

Punkt 1: die „grundsätzliche Ablehnung“ politischer Mitwirkung der Frauen,


Punkt 2: die „Rückkehr der Frau aus dem Berufsleben“ mit einer sofortigen
„Entfernung aller Mädchen und Frauen aus den Büros und öffentlichen
Stellen“,
Punkt 3: die „Verdammung“ der Mädchenbildung „in Grund und Boden“, sowie
Punkt 4: den Verlust des Staatsbürgerrechtes für unverheiratete Frauen und die
Entrechtlichung verheirateter Frauen hin zur „Verpflichtung, in möglichst
großer Zahl dem Staat Kinder zu gebären“.58

Für Elisabeth Schwarzhaupt ein nur schwer zu akzeptierendes Frauenbild, das die
führenden Nationalsozialisten – unter ihnen auch Josef Goebbels – propagierten: „Die-
ses Menschenbild“, so schreibt sie 1982 in einem Aufsatz über ihre persönlichen Erfah-
rungen mit dem Nationalsozialismus, „war weit entfernt von den Auffassungen meines
Elternhauses, es widersprach meinem eigenen Lebensstil und dem, was ich mir für mein
Leben vorgenommen hatte.“59

Ich war eingetreten für die Ziele der liberalen Frauenbewegung. Ich bewunderte Helene
Lange, Gertrud Bäumer, Marianne Weber, Agnes von Zahn-Marnack. Ich war Mitglied in
dem Vorstand der Frankfurter Frauenverbände und im Deutschen Akademikerinnenbund.
Wir glaubten an eine Entwicklung, die der Frau einen weiteren Lebensraum eröffnen
würde.60

54
Salentin, Schwarzhaupt, S. 25. Gegenüber Heribert Koch, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 3,
erklärt Elisabeth Schwarzhaupt, „der ‚Kampf’ von Hitler und das Buch von Rosenberg ‚Mythos des 20.
Jahrhunderts’ hat mich ganz genau in die Gegenposition getrieben, von da ab war ich wieder politisch
interessiert“, und deswegen engagierte sie sich daher wieder verstärkt in der DVP.
55
Faksimile in Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 236.
56
ACDP 01-048-012/5. Siehe auch: Faksimile des Titelbildes in Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S.
139, Textwiedergabe ebd., S. 237-246.
57
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 2.
58
Schwarzhaupt zitiert hier dialektisch nationalsozialistisches Gedankengut v.a. Alfred Rosenbergs, Adolf
Hitlers und Joseph Goebbels’, aber auch die entsprechenden Passagen des NSDAP-
Parteiprogramms, in gesperrter Schrift. Der besseren Lesbarkeit wegen ist hier auf die typografisch
korrekte Nachbildung der sehr zahlreichen Hervorhebungen verzichtet worden.
59
Schwarzhaupt, Der Anfang, der ein Ende war, ACDP 01-048-015/1, S. 2.
60
Ebd.
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 20

Diesen „weiteren Lebensraum“ wollte ihr der Nationalsozialismus nicht zugestehen,


beschnitt ihre berufliche Perspektive und – weitaus lebensbedrohlicher – diejenige ihres
Verlobten, der jüdischen Glaubens war. Doch bevor Hitler an die Macht kam, bekannte
Elisabeth Schwarzhaupt ihre ablehnende Haltung gegenüber dem frauenfeindlichen As-
pekt im nationalsozialistischen Gedankengut auf Vorträgen, etwa bei Frauenverbänden,
zu denen sie „ohne [...] Zutun“61 eingeladen wurde, sowie auf Wahlkampfveranstaltungen
der DVP, die sie durch ganz Hessen führten. Dabei blieb es natürlicherweise nicht aus,
dass sie im Wahlkampf von Nationalsozialisten verbal angegriffen wurde – auf einer
Wahlkampfveranstaltung in Bad Homburg wurde sie niedergeschrieen. 1932 wurde sie
sogar auf eine vermeintliche Frauenversammlung der NSDAP nach Höchst am Main ein-
geladen, um dort mit einem – vorgeblich – ausschließlich weiblichen Publikum zu disku-
tieren. „Sie sagte zu. In Wahrheit handelte es sich jedoch um eine große Parteikund-
gebung für Frauen und Männer im Saal des Volksbildungsheims.“62 Nach einer zweistün-
digen Rede des Höchster Nationalsozialisten Becker, der die Frauenfrage marginalisierte
und nur ein Ziel hatte, nämlich „die Versammlungsteilnehmer mürbe zu machen resp.
ihr Interesse für die Gegenrednerin, Frau Schwarzhaupt, lahm zu legen“63, wurde es im
Saal sehr ungemütlich, eine starke Unruhe machte sich breit. „Ehe ich ein paar Worte
gesagt hatte,“ erinnert sie sich gegenüber Ursula Salentin, „wurde ich niedergebrüllt. Was
ich sagen wollte, redete ich in eine tobende Menge hinein, von den wenigsten überhaupt
verstanden. Dennoch hielt ich durch und trug meine Angriffe gegen Hitlers Vorstellun-
gen sachlich vor. Ich bin dann mit meiner Mannschaft, die in einer Saalecke zusammen-
saß, unter Protest weggegangen.“64
Privat litt Elisabeth Schwarzhaupt auf eine ganz besondere Weise unter dem national-
sozialistischen Regime: Ihr Verlobter, ein jüdischer Arzt aus Gelsenkirchen, musste be-
reits im April 1933 vor den Nazis emigrieren. Zuerst ging er in die Schweiz,65 später floh
er in die USA, wo er eine ebenfalls emigirierte Deutsche jüdischen Glaubens heiratete.
Schwarzhaupt blieb mit ihrem ehemaligen Verlobten und dessen Frau in losem Kontakt,
besuchte das Ehepaar auch häufiger in den USA, heiratete ihrerseits aber nicht mehr und
nahm auch „keine Liebesbeziehung mehr zu einem Mann auf“.66 Der Zerstörung ihres
privaten Glücks durch die Nazis folgte auch die Zerstörung ihrer beruflichen Pläne – eine

61
Eine Einladung des DVP-Generalsekretärs und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann vom
5. April 1932 mit folgendem Wortlaut findet sich in den Beständen des Archivs für christlich-
demokratische Politik: „Sehr geehrtes Fräulein Schwarzhaupt! Der Wahlkreisverband Westfalen-Süd
bittet Sie, dort einen oder zwei Vorträge über die Stellung der Frau zum Nationalsozialismus zu halten.
Es käme Bochum oder Dortmund und evtl. noch eine andere Stadt in Frage. [...] Die Vorträge müssten
allerdings allerdings noch während des preussischen Wahlkampfes stattfinden.“ ACDP 01-048-012/5.
Schwarzhaupt fiel diese Vortragstätigkeit „recht schwer, da ich im Grunde öffentlichkeitsscheu war“.
Siehe Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 247.
62
Zum Ablauf und den Inhalten dieser Veranstaltung siehe Drummer/Zwilling, Biografie, S. 40f.
63
So Helli Knoll in den Frankfurter Nachrichten vom 19. März 1932, zit. nach: Drummer/Zwilling, S. 40.
64
Salentin, Schwarzhaupt, S. 26f: „Zu dieser Versammlung fuhr sie mit einem Trupp Getreuer, der als
Begleitschutz gedacht war: junge Leute aus der Deutschen Volkspartei und einige Frauen aus den
Frankfurter Frauenverbänden.“
65
Fotografien eines Skiausflugs, den das verlobte Paar am 4. Januar 1934 in der Schweiz unternommen
hat, zeigen den Arzt. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Nachlass Schwarzhaupt, S1/314, Nr. 15.
66
Drummer/Zwilling, Biografie, S. 43. Zur Zerstörung des privaten Glücks Schwarzhaupts durch den
nationalsozialistischen Rassenwahn vgl. ausführlicher: Schwarzhaupt, Der Anfang, der ein Ende war,
S. 5f sowie Salentin, Schwarzhaupt, S. 22f und 27-35 und Drummer/Zwilling, Biografie, S. 31f und 42-
44. Die Tatsache, dass Elisabeth Schwarzhaupt unverheiratet blieb, brachte sie später um die Chance,
das Familienministerium im vierten Kabinett Adenauer zu übernehmen (siehe Kap. 3.1).
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 21

berufliche Neuorientierung bescherte ihr allerdings eine bis dahin einzigartige Karriere
innerhalb der Evangelischen Kirche.

2.3 Berufsverbot und Oberkirchenrat


Elisabeth Schwarzhaupt wollte Richterin werden67 – Frauen in einer solchen Position
waren mit nationalsozialistischem Gedankengut jedoch unvereinbar. Ein Schreiben des
Reichsministers der Justiz, unterschrieben vom berüchtigten NS-Richter Dr. Freisler,
vom 16. Januar 1936 beendete denn auch abrupt Schwarzhaupts Berufswunsch:

Der Führer und Reichskanzler hat angeordnet, daß Frauen in Zukunft nicht als Richter oder
Rechtsanwalt angestellt oder als Rechtsanwalt zugelassen werden. Von dieser Entschei-
dung wird eine größere Anzahl von Gerichtsassessorinnen, Assessorinnen und Referenda-
rinnen berührt. [...] Nach der Entscheidung des Führers und Reichskanzlers können diese
Rechtswahrerinnen im Staatsdienst nur noch als Verwaltungsbeamte Verwendung finden.68

Eine berufliche Degradierung zur bloßen „Aushilfe“ ohne Option auf eine Anwaltsstel-
le – diese Art nationalsozialistischer Beschäftigungspolitik für Frauen hatte Elisabeth
Schwarzhaupt bereits 1932 befürchtet.69 Dabei begann ihre juristische Karriere hoff-
nungsvoll: Nach einem guten juristischen Examen hatte sie die Aussicht auf eine Festan-
stellung am Dortmunder Amtsgericht, an dem sie bereits als Assessorin arbeitete; sie
wollte Amtsgerichtsrätin werden. Sofort nach der „Machtergreifung“, von der Elisabeth
Schwarzhaupt beim Skilaufen mit ihrem Verlobten in der Schweiz erfuhr, änderte sich
die Atmosphäre an ihrem Arbeitsplatz schlagartig:

In der ersten Gerichtsverhandlung, die ich zu leiten hatte, trat ein Wechselschuldner, der
von seinem jüdischen Gläubiger verklagt worden war, in SA-Uniform auf und erklärte, dass
er diesem Juden nichts zahlen würde. Mir fuhr die Entgegnung heraus: „Bei mir geht es
nicht nach der Konfession, sondern nach der Wechselordnung“. Die Anwälte, die in dem
Gerichtssaal auf den Aufruf ihrer Sache warteten, feixten, zum Teil fröhlich, zum Teil böse.
Im Februar 33 konnte man sich eine Äußerung dieser Art noch leisten.70

67
Im Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 3, sagt sie: „Ich habe Jura studiert mit der Vorstellung, ich
werde Jugendrichter werden. Jugend- und Vormundschaftsrichter, das war so etwa meine Vorstellung
oder vielleicht auch Zivilrichter. Zivilrichter hat mich insgesamt immer interessiert.“
68
Schreiben des Reichsministers der Justiz an die Obersten Reichs- und Preußischen Behörden vom 16.
Januar 1936, ACDP 01-048-012/5. Die Einschränkung im letzten Satz dieser NS-Verordnung zeigt
deutlich, wie arbeitsmarktpolitisch unsinnig diese Verfügung war: Die NS-Administration konnte die Ju-
ristinnen ja nicht einfach „auf die Straße“ setzen, sondern musste ihnen eine – wenngleich völlig min-
derqualifizierte – Erwerbsmöglichkeit erhalten.
69
Vgl. Lore Kämper, Erste Frau als Minister im vierten Kabinett Adenauers, in: Dezernat Soziales und
Jugend der Stadt Frankfurt am Main (Hg.): Porträts Frankfurter Senioren. Senioren-Zeitschrift 1976-
1999, Frankfurt am Main 1999, S. 84-86, S. 85. Spätestens als ihr Kommissorium am Amtsgericht
Dortmund ausgelaufen war und nicht mehr verlängert wurde, war die berufliche Degradierung für Eli-
sabeth Schwarzhaupt offensichtlich, was sie zynisch kommentierte: „Dem Wesen der Frau entsprach
es nach Hitlers Auffassung nicht, dass eine Frau Vormundschaftsrichter ist, doch sie konnte als mittle-
rer Justizbeamter das geringste Gebot für Zwangsversteigerungen ausrechnen.“ Elisabeth Schwarz-
haupt, Der Anfang, der ein Ende war, S. 3f.
70
Ebd., S. 3.
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 22

Diese Äußerung hatte für sie glücklicherweise keine negativen Konsequenzen – ihre
berufliche Karriere als Richterin war mit der Machtübernahme Hitlers ohnehin been-
det.71 Sie ging nach Frankfurt zu ihren Eltern zurück und wollte, um die Zeit sinnvoll zu
nutzen, um an der dortigen Universität promovieren, als ein Jugendfreund ihr anbot, in
Berlin die juristische Beratung in der Zentrale des Deutschen Rentnerbundes zu über-
nehmen, einem Verband, „der sich devot dem ‚Führer’ verschrieben hatte und von Adolf
Hitler erwartete, dass er der Klientel endlich den ihr gebührenden Platz in der ‚Volksge-
meinschaft’ zuwies.“72 Glücklich war sie an dieser Arbeitsstelle nicht, und so ergriff sie
die berufliche Chance, die ihr ein Oberkonsistorialrat aus der Kanzlei der Deutschen
Evangelischen Kirche bei einem Abendessen anbot: sie bewarb sich um ein juristisches
Referat bei der Kirchenkanzlei. Das sollte eine grundlegende Entscheidung hin zu ihrer
späteren Ministerkarriere bedeuten. Und schon die Zwischenetappe, die sie als Oberkir-
chenrätin der Evangelischen Kirche erreichen sollte, war gänzlich ungewöhnlich – auch
hier war Elisabeth Schwarzhaupt Pionierin, wurde sie doch fünf Monate vor Kriegsbe-
ginn 1939 zur „ersten Kirchenbeamtin in Deutschland“ ernannt.73
Das ist deswegen ein erstaunlicher Vorgang, da auch die evangelische Kirche der
„Führererlass“, dass Juristinnen nur Hilfsjobs ausführen durften, bereits erreicht hatte,
als Elisabeth Schwarzhaupt am 16. März 1936 ihre Arbeit in der Kanzlei der Deutschen
Evangelischen Kirche (DEK) aufnahm. Ganz im Sinne des Erlasses wurde der mittlerwei-
le promovierten Juristin nur ein Hilfsjob für gerade einmal 362 Reichsmark monatlich in
der Kirchenkanzlei angeboten, während ein männlicher Kollege sofort als Konsistorialas-
sessor verbeamtet wurde. In der Logik dieses Erlasses wäre eine hochwertige Beam-
tenstelle für Elisabeth Schwarzhaupt während des nationalsozialistischen Regimes nie-
mals in Betracht gekommen – der Leiter der Kirchenkanzlei Friedrich Werner jedoch
verwandte sich für sie beim zuständigen Reichsministerium für kirchliche Angelegenhei-
ten, woraufhin der Reichsminister am 1. April 1939 sein Einverständnis erklärte, Elisa-
beth Schwarzhaupt „als erste Frau zur Konsistorialrätin zu ernennen und in das Beam-
tenverhältnis auf Lebenszeit zu übernehmen.“74 Dieser für das Naziregime
außergewöhnlichen „Beförderung“ folgte am 1. August 1944 eine weitere: Die erste Kir-
chenbeamtin wurde zur Oberkonsistorialrätin (sprich: zur Oberkirchenrätin) ernannt.75
Auch nach Kriegsende blieb Elisabeth Schwarzhaupt „die erste und einzige Frau in der
obersten Kirchenverwaltung“76, obwohl sie kurzzeitig mit einer Stelle im Justizdienst des
neugegründeten Landes Groß-Hessen liebäugelte. Die Bewerbung beim ersten Minister-
präsidenten des Landes, Georg August Zinn (SPD), zog sie jedoch sechs Monate später
wieder zurück, um bei der Neukonstituierung der evangelischen Kirche in den westlichen
Besatzungszonen mitzuarbeiten. Damit begrub sie zwar endgültig ihre „späten Hoffnun-
gen auf eine Karriere als Richterin“77, eröffnete sich selbst aber die Möglichkeit, ins
71
Kershaw, Hitler I, S. 78, beschreibt den Diktator als „ausgesprochen frauenfeindlich“, der zudem eine
universitäre Ausbildung für Frauen bereits 1908 für eine „Sinnlosigkeit“ hielt.
72
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 47.
73
Diese Einschätzung gibt zumindest der stolze Vater Wilhelm Schwarzhaupt in seinen Lebenserinne-
rungen wider. Wilhelm Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen (Teil III), ACDP 01-048-002/1, S. 71.
74
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 58.
75
Für die Zeit Schwarzhaupts in der DEK sowie die Zeit unmittelbar nach Kriegsende 1945 siehe aus-
führlich Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 51-67.
76
Salentin, Schwarzhaupt, S. 45.
77
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 64.
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 23

kirchliche Außenamt zu wechseln, das vom Begründer des Pfarrer-Notbundes, Martin


Niemöller, 1946 in Frankfurt gegründet wurde. Während Elisabeth Schwarzhaupt in der
Kirchenkanzlei mit inneren Angelegenheiten der Evangelischen Kirche Deutschlands
sowie deren Vertretung gegenüber Staat und Öffentlichkeit befasst war, eröffnete sich im
Außenamt für sie ein völlig neuer Aufgabenbereich:

Das beglückendste an der Arbeit im kirchlichen Außenamt war, dass sich das Tor zur Welt
für uns öffnete. Wieder über die Grenzen des eigenen Landes hinauszusehen, mit
Menschen aus aller Welt zusammenzukommen, von ihren Problemen zu hören, war für uns,
wie die wir fast fünfzehn Jahre eingesperrt waren, ein bewegendes Erlebnis.78

Hauptaufgabe des kirchlichen Außenamtes war die Leitung der Arbeit der Auslands-
gemeinden sowie der Pflege ökumenischer Beziehungen – dass es sich zusätzlich in
Schwarzhaupts Heimatstadt befand und sie sich daher besser um ihre mittlerweile über
70 Jahre alten Eltern kümmern konnte als von Berlin, Göttingen oder Schwäbisch
Gmünd79 aus, war ein erfreulicher Nebeneffekt für die Frankfurterin.
Martin Niemöller, der „kirchliche Außenminister“, bot der Frankfurter Juristin 1947
ein juristisches Referat im Außenamt an, das ab November 1947 „notdürftig“80 am Sach-
senhausener Schaumainkai 23 arbeitete. Im Oktober 1948 nahm Schwarzhaupt ihre Tä-
tigkeit auf. Als ehrenamtliche Vorsitzende des Evangelischen Frauenwerks Deutschlands
(EFD), das innerhalb der EKD organisiert war, gewann Elisabeth Schwarzhaupt in der
Diskussion um den „Abtreibungsparagrafen“ § 218 StGB einen ersten Einblick in ihre
spätere Tätigkeit als Ministerin. Juristische Fragestellungen verbanden sich hier mit ge-
sundheitlichen, nahmen also schon ihre spätere Mittlerrolle zwischen medizinischen
Notwendigkeiten einer- und rechtlichen Gegebenheiten andererseits vorweg. Obwohl die
Debatte um die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen eine dezidiert juristische
war und deswegen in der gesamten bundesrepublikanischen Geschichte federführend im
Justizministerium ressortierte, gab es einen medizinischen Aspekt, bei dem Elisabeth
Schwarzhaupt und mit ihr das EFD ihre ansonsten prinzipiell ablehnende Haltung ge-
genüber Schwangerschaftsabbrüchen aufgaben: War das Leben der Mutter durch
Schwangerschaft oder Geburt gefährdet, dann musste die Erhaltung des Lebens der Mut-
ter als vorrangig gegenüber dem Leben des noch ungeborenen Kindes betrachtet werden.
Eine Tötung des Kindes musste in diesem einen Fall zugunsten des Lebens der Mutter
hingenommen werden und daher straffrei sein. Schwangerschaftsabbrüche aus sozialen
oder eugenischen Gründen lehnte das Evangelische Frauenwerk jedoch ebenso katego-
risch ab wie Schwangerschaftsabbrüche nach Vergewaltigungsdelikten.
Die Arbeit, die Elisabeth Schwarzhaupt als Oberkirchenrätin zu übernehmen hatte,
war also eine familienpolitische, was ihr einen Vorgeschmack auf ihre Arbeit als Abge-
ordnete gab. Ohne eine Kenntnis ihrer Biographie, die sie als eine der ersten deutschen
Abiturientinnen zu einer der ersten Richterinnen und – durch ihr beherztes Ergreifen
aller ihr angebotenen beruflichen Chancen – schließlich zur ersten Oberkirchenrätin
Deutschlands führte, ist ihre Ministerkarriere nicht verständlich. Nur aufgrund ihrer

78
Elisabeth Schwarzhaupt gegenüber Ursula Salentin, Schwarzhaupt, S. 48.
79
So einige der bisherigen beruflich bedingten Stationen Schwarzhaupts.
80
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 68.
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 24

administrativ-juristischen Arbeit im Außenamt der EKD einer- sowie ihrer familienpoli-


tischen Arbeit im Evangelischen Frauenwerk andererseits eröffnete sich ihr die Chance –
und abermals wurde sie ihr angeboten –, für den Bundestag zu kandidieren.

2.4 Die Bonner Zeit

1949 wurde ich von einigen Frankfurter Frauen gefragt, ob ich bereit
wäre, an sicherer Stelle für den Bundestag zu kandidieren. Ich konnte
mich damals noch nicht entschließen, das kirchliche Außenamt zu
verlassen. In den darauf folgenden Jahren hatte ich einige Unterhal-
tungen mit Hermann Ehlers, den ich von der Verfassungskommission
der Evangelischen Kirche kannte. Es waren wohl vor allem diese
Unterhaltungen, aber auch Enttäuschungen und Schwierigkeiten in der
Zusammenarbeit im Kirchlichen Außenamt, die mich veranlaßten, in
die CDU einzutreten und 1953 zum erstenmal für den Bundestag zu
kandidieren.81
Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

Elisabeth Schwarzhaupt trat – kurz bevor sie in den Bundestag gewählt wurde – 1953
in die CDU ein.82 Als 1952 der Präsident des Bundestags, Hermann Ehlers ihr persönlich
„zuredete“ 83, ließ sie sich von einer Kandidatur überzeugen – wenngleich diese Kandida-
tur, anders als heute, wie sie augenzwinkernd sagt, mit erheblichen finanziellen Einbu-
ßen einherging, sie die Hälfte ihres Referats im kirchlichen Außenamt aufgeben musste.84

Mein entscheidendes Motiv für die Annahme eines Mandats war wohl, daß mich die
Beobachtung der vier Jahre Bundestag von 1949-1953 beeindruckt hatte. Ich hatte
gesehen, daß hier mit Idealismus und mit großer Einsatzbereitschaft ein Neuaufbau unseres
sowohl moralisch wie materiell zerstörten Landes versucht wurde. Persönlichkeiten wie
Heuss und Adenauer machten mir Eindruck.85

Sie trat für den Wahlkreis Wiesbaden an, unterlag aber gegen den Freidemokraten
Viktor Emanuel Preusker.86 Vier Jahre später, als „das Ansehen Adenauers in weiten

81
Schwarzhaupt, Maschinenschriftlicher Lebenslauf, ACDP 01-048-001/3, S. 7.
82
Vgl. hierzu auch: Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 1.
83
Hermann Ehlers (1904-1954), war Mitglied der Bekennenden Kirche und seit 1945 Synodalmitglied der
EKD. Er saß von 1949 bis zu seinem Tode für die niedersächsische CDU im Bundestag, dessen Präsi-
dent er 1950 und erneut 1953 wurde. Vgl. u.a. Gotthard Jasper, Hermann Ehlers, in: Walter L. Bern-
ecker und Volker Dotterweich (hg.), Persönlichkeiten und Politik in der Bundesrepublik Deutschland,
Band 1, Göttingen 1982, S. 105-112.
84
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 258: „Ich [...] mußte genau überlegen, ob ich mit den Diäten,
die zunächst einmal zur Deckung der Unkosten für das Wohnen in Bonn bestimmt waren, auskommen
würde. Jedenfalls reichten sie gerade aus [...]. Sie waren keineswegs eine Verbesserung meiner finan-
ziellen Lage.“
85
Ebd.
86
Elisabeth Schwarzhaupt vermutet gegenüber Heribert Koch wahltaktische Gründe der sehr rechtslasti-
gen Wiesbadener CDU zugunsten der nationalistischen FDP hinter ihrer Nominierung: „Dann bin ich in
Wiesbaden als Wahlkreiskandidatin aufgestellt worden, ich habe den Verdacht aus einem gar nicht so
sehr edlen Grund. Nämlich damals war der Wiesbadener Kandidat von 1949 ab Herr Preusker – ein
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 25

Kreisen der Bevölkerung auf dem Höhepunkt war“ und die CDU bundesweit eine absolu-
te Mehrheit erreichte, gewann auch Schwarzhaupt ihren Wiesbadener Wahlkreis – mit
zwei Prozent mehr Erststimmen als Zweitstimmen: „Ich verstand das nicht nur als einen
Erfolg meiner fleißigen Bemühungen, sondern auch als einen Gegenbeweis gegen die oft
geäußerte Meinung, die Wähler hätten kein Vertrauen zu einer Frau als Abgeordneter.“87
Da ihr beruflicher Wunsch gewesen war, Familienrichterin zu werden, lag ihr politisches
Interesse folgerichtig auf der Familienpolitik – hier lag in den Fünfziger und Sechziger
Jahren der Schlüssel für eine durchgreifende Gleichstellung der Geschlechter.

Im Bundestag habe ich von Anfang an meine Aufgabe im Rechtsausschuß gesehen. Meine
erste Rede im Plenum hielt ich im Februar 1954 zu dem Thema „Änderung des Familien-
rechts“, insbesondere zu dem Thema „Letztentscheidungsrecht des Vaters in Angelegenhei-
ten der Mutter.“ Ich erhielt mehr Beifall von Seiten der SPD als von meiner eigenen, damals
noch weit mehr als heute katholisch-patriarchalisch bestimmten Fraktion.88

Spätestens mit dieser Rede zeigte sich, dass Elisabeth Schwarzhaupt eben nicht einem
klerikal-reaktionären Familienbild anhing. Es ging um die Frage nach der Neuregelung
der elterlichen Gewalt, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch bislang geregelt war: Wer hat
das Letztentscheidungsrecht in allen Angelegenheit der Familie und der Kinder? Bislang
war dieses Recht allein dem Vater als „Familienoberhaupt“ zugedacht. Und die CDU
wollte diese Rechtslage auch – freilich etwas „weicher“89 formuliert – weiterhin so beibe-
halten wissen.

Ich war anderer Meinung. Ich war der Meinung, man könne durchaus sagen, beide Eltern
haben über die Angelegenheiten der Kinder zu entscheiden. Und das bedeutete natürlich,
dass, wenn sie sich mal wirklich nicht einigen konnten, das Vormundschaftsgericht zu ent-
scheiden hatte. Ich war aber der Überzeugung, die sich bestätigt hat, dass keine Blinddarm-
operation eines Kindes daran gescheitert ist, dass die Eltern sich nicht über den Operateur
entscheiden konnten.90

Mit dieser Auffassung stellte sich Elisabeth Schwarzhaupt gegen die Meinung ihrer
Fraktion. Aber auch die veröffentlichte Meinung lobte sie91 – und selbst innerhalb der

freier Demokrat – und der Vorsitzende der Wiesbadener CDU war Herr Dyckerhoff und den Kreisen um
Dyckerhoff war es gar nicht so unangenehm, wenn Herr Preusker wieder durchkam und man stellte
ihm ganz gern einen Neuling, und nun noch gar eine Frau, gegenüber, der seine Chancen nicht zu
sehr mindern würde.“ Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 8.
87
Schwarzhaupt. Lebenserinnerungen, S. 259. Auch 1961 und 1965 verbuchte Schwarzhaupt mehr
Stimmen als ihre Partei, zuletzt sogar 4,6 Prozent mehr. 1969 trat Schwarzhaupt auf eigenen Wunsch
nicht mehr zu einer Bundestagswahl an.
88
Maschinenschriftlicher Lebensbericht, ACDP 01-048-001/3, S. 7.
89
Schwarzhaupt, Archivgespräch, S. 10.
90
Schwarzhaupt, Archivgespräch, S. 10. Siehe ausführlich auch Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 80-
84. Diese Rede ist für die Schwarzhaupt-Historiografie so entscheidend, dass Ursula Salentin,
Schwarzhaupt, S. 94-101, sie ungekürzt abdruckte. Siehe im Original: Elisabeth Schwarzhaupt, Ver-
handlungen des Deutschen Bundestages, Stenografische Berichte, 2. Wahlperiode, 15. Sitzung, 12.
Februar 1954, S. 498f.
91
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 83, zitieren hier sowohl die Neue Zeitung vom gleichen Abend:
„Und siehe da: es funkte. Frau Oberkirchenrätin Dr. Schwarzhaupt ... sorgte dafür, dass die Debatte mit
einem Schlag ein Niveau erreichte, wie es der Beobachter in diesem neuen Bundestag bisher nicht zu
registrieren vermochte“ sowie die Neue Zürcher Zeitung, die von „einem parlamentarischen Talent ers-
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 26

CDU hinterließ diese, in der Schwarzhaupt-Biografie durchgängig als „Jungfernrede“


bekannte Rede einen derart positiven Eindruck, dass sie ihr den Weg in die Führungs-
spitze der Fraktion ebnete. Ihre Fraktionskollegin Else Brökelschen, mit der sie auch das
Abgeordnetenbüro teilte, schlug sie deswegen später für den stellvertretenden Fraktions-
vorsitz vor.92
Ein zweiter wichtiger Punkt ihrer vorministeriellen Abgeordnetenzeit war ebenfalls
im Familienrecht beheimatet: die erwähnte Reformierung des § 48 Abs. 2 Satz 2 des
Ehegesetzes. Da die Änderung dieses „Scheidungsparagrafen“ auf den ersten Blick in der
Tat wie ein familienrechtlicher Rückschritt erschien, weil er Ehescheidungen tatsächlich
erschwerte, belastete er die Reputation der liberalen Protestantin zeit ihres Lebens als
vermeintlicher Beleg ihres kirchentreuen Festhaltens an einer überkommenen Ewig-
keitsvorstellung der Ehe. Die Kritiker Schwarzhaupts haben jedoch den sozial- und
gleichstellungspolitischen Impetus dieser Eherechtsinitiative entweder übersehen oder
aus argumentativen Gründen nicht sehen wollen. Deswegen muss er hier einmal deutlich
gemacht werden.
Schwarzhaupts Eherechtsinitiative von 1961 (Widerspruchsrecht in § 48 Abs. 2 Ehege-
setz) war gegen den Geist der NS-Gesetzgebung gerichtet, die im Eherecht der frühen
1960er Jahre immer noch partiell in Kraft war: Das 1946 von den gröbsten Nazi-
Vorschriften bereinigte Eherecht erlaubte dem Mann weiterhin, sich ohne großen Aufhe-
bens von seiner Ehefrau zu trennen; eine Rechtslage, die, so Elisabeth Schwarzhaupt, vor
1945 „offensichtlich führenden Nationalsozialisten dazu verhelfen sollte, ihre alten Ehe-
frauen loszuwerden.“93 Elisabeth Schwarzhaupt trat zwar für ein Widerspruchsrecht des
nicht oder nur minder schuldigen Ehepartners ein, was in der Tat die Scheidung er-
schwerte. Dieser Einsatz war aber nicht „der klerikal-konservativen Haltung weiter Teile
der Union geschuldet, die von der grundsätzlichen Unauflöslichkeit der Ehe ausging“94,
sondern entstand aus der Analyse einer sozialpolitischen Schieflage: „Ihr waren zu viele
Fälle bekannt, in denen ältere Ehefrauen nach der Scheidung in demütigender Weise um
einen dürftigen Unterhalt hatten kämpfen müssen.“95 Ihre Argumentation belegt diese
Verschärfung des Scheidungsrechts aus wirtschaftlichen Gründen:

Nach längerer Ehe und bei höherem Alter wird die Frau nur selten auf eine Hilfe des
Mannes zur Wiedereingliederung in das Berufsleben verwiesen werden können. Sie wird
Hilfe zur Bestreitung ihres Unterhalts brauchen. [...] Allerdings wird es auf absehbare Zeit
dabei bleiben, daß eine Frau, die Kinder zu versorgen hat, in bezug auf ihre Berufslaufbahn

ten Ranges“ sprach, dessen hervorragende Rede „die Diskussion vom unfruchtbaren Streit der Ideolo-
gien herab auf den Boden der praktischen Probleme“ gebracht habe.
92
Ebd. Dr. Else Brökelschen (1890-1976) saß in den ersten drei Wahlperioden, also von 1949-1961, für
die niedersächsische CDU im Bundestag.
93
Elisabeth Schwarzhaupt, zit. nach: Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 86. Im Archivgespräch, ACDP
01-049-001/2, S. 14, sagt sie dazu wörtlich: „In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Zerrüt-
tungsprinzip eingeführt mit einem Widerspruchsrecht des schuldigen Teils, das aber wiederum durch
eine Ausnahme durchlöchert war, nämlich dann, wenn die Ehe ‚ihre sittliche Grundlage’ verloren hatte.
Von dieser sehr dehnbaren Ausnahmebestimmung machten im Dritten Reich eine Reihe führender Na-
tionalsozialisten Gebrauch, um ihre in der Zeit, als sie noch unbedeutende Leute waren, geheirateten
Frauen loszuwerden.“
94
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 86.
95
Karin Wiedemann, Der gerade Weg. Elisabeth Schwarzhaupt zum 100. Geburtstag, Onlineressource
der schleswig-holsteinischen Frauen-Union unter http://www.fu-sh.de/Schwarzhaupt.pdf, S. 1-6, S. 3.
2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts 27

erhebliche Opfer bringen muß. Die Gerechtigkeit wird erfordern, daß sie, soweit es möglich
und billig ist, durch Unterhaltsleistungen oder durch Hilfe zur Ausbildung vor einem
96
unzumutbaren Absinken ihrer Lebensverhältnisse bewahrt bleibt.

Diese Verschärfung des Scheidungsrechts war zwar nicht alleine Elisabeth Schwarz-
haupt anzulasten, sie wurde aber „später für die neue Formulierung des § 48, die ich
[Schwarzhaupt] heute für unglücklich halte, zu unrecht verantwortlich gemacht.“97
Das Familienrecht, das nur sehr entfernt etwas mit ihrer späteren Aufgabe als Minis-
terin zu tun hatte, war ihr politisches Steckenpferd – das wurde sofort wieder deutlich,
als Elisabeth Schwarzhaupt am 1. Dezember 1966 aus ihrem Ministeramt schied. Aus der
Gesundheitspolitik zog sie sich volständig zurück und wandte sich als Abgeordnete für
die verbleibenden drei Jahre der Legislaturperiode der Reform des Nichtehelichenrech-
tes zu. Sie wollte 1969 ohnehin nicht erneut für den Bundestag kandidieren – sie war
dann 68 Jahre alt und damit im verdienten Rentenalter gewesen.
Heike Drummer und Jutta Zwilling zufolge hob der Gesetzentwurf, der unter Feder-
führung Elisabeth Schwarzhaupts im Unterausschuss des Rechtsausschusses entstand,
„eine unerträgliche Diskriminierung“98 auf: Uneheliche Kinder wurden endlich den ehe-
lichen nach Art. 6 Absatz 5 GG gleichgestellt, sie erwarben die selben Unterhaltsansprü-
che an ihre Väter wie eheliche Kinder, waren nun erbberechtigt und die nichteheliche
Mutter erhielt weitestgehend die volle elterliche Gewalt über das Kind. Was Elisabeth
Schwarzhaupt als Bundestagsabgeordnete gesetzgeberisch verändern konnte, passt also
so gar nicht zu dem vorurteilsbehafteten Bild von der konservativ-strengen Oberkirchen-
rätin, die ein orthodox-biblisches Familienbild konservieren wollte – und es passt des-
halb nicht, weil das Bild schlicht falsch ist.
Wie aufgeschlossen und fortschrittlich Elisabeth Schwarzhaupt auch als Gesundheits-
ministerin dachte, zeigen die Kapitel 4 und 5. Doch ehe sie ihre Politik umsetzen konnte,
musste logischerweise erst das neue Ministerium geschaffen werden, Adenauer sie erst
einmal berufen.

96
Schwarzhaupt, Reform des Scheidungsrechts, S. 271. Vgl. auch ausführlicher: Schwarzhaupt, Archiv-
gespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 13-15.
97
Siehe ebd., S. 15.
98
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 102. Das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen
Kinder wurde am 19. August 1969 verabschiedet und trat am 1. Juli 1970 in Kraft.
3 Die Einrichtung des
Ministeriums

Angesichts der großen Bedeutung, die die Erhaltung der Gesundheit


für den einzelnen und für unser Volk hat, hat sich die Bundesregierung
entschlossen, ein Bundesministerium für Gesundheitswesen einzu-
richten. Zu diesen vordringlichen Aufgaben wird es gehören, sich der
Fragen der Reinhaltung der Luft sowie der Bekämpfung des Lärms
anzunehmen.99
Ludwig Erhard (1961)

M
it diesen einleitenden Sätzen erklärt Vize-Kanzler Ludwig Erhard100 dem
Deutschen Bundestag die Absicht Konrad Adenauers, in der vierten Legisla-
turperiode ein eigenes Ministerium einzurichten für Bereiche, die bisher im
Bundesinnenministerium sowie im Bundeslandwirtschaftsministerium ressortierten.101
Dass das Ministerium eine Alibifunktion zu erfüllen hatte, um die Forderungen der Uni-
onsfrauen nach einem weiblich geführten Ressort zu befriedigen102, fand sich in der Re-

99
Regierungserklärung Konrad Adenauers zur 4. Legislaturperiode, verlesen von Vize-Kanzler Ludwig
Erhard. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung, 29. November 1961, S. 24,
bzw. BA 142/2993.
100
Ludwig Erhard (1897-1977) war von 1949 bis 1963 Bundesminister für Wirtschaft, wurde am 22. Okto-
ber 1957 zum Vizekanzler ernannt und folgte am 15. Oktober 1963 Konrad Adenauer im Amt des Bun-
deskanzlers nach. Er war der sogenannte „Vater des Wirtschaftswunders“ und wollte während seiner
Amtszeit eine “Formierte Gesellschaft“ etablieren, scheiterte als Bundeskanzler aber tragischerweise
an „wirtschaftspolitischen, zum großen Teil hausgemachten Problemen“. Dirk Berg-Schlosser, Ludwig
Erhard, in: Walter L. Bernecker und Volker Dotterweich (hg.), Persönlichkeit und Politik in der Bundes-
republik Deutschland, Band 1, Göttingen 1982, S. 113-122, S. 122. Vgl. u.a. auch Daniel Koerfer,
Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987.
101
Adenauer konnte die Regierungserklärung an diesem 29. November nicht selbst verlesen, da er sich
auf einer USA-Reise eine Bronchitis zugezogen hatte und „krank geschrieben“ war. Siehe u.a. Poppin-
ga, Mut, S. 351-361. Der Bundeskanzler ist nach Art. 64 GG für die Einrichtung der Ministerien zustän-
dig, nach Art. 65 GG nimmt er die Kompetenzzuteilung der einzelnen Ministerien vor. Siehe hierzu u.a.
Ellwein/Hesse, Regierungssystem, S.304ff.
102
Siehe Kapitel 3.1.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 29

gierungserklärung naheliegender weise nicht wieder; vielmehr sah Erhard die Gründe für
die Einrichtung des Ministeriums in der desolaten Umweltsituation, die eine Gefährdung
der Gesundheit der Bevölkerung nach sich zog. Das ist dahingehend erstaunlich, als die
Regierung auch im zweiten Teil der Erklärung ganz auf die Umweltbelastung als offenbar
drängendstes Problem des Gesundheitswesens abhebt, naheliegende Fragen medizini-
scher Versorgung, der Krankenversicherung oder des Impfschutzes erst im dritten Teil
der Erklärung angesprochen werden. Doch zum zweiten Teil:

Vor allem in Ballungsgebieten haben die negativen Begleiterscheinungen unserer


Zivilisation einen besorgniserregenden Umfang angenommen. Es wird alles getan werden
müssen, um die auf diesem Gebiet notwendigen Maßnahmen mit Energie voranzutreiben.
Ich rechne hierbei auf eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern, der Industrie und den
Gemeinden.

Was Erhard hier im Namen des Bundeskanzlers erklärte, war buchstäblich die Be-
gründung für die Einrichtung eines Umweltministeriums – Adenauer nannte es freilich
nicht so, weil dies zu Beginn der Sechziger Jahre wohl zu fortschrittlich gewesen wäre. So
wurde die Umweltpolitik nicht explizit in die Nomenklatur des neugeschaffenen Gesund-
heitsministeriums übernommen, bekam aber organisatorisch mit der Einrichtung einer
eigenen Abteilung ein großes Gewicht innerhalb des von Human- und Veterinärmedizi-
nern dominierten Ministeriums. Die Fokussierung der Gesundheitspolitik auf die Ver-
besserung der Umweltbedingungen war daher durchaus eine Überraschung, mit der die-
se Regierungserklärung von 1961 aufwartete.
Die enge Zusammenarbeit, die die Bundesregierung mit den Ländern und Kommunen
suchte, war schon in der Regierungserklärung ein Hinweis auf die verfassungsrechtliche
Brisanz, die die Schaffung des Gesundheitsressorts mit sich brachte: Gesundheitspolitik
ist auch Ländersache.103 Denn genau dieses rechtlich unübersichtliche Kompetenzwirr-
warr zwischen Bund und Ländern war es, was die Schaffung eines neuen Ministeriums
organisatorisch notwendig machte: Die Bündelung aller gesundheitsrelevanten Fragen,
die bisher in unterschiedlichen Länderzuständigkeiten einer- sowie andererseits in un-
terschiedlichen Ressorts auf Bundesebene bearbeitet wurden.104 Alle westeuropäischen
Staaten verfügten bereits seit längerer Zeit über ein eigenständiges Gesundheitsressort;
Großbritannien etwa führte es bereits nach dem „Big London Smog“ von 1952 ein. Nun
folgte auch die Bundesrepublik „dem Beispiel fast aller anderen Staaten der Welt“.105

103
Siehe Kapitel 4.4.
104
Gerhard Jungmann: Gesundheitspolitik heute. In: Deutsche Zentrale für Volksgesundheitspflege (hg.):
Gedanken und Beiträge zur Gesundheitspolitik. Herrn Professor Dr. Franz Klose zum 75. Geburtstag
gewidmet, Frankfurt 1962, S. 19-24, S. 24: „Mit der Schaffung des Bundesgesundheitsministeriums hat
die Gesundheitspolitik aufgehört, schlechthin ‚Ländersache’ zu sein, was sie zum Schaden der Sache
seit der Reichsgründung gewesen und leider seitdem auch geblieben war.“
105
Zur britischen Gesundheitspolitik siehe u.a. Franz-Xaver Kaufmann, Der deutsche Sozialstaat im inter-
nationalen Vergleich, in: Hans Günter Hockerts (hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit
1945. Band 1: Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-Baden 2001, S. 799-989, S. 885ff. Schwarzhaupts
Leiter der Zentralabteilung, MR Gerhart Attenberger zufolge waren zum Jahresende 1961 bereits in 29
europäischen Staaten eigenständige Gesundheitsministerien fest etabliert, nur in drei weiteren europä-
ischen Ländern ressortierte das Gesundheitswesen zu dieser Zeit noch in einem Sozialministerium.
Siehe Gerhart Attenberger und Helmut Eiden-Jaegers, Das Bundesgesundheitsministerium für Ge-
sundheitswesen, Frankfurt am Main und Bonn 1968, S. 10.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 30

Dass sich ein Bundesministerium für Gesundheitswesen aber auch mit medizinischen
Fragestellungen befassen müsste, schien Adenauer ein weniger drängendes Problem ge-
wesen zu sein. Erst im dritten und letzten Abschnitt dieses Teils der Adenauerschen Re-
gierungserklärung nimmt sich Erhard endlich auch dieses Aufgabenbereichs des neuen
Ressorts an:

Das Bundesministerium für Gesundheitswesen wird sich ferner mit der Verbesserung der
Verhältnisse unserer Krankenhäuser befassen müssen. Die in der dritten Legislaturperiode
des Deutschen Bundestags verabschiedeten grundlegenden Gesundheitsgesetze sollen
beschleunigt durchgeführt und die Vorarbeiten für die noch ausstehenden Regelungen auf
den Gebieten der Heilmittelwerbung, der Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind und des
gesundheitlichen Schutzes gegen Strahlengefahren sowie für die Gesamtreform des
Lebensmittelrechts baldigst abgeschlossen werden.

So nötig die Bündelung aller dieser gesundheitsrelevanten Bereiche in einem regie-


rungsamtlichen „Kompetenz-Center“ erscheint106, aufgedrängt hat sich Adenauer der
Gedanke, ein Gesundheitsministerium einzurichten, nicht sofort. Bei allen so drängen-
den umweltpolitischen Fragen, die die Gesundheit der Bevölkerung tangierten, bei allem
dringend gebrauchten Katastrophenmanagement im Contergan-Skandal, bei allen le-
bensmittelhygienischen Gesetzgebungsvorhaben, die im Rahmen der EWG-Verträge auf
den Weg gebracht werden mussten, und trotz aller Forderungen aus der organisierten
Ärzteschaft – die Augmentierung seines Kabinetts um ein weiteres Ministerium, das
zwanzigste, wollte Adenauer verhindern, zumal in den bislang für das Gesundheitswesen
zuständigen Abteilungen im Innen- und im Landwirtschaftsministerium diesbezüglich
solide Arbeit geleistet wurde.107 Der Grund, weswegen Adenauer seinen 19 Ministern
deswegen noch eine weibliche Ministerin zur Seite stellte, war machtpolitischer Art – mit
Fragen der Gesundheitspolitik hatte er nur sekundär zu tun.

106
Jungmann, Gesundheitspolitik heute, S. 24, hierzu: „Durch die mit der Schaffung des Bundesgesund-
heitsministeriums erreichte Zusammenfassung aller dieser Fragen in der ‚Gesundheitskompetenz’ ist
der Weg für die gesetzgeberische Arbeit auf diesen für die Allgemeinheit so wichtigen Gebieten freige-
worden. Die endlich erreichte Selbständigkeit der gesundheitspolitischen Initiative wird sich als das
geeigntee Mittel erweisen, um diese
107
Provozierend und parteipolitisch überspitzend erklärt Hessens Arbeitsminister Hemsath (SPD) am 2.
Februar 1965 im 1. Fernsehprogramm sogar, dass seit Gründung des Bundesgesundheitsministeriums
1962 gesundheitspolitisch weniger geleistet worden sei als zuvor vom Bundesinnenministerium. Ernst
– aber nicht hoffnungslos. Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik, Sendung des Fernsehens des
Hessischen Rundfunks vom 2. Februar 1964, 20.15 bis 21.00 Uhr, BA Koblenz, B142/2993 (P111 II), S.
3.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 31

3.1 Der Aufstand der Unionsfrauen


gegen Adenauer

1961 berief mich Adenauer zum Bundesminister für Gesundheits-


wesen. Vorausgegangen war eine energische Demarche einiger
Frauen der Fraktion, an der Spitze Helene Weber, die von Adenauer
verlangte, daß endlich auch eine Frau in das Kabinett aufgenommen
würde.108
Elisabeth Schwarzhaupt (1976)

Wie gesagt, ein Gesundheitsministerium mit einer Frau an der Spitze drängte sich
Adenauer selbst nicht auf – es wurde ihm aufgedrängt, und zwar von einigen einflussrei-
chen weiblichen Unionsabgeordneten, mit der späteren „Nutznießerin“ Elisabeth
Schwarzhaupt an führender Stelle. Besonders einfach war es für die Frauenverbände der
Union jedoch nicht, sich beim konservativ-patriarchalisch denkenden Bundeskanzler mit
ihrer Forderung nach einem weiblichen Kabinettsmitglied durchzusetzen. Schließlich
war Adenauer nicht sehr erpicht darauf, dass eine Frau in seine Männerrunde eindrang:
„Was sollen wir mit einer Frau im Kabinett? Dann können wir nicht mehr so offen re-
den.“109 Und so waren die Frauenverbände bereits eine Legislaturperiode zuvor kläglich
mit ihrer Forderung gescheitert, und auch das vierte Kabinett Adenauer bekam seine
weibliche Ministerin erst nach langem Zaudern des Rhöndorfer Regierungschefs.

Die streitbaren Unionsdamen Helene Weber, Änne Brauksiepe – später selbst Ministerin –
und Margot Kalinke hatten dem politisch geschwächten Adenauer dieses Zugeständnis
abgetrotzt; sonst hätten sie „mit diesem Herrn“ nichts mehr zu tun haben wollen.110

Adenauer war aus der letzten Wahl nicht mehr als strahlender Sieger hervorgegangen,
verlor die absolute Mehrheit. Doch gerade bei den weiblichen Wählern war der „nette
Bundeskanzler“111 weiterhin sehr beliebt, sie zählten vielerorts zu seinen treuesten An-
hängern.112 Deswegen gab sich Adenauer Frauen gegenüber nicht nur charmant, er wuss-
te als Machtpolitiker sehr genau, dass er dem Vertrauen, das ihm von Seiten der weibli-
chen Wählerschaft und seiner eigenen weiblichen Parteimitglieder entgegengebracht

108
Schwarzhaupt, Lebensbericht, ACDP 01-048-001/3, S. 7.
109
Spiegel 48/1961 vom 22. November 1961, S. 29.
110
So Joachim Sobotta in seinem Nachruf „Adenauers First Lady. Zum Tode von Elisabeth Schwarzhaupt“
in der Rheinischen Post am 31. Oktober 1986.
111
Kommentar „Adenauer und die Frauen“ im Neckar-Echo vom 7.1.1958.
112
Die Zahlen machen dies deutlich. 1953 erhielten die Unionsparteien von den Frauen 47,2 Prozent der
Zweitstimmen, von den Männern nur 38,9. 1957 stieg der Anteil auf 53,5 zu 44,6 Prozent, und selbst
im für Adenauer schlechten Wahlergebnis von 1961 lag der Anteil immer noch bei 49,6 zu 40,4. Ade-
nauer wusste dies natürlich und mahnte am 23. November 1956 im Bundesvorstand der CDU ein noch
intensiveres Umwerben der Frauen an: „Wir müssen überhaupt die Frauen etwas poussieren, damit sie
besser wählen“. CDU-Bundesvorstandsprotokolle 1953-1957, S. 1164. Frank Bösch, Die Adenauer-
CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945-1969, Stuttgart 2001, S. 299, hält die
weibliche Bevölkerung für die sowohl quantitativ als auch qualitativ „starken Anhänger“ der CDU und
rechnet vor, „ein reines Frauenwahlrecht [...] hätte der Union noch 1969 die absolute Mehrheit be-
schert.“
3 Die Einrichtung des Ministeriums 32

wurde, seinerseits politische Konzessionen entgegenbringen musste – wenn dieses Ent-


gegenkommen auch nur auf unverbindlichen und symbolhaften „Kompetenzzugeständ-
nissen“ ohne konkrete Auswirkungen in die Politik hinein bestanden. Beispielhaft sei ein
kurzer Ausschnitt aus einem Gespräch Adenauers vom 3. Februar 1961 zitiert, das er mit
den Vorsitzenden der Frauenverbände führte:

Frauen gleichberechtigt als Minister und Staatssekretäre in den Ministerien: Ich vertrete seit
Jahren absolut den Standpunkt, diese Frage mit ja zu beantworten, und ich würde es sehr
begrüßen, wenn im Kabinett eine Frau wäre. [...] Wenn ich Ihnen jetzt sagte, falls ich wieder
Bundeskanzler werden würde, würde ich eine Frau als Minister nehmen, dann sage ich
Ihnen dazu ganz offen, derartige Erwägungen habe ich schon gehabt, auch für ein neues
Kabinett. Aber wie sich das dann alles gestalten wird, kann jetzt keiner sagen.113

Um eine konkrete Zusage an die Frauenverbände, dass dem neuen Kabinett auf jeden
Fall eine Frau angehören werde, drückte sich Adenauer geschickt: Er gab sich – aus dem
kurzen Ausschnitt wird das nur unzureichend klar – gegenüber den Frauen sehr char-
mant, hielt sie für eine Bereicherung jedes Kabinettes, denn: „Die Frau sieht in einer
Frage eben noch andere Facetten, die da sind, und vielleicht ist ihr Gesamturteil noch
besser als das des Mannes. Denn der Mann neigt zur Einseitigkeit, neigt dazu, das, was
gerade in sein Ressort fällt, als das allein Wichtige anzusehen.“ Allein die erhoffte Zu-
sage an die Frauenverbände blieb aus. Die oft nur symbolisch zu verstehenden und al-
lein machtpolitisch zu interpretierenden „Charme-Offensiven“ Adenauers, mit denen er
sich das Vertrauen breiter Schichten gerade der weiblichen Parteianhänger- und Wähler-
schaft sicherte, erkannte die Publizistik daher schon 1957:

Ohne Zweifel wollte Adenauer dieses Vertrauen dem Schein nach auch honorieren, denn
auf dem Hamburger CDU-Parteitag ließ er demonstrativ eine Frau über Familienfragen
reden und mehr als einmal versprach er, bei der kommenden Kabinettsbildung der Frauen
zu gedenken.114

Diese versprochene erste Ministerin – Elisabeth Schwarzhaupt galt auch schon 1957
als Favoritin auf diesen Posten – sollte Familienminister Franz-Josef Wuermeling115 be-
erben, dem keine Zukunft im dritten Adenauer-Kabinett prophezeit wurde.116 „Mächtige
konfessionelle Gruppen“117 setzten sich während der Kabinettsbildung 1957 allerdings

113
Das Gespräch Adenauers mit den Vorsitzenden der deutschen Frauenverbände vom 3. Februar 1961
ist auch als Onlineressource erreichbar http://www.kreidestriche.de/onmerz/pdfdocs/adenauer_frau-
en.pdf.
114
Neckar-Echo, Adenauer und die Frauen.
115
Franz-Josef Wuermeling (1900-1986) war von 1953 bis 1962 Bundesfamilienminister im zweiten, drit-
ten und vierten Adenauerkabinett. Selbst Vater von fünf Kindern, setzte Wuermeling sich vehement für
eine familienfreundlichere Politik und die Erhöhung des Kindergeldes ein. Auf seine Initiative ging der
Bundesbahn-Ausweis – im Volksmund „Wuermeling-Ausweis“ genannt – zurück, mit dem Kinder und
Jugendliche aus kinderreichen Familien die Bundesbahn zum halben Preis nutzen konnten. Kurzbio-
grafie unter http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/WuermelingFranzJosef/.
116
Schon die Einrichtung des Familienministeriums 1953 mit Franz-Josef Wuermeling an der Spitze war
„besonders von Frauen als bewusster Schachzug Adenauers gegen die etwa zeitgleich geführte
Gleichberechtigungsdebatte gewertet worden.“ Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 89. Wuermeling
gab das Ministerium 1962 tatsächlich ab.
117
So die Einschätzung des Kommentators des Neckar-Echos.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 33

für den Verbleib des katholischen Familienministers in der Regierung ein – die familien-
politisch bekanntlich streitbar-progressive unverheiratete Protestantin Schwarzhaupt
hatte das Nachsehen: „Für eine Junggesellin als Minister für Familienfragen konnten
sich auch die fortschrittlichsten Abgeordneten nicht erwärmen.“118
Am 28. Oktober 1957 präsentierte Adenauer daher sein neues, rein männliches Kabi-
nett.119 Einige Frauen wollten sich mit diesen Fakten nicht abfinden. Die Leiterin des
Frauenausschusses der CDU, Helene Weber120, wandte sich persönlich an Adenauer, um
ihn an sein Versprechen zu erinnern, eine Frau in sein drittes Kabinett aufzunehmen.
Wenn Adenauer bei seiner Entscheidung bliebe, so Helene Weber, sähe sie die Zusam-
menarbeit ihres Bundesfrauenausschusses mit CDU-Politikerinnen und den Frauenor-
ganisationen bei künftigen Landtagswahlen gefährdet. Eine Drohung, die Adenauer
kaum in Verlegenheit brachte, und so teilte er der Essener CDU-Bundestagsabgeord-
neten kurz vor Weihnachten lapidar mit:

Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es aus den verschiedensten Gründen wünschens-
wert ist, wenn Frauen aktiv am politischen Leben teilnehmen und in den politischen Par-
teien, den Parlamenten sowie den Regierungen mitarbeiten. Zu meinem Bedauern war es
mir auch diesmal nicht möglich, bei der Bildung der Bundesregierung eine Frau für ein
Ministeramt vorzusehen.121

Diese Niederlage der Unionsfrauen kurz vor Weihnachten 1957 sollte sich 1961 nicht
mehr wiederholen.122 Zwar hatte Adenauer die Frauen nicht völlig düpiert und wenigs-
tens eine Staatssekretärin ins Ministerium für Jugend- und Familienfragen berufen. Zu-

118
So der Spiegel 48/1961 vom 22. November 1961, S. 29. Adenauer bot bereits 1953 dem bayerischen
CSU-Abgeordneten Franz-Josef Strauß das Familienministerium an. Dieser entgegnete: „Herr Bun-
deskanzler, damit würde ich die Witzfigur der Nation. Ich bin jetzt 38 Jahre, unverheiratet, ohne Familie
werde ich Familienminister, so fordert das alle Karikaturisten geradezu heraus.“ Schwarz, Staatsmann,
S. 110.
119
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 89, schreiben: „An Initiativen seitens der Frauen hatte es zwar
nicht gemangelt, aber die Proteste waren zu spät gekommen, zu zögerlich formuliert und das gewiefte
Taktieren des Regierungschefs [war] unterschätzt worden.“
120
Helene Weber (1881-1962) saß für die NRW-CDU von 1949 bis 1965 im Bundestag. Elisabeth
Schwarzhaupt charakterisierte sie folgendermaßen: „Helene Weber war so eine alte gestandene Zent-
rumsabgeordnete, war schon im Reichstag gewesen, gehörte zu denen, die gegen das Ermächti-
gungsgesetz gestimmt hatten, was gar nicht das ganze Zentrum getan hat und war eine [...] sehr
mächtige Persönlichkeit. Sie hat mich aber immer sehr, obwohl wir in manchen Sachen verschiedener
Meinung waren, zum Beispiel gerade in Fragen des väterlichen Entscheidungsrechts, geachtet. Sie hat
auch wohl sich sehr dafür eingesetzt, daß ich Minister wurde.“ Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP
01-049-001/2, S. 11.
121
Brief Konrad Adenauers an Helene Weber vom 20. Dezember 1957, ACDP 01-048-002/3. Wie gereizt
Helene Weber auf diesen reichlich arroganten „Bescheid“ (Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 90)
des Kanzlers reagierte, zeigt ihr beleidigter handschriftlicher Vermerk auf dem Kanzlerbrief: „Zu un-
ser[e]m Material“. Die Neckar-Zeitung hält die Verärgerung der Frauen in ihrem polemischen Kommen-
tar „Adenauer und die Frauen“ vom 7. Januar 1958 für sehr berechtigt: „Bundeskanzler Dr. Adenauer
ließ es sich zum Jahreswechsel, wie es leider in nur wenigen Zeitungen zu lesen war, angelegen sein,
die Frauen in der Bundesrepublik – mit Verlaub zu sagen – auf den Arm zu nehmen. [...] Damit die
Frauen in der Bundesrepublik aber nicht leer ausgehen, bekommen sie zum neuen Jahr als Geschenk
des Kanzlers Preiserhöhungen für Brot und für Briketts. Das Wirtschaftsgeld bleibt zwar das gleiche,
eine Frau Minister gibt es auch nicht – aber dafür dürfen die Frauen zahlen. Offenbar sind sie nach den
vergessenen Versprechen in Bonn nur dafür gut genug.“
122
Ein wichtiges Druckmittel war sicher, dass die SPD bei der Wahl 1961 „überdurchschnittlich hohe Ge-
winne [...] nun auch bei den Frauen“ realisieren konnte, die „“unter Adenauer sträflich vernachlässigt
worden waren“. Bösch, Adenauer-CDU, S. 393.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 34

dem versuchte die Fraktionsspitze der Union, Elisabeth Schwarzhaupt für ihre geplatzte
Ministerchance mit der Wahl zur Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden zu entschädi-
gen – sie war damit wieder einmal die erste Frau in der Union auf diesem Posten123 –,
aber das große Ziel der Unionsfrauen, endlich eine Ministerin zu stellen, musste zur Ka-
binettsbildung 1961 strategischer und zielgerichteter angegangen werden als noch 1957.
Daher planten Elisabeth Schwarzhaupt, Änne Brauksiepe und Helene Weber einen
vertraulichen „Werbefeldzug“, der den Druck der weiblichen CDU-Basis auf den kabi-
nettsbildenden Kanzler drastisch erhöhen sollte und nicht nur ein weiblich geführtes
Ministerium zur Folge haben sollte, sondern auch ausschließlich Elisabeth Schwarzhaupt
als Leiterin dieses Ministeriums installieren sollte. Mit Briefen und Telegrammen der
CDU-Basis an Adenauer, die ostentativ eine weibliche Ministerin forderten, sollte der
Kanzler mürbe gemacht werden.
Dieses Vorgehen ist von der bisherigen Schwarzhaupt-Historiographie nicht klar ge-
nug herausgearbeitet worden: Ursula Salentin, Heike Drummer und Jutta Zwilling erwe-
cken allesamt den Eindruck, als sei Elisabeth Schwarzhaupt eher zufällig und quasi un-
gewollt zu Ministerehren gekommen. Sie arbeiteten zwar das Ziel, eine Frau an den
Adenauerschen Kabinettstisch zu setzen, klar heraus. Dass Elisabeth Schwarzhaupt aber
aktiv ihre Ernennung „herbeiarbeitete“, wird bei ihnen nicht transparent. Dabei belegen
sowohl die vertraulichen Briefe, die die Leiterin des Frauenreferats in der Bundesge-
schäftsstelle der CDU, Ilse Bab, an die Unionsfrauen in der Bundestagsfraktion und in
den Ländern schrieb, als auch eine handschriftliche Notiz Helene Webers an Änne
Brauksiepe, wie alternativlos innerhalb der Frauenunion die Personalie Schwarzhaupt
diskutiert wurde.
Den ersten Hinweis auf das uneingeschränkte „Zugriffsrecht“ Elisabeth Schwarz-
haupts auf das Ministeramt gibt ein vertraulicher Brief des Frauenreferats der CDU-
Bundesgeschäftsstelle an die Landesfrauenvereinigungen der Union, in dem die „rang-
höchste“ CDU-Abgeordnete – vermittelt durch die Referatsleiterin Ilse Bab – von den
Landesgliederungen aktive Unterstützung einforderte:

Frau Dr. Schwarzhaupt bittet die Landesvereinigungen der CDU um Unterstützung ihrer
Bemühungen durch einen Brief oder ein Telegramm an Bundeskanzler Dr. Adenauer, in
dem die Wünsche der Landesvereinigungen über die Berufung einer Frau als Minister zum
Ausdruck gebracht werden sollen. [...] Briefe oder Telegramme sollen natürlich sehr kurz
gehalten werden und vielleicht jeweils nur der eine oder andere Gesichtspunkt
angeschnitten sein, damit auch auf jeden Fall der Anschein einer gesteuerten Aktion
124
vermieden wird.

So geschah es auch. Mehrere Briefe aus unterschiedlichen Landesvereinigungen der


CDU gingen direkt bei Adenauer ein, in denen eine Ministerin gefordert wurde. Getreu
der Ansage des Frauenreferats, „daß sich für die Berufung einer Frau Minister mehrere

123
Nur neun Tage nach der Kabinettsbildung, Anfang November 1957, wurde sie mit 153 von 199 Stim-
men in den sechsköpfigen Fraktionsvorstand gewählt. Auch wollte Wuermeling sie – etwa zur selben
Zeit – zu seiner Staatssekretärin machen, was Schwarzhaupt aber ablehnte, weil sie ihr Mandat nicht
aufgeben wollte. Sie wäre damit die erste Staatssekretärin überhaupt gewesen. Siehe u.a. Artikel „Eine
Frau im Fraktionsvorstand“ im „Frauen-Journal“ vom Dezember 1957, ACDP 01-048-015/1.
124
Vertraulicher Brief des CDU-Frauenreferats an die Vorsitzenden der Landesvereinigungen der Frauen
der CDU vom 22. September 1961, ACDP 01-048-002/3.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 35

Ministerien anbieten, [...] u.a. das Justizministerium, das Vertriebenenministerium, das


Familienministerium, ein neu zu bildendes Gesundheitsministerium und das Ministeri-
um für Gesamtdeutsche Fragen“, hielten sich die Frauen ihre Optionen bei Adenauer auf
das erste weiblich geführte Ressort offen.125 Für beinahe alle genannten Ministerien war
Elisabeth Schwarzhaupt erste Wahl – als ausgewiesene Familienrechtsexpertin und Ju-
ristin schienen gerade das Familienministerium und das Justizministerium für die Ober-
kirchenrätin adäquat.
Für eben jenes Justizministerium war Elisabeth Schwarzhaupt – ein weiteres Indiz
dafür, dass sie offen als einzige Kandidatin auf den ersten weiblichen Ministersessel galt
– aus den Reihen der Frauenverbände bereits offiziell ins Gespräch gebracht worden.126
Dieser personalpolitische Vorstoß blieb jedoch aussichtslos, weil Adenauer spiegelbild-
liche Entwicklungen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs zu verhindern suchte,
wie sich Elisabeth Schwarzhaupt erinnert:

Ich wußte, daß eine andere Bundestagskollegin, Frau Welter, Adenauer einmal
vorgeschlagen hatte, mich zum Justizminister zu machen. Sie bekam von ihm zur Antwort:
„Wissen’se, Frau Welter, dat jeht nich. Da drüben in der Deutschen Demokratischen
Republik haben’se die Hilde Benjamin; da können wir hier nich eine Frau als Gegenüber
brauchen; gerade wo ich meine, daß hier die Justiz strenger werden muß.“ Mit dieser
überzeugenden Darlegung war die Sache zunächst einmal erledigt.127

Adenauer betrachtete zwar die Ernennung Schwarzhaupts zur Justizministerin als


„erledigt“, das Thema, eine Frau an den Kabinettstisch zu setzen, war von Seiten der
Unionsfrauen durch diese „Abfuhr“ aber längst nicht zu den Akten gelegt. Die Verhand-
lungen mit dem Kanzler gingen weiter, und Elisabeth Schwarzhaupt selbst sollte diese
Verhandlungen führen.
Ihre taktische Position war folgendermaßen festgelegt: Sie sollte als stellvertretende
Fraktionschefin und damit als parlamentarisch einflussreichste Frau innerhalb der Uni-
on ihr ganzes politisches „Gewicht“ beim Kanzler geltend machen, das Ministerium für
sich selbst aber nicht fordern. Obwohl sie innerhalb des Frauenreferats der Bundes-CDU

125
Diese taktische Vorgehensweise sichert die Autorin des vertraulichen Briefes, Ilse Bab, dadurch ab,
dass sie den Frauenvereinigungen wörtlich nahelegt, „es soll nicht das Familienministerium als das Mi-
nisterium für eine Frau Minister hingestellt werden, sondern wir müssen von vorneherein darauf hin-
aussteuern, daß Frauen in vielen Ministerien als Ministerin geeignet seien“. Ebd., S. 2.
126
Sie war auch als Bundesratministerin im Gespräch. Der Spiegel 48/1961, S. 29, bemerkt launig: „Dem
Ansinnen, das Bundesratsministerium zu verwalten, widersetzte sich die Oberkirchenrätin und traf sich
in ihrer Abneigung gegen die Übernahme dieses Sessels mit Vertretern des Bundesrates, die vorsichtig
darauf hinwiesen, daß ihre Sitzungen ‚oft sehr spät abends’ stattfänden und dabei eine gewisse Trink-
festigkeit vonnöten sei.“
127
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 266. Emmi Welter (1887-1971) aus Aachen saß von 1954 bis
1965 für die nordrhein-westfälische CDU im Bundestag. Hilde Benjamin (1902-1988) alias Helene Ma-
ria Hildegard Lange war von 1953 bis 1967 Justizministerin der DDR. Sie saß nach Kriegsende vielen
politischen Prozessen vor und verhängte zwei Todesurteile; nach Stalins Tod und der Niederschlagung
des Aufstandes vom 17. Juni 1953 wurde sie zur Justizministerin ernannt und prägte das 1967 in Kraft
getretene neue Strafgesetzbuch der DDR. „Es entstand eine Gesetzgebung, die jede regimefeindliche
Äußerung oder Reglung strafrechtlich verfolgte“. http://www.politeia-project.de/biographien/ benja-
min/benjamin4.html. Die Befürchtung Adenauers, Elisabeth Schwarzhaupt würde zu einer zweiten Hil-
de Benjamin werden, die die Justiz über ein erträgliches Maß hinaus verschärfen würde, muss nach
Kenntnis der Schwarzhauptschen Biografie allerdings als absurd bezeichnet werden. Vgl. auch: Lau-
rien, Schwarzhaupt, S. 70 und 73.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 36

bereits als einzige Kandidatin auf den Ministersessel gehandelt wurde, musste sie ihren
Machtwillen hinter einer Maske der Bescheidenheit verbergen, um sich ihre Chancen
beim Kanzler nicht zu verspielen. Auch die Landesfrauenverbände sollten sie in ihren
Briefen an Adenauer nicht lautstark fordern – das Anciennitätsprinzip, nach dem die
stellvertretende Fraktionschefin den ersten Zugriff auf ein höchstes bundespolitisches
Amt hatte, hin oder her – und wurden vom Frauenreferat deswegen auf diese strategisch
kluge Linie eingestimmt:

Weisen Sie bitte darauf hin, daß wir eine Anzahl von befähigten Frauen nennen können für
die Berufung einer Frau Minister, aber nennen Sie bitte keinen Namen, um nicht für Frau Dr.
Schwarzhaupt von vornherein Verhandlungsmöglichkeiten einzuschränken und die
128
Gerüchtemacherei in der Presse zu verhindern.

Als Verhandlungsführerin – so muss das Kalkül gewesen sein – musste sich Elisabeth
Schwarzhaupt im entscheidenden Augenblick selbst aus der „Schusslinie“ nehmen und
konnte so als „natürliche“ Wahl gelten, ohne bei der letztlich zu erzielenden Abmachung
zwischen Adenauer und den Frauen selbst anwesend sein zu müssen. Den letzten und
entscheidenden Vorstoß in Sachen weibliches Kabinettsmitglied übernahm deswegen
Helene Weber. Sie teilte Aenne Brauksiepe in einer handschriftlichen Notiz mit:

Es steht immer noch nicht fest, welches Ministerium Frau Schwarzhaupt erhält. Ich habe
heute wieder mit dem Bundeskanzleramt telefoniert, auch vergeblich.
Wir haben das Familienministerium nicht verlangt. Es wurde angeboten, scheint aber wieder
bei Wuermeling zu bleiben. Meinethalben.
Es geht jetzt darum, daß Frau Sch[warzhaupt] nicht ganz herunterfällt trotz aller Verspre-
chungen. (Frau Rehling wollte nicht Ministerin werden. Ich habe sie oftmals gefragt.)129

Diese Notiz macht deutlich, wie unbestritten innerhalb der Frauenunion die Persona-
lie war – dass das Familienministerium bei Wuermeling verbleiben sollte, quittierte He-
lene Weber mit einem Achselzucken. Und dass die einzige Konkurrentin Elisabeth
Schwarzhaupts um den Ministersessel aus freien Stücken verzichtete, belegt deutlich ihre
uneingeschränkte Position. Es ging den Frauenverbänden nicht um ein bestimmtes Res-
sort, für das eine der ihren die Verantwortung übernehmen sollte, es ging ihnen grund-
sätzlich um die Übernahme eines Ministeriums; welches Ressort es schließlich werden
würde, war von nachrangiger Bedeutung.
Doch als sich am 10. November 1961 abzuzeichnen begann, dass Adenauer trotz aller
vorherigen Zusagen auch in seinem vierten Kabinett auf eine Ministerin verzichten wol-
le130, rief sie einige Fraktionskolleginnen zusammen131, um bei Adenauer ein letztes, ul-

128
Vertraulicher Brief des CDU-Frauenreferats an die Vorsitzenden der Landesvereinigungen der Frauen
der CDU vom 22. September 1961, ACDP 01-048-002/3, S. 2.
129
Helene Weber: Handschriftliche Notiz an Änne Brauksiepe, ohne Datum, ACDP 01-048-002/3.
130
Am 9. November 1961 teilte Adenauer Helene Weber mit, dass „diese Frage noch ganz in der Schwe-
be sei“. Siehe Brief des Frauenreferats an die weiblichen Bundestagsabgeordneten der CDU-
Bundestagsfraktion vom 11. November 1961, ACDP 01-048-002/3, S.1.
131
Die Delegation bestand aus Aenne Brauksiepe, Emmi Welter, Irma Blohm und Margot Kalinke. Ebd. S.
2.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 37

timatives Mal vorstellig zu werden.132 „Sie sollten wissen“, erklärte die 80-jährige Parla-
mentarierin dem nur sieben Jahre älteren Kanzler, „dass wir entschlossen sind, hier nicht
eher wegzugehen, bis wir eine Ministerin haben.“133 Adenauer empfing die Damen je-
doch nicht – und so ließ Helene Weber durch einen Saaldiener mehrere Zettelchen an
Adenauer überbringen. Erst nach dem dritten Botengang erschien der Kanzler persönlich
in der Tür, doch nur, um nach einem aufgeregten Vortrag der äußerlich etwas Derangier-
ten zu spotten: „Frau Weber, wat haben Sie für ein schick’ Hütchen auf!“134 Die Frage,
wie es denn nun um eine Ministerin bestellt sei, beantwortete Adenauer nicht. Also griff
Aenne Brauksiepe zum Telefon und rief im Bundeskanzleramt an, forderte einen Ge-
sprächstermin beim Kanzler. Und tatsächlich: Adenauer wollte die vier Frauen um 19
Uhr empfangen. Das Gespräch gibt die Leiterin des Frauenreferats in der CDU-
Bundesgeschäftsstelle, Ilse Bab, folgendermaßen wieder:

In der fast einstündigen Besprechung sagte der Herr Bundeskanzler [...], daß ihn bereits am
Vortage Frau Dr. Weber völlig von der Notwendigkeit der Berufung einer Frau als
Ressortminister überzeugt habe. Er verblieb mit den Damen, daß am Montag früh von ihm
entsprechende Ressort- und Personalbesprechungen geführt würden. Er hatte bereits in der
diesem Gespräch vorangehenden letzten Unterredung mit den Vertretern der FDP deren
Zustimmung für die Schaffung eines weiteren CDU-Fachministeriums und dessen
Besetzung mit einer Frau erwirkt.135

Damit war der Durchbruch geschafft, das erste bundesdeutsche Ministerium unter der
Führung einer Frau war in trockenen Tüchern. Die vier Frauen unterrichteten um 20.20
Uhr die Presse,136 wie sie es schon am Nachmittag um 16 Uhr getan hatten. Am Nachmit-
tag hatten die Frauen bereits Elisabeth Schwarzhaupt als Kandidatin genannt137, nun
konnten sie sie offiziell als erste Ministerin verkünden.
Wenn Elisabeth Schwarzhaupt später von „jener unerhörten Begebenheit“138 im No-
vember 1961 erzählte, als sie die Nachricht ihrer Ernennung mitten in einem Vortrag in
der Evangelischen Akademie Arnoldshain erreichte, dann machte sie die Zuhörer glau-
ben, sie sei so überrascht von der Nachricht gewesen, dass sie diese erst gar nicht ernst
genommen und für eine Zeitungsente gehalten habe – gerade so, als wäre sie niemals auf

132
Helene Weber rief dazu eine Strategiesitzung in den Damenruheraum des Bundestages ein, um mit
ihren Fraktionskolleginnen die weitere Taktik zu besprechen. Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 91,
schildern den Ablauf so: „Nach Absprache ihrer Taktik zogen sie vor den Kabinettssaal im Bundeskanz-
leramt, in dem gerade die schwierigen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP stattfan-
den. Nach dem Bericht von Elisabeth Pitz-Savelsberg, die einige Zeit mit ihrer Fraktionskollegin
Schwarzhaupt das Büro geteilt und sich an diesem denkwürdigen Tag den Frauen angeschlossen hat-
te, orderte Helene Weber erst einmal Stühle, Getränke und eine Platte mit Schnittchen, um für dieses
‚Sit-in’ hinreichend gewappnet zu sein: Man stellte sich auf längere Wartezeiten ein.“
133
Zitiert nach: Blickpunkt Bundestag, Oktober 08/1999: Kampf in einer Männerbastion,
http://www.bundestag.de/aktuell/bp/1999/bp9908/9908006a.html
134
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 91.
135
Brief des Frauenreferats an die weiblichen Bundestagsabgeordneten der CDU-Bundestagsfraktion vom
11. November 1961, S. 2. ACDP 01-048-002/3.
136
Vgl. Laurien, Schwarzhaupt, S. 69.
137
Siehe Erklärung der weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 10. November
1961, 16 Uhr. ACDP 01-048-002/3.
138
So Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 91.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 38

den Gedanken gekommen, sich in irgendeiner Art und Weise für ministrabel zu halten.139
Nach allem politischen Druck, den sie selbst bei den weiblichen CDU-Mitgliedern aufge-
baut hatte, kann man ihr dies nicht abnehmen. In Wahrheit war sie wohl nur über den
Zeitpunkt überrascht, zu dem die Nachricht eintraf. Oppositionsführer Willy Brandt140
(SPD) spottete in seiner Antwort auf die von Erhard verlesene Regierungserklärung denn
auch über diese unorthodoxe Form der „Belagerungstaktik“, durch die Schwarzhaupts
Ernennung zu Stande kam: „In einem Punkt kann es den berühmten Streit, was früher da
war, Henne oder Ei, nicht geben. Den Damen der CDU gebührt das unbestreitbare Ver-
dienst, daß sie eine Ministerin durchgedrückt hatten, bevor es dafür ein Ministerium
gab.“141 Die erste Ministerin hat denn auch selbst unumwunden zugegeben, sich mit der
Übernahme des Gesundheitsressorts fachlich schwer getan zu haben.142 Das übergeord-
nete Interesse der Frauenverbände an einem weiblich geführten Ministerium ließ ihr in-
des kaum eine andere Wahl:

Wenn sich solch ein konservativer Bundeskanzler entschlossen hatte, eine Frau in die
Regierung aufzunehmen, konnte man es mit Rücksicht auf die Stellung der Frau in der
Politik schwer verantworten, nein zu sagen und damit wahrscheinlich die Beteiligung von
143
Frauen im Kabinett um mehrere Jahre hinauszuschieben.

