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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
56. Sitzung
Inhalt:
Zusatzfragen Anlage 2
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5444 C Mündliche Fragen 4 und 5
Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5444 D Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Dienstrechtliche Beurteilung der öffentli-
Mündliche Frage 23 chen Übernahme einer „Patenschaft“ für
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ ein Feld mit gentechnisch verändertem
DIE GRÜNEN) Mais durch den Leiter des molekularbiolo-
gischen Zentrums der Bundesforschungs-
Finanzierungszusagen für den Studien-
anstalt für Ernährung und Landwirtschaft
platzkapazitätsaufbau nur bis zum Jahr
und mögliche Folgen für die wissenschaftli-
2010 und deren Höhe im Vergleich zu dem
che Unvoreingenommenheit der Bundes-
vom Wissenschaftsrat errechneten Finanz-
forschungsanstalt
bedarf
Antwort
Antwort
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5463 B
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5445 B
Zusatzfragen
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Anlage 3
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5445 C
Mündliche Fragen 10 und 11
Werner Dreibus (DIE LINKE)
Zusatztagesordnungspunkt 1: Durchschnittlicher Verdienst des Vor-
standsvorsitzenden eines DAX-Unterneh-
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion mens im Vergleich zum Arbeitnehmer;
der FDP: Finanzielle Folgen für Beitrags- Auswirkungen großer Einkommensunter-
zahler und Patienten bei Verwirklichung schiede auf den sozialen Frieden
des von der Koalition vorgelegten Gesetzes
zur Gesundheitsreform Antwort
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär
Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . . 5446 C BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5463 C
Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5446 C
Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 5449 A Anlage 4
Ulla Schmidt, Bundesministerin Mündliche Frage 20
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5449 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
(CDU/CSU)
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5451 C Grundsatzbeschluss gemeinsam mit Däne-
mark für den Bau der 20 Kilometer langen
Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5452 D
Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach
Dr. Konrad Schily (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 5453 D Rødby noch im Jahr 2006
(A) (C)
Redetext
56. Sitzung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schaft sieht heute schon viel erfreulicher aus als vor ei-
Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! nem halben Jahr.
Die Sitzung ist eröffnet.
Das wurde durch das zusätzliche Engagement aller
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Beteiligten möglich. Ich möchte mich herzlich bei allen
Betrieben bedanken, die Ausbildungsplätze angeboten
Befragung der Bundesregierung haben, aber natürlich auch bei den vielen Mitarbeitern
der Kammern, die Klinkenputzen gegangen sind und so
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
Ausbildungsplätze eingeworben haben. Dank dieses En-
binettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Lage auf dem
gagements konnte ein Großteil der Bewerber – wir hat-
Ausbildungsmarkt.
ten einen Zuwachs um 22 000 zu verzeichnen – versorgt
Das Wort für den einleitenden Bericht von fünf Minu- werden. Wir verfügen noch über ein erhebliches Poten-
ten erteile ich dem Bundesminister für Wirtschaft und zial an ungenutzten Möglichkeiten. Knapp 50 000
(B) Technologie, Michael Glos. noch unversorgten Bewerbern stehen weit mehr als (D)
60 000 Angebote zur Verfügung, wobei ich hinzufügen
muss, dass sich die 60 000 Angebote nicht ausschließ-
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und lich auf die betriebliche Ausbildung beziehen, sondern
Technologie: auch Schulungsmaßnahmen beinhalten.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Bundeskabinett hat sich heute, wie Sie rich- Kurzfristig geht es um die Unterstützung der Nachver-
tig gesagt haben, unter anderem mit der Situation auf mittlung im bevorstehenden so genannten fünften Quar-
dem Ausbildungsmarkt beschäftigt. Auch der Lenkungs- tal des Ausbildungsjahres. Viele Jugendliche konnten
ausschuss des Nationalen Paktes für Ausbildung und ihre Lehrstelle nicht antreten oder brachen ihre Ausbil-
Fachkräftenachwuchs hat am Montag sehr intensiv über dung ab, weil sie feststellten, dass sie sich falsch ent-
dieses Thema beraten. schieden haben. Jetzt besteht also die Gelegenheit – mehr
Mobilität vorausgesetzt –, einen Ausbildungsplatz zu fin-
Die Lage ist wesentlich besser, als sie in der Presse den.
zum Teil dargestellt wird. Allerdings sehe ich sie noch
nicht als zufriedenstellend an. Auf der einen Seite gibt es Ziel ist nach wie vor, allen ausbildungsfähigen und
zwar deutlich mehr Angebote und Ausbildungsverträge -willigen Jugendlichen ein Angebot zu machen anzubie-
als im Vorjahr. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ten und die Zahl der unvermittelten Bewerber bis zum
mehr unversorgte Bewerber, weil die Zahl der Bewerber Jahresende deutlich zu reduzieren. Das ist ein ehrgeizi-
aufgrund der vielen Altfälle stärker angestiegen ist. ges, aber realistisches Ziel. Voraussetzung ist, dass alle
mit ganzer Kraft ihren Beitrag dazu leisten: die Betriebe
Die Wirtschaft hat die im Ausbildungspakt gegebenen und Wirtschaftsverbände, die Kammern und Arbeits-
Zusagen in 2006 mehr als erfüllt. 30 000 neue Ausbil- agenturen, aber natürlich auch Bund und Länder sowie
dungsplätze und 25 000 EQJ-Plätze wurden zugesagt. jeder, der sich dazu in der Lage sieht.
Tatsächlich wurden 55 800 neue Ausbildungsplätze ein-
geworben und 32 600 Plätze für betriebliche Einstiegs- Seitdem ich Bundesminister für Wirtschaft und Tech-
qualifizierungen zur Verfügung gestellt. Damit wurden nologie bin, weise ich bei jeder Rede, insbesondere vor
die versprochenen Zahlen übertroffen. Trotz schwieriger Vertretern der Verbände, zuletzt gestern beim VDMA,
Beschäftigungslage konnten also mehr Ausbildungs- der einer der größten deutschen Wirtschaftsverbände ist,
plätze angeboten werden. Das zeigt, dass die kräftige auf die Notwendigkeit der betrieblichen Ausbildung so-
konjunkturelle Erholung inzwischen auch am Arbeits- wie auf die Tatsache hin, dass dem Auszubildenden-
markt angekommen ist. Die Perspektive für die Wirt- bzw. Lehrlingsberg wieder ein Tal folgt, sodass die
5422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Alexander Dobrindt
(A) Wirtschaftsminister persönlich, hat in hohem Maße neue Ich bin der Meinung, dass wir noch bei einer Reihe (C)
Ausbildungsplätze eingeworben. Aber nicht nur die Be- von Berufen zu einer verkürzten Ausbildung von zwei
triebe und der Mittelstand, auch der Deutsche Bundes- Jahren kommen müssen. Dabei soll modulartig aufein-
tag, die Fraktionen, haben Initiativen gestartet. Die Ab- ander aufgebaut werden und sich stärker immer wieder
geordneten waren unterwegs, um für zusätzliche auf ein bestimmtes Modul konzentriert werden können,
Ausbildungsplätze zu werben. Dass diese gemeinsamen wodurch der Übergang – das bezieht sich auch auf die
Bemühungen Früchte getragen haben, ist eine hervorra- Anrechnung – zu weiterführenden Bildungseinrichtun-
gende Leistung, die man hier durchaus erwähnen kann. gen ermöglicht wird. Die Ausbildung muss natürlich mit
den Veränderungen in der Wirtschaft und dem Bedarf
Wir haben in der letzten Wahlperiode gemeinsam der Wirtschaft einhergehen; denn der Sinn der Ausbil-
– Kollege Willi Brase, die SPD, die Unionsfraktion – das dung besteht ja auch darin, dass man anschließend einen
Berufsbildungsgesetz novelliert. möglichst sicheren Arbeitsplatz erhält.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Was ist mit der rot-grünen Koali- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tion?) Das Wort hat der Kollege Patrick Meinhardt.
Wir haben in diesem Zusammenhang eine gestufte Aus-
bildung in allen Ausbildungsberufen vorgesehen. Wir Patrick Meinhardt (FDP):
wollten dadurch einen Ausbildungsweg schaffen, der es Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben vorhin die Be-
theorieschwächeren Jugendlichen ermöglicht, einen deutung gerade auch der Ausbildungsverbünde hervor-
Ausbildungsstand zu erreichen, auf den in einer weiteren gehoben. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage.
Stufe mehr Theorie aufgesetzt werden kann, bis der Ju- Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat das
gendliche den geltenden Ausbildungsstandard erreicht. Eckpunkteprogramm „5000 Plus“ vorgelegt mit dem
Wir haben darum gebeten, alle Ausbildungsberufe da- Ziel, insbesondere die überbetriebliche Ausbildung zu
raufhin zu überprüfen, ob so etwas machbar ist. Wir sind stärken. Meine erste Frage lautet: Auf welche Resonanz
da auf einem sehr guten Weg: Fast 60 Prozent der Aus- stößt dieses Programm bei der Bundesregierung? Wenn
bildungsberufe sind inzwischen überprüft; bei einer gan- unsere Informationen richtig sind, hat es dazu schon ein
zen Reihe haben wir das schon umgesetzt. Fachgespräch gegeben, das bislang bedauerlicherweise
folgenlos geblieben ist.
Meine Frage in diesem Zusammenhang: Herr Minis-
ter, sehen Sie schon Erfolge bei den verkürzten, „abge- In diesem Zusammenhang stelle ich noch eine Ergän-
speckten“ Ausbildungsordnungen? Werden zusätzliche zungsfrage. Es gibt einen erheblichen Modernisierungs-
(B) Lehrstellen, gerade für theorieschwächere Jugendliche, bedarf, insbesondere bei den überbetrieblichen Ausbil- (D)
angeboten oder glauben Sie, dass wir hier ein Gesetz auf dungsstätten, in einer Höhe von ungefähr 40 Millio-
den Weg gebracht haben, das wenig erfolgreich ist? Ich nen Euro. Inwieweit sehen Sie es als notwendig an, in-
denke, Sie können unter Umständen schon gute Bei- nerhalb der nächsten zwölf Monate deutlich mehr Maß-
spiele nennen. nahmen für überbetriebliche Ausbildungsstätten in die
Wege zu leiten und damit auch mehr Ausbildungsmög-
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und lichkeiten zu schaffen?
Technologie: Vielen Dank.
Herr Kollege Dobrindt, zum Ersten bedanke ich mich
vor allem dafür, dass Sie mich daran erinnert haben, dass Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
ich allen Anlass habe, den Kolleginnen und Kollegen Technologie:
des Deutschen Bundestages, die selbst tätig geworden
Nach meiner Information hat das Fachgespräch statt-
sind – nicht für den Bundeswirtschaftsminister, sondern
gefunden, allerdings nicht auf meiner Ebene. Daher kann
für die Jugendlichen, die Ausbildungsplätze brauchen –,
ich Ihnen natürlich nicht über alle Einzelheiten des Ge-
zu danken. Ich finde, es ist auch Aufgabe eines Volks-
sprächs berichten; es wird ausgewertet.
vertreters, dass er den Wählerinnen und Wählern vor Ort
hilft. Wir haben regional, insbesondere in den struktur- Wir werden bei den Haushaltsberatungen – ich gehe
schwächeren Gebieten, oft große Probleme. Dort zählt anschließend in den Haushaltsausschuss – auch für ein
ein Ausbildungsplatz praktisch doppelt. neues Programm werben, das wir auflegen wollen, wenn
der Deutsche Bundestag dies genehmigt, damit in den
Zum Zweiten arbeitet mein Haus zusammen mit dem Kammern mehr Leute angestellt werden – dies soll auch
Bundesministerium für Bildung und Forschung immer mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert
wieder an neuen Ausbildungsordnungen. Wir haben eine werden und die von Ihnen angesprochenen Verbünde vo-
Reihe neuer Berufsbilder kreiert. Daneben haben wir rangebracht werden. Der Kontakt zwischen dem Hand-
Ausbildungszeiten von drei Jahre auf zwei Jahre herab- werk, also der Praxis, und meinem Haus ist an sich sehr
gesetzt. Ich habe mich aber vor Ort davon überzeugt, gut.
dass es teilweise nicht genügend Bewerber für die neuen
Berufsbilder gibt. Deswegen haben wir noch einmal für Es gibt allerdings ein Problem. Man sorgt sich schon
die Ausbildung in diesen neuen Berufsbildern geworben. jetzt ein Stück weit um die Zeit, wenn die geburten-
Wir fordern natürlich die Kammern und die Verbände schwächeren Jahrgänge die Schule verlassen; das finde
der Wirtschaft auf, auch darauf hinzuwirken. ich auch richtig so. Wenn jetzt zu viele Bildungseinrich-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5425
Bundesminister Michael Glos
(A) tungen geschaffen werden, wird zwischen diesen Ein- ber mit einem Schulabschluss in diesem Jahr übersteigt. (C)
richtungen quasi eine Konkurrenz um die Ausbildung Hier ist die Frage, wer überhaupt noch einen Ausbil-
der Jugendlichen ausbrechen. Ich bin der Meinung, dass dungsplatz will. Möglicherweise wurde schon ein Stu-
die praxisnahe Ausbildung in den Ausbildungseinrich- dium begonnen oder hat man sich für einen anderen Weg
tungen der Kammern immer noch Priorität haben muss. entschieden. Diese Zahlen, die nur auf der regionalen
Ebene abgefragt werden können, sind bisher nicht ver-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: fügbar. Ich weiß von den Bemühungen meiner Kollegin
Jetzt fragt die Kollegin Nicolette Kressl. Schavan, dies bis zum Frühjahr aufzuarbeiten.
Rita Pawelski
(A) stärker zu unterstützen, damit auch sie ihre Fähigkeiten Bundesminister für Wirtschaft. Zur Wirtschaft gehören (C)
beweisen können? für mich in allererster Linie die Verbraucherinnen und
Verbraucher wie auch die Arbeitnehmerinnen und Ar-
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und beitnehmer, egal ob sie organisiert sind oder nicht.
Technologie: Selbstverständlich sind auch die Funktionäre der organi-
Ich kann das nur bejahen. Dabei sind auch die einzel- sierten Arbeitnehmer Teil der Wirtschaft.
nen Berufsverbände stark gefordert. Es gibt schon Aus- Die Gewerkschaften haben sich selbst aus dem Pakt
bildungsmöglichkeiten, die auf einem niedrigeren Level ausgeschlossen, was ich persönlich bedauere. Diese
ansetzen und eine kürzere Dauer vorsehen. Dabei ist es Weichenstellungen sind aber schon vor meiner Zeit er-
aber wichtig, dass sie stärker moduliert werden, dass das folgt.
angerechnet wird und dass darauf aufbauend eine Aus-
bildung angeboten wird, in der die Theorie stärker be- Sie haben ein weiteres Thema angesprochen, nämlich
rücksichtigt wird. dass zu Zeiten, als sich die Konjunktur gut entwickelt
hat, im Handwerk gut ausgebildete Fachkräfte von grö-
ßeren Firmen und Konzernen abgeworben worden sind,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
die selbst nicht ausgebildet haben. Das war ein Ärgernis.
Die nächste Frage stellt der Kollege Diether Dehm.
Aber Sie können die Unternehmen nicht mit staatlichen
Maßnahmen dazu zwingen auszubilden. Oft hat sich der
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Bedarf verändert bzw. erst ergeben. Es gibt auch große
Herr Bundesminister, ich hatte den Eindruck, dass die Firmen – oder Konzerne, wie Sie es ausdrücken –, die in
Fragen sowohl des Kollegen Willi Brase als auch der der Ausbildung vorbildlich sind. Es gibt allerdings auch
Kollegin Nele Hirsch nicht zufriedenstellend beantwor- welche, die noch mehr tun könnten.
tet worden sind. Bei einigen Gelegenheiten ist mir auf-
gefallen, dass Sie, wenn Sie von der Wirtschaft spre-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
chen, offensichtlich nur die Arbeitgeberseite meinen.
Denn auf der einen Seite fordern Sie von uns, den Lin- Die nächste Frage hat der Kollege Ernst Dieter
ken, mit den Gewerkschaften zu reden, und auf der ande- Rossmann.
ren Seite sagen Sie, wir sollten die Wirtschaft nicht ver-
ärgern. Ist nicht die Angst vor der Verärgerung der Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Wirtschaft, in diesem eng gefassten Begriff, eine Ursa- Frau Sager hat auf die aktuellen Haushaltsberatungen
che dafür, dass wir hinsichtlich der Arbeitslosigkeit in abgehoben. Ich will mir dazu nur die kleine Bemerkung
die derzeitige Lage geraten sind? Das ist aber nicht gestatten: Als Rot-Grün zusammen war, haben wir die
(B) meine eigentlich Frage. Ich bitte Sie nur, mit der Sensi- Mittel für die Berufsbildung tatsächlich erhöht. Aber es (D)
bilität, die Ihnen zu Eigen ist, darüber nachzudenken, ob gibt ja immer zwei Wege, wie wir an diese Mittel kom-
der Begriff Wirtschaft nicht auch auf die Arbeitnehme- men können: Das ist der Bundeshaushalt und das ist die
rinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften aus- Bundesagentur für Arbeit, die hier in der Solidarität von
gedehnt werden soll. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen sehr aktiv ist.
Man muss beides zusammen sehen.
Wir beide sind ja Mittelständler. Mit einem entspre-
chenden Empfinden. Ich unterstelle Ihnen bei Ihrem Ap- Meine Frage richtet sich auf etwas anderes, nämlich
pell, freiwillig auszubilden, Gutgläubigkeit. Denn wir darauf, dass im „Handelsblatt“ jüngst berichtet wurde,
beide haben bei ähnlichen Appellen in der Vergangen- dass es einen Zuwachs von jungen Menschen mit Abitur
heit zugesagt, darüber nachzudenken, und dann haben im Bereich der dualen Ausbildungsverhältnisse gibt, und
wir auch ausgebildet. Das haben auch viele andere zwar aufgrund der Studiengebühren, die diese jungen
kleine und mittelständische Unternehmer getan. Dann Menschen vielleicht davon abhalten könnten, ein Hoch-
aber haben die Konzerne sozusagen die Sahne von der schulstudium anzutreten. Wie schätzen Sie das ein, dass
Milch geschöpft. Was die Konzerne angeht, erscheint wir nicht nur eine große Gruppe von Altbewerbern ha-
der Appell, selbst auszubilden, in manchen Fällen wie ben, sondern auch in die Gefahr geraten könnten, eine
eine Aufforderung an den Marder im Blutrausch, sich große Gruppe von verdrängten Jugendlichen mit Haupt-
freiwillig eine Maulsperre einzuziehen. Ich finde, dass und Realschulabschluss zu bekommen, die keinen Zu-
der Staat viel zu wenig in seinem Instrumentenköffer- gang zu dem knapper werdenden Gut der dualen Ausbil-
chen hat, um uns Mittelständler ständig Vorhaltungen zu dungsverhältnisse mehr haben werden? Was kann darauf
machen. Darin sind wir uns einig. Aber sollten wir nicht eine Antwort sein, die seitens der Bundesregierung in
bei den Konzernen etwas mehr staatlichen Zwang an- konzertierter Aktion gegeben wird?
wenden?
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Technologie: Ich habe den gleichen Artikel gelesen, den auch Sie
Vielen Dank, Herr Kollege. Sie geben mir durch Ihre gelesen haben. Es kann durchaus sein, dass es immer
Bemerkungen Gelegenheit, meine Wirtschaftsphiloso- wieder Veränderungen bei den Absichten gibt, wie man
phie darzulegen. Ich betrachte mich nicht als Bundes- sich beruflich orientiert, auch nach dem Abitur. Die Abi-
minister der Wirtschaft – wie es beispielsweise einen turzeugnisse fallen ja unterschiedlich aus. Es gibt Aus-
Bundesminister der Verteidigung gibt –, sondern als bildungsberufe im dualen System, die auch für Abituri-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5427
Bundesminister Michael Glos
(A) enten durchaus interessant sind. Es ist immer die eigene Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C)
Lebensentscheidung derjenigen oder desjenigen, in wel- minister des Innern:
che Richtung sie oder er sich orientiert. Wie Ihnen bekannt ist, Herr Kollege, werden die Ak-
tivitäten – nicht nur die Wahlkampfaktivitäten – von be-
Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die bis- stimmten rechtsextremen und anderen Parteien von den
her geforderten Studiengebühren – es gibt dafür ja auch dafür vorgesehenen Einrichtungen beobachtet. Das sind
Darlehensmöglichkeiten der KfW usw. – dauerhaft je- die Informationsquellen, die auch dem Bundesministe-
manden davon abhalten, zu studieren, wenn er die Ab- rium des Innern zur Verfügung stehen.
sicht und die Qualifikation hat, einen akademischen Be-
ruf zu ergreifen, und dass er dann aus diesem Grund in
das duale System wechselt. Aber dieses Verhalten müs- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sen wir sicherlich in Zukunft beobachten und dann die Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
nötigen Konsequenzen, falls es so ist, daraus ziehen. ministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Ver-
fügung.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vielen Dank. – Damit beende ich die Befragung der Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Klaus Ernst
Bundesregierung. Fragen zu anderen Themenbereichen auf:
sehe ich nicht. Wie steht die Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative,
die eine Managerhaftung vorsieht, die sich an der entspre-
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: chenden Gesetzgebung in den USA und Großbritannien orien-
tiert?
