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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
31. Sitzung
Inhalt:
Zusatzfragen Antwort
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2533 C BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2540 A
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2534 A
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2534 D Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2540 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2535 B Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2540 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2535 D
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2536 B Mündliche Frage 11
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ Cornelia Hirsch (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2536 D
Inhalte und Ergebnisse der Konferenz der
europäischen Bildungsminister in Wien im
Mündliche Frage 3 März 2006
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Antwort
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
vom 18. Januar 2006 zum Halbteilungs- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2541 A
grundsatz
Zusatzfragen
Antwort Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2541 B
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2537 B
Zusatzfrage Mündliche Frage 13
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2537 C Jörg Rohde (FDP)
Einfluss der Bundesregierung auf Ziel-
Mündliche Frage 4 setzung und Umsetzung des Projekts
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) „ASK-IT“ der Europäischen Kommission
Antwort Zusatzfragen
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . 2543 B
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2539 A
Zusatzfragen Mündliche Frage 17
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/ Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2539 A
Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2539 C Von der Bundesregierung zu ergreifende
Maßnahmen zur Verhinderung einer
finanziellen Schlechterstellung von jungen
Mündliche Frage 10 Erwachsenen in Ausbildung gegenüber der
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/ Zeit als ALG-II-Empfänger
DIE GRÜNEN)
Antwort
Auswirkungen der Ableistung langer Prak- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär
tika durch Hochschulabsolventen BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2544 A
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 III
Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 26
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2544 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Zusatzfrage
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ Beteiligung der Bundesregierung an der
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2545 A Ausstellung von Visa für eine Delegation
aus Guinea
Antwort
Mündliche Frage 20 Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2548 A
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Zusatzfragen
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
Maßnahmen zur Umsetzung bzw. zum DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2548 A
Vollzug der den Passivraucherschutz
betreffenden Änderung der Arbeitsstätten-
verordnung vom Oktober 2003 Mündliche Frage 27
Antwort Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN)
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2545 C Auswirkungen der Verankerung sowohl
von internationalen Menschenrechts-
Zusatzfragen abkommen als auch der Scharia in der
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ afghanischen Verfassung auf die Men-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2545 C schenrechtssituation in Afghanistan und
Dr. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2546 A aus Deutschland
Antwort
Mündliche Frage 21 Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2548 D
Veronika Bellmann (CDU/CSU) Zusatzfragen
Interpretation der Gegenäußerung der Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Bundesregierung zur Stellungnahme des DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2549 A
Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
zur Änderung von Vorschriften des Sozia- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2549 C
len Entschädigungsrechts und des Gesetzes
über einen Ausgleich von Dienstbeschädi-
gungen im Beitrittsgebiet vom 23. Februar Mündliche Frage 28
2006 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Rechtspraxis in Afghanistan im Bereich
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frauenrechte, Religionsfreiheit und Homo-
2546 B
sexualität und Konsequenzen für die
Zusatzfragen Abschiebung afghanischer Flüchtlinge in
Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2546 C der Bundesrepublik
Antwort
Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2550 A
Mündliche Frage 22
Jörg Rohde (FDP) Zusatzfragen
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Möglichkeiten zur Befreiung behinderter DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2550 B
privater Arbeitgeber von der Pflicht zur Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
Schätz- und Onlinemeldung DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2550 C
IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2573 A Eventueller Anstieg der Kosten für die
Beseitigung der Altlasten aus britischen
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . 2574 B Atomkraftwerken
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 2575 B Antwort
Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2577 C BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 A
Anlage 1 Anlage 7
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2579 A Mündliche Frage 8
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 2 Verschwinden von sicherheitsrelevanten
Erklärung des Abgeordneten Dr. Hermann Schlüsseln im Atomkraftwerk Philipps-
Scheer (SPD) zur namentlichen Abstimmung burg
über den Entwurf eines Gesetzes zur Förde-
Antwort
rung ganzjähriger Beschäftigung (25. Sitzung,
Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin
Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2579 C BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 A
Anlage 3
Anlage 8
Mündliche Frage 1
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 9
DIE GRÜNEN) Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE)
Erkenntnisse von CIA und BND bezüglich Maßnahmen zur Verbesserung der Bil-
des terrorverdächtigen Murat Kurnaz dungschancen von Kindern aus sozial
benachteiligten Familien und mit Migra-
Antwort tionshintergrund
Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . 2579 D
Antwort
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
Anlage 4 BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 B
Mündliche Frage 2
Veronika Bellmann (CDU/CSU) Anlage 9
Auslage links ausgerichteter Zeitungen in Mündliche Frage 12
der Präsenzbibliothek des Bundesarchivs Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/
Berlin DIE GRÜNEN)
Antwort
Nutzung digitaler Medien und Inhalte im
Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . 2580 A Unterricht an öffentlichen Bildungsein-
richtungen angesichts hoher Kosten durch
die Urheberrechtsnovelle sowie Umset-
Anlage 5 zung der EU-Richtlinie Bildung und Erzie-
Mündliche Frage 6 hung
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Antwort
Barrierefreie Errichtung aller im Rahmen Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
des vom Bund unterstützten Modellpro- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2581 D
VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Anlage 10 Anlage 15
Mündliche Frage 14 Mündliche Frage 29
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Rückzahlung von 226 Millionen Euro an
den Bund durch die Länder im Zusam- Gespräche des BND mit dem CIA über die
menhang mit dem SGB II Rückführung von Murat Kurnaz
Antwort Antwort
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2582 B BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2584 A
Anlage 11 Anlage 16
Mündliche Frage 15 Mündliche Fragen 31 und 32
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Sevim Dagdelen (DIE LINKE)
Anlage 13 Anlage 18
Mündliche Frage 23 Mündliche Fragen 36 und 37
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Marina Schuster (FDP)
Besetzung von Praktikantenstellen in deut- Umsetzung der in der EU-Richtlinie über
schen Auslandsvertretungen mit angehen- Versicherungsvermittlung vorgeschriebe-
den Akademikern aus finanziell gut ausge- nen Dokumentationspflicht von Beratungs-
stattetem Elternhaus gesprächen in deutsches Recht
Antwort Antwort
Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2583 C Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2585 A
Anlage 14
Mündliche Fragen 24 und 25 Anlage 19
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Mündliche Frage 42
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
Erkenntnisse der Bundesregierung über
DIE GRÜNEN)
Guantanamo-ähnliche Zustände auf dem
US-Stützpunkt in Bagram/Afghanistan; Aufrechterhaltung von Unternehmen
Beendigung dieser Zustände durch die durch Agrarexportsubventionen
USA
Antwort
Antwort Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär
Günter Gloser, Staatsminister AA . . . . . . . . . 2583 D BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2585 C
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 VII
Anlage 20 Antwort
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 43 BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586 A
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 22
Einsichtnahme in die Dossiers zu Projekten
des Bundesverkehrswegeplanes nach deren Mündliche Frage 45
Entfernung von der Internetseite des Bun- Jan Mücke (FDP)
desministeriums für Verkehr, Bau und
Konkrete Erkenntnisse zur Kontrolle und
Stadtentwicklung
zur Durchsetzung der Mautpflicht
Antwort Antwort
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2585 D BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586 A
Anlage 21 Anlage 23
Mündliche Frage 44 Mündliche Frage 46
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ Jan Mücke (FDP)
DIE GRÜNEN) Häufigkeit und Schwere von Verkehrs-
unfällen aufgrund von Mautkontrollen
Wasserbauliche Maßnahmen am Magde-
burger Domfelsen vor dem Hintergrund Antwort
des Ausbaustopps an der Elbe und deren Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
naturschutzrechtlichen Bestimmungen BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586 C
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2527
(A) (C)
Redetext
31. Sitzung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die dritte Säule ist die Stärkung des Forschungssys-
Schönen guten Tag, meine Damen und Herren! Die tems und des Forschungsstandortes Deutschland. Bei-
Sitzung ist eröffnet. spiele hierfür sind die zwischen dem Bund und den
16 Ländern vereinbarte Exzellenzinitiative, der Pakt für
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Forschung und Innovation, neue Initiativen im Bereich
des wissenschaftlichen Nachwuchses und vor allem die
Befragung der Bundesregierung Möglichkeiten zur Finanzierung einiger Großgeräte für
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- die Forschung, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart
binettssitzung mitgeteilt: Neue Impulse für Innovation ist.
und Wachstum – 6-Milliarden-Euro-Programm für Die Ziele des 6-Milliarden-Euro-Programms sind
Forschung und Entwicklung. ganz stark auf Wachstum und Beschäftigung fokussiert.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht Wir wollen noch stärker als in der Vergangenheit in einer
(B) hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, engen Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirt- (D)
Frau Dr. Annette Schavan. schaft den Transfer zwischen wissenschaftlichen Durch-
brüchen und die daraus möglicherweise erwachsende
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fördern. Zweitens
wollen wir stärkere Brücken zwischen der Forschung
und den Zukunftsmärkten schaffen und drittens neue Im-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- pulse für Wissens- und Technologietransfer geben.
dung und Forschung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich exemplarisch einige der Strategien und
Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat in seiner Leuchttürme aus dem Programm nenne, möchte ich
heutigen Sitzung die Eckdaten des 6-Milliarden-Euro- noch darauf hinweisen, dass es hinsichtlich der jetzigen
Programms für Forschung und Entwicklung – Neue Im- Eckdaten und der gesamten Entwicklung des 6-Milliar-
pulse für Innovation und Wachstum beraten und verab- den-Euro-Programms eine gute Zusammenarbeit zwi-
schiedet. Dieses 6-Milliarden-Euro-Programm enthält schen allen beteiligten Häusern gibt. In den letzten Jah-
drei Säulen der künftigen Förderung von Forschung und ren wurde oft kritisch darüber gesprochen, dass die
Innovation: Forschungspolitik zu sehr auf unterschiedliche Häuser
verteilt ist und es nicht mehr zu einem stimmigen Ge-
Die erste Säule ist die Förderung von Spitzen- und samtkonzept kommt. Die Koordinierung unserer Pro-
Querschnittstechnologien mit dem Ziel eines zügigeren jekte in der 6-Milliarden-Euro-Strategie soll ein Ansatz
– also eines besser optimierten – Transfers von den Ideen zu einem wieder stimmigen Gesamtkonzept der Bundes-
zu den Produkten, Dienstleistungen und Anwendungen. regierung sein.
Ein Beispiel hierfür ist in der Gesundheitsforschung die
Einrichtung von Spitzenzentren in der medizinischen Nun also zu den Strategien: Zur ersten Säule gehören
Forschung. Ein zweites Beispiel ist die Strategie „Nano die Informations- und Kommunikationstechnologien. Es
geht in die Produktion“. Im Bereich der Nanotechnologie gibt ein neues Forschungsprogramm, das vor allem auf
ist es jetzt möglich, wissenschaftliche Durchbrüche für Verbundforschung setzt, auf die Verbesserung der Ver-
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu nutzen. wertung von Forschungsergebnissen. Zweitens gibt es
im Bereich der Informations- und Kommunikationstech-
Die zweite große Säule ist die verbesserte Förderung nologien das Programm „Informationsgesellschaft
der Innovationsfähigkeit kleiner und mittlerer Unterneh- Deutschland 2010“, das sich vor allem auf die Moderni-
men, vor allen Dingen in Zusammenarbeit mit dem Wirt- sierung rechtlicher und technologischer Rahmenbedin-
schaftsministerium. gungen und die gezielte Förderung anwendungsnaher
2528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung: dung und Forschung:
Der Pakt für Forschung und Innovation ist zwischen Indem wir das 3-Prozent-Ziel verfolgen, wollen wir
der Politik und den großen Forschungsorganisationen ge- erreichen, dass Deutschland zu den ersten drei in Europa
schlossen worden. Sein Ziel besteht darin, auf der einen gehört. Sie haben zu Recht die enorme Dynamik, die in
Seite die öffentlichen Zuschüsse, die die großen For- anderen Ländern, vor allen Dingen im südostasiatischen
schungsorganisationen – die Helmholtz-Gemeinschaft, Raum, zu beobachten ist, angesprochen. Was Europa an-
die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft geht, so wollen wir durch das 3-Prozent-Ziel ein Motor
und andere – bekommen, weiterzuentwickeln. Auf der sein; auch bei vielen anderen Themen setzen wir stark
anderen Seite wurde vonseiten der Forschungsorganisa- auf die europäische Zusammenarbeit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2529
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das auch Ihre Frage, Jan Mücke (FDP): (C)
welchen Platz Deutschland einnehmen wird, betrifft: Die Frau Bundesministerin, ich habe meinen Wahlkreis in
öffentlichen Investitionen in die Energieforschung, die der Stadt der Wissenschaft 2006, in Dresden. Trotz der
für Europa insgesamt bedeutsam ist, weil der Abstand zu Tatsache, dass wir Stadt der Wissenschaft geworden
anderen Teilen der Welt größer wird, sind in den vergan- sind, ist es uns im Rahmen der Exzellenzinitiative der
genen Jahren um 40 Prozent zurückgegangen. Bundesregierung nicht gelungen, auch nur einen einzi-
Die 2 Milliarden Euro, die quer über die Häuser für gen ostdeutschen Hochschulstandort in die Reihe der
diese Legislaturperiode vorgesehen sind, bedeuten eine Eliteuniversitäten zu bringen. Ferner muss man feststel-
Steigerung um 30 Prozent; damit werden wir im euro- len, dass die Forschungsaktivitäten in den neuen Län-
päischen energiepolitischen Dialog eine große Rolle dern aufgrund der fehlenden Industrielandschaft insge-
spielen. samt viel schwächer ausgebildet sind als in den alten
Ländern. Deshalb liegt für mich die Frage auf der Hand,
(Jörg Tauss [SPD]: Danke schön!) wie hoch der Anteil des 6-Milliarden-Euro-Programms
für Forschung und Entwicklung sein wird, der in den
neuen Ländern ausgegeben werden wird.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die nächste Frage hat die Kollegin Priska Hinz,
Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Zunächst einmal: Selbstverständlich werden alle gro-
NEN): ßen Forschungsinstitute – denken Sie an die Max-
Planck-Gesellschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft –
Frau Ministerin, wenn man die Nachrichten in den sowohl im Großraum Dresden/Leipzig als auch an vielen
Medien verfolgt, hat man manchmal den Eindruck, die anderen Stellen von dem 3-Prozent-Aufwuchs profitie-
6 Milliarden Euro seien schon dreimal ausgegeben. Des- ren. Die Exzellenzinitiative ist ein wettbewerbliches
wegen meine Frage: Wie sind die 6 Milliarden Euro in Verfahren; deshalb kann ich keine Anteile nennen. Ich
den nächsten Jahren genau aufgeteilt auf die einzelnen glaube aber, dass man nicht schon nach der ersten Zwi-
Forschungsbereiche und auf die einzelnen Ressorts? schenrunde – bis zum 20. April müssen die Bewerbun-
gen eingehen; im Oktober wird es dann die Entscheidun-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- gen geben – sagen sollte, es wird Regionen geben, die
dung und Forschung: keinerlei Anteil daran haben. Insider sagen, dass die al-
(B) Die 6 Milliarden Euro sind auf die einzelnen Ressorts lerersten Ergebnisse bestätigen, was wir an Entwicklun- (D)
wie folgt aufgeteilt: Rund 4 Milliarden Euro gehen an gen in den letzten Jahren gesehen haben: Da, wo es sehr
das Forschungsministerium; hier werden wir entspre- lange, Jahrzehnte währende Entwicklungen gibt, kann
chend dem Koalitionsvertrag besonders die Mittel für jetzt geerntet werden. Aber es wird in den nächsten Jah-
die Projektförderung erhöhen. Im Übrigen – deshalb ren auch woanders geerntet werden, vor allen Dingen
habe ich von Säulen gesprochen – ist insbesondere die was Graduiertenschulen und was die ersten beiden Säu-
dritte Säule, die Exzellenzinitiative und der Pakt für For- len der Exzellenzinitiative angeht. Ein Schwerpunkt
schung und Innovation, stark. Der zweitgrößte Anteil wird in der Verstärkung des so genannten Inno-Regio-
geht an das Wirtschaftsministerium: 1,245 Milliarden Wettbewerbs liegen. In einem Satz gesagt: Die Förde-
Euro. Rund 200 Millionen Euro gehen an das Verkehrs- rung der Entwicklung von Wachstumskernen hin zu In-
ministerium; hier werden vor allen Dingen Initiativen novationskernen ist ein besonders gutes und, wie ich
und Strategien im Bereich Mobilität sowie zu Wasser- finde, erfolgreiches Beispiel für die Zusammenarbeit
stoff- und Brennstoffzellentechnologien angesiedelt sein. von Universitäten, außeruniversitären Einrichtungen und
160 Millionen Euro fließen an das Bundesumweltminis- Unternehmen. Im Übrigen handelt es sich hier um viele
terium. Das Auswärtige Amt bekommt 100 Millionen kleine und mittlere Unternehmen etwa im Bereich der
Euro für den internationalen Wissenschaftleraustausch. Biotechnologie und der Medizin. Dies ist in meinen Au-
Das Innenministerium erhält 80 Millionen Euro für In- gen das Herzstück der Förderung für die neuen Länder,
formations- und Sicherheitstechnologien. Das Verteidi- weil dies ganz stark auf die Kooperation und Entwick-
gungsministerium erhält 206 Millionen Euro für militä- lung sowie auf die Verstärkung regionaler Entwicklun-
rische Forschung und Entwicklung. Kleinere Beträge, gen ausgerichtet ist und weil dies nach den bisherigen
insgesamt 33,5 Millionen Euro, verteilen sich auf das Erfahrungen auch am meisten geeignet ist, der Grün-
Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dung zusätzlicher Unternehmen eine Chance zu geben.
Entwicklung und das Gesundheitsministerium. Das ist
die Aufschlüsselung der insgesamt 6 Milliarden Euro.
Man könnte jetzt noch die unterschiedlichen Anteile auf Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
die einzelnen Jahre bezogen aufführen; aber ich gehe da- Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.
von aus, dass Ihnen das zur Verfügung gestellt wird.
Jan Mücke (FDP):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Nachfrage lautet einfach: Sehen Sie sich in der
Herr Mücke bitte, FDP-Fraktion. Lage, wenigstens einen ungefähren Betrag zu nennen?
2530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): (C)
dung und Forschung: Sie haben in Ihrer Presseerklärung vom 31. März die-
Nein, ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, einen un- ses Jahres zu diesem Programm unter anderem formu-
gefähren Betrag zu nennen. Ich kann den Betrag des Ti- liert, jeder staatlich investierte Euro ziehe Investitionen
tels Inno-Regio benennen; das kann ich gerne nachse- der Privatwirtschaft nach sich. Sie sagten:
hen. Ich glaube aber, dass jeder Betrag, den ich nenne, Wir bauen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
im Zweifelsfall kleiner als das sein wird, was tatsächlich die starken Brücken, auf denen unser Wohlstand
möglich ist, weil die Exzellenzinitiative noch unent- ruht.
schieden ist.
Unter diesem Blickwinkel will ich fragen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das heißt ja, dieses Programm dürfte für kleine und
Die nächste Frage kommt von Michael Kretschmer, mittelständische innovative Unternehmen eine beson-
CDU/CSU-Fraktion. dere Bedeutung haben. Deshalb frage ich nach den
Kernpunkten der Veränderungen bzw. Verbesserungen
innerhalb dieses Programms für diesen Kreis, und zwar
Michael Kretschmer (CDU/CSU): auch unter dem Blickwinkel der Beschäftigungsperspek-
Frau Ministerin, es wird derzeit viel über Gesundheits- tiven für qualifizierte junge Leute.
politik gesprochen. Können Sie uns sagen, wie im Rah-
men dieses 6-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms Danke.
vorgesehen ist, die Gesundheitsforschung in Deutsch-
land zu verstärken? Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Erster Punkt. Dieses Ziel ist in die gesamte Anlage
dung und Forschung: der Hightech-Strategie aufgenommen worden. Wenn ich
„Nano geht in die Produktion“ sage, dann betrifft das vor
Die Gesundheitsforschung wird vor allem in mehre- allen Dingen Branchen wie die Automobilindustrie, den
ren Leuchttürmen weiterentwickelt werden, die zum Maschinenbau und den Anlagenbau. So wie wir die Pro-
Ersten an dem hohen Standard anschließen, den wir in gramme nach einem Dialog mit der Wirtschaft aus-
der Medizintechnik erreicht haben – Schlagwort: High- schreiben, soll sich dies auf die Investitionen der Unter-
tech für die Medizin zur weiteren Optimierung Bild ge- nehmen unmittelbar auswirken können. Jede Investition
bender Verfahren. in die Forschung seitens eines Unternehmens hat über
(B) kurz oder lang auch beschäftigungspolitische Konse- (D)
Das Zweite ist der genannte Punkt Klinische For-
quenzen.
schung für Gesundheit. In einem Satz gesagt heißt das:
Patientinnen und Patienten sollen rascher von den For- Der zweite Punkt betrifft die zweite Säule, also die
schungsergebnissen in der Gesundheitsversorgung profi- unmittelbaren Maßnahmen. Zum einen wird die Innova-
tieren. tionsbeteiligung kleinerer und mittlerer Unternehmen er-
höht. Bisher ist es so, dass etwa 35 Prozent der Förder-
Der dritte und von mir noch nicht genannte Leucht- mittel, die die Bundesregierung im Rahmen der direkten
turm lautet Innovation Neurowissenschaften. Mit neues- Projektförderung von Spitzen- und Querschnittstechnolo-
ten wissenschaftlichen Methoden der Kombination aus gien vergibt, in den Bereich von KMU geht. Wir wollen
Experiment und Computersimulation wollen wir eine diesen Anteil erhöhen, sodass künftig rund 70 Prozent al-
deutliche Bescheunigung des Forschungsfortschritts be- ler Zuwendungsempfänger in den Fachprogrammen der
wirken und damit vor allen Dingen Impulse geben, die Forschungsförderung zu den kleinen und mittleren Un-
für die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen des ternehmen gehören. Dazu gehört zum Beispiel eine Er-
Nervensystems, für die Entwicklung einer neuen hoch- höhung der jeweiligen Forschungsförderungssumme für
leistungsfähigen Rechnergeneration und darüber hinaus das Unternehmen.
sogar auch für den Bildungsbereich interessant sind.
