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D eutscher Bundestag

51. Sitzung

Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Inhalt:

Amtliche Mitteilungen 2555 A Fragen der Abg. Frau Meermann:


Androhung von Kündigungen gegen-
Fragestunde (Drucksache VI/722) über Mietern bei Mieterhöhung
Jahn, Bundesminister . . . 2558 B, C, D,
Frage des Abg. Freiherr von und zu Gut- 2559 A, B
tenberg:
Frau Meermann (SPD) . 2558 C, D, 2559 A
Meldungen des „Spiegel" betr. Äuße- Dr. Ahrens (SPD) 2559 B
rungen des Bundesministers Ehmke
Dr. Ehmke, Bundesminister . . 2555 C, D, Fragen des Abg. Horstmeier:
2556 A
Freiherr von und zu Guttenberg Förderung von länger als drei Jahre
(CDU/CSU) 2555 C, D in Anspruch nehmenden Umschulungs-
maßnahmen
Dr. Jenninger (CDU/CSU) . . . 2556 A
Arendt, Bundesminister . . 2559 B, C, D,
Fragen des Abg. Dr. Jenninger: 2560 A
Entbindung von Beamten des Bundes- Horstmeier (CDU/CSU) . 2559 D, 2560 A
kanzleramtes von ihren Dienstgeschäf-
ten Frage des Abg. Krammig:
Dr. Ehmke, Bundesminister . . . 2556 B, D, Höchstbetrag des Jahresarbeitsverdien-
2557 A, B, C stes in § 575 RVO
Dr. Jenninger (CDU/CSU) . . . 2556 C, D -
Arendt, Bundesminister . 2560 B, 2561 B
Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . . 2557 A
Freiherr von und zu Guttenberg Frage der Abg. Frau Dr. Wolf:
(CDU/CSU) 2557 B, C
Dauer des Aufenthalts von ausländi-
Fragen des Abg. Dr. Slotta: schen Arbeitern
Direktwahlen zum Europäischen Parla Arendt, Bundesminister . . . . 2560 C, D
ment 2557 D Frau Dr. Wolf (CDU/CSU) 2560 D, 2561 A
II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Frage des Abg. Welslau: Anlage 2


Durch Straßenverkehrsunfälle und Be- Schriftliche Antwort auf die Mündliche
rufsunfälle verursachter Anteil. der Frage des Abg. Pieroth betr. Mehrwert-
Krankenhausbelegung steuersatz für in Gaststätten verabreichte
Frau Strobel, Bundesminister . . . 2561 B Lebensmittel 2573 D

Fragen des Abg. Lenzer: Anlage 3


Vorlage eines Krankenhausfinanzie- Schriftliche Antwort auf die Mündliche
rungsgesetzes Frage des Abg. Hussing betr. Vereinba-
Frau Strobel, Bundesminister . . 2561 C, D, rung zwischen Deutschland und Frank-
2562 A reich über Witwenrentenabfindungen bei
Auslandsaufenthalt 2574 A
Lenzer (CDU/CSU) . . . 2561 D, 2562 A

Anlage 4
Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Pläne der EWG-Kommission betr. Bier- Fragen des Abg. Ruf betr. Berufung von
herstellung Vertretern der privaten Krankenversiche-
Frau Strobel, Bundesminister . . 2562 B, C rung in die Krankenversicherungskom-
Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . . 2562 B, C mission 2574 B

Anlage 5
Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Reinheitsgebot für Bier Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Fragen des Abg. Härzschel betr. Organi-
Frau Strobel, Bundesminister . . . 2562 D, sationsverteilung des Bundesarbeitsmini-
2563 A steriums - 2574 C
Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . . . 2563 A
Anlage 6
Frage des Abg. Josten:
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Errichtung von Ausbildungsförderungs- Frage des Abg. Offergeld betr. Vorschrif-
ämtern ten des Arbeitsförderungsgesetzes über
Frau Strobel, Bundesminister . 2563 A, C die Winterbauförderung . . . . . . 2574 D
Josten (CDU/CSU) 2563 B, C
Anlage 7
Erklärung zum 25jährigen Bestehen des Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Suchdienstes des Deutschen Roten Kreu- Fragen des Abg. Link betr. Lohnabzug
zes bei ärztlichen Konsultationen . . . . . 2575 B
Präsident von Hassel 2564 A

Begrüßung des Führers der Opposition im Anlage 8


englischen Unterhaus, Mr. Heath . . . 2564 C Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Frage des Abg. Leicht betr. Atomanlagen
Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- inmitten dichtbesiedelter Gebiete . . . 2575 D
rung
Brandt, Bundeskanzler . . . . . 2564 C Anlage 9
Dr. Freiherr von Weizsäcker Schriftliche Antwort auf die Mündliche
(CDU/CSU) 2567 A Frage des Abg. Dr. Jungmann betr. die
Dr. Hauff (SPD) 2569 A rechtlichen und gesellschaftlichen Aus-
wirkungen der heterologen künstlichen
Frau Funcke (FDP) . . . . . . 2570 D
Insemination 2576 A

Nächste Sitzung 2572 B


Anlage 10
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Anlagen Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg)
betr. irreführende Werbung für Lebens-
und Genußmittel 2576 C
Anlage 1
Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 2573 A
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 III

Anlage 11 Anlage 20

Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Fragen des Abg. Dr. Gleissner betr. Vor- Frage des Abg. Wagner (Günzburg) betr.
gehen gegen Lärmsünder 2576 D Bauarbeiten im Bereich der Bundesauto-
bahn Ulm—Kempten . . . . . . . 2580 D

Anlage 12 Anlage 21
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Fragen des Abg. Dr. Ritgen betr. Berück- Fragen des Abg. Dr. Jobst betr. Auto-
sichtigung des ostwestfälischen Raums bahnteilstrecke Nürnberg—Amberg . . 2581 A
im Rahmen der regionalen Aktionspro-
gramme . . . . . . . . . . . . 2577 B Anlage 22
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Anlage 13 Frage des Abg. Jung betr. Elektrifizie-
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche rung der Eisenbahnlinie Ludwigshafen—
Frage des Abg. Weigl betr. Erzeuger- Wörth sowie Ausbau der Bundesstraße 9
preise für Schweine 2577 C und der Autobahnen in der Vorderpfalz 2581 B

Anlage 23
Anlage 14
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Frage des Abg. Dröscher betr. Elektrifi-
Fragen des Abg. Peters (Poppenbüll) zierung der Nahestrecke zwischen Bin-
betr. Vorräte an Brotgetreide, Futter- gerbrück und Türkismühle 2581 D
getreide, Butter, Zucker und Rindfleisch 2577 D
Anlage 24
Anlage 15 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert betr.
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche den Telegrammdienst in Gummersbach
Frage des Abg. Link betr. Berufung eines und den Stand des Telegramm- und Te-
Vertreters der Sozialgerichtsbarkeit in lefonservice in der Bundesrepublik
die Krankenversicherungskommission . . 2578 D Deutschland 2582 A

Anlage 16 Anlage 25
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Frage des Abg. Weigl betr. Aufstieg von Frage des Abg. Bremm betr. Lösung des
Unteroffizieren zum Fachoffizier . . . 2579 A Problems der Fehlbelegung von Sozial-
wohnungen 2582 B

Anlage 17 Anlage 26
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Fragen des Abg. Dr. Schwörer betr. Be- Frage des Abg. Damm betr. Mieterhö-
schäftigung von Kriegsbeschädigten in hungen bei den städtischen Wohnungs-
der Standortvermittlung der Bundeswehr gesellschaften in Hamburg 2582 D
in Münsingen 2579 B
Anlage 27
Anlage 18 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Fragen des Abg. Dr. Haack betr. Auf-
Frage des Abg. Pieroth betr. Fertigstel- nahme von partnerschaftlichen Beziehun-
lung des Bauabschnittes III für die Artil- gen der Stadt Erlangen mit der Stadt
lerieschule in Idar-Oberstein 2580 C Jena 2583 A

Anlage 28
Anlage 19
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Fragen des Abg. Pfeifer betr. Bundeszu-
Frage des Abg. Dasch betr. Bahnhofs- schüsse für Bauvorhaben der Universität
gebäude in Mühldorf am Inn 2580 C Tübingen 2583 C
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2555

51. Sitzung

Bonn, den 8. Mai 1970

Stenographischer Bericht Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-


gaben: Herr Abgeordneter, die zitierten, mir vom
„Spiegel" zugeschriebenen Äußerungen habe ich
Beginn: 9.00 Uhr nicht getan.

Präsident von Hassel: Die Sitzung ist eröffnet. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des
Abgeordneten Freiherr von Guttenberg.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Ver-
lesung in den Stenographischen Bericht aufgenom-
men: Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
Die Stellungnahme des Bundesrates zum mehrjährigen Finanz- Herr Bundesminister, würden Sie bitte davon Kennt-
plan des Bundes 1969 bis 1973 sowie die Gegenäußerung der
Bundesregierung dazu sind als zu Drucksache VI/301 verteilt.
nis nehmen, daß der Herausgeber des „Spiegel", den
Die Stellungnahme des Bundesrates zu der Ergänzung zum
ich um eine Berichtigung seiner Meldung gebeten
Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1970 sowie die Gegenäußerung habe, nachdem Sie mir schriftlich mitgeteilt hatten,
der Bundesregierung dazu sind als zu Drucksache VI/580 ver-
teilt. daß Sie diese Äußerung nicht getan haben, mir unter
Die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Zweiten dem 25. März geschrieben hat, daß er keine Rich-
Gesetzes zur Anpassung der Unterhaltshilfe nach dem Lasten- tigstellung veröffentlichen könne, weil — und nun
ausgleichsgesetz (2. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetz — 2. UAG)
sowie die Auffassung der Bundesregierung dazu sind als zu zitiere ich Herrn Augstein wörtlich — „Herr Mini-
Drucksache VI/584 verteilt. ster Ehmke die von Ihnen beanstandeten Äußerun-
Der Bundesminister der Finanzen hat am 5. Mai 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Pohle, Leicht, Dr. Alt- gen nachweislich getan hat"?
hammer und der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelfristige
Finanzplanung — hier: zusätzliche Risiken — Drucksache
VI/659 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/736 Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
verteilt.
gaben: Ich kenne den Brief, da Sie ihn mir freund-
Der Bundesminister der Finanzen hat am "5. Mai 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Pohle, Leicht, Dr. Alt- licherweise ja schon vorher gezeigt hatten, Herr
hammer und der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzplan des Abgeordneter. Aber ich kann nur sagen, daß Herr
Bundes 1969 bis 1973 — hier: Kreditansätze — Drucksache
VI/658 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Augstein da offenbar nicht zuverlässig informiert
VI/737 verteilt.
worden ist.
Der Bundesminister der Finanzen hat am 5. Mai 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Dr. Pohle, Dr. Kreile,
Krammig, Dr. Schmidt (Wuppertal) und Genossen betr. In-
vestitionssteuer — Drucksache VI/666 — beantwortet. Sein Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz-
Schreiben wird als Drucksache VI/738 verteilt. frage des Abgeordneten von Guttenberg.
Der Bundeskanzler hat am 5. Mai 1970 gemäß § 30 Abs. 4
des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschafts-
plan der deutschen Bundesbahn mit zwölf Anlagen sowie den
Stellenplan für das Geschäftsjahr 1970 mit der Bitte um Kennt-
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
nisnahme übersandt. Wirtschafts- und Stellenplan liegen im Herr Minister, sind Sie ganz sicher, daß die Ver-
Archiv zur Einsichtnahme aus.
mutungen des Herrn Augstein, der mir in diesem
Zusammenhang auch geschrieben hat, es sei — wört-
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
lich — „eine Unart mancher Politiker, saloppe Äuße-
Fragestunde rungen nachträglich zu verdrängen," nicht zutreffen?
— Drucksache VI/722 —
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
Ich rufe zunächst die Fragen aus dem Geschäfts- gaben: Verdrängungsschwierigkeiten habe ich nicht,
bereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzler- wie Sie wissen, Herr Abgeordneter. Es ist Ihnen
amtes auf, zunächst Frage 48 des Abgeordneten Frei- bekannt, daß ich den organisatorischen, technischen
herr von und zu Guttenberg: und personellen Zustand des Bundeskanzleramtes
Entsprechen die Meldungen des „Spiegel" vom 17. November beim Regierungswechsel für wenig befriedigend ge-
und 5. Dezember 1969, nach welchen Bundesminister Ehmke fol- halten habe. Auf daraus resultierende Funktions-
gende Äußerungen getan habe: „Im Palais Schaumburg haben
zwei Drittel der Beamten überhaupt nichts getan. Das ganze mängel habe ich auch schon einmal in einem an
Amt war eine Mischung aus Friedhof und Museum." und „Die dieses Haus gerichteten Papier hingewiesen.
Regierungszentrale (BKA) degenerierte fast zu einem Club für
Freizeitgestaltung." den Tatsachen?
Auf personellem Gebiet hat beispielsweise die
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Professor bisherige Personalpolitik des Bundeskanzleramtes
Dr. Ehmke. zu Verkrustungen geführt, da es an einem ausrei-
2556 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Bundesminister Dr. Ehmke


chenden Personalkreislauf zwischen Kanzleramt und im Kanzleramt erhalten hat; ein Regierungsdirektor,
Ressorts fehlte. Es ist auch kein Geheimnis — und der in ein anderes Ressort abgeordnet wurde.
das habe ich in der Tat gesagt —, daß die Arbeits- Neben den politischen Beamten unter denen, die
belastung im Bundeskanzleramt sehr unterschiedlich ich aufgezählt habe, handelte es sich dabei um den
war, daß eine Gruppe von Beamten sehr viel tat und Persönlichen Referenten des Bundeskanzlers, den
eine andere Gruppe weniger. Leiter des Kanzlerbüros, den Leiter der Gruppe für
Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit betonen, außenpolitische Angelegenheiten, den für Sicher-
daß sich meine Kritik an diesen Umständen nicht heitsfragen und für den BND zuständigen Gruppen-
gegen die Leistungen und Fähigkeiten der Angehö- leiter, den stellvertretenden Leiter der Abteilung I,
rigen des Kanzleramtes gerichtet hat. den Personalreferenten und den Verbindungsrefe-
renten zum Parlament und zu den Parteien. Die be-
Präsident von Hassel: Bine Zusatzfrage, Herr treffenden Beamten wurden lediglich von der Wahr-
Abgeordneter Dr. Jenninger. nehmung ihrer bisherigen Aufgaben entbunden.
Soweit sie nicht als politische Beamte in den einst-
Dr. Jenninger (CDU/CSU) : Herr Bundesmini- weiligen Ruhestand versetzt wurden, wurde ihre
ster, aus welchen Gründen haben Sie es nicht für Amtsstellung durch die Änderung ihrer Funktion
geboten gehalten, eine Ihnen öffentlich unterstellte nicht angetastet. In den Fällen, in denen die beab-
Äußerung, die den Großteil der Beamten des Bun- sichtigte Versetzung oder Neuverwendung nicht
deskanzleramtes anbetraf, auch öffentlich zu demen- sofort möglich war, wurden sie in der Zwischen-
tieren? zeit für besondere Aufträge zur Verfügung gestellt.
Die entsprechenden Anordnungen erfolgten als
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- Maßnahmen der Geschäftsverteilung im Rahmen
gaben: Weil es mir ausreichend erschien, in der der Organisationsgewalt des Dienstherrn; sie waren
Personalversammlung des Kanzleramtes, dort auf deshalb auch nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung
diese Frage angesprochen, klarzustellen, daß ich die zu versehen.
Äußerung nicht getan hatte. Eine weitere Klarstel-
lung erschien mir nicht erforderlich. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr
Abgeordneter Dr. Jenninger.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Dr. Jenninger (CDU/CSU) : Herr Minister, wenn
Ich rufe Frage 49 des Abgeordneten Dr. Jennin- ich richtig mitgerechnet habe, handelt es sich um
ger auf: insgesamt 18 Beamte.
In wieviel Fällen hat der Chef des Bundeskanzleramtes bei
Beamten des Bundeskanzleramtes die sofortige Entbindung von
ihren Dienstgeschäften schriftlich angeordnet? Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Ehmke. gaben: Ich darf einmal nachrechnen. — Ich komme
auf zwölf.
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
gaben: Darf ich vielleicht beide Fragen zusammen Dr. Jenninger (CDU/CSU) : Sie kommen auf
beantworten? zwölf. Hätten Sie die Güte, diesem Haus einmal zu
sagen, welche Zahl jetzt richtig ist? Wenn ich mich
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann recht erinnere, haben Sie am 20. Februar vor diesem
ist Frage 50 des Abgeordneten Dr. Jenninger mit Hause erklärt, daß es sich um zwei Beamte handle;
aufgerufen: am 26. März haben Sie in einer Erklärung gesagt,
es handle sich um elf Beamte, und vor der Presse-
Ist diese schriftliche Anordnung in allen Fällen mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen? konferenz haben Sie von etwa zwanzig gesprochen.
Können Sie uns sagen, welche Zahl nun richtig ist?
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
gaben: Im Bundeskanzleramt wurden folgende Be- Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
amte durch eine schriftliche Anordnung von der gaben: Das kann ich. Das ist ganz einfach. Wenn
Wahrnehmung ihrer bisherigen Funktionen entbun- man sich einmal die Mühe macht, genau festzu-
den: zwei Staatsekretäre, von denen einer in den stellen, über welche Gruppen jeweils gesprochen
einstweiligen Ruhestand versetzt wurde und der wurde, sind die Zahlen miteinander zu vereinbaren.
andere wegen Erreichens der Altersgrenze in den Die Zahl 20 bezieht sich — wenn ich damit anfangen
Ruhestand getreten ist; drei Ministerialdirektoren, darf — auf die Beamten, die in dem schon beginnen-
von denen zwei in den einstweiligen Ruhestand und den Kreislauf zwischen Kanzleramt und Ressorts
ein anderer in ein anderes Ressort versetzt wurden; versetzt worden sind. Das ist die Gesamtzahl. Die
vier Ministerialdirigenten, von denen einer unmit- Zahl, die am Anfang interessierte, war dagegen die
telbar dein früheren Bundeskanzler Dr. Kiesinger Zahl der Beamten, die von ihren Funktionen ent-
zur Verfügung gestellt wurde; zwei weitere wurden bunden wurden, ohne in ein anderes Ressort ver-
in andere Ressorts versetzt, und der vierte hat eine setzt zu werden, so daß z. B. der Leiter der Gruppe
anderweitige Verwendung erhalten; ein Vortragen- für auswärtige Angelegenheiten, der an das Aus-
der Legationsrat I. Klasse und ein Ministerialrat, wärtige Amt zurückgegangen ist, dabei nicht auf-
von denen einer in ein anderes Ressort versetzt gezählt wurde. Die zwei Beamten, die ich damals
wurde und der andere einen neuen Aufgabenbereich hier genannt habe, waren der Sicherheitsreferent
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2557
Bundesminister Dr. Ehmke
und der Personalreferent. Herrn Neusel habe ich Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
nachgetragen. Diese sind von ihren Funktionen ent- gaben: Herr Abgeordneter: ich glaube, Sie haben
bunden worden, ohne in den Kreislauf einbezogen meine Antwort nochmals falsch verstanden. Ich bin
zu werden. Die anderen habe ich damals nicht er- einmal gefragt worden, wie viele Leute insgesamt
wähnt, weil die, wie etwa die Herren, die aus dem vom Kanzleramt versetzt worden sind.
Auswärtigen Amt an das Kanzleramt versetzt waren
und dann in das Auswärtige Amt zurückgegangen Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
sind, für mich in die andere Gruppe gehörten. Es ist Dazu gehören auch die, die im Kreislauf sind.
also jeweils nach verschiedenen Gruppen gefragt
worden; die Zahlen haben aber schon ihre Berech-
tigung. Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
gaben: Ja. Die eingeschlossen, sind es insgesamt
zwanzig. Nur habe ich hinsichtlich der Frage der
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des
Entbindung von der Wahrnehmung bisheriger Funk-
Abgeordneten Dr. Klepsch.
tionen unterschieden zwischen denen, die in den
Kreislauf gingen, und denen, die nur von ihren
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Minister, wie
Funktionen entbunden worden sind. Daraus ergibt
viele Ministerialdirektoren und Ministerialdirigen-
sich die Differenz der Zahlen.
ten im Bundeskanzleramt sind von diesen Maß-
nahmen nicht betroffen?
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatz-
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- frage. Herr Bundesminister, ich danke Ihnen für die
gaben: Von den Ministerialdirektoren sind alle be- Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbe-
troffen gewesen, die Abteilungsleiter. Von den reich.
Ministerialdirigenten kann ich Ihnen das jetzt auf
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Anhieb nicht sagen.
Amts auf. Zunächst die Frage 51 des Herrn Abge-
ordneten Matthöfer:
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Kann man nicht ver-
muten, daß auch da alle betroffen waren? Welches Ergebnis hatte die vorn Parlamentarischen Staats-
sekretär beim Bundesminister des Auswärtigen, Professor Dr.
Dahrendorf, in der Fragestunde der 18. Sitzung des 6. Deutschen
Bundestages vom 5. Dezember 1969 angekündigte Überprüfung
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- der Tätigkeit der griechischen Arbeitskommissionen in deutschen
Arbeitsämtern?
gaben: Da müßte ich jetzt nachzählen, wie viele
dageblieben sind. Es sind nicht alle betroffen. Das Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwor-
kann ich Ihnen aber im Augenblick wirklich nicht tung gebeten. Die Antwort des Parlamentarischen
sagen. Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 8. Mai 1970
lautet:
Zuerst möchte ich klarstellen, daß ich in der Sitzung des
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Ist das Amt so groß? Deutschen Bundestages vom 5. Dezember 1969 nicht eine Ü ber-
prüfung der Tätigkeit der griechischen Arbeitskommission in
deutschen Arbeitsämtern angekündigt habe. Ich habe lediglich
Präsident von Hassel: Verzeihung, das soll erklärt, daß die Bundesregierung die Tätigkeit, die hier im
Lande von den Arbeitskommissionen ausgeübt wird, nicht ohne
hier kein Dialog sein, sondern hier ist eine Frage. Sorge verfolgt; ich habe zugesagt, daß wir, wenn uns Material
bekannt wird, das ein weiteres Eingreifen nötig macht, ein-
gestellt. greifen werden.
Dementsprechend haben sich die zuständigen Stellen auch in
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- den vergangenen Monaten mit der Tätigkeit der griechischen
Kommission und ihrer Außenstellen, denen Bespitzelung, unzu-
gaben: Herr Abgeordneter, ich möchte hier nicht auf lässige Beeinflussung und Denunziation nichtregierungsfreund-
Anhieb Zahlen nennen, bei denen Sie dann noch licher griechischer Staatsangehöriger vorgeworfen wurden, be-
faßt. Die eingeleiteten Nachforschungen haben jedoch den Nach-
einmal fragen. Ich müßte mir jetzt überlegen: wie weis einer unzulässigen Einwirkung auf griechische Arbeitnehmer
und deren Familienangehörige in Deutschland nicht erbracht.
viele B-6-Stellen sind da, und wie viele davon sind
Wegen der Vorwürfe gegen die Außenstelle der griechischen
ausgetauscht worden? Ich bin gern bereit, die Frage Kommission in Hamburg in der Angelegenheit des griechischen
zu beantworten, aber nicht auf Anhieb. Arbeitnehmers Joakinides Heracles, die der Anfrage des Herrn
Kollegen Matthöfer zugrunde lag, wird z. Z. von der Staats-
anwaltschaft in Hamburg noch ermittelt. Nach Mitteilung der
Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg vom 5. Mai
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des 1970 ist dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen. Erst nach
Abgeordneten Freiherr von Guttenberg. Abschluß dieses Verfahrens kann entschieden werden, ob und
welche Maßnahmen gegebenenfalls zu treffen sind.
Im übrigen gilt die Zusage vom 5. Dezember weiter, nach der
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) : wir eingreifen werden, wenn uns Material bekannt wird, das
ein weiteres Eingreifen nötig macht. Die Bundesregierung ist der
Nachdem Sie soeben einen Unterschied gemacht Auffassung, daß innenpolitische Auseinandersetzungen auslän-
haben zwischen denen, die versetzt worden seien, discher Staaten nicht mit illegalen Mitteln auf deutschem Boden
ausgetragen werden dürfen und daß von allen Beteiligten die
und jenen anderen, die — wie Sie sich ausgedrückt deutschen gesetzlichen Bestimmungen beachtet werden müssen.
haben — in den Kreislauf einbezogen worden seien,
frage ich Sie, ob diese Ihre Antwort an den Kollegen Ich rufe die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten
Jenninger nicht deshalb eine Art Ausflucht war, weil Dr. Slotta auf:
Herr Kollege Jenninger danach gefragt hat, ob nicht Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung und was
gedenkt sie zu tun, damit die Forderung des Europäischen Par-
von Ihnen unterschiedliche Zahlen auf die Frage laments und der Wille der Bevölkerung nach allgemeinen,
freien und unmittelbaren europäischen Wahlen zum Europäischen
genannt worden seien, wie viele Beamte des Bun- Parlament realisiert wird?
deskanzleramts versetzt worden sind; denn jene, Ist die Bundesregierung bereit, für den Fall, daß die Direkt-
die in den Kreislauf einbezogen worden sind, sind wahl in allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft in naher
Zukunft nicht gleichzeitig zustande kommt, dem Deutschen Bun-
ja auch versetzt worden. destag ein Gesetz vorzulegen, das die Wahl der deutschen Mit-
2558 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Präsident von Hassel