Die Mediziner im Gesundheitsministerium taten sich anfangs ihrerseits schwer mit


der „Quotenfrau“144, die eben nicht ob ihrer fachlichen Qualifikation, sondern aufgrund
des klaren Votums der Frauenverbände für ihre Person an die Spitze der Behörde rückte.
Schwarzhaupts Verwaltungsabteilungsleiter Gerhart Attenberger versuchte, diesen Sach-

139
Vgl. Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 266: „Ich hatte nie den Wunsch, Minister zu werden [...]
Ich wußte aber nicht, daß ich irgendwie im Gespräch war [...] Ich selber habe von dieser Demarche
erst lange danach erfahren.“
140
Willy Brandt (1913-1992) ist von 1957-1966 Regierender Bürgermeister von Berlin und tritt 1961 und
1965 als Kanzlerkandidat für die SPD an. 1966-1969 Vizekanzler und Außenminister im Kabinett Kie-
singer, am 21. Oktober 1969 Wahl zum Bundeskanzler. Am 10. Dezember 1971 erhält Brandt den
Friedensnobelpreis. Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers am 7. Mai 1974 in Zusammenhang mit der
„Guillaume-Affäre“. Mehr unter http://www.willy-brandt.org.
141
Bundestagsprotokolle IV/6, S. 54, Den spöttischen Redeton zu Beginn seiner Replik auf die Regie-
rungserklärung führt Brandt ein, um sich über die langwierigen Koalitionsverhandlungen zu amüsieren:
„Es wäre leicht, das unwürdige Gezerre zur Regierungsbildung zu beleuchten. Hier war es wirklich
schwer, keine Satire zu schreiben. Aber damit befassen sich die Kabarettisten in unserem Lande. [...]
Es ist bis zu einem gewissen Grade rührend, wie bemüht sich die Regierungserklärung zeigt, das – wie
soll ich es nennen – politische Freistilringen zu erklären. Sie verweist entschuldigend auf die Staaten,
in denen es noch mehr Minister gibt als bei uns. Das ist ein überraschender Gesichtspunkt, meine
Damen und Herren, bei dem, wenn man ihn weiter verfolgt, die Sowjetunion mit ihrer Ministerinflation
zu einem noch unerreichten Vorbild wird.“ Ebd., S. 53. Der Anfangsspott Brandts weicht sehr schnell
einem ernsten Ton, als der Regierende Bürgermeister von Berlin auf die „gescheiterte“ „bisherige Wie-
dervereinigungspolitik“ wenige Wochen nach Beginn des Mauerbaus zu sprechen kommt.
142
Vgl. Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 267: „Ich war bisher nur am Rande mit Gesundheitspolitik
und Umweltfragen beschäftigt gewesen, soweit sie im Innenausschuß, dem ich als stellvertretendes
Mitglied angehörte, behandelt wurden“, weswegen der Spiegel 48/1961, S. 29, ätzen konnte: „Ange-
sichts der Überflüssigkeit ihres Ressorts zweifelt in Bonn niemand an der Qualifikation des Fräulein
Schwarzhaupt (‚Bitte, sagen Sie Frau Bundesministerin zu mir!’) für das hohe Amt.“ Hier tut der Spiegel
der ausgewiesenen Familienrechtsexpertin und Oberkirchenrätin im Auswärtigen Dienst der Evangeli-
schen Kirche Deutschlands unrecht: ganz so naiv, wie der Spiegel sie darzustellen und damit zu dis-
kreditieren versuchte, war die immerhin 60 Jahre alte Vize-Fraktionsvorsitzende nachweisbar nicht.
143
Schwarzhaupt, Archivgespräch, S. 8.
144
Elisabeth Schwarzhaupt spricht in diesem Zusammenhang eher davon „eine von meinen Kolleginnen
schwer erkämpfte Alibifrau“ zu sein. Siehe u.a. Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 267.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 39

verhalt noch 1967 offiziell hinter allgemeineren Erwägungen zu verbergen; für ihn war
die Einrichtung eines Gesundheitsministeriums allein fachlichen Überlegungen geschul-
det. Die Regierungserklärung von 1961, so Attenberger, habe der Bevölkerung der Bun-
desrepublik vor Augen geführt,

„daß die Schaffung des Bundesministeriums für Gesundheitswesen nicht eine wahlpolitische
oder der Koalitionsarithmetik entsprungene Augenblicksentscheidung darstellte, sondern
allein in der Notwendigkeit begründet war, alle gesundheitspolitischen Maßnahmen in einer
145
Hand zu vereinigen.“

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, die der Obermedizinalrat hier propagiert;
ohne Frage entsprang das Ministerium einer Augenblicksentscheidung Adenauers, weni-
ge Stunden vor der Vereidigung des Kabinetts. Und ohne Frage war sie wahlpolitisch
hinsichtlich der Unterstützung der Frauen in der Union motiviert.146 Sie war zwar – hier
hat Attenberger recht – nicht der „Koalitionsarithmetik“ geschuldet; dafür einer macht-
und frauenpolitischen „Geschlechtsarithmetik“. Für Attenberger ein nur schwer zu ak-
zeptierendes Faktum, zumal „sein“ Ministerium – man ist versucht, zu sagen: zu allem
Überfluss auch noch – nicht von einer Medizinerin geleitet wurde. Auch Attenbergers
Kollege Josef Stralau bedauert diese personalpolitische Tatsache in einem Schreiben an
das Königlich Schwedische Gesundheitsministerium:

Leiterin des Ministeriums ist z.Z. Frau Dr. jur. Elisabeth Schwarzhaupt als Politikerin. Sie ist
nicht Ärztin. Ihr Stellvertreter, Sts. Bargatzky, ist ebenfalls Jurist. Die derzeitige Besetzung
der leitenden Stellungen des Hauses mit Nichtärzten schließt nicht aus, daß zu einem
späteren Zeitpunkt einmal eine oder beide dieser Stellen mit Ärzten besetzt werden. Im
allgemeinen wird bei der Besetzung der Staatssekretärsstellen im Bund das Prinzip des
Fachstaatssekretärs gewahrt.147

Dass der Mediziner Stralau sich über den „fachfremden“ Staatssekretär mokiert, ist
nicht allzu schwer nachzuvollziehen, wenn man weiß, dass er selbst gerne diesen Posten
eingenommen hätte (siehe Kap. 3.4). Aber auch Elisabeth Schwarzhaupt ließ Kritik an
ihrer fehlenden Fachkompetenz nicht zu:

Mein Handwerk ist das der Juristin. Als Bundesgesundheitsministerin muss ich nicht wissen,
wie man einen Blinddarm herausnimmt. Ich muss hingegen den Weg des Gesetzes kennen.
Ich muss den Standpunkt der Ärzte zu bestimmten Problemen und vor allem das Interesse
148
der kranken Menschen im Kabinett und vor allem im Parlament vertreten.

145
Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 10. Hervorhebung vom Verfasser.
146
Drummer/Zwillig vermuten sicher zu Recht, dass Adenauer mit der Berufung des „Kirchenfräuleins“
neue Wählerschichten bei den Frauen einer- und protestantischen Wählerinnen und Wählern anderer-
seits erschließen wollte. Zudem stellte Elisabeth Schwarzhaupt den autoritären Führungsstil des mitt-
lerweile 86 Jahre alten Kanzlers nicht in Frage, „das war bequem für den Alten“, so Drummer/Zwilling,
Schwarzhaupt, S. 92.
147
Antwort Josef Stralaus auf eine Anfrage des Generaldirektors des Königlich Schwedischen Gesund-
heitsministeriums Dr. Arthur Engel vom 4. Februar 1964. BA Koblenz, B142/3614, S. 2f.
148
Elisabeth Schwarzhaupt gegenüber Hilde Nold, in: Ursula Salentin, Elisabeth Schwarzhaupt – Moder-
ne Gesundheits- und Umweltpolitik für die Bundesrepublik Deutschland, in: Die Hessische Landesre-
gierung (hg.): Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin,
Freiburg im Breisgau 2001, S. 220-226, S. 222.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 40

Allzu begeistert von dieser neuen Aufgabe als Gesundheitsministerin war Elisabeth
Schwarzhaupt allerdings nicht. Das zeigte sich immer dann, wenn es vermeintlich oder
akut um ihr Amt ging: So bot Ludwig Erhard bei seiner Koalitionsbildung 1965 das
Schwarzhaupt-Ressort den Freidemokraten an. „Ich persönlich wehrte mich nicht dage-
gen“, schreibt die Ministerin in ihren „Lebenserinnerungen“, „da ich seine Schwierigkei-
ten bei der Besetzung des Kabinetts sah.“149 Als die Regierung Erhard schließlich zer-
brach und Kurt Georg Kiesinger (CDU) die Große Koalition bildete, verlor Elisabeth
Schwarzhaupt ihr Ressort aber endgültig an die Sozialdemokratin Käte Strobel. „Sie woll-
te mich nicht verdrängen“, erinnert sich ihre Vorgängerin, „sie hätte lieber das Familien-
ministerium übernommen.“150
Wie dem auch sei – beide Frauen hatten ihren ministeriellen „Arbeitsplatz“ letztlich
der Demarche einiger unnachgiebiger Unionsfrauen zu verdanken. Sie gaben den unmit-
telbaren Anstoß für das Ministerium, dem später auch Käte Strobel vorstand. Der fachli-
che Anstoß für die Einrichtung des Ministeriums kam allerdings von einer Berufsgruppe,
die auf den ersten Blick eher dem Landwirtschaftsministerium denn dem Gesundheits-
ressort zuzuordnen ist: die Tierärzte. Genau diese Umorientierung in der Ressortzuord-
nung aber gab aber den inhaltlichen Hauptausschlag für die Einrichtung des Schwarz-
haupt-Ressorts.

3.2 Die Tierärzteschaft als Motor

Die gewichtigste Besonderheit der Veterinärmedizin scheint mir jedoch


darin zu liegen, dass wir Menschen das Fleisch der Tiere, denen
Arzneimittel verabreicht wurden, und die von ihnen stammenden
Erzeugnisse, wie Milch und Eier, essen. Dadurch gewinnt die Frage
nach dem Verbleib, dem Abbau der Arzneimittel im tierischen Körper,
ihr Übergang in Lebensmittel, die von diesen Tieren stammen, eine
besondere Bedeutung für den Menschen. Hier besteht die Gefahr
einer ganz besonderen Art von „Arzneimittelmißbrauch“, dem der
Mensch, der Verbraucher, nicht aktiv begegnen kann, sondern den er
151
passiv hinnehmen muß, ohne sich schützen zu können.
Elisabeth Schwarzhaupt (1966)

Die Veterinärmedizin hat im Gesundheitswesen eine besondere Scharnierfunktion:


Sie verbindet Fragen der Humanmedizin mit pharmazeutischen Fragestellungen, bindet
Tiermedizin und Verbraucherschutz zusammen und bildet damit einen Themenschwer-

149
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 273. Hier waren es wieder die Unionsfrauen, allen voran Änne
Brauksiepe, die mit politischem Druck auf Erhard die Beibehaltung des einzigen weiblich geführten Mi-
nisteriums durchsetzten. Als schließlich der liberale Ewald Bucher (1914-1991) auf das Gesundheits-
ministerium verzichtete, weil es im „als nicht besonders erstrebenswert erschien“, ebd., S. 274, behielt
Elisabeth Schwarzhaupt ihr Ressort. Auch Innenminister Paul Lücke nahm für sich in Anspruch, beim
Kanzler die Beibehaltung von Ministerium und Leiterin durchgesetzt zu haben. Siehe Brief Paul Lückes
an Elisabeth Schwarzhaupt vom 6.12.1966, BA Koblenz, N1177/1 sowie Schwarzhaupt, Archivge-
spräch, ACDP 01-049-001/2, S. 36f.
150
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 274.
151
Elisabeth Schwarzhaupt, Entwurf einer Grußansprache der Frau Ministerin anläßlich des 8. Deutschen
Tierärztetages in Berlin am 19. Juni 1966, ACDP 01-048-017/1, S. 1.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 41

punkt innerhalb eines Gesundheitsressorts. Auch für die Einrichtung des Bundesgesund-
heitsministeriums war die Tierärzteschaft die Haupttriebfeder – auch wenn dies bislang
kaum so gesehen wurde.152 Die Tierärzteschaft forderte das Ministerium auch eher in-
formell und zurückhaltend. Lautstärker hatte die Deutsche Zentrale für Volksgesund-
heitspflege für ein Gesundheitsressort geworben:

Seit ihrer Gründung hat die Deutsche Zentrale für Volksgesundheitspflege [...] stets die
Errichtung eines Bundesgesundheitsministeriums von den gesetzgebenden Körperschaften
gefordert in der Erkenntnis, daß die Volksgesundheit das höchste Gut eines Volkes ist, und
daß gerade die Volksgesundheit in unserem übervölkerten, hochindustrialisierten Staat
durch die rasch fortschreitende Rationalisierung und Technisierung und die daraus sich
ergebenden Umweltschäden der Arbeitsform und des Arbeitsinhaltes ganz besonders
gefährdet ist.153

Der Präsident der Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege in den Nachkriegs-


jahren, Franz Klose, war dabei einer der wichtigsten Lobbyisten, hatte er doch „uner-
müdlich und unter Einsatz seines ganzen persönlichen Ansehens“ während der gesamten
Nachkriegszeit dieses Ministerium gefordert, weil er es „als eine für jede verantwortungs-
bewußte Staatsführung unabweisbare Notwendigkeit“ hielt.154 Doch dies war nur Rheto-
rik: Als Initiator und Ideengeber für die Gründung des Ministeriums kann die Frankfur-
ter Zentrale für Volksgesundheitspflege nicht gelten. Sie sorgte zwar für den nötigen
politischen und öffentlichen Druck, formulierte auch eine Resolution mit der Schlagzeile:
„Die Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik muß konstruktiver werden“,155 alles in
allem diente sie den wirklichen Profiteuren aber nur als agitatorischer „Stoßtrupp“.
Nutznießer des neuen Gesundheitsressorts war eine Berufsgruppe, die man auf den alle-
rersten Blick für gewöhnlich nicht sofort mit Gesundheitspolitik verbindet: eben die
Tierärzte. Sie schrieben heimlich an der erwähnten Resolution mit156 – ein nicht unperfi-
des Vorgehen, bei dem sie ihre eigenen Forderungen dezent hinter allgemeingültigen
Argumenten zu verstecken wussten:

Um zu einer fortschrittlichen Konzeption und zu einer zielstrebigen Verwirklichung gesund-


heitspolitischer Aufgaben und Notwendigkeiten zu gelangen, wird es für erforderlich gehal-
ten, im Rahmen der Bundesregierung ein den Zielen und der Bedeutung der Volksgesund-
heit in einem hochindustrialisierten Land wie der Bundesrepublik gerecht werdenden selbst-
ständiges Ressort zu schaffen. Die staatspolitische Verantwortung gebietet, auch in der

152
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 94, sehen diesen Punkt beispielsweise nicht; sie halten das Bei-
spiel der EWG-Mitgliedsstaaten sowie die Forderungen der Humanmediziner und der Deutschen Zent-
rale für Volksgesundheitspflege für die unmittelbaren Gründe der Ministeriumseinrichtung.
153
Franz Klose, Begrüßungsansprache, in: Deutsche Zentrale für Volksgesundheitspflege (hg.): Die För-
derung der Familie als Aufgabe der Gesundheitspolitik. Kongressbericht 1962, Frankfurt am Main
1963, S. 1-4, S. 1.
154
Jungmann, Gesundheitspolitik heute, S. 21. Sicherlich übertreibt Jungmann in der Lobrede auf den
Jubilar Klose, zu dessen 75. Geburtstag die Rede gehalten wurde, ein wenig.
155
Anlage 3 zum Memorandum des BMI-Referats IV B 4 vom 4. September 1961, BA Koblenz, B
142/5082 (410.000).
156
Memorandum des BMI-Referats IV B 4 vom 4. September 1961 an seinen Abteilungsleiter, BA Koblenz,
B142/5082 (410.000), S. 1: „Die ebenfalls beigefügte Resolution der Deutschen Zentrale für Volksge-
sundheitspflege (Anlage 3) dürfte Ihnen bekannt sein. Von Interesse ist die Mitteilung von Herrn Präsi-
dent Dr. Schulz, dass die Deutsche Tierärzteschaft die Resolution, an der sie maßgeblich mitgearbeitet
hat, befürwortet und sich ihr vollinhaltlich anschließt.“
3 Die Einrichtung des Ministeriums 42

Bundesrepublik alle Bereiche des Gesundheitswesens im Interesse einer planmäßigen Fort-


entwicklung zum Wohle des Staatsbürgers wie auch im Interesse einer sinnvollen inter-
157
nationalen Zusammenarbeit zusammenzufassen.

Kein Wort darüber, was die Tierärzteschaft sich von einem Gesundheitsministerium
wünschte – oder doch? Die Forderungen der Veterinäre verbargen sich hinter der unauf-
fällig-nichtssagenden Formulierung „alle Bereiche des Gesundheitswesens im Interesse
einer planmäßigen Fortentwicklung [...] zusammenzufassen.“ In dieser Wendung lag das
ganze politische Konzept, das die Tierärzte noch vor der Bundestagswahl 1961 an das
Bundesinnenministerium herantrugen: tiermedizinische Aufgabengebiete, die bislang
von verschiedenen Ministerien bearbeitet wurden, sollten jetzt in einer Hand zusam-
mengefasst werden. Im Innenministerium hatte es bereits vor der Bundestagswahl eben-
falls Überlegungen gegeben, allgemeine Fragen des Gesundheitswesens prominenter ins
politische Rampenlicht zu hieven. Hintergedanke war, anderen Ministerien, allen voran
dem Bundeslandwirtschaftsministerium, Kompetenzen zu entziehen und dabei die eige-
ne Machtfülle zu vergrößern.
Dem Innenministerium spielten die Forderungen der Tierärzteschaft dabei in die
Hände, wenngleich der Berufsgruppe eine andere administrative Lösung vorschwebte:
Sie wollte ein eigenständiges Gesundheitsministerium etabliert sehen. Als Lobbyist für
diese Idee tat sich am 22. August 1961 – also einen guten Monat vor der Bundestagswahl
– der Wiesbadener Dr. Schulz hervor. Der Präsident der Deutschen Tierärzteschaft for-
derte an diesem Tag bei einem Gespräch in der Gesundheitsabteilung des Bonner In-
nenministeriums expressis verbis die „Schaffung einer von einem Tierarzt geleiteten selb-
ständigen Veterinärabteilung in einem neu zu bildenden Bundesgesundheitsminis-
terium.“158 Den publizistischen Weg dazu hatte bereits ein Artikel im Deutschen und
Bayerischen Tierärzteblatt geebnet, der sich vordergründig mit der „berufspolitischen
Situation“ der Veterinäre befasste und von den Ländern mehr Planstellen für die „amtli-
che veterinäre Lebensmittelüberwachung“ forderte.159 Was versprachen sich die Tierme-
diziner, die ihren Verbandspräsidenten Schulz mit dieser Forderung nach Bonn geschickt
hatten, von einem neuen Ministerium? Und warum sorgte die bundespolitisch sicher
zweitrangige Diskussion um mehr Planstellen für Fleischbeschauer160 zur Einrichtung
eines Bundesministeriums?
Die Beantwortung beider Fragen fand sich verklausuliert in dem angeführten Artikel.
Die Tiermedizin saß seit Gründung der Bundesrepublik administrativ „zwischen zwei
Stühlen“; Tierheilkunde und Fleischbeschau, zwei Aufgabenbereiche der Veterinär-
medizin, ressortierten in unterschiedlichen Ministerien, was zu Reibungsverlusten führ-
te. Diese Aufteilung, die spätestens Anfang der 1960er Jahre als nicht mehr zeitgemäß
empfunden wurde, „geht auf den Kabinettsbeschluß vom 20.12.1949 zurück, der einem
157
Resolution der Zentrale für Volksgesundheitspflege, BA Koblenz, B142/5082, S. 2.
158
Vermerk eines Mitarbeiters des Referats IV B 4 des Innenministeriums an seinen Abteilungsleiter
„Betreffs Bildung eines Bundesgesundheitsministeriums“ vom 4. September 1961. BA Koblenz,
B142/5082 (410.000).
159
Anlage 1 zum Vermerk vom 4.9.1961. BA Koblenz, B142/5082 (410.000).
160
Hierunter sind nicht nur inländisch tätige Veterinäre zu fassen: Aufgrund von Importbestimmungen
wurden Tierärzte auch als Auslandsfleischbeschauer nach Süd- und Nordamerika sowie in die EWG-
Mitgliedsländer geschickt, um dort die deutschen Mindestanforderungen an die Verarbeitungshygiene
für Importfleisch zu überwachen. 1968 hatte das BMGes hierfür bereits 252 Auslandsfleischbeschau-
stellen eingerichtet. Siehe Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 42.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 43

persönlichen Wunsche des damaligen Bundesministers Professor Dr. Nicklas, der Tier-
arzt war, Rechnung trug.“161 Ein zentral steuerndes Ministerium konnte der organisatori-
sche Ausweg aus diesem Zustand sein, sollte Widersprüchlichkeiten zwischen Landwirt-
schaftsministerium und Innenministerium aufheben.

Auf dem Gebiet der veterinären Lebensmittelhygiene z.B. hat die unsinnige, mit dem Grund-
gedanken des Lebensmittelrechts in Widerspruch stehende Aufteilung der ressortmäßigen
Zuständigkeit zwischen Bundesinnenministerium und Bundeslandwirtschaftsministerium
„allen noch so gut gemeinten“ Intensivierungsbestrebungen zum Trotz konstruktive und in-
tensive Zusammenarbeit verhindert. Das Gesamtgebiet der öffentlichen Hygiene des
Grundnahrungsmittels Fleisch ist aber ein integrierender Bestandteil des staatlichen
Gesundheitswesens. Die untrennbaren Zusammenhänge öffentlicher Hygiene und Ge-
sundheitsvorsorge lassen sich nicht ressortmäßig aufteilen, ohne von vorneherein den Er-
folg in Frage zu stellen.162

Diese „ressortmäßige Aufteilung“ führte dazu, dass sich die Zuständigkeit für die
Fleischbeschau eben nicht mehr exakt dem Landwirtschaftsministerium einer- oder dem
Innenministerium andererseits zuordnen ließ. Eine Aufstellung des Innenministeriums
vom 4. August 1961 belegt dies:163 Hackfleisch, Schabefleisch, Fleischbrühwürfel und
Blutplasma etwa fielen in die Zuständigkeit des Innenministeriums, die Beschau des
Fleisches aber, die Kontrolle unzulässiger Zusätze und Behandlungsverfahren sowie die
Kontrolle von Milch, Butter und Käse fielen dem gegenüber in die Zuständigkeit des
Landwirtschaftsministers. Sinnvoll und fachlich begründet erscheint diese Trennung
nicht, und selbst im Innenministerium – das seine Gesundheitsabteilung wenige Wochen
später ja ans Gesundheitsministerium verlieren sollte – wurde die Bündelung und Kon-
zentration all jener „Bereiche des Gesundheitswesens, die organisch zusammengehören
und dem starken Druck wirtschaftlicher Interessentengruppen entzogen werden sollten“,
begrüßt.164 Das Innenministerium, das stichhaltige Argumente suchte, die es ihm erlaub-
ten, die Veterinärabteilungen aus dem Landwirtschaftsministerium herauszulösen, um
sie sich selbst organisatorisch einzuverleiben, griff dabei den Kabinettsbeschluss von
1949 scharf an – und rekurierte dabei auf den status quo ante, der noch tief in der Wei-
marer Republik lag:

161
Zusammenfassung der Zuständigkeiten, BA Koblenz, B142/5082 (410.000), S. 2. Die Aufteilung der
Kompetenzen im Veterinärwesen geht auf einen Kabinettsbeschluss vom 20.12.1949 zurück, bei dem
Minister Dr. Niklas und Staatssekretär Ritter von Lex ein „gentleman-agreement“ fanden, demzufolge
das tierärztliche Berufsrecht und die Hygiene tierischer Lebensmittel im Innenministerium bearbeitet
werden. Vgl. Vermerk vom 4.9.1961, BA Koblenz, B142/5082 (410.000). Hans Ritter von Lex wurde ab
1961 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes.
162
Dr. Albien, Aktuelle Gesundheitspolitik und die Deutsche Tierärzteschaft, in: Deutsches Tierärzteblatt,
Nr. 8/1961, S. 222. Hervorhebung (allerdings in gesperrter Schrift) im Original.
163
Vermerk des BMI-Referats IV B 1/1 an den BMI-Unterabteilungsleiter IV B vom 4. August 1961. BA
Koblenz, B142/5082 (410.000).
164
So vermerkt der Leiter des BMI-Referates IV B 4 gegenüber seinem Hauptabteilungsleiter am 4. Sep-
tember 1961, BA Koblenz, B142/5082 (410.000), S. 2: „Als Angehöriger des Bundesministeriums des
Innern vermag ich Bestrebungen der Deutschen Tierärzteschaft, die auf eine Abgabe wichtiger Aufga-
benbereiche des Bundesinnenministeriums an ein eigenständiges Ressort abzielen, nach außen hin
nicht zu unterstützen. Das sachlich begründete Bestreben nach Ausweitung der Zuständigkeit des
Bundesministeriums des Innern auf alle Bereiche des Gesundheitswesens, die organisch zusammen-
gehören und dem starken Druck wirtschaftlicher Interessentengruppen entzogen werden sollten, ist in-
dessen zu begrüßen.“
3 Die Einrichtung des Ministeriums 44

Im Verlauf der Zeit hat sich jedoch immer deutlicher herausgestellt, dass es für eine
kontinuierliche Fortentwicklung der auf diesem Gebiet bestehenden Vorschriften nachteilig
war, dem BML anstelle des früheren Reichsministers des Innern bzw. des Bundesministers
des Innern diese Materie durch Kabinettsbeschluß zuzuweisen.

Veterinärmedizin und Humanmedizin gehörten thematisch zusammen, so die Argu-


mentation, da beide „in ihren Zielen ebenso der Erhaltung der menschlichen Arbeitsfä-
higkeit und der Verbesserung des Schutzes der menschlichen Gesundheit“ dienten, mit-
hin „als unteilbares Ganzes angesehen werden“ müssten.165 An Belegen für seine Position
sparte das Innenministerium nicht:

Zahlreiche Tierkrankheiten – erwähnt seien nur Tuberkulose, Bang’sche Krankheit, Milz-


brand, Rotlauf, Trichinose, Bandwurmerkrankung des Menschen – werden durch den Um-
gang mit Tieren oder durch Lebensmittel tierischer Herkunft auf den Menschen übertragen.
Die Vorschriften über die amtliche Fleischbeschau nach Maßgabe des Fleischbeschauge-
setzes und der dazu ergangenen Durchführungsvorschriften dienen ebenfalls dem Schutz
der menschlichen Gesundheit und neben den Vorschriften des Tierseuchengesetzes in ge-
wissem Umfange auch dem Schutz vor Verbreitung ansteckender Krankheiten, denen Tiere
ausgesetzt sind.166

Freilich hoffte das Innenministerium, nach der Bundestagswahl 1961 als administrati-
ver Sieger vom Platz gehen zu können, in dem es seine eigenen Gesundheitskompetenzen
zu Lasten des Landwirtschaftsministeriums ausbauen und damit ein weiteres selbststän-
diges Ministerium obsolet machen konnte. Ein entsprechender „Geschäftsver-
teilungsplan“, der bereits vor der Bundestagswahl 1961 den Zuschnitt des erweiterten
Innenministeriums nach der Wahl 1961 abbilden sollte, sah eine Veterinärabteilung mit
einem Tierarzt an der Spitze sowie eine Lebensmittelrechtsabteilung, geleitet von einem
Juristen, vor.167 Im Organisationsplan des Gesundheitsministeriums sollte diese Tren-
nung der Zuständigkeiten wieder aufgehoben werden.

165
Zusammenfassung der Zuständigkelten, BA Koblenz, B142/5082 (410.000), S. 3.
166
Ebd.
167
Vorschlag a des Geschäftsverteilungsplans, Anlage 5 zum Vermerk des Referats IV B 4 an den Abtei-
lungsleiter IV vom 4. September 1961. BA Koblenz, B142/5082 (410.0000).
3 Die Einrichtung des Ministeriums 45

3.3 Die Organisation des


Ministeriums

Ich bin dankbar, daß man im Bundesinnenministerium bei der


Gesundheitsabteilung beinahe im Weg der Zauberei dafür gesorgt hat,
daß ich in einem Zimmer, wenn auch mit zunächst ausgeliehener
Einrichtung, anfangen konnte zu arbeiten. Herr Dr. Stralau hat mir
sofort sein Zimmer eingeräumt und ist seinerseits in ein kleineres
gezogen.168
Elisabeth Schwarzhaupt (Dezember 1961)

Die Startbedingungen des neuen Ministeriums waren wenig optimal – da ein ordentli-
cher Etat noch lange Zeit auf sich warten ließ,169 war an die Anmietung eines adäquaten
Gebäudes für das neue Ministerium vorerst nicht zu denken. Elisabeth Schwarzhaupt
fand provisorisch „Unterschlupf“ im Innenministerium, dem die später größte Abteilung
des neuen Ressorts noch offiziell angehörte. Der Leiter dieser Abteilung, Josef Stralau,
bot ihr übergangsweise sein Büro an, was Elisabeth Schwarzhaupt dankbar annahm.170
Dann musste sie sich an die Arbeit machen: es galt, aus einigen bereits vorhandenen,
bislang anderen Ressorts zugeordneten Abteilungen ein funktionsfähiges Ministerium zu
„schneidern“.171 Dazu musste Adenauer einen offiziellen Organisationserlass bekannt
geben, der die Umstrukturierung der betroffenen Ressorts festlegte. Diesen Erlass konnte
Adenauer aufgrund eines Herzinfarktes erst Ende Januar vorlegen.172 So lange mussten
die Aufbaubemühungen der Ministerin „Planspiele“ bleiben, denn erst der Organisati-
onserlass Adenauers grenzte die Aufgaben- und Arbeitsbereiche des neuen Ministeriums
klar ab und regelte, welche Abteilungen welcher Ressorts dem neuen Haus eingegliedert
werden sollten. Ein ganz besonderes Augenmerk legte Adenauer auf den Bereich, den das
Atomkernenergieministerium an das Gesundheitsministerium abzutreten hatte: die Zu-
ständigkeit für die Wasserreinhaltung:

Sehr geehrte Frau Bundesminister![...]


Ich habe vorgesehen, dass die Wasserangelegenheiten in dem Umfange, wie sie bisher
beim Bundesministerium für Atomkernenergie bearbeitet worden sind, vollständig auf Ihr
Haus übergehen. Ich bitte Sie aber, gemeinsam mit den übrigen für Wasserangelegenheiten
zuständigen Ressorts und dem Bundeskanzleramt unverzüglich zu prüfen, welche
Maßnahmen erforderlich sind, um eine einheitliche und wirksame Bearbeitung der
Wasserfragen mehr noch als bisher zu sichern.173

168
Zitat Elisabeth Schwarzhaupts in „Interview mit Frau Dr. Schwarzhaupt. In Wahn und auf der Fahrt
nach Bonn ... / Aufgaben, Probleme, Pläne“ in: Deutsches Monatsblatt vom Dezember 1961, ACDP 01-
048-002/3, S. 1.
169
Vgl. Der Spiegel 9/1963, S. 16ff.
170
Zu vermuten ist, dass Stralau für diese selbstauferlegte „Degradierung“ – schließlich ist das Büro auch
ein Statussymbol in Verwaltungen – sich Dankbarkeit von Elisabeth Schwarzhaupt erhoffte und sie sei-
nem Wunsche nachkommen sollte, ihn zum Staatssekretär zu ernennen. Siehe Kap. 3.4.
171
Diesen Begriff wird sie in Zusammenhang mit der administrativen Arbeit ihres Staatssekretärs mehr-
mals verwenden.
172
Zu Adenauers Herzinfarkt vgl. u.a. Poppinga, Mut, S. 385ff
173
Brief Adenauers an Elisabeth Schwarzhaupt vom 29. Januar 1962, BA Koblenz, B142/5082.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 46

Schon die Berufung Elisabeth Schwarzhaupts zur Bundesministerin, endgültig aber


der Organisationserlass Adenauers vom 29. Januar 1962 beendete die Planungen im In-
nenressort, eine Art „Superministerium“ zu werden. Adenauer löste dabei die Abteilung
„Gesundheitswesen“ zusammen mit dem Bundesgesundheitsamt aus dem Zuständig-
keitsbereich des Innenministeriums heraus und schlug sie dem neuen „BMGes“ zu. Zu-
dem verlor das Landwirtschaftsministerium „die Zuständigkeit für Schlachtvieh- und
Fleischbeschau; die Fragen der Hygiene der Milch und Milcherzeugnisse“ sowie die ge-
sundheitliche Ernährungsberatung.174 Damit war den Forderungen der Veterinäre Genü-
ge getan. Fleischbeschau, Nahrungsmittelhygiene und veterinärmedizinische Angelegen-
heiten waren nun in einer Hand vereinigt, eine erste Form von
„Verbraucherschutzministerium“ war damit geschaffen.175 Das neue Ministerium kon-
trollierte ab sofort nicht nur die Reinheit der Arzneimittel, sondern erstmals auch die
Reinheit von Lebensmitteln. Eine durchaus ansehnliche Agenda an also, weswegen Ursu-
la Salentin der Ministerin ob der vielen Arbeit, die auf Elisabeth Schwarzhaupt wartete,
Respekt:

Welch’ eine Fülle von Aufgaben! Wie weit entfernt von allen bisherigen Betätigungsfeldern
Elisabeth Schwarzhaupts! Die neue Gesundheitsministerin wäre allerdings nicht sie selbst
gewesen, hätte sie sich nicht sofort mit der ihr eigenen Disziplin, Gründlichkeit und Energie
der neuen Aufgabe zugewandt. Nicht nur von ihr, auch von ihren Mitarbeitern forderte das
neu errichtete Ministerium gerade in der Anfangszeit ungeteilte Zuwendung.176

Während Adenauer dem neuen Ministerium nach der Geschäftsordnung der Bundes-
regierung die Kompetenzen zuzuweisen hatte, oblag die Organisation des Ministeriums
ausschließlich der Leiterin des Ressorts.177 Die Struktur, die Elisabeth Schwarzhaupt
ihrer Behörde gab, lehnte sich dabei eng an das Schema an, nach dem die meisten Bon-
ner Ministerien aufgebaut sind.
Diese Struktur sei nur kurz verbal umrissen: An der Spitze des Aufbaus stand Elisa-
beth Schwarzhaupt selbst, sie war die politisch verantwortliche Person. Ihr Staatssekretär
Walter Bargatzky, dessen Ernennung sich fast ein Jahr hinzog (siehe Kapitel 3.4), war ihr
direkt unterstellt und leitete den Verwaltungsapparat. Die beiden persönlichen Referen-
ten der Ministerin – dass es zwei waren, war ein Novum in der bundesrepublikanischen
Geschichte – sowie das Ministerbüro und die Referenten, die direkt dem Staatssekretär
zuarbeiteten, waren administrativ dieser Leitungsebene zugeordnet, wenngleich sie na-
heliegender weise keine Weisungsbefugnisse hatten.

174
Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 29.1.1962, AZ: 3-14007-3437/61II, BA Koblenz,
B142/5082 (410.000). Zudem verlor das Atomkernenergieressort die Zuständigkeit über „Wasserange-
legenheiten“ und das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung „die grundsätzlichen medizinischen
Aufgaben der Prävention, der Rehabilitation, des Krankenhauswesens und des Bäderwesens aus den
Gebieten der Versorgungs-, Sozial- und Arbeitsmedizin; die Zuständigkeit für die medizinischen und
gesundheitspolitischen Grundsatzfragen der Reinhaltung der Luft und der Lärmabwehr bei gewerbli-
chen Anlagen gemäss besonderer Absprache“. Ebd.
175
Adenauer benutzte explizit den Begriff „Verbraucherschutz“, um die beiden organisatorisch fusionierten
Bereiche Medizin und Lebensmittelaufsicht auch argumentativ zusammenbinden zu können: „Das
Bundesministerium für Gesundheitswesen ist zuständig für alle Fragen [...] des Verbraucherschutzes
vor Täuschung bei Arzneimitteln und Lebensmitteln.“ Ebd.
176
Salentin, Moderne Gesundheitspolitik, S. 222.
177
Vgl. u.a. Ellwein/Hesse, Regierungssystem, S. 312f.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 47

Unterhalb dieser Leitungsebene gliederten sich erst drei, später vier Abteilungen ein.
Neben den Fachabteilungen, die auch den Status von Hauptabteilungen zugestanden
bekamen, war eine weitere Abteilung auf dieser Organisationsebene angesiedelt: die
Verwaltungsabteilung, die die interne Verwaltung des Ministeriums übernahm. Sie un-
terschied sich inhaltlich fundamental von den drei Fachabteilungen und war deswegen –
begrifflich – in eine Abteilung „Z“ ausgelagert. Die Hauptabteilung I stellte die alte Medi-
zinalabteilung des Innenministeriums, zuständig für die Humanmedizin sowie das Apo-
theken- und Arzneimittelwesen. Sie firmierte im Innenministerium als Abteilung IV A
und bildete „den Stamm des neuen Ressorts“.178 Die bisherige Abteilung IV B des In-
nenministeriums hatte zwei getrennte Aufgaben, war es doch einerseits mit Rechts- und
Verwaltungsangelegenheiten, andererseits aber auch mit Fragen des Lebensmittel- und
des Arzneimittelwesens befasst. Die Rechts- und Verwaltungsabteilung gliederte sich in
das neue Ministerium als Zentralabteilung „Z“ ein, die Lebensmittelfragen gingen in die
Zuständigkeit der Abteilung II über. Damit verlor das Innenministerium nach 1953, als
das Familienministerium „durch Herauslösung von Aufgaben aus dem Bundesinnenmi-
nisterium“179 gebildet wurde, erneut wichtige Aufgaben.
In der von Ludwig Erhard verlesenen Regierungserklärung verteidigte Adenauer die-
ses Vorgehen gegenüber dem Bundesinnenministerium: Jedes Ministerium müsse ers-
tens für den Chef überschaubar bleiben und zweitens wäre es eine fachliche Notwendig-
keit, dass für einzelne, „in ihrer Bedeutung enorm gewachsene Zweige bisheriger
sogenannter klassischer Ministerien besondere Ressorts“ geschaffen werden mussten.180
Deutlich wurde diese fachlich begründete Herauslösung spezieller Abteilungen aus ande-
ren Ministerien nicht nur im veterinärmedizinischen Bereich; gerade im neuen Aufga-
benfeld der Umweltschutzpolitik zeigte sich, wie wichtig die Bündelung der Kompeten-
zen war. Für Elisabeth Schwarzhaupt gehörten Umweltschutz und Gesundheitsschutz
thematisch zusammen – also musste eine Möglichkeit gefunden werden, wie die zustän-
digen Aufgabenbereiche, die teilweise im Arbeitsministerium ressortierten, diesem weg-
genommen und dem neuen Gesundheitsministerium einverleibt werden konnten.
Das Arbeitsministerium war bislang für Fragen des gesundheitlichen Arbeitsschutzes
zuständig und beheimatete bis zur Eingliederung ins Gesundheitsministerium Zustän-
digkeiten für „Grundsätzliche medizinische Aufgaben der Prävention, der Rehabilitation,
des Krankenhauswesens und des Bäderwesens“. Die enge mentale Verknüpfung gesund-
heitspolitischer Fragen mit versicherungstechnischen Fragen der Lohnfortzahlung sowie
denen nach der „Wiederherstellung der Arbeitskraft“ hatten hier ihren bürokratischen
Niederschlag gefunden. Der zweite Bereich, der bislang im Arbeitsministerium beheima-
tet war, bearbeitete „Medizinische und gesundheitspolitische Grundsatzfragen der Rein-
haltung der Luft und Lärmabwehr bei gewerblichen Anlagen“. Diesen Bereich mochte
der Arbeitsminister nicht vollständig abgeben. Am 19. Februar 1962 einigten sich Ge-
sundheits- und Arbeitsministerium auf folgende, fachlich durchaus begründbare Auf-
spaltung dieser Abteilung: das Bundesministerium für Gesundheitswesen erhielt die Zu-

178
Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 14.
179
Friedrich P. Kahlenberg und Dierk Hoffmann, Sozialpolitik als Aufgabe zentraler Verwaltungen in
Deutschland – ein verwaltungsgeschichtlicher Überblick 1945-1990, in: Hans Günter Hockerts (hg.),
Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Band 1: Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-
Baden 2001, S. 103-182, S. 132.
180
Bundestagsprotokolle IV/4, S. 22ff.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 48

ständigkeit für die Reinhaltung der Atmosphäre sowie die VDI-Kommission Reinhaltung
der Luft. Beim Arbeitsministerium verblieben diejenigen Bereiche, die unmitttelbar dem
Arbeitsschutz zuzuordnen waren, etwa die Bekämpfung des vom Betrieb ausstrahlenden
Lärms, die Bekämpfung der Erschütterungen, des Feuer- und Explosionsschutzes sowie
die VDI-Fachgruppe Staubtechnik.181
Die Zusammenführung von human- und veterinärmedizinischen Zuständigkeiten,
der Aufsicht über den Verbraucherschutz im Lebensmittel- und Arzneimittelbereich so-
wie den grundsätzlichen Fragen im Umweltschutz in einem Ministerium war somit spä-
testens am 19. Februar 1962 abgeschlossen und dokumentierte über dessen Organisa-
tionsstruktur, wie eng diese einzelnen Bereiche miteinander verzahnt waren. Das
Gesundheitsministerium rückte sie, weil es sie bündelte, prominenter ins öffentliche Be-
wusstsein; wahrgenommen wurden sie hingegen nur kaum. Die Auflösung des Ministeri-
ums mit der Regierungsbildung Brandts 1969 und die Verschmelzung seiner Kompeten-
zen mit familienpolitischen Fragestellungen war somit ein – aus zeitgenössischer
Perspektive – durchaus verständlicher Schritt.

3.4 Staatssekretärsfrage

Und dann redete mich der Bundeskanzler an und sagte: „Schlagen Sie
endlich einen Staatssekretär vor; die FDP verlangt eine Entscheidung,
wie lange dauert denn das?“ Er war also ganz böse und bis das dann
182
endlich geklärt war, war er auch ganz sauer.
Elisabeth Schwarzhaupt (1976)

Hatte Adenauer anfangs gehofft, mit Elisabeth Schwarzhaupt eine relativ gefügige Mi-
nisterin in sein Kabinett geholt zu haben, die seine Autorität nicht in Frage stellte, so
täuschte er sich in ihrem Durchsetzungsvermögen – auch und gerade gegen ihn. Das
„Gezockel mit dem Staatssekretär“, das der Ministerin in schlechter Erinnerung blieb,
mag ein Ausweis dieser partiellen Eigenständigkeit Schwarzhaupts gegenüber dem Kanz-
ler gewesen sein.183 Die Frage, welchen Staatssekretär sich Elisabeth Schwarzhaupt in ihr
Ministerium holen würde,184 zog sich fast ein Jahr hin, mehrere Namen wurden gehan-
181
Vgl. hierzu: Kahlenberg/Hoffmann, Sozialpolitik, S. 133.
182
Elisabeth Schwarzhaupt in einem mütterlich-ironischen Ton gegenüber Heribert Koch in Schwarzhaupt,
Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 23. Offensichtlich nahm sie die Ungeduld Adenauers in der
Staatssekretärsfrage nicht völlig ernst.
183
So die Wortwahl Elisabeth Schwarzhaupts in Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S.
20. Laut Art. 65 GG ist die Eigenständigkeit von Ministern gegenüber dem Regierungschef durchaus
von den Verfassungsvätern gewollt: Jeder Bundesminister leitet – innerhalb der Richtlinien, die der
Bundeskanzler vorgibt – seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung. Die
Ernennung eines Staatssekretärs fällt unter diese Ministerkompetenz.
184
Der Staatssekretär ist nach § 3 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien der Stell-
vertreter des Ministers. Siehe ausführlicher: Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 49.
Ellwein/Hesse, Regierungssystem, S. 304, zufolge, kann „man Staatssekretär ohne Rücksicht auf die
Vorbildung werden“ – wenngleich beide einschränken, dass diese Position meist früheren Beamten
vorbehalten ist. Staatssekretäre in Adenauer- und Erhardkabinetten sind ausnahmslos beamtete
Staatssekretäre – „das Rechtsinstitut des Parlamentarischen Staatssekretärs“ wird erst im Kabinett
Kiesinger eingerichtet. Ebd, S. 303.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 49

delt und wieder verworfen, ein Kandidat gar zweimal begutachtet (und zweimal abge-
lehnt) – eine Situation, die den autoritären Regierungschef derart erzürnte, dass er mo-
natelang grußlos an seinem Kabinettsmitglied vorbeiging „und strafende Blicke im Kabi-
nett auf die selbstbewusste ‚Querulantin’ geworfen haben“185 soll.

3.4.1 Die Koalitionsbildung 1961


Seinen Ausgang nimmt das „Gezockel“ in den Wirren der Koalitionsbildung 1961. Die
Wahl vom 17. September hatte die CDU 600.000 Stimmen gekostet, der SPD und ihrem
Kanzlerkandidaten Willy Brandt hingegen über eineinhalb Millionen Stimmen zusätzlich
eingebracht. Die CDU war zwar weiterhin stärkste Partei, hatte aber ihre absolute Mehr-
heit verloren – Adenauers Position als Bundeskanzler wackelte. Vor allem das unge-
schickte Taktieren des Kanzlers nach dem Mauerbau, so die Meinung innerhalb der Uni-
on, hätten ihm viele Wähler negativ angerechnet.
FDP-Chef Erich Mende186 hatte zuvor mehrfach erklärt, dass seine Partei im Falle ei-
ner christlich-liberalen Koalition Ludwig Erhard als Kanzler vorziehen würde.187 Auch
innerhalb des Unionslagers stieg die Unterstützung Erhards, institutionalisiert in der so
genannten „Brigade Erhard“188, die eine Ablösung Adenauers und eine Ernennung Er-
hards zum Kanzler befürwortete. Der Marburger Eberhard Amelung schrieb am 1. No-
vember 1961 dazu an Elisabeth Schwarzhaupt: „Wenn Adenauer der einzige sein soll, der
die Regierung führen kann, dann hat er in den letzten Monaten bewiesen, dass er dazu
nicht mehr in der Lage ist. Wer mit der FDP nicht fertig wird, hat Chruschtschow gegen-
über keine Chance.“189 – „Soweit ich es übersehe“, antwortete Elisabeth Schwarzhaupt
noch am 5. November 1961 dem Marburger Parteifreund, „ist es auch in sehr ernsten
Bemühungen und offenen Aussprachen mit engen Freunden Adenauers nicht gelungen,
ihn zu einem freiwilligen Abgang zu bewegen.“190 Elisabeth Schwarzhaupt war zwar keine
glühende Verehrerin Adenauers, hielt aber aus taktischen Gründen an dem Rhöndorfer
fest:

185
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 95.
186
Dr. jur. Erich Mende (1916-1998) ist 1945 Mitbegründer der FDP und ab 1957 Fraktionschef. Von 1960
bis 1967 ist Mende Bundesvorsitzender der FDP und unter Erhard Vizekanzler sowie Bundesminister
für gesamtdeutsche Fragen. Durch den Rücktritt der FDP-Minister scheitert die zweite Kanzlerschaft
Erhard und bereitet der Großen Koalition den Boden. Vgl. u.a. Arnulf Baring und Daniel Koerfer, Erich
Mende, in: Walter L. Bernecker und Volker Dotterweich (hg.), Persönlichkeit und Politik in der Bundes-
republik Deutschland. Politische Porträts (Band 2), S. 80-91.
187
Anneliese Poppinga, die im Auftrag Adenauers in der Wahlnacht in Rhöndorf die Fernsehberichterstat-
tung über den Ausgang der Wahl verfolgen musste, bemerkte „eine Tendenz zu einer Kanzlerschaft
Ludwig Erhards in einer Koalitionsregierung mit der FDP“, die „sich auf die Parole eingeschossen [hat-
te]: ‚Der Alte muß weg!’“ Poppinga, Mut, S. 334. Vgl. aber auch: Erich Mende, Die neue Freiheit. 1945-
1961, München/Berlin 21984, S. 476-491.
188
Teilnehmer dieser „Brigade“ waren u.a. Kurt Schmücker, Manfred Schmidt, Gerd Bucerius, Ernst Majo-
nica, Ernst Lemmer und Ferdinand Friedensburg. Siehe u.a. Hans-Otto Kleinmann, Geschichte der
CDU 1945-1982, Stuttgart 1993, S. 186.
189
Brief Eberhard Amelungs an Elisabeth Schwarzhaupt vom 1.11.1961, ACDP 01-048-012/1.
190
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Eberhard Amelung vom 5.11.1961, ACDP 01-048-012/1.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 50

Wenn ein Teil der CDU-Fraktion, der sicherlich nicht klein wäre, ihn jetzt stürzen würde und
Erhard als Kanzler nominierte, würde dies einen schwer heilbaren Riß durch die CDU
bedeuten. Die Partei als Ganzes ist keineswegs so weit, zu sehen, daß die Kanzlerschaft
eines anderen als Adenauer besser wäre. Er hat noch viele Anhänger, die, teils aus
menschlicher Anhänglichkeit, teils auch, weil sie seine Fehler und die schwierige Situation
nicht voll übersehen, an ihm hängen, und die aus allen Himmeln stürzen würden, wenn sich
eine Mehrheit der Bundestagsfraktion gegen den Kanzler erklären würde.191

Der Hessin war der politische Schaden, den die „Brigade“ anrichten konnte, zu groß,
um sich gegen Adenauer zu stellen. Sie hoffte, dass Adenauer von selbst das Feld räumen
würde – mit entsprechend sanftem Druck befördert: „Meine leise Hoffnung geht dahin,
daß es heute noch gelingt, Adenauer zu einem freiwilligen Rücktritt zu bringen. Andern-
falls wäre eine zeitlich begrenzte Kanzlerschaft Adenauers m[eines] E[rachtens] immer-
hin eine erträglichere Lösung als ein wirklicher Kampf um seine Person innerhalb der
CDU.“192 Dieses Festhalten an Adenauer verwundert ein wenig, stand Erhard der Protes-
tantin und liberalen Vize-Fraktionschefin doch weitaus näher als der katholische Patri-
arch Adenauer.193
Dieser ließ sich jedoch nicht zum Rücktritt bewegen und erklärte am Montag nach der
Wahl, zum Entsetzen seiner Widersacher wie Franz Josef Strauß und Eugen Gerstenmai-
er, dass er selbstverständlich gedenke, die neue Regierung zu bilden – und zwar zusam-
men mit der FDP.194 Da diese sich aber so deutlich gegen ihn ausgesprochen hatte, ver-
spürte Adenauer wenig Lust, sich mit der FDP schnell an einen Verhandlungstisch zu
setzen; mit den Koalitionsverhandlungen hatte es Adenauer folglich „nicht allzu eilig.“195
So zog sich die Phase der harten Verhandlungen mit der FDP denn auch ganze 51 Tage
hin, ehe Adenauer am 7. November zum Bundeskanzler gewählt werden konnte. Für die
Koalitionsarithmetik bedeutete das: Zu Beginn dieses Verhandlungsmarathons waren 18
Ministersessel vorgesehen, fünf davon sollten der FDP gebühren. In jedes Ministerium
war zudem ein Staatssekretär zu entsenden, was der FDP weitere fünf Stellen sicherte. So
lauteten jedenfalls die Absprachen. Da Adenauer in letzter Minute noch das Gesundheits-
ressort einrichtete und seinen „Kronprinzen“ Heinrich Krone – als Gegenpart zu Ludwig
Erhard im Kabinett – mit dem „Ministerium für besondere Aufgaben“ betraute, war das
abgesprochene Kräfteverhältnis zwischen CDU und FDP gestört: Nun gab es 20 Ministe-
rien, aber keine weiteren Stellen für die FDP. Diese forderte aber zum Ausgleich einen
weiteren Staatssekretär – das Gesundheitsministerium war eine der Optionen.196 Um

191
Ebd.
192
Ebd.
193
Vgl. auch: Hans-Otto Kleinmann, Geschichte der CDU 1945-1982, Stuttgart 1993, S. 240: „Für die
Protestanten und die Liberalen in der Union stellte er [Erhard, d.Verf.] die Integrationsfigur dar.“ Als
Bundeskanzler erschien Erhard der baldigen Ministerin allerdings „auch körperlich überfordert“, Kabi-
nettssitzungen unter Erhard seien zwar demokratischer verlaufen als unter Adenauer, waren für Elisa-
beth Schwarzhaupt aber „zeitweise schwer erträglich“, er „ließ dann auch das Gespräch im Kabinett
laufen und kam zu keiner Entscheidung“. Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 35.
Vgl. auch: Werner Dollinger, Gemeinsame Zeiten im Bundeskabinett und im Evangelischen Arbeits-
kreis der CDU/CSU mit Elisabeth Schwarzhaupt, in: Die Hessische Landesregierung (hg.): Elisabeth
Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau
2001, S. 158-161, S. 160.
194
Siehe hierzu ausführlich: Koerfer, Kampf, S. 562ff.
195
Poppinga, Mut, S. 336.
196
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 18, hierzu: Und dann wurde also dieses zu-
sätzliche Ministerium zusammen geschneidert und die Freien Demokraten, die damals mit in der Koali-
tion waren, die meckerten und sagten: so, nun ist also die Proportion zwischen CDU-Ministern und
3 Die Einrichtung des Ministeriums 51

eine effiziente und abgestimmte Politik von der Ministerebene über den Staatssekretär in
die Ministerien hinein bewerkstelligen zu können, hatten die Koalitionsabsprachen erge-
ben, dass jeder FDP-Minister auch einen liberalen Staatssekretär bekommen sollte. Ein
parteipolitisches Tandem an der Spitze der Ministerien. Beim Gesundheitsministerium
sollte diese Parteieinigkeit aufgehoben werden, der CDU-Ministerin ein FDP-
Staatssekretär zur Seite gestellt werden: eine „Mini-Koalition“ an der Spitze also. Dass
dies funktionieren könnte, obwohl Minister und Staatssekretäre über unterschiedliche
Parteibücher verfügten, glaubte Eugen Gerstenmaier bei der Staatsgründung gelernt zu
haben:

Damals galt es noch als ideal, dass sich ein Minister auf den Chef seiner Verwaltung in allen
Stücken verlassen konnte, gleichgültig, ob der Staatssekretär persönlich die politische Farbe
seines Herrn, seines Ministers, trug oder nicht. Den althergebrachten Grundsätzen des
deutschen Berufsbeamtentums wurde trotz der Zerrüttung in der Zeit des Nationalsozialis-
mus noch immer zugetraut, daß sie auch im Spannungsfeld der Politik Zerreißproben
standhielten. Diese Grundsätze sind bis heute nicht aufgegeben, aber sie sind durch eine
zuweilen schäbige Praxis der parteilichen Politisierung bis in die mittleren Beamtenstufen
hinab ausgehöhlt.197

Elisabeth Schwarzhaupt bediente sich der „parteilichen Politisierung“ informell durch


einen einfachen Trick und verhinderte so einen FDP-Kandidaten an ihrer Seite: Sie saß
die Entscheidung solange aus, bis der FDP alle Kandidaten ausgegangen waren.

3.4.2 Das Kandidatenkarussell


Das „Gezockel“ hat Elisabeth Schwarzhaupt so intensiv beschäftigt, dass sie den Vor-
gang in einem Gespräch mit dem Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung beinahe kaba-
rettreif wiedergeben konnte. Erster Kandidat, den die FDP ihr nachgerade zeitgleich mit
ihrer Vereidigung vorschlug, sei ein Berliner Arzt namens Gerhart Habenicht gewesen,
der gesundheitspolitischer Sprecher der Berliner FDP war. 198

Ich war ihm [...] früher schon begegnet in Berlin irgendwann mal, ich hielt ihn für völlig unbe-
deutend. Er hatte auch keine Verwaltungserfahrung und gerade wenn ein Ministerium neu
eingerichtet wird, muß man ja einen Mann haben, der nun wirklich die Ministerialverwaltung
kennt und weiß, wie man Abteilungen und Unterabteilungen zusammenschneidert [...]199

FDP-Ministern wieder verschoben, dann wollen wir aber wenigstens den Staatssekretär in diesem Mi-
nisterium stellen. Also, die waren überhaupt ganz böse, dass der Bundeskanzler plötzlich dann so wie
der Zauberer aus dem Zylinderhut nun plötzlich ein Ministerium und mit einer Frau ankam, zumal die
Freien Demokraten immer so etwas wie den Ehrgeiz hatten, dass sie die Vertreter der Fraueninteres-
sen sind.“
197
Eugen Gerstenmaier, Der Staatssekretär, in: Klaus Gotto (hg.), Der Staatssekretär Adenauers. Persön-
lichkeit und politisches Wirken Hans Globkes, Stuttgart 1980, S. 15-20, S. 15.
198
Dr. Gerhart Habenicht (1911-1978) war seit 1949 Abteilungsleiter und Leitender Medizinaldirektor für
das Gesundheitswesen von Berlin und wurde von 1963-1967 Gesundheitssenator.
199
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 22. In ihrem Beitrag für den Sammelband
„Abgeordnete des Bundestages“, S. 269, wird sie noch plastischer, was das Bild vom Staatssekretär
als „Schneider“ angeht: „Den Staatssekretär sollten die Freien Demokraten stellen, die mir einen Arzt
3 Die Einrichtung des Ministeriums 52

Kurz gesagt: Dieser Berliner Arzt, der später als Berliner Gesundheitssenator ihr Län-
derkollege werden sollte, fiel bei Elisabeth Schwarzhaupt als Staatssekretärskandidat
durch. Die FDP ließ nicht locker und wollte der Ministerin mit Klaus Dehler kurz vor
Weihnachten 1961 einen Internisten präsentieren, der zudem Neffe des Bundestagsvize-
präsidenten Thomas Dehler (FDP) war – doch auch ihm fehlte die Verwaltungserfah-
rung. „Zu allem Überfluss“, so kommentierte der „Spiegel“ gewohnt bissig diese Persona-
lie, „hat die fleißige CDU-Ministerin wissen lassen, sie werde wohl ganz ohne
Staatssekretär auskommen können.“200 Der Kommentar des Spiegel spielt darauf an,
dass Elisabeth Schwarzhaupt als promovierte Juristin und langjährige Oberkirchenrätin
selbst vermutlich über weitaus mehr Verwaltungspraxis verfügte, als die ihr bislang vor-
geschlagenen FDP-Kandidaten, und deswegen ohne einen unversierten Verwaltungsas-
sistenten in der Tat besser fuhr.
Der nächste Kandidat war hingegen „vom Fach“: der Ministerialdirektor und Leiter
der Gesundheitsabteilung im Innenministerium, Dr. Josef Stralau. Dieser hatte die feste
Absicht, Staatssekretär zu werden, und gab das auch unumwunden zu. Nachdem Elisa-
beth Schwarzhaupt ihn allerdings etwas näher kennen gelernt hatte, „schien er mir auch
nicht als der geeignete Mann.“201 Das ist sehr loyal ausgedrückt von der Vorgesetzten des
später wichtigsten Hauptabteilungsleiters im BMGes. Betrachtet man manche durchaus
ungeschickte Handlungsweisen des Ministerialdirektors – auch in dieser Arbeit wird das
an wenigstens zwei Stellen deutlich202 –, dann erklärt sich die ablehnende Haltung
Schwarzhaupts ihm gegenüber fast von selbst. Die FDP, die Stralau unterstützt hatte203,
drang auch mit ihrem dritten Kandidaten nicht bei der Ministerin durch – weswegen sie
höchsten und unangenehmen Besuch von der FDP-Fraktionsspitze bekam.204 In ihrer
Not wandte sich Elisabeth Schwarzhaupt im Frühjahr 1962 an Kanzleramtsminister
Globke – er solle zusammen mit ihr den ersten Kandidaten, den Berliner Arzt Habenicht,
noch einmal „begutachten“.205

vorschlugen, der mir ungeeignet erschien, weil er nicht die Erfahrung in der Bundesverwaltung hatte,
die erforderlich war, um ein Ministerium aus den verschiedenen Fetzen, die aus anderen Ministerien
herauszulösen waren, zusammenzuschneidern.“
200
Der Spiegel 53/1961.
201
So Elisabeth Schwarzhaupt im Archivgespräch mit Heribert Koch, S. 23.
202
So ist Stralau bspw. für die fehlgeschlagene Geldbeschaffung in Sachen Erste-Hilfe-Raum der WHO
verantwortlich zu machen (siehe Kap. 7.1.1), und er war es, der für die Übertragung eines simplen PR-
Manuskripts von Bad Godesberg nach München die Luftwaffe als Postbote einsetzen wollte (siehe
Kap. 7.1.3). Sicherlich ließen sich noch mehr derlei ungeschickter Anekdoten finden.
203
Das ist die von Elisabeth Schwarzhaupt offiziell verbreitete Version. Allerdings gibt sie in einem priva-
ten Brief an Viktoria Steinbiss vom 13.12.1966, BA Koblenz, N1177/1, zu: „Herr Stralau wurde von
Herrn Mende ausdrücklich abgelehnt“. Durch diese Intervention des FDP-Chefs wird klar, wieso Elisa-
beth Schwarzhaupt ihren fachlich sicherlich prädestiniertesten Kandidaten, eben den Leiter der Ge-
sundheitsabteilung im Innenministerium, nicht aus Koalitionsräson zum Staatssekretär berufen musste
und weiterhin freie Hand bei der Kandidatensuche hatte.
204
Erich Mende und Knut von Kühlmann-Stumm besuchten die Ministerin, um auf ihr koalitionsarithmeti-
sches Anrecht zu pochen, den zweithöchsten Posten des Ministeriums mit einem FDP-Mitglied zu be-
setzen. Schwarzhaupt spielte der FDP geschickt den Ball zurück und meinte, sie sollte einen vernünfti-
gen Personalvorschlag unterbreiten – „bei meinem nächsten Mitarbeiter kommt es natürlich auch ein
bisschen darauf an, welche Aussichten ich habe, mit ihm klar zu kommen.“ Die FDP hatte jedoch kei-
nen passenden Kandidaten vorzuweisen. Ebd., S. 22
205
Der Chef des Kanzleramtes ist in einem solchen Fall der richtige Ansprechpartner. Vgl. u.a. Ell-
wein/Hesse, Regierungssystem, S. 302. Zu Globke merkt Elisabeth Schwarzhaupt im Archivgespräch,
ACDP 01-049-001/2, S. 39f, an: „[...] er war ein sehr treuer Diener seines Herrn, aber er war ein unge-
heuer fleißiger und loyaler Mann. Er hat eben wenig, er hat kein überflüssiges Wort gesprochen. Ich
3 Die Einrichtung des Ministeriums 53

Herr Habenicht war recht ungeschickt. Als ich ihn fragte: „Welche Vorstellungen haben Sie
von Ihrer Arbeit?“, antwortete er: „Ja, ich werde meine liberale Gesundheitspolitik
verwirklichen.“ Ich sagte: „Ja, die Politik macht der Minister, ist Ihnen das klar? Der
Staatssekretär ist der Verwaltungsbeamte.“ – „Nun ja, der Verwaltungsbeamte hat ja auch
politische Aufgaben.“ Das war das erste, wobei wir zusammenrannten, obwohl ich gar nicht
so genau weiß, was er unter liberaler Gesundheitspolitik verstand, was ich etwa nicht
billigen würde. Ich wollte nur nicht einen neben mir sitzen haben, der Politik macht, sondern
einen, der Verwaltung macht.206

Der hinzugebetene „Unparteiische“, Globke, war allerdings auch nicht sehr angetan
von diesem Bewerber und meinte lapidar: „Ach, Frau Schwarzhaupt, ich würde den auch
nicht nehmen.“ Drei FDP-Kandidaten hatte die Ministerin mittlerweile abblitzen lassen,
den ersten Vorschlag sogar gleich zweimal. Da spielte die FDP ihren letzten Trumpf aus:
einen Juristen, den Elisabeth Schwarzhaupt bereits aus dem Rechtsausschuss kannte
und der später Justizminister von Niedersachsen werden sollte: Jan Eilers.207 Diesen
wollte die immer noch auf sich alleine gestellte Ministerin sofort berufen, „weil das ein
sachlicher, ordentlicher Mann war“.208 Der erste FDP-Vorschlag, der die Zustimmung der
CDU-Ministerin fand, lehnte den Posten im noch unbedeutenden Gesundheitsministeri-
um aber ab, da er seinerseits die Möglichkeit hatte, ein wichtiges Landesministerium zu
übernehmen. Damit waren alle bisherigen FDP-Vorschläge entweder am Veto der Minis-
terin gescheitert, oder sie wollten ihrerseits nicht Staatssekretär werden. Nun war es am
„treuen Diener“209 des Bundeskanzlers, Globke, den entscheidenden Personalvorschlag
zu unterbreiten:

Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag, wir könnten Herrn Bargatzky aus dem Innen-
ministerium, der dort Ministerialdirektor ist, in das Gesundheitsministerium versetzen und
zum Staatssekretär machen.210

habe nur gute Erfahrungen mit ihm gemacht. [...] Ich kannte ja seinen Namen vom Dritten Reich her
schon. Ich weiß, dass er diesen schrecklichen Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen geschrieben
hat und da auch einige unerquickliche Sätze zu verantworten hat, aber er war auch eine Adresse, an
die man sich mit Eingaben wenden konnte, Eingaben für verfolgte Personen oder mit Darstellungen
über unerträgliche [...] staatliche Eingriffe in die Kirche [...].“
206
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 24. Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesminis-
terium, S. 49, weisen darauf hin, dass dem Staatssekretär als höchstem Beamten des Ministeriums „al-
le Vorlagen an den Minister“ vorgelegt werden müssen und er darüber hinaus „als ‚verlängerter Arm’
des Bundesrechnungshofs angesehen werden muss“, was die ausschließlich auf Verwaltungstätigkei-
ten eingeschränkte Kompetenz dieser Position eindrücklich belegt. Zur prinzipiellen Unterscheidung
zwischen „klassischen“ und politischen Beamten siehe: Robert D. Putnam, Die politischen Einstellun-
gen der Ministerialbeamten in Westeuropa – ein vorläufiger Bericht, in: Politische Vierteljahresschrift,
1/1976, S. 23-61.
207
Jan Eilers (geb. 1909) saß in der 3. Wahlperiode noch für die niedersächsische FDP im Bundestag,
ehe er in der 7. Legislaturperiode ein Mandat für die Wilhelmshavener CDU annahm. Zudem war Eilers
Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees.
208
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 25. Mit diesem erneuten FDP-Vorschlag, den
Schwarzhaupt tatsächlich annehmen wollte, sah sie „ihr Soll“ gegenüber den Freidemokraten als „er-
füllt“ an. Ebd., S. 24.
209
So die Wortwahl Elisabeth Schwarzhaupts in ebd., S. 38. Die Frage, ob Globke der „Beherrscher“ des
Kanzleramts gewesen sei, verneint sie. Horst Osterheld, Der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes,
in: Klaus Gotto (hg.), Der Staatssekretär Adenauers. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Glob-
kes, Stuttgart 1980, S. 99-126, S. 114, schätzte die Diskretion Globkes, auf die man rückhaltlos „bauen
wie auf einen Felsen konnte“.
210
Elisabeth Schwarzhaupt zitiert Hans Globke wörtlich aus der Erinnerung. Ebd., S. 24. Walter Bargatzky
(geb. 1910) wurde 1982 zum Ehrenpräsidenten des Deutschen Roten Kreuzes ernannt.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 54

So geschah es auch: Nach knapp einem Jahr war endlich der Staatssekretär gefun-
den211, und Elisabeth Schwarzhaupt hatte sowohl ihren ersten Machtkampf mit Adenau-
er, der sich allerdings aus der konkreten Personaldiskussion heraushielt212 – als auch den
mit der FDP gewonnen. Da ihr die Kandidaten ausgegangen waren und Schwarzhaupts
„totale Sesselblockade gegen FDP-Staatssekretärskandidaten“213 erfolgreich war, war der
Weg für einen Staatssekretär frei, der der CDU nahestand.
Als Elisabeth Schwarzhaupt im Winter 1966 aus dem Amt scheiden musste, reichte
auch ihr Staatssekretär ein Rücktrittsgesuch ein – bei seiner kurzzeitig neuen Vorgesetz-
ten Käte Strobel (SPD).214 Diese wollte den anerkannten Experten eigentlich vorerst im
Amt belassen, doch sah Walter Bargatzky keine Vertrauensbasis zu ihr; weniger an ihrer
Person, sondern vielmehr an ihrer Funktion als ehemaliger Oppositionsabgeordneten
störte sich der scheidende erste Staatssekretär im Gesundheitsministerium. Mit seiner
langjährigen Vorgesetzten hatte der scheidende Staatssekretär ein solches Szenario be-
reits vorher durchgespielt:

Er hat mir schon lange vorher in einer Zeit, als man damit rechnen musste, dass, wenn die
SPD das Haus übernimmt, Frau Hubert Ministerin würde, erklärt, dass er es nicht für
ehrenvoll halten würde, über die vielen unsachlichen und demagogischen Vorwürfe gegen
unsere Arbeit einfach hinwegzugehen und im Dienst eines Ministers der Partei, die uns und
damit auch ihm immer wieder Versagen vorgeworfen hat, zu dienen.215

Walter Bargatzky blieb indes weiter im herzlichen Kontakt mit seiner ehemaligen
Vorgesetzten und wurde in den Siebziger Jahren Vorsitzender des Deutschen Roten
Kreuzes. Sein Nachfolger im Gesundheitsministerium wurde der bisherige Leiter der
Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege, Ludwig von Manger-Koenig.216

211
„Damit war diese Frage gelöst, und zwar so gut, wie ich es mir nur wünschen konnte.“ Schwarzhaupt,
Lebenserinnerungen, S. 269.
212
Elisabeth Schwarzhaupt, ebd., S. 21, zufolge, machte ihr Adenauer nur die bekannte Vorgabe, „es
müsste nun ein Staatssekretär von der FDP kommen [...] Ja, wen, das hat er nicht gesagt, sondern die
FDP wolle den Vorschlag machen.“
213
Der Spiegel 8/1963, S. 17.
214
Walter Bargatzky, Versetzungsgesuch in den Einstweiligen Ruhestand an Käte Strobel vom 1.12.1966,
BA Koblenz, N1177/23.
215
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Viktoria Steinbiss vom 13.12.1966, BA Koblenz, N1177/1. Dr. Elinor
Hubert (1900-1973) saß für die niedersächsische SPD als Direktkandidatin von 1949 bis 1969 im Bun-
destag und war einer der gesundheitspolitischen Aktivposten der SPD-Fraktion. Sie hätte bei einer
SPD-Regierungsbeteiligung als Gesundheitsexpertin gute Chancen auf diesen Posten gehabt.
216
Prof. Dr. Ludwig von Manger-Koenig (1919-1983) war von 1955-1964 Leiter der Abteilung öffentliches
Gesundheitswesen im Hessischen Innen- und Sozialministerium, hatte im Jahr 1964 Franz Klose als
Präsidenten der Zentrale für Volksgesundheitspflege abgelöst und wurde von Käte Strobel im Februar
1967 als Staatssekretär berufen. Er wechselte mit ihr auch ins Bundesministerium für Jugend, Familie
und Gesundheit und blieb ihr Staatssekretär bis zum 4.5.1973 und war danach Vorsitzender der Bun-
desvereinigung Lebenshilfe. Siehe: Kät[h]e Strobel, Sozialpolitik – hautnah erlebt und mitgestaltet, in:
Norbert Blüm und Hans F. Zacher (hg.), 40 Jahre Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland, Baden-
Baden 1994, S. 381-390, S. 384. Nebenbemerkung: Manger-Koenig war der Bruder des Kabarettisten
Jürgen von Manger.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 55

3.4.3 Die erste Ministerin mit zwei Referenten


Auf einen Staatssekretär hatte Elisabeth Schwarzhaupt ein knappes Jahr warten müs-
sen, einen persönlichen Referenten gewann sie indes weitaus schneller – und hegte pa-
radoxerweise Vorurteile gegen eine Frau auf diesem Posten:

Also ich musste mir einen persönlichen Referenten suchen. Nun hatte ich eine junge
Studentin, die meine Sekretärin war, die auch ein ganz kluges Mädchen war, inzwischen
ihren Assessor gemacht hatte, aber eigentlich nur während ihrer Doktorarbeit bei mir so
Schreibkraft sein wollte, die erwartete, persönliche Referentin zu werden. Da mußte ich mir
den Entschluß abringen, das nicht zu tun, denn ich fand es gegenüber einem Ministerium,
das ganz überwiegend aus männlichen Beamten bestand, nicht gut, wenn ich als einen
Vermittler zu dem Ministerium da nun wiederum eine Frau, zumal ein sehr lebhaftes und
impulsives Mädchen, das sich da nicht durchsetzen würde oder jedenfalls nicht in der
Weise, wie ich wollte, vorstelle.217

Bei der Suche nach einer persönlichen Referentin knickte Elisabeth Schwarzhaupt
plötzlich vor einem Argument ein, das sie sicherlich als nicht stichhaltig abgelehnt hätte,
wäre es gegen ihre eigene Karriere vorgebracht worden: der hohe männliche Anteil an
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Ministeriums, der sie vordergründig zu
einem männlichen Referenten „zwang“.218 Sicherlich ist ein „Verbindungsmann“ des Mi-
nisterinbüros in die männliche Ministerialbürokratie hinein von dieser eher akzeptiert;
dessen ungeachtet ist aber zu vermuten, dass Elisabeth Schwarzhaupt eher an der fachli-
chen Qualifikation der jungen Assessorin denn an deren Durchsetzungsvermögen gegen-
über der Verwaltung zweifelte. Stattdessen erwählte sich die Ministerin den ehemaligen
persönlichen Referenten des CDU-Fraktionschefs Heinrich Krone, Voßhenrich:

Ich nahm also den Herrn Voßhenrich, den ich von der Fraktion her kannte [...] und Herr
Krone wurde damals auch Minister, der wurde Sonderminister, aber er hatte einen anderen
persönlichen Referenten genommen und ich war so sehr froh, dass ich Herrn Voßhenrich
219
kriegen konnte, jemand, den ich kannte und schätzte.