Zum anderen ist hier das Programm Pro Inno II zu
Das sind drei Leuchtturmvorhaben, mit denen wir nennen, das die Vernetzung kleinerer und mittlerer Un-
2006 beginnen. Wir arbeiten aber bereits jetzt an weite- ternehmen untereinander und mit Forschungseinrichtun-
ren Akzenten für die nächsten Jahre, also für die Zeit ab gen zum Ziel hat. Die Mittel für dieses Programm wer-
2007. Für mich liegt in der Verbindung von Altersfor- den deutlich aufgestockt werden. Künftig sollen auch
schung und Gesundheitsforschung ein Schwerpunkt. Ich solche Unternehmen gefördert werden, die erstmalig ein
nenne die Stichworte Alzheimer und Konsequenzen von Forschungsvorhaben durchführen und sich mit diesem
Ernährungsgewohnheiten für Alterungsprozesse. In die- Forschungsvorhaben auf spätere F-und-E-Kooperatio-
sem Bereich werden wir mit Programmen, die im Laufe nen mit anderen Unternehmen oder Forschungseinrich-
dieses Jahres verabschiedet bzw. beraten werden, Ak- tungen einlassen.
zente setzen.
Der dritte Punkt ist das Programm zur Förderung in-
novativer Wachstumsträger, das ich eben schon einmal
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: im Zusammenhang mit den neuen Bundesländern
Die Kollegin Petra Sitte hat die nächste Frage. genannt habe. Hier sollen im Rahmen von F-und-E-Pro-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2531
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) jekten erstmalig Gründer von jungen Technologieunter- Swen Schulz (Spandau) (SPD): (C)
nehmen aufgenommen werden. Neu ist auch die Finan- Frau Ministerin, wir haben in den letzten Wochen
zierung grundlagenorientierter F-und-E-Vorhaben von eine intensive Diskussion über die Zukunft der Energie-
externen Industrieforschungseinrichtungen zur Erhö- versorgung in Deutschland geführt. Mich interessiert,
hung der Forschungskompetenz. welchen spezifischen Beitrag das Forschungsprogramm
Außerdem wird daran gedacht, die Innovationsfinan- zu der Beantwortung dieser Frage leistet.
zierung – Stichwort Zinsverbilligung – zu verbessern.
Der kürzlich eingerichtete Hightechgründungsfonds Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
wird weiterentwickelt. Zusätzliche Mittel für Patent- und dung und Forschung:
Verwertungsagenturen sowie für Aktivitäten zur Stimu- Die Planung der Bundesregierung bezieht sich für den
lierung von Existenzgründungen aus Hochschulen wer- Zeitraum 2006 bis 2009 einschließlich auf Investitionen
den zur Verfügung gestellt. Das ist auch für die neuen in Höhe von insgesamt 2 Milliarden Euro. Wir haben
Bundesländer ein ganz interessanter Aspekt. dies den Unternehmern am Montagabend mitgeteilt und
Schließlich ist im Bereich der Biotechnologie die werden jetzt mit ihnen die Strategie entwickeln, wie
Gründungsinitiative Go-Bio hervorzuheben, eine neue diese Investitionen des Bundes durch entsprechende In-
und einzigartige Förderinitiative und auch Gründungs- vestitionen der Wirtschaft zu ergänzen und zu vervielfa-
offensive in der Biotechnologie. Ich habe dazu gerade in chen sind.
den letzten Tagen ein Gespräch geführt. Hier können vor
Es wird im Wesentlichen darum gehen, neue Energie-
allen Dingen kleine Unternehmen, denen wir bessere
quellen zu erschließen und Versorgungssicherheit her-
Möglichkeiten der Vernetzung bieten wollen, einen zu-
zustellen. Ich nenne einige Stichworte, auf die sich die
sätzlichen Schub erhalten.
Projekte der unterschiedlichen Häuser beziehen. Aus
Das sind die Hauptstichworte für die Programme, die dem 6-Milliarden-Euro-Programm sollen vor allem In-
2006 beginnen. Diese werden wir laufend weiterentwi- vestitionen in moderne Kraftstofftechnologien auf Basis
ckeln. Dann steht die Frage, über die wir eben im Aus- von Kohle und Gas – Stichwort CO2 –, Wasserstoff- und
schuss gesprochen haben, im Raum: Gibt es darüber Brennstoffzellentechnologie, Technologien und Verfah-
hinaus zu den Themen Forschungsprämie oder Innova- ren für energieoptimiertes Bauen und Wohnen, effiziente
tionsfonds für die Beteiligten noch wirksame Möglich- Energienutzung – da haben übrigens gestern die Partner
keiten? für Innovation auch eine Reihe von interessanten und de-
taillierten Vorschlägen gemacht –, Forschung im Bereich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: erneuerbarer Energien und nukleare Sicherheits- und
(B) Endlagerforschung erfolgen. Zwischen dem BMU und (D)
Die nächste Frage stellt die Kollegin Krista Sager, dem BMBF sind in den letzten Tagen außerdem ein ge-
Bündnis 90/Die Grünen. meinsames Programm zur Förderung des wissenschaftli-
chen Nachwuchses in den Bereichen Strahlenschutz und
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kernenergiesicherheit und ein gemeinsames zusätzliches
Frau Ministerin, in welcher Weise können der Deut- Programm im Bereich der Ressourceneffizienz verein-
sche Akademische Austauschdienst und die Alexander- bart worden.
von-Humboldt-Stiftung an den Mittelaufwüchsen teilha-
ben? Werden sie den Wissenschaftsorganisationen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gleichgestellt, die davon im Rahmen des Pakts für For-
schung und Innovation profitieren? Die nächste Frage hat die Kollegin Cornelia Pieper,
FDP-Fraktion.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung: Cornelia Pieper (FDP):
Sie wissen, dass unter der Vorgängerregierung der Frau Ministerin, in Ihrem 6-Milliarden-Euro-Pro-
Pakt für Forschung und Innovation in den vergangenen gramm sind für die nächsten Jahre auch höhere Investi-
Jahren ohne die beiden Organisationen abgeschlossen tionen in Großgeräte vorgesehen. Das spiegelt sich
war. Bislang gibt es noch keine Veränderung, zumal eine schon im Haushalt 2006 wider.
solche Veränderung nicht nur die beiden Organisationen
betreffen würde. Aber beide Organisationen werden in- Die Bundesregierung hat bereits in der Koalitionsver-
sofern am Aufwuchs und an einer Weiterentwicklung einbarung festgestellt, dass es – das zeigt auch ein Blick
Anteil haben, als die 100 Millionen Euro, die das Aus- auf die Landkarte – in den alten Bundesländern hervor-
wärtige Amt erhält, und der Betrag, der dem BMZ zu- ragende Forschungseinrichtungen mit entsprechenden
kommt – gerade im Hinblick auf den Wissenschaftler- Großgeräten gibt. Es fehlt aber eine Großforschungsein-
austausch –, für die Verstärkung der Aktivitäten dieser richtung in den neuen Bundesländern.
beiden Organisationen vorgesehen sind.
Sie haben sich dazu bekannt. Wird die Bundesregie-
rung im Rahmen des 6-Milliarden-Euro-Programms eine
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: neue Initiative für ein solches Großgerät in den neuen
Die nächste Frage hat der Kollege Swen Schulz, SPD- Bundesländern ergreifen und wird dieses Vorhaben eine
Fraktion. europäische Dimension haben?
2532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- abteilungen durch die Abwicklung großer Industriebe- (C)
dung und Forschung: triebe und der Akademie der Wissenschaften weggefal-
Sie wissen, dass im europäischen Kontext über Listen len sind. Es gibt dort zwar viele kleine innovative
diskutiert wird. Konkret geht es – schon seit geraumer Unternehmen. Aber diese können es sich nicht leisten,
Zeit – um das Thema Neutronenspallationsanlage in den Grundlagen- und Industrieforschung in großem Umfang
neuen Bundesländern, und zwar im Großraum Leipzig. zu betreiben. Haben Sie konkrete Projekte zur Unterstüt-
Wenn es – das ist seitens der betroffenen Bundesländer zung gerade dieser Unternehmen durch Zurverfügung-
in den entsprechenden Gremien vorgetragen worden – stellung von Kapazitäten für Grundlagen- und Indus-
eine Chance zugunsten der Entscheidung für ein solches trieforschung innerhalb des Programms entwickelt?
Großgerät an einem Standort in Deutschland gibt, dann
wird dieses Vorhaben selbstverständlich unterstützt wer- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
den. Unsere Einschätzung ist allerdings derzeit, dass es dung und Forschung:
eine solche Entscheidung nicht geben und dass auch eine Das ist bei der geplanten deutlichen Aufstockung der
weitere Initiative Deutschlands – dass die betroffenen Mittel für das Programm zur Förderung innovativer
Regionen daran interessiert sind, ist bekannt – nichts da- Wachstumsträger berücksichtigt. Hier geht es insbeson-
ran ändern wird. Deshalb ist nach bisheriger Planung die dere um die Unterstützung von Forschungsvorhaben
Konzentration auf die in dem Programm beschriebenen kleinerer und mittlerer Unternehmen durch Kooperation
drei Großprojekte vorgesehen. mit externen Industrieforschungseinrichtungen in den
neuen Bundesländern. Zudem soll die Förderung schnell
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wachsender Unternehmen intensiviert werden. Des Wei-
Herr Kollege Johann-Henrich Krummacher, bitte. teren sollen die Mittel für die Gründung von Technolo-
gieunternehmen – das ist schon stichwortartig angespro-
Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU): chen worden – aufgestockt werden.
Frau Ministerin, es ist sehr ermutigend, dass mit dem
6-Milliarden-Euro-Programm starke Impulse für Innova- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tion und Wachstum gegeben werden. Wir befinden uns Herr Kollege Röspel, bitte.
dabei in einem globalen Wettbewerb. Deshalb hätte ich
gerne Auskunft darüber, wie die öffentlich finanzierte René Röspel (SPD):
Forschung in Deutschland im Vergleich zu unseren Frau Ministerin, das 3-Prozent-Ziel, also 3 Prozent
Wettbewerbern in den USA, Großbritannien oder Asien des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwick-
– vor allem in Indien – in den vergangenen Jahren aufge- lung auszugeben, ist schon erwähnt worden. In den letz-
(B) stockt worden ist. ten sieben Jahren ist der entsprechende Haushaltsansatz (D)
um 20 Prozent erhöht worden. Mit dem nun aufgelegten
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- 6-Milliarden-Euro-Programm werden wir einen weiteren
dung und Forschung: guten Schritt nach vorne tun. Es ist nicht nur ein Pro-
Dem Kabinett hat in der heutigen Sitzung auch der gramm für Bildung und Forschung, sondern auch ein
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch- Wirtschaftsförderungsprogramm. Allerdings kann es
lands vorgelegen. Daraus ist sehr deutlich ersichtlich, nicht nur Aufgabe des Staates sein, Forschung und Ent-
dass wir in Deutschland zwar ein hohes Niveau – auch wicklung zu fördern, sondern es sollte auch Aufgabe der
bei den Forschungsinvestitionen – erreicht haben, dass Wirtschaft sein.
aber die Dynamik vor allem in Südostasien deutlich stär- Meine Frage lautet daher, ob wir nicht an die Wirt-
ker ist. Der Anteil der Investitionen in Forschung und schaft appellieren müssten – vielleicht sehen Sie und
Entwicklung am BIP ist etwa in Japan, China und den eventuell der Wirtschaftsminister noch andere Möglich-
USA höher als in Deutschland. Während unser Anteil keiten –, stärker in Forschung und Entwicklung zu in-
bei 2,55 Prozent liegt, liegt er in den genannten Ländern vestieren, wie es in anderen Ländern der Fall ist.
bei 3,4, 3,7 bzw. 3,9 Prozent, und das bei anhaltend
großer Dynamik. Im europäischen Kontext stehen wir
mit unserem Anteil nicht schlecht da. Aber wir wollen Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
das 3-Prozent-Ziel, dieses wichtige strategische Ziel der dung und Forschung:
Lissabonstrategie, auf jeden Fall erreichen. Sowohl das Wirtschaftsministerium als auch mein
Haus und die anderen an den F-und-E-Investitionen be-
teiligten Ministerien werden in den jeweiligen Branchen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht nur werben und appellieren. Vielmehr geht es auch
Frau Kollegin Lötzsch. darum, auf der Grundlage konkreter Programme über In-
vestitionen in den Unternehmen zu reden. Wir haben das
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): bereits auf dem Energiegipfel am vergangenen Montag
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie angesprochen. Wie ich finde, haben wir eine sehr kon-
haben ausgeführt, dass Sie mit dem 6-Milliarden-Euro- struktive Resonanz darauf bekommen. Dass die Mittel
Programm – das habe ich mit großem Interesse vernom- seitens der Bundesregierung für die Energieforschung
men – auch kleine und mittlere Unternehmen unterstüt- um 30 Prozent steigen, nachdem sie um 40 Prozent ge-
zen wollen. Nun haben wir in den neuen Bundesländern sunken sind, ist ein starkes Signal. In der Arbeitsgruppe
die Entwicklung zu verzeichnen, dass viele Forschungs- „Effizienz und Forschung“ wird in den nächsten Wochen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2533
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) über Projekte gesprochen, die zu der angestrebten Ko- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
finanzierung durch die Wirtschaft – auf jeden öffent- Frau Hajduk, eine Nachfrage.
lichen Euro kommen mindestens 2 privatwirtschaftliche
Euro – führen sollen. Ich bin davon überzeugt, dass wir Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
das nach Branchen unterteilt tun sollten. Frau Staatssekretärin, wie kann die Bundesregierung
Gestern Abend wurde über die Projekte der Impuls- ausschließen, dass beim früheren Staatssekretär Caio
kreise „Partner für Innovation“ gesprochen. Auch hier Koch-Weser im Zusammenhang mit dem Gegenstand
wird deutlich, dass für viele Bereiche – Stichworte Mo- der Unterrichtung, der beabsichtigten Gewährleistung,
bilität, Werkstoffinnovationen, Gesundheitsforschung – zu keiner Zeit eine Interessenkollision zwischen seiner
Vorschläge auf dem Tisch liegen, auf die wir nun bei der Tätigkeit im BMF und seiner jetzigen Tätigkeit für die
Weiterentwicklung der Strategie gut eingehen können. Deutsche Bank vorlag? Aktuellen Pressemeldungen ist
Es ist von den Impulskreisen selbst angedacht worden, zu entnehmen, dass die Garantie für den auch von der
dass es hierbei zu einer Public-Private Partnership kom- Deutschen Bank bereitgestellten Kredit seitens des BMF
men soll. Es bestehen also gute Chancen, den Weg von von Caio Koch-Weser genehmigt wurde.
Beginn an gemeinsam zu gehen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
So wird es auch bei den anderen Branchen sein: Wir Bundesminister der Finanzen:
werden sehr stark darauf achten, nicht einfach nur Pro- Es ist in der Tat richtig, dass die Garantie seitens des
gramme aufzulegen, sondern jeweils auch den Dialog BMF vom Staatssekretär Caio Koch-Weser abgezeichnet
mit der Wirtschaft zu führen. In meinem Hause wird es wurde. Sie wurde vom zuständigen Referat empfohlen.
eigens zu einem Dialog zwischen Wissenschaft, Wirt- Dies wurde vom Unterabteilungsleiter und vom Abtei-
schaft und Politik kommen, um die entsprechenden Stra- lungsleiter abgezeichnet. Staatssekretär Caio Koch-
tegien für die einzelnen Branchen zu entwickeln, und Weser hat für das BMF endgezeichnet. Allerdings hatte
zwar unter Beteiligung der jeweiligen Häuser. das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und
Arbeit die Förderungswürdigkeit des Projektes bestätigt,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: insbesondere im Hinblick auf die Energieversorgung in
der Bundesrepublik Deutschland.
Für weitere Fragen zu diesem Thema oder anderen
Themen aus der Kabinettssitzung oder darüber hinaus Auch aus heutiger Sicht ist die Übernahme der Garan-
steht uns keine Zeit mehr zur Verfügung. Deswegen be- tie fachlich gerechtfertigt. Die mit der Übernahme ver-
ende ich an dieser Stelle die Befragung der Bundesregie- bundenen Risiken sind auch aus haushaltsrechtlicher
rung. Sicht vertretbar. Es wäre in der Tat besser gewesen,
(B) wenn Staatssekretär Caio Koch-Weser den Anschein ei- (D)
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: ner Befangenheit vermieden hätte und einen anderen
Staatssekretär die Unterschrift hätte leisten lassen. Die-
Fragestunde ser wäre allerdings fachlich zu keinem anderen Ergebnis
– Drucksachen 16/1098, 16/1121 – gekommen; auch dann wäre die Genehmigung erteilt
worden.
Gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Frage-
stunde rufe ich zunächst die dringliche Frage der Abge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ordneten Anja Hajduk, Drucksache 16/1121, auf: Frau Hajduk, eine weitere Nachfrage.
Wie begründet die Bundesregierung die Vorlage einer Ga-
rantie für einen ungebundenen Finanzkredit zugunsten von
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gasprom an den Haushaltsausschuss in dieser Woche ange-
sichts der Tatsache, dass Gasprom den Kredit von 1 Mil- Frau Staatssekretärin, wie erklärt es sich eingedenk
liarde Euro, bereitgestellt durch die Kreditanstalt für Wieder- Ihrer Antwort, dass im Zusammenhang mit der Geneh-
aufbau und die Deutsche Bank, gar nicht in Anspruch nehmen migung der Tätigkeit von Herrn Koch-Weser für die
will, wie der Äußerung des Aufsichtsratsvorsitzenden des Deutsche Bank, in deren Vorfeld das Bundesministerium
nordeuropäischen Gaspipelineprojekts, des früheren Bundes-
kanzlers Gerhard Schröder, in der „Frankfurter Allgemeinen der Finanzen eine Überprüfung durchführen musste, bei
Zeitung“ vom 3. April 2006 zu entnehmen ist? der Beratung im Haushaltsausschuss vonseiten der Bun-
desregierung gesagt wurde, Herr Koch-Weser habe im
Zur Beantwortung steht die Kollegin Barbara besagten Zeitraum mit Blick auf die Deutsche Bank
Hendricks zur Verfügung. keine Entscheidung von Gewicht getroffen?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Bundesminister der Finanzen:
Frau Kollegin Hajduk, es handelt sich um die turnus- Er hat in dem Zusammenhang in der Tat keine Ent-
mäßige Unterrichtung des Haushaltsausschusses über scheidung von Gewicht getroffen, denn die Entschei-
die Übernahme von Bürgschaften bei Großprojekten im dung wurde im Wesentlichen und federführend vom
Ausland. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit getroffen.
Das Bundesfinanzministerium hat diese Entscheidung
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE selbstverständlich mitgetragen. Ich darf Ihnen zum Hin-
GRÜNEN]: Wie bitte?) tergrund sagen, dass der interministerielle Ausschuss,
2534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Matthias Berninger
(A) besondere Größenordnung hat. Die Entscheidungen auf es gibt öffentliche Äußerungen dazu, offenbar auch von (C)
den Leitungsebenen der Häuser sind sehr schnell erfolgt. dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Gas-
Wir beide wissen, dass das Tempo in öffentlichen Ver- prom, aber bei uns ist offiziell noch keine neue Nach-
waltungen nicht immer so hoch ist. Können Sie also vor richt angekommen – für die so genannte Onshorepipe-
dem Hintergrund des Volumens und der Bedeutung des line, also für das, was auf dem Festland stattfindet,
Projektes sowie der Schnelligkeit der Entscheidung aus- beabsichtigt.
schließen, dass die politische Leitung auf der Ebene des
Bundeskanzleramtes, des Wirtschaftsministeriums oder Der Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder ist der
des Finanzministeriums – seitens der Banken, seitens Aufsichtsratsvorsitzende derjenigen Gesellschaft, die ei-
des beteiligten Partners Gasprom oder aber seitens der gens für den Bau der Offshorepipeline unter der Ostsee
Mitarbeiter Ihrer Häuser – in das Projekt involviert wor- gegründet wurde.
den ist? Beide Gesellschaften haben verschiedene Eigentü-
mer. Gasprom ist für den Teil der Pipeline verantwort-
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim lich, der auf russischem Festland verläuft. Für den Teil
Bundesminister der Finanzen: der Pipeline, der unter der Ostsee von Sankt Petersburg
Ich kann das für das Bundesministerium der Finanzen bis Greifswald verläuft – dieses Projekt ist für die deut-
ausschließen. Aufgrund der Aktenlage kann ich das auch sche, aber auch für die europäische Versorgungssicher-
für die anderen Häuser ausschließen, mit Ausnahme des heit von großer Bedeutung –, ist ein eigens gegründetes
Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit; in dem Konsortium verantwortlich, an dem das Unternehmen
Fall ist bekannt, dass der damalige Minister Clement das Gasprom 51 Prozent hält und die beiden deutschen Un-
vor dem Hintergrund der rohstoffpolitischen Förde- ternehmen Eon Ruhrgas und BASF zu gleichen Teilen
rungswürdigkeit abgezeichnet hat. Selbstverständlich die anderen 49 Prozent halten.
kann ich nicht ausschließen, dass irgendwann irgendwer
mit irgendjemandem gesprochen hat. Aber das kann man Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nie ausschließen. Sie dürfen daraus nicht umgekehrt Möglicherweise stellt sich demnächst die Frage, wel-
schließen, dass ich annehmen würde, unter der Hand sei chem Kollegen Fischer der Kollege Winkler ähnlich
darüber gesprochen worden. Es gibt keinen Anlass zu ei- sieht.
ner solchen Vermutung.