glieder in das Europäische Parlament spätestens zusammen mit
der nächsten Bundestagswahl vorsieht?
Frau Meermann: ('SPD) : Herr Minister, ich
möchte, um Mißverständnisse zu vermeiden, zu-
Die Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers nächst darauf hinweisen, daß ich bei meiner ersten
schriftlich beantwortet. Die Antwort des Parlamen- Frage natürlich an nicht angemessene und ungerecht-
tarischen Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 8. Mai fertigte Mieterhöhungen gedacht habe, und Sie fra-
1970 lautet: gen: Sind Sie mit mir der Ansicht, daß ein Wider-
iDe Bundesregierung hat in der Frage der Einführung allge- spruch gegen die Kündigung auf Grund der Sozial-
meiner direkter Wahlen zum Europäischen Parlament stets eine
positive Haltung eingenommen. Dies war bereits 1960 der Fall, klausel insbesondere bei hohem Alter, Krankheit
als das Europäische Parlament entsprechende Vorschläge machte.
Nachdem die Diskussion ab März 1969 erneut aufgenommen
oder Kinderreichtum gerechtfertigt ist und zur Fort-
wurde, und als im Rat in der Frage, ob der Zeitpunkt zur setzung des Mietverhältnisses führen kann?
Einführung solcher Wahlen bereits gekommen sei, keine Eini-
gung erzielt werden konnte, hat die Bundesregierung einen
Kompromiß vorgeschlagen, der als eine Übergangslösung ge-
dacht ist. Der deutsche Vorschlag sieht für ein erstes Stadium Jahn, Bundesminister der Justiz: Zunächst darf
vor, daß unter Verdoppelung der Mitgliederzahl des Euro-
päischen Parlaments die Hälfte der Abgeordneten nach dem bis-
ich ein Versäumnis nachholen und sagen, daß selbst-
her geltenden Schlüssel von den nationalen Parlamenten ent- verständlich auch ungerechtfertigte Mieterhöhungen
sandt, die andere Hälfte nach einem der Bevölkerungszahl ent-
sprechenden Schlüssel unmittelbar gewählt wird. Auch zu diesem unter Umständen ein Fall sind, der unter die So-
Verfahren konnte bisher noch kein Einvernehmen hergestellt
werden.
zialklausel fällt.
Immerhin ist auf der Konferenz der Staats- und Regierungs- Ihre zusätzlich gestellte Frage beantworte ich mit
chefs in Haag (1.-2. Dezember 1969) beschlossen worden, daß
die Frage der direkten Wahl vom Ministerrat weiter zu prüfen Ja. Ich stimme Ihnen zu, möchte aber ausdrücklich
sei. Als Fortschritt ist auch zu werten, daß der Ministerrat auf betonen, daß es sich dabei nur um Beispiele handelt,
seiner Tagung vom 6. März beschlossen hat, Kontakte mit dem
Europäischen Parlament in dieser Frage aufzunehmen. Auf seiten daß dies also keineswegs die einzigen Härtegründe
des Rats wird hierfür der amtierende Ratspräsident zuständig
sein. Die ersten Kontakte sollen im nächsten Monat stattfinden. sind, die eine Fortsetzung des Mietverhältnisses
Angesichts der geschilderten Sachlage hält es die Bundesregie- rechtfertigen. Im übrigen k ö n n e n diese Härte-
rung für zumindest verfrüht, sich in dieser Frage zu entscheiden. gründe nicht nur zu einer Fortsetzung des Mietver-
Sie wird jedoch weiterhin in bezug auf die Einführung von
Direktwahlen zum Europäischen Parlament alles in ihren Kräften hältnisses führen; wenn die entsprechenden Um-
Stehende tun, damit die Forderung des EP realisiert wird. stände gegeben sind, müssen sie dazu führen.

Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz-
Bundesministers der Justiz auf, und zwar zunächst frage, Frau Abgeordnete Meermann.
die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Jungmann. —
Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich be
antwortet.
Frau Meermann (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen
bekannt, daß gerade in bezug auf hochbetagte,
kranke oder kinderreiche Mieter die Auffassung
Ich rufe die Frage 37 der Abgeordneten Frau vertreten worden ist, mit einer Verlängerung des
Meermann auf: Mietverhältnisses wäre nicht geholfen, da sich die
Ist dem Bundesminister der Justiz bekannt, daß in jüngster
Zeit Vermieter von Wohnraum in zunehmendem Maße Miet-
Härte für die Mieter mit fortschreitender Zeit eher
erhöhungen fordern und für den Fall, daß der Forderung nicht nur verschlimmere?
entsprochen wird, mit Kündigungen drohen?

Zur Beantwortung Herr Bundesminister Jahn. Jahn, Bundesminister der Justiz: Frau Kollegin,
diese Auffassung ist von einigen Gerichten früher
Jahn, Bundesminister der Justiz: Kann ich diese zur alten Fassung der Sozialklausel vertreten wor-
Frage gleich mit der Frage 38 zusammen beantwor-- den. Eine solche Auslegung der jetzt geltenden
ten? Fassung der Sozialklausel ist nach herrschender
Meinung nicht mehr möglich, weil seit der Neu-
fassung Mietverhältnisse auch auf unbestimmte Zeit
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann verlängert werden können, wenn ungewiß ist, wann
rufe ich noch die Frage 38 der Abgeordneten Frau die Härtegründe voraussichtlich wegfallen.
Meermann auf:
Hält der Bundesminister der Justiz den Schutz der Mieter bei
Wohnungskündigungen des Vermieters zum Zwecke der Miet-
Präsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage,
erhöhung für ausreichend, namentlich bei hohem Alter, Krank- Frau Abgeordnete Meermann.
heit und geringem Einkommen des Mieters oder bei Schwierig-
keiten für den Mieter, entsprechenden Ersatzwohnraum zu
finden?
Frau Meermann (SPD) : Stimmen Sie mir darin
zu, daß nach der Neufassung der Sozialklausel auch
Jahn, Bundesminister der Justiz: Gegenüber Kün- Schwierigkeiten der Ersatzraumbeschaffung als
digungen des Vermieters — ganz gleich, aus wel- Härte angesehen werden können und daß diese
chen Gründen sie erfolgen — können sich die Mie- Härte die Fortsetzung des Mietverhältnisses recht-
ter, die sozial schutzbedürftig sind, auf die soge- fertigen muß?
nannte Sozialklausel berufen und der Kündigung
widersprechen. Dieser Schutz kommt insbesondere
hochbetagten, kranken, kinderreichen Mietern, vor Jahn, Bundesminister der Justiz: Ja, ich stimme
allem bei geringem Einkommen, zugute. Ihnen darin zu. Bei Verabschiedung der Neufassung
ist gerade dieser Fall in diesem Hohen Hause be-
sonders hervorgehoben worden, und zwar nicht nur
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der von meinem Kollegen Dr. Lauritzen, sondern auch
Abgeordneten Frau Meermann. von Sprechern der SPD wie auch der CDU/CSU. Im
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2559
Bundesminister Jahn
Bundesrat wurde diese Ansicht ebenfalls bestätigt. beiden Fragen des Kollegen Horstmeier gemeinsam
Ich hoffe, daß sie sich in der Rechtsprechung durch- beantworte?
setzen wird. Ein Rechtsentscheid des Oberlandes-
gerichts Stuttgart scheint mir jedenfalls sehr deut- Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann
lich in diese Richtung zu weisen. rufe ich auch Frage 5 auf:
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß die Um-
schulungsdauer ein entscheidendes Kriterium für die Förderungs-
Präsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage würdigkeit schlechthin ist?
der Frau Abgeordneten Meermann. Bitte, Herr Minister!

Frau Meermann (SPD) : Herr Minister, obwohl Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
Sie in Ihrer Antwort auf meine erste Frage zum ordnung: Der von Ihnen, Herr Kollege, angegebene
Teil schon darauf eingegangen sind, möchte ich aus Sachverhalt entspricht der Rechtslage nach dem
gegebenem Anlaß doch noch einmal ausdrücklich Arbeitsförderungsgesetz und den einschlägigen
fragen: Ist der Mieter auch gegenüber Kündigungen Durchführungsvorschriften. Nach § 47 Abs. 3 Satz 2
des Vermieters geschützt, die mit dem Ziel erfolgen, des Arbeitsförderungsgesetzes soll die Teilnahme an
ungerechtfertigte Mieterhöhungen durchzusetzen? einer Umschulungsmaßnahme in der Regel nur ge-
fördert werden, wenn diese nicht länger als zwei
Jahn, Bundesminister der Justiz: Ja, es gibt be- Jahre dauert. Nur in Ausnahmefällen kann also die
reits einige Urteile auch von Landgerichten, die Kün- Bundesanstalt für Arbeit eine Umschulungsmaß-
digungen für sittenwidrig und damit nichtig ange- nahme länger als zwei Jahre fördern. Hierzu hat
sehen haben, weil sie nur als Vergeltung dafür aus- der Verwaltungsrat der Bundesanstalt in einer An-
gesprochen wurden, daß die Mieter es gewagt hat- ordnung vom 18. Dezember 1969 bestimmt, daß in
ten, sich gegen ungerechtfertigte Forderungen, ins- diesen Ausnahmefällen eine Förderungsdauer von
besondere unberechtigte Mietzinsforderungen, zur drei Jahren nicht überschritten werden darf.
Wehr zu setzen. Nach dem Sinne dieser Regelung kommt bei einer
Umschulungsmaßnahme, die länger als drei Jahre
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatz- dauert, auch eine nur zeitweise Förderung nicht in
frage, Herr Abgeordneter Dr. Ahrens. Betracht. Der Gesetzgeber und ihm folgend die
Bundesanstalt haben sich mit den genannten Vor-
schriften zu dem Grundsatz bekannt, daß eine Um-
Dr. Ahrens (SPD) : Herr Minister, wären Sie be- schulungsförderung nur dann gerechtfertigt ist,
reit, prüfen zu lassen, ob nicht in den Fällen, in
wenn die Bildungsmaßnahme den besonderen Erfor-
denen es allein um die Frage der Mieterhöhung
dernissen beruflicher Erwachsenenbildung entspricht,
geht, die Einführung einer Änderungskündigung
Das bedeutet hinsichtlich der Dauer der Maßnahme,
möglich ist, bei der nur die Miethöhe im Streit steht,
daß die Umschulung in angemessener, aber mög-
das Mietverhältnis als solches aber nicht streit-
lichst kurzer Zeit zu dem angestrebten Ziel führen
befangen ist?
muß.
Diese Forderung wird auch in den Empfehlungen
Präsident von Hassel: Wir sind am Ende des des Gesprächskreises für Fragen der beruflichen Bil-
Geschäftsbereichs des Bundesministers der Justiz
dung erhoben. Die Bundesanstalt für Arbeit ist auf
angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Minister, für die
Grund des .Arbeitsförderungsgesetzes gehalten, die-
Beantwortung danken. sen Gesichtspunkt bei der Durchführung der Um-
schulungsförderung zu beachten.
Präsident von Hassel: Wir sind Ende des Ge-
schäftsbereichs des Bundesministers der Justiz ange-
langt. Ich darf Ihnen, Herr Minister, für die Beant-
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des
Abgeordneten Horstmeier.
wortung danken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Horstmeier (CDU/CSU) : Herr Minister, teilt
für Arbeit und Sozialordnung auf. also die Bundesregierung die in der Verwaltungsan-
Frage 3 des Abgeordneten Hussing. — Ist der ordnung vertretene Rechtsansicht, daß Umschulungs-
Abgeordnete im Saal? Nicht der Fall. Die Frage wird willige danach gezwungen würden, zur Vermeidung
schriftlich beantwortet. finanzieller Nachteile einen Beruf zu wählen, dessen
Ausbildung innerhalb von drei Jahren abgeschlos-
Frage 4 des Abgeordneten Horstmeier — der Ab-
sen ist? Ist das Wille des Gesetzgebers, und ist das
geordnete ist anwesend —:
mit Art. 12 des Grundgesetzes zu vereinbaren?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Umschulungsmaßnah-
men, die voraussichtlich länger als drei Jahre in Anspruch
nehmen, von der Bundesanstalt für Arbeit auch nicht für den
sonst vorgesehenen Zeitraum von drei Jahren gefördert werden? Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
ordnung: Herr Kollege, eine nur zeitweise Förde-
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister rung der beruflichen Umschulung wäre nach Auffas-
Arendt. sung der Bundesregierung aus sozialpolitischen
Gründen nicht zu vertreten; denn die ganze Ausbil-
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- dung muß wirtschaftlich gesichert sein. Eine zeit-
ordnung: Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich die weise Förderung von mehr als dreijährigen Um-
2560 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970
Bundesminister Arendt
schulungsmaßnahmen würde zudem im Ergebnis zu verwaltung der Versicherungsträger nach der Reichs-
einer faktischen Sanktionierung der längeren Maß- versicherungsordnung ermächtigt ist, durch Satzung
nahmedauer führen und damit dem bereits zitierten einen höheren Betrag zu bestimmen, wenn ein Be-
Grundsatz einer erwachsenengerecht gestalteten Um- dürfnis dafür besteht. Eine Reihe von Berufsgenos-
schulungsmaßnahme widersprechen. senschaften hat von dieser Möglichkeit bereits Ge-
In diesem Zusammenhang ist auch auf § 47 Abs. 1 brauch gemacht. Die Bundesregierung wird jedoch
des Berufsbildungsgesetzes zu verweisen, wonach die weitere Entwicklung beobachten und gegebenen-
Maßnahmen der beruflichen Umschulung nach Inhalt, falls eine Anhebung des gesetzlichen Höchstbe-
Ziel und Dauer den besonderen Erfordernissen der trages vorschlagen.
beruflichen Erwachsenenbildung entsprechen müs-
sen. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich
rufe die Frage 11 der Abgeordneten Frau Dr. Wolf
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz- auf:
frage des Abgeordneten Horstmeier. Teilt die Bundesregierung im Hinblick auf den Bedarf an aus-
ländischen Arbeitern in unserer Wirtschaft und unter Bezug-
nahme auf die vorliegende Statistik über die Dauer des Auf-
enthaltes der Arbeiter die Auffassung, daß mit einem Dauer-
Horstmeier (CDU/CSU): Sieht also die Bundes- aufenthalt zu rechnen ist?
regierung zur Zeit keine Möglichkeit, darauf hinzu-
wirken, daß diese Verwaltungsanordnung aufgeho- Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
ben oder korrigiert wird, damit Umschulungswilli-
gen wenigstens für den Zeitraum von drei Jahren Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
eine Umschulungsbeihilfe gewährt wird, auch wenn ordnung: Auch ein mehrjähriger Aufenthalt auslän-
eine längere Umschulungsdauer notwendig ist, als discher Arbeitnehmer kann noch nicht als Indiz für
für die Förderungsdauer vorgesehen ist? einen Daueraufenthalt angesehen werden. Die Er-
fahrung zeigt, daß viele ausländische Arbeitnehmer
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- auch nach vier und mehr Jahren Arbeitsaufenthalt
ordnung: Herr Kollege, die Bundesregierung ist der in der Bundesrepublik endgültig wieder in die Hei-
Auffassung, daß aus den angeführten Gründen an mat zurückkehren. Die Bundesregierung hat wieder-
der Dreijahresfrist im Prinzip festgehalten werden holt erklärt, daß die Bundesrepublik Deutschland
sollte. Falls sich im Verlauf der Durchführung des wegen der großen Bevölkerungsdichte kein Einwan-
Förderungsprogramms die zwingende Notwendig- derungsland sein kann. Auch den Regierungen der
keit herausstellen sollte, in begründeten Ausnahme- Anwerbeländer ist daran gelegen, den jungen und
fällen von dieser Dreijahresfrist abzuweichen, würde leistungsfähigen Bevölkerungsteil nicht auf Dauer
die Bundesregierung die Bundesanstalt für Arbeit zu verlieren. Der vorübergehende Zweck des Ar-
um eine entsprechende Änderung der Anordnung beitsaufenthalts wird durch die starke Rückkehrbe-
bitten. wegung unter den ausländischen Arbeitnehmern be-
stätigt. Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre ent-
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. fielen auf drei Zuwanderer zwei Rückkehrer. Bei
der zu erwartenden anhaltenden Ausländerbeschäf-
Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Ruf auf. — Der tigung wird die Zahl derer, die sich auf Dauer im
Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schrift- Bundesgebiet niederlassen, zwar zunehmen. Hierbei
lich beantwortet, Frage 7 ebenfalls. dürfte es sich aber, wie das vorliegende Zahlen-
material erkennen läßt, nur um einen verhältnis-
Ich rufe die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten mäßig geringen Teil der insgesamt beschäftigten
Härzschel auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. ausländischen Arbeitnehmer handeln.
Die Fragen werden schriftlich beantwortet.

Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Krammig Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau
auf: Abgeordnete Dr. Wolf.
Hält die Bundesregierung den Höchstbetrag des Jahresarbeits-
verdienstes von 36 000 DM in § 575 der Reichsversicherungsord-
nung heute noch für angemessen, und wann beabsichtigt sie
gegebenenfalls eine Änderung vorzuschlagen? Frau Dr. Wolf (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
da ich meine Anfrage nicht in bezug auf den indivi-
Der Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung
duellen Arbeiter gestellt habe, sondern auf die Ge-
der Herr Bundesminister.
samtsituation ausländischer Arbeiter, möchte ich
die Frage anschließen, ob angesichts der Tatsache,
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- daß wir ständig mit ausländischen Arbeitern zu rech-
ordnung: Bei einem Jahresarbeitsverdienst von nen haben, nicht auch eine organisatorische Ver-
36 000 DM ergibt sich bei völligem Verlust der Er- ankerung von Einrichtungen für solche Arbeiter,
werbsfähigkeit eine monatliche Verletztenrente von wie z. B. der orthodoxen Kirche, durch die Bundes-
2000 DM. Diese Rente erhöht sich für jedes Kind um regierung unterstützt werden sollte.
weitere 200 DM. Sie ist steuer- und abgabenfrei.
Die Bundesregierung hält einen Jahresarbeitsver-
dienst, aus dem sich eine solche Leistung ergibt, im Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung, einer ordnung: Frau Kollegin, ich sehe im Augenblick
sozialen Versicherung also, noch für angemessen. keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der von
Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Selbst- Ihnen gestellten Frage.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2561

Präsident von Hassel: Ich muß dem Herrn ten an der Gesamtzahl der insgesamt 7,8 Millionen
Bundesminister recht geben. Die Grundfrage lautete Patienten ist, die 1968 in Krankenhäusern für Akut-
etwas anders. Sie ergänzen sie? kranke stationär behandelt wurden.
Nach den mir zugänglichen Zahlen sind im Jahre
Frau Dr. Wolf (CDU/CSU) : Meine Grundfrage 1968 mindestens 150 000 Schwerverletzte nach Stra-
betraf einen Daueraufenthalt nicht des individuel- ßenverkehrsunfällen in Krankenhäuser eingeliefert
len Arbeiters, sondern von Arbeitern aus Entwick- worden, nach Arbeitsunfällen zu Lasten der gesetz-
lungsländern. lichen Unfallversicherung im Jahre 1967 270 095
Personen. Als Arbeitsunfälle im Sinne dieser An-
Präsident von Hassel: In der Frage 11, die gaben sind neben Unfällen an der Arbeitsstätte und
Sie eingereicht haben, sprechen Sie davon, ob die Wegeunfällen auch Berufskrankheiten zu verstehen.
Bundesregierung der Auffassung ist, daß mit einem Über Arbeitsunfälle im Jahre 1968 liegen mir Zah-
Daueraufenthalt zu rechnen ist. Es geht in dieser len noch nicht vor.
Frage nicht darum, welche Konsequenzen daraus
unter Umständen abzuleiten wären. Das wäre aber Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
die Zusatzfrage, die Sie stellen.
Ich rufe die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten
Lenzer auf:
Frau Dr. Wolf (CDU/CSU) : Darf ich sagen, Herr Welche Überlegungen bestehen seitens der Bundesregierung
Präsident, ich habe mit „Daueraufenthalt" nicht den über die Vorlage eines Krankenhausfinanzierungsgesetzes, wel-
individuellen Daueraufenthalt, sondern den Dauer- ches die Krankenhäuser auf eine gesunde finanzielle Basis zu
stellen vermag?
aufenthalt von ausländischen Arbeitern in unserer Wenn ist mit einer Regierungsvorlage zu rechnen?
Gesellschaft gemeint. Ich glaube, das Wort „Dauer-
aufenthalt" habe ich nicht hinreichend interpretiert. Ist der Abgeordnete im Saal? — Zur Beantwor-
tung, Frau Bundesminister Strobel.
Präsident von Hassel: Ich habe auch den Ein-
druck, wir überlassen es dem Herrn Bundesminister, Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
ob er die Zusatzfrage beantworten kann. Sonst müß- milie und Gesundheit: Herr Kollege Lenzer, die
ten Sie das nächste Mal noch einmal auf den spe- Bundesregierung bereitet zur Zeit einen Gesetzent-
ziellen Zweck der Maßnahmen, die Sie für notwen- wurf zur wirtschaftlichen Sicherung der Kranken-
dig halten, abstellen. häuser vor. In die mehrjährige Finanzplanung hat
die Bundesregierung ab der zweiten Hälfte 1971
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- bis einschließlich 1973 — solange also die jetzige
ordnung: Ich bitte darum, daß Sie in der nächsten mehrjährige Finanzplanung läuft — finanzielle Mit-
Fragestunde noch einmal darauf zurückkommen. tel eingestellt, durch die in dieser Zeit mehr als
1 Milliarde DM für Krankenhausinvestitionen durch
den Bund mobilisiert werden sollen. Über Einzel-
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 12 heiten der gesetzlichen Regelung wird mit den be-
des Abgeordneten Offergeld auf. — Der Abgeord-
teiligten Bundesministerien und mit den Ländern
nete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich be- noch verhandelt.
antwortet.
In diesem Zusammenhang muß man aber auch
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Link auf. sehen, daß eine Neuregelung der Pflegesatzverord-
— Ist der Abgeordnete im Saal? — Das ist nicht der nung vorgesehen ist, was dem Bund jetzt im Rahmen
Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet. der konkurrierenden Gesetzgebung möglich ist.
Ich rufe die Frage 14 desselben Abgeordneten
auf. Frage 14 wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister, für die Abgeordnete Lenzer.
Beantwortung der Fragen.
Lenzer (CDU/CSU) : Frau Bundesminister, ist
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- schon eine Angabe darüber möglich, wie in dieser
sters für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zu- Vorlage die Benutzerkosten gegenüber den Investi-
nächst die Frage 21 des Abgeordneten Welslau: tionskosten behandelt werden?
Wie hoch ist der Anteil der Krankenhausbelegung, verursacht
durch Straßenverkehrsunfälle und durch Berufsunfälle?
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
Der Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung milie und Gesundheit: Eine solche Angabe ist erst
Frau Bundesminister Strobel. möglich, wenn es einen Entwurf der Bundesregie-
rung gibt, der den gesetzgebenden Körperschaften
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- zugeleitet wird. Bis jetzt gibt es dazu Auffassungen
milie und Gesundheit: Herr Kollege Welslau, in der des zuständigen Ministeriums, der Länder, der Kran-
Bundesrepublik wird keine Morbiditätsstatistik in kenkassen und der Krankenhausträger. Solange die
Krankenhäusern und auch keine Statistik über die Beratungen darüber nicht abgeschlossen sind, möchte
Unfallursachen der stationär behandelten Verletz- ich mich hier nicht festlegen. Es soll aber versucht
ten geführt. Es liegen mir daher leider keine amt- werden, eine klare Trennung zwischen den Investi-
lichen Zahlen darüber vor, wie hoch der Anteil der tionskosten und den Behandlungskosten, also den
durch Verkehrs- und Arbeitsunfall verletzten Patien- Benutzerkosten im Einzelfall, herbeizuführen.
2562 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz- steuergesetz das Reinheitsangebot wahren, »d. h. nur
frage, der Abgeordnete Lenzer. Gerste, Hopfen, Malz, einwandfreies Wasser und
Hefe verwenden, gestattet wird, auf dem Flaschen-
Lenzer (CDU/CSU) : Könnten Sie mir vielleicht etikett bzw. auch in der Werbung auf diesen wesent-
schon Angaben darüber machen, ob im Rahmen lichen Vorzug hinzuweisen?
der gesetzlichen Vorschriften gleichzeitig auch et-
was über die innere Struktur des Krankenhauses Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
ausgesagt wird, d. h., wird vielleicht die innere milie und Gesundheit: Herr Kollege Gleissner, ich
Struktur die Basis dafür liefern, ob überhaupt eine habe mich dm Rahmen der gesamten Lebensmittel-
Beteiligung in Aussicht genommen werden kann? gesetzgebung immer für Wahrheit und Klarheit in
der Kennzeichnung eingesetzt. Das gilt auch für Bier.
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- Ich glaube aber nicht, daß die Harmonisierung des
milie und Gesundheit: Die Ermächtigung im Rahmen Bierrechts im Rahmen der EWG allein durch diese
der konkurrierenden Gesetzgebung lautet: wirt- Kennzeichnung für uns befriedigend zu lösen wäre.
schaftliche Sicherung der Krankenhäuser und Re- Denn es geht darum, ob der deutsche Markt für
gelung der Pflegesätze. Die Länder haben bewußt solches Bier, das nicht nach dem Reinheitsgebot her-
diese Formulierung vorgeschlagen und ihr nur un- gestellt ist, geöffnet werden soll. Die Deklaration
ter der Bedingung zugestimmt, daß es ein Zustim- allein, glaube ich, wäre nicht ausreichend. Wir wür-
mungsgesetz wird. Die Frage, ob es möglich sein den einen das Reinheitsgebot nicht ausreichend
wird, unter der Überschrift „wirtschaftliche Siche- schützenden Standpunkt in Brüssel vertreten, wenn
rung der Krankenhäuser" irgendwelche Bedingun- wir uns allein auf das Deklarationsprinzip zurück-
gen oder auch nur Richtlinien für die innere Struk- zögen.
tur in das Gesetz zu bringen, scheint mir zumindest
vorläufig nicht mit Ja zu beantworten zu sein. Ich
weiß, daß es hier große Schwierigkeiten geben
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
wird. Ich glaube, daß es vor allen Dingen wichtig
ist, zusammen mit den Ländern Planungselemente
in das Gesetz aufzunehmen, um ein bedarfsgerecht Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Frau Bundesminister,
gegliedertes System leistungsfähiger Krankenhäu- ist der Bundesregierung bekannt, welche Länder im
ser zu' schaffen, so 'daß jeder Patient das für ihn EWG-Bereich schon jetzt Zusätze verschiedener
notwendige Krankenhausbett in erreichbarer Nähe Art, insbesondere auch chemischer Art, beim Bier
findet. gestatten?

Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 24 Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
des Abgeordneten Dr. Gleissner auf: milie und Gesundheit: Es ist der Bundesregierung
Sind der Bundesregierung Pläne der EWG-Kommission be- bekannt, daß sich alle anderen fünf Länder bisher
kannt, wonach bei der Bierherstellung künftig außer Gerstenmalz
auch Rohfrüchte wie Mais, Reis, Sorghum usw., außerdem unserer Forderung nach Beibehaltung des Reinheits-
Saccharose, Invertzucker oder Glukose und zusätzlich sogar
Ascorbinsäure, eiweißspaltende Enzyme, Gerbstoffe und
gebots für »die Einfuhr von Bier nach Deutschland
Schwefelsäure verwendet werden dürfen, und hat die Bundes- widersetzen. Mir ist nicht bekannt, was im einzelnen
regierung darüber bereits verhandelt oder irgendwelche Zuge-
ständnisse in Aussicht gestellt? in den anderen Ländern an Bierzusätzen und Bier-
grundrohstoffen verwendet wird. Ich glaube auch,
Zur Beantwortung bitte, Frau Minister! - daß es eine ziemlich lange Liste wäre, die ich vor-
tragen müßte, um Ihre Frage zu beantworten.
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
milie und Gesundheit: Herr Kollege Gleissner, die
bisher von der Kommission zur Diskussion gestell- Präsident von Hassel: Ihre Zusatzfragen zur
ten Entwürfe für eine Richtlinie über Bier sehen die Frage 24 haben Sie konsumiert. Ich rufe nunmehr
von Ihnen in Ihrer Frage bezeichneten Regelungen Ihre Frage 25 auf:
leider vor. Die deutsche Delegation hat sich dieser Ist die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen und
darauf zu bestehen, daß in der Bundesrepublik Deutschland die
Konzeption stets widersetzt und insbesondere die Qualität des Bieres erhalten bleibt und daß das Bier durch
keinerlei Zusätze, insbesondere chemischer Art, manipuliert
Beibehaltung des Reinheitsgebots immer gefordert. bzw. verfälscht werden darf und daß in der Bundesrepublik
Deutschland auch in Zukunft nur Bier nach dem Reinheitsgebot
hergestellt und verkauft wird?
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr
Abgeordneter Dr. Gleissner. Zur Beantwortung der Frage 25, Frau Bundes-
minister.
Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Frau Bundesminister,
ist die Bundesregierung bereit, angesichts der dro- Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
henden Gefahr mehr oder weniger fragwürdiger milie und Gesundheit: Nach meiner Auffassung han-
EWG-Biere die Interessen der deutschen Verbrau- delt es sich bei dieser Richtlinie um eine auf Art. 100
cher zu schützen, und zwar unter anderem auch Richtlinie, die mit Ein-desEWG-Vrtagüze
durch eine lebensmittelrechtliche Verordnung des stimmigkeit zu beschließen ist.
Inhalts, daß den deutschen Brauereien, soweit sie ent-
sprechend dem bewährten und oft gerühmten baye- Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr
rischen Reinheitsgesetz und auch gemäß dem Bier Abgeordneter Dr. Gleissner.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2563

Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Frau Bundesminister, kurz und klar abgefaßten Merk oder Informations-
-