Die Berufung eines persönlichen Referenten war angesichts der Tatsache, dass die
Stelle des Staatssekretärs auf vorerst unabsehbare Zeit vakant blieb, umso wichtiger für
die tatkräftige Ministerin. In Bonner Kreisen wurde sogar kolportiert, dass die Ministerin
sich – ein Novum in Bundes- und Landesministerien – gleich zwei persönliche Referen-
ten zulegen wolle. Der Stellenplan des Ministeriums von 1962 konnte dahingehend inter-
pretiert werden und wurde von Hessens Sozialminister Heinrich Hemsath auch prompt
kritisiert.220 In der Tat stellte sich Elisabeth Schwarzhaupt neben ihrem persönlichen

217
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 20f.
218
Nolens volens bestätigt Elisabeth Schwarzhaupt damit das „Gesetz“ der hierarchisch zunehmenden
Männerdominanz: „Je höher die Ebene der beruflichen Hierarchie, um so kleiner der Anteil der Frauen
und umso ausgeprägter die Dominanz der Männer“. Siehe Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutsch-
lands. Die gesellschaftliche Entwicklung vor und nach der Vereinigung. Mit einem Beitrag von Thomas
Meyer, Bonn 2002, S. 376.
219
Ebd., S. 21.
220
Siehe hierzu den Artikel „Über den Wassern. Adenauer: Schwarzhaupt + Kalinke : 2 = ideale Ministe-
rin“, ACDP 01-048-002/3, S 4. Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 48, stellen demge-
genüber eindeutig fest: „Dem Minister ist ein Persönlicher Referent attachiert.“ Hervorhebung vom Verf.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 56

Referenten eine zweite persönliche Referentin zur Seite. Diesem Novum liege „ein unab-
weisbares Bedürfnis“221 der Ministerin zugrunde, weswegen die Bundesregierung sowohl
vom Bundesrat als auch vom Bundestag grünes Licht für ein „Gesetz über die Vorwegbe-
willigung von Planstellen für das Rechnungsjahr 1962“ einforderte. Die insgesamt 77
neuen Planstellen für die drei neu eingerichteten Ministerien – neben dem Gesund-
heitsministerium erhielt Walter Scheel (FDP) das neue Entwicklungshilfeministerium,
und Heinrich Krone (CDU) das Ministerium für besondere Aufgaben – sollten sofort
bewilligt werden, da die Verabschiedung des Bundeshaushaltes sich noch längere Zeit
verzögerte. Der Bundesrat indes lehnte diese Sonderbehandlung der neuen Minister ab.
Die persönliche Referentin der Ministerin, Richter, wird in keinem Organisationsplan
erwähnt. Es ist anzunehmen, dass sie mit Drittmitteln – beziehungsweise aus der Privat-
kasse der Ministerin – entlohnt wurde.

3.5 Kanzlerkrisen und mehrfach


wackelnder Stuhl

Indiskret wurde ausgesät,


daß der Seebohm geht und die Schwarzhaupt geht,
daß der Strauß noch ringt und der Chef beschwingt
diesmal unbedingt den Verein verjüngt.
[...]
Und aus der Liquidierung
hob sich taufrisch die Regierung:
Seebohm blieb und die Schwarzhaupt blieb
und das Haupt blieb schwarz – rein schon aus Prinzip.222
Lach- und Schießgesellschaft (1963)

Elisabeth Schwarzhaupt wurde Ministerin in einer Situation, in der die Regierungsbil-


dung schwierig war und sich ihre Partei in einem langsamen, aber stetigen Abwärtstrend
befand. Obwohl sie nur fünf Jahre als Ministerin verantwortlich zeichnete, gehörte sie
vier Kabinetten unter zwei Kanzlern an – und zweimal traten die FDP-Minister zurück.
Die innenpolitische Situation, in die sich Elisabeth Schwarzhaupt hineingestellt sah, ver-
sprach also wenig Stabilität. Adenauer, der sich bereits 1959 aufs „Altenteil“ zurückzie-
hen wollte und mit dem Amt des Bundespräsidenten liebäugelte, überraschte seine Par-
teifreunde 1961 mit der Ankündigung, er werde nochmals als Kanzler antreten. Nicht
jedem innerhalb der CDU schmeckte diese Ankündigung des „Alten“, einige hätten lieber
Ludwig Erhard im Palais Schaumburg gesehen – auch die FDP. Diese war mit dem Slo-
gan angetreten: „Mit der CDU, aber ohne Adenauer“. Die FDP indes „fiel um“, Adenauer
wurde trotzdem Kanzler, musste seinem Koalitionspartner aber versprechen, zur Mitte
der Legislaturperiode zurückzutreten. Er ging also als „Kanzler auf Abruf“ in seine vierte

221
Der Spiegel 8/1962. S. 37.
222
Klaus Peter Schreiner (Münchener Lach- & Schießgesellschaft), Banditenstreiche (1963), in: Karl Ho-
che (hg.): Die Lage war noch nie so ernst: Eine Geschichte der Bundesrepublik in ihrer Satire, König-
stein/Taunus 1984, S. 136-139, S.138f. Hans-Christoph Seebohm (CDU) war Verkehrsminister, Franz-
Josef Strauß (CSU) Verteidigungsminister.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 57

Kanzlerschaft. Die „Spiegel“-Affäre vom Spätherbst 1962 indes veränderte sowohl die
Kabinettszusammensetzung als auch kurzfristig diesen Adenauerschen Zeitplan: Wegen
des indiskutablen Verhaltens des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU) in
dieser, nun „Affäre Strauß“ genannten, Angelegenheit, traten die FDP-Minister am 19.
November 1962 geschlossen zurück. Die Folge: Strauß musste seinen Hut nehmen, und
auch die Minister der CDU/CSU traten einen Tag später zurück, damit Adenauer ein
neues Kabinett – diesmal ohne Strauß – bilden konnte.223 Auch Elisabeth Schwarzhaupt
legte also ihr Amt vorübergehend nieder: Sie amtierte gerade einmal 371 Tage. Zuvor
hatte sich Elisabeth Schwarzhaupt im Kabinett noch öffentlich gegen Strauß gestellt, wie
sie später gegenüber dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik zu Protokoll gab:

Also ich gehörte zu seinen Gegnern. Ich sagte, ich bleibe nicht im Kabinett mit Strauß, und
Krone war der, der dann immer sehr aplaniert hat und vermittelt hat, und von Adenauer
erinnere ich mich an den Ausspruch, dass er einmal sagte: „Der Herr Strauß, der is ne jute
Politiker, aber er muss noch ein bisschen älter werden.“ Aber inzwischen ist er älter
geworden. Ich meine, das bezog sich eben auf die unwahrscheinliche Impulsivität, diese
unkontrollierte Impulsivität von diesem Mann und ich bin der Meinung, das disqualifiziert
einen Menschen, jedenfalls soweit es sich um verantwortungsvolle politische Ämter
224
handelt.

In die Spiegel-Affäre war Konrad Adenauer weitaus intensiver verwickelt, als dieser
zuerst zuzugeben bereit war. Seine Position wackelte immer bedrohlicher – sie war seit
1961 ohnehin nicht die stabilste gewesen, und schon sein Herzinfarkt vom Januar 1962
hatte die Frage, ob der 85-jährige weiterhin das höchste Amt der Bundesrepublik würde
ausfüllen konnte, lautstark aufgeworfen.225 Eine voll handlungsfähige Regierung habe
der Kanzler vier Monate nach der Neuwahl immer noch nicht aufstellen können, lautete
beispielsweise der Vorwurf der Stuttgarter Zeitung vom 24. Januar 1962, womit dieser
auch die Handlungsfähigkeit der neuen Gesundheitsministerin kritisierte. Elisabeth
Schwarzhaupt war zwar bereits am 14. November vereidigt worden, auf den Organisati-
onserlass des Kanzlers, der ihr das Ministerium administrativ erst schuf, musste sie aber
bis zum 29. Januar 1962 warten.226 Während die innenpolitische Situation, in der sich
das neue weibliche Kabinettsmitglied bewähren musste, Anzeichen einer Krise trugen,
war die außenpolitische Situation unbestreitbar krisenhaft – mehr als das: die Welt
schrammte nur knapp an einem atomar geführten 3. Weltkrieg vorbei.227 Bereits der Bau
223
Die Situation war etwas komplizierter, als sie hier dargestellt werden kann. So war etwa die Entlassung
der CDU-Minister trotz der Rücktrittserklärungen vom 20. November bis zum 25. November noch nicht
erfolgt, und auch Strauß war am 29. November noch im Amt. Siehe ausführlich: Koerfer, Kampf, S.
675ff.
224
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 33f. „Sonderminister“ Heinrich Krone, den
Adenauer seinem innerparteilichen Konkurrenten Erhard als „Aufpasser“ zur Seite gestellt hatte, hatte
die Aufgabe, in der Strauß-Affäre zwischen der FDP und der Union zu vermitteln. Strauss hatte die po-
lizeiliche Durchsuchungsaktion der Spiegel-Redaktion persönlich angeordnet und auch das entschei-
dende Telefonat mit der spanischen Polizei geführt, um den zuständigen Spiegel-Redakteur Conrad
Ahlers in Spanien festnehmen zu lassen. Da dieses Vorgehen – wie Innenminister Höcherl euphemis-
tisch formulierte – „etwas außerhalb der Legalität“ lag, und Strauß seine Initiativen öffentlich vor dem
Deutschen Bundestag leugnete, sahen sich die FDP-Minister gezwungen, ihre Ämter niederzulegen.
225
Vgl. u.a. Poppinga, Mut, S. 385ff.
226
Siehe Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 29.1.1962, AZ: 3-14007-3437/61II, BA Koblenz,
B142/5082 (410.000).
227
Zur Kubakrise vom Oktober 1962 siehe beispielhaft Bernd Greiner, Kuba-Krise. 13 Tage im Oktober:
Analyse, Dokumente, Zeitzeugen, Nördlingen 1988.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 58

der Berliner Mauer am 13. August 1961 zeigte die Zuspitzung des Ost-West-
Antagonismus. Elisabeth Schwarzhaupt reiste, und das rechneten ihr vor allem Berliner
Zeitungen hoch an, als erstes Mitglied des neuen Adenauer-Kabinettes in die nun endgül-
tig geteilte Stadt – ihre erste Amtshandlung, zwei Tage nach ihrer Vereidigung. Die Ber-
liner Morgenpost belegte diese „erste Amtshandlung in Berlin“ mit einem hochformati-
gen Foto der Ministerin bei ihrem „Blick über die Schandmauer“228 am Potsdamer Platz.
Eine dpa-Meldung vom Abend des Besuches belegte auch die inhaltlichen Aspekte dieses
„Blitzbesuches“ an der Mauer:

Frau Schwarzhaupt will Berlin unterstützen


Frau Dr. Elisabeth Schwarzhaupt erklärte am Donnerstagabend nach Beendigung ihres
eintägigen Berlin-Besuches, sie werde Berlin, soweit es in ihren Kräften stehe, unterstützen.
Sie hatte am Nachmittag zeitweilig an der Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses
teilgenommen und war vom Präsidenten Otto Bach herzlich begrüßt worden. Bach dankte
ihr, dass sie so kurz nach ihrer Ernennung den Weg nach Berlin gefunden habe, und sprach
die Hoffnung aus, dass ihre männlichen Kollegen diesem Beispiel folgen werden.
Anschließend informierte sich Frau Dr. Schwarzhaupt beim Senator für Gesundheitswesen,
Dr. Hans-Jürgen Behrendt, über die Auswirkungen der Berlin-Ereignisse auf das Berliner
Gesundheitswesen. Vor dem Bundesvorstand der Frauen der CDU erklärte Frau
Schwarzhaupt, Bundesminister für das Gesundheitswesen, sie werde im Kabinett jede
Politik unterstützen, die mit Mut, Kühnheit, Entschlossenheit, Beständigkeit und Treue zu
229
Berlin geführt werde.

Diese sehr beachtete Solidaritätsbezeugung Schwarzhaupts für die geteilte Stadt setzte
die Gesundheitsministerin, der ansonsten kaum größere und zudem lobende publizis-
tische Beachtung zuteil wurde, gleich zu Beginn ihrer Amtszeit in einen außenpolitischen
Zusammenhang. Auch die kubanische Raketenkrise vom Oktober 1962, die in einem in-
haltlichen Zusammenhang mit dem Mauerbau steht, berührte die Arbeit Elisabeth
Schwarzhaupts: Welche Schutzmaßnahmen, beispielsweise die Bevorratung von Jodtab-
letten gegen die Auswirkungen radioaktiver Strahlung, konnte das Gesundheitsminis-
terium erarbeiten?230
Die politische Situation war also angespannt – und wuchs sich zu einer Regierungs-
krise aus, als die FDP-Minister im Zuge der Strauß-Affäre zurücktraten. Adenauer muss-
te ein neues Kabinett bilden – ob mit oder ohne die „Alibifrau“ und deren Ministerium,
war noch nicht ausgemacht:

Vor allem Heinrich Krone arbeitete zielstrebig darauf hin, dass eine verjüngte, konfessionell
ausbalancierte Ministerriege zusammengestellt wurde, damit im kommenden Jahr keine
neuen, allzu gravierenden Umbesetzungen erforderlich werden würden und eine gewisse
Kontinuität gewährleistet war. Wieder stand dabei der Gedanke Pate, den nächsten Kanzler

228
Morgenpost vom 17.11.1961. Vor ihrem Rückflug nach Bonn informierte sich Schwarzhaupt auf einer
zweistündigen Stadtrundfahrt in Begleitung des Gesundheitssenators Behrendt sowie des Bürgermeis-
ters von Zehlendorf, Willy Stiewe (in Vertretung Willy Brandts) über die Situation in Berlin und legte an
einer Gedenkstätte in der Bernauer Straße einen Blumenstrauß nieder.
229
Meldung der Nachrichtenagentur dpa vom 16.11.1961. Diese erste Amtshandlung der neuen Ministerin
begrüßte eine weitere Berliner Zeitung als „erfreulich neuer Stil“, siehe Der Tag in Berlin, Erste Ministe-
rin besuchte Berlin. Ein sympathischer Gast, der gern in Berlin war und viele Pläne hat“, ACDP 01-048-
002/3.
230
Auf die Darstellung dieses Bereiches Schwarzhauptscher Gesundheitspolitik, die streng genommen in
die Verantwortlichkeiten des Katastrophenschutzes sowie des Bundesverteidigungsministeriums fallen,
wird in dieser Darstellung verzichtet, d.Verf.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 59

– vermutlich eben Ludwig Erhard – mit kompetenten Persönlichkeiten zu umgeben,


231
gewissermaßen einzurahmen.

Dieses Vorgehen Heinrich Krones, der als politischer Freund Elisabeth Schwarzhaupts
bezeichnet werden muss232, sicherte ihr ihre Position im neuen Kabinett, und ihre Kon-
fession spielte dabei eine wichtige Rolle. Da sie mit Krone und Erhard den evangelischen
„Flügel“ im Kabinett bildete, durfte sie bleiben. Die katholischen CDU-Minister Franz-
Josef Wuermeling und Ernst Lemmer wurden hingegen abgelöst. Zudem stand Elisabeth
Schwarzhaupt sowohl loyal zu Adenauer als auch zu Erhard – und dies erschien Krone
strategisch wichtig für den Kanzlerwechsel zu sein. Dieser fand am 16. Oktober 1963
dann auch tatsächlich statt. Mit 279 Stimmen (gegen 180 und 24 Enthaltungen) wählte
der Deutsche Bundestag Ludwig Erhard zum Kanzler. Und dieser bildete wieder ein neu-
es Kabinett – dieses Mal allerdings stand Elisabeth Schwarzhaupts Amt nicht zur Debat-
te:

Die Liste des Kabinetts Erhard ist offiziell noch nicht bekannt. Neunmalkluge werfen
allerhand Namen in die Debatte und brüsten sich mit ihrem angeblichen Wissen. Interessant
ist, daß in Bonn zwar viele Kombinationen angestellt werden, daß aber ein Name außerhalb
der Meinungsbörse bleibt, nämlich der der Chefin des Gesundheitsministeriums in der Bad
Godesberger Michaelstraße. 233

Erst nach der Bundestagswahl 1965 sollte es für Elisabeth Schwarzhaupt wieder „eng“
werden. „Innenpolitisch überraschend“, so Andreas Hillgruber, war der Wahlsieg der
CDU/CSU „unter Erhards von Anfang an umstrittenen Führung“ in den Bundestagswah-
len vom 20. September 1965, da er noch einmal „eine Fortsetzung der ‚Kleinen’ Koalition
der ‚bürgerlichen’ Parteien“ ermöglichte.234 Sicherer war der Platz Elisabeth Schwarz-
haupts durch dieses Wahlergebnis aber nicht geworden. In einer Großen Koalition, mit
der noch Adenauer mehrmals geliebäugelt hatte, hätte die SPD ganz sicher die Ablösung
Schwarzhaupts zugunsten der SPD-Gesundheitsexpertin Elinor Hubert oder der Sozial-
expertin Käte Strobel gefordert. In der „kleinen“ bürgerlichen Koalition übernahm nun
die FDP diesen Part: Sie setzte Erhard unter Druck, wollte das Gesundheitsministerium
für sich. Ludwig Erhard rief Elisabeth Schwarzhaupt deswegen zu sich:

[...] nett und demokratisch wie er war, hat er mich zu sich gebeten und sagte: „Ach, Frau
Schwarzhaupt, so eine Kabinettbildung, das ist ja eine schreckliche Sache.“ Und da sagte
ich: „Ja, Herr Bundeskanzler, das sehe ich ein. Brauchen Sie das Gesundheitsministerium
für andere Zwecke?“ – „Ja, ich weiß nicht, wie ich es machen soll. Ich glaube, ich muß es
abgeben.“ Da sagte ich: „Bitte, ich weiß, dass das ein Job auf tägliche Kündigung ist.“ Ich

231
Koerfer, Kampf, S. 704.
232
In den Tagebüchern Heinrich Krones sind einige auch private Termine mit Elisabeth Schwarzhaupt
vermerkt. Vgl. Heinrich Krone, Tagebücher. Erster Band 1945-1961, bearbeitet von Hans-Otto Klein-
mann, Düsseldorf 1995. Siehe auch: Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 274.
233
Reportage der Woche: Jeder ein „europäischer Apotheker“. Schützenhilfe für Frau Dr. Schwarzhaupt,
in: Bonner Mittwochsdienst Nr. 40/63, S. 1, ACDP 01-048-002/3.
234
Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte 1945-1986. Die „deutsche Frage“ in der Weltpolitik, sechste,
6
überarbeitete Auflage, Stuttgart 1987, S. 85. Die Ergebnisse dieser Bundestagswahl: CDU/CSU
47,6 %, SPD 39,9 %, FDP 9,5 %.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 60

ging dann weg mit der Meinung, Erhard sei entschlossen, das Gesundheitsministerium in
235
andere Hände zu geben.

Aenne Brauksiepe, die Elisabeth Schwarzhaupt schon 1961 beim damaligen Kanzler
„durchgedrückt“ hatte, erfuhr diesen Vorgang auf der Heimfahrt von Bonn. Auf der Stelle
kehrte sie um und setzte – wie schon beim legendären „sit-in“ – „die CDU-Frauen erfolg-
reich in Bewegung.“236 Diese Intervention bei Erhard zeigte Wirkung, und die erste Mi-
nisterin der Republik blieb weiterhin Chefin des Gesundheitsressorts.
Erhard, dem einerseits Adenauer immer wieder die Befähigung zum Regierungschef
absprach und der andererseits „glaubte, gestützt auf eine handvoll loyaler Mitarbeiter
und die breite Zustimmung der Bevölkerung, als eine Art überparteilicher Volkskanzler
regieren zu können“237, stürzte im Spätherbst 1966. Der Wirtschaftsaufschwung war ins
Stocken geraten, die FDP in weiten Kreisen der CDU mittlerweile derart verhasst, dass
jene lieber mit der SPD koalieren wollten, und außenpolitisch war Ludwig Erhard von
US-Präsident Johnson „bei der Neuregelung der Stationierungskosten über den Tisch
gezogen“238 worden. Die CDU unterstützte Erhard nicht mehr rückhaltlos, Teilen der
Bevölkerung erschien seine Regierung abgewirtschaftet und verbraucht zu sein– und für
die FDP geriet „die Fortsetzung des Regierungsbündnisses mit der Zeit zu einem Alp-
traum, aus dem sie sich schließlich, koste es, was es wolle, befreien wollte.“239 Als der
Rückhalt Erhards innerhalb seiner eigenen Partei merklich geschwunden war und Teile
der CDU – wie Adenauer es schon 1961 tat – mit einer großen Koalition liebäugelten, trat
Erhard am 30. November 1966 als Kanzler zurück.
Elisabeth Schwarzhaupt antizipierte den unaufhaltsamen Niedergang Erhards als
Kanzler und bot ihm bereits Ende September ihren Rücktritt an. Das Gesundheitsminis-
terium, darum bat sie den noch amtierenden Kanzler aber, sollte dieser beibehalten –
und es wiederum mit einer Frau zu besetzen.240 Für eine weitere Amtszeit in der Großen
Koalition, die ja nicht völlig im Bereich des Unmöglichen gelegen hatte, wollte sie sich
nicht mehr zur Verfügung stellen. Dies offenbart ein aufschlussreicher Briefwechsel Eli-
sabeth Schwarzhaupts mit einer Parteifreundin. Diese hatte ihr am 7.12.1966 geschrie-
ben: „Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass diese Umgruppierung im Kabinett, die wir
weitgehend der Dummheit und Treulosigkeit unserer eigenen Leute zu verdanken haben,
Ihnen keinen allzu großen Kummer macht.“ Darauf antwortete sie: „Ich bin ganz einig
mit Ihnen darum, dass diese politische Umgruppierung besser nicht stattgefunden hätte.
Ich kann es durchaus ertragen, dieser Koalitionsregierung nicht anzugehören.“241

235
Ebd., S. 36.
236
Laurien, Schwarzhaupt, S. 81.
237
Koerfer, Erhard, S. 95.
238
Ebd.
239
Reinhard Schmoeckel und Bruno Kaiser, Die vergessene Regierung. Die große Koalition 1966 bis
1969 und ihre langfristigen Wirkungen, Bonn 1991, S. 25.
240
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Ludwig Erhard vom 26. September 1966, BA Koblenz, N1177/23.
241
Briefwechsel Hanna Walz an Elisabeth Schwarzhaupt vom 7.12.1966 sowie Antwort Schwarzhaupts
am 12.12.1966, beide BA Koblenz, N1177/1. Hanna Walz war die Vorsitzende des Evangelischen Ar-
beitskreises der CDU Hessens.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 61

In diesem Briefwechsel wird die Enttäuschung deutlich, die Elisabeth Schwarzhaupt


gegenüber dem neuen Kanzler Kurt Georg Kiesinger empfunden haben muss. Dieser
hatte ihr Hoffnungen gemacht, weiter im Amt bleiben zu können.

Kiesinger hatte mir ein paar Tage, ehe die Regierungsbildung zu Ende war, noch irgend-
wann gesagt: „Mit Ihnen, das geht in Ordnung“. Der eigentliche Vorgang war so, dass die
Frau Strobel eigentlich das Familienministerium wollte und nicht das Gesundheitsministe-
rium; aber Herr Heck als einer der nächsten Mitarbeiter von Kiesinger wollte gern ins Kabi-
nett, weil er meinte, er könne seine Funktionen auch innerhalb der Partei nicht ausüben, er
war ja damals Parteigeschäftsführer, wenn er nicht im Kabinett mithört, was da geschieht
und er wollte das Familienministerium. Infolgedessen musste Frau Strobel das Gesundheits-
ministerium übernehmen, gar nicht zu ihrer besonderen Freude.242

Ähnlich erging es Elisabeth Schwarzhaupt, als sie das Ministerium „den Unionsfrauen
zuliebe“ übernehmen musste; und so erscheinen Elisabeth Schwarzhaupt und Käte Stro-
bel hier beinahe wie politische Zwillinge: Beide sind die ersten Ministerinnen ihrer jewei-
ligen Partei, beide sahen ihre politische Aufgabe vornehmlich in der Familien- und Frau-
enpolitik, und beide mussten ein Ministerium übernehmen, mit dessen Inhalten sie sich
nur allmählich anfreunden konnten.243 Aufgrund dieser biografischen Übereinstimmun-
gen verwundert es kaum, dass Elisabeth Schwarzhaupt sich gut mit ihrer Nachfolgerin
verstand und nie einen Zweifel daran aufkommen ließ, dass sie das von ihr selbst aufge-
baute Ministerium bei der Sozialdemokratin in guten Händen wusste. Die Amtsübergabe
fand bei einem Mittagessen statt, „und da habe ihr noch so einiges erzählt. Das ging also
in sehr fairen Formen zwischen ihr und mir vor sich.“244 Schließlich hatte sich Elisabeth
Schwarzhaupt ihrer Aufbauarbeit nicht zu schämen, konnte das Ministerium guten Ge-
wissens der Fränkin anvertrauen:

Die ersten Aufbaujahre waren sicher nicht leicht und ich meine, dass ich nach großen
Schwierigkeiten in den ersten Jahren meiner Nachfolgerin ein gut organisiertes und
leistungsfähiges Ministerium mit vielen guten und einigen hervorragenden Mitarbeitern
überlassen kann.245

So fair die Übergabe des Ministeriums verlief, so stillos verlief die Kabinettsumbil-
dung für Elisabeth Schwarzhaupt. Kiesinger beließ sie bis zum 1. Dezember 1966, dem
Tag ihrer Entlassung, in dem falschen Glauben, sie könne ihr Amt behalten; „so musste
es Elisabeth Schwarzhaupt wie ein Blitz getroffen haben, als plötzlich – quasi in einem

242
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 35f. Gemeint ist der Baden-Württemberger
Bruno Heck (1917-1989), der von 1952-58 Bundesgeschäftsführer der CDU war, von 1962-1968 Minis-
ter für Familie und Jugend wurde und von 1967-1971 als Generalsekretär seiner Partei verantwortlich
zeichnete.
243
Zudem stammt die Christdemokratin aus der Reichsstadt am Main, die Sozialdemokratin aus der alten
Reichsstadt an der Pegnitz, Nürnberg.
244
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 37. Hier bestätigt Elisabeth Schwarzhaupt ihr
Vertrauen in die Leitungsfähigkeiten Käte Strobels: „[...] aber Frau Strobel war nun auch eine gute
Nachfolgerin – eine sehr viel bessere als Frau Focke –, der ich mit einem guten Gewissen das hinter-
lassen konnte.“ Ebd., S. 36. Gemeint ist die Dr. Katharina Focke (geb. 1922), die von 1969-1976 für die
NRW-SPD im Bundestag saß.
245
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Franz Klose vom 8.12.1966, BA Koblenz, N1177/1.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 62

Akt – sie verabschiedet und Käte Strobel in das Amt eingeführt wurde.“246 Für beide
Frauen war in einem „Männerkabinett“ Mitte der 1960er Jahre kein Platz, oder, wie es
Hanna-Renate Laurien ausdrückte: „Zwei Frauen im Kabinett, das war der Männerge-
sellschaft nicht vorstellbar.“247 Sicher war diese grundsätzliche Abneigung gegen eine
Frau in den höchsten politischen Ämtern ein handfester Grund für die Oberkirchenrätin,
ihr Amt mit einer gewissen Erleichterung abzugeben.248 Als erste für Gesundheitspolitik
verantwortliche Ministerin der Republik zog sie sich jedoch beinahe völlig aus diesem
Politikfeld zurück.249 Die Gründe hierfür gab sie in einem Brief an den ehemaligen Präsi-
denten der Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege, Franz Klose, an:

Ich halte es für fair, in der nächsten Zeit nicht im Gesundheitsausschuss des Bundestages
mitzuarbeiten und auch keine Vorträge über Gesundheitspolitik zu halten. Ich werde mich im
Rechtsauschuss und im Sonderausschuss Strafrechtsreform betätigen.250

So lauter ihre Absicht war, die sie hier darstellte; ihre wahre politische Aufgabe hatte
Elisabeth Schwarzhaupt ohnehin nie in der Gesundheitspolitik gesehen – sie fühlte sich
als Familienrechtsexpertin, und so war ihre Entscheidung, sich in den verbleibenden drei
Jahren ihrer Zugehörigkeit zum Bundestag diesem Themenbereich widmen zu wollen,
verständlich. Zudem wollte sie sich nicht in Gefahr bringen, sich als ehemaliger Ministe-
rin dem Vorwurf hämischer Besserwisserei auszusetzen:

Die Versuchung wäre zu groß, Frau Strobel alle polemischen Anfragen, die die SPD in den
letzten Jahren an mich gerichtet hat, nach einigen Monaten wiederum vorzulegen. Da ich
das nicht tun will, will ich mich auch gar nicht in Versuchung führen.251

Dieser Versuchung entging sie zügig. Bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag
1969 saß sie einer Kommission vor, die das Nichtehelichenrecht reformierte. Zu gesund-
heitspolitischen Fragen äußerte sie sich öffentlich nicht mehr. Alle Einladungen, die sie
noch in ihrer Funktion als Gesundheitsministerin erhalten hatte, sagte sie höflich ab und
verwies auf ihre Nachfolgerin Käte Strobel. Erleichterung überkam sie – ihre wichtigste
politische Funktion stellte sie in allen ihren biografischen Skizzen und handschriftlichen
Rückblicken als Aufgabe dar, die sie nicht wirklich gewollt hat, aber eben aus Pflichtge-
fühl übernommen hatte. Sie berichtete meist kurz, welche größeren Gesetze verabschie-

246
Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 101.
247
Laurien, Schwarzhaupt, S. 81.
248
Siehe exemplarisch das Antwortschreiben Elisabeth Schwarzhaupts an Walter Bauer, Fulda, vom
8.12.1966, BA Koblenz, N1177/1: „Sie werden verstehen, dass ich wegen der Übergabe meines Amtes
nicht nur betrübt bin, sondern mich auch entlastet fühle und etwas aufatme.“
249
Nur im Gesundheitsausschuss der CDU unter der Leitung Gerhard Jungmanns arbeitete sie nach ihrer
Demission noch mit. Vgl. hierzu: Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Franz Klose vom 8.12.1966,
N1177/1.
250
Ebd. Dem Spiegel 53/66, S. 20, zufolge, war sie damit die einzige der ausgeschiedenen CDU-Minister,
die nach ihrer Nicht-Berücksichtigung im Kabinett Kiesinger bereits Ende Dezember 1966 wusste, „wo
sie künftig wirken will. Nach ihrem Gastspiel im Gesundheitsministerium zieht es die gelernte Juristin
wieder zur Rechtswissenschaft“.
251
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Viktoria Steinbiss vom 13.12.1966, N1177/1. Aus diesen Zeilen kann
man Elisabeth Schwarzhaupt nicht in erster Linie Häme gegenüber Käte Strobel attestieren, sondern
eher gegenüber deren Partei, der SPD.
3 Die Einrichtung des Ministeriums 63

det wurden, und wandte sich wieder ihren familienpolitischen Erfolgen zu. Ihre Biogra-
fen Ursula Salentin sowie Heike Drummer und Jutta Zwilling folgten ihr in dieser Priori-
tätensetzung. Alle Lebensbereiche werden von beiden breit beleuchtet, nur ihrer Minis-
terzeit schenken beide kaum Aufmerksamkeit. So konnte es kommen, dass es über die
Politik Elisabeth Schwarzhaupts bis heute keine Untersuchungen gibt. Trotzdem habe ich
versucht, die Grundsätze ihrer Politik im folgenden Kapitel kurz darzustellen.
4 Die Politik
Schwarzhaupts

Es erscheint paradox: Der Stellenwert der Gesundheit im Leben der


Menschen ist außerordentlich hoch, während der von Gesundheits-
politik eher mit durchschnittlich oder gar gering anzusetzen sein dürfte.
In der Hitliste der Wünsche der Bürger stehen die nach Gesundheit
und Frieden ganz obenan. Millionen von Deutschen wünschen sich
zum Jahresbeginn „ein gesundes neues Jahr“. Zu jedem Geburtstag
heißt es „... und Hauptsache Gesundheit!“252

G
esundheitspolitik ist eine zwiespältige Sache. Einerseits hat sie mit dem An-
spruch, „Leben und Gesundheit als höchstes Gut bewahren zu wollen“253, ein
klares Ziel vor Augen. Andererseits muss sie zwangsläufig an ihrem eigenen
Anspruch scheitern, wenn sie über nur begrenzte Mittel, dieses Ziel zu erreichen, ver-
fügt.254 Zudem wird sie in der Öffentlichkeit nur sehr undifferenziert wahrgenommen –
und wenn doch, dann meist nur über ihre Defizite, seien sie finanzieller, struktureller
oder politisch-planerischer Art. Während die Defizite oft offenkundig sind und durch
Medienberichte auch offenkundig gemacht werden, sind ihre Erfolge nicht so einfach
nachzuvollziehen. In der direkten Beziehung Arzt-Patient funktioniert diese Erfolgsdar-

252
Riege, Gesundheitspolitik, S. 22.
253
Christof Helberger, Ziele und Ergebnisse der Gesundheitspolitik, in: Wolf Dieter Narr und Dietrich
Thränhardt (hg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung, Entwicklung, Struktur, Königstein im
Taunus 1979, S. 235-267, S. 235.
254
Dorothee Buchhaas, Die Volkspartei. Programmatische Entwicklung der CDU 1950-1973, Düsseldorf
1981, S. 133, bezieht dieses Dilemma auf die programmatische Problematik, in der sich Schwarz-
haupts Partei Anfang der 1960er Jahre befand: „An die Stelle ordnungspolitischer Grundentscheidun-
gen trat nun seit Beginn der sechziger Jahre die Notwendigkeit erster Korrekturen von Fehlentwicklun-
gen, der Prüfung des wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumentariums hinsichtlich seiner Effizienz
und Problemadäquatheit. Notwendige Ergänzungen und Akzentuierungen im Bereich der Gesell-
schafts- und Sozialpolitik erwiesen sich einerseits als längst überfällig, andererseits aber angesichts
zunehmender politischer und ökonomischer Ressourcenverknappung schwieriger zu realisieren als
noch wenige Jahre zuvor.“
4 Die Politik Schwarzhaupts 65

stellung noch; wird der Patient gesund, „so registriert er dies ganz existenziell und Mit-
bürger und Nachbarn erleben es mit“255. Schwieriger nachzuvollziehen, mithin zu „erle-
ben“, sind die Erfolge der überindividuellen Gesundheitspolitik von Bund und Ländern,
da sich diese nur sehr schwer messen lassen:

Wer kann schon nachweisen, ob eine Anti-AIDS-Kampagne wirklich der Ausbreitung dieser
schrecklichen Krankheit entgegenwirkt? Oder welchen Wert hat die Herz-Kreislauf-
Prävention [...], verringert sie wirklich die Sterblichkeit an Herz- und Kreislauferkrankungen?
Finanzminister und eine kritische Öffentlichkeit pflegen solche unangenehmen Anfragen an
die Gesundheitspolitik zu stellen.256

Diese Nachweisproblematik, die die Gesundheitspolitik schwer evaluierbar macht,


führte zu einem grundsätzlichen Akzeptanzproblem dieses Politikbereichs. Gerade in-
nerhalb der CDU war Gesundheitspolitik nur ein Randthema, nahm mithin „nur einen
sehr kläglichen Raum ein“ und kam vielfach „auch über allgemeine Deklamationen nicht
hinaus“.257 Elisabeth Schwarzhaupt erkannte darin einen schweren strategischen Fehler
für die CDU, überließ die Partei dieses Feld doch fast vollständig der SPD – und belächel-
te zu allem Überfluss auch noch die wenigen aktiven Gesundheitspolitiker in den eigenen
Reihen. Darüber echauffierte sich die Ministerin direkt beim Vorsitzenden ihrer Partei,
Konrad Adenauer:

Solange die Gesundheitspolitik als eine Angelegenheit von Sektierern abgetan wird, kann
nicht damit gerechnet werden, dass sich in der öffentlichen Meinung etwas Grundlegendes
ändert. Dabei dürfte schon jetzt klar sein, dass der Bundestagswahlkampf des nächsten
Jahres gerade die Frage der Umweltgefahren zum Gegenstand haben wird.258

Auf diesem innenpolitischen Gebiet – Gesundheit, Umwelt, Wohlfahrt – sah Elisabeth


Schwarzhaupt die CDU argumentativ bereits weit hinter die SPD zurückgefallen, hatte
diese doch den Begriff der „versäumten Gemeinschaftsaufgaben“ für den kommenden
Wahlkampf besetzt; ein Begriff, den die CDU direkt von Willy Brandt adaptierte, selbst
aber kaum mit Leben füllen konnte.259 Einerseits warf das Dilemma, von der Bevölke-
rung zwar für die schleppende Gesundheitspolitik verantwortlich gemacht zu werden,
anderseits aber aufgrund der Verfassungslage kaum Handlungsbefugnisse zu haben,260
ein schlechtes Licht auf die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Dies kratzte damit

255
Riege, Gesundheitspolitik, S. 23.
256
Ebd.
257
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an CDU-Chef Adenauer vom Juli 1964, BA Koblenz, N1177/23, S. 5.
258
Ebd. Dieser Brief ist von einer erstaunlichen Offenheit. So greift Elisabeth Schwarzhaupt direkt die
Wirtschaftspolitik der Adenauer-Regierung an: „Leider ist nun einmal für viele Menschen das Geldver-
dienen wichtiger als die Gesundheit. Mit ihr beschäftigt man sich erst dann, wenn man sie nicht mehr
hat oder gefährdet fühlt. Wenn es gelänge, in der CDU die Mauer des Desinteresses zu durchbrechen,
wäre viel gewonnen.“
259
Den Begriff der „Gemeinschaftsaufgabe“ verwenden zwar vereinzelte CDU-Delegierte in ihren Rede-
beiträgen auf dem Kölner Parteitag (etwa NRW-Ministerpräsident Meyers, Kölner Parteitag, S. 270),
als zentraler politischer Schlüsselbegriff wird er aber längst von Brandt verwendet (etwa in Ders., Plä-
doyer für die Zukunft. 12 Beiträge zu deutschen Fragen, Frankfurt am Main 1961, S. 18, 22, 98) und
geht auf eine SPD-Veröffentlichung zurück. Vgl. hierzu: Helmut Rohde, Aspekte moderner Sozialpolitik,
in: Die neue Gesellschaft 4/1965, S. 841-853, S. 842f.
260
Siehe hierzu Kap. 4.4.
4 Die Politik Schwarzhaupts 66

direkt am Renommee der Ministerin. Um dies zu verhindern, musste Elisabeth Schwarz-


haupt ihre Partei und ihren Vorsitzenden rechtzeitig wachrütteln:

Wenn es nicht gelingt, die Position des Bundes auf gesundheitspolitischem Gebiet zu
stärken, wird gerade die CDU m.E. in eine sehr schwierige Lage kommen. Seit langem
zeichnet sich ab, dass vor allem die Opposition den Bundestagswahlkampf mit
innenpolitischen Themen, vor allem den sogenannten versäumten Gemeinschaftsaufgaben,
führen will.261

Elisabeth Schwarzhaupt versuchte hiermit, direkt beim Parteivorsitzenden eine pro-


grammatische Diskussion anzustoßen, die die CDU-Vorstellungen einer Gesundheits-
politik und die sie umfassenden „Gemeinschaftsaufgaben“ verstärkt in den Blick nahm
und diese dadurch verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten. Diese Entwicklung,
Adenauer auf neue Politikfelder aufmerksam machen zu müssen, war relativ neu. Galt in
den 1950er Jahren noch der Satz des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hans
Meyers: „Der Name des Bundeskanzlers ist unser Programm“262, und erschien dieses
personale „Rhöndorfer“ Parteiprogramm in der Nachkriegszeit noch für weite Wähler-
schichten als attraktiv, hatte Anfang der 1960er Jahre nun die SPD eine attraktivere und
moderne Programmatik vorzuweisen. Die CDU musste handeln, und Elisabeth Schwarz-
haupt musste dies dem unumschränkten Parteichef hinterbringen.263
Doch wie sollte eine Gesundheitspolitik, die von einer christdemokratischen Ministe-
rin zu verantworten war, aussehen? Welche Schwerpunkte sollte sie haben, und wo
musste aufgrund pragmatischer und praktikabler Gründe die Parteilinie verlassen wer-
den – auch wenn sich der Aspekt „Gesundheitspolitik“ innerhalb der CDU-Programmatik
gerade erst herauszubilden begann, und damit eigentlich gar keine klare Linie vorgege-
ben war? Da die CDU zu diesen Fragen noch keine Antwort gefunden hatte, entwickelte
Elisabeth Schwarzhaupt innerhalb ihrer Amtszeit eine individuelle gesundheitspolitische
Vorstellung, die sich schillernd zwischen Grundaxiomen christdemokratischer Politik-
vorstellungen einerseits und partiell sogar gelinde sozialistisch anmutenden Vorstellun-

261
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Konrad Adenauer vom August 1964, N1177/23. Zu gesundheitspoli-
tischen Grundsätzen und umweltpolitischen Leitlinien fand sich die CDU erst im September und Okto-
ber 1978 bereit. Vgl. Kleinmann, Geschichte der CDU, S. 422, sowie Frank Relke, Ökorepublik
Deutschland? Die Ökologisierung der Wirtschaft in den Programmen der bundesdeutschen Parteien,
Frankfurt am Main 1997, S. 32f.
262
So Hans Meyers auf dem CDU-Bundesparteitag 1958, S. 12. Bedingt durch diese „Kanzler-Program-
matik“ ist es auch wenig verwunderlich, dass die CDU erst in Oppositionszeiten, als sie eben keinen
Kanzler mehr stellte, zu einem Grundsatzprogramm fand. 1971 berief die Partei eine Kommission, die
diese christlich-demokratischen Grundsätze ausarbeiten sollte; sie wurden erst auf dem Ludwigshafe-
ner Parteitag vom Oktober 1978 verabschiedet – fast zwei Jahrzehnte nach Bad Godesberg. Vgl.
Kleinmann, Geschichte der CDU, S. 422ff.
263
Buchhaas, Volkspartei, S. 244f, schildert die Situation, in der sich die CDU während der Umbruchzeit
der 1960er Jahre befand, plastisch anhand des Bildes eines Kolonialwarenladens, der, solange er kon-
kurrenzlos war und seine Produkte begehrt und qualitätsvoll waren, keines Ladenschildes bedurfte
(das Ladenschild steht für die Werbung und ist hier gleichbedeutend mit der Parteiprogrammatik). Erst
als die Konkurrenz stieg, würde „die Güte seines Sortiments [...] nicht mehr fraglos akzeptiert; es galt,
den Kunden aufs neue zu überzeugen, dass das Warenangebot auch künftig seinen Ansprüchen ent-
sprach.“ Will sagen: die CDU musste sich programmatisch erneuern, da ihr mit Willy Brandt erstmals
ein ernstzunehmender politischer Konkurrent erwachsen war. Die CDU war fortan nicht mehr die in-
formelle „Staatspartei“ der jungen Bundesrepublik.
4 Die Politik Schwarzhaupts 67

gen andererseits bewegte.264 Zwei große Fragen musste sie dabei beantworten. Erstens:
Wie grenzte sich kompetenzarme Gesundheitspolitik, wie sie von ihr zu vertreten war,
von dem etablierten und umfassenden Gebiet klassischer Sozialpolitik ab. Und zweitens:
wieviel staatliche Initiative war nötig in einem doch sehr individualistisch zu verstehen-
den Politikbereich wie dem der persönlichen Gesundheit? Dazu muss aber erst einmal
grundsätzlich geklärt werden, wie Schwarzhauptsche Gesundheitspolitik im Kern aussah
und wie nicht. Dass ihre Definition weit von der bismarckschen Sozialversicherungsidee
entfernt war, und dass sie ihre Aufgabe nicht einzig in der Umverteilung von Versiche-
rungsleistungen sah, hatte nicht nur mit organisatorischen Gründen zu tun. Die Zuwei-
sung von Kompetenzen zwischen den Ministerien war ein Aspekt von vielen. Elisabeth
Schwarzhaupts Ansatz war grundlegender: Konnte alleine mit der Umverteilung von
Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Anfang der 1960er Jahre noch
eine moderne Gesundheitspolitik betrieben werden?

4.1 Gesundheitpolitik versus


Sozialpolitik

Sie [die Gesundheitspolitik] unterscheidet sich in Ziel und Methode von


der Sozialpolitik, die es mit der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit
der Menschen zu tun hat, von der Bildungspolitik und von der
Familienpolitik. Die Methode der Gesundheitspolitik ist nur in geringem
Maß Umverteilung von Einkommen, wie es in der Sozialpolitik weithin
geübt wird.265
Elisabeth Schwarzhaupt (1965)

Wenn Gesundheitspolitik in sozialpolitischen Zusammenhängen zur Sprache kommt,


dann wird sie schnell verengt auf Fragen der Sozialversicherung. Wie ist der Arbeitneh-
mer versichert, was bekommt er nach wie vielen Karenztagen mit welchem Sockelbetrag
wann ausbezahlt? Mit Fragestellungen wie diesen arbeitete die bismarcksche Sozialversi-
cherungspolitik, und die politische Historiographie übernahm diese Betrachtungsweise.
Noch in den Sechziger und Siebziger Jahren war diese versicherungslastige Sicht sozial-
politischen Handels die einzige Sicht auf dieses Politikfeld. So schrieb Frank Pilz noch
zwölf Jahre nach der Ablösung Elisabeth Schwarzhaupts als Gesundheitsministerin in
einem Handbuch zur Sozialpolitik: „Der Begriff der Sozialpolitik erhält [...] einen primär
verteilungspolitischen Sinngehalt: Das spezifisch sozialpolitische Problem wird weitge-

264
Helberger, Gesundheitspolitik, S. 237, definiert grob diese beiden politischen Blöcke: „Versucht man,
diese vielfältigen Interessengegensätze zu systematisieren, kann verallgemeinernd von zwei Konzepti-
onen gesprochen werden, welche die Gesundheitspolitik beherrscht haben und noch beherrschen. Die
eine Konzeption erachtet Selbstverantwortung und – wirtschaftliches – Leistungsstreben als zentrale
Zielsetzung. Sie befürwortet weitgehend durch Märkte geregelte soziale Beziehungen. In der Bundes-
republik bestimmte sie die Politik der konservativen Parteien und Verbände. Die andere Konzeption
gibt den Zielen des Schutzes sozial Schwacher und des Ausgleichs sozialer Ungleichheiten stärkeres
Gewicht. Dies führt zur Befürwortung stärkerer staatlicher Einflussnahme auf die sozialen Beziehun-
gen. Diese Konzeption wurde von der politischen Linken vertreten.“
265
Siehe Elisabeth Schwarzhaupt, Gesundheitspolitik in der Gesellschaft von morgen. Referat auf der 12.
Bundestagung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU vom 27.-29. Mai 1965 in Bonn.
4 Die Politik Schwarzhaupts 68

hend als eine Frage des mit der Verteilung verbundenen Gerechtigkeitsgrads der Sozial-
leistung angesehen. Entscheidendes Kriterium für die Kennzeichnung moderner Sozial-
politik ist demnach die Art der sozialen Leistungen, die grundsätzlich aus Transferleis-
tungen und nicht-monetären Leistungen bestehen.“266 Und der Hamburger Mediziner
Friedrich Thieding beschrieb die aktuelle Situation kurz nach Gründung des Schwarz-
haupt-Ressorts folgendermaßen:

Aus christlich-humaner Verantwortung, aus politischer Einsicht gewann der Staatssozialis-


mus Bismarcks, die Staatsfürsorge, zunehmend an Bedeutung. Die soziale Medizin mit ihrer
engen Beziehung zur Wirtschaft forderte von den Ärzten die Lösung begutachtender
Fragen, die dem Wesen des Arzttums fremd sind. Arbeitsunfähigkeit – Arbeitsfähigkeit, In-
validität, Begriffe der Begutachtung bei den verschiedenen sozialen Versicherungseinrich-
tungen, drangen in die Klinik und Praxis. Vom Versicherungsträger, aber auch von der Ge-
setzgebung wurden sie nur zu häufig gegenüber echten Gesundheitsfragen bevorzugt, war
doch die Sicherung des Einkommens durch Zahlung von Krankengeld die vorwiegende Auf-
gabe der sozialen Krankenversicherung, die Rentenzahlung bei Invalidität und Berufsun-
fähigkeit und die in den zwanziger Jahren. Hinzugekommene Arbeitslosen-Unterstützung
bei Arbeitslosigkeit die erstrebenswerte Aufgabe sozialer Sicherung. Bis in unsere Tage hat
diese sozialwirtschaftliche Sicht nicht an Bedeutung verloren.267

Dass eine solchermaßen eingeschränkte Definition von Gesundheitspolitik als umver-


teilende Sozialpolitik nicht die „Arbeitsplatzbeschreibung“ des Bundesgesundheitsminis-
teriums sein konnte, zeigte sich schon allein daran, dass die Krankenversicherung nicht
etwa im Gesundheitsministerium, sondern im Arbeitsministerium ressortierte, zuständi-
ger Ressortchef nicht Elisabeth Schwarzhaupt, sondern Arbeitsminister Theodor Blank
(CDU) war.268 Diese Reduzierung von gesundheitspolitischen auf versicherungstechni-
sche Fragestellungen war in einer Bundesrepublik des Wirtschaftswunders aber nicht

266
Frank Pilz, Das sozialstaatliche System der Bundesrepublik Deutschland. Grundzüge der Sozial- und
Gesellschaftspoitik, München 1978, S. 36. Das Unterkapitel, das sich explizit mit Gesundheitspolitik be-
fassen soll, überschreibt Pilz mit den Worten: „Gesundheitspolitik (Krankenversicherungsreform)“, und
folgerichtig behandelt er ausschließlich diesen versicherungspolitischen Aspekt der Gesundheitspolitik.
Ebd., S. 102ff. Auch Winfried Süß, Gesundheitspolitik, in: Hans Günther Hockerts, Drei Wege deut-
scher Sozialstaatlichkeit. NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich, München 1998, S, 55-
100, S. 61ff., reduziert seine Betrachtungsweise weitgehend auf die Funktionsprinzipien der gesetzli-
chen Krankenversicherung, obwohl gerade der Vergleich mit den Versuchen von NS-Diktatur und
DDR, eine staatlich regulierte Gesundheitsfürsorge für alle aus staatspolitischen Gründen zu erreichen,
hier thematisch mehr geboten hätte; beispielsweise eben der Versuch, staatlicherseits Umweltpolitik zu
betreiben, um somit eine Grundlage für eine Verbesserung der „Gesamtgesundheit“ der Bevölkerung
zu erreichen. Vgl. für die Frühphase der Republik auch Hans Günter Hockerts, Sozialpolitische Ent-
scheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945-1957,
Stuttgart 1980.
267
Friedrich Thieding, Die Medizin in der heutigen Gesellschaft, in: Deutsche Zentrale für Volksgesund-
heitspflege (hg.): Gedanken und Beiträge zur Gesundheitspolitik. Herrn Professor Dr. Franz Klose zum
75. Geburtstag gewidmet, Frankfurt am Main 1962, S. 12-18, S. 13. Hervorhebung im Original.
268
Vgl. Stellungnahme zu den Fragen von euromed im Schreiben vom 19. November 1963, BA Koblenz,
B142/3614, S. 1. Arbeitsminister Blank versuchte zwischen 1958 und 1964 eine Reform der GKV, was
dem Reformpaket den Namen „Blank-Paket“ einbrachte. Blank sah die Einführung von Selbstbeteili-
gungen vor, das Krankengeld sollte gerechter auf alle Tage der Woche verteilt ausbezahlt werden, alle
Arbeitnehmer bis 660 DM Monatsverdienst sollten pflichtversichert werden und das Arztrecht wurde
geändert. Bei dieser Änderung konnte Elisabeth Schwarzhaupt eigene Vorstellungen einbringen, vor
allem zur Neufassung der Gebührenordnung für Ärzte. Vgl. ausführlich: Philipp Herder-Dorneich, Öko-
nomische Theorie des Gesundheitswesens. Problemgeschichte, Problembereiche, Theoretische
Grundlagen, Baden-Baden 1994, S. 118ff.
4 Die Politik Schwarzhaupts 69

mehr zeitgemäß. Die Bedingungen, unter und wegen denen Ende des 19. Jahrhunderts
die Krankenversicherung eingeführt wurde, hatte sich weitgehend verändert:

Die klassische Sozialpolitik hatte sich darauf beschränkt, Not zu beheben; Not durch Armut,
Seuchen oder Krankheit als Schicksalsschlag. Der Krankheitsbegriff hatte sich fatalerweise
verknüpft mit dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit. Der Mensch unserer Tage ist aber anders
gesund und anders krank als der zu Bismarcks Zeiten. Wer noch arbeitsfähig ist, muß
darum nicht gesund sein, und in vollem Umfange behandlungsfähig kann schon der sein,
der noch nicht arbeitsunfähig ist. Das zu erkennen, bedurfte es nicht erst der Lehre von der
Psychosomatik oder des Begriffes der vegetativen Dystonie!269

Ein nur auf Versicherungsleistungen reduzierter Begriff von Gesundheitspolitik konn-


te diese neuen gesundheitspolitischen Aufgaben der ausgehenden Wirtschaftswunder-
jahre, eben die Verhinderung von psychosomatischen Erkrankungen etwa, nicht lösen.
Zumal ihm ein logischer Fehler innewohnte: Die Krankenversicherung schützte und för-
derte nicht etwa die Gesundheit, sondern „belohnte“ die Krankheit: „Mit ihr – und nur
mit ihr – sind zahlreiche materielle Leistungsversprechen verbunden. Das System sozia-
ler Sicherung ist zu einer psychogenen Krankheitsursache größeren Ausmaßes gewor-
den“, meinte etwa der Vorsitzende des Hartmannbundes, Siegfried Häußler und meinte
lapidar: „Wer in den Genuß von Leistungen kommen will, von wohlerworbenen Rechten,
der muß krank werden, indem er krank wird, sorgt er doch für seine Gesundheit.“270
Dies muss allen Beteiligten 1961 klar gewesen sein. Fragen, die die GKV betrafen, soll-
ten vom Gesundheitsministerium daher ferngehalten werden. Das neue Ressort wäre
aufgrund seines sehr bescheidenen Etats und seiner dünnen Personaldecke zudem über-
haupt nicht in der Lage gewesen, den mit der Krankenversicherung verbundenen admi-
nistrativen Aufwand leisten zu können. Das ist das eine, das mit der Politikplanung zu-
sammenhängt. Rein systematisch, so Elisabeth Schwarzhaupt, hätte die GKV aber
durchaus ihrem Ministerium zugeordnet werden müssen:

Die Krankenversicherung stellt mit ihren Leistungen Weichen für die Behandlung der
Kranken. Sie hatte eine wesentliche gesundheitspolitische, nicht in erster Linie arbeits-
politische Bedeutung. Dem müßte auch die organisatorische Einordnung in der
Bundesverwaltung entsprechen.271

Elisabeth Schwarzhaupt hielt es in ihren Lebenserinnerungen zwar „nach wie vor für
einen Fehler“272, dass die Kompetenzen für die Verwaltung der Gesetzlichen Krankenver-
sicherung (GKV) nicht auf ihr Ressort übergegangen waren, sondern im Arbeitsministe-
rium verblieben. Eine Umorganisation hätte das neue Ministerium und seine Leiterin
aber sicherlich völlig überlastet. Ihre Aufgaben lagen in anderen Bereichen, und sie

269
Uwe-Jens Nissen, Vordringliche Aufgaben der Gesundheitspolitik, in: Die neue Gesellschaft1/64, S. 37-
42, S. 41. Hervorhebung im Original.
270
Siegfried Häußler, Der Einzelne und seine Gesundheit, in: Deutsche Zentrale für Volksgesundheits-
pflege (hg.): Gedanken und Beiträge zur Gesundheitspolitik. Herrn Professor Dr. Franz Klose zum 75.
Geburtstag gewidmet, Frankfurt am Main 1962, S. 24-27, S. 25.
271
Ebd. Riege, Gesundheitspolitik, S. 22, hierzu: „Erst 1990 wurde dem Haus die wohl wichtigste Abtei-
lung aus dem Arbeits- und Sozialministerium zugeordnet, die zur wesentlichsten Aufgabe von Gesund-
heitspolitik gehört, nämlich die Abteilung ‚Krankenversicherung’“.
272
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 270.
4 Die Politik Schwarzhaupts 70

grenzten sich von einer bismarckschen Sozialpolitik klar ab. In einem Brief an Konrad
Adenauer stellte sie diese Abgrenzung auch gegenüber dem Kanzler klar:

Der Bildung des Bundesministeriums für Gesundheitswesen durch Sie, Herr Bundeskanzler,
lag die Auffassung zugrunde, dass das Gesundheitswesen im weitesten Sinne eine
eigenständige Staatsaufgabe neben Kulturpolitik und Sozialpolitk ist, die auch den Schutz
der Umwelt in einem modernen Industrieland vor gesundheitlichen Gefahren mitumfasst.
Um diese Aufgaben hat sich die klassische Gesundheitspolitik ausgeweitet.273

In diesem Brief redete die Ministerin nicht etwa ihrem Parteichef nach dem Munde –
vielmehr machte sie ihm ihre Auffassung von Gesundheitspolitik deutlich und bezog ihn
dabei geschickt in die „Willensbildung“ mit ein: Diese sei eben keine Sozialpolitik, son-
dern müsse sich als eigenständiges Politikfeld verstehen, dessen Kompetenzen vornehm-
lich in der immateriellen Verbesserung der Lebensumstände und Lebensbedingungen
der Bevölkerung zu suchen seien. Die Verbesserung der Lebensumstände durch präven-
tive Maßnahmen waren ein völlig anderer – und weitaus kostengünstigerer – Politikan-
satz, der auf staatliche Umverteilungskonzepte weitgehend verzichten sollte. Sowohl in
der Gesundheits-, aber auch in der Umweltpolitik verfolgte die Ministerin einen solchen
Ansatz:

Man sollte vermeiden, hier wiederum den früher begonnenen Weg der Umverteilung von
Einkommen zu gehen, etwa dem durch Immissionen Geschädigten prinzipiell einen
Anspruch auf Umsiedlung zu geben, die ganz oder teilweise auf öffentliche Kosten gehen
würde. Man sollte auch vermeiden, aus öffentlichen Mitteln prinzipiell die Kosten für Luft-
und Wasserverunreinigung zu übernehmen. Man würde hier wiederum den mit Recht
angegriffenen Weg der Einkommensverteilung gehen, der gerade hier oft zu einer
Umverteilung zugunsten begüterter Unternehmer führen würde. Man sollte an dem
Grundsatz: „Wer verschmutzt, trägt die Kosten für die Reinigung“ festhalten und im Prinzip
nicht weiter abgleiten auf dem Weg, soziale Investitionen auf den Staat zu übernehmen, die
prinzipiell Unkosten des Unternehmens sein müssten.274

Diese prinzipielle Einsicht in die Notwendigkeit des Verursacherprinzips, dass eben


nur nachhaltiges Wirtschaften ohne einseitigen Ressourcen- und Landschaftsverbrauch
die Lebensqualität sichern und für die Zukunft bewahren konnte, ist eine Einsicht, die
sich klar gegen das bislang praktizierte und bewunderte Wirtschaftssystem richtete. Der
Staat sollte nicht mehr „Reparaturwerkstatt“ für Schäden aufkommen, die einzelne Wirt-
schaftsunternehmen zugunsten ihres eigenen Profites verursachten. Stattdessen müsste
auf die individuelle Verantwortung jedes einzelnen für sein Umweltverhalten gesetzt
werden.
Dass Elisabeth Schwarzhaupt aber durchaus auch staatliche Interventionen unter-
stützte, mehr als es ihrer eigenen Partei „lieb“ war, zeigt das nächste Unterkapitel.

273
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Adenauer vom 20. Mai 1964, BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
274
Elisabeth Schwarzhaupt, Standort der Gesundheitspolitik, ohne Datum (vermutlich 1963/64), BA Kob-
lenz, N1177/21, S. 5.
4 Die Politik Schwarzhaupts 71

4.2 Staatliche Initiative versus


individuelle Verantwortung

Gesundheitspolitik hat aber ein sehr persönliches Gut des Menschen,


seine Gesundheit und sein gesundheitliches Verhalten, zum Ziel und
zum Gegenstand. Staatliche Gesetze, Gebote und Verbote können
äußere Voraussetzungen schaffen, wie die Ausbildung fähiger Ärzte,
den Schutz der Menschen vor vermeidbaren Umweltschäden, aber
wesentliche Voraussetzungen für die Erhaltung der Gesundheit und
der Heilung von Krankheiten werden durch das ganz persönliche Ver-
halten der Menschen und durch freie verantwortliche Entscheidungen
275
ihrer Ärzte verwirklicht.
Elisabeth Schwarzhaupt (1982).

Eine Frage, die Elisabeth Schwarzhaupt umtrieb und die sie immer wieder themati-
sierte, war, inwieweit der Staat in den persönlichen Bereich von Kranken, aber auch in
denjenigen Gesunder, eingreifen dürfe. „Auf der einen Seite“, so die Ministerin, „ist die
Gesundheit ein sehr persönliches Gut, auf der anderen Seite bedarf die Wahrung ge-
sundheitlicher Forderungen in unserer modernen Gesellschaft einer weitgehenden staat-
lichen Mitwirkung.“276 In diesem Spannungsverhältnis stand sie während ihrer gesamten
Amtszeit, und es ist nicht einfach, ihre Position innerhalb dieses Spannungsverhältnisses
exakt zu bestimmen. Einerseits gab es christlich-demokratische Grundsätze von indivi-
dueller Verantwortung und Subsidiarität, andererseits hatte sie eine tiefe Einsicht in die
Notwendigkeit staatlicher Initiativkompetenz in einer immer umfangreicher und immer
teurer werdenden medizinischen Entwicklung: Weil „die vollen Kosten für eine größere
Operation einschließlich des Anteils an den Kosten für die Errichtung und Unterhaltung
von Klinik, Operationssaal, modernen Apparaten, Bezahlung und Ausbildung der Ärzte
und des Pflegepersonals und der Investitionen in die Forschung“ so hoch seien, wären sie
„aus privaten Mitteln“ kaum zu finanzieren – dies war der Ministerin sehr einsichtig.277

275
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 272.
276
Elisabeth Schwarzhaupt, Aufgaben und Ziele des Bundesministeriums für Gesundheitswesen, Aufsatz
für die „Blätter der Wohlfahrtspflege“ (Landeswohlfahrtswerk für Baden-Württemberg, Frau Dr. Ihme),
4. August 1963, in: ACDP 01-048-016/2, S. 1-9, S. 3f.
277
Elisabeth Schwarzhaupt, Standort der Gesundheitspolitik, BA Koblenz, N1177/21, S. 4. Die Ministerin
hielt auch die Leistungen der Krankenversicherung nicht in allen medizinischen Feldern für ausrei-
chend, da sie „heute kaum irgendwo zur vollen Deckung aller Kosten einer schwierigen Behandlung“
beitrage, so dass die öffentliche Hand hier zwingend die Finanzierung übernehmen müsse. Ebd. Aber
auch im Krankenhausbau und in der Ausbildung von Pflegekräften sei der Staat finanziell gefordert.
Vgl. hierzu: Schwarzhaupt, Aufgaben und Ziele des Bundesministeriums für Gesundheitswesen, S. 4.
4 Die Politik Schwarzhaupts 72

Der Staat müsse soziale Ungerechtigkeiten ausgleichen können, denn dass die moderne
Medizin nicht alleine denen vorbehalten sein sollte, die sie sich leisten konnten, verstand
sich für Elisabeth Schwarzhaupt von selbst:

Eine Mitbeteiligung der öffentlichen Hand wird heute mindestens ebenso dringlich gefordert
wie bei der Ergänzung des Einkommens der nicht oder nicht hinreichend erwerbsfähigen
Staatsbürger, weil unsere Gesellschaft zwar Unterschiede im Einkommen anerkennt; sie
erkennt aber nicht an, dass die dem Stand unserer medizinischen Möglichkeiten
entsprechende Behandlung eines Kranken begüterter Schichten zugute kommt und dem
weniger Begüterten nicht. Der Satz: „Weil Du arm bist, musst Du früher sterben“, ist ein
Appell an das soziale Gewissen, das den Stand der Medizin mit Recht als ein Allgemeingut
empfindet und zu dem Recht jedes Staatsbürgers auf Entfaltung seiner Persönlichkeit und
auch das Recht auf die bestmögliche ärztliche Behandlung zählt.278

Dieses „Recht auf die bestmögliche ärztliche Behandlung“ konnte nur der Staat garan-
tieren, und nur er konnte beispielsweise für eine umfassende und flächendeckende Prä-
vention sorgen: „Impfungen gegen ansteckende Krankheiten retten unzählige Leben,
wenn sie von allen oder fast allen angewandt werden. Hier liegt die Verantwortung des
Staates auf der Hand.“279 Im Präventionsbereich, der Gesundheitsschäden verhindern
sollte und damit einerseits die Lebensumstände verbesserte und andererseits dem Ge-
sundheitswesen Kosten ersparte, lag ein weites Feld staatlicher Initiative – fernab von
Versicherungsfragen. Die gesundheitliche Aufklärung war dabei eines der grundlegenden
Aufgabenfelder, das, so Elisabeth Schwarzhaupt, vornehmlich von staatlicher Initiative
getragen werden musste. Zwar lag ein „sehr wesentlicher Teil der Verantwortung für un-
sere Gesundheit bei den einzelnen Menschen, bei der einzelnen Familie, und in ihr be-
sonders bei der Frau“280, wie die Ministerin realistisch einschätzte. Trotzdem durfte sich
der Staat aus seinem Anteil an der Verantwortung für gesundheitliche Aufklärung nicht
davonstehlen, musste dem Einzelnen hilfreich-aufklärend zur Seite stehen:

Die Menschen wissen zwar, dass Rauchen ungesund ist, und es ist eine etwas faule
Ausrede, wenn hier immer wieder nach staatlichen Verboten oder nach staatlicher
Kennzeichnung der Zigaretten, oder nach staatlicher Aufklärung gerufen wird. Aber vieles
281
wissen die Menschen nicht.

Also musste das Gesundheitsministerium Aufklärungs- und Werbemaßnahmen etab-


lieren, die bundesweit einheitlich vor den Krebsgefahren des Rauchens warnten – hier
buchte das Ministerium sogar Werbezeit im Fernsehen282 – oder die zur freiwilligen

278
Schwarzhaupt, Standort der Gesundheitspolitik, S. 3f.
279
Elisabeth Schwarzhaupt, Staatliche Gesundheitspolitik. Verknüpfung öffentlicher mit persönlicher Ver-
antwortung – Technik im Dienste auch des menschlichen Wohlbefindens, in: Bulletin 24/1964, S. 206-
208, S. 206. Der Text entstammt einer Rede der Ministerin, die sie am 29. Januar 1964 in Oberhausen
zum Thema „Gesundheitspolitische Verantwortung des Staates“ hielt.
280
Elisabeth Schwarzhaupt, Manuskript einer Rede zur Sicherung des Niveaus der Apotheken, ACDP 01-
048-015/1, S.18.
281
Ebd.
282
Der Spiegel 2/1964, S. 16: „Elisabeth Schwarzhaupts Behörde hat drei TV-Spots über die gesundheitli-
chen Gefahren des Rauchens herstellen lassen, die das Ministerium gebührenfrei im Abendprogramm
der deutschen Fernsehsender vorführen will. Die Kurzfilme sollen während der Umschaltpausen zwi-
schen Sendungen mit starkem Zuschauer-Zuspruch gezeigt werden.“
4 Die Politik Schwarzhaupts 73

Schluckimpfung gegen die Kinderlähmung aufriefen. Die Gesundheitserziehung jedes


einzelnen Bürgers, und speziell jedes einzelnen Kindes, konnte der Staat hingegen nicht
organisieren. Hier setzte Elisabeth Schwarzhaupt auf Subsidiarität:

Ich bin nicht der Meinung, dass der Staat selbst, insbesondere der Bund, die Gesundheits-
erziehung als solche übernehmen kann. Die unmittelbare Information von Mensch zu
Mensch, Vorträge an Ort und Stelle können besser von freien Organisationen oder von den
Gesundheitsbehörden der Gemeinden, die den Menschen, den Bedürfnissen einer
bestimmten Gegend oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe näher stehen,
vorgenommen werden als von zentralen Staatsstellen. Der Bund kann aber diesen vielen,
den Menschen näheren Stellen im Lande selbst dadurch hilfreich sein, dass er durch seine
Bundesanstalt Material zur Verfügung stellt.283

Der Bund informiert, die Nachbarschaft hilft – so könnte man diesen Ansatz zusam-
menfassen. Dieser galt für die gesundheitliche Aufklärung, und er galt für Bereiche der
unmittelbaren Krankenpflege. In den beiden „modernen“ Aufgabengebieten, mit denen
sich das Gesundheitsministerium aber befasste, galt dieses Prinzip nicht mehr: im Um-
weltschutz und im Verbraucherschutz. Gerade im Umweltbereich war die Notwendigkeit
staatlicher Initiative offensichtlich, da der Einzelne der zunehmenden Gefährdung seiner
Gesundheit durch Umwelteinflüsse und technische Neuerungen aus eigener Kraft nichts
entgegensetzen.284

Wir meinen, dass hier Verantwortung und Zuständigkeit übergeordneter staatlicher Stellen
eingesetzt werden muß, damit garantiert wird, dass die Entwicklung der Technik nicht ohne
Rücksicht auf das Gemeinwohl vor sich geht, so dass wir zu einer richtigen, einer reifen,
einer sozialgebundenen technischen Fortentwicklung kommen, die das Wohl aller
Menschen sieht. Wenn hier staatliche Aktivität verstärkt werden muß und zur Zeit in vielen
Ländern und im Bund verstärkt wird, so handelt es sich nicht um ein Überwuchern
staatlicher Machtansprüche, sondern um eine unabdingbare, aus den Aufgaben der Zeit
erwachsende politische Notwendigkeit.285

Der Staat konnte sich also gar nicht aus dem Umweltschutz zurückziehen. Nur er hat-
te die politischen Mittel – also die Gesetzgebungs- und Überwachungskompetenzen –,
um eine technische Entwicklung einzudämmen, die sich zu Lasten der Umwelt und der
Gesundheit der Bevölkerung ausbreitete. Auf dem 12. Bundesparteitag der CDU stellte
Elisabeth Schwarzhaupt den Delegierten dazu drei Grundsätze vor, die sich auf die Ver-
antwortung des Staates gegenüber umweltpolitischen Interessen und damit gegen die
wirtschaftlichen Interessen einzelner Unternehmen stellte. Das waren für die Partei des
Wirtschaftswunders ungewohnte Worte, die aber dem common sense durchaus entspra-
chen:

Der erste Grundsatz ist, daß es keinen Vorrang wirtschaftlicher Interessen einzelner oder
einzelner Gruppen vor der Gesundheit der Allgemeinheit geben darf. Der zweite: daß
grundsätzlich derjenige – sei es ein Unternehmer, sei es eine Wohnsiedlung, sei es eine
Gemeinde –, der Wasser oder Luft verschmutzt, auch die finanziellen Lasten für die

283
Ebd., S. 20. Gemeint ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
284
Schwarzhaupt, Aufgaben und Ziele, S. 4.
285
Schwarzhaupt, Staatliche Gesundheitspolitik, S. 206.
4 Die Politik Schwarzhaupts 74

Reinhaltung tragen soll. Wir wissen, daß dies für die vergangenen Schäden und für alte
Unternehmen nicht ohne staatliche Hilfe möglich ist; aber von dem Grundsatz sollte nicht
abgewichen werden. Der dritte und vielleicht wichtigste Grundsatz: daß sowohl auf dem
Gebiete der Wasserreinigung wie der Luftreinhaltung überregionale Regelungen notwendig
286
sind.

Im Umweltbereich kann Elisabeth Schwarzhaupts Position also klar bestimmt wer-


den: Sie stand auf Seiten einer staatlichen Ordnungspolitik. Die Gesundheitsinteressen
der Allgemeinheit, sprich: des Staates, hatten in ihrer Politikvorstellung echten Vorrang
vor Einzelinteressen. Verstöße gegen diese allgemeinen Gesundheitsinteressen mussten
in ihren Augen staatlich geahndet und die Verursacher der Verstöße zur Rechenschaft
gezogen werden. Weil der einzelne Bürger schlicht machtlos war gegen die überregionale
Ausbreitung von Umweltgefahren, strebte Elisabeth Schwarzhaupt bundesweite Rege-
lungen an, die diesen überregionalen Gesundheitsgefahren überregional begegnen soll-
ten. „Sie sind deshalb notwendig, weil weder das Wasser noch der Wind Landesgrenzen
kennt. Sie sind deshalb notwendig, weil dasjenige Land und diejenige Gemeinde, die viel
zum Schutz der Gesundheit ihrer Bewohner tut, ihre Wirtschaft nicht in einen Konkur-
renznachteil gegenüber der Wirtschaft eines anliegenden Landes bringen dürfen, wo die-
se Bestimmungen weniger sozial und bezüglich der Gesundheit weniger streng gehand-
habt werden.“287
Ebenso galt diese Maxime staatlicher Einflussnahme im Verbraucherschutz. Auch hier
konnte nur der Staat die Gewähr dafür bieten, dass sich Hersteller von Waren an einheit-
liche Standards hielten, die eben nicht zugunsten schneller Profitmaximierung die Ge-
sundheit oder auch das Gerechtigkeitsempfinden der Verbraucher – wenn die Ware nicht
das hielt, was sie versprach – verletzte oder beeinträchtigte. Zudem war der Verbraucher
dem „Goodwill“ der Hersteller hilflos ausgeliefert; schließlich konnten diese ohne eine
Kennzeichnungspflicht der Lebensmittel weder wissen, wie frisch die Lebensmittel wa-
ren, die sie einkauften, noch wurden sie darüber informiert, welche Fremdstoffe diese
Nahrungsmittel unter Umständen enthielten. Elisabeth Schwarzhaupt stellte dies in ihrer
Rede in Oberhausen fest und hoffte dabei auf eine „Verknüpfung staatlicher Verantwor-
tung mit der Eigenverantwortung des einzelnen im Rahmen des Verhältnisses zwischen
Wirtschaft und dem Verbraucher“288:

Bei den Lebensmitteln können wir uns aber nicht darauf verlassen, daß der Verbraucher die
beste, auch die gesundheitlich beste Ware sucht und der Verkäufer sie ihm deshalb
anbietet, [so] daß Angebot und Nachfrage zu guten und billigen Waren führen. Bei der
Kompliziertheit der Bearbeitung und Zusammensetzung der Lebensmittel heute ist die
Qualität und die gesundheitliche Unbedenklichkeit für den Verbraucher nicht erkennbar.
Deshalb ist die Hilfe des Staates hier in doppelter Weise nötig. Täuschende oder
gesundheitlich bedenkliche Fremdstoffe sowie das Angebot verdorbener Waren stehen
unter staatlichem Verbot. Wo Fremdstoffe zugelassen sind, müssen sie für den Verbraucher
289
erkennbar sein.

286
Schwarzhaupt, Referat, in: Christliche Demokratische Union: 12. Bundesparteitag der CDU, 14.-17.
März 1964 in Hannover, Hamburg 1964, S. 269.
287
Ebd.
288
Schwarzhaupt, Staatliche Gesundheitspolitik, S. 207.
289
Ebd.
4 Die Politik Schwarzhaupts 75

Eine bundesweit einheitliche Kennzeichnungspflicht, die sowohl das Haltbarkeitsda-


tum als auch die Angabe der Inhaltsstoffe zwingend vorschrieb, war hier die staatliche
Handhabe. Zum Schutz der Gesundheit des Einzelnen vor allergenen Inhaltsstoffen oder
verdorbener Ware änderte Elisabeth Schwarzhaupt in ihrem letzten Amtsjahr die Le-
bensmittelkennzeichnungsverordnung dahingehend. Der Verbraucherschutz konnte nur
vom Staat „zu Gunsten der Hausfrau verschärft“290 werden, subsidiare Möglichkeiten
griffen hierbei nicht.
Besonders deutlich wurde dies der Ministerin im zweiten Bereich ihrer verbraucher-
schützerischen Aktivitäten, im Arzneimittelwesen. Hier hatte der „Contergan-Fall“ auf
tragische Weise dokumentiert, wie wichtig eine staatliche Aufsicht über das Arzneimit-
telwesen war.291 Aber auch der persönliche Bereich der körpergeschädigten Kinder war
durch diesen Arzneimittelskandal nun ein Aufgabenfeld staatlicher Initiative geworden.
Hier konnte „das persönliche Gut der Gesundheit“ nicht mehr als sakrosankt gelten, da
diese Gesundheit durch staatliches Versagen bereits zerstört wurde. Eine staatliche Initi-
ative war hier also nicht eine Frage der Güterabwägung, sondern eine Frage der Wieder-
gutmachung. Anders als im Umwelt- und Lebensmittelbereich, wo Elisabeth Schwarz-
haupt wie selbstverständlich auf staatliches Handeln setzte, tat sie sich in diesem Fall
zunächst schwer mit dem „Ruf nach dem Staat“. Sie suchte noch nach der richtigen Vor-
gehensweise, stellte Fragen – obwohl sie die Antwort wohl bereits wusste:

Eine wesentliche Problematik für alle staatliche Gesundheitspolitik ergibt sich aus der
Tatsache, dass Gesundheit ein sehr persönliches Gut ist. [...] Bei den Überlegungen, die wir
im Anschluß an die Arzneimittelschädigungen der letzten Jahre angestellt haben, spielt
diese Frage wiederum eine Rolle, und zwar unter zwei Gesichtspunkten. Auf der einen Seite
unter dem Gesichtspunkt, soll man eingreifen in diesen freien, persönlichen Raum, um das
Ansteigen bestimmter Krankheitserscheinungen, z.B. das Ansteigen der Geburten von
Kindern mit Fehlbildungen, sehr schnell zu erkennen und deshalb auch sehr schnell die
Ursachen zu erforschen, und 2. soll man etwa eingreifen mit dem Gebot einer Meldepflicht,
auch im Interesse der körperbehinderten Kinder selbst, die es nötig haben, sehr früh in eine
Behandlung zu kommen, oft früher als die Eltern das selbst erkennen und sich dazu
292
entschließen.

