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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
132. Sitzung
Inhalt:
Antwort Antwort
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15602 A BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15625 C
Zusatzfragen
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15602 C Anlage 3
Mündliche Frage 5
Katja Mast (SPD)
Zusatztagesordnungspunkt 1:
Höhe der Kürzungen bei den Maßnahmen
Aktuelle Stunde auf Verlangen aller Fraktio- zur Unterstützung von Langzeitarbeitslo-
nen: Befugnisse und Instrumentarien von sen im SGB II ab 2012 in Baden-Württem-
Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden im berg
Internet bei Verfolgung schwerer Strafta-
ten (Onlinedurchsuchung und Quellen- Antwort
TKÜ) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15625 D
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15603 B
Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 15605 A Anlage 4
Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15606 B Mündliche Frage 6
Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15607 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15608 C Über den Titel „Kosten der internationalen
Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ar-
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15609 D beits- und Sozialpolitik“ finanzierte Maß-
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15611 B nahmen und Anrechnung der eingesetzten
Mittel als ODA-Leistung
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 15612 D Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15613 C BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15626 A
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15614 C
Anlage 5
Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15616 A
Mündliche Frage 7
Frank Hofmann (Volkach) (SPD) . . . . . . . . . . 15617 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD)
Jimmy Schulz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15618 C
Hinweise des BMAS zum Mindestlohn in
Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15619 B der Leiharbeit und Umsetzung des Min-
destlohns nach Einreichung des von Ar-
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15620 C
beitgebern und Gewerkschaften überarbei-
Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15622 B teten Antrags über einen Mindestlohn in
der Leiharbeit
Armin Schuster (Weil am Rhein)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15623 C Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15624 D BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15626 C
Anlage 1 Anlage 6
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15625 A Mündliche Frage 8
Gabriele Hiller-Ohm (SPD)
Bundesweit an Tarifverträge gebundene
Anlage 2 Arbeitgeber und unter den Geltungsbe-
Mündliche Frage 2 reich von Tarifverträgen fallende Arbeit-
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) nehmer im Gastgewerbe
Aussagen zur Barrierefreiheit öffentlicher Antwort
Gebäude im Urteil des Bundessozialge- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
richts von Oktober 2010 BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15626 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 V
Anlage 7 Anlage 12
Mündliche Frage 9 Mündliche Frage 15
Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Entwicklung des Armutsrisikos von Er-
werbstätigen in den letzten 20 Jahren Anschaffung von fünf Euro-Hawk zu Kos-
ten von 1,2 Milliarden Euro
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Antwort
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15627 A Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15628 A
Anlage 8 Anlage 13
Mündliche Frage 10 Mündliche Frage 16
Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD)
Branchen mit einem besonders hohen Ar- Entscheidung des Bundessozialgerichts
mutsrisiko und branchenspezifischem vom Oktober 2010 bezüglich Erstattung
Mindestlohn der Kosten für Treppensteighilfen
Antwort Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15627 B BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15628 B
Anlage 9 Anlage 14
Anlage 10 Anlage 15
Mündliche Frage 12 Mündliche Frage 18
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Unterstützung der Erzeugerorganisatio- In den letzten Jahren energetisch sanierte
nen der Krabbenfischerei bei der Über- Bundesgebäude und Einsparungen an Kos-
nahme von Verantwortung für das Markt- ten und Energie bei Anhebung der Sanie-
geschehen rungsquote gemäß Entwurf der neuen EU-
Energieeffizienzrichtlinie
Antwort
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Antwort
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15627 C Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15628 D
