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Plenarprotokoll 16/31

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

31. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . 2531 C


Befragung der Bundesregierung: Neue Impulse Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
für Innovation und Wachstum – 6-Milliar- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2531 C
den-Euro-Programm für Forschung und
Entwicklung Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2531 D

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Dr. Annette Schavan, Bundesministerin


BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2527 B BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2532 A
Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2528 B Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU) . . 2532 A
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2528 B BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2532 B
Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2528 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2532 B
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2528 D BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2532 C
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2532 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2529 A
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2532 D
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2529 A
Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2529 C
Tagesordnungspunkt 2:
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2529 C Fragestunde
(Drucksachen 16/1098, 16/1121) . . . . . . . . . . 2533 B
Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2530 A
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2530 A Dringliche Frage 1
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2530 C DIE GRÜNEN)
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Garantie für einen ungebundenen Finanz-
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2530 C kredit in Höhe von 1 Milliarde Euro an die
Krista Sager (BÜNDNIS 90/ russische Firma Gasprom
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2531 B
Antwort
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2531 B BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2533 B
II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Zusatzfragen Antwort
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2533 C BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2540 A
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2534 A
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2534 D Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2540 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2535 B Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2540 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2535 D
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2536 B Mündliche Frage 11
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ Cornelia Hirsch (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2536 D
Inhalte und Ergebnisse der Konferenz der
europäischen Bildungsminister in Wien im
Mündliche Frage 3 März 2006
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Antwort
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
vom 18. Januar 2006 zum Halbteilungs- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2541 A
grundsatz
Zusatzfragen
Antwort Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2541 B
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2537 B
Zusatzfrage Mündliche Frage 13
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2537 C Jörg Rohde (FDP)
Einfluss der Bundesregierung auf Ziel-
Mündliche Frage 4 setzung und Umsetzung des Projekts
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) „ASK-IT“ der Europäischen Kommission

Erhebung einer Vermögensteuer unter Antwort


dem Aspekt des Beschlusses des Bundes- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
verfassungsgerichts vom 18. Januar 2006 BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2542 A
zum Halbteilungsgrundsatz Zusatzfragen
Antwort Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2542 B
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2538 A
Mündliche Frage 16
Zusatzfragen
Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2538 A
Finanzielle Schlechterstellung von jungen
Erwachsenen in Ausbildung gegenüber
Mündliche Frage 5 ihrer Zeit als ALG-II-Empfänger
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär
Maßnahmen zur Verbesserung der Partizi-
pation Jugendlicher BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2542 D

Antwort Zusatzfragen
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . 2543 B
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2539 A
Zusatzfragen Mündliche Frage 17
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/ Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2539 A
Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2539 C Von der Bundesregierung zu ergreifende
Maßnahmen zur Verhinderung einer
finanziellen Schlechterstellung von jungen
Mündliche Frage 10 Erwachsenen in Ausbildung gegenüber der
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/ Zeit als ALG-II-Empfänger
DIE GRÜNEN)
Antwort
Auswirkungen der Ableistung langer Prak- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär
tika durch Hochschulabsolventen BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2544 A
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 III

Mündliche Frage 19 Antwort


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ Gerd Andres, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2547 A
Haltung der Bundesregierung zu der Auf- Zusatzfragen
fassung, dass Passivrauchen das Sterbe- Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2547 B
risiko erhöht, und zu einem wirksamen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
Schutz vor Passivrauch DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2547 D

Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 26
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2544 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Zusatzfrage
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ Beteiligung der Bundesregierung an der
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2545 A Ausstellung von Visa für eine Delegation
aus Guinea
Antwort
Mündliche Frage 20 Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2548 A
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Zusatzfragen
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
Maßnahmen zur Umsetzung bzw. zum DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2548 A
Vollzug der den Passivraucherschutz
betreffenden Änderung der Arbeitsstätten-
verordnung vom Oktober 2003 Mündliche Frage 27
Antwort Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN)
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2545 C Auswirkungen der Verankerung sowohl
von internationalen Menschenrechts-
Zusatzfragen abkommen als auch der Scharia in der
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ afghanischen Verfassung auf die Men-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2545 C schenrechtssituation in Afghanistan und
Dr. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2546 A aus Deutschland
Antwort
Mündliche Frage 21 Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2548 D
Veronika Bellmann (CDU/CSU) Zusatzfragen
Interpretation der Gegenäußerung der Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Bundesregierung zur Stellungnahme des DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2549 A
Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
zur Änderung von Vorschriften des Sozia- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2549 C
len Entschädigungsrechts und des Gesetzes
über einen Ausgleich von Dienstbeschädi-
gungen im Beitrittsgebiet vom 23. Februar Mündliche Frage 28
2006 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Rechtspraxis in Afghanistan im Bereich
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frauenrechte, Religionsfreiheit und Homo-
2546 B
sexualität und Konsequenzen für die
Zusatzfragen Abschiebung afghanischer Flüchtlinge in
Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2546 C der Bundesrepublik
Antwort
Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2550 A
Mündliche Frage 22
Jörg Rohde (FDP) Zusatzfragen
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Möglichkeiten zur Befreiung behinderter DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2550 B
privater Arbeitgeber von der Pflicht zur Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
Schätz- und Onlinemeldung DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2550 C
IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Mündliche Frage 30 Mündliche Frage 39


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)

Vorgehen der Zentralen Ausländerbehörde Erhöhung der Transparenz der Agrar-


Dortmund gegenüber abgelehnten Asyl- subventionen
bewerbern aus Guinea Antwort
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär
Antwort
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2554 B
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2551 A Zusatzfragen
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Zusatzfragen DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2554 B
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2551 B
Mündliche Frage 40
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Mündliche Frage 34 DIE GRÜNEN)
Dr. Karl Addicks (FDP)
Offenlegung der Direktzahlungen an land-
Insolvenzanmeldung deutscher Unterneh- wirtschaftliche Betriebe
men und natürlicher Personen in einem
Antwort
anderen EU-Mitgliedstaat, insbesondere Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär
im Elsass und im restlichen Frankreich BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2555 B
Antwort Zusatzfragen
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2552 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2555 C
Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2556 A
Zusatzfrage Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2552 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2556 B

Mündliche Frage 35 Mündliche Frage 41


Dr. Karl Addicks (FDP) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Position der Bundesregierung zur Einfüh-
rung einer einheitlichen europäischen Offenlegung der 20 größten deutschen
Insolvenzordnung Empfänger von Agrarexportsubventionen
in den verschiedenen Produktkategorien
Antwort
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Antwort
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2552 C Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2556 C
Zusatzfragen
Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen
2552 C
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2556 D
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Mündliche Frage 38 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2557 A
Cornelia Hirsch (DIE LINKE)
Bewertung des so genannten Ausbildungs- Zusatztagesordnungspunkt 1:
paktes angesichts der Aussage des Statisti-
schen Bundesamtes über einen Rückgang Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
der Zahl von Ausbildungsverträgen der FDP: Bundespolitische Folgerungen aus
den Vorgängen an der Rütli-Hauptschule
Antwort in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2557 B
Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2553 B Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . 2557 B
Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK . . . . 2558 C
Zusatzfragen
Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2553 D Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2560 C
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 V

Klaus Böger, Senator (Berlin) . . . . . . . . . . . . 2562 A gramms „Mehrgenerationenhäuser“ errich-


teten Gebäude
Renate Künast (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2563 C Antwort
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2564 D BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2580 C
Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2566 C
Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2567 D
Anlage 6
Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2569 A
Mündliche Frage 7
Jürgen Kucharczyk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2570 C Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
Ilse Aigner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2571 C DIE GRÜNEN)

Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2573 A Eventueller Anstieg der Kosten für die
Beseitigung der Altlasten aus britischen
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . 2574 B Atomkraftwerken
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 2575 B Antwort
Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2577 C BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 A

Anlage 1 Anlage 7
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2579 A Mündliche Frage 8
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 2 Verschwinden von sicherheitsrelevanten
Erklärung des Abgeordneten Dr. Hermann Schlüsseln im Atomkraftwerk Philipps-
Scheer (SPD) zur namentlichen Abstimmung burg
über den Entwurf eines Gesetzes zur Förde-
Antwort
rung ganzjähriger Beschäftigung (25. Sitzung,
Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin
Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2579 C BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 A

Anlage 3
Anlage 8
Mündliche Frage 1
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 9
DIE GRÜNEN) Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE)

Erkenntnisse von CIA und BND bezüglich Maßnahmen zur Verbesserung der Bil-
des terrorverdächtigen Murat Kurnaz dungschancen von Kindern aus sozial
benachteiligten Familien und mit Migra-
Antwort tionshintergrund
Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . 2579 D
Antwort
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
Anlage 4 BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 B
Mündliche Frage 2
Veronika Bellmann (CDU/CSU) Anlage 9
Auslage links ausgerichteter Zeitungen in Mündliche Frage 12
der Präsenzbibliothek des Bundesarchivs Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/
Berlin DIE GRÜNEN)
Antwort
Nutzung digitaler Medien und Inhalte im
Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . 2580 A Unterricht an öffentlichen Bildungsein-
richtungen angesichts hoher Kosten durch
die Urheberrechtsnovelle sowie Umset-
Anlage 5 zung der EU-Richtlinie Bildung und Erzie-
Mündliche Frage 6 hung
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Antwort
Barrierefreie Errichtung aller im Rahmen Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
des vom Bund unterstützten Modellpro- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 D
VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Anlage 10 Anlage 15
Mündliche Frage 14 Mündliche Frage 29
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Rückzahlung von 226 Millionen Euro an
den Bund durch die Länder im Zusam- Gespräche des BND mit dem CIA über die
menhang mit dem SGB II Rückführung von Murat Kurnaz
Antwort Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2582 B BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2584 A

Anlage 11 Anlage 16
Mündliche Frage 15 Mündliche Fragen 31 und 32
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Sevim Dagdelen (DIE LINKE)

Gründe für das Festhalten der Bundes- Informationsaktionen einzelner Bundes-


regierung am Gesetzentwurf über die Wei- länder zum Beschluss des Bundesverfas-
tergeltung der aktuellen Rentenwerte sungsgerichts vom 23. März 2006 bezüglich
Wiedererlangung der früheren Staatsbür-
Antwort gerschaft
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2582 C Antwort
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2584 B
Anlage 12
Mündliche Frage 18 Anlage 17
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)
Mündliche Frage 33
Kürzung der ALG-II-Leistungen bei sta- Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE)
tionärer Unterbringung etwa in einem
Einführung eines nationalen Antidiskrimi-
Krankenhaus
nierungsgesetzes
Antwort Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2583 A BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2584 C

Anlage 13 Anlage 18
Mündliche Frage 23 Mündliche Fragen 36 und 37
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Marina Schuster (FDP)
Besetzung von Praktikantenstellen in deut- Umsetzung der in der EU-Richtlinie über
schen Auslandsvertretungen mit angehen- Versicherungsvermittlung vorgeschriebe-
den Akademikern aus finanziell gut ausge- nen Dokumentationspflicht von Beratungs-
stattetem Elternhaus gesprächen in deutsches Recht
Antwort Antwort
Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2583 C Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2585 A

Anlage 14
Mündliche Fragen 24 und 25 Anlage 19
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Mündliche Frage 42
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
Erkenntnisse der Bundesregierung über
DIE GRÜNEN)
Guantanamo-ähnliche Zustände auf dem
US-Stützpunkt in Bagram/Afghanistan; Aufrechterhaltung von Unternehmen
Beendigung dieser Zustände durch die durch Agrarexportsubventionen
USA
Antwort
Antwort Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär
Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2583 D BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2585 C
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 VII

Anlage 20 Antwort
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 43 BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586 A
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 22
Einsichtnahme in die Dossiers zu Projekten
des Bundesverkehrswegeplanes nach deren Mündliche Frage 45
Entfernung von der Internetseite des Bun- Jan Mücke (FDP)
desministeriums für Verkehr, Bau und
Konkrete Erkenntnisse zur Kontrolle und
Stadtentwicklung
zur Durchsetzung der Mautpflicht
Antwort Antwort
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2585 D BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586 A

Anlage 21 Anlage 23
Mündliche Frage 44 Mündliche Frage 46
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ Jan Mücke (FDP)
DIE GRÜNEN) Häufigkeit und Schwere von Verkehrs-
unfällen aufgrund von Mautkontrollen
Wasserbauliche Maßnahmen am Magde-
burger Domfelsen vor dem Hintergrund Antwort
des Ausbaustopps an der Elbe und deren Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
naturschutzrechtlichen Bestimmungen BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586 C
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2527

(A) (C)

Redetext

31. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Beginn: 13.03 Uhr

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die dritte Säule ist die Stärkung des Forschungssys-
Schönen guten Tag, meine Damen und Herren! Die tems und des Forschungsstandortes Deutschland. Bei-
Sitzung ist eröffnet. spiele hierfür sind die zwischen dem Bund und den
16 Ländern vereinbarte Exzellenzinitiative, der Pakt für
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Forschung und Innovation, neue Initiativen im Bereich
des wissenschaftlichen Nachwuchses und vor allem die
Befragung der Bundesregierung Möglichkeiten zur Finanzierung einiger Großgeräte für
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- die Forschung, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart
binettssitzung mitgeteilt: Neue Impulse für Innovation ist.
und Wachstum – 6-Milliarden-Euro-Programm für Die Ziele des 6-Milliarden-Euro-Programms sind
Forschung und Entwicklung. ganz stark auf Wachstum und Beschäftigung fokussiert.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht Wir wollen noch stärker als in der Vergangenheit in einer
(B) hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, engen Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirt- (D)
Frau Dr. Annette Schavan. schaft den Transfer zwischen wissenschaftlichen Durch-
brüchen und die daraus möglicherweise erwachsende
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fördern. Zweitens
wollen wir stärkere Brücken zwischen der Forschung
und den Zukunftsmärkten schaffen und drittens neue Im-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- pulse für Wissens- und Technologietransfer geben.
dung und Forschung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich exemplarisch einige der Strategien und
Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat in seiner Leuchttürme aus dem Programm nenne, möchte ich
heutigen Sitzung die Eckdaten des 6-Milliarden-Euro- noch darauf hinweisen, dass es hinsichtlich der jetzigen
Programms für Forschung und Entwicklung – Neue Im- Eckdaten und der gesamten Entwicklung des 6-Milliar-
pulse für Innovation und Wachstum beraten und verab- den-Euro-Programms eine gute Zusammenarbeit zwi-
schiedet. Dieses 6-Milliarden-Euro-Programm enthält schen allen beteiligten Häusern gibt. In den letzten Jah-
drei Säulen der künftigen Förderung von Forschung und ren wurde oft kritisch darüber gesprochen, dass die
Innovation: Forschungspolitik zu sehr auf unterschiedliche Häuser
verteilt ist und es nicht mehr zu einem stimmigen Ge-
Die erste Säule ist die Förderung von Spitzen- und samtkonzept kommt. Die Koordinierung unserer Pro-
Querschnittstechnologien mit dem Ziel eines zügigeren jekte in der 6-Milliarden-Euro-Strategie soll ein Ansatz
– also eines besser optimierten – Transfers von den Ideen zu einem wieder stimmigen Gesamtkonzept der Bundes-
zu den Produkten, Dienstleistungen und Anwendungen. regierung sein.
Ein Beispiel hierfür ist in der Gesundheitsforschung die
Einrichtung von Spitzenzentren in der medizinischen Nun also zu den Strategien: Zur ersten Säule gehören
Forschung. Ein zweites Beispiel ist die Strategie „Nano die Informations- und Kommunikationstechnologien. Es
geht in die Produktion“. Im Bereich der Nanotechnologie gibt ein neues Forschungsprogramm, das vor allem auf
ist es jetzt möglich, wissenschaftliche Durchbrüche für Verbundforschung setzt, auf die Verbesserung der Ver-
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu nutzen. wertung von Forschungsergebnissen. Zweitens gibt es
im Bereich der Informations- und Kommunikationstech-
Die zweite große Säule ist die verbesserte Förderung nologien das Programm „Informationsgesellschaft
der Innovationsfähigkeit kleiner und mittlerer Unterneh- Deutschland 2010“, das sich vor allem auf die Moderni-
men, vor allen Dingen in Zusammenarbeit mit dem Wirt- sierung rechtlicher und technologischer Rahmenbedin-
schaftsministerium. gungen und die gezielte Förderung anwendungsnaher
2528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) Entwicklungen konzentriert. Beide – die Kanzlerin hat tionen die Zusage konzeptioneller Entwicklungen ge- (C)
es bei der Eröffnung der CeBIT angekündigt – sollen in macht. Sowohl für die erste Säule als auch für die zweite
einen IT-Gipfel im Herbst dieses Jahres einfließen und Säule ist es wichtig, eine stärkere Brücke zwischen Wis-
im Rahmen unserer Präsidentschaft auf europäischer senschaft und Wirtschaft zu bauen und Hilfestellungen
Ebene eine Rolle spielen, um Interesse bei den europäi- bei Ausgründungen zu geben.
schen Partner zu wecken und zu einer europäischen Stra-
Die großen Forschungsorganisationen haben uns zu-
tegie zu kommen.
gesagt, in genau diesen innovativen Bereichen mitzuwir-
Aus dem Bereich der Leuchttürme nenne ich neben ken, selbst Initiativen zu ergreifen und, wenn Sie so wol-
der eben schon genannten Strategie „Nano geht in die len, die klassischen Strukturen der Forschungsförderung
Produktion“ den Leuchtturm „Hightech für die Gesund- gemeinsam mit uns weiterzuentwickeln. Sie sind die
heit“. Zweitens möchte ich den Leuchtturm „Klinische Bündnispartner, mit denen wir diesen Pakt geschlossen
Forschung in der Gesundheit“ nennen. Das ist ein beson- haben, für den für die Dauer der gesamten Legislaturpe-
ders breit angelegtes Projekt, um die medizinische Spit- riode 3 Prozent Aufwuchs pro Jahr veranschlagt wurden.
zenforschung zu stärken und die Translation zu verbes-
sern. In Zeiten, in denen wir über die Reform des Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Gesundheitssystems sprechen, ist das ein wichtiger Bau- Die nächste Frage stellt der Kollege Jörg Tauss, SPD-
stein, der deutlich machen soll, wie stark künftige Ge- Fraktion.
sundheitsversorgung mit der Forschung und mit einer
guten Brücke von den Grundlagen zur Krankenversor-
Jörg Tauss (SPD):
gung verbunden ist.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Ich habe drei Fra-
Schließlich möchte ich aus aktuellem Anlass – am gen. Soll ich der Einfachheit halber alle drei Fragen auf
vergangenen Montag haben wir im Rahmen des Energie- einmal stellen?
gipfels darüber gesprochen – noch auf Folgendes auf-
merksam machen: In dieser Legislaturperiode werden, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sowohl durch dieses Programm als auch durch zusätzli- Das Beste wäre, Sie würden Ihre drei Fragen in einer
che Mittel der verschiedenen Ressorts, weitere 2 Mil- einzigen zusammenfassen.
liarden Euro für die Energieforschung zur Verfügung ge-
stellt. Auch in diesem Zusammenhang wünsche ich mir (Heiterkeit des Abg. Jörg Tauss [SPD])
eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen Häuser.
Durch dieses breit angelegte Forschungsprogramm wer- Jörg Tauss (SPD):
(B) den wir einen Beitrag zur Gewährleistung der Versor- Frau Ministerin, eine kurze Vorbemerkung: Selbstver- (D)
gungssicherheit, zum Schutz unserer Energieressourcen ständlich begrüßen wir dieses Programm sehr; auch im
und zur Entwicklung neuer Technologien leisten. So zuständigen Ausschuss haben wir gerade über seine
weit zur Information des Parlaments. Ausgestaltung gesprochen.
Der Hintergrund des 3-Prozent-Ziels ist, dass
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deutschland, was seine Aufwendungen für Forschung
Herzlichen Dank. – Die erste Frage zu diesem The- und Entwicklung betrifft, in der Vergangenheit im inter-
menbereich stellt Cornelia Hirsch, Die Linke. nationalen Vergleich auf einem unbefriedigenden Platz
lag. Wir haben zwar im Vergleich mit anderen Staaten
Cornelia Hirsch (DIE LINKE): aufgeholt, aber das Ziel, 3 Prozent unseres Bruttoin-
Frau Ministerin, da der Pakt für Forschung und Inno- landsprodukts für diesen Bereich zur Verfügung zu stel-
vation, den Sie vorgestellt haben, in irgendeiner Form len, nicht erreicht.
getragen werden muss, lautet meine Frage: Inwieweit ist Meine Frage lautet: Wenn wir das 6-Milliarden-Euro-
dieser Pakt mit den anderen bildungspolitischen Initia- Programm realisieren, welchen Platz kann Deutschland
tiven und Programmen, die Sie planen, abgestimmt? Wie nach Einschätzung der Bundesregierung dann in den
wollen Sie sicherstellen, dass sich die Menschen in die nächsten Jahren im europäischen und im globalen Ver-
Forschung einbringen können? Ich bitte Sie, zu sagen, gleich einnehmen? Denn eine der wichtigen Fragen ist:
welche konkreten Initiativen Sie in dieser Richtung in Welchen Beitrag leistet dieses Programm, um unsere Po-
Angriff nehmen wollen. sitionierung zu verbessern?

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung: dung und Forschung:
Der Pakt für Forschung und Innovation ist zwischen Indem wir das 3-Prozent-Ziel verfolgen, wollen wir
der Politik und den großen Forschungsorganisationen ge- erreichen, dass Deutschland zu den ersten drei in Europa
schlossen worden. Sein Ziel besteht darin, auf der einen gehört. Sie haben zu Recht die enorme Dynamik, die in
Seite die öffentlichen Zuschüsse, die die großen For- anderen Ländern, vor allen Dingen im südostasiatischen
schungsorganisationen – die Helmholtz-Gemeinschaft, Raum, zu beobachten ist, angesprochen. Was Europa an-
die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft geht, so wollen wir durch das 3-Prozent-Ziel ein Motor
und andere – bekommen, weiterzuentwickeln. Auf der sein; auch bei vielen anderen Themen setzen wir stark
anderen Seite wurde vonseiten der Forschungsorganisa- auf die europäische Zusammenarbeit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2529
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das auch Ihre Frage, Jan Mücke (FDP): (C)
welchen Platz Deutschland einnehmen wird, betrifft: Die Frau Bundesministerin, ich habe meinen Wahlkreis in
öffentlichen Investitionen in die Energieforschung, die der Stadt der Wissenschaft 2006, in Dresden. Trotz der
für Europa insgesamt bedeutsam ist, weil der Abstand zu Tatsache, dass wir Stadt der Wissenschaft geworden
anderen Teilen der Welt größer wird, sind in den vergan- sind, ist es uns im Rahmen der Exzellenzinitiative der
genen Jahren um 40 Prozent zurückgegangen. Bundesregierung nicht gelungen, auch nur einen einzi-
Die 2 Milliarden Euro, die quer über die Häuser für gen ostdeutschen Hochschulstandort in die Reihe der
diese Legislaturperiode vorgesehen sind, bedeuten eine Eliteuniversitäten zu bringen. Ferner muss man feststel-
Steigerung um 30 Prozent; damit werden wir im euro- len, dass die Forschungsaktivitäten in den neuen Län-
päischen energiepolitischen Dialog eine große Rolle dern aufgrund der fehlenden Industrielandschaft insge-
spielen. samt viel schwächer ausgebildet sind als in den alten
Ländern. Deshalb liegt für mich die Frage auf der Hand,
(Jörg Tauss [SPD]: Danke schön!) wie hoch der Anteil des 6-Milliarden-Euro-Programms
für Forschung und Entwicklung sein wird, der in den
neuen Ländern ausgegeben werden wird.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die nächste Frage hat die Kollegin Priska Hinz,
Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Zunächst einmal: Selbstverständlich werden alle gro-
NEN): ßen Forschungsinstitute – denken Sie an die Max-
Planck-Gesellschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft –
Frau Ministerin, wenn man die Nachrichten in den sowohl im Großraum Dresden/Leipzig als auch an vielen
Medien verfolgt, hat man manchmal den Eindruck, die anderen Stellen von dem 3-Prozent-Aufwuchs profitie-
6 Milliarden Euro seien schon dreimal ausgegeben. Des- ren. Die Exzellenzinitiative ist ein wettbewerbliches
wegen meine Frage: Wie sind die 6 Milliarden Euro in Verfahren; deshalb kann ich keine Anteile nennen. Ich
den nächsten Jahren genau aufgeteilt auf die einzelnen glaube aber, dass man nicht schon nach der ersten Zwi-
Forschungsbereiche und auf die einzelnen Ressorts? schenrunde – bis zum 20. April müssen die Bewerbun-
gen eingehen; im Oktober wird es dann die Entscheidun-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- gen geben – sagen sollte, es wird Regionen geben, die
dung und Forschung: keinerlei Anteil daran haben. Insider sagen, dass die al-
(B) Die 6 Milliarden Euro sind auf die einzelnen Ressorts lerersten Ergebnisse bestätigen, was wir an Entwicklun- (D)
wie folgt aufgeteilt: Rund 4 Milliarden Euro gehen an gen in den letzten Jahren gesehen haben: Da, wo es sehr
das Forschungsministerium; hier werden wir entspre- lange, Jahrzehnte währende Entwicklungen gibt, kann
chend dem Koalitionsvertrag besonders die Mittel für jetzt geerntet werden. Aber es wird in den nächsten Jah-
die Projektförderung erhöhen. Im Übrigen – deshalb ren auch woanders geerntet werden, vor allen Dingen
habe ich von Säulen gesprochen – ist insbesondere die was Graduiertenschulen und was die ersten beiden Säu-
dritte Säule, die Exzellenzinitiative und der Pakt für For- len der Exzellenzinitiative angeht. Ein Schwerpunkt
schung und Innovation, stark. Der zweitgrößte Anteil wird in der Verstärkung des so genannten Inno-Regio-
geht an das Wirtschaftsministerium: 1,245 Milliarden Wettbewerbs liegen. In einem Satz gesagt: Die Förde-
Euro. Rund 200 Millionen Euro gehen an das Verkehrs- rung der Entwicklung von Wachstumskernen hin zu In-
ministerium; hier werden vor allen Dingen Initiativen novationskernen ist ein besonders gutes und, wie ich
und Strategien im Bereich Mobilität sowie zu Wasser- finde, erfolgreiches Beispiel für die Zusammenarbeit
stoff- und Brennstoffzellentechnologien angesiedelt sein. von Universitäten, außeruniversitären Einrichtungen und
160 Millionen Euro fließen an das Bundesumweltminis- Unternehmen. Im Übrigen handelt es sich hier um viele
terium. Das Auswärtige Amt bekommt 100 Millionen kleine und mittlere Unternehmen etwa im Bereich der
Euro für den internationalen Wissenschaftleraustausch. Biotechnologie und der Medizin. Dies ist in meinen Au-
Das Innenministerium erhält 80 Millionen Euro für In- gen das Herzstück der Förderung für die neuen Länder,
formations- und Sicherheitstechnologien. Das Verteidi- weil dies ganz stark auf die Kooperation und Entwick-
gungsministerium erhält 206 Millionen Euro für militä- lung sowie auf die Verstärkung regionaler Entwicklun-
rische Forschung und Entwicklung. Kleinere Beträge, gen ausgerichtet ist und weil dies nach den bisherigen
insgesamt 33,5 Millionen Euro, verteilen sich auf das Erfahrungen auch am meisten geeignet ist, der Grün-
Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dung zusätzlicher Unternehmen eine Chance zu geben.
Entwicklung und das Gesundheitsministerium. Das ist
die Aufschlüsselung der insgesamt 6 Milliarden Euro.
Man könnte jetzt noch die unterschiedlichen Anteile auf Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
die einzelnen Jahre bezogen aufführen; aber ich gehe da- Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.
von aus, dass Ihnen das zur Verfügung gestellt wird.
Jan Mücke (FDP):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Nachfrage lautet einfach: Sehen Sie sich in der
Herr Mücke bitte, FDP-Fraktion. Lage, wenigstens einen ungefähren Betrag zu nennen?
2530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): (C)
dung und Forschung: Sie haben in Ihrer Presseerklärung vom 31. März die-
Nein, ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, einen un- ses Jahres zu diesem Programm unter anderem formu-
gefähren Betrag zu nennen. Ich kann den Betrag des Ti- liert, jeder staatlich investierte Euro ziehe Investitionen
tels Inno-Regio benennen; das kann ich gerne nachse- der Privatwirtschaft nach sich. Sie sagten:
hen. Ich glaube aber, dass jeder Betrag, den ich nenne, Wir bauen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
im Zweifelsfall kleiner als das sein wird, was tatsächlich die starken Brücken, auf denen unser Wohlstand
möglich ist, weil die Exzellenzinitiative noch unent- ruht.
schieden ist.
Unter diesem Blickwinkel will ich fragen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das heißt ja, dieses Programm dürfte für kleine und
Die nächste Frage kommt von Michael Kretschmer, mittelständische innovative Unternehmen eine beson-
CDU/CSU-Fraktion. dere Bedeutung haben. Deshalb frage ich nach den
Kernpunkten der Veränderungen bzw. Verbesserungen
innerhalb dieses Programms für diesen Kreis, und zwar
Michael Kretschmer (CDU/CSU): auch unter dem Blickwinkel der Beschäftigungsperspek-
Frau Ministerin, es wird derzeit viel über Gesundheits- tiven für qualifizierte junge Leute.
politik gesprochen. Können Sie uns sagen, wie im Rah-
men dieses 6-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms Danke.
vorgesehen ist, die Gesundheitsforschung in Deutsch-
land zu verstärken? Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Erster Punkt. Dieses Ziel ist in die gesamte Anlage
dung und Forschung: der Hightech-Strategie aufgenommen worden. Wenn ich
„Nano geht in die Produktion“ sage, dann betrifft das vor
Die Gesundheitsforschung wird vor allem in mehre- allen Dingen Branchen wie die Automobilindustrie, den
ren Leuchttürmen weiterentwickelt werden, die zum Maschinenbau und den Anlagenbau. So wie wir die Pro-
Ersten an dem hohen Standard anschließen, den wir in gramme nach einem Dialog mit der Wirtschaft aus-
der Medizintechnik erreicht haben – Schlagwort: High- schreiben, soll sich dies auf die Investitionen der Unter-
tech für die Medizin zur weiteren Optimierung Bild ge- nehmen unmittelbar auswirken können. Jede Investition
bender Verfahren. in die Forschung seitens eines Unternehmens hat über
(B) kurz oder lang auch beschäftigungspolitische Konse- (D)
Das Zweite ist der genannte Punkt Klinische For-
quenzen.
schung für Gesundheit. In einem Satz gesagt heißt das:
Patientinnen und Patienten sollen rascher von den For- Der zweite Punkt betrifft die zweite Säule, also die
schungsergebnissen in der Gesundheitsversorgung profi- unmittelbaren Maßnahmen. Zum einen wird die Innova-
tieren. tionsbeteiligung kleinerer und mittlerer Unternehmen er-
höht. Bisher ist es so, dass etwa 35 Prozent der Förder-
Der dritte und von mir noch nicht genannte Leucht- mittel, die die Bundesregierung im Rahmen der direkten
turm lautet Innovation Neurowissenschaften. Mit neues- Projektförderung von Spitzen- und Querschnittstechnolo-
ten wissenschaftlichen Methoden der Kombination aus gien vergibt, in den Bereich von KMU geht. Wir wollen
Experiment und Computersimulation wollen wir eine diesen Anteil erhöhen, sodass künftig rund 70 Prozent al-
deutliche Bescheunigung des Forschungsfortschritts be- ler Zuwendungsempfänger in den Fachprogrammen der
wirken und damit vor allen Dingen Impulse geben, die Forschungsförderung zu den kleinen und mittleren Un-
für die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen des ternehmen gehören. Dazu gehört zum Beispiel eine Er-
Nervensystems, für die Entwicklung einer neuen hoch- höhung der jeweiligen Forschungsförderungssumme für
leistungsfähigen Rechnergeneration und darüber hinaus das Unternehmen.
sogar auch für den Bildungsbereich interessant sind.
Zum anderen ist hier das Programm Pro Inno II zu
Das sind drei Leuchtturmvorhaben, mit denen wir nennen, das die Vernetzung kleinerer und mittlerer Un-
2006 beginnen. Wir arbeiten aber bereits jetzt an weite- ternehmen untereinander und mit Forschungseinrichtun-
ren Akzenten für die nächsten Jahre, also für die Zeit ab gen zum Ziel hat. Die Mittel für dieses Programm wer-
2007. Für mich liegt in der Verbindung von Altersfor- den deutlich aufgestockt werden. Künftig sollen auch
schung und Gesundheitsforschung ein Schwerpunkt. Ich solche Unternehmen gefördert werden, die erstmalig ein
nenne die Stichworte Alzheimer und Konsequenzen von Forschungsvorhaben durchführen und sich mit diesem
Ernährungsgewohnheiten für Alterungsprozesse. In die- Forschungsvorhaben auf spätere F-und-E-Kooperatio-
sem Bereich werden wir mit Programmen, die im Laufe nen mit anderen Unternehmen oder Forschungseinrich-
dieses Jahres verabschiedet bzw. beraten werden, Ak- tungen einlassen.
zente setzen.
Der dritte Punkt ist das Programm zur Förderung in-
novativer Wachstumsträger, das ich eben schon einmal
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: im Zusammenhang mit den neuen Bundesländern
Die Kollegin Petra Sitte hat die nächste Frage. genannt habe. Hier sollen im Rahmen von F-und-E-Pro-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2531
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) jekten erstmalig Gründer von jungen Technologieunter- Swen Schulz (Spandau) (SPD): (C)
nehmen aufgenommen werden. Neu ist auch die Finan- Frau Ministerin, wir haben in den letzten Wochen
zierung grundlagenorientierter F-und-E-Vorhaben von eine intensive Diskussion über die Zukunft der Energie-
externen Industrieforschungseinrichtungen zur Erhö- versorgung in Deutschland geführt. Mich interessiert,
hung der Forschungskompetenz. welchen spezifischen Beitrag das Forschungsprogramm
Außerdem wird daran gedacht, die Innovationsfinan- zu der Beantwortung dieser Frage leistet.
zierung – Stichwort Zinsverbilligung – zu verbessern.
Der kürzlich eingerichtete Hightechgründungsfonds Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
wird weiterentwickelt. Zusätzliche Mittel für Patent- und dung und Forschung:
Verwertungsagenturen sowie für Aktivitäten zur Stimu- Die Planung der Bundesregierung bezieht sich für den
lierung von Existenzgründungen aus Hochschulen wer- Zeitraum 2006 bis 2009 einschließlich auf Investitionen
den zur Verfügung gestellt. Das ist auch für die neuen in Höhe von insgesamt 2 Milliarden Euro. Wir haben
Bundesländer ein ganz interessanter Aspekt. dies den Unternehmern am Montagabend mitgeteilt und
Schließlich ist im Bereich der Biotechnologie die werden jetzt mit ihnen die Strategie entwickeln, wie
Gründungsinitiative Go-Bio hervorzuheben, eine neue diese Investitionen des Bundes durch entsprechende In-
und einzigartige Förderinitiative und auch Gründungs- vestitionen der Wirtschaft zu ergänzen und zu vervielfa-
offensive in der Biotechnologie. Ich habe dazu gerade in chen sind.
den letzten Tagen ein Gespräch geführt. Hier können vor
Es wird im Wesentlichen darum gehen, neue Energie-
allen Dingen kleine Unternehmen, denen wir bessere
quellen zu erschließen und Versorgungssicherheit her-
Möglichkeiten der Vernetzung bieten wollen, einen zu-
zustellen. Ich nenne einige Stichworte, auf die sich die
sätzlichen Schub erhalten.
Projekte der unterschiedlichen Häuser beziehen. Aus
Das sind die Hauptstichworte für die Programme, die dem 6-Milliarden-Euro-Programm sollen vor allem In-
2006 beginnen. Diese werden wir laufend weiterentwi- vestitionen in moderne Kraftstofftechnologien auf Basis
ckeln. Dann steht die Frage, über die wir eben im Aus- von Kohle und Gas – Stichwort CO2 –, Wasserstoff- und
schuss gesprochen haben, im Raum: Gibt es darüber Brennstoffzellentechnologie, Technologien und Verfah-
hinaus zu den Themen Forschungsprämie oder Innova- ren für energieoptimiertes Bauen und Wohnen, effiziente
tionsfonds für die Beteiligten noch wirksame Möglich- Energienutzung – da haben übrigens gestern die Partner
keiten? für Innovation auch eine Reihe von interessanten und de-
taillierten Vorschlägen gemacht –, Forschung im Bereich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: erneuerbarer Energien und nukleare Sicherheits- und
(B) Endlagerforschung erfolgen. Zwischen dem BMU und (D)
Die nächste Frage stellt die Kollegin Krista Sager, dem BMBF sind in den letzten Tagen außerdem ein ge-
Bündnis 90/Die Grünen. meinsames Programm zur Förderung des wissenschaftli-
chen Nachwuchses in den Bereichen Strahlenschutz und
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kernenergiesicherheit und ein gemeinsames zusätzliches
Frau Ministerin, in welcher Weise können der Deut- Programm im Bereich der Ressourceneffizienz verein-
sche Akademische Austauschdienst und die Alexander- bart worden.
von-Humboldt-Stiftung an den Mittelaufwüchsen teilha-
ben? Werden sie den Wissenschaftsorganisationen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gleichgestellt, die davon im Rahmen des Pakts für For-
schung und Innovation profitieren? Die nächste Frage hat die Kollegin Cornelia Pieper,
FDP-Fraktion.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung: Cornelia Pieper (FDP):
Sie wissen, dass unter der Vorgängerregierung der Frau Ministerin, in Ihrem 6-Milliarden-Euro-Pro-
Pakt für Forschung und Innovation in den vergangenen gramm sind für die nächsten Jahre auch höhere Investi-
Jahren ohne die beiden Organisationen abgeschlossen tionen in Großgeräte vorgesehen. Das spiegelt sich
war. Bislang gibt es noch keine Veränderung, zumal eine schon im Haushalt 2006 wider.
solche Veränderung nicht nur die beiden Organisationen
betreffen würde. Aber beide Organisationen werden in- Die Bundesregierung hat bereits in der Koalitionsver-
sofern am Aufwuchs und an einer Weiterentwicklung einbarung festgestellt, dass es – das zeigt auch ein Blick
Anteil haben, als die 100 Millionen Euro, die das Aus- auf die Landkarte – in den alten Bundesländern hervor-
wärtige Amt erhält, und der Betrag, der dem BMZ zu- ragende Forschungseinrichtungen mit entsprechenden
kommt – gerade im Hinblick auf den Wissenschaftler- Großgeräten gibt. Es fehlt aber eine Großforschungsein-
austausch –, für die Verstärkung der Aktivitäten dieser richtung in den neuen Bundesländern.
beiden Organisationen vorgesehen sind.
Sie haben sich dazu bekannt. Wird die Bundesregie-
rung im Rahmen des 6-Milliarden-Euro-Programms eine
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: neue Initiative für ein solches Großgerät in den neuen
Die nächste Frage hat der Kollege Swen Schulz, SPD- Bundesländern ergreifen und wird dieses Vorhaben eine
Fraktion. europäische Dimension haben?
2532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- abteilungen durch die Abwicklung großer Industriebe- (C)
dung und Forschung: triebe und der Akademie der Wissenschaften weggefal-
Sie wissen, dass im europäischen Kontext über Listen len sind. Es gibt dort zwar viele kleine innovative
diskutiert wird. Konkret geht es – schon seit geraumer Unternehmen. Aber diese können es sich nicht leisten,
Zeit – um das Thema Neutronenspallationsanlage in den Grundlagen- und Industrieforschung in großem Umfang
neuen Bundesländern, und zwar im Großraum Leipzig. zu betreiben. Haben Sie konkrete Projekte zur Unterstüt-
Wenn es – das ist seitens der betroffenen Bundesländer zung gerade dieser Unternehmen durch Zurverfügung-
in den entsprechenden Gremien vorgetragen worden – stellung von Kapazitäten für Grundlagen- und Indus-
eine Chance zugunsten der Entscheidung für ein solches trieforschung innerhalb des Programms entwickelt?
Großgerät an einem Standort in Deutschland gibt, dann
wird dieses Vorhaben selbstverständlich unterstützt wer- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
den. Unsere Einschätzung ist allerdings derzeit, dass es dung und Forschung:
eine solche Entscheidung nicht geben und dass auch eine Das ist bei der geplanten deutlichen Aufstockung der
weitere Initiative Deutschlands – dass die betroffenen Mittel für das Programm zur Förderung innovativer
Regionen daran interessiert sind, ist bekannt – nichts da- Wachstumsträger berücksichtigt. Hier geht es insbeson-
ran ändern wird. Deshalb ist nach bisheriger Planung die dere um die Unterstützung von Forschungsvorhaben
Konzentration auf die in dem Programm beschriebenen kleinerer und mittlerer Unternehmen durch Kooperation
drei Großprojekte vorgesehen. mit externen Industrieforschungseinrichtungen in den
neuen Bundesländern. Zudem soll die Förderung schnell
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wachsender Unternehmen intensiviert werden. Des Wei-
Herr Kollege Johann-Henrich Krummacher, bitte. teren sollen die Mittel für die Gründung von Technolo-
gieunternehmen – das ist schon stichwortartig angespro-
Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU): chen worden – aufgestockt werden.
Frau Ministerin, es ist sehr ermutigend, dass mit dem
6-Milliarden-Euro-Programm starke Impulse für Innova- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tion und Wachstum gegeben werden. Wir befinden uns Herr Kollege Röspel, bitte.
dabei in einem globalen Wettbewerb. Deshalb hätte ich
gerne Auskunft darüber, wie die öffentlich finanzierte René Röspel (SPD):
Forschung in Deutschland im Vergleich zu unseren Frau Ministerin, das 3-Prozent-Ziel, also 3 Prozent
Wettbewerbern in den USA, Großbritannien oder Asien des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwick-
– vor allem in Indien – in den vergangenen Jahren aufge- lung auszugeben, ist schon erwähnt worden. In den letz-
(B) stockt worden ist. ten sieben Jahren ist der entsprechende Haushaltsansatz (D)
um 20 Prozent erhöht worden. Mit dem nun aufgelegten
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- 6-Milliarden-Euro-Programm werden wir einen weiteren
dung und Forschung: guten Schritt nach vorne tun. Es ist nicht nur ein Pro-
Dem Kabinett hat in der heutigen Sitzung auch der gramm für Bildung und Forschung, sondern auch ein
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch- Wirtschaftsförderungsprogramm. Allerdings kann es
lands vorgelegen. Daraus ist sehr deutlich ersichtlich, nicht nur Aufgabe des Staates sein, Forschung und Ent-
dass wir in Deutschland zwar ein hohes Niveau – auch wicklung zu fördern, sondern es sollte auch Aufgabe der
bei den Forschungsinvestitionen – erreicht haben, dass Wirtschaft sein.
aber die Dynamik vor allem in Südostasien deutlich stär- Meine Frage lautet daher, ob wir nicht an die Wirt-
ker ist. Der Anteil der Investitionen in Forschung und schaft appellieren müssten – vielleicht sehen Sie und
Entwicklung am BIP ist etwa in Japan, China und den eventuell der Wirtschaftsminister noch andere Möglich-
USA höher als in Deutschland. Während unser Anteil keiten –, stärker in Forschung und Entwicklung zu in-
bei 2,55 Prozent liegt, liegt er in den genannten Ländern vestieren, wie es in anderen Ländern der Fall ist.
bei 3,4, 3,7 bzw. 3,9 Prozent, und das bei anhaltend
großer Dynamik. Im europäischen Kontext stehen wir
mit unserem Anteil nicht schlecht da. Aber wir wollen Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
das 3-Prozent-Ziel, dieses wichtige strategische Ziel der dung und Forschung:
Lissabonstrategie, auf jeden Fall erreichen. Sowohl das Wirtschaftsministerium als auch mein
Haus und die anderen an den F-und-E-Investitionen be-
teiligten Ministerien werden in den jeweiligen Branchen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht nur werben und appellieren. Vielmehr geht es auch
Frau Kollegin Lötzsch. darum, auf der Grundlage konkreter Programme über In-
vestitionen in den Unternehmen zu reden. Wir haben das
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): bereits auf dem Energiegipfel am vergangenen Montag
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie angesprochen. Wie ich finde, haben wir eine sehr kon-
haben ausgeführt, dass Sie mit dem 6-Milliarden-Euro- struktive Resonanz darauf bekommen. Dass die Mittel
Programm – das habe ich mit großem Interesse vernom- seitens der Bundesregierung für die Energieforschung
men – auch kleine und mittlere Unternehmen unterstüt- um 30 Prozent steigen, nachdem sie um 40 Prozent ge-
zen wollen. Nun haben wir in den neuen Bundesländern sunken sind, ist ein starkes Signal. In der Arbeitsgruppe
die Entwicklung zu verzeichnen, dass viele Forschungs- „Effizienz und Forschung“ wird in den nächsten Wochen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2533
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) über Projekte gesprochen, die zu der angestrebten Ko- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
finanzierung durch die Wirtschaft – auf jeden öffent- Frau Hajduk, eine Nachfrage.
lichen Euro kommen mindestens 2 privatwirtschaftliche
Euro – führen sollen. Ich bin davon überzeugt, dass wir Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
das nach Branchen unterteilt tun sollten. Frau Staatssekretärin, wie kann die Bundesregierung
Gestern Abend wurde über die Projekte der Impuls- ausschließen, dass beim früheren Staatssekretär Caio
kreise „Partner für Innovation“ gesprochen. Auch hier Koch-Weser im Zusammenhang mit dem Gegenstand
wird deutlich, dass für viele Bereiche – Stichworte Mo- der Unterrichtung, der beabsichtigten Gewährleistung,
bilität, Werkstoffinnovationen, Gesundheitsforschung – zu keiner Zeit eine Interessenkollision zwischen seiner
Vorschläge auf dem Tisch liegen, auf die wir nun bei der Tätigkeit im BMF und seiner jetzigen Tätigkeit für die
Weiterentwicklung der Strategie gut eingehen können. Deutsche Bank vorlag? Aktuellen Pressemeldungen ist
Es ist von den Impulskreisen selbst angedacht worden, zu entnehmen, dass die Garantie für den auch von der
dass es hierbei zu einer Public-Private Partnership kom- Deutschen Bank bereitgestellten Kredit seitens des BMF
men soll. Es bestehen also gute Chancen, den Weg von von Caio Koch-Weser genehmigt wurde.
Beginn an gemeinsam zu gehen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
So wird es auch bei den anderen Branchen sein: Wir Bundesminister der Finanzen:
werden sehr stark darauf achten, nicht einfach nur Pro- Es ist in der Tat richtig, dass die Garantie seitens des
gramme aufzulegen, sondern jeweils auch den Dialog BMF vom Staatssekretär Caio Koch-Weser abgezeichnet
mit der Wirtschaft zu führen. In meinem Hause wird es wurde. Sie wurde vom zuständigen Referat empfohlen.
eigens zu einem Dialog zwischen Wissenschaft, Wirt- Dies wurde vom Unterabteilungsleiter und vom Abtei-
schaft und Politik kommen, um die entsprechenden Stra- lungsleiter abgezeichnet. Staatssekretär Caio Koch-
tegien für die einzelnen Branchen zu entwickeln, und Weser hat für das BMF endgezeichnet. Allerdings hatte
zwar unter Beteiligung der jeweiligen Häuser. das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und
Arbeit die Förderungswürdigkeit des Projektes bestätigt,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: insbesondere im Hinblick auf die Energieversorgung in
der Bundesrepublik Deutschland.
Für weitere Fragen zu diesem Thema oder anderen
Themen aus der Kabinettssitzung oder darüber hinaus Auch aus heutiger Sicht ist die Übernahme der Garan-
steht uns keine Zeit mehr zur Verfügung. Deswegen be- tie fachlich gerechtfertigt. Die mit der Übernahme ver-
ende ich an dieser Stelle die Befragung der Bundesregie- bundenen Risiken sind auch aus haushaltsrechtlicher
rung. Sicht vertretbar. Es wäre in der Tat besser gewesen,
(B) wenn Staatssekretär Caio Koch-Weser den Anschein ei- (D)
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: ner Befangenheit vermieden hätte und einen anderen
Staatssekretär die Unterschrift hätte leisten lassen. Die-
Fragestunde ser wäre allerdings fachlich zu keinem anderen Ergebnis
– Drucksachen 16/1098, 16/1121 – gekommen; auch dann wäre die Genehmigung erteilt
worden.
Gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Frage-
stunde rufe ich zunächst die dringliche Frage der Abge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ordneten Anja Hajduk, Drucksache 16/1121, auf: Frau Hajduk, eine weitere Nachfrage.
Wie begründet die Bundesregierung die Vorlage einer Ga-
rantie für einen ungebundenen Finanzkredit zugunsten von
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gasprom an den Haushaltsausschuss in dieser Woche ange-
sichts der Tatsache, dass Gasprom den Kredit von 1 Mil- Frau Staatssekretärin, wie erklärt es sich eingedenk
liarde Euro, bereitgestellt durch die Kreditanstalt für Wieder- Ihrer Antwort, dass im Zusammenhang mit der Geneh-
aufbau und die Deutsche Bank, gar nicht in Anspruch nehmen migung der Tätigkeit von Herrn Koch-Weser für die
will, wie der Äußerung des Aufsichtsratsvorsitzenden des Deutsche Bank, in deren Vorfeld das Bundesministerium
nordeuropäischen Gaspipelineprojekts, des früheren Bundes-
kanzlers Gerhard Schröder, in der „Frankfurter Allgemeinen der Finanzen eine Überprüfung durchführen musste, bei
Zeitung“ vom 3. April 2006 zu entnehmen ist? der Beratung im Haushaltsausschuss vonseiten der Bun-
desregierung gesagt wurde, Herr Koch-Weser habe im
Zur Beantwortung steht die Kollegin Barbara besagten Zeitraum mit Blick auf die Deutsche Bank
Hendricks zur Verfügung. keine Entscheidung von Gewicht getroffen?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Bundesminister der Finanzen:
Frau Kollegin Hajduk, es handelt sich um die turnus- Er hat in dem Zusammenhang in der Tat keine Ent-
mäßige Unterrichtung des Haushaltsausschusses über scheidung von Gewicht getroffen, denn die Entschei-
die Übernahme von Bürgschaften bei Großprojekten im dung wurde im Wesentlichen und federführend vom
Ausland. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit getroffen.
Das Bundesfinanzministerium hat diese Entscheidung
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE selbstverständlich mitgetragen. Ich darf Ihnen zum Hin-
GRÜNEN]: Wie bitte?) tergrund sagen, dass der interministerielle Ausschuss,
2534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks


(A) der über die Erteilung solcher Garantien für Kredite be- Ich weiß nicht, ob Herr Glos sich so geäußert hat. (C)
rät, in der Regel aus Referatsleitern des Bundesministe-
riums für Wirtschaft – damals Bundesministerium für (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Herr Schauerte
Wirtschaft und Arbeit –, des Bundesministeriums der Fi- kann es bestimmt bestätigen!)
nanzen, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu- Ich glaube aber nicht, dass es darauf ankommt, solche
sammenarbeit und des Auswärtigen Amtes besteht. Die- Entscheidungen nicht in einer, wie es heißt, Übergangs-
ser interministerielle Ausschuss trifft eine Entscheidung, zeit zu fällen. Es handelt sich in der Tat um ein normales
die sich an den Vorgaben durch die Leitungen der jewei- Verwaltungsverfahren. Das muss man vielleicht deutlich
ligen Häuser orientiert. Wie Sie wissen, hat Bundesmi- machen. Ja, der Umfang dieses Kredites ist nicht klein.
nister a. D. Clement schon erklärt, dass er das damals fe- Angesichts des Gläubigers, um den es geht, ist dieser
derführend abgezeichnet hat. In der Tat war das Umfang allerdings völlig unbedenklich, auch aus haus-
Bundesministerium der Finanzen bis zur Ebene des be- haltsrechtlicher Sicht. Das Unternehmen Gasprom ist ein
amteten Staatssekretärs Koch-Weser an dieser Entschei- bonitätsmäßig sehr gut zu bewertendes Unternehmen.
dung beteiligt. Seit 1995 hat der Bund für insgesamt zehn Projekte deut-
Ich habe nur gesagt: Es wäre gut gewesen, wenn Herr scher Exporteure mit Gasprom Deckungen im Bereich
Koch-Weser auch nur den Anschein einer Verquickung der Exportkreditfinanzierung mit einem Gesamtvolumen
vermieden hätte. Andererseits wäre es im Ergebnis zu von 1,5 Milliarden Euro übernommen, zum Beispiel für
keiner anderen Entscheidung gekommen; denn diese das Gaspipelineprojekt Euro-Yamal. Alle Zahlungen er-
Entscheidung ist auch aus heutiger Sicht sachgerecht. In- folgen pünktlich.
sofern ist sie Herrn Koch-Weser vom Inhalt her nicht Sie erkennen daran, dass es solche Verbürgungen seit
vorzuwerfen. Er hätte einen solchen Anschein allerdings 1995, also seit mehr als zehn Jahren, unter Beteiligung
vermeiden können. aller politischen Farben an der Bundesregierung mit
Ausnahme der der Linken gegeben hat. Es ist also ein
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: völlig normales und übliches Verwaltungsgeschäft. Un-
Jetzt die Nachfrage von Frau Lötzsch, bitte. sere Verfassung sieht gerade vor, dass eine Regierung so
lange im Amt bleibt, bis eine neue kommt, damit nor-
male Verwaltungsgeschäfte gemacht werden können.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
rin, mich interessiert, wie Sie die Beteiligung an einer
Entscheidung und das Treffen einer Entscheidung inhalt- Die nächste Nachfrage kommt von dem Kollegen
(B) lich und semantisch trennen wollen. Diese Unterschei- Volker Beck. (D)
dung haben Sie eben in der Antwort auf die Frage von
Frau Hajduk gemacht. Aber das ist nur eine Vorbemer- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
kung. Frau Staatssekretärin, selbstverständlich muss man
handlungsfähig sein, auch nach einer Bundestagswahl.
Ich möchte von Ihnen gerne wissen, ob Sie die sehr
Wenn alles korrekt gelaufen ist, dann ist dieser Kredit
unterschiedlichen Bewertungen der Bundesministerien,
grundsätzlich auch nicht zu kritisieren. Gleichwohl muss
was diesen Vorgang betrifft, zum Anlass nehmen, ers-
man diese Nachfragen natürlich klären. Ich denke, diese
tens, dem Bundestag einen Bericht darüber vorzulegen,
Klärung wird im Ausschuss noch fortgesetzt werden
wer wann an welcher Entscheidung wirklich beteiligt
können.
war, und zweitens, ob Sie die Auffassung des Bundesmi-
nisters Glos teilen, dass solche schwerwiegenden Ent- Mich interessiert ein weiterer Aspekt: Welche Stellen
scheidungen nicht in einer Interimszeit, also in der Zeit der Bundesregierung, insbesondere welche Mitglieder
zwischen Regierungsende und Regierungsbeginn, ge- der Bundesregierung, waren über den Tatbestand dieser
troffen werden sollen? Zusage informiert? Wann waren welche Stellen einbezo-
gen? Sind auch Stellen des Bundeskanzleramtes in die-
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim sen Vorgang einbezogen oder nachträglich unterrichtet
Bundesminister der Finanzen: worden?
Frau Kollegin, mir sind unterschiedliche Einlassun-
gen der Bundesressorts zu diesem Thema nicht bekannt. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Ich kann das insofern nicht bestätigen. Wenn zum Bei- Bundesminister der Finanzen:
spiel der Haushaltsausschuss in diesem Zusammenhang Nein, es waren keine Stellen des Bundeskanzleramts
– er wird sich mit dieser Fragestellung und auch mit an- einbezogen. Es sind auch keine Stellen des Bundeskanz-
deren Garantievergaben in diesen Tagen, heute oder leramts nachträglich unterrichtet worden. Das Verfahren
morgen, befassen; Fragen dieser Art werden dem Haus- ist rite gelaufen – unter Beteiligung der Häuser, die ich
haltsausschuss turnusmäßig zugeleitet – darum bittet, eben schon aufgezählt hatte. Federführend war das Bun-
dass ihm der Zeitplan der Entscheidung vorgelegt wird, desministerium für Wirtschaft und Arbeit, das heutige
dann wird das selbstverständlich geschehen. Ich denke, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, und
er wird Vergleichbares heute Nachmittag oder morgen beteiligt waren das Auswärtige Amt, das Bundesministe-
fordern und dann wird die Bundesregierung das selbst- rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
verständlich offen legen. lung und das Bundesministerium der Finanzen. Der in-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2535
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
(A) terministerielle Ausschuss ist in der Regel auf Hermesbürgschaften nennen. Sie kommen in folgendem (C)
Referatsleiterebene besetzt. Dieser Ausschuss ist vorbe- Fall zum Zuge: Ein deutsches Unternehmen will etwas
reitend tätig, was ungebundene Finanzkredite anbelangt. in ein anderes Land liefern und sieht dies mit einem Ri-
siko behaftet, welches es sozusagen mit der öffentlichen
Der interministerielle Ausschuss hat am 24. Oktober
Hand teilen will. Aber dafür, dass die öffentliche Hand
getagt. Was das Bundesministerium der Finanzen anbe- einen Teil dieses Risikos übernimmt, muss Geld bezahlt
langt, so kann ich aus den Akten sagen, dass die Vorlage
werden. Das ist natürlich weniger, als wenn man einen
mit Schreiben vom 25. Oktober mit der Bitte um Zustim-
Kredit nehmen würde, aber größenordnungsmäßig ist et-
mung an den Staatssekretär Koch-Weser gegangen ist. was unter bis etwas über 1 Prozent der Gesamtsumme zu
Wie ich eben schon gesagt habe, war dies dazwischen
bezahlen. Wir verdienen Geld damit, weil sich die Risi-
von dem zuständigen Unterabteilungsleiter und Abtei-
ken, die wir übernehmen, normalerweise nicht realisie-
lungsleiter abgezeichnet. Ich gehe davon aus, dass das in ren, aber jeder ja rund 1 Prozent dafür bezahlen muss,
den anderen Häusern in gleicher Weise erfolgt ist.
dass es schief gehen könnte. Mit allen Bürgschaften ver-
Für das Bundesministerium der Finanzen kann ich sa- dienen wir als Bundesrepublik Deutschland im Schnitt
gen: Bundesminister Eichel ist nicht beteiligt gewesen. Geld, weil wir natürlich sehr gut prüfen, ob man dieses
Ich bin auch nicht beteiligt gewesen. Wenn man sich so- Risiko wirklich eingehen kann.
zusagen die Linie des Hauses ansieht, ist das so: Erst
Die Vorprüfung erfolgt also durch unsere Mandatare,
kommt der Bundesminister, dann die Parlamentarische
in diesem Fall die Firma Pricewaterhouse-Coopers. Die
Staatssekretärin und dann der beamtete Staatssekretär.
sind zuerst im Februar des Jahres 2005 auf Arbeitsebene
An dieser Linie – Ebene beamteter Staatssekretär – hat
an die beteiligten Ministerien herangetreten. Am
bei uns die Endzeichnung für das Bundesministerium
20. September haben sich die Mandatare erneut an die
der Finanzen stattgefunden. Ich gehe davon aus, dass das
Häuser gewandt. An diesem Tag fand eine Sitzung des
in den anderen Häusern auch so war, mit Ausnahme na-
interministeriellen Ausschusses statt. Da wurde disku-
türlich des federführenden Bundesministeriums für
tiert, ob die Förderungswürdigkeit des Pipelineprojektes
Wirtschaft und Arbeit, in dem der Bundesminister für
unter dem Gesichtspunkt Energiesicherheit usw. gege-
Wirtschaft und Arbeit die Endzeichnung vorgenommen
ben sei. In unserem Haus ist dann eine Unterrichtungs-
hat.
vorlage an den zuständigen Staatssekretär gegangen. Ich
gehe davon aus, dass das auch in den anderen Häusern
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der Fall war. Es ist klar, dass Referatsleiter nicht allein
Es gibt eine weitere Nachfrage. Bitte, Frau eine solche Entscheidung treffen.
Lührmann.
(B) Am 13. Oktober ist ein formeller Deckungsantrag der (D)
Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Bank
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
eingegangen – von deren Seite ausgehend. Sie hatten
Frau Staatssekretärin, unbestritten ist, dass die Ver- aber auch von Anfang an gesagt, dass sie den voraus-
waltung natürlich auch in der Zeit zwischen zwei Regie- sichtlich in der ersten Jahreshälfte abrufen wollten, dass
rungen handlungsfähig sein muss. Vor dem Hintergrund sozusagen im Vorhinein ein formeller Deckungsantrag
dessen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende des Pipeline- gestellt worden ist, um Klarheit darüber zu erlangen, ob
projekts, der ehemalige Bundeskanzler Schröder, gesagt ein solcher Kredit zu einem späteren Zeitpunkt gedeckt
hat, der Kredit und damit auch die Garantie würden gar würde.
nicht in Anspruch genommen werden, möchte ich Sie
fragen, wie Sie die Dringlichkeit der Entscheidung – das Am 18. Oktober wurde durch das zuständige Bundes-
war sozusagen auch die letzte Amtshandlung von Exmi- ministerium für Wirtschaft die rohstoffpolitische Förde-
nister Clement – begründen. rungswürdigkeit unter dem Gesichtspunkt der Versor-
gungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim bestätigt. Daraufhin hat am 24. Oktober der interministe-
Bundesminister der Finanzen: rielle Ausschuss getagt und die grundsätzliche De-
In unserem Auftrag werden so genannte Mandatare ckungsübernahme empfohlen. Für unser Haus hat der
tätig, die zunächst einmal die Risiken bewerten. Das Referatsleiter diese Entscheidung unter Leitungsvorbe-
macht für uns in diesem Zusammenhang die Firma halt gestellt. Deswegen hat er die Vorlage an den Staats-
Pricewaterhouse-Coopers. Die Mandatare sind erstmals sekretär erstellt, der entsprechend dem Votum des zu-
im Februar 2005 an die beteiligten Häuser herangetreten ständigen Referatsleiters die Zustimmung für das
und haben erklärt, unabhängig von dem Unternehmen Bundesministerium der Finanzen erteilt hat.
Gasprom, es gebe vermehrt Nachfragen des Inhalts, ob
Energieprojekte – so möchte ich sie jetzt einmal bezeich- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nen – auch mit ungebundenen Finanzkrediten versehen Jetzt gibt es noch einige weitere Nachfragen. Zu-
werden könnten. Aktuell gibt es zum Beispiel eine sol- nächst der Kollege Matthias Berninger.
che Frage betreffend ein Ölvorkommen in einem afrika-
nischen Land. Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Die ungebundenen Finanzkredite sind eben nicht an NEN):
einen bestimmten Auftrag eines Unternehmens gebun- Frau Staatssekretärin, Sie haben schon darauf hinge-
den. Daneben gibt es die Exportbürgschaften, die wir wiesen, dass dieses Projekt mit 1 Milliarde Euro eine
2536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Matthias Berninger
(A) besondere Größenordnung hat. Die Entscheidungen auf es gibt öffentliche Äußerungen dazu, offenbar auch von (C)
den Leitungsebenen der Häuser sind sehr schnell erfolgt. dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Gas-
Wir beide wissen, dass das Tempo in öffentlichen Ver- prom, aber bei uns ist offiziell noch keine neue Nach-
waltungen nicht immer so hoch ist. Können Sie also vor richt angekommen – für die so genannte Onshorepipe-
dem Hintergrund des Volumens und der Bedeutung des line, also für das, was auf dem Festland stattfindet,
Projektes sowie der Schnelligkeit der Entscheidung aus- beabsichtigt.
schließen, dass die politische Leitung auf der Ebene des
Bundeskanzleramtes, des Wirtschaftsministeriums oder Der Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder ist der
des Finanzministeriums – seitens der Banken, seitens Aufsichtsratsvorsitzende derjenigen Gesellschaft, die ei-
des beteiligten Partners Gasprom oder aber seitens der gens für den Bau der Offshorepipeline unter der Ostsee
Mitarbeiter Ihrer Häuser – in das Projekt involviert wor- gegründet wurde.
den ist? Beide Gesellschaften haben verschiedene Eigentü-
mer. Gasprom ist für den Teil der Pipeline verantwort-
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim lich, der auf russischem Festland verläuft. Für den Teil
Bundesminister der Finanzen: der Pipeline, der unter der Ostsee von Sankt Petersburg
Ich kann das für das Bundesministerium der Finanzen bis Greifswald verläuft – dieses Projekt ist für die deut-
ausschließen. Aufgrund der Aktenlage kann ich das auch sche, aber auch für die europäische Versorgungssicher-
für die anderen Häuser ausschließen, mit Ausnahme des heit von großer Bedeutung –, ist ein eigens gegründetes
Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit; in dem Konsortium verantwortlich, an dem das Unternehmen
Fall ist bekannt, dass der damalige Minister Clement das Gasprom 51 Prozent hält und die beiden deutschen Un-
vor dem Hintergrund der rohstoffpolitischen Förde- ternehmen Eon Ruhrgas und BASF zu gleichen Teilen
rungswürdigkeit abgezeichnet hat. Selbstverständlich die anderen 49 Prozent halten.
kann ich nicht ausschließen, dass irgendwann irgendwer
mit irgendjemandem gesprochen hat. Aber das kann man Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nie ausschließen. Sie dürfen daraus nicht umgekehrt Möglicherweise stellt sich demnächst die Frage, wel-
schließen, dass ich annehmen würde, unter der Hand sei chem Kollegen Fischer der Kollege Winkler ähnlich
darüber gesprochen worden. Es gibt keinen Anlass zu ei- sieht.
ner solchen Vermutung.
(Heiterkeit)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nun zur letzten Nachfrage zu diesem Thema. Die
Herr Kollege Winkler, bitte. Kollegin Ute Koczy, bitte.
(B) (D)
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
NEN): Danke. – Frau Staatssekretärin, bezogen auf die För-
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben im Zusammen- derwürdigkeit des Projektes und bezogen auf Ihre An-
hang mit der Vermeidung eines Anscheins von Interes- merkung, dass auch etwas schief gehen könne, will ich
senverquickung in Bezug auf Herrn Staatssekretär Koch- fragen: Gab es vonseiten der Bundesregierung irgend-
Weser gesagt, es wäre besser gewesen, er hätte einen an- welche Anforderungen an die Kreditierung dieses Pro-
deren Staatssekretär zeichnen lassen. Wie bewerten Sie jektes in Bezug auf soziale und ökologische Standards
denn vor diesem Hintergrund der Vermeidung eines An- beim Bau der Pipeline? Sind darüber mit den Mandata-
scheins die Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes bei ren der Bundesrepublik, Pricewaterhouse-Coopers, Ge-
der Firma Gasprom durch den Bundeskanzler? spräche geführt worden?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Eine weitere Frage: Sind Sie nicht ebenfalls der Auf-
Bundesminister der Finanzen: fassung, dass die Trennung in Onshorepipeline und Off-
Herr Kollege Fischer – shorepipeline nicht ganz korrekt ist, weil die Pipeline als
Ganzes gesehen werden muss?
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Winkler heiße ich. Bundesminister der Finanzen:
Frau Kollegin, die Mandatare, die für die Bundesre-
publik Deutschland in der Weise tätig werden, dass sie
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
das Risiko eines Projektes bewerten, kennen natürlich
Bundesminister der Finanzen:
die Regeln, die mit der Bürgschaftsvergabe durch die
– Entschuldigung, Herr Kollege Winkler; wir duzen Bundesrepublik Deutschland verbunden sind. Selbstver-
uns normalerweise; da kann das mit dem Nachnamen ständlich prüfen sie unter diesem Gesichtspunkt nicht
schon einmal schief gehen –, der Bundeskanzler ist zu nur dieses, sondern ein jedes Projekt.
keinem Zeitpunkt mit dieser Fragestellung befasst gewe-
sen. Im Übrigen – Sie mögen es für spitzfindig halten – Ich hatte eben bereits gesagt, dass man es möglicher-
war bzw. ist dieser Kredit – wir haben noch keine offizi- weise als spitzfindig betrachten kann, wenn man zwi-
ellen neuen Nachrichten darüber, ob der Kredit nun tat- schen der Pipeline auf dem Festland und der Pipeline un-
sächlich in Anspruch genommen werden soll oder nicht; ter Wasser unterscheidet. Aber das Projekt, um das es
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2537
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
(A) hier geht, bezieht sich ausschließlich auf den Bau der den des damaligen Urteils gezählt hat, sondern dass er (C)
Pipeline auf dem Festland. Bundeskanzler a. D. ein Obiter Dictum war, also etwas, das das Bundesver-
Schröder ist Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft fassungsgericht dem geneigten Leser auch noch zur
geworden, die sich ausschließlich um den Bau der Pipe- Kenntnis gegeben hat.
line unter Wasser kümmert.
Es gibt also zwei unterschiedliche Gesellschaften. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Hinsichtlich des Aktienrechts ist das natürlich ein großer Sie haben dazu eine Nachfrage? – Bitte schön.
Unterschied. Faktisch ist es aber so, dass die eine Pipe-
line ohne die andere keinen Sinn machen würde, weil Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
man das Gas, das zur Ostsee geleitet wird, nicht in die
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Ant-
Luft pusten will.
wort. – Ihnen ist wie mir bekannt, dass die öffentliche
Diskussion zum damaligen Zeitpunkt und auch noch da-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nach sehr wohl insoweit vom Halbteilungsgrundsatz do-
Damit sind wir am Ende der Beantwortung der dring- miniert wurde, als gesagt wurde, selbst bei einer Gleich-
lichen Frage. behandlung von Immobilien und anderen Formen von
Wir kommen jetzt zu den Fragen der Fragestunde auf Vermögen sei es nicht möglich, eine verfassungskon-
Drucksache 16/1098, die ich in der üblichen Reihenfolge forme Neuformulierung des Vermögensteuergesetzes
aufrufe. vorzunehmen. Da wir nun meiner Interpretation nach
eine positive Bestätigung dafür haben, dass sich der
Die Frage 1 des Kollegen Jürgen Trittin und die Halbteilungsgrundsatz in der Form, in der er formuliert
Frage 2 der Kollegin Veronika Bellmann aus dem Ge- war – er erhielt damals nicht die einhellige Unterstüt-
schäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundes- zung des zuständigen Senats des Bundesverfassungsge-
kanzleramts werden schriftlich beantwortet. richts –, nicht aus der Verfassung ableiten lässt, würde
Für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäfts- sich jetzt nicht auch vom gesellschaftlichen Umfeld her
bereich des Bundesministeriums der Finanzen steht wei- die Möglichkeit eröffnen, die Vermögensbesteuerung
terhin die Parlamentarische Staatssekretärin Frau neu in Angriff zu nehmen, indem die verschiedenen Ver-
Hendricks zur Verfügung. mögensarten gleich besteuert werden würden? Es könnte
sich eine neue Einnahmequelle erschließen, wenn man
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Dr. Barbara Höll die Vermögensteuer wieder erhebt.
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung des Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (D)
(B) Bundesverfassungsgerichts im Beschluss des Zweiten Senats
vom 18. Januar 2006 (2 BvR 2194/99), dass sich aus dem in Bundesminister der Finanzen:
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes Frau Kollegin Höll, eine verfassungskonforme Aus-
zum Ausdruck kommenden Maßstab keine allgemein ver- gestaltung wäre zum jetzigen Zeitpunkt noch schwierig,
bindliche Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen insbesondere deswegen, weil wir noch auf das Urteil des
Teilung – Halbteilungsgrundsatz – zwischen Eigentümer und
Staat herleiten lässt, und welche Rückschlüsse zieht sie in die- Bundesverfassungsgerichts zum Erbschaftsteuerrecht
sem Zusammenhang für die Verfassungsmäßigkeit der Ver- warten. Würde dieses aber da sein, dann wären sicher-
mögensteuer? lich die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür gege-
ben, die Vermögensbesteuerung wieder einzuführen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Allerdings ist die Bundesregierung nicht der Auffas-
Bundesminister der Finanzen:
sung, dass dies verteilungspolitisch erforderlich wäre.
Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme ge- Dem Umstand, dass starke Schultern mehr tragen kön-
genüber dem Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck nen als schwache, wird im Steuerrecht bereits durch den
gebracht, dass die Verfassung keine starre Obergrenze progressiven Einkommensteuertarif Rechnung getra-
für die Ertragsteuerbelastung enthält. Die Bundesregie- gen. Darüber hinaus plant die Bundesregierung, Spitzen-
rung ist also von diesem Urteil nicht negativ überrascht verdiener auch im Interesse von mehr Steuergerechtig-
worden, sondern sieht sich in ihrer Auffassung bestätigt. keit zusätzlich mit einem dreiprozentigen Zuschlag auf
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Einkommensteuerhöchstsatz zu belasten. Eine Ver-
vom 18. Januar 2006 ergeben sich allerdings nach Auf- mögensteuer läuft dem Ziel der Bundesregierung, Steu-
fassung der Bundesregierung keine Rückschlüsse für die erbürokratie abzubauen, zuwider. Insbesondere die Be-
Vermögensteuer. In der Vermögensteuerentscheidung, in folgungskosten einer Vermögensteuer für Bürger und
der der so genannte Halbteilungsgrundsatz formuliert Unternehmen sind beachtlich. Die Erhebungskosten
wurde, wurde die Vermögensteuer nicht wegen eines übersteigen, gemessen am generierten Aufkommen, de-
Verstoßes gegen diesen Grundsatz, sondern wegen des finitiv die der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer.
einheitlichen Steuertarifs bei divergierenden Bemes- Einfach ausgedrückt: Es lohnt sich nicht so recht.
sungsgrundlagen für verfassungswidrig erklärt.
Im Übrigen ist die Bundesregierung hinsichtlich einer
Insbesondere die Unterschiedlichkeit der Bewertung Wiedererhebung der Vermögensteuer auch politisch
von Kapitalvermögen und Immobilienvermögen führte nicht in erster Linie gefordert. Da der Ertrag einer Ver-
zu diesem Urteil. Ich darf Sie daran erinnern, dass der so mögensteuer gemäß Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 unseres
genannte Halbteilungsgrundsatz auch nicht zu den Grün- Grundgesetzes den Ländern zusteht, sollten, wenn denn
2538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks


(A) gewünscht, entsprechende Initiativen vom Bundesrat sich die Koalitionsfraktionen entschieden, keine eigene (C)
ausgehen. Initiative zu ergreifen. Dies geht auch aus dem Koali-
tionsvertrag hervor. Sollte die Mehrheit der Länder zu
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: einer anderen Auffassung kommen, würden sich die Ko-
alitionsfraktionen sicherlich noch einmal zur Beratung
Wenn Sie keine weitere Nachfrage haben, kommen
zurückziehen. Dies ist allerdings nach meinem Dafürhal-
wir zur Frage 4 der Abgeordneten Dr. Barbara Höll:
ten nicht zu erwarten.
Nimmt die Bundesregierung die Feststellung des Bundes-
verfassungsgerichts, in der gesetzgeberischen Gestaltungsfrei-
heit und der Auferlegung von Steuerlasten ausschließlich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
durch die allgemeinen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit be- Sie haben eine weitere Nachfrage? – Bitte sehr.
grenzt zu sein, zum Anlass, die Möglichkeit der Erhebung ei-
ner Vermögensteuer erneut zu prüfen, und, wenn nein, warum
nicht? Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bestätigen, dass
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim es momentan in der Bundesrepublik Deutschland sehr
Bundesminister der Finanzen: wohl eine Ungleichbehandlung von akkumuliertem Ver-
Frau Kollegin Höll, die Bundesregierung sieht keine mögen und Einkommen, das durch Arbeit erzielt wird,
Veranlassung, die Wiedererhebung der Vermögensteuer gibt? Dabei ist nicht nur die Belastung zu berücksichti-
zu prüfen. Die Einführung einer Vermögensteuer ist in gen, die aus der Einkommensbesteuerung resultiert.
erster Linie eine steuerpolitische Entscheidung. Sie ge- Auch durch die zu leistenden Sozialabgaben erfolgt eine
hört nicht zu den Zielsetzungen der Regierungskoalition. Ungleichbehandlung von Menschen, denen es möglich
Sie wäre im Übrigen politisch derzeit nicht durchsetzbar, ist, nur von ihrem akkumulierten Vermögen zu leben,
weil die aufkommensberechtigten Länder die Wiederer- also de facto von den Zinsen, und Menschen, die arbei-
hebung der Vermögensteuer mit großer Mehrheit ableh- ten gehen müssen, so sie denn die Chance auf einen Ar-
nen. beitsplatz haben.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim


Eine Nachfrage? – Bitte schön. Bundesminister der Finanzen:
Frau Kollegin Höll, es ist nicht von der Hand zu wei-
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): sen, dass es Menschen, die zum Beispiel eine große Erb-
schaft machen, besser geht als Menschen, die keine
Frau Staatssekretärin, sollte man vor dem Hintergrund
(B) große Erbschaft machen; das ist eine Binsenweisheit. (D)
der gerade in der vergangenen Sitzungswoche wiederum
Dieses Vermögen wird aber mit Erbschaftsteuer belegt.
öffentlich dokumentierten gewissen Handlungsunfähig-
Im Übrigen werden die Einkommen, die aufgrund einer
keit des Gemeinwesens auf allen Ebenen aufgrund des
Erbschaft entstehen, natürlich auch als Einkommen be-
immer mehr abbröckelnden Steueraufkommens nicht die
steuert.
politische Kraft darauf konzentrieren, die Vermögensbe-
steuerung – die Vermögensteuer ist zwar eine Länder- Die Verteilungsgerechtigkeit in der Bundesrepublik
steuer, muss aber vom Bundestag verabschiedet werden – Deutschland wird im Wesentlichen über die progressive
zu reformieren, weil sich hieraus für den Staat – das hängt Einkommensteuer herbeigeführt. Die oberen 10 Prozent
natürlich vom politischen Willen und der Ausgestaltung der Steuerbürger bringen mehr als 50 Prozent des Ein-
der Vermögensbesteuerung ab – eine erhebliche Einkom- kommensteuervolumens auf, während die unteren
mensquelle erschließen könnte? Auch wenn man nur ei- 50 Prozent der Einkommensbezieher noch nicht einmal
nen Steuersatz von 1 oder 2 Prozent festlegen würde – das 10 Prozent dazu beitragen. Auf diese Weise wird, wie
Geldvermögen in der Bundesrepublik Deutschland über- ich finde, für steuerliche Gerechtigkeit gesorgt.
schreitet Milliardenwerte –, könnte man wesentlich mehr
Einnahmen erzielen als durch einen kleinen Zuschlag auf Im Übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung,
die Einkommensteuer. Die dadurch erzielten Einnahmen dass ein Gerechtigkeitsansatz, der über die steuerliche
würden nur sehr gering ausfallen. Sie würden Ihren Be- Gerechtigkeit hinaus verfolgt werden muss, der gleiche
rechnungen nach, wenn ich mich richtig entsinne, unter Zugang zu Bildungschancen ist.
2 Milliarden Euro liegen, während man bei einer Be-
steuerung des Vermögens mit 1 Prozent immerhin Ein- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nahmen von etwa 15 Milliarden Euro erreichen könnte. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim gend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Bundesminister der Finanzen: Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Frau Kollegin Höll, ich kann Ihre Berechnungen nicht
Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen Kai Gehring:
bestätigen. Wenn man sich diesem Gedanken denn
nähern würde, würden zumindest für betriebliches Ver- Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung
in diesem Jahr, um die Partizipation von Jugendlichen zu ver-
mögen besondere Regelungen notwendig sein, weil es bessern, und welche Beteiligungsmöglichkeiten und -rechte
ansonsten zu einem Substanzverlust im Unternehmens- von Jugendlichen sind der Bundesregierung dabei besonders
bereich kommen würde. Vor diesem Hintergrund haben wichtig?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2539

(A) Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der (C)
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend: gend:
Lieber Herr Kai Gehring, im Koalitionsvertrag ist Das kann ich noch nicht im Einzelnen sagen. Im Aus-
festgelegt, dass die Bundesregierung Kinder und Ju- schuss kann jederzeit über den derzeitigen Stand berich-
gendliche weiter in politische, planerische und zukunfts- tet werden; es muss lediglich vereinbart werden, ab
orientierte Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse ein- wann berichtet werden soll. Sinnvoll ist eine Berichter-
beziehen wird. Zu diesem Zweck werden in den stattung eigentlich erst dann, wenn harte Fakten vorlie-
nächsten Wochen mit potenziellen Partnern Schwer- gen, damit Sie auch die entsprechenden Informationen
punkte festgelegt. Es werden ganz konkrete Projekte erhalten können.
vereinbart und auf den Weg gebracht. Wir können das jetzt abschließend noch nicht sagen.
Wir wollen uns bei diesem Themenkomplex Zeit lassen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: und das in Ruhe auf den Weg bringen. Sie wissen ja,
Eine Nachfrage, Herr Gehring? dass die Laufzeit der ersten Projekte bis hinein in dieses
Jahr ging. Insofern glaube ich, dass es bis jetzt keinen
Zeitverzug gegeben hat.
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Kues, für Ihre Ant- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wort auf meine Frage zur Partizipation von Jugendli- Eine weitere Nachfrage zu diesem Thema, jetzt von
chen. Ich bedaure, dass es bisher noch keine eigenen der Kollegin Cornelia Hirsch.
Vorschläge seitens des Ministeriums gibt.
Ich möchte auf Ihre Antwort hin direkt fragen: Wer Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
sind die Partner, mit denen Sie hier in einen Dialog über Herr Staatssekretär, die EU-Kommission hat das
konkrete Schwerpunkte und Ziele treten? Welches sind kommende Jahr zum Europäischen Jahr der Chancen-
die Schwerpunkte und Ziele in dem wohl auch geplanten gleichheit erklärt. Das würde ja eine Gelegenheit bieten,
Bündnis zur politischen Beteiligung seitens des Ministe- eine Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten von
riums? Jugendlichen vorzusehen. In diesem Zusammenhang
wäre meine Frage an Sie, inwieweit Sie das Europäische
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Jahr der Chancengleichheit in Ihrem Hause schon einge-
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- hender diskutiert haben und welche Planungen es in die-
ser Hinsicht gibt.
(B) gend: (D)
Sie wissen, dass wir in der ersten Phase bundesweit
200 Projekte auf den Weg gebracht haben, an denen im- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
merhin 20 000 Jugendliche – das ist eine große Anzahl – Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
teilgenommen haben. Sie sind mit dem Deutschen Bun- gend:
desjugendring und der Bundeszentrale für politische Bil- Wir haben das Europäische Jahr der Chancengleich-
dung durchgeführt worden. Wir befinden uns noch in der heit bei uns sehr intensiv diskutiert; wir bereiten uns
Auswertung, glauben aber, dass wir Mitte Mai konkrete auch sehr intensiv darauf vor. Wir werden auch die Pro-
Ziele, Handlungsfelder und neue Projekte benennen gramme unseres Hauses daraufhin überprüfen, inwie-
können, sodass im Herbst 2006 eine neue Initiative star- weit sie dort eingebunden werden können. Ich kann nur
ten kann. sagen: Dieses Europäische Jahr der Chancengleichheit
wird – erst recht, da Deutschland im ersten Halbjahr die
Wer die Partner im Einzelnen sein werden, wird von Präsidentschaft innehaben wird – für uns eine zentrale
den Themen abhängen. Ein Thema, das sich herauskris- Bedeutung haben. Wir werden uns mit unseren europäi-
tallisiert hat und eine Rolle spielen sollte, ist das Thema schen Nachbarn abstimmen und dementsprechend die
„Demografischer Wandel – Wert der Jugend in der Ge- Themen festlegen.
sellschaft“. Daraus müssen sich dann die konkreten Pro-
jekte ergeben. Das wird aber, wie gesagt, Mitte Mai be- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sprochen werden. Die Frage 6 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schrift-
lich beantwortet. Das Gleiche gilt für die Fragen 7 und 8
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: des Kollegen Hans-Josef Fell aus dem Geschäftsbereich
Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Gehring? des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit.

Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kommen also jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die
Wenn diese Gespräche im Mai stattfinden sollen, wis-
Frage 9 des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin wird gemäß
sen Sie dann auch, wann wir im Ausschuss darüber dis-
Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schrift-
kutieren können? Und welche Unterschiede können Sie
lich beantwortet.
schon jetzt, obwohl Sie sich noch in der Evaluations-
phase befinden, im Vergleich zum Projekt P aus der letz- Wir kommen somit zur Frage 10 des Abgeordneten
ten Legislaturperiode ausmachen? Kai Gehring:
2540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Wie beurteilt die Bundesregierung die steigende Zahl der Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Hochschulabsolventen, die nach ihrem Studium lange und Herzlichen Dank für Ihre Antwort. Die Frage lautete:
zum Teil unbezahlte Praktika ableisten, durch die ihr Berufs-
einstieg verzögert wird und sozialversicherungspflichtige Wie beurteilt die Bundesregierung die zunehmende Ten-
Stellen verdrängt oder gar nicht erst geschaffen werden, und denz, dass insbesondere Hochschulabsolventen in einer
was beabsichtigt die Bundesregierung gegen diese Entwick- Endlosschleife als Praktikantinnen und Praktikanten lan-
lung zu unternehmen? den können? Da Sie sagten, die Daten- und Faktenlage
sei noch nicht ausreichend geklärt: Plant die Bundes-
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- regierung, Untersuchungen zur Prekärisierung von Ar-
ministerin für Bildung und Forschung: beitsverhältnissen bei Hochschulabsolventen in Auftrag
Kollege Gehring, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: zu geben, um beispielsweise der Frage nachzugehen, ob
Der Arbeitsmarkt für Akademiker hat sich im vergange- es durch diese Praktika zu Verdrängungsprozessen auf
nen Jahr weiter positiv entwickelt. Die ohnehin niedrige dem Arbeitsmarkt kommt? Sind in diesem Zusammen-
Arbeitslosenquote bei Akademikern hat sich 2005 auf hang spezielle Initiativen in Planung?
3,8 Prozent reduziert. Allerdings profitieren nicht alle
Personengruppen in gleicher Weise von dieser positiven Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Entwicklung. Hierzu gehören nach Angaben der Zentral- ministerin für Bildung und Forschung:
stelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Ar- Herr Abgeordneter Gehring, ich habe bereits darauf
beit insbesondere die Berufsanfänger, da der größte Teil verwiesen, dass wir derzeit noch keine gesicherte Daten-
der Stellenangebote Bewerbern mit Berufserfahrung basis haben. Allerdings erhebt die HIS GmbH in diesem
vorbehalten ist. Der Bundesregierung liegen allerdings Problemfeld regelmäßig Absolventenstudien. Die dies-
keine gesicherten Zahlen darüber vor, wie sich die Zahl jährige Absolventenstudie wird auch Ergebnisse zur
der Hochschulabsolventen in unbezahlten Praktikaposi- Thematik „Praktika von Hochschulabsolventen“ erfas-
tionen entwickelt hat. sen. Ergebnisse dürften frühestens zum Jahresende 2006
Die Bundesregierung ist auch angesichts der beruf- vorliegen.
spraktischen Anforderungen der Unternehmen an Hoch- Die Bundesregierung ist natürlich der Auffassung,
schulabsolventen der Auffassung, dass der Bolognapro- dass Versuche des Missbrauchs von Praktika entspre-
zess in Deutschland mit dem Ziel einer Verkürzung der chend geahndet werden müssen. Ich habe bereits auf die
Studienzeiten und eines stärkeren Praxisbezugs in der rechtlichen Möglichkeiten, wenn anstelle eines Prakti-
akademischen Ausbildung fortgesetzt werden muss. In kums faktisch ein normales Arbeitsverhältnis vorliegt,
diesem Zusammenhang gilt es gleichzeitig, die Erstaus- hingewiesen.
bildung breit genug zu gestalten, um die berufliche Ein-
(B) satzfähigkeit und Flexibilität sicherzustellen. Hier sind (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
in erster Linie die Länder und die Hochschulen gefor- Herr Gehring, Sie haben eine weitere Nachfrage.
dert.
Hochschulabsolventen in betrieblichen Praktika wer- Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
den bereits im Rahmen des geltenden Rechts geschützt. Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung, dass
Soweit sie eingestellt werden, um ihnen berufliche über die Problematik der Generation Praktikum auch im
Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu vermit- Rahmen der Debatte um einen Mindestlohn, die bereits
teln, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung han- anläuft und von der großen Koalition wahrscheinlich im
delt, haben sie Anspruch auf eine angemessene Vergü- Herbst intensiv geführt werden wird, diskutiert werden
tung nach § 26 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 des soll?
Berufsbildungsgesetzes. Soweit sie aber als „Praktikan-
ten“ eingestellt, jedoch länger als sechs Monate wie ein Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
vergleichbarer Arbeitnehmer eingesetzt und beschäftigt ministerin für Bildung und Forschung:
werden, liegt nach der Rechtsprechung im arbeitsrechtli- Die Problematik der Praktika von Hochschulabsol-
chen Sinne kein Praktikanten-, sondern ein Arbeitsver- venten ist sicherlich kein Gegenstand, der bei einer ge-
hältnis vor, auf das die arbeitsrechtlichen Schutzvor- nerellen Mindestlohndebatte zu berücksichtigen wäre.
schriften anwendbar sind. Der Praktikant ist dann also in
Wahrheit Arbeitnehmer und hat zum Beispiel Anspruch
auf eine Vergütung. Das ist im Zweifel die übliche Ver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gütung eines vergleichbaren Arbeitnehmers nach Eine weitere Nachfrage durch den Kollegen Josef
§ 612 Abs. 1 BGB. Die Betroffenen können ihre Vergü- Winkler.
tungsansprüche vor dem zuständigen Arbeitsgericht gel-
tend machen. Dadurch dürfen ihnen nach dem so Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
genannten arbeitsrechtlichen Maßregelungsverbot kei- NEN):
nerlei Nachteile entstehen. Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal nachfra-
gen, weil das nicht klar geworden ist: Sieht die Bundes-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: regierung die zunehmende Zahl der Praktikanten mit
Hochschulabschluss als ein Problem an oder nicht?
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Storm. Herr Gehring, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte Zweitens. Sie haben gesagt, die Datenlage sei unsi-
schön. cher. Ist die Bundesregierung denn in der Lage, dem zu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2541
Josef Philip Winkler
(A) ständigen Ausschuss Datenmaterial aus dem eigenen Zu- den Delegationen mehrheitlich begrüßt, insbesondere (C)
ständigkeitsbereich vorzulegen, und, wenn ja, wann? die Sicht, dass der europäische Qualifikationsrahmen ein
Übersetzungsinstrument zur Förderung von Mobilität
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- und Transparenz sein soll. Es wurde jedoch gleichzeitig
ministerin für Bildung und Forschung: betont, dass es einen Überarbeitungsbedarf gibt, insbe-
sondere bei den Deskriptoren der Niveaustufen des euro-
Herr Abgeordneter, ich darf auf die Antwort zur vor-
päischen Qualifikationsrahmens, und – das ist insbeson-
herigen Frage verweisen. Die HIS GmbH nimmt derzeit
dere eine deutsche Position – dass wir eine lange
im Rahmen der Absolventenstudie eine Datenerhebung
Erprobungsphase der praktischen Umsetzung des euro-
vor. Mit den Ergebnissen ist frühestens zum Jahresende
päischen Qualifikationsrahmens mit Pilotprojekten und
2006 zu rechnen. Sobald die Ergebnisse vorliegen, wer-
Testphasen brauchen.
den sie selbstverständlich dem Fachausschuss vorgelegt.
Darüber hinaus ist mit den europäischen Partnerlän-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dern, die ein dem deutschen System vergleichbares Sys-
Vielen Dank. Ich rufe die Frage 11 der Abgeordneten tem der dualen beruflichen Bildung haben, vereinbart
Cornelia Hirsch auf: worden, dass man bis zum Sommer die gemeinsamen In-
teressen bei der weiteren Entwicklung des europäischen
Was waren die wesentlichen Inhalte der Konferenz der eu-
ropäischen Bildungsminister in Wien im März 2006 und wie
Qualifikationsrahmens miteinander abstimmt.
bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Gespräche?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Sie haben eine weitere Nachfrage? – Bitte sehr.
ministerin für Bildung und Forschung:
Frau Abgeordnete Hirsch, ich beantworte Ihre Frage Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
wie folgt: Solche informellen Bildungsministertreffen Danke schön für Ihre Antwort. – Meine zweite Nach-
haben sich seit den 90er-Jahren als Forum für den offe- frage bezieht sich auf den Bereich „Schlüsselkompeten-
nen Meinungsaustausch auf Ministerebene zu aktuellen zen für lebenslanges Lernen“, worüber zurzeit auch auf
Themen der europäischen Bildungspolitik etabliert. Be- europäischer Ebene diskutiert wird und was in den infor-
schlüsse werden im Rahmen solcher Treffen üblicher- mellen Gesprächen vermutlich eine Rolle gespielt hat.
weise nicht gefasst. Bei dem diesjährigen Treffen stan- Mich würde die Position der Bundesregierung zur Emp-
den die folgenden Themen im Vordergrund: der fehlung hinsichtlich der Förderung des Unternehmens-
europäische Qualifikationsrahmen, das Europäische In- geistes an Schulen und Hochschulen interessieren. Wie
(B) stitut für Technologie, EIT, sowie der Stellenwert der wird man sich allgemein dazu verhalten und gibt es (D)
Bildung im europäischen Erweiterungsprozess und die schon konkrete Überlegungen, diese Empfehlung in
Rolle der Universitäten in Südosteuropa. Aus Sicht der Deutschland umzusetzen?
Bundesregierung kommt den im Rahmen des informel-
len Bildungsministertreffens geführten Diskussionen
eine wichtige Rolle als Impulsgeber für die weiteren Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Verhandlungen in den relevanten Ratsgremien zu. ministerin für Bildung und Forschung:
Hierzu kann ich Ihnen im Detail derzeit nichts sagen.
Es ist so, dass im Moment die Vorbereitungsphase für
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
den Start des EU-Programms für das lebenslange Ler-
Eine Nachfrage, Frau Hirsch? nen, das während der deutschen Ratspräsidentschaft im
ersten Halbjahr 2007 beginnen soll, läuft. Das von Ihnen
Cornelia Hirsch (DIE LINKE): angesprochene Thema stand – anders als die drei ande-
Ja, ich habe eine Nachfrage zum Themenkomplex ren genannten Themen – nach meinem Kenntnisstand
„europäischer Qualifikationsrahmen“. In der Debatte nicht im Mittelpunkt der Beratungen.
darüber wurden in der Bundesrepublik von mehreren
Seiten Befürchtungen geäußert, dass das Berufsprinzip Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
durch diese europäische Initiative eingeschränkt wird. Die Frage 12 der Abgeordneten Grietje Bettin wird
Meine Frage lautet: Wurden diese Bedenken im Rahmen schriftlich beantwortet.
dieser informellen Gespräche auch von anderen EU-Mit-
gliedstaaten geäußert und wie hat sich die Bundesregie- Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Jörg Rohde
rung dabei positioniert bzw. welche Impulse hat sie ge- auf:
geben? Inwieweit nimmt die Bundesregierung Einfluss auf die
Zielsetzung und Umsetzung des Projekts „ASK-IT“ der Euro-
päischen Kommission (www.ask-it.org), damit die Belange
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- behinderter Menschen entsprechend der deutschen Gesetze
ministerin für Bildung und Forschung: und der deutschen Regelungswerke berücksichtigt werden
Nachdem EU-Kommissar Figel die Ergebnisse des und verhindert wird, dass aus Mitteln der Europäischen Union
aufwendige Technologien und Daten ohne Bezug zu den Nut-
Konsultationsprozesses – die Mitgliedstaaten mussten zern in allen Staaten der EU aufgebaut werden?
diese bis zum Ende des Jahres 2005 einreichen – vor-
gestellt hatte, fand eine erste politische Aussprache auf Zur Beantwortung gebe ich das Wort dem Parlamen-
Ministerebene statt. Dabei wurden die Ergebnisse von tarischen Staatssekretär Thomas Rachel.
2542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C)
desministerin für Bildung und Forschung: desministerin für Bildung und Forschung:
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege, Ihre Es wäre vermessen, dazu bereits zum heutigen Zeit-
Anfrage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung punkt eine Prognose abzugeben. Wir warten jetzt erst
nimmt keinen Einfluss auf die Zielsetzung einzelner Pro- einmal ab, wie sich dieses Programm insgesamt entwi-
jekte. Jedoch hat die Bundesregierung über die Verwal- ckeln wird.
tungsausschüsse der Mitgliedstaaten ein Stimmrecht bei
der Gestaltung der spezifischen Arbeitsprogramme, in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
denen die Forschungsziele für die zu fördernden Pro- Eine weitere Nachfrage? – Bitte sehr.
jekte beschrieben werden. Die Begutachtung von Pro-
jekten führt die Europäische Kommission nach transpa-
renten Regeln mit externen Gutachtern durch. Es ist Jörg Rohde (FDP):
nicht Aufgabe der Mitgliedstaaten, Einfluss auf die Um- Meine zweite Nachfrage ist: Finanziert oder teilfinan-
setzung von bewilligten Projekten zu nehmen. Sie prü- ziert die Bundesregierung derzeit nationale Forschungen
fen vielmehr, ob die Regeln der Transparenz bei den zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe von
Entscheidungen befolgt werden. Menschen mit Behinderungen?

Das von Ihnen angesprochene Projekte „ASK-IT“ Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
wird im Rahmen der thematischen Priorität „Technolo- desministerin für Bildung und Forschung:
gien für die Informationsgesellschaft“ gefördert. Im ent-
Hierzu werden verschiedene Maßnahmen durchge-
sprechenden IST-Arbeitsprogramm wird für die rele-
führt, die ich Ihnen jetzt aber nicht alle aus dem Kopf
vante E-Inclusion gefordert, dass die Projekte sich auch
präsentieren kann. Da Sie sich in Ihrer Frage in erster Li-
mit den sozioökonomischen, gesetzlichen und politi-
nie auf das europäische Programm „ASK-IT“ bezogen
schen Dimensionen befassen sollen und insbesondere
haben, will ich Ihnen, bezogen auf den europäischen
die elektronische Eingliederung in einem breiten Sinn
Raum, sagen, dass im Rahmen des 6. Rahmenfor-
abdecken, um die Verfügbarkeit von Dienstleistungen
schungsprogramms der Europäischen Kommission in-
der Informationsgesellschaft bei vertretbaren Kosten für
nerhalb der thematischen Priorität „Technologien für die
alle sicherzustellen. Hierbei ist nicht automatisch sicher-
Informationsgesellschaft“ 16 weitere Projekte gefördert
gestellt, dass in einem Projekt zwangsläufig die Belange
werden, die einen Bezug zur Barrierefreiheit und zur
aller Mitgliedstaaten abgedeckt werden oder alle natio-
Teilhabe behinderter Menschen aufweisen.
nal gültigen Standards und Gesetze berücksichtigt wer-
den. An der Finanzierung dieser Maßnahmen ist die Bun-
(B) desregierung im Rahmen der EU-Finanzierung natürlich (D)
Dennoch ist beim IST-Projekt „ASK-IT“ davon aus- beteiligt. Hierbei geht es beispielsweise um die Verbes-
zugehen, dass durch die deutsche Beteiligung auch deut- serung der Zugänglichkeit des Internets oder um den
sche Interessen berücksichtigt werden. barrierefreien Zugang zu IuK-Technologien für blinde,
Zum einen ist nämlich das deutsche Forschungsinsti- sehbehinderte und gehörlose Menschen.
tut Technologie-Behindertenhilfe der Evangelischen
Stiftung Volmarstein ein Projektpartner. Zum anderen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sind in der Vorhabensbeschreibung vier Teilprojekte auf- Herzlichen Dank. – Damit sind wir beim Geschäfts-
geführt, von denen das vierte mit dem Namen „Acces- bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
sible Europe“ die Interoperabilität der drei vorgelagerten Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamenta-
themenbezogenen Teilprojekte demonstrieren soll. rische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Insgesamt sind sieben europäische Pilotgebiete aus- Die Fragen 14 und 15 der Abgeordneten Dr. Dagmar
gewählt worden, darunter im Übrigen auch die Stadt Enkelmann werden schriftlich beantwortet.
Nürnberg. Mit Vertretern dieser Regionen werden insge-
samt drei Nutzerforen abgehalten. Insgesamt nehmen Wir kommen zur Frage 16 der Abgeordneten Sabine
44 Partner aus 15 Ländern teil, sodass eine breite euro- Zimmermann:
päische Auswirkung zu erwarten ist. Wie steht die Bundesregierung zu dem Problem, dass
junge Erwachsene, die aus dem ALG II heraus eine berufliche
Ausbildung an einer privaten Berufs- oder Berufsfachschule
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: beginnen und deren Antrag auf BAföG abgelehnt wurde, fi-
nanziell schlechter gestellt werden gegenüber ihrer Zeit als
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Rohde? Empfänger von Leistungen nach SGB II (vergleiche „Freie
Presse“ vom 11. März 2006)?
Jörg Rohde (FDP):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
wird die Bundesregierung im Falle eines viel verspre- nister für Arbeit und Soziales:
chenden bzw. erfolgreichen Ergebnisses des Forschungs- Frau Abgeordnete, soweit junge Erwachsene ihre
programms „ASK-IT“ ein nationales Folgeprogramm Erstausbildung an einer privaten Berufsfachschule be-
finanzieren, damit die im Rahmen von „ASK-IT“ erziel- ginnen, erscheint eine Ablehnung der Ausbildungsförde-
ten Forschungsergebnisse in Deutschland eine optimale rung nach dem BAföG nur wegen der Berücksichtigung
Anwendung finden können? von Einkommen des Auszubildenden oder seiner Eltern
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2543
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
(A) denkbar. Das BAföG ist eine subsidiäre Sozialleistung, Man muss sich aber jeden Fall einzeln anschauen; da (C)
die nur dann eingreift, wenn der Auszubildende bzw. bitte ich Sie um Verständnis. Es hängt davon ab – das
seine Eltern nicht in der Lage sind, die Ausbildung aus habe ich Ihnen ja vorgelesen –, ob noch Unterhaltsan-
eigener Kraft zu finanzieren. sprüche gegenüber den Eltern bestehen, ob der Jugendli-
che schon eine Ausbildung gemacht hat, wie hoch seine
Wenn die Auszubildenden aus dem Ausbildungsver- Ausbildungsvergütung und wie hoch das Einkommen
hältnis eine Ausbildungsvergütung erhalten – im Falle des Vaters bzw. der Eltern ist. Ich kann das hier nicht
der Ausbildung zum Altenpfleger ist der Träger der verallgemeinernd beantworten; wir müssten uns schon
praktischen Ausbildung nach § 17 des Altenpflegegeset- den konkreten Fall anschauen. Wenn Sie der Meinung
zes zur Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergü- sind, dass sich solche Fälle häufen – –
tung verpflichtet –, dann sind diese Einkünfte nach § 23
Abs. 3 BAföG voll auf den Bedarf des Auszubildenden
anzurechnen. Für die Ausbildungsvergütung wird dem Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Auszubildenden kein allgemeiner Freibetrag zugebil- Es häuft sich, ja.
ligt, weil ihm diese Mittel gewissermaßen zwangsläufig
durch und für die Ausbildung zufließen, also nicht das Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengung sind. minister für Arbeit und Soziales:
Weiterhin geht das BAföG typisierend davon aus, Das weiß ich nicht. – In der Frage, dass junge Leute
dass Eltern ihren Kindern gegenüber unterhaltspflichtig bis 25 bereits von zu Hause ausgezogen sind, hatten wir
sind, wenn diese noch keine nach dem BAföG förde- eine Stichtagsregelung; deswegen können alle, die schon
rungsfähige Ausbildung durchlaufen haben. Dabei wird ausgezogen sind, eigentlich nicht davon betroffen sein.
unterstellt, dass die Eltern den angerechneten Betrag, der Alle weiteren Fälle würde ich mir gerne anschauen. Es
sich aus der Pauschalierung des bürgerlich-rechtlichen gibt in bestimmten Fällen – das gestehe ich gerne zu –
Unterhaltsanspruchs ergibt, an die Auszubildenden leis- Schnittstellenprobleme zwischen der Berufsausbildungs-
ten. Ist dies nicht der Fall und ist die Ausbildung des beihilfe und der BAföG-Regelung. Dies gilt aber nur in
Kindes dadurch gefährdet, kann diesem nach § 36 Ballungsräumen und wenn die Mietkosten eine be-
BAföG eine Vorausleistung gewährt werden. stimmte Höhe übersteigen. Mit dieser Frage setzen wir
uns gegenwärtig auseinander. Sie wird auch Gegenstand
In dem konkreten Fall, auf den in der Fragestellung einer gesetzlichen Regelung sein im Rahmen des Opti-
Bezug genommen wurde, dürfte ein BAföG-Anspruch mierungsgesetzes, das wir vorbereiten. Es kommt, wie
am fehlenden Bedarf – aufgrund der Anrechnung der gesagt, immer auf den Einzelfall an.
Ausbildungsvergütung der Auszubildenden und des Ein-
(B) kommens des Vaters – gescheitert sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Zimmermann, Sie haben eine Nachfrage, bitte Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
schön. Ich würde gern auf Ihr Angebot zurückkommen und
Sie von dem konkreten Fall in Kenntnis setzen. Ich bitte
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Sie, dass wir da schnellstmöglich eine Lösung finden,
Danke schön erst einmal für die Antwort. – Der Fall, weil es wirklich eine Menge Personen betrifft.
der in der Presse geschildert worden ist, ist kein Einzel-
Danke schön.
fall. Es betrifft etliche Jugendliche zwischen 18 und 25,
die Hartz-IV-Empfänger waren. Durch die Neuregelung
sind die, die schon in einer eigenen Wohnung leben und Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
sich einen Ausbildungsplatz gesucht haben – egal ob in minister für Arbeit und Soziales:
den Weißkittelberufen oder in den Berufen nach dem Mein Angebot steht: Wenn Ihnen Fälle bekannt sind,
Berufsbildungsgesetz –, davon betroffen. Nehmen wir dann geben Sie uns diese und dann schauen wir sie uns
also an, ein Jugendlicher hat eine eigene Wohnung, gilt an; dafür sind Ministerien schließlich da. Wenn da recht-
als eigene Bedarfsgemeinschaft und hat sich selbststän- lich etwas nicht in Ordnung sein sollte, ist es ohne weite-
dig einen Ausbildungsplatz gesucht. Im Altenpflegege- res möglich, sich darum zu kümmern. Dies ist jetzt aber
setz steht nur etwas von einer „angemessenen Berufsaus- kein Aufruf zu einer Kampagne der Linkspartei, dem
bildungsvergütung“; „angemessen“ kann man so oder so Staatssekretär Andres fünfeinhalbtausend Fälle zuzusen-
definieren. Ein solcher Jugendlicher ist durch die Neure- den, nur damit wir uns richtig verstehen.
gelung benachteiligt. Im vorliegenden Fall ist es so, dass
die Jugendliche, weil sie nur 300 Euro zur Verfügung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
hatte und ihre Wohnung nicht mehr finanzieren konnte, Dann sind wir jetzt bei der Frage 17 der Abgeordne-
praktisch bestraft wird. Oder soll sie jetzt wieder bei ih- ten Zimmermann:
ren Eltern einziehen? Besteht nach Ansicht der Bundesregierung eine Gesetzes-
lücke, wenn für Auszubildende gleichzeitig die Anträge auf
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- BAföG, auf Wohngeld, auf Berufsausbildungsbeihilfe und auf
unterstützende Zahlungen im Rahmen von ALG II abgelehnt
minister für Arbeit und Soziales: werden (vergleiche „Freie Presse“ vom 11. März 2006), und
Frau Zimmermann, auf den konkreten Fall, um den es welche unmittelbaren Maßnahmen will die Bundesregierung
in dieser Pressemitteilung ging, bin ich eingegangen. ergreifen, um zu verhindern, dass junge Erwachsene in
2544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Ausbildung finanziell schlechter gestellt sind gegenüber der Wir sind nun bei der Frage 19 des Abgeordneten (C)
Zeit als ALG-II-Empfänger? Dr. Harald Terpe:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Passivrau-
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- chen das Sterberisiko erhöht bzw. zum Tode führen kann, und,
minister für Arbeit und Soziales: wenn ja, hält sie es für verantwortbar, einen wirksamen
Schutz vor Passivrauch, beispielsweise in öffentlichen Gebäu-
Verehrte Frau Abgeordnete, eine Gesetzeslücke be- den, Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr, Schulen und Gast-
steht nicht. Nach § 7 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozial- stätten, aufzuschieben?
gesetzbuch haben
Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Berufsausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 minister für Arbeit und Soziales:
bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Herr Abgeordneter, ja, Rauchen ist eine der größten
Grunde nach förderungsfähig ist, vermeidbaren Gesundheitsrisiken. Im Jahre 1998 ist die
Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher
grundsätzlich Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft
keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des nach Auswertung neuer Studien zur Epidemiologie und
Lebensunterhalts. zur Toxikologie zu der Auffassung gelangt, dass Passiv-
rauchen am Arbeitsplatz beim Menschen erwiesenerma-
Dementsprechend kommt es darauf an, ob die betriebli- ßen eine Krebs erzeugende Wirkung hat. Daneben steht
che Ausbildung unabhängig von der Erfüllung der per- Passivrauchen auch in einem engen Zusammenhang ins-
sönlichen Voraussetzungen an sich förderungsfähig ist. besondere mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkran-
Soweit ein Betroffener wegen Überschreitung der Al- kungen. Dies wird zum Beispiel in der Publikation
tersgrenze im BAföG oder bei einer Zweitausbildung „Passivrauchen – ein unterschätztes Gesundheitsrisiko“
keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung hat, bleibt des Deutschen Krebsforschungszentrums aus dem
der grundsätzliche Ausschlussgrund für den Bezug von Jahre 2005 dokumentiert.
Arbeitslosengeld II bestehen.
Die Bundesregierung ist sich der Gesundheitsgefähr-
Hintergrund für diese Regelung ist die Abgrenzung dung durch Rauchen und Passivrauchen bewusst und en-
zwischen den Rechtsgebieten der Ausbildungsförderung gagiert sich aktiv für einen wirksamen Schutz der Nicht-
und der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eine ent- raucher. Zum Schutz der nicht rauchenden Beschäftigten
sprechende Abgrenzung zur Sozialhilfe nach dem Bun- wurde die Arbeitsstättenverordnung 2002 um folgende
dessozialhilfegesetz war bereits vor Einführung der Regelung ergänzt –:
(B) Grundsicherung für Arbeitsuchende geregelt. Hiermit §5 (D)
sollte eine zweite Ausbildungsförderung auf der Ebene
der Sozialhilfe vermieden werden. In Fallkonstellatio- Nichtraucherschutz
nen, in denen durch das primär einschlägige spezielle
Ausbildungsförderungsgesetz bewusst keine Ausbil- (1) Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Maßnah-
dungsförderung mehr gewährt wird, soll diese gesetzge- men zu treffen, damit die nicht rauchenden Be-
berische Wertung nicht durch eine Auffangförderung auf schäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Ge-
der Ebene des allgemeinen Sozialleistungsrechts aufge- sundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt
hoben werden. sind.
(2) In Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr hat der
Die Abgrenzung zwischen dem Wohngeld nach dem
Arbeitgeber Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 nur
Wohngeldgesetz und der Ausbildungsförderung folgt
insoweit zu treffen, als die Natur des Betriebes und
daraus, dass in der Ausbildungsförderung die Wohnkos-
die Art der Beschäftigung es zulassen.
ten bereits pauschaliert enthalten sind. Allerdings kön-
nen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach dem SGB II Initiativen für ein umfassendes Nichtraucherschutz-
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gewährt werden. gesetz in den Jahren 1997 und 1998, durch die ein
Hierzu gehört unter anderem auch die Förderung einer Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden des Bundes, der
beruflichen Weiterbildung nach § 16 Abs. 1 SGB II für Länder und der Kommunen, in öffentlichen Verkehrs-
solche Hilfebedürftigen, die zur beruflichen Eingliede- mitteln und an Arbeitsplätzen – Entwurf der Abgeord-
rung einer Weiterbildung bedürfen. neten Roland Sauer, Uta Titze-Stecher, Dr. Burkhard
Hirsch und weiteren Abgeordneten auf Drucksache
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 13/6100 – sowie zusätzlich auch in Gaststätten mit mehr
als 50 Sitzplätzen – Entwurf der Abgeordneten Gerald
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Häfner, Volker Beck, Cem Özdemir und weiteren Abge-
ordneten der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Drucksache 13/6166 – herbeigeführt werden sollte, wa-
Nein. ren nicht erfolgreich.
Die Bundesregierung verfolgt mit ihrer Politik das
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ziel, den Tabakkonsum nachhaltig zu senken. Diese Po-
Die Frage 18 der Kollegin Gesine Lötzsch wird litik ist durch ein Bündel von präventiven und strukturel-
schriftlich beantwortet. len Maßnahmen gekennzeichnet, die sich gegenseitig
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2545
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
(A) ausgewogen ergänzen. Dazu gehören die gesetzgeberi- falls werden die Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen (C)
schen Maßnahmen des Bundes, die in den letzten Jahren und deren Ergebnisse zunächst einmal auszuwerten sein.
zur Umsetzung der von Deutschland ratifizierten Tabak-
rahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation kon- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sequent durchgesetzt wurden. Dies sind Änderungen der Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Tabakproduktverordnung, das Verbot der Abgabe von
Tabakwaren an Jugendliche unter 16 Jahre im Jugend- (Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
schutzgesetz, das Verbot der kostenlosen Abgabe von NEN]: Nein!)
Zigaretten zu Werbezwecken, eine Mindestverkaufs-
Dann kommen wir zur Frage 20 des Kollegen Harald
menge von 17 Stück und die Tabaksteuererhöhung in
Terpe:
drei Schritten mit deutlichen Erfolgen für die Gesundheit
durch den Rückgang des Tabakkonsums Jugendlicher. Durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung die
Umsetzung bzw. den Vollzug der den Passivraucherschutz be-
Darüber hinaus werden von der Bundeszentrale für treffenden Änderung der Arbeitsstättenverordnung vom
Oktober 2003 fördern und erfolgte bisher eine Evaluation?
gesundheitliche Aufklärung im Rahmen der Nichtrau-
cherkampagne „Rauchfrei 2006“ umfangreiche präven-
tive Maßnahmen zur Förderung des Nichtrauchens Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
durchgeführt. Außerdem fördert das Bundesministerium minister für Arbeit und Soziales:
für Gesundheit unter der Schirmherrschaft der Beauf- Die Durchführung der Arbeitsschutzvorschriften ob-
tragten der Bundesregierung für Drogenfragen seit liegt gemäß Grundgesetz den zuständigen Arbeitsschutz-
Juli 2005 das Bundesmodellprojekt „Rauchfreie Kran- behörden der Bundesländer. Informationen über die An-
kenhäuser“. wendung und den Vollzug der Vorschriften zum
Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz liegen der Bundes-
Ich könnte noch ungefähr fünf Seiten vorlesen, aber regierung nicht vor.
das möchte ich Ihnen ersparen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön, Herr Terpe.
Herr Terpe, Sie haben eine Nachfrage.
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Meine Nachfrage ist: Wird die Bundesregierung ini-
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre Antwort tiativ werden, um eine Evaluation der Umsetzung dieser
und die Aufzählung der vielfältigen Initiativen, wobei Arbeitsschutzverordnung vorzunehmen?
(B) Sie es mir erspart haben, die weiteren Initiativen aufzu- (D)
zeigen.
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Im zweiten Teil meiner Frage wollte ich wissen, ob minister für Arbeit und Soziales:
Sie es, wenn Sie die Gefahr des Passivrauchens anerken- Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird diese
nen, für vertretbar und verantwortlich halten, weitere mündliche Anfrage zum Anlass nehmen, den Ausschuss
Maßnahmen zum Schutz vor Passivrauchen in öffentli- für Arbeitsstätten mit dieser Aufgabe zu betrauen. Wir
chen Gebäuden aufzuschieben. Das war ein Teil meiner werden also in diesem Bereich tätig werden.
schriftlichen Frage.
Daran möchte ich die Frage anschließen: Habe ich Sie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
richtig verstanden, dass die Bundesregierung keine zu- Haben Sie eine weitere Nachfrage?
sätzliche eigene Gesetzesvorlage, zum Beispiel in An-
lehnung an Gesetzesvorhaben europäischer Nachbarn, Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
zum Arbeitsschutz oder zur Luftreinhaltung in der Pipe-
Ja. – Vielen Dank für diese Antwort. Ich merke, dass
line hat?
die Bundesregierung initiativ werden möchte. Teilen Sie
aber mit mir die Auffassung, dass die Maßnahmen zum
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Schutz vor Passivrauchen seitens der Regierung insge-
minister für Arbeit und Soziales: samt relativ langsam umgesetzt werden? Das betrifft
Wir haben umfassend gehandelt. Ein Bereich der Ar- auch den ganzen Bereich der Tabakreklame.
beitsstätten mit Publikumsverkehr sind im Wesentlichen
Gastronomiebetriebe. Welche Probleme dahinterstehen,
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
wissen Sie. Hier muss ein entsprechender Abwägungs-
minister für Arbeit und Soziales:
prozess stattfinden. Die Arbeitsstättenverordnung wurde
Zunächst einmal will ich sagen: Schauen Sie sich ein-
entsprechend ausgeweitet und ergänzt; das habe ich Ih-
mal an, was in der Zwischenzeit in manchen Bundes-
nen vorgetragen. Alle weiteren Initiativen müssen sehr
ministerien passiert ist. Da wird in vielen Bereichen deut-
sorgfältig abgewogen werden.
lich, dass Rauchen nicht erwünscht ist. Im Bundesdienst
Zu den Schlüssen, die die Bundesregierung aus den in überwacht die Zentralstelle für Arbeitsschutz beim Bun-
den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union desinnenministerium und in ihrem Auftrag die Unfall-
umgesetzten Maßnahmen zieht, kann ich Ihnen sagen, kasse des Bundes die Einhaltung des Nichtraucherschut-
dass wir diese sehr aufmerksam verfolgen. Gegebenen- zes nach der Arbeitsstättenverordnung. Außerdem berät
2546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Parl. Staatssekretär Gerd Andres


(A) sie die Dienststellen bei der Umsetzung von Maßnahmen möglichst zeitnah ein tragfähiges Konzept zur weiteren (C)
und bei der Ausgestaltung von Betriebsvereinbarungen Unterstützung der Opfer der SED-Diktatur zu erarbeiten.
und entsprechenden Hausanweisungen. Aus der Überwa- Wegen der notwendigen Abstimmung mit den Koali-
chungs- und Beratungspraxis kann geschlossen werden, tionsfraktionen konnte und kann ein konkreter Zeitpunkt
dass der Nichtraucherschutz im Bundesdienst entspre- nicht genannt werden, zumal auch in einem ersten Ge-
chend der Arbeitsstättenverordnung angemessen umge- spräch zwischen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen
setzt und auch praktiziert wird. und Vertretern der Bundesregierung in der vergangenen
Woche noch weiterer Gesprächsbedarf hinsichtlich der
Zur Evaluation der Maßnahmen im Zusammenhang im Koalitionsvertrag genannten Alternativen festgestellt
mit den Zuständigkeiten der Länder habe ich Ihnen eben wurde.
schon geantwortet, dass wir dies entsprechend ergänzen
wollen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Bellmann, Sie haben eine Nachfrage. Bitte
NEN]: Vielen Dank!) schön.
– Bitte schön.
Veronika Bellmann (CDU/CSU):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ja, ich habe eine Nachfrage. Ich möchte gern wissen,
Es gibt eine weitere Nachfrage. Frau Koczy, bitte inwiefern der Bundesregierung bekannt ist, wie viele
schön. dienstbeschädigte Stasimitarbeiter – um diese geht es in
diesem Zusammenhang; sie sollen den vollen Ausgleich
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bekommen, wie wir als Gesetzgeber vom Bundesverfas-
Herr Staatssekretär, wollen Sie daran arbeiten, dass sungsgericht und vom Bundessozialgericht verpflichtend
wir beim Schutz vor Passivrauchen im Vergleich zu an- aufgetragen bekommen haben –
deren europäischen Ländern an der Spitze der Bewegung (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
sind? Oder sind Sie mit mir der Auffassung, dass wir DIE GRÜNEN]: Das haben wir alles schon
dann, wenn wir in dem Tempo, das Sie vorlegen, weiter- geändert!)
machen, zur lahmen Ente werden?
ihre Beschädigung im Zusammenhang mit Menschen-
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- rechtsverletzungen erlitten haben.
minister für Arbeit und Soziales:
(B) Ich weiß nicht, welche Maßnahme welcher europäi- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (D)
schen Länder Sie meinen. Die Unterschiede sind be- minister für Arbeit und Soziales:
kanntlich sehr groß. Es gibt Länder mit einem ziemlich Das ist nicht bekannt. Wir haben, wie Sie wissen, das
rigiden Rauchverbot in Gaststätten, öffentlichen Einrich- Gesetz heute Vormittag im Ausschuss für Arbeit und
tungen und ähnlichem. So weit sind wir noch nicht ge- Soziales behandelt. Es hat in fast allen Fraktionen Über-
gangen. Ich habe dazu schon einiges gesagt. Wir wollen einstimmung hinsichtlich eines Änderungsantrags gege-
zunächst abwarten, welche Erfahrungen damit gemacht ben, mit dem klargelegt werden soll, dass die Entschädi-
werden. Ich denke, die Bundesregierung betreibt hierbei gung bei Verstößen gegen die Menschenrechte zu
auf alle Fälle eine Politik mit Augenmaß. versagen ist. Wir werden jetzt in Umsetzung der neuen
gesetzlichen Regelung feststellen müssen, um wie viele
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Natürlich!)
Fälle es sich handelt. Das kann ich beim besten Willen
hier nicht beantworten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dann sind wir jetzt bei der Frage 21 der Abgeordne- Veronika Bellmann (CDU/CSU):
ten Veronika Bellmann:
Vielen Dank für die Information. Ein Abgeordneter
Welchen genauen Zeitpunkt versteht die Bundesregierung
unter „zeitnah“, wenn sie auf die Stellungnahme des Bundes-
kann nicht in mehreren Ausschüssen gleichzeitig sein.
rates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vor- Falls Sie das als Kritik gemeint haben, dann weise ich
schriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes das insofern zurück.
über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitritts-
gebiet vom 23. Februar 2006 (Bundestagsdrucksache 16/754)
wie folgt in ihrer Gegenäußerung Stellung bezieht: „… ver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sichert die Bundesregierung, … möglichst zeitnah ein tragfä- Sie haben noch eine weitere Nachfrage, Frau
higes Konzept zur weiteren Unterstützung der Opfer der SED-
Diktatur zu erarbeiten“, und wie ist die inhaltliche Ausrich-
Bellmann? – Bitte schön.
tung eines solchen Konzepts vorgesehen?
Veronika Bellmann (CDU/CSU):
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Meine weitere Nachfrage geht in eine ähnliche Rich-
minister für Arbeit und Soziales: tung. Gibt es Erkenntnisse über die genaue Anzahl von
Frau Bellmann, in der von Ihnen leider nicht vollstän- dienstbeschädigten Stasimitarbeitern und mit welchen
dig zitierten Gegenäußerung hat die Bundesregierung Finanzvolumina ist in diesem Zusammenhang zu rech-
versichert, gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen nen?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2547