Gerade in der Rehabilitation contergangeschädigter Kinder zeigte sich, dass eine ge-
linde Form staatlicher Lenkung wichtig war. Viele Eltern schirmten ihr körpergeschädig-
tes Kind aus Scham vor der Außenwelt ab und versagten ihm damit eine adäquate
Betreuung. Die Meldepflicht sollte nun die administrative Grundlage dafür legen, alle
rehabilitationsfähigen Patienten zu erfassen. Im nächsten Schritt konnten sie dann indi-
viduell beraten werden; Elisabeth Schwarzhaupt hoffte, mit dieser Maßnahme möglichst
alle Kinder einer Rehabilitationsmaßnahme zuführen zu können. Ihr „Lavieren“ im Con-
tergan-Fall, das im Weiteren noch mehrfach zur Sprache kommen wird, ist relativ unver-
ständlich, wenn man weiß, wie sehr die Ministerin auf staatliche Initiative im Umweltbe-
reich setzte. Im Gesundheitsbereich hingegen war sie weitaus zurückhaltender, setzte

290
Schwarzhaupt, Aufgaben und Ziele, S. 18.
291
Vgl. hierzu Kap. 6.2 sowie Beate Kirk, Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastro-
phe? Zur Geschichte des Arzneistoffes Thalidomid, Stuttgart 1999.
292
Elisabeth Schwarzhaupt, Die Bedeutung der Familie für die Gesundheitspolitik, in: Walter Best (hg.):
Die Förderung der Familie als Aufgabe der Gesundheitspolitik. Kongressbericht 1962, Frankfurt am
Main 1963, S. 7-15, S. 8f.
4 Die Politik Schwarzhaupts 76

mehr auf Subsidiarität. Vielleicht liegt eine Erklärung für diese ambivalente Sichtweise
an den tradierten politischen Linien, deren sie sich als Christdemokratin verpflichtet
fühlte. Gerade im Gesundheitsbereich hatte die CDU eine klar individualistisch begrün-
dete Politikvorstellung, die Elisabeth Schwarzhaupt teilte:

Gerade wir von der CDU halten viel von der eigenen Verantwortung des Menschen für sich
selbst. Wir sind gar nicht dafür, daß der Staat überall hereinredet, wo der Mensch auch
selbst entscheiden könnte. Diese Frage, wer die Verantwortung für unsere Gesundheit hat
und wie weit die öffentliche Verantwortung auf diesem Gebiet beim Bund, beim Land und
bei den Gemeinden liegt, hat sich auch der Bundeskanzler nach 1961 gestellt. Und wir
haben in den Jahren nach der Gründung des Ministeriums immer wieder darüber
nachgedacht: Wir sind immer davon ausgegangen, daß Gesundheit eine sehr persönliche
293
Angelegenheit ist.

Dieser individualistische Ansatz wurde von der zeitgenössischen christdemokrati-


schen Meinung geteilt. So pflichtete der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-
Bundestagsfraktion, Gerhard Jungmann294, der Ministerin 1962 bei, in dem er den
„Staatsbürger in seiner persönlichen Individualität“ in den Mittelpunkt aller staatlichen
Bemühungen zu stellen versuchte. Als erstes gelte es, die Gesundheit des Einzelnen zu
erhalten oder wiederherzustellen. Dann erst könnte man die Gesundheit des Bürgers
innerhalb seiner Familie, seines Betriebes oder seiner Kommune in den Blick nehmen:
„Diese Reihenfolge ist entscheidend, weil die Gesundheitspolitik in einem demokrati-
schen Staat nicht an der Gesellschaft, auch nicht an der Wirtschaft, oder am Staatswohl,
sondern am einzelnen Menschen orientiert sein muß“, meinte Jungmann, und lieferte
damit seiner Gesundheitsministerin den Anstoß für ein Politikmodell, welches diesen
Blick vom einzelnen hin zum Staat in vier Schritten nachzeichnete.295 Ein Grundsatz-
Essay über die „Zukunft der Bundesrepublik“ aus Sicht der Erhard-CDU verfolgte drei
Jahre später exakt die gleiche Argumentationslinie vom Einzelnen hin zum Staat – und
nicht etwa umgekehrt:

Schließlich geht es immer wieder um das Verhältnis des einzelnen Menschen zu seiner
eigenen Gesundheit, um sein Verhältnis zum Gemeinwesen, zur Gesellschaftsordnung, zum
Staat. In Deutschland macht man sich seit Jahren Gedanken darüber, wie hier das
individuelle Recht auf Gesundheit mit der Pflicht zur Verantwortung verbunden werden
kann. Gegen die Pläne einer sozialistischen Gesellschaft muß man die Ansicht und die
296
Verantwortung des Gemeinwesens für den einzelnen setzen.

293
Elisabeth Schwarzhaupt: Wer sorgt eigentlich für unsere Gesundheit? Rede zum Münchner Gesund-
heitskongress vom 23.3.1968 (Manuskript), ACDP 01-048-015/1.
294
Dr. med. Gerhard Jungmann (1910-1981) saß von 1961 bis 1972 für die niedersächsische CDU im
Bundestag. Der Mediziner war von 1964-1978 Vorsitzender der Bundesvereinigung für Gesundheitser-
ziehung und arbeitete aktiv an gesundheitspolitischen Leitsätzen der CDU mit.
295
Jungmann, Gesundheitspolitik heute, S.22. Auf keinen Fall, so Jungmann an anderer Stelle, habe
Gesundheitspolitik das „Kollektiv“ oder „die Bevölkerung“ im Auge, im Gegenteil: „der einzelne ist das
Ziel“. Gerhard Jungmann, Gesundheitspolitik – für wen? Nicht das Kollektiv, sondern der einzelne ist
das Ziel, in: Erich Peter Neumann (hg.): Die politische Meinung. Monatshefte für Fragen der Zeit,
83/1963, S. 27-35, S. 27.
296
Erich Peter Neumann (hg.): Was soll aus Deutschland werden? Blick auf das nächste Jahrzehnt, mit
einem Vorwort von Ludwig Erhard, in: Die politische Meinung. Monatshefte für Fragen der Zeit,
107/1965, S. 75.
4 Die Politik Schwarzhaupts 77

Exakt auf dieser Linie lag auch das angekündigte Politikmodell, das Elisabeth
Schwarzhaupt zwar nicht als eigenes Modell formuliert hatte, das aber aus ihren Reden
immer wieder herauszuhören war: staatliche Lenkung dort, wo sie nötig war; wo sie nicht
zwingend erforderlich erschien, sollte die individuelle Entscheidungsgewalt vorherr-
schen.297

Ring 4: staatliche Gesundheitspolitik.


Verhütung von Umweltschäden und
Gefahren, gegen die sich der einzelne
nicht schützen kann.
Ring 3: medizinische Versorgung.
Krankenversicherung, ärztliche
Versorgung, Krankenpflege, öffentliche
Gesundheitserziehung.
Ring 2: Familie. Arztwahl, Gesund-
heitsvorsorge, familiäre Krankenpflege,
Gesundheitserziehung.
Ring 1: gesundheitliches Verhalten des
Einzelnen. Eigene Gesundheitsvorsor-
ge, Hygiene, individuelle Versicherung.

Der erste „Ring“ umfasste die individuelle Entscheidung des Patienten, was mit seiner
persönlichen Gesundheit geschehen sollte. Ob er bei einer Krankheit zum Arzt gehen
wollte oder nicht, lag in seiner Entscheidung. Welchen Arzt er sich wählte, auch.298 Der
Arzt seinerseits hatte diese Freiheit nicht mehr: Er ist zur Hilfeleistung verpflichtet und
kann sich seine Patienten nicht völlig frei auswählen, weswegen er bereits dem etwas
weniger individualistisch definierten zweiten Ring des Modells zuzurechnen ist. Aller-
dings ist er eigenverantwortlich in der Diagnose, der Wahl der Behandlungsmethode und
der Verabreichung kurativer Medikamente. „Eine Tätigkeit dieser Art kann besser ausge-
übt werden in einem Spielraum für freie Entscheidungen als gebunden in die Verantwor-
tung gegenüber einer Behörde“, so die Schwarzhauptsche Überzeugung.299 Zudem war in
diesem zweiten Ring auch das familiäre Umfeld des Patienten angesiedelt, das einen be-
trächtlichen Teil gesundheitspolitischer Verantwortung übernehmen konnte. So fänden
nach Elisabeth Schwarzhaupts Vorstellung sowohl Gesundheitsvorsorge als auch grund-
legende gesundheitliche Aufklärung zuallererst in der Familie statt, und im Krankheits-
und Pflegefall übernähme der familiäre Bereich oftmals wichtige Aufgaben privater Für-
sorge.300
Der dritte Ring war bereits weit im staatlichen Bereich angesiedelt, ohne dem Staat
die ausschließliche Entscheidungsbefugnis zu überlassen. Gesundheitliche Aufklärung

297
Grafische Umsetzung durch den Verfasser.
298
Das grafische Modell fußt auf einem Vortrag der Ministerin zur Familienpolitik; da bei Kindern die Ent-
scheidungsgewalt über die Arztwahl in der Regel bei den Eltern liegt, ist die freie Arztwahl hier in den
zweiten Ring verschoben.
299
Elisabeth Schwarzhaupt, Die staatliche Gesundheitspolitik und ihre Grenzen, in: Die Ersatzkasse 1965,
S. 2/41. Auch vorhanden in BA Koblenz, N1177/20.
300
Vgl. hierzu: Schwarzhaupt, Bedeutung der Familie, S. 7ff.
4 Die Politik Schwarzhaupts 78

von Schulen und Verbänden, die Tätigkeit der Gesundheitsämter sowie die infrastruktu-
rell motivierte Versorgung der ganzen Bevölkerung mit ärztlichen Dienstleistungen hatte
hier ihren Platz. Erst der äußerste vierte Ring wies schließlich der staatlichen Ebene die
verbliebenen, grundsätzlichen Aufgaben exklusiv zu. Dabei bezeichnet dieser Ring so-
wohl die gesundheitspolitischen als auch die umweltpolitischen Kompetenzen des Staa-
tes:

Schließlich hat der Staat eine entscheidende Aufgabe da, wo es gilt, Umweltgefahren wie
Seuchen, aber auch wie Verunreinigung von Luft und Wasser von der Bevölkerung abzu-
wenden. So wenig wie der Staat in der ersten Phase der Industrialisierung die Entwicklung
der Lohn- und Arbeitsverhältnisse der Industriearbeiter und –arbeiterinnen dem freien Spiel
der Kräfte, d.h. der Macht des wirtschaftlich Überlegenen überlassen konnte, so wenig kann
der Staat heute auf Eingriffe zum Schutz vor Umweltgefahren verzichten.301

Diese vier Phasen des Modells verstand Elisabeth Schwarzhaupt in dynamischer Be-
wegung befindlich; der dritte Ring erweiterte sich dabei in den späten Nachkriegsjahren
auf Kosten des zweiten Ringes, die Grenze zwischen beiden verschob sich. Der staatliche
Bereich gewann immer mehr Einfluss, der private Bereich verlor ihn – ein Grundaxiom
wohlfahrtsstaatlicher Politik der 1960er Jahre: Das „beispiellose Wirtschaftswachstum“
der 1950er Jahre ermöglichte „den Ausbau eines immer engmaschigeren Netzes von So-
zialleistungen und öffentlichen Dienstleistungen“302 – steigende Reallöhne zogen stei-
gende Sozialversicherungsleistungen nach sich.303

4.3 Die Problematik des Artikels 2 GG

Auch das Bundesgesundheitsministerium ist sich darüber im klaren,


dass alles getan werden müsse, um die Polio-Schluckimpfung sobald
als möglich durchzuführen. Es bestehen jedoch erhebliche verfas-
sungspolitische Bedenken gegen ein Bundesgesetz.304
Elisabeth Schwarzhaupt (1961)

Das erste Gesetz, das das Schwarzhaupt-Ressort ins Bundesgesetzblatt brachte, war
eine Novelle des Bundesseuchengesetzes305 – eine Novelle, die tief in das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit eingriff und damit bereits als erste Gesetzgebungsmaßnahme

301
Schwarzhaupt, Gesundheitspolitik und ihre Grenzen, S. 2/41.
302
Buchhaas, Volkspartei, S. 273f.
303
So lagen die gesamten Leistungsausgaben der Krankenversicherung 1960 bei 9,0 Mrd. DM, 1965
bereits bei 14,9 Mrd. DM. Vgl. hierzu ausführlich: Johannes Frerich, Sozialpolitik. Das Sozialleistungs-
system der Bundesrepublik Deutschland, Darstellung, Probleme und Perspektiven der Sozialen Siche-
rung, München 31996, S. 431ff.
304
Niederschrift über die Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren
der Länder am 20. Dezember 1961 in Bonn, BA Koblenz, B142/3677, S. 6. Der indirekte Redestil wur-
de vom Verfasser in einen direkten Redestil gebracht.
305
Gesetz zur Änderung des Bundesseuchengesetzes vom 23.1.1963, BGBl I, S. 57 ff. Vgl. Attenber-
ger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 25. Vor diesem ersten Gesetz hatte das Gesundheitsminis-
terium bereits zehn Rechtsverordnungen erlassen. Ebd.
4 Die Politik Schwarzhaupts 79

des neuen Ministeriums ein Verfassungsgebot des Art. 2 Abs. 2 berührte306. Die Novelle
sah die bundesweite Einführung der Schluckimpfung gegen Kinderlähmung vor – heute
ein Routinevorgang, der von Amtsärzten an allen Grundschulen durchgeführt wird. Was
heute medizinisch-administrativer Normalfall ist, barg im Winter 1961 aber noch ein
heikles juristisches Problem in sich: Die Schluckimpfung mit Lebendimpfstoff gefährdete
nicht alleine die Unversehrtheit des Impfpatienten. Auch Unbeteiligte konnten durch die
Vakzine der Schluckimpfung ungewollt und unbewusst gefährdet werden – und dies
stellte das eigentliche rechtliche Problem dar, dem die Novelle des Bundesseuchengeset-
zes Abhilfe schaffen musste.
Bis dato war der einzige Schutz gegen die übertragbare Kinderlähmung (Poliomyelitis)
eine Impfung, bei der abgetötete Polioerreger über eine längere Zeitspanne hinweg ge-
spritzt werden mussten – mithin bis zu vier Injektionen mussten die Impfpatienten über
sich ergehen lassen. Eine langwierige, schmerzhafte und unkomfortable medizinische
Prozedur, der sich nur ein ungenügend kleiner Teil der Bevölkerung unterziehen woll-
te.307 Besonders die westdeutsche Bevölkerung war „impfmüde“; Elisabeth Schwarzhaupt
hierzu in einer Antwort auf die Anfrage des Abgeordneten Kohut (FDP):

Seit 1957 haben die Bundesländer der Bevölkerung weitgehend die Möglichkeit geboten,
sich mit Salk-Impfstoff impfen zu lassen. Trotz Aufklärung und Propaganda, wie sie bisher
bei keinen anderen Empfehlungen aufgewendet wurden, ist die Bevölkerung diesem Appell
in sehr geringem Maße gefolgt. Das gilt auch für die Länder, in denen die Impfung kostenlos
angeboten wurde. So ergibt sich, dass in der Bundesrepublik nur etwa fünf Prozent der Be-
völkerung gegen Kinderlähmung geimpft sind. Es hat sich gezeigt, dass unsere Bevölkerung
offenbar gegenüber dieser Schutzimpfung eine größere Reserve zeigt als die anderen Län-
der. Zum Teil ist in anderen Ländern bei gleichem Angebot eine Impfbeteiligung bis zu 70
Prozent erreicht worden. Hierauf und nicht auf Versäumnisse ist es zurückzuführen, dass in
der Bundesrepublik noch 1961 eine so bedrückend hohe Zahl von Menschen an Kinderläh-
mung erkrankt sind.308

Anfang der 1960er Jahre jedoch wurde eine neue Methode der Polioimpfung entwi-
ckelt, die statt abgetöteter Vakzine lebende, wenn auch abgeschwächte Polioerreger nutz-
te.309 Diese neue Methode war weitaus komfortabler und breitenwirksamer durchzufüh-
ren – der Impfstoff wurde einfach auf ein Stück Würfelzucker gegeben und dann vom
Impfpatienten geschluckt.310 Erst mit dieser neuen Methode konnten relativ unkompli-

306
Artikel 2: (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. [...] In diese Rechte darf
nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
307
Elisabeth Schwarzhaupt vermutete eine diffuse „Angst vor der Spritze“ als Haupthinderungsgrund;
Walter Best, Gesundheitsaufklärung als werbepsychologische Aufgabe, in: Deutsche Zentrale für
Volksgesundheitspflege (hg.): Gedanken und Beiträge zur Gesundheitspolitik. Herrn Professor Dr.
Franz Klose zum 75. Geburtstag gewidmet, Frankfurt am Main 1962, S. 263-290, S. 286, hält dem je-
doch die hohe Bereitschaft der Bevölkerung zur Tetanusimpfung entgegen.
308
Antwort Elisabeth Schwarzhaupt auf die Frage Oswald Adolph Kohuts (FDP), welche Ursachen oder
Versäumnisse dazu geführt hätten, dass die Bundesrepublik die Höchstziffer an Kinderlähmungser-
krankungen in Europa aufzuweisen hatte, in: Bundestagsprotokolle IV/26, S. 1.069. Dr. Oswald Adolph
Kohut (1901-1977) saß von 1957-1965 für die hessische FDP im Bundestag
309
Der Impfstoff mit den abgetöteten Erregern ist nach dem Mediziner Salk benannt, der neue Impfstoff
mit den lebenden Erregern nach Sabin.
310
Best, Gesundheitsaufklärung, S. 286, vermutet folgende, etwas absonderlich klingende Motivation für
die hohe Bereitschaft der Bevölkerung zur Schluckimpfung in der „Erkenntnis der Freudschen Lehre,
dass viele Erwachsene unterbewusst die angenehme orale Befriedigung suchen, die sie als Säugling
an der Mutterbrust und als kleine Kinder empfunden haben“.
4 Die Politik Schwarzhaupts 80

ziert öffentliche, unentgeltliche Schutzimpfungen nach § 14 des Bundesseuchengesetzes


durchgeführt werden.
Impfungen taten dringend Not: Das Virus, das die Kinderlähmung hervorruft, stellte
zu Beginn der 1960er Jahre eine solche Bedrohung der Gesundheit der Bevölkerung dar,
dass sich der Bundesgesundheitsrat am 24. Oktober 1961 an die Bundesländer wandte
und den Ländern empfahl, „die freiwillige Schluckimpfung mit abgeschwächten Erregern
aufzunehmen.“311 Die Bekämpfung der Kinderlähmung duldete keinen Aufschub: In
Bayern wurden die ersten Impfungen bereits Mitte März 1962 begonnen, Berlin hatte im
Winter 1961 sogar schon mit einem Dreifach-Impfstoff vorgeimpft.312
Damit begaben sich die erwähnten Länder aber in eine rechtliche Grauzone, denn:
Problematisch an der Impfung war die oben erwähnte Tatsache, dass der Impfstoff le-
bende Viren enthielt, der Impfpatient also vorsätzlich „infiziert“ wurde. Dies bedeutete
zwar weniger ein verfassungsrechtliches Problem für den Impfpatienten selbst; der Ein-
griff in seine körperliche Unversehrtheit konnte durch eine Einwilligungserklärung des
Patienten autorisiert werden. Schwerwiegender war, dass die geimpften Patienten die
lebenden Polioerreger über den Stuhl wieder ausschieden und dadurch prinzipiell unbe-
teiligte Personen nun mit diesen Erregern in Kontakt kommen konnten – Personen, „die
ihrerseits nicht gewillt sind, sich einer Impfung mit Lebendimpfstoff zu unterziehen“, wie
es in der Begründung der Gesetzesnovelle hieß.313
Hier musste also eine rechtliche Regelung her, zu der die Bundesregierung laut Artikel
74 Nr. 19 GG auch befugt war314 und die den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
nach Artikel 2 GG durch eine gesetzgeberische Maßnahme rechtfertigen half. In einer
Entschließung aller Ländergesundheitsminister hieß es dazu:

Die für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder sind der
Auffassung, dass zur Durchführung einer freiwilligen Schutzimpfung gegen Kinderlähmung
mit Lebendimpfstoff aus rechtlichen Gründen ein Gesetz notwendig ist, das das Grundrecht
des Art.2 Abs.2 des Grundgesetzes einschränkt. Sie halten es für dringend erwünscht, dass
der Bund diese gesetzliche Regelung durch eine Änderung des Bundesseuchengesetzes
[...] trifft; sie bitten den Bundesminister für Gesundheitswesen, darauf hinzuwirken, dass das
Gesetz so rechtzeitig erlassen wird, dass spätestens Ende des Monats Februar 1962 mit
der Impfung begonnen werden kann.315

311
Hinweis des baden-württembergischen Ministerialrats Dr. Mayser auf der Konferenz der für das Ge-
sundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder am 20. Dezember 1961 in Bonn, BA
Koblenz, B142/3677, S. 4. Für den Bundesgesundheitsrat erwies es sich „bei näherer Betrachtung der
epidemologischen Lage [...] als notwendig, im ganzen Bundesgebiet zu impfen.“ Ebd.
312
Ebd. Die Erfolge dieser Impfmaßnahmen überraschten. Durch die Einführung der Schluckimpfung ging
die Kinderlähmung noch im Jahr 1962 um 90 Prozent zurück. Elisabeth Schwarzhaupt sprach in einem
Rundfunkinterview mit dem Hessischen Rundfunk vom 13. August 1963 folglich von einem „fast uner-
warteten Erfolg“: nach 4.667 Erkrankungen im Jahr 1961 infizierten sich 1962 nur noch 291 Kinder mit
Polio. Elisabeth Schwarzhaupt, Erheblicher Rückgang der Kinderlähmung, in: Bulletin der Bundesre-
gierung, 145/1963, S. 1274.
313
Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, Bundestags-
Drucksache IV/397, S. 3.
314
Darauf weist der letzte Satz der Begründung wörtlich hin, ebd.
315
Einstimmig angenommene Entschließung der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und
Senatoren der Länder vom 20.12.1961, BA Koblenz B142/3677, S. 10f.
4 Die Politik Schwarzhaupts 81

In einer Vorbesprechung am 10. November 1961 waren die Juristen in den Gesund-
heitsabteilungen der Länderministerien noch der Auffassung, dass ein Gesetz hierfür
nicht unbedingt notwendig sei – ein Rechtsgutachten der Farbwerke Höchst am Main
änderte diese Meinung jedoch. Das Höchster Gutachten legte dar, dass eine Impfung mit
Lebendimpfstoff einen rechtswidrigen Eingriff darstellte; ein Bundesgesetz musste die-
sen Rechtszustand also ändern, die Impfung legalisieren.316 Elisabeth Schwarzhaupt
reagierte schnell; mit einem neuen Paragrafen 14a, um den sie das Bundes-Seuchen-
gesetz erweitern wollte, sollte diese rechtliche Regelung geschaffen werden. Den gesetz-
geberischen Kniff des Paragrafen in Sachen Lebendimpfstoff sah die Ministerin darin,
dass er „die Verwendung eines solchen Impfstoffes für zulässig erklärt.“317 Der Vorschlag
der Bundesregierung, der alle möglichen Impfungen mit Lebendimpfstoff ermöglicht
hätte, lautete wörtlich:

§ 14 a
Bei öffentlich empfohlenen Schutzimpfungen oder bei Impfungen nach §17 Abs. 4 des
Soldatengesetzes dürfen zugelassene Impfstoffe verwendet werden, die abgeschwächte
Erreger enthalten, welche von den Geimpften ausgeschieden werden und von anderen
Personen aufgenommen werden können. Insoweit wird das Grundrecht der körperlichen
Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) eingeschränkt.318

Nach Auffassung Elisabeth Schwarzhaupts war durch die Lebendstoff-Impfungen „das


Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit [...] nicht in seinem Wesensgehalt angetastet;
der Vorschrift des Artikels 19 Abs. 2 GG ist daher genügt“.319 Auch der Bundesrat hatte
gegen diese Auffassung nichts einzuwenden.320 Der Gesundheitsausschuss des Bundesta-
ges sah das hingegen anders. Ihm erschien die Möglichkeit, dass sich Unbeteiligte durch
den Lebendimpfstoff infizieren könnten, „für so einschneidend“, dass er dem Eingriff in
das Grundrecht auf Unversehrtheit nur in diesem einzigen Fall der Polioprophylaxe zu-
stimmen wollte – und auch nur dann, wenn die Impfungen von den Gesundheitsbehör-
den offiziell für die gesamte Bevölkerung empfohlen seien.321 Daher schlug er folgende
modifizierte Fassung des § 14 a vor, der die Ausnahmeregelung von Art. 2 Abs. 2, wie
beabsichtigt, nur für die Polioprophylaxe zuließ und die Erlaubnis, öffentliche Impfungen
zu empfehlen, nicht etwa irgendwelchen Regierungsorganen zubilligte, sondern aus-
schließlich den Landesgesundheitsbehörden:

§ 14 a
Bei einer von der zuständigen obersten Landesbehörde empfohlenen Schutzimpfung
oder einer Impfung nach § 17 Abs. 4 des Soldatengesetzes gegen übertragbare
Kinderlähmung dürfen den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes entsprechende

316
So der baden-württembergische Regierungsdirektor Rheinwald auf der Gesundheitsministerkonferenz
vom 20.12.1961, S. 4f. Indirekten Redestil des Protokolls in direkten Redestil verwandelt, d.Verf.
317
Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, Drucksache
IV/397, S. 3.
318
So der Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache IV/397, S. 2.
319
So die Begründung, Bundestagsdrucksache IV/397. Artikel 19 Abs. 2 GG sagt nichts anderes, als: „In
keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“
320
Siehe Stellungnahme des Bundesrates, Bundestagsdrucksache IV/397, Anlage 2, S. 4.
321
Siehe die Ausführungen der Berichterstatterin des Ausschusses für Gesundheitswesens, Elinor Hubert
(SPD), Bundestagsdrucksache IV/827.
4 Die Politik Schwarzhaupts 82

Impfstoffe verwendet werden, die abgeschwächte Erreger enthalten, welche von den
Geimpften ausgeschieden werden und von anderen Personen aufgenommen werden
können. Insoweit wird das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz
322
1 Grundgesetz) eingeschränkt.

Diese Modifizierung des Regierungsentwurfs überrascht insoweit, als er eigentlich be-


reits inhaltlich „festgeklopft“ zu sein schien: In einer informellen Besprechung zwischen
den Gesundheitsministern von Bund und Ländern einerseits sowie den Bundestagsfrak-
tionen und den beiden Bundestagsausschüssen für Gesundheit und Recht andererseits
bereits in der zweiten Januarwoche 1962 einigten sie die Beteiligten auf den Entwurf.323
Die restriktivere Fassung, die der Ausschuss dann aber am 6. Dezember 1962 vorlegte,
geht wohl auf den Einfluss der SPD-Opposition innerhalb des Gesundheitsausschusses
zurück.324
Diese Gesetzesnovelle zeigt zudem die Problematik der konkurrierenden Gesetzge-
bung, die die eigenständige Handlungsfähigkeit des Bundesgesundheitsministeriums
immer wieder erheblich einschränkte.

4.4 Die konkurrierende Gesetzgebung

Sie wissen, dass ein ganz großer Teil gesundheitspolitischer


Zuständigkeiten bei den Ländern liegen, und wir müssen sozusagen
immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm arbeiten, weil wir nicht in
325
die Kompetenzen der Länder eingreifen können und wollen.
Elisabeth Schwarzhaupt (1964)

Das Dilemma des Gesundheitsministeriums war, dass es zwar Gesetze machen und
durch den Bundestag bringen konnte, die Umsetzung und Durchführung der Gesetze
aber den Bundesländern oblag. Der bislang am häufigsten geänderte und unsystematisch
anmutende Artikel 74 GG unterstellte fast den gesamten Zuständigkeitsbereich des neu
zu schaffenden Ministeriums der konkurrierenden Gesetzgebung zwischen Bund und
Ländern.326 Die wichtigsten Bestimmungen hierzu fanden sich in den Nummern 19 und
20:

322
Hervorhebungen gemäß Bundestagsdrucksache IV/827, S. 3.
323
So lässt es zumindest ein Vorschlag des niedersächsischen Staatsekretärs Dr. Auerbach vermuten. BA
Koblenz, B142/3677, S. 11.
324
Die SPD zeigte sich im Gesundheitsausschuss mehrfach als Aktivposten, wenngleich der Ausschuss
insgesamt doch eher behäbig agierte: Ganz im Gegensatz zu der Dringlichkeit, mit der die Ländermi-
nister die Durchführung der Schluckimpfung vorantrieben, brachte Vizekanzler Erhard den Regie-
rungsentwurf erst am 13. Juni 1962 in den Bundestag ein, von dem er an den Gesundheitsausschuss
weiterverwiesen wurde. Dieser traf sich erst am 28. November, um die Änderung zu diskutieren, und
legte am 6. Dezember seine Fassung des § 14a vor.
325
Elisabeth Schwarzhaupt gegenüber den Redakteuren der Fernsehsendung „Ernst – aber nicht hoff-
nungslos“, BA Koblenz, B142/2993 (P111 II), S. 4.
326
Der Begriff „knüpft an den Sprachgebrauch der traditionellen deutschen Bundesstaatsdoktrin an, der
den Begriff schon im Kaiserreich für den Bereich der nicht-ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes,
also der im Ansatz parallelen Gesetzgebungszuständigkeit von Bund und Ländern verwendet hatte. [...]
4 Die Politik Schwarzhaupts 83

Artikel 74
Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:
[...]
19. die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen
327
und Tieren, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe,
den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften;
20. den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genußmitteln, Bedarfsgegenständen,
Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der
Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz.

Aber auch die vom Gesundheitswesen berührten Bereiche der öffentlichen Fürsorge
(Art. 74, Ziffer 7), der „Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder
durch ionisierende Strahlen entstehen“ (Ziffer 11a), oder auch die gerade im medizini-
schen Bereich unabdingbare „Förderung der wissenschaftliche[n] Forschung“ (Ziffer 13)
waren nicht der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterstellt.328
Für internationale Gesundheitspolitiker sicher ein undurchschaubares rechtliches Kon-
strukt, weswegen sich Josef Stralau in einem Brief an das Königlich Schwedische Ge-
sundheitsministerium viel Zeit nimmt, um die administrativen Feinheiten eines solchen
konkurrierenden Systems zu erläutern:

Soweit der Bund auf anderen Gebieten der öffentlichen Gesundheitspflege keine
Zuständigkeit hat, können die Länder diese Angelegenheiten in eigener Gesetzgebung
regeln. Dem Bund steht als beratende Behörde das Bundesgesundheitsamt in Berlin zur
Verfügung. Seine Beratung erstreckt sich vor allem auf Probleme der Boden-, Wasser- und
Lufthygiene, der übertragbaren Krankheiten, der Sozialhygiene. Dem BGA obliegt ferner die
Registrierung von Arzneimitteln und die Mitarbeit in der Rauschgiftbekämpfung. Die
Gesundheitsämter in den Ländern, die die praktische Arbeit im einzelnen auszuführen
haben, unterstehen nicht dem Bund, sondern den Ländern, soweit sie nicht als kommunale
329
Ämter selbständige Einrichtungen sind.

Diese grundgesetzliche Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern


machte eine beschleunigte und effiziente Gesetzgebung jedes Bundesministeriums bei-
nahe unmöglich. Kein Wunder also, dass Elisabeth Schwarzhaupt diesen Zustand mehr-
fach beklagte:

Gekennzeichnet wird mit ‚konkurrierender Gesetzgebung’ ein Modell der ‚unechten Konkurrenz’, bei
dem [...] der Bund nicht nur jederzeit in dem von ihm gewünschten Umfang die Gesetzgebung in den in
Art. 74 GG enumerierten Bereichen an sich ziehen kann, sondern in dem – mit Gebrauchmachen des
Bundes von seiner potentiellen Kompetenz – die Länder völlig aus der Befugnis verdrängt werden. Die
[...] gestufte Doppelzuständigkeit schafft insoweit keine echte Parallelzuständigkeit, sondern räumt dem
Bund die ‚Option’ ein, entweder den Ländern die Befugnis (auf Abruf) zu überlassen oder (bei Bedarf)
die (Allein-)Zuständigkeit auf sich überzuleiten.“ Stefan Oeter, Bedeutung und Reichweite der konkur-
rierenden Gesetzgebung, in: Hermann von Mangoldt, Friedrich Klein und Christian Starck (hg.), Das
4
Bonner Grundgesetz. Kommentar, Band 2: Artikel 20 bis 78, München 2000, S. 2252.
327
Philipp Kunig zufolge ist dieser Satz missverständlich formuliert: „Vielmehr bezieht sich die Kompetenz
auf gemeingefährliche sowie auf übertragbare Krankheiten bei Menschen oder Tieren.“ Ingo von
Münch und Philip Kunig (hg.): Grundgesetz-Kommentar. Band 3 (Art.70 bis Art. 146 und Gesamtregis-
3
ter), München 1996, S. 114. Hervorhebung im Original
328
Oeter, Reichweite, S. 2389, zufolge, liegt dem angeführten Kompetenzenkatalog kein „gedankliches
System“ bzw. kein „bundesstaatstheoretisches Konzept“ zugrunde; vielmehr sei es „ein pures Produkt
historischer Kontingenz, eine in Eile 1948/49 zusammengefügte Auflistung der Sachmaterien, die die
Mitglieder des Parlamentarischen Rates dem Bund zumindest potentiell als Materie bundeseinheitli-
cher Gesetzgebung zugewiesen wissen wollten.“ Hervorhebung im Original.
329
Antwort Dr. Stralaus auf eine Anfrage des Generaldirektors des Königlich Schwedischen Gesund-
heitsministeriums vom 4. Februar 1964. BA Koblenz, B142/3614, S. 2.
4 Die Politik Schwarzhaupts 84

Der Auftrag eines Bundesministeriums kann nicht weiter reichen als die Zuständigkeiten des
Bundes, die im Grundgesetz festgelegt sind. So gehören wichtige Aufgaben, insbesondere
die Durchführung aller Gesetze, Errichtung und Unterhaltung von Krankenhäusern,
Universitäten, Forschungsinstituten, der Ausbildungsstätten für Krankenschwestern sowie
die Aufsicht über die Gesundheitsämter zur Zuständigkeit der Länder. Der Bund kann auch
bei dem brennendsten Schwesternmagel keine eigenen Schulen errichten. Das
Bundesministerium für Gesundheitswesen hat im vorigen Jahr vergeblich um einen Fonds
gekämpft, aus dem es Beihilfen für die Ausbildung und Fortbildung von Krankenschwestern
zahlen wollte, um den Eltern von Schwesternschülerinnen und den Schwestern, die sich
einem Fortbildungskursus unterziehen wollten, zu helfen. Dieser Ausbildungsfonds wurde
mit Rücksicht auf die vorwiegende Zuständigkeit der Länder verweigert.330

Durch diese Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern – auch im finanziellen


Bereich – kann es nicht weiter überraschen, dass Länder und Kommunen ungleich mehr
Mittel für gesundheitspolitische Maßnahmen in die Hand nahmen, als dies der Bund
konnte. Der nicht zustande gekommene Bundesfonds für die Schwesternausbildung, der
somit dem Etat des Bundesgesundheitsministerium fehlte und die ohnehin ungleiche
Budgetverteilung zwischen Bund und Ländern weiter zu Ungunsten des Bundes ver-
schärfte, steht hier nur als Exempel. Wie grotesk unterschiedlich die Gesundheitsetats
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden „gefüttert“ waren, zeigt folgende Aufstellung,
die Elisabeth Schwarzhaupt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldete:

Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden im Jahre 1963 (in Millionen DM)331
Aufgabenbereich ................................................ .....Bund .....Länder.....Gemeinden ...Gesamt
1. Gesundheitswesen im engeren Sinne
Krankenhäuser und Heilanstalten ................................29,2 .......928,0 ...... 2.080,1....... 3.037,3
Anstalten für Nerven- und Geisteskranke...................... -- ..........180,9 ......... 168,5.......... 449,4
Sonstige Einrichtungen, Gesundheitsdienst ...................9,2 .......253,4 ......... 341,1.......... 603,8
Hochschulkliniken.........................................................72,6 .......599,5 ............. --............. 672,0
Insgesamt...................................................................111,0 ....1.961,9 ...... 2.689,7....... 4.762,5
2. Dem Gesundheitswesen zurechenbar
Sport und Leibesübungen ............................................29,5 .......171,4 ......... 192,3.......... 393,2
Wasserversorgung, Abfallbeseitigung ..........................76,1 .......505,3 ......... 458,6....... 1.040,0
Reinigung des Gemeindegebietes ................................ -- ..........283,3 ...... 1.771,6....... 2.055,3
Stadtentwässerung, Bedürfnisanstalten ........................ -- ..........165,7 ...... 1.141,2....... 1.307,0
Müllbeseitigung und Verwertung ................................... -- ............67,3 ......... 241,4.......... 308,7
Straßenreinigung, Tierkörperbeseitigung ...................... -- ............50,8 ......... 295,4.......... 346,2
nicht aufgeteilte Reinigung des Gemeindegebietes ...... -- ............. -- .............. 93,5............ 93,5
Schlacht- und Viehhöfe ................................................. -- ............22,8 ............. --............... 22,8
Bestattungswesen ......................................................... -- ............27,2 ......... 223,6.......... 250,7
Kur- und Badebetriebe, Mineralquellen ......................... -- ............18,7 ........... 39,2............ 57,9
Insgesamt...................................................................105,6 ....1.029,1 ...... 2.685,2....... 3.819,9
Summe ......................................................................216,6 ....2.991,0 ...... 5.374,9....... 8.582,4

Diese exemplarische Aufstellung für das Jahr 1963 zeigt dreierlei: Erstens gaben Län-
der und Kommunen so fundamental mehr für gesundheitspolitische Maßnahmen aus als
der Bund, dass sie diesen finanziell wie politisch marginalisierten. Der Anteil des Bundes
an den Ausgaben im Bereich 1 betrug mit 111 Millionen Mark gerade einmal 2,33 Prozent
der Gesamtausgaben. Die Länder hielten hier einen Anteil von 41,2, die Kommunen von

330
Schwarzhaupt, Aufgaben und Ziele des Bundesministeriums, ACDP 01-048-016/2, S. 1.
331
Bericht des Bundesministeriums für Gesundheitswesens an die WHO vom Januar 1966, Tabelle II:
Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden im Rechnungsjahr 1963. Zahlen verstehen sich ohne
Ausgaben für das Sanitätswesen der Streitkräfte.
4 Die Politik Schwarzhaupts 85

56,5 Prozent.332 Mit einem solch geringen finanziellen Anteil an den Gesamtausgaben für
das Gesundheitswesen konnte der Bund kaum politisch aktiv werden.
Zweitens zeigte sich an der Zweiteilung der Aufstellung, dass es zwar Aufgaben der öf-
fentlichen Hand gab, die dem Gesundheitsbereich zugerechnet werden mussten, von
denen der Bund aber so gut wie ausgeschlossen blieb. Da es sich um kommunale Aufga-
ben handelte, lag es nahe, dass der Bund hier außen vor bleiben musste. Gegenüber den
Ländern hatte er aber das politische Nachsehen; diese investierten durchaus in kommu-
nale Aufgaben und sicherten sich damit einen Einfluss auf die Politik der Gemeinde, die
sich der Bund so nicht verschaffen konnte. Länder und Kommunen hatten den Bund
somit finanziell ausgekreist und versagten ihm damit auch jede politische Einflussnahme
auf weite Teile kommunaler gesundheitspolitischer Aufgaben. Bundesweit gültige Ver-
ordnungen zur effizienten Abwasserbehandlung, bundeseinheitliche Vorschriften zur
hygienisch einwandfreien Tierkörperbeseitigung und republikweite Standards im Kur-
und Bäderwesen waren durchaus gesundheitspolitische Aufgabenfelder, in denen der
Bund normativ tätig werden sollte – Länder und Kommunen gaben ihm dazu aber kei-
nerlei Möglichkeiten.333
Drittens lässt diese Aufstellung vermuten, dass viele der gesundheitspolitischen Auf-
gaben, in denen der Bund in der Bundesrepublik keine Kompetenzen hatte, von anderen
Mitgliedsländern der WHO durchaus auch staatlicherseits erfüllt wurden, schon allein,
weil dort föderale Strukturen weniger stark ausgeprägt waren oder gar völlig fehlten.
Der Bund war also weitgehend zugunsten der Länder zurückgedrängt. Auch in der
Diskussion um die erwähnte Erweiterung des Bundesseuchengesetzes tritt die unklare
Kompetenzzuweisung zwischen Bundes- und Länderaufgaben beständig zu Tage. Ein
beträchtlicher Teil der Debatte auf der Gesundheitsministerkonferenz vom 20. Dezember
1961 war durch diesen administrativen Aspekt quasi „blockiert“. Weil die Bundesregie-
rung „bisher wenig Neigung gezeigt habe“334, ein Bundesgesetz zu erlassen, das den Ein-
griff in die körperliche Unversehrtheit im Zuge der Schluckimpfung bundeseinheitlich
regelte, erließen Bayern und Nordrhein-Westfalen eigene Gesetze, um sich in diesem Fall
rechtlich abzusichern. Nun mussten auch die restlichen Länder gesetzgeberisch tätig
werden: „Die Länder könnten es sich nicht leisten, dass ihnen von Gerichten evtl. vorge-
worfen werde, sie hätten eine unrechtmäßige Großaktion durchgeführt.“335 Die Folge
wären elf mehr oder weniger inhaltsgleiche Ländergesetze, denen sich eventuell noch ein
redundant anmutendes Bundesgesetz hinzugesellen würde: für Elisabeth Schwarzhaupt
„eine wirklich unübersichtliche Rechtslage“, die die promovierte Juristin ablehnte.336 Der
baden-württembergische Regierungsdirektor Rheinwald gab ihr dabei Recht:

332
Rein rechnerisch gab jedes der elf Bundesländer einzeln 178,4 Millionen Mark aus, das ist immerhin
das 1,6-fache dessen, was der Bund insgesamt in das Gesundheitswesen steckte. Noch drastischer
zeigt sich dieses Ungleichgewicht im zweiten Bereich, aus dem der Bund faktisch ausgeschlossen war.
Hier hielt der Bund mit 2,76 Prozent an den Gesamtausgaben zwar einen geringfügig größeren Anteil
an den Gesamtausgaben als im ersten Bereich, dies kam aber nur durch seine finanzielle Beteiligung
an Sportereignissen zustande, die größtenteils aus dem Etat des Innenministeriums stammten und
somit die gesundheitspolitische Statistik stark verfälschten.
333
Der heute gültige Grundgesetzartikel 74 Ziffer 24, der dem Bund auch Kompetenzen in der Umweltpoli-
tik zusprach, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft.
334
So der baden-württembergische Regierungsdirektor Rheinwald. BA Koblenz, B142/3677, S. 5.
335
Rheinwald, ebd.
336
Elisabeth Schwarzhaupt, ebd., S. 8.
4 Die Politik Schwarzhaupts 86

Im übrigen ist die Frage der Zuständigkeit keineswegs klar. Der Bund hat durch das
Bundes-Seuchengesetz die Seuchenbekämpfung umfassend geregelt. Es ist sehr fraglich,
ob daneben für eine Polio-Gesetzgebung der Länder noch Raum ist. Die Länder Bayern und
Nordrhein-Westfalen haben sich unter dem Zwang der Verhältnisse über diese Bedenken
zunächst hinweggesetzt. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es aber wesentlich
besser, wenn der Bund ein Gesetz erließe.337

Dieses Bundesgesetz würde – wie gesehen – für alle Länder gleichermaßen gelten und
damit eine stabile Rechtslage schaffen. Der „Zwang der Verhältnisse“ sollte aber, so die
Meinung der Bundesministerin, nicht zu Ländergesetzen führen, die Gültigkeit für die
Ewigkeit besäßen: Auch wenn das Kabinett kein Bundesgesetz erließe, sollten die Län-
dergesetze maximal auf ein Jahr befristet bleiben, um die Unübersichtlichkeit in der
Impfgesetzgebung nicht zu einem Dauerzustand werden zu lassen – eine rechtlich nicht
bindende Vorgabe der Bundesministerin an ihre Länderkollegen, die mehrheitlich ohne-
hin für ein Bundesgesetz votierten.338 Das Bundesgesundheitsministerium befürwortete
zwar, dass die Polio-Schluckimpfung „sobald als möglich“ durchgeführt werden sollte,
Elisabeth Schwarzhaupt meldete im Kreise ihrer Länderkollegen aber „erhebliche verfas-
sungspolitische Bedenken gegen ein Bundesgesetz“ an.339 Den einzigen Ausweg aus die-
sem Dilemma konnte nur eine Grundgesetzänderung weisen, die dem Bund hierfür die
gesetzgeberischen Vollmachten für ein – die Ländergesetze obsolet machende – Bundes-
gesetz gab. Sie war bei der Schluckimpfung noch nicht ausschließlich notwendig, da der
Bund seine Kompetenzen auf Art. 74 Ziffer 19 stützen konnte; im Falle einer bundesweit
einheitlichen Vorsorgemaßnahme, bei der keine akute Bedrohung des Lebens durch
„gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten“ wie etwa Polio vorlag, war die
Grundgesetzänderung allerdings unabwendbar. Die Ablehnung des Jugendzahnpflegege-
setzes durch den Bundesrat zeigte diese Notwendigkeit für den Bund.

337
Rheinwald, ebd., S. 5.
338
Mit dem Wunsch zu Wort meldeten sich: Baden-Württemberg, Hessen, Schleswig-Holstein. Kein Land
lehnte ein Bundesgesetz ab, was schließlich zur einstimmigen Annahme der Entschließung führte.
339
Elisabeth Schwarzhaupt, ebd., S. 6.
4 Die Politik Schwarzhaupts 87

4.5 Das Scheitern des


Jugendzahnpflegegesetzes

§1
(1) Zur Pflege und Gesunderhaltung der Zähne, des Mundes und der
Kiefer bei Kindern und Jugendlichen stellen die Gesundheitsämter fol-
gende Leistungen sicher:
1. die regelmäßige zahngesundheitliche Belehrung der Kinder
und Jugendlichen,
2. jährlich mindestens eine zahnärztliche Untersuchung zur
Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit,
3. nachgehende Gesundheitshilfe, insbesondere die
Nachuntersuchung der behandlungsbedürftigen Kinder und
Jugendlichen.340
Entwurf eines Jugendzahnpflegegesetzes (1964)

Die ganze Problematik der konkurrierenden Gesetzgebung zeigte sich an einer Geset-
zesinitiative Elisabeth Schwarzhaupts, die im Bundestag von Regierungskoalition und
Opposition einstimmig verabschiedet wurde: dem Jugendzahnpflegegesetz. Fachlich
schien an diesem Gesetz, das sich der Vorsorge verschrieben hatte, also nichts auszuset-
zen. Der Bundesrat lehnte es am 24. April 1964 aber trotz allem ab und gab auch im
Vermittlungsausschuss keine Zustimmung – eine machtpolitische Frage; die Länder
wollten ihre Kompetenzen in der Für- und Vorsorge nicht an den Bund abgegeben, fürch-
teten einen Präzedenzfall.341
Durch das Gesetz sollten alle Gesundheitsämter342 verpflichtet werden, einmal im
Jahr allen Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 18 Jahren eine zahnärztliche Un-
tersuchung sicherzustellen, damit die Behandlungsbedürftigkeit der Gebisse festgestellt
werden und die Zähne entsprechend behandelt werden konnten. Dies war der medizini-
sche Aspekt des Gesetzes. Der zweite Aspekt war der problematische: Das Gesetz sah eine
„nachgehende Gesundheitshilfe“343 vor, was bedeutete, dass die Gebisse behandlungsbe-
dürftiger Kinder und Jugendlicher nachuntersucht werden mussten, und: obligatorisch
sollten die Kinder auch eine Aufklärung über ihre Zahnpflege bekommen. Der Berichter-
statter des Gesundheitsausschusses in diesem Fall, der SPD-Abgeordnete Richard
Tamblé, in seinem Bericht hierzu:

340
Entwurf eines Bundesjugendzahnpflegegesetzes gemäß des Beschlusses des Bundestagsausschus-
ses für Gesundheitswesen, Bundestags-Drucksache IV/1735, S. 1.
341
Die Notwendigkeit für das Gesetz lag in den unterschiedlich intensiven Vorsorgemaßnahmen der Län-
der in diesem Bereich begründet. Das Gesetz sollte die Feststellung der Zahngesundheit bei Jugendli-
chen vereinheitlichen und damit die Qualität der Zahngesundheit bundesweit heben.
342
Der öffentliche Gesundheitsdienst, in dem die staatlichen Gesundheitsämter der wichtigste administra-
tive Zweig sind, wird in dieser Arbeit nicht betrachtet, d.Verf.
343
Siehe hierzu auch: Elisabeth Schwarzhaupt, Keine Bundeszuständigkeit? Das Beispiel des Gesetzes
über Jugendzahnpflege, BA Koblenz, N1177/21, S. 1. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages
entschied sich für diesen Begriff der „nachgehenden Gesundheitshilfe“ und gegen den Vorschlag der
„nachgehenden Fürsorge“, weil „die allgemeine Tendenz dahin geht, den Begriff Fürsorge durch ‚Sozi-
alhilfe’ zu ersetzen.“ Um Sozialhilfe im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes handelte es sich im vor-
liegenden Fall aber nicht. Schriftlicher Bericht zu Drucksache IV/1736, S. 2.
4 Die Politik Schwarzhaupts 88

Es wurde übereinstimmend begrüßt, dass nunmehr ein Jugendzahnpflegegesetz verab-


schiedet werden soll, um einmal das bisherige Gefälle in der Bundesrepublik zu beseitigen,
zum anderen den Personenkreis, der betreut werden soll, zu erweitern. Dabei muß darauf
hingewiesen werden, dass es bei beiden Entwürfen ausschließlich um die „Regelung der
zahnärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit“ geht und nicht
etwa um die Behandlung.344

Um nicht nur den staatlichen Zwang, sondern auch die staatliche Pflicht zu diesen
Maßnahmen zu dokumentieren, sollte es einen Rechtsanspruch auf alle diese die Zahn-
gesundheit fördernden Maßnahmen geben können. Dieser Aspekt passte gut ins
Schwarzhauptsche Konzept der Eigenverantwortlichkeit im Gesundheitswesen und war
von einer partnerschaftlichen Grundhaltung bestimmt, da der Patient die Vorsorgeunter-
suchungen und die gesundheitliche Aufklärung seinerseits von den Behörden einfordern
können sollte.
Der Bundestag hatte das im Gesundheitsausschuss beratene Gesetz einstimmig ange-
nommen, der Bundesrat versagte hingegen seine Zustimmung. Dieses Bundesrats-Veto
erschien Elisabeth Schwarzhaupt nicht etwa als eine unbedeutende gesetzgeberische
Formalie, die beispielsweise ein mangelhaft vorbereitetes Gesetz scheitern ließ oder das
die Länder finanziell einseitig belastete, etc.; für sie war es Ausdruck eines grundsätzli-
chen Machtkampfes zwischen Bund und Ländern. Regierung und Opposition waren in
diesen „Streit“ nicht unmittelbar involviert, sie waren sich weitgehend einig; beide hatten
eigene Initiativanträge in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht und sich schließlich
auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf einstimmig geeinigt – für den Bundestag und
die zuständige Ministerin war die „sachliche Notwendigkeit“345 des Gesetzes also offen-
sichtlich und im Bundestag unbestritten.346 Dass es sich nicht um einen parteipolitischen
Streit handelten konnte, zeigt die Zusammensetzung des Bundesrates: In ihm hatten die
CDU-geführten Landesregierungen die Mehrheit. Diese unterstützten die politische Ini-
tiative Elisabeth Schwarzhaupts aber nicht, warfen stattdessen „dieser Bundesgesund-
heitsministerin Prügel zwischen die Beine.“347Der Ministerin erschien diese Machtprobe
der Länder, die gegenüber dem Bund ihre Kompetenzen verteidigen wollten, für den vor-
liegenden Fall daher als reichlich ungerechtfertigt:

Mancher wird sich jetzt fragen, ob es denn ein solches Unglück sei, wenn das Jugendzahn-
pflegegesetz gescheitert ist, gescheitert sei ja schließlich nur eine bundeseinheitliche
Regelung, nicht aber die Jugendzahnpflege als solche. Es ist richtig, dass in allen Ländern
eine Jugendzahnpflege praktiziert wird. Allerdings sind die Leistungen keineswegs überall
gleich und es besteht auch kein Rechtsanspruch. Eine gleichmäßige Behandlung im ganzen
Bundesgebiet aber erscheint notwendig, da jeder weiß, wie bedrohlich mancherorts der

344
Ebd., S. 1. Hervorhebung vom Verfasser. Der Berichterstatter Dr. Richard Tamblé (1913-1982) saß
vom 25.4.1960 als Nachrückkandidat bis zum Ende der sechsten Legislaturperiode 1972 für die
schleswig-holsteinische SPD im Bundestag. Auffallend ist, dass ausschließlich die SPD den Vorsitz im
Gesundheitsausschuss inne hatte.
345
Ebd.
346
Siehe Entwurf eines Gesetzes über Jugendzahnpflege (Bundesjugendzahnpflegegesetz) der Regie-
rungskoalition: Bundestagsdrucksache IV/1266, sowie über den SPD-Entwurf eines Gesetzes über öf-
fentliche Jugendzahnpflege (Bundesjugendzahnpflegegesetz): Bundestags-Drucksache IV/1260. Der
gemeinsame Entwurf wurde im Gesundheitsausschuss zu dem bereits zitierten gemeinsamen Entwurf
in Bundestags-Drucksache IV/1735 „amalgamiert“ (um ein passendes Wortspiel zu machen, d.Verf.).
347
So der CSU-Abgeordnete Dittrich (1912-1988) in der Aussprache zum Einzelplan 15 am 24. Februar
1965 im Bundestag. Bundestagsprotokolle IV/167, S. 8337.
4 Die Politik Schwarzhaupts 89

Gebissverfall gerade bei Kindern und Jugendlichen ist und wie Folgekrankheiten aus nicht
348
behandelter Karies entstehen.

Zugunsten einer eifersüchtigen Kompetenzfrage wurde also eine bundesweit einheitli-


che Kariesprophylaxe vom Bundesrat verhindert. Elisabeth Schwarzhaupt befürchtete
zukünftig eine grundsätzliche Blockadehaltung der Ministerpräsidenten bei allen weite-
ren Gesetzen, die in ihrem Ressort vorbereitet wurden und der Gesundheitsvorsorge
dienen sollten. Deswegen schrieb die Ministerin hierzu an den Vorsitzenden ihrer Partei,
Konrad Adenauer:

Wäre die Auffassung des Bundesrates richtig, dann wäre eine Tätigkeit des Bundes auf dem
Gebiet der Gesundheitsfürsorge nicht möglich. Das hätte weitreichende Konsequenzen für
die gesundheitliche Entwicklung der Bevölkerung. Bei den Erläuterungen des
Jugendzahnpflegegesetzes hat sich nämlich gezeigt, dass zwischen den einzelnen Ländern
ein erhebliches Leistungsgefälle besteht, das um der Gesundheit der Jugend willen
unbedingt beseitigt werden müsste. 349

Eine so verstandene und damit stark eingeschränkte öffentliche Fürsorge ließ daher
nicht nur das Jugendzahnpflegegesetz scheitern, es blockierte auch alle sonstigen ge-
sundheitlichen Vorsorgemaßnahmen des Bonner Ministeriums, etwa den „Schutz der
Mutterschaft, die Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge und die Jugendwohlfahrt“.350
Gerade in der Schwangerschaftsvorsorge, die sich hinter dem etwas altertümlich wirken-
den Begriff „Schutz der Mutterschaft“ verbarg, würde diese Bundesratsauffassung eine
Gesetzgebung des Bundes verhindern, die hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit könn-
te nicht wirksam eingedämmt werden:

Die Bundesregierung würde beispielsweise auf jene Regelung verzichten müssen, die für
werdende Mütter und Wöchnerinnen die notwendigen ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen
und die zweckdienliche Beratung durch Arzt und Hebamme sicherstellt. Sie wird davon
absehen müssen, den Mütterpaß, über dessen Bedeutung für das Leben von Mutter und
Kind wohl nichts gesagt zu werden braucht, für das gesamte Bundesgebiet einzuführen. Sie
müsste auch darauf verzichten, die so notwendige gesundheitliche Betreuung der
Säuglinge, Kinder und Jugendlichen durch regelmäßige ärztliche und zahnärztliche
Untersuchungen, durch Belehrung und Beratung sowohl der Kinder und Jugendlichen als
auch ihrer Eltern und sonstigen Sorgeberechtigten bundeseinheitlich sicherzustellen.351

Aber auch in der Forschung wären der Bundesministerin ab sofort die Hände gebun-
den, da der Finanzminister alle Etatmittel für die Unterstützung wissenschaftlicher Un-
tersuchungen sperren müsste: „Schon nach dem geltenden Haushaltsgesetz können aus
Kapitel 1502 Titel 620, wie sich ausdrücklich aus der Zweckbestimmung ergibt, auf dem
348
Ebd.
349
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Adenauer vom August 1964, BA Koblenz, N1177/23. Der Bundesrat
konstatierte, dass die Jugendzahnpflege in einzelnen Ländern durchaus der Verbesserung bedürfe;
dies sei aber noch kein Grund für eine bundesgesetzliche Regelung. Vielmehr, so der Bundesrat, ob-
liege die Abhilfe zunächst bei den Ländern selbst; für Elisabeth Schwarzhaupt „ein Einwand, der nicht
sehr überzeugend klingt, nachdem einige Länder, wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das
Saarland, ein Bundesgesetz ausdrücklich als erwünscht bezeichnet haben“. Brief Schwarzhaupts an
Barzel, BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
350
Schwarzhaupt, Keine Bundeszuständigkeit? BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
351
Brief Schwarzhaupts an Rainer Barzel vom 5.5.1964, BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
4 Die Politik Schwarzhaupts 90

Gebiet des Gesundheitswesens Forschungsvorhaben nur dann gefördert werden, wenn


dem Bund im Zusammenhang mit dem Forschungsauftrag eine Gesetzgebungskompe-
tenz zusteht“352, so die Ministerin. Keine Bundeszuständigkeit – keine Bundesmittel, das
war der einfache Zusammenhang. In ihrem Brief an den stellvertretenden CDU-
Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel beschrieb Elisabeth Schwarzhaupt, wie gesund-
heitspolitisch fragwürdig es wäre, müsste sich die Bundesregierung aus der Finanzierung
dieses Bereiches medizinischer Forschung gänzlich zurückziehen:

Der Bundesrat hat ausdrücklich erklärt, dass dem Bund eine Kompetenz zur Bekämpfung
der ansteckenden und übertragbaren Krankheiten, nicht etwa aller anderen, zustehe. Dies
hätte zur Folge, dass mein Ministerium hier sowohl von wichtigen gesetzlichen Maßnahmen
– wie etwa zur Früherkennung oder Heilung von Geschwulstkrankheiten, Neurosen, Leber-
leiden, Haltungsschäden –, als auch von der Forschung auf diesem Gebiete, insbesondere
von der Finanzierung überregionaler Modelleinrichtungen und von der gesamten Aufklärung
und Gesundheitserziehung Abstand nehmen müsste. Die Weiterführung der Zusammen-
arbeit mit dem Land Baden-Württemberg, dem nationalen Krebsforschungszentrum in Hei-
delberg müsste aufgegeben werden. Die Gesundheitspolitik des Bundes wäre damit auf
vielen für die Volksgesundheit besonders bedeutsamen Gebieten lahmgelegt, der mir ge-
wordene Auftrag in wesentlichen Teilen unerfüllbar.353

Elisabeth Schwarzhaupts Ministerium würde obsolet werden: das ist die Warnung
der Ministerin, die sie hier der CDU-Fraktion gegenüber aussprach – sicher in der Hoff-
nung, dass diese, oder auch Schwarzhaupts direkter Adressat Barzel, parteiinternen
Druck auf die CDU-Ministerpräsidenten ausüben würde, um die Bundesratsblockade
aufzubrechen. Schwarzhaupt gab Barzel in ihrem Brief auch gleich die Argumentations-
hilfe mit auf den Weg in die christlich-demokratischen Staatskanzleien354: Wenn sich ihr
Ministerium von allen Forschungsvorhaben zurückziehen müsste, die in irgend einer
Weise mit medizinischer Vorsorge, Vorbeugung sowie der Nachsorge zu tun hätten, dann
wäre dies ein gesundheitspolitisch völlig falsches Signal, das ganz auf der Linie des Häuß-
lerschen Bonmots gelegen hätte: Wer etwas präventiv zur Erhaltung seiner Gesundheit
hätte tun wollen, wäre daran gehindert – er hätte erst krank werden müssen, damit ihm
geholfen werden konnte.355 Diese Sichtweise von allein kurativer, aber nicht präventiver
Gesundheitspolitik ist aber absurd und zeigt, dass es den Ländern eben um eine macht-
politische, nicht um eine inhaltlich-politische Frage gehen konnte. Für juristisch unbe-
darfte Betrachter ist der Streit, der um die spitzfindige Definition des Begriffes „Fürsor-
352
Ebd., S. 3. Im Einzelplan 15 ist der Etat des Bundesgesundheitsministeriums aufgeführt, Kapitel 1502
Titel 620 stellt Regierungsgelder „zur Förderung der Forschung auf dem Gebiet des Gesundheitswe-
sens“ bereit. Dafür waren beispielsweise im Bundeshaushalt 1965 zwei Millionen Mark vorgesehen.
Siehe Bundestags-Drucksache IV/2915. Die Berichterstatterin des Haushaltsauschusses, Edith Krappe
(SPD), hielt diesen Etatansatz für „zu niedrig. Er müsste mindestens verdoppelt werden“, was zeigt,
dass auch die SPD an der Unterstützung der medizinischen Forschung durch den Bund festhielt. Bun-
destagsprotokolle IV/167, S. 8333.
353
Brief Schwarzhaupts an Barzel, S. 3.
354
Ob und wie Barzel tatsächlich Druck auf die CDU-Ministerpräsidenten ausübte, ist mir allerdings nicht
bekannt, d.Verf. Dass Elisabeth Schwarzhaupt diesen politischen Druck aber erhoffte, macht auch ihr
Brief an den Parteichef Konrad Adenauer vom 20. Mai 1964, knapp vier Wochen nach der Bundesrats-
ablehnung des Jugendzahnpflegegesetzes, klar: „Ich bitte sie deshalb, sehr verehrter Herr Bundes-
kanzler, auch Ihrerseits mit dafür einzutreten, dass die CDU sich für die [...] erstrebte Kompetenzer-
weiterung einsetzt.“ Da die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ja auf Schwarzhaupts Linie lag, konnte die
Ministerin mit dem Hinweis „die CDU“ nur die unionsgeführten Länderregierungen meinen. Brief
Schwarzhaupts an Adenauer vom 20. Mai 1964, BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
355
Gemeint ist der Satz des Vorsitzenden des Hartmannbundes in Kapitel 4.1.
4 Die Politik Schwarzhaupts 91

ge“ geführt wurde, allerdings schwer nachvollziehbar. Durfte der Bund, der ja nach Arti-
kel 74 Ziffer 7 GG die Zuständigkeit für die „öffentliche Fürsorge“ hatte, nicht nur in aku-
ten individuellen Notlagen tätig werden, sondern schloss der Begriff auch die Vorsorge in
den oben genannten Bereichen ein? Beinhaltete das Wort Fürsorge semantisch also auch
die Vorsorge für bestimmte, ganz besonders sorgebedürftige Gruppen wie etwa Schwan-
gere, wie Säuglinge oder eben Kinder? Für Bundestag und Bundesregierung war das kei-
ne Frage – sie bejahten dies. Der Bundesrat sah dies hingegen – wie gesehen – eben
nicht so und legte den Begriff restriktiver aus, was die somit ihrer Gesetzgebungskompe-
tenzen beraubte Elisabeth Schwarzhaupt zu der doch herben Kritik hinreißen ließ, die im
Bundesrat vertretenen Bundesländer ließen „die moderne Entwicklung außer acht“356:

Wir können heute nicht mehr den alten, verwaltungsrechtlichen Begriff der Armenfürsorge
zum Maßstab für die Aufgaben des Staates nehmen. Die gesellschaftliche Entwicklung ist
nicht stehen geblieben. Dem hat man ja auch vom Gesetzgeber her Rechnung getragen,
indem man den Begriff Sozialhilfe einführte. So wird auch die Gesundheitsfürsorge vom
Begriff der öffentlichen Fürsorge umfaßt.357

Dass die Argumentation des Bundesrates rückwärtsgerichtet war, stand für die Minis-
terin außer Frage: „Während die Bildung des Gesundheitsministeriums ein Fortschritt
war, der den modernen gesundheitspolitischen Aufgaben Rechnung trug“, schrieb Elisa-
beth Schwarzhaupt an Adenauer, „ist die Verengung der gesundheitspolitischen Bundes-
kompetenz im Grundgesetz, insbesondere in der Auslegung, die ihr der Bundesrat gibt,
ein Rückschritt.“358 Zudem hätte schon der Parlamentarische Rat einen moderneren Beg-
riff davon gehabt, was unter „öffentlicher Fürsorge“ konkret zu verstehen sei, als ihn der
Bundesrat nun an den Tag gelegt hätte: „Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 74“,
dozierte die gelernte Juristin, „ergibt sich, dass damals nicht nur die Armenfürsorge, die
früher allgemein als öffentliche Fürsorge bezeichnet wurde, gemeint war. Man hat ledig-
lich davon abgesehen, den verfassungsrechtlichen Begriff ‚öffentliche Fürsorge’ im ein-
zelnen zu definieren,“359 und natürlich sei mit dieser Rechtsvokabel die gesamte öffentli-
che Fürsorge gemeint gewesen. Ohne Verfassungsänderung konnte es also nicht weiter
gehen:

Nach meiner Ansicht setzt dies aber voraus, dass sich die Regierungsparteien unverzüglich
um eine Klarstellung der Bundeskompetenz bemühen, d.h. eine Änderung des Art. 74. Zif. 7
des Grundgesetzes dahin beantragen, dass der Bund nicht nur die Zuständigkeit für die
„öffentliche Fürsorge“, sondern für die „öffentliche Fürsorge und das Gesundheitswesen“
innehat, wie sie nach der Weimarer Reichsverfassung auch dem Reiche konkurrierend
zustand. Eine solche Ergänzung würde, was nach der geltenden Fassung von Art. 74 Zif. 7
zweifelhaft ist, auch die unerlässliche Bundeskompetenz für das wichtige Gebiet der
Umwelthygiene einschließen, also für die Reinhaltung von Wasser und Luft und für die
Lärmbekämpfung, soweit es sich um Gesundheitsvorsorge handelt und die erforderlichen
Vorschriften nicht auf Art. 74 Nr.11 und 19 oder Art. 75 Nr. 4 gestützt werden können.360

356
Elisabeth Schwarzhaupt, Keine Bundeszuständigkeit? BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
357
Ebd.
358
Brief Schwarzhaupts an Adenauer vom 20. Mai 1964, BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
359
Elisabeth Schwarzhaupt, Keine Bundeszuständigkeit? BA Koblenz, N1177/21, S. 2.
360
Brief Schwarzhaupts an Rainer Barzel, S. 5.
4 Die Politik Schwarzhaupts 92

Diese Grundgesetzänderung bereitete das Ministerium zwar vor, konnte sie aber nicht
durchsetzen – der Bundesrat lehnte sie ebenfalls ab.361 Der Bundesrat erklärte, dass eine
Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Gesundheitswesen nicht nötig
sei: „Die individuelle Gesundheitsvorsorge kann wie bei der Heilbehandlung und der
Nachbehandlung im Rahmen des bewährten und eingespielten Sozialleistungssystems
durchgeführt werden.“362 Zudem hätten die Länder längst ihre Hausaufgaben gemacht:

Der in der Gesetzesbegründung aufgeführte Aufgabenkatalog wurde – ohne daß es


besonderer gesetzlicher Regelungen bedurft hätte – von den Ländern bereits zu einer Zeit
weitgehend in Angriff genommen, als der Bund sich mit Fragen der Gesundheitsvorsorge
und der Früherkennung von Krankheiten noch kaum befaßt hat. Es ist daher keineswegs zu
befürchten, daß die Länder in Zukunft in ihren Bemühungen um die Durchführung der als
bedeutsam und notwendig erkannten Gesundheitsvorsorge nachlassen werden.363

Auch erkannten die Länder keine Notwendigkeit, den Umweltschutzgedanken – hier:


Lärmbekämpfung und Luftreinhaltung – ins Grundgesetz zu übernehmen. Der Bund
habe bereits die Gesetzgebungskompetenz für den Luft- und Straßenverkehr, für das
Kraftfahrwesen und das Recht der Wirtschaft. „Ihm obliegt es damit“, so die Bundesrats-
begründung, „die Vorschriften des Immissionsschutzes auf entscheidend wichtigen Ge-
bieten zu ergänzen und zu verbessern. Solange der Bund seine Gesetzgebungskompeten-
zen in diesen Bereichen nicht ausgeschöpft und die hier der Allgemeinheit drohenden
Gefahren, Nachteile oder Belästigungen abgewendet hat, besteht kein Anlaß, die Gesetz-
gebungskompetenzen der Länder in diesem verbliebenen Bereich zu schmälern.“364 Dem
Bund Versäumnisse vorzuhalten und ihm deswegen weitere Kompetenzen zu versagen,
die zu Lasten der Ländermacht gingen, war eine durchaus kluge Argumentation des
Bundesrates.
Erst die sozial-liberale Koalition brachte eine Verfassungsänderung zustande, die
dem Artikel 74 eine neue Ziffer 24 anfügte, die aber rein umweltschützerischen Charakter
hatte: die „konkurrierende Vollkompetenz“365 des Bundes für „den Wasserhaushalt, die
Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung“.366 Die Begründung der Bundesregierung für
die Verfassungsänderung stellte auf die überregionale Ausbreitung von Umweltgefahren
ab: „Allein die Reinhaltung der Bundeswasserstraßen, unserer größten und wasserwirt-
schaftlich bedeutsamsten oberirdischen Gewässer, ist wirksam nur durch übergebietlich
abgestimmte Maßnahmen zu betreiben, nicht nur weil diese Gewässer durchweg mehre-
re Länder durchfließen, sondern auch wegen der Auswirkungen, die Abwassereinleitun-
gen oft über weite Strecken haben können.“ Der Rhein durchfließt eben nicht nur Baden-
Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, er ist ein „internatio-
naler“ Fluss. Diese Perspektive, weg von den Ländern hin zu einem internationalen Zu-
sammenhang, wurde im Gesundheitsministerium in der Abteilung I B 4 gepflegt; hierbei

361
Siehe Bundestags-Drucksache V/3515.
362
Stellungnahme des Bundesrates zur Grundgesetzänderung, Bundestags-Drucksache V/3515, Anlage
2, S. 10.
363
Ebd., S. 10f.
364
Ebd., S. 12.
365
Bundestags-Drucksache VI/1298, Anlage 1.
366
Ebd.
4 Die Politik Schwarzhaupts 93

ging es nicht nur um Wasserfragen, sondern den ganzen Bereich internationaler Ge-
sundheitshilfe.

4.6 Medizinische Entwicklungshilfe

Im vierten Kabinett Adenauer forderte der Koalitionspartner FDP unter der Bezeich-
nung „Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit“ ein Ressort, das nicht-
industrialisierten Staaten Entwicklungshilfe geben sollte. Erster Minister war der FDP-
Politiker Walter Scheel. Doch obwohl Adenauer in der vierten Regierungsperiode ein
eigenes Ministerium für die Entwicklungshilfe eingerichtet hatte, ressortierte ein Aspekt
bundesrepublikanischer Entwicklungshilfe im Gesundheitsministerium: die medizini-
sche Unterstützung der so genannten „Entwicklungsländer“.

Die Förderung der Gesundheit der Völker ist eine Vorbedingung für den sinnvollen Einsatz
einer jeden Hilfe, denn ohne eine gesunde Bevölkerung sind alle Förderungsmaßnahmen –
sei es auf dem industriellen, dem gewerblichen, dem landwirtschaftlichen Sektor oder auf
367
dem Gebiet des Ausbildungswesens – in Frage gestellt.