(Heiterkeit)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nun zur letzten Nachfrage zu diesem Thema. Die
Herr Kollege Winkler, bitte. Kollegin Ute Koczy, bitte.
(B) (D)
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
NEN): Danke. – Frau Staatssekretärin, bezogen auf die För-
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben im Zusammen- derwürdigkeit des Projektes und bezogen auf Ihre An-
hang mit der Vermeidung eines Anscheins von Interes- merkung, dass auch etwas schief gehen könne, will ich
senverquickung in Bezug auf Herrn Staatssekretär Koch- fragen: Gab es vonseiten der Bundesregierung irgend-
Weser gesagt, es wäre besser gewesen, er hätte einen an- welche Anforderungen an die Kreditierung dieses Pro-
deren Staatssekretär zeichnen lassen. Wie bewerten Sie jektes in Bezug auf soziale und ökologische Standards
denn vor diesem Hintergrund der Vermeidung eines An- beim Bau der Pipeline? Sind darüber mit den Mandata-
scheins die Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes bei ren der Bundesrepublik, Pricewaterhouse-Coopers, Ge-
der Firma Gasprom durch den Bundeskanzler? spräche geführt worden?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Eine weitere Frage: Sind Sie nicht ebenfalls der Auf-
Bundesminister der Finanzen: fassung, dass die Trennung in Onshorepipeline und Off-
Herr Kollege Fischer – shorepipeline nicht ganz korrekt ist, weil die Pipeline als
Ganzes gesehen werden muss?
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Winkler heiße ich. Bundesminister der Finanzen:
Frau Kollegin, die Mandatare, die für die Bundesre-
publik Deutschland in der Weise tätig werden, dass sie
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
das Risiko eines Projektes bewerten, kennen natürlich
Bundesminister der Finanzen:
die Regeln, die mit der Bürgschaftsvergabe durch die
– Entschuldigung, Herr Kollege Winkler; wir duzen Bundesrepublik Deutschland verbunden sind. Selbstver-
uns normalerweise; da kann das mit dem Nachnamen ständlich prüfen sie unter diesem Gesichtspunkt nicht
schon einmal schief gehen –, der Bundeskanzler ist zu nur dieses, sondern ein jedes Projekt.
keinem Zeitpunkt mit dieser Fragestellung befasst gewe-
sen. Im Übrigen – Sie mögen es für spitzfindig halten – Ich hatte eben bereits gesagt, dass man es möglicher-
war bzw. ist dieser Kredit – wir haben noch keine offizi- weise als spitzfindig betrachten kann, wenn man zwi-
ellen neuen Nachrichten darüber, ob der Kredit nun tat- schen der Pipeline auf dem Festland und der Pipeline un-
sächlich in Anspruch genommen werden soll oder nicht; ter Wasser unterscheidet. Aber das Projekt, um das es
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2537
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
(A) hier geht, bezieht sich ausschließlich auf den Bau der den des damaligen Urteils gezählt hat, sondern dass er (C)
Pipeline auf dem Festland. Bundeskanzler a. D. ein Obiter Dictum war, also etwas, das das Bundesver-
Schröder ist Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft fassungsgericht dem geneigten Leser auch noch zur
geworden, die sich ausschließlich um den Bau der Pipe- Kenntnis gegeben hat.
line unter Wasser kümmert.
Es gibt also zwei unterschiedliche Gesellschaften. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Hinsichtlich des Aktienrechts ist das natürlich ein großer Sie haben dazu eine Nachfrage? – Bitte schön.
Unterschied. Faktisch ist es aber so, dass die eine Pipe-
line ohne die andere keinen Sinn machen würde, weil Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
man das Gas, das zur Ostsee geleitet wird, nicht in die
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Ant-
Luft pusten will.
wort. – Ihnen ist wie mir bekannt, dass die öffentliche
Diskussion zum damaligen Zeitpunkt und auch noch da-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nach sehr wohl insoweit vom Halbteilungsgrundsatz do-
Damit sind wir am Ende der Beantwortung der dring- miniert wurde, als gesagt wurde, selbst bei einer Gleich-
lichen Frage. behandlung von Immobilien und anderen Formen von
Wir kommen jetzt zu den Fragen der Fragestunde auf Vermögen sei es nicht möglich, eine verfassungskon-
Drucksache 16/1098, die ich in der üblichen Reihenfolge forme Neuformulierung des Vermögensteuergesetzes
aufrufe. vorzunehmen. Da wir nun meiner Interpretation nach
eine positive Bestätigung dafür haben, dass sich der
Die Frage 1 des Kollegen Jürgen Trittin und die Halbteilungsgrundsatz in der Form, in der er formuliert
Frage 2 der Kollegin Veronika Bellmann aus dem Ge- war – er erhielt damals nicht die einhellige Unterstüt-
schäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundes- zung des zuständigen Senats des Bundesverfassungsge-
kanzleramts werden schriftlich beantwortet. richts –, nicht aus der Verfassung ableiten lässt, würde
Für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäfts- sich jetzt nicht auch vom gesellschaftlichen Umfeld her
bereich des Bundesministeriums der Finanzen steht wei- die Möglichkeit eröffnen, die Vermögensbesteuerung
terhin die Parlamentarische Staatssekretärin Frau neu in Angriff zu nehmen, indem die verschiedenen Ver-
Hendricks zur Verfügung. mögensarten gleich besteuert werden würden? Es könnte
sich eine neue Einnahmequelle erschließen, wenn man
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Dr. Barbara Höll die Vermögensteuer wieder erhebt.
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung des Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (D)
(B) Bundesverfassungsgerichts im Beschluss des Zweiten Senats
vom 18. Januar 2006 (2 BvR 2194/99), dass sich aus dem in Bundesminister der Finanzen:
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes Frau Kollegin Höll, eine verfassungskonforme Aus-
zum Ausdruck kommenden Maßstab keine allgemein ver- gestaltung wäre zum jetzigen Zeitpunkt noch schwierig,
bindliche Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen insbesondere deswegen, weil wir noch auf das Urteil des
Teilung – Halbteilungsgrundsatz – zwischen Eigentümer und
Staat herleiten lässt, und welche Rückschlüsse zieht sie in die- Bundesverfassungsgerichts zum Erbschaftsteuerrecht
sem Zusammenhang für die Verfassungsmäßigkeit der Ver- warten. Würde dieses aber da sein, dann wären sicher-
mögensteuer? lich die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür gege-
ben, die Vermögensbesteuerung wieder einzuführen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Allerdings ist die Bundesregierung nicht der Auffas-
Bundesminister der Finanzen:
sung, dass dies verteilungspolitisch erforderlich wäre.
Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme ge- Dem Umstand, dass starke Schultern mehr tragen kön-
genüber dem Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck nen als schwache, wird im Steuerrecht bereits durch den
gebracht, dass die Verfassung keine starre Obergrenze progressiven Einkommensteuertarif Rechnung getra-
für die Ertragsteuerbelastung enthält. Die Bundesregie- gen. Darüber hinaus plant die Bundesregierung, Spitzen-
rung ist also von diesem Urteil nicht negativ überrascht verdiener auch im Interesse von mehr Steuergerechtig-
worden, sondern sieht sich in ihrer Auffassung bestätigt. keit zusätzlich mit einem dreiprozentigen Zuschlag auf
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Einkommensteuerhöchstsatz zu belasten. Eine Ver-
vom 18. Januar 2006 ergeben sich allerdings nach Auf- mögensteuer läuft dem Ziel der Bundesregierung, Steu-
fassung der Bundesregierung keine Rückschlüsse für die erbürokratie abzubauen, zuwider. Insbesondere die Be-
Vermögensteuer. In der Vermögensteuerentscheidung, in folgungskosten einer Vermögensteuer für Bürger und
der der so genannte Halbteilungsgrundsatz formuliert Unternehmen sind beachtlich. Die Erhebungskosten
wurde, wurde die Vermögensteuer nicht wegen eines übersteigen, gemessen am generierten Aufkommen, de-
Verstoßes gegen diesen Grundsatz, sondern wegen des finitiv die der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer.
einheitlichen Steuertarifs bei divergierenden Bemes- Einfach ausgedrückt: Es lohnt sich nicht so recht.
sungsgrundlagen für verfassungswidrig erklärt.
Im Übrigen ist die Bundesregierung hinsichtlich einer
Insbesondere die Unterschiedlichkeit der Bewertung Wiedererhebung der Vermögensteuer auch politisch
von Kapitalvermögen und Immobilienvermögen führte nicht in erster Linie gefordert. Da der Ertrag einer Ver-
zu diesem Urteil. Ich darf Sie daran erinnern, dass der so mögensteuer gemäß Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 unseres
genannte Halbteilungsgrundsatz auch nicht zu den Grün- Grundgesetzes den Ländern zusteht, sollten, wenn denn
2538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der (C)
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend: gend:
Lieber Herr Kai Gehring, im Koalitionsvertrag ist Das kann ich noch nicht im Einzelnen sagen. Im Aus-
festgelegt, dass die Bundesregierung Kinder und Ju- schuss kann jederzeit über den derzeitigen Stand berich-
gendliche weiter in politische, planerische und zukunfts- tet werden; es muss lediglich vereinbart werden, ab
orientierte Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse ein- wann berichtet werden soll. Sinnvoll ist eine Berichter-
beziehen wird. Zu diesem Zweck werden in den stattung eigentlich erst dann, wenn harte Fakten vorlie-
nächsten Wochen mit potenziellen Partnern Schwer- gen, damit Sie auch die entsprechenden Informationen
punkte festgelegt. Es werden ganz konkrete Projekte erhalten können.
vereinbart und auf den Weg gebracht. Wir können das jetzt abschließend noch nicht sagen.
Wir wollen uns bei diesem Themenkomplex Zeit lassen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: und das in Ruhe auf den Weg bringen. Sie wissen ja,
Eine Nachfrage, Herr Gehring? dass die Laufzeit der ersten Projekte bis hinein in dieses
Jahr ging. Insofern glaube ich, dass es bis jetzt keinen
Zeitverzug gegeben hat.
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Kues, für Ihre Ant- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wort auf meine Frage zur Partizipation von Jugendli- Eine weitere Nachfrage zu diesem Thema, jetzt von
chen. Ich bedaure, dass es bisher noch keine eigenen der Kollegin Cornelia Hirsch.
Vorschläge seitens des Ministeriums gibt.
Ich möchte auf Ihre Antwort hin direkt fragen: Wer Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
sind die Partner, mit denen Sie hier in einen Dialog über Herr Staatssekretär, die EU-Kommission hat das
konkrete Schwerpunkte und Ziele treten? Welches sind kommende Jahr zum Europäischen Jahr der Chancen-
die Schwerpunkte und Ziele in dem wohl auch geplanten gleichheit erklärt. Das würde ja eine Gelegenheit bieten,
Bündnis zur politischen Beteiligung seitens des Ministe- eine Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten von
riums? Jugendlichen vorzusehen. In diesem Zusammenhang
wäre meine Frage an Sie, inwieweit Sie das Europäische
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Jahr der Chancengleichheit in Ihrem Hause schon einge-
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- hender diskutiert haben und welche Planungen es in die-
ser Hinsicht gibt.
(B) gend: (D)
Sie wissen, dass wir in der ersten Phase bundesweit
200 Projekte auf den Weg gebracht haben, an denen im- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
merhin 20 000 Jugendliche – das ist eine große Anzahl – Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
teilgenommen haben. Sie sind mit dem Deutschen Bun- gend:
desjugendring und der Bundeszentrale für politische Bil- Wir haben das Europäische Jahr der Chancengleich-
dung durchgeführt worden. Wir befinden uns noch in der heit bei uns sehr intensiv diskutiert; wir bereiten uns
Auswertung, glauben aber, dass wir Mitte Mai konkrete auch sehr intensiv darauf vor. Wir werden auch die Pro-
Ziele, Handlungsfelder und neue Projekte benennen gramme unseres Hauses daraufhin überprüfen, inwie-
können, sodass im Herbst 2006 eine neue Initiative star- weit sie dort eingebunden werden können. Ich kann nur
ten kann. sagen: Dieses Europäische Jahr der Chancengleichheit
wird – erst recht, da Deutschland im ersten Halbjahr die
Wer die Partner im Einzelnen sein werden, wird von Präsidentschaft innehaben wird – für uns eine zentrale
den Themen abhängen. Ein Thema, das sich herauskris- Bedeutung haben. Wir werden uns mit unseren europäi-
tallisiert hat und eine Rolle spielen sollte, ist das Thema schen Nachbarn abstimmen und dementsprechend die
„Demografischer Wandel – Wert der Jugend in der Ge- Themen festlegen.
sellschaft“. Daraus müssen sich dann die konkreten Pro-
jekte ergeben. Das wird aber, wie gesagt, Mitte Mai be- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sprochen werden. Die Frage 6 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schrift-
lich beantwortet. Das Gleiche gilt für die Fragen 7 und 8
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: des Kollegen Hans-Josef Fell aus dem Geschäftsbereich
Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Gehring? des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit.
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kommen also jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die
Wenn diese Gespräche im Mai stattfinden sollen, wis-
Frage 9 des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin wird gemäß
sen Sie dann auch, wann wir im Ausschuss darüber dis-
Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schrift-
kutieren können? Und welche Unterschiede können Sie
lich beantwortet.
schon jetzt, obwohl Sie sich noch in der Evaluations-
phase befinden, im Vergleich zum Projekt P aus der letz- Wir kommen somit zur Frage 10 des Abgeordneten
ten Legislaturperiode ausmachen? Kai Gehring:
2540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C)
desministerin für Bildung und Forschung: desministerin für Bildung und Forschung:
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege, Ihre Es wäre vermessen, dazu bereits zum heutigen Zeit-
Anfrage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung punkt eine Prognose abzugeben. Wir warten jetzt erst
nimmt keinen Einfluss auf die Zielsetzung einzelner Pro- einmal ab, wie sich dieses Programm insgesamt entwi-
jekte. Jedoch hat die Bundesregierung über die Verwal- ckeln wird.
tungsausschüsse der Mitgliedstaaten ein Stimmrecht bei
der Gestaltung der spezifischen Arbeitsprogramme, in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
denen die Forschungsziele für die zu fördernden Pro- Eine weitere Nachfrage? – Bitte sehr.
jekte beschrieben werden. Die Begutachtung von Pro-
jekten führt die Europäische Kommission nach transpa-
renten Regeln mit externen Gutachtern durch. Es ist Jörg Rohde (FDP):
nicht Aufgabe der Mitgliedstaaten, Einfluss auf die Um- Meine zweite Nachfrage ist: Finanziert oder teilfinan-
setzung von bewilligten Projekten zu nehmen. Sie prü- ziert die Bundesregierung derzeit nationale Forschungen
fen vielmehr, ob die Regeln der Transparenz bei den zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe von
Entscheidungen befolgt werden. Menschen mit Behinderungen?
Das von Ihnen angesprochene Projekte „ASK-IT“ Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
wird im Rahmen der thematischen Priorität „Technolo- desministerin für Bildung und Forschung:
gien für die Informationsgesellschaft“ gefördert. Im ent-
Hierzu werden verschiedene Maßnahmen durchge-
sprechenden IST-Arbeitsprogramm wird für die rele-
führt, die ich Ihnen jetzt aber nicht alle aus dem Kopf
vante E-Inclusion gefordert, dass die Projekte sich auch
präsentieren kann. Da Sie sich in Ihrer Frage in erster Li-
mit den sozioökonomischen, gesetzlichen und politi-
nie auf das europäische Programm „ASK-IT“ bezogen
schen Dimensionen befassen sollen und insbesondere
haben, will ich Ihnen, bezogen auf den europäischen
die elektronische Eingliederung in einem breiten Sinn
Raum, sagen, dass im Rahmen des 6. Rahmenfor-
abdecken, um die Verfügbarkeit von Dienstleistungen
schungsprogramms der Europäischen Kommission in-
der Informationsgesellschaft bei vertretbaren Kosten für
nerhalb der thematischen Priorität „Technologien für die
alle sicherzustellen. Hierbei ist nicht automatisch sicher-
Informationsgesellschaft“ 16 weitere Projekte gefördert
gestellt, dass in einem Projekt zwangsläufig die Belange
werden, die einen Bezug zur Barrierefreiheit und zur
aller Mitgliedstaaten abgedeckt werden oder alle natio-
Teilhabe behinderter Menschen aufweisen.
nal gültigen Standards und Gesetze berücksichtigt wer-
den. An der Finanzierung dieser Maßnahmen ist die Bun-
(B) desregierung im Rahmen der EU-Finanzierung natürlich (D)
Dennoch ist beim IST-Projekt „ASK-IT“ davon aus- beteiligt. Hierbei geht es beispielsweise um die Verbes-
zugehen, dass durch die deutsche Beteiligung auch deut- serung der Zugänglichkeit des Internets oder um den
sche Interessen berücksichtigt werden. barrierefreien Zugang zu IuK-Technologien für blinde,
Zum einen ist nämlich das deutsche Forschungsinsti- sehbehinderte und gehörlose Menschen.
tut Technologie-Behindertenhilfe der Evangelischen
Stiftung Volmarstein ein Projektpartner. Zum anderen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sind in der Vorhabensbeschreibung vier Teilprojekte auf- Herzlichen Dank. – Damit sind wir beim Geschäfts-
geführt, von denen das vierte mit dem Namen „Acces- bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
sible Europe“ die Interoperabilität der drei vorgelagerten Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamenta-
themenbezogenen Teilprojekte demonstrieren soll. rische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Insgesamt sind sieben europäische Pilotgebiete aus- Die Fragen 14 und 15 der Abgeordneten Dr. Dagmar
gewählt worden, darunter im Übrigen auch die Stadt Enkelmann werden schriftlich beantwortet.
Nürnberg. Mit Vertretern dieser Regionen werden insge-
samt drei Nutzerforen abgehalten. Insgesamt nehmen Wir kommen zur Frage 16 der Abgeordneten Sabine
44 Partner aus 15 Ländern teil, sodass eine breite euro- Zimmermann:
päische Auswirkung zu erwarten ist. Wie steht die Bundesregierung zu dem Problem, dass
junge Erwachsene, die aus dem ALG II heraus eine berufliche
Ausbildung an einer privaten Berufs- oder Berufsfachschule
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: beginnen und deren Antrag auf BAföG abgelehnt wurde, fi-
nanziell schlechter gestellt werden gegenüber ihrer Zeit als
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Rohde? Empfänger von Leistungen nach SGB II (vergleiche „Freie
Presse“ vom 11. März 2006)?