Anlage 11 Anlage 16
Mündliche Frage 13 Mündliche Frage 19
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Gespräche mit den europäischen Nachbarn Steigerung der Energieeffizienz bei europa-
zur Bewältigung der Krabbenfischereikrise weit gleichen Wettbewerbsbedingungen
Antwort Antwort
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15627 D BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15629 B
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Anlage 17 Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Mündliche Frage 20 BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15630 B
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Zeitplan für die Erarbeitung des Entwur- Anlage 22
fes eines Endlagersuchgesetzes
Mündliche Frage 25
Antwort Heike Hänsel (DIE LINKE)
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Entwicklungspolitische Projekte von GIZ
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15629 C
(Deutsche Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit) und SES (Senior Expert
Service) in der Villa Baviera
Anlage 18
Antwort
Mündliche Frage 21
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15630 C
DIE GRÜNEN)
Vergabe des Auftrags für die vorläufige Si-
cherheitsanalyse Gorleben an die Gesell- Anlage 23
schaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit
Mündliche Frage 26
durch das BMU
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Bisher an Vattenfall oder Dritte gezahlte
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15629 C
Fördermittel von EU und Bund für das
CCS-Projekt Jänschwalde und Rückzah-
lung der Mittel angesichts eines fehlenden
Anlage 19
CCS-Gesetzes
Mündliche Frage 22
Antwort
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN)
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15630 D
Notwendigkeit der Novellierung des Kern-
brennstoffsteuergesetzes im Zusammen-
hang mit der Beteiligung der Atomwirt- Anlage 24
schaft an den Sanierungskosten der
Mündliche Frage 27
Schachtanlage Asse II
Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Vorschlag der EU-Kommission zur Kohä-
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15629 D
sionspolitik für die Periode 2014 bis 2020
hinsichtlich der Ausgabe von EFRE-Mit-
teln für Energieeffizienz und erneuerbare
Anlage 20
Energien
Mündliche Frage 23
Antwort
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN)
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15631 A
Fortführung des Impulsprogramms zur
Förderung von Mini-KWK-Anlagen
Anlage 25
Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Mündliche Frage 28
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15630 A Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Einhaltung des Ziels zur Steigerung der
Anlage 21
Energieeffizienz in der EU bis 2020 und des
Mündliche Frage 24 nationalen Ziels der Senkung des Primär-
Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ energieverbrauchs um jeweils 20 Prozent
DIE GRÜNEN)
Antwort
Einbeziehung des Flugverkehrs in den eu- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär
ropäischen Emissionshandel BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15631 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 VII
Anlage 35 Antwort
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 39 BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15636 A
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Stand der Neukonzeption des Büros des Anlage 40
Deutschen Akademischen Austauschdiens- Mündliche Frage 50
tes in Kabul Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Antwort Ausschluss behinderter Menschen vom ak-
Cornelia Pieper, Staatsministerin im tiven und passiven Wahlrecht und diesbe-
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15634 D zügliche Novellierung des Bundeswahlge-
setzes
Anlage 36 Antwort
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 40 BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15636 C
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Verbleib der am 8. Oktober 2011 an Bord Anlage 41
der Fregatte „Köln“ verhörten und an- Mündliche Fragen 51 und 52
schließend in Somalia an Land gebrachten Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
Piraterieverdächtigen DIE GRÜNEN)
Antwort Novellierung des Bundeswahlgesetzes hin-
Cornelia Pieper, Staatsministerin im sichtlich des Ausschlusses behinderter
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15635 A Menschen vom aktiven und passiven Wahl-
recht nach § 13 Nr. 2 und 3 des Bundes-
wahlgesetzes
Anlage 37
Antwort
Mündliche Fragen 41 und 42 Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
Joachim Hörster (CDU/CSU) BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15637 A
Bewertung der Auseinandersetzungen zwi-