Diese Einschätzung, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen die grundlegende Be-


dingung für die sozioökonomische Entwicklung hin zu einer prosperierenden Volkswirt-
schaft seien, stammt direkt aus dem neuen Bundesgesundheitsministerium, Regierungs-
medizinaldirektorin Maria Daelen war die Autorin. Für sie galt gesundheitliche
Entwicklungshilfe nicht nur als humanitäre Pflicht und wirtschaftspolitische Notwendig-
keit, sondern war untrennbar mit der vordringlichen weltpolitischen Fragestellung der
frühen 1960er Jahre verknüpft: Gelang es, durch gezielte Wirtschaftshilfe die nicht-
industrialisierten Staaten vor dem ideologischen Zugriff der Sowjetunion zu bewah-
ren?368 Die Regierungsmedizinaldirektorin im Bundesgesundheitsministerium formu-
lierte diesen weltpolitischen Aspekt so:

Ziel der Entwicklungshilfe ist es, den Lebensstandard der Entwicklungsländer zu heben, um
dadurch den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu unterstützen und diesen Ländern
allmählich die Eingliederung in die Weltwirtschaft zu ermöglichen. Dabei sollen die
freundschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu den Entwicklungsländern vertieft
und die Spannungen vermieden werden, die sich aus der Nachbarschaft der Länder mit

367
Maria Daelen, Probleme der Entwicklungshilfe auf dem ärztlich-medizinischen Sektor, in: Deutsche
Zentrale für Volksgesundheitspflege (hg.): Gedanken und Beiträge zur Gesundheitspolitik. Herrn Pro-
fessor Dr. Franz Klose zum 75. Geburtstag gewidmet, Frankfurt am Main 1962, S. 28-35, S. 28.
368
Beispielsweise erließ 1961 die Kennedy-Administration den Foreign Assistance Act, mit dem „der Si-
cherheitsaspekt in der amerikanischen Auslandshilfe weit nach hinten gerückt [wurde]. Den Vorrang
erhielt die Wirtschaftshilfe, deren Ziel die Errichtung und Stärkung freier Institutionen in der ganzen
Welt sein sollte. Die Wirtschaftshilfe diente fortan nicht mehr ausschließlich der Bekämpfung des
Kommunismus, sondern der Verknüpfung von wirtschaftlichem Wachstum und Demokratie“, so Ernst-
Otto Czempiel und Carl-Christoph Schweitzer, Weltpolitik der USA nach 1945. Einführung und Doku-
mente, Bonn 1989, S. 262f.
4 Die Politik Schwarzhaupts 94

verschiedener Entwicklungsstufe ergeben. Es ist bekannt, dass diese Spannungen vom


Ostblock bewusst geschürt werden und somit den Weltfrieden gefährden.369

Mit dieser in einem unscheinbaren Aufsatz Daelens unbelegten Behauptung holte die
Ministerialbürokratin die Arbeit des neuen Ministeriums rhetorisch geschickt aus dem
Abseits der öffentlichen Wahrnehmung heraus und stellte sie völlig unbescheiden ins
Zentrum der geopolitischen Auseinandersetzungen: das neue, wenig populäre Gesund-
heitsministerium als unverzichtbares Bollwerk gegen den Kommunismus, so hatte sie
die medizinische Entwicklungshilfe wohl verstanden wissen wollen.
Was wie Satire klingt, war tatsächlich Arbeitsgrundlage im Gesundheitsministerium.
Wurden Ärzte ins Ausland geschickt, so wurden sie nicht allein deswegen landeskundlich
unterrichtet, um sich ein Bild über die sozio-politische Situation im Gastland verschaffen
zu können. Sie sollten auch deswegen „über die politischen Gegebenheiten unterrichtet
sein, um in den Diskussionen mit Menschen fremder Länder die deutsche Lage in der
Welt richtig darzustellen“370, mithin also klarzumachen, dass die gewährte Entwicklungs-
hilfe einem „westlichen“ Land zu verdanken war und nicht etwa einem des sowjetisch
dominierten „Ostens“. Bundesrepublikanische Hilfeleistung war so stillschweigend an
ein erhofftes politisches „Wohlverhalten“ des Nehmerlandes gekoppelt, wenngleich re-
gierungsoffiziell eine politische und wirtschaftliche Einflussnahme Deutschlands auf das
Nehmerland negiert wurde.371
Der erste und wichtigste Punkt eines 6-Punkte-Papiers über die Bedingungen, nach
denen die Bundesregierung medizinische Auslandshilfe bewilligte, stellte zudem eindeu-
tig fest: „Mittel werden nur für unabhängige Länder oder für solche, die kurz vor ihrer
Unabhängigkeit stehen, zur Verfügung gestellt.“372 Dies zeigte schon die Stoßrichtung;
zwar konnte sich der Begriff „unabhängige Länder“ ausschließlich auf ehemals koloniali-
sierte Staaten beziehen, er musste es aber nicht. Ebenso gut schloss diese Formulierung
diejenigen Staaten von deutscher medizinischer Hilfe aus, die sich in einer mehr oder we-
niger engen Kooperation mit der Sowjetunion befanden. Ein Blick auf die Liste der unter-
stützen Länder verstärkt diese Vermutung. In Südkorea betrieb das Deutsche Rote Kreuz
einige Jahre lang ein Krankenhaus und bildete dort einheimisches medizinisches Perso-
nal aus. Mit Peru schloss die Bundesregierung ein Kooperationsabkommen in Fragen der
Tropenmedizin, für Togo wurde ein Seuchenbekämpfungsplan entwickelt und in Tanga-
njika eine Gesundheitsverwaltung aufgebaut. Alle diese Länder sind in den frühen 1960er
Jahren eindeutig nicht dem sowjetischen Einflussbereich zuzuordnen.373

369
Daelen, Entwicklungshilfe, S. 29. Hervorhebung im Original.
370
Ebd., S. 35.
371
Ebd., S. 30: „Förderungsmaßnahmen werden nur auf ausdrücklichen Regierungswunsch des Entwick-
lungslandes durchgeführt, schon um zu zeigen, dass die Hilfe der Bundesrepublik von politischem und
wirtschaftlichem Einfluß frei bleibt.“
372
Ebd.. Hervorhebung vom Verfasser.
373
Südkorea ist seit 1953 durch ein bilaterales Abkommen sicherheitspolitisch an die USA gebunden,
Peru seit 1948 in der OAS organisiert, Togo seit seiner Unabhängigkeit 1960 Mitglied der EWG-
assoziierten Union Sahel-Benin. Tanganjika ist Commonwealth-Mitglied und wird 1961 unabhängig
(bildet 1964 mit Sansibar das heutige Tansania). Zudem baut das Gesundheitsministerium im sowjeti-
schen Nachbarstaat Afghanistan eine Blutbank auf, errichtet im Senegal ein Krankenhaus und sendet
Bakteriologen in die überschwemmten Katastrophengebiete Somalias. Afghanistan hat zwar ein Mili-
tärabkommen mit der Sowjetunion unterzeichnet, geht als neutraler Staat, der sowohl vom Westen als
auch vom Osten wirtschaftlich unterstützt wird, allerdings einen eigenständigen Weg. Somalia ist ab
4 Die Politik Schwarzhaupts 95

Auch von jenem Bereich des „Wasserwesens“, der im Gesundheitsministerium ange-


siedelt war, wurde Technische Hilfe offenbar nur solchen Ländern zugebilligt, die eben-
falls diesen antisowjetischen Kritierien genügten. Das Gesundheitsministerium unter-
stützte während der Amtszeit Elisabeth Schwarzhaupts den Aufbau einer Wasserversor-
gung im Iran, in der äthiopischen Hauptstadt Addis-Abeba, im mauretanischen Nouak-
chott sowie im laotischen Luang-Prabong.374 Im türkischen Izmir betrieb es den Bau
einer Abwasser- und Müllanlage, in Togo den Bau von Zisternen, und in den beiden Städ-
ten San José (Costa Rica) und Kaolak (Senegal) half das Ministerium beim Aufbau von
Wasseraufbereitungsanlagen.375 Auch diese Liste zeigt, dass nicht nur ehemalige afrika-
nische Kolonialstaaten von der Bundesregierung technisch-wirtschaftlich gefördert wur-
den, sondern gerade solchen Ländern, die an der Grenze zum sowjetischen Einflussbe-
reich lagen, besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Eines dieser Grenzländer zur
Sowjetunion war das wasserarme Afghanistan:

Hervorzuheben ist der Einsatz einer Gruppe von 9 Fachleuten in Afghanistan. Sie berät die
afghanische Regierung seit Jahren beim Aufbau einer landeseigenen Wasserwirtschaftsver-
waltung und errichtet ein gewässerkundliches Beobachtungsnetz für Oberflächen- und
Grundwasser. Damit wird die Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes
geschaffen.376

Das ehrenwerte Motiv, in dem trockenen Bergland durch eine effizientere Wasserbe-
wirtschaftung (also –verteilung) die Armut zu bekämpfen, wurde von der klaren Absicht
begleitet, Afghanistan an den Westen zu binden und gegen sowjetische „Avancen“ zu
immunisieren. Technische und medizinische Hilfeleistungen wurden also zu einer Art
„Währung“, mit der sich die Bundesregierung – und mit ihr der „Westen“ – neben wirt-
schaftlicher auch politische Einflussnahme in Ländern der so genannten Dritten Welt
quasi „erkaufte“. Dass diese so verstandene Entwicklungshilfe eher sicherheitspolitischen
Motiven diente und weniger als eine zielgerichtete Hilfe in den Nehmerländern ankam,
war sogar Bundestagsabgeordneten der Union selbst bekannt. Der CSU-Abgeordnete
Walter Althammer etwa beklagte bereits im Oktober 1964, dass „der Gegensatz zwischen
den theoretischen Behauptungen, die von der Bürokratie in den zuständigen Ausschüs-
sen vorgetragen werden, und der Praxis [...] recht schmerzlich“ sei.377 Althammer war bei
einer unangemeldeten Reise durch das EWG-assoziierte Nehmerland Somalia auf einige
kritisch zu bewertende Entwicklungshilfeprojekte gestoßen:

Aus dem Entwicklungsfonds der EWG wurden mehrere Projekte realisiert [...]. Leider
befindet sich darunter das schlechteste Beispiel westlicher Entwicklungshilfe, das große

1961 Mitglied der Monrovia-Gruppe und EWG-assoziiert, Senegal ist als ehemals französische Kolonie
Mitglied der Communauté und ebenfalls EWG-assoziiert.
374
Laos ist in diesem Zusammenhang für die Bundesrepublik als amerikanischen Verbündeten besonders
wichtig, da es dort Anfang der 1960er Jahre „um den ersten Test gemeinsamer amerikanisch-
sowjetischer Entspannungsbemühungen in der Dritten Welt“ ging. So Christian Hacke, Zur Weltmacht
2
verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von J.F. Kennedy bis G.W. Bush, München 2002, S. 71.
375
Vermerk III A zur technischen Entwicklungshilfe vom 23.3.1965, BA Koblenz, N1177/22. Insgesamt gab
das BMGes für diese wasserwirtschaftlichen Projekte 8,8 Millionen Mark bis Anfang 1965 aus.
376
Ebd.
377
Walter Althammer, Fehlgeleitete Entwicklungshilfe. Beobachtungen eines Parlamentariers, in: Die Poli-
tische Meinung 99/1964, S. 16-20, S. 16.
4 Die Politik Schwarzhaupts 96

Krankenhaus in Mogadiscio. Seit zwei Jahren ist der aufwendige Bau praktisch fertiggestellt.
Das Hospital verfügt über die teuersten und modernsten ärztlichen Geräte und steht
dennoch seit zwei Jahren leer, das Material verkommt und die Bevölkerung spottet über
diese luxuriöse „Entwicklungshilfe-Ruine“ in der Hauptstadt. Der psychologische Schaden ist
gerade in der Konfrontation mit den zügig voranschreitenden Projekten der Sowjets
378
ungeheuer.

Die finanzkräftige „Materialschlacht“, die sich die EWG mit der Erstellung und Aus-
rüstung des Krankenhauses leistete, erreichte ihr psychologisches Ziel, den wirtschaftli-
chen Vorsprung der „freien Welt“ gegenüber der Sowjetunion zu dokumentieren, also
gerade nicht. Während – so die Beobachtung Althammers – westliche Entwicklungshilfe
auf teures technisches Gerät setzte, dessen unmittelbarer Nutzen für die Hebung des Ge-
sundheitszustandes der Bevölkerung oft fraglich war, war die sowjetische Hilfe weitaus
effektiver gewesen: Sowjetische Ärzte behandelten ohne großen Aufwand die Patienten
mit einfachen Mitteln direkt, während deutsche Hilfe oft auch zu sozialen Verwerfungen
führte, Kranke stigmatisierte und sie nach der Behandlung aus der Dorfgemeinschaft
ausschloss. Dieser Umstand führte die politische Absicht deutscher Entwicklungshilfe –
und damit auch des Gesundheitsministeriums – freilich ad absurdum.379
Als Mitglied der Weltgesundheitsorganisation hatte die Bundesregierung allerdings
weitaus mehr Möglichkeiten, internationale Gesundheitshilfe zu leisten. Was auf der ei-
nen Seite, der direkten Entwicklungshilfe, offensichtlich schief ging, zeitigte im Rahmen
der WHO tatsächliche Erfolge globalen Ausmaßes: durch die finanzielle und praktische
Mithilfe des Gesundheitsministeriums konnten weltweit die Pocken besiegt werden.380
Die Bekämpfung der Malaria hingegen blieb bislang ohne größere Erfolge – obwohl
die WHO bis heute Milliarden von US-Dollar in dieses Projekt steckte. Im hauptsächlich
von den USA vorangetriebenen Malaria-Ausrottungsprogramm der WHO stieg die Bun-
desrepublik in den 1960er Jahren zum drittgrößten Zahler (nach den Vereinigten Staaten
und der Sowjetunion) auf: 1963 überwies die Bundesregierung beispielsweise 62.000
Dollar in den Anti-Malaria-Fonds. Der Fonds wurde 1955 von der WHO gebildet, die
Gesamtkosten waren auf 600 Millionen US-Dollar veranschlagt – eine für die 1950er
Jahre erkleckliche Summe. Dass die Bundesregierung sich an der Finanzierung dieses
Fonds beteiligte, stand außer Frage: „Für die Bundesrepublik handelt es sich bei der Bei-

378
Ebd. Dr. Walter Althammer (geb. 1928) saß von 1961 bis 1985 ununterbrochen für die CSU-
Landesgruppe im Bundestag.
379
Althammer belegt dies anhand eines, seiner Ansicht nach, „Musterbeispiels völlig verfehlter deutscher
Entwicklungshilfe“: einer fahrbaren Röntgenstation für Nordsomalia. Sie schaffe erst Probleme, die es
vorher nicht gegeben habe, und so „arbeitet der Arzt mit dem teuren Gerät lediglich für verstaubte Sta-
tistiken und schafft Unzufriedenheit, wo er hinkommt.“ Ebd., S. 19.
380
Noch im Jahr 1967 registrierte die WHO bis zu 15 Millionen Pockenerkrankungen weltweit, aber bereits
1972 waren die Pocken in Deutschland ausgerottet, 1977 trat der letzte Pockenfall in Somalia auf und
am 8. Mai 1980 konnte die WHO die Welt für „pockenfrei“ erklären. Grund waren Pflichtimpfungen der
Bevölkerung, die letztlich erfolgreich das Virus ausrotteten. Siehe medicine-worldwide, Onlineressour-
ce unter http://www.m-ww.de/krankheiten/infektionskrankheiten/pocken.html vom 20.02.2003. Die Po-
ckenschutzimpfungen, die in der Bundesrepublik – anders als etwa die Schluckimpfung – obligatorisch
waren, wurden schon vor der Zeit Elisabeth Schwarzhaupts vom öffentlichen Gesundheitsdienst
durchgeführt. Daher wird hier auf eine Darstellung dieses Routinevorganges verzichtet. Auch die Fi-
nanzierung des Pockenschutz-Fonds der WHO durch die Bundesregierung wird nicht betrachtet. Siehe
zu den Pockenschutzimpfungen unter der Ägide Elisabeth Schwarzhaupts etwa die kleine Anfrage der
SPD-Fraktion vom 17. Januar 1962, Bundestags-Drucksache IV/132, sowie die Antwort Elisabeth
Schwarzhaupts vom 31. Januar 1962, Bundestags-Drucksache IV/169.
4 Die Politik Schwarzhaupts 97

tragsleistung um eine Angelegenheit, der neben ihrem gesundheitspolitischen und hu-


manitären Zweck eine erhebliche politische Bedeutung zukommt.381

Bisher wurden folgende Beträge an den Malaria-Ausrottungs-Fonds der Welt-Gesundheits-


Organisation gezahlt:382
1955: ....................................................................................................................200.000 DM
1958: ....................................................................................................................200.000 DM
1960: ....................................................................................................................750.000 DM
1961: ....................................................................................................................500.000 DM
1962: ....................................................................................................................250.000 DM
1963: ....................................................................................................................250.000 DM
Zusammen: ........................................................................................................2.150.000 DM

Mit diesen 2,1 Millionen Mark Zuschuss in den Anti-Malaria-Fonds der WHO belegte
die Bundesrepublik den dritten Platz der größten Einzahler, knapp hinter der Sowjetuni-
on und mit weitem Abstand hinter den USA. Während der bundesdeutsche Anteil am
Fonds gerade einmal 2,08 Prozent betrug und die UdSSR mit 3,2 Prozent an der Malaria-
Bekämpfung beteiligt war, übernahm die USA mit 87,0 Prozent faktisch den Rest. Beach-
tenswert ist, dass Großbritannien und Frankreich, die im Gesamtbeitragsaufkommen vor
der Bundesrepublik lagen, den Anti-Malaria-Fonds gar nicht unterstützten.383
Obwohl die Zusammenarbeit des Gesundheitsministeriums mit der WHO problemlos
funktionierte, beschwerten sich vermehrt Ärzte und Wissenschaftler darüber, von der
Weltgesundheitsorganisation nicht ausreichend informiert zu werden. Diese gab ihre
Arbeitsergebnisse nur in den beiden Weltsprachen Englisch und Französisch heraus, was
viele Ärzte durch die Sprachbarriere von den gewünschten Informationen abschnitt. Im
Gesundheitsministerium reifte die Idee heran, eine eigene deutschsprachige Dokumen-
tation über die Arbeit der WHO zu erstellen, doch scheiterten diese Überlegungen an den
damit verbundenen Kosten. Die Ministerialen suchten aber weiter nach einer Möglich-
keit, wenigstens Zusammenfassungen der englisch- und französischsprachigen Arbeits-
berichte zu veröffentlichen – und wurde beim Deutschen Grünen Kreuz als Geldgeber
fündig. Für 20.000 Mark erstellte das Ministerium eine eigene deutschsprachige „WHO-
Presse-Korrespondenz“. Diese erschien einmal im Monat mit einem Umfang von sechs
Seiten und wurde an 2.000 medizinische Fachorgane, an die Gesundheitsbehörden, Vor-
sorge- und Fürsorgeinstitutionen, Universitäten und Schwesternschulen der ganzen
Bundesrepublik kostenlos abgegeben Daraus sollten sich die Mediziner über die Ergeb-
nisse weltweiter Gesundheitsprävention informieren können.384 Die Information deut-
scher Ärzte über internationale Entwicklungen im Gesundheitswesen war der kleinere
Bereich, den das Ministerium betreute. Größer und betreuungsintensiver war hingegen
die Organisation des Internationalen Wissenschaftler-Austausches zu Weiterbildungs-
zwecken. So wurden etwa Studienreisen „für Deutsche und Ausländer“ mit dem Ziel der
Weiterbildung im Arzneimittelbereich 1964 mit 20.000 Mark bezuschusst, der Teilneh-
merkreis bestand aus „Ärzten des Ministeriums für Gesundheitswesen und der förde-

381
Begründung zum Haushaltstitel 675b) in: BA Koblenz, B142/2804.
382
Ebd.
383
Im Ranking der größten Beitragszahler lag die Bundesrepublik mit einem Anteil von 4,83 Prozent auf
dem fünften Platz, weit hinter der UdSSR mit 12,34 Prozent und völlig abgeschlagen hinter den USA
mit 31,71 Prozent. Vgl. Vermerk zum WHO-Beitrag in BA Koblenz, B142/3335.
384
BA Koblenz, B142/2804: Haushaltsplan 1964, Kapitel 1502, Titel 671.
4 Die Politik Schwarzhaupts 98

rungswürdigen Institutionen“; Reiseziele waren die Europäischen Länder, die USA und
Japan. 385
Die Internationalen Verpflichtungen des Gesundheitsministeriums fußten also auf
drei Themenschwerpunkten: 1. die direkte humanitäre Hilfe, etwa durch Beitragszahlun-
gen an die WHO oder durch eigenverantwortlich durchgeführte Entwicklungshilfe, 2. die
internationale Vernetzung der Gesundheitspolitik, die nicht nur in der Veröffentlichung
von Arbeitsberichten bestand – das war der kleinste Teil –, sondern die ihr Hauptau-
genmerk auf den wissenschaftlichen Austausch legte, und 3. wohnte dieser internationa-
len Gesundheitshilfe ein eminent ideologischer Charakter inne – „Containment“ des si-
no-sowjetischen Einflussbereiches auch auf dem eher apolitisch anmutenden Bereich der
internationalen Hilfeleistung.
Doch diese Verpflichtungen des Gesundheitsministeriums auf internationaler Bühne
waren nicht nur auf medizinisch-technische Hilfe beschränkt – der Punkt: „Anlegung
von Wasseraufbereitungssystemen“ gab auch einen Hinweis auf die umweltpolitische
Seite, der die Ministerin verpflichtet war. Umweltpolitik kann immer nur inter- bzw. sup-
ranational verstanden werden, auch wenn lokal gehandelt werden muss. Wasser und
Luft, so wurde Elisabeth Schwarzhaupt bereits weiter oben zitiert, kennen eben keine
Grenzen.386 Den – nationalen – Leistungen der Ministerin im Umweltschutz nähert sich
das folgende Kapitel.

385
Ebd. Eine weitergehende Darstellung dieses Themenbereiches wäre hier zu ausführlich und detailliert,
deswegen wurde darauf verzichtet. Da es sich meist um Einzelzuschüsse an einzelne Wissenschaftler
im Ausland oder Stipendienvergaben handelt, wäre der Erkenntniswert für diese Arbeit auch gering.
386
Schwarzhaupt, Referat, in: Christliche Demokratische Union: 12. Bundesparteitag der CDU, 14.-17.
März 1964 in Hannover, Hamburg 1964, S. 269
5 Deutschlands erste
„Umweltministerin“

Ich habe nur gesagt, ich lege großen Wert auf die Umweltfragen, weil
die zur Gesundheitspolitik meiner Meinung nach dazu gehören. Die
sind wohl das zukunftsträchtige Gebiet auf diesem Gebiet.
[...] Das war das einzige, was ich so etwa als Bedingung gestellt habe.
Und da sagte er: ja, ja, das machen wir auch.387
Elisabeth Schwarzhaupt über das entscheidende Gespräch mit
Adenauer (1961, hier: 1976)

A
ls 1983 die Partei der „Grünen“ in den Bundestag einzog, bekam die bundes-
deutsche Umweltpolitik einen parlamentarischen Arm, wie es ihn in der Drei-
Parteien-Demokratie zuvor nicht gegeben hatte. Umweltpolitik rückte schon
allein durch die Existenz der Grünen im Parlament neu in den Fokus der bundesdeut-
schen Öffentlichkeit und fand im Verlauf der 1980er Jahre auch Eingang in die christ-
lich-demokratische Programmatik, vor allem auf Landesebene. So legten einige CDU-
Landesverbände rasch nacheinander umweltpolitische Papiere vor, die in Heiner Geiss-
lers Programm „Umweltpolitik der CDU in der 11. Legislaturperiode: Neue Phase für
Umwelt und Naturschutz“ gipfelten.388 Peter Hintze zufolge erwies sich die CDU aber
schon zu Beginn der 1970er Jahre als eine Partei, die für die ökologische Bewegung sen-
sibel sei389 – eine Behauptung, die Hintze aus dem Wortlaut des Berliner Programms der
CDU von 1971 folgerte. Dort hieß es beispielsweise unter Ziffer 128 zur Luftreinhaltung:

387
Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 19.
388
Günter Olzog und Hans-J. Liese: Die politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. Ge-
schichte, Programmatik, Organisation, Personen, Finanzierung, München 181990, S.17. Mehr zu Hei-
ner Geissler auf seiner Homepage unter http://www.heiner-geissler.de/#1.
389
Peter Hintze (hg.): Die CDU Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben, Bonn
1995, S. 16. „Sensibilität“ für ein offensichtliches politisches Thema zu zeigen, ist noch lange keine Po-
litik, d. Verf.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 100

Der Verschmutzung der Luft muß durch neue gesetzliche Vorschriften und durch bessere
Kontrollen wirksamer begegnet werden. Die Verschmutzung der Luft durch Abgase darf
nicht ein gesundheitsschädliches Maß erreichen. Die Zulassung von Kraft-, Luft- und
Wasserfahrzeugen ist entsprechenden Auflagen zu unterwerfen. Wir werden die
Erforschung und Entwicklung abgasfreier Energien und emissionsfreier Maschinen
fordern.390

Was Hintze hier als Beleg der umweltpolitischen Innovationskraft der CDU vorlegt,
zeigt zwar in der Tat ein Problembewusstsein dieser Partei. Als Beweis für eine progressi-
ve Umweltpolitik kann dieser Hinweis Hintzes aber bei weitem nicht gelten. Dass die
Verschmutzung der Luft kein gesundheitsschädliches Ausmaß erreichen dürfe, ist nun
wirklich common sense: „Es würde auch keine Partei, keine Gewerkschaft und kein Un-
ternehmen direkt das Gegenteil fordern, nämlich dass die Verschmutzung der Luft jegli-
ches Niveau erreichen darf“391, durchschaut etwa Frank Relke, der die Parteiprogramme
aller Bundestagsparteien auf ihre umweltpolitischen Vorstellungen hin untersucht hat,
diese „unverbindliche Absichtserklärung“ der CDU. Was diese 1971 umweltpolitisch woll-
te, lag sonderbarerweise wieder weit hinter dem zurück, was ihre „virtuelle“ erste Um-
weltministerin bereits ein Jahrfünft zuvor schon in praktische Politik gegossen hatte.
Elisabeth Schwarzhaupt setzte zwischen 1961 und 1966 bereits strenge Standards in der
Luftreinhaltung durch, die sich am jeweiligen Stand der Technik zu orientieren hatten,
ließ bei der Verwendungen von Waschmitteln keinerlei Ausnahmen zu, und sagte dem
Baulärm und dem Krach von Flugzeugen den Kampf an.
Trotzdem galt Umweltpolitik innerhalb der CDU bis zum Reaktorunglück von Tscher-
nobyl im Frühjahr 1986 weitgehend als Außenseiterthema.392 Die Beantwortung ökologi-
scher Fragestellungen hatte die Partei bis in die späten 1980er Jahre SPD und Grünen
überlassen: Damit könnte man sagen, dass Elisabeth Schwarzhaupt ihrer Partei in ökolo-
gischen Fragestellungen um zwanzig Jahre „voraus“ war. Da die CDU die Umweltpolitik
vernachlässigte, die sozial-liberale Koalition bereits 1971 aber ein umfassendes Umwelt-
programm vorgelegt hatte, entstand naheliegenderweise der Eindruck, die sozial-liberale
Koalition sei die Geburtshelferin einer durchgreifenden Umweltpolitik auf Bundesebene
gewesen. Diese Auffassung findet sich nicht nur durchgängig in der umweltpolitischen
Literatur, sie wird auch von der umweltpolitischen Historiographie des aktuellen Bun-
desumweltministeriums vertreten.393 Startschuss für die umweltpolitische Gesetzgebung
der sozial-liberalen Koalition sei „das erste Umweltprogramm der Bundesregierung vom
29. September 1971 (Bundestags-Drucksache VI/2710)“ gewesen, das – so das Postulat

390
Berliner Programm der CDU 1971, in: Hintze, Parteiprogramme, S. 87. Die erste Fassung dieses Par-
teiprogramms wurde 1968 im Hinblick auf die Bundestagswahl 1969 verabschiedet. Da sich die CDU
nach dieser Wahl allerdings in der Oppositionsrolle wiederfand, überarbeitete sie dieses Programm
und verabschiedete die zweite Fassung des „Berliner Programms“ 1971 in Düsseldorf.
391
Relke, Ökorepublik, S. 31. Hervorhebung im Original.
392
Zu den gesundheitspolitischen und medizinischen Auswirkungen der Reaktorkatastrophe siehe
http://www.tschernobyl-folgen.de. Als direkte Folge des Unglücks schuf die Bundesregierung unter
Helmut Kohl (CDU) ein Bundesumweltministerium. Erster Umweltminister auf Bundesebene wurde der
ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Walter Wallmann (geb. 1932).
393
Siehe http://www.bmu.de.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 101

des Umweltprogramms – „zum erstenmal die Umweltpolitik einer deutschen Bundesre-


gierung“394 formuliert habe.

In ihm wurde der Umweltschutz als eine wesentliche Aufgabe des Staates definiert und ein
Gesetzgebungsprogramm aufgelegt. Die grundlegenden Prinzipien der Umweltschutzge-
setzgebung, das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip und das Kooperationsprinzip wur-
den hier erstmals erwähnt.395

Von den Leistungen des Schwarzhaupt-Ressorts im Umweltbereich ist hier keine Re-
de. Ein Schlüssel für die Erklärung dieser etwas eingeschränkten Sichtweise, die das eben
15 Jahre alt gewordene Bundes-Umweltministerium bezüglich seiner Wurzeln an den
Tag legt, könnte in der formaljuristischen Streitfrage, was denn nun Umweltschutz-
gesetzgebung genau ist, zu finden sein. Das sozial-liberale Benzin-Blei-Gesetz von 1971,
das Abfallgesetz von 1972, das Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1974 sowie das Bun-
desnaturschutzgesetz von 1976 haben – die Namensbestandteile weisen trivialerweise
darauf hin – den Rechtsstatus von Gesetzen. Die „Verordnung über die Abbaubarkeit von
Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln“ oder die „Technische Anleitung zur
Reinhaltung der Luft“ beispielsweise, die das Schwarzhaupt-Ministerium in den Jahren
1962 bzw. 1964 erlassen hatte, sind hingegen nur Durchführungsverordnungen. Diese
unterschiedliche rechtliche Gewichtung der Regierungsmaßnahmen lässt durchaus den
Verdacht aufkommen, als hätte die christlich-liberale Koalition der Umweltgesetzgebung
nur eine minder wichtige Rolle zugewiesen.396 Der legislatorische Grund für die Bevorzu-
gung von Verordnungen gegenüber Gesetzen war hingegen: Verordnungen lassen sich
schneller umsetzen als Gesetze und können somit einfacher und zeitnaher an aktuelle
Entwicklungen, etwa den neuesten Stand der Technik, angepasst werden.397
Dies ist der eine Aspekt, weshalb die umweltpolitischen Maßnahmen der „Schwarz-
haupt-Administration“ heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Weitaus
bedeutender ist allerdings die Tatsache, dass die christlich-liberale Koalition mit der In-
stitutionalisierung des Umweltschutzgedankens im Bundesgesundheitsministerium nicht
etwa einer eigenen Umweltschutzinitiative nachkam, sondern nur auf die umweltpoliti-
schen Forderungen reagierte, die der Adenauer-Herausforderer Willy Brandt bereits im
Frühjahr 1961 in seinem „Regierungsprogramm“ angekündigt hatte:

394
Umweltprogramm der Bundesregierung, in: Hans-Dietrich Genscher (hg.), Umweltschutz. Das Um-
weltprogramm der Bundesregierung, mit einer Einführung von Hans-Dietrich Genscher, Stuttgart
3
1973, S. 21f.
395
15 Jahre Bundesumweltministerium. Rückschau und Ausblick, Onlineressource unter
http://www.bmu.de/download/dateien/15JahreBMU.pdf.
396
Dieser Streit dauerte noch Ende der 1980er Jahre an. Bei einer Podiumsdiskussion nahe Stuttgart zur
Bundestagswahl 1987 warf der spätere Preisträger des alternativen Friedensnobelpreises, Hermann
Scheer (SPD), seinem Wahlkreiskollegen Paul Laufs, damals umweltpolitischer Sprecher der CDU-
Bundestagsfraktion, vor, in der Umweltgesetzgebung zu versagen, weil das Kabinett Kohl statt auf eine
EG-weite Umweltgesetzgebung auf das Regieren per Rechtsverordnung setze.
397
So ersetzt etwa die – nicht dem Umweltbereich zuzuordnende – Hackfleischverordnung von 1964 eine
alte Verordnung von 1936, die beispielsweise den Transport von Hackfleisch verbot. Durch die techni-
sche Weiterentwicklung der Tiefkühltechnik wurde diese Vorschrift obsolet, worauf die neue Verord-
nung relativ einfach reagieren konnte. Vgl. Forschbach, Referat der Frau Ministerin über Grundsatzfra-
gen der Gesundheitspolitik vom 21. Juni 1965, BA Koblenz, N1177/22, S. 4f. Siehe auch: Der Spiegel
21/1965, S. 79.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 102

Reine Luft, reines Wasser und weniger Lärm dürfen keine papierenen Forderungen bleiben.
Erschreckende Untersuchungsergebnisse zeigen, daß im Zusammenhang mit der
Verschmutzung von Luft und Wasser eine Zunahme von Leukämie, Krebs, Rachitis,
Blutbildveränderungen sogar schon bei Kindern festzustellen sind. Es ist bestürzend, daß
diese Gemeinschaftsaufgabe, bei der es um die Gesundheit von Millionen Menschen geht,
bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Der Himmel über dem Ruhrgebiet muß wieder blau
werden!398

Dieser Slogan vom „blauen Himmel über dem Ruhrgebiet“ wurde später berühmt –
zuerst wurde er aber „von den meisten Zeitgenossen belächelt, denn ökologische Fragen
standen damals noch nicht auf der politischen Tagesordnung.“399 Während Willy Brandt
als Vordenker der Sozialdemokratie der frühen 1960er Jahre und als Kanzlerkandidat
mit einer gewissen innerparteilichen „Richtlinienkompetenz“ ausgestattet war und öko-
logische Fragestellungen mit in den Mittelpunkt seines Politikentwurfs stellte („Wir wol-
len ein gesundes Volk in einem gesunden Staat“400), fanden umweltpolitische Debatten
innerhalb der CDU praktisch nicht statt. Zwar fordert das „Kölner Manifest 1961“, das
der Kölner CDU-Bundesparteitag im Hinblick auf die Bundestagswahl am 17. September
verabschiedete, als fünften und letzten Punkt „mehr Grünflächen in unseren Städten,
Verbesserung der Verkehrs- und Straßenverhältnisse, Lärmbekämpfung, Reinhaltung
von Luft und Wasser“401, doch war die Debatte auf dem Parteitag keineswegs umwelt-
oder gesundheitspolitischen Fragen gewidmet: es ging um Wohnungsbau, Stadtplanung
und Raumordnung. Bundesbauminister Paul Lücke, der das Auftaktreferat zum The-
menkomplex „Modernes Bauen – gesundes Wohnen“ hielt, war mithin der einzige Red-
ner, der das Wort „Umwelt“ in der Debatte verwendete – wenn auch in einem eher theo-
retisierenden, soziologischen Sinne:

Jeder von uns weiß um die prägende Kraft der Umwelt für den Menschen und die Familie.
[...] Wir wissen, daß Glück und Wohlbefinden der arbeitenden Menschen nicht nur von der
Höhe des Lohnes oder von kurzer Arbeitszeit abhängig sind. Sie sind zumindest ebenso
sehr von außerwirtschaftlichen Lebensbedingungen und von der Umwelt, also von
familiengerechten Wohnungs- und Siedlungsformen abhängig.402

Hier war die SPD programmatisch längst weiter, und folgerichtig scheint sie der CDU
als Stichwortgeber gedient zu haben – bzw. einfacher ausgedrückt: Die CDU hat sich die
entsprechenden Vokabeln direkt bei Willy Brandt geborgt. Wenn Elisabeth Schwarz-
haupt etwa umweltpolitisch argumentierte, dann zählte sie meist immer drei vordringli-
che Punkte auf: die Reinhaltung der Luft, die Reinhaltung der Gewässer und die Be-
kämpfung des Lärms. Diese Punkte finden sich inhaltsgleich im „Kölner Manifest“ der
CDU, sie dienen Konrad Adenauer als inhaltliche Determinanten für die Einrichtung des
Gesundheitsministeriums, und sie finden sich – programmatisch kaum weiterentwickelt

398
Regierungsprogramm der SPD vom 28. April 1961, in: Willy Brandt, Berliner Ausgabe, Band 4: Auf dem
Weg nach vorn, Willy Brandt und die SPD 1947-1972, Bonn 2000, S. 230-257, s. 238f.
399
Daniela Münkel, Einleitung: „Sozialdemokratie auf dem Weg nach vorn“. Willy Brandt und die SPD
1947-1972, in: Willy Brandt, Berliner Ausgabe (Band 4), Auf dem Weg nach vorn. Willy Brandt und die
SPD 1947-1972, Bonn 2000, S. 17-66, S. 40.
400
Willy Brandt, Regierungsprogramm, S. 234.
401
Christlich Demokratische Union Deutschlands (hg.): 10. Bundesparteitag Köln. 24.-27. April 1961,
Hamburg 1961, S. 288.
402
Paul Lücke, Modernes Bauen – gesundes Wohnen, in: 10. Bundestag der CDU in Köln, S. 262-269, S.
266.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 103

– vier Jahre später in der Debatte des CDU-Arbeitskreises „Gesunde Umwelt – gesunde
Menschen“403 wieder. Andere umweltpolitische Themenbereiche wie etwa der ausufern-
de Landschaftsverbrauch, die Müllproblematik (auch: Atommüllproblematik) oder der
Schutz vor Umweltradioaktivität werden zwar mitgedacht, politisch populär wurde aber
nur das Begriffstripel, das sich bereits wenige Wochen vor dem Kölner CDU-
Bundesparteitag in Willy Brandts „Plädoyer für die Zukunft“ fand: „die hochgradige Ver-
unreinigung von Luft und Wasser sowie der ständig zunehmende Lärm“.404
Nicht nur dieses Begriffstripel benutzte erst Brandt und danach erst die Union. Auch
den Begriff der „Gemeinschaftsaufgabe“ adaptierte die CDU für ihre inhaltsleere um-
weltpolitische Agenda, ohne der SPD die „Hoheit“ über diesen Begriff entreißen zu kön-
nen. Dass die CDU diesen wichtigen Bereich zukünftiger Politik allerdings keineswegs
kampflos der SPD überlassen durfte, stand für Elisabeth Schwarzhaupt außer Frage, be-
rührte er doch direkt ihre ministeriellen Kompetenzen.
Adenauer hingegen hatte wenig Verständnis für eine moderne Umweltpolitik. Er soll
„in seiner unvergleichbaren Art“405, als er Elisabeth Schwarzhaupt das Gesundheits-
ministerium übertrug, gesagt haben: „Da soll sich mal das Kirchenfräulein um Luft, Lärm
und Wasser kümmern!“ Diesen Auftrag hatte sie angenommen – und damit bereits ein
ganzes Jahrzehnt vor der Umweltgesetzgebung der sozial-liberalen Koalition Umweltpo-
litik in Deutschland geprägt.

5.1 Reinhaltung der Luft

Auch die Verunreinigung der Luft hat alarmierende Ausmaße


angenommen. Über vielen unserer Städte liegt die gefürchtete
„Dunstglocke“. Dieses Problem ist zu bekannt, als dass ich es näher
zu beschreiben brauchte. Hier sei nur unterstrichen, dass sich die
Auswirkungen der „Dunstglocke“ nicht auf bloße Belästigungen
beschränken, sondern dass es sich um eine Gefahr für die
Volksgesundheit handelt.406
Willy Brandt (April 1961)

Die Luft über der Bundesrepublik – und ganz besonders über urbanen Industriekon-
glomeraten wie dem Ruhrgebiet – war zu Beginn der 1960er Jahre derart verunreinigt,
dass die Verschmutzung für jedermann offensichtlich war. Willy Brandt musste 1961 also
keine grundsätzlichen Erklärungen über den Zustand der Luftverschmutzung geben, als
er vor den Gesundheitsgefahren warnte, die diese Kontamination mit sich bringen muss-
te – jeder wusste, dass der Himmel über dem Ruhrgebiet eben alles andere als blau war.

403
Vgl. etwa den Redebeitrag des Vorsitzenden des gesundheitspolitischen Ausschusses der CDU, Ger-
hard Jungmann (MdB), in: CDU-Bundesparteitag 1965, Arbeitskreis III „Gesunde Umwelt – gesunde
Menschen“, Köln 1965, S. 2-9, S. 7. Jungmann nimmt zu den drei Problemfeldern noch den Straßen-
verkehr als vierten hinzu.
404
Willy Brandt, Plädoyer, S. 114. Als der Kölner CDU-Parteitag vom 24. bis 27. April 1961 tagt, hat Brandt
seine Politikvorstellungen bereits veröffentlicht.
405
Salentin, Moderne Gesundheitspolitik, S. 224.
406
Willy Brandt, Plädoyer, S. 116.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 104

So bekannte auch das Gesundheitsministerium: „Durch die Verunreinigung der Luft ist
eine Gefährdung der Bevölkerung und der Umwelt in einem Ausmaß entstanden, dass
durchgreifende staatliche Maßnahmen dringend erforderlich sind. Die zum Schutz zu
erlassenden technischen Vorschriften müssen sowohl den Stand der Technik als auch
gesundheitspolitische Forderungen berücksichtigen.“407
Genau wegen diesem „Stand der Technik“ war das Umweltproblem überhaupt erst
entstanden – andererseits war es gerade die Technik selbst, die Emissionen auch wieder
begrenzen konnte. So stand Elisabeth Schwarzhaupt technischen Neuerungen denn auch
nicht uneingeschränkt positiv gegenüber, warnte vor ihren negativen Auswirkungen auf
die Gesundheit der Bevölkerung:

Eine technische Erfindung, und sei sie noch so genial, die den Techniker fasziniert, weil sie
eine ungeahnte Verstärkung von Kraft, einen Ersatz menschlicher Arbeit, eine
Beschleunigung von Verkehrsmitteln oder eine Ausweitung der Produktion ermöglicht, ist
kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt, wenn mit ihren unmittelbaren wirtschaftlichen
Vorteilen Nachteile für die Gesundheit oder auch nur für das Wohlergehen der Bevölkerung
verbunden sind, mögen die Errungenschaften, um die es sich handelt, technisch noch so
vollkommen und finanziell noch so rentabel sein.408

Doch lag, wie gesagt, in der Technik selbst auch wieder der Schlüssel zur Luftreinhal-
tung. So begegnete Elisabeth Schwarzhaupts Ressort der industriellen Luftverschmut-
zung mit zwei Gesetzesinitiativen, die diese technischen Möglichkeiten nutzen wollten,
um die Luftverschmutzung einzudämmen: der „TA Luft“ und dem „Gesetz über Vorsor-
gemaßnahmen zur Luftreinhaltung“. Die „Technische Anleitung zur Reinhaltung der
Luft“ – so ihr halboffizieller Name409 – wurde vollständig im Gesundheitsministerium
entworfen und legte fest, welche technischen Maßnahmen ergriffen werden sollten, um
die Emission von Luftschadstoffen in Industrieanlagen zu reduzieren. Das „Gesetz über
Vorsorgemaßnahmen zur Luftreinhaltung“ widmete sich hingegen dem Immissions-
schutz. Elisabeth Schwarzhaupt erläuterte ihren in Umweltfragen wenig bewanderten
Parteifreunden diesen qualitativen Unterschied in einfachen Worten:

Während die technische Anleitung bei der Emission, bei dem, was oben aus dem
Schornstein heraustritt, angreift, hat dieses Vorsorgegesetz die Lage der Immissionen, also
den Zustand an Ort und Stelle, da, wo die Menschen wohnen, wo Gärtnereien und Wiesen
sind, im Auge. Hier sollen die einzelnen verschmutzenden und gefährdenden Stoffe
festgestellt werden. Als Konsequenz sollen Luftreinhaltepläne erlassen werden.410

407
Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 21f.
408
Elisabeth Schwarzhaupt, Der Mensch in der modernen Industriegesellschaft. Bundesministerin für das
Gesundheitswesen eröffnete die dritte Sitzungsperiode des Bundesgesundheitsrates, in: Bulletin der
Bundesregierung, 53/1963, S. 469-472, S. 470. Der „Katalysator“ ihres Dienstwagen hingegen war ei-
ne technische Errungenschaft, die Elisabeth Schwarzhaupt gerne förderte.
409
Der vollständige Name lautet: „Allgemeine Verwaltungsvorschriften über genehmigungsbedürftige An-
lagen nach § 16 der Gewerbeordnung (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft)“ vom 8.9.1964,
abgedruckt in GMBl I Nr. 26.
410
Elisabeth Schwarzhaupts Impulsreferat auf dem 13. CDU-Bundesparteitag in Düsseldorf, 28.-31. März
1965, in: Christlich Demokratische Union Deutschlands (hg.): 13. CDU-Bundesparteitag. Düsseldorf,
28.-31. März 1965, Niederschrift, Bonn 1965, S. 346-352, S. 349.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 105

Die Unterscheidung zwischen Emission und Immission, die wie eine technokratische
Spitzfindigkeit anmutet, war für eine durchgreifende Luftreinhaltung fundamental wich-
tig, da die emittierten Schadstoffe in der Atmosphäre komplizierte chemische Prozesse in
Gang setzten und daher auch die „schornsteinfreie Umgebung“ in die Luftmessungen
einbezogen werden musste. So stellte ihr Ministerium fest:

Die Erkenntnisse einer Meßstation in einer Großstadt (Frankfurt am Main) ergaben bereits
nach kurzer Zeit, dass infolge fotochemischer Umsetzung von Luftverunreinigungen, insbe-
sondere von unverbrannten Kohlenwasserstoffen und Stickoxyden aus den Kraftfahrzeug-
abgasen neue schädliche Stoffe in der Atmosphäre entstehen. Durch besondere Rechtsver-
ordnungen soll der entstehende Auswurf dieser Schadstoffe begrenzt werden.411

Die großräumigen Untersuchungen über die Luftzusammensetzung, wie sie das Vor-
sorgegesetz vorsah, sollten vor allem in den Ballungsgebieten konzentriert durchgeführt
werden – da, wo die meisten Menschen wohnten und sich die Industrie agglomerierte.
Um die Messungen wissenschaftlich korrekt durchführen zu können, hatte das Gesund-
heitsministerium zuvor die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit ersten systematischen
Luftmessungen beauftragt, die die methodischen Grundlagen für eine solche Großunter-
suchung legten. Anfang 1965 nahmen mehrere Luftmessstationen ihre Arbeit auf, so et-
wa fünf in Regionen mit kaum belasteter Luft (Sylt, Harz, Schwarzwald, Hunsrück und
im Bayerischen Wald). Zwei Stationen in Gelsenkirchen und auf der Friesenheimer Insel
in Mannheim beobachteten hingegen die Luft in den Industriezentren.412 Um die Immis-
sionen, die hier vor Ort gemessen wurden, dauerhaft und auf ein Minimum zu senken,
musste banalerweise ihre Ursache gesenkt werden: der Schadstoffausstoß an Schornstei-
nen und Auspuffanlagen. Je geringer dieser Ausstoß war, desto geringer war auch die
Immission – dies ist der einfache ökologische Zusammenhang, und diesen versuchten
die Vorschriften der TA Luft gesetzgeberisch durchzusetzen. Die TA Luft legte sowohl
strenge Grenzwerte für Staubpartikel oder Schwefeloxide fest, beschrieb aber gleichzeitig
auch die technischen Maßnahmen, die zu dieser Reduktion des Schadstoffausstoßes nö-
tig waren. Diese Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft hatte den Charakter ei-
ner „Ausführungsbestimmung“ des § 16 der Gewerbeordnung, die 1959 verschärft wurde
und festlegte, dass „die Errichtung von Anlagen, welche erhebliche Nachteile, Gefahren
oder Belästigungen für die Nachbarschaft herbeiführen können, einer besonderen Ge-
nehmigung bedürfen“413; diese Genehmigung war von den Auflagen abhängig, die in der
TA Luft verordnet wurden.

411
Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 22f. Ähnlich argumentiert die Ministerin auf einem
Hamburger Kongress: „Luftverunreinigende Stoffe können sich, unterstützt durch bestimmte meteoro-
logische Faktoren, in der Atmosphäre zu kompliziertesten Schadstoffgemischen umsetzen.“ Vortrag
Elisabeth Schwarzhaupts vor Medizinalpersonen am 30. Juni 1965 in Hamburg, BA Koblenz,
N1177/22, S. 1. Ein ähnlicher chemischer Wirkungsmechanismus ist in den 1980er Jahren bei den
Fluorchlorkohlenwasserstoffen wieder verstärkt in den Blick gekommen. Während FCKW in der Tropo-
sphäre kaum mit Ozon reagiert, ändert sich die chemische Umgebung in der Stratosphäre: FCKW baut
Ozon beschleunigt ab und vergrößert damit das sogenannte „Ozonloch“.
412
Prüfung der Luftverunreinigung, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung,
33/1966, S. 259.
413
Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 22. Schwarzhaupt, Impulsreferat auf dem 13. CDU-
Bundesparteitag, S. 349, zufolge geht die Verschärfung der Gewerbeordnung von 1959 auf den späte-
ren MdB Manfred Schmidt (geb. 1929) aus Wuppertal zurück.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 106

Hauptsächlich nahm die TA Luft noch nicht genehmigte neue Anlagen in den Blick,
sie enthielt aber auch Bestimmungen, die die nachträgliche Umrüstung bereits bestehen-
der Industrieanlagen regelte, „sowie Vorschriften für die Anordnung über Feststellung
von Art und Ausmaß von Rauch, Staub und dergl., die von einer Anlage ausgehen.“414
Elisabeth Schwarzhaupt wusste allerdings um die technologische Herausforderung, die
eine effiziente Rauchgasreinigung in den frühen 1960er Jahren noch bedeutete:

Die Abgasreinigung stellt schwere technische Probleme. Der Zementstaub lässt sich bis auf
kleine Reste filtern. Auch der braune Rauch lässt sich vermeiden. Aber eine Reihe anderer
Stoffe lassen sich technisch im Augenblick noch nicht vermeiden, z.B. das Schwefeloxyd
aus den Heizungsanlagen. Hier ist die erste Aufgabe des Staates, die Forschung zu
intensivieren, der Forschung zu helfen, Mittel für Forschung zur Verfügung zu stellen, damit
wir dort, wo der Stand der Technik nicht ausreicht, ohne Niederlegung ganzer
Fabrikationszweige die Luft- und Wasserverunreinigung verhindern helfen.415

Diese staatlich forcierten Forschungen wurden in enger Zusammenarbeit mit US-


amerikanischen Wissenschaftlern im Rahmen eines deutsch-amerikanischen Regie-
rungsabkommens intensiviert. Amerikanische Forscher, das wusste die Ministerin von
mehreren Übersee-Aufenthalten, leisteten vor allem in Kalifornien vorbildliche Arbeit,
was die Erforschung der Abgasreinigung betraf. Gerade die technischen Verfahren, die
die großräumige Schadstoffmessung einerseits und die Reinigung der Abgase anderer-
seits erforderten, entstanden deswegen in enger Kooperation mit amerikanischen For-
schungsinstituten. Deren Messungen machten auch vor des Nachkriegsdeutschen liebs-
tem Technikspielzeug, dem Auto, nicht halt. Und so forderte Elisabeth Schwarzhaupt in
ihrer Kabinettsvorlage unter dem Punkt „Politisch bedeutsame Maßnahmen außerhalb
der Gesetzgebung“ die schnelle Einführung der Katalysatortechnik, die sie persönlich
ebenfalls in den USA kennen und schätzen gelernt hatte:

Werden die Emissionen aus den Kraftfahrzeugen nicht bald vermindert, so muß mit
gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Bevölkerung gerechnet werden. Eine Reihe von
Einrichtungen zur Entgiftung der Auspuffgase von Kraftfahrzeugen sind bereits entwickelt.
Durch groß angelegte Tests im Labor und auf der Straße ist zu prüfen, ob der Einbau
solcher Vorrichtungen vorgeschrieben werden kann.416

Die Ministerin ging mit gutem Beispiel voran: Sie ließ sich einen frühen Katalysator in
ihr Dienstfahrzeug, einen blauen Mercedes, einbauen und sorgte dafür, dass alle weiteren
Dienstwagen ihres Ministeriums ebenfalls mit einer Abgasreinigungsanlage ausgestattet
wurden.417 Damit setzte sie nicht nur ein umweltpolitisches Zeichen – sie machte damit
auch deutlich, dass es technisch weitaus einfacher ist, die Emissionen zu reduzieren, als

414
Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 22.
415
Schwarzhaupt, Impulsreferat auf dem 13. CDU-Bundesparteitag, S. 348.
416
Punkt 4a) der Kabinettsvorlage vom 15.2.1965, BA Koblenz, N1177/18, S. 10. Im Verkehrsausschuss
des Bundestages trat die Ministerin – um im Bild zu bleiben – „aufs Gas“: Gesundheitspolitische Fra-
gen hätten Vorrang vor Fragen des technischen Nutzens: „Es soll nicht abgewartet werden, bis die
technisch reifste Lösung zur Verminderung der schädlichen Abgasbestandteile gefunden ist, sondern
die bereits vorhandenen Einrichtungen sollten schleunigst zur Anwendung gebracht werden.“ Bulletin
der Bundesregierung, 21/1965, S. 164.
417
Vgl. Drummer/Zwilling, Bilder, S. 147.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 107

aufwändigen Immissionsschutz betreiben zu müssen. Die Reinigung der Autoabgase „on-


board“ war die einzige Möglichkeit, die Emission von Luftschadstoffen zu verhindern, die
bei der Mineralölverbrennung im Automotor entstanden.
Diese Erfolge der Ministerin, die die Einführung des Katalysators in den frühen
1980er Jahren vorbereitete und die die Abgasreinigung an großtechnischen Anlagen be-
reits 1964 vorschrieb, blieben aber nicht im kollektiven Bewusstsein haften. Als Beginn
westdeutscher Luftreinhaltepolitik gilt nicht die Einführung der TA Luft durch Elisabeth
Schwarzhaupt, sondern das 1974 von der sozial-liberalen Koalition erlassene Bundesim-
missionsschutzgesetz.418 Nicht in erster Linie die Vermeidung von Luftschadstoffen hatte
die sozial-liberale Koalition im Sinn; ihr Augenmerk galt der Vermeidung von Schäden,
die die Luftverschmutzung anrichtete. Damit verfolgten SPD und FDP einen anderen
Ansatz als Elisabeth Schwarzhaupt:

Der Unterschied liegt demnach darin, dass Emissionen von einem bestimmten Verursacher
ausgehen, Immissionen hingegen unabhängig von einer Emissionsquelle festgestellte
Einwirkungen bezeichnen. Es geht also jeweils um den Blickwinkel der Messung eines
Phänomens. An einer Emissionsquelle austretende Emissionen verändern sich regelmäßig
auf dem Umweltpfad: Werden sie als Immissionen, also aus der Sicht ihrer Rezeption
betrachtet, haben sie eine naturwissenschaftliche Veränderung erfahren und können anders
zu bewerten sein. Dabei kann die Umweltschädlichkeit zu- oder abnehmen (gestiegene
Schädlichkeit infolge Vermischung mit Emissionen anderer Verursacher, andererseits
„Verdünnung“). Die sogenannte Hochschornsteinpolitik früherer Zeiten ist Ausdruck dessen.
Sie legte eine immissionsbezogene Bewertung zugrunde.419

Das Immissionsschutzgesetz von 1974 (BImSchG) erscheint auf den ersten Blick „mo-
derner“ und umfassender wirksam zu sein als die beiden Luftreinhalteverordnungen
Schwarzhaupts. Das Gesetz bündelte die beiden Ansätze der Gesundheitsministerin und
weitete den Begriff des Immissionsschutzes auch auf andere umweltpolitisch relevante
Bereiche aus. So verstand das BImSchG unter dem Begriff „Immission“ nicht nur Luft-
verunreinigungen, sondern auch Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen
„und ähnliche Einwirkungen, die sich auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser,
Atmosphäre, Kultur- und Sachgüter auswirken.“420 Diese umfassende Betrachtung sämt-
licher Immissionen hatte einen großen Nachteil, der den Schwarzhauptschen Ansatz,
hauptsächlich die Emission zu bekämpfen und damit erst gar keine Immissionen entste-
hen zu lassen, aus der heutigen Perspektive als den nachhaltigeren erscheinen lässt: das
BImSchG leistete der „Hochschornsteinpolitik“ Vorschub, die zwar schon in den 1960er
Jahren begann, durch das Gesetz aber regierungsamtlich gefördert wurde. Die sehr ho-
hen Schornsteine, die in den 1970er Jahren vermehrt gebaut wurden, führten „erstmalig
zu einer großräumigen Verfrachtung und Verteilung der Luftverunreinigungen“421, die
eine neue Form der Umweltbelastungen schuf:

418
Vgl. etwa: Feess, Umweltökonomie, S. 67.
419
Jänicke/Kunig/Stitzel, Umweltpolitik, S. 235.
420
Ebd.
421
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Bericht über den Zustand
des Waldes 2002. Ergebnisse des forstlichen Umweltmonitorings, Vorabdruck als Onlineressource un-
ter http://www.verbraucherministerium.de/wald_forst/waldzustandsbericht_2002/waldzustandsbericht-
2002.pdf in der Fassung vom 20.02.2003, S. 1-134, S. 5.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 108

Die dabei entstehende Verdünnung der Luftverunreinigungen sowie deren chemische


Reaktionen in der Luft führte zu neuen, bis dahin unbekannten Wirkungen und Symptomen
in den betroffenen Waldökosystemen: Anstelle der akuten Schäden durch Einwirkung hoher
Gaskonzentrationen klassischer Rauchgasschäden traten die indirekten Wirkungen durch
langfristige Einträge von Säuren (v. a. aus Schwefel- und Stickstoffverbindungen, sog.
„Saurer Regen“).422

Somit erwies sich der Schwarzhauptsche Ansatz der Emissionsvermeidung als nach-
haltiger und letztlich aktueller. Die heutige umweltpolitische Betonung des Vorsorge-
prinzips setzt ebenfalls bei der Emissionsreduzierung an.423 Das Bundesimmissions-
schutzgesetz, das „den Höhepunkt der umweltpolitischen Dynamik der sozial-liberalen
Regierung“424 markierte, war von seinem Muster her eine Art umweltpolitisches Grund-
lagengesetz, die TA Luft nur eine nachrangige Verordnung. Dieser qualitative gesetzgebe-
rische Unterschied führte in der politischen Wahrnehmung dazu, dass die Luftreinhalte-
politik der sozial-liberalen Regierung als weitaus wirkungsvoller eingeschätzt wurde als
diejenige Elisabeth Schwarzhaupts. Dass der Ansatz, die Emissionen zu vermeiden, hin-
gegen schneller und grundsätzlicher in der Lage ist, umweltpolitische Probleme zu lösen,
zeigt sich auch an der Schwarzhauptschen Wasserreinhaltepolitik, die hier beispielhaft
die Umsetzung des Detergentiengesetzes in den Blick nimmt. Auch hier setzte Elisabeth
Schwarzhaupt nicht etwa auf Verdünnung und eine Politik der „langen Abwasserrohre“,
sondern auf eine Umstellung der Emissionsseite.

5.2 Reinhaltung des Wassers

Unsere Flüsse und Seen sollen den Menschen die Möglichkeit zu


Sport und Erholung als Voraussetzung für die Erhaltung der
Gesundheit und Lebensfreude bieten. Verschmutzte, kranke Gewässer
bedrohen die Volksgesundheit.425
Informationsbroschüre des Gesundheitsministeriums

In frischem Wasser und sauberen Gewässern sah Elisabeth Schwarzhaupt ebenfalls


ein Aufgabengebiet ihrer Gesundheitspolitik. Hier lag einiges im Argen. Die in der Litera-
tur immer wieder zitierte Situation des Sommers 1959 zeigte deutlich, dass die öffentli-
chen Gewässer zu Kloaken verkommen waren. „In den heißen Sommermonaten“, so etwa
Walther Kumpf in einem 1960 erschienen Aufsatz, „drückten sich die Menschen zu Tau-
senden in kleinen, künstlich angelegten Schwimmbädern zusammen; die noch vor weni-

422
Ebd.
423
Vgl. Jänicke/Kunig/Stitzel, Umweltpolitik, S. 235.
424
Ebd., S. 31.
425
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für
Gesundheitswesen (hg.): Reinhaltung der Gewässer. Eine Aufgabe moderner Gesundheitspolitik,
Bamberg 1967, S. 5.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 109

gen Jahrzehnten benutzten natürlichen Schwimmbäder in Strömen und Flüssen waren


dagegen verlassen.“426 Die Gründe dafür lieferte Kumpf gleich mit:

Das Wasser ist schmutzig, unappetitlich und unhygienisch. Die Fischer klagen über den
qualitativen und quantitativen Rückgang der Fangergebnisse, gelegentlich sogar über einen
Totalausfall durch Fischsterben; die Bauern sehen, dass sich das Wasser schon nicht mehr
zum Viehtränken, ja nicht einmal mehr zur Feldbewässerung eignet. In industriellen Betrie-
ben entstehen in der Versorgung mit Gebrauchswasser ernste Schwierigkeiten: Die Sicher-
heit und Leistungsfähigkeit der Dampfkessel lassen nach, Filter und Düsen verstopfen; die
Aufbereitung des verunreinigten Flusswassers zu gutem Brauchwasser kostet mehr als
dessen Gewinnung. Besondere Komplikationen können der öffentlichen Trinkwasser-Ver-
sorgung dort entstehen, wo das Rohwasser unmittelbar oder auch mittelbar durch Uferfil-
tration aus Wasserläufen entnommen wird. Überall sind neue, zum Teil sehr komplizierte
und deshalb natürlich kostspielige Aufbereitungsmethoden notwendig geworden, damit hy-
gienisch einwandfreies und appetitliches Trinkwasser geliefert werden kann.427

Die Analyse der Situation muss aus heutiger Sicht erschrecken. Dass die Flussläufe als
Abwässerkanäle missbraucht wurden, ist das eine – dass aber durch die Verschmutzung
des Wassers mittlerweile auch das Trinkwasser gefährdet war, das Nahrungsmittel Nr. 1,
bedrohte direkt die Versorgungslage der Bevölkerung. Unzureichend geklärtes Trinkwas-
ser konnte darüber hinaus ernste gesundheitliche Schädigungen hervorrufen. Diese Aus-
gangslage fand Elisabeth Schwarzhaupt also vor, als sie mehrere Monate später das Ge-
sundheitsministerium übernahm. Die Instrumente, die sie anwandte, um einen
besonders unästhetischen und gefährlichen Aspekt der Gewässerverunreinigung abzu-
stellen, setzten, wie schon bei der Luft, auch hier auf die Vermeidung der Emission – der
von Kumpf geschilderte Kampf mit den Immissionen, der technisch aufwändigen Reini-
gung verschmutzten Wassers, konnte so obsolet werden.
Doch welche Handhabe hatte Elisabeth Schwarzhaupt, um schnell Erfolge in der Ver-
besserung der Gewässergüte zu erzielen? Der Bau von Kläranlagen war in kommunaler
Hand, allenfalls von den Ländern finanziell unterstützt. Zudem konnte das Gesund-
heitsministerium keine aktiven Gewässerschutzmaßnahmen finanzieren, dazu fehlten die
Mittel. Die Idee, die im Ministerium geboren wurde, war, die unansehnlichen Schaum-
berge auf den Flüssen zu bekämpfen. Dies bedurfte kaum größerer Finanzmittel, sondern
einer am Verbraucherschutzgedanken orientierten Bundesgesetzgebung. Ordnungspoli-
tischer Hebel für die Umsetzung dieses speziellen Gewässerschutzgedankens waren die
Bestimmungen des Detergentiengesetzes vom 5. September 1961.428 Seine Umsetzung
konnte die Schaumberge auf Flüssen und Seen, die Anfang der 1960er Jahre ein bundes-
weites Phänomen geworden waren, rasch verschwinden lassen. Dazu erließ Elisabeth
Schwarzhaupt am 1. Oktober 11964 eine Durchführungsverordnung zum Detergentienge-
setz, und tatsächlich – gegen Ende der Amtszeit Elisabeth Schwarzhaupts war dieses
umweltpolitische Problem weitestgehend im Griff. Doch zur Genese dieser umweltpoli-
tisch wie verbraucherschützerischen Maßnahme des Schwarzhaupt-Ressorts.

426
Walter Kumpf, Reines Wasser. Die öffentliche Versorgung ist gefährdet, in: Die politische Meinung,
52/1960, S. 49-54, S. 50.
427
Ebd.
428
Schwarzhaupt, Impulsreferat auf dem 13. CDU-Bundesparteitag, S. 350, kann vor ihren Parteikollegen
bereits 1965 feststellen: „Die Verordnung dazu [...] hat den Zweck, die Schaumberge, die durch
Waschmittel, die nicht schnell abgebaut werden, auf den Flüssen entstanden sind, allmählich ver-
schwinden zu lassen. Wir können feststellen, hier ist schon sehr viel verschwunden.“
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 110

Schaumberge auf Fließgewässern waren vor 1954 so gut wie unbekannt, die bis dato
als Wasch- und Reinigungsmittel verwendeten Seifen waren biologisch gut abbaubar.
Seit 1954 wurde diese Seifensubstanzen jedoch zunehmend vom Markt verdrängt, so
genannte „harte“ Detergentien wurden die Hauptbestandteile der modernen Tensid-
waschmittel.429 Diese „harten“ Detergentien führten „zu erheblichen Störungen bei der
Trinkwasseraufbereitung aus Oberflächenwasser und bei der Abwasserbehandlung“430,
wie die Bundesregierung 1967 in einer Publikation analysierte. Schlicht gesagt, bauten
sich die bis 1964 verwendeten Waschmittelsubstanzen weder in Kläranlagen noch durch
die natürliche Selbstreinigungskraft des Wassers ab, bis zu vier Meter hohe Schaumberge
in einigen Schleusen waren kein Einzelfall. Die Bundesregierung musste hier schon allein
aus Gründen der Verkehrssicherheit auf den Bundeswasserstraßen einschreiten:

In einzelnen Fällen musste den Insassen von Sportbooten wegen akuter Lebensgefahr die
Schleusungserlaubnis versagt werden. Gefährliche Situationen ergaben sich dadurch, dass
Schiffahrtszeichen durch Schaum verdeckt und Rettungsaktionen für Ertrinkende unmöglich
gemacht wurden.431

Diesem Hauptaspekt gesellten sich ästhetische und gesundheitliche Argumente hinzu.


Die Schaumberge störten nicht nur das Landschaftsbild, sie waren ein sichtbarer Indika-
tor für die Abwässer, als Teil derer sie in die Flussläufe gespült wurden. Dass das Wasser
der Flüsse nicht „sauber“ und „rein“ war, zeigten die Schaumberge der Wasch- und Rei-
nigungssubstanzen auf der Wasseroberfläche unmissverständlich an; ihr Anblick führte
verständlicherweise zu Ekel.432 Dass Wasservögel wegen der Schaumberge nicht mehr an
ihre Nahrungsgrundlage in den Flüssen herankommen und Fische nicht mehr atmen
konnten, weil die Detergentienschicht auf der Wasseroberfläche den Sauerstoffaustausch
mit der Luft unterband, waren die umweltpolitischen Argumente, die ein behördliches
Einschreiten gegen diese Tensidbelastung der Gewässer nötig machte. Letztlich aus-
schlaggebend für die Verabschiedung des Detergentiengesetzes war aber ein Aspekt des
Verbraucherschutzes: Die waschaktiven Substanzen tauchten mittlerweile vermehrt im
Trinkwasser auf, das Grundnahrungsmittel schmeckte „seifig“.433 1958 begannen im zu-

429
Ein Vermerk des Referates III A 4 vom 30.4.1965 zum Detergentienproblem, BA Koblenz, N1177/22,
stellt fest, dass durch die chemische Entwicklung seit 1954 die bisher üblichen Seifen zu 90 Prozent
durch synthetische Detergentien ausgetauscht wurden – bei gleichzeitigem Mengenanstieg der
Waschmittel von 150.000 Tonnen pro Jahr auf bis zu 250.000 Tonnen im Jahr1964; dem Jahr, in dem
die Rechtsverordnung zum Detergentiengesetz in Kraft trat.
430
Bundesregierung, Reinhaltung der Gewässer, S. 5. Als „hartes“ Detergens wurde beispielsweise das
anionische Tetrapropylenbenzolsufalt bevorzugt, das zwar „hervorragende Waschwirkung“ besitzt, aber
eine Gefahr für die Fließgewässer bedeutete, da es in Kläranlagen lediglich zu 20 bis 30 Prozent ab-
baubar ist. Vgl. Vermerk zum Detergentienproblem, BA Koblenz, N1177/22.
431
BA Koblenz, B142/4770: Entwicklung des Detergentienproblems in der Bundesrepublik Deutschland,
Mai 1963, S. 2. Mit „Sportboote“ sind v.a. Ruderboote gemeint, siehe ebd., Wie kam es zum Deter-
gentiengesetz?, ebenfalls Mai 1963.
432
Das Schaumbergeproblem blieb nicht nur auf die oftmals zu Abwasserkanälen umfunktionierten Fluss-
läufe beschränkt, sondern erreichte die Bevölkerung in ihren Siedlungen, was den Ekelcharakter die-
ses Umweltproblems weiter verstärkte. So wurde amtlich festgestellt: „Bei böigem Wind sind mancher-
orts große Schaumballen angehoben und über weite Strecken beispielsweise auf verkehrsreiche
Straßen oder in die Vorhöfe von Wohnungen geweht worden.“ Ebd.
433
Siehe ebd: „Im trockenen Sommer 1959 sind Detergentien im Trinkwasser einiger Versorgungsbetrie-
be, die auf alleinige Wasseraufbereitung aus Flußwasser angewiesen waren, schon durch beständigen
Schaum ‚ad oculos’ nachgewiesen worden.“
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 111

ständigen Bundesministerium für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft daher erste


Verhandlungen mit der Waschmittelindustrie, um dem Problem der „harten“ Detergen-
tien zu begegnen:

Dabei wurde auch die Frage gestellt, ob sich durch Änderung in der Zusammensetzung der
Waschmittel die bisher bekannten Nachteile beheben lassen. Die angesprochene Industrie
konnte sich den vorliegenden Problemen nicht verschließen und erklärte sich zu entspre-
chenden Forschungsarbeiten bereit. Es erschien grundsätzlich möglich, für die Waschmittel-
herstellung geeignete Detergentien zu entwickeln, die biologisch leichter abbaubar sind. 434

Die Lösung der Waschmittelproduzenten waren sogenannte „weiche“ Detergentien,


mit denen die Selbstreinigungskraft der Gewässer problemloser fertig wurde und die
auch die Kläranlagen weitaus weniger belasteten. Ein vom – damals noch zuständigen –
Atomkernenergieministerium initiierter „Hauptausschuss Detergentien und Wasser“,
dem sowohl Ministerialbeamte von Bund und Ländern als auch unabhängige Wissen-
schaftler und Vertreter der Waschmittelindustrie beitraten, arbeitete zusammen mit Ab-
geordneten des Bundestags einen Gesetzesentwurf aus, der am 5. September 1961 vom
Bundestag auch beschlossen wurde: das Detergentiengesetz, das ab sofort nur noch die-
se „weichen“ Detergentien in Waschmitteln zuließ.
Diese Gesetzgebung fiel noch knapp in die Zeit vor Gründung des Gesundheitsminis-
teriums im Herbst 1961. dadurch erbte Elisabeth Schwarzhaupt ein Gesetz, an dem sie
selbst nicht mitformuliert hatte, die Umsetzung und Durchführung aber nun vorantrei-
ben musste. Dabei traten auch sofort erste Probleme auf. Eine Schwierigkeit beim Voll-
zug der Rechtsverordnung etwa war begrifflicher Art: Welche chemischen Substanzen
galten in welcher Konzentration für welches Einsatzgebiet als „harte“ Detergentien und
waren daher verboten? Fielen sogenannte „Textilhilfsmittel“ darunter, die die Textilin-
dustrie ihren Stoffen beimengte? Und wie sah es mit Desinfektionsmitteln aus? Hierüber
entbrannte ein Streit, der sogar innerhalb des Ministeriums heftig geführt wurde – und
in den sogar das Auswärtige Amt verwickelt wurde.
Dieses hatte an das Gesundheitsministerium eine Anfrage der hier stationierten US-
Streitkräfte weitergeleitet und „aus politischen Erwägungen“ darum gebeten, den Mili-
tärs eine wohlwollende Ausnahme vom Detergentiengesetz zu gestatten.435 Spezielle
Handreinigungsmittel, mit denen sich Militärärzte die Hände wuschen, die aber auch
den Familien der Soldaten zugänglich waren, enthielten sehr schwer abbaubare Tenside.
Ähnliche Desinfektionsmittel wurden auch an hiesigen Kliniken beispielsweise von Chi-
rurgen benutzt. Aus hygienischen Gründen wollten die Streitkräfte ihre traditionellen
Reinigungssubstanzen weiter verwenden, auch wenn diese ursächlich für die Schaum-
berge auf den Flüssen mitverantwortlich zu machen waren.
Der Bitte des Außenministeriums, im Sinne der guten Beziehungen zu den hier statio-
nierten US-Militärs eine Ausnahme vom Detergentiengesetz zuzulassen, wollte der Appa-
rat Elisabeth Schwarzhaupts durchaus nachkommen und hatte auch schon die „Lücke“

434
BA Koblenz, B142/4770, undatiertes Schriftstück „Die Entwicklung des Detergentienproblems in der
Bundesrepublik“, S. 3. Die Waschmittelindustrie reagierte erstaunlich kooperativ auf eine Änderung der
chemischen Zusammensetzung ihrer Produkte, wohl weil sie einen Imageschaden fürchtete, würde sie
auf der Weiterverwendung der bisherigen „harten“ Detergentien beharren.
435
Brief des Auswärtigen Amtes vom 9. April 1964, BA Koblenz, B142/4770.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 112

im Gesetz entdeckt, mit der sich diese Sonderreglung rechtfertigen ließe. Das Gesetz ver-
bot „harte“ Detergentien explizit nur in „Wasch- und Reinigungsmitteln“. Dies schien das
„Hintertürchen“ zu sein: Dienten die Handreinigungssubstanzen vornehmlich der Desin-
fektion und war ihr Reinigungseffekt nur ein sinnvolles Nebenprodukt dieser Desinfekti-
on, dann könnte man eine Ausnahme konstruieren, zumal die verbrauchten Tensidmen-
gen so gering waren, dass sie im Vergleich zu den sich riesig ausnehmenden
verbrauchten Waschmittelmengen im Ernst nicht ins Gewicht fallen konnten.436 Dies war
die Lösung, die die Ministerialen ihrer Ministerin vorlegten. Elisabeth Schwarzhaupt
blieb indes standhaft und war prinzipiell – trotz der Bitte des Außenministers – gegen
jegliche Ausnahmen von den Vorschriften des Detergentiengesetzes. Diese harte Haltung
der Ministerin wurde auch im Ministerium vermerkt: „Frau Ministerin ist grundsätzlich
gegen jede Ausnahme. Sie ist [...] der Ansicht, dass das Gewässerschutzproblem und kein
anderes in diesem ganzen Fragenkomplex ausschlaggebend ist.“437
Elisabeth Schwarzhaupts unnachgiebige Haltung, die selbst vor außenpolitisch be-
gründeten Wünschen nicht einknickte, resultierte aus den Analyseergebnissen ihres Mi-
nisteriums. Jede Verunreinigung des Oberflächenwassers führte zu Problemen in den
Kläranlagen, bzw. verstärkte das Verschmutzungsproblem der Flussläufe dort, wo es
noch keine Kläranlagen gab. Trotz der Abwasserreinigung in den Kläranlagen nahm –
das stellte das Gesundheitsministerium schon frühzeitig fest – die Verschmutzung der
meisten Gewässer nur schleppend ab.438 Die Gründe hierfür hatte Willy Brandt schon
1961 bemängelt:

Täglich müssen bei uns in der Bundesrepublik die Gewässer mehr als 22 Millionen
Kubikmeter Abwässer aufnehmen, von denen nach den Untersuchungen der Experten nur
fünf Millionen biologisch gereinigt, sechs Millionen aber überhaupt nicht gereinigt werden.
Die Gefahr, die aus diesem Tatbestand für die Gesundheit unserer Bürger erwächst, ist
ungemein groß. Verschmutzte Gewässer sind Ansteckungs- und Verbreitungsquellen von
schweren Krankheiten.“439

Diesem impliziten Vorwurf des SPD-Kanzlerkandidaten an die Bundesregierung hatte


Elisabeth Schwarzhaupt aber schon nach kurzer Zeit im Amt einen Erfolg entgegen zu
setzen: Die Tensidbelastung der Gewässer war nach dem Verbot der „harten“ Detergen-
tien nicht etwa schleppend, sondern nachweislich rasant zurückgegangen, die Schaum-
berge wurden stetig kleiner und verschwanden schließlich. Willy Brandts Vorwurf war in
diesem Falle eine gesetzgeberische Maßnahme gefolgt, die tatsächlich die Situation ver-
besserte. Am eindrücklichsten ließ sich das an den Flüssen mit der stärksten Belastung
nachweisen: an Main und Rhein, Elbe, Weser, Emscher und Ruhr. Es ist sicherlich kein
Zufall, dass die Wasserabteilung im Bundesgesundheitsministerium ausgerechnet die
Daten der sehr stark belasteten Ruhr als eine der ersten veröffentlichte:

436
Vgl. die Diskussion darüber in BA Koblenz, B142/4771.
437
Vermerk III A 1 an III A 2 zu Ausnahmen vom Detergentiengesetz, BA Koblenz, B142/4770.
438
Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 21. Vgl. auch die Berechnungen Kumpfs in Ders.
Reines Wasser, S. 50ff.
439
Willy Brandt, Plädoyer, S. 115f. Hervorhebung im Original.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 113

Nach Feststellung des Ruhrverbandes ist die Schaumbildung auf der Ruhr und ihren
Nebenflüssen ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Detergentiengesetzes weit geringer
geworden. In rund 50 biologischen Kläranlagen des Verbandes war der Detergentienabbau
von rund 45 % in 1963 auf rund 72 % in 1965 gestiegen. Bemerkenswert ist auch, dass der
Detergentiengehalt im Zulauf zu den Anlagen gegenüber 1963 um rund 17 % geringer
geworden ist, obwohl Produktion und Verbrauch von Waschmitteln im Bundesgebiet
allgemein um rund 20 % gestiegen sind.440

Die Daten wurden einerseits telefonisch von der Bundesanstalt für Gewässerkunde
eingeholt, andererseits fragte das Gesundheitsministerium schriftlich die einzelnen Lan-
desministerien nach deren lokalen Untersuchungsergebnissen ab.441 Zwar war es für
eine abschließende wissenschaftliche Bewertung eines schnelleren und umfassenderen
Abbaus der neuen „weichen“ Detergentien zu diesem Zeitpunkt noch zu früh, da die Test-
reihen erstens noch unvollständig waren und zweitens immer noch „harte“ Detergentien
aus Waschmittelrestbeständen in die Gewässer gelangten; doch waren die Vorabergeb-
nisse aller Landesministerien eindeutig: Das Herstellungsverbot „harter“ Detergentien
wirkte sich positiv auf die Gewässerqualität aus, die Flüsse kamen ihrem biologischen
Gleichgewicht wieder näher.442

Auch die Selbstreinigung des Flusses [Ruhr, d.Verf.] hatte eine bessere Wirkung auf den
Detergentiengehalt. Vor der Umstellung auf weiche Detergentien war flußabwärts bis zur
Mündung ein Anstieg der Detergentien zu verzeichnen, heute ist nicht nur eine geringere
Konzentration, sondern auch eine deutliche Abnahme der im Fluß transportierten Detergen-
tienmenge festzustellen. Unter vergleichbaren Verhältnissen ergibt sich für die Ruhr bei
Duisburg als Auswirkung des Detergentiengesetzes eine Abnahme der Detergentienfracht
um rund 70 %. Die mittlere Detergentienkonzentration ist von rund 0,7 auf 0,15 mg/l
heruntergegangen.443

Der hessische Minister für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen, Heinrich


Hemsath (SPD), gab sogar einen Gesamtbericht über die Situation der hessischen Ge-
wässer ab, schrieb die Erfolge allerdings der sozialdemokratischen Landespolitik zu, die
durch den Kläranlagenbau für die Verbesserung der Wasserqualität in Hessen gesorgt

440
Pressemitteilung der Abteilung III A 2 für die vom Pressereferat des BMGes herausgegebenen „Mittei-
lungen aus dem Gesundheitswesen“ vom 22.11.1965, BA Koblenz, B142/4771. Die Erhebung aller Da-
ten war wohl von Elisabeth Schwarzhaupt persönlich initiiert; jedenfalls forderte sie in der Abteilungslei-
ter-Besprechung vom 9. November 1964 einen „Informationsbericht“ bezüglich der „Wirkung der neuen
Detergentien“: „Vor allem interessiert die Frage, ob schon eine nennenswerte Abnahme der Schaum-
bildung infolge der neuen Detergentien bei den Flüssen festzustellen ist.“ Vermerk III A vom
10.11.1964, BA Koblenz, B142/4771.
441
Die Bundesanstalt sollte das Ministerium vorab und schnell über die Situation an den Bundeswasser-
straßen informieren und gab, um die Messungen zu beschleunigen, folgenden Verfahrensauftrag: „Die
Ermittlungen können sich zunächst auf grobsinnliche Beobachtungen der Schaumbildung an solchen
Schleusen und Wehren beschränken, die in den vergangenen Jahren durch stärkere Schaumbildung
aufgefallen sind“. Ebd.
442
Der Bremer Senator für das Bauwesen meldete am 14.10.1965 einen geringeren Detergentiengehalt
des Weserwassers, führte dies aber auch auf eine höhere Verdünnung der Weser durch eine stärke
Wasserführung des Flusses in diesem Jahr zurück. Das Saarland meldete am 26.10.1965 „deutliche
und verhältnismäßig rasche Abnahme der Detergentienkonzentration auf der letzten Fließstrecke“ der
Saar. Und die Hamburger Gesundheitsbehörden wiesen am 4.11.1965 sogar einen bis zu vierfach ver-
besserten Abbau der „weichen“ Detergentien gegenüber den „harten“ in der Elbe nach. BA Koblenz,
B142/4771.
443
Pressemitteilung III A 2 für die „Mitteilungen aus dem Gesundheitswesen“ vom 22.11.1965, BA Kob-
lenz, B142/4771.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 114

habe. Nichtsdestotrotz stützte sein Bericht das positive Gesamtergebnis Schwarzhaupt-


scher Gewässerschutzpolitik:

Es konnte erreicht werden, dass die Verschmutzung des Mains nicht weiter zugenommen
hat. Er gehört oberhalb Frankfurts bereits der Güteklasse II bis III an. Der Rhein hat
oberstrom der Mainmündung die Güteklasse II bis III, unterhalb der Einmündung des Mains
gehört er der Güteklasse III bis IV und unterhalb Rüdesheim der Güteklasse III an.444

Heinrich Hemsath führte den Rhein nicht ohne Grund an – als Landesminister war er
für die Reinhaltung der Bundeswasserstraßen in seinem Land zuständig, und zwar erst
seit kurzem: „Im Oktober 1962 erging jenes Urteil des deutschen Bundesverfassungsge-
richts“, erläuterte Elisabeth Schwarzhaupts Ministerkollege Hans-Christoph Seebohm
am 12. Mai 1965 auf einer Tagung der Internationalen Kommission zum Schutz des
Rheins gegen Verunreinigung, „das die Verantwortung für die Reinhaltung der Bundes-
wasserstraßen dem Bund aus den Händen nahm und sie den Landesregierungen über-
trug. Im deutschen Rheingebiet sind also die administrativen und technischen Maßnah-
men, welche die Qualität des Rheins den Beschlüssen Ihrer Kommission anpassen sollen,
künftig Sache der Bundesländer“.445 Während der Bau von Kläranlagen unter kommuna-
ler Kuratel stand und allenfalls von den Bundesländern bezuschusst wurde sowie die
Reinhaltung der großen Flüsse ebenfalls Ländersache war, war der Anteil des Bundes an
der Wasserreinhaltung also sehr gering und weitgehend auf die Umsetzung des Deter-
gentiengesetzes beschränkt. Dieses Gesetz zeitigte aber solch positive Erfolge innerhalb
nur weniger Monate, dass sich Elisabeth Schwarzhaupt als europaweite „Vorreiterin“ in
Gewässerreinhaltung verstehen durfte. Ihre schnellen Erfolge, die auf den Flüssen für
jedermann sichtbar waren, wurden auch in Übersee bemerkt. Dort war das Problem der
Detergentienbelastung öffentlicher Gewässer ebenfalls unübersehbar. Da die Bundesre-
publik das Detergentienproblem offensichtlicher weise in den Griff bekommen hatte, bat
ein kanadisches Fernsehteam Elisabeth Schwarzhaupt zu einer Stellungnahme.446 Und
US-Behörden baten gar um Amtshilfe:

Dade County, Florida, USA, is about to enact a Water and Air Pollution control ordinance,
which we expect to become a model for future pollution control ordinances in the U.S.
[…] It has come to our attention that the Government of West Germany has pioneered this
type of legislation. We would be most grateful to know how you have gone about solving the
problem.447

444
Brief des hessischen Sozialministers Hemsath an das BMGes vom 26.5.1965, BA Koblenz, N1177/20.
Darin weist er darauf hin, dass bei der Ermittlung der Gewässergüte die Messung des Anteils gelöster
Tenside nur ein kleiner Teilaspekt sei – in Hessen würde die Gesamtbelastung des Wassers gemes-
sen. Hemsath zufolge waren 1965 bereits 60 Prozent aller hessischen Abwässer „ausreichend behan-
delt“, was durch Gewässeraufbereitungsinvestitionen des Landes in Höhe von 37 Mark pro Kopf er-
reicht wurde, während im Bundesdurchschnitt nur 23 Mark pro Kopf investiert worden sei.
445
Ansprache des Bundesministers für Verkehr Dr.-Ing. Hans-Christoph Seebohm (CDU) anlässlich der
Tagung der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung am 12. Mai
1965 in Freiburg im Breisgau, in: Bulletin der Bundesregierung 89/1965, S. 707.
446
Brief des kanadischen Fernsehsenders CFPL-TV, London (Canada) vom 9. Januar 1963. B142/4770.
447
Brief Donald Kohmer an das BMGes vom 29. Januar 1963. BA Koblenz, B142/4770.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 115

Natürlich adelten die Anfragen die Ministerin – auch wenn einige Gewässerexperten
bemängelten, das in der Rechtsverordnung eine Vorschrift zum Abbau von Phosphat
fehlte448 und zudem das Detergentiengesetz nicht von ihr selbst angestrengt wurde. Die
Erfolge in der Umsetzung des Gesetzes und die schnelle Verbesserung der Gewässerqua-
lität durch das Verbot der „harten“ Detergentien kann sich Elisabeth Schwarzhaupt
trotzdem auf ihr eigenes politisches Konto schreiben lassen. Sie war in der Detergen-
tienfrage auch unbedeutenden Ausnahmemengen wie denjenigen der US-Militärs gegen-
über hart geblieben und setzte konsequent auf die Vermeidung von Emissionen, hoffte
mithin nicht auf eine „Verdünnung“ der Waschmittel in den Gewässern, wie es bei Luft-
schadstoffen vergleichbar durchaus praktiziert wurde. Ihre Erfolge in der Emissionsbe-
kämpfung der dritten umweltpolitischen Aufgabe ihres Ministeriums blieben allerdings
weniger durchgreifend.