Jörg Rohde (FDP):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
wird die Bundesregierung im Falle eines viel verspre- nister für Arbeit und Soziales:
chenden bzw. erfolgreichen Ergebnisses des Forschungs- Frau Abgeordnete, soweit junge Erwachsene ihre
programms „ASK-IT“ ein nationales Folgeprogramm Erstausbildung an einer privaten Berufsfachschule be-
finanzieren, damit die im Rahmen von „ASK-IT“ erziel- ginnen, erscheint eine Ablehnung der Ausbildungsförde-
ten Forschungsergebnisse in Deutschland eine optimale rung nach dem BAföG nur wegen der Berücksichtigung
Anwendung finden können? von Einkommen des Auszubildenden oder seiner Eltern
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2543
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
(A) denkbar. Das BAföG ist eine subsidiäre Sozialleistung, Man muss sich aber jeden Fall einzeln anschauen; da (C)
die nur dann eingreift, wenn der Auszubildende bzw. bitte ich Sie um Verständnis. Es hängt davon ab – das
seine Eltern nicht in der Lage sind, die Ausbildung aus habe ich Ihnen ja vorgelesen –, ob noch Unterhaltsan-
eigener Kraft zu finanzieren. sprüche gegenüber den Eltern bestehen, ob der Jugendli-
che schon eine Ausbildung gemacht hat, wie hoch seine
Wenn die Auszubildenden aus dem Ausbildungsver- Ausbildungsvergütung und wie hoch das Einkommen
hältnis eine Ausbildungsvergütung erhalten – im Falle des Vaters bzw. der Eltern ist. Ich kann das hier nicht
der Ausbildung zum Altenpfleger ist der Träger der verallgemeinernd beantworten; wir müssten uns schon
praktischen Ausbildung nach § 17 des Altenpflegegeset- den konkreten Fall anschauen. Wenn Sie der Meinung
zes zur Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergü- sind, dass sich solche Fälle häufen – –
tung verpflichtet –, dann sind diese Einkünfte nach § 23
Abs. 3 BAföG voll auf den Bedarf des Auszubildenden
anzurechnen. Für die Ausbildungsvergütung wird dem Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Auszubildenden kein allgemeiner Freibetrag zugebil- Es häuft sich, ja.
ligt, weil ihm diese Mittel gewissermaßen zwangsläufig
durch und für die Ausbildung zufließen, also nicht das Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengung sind. minister für Arbeit und Soziales:
Weiterhin geht das BAföG typisierend davon aus, Das weiß ich nicht. – In der Frage, dass junge Leute
dass Eltern ihren Kindern gegenüber unterhaltspflichtig bis 25 bereits von zu Hause ausgezogen sind, hatten wir
sind, wenn diese noch keine nach dem BAföG förde- eine Stichtagsregelung; deswegen können alle, die schon
rungsfähige Ausbildung durchlaufen haben. Dabei wird ausgezogen sind, eigentlich nicht davon betroffen sein.
unterstellt, dass die Eltern den angerechneten Betrag, der Alle weiteren Fälle würde ich mir gerne anschauen. Es
sich aus der Pauschalierung des bürgerlich-rechtlichen gibt in bestimmten Fällen – das gestehe ich gerne zu –
Unterhaltsanspruchs ergibt, an die Auszubildenden leis- Schnittstellenprobleme zwischen der Berufsausbildungs-
ten. Ist dies nicht der Fall und ist die Ausbildung des beihilfe und der BAföG-Regelung. Dies gilt aber nur in
Kindes dadurch gefährdet, kann diesem nach § 36 Ballungsräumen und wenn die Mietkosten eine be-
BAföG eine Vorausleistung gewährt werden. stimmte Höhe übersteigen. Mit dieser Frage setzen wir
uns gegenwärtig auseinander. Sie wird auch Gegenstand
In dem konkreten Fall, auf den in der Fragestellung einer gesetzlichen Regelung sein im Rahmen des Opti-
Bezug genommen wurde, dürfte ein BAföG-Anspruch mierungsgesetzes, das wir vorbereiten. Es kommt, wie
am fehlenden Bedarf – aufgrund der Anrechnung der gesagt, immer auf den Einzelfall an.
Ausbildungsvergütung der Auszubildenden und des Ein-
(B) kommens des Vaters – gescheitert sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Zimmermann, Sie haben eine Nachfrage, bitte Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
schön. Ich würde gern auf Ihr Angebot zurückkommen und
Sie von dem konkreten Fall in Kenntnis setzen. Ich bitte
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Sie, dass wir da schnellstmöglich eine Lösung finden,
Danke schön erst einmal für die Antwort. – Der Fall, weil es wirklich eine Menge Personen betrifft.
der in der Presse geschildert worden ist, ist kein Einzel-
Danke schön.
fall. Es betrifft etliche Jugendliche zwischen 18 und 25,
die Hartz-IV-Empfänger waren. Durch die Neuregelung
sind die, die schon in einer eigenen Wohnung leben und Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
sich einen Ausbildungsplatz gesucht haben – egal ob in minister für Arbeit und Soziales:
den Weißkittelberufen oder in den Berufen nach dem Mein Angebot steht: Wenn Ihnen Fälle bekannt sind,
Berufsbildungsgesetz –, davon betroffen. Nehmen wir dann geben Sie uns diese und dann schauen wir sie uns
also an, ein Jugendlicher hat eine eigene Wohnung, gilt an; dafür sind Ministerien schließlich da. Wenn da recht-
als eigene Bedarfsgemeinschaft und hat sich selbststän- lich etwas nicht in Ordnung sein sollte, ist es ohne weite-
dig einen Ausbildungsplatz gesucht. Im Altenpflegege- res möglich, sich darum zu kümmern. Dies ist jetzt aber
setz steht nur etwas von einer „angemessenen Berufsaus- kein Aufruf zu einer Kampagne der Linkspartei, dem
bildungsvergütung“; „angemessen“ kann man so oder so Staatssekretär Andres fünfeinhalbtausend Fälle zuzusen-
definieren. Ein solcher Jugendlicher ist durch die Neure- den, nur damit wir uns richtig verstehen.
gelung benachteiligt. Im vorliegenden Fall ist es so, dass
die Jugendliche, weil sie nur 300 Euro zur Verfügung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
hatte und ihre Wohnung nicht mehr finanzieren konnte, Dann sind wir jetzt bei der Frage 17 der Abgeordne-
praktisch bestraft wird. Oder soll sie jetzt wieder bei ih- ten Zimmermann:
ren Eltern einziehen? Besteht nach Ansicht der Bundesregierung eine Gesetzes-
lücke, wenn für Auszubildende gleichzeitig die Anträge auf
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- BAföG, auf Wohngeld, auf Berufsausbildungsbeihilfe und auf
unterstützende Zahlungen im Rahmen von ALG II abgelehnt
minister für Arbeit und Soziales: werden (vergleiche „Freie Presse“ vom 11. März 2006), und
Frau Zimmermann, auf den konkreten Fall, um den es welche unmittelbaren Maßnahmen will die Bundesregierung
in dieser Pressemitteilung ging, bin ich eingegangen. ergreifen, um zu verhindern, dass junge Erwachsene in
2544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- von selbstständigen Existenzen führen werden. Ich sehe (C)
minister für Arbeit und Soziales: das nicht. Nach den Erfahrungen, die wir bislang ge-
Es tut mir Leid. Erlauben Sie mir eine Anmerkung: macht haben, können wir das nicht teilen. Zudem halte
Ihre Fragestellung hat eigentlich nur sehr mittelbar mit ich es gegenwärtig für nicht machbar, auf die Situation
dem zu tun, was Sie jetzt fragen. Ich bin gerne bereit, Ih- derjenigen zu schließen, die infolge einer Behinderung
nen die Informationen zur Verfügung zu stellen, die un- auf Betreuung angewiesen sind und deshalb als private
ser Haus hat. Ich kann die Frage jetzt leider nicht beant- Arbeitgeber auftreten.
worten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine weitere Nachfrage, bitte sehr, Herr
Damit sind wir bei der Frage 22 des Abgeordneten Rohde.
Jörg Rohde:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Rah- Jörg Rohde (FDP):
men des Schätzmeldeverfahrens der Krankenkassen seit Herr Staatssekretär, weil wir heute Morgen im Aus-
1. Januar 2006 Menschen mit Behinderungen, die Arbeitgeber schuss darüber gesprochen haben, dass mit der kleinen
von Pflegekräften im Privathaushalt sind, genauso wie ge-
meinnützige Vereine, die diese behinderten Arbeitgeber bei Änderung des SGB IV eine Barriere in diesem Bereich
der Lohnabrechnung unterstützen, durch die doppelte Büro- weggeräumt wird, hatte ich die Hoffnung, dass noch an-
kratie infolge der später zusätzlich erforderlichen Restschuld- dere Barrieren fallen. Meine Nachfrage lautet daher:
meldung vor einen Mehraufwand gestellt werden, der so groß Sieht die Bundesregierung grundsätzlich Bedarf, assis-
ist, dass er in vielen Fällen nicht mehr allein oder ohne zusätz-
liche Kosten bewältigt werden kann, und sieht die Bundes-
tenzbedürftige Menschen mit Behinderung in ihrem Be-
regierung Möglichkeiten, private Arbeitgeber, die infolge ei- mühen um größtmögliche selbstständige Bewältigung
ner Behinderung den erhöhten organisatorischen Aufwand der ihrer Arbeitgeberpflichten zu unterstützen?
Schätz- und Restschuldmeldung nicht bewältigen können,
von der Pflicht zur Schätz- und Onlinemeldung zu befreien?
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Soziales:
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ich habe bislang die Zahlung der Sozialversiche-
minister für Arbeit und Soziales: rungsbeiträge nicht als Barriere gesehen. Natürlich muss
Herr Abgeordneter Rohde, die gesetzlichen Vorschrif- man Arbeitgeber dabei unterstützen, ihren Pflichten
ten über die Erhebung der Gesamtversicherungsbeiträge nachzukommen, unabhängig davon ob der Arbeitgeber
treffen keine unterschiedlichen Regelungen für be- behindert ist oder nicht. Es geht darum, dort, wo es mög-
stimmte Arbeitgebergruppen. Eine solche Differenzie- lich ist, bürokratische Hürden abzubauen; darum bemü-
(B) rung ließe sich auch nicht begründen, da sich der Auf- hen wir uns. Lassen Sie uns jedenfalls festhalten: Wir (D)
wand für die Berechnung und Abführung der werden genau beobachten, wie es wirkt, und dann fest-
Sozialversicherungsbeiträge für alle Arbeitgeber in glei- stellen, ob die angesprochene Personengruppe in beson-
cher Weise darstellt. Dies gilt auch für Arbeitgeber mit derem Maße betroffen ist.
Behinderungen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage des Kollegen Markus Kurth.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Rohde? – Bitte
schön. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, es geht darum, dass die Kosten-
Jörg Rohde (FDP): träger wie etwa die Pflegekassen ihre Zahlungen erst
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung der verspätet im Folgemonat leisten. Nach meiner Auffas-
Tatsache bewusst, dass trotz des vorgezogenen Einzugs sung ließe sich das Problem beheben, wenn man auf die
der Beiträge durch die Krankenkassen der Kostenträger, Kostenträger einwirkte, ihre Zahlungen früher zu leisten.
das Sozialamt, nur eine 30-prozentige Abschlagszahlung Wenn sich herausstellt, dass das doch ein größeres Pro-
gewährt – vielerorts nicht einmal das – und die behinder- blem ist: Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, auf
ten Arbeitgeber dadurch in eine Schuldenfalle geraten die Kostenträger einzuwirken, ihre Erstattungspraxis an-
können, zumal die Krankenkassenbeiträge monatlichen zupassen, und dieses Durchführungsproblem vergleichs-
Schwankungen unterliegen? Es geht um die privaten Ar- weise unbürokratischen zu beheben, ohne dass eine
beitgeber bzw. das persönliche Budget bei diesen Gesetzesänderung bezüglich des Einzugs der Sozialver-
Modellversuchen. sicherungsbeiträge erfolgen muss?
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Soziales: minister für Arbeit und Soziales:
Wir sind uns dessen bewusst. Ich kann aber gegen- Herr Abgeordneter Kurth, es wird unterstellt, dass be-
wärtig nicht sagen, wie viele Fälle es gibt. Dieses Thema hinderte Arbeitgeber in besonderem Maße betroffen
wird aber – wie heute Morgen im Ausschuss – auch in sind. Wie ich schon gesagt habe, glauben wir nicht, dass
anderen Zusammenhängen besprochen. In der politi- sich die Situation behinderter Arbeitgeber von der an-
schen Diskussion ist behauptet worden, dass diese Tat- derer Arbeitgeber im Wesentlichen unterscheidet. Wir
bestände massenweise zu Konkursen und zum Scheitern werden das jedenfalls beobachten. Sollte sich ein
2548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C)
desministerin der Justiz: desministerin der Justiz:
Herr Dr. Addicks, ich beantworte Ihre Frage zunächst Herr Dr. Addicks, mit der Verordnung (EG) Nr. 1346/
mit einem ganz einfachen Nein. Das Statistische Bun- 2000 vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren – ich
desamt erhebt sämtliche das Insolvenzgeschehen in habe sie eben schon angesprochen – liegt ein ausdiffe-
Deutschland betreffende Daten, die der Bundesregierung renziertes Rechtsinstrument vor, um grenzüberschrei-
zeitnah zur Verfügung stehen und die dann auch weite- tende Insolvenzverfahren innerhalb der EU mit Aus-
ren Beratungen des Bundesministeriums der Justiz zu- nahme Dänemarks abwickeln zu können.
grunde liegen. Diese Statistik enthält allerdings keine
Angaben über Personen, die etwa ihren Wohnsitz nach Die Europäische Insolvenzverordnung enthält jedoch
Frankreich verlegen, um ein französisches Insolvenzver- überwiegend nur Kollisionsrecht. Für eine vollständige
fahren zu durchlaufen. Insofern liegen der Bundesregie- Harmonisierung des Insolvenzrechts ist nach Auffassung
rung auch keine Erkenntnisse vor, in welcher Höhe der der Bundesregierung die Zeit noch nicht reif, da das In-
öffentlichen Hand Verluste durch im Ausland erteilte solvenzrecht auf vielfältige Sachverhalte Bezug nimmt,
Restschuldbefreiungen entstehen. die durch andere Rechtsgebiete wesentlich bestimmt
werden. Das gilt etwa für das allgemeine Zivilrecht, das
Arbeits- oder das Steuerrecht. Erst wenn auf diesen Ge-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: bieten weitere Harmonisierungsfortschritte erzielt wur-
Ihre Zusatzfrage. den, ist es nach Auffassung der Bundesregierung sinn-
voll, mit der Erarbeitung eines einheitlichen, EU-weit
geltenden Insolvenzrechts zu beginnen.
Dr. Karl Addicks (FDP):
Danke. – Dann können Sie natürlich auch keine An-
gaben dazu machen, in welcher Höhe sich etwa die Aus- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
fälle bei den privaten Gläubigerforderungen bewegen, Haben Sie eine Zusatzfrage?
die durch diesen so genannten Insolvenztourismus verur-
sacht werden. Dr. Karl Addicks (FDP):
Ja. – Sieht denn die Bundesregierung einen Bedarf
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- – die entsprechenden Zahlen sind allerdings nicht be-
desministerin der Justiz: kannt; ich verfüge über Anhaltspunkte, dass sie in einer
Sie haben von „Insolvenztourismus“ gesprochen. Die Größenordnung von mehreren Milliarden liegen –, hier
zu einer Angleichung des Rechts auf europäischer Ebene
(B) Europäische Insolvenzverordnung sieht allerdings nicht (D)
vor – da Sie im Saarland wohnen, ist Ihnen das Problem zu kommen?
bekannt –, dass man eben mal nach Frankreich fährt und
dort ein Insolvenzverfahren durchläuft. In der Europäi- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
schen Insolvenzverordnung heißt es, dass für die Eröff- desministerin der Justiz:
nung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitglied- Herr Kollege Addicks, ich habe diese Frage eigentlich
staates zuständig sind, in dessen Gebiet der Schuldner schon beantwortet. Ich will aber noch einen kleinen
den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Schlenker machen.
Eine weitere Möglichkeit bei einem unternehmerisch tä-
tigen Schuldner ist, dass er dort eine Nebenniederlas- Es gäbe schon heute Möglichkeiten, uns diese Zahlen
sung hat. Denkbar ist auch, dass deutsche Saarbrücker bekannt zu geben. Nach der Europäischen Insolvenzver-
Bürgerinnen und Bürger einen Nebenwohnsitz jenseits ordnung könnte nämlich der Verwalter einen Antrag auf
der Grenze in Frankreich haben. Aber dazu liegen uns Bekanntmachung in allen Staaten der Europäischen
keine Zahlen vor. Ein Insolvenzverfahren kann nur or- Union – mit Ausnahme Dänemarks – stellen.
dentlich und richtig durchgeführt werden – ich hoffe, es
wird richtig durchgeführt –, wenn in dem jeweiligen Der Verwalter könnte auch eine Eintragung in öffent-
Land ein Hauptwohnsitz existiert. liche Register beantragen. Bezogen auf die Bundes-
republik Deutschland könnte dies beispielsweise sein:
eine Eintragung in das Grundbuch, wenn der Schuldner
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Grundeigentum besitzt, oder eine Eintragung in das
Ihre zweite Zusatzfrage. Handelsregister, wenn der Schuldner eine dort eingetra-
gene Firma besitzt. Aber das alles richtet sich nach dem
Insolvenzrecht des Staates, in dem der Antrag auf Eröff-
Dr. Karl Addicks (FDP):
nung eines Insolvenzverfahrens gestellt wurde.
Nein, danke.
Ich habe schon gesagt, dass wir es begrüßen würden,
wenn es zu einer weiteren Harmonisierung käme. Aber
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dazu ist es erforderlich – das interessiert auch den Parla-
Dann rufe ich die Frage 35 des Kollegen Dr. Addicks mentarischen Staatssekretär Andres –, dass es zum Bei-
auf: spiel im Arbeitsrecht und im Zivilrecht weitere Harmo-
Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich nisierungen gibt. Dann könnten wir diesen weiteren
einer einheitlichen Insolvenzordnung auf EU-Ebene? Schritt gehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2553
(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: zugesagt worden. Das wurde in beiden Jahren eingehal- (C)
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? ten. In 2004 waren es 59 500 und in 2005 63 000. Es
wurde also eine beeindruckende Überschreitung der im
Dr. Karl Addicks (FDP): Pakt gemachten Zusagen erreicht.
Ja. – Sieht denn die Bundesregierung bis zu einer Wir sagen, dass wir neue Ausbildungsplätze, Ausbil-
möglichen Harmonisierung irgendeine Möglichkeit, auf dungszweige und -berufe schaffen müssen. Allein in die-
die Regierungen der anderen EU-Staaten einzuwirken, sem Jahr treten fünf neue und 14 modernisierte Ausbil-
die Insolvenzflucht zu verhindern? dungsordnungen in Kraft. Das Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie als Verordnungsgeber wird
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- unter Ausschöpfung aller gesetzlichen Möglichkeiten als
desministerin der Justiz: zusätzlichen Beitrag zum Ausbildungspakt angebots-
Dies wird genauso schwierig sein, wie auf deutsche orientiert neue Ausbildungsberufe schaffen, mit denen
Gerichte einzuwirken. Denn eine Regierung hat auf- sich auch kleine und mittlere Betriebe identifizieren kön-
grund der Gewaltenteilung keine Möglichkeit, auf die nen, um so deren Ausbildungsbereitschaft zusätzlich zu
Gerichte Einfluss zu nehmen. Ich kann Ihre Frage nicht steigern.
genauer beantworten. Ich würde mich aber gerne mit Ih-
nen – ich habe es Ihnen schon eben angeboten – darüber Die Bundesregierung wird im Rahmen des Ausbil-
einmal genauer unterhalten. dungspaktes außerdem die Bemühungen verstärken, im
Zusammenwirken mit den Ländern und den Schulen die
Wir gehen davon aus, dass nach der Europäischen In- Ausbildungsreife der Jugendlichen und damit ihre Aus-
solvenzverordnung in anderen Ländern der Europäi- bildungschancen zu verbessern. Dies ist ja nicht nur ein
schen Union ein Insolvenzverfahren nur dann eröffnet Thema der ausbildenden Wirtschaft. Wir haben vielmehr
wird, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Das auch Probleme mit den Qualifikationen einer Reihe von
wäre der Fall, wenn sich der Mittelpunkt der hauptsäch- Schulabgängern.
lichen Interessen des Schuldners in diesem Staat befin-
det. Im Übrigen setzt die Bundesregierung darauf, dass im
Zuge des sich entwickelnden konjunkturellen Auf-
(Zuruf von der FDP) schwungs auch auf dem Ausbildungsmarkt positive Aus-
– Doch. So steht es in der Verordnung. Lesen Sie es wirkungen spürbar werden. Ich darf ergänzen: Am
nach. Sie können ja an dem Gespräch ebenfalls teilneh- 30. Januar 2006 ist im so genannten Paktlenkungsaus-
men. schuss die Zusage für das jetzt kommende Ausbildungs-
jahr erneuert worden.
(B) (D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bundesministeriums der Justiz. Herr Staatssekretär, ich Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Für die Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwor-
Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer tung. – Sie hatten in Ihrer Antwort deutlich gemacht,
Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. dass es sich bei den Vereinbarungen im Ausbildungspakt
um 30 000 neue Ausbildungsplätze – allerdings nicht um
Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Marina Schuster
zusätzliche Ausbildungsplätze – handelt. Wir haben
werden schriftlich beantwortet.
schon mehrfach die Kritik geäußert, dass die Vereinba-
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Cornelia Hirsch rungen, die im Rahmen dieses Paktes getroffen wurden,
auf: offensichtlich zu kurz greifen. Es zeigt sich auch an den
Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund Zahlen, dass das Angebot an Ausbildungsplätzen insge-
der Mitteilung des Statistischen Bundesamts, dass im vergan- samt zurückgeht und nicht ausreichend ist.
genen Jahr 2,2 Prozent bzw. 12 800 weniger Ausbildungsver-
träge als im Jahr 2004 abgeschlossen wurden, den Erfolg des Inwieweit würden Sie die Einschätzung teilen, dass es
so genannten Ausbildungspakts? sich bei den von Ihnen genannten Zahlen nur um neue
und nicht um zusätzliche Ausbildungsplätze handelt,
Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun- und wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund insbeson-
desminister für Wirtschaft und Technologie: dere die Situation, dass die Gewerkschaften angesichts
Frau Kollegin Hirsch, die beiden letzten Jahre haben der Zahlen deutlich gemacht haben, dass sie nicht ge-
gezeigt, dass der Ausbildungspakt gerade in einem aus- willt sind, sich am Ausbildungspakt zu beteiligen?
bildungsmarktpolitisch ausgesprochen schwierigen kon-
junkturellen Umfeld wirkt und notwendig ist. Die Wirt- Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-
schaft hat ihre Zusagen nicht nur eingehalten, sondern desminister für Wirtschaft und Technologie:
um das Doppelte übertroffen.