sind Sie bereit, eine Liste vorbereiten zu lassen, aus blättern fehlt, worin z. B. steht, wer für welche Aus-
der hervorgeht, welche Länder es sind, die dem Bier bildung Zuschuß erhält?
Zusätze beigeben, und welcher Art diese Zusätze
sind? Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
milie und Gesundheit: Herr Kollege Josten, da uns
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- das bekannt ist, haben wir in Absprache mit dem
milie und Gesundheit: Soweit wir das in Erfahrung Bundespresseamt .eine Broschüre vorbereitet, die
bringen können, gern. zur Zeit in einer Auflage von 250 000 Stück gedruckt
wird. Diese enthält ein Merkblatt über die Leistun-
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatz- gen nach dem ersten Ausbildungsförderungsgesetz.
frage.
Außerdem werden wir ein Faltblatt herausgeben,
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Josten durch das Grundinformationen über das Erste Aus-
auf: bildungsförderungsgesetz vermittelt werden. Ein
Ist nach dem neuesten Stand für die Errichtung von Ausbil-
dungsförderungsämtern sichergestellt, daß zum 1. Juli 1970 das Kupon gibt Interessierten die Möglichkeit, die Bro-
erste Ausbildungsförderungsgesetz in allen Ländern der Bundes- schüre vom Presse- und Informationsamt oder vom
republik Deutschland praktisch durchgeführt werden kann?
Bundesministerium anzufordern.
Zur Beantwortung, Frau Bundesminister.
Im Gespräch ist zur Zeit noch eine Anzeigenak-
tion. Die Anzeigen sollen, wenn ihr Erscheinen
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- sichergestellt ist, auch mit einem Kupon versehen
milie und Gesundheit: Herr Kollege Josten, ich habe
werden, um Interessierten die Broschüre zukommen
bereits bei der Beantwortung einer früheren An-
zu lassen.
frage, nämlich am 18. März, hervorgehoben, daß das
Erste Ausbildungsförderungsgesetz von den Län- Außerdem sind von mir eine Artikelaktion in vie-
dern durchgeführt wird. Diese haben darum auch die len kleinen Heimatzeitungen, mehrere Anzeigen
erforderlichen Vorbereitungsarbeiten zu leisten. in Jugendzeitungen und -zeitschriften und entspre-
chende Interview-Aktionen geplant.
Soweit bei dieser Rechtslage der Bund zur Vor-
bereitung beitragen kann, ist dies geschehen. Das
Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesund- Präsident von Hassel: Eine letzte Zusatz-
heit hat in Übereinstimmung mit den Ländern Form- frage, Herr Abgeordneter Josten.
blätter für die Antragstellung, die Ermittlung des
Einkommens und Vermögens des Ausbildenden, sei- Josten (CDU/CSU) : Frau Ministerin, darf ich auf
nes Ehegatten und seiner Eltern sowie für die Bear- Grund Ihrer erfreulichen Mitteilung über die zu er-
beitung bestimmt und eine allgemeine Verwaltungs- wartenden Informationsblätter fragen: Glauben Sie
vorschrift erarbeitet. Unter der Verantwortung des tatsächlich, daß in allen Stadt- und Landkreisen
Bundesministeriums für Jugend, Familie und Ge- diese Ausbildungsförderungsämter dann auch zum
sundheit ist ein Programmablaufdiagramm für die 1. Juli voll einsatzfähig sind?
Durchführung des Gesetzes mit dem modernen Ver-
waltungsmittel der elektronischen Datenverarbei- Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
tung erstellt worden. milie und Gesundheit: Ich hatte schon darauf hin-
Nach den Berichten der Länder über den Stand gewiesen, daß die Durchführung bei den Ländern
der Vorbereitungsarbeiten nimmt die Bundesregie- liegt. Es ist natürlich schwierig, bei einem neuen
rung an, daß diese sich zum 1. Juli 1970 in den Stand Gesetz, bei dem eine umfangreiche Ermittlung und
gesetzt haben werden, das Gesetz praktisch durch- Prüfung der Ausbildungs- und Einkommensverhält-
zuführen. Dabei sind Unterschiede in dem Stand der nisse bei mehreren hunderttausend Antragstellern
Vorbereitungsarbeiten in den einzelnen Ländern erforderlich ist, alle Anlaufschwierigkeiten zu ver-
nicht zu verkennen. Sie sind insbesondere die Folge meiden. Wir haben jedenfalls ständig bei den Län-
unterschiedlicher landesrechtlicher Bestimmungen dern darauf gedrungen, daß die Vorbereitungen
über Zuständigkeitszuweisungen an nachgeordnete rechtzeitig geschaffen werden.
Behörden sowie der unterschiedlich umfangreichen
Erfahrungen mit der Durchführung landesrechtlicher Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatz-
Förderungsmaßnahmen. frage.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Dr. Schnei-
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der der (Nürnberg) auf. Der Abgeordnete ist nicht im
Abgeordnete Josten. Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs ange-
Josten (CDU/CSU) : Frau Ministerin, nachdem Sie langt, Frau Bundesminister. Ich danke Ihnen für die
die Fragestunde vom 18. März 1970 erwähnt haben, Beantwortung.
in der Ihr Parlamentarischer Staatssekretär wörtlich
erklärte: „Das Bundesministerium für Jugend, Fa- Die Fragen für die Fragestunde sind damit für
milie und Gesundheit wird weiterhin mit den Län- heute erschöpft.
dern im Gespräch bleiben, damit die Ausbildungs- Ich unterbreche die Sitzung bis 10 Uhr.
förderungsämter bald geschaffen werden", darf ich
Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß es bis heute an (Unterbrechung von 9.39 bis 10.02 Uhr.)
2564 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Präsident von Hassel: Die unterbrochene Sit- Damit verbinde ich die Bitte an alle Beteiligten,
zung ist wieder eröffnet. dieses Werk so lange fortzusetzen, soweit durch
weitere Nachforschungen Aussicht darauf besteht,
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Ta- noch offene Wunden des Krieges zu schließen und
gesordnung fortfahren, darf ich in Übereinstimmung menschliches Leid zu lindern.
mit dem Ältestenrat des Hauses einige Bemerkun-
Meine Damen und Herren, auf der Tribüne ist in-
gen zum heute 25jährigen Bestehen des Suchdienstes
zwischen anwesend der Führer der Opposition im
des Deutschen Roten Kreuzes machen.
englischen Unterhaus, Mr. Heath.
Vor 25 Jahren, in der Zeit größter menschlicher (Lebhafter Beifall.)
Not und bedrückender Sorge um Millionen von
Ich heiße ihn namens des Deutschen Bundestages
deutschen Wehrmachtsvermißten und Zivilverschol-
sehr herzlich willkommen.
lenen des zweiten Weltkrieges, hat das Deutsche
Rote Kreuz den Suchdienst als Aktion der Selbst- Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein.
hilfe zur Aufklärung dieser ungewissen Einzelschick- Ich rufe Punkt 20 auf:
sale ins Leben gerufen. Als der Suchdienst damals Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
die Registrierung der Vermißten, der Verschollenen
und der auseinandergerissenen Familien aufnahm, Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
ahnte niemand von uns, daß es trotz intensiver An-
strengungen nicht gelingen werde, in 25 Jahren Brandt, Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine
diese humanitäre Aufgabe vollenden zu können. Damen und Herren! In diesen Tagen sind 25 Jahre
vergangen, seit der totale Krieg des nazistischen
Es ist das einmalige Verdienst des Suchdienstes Reiches in der totalen Niederlage endete. Nach fast
des Deutschen Roten Kreuzes, mit Tatkraft und 6 Kriegsjahren schwiegen in Europa endlich die
durch unermüdliche Arbeit bei der Bewältigung die- Waffen. Der von Hitler begonnene Krieg forderte
ses menschlichen Elends der Nachkriegszeit so wirk- das Opfer von Millionen Menschen, von Kindern,
sam geholfen zu haben. Trotz vieler Schwierigkeiten Frauen und Männern, von Gefangenen und von
und Rückschläge war die Arbeit in Zusammenarbeit Soldaten vieler Nationen. Wir gedenken ihrer aller
mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, in Ehrfurcht. Das Leid, das ihr Sterben mit sich
mit der Internationalen Flüchtlingsorganisation und brachte, und die Leiden, die der Krieg zur Folge
den nationalen Rot-Kreuz-Verbänden der Gewahr- hatte, mahnen uns, die Lehren der Vergangenheit
samsstaaten beachtlich erfolgreich. nicht zu vergessen und in der Sicherung des Frie-
dens das oberste Ziel unseres politischen Handelns
Für diesen Erfolg sollen einige Zahlen sprechen. zu sehen.
Bis vor einem Monat konnten geklärt werden
560 000 Schicksale der 1 729 000 registrierten Wehr- Die Verpflichtung zum Frieden wird uns in die-
machtvermißten, über 1 030 000 Schicksale von sen Tagen besonders bewußt. Mit den anderen Völ-
1 200 000 registrierten Zivilverschollenen und kern teilen wir die Sorge darüber, daß die kriege-
217 000 Schicksale von 223 000 gesuchten Kindern. rische Auseinandersetzung in Südostasien und die
Außerdem wurden von 1 320 000 registrierten An- Krise im Nahen Osten sich verschärft und ausgewei-
gehörigen 524 000 mit ihren Familien zusammenge- tet haben. Die Bundesregierung hofft, daß die Be-
führt. mühungen um eine friedliche Lösung dieser leidvol-
len und gefahrvollen Konflikte bald erfolgreich sein
Diese Leistungen können nicht hoch genug einge- mögen.
schätzt werden, wenn wir uns daran erinnern, daß (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
sich der weitaus größte Teil der gesuchten Deutschen Abgeordneten der CDU/CSU.)
bei Kriegsende in der Sowjetunion und in osteuro- Wir Deutschen sind dankbar dafür, daß wir seit
päischen Gebieten befand. 1945 von der Geißel des Krieges verschont geblie-
Noch gilt es, das Schicksal von 1 163 462 Wehr- ben sind. Damals vollzog sich mit der bedingungs-
losen Kapitulation nicht nur der Zusammenbruch
machtvermißten, von 172 816 Zivilverschollenen und
von 6642 Kindern — unter ihnen 1616 heutige Er- des Reiches;
wachsene — aufzuklären und diesen Personen auf (Abg. Dr. Barzel: Deutschland ist nicht
der Suche nach ihrer Identität zu helfen sowie untergegangen!)
587 948 Angehörige mit ihren Familien zusammenzu- die Existenz des Volkes selbst war in Frage gestellt.
führen. Das Land war militärisch besetzt. Eine unüberseh-
Wenn der DRK-Suchdienst heute 25 Jahre besteht, bare Zahl unserer Landsleute war ohne Haus und
ohne Heimat. Die Familien waren zerstreut, die Städte
ist uns allen deutlich bewußt, daß dieses große
zerstört. Hoffnungslosigkeit drohte den Lebensmut
Werk der Menschlichkeit nur durch den selbstlosen
zu ersticken. Vielen erschien es zweifelhaft, ob ein
Einsatz und die aufopfernde Hingabe der Helfer
Wiederaufbau gelingen würde.
vollbracht werden konnte und fortgeführt werden
kann. Ihnen allen, den Initiatoren, den amtlichen Die Hauptlast in jener schweren Zeit trugen die
Mitarbeitern und den freiwilligen Helfern, spreche Frauen, die Mütter. Sie hatten schon die Ängste der
ich den Dank und die Anerkennung des Deutschen Bombennächte zu überstehen gehabt; harte Arbeit
Bundestages aus. und der Kampf mit dem Hunger waren ihnen aufer-
(Beifall.) legt. Hinzu kam die Sorge um die Männer, die
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2565
Bundeskanzler Brandt
Söhne, die Familie. Es ist angemessen, heute des schieht in dem Bewußtsein, daß friedliche, aktive
Anteils der Frauen an dem Schicksal des ganzen Koexistenz 'am bestengefördert wird, wenn die
Volkes besonders zu gedenken. Völker zusammen , an die Lösung von Problemen
Die Kirchen und andere Institutionen haben unse- herangehen, die ihnen gemeinsam sind.
rem Volk ihr Wort zu diesem Tag gesagt. Wenn die Die Bundesrepublik Deutschland nimmt an die-
Bundesregierung heute mit einer besonderen Er- sen Bemühungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten
klärung vor den Deutschen Bundestag tritt, so ist voll Anteil. Sie ist zu einem geachteten und viel-
es der Sinn dieser Stunde, zu erkennen, was war. fach auch begehrten Partner der Völkergemeinschaft
Ein Volk muß bereit sein, nüchtern auf seine Ge- geworden. Dies kann uns mit Genugtuung erfüllen.
schichte zu blicken; denn nur wer sich daran erin-
nert, was gewesen ist, erkennt auch, was heute ist, Aber wir dürfen darüber doch nicht vergessen,
und vermag zu überschauen, was morgen sein kann. daß die Narben, die der Krieg hinterlassen hat,
noch nicht überall verheilt ;Sind, daß das Mißtrauen
Dies gilt besonders für die jüngere Generation. uns gegenüber noch nicht verschwunden ist, sondern
Sie war nicht beteiligt an dem, was damals zu Ende bei manchem, auch geringfügigem Anlaß wieder
ging. Die heute Zwanzigjährigen waren noch nicht sichtbar wird. Auch dies ist eine der Realitäten, mit
geboren. Die Dreißigjährigen waren noch Kinder. denen die deutsche Politik fertig werden muß. Wir
Und selbst die Vierzigjährigen hatten keinen Anteil können dies nur, wenn wir sie ständig auf den
an dem, was 1933 über uns kam. Dennoch ist nie- Frieden ausrichten.
mand frei von der Geschichte, die er geerbt hat.
In der Regierungserklärung vom 28. Oktober
Dies wird jedem deutlich, der — wie ich selbst vergangenen Jahres hatte ich angekündigt, wir
vor wenigen Wochen — vor dem Mahnmal eines der würden die Initiative unseres Bundespräsidenten
ehemaligen Konzentrationslager steht. Auch dies gilt aufgreifen und die Friedensforschung koordinieren.
es zu sehen! Was in jenen Tagen vor 25 Jahren Inzwischen wurden die Voraussetzungen geschaf-
von unzähligen Deutschen neben der persönlichen fen, um zur Gründung einer „Deutschen Gesellschaft
als nationale Not empfunden wurde, war für andere zur Förderung der Friedens- und Konfliktforschung"
Völker die Befreiung von Fremdherrschaft, von Ter- einzuladen. Nichtstaatliche und staatliche Stellen
ror und Angst. Auch für die Mehrheit des deutschen wollen bei Wahrung der wissenschaftlichen Unab-
Volkes erwuchs die Chance zum Neubeginn, zur hängigkeit hierbei eng zusammenarbeiten.
Schaffung rechtsstaatlicher und demokratischer Ver-
hältnisse. „Es gibt schwierige Vaterländer", hat Bundesprä-
sident Heinemann bei seinem Amtsantritt gesagt,
Für jeden der damals Lebenden war das Jahr 1945 und er fügte hinzu, eines davon sei Deutschland.
ein tiefer Einschnitt. Es war auch ein tiefer Ein- Selten war Deutschland ein schwierigeres Vaterland
schnitt in der Geschichte unseres Volkes. Die euro- als im Jahre 1945. Damals war dieses Bewußtsein
päische Landkarte wurde entscheidend verändert. allgemeiner, als es heute ist. Seitdem ist der
Weite Gebiete Deutschlands wurden anderen Staa- Begriff des Vaterlandes vielen jüngeren Menschen
tetn zugeschlagen. Die markanteste der Besatzungs- schon fremd geworden. Aber gleich, ob wir von
linien jener Zeit bestimmt noch heute die Grenz- Vaterland, von Heimat oder von der Nation spre-
linie, die Deutschland teilt. chen: das Bewußtsein, daß es Deutschland gibt und
Im aktuellen politischen Geschehen haben wir uns daß die Deutschen sich als ein Volk verstehen, die-
immer noch mit der politischen Wirklichkeit aus- ses Bewußtsein ;ist nicht erloschen.
einanderzusetzen, die durch die Niederlage des Hit-
ler-Reiches entstanden ist. So ist es nicht nur für Dieses deutsche Volk hat sich 1945 verbissen und
uns und nicht nur in diesem Teil der Welt. Der fleißig an die Arbeit gemacht — in beiden Teilen
zweite Weltkrieg ging zuerst in Europa und erst Deutschlands. Die sichtbaren Trümmer des Krieges
dann in Asien zu Ende. Auch andere Länder wurden wurden geräumt. Die Städte und Dörfer wurden
in seiner Folge geteilt. Blutige Konflikte schlossen wiederaufgebaut. Neue Arbeitsplätze wurden ge-
sich an. Zum anderen haben die ersten Atombomben, schaffen. Industrie und Handel wurden zu einer in
die 1945 den Krieg gegen Japan beendeten, das der Welt bewunderten Blüte gebracht. In den Be-
nukleare Zeitalter eröffnet — mit seinen Dimensio- reichen der Wissenschaften, der Kunst, der Kultur
nen des Schreckens, aber auch jenen des Fortschritts. wurde die Isolierung überwunden und Wesentliches
neu geschaffen.
1945 wurde die Organisation der Vereinten Na-
All das wäre nicht möglich gewesen ohne die
tionen gegründet. Sie leitete, bei allen Unzuläng-
Mitarbeit der Vertriebenen und Flüchtlinge. Mit
lichkeiten eine Epoche internationaler Zusammen-
Mut und Zähigkeit haben sie ihr hartes Schicksal
arbeit von bisher ungekannter Intensität ein. Die
bewältigt. Sie wurden Bürger unserer gemeinsamen
Bildung zahlreicher neuer Staaten nach der Beendi-
neuen Heimat und ein fester Bestandteil unserer
gung des Zeitalters des Kolonialismus hat dazu ent-
Gesellschaft. Diese Eingliederung kann wohl als
scheidend beigetragen. Diese internationale Zusam-
größte Leistung der deutschen Nachkriegsgeschichte
menarbeit muß ausgeweitet werden, damit die in-
angesehen werden. Damit ist zugleich — was immer
ternationalen Spannungen abgebaut werden können.
hier und außerhalb 'unserer Grenzen 'behauptet
Deshalb bemühen sich die Regierungen des We- werden mag — eine wesentliche Vorkehrung gegen
stens darum, in Europa die friedliche Kooperation die Gefährdung des Friedens, für die Wahrung von
mit den Staaten des Ostens zu verstärken. Dies ge- Freiheit und Recht geschaffen worden.
2566 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Bundeskanzler Brandt
Der Wiederaufbau Deutschlands war das Ergebnis Wahl zu Wahl ihr Vertrauen in die demokratischen
der Arbeit von Menschen aus allen Schichten unse- Parteien bekundet. Diese demokratische Ordnung
res Volkes. Nur wer sich daran erinnert, wie es garantiert unsere Freiheit.
1945 aussah, kann den Abstand ermessen, der zwi-
schen heute und damals liegt. Er wird auch die Sor- Ich appelliere heute von dieser Stelle aus an die
gen und Probleme, mit denen wir zu ringen haben, jüngere Generation, daran unbeirrt festzuhalten.
richtig einschätzen. Er wird Geduld üben, wo es auf Alle Jungen sind zwar frei von den schrecklichen
der Hand liegt, daß Lösungen nicht von heute auf Erlebnissen ihrer Eltern, aber auch ohne die teils
morgen zu erreichen sind. Er wird aber ungeduldig bedrückenden, teils verpflichtenden Erfahrungen,
sein, wo es darum geht, Menschen zu helfen, deren die wir daraus ableiten konnten. Es wäre gefähr-
Schicksal mittelbar oder unmittelbar immer noch von lich für die Demokratie i n Deutschland, wenn eine
den Folgen des Krieges bestimmt wird. größere Zahl jüngerer Menschen die schmerzlichen
Erfahrungen der Geschichte in den Wind schlagen
Dabei denken wir an die Schwerversehrten, an die und ihr Heil im Radikalismus suchen würde. Ein
Kriegerwitwen und ihre Kinder, an Flüchtlinge und solcher Radikalismus könnte auch die teils schon
Vertriebene, die noch nicht wirklich seßhaft werden vollzogene, teils mögliche Aussöhnung mit unseren
konnten. Wir denken auch an Deutsche, die nach Nachbarn in Frage stellen.
Deutschland kommen wollen, aber bisher keine Aus-
reisegenehmigung erhalten. Und wir erinnern uns Es entsprach , der weltpolitischen Lage, wie sie
auch daran, daß Schuld sehr unterschiedlich gemes- nach dem Ende des zweiten Weltkrieges entstan-
sen werden kann, so daß es noch immer Häftlinge den war, daß uns eine Verständigung zuerst mit
gibt, die sich in fremdem Gewahrsam befinden. den westlichen Völkern gelang. Diese Politik wurde
von Bundeskanzler Adenauer, unter unserem ersten
Wenn vom Wiederaufbau die Rede ist, wollen Bundespräsidenten, Theodor Heuss, wesentlich ge-
wir die Arbeit nicht vergessen, die im anderen Teil formt. Dies war eine historische Leistung, die das
Deutschlands geleistet worden ist. Unsere Lands- Fundament unseres politischen Wirkens und die
leute in der DDR haben unter größeren Schwierig- Garantie unserer Sicherheit bleibt.
keiten, als wir sie hatten, und unter gesellschafts- Die Teilung der Welt in zwei große Machtblöcke
politischen Bedingungen, die sie sich nicht aus- hat aber zugleich Europa gespalten, unser Land
gesucht haben, Erfolge erzielt, auf die sie stolz sind und seine alte 'Hauptstadt in zwei Teile zerrissen
und die wir voll anerkennen müssen. Nicht zuletzt und unsere Verständigung mit den Völkern im
auf der Achtung vor dieser Leistung sollten sich Osten verzögert. Diese Verständigung und Aussöh-
gleichberechtigte Beziehungen zwischen den beiden nung ist, wie wir wissen, besonders schwierig.
Staaten in Deutschland gründen lassen. Wir in der Aber sie ist im Interesse des Friedens ebenso not-
Bundesrepublik Deutschland konnten uns in den wendig wie die mit dem Westen. In dieser Hin-
Jahren nach 1945 eine neue demokratische Ordnung sicht müssen wir scheinbar da beginnen, wo wir
geben. Sie bedarf gewiß noch ständiger Reformen, 1945 oder 1949 gegenüber dem Westen standen.
Verbesserungen und Ergänzungen. Insgesamt aber Wir schreiben jedoch nicht mehr das Jahr 1945,
ist sie die freiheitlichste Verfassung, sowohl den sondern das Jahr 1970. In den vergangenen 25
Bestimmungen als auch der Praxis nach, die es in Jahren haben sich Tatsachen ergeben, die wir nicht
der deutschen Geschichte je gegeben hat. Die Kraft einfach rückgängig machen können. Von ihnen
unserer neuen Demokratie hat es ermöglicht, daß — müssen wir ausgehen, wenn wir weiterkommen
anders als nach dem ersten Weltkrieg — alle Par- wollen.
teien in diesem Hohen Hause fest auf dem Boden
der Verfassung stehen. Die letzten Bundestags- Es gibt bittere und schmerzhafte Realitäten wie die
wahlen haben unsere Fähigkeit bestätigt, mit den Grenzlinie, die Deutschland teilt, und die der Grenze
Mitteln der Aufklärung und der Überzeugung Feinde an Oder und Neiße. Es gibt aber auch hoffnungs-
der Demokratie zurückzuweisen. volle Realitäten wie die der fortdauernden und le-
bendigen Wirklichkeit einer 'deutschen Nation und
Das Bewußtsein der gemeinsamen Erfahrung und die der festen Bindungen zwischen der Bundesre-
der gemeinsamen Treue zum Grundgesetz sollte es publik und West-Berlin. Und nicht zuletzt gibt es
uns auch ermöglichen, bei unseren politischen Aus- die unverkennbare und zukunftsträchtige Realität
einandersetzungen jene Grenze zu erkennen und Europa.
zu beachten, jenseits derer sich Gefahren für die
Die beiden Weltkriege unseres Jahrhunderts hat-
Demokratie selbst ergeben. Die Weimarer Republik
ten ihren Ursprung in der Rivalität der europäischen
ist ja auch daran zugrunde gegangen, daß politische
Mächte. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich
Parteien diese Grenze nicht eingehalten haben. Das
vom Tage ihres Bestehens an zu einer engen euro-
darf sich ebensowenig wiederholen wie ein Rückfall
päischen Zusammenarbeit verpflichtet und bekannt.
in nationalistische Verirrungen.
Sie ist der Erklärung des französischen Außenmini-
Der Frieden nach außen und der Frieden im In- sters Schuman vom 9. Mai 1950, also morgen vor
nern gehören zusammen. Beides ist nichts anderes 20 Jahren, gefolgt. Sie wird diese Politik weiterfüh-
als ein geregeltes Miteinander. Das innenpolitische ren und alles tun, damit der Zusammenschluß der
System unserer Bundesrepublik kennt keine schwei- europäischen Staaten immer tiefer und nach Mög-
gende Mehrheit und keine ins Gewicht fallende lichkeit auch breiter wird, zunächst durch die Inte-
antidemokratische Minderheit. Es wird getragen gration im Westen, aber hoffentlich auch durch zu-
von ,der Zustimmung der Bevölkerung, die von nehmende Kooperation zwischen West und Ost,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2567
Bundeskanzler Brandt
Der begonnene europäische Zusammenschluß ist neue Zwangsherrschaft fand ihren Eingang auf deut-
wohl das zukunftsträchtigste Ergebnis der tragi- schem Boden. Stalin drang mit seinem System in das
schen Ereignisse des Jahres 1945. Er ist zugleich Herz des europäischen Trümmerfeldes vor, das Hit-
eine der wichtigsten Voraussetzungen für die euro- ler hinterlassen hatte. Das ganze Konzert europä-
päische Friedensordnung, die das Ziel der Politik ischer Nationalstaaten war am Ende. An die Stelle
aller europäischen Staaten sein muß, im Westen wie der Allianzen des Krieges trat das labile Gleichge-
im Osten. Ich hoffe, man wird es überall richtig ver- wicht einer bipolaren Weltsituation. Die Teilung
stehen, wenn ich sage: Erst eine europäische Frie- Europas in gegensätzliche Gesellschaftssysteme und
densordnung wird den Schlußstrich der Geschichte Ideologien nahm ihren Anfang.
ziehen können unter das, was sich für uns Deutsche
In den Vereinten Nationen sollte die Welt eine
mit dem Jahr 1945 verbindet.
Allianz der Friedliebenden werden. Auf eine Frie-
(Beifall bei den Regierungsparteien und densordnung nach dem Muster von Versailles wurde
bei Abgeordneten der CDU/CSU.) verzichtet; ihre mangelnde Weisheit war noch zu
frisch im Gedächtnis. Statt dessen sollten die klä-
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn rungsbedürftigen Fragen offenbleiben. Der Frieden
Bundeskanzler. sollte sich, so meinten die Sieger, allmählich ein-
stellen und der Macht der tatsächlichen Verhältnisse
Das Wort hat nunmehr für die CDU/CSU-Fraktion überlassen bleiben. Aber es ist nicht die Macht
Dr. Freiherr von Weizsäcker. tatsächlicher Verhältnisse, welche Frieden schafft,
sondern es ist die schmerzhafte Anstrengung und
Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) : Herr Kraft zu einem gerechten Ausgleich. Daß er damals
Präsident! Meine Damen und Herren! Der 8. Mai nicht gefunden und daß alte Fehler nur um den Preis
ist für uns kein Feiertag. Manche möchten ihn neuer Spannungen vermieden wurden, das eben
schweigend begehen, und wir wollen sie achten. In kennzeichnet und belastet unsere heutige Lage.
diesem Hause aber haben wir Grund, uns offen und
Der Krieg hatte Haß und Feindschaft gesät. In
nüchtern den Fragen des Tages zu stellen: Was be-
deutet für uns der 8 . Mai 1945? Was haben wir aus seiner Folge aber brachte er auch alte Gegner ein-
ander näher. Zusammen mit allen Demokraten
dem neuen Anfang gemacht? Wie begegnen wir mit
nahm Konrad Adenauer den Wiederaufbau des
der heranwachsenden Generation den kommenden
freien Teils Deutschlands im Zeichen der Ü berwin-
Aufgaben?
windung historischer Gegensätze in Angriff. Kon-
Unsere Erfahrungen mit dem 8. Mai entsprechen fessionelle Gräben und Klassengegnerschaft ver-
einander nicht. Jeder hat ihn auf eigene Weise er- loren ihr Gewicht. Als bleibende Verpflichtung für
lebt. Der eine kehrte heim, der andere wurde hei- uns wurde die Union politischer Ausdruck dieses
matlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gedankens, auch über den Erfolg der eigenen Partei
Gefangenschaft. Verbittert standen manche vor zer- hinaus. In der Wirtschaft unternahmen , die Sozial-
rissenen Illusionen, dankbar andere vor dem ge- partner den Aufbau in einem konstruktiveren Klima,
schenkten neuen Anfang. Vielen von uns hat der als wir es je zuvor hatten.
8. Mai wie kein zweites Datum das Bewußtsein ge-
Über die Schatten der Vergangenheit hinweg
prägt. Andere haben überhaupt kein Interesse an
boten uns freie Europäer ihre Hand zu einem neuen
diesem Tag.
gemeinsamen Anfang, allen voran das französische
Keiner möge seine persönlichen Erlebnisse zum Volk. Frühzeitig hatte schon Churchill nach einer
Maßstab für alle machen. Jeder braucht Frieden Vereinigung Europas gerufen. Unvergessen sind bei
und Versöhnung mit sich und seinen Nachbarn, uns Großmut und Weitblick amerikanischer Mensch-
gleichviel wie Schuld und Verdienst verteilt waren. lichkeit, die wir mit CARE, den Quäkern und der
Es geht hier und heute auch nicht darum, im Marshall-Hilfe verbinden. Wiedergutmachung an