5.3 Bekämpfung des Lärms

Lärm ist zu einem der gefährlichsten Feinde der heutigen Menschheit


geworden. Er hat sich zu einem echten Zivilisationsschaden entwickelt.
Wir alle ohne Ausnahme sind seine Opfer.449
Kommentar in „Ernst – aber nicht hoffnungslos“

Bei der Lärmbekämpfung nimmt der Gesetzgeber nicht nur eine


gesundheitspolitische Aufgabe im engeren Sinne wa[h]r, sondern
450
erfüllt eine humanitäre und soziale Pflicht.
Schwarzhaupts Ministerialdirigent Dr. E. Goßrau

Das dritte umweltpolitische Ziel des Gesundheitsministeriums muss als modernstes


gelten: Die Reduzierung einer Gesundheitsgefährdung, die weder sichtbar noch chemisch
nachweisbar ist – die Lärmbelastung bzw. Lärmbelästigung. Während „Berechtigung und
Notwendigkeit der Lärmbekämpfung in unserer technisierten Welt“ klar auf der Hand
lägen, so Elisabeth Schwarzhaupt, seien „die praktischen Probleme dieser gesundheitspo-
litischen Aufgabe [aber] bei weitem noch nicht gelöst“.451

Im gesundheitspolitischen Programm der Deutschen Bundesregierung hat die Lärmbekämp-


fung einen bevorzugten Platz. Forschung und Öffentlichkeitsarbeit werden gefördert. Der
Schwerpunkt der Bemühungen aber liegt auf dem Gebiet der Gesetzgebung. Die Erfahrung
lehrt, dass der einzelne zwar nach Lärmschutz ruft, selbst aber wenig bereit ist, auf andere
Rücksicht zu nehmen. Soweit durch menschliche Verhaltensweisen Lärm verursacht wird,

448
Vgl. Briefwechsel in BA Koblenz, B142/4770.
449
Manuskript der ARD-Sendung „Ernst – aber nicht hoffnungslos. Gesundheitspolitik in der Bundesrepu-
blik“ vom 2.2.1965, BA Koblenz, B142/2993 (P111 III), S. 14.
450
E. Goßrau: Lärmprobleme und Legislative, in: Bundesministerium für Gesundheitswesen (hg.): Lärm-
bekämpfung als gesundheitspolitische Aufgabe. Vier Beiträge zur Lärmbekämpfung, Bonn 1966, S. 11-
20, S. 13. Schreibfehler im Original.
451
Elisabeth Schwarzhaupt: Ansprache auf dem IV. Internationalen Kongreß für Lärmbekämpfung in Ba-
den-Baden am 11. Mai 1966, in: Bundesministerium für Gesundheitswesen (hg.): Lärmbekämpfung als
gesundheitspolitische Aufgabe. Vier Beiträge zur Lärmbekämpfung, Bonn 1966, S. 7-10, S. 7f.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 116

kann deshalb neben Aufklärung und Belehrung auf gesetzliche Gebote nicht verzichtet
werden. Ohne Gesetz wird die Forderung, den Stand der Technik bei der Lärmbekämpfung
452
zu nutzen und weiter zu entwickeln, weitgehend unerfüllt bleiben.

Ob Lärm wirklich krank machte, war in den 1960er Jahren wissenschaftlich noch
nicht hinreichend beantwortet, wurde aber mit Unterstützung des Gesundheitsministeri-
ums eingehend erforscht. Bekannt war Mitte der 1960er Jahre bereits, dass Lärm
„nachteilige Wirkungen auf das vegetative Nervensystem“ habe sowie „psychosomatische
Wirkungen“ zeitige – und natürlich das Gehör schädige.453

In zahlreichen physiologischen Untersuchungen hat man gefunden, dass die Exposition zu


Lärm 1. eine Erhöhung des Blutdrucks, 2. eine Beschleunigung der Herztätigkeit, 3. eine
Steigerung des Stoffwechsels, 4. eine Abnahme der Tätigkeit der Verdauungsorgane und 5.
eine Steigerung der Spannung der Muskulatur bewirkt. Alle diese Reaktionen sind
Symptome einer allgemeinen Alarmreaktion des Organismus, die durch einen erhöhten
454
Reizzustand des vegetativen Nervensystems ausgelöst und gesteuert wird.

Doch reichten solche damals noch vagen neurologischen Erkenntnisse bereits aus, um
gesetzgeberisch tätig werden zu können? Für das Ministerium war dies keine Frage: Na-
türlich müsse eingeschritten werden. Schwarzhaupts Ministerialdirigent Goßrau hielt es
– das sagte er 1966 auf einem Internationalen Kongress für Lärmbekämpfung – allein
schon bei einem Verdacht auf eine Gesundheitsschädigung für geboten, dass der Gesetz-
geber vorbeugend eingreife:

Die gesundheitspolitische Rechtfertigung von Gesetzen zur Lärmbekämpfung erhalten wir


nicht erst durch den Nachweis von echten organischen Schäden, die durch Lärm verursacht
werden. Ist die medizinische Wissenschaft in einem Stadium, in der zwar weitgehend der
Beweis für den Ursachenzusammenhang zwischen Lärm und Krankheit noch fehlt, in dem
aber doch die bereits vorliegenden Ergebnisse die berechtigte Sorge begründet, daß der
Lärm die Gesundheit schädigt, so reicht allein der Gesichtspunkt der Vorbeugung.455

Fehlte der wasserdichte wissenschaftliche Nachweis, dass Lärm organische Schäden


verursacht, noch, so war gänzlich unbestritten, dass Lärm als Belästigung empfunden
wurde und wird – mit Folgen für die Gesundheit. Wirkt Lärm eine gewisse Zeit in einer
gewissen Lautstärke auf den Menschen ein, dann stört dies dessen „Wohlbefinden [...],
die Arbeit, die Erholung und den Schlaf.“456 Diese Störung des Wohlbefindens erschien
dem Schwarzhaupt-Ministerium einen hinreichenden Grund für eine gesetzliche Be-
452
Ebd..
453
Ebd., S. 8. Regierungsdirektor Walter Willms verdeutlicht in seinem Vortrag „Begutachtung des Lärms
in der Verwaltungspraxis“, ebd, S. 21-29, S. 22, den physiologischen Unterschied zwischen einem
Schallempfinden des menschlichen Gehörs und einer Schallbelastung des ganzen Organismus, die of-
fensichtlich sei, deren „tiefsten Schichten [...], insbesondere die psychosomatischen Wirkungen der
Schallbelastung“ aber noch wenig erforscht waren.
454
Etienne Grandjean, Widersacher Lärm – Probleme der öffentlichen Wohlfahrt VIII, in: Die politische
Meinung, 72/1962, S. 58-66, S. 61.
455
Goßrau, Lärmprobleme, S. 13.
456
Ebd. Grandjean, Widersacher Lärm, S. 66, meint hierzu: „Wegen der vegetativen Reizwirkung, wegen
der Behinderung der Entspannungs- und Erholungsvorgänge und wegen der Schlafstörungen muß
dem Lärm eine wesentliche ursächliche Rolle in der Entstehung der [...] modernen Zivilisationskrank-
heiten beigemessen werden.“
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 117

schränkung bestimmter Lärmarten zu geben: vor allem Baumaschinen, Autos und Flug-
zeuge sollten leiser werden.

Die durch Baumaschinen verursachten Geräusche gehören zu den lästigsten


Lärmstörungen, denen wir in unserer modernen technisierten Welt ausgesetzt sind. Mag
auch der Baulärm in seinen Ausmaßen hinter dem alles überlagernden Verkehrslärm weit
zurückbleiben, in seiner Wirkung steht er dieser Art von Lärmstörung gewiß nicht nach. Wer
selbst in der unglücklichen Lage gewesen ist, monatelang neben einer großen Baustelle
leben zu müssen, weiß aus Erfahrung, daß der Baulärm mit seinen vorwiegend
impulsartigen Geräuschen weit quälender sein kann als der Verkehrslärm.457

Gerade im stetig wachsenden Baumaschinenbereich sahen Elisabeth Schwarzhaupt


und ihre Ministerialbeamten deswegen die Notwendigkeit, durch gesetzlichen Zwang
eine technische Verbesserung an den Maschinen voran zu treiben. „Ohne Gesetz“, so die
Ministerin, „wird die Forderung, den Stand der Technik bei der Lärmbekämpfung zu
nutzen und weiter zu entwickeln, weitgehend unerfüllt bleiben.“458 Deswegen mussten
Richtwerte erlassen werden, die eine klare rechtliche Grundlage für die Frage schufen,
was es denn nun als „störenden Lärm“ gesetzlich einzudämmen galt und was nicht.459
Ebenso vage wie diese Einschätzungsfrage war, was konkret unter der Forderung nach
Nutzung des „Standes der Technik“ zu verstehen sein sollte; auch der Ministerialdirigent
konnte diese Frage nicht präziser beantworten als anhand des folgenden Beispiels der
Auspuffgeräusche bei Kraftfahrzeugen:

Ist es technisch möglich, durch eine bestimmte Konstruktion des Auspufftopfes das
Geräusch entscheidend herabzusetzen, führt aber die Anwendung dieses Gerätes im
konkreten Fall zu einer wesentlichen Leistungsminderung der Maschine, die wiederum nur
durch eine entscheidende Erhöhung der Motorleistung, der PS-Zahl aufgefangen werden
kann, so ist dieses Gerät nicht „Stand der Technik“.460

Den Anforderungen des Lärmschutzes waren die Baumaschinen-Hersteller bislang


jedenfalls nur unzureichend nachgekommen.461 Da die Hersteller nicht freiwillig auf

457
Feldhaus: Das deutsche Gesetz zum Schutz gegen Baulärm, in: Bundesministerium für Gesundheits-
wesen (hg.): Lärmbekämpfung als gesundheitspolitische Aufgabe. Vier Beiträge zur Lärmbekämpfung,
Bonn 1966, S. 30-38, S.30.
458
Elisabeth Schwarzhaupt, Ansprache Lärmbekämpfungskongress, S. 8. Auch in diesem Bereich ihrer
Politik lag der Schwerpunkt der Ministeriumsarbeit auf der Gesetzgebung. „Die Erfahrung lehrt“, so die
Ministerin zu Beginn dieser Rede (S.7f), „daß der einzelne zwar nach Lärmschutz ruft, selbst aber we-
nig bereit ist, auf andere Rücksicht zu nehmen. Soweit durch menschliche Verhaltensweisen Lärm ver-
ursacht wird, kann deshalb neben Aufklärung und Belehrung auf gesetzliche Gebote nicht verzichtet
werden.“
459
Die Vorschrift hierzu war sehr unkonkret, legte sie doch nur fest, dass „Maschinen und Geräte so be-
schaffen und aufgestellt sein müssen, dass die Entstehung vermeidbarer Geräusche verhindert und die
Ausbreitung unvermeidbarer Geräusche auf ein Mindestmaß beschränkt wird“, sowie: „Maschinen und
Geräte müssen so eingerichtet betrieben und unterhalten werden, dass die Nachbarschaft oder die All-
gemeinheit vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder Belästigungen durch Immissionen soweit ge-
schützt sind, wie es der jeweilige Stand der Technik und die Natur der Anlage gestatten“. Vgl. Goßrau,
Lärmprobleme, S. 16f.
460
Ebd., S. 18.
461
Feldhaus, Baulärm-Schutzgesetz, S. 31. Goßrau, Lärmprobleme, S. 16, nennt den möglichen Grund:
„Die Lärmschutzmaßnahmen kosten Geld. Freiwillig werden Aufwendungen nicht übernommen, vor al-
lem dann nicht, wenn die Belastung nicht alle Glieder des gleichen Gewerbezweiges gleichmäßig trifft.“
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 118

Lärmschutz setzten, reagierte das Ministerium und erließ ein „Baulärm-Schutzgesetz“.


Baumaschinen wie etwa Presslufthämmer oder Kompressoren mussten, seit das Gesetz
in Kraft trat, in soweit schallgedämpft sein, wie es der Stand der Technik ermöglichte.
Überschritten sie einen bestimmten Grenzwert, mussten die Behörden einschreiten –
was nicht nur einem „Lärm-TÜV“ gleichkam, sondern in der Tat auch eine Überprüfung
der sonstigen Funktionsfähigkeit der Baumaschine nach sich zog. Die Maschine sollte
nicht nur betriebsbedingten Lärm vermeiden, sie sollte auch nicht „klappern“ und
„scheppern“. Der Regierungsdirektor im Gesundheitsministerium, Dr. Feldhaus, hat
hierüber eine genaue Checkliste erarbeitet:

Zunächst ist der ordnungsgemäße Zustand der Baumaschine zu überprüfen. Beispiele: Der
Auspuffschalldämpfer darf nicht defekt sein, Radkränze und Getriebe dürfen nicht ausge-
schlagen sein, Blechverkleidungen müssen ordnungsgemäß befestigt sein, in geeigneten
Fällen sind Maschinen mit Dämmaterial auszukleiden oder mit Schallschutzmänteln zu
versehen. Diese auf eine Geräuschminderung der Maschine gerichteten Maßnahmen finden
ihre Grenze am Stand der Technik. Technisch Unmögliches kann nicht verlangt werden.462

Genau diese Vorschrift, dass nur das technisch Mögliche auch umgesetzt werden
musste, machte den Lärmschutz in anderen Bereichen zur Farce – und oft war dort nicht
der fehlende Einsatz aktueller Technik das Problem, sondern die Gesetzgebung selbst.
Klaus Roemer, Autor der CDU-nahen Zeitschrift „Die politische Meinung“, hielt bei-
spielsweise die Steuersystematik für einen – wenngleich etwas an den Haaren herbeige-
zogenen – Grund für die gestiegene Lärmbelastung, den der Straßenverkehr der 1960er
Jahre produziert hatte:

Weshalb erst Lärm erzeugen und ihn dann durch teure städtebauliche Maßnahmen
abwehren, statt ihn durch geeigneten Fahrzeugbau gar nicht erst aufkommen zu lassen?
Auch hier ist der Staat wiederum im Spiel: Durch seine Besteuerung der Motorfahrzeuge
nach Hubraum trägt er nicht unwesentliche Schuld an Lärm und Luftverseuchung. Kleiner
Hubraum bei großer Tourenzahl erzeugt nun einmal Krach – dagegen kann auch die
heutige Technik nicht viel tun.463

Auch wenn die Hubraumbesteuerung sicherlich nur als eine zweitrangige „Lärmquel-
le“ anzusehen war, zeigt das Beispiel doch, dass sich Lärmschutz eben nicht so einfach in
den Griff bekommen ließ, wie es etwa bei der Lärmdrosselung der Baumaschinen der Fall
war. Durch einen simplen „Schallschutzmantel“ ließen sich zwar lärmende Kompresso-
ren etwas dämpfen, die Lärmemission des Flugverkehrs hingegen nicht – zumal mit der
Überschall-Technologie der „Überschallknall“ als zusätzliches Lärmphänomen zum oh-
nehin schon störenden Fluglärm hinzukam.464 Darüber hinaus konnte der Gesetzgeber
nicht klar regeln, was „Lärmschutz“ wirklich sein sollte; sollte nur das technisch Machba-
re vorgeschrieben werden? Gab es eine Form von Lärm, die keineswegs zu dulden war,

462
Feldhaus, Baulärm-Schutzgesetz, S. 31.
463
Klaus Roemer, Zuviel für den Straßenbau. Probleme der Volksgesundheit V, in: Die politische Meinung
69/1962, S. 52-58, S. 57.
464
Ein besonderes Problem stellten die Bundeswehrflugzeuge dar. Das Verteidigungsministerium beteilig-
te sich aber an Lärmschutzmaßnahmen. So wurde ein Flugverbot an Wochenenden und Feiertagen
ausgesprochen, Mindestflughöhen sollten strenger eingehalten werden, und an Triebwerken und
Bremsläufen sollten „Schalldämpfer“ eingesetzt werden. Bulletin der Bundesregierung, 9/1965, S. 66.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 119

auch wenn wirtschaftliche Interessen dahinter standen? Und: Welchen subjektiven Ein-
druck von „störend“ und „weniger störend“ hatte die Bevölkerung? Darauf hatte die Ge-
setzgebung keine praktikable Antwort gefunden – gerade beim Problem des Überschall-
flugverkehrs wurde das deutlich:

Ad absurdum geführt wird jedoch die Methode der alleinigen Begrenzung der Emissionen
nach dem Stand der Technik, wenn man sich den Lärmteppich vorstellt, der bei dem
künftigen Überschallverkehr zu erwarten ist. Dieser Knallteppich ist technisch unvermeidbar;
auf der Einwirkungsseite gibt es keinen Schutz. Muß er gleichwohl hingenommen werden,
auch wenn zu erwarten ist, dass es hier nicht nur um sogenannte Belästigungen, sondern
um wirkliche Gefahren und Schäden geht? Ich [Ministerialdirektor Goßrau, d.Verf.] halte
eine Vorschrift für verfehlt, die – dafür gibt es mehrere Beispiele – die grundsätzliche Pflicht,
Lärmschutz zu betreiben, so beschreibt, dass der Stand der Technik und die Natur der
Anlage die absolute Grenze dieser Pflicht aufzeigt.465

Dieses Versagen der Vorschrift, den „Stand der Technik“ einzuhalten, gab Elisabeth
Schwarzhaupt denn auch prompt zu: „Bei Luftfahrzeugen“, so ihre lapidare Feststellung
vor den internationalen Lärmschutzexperten des Baden-Badener Kongresses, „sind den
technischen Möglichkeiten, die Geräusche zu vermindern, enge Grenzen gesetzt.“466
Trotz dieser technischen Beschränkungen legte das Ministerium aber nicht die Hände in
den Schoß und erließ 1964 trotzdem eine Luftverkehrs-Zulassungsordnung, nach der „ein
Flugzeug nur dann zum Verkehr zugelassen wird, wenn es entsprechend dem jeweiligen
Stand der Technik lärmgedämpft ist.“467 Diese Verordnung galt natürlich nur für „Luft-
fahrzeuge“, die in der Bundesrepublik zugelassen wurden – gegen den Fluglärm, den
international zugelassene Flugzeuge erzeugten, war die deutsche Bürokratie machtlos.
Und mit einem wenig hilfreichen Hinweis auf den „Stand der Technik“ war weder den
Behörden, noch den Herstellern, noch den Anwohnern wirklich geholfen. Das sah auch
Ministerialrat Goßrau so:

Eine Vorschrift, die auf den „Stand der Technik“ abstellt, ist in der Hand eines
Unternehmers, Herstellers oder Betreibers von Maschinen ebenso wertlos wie in der Hand
einer Vollzugsbehörde, wenn sie nicht zugleich den Stand der Technik erläutert und
hinreichend genau festlegt. Dazu eignet sich in erster Linie die Methode der Festsetzung
von Emissionswerten, die wiederum ein bestimmtes Messverfahren voraussetzt. Hat man
solche Werte, so bedarf es eigentlich einer Norm, die Pflichten für den Unternehmer und
Betreiber begründet und dabei den „Stand der Technik“ zum Maßstab nimmt, überhaupt
nicht mehr. Wenn ein Gesetz die Emissionen begrenzt, so sollte dies allein durch die
Festsetzung von Werten geschehen. Die Festlegung des Standes der Technik beruht ja
nicht auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Es besteht ein Ermessungsspielraum, bei
dem auch – in gewissem Umfang – wirtschaftliche Überlegungen zulässig sind.468

Die Lösung des Lärmproblems im Flugverkehr sah die Ministerin deshalb nicht so
sehr in der Emissionsbegrenzung am Flugzeug selbst, sondern in Lärmschutzmaß-
nahmen am Flughafen beispielsweise – also auf der Immissionsseite. Der Entwurf eines

465
Goßrau, Lärmprobleme, S. 19.
466
Schwarzhaupt, Ansprache Lärmbekämpfungskongress, S. 9.
467
Entwurf des jährlichen Gesundheitsberichtes des BMGes an die WHO, ohne Datum (wohl Januar
1966).
468
Goßrau, Lärmprobleme, S. 17f.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 120

Fluglärmgesetzes sollte dazu so genannte „Lärmzonen“ in Flughafennähe festlegen; ei-


nerseits sollten damit die umliegenden Kommunen, die den Flughäfen immer mehr zu-
wuchsen, von unkontrolliertem Fluglärm geschützt werden, indem die Flugrouten klarer
und kleinteiliger definiert wurden. Andererseits wurde mit der Ausweisung dieser Lärm-
zonen den Anrainergemeinden ein raumplanerischer Anhaltspunkt gegeben, in welche
Richtungen sie ihre Kommune sinnvollerweise erweitern konnten und in welche eben
nicht.469 Eine permanente Lärmmessung war obligatorisch, die internationale Organisa-
tion für Standardisierung (ISO), die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC)
sowie der Normenausschuss des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) berieten dabei die
Bundesregierung bezüglich der Grenzwerte.470 Als Maß für die Lärmbeeinträchtigung
setzte die Bundesregierung auf das weltweit gültige logarithmische Lautstärkemaß Dezi-
bel.

Für die Verwaltungspraxis kommt nur ein einfach feststellbares, reproduzierbares Inten-
sitätsmaß in Frage. Glücklicherweise hat man sich gerade zu diesem Zeitpunkt international
auf die bevorzugte Verwendung des sogenannten A-bewerteten Schallpegels geeinigt, der
in Dezibel ausgedrückt wird. Das Meßgerät dafür ist der Präzisionsschallpegelmesser. [...]
Es mag sein, daß die höhere Wissenschaft die Information, die in dem Spektrum gegeben
ist, in einem weitergehenden Maße auswerten kann. Für die Verwaltungspraxis ist der A-
bewertete Schallpegel in Dezibel als Intensitätsmaß ausreichend.471

Natürlich war auch der damaligen Bürokratie durchaus bewusst, dass nicht allein die
in Dezibel messbare Schallintensität alleiniger Gradmesser dafür sein konnte, ob sich
einzelne Flughafenanrainer von Lärmquellen – die in diesem Fall vom Flugverkehr her-
rührten – tatsächlich nur leicht gestört oder bereits schwer beeinträchtigt fühlten. Die
Dosis macht’s, so Walter Willms.472 Da diese Energiedosis bei Dauerbelastung zu einem
„Zuviel“ führen konnte, obwohl die einzelnen Schallereignisse für sich genommen kaum
als störend empfunden wurden, war ein Schallschutz bei Flugzeugen nur die zweitbeste
Lösung – wenn Fluglärm einmal als störend empfunden wurde, brachten auch die besten
Schallschutzmaßnahmen nichts.473 Sinnvoller, weil nachhaltiger lärmschonend, erschien
der Ministerin daher ein Konzept, das aktuell in der Diskussion um die Erweiterung des
Frankfurter Flughafens ebenfalls eine Rolle spielt: die Verlagerung von Flugverkehr in
die Peripherie:

Für die Bundesrepublik wäre es außerdem notwendig, besonders lärmverursachende


Flugzeuge, Düsenflugzeuge, Überschallflugzeuge, nur an wenigen Flughäfen an- und
abfliegen zu lassen, die fern von Wohnsiedlungen einzurichten wären. Ein Zubringerverkehr

469
Kabinettsvorlage Schwarzhaupts vom 15. Februar 1965, BA Koblenz, N1177/18, S. 11.
470
Willms, Begutachtung, S. 21f.
471
Ebd., S. 23. Die Abkürzung dieser Maßeinheit lautet db(A).
472
Ebd.
473
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umwelt und Gesundheit. Risiken richtig einschätzen
(Kurzfassung), S. 1-42, S. 37, Onlineressource unter http://www.umweltrat.de/song99kf.zip vom
20.02.2003, hierzu: „Die Untersuchungen zur erhöhten Ausscheidung von Streßhormonen bei Belas-
tung mit Fluglärm zeigen, daß bei Pegelbereichen, die bisher ‚nur’ als belästigend eingestuft werden,
physiologische Reaktionen ablaufen, die ihrer Natur nach langfristig als gesundheitsschädlich anzuse-
hen sind.“
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 121

mit weniger lärmverursachenden Flugzeugen könnte von den größeren Wohnsiedlungsge-


474
bieten ausgehen.

Dieser Vorschlag erscheint auf den ersten Blick zwar einigermaßen vernünftig, war
aber angesichts der Gegebenheiten der 1960er Jahre unrealistisch: die wichtigsten euro-
päischen Flughäfen wurden in relativer Nähe zu Großstädten errichtet, Deutschlands
größter Flughafen sogar mitten in den städtischen Verdichtungsraum Frankfurt hinein.
Zudem hätten diese weit entfernten Flughäfen erst neu gebaut werden müssen – und die
Vorschriften, die die Luftverkehrs-Zulassungsverordnung in diesen Fällen vorsah und die
Elisabeth Schwarzhaupt auch der Weltgesundheitsbehörde mitteilte, blieben doch sehr
dürftig:

Auch für die Anlegung neuer Flughäfen enthält die Verordnung besondere Lärmschutz-
vorschriften. So muß dem Antrag auf Genehmigung eines Flughafens ein technisches
Sachverständigengutachten über das zu erwartende Ausmaß des Lärms in der Umgebung
des Flughafens sowie ein medizinisches Gutachten über die Auswirkungen des Lärms auf
die Bevölkerung beigefügt werden.475

Wie schon bei Hintzes Interpretation der Luftverschmutzung muss auch hier gesagt
werden: dass vor dem Neubau eines Flughafens ein Gutachten eingeholt werden muss,
dass natürlich auch die Lärmbelastung dieser Maßnahme in den Blick nimmt, ist nachge-
rade banal. Ein stringentes, nachhaltiges Konzept gegen den Fluglärm konnte das Ge-
sundheitsministerium also nicht aufweisen. Und so blieb als wirksamste Maßnahme nur
ein einfacher aeronautischer Trick, der auf Veranlassung des BMGes in die Neufassung
der Luftverkehrsordnung aufgenommen wurde: die Mindestflughöhe. Von ihrer Neufest-
setzung versprach sich das Schwarzhaupt-Ressort eine wirkliche und schnelle „Herabset-
zung des Fluglärms“. 476
So wenig durchschlagend die Lärmschutzideen des Ministeriums sein konnten – die
raumplanerische Vorstellung einer dezentrale Verlagerung von Verkehr, um die Ver-
kehrsströme effizient zu entzerren, erschien Anfang der 1960er Jahre als adäquates städ-
tebauliches Mittel, um nicht nur den Lärm, sondern auch andere Umweltbelastungen
durch bessere Verteilung geringer werden zu lassen. „Nur diejenigen Maßnahmen kön-
nen wirklich Abhilfe schaffen“, meinte Klaus Roemer im Frühjahr 1962, „die sich sowohl
mit der Verstopfung auf der Straße als auch mit den Fragen der Volksgesundheit, der
Sanierung und der Erhaltung unserer Städte als Kultur- und Lebensraum beschäfti-
gen.“477 Und der SPD-Abgeordnete Harri Bading zitierte in der Bundestagsaussprache
zum Baulärm-Schutzgesetz gar den Nobelpreisträger Robert Koch mit den Worten: „’Die
Menschheit wird einmal den Lärm ebenso bekämpfen müssen, wie wir die Cholera be-
kämpfen.’ Ich glaube, diese Prophezeiung ist tatsächlich richtig gewesen.“ 478

474
Schwarzhaupt, Gesundheitspolitik in Bund – Land – Großstadt, ACDP 01-048-016/2, S. 3.
475
Bericht des BMGes an die WHO, Januar 1966, BA Koblenz, B142/3313.
476
Siehe Stellungnahmen zu den Fragen von euromed im Schreiben von 19. November 1965, BA Kob-
lenz, B142/3614, S. 5.
477
Klaus Roemer, Zuviel für den Straßenbau, S. 52.
478
Aussprache auf der Bundestagssitzung vom 19.3.1965, Bundestagsprotokolle IV/174, S. 8.711. Harri
Bading (1901-1981) saß von 1957 bis 1969 für die hessische SPD im Bundestag.
5 Deutschlands erste „Umweltministerin“ 122

Ein ähnlich schlimmes medizinisches Übel wie die Cholera war ein menschengemach-
tes: Der Contergan-Fall, der – nach offiziellen Zahlen – 3.049 Kindern alleine in der
Bundesrepublik schwerste Missbildungen an den Gliedmaßen zufügte.479 So durchset-
zungsfähig Elisabeth Schwarzhaupt im Umweltbereich war und klare Prinzipien verfolg-
te, so überfordert erschien sie mit dieser Situation, die praktisch mit ihrer Amtsübergabe
auf sie zukam.

479
Vgl. Kirk, Contergan-Fall, S. 46. Das Ministerium konnte lange Zeit keine exakten Daten vorlegen.
6 Der Contergan-Skandal

Ich sprach mit Eltern, die mir die Bilder ihrer verstümmelten Kinder
brachten. In Heidelberg-Schleirbach, im Anna-Stift in Hannover, in der
Universitätsklinik in Münster und im Freidrichsheim iN Frankfurt sprach
ich mit den Ärzte und sah die Kinder, manchmal auch ihre Eltern. Ich
konnte oft mit dem Anblick dieser Kinder ohne Arme, ohne Beine oder
mit kleinen Stümpfen kaum fertig werden.480
Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

Pharma-Manager hielten es für „unschädlich wie Zuckerplätzchen“ und priesen es als


„Schlafmittel des Jahrhunderts“481 – Contergan. Dass dieses rezeptfrei verkaufte Schlaf-
und Beruhigungsmittel482 den Tod respektive die Missbildung vieler Neugeborener her-
vorrief, wurde im November 1961 praktisch zeitgleich mit der Einrichtung des neuen
Gesundheitsressorts unter Elisabeth Schwarzhaupt bekannt. Die erste Frau am Bonner
Kabinettstisch hatte damit bereits in der ersten Woche ihres offiziellen Dienstbeginns
den ersten bundesdeutschen Arzneimittelskandal zu verwalten, der rückblickend gar zum
größten pharmazeutischen Unglücksfall der Bundesrepublik wurde: die „Contergan-
Katastrophe“483. In diesem Fall nahm Elisabeth Schwarzhaupt keine souveräne Rolle ein,
sie leitete aber eine Verbraucherschutzgesetzgebung ein, die nicht nur fragwürdige und
schädliche Arzneimittel verbieten sollte, sondern darüber hinaus auch mehr Transparenz
in die Werbung für solche Arzneimittel bringen sollte.

480
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 270.
481
Siehe Spiegel Nr. 34/1961, S. 59.
482
Das Schlaf- und Beruhigungsmittel der Stolberger Fa. Chemie Grünenthal kam als Tablette mit dem
Wirkstoff Thalidomid (N-Phthalylglutaminsäureimid) auf den Markt und wurde in zwei Varianten ange-
boten: Contergan enthielt 25 mg Thalidomid, Contergan forte 100 mg des Stoffes.
483
So ein zeitgenössischer Begriff. Vgl. hierzu: Kirk, Contergan-Fall, S. 9.
6 Der Contergan-Skandal 124

6.1 Der Arzneimittelskandal

Am 14. November 1961 wurde das Ministerium gegründet, und ich trat
meinen Dienst an. Am 18. November, also vier Tage danach, gab
Professor Lenz das Ergebnis seiner Untersuchungen bekannt. So hat
uns die furchtbar schwere Last der Verantwortung für dieses ganze
Problem, der Gedanke an den Schmerz und die furchtbaren Sorgen
der Eltern begleitet, seit wir unsere Arbeit im Ministerium
aufgenommen haben.484
Elisabeth Schwarzhaupt (1962)

Am 19. November 1961 – nicht vier Tage, wie in Elisabeth Schwarzhaupts Erinnerung,
sondern fünf Tage nach ihrer Vereidigung – fand in Düsseldorf eine Tagung der Rhei-
nisch-Westfälischen Kinderarztvereinigung statt, auf der der Hamburger Kinderarzt und
Dozent für Humangenetik, Widukind Lenz, in einem Diskussionsbeitrag den Contergan-
Skandal ins Rollen brachte. Er vermutete als erster deutscher Arzt einen Zusammenhang
zwischen der Einnahme des Schlafmittels Contergan in der frühen Phase einer Schwan-
gerschaft und der Missbildung des Fötus.485 Obwohl seine Vermutung, dass der Conter-
gan-Wirkstoff Thalidomid die Missbildungen hervorrief, zu diesem Zeitpunkt wissen-
schaftlich noch nicht gesichert war, schien sie ihm plausibel zu sein:

Ein ätiologischer Zusammenhang zwischen der Aufnahme der Substanz und den
Missbildungen ist durch nichts bewiesen. Vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus wäre
es daher verfrüht, darüber zu sprechen. Ein Zusammenhang ist aber denkbar. Als Mensch
und Staatsbürger kann ich es daher nicht verantworten, meine Beobachtungen zu
verschweigen.486

Zudem drängte die Zeit – jeder Tag, an dem die Öffentlichkeit nicht von der Gefähr-
lichkeit Thalidomids erfuhr, konnte weitere Missbildungen an Neugeborenen nach sich
ziehen: „Jeder Monat Verzögerung in der Aufklärung bedeutet die Geburt von vielleicht
50 bis 100 entsetzlich verstümmelten Kindern.“ Die einzige praktikable Lösung stand für
den Mediziner außer Frage und war „die sofortige Zurückziehung des Mittels [...], bis
seine Unschädlichkeit sicher nachgewiesen sei.“487 Bis zu diesem Zeitpunkt galt Conter-
gan beziehungsweise die Contergan-Wirksubstanz Phthalylglutaminsäureimid488 als „so
ungiftig, daß sie selbst Säuglingen und Kleinkindern bedenkenlos verabreicht werden

484
Bundestagsprotokolle IV/44 vom 26.10.1962, S. 1.930. In Wahrheit war es der 19. November, also fünf
Tage später, als Widukind Lenz seine Erkenntnisse auf der Düsseldorfer Tagung der Rheinisch-
Westfälischen Kinderärztevereinigung in einem Diskussionsbeitrag öffentlich machte.
485
Unabhängig von Lenz erkannte der australische Gynäkologe William Griffith McBride bereits im Juni
1961 die fruchtschädigende Wirkung des Contergan-Wirkstoffes Thalidomid. Vgl. hierzu: Kirk, Conter-
gan-Fall, S. 148ff, sowie Cristina Moles Kaupp: Contergan – zum Wohle der Pharmaindustrie, in: Max
Christian Graeff und dies. (hg.), Was die Nation erregte. Skandalgeschichten der Bundesrepublik, Mün-
chen 1998, S. 173-177, S. 174.
486
Lenz’ Diskussionsbeitrag vom 19. November 1961 ist komplett abgedruckt bei Kirk, Contergan-Fall, S.
254f.
487
Ebd.
488
Kurzform, die ab sofort verwendet wird: Thalidomid.
6 Der Contergan-Skandal 125

kann.“489 Hinweise auf Nebenwirkungen des Schlafmittels gebe es keine, gab die Herstel-
lerfirma noch im Frühjahr 1959 in einem Rundschreiben – diesmal an die Ärzte – be-
kannt; auch bei Überdosierung und langanhaltender Medikation sei die Wirksamkeit des
Mittels nicht durch unerwünschte Nebenwirkungen beeinträchtigt. Gerade Schwangeren
legte die Herstellerfirma das bedenkenlos wirksame Schlafmittel nahe:

In der Schwangerschaft und Stillzeit ist der weibliche Organismus besonderen Belastungen
ausgesetzt. Schlaflosigkeit, innere Unruhe und Abgespanntsein sind immer wiederkehrende
Klagen. Die Verordnung eines Sedativums und Hypnoticums, das weder Mutter noch Kind
schädigt, ist daher oft erforderlich.490

Erste Hinweise darauf, dass Thalidomid eben doch Nebenwirkungen hervorrufen


könne, gab es bereits ein halbes Jahr nach Veröffentlichung dieser herstellerseitigen
„Unbedenklichkeitserklärung“. So war dem Düsseldorfer Neurologen Ralf Voss ein Zu-
sammenhang zwischen der Einnahme des Schlafmittels und signifikanten Nervenent-
zündungen bei einem seiner Patienten aufgefallen, was er dem Pharmaunternehmen
Chemie Grünenthal umgehend mitteilte. Einen Monat später fanden sich bereits bei
dreien seiner Patienten Symptome auf Nervenschädigungen durch eine längere Einnah-
me Thalidomids – und auch die Handelsvertreter der Stolberger Firma berichteten ver-
mehrt über Vermutungen einer nervenschädigenden Wirkung Thalidomids bei längerer
anhaltender Einnahme, die Ärzte und Apotheker den Firmenvertretern gegenüber äußer-
ten.491
Im Frühjahr 1960 überprüfte die Forschungsabteilung Chemie Grünenthals diese
vermuteten Nervenschädigungen im Tierversuch, doch trotz länger währender hoch do-
sierter Thalidomidgabe zeigten sich keine der vermuteten Nebenwirkungen, die Ergeb-
nisse, die an Ratten gewonnen wurden, konnten die Vermutung nicht stützen. Erst im
Januar 1961 erhielt Grünenthal einen pharmakologischen Bericht der britischen Conter-
gan-Lizenzfirma Distillers, „wonach erstmals bei Thalidomid ein DL50 im Tierversuch
ermittelt worden war.“492 Aber auch die Marburger Universitätsklinik bemerkte, dass
Contergan eben kein unbedenkliches Medikament war – leider aber viel zu spät. So
schrieb ein Mitarbeiter der Orthopädischen Poliklinik am 12.12.1961 an das Bundesin-
nenministerium:

Unsere Untersuchungen über die Ursachen von Missbildungen der Gliedmaßen die wir in
den letzten zwei Jahren auffallend häufig beobachteten, haben wir inzwischen zu einem
gewissen Abschluss gebracht. Unabhängig von LENZ (Hamburg) und etwa gleichzeitig
kamen wir zu dem Verdacht, dass die Missbildungswelle möglicherweise in ursächlichem
Zusammenhang mit dem Medikament Contergan steht, das bekanntlich inzwischen aus
dem Handel genommen wurde. In mindestens 10 von 15 näher untersuchten Fällen haben
die Mütter in der Frühschwangerschaft Contergan genommen. Zum Vergleich führten wir
eine Befragung von 20 Müttern durch, deren Kinder ebenfalls in den Jahren 1960/61
geboren wurden, jedoch keine Missbildungen aufweisen. Von diesen 20 Müttern hatte nur

489
Werbeschreiben der Fa. Chemie Grünenthal „an alle Apotheker“ vom 19. März 1959. Vgl. Der Spiegel
49/1962, S. 72.
490
Zitiert nach: Kirk, Contergan-Fall, S.
491
Vgl. auch Der Spiegel 34/1961, S. 59f, der weitere medizinische Gutachten aufführt.
492
Kirk, Contergan-Fall, S. 63. DL50 bedeutet, dass 50 Prozent der Versuchstiere an der gegeben Dosis
sterben.
6 Der Contergan-Skandal 126

eine außerhalb der Schwangerschaft Contergan, eine andere ebenfalls außerhalb der
493
Schwangerschaft vielleicht ein conterganhaltiges Präparat genommen.

Die Beweise, dass der Contergan-Wirkstoff Thalidomid die Föten schädigte, waren im
Spätherbst 1961 also noch dünn, aber durchaus vorhanden. Elisabeth Schwarzhaupt
nahm sie zur Kenntnis, glaubte sie letztlich wohl auch – solange die Ursache aber nicht
hundertprozentig medizinisch bewiesen war, galt für sie als gelernter Juristin aber die
Unschuldsvermutung für Medikament und Herstellerfirma. Dies führte – weiter unten
wird es zur Sprache kommen – dazu, dass Elisabeth Schwarzhaupt öffentlich noch 1965
die Schuld Contergans nicht klar beim Namen nennen wollte. Belegen lässt sich sicher
nicht, warum sie das tat, aber zu vermuten ist, dass sie während ihrer Amtszeit ganz si-
cher gehen wollte und auch eine andere potentielle Ursache, die in der Öffentlichkeit
diskutiert wurde, nicht völlig ausschließen konnte: die erhöhte Umweltradioaktivität, die
durch die, verstärkt Ende der 1950er Jahre weltweit durchgeführten Atombombentest
nachweisbar gestiegen war. Da dieser Aspekt bei Beate Kirk nicht auftaucht, soll er hier
ganz kurz angerissen werden.

6.1.1 Erste Vermutung: Radioaktivität als Ursache


Die Zunahme der Geburten körpergeschädigter Kinder wurde von den allermeisten
Zeitgenossen auf radioaktive Belastungen durch die vermehrten Kernwaffenversuche der
späten Fünfziger Jahre zurückgeführt. In der Abteilung für Gesundheitswesen des Bun-
desinnenministeriums stapelten sich regelrecht die wissenschaftlichen Expertisen einer-
und blanke Vermutungen über die Zunahme der fötalen Missbildungen andererseits, die
oftmals bis ins medizinisch Abstruse reichten.494
Geschürt wurden die Vermutungen durch die amerikanische Atomenergiekommis-
sion, die – „in aller Stille“, aber von der Nachrichtenagentur UPI aufgedeckt – Ende Mai
1959 eine Untersuchung einleitete, „um festzustellen, ob die relativ hohe natürliche Ra-
dioaktivität im Gebiet der Rocky Mountains zu einem höheren Prozentsatz an Geburts-
fehlern führt als in anderen Teilen der Vereinigten Staaten“, wie die FAZ am 27. Mai 1959
formulierte. In den Rocky Mountains, so berichtet die Zeitung weiter, sei die Radioaktivi-
tät um 20 bis 50 Prozent höher als im amerikanischen Durchschnitt, und gegenüber der
amerikanischen Ostküste sei die gemessene Radioaktivität der Kordilleren sogar um das
zweieinhalbfache höher. Der Leiter des Gesundheitsamtes Syracuse, Dr. John Gentry,

493
Brief Dr. Wegerles auf Briefkopf des Leiters der Orthopädischen Poliklinik und Abteilung bei der Chirur-
gischen Universitätsklinik Marburg, Prof. Dr. med. Exner, vom 12.12.1961, BA Koblenz, B142/2827
(43.700). Hervorhebung im Original.
494
Ein ganzer Aktenordner spiegelt die damalige Diskussion: BA B143/474. Kurzfristige Berühmtheit er-
langt der Bayreuther Kinderarzt Dr. Karl Beck, der 1958 nicht nur die Atombombenexplosionen der
vergangenen Jahre für die von ihm festgestellte Verdreifachung der Geburt mißgestalteter Kinder ge-
genüber 1950 in Oberfranken verantwortlich machte, sondern seine medizinische Glaubwürdigkeit
durch die Installation sogenannter „Phylaxapparate“ in seiner Bayreuther Kinderklinik beschädigte. Die
Deutsche Gesellschaft Schutz vor Aberglauben warf Beck im Bundesgesundheitsblatt Nr. 6 vom 24.
März 1961 vor, mit diesen offensichtlich wirkungslosen Apparaten seine Patienten vor „gesundheits-
schädigenden Erdstrahlen“ schützen zu wollen.
6 Der Contergan-Skandal 127

glaubte, einen Zusammenhang zwischen dem Urangehalt des Bodens und dem Ausmaß
von Geburtsfehlern festgestellt zu haben.495
Ein Nachweis, dass die gestiegene Radioaktivität in Atmosphäre und Boden tatsäch-
lich die Missbildungen an den Ungeborenen hervorrufen konnte, wollte der Wissenschaft
allerdings nicht gelingen. Und so zeigte sich auch die Bundesregierung in der Beantwor-
tung einer entsprechenden FDP-Anfrage496 ziemlich ratlos:

Es ist bekannt, dass im Laufe des Lebens erhaltene Strahlenmengen addiert werden und
dass Schädigungen des Erbgutes durch Röntgenstrahlen bei Tieren zu beobachten sind.
Radioaktive Strahlen können auch eine unter den vielen Ursachen für die Entstehung von
Mißbildungen sein. [...]
Die im Bundesgebiet messbar einwirkende Radioaktivität erreicht nach den heutigen
Kenntnissen der Wissenschaft auch nicht entfernt eine Dosis, die Fruchtschäden
verursachen könnte.497

Die Erklärungsnot führte soweit, dass Oberregierungs-Medizinalrat Zoller sogar zur


Aufzählung von unverdächtigen „Allerweltsfaktoren“ griff, die allerdings kaum ernsthaft
die sprunghafte Zunahme der Missbildungen zu erklären und noch viel weniger zu verur-
sachen vermochten, etwa: „während der Schwangerschaft durchgemachte Infektions-
krankheiten, mangelnde Ernährung und Vitaminmangel, chemische Schäden, Genussgif-
te aller Art (besonders Alkoholismus), Schwangerschaftsverhütungsmittel, aber auch
seelische Belastungen.“498 Der Experte wusste sich keinen Reim auf die erhöhten Miss-
bildungsphänomene zu machen und hielt die Häufung der Missbildungen an Föten für
ein biologisch-stochastisches Phänomen, dass immer wieder und wohl zufällig zu leich-
ten bis mittleren statistischen Schwankungen neige:

Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts scheint die in Entbindungsanstalten registrierte
prozentuale Mißbildungshäufigkeit in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern
zugenommen zu haben. In Paris wurde für die Jahre 1830 bis 1833 unter der
Gesamtgeburtenzahl ein Anteil von 0,033 v.H. Mißgeburten gezählt. Nach den Unterlagen
der Frauenkliniken in Bonn, Celle und Göttingen lag die Mißbildungshäufigkeit von 1900 bei
0,3 v.H. [...] Einer der höchsten bekannt gewordenen Werte von 3,03 v.H. wurde für die
Jahre 1938 bis 1941 in Berlin ermittelt. [...] Solche und ähnliche Abweichungen, die sich
auch bei großen Untersuchungsgruppen bemerkbar machen und also nicht auf den „Fehler
der kleinen Zahl“ zurückgeführt werden können, veranlassen Statistiker und Kliniker, mit
einer Deutung der vorliegenden Ergebnisse eher vorsichtig zu sein.499

Diese Antwort setzte die Bundesregierung natürlich dem Verdacht aus, die vermeint-
lich wahren Ursachen des signifikanten Ansteigens der fötalen Missbildungen, die seit
495
In der UPI-Meldung, die die FAZ in ihrer Ausgabe vom 27. Mai 1959 druckte, heißt es, dass Gentry
ähnliche Untersuchungen, wie sie die Atomenergiekommission jetzt einleitete, bereits im Staate New
York unternommen habe und seine Ergebnisse bereits in einem Sonderausschuss des amerikanischen
Kongresses zur Sprachen gekommen seien.
496
Antrag der FDP-Fraktion, Bundestags-Drucksache 386.
497
BA Koblenz, B142/474: Antwort der Bundesregierung....
498
BA Koblenz, B142/474. Die Frankfurter Firma „Patentex“, die chemische Verhütungsmittel herstellte,
protestierte in einem Brief an das Ministerium natürlich gegen diese Einschätzung, für die Missbildun-
gen verantwortlich gemacht zu werden. Ebd.
499
Bericht über die Häufigkeit und die Ursachen von Mißgeburten in der Bundesrepublik Deutschland seit
1950, Bundestags-Drucksache III/386.
6 Der Contergan-Skandal 128

1959 ja evident waren, hinter stochastischen Unwägbarkeiten zu verstecken und auf ein
mathematisch-statistisches Phänomen reduzieren zu wollen. An dieser wenig souveränen
Erklärung, die die Unterschrift des damals noch zuständigen Innenressortchefs Gerhard
Schröder (CDU) trug, klebte zudem ein statistischer Makel: die Datenbasis, mit der der
Berichterstatter den stochastischen Ausnahmefall zu erklären versuchte, endete just in
dem Jahr, in dem die Häufung der Missbildungen gerade erst begann. Dass Zeitgenossen
diesen politischen Trick für eine schlichte Ohnmachtserklärung der Bundesregierung
halten mussten und daher die vermehrte Strahlenbelastung seit Ende des Zweiten Welt-
krieges nach wie vor für die wahre Ursache der Missbildungen hielten, scheint aus heuti-
ger Sicht nur verständlich. Daran änderte auch ein von der Bundesregierung lancierter
Artikel in der medizinischen Fachzeitschrift „Ärztliche Mitteilungen“ vom 25. April 1959
nichts. Unter dem Titel „Mißgeburten und Mißbildungen. Die Entwicklung in der Bun-
desrepublik seit 1950 – Noch kein abschließendes Urteil über den Einfluß radioaktiver
Strahlen“ wurde eben dieser Zusammenhang den Ärzten als fachliche Information darge-
stellt.500 Er war als PR-Aktion der Bundesregierung aber von Experten schnell durch-
schaubar: „Offensichtlich wurde dieser Aufsatz in erster Linie veröffentlicht“, so vermute-
te der Leiter des Pathologischen Instituts der Universität Freiburg, Prof. F. Büchner, „um
unberechtigten Gerüchten über mögliche Schädigungen an Embryonen sowie des Erb-
guts in der Bundesrepublik durch radioaktive Strahlungen entgegenzutreten.“501
Warum ist diese Vorgeschichte des Contergan-Falles, bei der nach Ursachen für die
Missbildungen gesucht wurde, ohne die wahre Ursache zu kennen, so wichtig für die Be-
trachtung Schwarzhauptscher Gesundheitspolitik? Die Radioaktivität der Umwelt war ja,
wie sich zeitlich später zeigen sollte, nicht, zumindest nicht signifikant und ursächlich,
für die Missbildungen, die „Contergan“ hervorrief, verantwortlich zu machen gewesen.
Sie passt also thematisch eigentlich nicht in diese Arbeit. Und doch ist sie meines Erach-
tens wichtig für die Erklärung des zaudernden Verhaltens Elisabeth Schwarzhaupts im
Nachgang des Contergan-Falles. So mysteriös die extreme Zunahme der Geburten miss-
gestalteter Kinder begann, und so sicher sie wieder verschwand, als alle thalidomidhalti-
gen Präparate wieder vom Markt genommen wurden,502 so wenig konnte sich Elisabeth
Schwarzhaupt wirklich dazu durchringen, die Ursache unzweifelhaft in dem Medikament
zu suchen. Sie legte sich, wie im folgenden gezeigt werden soll, niemals vollständig auf
die offensichtliche Ursache fest. Und alleine schon dieses unnötige „Lavieren“ – wo je-
dermann doch der Zusammenhang zwischen der Contergan-Einnahme einer- und der
Geburt körpergeschädigter Kinder andererseits klar vor Augen stand – führte zur Kritik
an ihrem Verhalten im Contergan-Fall.

500
Ärztliche Mitteilungen 17/1959, S. 550ff.
501
Brief Büchners an das Staatssekretariat des Bundeskanzleramtes vom 2.6.1959, BA Koblenz,
B142/2827.
502
Acht Monate nach dem Verbot Contergans gingen die Geburten merklich zurück.
6 Der Contergan-Skandal 129

6.1.2 Das schlechte Management des Contergan-


Falles
Elisabeth Schwarzhaupt wurde immer wieder der Vorwurf gemacht, die Contergan-
Katastrophe schlecht „gemanaged“ zu haben. Fehlende Geldmittel, fehlende Zuständig-
keit und schlechte Öffentlichkeitsarbeit des Gesundheitsministeriums trugen zum Ent-
stehen dieses Vorwurfs bei. Ihr persönliches Verhalten im Contergan-Fall war allerdings
auch nicht allzu untadelig. Sie war als vor wenigen Tagen erst frisch ernannte Gesund-
heitsministerin, die zuvor selbst wenig Affinität zu Pharmafirmen und Ärztelobbys zeigte,
politisch von dem Arzneimittelskandal völlig unbelastet. Sie musste also nicht befürch-
ten, durch offensive Aufklärung des Skandals und ebenso offensive Aufklärung der Be-
völkerung über den Skandal selbst politisch Schaden zu nehmen. Sie wäre dadurch die
ideale Person innerhalb der Bundesregierung gewesen, um in dieser prekären Situation
einerseits klar die Schuldigen zu benennen und andererseits den betroffenen Familien
sowie momentan schwangeren Frauen, die ein bereits contergangeschädigtes Kind aus-
trugen, eine Perspektive aufzuzeigen. Elisabeth Schwarzhaupt nutzte diese Chance aber
nicht, verspielte sie sogar. Ihr Auftritt am 7. Dezember 1961 im Bundestag, bei der es um
die Frage ging, was denn die Bundesregierung in Sachen Contergan zu tun gedenke, ist
ein erster Beleg dafür.
Bereits eine Woche zuvor, am 1. Dezember, hatte der CDU-Abgeordnete Lambert
Huys diese Frage schriftlich an die Bundesregierung gestellt.503 Die neue Gesundheitsmi-
nisterin hatte also mehrere Tage Zeit, um sich eine klärende Antwort und damit ein stra-
tegisches Kommunikationskonzept für die nächsten Monate zu überlegen – das war oh-
nehin das einzige, was das noch etatlose Ministerium tun konnte. Die Antwort indes war
enttäuschend nichtssagend: Erstens sei das Ministerium nicht zuständig („Die Überwa-
chung des Verkehrs mit Arzneimitteln ist Sache der Länder“), zweitens habe die Herstel-
lerfirma am 27. November alle thalidomidhaltigen Arzneimittel „aus dem Verkehr gezo-
gen“ und damit sei der Vorgang qausi „erledigt“, und drittens sei der Zusammenhang
zwischen Thalidomideinnahme einer- und einer fruchtschädigenden Wirkung anderer-
seits noch nicht erwiesen – „entsprechende Untersuchungen sind von Länderseite einge-
leitet“.504
Formaljuristisch war diese Antwort korrekt, die Unionsfraktion spendete auch pflicht-
schuldigst Beifall, psychologisch hingegen nährte sie den Verdacht, die frischgebackene
Ministerin wolle sich vor einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Contergan-Fall drü-
cken, sich hinter den Bundesländern und deren Krisenmanagement verstecken. Was die
Bundesregierung zu tun gedenke, lautete die Frage. Alles, was Elisabeth Schwarzhaupt
dazu sagte, war ein unbefriedigendes „die Bundesregierung bleibt [...] mit den Ländern
in enger Fühlung.“505 Damit war weder den Eltern noch den Kindern noch den Schwan-
geren geholfen. Elisabeth Schwarzhaupt, die sonst so viel Verständnis für die Notlage

503
Bundestagsdrucksache IV/45. Dr. Lambert Huys (1908-1992) saß als Direktkandidat für die nieder-
sächsische CDU von 1957 bis 1972 im Bundestag.
504
Ebd.
505
Auch auf die drei Zusatzfragen der Abgeordneten Blohm und Memmel (beide CDU/CSU) sowie Be-
chert (SPD) gab die Ministerin nur unzureichende Antworten. Vgl. Bundestagsprotokolle, 4. Bundestag,
7. Sitzung, S. 139.
6 Der Contergan-Skandal 130

gerade von Frauen und Familien hatte, versagte den Betroffenen hier ihren Trost.506 Und
Trost, also Zuwendung und Aufmerksamkeit der Ministerin war wichtig. Viele Betroffene
schrieben der Ministerin – doch sie wollten den Zusammenhang zwischen Schlafmittel
und Körperschädigung nicht wirklich wahrhaben. So brachte sie zwar ihre tiefe Betrof-
fenheit zum Ausdruck, als sie am 12. April 1962 im Bundestag dem Abgeordneten Mom-
mer antwortete: „Ich bekomme zahlreiche Briefe von Geschädigten, und jeder dieser
Briefe ist ein erschütterndes Dokument.“ Aber schon der nächste Satz machte ihre wenig
aufklärerische Haltung deutlich: „Keiner der Briefe enthält den Nachweis des Kausalzu-
sammenhangs. Nach meiner Kenntnis der Dinge ist es wirklich sehr kompliziert, festzu-
stellen, ob noch andere Komponenten mitwirken müssen, damit diese Wirkung des Con-
tergan entsteht, oder ob überhaupt ein Zusammenhang besteht.“507 Und Kritik an ihrem
Verhalten bügelte die Ministerin einige Monate später mit einem Hinweis auf die Verfas-
sungslage ab:

Die Diskussion in der Öffentlichkeit wird nun dadurch gekennzeichnet, dass sie die im
Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten verkennt und fast ausnahmslos vom Bund und
vor allem vom Bundesgesundheitsministerium Hilfe verlangt. Die von den zuständigen
Behörden der Länder zum Teil schon seit Jahren den Kindern, die mit fehlgebildeten
Gliedmaßen geboren werden, gewährte Hilfe ist kaum beachtet worden, vielleicht weil die
Zuständigkeiten nach dem Grundgesetz selbst in manchen Redaktionen nicht genau
bekannt sind, vielleicht weil es leichter erscheint, von einer einzigen Stelle, in diesem Fall
vom Bundesgesundheitsministerium, Hilfe zu verlangen. Dabei scheint niemand bedacht zu
haben, dass er damit praktisch von mir einen Verstoß gegen die Verteilung der Zuständig-
508
keiten fordert, wie sie im Grundgesetz und in Bundesgesetzen geordnet sind.

Die Verteidigungsstrategie Schwarzhaupts war konfrontativ: Die Kritiker seien igno-


rant gegenüber der Rechtslage, mithin inkompetent, und würden von ihr einen Verfas-
sungsbruch fordern, wenn sie in der Hilfe für die contergangeschädigten Kinder aktiv
würde. Diese Verteidigungshaltung war wenig souverän und deutete darauf hin, dass die
Ministerin sich in der Tat entweder Versäumnisse vorzuwerfen hatte, oder sich anderer-
seits zu Unrecht kritisiert fühlte, weil sich ihr Ministerium in ein rechtliches Korsett ge-
zwungen sah, aus dem es nicht auszubrechen vermochte. In ihren Lebenserinnerungen
verteidigte sie sich mit dem bekannten Hinweis auf die Verfassungslage:

Für die finanzielle Unterstützung der Eltern in dieser besonderen Lebenslage sah das
Sozialhilfegesetz großzügige Hilfen vor, über die Länder und Gemeinden entschieden. Im
Bund war das Innenministerium für die Durchführung des Sozialhilfegesetzes zuständig, für
die Zurückziehung des Arzneimittels wiederum die Länder. Die öffentliche Meinung wandte
sich aber in erster Linie an das neugegründete Gesundheitsministerium.509

Sie sei schlicht nicht zuständig gewesen, meinte Elisabeth Schwarzhaupt: „Ich konnte
nur in Fachkliniken Modellstationen fördern für die orthopädische Behandlung der Kin-

506
Hingewiesen sei auf Elisabeth Schwarzhaupts Arbeit in der Frankfurter Rechtsauskunftsstelle in den
späten 1920er Jahren, wo sie bis zu 50 alleinerziehenden Müttern, Ehefrauen von Trinkern, etc. Rat
und Trost spendete.
507
Schwarzhaupt an Mommer, Bundestagsprotokolle IV/26, S. 1.070.
508
Elisabeth Schwarzhaupt, Lehren aus dem Contergan-Fall, in: DUD Nr. 186 vom 27.9.1962, ACDP 01-
048-017/2, S. 1.
509
Elisabeth Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 269.
6 Der Contergan-Skandal 131

der und für die Entwicklung von Prothesen für sie.“ 510 Einen Etat hatte sie nicht, und
auch keine Kompetenzen: „Als ich ein Rundschreiben mit Informationen für Eltern über
die Wege, die ihnen in ihrem Elend zur Verfügung standen, veröffentlichen wollte, wider-
sprach der hessische Gesundheitsminister, weil der Bund dafür nicht zuständig wäre.“511
Das Zuständigkeitsproblem war bei direkter Hilfe mit Bundesgeldern zu berücksichti-
gen; trotzdem hätte sich Elisabeth Schwarzhaupt alleine schon rhetorisch anders verhal-
ten können, als sie sich verhalten hat. Diesen Vorwurf müsste sie gelten lassen. Wie
schwer sich Elisabeth Schwarzhaupt im Contergan-Fall mit einer klaren politischen Vor-
gabe tat, zeigt auch die Diskussion um die Reform des Arzneimittelgesetzes, die die di-
rekte Folge des Arnzeimittelskandals war.

6.2 Die Reform des


Arzneimittelgesetzes

Die bitteren Erfahrungen, die wir mit der Contergan-Angelegenheit


gemacht haben, zwingen zu einer Verschärfung der Registrierbestim-
mungen und zu einer automatischen Rezeptpflicht für Stoffe, deren
Wirksamkeit bisher nicht allgemein bekannt ist. In diesem Zusammen-
hang darf ich Ihnen mitteilen, daß auch noch eine Verordnung über die
Freiverkäuflichkeit von Arzneimitteln oder Apothekenpflichtigkeit von
Arzneimitteln vorbereitet wird.512
Elisabeth Schwarzhaupt vor dem Bundesgesundheitsrat (1963).

Der Contergan-Fall machte das erst im Sommer 1961 verabschiedete Arzneimittelge-


setz nicht völlig zu Makulatur, zeigte aber dessen Schwächen auf zynische Art und Weise:
Contergan war rezeptfrei erhältlich513, und die Sicherheit des Arzneimittels hatte die Her-
stellerfirma in eigenen Tierversuchen bestätigt gesehen. Dieses Arzneimittelgesetz von
1961, das nun einer Reform bedurfte, „führte zu einer grundlegenden Verbesserung des
Verbraucherschutzes, da es durch die Einführung einer Erlaubnispflicht für die Herstel-
lung von Arzneimitteln der Existenz von ‚Waschküchenbetrieben’ ein Ende bereitete so-
wie erstmals bundesweit gültige Bestimmungen für die Arzneimittelherstellung aufstell-
te. Die Verantwortung für die Qualität und Sicherheit des Arzneimittels lag beim
Hersteller, dem es überlassen blieb, ob und wie er das Arzneimittel pharmakologisch
prüfte“, schreibt Beate Kirk in ihrer Dissertation zum Contergan-Fall.514
Die Länder-Gesundheitsminister reagierten bereits am 20. Dezember 1961 auf dieses
gesetzgeberische Manko. Auf der Bonner „Konferenz der für das Gesundheitswesen zu-

510
Ebd., S. 269f.
511
Ebd., S. 270.
512
Schwarzhaupt, Moderne Industriegesellschaft, in: Bulletin der Bundesregierung 53/1963, S. 469-472,
S. 496.
513
Wenngleich sich die Contergan-Produzenten aufgrund der beobachteten Nervenschädigungen durch
Thalidomid im Sommer 1961 überlegten, ihr Medikament nun doch einer Rezeptpflicht zu unterwerfen.
Siehe u.a.: Der Spiegel 34/1961, S. 59.
514
Kirk, Contergan-Fall, S. 33.
6 Der Contergan-Skandal 132

ständigen Minister und Senatoren der Länder“, die vom baden-württembergischen In-
nenminister Filbinger geleitet wurde und auf der Elisabeth Schwarzhaupt ihren „An-
trittsbesuch“ leistete, fassten die Länderminister einen Entschluss, der dem Schwarz-
haupt-Ministerium die ersten gesetzgeberischen „Hausaufgaben“ im Contergan-Fall
aufgab. Einstimmig beschlossen die Länderminister folgenden Arbeitsauftrag:

Die für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder sind der
Auffassung, daß der Frage der Verschreibungspflicht von Arzneimitteln erhöhte
Aufmerksamkeit gewidmet werden muß und daß eine bundeseinheitliche Regelung der
Verschreibungspflicht dringend erforderlich ist. Sie bitten daher den Bundesminister für
Gesundheitswesen, so bald als möglich von seiner Ermächtigung nach § 35 Abs. 2 des
Arzneimittelgesetzes Gebrauch zu machen.515

Die „Hausaufgabe“ erledigte das Schwarzhaupt-Ministerium allerdings nur schlep-


pend: Im März 1962, drei Monate nach der „Bitte“ der Ländergesundheitsminister, lag
der Ministerin gerade einmal die Stellungnahme des ihr unterstellten Bundesgesund-
heitsamtes vor, sie wollte den Verordnungsentwurf aber noch im Laufe des Jahres 1962
dem Bundesrat zuleiten.516 Bei einer Fragestunde im Bundestag antwortete die Ministe-
rin auf die Frage, ob neu entwickelte Arzneistoffe zukünftig einer prinzipiellen Verschrei-
bungspflicht unterlägen „und erst dann für den allgemeinen Verkauf durch Apotheken
freigegeben werden, wenn schädliche Nebenwirkungen nicht beobachtet sind“517, folgen-
des:

Es ist nicht beabsichtigt, das Arzneimittelgesetz dahingehend zu ändern, dass neu


entwickelte Arzneistoffe beim Inverkehrbringen zunächst einmal ohne besondere Anordnung
der Verschreibungspflicht unterliegen. Bei einer solchen Regelung würden neben den stark
wirkenden auch alle die Stoffe der sofortigen Verschreibungspflicht unterworfen werden, die
ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden können. Ihre spätere Entlassung aus der
Rezeptpflicht würde einer amtlichen Feststellung ihrer Unschädlichkeit gleichkommen. Das
aber wiederum könnte in vielen Fällen erst nach einer Spanne von fünf Jahren und auch
selbst dann nicht mit absoluter Sicherheit getan werden. In dem Arzneimittelgesetz ist
vorgesehen, dass in dringenden Fällen ein Arzneimittel ohne Zustimmung des Bundesrates
und ohne Anhörung des Beirates, also sehr schnell rezeptpflichtig gemacht werden kann.
Dies scheint uns auch ausreichend zu sein, um einer Gefährdung durch einen stark
wirkenden Stoff – soweit dies auf dem Wege der Rezeptpflicht möglich ist – zu begegnen.518

Das hieß übersetzt: es wird keine generelle Rezeptpflicht für alle neuen Medikamente
geben können, weil manche Medikamente auch ohne ärztliche Indikation weiterhin ver-
kauft werden können müssen. Elisabeth Schwarzhaupts etwas krude Erklärung für diese
Pfründensicherung der Pharmaindustrie war folgende: Wenn solche „harmlosen“ Medi-
kamente aus der Rezeptpflicht entlassen würden, käme dies einer Unbedenklichkeitser-
klärung für diese Medikamente gleich. Dass dies andersherum aber ganz genauso wäre,

515
BA Koblenz, B142/3677. Protokoll des Kongresses, S. 21. Beate Kirk, Contergan-Fall, S. 157-190,
ignoriert diesen „Arbeitsauftrag“ der Ländergesundheitsminister noch vor Weihnachten 1961 an das
BMGes.
516
Antwort Elisabeth Schwarzhaupts auf eine Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Albert Leicht
(1922-1994), Bundestagsprotokolle IV/16, S. 476.
517
Frage des CDU-Bundestagsabgeordneten Albert Leicht, in: Ebd.
518
Antwort Elisabeth Schwarzhaupts, ebd.
6 Der Contergan-Skandal 133

bemerkte sie nicht: Wenn ein Medikament erst gar keiner Rezeptpflicht unterliegt, dann
stellt diese fehlende Rezeptpflicht per se ebenfalls eine „Unbedenklichkeitserklärung“ der
Behörden dar. Diesen logischen Fehler in der Schwarzhauptschen Antwort erkannte Eli-
nor Hubert (SPD) natürlich, als sie nachhakte:

Sind Sie nicht der Ansicht, dass genauso schnell, wie ein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen
in die Rezeptpflicht einbezogen werden kann – wie Sie soeben sagten –, auch unschädliche
Mittel sofort freigegeben werden könnten? Sie müssen ja sowieso angemeldet werden. Und
Sie sind nicht der Meinung, Frau Ministerin, dass dadurch solche Fälle, wie wir sie z.B. mit
dem Contergan erlebt haben, wenn auch nicht ganz ausgeschaltet, so doch sehr stark
vermindert würden, wenn diese Mittel zunächst einmal unter Kontrolle von Ärzten
ausgegeben würden?519

Diese Nachfrage erwischte Elisabeth Schwarzhaupt auf dem falschen Fuß – und sie
reagierte leicht gereizt: „Frau Hubert, es tut mir leid, aber an diesem Punkt bin ich ande-
rer Meinung als Sie. Ich glaube nicht, dass die unglückseligen Fälle, die sich an das Mittel
Contergan knüpften, verhindert worden wären, wenn das Contergan rezeptpflichtig ge-
wesen wäre; denn wir wissen, dass ein ganz großer Teil – wohl der überwiegende Teil –
der Schäden dadurch entstanden ist, dass Contergan auf Grund von Rezepten einge-
nommen worden ist“520. Eine Aussage, die Elinor Hubert so nicht stehen lassen wollte:
Zwar hätten sicher viele Patienten anfangs das Schlafmedikament verschrieben bekom-
men, hätten es sich später aber auf eigene Rechnung gekauft. Eine Rezeptpflicht von
Contergan hätte, so die implizite Meinung der SPD-Politikerin, eine derart weite
Verbreitung des Schlafmittels verhindert – und damit sicherlich auch vielen Kindern
dieses schlimme Schicksal der Körperschädigung erspart. Elisabeth Schwarzhaupt, die
im Zusammenhang mit dem Contergan-Fall meist unwirsch reagierte, antwortete auf
diese Vorhaltungen Huberts erneut genervt und einsilbig: „Ich glaube nicht, dass die
Dinge mit Rezeptpflicht sehr viel anders verlaufen wären.“521
Diese Bundestagsdebatte zeigte eine wenig souveräne Bundesgesundheitsministerin.
Auch die weiteren Fragen der Abgeordneten Karl Mommer (SPD) und Karl-Heinz Vogt
(CSU) beantwortete die – um es noch einmal zu sagen: in die Entstehung des Contergan-
Fall nicht involvierte und damit politisch unschuldige – Ministerin mit deutlichem Un-
willen.522 Hinzu kam, dass sie sich in ein „diplomatisches“ Dilemma hineinmanövriert
hatte: Sie konnte als Ministerin das Schlafmedikament öffentlich noch nicht als die einzi-
ge Ursache für die Missbildungen verantwortlich machen, solange die endgültigen Unter-
suchungsergebnisse über dessen fruchtschädigende Wirkung noch nicht offiziell vorla-
gen. Da sie diesen Vorbehalt ungeschickt wiederholte und bejahte, als der CDU-
Abgeordnete Karl-Heinz Vogt explizit noch einmal danach fragte, ob es tatsächlich noch
nicht erwiesen sei, dass die Schädigungen infolge der Einnahme von Contergan aufgetre-
ten seien, leistete sie der Kritik an ihrem zögerlichen Verhalten im Contergan-Fall durch-
aus Vorschub. Dies umso mehr, als sie sich selbst Ende Juni 1965 immer noch nicht zu

519
Frage Elinor Huberts (SPD), ebd.
520
Antwort Schwarzhaupts auf Nachfrage Huberts. Ebd.
521
Ebd.
522
Dr. Karl Mommer (1910-1990) saß von 1949 bis 1969 durchgehend für die baden-württembergische
SPD im Bundestag; Karl-Heinz Vogt (1919-1988) war in der 3,4, und 5 Wahlperiode Direktkandidat der
CSU.
6 Der Contergan-Skandal 134

einer klaren Schuldzuweisung durchringen konnte. Auf eine Frage des SPD-
Abgeordneten Konrad Porzner nach der Anzahl der contergangeschädigten Kinder, die
aktuell in der Bundesrepublik lebten, sagte sie:

Zunächst darf ich darauf hinweisen, dass ich zur Frage, ob das Contergan die
Missbildungen bei den Kindern hervorgerufen hat, nicht in der Lage bin, Stellung zu
nehmen, weil ein exakter Nachweis bisher nicht gelungen ist und andererseits die
einschlägigen gerichtlichen Verfahren bisher nicht zum Abschluss gekommen sind.523

Die ursächliche Verantwortung Contergans an den Missbildungen selbst dreieinhalb


Jahre nach dem Rückzug des Schlafmittels vom Markt immer noch nicht voll zugeben zu
wollen, ehrte zwar die Juristin Schwarzhaupt, der Politikerin schadete dies aber: Elisa-
beth Schwarzhaupt verhielt sich während ihrer gesamten Amtszeit so, als wollte sie die
Schuld Contergans leugnen. Diese Schuld war aber offensichtlicher weise nicht zu leug-
nen, und so musste sich der politische Betrachter fragen, ob die Ministerin oder ihr Mi-
nisterium hiermit etwas vertuschen wollten.
Dieses ist das eine. Ein zweites ist, dass das Ministerium in diesem politisch wie
verbraucherschützerisch wichtigen Gebiet der Arzneimittelsicherheit den angebrachten
Elan vermissen ließ. Im Sommer 1965, also dreieinhalb Jahre nach Bekanntwerden der
Missbildungsursache, sowie vier Jahre nach Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes, wa-
ren einige Rechtsverordnungen, die die Abgabe von Medikamenten in Apotheken und
Drogerien betrafen, noch nicht verabschiedet. Nicht nur die Opposition beklagte dieses
Verschleppen des Erlasses dringend nötiger Rechtsverordnungen. Auch Teile der Koaliti-
on konnten nicht verstehen, dass diese Arbeit nicht längst erledigt war. Wieder gab Eli-
sabeth Schwarzhaupt ein eher klägliches Bild ab, griff zu der „Ausrede“, dass ihr Ministe-
rium personell unterbesetzt sei. Das wollte ihr der FDP-Abgeordnete Ludwig Hamm
nicht durchgehen lassen, forderte bei Personalknappheit eben eine andere Prioritäten-
setzung des Ministeriums. Darauf die Ministerin:

Herr Kollege, wir haben schon eine Reihe von Verordnungen erlassen. Ich könnte Ihnen
auch die ebenfalls sehr dringlichen Verhandlungen über die EWG-Richtlinien im einzelnen
darlegen. Ich will aber das Plenum nicht mit Einzelheiten zu lange aufhalten. Es würde auch
ihnen wahrscheinlich schwer fallen, eine Dringlichkeitsliste aufzustellen. Es ist sehr vieles
dringlich, was auf diesem Gebiet zu machen ist.524

Diese Antwort kommt beinahe einem arbeitsmethodischen Offenbarungseid gleich,


denn eine Dringlichkeitsliste zu verfassen, dürfte für ein Ministerium weder ein Problem
darstellen noch ist es verständlich, dass das Ministerium eine solche Liste nicht längst
benutzte. Viel eher – und diese Vermutung äußerte nicht etwa ein Abgeordneter aus Op-
positionsreihen, sondern Stefan Dittrich von der CSU – war zu vermuten, dass das Mi-

523
Antwort Elisabeth Schwarzhaupts auf die Frage des SPD-Abgeordneten Konrad Porzner (geb. 1935).
Das Parlament 25/1965. Formal hatte Elisabeth Schwarzhaupt recht mit ihrer Vorsichtigkeit. Auch die
Strafkammer des Aachener Landgerichts, die den Conterganprozess gegen die Fa. Grünenthal ver-
handelte, hatte am Tag der Verkündung des Einstellungsbeschlusses am 18. Dezember 1970 keine
völlig stichhaltigen Beweise vorzuweisen, aber „sah die Kausalität zwischen Thalidomid und Nerven-
schädigungen sowie Missbildungen als erwiesen an“. Kirk, Contergan-Fall, S. 95.
524
Antwort Elisabeth Schwarzhaupts auf Frage Ludwig Hamms. Bundestagsprotokolle IV/193, S. 9.776.
6 Der Contergan-Skandal 135

nisterium hier Lobbyinteressen in die Hände spielte.525 Bei der Durchführungsverord-


nung, die die Medikamentenabgabe regeln sollte, holte sich das Ministerium von allen
gesundheitspolitisch relevanten Gruppen Einzelgutachten ein, um schließlich alle diese
Gruppen nochmals gesammelt durch einen Beirat befragen zu lassen. Dieses Vorgehen
wurde von Elinor Hubert (SPD) scharf kritisiert, und auch der erwähnte CSU-
Abgeordnete missbilligte diese Verzögerungstaktik:

Dr. Dittrich (CDU/CSU): Sind Sie sich darüber im klaren, Frau Ministerin, dass dadurch die
Verbände, um deren Stellungnahme sie gebeten haben, die Möglichkeit haben, den Erlaß
526
einer Verordnung auf unerträgliche Weise zu verzögern und hinauszuschieben?
(Sehr richtig! bei der SPD)

„Selbstverständlich besteht diese Möglichkeit“, winkte Elisabeth Schwarzhaupt ab:


„Ich glaube aber nicht, dass dies die Absicht der Verbände ist.“527 Ob es die Absicht der
Apotheker und Drogisten war, Erschwernisse in der Abgabe von Arzneimittel hinauszu-
zögern – was anzunehmen ist –, oder nicht: Vor Beginn des Jahres 1966 war mit den
Verordnungen nicht zu rechnen. Diese Verschleppungstaktik war der Ministerin persön-
lich anzulasten und trug abermals zu ihrem negativen Image im Management des Con-
tergan-Falles bei. Eine positivere „Figur“ gab Elisabeth Schwarzhaupt allerdings im zwei-
ten großen Gesetz ihrer Amtszeit zum medikamentösen Verbraucherschutz ab, dem
Arzneimittel-Werbegesetz.