Ich bleibe bei meiner Aussage und bei meiner Ant-
Ich darf die entsprechenden Zahlen nennen. Es sind wort. Die Zusagen, die im seinerzeitigen Ausbildungs-
30 000 neue Ausbildungsplätze im Jahresdurchschnitt pakt noch von der alten Bundesregierung vereinbart
2554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
desminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Staatssekretär, Länder wie Schweden, Großbri-
Ja, die Vereinbarungen des Ausbildungspaktes sind tannien und Dänemark – –
ausreichend. Das kann über diesen Weg erreicht werden.
Alles Weitere muss man durch ganzjährige Anstrengun- (Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär: Ich
gen mit der ausbildenden Wirtschaft, den Schulen und war noch nicht fertig!)
Ländern sowie über die Ausbildungsordnungen versu-
chen zu verbessern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Entschuldigung, Frau Kollegin. Der Herr Staatssekre-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tär war mit seiner Beantwortung noch nicht fertig.
(B) Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. (D)
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Entschuldigung!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz. Für die Beantwortung der Fragen steht Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Ich denke, wir sollten ihm noch einmal die Gelegen-
Paziorek zur Verfügung. heit zur Beantwortung geben.
Ich rufe die Frage 39 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Welche Schritte plant die Bundesregierung, um die Agrar-
subventionen, ihre Empfänger und ihre Auswirkungen auf
Aber gerne. Vielleicht beantwortet er meine Frage ja
Beschäftigung, Umwelt- und Tierschutz für Bürgerinnen und besser als bisher.
Bürger transparenter zu machen?
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz:
cherschutz: Hoffnung sollte man immer haben; aber zu viel Hoff-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Höhn, nung kann ich Ihnen nicht machen, Frau Höhn.
die Antwort lautet wie folgt: Der jährliche agrarpoliti-
sche Bericht der Bundesregierung, der Subventions- Wie in Deutschland ein Geschäftsgeheimnis zu defi-
bericht der Bundesregierung und weitere Veröffent- nieren ist, ergibt sich nicht aus der schwedischen oder
lichungen enthalten eine Fülle von Informationen und der dänischen Rechtsordnung, sondern aus der deut-
aktuellen Daten zu der oben genannten Frage. Daher be- schen Rechtsordnung. Danach ist unbestritten, dass Ge-
steht bereits ein hohes Maß an Transparenz. schäftsgeheimnisse auch dann vorliegen, wenn Rück-
schlüsse auf die Wettbewerbsposition gezogen werden
können. Es gibt in der Literatur, auch in der deutschen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Literatur, vereinzelt die Position, dass Informationen, die
Ihre Zusatzfragen, bitte. den Wettbewerb betreffen, niemals als Geschäftsgeheim-
nisse definiert werden können, sodass sie – ganz in Ih-
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rem Sinne – bekannt gegeben werden dürfen. Dies ist
Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass andere EU-Län- nach meinem Kenntnisstand aber eine Mindermeinung.
der, insbesondere Dänemark, aber zum Beispiel auch Auch in erstinstanzlicher Rechtsprechung wird diese
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2555
Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek
(A) Rechtsmeinung nicht geteilt, sodass wir zu dem Ergeb- maßen weitgehend von der Betriebsgröße abhängen und (C)
nis kommen, dass es sich hier um Geschäftsgeheimnisse die eingangs genannten aggregierten Zusammenstellun-
handelt und wir dies daher nicht weiter spezifizieren gen ausreichen.
können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Zusatzfrage? – Bitte.
Jetzt haben Sie das Wort zu einer Zusatzfrage.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, dass Sie
Herr Staatssekretär, ich erinnere mich an das Verbrau- wegen des deutschen Rechts die Höhe der Subventionen,
cherinformationsgesetz. Danach dürfen Informationen die die einzelnen Unternehmen erhalten, nicht darlegen
ebenfalls wegen der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse können. Ich hatte nun gefragt, ob man nicht zumindest
nicht weitergegeben werden. Nun kommen Sie mit der- die Direktzahlungen an die 100 Betriebe nennen könnte,
selben Argumentation: Hier können Informationen nicht die die höchsten Beträge erhalten. Wie ist denn Ihre Auf-
weitergegeben werden, weil auch die Höhe der Subven- fassung? Halten Sie es für sinnvoll, dass die Bevölke-
tionen, die diese Unternehmen erhalten, Betriebs- und rung der Bundesrepublik Deutschland ein Recht darauf
Geschäftsgeheimnis ist. Sind Sie nicht mit mir der Mei- hat, die Beträge, die diese Unternehmen bekommen, zu
nung, dass man diese Definition von Betriebs- und Ge- erfahren, oder halten Sie das nicht für sinnvoll?
schäftsgeheimnissen in Deutschland endlich einmal än-
dern muss, damit wir zu transparenten Informationen Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
kommen? desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz:
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Grundsätzlich ist es sinnvoll, Frau Kollegin, dass die
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Bevölkerung erfährt, wie die Struktur der Finanzmittel
cherschutz: aussieht und wie viel die Unternehmen, die Bäuerinnen
Ich bin nicht Ihrer Meinung, Frau Abgeordnete. und Bauern – nach der aggregierten Zusammenstellung
und basierend auf der Größenordnung ihrer Betriebe –
erhalten. Das erfolgt aber. Man bekommt eine genaue
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Auskunft darüber, wie viele Höfe und wie viele Eigentü-
Dann rufe ich die Frage 40 der Kollegin Bärbel Höhn mer Zuschüsse bekommen, und zwar aufgeteilt bei-
auf: spielsweise nach Zuschüssen bis 1 000 Euro und bis
(B) Ist die Bundesregierung bereit, die Direktzahlungen an (D)
5 000 Euro. Diese Zusammenstellung wird auf Anfrage
landwirtschaftliche Betriebe in Abhängigkeit zu Betriebs- verteilt. Es gibt auch Tabellen dazu in den genannten Be-
größe und Beschäftigtenzahl in aggregierter Form zu veröf-
fentlichen und die Direktzahlungen an die 100 Betriebe, die richten. Dadurch wird die Struktur, die agrarpolitische
die höchsten Beträge erhalten, offen zu legen? Dimension deutlich.
Darüber hinaus halten wir es jedoch für rechtlich be-
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- denklich, Informationen auch in anonymisierter Form
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- herauszugeben, weil Rückschlüsse möglich sind.
cherschutz:
Verehrte Frau Kollegin, die Verteilung der Direktzah- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
lungen an landwirtschaftliche Betriebe nach Größenklas- Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
sen der Zahlungsbeträge wird von der EU-Kommission,
auch nach Mitgliedstaaten sortiert, regelmäßig veröffent-
licht und ist über das Internet abrufbar. Die Aktualisie- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
rung der Zahlen für das Haushaltsjahr 2005 ist derzeit in Ja, Herr Staatssekretär, ich habe nicht nach den recht-
Bearbeitung. lichen Bedenken gefragt. Vielmehr habe ich einfach
nach Ihrer politischen Auffassung gefragt: Halten Sie es
Informationen über die Zusammensetzung und Ver- für sinnvoll, dass die Bevölkerung in Deutschland er-
teilung der Direktzahlungen nach Produktionsrichtun- fährt, welche 100 Betriebe im Agrarbereich die höchsten
gen, Rechtsformen und Betriebsgrößen finden sich im Subventionen von der EU bekommen, und dass man die
Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung und im Subventionen, die diese Betriebe von der EU bekom-
Statistischen Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft men, offen legt? Ich will noch einmal betonen: Ich habe
und Forsten. Aus den betreffenden Tabellen ist auch die nicht nach der rechtlichen Einschätzung gefragt. Viel-
Höhe der Direktzahlungen je Arbeitskraft ersichtlich. mehr möchte ich Sie fragen: Halten Sie es politisch für
Die Direktzahlungen an die 100 Betriebe, die die sinnvoll, dass die Bevölkerung diese Daten erhält?
höchsten Beträge erhalten haben, kann ich hingegen
auch nicht in anonymisierter Form offen legen. Es han- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
delt sich um Einzelbetriebsdaten, die von den zuständi- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
gen Länderbehörden erhoben werden. Der Informations- cherschutz:
gewinn durch eine solche Veröffentlichung wäre auch Es tut mir Leid, wenn ich Ihre Frage vorhin falsch
nur äußerst begrenzt, da die Direktzahlungen bekannter- verstanden habe. Sie haben das aber jetzt konkretisiert.
2556 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollegium über die Wirkung des Briefes vielleicht ein (C)
Herr Staatssekretär, Sie haben eben sehr deutlich ge- Stück weit erschrocken ist, ist die eine Seite. Die Wahr-
macht, dass es juristisch nicht machbar ist, dass Sie es heit auf der anderen Seite ist aber, dass wir durch dieses
aber auch für politisch nicht sinnvoll halten, dass die Be- Schreiben darauf hingewiesen werden, dass wir seit Jah-
völkerung in Deutschland erfährt, wie die Agrarsubven- ren einen Realitätsverlust bei der Integrationspolitik in
tionen verteilt werden, und dass die 100 Empfänger der Deutschland haben.
höchsten Agrarsubventionen der EU benannt werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Ich frage Sie einfach: Was ist der Grund? Mit welcher
der CDU/CSU)
Begründung wollen Sie der Bevölkerung in Deutschland
diese Daten vorenthalten? Das ist der eigentliche Anlass für die Erörterung des
Themas im Deutschen Bundestag.
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Einen Tag bevor dieser Brief die Öffentlichkeit er-
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- reicht hat, hatte die CDU in der Bezirksversammlung
cherschutz: Neukölln den Antrag gestellt, sich um diese Schule zu
Frau Abgeordnete, es kommt zunächst einmal darauf bemühen und zu kümmern. Der zuständige Stadtrat ant-
an – das steht im Vordergrund meiner Beantwortung –, wortete darauf, mit dem Kollegium sei alles besprochen,
dass man diese Fragen nicht unter dem Aspekt, was man jeder einzelne Punkt durchdekliniert, und im Übrigen
für sinnvoll oder nicht sinnvoll hält, beantwortet, son- habe man die Schulleitung und das Kollegium darauf
dern sich eindeutig daran orientiert, was der rechtliche hingewiesen, dass es nicht in Ordnung sei, solche Briefe
Rahmen zulässt. Nach dem Verwaltungsverfahrensge- unter Umgehung des Dienstweges zu schreiben. Wenn
setz – in Deutschland erfolgen die Zuteilung von Prä- das die staatliche Antwort einer Verwaltung auf diesen
mien und die Zuweisung von Subventionen eindeutig im Brennpunkt, auf diesen Vorgang ist, dann ist das an
Rahmen eines Verwaltungsverfahrens – haben die Betei- Ignoranz nicht zu überbieten.
ligten einen Anspruch darauf, dass ihre Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse und auch Steuerfragen von den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Behörden nicht unbefugt offenbart werden. Unabhängig Es wird eine Herausforderung für uns sein, auch an an-
davon, ob sich das aufgrund europarechtlicher Vorgaben deren Orten – die Rütli-Schule ist nicht die einzige
eines Tages ändern wird – in diesem Zusammenhang Schule –, in denen es Schulen mit solchen Unterrichtssi-
habe ich durchaus Offenheit signalisiert –, müssen wir tuationen gibt, die in Brennpunkten und in solchen so-
zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass wir recht- zialen Milieus liegen, ernsthaft über Integrationspolitik
lich gesehen nicht die Möglichkeit haben, Ihrem Wunsch zu sprechen und uns nicht mehr aufgrund der alten Poli-
nachzukommen. tical Correctness zu scheuen, offen zu sagen, was die (D)
(B)
Anforderungen eines freiheitlichen Staatswesens an die-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: jenigen sind, die zu uns kommen, und was hier getan
Wir sind damit zeitlich am Ende der Fragestunde. Die werden muss. Das ist unumgänglich.
weiteren Fragen werden schriftlich beantwortet. Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Fragen. der CDU/CSU)
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Das beginnt mit einem ganz kleinen Sachverhalt, der
unabdingbar für Integration, für Kommunikation in der
Aktuelle Stunde Schule und auch für Kommunikation des Elternhauses
auf Verlangen der Fraktion der FDP mit der Schule ist: dem Erlernen der deutschen Sprache.
Bundespolitische Folgerungen aus den Vor- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
gängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin der CDU/CSU)
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Ich betone das, weil vielleicht viele hier sagen, das sei
Kollegen Dr. Wolfgang Gerhardt für die FDP-Fraktion. eine bare Selbstverständlichkeit. Ich habe noch Diskus-
(Beifall bei der FDP) sionen im Gedächtnis, in denen Mitbürgerinnen und Mit-
bürger den Eindruck erweckten, als sei die Anforderung,
zuerst einmal die deutsche Sprache zu lernen, eine Art
Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Beeinträchtigung der kulturellen Identität derer, die zu
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- uns kommen. Für mich ist das eine bare Selbstverständ-
ben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil ein Brief, ein lichkeit für die Kommunikation in freiheitlichen Staaten.
Hilferuf eines Lehrerkollegiums die Öffentlichkeit er-
reicht hat und weil aufgrund dieses Hilferufes erkennbar (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ist – Brennpunkt ist wahrscheinlich nicht nur diese Wir haben das Problem lange verdrängt. Wir kannten
Schule –, dass wir in Deutschland Schulen haben, die die hohen Anteile von Ausländern mit sprachlichen Pro-
sich in einer ganz schwierigen Situation befinden, denen blemen auch an anderen Schulen in Deutschland. Die
von der Politik, von der Öffentlichkeit und von der PISA-Studien haben uns schon früher auf Niveauver-
Schulverwaltung ungenügend geholfen wird. Dass Schu- luste im Unterricht hingewiesen.
len Ruhe brauchen, dass diese Schule eine neue Chance
erhalten sollte, dass an dieser Schule jetzt jemand als (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Nun rennen Sie doch
kommissarischer Schulleiter engagiert arbeitet, dass das hier nicht offene Tore ein, Herr Gerhardt!)
2558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- An dieser Stelle will ich betonen: Es ist notwendig,
neten der FDP) dass wir insbesondere den Hauptschülerinnen und -schü-
lern eine Perspektive geben. Denn eines haben mir die
Ich war sehr verwundert, als ich feststellen musste, Schüler der achten Klasse der Rütli-Schule, die ich be-
dass erst vor kurzem zwei Sozialarbeiter und ein Schul- sucht habe, sehr deutlich gesagt: Wir haben doch keine
psychologe in diese Schule geschickt worden sind, dass Chance auf einen Ausbildungsplatz.
die Leitung der Schule nicht wahrgenommen wurde,
(B) weil die Schulleiterin seit längerer Zeit erkrankt ist, und Deshalb wollen wir als neue Bundesregierung alles (D)
dass die Stelle des Konrektors seit mehr als zehn Jahren daransetzen, dass diejenigen, die einen Migrationshinter-
nicht besetzt ist. Es darf einfach nicht sein, dass Schulen grund haben, in der Zukunft bessere Chancen haben, ei-
so allein gelassen werden. nen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das haben wir im
Ausbildungspakt an der Stelle „Jugendliche mit Migra-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tionshintergrund“ verankert.
neten der FDP)
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
Das ist kein Einzelfall. An zehn weiteren Berliner GRÜNEN]: Aber kein einziges neues Benach-
Hauptschulen gibt es ebenfalls keinen Konrektor, weil teiligtenprogramm im Bundeshaushalt!)
sich für diese Stellen niemand findet.
Ich werde morgen gemeinsam mit Kollegen aus dem
(Elke Ferner [SPD]: Aha! So ist das also!) Bundesbildungsministerium mit Unternehmen, die von
Natürlich muss man fragen, warum das so ist. Die not- Ausländern geführt werden, darüber sprechen, dass ge-
wendige Hilfe von außen habe ich bereits angesprochen. rade in diesem Bereich mehr Ausbildungsplätze bereit-
Aber man muss auch die Frage stellen, ob Hauptschul- gestellt werden. Ich finde, wir müssen dem Beispiel
lehrer, die in sozialen Brennpunkten tätig sind, vielleicht Frankreichs folgen.
nicht nur mehr Anerkennung, sondern auch eine Leis- (Markus Löning [FDP]: Frankreich ist ein
tungszulage verdient haben. Denn dort, wo Leistung be- ganz schlechtes Beispiel: höchste Jugendar-
sonders gefordert ist, muss sie, wie ich finde, auch hono- beitslosigkeit!)
riert werden.
Hier sind die deutschen Unternehmen gefordert, sich im
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
Rahmen einer Selbstverpflichtung bereit zu erklären,
SPD und der FDP)
mehr Ausbildungsplätze für Jugendliche zur Verfügung
Zur Forderung nach einer Abschaffung der Haupt- zu stellen; denn daran entscheiden sich die Zukunft-
schule kann ich nur sagen: Wir müssen von unseren typi- schancen.
schen Reflexen Abstand nehmen. Ich weiß, dass der
Bund für die Bildung nicht mehr zuständig ist; das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
richtig. neten der SPD – Renate Künast [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie längst
(Markus Löning [FDP]: Nein! Das ist nicht mitbekommen können! Das ist eine beispiel-
richtig! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: lose Unverschämtheit!)
2560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(Beifall bei der LINKEN und der SPD) die ein gemeinsames Lernen von Schülern aus unter-
schiedlichen sozialen und soziokulturellen Gruppen
Meine Damen und Herren, die Redezeit reicht nicht möglich macht.
aus, um sich mit allen unqualifizierten Äußerungen zu
diesem Thema auseinander zu setzen. Die üblichen Ver- Zweitens. Wir wollen auch schon für das Haus-
dächtigen wie Herr Schönbohm und Herr Stoiber haben haltsjahr 2006 mehr Geld für Ganztagsschulen bereit-
ja für jedes Problem die gleiche Lösung: einsperren oder stellen, um die Bildungschancen für alle Schülerinnen
ausweisen. Das ist dumm und gefährlich zugleich. und Schüler zu verbessern.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der Drittens. Wir wollen eine faire und effiziente Mög-
CDU/CSU: Quatsch!) lichkeit, Sprache so früh wie möglich zu erlernen. Wir
Wer sich ernsthaft mit dem Problem Schule beschäfti- wollen nicht, dass mit Fingern auf die gezeigt wird, die
gen möchte, muss auch bereit sein, die eigene Politik zu die deutsche Sprache nicht perfekt beherrschen, sondern
hinterfragen. Herr Gerhardt, ich gehe davon aus, dass die wir wollen ihnen helfen, diese Sprache zu lernen.
FDP dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, um Viertens. Wir wollen Jugendlichen eine Ausbildungs-
deutlich zu machen, dass die Rütli-Schule für eine bil- perspektive geben und halten die von der Koalition aus
dungspolitische Sackgasse und für ein bildungspoliti- CDU/CSU und SPD beschlossenen Kürzungen für ju-
sches Auslaufmodell steht, nämlich für das dreigliedrige gendliche Empfänger von Arbeitslosengeld II für das
Schulsystem. falsche Signal.
(Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
Das ist ein Selektionssystem, mit dem viele junge Men- CDU/CSU: Haben Sie in Berlin doch ge-
(B) macht!) (D)
schen unabhängig von ihrer Muttersprache frühzeitig ins
Abseits gestellt werden. Denken Sie doch mal selber Wir erwarten von der Bundesagentur für Arbeit mehr
darüber nach, wie Sie in der 4. Klasse, in der 6. Klasse Anstrengungen bei der Qualifizierung und Vermittlung
oder in der 8. Klasse waren und wann die Weichen ge- von jungen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt.
stellt wurden.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wer regiert
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
denn eigentlich in Berlin? – Michael
NIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper
Kretschmer [CDU/CSU]: Sehen Sie einmal,
[FDP]: Das ist doch gar nicht das Problem!)
was in Berlin gemacht wird! Ihre Regierung ist
Damit sinken die Ausbildungs- und Arbeitsmarktchan- das!)
cen dieser Kinder drastisch.