Fragestunde
Bitte, Herr Staatssekretär.
– Drucksache 16/2923 –
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht desministerin der Justiz:
der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier be- Herr Kollege Ernst, die von Ihnen angesprochene Ge-
reit. setzesinitiative ist der Bundesregierung bislang nicht be-
kannt, mögen einzelne Diskussionsbeiträge auch in diese
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dr. Diether Dehm Richtung gehen. Diejenigen, die eine Übernahme von
auf: US-amerikanischen oder englischen Managerhaftungs-
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die enor- modellen fordern, übersehen, dass der Vorstand einer
(B) men Unterschiede im Einkommen von Vorstandsmitgliedern deutschen Aktiengesellschaft nach § 93 des Aktiengeset- (D)
einerseits und übrigen Angestellten andererseits von rechtsex- zes bereits – ähnlich wie das Board of Directors in den
tremen Parteien benutzt werden, wodurch Rechtsradikalismus Vereinigten Staaten – bei Verletzungen von Treue- oder
sowie der Einzug rechtsextremer Parteien in verschiedene
Landtage in Deutschland befördert werden?
Sorgfaltspflichten, die ihm gegenüber der Gesellschaft
obliegen, auf Schadensersatz haftet. Die Möglichkeiten
in den USA und in Großbritannien, die Haftung durch
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- vertragliche Vereinbarungen mit der Gesellschaft von
minister des Innern: vornherein oder im Nachhinein einzuschränken, sind
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, aber im deutschen Recht – anders als im amerikanischen
Herr Abgeordneter Dehm, wonach rechtsextreme Par- Recht – deutlich begrenzt.
teien eine Diskrepanz der Bezüge von Vorstandsmitglie-
dern und Angestellten thematisiert hätten. Soweit uns Mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Mo-
bekannt ist, gehörte dies jedenfalls auch nicht zu den dernisierung des Anfechtungsrechts, dem so genannten
Wahlkampfschwerpunkten dieser Parteien in denjenigen UMAG, wurde im letzten Jahr zudem die Durchsetzung
Bundesländern, in denen sie den Einzug in den Landtag von Haftungsansprüchen erleichtert. Nach § 148 Abs. 1
in letzter Zeit geschafft haben. Sofern Ihnen, Herr Kol- des Aktiengesetzes ist es einer Aktionärsminderheit, die
lege, jedoch Erkenntnisse über entsprechende Vorge- zusammen über 1 Prozent des Grundkapitals oder An-
hensweisen von rechtsextremen oder auch von links- teile zum Nennbetrag in Höhe von 100 000 Euro ver-
extremen Parteien vorliegen sollten, sind wir gerne fügt, nunmehr möglich, eine Klage beim Landgericht
bereit, entsprechenden Hinweisen nachzugehen. einzureichen mit dem Ziel, Ersatzansprüche der Gesell-
schaft gegen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder
oder gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder im
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: eigenen Namen geltend zu machen. Hat die Aktionärs-
Herr Dr. Dehm, eine Zusatzfrage. minderheit mit ihrem Antrag Erfolg, kann sie bei Kos-
tenübernahme durch die Gesellschaft – das steht in § 148
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Abs. 6 des Aktiengesetzes – den Haftungsanspruch ge-
gen den Vorstand selbst und im eigenen Namen sowie
Auf welche Empirie, außer auf die Wahlkampfveröf- mit ihrem eigenen Anwalt durchsetzen.
fentlichungen dieser Parteien, stützen Sie denn die Aus-
sage, dass Ihnen dazu keine Erkenntnisse vorliegen? Durch die deutliche Herabsetzung der Schwelle des
Den Punkt mit den Linksextremen habe ich jetzt einmal notwendigen Anteilsbesitzes zur Zulässigkeit der Klage
überhört. ist es den institutionellen Anlegern sowie größeren Pri-
5428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Unabhängig von der Zuständigkeit der Länder gibt es Herr Staatssekretär, mich interessiert, inwieweit es
den Bildungsbericht der Bundesregierung. In einer Vor- zutrifft, dass es in der Koalition Überlegungen gab, den
studie dazu ist dringend angemahnt worden, sich dem Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe im Weißbuch des
Thema Nachhilfe zuzuwenden. Warum spielt das Thema Bundesministeriums der Verteidigung festzuschreiben.
Nachhilfe im Bildungsbericht der Bundesregierung Falls es diese Überlegungen tatsächlich gab: Warum
keine Rolle? wurde dies verworfen?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Bundesminister der Finanzen: desminister der Verteidigung:
Frau Kollegin, diese Frage kann ich Ihnen nicht be- Herr Kollege Bonde, Sie stellen eine Frage, die
antworten, weil das Bundesministerium der Finanzen für grundsätzlich mit der Frage, die ich im Anschluss zu be-
den Bildungsbericht der Bundesregierung nicht zustän- antworten habe, zusammenhängt, Stichwort: Weißbuch.
5430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Alexander Bonde
(A) Wie hätten Sie persönlich als Mitglied eines Landespar- noch in Afghanistan noch im Kongo noch im Libanon. (C)
lamentes reagiert, hätte Ihnen die Landesregierung in ver- Sie sehen also, dass sich im Hinblick auf die Aufgaben-
gleichbarer Situation mitgeteilt, dass sie die Darlegung wahrnehmung viel verändert hat. Daher finde ich es gut,
ihrer Vorgehensweise bei einem Sachverhalt, der beson- wenn die Bundesregierung eine sicherheitspolitische
dere Parlamentsaffinität hat, so lange verweigert, bis die Standortbestimmung vornimmt sowie die Zukunft der
Regierung diesbezüglich etwas beschließt? Finden Sie Bundeswehr beschreibt und wenn darüber – selbstver-
nicht, dass Sie an dieser Stelle mit dem Parlament etwas ständlich nach der Verabschiedung – im Parlament de-
offener hätten kommunizieren können? battiert wird.
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gung: Eine Frage des Kollegen Wolfgang Gehrcke.
Herr Abgeordneter, angesichts der Art, wie der eine
oder andere Abgeordnete über dieses Thema spricht, Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
habe ich nicht den Eindruck, dass dieses Thema nicht of- Herr Minister, meinen Sie nicht auch, dass es besser
fen kommuniziert wird. Ein Vergleich mit der Landes- wäre, wenn man zuerst eine öffentliche Debatte führen
politik ist gerade bei einer solchen bundespolitischen würde, in der sich alle Beteiligten, inklusive der Abge-
Frage schwer anzustellen. ordneten, äußern können, wenn in der Gesellschaft zu-
Ich will unterstreichen, dass es – nach meiner Erinne- erst ein wirklicher Disput darüber stattfinden würde und
rung – seit 1969 Praxis ist, dass die Bundesregierung in die Bundesregierung am Ende dieses öffentlichen Pro-
zeitlichen Abständen zur Sicherheitspolitik Deutsch- zesses, wenn die Meinungen bekannt sind, zu einer Be-
lands und zur Zukunft der Bundeswehr ein Weißbuch wertung, zu einem Urteil kommen und das Weißbuch
verabschiedet und dass über dieses Dokument der Bun- vorlegen würde? So laufen Sie doch Gefahr, dass andere
desregierung im Parlament eine Debatte stattfindet. versuchen, das, was Sie vorlegen, wieder zu verändern.
Diese sachliche Form der inhaltlichen Auseinanderset- Das wird Ihnen nicht erspart bleiben. Ihr Weg ist nicht
zung wird einer Parlamentsarmee gerecht. transparent und die Debatten werden nicht konstruktiv
sein.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Eine Frage der Abgeordneten Birgit Homburger. Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:
Herr Abgeordneter, ich denke, es ist sinnvoll, das bei-
Birgit Homburger (FDP):
zubehalten, was in der Bundesrepublik Deutschland
Herr Minister, ich möchte direkt an das anschließen,
(B) schon eine gewisse Tradition hat, nämlich, dass zunächst (D)
was Sie gerade gesagt haben. Das Weißbuch ist ein au-
einmal in der Bundesregierung ein Konsens hergestellt
ßen- und sicherheitspolitisches Grundsatzdokument. Seit
wird, dass dann von der Bundesregierung ein Weißbuch
1994 – Sie haben darauf hingewiesen, dass in diesem
verabschiedet wird und anschließend eine parlamentari-
Jahr das letzte Weißbuch von einer Regierung vorgelegt
sche Debatte und ein öffentlicher Disput darüber stattfin-
wurde – hat sich etliches erheblich geändert. Bei der
den. Sinn und Zweck des Weißbuchs ist, dass wir uns
Bundeswehr gab es mehrere Strukturreformen. Vor die-
mit den sicherheitspolitischen Themen öffentlich noch
sem Hintergrund haben Sie selbst immer wieder öffent-
etwas stärker auseinander setzen. Das halte ich für not-
lich geäußert, dass es einen dringenden Diskussionsbe-
wendig und wichtig. Deshalb wünsche ich mir, dass wir
darf inhaltlicher Art gibt. Deshalb habe ich folgende
nach der Verabschiedung durch die Bundesregierung
Frage an Sie: Warum wird die Diskussion nicht vor der
eine sicherheitspolitische Debatte führen können.
Verabschiedung des Weißbuchs durch die Bundesregie-
rung hier im Parlament geführt? Es macht doch keinen
Sinn, etwas zu verabschieden und es anschließend dem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Parlament vorzulegen. So können Sie Ihrem eigenen An- Eine Frage des Kollegen Königshaus.
spruch, das Parlament und die Öffentlichkeit in eine Dis-
kussion einzubinden, nicht gerecht werden. Hellmut Königshaus (FDP):
Herr Bundesminister, unabhängig von der Art der
(Beifall bei der FDP)
Entscheidungsfindung frage ich: Wie ist denn nun – da-
rauf bezog sich die ursprüngliche Frage des Kollegen
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- Bonde – Ihre persönliche Haltung zu einem möglichen
gung: Einsatz der Bundeswehr im Innern?
Frau Abgeordnete, ich denke, dass wir diesem An-
spruch gerecht werden können. Es ist selbstverständlich
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
unsere Absicht – das kann ich unterstreichen –, infolge
gung:
dieses Weißbuchs eine sicherheitspolitische Debatte zu
Ich weiß nicht, inwiefern die Fragestunde das weiter
führen. Es handelt sich um ein Dokument der Bundesre-
trägt. Ich will Ihnen nur sagen, dass wir im Rahmen der
gierung, über das im Parlament natürlich diskutiert wird.
Koalition eine klare Vereinbarung getroffen haben, die
In einem Punkt kann ich das, was Sie gesagt haben, lautet, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesver-
nur unterstützen. 1994 gab es noch keine Auslandsein- fassungsgerichtes zum Luftsicherheitsgesetz gegebenen-
sätze, weder auf dem Balkan noch am Horn vor Afrika falls Klarstellungsbedarf im Hinblick auf eine grundge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5433
Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
(A) setzliche Änderung besteht. Das bezieht sich auf die Dr. Werner Hoyer (FDP): (C)
Luft- und Seesicherheit. Dieser Punkt wird federführend Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe noch eine Nach-
vom Bundesinnenminister – er ist für eine Verfassungs- frage zur Konsistenz der Argumentation, Herr Minister.
änderung zuständig – bearbeitet. Ich gehe davon aus, Ich habe Verständnis für den Anspruch der Bundesregie-
dass wir hier noch innerhalb dieses Jahres eine entspre- rung, dass sie im eigenen Verantwortungsbereich zu-
chende Initiative vorlegen können. nächst einmal ihre Haltung zum Weißbuch definiert und
es dann erst dem Parlament vorlegt. Aber ist es konsis-
(Hellmut Königshaus [FDP]: Ich habe nach Ih- tent, dem Parlament und übrigens auch dem Ausschuss
rer Haltung gefragt!) die Auseinandersetzung über diese Fragen zu verwei-
– Die habe ich Ihnen doch gerade deutlich gemacht. gern, wenn gleichzeitig seit heute Morgen um 8.31 Uhr
auf der Internetseite der Zeitung „Die Zeit“ der kom-
(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das sind keine plette neue Text des Weißbuches steht?
Fragen zur Ausgangsfrage! Das ist eine allge-
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie
meine Debatte! – Gegenruf des Abg. Jürgen
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Koppelin [FDP]: Darüber entscheidet die Prä-
GRÜNEN – Jürgen Koppelin [FDP]: Hört!
sidentin und nicht ein Abgeordneter der Koali-
Hört!)
tion!)
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
ein Einsatz beispielsweise zur Abwehr terroristischer Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
Angriffe aus der Luft möglich ist, aber dass dafür nach gend:
Art. 35 des Grundgesetzes keine militärischen Mittel
Sehr geehrte Frau Präsidentin, Frau Kollegin
eingesetzt werden dürfen. Nun hat das Bundesverfas-
Haßelmann, mit Ihrer Erlaubnis beantworte ich Ihre bei-
sungsgericht es auch als zulässig angesehen, dass zum
den Fragen aufgrund des Sachzusammenhangs gemein-
Beispiel unbemannte oder nur mit Terroristen besetzte
sam.
Flugzeuge abgeschossen werden dürfen. Das geht mit
polizeilichen Mitteln nicht. Deshalb ist, glaube ich, eine
grundgesetzliche Änderung notwendig. Dann können in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Zukunft zum Schutz der Bevölkerung und zur Abwehr Dann rufe ich auch noch die Frage 9 der Kollegin
derartiger Angriffe die Fähigkeiten der Bundeswehr ein- Haßelmann auf:
gesetzt werden. Das betrifft die Luft- und Seesicherheit. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Koordi-
Darüber haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung nierungsinstrumente oder -prozesse der Länder in Fragen des
verständigt. Ich meine, dass wir das Grundgesetz in die- Heimrechts, die darauf abzielen, dass auch bei der zukünfti-
ser Richtung ändern sollten. gen Ausgestaltung der Länderheimgesetze Standards nicht zu
sehr voneinander abweichen – ähnlich der bisherigen Vorge-
hensweise der Bund-Länder-Arbeitsgruppe –, wie es die Ant-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wort auf die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg in der Fragestunde vom 8. März 2006
Die letzte Frage hat der Kollege Hoyer. (Plenarprotokoll 16/21, Seite 1615 f.) nahe legte?
5434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
(A) Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Staatssekretär. –
gend: Sie haben in Ihrer Antwort davon gesprochen, dass es
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass das dringend geboten ist, zu einer raschen Lösung zu gelan-
Heimrecht lediglich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 des Grund- gen, da es im Kontext der Föderalismusreform und auf-
gesetzes herausgenommen worden ist, das heißt aus dem grund der Komplexität des Heimrechts zu großer Verun-
Bereich der öffentlichen Fürsorge, also aus dem öffent- sicherung darüber gekommen ist, welche Bereiche
lich-rechtlichen Bereich, und damit nicht vollständig auf demnächst in die Kompetenz des Bundes und welche in
die Länder übertragen worden ist. Nach Auffassung der die Kompetenz der Länder fallen und wie die einzelnen
Bundesregierung bedarf es allerdings der raschen Klä- Rechtsbereiche voneinander abgegrenzt werden.
rung, welche Teile des Heimrechts weiterhin in den
Kompetenzbereich des Bundes gehören. Ich habe zwei Nachfragen: Was tut Ihr Ministerium,
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, um sowohl die betroffenen Menschen, ihre Angehörigen
Frauen und Jugend hat den notwendigen Dialog mit den als auch die Träger und Verbände, die von diesen Ände-
Ländern eingeleitet. Am 18. September dieses Jahres hat rungen im Rahmen der Föderalismusreform betroffen
ein erstes Gespräch in Berlin stattgefunden. Ein weiteres sind, darüber aufzuklären, wie sich die rechtliche Situa-
Gespräch ist für Ende November vorgesehen. Nach tion im Moment darstellt? Wie gehen Sie mit der ent-
Kenntnis der Bundesregierung sind die Bundesländer standenen Verunsicherung um?
gegenwärtig in Gespräche eingetreten – allerdings noch
ohne eine zentrale Koordinierung – mit dem Ziel, sich Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
auf gemeinsame Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Heimrechts zu verständigen. Eine Erörterung dieses Jugend:
Themas ist unter anderem im Rahmen der Arbeits- und
Sozialministerkonferenz am 16./17. November dieses Wir versuchen, erst gar keine Verunsicherung entste-
Jahres vorgesehen. Konkrete Ergebnisse, die Gegen- hen zu lassen bzw. sie dadurch zu beheben, dass wir zur
stand einer Bewertung durch die Bundesregierung sein Koordinierung mit den Ländern eingeladen und unsere
könnten, liegen gegenwärtig logischerweise noch nicht Position dargestellt haben. Denn wir meinen in der Tat,
vor. dass zunächst einmal geklärt werden muss, wer welche
Zuständigkeiten hat. Dieses Treffen hat am 18. Septem-
ber dieses Jahres stattgefunden. Weil es dabei auch um
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
die Klärung komplizierter verfassungsrechtlicher Fragen
Frau Haßelmann, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte ging, wurden das BMI und das BMJ beteiligt.
(B) sehr. (D)
Die Länder haben den Wunsch geäußert, unter Einbe-
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ziehung ihrer Verfassungsressorts eine gemeinsame
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich habe folgende Position zu erarbeiten. Das wird eine Zeit lang dauern.
Nachfrage: Welchen Rechtsstatus wird das bisher bun- Ende November dieses Jahres findet die nächste Bespre-
deseinheitliche Heimrecht genießen, sofern nur einige chung statt. Wir sind guter Dinge, dass wir uns dann auf
einzelne, jedoch nicht alle Bundesländer von ihrer Ge- einen gemeinsamen Weg verständigen können. Wie Sie
setzgebungskompetenz in Bezug auf das Heimrecht Ge- wissen, ist es im Heimrecht immer üblich gewesen, dass
brauch machen? sich Bund und Länder miteinander abstimmen. In die-
sem Bereich können wir auf eingefahrene Regelungen
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der der Koordinierung zurückgreifen. Von daher glaube ich,
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und dass wir zu einem guten Ergebnis kommen können.
Jugend:
Ich sage ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung
Ich hatte erwähnt, dass die Zuständigkeit für den öf-
fentlich-rechtlichen Teil des Heimrechts – das betrifft für möglichst einheitliche Qualitätsstandards im Bereich
vor allen Dingen die Bestimmungen gewerberechtlicher der stationären Altenpflege einsetzen wird. Ich denke,
Natur – an die Länder übertragen worden ist, sodass der dieses Signal an die Träger ist wichtig.
Bund hier keine Regelungen mehr treffen kann. Der pri- Des Weiteren haben wir Wert darauf gelegt, die Ent-
vatrechtliche Teil des Heimrechts allerdings – das be- bürokratisierung fortzuentwickeln. Natürlich machen
trifft insbesondere die Regelungen des Heimvertrages – wir uns auch Gedanken darüber, wie man das Heimrecht
verbleibt nach unserer Auffassung in der Kompetenz des besser an die Praxis anpassen kann. Hierzu führen wir
Bundes. Da dieser Bereich zur konkurrierenden Gesetz- seit längerem Gespräche. Diese müssen im Hinblick auf
gebung gehört, können die Länder Regelungen treffen, die verfassungsrechtlichen Bedingungen fortgeführt
wenn und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungs- werden.
recht nicht abschließend Gebrauch gemacht hat. Ansons-
ten ist es Aufgabe der Länder, entsprechende Regelun-
gen zu schaffen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Da Sie, Herr Staatssekretär, beide Fragen der Kolle-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gin Haßelmann zusammen beantwortet haben, hat sie
Sie haben eine weitere Nachfrage? – Bitte schön. noch eine dritte Nachfrage.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5435
(A) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was das sonstige Verfahren angeht, haben wir eine (C)
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade formuliert, dass gute Tradition. Ich will mich hier ausdrücklich verpflich-
großes Interesse daran besteht, einheitliche Qualitäts- ten, dass wir auch von uns aus informieren. Aber der
standards beizubehalten. Das gilt insbesondere für die Ausschuss muss das selbstverständlich auch wollen, er
stationäre Pflege, zum Beispiel in Altenhilfeeinrichtun- muss sich das auf die Tagesordnung setzen. Ich hätte
gen. In den vergangenen Wochen und Monaten waren aber auch kein Problem damit, wenn Sie immer wieder
eine ganze Reihe öffentlicher Einlassungen zu verneh- nachfragen. Das Parlament ist durchaus auch dazu da,
men. Dabei war mein Eindruck, dass man ein ziemlich die Regierung immer wieder in die richtige Richtung zu
starkes regionales Gefälle feststellen konnte. Im Kern bewegen. Darauf freue ich mich dann.
geht es darum, dass man sich in einzelnen Bundeslän-
dern vorstellen könnte, die Fachkraftquote zu senken (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE
und darüber hinaus für die Menschen, die Transferleis- GRÜNEN]: Ich auch!)
tungen wie Sozialhilfe beziehen, Änderungen im Hin-
blick auf die Lebenssituation in Heimen und anderen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
stationären Einrichtungen vorzunehmen, diese beispiels- Damit verlassen wir diesen Geschäftsbereich und
weise in Mehrbettzimmern unterzubringen. Ich will das kommen zu dem des Bundesministeriums für Wirtschaft
jetzt nicht im Einzelnen ausführen. Wie bringt sich die und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamen-
Bundesregierung hier ganz konkret mit dem Ziel ein, tarische Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
einheitliche Qualitätsstandards zu erhalten?
Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Werner
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Dreibus werden schriftlich beantwortet.
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ich komme zur Frage 12 des Abgeordneten
Jugend: Dr. Diether Dehm:
Sie haben es selbst wiederholt: Wir legen Wert auf
einheitliche Qualitätsstandards und sind diesbezüglich Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Vor-
standsgehälter teilweise in keinem Verhältnis zur Leistung
guter Dinge. Wir werden entsprechende Richtlinien mit und Verantwortung – Stichwort Managerhaftung – der Vor-
erarbeiten, an denen man sich orientieren kann. Im Übri- stände stehen?
gen sollte man zunächst einmal abwarten, ob es nicht
auch einen positiven Wettbewerb zwischen den Ländern
geben wird, was die Qualität der Betreuung und Unter- Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
bringung in Heimen angeht; darüber ist – auch in ande- minister für Wirtschaft und Technologie:
(B) ren Zusammenhängen – viel diskutiert worden. Man Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Dr. Dehm, es (D)
muss hier differenzieren. Ich gehe davon aus, dass einige obliegt nicht der Bundesregierung, einzuschätzen, ob die
Länder beispielhaft zeigen werden, wie man die Dinge Vergütung eines Vorstandsmitglieds einer deutschen Ak-
im Sinne der Bewohner von Heimen organisieren und tiengesellschaft in einem angemessenen Verhältnis zu
regeln kann. Aber ich gebe auch gern zu, dass es offene seinen Leistungen steht. Es ist die Aufgabe des Auf-
Fragen gibt, die jetzt angegangen werden müssen und zu sichtsrates, über die Höhe der Vergütung zu entscheiden.
denen wir schnellstmöglich Regelungen brauchen, um Er hat dabei dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des
die für die Träger wie für die Betroffenen in den Heimen einzelnen Vorstandsmitglieds in einem ausgewogenen
denkbaren Unsicherheiten zu beseitigen. Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage seiner Ge-
sellschaft stehen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat
Noch eine Nachfrage, bitte schön. der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenle-
gungsgesetz die Pflicht eingeführt, die Einkünfte der
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorstandsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaf-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ten detailliert offen zu legen. Verlangt wird die Auf-
werden Sie das Parlament bzw. den Fachausschuss, der schlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezo-
die Übertragung der Zuständigkeit für das Heimrecht an gene Komponenten sowie solche mit langfristiger
die Länder insgesamt kritisch gesehen hat, weiterhin von Anreizwirkung wie etwa Aktienoptionen. Die neuen Re-
sich aus offensiv – auch über die Bund-Länder-Gesprä- gelungen sind seit dem 11. August 2005 in Kraft und
che – informieren oder werden wir immer wieder im entsprechend auf die Jahres- und Konzernabschlüsse für
Rahmen von parlamentarischen Initiativen nachfragen die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006 anzuwenden.
müssen? Sehen Sie das als Ihre Aufgabe an? Zum Zwei- Die Anteilseigner können allerdings auf die individuelle
ten: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob Verbände, Ini- Offenlegung der Einkünfte der Vorstandsmitglieder ver-
tiativen oder Betroffene nach Beschlussfassung verfas- zichten.
sungsrechtliche Bedenken anmelden wollen? Vergütung und Haftung haben nicht unmittelbar mit-
einander zu tun. So wird weder nach ausländischem
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der noch nach deutschem Recht für eine nicht gute, der Ver-
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und gütung nicht angemessene Leistung gehaftet. Gehaftet
Jugend: wird immer für Unredlichkeiten und Sorgfaltspflichtver-
Von Letzterem habe ich keine Kenntnis. letzungen.
5436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ernst den gleichen Sachverhalt betrifft, sodass sich die (C)
Sie haben eine Nachfrage, bitte schön. Antwort in dem einen oder anderen Punkt mit der vor-
hergehenden Antwort deckt, weil die Meinung der Bun-
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): desregierung unabhängig vom Fragesteller gleich ist,
Herr Staatssekretär, ich will die Frage einmal auf Sie wenn die Frage gleich lautet.
persönlich – und auch den Minister – zuspitzen: Was Antwort auf die Frage 13: Nach Auffassung der Bun-
glauben Sie, wie es bei den Menschen ankommt, wenn desregierung obliegt es nicht dem Gesetzgeber, die Höhe
a) Aktienkurssteigerungen dazu führen, dass die Mana- der Vergütung eines bestimmten Vorstandsmitglieds ei-
gergehälter steigen, und b) Entlassungen, durch die eine ner deutschen Aktiengesellschaft zu regulieren. Es ist zu
große Zahl von Menschen arbeitslos und ärmer wird, Recht Aufgabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der
fast automatisch zu eben diesen Kurssteigerungen füh- Vergütung zu entscheiden. Er hat dabei dafür zu sorgen,
ren, die sich positiv auf die Managergehälter auswirken? dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglie-
Meinen Sie nicht, dass dieses Unwohlsein und teil- des in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen Aufga-
weise auch die Feindseligkeit in der Bevölkerung gegen- ben und zur Lage der Gesellschaft stehen. Wie ich der
über den Institutionen dieses Staates und der Demokratie Homepage Ihrer Fraktion entnommen habe, geben Sie
– ich hatte das mit der ersten Frage schon angedeutet – selbst an, Mitglied in einem Aufsichtsrat zu sein. Ich
den Staat auf den Plan rufen müssten, dass man das also denke, dass Sie die Pflichten und Aufgaben, die daraus
nicht alleine in die Hand der Aktionäre legen sollte? Ich erwachsen, aus eigener Tätigkeit gut kennen.
denke, die Zukunft unserer Gattung mit den zwei Beinen Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat
auf diesem Planeten liegt zu einem großen Teil in den der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenle-
Händen von Aktionären. Ich finde: zu viel. gungsgesetz eine Pflicht zur detaillierten Offenlegung
der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern börsennotierter
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Aktiengesellschaften eingeführt. Verlangt wird die Auf-
minister für Wirtschaft und Technologie: schlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezo-
Der Gesetzgeber hat damals auf Anregung der Bun- gene Komponenten sowie solche mit langfristiger An-
desregierung mit dem Vorstandsvergütungs-Offenle- reizwirkung, wie etwa Aktienoptionen.
gungsgesetz – meiner Erinnerung nach getragen von al-
len Fraktionen der Koalition und der Opposition – die Die neuen Regelungen sind seit dem 11. August 2005
Grundlage dafür geschaffen, dass in diesem Bereich in Kraft und dementsprechend auf die Jahres- und Kon-
mehr Transparenz herrscht. Eine Folge dieser Transpa- zernabschlüsse für die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar
2006 anzuwenden. Die Anteilseigner können auf die in-
(B) renz ist natürlich, dass in den allermeisten Fällen auch dividuelle Offenlegung der Einkünfte von Vorstandsmit- (D)
eine Diskussion – betriebsöffentlich oder gesamtgesell-
schaftlich – über die Angemessenheit der Vergütung gliedern verzichten.
stattfindet. Nach unserer Rechtsordnung sind bei einer
Unangemessenheit die Konsequenzen durch die Auf- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sichtsräte zu ziehen. Insofern hat der Gesetzgeber das Herr Ernst, bitte schön.
Seine hierzu getan.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Hintze, ich gehe davon aus, dass Ihnen
Sie haben eine weitere Nachfrage.
das Mitbestimmungsrecht und damit auch die Tatsache
bekannt ist, dass die Vertreter der Arbeitnehmer im Auf-
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): sichtsrat wegen der doppelt so vielen Vertreter der An-
Sie meinen, das reicht? teilseigner und aufgrund der Tatsache, dass auch Lei-
tende vertreten sind, nie die Mehrheit haben können.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Meine erste Frage lautet: Kann ich Ihre Antwort auf
minister für Wirtschaft und Technologie:
meine Frage so verstehen, dass Sie beabsichtigen, das
Ich glaube, dass der Gesetzgeber damit die ihm oblie- Mitbestimmungsrecht dahin gehend zu ändern, dass die
genden Pflichten vollumfänglich wahrgenommen hat. Mitbestimmung der Arbeitnehmer eine echte Mitbestim-
mung werden könnte?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Damit sind wir bei der Frage 13 des Kollegen Klaus (Beifall bei der LINKEN)
Ernst:
Sieht die Bundesregierung gesetzlichen Handlungsbedarf, Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
um die enormen Einkommensunterschiede zwischen Vor- minister für Wirtschaft und Technologie:
standsmitgliedern und den übrigen Angestellten eines Unter-
nehmens zu verhindern? Die rechtlichen Grundlagen sind der Bundesregierung
bekannt. Ihre konkrete Frage beantworte ich mit Nein.
Peter Hintze (CDU/CSU):
Frau Präsidentin, höflichkeitshalber erlaube ich mir, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
darauf hinzuweisen, dass die Frage des Kollegen Klaus Bitte schön, Sie haben eine zweite Nachfrage.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5437
(A) Klaus Ernst (DIE LINKE): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch un- (C)
verhältnismäßig hohe Vorstandsgehälter die Ertragskraft eines
Ja. – Man kann nachlesen, dass sich Mitglieder der
Unternehmens und damit dessen langfristige Entwicklung ge-
Bundesregierung in der Öffentlichkeit kritisch darüber schwächt werden?
äußern, dass die Vorstandsbezüge bei einigen Unterneh-
men in den letzten Monaten und Jahren exorbitant ge-
stiegen sind. Ich erwähne zum Beispiel die Deutsche Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Bahn, an der der Bund nicht unwesentlich beteiligt ist minister für Wirtschaft und Technologie:
und bei der er auch im Aufsichtsrat vertreten ist. Frau Präsidentin, es geht wieder um denselben Sach-
verhalt. Das sage ich vorher, damit Sie über eine teil-
Nachdem ich einerseits kritische Nachfragen der
weise wortgleiche Antwort nicht verwundert sind.
Bundesregierung zur Kenntnis genommen und anderer-
seits Ihre Antwort in der Weise verstanden habe, dass die Es obliegt nicht der Bundesregierung, einzuschätzen,
Bundesregierung nicht beabsichtigt, einzugreifen, könnte ob die Vergütung eines bestimmten Vorstandsmitglieds
ich doch davon ausgehen, dass die Aussagen in der Öf- einer deutschen Aktiengesellschaft im Vergleich zu sei-
fentlichkeit schlichtweg dem widersprechen, was die nen Leistungen unverhältnismäßig ist. Es ist die Auf-
Bundesregierung insgesamt wirklich meint. gabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der Vergütung zu
(Beifall bei der LINKEN) entscheiden. Er hat dabei dafür zu sorgen, dass die Ge-
samtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem
ausgewogenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Lage der Gesellschaft stehen. Die gesetzlich berufenen
minister für Wirtschaft und Technologie:
Organe der Aktiengesellschaft, Vorstand, Aufsichtsrat
Davon können Sie nicht ausgehen, lieber Herr Kol- und Hauptversammlung, haben bei ihren Entscheidun-
lege. Hier sind zwei Sachverhalte scharf voneinander zu gen das Wohl der Gesellschaft, also auch ihre Ertrags-
trennen. Das eine ist die Angemessenheit der Vorstands- kraft und Entwicklung zu berücksichtigen.
bezüge in konkreten Fällen, die auf der gesetzlichen
Grundlage des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgeset- Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat
zes logischerweise zu einer solch öffentlichen Diskus- der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenle-
sion geführt hat. Daran beteiligen sich natürlich auch gungsgesetz eine Pflicht zur detaillierten Offenlegung
Verantwortliche in der Politik. Das andere ist der Auf- der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern börsennotierter
sichtsrat als Regelungsort, der die Rechte des Unterneh- Aktiengesellschaften eingeführt. Verlangt wird die Auf-
mens wahrzunehmen und über die Angemessenheit der schlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezo-
Vergütung zu entscheiden hat. gene Komponenten sowie solche mit langfristiger An-
(B) reizwirkung, wie etwa Aktienoptionen. Die neuen (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Regelungen sind seit dem 11. August 2005 in Kraft und
Eine Nachfrage des Kollegen Alexander Ulrich. sind entsprechend auf Jahres- und Konzernabschlüsse
für die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006 anzuwen-
Alexander Ulrich (DIE LINKE):
den. Die Anteilseigner können auf die individuelle Of-
fenlegung der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern ver-
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, es sei Aufgabe
zichten.
des Aufsichtsrates und weniger Aufgabe der Politik,
hierüber zu entscheiden. Nun wissen wir, dass zum Bei-
spiel Ihr Parteifreund Friedrich Merz in einigen Auf- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sichtsräten vertreten ist. Da die Unterscheidung zwischen Frau Bulling-Schröter, eine Nachfrage.
politischen und wirtschaftlichen Aufgaben, die viele Ab-
geordnete des Bundestages wahrnehmen, verschwimmt,
frage ich: Ist es vorstellbar, dass die Bundesregierung Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
den Abgeordneten wenigstens eine Empfehlung dazu Da meine Frage nicht beantwortet wurde, muss ich
gibt, was eine geeignete Vergütung für Vorstände sein nachfragen. Es ging darum, ob die Bundesregierung
könnte? Das wäre ein Weg, wie Politik indirekt Einfluss nicht meint, dass die langfristige Entwicklung eines Un-
nehmen könnte. ternehmens durch unverhältnismäßig hohe Gehälter ge-
(Beifall bei der LINKEN) schwächt wird. Da Sie sich offensichtlich um die Beant-
wortung dieser Frage drücken, stelle ich meine Frage
noch einmal.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Es geht um ein ganz aktuelles Bespiel. Die Siemens-
Eine solche Empfehlung wird die Bundesregierung Manager verzichten auf 30 Prozent ihres Einkommens,
nicht abgeben, Herr Kollege. um für die Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern der Firma BenQ, deren Arbeitsplätze vernichtet
(Heiterkeit bei der LINKEN) werden sollen, wenigstens Geld für einen Sozialplan zur
Verfügung zu stellen. Das ist ein Beweis dafür, dass
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: diese hohen Gehälter langfristig die Entwicklung von
Damit sind wir bei der Frage 14 der Abgeordneten Unternehmen eben nicht sichern, sondern im Grunde
Eva Bulling-Schröter: schädigen.
5438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
(A) Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): (C)
minister für Wirtschaft und Technologie: Lassen Sie mich anders fragen, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung nimmt erfreut die Entscheidung Ich kenne Ihre Biografie ein bisschen und weiß, dass bei
von Siemens zur Kenntnis, teilt aber nicht den Schluss, Ihnen auch Ethik eine große Rolle spielt. Haben Sie Ver-
den Sie daraus ziehen. ständnis dafür, dass es in der Bevölkerung darüber gro-
ßen Unmut gibt, oder würden Sie das als Sozialneid ab-
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): tun?
Ich komme zu meiner zweiten Frage. Zurzeit wird (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist doch keine
von den Unternehmen eine Arbeitszeitverkürzung ohne Frage an die Bundesregierung!)
Lohnausgleich propagiert und deren Durchsetzung mas-
siv gefördert. Vonseiten der Bundesregierung habe ich Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
hinsichtlich der Durchsetzung von Lohnkürzungen eher minister für Wirtschaft und Technologie:
eine positive statt einer negativen Stellungnahme gehört.
Ziel des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes
Wenn das so ist, dann bin ich der Meinung, dass die
war, für mehr Transparenz zu sorgen. Dass die Transpa-
Bundesregierung diese langfristige Entwicklung in Sa-
renz auch zu Diskussionen in der Bevölkerung führt, war
chen Löhne von Beschäftigten genauso sieht wie wir,
vom Gesetzgeber ebenfalls beabsichtigt und ist damals
aber in Sachen Managergehälter eben nicht.
von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages für
richtig gehalten worden. Welche Folgerungen daraus in
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- den einzelnen Unternehmen gezogen werden, bleibt ab-
minister für Wirtschaft und Technologie: zuwarten.
Frau Präsidentin, das war eine Meinungsäußerung.
Ich habe keine Frage herausgehört. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ob Sie Eine Frage des Kollegen Ernst.
das so sehen!)
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Staatssekretär, wir hören auf der einen Seite
Die Frage war, ob Sie das so sehen. – ich habe es bereits angesprochen – sehr drastische
Worte aus der Regierung über die dieser Meinung nach
übertriebenen Gehaltserhöhungen und auf der anderen
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Seite Ihre Stellungnahme, die den Eindruck erweckt, als
minister für Wirtschaft und Technologie:
(B) stünden die öffentlichen Äußerungen in krassem Wider- (D)
Ich habe Ihre Darstellung trotz konzentrierten Zuhö- spruch zu dem, was wirklich getan wird. Welche Maß-
rens inhaltlich nicht richtig verstanden. Deswegen habe nahmen wollen Sie ergreifen, um das der Bevölkerung
ich den Fragegehalt nicht erkannt. verständlich zu machen, die zunehmend den Eindruck
hat, dass die Politiker und damit auch die Regierungs-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mitglieder untätig zuschauen, wie das Volk verarmt,
Dann kommt die Frage der Kollegin Enkelmann. während sich die Vorstände kräftig bedienen? Welche
Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um in der Bevölke-
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): rung zumindest den Eindruck zu erwecken, dass die Re-
gierung etwas tut?
Herr Kollege, Sie haben sehr zu Recht darauf auf-
merksam gemacht, dass der Aufsichtsrat eine besondere
Verantwortung wahrnimmt. Mein Kollege Ernst hat Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
schon darauf verwiesen, dass die Bundesregierung bei- minister für Wirtschaft und Technologie:
spielsweise auch im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn Die Regierung arbeitet sehr konsequent daran, die
AG vertreten ist. wirtschaftliche Entwicklung im Lande, die Chancen auf
dem Arbeitsmarkt und die Stärkung unserer Wirtschaft
Halten Sie die sehr drastisch gestiegenen Gehälter des insgesamt voranzubringen. Die Zahlen sind erfreulich.
Vorstandes der DB AG angesichts der Leistung der Sie haben sicherlich verfolgt, dass das Wirtschafts-
DB AG für angemessen, die sich in Fahrpreiserhöhun- wachstum in diesem Jahr kräftig zunimmt. Die Wachs-
gen, Streckenausdünnung, dem Betrieb des rollenden tumsrate wird sich im Verhältnis zum Vorjahr mehr als
Materials auf Verschleiß usw. ausdrückt? verdoppeln. Wir legen im Außenhandel zu. Die Binnen-
nachfrage zieht an. Die Beschäftigungssituation verbes-
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- sert sich. Die Arbeitslosigkeit geht zurück und die Zahl
minister für Wirtschaft und Technologie: der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsver-
Die Bundesregierung kommentiert die Höhe einzel- hältnisse zieht an. Wir haben also allen Anlass, der Be-
ner Vorstandsbezüge nicht. Das ist allein Angelegenheit völkerung zu sagen, dass es wirtschaftlich aufwärts geht,
der Gesellschaft. und wir arbeiten auch intensiv daran.
Ich glaube, dass die Vergütung von Vorstandsmitglie-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dern und die Beschäftigungssituation in der Bevölkerung
Eine Frage des Kollegen Dr. Diether Dehm. in keinem direkten Zusammenhang stehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5439
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: weniger leistungsbereit sei, wenn sein Vorstandsmitglied (C)
Dann kommen wir zu Frage 15 der Kollegin Eva mehr verdient, und dass er leistungsbereiter sei – jeden-
Bulling-Schröter: falls in seiner Funktion –, wenn das Vorstandsmitglied
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang von ex- weniger verdient. Diesen Zusammenhang kann ich nicht
trem hohen Einkommensunterschieden zwischen Vorständen erkennen. Ich finde ihn kühn. Deswegen habe ich die
großer Unternehmen und deren einfachen Angestellten einer- Frage mit Nein beantwortet, weil ich davon ausgehe,
seits und der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten anderer- dass die allerallermeisten Arbeitnehmer mit sehr großer
seits?