Wettbewerb Vergangenheit zu bewältigen. Bewäl- Juden sollte helfen, Überlebenden und Nachge-
tigen oder verfehlen läßt sich nur Gegenwart, nicht borenen wenigstens erträglich zu machen, was an
Vergangenheit. Aber wir können aus der Geschichte begangenem Unrecht nicht auszulöschen war.
nicht aussteigen. Es gibt keinen Anfang am politi- So wurde dieses Land aufgebaut auf der Basis
schen Nullpunkt. Es gab ihn nicht einmal 1945. Wir von Menschenrecht und Gewaltverzicht. Altes Miß-
können auch heute nicht noch einmal da anfangen, trauen verschwand im Angesicht des Willens seiner
wo wir vor fünfundzwanzig Jahren standen, nach Bürger und ihrer politischen Parteien. Freiheit der
Osten sowenig wie nach Westen. Person, Achtung vor dem Recht, soziale Sicherheit
Zwiespältig waren die Ereignisse des Jahres 1945, und Gerechtigkeit führten zum Vertrauen in eine
und sie wirken in unserer Gegenwart fort. Der menschenwürdige Ordnung. Die Geschichte hat uns
8. Mai beendete das sinnlose Sterben und die Zer- Deutschen bisher keinen besseren Start als diesen
störungen eines Krieges, der fast 50 Millionen gewährt.
Menschen das Leben gekostet hatte. Zugleich aber Aber das alles ist weder vollendet noch auf ewig
begannen neue schwere Leiden für viele unschuldige garantiert. Wir müssen immer wieder von neuem
Menschen. um Bewährung und Verbesserung ringen.
Die Verirrungen und ruchlosen Verbrechen des Wir sind uns in diesem Hause über die Verant-
Nationalsozialismus, mit denen wir selbst nicht fer- wortung der Politiker einig, Herr Bundeskanzler,
tig geworden waren, gingen zu Ende. Aber eine Rückfälle in nationalistische Verirrungen zu vermei-
2568 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970
Dr. Freiherr von Weizsäcker
den. Es gibt diesen Nationalismus hier nicht, und es Es ist gut, daß keiner von uns zur Antwort auf (
ist unsere gemeinsame Aufgabe, zu verhindern, daß solche Fragen Autorität einfach kraft Amtes in An-
er irgendwo wieder eindringt. Dazu ist eine Politik spruch nehmen kann. Autorität gewinnt nur, wer
mit klaren verständlichen Zielen vonnöten, die sich durch Leistung, sachliche Kompetenz und Glaub-
hinter niemandes Rücken betrieben wird; denn nur würdigkeit immer von neuem ausweist. Autorität
dort, wo sie fehlt, kann Nationalismus gedeihen. bewährt sich aber vor allem nicht im Nachlaufen
(Beifall bei der CDU/CSU.) und Begriffe-Verwirren. Sie bewährt sich darin,
Recht zu nennen, was Recht ist, und dafür auch ein-
Niemand hat .ein lebenswichtigeres Interesse als zustehen. Nur auf 'dieser 'Grundlage gewinnen wir
wir Deutsche, die Spannungen in Europa abzubauen. die freilich sehr notwendige Offenheit, die wir für
Im Zentrum des Kontinents fällt uns die Aufgabe zu, die Fragen der Zeit brauchen.
den Weg zu einer europäischen Friedensordnung zu
Zusammen mit der heranwachsenden Generation
ebnen, die diesen Namen verdient, d. h. wir wollen
suchen wir nach den Maßstäben für unser Gemein-
mit eigenen schmerzhaften Opfern zu einem gerech-
wesen. Lassen Sie mich vier dafür herausgreifen.
ten Ausgleich und Frieden beitragen, der die Men-
schenrechte achtet. Maßstab ist die Verständlichkeit der großen Leit-
(Beifall bei der CDU/CSU.) bilder für unser Zusammenleben: Frieden, Freiheit,
Gerechtigkeit und Solidarität. Ihrer idealen Forde-
Mit Recht, Herr Bundeskanzler, haben Sie davon rung steht unser begrenztes Menschenvermögen ge-
gesprochen, wie entscheidend die Mitarbeit der Ver- genüber. Diese Spannung können wir nicht ,aufhe-
triebenen und Flüchtlinge bei Wiederaufbau und ben; im Gegenteil, wir müssen sie in der Politik bes-
Eingliederung in der neuen Heimat war. Aber mehr: ser sichtbar machen. Denn wir brauchen ja beides:
sie, die die Heimat verloren haben, sie wollen an die Forderung der idealen Leitbilder mit ihrer ganz
der Versöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern realen Kraft, uns vor der Resignation und dem plat-
mitwirken, um die es uns zu tun ist. Sie werden es ten Pragmatismus eigener Machtverwaltung zu be-
köne,wsipürdaßlemtihn wahren, aber ebenso die Erkenntnis, daß keiner von
solidarisch sind. Gemeinsam werden wir die Kraft uns über die Wahrheit auf dem Weg zum idealen
zu Opfern und Lösungen finden, wenn uns zusam- Leitbild allein verfügt. Wir werden uns deshalb
men mit den Nachbarn im Osten ein Schritt nach gegen die Gewaltherrschaft unduldsamer Weltbe-
vorn 'gelingt. glücker und Ideologen wehren.
Damals im Westen war es der Ausblick auf ge- Maßstab ist zweitens, wie wir den Wohlstand
meinsame Zukunftsaufgaben, der die Aussöhnung nutzen. Wohlstand ist nicht vom Teufel, sondern
über Vergangenes möglich machte. Es wird auch Voraussetzung für die Entfaltung des Lebens. Aber
nach Osten nicht anders sein. er ist nicht des Lebens Erfüllung. Maßstab ist unsere
(Beifall bei der CDU/CSU.) Sorge für die Menschen, die bei uns im Schatten
leben. Wir müssen gerade auch in diesem Hause
Nicht ein Europa der Mauern, sondern ein Kontinent,
zeigen, daß wir imstande sind, vor allen denen zu
der seinen Grenzen das Trennende nimmt, kann sich
helfen, die sich durch keine Vertreter lautstark zu
über Grenzen versöhnen und wird der Zukunft ge-
Wort zu melden wissen.
wachsen sein.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abge
ordneten der SPD.)
An den Politikern in Bund und Ländern wird es-
vor allem liegen, ob sich schweigende Mehrheiten Maßstab ist drittens, ob wir unserer Mitverant-
und nennenswerte antidemokratische Kräfte in un- wortung für die Entwicklungspolitik in einer revo-
serem Lande bilden, von denen Sie sprachen; denn lutionären Weltlage entsprechen. Zwei Drittel der
Ursachen gibt es genug, die alte und junge Men- Menschheit warten noch immer auf die Freiheit von
schen beunruhigen. Not, die die Gründer der Vereinten Nationen 1945
für alle angekündigt hatten. Wir sind zu einem
Die rasante Entwicklung greift in unser persön- wirksamen Beitrag für eine gerechte soziale Ord-
liches Leben ein. Der ganze Ablauf der Existenz nung in der zusammenwachsenden Welt befähigt
droht uns Menschen undurchsichtig zu werden. Der und verpflichtet.
Mensch will sich aus der befürchteten Ohnmacht ,ge-
genüber Technik, Verwaltung und Werbung be- Und Maßstab ist, ob die Bundesrepublik Deutsch-
freien, er will nicht bloß Nummer und Konsument land die motorische Kraft zur politischen Einigung
sein, sondern als Mensch im ganzen genommen und eines freien Europa wird. Es geht nicht nur um wirt-
beansprucht werden. Aktive Kräfte der jungen Ge- schaftliche Existenz und technologische Zusammen-
neration ziehen daraus deutliche Schlüsse. Sie wol- arbeit — so wichtig sie sind —, sondern es geht
len nicht technischen Fortschritt und privaten Wohl- schlechthin um die Frage, ob Europa noch eine
stand als Maßstab für Sinn und Ziel einer Gesell- nennenswerte 'Geschichte haben wird.
schaft anerkennen. Manche von ihnen mißtrauen (Beifall bei der CDU/CSU.)
wertfreier Toleranz in einer pluralistischen Demo-
Hier entscheidet sich, wie wir vor unseren Kindern
kratie, denn sie meinen, wir würden dadurch gleich-
bestehen werden.
gültig gegen Humanität und Wahrheit, kurz: sie
suchen — wie andere Generationen vor ihnen auch Der 8. Mai lehrt uns, den Frieden zu suchen mit
— nach neuen Formen und Inhalten für das Zusam- dem Respekt vor dem unverbrüchlichen Wert der
menleben der Menschen. Freiheit. Wir kennen die Unfreiheit und werden
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2569
Dr. Freiherr von Weizsäcker
uns ihrer erwehren. Wir haben erfahren, daß die Vierteljahrhundert unerfüllt oder wurden gar ver-
Freiheit von uns so viel fordert, wie sie uns dann drängt. Die große Aufgabe — so hat es der Herr
auch gewährt. Es gibt keine persönliche Freiheit Bundespräsident vorgestern formuliert —, die uns
ohne persönliche Verantwortung. Kraft und Aus- am Ende des zweiten Weltkrieges gestellt war, blieb
strahlung unseres Gemeinwesens bestimmen sich zur Hälfte ungetan. Das gilt im Innern und nach
nach dem Inhalt, den wir unserer Freiheit zu geben außen.
vermögen. Wir wollen sie nutzen zur Versöhnung
mit allen Gegnern des letzten Krieges. Mit ihr wol- In keinem anderen Bereich ist der Widerspruch
len wir allen Deutschen dazu verhelfen, ihre Lebens- zwischen dem Auftrag unserer Verfassung und der
bedingungen und ihre Beziehungen zueinander gesellschaftlichen Wirklichkeit so groß wie bei der
selbst frei zu gestalten. Ausbildung und Fortbildung. Eine umfassende und
grundlegende Reform unseres Bildungswesens wird
(Beifall bei der CDU/CSU.) dem antidemokratischen Radikalismus Einhalt ge-
Sie ist ,es, die uns mit Zuversicht erfüllt, daß der bieten. Das müssen endlich auch all jene zur Kennt-
8.MainchtdslezDumrGschite nis nehmen, die uns in der Vergangenheit weis-
bleibt, das für alle Deutschen verbindlich war. machen wollten, unsere Sicherheit sei allein von
einer starken Rüstung abhängig.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und bei
Abgeordneten der SPD.) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Der Ruf nach Ruhe und Ordnung ist nur glaub-
Präsident von Hassel: Das Wort für die SPD- würdig und wird nur gehört, wenn er mit der sicht-
Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Hauff. baren Entschlossenheit gepaart ist, bestehende Miß-
stände zu überwinden und überfällige Reformen in
die Tat umzusetzen.
Dr. Hauff (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Heute wurde zum erstenmal seit Be- (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
stehen der Bundesrepublik am 8. Mai eine Erklä- Katzer: Sehr wahr!)
rung des Bundeskanzlers abgegeben. Damit wurde Dazu brauchen wir die Mitarbeit aller. Diese Auf-
die Bedeutung des 8. Mai 1945 deutlicher. Bei all forderung zur Zusammenarbeit darf aber nicht zur
den Leiden, die der zweite Weltkrieg, aber auch das Verschleierung politischer Gegensätze führen. Kon-
Ende dieses Krieges mit sich brachten: dieser Tag troversen müssen offen und fair ausgetragen wer-
war eine Chance zur demokratischen und rechts- den.
staatlichen Neuorientierung in Deutschland.
Wer kann ernsthaft mit der Behandlung von
Die Erklärung des Bundeskanzlers war nüchtern, Kriegsdienstverweigerern zufrieden sein? In unse-
ehrlich und wohltuend frei von jenen pathetischen rer Verfassung ist das Recht auf Verweigerung des
Gefühlswallungen, die es in der Vergangenheit oft Dienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen ver-
schwermachten, die Situation in und um Deutschland ankert. Es ist ein Grundrecht wie jedes andere. Die
realistisch einzuschätzen. Grundrechte zu schützen, ist die vornehmste Aufgabe
(Beifall bei den Regierungsparteien.) des Staates. Dazu gehört auch, daß die Verweige-
rung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen nicht
Ich möchte dem Herrn Bundeskanzler persönlich, als eine Art moralisches Versagen angesehen wird.
aber auch im Namen meiner Fraktion dafür Dank Als Politiker sollten wir mehr Mut dabei zeigen,
sagen. -
uns auch dann schützend vor diskriminierte Minder-
Wenn ich heute als jüngster Abgeordneter der heiten zu stellen, wenn wir deren Meinung nicht
SPD zu Ihnen spreche, so bin ich mir wohl bewußt, teilen.
daß ich wie die Hälfte der Bevölkerung in der Bun- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
desrepublik nicht zu jener Generation gehöre, die
Auch das ist gemeint, wenn wir sagen: Wir wollen
unmittelbar am Krieg beteiligt war. Als ich geboren
mehr Demokratie wagen. Demokratisches Engage-
wurde, brachte der deutsche Militarismus bereits
ment verlangt mehr als das gönnerhafte Tolerieren
Unheil und Schrecken über Europa. In Ost und West,
von Minderheiten.
in Nord und Süd waren andere Länder durch deut-
sche Truppen besetzt. Mein Vater war Soldat. So (Sehr wahr! in der Mitte.)
sah meine Stunde Null aus. Fünf Jahre später brach Die aktive Toleranz dem Andersdenkenden gegen-
die nationalsozialistische Herrschaft zusammen: über will gelernt sein.
Europa lag in Trümmern; doch viele Menschen
atmeten auf. Aber die Hoffnungen wurden nur teil- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!)
weise erfüllt. Das Kriegsende brachte keine ge- In den vergangenen Jahren haben wir alle
sicherte und friedliche Welt; die Stunde Null, das schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen, wie hilf-
wirkliche Neubeginnen, fand nicht statt. los und träge unser Rechtsstaat reagiert, wenn es
Wenn wir heute auf die vergangenen 25 Jahre darum geht, unvorhergesehenes Unrecht zu über-
zurückblicken, dann mag der eine oder andere voller winden. Ich meine damit die Contergan-geschädigten
selbstgerechter Zufriedenheit das Erreichte bestau- Kinder. Hier wurde — nicht zufällig — das Recht
nen. So erfolgreich der Wiederaufbau und die Aus- auf ein ordentliches Gerichtsverfahren zur Farce.
söhnung mit dem Westen auch sein mögen, viele Sieben Jahre wurden vertan, ohne daß diesen Kin
der gestellten Aufgaben blieben im vergangenen dern tatkräftig geholfen wurde. Jetzt endlich wurde
2570 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Dr. Hauff
mit Unterstützung der Bundesregierung durch die Einige werden unterwegs die Nerven verlieren
Gründung einer Stiftung Abhilfe geschaffen. und umkehren. Ihnen sei bereits heute gesagt: die
Flucht zurück in den kurzsichtigen Nationalismus
(Beifall bei der SPD.)
bringt keine Lösungen, sondern nur neue, größere
Wir leben in einem geteilten Deutschland. Es gibt Schwierigkeiten. Das ist für mich die gesicherte Er-
heute zwei Staaten in Deutschland: die Bundesrepu- kenntnis aus dem 8. Mai 1945.
blik und die DDR. Beide haben für den zweiten (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Weltkrieg bezahlt. Keiner von beiden kann aber die
Verbundenheit mit der deutschen Nation vergessen Die Schriftstellerin Duras sagt in „Hiroshima —
machen. Beide müssen die Last und die Verpflich- mon amour" : „Wenn wir uns nicht erinnern, wird
tung der gemeinsamen Geschichte tragen. Ihr Ver- sich alles wiederholen." Nur politische Hasardeure
hältnis zueinander ist deswegen enger, als manch können davor die Augen verschließen. Das Ge-
einer ahnt oder gar wahrhaben will. Fritz Erler hat spräch mit den Staaten Osteuropas wird nur dann
in diesem Hause wiederholt gemahnt: Niemand kann zum Erfolg führen, wenn wir diese Herausforderung
sich von der gemeinsamen Geschichte freisprechen unserer eigenen Geschichte annehmen und bereit
oder freikaufen; es gibt keine Flucht vor der Ver- sind, gute, für alle Beteiligten tragbare Lösungen
antwortung, die wir miteinander zu tragen haben. vorzubereiten. Selbst wenn einige Leute von An-
fang an behaupten, das sei eine nutzlose Vor-
Der Kalte Krieg hat es verhindert, daß. sich aus leistung, bleibt dies eine unverrückbare Erkenntnis.
dieser Tatsache positive Ansätze für ein geregeltes Meine Damen und Herren, wir Jüngeren können
Nebeneinander hätten entwickeln lassen. Die welt- nur weiterarbeiten. Wir können nur von dem aus-
politische Lage hat sich freilich verändert. Die Welt gehen, was uns die Väter hinterlassen haben. Das
wartet auf den deutschen Beitrag zur Sicherung gilt im Guten und im Schlechten. Wir stehen auf den
des Friedens. Erfurt war ein Anfang. Schultern unserer Väter. Ob uns das gefällt oder
(Abg. Dr. Stoltenberg: Der Anfang für eine nicht, es ist nicht zu ändern. Wir können, ja, wir
deutsche Friedenspolitik lag wesentlich müssen und wir werden auch aus den Fehlern der
eher!) Vergangenheit lernen; denn wir alle haben erlebt,
wohin eine aggressive Machtpolitik treibt. Rechts-
— Für die vor uns liegende Wegstrecke brauchen ansprüche auf Wiederherstellung vergangener Ver-
wir viel Zeit, Herr Kollege Stoltenberg, und noch hältnisse werden für uns keine Fesseln bilden.
mehr Geduld.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein.
Unsere Politik muß realistisch und moralisch sein.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Illusionen dürfen wir nicht nachjagen,
Sehr richtig, moralisch!)
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg:
Es genügt nicht, bestehende Meinungsverschieden- Sehr wahr!)
heiten festzuhalten; Wege müssen gefunden wer-
den, die im beiderseitigen Interesse zu beschreiten erst recht dann nicht, wenn sie sich mit Kraftmeierei
sind und zu einem Miteinander der beiden Staaten paaren.
deutscher Nation führen. Auch hier ist die uns ge- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
stellte Aufgabe noch längst nicht erfüllt. - Die Welt, in der wir leben und die wir mit zu
gestalten haben, verlangt ein Höchstmaß an inter-
Könnten nicht die gemeinsame Durchführung aus- nationaler Zusammenarbeit, um den Frieden in
gesuchter Projekte in Entwicklungsländern und eine dieser Welt sicherer zu machen. Es ist gut, daß der
Zusammenarbeit im Bereich der Friedensforschung Deutsche Bundestag aus Anlaß des 25. Jahrestages
das Miteinander einleiten? Was in Oslo möglich ist, der Beendigung des zweiten Weltkrieges zusam-
muß im geteilten Deutschland noch geschaffen wer- mengetreten ist, um vor der Öffentlichkeit zu be-
den. Friedenspolitik und Friedensforschung sind kunden, daß dieses Land ein Land des Friedens ge-
Zwillinge. Sie gehören zueinander und sind auf- worden ist.
einander angewiesen.
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs
(Freiherr von und zu Guttenberg: Das sagt parteien.)
Herr Ulbricht auch!)
Das Gespräch mit der DDR hat begonnen. Ob- Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
wohl Rost in den Angeln quietscht, ist die Tür jetzt ren, ich spreche dem Kollegen Dr. Hauff die Glück-
einen kleinen Spalt geöffnet. Aber Mißtrauen und wünsche zu seiner heutigen Jungfernrede aus.
Verkrampfung sind noch zu überwinden. Der Weg (Beifall.)
dazu ist lang und voller Steine. Unser Verhältnis
zu allen osteuropäischen Nachbarn wird sich nicht Das Wort hat nunmehr für die FDP-Fraktion die
von heute auf morgen ändern lassen. Dazu braucht Abgeordnete Frau Funcke.
es Zeit. Das haben wir aus der Aussöhnung mit dem
Westen gelernt. Aber es muß jetzt ein Anfang ge- Frau Funcke (FDP) : Herr Präsident! Meine Her-
macht werden. Geduld und Beharrlichkeit sind dabei ren und Damen! Sich erinnern, das meint wohl in
die besten Weggefährten. des Wortes genauer Bedeutung, daß wir das, was
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2571
Frau Funcke
wir erlebt, was wir erfahren und erlitten haben, aus net. Wir bemühen uns um Gewaltverzichtsabkom-
der Vergänglichkeit des Augenblicks herausheben men mit unseren östlichen Nachbarn. Wir haben
und zur inneren Erkenntnis werden lassen. So ver- das Schweigen gegenüber der DDR durchbrochen.
stehe ich den Sinn dieser Stunde darin, daß wir uns Es gilt, den Raum, der durch die nachlassende
fragen — nicht nur in diesem Hause —, was denn Konfrontation der Großmächte frei zu werden be-
die Erkenntnisse aus der Not und aus der Chance ginnt, mit Formen friedlichen Zusammenlebens aus-
des 8. Mai 1945 waren und sind. zufüllen. Und es gilt zugleich, alle Bemühungen für
Das persönliche Schicksal von Millionen und aber eine beiderseitige kontrollierte Truppenminderung
Millionen Menschen in unserem Volk und in vielen in Ost und West zu unterstützen.
Völkern der Erde kann und darf nicht vergessen
Friede aber, meine Herren und Damen, ist nicht
werden. Die Toten der Schlachtfelder, der Konzen-
nur Waffenruhe, Friede ist mehr. Friedenssicherung
trationslager, der Flucht und ihre Angehörigen, die
erfordert, Spannungsursachen rechtzeitig zu erken-
Versehrten, die alleinstehenden Frauen, die Kinder,
nen und Konflikte mit friedlichen Mitteln zu über-
die noch als Erwachsene ihre Eltern und ihre Her-
winden. Es gehört zu den notwendigen Erkenntnis-
kunft suchen, und die Menschen, die um ihre Hei-
sen aus unserer Geschichte, daß wir Deutsche in be-
mat trauern, sie alle haben Anspruch darauf, daß wir
sonderem Maße dem Traum von der Einigkeit und
die Rückbesinnung dieser Stunde nicht auf die ge-
Einmütigkeit nachhängen, anstatt die Wirklichkeit
schichtliche und die politische Sicht begrenzen, daß
einer konfliktreichen Gegensätzlichkeit auf uns zu
wir vielmehr das Erbe jener dunklen Stunden unse-
nehmen. Wir machen es uns schwer damit, ja zu
rer Geschichte auch und gerade im menschlichen Be-
sagen zum Konflikt, ja zu sagen zum Kompromiß,
reich als Verpflichtung aller erkennen.
ja zu sagen zur Vorläufigkeit. Und nicht selten un-
Vieles ist geschehen, um die entstandene Not zu terlassen wir es — um der Grundsätzlichkeit willen
lindern, um den Neubeginn zu erleichtern, um we- —, begrenzte, aber notwendige Lösungen zu suchen.
nigstens teilweise das Verlorene zu ersetzen. Rund Wo man aber die Einigkeit zu einem Ideal macht, die
450 Milliarden DM sind in den Jahren 1948 bis 1970 Gesprächsbereitschaft für Nachgiebigkeit hält und
für den Lastenausgleich, für die Kriegsopferversor- den Kompromiß für Schwäche, wo man die Anders-
gung, für die Wiedergutmachung, die Heimkehrer- denkenden verketzert und das eigene Denksystem
entschädigung, die Rückerstattung und für Repara- für alle verbindlich machen will, da ist man — mit
tionsschäden aufgebracht und verwendet worden. oder ohne Waffen — dem Unfrieden näher als dem
Dennoch bleibt an materieller Hilfe noch vieles zu Frieden.
tun, und es bleibt noch mehr zu tun — und das ist (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
nicht vorrangig Sache dieses Hauses, sondern eine
stimmung des Abg. Dr. Barzel.)
Frage der Mitmenschlichkeit weithin —, um Einsam-
keit, um Hilflosigkeit, um Bitterkeit zu überwinden. Das gilt für die Lebenserfahrenen, die ihr Stück
Die menschlichen Folgen eines Krieges überdauern Welterkenntnis für unwandelbar gültig halten, und
Jahrzehnte. das gilt für diejenigen in unserer jungen Generation,
Um so unabweisbarer ist nach jenen bitteren Er- die ihre neuen Vorstellungen mit missionarischem
fahrungen der Auftrag gestellt, alles uns Mögliche Eifer den anderen aufzwingen wollen, statt — was
zu tun, um den Krieg zu bannen. Die Welt hatte ge- übrigens wirksamer wäre — damit zu überzeugen.
hofft, daß mit dem Niederringen am 8. Mai 1945 der Wenn wir den Sinn dieses Tages richtig und tiefer
Friede möglich sei. Diese Hoffnung hat getrogen. begreifen als im äußeren Geschehen vor 25 Jahren,
Und so mögen diejenigen im politischen Feld sich als- dann müssen wir uns fragen, was geschehen ist und
bestätigt fühlen, die dia meinen, eine Weltinnen- was noch geschehen muß, um die Spannungen aus
politik ohne Waffengewalt sei eine Utopie. Meine uns selbst im Kleinen wie im Großen überwindbar
Herren und Damen, es gibt viele Utopien in dieser zu machen. Das ist die Erziehung zum Konflikt an
Welt, für die sich die Bemühungen nicht lohnen. Ich unseren Schulen und Bildungsstätten, das ist das
meine aber, für die Erhaltung und Sicherung des Begreifen, daß Unterschiedlichkeit im Sein und im
Friedens — auch wenn die Erfolge nur zögernd kom- Denken nicht Last, sondern Reichtum ist, das ist die
men — lohnt sich der rückhaltlose Einsatz. Freiheit von Ideologien, das ist das Anerkenntnis,
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei daß sich politische Vorstellungen nicht in nur zwei
Abgeordneten der CDU/CSU.) Denkmodellen begrenzen lassen — wie Wahlrechts-
strategen meinen —, das ist die Toleranz, das ist das
Deutschland, geteilt und schicksalhaft in die Kon-
frontation zwischen Ost und West hineingestellt, Verständnis, daß die immer schnelleren Bewegungen
dieser Welt sich nicht im Technischen erschöpfen,
trägt ungewollt eine besondere Verantwortung für
sondern daß sie ein Mit- und Umdenken im Geisti-
den Frieden nicht nur in Europa. Die Bundesrepublik
hat sich bemüht und bemüht sich in unserer Zeit ver- gen verlangen und den Wandel von Formen und
stärkt, ihren Teil der Verantwortung zu tragen. In Ordnungsvorstellungen. Und das ist schließlich die
der Charta der Vertriebenen 1950 wurde gerade von Notwendigkeit und die Bereitschaft, die Konflikt-
denjenigen, die unter den Folgen des Krieges beson- ursachen zu erforschen und den Frieden zu planen.
ders gelitten haben, mit der Gewaltverzichtserklä- Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen,
rung ein Zeichen des Friedenswillens gesetzt. Wir daß wir die freiheitlichste Verfassung unserer Ge-
haben auf Herstellung und Besitz von atomaren, bak- schichte haben. Die Sorge ist aber, so meine ich,
teriologischen und chemischen Waffen offiziell ver- daß wir auch genug Menschen mit freiheitlicher —
zichtet. Wir haben den Atomsperrvertrag unterzeich- und das meint: verantwortlicher und unvoreinge-
2572 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970
Frau Funcke
nommener Gesinnung haben, die dieses freiheitliche gegenüber der dritten Welt eine neue Dimension.
System verlangt, Menschen, die in der Ordnung die- Die Frage . des Friedens ist heute unlöslich mit der
ser Welt der Vernunft mehr trauen als der Ideologie Frage verbunden, wie und in welchem Zeitmaß die
und der Emotion, die nüchtern und realistisch ihren sozialen Spannungen dieser Welt abgebaut werden
Beitrag zum Guten in der Welt der Unvollkommen- können, wie die Partnerschaft zwischen Nord und
heit zu leisten bereit sind. Das heißt nicht Ziellosig- Süd hergestellt und wirksam gemacht werden kann
keit, und das heißt nicht Technokratie in der Politik. und wird.
Im Gegenteil: das heißt Freisein für die großen Auf-
Meine Herren und Damen, 25 Jahre nach dem
gaben unserer Zeit und sie mit Beharrlichkeit an-
Krieg sind die Probleme in der Welt nicht kleiner
streben.
und nicht weniger geworden; im Gegenteil! Zu ihrer
Unser Volk hat in den 25 Jahren demokratischer Lösung politisch und menschlich, wi rtschaftlich und
Nachkriegsgeschichte bewiesen, daß es nicht rechts- sozial beizutragen — das sollte diese Stunde erneut
oder linksextremen Gruppen folgt. Sorgen wir alle bewußt machen —, ist unsere Aufgabe; wie wir sie
miteinander dafür, daß nicht mit emotionalen Paro- lösen, ist unser Schicksal.
len Verwirrung gestiftet wird und Verirrungen mög-
(Allgemeiner lebhafter Beifall.)
lich werden, die nur Unfreiheit und Diktatur zur
Folge haben können.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
(Beifall bei allen Fraktionen.)
ren, wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunktes
Wir stehen heute an einer Wende unserer Nach- und damit der heutigen Tagesordnung angelangt.
kriegsgeschichte. Die Zeitphase des Wiederaufbaus
Ich berufe die nächste Sitzung auf Dienstag, den
nach den furchtbaren Zerstörungen des Krieges ist
26. Mai 1970, 9 Uhr, ein und wünsche Ihnen allen
geistig und materiell vorbei. Eine neue Generation,
in der kurzen Pfingstpause ein bißchen Ruhe, Ent-
die das Kriegsende nicht miterlebt hat, stellt neue
spannung und Erholung.
Fragen und setzt neue Ziele. Ihre politische und
moralische Sicht hat Weltmaßstab, und das ist gut Die Sitzung ist geschlossen.
so. Die deutsche Frage, die europäische Einigung,
der Ost-West-Konflikt haben in der Verantwortung (Schluß der Sitzung 11.12 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2573