Meine Damen und Herren, in den 20er-Jahren des
(Markus Löning [FDP]: Sie sitzen in der Re- letzten Jahrhunderts orientierten sich die Lehrer der
gierung in Berlin! Die Aufgabe beginnt mit Rütli-Schule an den Ideen der Reformer Wilhelm
den Arbeitslosen in Berlin! Das ist das Pro- Paulsen und Peter Petersen. Die Hauptidee war: Kinder
blem!) sollten in der Schule nicht nur Wissen erwerben, sondern
auch das Zusammenleben einüben und gestalten. Ich
Wen wundert es dann, dass diese Perspektivlosigkeit zu
würde mich freuen, wenn wir der Schule, den Schülerin-
Lethargie und Aggressionen führen kann?
nen und Schülern und allen Schulen im Lande wirklich
Meine Damen und Herren, die Frage, die hier bespro- helfen könnten und wenn wir hier nicht eine Wahl-
chen werden muss, ist doch, was der Bundestag tun kampfarena betreten würden.
kann, um den jungen Menschen an dieser Schule und an
Vielen Dank.
den anderen Hauptschulen in unserem Land eine Chance
auf Bildung und Arbeit zu geben. Die Bundestagsfrak- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
tion der Union hat nun einen Integrationsgipfel bei Frau neten der SPD)
Merkel vorgeschlagen. Ich sage Ihnen: Das ist ein Pla-
cebo für die aufgeregte Öffentlichkeit. Das wird an der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Situation der Jugendlichen nichts ändern; denn es ist ein Für den Bundesrat hat nun Herr Senator Klaus Böger
Trugschluss, dass man mit Gipfeltreffen alle Probleme das Wort.
lösen könnte. Das ist symbolisch und kurzatmig. Wir
brauchen konkrete Vorschläge. (Beifall bei der SPD)
2562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) Klaus Böger, Senator (Berlin): (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (C)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
komme gerade von einer Konferenz aller meiner Haupt- GRÜNEN)
schulleiterinnen und Hauptschulleiter in Berlin. Ich habe
Ich habe viele Ratschläge gehört und bekommen. Ich
nicht zum ersten Mal und, wie ich denke, auch nicht zum
möchte Ihnen sagen, dass wir in Berlin nicht den Weck-
letzten Mal mit den Damen und Herren gesprochen.
ruf der Rütli-Schule brauchten. Wir in Berlin sind – übri-
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Hört! gens mit vielen in diesem Raum – schon längst auf dem
Hört!) richtigen Weg. In Berlin gibt es die erste und wichtigste
Bildungseinrichtung für Kinder, und zwar für mehr als
Die wichtigste Konsequenz, die die Kolleginnen und 90 Prozent der Kinder – das ist gut und richtig so –, und
Kollegen aus dieser Diskussion um die Rütli-Schule zie- es gibt längst einen verpflichtenden Sprachtest für alle
hen, ist die, dass jetzt alle in unserem Land offen, kri- Kinder mit vier Jahren.
tisch und auch selbstkritisch über Wege zur Integration
von Kindern von Ausländern, von Kindern, die eine (Beifall bei der SPD)
nicht deutsche Herkunftssprache sprechen, und von Kin- In Berlin als erstem und einzigem Bundesland gibt es
dern, deren Eltern bildungsfern oder arbeitslos sind, dis- die Verpflichtung, dass Kinder, die sprachliche Defizite
kutieren müssen. Das ist wichtig. aufweisen und keine Kita besuchen, vor der Einschulung
(Beifall bei der SPD – Michael Kretschmer einen Sprachkurs von 330 Stunden absolvieren. Wenn
[CDU/CSU]: Zu spät!) die Eltern sich weigern, ihr Kind zu diesem Kurs zu
schicken, müssen die Eltern ein Bußgeld zahlen. Das ist
– Für manche ist es nie zu spät. keine bayerische Kabinettsvorlage, sondern Berliner Ge-
(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Wie setzeslage.
viele Jahre sind Sie schon im Amt?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– Den Zuruf des Kollegen aus der CDU/CSU, wie viele der CDU/CSU und der LINKEN)
Jahre ich im Amt bin, nehme ich gerne auf. Ich bin ge- Lieber Kollege Gerhardt, glauben Sie mir, in vielen
nau sechs Jahre im Amt. Glauben Sie im Ernst, Herr Bereichen sind wir schon weiter, aber wir sind längst
Kollege, dass dieses Problem in sechs Jahren entstanden noch nicht da, wo wir hinkommen müssen, weil es in der
ist? Dieses Problem ist in Deutschland in über 20 Jahren Bildung sehr lange dauert, bis eine Fehlorientierung kor-
entstanden; das müssen wir zur Kenntnis nehmen. rigiert wird.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Rütli-Schule ist in der Tat kein Einzelfall. Ich warne Ich sage Ihnen: Wir – damit meine ich nicht nur das kon-
davor, dies in Berlin oder in anderen bundesdeutschen krete Verwaltungshandeln – in der Bundesrepublik
Großstädten isoliert zu betrachten. Es ist in der Tat eine Deutschland haben bei vielen Fragen generell zu lange
Herausforderung. weggesehen
Sie sitzen hier im Reichstag im Bezirk Berlin-Mitte. (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Sie
(Zuruf von der FDP: Im Bundestag!) auch!)
– Ja, im Bundestag. Aber es geht um den Bezirk Mitte. und gedacht, die Dinge regelten sich von alleine. Nichts
In diesem Bezirk sind 56 Prozent aller Schülerinnen und regelt sich von alleine. Herr Kollege Wellmann, als alter
Schüler Kinder mit Migrationshintergrund, Tendenz stei- Westberliner wissen Sie, dass in Westberlin 40 Prozent
gend. Was können und müssen wir in diesem Land tun? der Schüler von Hauptschulen keinen Abschluss erreich-
Das Erste ist: Wir müssen diese Kinder als unsere Kin- ten.
der annehmen und nicht wegschicken. (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Sie sind
sechs Jahre Senator und nichts ist passiert!)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Das könnten die Väter der jetzigen Schüler sein. In die-
geordneten der CDU/CSU) ser Zeit war meine Kollegin Laurien Senatorin. Hören
Sie auf, mit billigem Kleingeld zu arbeiten. Das mache
Wir müssen sie – das sage ich ganz betont – bilden und
ich nicht mit.
erziehen. Dies ist notwendig, weil es erhebliche kultu-
relle Differenzen zwischen dem, was Kinder in den (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Elternhäusern prägt, und dem gibt, was sich in jahrzehn- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
telanger Diskussion als unsere gemeinsamen Wertvor-
stellungen entwickelt hat. Das ist die Wahrheit. Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, einen anderen
Punkt anzusprechen. Wir haben – diese Entwicklung ist
Wir brauchen Unterstützung, weil unsere Gesellschaft noch nicht abgeschlossen – alle Grundschulen in Berlin,
und die Gesellschaftsstruktur enorme Probleme mit Ar- in denen glücklicherweise sechs Jahre lang gemeinsam
beitslosigkeit und Perspektivlosigkeit hat, was sich auch gelernt wird, zu Ganztagsgrundschulen gemacht. Für
auf die Eltern auswirkt. Das ist – bei allem Respekt – diese Millionen – die Milliarden waren leider nicht allein
nicht nur ein Problem der Bildungspolitik. für Berlin – zum Ausbau von Ganztagsgrundschulen will
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2563
Senator Klaus Böger (Berlin)
(A) ich mich bedanken. Das ist konkrete Hilfe und Unter- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
stützung für konkrete Bildungspolitik. Das Wort hat nun die Kollegin Renate Künast, Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Noch Fragen?)
Ich möchte etwas zum Thema Gewalt sagen. Mir lie-
gen exakte Zahlen vor, weil Berlin das einzige Land ist, Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
das alle Schulen verpflichtet, jeden – auch noch so klei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen
nen – Gewaltvorfall zu melden. Ich habe deshalb einen Sie mich eine Bemerkung zur Rede von Frau Ministerin
sehr genauen Überblick, was dort geschieht. Das Pro- Böhmer vorwegschicken. Dass Sie mit der Ankündigung
blem beschränkt sich leider nicht auf die Hauptschulen; eines nationalen Integrationsgipfels ein Luftschloss auf-
es besteht auch in den Grundschulen, Realschulen und bauen, gleichzeitig aber darauf hinweisen, dass Sie letz-
Gymnasien und auch anderswo als in Berlin. Es hilft ten Freitag die Rütli-Schule besucht haben, halte ich,
nichts, auf andere zu zeigen. Wir müssen uns der Frage ehrlich gesagt, für ein Armutszeugnis,
stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und bei der LINKEN)
der LINKEN) weil es meines Erachtens schlicht und einfach zu spät ist.
Das heißt für mich – ich habe darüber lange mit den (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP –
Kollegen diskutiert –: Die schulischen Disziplinarmittel Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn da re-
reichen aus. Das Wichtigste ist, dass die Schule selbst giert!)
entscheidet und gemeinsam durchsetzt, was möglich ist.
Respekt – und zwar Respekt von Lehrern gegenüber Dahinter steckt auch etwas anderes. Herr Böger hat es
Schülern und von Schülern gegenüber Lehrern – ist kein gerade angesprochen. Ich bin nicht hier, um Herrn Böger
altertümlicher Begriff, sondern eine Notwendigkeit im und den Berliner Senat zu beweihräuchern. Ich hätte im-
Umgang miteinander. mer noch Verbesserungsvorschläge. Aber was hat denn
die CDU in den letzten Jahren getan, Frau Böhmer? Sie
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf hätten zum Beispiel mit einem Ganztagsschulprogramm
von der CDU/CSU: Eine neue Erkenntnis!) viel früher dabei helfen können, dass in dieser Republik
Das kann man durchsetzen und das wird auch in Schulen Ganztagsschulen mit einer guten Nachmittagsförderung
durchgesetzt. Übrigens, Frau Kollegin Böhmer, ist die ausgebaut werden.
Hoover-Schule mit dem amerikanischen Präsidentenna- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) (D)
men mit meiner Unterstützung diesen Weg gegangen. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Es gibt in Berlin längst Schulen, an denen ein Handy- LINKEN)
verbot und andere klare Verbote gelten, aber nicht par Das haben Sie gestoppt.
ordre du mufti, sondern selbst erarbeitet und durchge-
setzt. Das ist der entscheidende Punkt. Sie hätten im Zusammenhang mit der doppelten
Staatsbürgerschaft beim Zuwanderungsgesetz viel stär-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ker darauf hinarbeiten müssen, dass die betroffenen Kin-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der in dieser Republik eine Perspektive bekommen und
LINKEN) als Menschen respektiert werden,
Wir werden uns beim Thema Gewalt – zwischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schulischen Disziplinarmaßnahmen, Erziehung, Jugend- sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
sozialarbeit, Jugendamt oder dem Jugendstrafgericht
gibt es eine Lücke, die wir notwendigerweise ausfüllen damit deutlich wird, dass dies unsere Kinder sind.
müssen – damit befassen müssen, wobei ich Sie dabei
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
um Mithilfe bitte, wie wir Jugendliche, die sich schlecht
sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael
und mies verhalten, in der Schule mit Sanktionen bele-
Kretschmer [CDU/CSU]: Unglaublicher Vor-
gen können, die auch tatsächlich durchgesetzt werden,
gang!)
statt nur damit zu drohen, dass ein Schüler mal zu Hause
bleibt oder in eine andere Schule kommt. Darüber müs- Damit komme ich zum Kern. Wir reden hier definitiv
sen wir nachdenken, weil in vielen Bereichen keine na- über ein deutsches Problem – diese Feststellung richte
türlichen Erziehungsinstanzen mehr existieren. Wer das ich wegen der aktuellen Vorschläge von Herrn
bestreitet, der sollte die Berliner Schulen besuchen und Schönbohm und Herrn Pflüger zur Abschiebung von
sich der Realität stellen. Sie alle sind herzlich eingela- Mehrfachtätern besonders an die CDU –, das mit Ab-
den – wenn möglich, nicht alle auf einmal. schiebung nicht gelöst werden kann.
Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Die Jugendlichen an der Rütli-Schule stammen aus Ber-
GRÜNEN und des Abg. Michael Kretschmer lin. Sie sind zu einem guten Teil hier geboren und aufge-
[CDU/CSU]) wachsen. Sie sind Teil dieser Gesellschaft.
2564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Renate Künast
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN same Planung und für Finanzhilfen zu geben. Damit sind (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von wir bei einem der Kernthemen.
der CDU/CSU: Das ist die Gesellschaft, die ihr
wolltet!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Gewalt an Schulen gibt es übrigens auch dort, wo fast LINKEN)
ausschließlich Schülerinnen und Schüler mit deutschem
Wir erwarten von den betroffenen Eltern und Kin-
Pass sind. Herr Gerhardt, ich nenne als Beispiel die Se-
dern, die in dieser Republik leben wollen, dass sie
kundarschule „Karl Marx“ in Gardelegen in Sachsen-
Deutsch lernen und sich bei der Gestaltung einbringen.
Anhalt. Dort ist ein Viertel der Lehrer krank
Aber wir müssen auch Respekt vor den Kindern haben
(Zuruf von der CDU/CSU: Bei dem Namen – daran mangelt es in diesem Land – und sie als kleine
der Schule kein Wunder!) Persönlichkeiten akzeptieren. Das bedeutet nicht nur
frühkindliche Sprachförderung, sondern auch, dass die
– das spiegelt die stressige Situation in der Schule wider – Wirtschaft – das müssen wir einfordern – Ausbildungs-
und es gibt Pöbeleien und Bedrohungen durch Schüler. plätze zur Verfügung stellt. In diesem Zusammenhang
Sobald Journalisten auf dem Schulhof auftauchen, wer- muss man auch noch einmal über eine Ausbildungsplatz-
den etwa Feuerlöscher in Brand gesetzt. Wir dürfen aber abgabe nachdenken.
auf dieses Problem nicht erneut mit Ausgrenzung reagie-
ren und sagen: Die haben sich gefälligst diszipliniert zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
verhalten. Vielmehr handelt es sich um ein deutsches sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Problem. Die Kernfrage lautet, wie wir des sozialen Pro- LINKEN)
blems Herr werden, wie wir diesen Kindern und Jugend- Man sollte sich trauen, Druck auf die Wirtschaft auszu-
lichen – die Förderung sollte schon im frühkindlichen üben.
Stadium beginnen – eine Perspektive in dieser Republik
bieten können, und zwar zu unser aller Nutzen. Bei der Integration brauchen die Schulen Autonomie.
Sie sollten spezifische Angebote machen und Maßnah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men selbstständig umsetzen können. Wir brauchen im
sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von Übrigen mehr Sprach- und Integrationskurse. Frau
der FDP: Wie zündet man einen Feuerlöscher Böhmer, wenn man Ihren Worten nur einen Hauch Glau-
an?) ben schenken soll, sollten Sie die Kürzung der Haus-
haltsmittel für Integrationskurse um 67 Millionen Euro
– Wir werden es Ihnen gegebenenfalls erklären.
zurücknehmen.
(B) (Lachen bei der FDP – Zuruf: Darum bitten (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wir!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Es geht um soziale Exklusion, um Ausgrenzung. Herr LINKEN)
Gerhardt, Sie haben große Worte gefunden. Ich hätte mir Wir brauchen dieses Geld für neue Kurse, für die betrof-
gewünscht, dass Sie schon 1988, als Sie Präsident der fenen Kinder, für das Zusammenleben.
Kultusministerkonferenz waren, ein gezieltes Konzept
zur Integration vorgelegt hätten. Dann wären wir heute
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
vielleicht schon weiter.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
LINKEN – Widerspruch bei der FDP) Nicht durch Streichen, sondern durch Investieren lö-
Ich kann mich noch gut daran erinnern, was ich 1988 in sen Sie das Problem. Wie gesagt, es ist ein deutsches
Berlin gemacht habe. Damals habe ich mich im Wesent- Problem, das Sie nicht mit Abschiebung lösen können.
lichen nicht mit Ihnen, sondern mit der Berliner CDU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gestritten, weil diese gesagt hat: Wie kommen wir denn sowie bei Abgeordneten der SPD und der
dazu, den Migranten noch Deutschkurse zu bezahlen? LINKEN)
Das ist doch Luxus; das machen wir nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nun hat das Wort der Kollege Dr. Friedbert Pflüger,
CDU/CSU-Fraktion.
In dieser Republik sprechen zu viele Kinder schlecht
deutsch bei der Einschulung. Das ist vor allem ein Pro- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der
blem von Migrantenkindern, aber nicht nur. Vielmehr SPD: Der Wahlkampf ist eröffnet! – Hannover
sind auch deutsche Kinder betroffen. Umso trauriger spricht!)
stimmt mich das, was bei der Föderalismusreform ge-
schieht. Angesichts der Tatsache, dass jedes dritte deut- Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):
sche Kind vor der Schulzeit Sprachförderung braucht, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
kann ich nur sagen: Ein Fehler der Föderalismusreform Herren! Frau Künast, ich möchte zuerst deutlich machen
ist, dem Bund keinerlei Möglichkeiten für eine gemein- – ich glaube, darüber besteht im Hause Konsens –, dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2565
Dr. Friedbert Pflüger
(A) es bei dem angesprochenen Thema nicht in erster Linie che an den Schulen hat meine Partei, die CDU, von An- (C)
um Ausländer auf der einen und Deutsche auf der ande- fang an das Richtige gesagt; andere haben weggeschaut
ren Seite geht. und sich in Multikultiträumereien geflüchtet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der
bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Pfui!)
SPD: Da haben Sie Recht!)
Herr Böger, wenn Sie sagen, alle hätten Fehler ge-
Trotz der Aufgeregtheit dürfen wir uns nicht in eine fal- macht, dann stimme ich natürlich zu. Jetzt befinden wir
sche Frontlinie treiben lassen. uns aber in dieser Situation. Wenn ich im „Tagesspiegel“
von gestern Ihre Aussage lese, es würden zwar alle Ge-
(Zuruf von der SPD: Da hat er auch Recht!) waltfälle gemeldet, aber lediglich „bei Amoklauf, Mord,
Die eigentliche Front ist: Rechtschaffene gleich welcher Schusswaffengebrauch, Geiselnahme“ ließen Sie sich in-
Herkunft, auf der einen Seite gegen Störer, Kriminelle, formieren, dann frage ich mich: Was sind denn das für
Drogenhändler und Extremisten auf der anderen Seite. Zustände in Berlin, in Ihrer Behörde, Herr Böger?
Das ist die Frontlinie, um die es eigentlich geht. (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört! – Jürgen
(Beifall bei der CDU/CSU) Kucharczyk [SPD]: In den Medien steht es
ganz anders!)
Es ist wichtig, dass wir uns vor Augen führen: Alle
Probleme der Integration, alle Probleme, die mit Schule Das haben Sie gesagt. Es steht im „Tagesspiegel“. Ich
zusammenhängen, können wir in einer Stadt wie Berlin kann es Ihnen geben. Wenn man so an die Dinge heran-
nur lösen, wenn wir die Eltern und die Schüler, gerade geht, dann verhält man sich wie ein Arzt im Kranken-
aus Migrantenfamilien, gewinnen, mitzumachen und die haus, der erst dann tätig wird, wenn der Patient schon
Gewalttäter zu isolieren. Wir können es nicht gegen sie auf der Intensivstation liegt. Das ist eine Politik, die wir
schaffen, sondern müssen sie mitnehmen. Das ist eine ablehnen und die falsch ist.
ganz wichtige und wesentliche Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Herr Pflüger, so schaffen
Es sind nämlich gerade viele türkische Familien – ich Sie die 30 Prozent nicht! – Zurufe von der
habe gestern an der Rütli-Schule mit türkischen Schülern SPD)
und mit Schülersprechern gesprochen –, es sind viele
Immigranten, Herr Böger, die sich beklagen, dass an den – Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Herr
Böger selbst hat doch Fehler eingeräumt. Das ist auch
(B) Schulen zu wenig Disziplin herrscht, dass zu viel Schul- (D)
schwänzen erlaubt wird, dass die Leute in der Schule gut so, denn in Berlin haben wir es in der Tat mit einer
keine Werte vermittelt bekommen. Da muss sich an un- total verfehlten Integrations-, Rechts- und Gesellschafts-
seren Schulen etwas verbessern! Das wollen gerade auch politik, vor allem aber mit einer verfehlten Bildungspoli-
die Migrantenfamilien, aber Sie, Herr Böger, haben es tik zu tun.
nicht in Angriff genommen. Da muss sich in Berlin et- Jetzt gibt es einige in der SPD – ich finde es gut, dass
was ändern. Sie, Herr Böger, nicht dazu gehören –, die meinen, das
(Beifall bei der CDU/CSU) Allheilmittel sei, die Hauptschule abzuschaffen. In Ber-
lin gibt es aber sehr gute Hauptschulen, die sich dagegen
Ich möchte eines zum Thema „Deutsch“ sagen – Herr wehren würden, abgeschafft zu werden. Sie sind, nicht
Gerhardt und andere haben es angesprochen –: 1998 weil sie viel Unterstützung von der Senatsverwaltung er-
oder 1999 hat Herr Schönbohm, damals Innensenator in halten haben, gut geworden, sondern weil sie selbst initi-
Berlin, Vorschläge gemacht. Er forderte, den Deutschun- ativ geworden sind. Zum Beispiel die Nikolaus-August-
terricht zu forcieren, Deutsch zu einer Grundlage zu ma- Otto-Hauptschule in Berlin: eine fabelhafte Schule, die
chen. Da haben Sie, Herr Böger, gesagt, das sei Deutsch- aus eigener Initiative Elternseminare anbietet. Eine fan-
tümelei. tastische Geschichte! Oder die Jean-Piaget-Hauptschule
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der in Hellersdorf: Sie bemüht sich, zusammen mit den Be-
CDU/CSU: Hört! Hört!) trieben Praktika anzubieten. Das heißt, es gibt auch gute
Beispiele.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass auf diese Weise
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
reagiert worden ist. Ich kann mich gut daran erinnern!
Jürgen Kucharczyk [SPD]: Das ist doch super!
(Zuruf von der CDU/CSU: Alles vergessen!) Das Konzept greift!)
Es ist wichtig – da gebe ich Herrn Böger Recht –, zu Nun schmeißen Sie nicht das ganze Schulsystem um,
verstehen: Die Probleme, die wir haben, sind nicht fünf wie es Ideologen in der SPD und in anderen Parteien
oder zehn Jahre alt; sie haben zum großen Teil ihre Wur- wollen!
zeln im Beginn sehr langer Entwicklungen. Wir alle ha-
(Widerspruch bei der SPD)
ben dabei Fehler gemacht. Wer wollte das bestreiten!