Leistungsbereitschaft ihre Aufgaben wahrnehmen, und
ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Arbeitnehmer
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- seine Leistungsbereitschaft prozentual oder wie auch im-
minister für Wirtschaft und Technologie: mer danach ausrichtet, wie viel seine Vorstände verdie-
Die Frage 15 beantworte ich mit Nein. nen. Diese Antwort gilt natürlich auch für die von Ihnen
gestellten Nachfragen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Haben Sie eine Nachfrage? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ihre zweite Zusatzfrage.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
Ja, natürlich. – Es geht um die Leistungsbereitschaft Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
der Beschäftigten in Bezug auf die große Differenz von Laut Ihrer Antwort hätte ich mit meiner Frage unter-
Löhnen und Gehältern. Sie sehen also nicht, dass es Pro- stellt, dass die Belegschaften diese Leistungsbereitschaft
bleme mit der Belegschaft gibt. Es gibt immer noch Un- nicht hätten. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben und
ternehmen, deren Staatsanteil sehr hoch ist. Die Bundes- Sie noch einmal fragen, ob so etwas nicht die Leistungs-
republik Deutschland ist zum Beispiel an der Telekom bereitschaft drückt. Wenn zum Beispiel ein Schlosser in
und der DB AG beteiligt. Wie sehen Sie die Rolle der einem Betrieb einen Fehler macht, wird er entlassen.
Bundesregierung bezüglich der Gehälter der Aufsichts- Wenn ein Aufsichtsratsvorsitzender einen Management-
ratsmitglieder? fehler macht, dann wird er entweder mit einer großen
Abfindung entlassen oder er wird eine Stufe höher ge-
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- lobt und bekommt noch mehr Geld. Das sind die feinen
minister für Wirtschaft und Technologie: Unterschiede. Da frage ich Sie, ob das nicht demotivie-
Meinen Sie die Vorstandsmitglieder oder die Auf- rend auf die Beschäftigten, auf die Belegschaft wirkt.
sichtsratsmitglieder?
(B) Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (D)
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): minister für Wirtschaft und Technologie:
Beides. Ich bin mir sicher, dass ein solcher Vorgang unterneh-
mensintern zu Diskussionen führt und dass das dann in
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- der Belegschaft diskutiert wird. Ich glaube, dass das mit
minister für Wirtschaft und Technologie: Sicherheit auch im Aufsichtsrat und von allen im Auf-
Darf ich die Frage mit Genehmigung der Präsidentin sichtsrat Vertretenen im Unternehmen diskutiert wird.
vorlesen, damit auch die Kollegen im Plenum, denen die Ich erkenne nur keinen Zusammenhang zwischen der
Frage nicht vorliegt, wissen, worüber wir diskutieren? Leistungsbereitschaft des Einzelnen und der Vergütung
Ist das zulässig? Dann mache ich das gerne. der Unternehmensspitze, den Sie Ihrer Frage zugrunde
legen.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
haben wir schon öfter im Ältestenrat bespro- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
chen, dass das getan werden sollte!) Nun gibt es noch eine Zusatzfrage des Kollegen
Ernst.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie dürfen sie gerne vorlesen. Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, es gebe
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- keinen Zusammenhang zwischen der Vergütung von
minister für Wirtschaft und Technologie: Vorstandsmitgliedern und den Arbeitsplätzen, die in ei-
Die Frage lautet: nem Unternehmen bestehen. Wir nehmen wahrschein-
lich beide zur Kenntnis, dass der Aktienkurs eines Un-
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang
ternehmens in der Regel dann gewaltig steigt, wenn das
von extrem hohen Einkommensunterschieden zwi-
Unternehmen bekannt gibt, Arbeitsplätze abzubauen.
schen Vorständen großer Unternehmen und deren
Könnten Sie sich vorstellen, dass die Bezahlung von
einfachen Angestellten einerseits und der Leis-
Vorstandsmitgliedern mit Aktienoptionen, also die Tat-
tungsbereitschaft der Beschäftigten andererseits?
sache, dass Vorstandsmitglieder insbesondere dann ihr
Diese Frage habe ich mit Nein beantwortet; denn Gehalt massiv erhöhen können, wenn sie durch Entlas-
wenn man sie mit Ja beantwortete, würde man einem sungen zu einem höheren Kurs ihrer Aktien beitragen,
Beschäftigten eines Unternehmens unterstellen, dass er dazu führt, dass Arbeitsplätze abgebaut werden?
5440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Klaus Ernst
(A) Könnten Sie sich vorstellen, dass das ein Motiv bei den Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
Vorstandsmitgliedern sein könnte? Wäre es nicht ange- Danke, Herr Staatssekretär.
bracht, das arbeitsgesetzlich zu regeln?
(Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was verdienen zu einer weiteren Zusatzfrage)
denn Gewerkschaftsfunktionäre?)
– Es tut mir Leid, Kollege Ernst, aber Sie hatten schon
– Weniger, deutlich weniger, liebe Kollegin. eine Zusatzfrage zu diesem Bereich. Deshalb danken wir
dem Staatssekretär.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist ja lächer-
lich!) Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatsse-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kretärin Karin Roth zur Verfügung.
Eigentlich war der Herr Staatssekretär zur Antwort
bereit. Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter vom Bündnis 90/Die Grünen auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Gründe und die Angemessenheit für die Höhe der Preisanhe-
minister für Wirtschaft und Technologie: bung zum 1. Januar 2007 bei der Deutschen Bahn AG,
Ich bin gerne bereit, die Frage zu beantworten. Zuerst DB AG, transparent werden und ein Zusammenhang zwischen
der geplanten Teilprivatisierung der DB AG und zusätzlicher
möchte ich für das Protokoll feststellen, dass die Wieder- Belastung der Kunden ausgeschlossen werden kann?
gabe meiner Position in Ihren einleitenden Sätzen so von
mir nicht geteilt wird. Aber das betrifft Ihre eigentliche Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frage nicht; das ist nicht das Entscheidende.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau) Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Zu Ihrer Frage: Ich glaube, dass das im Unternehmen Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
selber zu klären ist und auch im Unternehmen geklärt Hofreiter, ein Zusammenhang zwischen der Preisgestal-
wird. tung der Deutschen Bahn AG und der geplanten Teilpri-
vatisierung ist nicht erkennbar. Schon heute ist die
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann DB AG als Wirtschaftsunternehmen zu führen. Die
brauchen wir keine Regierung mehr!) Preise aller Eisenbahnverkehrsunternehmen im Schie-
(B) – Ich weiß nicht, ob ich auf einen Zwischenruf eingehen nenpersonenfernverkehr unterliegen nach gesetzlichen (D)
soll, aber in der Tat unterscheiden wir zwischen den Vorschriften nicht der Genehmigung. Sie bleiben der
Aufgaben der Wirtschaft und den Aufgaben der Regie- unternehmerischen Gestaltungsfreiheit und der wirt-
rung. Wir sind nicht der Auffassung, dass die Regierung schaftlichen Eigenverantwortung dieser Unternehmen
für alles zuständig ist – jedenfalls in einem demokrati- vorbehalten. Es ist folglich alleinige Aufgabe der Unter-
schen, sozialen Rechtsstaat. nehmen und liegt im wirtschaftlichen Interesse der Kun-
den, die Gründe für Preiserhöhungen zu erläutern. Das
(Beifall bei der CDU/CSU) muss die DB AG aber von sich aus tun.
(A) Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- digkeit des Bundes bei der Genehmigung von Tarifen (C)
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: begrenzt. Seine Prüfpflicht beschränkt sich auf eine ein-
Herr Kollege Hofreiter, es geht um Preiserhöhungen. geschränkte Missbrauchsaufsicht. Die Kalkulation der
Wie Sie sicherlich wissen, sind diese aufgrund der Ge- Tarife unterliegt der DB AG. Es liegen keine Unterlagen
setzeslage alleinige Sache des Unternehmens, genauso vor, die einen unmittelbaren Zusammenhang zu Be-
wie die Kommunikation zwischen dem Unternehmen triebsergebnissen der DB AG in den vergangenen Jahren
auf der einen Seite und der Öffentlichkeit auf der ande- erkennen lassen.
ren Seite. Wir, die Bundesregierung, werden keinen Ein-
fluss nehmen. Vizepräsidentin Petra Pau:
Hinsichtlich der Transparenz gehen wir angesichts Ihre Nachfrage, bitte.
der Zahlen, auf die Sie gerade zu Recht hingewiesen ha-
ben, davon aus, dass es Gründe für eine Erhöhung der Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Fahrpreise im Fernverkehr gibt. Aber es ist nicht Auf- NEN):
gabe der Bundesregierung, sondern alleinige Aufgabe Speziell im Nahverkehr, dem einzigen Bereich, der
des Aufsichtsrates und des Vorstandes der DB AG, Fahr- gewinnträchtig ist, hat die DB AG extrem hohe Ge-
preiserhöhungen zu prüfen. winne, nämlich rund 500 Millionen Euro. Deshalb wäre
es doch sinnvoll, diese Preiserhöhungen nicht zu geneh-
Vizepräsidentin Petra Pau: migen. Stimmen Sie mir da zu?
Eine weitere Nachfrage, Herr Hofreiter.
Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das ist Sache der Länder. Wenn die Länder die Tarife
genehmigen, werden sie ihre Gründe haben.
Stimmen Sie mir zu, dass die Bundesregierung kein
Interesse hat, für Transparenz innerhalb der Finanz-
ströme der DB AG zu sorgen? Vizepräsidentin Petra Pau:
Danke schön.
Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Damit kommen wir zur Frage 18 des Abgeordneten
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Hans-Kurt Hill von der Fraktion Die Linke:
Es geht hier um Fahrpreiserhöhungen und nicht um In welchen einzelnen Punkten ist bei der Bundesregierung
Finanzströme, zum Beispiel bei der Finanzierung der In- die Einführung eines bedarfsorientierten Gebäudeenergiepas-
(B) frastruktur; das ist ein anderes Thema. ses, so wie ihn Deutscher Mieterbund, Verbraucherzentrale (D)
Bundesverband und Deutsche Umwelthilfe fordern, strittig?
Hans-Kurt Hill
(A) ten Energiepass geben wird, in der ganzen Zeit strittig ist dauert, sich darüber zu orientieren, wie und in welcher (C)
und dass wir deswegen darauf verzichten, einen Energie- Form man zu dem Energiepass kommt? Hängt das viel-
pass so rechtzeitig einzuführen, dass wir schon heute die leicht damit zusammen, dass es in bestimmten Kreisen
Auswirkungen des Energiepasses insbesondere auf das Widerstand gegen den bedarfsorientierten Energiepass
Handwerk und auf den Arbeitsmarkt vermerken könn- gibt, weil der gewisse Konsequenzen insbesondere für
ten? den Vermieter hat?
Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Herr Kollege Hill, wir können feststellen, dass das Wir sind daran interessiert, dass der Gebäudeenergie-
CO2-Sanierungsprogramm, also die Energieeinsparun- pass so schnell wie möglich kommt. Dadurch, dass im
gen im Zusammenhang mit den Gebäudesanierungen, letzten Jahr ein neuer Bundestag gewählt worden ist, ha-
gut angenommen wird. Daher, so denke ich, ist der Zu- ben sich die Arbeiten zur Schaffung dieses Ausweises
sammenhang zwischen Energieausweis auf der einen verzögert. Sie können davon ausgehen, dass die Bundes-
Seite und CO2-Sanierungsprogramm auf der anderen regierung an einer schnellen Regelung interessiert ist.
Seite positiv zu bewerten.
Wichtig ist, dass die Gebäudeenergiepässe aussagefä-
Es ist richtig: Wir diskutieren die Frage der Wahl- hig und kostengünstig sind. Ich denke dabei insbeson-
möglichkeiten und die der Einführung des Bedarfsaus- dere an diejenigen, die sie letztlich bezahlen müssen.
weises oder des Verbrauchsausweises sowie die Frage, Außerdem sollten diese Pässe Hinweise auf Modernisie-
ab wann ein Bedarfsausweis und ab wann ein Verbrauchs- rungen enthalten.
ausweis vorgeschrieben wird. Wir legen großen Wert
darauf, dass die Wahlfreiheit ermöglicht wird. Aber sie Das Ganze ist ein wichtiges Projekt im Hinblick auf
hat nichts mit der Wirtschaftlichkeit und der Entwick- Energieeinsparungen im Bereich der Gebäudesanierung.
lung der Wirtschaft zu tun. Im Gegenteil: Wir nehmen Wir wissen, dass dort große Potenziale zu heben sind,
gerade wahr, dass die Gebäudesanierung der konjunktur- insbesondere in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz.
politische Renner der Bundesregierung ist. Daran sind sicher auch Sie interessiert. Wir wissen auch,
dass durch Investitionen in diesem Bereich eine erhebli-
Vizepräsidentin Petra Pau: che Anzahl von Arbeitsplätzen geschaffen wird. Insofern
Da es keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage gibt, können Sie davon ausgehen, dass die Bundesregierung
kommen wir zur Frage 19 des Abgeordneten Hans-Kurt sowohl durch den Gebäudeenergiepass als auch durch
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm alles tut, um die
(B) Hill: Sanierung der Gebäude in dieser Republik zu verbes- (D)
Wann genau können die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, die unter stark gestiegenen Energiekosten leiden, mit der
sern, zum Wohle der Wirtschaft, der Arbeit, vor allen
Einführung eines Gebäudeenergiepasses rechnen, der nach Dingen der Umwelt und damit der künftigen Generatio-
EU-Vorgabe bereits im Januar dieses Jahres hätte eingeführt nen.
werden müssen?
Kai Gehring
(A) über die Forschungsförderung im Rahmen des Hoch- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege (C)
schulpaktes – da bietet die Bundesregierung 700 Millio- Daniel Bahr für die FDP-Fraktion.
nen Euro an – und gleichzeitig Gespräche bzw. Verhand-
lungen über den Beitrag der Länder zur Erreichung des (Beifall bei der FDP)
3-Prozent-Ziel der Bundesregierung. Man will in beiden
Bereichen bis zum Ende des Jahres auf der Zielgerade Daniel Bahr (Münster) (FDP):
sein. Daher möchte ich fragen: Ergibt es nicht Sinn, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
diese beiden Prozesse zu verknüpfen, also ein Junktim Das, was die große Koalition in der Gesundheitspolitik
herzustellen, um damit einen Beitrag der Länder sicher- abliefert, ist ein einziges Trauerspiel. Die Art und Weise,
zustellen? wie mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes zu dieser
Gesundheitsreform umgegangen wird, ist eine Farce.
Sachverständige sollen innerhalb von vier Tagen einen
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Gesetzentwurf von immerhin 542 Seiten mit all seinen
ministerin für Bildung und Forschung:
Auswirkungen auf unser deutsches Gesundheitssystem
Herr Abgeordneter Gehring, es trifft zu, dass die Lö- beurteilen können. Das Bundesministerium für Gesund-
sung der beiden Problemfelder Gegenstand der Konfe- heit und die Koalition sind aber an den Ratschlägen und
renz der Ministerpräsidenten bei der Bundeskanzlerin im dem Fachwissen von Sachverständigen nicht interes-
Dezember sein soll. Bis zu diesem Zeitpunkt soll zum ei- siert. Nach der Anhörung am Montag im Bundesministe-
nen ein Hochschulpakt unterzeichnet werden und zum rium – sie hat immerhin sechs Stunden gedauert – sollte
anderen sollen die Maßnahmen dargelegt werden, mit de- der Entwurf nämlich schon am Dienstag, also am Tag
nen die Länder ihren Beitrag zur Erreichung des 3-Pro- darauf, in den Fraktionen beraten werden.
zent-Ziels bei der Forschungsförderung leisten wollen.
Die Koalition ist stur; sie ist nicht wirklich daran inte-
Die Verhandlungsführung zur Erreichung einer Eini- ressiert, dass das Fachwissen und die Ratschläge von
gung ist sicherlich nicht Gegenstand dieser Überlegun- Sachverständigen in den Entwurf eines Gesetzes zur Ge-
gen. Ich darf an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass sundheitsreform eingearbeitet werden. Nein, es geht der
die Mehrausgaben zur Verbesserung der Situation in den Koalition nur noch darum, diese Gesundheitsreform
Hochschulen nur zu einem Teil in die Berechnung des möglichst glimpflich zu überstehen. Sie hat das Interesse
Beitrages zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels für For- daran verloren, das Gesundheitssystem mit der nötigen
schung und Entwicklung, gemessen am Bruttoinlands- Sachlichkeit zu reformieren, um die Probleme im Ge-
produkt, eingehen. Es macht deshalb Sinn, über beide sundheitswesen zu lösen. Es geht der Koalition doch gar
Komplexe parallel zu verhandeln. nicht mehr um die Probleme, vor denen das Gesund-
(B) heitswesen steht. Frau Schmidt und der Bundesregierung (D)
Vizepräsidentin Petra Pau: geht es nur noch darum, das Gesicht zu wahren.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit (Beifall bei der FDP und der LINKEN)
am Ende des Geschäftsbereichs des Ministeriums für
Bildung und Forschung. Sie haben gar nicht aus den Problemen bei den Hartz-
Reformen gelernt. Was hat die Bundeskanzlerin nicht al-
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich der Bundes- les gesagt! Sie wollten sich die Zeit nehmen, einen wirk-
kanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 24 lich sachlichen Entwurf auf den Weg zu bringen; Sie
und 25 des Abgeordneten Jürgen Koppelin sowie die wollten etwas auf den Weg bringen, was länger Bestand
Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto hat. Mitglieder der Koalition sprachen davon, dass die
(Frankfurt) – beide von der FDP-Fraktion – werden Gesundheitsreform zum Meisterstück der Koalition
schriftlich beantwortet. Wir können also diese Fragen werde, die für Jahre halte und zeige, dass die große Koa-
mit der Staatsministerin Frau Professor Dr. Maria lition zu Dingen fähig sei, zu denen die Vorgängerregie-
Böhmer heute nicht erörtern. rungen nicht fähig gewesen seien. Nein, Sie haben aus
den Fehlern bei den Hartz-Reformen überhaupt nicht ge-
Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 16 Uhr un- lernt. Die Gesundheitsreform ist die Fortsetzung der
terbreche ich die Sitzung. Hartz-Reformen. Das, was hier entsteht, wird zu
(Unterbrechung von 15.29 bis 16.00 Uhr) Hartz V.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Petra Pau: Diese Reform löst nämlich überhaupt nicht die drän-
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. genden Probleme; diese Reform schafft neue Probleme.
Sie führt zu keiner Entlastung, weder bei den Lohnzu-
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf: satzkosten noch der Versicherten. Gesundheitsausgaben
Aktuelle Stunde und Arbeitskosten werden nicht entkoppelt. Die Reform
auf Verlangen der Fraktion der FDP führt zu keiner Entbürokratisierung; stattdessen kommt
mit dem so genannten Gesundheitsfonds ein weiteres bü-
Finanzielle Folgen für Beitragszahler und Pa- rokratisches Instrument hinzu. Es wird keine Vorsorge
tienten bei Verwirklichung des von der Koali- im Hinblick auf die steigenden Kosten geben, welche
tion vorgelegten Gesetzes zur Gesundheits- aufgrund der Alterung der Bevölkerung entstehen wer-
reform den. Es bleibt bei der Umlagefinanzierung zulasten der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5447
Daniel Bahr (Münster)
(A) jungen Generation. Weder bei den Beiträgen noch bei Versicherungsschutz sie selbst haben möchten. Wir (C)
den Abrechnungen, bei denen am Sachleistungsprinzip möchten nicht, dass der Staat, die Politik, die Versicher-
festgehalten wird, wird es Transparenz geben. Es gibt ten immer mehr gängelt und immer mehr Vorgaben
nicht mehr Freiheit für die Versicherten, ihren Versiche- macht. Ihre Entscheidung für einen politisch festgeleg-
rungsschutz weitgehend selbst zu gestalten, sondern we- ten Beitragssatz und einen Zusatzbeitrag, zu dem es so
niger. gut wie nicht kommen wird, weil die Krankenkassen nur
in einen Wettbewerb darüber eintreten werden, zu kür-
Ihre Gesundheitsreform ebnet den Weg in ein staatli-
zen, und nicht in einen Wettbewerb, zu innovativen Leis-
ches, zentralistisches Gesundheitswesen. Schon jetzt ist
tungen und innovativen Versorgungsformen zu kommen,
klar, dass es dabei für den Bürger nur teurer wird, die
wird meiner Meinung nach dazu führen, dass das Ge-
Versorgung aber nicht besser, sondern eher schlechter
sundheitswesen für die Patienten und Versicherten in
wird. Es wird Mangelverwaltung und Wartelisten geben,
Deutschland deutlich schlechter wird.
wir werden die krassen Unterschiede einer Zweiklassen-
medizin erleben. Warum? Deswegen wird sich die FDP-Opposition diesem Weg
(Elke Ferner [SPD]: Das glauben Sie doch sel- mit aller Kraft entgegenstellen. Kommen Sie zur Ein-
ber nicht, was Sie erzählen!) sicht! 90 Prozent der Bevölkerung sind gegen diesen
Weg. Es gibt kein anderes Gesetzesvorhaben, gegen das
Ab 2007 wird es zu massiven, breiten Beitragssatzerhö- eine so breite Mehrheit der Sachverständigen und der
hungen kommen. 2007 werden wir erstmals einen Re- Bevölkerung ist. Da können Sie noch so stur bleiben.
kordbeitragssatz von nahezu 15 Prozent erreichen. Das Hören Sie sich lieber die Bedenken an!
führt zu einer Mehrbelastung der Versicherten in
Deutschland im Umfang von mindestens 8 Milliarden Vielen Dank.