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich


Müller (Remscheid) 8. 5.
Liste der beurlaubten Abgeordneten Dr. von Nordenskjöld 8. 5.
011esch 8. 5.
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Pieroth 8. 5.
Rawe 8. 5.
a) Beurlaubungen Richarts * 8. 5.
Adorno 8. 5. Richter *** 8. 5.
Dr. Aigner 8. 5. Dr. Rinderspacher *** 8. 5.
von Alten-Nordheim 8. 5. Dr. Rinsche 8. 5.
Amrehn 8. 5. Dr. Schachtschabel 8. 5.
Baeuchle 8. 5. Schmidt (Würgendorf) 8. 5.
Baier 8. 5. Dr. Schmidt (Wuppertal) 8. 5.
Bals 8. 5. Schneider (Königswinter) 30.5.
Benda 8. 5. Dr. Schaber 8. 5.
Berberich 8. 5. Frau Schroeder (Detmold) 8. 5.
Biehle 8. 5. Schröder (Wilhelminenhof) 8. 5.
Dr. Birrenbach 8. 5. Dr. Schulz (Berlin) 8. 5.
Bittelmann 8. 5. Schwabe 27. 5.
Dr. Böhme 8. 5. Dr. Seume 8. 5.
Börner 8. 5. Dr. Slotta 8. 5.
von Bülow 8. 5. Dr. Tamblé 8. 5.
Burger 8. 5. Tobaben 8. 5.
van Delden 8. 5. Frau Dr. Walz *** 8. 5.
Dichgans 8. 5. Weber (Heidelberg) 8. 5.
Ehnes 8. 5. Werner 8. 5.
Engelsberger 8. 5. Wurbs 8. 5.
Engholm 8. 5. Zebisch 3. 6.
Fellermaier * 8. 5. Zoglmann 8. 5.
Freiherr von Fircks 8. 5.
b) Urlaubsanträge
Fritsch ** 8. 5.
Gierenstein 8. 5. Cramer 30. 5.
Dr. Giulini 8. 5. Dr. Martin 25. 5.
Glüsing 8. 5. Moersch 25. 5.
Gottesleben 8. 5. Schmücker 28. 5.
Graaff 8. 5. Schröder (Sellstedt) 31. 5.
Haage (München) 8. 5.
Haehser 8. 5.
Dr. Hallstein 8. 5.
-
Hörmann (Freiburg) 8. 5.
Dr. Hubrig Anlage 2
8. 5.
Dr. Jaeger 8. 5. Schriftliche Antwort
Jung 8. 5.
Dr. Kley 8. 5. des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl
Dr. Koch 8. 5. vom 6. Mai 1970 auf die Mündliche Frage des Ab
Köster 8. 5. geordneten Pieroth (Drucksache VI/722 Frage A 2) :
Konrad 8. 5. Ist die Bundesregierung bereit, bei einer Novellierung des
Krall 8. 5. Mehrwertsteuergesetzes den Mehrwertsteuersatz für in Gast-
stätten verabreichte Lebensmittel auf die Hälfte zu ermäßigen,
Freiherr von Kühlmann-Stumm 8. 5. um insbesondere Nachteile auszugleichen, die Arbeitnehmer,
Lemmer 8. 5. Reisende und sonstige Personen erfahren, die ihre Mahlzeiten
regelmäßig nicht zu Hause einnehmen können und schon da-
Liehr 8. 5. durch von zusätzlichen Belastungen betroffen sind?
Logemann 8. 5.
Maucher 8. 5. Nach Auffassung der Bundesregierung sprechen
Memmel * 8. 5. beachtliche Gründe für eine Beibehaltung der jetzi-
Meister 8. 5. gen Regelung. Der erste Grund ist der Gesichtspunkt
Michels 8. 5. einer steuertechnischen Vereinfachung, die durch-
aus im Interesse des Hotel- und Gaststättengewer-
bes liegt. Da im Fall einer ermäßigten Besteuerung
* Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Euro-
päischen Parlaments
der Speisenumsätze für Getränke und Beherber-
** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beraten- gungsleistungen weiterhin der allgemeine Steuer-
den Versammlung des Europarats satz anzuwenden wäre, würden sich bei der Auf-
*** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der West- teilung der Umsätze insbesondere auf den Rechnun-
europäischen Union gen zwangsläufig erhebliche Schwierigkeiten erge-
2574 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

ben. Zum anderen unterscheiden sich die Speisen- Es ist vorgesehen, daß die Vorschläge der Korn-
umsätze der Gaststätten durch den regelmäßig mit mission in Ausschüssen erarbeitet werden. Soweit
ihnen verbundenen Dienstleistungsanteil von dem dabei die Interessen der privaten Krankenversiche-
reinen Lebensmittelverkauf; dieser Unterschied rung berührt werden, sollen Sachverständige aus
rechtfertigt eine Gleichstellung mit den übrigen diesem Bereich für die sie betreffenden Fragen in
Dienstleistungen, die ebenfalls grundsätzlich voll zu die Ausschüsse berufen werden. Dem Anliegen der
versteuern sind. privaten Krankenversicherung wird dadurch hinrei-
chend Rechnung getragen.
Darüber hinaus bestehen gegen eine Steuerermä-
ßigung der Speisenumsätze wegen der dann ent-
stehenden beträchtlichen Steuerausfälle schwerwie-
gende Bedenken. Eine Entscheidung kann deshalb Anlage 5
erst getroffen werden, wenn die zahlreichen sonsti- Schriftliche Antwort
gen Novellierungswünsche überprüft sind, die dem
Bundesfinanzministerium inzwischen vorliegen. des Bundesministers Arendt vom 8. Mai 1970 auf
die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Härzschel
(Drucksache VI/722 Fragen A 8 und 9) :
Trifft es zu, daß der Bundesrechnungshof sich dahin geäußert
Anlage 3 hat, bei der neuen Organisationsverteilung des Bundesarbeits-
ministeriums seien personelle und nicht sachliche Gesichts-
punkte maßgebend gewesen?
Schriftliche Antwort Welche Organisationsmaßnahmen hat der Bundesrechnungshof
im einzelnen kritisiert, und wie gedenkt der Bundesarbeits-
minister diesen Rügen abzuhelfen?
des Bundesministers Arendt vom 7. Mai 1970 auf die
Mündliche Frage des Abgeordneten Hussing Eine schriftliche Äußerung des Bundesrechnungs-
(Drucksache VI/722 Frage A 3) : hofes zur Organisation im Bundesministerium für
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es nützlich Arbeit und Sozialordnung liegt nicht vor. Offenbar
wäre, wenn zwischen Deutschland und Frankreich eine zwischen- beziehen Sich Ihre Fragen, Herr Kollege, auf münd-
oder überstaatliche Vereinbarung getroffen würde, die Witwen-
rentenabfindungen bei Auslandsaufenthalt erlaubt? liche Bemerkungen, die ein Referent des Bundes-
Die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, Herr rechnungshofes in einer Besprechung über Haus-
Kollege; eine entsprechende Vorschrift sollte nicht haltsfragen Anfang Februar dieses Jahres gemacht
nur im Verhältnis zu Frankreich, sondern auch im hat. Bei dieser Gelegenheit fielen unter anderem,
Verhältnis zu den übrigen EWG-Staaten vorgesehen wie in derartigen Referentenbesprechungen nicht un-
werden. Bei den Beratungen in Brüssel zur Revi- üblich, auch einige kritische Worte zur Organisation
sion der EWG-Verordnung Nr. 3 über die soziale des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialord-
Sicherheit der Wanderarbeitnehmer ist daher auf nung.
deutschen Vorschlag eine entsprechende Bestim- Der Referent des Bundesrechnungshofes bezwei-
mung in die geplante neue EWG-Verordnung einge- felte insbesondere die Notwendigkeit der Gliede-
fügt worden. Der Verordnungsentwurf wird dem rung des Ministeriums in acht Abteilungen. Diese
Ministerrat am 27. und 28. Mai 1970 zur Verabschie- acht Abteilungen habe ich bereits bei meinem Amts-
dung vorliegen. Einwände gegen den deutschen antritt nach dem Regierungswechsel vorgefunden.
Vorschlag sind nicht zu erwarten. Ferner hat der Referent des Bundesrechnungshofes
die Frage aufgeworfen, ob nicht die Unterabteilung
„Mathematische Fragen der Sozialpolitik" mit der
Unterabteilung „Gesamtwirtschaftliche und statisti-
Anlage 4 sche Fragen der Sozialpolitik" oder mit der „Gruppe
Datenverarbeitung" zu verschmelzen sei. Die Auf-
Schriftliche Antwort gabenstellung in beiden Bereichen ist jedoch so
unterschiedlich und umfangreich, daß eine Ver-
des Bundesministers Arendt vom 8. Mai 1970 auf
schmelzung unzweckmäßig wäre.
die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Ruf
(Drucksache VI/722 Fragen A 6 und 7): Die Organisation eines Ministeriums mit einem
Wäre es nicht sinnvoll, Vertreter der privaten Krankenver- dynamischen Aufgabenbereich kann nie endgültig
sicherung, die einem nicht unbedeutenden Teil unserer Bevolke-
rung Versicherungsschutz gewährt, in die geplante Krankenver-
verfestigt werden. Sie richtet sich nach den ihm ge-
sicherungskommission zu berufen? stellten aktuellen Aufgaben der jeweiligen Legis-
Weshalb beabsichtigt die Bundesregierung, Vertreter der laturperiode.
gesetzlichen Krankenversicherung in die Krankenversicherungs-
kommission zu berufen, Vertreter der privaten Krankenver-
sicherung aber nur von Fall zu Fall hinzuzuziehen?

Die Sachverständigen der Kommission zur Wei- Anlage 6


terentwicklung der Krankenversicherung haben die
Aufgabe, Vorschläge für eine zeitgerechte Anpas- Schriftliche Antwort
sung der sozialen Krankenversicherung zu erarbei- des Bundesministers Arendt vom 8. Mai 1970 auf
ten. Die Vorschläge sollen nicht nur politisch reali- die Mündliche Frage des Abgeordneten Offergeld
sierbar, sie sollen auch praktisch durchführbar sein. (Drucksache VI/722 Frage A 12) :
Deshalb kann auf den Sachverstand insbesondere Wie haben sich die neuen Vorschriften des Arbeitsförderungs-
der Geschäftsführung der Träger der sozialen Kran- gesetzes über die Winterbauförderung im vergangenen Winter
ausgewirkt, und erwägt die Bundesregierung auf Grund der
kenversicherung nicht verzichtet werden. gesammelten Erfahrungen eine Änderung dieser Vorschriften?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2575

Ich nehme an, Herr Kollege, daß sich Ihre Frage Das Gesetz, Herr Kollege, sieht den von Ihnen in
in erster Linie auf die durch das Arbeitsförderungs- Ihrer Frage angenommenen Lohnabzug für Arbeiter
gesetz eingeführte sogenannte Produktive Winter- nicht vor. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Lohn-
bauförderung *) bezieht. Diese neue Leistung ist fortzahlungsgesetz, wohl aber aus § 616 Abs. 1 BGB.
noch nicht in dem erwarteten Maße in Anspruch Danach verliert ein Arbeiter seinen Lohnanspruch
genommen worden. Immerhin hat die neue !Rege- nicht, wenn er — ohne arbeitsunfähig zu sein —
lung dazu geführt, daß im letzten Winter bereits infolge Krankheit an der Dienstleistung verhindert
147 Bauvorhaben unter Vollschutz, d. h. bei voller ist. Dieser Tatbestand ist in den in Ihrer Frage ge-
Umhüllung des Bauwerkes, ausgeführt worden sind. nannten Fällen gegeben, wenn der Arztbesuch oder
Weitere 150 Bauvorhaben hatten einen kombinier- die medizinische notwendige Behandlungsmaß-
ten Schutz, d. h. ein Teil der Arbeiten wurde bei nahme während der Arbeitszeit erforderlich ist, also
schlechtem Wetter unter Vollschutz, ein anderer nicht ebensogut außerhalb der Arbeitszeit erfolgen
Teil bei günstigem Wetter ohne Schutzvorkehrun- könnte.
gen verrichtet. Die vergleichbaren Zahlen des Vor-
jahres sind demgegenüber verschwindend gering. Die Regelung des § 616 Abs. 1 BGB ist allerdings
Die zögernde Inanspruchnahme der neuen Lei- dispositiv, d. h. von ihr kann durch Tarif- oder
stung dürfte auf das Zusammenwirken mehrerer Einzelvertrag abgewichen werden. Der Gehaltsfort-
Ursachen zurückzuführen sein. Da das Arbeitsför- zahlungsanspruch, der Angestellten in den ent-
derungsgesetz erst zum 1. Juli 1969 in Kraft getre- sprechenden Fällen unter den gleichen Vorausset-
ten ist, konnte der Verwaltungsrat der Bundes- zungen wie Arbeitern zusteht, ist demgegenüber
anstalt für Arbeit die zur Ausführung des Gesetzes nach den für Angestellte geltenden Sondervorschrif-
erforderliche Anordnung nicht frühzeitig erlassen; ten *) unabdingbar. Insoweit besteht ein Unterschied
und erst danach konnten die Verwaltungsvorschrif- zwischen Arbeitern und Angestellten. Im Rahmen
ten für die Arbeitsämter ergehen. Die Bauunterneh- der Gespräche zwischen Vertretern meines Hauses
men hatten daher vor Beginn des Winters kaum und den Tarifpartnern über die weitere Bereinigung
Zeit, sich mit den für die neue Leistung maßgeben- des Arbeitsrechts werde ich die Möglichkeit prüfen
den Vorschriften vertraut zu machen. Deshalb wäre lassen, diese für Angestellte bestehende Unabding-
ein abschließendes Urteil darüber, ob die neue barkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs auch für
Regelung einen ausreichenden Anreiz für eine kon- Arbeiter gesetzlich einzuführen.
tinuierliche Winterbautätigkeit bietet, verfrüht.
Andererseits gibt es bereits eine Reihe von Vor-
schlägen zur Verbesserung der gesetzlichen Vor-
schriften. Mein Haus wird darüber noch in diesem
Anlage 8
Monat mit den beteiligten Bundesministerien, der
IG-Bau-Steine-Erden, den Bauwirtschaftsverbänden
und der Bundesanstalt für Arbeit beraten. Sollte Schriftliche Antwort
sich dabei ergeben, daß bereits nach den vorliegen-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Doh-
den Erfahrungen gewisse Änderungen des Gesetzes
nanyi vom 6. Mai 1970 auf die Mündliche Frage des
erforderlich sind, so wird die Bundesregierung die-
Abgeordneten Leicht (Drucksache VI/322 Frage
sem Hohen Hause den Entwurf eines Änderungs-
A 34) :
gesetzes zum AFG so rechtzeitig vorlegen, daß die
Ist es überhaupt nach dem neuesten Stand wissenschaftlicher
Änderungen bereits zu Beginn des nächsten Win- Erkenntnisse noch zu vertreten, Atomanlagen inmitten dicht
ters in Kraft treten können. besiedelter Gebiete zu errichten, wobei alle Gefährdungen aus-
zuschließen sind?

Das Kernkraftwerk Philippsburg liegt im Land-


kreis Bruchsal. Die Besiedelung im Umkreis des
Anlage 7 Kraftwerks überschreitet nicht die üblichen Werte
der bisher genehmigten Kernkraftwerke. Insbeson-
Schriftliche Antwort dere in der entscheidenden Nahzone bis 5 km Ab-
stand liegt die Gesamtzahl der dort Wohnenden
des Bundesministers Arendt vom 8. Mai 1970 auf unterhalb der entsprechenden Vergleichszahl für
die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Link gewisse Kernkraftwerke, welche in USA geneh-
(Drucksache VI/722 Fragen A 13 und 14) : migt wurden und dort als Vergleichsstandard ange-
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß Arbeiter, sehen werden. Ob Standorte in Ballungsgebieten
ohne daß sie krank geschrieben sind, Lohnabzug erfahren, genehmigt werden können, wird zur Zeit bezüglich
wenn sie sich ärztlichen Konsultationen unterziehen müssen
(z. B. bei Vor- und Nachuntersuchungen, Massagen, Bädern, des Kernkraftwerks BASF von den technischen Ex-
zahnärztlicher Behandlung, Bestrahlungen und sonstiger laufen-
der ärztlicher Betreuung)? perten, insbesondere der Reaktor-Sicherheitskom-
Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund dieses Tatbestandes mission, eingehend geprüft. Insbesondere wird
die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und das Lohnfort- untersucht, ob durch zusätzliche, möglichst passiv
zahlungsgesetz entsprechend zu ändern, um die Arbeiter auch
bei notwendigen ärztlichen Konsultationen den Angestellten wirkende Schutzmaßnahmen, wie z. B. Unterboden-
gleichzustellen? bauweise, auch entfernteste Gefahrenmöglichkeiten
ausgeschlossen werden können. Die Entscheidung
*) Produktive Winterbauförderung = Zuschüsse an die
Bauunternehmen nach Maßgabe der in den Monaten
Januar und Februar geleisteten Arbeitsstunden. *) §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB und 133 c GewO
2576 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

darüber wird jedoch nicht allein von den Techni- Samenübertragung ohne Einverständnis der Mut-
kern getroffen werden können. Fragen dieser Be- ter vornimmt. In seinem Verhalten könnte ferner
deutung müssen wohl ebenfalls von den politischen eine Standeswidrigkeit liegen.
Institutionen behandelt und entschieden werden. e) Zur zahlenmäßigen Bedeutung der heterologen
Insemination habe ich mich bereits in der Frage-
stunde vom 18. März 1970 auf eine entsprechende
Frage des Herrn Kollegen Dr. Schmidt (Krefeld)
Anlage 9 geäußert. Untersuchungsergebnisse über die ge-
sellschaftlichen Auswirkungen der heterologen
Insemination liegen mir nicht vor.
Schriftliche Antwort