Aber, Herr Böger – es tut mir furchtbar Leid –: Zur Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Ich zitiere aus ei-
Frage der Durchsetzung des Rechts an den Schulen, zur nem Brief von Lehrern, die nicht an der Rütli-Haupt-
Frage der Durchsetzung von Deutsch als Verkehrsspra- schule, sondern an der Theodor-Plivier-Oberschule
2566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Ich komme zum Schluss. – Ich will nur noch sagen: Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das Einzige, was wir alle miteinander nun wirklich nicht NEN]: Das hat nichts mit Hose zu tun, Herr
machen sollten, Löning, sondern mit Sprache!)
Aber ich muss denselben Vorwurf auch an die andere
(Jörg Tauss [SPD]: Sind Reden, wie Sie sie
Seite des Hauses richten. Auch die Union hat sich in der
halten!)
Zuwanderungspolitik den Realitäten jahrelang, auch in
ist das, was der Regierende Bürgermeister von Berlin der Zeit der Koalition mit uns bis 1998, verweigert.
gemacht hat, indem er gesagt hat, es handele sich um Auch das muss hier einmal deutlich gesagt werden.
ausgebrannte Lehrer, die man durch bessere Lehrerper-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sönlichkeiten ersetzen müsse. Die Schuld für diese Pro-
der SPD)
bleme jetzt bei diesen Lehrern abzuladen, das ist nun
wirklich der falsche Weg. Wir müssen die Lehrer an sol- Jetzt sind offensichtlich alle schlauer. Ich hoffe, dass
chen Schulen stärken und nicht beschimpfen. wir hier gemeinsam den richtigen Weg finden, eine ver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2567
Markus Löning
(A) nünftige Integrationspolitik zu betreiben, die fordert und Frau Lötzsch, Sie versuchen, das auf die Bildungs- (C)
die auch fördert. Beides gehört zusammen. Wir müssen politik zu schieben. Was wir brauchen – das ist ganz
die Anerkenntnis unserer Grundwerte fordern. Wir müs- ohne Zweifel richtig –, ist eine andere Bildungspolitik.
sen Deutschkenntnisse fordern. Aber als Gesellschaft
müssen wir selbstverständlich auch sagen: Ihr seid hier (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)
willkommen, wenn ihr euch unserer Gesellschaft an- Wir brauchen mehr Autonomie an den Schulen. Wir
passt. müssen die Schulen ausstatten. Wir müssen in unserer
Debatte als Politiker gegenüber der Gesellschaft auch
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einmal klar machen: Es ist eine bewusste politische Ent-
der CDU/CSU und der SPD) scheidung, dass die Schulen in dem Zustand sind, in dem
Die Debatte, die wir hier führen, beschäftigt sich aber sie sind, weil wir das Geld, das wir haben, an anderer
eben nicht nur mit der Frage der Integration, sondern Stelle und nicht für die Schulen ausgeben. Das müssen
auch mit unserer Schul- und Bildungspolitik. Frau wir klar machen. Das vermisse ich an dieser Stelle. Das
Künast, offensichtlich haben auch Sie die „taz“ gelesen. vermisse ich auch beim rot-roten Senat.
(Beifall bei der FDP – Dr. Gesine Lötzsch
Ich hatte mir dasselbe schöne Beispiel herausgesucht,
[DIE LINKE]: Deshalb hat die FDP in Berlin
weil es wichtig ist, klar zu machen, dass es nicht nur eine
gegen den Haushalt geklagt!)
Integrationsdebatte ist, um die es hier geht; vielmehr
geht es um Perspektiven für unsere Jugendlichen. In Ge- Das andere ist die Frage – Frau Lötzsch, dazu sagen
genden, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und die wirt- Sie nichts –: Wie bekommen wir die Wirtschaft in Berlin
schaftliche Perspektive unserer Jugendlichen schlecht und in der Bundesrepublik in Schwung? Denn nur das
ist, wo es keine Aussicht gibt, im Anschluss an die wird am Ende Lebensperspektiven für unsere Jugendli-
Schule eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden, chen schaffen. Nur wenn es uns gelingt, wieder auf einen
haben wir die Probleme. Wie sollen wir die Kinder moti- Wachstumskurs zu kommen, nur wenn wir erreichen,
vieren, die Schule vernünftig abzuschließen dass durch Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze entste-
hen, gerade auch in Berlin, werden wir es schaffen, die
(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Da ha- Jugendlichen aus dieser Situation zu befreien und die so-
ben Sie Recht!) zialen Probleme auch in Kiezen wie Neukölln wenigs-
– richtig –, wenn sie wissen, dass sie im Anschluss so- tens annähernd zu lösen. Ohne das wird es nicht gehen.
wieso keine Arbeit finden? Dazu hat aber weder Rot-Rot in Berlin irgendetwas ge-
tan noch haben Sie von Rot-Grün dazu irgend etwas ge-
(B) Ich finde es sehr schön, dass dieser Zwischenruf aus- tan, solange Sie im Bund regiert haben. (D)
gerechnet aus Ihrer Ecke kommt. In der Zeit, in der Sie Vielen Dank.
in Berlin regieren, ist die Arbeitslosigkeit in Berlin um
3 Prozentpunkte gestiegen. Schreiben Sie sich das ein- (Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland
mal hinter die Ohren! Was Sie machen, ist keine soziale [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unver-
oder sozialistische Politik. Was Sie hier veranstalten, ist schämtheit!)
zutiefst unsozial.
(Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Michael
Wo Sie regieren, ist die Arbeitslosigkeit höher und steigt Bürsch, SPD-Fraktion.
weiter. Das ist das, was an dieser Stelle unsozial ist.
(Beifall bei der SPD)
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Jetzt wird es nie-
derer Wahlkampf! – Jan Korte [DIE LINKE]: Dr. Michael Bürsch (SPD):
Sachsen-Anhalt!) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat, die Rütli-Schule hat durch ihren Hilferuf auf
Frau Böhmer, Sie haben das Beispiel Frankreich an-
ein sehr ernstes Problem aufmerksam gemacht, auf ein
gesprochen. Ich muss ehrlich sagen: Das ist mir wirklich
Problem der Integrationspolitik und der Bildungspolitik.
völlig unverständlich. Wie kann man in dieser Debatte
Was wir jetzt erleben, ist ein Lehrstück dazu, wie Politik
das Beispiel Frankreich anführen? Dort ist die Jugend-
auf Probleme reagieren kann. Es gibt zwei Möglichkei-
arbeitslosigkeit noch höher als hier. Dort gibt es eine
ten, wie so oft im Leben. Die eine Möglichkeit wird uns
Ausbildungsplatzabgabe und sie führt genau zu dem,
vorgeführt: Die Reaktion ist kurzatmig, populistisch, ak-
wovor wir immer gewarnt haben:
tionistisch und gnadenlos vereinfachend.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Genau so ist (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])
es!)
Die andere Methode ist, sachgerecht, differenziert, nach-
Es gibt weniger Ausbildung und mehr Jugendarbeitslo- haltig, vielleicht auch nach dem Prinzip Gründlichkeit
sigkeit. Also, Frankreich ist das denkbar schlechteste vor Schnelligkeit vorzugehen.
Beispiel an dieser Stelle.
Was die erste Methode angeht, brauchen wir nicht
(Beifall bei der FDP) sehr weit zu schauen. Herr Pflüger, auch wenn Sie
2568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Monika Grütters
(A) Das verstehen auch diejenigen, die der deutschen Spra- Das ist eine Aufgabe für alle – nicht nur in Neukölln (C)
che eher unkundig sind. und Zehlendorf, nicht nur in Berlin, sondern beispiels-
weise auch in Baden-Württemberg oder Sachsen. Das ist
(Beifall bei der CDU/CSU) eine Herausforderung für beide Seiten, damit Neukölln,
Unsere ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte, damit Berlin kein „knallhartes“ Symbol bleibt.
Barbara John, sagte es ganz deutlich und selbstkritisch: Ich danke Ihnen.
Wir haben zu lange Geld gegeben, wo eigentlich Leis-
tung hätte verlangt werden müssen. Heute würde sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
eher großzügig sein mit Arbeitserlaubnissen und geizig neten der FDP)
mit der Sozialhilfe.
Der Staat darf sich mit seiner Gebermentalität nicht Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
aus der Verantwortung stehlen, was die Perspektivlosig- Nun hat das Wort der Kollege Jürgen Kucharczyk,
keit dieser Jugendlichen angeht. Stattdessen müssen wir SPD-Fraktion.
sie beschäftigen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass
sie willkommen sind. (Beifall bei der SPD)
Ilse Aigner
(A) – Wenn wir schon dabei sind, Frau Künast, kann ich Damit sind wir wieder bei dem grundsätzlichen Pro- (C)
auch Ihnen eines nicht ersparen. blem. Natürlich haben wir auch ein Problem bei Ausbil-
dungsplätzen. Wir müssen dieses Problem an der Wurzel
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: anpacken. Die wirtschaftliche Lage ist in den letzten
Ich habe mir noch nie etwas erspart!) Jahren schlechter geworden. Wir alle müssen gemein-
Ich habe jetzt kein Zitat von Ihnen präsent. Ich kann sam daran arbeiten, dass sich die wirtschaftliche Lage
mich aber noch sehr gut an die Kollegin Roth erinnern, wieder verbessert und damit auch die Situation im Hin-
die zu Ihrer Fraktion gehört und sogar Vorsitzende Ihrer blick auf die Ausbildungsplätze.
Partei ist. Sie hat Multikulti immer über alles gestellt.
Eine Anmerkung sei mir noch gestattet, die jetzt nicht
Wenn wir gesagt haben, dass die deutsche Sprache eine
so sehr darauf abstellt, ob jemand nun Migrant ist oder
Voraussetzung sein muss, ging es ihres Erachtens schon
nicht. Die Frage der Gewalt muss man, finde ich, immer
fast um eine Assimilierung. Ich bin froh, dass wir jetzt
wieder erörtern. Wie kommt es dazu, dass Jugendliche
eine gemeinsame Basis haben und der Meinung sind: Es
derart gewalttätig werden, gegenüber Lehrern, aber auch
ist nicht ganz unsinnig, wenn derjenige, der in die Schule
gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern? Sehr ge-
gehen will, die Sprache versteht, die in dieser Schule ge-
ehrter Herr Bürsch, Sie können sich vielleicht noch da-
sprochen wird.
ran erinnern, dass wir gemeinsam in einer Enquete-
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Kommission saßen und uns Projekte angeschaut haben.
GRÜNEN]: Es hat keiner etwas dagegen! – Jetzt nenne ich nicht Bayern, sondern Baden-Württem-
Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie haben auch berg; jetzt lobe ich einmal ausdrücklich die Baden-
Schwierigkeiten!) Württemberger. Wir haben uns damals ein Projekt in
Nürtingen angeschaut, in dessen Rahmen Streitschlichter
– Ich will jetzt nicht alle Landesteile daraufhin untersu- ausgebildet wurden und auch heute noch ausgebildet
chen, ob dort druckreif gesprochen wird. Ich verstehe werden, die hervorragende Arbeit leisten. Die Schüler
Sie aber ganz gut. Außerdem wurde auch in den PISA- werden also in die Mitverantwortung einbezogen.
Tests festgestellt, dass diejenigen, die zweisprachig auf-
gewachsen sind, besser sind. Vielleicht sollte man sich (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das gibt es in
das einmal überlegen. Berlin auch!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Ich sage ja nur, dass das wichtige Dinge sind. Es ist
neten der FDP) wichtig, dass letztendlich auch die Schüler mitarbeiten,
Ich sage ja nicht, dass die Migranten nicht ihre Spra- dass wir sie nicht sich allein überlassen, sondern dass
(B) che sprechen sollen; darum geht es gar nicht. Es geht wir sie begleiten. (D)
vielmehr um die Frage, ob sie der deutschen Sprache (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Richtig!)
mächtig sein müssen, um dem Unterricht folgen zu kön-
nen. Sie müssen ihr eigenes Leben gestalten können. Es gibt
eben Methoden, mit denen man es schaffen kann, dass
(Jörg Tauss [SPD]: Saarland!)
eine Schule gewaltfrei wird.
Darin sind wir uns Gott sei Dank einig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte noch auf andere Dinge eingehen, und
zwar zunächst auf das Thema Auflösung der Haupt- Zum Schluss möchte ich sagen – das kann ich Ihnen
schule. Das ist ja immer ein Allheilmittel. nicht ersparen –: Es gehören auch einige Tugenden dazu.
Herr Senator Böger, jetzt schaue ich eher in Richtung der
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das haben Linken. Ihr früherer Parteikollege Lafontaine hat einmal
übrigens die Lehrer gefordert!) von Sekundärtugenden gesprochen. Jetzt hat er ja bei der
– Das ist richtig, aber ich gebe ihnen nicht Recht. Das Linken Verantwortung.
sage ich auch im Hinblick auf die Schüler. Auf der Tri- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
büne sitzen übrigens Schüler; ich weiß nicht, in welcher NEN]: Das können Sie doch nicht ernst neh-
Schule sie sind. men! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/
Ich habe eine Nichte und einen Neffen, die gerade den DIE GRÜNEN]: Das hat er ja dem Schmidt
Abschluss in der Hauptschule machen: der Neffe die vorgehalten!)
Mittlere Reife und die Nichte den qualifizierten Haupt-
Ich glaube, über diese Sekundärtugenden sollten wir
schulabschluss. Ich weiß nicht, wie sie es empfinden,
trotzdem nachdenken. Denn es ist nicht falsch, wenn
wenn man ihnen sagt, ihre Schulart sei eigentlich nichts
man Respekt gegenüber anderen hat, wenn man Fleiß
mehr wert.
und Anstand mitbringt. Das ist nicht schlecht und es
(Zuruf von der SPD: Sagen Sie das Herrn schadet einem Jugendlichen auch nicht, wenn er diese
Stoiber!) Tugenden beim Eintritt ins Berufsleben mitbringt. Das
wird auch gefordert.
Ich hoffe, die beiden bekommen eine Lehrstelle. Das
hoffe ich auch für alle Schülerinnen und Schüler in Ber- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
lin. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2573
(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Diese Konzentration von Problemen in der Haupt- (C)
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Uwe Benneter schule ist es, was sich in der Rütli-Schule gezeigt hat:
für die SPD-Fraktion. Misserfolge in der Schule, fehlende Perspektiven in der
Schule, fehlende Ausbildungsmöglichkeiten. Nicht ein
(Beifall bei der SPD) einziger Schüler aus der letzten Abschlussklasse der
Rütli-Schule hat einen Ausbildungsplatz bekommen.
Klaus Uwe Benneter (SPD): Das sind doch die Probleme in unserer Gesellschaft.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
ginnen und Kollegen! Um weiteren Irritationen nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus
Vorschub zu leisten, möchte ich aus unserer Koalitions- Löning [FDP]: Das ist rot-rote Wirtschaftspo-
vereinbarung zitieren: litik, Herr Benneter!)
(Sibylle Laurischk [FDP]: Jetzt wird es inte- – Ihre Wählerklientel sollten Sie einmal auffordern, ihrer
ressant!) Verpflichtung an dem Punkt endlich nachzukommen!
Schwerpunkt bleibt die Integration. Das bleibt Schwer- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
punkt für die Regierungsarbeit, so wie es auch schon bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus
Rot-Grün der Fall war. Löning [FDP]: Sie sollten eine andere Wirt-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaftspolitik machen, Herr Benneter!)
DIE GRÜNEN – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/ Wenn es Ausbildungsmöglichkeiten für die jungen Leute
CSU]: Es ist ja auch nicht Rot-Rot, Herr gäbe, dann wären sie auch motiviert, zu lernen.
Benneter!)
(Sibylle Laurischk [FDP]: Sie wollen die Kon-
Dass das Lernen von Deutsch wichtig ist, haben wir sequenzen Ihrer eigenen Politik nicht verste-
schon früher erkannt; das ist ja nun wirklich nichts hen!)
Neues. Deshalb hat ja auch schon die Vorgängerregie-
rung Integrationskurse und Sprachkurse auf den Weg ge- Dann könnten Sie, Herr Gerhardt – es ist ja richtig, was
bracht. Frau Böhmer, wir haben heute mehrere Stunden Sie dazu gesagt haben –, Leistung und Disziplin einfor-
im Innenausschuss darüber diskutiert und erste Evaluati- dern. Dann könnten Sie den jungen Leuten eine Perspek-
onen vorgenommen, damit wir sehen können, wo man tive aufzeigen und ihnen sagen,
etwas verbessern kann. Mit Sicherheit ist es nicht richtig,
in diesem Bereich 67 oder 68 Millionen Euro einzuspa- (Markus Löning [FDP]: Unter Ihrer Regierung
(B) steigt doch die Arbeitslosigkeit ständig, Herr (D)
ren, nur weil dieser Betrag im letzten Jahr nicht ausgege-
ben wurde. Benneter!)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem warum es sich lohnt, in der Schule diszipliniert und eifrig
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. zu lernen.
Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU] – Josef Frau Kollegin Aigner hat auf die Verhältnisse in Bay-
Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ern hingewiesen. Die Stoiber-Pädagogik haben wir in
NEN]: Das ist unerhört! Das muss aufgestockt den letzten Tagen alle kennen gelernt: Raus und weg!
werden!) Damit ist das Problem erledigt. Die Koalition hat sich
Da werden wir nacharbeiten müssen. Herr Pflüger, ich vorgenommen, dieses Problem seriös aufzuarbeiten.
denke, dass wir uns darin einig sind, dass wir dies nicht (Beifall bei der SPD)
als das größte Problem bezeichnen können und dann,
wenn es um die finanzielle Unterstützung geht, die Mit- Herr Pflüger, ich trete Ihnen sicherlich nicht zu nahe,
tel streichen. wenn ich darauf hinweise, dass Sie sich im großen Kino
da und dort einen Ausrutscher geleistet haben. Sie sind
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE ja heute, das habe ich „Spiegel Online“ entnommen,
LINKE]) schon wieder zurückgerudert. Sie haben den „Spiegel“
In der Hauptschule sammeln sich eben alle Probleme. gebeten, das, was Sie gesagt haben, nicht als Zurückru-
Insofern ist die Schulform nicht das Entscheidende; viel- dern zu verstehen. Jetzt sind Sie nicht mehr für Auswei-
mehr ist entscheidend, dass in der Hauptschule alles kul- sung, jedenfalls nicht für die sofortige, und auch nicht
miniert. Wir lassen es ja zu, dass sich dort alles sammelt. für den Einsatz der Nationalgarde, wie Ihr Kollege
Schönbohm. Insofern sind Sie auf den Teppich der Koa-
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Was ist „al- litionsvereinbarung zurückgekehrt. Das finde ich gut
les“? – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Was und in Ordnung.
heißt „wir“?)
(Beifall bei der SPD – Dr. Friedbert Pflüger
Das sind die Früchte unser aller Versäumnisse, die sich [CDU/CSU]: Da bin ich immer gewesen, Herr
in der Hauptschule zeigen. Das bitte ich auch in dieser Kollege!)
Diskussion zu bedenken.
Auch wenn es jetzt auf Ostern zugeht, Herr Pflüger, ei-
(Zustimmung bei der SPD) ern Sie nicht länger herum!
2574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
Zum Zweiten geht es darum, sich von der Spirale von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Gewalt und Gegengewalt zu befreien. Denn natürlich DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
wissen sie, dass es aus dieser Gewaltspirale keinen Aus- LINKEN und des Abg. Markus Löning [FDP])
weg gibt. Es wird immer zu Gewalt gegen den Aggres- Bereits die Vorgängerregierung musste zur Kenntnis
sor kommen, also zu Identifikation durch Gewalt. Das nehmen, dass es nicht nur in den Familien viele Jugend-
kann man zum Beispiel daran erkennen, dass die Schüler liche ohne Ausbildung gibt. Es gibt auch viele ausländi-
den Eindruck haben, sie würden nur wahrgenommen, sche Firmen, die nicht ausbilden. Diese Probleme müs-
wenn sie gewalttätig sind. Daher verhalten sie sich auch sen wir im Zusammenhang betrachten. Auch dafür
gewalttätig. Auf diesem Weg kann keine Integration ge- haben Sie unsere ausdrückliche Unterstützung.
lingen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN) Angesichts der zwölf Forderungen, die die CDU/CSU
erhoben hat, bitten wir allerdings um eines: Der Integra-
Zum Dritten geht es darum, ein Selbstwertgefühl zu tionsgipfel wird nur dann gelingen, wenn er als Prozess
schaffen. An dieser Stelle besteht zwischen uns Überein- angelegt ist. Er sollte durch nichts belastet werden, was
stimmung. Als Stichworte nenne ich die Sprachförde- nicht auf eine gemeinschaftliche Lösung ausgerichtet ist.
rung, den schulischen Lebensweg, die Ausbildung, die Im parteipolitischen Bereich mag das noch zu ertragen
beruflichen Chancen, den Weg in ein soziales Leben und sein, im gesellschaftlichen Bereich wird es allerdings
die soziale Integration. Wir bitten Sie ausdrücklich, schwierig. Deshalb sollten wir uns nicht auf die Verän- (D)
(B) diese Aspekte gemeinschaftlich mit uns in Angriff zu
derungen im Jugendstrafrecht konzentrieren, die Sie vor-
nehmen. Denn hier geht es nicht allein um Berlin. Das nehmen wollen – ich nenne als Beispiel Ihre Forderung
betrifft genauso München-Hasenbergl, Hamburg- nach Einführung eines Warnarrests –, sondern wir soll-
Wilhelmsburg oder Kiel-Garden. ten auch den Hinweis des Kollegen Böger berücksichti-
gen, dass es noch einen anderen Weg geben muss. Wir
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) dürfen die Menschen nicht abschieben, sondern wir
Wenn wir uns darauf verständigen können, haben wir müssen sie stützen, fordern, ihnen ihre Grenzen aufzei-
eine andere Basis dafür gefunden, welchen Weg wir ge- gen und ihnen positive Erfahrungen vermitteln.
hen müssen, um die Integration zu verbessern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall der Abg. Iris Gleicke (SPD) der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Wir fanden und finden es sehr gut, dass es hier eine ge-
meinsame Linie gibt. Durch einen Arrest kann das genauso wenig geleistet
werden wie durch Abschiebeinternate.