(A) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- von selbstständigen Existenzen führen werden. Ich sehe (C)
minister für Arbeit und Soziales: das nicht. Nach den Erfahrungen, die wir bislang ge-
Es tut mir Leid. Erlauben Sie mir eine Anmerkung: macht haben, können wir das nicht teilen. Zudem halte
Ihre Fragestellung hat eigentlich nur sehr mittelbar mit ich es gegenwärtig für nicht machbar, auf die Situation
dem zu tun, was Sie jetzt fragen. Ich bin gerne bereit, Ih- derjenigen zu schließen, die infolge einer Behinderung
nen die Informationen zur Verfügung zu stellen, die un- auf Betreuung angewiesen sind und deshalb als private
ser Haus hat. Ich kann die Frage jetzt leider nicht beant- Arbeitgeber auftreten.
worten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine weitere Nachfrage, bitte sehr, Herr
Damit sind wir bei der Frage 22 des Abgeordneten Rohde.
Jörg Rohde:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Rah- Jörg Rohde (FDP):
men des Schätzmeldeverfahrens der Krankenkassen seit Herr Staatssekretär, weil wir heute Morgen im Aus-
1. Januar 2006 Menschen mit Behinderungen, die Arbeitgeber schuss darüber gesprochen haben, dass mit der kleinen
von Pflegekräften im Privathaushalt sind, genauso wie ge-
meinnützige Vereine, die diese behinderten Arbeitgeber bei Änderung des SGB IV eine Barriere in diesem Bereich
der Lohnabrechnung unterstützen, durch die doppelte Büro- weggeräumt wird, hatte ich die Hoffnung, dass noch an-
kratie infolge der später zusätzlich erforderlichen Restschuld- dere Barrieren fallen. Meine Nachfrage lautet daher:
meldung vor einen Mehraufwand gestellt werden, der so groß Sieht die Bundesregierung grundsätzlich Bedarf, assis-
ist, dass er in vielen Fällen nicht mehr allein oder ohne zusätz-
liche Kosten bewältigt werden kann, und sieht die Bundes-
tenzbedürftige Menschen mit Behinderung in ihrem Be-
regierung Möglichkeiten, private Arbeitgeber, die infolge ei- mühen um größtmögliche selbstständige Bewältigung
ner Behinderung den erhöhten organisatorischen Aufwand der ihrer Arbeitgeberpflichten zu unterstützen?
Schätz- und Restschuldmeldung nicht bewältigen können,
von der Pflicht zur Schätz- und Onlinemeldung zu befreien?
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Soziales:
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ich habe bislang die Zahlung der Sozialversiche-
minister für Arbeit und Soziales: rungsbeiträge nicht als Barriere gesehen. Natürlich muss
Herr Abgeordneter Rohde, die gesetzlichen Vorschrif- man Arbeitgeber dabei unterstützen, ihren Pflichten
ten über die Erhebung der Gesamtversicherungsbeiträge nachzukommen, unabhängig davon ob der Arbeitgeber
treffen keine unterschiedlichen Regelungen für be- behindert ist oder nicht. Es geht darum, dort, wo es mög-
stimmte Arbeitgebergruppen. Eine solche Differenzie- lich ist, bürokratische Hürden abzubauen; darum bemü-
(B) rung ließe sich auch nicht begründen, da sich der Auf- hen wir uns. Lassen Sie uns jedenfalls festhalten: Wir (D)
wand für die Berechnung und Abführung der werden genau beobachten, wie es wirkt, und dann fest-
Sozialversicherungsbeiträge für alle Arbeitgeber in glei- stellen, ob die angesprochene Personengruppe in beson-
cher Weise darstellt. Dies gilt auch für Arbeitgeber mit derem Maße betroffen ist.
Behinderungen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage des Kollegen Markus Kurth.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Rohde? – Bitte
schön. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, es geht darum, dass die Kosten-
Jörg Rohde (FDP): träger wie etwa die Pflegekassen ihre Zahlungen erst
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung der verspätet im Folgemonat leisten. Nach meiner Auffas-
Tatsache bewusst, dass trotz des vorgezogenen Einzugs sung ließe sich das Problem beheben, wenn man auf die
der Beiträge durch die Krankenkassen der Kostenträger, Kostenträger einwirkte, ihre Zahlungen früher zu leisten.
das Sozialamt, nur eine 30-prozentige Abschlagszahlung Wenn sich herausstellt, dass das doch ein größeres Pro-
gewährt – vielerorts nicht einmal das – und die behinder- blem ist: Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, auf
ten Arbeitgeber dadurch in eine Schuldenfalle geraten die Kostenträger einzuwirken, ihre Erstattungspraxis an-
können, zumal die Krankenkassenbeiträge monatlichen zupassen, und dieses Durchführungsproblem vergleichs-
Schwankungen unterliegen? Es geht um die privaten Ar- weise unbürokratischen zu beheben, ohne dass eine
beitgeber bzw. das persönliche Budget bei diesen Gesetzesänderung bezüglich des Einzugs der Sozialver-
Modellversuchen. sicherungsbeiträge erfolgen muss?

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Soziales: minister für Arbeit und Soziales:
Wir sind uns dessen bewusst. Ich kann aber gegen- Herr Abgeordneter Kurth, es wird unterstellt, dass be-
wärtig nicht sagen, wie viele Fälle es gibt. Dieses Thema hinderte Arbeitgeber in besonderem Maße betroffen
wird aber – wie heute Morgen im Ausschuss – auch in sind. Wie ich schon gesagt habe, glauben wir nicht, dass
anderen Zusammenhängen besprochen. In der politi- sich die Situation behinderter Arbeitgeber von der an-
schen Diskussion ist behauptet worden, dass diese Tat- derer Arbeitgeber im Wesentlichen unterscheidet. Wir
bestände massenweise zu Konkursen und zum Scheitern werden das jedenfalls beobachten. Sollte sich ein
2548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Parl. Staatssekretär Gerd Andres


(A) Änderungsbedarf ergeben, werden wir entsprechend rea- Im Wesentlichen wurde damals ausgeführt: (C)
gieren.
Der Begriff „Vertretung“ im Sinne des § 82 Abs. 4
Satz 1 AufenthG ist nicht räumlich in Bezug auf
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Gebäude der diplomatischen Vertretungen, sondern
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Aus- in Bezug auf die handelnden Personen zu verste-
wärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Herr hen. ... Lediglich aus organisatorischen Gründen
Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. finden Sammelanhörungen nicht in den ausländi-
Die Frage 23 der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch schen Botschaften statt. Auch die Befragung durch
sowie die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Paul andere Bedienstete ist in der Regel dem Aufgaben-
Schäfer werden schriftlich beantwortet. und Tätigkeitsbereich der ausländischen diplomati-
schen bzw. konsularischen Vertretung zuzurechnen,
Wir kommen nun zur Frage 26 des Abgeordneten da dieser Personenkreis mit der Durchführung der
Markus Kurth: Befragungen zum Zwecke der Staatsangehörig-
War die Bundesregierung an der Ausstellung von Visa für keitsfeststellung zur Unterstützung des Botschafts-
die Delegation aus Guinea beteiligt? bzw. Konsulatspersonals … tätig wird.
Bitte, Herr Staatsminister Gloser. Dort heißt es auch:
Im Übrigen sind gesandtschafts- und konsularrecht-
Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
lich keine Gesichtspunkte erkennbar, dass derartige
Sehr geehrter Herr Kollege Kurth, die Botschaft der Befragungen nur durch akkreditierte Diplomaten
Bundesrepublik Deutschland in Conakry hat nach Prü- oder Konsularbeamte durchgeführt werden dürfen.
fung der entsprechenden Anträge Visa für vier Mitglie-
der der in Ihrer durch das Bundesministerium des Innern
zu beantwortenden Frage 30 erwähnten Delegation der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Republik Guinea erteilt. Eine weitere Nachfrage, Herr Kurth. Bitte schön.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Sie haben noch eine Nachfrage, Herr Kurth? – Bitte War das Auswärtige Amt in irgendeiner Weise an der
schön. Auswahl der Mitglieder dieser Delegation beteiligt?
(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(B) Wie bewertet denn dann die Bundesregierung die (D)
Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Aussage des Leiters der Zentralen Ausländerbehörde Nein, nach meiner Kenntnis war das Auswärtige Amt
Dortmund, dass das Auswärtige Amt das gesamte Ver- nicht beteiligt. Die Einladung ist von der jeweils zustän-
fahren von der Einladung bis zur Befragung der abge- digen Landesstelle ausgesprochen worden.
lehnten Asylbewerber aus Guinea – ich zitiere aus einem
Zeitungsartikel – „abgesegnet“ habe?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Volker Beck
Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
(Köln) auf:
Herr Kollege Kurth, ich weise zuallererst darauf hin,
Welche Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation in
dass die Einladung dieser Delegation durch eine Landes- Afghanistan hat die Verankerung sowohl von internationalen
behörde veranlasst wurde. Die Landesbehörden führen Menschenrechtsabkommen als auch der Scharia in der afgha-
diese ausländerrechtlichen Maßnahmen nach der Kom- nischen Verfassung und welche Konsequenzen haben diese
petenzverteilung des Grundgesetzes in eigener Zustän- Auswirkungen auf die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge
digkeit aus. Die angesprochene Praxis findet nach Auf- in der Bundesrepublik?
fassung der Bundesregierung ihre Rechtsgrundlage in
§ 82 Abs. 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes. Danach Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
kann das persönliche Erscheinen eines Ausländers bei Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage wie
den zuständigen Behörden sowie Vertretungen des Staa- folgt: In Art. 7 der afghanischen Verfassung wird die
tes, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, an- Gültigkeit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung
geordnet werden. von 1948 sowie der weiteren von Afghanistan ratifizier-
ten Menschenrechtsabkommen anerkannt. Die Verfas-
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hin-
sung sieht in Art. 130 für den Fall, dass keine andere ge-
weisen, dass es zu den Einzelheiten schon eine Antwort
setzliche Norm anwendbar ist, die Anwendung der
der Bundesregierung vom 4. Januar 2006, Drucksache
Scharia vor. Die Scharia ist demnach nur subsidiär anzu-
16/339, auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten
wenden. Die Bundesregierung geht daher davon aus,
Volker Beck, Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Winkler
dass die Menschenrechte im afghanischen Rechtssystem
und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gegeben
volle und durch keine religiösen Vorschriften einge-
hat. Dort sind der rechtliche Rahmen und die Zulässig-
schränkte Geltung beanspruchen.
keit von Sammelvorführungen unter Teilnahme von Ver-
tretungen des betreffenden ausländischen Staates darge- Die Verfassung wurde 2004 nach zähem Ringen der
legt. gesellschaftlichen und politischen Kräfte in Afghanistan
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2549
Staatsminister Günter Gloser
(A) verabschiedet. Die Bundesregierung unterstützt weiter- Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt: (C)
hin jene Kräfte und Institutionen, die diese menschen- Ich habe in meiner Antwort vorhin ausgeführt: Die
rechtskonforme Rechtsauslegung in allen Teilen des afghanische Verfassung bezieht sich ausdrücklich auf die
Landes in die Praxis umsetzen. Der Bundesregierung ist Allgemeine Menschenrechtserklärung von 1948, wel-
kein Fall bekannt, in dem mit einem rechtskräftigen Ur- che die Religionsfreiheit in vollem Umfang gewährleis-
teil die Menschenrechte eines Angeklagten in Afghanis- tet, also ausdrücklich auch das Recht, die Religion zu
tan aufgrund der Anwendung der Scharia durch ein or- wechseln.
dentliches Gericht verletzt worden wären. Daher haben
Anders als andere islamische Länder hat Afghanistan
diese Verfassungsbestimmungen keine Auswirkung auf
bei der Ratifizierung des Internationalen Pakts über bür-
die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge aus der Bun- gerliche und politische Rechte keinen Vorbehalt gegen
desrepublik. die Religionsfreiheit eingelegt. Die Bundesregierung
geht daher davon aus, dass die afghanische Verfassung
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: auch die Freiheit gewährleistet, die Religion zu wech-
Herr Kollege, Ihre Nachfragen. seln.
Ich betone noch einmal: Die Bundesregierung wird
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dazu beitragen, dass das in der afghanischen Verfassung
verankerte menschenrechtskonforme Verständnis auf al-
Ich muss sagen: Ich bin jetzt doch etwas baff. Es len Ebenen der Gerichtsbarkeit Eingang findet. Wir ha-
wurde gerade eine Diskussion über den Christen Abdul ben interveniert, weil wir mit dem, was da in den vergan-
Rahman geführt. Wir haben gesehen, dass die afghani- genen Wochen passiert ist, nicht einverstanden waren.
sche Gerichtsbarkeit den bloßen Religionswechsel, den
Übertritt vom Islam zum Christentum, zum Anlass für
ein Todesurteil nehmen wollte. Ich bin davon ausgegan- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gen, dass wir uns hier im Hause auch mit der Bundes- Der Kollege Winkler hat eine Zusatzfrage.
regierung einig sind, dass das eine erhebliche Menschen-
rechtsverletzung darstellen würde. Sie haben Recht: Es Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gibt kein in Kraft getretenes Urteil. Es konnte aber nur NEN):
durch einen politischen Winkelzug abgewendet werden. Herr Staatsminister, das, was Sie gerade gesagt haben,
steht aber in einem extremen Widerspruch zu dem, was
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob Ih- in der afghanischen Öffentlichkeit, unter anderem in der
(B) nen tatsächlich keine anderen Hinweise vorliegen, dass afghanischen Presse, debattiert worden ist, nämlich wie (D)
aufgrund der subsidiären Anwendung der Scharia in diesem Fall überhaupt beizukommen sei. Ich frage Sie,
Afghanistan die Menschenrechte für bestimmte Gruppen ob Sie folgende Auffassung teilen: Offensichtlich war
und bei bestimmten Handlungen nicht gewährleistet die Rechtslage doch so, dass ein Übertritt zum Christen-
sind. Das hätte natürlich Rückwirkungen im Hinblick tum nur dann straffrei ist, wenn eine Geisteserkrankung
auf die Bewertung des Flüchtlingsschutzes. vorliegt, und dass eine Todesstrafe dann in eine Gefäng-
nisstrafe umgewandelt werden kann, wenn davon auszu-
Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt: gehen ist, dass der Übertritt im Wahn stattgefunden hat.
Das deckt sich überhaupt nicht mit der Einschätzung, die
Herr Kollege Beck, ich denke, wir sind uns einig, dass Sie eben gegeben haben. Die Einschätzung der Bundes-
wir im Parlament vieles gemeinsam unternommen ha- regierung wird sich nicht nur auf das Lesen von Geset-
ben, um in Afghanistan nach 23 Jahren Bürgerkrieg den zestexten stützen können; die Bundesregierung wird
Aufbau des Landes zu ermöglichen. Das gilt in besonde- wohl auch zur Kenntnis nehmen müssen, wie die breite
rem Maß für die Justiz. Viele Staatsanwälte und Richter Öffentlichkeit in Afghanistan über diesen Fall diskutiert
sind trotz erheblicher Anstrengungen der internationalen hat.
Gemeinschaft bei der Reform des Justizwesens noch
Vorstellungen verhaftet, die sich nicht mit dem neuen Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Rechtssystem decken. Das ist der Punkt, den Sie ange-
Herr Kollege Winkler, ich möchte noch einmal auf
sprochen haben. Es ist aber gerade das Ziel, dort ein
den Aspekt eingehen, den ich vorhin erwähnt habe: Af-
Rechtssystem zu entwickeln, das unseren Anforderun- ghanistan ist natürlich im Aufbau befindlich. Wir alle
gen entspricht. Ich sage noch einmal: Zurzeit ist der müssen ein Interesse daran haben – wir müssen die ent-
Bundesregierung kein Fall bekannt, in dem ein Urteil auf sprechende Unterstützung leisten –, dass dort ein
Grundlage der Scharia ausgesprochen worden wäre. Rechtssystem entsteht. Ich teile insofern Ihre Auffas-
sung. Die Bundesregierung wird sich nicht nur an dem
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verfassungstext orientieren – natürlich ist auch er wich-
tig –, sondern auch seine Umsetzung betrachten. Des-
Sind Sie sicher, dass sich die Rechtslage im Falle ei-
halb wird sie die Entwicklungen genau beobachten.
nes Übertritts von Muslimen zum Christentum, zum Ju-
dentum, zur Religion der Bahá'í oder zu einer anderen Es ist sicherlich nicht so, dass wir den von Ihnen
Religion so gestaltet, dass in Zukunft keine strafrechtli- beschriebenen Fall akzeptieren und als nebensächlich
che Verfolgung und erst recht keine Todesstrafe droht? betrachten. Wir wollen, dass die Menschenrechte in
2550 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Staatsminister Günter Gloser


(A) Afghanistan insgesamt akzeptiert werden und von Ver- rung ist bis jetzt tatsächlich kein Fall bekannt, dass Ho- (C)
waltung und Justiz beachtet werden. mosexualität verfolgt worden ist.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Ich rufe nun die Frage 28 des Kollegen Volker Beck Menschenrechtsorganisationen berichten darüber lei-
(Köln) auf: der nach wie vor anderes. Ich meine, dass wir bei der
Wie sieht die Rechtspraxis in Afghanistan – Bereiche Beantwortung der Frage „Welche Bedeutung hat das für
Frauenrechte, Religionsfreiheit und Homosexualität – aus und das Flüchtlingsrecht?“ auf die tatsächliche Situation und
welche Konsequenzen hat dies für die Abschiebung afghani- nicht auf eine formalrechtlich Situation abstellen müs-
scher Flüchtlinge in der Bundesrepublik? sen. Schätzen Sie es tatsächlich so ein, dass man in der
aktuellen Situation, wo in Afghanistan die staatliche
Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ordnung nicht alle Gebiete kontrolliert, Homosexuelle
Herr Kollege Beck, die Lage der Frauen in Afghanis- oder Menschen, die die Religion gewechselt haben, nach
tan verbessert sich trotz formeller Aufhebung der gegen Afghanistan zurückführen darf, weil man sicher davon
sie gerichteten Verbote aus der Talibanzeit nur langsam, ausgehen kann, dass bei ihnen weder für Leib und Leben
wie ich zugeben muss. Entwicklungsmöglichkeiten für noch für Freiheit irgendeine Gefahr besteht?
Mädchen und Frauen sind durch konservative gesell-
schaftliche Strukturen vor allem im ländlichen Bereich Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
weiterhin wesentlich eingeschränkt. In Ihrem ersten Teil haben Sie ausgeführt, dass Ihnen
Zur Religionsfreiheit ist zu sagen, dass Art. 2 Abs. 1 Kenntnisse vorliegen. Deshalb würde ich einfach darum
der neuen afghanischen Verfassung bestimmt, dass der bitten, dass wir diese bekommen, um dem nachgehen zu
Islam Staatsreligion Afghanistans ist. Art. 2 Abs. 2 die- können. Veränderungen in der Praxis haben letztlich na-
ser Verfassung räumt Angehörigen anderer Religionsge- türlich auch Rückwirkungen in Bezug auf solche Rück-
meinschaften das Recht ein – darauf sind wir vorhin führungen.
schon eingegangen –, ihren Glauben im Rahmen der Ge-
setze auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Dieses Recht steht unter einem Gesetzesvorbehalt. Ich Eine Zusatzfrage des Kollegen Winkler.
füge hinzu: Dieser Vorbehalt ist nach Kenntnis des Aus-
wärtigen Amtes bislang nicht konkretisiert worden. Der Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Bundesregierung ist kein Fall bekannt, in dem die Reli- NEN):
gionsfreiheit in Afghanistan durch ein rechtskräftiges Herr Staatsminister, Sie haben gerade gesagt, man (D)
(B)
Gerichtsurteil eingeschränkt worden wäre. könne davon ausgehen, dass ein öffentliches Bekenntnis
Homosexualität ist in Afghanistan ein Tabuthema. Es zur Homosexualität in Afghanistan zur gesellschaftli-
ist davon auszugehen, dass ein offenes Bekenntnis zur chen Diskriminierung führen könne. Nun ist es ja nicht
Homosexualität zur gesellschaftlichen Diskriminierung so, dass das in weiten Teilen der Bundesrepublik nicht
führen würde. auch der Fall sein könnte. Teilen Sie aber die Auffas-
sung, dass gesellschaftliche Diskriminierung von Homo-
Eine Entscheidung über Konsequenzen für Rückfüh- sexuellen in Afghanistan andere Konsequenzen mit sich
rungen ausreisepflichtiger Personen mit afghanischer bringen könnte als in Deutschland und dass das auch Im-
Staatsangehörigkeit – diese Personen sind übrigens plikationen für das Fluchtverhalten und das Asylrecht
keine Flüchtlinge im rechtlichen Sinne – liegt nach der hat?
gesetzlichen Zuständigkeitsregelung bei den Innenbe-
hörden der Länder. Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Winkler, ich habe nicht die gesellschaft-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: lichen Verhältnisse verglichen, sondern nur auf die Frage
Ihre Zusatzfragen, bitte. geantwortet, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist.
Ich sage noch einmal, auch im Hinblick auf die gestellte
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frage: Der Bundesregierung ist bis heute kein solcher
Liegen dem Auswärtigen Amt Informationen darüber Fall bekannt. Wenn das, was Sie ausgeführt haben, dort
vor, dass es beim Thema Homosexualität zu keiner An- ganz anders betrachtet würde als bei uns und Konse-
wendung der Scharia kommt? Ist es seit dem quenzen für die Betroffenen hätte, dann müsste das bei
In-Kraft-Treten der Verfassung zu keinen strafrechtli- der Beurteilung bestimmter Rückführungsfälle natürlich
chen Urteilen gegen Homosexuelle gekommen? Welche seinen Niederschlag finden.
strafrechtlichen Urteile oder welche anderweitigen Ver-
folgungsmaßnahmen sind Ihnen bekannt? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister, ich danke Ih-
nen für die Beantwortung der Fragen.
Wie ich vorhin ausgeführt habe, wird dieses Thema in
der afghanischen Gesellschaft tabuisiert. Insofern tritt Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
man damit nicht an die Öffentlichkeit. Der Bundesregie- ministeriums des Innern. Für die Beantwortung der Fra-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2551
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Flüchtlinge oder abgelehnten Asylbewerber vornehme, (C)
Altmaier zur Verfügung. sei ein quasi exterritoriales Gebiet, und wenn er weiter-
hin erklärt, bei der Befragung gelte das Recht Guineas
Die Frage 29 des Abgeordneten Jürgen Trittin wird auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland? Ist es
schriftlich beantwortet. die Auffassung der Bundesregierung – ich frage das,
Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Markus Kurth auf: auch wenn die Durchführungszuständigkeit bei den Län-
derbehörden liegt –, dass dies zulässig ist?
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die
Zentrale Ausländerbehörde Dortmund abgelehnte Asylbewer-
ber einer inoffiziellen Delegation aus Guinea vorführt, um Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
aufgrund einer Inaugenscheinnahme die Identität der abge-
lehnten Asylbewerber zu klären und so genannte Passersatz-
minister des Innern:
papiere zum Zweck der Abschiebung auszustellen (vergleiche Ich kann zu den konkreten Umständen des Vorgehens
„Welt Kompakt“ vom 29. März 2006)? der Zentralen Ausländerbehörde in Dortmund nur wie-
derholen, dass die Ausführung des Aufenthaltsgesetzes
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- durch die Länder erfolgt. Insofern verbietet sich eine
minister des Innern: Kommentierung. Ich bitte auch um Verständnis, dass ich
Herr Kollege Kurth, die Frage wurde teilweise bereits keine Aussagen auf der Basis hypothetischer Annahmen
von Staatsminister Gloser beantwortet. Ich darf noch machen kann, die ich von diesem Platz aus nicht über-
einmal darauf hinweisen, dass die Zentrale Ausländerbe- prüfen kann und die auch nicht Gegenstand Ihrer Frage
hörde in Dortmund nach bundesgesetzlichen Vorschrif- waren.
ten gehandelt hat, und zwar im Rahmen des Aufenthalts-
gesetzes. Diese Vorschriften werden nach Art. 83 des Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Grundgesetzes von den Ländern als eigene Angelegen- Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
heiten ausgeführt.
Deshalb kann ich zu Ihrer Frage nur ganz allgemein Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Folgendes sagen: Kann die Bundesregierung denn zusichern, dass,
Wenn jemand rückgeführt werden soll, hat das zur nachdem ich Ihnen selbstverständlich Belege für diese
Voraussetzung, dass die Staatsangehörigkeit festgestellt Äußerung habe zukommen lassen, sie sich die entspre-
wird und nachfolgend auch Heimreisedokumente ausge- chende Praxis noch einmal genau anschaut und auch Ge-
stellt werden. Das wiederum bedingt die Kooperation spräche mit der Zentralen Ausländerbehörde in Dort-
mit den beteiligten Staaten. Diese Kooperation erfolgt mund führt, um den Vorgang zu überprüfen?
(B) (D)
im Einklang mit dem Völkerrecht. Es liegt in der Natur
der Sache, dass dem Staat, der die Rückübernahme einer Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
ausreisepflichtigen Person durchführen soll, im Zwei- minister des Innern:
felsfall auch die Möglichkeit eingeräumt wird, sich diese Die Bundesregierung kann zusichern, dass sie die Un-
Person vorstellen zu lassen und sie zum Zweck der Veri- terlagen, die Sie uns übersenden, sorgfältig prüfen wird
fizierung der Staatsangehörigkeit anzuhören. Das ist Vo- und dass Sie dann eine entsprechende Antwort von uns
raussetzung für die Feststellung der Staatsangehörigkeit. erhalten werden.
Die Rechtsgrundlage für diese Anhörungen findet
sich in § 82 Abs. 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, wo- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nach das persönliche Erscheinen des Ausländers unter Die Fragen 31 und 32 der Kollegin Sevim Dagdelen
anderem bei den Vertretungen des Staates, dessen Staats- werden schriftlich beantwortet.
angehörigkeit er vermutlich besitzt, angeordnet werden
kann. Es ist völlig unbestritten, dass der Begriff „Vertre- Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
tung“ im Sinne dieser Vorschrift nicht räumlich – in Be- Bundesministeriums des Innern. Herr Staatssekretär, vie-
zug auf Gebäude der diplomatischen Vertretungen –, len Dank für die Beantwortung.
sondern in Bezug auf die handelnden Personen zu ver- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
stehen ist. ministeriums der Justiz. Für die Beantwortung der Fra-
gen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Alfred
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Hartenbach zur Verfügung.
Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.
Die Frage 33 des Kollegen Dr. Hakki Keskin wird
schriftlich beantwortet.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gleichwohl werden Sie mir doch darin zustimmen, Dann kommen wir zur Frage 34 des Kollegen
dass man das Notwendige zum Zweck der Feststellung Dr. Karl Addicks:
der Staatsbürgerschaft im Rahmen der Verfahren der Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele deutsche Un-
Bundesrepublik Deutschland tun sollte, wo auch immer ternehmen und natürliche Personen als so genannte Insolvenz-
touristen ihr Insolvenzverfahren in einem anderen EU-Mit-
die Vertretung ist. Wie also ist es zu bewerten, wenn der gliedstaat, insbesondere im Elsass und im restlichen
Leiter der Zentralen Ausländerbehörde in Dortmund Frankreich, anmelden und welcher Betrag an Gläubigerforde-
sagt, wo die Delegation diese Inaugenscheinnahme der rungen seitens der öffentlichen Hand dadurch verloren geht?
2552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C)
desministerin der Justiz: desministerin der Justiz:
Herr Dr. Addicks, ich beantworte Ihre Frage zunächst Herr Dr. Addicks, mit der Verordnung (EG) Nr. 1346/
mit einem ganz einfachen Nein. Das Statistische Bun- 2000 vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren – ich
desamt erhebt sämtliche das Insolvenzgeschehen in habe sie eben schon angesprochen – liegt ein ausdiffe-
Deutschland betreffende Daten, die der Bundesregierung renziertes Rechtsinstrument vor, um grenzüberschrei-
zeitnah zur Verfügung stehen und die dann auch weite- tende Insolvenzverfahren innerhalb der EU mit Aus-
ren Beratungen des Bundesministeriums der Justiz zu- nahme Dänemarks abwickeln zu können.
grunde liegen. Diese Statistik enthält allerdings keine
Angaben über Personen, die etwa ihren Wohnsitz nach Die Europäische Insolvenzverordnung enthält jedoch
Frankreich verlegen, um ein französisches Insolvenzver- überwiegend nur Kollisionsrecht. Für eine vollständige
fahren zu durchlaufen. Insofern liegen der Bundesregie- Harmonisierung des Insolvenzrechts ist nach Auffassung
rung auch keine Erkenntnisse vor, in welcher Höhe der der Bundesregierung die Zeit noch nicht reif, da das In-
öffentlichen Hand Verluste durch im Ausland erteilte solvenzrecht auf vielfältige Sachverhalte Bezug nimmt,
Restschuldbefreiungen entstehen. die durch andere Rechtsgebiete wesentlich bestimmt
werden. Das gilt etwa für das allgemeine Zivilrecht, das
Arbeits- oder das Steuerrecht. Erst wenn auf diesen Ge-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: bieten weitere Harmonisierungsfortschritte erzielt wur-
Ihre Zusatzfrage. den, ist es nach Auffassung der Bundesregierung sinn-
voll, mit der Erarbeitung eines einheitlichen, EU-weit
geltenden Insolvenzrechts zu beginnen.
Dr. Karl Addicks (FDP):
Danke. – Dann können Sie natürlich auch keine An-
gaben dazu machen, in welcher Höhe sich etwa die Aus- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
fälle bei den privaten Gläubigerforderungen bewegen, Haben Sie eine Zusatzfrage?
die durch diesen so genannten Insolvenztourismus verur-
sacht werden. Dr. Karl Addicks (FDP):
Ja. – Sieht denn die Bundesregierung einen Bedarf
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- – die entsprechenden Zahlen sind allerdings nicht be-
desministerin der Justiz: kannt; ich verfüge über Anhaltspunkte, dass sie in einer
Sie haben von „Insolvenztourismus“ gesprochen. Die Größenordnung von mehreren Milliarden liegen –, hier
zu einer Angleichung des Rechts auf europäischer Ebene
(B) Europäische Insolvenzverordnung sieht allerdings nicht (D)
vor – da Sie im Saarland wohnen, ist Ihnen das Problem zu kommen?
bekannt –, dass man eben mal nach Frankreich fährt und
dort ein Insolvenzverfahren durchläuft. In der Europäi- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
schen Insolvenzverordnung heißt es, dass für die Eröff- desministerin der Justiz:
nung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitglied- Herr Kollege Addicks, ich habe diese Frage eigentlich
staates zuständig sind, in dessen Gebiet der Schuldner schon beantwortet. Ich will aber noch einen kleinen
den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Schlenker machen.
Eine weitere Möglichkeit bei einem unternehmerisch tä-
tigen Schuldner ist, dass er dort eine Nebenniederlas- Es gäbe schon heute Möglichkeiten, uns diese Zahlen
sung hat. Denkbar ist auch, dass deutsche Saarbrücker bekannt zu geben. Nach der Europäischen Insolvenzver-
Bürgerinnen und Bürger einen Nebenwohnsitz jenseits ordnung könnte nämlich der Verwalter einen Antrag auf
der Grenze in Frankreich haben. Aber dazu liegen uns Bekanntmachung in allen Staaten der Europäischen
keine Zahlen vor. Ein Insolvenzverfahren kann nur or- Union – mit Ausnahme Dänemarks – stellen.
dentlich und richtig durchgeführt werden – ich hoffe, es
wird richtig durchgeführt –, wenn in dem jeweiligen Der Verwalter könnte auch eine Eintragung in öffent-
Land ein Hauptwohnsitz existiert. liche Register beantragen. Bezogen auf die Bundes-
republik Deutschland könnte dies beispielsweise sein:
eine Eintragung in das Grundbuch, wenn der Schuldner
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Grundeigentum besitzt, oder eine Eintragung in das
Ihre zweite Zusatzfrage. Handelsregister, wenn der Schuldner eine dort eingetra-
gene Firma besitzt. Aber das alles richtet sich nach dem
Insolvenzrecht des Staates, in dem der Antrag auf Eröff-
Dr. Karl Addicks (FDP):
nung eines Insolvenzverfahrens gestellt wurde.
Nein, danke.
Ich habe schon gesagt, dass wir es begrüßen würden,
wenn es zu einer weiteren Harmonisierung käme. Aber
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dazu ist es erforderlich – das interessiert auch den Parla-
Dann rufe ich die Frage 35 des Kollegen Dr. Addicks mentarischen Staatssekretär Andres –, dass es zum Bei-
auf: spiel im Arbeitsrecht und im Zivilrecht weitere Harmo-
Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich nisierungen gibt. Dann könnten wir diesen weiteren
einer einheitlichen Insolvenzordnung auf EU-Ebene? Schritt gehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2553

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: zugesagt worden. Das wurde in beiden Jahren eingehal- (C)
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? ten. In 2004 waren es 59 500 und in 2005 63 000. Es
wurde also eine beeindruckende Überschreitung der im
Dr. Karl Addicks (FDP): Pakt gemachten Zusagen erreicht.
Ja. – Sieht denn die Bundesregierung bis zu einer Wir sagen, dass wir neue Ausbildungsplätze, Ausbil-
möglichen Harmonisierung irgendeine Möglichkeit, auf dungszweige und -berufe schaffen müssen. Allein in die-
die Regierungen der anderen EU-Staaten einzuwirken, sem Jahr treten fünf neue und 14 modernisierte Ausbil-
die Insolvenzflucht zu verhindern? dungsordnungen in Kraft. Das Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie als Verordnungsgeber wird
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- unter Ausschöpfung aller gesetzlichen Möglichkeiten als
desministerin der Justiz: zusätzlichen Beitrag zum Ausbildungspakt angebots-
Dies wird genauso schwierig sein, wie auf deutsche orientiert neue Ausbildungsberufe schaffen, mit denen
Gerichte einzuwirken. Denn eine Regierung hat auf- sich auch kleine und mittlere Betriebe identifizieren kön-
grund der Gewaltenteilung keine Möglichkeit, auf die nen, um so deren Ausbildungsbereitschaft zusätzlich zu
Gerichte Einfluss zu nehmen. Ich kann Ihre Frage nicht steigern.
genauer beantworten. Ich würde mich aber gerne mit Ih-
nen – ich habe es Ihnen schon eben angeboten – darüber Die Bundesregierung wird im Rahmen des Ausbil-
einmal genauer unterhalten. dungspaktes außerdem die Bemühungen verstärken, im
Zusammenwirken mit den Ländern und den Schulen die
Wir gehen davon aus, dass nach der Europäischen In- Ausbildungsreife der Jugendlichen und damit ihre Aus-
solvenzverordnung in anderen Ländern der Europäi- bildungschancen zu verbessern. Dies ist ja nicht nur ein
schen Union ein Insolvenzverfahren nur dann eröffnet Thema der ausbildenden Wirtschaft. Wir haben vielmehr
wird, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Das auch Probleme mit den Qualifikationen einer Reihe von
wäre der Fall, wenn sich der Mittelpunkt der hauptsäch- Schulabgängern.
lichen Interessen des Schuldners in diesem Staat befin-
det. Im Übrigen setzt die Bundesregierung darauf, dass im
Zuge des sich entwickelnden konjunkturellen Auf-
(Zuruf von der FDP) schwungs auch auf dem Ausbildungsmarkt positive Aus-
– Doch. So steht es in der Verordnung. Lesen Sie es wirkungen spürbar werden. Ich darf ergänzen: Am
nach. Sie können ja an dem Gespräch ebenfalls teilneh- 30. Januar 2006 ist im so genannten Paktlenkungsaus-
men. schuss die Zusage für das jetzt kommende Ausbildungs-
jahr erneuert worden.
(B) (D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bundesministeriums der Justiz. Herr Staatssekretär, ich Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Für die Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwor-
Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer tung. – Sie hatten in Ihrer Antwort deutlich gemacht,
Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. dass es sich bei den Vereinbarungen im Ausbildungspakt
um 30 000 neue Ausbildungsplätze – allerdings nicht um
Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Marina Schuster
zusätzliche Ausbildungsplätze – handelt. Wir haben
werden schriftlich beantwortet.
schon mehrfach die Kritik geäußert, dass die Vereinba-
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Cornelia Hirsch rungen, die im Rahmen dieses Paktes getroffen wurden,
auf: offensichtlich zu kurz greifen. Es zeigt sich auch an den
Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund Zahlen, dass das Angebot an Ausbildungsplätzen insge-
der Mitteilung des Statistischen Bundesamts, dass im vergan- samt zurückgeht und nicht ausreichend ist.
genen Jahr 2,2 Prozent bzw. 12 800 weniger Ausbildungsver-
träge als im Jahr 2004 abgeschlossen wurden, den Erfolg des Inwieweit würden Sie die Einschätzung teilen, dass es
so genannten Ausbildungspakts? sich bei den von Ihnen genannten Zahlen nur um neue
und nicht um zusätzliche Ausbildungsplätze handelt,
Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun- und wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund insbeson-
desminister für Wirtschaft und Technologie: dere die Situation, dass die Gewerkschaften angesichts
Frau Kollegin Hirsch, die beiden letzten Jahre haben der Zahlen deutlich gemacht haben, dass sie nicht ge-
gezeigt, dass der Ausbildungspakt gerade in einem aus- willt sind, sich am Ausbildungspakt zu beteiligen?
bildungsmarktpolitisch ausgesprochen schwierigen kon-
junkturellen Umfeld wirkt und notwendig ist. Die Wirt- Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-
schaft hat ihre Zusagen nicht nur eingehalten, sondern desminister für Wirtschaft und Technologie:
um das Doppelte übertroffen.
Ich bleibe bei meiner Aussage und bei meiner Ant-
Ich darf die entsprechenden Zahlen nennen. Es sind wort. Die Zusagen, die im seinerzeitigen Ausbildungs-
30 000 neue Ausbildungsplätze im Jahresdurchschnitt pakt noch von der alten Bundesregierung vereinbart
2554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte


(A) wurden, werden nicht nur eingehalten, sondern übertrof- Schweden und Großbritannien, die Agrarsubventionen (C)
fen. veröffentlichen. Ich denke, bei den Steuermitteln – diese
werden übrigens auch vom deutschen Steuerzahler
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: aufgebracht –, die in diesen Bereich fließen, ist es, was
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte. die Transparenz angeht, ein sinnvolles Verfahren, wenn
man diejenigen, die Subventionen bekommen, und die
Höhe der Subventionen, die sie erhalten, öffentlich be-
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
nennt. Wie stehen Sie dazu?
Herr Staatssekretär, das war nicht meine Nachfrage.
Ich habe nicht gefragt, inwieweit die Zusagen eingehal-
ten wurden, sondern mich erkundigt, inwieweit Sie der Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Auffassung sind, dass die Vereinbarungen, die getroffen desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
wurden, weitreichend genug sind. Wenn man die Verein- cherschutz:
barung trifft, nur neue, aber keine zusätzlichen Ausbil- Verehrte Frau Kollegin, es ist rechtlich umstritten, ob
dungsplätze zu schaffen, dann wird dies natürlich die Geschäftsgeheimnisse bekannt gegeben werden dürfen.
Folge haben, dass die Anzahl der Ausbildungsplätze Es stellt sich die Frage, wie nach unserer Rechtsordnung
nicht zunimmt. Genau das brauchten wir aber eigentlich. Geschäftsgeheimnisse zu definieren sind.
Von daher noch einmal die Frage: Sind Sie der Auffas-
sung, dass die Vereinbarungen des Ausbildungspaktes Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ausreichend sind? Eine weitere Zusatzfrage?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
desminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Staatssekretär, Länder wie Schweden, Großbri-
Ja, die Vereinbarungen des Ausbildungspaktes sind tannien und Dänemark – –
ausreichend. Das kann über diesen Weg erreicht werden.
Alles Weitere muss man durch ganzjährige Anstrengun- (Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär: Ich
gen mit der ausbildenden Wirtschaft, den Schulen und war noch nicht fertig!)
Ländern sowie über die Ausbildungsordnungen versu-
chen zu verbessern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Entschuldigung, Frau Kollegin. Der Herr Staatssekre-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tär war mit seiner Beantwortung noch nicht fertig.
(B) Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. (D)
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Entschuldigung!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz. Für die Beantwortung der Fragen steht Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Ich denke, wir sollten ihm noch einmal die Gelegen-
Paziorek zur Verfügung. heit zur Beantwortung geben.
Ich rufe die Frage 39 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Welche Schritte plant die Bundesregierung, um die Agrar-
subventionen, ihre Empfänger und ihre Auswirkungen auf
Aber gerne. Vielleicht beantwortet er meine Frage ja
Beschäftigung, Umwelt- und Tierschutz für Bürgerinnen und besser als bisher.
Bürger transparenter zu machen?
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz:
cherschutz: Hoffnung sollte man immer haben; aber zu viel Hoff-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Höhn, nung kann ich Ihnen nicht machen, Frau Höhn.
die Antwort lautet wie folgt: Der jährliche agrarpoliti-
sche Bericht der Bundesregierung, der Subventions- Wie in Deutschland ein Geschäftsgeheimnis zu defi-
bericht der Bundesregierung und weitere Veröffent- nieren ist, ergibt sich nicht aus der schwedischen oder
lichungen enthalten eine Fülle von Informationen und der dänischen Rechtsordnung, sondern aus der deut-
aktuellen Daten zu der oben genannten Frage. Daher be- schen Rechtsordnung. Danach ist unbestritten, dass Ge-
steht bereits ein hohes Maß an Transparenz. schäftsgeheimnisse auch dann vorliegen, wenn Rück-
schlüsse auf die Wettbewerbsposition gezogen werden
können. Es gibt in der Literatur, auch in der deutschen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Literatur, vereinzelt die Position, dass Informationen, die
Ihre Zusatzfragen, bitte. den Wettbewerb betreffen, niemals als Geschäftsgeheim-
nisse definiert werden können, sodass sie – ganz in Ih-
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rem Sinne – bekannt gegeben werden dürfen. Dies ist
Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass andere EU-Län- nach meinem Kenntnisstand aber eine Mindermeinung.
der, insbesondere Dänemark, aber zum Beispiel auch Auch in erstinstanzlicher Rechtsprechung wird diese
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2555
Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek
(A) Rechtsmeinung nicht geteilt, sodass wir zu dem Ergeb- maßen weitgehend von der Betriebsgröße abhängen und (C)
nis kommen, dass es sich hier um Geschäftsgeheimnisse die eingangs genannten aggregierten Zusammenstellun-
handelt und wir dies daher nicht weiter spezifizieren gen ausreichen.
können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Zusatzfrage? – Bitte.
Jetzt haben Sie das Wort zu einer Zusatzfrage.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, dass Sie
Herr Staatssekretär, ich erinnere mich an das Verbrau- wegen des deutschen Rechts die Höhe der Subventionen,
cherinformationsgesetz. Danach dürfen Informationen die die einzelnen Unternehmen erhalten, nicht darlegen
ebenfalls wegen der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse können. Ich hatte nun gefragt, ob man nicht zumindest
nicht weitergegeben werden. Nun kommen Sie mit der- die Direktzahlungen an die 100 Betriebe nennen könnte,
selben Argumentation: Hier können Informationen nicht die die höchsten Beträge erhalten. Wie ist denn Ihre Auf-
weitergegeben werden, weil auch die Höhe der Subven- fassung? Halten Sie es für sinnvoll, dass die Bevölke-
tionen, die diese Unternehmen erhalten, Betriebs- und rung der Bundesrepublik Deutschland ein Recht darauf
Geschäftsgeheimnis ist. Sind Sie nicht mit mir der Mei- hat, die Beträge, die diese Unternehmen bekommen, zu
nung, dass man diese Definition von Betriebs- und Ge- erfahren, oder halten Sie das nicht für sinnvoll?
schäftsgeheimnissen in Deutschland endlich einmal än-
dern muss, damit wir zu transparenten Informationen Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
kommen? desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz:
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Grundsätzlich ist es sinnvoll, Frau Kollegin, dass die
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Bevölkerung erfährt, wie die Struktur der Finanzmittel
cherschutz: aussieht und wie viel die Unternehmen, die Bäuerinnen
Ich bin nicht Ihrer Meinung, Frau Abgeordnete. und Bauern – nach der aggregierten Zusammenstellung
und basierend auf der Größenordnung ihrer Betriebe –
erhalten. Das erfolgt aber. Man bekommt eine genaue
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Auskunft darüber, wie viele Höfe und wie viele Eigentü-
Dann rufe ich die Frage 40 der Kollegin Bärbel Höhn mer Zuschüsse bekommen, und zwar aufgeteilt bei-
auf: spielsweise nach Zuschüssen bis 1 000 Euro und bis
(B) Ist die Bundesregierung bereit, die Direktzahlungen an (D)
5 000 Euro. Diese Zusammenstellung wird auf Anfrage
landwirtschaftliche Betriebe in Abhängigkeit zu Betriebs- verteilt. Es gibt auch Tabellen dazu in den genannten Be-
größe und Beschäftigtenzahl in aggregierter Form zu veröf-
fentlichen und die Direktzahlungen an die 100 Betriebe, die richten. Dadurch wird die Struktur, die agrarpolitische
die höchsten Beträge erhalten, offen zu legen? Dimension deutlich.
Darüber hinaus halten wir es jedoch für rechtlich be-
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- denklich, Informationen auch in anonymisierter Form
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- herauszugeben, weil Rückschlüsse möglich sind.
cherschutz:
Verehrte Frau Kollegin, die Verteilung der Direktzah- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
lungen an landwirtschaftliche Betriebe nach Größenklas- Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
sen der Zahlungsbeträge wird von der EU-Kommission,
auch nach Mitgliedstaaten sortiert, regelmäßig veröffent-
licht und ist über das Internet abrufbar. Die Aktualisie- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
rung der Zahlen für das Haushaltsjahr 2005 ist derzeit in Ja, Herr Staatssekretär, ich habe nicht nach den recht-
Bearbeitung. lichen Bedenken gefragt. Vielmehr habe ich einfach
nach Ihrer politischen Auffassung gefragt: Halten Sie es
Informationen über die Zusammensetzung und Ver- für sinnvoll, dass die Bevölkerung in Deutschland er-
teilung der Direktzahlungen nach Produktionsrichtun- fährt, welche 100 Betriebe im Agrarbereich die höchsten
gen, Rechtsformen und Betriebsgrößen finden sich im Subventionen von der EU bekommen, und dass man die
Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung und im Subventionen, die diese Betriebe von der EU bekom-
Statistischen Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft men, offen legt? Ich will noch einmal betonen: Ich habe
und Forsten. Aus den betreffenden Tabellen ist auch die nicht nach der rechtlichen Einschätzung gefragt. Viel-
Höhe der Direktzahlungen je Arbeitskraft ersichtlich. mehr möchte ich Sie fragen: Halten Sie es politisch für
Die Direktzahlungen an die 100 Betriebe, die die sinnvoll, dass die Bevölkerung diese Daten erhält?
höchsten Beträge erhalten haben, kann ich hingegen
auch nicht in anonymisierter Form offen legen. Es han- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
delt sich um Einzelbetriebsdaten, die von den zuständi- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
gen Länderbehörden erhoben werden. Der Informations- cherschutz:
gewinn durch eine solche Veröffentlichung wäre auch Es tut mir Leid, wenn ich Ihre Frage vorhin falsch
nur äußerst begrenzt, da die Direktzahlungen bekannter- verstanden habe. Sie haben das aber jetzt konkretisiert.
2556 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek


(A) Ich halte es nicht für sinnvoll, dass eine Veröffentlichung tung in diesen Fragen von Subventionsempfängern kon- (C)
in dieser Form erfolgt. kret angesprochen werden sollten. Es ist die Aufgabe der
staatlichen Stellen, für eine rechtlich einwandfreie Ver-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: teilung der Subventionen zu sorgen. Die staatlichen Stel-
len und die Stellen der Selbstverwaltung müssen diese
Jetzt haben wir eine Zusatzfrage des Kollegen
Aufgabe wahrnehmen. Ich bin der Ansicht: Möglichen
Löning.
Hinweisen, die sich aufgrund der aggregierten Daten
vielleicht ergeben, sollten die staatlichen Stellen im Rah-
Markus Löning (FDP): men des üblichen Verfahrens nachgehen.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass die EU-
Kommission im Rahmen ihrer Transparenzinitiative
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
plant, die Mitgliedsländer anzuweisen, diese Daten offen
zu legen? Hat die Bundesregierung dazu eine Meinung? Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Koczy auf:
Ist die Bundesregierung bereit, jeweils die 20 größten
deutschen Empfänger von Agrarexportsubventionen in den
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- verschiedenen Produktkategorien offen zu legen, und, wenn
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- ja, in welcher Form wird sie dies tun?
cherschutz:
Mir ist bekannt, dass auf europäischer Ebene eine sol- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
che Initiative diskutiert wird. Ich muss klar und deutlich desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
sagen: Die Bundesregierung wird eine solche Entwick- cherschutz:
lung im rechtlichen Bereich nicht blockieren. Vielmehr Verehrte Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie
haben auch wir ein Interesse daran, dass – damit kann folgt: Bei den in der Frage gewünschten Informationen
ich an die Frage von Frau Höhn anschließen – so weit handelt es sich um Geschäftsgeheimnisse, die nicht un-
wie möglich Transparenz gewährleistet wird. Aber man befugt offenbart werden dürfen. Daher verbietet sich
muss auch Folgendes sehen: Transparenz ist in einem eine derartige Veröffentlichung.
Rechtsstaat nur dann möglich, wenn dafür der rechtliche
Rahmen gegeben ist. Sollte sich auf europäischer Ebene
ein neuer Rechtsrahmen ergeben, wird die Bundesregie- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
rung die Möglichkeiten dieses Rechtsrahmens voll aus- Ihre Zusatzfrage, bitte.
schöpfen und wir müssen dann prüfen, inwieweit eine
neue rechtliche Grundlage vorliegt. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(B) Es ist sehr interessant, Ihren Ausführungen zu folgen. (D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich bin der Meinung, dass in dem Augenblick, wo Be-
Eine weitere Zusatzfrage, diesmal von der Kollegin triebe solche Mittel erhalten, die Frage berechtigt ist,
Koczy. welche gesellschaftlichen Gegenleistungen die Unter-
nehmen erbringen, die solche Subventionen erhalten.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sind diese Zahlungen gerechtfertigt, auch wenn man
nicht genau weiß, was die Betriebe mit den Mitteln ma-
Danke sehr. – Bei dieser Frage geht es ja darum, wie chen?
die Verteilung von Steuermitteln transparent gemacht
werden kann. In Sonderheit betrifft das die EU-Subven-
tionen, zu denen ich sagen möchte: Es liegt im gesamt- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
gesellschaftlichen Interesse, wenn das transparent ge- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
macht wird. Teilen Sie meine Auffassung, dass dadurch, cherschutz:
dass nicht transparent wird, in welchem Maße und zu Ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass sich die-
welchem Zweck diese Mittel verteilt werden, Wettbe- ser Bereich einer politischen Diskussion im Detail ent-
werbsverzerrungen möglich sind, die sich daraus erge- zieht, sobald es um ganz konkrete Fragen nach ganz be-
ben, dass einige Betriebe zum Nachteil der deutschen stimmten Unternehmen, zum Beispiel nach den
Steuerzahlerin und des deutschen Steuerzahlers Mittel 20 größten Unternehmen – diese haben Sie in Ihrer
erhalten und kleinere Betriebe deswegen benachteiligt Frage angesprochen –, geht. Eine grundsätzliche politi-
werden? sche Diskussion wird dadurch natürlich nicht verhindert.
Die Berichte aus unserem Hause enthalten ja auch ent-
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- sprechende Daten, damit überprüft werden kann, ob das
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- in der heutigen Zeit agrarpolitisch sinnvoll ist oder ob
cherschutz: das bisherige Verfahren fortgesetzt werden sollte. Infor-
mationen zu ganz konkreten Firmen, Unternehmen bzw.
Frau Kollegin, ich kann im Augenblick nicht nach-
im Einzeleigentum befindlichen Höfen halten wir aus
vollziehen, wie die Wettbewerbsverzerrungen, die Sie
rechtlichen Gründen für in höchstem Maße bedenklich.
ansprechen, dadurch verhindert werden könnten, dass
Daten, die im Augenblick nach dem deutschen Recht
eindeutig dem Betriebsgeheimnis unterliegen, offen ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
legt werden. Vielmehr müsste es darum gehen, dass Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Eine Zusatz-
staatliche Stellen, aber auch Stellen der Selbstverwal- frage von Frau Höhn.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2557

(A) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollegium über die Wirkung des Briefes vielleicht ein (C)
Herr Staatssekretär, Sie haben eben sehr deutlich ge- Stück weit erschrocken ist, ist die eine Seite. Die Wahr-
macht, dass es juristisch nicht machbar ist, dass Sie es heit auf der anderen Seite ist aber, dass wir durch dieses
aber auch für politisch nicht sinnvoll halten, dass die Be- Schreiben darauf hingewiesen werden, dass wir seit Jah-
völkerung in Deutschland erfährt, wie die Agrarsubven- ren einen Realitätsverlust bei der Integrationspolitik in
tionen verteilt werden, und dass die 100 Empfänger der Deutschland haben.
höchsten Agrarsubventionen der EU benannt werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Ich frage Sie einfach: Was ist der Grund? Mit welcher
der CDU/CSU)
Begründung wollen Sie der Bevölkerung in Deutschland
diese Daten vorenthalten? Das ist der eigentliche Anlass für die Erörterung des
Themas im Deutschen Bundestag.
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Einen Tag bevor dieser Brief die Öffentlichkeit er-
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- reicht hat, hatte die CDU in der Bezirksversammlung
cherschutz: Neukölln den Antrag gestellt, sich um diese Schule zu
Frau Abgeordnete, es kommt zunächst einmal darauf bemühen und zu kümmern. Der zuständige Stadtrat ant-
an – das steht im Vordergrund meiner Beantwortung –, wortete darauf, mit dem Kollegium sei alles besprochen,
dass man diese Fragen nicht unter dem Aspekt, was man jeder einzelne Punkt durchdekliniert, und im Übrigen
für sinnvoll oder nicht sinnvoll hält, beantwortet, son- habe man die Schulleitung und das Kollegium darauf
dern sich eindeutig daran orientiert, was der rechtliche hingewiesen, dass es nicht in Ordnung sei, solche Briefe
Rahmen zulässt. Nach dem Verwaltungsverfahrensge- unter Umgehung des Dienstweges zu schreiben. Wenn
setz – in Deutschland erfolgen die Zuteilung von Prä- das die staatliche Antwort einer Verwaltung auf diesen
mien und die Zuweisung von Subventionen eindeutig im Brennpunkt, auf diesen Vorgang ist, dann ist das an
Rahmen eines Verwaltungsverfahrens – haben die Betei- Ignoranz nicht zu überbieten.
ligten einen Anspruch darauf, dass ihre Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse und auch Steuerfragen von den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Behörden nicht unbefugt offenbart werden. Unabhängig Es wird eine Herausforderung für uns sein, auch an an-
davon, ob sich das aufgrund europarechtlicher Vorgaben deren Orten – die Rütli-Schule ist nicht die einzige
eines Tages ändern wird – in diesem Zusammenhang Schule –, in denen es Schulen mit solchen Unterrichtssi-
habe ich durchaus Offenheit signalisiert –, müssen wir tuationen gibt, die in Brennpunkten und in solchen so-
zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass wir recht- zialen Milieus liegen, ernsthaft über Integrationspolitik
lich gesehen nicht die Möglichkeit haben, Ihrem Wunsch zu sprechen und uns nicht mehr aufgrund der alten Poli-
nachzukommen. tical Correctness zu scheuen, offen zu sagen, was die (D)
(B)
Anforderungen eines freiheitlichen Staatswesens an die-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: jenigen sind, die zu uns kommen, und was hier getan
Wir sind damit zeitlich am Ende der Fragestunde. Die werden muss. Das ist unumgänglich.
weiteren Fragen werden schriftlich beantwortet. Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Fragen. der CDU/CSU)

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Das beginnt mit einem ganz kleinen Sachverhalt, der
unabdingbar für Integration, für Kommunikation in der
Aktuelle Stunde Schule und auch für Kommunikation des Elternhauses
auf Verlangen der Fraktion der FDP mit der Schule ist: dem Erlernen der deutschen Sprache.
Bundespolitische Folgerungen aus den Vor- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
gängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin der CDU/CSU)
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Ich betone das, weil vielleicht viele hier sagen, das sei
Kollegen Dr. Wolfgang Gerhardt für die FDP-Fraktion. eine bare Selbstverständlichkeit. Ich habe noch Diskus-
(Beifall bei der FDP) sionen im Gedächtnis, in denen Mitbürgerinnen und Mit-
bürger den Eindruck erweckten, als sei die Anforderung,
zuerst einmal die deutsche Sprache zu lernen, eine Art
Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Beeinträchtigung der kulturellen Identität derer, die zu
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- uns kommen. Für mich ist das eine bare Selbstverständ-
ben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil ein Brief, ein lichkeit für die Kommunikation in freiheitlichen Staaten.
Hilferuf eines Lehrerkollegiums die Öffentlichkeit er-
reicht hat und weil aufgrund dieses Hilferufes erkennbar (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ist – Brennpunkt ist wahrscheinlich nicht nur diese Wir haben das Problem lange verdrängt. Wir kannten
Schule –, dass wir in Deutschland Schulen haben, die die hohen Anteile von Ausländern mit sprachlichen Pro-
sich in einer ganz schwierigen Situation befinden, denen blemen auch an anderen Schulen in Deutschland. Die
von der Politik, von der Öffentlichkeit und von der PISA-Studien haben uns schon früher auf Niveauver-
Schulverwaltung ungenügend geholfen wird. Dass Schu- luste im Unterricht hingewiesen.
len Ruhe brauchen, dass diese Schule eine neue Chance
erhalten sollte, dass an dieser Schule jetzt jemand als (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Nun rennen Sie doch
kommissarischer Schulleiter engagiert arbeitet, dass das hier nicht offene Tore ein, Herr Gerhardt!)
2558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt


(A) – Herr Benneter, wenn Sie jetzt sagen, ich würde offene dung zu jedem einzelnen Kind und die Anforderung an (C)
Tore einrennen, dann begrüße ich den Sinnenswandel die Elternhäuser, ihren Kindern ein Mindestmaß an Zivi-
der Sozialdemokratischen Partei, der durch diesen Zwi- lisiertheit mit in die Schule zu geben. Das ist notwendig.
schenruf zum Ausdruck kommt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Es gibt Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
doch auch Länder, wo Sie mitregieren! – Wei- Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
tere Zurufe von der SPD)
Wir haben mit Ihnen früher ganz andere Diskussionen Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
geführt. Ihre kleine Lärmkulisse hier sollte bei Ihnen Ich bin, Frau Präsidentin, nach meiner Überzeugung
keine Selbsttäuschung bewirken. Die deutsche Sprache mit den fünf Minuten so zurechtgekommen, dass die
zu erlernen, bedeutet nämlich zum einen, dass wir uns Kollegen verstehen können, worauf es uns ankommt.
das hier mitteilen und offene Türen einrennen;
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Zuruf von der SPD: Die FDP hat 16 Jahre
mitgeschlafen!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
ich möchte aber zum anderen wissen – Schule ist das
verfassungsrechtliche Hausgut der Länder –, wie das in Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
den Ländern und hier speziell in der Hauptstadt Berlin Für die Bundesregierung hat nun das Wort die Staats-
sichergestellt wird. ministerin Dr. Maria Böhmer.
(Beifall bei der FDP)
Es muss eine exakte Prüfung erfolgen und die Einschu- Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes-
lung kann nur erfolgen – zumindest mit Stützmaßnah- kanzlerin:
men –, wenn die deutsche Sprache einigermaßen be- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
herrscht wird. Kollegen! Wir wissen sehr wohl, worauf es ankommt.
Das heißt, wir müssen die Realitäten in den Blick neh-
Ich halte das im Übrigen auch für eine Anforderung men. Ich will einige dieser Realitäten am Anfang meiner
an die Elternhäuser. Ich frage mich, ob hier eine genü- Rede sehr deutlich nennen – wir haben sie heute Morgen
gende Kommunikation deutscher Behörden gegeben ist, im Innenausschuss genauso benannt –: In vielen großen
die gegebenenfalls mit Sanktionen reagieren können. Al- Städten in unserem Land werden wir im Jahr 2010 die
(B) les, was ich bisher höre, bedeutet, dass nicht genügend Situation vorfinden, dass die Hälfte der unter 40-Jähri- (D)
getan wird. Das Problem wird nicht hinreichend ernst gen einen Migrationshintergrund hat und die andere
genommen. Es wird in Debatten erörtert; aber es wird Hälfte Deutsche sind.
nichts vollzogen. Darum geht es in zweiter Linie.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Da wir jetzt offene Türen einrennen und uns einig NEN]: Wie bitte? Die anderen können doch
sind, Herr Benneter, mache ich Ihnen folgenden Vor- auch Deutsche sein!)
schlag: Gehen Sie zum Schulsenator – er spricht ja
gleich hier – und fragen ihn, wie das in Berlin vollzogen Dann werden wir nicht mehr über Mehrheiten und Min-
wird. derheiten diskutieren. Daher sind wir nun gefordert, da-
für zu sorgen, dass die Integration konkret wird und dass
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aus Parallelgesellschaften ein Miteinander wird.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Denn hier Ausführungen zu machen, das ist nur die eine bei Abgeordneten der SPD)
Seite.
Hinzu kommt, dass jeder fünfte Schüler, der aus einer
Ich sage das deshalb, weil der Hilferuf der Lehrerin- Zuwandererfamilie stammt, ohne Schulabschluss bleibt;
nen und Lehrer doch auch darauf hinweist, dass Toleranz in Neukölln ist es sogar jeder Dritte. Bundesweit können
nicht Gleichgültigkeit sein kann, dass Respekt vor kultu- 40 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
reller Identität nicht Wegsehen bedeuten kann, dass das keinerlei berufliche Qualifizierung vorweisen. Legt man
genaue Hinsehen die Herausforderung ist, dass das in ei- allein diese wenigen Zahlen zugrunde, muss man fest-
nem freiheitlichen Staatswesen notwendig ist und dass stellen, dass in der Tat erhebliche Integrationsdefizite
dieser Einstellung auch zum Durchbruch verholfen wer- bestehen.
den muss.
Die Zeit des Wegschauens bzw. der Gleichgültigkeit
Es gibt ganz einfache pädagogische Erkenntnisse, die ist vorbei. Wir müssen die Bilanz, die ich gerade genannt
für jedes Kind gelten und die wir auch nicht vergessen habe, zur Kenntnis nehmen und daraus die richtigen
sollten, wenn es um zugewanderte Kinder und um deren Konsequenzen ziehen. Deshalb wird sich die Bundesre-
Elternhäuser geht: Es ist kein Aufwachsen in einer frei- gierung in dieser Legislaturperiode schwerpunktmäßig
heitlichen Gesellschaft möglich, ohne in der Schule mit dem Thema Integration beschäftigen. Auch dann,
Leistung und Disziplin zu fordern. Es ist kein anderer wenn die Scheinwerfer nicht mehr auf die Rütli-Schule
pädagogischer Weg möglich als die intensive Zuwen- gerichtet sind, werden wir bei der Integration einen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2559
Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
(A) Schwerpunkt setzen und dieses Thema mit aller Kraft in Wieso? Wollen wir doch mal abwarten! Wir (C)
Angriff nehmen. reden doch darüber!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Aber an dieser Stelle müssen wir uns auf die Stärken der
neten der SPD und der FDP) Hauptschule besinnen. Wer die Hauptschule abschreibt,
der schreibt auch ihre Schüler ab. Dazu darf es nicht
Da ich am vergangenen Freitag die Rütli-Schule be-
kommen.
sucht habe, kann ich Ihnen sagen: Diese Schule ist ein
Sonderfall, aber leider kein Einzelfall. Der Anteil der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Schülerinnen und Schülern arabischer Herkunft beträgt
dort 43 Prozent; 30 Prozent von ihnen sind türkischer Wir müssen für eine stärkere Verzahnung von Schule
Abstammung und 13 Prozent sind deutscher Herkunft. und Betrieb sorgen, die auch praktiziert wird, zum Bei-
Allerdings möchte ich betonen: Allein die Tatsache, dass spiel an den so genannten SchuB-Klassen in Hessen oder
der Ausländeranteil an einer Schule hoch ist, muss noch durch das Hamburger Modell. Auch in Berlin gibt es
nicht bedeuten, dass dort Gewalt vorprogrammiert ist einzelne Schulen, an denen man solche Wege beschrei-
tet. Dort haben die Schülerinnen und Schüler sehr wohl
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des eine Chance.
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Kompli-
und dass die Schule und damit die Schülerinnen und ment an Berlin!)
Schüler keine Chance haben. Es kommt ganz darauf an,
in welchem Zustand sich die Schule befindet. Die Lehre- Die Schule muss also gestärkt werden, damit sie in der
rinnen und Lehrer der Rütli-Schule stehen inzwischen Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen.
mit dem Rücken zur Wand. Sie wurden allein gelassen.
Das darf nicht sein. Sie brauchen Hilfe und Unterstüt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
zung. neten der SPD)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- An dieser Stelle will ich betonen: Es ist notwendig,
neten der FDP) dass wir insbesondere den Hauptschülerinnen und -schü-
lern eine Perspektive geben. Denn eines haben mir die
Ich war sehr verwundert, als ich feststellen musste, Schüler der achten Klasse der Rütli-Schule, die ich be-
dass erst vor kurzem zwei Sozialarbeiter und ein Schul- sucht habe, sehr deutlich gesagt: Wir haben doch keine
psychologe in diese Schule geschickt worden sind, dass Chance auf einen Ausbildungsplatz.
die Leitung der Schule nicht wahrgenommen wurde,
(B) weil die Schulleiterin seit längerer Zeit erkrankt ist, und Deshalb wollen wir als neue Bundesregierung alles (D)
dass die Stelle des Konrektors seit mehr als zehn Jahren daransetzen, dass diejenigen, die einen Migrationshinter-
nicht besetzt ist. Es darf einfach nicht sein, dass Schulen grund haben, in der Zukunft bessere Chancen haben, ei-
so allein gelassen werden. nen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das haben wir im
Ausbildungspakt an der Stelle „Jugendliche mit Migra-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tionshintergrund“ verankert.
neten der FDP)
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
Das ist kein Einzelfall. An zehn weiteren Berliner GRÜNEN]: Aber kein einziges neues Benach-
Hauptschulen gibt es ebenfalls keinen Konrektor, weil teiligtenprogramm im Bundeshaushalt!)
sich für diese Stellen niemand findet.
Ich werde morgen gemeinsam mit Kollegen aus dem
(Elke Ferner [SPD]: Aha! So ist das also!) Bundesbildungsministerium mit Unternehmen, die von
Natürlich muss man fragen, warum das so ist. Die not- Ausländern geführt werden, darüber sprechen, dass ge-
wendige Hilfe von außen habe ich bereits angesprochen. rade in diesem Bereich mehr Ausbildungsplätze bereit-
Aber man muss auch die Frage stellen, ob Hauptschul- gestellt werden. Ich finde, wir müssen dem Beispiel
lehrer, die in sozialen Brennpunkten tätig sind, vielleicht Frankreichs folgen.
nicht nur mehr Anerkennung, sondern auch eine Leis- (Markus Löning [FDP]: Frankreich ist ein
tungszulage verdient haben. Denn dort, wo Leistung be- ganz schlechtes Beispiel: höchste Jugendar-
sonders gefordert ist, muss sie, wie ich finde, auch hono- beitslosigkeit!)
riert werden.
Hier sind die deutschen Unternehmen gefordert, sich im
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
Rahmen einer Selbstverpflichtung bereit zu erklären,
SPD und der FDP)
mehr Ausbildungsplätze für Jugendliche zur Verfügung
Zur Forderung nach einer Abschaffung der Haupt- zu stellen; denn daran entscheiden sich die Zukunft-
schule kann ich nur sagen: Wir müssen von unseren typi- schancen.
schen Reflexen Abstand nehmen. Ich weiß, dass der
Bund für die Bildung nicht mehr zuständig ist; das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
richtig. neten der SPD – Renate Künast [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie längst
(Markus Löning [FDP]: Nein! Das ist nicht mitbekommen können! Das ist eine beispiel-
richtig! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: lose Unverschämtheit!)
2560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer


(A) – Ich erinnere mich, dass Sie einmal in der Verantwor- (Cornelia Pieper [FDP]: Das muss aber einer (C)
tung standen; es ist noch gar nicht so lange her. Wer hat bezahlen!)
denn die Integrationsdefizite zu verantworten?
Heute Vormittag haben wir im Innenausschuss darüber
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesprochen, wie wir dieses Instrument der Integrations-
NEN]: Sie, Frau Böhmer!) kurse weiterentwickeln können, damit Eltern ihren Kin-
dern die Unterstützung geben können, die sie brauchen.
Sie waren in der Verantwortung. Das bedeutet, wir müssen Integration konkret machen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Diesen Weg werden wir fortsetzen: Wir arbeiten auf ei-
neten der FDP) nen nationalen Aktionsplan hin; denn wir müssen die
Ebenen Bund, Länder und Kommunen verbinden. Wir
Ich will noch ein deutliches Wort zum Erwerb der wollen, dass Kinder in unserem Land Chancen haben,
deutschen Sprache sagen – ich bin Herrn Gerhardt sehr damit sie sich später beruflich integrieren können. Das
dankbar, dass er diesen Punkt benannt hat –: Es muss ge- wird unsere Aufgabe sein; das sind die Konsequenzen
lingen, dass jedes Kind, das die Grundschule besucht, die aus den Vorgängen in der Rütli-Schule.
deutsche Sprache so beherrscht, dass es dem Unterricht
Herzlichen Dank.
von Anfang an voll folgen kann; das ist das A und O.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und neten der SPD)
der FDP)
Ich sehe, dass die Bundesländer die Kindergärten im- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
mer mehr zu Bildungseinrichtungen entwickeln Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
Fraktion Die Linke.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ist schon wieder Weihnachten?) (Beifall bei der LINKEN)
und dass dort frühkindliche Förderung stattfindet. Wir
brauchen Sprachstandstests und wir brauchen entspre- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
chende Fördermöglichkeiten. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! An der Rütli-
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Schule ist einiges falsch gelaufen. Das ist zu Recht zu
GRÜNEN]: Was macht denn die Bundesregie- kritisieren. Aber jede Verallgemeinerung ist gefährlich:
rung?)
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (D)
(B)
Wir hatten vor einiger Zeit eine laute Diskussion im [SPD])
ganzen Land über die Hoover-Realschule in Berlin. Zum einen haben nicht alle 54 Hauptschulen in Berlin
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- solche Probleme; ich habe bei meinen regelmäßigen
NEN]: Da waren Sie wahrscheinlich auch letz- Schulbesuchen im Wahlkreis viele gute Erfahrungen ge-
ten Freitag!) macht. Zum anderen, Frau Böhmer, gibt es auch an vie-
len Hauptschulen, in denen nicht ein einziges Kind mit
Dort hatte sich die Schule gemeinsam mit den Eltern und so genanntem Migrationshintergrund ist, ähnliche Pro-
mit den Schülerinnen und Schülern entschlossen, dass bleme wie in dieser Hauptschule.
Deutsch die Sprache ist, die im gesamten Schulbetrieb
gesprochen wird, dass Deutsch also auch auf dem Schul- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
hof gesprochen wird. Es ging ein Aufschrei durch unser neten der SPD)
Land. Ich habe mich gewundert: Es muss doch selbstver- Ich lehne es also ab, das allein als Migrationsproblem zu
ständlich sein, dass Deutsch nicht nur im Unterricht, kennzeichnen; es ist vielmehr ein Problem der Bildungs-
sondern auch auf dem Schulhof gesprochen wird, im ge- politik.
samten Schulleben: damit Schülerinnen und Schüler eine
bessere Chance haben. Deshalb sage ich: Dieses Beispiel (Beifall bei der LINKEN)
muss Schule machen. Der neue Leiter der Rütli-Schule hat gestern auf der
(Beifall bei der CDU/CSU) Pressekonferenz einiges klargestellt: Es gibt große Pro-
bleme an der Schule, aber es gibt auch eine Diskrepanz
Hinzukommen muss ein Zweites. Denn die Lehrerin- zwischen den Mediendarstellungen und der Situation an
nen und Lehrer haben mir gesagt, sie können sich mit dieser Schule. Seine Äußerungen lassen sich wie folgt
den Eltern kaum verständigen. Es ist in der Tat ein Pro- zusammenfassen:
blem, wenn Eltern zum Gespräch, zum Elternnachmittag
Erstens. An der Rütli-Schule werden ab sofort ein
oder zum Elternabend eingeladen werden und man mit
Arabisch und ein Türkisch sprechender Sozialpädagoge
ihnen ganz konkret über die Situation der Schülerinnen
arbeiten. Ab 1. Mai 2006 wird es einen weiteren Sozial-
und Schüler reden will, man sich aber nicht verständigen
arbeiter geben. Das ist der richtige Weg.
kann und die Kinder Dolmetscherfunktion übernehmen
müssen. Deshalb ist es für uns so wichtig, dass die Inte- (Monika Grütters [CDU/CSU]: Warum geht
grationskurse, die Elternkurse und die Sprachangebote, das nicht früher? – Weiter Zuruf von der CDU/
ganz gezielt für Mütter, genutzt werden. CSU: Zu spät! Zu spät! – Gegenruf des Abg.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2561
Dr. Gesine Lötzsch
(A) Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Zu spät ist (Beifall bei der LINKEN) (C)
es nie!)
Die Linksfraktionen im Bundestag und in den Land-
Zweitens. Die Schülerinnen und Schüler wenden sich tagen haben klare bildungs- und arbeitsmarktpolitische
gegen eine diskriminierende Verurteilung in der Öffent- Vorstellungen:
lichkeit.
Erstens. Wir wollen das dreigliedrige Schulsystem
Drittens. Die Rütli-Schule sollte nicht zur Wahl- durch eine integrative Schule ersetzen,
kampfarena werden; denn das würde weder den Schüle-
rinnen und Schülern noch den Lehrern helfen. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der LINKEN und der SPD) die ein gemeinsames Lernen von Schülern aus unter-
schiedlichen sozialen und soziokulturellen Gruppen
Meine Damen und Herren, die Redezeit reicht nicht möglich macht.
aus, um sich mit allen unqualifizierten Äußerungen zu
diesem Thema auseinander zu setzen. Die üblichen Ver- Zweitens. Wir wollen auch schon für das Haus-
dächtigen wie Herr Schönbohm und Herr Stoiber haben haltsjahr 2006 mehr Geld für Ganztagsschulen bereit-
ja für jedes Problem die gleiche Lösung: einsperren oder stellen, um die Bildungschancen für alle Schülerinnen
ausweisen. Das ist dumm und gefährlich zugleich. und Schüler zu verbessern.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der Drittens. Wir wollen eine faire und effiziente Mög-
CDU/CSU: Quatsch!) lichkeit, Sprache so früh wie möglich zu erlernen. Wir
Wer sich ernsthaft mit dem Problem Schule beschäfti- wollen nicht, dass mit Fingern auf die gezeigt wird, die
gen möchte, muss auch bereit sein, die eigene Politik zu die deutsche Sprache nicht perfekt beherrschen, sondern
hinterfragen. Herr Gerhardt, ich gehe davon aus, dass die wir wollen ihnen helfen, diese Sprache zu lernen.
FDP dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, um Viertens. Wir wollen Jugendlichen eine Ausbildungs-
deutlich zu machen, dass die Rütli-Schule für eine bil- perspektive geben und halten die von der Koalition aus
dungspolitische Sackgasse und für ein bildungspoliti- CDU/CSU und SPD beschlossenen Kürzungen für ju-
sches Auslaufmodell steht, nämlich für das dreigliedrige gendliche Empfänger von Arbeitslosengeld II für das
Schulsystem. falsche Signal.
(Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
Das ist ein Selektionssystem, mit dem viele junge Men- CDU/CSU: Haben Sie in Berlin doch ge-
(B) macht!) (D)
schen unabhängig von ihrer Muttersprache frühzeitig ins
Abseits gestellt werden. Denken Sie doch mal selber Wir erwarten von der Bundesagentur für Arbeit mehr
darüber nach, wie Sie in der 4. Klasse, in der 6. Klasse Anstrengungen bei der Qualifizierung und Vermittlung
oder in der 8. Klasse waren und wann die Weichen ge- von jungen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt.
stellt wurden.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wer regiert
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
denn eigentlich in Berlin? – Michael
NIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper
Kretschmer [CDU/CSU]: Sehen Sie einmal,
[FDP]: Das ist doch gar nicht das Problem!)
was in Berlin gemacht wird! Ihre Regierung ist
Damit sinken die Ausbildungs- und Arbeitsmarktchan- das!)
cen dieser Kinder drastisch.
Meine Damen und Herren, in den 20er-Jahren des
(Markus Löning [FDP]: Sie sitzen in der Re- letzten Jahrhunderts orientierten sich die Lehrer der
gierung in Berlin! Die Aufgabe beginnt mit Rütli-Schule an den Ideen der Reformer Wilhelm
den Arbeitslosen in Berlin! Das ist das Pro- Paulsen und Peter Petersen. Die Hauptidee war: Kinder
blem!) sollten in der Schule nicht nur Wissen erwerben, sondern
auch das Zusammenleben einüben und gestalten. Ich
Wen wundert es dann, dass diese Perspektivlosigkeit zu
würde mich freuen, wenn wir der Schule, den Schülerin-
Lethargie und Aggressionen führen kann?
nen und Schülern und allen Schulen im Lande wirklich
Meine Damen und Herren, die Frage, die hier bespro- helfen könnten und wenn wir hier nicht eine Wahl-
chen werden muss, ist doch, was der Bundestag tun kampfarena betreten würden.
kann, um den jungen Menschen an dieser Schule und an
Vielen Dank.
den anderen Hauptschulen in unserem Land eine Chance
auf Bildung und Arbeit zu geben. Die Bundestagsfrak- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
tion der Union hat nun einen Integrationsgipfel bei Frau neten der SPD)
Merkel vorgeschlagen. Ich sage Ihnen: Das ist ein Pla-
cebo für die aufgeregte Öffentlichkeit. Das wird an der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Situation der Jugendlichen nichts ändern; denn es ist ein Für den Bundesrat hat nun Herr Senator Klaus Böger
Trugschluss, dass man mit Gipfeltreffen alle Probleme das Wort.
lösen könnte. Das ist symbolisch und kurzatmig. Wir
brauchen konkrete Vorschläge. (Beifall bei der SPD)
2562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) Klaus Böger, Senator (Berlin): (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (C)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
komme gerade von einer Konferenz aller meiner Haupt- GRÜNEN)
schulleiterinnen und Hauptschulleiter in Berlin. Ich habe
Ich habe viele Ratschläge gehört und bekommen. Ich
nicht zum ersten Mal und, wie ich denke, auch nicht zum
möchte Ihnen sagen, dass wir in Berlin nicht den Weck-
letzten Mal mit den Damen und Herren gesprochen.
ruf der Rütli-Schule brauchten. Wir in Berlin sind – übri-
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Hört! gens mit vielen in diesem Raum – schon längst auf dem
Hört!) richtigen Weg. In Berlin gibt es die erste und wichtigste
Bildungseinrichtung für Kinder, und zwar für mehr als
Die wichtigste Konsequenz, die die Kolleginnen und 90 Prozent der Kinder – das ist gut und richtig so –, und
Kollegen aus dieser Diskussion um die Rütli-Schule zie- es gibt längst einen verpflichtenden Sprachtest für alle
hen, ist die, dass jetzt alle in unserem Land offen, kri- Kinder mit vier Jahren.
tisch und auch selbstkritisch über Wege zur Integration
von Kindern von Ausländern, von Kindern, die eine (Beifall bei der SPD)
nicht deutsche Herkunftssprache sprechen, und von Kin- In Berlin als erstem und einzigem Bundesland gibt es
dern, deren Eltern bildungsfern oder arbeitslos sind, dis- die Verpflichtung, dass Kinder, die sprachliche Defizite
kutieren müssen. Das ist wichtig. aufweisen und keine Kita besuchen, vor der Einschulung
(Beifall bei der SPD – Michael Kretschmer einen Sprachkurs von 330 Stunden absolvieren. Wenn
[CDU/CSU]: Zu spät!) die Eltern sich weigern, ihr Kind zu diesem Kurs zu
schicken, müssen die Eltern ein Bußgeld zahlen. Das ist
– Für manche ist es nie zu spät. keine bayerische Kabinettsvorlage, sondern Berliner Ge-
(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Wie setzeslage.
viele Jahre sind Sie schon im Amt?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– Den Zuruf des Kollegen aus der CDU/CSU, wie viele der CDU/CSU und der LINKEN)
Jahre ich im Amt bin, nehme ich gerne auf. Ich bin ge- Lieber Kollege Gerhardt, glauben Sie mir, in vielen
nau sechs Jahre im Amt. Glauben Sie im Ernst, Herr Bereichen sind wir schon weiter, aber wir sind längst
Kollege, dass dieses Problem in sechs Jahren entstanden noch nicht da, wo wir hinkommen müssen, weil es in der
ist? Dieses Problem ist in Deutschland in über 20 Jahren Bildung sehr lange dauert, bis eine Fehlorientierung kor-
entstanden; das müssen wir zur Kenntnis nehmen. rigiert wird.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Rütli-Schule ist in der Tat kein Einzelfall. Ich warne Ich sage Ihnen: Wir – damit meine ich nicht nur das kon-
davor, dies in Berlin oder in anderen bundesdeutschen krete Verwaltungshandeln – in der Bundesrepublik
Großstädten isoliert zu betrachten. Es ist in der Tat eine Deutschland haben bei vielen Fragen generell zu lange
Herausforderung. weggesehen
Sie sitzen hier im Reichstag im Bezirk Berlin-Mitte. (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Sie
(Zuruf von der FDP: Im Bundestag!) auch!)