des Bundesministers Jahn vom 8. Mai 1970 auf die


Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Jungmann
(Drucksache VI/722 Frage A 36) : Anlage 10
Ist die Bundesregierung in der Lage, ihre Auffassung über die
rechtlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der heterologen
künstlichen Insemination, insbesondere über die Beziehungen
Schriftliche Antwort
der daran Beteiligten (Samenspender, Arzt, Mutter und ggf.
deren Ehemann und der Kinder) zueinander und über die des Bundesministers Frau Strobel vom 8. Mai 1970
Rechtsstellung des auf diesem Weg erzeugten Kindes angesichts
der Bedeutung dieser Thematik für den bevorstehenden Deut- auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr.
schen Ärztetag jetzt darzutun?
Schneider (Nürnberg) (Drucksache VI/722 Frage
a) Die heterologe Insemination ist nach gelten- A 47):
Reichen die derzeitigen Gesetze und Verordnungen aus, die
dem Recht nicht strafbar, wenn die betroffene Verbraucher vor irreführender Werbung auf dem Gebiet der
Frau ihr zustimmt. Wegen Nötigung und Belei- Lebens- und Genußmittelwerbung zufriedenstellend zu schützen,
und welche Schritte gedenkt die Bundesregierung im Falle der
digung kann sich allerdings strafbar machen, wer Verneinung einzuleiten?
bei einer Frau gegen ihren Willen oder ohne ihr
Wissen eine künstliche Insemination vornimmt. In dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung
Soweit die Insemination nicht allein die Schwan- und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Lebens-
gerschaft, sondern auch eine Gesundheitsschädi- mitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Erzeug-
digung zur Folge hat, erfüllt sie auch den Tat- nissen und Bedarfsgegenständen, über den zur Zeit
bestand der Körperverletzung. mit den beteiligten Wirtschaftskreisen beraten wird,
wird u. a. auch eine wesentliche Verbesserung der
Wie ich bereits in der Fragestunde vom entsprechenden Vorschriften für die Werbung ange-
18. März 1970 . mitgeteilt habe, beabsichtigt die strebt. Insbesondere werden auch spezielle Vor-
Bundesregierung nicht, einen Gesetzentwurf vor- schriften für die gesundheitsbezogene Werbung vor-
zulegen, der die mit Einwilligung der Frau vor- gesehen, sowie Regelungen, die eine irreführende
genommene künstliche Insemination unter Strafe Werbung in anderen Teilbereichen, die vom Ge-
stellt. setz erfaßt werden, verhindern sollen.
b) Die heterologe Insemination kann nicht als Ehe-
bruch betrachtet werden; jedoch kann sie nach
geltendem Recht unter dem Gesichtspunkt einer
schweren Eheverfehlung dann einen Scheidungs-
grund darstellen, wenn der Ehemann der Inse- Anlage 11
mination nicht zugestimmt hat.
c) Für die Rechtsstellung des Kinder können die Schriftliche Antwort
Vorschriften des geltenden Rechts und des neuen
Nichtehelichenrechts über die Abstammung ohne des Bundesministers Jahn vom 8. Mai 1970 auf die
besondere Schwierigkeiten angewandt werden. Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Gleiss-
Das von einer verheirateten Frau geborene Kind ner (Drucksache VI/722 Fragen B 1 und 2) :
gilt zunächst in jedem Fall als ehelich. Stammt Wie häufig sind in der Bundesrepublik Deutschland Gerichts-
urteile gegen Lärmsünder, und welche Konsequenzen ergeben
es nicht vom Ehemann der Mutter, so kann die sich daraus?
Ehelichkeit angefochten und anschließend die Was kann der einzelne Bürger konkret tun, wenn er sich
gegen übermäßige Lärmerzeugung zur Wehr setzen möchte?
Vaterschaft des Samenspenders geltend gemacht
werden. Der Ehemann der Mutter kann die Ehe- Gerichtsurteile gegen Lärmsünder können in
lichkeit nur binnen 2 Jahren anfechten. Die Frist Straf-, Bußgeld-, Zivil- und — im weiteren Sinn —
beginnt mit der Kenntnis von der Insemination, in Verwaltungsgerichtsverfahren ergehen. Wegen
frühestens mit der Geburt. Da hierzu bisher der Einzelheiten wird auf die Beantwortung der
kaum Urteile bekanntgeworden sind, muß ich Frage 2 Bezug genommen. Eine Statistik, die sämt-
davon ausgehen, daß die Ehelichkeit der durch liche eine übermäßige Lärmeinwirkung betreffenden
künstliche Samenübertragung gezeugten Kinder Urteile erfaßt, besteht nicht. Einer solchen Statistik
in der Regel nicht angefochten wird. Die Kinder käme wegen der Verschiedenartigkeit der einschlä-
haben somit die rechtliche und auch die gesell- gigen Rechtsmaterien auch kein besonderer Infor-
schaftliche Stellung ehelicher Kinder. mationswert zu. Nach den Beobachtungen der Bun-
d) Der mitwirkende Arzt kann sich im Einzelfall desregierung werden die Gerichte zur Zeit häufiger
schadensersatzpflichtig machen, so, wenn er die als früher mit Fragen der Lärmbekämpfung befaßt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2577

Ist im Rahmen der regionalen Aktionsprogramme der ost-


Die dem einzelnen Bürger gegebenen Möglich- westfälische Raum in Nordrhein-Westfalen mit den Bundesaus-
keiten, sich gegen übermäßige Lärmeinwirkung zur baugebieten Warburg und Büren als Schwerpunkt vorgesehen,
und welche Kreise soll das regionale Aktionsprogramm dort
Wehr zu setzen, hängen von den jeweiligen Um- umfassen?
ständen des Einzelfalles ab und lassen sich daher Wann ist mit einer Entscheidung über dieses Aktionsprogramm
nicht allgemein beschreiben. Insbesondere kommen zu rechnen?
folgende Möglichkeiten in Betracht. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen
Erfüllt die Lärmbeeinträchtigung den Tatbestand bereitet für den südwestfälischen Raum ein Regio-
einer strafbaren Handlung (einer Körperverletzung nales Aktionsprogramm vor. Es soll neben den Krei-
oder einer Übertretung nach § 360 Abs. 1 Nr. 11 sen Warburg und Büren die Kreise Höxter, Brilon,
StGB), kann jedermann .Strafanzeige bei der Polizei Meschede und Wi ttgenstein umfassen. Es wird vor-
oder der Staatsanwaltschaft erstatten. Im Falle der aussichtlich gegen Mitte des Jahres in Kraft treten.
Körperverletzung kann der Geschädtigte auch Pri-
vatklage erheben.
Wird gegen dem Lärmschutz dienende Vorschrif-
ten verstoßen, deren Nichteinhaltung mit Geldbuße Anlage 13
bedroht ist, kann jeder Bürger bei der zuständigen
Verwaltungsbehörde die Einleitung eines Bußgeld- Schriftliche Antwort
verfahrens anregen. Es bestehen zahlreiche Gesetze
und Verordnungen des Bundes und der Länder zum des Parlamentarischen Staatssekretärs Logemann
Schutz gegen Lärm, insbesondere, soweit er von vom 5. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Ab-
, dem Betrieb gewerblicher Anlagen oder dem Ver- geordneten Weigl (Drucksache VI/722 Frage B 5) :
kehr auf den Wasser-, Land- oder Luftwegen aus- Wird sich nach Auffassung der Bundesregierung der Verfall
der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise für Schweine in den
geht. Durch Lärm können auch zivilrechtliche An- nächsten Monaten fortsetzen?
sprüche ausgelöst werden, z. B. auf Störungen des
Eigentums oder Besitzes an einem Grundstück ge- Obwohl die Schweinepreise in den Wochen nach
stützte Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlas- Ostern saisonüblich stark zurückgegangen sind,
sung, auf Anbringen geräuschdämpfender Einrich- kann man nicht von einem Preisverfall sprechen.
tungen oder Ansprüche auf Zahlung eines Aus- Im Durchschnitt des Bundesgebietes lagen die Preise
gleichs in Geld. für Schweine der Klasse c (ohne Mehrwertsteuer
und ohne Aufwertungsausgleich) im April dieses
Schließlich kann jedermann bei den zuständigen Jahres mit rd. 266,— DM 100 kg Lebendgewicht im-
Verwaltungsbehörden, z. B. den Ordnungs- oder merhin um 24,— DM über dem vergleichbaren Vor-
den Genehmigungsbehörden, darauf hinwirken, daß jahrespreis und um 26,— DM über dem Durch-
gegen übermäßige Lärmeinwirkung auf der Grund- schnittspreis der letzten 10 Jahre.
lage der jeweils in Frage kommenden Spezialbe-
stimmungen im Verwaltungswege, etwa durch Ver- Für das 2. Halbjahr 1970 ist aufgrund des bei der
bote, Erteilung entsprechender Auflagen oder Ver- März-Zählung ermittelten Schweinebestandes ge-
sagung einer erforderlichen Genehmigung, einge- genüber dem Vorjahr eine Zunahme der inländi-
schritten wird. Zum Teil besteht auch die Möglich- schen Erzeugung um durchschnittlich 6 % zu erwar-
keit, Einwendungen in einem förmlichen Genehmi- ten. Da voraussichtlich aber auch der Verbrauch wei-
gungsverfahren, wie es z. B. in den §§ 16 ff. der ter zunehmen wird, ist trotz dieses Mehrangebotes
Gewerbeordnung vorgesehen ist, geltend zu ma- damit zu rechnen, daß die Schweinepreise bis Ende
chen. Lehnt die Behörde ein Einschreiten gegen den 1970 über dem langjährigen Durchschnitt liegen
Lärmsünder im Verwaltungswege ab oder ordnet werden. Das hohe Preisniveau des Vorjahres
sie diesem gegenüber nach Ansicht des Antragstel- dürfte allerdings nicht ganz erreicht werden.
lers nur unzureichende Maßnahmen an, kann der
Antragsteller die Behörde unter bestimmten Vor-
aussetzungen vor den Verwaltungsgerichten ver-
klagen. Anlage 14
Der Schutz der Bevölkerung vor unzumutbaren
Lärmbeeinträchtigungen soll durch das von der Schriftliche Antwort
Bundesregierung vorbereitete Bundes-Immissions-
schutzgesetz weiter verbessert werden. des Parlamentarischen Staatssekretärs Logemann
vom 5. Mai 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
Abgeordneten Peters (Poppenbüll) (Drucksache
VI/722 Fragen B 6 und 7):
Wie ist die Entwicklung an Vorräten bei Brotgetreide, Futter-
Anlage 12 getreide, Butter und Zucker in der Bundesrepublik Deutschland
und in der EWG im 1. Quartal 1970 absolut und im Vergleich
zum gleichen Zeitraum des Vorjahres?
Schriftliche Antwort Wie beurteilt die Bundesregierung die Erzeugungsmengen im
Jahr 1970 bei Brotgetreide, Futtergetreide, Butter, Zucker und
Rindfleisch in der Bundesrepublik Deutschland und in der EWG
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt auf Grund der ungünstigen Wachstumsverhältnisse in diesem
Frühjahr?
vom 5. Mai 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
Abgeordneten Dr. Ritgen (Drucksache VI/722 Fragen In der Bundesrepublik Deutschland waren jeweils
B 3 und 4) : am 1. Januar und 1. März 1969 und 1970 die in der
2578 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

folgenden Tabelle aufgeführten Vorräte von Brot- Norden des Bundesgebietes, wo Anfang April ver-
getreide, Futtergetreide, Butter und Zucker vor- breitet noch Schnee lag, wurde der Wachstumsstand,
handen. soweit überhaupt möglich, allgemein ungünstig be-
wertet. Die Schäden durch Auswinterung lagen im
Vorräte in der Bundesrepublik Deutschland Bundesgebiet — ohne Schleswig-Holstein — Anfang
April 1970 zum Teil erheblich höher als im Vorjahr.
in 1000 t So wurden die Auswinterungsschäden bei Winter-
weizen auf 1,2 % (Vorjahr 1,0 %), Winterroggen
1970 1969 2,0 % (0,9 %), Wintergerste 3,6 % (1,7 %), Winter-
Erzeugnis menggetreide 2,3 % (0,9 %) und Klee 3,5 % (2,4 %)
1. Januar I 1. März 1. Januar I 1. März
beziffert.
Brotgetreide 1) 9 201 7 310 9 347 7 846 Da auch im April 1970 die ungünstigen Witte-
Futter- rungsbedingungen anhielten, ist nach dem jetzigen
getreide 1) 7 177 5 183 7 494 5 638 Stand für die Ernte 1970 allenfalls mit durchschnitt-
lichen Ertragsverhältnissen zu rechnen. Die bisher
Butter 2) 99 98 90 94 beobachteten Beeinträchtigungen des Pflanzenwachs-
Zucker 3) 1 732 1 444 1 652 1 394 tums können noch weitgehend ausgeglichen werden,
wenn in der Zeit bis zur Ernte ein der Vegetation
sehr förderlicher Witterungsverlauf eintritt.
1) Einschl. Intervention, Bundesreserve und einschl. Er-
zeugnisse in GW Für Sommergetreide, dessen Aussaat verspätet er-
2) Bei Molkereien, Butterabsatzzentralen und Interven- folgte, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine zu-
tionsstelle verlässige Beurteilung der Ertragsaussichten ge-
3) Einschl. Intervention und Bundesreserve geben werden.
Die Zuckerrübenernte wird voraussichtlich um 5
bis 10 % gegenüber dem Vorjahr kleiner sein.
Vergleichbare Bestandszahlen für die übrigen
EWG-Länder liegen nicht vor. Für die EWG insge- Es ist anzunehmen, daß der verspätete Weide
samt sind nur die Bestände bei den Interventions- austrieb sich regional auf die Milchproduktion aus-
stellen bekannt. In der nachfolgenden Tabelle wer- wirken wird. Im Bundesgebiet insgesamt liegt die
den deshalb außer den Beständen in der EWG ins- Milchprodukton zur Zeit jedoch um 1 bis 2 % über
gesamt die darin enthaltenen Bestände in der BRD dem Vorjahr. Die Rindfleischproduktion dürfte
jeweils am 1. Januar und am 31. März 1970 und 1969 durch die Witterungsverhältnisse dieses Frühjahrs
aufgeführt. kaum beeinflußt werden, sie wird 1970 durch die
Abschlachtungsaktion bei Kühen und die Ausdeh-
Vorräte in der EWG nung der Rindermast voraussichtlich um 5 % zu-
nehmen.
in 1000 t
In den übrigen EWG-Mitgliedstaaten wird der
Wachstumsstand bei Wintergetreide nach den vor-
1970 1969
Erzeugnis liegenden Meldungen ähnlich wie im Vorjahr, teil-
1. Januar I 31. März 1. Januar I 31. März weise etwas schlechter beurteilt. Größere Auswin-
terungsschäden sind bisher nicht bekannt. Unter-
Brotgetreide . 3 663 2 447 2 847 3 766 - lagen, die die Beurteilung der Erzeugungsaussich-
1 910 ten auf Grund ungünstiger Wachstumsverhältnisse
davon BRD . . 1 810 1 865 2 491
bei den übrigen Agrarprodukten in der EWG er-
Futtergetreide 485 409 765 869 möglichen, liegen meinem Ministerium zur Zeit
davon BRD 280 247 358 446 nicht vor. In Frankreich lag die Fläche für Winter-
getreide um etwa 11 % niedriger gegenüber dem
Butter 302 220 298 269 Vorjahr; dies dürfte zu einer stärkeren Ausdehnung
davon BRD 92 81 83 92 des Sommergetreideanbaues führen.

Über die Zuckervorräte in der EWG liegen An-


gaben, die sich auf das 1. Quartal 1970 beziehen, Anlage 15
nicht vor. Schriftliche Antwort
Für eine erste vorläufige Beurteilung der Ertrags- des Bundesministers Arendt vom 6. Mai 1970 auf
aussichten liegen für die BRD Angaben über den die Schriftliche Frage des Abgeordneten Link
Wachstumsstand von Wintergetreide, Winteröl- (Drucksache VI/722 Frage B 8) :
früchten, Dauergrünland sowie Klee und Luzerne Gedenkt die Bundesregierung, in die geplante Krankenver-
von Anfang April 1970 vor. Zu diesem Zeitpunkt sicherungskommission auch einen Vertreter der Sozialgerichts-
barkeit zu berufen, dessen Sachverstand mögliche Mängel ge-
wurde der Wachstumsstand der genannten Frucht- setzgeberischer Maßnahmen im Hinblick auf spätere Rechts-
arten im Durchschnitt des Bundesgebietes — ohne streitigkeiten vermeiden helfen könnte?

Schleswig-Holstein — mit knapp „mittel" und da- In die Kommission zur Weiterentwicklung der
mit ähnlich wie Anfang April 1969 beurteilt. Im sozialen Krankenversicherung, die sich am 29. April
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2579

Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Standortver-


1970 konstituiert hat, wurden neben je drei Sach- mittlung der Bundeswehr in Münsingen Kriegsbeschädigte unter
verständigen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, menschenunwürdigen Bedingungen beschäftigt werden, indem sie
gezwungen sind, den ganzen Tag bei künstlichem Licht und un-
der Ärzte und der gesetzlichen Krankenversiche- zureichender Belüftung in Kellerräumen zu verbringen?
rung acht Einzelpersönlichkeiten berufen. Zu ihnen Trifft es zu, daß auch in anderen Standorten Angestellte der
gehören auch der Präsident des Landessozialgerichts Bundeswehr unter derart unzumutbaren Bedingungen ihrer Arbeit
nachgehen müssen, und ist die Bundesregierung bereit, in nor-
Essen, Dr. Horst Peters, sowie Senatspräsident a. D. malen Zeiten erträgliche Räume für die Standortvermittlungen
einzurichten und die jetzt dafür benutzten Räume nur für den
Prof. Dr. Bogs. Damit ist hinreichend gewährleistet, Spannungsfall vorzusehen?
daß bei der Erarbeitung der Vorschläge zur Weiter-
entwicklung der sozialen Krankenversicherung auch Die Standortfernmeldeanlage Münsingen ist in
sozialrechtliche Fragen mit dem Ziel berücksichtigt der Herzog-Albrecht-Kaserne untergebracht. Sie
werden, das Sozialrecht für die Versicherten über- wurde nach der „Grundsätzlichen militärischen Infra-
schaubar zu machen und Unklarheiten als Ursache strukturforderung für Fernmeldeanlagen in Unter-
für spätere Rechtsstreitigkeiten nach Möglichkeit zu künften der Bundeswehr" (GMIF), Ausgabe April
vermeiden. 1962, erstellt und 1964 in Betrieb genommen.

Nach dieser Infrastrukturforderung und den


„Grundsätzlichen Anordnungen für den baulichen
Luftschutz in Anlagen der Bundeswehr" sind die
Anlage 16
Fernmelderäume trümmer- und strahlengeschützt
Schriftliche Antwort unterzubringen. Die nutzbare lichte Raumhöhe für
Wählerräume soll 3,10 m betragen. In den Räumen
des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom für Vermittlungsplätze, Fernschreibstellen, Schlüs-
6. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeord- selbetrieb und dgl. sind für das Bedienungspersonal
neten Weigl (Drucksache VI/722 Frage B 9) : gute arbeitshygienische Bedingungen zu schaffen.
Bis wann wird die Bundesregierung die Unsicherheit unter
den jungen Unteroffizieren über die Möglichkeiten eines Auf- Im Winter soll eine Raumtemperatur von minimal
stiegs zum Fachoffizier durch die Vorlage klar gefaßter Durch-
führungsbestimmungen beseitigen? + 20 ° C, im Sommer von maximal + 24 ° C und
stets eine relative Luftfeuchte von 50 bis 70 % zu
Der Bundesminister der Verteidigung hat für alle halten sein. Fünffacher Luftwechsel je Stunde wird
Gruppen der Unteroffiziere Durchführungsbestim- gefordert.
mungen erlassen, in denen das Verfahren für die
Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militär- Auf Grund von Beschwerden des zivilen Be-
fachlichen Dienstes geregelt ist. triebspersonals über unzureichende Klimatisierung
Der Erlaß vom 27. Februar 1970 enthält die per- wurde durch WBK V eine Überprüfung der Anlage
sonellen Grundsatzbestimmungen, die für die jun- durch den Leiter der medizinisch-hygienischen
gen Unteroffiziere gelten. Alle Kommandeure sind Untersuchungsstelle im Wehrbereich V veranlaßt
angewiesen worden, die Unteroffiziere über diese und im April 1966 durchgeführt. In dem Gutachten
Bestimmungen zu unterrichten. wurde festgestellt, daß infolge von Mängeln an der
Klimaanlage eine unzureichende Klimatisierung der
Inzwischen hat auch der Deutsche Bundeswehr- Betriebsräume erfolge. Diese wirkt sich nachteilig
verband die im Erlaß vom 27. Februar 1970 getrof- auf den Gesundheitszustand des Betriebspersonals
fene Regelung besonders begrüßt und in seiner Ver- aus und kann auf die Dauer gesehen gesundheit-
bandszeitschrift eingehend behandelt. liche Schäden zur Folge haben. Die Ursache der Feh-
Dem Bundesministerium für Verteidigung sind ler in der Klimatisierung ist auch in der unzuläng-
bisher keine Meldungen zugegangen, die auf eine lichen Raumhöhe zu suchen. Da in dieser GMIF die
Unsicherheit unter den jungen Unteroffizieren über Raumhöhe von 3,10 m nur für die Wählerräume ge-
die neuen Laufbahnaussichten wegen mangelnder fordert ist, wurde in den Betriebsräumen im Falle
Unterrichtung schließen lassen. Soweit es im Einzel- Münsingen nur eine Raumhöhe von rund 2,30 m
fall an ausreichender Information fehlen sollte, bin vorgesehen.
ich gern bereit, den Sachverhalt nachzuprüfen.
In der inzwischen überarbeiteten GMIF ist für alle
Zudem wird auf den Erlaß vom 27. Februar 1970 Fernmelderäume eine durchgehende lichte Raum-
demnächst in den „Mitteilungen für die Soldaten" höhe von 3,10 m vorgesehen. Für Münsingen wurde
hingewiesen werden. Die Bestimmungen werden vorgeschlagen, falls eine bauliche Veränderung der
schließlich im Ministerialblatt des Bundesministers Betriebsräume nicht durchgeführt werden kann, die
der Verteidigung veröffentlicht. Fernsprechvermittlung in das Erdgeschoß zu verle-
gen.
Nach Mitteilung des WBK V wurde auf Grund des
Gutachtens vom 9. Mai 1966 eine Forderung auf Ab-
Anlage 17
stellung der Mängel in der Klimaanlage an die zu-
Schriftliche Antwort ständigen Bauaufsichtsbehörden, Oberfinanzdirek-
tion Stuttgart und Staatl. Hochbauamt Tübingen wei-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom tergeleitet. Am 14. 7. 1966 fand ein Ortstermin unter
6. Mai 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abge- Teilnahme von WBK V, WBV V, OFD-Stuttgart und
ordneten Dr. Schwörer (Drucksache VI/722 Fragen Sonderbauamt Tübingen statt. Es wurden folgende
B 10 und 11) : Baumaßnahmen beschlossen:
2580 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

a) Herausnahme von Trennwänden, um den Ver- Anlage 18


mittlungsraum zu vergrößern, weil die Raum-
höhe nicht vergrößert werden konnte, Schriftliche Antwort
b) Verbesserung der Luftführung durch Umlegen des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom
von Lüftungskanälen und 6. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage ides Abgeord-
c) Einbau einer zusätzlichen Fußbodenheizung. neten Pieroth (Drucksache VI/722 Frage B 12) :
Wann ist mit der Fertigstellung des Bauabschnittes III für die
Die vorgeschlagenen Baumaßnahmen sind, bis auf Artillerieschule in Idar-Oberstein, insbesondere des Lehrgruppen-
gebäudes und der Sportstätten, zu rechnen, und ist die Bundes-
die Fußbodenheizung, mit einem Kostenaufwand regierung bereit, für eine zügige Fertigstellung durch stärkere
von DM 17 000,— inzwischen durchgeführt worden. Dienstaufsicht über die Bautätigkeit zu sorgen?