6.3 Das Arzneimittel-Werbegesetz

Die moderne Wirtschaftswerbung, die mit Information, Überredung


oder Suggestion die Wahl des Käufers lenken und Bedarf wecken will,
bringt für den Markt der Heilmittel Gefahren mit sich. Sie richtet sich an
Menschen, die leiden und deshalb der Werbung besonders wenig
Widerstand entgegensetzen. Wählt der Kranke auf Grund der
Werbung ein falsches Mittel oder versäumt er, zum Arzt zu gehen,
kann schwerer gesundheitlicher Schaden entstehen. Deshalb muß die
Freiheit der Wirtschaftswerbung zum Schutz des Bürgers beschränkt
werden.528
Elisabeth Schwarzhaupt (1963)

525
Philipp Herder-Dorneich, Gesundheitswesen und Gesundheitssysteme, in: Norbert Blüm und Hans F.
Zacher (hg.), 40 Jahre Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1994, S. 561-578, S.
562, stellt in den späten 1950er Jahren einen Wandel von der „Parteiendemokratie“ zur „Verbands-
demokratie“ fest, bei dem die vielen gesundheitspolitisch agierenden Verbände ein dichtes Geflecht –
Herder-Dorneich nennt es gar einen „Drahtverhau“ – bildeten und anfingen, ihre Lobbyinteressen
durchzusetzen.
526
Frage Stefan Dittrichs (1912-1988) an Elisabeth Schwarzhaupt. Das Parlament 30/1965, S. 9.
527
Antwort Elisabeth Schwarzhaupts auf die Frage Stefan Dittrichs (CSU). Bundestagsprotokolle V/193,
S. 9.775.
528
Elisabeth Schwarzhaupt, Zum Entwurf eines Arzneimittelgesetzes. Aus dem Bundesministerium für
Gesundheitswesen, Aufsatz für „Informationen für die Frau“, 10.10.1963, ACDP 01-048-016/2.
6 Der Contergan-Skandal 136

Der Contergan-Fall führte eine kaufmännische Binsenweisheit deutlich vor Augen:


Ein Arzneimittel verkauft sich besser, wenn es umfassend beworben wird. Fa. Grünen-
thal überzog die bundesdeutsche Medienlandschaft mit einer beeindruckenden Werbe-
kampagne für ihr vermeintlich harmloses Schlafmittel.529 Aber auch andere Medikamen-
tenhersteller bedienten sich den tiefenpsychologischen Tricks der Werbeprofis, wie der
Spiegel aufzählte:

Die medizinischen Zeitschriften sind mit Anzeigen gesättigt, die sich oft nicht von
Illustrierten-Annoncen für Waschmittel, Käse oder Haarwasser unterscheiden. Sex-Werbung
soll die Ärzte zum Verschreiben von Medikamenten verlocken; ein feucht glänzender
Frauenmund etwa wirbt für das Penicillin-Präparat „Oratren 200“, ein bis unterhalb des
Busens entblößter Teenager für das „aktuelle Komplex-Spezifikum Vertrebran“, und ein
Anzeigen-Mädchen mit verschleiertem Blick bekennt: „Ich liebe meinen Arzt. Er verordnete
mir Menthoneurin...“530

Gerade Ärzte wurden zur Zielgruppe der Werbestrategen. „Da gute Präparate wenig
Werbung benötigen“, so der Spiegel weiter, „konzentrieren die Firmen ihre enormen
Werbe-Bemühungen oft gerade auf solche Produkte, deren medizinischer Wert keines-
wegs erwiesen ist.“531 Bereits im Frühjahr 1962, das Gesundheitsministerium residierte
noch im Innenministerium und Elisabeth Schwarzhaupt war noch keine drei Monate im
Amt, lud die Ministerin über fünfzig gesundheitspolitisch relevante Fachverbände in den
Sitzungssaal des Innenministeriums ein, um ihnen dort den Referentenentwurf für ein
„Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens“ vorzustellen – Änderungs-
und Verbesserungsvorschläge waren durchaus erwünscht.532 Die 19 Paragrafen, die die
Schwarzhauptschen Referenten, Ministerialrat Danner und Ministerial Bernhardt, den
Gesundheitsexperten vorstellten, sollten eine Polizeiverordnung aus dem Jahr 1941 ablö-
sen. Seit 1954 bereits arbeiteten die Ministerialen an einer Reform dieser Polizeiverord-
nung, die noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammte und zwischenzeitlich
mehrmals verlängert wurde, am 30. Juni 1964 aber endgültig auslief.

Diese von der Lobby lauthals als Nazigesetz verschriene Verordnung erwies sich in den
letzten Jahren als heillos antiquiert. Zwar verbietet sie „jede irreführende Werbung“,
worunter beispielsweise Erfolgsversprechen, Dankschreiben, die Anpreisung von
Allheilmitteln, Erregung von Angstgefühlen, Veröffentlichung von Arztbildern, Büstenmittel
und Indikation gegen ernste Gebresten fallen, Verstöße gegen die Bestimmungen der
HWVO aber gelten lediglich als Übertretungen und werden allenfalls mit der Höchststrafe
533
von 150 Mark geahndet .

Wer mit Scharlatanerien also Hunderttausende von Mark erschwindeln konnte,


brauchte kaum Konsequenzen zu fürchten – die Geldbuße war im Vergleich zum Gewinn
lächerlich gering. Auf offensichtliche Gaunereien fielen zwar aufmerksame Ärzte nicht
herein, wohl waren aber leichtgläubige und naheliegender weise medizinisch nicht gebil-

529
Vgl. etwa Der Spiegel 49/1962, S. 72.
530
Der Spiegel 49/1962, S. 86.
531
Ebd.
532
Der Spiegel 7/1962, S. 20.
533
Der Spiegel 34/1964, S. 28.
6 Der Contergan-Skandal 137

dete Teile der Bevölkerung akut vor pharmazeutischen Betrugsversuchen gefährdet.534 So


sah die Kabinettsvorlage der Ministerin vom 15. Februar 1965 vor, die Arzneimittelwer-
bung generell drastisch einzuschränken und falsche Werbeversprechen gänzlich zu ver-
bieten: „Das Gesetz“, so die Ministerin, „beschränkt in erster Linie die an den Laien ge-
richtete Werbung, u.a. Werbung in Rundfunk und Fernsehen.“535 Die „Sprechwerbung“,
wie Elisabeth Schwarzhaupt sie nannte, sollte also komplett verboten werden, nur noch
in Printmedien war Werbung für Arzneimittel möglich. Die Motivation für die Verschär-
fung des bisherigen gesetzlichen Zustandes lieferte Elisabeth Schwarzhaupt in ihrer Ka-
binettsvorlage auch gleich mit: „Es soll erreicht werden, dass die Heilmittelwerbung, die
vom Publikum häufig nicht auf ihren Gehalt geprüft werden kann, sachlich richtig ist.“536
Diese Überprüfung der sachlichen Richtigkeit konnte vom Laienpublikum nicht ge-
fordert werden, und deswegen suchte das Ministerium nach einer Formulierung, die
auch die Irreführung der Verbraucher mit fremd- und fachsprachlichen Begriffen verbot.
Solche Werbung hatte sich mittlerweile verbreitet und täuschte durch seine unverständli-
chen Wendungen und Medizinalvokabeln die Bevölkerung. Auch das Nachrichtenmaga-
zin „Der Spiegel“ sah dies so und beschrieb 1965 in dem Artikel „Polyvalent und phyto-
gen“ ein Inserat einer Liechtensteiner Firma, das besonders dreist mit für medizinische
Laien unverständlichen fachsprachlichen Begriffen für ein Medikament warb, das offen-
bar die Zellerneuerung unterstützen sollte:

Auf der engbedruckten Inseratenseite loben verschiedene Ärzte die nachhaltige Wirkung
von biogenen Stimulatoren bei rund 20 nervösen Störungen und Gebresten. Die behauptete
Heilkraft wird mit einer Fülle medizinischer Fachausdrücke untermauert. Zellaforte fördert
die „Reaktivierung des Mesenchyms“ und regt die „bedingten Reflexe“ an. Es stärkt die
„Aktivität der Urease in vitro“ ebenso wie das „retikulo-endotheliale System“ und damit die
„Phagozytose“. Schließlich sorgt das Mittel für eine „Aktivierung des Lipoid-Stoffwechsels“
sowie für eine „Beschleunigung der terminalen Strombahn“. Erst am Schluß der Anzeige
kehren die Inserenten zur schlichten Prosa zurück: „Handeln Sie sofort.“537

Solche „intensive Reklame“, die der Bevölkerung einzureden versuchte, „daß es nötig
und sinnvoll sei, diese oder jene Pille zu nehmen“538, hielten Elisabeth Schwarzhaupt und
ihr Referent Dr. Danner für Suggestivwerbung, der der Einzelne schutzlos ausgesetzt sei,
„ebenso wie der Reklame für Tabak und Alkohol.“539 Diese Art von Werbung, die auf „der
goldenen Branchenregel“ fußte, „Kranken Gesundheit zu versprechen, Gesunden Krank-

534
Eine Aufstellung über die abstrusesten und meist völlig wirkungslosen „Mittelchen“, die im Handel er-
hältlich waren, in ebd., S. 31f.
535
Kabinettsvorlage vom 15.2.1965, BA Koblenz, N1177/18. Zwischen dem Treffen der Gesundheitsex-
perten im Innenministerium und dem Einbringen der Schwarzhauptschen Vorlage ins Bundeskabinett
vergingen tatsächlich genau drei Jahre. Elisabeth Schwarzhaupt hatte schon bei der Präsentation des
Referentenentwurfs im Februar 1962 erklärt, sie wolle erst alle Einwände und Verbesserungsvorschlä-
ge zu dem Gesetzentwurf sammeln und sich mit anderen Fachministerien abstimmen, ehe sie ihre Vor-
lage im Kabinett einbringen werde. Siehe Spiegel7/1962, S. 22.
536
Kabinettsvorlage vom 15.2.1965, BA Koblenz, N1177/18.
537
Der Spiegel 18/1965, S. 45.
538
Elisabeth Schwarzhaupt, Aufgaben und Ziele des Bundesministeriums für Gesundheitswesen, S. 277
(gedruckte Version).
539
Ebd. Der Spiegel 7/1962, S. 20, zitiert Ministerialrat Danner mit dem ähnlichen Satz: „Man muß den
Leuten die Fiktion nehmen, sie müssten immer irgend etwas schlucken.“
6 Der Contergan-Skandal 138

heit zu suggerieren“540, wurde mit dem neuen Arzneimittel-Werbegesetz also verboten,


und die Verbraucherverbände unterstützten dieses gesetzliche Einschreiten der Gesund-
heitsministerin „herzlich, weil ‚Tabletten kein Bier sind’ und bei Heilmitteln weder Ab-
satzförderung noch Verbrauchssteigerung bezweckt werden dürfe.“541 Dieser triviale Ver-
gleich, dass „Tabletten kein Bier“ seien, zeigt zudem das definitorische Problem, das im
Arzneimittelbereich bestand: Während für gesundheitsschädigende Substanzen wie Al-
kohol und Nikotin wie selbstverständlich weiterhin geworben werden durfte, war das für
einige gesundheitsfördernde Heilmittel nicht mehr möglich. Elinor Hubert in der Bun-
destagsaussprache hierzu:

Was ist denn der Sinne eines Werbegesetzes, das sich auf Arzneimittel und ihnen gleichge-
stellte Gegenstände beziehen soll? Werbung im allgemeinen will umsatzsteigernd wirken.
Bei Arzneimitteln wollen wir das aber nicht; denn sie sind eine Ware besonderer Art.542

Welche Medikamente aber fielen genau unter diese Bezeichnung? War „Contergan“
als Schlafmittel strenggenommen ein Heilmittel? Elisabeth Schwarzhaupt blieb in der
Beantwortung dieser Frage gegenüber dem Innenausschuss des Bundesrates sehr un-
konkret:

Der Gegenstand dieses Gesetzes reicht über den des Arzneimittelgesetzes hinaus, weil
auch Gegenstände, die nicht Arzneimittel sind, und Behandlungsverfahren mitumfasst
werden. Deshalb wurde die Regelung auch einem besonderen Gesetz vorbehalten.543

Konkreter definierte die Referentenvorlage, welche Stoffe genau das Arzneimittel-


Werbegesetz für „Heilmittel“ hielt und was nicht – und wofür folglich die Werbung in
Hörfunk und Fernsehen gänzlich verboten war, obwohl in Printanzeigen weiterhin dafür
geworben werden durfte. Mit einigen erläuternden Paragrafen im Arzneimittelgesetz
hätte das Gesundheitsministerium die Werbeeinschränkung für Lebens- und Futtermit-
tel nicht durchsetzen können. Diese – auf den ersten Blick nicht als Arzneimittel erkenn-
baren – Nahrungsmittel fielen, zusammen mit kosmetischen Produkten, dann unter das
Werbeverbot, wenn sich ihre Anpreisung auf „Erkennung, Verhütung, Beseitigung oder
Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden
beim Menschen oder Tier“ erstreckten.

540
Der Spiegel 34/1964, S. 28. Das Nachrichtenmagazin meldet darüber hinaus, dass 1964 monatlich
sechs Millionen Mark in die Arzneimittelwerbung investiert wurden: „Die Pillen und Säfte, Pulver und
Cremes finden vor allem Zuspruch, weil unlautere Reklame den Präparaten geheimnisvolle Heilkräfte
andichtet.“
541
Der Spiegel 7/1962, S. 22. Elisabeth Schwarzhaupt startete naheliegender weise auch eine Kampagne
gegen das Rauchen. Sie wird in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet. Vgl. aber beispielhaft die Antwort
der Ministerin auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Felder zu „Lungenkrebs und Zigarettenrau-
chen“ in: Das Parlament 30/1965, S. 9.
542
Elinor Hubert (SPD) in der zweiten und dritten Lesung zum Arzneimittel-Werbegesetz, Bundestagspro-
tokolle IV/185, S. 9.320.
543
Elisabeth Schwarzhaupt in einer Vorlage für den Innenausschuss des Bundesrates vom 11.12.1961,
BA Koblenz, N1177/18, S. 2.
6 Der Contergan-Skandal 139

Das bedeutet, dass schlechthin alle Medikamente, zahllose Reform-Lebensmittel und


Kosmetika unter das Werbungsverbot fallen könnten. Tabletten aller Art, Nasentropfen oder
Dragées zur Anregung der Verdauung werden vom Gesetz ebenso erfasst wie
Inhaliergeräte, Rheumadecken, Bruchbänder und Moorpackungen. Dr. Danner: „Wo
Heilwirkung verheißen wird, handelt es sich um ein Medikament.“544

Nur in einem Bereich wollte das Ministerium eine Ausnahme zulassen – bei rezept-
pflichtigen Medikamenten gegen Reisekrankheiten sollte die Werbung unbeschränkt
möglich bleiben. Um nicht auch noch touristische Werbung zu verbieten, blieb als zweite
Ausnahme auch die Werbung für Heilbäder und Kurorte erlaubt. Mit dieser doch sehr
restriktiven, verbraucherorientierten Regelung betrieb Elisabeth Schwarzhaupt ange-
wandten Verbraucherschutz – so, wie es Adenauer sich von ihr gewünscht hatte.545 Er
passte zu einer Forderung, die Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard in seiner Regie-
rungserklärung vom 10. November 1965 aufstellte. Erhard, der dort seine Vorstellung
von einer „formierten Gesellschaft“ propagierte, gebrauchte folgendes Wortspiel: „Eine
so formierte Gesellschaft setzt eine informierte Gesellschaft voraus. [...] Der Bürger
kann sich nur richtig verhalten, wenn er Bescheid weiß.“546 Der ernste Kern des Wort-
spiels bezog sich zwar nicht unbedingt auf den Verbraucherschutz, den Elisabeth
Schwarzhaupt zu verantworten hatte, aber er zeigte doch, wie sensibilisiert Mitte der
1960er Jahre die Bevölkerung war.
Gerade im Arzneimittelbereich, der durch den Contergan-Fall diskreditiert war, waren
verbraucherschützerische Maßnahmen also auf der Höhe der Zeit. Zudem setzte sich die
Ministerin in diesem Bereich persönlich ein, während viele Lebensmittelverordnungen
wie die über die hygienischen Bedingungen in Schlachthöfen, diejenigen über die Verlän-
gerung der Zuckerungsfristen bei Weinen oder auch die „Verordnung über den Verkehr
mit Fleisch von Känguruhs sowie von Hasen und anderen wildlebenden Nagetieren
(Wildfleisch-Verordnung) vom 18.4.1964“547 autonom im Apparat erarbeitet wurden. Bei
vielen dieser lebensmittelrechtlichen Verordnungen bedurfte es keiner ministerieller
Initiative, da oft nur EWG-Richtlinien bundesrechtlich umgesetzt werden mussten.
Trotzdem blieb auch der Lebensmittelbereich nicht von Verbraucherschutzinitiativen
Schwarzhaupts ausgespart: Hier machte sie sich besonders durch die Einführung der
Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln verdient. Die Hersteller mussten mit der
Kennzeichnungsverordnung erstmals das Herstellungs- bzw. das Verfalldatum für Le-
bensmittel tierischer Herkunft angeben, das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ auf Lebens-
mittelverpackungen war damit geboren.548 Diese positiven verbraucherschützerischen
Aspekte der Politik Elisabeth Schwarzhaupts können aber auch nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass natürlich auch Kritik an den Leistungen der ersten Gesundheitsministerin
geäußert wurde.

544
Der Spiegel 7/1962, S. 22.
545
Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 29.1.1962, AZ: 3-14007-3437/61II, BA Koblenz,
B142/5082.
546
Regierungserklärung Erhards vom 10.11.1965, Bundestagsprotokolle V/4, S. 19. Hervorhebung im
Original.
547
Siehe BGBl I/1964, S. 284.
548
Der sonstige originär verbraucherschützerische Aspekt in der Schwarzhauptschen Politik kann hier
nicht dargestellt werden – er wäre zu umfangreich. Siehe aber: „Verbesserung der Kennzeichnung von
Lebensmitteln“ in: Bulletin der Bundesregierung, 89/1965, S. 708, „Lebensmittel: Begrenzt brauchbar“
in: Der Spiegel 33/1966, S. 41f; Schwarzhaupt, Industriegesellschaft, dort der Abschnitt „Angleichung
der Lebensmittelrechte“, S. 470.
7 Kritik an der Politik
Schwarzhaupts

Viele Staatsbürger hegen die Illusion, das Bundesministerium sei die


zentrale und deshalb oberste und einflußreichste Stelle im Land, in der
alle Probleme unseres Gesundheitswesens entschieden werden, und
die deshalb für alle Notstände vom Schwesternmangel bis zur
Verunreinigung der Luft verantwortlich zu machen sei. Das ist nicht
so.549
Elisabeth Schwarzhaupt (1963)

E
lisabeth Schwarzhaupts Tragik ist auch die Tragik des gesamten Ministeriums
sowie des Gesundheitswesens insgesamt: Fortschritte auf dem Gebiet der Ge-
sundheitsfür- und Gesundheitsvorsorge vollzogen sich oft unbemerkt von der
veröffentlichten Meinung, Fehlleistungen und Versäumnisse hingegen wurden von Me-
dien und Bevölkerung beschleunigt wahrgenommen und verärgert dem Ministerium und
dessen Chefin „in die Schuhe geschoben“. In diesem wahrnehmungstheoretischen Di-
lemma steckt die Politik oft, Elisabeth Schwarzhaupts Reputation hat darunter letztlich
so sehr gelitten, dass die Ministerin heute weitgehend vergessen ist.
Dabei startete die unkonventionelle Frankfurterin ihre ministerielle Karriere mit
reichlich Vorschusslorbeeren. Die erste Frau im Kabinett sollte auf der Regierungsbank
im Bundestag an exponierter Stelle sitzen dürfen, forderte etwa der SPD-Abgeordnete
Karl Mommer in einer – sicher eher ironisch denn ernsthaft gemeinten – Anfrage an den
Bundeskanzler:

549
Elisabeth Schwarzhaupt, Aufgaben und Ziele des Bundesministeriums für Gesundheitswesen, ACDP
01-048-016/2.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 141

Erlaubt es die hergebrachte Hierarchie in der Bundesregierung, unserer ersten Frau


Ministerin einen Platz in der vordersten Regierungsbank im Bundestag einzuräumen und
sie aus der stets großen Zahl der hohen Ministerialbeamten herauszuholen?550

Vizekanzler Ludwig Erhard musste diese Forderung Mommers zwar abschlägig be-
scheiden – dass Elisabeth Schwarzhaupt jedoch eine gewisse Sonderrolle innerhalb Ade-
nauers Herrenriege zufiel, macht diese Anfrage deutlich. Besondere Sympathien verdien-
te sich Elisabeth Schwarzhaupt auch bereits in den ersten Tagen ihrer Amtszeit zudem
durch eine kluge Reise- und Besuchsstrategie: Sie war – wie in Kapitel 3.5 gesehen – das
erste Kabinettsmitglied, das nach den Wahlen im September 1961 Berlin und die entste-
hende Mauer besuchte. Diese Solidaritätsbekundung mit Berlin brachte ihr viel Lob und
Wohlwollen vor allem der Berliner Öffentlichkeit entgegen und war den Berliner Medien
eine große Fotostory wert.551 Die Medien waren zu Anfang ohnehin sehr angetan von der
charmanten Ministerin: Sie begrüßten gleich nach Bekanntgabe der Kabinettsliste
durchweg, dass endlich eine Frau für ein Regierungsamt berücksichtigt wurde.552 Elisa-
beth Schwarzhaupt wusste sich für diesen Vertrauensvorschuss der Presse auch mehr-
fach zu bedanken.553 Doch dieses Wohlwollen aus allen Teilen der Bevölkerung hielt
nicht lange vor und schlug schnell in Kritik an Ministerin und Ministerium um.
Schon zu Beginn ihrer Amtszeit – sie war noch keine Woche im Amt – war Teilen der
Bevölkerung bereits vermeintlich klar, wer Schuld am Contergan-Skandal habe: das eben
erst gegründete neue Bundesgesundheitsministerium. Mehr belustigt als verärgert be-
richtete Elisabeth Schwarzhaupt etwa von einem Gespräch, dass eine Bekannte der Mi-
nisterin kurz nach Bekanntwerden der Thalidomidkatastrophe auf einer Bahnfahrt zufäl-
lig mithörte. Fazit des Gesprächs: „Da hat diese Frau Minister nicht aufgepasst!“554
Doch die Kritik blieb nicht im anekdotenhaft-privaten Bereich. Die SPD reklamierte
die Idee, eine durchgreifende und moderne Gesundheits- und Umweltpolitik auf Bun-
desebene zu betreiben, für sich, sprach von ihrem „Erstgeburtsrecht“ an diesem Politik-
feld.555 Sie warf dementsprechend der Regierung Versagen – nicht nur in diesem, aber
gerade in diesem – Politikbereich vor. Die Sozialdemokraten hatte ihre Vorstellungen
von Gesundheits- und implizit auch von Umweltpolitik bereits im Godesberger Pro-

550
Bundestagsprotokolle IV/8, 13. Dezember 1961, S. 146. Hervorhebung im Original.
551
Berühmtheit erlangte ein dpa-Foto, das Schwarzhaupt mit dem Berliner Gesundheitssenator und Bür-
germeister von Zehlendorf, Willy Stiewe (SPD), auf einer Aussichtsplattform am Potsdamer Platz zeigt.
Sogar der Spiegel 48/1961, S. 29, druckte es ab und brachte die Ministerin im Schwarzhaupt-kritischen
Artikel „Bis zur Bahre“ dennoch mit dieser Berliner Solidaritätsbekundung in Verbindung.
552
Sogar die New York Times berichtete am 15.11.1961 in einem Zweispalter mit Foto von „Bonn’s Wo-
man Minister Elisabeth Schwarzhaupt“. ACDP 01-048-002/5.
553
Schwarzhaupts „Sprechzettel“ für die Pressekonferenz im Anschluss an die Tagung der Länderge-
sundheitsminister im Dezember 1961 in Bonn weist solch einen Dank aus: „Es erscheint ratsam, mit
einem Dank an die Presse zu beginnen, die die Frau Ministerin mit viel Wohlwollen begrüßt hat, und
die Hoffnung auszusprechen, daß auf Grund der geleisteten Arbeit in einem Jahr oder später dieses
Wohlwollen nicht nur auf die Person der ersten Frau im Kabinett, sondern auf die ganze Arbeit ihres
Ministeriums ausgedehnt werden kann.“ Sprechzettel der Ministerin für die Pressekonferenz am 20.
Dezember 1961, 15.30 Uhr, im Bonner Fraktionssaal der CDU/CSU-Fraktion, BA Koblenz, B142/3677.
Auch eine Notiz des Abteilungsleiters II an Elisabeth Schwarzhaupt vom 2. Januar 1963 nimmt das
Wohlwollen der Presse zur Kenntnis. ACDP 01-048-017/2.
554
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 269.
555
Siehe Schreiben des stellvertretenden Vorsitzenden der SPD, Willy Brandt, an Funktionsträger der
SPD vom 24. Juli 1963, in: Brandt, Berliner Ausgabe, S. 300-304 (Nr. 50), S. 301. Das Godesberger
Programm der SPD von 1959 widmete sich bereits umfassend der Themen Gesundheit und Umwelt.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 142

gramm von 1959 niedergeschrieben, als innerhalb der CDU solche Ideen noch keinen
Raum gefunden hatten.

7.1 Kritik an der Gesundheitspolitik

Gesundheitspolitik ist aber auch Sisyphusarbeit; mit der technischen


und soziologischen Entwicklung treten neue Probleme auf, die ihre
organisatorische und legislatorische Lösung verlangen. Hier wird es
selten spektakuläre Erfolge geben, die sich in politisches Kleingeld
ausmünzen lassen, um so mehr aber immer neue Gefahren und
Bedrohungen für die Volksgesundheit, die den zuständigen Männern
und Frauen meist nur den schmalen Lohn eines erleichterten
Aufseufzens gewähren, wenn man ihrer einigermaßen Herr geworden
zu sein glaubt.556
Elisabeth Schwarzhaupt (1962)

Während sich Elisabeth Schwarzhaupt sowohl bei Ärzten als auch innerhalb der Um-
weltadministration durchaus einigen Kredit erarbeitet hatte, fiel die akademische Kritik
an ihrer Politik doch sehr drastisch aus. So schrieb Johann-Jürgen Rohde in der Zeit-
schrift „Die neue Gesellschaft“:

Verwunderlich ist schon lange, was in der breiten Öffentlichkeit erst jetzt zu einem
auffälligen Tatbestand geworden ist: Die Bundesrepublik Deutschland, einer der führenden
Industriestaaten, ist aufgebaut worden, ohne dass in den Bereich des Gesundheitswesens
ein irgendwie bemerkenswertes Quantum an politischer Energie investiert worden wäre.
Abgesehen von der Bildungs- und Schulpolitik, dürfte schwerlich ein politisches Aufgaben-
gebiet zu finden sein, das hier und bis heute in einem derart extremen Ausmaß unter der
Höhe der Zeit geblieben ist. 557

Diese harte Kritik erschien im Frühjahr 1964, also gerade einmal zwei Jahre nach der
Gründung des Ministeriums und bezog sich zum größten Teil wohl auf die Nachkriegs-
jahre und die Zeit, in der noch das Innenministerium für gesundheitspolitische Belange
zuständig war. Doch bezog Rohde das neue Ministerium in seine Kritik ebenfalls mit ein:
Die Defizite wären grundsätzlicher Art und das Ministerium würde nur als „Reparatur-
werkstatt“ verstanden, das die Probleme ohnehin nicht lösen könnte; es agierte viel zu
zurückhaltend und konzeptionslos:

In diesem Zusammenhang von Vernachlässigung zu reden, ist keineswegs übertrieben und


lässt sich, wie die Dinge liegen, nicht einmal als oppositionelle Polemik abtun. Auch der
wohlwollendste Betrachter der Leistungen, die von den Regierungsvariationen unter der
Ägide Adenauers vollbracht worden sind, wird kaum zu der Behauptung Anlaß finden
können, dass die Bundesregierung in Gesundheitspolitik exzelliert habe. Es sei denn, er
ginge in seiner Benevolenz so weit, ihr die Vernachlässigung als Zurückhaltung, die Scheu

556
Elisabeth Schwarzhaupt, Ein Jahr Aufbau. In: DUD Nr. 245 vom 28.12.1962, S. 1-3, S. 3.
557
Johann-Jürgen Rohde, Das Dilemma der Gesundheitspolitik. Soziologische Ansichten zur Auseinan-
dersetzung der Gesellschaft mit der Krankheit, in: Die neue Gesellschaft, 1/1964, S. 25-36, S. 25.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 143

vor gesundheitspolitischen Konzeptionen und Maßnahmen als „Gesundheitspolitik“


558
anzurechnen.

Obwohl die Kritik Rohdes nicht in erster Linie die erst seit kurzem amtierende Minis-
terin traf, sondern expressis verbis auf Adenauer abzielte, den Gesundheitspolitik kaum
interessierte und der ursächlich für die Vernachlässigung dieses Politikbereiches verant-
wortlich zu machen war, erscheint sie nicht allzu fundiert zu sein; sie ließ das verfas-
sungsrechtliche Dilemma gänzlich außer Acht, das – wie in Kapitel 4.4 gesehen – ein
legitimatorisches Hemmnis für bundespolitische Initiativen darstellte. Elisabeth
Schwarzhaupt wies Kritik an ihrer Gesundheitspolitik deswegen meist mit einem Hin-
weis auf diese Rechtslage zurück. So waren ihrem Ministerium, wenn beispielsweise die
Grundgesetzänderung nicht realisiert werden würde, in der Bekämpfung der Mütter- und
Säuglingssterblichkeit die Hände gebunden:

Hätte der Bund keine Zuständigkeit auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge, dann könnte
er auch nicht das von mir geplante Gesetz über die Gesundheitsfürsorge von Mutter und
Kind verwirklichen. Dieses Gesetz soll mit dazu beitragen, die in der Bundesrepublik immer
noch relativ hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit einzudämmen. Es sieht daher die
Einführung kostenloser und freiwilliger Untersuchungen während der Schwangerschaft vor,
die Einführung eines Mutterpasses, u.a.559

Ohne Mütterpass, ohne bundesweit standardisierte Untersuchungen der Schwangeren


und der Wöchnerinnen, etc. wäre das Problem der hohen Mütter- und Säuglingssterb-
lichkeit in der Bundesrepublik also – nach Meinung Schwarzhaupts – nicht in den Griff
zu bekommen gewesen. Und genau dieser Hinweis zeigt das Dilemma, in dem bundes-
republikanische Gesundheitspolitik vor der Grundgesetzänderung steckte: Suchte sie
bundeseinheitliche Standards durch Bundesregelungen durchzusetzen, scheiterte sie ent-
weder am Verfassungsrecht oder am Bundesrat. Überließ sie die Gesundheitspolitik als
Konsequenz aber ganz den Ländern, dann war dies ein Rückfall in den status quo ante,
dessen gesundheitspolitische Defizite ja gerade die Einrichtung eines eigenen Ministeri-
ums auf Bundesebene notwendig machten. Der einzige Ausweg lag in folgendem Kom-
promiss: Um zu einigermaßen bundesweit gültigen Standards zu kommen, müssten sich
die Länder selbst auf diese Standards einigen. Das Bundesministerium würde dabei nur
noch koordinierende und moderierende Funktionen innehaben. Da dieses Verfahren
bereits in den regelmäßigen Konferenzen der Ländergesundheitsminister sowie derjeni-
gen der Leitenden Medizinalbeamten der Länder und des Bundes praktiziert wurde, war
das Verfahren etabliert – es hatte aber die drängenden gesundheitspolitischen Fragen
nicht effizient zu beantworten vermocht, schied als Möglichkeit also ebenfalls aus.
Die Kritik, dass ihr Ministerium nicht schnell genug arbeitete, konnte Elisabeth
Schwarzhaupt aber nicht mehr auf die Verfassungslage schieben. Wie schon beim Arz-
neimittelgesetz wartete der Bundestag auch beim Arzneimittel-Werbegesetz lange auf die
Verkündung der Verordnung. Elinor Hubert warf deshalb der Ministerin am 26. Oktober
1962 abermals ein Einknicken vor der Pharmaindustrie vor:

558
Ebd.
559
Brief Elisabeth Schwarzhaupts an Adenauer vom August 1964, BA Koblenz, N1177/23.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 144

Nun möchte ich allerdings meinem Befremden Ausdruck geben, dass uns die Bundesregie-
rung noch immer kein Gesetz über die Werbung bei Arzneimitteln vorgelegt hat. Gerade hier
klafft eine große Lücke zum Schutz der Gesundheit. Es ist ein Referentenentwurf ausgear-
beitet worden. Er hat dann den Verbänden vorgelegen. Seitdem kann man nur sagen, ist
Schweigen im Walde. Ich weiß nicht: Ist die Bundesregierung oder das Ministerium durch
gewisse Einsprüche so erschreckt oder so verschüchtert, dass nun so ganz mit diesem Ent-
wurf zurückgehalten wird? Ich hatte eigentlich erwartet – und wir alle hatten es erwartet –,
dass dieser Gesetzentwurf angesichts der Contergan-Fälle diesem Hohen Haus vordringlich
und sofort vorgelegt werden würde.560

Den Vorwurf, nicht schnell genug zu arbeiten, wies Elisabeth Schwarzhaupt natürlich
prompt zurück – wie schon in der Debatte um das Arzneimittelgesetz. Bei Gesetz- und
Verordnungsentwürfen, so die Ministerin in ihrem Manuskript zur ARD-Sendung „Ernst
– aber nicht hoffnungslos“, müsse stets der neueste Stand der Technik berücksichtigt
werden, und dieser würde von „elf Beiräten, Kommission und Arbeitskreisen, die zu die-
sem Zweck beim Bundesgesundheitsministerium bestehen“, beraten und festgesetzt.
Über 90 Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen arbeiteten an diesen Kommis-
sionen mit: „Diese wertvolle Mitarbeit kostet Zeit, sie ist jedoch notwendig, um Gesetze
zu schaffen, die durchführbar sind und die dem neuesten Stand der Technik und Wissen-
schaft entsprechen.“561 Und im übrigen sei die SPD auch nicht gerade von der schnellen
Sorte; die SPD hätte selbst über zwei Jahre lang benötigt, um ihre eigenen „Gesundheits-
politischen Leitsätze“ fertig zu stellen, und hätte auch noch vergessen, die volkswirt-
schaftlichen Kosten dieser Leitvorstellungen mit zu berechnen. Elisabeth Schwarzhaupt
spielte den Ball also wieder zurück:

Dabei wurde betont, dass die „Gesundheitspolitischen Leitsätze“ ein auf einen längeren
Zeitraum gerichtetes Programm darstellen und nicht in einer Legislaturperiode verwirklicht
werden könnten. Die parlamentarische Opposition hat also während dieser Arbeit an den
Leitsätzen offensichtlich erkannt, daß die anstehenden gesundheitspolitischen Probleme
nicht in einem kurzen Zeitraum zu lösen sind. Ich brauche also nicht einmal polemisch zu
werden, um die Erklärungen der SPD in bezug auf die Gesundheitspolitik der Regierung in
562
das rechte Licht zu setzen.

Doch diese Kritik konnte die SPD nicht aus der Bahn werfen. Denn dass die SPD über-
haupt „gesundheitspolitische Leitsätze“ hatte, war ein Vorsprung der Sozialdemokraten
gegenüber der CDU – diese hatte keine Leitsätze, dafür aber ein Ministerium. Doch auch
das war aus Sicht der SPD kein politischer Vorteil der Regierung. Elinor Hubert warf in
der Haushaltsberatung um den Etat des Ministeriums für das laufende Haushaltsjahr
1962 der Bundesregierung denn auch vor, die Aufgaben des Ministeriums nicht ernst
genug zu nehmen und es deswegen in einem nicht arbeitsfähigen Zustand belassen zu
wollen – was das regierungsinterne Akzeptanzproblem des Schwarzhaupt-Ressorts ver-
deutlichte:

Ich glaube, die Vorstellung, die sich die Öffentlichkeit davon gemacht hat, warum wir nun in
diesem vierten Bundestag ein Bundesgesundheitsministerium erhalten haben, weich[t]

560
Bundestagsprotokolle IV/44, S. 1.930.
561
Antworten Elisabeth Schwarzhaupts zum Fernsehinterview des Hessischen Rundfunks, 7.12.1964, BA
Koblenz, B142/2993.
562
Ebd.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 145

ziemlich von der Vorstellung ab, die die Bundesregierung selbst zu haben scheint. Sonst
könnte sie dieses Ministerium nicht in der Weise ausgestattet haben, wie es der Fall ist. Wir
sehen die Aufgaben des Schutzes der Bevölkerung vor den Gefahren der Umwelt- und
Arbeitsbedingungen der heutigen Zeit für vordringlich an. Wir glauben nicht, daß sie erfüllt
563
werden können, so wie dieses Ministerium ausgerüstet ist.

1961 – als es zwar bereits das Amt der Gesundheitsministerin, ihr Ministerium streng
genommen aber noch nicht gab – sowie im Haushaltsjahr 1962 wurde das Gesundheits-
ministerium noch aus verschiedensten Regierungsmitteln finanziert, eine Million Mark
stellte etwa das Familienministerium dem neuen Ressort als Soforthilfe zur Verfügung,
um den Schäden des Contergan-Falles begegnen zu können. Erst für das Haushaltsjahr
1963 hatte der Finanzminister die Möglichkeit, einen eigenen Etat für das Schwarz-
haupt-Ressort (als Einzelplan 15) einzubringen. Weil dem neuen Ministerium in seinem
ersten Jahr eine eigene Haushaltskompetenz fehlte, es – schlicht gesagt – auf „milde
Gaben“ anderer Ministerien angewiesen war, war es auch kaum handlungsfähig. Das ist
das, was Elinor Hubert beklagte. Und in der Tat fehlten dem neuen Ministerium an allen
Ecken und Enden die Mittel – und damit auch das Personal.564 Zu einem großen Teil
schlug die erstmals seit dem Wirtschaftswunderboom zu verzeichnende Haushaltskrise
des Bundes auch auf den Etat des wenig geliebten Ressorts durch.565
Wie drastisch die Situation war, belegt beispielhaft ein undatierter Ministerialver-
merk, der die geplanten Modellvorhaben für das Haushaltsjahr 1966 aufzählt. Für zwölf
Krankenhausbauvorhaben, die das Ministerium unterstützen wollte, sollten exakt
8.326.200 Mark für die Etatplanung angemeldet werden. Nach einer Referentenbespre-
chung blieben von dieser Summe nur noch zwei Millionen Mark übrig – die restlichen
6,3 Millionen wurden gestrichen.566 Diese Einsparungen gingen auf die Finanznot des
Bundes zurück. So musste Finanzminister Rolf Dahlgrün am 2. März 1966 für den Ge-
samtetat des Bundes verkünden:

Und nun, meine Damen und Herren, zum Haushalt 1966. Bei der Aufstellung ergab die[...]
Addition der Anforderung für 1966 die riesige Summe von 76,6 Milliarden DM, wobei ich
hinzufügen möchte, daß diese Anforderungen keineswegs als allgemein übertrieben oder zu
567
hoch kritisiert werden können. Das moderne Leben stellt eben ungeheure Anforderungen.

563
Aussprache Elinor Huberts (SPD) zum Etat des Bundesgesundheitsministeriums 1962, in dem sie die
Ablehung des Etatentwurfs durch die SPD begründet.
564
Wie deutlich die Anforderungen steigen, zeigt alleine schon der Übergang vom Rechnungsjahr 1962,
als das Ministerium noch sonderfinanziert war, hin zum ersten Etat im Jahr 1963; dieser lag mit 63,9
Millionen DM um 10,5 Millionen bzw. 20 Prozent über dem Volumen des Vorjahres.
565
Finanzminister Heinz Starke machte – neben gesteigerter Verteidigungsausgaben als Folge des Mau-
erbaus vom 13. August 1961 – auch das drastisch gebremste Wirtschaftswachstum der 1960er Jahre
für die Haushaltsprobleme des Bundes verantwortlich; lag der reale Anstieg des Bruttosozialproduktes
im Jahr 1960 noch bei 8,8 Prozent, sank er ein Jahr später auf 5,3 Prozent und war 1962 bereits auf
nur noch 3,5 Prozent geschrumpft. Starke befürchtete noch im November 1962 eine Steuerminderein-
nahme für 1963 in Höhe einer halben Milliarde Mark. Siehe Rede des Finanzministers Heinz Starke
vom 7.11.1962, Stenografische Berichte des Bundestags, 4. Wahlperiode, 45. Sitzung, S. 1.963-1.980.
566
Vermerk für Frau Ministerin, undatiert (wohl 1965), BA Koblenz, N1177/20.
567
Siehe Rede Finanzminister Rolf Dahlgrüns vom 2. März 1966, Stenografische Berichte des Bundesta-
ges, 5. Wahlperiode, 24. Sitzung, S. 1.029-1.040. Die 76,6 Mrd. Mark stellten nur den Bedarf dar. Ein
Haushaltssicherungsgesetz begrenzte diese Ausgaben auf einen Etatrahmen von 69,15 Milliarden
Mark für 1966.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 146

Diese grundsätzliche Feststellung Dahlgrüns, die alle Bereiche der Bundespolitik um-
fasste, zeigt das finanzielle Dilemma, in dem auch das Gesundheitsministerium steckte:
die – politisch gewollten – Anforderungen an die medizinische Versorgung stiegen, wur-
den mithin immer kostspieliger, die Einnahmebasis des Bundes verringerte sich aber
tendenziell. Der Bedarf überstieg die haushaltsrechtlichen Möglichkeiten bei Weitem.
Wie eng die finanziellen Mittel des Ministeriums waren, zeigt auch die Verwirrung um
eine Spende der Bundesregierung an die Weltgesundheitsorganisation.

7.1.1 Die Einrichtung des Erste-Hilfe-Raumes bei der


WHO in Genf
Diese Spende geriet zu einer unerwarteten Komödie um einige zehntausend Mark, mit
denen der deutsche Beitrag zum Neubau der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in
Genf finanziert werden sollte. Diese relativ unbedeutenden Anekdote, bei der hoch-
bezahlte Ministeriale eine außerordentliche Kreativität in der Interpretation fremder
Haushaltspläne an den Tag legten, eignet sich aber neben der eigentlichen Aufgabe die-
ses Unterkapitels, die Finanznot des Gesundheitsministeriums zu belegen, gut, um einen
bescheidenen Einblick in die teilweise leicht unkoordinierte Arbeitsweise des Ministeri-
ums zu bekommen.
Die Ausgangslage war trivial: Um Kosten für den Neubau der WHO zu sparen, der
Ende 1965 bezugsfertig sein sollte, hatte die Weltgesundheitsorganisation alle Mitglieds-
länder aufgerufen, Freiwilligkeitsleistungen zu übernehmen.568 In den Reihen der bun-
desdeutschen Delegation reifte alsbald die Idee heran, sich mit der Einrichtung eines
Erste-Hilfe-Raumes in dem neuen Gebäude Meriten gegenüber den Gesundheits-
politikern der Welt zu verdienen.
Dem Haushaltsausschuss des Bundestags waren die „ständig steigenden Beiträg[e]
der Bundesrepublik an die supranationalen Organisationen“569 allerdings ein Dorn im
Auge; angesichts der Etatprobleme wollte der Haushaltausschuss diese Ausgabenstei-
gerung nicht länger unhinterfragt hinnehmen und stellte den Bundesaußenminister dar-
über zur Rede:

Bundesaußenminister Dr. Schröder erklärt, es handele sich hierbei um ein Problem, das ihm
große Sorgen bereite. Es seien für die Bundesrepublik wichtige Gründe vorhanden, in
diesen Organisationen vertreten zu sein. Der steigende Aufwand müsse im Hinblick auf die
erforderliche Resonanz in den betreffenden Organisationen in Kauf genommen werden. Die

568
So der Beschluss der 13. Vollversammlung der WHO.
569
Auszugsweise Abschrift aus dem Kurzprotokoll der 48. Sitzung des Haushaltsausschusses am 9. Ja-
nuar 1963, auch vorhanden in: BA Koblenz, B142/2804, S. 31f. Anfang 1963 hatte die WHO eine Stei-
gerung ihres Etats um 7,4 Prozent angekündigt, so dass ihr Budget für 1964 bei 33.716.000 US-Dollar
lag. Der deutsche Beitrag zum Etat 1963 betrug 5,19 Prozent oder 1.609.090 US-Dollar, was damals
umgerechnet 6.436.360 DM waren. Dieser Beitrag sollte sich für 1964 ebenfalls um 7,4 Prozent erhö-
hen, was aber aufgrund der Devisenkursschwankungen real eine Erhöhung um 11,9 Prozent auf
7.201.560 DM bedeutete. Siehe BA Koblenz, B142/2804, Tit. 675.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 147

Bundesrepublik sollte besser nicht zu jenen Mitgliedern gehören, die höhere Zahlungen
570
beanstandeten.

Mit dieser Rückendeckung des Außenministers wussten auch die Gesundheitsminis-


terialen ihre bescheidene Ausgabe mit „wichtigen Gründen“ zu rechtfertigen: „Für die
Bundesrepublik handelt es sich bei der Beitragsleistung um eine Angelegenheit, der ne-
ben ihrem gesundheitspolitischen und humanitären Zweck eine erhebliche politische
Bedeutung zukommt“, vermerkte folglich die Leiterin des Referates I B4.571 Und auch
Elisabeth Schwarzhaupt vermerkte in einem anderen, ernsten Zusammenhang, wie wich-
tig die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der WHO sei:

Deutschland hat in schwerer Not großherzigen Beistand des Auslands und der Weltgesund-
heitsorganisation erfahren dürfen. Nun sind die Rollen vertauscht, und die Bundesregierung
und mit ihr alle Kreise des deutschen Volkes bekennen sich zu der Ehrenpflicht, ihre Hilfe
den Ländern angedeihen zu lassen, die um den Aufbau ihres jungen Staatswesens ringen.
Nicht das geringste Problem dieser Staaten ist der Kampf gegen Krankheit und Siechtum.
Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe meines Ministeriums.572

Das Gesundheitsministerium wollte sich der Weltgesundheitsorganisation gegenüber


nun erkenntlich zeigen. Problematisch war allerdings, dass dem Ministerium schlicht die
Mittel für große Anschaffungen fehlten: im Etatansatz für 1964 wurden gerade einmal
10.000 Mark für die Unterstützung beim Bau des WHO-Gebäudes bewilligt. Die techni-
sche Ausstattung, die das Gesundheitsministerium der WHO spendieren wollte, war je-
doch um 740 Prozent teurer als im Etatansatz vorgesehen – der Erste-Hilfe-Raum sollte
eine Röntgenanlage bekommen, die benötigten Geräte sollten expressis verbis von der
deutschen Firma „Siemens“ bezogen werden. Bezahlen konnte das BMGes diese Ausstat-
tung allerdings nicht.573

1. Röntgeneinrichtung ........................................................................................40.097,50 DM
2. Einrichtung für Röntgenreihenuntersuchung ..................................................21.186,50 DM
3. Zubehör für 1. und 2., einschließlich Dunkelkammer........................................4.602,00 DM
4. Laboratorium ....................................................................................................2.597,00 DM
5. Behandlungsraum ............................................................................................4.521,00 DM
6. Untersuchungsraum ............................................................................................839,00 DM
7. Ruheraum............................................................................................................225,00 DM
Zusammen ........................................................................................................74.068,00 DM

Die Ausstattung sollte vom Firmenverband „Hospitalia“ besorgt werden, der auch den
Kostenvoranschlag erstellt hatte. Da dem Ministerium hierfür die Mittel fehlten, und die
Absprache mit der WHO über die wahre Höhe der Kosten offenbar hinter dem Rücken

570
Antwort Gerhard Schröders (CDU), ebd. Hervorhebung im Original. Außenminister Schröder erklärte
weiter, dass der Anteil Deutschlands am Etat der UNESCO beispielsweise bei fünf Prozent läge, der
tatsächliche Einfluss der Bundesrepublik in dieser internationalen Organisation aber bei weitem höher
zu bewerten sei.
571
Referat I B 4, Vermerk Dr. Daelen am 6.8.1963. BA Koblenz, B142/2804, Tit. 675.
572
Elisabeth Schwarzhaupt, Kampf gegen die Blindheit. Die Bundesministerin für Gesundheitswesen zum
Weltgesundheitstag, in: Bulletin der Bundesregierung, 68/1962, S. 579.
573
Maria Daelen, ebd., zufolge ist die „Einbringung eines eigenen Haushaltstitels erforderlich, da diese
Zuwendung aus laufenden Haushaltsmitteln nicht bestritten werden kann.“
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 148

der Ministerin verlaufen sein musste (so lässt sich ein Vermerk vom 5. September 1963
interpretieren)574, versuchte das Ministerium, Gelder von den Kollegen des Außenminis-
teriums zu akquirieren.

Nach der derzeitigen Sachlage sollte versucht werden, mit dem Auswärtigen Amt
dahingehend Fühlung aufzunehmen, ob etwa die freiwillige Beitragsleistung für die
Einrichtung einer ärztlichen Station im WHO-Gebäude in Genf nicht aus ordentlichen
Haushaltsmitteln des Einzelplans 05 realisiert werden kann. Da die ärztliche Station im
WHO-Gebäude auch in nicht zu verkennendem Umfange eine permanente Demonstration
deutscher medizinischer Geräte darstellt, sollte es nicht unversucht bleiben, die einschlägige
deutsche Industrie zur Leistung eines angemessenen Beitrages bei dieser Maßnahme zu
gewinnen.575

In seiner Finanznot nahm das Gesundheitsministerium in der Tat „Fühlung“ mit dem
Außenministerium auf. Hauptabteilungsleiter Stralau persönlich schrieb am 31. Oktober
1963 an das Auswärtige Amt, das er zusätzlich auch zur Eintreibung von „Spenden“ bei
der deutschen Industrie zwangsverpflichten wollte:

Gerade die Einrichtung einer solchen Station mit einer Reihe von deutschen medizinisch-
wissenschaftlichen Geräten erscheint mir besonders geeignet, da diese Einrichtungen
einem großen Kreise von Ärzten aus anderen Ländern bekannt werden, wodurch
gleichzeitig ein beachtlicher politischer Erfolg gesichert sein dürfte. Gegebenenfalls sollte
noch versucht werden, mit der beteiligten deutschen Industrie darüber zu verhandeln, ob sie
nicht aus Gründen eigener Werbung eine finanzielle Beteiligung an dem Objekt übernehmen
kann.576

Um beim Auswärtigen Amt mit der Forderung durchzudringen, musste das BMGes al-
lerdings stichhaltige haushaltsrechtliche Argumente finden, schließlich sind kameralisti-
sche Gelder in aller Regel zweckgebunden. Ein Mitarbeiter Attenbergers fand den ver-
meintlichen Dreh in einer gewagten Interpretation des Haushaltstitels 02/302 im
Einzelplan 05: einer Haushaltsstelle, die für kulturpolitische Arbeit des Außenminis-
teriums vorgesehen war. Der waghalsige Plan: Die Röntgengeräte sollten als „Kulturge-
genstände“ deklariert werden, die unter speziellen Umständen vom Auswärtigen Amt an
internationale Kultureinrichtungen abgegeben – also verschenkt – werden konnten. Die-
se Regelung galt zwar ausschließlich für Gastgeschenke, von denen im Falle der Rönt-
gengeräte nun wirklich keine Rede sein konnte, doch Attenbergers Mitarbeiter witterte
auch hier den Ausweg:

Aus einem Haushaltsvermerk bei der Zweckbestimmung dieses Titels könnte m.E. der
Schluß gezogen werden, daß eine Übernahme der Kosten möglich sein müßte.
Der Haushaltsvermerk lautet: Mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen dürfen
Gegenstände, die im Rahmen des internationalen Kulturaustausches Bundeseigentum
geworden sind, auch wenn deren Wert den Betrag von 5000 DM übersteigt, unentgeltlich
abgegeben werden.577

574
Vermerk AR Franke, I B 4, vom 5. September 1963, BA Koblenz, BA 142/2804.
575
Vermerk Maria Daelens an Stralau, ebd. Der Einzelplan 05 ist der Etat des Bundesaußenministeriums.
576
Brief Stralaus an das Auswärtige Amt, ebd.
577
Entwurf Glasenapps für Attenberger vom 7. Februar 1964, ebd. Hervorhebung im Original.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 149

Es ist unverständlich, wie Attenbergers Mitarbeiter diesen Haushaltsvermerk so dreist


uminterpretieren konnte: in Wahrheit sagt er doch unmissverständlich aus, dass es sich
um kulturelle Objekte handeln muss, die der Bundesrepublik geschenkt worden waren –
die Einrichtung zur Reihenuntersuchung ist weder ein Kulturobjekt, noch gelangte sie
bislang in den Besitz der Bundesrepublik. Dass zudem der Finanzminister persönlich
dieser Weitergabe an die „kulturellen und wissenschaftlichen Gremien der UNESCO, des
Europarates, der Westeuropäischen Union, der NATO und anderer staatlicher internati-
onaler Organisationen“578 zustimmen musste, verurteilte das Ansinnen schon von Beginn
an zum Scheitern. Dass das Auswärtige Amt den „Bettelbrief“ Stralaus deswegen höflich
zurückwies, ist nach Kenntnis der Lage verständlich.
Ob die Ministerin irgendwann von diesem doch etwas schrägen Vorgang vollständig
erfahren hat, entzieht sich meiner Kenntnis.579 Das Finanzierungsproblem jedenfalls
wurde gelöst, indem die veranschlagten 75.000 Mark ordnungsmäß in den Haushalt für
1965 eingestellt wurden. Die zusätzlichen Mittel waren durch die drastisch gestiegenen
Beiträge des Bundes an die WHO als letztlich unbedeutend zu charakterisieren.580
Während diese Anekdote kaum als Kritik an Elisabeth Schwarzhaupt zu verstehen
sein kann, war die Kritik, die der Hessische Rundfunk mit seiner Sendung „Ernst – aber
nicht hoffnungslos“ gegenüber Elisabeth Schwarzhaupt äußerte, durchaus fundamenta-
ler, warf der Sender der Ministerin doch unter anderem Versagen bei der Bekämpfung
der Mütter- und Säuglingssterblichkeit vor.

7.1.2 Kritik an der Mütter- und Säuglingssterblichkeit


Im hessischen Landtagswahlkampf 1964 fuhr der Hessische Rundfunk einen – von
Kabinett und Ministerin als parteipolitisch motivierte Attacke zugunsten der SPD gewer-
teten581 – Frontalangriff auf die Arbeit des Ministeriums. Unter dem Titel „Ernst – aber
nicht hoffnungslos. Das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik“ strahlte der Frankfur-
ter Sender eine dreiviertelstündige Reportage zur besten Sendezeit im Ersten Fernseh-
programm aus. HR-Intendant Werner Hess war persönlich involviert – er hatte Elisabeth
Schwarzhaupt um einen Interviewtermin für diese Sendung gebeten.582

578
Ebd. Hervorhebungen im Original.
579
Da nach Ellwein/Hesse, Regierungssystem, S. 303, die Ministerialbürokratie dazu neigt, ihre obersten
Vorgesetzten möglichst wenig mit internen Vorgängen zu behelligen, kann wohl davon ausgegangen
werden, dass Elisabeth Schwarzhaupt davon nichts erfuhr. Sehr wahrscheinlich wusste Elisabeth
Schwarzhaupt vorerst nur von den 10.000 Mark, die im Haushaltsvoranschlag vorgesehen waren.
580
Vgl. Haushaltsvorschlag für 1965 in BA Koblenz, B142/3603, Titel 675. Der sich immer ungünstiger
entwickelnde Wechselkurs der D-Mark zum US-Dollar in den 1960er Jahren war, wie oben gesehen,
ursächlich für diese „Kostenexplosion“ verantwortlich zu machen. Überwies der Bund 1963 noch 6,5
Millionen Mark nach Genf, waren es 1964 bereits 7,2 Millionen und 1965 schon über 8,2 Millionen. Der
Anteil für den Erste-Hilfe-Raum betrug somit nur 0,9 Prozent des 1965er WHO-Beitrages der Bundes-
regierung und fiel damit, bei einer Gesamtsteigerung des deutschen Beitrages an die WHO von 25
Prozent in nur zwei Jahren, optisch nicht mehr ins Gewicht.
581
Elisabeth Schwarzhaupt telegrafiert an den Intendanten des Hessischen Rundfunks, Werner Hess:
„Sie [die Fernsehsendung] war eine Wahlkampfsendung für die SPD und hat das Gebot der Objektivi-
tät und Fairness in gröbster Weise verletzt.“ BA 142/2993: Fernschreiben des Bundesgesundheitsmi-
nisteriums an den Hessischen Rundfunk vom 3. Februar 1965, 14.10 Uhr.
582
BA Koblenz, B142/2993: Brief des Intendanten vom 24. November 1964.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 150

Am Tag nach der Ausstrahlung waren Kabinett und Ministerium in heller Aufregung:
Elisabeth Schwarzhaupt beschwerte sich telegrafisch bei HR-Intendant Hess,583 und
Staatssekretär von Hase unterbrach gar die Bundespressekonferenz dieses Tages, um den
Protest der Bundesregierung gegen die Fernsehsendung zu annoncieren.584 Ein offizieller
Protest des Bundeskabinetts ist in der deutschen Mediengeschichte kein Einzelfall – die
Regel ist er allerdings auch nicht. So antwortete von Hase auf die Frage eines Journalis-
ten, ob „die Bundesregierung künftig jede innenpolitische Sendung [..] beobachten und
prüfen“ werde:

v. Hase: [...] ich möchte mich nicht festlegen, ich möchte aber darauf aufmerksam machen,
daß die Bundesregierung außerordentlich selten und stets nur mit großer Zurückhaltung zu
solchen Sendungen Stellung genommen hat. Ich glaube aber, die Volksgesundheit ist ein
Thema, das einer sehr ernsten und ausgewogenen Behandlung ganz besonders bedarf,
585
und das ist Aufgabe der Bundesregierung, sich auch dafür einzusetzen.

Die Vorwürfe der Sendung waren heftig: „Als vor drei Jahren das Bundesgesund-
heitsministerium geschaffen wurde, gab das zu der Hoffnung Anlaß, die bis dahin kon-
zeptionslose und unzulängliche Gesundheitspolitik werden neue, starke Impulse erhal-
ten, um die seit drei Jahren anstehenden Probleme lösen zu können. Wir müssen heute
feststellen: Diese Erwartungen wurden bisher nicht erfüllt.“586 Diese Einschätzung der
verantwortlichen Fernseh-Redakteure wurde von Elisabeth Schwarzhaupt noch als Po-
lemik hingenommen. Einen inhaltlichenVorwurf, der ein bedeutendes gesundheitspoliti-
sches Problem betraf, konnte sie aber nicht unkommentiert stehen lassen: die für ein
OECD-Land zu hohe Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik:

In der Bundesrepublik stirbt heute noch jeder 35. Säugling. Das ist die absolut höchste
Sterblichkeitsquote aller vergleichbaren europäischen Länder. In weitem Abstand folgt
Spanien, wo nur jeder 60. Säugling stirbt. [...] Für diese bestürzende Tatsache muß eine
587
falsche, veraltete Gesundheitspolitik verantwortlich gemacht werden.

Dieser Vorwurf traf Elisabeth Schwarzhaupt und ihren ministeriellen Stab besonders
tief – zumal die in der Fernsehsendung genannten Daten offensichtlich falsch waren. Um
an die aktuellsten Zahlen, die internationale Organisationen erhoben hatten und die über
parteipolitische Schönfärberei erhaben waren, zu kommen, begann im Ministerium be-
reits am Tag nach der Ausstrahlung eine eifrige Recherche. Schließlich hofften die Minis-
terialen, die Vorwürfe der Sendung schnellstmöglich richtig stellen zu können.

583
BA Koblenz, B142/2993: Fernschreiben des Bundesgesundheitsministeriums an den Hessischen Rund-
funk vom 3. Februar 1965, 14.10 Uhr. Elisabeth Schwarzhaupt schreibt: „Gegen die Sendung ‚Ernst –
aber nicht hoffnungslos, Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik’, die vom Hessischen Rundfunk im
1. Fernsehprogramm gestern ausgestrahlt wurde, protestiere ich mit aller Entschiedenheit.“
584
Siehe dpa-meldung vom 3.2.1965: „Kabinett protestiert gegen Fernsehsendung über Gesundheitspoli-
tik“.
585
Pressekonferenz zur Kabinettsitzung am 3. Februar 1965, 15.21 Uhr, im Bundeshaus (Zimmer 117 A).
Niederschrift in BA Koblenz, B142/2993.
586
Sendemanuskript „Ernst – aber nicht hoffnungslos, BA Koblenz, B142/2993 (P 111 II), S. 2f.
587
Ebd., S. 12.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 151

Das Statistische Bundesamt lieferte dabei ad hoc zwei Zahlenreihen: Die Entwicklung
der Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik seit 1949, wenngleich nicht für jedes
Jahr Daten vorlagen, sowie Vergleichszahlen mit europäischen Ländern für die Jahre
1960 und 1961. Demnach war die Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik seit 1946
kontinuierlich und signifikant zurück gegangen; starben 1946 auf eintausend Lebendge-
borene noch 97 Säuglinge im ersten Lebensjahr, so war diese Zahl 1960 bereits auf 34
gesunken. Im 3. und 4. Quartal 1964 überlebten nur noch 24 von 1.000 Säuglingen das
erste Lebensjahr nicht. Es starb also nicht jeder 35. Säugling, wie die Fernsehsendung
behauptete, sondern „nur“ jeder 42. – ein signifikanter Unterschied.588 Dass in Spanien
nur jeder 60. Säugling stürbe, war nach den – allerdings sehr lückenhaften – Zahlen des
Statistischen Bundesamtes ebenfalls nicht haltbar. Zwar konnte das Statistikamt keine
Zahlen für 1964 liefern, hatte aber für 1960 eine Sterblichkeitsrate spanischer Säuglinge
von 43 auf 1000 ermittelt, was bedeutete, dass 1960 noch jeder 23. Säugling starb.589
Damit war Spanien nicht etwa fortschrittlicher als die Bundesrepublik, es hinkte viel-
mehr europaweit hinterher. Trotzdem konnte die Gesundheitsministerin nicht zufrieden
sein mit der immer noch hohen Säuglingssterblichkeit im Land. Die nachfolgende Rang-
liste der Weltgesundheitsorganisation weist Deutschland noch 1962 auf dem hohen 15.
Platz der Industrieländer aus.

Säuglingssterblichkeit; Internationaler Vergleich der WHO590


Rang.................(1950) ........Land ............................1962 ............. 1950................. Rückgang
1 .........................3 ............Holland ............................15,3* ............. 25,2.................... 39,3%
2 .........................1 ............Schweden........................15,3* ............. 21,0.................... 27,2%
3 .........................5 ............Norwegen (1960).............18,9 .............. 28,2.................... 33,0%
4 ........................11 ...........Finnland...........................19,2 .............. 43,5.................... 55,9%
5 .........................2 ............Australien (1960) .............19,5 .............. 24,5.................... 20,4%
6 .........................7 ............Dänemark........................20,1 .............. 30,7.................... 34,5%
7 .........................4 ............Neuseeland .....................20,3 .............. 27,6.................... 26,5%
8 .........................8 ............Schweiz (1961)................21,0 .............. 31,2.................... 32,7%
9 .........................9 ............Großbritannien ................22,1* ............. 31,4.................... 29,6%
10 ........................13 ...........Irland ...............................24,2* ............. 46,2.................... 47,6%
11 .........................6 ............USA .................................25,3 .............. 29,2.................... 13,4%
12 ........................12 ...........Luxemburg (1961) ...........26,2 .............. 45,7.................... 42,7%
13 ........................10 ...........Kanada (1961).................27,2 .............. 41,5.................... 34,5%
14 ........................15 ...........Japan (1961) ...................28,6 .............. 60,1.................... 52,4%
15 ........................14 ...........Bundesrepublik................29,2* ............. 55,6.................... 47,5%

Wenige Wochen nach der Ausstrahlung sollte ein Podiumsgespräch stattfinden, das
sich Elisabeth Schwarzhaupt beim hr-Intendanten ausbedungen hatte, um die Vorwürfe

588
Auf dem 13. Bundesparteitag der CDU in Düsseldorf verwendet Elisabeth Schwarzhaupt gegenüber
den Delegierten sogar eine negativere Zahl: sie spricht dort von 27 Säuglingen, die das erste Lebens-
jahr nicht überleben. Elisabeth Schwarzhaupt, Antwort auf Delegiertenfrage, in: Christlich-
Demokratische Union Deutschlands (hg.): 13. CDU-Bundesparteitag, Düsseldorf, 28.-31. März 1965,
Niederschrift, Bonn 1965, S. 402.
589
1960 starben in der Bundesrepublik 34, in Spanien 43, in Österreich 38 und in Frankreich 27 Säuglinge
im ersten Lebensjahr (gerechnet auf 1000 Lebendgeborene). Besser war die medizinische Versorgung
im Ostblockstaat Tschechoslowakei mit 23,5 sowie in England mit 22, in der Schweiz mit 21 und in den
Niederlanden mit nur 17. BA Koblenz, B142/2993, Statistisches Bundesamt, Säuglingssterblichkeit in
europäischen Ländern vom 3. Februar 1965.
590
Ba Koblenz, B142/2993: Aufstellung der Weltgesundheitsorganisation, ohne weitere Quellennennung,
findet sich in der Vorbereitungsakte Elisabeth Schwarzhaupts auf die Fernsehdiskussion. Indizierte
Zahlen waren zum Zeitpunkt der Fernsehdiskussion nur vorläufig.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 152

vor Fernsehpublikum parieren zu können.591 Zu dieser Aufzeichnung wollte die Ministe-


rin die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation parat haben.592 Zuvor „blies“ das Presse-
referat der Ministerin allerdings zum PR-Angriff gegen die Fernsehsendung.

7.1.3 Schwarzhaupts PR-Maschinerie


Wie sonderbar die PR-Maschinerie des Ministeriums bisweilen funktionierte, lässt
sich anhand eines Vermerks Stralaus an Elisabeth Schwarzhaupt nachzeichnen. „Verbin-
dungsjournalist“ des Pressereferats war der Redaktionsleiter des medizinischen Bran-
chendienstes „euromed“ in München-Gräfelfing, Edmund Banaschewski, der einen vom
Pressereferat verfassten PR-Artikel gegen die Behauptungen der Fernsehsendung in un-
terschiedlichen Medien unterbringen sollte:

Ich habe mit Herrn Dr. Banaschweski persönlich sprechen können. Er hat mir bestätigt, daß
er die von Ihnen [Schwarzhaupt, d. Verf.] gewünschte Veröffentlichung ungekürzt und ohne
Namen des Autors übernehmen wird. Er stellt auch eine genügende Zahl von
Sonderdrucken zur Verfügung. Darüber hinaus hat er sich bereit erklärt, einen Abdruck der
Zeitung „Zeit“ zuzuspielen mit dem Anheimstellen, von dem Inhalt der Ausführungen in
geeigneter Weise Gebrauch zu machen.593

Diese Form der „informellen“ Pressearbeit ist nicht ungewöhnlich für den politischen
Bereich. Wie konspirativ die Aktion von Stralau jedoch geplant und durchgeführt wurde,
zeigt der zweite Absatz des Vermerks:

Herr Banaschweski bittet darum, daß das Manuskript ihm bis Montag, den 8.2., um 17,oo
Uhr zur Verfügung steht, damit die Ausführungen in der Samstagsausgabe vom 13.2.
erscheinen können. Ich könnte mir denken, daß die Luftkurierpost der Bundeswehr das
Manuskript nach München befördert und es dem Verlag übergibt.594

591
Die Aufzeichnung eines Podiumsgesprächs fand am Mittwoch, 10.2.1965, 17 Uhr, im Funkhaus des
HR in Frankfurt am Main statt. Diskussionsteilnehmer neben Elisabeth Schwarzhaupt waren der In-
nenminister des Landes Rheinland-Pfalz, August Wolters, der hessische Minister für Arbeit, Wohlfahrt
und Gesundheitswesen Heinrich Hemsath sowie der Präsident der Deutschen Zentrale für Volksge-
sundheitspflege, Prof. von Manger-König. Die Moderation leitete ein Redakteur des Münchner Merkurs.
Siehe Brief der Abteilung FS/Zeitgeschehen des Hessischen Rundfunks an Schwarzhaupts Pressere-
ferenten Adolf Michaelis vom 5. Februar 1965, BA Koblenz, B142/2993.
592
Die Beamten im Ministerium recherchierten zudem – da Schwarzhaupts SPD-Widerpart Hemsath an
dem Gespräch teilnahm – eine Rangliste, die die Säuglingssterblichkeit der einzelnen Bundesländer
miteinander verglich. Wissenschaftlich interessant ist an dieser Rangliste sicher weniger, unter welcher
Regierungspartei die Säuglingssterblichkeit ein paar Prozent höher oder niedriger war, sondern wie
hoch die Sterblichkeit unehelich geborener Kinder war. Im weltoffenen Hamburg lag dieser Anteil nur
bei 33, in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hingegen bei weit über 65 (auf 1000). Daten des
Statistischen Bundesamtes, BA Koblenz, B142/2993
593
Vermerk Abteilungsleiter I vom 5. Februar 1965. BA B142/2993 (P111 I). Das Manuskript mit dem Titel
„Hoffnungslos – aber nicht ernst zu nehmen“ spielte durchaus ironisch mit Formulierungen und Vorwür-
fen der Sendung, so dass dem Ministerium ein journalistisch anspruchsvoller und attraktiver Text ge-
lang. Nur so konnte einerseits die redaktionelle Übernahme des Manuskripts gesichert und zweitens
der Leserschaft eine eigenständige redaktionelle Leistung des übernehmenden Mediums vorgegaukelt
werden.
594
Ebd.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 153

Die Lancierung des PR-Artikels duldete offensichtlich keinen Aufschub. Der Vermerk
ist auf Freitag datiert, „Redaktionsschluss“ war der Montag danach – auf die Zuverlässig-
keit der Bundespost, einen Brief über das Wochenende zustellen zu können, wollte sich
der Ministeriale also nicht verlassen, ein schlichter Einschreibebrief kam für ihn nicht in
Frage. Auch ein Fernschreiben erschien ihm offensichtlich nicht praktikabel – Stralau
fürchtete wohl „Mitleser“ bei der Übertragung, die den PR-Coup platzen lassen könnten.
Was auch der Grund gewesen sein mag: die Bundeswehr als Postboten für dieses eher
lächerliche Ansinnen, einen PR-Artikel nach München zu übermitteln, zu missbrauchen,
erscheint aus heutiger Perspektive doch sehr übertrieben und lässt an einen Politthriller
denken. Hier ging es jedoch „nur“ um den angekratzten Stolz der Ministerin, die sich in
Wahlkampfzeiten von einer Fernsehsendung diskreditiert sah. Und so muss es wohl auch
der Pressereferent der Ministerin, Adolf Michaelis, gesehen haben. Er stoppte die Idee
Stralaus und schickte am Montag, weniger hektisch als dieser und – als ob er die fehlen-
de Dringlichkeit des Papiers explizit dokumentieren wollte – sogar um eine Stunde ver-
spätet, um 18 Uhr ein offizielles unkodiertes und die Intension klar bezeichnendes Fern-
schreiben an den Fernschreiber Nr. FS 05-22451:

Sehr geehrter Herr Dr. Banaschewski.