– Ja, im Bundestag. Aber es geht um den Bezirk Mitte. und gedacht, die Dinge regelten sich von alleine. Nichts
In diesem Bezirk sind 56 Prozent aller Schülerinnen und regelt sich von alleine. Herr Kollege Wellmann, als alter
Schüler Kinder mit Migrationshintergrund, Tendenz stei- Westberliner wissen Sie, dass in Westberlin 40 Prozent
gend. Was können und müssen wir in diesem Land tun? der Schüler von Hauptschulen keinen Abschluss erreich-
Das Erste ist: Wir müssen diese Kinder als unsere Kin- ten.
der annehmen und nicht wegschicken. (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Sie sind
sechs Jahre Senator und nichts ist passiert!)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Das könnten die Väter der jetzigen Schüler sein. In die-
geordneten der CDU/CSU) ser Zeit war meine Kollegin Laurien Senatorin. Hören
Sie auf, mit billigem Kleingeld zu arbeiten. Das mache
Wir müssen sie – das sage ich ganz betont – bilden und
ich nicht mit.
erziehen. Dies ist notwendig, weil es erhebliche kultu-
relle Differenzen zwischen dem, was Kinder in den (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Elternhäusern prägt, und dem gibt, was sich in jahrzehn- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
telanger Diskussion als unsere gemeinsamen Wertvor-
stellungen entwickelt hat. Das ist die Wahrheit. Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, einen anderen
Punkt anzusprechen. Wir haben – diese Entwicklung ist
Wir brauchen Unterstützung, weil unsere Gesellschaft noch nicht abgeschlossen – alle Grundschulen in Berlin,
und die Gesellschaftsstruktur enorme Probleme mit Ar- in denen glücklicherweise sechs Jahre lang gemeinsam
beitslosigkeit und Perspektivlosigkeit hat, was sich auch gelernt wird, zu Ganztagsgrundschulen gemacht. Für
auf die Eltern auswirkt. Das ist – bei allem Respekt – diese Millionen – die Milliarden waren leider nicht allein
nicht nur ein Problem der Bildungspolitik. für Berlin – zum Ausbau von Ganztagsgrundschulen will
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2563
Senator Klaus Böger (Berlin)
(A) ich mich bedanken. Das ist konkrete Hilfe und Unter- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
stützung für konkrete Bildungspolitik. Das Wort hat nun die Kollegin Renate Künast, Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Noch Fragen?)
Ich möchte etwas zum Thema Gewalt sagen. Mir lie-
gen exakte Zahlen vor, weil Berlin das einzige Land ist, Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
das alle Schulen verpflichtet, jeden – auch noch so klei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen
nen – Gewaltvorfall zu melden. Ich habe deshalb einen Sie mich eine Bemerkung zur Rede von Frau Ministerin
sehr genauen Überblick, was dort geschieht. Das Pro- Böhmer vorwegschicken. Dass Sie mit der Ankündigung
blem beschränkt sich leider nicht auf die Hauptschulen; eines nationalen Integrationsgipfels ein Luftschloss auf-
es besteht auch in den Grundschulen, Realschulen und bauen, gleichzeitig aber darauf hinweisen, dass Sie letz-
Gymnasien und auch anderswo als in Berlin. Es hilft ten Freitag die Rütli-Schule besucht haben, halte ich,
nichts, auf andere zu zeigen. Wir müssen uns der Frage ehrlich gesagt, für ein Armutszeugnis,
stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und bei der LINKEN)
der LINKEN) weil es meines Erachtens schlicht und einfach zu spät ist.
Das heißt für mich – ich habe darüber lange mit den (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP –
Kollegen diskutiert –: Die schulischen Disziplinarmittel Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn da re-
reichen aus. Das Wichtigste ist, dass die Schule selbst giert!)
entscheidet und gemeinsam durchsetzt, was möglich ist.
Respekt – und zwar Respekt von Lehrern gegenüber Dahinter steckt auch etwas anderes. Herr Böger hat es
Schülern und von Schülern gegenüber Lehrern – ist kein gerade angesprochen. Ich bin nicht hier, um Herrn Böger
altertümlicher Begriff, sondern eine Notwendigkeit im und den Berliner Senat zu beweihräuchern. Ich hätte im-
Umgang miteinander. mer noch Verbesserungsvorschläge. Aber was hat denn
die CDU in den letzten Jahren getan, Frau Böhmer? Sie
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf hätten zum Beispiel mit einem Ganztagsschulprogramm
von der CDU/CSU: Eine neue Erkenntnis!) viel früher dabei helfen können, dass in dieser Republik
Das kann man durchsetzen und das wird auch in Schulen Ganztagsschulen mit einer guten Nachmittagsförderung
durchgesetzt. Übrigens, Frau Kollegin Böhmer, ist die ausgebaut werden.
Hoover-Schule mit dem amerikanischen Präsidentenna- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) (D)
men mit meiner Unterstützung diesen Weg gegangen. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Es gibt in Berlin längst Schulen, an denen ein Handy- LINKEN)
verbot und andere klare Verbote gelten, aber nicht par Das haben Sie gestoppt.
ordre du mufti, sondern selbst erarbeitet und durchge-
setzt. Das ist der entscheidende Punkt. Sie hätten im Zusammenhang mit der doppelten
Staatsbürgerschaft beim Zuwanderungsgesetz viel stär-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ker darauf hinarbeiten müssen, dass die betroffenen Kin-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der in dieser Republik eine Perspektive bekommen und
LINKEN) als Menschen respektiert werden,
Wir werden uns beim Thema Gewalt – zwischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schulischen Disziplinarmaßnahmen, Erziehung, Jugend- sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
sozialarbeit, Jugendamt oder dem Jugendstrafgericht
gibt es eine Lücke, die wir notwendigerweise ausfüllen damit deutlich wird, dass dies unsere Kinder sind.
müssen – damit befassen müssen, wobei ich Sie dabei
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
um Mithilfe bitte, wie wir Jugendliche, die sich schlecht
sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael
und mies verhalten, in der Schule mit Sanktionen bele-
Kretschmer [CDU/CSU]: Unglaublicher Vor-
gen können, die auch tatsächlich durchgesetzt werden,
gang!)
statt nur damit zu drohen, dass ein Schüler mal zu Hause
bleibt oder in eine andere Schule kommt. Darüber müs- Damit komme ich zum Kern. Wir reden hier definitiv
sen wir nachdenken, weil in vielen Bereichen keine na- über ein deutsches Problem – diese Feststellung richte
türlichen Erziehungsinstanzen mehr existieren. Wer das ich wegen der aktuellen Vorschläge von Herrn
bestreitet, der sollte die Berliner Schulen besuchen und Schönbohm und Herrn Pflüger zur Abschiebung von
sich der Realität stellen. Sie alle sind herzlich eingela- Mehrfachtätern besonders an die CDU –, das mit Ab-
den – wenn möglich, nicht alle auf einmal. schiebung nicht gelöst werden kann.
Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Die Jugendlichen an der Rütli-Schule stammen aus Ber-
GRÜNEN und des Abg. Michael Kretschmer lin. Sie sind zu einem guten Teil hier geboren und aufge-
[CDU/CSU]) wachsen. Sie sind Teil dieser Gesellschaft.
2564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Renate Künast
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN same Planung und für Finanzhilfen zu geben. Damit sind (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von wir bei einem der Kernthemen.
der CDU/CSU: Das ist die Gesellschaft, die ihr
wolltet!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Gewalt an Schulen gibt es übrigens auch dort, wo fast LINKEN)
ausschließlich Schülerinnen und Schüler mit deutschem
Wir erwarten von den betroffenen Eltern und Kin-
Pass sind. Herr Gerhardt, ich nenne als Beispiel die Se-
dern, die in dieser Republik leben wollen, dass sie
kundarschule „Karl Marx“ in Gardelegen in Sachsen-
Deutsch lernen und sich bei der Gestaltung einbringen.
Anhalt. Dort ist ein Viertel der Lehrer krank
Aber wir müssen auch Respekt vor den Kindern haben
(Zuruf von der CDU/CSU: Bei dem Namen – daran mangelt es in diesem Land – und sie als kleine
der Schule kein Wunder!) Persönlichkeiten akzeptieren. Das bedeutet nicht nur
frühkindliche Sprachförderung, sondern auch, dass die
– das spiegelt die stressige Situation in der Schule wider – Wirtschaft – das müssen wir einfordern – Ausbildungs-
und es gibt Pöbeleien und Bedrohungen durch Schüler. plätze zur Verfügung stellt. In diesem Zusammenhang
Sobald Journalisten auf dem Schulhof auftauchen, wer- muss man auch noch einmal über eine Ausbildungsplatz-
den etwa Feuerlöscher in Brand gesetzt. Wir dürfen aber abgabe nachdenken.
auf dieses Problem nicht erneut mit Ausgrenzung reagie-
ren und sagen: Die haben sich gefälligst diszipliniert zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
verhalten. Vielmehr handelt es sich um ein deutsches sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Problem. Die Kernfrage lautet, wie wir des sozialen Pro- LINKEN)
blems Herr werden, wie wir diesen Kindern und Jugend- Man sollte sich trauen, Druck auf die Wirtschaft auszu-
lichen – die Förderung sollte schon im frühkindlichen üben.
Stadium beginnen – eine Perspektive in dieser Republik
bieten können, und zwar zu unser aller Nutzen. Bei der Integration brauchen die Schulen Autonomie.
Sie sollten spezifische Angebote machen und Maßnah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men selbstständig umsetzen können. Wir brauchen im
sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von Übrigen mehr Sprach- und Integrationskurse. Frau
der FDP: Wie zündet man einen Feuerlöscher Böhmer, wenn man Ihren Worten nur einen Hauch Glau-
an?) ben schenken soll, sollten Sie die Kürzung der Haus-
haltsmittel für Integrationskurse um 67 Millionen Euro
– Wir werden es Ihnen gegebenenfalls erklären.
zurücknehmen.
(B) (Lachen bei der FDP – Zuruf: Darum bitten (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wir!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Es geht um soziale Exklusion, um Ausgrenzung. Herr LINKEN)
Gerhardt, Sie haben große Worte gefunden. Ich hätte mir Wir brauchen dieses Geld für neue Kurse, für die betrof-
gewünscht, dass Sie schon 1988, als Sie Präsident der fenen Kinder, für das Zusammenleben.
Kultusministerkonferenz waren, ein gezieltes Konzept
zur Integration vorgelegt hätten. Dann wären wir heute
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
vielleicht schon weiter.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
LINKEN – Widerspruch bei der FDP) Nicht durch Streichen, sondern durch Investieren lö-
Ich kann mich noch gut daran erinnern, was ich 1988 in sen Sie das Problem. Wie gesagt, es ist ein deutsches
Berlin gemacht habe. Damals habe ich mich im Wesent- Problem, das Sie nicht mit Abschiebung lösen können.
lichen nicht mit Ihnen, sondern mit der Berliner CDU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gestritten, weil diese gesagt hat: Wie kommen wir denn sowie bei Abgeordneten der SPD und der
dazu, den Migranten noch Deutschkurse zu bezahlen? LINKEN)
Das ist doch Luxus; das machen wir nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nun hat das Wort der Kollege Dr. Friedbert Pflüger,
CDU/CSU-Fraktion.
In dieser Republik sprechen zu viele Kinder schlecht
deutsch bei der Einschulung. Das ist vor allem ein Pro- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der
blem von Migrantenkindern, aber nicht nur. Vielmehr SPD: Der Wahlkampf ist eröffnet! – Hannover
sind auch deutsche Kinder betroffen. Umso trauriger spricht!)
stimmt mich das, was bei der Föderalismusreform ge-
schieht. Angesichts der Tatsache, dass jedes dritte deut- Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):
sche Kind vor der Schulzeit Sprachförderung braucht, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
kann ich nur sagen: Ein Fehler der Föderalismusreform Herren! Frau Künast, ich möchte zuerst deutlich machen
ist, dem Bund keinerlei Möglichkeiten für eine gemein- – ich glaube, darüber besteht im Hause Konsens –, dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2565
Dr. Friedbert Pflüger
(A) es bei dem angesprochenen Thema nicht in erster Linie che an den Schulen hat meine Partei, die CDU, von An- (C)
um Ausländer auf der einen und Deutsche auf der ande- fang an das Richtige gesagt; andere haben weggeschaut
ren Seite geht. und sich in Multikultiträumereien geflüchtet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der
bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Pfui!)
SPD: Da haben Sie Recht!)
Herr Böger, wenn Sie sagen, alle hätten Fehler ge-
Trotz der Aufgeregtheit dürfen wir uns nicht in eine fal- macht, dann stimme ich natürlich zu. Jetzt befinden wir
sche Frontlinie treiben lassen. uns aber in dieser Situation. Wenn ich im „Tagesspiegel“
von gestern Ihre Aussage lese, es würden zwar alle Ge-
(Zuruf von der SPD: Da hat er auch Recht!) waltfälle gemeldet, aber lediglich „bei Amoklauf, Mord,
Die eigentliche Front ist: Rechtschaffene gleich welcher Schusswaffengebrauch, Geiselnahme“ ließen Sie sich in-
Herkunft, auf der einen Seite gegen Störer, Kriminelle, formieren, dann frage ich mich: Was sind denn das für
Drogenhändler und Extremisten auf der anderen Seite. Zustände in Berlin, in Ihrer Behörde, Herr Böger?
Das ist die Frontlinie, um die es eigentlich geht. (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört! – Jürgen
(Beifall bei der CDU/CSU) Kucharczyk [SPD]: In den Medien steht es
ganz anders!)
Es ist wichtig, dass wir uns vor Augen führen: Alle
Probleme der Integration, alle Probleme, die mit Schule Das haben Sie gesagt. Es steht im „Tagesspiegel“. Ich
zusammenhängen, können wir in einer Stadt wie Berlin kann es Ihnen geben. Wenn man so an die Dinge heran-
nur lösen, wenn wir die Eltern und die Schüler, gerade geht, dann verhält man sich wie ein Arzt im Kranken-
aus Migrantenfamilien, gewinnen, mitzumachen und die haus, der erst dann tätig wird, wenn der Patient schon
Gewalttäter zu isolieren. Wir können es nicht gegen sie auf der Intensivstation liegt. Das ist eine Politik, die wir
schaffen, sondern müssen sie mitnehmen. Das ist eine ablehnen und die falsch ist.
ganz wichtige und wesentliche Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Herr Pflüger, so schaffen
Es sind nämlich gerade viele türkische Familien – ich Sie die 30 Prozent nicht! – Zurufe von der
habe gestern an der Rütli-Schule mit türkischen Schülern SPD)
und mit Schülersprechern gesprochen –, es sind viele
Immigranten, Herr Böger, die sich beklagen, dass an den – Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Herr
Böger selbst hat doch Fehler eingeräumt. Das ist auch
(B) Schulen zu wenig Disziplin herrscht, dass zu viel Schul- (D)
schwänzen erlaubt wird, dass die Leute in der Schule gut so, denn in Berlin haben wir es in der Tat mit einer
keine Werte vermittelt bekommen. Da muss sich an un- total verfehlten Integrations-, Rechts- und Gesellschafts-
seren Schulen etwas verbessern! Das wollen gerade auch politik, vor allem aber mit einer verfehlten Bildungspoli-
die Migrantenfamilien, aber Sie, Herr Böger, haben es tik zu tun.
nicht in Angriff genommen. Da muss sich in Berlin et- Jetzt gibt es einige in der SPD – ich finde es gut, dass
was ändern. Sie, Herr Böger, nicht dazu gehören –, die meinen, das
(Beifall bei der CDU/CSU) Allheilmittel sei, die Hauptschule abzuschaffen. In Ber-
lin gibt es aber sehr gute Hauptschulen, die sich dagegen
Ich möchte eines zum Thema „Deutsch“ sagen – Herr wehren würden, abgeschafft zu werden. Sie sind, nicht
Gerhardt und andere haben es angesprochen –: 1998 weil sie viel Unterstützung von der Senatsverwaltung er-
oder 1999 hat Herr Schönbohm, damals Innensenator in halten haben, gut geworden, sondern weil sie selbst initi-
Berlin, Vorschläge gemacht. Er forderte, den Deutschun- ativ geworden sind. Zum Beispiel die Nikolaus-August-
terricht zu forcieren, Deutsch zu einer Grundlage zu ma- Otto-Hauptschule in Berlin: eine fabelhafte Schule, die
chen. Da haben Sie, Herr Böger, gesagt, das sei Deutsch- aus eigener Initiative Elternseminare anbietet. Eine fan-
tümelei. tastische Geschichte! Oder die Jean-Piaget-Hauptschule
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der in Hellersdorf: Sie bemüht sich, zusammen mit den Be-
CDU/CSU: Hört! Hört!) trieben Praktika anzubieten. Das heißt, es gibt auch gute
Beispiele.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass auf diese Weise
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
reagiert worden ist. Ich kann mich gut daran erinnern!
Jürgen Kucharczyk [SPD]: Das ist doch super!
(Zuruf von der CDU/CSU: Alles vergessen!) Das Konzept greift!)
Es ist wichtig – da gebe ich Herrn Böger Recht –, zu Nun schmeißen Sie nicht das ganze Schulsystem um,
verstehen: Die Probleme, die wir haben, sind nicht fünf wie es Ideologen in der SPD und in anderen Parteien
oder zehn Jahre alt; sie haben zum großen Teil ihre Wur- wollen!
zeln im Beginn sehr langer Entwicklungen. Wir alle ha-
(Widerspruch bei der SPD)
ben dabei Fehler gemacht. Wer wollte das bestreiten!
Aber, Herr Böger – es tut mir furchtbar Leid –: Zur Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Ich zitiere aus ei-
Frage der Durchsetzung des Rechts an den Schulen, zur nem Brief von Lehrern, die nicht an der Rütli-Haupt-
Frage der Durchsetzung von Deutsch als Verkehrsspra- schule, sondern an der Theodor-Plivier-Oberschule
2566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Dr. Friedbert Pflüger


(A) unterrichten – Sie müssen sich einmal überlegen, was es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- (C)
bedeutet, wenn Lehrer einen solchen Brief schreiben –: ruf von der SPD: Das war der ausgebrannte
Die Quote polizeibekannter Kleinkrimineller in unseren Pflüger!)
Klassen ist „erschreckend hoch, gewaltbereite Intensiv-
täter mit erheblichem Einfluss“ sitzen „kurze Zeit nach Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ihrer Verurteilung“ wieder im Unterricht. Ein Teil der Nun hat der Kollege Markus Löning für die FDP-
Schüler bringt seine Bandenkriminalität mit in die Fraktion das Wort.
Schule. – Ich könnte weitere solche Zitate vortragen. Ir-
gendjemand wird für solche Zustände doch wohl Verant- (Beifall bei der FDP)
wortung tragen und übernehmen.
Markus Löning (FDP):
(Zuruf von der SPD: Wir alle! – Weitere Zu-
rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-
GRÜNEN) ben Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Herr Böger, Sie
haben hier lobend erwähnt, dass die Vorgänge um die
Für diese verfehlte Schulpolitik tragen nicht die Lehrer, Rütli-Schule endlich eine überfällige Diskussion in
sondern dieser rot-rote Senat die Verantwortung. Gang gebracht haben. Da haben Sie zweifellos Recht.
Aber ich frage mich, Herr Böger: Warum kommt es erst
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – jetzt auf die Tagesordnung? Sie wissen davon schon
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lange. Ihr Haus weiß davon schon lange. Sie haben es
NEN]: Wo sollen die denn eigentlich sonst hin, unter der Decke gehalten. Lehrer in Berlin bekommen
Herr Pflüger? Sollen die nach Hause gehen einen Maulkorb verpasst.
oder auf die Straße?)
Ich würde mich freuen, Herr Böger, wenn Sie die
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Lehrer, die die Zivilcourage gehabt haben, an die Öffent-
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. lichkeit zu gehen, ausdrücklich belobigen würden, wenn
Sie sagen würden: Ihr seid den richtigen Weg gegangen,
als ihr die Zivilcourage aufgebracht habt, an die Öffent-
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): lichkeit zu gehen und solche Diskussionen loszutreten.
Ich komme zum Schluss. – Das Allerschlimmste, was Ich wiederhole: Ich würde mich freuen, wenn Sie diese
einem in einer solchen Situation einfällt – – Damen und Herren ausdrücklich belobigen würden und
(Zurufe von der SPD) wenn Sie ihnen keinen Maulkorb verpassen würden, wie
Sie es gemacht haben.
(B) – Können Sie mal bitte ruhig sein! (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Kommen Sie aber bitte wirklich zum Schluss. Sie ha- Wir stehen hier auch auf den Scherben einer ideologi-
ben Ihre Redezeit längst überschritten. schen Debatte, was die Integrationspolitik angeht. Frau
Künast, von Ihrer Seite ist hier jahrelang romantisierend
vorgegangen worden.
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):
Das liegt aber an den vielen Zwischenrufen, Frau Prä- (Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Unsinn!)
sidentin. Da wurde zur Zuwanderung gesagt: Hauptsache, es
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) kommen mehr Leute und es wird ein bisschen bunter;
das alles bringt überhaupt keine Probleme mit sich, so-
lange man nur nett zu den Leuten ist. Das ist schief ge-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gangen. Diese Multikultiromantik ist in die Hose gegan-
Ich war schon großzügig, Herr Kollege. Ich bitte gen. Sie ist ein Grund dafür, warum wir jetzt da sind, wo
wirklich darum, zum Schluss zu kommen. wir sind.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Ich komme zum Schluss. – Ich will nur noch sagen: Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das Einzige, was wir alle miteinander nun wirklich nicht NEN]: Das hat nichts mit Hose zu tun, Herr
machen sollten, Löning, sondern mit Sprache!)
Aber ich muss denselben Vorwurf auch an die andere
(Jörg Tauss [SPD]: Sind Reden, wie Sie sie
Seite des Hauses richten. Auch die Union hat sich in der
halten!)
Zuwanderungspolitik den Realitäten jahrelang, auch in
ist das, was der Regierende Bürgermeister von Berlin der Zeit der Koalition mit uns bis 1998, verweigert.
gemacht hat, indem er gesagt hat, es handele sich um Auch das muss hier einmal deutlich gesagt werden.
ausgebrannte Lehrer, die man durch bessere Lehrerper-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sönlichkeiten ersetzen müsse. Die Schuld für diese Pro-
der SPD)
bleme jetzt bei diesen Lehrern abzuladen, das ist nun
wirklich der falsche Weg. Wir müssen die Lehrer an sol- Jetzt sind offensichtlich alle schlauer. Ich hoffe, dass
chen Schulen stärken und nicht beschimpfen. wir hier gemeinsam den richtigen Weg finden, eine ver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2567
Markus Löning
(A) nünftige Integrationspolitik zu betreiben, die fordert und Frau Lötzsch, Sie versuchen, das auf die Bildungs- (C)
die auch fördert. Beides gehört zusammen. Wir müssen politik zu schieben. Was wir brauchen – das ist ganz
die Anerkenntnis unserer Grundwerte fordern. Wir müs- ohne Zweifel richtig –, ist eine andere Bildungspolitik.
sen Deutschkenntnisse fordern. Aber als Gesellschaft
müssen wir selbstverständlich auch sagen: Ihr seid hier (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)
willkommen, wenn ihr euch unserer Gesellschaft an- Wir brauchen mehr Autonomie an den Schulen. Wir
passt. müssen die Schulen ausstatten. Wir müssen in unserer
Debatte als Politiker gegenüber der Gesellschaft auch
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einmal klar machen: Es ist eine bewusste politische Ent-
der CDU/CSU und der SPD) scheidung, dass die Schulen in dem Zustand sind, in dem
Die Debatte, die wir hier führen, beschäftigt sich aber sie sind, weil wir das Geld, das wir haben, an anderer
eben nicht nur mit der Frage der Integration, sondern Stelle und nicht für die Schulen ausgeben. Das müssen
auch mit unserer Schul- und Bildungspolitik. Frau wir klar machen. Das vermisse ich an dieser Stelle. Das
Künast, offensichtlich haben auch Sie die „taz“ gelesen. vermisse ich auch beim rot-roten Senat.
(Beifall bei der FDP – Dr. Gesine Lötzsch
Ich hatte mir dasselbe schöne Beispiel herausgesucht,
[DIE LINKE]: Deshalb hat die FDP in Berlin
weil es wichtig ist, klar zu machen, dass es nicht nur eine
gegen den Haushalt geklagt!)
Integrationsdebatte ist, um die es hier geht; vielmehr
geht es um Perspektiven für unsere Jugendlichen. In Ge- Das andere ist die Frage – Frau Lötzsch, dazu sagen
genden, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und die wirt- Sie nichts –: Wie bekommen wir die Wirtschaft in Berlin
schaftliche Perspektive unserer Jugendlichen schlecht und in der Bundesrepublik in Schwung? Denn nur das
ist, wo es keine Aussicht gibt, im Anschluss an die wird am Ende Lebensperspektiven für unsere Jugendli-
Schule eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden, chen schaffen. Nur wenn es uns gelingt, wieder auf einen
haben wir die Probleme. Wie sollen wir die Kinder moti- Wachstumskurs zu kommen, nur wenn wir erreichen,
vieren, die Schule vernünftig abzuschließen dass durch Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze entste-
hen, gerade auch in Berlin, werden wir es schaffen, die
(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Da ha- Jugendlichen aus dieser Situation zu befreien und die so-
ben Sie Recht!) zialen Probleme auch in Kiezen wie Neukölln wenigs-
– richtig –, wenn sie wissen, dass sie im Anschluss so- tens annähernd zu lösen. Ohne das wird es nicht gehen.
wieso keine Arbeit finden? Dazu hat aber weder Rot-Rot in Berlin irgendetwas ge-
tan noch haben Sie von Rot-Grün dazu irgend etwas ge-
(B) Ich finde es sehr schön, dass dieser Zwischenruf aus- tan, solange Sie im Bund regiert haben. (D)
gerechnet aus Ihrer Ecke kommt. In der Zeit, in der Sie Vielen Dank.
in Berlin regieren, ist die Arbeitslosigkeit in Berlin um
3 Prozentpunkte gestiegen. Schreiben Sie sich das ein- (Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland
mal hinter die Ohren! Was Sie machen, ist keine soziale [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unver-
oder sozialistische Politik. Was Sie hier veranstalten, ist schämtheit!)
zutiefst unsozial.
(Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Michael
Wo Sie regieren, ist die Arbeitslosigkeit höher und steigt Bürsch, SPD-Fraktion.
weiter. Das ist das, was an dieser Stelle unsozial ist.
(Beifall bei der SPD)
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Jetzt wird es nie-
derer Wahlkampf! – Jan Korte [DIE LINKE]: Dr. Michael Bürsch (SPD):
Sachsen-Anhalt!) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat, die Rütli-Schule hat durch ihren Hilferuf auf
Frau Böhmer, Sie haben das Beispiel Frankreich an-
ein sehr ernstes Problem aufmerksam gemacht, auf ein
gesprochen. Ich muss ehrlich sagen: Das ist mir wirklich
Problem der Integrationspolitik und der Bildungspolitik.
völlig unverständlich. Wie kann man in dieser Debatte
Was wir jetzt erleben, ist ein Lehrstück dazu, wie Politik
das Beispiel Frankreich anführen? Dort ist die Jugend-
auf Probleme reagieren kann. Es gibt zwei Möglichkei-
arbeitslosigkeit noch höher als hier. Dort gibt es eine
ten, wie so oft im Leben. Die eine Möglichkeit wird uns
Ausbildungsplatzabgabe und sie führt genau zu dem,
vorgeführt: Die Reaktion ist kurzatmig, populistisch, ak-
wovor wir immer gewarnt haben:
tionistisch und gnadenlos vereinfachend.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Genau so ist (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])
es!)
Die andere Methode ist, sachgerecht, differenziert, nach-
Es gibt weniger Ausbildung und mehr Jugendarbeitslo- haltig, vielleicht auch nach dem Prinzip Gründlichkeit
sigkeit. Also, Frankreich ist das denkbar schlechteste vor Schnelligkeit vorzugehen.
Beispiel an dieser Stelle.
Was die erste Methode angeht, brauchen wir nicht
(Beifall bei der FDP) sehr weit zu schauen. Herr Pflüger, auch wenn Sie
2568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Dr. Michael Bürsch


(A) differenzierter angefangen haben: Das war ein gutes Das hat auch Herr Böger hier vollkommen zu Recht be- (C)
Stück Demagogik. schrieben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
Abg. Jan Korte [DIE LINKE] – Jörg Tauss bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
[SPD]: Unseriös!) GRÜNEN)
Das war auch ein gutes Stück politischer Populismus. Das weist genau in die Richtung, wie wir eine Lösung
finden müssen. Ich spreche nicht als Bildungspolitiker,
Wenn wir einmal einen maßgeblichen CSU-Politiker
sondern als Integrationspolitiker. Mein Appell lautet:
zu Wort kommen lassen, dann zeigt sich, wozu eine sol-
Das Problem wird nicht allein von schulischer Seite, al-
che Schnellreaktion führen kann. Es gibt von Edmund
lein von der Schulverwaltung gelöst werden können. Es
Stoiber das Dreiphasenmodell. Auf einen kurzen Nenner
ist ein Problem der Bürgergesellschaft, wenn man so
gebracht lautet es – das ist ein Zitat –:
will. Das ist ein Appell an alle. Die Verantwortung darf
1. Wer nicht Deutsch kann, wird nicht eingeschult. nicht einem Schulsenator oder einer Regierung zuge-
2. Wer in der Schule randaliert, fliegt aus der Klas- schoben werden, sondern es geht um die Frage, was alle,
sengemeinschaft. 3. Wer sich dauerhaft nicht inte- die etwas zur Lösung des Problems beitragen können,
griert, muss Deutschland wieder verlassen. Herr Pflüger, zu tun bereit sind. Das richtet sich natür-
lich an die Erwachsenen, an die verantwortungsvollen
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Schülerinnen und Schüler, aber auch zum Beispiel an die
Und was ist, wenn er Deutscher ist?)
Migrantenvereine. Nazar Mahmood, der Vorsitzende des
So einfach ist das. Wenn das nicht Populismus ist, arabischen Kulturinstituts, sagt: Wir alle sind schuld:
dann möchte ich wissen, was das sonst sein soll. Das ist Behörden, Eltern, Migrantenvereine.
eine Irreführung des Publikums; denn so erweckt man
Alle können und müssen an der Stelle etwas tun, da-
den Eindruck, als ob damit irgendein Problem gelöst
mit die Probleme der Integration in der Schule besser ge-
würde.
löst werden können. Wir brauchen, womit schon begon-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen worden ist, Migrantenlehrer, Begleiter, die den
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der deutschen Lehrern erklären, wie jemand tickt, der aus
LINKEN) der Türkei oder einem arabischen Land kommt. Das
muss ein deutscher Lehrer nicht unbedingt wissen. Wir
Ich brauche dazu kein eigenes Urteil abzugeben. Das
brauchen – das ist auch heute Morgen im Innenaus-
„Handelsblatt“, das nicht im Verdacht steht, sozialdemo-
schuss gesagt worden – positive Anreize, nicht nur
kratisch oder träumerisch zu sein, schreibt heute im Leit-
(B) Sanktionen. Mit Repressionen werden Sie Menschen (D)
artikel – das sollte, meine ich, schon Anlass zum Nach-
nicht unbedingt verbessern. Sie müssen ihnen Anreize
denken geben –:
geben.
Die Deutschen bekommen zu wenige Kinder. Doch
Auch die Wirtschaft hat zum Beispiel eine Verantwor-
manche Kinder sind den Deutschen zu viel. Diese
tung. Ein schönes Beispiel ist gestern in der „Berliner
bittere Quintessenz lässt sich ziehen aus der aktuel-
Zeitung“ publiziert worden. Der Unternehmer Norbert
len Integrationsdebatte … Auf die Aggressionen
Geyer ist vor über 40 Jahren auf ebendiese Rütli-Schule
ausländischer Jugendlicher antworten Teile der
gegangen. Er nimmt – nicht nur weil er die Schule kennt,
CDU/CSU mit Gegenaggression. Ausweisen oder
sondern weil er der Gesellschaft gegenüber Verantwor-
einsperren, fordern Edmund Stoiber und Co. getreu
tung zeigt – die Probleme ernst, kümmert sich um die
dem biblischen Motto: Auge um Auge, Zahn um
Schule und gibt zum Beispiel den Schülern, die keinen
Zahn.
Abschluss haben, einen Praktikumsplatz oder einen Aus-
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Stellen Sie bildungsplatz.
sich mal vor, der wäre Wirtschaftsminister ge-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
worden!)
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-
Dieser Rückfall in obrigkeitsstaatliche Reflexe ver- SES 90/DIE GRÜNEN)
mischt mit Blut-und-Boden-Anachronismen
Das ist ein Beispiel dafür, wie man mit dem Thema
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) auch umgehen kann. Norbert Geyer sagt völlig zu Recht:
Das hat damit zu tun, dass wir den Menschen zeigen
– das ist die Sprache des „Handelsblattes“ –
müssen, dass wir sie anerkennen, dass wir sie wertschät-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zen, dass wir sie überhaupt wahrnehmen. Die Schüler
LINKEN) müssen merken, dass wir uns um sie kümmern.
wäre besser unterblieben. Wir können es uns Er sagt – was ich voll und ganz unterschreibe, denn
das ist in die Zukunft gerichtet und wirklich ernst zu
– das ist nun der Appell, den wir, meine ich, alle unter-
nehmen –:
schreiben können –
Was wir heute nicht in die Jungen investieren, müs-
am allerwenigsten leisten, eine Front zwischen
sen wir morgen für den Personenschutz ausgeben.
deutschen Erwachsenen und ausländischen Jugend-
lichen aufzubauen. Danke schön.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2569
Dr. Michael Bürsch
(A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ständen selber müssten Sie allerdings seit langem wis- (C)
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE sen; denn sie sind eben nicht neu.
GRÜNEN und der Abg. Sibylle Laurischk
[FDP]) (Iris Gleicke [SPD]: Das hat er doch gesagt!
Ein bisschen Zuhören würde die Debatte er-
leichtern!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat die Kollegin Monika Grütters, CDU/CSU- Für Ihre ignoranten Beamten – es tut mir Leid, dies sa-
Fraktion, das Wort. gen zu müssen – sind Sie als Chef verantwortlich. Die
Exponenten dieses Senats haben nicht nur in Neukölln,
(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Uwe sondern in den letzten Tagen leider auch in Hohenschön-
Benneter [SPD]: Denk dran: Wir haben hier hausen einmal mehr gezeigt, dass diese Hauptstadt unter
eine Koalition!)
Wert regiert wird.
Monika Grütters (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Knall- Jörg Tauss [SPD])
hart“, Herr Benneter, das ist nicht zufällig der Titel eines – Herr Tauss, schauen Sie sich den Film über die Vor-
Films über Neuköllner Jugendgangs, der zurzeit in den gänge in Hohenschönhausen an.
Kinos Furore macht.
Genau dieser rot-rote Senat maßt sich an der sensi-
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das ist aber kein
belsten Stelle in der Bildungspolitik an, Eltern und He-
Dokumentarfilm!)
ranwachsenden den Werteunterricht vorzuschreiben,
– Schlimm genug, dass solche Szenen ausgerechnet
Spielfilmregisseuren als Vorlage für einen Film dienen, (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
der im Kino im Moment Karriere macht, statt sie wählen zu lassen, ob sie sich nicht doch lieber
(Iris Gleicke [SPD]: Das macht aber deutlich, im Glauben unterweisen lassen wollen. Nachweislich
dass das Problem länger besteht, als wir es trägt der christliche Religionsunterricht in anderen Bun-
jetzt an dieser Schule sehen!) desländern dazu bei,
und zwar deshalb, weil die Realität in Neukölln knallhart (Widerspruch bei der SPD)
ist. Es ist auch kein Zufall, dass es die Rütli-Schule in
die Sozialkompetenz der Schüler zu stärken und zur ge-
Neukölln war, die uns jenseits des Spielfilmgenres jetzt
waltlosen Lösung von Konflikten unter Schülern beizu-
unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht hat.
(B) tragen. (D)
Machen wir uns nichts vor: Neukölln ist inzwischen
fast überall in der Bundesrepublik. Jugendgewalt, Bil- (Beifall bei der CDU/CSU)
dungsmiseren, mangelnde Integration von Migranten Immer wieder fordern wir gerade in dieser Debatte
und ein Leben in regelrechten Sozialhilfedynastien – so die Verantwortung der Eltern. An dieser zentralen Stelle
wird ein Stadtteil in der deutschen Hauptstadt, der im- im Bildungsbereich, also da, wo es um Nächstenliebe,
merhin einer mittleren deutschen Großstadt entspricht, Friedfertigkeit und Gewissensbildung geht, schreibt die-
zum Symbol. Das kann sich Berlin, das kann sich ser Senat den Eltern, die wollen, dass ihre Kinder ein
Deutschland nicht leisten. entsprechendes Unterrichtsangebot wahrnehmen, vor,
(Beifall bei der CDU/CSU) dass es das im Rahmen des normalen Unterrichts nicht
gibt.
Das entspricht im Übrigen auch nicht unserem Selbst-
verständnis. Denn gerade Berlin ist zu Recht, wie ich, (Beifall bei der CDU/CSU)
die ich seit 18 Jahren hier lebe, finde, immer stolz darauf
gewesen, dass es hier ein friedliches Miteinander Zuge- Schule muss angesichts der Zustände in den Eltern-
reister mit Einheimischen gibt. Solche Vorgänge wie in häusern Verantwortung tragen. Eine Lehrerin fragte, wie
Mölln oder in Hoyerswerda hat es in Berlin noch nicht sie ihren Schülern beibringen soll, dass sie morgens auf-
gegeben. stehen müssen, wenn sie die Einzigen in ihrer Familie
sind, die jeden Morgen aufstehen. Wir müssen uns natür-
(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Also auch kein lich darum kümmern. Aber die Verantwortung dafür,
Symbol!) was aus Kindern wird, liegt zuallererst nun einmal bei
Aber hier ist offensichtlich ein ganz normaler Wahnsinn den Eltern. Wenn sie diese nicht wahrnehmen können
zum Alltag geworden. oder wollen, muss man in die Sanktionsmaßnahmen ge-
gen auffällige Schüler eben auch die Eltern einbeziehen.
Herr Böger, Sie müssen sich schon die Frage gefallen
lassen, wie es so weit kommen konnte, dass alle Welt (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr
erst dann hinschaut, wenn verzweifelte Lehrer um Hilfe richtig!)
rufen. Das können beispielsweise spürbare finanzielle Sanktio-
(Beifall bei der CDU/CSU) nen oder gar die Gefährdung des Aufenthaltsstatus sein.
Sie sagen, Sie hätten vier Wochen lang von dem Brief (Iris Gleicke [SPD]: Wo waren Sie denn die
nichts gewusst. Das ist schlimm genug. Von den Miss- letzte Stunde?)
2570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Monika Grütters
(A) Das verstehen auch diejenigen, die der deutschen Spra- Das ist eine Aufgabe für alle – nicht nur in Neukölln (C)
che eher unkundig sind. und Zehlendorf, nicht nur in Berlin, sondern beispiels-
weise auch in Baden-Württemberg oder Sachsen. Das ist
(Beifall bei der CDU/CSU) eine Herausforderung für beide Seiten, damit Neukölln,
Unsere ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte, damit Berlin kein „knallhartes“ Symbol bleibt.
Barbara John, sagte es ganz deutlich und selbstkritisch: Ich danke Ihnen.
Wir haben zu lange Geld gegeben, wo eigentlich Leis-
tung hätte verlangt werden müssen. Heute würde sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
eher großzügig sein mit Arbeitserlaubnissen und geizig neten der FDP)
mit der Sozialhilfe.
Der Staat darf sich mit seiner Gebermentalität nicht Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
aus der Verantwortung stehlen, was die Perspektivlosig- Nun hat das Wort der Kollege Jürgen Kucharczyk,
keit dieser Jugendlichen angeht. Stattdessen müssen wir SPD-Fraktion.
sie beschäftigen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass
sie willkommen sind. (Beifall bei der SPD)