Als Versuchslösung wurden Heizkörper mit Holz- Der III. Bauabschnitt der Artillerie-Schule Idar-
rosten aufgestellt, auf die das Betriebspersonal die Oberstein umfaßt den eigentlichen Schulbereich. Die
Füße setzen kann. Unterkunftsgebäude für die Schüler, das Kommando-
Stabsgebäude, das Wirtschaftsgebäude und die
Sobald die endgültig vorgesehene Fußbodenhei- Sporthalle stehen ab Mitte 1972 zur Verfügung. Das
zung eingebaut und in Betrieb genommen worden Lehrgruppengebäude und die Schwimmhalle werden
ist, werden die Raumluftzustände erneut überprüft Mitte 1973 fertiggestellt sein. Der Sportplatz wird
werden. bereits benutzt.
Auf Grund der vorgenannten Baumaßnahmen Die zuständige Oberfinanzdirektion wurde wie-
wurde vorerst aus militärischen Gründen von einer derholt auf die Dringlichkeit des Bauvorhabens hin-
Verlegung in das Erdgeschoß abgesehen. gewiesen. Sie hat i n eigener Zuständigkeit Maß-
nahmen getroffen, die eine frühestmögliche Fertig-
Fernmeldeanlagen der Bundeswehr sind wichtige stellung der Gesamtanlage sicherstellen.
Führungsmittel. Sie müssen deshalb ununterbrochen
betriebsbereit und geschützt untergebracht sein, weil
sie bei Ausfall nicht kurzfristig ersetzt werden kön-
nen. Nur so kann sichergestellt werden, daß auch in
Krisen- und Spannungszeiten sowie im Verteidi- Anlage 19
gungsfall die Führungsforderungen auf betriebs-
sichere Fernmeldemittel erfüllt werden. Schriftliche Antwort

Der Aufbau von parallelgeschalteten Fernmelde- des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
betriebsplätzen im Erdgeschoß für den Friedensbe- 6. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeord-
trieb und in besonders geschützter Kellerräumen für neten Dasch (Drucksache VI/722 Frage B 13) :
den Betrieb in den bereits genannten Fällen ist Ich frage die Bundesregierung, bis wann mit der Neuerstel-
lung des völlig ungenügenden Bahnhofsgebäudes in Mühldorf am
a) zu kostenaufwendig (für umbauten Raum und Inn zu rechnen ist, und welche Kosten dafür veranschlagt wer-
den?
eingebaute Technik)
b) nicht betriebssicher und Wie mir die Deuts ch e Bundesbahn mitteilt, sind
die Entwurfsplanungen für das Empfangsgebäude
c) für bestimmte übertragungstechnische Vermitt- des Bahnhofs Mühldorf am Inn fertiggestellt. Es ist
lungseinrichtungen nicht möglich. beabsichtigt, das Vorhaben in den Bauhaushalt der
Deutschen Bundesbahn 1971 einzustellen. Die Kosten
Endvermittlungen, wie z. B. Münsingen, stellen für das Vorhaben werden nach den Angaben der
die Ausläufer eines weitverzweigten Fernmelde- Deutschen Bundesbahn rd. 3 Millionen DM betragen.
systems für die Landesverteidigung dar und sind
deshalb nicht für sich allein zu betrachten. Aus den
vorgenannten Gründen sind alle ortsfesten Fern-
meldeanlagen der Bundeswehr vergleichbar unter-
gebracht und die baulichen, betrieblichen und fern- Anlage 20
meldetechnischen Bedingungen in einer sogenannten
„Grundsätzlichen militärischen Infrastrukturforde- Schriftliche Antwort
rung für Fernmeldeanlagen in Liegenschaften der
Bundeswehr" zusammengefaßt. des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
6. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Abge-
Wenn von den zuständigen Dienststellen der Bau- ordneten Wagner (Günzburg) (Drucksache VI/722
verwaltung die darin enthaltenen Grundsätze beach- Frage B 14) :
tet werden, sind auch die arbeitshygienischen und Welche Auswirkungen hat die Sperre von 540 Millionen DM
-rechtlichen Bedingungen erfüllt. im Haushalt des Bundesverkehrsministers auf die Durchführung
der im Jahre 1970 vorgesehenen Bauarbeiten im Bereich der
Bundesautobahn Ulm—Kempten?
Da aber eine Tätigkeit in Schutzbauwerken (oder
ähnlichen Anlagen) immer unter erschwerten Be- Die im Entwurf des Haushaltsgesetzes vorge-
dingungen ausgeübt werden muß, werden z. Z. Ver- sehene Sperre von 540 Millionen DM im Bundes-
handlungen mit den Gewerkschaften über die Ge- fernstraßenhaushalt wird sich auf die Durchführung
währung einer sogenannten „Untertagezulage" ge- der im Jahre 1970 vorgesehenen Bauarbeiten an der
führt. Dadurch sollen die anerkannt ungünstigen BAB Neubaustrecke Ulm Kempten ungünstig aus-
- —

Arbeitsbedingungen honoriert werden. wirken.


Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2581

Es fehlen Baumittel in Höhe von 18 Millionen wägung zu ziehen, wenn die Anschlußstrecken der
DM, um die in Gang befindlichen Bauarbeiten durch SNCF ebenfalls elektrifiziert würden. Bei der Deut-
Erteilen neuer Aufträge auch im Jahre 1970 zügig schen Bundesbahn ist jedoch über derartige Pla-
weiterzuführen. Durch das Hinausschieben der er- nungen der benachbarten Eisenbahnverwaltung
forderlichen Anschlußarbeiten in das Jahr 1971 kann nichts bekannt.
es zu Verzögerungen bei der Fertigstellung im Aus diesen Gründen ist auch die Elektrifizierung
Streckenabschnitt Illertissen—Memmingen-Süd kom- dieser Bahnlinie bislang von der Deutschen Bundes-
men. bahn noch nicht geplant. Außerdem ist nicht zu er-
warten, daß sich die erheblichen Mehrinvestitionen
gegenüber der vorgesehenen Einführung des Die-
selbetriebes rentieren werden .
Anlage 21 Unter der Voraussetzung, daß sich das Bundes-
land Rheinland-Pfalz angemessen an den erheb-
Schriftliche Antwort lichen Mehrinvestitionen gegenüber der vorgese-
henen Verdieselung des Zugbetriebes beteiligt,
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom könnte die Deutsche Bundesbahn im Rahmen der
6. Mai 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abge- verfügbaren Planungs- und Bau-Kapazität dennoch
ordneten Dr. Jobst (Drucksache VI/722 Fragen B 15 eine Elektrifizierung dieser Strecke in Erwägung
und 16) : ziehen.
Trifft es zu, daß die Mittel für den Weiterbau der Autobahn-
teilstrecke Nürnberg—Amberg gesperrt wurden? Die Untersuchungen zum Neuen Ausbauplan für
Wann kann diese Autobahn, die der dringenden besseren die Bundesfernstraßen 1971 bis 1985 im südpfälzi-
verkehrlichen Erschließung des ostbayerischen Grenzlandes
dient, dem Verkehr übergeben werden?
schen Raum haben die Notwendigkeit des dring-
lichen Ausbaues der B 38, eines Teiles der Auto-
Es trifft zu, daß wegen der in Aussicht genomme- bahn Pirmasens—Karlsruhe bei Bad Bergzabern und
nen Sperre von Haushaltsmitteln beim BAB-Neubau eines Teilstückes der linksrheinischen Autobahn im
von den Baumitteln, die 1970 für den Weiterbau der unmittelbaren Grenzbereich bei Lauterburg erge-
Bundesautobahnneubaustrecke Nürnberg—Amberg ben. Daneben wurde auch der Bau der autobahnähn-
investiert werden sollten, über einen Betrag von lichen B 10 und B 38 in diesem Raum in 1. Dringlich-
ca. 10 Millionen DM z. Z. nicht verfügt werden keit eingestuft. Ein über diese Maßnahme hinaus-
kann. gehender Aus- und Neubau der Bundesfernstraßen
Deshalb können erforderliche Anschlußaufträge in der Südpfalz konnte — belegt durch die Unter-
z. Z. nicht erteilt werden. suchungen zum Neuen Ausbauplan — zunächst nicht
vorgesehen werden. Es ist beabsichtigt, den Fern-
Die Autobahnstrecke Nürnberg—Amberg kann straßenbedarf bei der Aufstellung der einzelnen
durchgehend bis zur Anschlußstelle Amberg-West Fünfjahrespläne dieses Ausbauplanes jeweils grund-
voraussichtlich im Jahre 1971 dem Verkehr zur Ver- legend zu überprüfen. Sollten sich die Verkehrsbe-
fügung gestellt werden. ziehungen künftig in einem heute noch nicht er-
kennbaren Ausmaß intensivieren, so können solche
Entwicklungen bei den regelmäßigen Überprüfun-
gen berücksichtigt werden.
Anlage 22 -

Schriftliche Antwort
Anlage 23
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
6. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Abge-
Schriftliche Antwort
ordneten Jung (Drucksache VI/722 Frage B 17):
Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung in diesem Zu- des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
sammenhang einer beschleunigten Elektrifizierung der vorder- 6. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeord-
pfälzischen Eisenbahnlinie Ludwigshafen—Wörth sowie dem be-
schleunigten Ausbau der Bundesstraße 9 und der Autobahnen in neten Dröscher (Drucksache VI/722 Frage B 18) :
diesem Raum bei?
Wird die Bundesregierung, nachdem die Landesregierung auf
die Anfrage des Abgeordneten Landsmann im Landtag Rhein-
Nach Angaben der Deutschen Bundesbahn handelt land-Pfalz geantwortet hat, sie will in Abänderung ihrer frühe-
es sich bei der Strecke Ludwigshafen—Wörth um ren Vorstellung jetzt für die Elektrifizierung der Nahestrecke
eintreten und die entsprechenden Zuschüsse leisten, ihrerseits
eine schwächer belastete, teilweise eingleisige bereit sein, die Nahestrecke zwischen Bingerbrück und Türkis-
Hauptbahn, die weiter von Wörth nach Karlsruhe mühle auch für die Elektrifizierung vorzusehen?

führt. Sie dient überwiegend dem Reiseverkehr und


Nach Angaben der Deutschen Bundesbahn ist die
hat keine überregionale Bedeutung. Die Aufnahme-
Elektrifizierung der Nahestrecke bislang nicht ge-
fähigkeit dieser Verbindung läßt eine erhebliche
plant, weil nach der vorhandenen Verkehrsstruk-
Steigerung des Verkehrsaufkommens zu, bevor eine
tur nicht zu erwarten ist, daß sich die erheblichen
Umstellung auf den elektrischen Zugbetrieb nötig
Mehrinvestitionen gegenüber der Einführung des
wird. Dieselbetriebes rentieren werden. Die Elektrifizie-
Im Hinblick auf den Verkehr mit Frankreich wäre rungskosten dieser Strecke sind durch die umfang-
eine Elektrifizierung dieser Strecke nur dann in Er reichen Tunnelaufweitungen besonders hoch.
2582 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970

Wenn die Landesregierung des Bundeslandes Hat die Bundesregierung keine Bedenken, das Problem der
Fehlbelegung von Sozialwohnungen dadurch lösen zu wollen,
Rheinland-Pfalz nunmehr für die Elektrifizierung daß der Kreis der Anspruchsberechtigten durch Erhöhung der
Einkommensgrenzen erweitert werden soll, wenn die Bundes-
dieser Strecke eintreten und die entsprechenden regierung — ohne Angabe, welche Erhebungen sie zugrunde legt —
Zuschüsse leisten will, könnte die Deutsche Bundes- gleichzeitig angibt, daß nach den heute geltenden Einkommens-
grenzen 14 Millionen Haushalte zu den Berechtigten gehören,
bahn dieses Projekt im Rahmen der verfügbaren während nur rund 5,1 Millionen Sozialwohnungen zur Verfü-
gung stehen?
Planungs- und Bau-Kapazität in Erwägung ziehen,
die erforderlichen Wirtschaftlichkeitsuntersuchun- Es ist nicht die Ansicht der Bundesregierung, daß
gen durchführen und in Finanzierungsverhandlun- das Problem der Fehlbelegung von Sozialwohnun-
gen mit der Landesregierung eintreten. gen durch eine Erweiterung .des im sozialen Woh-
nungsbau wohnberechtigten Personenkreises gelöst
werden kann. Dieses Problem wird, wenn andere
Lösungsmöglichkeiten nicht zu finden sind, am
Anlage 24 ehstndaurcbigoemldrtwn
Schriftliche Antwort können, daß der soziale Wohnungsbau weiterhin
verstärkt betrieben wird. Gerade dies ist auch das
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom Ziel des langfristigen Wohnungsbauprogramms, das
6. Mai 1970 auf .die Schriftlichen Fragen des Abge- jetzt vom Bundeskabinett in seiner Grundkonzeption
ordneten Dr. Müller-Emmert (Drucksache VI/722 gebilligt worden ist.
Fragen B 19 und 20) :
Richtig ist es dagegen, daß die derzeitigen Ein-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Glückwunschtelegramme
an den Europa-Pokalsieger im Hallenhandball, VfL Gummers- kommensgrenzen für den sozialen Wohnungsbau
bach, am Sonntag, dem 26. April, deshalb nicht zugestellt wer- der allgemeinen Einkommensentwicklung der letz-
den konnten, weil in der Kreisstadt Gummersbach mit 46 000
Einwohnern der Telegrammdienst sonntags nur bis 13 Uhr ten Jahre nicht mehr gerecht werden. Eine neue
tätig ist? Abgrenzung , des Personenkreises, der im sozialen
Wie beurteilt die Bundesregierung den Stand des Telegramm- Wohnungsbau förderungsberechtigt ist, ist aller-
und Telefonservice in der Bundesrepublik Deutschland, insbe-
sondere in Gemeinden unter 50 000 Einwohnern? dings auch von einer ausreichenden Mittelbereit-
stellung abhängig und bedingt eine Neugestaltung
Die Telegrafenstelle Gummersbach wird sonntags
des gesamten Förderungssystems. Ziel des lang-
um 13.00 Uhr geschlossen, weil nach dieser Zeit
fristigen Wohnungsbauprogramms ist es, die Förde-
kein Bedürfnis der Bevölkerung mehr vorliegt, das
die weitere Betriebsbereitschaft rechtfertigen würde. rung weitgehend auf besondere Bedarfsschwer-
punkte sozialer und regionaler Art zu konzen-
Trotzdem ist nach Dienstschluß der Telegrafenstelle
trieren. Unter diesen Voraussetzungen besteht da-
die Bevölkerung nicht von der telegrafischen Ver-
sorgung ausgeschlossen. In Gummersbach ist ebenso her kein Anlaß zu der Befürchtung, daß durch eine
wie in über 30 000 anderen Orten der Bundesrepu- etwaige Erhöhung der Einkommensgrenzen der
blik die Möglichkeit gegeben, daß dringende Tele- Kreis der Anspruchsberechtigten in einem woh-
gramme, für die der Absender die doppelte Ge- nungspolitisch unerwünschten Ausmaß erweitert
bühr bezahlt hat, .den Empfängern auch außerhalb werden könnte.
der üblichen Dienstzeiten zugestellt werden.
Ich habe festgestellt, daß am 26. April nach 21 Uhr
durch das Postamt Gummersbach die Zustellung
eines dringenden Glückwunschtelegramms an den Anlage 26
VfL Gummersbach versucht wurde. Die Zustellung
konnte deswegen nicht vorgenommen werden, weil Schriftliche Antwort
kein Empfangsberechtigter des Vereins anzutreffen
des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom
war. Im Laufe der Nacht gingen weitere Tele-
8. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeord-
gramme ein, die alle am nächsten Morgen zugestellt neten Damm (Drucksache VI/722 Frage B 22) :
wurden.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß allein
Die Dienststunden der Telegrafenstellen werden aus dem Wohnungsbestand der städtischen Wohnungsgesell-
unter Berücksichtigung des örtlichen Verkehrsbe- schaften in Hamburg 13 000 Wohnungen von Mieterhöhungen
betroffen werden, die pro qm und Monat 60 Pfennig und mehr
dürfnisses festgesetzt. Die Einwohnerzahl ist dabei ausmachen und auf die Zinserhöhungen in der Folge der
Diskonterhöhung der Deutschen Bundesbank zurückzuführen
nicht entscheidend. Bei besonderen Anlässen wer- sind?
den über die üblichen Dienstzeiten hinaus Dienst-
Ihre Frage vermag ich ohne Kenntnis näherer
bereitschaften eingerichtet.
Einzelheiten nicht ausreichend zu beantworten. Ich
Die Telegramm- und Telefonversorgung ist auch habe daher die für das Wohnungswesen in Ham-
in mittleren und kleinen Gemeinden gesichert. burg zuständige oberste Landesbehörde um Prüfung
und Stellungnahme gebeten. Sobald mir diese vor-
liegt, werde ich Sie unterrichten. Zunächst kann ich
zu Ihrer Frage nur folgendes allgemein ausführen:
Anlage 25 Grundsätzlich ergibt sich bei Mietwohnungen, die
Schriftliche Antwort mit Pfandbriefhypotheken finanziert worden sind,
aus Anlaß der Diskonterhöhung keine Mieterhö-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom hung. Soweit eine Finanzierung durch Hypotheken
8. Mai 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeord- der Sparkassen vorliegt, die in der Regel eine Zins-
neten Bremm (Drucksache VI/722 Frage B 21): gleitklausel vereinbart haben, richtet sich der Hypo-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Mai 1970 2583

thekenzins nicht nach dem Diskontsatz der Bundes- lagen für Besuche, Diskussionen oder Fachkontakte
bank, sondern nach dem Spareinlagenzins. mit Kommunen aus der DDR erteile. Jede Gelegen-
heit, einen Gedankenaustausch herbeizuführen,
Zum Problem der Mieterhöhungen infolge der
solle durch geeignete Formen ermöglicht werden.
Erhöhung des Spareckzinses hat die Bundesregie-
An diesem Standpunkt der Bundesregierung hat
rung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der
FraktiondeCDU/Sbr.Wohnugsaplitk sich nichts geändert. Dabei bleibt es den beteiligten
Städten überlassen, für diese neue Art von Partner-
(Drucksache W572) eingehend Stellung genommen
(siehe Drucksache VI/716). schaften geeignete Formen zu finden, die ermög-
lichen, daß der durch die Partnerschaft gegebene
Rahmen von Möglichkeiten für gegenseitige Be-
suche und fruchtbare Zusammenarbeit tatsächlich
ausgefüllt werden kann. Dies würde dem Ziel der
Anlage 27 Bundesregierung entsprechen, die Konfrontation
in Deutschland abzubauen sowie zu einem geregel-
Schriftliche Antwort ten friedlichen Neben- und Miteinander zu kommen
und deshalb von der Bundesregierung begrüßt und
des Parlamentarischen Staatssekretärs Herold vom im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt werden.
5. Mai 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abge-
ordneten Dr. Haack (Drucksache VI/722 Fragen B
23 und 24) :
Begrüßt die Bundesregierung die Bestrebungen der Stadt
Erlangen, mit der Stadt Jena partnerschaftliche Beziehungen
aufzunehmen? Anlage 28
Wird die Bundesregierung die Stadt Erlangen bei ihren Be-
mühungen unterstützen?
Schriftliche Antwort
Die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich Ver-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Doh-
bindungen zwischen Städten in beiden Staaten in
nanyi vom 6. Mai 1970 auf die Schriftlichen Fragen
Deutschland. Bereits die damalige Bundesregierung
des Abgeordneten Pfeifer (Drucksache VI/722 Fra-
hat durch Richtlinien vom 11. Mai 1966 einen all-
gen B 25 und 26) :
gemeinen Austausch von Meinungen und Erfah-
rungen über Probleme der beiderseitigen Zuständig- Kann die Bundesregierung zusagen, daß die Bundeszuschüsse
für alle in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates „an Bund
keit zwischen Vertretern von Kommunen oder Be- und Länder zur Bereitstellung von Investitionsmitteln für die
wissenschaftlichen Hochschulen und sonstigen wissenschaftlichen
hörden aus beiden Teilen Deutschlands fördern wol- Einrichtungen im Jahre 1970" vom 31. Januar 1970 genannten
len. Dabei war in erster Linie daran gedacht, füh- Bauvorhaben der Universität Tübingen im Jahre 1970 bereit-
gestellt werden?
rende Vertreter von Städten aus der Bundesrepu-
Fällt von den für die Universität Tübingen vorgesehenen
blik Deutschland und der DDR zu Gesprächen über Bundeszuschüssen ein Teil unter die sogenannte Konjunktur-
gemeinsam interessierende Fragen wie Stadtpla- sperre, und welche Bauvorhaben wären gegebenenfalls davon
betroffen?
nung, Schul- und Straßenbau usw. zusammen zu füh-
ren. Nach dem Ergebnis der Verhandlung über die
Bereitstellung der Hochschulbaumittel des Bundes
Städtepartnerschaften sind in vielfältiger Form
im Haushaltsjahr 1970 am 29. April 1970 in Stutt-
vorhanden und denkbar. Sie dienen der gegenseiti-
gart kann dazu gesagt werden, daß die von Baden-
gen Hilfe und der Verständigung zwischen den
Württemberg für die Universität Tübingen bean-
Menschen. Im internationalen Bereich führen sie zu-
tragten Mittel entsprechend den Empfehlungen des
gegenseitigen Besuchen von Jugendgruppen, Sport-
Wissenschaftsrates voll zur Verfügung gestellt wer-
verbänden, Schulklassen und anderen Vereinen und
den.
setzen einen ausdrücklichen Beschluß der beteilig-
ten Gemeindevertretungen voraus. Für die Bundes- Die für Kap. 31 02 Tit. 882 01 ausgesprochene —
regierung hat bereits am 9. Januar 1968 der damalige im übrigen betragsmäßig nicht aufgegliederte —
Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Herbert „Konjuktursperre" wirkt sich daher nicht auf die
Wehner, vor den kommunalen Spitzenverbänden Bereitstellung der Bundesmittel 1970 für Vorhaben
ausgeführt, daß die Bundesregierung keine Auf der Universität Tübingen aus.

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