Ich beziehe mich auf das Gespräch mit Herrn Dr. Stralau und übermittle Ihnen anschließend
den Artikel zur Fernsehsendung „Ernst – aber nicht hoffnungslos“.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Michaelis
Pressereferent im Bundesministerium für Gesundheitswesen595

Keine Spur mehr von Heimlichtuerei, sondern ein offener PR-Artikel, der seine Ab-
sicht im Titel trägt – nämlich eine Antwort auf die Fernsehsendung zu sein – und den
Autor mehr oder weniger klar bezeichnet: entweder Stralau oder Michaelis, jedenfalls aus
der „Chefetage“ des Ministeriums stammend. Der „Politkrimi“ war also keiner – trotz-
dem: Mit völlig offenen Karten spielten Ministerium und Banaschewski immer noch
nicht. Weiterhin wurde die Leserschaft darüber im Dunkeln gelassen, wer die Urheber
des Manuskripts waren. Und so erschien der vom Ministerium formulierte Text auszugs-
weise in vielen unterschiedlichen Medien, ohne dass die wahre Autorschaft offenbar
wurde. Vereinzelt erschien der Text anonym, oder, was weitaus häufiger geschah, „reale“
Autoren amalgamierten eigene Kommentare mit einzelnen Textstellen aus dem Minis-
teriumsskript. Dass die übernehmenden Medien beinahe ausschließlich im CDU-nahen
beziehungsweise klerikalen Umfeld beheimatet waren, darf nicht weiter verwundern.596

595
Fernschreiben Michaelis an die Redaktion „euromed“ vom 8. Februar 1965. BA B142/2993 (P111 I).
596
Zu nennen sind u.a. ein anonymer Artikel mit der Überschrift „Noch am Leben“ im Speyerer Bistums-
blatt „Der Pilger“ vom 21. Februar 1965, S. 191, ein Artikel in der von Ludwig Erhard herausgegebenen
Wochenschrift für Wirtschaft und Sozialpolitik „Das Wirtschaftsbild“ vom 5. Februar 1965, S, 5f, einem
Manuskript in „telepress. Funkpolitischer Dienst“ vom 11.3.1965, S.5f, und auch die vom ehemaligen
Staatssekretär Otto Lenz (CDU) herausgegebene Zeitschrift „Die politische Meinung“ befleissigte sich
der Verbreitung des Ministeriumsskripts in Klaus Hoff, Wahlkampf auf eigene Faust. Das Fernsehen
missbraucht seine Macht, in: ebd. 102/1965, S. 13-18, S. 17. Auch wenn einige dieser Publikationen
parteipolitische Neutralität suggerierten – sie lagen alle streng auf CDU-Kurs, besonders das als
„Spenden-Waschanlage“ operierende „Wirtschaftsbild“. Siehe hierzu ausführlich: Bösch, Adenauer-
CDU, S. 215-221.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 154

7.2 Kritik an der Umweltpolitik

Fortschrittliche Umweltpolitik kann sich nicht darauf beschränken, auf


bereits eingetretene Schäden zu reagieren; ihr Ziel muß sein, dass die
unerwünschten Nebenwirkungen unserer wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Entwicklung rechtzeitig erkannt und durch weit
vorausschauende Umweltplanung vermieden werden.597
Hans-Dietrich Genscher (1973)

In ihrem in Bad Godesberg verabschiedeten Grundsatzprogramm von 1959, das die


SPD modernisierte und „einen entscheidenden Durchbruch in Richtung Volkspartei, zu
zu der die CDU erfolgreich angetreten war“598, bahnte, analysierte die SPD die aktuelle
ökologische Situation – ohne jedoch im gesamten Programm die Vokabel „Umwelt“ zu
verwenden – und bekannte sich zu einer Politik, die diese Belastungen für die Gesund-
heit der Bürgerinnen und Bürger minimieren bzw. ganz abschaffen sollte. Bereits 1959
hatte die Sozialdemokratische Partei die Wichtigkeit gesunder Umweltbedingungen für
die Gesundheit der Bevölkerung nicht nur erkannt, sondern in ihrem Grundsatzpro-
gramm unverrückbar festgeschrieben. Die Christdemokraten taten sich mit dieser Ein-
sicht weitaus schwerer. Noch 1965, als Elisabeth Schwarzhaupt schon dreieinhalb Jahre
lang für Gesundheit und Umwelt auf Bundesebene zuständig war und landauf, landab
Reden gegen die Verschmutzung von Luft und Wasser hielt, hielt ihre eigene Partei die-
sen Zusammenhang noch für einen relativ exotischen Politikbereich, dem sie sich erst
langsam emotional näherte. Die Diskussionen auf dem Düsseldorfer CDU-Parteitag im
Frühjahr 1965 belegen dies. So leitete der nordrhein-westfälische Ministerpräsident
Franz Meyers599 als Parteitagspräsident die Aussprache zum Arbeitskreis „Gesunde Um-
welt – Gesunde Menschen“ mit folgenden naiv-wohlwollenden Worten ein:

Dieses Thema „Gesunde Umwelt – Gesunde Menschen“ scheint auf den ersten Blick keine
besonderen Beziehungen zur Politik zu besitzen. Aber das täuscht. Wir finden diese
Beziehungen sofort, wenn wir den Begriff der Politik, insbesondere den der Innenpolitik,
richtig deuten. Politik wird nicht um ihrer selbst willen getrieben, sondern Politik hat dem
Menschen zu dienen;, während sich die Außenpolitik darum bemüht, das Zusammenleben
der Völker zu harmonisieren und zu erleichtern, ist es Aufgabe der Innenpolitik, den
Menschen in unserem eigenen Staat möglichst gute Lebensbedingungen zu schaffen und
zu erhalten.600

Was Meyers den Parteitagsdelegierten hier als nachgerade progressive neue Erkenntis
verkaufen möchte, ist – bezogen auf das Godesberger Programm der Sozialdemokraten
und bezogen auf die mittlerweile betriebene Arbeit der eigenen Ministerin – ein „alter

597
Hans-Dietrich Genscher, Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Umweltschutz. Das
Umweltprogramm der Bundesregierung, mit einer Einführung von Hans-Dietrich Genscher, Stuttgart
3
1973, S. 6-12, S. 6.
598
Olzog/Liese, Parteien, S. 122.
599
Franz Meyers (1908-2002) war letzter CDU-Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und regierte acht
Jahre lang von 1958 bis 1966, die ersten vier Jahre mit absoluter Mehrheit, von 1962 bis 1966 in einer
Koalition mit der FDP. Kurzbiografie unter http://www.nrw2000.de/koepfe/meyers.htm.
600
13. Bundesparteitag der Christlich-Demokratischen Union, herausgegeben von der Bundesgeschäfts-
stelle, Bonn 1965, S. 344
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 155

Hut.“601 Deutlicher als Meyers und andere CDU-Mitglieder sah die SPD diese erfolgrei-
che Arbeit – und zollte Elisabeth Schwarzhaupt trotz aller Kritik, die die SPD-geführte
Bundesregierung unter Willy Brandt an der Gesundheits- und Umweltpolitik der unions-
geführten Vorgängerregierungen zu üben hatte, Respekt. Im „Umweltprogramm der
Bundesregierung“ vom 14. Oktober 1971 zog die sozial-liberale Koalition daher folgendes
wohlwollendes umweltpolitisches Fazit:

Der Zustand in der Bundesrepublik Deutschland ist zum Teil besorgniserregend, obwohl hier
zum Beispiel Naturschutz und Landschaftspflege, Luft- und Wasserreinhaltung,
Abfallbeseitigung und Lärmbekämpfung, aber auch die Kontrolle der Strahlenbelastung
sowie der Reinhaltung von Lebensmitteln teilweise auf langer guter Tradition beruhen. Das
zeigt sich besonders im Gewerberecht, im Wasserrecht, im Lebensmittelrecht und in
zahleichen technischen Richtlinien, die vorbildlich für andere Länder waren, und spiegelt
sich auch im hohen Stand der Umweltschutztechnik wider.602

Gesamtsituation „besorgniserregend“, aber in Einzelbereichen vorbildlich – dies war


das Fazit der „Erfinder“ bundesdeutscher Umweltpolitik. Die CDU hingegen führte keine
umweltpolitischen Debatten – und auch keine gesundheitspolitischen. In den fünf Jah-
ren, in denen Elisabeth Schwarzhaupt qua Ministeramt Bundesvorstandsmitglied war,
nahm sie dort nur ein einziges Mal dazu das Wort – entsprechend grundsätzlich, aber
„thematisch dünn“ geriet ihr Plädoyer für mehr Akzeptanz des von ihr verantworteten
Politikbereichs. Er blieb die einzige umweltpolitische Wortmeldung im CDU-
Bundesvorstand:

Was das einfache Volk [...] sieht, sind gerade die Fragen gesundheitspolitischer und
familienpolitischer Art. Danach werden sie sich sehr stark im Wahljahr richten. Sie wissen
etwas von der Verunreinigung der Luft, vom Wasser und von den Gefahren der
Müttersterblichkeit, die nun einmal, was man auch darüber sagen kann, bei uns relativ hoch
ist. Deshalb müssen wir diese Gebiete unserer Politik in den Vordergrund rücken. Wir
können es auch mit gutem Grund. Gerade bei der Gesundheitspolitik handelt es sich nicht in
erster Linie um die Verteilung von Mitteln, die nachher unkontrolliert in den Konsum
603
gelangen, sondern hier handelt es sich um das, was der Herr Bundeskanzler
hervorgehoben hat, nämlich um soziale Investitionen, soweit es sich überhaupt um die
Aufwendung von Mitteln handelt, um die Aufwendung gezielter Maßnahmen.
Das zweite Mittel bei der Gesundheitspolitik ist die Regelung und die Setzung von Grenzen.
Hier geht es darum, politische Methoden zu entwickeln, die durchaus in unsere Konzeption
hineinpassen. Wir müssen etwas mehr als bisher davon reden. Wir müssen mehr zeigen,
als das bisher in unserer Partei und in der Öffentlichkeit geschieht.

601
Auch Meyers müsste programmatisch längst mehrere Schritte weiter sein, wie die Berichterstatterin
des Gesundheitsausschusses, Elinor Hubert (SPD), bereits in der 23. Sitzung des 4. Bundestags am 5.
April 1962 anmerkte: „Die sozialdemokratische Forderung nach dem blauen Himmel an der Ruhr ist
zuerst sehr vielem Spott begegnet. Dieser Spott hörte bald auf, als der Ministerpräsident von Nord-
rhein-Westfalen in Amerika erlebte, daß es keineswegs notwendig ist, daß über Industriegebieten eine
Dunstglocke lagert, die die Sonne verbirgt.“ Bundestagsprotokolle IV/23, S. 889.
602
Genscher, Umweltschutz, S. 19.
603
Ludwig Erhard hatte zu Beginn der Bundesvorstandssitzung vom 27. November 1964 einen „Bericht
zur Lage“ abgegeben, in dem er aber die Bereiche Gesundheits- und Familienpolitik aussparte. Siehe
Erhard, Bericht zur Lage, in: Konrad Adenauer, „Stetigkeit in der Politik“. Die Protokolle des CDU-
Bundesvorstands 1961-1965, bearbeitet von Günter Buchstab, Düsseldorf 1998, S. 737-751.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 156

Ich bin dankbar dafür, daß die Bundesgeschäftsstelle Publikationen auf diesem Gebiete
604
herausgibt. Ich möchte bitten, daß hier noch mehr als bisher geschieht.

Elisabeth Schwarzhaupt brachte hier das Schattendasein ihrer Politik innerhalb der
CDU auf den Punkt: Die Bevölkerung nahm Defizite im Umweltschutz und in der ge-
sundheitlichen Versorgung als dringend verbesserungsnötig wahr605, die Union vernach-
lässige diese Bereiche aber zugunsten feinstnuancierter und kaum noch unterscheidbarer
– den Nöten der Bevölkerung ohnehin fern liegender – Außenpolitik. Natürlich war Eli-
sabeth Schwarzhaupt an der Problemlage, die sie beschrieb, selbst nicht gänzlich un-
schuldig, denn dass ihrer Gesundheitspolitik eine politische Methode fehlte, kann nur als
politischer Offenbarungseid der fachfremden Ministerin verstanden werden. Da nützte es
ihr argumentativ auch nichts mehr, wenn sie sich hinter den publizierten „Arbeitsnach-
weisen“ ihres Ministeriums, die die Bundesgeschäftsstelle vertrieb, versteckte.
Das ist das eine, das offenbare. Das andere, subkutane, ist, dass Elisabeth Schwarz-
haupt sehr wohl eine politische Methode anwandte, auch wenn sie ihr sicherlich nicht
bewusst und jene zudem nicht die effizienteste war: den ihrem Politikfeld zu dieser Zeit
dominierenden „ordnungsrechtlichen command-and-control-Ansatz“, bei dem „technik-
bezogene Detailregelungen, Grenzwerte und Genehmigungsbedingungen [...] beim In-
strumentenmix im Vordergrund, oft ergänzt durch Subventionen/Steuerpräferenzen
oder planerische Vorgaben in Spezialbereichen.“606 Dieses Politikmuster, das einen rea-
gierenden, kurativen Charakter hatte und zudem zu sehr auf staatliche Überwachung und
staatliche Initiative statt auf marktwirtschaftliche und nachhaltige Instrumente setzte,
geriet spätestens Ende der Siebziger Jahre in die – akademische – Kritik. Zwar verfolgte
Elisabeth Schwarzhaupt beispielsweise im Umweltbereich das Verursacherprinzip, doch
schafften es ihre legislatorischen Bemühungen nicht, mit diesem Handlungsansatz Ver-
schmutzungen von vornherein systemisch zu verhindern. Wie in Kapitel 4.2 gesehen,
setzte die Ministerin auf vermehrte staatliche Initiative und drängte den individualisti-
schen Politikansatz mehr und mehr zurück. Ein modernerer Ansatz wäre gewesen, die
staatliche Initiative zu Gunsten eines Regelkreises zurückzunehmen und auf indirekte
Steuerung zu setzen, in dem die Verursacher selbst Teil der Problemlösung werden konn-
ten, mithin von positivem Umweltverhalten mehr profitierten als von fragwürdigem. So
würde vorbildliches Handeln noch positiv verstärkt, anstatt durch immer neue staatliche
Verordnungen nur die Symptome der Umweltgefährdung zu reparieren. Jörn Altmann
erläutert diese Verhaltensweise in ökonomischer Diktion folgendermaßen:

604
Redebeitrag Elisabeth Schwarzhaupts in der Bundesvorstandsitzung der CDU vom 27. November
1964, in: Adenauer, Stetigkeit, S. 783. Zur erwähnten Müttersterblichkeit: 1961 starb noch eine Frau
auf 1.000 Lebendgeburten, insgesamt starben bundesweit 989 Gebärende. Diese Zahl sank konti-
nuierlich: 1962 starben 887 Gebärende, 1963 873 und 1964 742. Vgl. Bevölkerungsstatistik, in: Ge-
sundheitsreport für die WHO, BA Koblenz, B142/3313.
605
Elisabeth Schwarzhaupt, ebd., hält die außen- und sicherheitspolitischen Debatten innerhalb der CDU
und innerhalb des Kabinetts für die Bevölkerung für kaum nachvollziehbar, „weil das einfache Volk und
die große Zahl unserer Wähler sich schwer tun, ein Urteil zu bilden über die Fragen von MLF, über die
Nuancenunterschiede zwischen unserer Frankreichpolitik und unserer Amerikapolitik. Da sieht das
Volk im Grunde genommen nur den Streit [...] und paßt im Grunde genommen vor dem Gedanken an
die Gefahren, die sich aus einer falschen Außenpolitik und Verteidigungspolitik ergeben können.“ Die
einfach nachzuvollziehende Gesundheitspolitik finde hingegen nicht statt.
606
Jänicke/Kunig/Stitzel, Umweltpolitik, S. 39ff.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 157

Das Verursacherprinzip besagt, daß grundsätzlich derjenige für die Vermeidung von
Umweltbelastungen bzw. die Beseitigung von Umweltschäden aufzukommen hat, der sie
verursacht hat, daher die Bezeichnung polluter-pays-Prinzip (PPP). Dadurch sollen
Wirtschaftssubjekte die von ihnen verursachten externen Kosten von Produktion und
Konsum in ihr wirtschaftliches Kalkül mit einbeziehen. Werden als Folge der Anwendung
des Verursacherprinzips externe Kosten internalisiert, also mit [in] die Kostenstruktur und
damit in den Marktpreis einbezogen, dann wird der Wettbewerbsvorteil umweltintensiv (d.h.
umweltbelastend) hergestellter Güter aufgehoben und ein Anreiz geschaffen, weniger
umweltintensive Produkte bzw. Produktionsverfahren zu entwickeln. Außerdem kann mit
dem Verursacherprinzip die volkswirtschaftliche Effizienz erhöht werden, da die
nachträgliche Beseitigung von Umweltschäden in der Regel teurer ist als die Vorbeugung
durch bereits innerbetriebliche Vermeidung.607

Dieser Vorwurf, nur Symptome abzustellen zu versuchen, muss der Ministerin tat-
sächlich gemacht werden, hatte ihr Politikansatz doch noch einen zweiten Haken: Er
blähte die Verwaltung des Ministeriums immer mehr auf und verhinderte damit eine
zielführende Politik:

Daß eine Politik auch durch Erfolg beendet werden könne, ist aus der Sicht des politischen
Beobachters eine Trivialität. Für die Verwaltungen liegt dieser Gedanke weniger nahe, weil
sie ja dem zu behandelnden Problem oft ihre Existenzberechtigung verdanken. Die
Institutionalisierung einer Problembearbeitung durch große Verwaltungsapparate bringt
immer die Gefahr mit sich, dass sie letztlich ein Interesse am Fortbestand der Probleme
begünstigt (die dann nicht ursächlich, sondern in ihren Symptomen bekämpft werden). Die
wirkliche Problemlösung kann somit ihren Interessen zuwiderlaufen.608

Diese Aufblähung beinahe aller Behördenapparate im Gesundheitssystem war eine di-


rekte Reaktion des steigenden Anspruchsniveaus. Je weiter die medizinische Entwick-
lung voranschritt, desto höher war das Anspruchsniveau derjenigen, die diese Leistungen
in Anspruch nahmen. „Erfüllung von Ansprüchen treibt das Niveau nach oben. Daraus
entwickeln sich Anspruchsspiralen, die wiederum durch bürokratische Mechanismen
verstärkt werden können“609, erläutert etwa der Gesundheitsökonom Philipp Herder-
Dorneich:

Besonders bekannt ist hier das sogenannte „Heckenschnittverfahren“, das zeigt, wie
(eigentlich zur Kostendämpfung gedachte) bürokratische Maßnahmen in expansive Effekte
umschlagen können. Bei den Maßnahmen zur Honorarbegrenzung der Ärzte orientieren
sich die Honorarkürzungsausschüsse an Durchschnittswerten; dies führt dazu, dass die
Ärzte sich ihrerseits an diesen Durchschnittswerten ausrichten. Wenn viele dies tun, werden
die Durchschnittswerte nach oben gedrückt; eine weitere Ausrichtung an diesen
Durchschnitten erhöht die Durchschnittswerte wiederum und schiebt sie abermals nach
oben. So entwickelt sich eine Spirale.610

607
Jörn Altmann, Umweltpolitik. Daten, Fakten, Konzepte für die Praxis, Stuttgart 1997, S. 118. Hervorhe-
bung im Original. Vgl. auch: Eberhard Feess, Umweltökonomie und Umweltpolitik, München 1998, S.
67ff, der am „Beispiel der deutschen Luftreinhaltepolitik“ den ordnungspolitischen Ansatz des Bundes-
immissionsschutzgesetzes spieltheroretisch durchrechnet.
608
Jänicke/Kunig/Stitzel, Umweltpolitik, S. 64.
609
Herder-Dorneich, Gesundheitswesen, S. 566.
610
Ebd.
7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts 158

Diese Honorarspirale bekam Elisabeth Schwarzhaupt – und mit ihr alle nachfolgen-
den Gesundheitsministerinnen und –minister – nicht in den Griff. Nicht, dass sie gegen-
über diesem systematischen Zuwachsmechanismus politisch hilflos gewesen wäre: Sie
trieb diesen Mechanismus selbst tatkräftig durch ihre reformierten ärztlichen Gebühren-
ordnungen an. So änderte sie etwa nicht zureichend die Berechnung der ärztlichen
Durchschnittseinkommen: Gut verdienende Privatärzte trieben diesen Durchschnitt
nach oben. Und sie verhinderte nicht, dass einige Krankenversicherungen statt der vor-
gesehen 100 Prozent zwanzig Prozent mehr erstatteten, als vorgesehen. Zwar setzte Eli-
sabeth Schwarzhaupts Ministerium andere Berechnungsgrundlagen für das Arzthonorar
fest, doch blieb dieses „Spiralsystem“ bestehen. 611 Dieses Problem der „Kostenexplosion
im Gesundheitswesen besteht bis heute. Ohne dies in dieser Arbeit angesprochen zu ha-
ben, läst sich sicherlich folgendes feststellen: Die Leitlinien, denen schon Elisabeth
Schwarzhaupt gefolgt war und die sie schon Anfang der 1960er Jahre problematisierte,
scheinen sich bis heute tradiert zu haben. Eine Untersuchung, die diese bereits Ende der
Fünfziger Jahre gelegten Weichenstellungen bundesdeutscher Gesundheitspolitik in den
Blick nimmt und die Entwicklungsstränge bis in die heutige Zeit verfolgte, wäre sicher
lohnend. Damit zur Schlussbetrachtung dieser Arbeit.

611
Vgl. etwa Der Spiegel 30/1964, S. 22ff, „Eine Gebührenordnung ist kein Kinderspiel“. Spiegel-Gespräch
mit Bundesgesundheitsministerin Elisabeth Schwarzhaupt.
8 Zusammenfassung und
Schlussbetrachtung

Unser Grundsatz muß bleiben, dass alle technische Entwicklung, die


die Produktion fördert, die die Arbeit erleichtert, die die Produktion
verbilligt oder das Sozialprodukt erhöht, nur dann als ein Fortschritt
gewertet werden kann, wenn sie auch diejenigen technischen
Maßnahmen in sich schließt, die Störungen von der Umwelt, von den
Menschen in der Umwelt abwenden. Eine technische Entwicklung, die
nur das Sozialprodukt ausweitet, die nur die Arbeit der Arbeitenden
erleichtert, die nur mehr Gewinne bringt, die aber die Umwelt stört und
schädigt, ist kein Fortschritt, sondern ist, auf das Ganze unseres
Volkslebens gesehen, ein Rückschritt.612
Elisabeth Schwarzhaupt (1965)

Als Elisabeth Schwarzhaupt am 1. Dezember 1966 ihr Amt an Käte Strobel abgeben
musste, hatte sie eine Erfolgsbilanz aufzuweisen, die man der CDU gemeinhin nicht zu-
trauen würde: Sie hatte Gesundheitspolitik sowohl innerhalb ihrer Partei, aber auch in-
nerhalb der Bundesregierung als wichtiges neues, nicht nur sozial – und sozialversiche-
rungspolitisch definiertes Themenfeld fest etabliert. Seit Elisabeth Schwarzhaupt ist
Gesundheitspolitik auch Bundessache, auf ein dezidiert für Gesundheitsfragen zuständi-
ges Kabinettsmitglied konnte bislang kein bundesdeutscher Regierungschef mehr ver-
zichten. Sie machte den Umweltschutz für sich zur „Chefsache“ und trieb den Verbrau-
cherschutz voran. Gesundheitliche Aufklärung, sogar in Fernsehspots, war für sie
essentiell, ebenso verantwortlicher Umgang mit der Natur. Sie ließ die ersten Katalysato-
ren in die Fahrzeugflotte ihres Ministeriums einbauen, setzte das Detergentiengesetz um,
und verbot irreführende Arzneimittelwerbung.
Politisch setzte sie zwar auf die individuelle Verantwortung des einzelnen, trat aber
andererseits dort für eine staatliche Ordnungspolitik ein, wo sie ihr nötig erschien. Dafür

612
Schwarzhaupt, Impulsreferat auf dem 13. CDU-Bundesparteitag, S. 351.
8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 160

schreckte sie auch nicht vor einer Verfassungsänderung zurück, die dem Bund mehr
Kompetenzen zusprechen sollte; die Länder sollten diese Kompetenzen verlieren. Die
Länder verweigerten jedoch ihre Zustimmung zu der Grundgesetzänderung – Elisabeth
Schwarzhaupts gesetzgeberische „Macht“ wurde von den Bundesländern eingedämmt.
Die verfassungsbedingten Kompetenzstreitigkeiten mit den Ländern führten sie zur
Planung einer Grundgesetzänderung, die diesen föderalen Missstand – der beispielhaft
am Scheitern des Jugendzahnpflegegesetztes offenbar wurde – beheben sollte, deren
Inkrafttreten sie als Ministerin aber nicht mehr begleitete. Immerhin: Sie stritt mit den
Ländern für weitreichendere Rechte des Bundes, was auch ihrer Vorstellung von staatli-
cher Ordnungspolitik entsprach. Während sie im Gesundheitsbereich zwar auf die per-
sönliche Verantwortung des einzelnen Bürgers für die Erhaltung seiner Gesundheit setzte
und hier eher subsidiar dachte, war ihre grundsätzliche Haltung in der Umweltschutzpo-
litik eindeutig: Die erste faktische Umweltministerin dieser Republik sah nur im staatli-
chen Zwang, der bundesweit einheitliche Umweltstandards durchsetzen sollte, den einzi-
gen wirksamen Hebel für eine Verbesserung der natürlichen Umweltbedingungen. Auf
Wasser, Luft und Lärm legte sie ihr Hauptaugenmerk – sicherlich die damals drängends-
ten Umweltprobleme.
Aus heutiger Perspektive war der methodische Ansatz Elisabeth Schwarzhaupts, die
gröbsten Umweltverschmutzungen zu beseitigen, nachhaltiger und moderner als derjeni-
ge der sozial-liberalen Koalition, die gemeinhin als „Erfinderin“ der Umweltpolitik gilt.
Elisabeth Schwarzhaupt setzte klar auf die Reduzierung und Vermeidung der Emission,
also des Schadstoffeintrages in Luft und Wasser,613 während die sozial-liberale Politik
dem Immissionsschutz höhere Priorität einräumte. „Hochschornsteinpolitik“ und „sau-
rer Regen“, der für das Waldsterben verantwortlich gemacht werden kann, hatten hier
ihren Ausgang. Die aktuelle Umweltschutzforschung kritisiert diese Fehlentwicklung der
1970er Jahre – den Alternativansatz Schwarzhaupts, der bereits zehn Jahre zuvor in
praktische Politik umgesetzt wurde, nimmt sie aber weitgehend nicht zur Kenntnis.
Da das Ministerium gerade einmal fünf Jahre bestand, als Elisabeth Schwarzhaupt es
an Käte Strobel abgeben musste, befanden sich viele Institutionen der Gesundheitsver-
waltung noch in der Aufbauphase beziehungsweise waren noch im Planungsstadium be-
griffen. Gerade in diesem Bereich administrativer Ausdifferenzierung fühlte sich Elisa-
beth Schwarzhaupt durch ihre Ablösung mitten aus der Arbeit gerissen. Dem
langjährigen Präsidenten der Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege, Franz Klo-
se, schrieb sie daher kurz nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt:

Manche Aufgaben hätte ich gerne noch selbst weitergeführt, den Ausbau des Berliner
Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, den Aufbau einer Bundesanstalt für
Gesundheitserziehung, die Mitwirkung bei der Gesetzgebung über die Entgiftung der
Autoabgase, das Weingesetz, ein Gesetz über die Fürsorge für psychisch Kranke und die
Weiterverfolgung der von unserem Hause vorgelegten Grundgesetzänderung sind Vor-
614
haben, die unter meiner Leitung z.T. bis kurz vor der Verwirklichung standen.

613
Bei der Bekämpfung des Fluglärms musste sie aus pragmatischen Gründen allerdings einen anderen,
eher auf der Immissionsseite ansetzenden Weg gehen.
614
Brief Schwarzhaupts an Klose vom 8.12.1966, BA Koblenz, N1177/1.
8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 161

Auch dass sie die Krankenhausfinanzierung, die einerseits der konkurrierenden Ge-
setzgebung unterworfen war, andererseits „auf den bei uns bestehenden Antagonismus
zwischen der Gesundheits- und der Sozialpolitik zurückzuführen ist“615, nicht in ihrem
Sinne gelöst bekam, bedauerte die erste Ministerin der Bundesrepublik. Sie verbuchte für
sich auch politische Erfolge, etwa „meine Bemühungen um Bekämpfung der Umwelt-
schäden, um die Reinhaltung von Luft und Wasser und die Einführung der Kenntlichma-
chung von Fremdstoffen in Lebensmitteln“.616
Dass Elisabeth Schwarzhaupt zeitlebens Glauben machte, ihre außerordentliche Kar-
riere wäre eine positive Fügung des Zufalls gewesen, an deren Zustandekommen sie
selbst reichlich unschuldig gewesen sei, konnte mit dieser vorliegenden Arbeit korrigiert
werden – ihre bisherigen Biografen hatten diesen Aspekt in Schwarzhaupts Berufsbio-
grafie nicht ausreichend gewürdigt. Die Juristin arbeitete konsequent, wenngleich nicht
verbissen, an ihrem beruflichen Aufstieg, was nur über ihre Herkunft aus einem aufge-
klärten, politisch und emanzipatorisch aktiven Elternhaus einer deutschen Metropole
wie Frankfurt erklärt werden kann. Durch exzellente Bildungsvoraussetzungen sowie die
frühe Einführung der Tochter in die politische Welt des Vaters, unterstützt durch den
frauenrechtlich aufgeklärten Geist der Mutter, schlug sie eine juristische Karriere ein,
noch bevor Frauen zum Richteramt zugelassen wurden. Durch ihre Arbeit in der Kanzlei
der Evangelischen Kirche bereitete sie ihren ersten – und frauenpolitisch ebenfalls histo-
rischen – Karrieresprung zur Oberkirchenrätin vor, was ihr den Weg in den Bundestag
ebnete. Rechtzeitig zur Bundestagswahl trat sie 1953 in die CDU ein, um als „Querein-
steigerin“ auch prompt in das höchste bundesdeutsche Parlament gewählt zu werden.
Bereits eine Legislaturperiode später hatte sie sich bis zum bis dahin parlamentarisch
höchsten Amt, das je eine CDU-Abgeordnete innehatte, vorgearbeitet (sie wurde zur
stellvertretenden fraktionsvorsitzenden gewählt), und aus dieser Position heraus er-
schien sie eine weitere Legislaturperiode später als die einzige ernsthafte Kandidatin um
das erste weibliche Ministeramt. Dieses hatte sie nicht einfach übertragen bekommen, sie
arbeitete ganz gezielt darauf hin, baute politischen Druck auf Adenauer auf – überließ
taktisch geschickt aber ihren Fraktionskolleginnen Helene Weber und Aenne Brauksiepe
die letzten entscheidenden Verhandlungen. Dies hatte die Schwarzhaupt-Historiografie
bislang nicht gesehen.
Schwarzhaupts Karriere, die in ihren Lebensumständen sowie ihrem Mut, im richti-
gen Moment ihr angebotene Chancen auch zu nutzen, begründet lag und beinahe natür-
licherweise an den Bonner Kabinettstisch führte, ist – gerade weil sie mehrmals die erste
Frau in bis dato reinen Männerdomänen war – so logischerweise nicht mehr wiederhol-
bar und damit einzigartig in der bisherigen bundesdeutschen Geschichte.
Trotzdem ist sie weitgehend vergessen. Wie ist dieses Paradoxon erklärbar? Ein
Grund ist sicher im Verhalten Elisabeth Schwarzhaupts selbst zu suchen. Obwohl sie
wusste, wie wichtig öffentlichkeitswirksame PR-Aktionen des Ministeriums alleine schon
aus fachlichen Gründen waren – Gesundheitsprävention kann nur über massenmedial
vermittelte Öffentlichkeitsarbeit wirksam sein617 –, gab sich ihr Ministerium im großen

615
So die Formulierung des Vorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft in einem Brief an Eli-
sabeth Schwarzhaupt vom 19.12.1966, BA Koblenz, N1177/1. Das unter Elisabeth Schwarzhaupts Ägi-
de vorbereitete Gesetz zur Krankenhausfinanzierung wurde nach der Grundgesetzänderung möglich.
616
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 274.
617
Vgl. hierzu u.a. das Kapitel „Gesundheitsbildung“ bei Riege, Gesundheitspolitik, S. 32ff.
8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 162

und ganzen doch recht öffentlichkeitsscheu.618 Die herbe Kritik am Verhalten des Minis-
teriums und seiner Leiterin im Contergan-Fall hinterließ hier wohl seine Spuren. Die
Ministerin, die politisch nicht für den Contergan-Fall verantwortlich gemacht werden
konnte, verhielt sich aber zu zurückhaltend, zu abwartend, und wies immer wieder auf
die ihr fehlende Gesetzgebungskompetenz im Contergan-Fall hin. Diese Einschätzung
der rechtlichen Situation war zwar korrekt; dass Elisabeth Schwarzhaupt sich aber
schwer tat, die wahre Ursache der Contergan-Fälle noch Jahre nach der Zurückziehung
des Medikamentes vom Markt öffentlich anzuerkennen, ist aus der heutigen Sicht kaum
verständlich. Vielleicht – das kann vermutet werden – hatte sie zusätzlich zu dem frucht-
schädigenden Medikament auch noch die gestiegene Umweltradioaktivität durch die
vermehrt durchgeführten Atombombenversuche der späten 1950er Jahre im Verdacht.
Diese Möglichkeit wollte sie sicher nie ganz ausschließen; dass ein Einfluss der Radioak-
tivität auf die Missbildungen bei Föten vor der Benennung der wahren Ursache durchaus
vorstellbar war, konnte hier ebenfalls neu gezeigt werden.
Der zweite Grund dafür, dass Elisabeth Schwarzhaupts Politik heute kaum noch be-
kannt ist, dürfte in dem Akzeptanzproblem liegen, dem ihr Politikfeld in den 1960er Jah-
ren noch unterlag. Ihre Anstrengungen hinsichtlich einer nachhaltig zu verstehenden
Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik wurden in diesen Jahren des aus-
gehenden Wirtschaftswunders nicht ausreichend wahrgenommen und gewürdigt – vor
allem nicht von ihrer eigenen Partei, die sich erst 20 Jahre später im Gefolge der Tscher-
nobyl-Katastrophe ernsthaft mit Umweltpolitik auseinander setzte.619 Zudem drängte die
Wahrnehmung der Defizite ihrer Politik die Wahrnehmung der Erfolge in den Hinter-
grund. Da sie sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt praktisch vollständig aus der
gesundheitspolitischen Debatte zurückzog und sich ausschließlich familienrechtlichen
Themen widmete, schnitt sie selbst die Traditionslinie ab, die sie weiterhin im kollektiven
Bewusstsein hätte halten können. Sie brach somit „alle Brücken hinter sich ab“, die einer
Konservierung des Andenkens ihrer Politik nützlich gewesen wären. Wahrscheinlich war
sie selbst ganz froh darüber, sich der ständigen Kritik nicht mehr aussetzen zu müssen
und hielt die Erinnerung an ihre Politik selbst nicht wach.
Ein weiterer Grund, der exakt die selben Auswirkungen zeitigte, kam von „außen“.
Während Elisabeth Schwarzhaupt sicherlich aus Unzufriedenheit und einem inneren
Entlastungsantrieb heraus ihre politischen Inhalte und ihre Vorstellung von moderner
Gesundheits- und Umweltpolitik nach ihrem Ausscheiden nicht weiter tradierte, kappten
auch die Große sowie die sozial-liberale Koalition diese Traditionslinie. Nicht nur partei-
politisch motivierte Personalentscheidungen, die etwa ihre sozialdemokratische Nachfol-
gerin Käte Strobel anstellte und die das Ministerium politisch neu auszurichten versuch-
te, sind alleine für das „aktive Vergessen“ Elisabeth Schwarzhaupts verantwortlich zu
machen.620 Auch dass das 1961 gegründete Bundesministerium für Gesundheitswesen
618
Der Spiegel 39/1962, S. 26, nennt es drastischer „kontaktscheu“: So drang offenbar auch Schwarz-
haupts Pressereferent Michaelis mit seinen Vorstellungen über Publizität im eigenen Ministerium bei
den beamteten Medizinern und Juristen nicht durch – das Ministerium schottete sich also von der Au-
ßenwelt ab.
619
Im Brief an Adenauer vom Juli 1964 wirft sie der CDU – wie gesehen – eine „Mauer des Desinteres-
ses“ gegenüber gesundheitspolitischen Fragestellungen vor. BA Koblenz, N1177/23, S. 5.
620
Strobel, Sozialpolitik, S. 384: „Als ich 1966 von Frau Dr. Schwarzhaupt das Ministerium übernahm, war
mein erster Eindruck – ich sage das ganz offen: – unter den Mitarbeitern sind Sozialdemokraten Man-
gelware und Mediziner muß man auch mit der Lupe suchen. Akademiker sind es viel, aber einfluss-
reich vor allem Juristen – und das im Gesundheitsministerium!“
8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 163

von der sozial-liberalen Koalition 1969 aufgelöst und mit dem Familienministerium im
Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit verschmolzen wurde, schnitt in
gewisser Weise Traditionslinien ab – das „alte“ Schwarzhauptsche Ministerium gab es
nicht mehr, und fiel deswegen der Vergessenheit anheim. Doch noch durchgreifender
waren sicherlich zwei andere Entwicklungen: Die Sozialpolitik Adenauers und Erhards
galt in den späten 1960ern rückblickend, im Zuge der Studentenrevolten und vor dem
Hintergrund der sozialpolitischen Erneuerung durch Willy Brandt, als wenig attraktiv, ja:
verbraucht. Der sozialpolitische „Aufbruch“, den die sozial-liberale Koalition versprach,
„überstrahlte“ das Wirken der Ministerin. Die sozial-liberale Gesetzgebung, die heute
noch als Beginn „wahrer“ Gesundheits- und Umweltpolitik gilt, dokumentierte diese
Aufbruchsstimmung. Hinzu kam, dass diese Politik bereits 1959 im Godesberger Pro-
gramm der SPD angedacht worden war, zu einer Zeit, in der innerhalb der CDU nur sel-
ten von Gesundheit und Umwelt als politischer Aufgabe gesprochen wurde. So galten die
SPD-Vorstellungen gegenüber den Bemühungen Elisabeth Schwarzhaupts und anderer
als das durchdachtere und originärere Konzept, dem CDU-Politiker nur die blanke Kopie
bis in die Nomenklatur hinein entgegenzusetzen hatten. Eigene CDU-Vorstellungen
sucht man hier vergebens.
In dieser sozialpolitisch neuen Phase, die einen „Einschnitt“ in der bundesdeutschen
Geschichte darstellte und die die „Nachkriegszeit“ nicht nur verbal beendete, wie das
Ludwig Erhard noch tat621, sondern dieses Ende auch gesellschaftspolitisch dokumen-
tierte, liegt meines Erachtens der Schlüssel dazu, weshalb heute kaum jemand noch Eli-
sabeth Schwarzhaupt kennt. Sie gehörte – sehr überspitzt formuliert – dem ancien re-
gime an, ihre Politik wurde durch diejenige Brandts und Genschers vollständig ersetzt,
die Initiatorin wurde vergessen.
Am Ende ihres Lebens blickte Elisabeth Schwarzhaupt nicht nur auf ihre Tätigkeit als
Ministerin zurück, sondern machte sich auch grundsätzliche Gedanken über ihre Funkti-
on als Abgeordnete. Hier wurde sie sehr nachdenklich in zweifacher Hinsicht. Ihr war
deutlich vor Augen, dass sie viel zu wenig wusste von dem, was sie selbst im Parlament
mitverabschiedete; und sie wusste um ihre unmittelbare „Macht“, politische Entwick-
lungen in Bewegung setzen zu können, ohne deren Auswirkungen wirklich im vorhinein
genau abschätzen zu können:

In dem Parlament eines modernen Industriestaates muß man immer wieder über Fragen
mitabstimmen, von denen man nichts versteht und nichts verstehen kann. Man kann nur
dann nützliche Arbeit tun, wenn man sich spezialisiert, wie ich auf Rechtsreform,
Frauenfragen, Gesundheitspolitik. Von der großen Mehrheit wichtiger politischer
Entscheidungen, die man mitträgt, übersieht man Einzelheiten und Erfolge nicht, was mich
oft belastete. Dazu kommt das Risiko, das alle Politiker zu tragen haben: ihre
Entscheidungen setzen Ursachen für künftige Entwicklungen, ihr Denken und Handeln ist in
eine Zukunft gerichtet, von der der Mensch nur wenig weiß.622

621
Regierungserklärung Erhards vom 10.11.1965, Bundestagsprotokolle V/4, S. 17ff: „Die Bezugspunkte
in der Arbeit des 5. Deutschen Bundestages und der Politik der Bundesregierung dürfen dennoch nicht
mehr der Krieg und die Nachkriegszeit sein. Sie liegen nicht hinter uns, sondern vor uns. Die Nach-
kriegszeit ist zu Ende.
622
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 274f.
8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 164

In der Tat musste sich Elisabeth Schwarzhaupt in die ihr fremde Gesundheitspolitik
mühsam einarbeiten, und sie verdrängte diese schnell, als sie wieder aus dem Amt schei-
den musste. Rechtsreform und Frauenfragen lagen ihr weitaus mehr am Herzen; in de-
ren Weiterentwicklung und ständiger Anpassung an ein modernes, gleichberechtigtes
Menschen- und Familienbild hatte sie ihre eigentliche parlamentarische Aufgabe gese-
hen. Und sie hatte Entscheidungen zu treffen, die in der Tat „Ursachen für künftige Ent-
wicklungen“ setzten; sie ist zwar als „Umweltministerin“ unbekannt und ihre Gesund-
heitspolitik ist mittlerweile vergessen, doch wäre ohne sie der Brandtsche „Himmel über
der Ruhr“ weitaus später wieder blau geworden, die Schaumberge auf den Flüssen hätten
weitaus größere Ausmaße angenommen, und Baumaschinen hätten weitaus länger – und
damit sicher auch weitaus mehr Menschen – an den Nerven gesägt. Sie hatte den Um-
weltbereich für das neue Ministerium beim Bundeskanzler eingefordert und legte damit
den Grundstein dafür, dass die Bundesrepublik in den 1980er und 1990er Jahren eines
der umweltpolitisch verantwortlichsten Länder der Welt werden konnte. Elisabeth
Schwarzhaupt war ihrer Partei hier programmatisch um einiges voraus – sie hatte in der
Umweltpolitik bereits gesetzgeberisch für Antworten gesorgt, als die Mehrheit der CDU-
Mitglieder noch nicht einmal begriffen hatten, dass überhaupt eine Frage zu stellen sei.623
Sie zeichnete auch als erste inoffizielle Verbraucherschutzministerin verantwortlich,
und zwar nicht nur für den Lebensmittelbereich, den sie mit der bis heute bekannten
Kennzeichnungspflicht transparenter machte624; bedingt durch die Contergan-
Katastrophe, die die Grenzen verantwortungsbewusster Arzneimittelwerbung auf tragi-
sche Weise offenbarte, schuf ihr Ministerium die rechtlichen Grundlagen für eine für
medizinische Laien leichter nachvollziehbare und inhaltlich aufrichtigere Bewerbung
von Medikamenten.
Dass ihre Arbeit als Ministerin durchaus Kritik hervorrief, ändert nur wenig an dem
positiven Bild, das sie auf dem Sessel an der Spitze des Ressorts abgab – sie hätte gerne
weitaus mehr getan, als ihr die verfassungsrechtliche Lage zugestand. Ihr Fürsorgegesetz,
das für eine bessere Jugendzahnpflege und damit nachhaltig für ein gesünderes Gebiss
bei weiten Teilen der Bevölkerung gesorgt hätte – und der Gesetzlichen Krankenversi-
cherung dadurch viele Milliarden Mark an zahnmedizinischer Kostenerstattung erspart
hätte – scheiterte an diesem föderalen Problem. Zwar gingen die Mütter- und die Säug-
lingssterblichkeit während ihrer Amtszeit erfreulicherweise zurück, doch hätte sie sich
hier ebenfalls weitaus mehr gesetzgeberische Kompetenzen gewünscht, um noch mehr
Gebärenden und Neugeborenen den Tod im Kreißsaal zu ersparen. Dass mit der finan-
ziellen Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation durch ihr Haus letztlich weltweit
die Pocken besiegt werden konnten, kann sich Elisabeth Schwarzhaupt ebenfalls hoch
anrechnen lassen.
Einen Kritikpunkt allerdings gibt es, um den die erste Frau am bundesdeutschen Ka-
binettstisch nicht herumkam und aus der historischen Perspektive nicht herumkommt:
ihr zu zurückhaltendes Verhalten im Contergan-Fall. Wie gesehen, konnte sie persönlich

623
Der Publizist Johannes Groß spitzte diesen Zustand, in dem sich die Partei spätestens mit der Abwahl
Kiesingers für jedermann offensichtlich befand, mit den Worten zu: „Die CDU ist nicht verbraucht, sie
ist politisch obsolet“. Und Buchhaas, Volkspartei, S. 317, urteilte über die Partei Elisabeth Schwarz-
haupts: „An der Wende zu den siebziger Jahren war die CDU eine Partei der Nachkriegszeit geblie-
ben.“
624
Der Aufdruck des Mindesthaltbarkeitsdatums auf alle Lebensmittel geht auf ihre Initiative zurück.
8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 165

keine politische Schuld am Leid der gestorbenen sowie der schwer körpergeschädigten
Kinder und deren Eltern treffen, da die medikamentöse Ursache der Fruchtschädigungen
beinahe zeitgleich mit ihrem Amtsantritt gefunden und das Schlafmittel Contergan sofort
danach aus dem Verkehr gezogen wurde. Allerdings gewann die Öffentlichkeit den Ein-
druck, als kümmere sich ausgerechnet die neu installierte Gesundheitsministerin nicht
ausreichend um die Betreuung und Rehabilitation der schwerbehinderten Kinder. Weil
das Gesundheitsministerium nur sehr geringe finanzielle Mittel für die Betreuung der
Kinder bereitstellte, fühlten sich zudem viele Eltern – wohl zurecht – in ihrer Not im
Stich gelassen.
Jenseits ihrer legislativen Erfolge und der Tatsache, ein Ministerium aufgebaut zu ha-
ben, dass zwar bereits über administrative Strukturen verfügte, ansonsten aber von ihr
im politischen Prozess erst noch positioniert werden musste, gebührt ihr aber ein Erfolg,
der wohl als der gesellschaftspolitisch Wichtigste angesehen werden muss: Ihr Eintritt als
erste Frau ins bundesdeutsche Kabinett. Ihre Einschätzung dieses für die Gleichstellung
von Mann und Frau historischen Ereignisses soll am Ende dieser Arbeit stehen:625

„Ich glaube, dass ich mit meinem Eintritt in das Kabinett, wenn auch als Ali-
bifrau, eine Tür für die Frauen geöffnet habe, die nicht mehr zugeschlagen
werden konnte.“
Elisabeth Schwarzhaupt, Bundesgesundheitsministerin (1961-1966)

625
Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 274.
9 Anhang

9.1 Quellen

9.1.1 Unpublizierte Nachlässe, Dokumente und Akten


Archiv für Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin (01-048):
Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, Bestand 01-048;
Signaturen 001/2, 001/3, 002/1, 002/3, 002/5, 012/1, 012/5, 015/1, 016/2, 017/1, 017/2.

Bundesarchiv Koblenz (B142):


Akten des Bundesministeriums für Gesundheitswesen, Bestand B142;
Signaturen 474, 2804, 2827, 2993, 3313, 3335, 3603, 3614, 3677, 4770, 4771, 5082.

Bundesarchiv Koblenz (N1177):


Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, Bestand N1177;
Signaturen 1, 18, 20, 21, 22, 23.

Stadtarchiv Frankfurt am Main:


Nachlass Schwarzhaupt, S1/314, Nr. 15.

Unveröffentlichte Manuskripte und Reden von Elisabeth Schwarzhaupt:

• Aufgaben und Ziele des Bundesministeriums für Gesundheitswesen, Aufsatz für die „Blätter der
Wohlfahrtspflege“ (Landeswohlfahrtswerk für Baden-Württemberg, Frau Dr. Ihme), 4. August
1963,
in: ACDP 01-048-016/2, S. 1-9.

• Der Anfang, der ein Ende war, Manuskript vom Mai 1983, in: ACDP 01-048-015/1.

• Keine Bundeszuständigkeit? Das Beispiel des Gesetzes über Jugendzahnpflege, BA Koblenz,


N1177/21.
Anhang 167

• Maschinenschriftlicher Lebensbericht, in: ACDP 01-048-001/3.

• Standort der Gesundheitspolitik, ohne Datum (vermutlich 1963/64), BA Koblenz, N1177/21.

• Wer sorgt eigentlich für unsere Gesundheit? Rede zum Münchner Gesundheitskongress vom
23.3.1968 (Manuskript), ACDP 01-048-015/1.

• Zum Entwurf eines Arzneimittelgesetzes. Aus dem Bundesministerium für Gesundheitswesen,


Aufsatz für „Informationen für die Frau“, 10.10.1963, auch in: ACDP 01-048-016/2.

9.1.2 Veröffentlichte Quellen


Adenauer, Konrad: Brandt, Willy:
Erinnerungen 1959-1963. Fragmente, Plädoyer für die Zukunft. 12 Beiträge zu
Stuttgart 1968. deutschen Fragen,
Fankfurt am Main 1961.

Adenauer, Konrad:
„Stetigkeit in der Politik“. Die Protokolle des Bundesministerium für Verbraucherschutz,
CDU-Bundesvorstands 1961-1965. Bearbeitet Ernährung und Landwirtschaft:
von Günter Buchstab, Bericht über den Zustand des Waldes 2002.
Düsseldorf 1998. Ergebnisse des forstlichen Umweltmonitorings,
Vorabdruck als Onlineressource unter
http://www.verbraucherministerium.de/wald_forst
Althammer, Walter: /waldzustandsbericht_2002/waldzustandsbericht
Fehlgeleitete Entwicklungshilfe. Beobachtungen -2002.pdf in der Fassung vom 20.02.2003, S. 1-
eines Parlamentariers, 134.
in: Die Politische Meinung 99/1964, S. 16-20.

Christlich Demokratische Union


Attenberger, Gerhart und Helmut Eiden- Deutschlands (hg.):
Jaegers: 10. Bundesparteitag. Köln, 24.-27. April 1961,
Das Bundesgesundheitsministerium für Hamburg 1961.
Gesundheitswesen.
Frankfurt am Main und Bonn 1968.
Christliche Demokratische Union
Deutschlands (hg.):
Bebel, August: 12. Bundesparteitag der CDU, 14.-17. März
Die Frau und der Sozialismus, 1964 in Hannover, Hamburg 1964.
Zürich 1879.

Christlich Demokratische Union


Best, Walter: Deutschlands (hg.):
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werbepsychologische Aufgabe, März 1965, Niederschrift,
in: Deutsche Zentrale für Bonn 1965.
Volksgesundheitspflege (hg.): Gedanken und
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Dr. Franz Klose zum 75. Geburtstag gewidmet, Daelen, Maria:
Frankfurt am Main 1962, S. 263-290. Probleme der Entwicklungshilfe auf dem ärztlich-
medizinischen Sektor,
in: Deutsche Zentrale für Volksgesundheitspfle-
Brandt, Willy: ge (hg.): Gedanken und Beiträge zur Gesund-
Berliner Ausgabe, Band 4: Auf dem Weg nach heitspolitik. Herrn Professor Dr. Franz Klose
vorn, Willy Brandt und die SPD 1947-1972, zum 75. Geburtstag gewidmet,
Bonn 2000. Frankfurt am Main 1962, S. 28-35.
Anhang 168

Deutsches Rundfunk-Archiv: fung,


Die CDU-Politikerin Elisabeth Schwarzhaupt, Bonn 1966, S. 11-20.
1962 erste Frau in einem Ministeramt (für
Gesundheit), zu ihrer Berufung ins Kabinett
Adenauer (Sendung 5.6.1983). DRA Audio-CD Häußler, Siegfried:
9, Track 25, http://www.dra.de/cd09.htm. Der Einzelne und seine Gesundheit,
in: Deutsche Zentrale für Volksgesundheits-
pflege (hg.): Gedanken und Beiträge zur
Drummer, Heike und Jutta Zwiling: Gesundheitspolitik. Herrn Professor Dr. Franz
Elisabeth Schwarzhaupt – ein Leben in Bildern, Klose zum 75. Geburtstag gewidmet,
in: Die Hessische Landesregierung (hg.), Frankfurt am Main 1962, S. 24-27.
Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait
einer streitbaren Politikerin und Christin,
Freiburg im Breisgau 2001, S. 137-157. Hoff, Klaus:
Wahlkampf auf eigene Faust. Das Fernsehen
missbraucht seine Macht,
Dollinger, Werner: in: Die politische Meinung 102/1965, S. 13-18.
Gemeinsame Zeiten im Bundeskabinett und im
Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU mit
Elisabeth Schwarzhaupt, Jungmann, Gerhard:
in: Die Hessische Landesregierung (hg.): Gesundheitspolitik – für wen? Nicht das
Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait Kollektiv, sondern der einzelne ist das Ziel,
einer streitbaren Politikerin und Christin, in: Erich Peter Neumann (hg.): Die politische
Freiburg im Breisgau 2001, S. 158-161. Meinung. Monatshefte für Fragen der Zeit,
83/1963, S. 27-35.

Feldhaus, [ohne Vornamen]:


Das deutsche Gesetz zum Schutz gegen Jungmann, Gerhard:
Baulärm, Gesundheitspolitik heute,
in: Bundesministerium für Gesundheitswesen in: Deutsche Zentrale für
(hg.): Lärmbekämpfung als Volksgesundheitspflege (hg.): Gedanken und
gesundheitspolitische Aufgabe. Vier Beiträge zur Beiträge zur Gesundheitspolitik. Herrn Professor
Lärmbekämpfung, Dr. Franz Klose zum 75. Geburtstag gewidmet,
Bonn 1966, S. 30-38. Frankfurt am Main 1962, S. 19-24.

Funcke, Liselotte: Klose, Franz:


Erinnerungen an Elisabeth Schwarzhaupt, Begrüßungsansprache,
in: Die Hessische Landesregierung (hg.): in: Deutsche Zentrale für Volksgesundheits-
Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait pflege (hg.): Die Förderung der Familie als
einer streitbaren Politikerin und Christin, Aufgabe der Gesundheitspolitik. Kongress-
Freiburg im Breisgau 2001, S. 162-163. bericht 1962,
Frankfurt am Main 1963, S. 1-4.

Genscher, Hans-Dietrich:
Umweltpolitik in der Bundesrepublik Krone, Heinrich:
Deutschland, Tagebücher. Erster Band 1945-1961, bearbeitet
in: Ders. (hg): Umweltschutz. Das von Hans-Otto Kleinmann,
Umweltprogramm der Bundesregierung, mit Düsseldorf 1995.
einer Einführung von Hans-Dietrich Genscher,
3
Stuttgart 1973, S. 6-12.
Mende, Erich:
Die neue Freiheit. 1945-1961,
2
Genscher, Hans-Dietrich (hg.): München/Berlin 1984.
Umweltschutz. Das Umweltprogramm der
Bundesregierung, mit einer Einführung von
Hans-Dietrich Genscher, Mensing, Hans-Peter:
3
Stuttgart 1973. Adenauer. Teegespräche 1961-1963,
Berlin 1992.

Goßrau, E.:
Lärmprobleme und Legislative, Neumann, Erich Peter (hg.):
in: Bundesministerium für Gesundheitswesen Was soll aus Deutschland werden? Blick auf das
(hg.): Lärmbekämpfung als gesundheitspoli- nächste Jahrzehnt, mit einem Vorwort von
tische Aufgabe. Vier Beiträge zur Lärmbekämp- Ludwig Erhard,
Anhang 169

in: Die politische Meinung. Monatshefte für bericht 1962,


Fragen der Zeit, 107/1965. Frankfurt am Main 1963, S. 7-15.

Osterheld, Horst: Schwarzhaupt, Elisabeth:


Der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, Die staatliche Gesundheitspolitik und ihre
in: Klaus Gotto (hg.), Der Staatssekretär Grenzen, in: Die Ersatzkasse 1965, S. 2/41.
Adenauers. Persönlichkeit und politisches
Wirken Hans Globkes,
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626
Von der richtigen Schreibweise Käte hier
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Anlagen
Alle Verordnungen und Gesetze des Bundesministeriums für Gesundheitswesen wäh-
rend der Amtszeit Elisabeth Schwarzhaupts:627

1961 Verordnung über die Zulassung von


Arzneimitteln, die mit ionisierenden Strahlen
behandelt worden sind oder die radioaktive
Verordnung zur Änderung der Allgemeinen Stoffe enthalten vom 29.6.1962, BGBl I S. 439.
Fremdstoff-Verordnung vom 19.12.1961, BGBl I
S. 2006.
Verordnung über Einlassstellen für Fleisch und
Auslandsfleischbeschaustellen
Verordnung zur Änderung der Diät-Fremdstoff- (Auslandsfleischbeschaustellen-Verordnung)
Verordnung vom 19.12.1961, BGBl I S. 2007. vom 13.9.1962, BGBl I S. 613.

Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Abbaubarkeit von


Konservierungsstoff-Verordnung vom Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln
19.12.1961, BGBl I S. 2008. vom 1.12.1962, BGBl I S. 698.

1962 Verordnung über die Gebühren für die


Untersuchung des in das Zollgebiet
eingehenden Fleisches
Dritte Verordnung über Einfuhrerleichterungen (Auslandsfleischbeschaugebühren-Verordnung)
für Weinsendungen aus Frankreich im Rahmen vom 6.12.1962, BGBl I S. 717.
der zollfreien Kontingente für das Saarland vom
26.6.1962, BGBl I S. 435.
1963

627
Entnommen aus: Attenberger/Eiden-Jaegers, Bundesministerium, S. 23ff.
Anhang 175

Verordnung zur Änderung der Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten


Fruchtbehandlungs-Verordnung vom 3.1.1963, beim Menschen vom 25.6.1963, GMBl Nr. 17, S.
BGBl I S. 5. 227.

Zweite Verordnung zur Änderung der Diät- Vierte Verordnung zur Änderung der
Fremdstoff-Verordnung vom 9.1.1963, BGBl I, S. Bestallungsordnung für Ärzte vom 13.7.1963,
19. BGBl I, S. 470.

Gesetz zur Änderung des Dritte Verordnung zur Änderung der


Bundesseuchengesetzes vom 23.1.1963, BGBl Fruchtbehandlungs-Verordnung vom 23.7.1963,
I, S. 57ff. BGBl I, S. 470.

Verordnung über die Verlängerung der Verordnung über die Altersgrenze bei
Zuckerungsfrist bei Wein des Jahrganges 1962 Hebammen vom 24.7.1963, BGBl I, S. 503.
vom 8.2.1963, BGBl I, S. 124.

Achte Verordnung zur Ausführung des


Zweite Verordnung zur Änderung der Tabak- Weingesetzes vom 25.7.1963, BGBl I, S. 538.
Verordnung (vom 19.12.1959) vom 11.3.1963,
BGBl I, S. 158.
Verordnung über die Gebühren für die
Untersuchung des auf Grund von
Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für Ausnahmegenehmigungen im Rahmen des
Hebammen vom 25.3.1963, BGBl I, S. 167. Saarvertrages in das Saarland eingehenden
Fleisches vom 31.7.1963, BGBl I, S. 586.

Verordnung zur Änderung der Verordnung über


Kaffee vom 26.3.1963, BGBl I, S. 171. Verordnung zur Änderung der Allgemeinen
Fremdstoff-Verordnung und der Käse-
Verordnung vom 23.12.1963, BGBl I, S. 1042.
Dritte Verordnung über die den
Betäubungsmitteln gleichgestellten Stoffe (Dritte
Betäubungsmittel-Gleichstellungs-Verordnung) Verordnung über die Verlängerung der
und Bekanntmachung der Neufassung der Liste Zuckerungsfrist bei Wein des Jahrgangs 1963
vom 24.4.1963, BGBl I, S. 209 und S. 231ff. vom 23.12.1963, BGBl I, S. 1044.

Verordnung zur Änderung der Verordnung über Verordnung zur Änderung der Verordnung über
das Verschreiben Betäubungsmittel enthaltender die von den Krankenkassen den freiberuflich
Arzneien und ihre Abgabe in den Apotheken und tätigen Hebammen für Hebammenhilfe zu
Bekanntmachung der Neufassung der VO vom zahlenden Gebühren vom 23.12.1963,
24.4.1963, BGBl I, S. 210 und S. 216ff. Bundesanzeiger Nr. 240.

Verordung zur Änderung der Verordnung über 1964


die Befreiung von der Bezugsscheinpflicht für
Betäubungsmittel vom 24.4.1963, BGBl I, S.
314. Zweite Verordnung zur Änderung der
Konservierungsstoff-Verordnung vom 11.3.1964,
BGBl I, S. 138.
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die
Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes (vom
27.2.1952) vom 8.5.1963, BGBl I, S. 314. Verordnung über die Statistik in der öffentlichen
Wasserversorgung und im öffentlichen
Abwasserwesen vom 20.3.1964,
Verordnung über diätetische Lebensmittel vom Bundesanzeiger Nr. 56.
20.6.1963, BGBl I, S. 415.

Verordnung über die Freistellung von


Allg. Verwaltungsvorschrift über die fleischbeschaurechtlichen Vorschriften im
Zusammenarbeit der Gesundheitsämter und der kleinen Grenzverkehr zwischen der
Sanitätsdienststellen der Bundeswehr bei der
Anhang 176

Bundesrepublik Deutschland und der Republik Verordnung zur Änderung der Butter-
Österreich vom 1.4.1964, BGBl I, S. 249. Verordnung vom 26.10.1964, Bundesanzeiger
Nr. 203.

Verordnung über den Verkehr mit Fleisch von


Känguruhs sowie von Hasen und anderen 1965
wildlebenden Nagetieren (Wildfleisch-
Verordnung) vom 18.4.1964, BGBl I, S. 284.
Verordnung über die Verlängerung der
Zuckerungsfrist bei Wein des Jahrganges 1964
Verordnung zur Änderung der Prüfungsordnung vom 15.1.1965, BGBl I, S. 13.
für Zahnärzte vom 19.6.1964, BGBl I, S. 417.

Verordnung zur Änderung der Verordnung über


Zweites Gesetz zur Änderung des Einlaßstellen für Fleisch und
Arzneimittelgesetzes vom 23.6.1964, BGBl I, S. Auslandsfleischbeschaustellen
365. (Auslandsfleischbeschaustellen-Verordnung)
vom 5.3.1965, BGBl I, S. 76.

Verordnung über Einlaßstellen für Fleisch und


Auslandsfleischbeschaustellen Gebührenordnung für Ärzte vom 18.3.1965,
(Auslandsflesichbeschaustellen-Verordnung) BGBl I, S. 89.
vom 22.7.1964, BGBl I, S. 542.

Gebührenordnung für Zahnärzte vom 18.3.1965,


Verordnung über den Übergang von BGBl I, S. 123.
Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Rechts des
Gesundheitswesens vom 29.7.1964, BGBl I, S.
560. Gesetz zur Änderung des Weingesetzes vom
31.3.1965, BGBl I, S. 208.

Verordnung über die Zulassung fremder Stoffe


als Zusatz zu Speisesalz vom 5.8.1964, BGBl I, 2. Verordnung zur Änderung der Verordnung
S. 615. über unzulässige Zusätze und
Behandlungsverfahren bei Fleisch vom
21.4.1965, BGBl I, S. 343.
2. Gesetz zur Änderung des
Wasserhaushaltsgesetzes vom 6.8.1964, BGBl
I, S. 611. Gesetz über Vorsorgemaßnahmen zur
Luftreinhaltung vom 17.5.1965, BGBl I, S. 413.

Zweite Verordnung zur Änderung der


Verordnung über diätetische Lebensmittel vom Bundes-Tierärzteordnung vom 17.5.1965, BGBl
6.8.1964, BGBl I, S. 616. I, S. 416.

Zweite Verordnung über das Außerkrafttreten Verordnung über die Bestimmung von Stoffen
der Polizeiverordnung über die Werbung auf nach § 35 a des Arzneimittelgesetzes vom
dem Gebiet des Heilwesens vom 7.8.1964, 28.5.1965, BGBl I, S. 445.
BGBl I, S. 625.

5. Verordnung zur Änderung der


Verordnung zur Änderung der Kaugummi- Bestallungsordnung für Ärzte vom 31.5.1965,
Verordnung vom 21.8.1964, BGBl I, S. 703. BGBl I, S. 447.

Allgemeine Verwaltungsvorschriften über Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des


genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Rates der Europäischen
Gewerbeordnung (Technische Anleitung zur Wirtschaftsgemeinschaft zur Regelung
Reinhaltung der Luft) vom 8.9.1964, GMBl Nr. gesundheitlicher Fragen beim
26. innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit
frischem Fleisch (FrFlG) vom 28.6.1965, BGBl I,
S. 547.
Anhang 177

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die der Verteidigung (Wassersicherstellungsgesetz)
Ausübung der Berufe des Masseurs, des vom 24.8.1965, BGBl I, S. 1225.
Masseurs und medizinischen Bademeisters und
des Krankengymnasten vom 1.7.1965, BGBl I,
S. 593. Gesetz zum Schutz gegen Baulärm vom
9.9.1965, BGBl I, S. 1214.

Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des


Heilwesens vom 11.7.12965, BGBl I, S. 604. Verordnung über die Bestimmung von Stoffen
und Zubereitungen nach § 35 a des
Arzneimittelgesetzes vom 6.9.1965,
Verordnung über Hackfleisch, Schabefleisch und Bundesanzeiger Nr. 177.
andere Erzeugnisse aus rohem Flesich
(Hackfleisch-Verordnung) vom 16.7.1965, BGBl
I, S. 619. Gesetz zur Änderung des
Krankenpflegegesetzes vom 20.9.1965, BGBl I,
S. 1438.
Vierte Verordnung zur Änderung der
Fruchtbehandlungsverordnung vom 16.7.1965,
BGBl I, S. 622. Gesetz über die Änderung der Internationalen
Gesundheitsvorschriften vom 25. Mai 1951
(Vorschriften Nr. 2 der
Verordnung über Mindestanforderungen und Weltgesundheitsorganisation) und zur Änderung
Gesundheitserzeugnisse für den Export von des Gesetzes über den Beitritt der
Fleisch in der Bundesrepublik Deutschland Bundesrepublik Deutschland zu den
(Mindestanforderungen-Verordnung) vom Internationalen Gesundheitsvorschriften vom
23.7.1965, BGBl I, S. 631. 25.5.1951 (Vorschriften Nr. 2 der
Weltgesundheitsorganisation) vom 29.9.1965,
BGBl II, S. 1413.
Verordnung zur Änderung der
Auslandsfleischbeschau-Verordnung vom
21.7.1965, BGBl I, S. 642. Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung
über die Bestimmung von Stoffen und
Zubereitungen nach § 35 a des
Verordnung zur Änderung der Arzneimittelgesetzes vom 11.10.1965,
Auslandsfleischbeschaugebühren-Verordnung Bundesanzeiger Nr. 193.
vom 21.7.1965, BGBl I, S. 643.

Zweite Verordnung zur Änderung der


9. Verordnung zur Ausführung des Verordnung über die Bestimmung von Stoffen
Weingesetzes vom 27.7.1965, BGBl I, S. 657. und Zubereitungen nach § 35 a des
Arzneimittelgesetzes vom 8.11.1965,
Bundesanzeiger Nr. 213.
Verordnung zur Änderung der Allgemeinen
Fremdstoff-Verordnung vom 28.7.1965, BGBl I,
S. 645. Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung
über die Bestimmung von Stoffen und
Zubereitungen nach § 35 a des
Verordnung zur Änderung der Verordnung über Arzneimittelgesetzes vom 21.12.1965,
Wermutwein und Kräuterwein vom 30.7.1965, Bundesanzeiger Nr. 242.
BGBl I, S. 661.

Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung


Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung über diätetische Lebensmittel vom 22.12.1965,
über die Bestimmung von Stoffen nach § 35 a BGBl I, S. 2140.
des Arzneimittelgesetzes vom 5.8.1965, BGBl I,
S. 748.
Verordnung über die Verlängerung der
Zuckerungsfrist bei Wein des Jahrganges 1965
Gesetz zur Änderung des Weingesetzes vom vom 22.12.1965, BGBl I, S. 2143.
12.8.1965, BGBl I, S. 780.

1966
Gesetz über die Sicherstellung von Leistungen
auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft für Zwecke
Anhang 178

Verordnung zur Änderung der Farbstoff- Verordnung zur Änderung der Lebensmittel-
Verordnung vom 20.1.1966, BGBl I, S. 74. Kennzeichnungsverordnung vom 9.9.1966,
BGBl I, S. 590.

Zweite Verordnung zur Ausführung des


Impfgesetzes vom 27.1.1966, BGBl I, S. 89. Verordnung über die Inkraftsetzung einer
Änderung der Internationalen
Gesundheitsvorschriften vom 25.5.1951
Verordnung zur Änderung der (Vorschriften Nr. 2 der
Behandlungsverfahren-Verordnung vom Weltgesundheitsorganisation) vom 12.9.1966,
10.3.1966, BGBl I, S. 161. BGBl II, S. 802.

Zweite Verordnung zur Änderung der Richtlinien für die Aufstellung von
Verordnung über Einlaßstellen für Fleisch und wasserwirtschaftlichen Rahmenplänen vom
Auslandsfleischbeschaustellen 6.9.1966, Bundesanzeiger vom 21.9.1966 –
(Auslandsfleischbeschaustellen-Verordnung) Beilage Nr. 177.
vom 10.3.1966, BGBl I,. S. 162.

Siebente Verordnung zur Änderung der


Vierte Verordnung zur Änderung der Verordnung Verordnung über die Bestimmung von Stoffen
über die Bestimmung von Stoffen und und Zubereitung nach § 35 a des
Zubereitungen nach § 35 a des Arzneimittelgesetzes vom 30.9.1966,
Arzneimittelgesetzes vom 16.3.1966, Bundesanzeiger Nr. 191.
Bundesanzeiger Nr. 55.

Leitsätze für Fruchtsäfte (Süßmoste) vom


Fünfte Verordnung zur Änderung der 20.10.1966, GMBl, S. 518, vom 15.10.1966,
Verordnung über die Bestimmung von Stoffen Bundesanzeiger Nr. 195.
und Zubereitungen nach § 35 a des
Arzneimittelgesetzes vom 18.5.1966,
Bundesanzeiger Nr. 99. Verordnung zur Änderung der Verordnung über
die Gebühren für die Eintragung von
Arzneispezialitäten ind as Spezialitätenregister
Verordnung zur Änderung der Verordnung über vom 21.10.1966, BGBl I, S. 629.
die Durchführung des Fleischbeschaugesetzes
vom 23.6.1966, BGBl I, S. 389.
Zweite Verordnung zur Änderung der
Auslandsfleischbeschaugebühren-Verordnung
Sechste Verordnung zur Änderung der vom 31.10.1966, BGBl I, S. 634.
Verordnung über die Bestimmung von Stoffen
und Zubereitungen nach § 35 a des
Arzneimittelgesetzes vom 14.7.1966, Verordnung über Pflanzenschutz-,
Bundesanzeiger Nr. 131. Schädlingsbekämpfungs- und
Vorratsschutzmittel in oder auf Lebensmitteln
pflanzlicher Herkunft (Höchstmengen-VO-
Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Pflanzenschuitz) vom 30.11.1966, BGBl I, S.
Krankenschwestern, Krankenpfleger und 667.
Kinderkrankenschwestern vom 2.8.1966, BGBl I,
S. 462.
Veordnung über die Verlängerung der
Zuckerungsfrist bei Wein des Jahrgangs 1966
Ausbildungs- und Prüfungsordnung für vom 22.12.1966, BGBl I, S. 694.
Krankenpflegehelferinnen und
Krankenpflegehelfer vom 2.8.1966, BGBl I, S.
466. Zweite Verordnung zur Änderung der
Verordnung über die von den Krankenkassen
den freiberuflich tätigen Hebammen für
Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel- Hebammenhilfe zu zahlenden Gebühren vom
Umlageverordnung vom 17.8.1966, BGBl I, S. 27.12.1966, Bundesanzeiger Nr. 243.
515.
Persönlicher Referent
Vorprüfungsstelle Ministerin und Ministerbüro
m.d.W.d.G.b. Dr. Elisabeth Schwarzhaupt RR Voßhenrich
RA Arndt

Abteilung I Abteilung II
Humanmedizin, Arzneimittel- und Apothekenwesen; Wasserwirtschaft, Reinhaltung der Luft und Lärmbe-
Lebensmittelwesen und Veterinärmedizin kämpfung
MinDir Dr. Stralau MinDir Berg

Referat Z 1 Unterabteilung I A Unterabteilung I B Gruppe II A Gruppe II B


Personal-, Besol- Humanmedizin, Arz- Lebensmittelwesen und Wasserwirtschaft Reinhaltung der Luft
dungs-, Kabinettan- neimittel- und Apothe- Veterinärmedizin und Lärmbekämpfung
gelegen-heiten, kenwesen MinDirigent Forschbach MinR Prof. vom Abteilungsleiter
Justiziariat MinR Dr. Bernhardt Dr. Ing. e.h. Kumpf wahrgenommen
MinR von Arnim

Referat Z 2 Referat I A 1 Referat I B 1 Referat II A 1 Referat II B 1


Haushalt, Organisa- Rechts- und Verwal- Rechtsfragen des Le- Wasserrecht Rechtsfragen d. Rein-
tion tungsangelegenheiten bensmittelwesens und i.V. ORR Dr. Roth haltung der Luft und
MinR Altenberger d. Humanmedizin, d. der Veterinärmedizin Lärmbekämpfung
Arzneimittel- und Apo- ORR von Bieberstein MinR. Dr. Gossrau
thekenwesens ORR Tauche

Referat Z 3 Referat I A 2 Referat I B 2 Referat II A 2 Referat II B 2


Innerer Dienst Allgemeine Fragen des Allgemeine Lebensmit- Wasserhygiene Reinhaltung der Luft
XX Friedrich Gesundheitswesens, telhygiene und –chemie ORMedR Dr. Hösel ORR Oels
Heilberufe, Kranken- MinR Prof. Dr. Gabel
hauswesen
MinR Dr. Daniels

Referat Z 4 Referat I A 3 Referat I B 3 Referat II A 3 Referat II B 3


Vertretung Berlin Hygiene und Seuchen- Spezielle Lebensmittel- Wasserversorgung Lärmbekämpfung
XXX Roeber (BMI) bekämpfung hygiene und Lebensmit- Dr. Ing. Clodius i.V. ORR Oels
MinR. Dr. Höffken telchemie
RegDir Dr. Fedde-
Wowode

Referat I A 4 Referat I B 4 Referat II A 4 Referat II B 4


Gesundheitsfürsorge Hygiene der Lebens- Abwasser- und Gewäs- Hygiene der Reinhal-
und gesundheitliche mittel tierischer Her- serschutz tung der Luft und Lärm-
Volksbelehrung Reg- kunft, tierärztliches m.d.W.d.G.b. Dipl. Ing bekämpfung
MedDir Dr. Zoller Berufsrecht Sikorn i.V. OrmedR Dr. Hösel
MinR Dr. Haupt

Referat I A 5 Referat I B 5 Referat II A 5


Internationales Ge- Hygiene der Milch und Wasserwirtschaftliche
sundheitswesen Milcherzeugnisse, Eier Rahmenplanung, För-
RegMedDir Dr. Daelen und Eiprodukte derung d. Forschung,
m.d.W.d.G.b. Wasserwissenschaft
RegVetR Dr. Wegener MinR Dr. Ing. Wagner-

Referat I A 6 Referat I B 6 Referat II A 6


Arzneimittel, Gifte, Hygiene der Gewinnung Investitions- und Fi-
Apothekenwesen und Untersuchung von nanzfragen
MinR Dr. Danner Fleisch, Fisch, Geflügel (unleserlich)
und ^Wildbret
ORVetR Dr. Dutschke

Referat I A 7 Referat I B 7
Ziviler Bevölkerungs- Gesundheitliche Ernäh-
schutz, Strahlenschutz rungsberatung
MinR Dr. Borgelte RegMedDir Dr. Zoller

Referat I A 8 Referat I B 8
Rehabilitation, Ver- Bundesgesundheitsrat,
kehrsmedizin, Bäder- Bundesgesundheitsamt,
wesen Bundesgesundheits-
MinR Dr. Dierkes statistik
MinR Dr. Ziesmer
Anlage 1
Referat I B 9
Internationales Lebens- Organisationsübersicht des
mittelwesen, Codex Bundesministeriums für
Alimentarius, Deutsches Gesundheitswesen
Lebensmittelbuch (Stand 8. November 1962)
MinDirigent Forschbach
Eidesstaatliche Erklärung:
Hiermit erkläre ich, die Arbeit in allen Teilen
selbständig verfasst und keine anderen als die
angegebenen Hilfsmittel benutzt zu haben.
Die Stellen der Arbeit, die fremden oder eigenen
veröffentlichten Arbeiten oder eigenen nicht
veröffentlichten Arbeiten im Wortlaut oder dem
Sinn nach entnommen sind, sind durch Angabe
der Quellen kenntlich gemacht. Dies gilt auch
für Zeichnungen, Skizzen und bildliche
Darstellungen.

Harald Ille
Frankfurt am Main, 26. Februar 2003

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