Euro. 2008 und 2009 werden die Beitragssätze weiter (Beifall bei der FDP)
steigen, obwohl Sie noch im Koalitionsvertrag das Ziel
formuliert haben, die Lohnzusatzkosten zu senken und
die Krankenkassenbeiträge zumindest stabil zu halten. Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Jens
Das Ziel, durch eine Festschreibung des Arbeitgeber- Spahn.
beitrages einen Beitrag zur Konsolidierung des Arbeits-
marktes zu leisten, wird mit dieser Reform überhaupt
nicht verfolgt. Im Gegenteil: Demnächst werden die Jens Spahn (CDU/CSU):
Lohnzusatzkosten und damit auch die Arbeitgeberbei- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
träge massiv steigen; denn Sie, Frau Ministerin Schmidt, Herren! Lieber Kollege Bahr, ich habe es schon bei der
(B)
und die Bundesregierung werden dann entscheiden, wie letzten Debatte zu diesem Thema gesagt und sage es (D)
viel Geld dem Gesundheitswesen zur Verfügung gestellt jetzt noch einmal:
wird. Sie werden dann entscheiden, wie hoch der poli-
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Es wird da-
tisch festgelegte, bundesweit einheitliche Beitragssatz
durch nicht besser!)
ausfallen soll. Die Bundesregierung entscheidet dann
also jährlich, wie viel Geld dem Gesundheitswesen im Wir sollten niemandem, der über dieses Thema disku-
darauf folgenden Jahr zur Verfügung gestellt wird. Das tiert und um die richtige Lösung ringt, absprechen, das
ist Gesundheitspolitik nach Zuteilung und Kassenlage. mit bestem Wissen und Gewissen und im Bemühen da-
(Beifall bei der FDP) rum zu machen, dass wir auch in Zukunft für alle in die-
sem Land unabhängig von ihrem Einkommen eine ver-
Was passiert denn, wenn das Geld nicht ausreicht? nünftige Versorgung sicherstellen können.
Was passiert denn, wenn der Beitragssatz und damit die
Lohnzusatzkosten eigentlich steigen müssten? Dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
würde der Arbeitsmarkt belastet. Also wird es sofort den neten der SPD)
Druck geben, dass das nicht passiert. Was macht dann Wir können über die Wege dahin streiten. Aber uns auf
die Bundesregierung? Sie wird wieder mit einer kurzfris- die Art und Weise, wie Sie es gerade getan haben, abzu-
tigen Kostendämpfungspolitik auf dem Rücken der Pa- sprechen, dass wir genau darum ringen, das sollten Sie
tienten, also zulasten der Versorgung, eine allenfalls nicht tun.
kurzfristige Lösung finden. Das heißt, das Gesundheits-
wesen ist weiterhin chronisch unterfinanziert. Die Fol- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wenn es nur
gen werden Mangelverwaltung und Wartelisten sein. noch um den Machterhalt geht, gilt das sehr
wohl!)
Wir, die FDP, stellen uns deshalb mit aller Vehemenz
gegen diesen Weg in ein staatliches und zentralistisches Nichtsdestotrotz nutzen Sie mittlerweile in jeder Sit-
Gesundheitswesen. Wir glauben, dass wir ein Gesund- zungswoche die Möglichkeit einer Aktuellen Stunde zu
heitswesen brauchen, das auf Freiheit und Transparenz diesem Thema. In diesen Zusammenhang passt die Pres-
aufbaut, semitteilung Ihres Parlamentarischen Geschäftsführers,
auf die ich gleich zu sprechen komme. Er hat mittler-
(Elke Ferner [SPD]: Das heißt?)
weile einen sehr populistischen Ton angeschlagen, wie
das den Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten bietet wir ihn sonst eigentlich nur von der Linkspartei gewohnt
und ihnen die Entscheidung darüber überlässt, welchen sind. Das kennen wir mittlerweile im Hinblick auf die
5448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Jens Spahn
(A) Rente mit 67, die Praxisgebühr und jetzt auch bei diesem Ich kann Ihnen sagen, was zynisch und kaltherzig ist: (C)
Thema. Zynisch und kaltherzig ist, die Krebskranken in dieser
Debatte als Faustpfand zu nehmen,
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Die Wahrheit
ist unbequem, Herr Spahn!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dies hätte ich von der FDP eigentlich nicht erwartet. ohne sich auch nur einmal mit den Regelungen, wie sie
im Gesetzeswerk stehen sollen, auseinander gesetzt zu
Sie haben einmal mehr auf die Frage, was Sie jenseits
haben, und die populistischen Sätze und Forderungen,
der großen Überschriften, die wir alle kennen, angesichts
die am Wochenende in einer bekannten Zeitung gestan-
der Ausgabendynamik, wie sie sich für die nächsten
den haben, einfach aufzugreifen, ohne sich weiter damit
Jahre und insbesondere das nächste Jahr abzeichnet,
auseinander zu setzen. Es ist schade, dass der Parlamen-
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das haben tarische Geschäftsführer, der diese Pressemitteilung ge-
doch Sie zu verantworten! Mehrwertsteuerer- macht hat und diese Sätze als Begründung für die Bean-
höhung!) tragung dieser Aktuellen Stunde heranzieht, bei dieser
Debatte heute nicht anwesend ist.
und angesichts steigender Kosten aufgrund des medizi-
nisch-technischen Fortschrittes und der demografischen (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch be-
Entwicklung tun wollen, keine Antwort gegeben. Nur zu zeichnend! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]:
schimpfen und ein paar Überschriften zu nennen, reicht Ich vertrete ihn!)
nicht, um alle zwei Wochen im Deutschen Bundestag
eine Debatte zu diesem Thema zu führen. Hinzu kommt, dass der Kerngedanke der Vorsorge
dem liberalen Gedankengut, nämlich der Eigenverant-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wortung, entstammt. Wir verlangen von denen, die dazu
neten der SPD – Dr. Guido Westerwelle in der Lage sind – es geht nicht um diejenigen, die auf-
[FDP]: Wenn es sein muss, jede Woche!) grund ihres Alters oder ihrer Situation gar nicht dazu in
der Lage sind –, ab einem bestimmten Alter in regelmä-
Herr Oppositionsführer, zu einer konstruktiv-kriti- ßigen Abständen zur Früherkennungsuntersuchung zu
schen Opposition würde es auch gehören, anzuerkennen,
gehen bzw. Vorsorge zu betreiben. Wir verlangen zum
(Zuruf der Bundesministerin Ulla Schmidt – Beispiel, dass einmal im Jahr ein kostenloser Arztbesuch
Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Frau Präsiden- wahrgenommen wird. Ich glaube, es ist nicht zu viel ver-
tin, die Regierung schüchtert mich ein! Vor- langt, mit Blick auf die eigene Gesundheit Vorsorge zu
(B) sicht!) betreiben. (D)
dass in den Eckpunkten bzw. im Gesetzentwurf be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
stimmte Elemente enthalten sind, die der FDP eigentlich der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das
gefallen müssen, nämlich die Einführung eines Kosten- steht nicht drin!)
erstattungstarifes, die Einführung von Wahltarifen und
Selbstbehalttarifen sowie die Einführung von mehr Die Debatte darüber sollten wir einmal vor liberalem
Wettbewerb aufseiten der Leistungserbringer, bei den Hintergrund führen.
Ärzten. Ich weiß, da ist es mit der liberalen Haltung
Liebe Kollegen von der FDP, lieber Herr Westerwelle,
nicht mehr ganz so weit her. Es wird aber nicht nur bei
wir können diese Debatte gerne, wie Sie angeboten ha-
den Ärzten, sondern auch bei den Apothekern und auf
ben, jede Woche führen.
dem Arzneimittelmarkt mehr Wettbewerb geben. Zu all
diesen Punkten, die doch eigentlich liberalem Gedan- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wenn ihr so
kengut entsprechen müssten und die eine konstruktiv- weiter macht, machen wir das!)
kritische Opposition anerkennen würde, haben Sie leider
kein Wort gesagt und sich in keiner Weise dazu ausge- Wenn Sie aber jede Woche populistisch irgendwelche
lassen. Das ist eigentlich sehr schade, Herr Kollege Tickermeldungen vom Wochenende aufgreifen, wenn
Bahr. Sie sich mit dem Sachverhalt aber nicht auseinander set-
zen wollen, wenn Sie die Debatte führen wollen, ohne
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
auch nur eine konkrete Alternative zu bieten, wie wir
neten der SPD)
den Herausforderungen des Gesundheitswesens gerecht
Ich möchte auf das eingehen, was zumindest laut Ih- werden können, dann sind das Debatten auf sehr niedri-
rem Parlamentarischen Geschäftsführer der Anlass zu gem Niveau. Dann steht es um die gesundheitliche Ver-
dieser Aktuellen Stunde ist; Sie, Herr Bahr, haben dazu sorgung der Menschen in diesem Lande schlecht.
leider kein Wort gesagt. Auf der Homepage der FDP
wird seine Pressemitteilung wiedergegeben: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Mechthild Rawert [SPD]: Das ist das Motto
‚Das künftige Abkassieren von Krebskranken ist der FDP! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]:
zynisch und kaltherzig’... Vor diesem Hintergrund Man sieht euch eure Begeisterung an! Große
habe seine Fraktion eine Aktuelle Stunde … bean- Begeisterung bei der Koalition über die Ge-
tragt. sundheitspolitik!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5449
(A) Vizepräsidentin Petra Pau: (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist Quatsch!) (C)
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
„Vollkaskotarif für die Kranken“ heißt in letzter Konse-
Frank Spieth.
quenz, dass diese Versicherten das, was den anderen als
(Beifall bei der LINKEN) Entlastung angeboten wird, zu finanzieren haben.
(Mechthild Rawert [SPD]: Völliger Unsinn!)
Frank Spieth (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Im Grunde geben Sie das in Ihrem Gesetzeswerk doch
Herren! Das Wettbewerbsstärkungsgesetz – das sagen auch verschämt zu: Sie sagen zwar, dass Sie über die
alle Fachleute – löst keines der strukturellen Probleme Pauschale anfangs 100 Prozent der Ausgaben finanzie-
der gesetzlichen Krankenversicherung. Gestoppt wird ren wollen; später sollen darüber aber nur noch
nicht die Erosion der Einnahmebasis der GKV infolge 95 Prozent finanziert werden. Das zeigt doch, dass Sie
sinkender Löhne, Gehälter und Renten und alle anderen selbst mit einer weiteren Belastung in Höhe von
Einnahmequellen insbesondere Vermögen werden außer 5 Prozent rechnen. Das ist eine gnadenlose Abzocke der-
Acht gelassen. jenigen, die über ein zu geringes Einkommen verfügen,
um sich privat abzusichern. Ich sage Ihnen: Dieses Ge-
Dieses Gesetz wird verhängnisvoll sein, weil es setz mit uns nicht!
– wiederum – nur ein Spargesetz sein wird. Es greift im
Wesentlichen bei denen zu, die weniger als 3 900 Euro (Beifall bei der LINKEN)
Einkommen erzielen, und lässt die darüber liegenden
Einkommen außen vor. Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit,
(Beifall bei der LINKEN)
Ulla Schmidt.
Dieses Wettbewerbsstärkungsgesetz – „W“ wie Wettbe-
werb, „S“ wie Sterben und „G“ wie Glöckchen – ermög- Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit:
licht keinen Wettbewerb um eine vernünftige Finanzie- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
rung einer solidarischen Krankenversicherung und die Herr Kollege Bahr, wir können hier jede Woche über Ge-
Bereitstellung der notwendigen Leistungen. sundheitsreformen und Gesundheitspolitik diskutieren.
(Mechthild Rawert [SPD]: Herr Spieth, das (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Gerne!)
war Ihrer nicht würdig!)
Ich kann Ihnen sagen: Wir werden nie zusammenkom-
Dieses Gesetz ist gemessen an den Ansprüchen der Ko- men, weil das, was Ihre Partei will, und das, was die Ko-
(B) alition nach unserer Auffassung ein Desaster. alition will, diametral gegensätzlich zueinander stehen. (D)
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle
Wir müssen mit einer Beitragserhöhung um 0,5 bis [FDP]: Weiß das schon Herr Beck?)
1 Prozentpunkt schon im nächsten Jahr rechnen. Gleich- Sie kritisieren, dass wir bei der Umlagefinanzierung
zeitig werden Sie die Höhe der Arbeitgeberbeiträge de- bleiben. Sie sagen, dass das zulasten der jungen Genera-
ckeln, was zur Folge haben wird, dass die zukünftig ent- tion geht. Wir halten es für ein bewährtes System,
stehenden zusätzlichen Kosten von den Versicherten
allein zu tragen sein werden. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Vor 20 Jah-
ren!)
(Elke Ferner [SPD]: Das geht nicht! Das wis-
sen Sie auch besser!) dass Menschen für andere Menschen zahlen, dass die
Jungen für die Alten einstehen wie früher die jetzt Alten
Die kleine Kopfpauschale, die Sie verschämt „pau- für ihre Älteren eingestanden sind,
schalen Zusatzbeitrag“ nennen, wird Teil des Systems
werden, was zur Konsequenz haben wird, dass die Versi- (Beifall bei der SPD)
cherten zuzahlen müssen. Über die Höhe findet öffent-
dass Gesunde für Kranke einstehen und dass diejenigen
lich ein Wettbewerb statt. Wie viel soll es denn nun sein?
ohne Kinder für diejenigen mit Kindern einstehen. Das
Die CDU will 3 Prozent und die SPD 1 Prozent. Dazu
ist der Solidargedanke,
sagen die Menschen: Lieber 1 Prozent, wie es die SPD
vorschlägt. Natürlich sagen sie das. Es gäbe allerdings (Frank Spieth [DIE LINKE]: Deswegen macht
eine Alternative, nämlich überhaupt keine Kopfpau- ihr Teilkasko? – Dr. Guido Westerwelle [FDP]:
schale festzulegen, sondern endlich die Bürgerinnen- Und die Rente ist sicher!)
und Bürgerversicherung einzuführen. Dann wäre dieser
der dazu führt, dass in unserem Gesundheitswesen – Gott
ganze Unsinn nicht erforderlich.
sei Dank! – viele Menschen viel mehr einzahlen, als sie
(Beifall bei der LINKEN) jemals in Anspruch nehmen müssen, damit die Men-
schen, die krank sind, auf der Höhe des medizinischen
Außerdem wollen Sie mit diesem Gesetz einen Teil-
Fortschritts das erhalten, was sie brauchen und was me-
kaskotarif für die Gesunden einrichten, die es sich leis-
dizinisch notwendig ist.
ten können, einen Eigenanteil – beispielsweise in Höhe
von 1 000 Euro pro Jahr – zu zahlen. Für die Kranken (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Auf den Pfa-
wollen Sie einen Vollkaskotarif einführen. den von Norbert Blüm!)
5450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Wir können jede Woche darüber diskutieren. Es trennen Weiter hinten heißt es:
uns Welten. … setzen die Liberalen auf Anreize zu gesundheits-
bewusstem Verhalten.
(Beifall bei der FDP)
Genau darum geht es.
Auch Sie auf der linken Seite des Hauses sollten Wel-
ten von der FDP trennen, deren gesundheitspolitische (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Konzepte man in zwei kleine Gruppen einteilen könnte. der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)
Erstens fürchtet – Herr Kollege Spahn, deshalb würde
Es geht nicht darum, kranke Menschen zu bestrafen. Es
Herr Kollege Bahr nie etwas Positives daran finden, dass
geht vielmehr darum, dass man, wenn man weiß, dass es
wir Wettbewerb einführen und dass wir die Möglichkei-
Vorsorgeuntersuchungen gibt, diese nutzt. Wir haben die
ten der Kassen erweitern, Preisverhandlungen zu führen –
Verantwortung, Anreize dafür zu setzen, dass die Men-
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Machen Sie es schen die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen wahr-
(B) doch einmal!) nehmen. Das ist ein Angebot, das sich vor allem an (D)
junge Menschen richtet. Viele Ältere haben diese
die FDP für ihre Klientel den Wettbewerb mehr als der Chance nicht mehr.
Teufel das Weihwasser. Darum geht es hier doch.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten glücklicherweise immer älter werden. Daher müssen
der CDU/CSU) Prävention und gesundheitsbewusstes Verhalten zu den
Zweitens hatte diese Partei immer nur eine Antwort. tragenden Pfeilern unserer künftigen Gesundheitspolitik
Ich habe dieses Amt ja schon lange inne werden. Wir wollen Anreize schaffen, damit die Men-
schen notwendige Vorsorgeuntersuchungen durchführen
(Gudrun Kopp [FDP]: Zu lange!) lassen.
und wir haben viele Debatten miteinander geführt. Ihre (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist aber
Partei möchte Ausschlüsse für Versicherte, weil Sie wol- doch nicht bei allen Krebsarten so!)
len, dass die Versicherten selber für Krankengeld, für Diejenigen, die das tun, sollen dafür belohnt werden.
Zahnbehandlung und für Unfälle einstehen.
Die Richtigkeit dieses Weges zeigt sich auch darin,
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Eine Rech- dass insbesondere die Deutsche Krebsgesellschaft genau
nung sehen!) diese Regelungen begrüßt. Auch ihrer Meinung nach
Sie wollen ein Kostenerstattungsprinzip und für Arme muss mehr dafür getan werden, dass die Menschen die
eine Notversorgung. Das ist die Politik der FDP. Das Untersuchungen, die notwendig sind, um Krankheiten
wird die Koalition nicht machen. frühzeitig zu erkennen, durchführen lassen. Dazu stehen
auch wir und dabei werden wir bleiben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
Deshalb kann man sich nur wünschen, dass Sie so Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Frau Ferner hat
schnell nicht wieder an einer bundespolitischen Regie- doch gesagt, da wird sich noch etwas ändern!)
rung beteiligt werden. Ich hoffe, dass die Menschen in
diesem Land entsprechend wählen. Durch das Gesundheitsreformgesetz wird der Wettbe-
werb gestärkt. Diese Reform setzt bei der Frage an: Wel-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – che Versorgung brauchen die Menschen? Sie ist seit lan-
Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Vorsicht! Weiß ger Zeit die erste Reform, durch die keine reine
Herr Beck, was sie sagt?) Kostendämpfungspolitik betrieben wird – das wäre,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5451
Bundesministerin Ulla Schmidt
(A) wenn wir andere Mehrheiten hätten, alles, was wir tun sen. – Herr Spieth, ich weiß, dass in Ihrer Brust an dieser (C)
könnten –, sondern eine Reform, mit der wir das Ziel Stelle immer zwei Seelen wohnen. – Wir wollen andere
verfolgen, die strukturellen Probleme unseres Gesund- Strukturen, eine bessere Zusammenarbeit sowie eine
heitswesens zu lösen. Dabei geht es unter anderem um Verschlankung der Verbände und der Krankenkassen.
die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Be- Wir wollen, dass jeder Euro, der in dieses System fließt,
handlung. Die Forderung nach mehr Freiheit ist nicht so eingesetzt wird, dass er der bestmöglichen Versor-
etwa so zu verstehen, dass die Menschen von jeglicher gung kranker Menschen zugute kommt. Und wir wollen,
Verantwortung frei sein sollen. Gemeint ist vielmehr, dass kein einziger Euro verschleudert wird. Das ist un-
dass die Krankenkassen den Menschen Angebote für sere Philosophie. Diesen Weg werden wir weitergehen.
eine sehr gute Gesundheitsversorgung machen sollen,
Danke schön.
zwischen denen sie wählen können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich sage Ihnen, was wir tun werden, weil wir wollen,
dass die Menschen wählen bzw. sich frei entscheiden
können: Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ach was! Das spricht nun die Kollegin Birgitt Bender.
machen Sie doch alles kaputt!)
für einen Arzt, für ein Krankenhaus und für eine Kran- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
kenkasse, von der sie glauben, dass sie ihnen gute Ver- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
sorgungsangebote macht, zum Beispiel für chronisch Ministerin, wenn es so ist, dass wir sehr viel Zeit haben,
kranke Menschen oder in Bezug auf alternative Medizin. diesen Gesetzentwurf umfassend zu beraten, dann wun-
Das unterscheidet uns von Ihnen. dere ich mich über das Verfahren, das die Koalition ge-
wählt hat.