(Iris Gleicke [SPD]: Richtig!) Jürgen Kucharczyk (SPD):


Es sind schon Beispiele genannt worden. Die Werner- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Stephan-Oberschule in Berlin-Tempelhof – übrigens Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
eine Hauptschule – hat Theaterklubs und Fahrradwerk- aktuellen Geschehnisse in der Berliner Rütli-Haupt-
stätten eingerichtet und ließ in Teams Hausaufgaben ma- schule machen uns sehr betroffen. Wie wir wissen, sind
chen. Ich nenne ferner das spektakuläre Education-Pro- sie jedoch in der Bundesrepublik kein Einzelfall. Des-
gramm der Berliner Philharmoniker. Jugendliche, die es halb dürfen wir die Augen nicht davor verschließen. Wir
gewohnt waren, Aufmerksamkeit durch Gewalt, Klein- müssen schon genau hinsehen und schauen, wo die Ur-
kriminalität oder durch eine rabiate Strafe zu erpressen, sachen liegen. Dabei sage ich deutlich: Polizeischutz
bekommen diese Aufmerksamkeit auf einmal, weil sich und der Einsatz eines neuen Schulleiters sind keine Lö-
Tanzpädagogen genau diesen Brennpunktkindern in ih- sungen, die uns zufrieden stellen dürfen, ebenso wenig
ren monatelangen Proben zu dem Tanz- und Filmprojekt der Ruf nach Internaten und die entwürdigende Idee,
„Rhythm is it“ gewidmet haben. Es gibt diese Pro- Schnupperknäste einzurichten.
gramme also.
Wir alle haben die Hilferufe der Rütli-Schule gelesen;
(B) (Iris Gleicke [SPD]: Es geht nicht nur um die das ist schon heftig. Knapp 50 Kolleginnen und Kolle- (D)
Brennpunkte!) gen in unserem Hohen Hause sind ausgebildete Lehre-
rinnen und Lehrer. Sie wissen wohl am besten, dass eine
– Sie haben sich aber genau diesen Brennpunktkindern Lehrkraft die ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler
gewidmet. nicht einfach so aufgibt. Das heißt für alle politisch Ver-
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das ist doch gut antwortlichen und bedeutet für uns im Deutschen Bun-
so!) destag, dass wir gefordert sind und handeln müssen:
handeln im Sinne der Kinder und Jugendlichen, handeln
– Das sage ich ja. im Sinne der Lehrkräfte, handeln für eine Schule ohne
Gewalt.
Wir kennen diese Probleme seit Jahren. Roman
Herzog hat seine Ruck-Rede vor mehr als zehn Jahren Den Verzicht auf Gewalt verstehen meine Fraktion
gehalten. Was ist seitdem passiert? Die Initiativen, von und ich im doppelten Sinne: Einerseits muss die physi-
denen ich eben berichtet habe, sind private Initiativen. sche Gewalt aufhören. Wenn andererseits Schülerinnen
Staatliche Initiativen brauchen manchmal eine ganze und Schüler an Hauptschulen stigmatisiert und letzten
Schülergeneration, ehe sie verwirklicht werden. Endes für unsere Gesellschaft abgeschrieben werden,
dann ist auch das Gewalt. Hier sind wir gefordert.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Da waren Sie doch dran!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Was wir jetzt brauchen, Frau Künast, ist keine De- Wir dürfen nicht zulassen, dass Kinder und Jugendli-
batte über die Schulstruktur. Ich erinnere mich auch an che in unserem Land – egal ob deutscher oder ausländi-
grüne Sprüche von der Zwangsgermanisierung, als es scher Herkunft – ohne Perspektive und ohne reelle
um den Sprachunterricht ging. Chance auf einen Schulabschluss, ein Arbeitsverhältnis
und damit eine gesicherte Zukunft aufwachsen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wir fordern jetzt einen nationalen Aktionsplan Inte- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
gration, an dem nicht nur Bund, Länder und Kommunen, GRÜNEN)
sondern auch Tarifpartner, Kirchen und Wohlfahrtsver-
bände teilnehmen. Denn wir alle müssen dafür sorgen, Ein wenig mehr Aufrichtigkeit bei der Bewältigung die-
dass die Jugendlichen aus Neukölln und ihre Familien in ser Herausforderungen würde uns allen gut zu Gesicht
der Gesellschaft und nicht an deren Rand leben. stehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2571
Jürgen Kucharczyk
(A) Türkische und arabische Vereine in Berlin haben be- Der Einsatz von türkischen oder arabischen Pädago- (C)
reits Selbstkritik geübt und sind auf der Suche nach ei- gen, wie im Berliner Beusselkiez in Moabit, ist ein be-
nem verlässlichen Ansprechpartner in den Ministerien, herztes und Erfolg versprechendes Signal, ein Signal,
aber auch in unserem Hause. Wir müssen ihnen zur Ver- das neben einer nicht zu unterschätzenden Vorbildfunk-
fügung stehen. Im „Nationalen Aktionsplan für ein kin- tion vor allem eines transportiert: Wir interessieren uns
dergerechtes Deutschland“ der rot-grünen Bundesregie- für euch und eure Zukunft; wir nehmen euch ernst. Nur
rung haben wir uns dieser wichtigen Thematik bereits durch diesen Dialog kann es gelingen, Migrantenkinder
angenommen. Unsere damalige Erkenntnis gilt nach wie sozial und beruflich besser zu integrieren.
vor und lautet: Bildung ist wichtig von Anfang an.
Damit zusätzliche Lehrkräfte und Pädagogen finan-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ziert werden können, werden wir als Koalition weiterhin
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE alles daransetzen, die Finanzausstattung der Länder und
GRÜNEN) Kommunen zu verbessern.
Kinder können nur dann ihre vielfältigen Potenziale op- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
timal ausbauen, wenn sie früh und individuell gefördert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
werden. Die Grundsteinlegung, die in den ersten Lebens- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND-
jahren versäumt wird, ist später kaum mehr aufzuholen. NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frühkindliche Bildung kann nur gelingen, wenn sich die
Qualität des Kinderbetreuungssystems auf hohem Ni-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
veau befindet.
Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Aigner für die
Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz haben wir die CDU/CSU-Fraktion.
Plattform für eine gute und bedarfsgerechte Kinderbe- (Beifall bei der CDU/CSU)
treuung errichtet. Die Steigerung der Bildungs- und Er-
ziehungsqualität in den vorschulischen Einrichtungen ist
ein zukunftsweisender Ansatz. Wir sind damit auf dem Ilse Aigner (CDU/CSU):
richtigen Weg. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen!
Insbesondere im Fall der Kinder mit Migrationshin-
tergrund müssen verstärkt Anstrengungen unternommen (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nun zu Bayern!)
und neue Konzepte erarbeitet werden. Dabei gilt es ins- – Dann fange ich gleich bei Ihnen an, Herr Bürsch. Ich bin
besondere, die sprachliche Bildung und die kulturelle In- etwas verwirrt. Sie haben gerade darüber geschimpft, was
tegration der Jungen und Mädchen effektiv zu gestalten. jetzt in Bayern alles gemacht wird. Kurz davor hat Herr (D)
(B) Das Erlernen der deutschen Sprache muss schon vor der
Senator Böger gesagt, es werde schon alles gemacht, was
Grundschule abgeschlossen sein; denn Wissen und sozi- von Bayern gefordert wird. Irgendwie stimmt da etwas
ale Kontakte werden über unsere Sprache erworben. nicht. Habe ich vielleicht etwas missinterpretiert?
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael
Bürsch [SPD]: Dann haben Sie nicht richtig
Auch der Lehrer kann das Potenzial seines Schülers zugehört! – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die
dann besser einschätzen. Berliner sind den Bayern weit voraus!)
Mit dem Ausbau der Halbtagsschulen zu Ganztags- – Nein, so habe ich das verstanden. Senator Böger hat
einrichtungen hat die Bundesregierung Möglichkeiten sich gerühmt, dass das schon in Berlin gemacht wird.
geschaffen, alle Talente der einzelnen Kinder zu fördern Herr Bürsch sagt aber, es sei ganz falsch, was in Bayern
und die großen und kleinen Schwächen auszugleichen. gemacht wird. Irgendwas passt nicht zusammen.
Ich sage deutlich: Diesen Weg müssen wir konsequent
weitergehen. Damit bin ich bei Ihnen, Herr Senator Böger – damit
ist der Spaß auch schon zu Ende –: Wie viele Schreiben
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Lehrer muss es eigentlich gegeben haben, damit sie
der LINKEN) jetzt dieses Maß an Aufmerksamkeit erreicht haben? Die
Situation bedrückt mich nicht so sehr, weil es sich um ei-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal ob frühkindli-
nen offensichtlichen Missstand handelt, sondern eigent-
che oder schulische Bildung, die Eltern müssen in ihrer
lich eher wegen der Jugendlichen in dieser Schule. Sie
Verantwortung bleiben. Sie müssen aktiv in den Prozess
haben jetzt – das wird deutlich, wenn Sie sich einmal die
eingebunden werden und dürfen nicht außen vor bleiben.
Zeitungsartikel durchgelesen haben – nachvollziehbarer-
Wir müssen auch Antworten auf die Frage finden: Was
weise ein ernsthaftes Problem, wenn sie sich mit einem
machen wir mit den Eltern, die die Integration zulasten
Zeugnis von der Rütli-Schule bewerben sollen, weil sie
ihrer Kinder verweigern? Um die vorhandenen Miss-
dadurch schon in gewisser Weise benachteiligt sind.
stände zu beheben, sind wir auf die Hilfe und die Mitar-
Man hätte die Lösung dieses Problems vielleicht schon
beit öffentlicher und privater Träger angewiesen. Die
früher angehen können. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen
Vernetzung von Jugendhilfe und Schule in den Stadttei-
leider nicht ersparen.
len muss intensiviert werden. Stadtteilkonferenzen mit
allen beteiligten Vereinen, Verbänden und Schulen kön- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nen dabei genauso hilfreich sein wie so genannte Ord- NEN]: Was ist denn mit der großen Koalition
nungspartnerschaften. los? Das gibt es ja gar nicht!)
2572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Ilse Aigner
(A) – Wenn wir schon dabei sind, Frau Künast, kann ich Damit sind wir wieder bei dem grundsätzlichen Pro- (C)
auch Ihnen eines nicht ersparen. blem. Natürlich haben wir auch ein Problem bei Ausbil-
dungsplätzen. Wir müssen dieses Problem an der Wurzel
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: anpacken. Die wirtschaftliche Lage ist in den letzten
Ich habe mir noch nie etwas erspart!) Jahren schlechter geworden. Wir alle müssen gemein-
Ich habe jetzt kein Zitat von Ihnen präsent. Ich kann sam daran arbeiten, dass sich die wirtschaftliche Lage
mich aber noch sehr gut an die Kollegin Roth erinnern, wieder verbessert und damit auch die Situation im Hin-
die zu Ihrer Fraktion gehört und sogar Vorsitzende Ihrer blick auf die Ausbildungsplätze.
Partei ist. Sie hat Multikulti immer über alles gestellt.
Eine Anmerkung sei mir noch gestattet, die jetzt nicht
Wenn wir gesagt haben, dass die deutsche Sprache eine
so sehr darauf abstellt, ob jemand nun Migrant ist oder
Voraussetzung sein muss, ging es ihres Erachtens schon
nicht. Die Frage der Gewalt muss man, finde ich, immer
fast um eine Assimilierung. Ich bin froh, dass wir jetzt
wieder erörtern. Wie kommt es dazu, dass Jugendliche
eine gemeinsame Basis haben und der Meinung sind: Es
derart gewalttätig werden, gegenüber Lehrern, aber auch
ist nicht ganz unsinnig, wenn derjenige, der in die Schule
gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern? Sehr ge-
gehen will, die Sprache versteht, die in dieser Schule ge-
ehrter Herr Bürsch, Sie können sich vielleicht noch da-
sprochen wird.
ran erinnern, dass wir gemeinsam in einer Enquete-
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Kommission saßen und uns Projekte angeschaut haben.
GRÜNEN]: Es hat keiner etwas dagegen! – Jetzt nenne ich nicht Bayern, sondern Baden-Württem-
Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie haben auch berg; jetzt lobe ich einmal ausdrücklich die Baden-
Schwierigkeiten!) Württemberger. Wir haben uns damals ein Projekt in
Nürtingen angeschaut, in dessen Rahmen Streitschlichter
– Ich will jetzt nicht alle Landesteile daraufhin untersu- ausgebildet wurden und auch heute noch ausgebildet
chen, ob dort druckreif gesprochen wird. Ich verstehe werden, die hervorragende Arbeit leisten. Die Schüler
Sie aber ganz gut. Außerdem wurde auch in den PISA- werden also in die Mitverantwortung einbezogen.
Tests festgestellt, dass diejenigen, die zweisprachig auf-
gewachsen sind, besser sind. Vielleicht sollte man sich (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das gibt es in
das einmal überlegen. Berlin auch!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Ich sage ja nur, dass das wichtige Dinge sind. Es ist
neten der FDP) wichtig, dass letztendlich auch die Schüler mitarbeiten,
Ich sage ja nicht, dass die Migranten nicht ihre Spra- dass wir sie nicht sich allein überlassen, sondern dass
(B) che sprechen sollen; darum geht es gar nicht. Es geht wir sie begleiten. (D)
vielmehr um die Frage, ob sie der deutschen Sprache (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Richtig!)
mächtig sein müssen, um dem Unterricht folgen zu kön-
nen. Sie müssen ihr eigenes Leben gestalten können. Es gibt
eben Methoden, mit denen man es schaffen kann, dass
(Jörg Tauss [SPD]: Saarland!)
eine Schule gewaltfrei wird.
Darin sind wir uns Gott sei Dank einig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte noch auf andere Dinge eingehen, und
zwar zunächst auf das Thema Auflösung der Haupt- Zum Schluss möchte ich sagen – das kann ich Ihnen
schule. Das ist ja immer ein Allheilmittel. nicht ersparen –: Es gehören auch einige Tugenden dazu.
Herr Senator Böger, jetzt schaue ich eher in Richtung der
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das haben Linken. Ihr früherer Parteikollege Lafontaine hat einmal
übrigens die Lehrer gefordert!) von Sekundärtugenden gesprochen. Jetzt hat er ja bei der
– Das ist richtig, aber ich gebe ihnen nicht Recht. Das Linken Verantwortung.
sage ich auch im Hinblick auf die Schüler. Auf der Tri- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
büne sitzen übrigens Schüler; ich weiß nicht, in welcher NEN]: Das können Sie doch nicht ernst neh-
Schule sie sind. men! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/
Ich habe eine Nichte und einen Neffen, die gerade den DIE GRÜNEN]: Das hat er ja dem Schmidt
Abschluss in der Hauptschule machen: der Neffe die vorgehalten!)
Mittlere Reife und die Nichte den qualifizierten Haupt-
Ich glaube, über diese Sekundärtugenden sollten wir
schulabschluss. Ich weiß nicht, wie sie es empfinden,
trotzdem nachdenken. Denn es ist nicht falsch, wenn
wenn man ihnen sagt, ihre Schulart sei eigentlich nichts
man Respekt gegenüber anderen hat, wenn man Fleiß
mehr wert.
und Anstand mitbringt. Das ist nicht schlecht und es
(Zuruf von der SPD: Sagen Sie das Herrn schadet einem Jugendlichen auch nicht, wenn er diese
Stoiber!) Tugenden beim Eintritt ins Berufsleben mitbringt. Das
wird auch gefordert.
Ich hoffe, die beiden bekommen eine Lehrstelle. Das
hoffe ich auch für alle Schülerinnen und Schüler in Ber- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
lin. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2573

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Diese Konzentration von Problemen in der Haupt- (C)
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Uwe Benneter schule ist es, was sich in der Rütli-Schule gezeigt hat:
für die SPD-Fraktion. Misserfolge in der Schule, fehlende Perspektiven in der
Schule, fehlende Ausbildungsmöglichkeiten. Nicht ein
(Beifall bei der SPD) einziger Schüler aus der letzten Abschlussklasse der
Rütli-Schule hat einen Ausbildungsplatz bekommen.
Klaus Uwe Benneter (SPD): Das sind doch die Probleme in unserer Gesellschaft.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
ginnen und Kollegen! Um weiteren Irritationen nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus
Vorschub zu leisten, möchte ich aus unserer Koalitions- Löning [FDP]: Das ist rot-rote Wirtschaftspo-
vereinbarung zitieren: litik, Herr Benneter!)
(Sibylle Laurischk [FDP]: Jetzt wird es inte- – Ihre Wählerklientel sollten Sie einmal auffordern, ihrer
ressant!) Verpflichtung an dem Punkt endlich nachzukommen!
Schwerpunkt bleibt die Integration. Das bleibt Schwer- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
punkt für die Regierungsarbeit, so wie es auch schon bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus
Rot-Grün der Fall war. Löning [FDP]: Sie sollten eine andere Wirt-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaftspolitik machen, Herr Benneter!)
DIE GRÜNEN – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/ Wenn es Ausbildungsmöglichkeiten für die jungen Leute
CSU]: Es ist ja auch nicht Rot-Rot, Herr gäbe, dann wären sie auch motiviert, zu lernen.
Benneter!)
(Sibylle Laurischk [FDP]: Sie wollen die Kon-
Dass das Lernen von Deutsch wichtig ist, haben wir sequenzen Ihrer eigenen Politik nicht verste-
schon früher erkannt; das ist ja nun wirklich nichts hen!)
Neues. Deshalb hat ja auch schon die Vorgängerregie-
rung Integrationskurse und Sprachkurse auf den Weg ge- Dann könnten Sie, Herr Gerhardt – es ist ja richtig, was
bracht. Frau Böhmer, wir haben heute mehrere Stunden Sie dazu gesagt haben –, Leistung und Disziplin einfor-
im Innenausschuss darüber diskutiert und erste Evaluati- dern. Dann könnten Sie den jungen Leuten eine Perspek-
onen vorgenommen, damit wir sehen können, wo man tive aufzeigen und ihnen sagen,
etwas verbessern kann. Mit Sicherheit ist es nicht richtig,
in diesem Bereich 67 oder 68 Millionen Euro einzuspa- (Markus Löning [FDP]: Unter Ihrer Regierung
(B) steigt doch die Arbeitslosigkeit ständig, Herr (D)
ren, nur weil dieser Betrag im letzten Jahr nicht ausgege-
ben wurde. Benneter!)

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem warum es sich lohnt, in der Schule diszipliniert und eifrig
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. zu lernen.
Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU] – Josef Frau Kollegin Aigner hat auf die Verhältnisse in Bay-
Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ern hingewiesen. Die Stoiber-Pädagogik haben wir in
NEN]: Das ist unerhört! Das muss aufgestockt den letzten Tagen alle kennen gelernt: Raus und weg!
werden!) Damit ist das Problem erledigt. Die Koalition hat sich
Da werden wir nacharbeiten müssen. Herr Pflüger, ich vorgenommen, dieses Problem seriös aufzuarbeiten.
denke, dass wir uns darin einig sind, dass wir dies nicht (Beifall bei der SPD)
als das größte Problem bezeichnen können und dann,
wenn es um die finanzielle Unterstützung geht, die Mit- Herr Pflüger, ich trete Ihnen sicherlich nicht zu nahe,
tel streichen. wenn ich darauf hinweise, dass Sie sich im großen Kino
da und dort einen Ausrutscher geleistet haben. Sie sind
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE ja heute, das habe ich „Spiegel Online“ entnommen,
LINKE]) schon wieder zurückgerudert. Sie haben den „Spiegel“
In der Hauptschule sammeln sich eben alle Probleme. gebeten, das, was Sie gesagt haben, nicht als Zurückru-
Insofern ist die Schulform nicht das Entscheidende; viel- dern zu verstehen. Jetzt sind Sie nicht mehr für Auswei-
mehr ist entscheidend, dass in der Hauptschule alles kul- sung, jedenfalls nicht für die sofortige, und auch nicht
miniert. Wir lassen es ja zu, dass sich dort alles sammelt. für den Einsatz der Nationalgarde, wie Ihr Kollege
Schönbohm. Insofern sind Sie auf den Teppich der Koa-
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Was ist „al- litionsvereinbarung zurückgekehrt. Das finde ich gut
les“? – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Was und in Ordnung.
heißt „wir“?)
(Beifall bei der SPD – Dr. Friedbert Pflüger
Das sind die Früchte unser aller Versäumnisse, die sich [CDU/CSU]: Da bin ich immer gewesen, Herr
in der Hauptschule zeigen. Das bitte ich auch in dieser Kollege!)
Diskussion zu bedenken.
Auch wenn es jetzt auf Ostern zugeht, Herr Pflüger, ei-
(Zustimmung bei der SPD) ern Sie nicht länger herum!
2574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Klaus Uwe Benneter


(A) (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger Schulen als eine Auflehnung der Verlierer in der Gesell- (C)
[CDU/CSU]: Der Einzige, der eiert, steht am schaft, die vor allem deshalb zu Verlierern würden, weil
Pult!) wir sie strukturell diskriminieren bzw. nicht genug för-
dern.
Senator Böger hat die Zahl der Gewalttaten genannt.
Er hat darauf hingewiesen, welche Anstrengungen unter- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nommen werden, um gerade an der Hauptschule die Ge- NEN]: Das kann man ja so weit unterschrei-
walt zurückzudrängen. Herr Pflüger, niemand hat, wie ben! – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Auf
Sie fälschlicherweise behauptet haben, Gewalt geduldet. welchem Planeten lebt sie?)
Unser aller Anstrengung zielt darauf, diesen Schülerin-
nen und Schülern eine Chance zu bieten. Eine wirkliche Das greift zu kurz. Dürfen wir den jungen Migranten
Perspektive können wir ihnen aber nur dann bieten, wirklich derart die Verantwortung für ihr eigenes Leben
wenn wir das schaffen, was wir uns in der Koalitionsver- nehmen? Kann es genügen, sie nur als Opfer eines unfai-
einbarung vorgenommen haben. Schwerpunkt Integra- ren Systems zu betrachten? Müssen wir mit ihnen nicht
tion heißt, dass wir respektvoll miteinander umgehen. vielmehr auf Augenhöhe reden? Heißt das nicht auch,
Wir dürfen nicht nur von der anderen Seite Respekt ver- dass man auch klipp und klar sagt: „Freundchen, so geht
langen, sondern müssen ein wechselseitiges Respektver- das nicht!“?
hältnis herstellen. Wir müssen in diesem Land zu einer (Beifall bei der CDU/CSU)
Willkommenskultur kommen und nicht zu einer Ab-
schiebekultur, wie sie immer wieder aus Bayern gefor- Muss man nicht auch klipp und klar sagen: „Wenn du
dert wird. etwas aus deinem Leben machen willst, dann musst du
deinen eigenen Hintern hochbekommen“? Wenn ich
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sage, dass wir diese jungen Migranten ernst nehmen und
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
ihnen die eigene Verantwortung für ihr Leben zugeste-
LINKEN) hen müssen, dann heißt das aber auch, dass wir die – –
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Zuruf von der SPD: Das ist eine völlig falsche
Das Wort hat nun die Kollegin Kristina Köhler für die Sicht! Das ist ein soziales Problem!)
CDU/CSU-Fraktion. – Nein, es geht hier insbesondere um Migranten. Wir
(Beifall bei der CDU/CSU) dürfen doch jetzt nicht die Augen vor der Realität ver-
schließen. Wir dürfen sie auch nicht davor verschließen,
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): dass leider nachgewiesen ist, dass insbesondere bei tür-
(B)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kischen Jugendlichen eine besonders hohe Neigung zu (D)
Ein altes arabisches Sprichwort sagt: Immer nur Sonne Gewalt festzustellen ist.
macht eine Wüste. Ich möchte diesen kulturübergreifen- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das hat aber
den Sinnspruch gerne durch einen deutschen Sinnspruch doch Ursachen!)
ergänzen: Manchmal bedarf es eines ebenso fruchtbaren
wie reinigenden Gewitters. Dieses reinigende Gewitter – Ja, Herr Benneter, das hat Ursachen. Das ist richtig.
kann in der Integrationspolitik – ich spreche als Innen- (Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch zu platt!)
politikerin – nichts anderes sein als das Benennen von
Wahrheiten. Die übliche Erklärung ist, dass dies allein soziale Ursa-
chen hat. Das stimmt ja auch. Die jungen Migranten
Eine dieser Wahrheiten hat die Soziologin Necla
kommen in der Regel aus schwächeren sozialen Schich-
Kelek bezüglich vieler – ich betone: nicht aller – türki-
ten, sie haben niedrigere oder gar keine Bildungsab-
scher Migranten jüngst so formuliert: Mit ihren Füßen
schlüsse und keine Berufsabschlüsse. Natürlich spielt
sind sie hier, aber in ihrem Kopf und ihren Herzen haben
das alles bei der Gewalttätigkeit eine Rolle.
sie ihr Dorf nie verlassen. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, was wir sicherlich nicht verordnen können, ist, dass Aber zur Wahrheit gehört leider auch, dass der Anteil
diese Migranten ihr Herz allein Deutschland schenken; von Gewalttätern bei männlichen türkischen Jugendli-
was wir aber verlangen müssen, ist, dass sie mit dem chen verglichen mit deutschen Jugendlichen aus dersel-
Kopf voll und ganz in Deutschland sind. ben sozialen Gruppe immer noch doppelt so hoch ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ja, aber nennen
neten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Die zweite Sie die Ursachen! Das ist nicht so, weil sie
Wahrheit ist: Wir sind ein Einwanderungs- Ausländer sind!)
land!)
Deswegen müssen wir eben auch nach den kulturellen
Lassen Sie mich kurz erklären, was ich damit meine. Gründen fragen. Wenn wir dann in die kriminologische
Zwischen den Grünen und der Union gibt es in der Inte- Forschung schauen, stoßen wir immer wieder auf ein
grationspolitik einen zentralen Unterschied, der meines und denselben Punkt, nämlich dass es ein nicht nur so-
Erachtens auf unterschiedlichen Menschenbildern be- zial, sondern auch kulturell bedingtes massives Gewalt-
ruht. Ich möchte dies an einer Pressemitteilung der Grü- problem in vielen türkischen Familien gibt,
nen vom Montag dieser Woche festmachen. Dort erklärt
Ihre Parteivorsitzende Claudia Roth die Gewalt an den (Zuruf von der SPD: Was heißt denn das?)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2575
Kristina Köhler (Wiesbaden)
(A) dessen Opfer Ehefrauen und Kinder sind. Dieses Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
waltproblem geht einher mit einem patriarchalischen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Ehrbegriff. Da können wir doch nicht einfach weg- Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Wir woll-
schauen. Diese Frauen und Kinder sind Teil unserer Ge- ten keinen Wahlkampf machen!)
sellschaft. Deswegen müssen wir auf diese Familien
Einfluss nehmen, und zwar mit Aufklärung, aber eben Ich will hinsichtlich der Selbstgerechtigkeit nieman-
auch mit aller Härte des Gesetzes. den hier ausdrücklich ansprechen, vielmehr will ich et-
was aufnehmen, was uns Sozialdemokraten bei der CDU
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gefreut hat. Sie haben auf Ihrer Klausurtagung ein Posi-
der FDP – Zuruf von der SPD: Wissen Sie, wie tionspapier zum nationalen Aktionsplan erstellt. Wir fin-
viele Deutsche ihre Ehefrauen verprügeln?) den dort sehr Bemerkenswertes.
– Natürlich gibt es auch das. Aber nehmen Sie doch ein- (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Er will
fach einmal die statistischen Häufungen zur Kenntnis. doch keinen Wahlkampf machen!)
Viel zu lange haben wir aus einer falsch verstandenen
politischen Korrektheit heraus immer wieder darüber – Lassen Sie sich doch vielleicht einmal auf etwas ein.
hinweggeredet. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann sagen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sie es auch!)
Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
Sie sagen dort ausdrücklich, es gehe dabei nicht um
GRÜNEN]: Sie haben darüber hinweggere-
die kulturelle Differenz, sondern um die soziale Diffe-
det!)
renz. Es geht nicht darum, das Problem an der Zuschrei-
Diese Jungs und Mädels lernen leider schnell, wie die bung „Ausländerinnen und Ausländer hie, Deutsche da“
Machtverhältnisse funktionieren. Sie lernen, dass das festzumachen, sondern wir müssen zuerst die Hinter-
Recht des Mannes, das Recht des Stärkeren gilt. Wenn gründe beleuchten.
Sie einmal nach Neukölln oder Wedding gehen, dann hö-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
ren Sie das leider auch überall. Wer den anderen entwür-
digen will, der nennt ihn Opfer. Cool ist es, Täter zu Des Weiteren weisen Sie darauf hin, dass es unter die-
sein. sen sozialen Bedingungen auch unter den Deutschen zu
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE viele Delinquenten gibt. Das wollen wir ausdrücklich
GRÜNEN]: Ich finde es sinnlos, was Sie hier anerkennen. Aber fragen Sie sich doch auch einmal, ob
sagen!) der letzte Redebeitrag Ihrer Kollegin nicht zum Aus-
(B) druck gebracht hat, dass diese alte falsche Einstellung (D)
Täter sein, heißt stark zu sein, und stark zu sein, heißt, leider schon allzu sehr verinnerlicht wurde.
Respekt innerhalb des Kollektivs zu bekommen. Aber
das ist nicht die Art von Respekt, auf der unsere Gesell- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schaft basiert. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Es geht eben nicht um eine kulturelle bzw. eine Werte-
differenz. Es geht nicht darum, zu sagen, die deutschen
Werte seien besser. Vielmehr geht es um menschliche
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Werte.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun das Wort
der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Fraktion. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]:
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Das sagt auch keiner!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Sie sagen zwar „Das sagt auch keiner!“. Aber viel-
Zum Schluss könnte man jetzt über Berlin eine politi- leicht ist es gerade wichtig, dass das auch einmal gesagt
sche Wahlkampfrede halten. Ich will das nicht tun. wird.
Frau Böhmer, Sie haben ein wichtiges gemeinsames Im Hinblick auf den Weg zur Integration, den Frau
Anliegen der großen Koalition und der gesamten Gesell- Böhmer im Namen der gesamten Bundesregierung für
schaft angesprochen, das es verdient, in den Mittelpunkt unsere Gesellschaft und unseren Staat gehen will,
gestellt zu werden. möchte ich festhalten: Hierbei geht es auch um die
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Grundmelodie und die Art und Weise, wie wir unsere In-
tegrationsbereitschaft zeigen. Deshalb sage ich noch ein-
Ich möchte vorweg sagen – das sei mir mit der Anerken- mal: Es geht nicht um deutsche Werte, sondern um ge-
nung in Bezug auf Senator Böger gestattet –: Wer sich in sellschaftliche, humanistische Werte, die in einer
diese Diskussion selbstkritisch einbringt, der wird alle- türkischen Familie genauso vorhanden sein können wie
mal mehr Vertrauen bei der Suche nach richtigen Wegen in einer arabischen oder einer deutschen Familie. Wür-
bekommen, als derjenige, der meint, sich mit Selbstge- den wir so tun, als seien unsere Werte die besseren, und
rechtigkeit in diese Debatte einbringen zu müssen. würden wir den anderen ihre Werte absprechen, welche
2576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) Möglichkeit hätten sie dann noch, außer sich zurückzu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
ziehen der LINKEN)
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Wenn es um Integration geht, muss Schule auch an-
ders wahrgenommen werden: als Oase und als soziale
und nur in ihrer eigenen Gruppe nach Identifikation zu Heimat. Als Stichworte nenne ich die Jugendsozialar-
suchen? Nein, das dürfen wir nicht tun! beit, die Ganztagsschule, die Erweiterung personeller
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Kompetenzen und die Schaffung eines Netzes um die
GRÜNEN]: Ach! Die sind doch eh alle ge- Schüler herum. Frau Böhmer, wir wollen, dass der Bund
walttätig, wie Frau Köhler gesagt hat! Bei den in diesem Zusammenhang nicht nur redet. Dieses Anlie-
Türken ist doch angeblich Hopfen und Malz gen muss er aktiv unterstützen. Das hat auch viel mit
verloren!) Glaubwürdigkeit zu tun.

Zum Zweiten geht es darum, sich von der Spirale von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Gewalt und Gegengewalt zu befreien. Denn natürlich DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
wissen sie, dass es aus dieser Gewaltspirale keinen Aus- LINKEN und des Abg. Markus Löning [FDP])
weg gibt. Es wird immer zu Gewalt gegen den Aggres- Bereits die Vorgängerregierung musste zur Kenntnis
sor kommen, also zu Identifikation durch Gewalt. Das nehmen, dass es nicht nur in den Familien viele Jugend-
kann man zum Beispiel daran erkennen, dass die Schüler liche ohne Ausbildung gibt. Es gibt auch viele ausländi-
den Eindruck haben, sie würden nur wahrgenommen, sche Firmen, die nicht ausbilden. Diese Probleme müs-
wenn sie gewalttätig sind. Daher verhalten sie sich auch sen wir im Zusammenhang betrachten. Auch dafür
gewalttätig. Auf diesem Weg kann keine Integration ge- haben Sie unsere ausdrückliche Unterstützung.
lingen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN) Angesichts der zwölf Forderungen, die die CDU/CSU
erhoben hat, bitten wir allerdings um eines: Der Integra-
Zum Dritten geht es darum, ein Selbstwertgefühl zu tionsgipfel wird nur dann gelingen, wenn er als Prozess
schaffen. An dieser Stelle besteht zwischen uns Überein- angelegt ist. Er sollte durch nichts belastet werden, was
stimmung. Als Stichworte nenne ich die Sprachförde- nicht auf eine gemeinschaftliche Lösung ausgerichtet ist.
rung, den schulischen Lebensweg, die Ausbildung, die Im parteipolitischen Bereich mag das noch zu ertragen
beruflichen Chancen, den Weg in ein soziales Leben und sein, im gesellschaftlichen Bereich wird es allerdings
die soziale Integration. Wir bitten Sie ausdrücklich, schwierig. Deshalb sollten wir uns nicht auf die Verän- (D)
(B) diese Aspekte gemeinschaftlich mit uns in Angriff zu
derungen im Jugendstrafrecht konzentrieren, die Sie vor-
nehmen. Denn hier geht es nicht allein um Berlin. Das nehmen wollen – ich nenne als Beispiel Ihre Forderung
betrifft genauso München-Hasenbergl, Hamburg- nach Einführung eines Warnarrests –, sondern wir soll-
Wilhelmsburg oder Kiel-Garden. ten auch den Hinweis des Kollegen Böger berücksichti-
gen, dass es noch einen anderen Weg geben muss. Wir
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) dürfen die Menschen nicht abschieben, sondern wir
Wenn wir uns darauf verständigen können, haben wir müssen sie stützen, fordern, ihnen ihre Grenzen aufzei-
eine andere Basis dafür gefunden, welchen Weg wir ge- gen und ihnen positive Erfahrungen vermitteln.
hen müssen, um die Integration zu verbessern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall der Abg. Iris Gleicke (SPD) der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Wir fanden und finden es sehr gut, dass es hier eine ge-
meinsame Linie gibt. Durch einen Arrest kann das genauso wenig geleistet
werden wie durch Abschiebeinternate.
Die FDP hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um ein-
zufordern, dass der Bund seine Kompetenzen erfüllt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)
Wir könnten bei der Sprachförderung ansetzen. Hierzu
will ich ein Beispiel ansprechen: Wie konnte es eigent- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
lich so weit kommen, dass Sprachkurse für Mütter bzw. Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Frauen, die schon länger in Deutschland leben, heute
nicht mehr im selben Umfang wie früher angeboten wer-
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
den?
Ich komme zum Schluss und werde sehr konstruktiv:
(Iris Gleicke [SPD]: Und wozu führt das? Ihre Es geht nicht, dass all das, was im Ausländerrecht bisher
Kinder können dann nicht richtig deutsch spre- nicht konsensfähig war, wieder in die Debatte einge-
chen! So einfach ist das!) bracht wird; dann kann der Gipfel nicht gelingen. Er
kann nur gelingen, wenn er ein gemeinschaftliches Ziel
Jetzt stellen wir plötzlich erschreckt fest, wie groß die hat, wenn er gut vorbereitet wird.
Bedeutung der Frauen unter den Gesichtspunkten der
Stabilisierung und der Integration ist. Hier könnten wir (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die Mühen der
gemeinsam etwas unternehmen. Ebenen im Auge behalten!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2577
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(A) Eine ganze persönliche Bitte auch an Sie, Frau Danke schön. (C)
Böhmer: Ich habe in der Zeitung gelesen, dass der Türki-
sche Elternbund einen großen Bildungskongress veran- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
stalten wird und sich um Frau Schavan und Sie bemüht der CDU/CSU und der FDP)
hat. Ich will akzeptieren, dass Sie an dem Termin viel-
leicht verhindert sind – dann kann man auch nicht sprin- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gen –, aber genau solche Gesten braucht es. Es braucht Die Aktuelle Stunde ist beendet.
unsere Gesten, es ist wichtig, dass jemand von uns dort-
hin geht. Man muss auch in die guten Schulen gehen, Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ohne dass das Fernsehen dabei ist. Denn das gute Bei- ordnung.
spiel wirkt und stärkt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten destages für morgen, Donnerstag, 6. April, um 9 Uhr,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein.
In diesem Sinne sind wir auf einem guten Weg. Am Die Sitzung ist geschlossen.
Ende ist nicht der Gipfel, sondern der Weg das Ziel. An
dieser Stelle müssen wir zusammenarbeiten. (Schluss: 17.16 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2579

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Arnold, Rainer SPD 05.04.2006 Schummer, Uwe CDU/CSU 05.04.2006

Dr. Berg, Axel SPD 05.04.2006 Wieczorek-Zeul, SPD 05.04.2006*


Heidemarie
Bülow, Marco SPD 05.04.2006
Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 05.04.2006
Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/ 05.04.2006
DIE GRÜNEN * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE
Glos, Michael CDU/CSU 05.04.2006

Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 05.04.2006

Griese, Kerstin SPD 05.04.2006 Anlage 2


Erklärung
Haustein, Heinz-Peter FDP 05.04.2006
des Abgeordneten Dr. Hermann Scheer (SPD)
Heinen, Ursula CDU/CSU 05.04.2006 zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Förderung ganzjähri-
(B) Heller, Uda Carmen ger Beschäftigung (25. Sitzung, Tagesordnungs- (D)
CDU/CSU 05.04.2006
punkt 3)
Freia
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
Hilsberg, Stephan SPD 05.04.2006 Mein Votum lautet „Ja“.

Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 05.04.2006


DIE GRÜNEN
Anlage 3
Homburger, Birgit FDP 05.04.2006
Antwort
Kauch, Michael FDP 05.04.2006
des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage des
Abgeordneten Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE
Kortmann, Karin SPD 05.04.2006 GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 1):
Trifft der Bericht im „Der Spiegel“ Ausgabe 13/2006 zu,
Leutert, Michael DIE LINKE 05.04.2006 dass die US-Behörden im November 2002 gegenüber dem
Bundesnachrichtendienst (BND) die Rückführung von Murat
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 05.04.2006 Kurnaz in Aussicht gestellt haben, nachdem CIA und BND zu
DIE GRÜNEN der Erkenntnis gekommen seien, Kurnaz sei lediglich „zur
falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen, er habe „jedoch
nichts mit Terrorismus, geschweige denn mit al-Qaida“ zu tun
Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 05.04.2006 gehabt, und wenn ja, aus welchen Gründen hat der damalige
Chef des BND, Dr. August Hanning, gegen diese Rückfüh-
rung massiv interveniert?
Otto (Frankfurt), Hans- FDP 05.04.2006
Joachim Die Bundesregierung hat mit ihrern Bericht zu Vor-
gängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der
Parr, Detlef FDP 05.04.2006 Bekämpfung des Internationalen Terrorismus vom
23. Februar 2006 die Mitglieder des Deutschen Bundes-
Schäffler, Frank FDP 05.04.2006 tages unter anderem über den Fall Kurnaz ausführlich
unterrichtet. Zuvor hatte die Bundesregierung am 20. Fe-
Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 05.04.2006 bruar 2006 bereits mit einer erweiterten und geheim ein-
gestuften Version dieses Berichts das Parlamentarische
2580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) Kontrollgremium sowie die Vorsitzenden der im Deut- Anlage 5 (C)


schen Bundestag vertretenen Fraktionen umfassend über
Antwort
diesen Fall unterrichtet. Die Frage berührt im Übrigen
auch die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes. Über des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die
derartige Sachverhalte unterrichtet die Bundesregierung Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
ausschließlich das dafür zuständige Parlamentarische (Drucksache 16/1098, Frage 6):
Kontrollgremium. Ich bitte um Verständnis, dass ich da- Wie hat die Bundesregierung gesichert, dass alle im Rah-
rüber hinaus öffentlich keine weiteren Aussagen treffen men des vom Bund mit 88 Millionen Euro unterstützten
Modellprogramms „Mehrgenerationenhäuser“ durchgängig
kann. Damit ist keine Aussage darüber getroffen, ob die
barrierefrei errichtet werden?
der Frage zugrunde liegenden Annahmen oder Vermu-
tungen zutreffen oder nicht. Die Frage danach, wie die Bundesregierung sicher-
stellt, dass alle im Rahmen des Aktionsprogramms er-
richteten Mehrgenerationenhäuser durchgängig barriere-
frei errichtet werden, deutet auf ein Missverständnis hin.
Im Rahmen des Aktionsprogramms Mehrgenerationen-
Anlage 4 häuser werden keine Baumaßnahmen gefördert. Es geht
vielmehr darum, die Entwicklung der sozialen Infra-
Antwort struktur zu unterstützen.
des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage der Der demografische Wandel und sich verändernde
Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) (Druck- Lebens- und Arbeitsbedingungen bringen gesellschaftli-
sache 16/1098, Frage 2): che Herausforderungen mit sich. Die Großfamilie löst
sich zunehmend auf, gegenseitige Unterstützungs- und
Ist der Bundesregierung bekannt, dass in der Präsenzbiblio-
thek des Bundesarchivs Berlin, Finckensteinallee, neben einer
Hilfeleistungen, die notwendig sind, um die Arbeitsfä-
regionalen und einer überregionalen Tageszeitung ausschließ- higkeit zu erhalten, können nicht mehr innerhalb der
lich die links ausgerichteten Zeitungen „Neues Deutschland“, Familie erbracht werden. Dieser Wegfall wird durch be-
„Junge Welt“ und „Antifa“ und weitere marxistische Blätter stehende professionelle Dienstleistungen nicht kompen-
ausliegen, und gedenkt die Bundesregierung, etwas dafür zu siert. Hier brauchen wir neue Formen, um die gesell-
tun, dass ideologisch einseitig links oder rechts ausgerichtete schaftliche Kompetenz zu stärken und die wirtschaftliche
Printmedien im Präsenzbestand der Bibliothek einer Bundes-
behörde in Zukunft nicht mehr ausliegen werden? Leistungsfähigkeit der Familien und der beteiligten Mit-
glieder aufrecht zu erhalten. Eine aktuelle politische
Die in der Anfrage genannte Präsenzbibliothek (Lese- Antwort wird mit dem Aktionsprogramm Mehrgenera-
(B) saal) gehört zur Bibliothek der „Stiftung Archiv der Par- tionenhäuser gegeben. Das Gesamtprogramm zielt auf (D)
teien und Massenorganisationen der DDR“, die im Er- eine Stärkung der gesellschaftlichen und wirtschaftli-
gebnis des Einigungsvertrages im Bundesarchiv errichtet chen Kompetenz der Generationen. Mehrgenerationen-
wurde. Der Errichtungserlass vom 6. April 1992 (GMBl. häuser sollen aktive und aktivierende Zentren für Jung
Seite 310) regelt in § 2 die Aufgaben der Stiftung, „Un- und Alt sein. Sie sollen zu einer Balance von Arbeit und
terlagen, Materialien und Bibliotheksbestände zur deut- Leben beitragen. Sie sollen auch zu einer Dienstleis-
schen Geschichte, insbesondere zur Geschichte der deut- tungsdrehscheibe für bezahlbare familiennahe Dienst-
schen und internationalen Arbeiterbewegung … zu leistungen in der Region werden. Mehrgenerationenhäu-
übernehmen, auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen ser können aktiv an der Etablierung eines lokalen
und zu ergänzen“. Die Bibliothek der Stiftung ist also Marktes für familienunterstützende Dienstleistungen
eine wissenschaftliche Spezialbibliothek mit Orts- und mitwirken. Sie bieten praktische Hilfe bei der Kinderbe-
Fernleihe und gleichzeitig die Dienstbibliothek des Bun- treuung, unterstützen Eltern in der Erziehungskompe-
tenz, machen Angebote für Risikofamilien und erleich-
desarchivs für seine Abteilungen in Berlin-Lichterfelde
tern dadurch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
(Deutsches Reich, DDR, Verwaltung, Stiftung) mit ei-
Gleichzeitig schaffen sie durch Sprachförderung und
nem auf die DDR-Forschung ausgerichteten Samm-
Bildungsberatung positive Voraussetzungen für eine ge-
lungsprofil. Die Bibliothek hält rund 240 Periodika vor. lingende berufliche Entwicklung von benachteiligten
Von diesen Periodika werden 64 deutschsprachige und Kindern und Jugendlichen (soziale Brennpunkte, Migra-
75 ausländische Zeitungen und Zeitschriften im Lesesaal tion). Sie schaffen durch Qualifizierungsmaßnahmen
ausgelegt sowie verschiedene deutschsprachige Tages- – für Personen nach Familienphasen, für Migrantinnen
und Wochenzeitungen, darunter unter anderem die „Ber- und Migranten, für benachteiligte Jugendliche, für ältere
liner Zeitung“, „Der Tagesspiegel“, „Die Zeit“, „ex- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – einen verbes-
press“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Gleichwohl serten (Wieder)Einstieg in den Arbeitsmarkt. Mehrgene-
werden wir prüfen, welche Zeitungen und Zeitschriften rationenhäuser kooperieren mit der Wirtschaft in der Re-
im Hinblick auf die Aufgabe der Stiftung sinnvoller- gion und binden Unternehmen in ihre Arbeit ein mit dem
weise im Lesesaal ausliegen. Daher trifft es nicht zu, Ziel, die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie zu
dass in der Präsenzbibliothek des Bundesarchivs Berlin, fördern und die Beschäftigungsfähigkeit insbesondere
Finckensteinallee, neben einer regionalen und einer von Frauen zu erhöhen. Investitionsmittel in Bauvorha-
überregionalen Tageszeitung ausschließlich die Zeitun- ben sind zwar nicht vorgesehen, dennoch wird im Rah-
gen „Neues Deutschland“, „Junge Welt“ und „Antifa“ men des Auswahlverfahrens zur Förderung der einzel-
und weitere marxistische Blätter ausliegen. nen Mehrgenerationenhäuser darauf geachtet werden,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2581

(A) dass die Herstellung von Barrierefreiheit für behinderte zial benachteiligten Familien und mit Migrationshinter- (C)
Menschen gewährleistet werden kann. Länder und Kom- grund obliegt. In den letzten Jahren sind von Bund, Län-
munen, Wirtschaft, Verbände, Kirchen und gesellschaft- dern und Kommunen durch vielfältige Maßnahmen
liche Gruppen werden in die Planung und Realisierung verstärkte Anstrengungen unternommen worden, um die
des Programms eingebunden. Bildungsqualität insgesamt zu verbessern und den Zu-
sammenhang von Bildungserfolg und sozioökonomi-
schen und soziokulturellem Hintergrund abzubauen.
Anlage 6 Hinzuweisen ist im Bereich der schulischen Bildung un-
ter anderem auf das mit vier Milliarden Euro ausgestat-
Antwort tete Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Be-
der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage des treuung“ (IZBB) für den bedarfsgerechten Ausbau von
Abgeordneten Hans Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE Ganztagsschulen, das im Kern durch die Verbesserung
GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 7): der individuellen Förderung dazu beiträgt, die Stärken
Rechnet die Bundesregierung mit einem Anstieg der Kos- aller Kinder zu entwickeln und Benachteiligungen früh
ten für die Beseitigung der Altlasten aus britischen Atom- zu vermeiden, das BLK-Progranun „Förderung von
kraftwerken analog den 14 Milliarden Pfund, die in Groß- Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“
britannien mehr an Kosten anfallen als ursprünglich (FörMig), das auf Basis individueller Sprachstandsfest-
vorgesehen (vergleiche „dpa“ vom 30. März 2006)?
stellungen auf eine durchgängige Sprachförderung vom
Der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkennt- Kindergarten bis zum Übergang in die Berufsausbildung
nisse über die Entsorgungskosten von britischen Nuklear- zielt und auf das BLK-Verbundprojekt „Stärkung der
abfällen vor. Ein Vergleich mit der deutschen Situation Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrich-
ist nicht möglich. tungen und Grundschule – Gestaltung des Übergangs“
(Trans-KIGS), das die Einführung der neuen Bildungs-
pläne in den Ländern begleitet und zur Verbesserung der
Anlage 7 Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Erziehern, Leh-
rerinnen und Lehrern und Eltern beiträgt. Im Rahmen ih-
Antwort rer Zuständigkeit wird die Bundesregierung zur Verbes-
der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage des serung der Bildungschancen von Kindern aus sozial
Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund
GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 8): auch weiterhin ihren Beitrag leisten, indem sie insbeson-
dere zur Stärkung der Bildungsforschung in diesem Be-
Welche Schlussfolgerungen für das Atomrecht zieht die
Bundesregierung aus dem Verschwinden von sicherheitsrele- reich beiträgt und Vorhaben zur Verbreitung und zum
(B) Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse unterstützt. (D)
vanten Schlüsseln in dem Atomkraftwerk Philippsburg (ver-
gleiche „Stuttgarter Zeitung“ vom 30. März 2006)?

Der Verlust von sicher aufbewahrten Schlüsseln im


inneren Bereich eines Kernkraftwerkes bedarf der um- Anlage 9
fassenden Aufklärung. Nach hiesiger Kenntnis wurden Antwort
unmittelbar nach Feststellung des Verlustes die notwen-
digen Ersatzmaßnahmen zum Erhalt des Sicherungs- des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage
niveaus getroffen. Das Vorkommnis im Kernkraftwerk der Abgeordneten Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE
Philippsburg wird derzeit aufsichtlich bewertet. Erst GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 12):
nach der Auswertung des Berichtes der zuständigen Auf- Wie bewertet die Bundesministerin für Bildung und For-
sichtsbehörde kann geprüft werden, in welchem Umfang schung, Dr. Annette Schavan, die Möglichkeit der Nutzung
das Regelwerk zur Sicherung kerntechnischer Anlagen digitaler Medien und Inhalte im Unterricht an öffentlichen
Bildungseinrichtungen angesichts absehbar hoher Kosten
einer Anpassung bedarf. durch die Urheberrechtsnovelle, und warum hat sie sich nicht
für eine wissenschafts- und unterrichtsfreundlichere Umset-
zung der EU-Richtlinie stark gemacht, wie in anderen Län-
Anlage 8 dern geschehen?

Antwort Das Bundesministerium für Bildung und Forschung


(BMBF) hat die Integration der digitalen Medien in alle
des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage Bildungsbereiche in den vergangenen Jahren stark gefor-
des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) dert, so zum Beispiel mit dem Förderprogramm „Neue
(Drucksache 16/1098, Frage 9): Medien in der Bildung“, der Maßnahme „Notebook-
Mit welchen konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bun- Universität“ oder der Initiative „Schulen ans Netz“, Mit
desregierung, die Bildungschancen von Kindern aus sozial dem zunehmenden Gebrauch der digitalen Medien im
benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund zu Bildungsbereich sind aus Sicht der Bildungs- und For-
verbessern?
schungsorganisationen vielfältige Probleme mit den Re-
Nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzvertei- gelungen des geltenden Urheberrechtsgesetzes deutlich
lung sind für das Schulwesen ausschließlich die Länder geworden, die sich nachteilig auf die Nutzung der neuen
zuständig, denen insofern auch die Verantwortung für Medien auswirken. Die Bildungs- und Forschungs-
die Ausgestaltung der Schulsysteme mit dem Ziel der organisationen haben deshalb eine Reihe von Vorschlä-
Verbesserung der Bildungschancen von Kindern aus so- gen für die Novellierung des Urheberrechtsgesetzes
2582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) vorgelegt, die zum Teil in den Gesetzentwurf der Bun- ARGEn verauslagt die Bundesagentur für Arbeit für die (C)
desregierung aufgenommen worden sind. Der Entwurf mit ihr kooperierenden Kommunen aufgrund der ARGE-
eröffnet zum Beispiel die Möglichkeit für öffentliche Bi- Verträge kommunale Leistungen, insbesondere die Leis-
bliotheken, elektronische Leseterminals einzurichten, tungen für Unterkunft und Heizung. Ziel dieses meines
von der auch Museen und nichtkommerzielle Archive Erachtens grundsätzlich zu begrüßenden Verfahrens ist,
Gebrauch machen können. Die Regelungen über Ver- dass die Leistungsbezieher Zahlungen aus einer Hand er-
vielfältigungen zum Gebrauch im Unterricht (§53 Abs. 3 halten. Diese Kosten der kommunalen Leistungen sind
Nr. l UrhG) sollen auf Unterrichtsvor- und -nachberei- von den Kommunen zu erstatten. Dies ist aber teilweise
tung, sowie auf variierende Lerngruppen ausgedehnt leider nicht geschehen, sodass Herr Staatssekretär An-
werden. Ferner wird die bisherige Rechtsprechung zum zinger mit dem von Ihnen angesprochenen Schreiben die
Kopienversand auf Bestellung wie vom Bundesgerichts- betroffenen Länder gebeten hat, ihrerseits tätig zu wer-
hof gefordert auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. den, um die maßgeblichen Kommunen zu einer Beglei-
Von der Wissenschaft sind darüber hinaus weitere Ände- chung ihrer Schulden bei der Bundesagentur zu be-
rungen gefordert worden, zum Beispiel hinsichtlich wegen. Die genannten Außenstände von rund
eines uneingeschränkten Kopienversands per Mail oder 226 Millionen Euro im Jahresdurchschnitt 2005 ent-
der Einbeziehung der Bildungseinrichtungen in die Re- stammen den Finanzdaten der Bundesagentur für Arbeit.
gelung zu Leseterminals. Das BMBF teilt das damit ver-
folgte Ziel, einen möglichst ungehinderten, schnellen
Zugang zu wissenschaftlicher Information sicherzustel- Anlage 11
len. Die Vorschläge der Wissenschaft sind bei der Erar-
beitung des Gesetzentwurfs eingehend mit allen Betei- Antwort
ligten erörtert worden. Sie waren jedoch bis zuletzt des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage der
zwischen der Wissenschafts- und der Verlagsseite kon- Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)
trovers, wobei insbesondere auch die Frage der verfas- (Drucksache 16/1098, Frage 15):
sungs- und europarechtlichen Spielräume unterschied- Wie begründet die Bundesregierung ihr Festhalten am Ge-
lich beurteilt wunde. Die Bundesregierung ist im setzentwurf über die Weitergeltung der aktuellen Renten-
Ergebnis zu der Auffassung gelangt, dass weitergehende werte, mit dem Rentenkürzungen verhindert werden sollen,
Regelungen in dem von den Wissenschaftsorganisatio- wenn sich aus aktuellen Zahlen des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales („Handelsblatt“ vom 31. März 2006)
nen geforderten Sinn wegen der damit einhergehenden selbst ergibt, dass es nach der geltenden Rentenformel im Jahr
Beeinträchtigung rechtlich geschützter Literessen der 2006 zu gar keiner Kürzung der Rentenzahlungen kommt?
Verlage als Teil des Wissenschaftssystems auf Bedenken
stoßen würden. Die Nutzungsmöglichkeiten bei digita- Anfang Februar 2006 stand zwar fest, dass die Lohn-
(B) len Medien und Inhalten und die damit verbundenen entwicklung nicht ausreichen wird, um nach der Ren- (D)
Kosten der öffentlichen Bildungseinrichtungen sind im tenanpassungsformel eine Erhöhung der aktuellen Ren-
Übrigen letztlich abhängig von den mit den Einrichtun- tenwerte zu bewirken. Es konnte hingegen nicht
gen abgeschlossenen Lizenzverträgen. Dies folgt aus der ausgeschlossen werden, dass es zu einer Verringerung
Grundentscheidung der EU-Richtlinie und der darauf ba- der Werte kommt. Mit dem Gesetz über die Weitergel-
sierenden Konzeption des Gesetzentwurfs, wonach die tung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006 sollte
individuelle Nutzungsabrechnung (in Verbindung mit deshalb jedes Risiko einer Rentenkürzung ausgeschlos-
Digital Rights Managementsystemen [DKM]) Vorrang sen werden. Die jetzt bekannten Zahlen bestätigen, dass
vor einer pauschalen Vergütung hat. Die finanziellen diese Einschätzung richtig war: Die rentenanpassungsre-
Auswirkungen und die Praktikabilität der Regelungen levante Lohnentwicklung für die alten Bundesländer ist
für den Büdungs- und Wissenschaftsbereich, insbeson- nicht weit von der kritischen Nulllinie entfernt und in
dere der individuellen Abrechnung mit DRM-Systemen, den neuen Ländern lag sie sogar darunter. Mit dem Ge-
müssen weiter beobachtet werden. setz sollte Rentnerinnen und Rentnern, aber auch den
Rentenversicherungsträgern frühzeitig das verbindliche
Signal gegeben werden, dass es auch über den 30. Juni
Anlage 10 2006 hinaus in jedem Fall bei den bisherigen aktuellen
Rentenwerten bleibt. Das Gesetzgebungsverfahren stand
Antwort nicht unter dem Vorbehalt, dass sich das Risiko einer
Rentenkürzung mit Vorlage der endgültigen Daten zur
des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage der
Lohnentwicklung auch tatsächlich verwirklicht. Wenn
Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)
das Gesetzgebungsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt
(Drucksache 16/1098, Frage 14):
aufgegeben würde, müssten auf der Grundlage der ge-
Auf welcher Datenbasis begründet die Bundesregierung setzlichen Anpassungsformel durch Rechtsverordnung
die – in einem Schreiben des Staatssekretärs im Bundesminis-
terium für Arbeit und Soziales, Rudolf Anzinger, kürzlich
der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates
übermittelte – Aufforderung an die Bundesländer, dafür zu zum 1. Juli 2006 neue – in der Höhe aber mit den bishe-
sorgen, dass die Kommunen außenstehende Rückzahlungen rigen identische – aktuelle Rentenwerte bestimmt
an den Bund von bundesweit insgesamt 226 Millionen Euro werden. Anstatt ein weit vorangeschrittenes Gesetzge-
im Zusammenhang mit dem Vollzug des Zweiten Buchs So- bungsverfahren abzuschließen würde ein neues Verord-
zialgesetzbuch (SGB II) leisten?
nungsverfahren in Gang gesetzt, das letztlich für Rentne-
Im Rahmen der Zahlung von Leistungen der Grundsi- rinnen und Rentner keine Vorteile bietet, sondern bei
cherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II in den ihnen allenfalls für Verunsicherung sorgt. Zudem müss-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2583

(A) ten die Rentenversicherungsträger unter hohem Zeit- Anlage 13 (C)


druck die programmtechnischen Vorbereitungen zur
Erstellung von 20 Millionen individuellen Rentenanpas- Antwort
sungsmitteilungen treffen. Bei einer Festsetzung der des Staatsministers Günter Gloser auf die Frage der Ab-
Rentenwerte per Verordnung beginnen die Vorarbeiten geordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)
üblicherweise bereits im Februar, so dass die rechtzeitige (Drucksache 16/1098, Frage 23):
Umsetzung bei einem Beginn im April fraglich wäre. Wie viele Praktikanten sind im Jahr 2005 in deutschen
Bleibt es dagegen bei der vorgesehenen Aussetzung der Auslandsvertretungen beschäftigt gewesen, und teilt die Bun-
Anpassung durch das Gesetz über die Weitergeltung der desregierung meine Auffassung, dass aufgrund der nur unent-
aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006, bedarf es einer in- geltlich angebotenen Praktika, zum Beispiel in deutschen Ver-
tretungen im Ausland, überwiegend angehende Akademiker
dividuellen Mitteilung nur in den Fällen, in denen sich mit finanziell gut ausgestattetem Elternhaus, denen gegenüber
der Rentenzahlbetrag zum Beispiel aufgrund eines neuen bevorteilt sind, die einen sozial schwachen Familienhinter-
Krankenversicherungsbeitrags ändert. grund haben, da keinerlei Aufwandsentschädigung wie etwa
Flug-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten erstattet werden?

Im Jahre 2005 haben rund 400 Studierende ein stu-


Anlage 12 dienbegleitendes Praktikum an einer deutschen Aus-
landsvertretung absolviert. Das Praktikantenprogramm
Antwort ist zurzeit an über 100 deutschen Botschaften und Gene-
ralkonsulaten möglich. Es bietet den Studierenden die
des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage der
Möglichkeit, einen Einblick in das Berufsbild des aus-
Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)
wärtigen Dienstes zu gewinnen. Die Praktikumsdauer
(Drucksache 16/1098, Frage 18): kann zwischen sechs Wochen und sechs Monaten betra-
Wie steht die Bundesregierung zu der umstrittenen Rechts- gen. Das Auswärtige Amt verfügt über keine Erkennt-
praxis, dass trotz der pauschalisierten Zahlung von ALG II im nisse zum materiellen Hintergrund der Praktikanten.
Falle einer stationären Unterbringung etwa in einem Kranken- Grundsätzlich steht jedem Studierenden, der die forma-
haus, die Regelleistung wegen der dort erfolgenden Verpfle-
gung um 35 Prozent gekürzt wird, und beabsichtigt die Regie- len Voraussetzungen erfüllt, die Möglichkeit offen, an
rung, eine verbindliche gesetzliche Regelung für diese Fälle dem Praktikantenprogramm des Auswärtigen Amtes
herbeizuführen? teilzunehmen. Die Auswahl erfolgt über Qualifikations-
nachweise. Zahlreiche Dienstorte, an denen Praktikums-
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist eine staat- plätze angeboten werden, haben relativ geringe Lebens-
liche bedarfsorientierte und bedürftigkeitsabhängige haltungs- und Anreisekosten Das Auswärtige Amt
Fürsorgeleistung. Dementsprechend orientiert sich das informiert die Bewerber auch über mögliche Zuschüsse
(B) Niveau dieser Geldleistung an dem konkreten Bedarf des des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (D)
betroffenen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit (DAAD). Einige Praktikanten verbinden das Auslands-
ihm in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Ange- praktikum mit einem anderweitig bezuschussten Stu-
hörigen. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebens- dienaufenthalt im jeweiligen Land wie zum Beispiel
unterhaltes nach § 20 SGB II umfasst insbesondere den dem Erasmus-Stipendium. Darüber hinaus bietet das
Bedarf an Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Auswärtige Amt auch Praktika in der Zentrale in Berlin
Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Um- an.
fang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme
am kulturellen Leben. Die Regelleistungen entsprechen
dem Niveau der Sozialhilfe, die als Referenzsystem fun- Anlage 14
giert. Der Inhalt der Regelsätze ergibt sich aus § 2 Abs. 2
der Regelsatzverordnung. Dort wird geregelt, mit wel- Antwort
chem Prozentanteil die einzelnen Abteilungen der Ein- des Staatsministers Günter Gloser auf die Fragen des
kommens- und Verbrauchsstichprobe im Regelsatz zu Abgeordneten Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE)
berücksichtigen sind. Dabei sind auch Verbrauchsausga- (Drucksache 16/1098, Fragen 24 und 25):
ben für Verpflegung berücksichtigt worden. Sofern wäh- Was hat die Bundesregierung seit der Veröffentlichung
rend des Aufenthaltes in einer stationären Einrichtung von Informationen in der „New York Times“ am 26. Februar
die Verpflegung und Versorgung in der Einrichtung er- 2006 über Guantanamo-ähnliche Zustände auf dem US-Stütz-
folgt, ist der Bedarf insoweit gedeckt, denn die mit der punkt in Bagram/Afghanistan unternommen, um sich eigen-
ständig über die dortigen Haftbedingungen zu informieren?
Regelleistung abgedeckten Bedarfe werden in diesem
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die US-Re-
Fall von dritter Seite erbracht. Deshalb wurde im Okto- gierung zur Beendigung dieser Zustände zu bewegen?
ber 2004 zwischen dem damaligen Bundesministerium
für Wirtschaft und Arbeit, der Bundesagentur für Arbeit Zu Frage 24:
und dem Deutschen Verein im Zusammenhang mit der
Abstimmung der Hinweise zu § 9 SGB II festgelegt, Die im Rahmen von ISAF und der Operation Enduring
dass eine Absenkung der Regelleistung im SGB II bis zu Freedom (OEF) in Afghanistan eingesetzten Bundes-
einem Wert von 35 vom Hundert Regelleistung vorge- wehrangehörigen hatten und haben keinen Zugang zu
nommen werden soll. Da sich die Möglichkeit der Ab- den Hafteinrichtungen auf dem US-Stützpunkt Bagram/
senkung der Regelleistung aus dem Bedarfsdeckungs- Afghanistan. Die Bundesregierung hat daher keine
prinzip ergibt, wird derzeit keine entsprechende Möglichkeit, eigenständige Erkenntnisse über die Haft-
gesetzliche Regelung angestrebt. bedingungen in Bagram zu gewinnen.
2584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) Zu Frage 25: Übrigen verweise ich auf die Antworten der Bundesre- (C)
gierung vom 5. Juli 2005 und vom 16. August 2005 auf
Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse
die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Hartmut Ko-
über die Haftbedingungen auf dem US-Stützpunkt in
schyk, CDU/CSU, Arbeitsnummer 6/229 vom 30. Juni
Bagram. Sie hat unabhängig davon gegenüber der US-
2005 (Bundestagsdrucksache 15/5905, S. 14 f) und Ar-
Administration auf allen Ebenen wiederholt deutlich ge-
beitsnummern 8/61,62 vom 9. August 2005 (Bundes-
macht, dass der internationale Terrorismus entschlossen
tagsdrucksache 15/5959, S. 2).
bekämpft werden müsse, dabei aber rechtsstaatlichen
Grundsätzen und völkerrechtlichen Verpflichtungen
Rechnung getragen werden müsse. Die Bundesregierung
wird diese Haltung weiterhin mit Nachdruck vertreten. Anlage 17
Antwort

Anlage 15 des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach auf die Frage


des Abgeordneten Hakki Keskin (DIE LINKE)
Antwort (Drucksache 16/1098, Frage 33):
des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des Wann und für welche gesellschaftlichen Bereiche plant die
Abgeordneten Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE Bundesregierung, ein nationales Antidiskriminierungsgesetz
einzuführen?
GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 29):
Auf welcher Grundlage hat das Bundesamt für Verfas- Es sind folgende Richtlinien in nationales Recht um-
sungsschutz mit dem CIA über die Rückführung von Murat zusetzen: die Antirassismus-Richtlinie (2000/43/EG)
Kurnaz sowie das Einreiseverbot nach Deutschland gespro- vom 29. Juni 2000, die Rahmen-Richtlinie Beschäfti-
chen, und welche Haltung hat die Bundesregierung gegenüber
dem Angebot zur Rückführung eingenommen?
gung (2000/78/EG) vom 27. November 2000, die revi-
dierte Gleichbehandlungs-Richtlinie (2002/73/EG) vom
Die Frage berührt die nachrichtendienstliche Tätig- 23. September 2002 und die so genannte „Unisex-Richt-
keit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Fragen zu linie“ zur Gleichstellung der Geschlechter außerhalb des
nachrichtendienstlichen Zusammenhängen beantwortet Erwerbslebens (2004/113/EG) vom 13. Dezember 2004.
die Bundesregierung nur in den dafür vorgesehenen Gre-
mien des Deutschen Bundestages. Damit ist keine Aus- Diese Richtlinien divergieren im Anwendungsbereich
sage darüber getroffen, ob die der jeweiligen Frage und hinsichtlich der geschützten Merkmale erheblich.
zugrunde liegenden Annahmen oder Vermutungen zu- Die Antirassismus-Richtlinie betrifft Arbeits- und So-
treffen oder nicht. Im Übrigen verweise ich auf den „Be- zialrecht sowie umfassend Zivilrecht ausschließlich hin-
sichtlich des Merkmals Rasse oder ethnische Herkunft. (D)
(B) richt zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irak-
krieg und der Bekämpfung des internationalen Die Rahmen-Richtlinie Beschäftigung und die revidierte
Terrorismus“ vom 23. Februar 2006, mit dem die Bun- Gleichbehandlungs-Richtlinie betreffen ausschließlich
desregierung zum Fall Kurnaz die Mitglieder des Deut- das Arbeitsrecht und erfassen die Merkmale Religion
schen Bundestages bzw. in einer erweiterten und geheim oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle
eingestuften Version bereits am 20. Februar 2006 das Identität sowie Geschlecht. Die so genannte „Unisex-
Parlamentarische Kontrollgremium sowie die Vorsitzen- Richtlinie“ zur Gleichstellung der Geschlechter außer-
den der im Bundestag vertretenen Fraktionen umfassend halb des Erwerbslebens betrifft schließlich nur das
unterrichtet hat. Ich bitte auch hier um Verständnis, dass Merkmal Geschlecht und ist im Anwendungsbereich auf
ich darüber hinaus in öffentlicher Sitzung keine weiteren den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die der Öf-
Aussagen machen kann. fentlichkeit ohne Ansehen der Person zur Verfügung ste-
hen (so genannte Massengeschäfte), und Privatversiche-
rungen beschränkt.
Anlage 16 Bereits in der letzten Legislaturperiode hat der Deut-
Antwort sche Bundestag am 17. Juni 2005 einen Gesetzentwurf
der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Fragen NEN zur Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinien
des Abgeordneten Sevim Dagdelen (DIE LINKE) in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
(Drucksache 16/1098, Fragen 31 und 32): ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beschlos-
Ist der Bundesregierung bekannt, ob und welche einzelnen sen. Der Bundesrat hat hierzu am 8. Juli 2005 den
Bundesländer planen, Anschreibe- und Informationsaktionen Vermittlungsausschuss angerufen. Das Gesetzgebungs-
durchzuführen, um Eingebürgerte auf der Grundlage des Be-
schlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2006 verfahren konnte dann wegen der Neuwahl des Bundes-
(Az: 2 BvR 434/06) aufzufordern, die zuständigen Behörden tages am 18. September vergangenen Jahres nicht ab-
über die eventuelle Wiedererlangung der früheren Staatsbür- geschlossen werden; die Gesetzentwürfe sind der
gerschaft zu informieren? Diskontinuität unterfallen. Es ist daher ein neues Gesetz-
Wenn ja, sollen dabei einzelne Personengruppen gesondert gebungsverfahren einzuleiten. Wegen der besonderen
angeschrieben werden, wie es vom Bundesverfassungsgericht Eilbedürftigkeit der Umsetzung der vier EU-Gleichbe-
in dem erwähnten Beschluss für zulässig erklärt wurde?
handlungs-Richtlinien in deutsches Recht werden die
Pläne von Bundesländern, erneut eine solche Ab- Koalitionsfraktionen nach Klärung einiger weniger
frage- und Informationsaktion bei Eingebürgerten durch- offener Fragen kurzfristig den Entwurf eines Umset-
zuführen, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Im zungsgesetzes in den Bundestag einbringen. Dieser
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2585

(A) Gesetzentwurf wird die von den EU-Gleichbehandlungs- werden soll, sind die möglichen Differenzierungen in (C)
Richtlinien vorgegebenen gesellschaftlichen Bereiche der Begründung ausführlich dargestellt. Die Dokumenta-
abdecken. Sowohl im Arbeitsrecht als auch im allgemei- tion der Beratung ist durch die Richtlinie vorgegeben.
nen Zivilrecht wird eine an dem Grundsatz „1:1“ orien- Die Dokumentation richtet sich nach dem Umfang der
tierte Umsetzung erfolgen. Diskutiert wird aber auch, Beratung. Da wir schon bei der Beratung große Diffe-
stellenweise über die Anforderungen der Richtlinien hi- renzierungen ermöglichen – was angesichts der Unter-
nauszugehen. schiedlichkeit der einzelnen Versicherungsprodukte not-
wendig ist –, besteht auch hinsichtlich des Umfangs der
Dokumentation eine erhebliche Spannweite. Gegebe-
Anlage 18 nenfalls kann sie auch sehr einfach ausfallen. Im Übri-
gen ist vorgesehen, dass der Kunde auf die Beratung
Antwort oder die Dokumentation verzichten kann, was allerdings
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Fra- – aus Verbraucherschutzgründen – eine gesonderte
schriftliche Erklärung und einen Warnhinweis voraus-
gen der Abgeordneten Marina Schuster (FDP) (Druck-
setzt.
sache 16/1098, Fragen 36 und 37):
Wie plant die Bundesregierung, die durch Art. 12 Abs. 3
in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember Anlage 19
2002 über Versicherungsvermittlung vorgeschriebene Doku-
mentationspflicht von Beratungsgesprächen in deutsches Antwort
Recht umzusetzen?
des Parl. Staatssekretärs Peter Paziorek auf die Frage der
Wie plant die Bundesregierung, bei der Umsetzung der Abgeordneten Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
durch die Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versiche- NEN) (Drucksache 16/1098, Frage 42):
rungsvermittlung geforderten Dokumentationspflicht (Art. 12 Hat die Bundesregierung überprüft, inwieweit Unterneh-
Abs. 3 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1) von Beratungsge- men, die ihre Aktivitäten schwerpunktmäßig auf den Erhalt
sprächen den unterschiedlichen Schutzbedürfnissen der Ver- von Agrarexportsubventionen ausgerichtet haben, ihre Exis-
braucher bei langfristigen Personenversicherungen (inklusive tenz wesentlich durch Exportsubventionen begründen und so-
der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr) einerseits mit ohne Exportsubventionen keine Exportgeschäfte unter-
und Sachversicherungen andererseits gerecht zu werden, und nommen hätten, und wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie
welche Maßnahmen plant sie außerdem, um den durch die aus den Ergebnissen der Überprüfung?
Dokumentationspflicht bewirkten zusätzlichen bürokratischen
Aufwand bei Versicherungs- und Rückversicherungsvermitt- Ausfuhrerstattungen für Agrarerzeugnisse sind in der
lern gering zu halten? Verordnung (EG) Nr. 800/1999 geregelt. Danach werden
(B) jedem Antragsteller, der die in dieser Verordnung festge- (D)
Zu Frage 36: legten Voraussetzungen erfüllt, die jeweils geltenden Er-
Das Bundeswirtschaftsministerium hat am 24. März stattungen gewährt. Die Verordnung sieht weder eine
den Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Versiche- Unterscheidung nach Art und Größe des ausführenden
rungsvermittler-Richtlinie Verbänden, Ländern und Res- Unternehmens noch eine Begrenzung auf einen maxima-
sorts mit der Bitte um Stellungnahme zugesandt. Danach len Erstattungsbetrag vor. Da die Bundesregierung keine
sollen die Dokumentationspflichten im Zivilrecht umge- Eingriffsmöglichkeit in die Auswahl der Exportsubven-
setzt werden und zwar in Form der neu in das Versiche- tionsempfänger hat, ist die angeregte Überprüfung ent-
rungsvertragsgesetz einzufügenden §§ 42 b und c. Ich behrlich.
habe veranlasst, dass Ihnen ein Exemplar des Referen-
tenentwurfs übermittelt wird.
Anlage 20
Zu Frage 37:
Antwort
Der Referentenentwurf sieht vor, dass die Beratungs-
pflicht anlassbezogen ist. Das heißt, dass der Umfang des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Frage
der Beratungspflicht sich zunächst nach den konkret an- des Abgeordneten Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE
gegebenen Wünschen des Kunden richtet, wobei auch GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 43):
Umstände einzubeziehen sind, die für den Versiche- Aus welchem Grund wurden die Dossiers zu Projekten des
rungsvermittler erkennbar sind. Beispiel: Hat der Kunde Bundesverkehrswegeplans von der Internetseite des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung entfernt,
den Vermittler zum Abschluss einer Haftpflichtversiche- und welche Möglichkeiten gibt es, diese Dossiers einzusehen
rung gerufen und hört er in dessen Wohnung einen Hund sowie zu vervielfältigen?
bellen, so muss er darauf hinweisen, dass die normale
Haftpflichtversicherung Risiken aus der Hundehaltung Die im Internet veröffentlichten Projektdossiers zum
nicht abdeckt. Nach dem neuen § 42 c Abs. l VVG soll Bundesverkehrswegeplan 2003 (BVWP 2003) geben
der Umfang der Beratungspflicht sich auch nach Art, den Beschluss der Bundesregierung vom 2. Juli 2003
Umfang und Komplexität des konkreten Versicherungs- wieder. Im Ergebnis der daran anschließenden parlamen-
produktes richten, das heißt, es wird unterschieden, ob es tarischen Beratungen der Ausbaugesetze wurden die Be-
sich um ein Standardprodukt, wie die Haftpflichtversi- darfspläne gegenüber dem BVWP 2003 inhaltlich
cherung, oder einen komplizierteren Vertrag, wie zum wesentlich geändert. Die Projektdossiers stimmen des-
Beispiel eine Lebensversicherung, handelt. Da dies alles halb bei einer Reihe von Projekten nicht mehr mit den
– wie im Zivilrecht üblich – in abstrakter Form normiert geltenden Bedarfsplänen für die Bundesschienenwege
2586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006

(A) bzw. für die Bundesfernstraßen aus dem Jahr 2004 über- Welche in der Antwort des Parlamentarischen Staatssekre- (C)
ein. Das Projektinformationssystem wurde aus dem Netz tärs beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, Achim Großmann, vom 22. März 2006 auf meine
genommen, um die wiederholt aufgetretenen Irritationen schriftliche Frage 62 auf Bundestagsdrucksache 16/1043 an-
wegen nicht mehr zutreffender maßnahmenbezogener gesprochenen – dort als allgemein bezeichneten – Erkennt-
Darstellungen zu vermeiden. Die Projektdossiers gemäß nisse liegen der Bundesregierung konkret vor, die die dortige
Beschluss der Bundesregierung vom 2. Juli 2003 wurden Aussage stützen, dass sich potenzielle Mautpreller nicht der
Kontrolle durch das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) ent-
dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ziehen können, indem sich die Lastkraftwagenfahrer unter-
des Deutschen Bundestages in Papierform übermittelt. einander via CB-Funk über weit im Vorfeld gesichtete Ein-
satzfahrzeuge verständigen?

Anlage 21 Nach den Beobachtungen des Bundesamtes für Gü-


terverkehr im Mautkontrolldienst dürfte die Zahl der
Antwort Mautpreller, die sich nach Sichtung eines mobilen Kon-
des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Frage trollfahrzeuges via CB-Funk verständigen, vernachläs-
des Abgeordneten Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE sigbar sein, weil die Kontrollfahrzeuge nur kurze,
GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 44): ständig wechselnde Kontrollabschnitte befahren und die
Fahrtrichtungswechsel des Kontrollfahrzeugs nicht vor-
Wie bewertet die Bundesregierung die wasserbaulichen
Maßnahmen am Magdeburger Domfelsen vor dem Hinter-
hersehbar sind. Auch eine Verständigung über CB-Funk
grund des Ausbaustopps an der Elbe und der nationalen und „schützt“ nicht davor, als Mautpreller entdeckt zu wer-
europäischen naturschutzrechtlichen Bestimmungen in die- den.
sem Flussabschnitt?
Bei den wasserbaulichen Maßnahmen am Magdebur-
ger Domfelsen handelt es sich um Unterhaltungsmaß- Anlage 23
nahmen, durch die Ablagerungen innerhalb der rund
Antwort
35 Meter breiten Fahrrinne beseitigt wurden. Die Unter-
haltungsmaßnahmen sind mit den zuständigen Landes- des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die
behörden abgestimmt worden und stehen im Einklang Frage des Abgeordneten Jan Mücke (FDP) (Druck-
mit den nationalen und europäischen naturschutzrechtli- sache 16/1098, Frage 46):
chen Bestimmungen. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Häufigkeit und die Schwere von Verkehrsunfällen, die da-
durch entstanden sind, dass die mit Zivilfahrzeugen ausgerüs-
Anlage 22 teten Beamten der Autobahnpolizei Führer von Kfz durch
(B) Überholen und anschließendes Vorsetzen zum Anhalten auf- (D)
Antwort forderten?

des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor.
Frage des Abgeordneten Jan Mücke (FDP) (Druck- Die Autobahnpolizei liegt in der Zuständigkeit der Bun-
sache 16/1098, Frage 45): desländer.

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