Die FDP hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um ein-
zufordern, dass der Bund seine Kompetenzen erfüllt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)
Wir könnten bei der Sprachförderung ansetzen. Hierzu
will ich ein Beispiel ansprechen: Wie konnte es eigent- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
lich so weit kommen, dass Sprachkurse für Mütter bzw. Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Frauen, die schon länger in Deutschland leben, heute
nicht mehr im selben Umfang wie früher angeboten wer-
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
den?
Ich komme zum Schluss und werde sehr konstruktiv:
(Iris Gleicke [SPD]: Und wozu führt das? Ihre Es geht nicht, dass all das, was im Ausländerrecht bisher
Kinder können dann nicht richtig deutsch spre- nicht konsensfähig war, wieder in die Debatte einge-
chen! So einfach ist das!) bracht wird; dann kann der Gipfel nicht gelingen. Er
kann nur gelingen, wenn er ein gemeinschaftliches Ziel
Jetzt stellen wir plötzlich erschreckt fest, wie groß die hat, wenn er gut vorbereitet wird.
Bedeutung der Frauen unter den Gesichtspunkten der
Stabilisierung und der Integration ist. Hier könnten wir (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die Mühen der
gemeinsam etwas unternehmen. Ebenen im Auge behalten!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2577
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(A) Eine ganze persönliche Bitte auch an Sie, Frau Danke schön. (C)
Böhmer: Ich habe in der Zeitung gelesen, dass der Türki-
sche Elternbund einen großen Bildungskongress veran- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
stalten wird und sich um Frau Schavan und Sie bemüht der CDU/CSU und der FDP)
hat. Ich will akzeptieren, dass Sie an dem Termin viel-
leicht verhindert sind – dann kann man auch nicht sprin- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gen –, aber genau solche Gesten braucht es. Es braucht Die Aktuelle Stunde ist beendet.
unsere Gesten, es ist wichtig, dass jemand von uns dort-
hin geht. Man muss auch in die guten Schulen gehen, Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ohne dass das Fernsehen dabei ist. Denn das gute Bei- ordnung.
spiel wirkt und stärkt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten destages für morgen, Donnerstag, 6. April, um 9 Uhr,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein.
In diesem Sinne sind wir auf einem guten Weg. Am Die Sitzung ist geschlossen.
Ende ist nicht der Gipfel, sondern der Weg das Ziel. An
dieser Stelle müssen wir zusammenarbeiten. (Schluss: 17.16 Uhr)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2579
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
(A) dass die Herstellung von Barrierefreiheit für behinderte zial benachteiligten Familien und mit Migrationshinter- (C)
Menschen gewährleistet werden kann. Länder und Kom- grund obliegt. In den letzten Jahren sind von Bund, Län-
munen, Wirtschaft, Verbände, Kirchen und gesellschaft- dern und Kommunen durch vielfältige Maßnahmen
liche Gruppen werden in die Planung und Realisierung verstärkte Anstrengungen unternommen worden, um die
des Programms eingebunden. Bildungsqualität insgesamt zu verbessern und den Zu-
sammenhang von Bildungserfolg und sozioökonomi-
schen und soziokulturellem Hintergrund abzubauen.
Anlage 6 Hinzuweisen ist im Bereich der schulischen Bildung un-
ter anderem auf das mit vier Milliarden Euro ausgestat-
Antwort tete Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Be-
der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage des treuung“ (IZBB) für den bedarfsgerechten Ausbau von
Abgeordneten Hans Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE Ganztagsschulen, das im Kern durch die Verbesserung
GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 7): der individuellen Förderung dazu beiträgt, die Stärken
Rechnet die Bundesregierung mit einem Anstieg der Kos- aller Kinder zu entwickeln und Benachteiligungen früh
ten für die Beseitigung der Altlasten aus britischen Atom- zu vermeiden, das BLK-Progranun „Förderung von
kraftwerken analog den 14 Milliarden Pfund, die in Groß- Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“
britannien mehr an Kosten anfallen als ursprünglich (FörMig), das auf Basis individueller Sprachstandsfest-
vorgesehen (vergleiche „dpa“ vom 30. März 2006)?
stellungen auf eine durchgängige Sprachförderung vom
Der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkennt- Kindergarten bis zum Übergang in die Berufsausbildung
nisse über die Entsorgungskosten von britischen Nuklear- zielt und auf das BLK-Verbundprojekt „Stärkung der
abfällen vor. Ein Vergleich mit der deutschen Situation Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrich-
ist nicht möglich. tungen und Grundschule – Gestaltung des Übergangs“
(Trans-KIGS), das die Einführung der neuen Bildungs-
pläne in den Ländern begleitet und zur Verbesserung der
Anlage 7 Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Erziehern, Leh-
rerinnen und Lehrern und Eltern beiträgt. Im Rahmen ih-
Antwort rer Zuständigkeit wird die Bundesregierung zur Verbes-
der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage des serung der Bildungschancen von Kindern aus sozial
Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund
GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 8): auch weiterhin ihren Beitrag leisten, indem sie insbeson-
dere zur Stärkung der Bildungsforschung in diesem Be-
Welche Schlussfolgerungen für das Atomrecht zieht die
Bundesregierung aus dem Verschwinden von sicherheitsrele- reich beiträgt und Vorhaben zur Verbreitung und zum
(B) Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse unterstützt. (D)
vanten Schlüsseln in dem Atomkraftwerk Philippsburg (ver-
gleiche „Stuttgarter Zeitung“ vom 30. März 2006)?
(A) vorgelegt, die zum Teil in den Gesetzentwurf der Bun- ARGEn verauslagt die Bundesagentur für Arbeit für die (C)
desregierung aufgenommen worden sind. Der Entwurf mit ihr kooperierenden Kommunen aufgrund der ARGE-
eröffnet zum Beispiel die Möglichkeit für öffentliche Bi- Verträge kommunale Leistungen, insbesondere die Leis-
bliotheken, elektronische Leseterminals einzurichten, tungen für Unterkunft und Heizung. Ziel dieses meines
von der auch Museen und nichtkommerzielle Archive Erachtens grundsätzlich zu begrüßenden Verfahrens ist,
Gebrauch machen können. Die Regelungen über Ver- dass die Leistungsbezieher Zahlungen aus einer Hand er-
vielfältigungen zum Gebrauch im Unterricht (§53 Abs. 3 halten. Diese Kosten der kommunalen Leistungen sind
Nr. l UrhG) sollen auf Unterrichtsvor- und -nachberei- von den Kommunen zu erstatten. Dies ist aber teilweise
tung, sowie auf variierende Lerngruppen ausgedehnt leider nicht geschehen, sodass Herr Staatssekretär An-
werden. Ferner wird die bisherige Rechtsprechung zum zinger mit dem von Ihnen angesprochenen Schreiben die
Kopienversand auf Bestellung wie vom Bundesgerichts- betroffenen Länder gebeten hat, ihrerseits tätig zu wer-
hof gefordert auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. den, um die maßgeblichen Kommunen zu einer Beglei-
Von der Wissenschaft sind darüber hinaus weitere Ände- chung ihrer Schulden bei der Bundesagentur zu be-
rungen gefordert worden, zum Beispiel hinsichtlich wegen. Die genannten Außenstände von rund
eines uneingeschränkten Kopienversands per Mail oder 226 Millionen Euro im Jahresdurchschnitt 2005 ent-
der Einbeziehung der Bildungseinrichtungen in die Re- stammen den Finanzdaten der Bundesagentur für Arbeit.
gelung zu Leseterminals. Das BMBF teilt das damit ver-
folgte Ziel, einen möglichst ungehinderten, schnellen
Zugang zu wissenschaftlicher Information sicherzustel- Anlage 11
len. Die Vorschläge der Wissenschaft sind bei der Erar-
beitung des Gesetzentwurfs eingehend mit allen Betei- Antwort
ligten erörtert worden. Sie waren jedoch bis zuletzt des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage der
zwischen der Wissenschafts- und der Verlagsseite kon- Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)
trovers, wobei insbesondere auch die Frage der verfas- (Drucksache 16/1098, Frage 15):
sungs- und europarechtlichen Spielräume unterschied- Wie begründet die Bundesregierung ihr Festhalten am Ge-
lich beurteilt wunde. Die Bundesregierung ist im setzentwurf über die Weitergeltung der aktuellen Renten-
Ergebnis zu der Auffassung gelangt, dass weitergehende werte, mit dem Rentenkürzungen verhindert werden sollen,
Regelungen in dem von den Wissenschaftsorganisatio- wenn sich aus aktuellen Zahlen des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales („Handelsblatt“ vom 31. März 2006)
nen geforderten Sinn wegen der damit einhergehenden selbst ergibt, dass es nach der geltenden Rentenformel im Jahr
Beeinträchtigung rechtlich geschützter Literessen der 2006 zu gar keiner Kürzung der Rentenzahlungen kommt?
Verlage als Teil des Wissenschaftssystems auf Bedenken
stoßen würden. Die Nutzungsmöglichkeiten bei digita- Anfang Februar 2006 stand zwar fest, dass die Lohn-
(B) len Medien und Inhalten und die damit verbundenen entwicklung nicht ausreichen wird, um nach der Ren- (D)
Kosten der öffentlichen Bildungseinrichtungen sind im tenanpassungsformel eine Erhöhung der aktuellen Ren-
Übrigen letztlich abhängig von den mit den Einrichtun- tenwerte zu bewirken. Es konnte hingegen nicht
gen abgeschlossenen Lizenzverträgen. Dies folgt aus der ausgeschlossen werden, dass es zu einer Verringerung
Grundentscheidung der EU-Richtlinie und der darauf ba- der Werte kommt. Mit dem Gesetz über die Weitergel-
sierenden Konzeption des Gesetzentwurfs, wonach die tung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006 sollte
individuelle Nutzungsabrechnung (in Verbindung mit deshalb jedes Risiko einer Rentenkürzung ausgeschlos-
Digital Rights Managementsystemen [DKM]) Vorrang sen werden. Die jetzt bekannten Zahlen bestätigen, dass
vor einer pauschalen Vergütung hat. Die finanziellen diese Einschätzung richtig war: Die rentenanpassungsre-
Auswirkungen und die Praktikabilität der Regelungen levante Lohnentwicklung für die alten Bundesländer ist
für den Büdungs- und Wissenschaftsbereich, insbeson- nicht weit von der kritischen Nulllinie entfernt und in
dere der individuellen Abrechnung mit DRM-Systemen, den neuen Ländern lag sie sogar darunter. Mit dem Ge-
müssen weiter beobachtet werden. setz sollte Rentnerinnen und Rentnern, aber auch den
Rentenversicherungsträgern frühzeitig das verbindliche
Signal gegeben werden, dass es auch über den 30. Juni
Anlage 10 2006 hinaus in jedem Fall bei den bisherigen aktuellen
Rentenwerten bleibt. Das Gesetzgebungsverfahren stand
Antwort nicht unter dem Vorbehalt, dass sich das Risiko einer
Rentenkürzung mit Vorlage der endgültigen Daten zur
des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage der
Lohnentwicklung auch tatsächlich verwirklicht. Wenn
Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)
das Gesetzgebungsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt
(Drucksache 16/1098, Frage 14):
aufgegeben würde, müssten auf der Grundlage der ge-
Auf welcher Datenbasis begründet die Bundesregierung setzlichen Anpassungsformel durch Rechtsverordnung
die – in einem Schreiben des Staatssekretärs im Bundesminis-
terium für Arbeit und Soziales, Rudolf Anzinger, kürzlich
der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates
übermittelte – Aufforderung an die Bundesländer, dafür zu zum 1. Juli 2006 neue – in der Höhe aber mit den bishe-
sorgen, dass die Kommunen außenstehende Rückzahlungen rigen identische – aktuelle Rentenwerte bestimmt
an den Bund von bundesweit insgesamt 226 Millionen Euro werden. Anstatt ein weit vorangeschrittenes Gesetzge-
im Zusammenhang mit dem Vollzug des Zweiten Buchs So- bungsverfahren abzuschließen würde ein neues Verord-
zialgesetzbuch (SGB II) leisten?
nungsverfahren in Gang gesetzt, das letztlich für Rentne-
Im Rahmen der Zahlung von Leistungen der Grundsi- rinnen und Rentner keine Vorteile bietet, sondern bei
cherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II in den ihnen allenfalls für Verunsicherung sorgt. Zudem müss-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2583
(A) Zu Frage 25: Übrigen verweise ich auf die Antworten der Bundesre- (C)
gierung vom 5. Juli 2005 und vom 16. August 2005 auf
Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse
die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Hartmut Ko-
über die Haftbedingungen auf dem US-Stützpunkt in
schyk, CDU/CSU, Arbeitsnummer 6/229 vom 30. Juni
Bagram. Sie hat unabhängig davon gegenüber der US-
2005 (Bundestagsdrucksache 15/5905, S. 14 f) und Ar-
Administration auf allen Ebenen wiederholt deutlich ge-
beitsnummern 8/61,62 vom 9. August 2005 (Bundes-
macht, dass der internationale Terrorismus entschlossen
tagsdrucksache 15/5959, S. 2).
bekämpft werden müsse, dabei aber rechtsstaatlichen
Grundsätzen und völkerrechtlichen Verpflichtungen
Rechnung getragen werden müsse. Die Bundesregierung
wird diese Haltung weiterhin mit Nachdruck vertreten. Anlage 17
Antwort
(A) Gesetzentwurf wird die von den EU-Gleichbehandlungs- werden soll, sind die möglichen Differenzierungen in (C)
Richtlinien vorgegebenen gesellschaftlichen Bereiche der Begründung ausführlich dargestellt. Die Dokumenta-
abdecken. Sowohl im Arbeitsrecht als auch im allgemei- tion der Beratung ist durch die Richtlinie vorgegeben.
nen Zivilrecht wird eine an dem Grundsatz „1:1“ orien- Die Dokumentation richtet sich nach dem Umfang der
tierte Umsetzung erfolgen. Diskutiert wird aber auch, Beratung. Da wir schon bei der Beratung große Diffe-
stellenweise über die Anforderungen der Richtlinien hi- renzierungen ermöglichen – was angesichts der Unter-
nauszugehen. schiedlichkeit der einzelnen Versicherungsprodukte not-
wendig ist –, besteht auch hinsichtlich des Umfangs der
Dokumentation eine erhebliche Spannweite. Gegebe-
Anlage 18 nenfalls kann sie auch sehr einfach ausfallen. Im Übri-
gen ist vorgesehen, dass der Kunde auf die Beratung
Antwort oder die Dokumentation verzichten kann, was allerdings
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Fra- – aus Verbraucherschutzgründen – eine gesonderte
schriftliche Erklärung und einen Warnhinweis voraus-
gen der Abgeordneten Marina Schuster (FDP) (Druck-
setzt.
sache 16/1098, Fragen 36 und 37):
Wie plant die Bundesregierung, die durch Art. 12 Abs. 3
in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember Anlage 19
2002 über Versicherungsvermittlung vorgeschriebene Doku-
mentationspflicht von Beratungsgesprächen in deutsches Antwort
Recht umzusetzen?
des Parl. Staatssekretärs Peter Paziorek auf die Frage der
Wie plant die Bundesregierung, bei der Umsetzung der Abgeordneten Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
durch die Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versiche- NEN) (Drucksache 16/1098, Frage 42):
rungsvermittlung geforderten Dokumentationspflicht (Art. 12 Hat die Bundesregierung überprüft, inwieweit Unterneh-
Abs. 3 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1) von Beratungsge- men, die ihre Aktivitäten schwerpunktmäßig auf den Erhalt
sprächen den unterschiedlichen Schutzbedürfnissen der Ver- von Agrarexportsubventionen ausgerichtet haben, ihre Exis-
braucher bei langfristigen Personenversicherungen (inklusive tenz wesentlich durch Exportsubventionen begründen und so-
der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr) einerseits mit ohne Exportsubventionen keine Exportgeschäfte unter-
und Sachversicherungen andererseits gerecht zu werden, und nommen hätten, und wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie
welche Maßnahmen plant sie außerdem, um den durch die aus den Ergebnissen der Überprüfung?
Dokumentationspflicht bewirkten zusätzlichen bürokratischen
Aufwand bei Versicherungs- und Rückversicherungsvermitt- Ausfuhrerstattungen für Agrarerzeugnisse sind in der
lern gering zu halten? Verordnung (EG) Nr. 800/1999 geregelt. Danach werden
(B) jedem Antragsteller, der die in dieser Verordnung festge- (D)
Zu Frage 36: legten Voraussetzungen erfüllt, die jeweils geltenden Er-
Das Bundeswirtschaftsministerium hat am 24. März stattungen gewährt. Die Verordnung sieht weder eine
den Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Versiche- Unterscheidung nach Art und Größe des ausführenden
rungsvermittler-Richtlinie Verbänden, Ländern und Res- Unternehmens noch eine Begrenzung auf einen maxima-
sorts mit der Bitte um Stellungnahme zugesandt. Danach len Erstattungsbetrag vor. Da die Bundesregierung keine
sollen die Dokumentationspflichten im Zivilrecht umge- Eingriffsmöglichkeit in die Auswahl der Exportsubven-
setzt werden und zwar in Form der neu in das Versiche- tionsempfänger hat, ist die angeregte Überprüfung ent-
rungsvertragsgesetz einzufügenden §§ 42 b und c. Ich behrlich.
habe veranlasst, dass Ihnen ein Exemplar des Referen-
tenentwurfs übermittelt wird.
Anlage 20
Zu Frage 37:
Antwort
Der Referentenentwurf sieht vor, dass die Beratungs-
pflicht anlassbezogen ist. Das heißt, dass der Umfang des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Frage
der Beratungspflicht sich zunächst nach den konkret an- des Abgeordneten Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE
gegebenen Wünschen des Kunden richtet, wobei auch GRÜNEN) (Drucksache 16/1098, Frage 43):
Umstände einzubeziehen sind, die für den Versiche- Aus welchem Grund wurden die Dossiers zu Projekten des
rungsvermittler erkennbar sind. Beispiel: Hat der Kunde Bundesverkehrswegeplans von der Internetseite des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung entfernt,
den Vermittler zum Abschluss einer Haftpflichtversiche- und welche Möglichkeiten gibt es, diese Dossiers einzusehen
rung gerufen und hört er in dessen Wohnung einen Hund sowie zu vervielfältigen?
bellen, so muss er darauf hinweisen, dass die normale
Haftpflichtversicherung Risiken aus der Hundehaltung Die im Internet veröffentlichten Projektdossiers zum
nicht abdeckt. Nach dem neuen § 42 c Abs. l VVG soll Bundesverkehrswegeplan 2003 (BVWP 2003) geben
der Umfang der Beratungspflicht sich auch nach Art, den Beschluss der Bundesregierung vom 2. Juli 2003
Umfang und Komplexität des konkreten Versicherungs- wieder. Im Ergebnis der daran anschließenden parlamen-
produktes richten, das heißt, es wird unterschieden, ob es tarischen Beratungen der Ausbaugesetze wurden die Be-
sich um ein Standardprodukt, wie die Haftpflichtversi- darfspläne gegenüber dem BVWP 2003 inhaltlich
cherung, oder einen komplizierteren Vertrag, wie zum wesentlich geändert. Die Projektdossiers stimmen des-
Beispiel eine Lebensversicherung, handelt. Da dies alles halb bei einer Reihe von Projekten nicht mehr mit den
– wie im Zivilrecht üblich – in abstrakter Form normiert geltenden Bedarfsplänen für die Bundesschienenwege
2586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
(A) bzw. für die Bundesfernstraßen aus dem Jahr 2004 über- Welche in der Antwort des Parlamentarischen Staatssekre- (C)
ein. Das Projektinformationssystem wurde aus dem Netz tärs beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, Achim Großmann, vom 22. März 2006 auf meine
genommen, um die wiederholt aufgetretenen Irritationen schriftliche Frage 62 auf Bundestagsdrucksache 16/1043 an-
wegen nicht mehr zutreffender maßnahmenbezogener gesprochenen – dort als allgemein bezeichneten – Erkennt-
Darstellungen zu vermeiden. Die Projektdossiers gemäß nisse liegen der Bundesregierung konkret vor, die die dortige
Beschluss der Bundesregierung vom 2. Juli 2003 wurden Aussage stützen, dass sich potenzielle Mautpreller nicht der
Kontrolle durch das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) ent-
dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ziehen können, indem sich die Lastkraftwagenfahrer unter-
des Deutschen Bundestages in Papierform übermittelt. einander via CB-Funk über weit im Vorfeld gesichtete Ein-
satzfahrzeuge verständigen?
des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor.
Frage des Abgeordneten Jan Mücke (FDP) (Druck- Die Autobahnpolizei liegt in der Zuständigkeit der Bun-
sache 16/1098, Frage 45): desländer.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980