Wir wissen: Zu dieser Freiheit gehört, dass jeder
Mensch in diesem Land – jede Frau, jeder Mann und je- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
des Kind – das Recht haben muss, versichert zu sein. und bei der FDP)
Wir verlangen von den Krankenkassen, auch von den
privaten, jeden Menschen ohne Ansehen des individuel- Warum lösen Sie die Vorschrift, dass die Kassen ihre
len Krankheitsrisikos zu versichern, damit hier jeder Schulden tilgen müssen, aus dem Gesetzentwurf heraus,
Mensch Versicherungsschutz hat. knallen heute Morgen im Ausschuss einen Änderungs-
antrag zu einem laufenden Gesetz auf den Tisch und sa-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen, das müsse jetzt so sein? Wenn so viel Zeit ist, kann
(B) der CDU/CSU) man das im Gesamtkontext der Gesundheitsreform bera- (D)
ten. Offensichtlich gibt es gewisse Panikreaktionen bei
Allein dafür, Herr Kollege Spieth, hätten wir von Ihrer
der Koalition.
Seite ein Lob bekommen müssen. Denn Sie haben es lei-
der noch nie geschafft, ein solches Vorhaben umzuset- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zen. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Und
Wir werden diesen Gesetzentwurf intensiv beraten,
dann auch noch schlecht gemacht!)
sowohl im Kabinett als auch in den Fraktionen, und wir
werden genügend Zeit haben, auch hier im Bundestag In einem Punkt haben Sie Recht: darin, dass Sie die
darüber zu diskutieren. FDP dafür kritisieren, dass sie das Solidarsystem zer-
schlagen will. Mit Ihnen, Herr Kollege Westerwelle,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
würde das Gesundheitssystem ja insgesamt privatisiert.
NEN]: Oh! Wie ich sehe, ist die Begeisterung
bei der SPD groß!) (Elke Ferner [SPD]: So ist das!)
Ich rate Ihnen dringend, bei diesem Thema sehr genau Die Freiheit, von der Sie sprechen, das wird eine Freiheit
hinzuschauen. Wenn man nur das Geschrei der Lobby- der Besserverdienenden sein.
gruppen zur Kenntnis nimmt, wird die Bewertung dieses
(Hellmut Königshaus [FDP]: So ein Quatsch! –
Gesetzentwurfs sehr einseitig ausfallen.
Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das sind dann
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Umfang der not- die Grünenwähler!)
wendigen Leistungen im Rahmen dieser Reform auszu-
Das ist nicht unser Weg.
weiten. Dabei geht es um die Verbesserung der Versor-
gung von todkranken Menschen, die Ausweitung der Frau Ministerin, Ihre großartigen Bekenntnisse zum
Rehabilitationsangebote für Ältere und vieles andere. Solidarsystem sind nicht besonders glaubwürdig. Hier
Wir wollen eine Reform durchführen, die weder Leis- war viel von Zynismus die Rede im Zusammenhang mit
tungsausschlüsse noch Zuzahlungserhöhungen mit sich der neuen Regelung für chronisch Kranke. Wenn man
bringt. der Meinung ist, dass es zum Solidarsystem gehört, dass
Gesunde für Kranke mit aufkommen – das sehen wir
Wenn man das will, dann muss man den Mut haben
eindeutig so –, dann ist es ein Fehler, zwischen „guten“
– wir haben ihn –, sich mit allen Besitzstandswahrern im
und „schlechten“ Kranken zu unterscheiden.
Gesundheitswesen anzulegen und ihnen deutlich zu ma-
chen: Alle müssen sich bewegen, auch die Krankenkas- (Frank Spieth [DIE LINKE]: So ist es!)
5452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Birgitt Bender
(A) Ich kann Sie nur warnen, diese abschüssige Ebene zu be- Das heißt, auf der Finanzierungsseite versagt die Ko- (C)
treten. alition völlig vor der Aufgabe, das System zu reformie-
ren. Heraus kommen höhere Beiträge und ein Zusatzbei-
Die große Mehrheit der Krankheiten, die Geld kosten, trag, den die Versicherten leisten müssen. Er wird das
sind solche, die lebensstilbedingt sind. Sie haben etwas Problem verschärfen, gerade für die armen Kranken, die
zu tun mit falscher Ernährung, mangelnder Bewegung, einkommensschwachen Versicherten. Ihre 8-Euro-Lö-
belastenden Arbeitsplätzen, belasteter Wohnumgebung. sung ist dabei der Gipfel des Zynismus: Ausgerechnet
An vielen dieser Faktoren können die Menschen selber die Ärmsten sollen in Relation am meisten zahlen.
etwas ändern; man muss sie nur dazu befähigen. Das ist
Aufgabe der Politik: für gescheite Prävention zu sorgen. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das „Preka-
riat“!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schließlich beschließen Sie einen Gesundheitsfonds,
von dem niemand von Ihnen erklären kann, wozu er ei-
Nicht Aufgabe der Gesundheitspolitik ist es, Menschen, gentlich gut sein soll.
die krank sind und behandelt werden müssen, zu sagen:
„Hättest du dich vorher gesundheitsbewusst verhalten (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Zur Gesichts-
und das vom Arzt bescheinigen lassen!“ oder „Hättest du wahrung!)
rechtzeitig die Möglichkeiten der Labordiagnostik ge- Es gibt keine Begründung für diesen Fonds, er ist voll-
nutzt; jetzt ist eine Strafzahlung fällig!“. Das bedeutet kommen nutzlos. Das Ganze nennen Sie eine Reform.
gerade ein Stück Abkehr vom Solidarsystem. Man muss Da kann ich nur sagen: Eine Reform, bei der alle künfti-
sich wundern, dass ausgerechnet eine sozialdemokrati- gen Kostenrisiken auf die Versicherten abgeladen wer-
sche Ministerin so etwas mitmacht. den und sonst nichts passiert, die verdient ihren Namen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht. Deswegen wird es Zeit, dass dieses Trauerspiel
sowie bei Abgeordneten der FDP) vom Spielplan abgesetzt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zu der Reform im Ganzen. Was haben wir zu erwar-
ten? Die Kanzlerin hat ja vordem schon angekündigt: Es
wird teurer. Damit hat sie die Wahrheit gesagt. Sie hat Vizepräsidentin Petra Pau:
nur eine falsche Begründung gegeben. Wir haben zu er- Das Wort hat der Kollege Hubert Hüppe für die
warten, dass die Beitragssätze im nächsten Jahr mit Be- Unionsfraktion.
stimmtheit auf 15 Prozent steigen. Manche Experten,
(B) wie der Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Hubert Hüppe (CDU/CSU): (D)
sagen bereits: 15,5 Prozent. Diese Steigerungen liegen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
aber nicht, wie die Kanzlerin gesagt hat, an der Alterung
den Beiträgen der Opposition darf ich vielleicht noch
der Gesellschaft und am medizinischen Fortschritt. Mit
einmal daran erinnern, worüber wir sprechen, nämlich
dieser Reform wird der medizinische Fortschritt nicht
über die Folgen für die Beitragszahler und die Patienten.
befördert und es wird auch niemand länger leben. Das
einzige, was passiert, ist doch, dass es teurer wird. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Genau, gute Idee!)
(Elke Ferner [SPD]: Das ist Unsinn, Frau
Bender!) Es wird niemanden verwundern, dass ich als Behin-
dertenbeauftragter meiner Fraktion jetzt nicht für die
Dafür ist die Koalition selbst verantwortlich. Sie hat die Gruppen spreche, die starke Lobbyisten hinter sich ha-
Entkopplung vom Faktor Arbeit, die, wie alle erkannt ben und finanziell gut ausgestattet sind, sondern über die
haben, Menschen, um die es geht, nämlich über die Schwächs-
(Zuruf von der FDP: Wohl wahr!) ten, die Menschen mit Behinderungen, die alten Men-
schen, die schwerstkranken Menschen, die chronisch
entscheidend ist, nicht vorgenommen. Sie tun nichts für kranken Menschen und die sterbenden Menschen.
eine nachhaltige Finanzierung. Steuermittel gibt es am
Ende nicht mehr, sondern weniger. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Werden Sie uns
jetzt den Selbstbehalt erklären?)
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Auch nicht
Man kann ja vieles kritisieren – das steht einer Oppo-
nachhaltig!)
sition auch zu –,
Dann schreiben Sie auch noch eine Luftbuchung ins Ge- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Danke, sehr
setz, gewissermaßen: Demnächst – wenn die Morgenröte gnädig!)
kommt? – gibt es mehr Steuermittel. Das ist keine politi-
sche Lösung. Sie verschärfen das Finanzierungsproblem, aber es wäre natürlich anständiger, wenn Sie nicht nur
indem Sie den Steuerzuschuss für Familienleistungen sagen würden, dass das ein zynischer Gesetzentwurf ist
– bestritten aus dem Tabaksteueraufkommen – wieder – ich komme noch dazu –, sondern wenn Sie auch da-
streichen. Die Krankenkassen werden im Jahre 2009 rüber reden würden, dass es neue Leistungen geben
1,2 Milliarden Euro weniger an Steuermitteln zur Verfü- wird, die diesen Menschen in Zukunft mehr helfen wer-
gung gestellt bekommen als im laufenden Jahr. den.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5453
Hubert Hüppe
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ich meine, es bedeutet ein Stück Menschenwürde, (C)
Frank Spieth [DIE LINKE]: Wie sieht das mit wenn wir es diesen Menschen auch dann, wenn sie nicht
den Wahltarifen aus?) mehr am Straßenverkehr teilnehmen können, gestatten,
zum Beispiel in einer Einrichtung Selbstständigkeit
Ich nenne Ihnen einfach ein paar Beispiele: Die geria- wahrzunehmen, sodass sie nicht darauf angewiesen sind,
trische Reha wird in Zukunft finanziert werden. Kein von anderen beispielsweise in die Sonne hinein- oder aus
Mensch aus der Opposition erkennt das an. Ich meine, es der Sonne herausgeschoben zu werden. Auch das steht
ist richtig, dass auch alte und pflegebedürftige Menschen in unserem Gesetzentwurf.
ein Recht und einen Anspruch auf Rehabilitation haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Deswegen finde ich das, was die FDP in ihrer Presse-
Das bedeutet nicht nur, dass der Grundsatz Reha vor mitteilung geschrieben hat, so perfide. Wir wollen nicht
Pflege beachtet werden muss – diesen Grundsatz vertre- bei den an Krebs Erkrankten abkassieren – wie es heißt –,
ten Sie eigentlich auch, Herr Spieth –, sondern wir wollen, dass mehr Menschen zur Vorsorge
(Frank Spieth [DIE LINKE]: Ja, klar!) gehen. Es wäre ja auch wirklich eine Idiotie, wenn es uns
ums Abkassieren ginge. Wenn wir sagen, dass die Men-
sondern dass auch diejenigen, die gepflegt werden, einen schen zur Vorsorge gehen sollen, dann wird das im
Anspruch auf Reha haben. ersten Moment mehr Kosten verursachen, weil mehr
(Frank Spieth [DIE LINKE]: Dann erklären Menschen zur Vorsorge gehen. Unser Ziel ist, dass
Sie das bitte mit den Wahltarifen! – Daniel Krankheiten frühzeitig erkannt werden und rechtzeitig
Bahr [Münster] [FDP]: Dafür ist dann kein eingegriffen werden kann, damit die Menschen länger
Geld mehr da!) leben können.
Als neuer Anspruch steht in dem Gesetzentwurf, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen le- Ich bitte Sie um Folgendes: Sie können mit uns über
ben, demnächst auch eine häusliche Pflege erhalten. Das alles reden, aber nehmen Sie einen anderen Stil an, damit
ist bisher ein großes Problem für die Einrichtungen, weil es für die Menschen zu einer Reform kommt. Wir verfol-
die Menschen diese häusliche Hilfe im Moment rein gen vielleicht unterschiedliche Wege, aber zumindest
technisch nicht bekommen können. Die Pflege wird von sollten wir uns nicht unterstellen, dass wir den Men-
den Einrichtungen wahrgenommen. Gerade die kleinen schen nicht helfen wollen.
Einrichtungen, die wir haben wollen – es geht nicht um
die großen Einrichtungen –, sind gar nicht in der Lage, Vielen Dank.
(B) diese Hilfe zu leisten. Für diese Menschen tun wir das. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Die Leistungen für Schwerstkranke und für die Pallia- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tivmedizin – Frau Eichhorn wird gleich noch einmal da- NEN]: Dann müssen Sie ein Rauchverbot ma-
rauf eingehen – werden gerade im ambulanten Bereich chen!)
verbessert. Genau das wollen wir. Wir wollen, dass die
Menschen – das ist auch der Wunsch der Menschen – zu Vizepräsidentin Petra Pau:
Hause in ihrer gewohnten Umgebung gepflegt werden Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
und dass sie nicht in Einrichtungen oder Krankenhäusern Dr. Konrad Schily.
sterben müssen, sondern dort, wo die meisten Menschen
sterben wollen, nämlich in ihrer heimischen Umgebung (Beifall bei der FDP)
bei ihren Verwandten. Das ist ein Akt der Nächstenliebe.
Krankenhäuser sind nämlich nicht dazu da, dass dort ge- Dr. Konrad Schily (FDP):
storben wird, sondern sie sind dazu da, dass die Men- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
schen dort geheilt werden. Die Menschen sollten dort wenn ich noch immer ein bisschen neu im Bundestag
sterben, wo sie es wollen und wo sie Liebe erfahren. Wir bin: Das GKV-Modernisierungsgesetz hat mich von An-
haben diese Regelung vereinbart, um dies zu unterstüt- fang an begleitet. Ich habe mich immer gefragt: Warum
zen. wird dieses Gesetz gegen alle Widerstände durchge-
peitscht?
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Nicht gegen alle,
Wichtig ist ferner, dass wir jetzt die Regelung einfüh- gegen euch!)
ren, dass die Krankenversicherungen auch dann Hilfs-
mittel zahlen, wenn die hundertprozentige Teilhabe von Ich sehe nur einen Gewinner: die staatliche Verwaltung,
Menschen mit Behinderungen in Zukunft nicht mehr den Apparat.
möglich sein wird. Es gab leider entsprechende Ge-
(Peter Albach [CDU/CSU]: Das ist doch
richtsurteile und die Krankenkassen haben sie umge-
Käse!)
setzt. Auch in meinem Wahlkreis gab es ein Beispiel da-
für. Dort wurde einer Frau mit ALS kein Elektrorollstuhl Dieses Gesetz wird auch mit sozialen Argumenten
mit einer Kopfsteuerung mehr genehmigt. Man sagte, sie verteidigt. Um einen Machtzuwachs, nämlich die Staats-
könne ja gar nicht mehr am Verkehr teilnehmen. Damit medizin, zu erreichen, ist manchen fast jedes Mittel
sei die Teilnahme also nicht mehr gewährleistet. recht, auch das der Täuschung. Der jetzige Referenten-
5454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
(Beifall bei der FDP – Elke Ferner [SPD]: Wo Vizepräsidentin Petra Pau:
steht das denn mit den „weniger medizini- Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Jella
schen Leistungen“?) Teuchner.
Es ist eine Reform – das habe ich gesagt – in Rich-
tung Vergangenheit. Jella Teuchner (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Wenn alle anderer Meinung als der Einzelne sind Damen! Es ist keine Frage: Die Gesundheitsreform wird
– dafür gibt es einen psychiatrischen Begriff –, dann uns in den Gremien noch intensiv beschäftigen. Es be-
kann er sagen: Alle anderen spinnen. Es könnte aber steht – das wird auch heute deutlich – noch gehöriger
auch sein, dass der Einzelne eine überwertige Idee ent- Beratungsbedarf.
wickelt und die anderen gar nicht mehr wahrnehmen
kann. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Oh ja!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5455
Jella Teuchner
(A) Spannend ist aber, dass ausgerechnet die FDP die Kann- oder Ermessungsleistung definierten Maßnah- (C)
Koppelung der Chronikerregelung mit der Teilnahme an men. Es kann auch nicht sein, dass versicherungsfremde
Vorsorgeuntersuchungen so vehement ablehnt. Leistungen allein aus dem Beitragsaufkommen der ab-
hängig Beschäftigten finanziert werden.
(Iris Gleicke [SPD]: Allerdings!)
(Zuruf von der SPD: So ist es!)
Es ist doch Ihr Credo, dass die Leistungen der gesetzli-
chen Krankenversicherungen auf das gesundheitlich Dies würde das System der gesetzlichen Krankenkassen
Notwendigste abgespeckt werden sollten. Sind das die in seinem Bestand gefährden.
Anreize, die Sie geben wollen? Wer Sport macht und da- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Gilt das auch für
her gesünder lebt, muss selbst zahlen; eine Vorsorgeun- den Mutterschutz?)
tersuchung kann man nicht verlangen. Was ist das für
eine Logik? Ich finde es sehr eigenartig, wie Sie Eigen- Eine Gesundheitsreform, die zwar das Gebäude der
verantwortung definieren. gesetzlichen Krankenversicherung erhält, ihm aber das
Fundament entzieht, wird die solidarische Krankenversi-
(Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜND- cherung zum Einstürzen bringen. Es geht im Gegenteil
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Rauchverbot, Frau darum, das Fundament zu stärken. Eine Verbreiterung
Teuchner!) der Beitragsgrundlage wäre sicherlich die sinnvollste
Wie finanzieren wir die Krankenversicherungen? Wer Lösung gewesen. Die Alternative ist, über eine spürbare
muss welchen Beitrag leisten? Woher kommt das Geld? Steuerfinanzierung die Einbeziehung aller in die Solida-
Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen. rität zu organisieren. In diese Richtung müssen wir die
Eigentlich haben wir eine gute Antwort: Da man auch Weichen stellen.
krank wird, wenn man sich gesund ernährt und Vorsor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
geuntersuchungen wahrnimmt, muss das Lebensrisiko der CDU/CSU)
Krankheit von allen gemeinsam getragen werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Vizepräsidentin Petra Pau:
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin
Rauchverbot!) Maria Eichhorn.
– Ja, das machen wir doch. (Beifall bei der CDU/CSU)
Die Gesundheitsreform ist keine Spielwiese für Popu-
lismen. Die Diskussion darüber darf nicht dazu führen, Maria Eichhorn (CDU/CSU):
(B) dass Egoismen zu Gerechtigkeit umdefiniert werden. Es Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Me- (D)
geht darum, die Finanzierung des Lebensrisikos Krank- dizin hat im 20. Jahrhundert ungeheure Fortschritte ge-
heit auch in Zukunft solidarisch zu organisieren. Die macht. Der medizinisch-technische Fortschritt hat einen
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen Umfang angenommen und eine Geschwindigkeit entwi-
sind Mitglieder einer Solidargemeinschaft, die auch in ckelt, die ihn kaum noch kontrollierbar erscheinen las-
Zukunft tragfähig gestaltet werden muss. sen. Dieser medizinische Fortschritt hat Chancen ge-
bracht, aber auch Fragen aufgeworfen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria
Eichhorn [CDU/CSU]) Das Thema Sterben und Tod hat dabei einen neuen
Stellenwert bekommen. Der Entwurf zur Gesundheitsre-
Wenn vorgeschlagen wird, Sportunfälle aus dem Leis- form trägt dem Rechnung; denn es geht darum, auch un-
tungskatalog zu streichen, persönliche Rückstellungen ter veränderten Bedingungen ein Sterben in Würde zu
zu bilden und den Zusatzbeitrag über die maximalen ermöglichen, Sterbenden ein menschenwürdiges Umfeld
5 Prozent steigen zu lassen, dann ist das keine Genera- zu schaffen und dabei deren Wünsche und Bedürfnisse
tionengerechtigkeit. Es ist schlicht und einfach ein gro- in den Mittelpunkt zu stellen.
ßer Schritt aus der Solidargemeinschaft heraus.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der neten der SPD)
CDU/CSU)
Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben und
Das gilt auch dann, wenn wir aus der einen Solidarge- nicht allein gelassen werden. Viele Menschen haben
meinschaft 16 Ländersolidargemeinschaften machen Angst vor Fremdbestimmung, Einsamkeit und Schmer-
sollen. Ohne einen Einkommensausgleich und einen zen am Ende des Lebens. Aus dieser Angst heraus mei-
funktionierenden Risikostrukturausgleich ist das nicht nen manche, aktive Sterbehilfe wäre eine Antwort.
möglich. Andernfalls wird es einen Wettbewerb um die Unsere Antwort ist Schmerzlinderung und Sterbebeglei-
guten Risiken geben, der der gesetzlichen Krankenversi- tung.
cherung schadet.
Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der mo-
Gleichzeitig brauchen wir eine kostendeckende dernen Medizin“ forderte in der letzten Legislatur-
Finanzierung. Wenn wir stattdessen auf einen Preiswett- periode zu Recht die Verbesserung der medizinischen,
bewerb setzen, droht eine Verschlechterung der Leistun- pflegerischen und psychologischen Bedingungen in der
gen, zum Beispiel durch die Streichung der Satzungs- letzten Lebensphase. Für CDU und CSU war es daher
leistungen oder die Einschränkung der im SGB V als sehr wichtig, dass in unserer Koalitionsvereinbarung die
5456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Maria Eichhorn
(A) Stärkung von Hospizarbeit und Palliativmedizin festge- Mit der geplanten Gesundheitsreform wird jedoch er- (C)
schrieben wurde. Dem trägt der jetzt vorliegende Ent- möglicht, dass die segensreiche Arbeit der Palliativme-
wurf zur Gesundheitsreform Rechnung. dizin und der Hospize auch den Menschen zugute
kommt, deren größter Wunsch es ist, zu Hause sterben
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
zu dürfen.
Die bisherigen Regelungen im SGB V zur stationären
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
und ambulanten Hospizarbeit werden entsprechend den
Erfordernissen ergänzt. Wir, die Union, begrüßen sehr,
dass die integrative hospizliche Versorgung in das Ge- Vizepräsidentin Petra Pau:
sundheitsreformpaket aufgenommen wurde. Das bedeu- Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die
tet die Erweiterung der Leistungen der Krankenversiche- SPD-Fraktion.
rung und baut auf die hervorragende Arbeit der (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Redet er jetzt
stationären und ambulanten Hospizdienste auf. für die SPD? – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/
In Zukunft erhalten die Versicherten in der gesetzli- DIE GRÜNEN]: Jetzt hören wir, wie gut der
chen Krankenversicherung einen eigenständigen An- Gesetzentwurf ist!)
spruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversor-
gung. Es handelt sich hierbei um eine Gesamtleistung Dr. Karl Lauterbach (SPD):
mit ärztlichen und pflegerischen Leistungsanteilen. Bei Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Bedarf kann die Versorgung rund um die Uhr erbracht Herren! Ich wollte mich eigentlich auf den Bereich der
werden. Damit ist es möglich, den Wunsch zu erfüllen, Prävention konzentrieren. Aber ich mache vorab ein
bis zum Tode in der vertrauten häuslichen Umgebung paar allgemeine politische Bemerkungen, die mir spon-
betreut zu werden. Dieser neue Leistungsanspruch steht tan eingefallen sind.
Patienten zu, die nur noch eine begrenzte Lebenserwar-
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Die kann man
tung haben, aber trotz des besonderen Versorgungsbe-
doch in der Zeitung nachlesen!)
darfs zu Hause versorgt werden können. Nach Berech-
nungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin Diese richten sich an Sie, Kolleginnen und Kollegen von
trifft dies auf etwa 10 Prozent aller Sterbenden zu. Die der Union. Ich muss bei Ihnen Abbitte leisten. Wir haben
übrigen Palliativpatienten werden weiterhin in den bis- uns in den Auseinandersetzungen zum Teil nichts ge-
herigen Strukturen, zum Beispiel stationär, versorgt. schenkt. Aber sie waren immer von einem konstruktiven
Geist getragen. Was man an Ihnen hat, lernt man, wenn
Die Leistung kann nicht nur von Vertragsärzten, son-
man den Populismus, die Niveaulosigkeit und die Herz-
dern auch von entsprechend qualifizierten Krankenhaus-
(B) losigkeit der FDP sieht. Das ist ohne Wenn und Aber (D)
ärzten verordnet werden. Das hat den Vorteil, dass im
meine Position.
Anschluss an eine Krankenhausbehandlung ohne zeitli-
che Verzögerung die spezialisierte ambulante Palliativ- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der
versorgung ermöglicht wird. So können die Sterbenden CDU/CSU)
wieder aus den Krankenhäusern heraus und in das häus-
Herr Kollege Dr. Schily, gerade von Ihnen hätte ich
liche oder in ein anderes vergleichbares Umfeld zurück-
mehr erwartet. Ihre Rede läuft doch darauf hinaus – Herr
geholt werden.
Bahr, konzentrieren Sie sich! –,
Mit der gesetzlichen Absicherung des Leistungsan-
(Heiterkeit bei der SPD – Daniel Bahr [Müns-
spruchs auf eine bedarfsgerechte Palliativversorgung
ter] [FDP]: So ein Oberlehrer!)
wird die ambulante Pflege am Lebensende erheblich ver-
bessert und eine Vernetzung der vorhandenen Strukturen dass Sie jeden, der mit der Privatisierung der gesetzli-
erreicht. Die bereits bestehenden Palliativ-Care-Teams chen Krankenversicherung nicht einverstanden ist, als
haben sich hervorragend bewährt und können nun be- psychisch krank erklären.
darfsgerecht eingerichtet werden. Das wird vor allem
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist doch
Patienten außerhalb von Ballungsräumen zugute kom-
Unsinn!)
men.
– Doch, darauf läuft es hinaus. – Privatisierung ist alles,
Auch die Rahmenbedingungen für Kinderhospize
was Sie hier zu bieten haben. So weit meine politische
werden verbessert. Damit wird eine schon lange beste-
Stellungnahme.
hende Forderung erfüllt. Darüber hinaus wird künftig die
häusliche Krankenpflege in neuen Wohngemeinschaften (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
und Wohnformen sowie in besonderen Ausnahmefällen der CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster]
auch in Heimen als Leistung gewährt. Ein wichtiger [FDP]: Unverschämt!)
Fortschritt ist zudem, dass in Zukunft geriatrische Reha-
Ich komme zum Sachlichen zurück.
leistungen als Pflichtleistungen der Krankenkassen er-
bracht werden. (Lachen bei der FDP)
Wir wünschen jedem, dass er bis zu seinem Lebens- Ich spreche über die Präventionsregelung, die einer der
ende gesund bleibt und im Kreise seiner Angehörigen Gründe ist, warum wir hier diskutieren. Worum geht es
ohne Schmerzen für immer sanft einschläft. Wir wissen überhaupt? Es geht um die Check-up-Untersuchungen
aber, dass dies nur einem Teil der Menschen gegönnt ist. der über 35-Jährigen, beispielsweise um die Krebsfrüh-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5457
Dr. Karl Lauterbach
(A) erkennung bei Männern und Frauen. Wir dürfen das Lesen Sie, Frau Bender, bevor Sie kritisieren, und (C)
Ausgangsproblem nicht vergessen: Diese sinnvollen konzentrieren Sie sich auf die Richtlinien des Bundes-
Leistungen werden bislang sowohl von Frauen als auch ausschusses!
von Männern zu wenig genutzt. Die Check-up-Untersu-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
chung, mit der man Schlaganfälle, Herzinfarkte und Dia-
betesfälle rechtzeitig erkennt, wird von nur 17 Prozent Da ist genau dargestellt, dass der von Ihnen kritisierte
der Bevölkerung wahrgenommen. Bei der Krebsvor- Antigentest bei der Prostatauntersuchung überhaupt
sorge ist es nicht viel besser. Diese Möglichkeit wird von nicht betroffen ist. Der Test ist umstritten.
nur 19 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wahrgenommen. Das heißt, der allergrößte Teil der Vor-
NEN]: Aber Sie stärken die Lobby, die das
sorge wird nicht in Anspruch genommen.
reinkriegen will!)
Es ist richtig, dass nicht jede Vorsorgeuntersuchung – Nein, Sie faseln über etwas, das Sie nicht wissen. Die
sinnvoll ist; das stimmt ohne Wenn und Aber. Wahrheit ist: Sie wussten nicht, dass diese Regelung
überhaupt nicht betroffen ist. Das ist doch der Hinter-
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
grund. Genauso ist es.
NEN]: Eben! – Daniel Bahr [Münster] [FDP]:
Das steht nicht im Gesetzentwurf!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Zudem wird nicht jede Vorsorgeuntersuchung in guter NEN]: Danke, Herr Professor! – Renate
Qualität angeboten, wohl aber die meisten. Wir haben Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn
hier ein riesengroßes Potenzial. Wenn wir die Inan- wir Sie nicht hätten, wären wir alle ganz
spruchnahme der Vorsorge stärken, dann können wir dumm!)
Zehntausende Herzinfarkte, Schlaganfälle und Kompli-
kationen bei Diabetes pro Jahr verhindern. Hier geht es Ich sage das deshalb, weil es sich hier um einen wich-
nicht nur ums Geld, sondern um Menschlichkeit und tigen Bereich handelt. Meine Redezeit läuft wegen der
Qualität. Vergessen Sie nicht: Zwei Drittel der Men- unqualifizierten Bemerkungen ab.
schen, die hier sitzen, werden statistisch gesehen an den (Lachen bei der FDP und beim Bündnis 90/
erwähnten Erkrankungen sterben. Zwei Drittel! Herr Die Grünen)
Kollege Bahr, daher darf hier nicht die übliche parteipo-
litische Polemik auf niedrigem Niveau betrieben wer- Das Potenzial dieser Regelung darf nicht unterschätzt
den. Dafür ist die Sache zu ernst. werden. Hier geht es um Zehntausende Fälle von
Schlaganfällen und Herzinfarkten. Ausgerechnet die
(B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – FDP schwingt sich hier zum Schützer derjenigen auf, die (D)
Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu viel zuzahlen müssen. Das muss man sich einmal
NEN]: Sagen Sie einmal, was den Männern überlegen!
die Früherkennung bringt oder nicht! – Daniel (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist eine unqua-
Bahr [Münster] [FDP]: Prostatakrebs!) lifizierte Äußerung, Herr Lauterbach!)
– Mir wird die Frage gestellt, was die Früherkennung Die FDP, die noch über die Oettinger-Forderung, dass
den Männern bringt. Das kann ich beantworten, Frau bis zu 10 Prozent des Einkommens zugezahlt werden
Bender. sollen, hinausgeht und Zuzahlungen und die Privatversi-
cherung für das alleinige Allheilmittel für die Lösung
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Probleme der Krankenversicherung hält, schwingt
NEN]: Prostatakrebs!) sich heuchelnd zum Schützer der Einkommensschwa-
– Sie haben nach der Früherkennung gefragt. chen vor einer Überforderung auf! Das ist nicht überzeu-
gend!
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heinz
NEN]: Prostatakrebs!) Lanfermann [FDP]: Achten Sie auf Ihre Rede-
– Sie haben zuerst einmal von der Früherkennung ge- zeit!)
sprochen. Bei der Früherkennung ist es so: Bluthoch- Hier muss die Regierung die Linie halten. Das ist eine der
druck wird früh erkannt, die Zuckerkrankheit wird früh vernünftigsten Regelungen, die wir eingeführt haben.
erkannt und das Risiko eines Schlaganfalls wird früh er-
kannt. Wichtig ist auch die Früherkennung von Prostata- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Die Schul-
krebs mittels der Tastuntersuchung. Ich spreche nicht stunde ist zu Ende!)
von dem Antigentest, dem PSA-Test. Ich komme zum Schluss: Meine Damen und Herren,
bringen Sie sich bei der sinnvollen Gestaltung dieser Re-
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gelung ein. Das ist aus meiner Sicht eine Regelung, die
NEN]: Steht alles nicht im Gesetz!) mehr Menschen helfen und mehr Kosten senken wird als
– Nein, aber es steht in den Richtlinien. vieles andere in diesem Gesetz.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aber die ge-
setzliche Regelung fehlt!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
5458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
(A) Vizepräsidentin Petra Pau: hebliche Zuzahlungen. Für eine sachliche Bewertung der (C)
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Peter Vorgänge hier bei uns in Deutschland sollten wir die Re-
Albach. gelungen in anderen Staaten zur Kenntnis nehmen oder
wenigstens erwähnen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sehen wir uns die nordischen Länder an. Unabhängig
Peter Albach (CDU/CSU): davon, dass der Mehrwertsteuersatz dort im Regelfall
Werte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und bei 25 Prozent liegt – dieser Umstand allein würde der
Kollegen! Herr Kollege Bahr und Herr Kollege Schily, FDP schon genügen, Deutschlands definitiven Unter-
meinen Sie mit Freiheit und Wettbewerb das System der gang festzustellen und jeden und alles hier und draußen
USA, ein System, in dem 40 Millionen Menschen nicht zusammenzuschreien; aber das ist ein anderes Thema –,
versichert sind? (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Nein! – sollten wir schon zur Kenntnis nehmen, dass der Lei-
Dr. Konrad Schily [FDP]: Nein!) dende beispielsweise nach den Bestrebungen Schwedens
– Dann wäre es günstig, wenn Sie sich einmal dazu er- die Möglichkeit erhalten soll – das ist eine Absichtser-
klären würden. klärung –, innerhalb einer Woche einen Hausarzt und in-
nerhalb von drei Monaten einen Facharzt aufzusuchen.
Diese Aktuelle Stunde steht unter der Überschrift „Fi- Wartelisten für Krankenhausbetten sind üblich, und zwar
nanzielle Folgen für Beitragszahler und Patienten bei von Dänemark bis Norwegen. Wir dürfen der Öffentlich-
Verwirklichung des von der Koalition vorgelegten Ge- keit in diesem Zusammenhang auch nicht vorenthalten,
setzes zur Gesundheitsreform“. Ich füge ergänzend dass es beispielsweise eine „Patientenbrücke Norwegen“
hinzu: Wir reden über das, was hier als Vorlage kommen gibt, da Norwegen nicht mehr in der Lage ist, eine aus-
wird. Wir reden also ausdrücklich nicht über ein eigenes reichende einheimische Krankenversorgung sicherzu-
Projekt der FDP-Fraktion, sofern es dieses denn gäbe. stellen. Norwegische Patienten, also zweifelsfrei auch
Sie werden auf Dauer im Lichte der kritischen Öffent- Leidende, werden in zunehmendem Maße im Ausland,
lichkeit nicht bestehen können, wenn Sie mangels eige- sprich: in Deutschland, versorgt. So viel, Herr Kollege
ner Gedanken und ohne ein eigenes, geistig inspiriertes Spieth, zu einer Bürgerversicherung.
Gesundheitsprojekt – einmal abgesehen von sehr einfach
gehaltenen Zeitungskolumnen – das Koalitionsvorhaben (Beifall bei der CDU/CSU)
lediglich populistisch attackieren. Frankreichs Gesundheitswesen ist eines der besten
(Beifall bei der CDU/CSU – Daniel Bahr [Müns- nach der – zugegebenermaßen umstrittenen – Bewertung
(B)
ter] [FDP]: Ich schicke es Ihnen zu!) der WHO. Die gesetzliche Krankenversicherung dort er- (D)
setzt nur 75 Prozent der Arztkosten und rund 70 Prozent
Dass Sie in die Formulierung zum Verlangen der Ak- der Arzneimittelkosten. Das sollte man schon wissen,
tuellen Stunde nun auch noch den Patienten neben den wenn man über das Gesundheitsreformvorhaben der gro-
Beitragszahler hineingequetscht haben, passt in Ihre ßen Koalition so abwertend redet.
populistisch angelegte Logik, ist aber nicht zielführend.
Das Wort „Patient“ ist bekanntermaßen dem Lateini- (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth [DIE
schen entlehnt und bedeutet im ursprünglichen Sinne LINKE]: Wollt ihr das anstreben?)
denjenigen, der leidet, also den Leidenden, auch denjeni- – Ich habe leider nur noch wenig Zeit. – Anders als in
gen, der erduldet, nicht unbedingt auch den Abgeordne- Deutschland müssen die gesetzlich Versicherten in
ten. Der Patient, werte Kollegen der FDP, ist also aus- Frankreich ambulante Leistungen wie Hausarztbesuche
drücklich keine fiskalische Kategorie, sondern vorfinanzieren und können dann einen Rückerstattungs-
zuallererst eine menschliche. Dieser Leidende möchte anspruch bei ihren Kassen geltend machen. Dies ist nur
von seinem Leiden befreit werden – auch wenn Sie das ein Beispiel, aber ein signifikantes.
nicht verstehen, ich sage es Ihnen trotzdem –, er möchte
eine Behandlung nach dem besten Stand des medizini- Ich plädiere für mehr Sachlichkeit in der Diskussion
schen Fortschritts, er möchte im Bedarfsfall ein inländi- sowie insbesondere und ausdrücklich für eine gesamt-
sches Krankenhausbett – möglichst wohnort- und zeit- heitliche Betrachtung. Eine solche Betrachtung ist zuge-
nah –, er möchte den schnellstmöglichen Arztbesuch, er gebenermaßen politisch nicht unbedingt opportun, aber
möchte Rehamaßnahmen einschließlich Kuren und er hilfreich und nützlich, zumindest im Umgang mit denen,
möchte zudem Vorsorge und Prävention. Er möchte also für die wir uns hier alle engagieren, für die Leidenden,
Teilhabe an einem Gesundheitswesen und dies vor allem sprich: die Patienten. Vor allem ist es auch finanzierbar.
unabhängig von seiner Krankenversicherung und seinem Wir reden nämlich über ein System, das 240 bis
Einkommen. 250 Milliarden Euro verbraucht.
(Elke Ferner [SPD]: Genau!) Ich komme nun zum Schluss. Jeder Wandel erzeugt
auch Ängste. Das gilt für jeden Bereich unseres mensch-
Er – natürlich auch sie; es gibt auch weibliche Lei- lichen Daseins. Sie als Opposition – das gilt insbeson-
dende; ich möchte mit der Gleichstellungsbeauftragten dere für die FDP – sollten Ihre vornehmste Aufgabe aber
kein Problem bekommen – möchte etwas, womit sich nicht darin sehen, diese Ängste zu schüren.
alle zivilisierten Staaten schwer tun und was es in der
Gesamtheit so gar nicht gibt, zumindest nicht ohne er- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5459
Peter Albach
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir statten die Kassen mit der Möglichkeit aus, Ver- (C)
neten der SPD – Daniel Bahr [Münster] träge mit den Leistungserbringern zu schließen – zum
[FDP]: Wir haben das Leiden in der Koalition ersten Mal in dieser Form.
gesehen!)
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Warum denn?)
– Mehr Sachlichkeit, Herr Bahr!
Es braucht auch Kollektivverträge – das wissen wir –,
Vizepräsidentin Petra Pau: (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Eben!)
Das Wort hat der Kollege Peter Friedrich von der um einheitliche Maßstäbe zu bekommen. Aber sie wer-
SPD-Fraktion. den zum ersten Mal in der Lage sein, tatsächlich Direkt-
verträge mit den Leistungserbringern zu schließen und
Peter Friedrich (SPD): damit einen Wettbewerb um Leistung, um Qualität zu
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und starten.
Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn, dem Kollegen Wer glaubt, dass das nicht funktioniert, muss sich ein-
Hüppe für seinen Beitrag zu danken. Er hat nämlich in mal anschauen, was im Bereich der integrierten Versor-
sachlicher und auch eindringlicher Art und Weise ge- gung in den letzten Jahren bereits gewachsen ist. Die
schildert, was die Patienten von dieser Reform wirklich Kassen beklagen, dass sie unter gleichen Bedingungen
haben werden. Ich glaube, das war sinnvoll und auch die miteinander konkurrieren sollen. Ich kann sehr gut nach-
richtige Antwort auf die Fragen, die mit der Ursprungs- vollziehen, dass sie das nicht wollen, sondern das lieber
motivation zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde über unterschiedliche Beitragssätze tun wollen.
einhergingen.
Es kann nicht sein, dass man in einer Debatte über die
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Frage, wo die Belastungen sind, noch das Hohelied der
der SPD) Rosinenpickerei singt.
Kollege Bahr und Kollege Schily haben hier ein Bild (Dr. Konrad Schily [FDP]: Wer hat denn das
gemalt, das den Eindruck erweckt, dass dem Wettbewerb getan?)
mit dieser Reform der Garaus gemacht wird und wir eine
Art kollektivistische Staatsmedizin bekommen. Das kann es doch wirklich nicht sein. Es wird gepredigt,
dass die Kasse die beste ist, die es am besten schafft,
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Daniel Risiken, das heißt kranke Versicherte abzuwehren.
(B) Bahr [Münster] [FDP]: Einheitskasse!) (D)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der Kollege Spieth wiederum hat behauptet, dass es mit
dieser Reform einen gnadenlosen Wettbewerb um den Das ist nicht die beste Kasse. Die beste Kasse ist die, die
Gesunden gibt. die Menschen mit ihren Krankheiten richtig versorgt.
Darum geht es in dieser Reform.
(Zuruf von der LINKEN: Genauso ist es!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Offensichtlich ist keines von beidem richtig. Dr. Konrad Schily [FDP]: Sie sollen nicht täu-
(Frank Spieth [DIE LINKE]: Na, na, na!) schen!)
Betrachten wir doch einmal die heutige Situation: In Ich möchte noch auf einen speziellen Punkt eingehen,
der GKV gibt es eine Beitragssatzspreizung von fast der mich bei der FDP immer wundert.
4 Prozent. Der Beitragssatz in der billigsten gesetzlichen (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Jetzt bin ich
Krankenkasse liegt momentan bei 11,3 Prozent, während gespannt! – Peter Albach [CDU/CSU]: Da
der Beitragssatz in der teuersten gesetzlichen Kranken- wundert mich alles!)
kasse bei knapp 15 Prozent liegt. Das heißt, bereits heute
ist es so, dass Versicherte für exakt gleiche Leistungen Bei der Frage des Wettbewerbs sagen Sie immer, das
Beiträge bezahlen, die bis zu 50 Euro differieren. Ich PKV-System sei dem GKV-System überlegen. Erstens
wiederhole: für exakt gleiche Leistungen. Ich frage ist es doch seltsam, dass sich die PKV auf genau das ka-
mich, ob dieses System tatsächlich gerecht ist. Allein priziert, was die GKV macht. Es gibt aber noch einen
durch das Wechseln der Kasse aufgrund des unterschied- zweiten Punkt, der mich wundert. Wir haben heute ein
lichen Beitragssatzes entstehen für die GKV in diesem System, in dem die Versicherten, wenn sie sich in jungen
Jahr Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro. Der Wettbe- Jahren einmal für eine private Versicherung entschieden
werb ist lediglich an den Beitragssätzen ausgerichtet. Es haben, ihr Leben lang daran gebunden sind, egal was in
gibt bei uns keinen Wettbewerb um Leistungen und der PKV passiert. Genau an dieser Stelle setzen wir an.
Leistungsversorgungen. Diese Reform dient genau dazu, In Zukunft können sie wechseln, auch zwischen den pri-
diesen Wettbewerb zu schaffen. vaten Kassen. Ich weiß, dass auch Sie das eigentlich
wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Birgitt
Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben (Zustimmung des Abg. Daniel Bahr [Münster]
nicht!) [FDP])
5460 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006
Peter Friedrich
(A) Das muss man dann aber auch sagen, wenn man hier Sie haben zu Beginn beklagt, dass die Verbände die Un- (C)
pauschal erklärt, es werde keinen Wettbewerb mehr ge- terlagen so spät bekommen haben und es doch wirklich
ben. skandalös ist, dann eine fundierte Stellungnahme zu er-
warten. Ich sage Ihnen jetzt einmal Folgendes: Schon
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
vor Montag waren von Verbänden Stellungnahmen zu
CDU/CSU)
Vorentwürfen zu hören,
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
Frage der Demografiefestigkeit und der Vorsorge. Ich (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aha!)
habe im Bereich Rente immer dafür gekämpft, schon bei Angesichts dessen kann ich nicht nachvollziehen, dass
den Jusos, dann auch bei der SPD – das war ein harter Sie die Kürze der Zustellungsfrist kritisieren. Alle Ver-
Kampf –, dass wir zu mehr Kapitaldeckung kommen. bände hatten die Unterlagen schon. Der letzte Entwurf
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Na also! Will- ist allerdings – das ist richtig – etwas spät zugestellt wor-
kommen im Klub!) den.
Im Bereich der Gesundheit muss man aber einmal eine (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Warum sind
ehrliche Rechnung aufmachen, Herr Kollege Bahr. Im sie dann nicht dahin gegangen?)
Bereich Gesundheit haben wir es mit zwei Effekten zu Wenn ich einen Verband und die Interessen eines Ver-
tun. Zum einen haben wir schon heute einen extremen bandes vertreten müsste, dann wäre ich dahin gegangen
Finanzierungsdruck. Da wollen Sie, dass wir heute zu- und hätte gesagt: Ich kann noch keine abschließende
sätzlich auch noch Geld für zukünftige Generationen an- Stellungnahme abgeben. – An vielen Punkten ist aber in
sparen. der letzten Woche überhaupt nichts mehr geändert wor-
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Vorsorge stär- den. Insofern hätten die Verbände zu den anderen Punk-
ken!) ten ihre Stellungnahme durchaus abgeben können.
Was wollen Sie den Menschen heute noch alles zumu- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Warum sind
ten? Sie wissen doch ganz genau, dass die PKV bis heute sie dann nicht dahin gegangen?)
eine verlässliche Antwort auf die Frage schuldig geblie- – Das müssen Sie die Verbände fragen!
ben ist, ob die Rücklagen überhaupt ausreichen, die
Mehrkosten, die durch demografischen Wandel und me- Zweiter Punkt. Sie haben eben beklagt, dass wir an
dizinischen Fortschritt entstehen, zu decken. der Umlagefinanzierung in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung festhalten.
(Elke Ferner [SPD]: So ist es! – Daniel Bahr
(B) [Münster] [FDP]: Immerhin hat sie Rückla- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ich habe be- (D)
gen!) klagt, dass Sie nichts für die demografische
Sie wissen aus den Erfahrungen aus dem Ausland auch, Entwicklung tun!)
dass die Leistungserbringer ihre Strategie darauf aus- – Sie haben das eben beklagt; Sie können es im Proto-
richten, an den Kuchen, der dann definiert ist, auch he- koll wahrscheinlich nachlesen. – Wenn Sie Altersrück-
ranzukommen. stellungen auch in der gesetzlichen Krankenversiche-
(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD]) rung wollen, dann müssen Sie den Menschen bitte schön
auch sagen, dass das heißt: höhere Beitragssätze,
Deswegen glaube ich auch, dass wir gerade für die junge
Generation ein System haben müssen, in dem die Umla- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Vorsorge!)
gefinanzierung weiterhin enthalten ist. und zwar über das hinaus, was ohnehin notwendig ist,
Vielen Dank. damit die Einnahmen die Ausgaben der gesetzlichen
Krankenversicherung auch decken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster] (Dr. Konrad Schily [FDP]: Und wie hoch? –
[FDP]: 26 Prozent Beitrag!) Heinz Lanfermann [FDP]: Ja, und wie hoch
werden die Beiträge in 20 Jahren sein, wenn
Vizepräsidentin Petra Pau: Sie es nicht tun?)
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner aus der SPD- – Das wissen weder Sie noch ich.
Fraktion.
(Heinz Lanfermann [FDP]: Doch, das wissen
(Beifall bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] Sie ganz genau!)
[FDP]: Sie erklärt uns jetzt, was geändert
wird!) Aber auch weder Sie noch ich wissen, ob die private
Krankenversicherung – die im Moment noch eine etwas
günstigere Altersstruktur und ohnehin eine günstigere
Elke Ferner (SPD):
Versichertenstruktur hat, weil sie als Krankenversiche-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
rung bisher immer nur Gesunde aufgenommen hat und
Kollegen und Kolleginnen! Herr Bahr, es ist wirklich
nie Kranke – überhaupt in der Lage ist, das, was an Las-
nett, wie Sie Ihre Aktuellen Stunden immer beantragen.
ten noch auf sie zukommt, über ihre Altersrückstellun-
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: So sind wir!) gen zu finanzieren.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5461
Elke Ferner
(A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniel es bereits gibt, verstärkt in Anspruch genommen werden (C)
Bahr [Münster] [FDP]: Immerhin hat sie sollen. Bei manchen Krankheiten geht es schließlich
Rücklagen gebildet!) schlicht darum, ob man sie überlebt, wenn sie früh genug
erkannt werden. Das sollten auch Sie eigentlich wissen.
Ich finde es wirklich zynisch, dass Sie ein Umlage- Jetzt eine solche Panik zu veranstalten, ist in höchstem
system diskreditieren, in dem meine Eltern, als sie jung Maße unseriös und zynisch.
waren, die Gesundheitskosten für meine Großeltern ge-
zahlt haben, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hubert
Hüppe [CDU/CSU])
(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie ignorieren
doch die demografische Entwicklung!) Es ist gesagt worden, die Versorgung werde mit dieser
Reform schlechter. Dies ist aber die erste Gesundheits-
meine Generation die Kosten für die Generation meiner reform seit langem, die ohne Leistungskürzungen aus-
Eltern und die jüngere Generation unsere Kosten zahlt. kommt. Es wird keine Leistung aus dem gesetzlichen
Es gibt nichts Besseres, als dass Menschen für Men- Leistungskatalog ausgegliedert.
schen bezahlen. Kapital für Menschen, das wird auf
Dauer nicht funktionieren. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das werden wir
noch sehen!)
(Zuruf von der FDP: Das haben wir ja schon
bei der Rente gesehen, Frau Ferner!) Im Gegenteil werden zusätzliche Leistungen verankert:
Hospize, die Palliativversorgung, die geriatrische Reha,
Wir können ja in ein paar Jahren noch einmal darüber Impfungen, die Eltern-Kind-Kuren, all das kommt neu in
diskutieren. den Pflichtleistungskatalog hinein. Denjenigen, die zu
Recht sagen, wir bräuchten eine breitere Finanzierungs-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf
basis, kann ich nur sagen: Wir haben derzeit für eine sol-
von der FDP: Dann diskutieren wir über
che breitere Finanzierungsbasis keine Mehrheit im Bun-
25 Prozent Beitrag!)
destag und im Bundesrat. Aber ich kann Ihnen für meine
Ein weiterer Anwurf war, die Versorgung werde Fraktion genauso wie für meine Partei versichern, dass
durch diese Reform schlechter. wir an dem Ziel der Bürgerversicherung
(Jan Mücke [FDP]: Zynisch ist, den Menschen (Zuruf von der LINKEN: Dann macht sie
Sicherheit vorzugaukeln!) doch!)
– Nein, zynisch ist, was Sie diese Woche auch bei dem und auch an einer deutlichen Verbreiterung der Bemes-
sungsgrundlage festhalten. Die Umsetzung ist nur leider
(B) Thema Vorsorgeuntersuchungen gemacht haben. Sie (D)
propagieren ständig Eigenverantwortung. Wenn Sie Ei- jetzt nicht möglich gewesen.
genverantwortung sagen, dann meinen Sie, die Versi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der
cherten sollen alle Kostensteigerungen der Zukunft al- Abg. Maria Eichhorn [CDU/CSU])
leine bezahlen und sich am besten in einer privaten
Krankenversicherung versichern, mit Risikoprüfung und
Risikozuschlägen, auch wenn sie krank sind oder Behin- Vizepräsidentin Petra Pau:
derungen haben. Diese Menschen kommen in die private Damit ist die Aktuelle Stunde beendet und wir sind
Krankenversicherung heute überhaupt nicht hinein; sie am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
sollen aber alles privat machen. Das ist das, was die FDP Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
meint, wenn sie von Eigenverantwortung spricht. destages auf morgen, Donnerstag, den 19. Oktober 2006,
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Quatsch!) 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Wenn wir von Eigenverantwortung sprechen, meinen
wir, dass die Angebote an Vorsorgeuntersuchungen, die (Schluss: 17.13 Uhr)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5463
Anlage 1 sind, hätte ich eine andere Form der Distanzierung hier-
von für angemessener gehalten. Herr Jany hat nach eige-
Liste der entschuldigten Abgeordneten
nen Aussagen versucht, den Eindruck einer Verquickung
zwischen seinem privaten Verhalten und seiner Amtsträ-
entschuldigt bis gereigenschaft zu vermeiden. Die mögliche Amtsbezo-
Abgeordnete(r) einschließlich genheit der privaten Handlung von Herrn Jany habe ich
geprüft um sicherzustellen, dass der Beamte bei der Er-
füllung seiner Dienstpflichten auch künftig uneigennüt-
Bierwirth, Petra SPD 18.10.2006
zig und unparteiisch handelt.
Fischbach, Ingrid CDU/CSU 18.10.2006 Als Bediensteter der Bundesforschungsanstalt für Er-
nährung und Lebensmittel ist Herr Jany mit Analysever-
Großmann, Achim SPD 18.10.2006 fahren bzw. Methoden zur Ermittlung der Sicherheit
gentechnisch veränderter Lebensmittel sowie zum Nach-
Dr. Kofler, Bärbel SPD 18.10.2006
weis solcher neuartiger Erzeugnisse befasst; der Schwer-
Lehn, Waltraud SPD 18.10.2006 punkt dieser Forschungsarbeiten liegt auf allergenem
Potenzial und unerwarteten Effekten. Herr Jany ist somit
Müller-Sönksen, FDP 18.10.2006 nicht zuständig für Zulassungsverfahren von gentech-
Burkhardt nisch veränderten Pflanzen oder die wissenschaftliche
Bewertung von Daten hierfür. Sein dienstlicher Pflich-
Nitzsche, Henry CDU/CSU 18.10.2006 tenkreis in der Bundesforschungsanstalt ist daher durch
seine private Aktivität nicht betroffen.
Raidel, Hans CDU/CSU 18.10.2006*
(A) 11. August 2005 in Kraft und sind entsprechend erstmals Welche Konsequenzen wird die Bundeskanzlerin ziehen, (C)
auf Jahres- und Konzernabschlüsse für Geschäftsjahre wenn sie in „Bild am Sonntag“ (8. Oktober 2006) erklärt: „Es
reicht jetzt mit den unaufhörlichen Angriffen von Herrn
ab dem 1. Januar 2006 anzuwenden. Die Anteilseigner Struck auf die Ministerpräsidenten der Union“ und der SPD-
können auf die individuelle Offenlegung der Einkünfte Fraktionsvorsitzende Dr. Peter Struck dennoch die Angriffe
von Vorstandsmitgliedern verzichten. unaufhörlich fortsetzt?
Die erhöhte Transparenz der individuellen Vorstands- Weil die Bundeskanzlerin die Ministerpräsidenten fal-
bezüge hat selbstverständlich die Konsequenz, dass die schen Vorwürfen ausgesetzt sah.
Frage der Angemessenheit der Bezüge innerhalb der Be-
legschaft und der Öffentlichkeit verstärkte Aufmerksam- Zu Frage 25:
keit findet. Die Frage stellt sich nicht, weil sie von einer falschen
Annahme ausgeht.
Anlage 4
Anlage 6
Antwort
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Karin Roth auf die Frage des
Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/ des Staatsministers Bernd Neumann auf die Fragen des
CSU) (Drucksache 16/2923, Frage 20): Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP)
(Drucksache 16/2923, Fragen 26 und 27):
Ist die Bundesregierung bereit, noch in diesem Jahr ge-
meinsam mit der Regierung des Königreiches Dänemark ei- Welche Staaten haben das UNESCO-Übereinkommen
nen positiven Grundsatzbeschluss für den Bau der 20 Kilo- vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und
meter langen Fehmarnbelt-Querung von Puttgarden nach zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Über-
Rødby, ein Schlüsselprojekt für Norddeutschland, zu fassen, eignung von Kulturgut (UNESCO-Konvention von 1970)
nachdem die Regierung in Kopenhagen bereits Zustimmung nicht lediglich ratifiziert, sondern auch in nationales Recht
zu dieser mit circa 5 Milliarden Euro privat finanzierten ver- umgesetzt, und in wie vielen Staaten gibt es Ausführungs-
kehrspolitischen Maßnahme signalisiert hat und das EU-Par- gesetze, die über eine 1:1-Umsetzung der Konvention
lament über die in Anspruch zu nehmenden Finanzierungs- hinausgehen?
mittel der transeuropäischen Netze (TEN) bereits Anfang Aus welchen Gründen beabsichtigt die Bundesregierung
Dezember dieses Jahres befinden wird? anders als zahlreiche andere Staaten, keine Vorbehalte zu der
UNESCO-Konvention von 1970 abzugeben, und welche Aus-
(B) Am 21. April 2006 verständigten sich Bundesminister wirkungen hätte eine vorbehaltlose Ratifizierung der völker- (D)
Tiefensee, der dänische Verkehrsminister Hansen sowie rechtlich wirksamen UNESCO-Konvention von 1970 auf die
der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Austermann nationale Regelung des Freien Geleits nach § 20 des Gesetzes
zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung bzw.
auf einen Zeitplan für die Schritte, die bis Ende 2006 zu auf kriegsbedingt ins Ausland verbrachte Kulturgüter?
einer Entscheidung über das Projekt der Festen Feh-
marnbelt-Querung führen sollen. Die Arbeiten laufen Zu Frage 26:
zurzeit noch, sodass derzeit keine Aussagen über die
möglichen Inhalte der Entscheidung getroffen werden Im völkerrechtlichen Verhältnis zueinander sind alle
können. Zu Anmeldungen der Mitgliedstaaten für EU- Vertragsstaaten verpflichtet, ihre Pflichten aus der
Zuschüsse aus der Haushaltslinie der Transeuropäischen UNESCO-Konvention von 1970 zu erfüllen. Dies gilt
Netze (TEN) wird es aufgrund der zurzeit noch laufen- ungeachtet der Frage, ob und wie sie zur Erfüllung die-
den Abstimmungen zwischen Rat, Kommission und Par- ser Pflichten Ausführungsgesetze benötigen und diese
lament zur TEN-Zuschussverordnung nicht vor Frühjahr erlassen haben. Ob ein Ausführungsgesetz zu einem völ-
2007 kommen. Die zitierte anstehende Entscheidung des kerrechtlichen Abkommen erforderlich ist, hängt von
EU-Parlaments bezieht sich auf eben diese Abstimmung der jeweiligen Staats- und Rechtsstruktur des Vertrags-
über die TEN-Zuschussverordnung und nicht auf die staates ab. Der Schluss, ein Staat setze das UNESCO-
projektbezogene Entscheidung über die in Anspruch zu Übereinkommen nicht um, weil er kein Ausführungsge-
nehmenden TEN-Finanzierungsmittel. setz erlassen habe, ist deshalb nicht zwingend. Da es sich
bei den Vorgaben der UNESCO-Konvention von 1970
überwiegend um Rahmenvorgaben handelt, die in Ab-
hängigkeit zu den nationalen Gegebenheiten zu bewer-
Anlage 5 ten sind, kann eine Umsetzung in jedem Staat anders
aussehen. Eine klare „1:1-Umsetzung“ mit gleichem
Antwort Regelungsgehalt in allen Vertragsstaaten, wie sie bei der
der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Fragen Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union
des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Druck- möglich und geboten ist, kann daher im Fall der
sache 16/2923, Fragen 24 und 25): UNESCO-Konvention von 1970 nicht erwartet werden.
Ein Beispiel für Anpassung nationalen Rechts sei den-
Aus welchen Gründen hat die Bundeskanzlerin im ZDF
am 8. Oktober 2006 erklärt, „dass Schluss sein muss damit,
noch genannt: Das Vereinigte Königreich hat einen
dass unentwegt die Ministerpräsidenten der Union angegrif- Straftatbestand geschaffen, durch den der Handel mit
fen werden“? illegalem Kulturgut unter Strafe gestellt ist. Für die deut-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Oktober 2006 5465
(A) sche Rechtslage gilt: Wenn der Staat eine völkerrechtliche politischen Beziehungen des Bundes regelt oder sich auf (C)
Bindung eingehen will (Ratifikation eines Völkerrechtli- Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht.
chen Vertrages), zu deren Erfüllung staatlicherseits in
Rechte der Bürger eingegriffen werden muss, so muss Zu Frage 27:
der deutsche Gesetzgeber rechtzeitig vor In-Kraft-Treten
der völkerrechtlichen Verbindlichkeit die für die Ein- Die Bundesregierung hält einen Vorbehalt für nicht
erforderlich. Auf die Regelung des so genannten Freien
griffe erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrund-
lage sicherstellen. Ist eine geeignete Rechtsgrundlage Geleits in § 20 Kulturgutübereinkommen hat die vorbe-
bereits vorhanden, so kann auch in Deutschland eine ge- haltlose Ratifizierung keine Auswirkung. Bereits jetzt
wird die Provenienz eines Kulturguts im Vorfeld einer
sonderte Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrages
entfallen. Genügt das geltende Recht dagegen nicht, so verbindlichen Rückgabezusage gründlich geprüft. Beste-
muss erst ein entsprechendes Umsetzungs-/Ausfüh- hen Zweifel, ist die Rückgabezusage abzulehnen. Für
kriegsbedingt ins Ausland verbrachte Kulturgüter wird
rungsgesetz erlassen werden, ehe Deutschland in der
Lage ist, das betreffende völkerrechtliche Übereinkom- Freies Geleit ohnehin nicht zugesagt. Für Wiedererlan-
men umzusetzen. gung kriegsbedingt ins Ausland verbrachten Kulturguts
wird Deutschland sich nicht auf die UNESCO-Konven-
Diese Fragen sind unabhängig von der Frage, ob es tion von 1970 berufen können, da die Konvention keine
vor der Ratifikation eines so genannten Vertrags- oder Rückwirkung entfaltet, sich das kriegsbedingt ver-
Zustimmungsgesetzes bedarf. Das ist nach Art. 59 brachte Kulturgut aber zum Zeitpunkt der Ratifizierung
Abs. 2 Satz l GG dann der Fall, wenn der Vertrag die bereits nicht mehr in Deutschland befindet.
(B) (D)
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ISSN 0722-7980