schen den Religionsgruppen in Ägypten so- Anlage 42
wie des Verhaltens des ägyptischen Militär-
rats mit Blick auf die Übergabe der Macht Mündliche Frage 53
in demokratische Strukturen Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Europäischer Haftbefehl gegen den Chef
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15635 A des mongolischen Geheimdienstes Bat
Khurts
Antwort
Anlage 38 Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
Mündliche Fragen 47 und 48 BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15637 C
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU)
Regionale Schwerpunkte linker Gewalt; Anlage 43
Gefahr eines Linksterrorismus
Mündliche Frage 54
Antwort Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN)
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15635 C
Abstimmungsstadium des Referentenent-
wurfs für ein Gesetz über die energetische
Anlage 39 Modernisierung von vermietetem Wohn-
raum und über die vereinfachte Durchset-
Mündliche Frage 49 zung von Räumungstiteln sowie Zeitplan
Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) für das weitere Verfahren
Entwicklung linker Gewalttaten in den Antwort
letzten zehn Jahren im Vergleich zu rechter Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
Gewalt BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15638 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 IX
(A) (C)
Redetext
132. Sitzung
(A) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Die öffentliche Debatte im Bundestag gewährleistet, (C)
Naturschutz und Reaktorsicherheit: dass dieser Prozess transparent und permanent ist. Darin
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- sehe ich eine gemeinschaftliche Methode. Es werden
legen! Ich möchte für das Bundesumweltministerium sich inhaltliche Differenzen entwickeln. Aber das Ver-
noch einmal das unterstreichen, was mit dem Monito- fahren, permanent Transparenz, Kontrolle und Fort-
ring-Bericht vorgelegt wird. Es handelt sich dabei um schritt zu ermöglichen, bietet die Möglichkeit, über poli-
den transparenten Bauplan für eine neue Energieversor- tische Kontroversen und Differenzen zu diskutieren, und
gung in Deutschland. Wir haben beschlossen – übrigens führt hoffentlich zu einer gemeinschaftlichen Grundlage.
in einem breiten Konsens –, im Rahmen der Ener- Wir schaffen mit diesem Monitoring-Prozess einen offe-
giewende in Deutschland zwei neue Säulen der Energie- nen, transparenten und permanenten Diskussions- und
versorgung zu errichten. Das geschieht nach und nach in Arbeitsrahmen.
einem langfristigen Prozess über den Zeitraum von
Danke sehr.
40 Jahren. Erneuerbare Energien und Energieeffizienz,
das sind die beiden Säulen der neuen Energiepolitik und
der Energieversorgung. Das Ganze ist ein anspruchsvol- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ler Prozess. Wir müssen neue Technologien entwickeln. Die erste Fragestellerin ist die Kollegin Enkelmann.
Dieser Prozess zielt auf Wirtschaftlichkeit, Sicherheit
und Klimaverträglichkeit ab und besteht im Kern darin, Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
langfristig sowohl die Erzeugung von Strom aus nuklea- Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe gerade gelernt:
rer Energie, also die Verwendung von Uran, als auch die Wir werden in den nächsten Jahren sehr viele Berichte
Produktion von Strom aus fossiler Energie durch diese bekommen. Das ist schön und gut. Ich glaube aber, das
beiden neuen Säulen zu ersetzen. allein wird nicht ausreichen. Es wird vor allen Dingen
Damit ist ein grundlegender Wandel der Sichtweise um politische Konsequenzen gehen. Deswegen lautet
der Politik verbunden. Über Jahrzehnte – Kollege Rösler meine Frage: Ist beabsichtigt, bei diesem Monitoring die
ist darauf eingegangen – handelte es sich hierbei um ein Strompreisentwicklung zu berücksichtigen? Wie kann es
Kampfthema. Jetzt wird es zu einem Gestaltungsthema. vor allen Dingen gelingen, möglicherweise relativ
Es wird zu einem wichtigen Projekt, das wir umsetzen schnell gegenzusteuern, wenn sich die Strompreise an-
wollen – so haben wir gemeinsam entschieden –, und ders als erwartet entwickeln?
das müssen wir gut machen. Wir können es unter breiter
Beteiligung der Öffentlichkeit angehen; denn im Land Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
herrscht Aufbruchstimmung. In den Kommunen, in den Wer antwortet? – Herr Rösler.
(B) Dörfern, in den Kreisen, in den Hochschulen – überall (D)
identifizieren sich Menschen, Institutionen, Verbände
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Einrichtungen mit diesem Thema und wollen han-
und Technologie:
deln.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Abgeordnete, es ist ge-
Wir brauchen erstens einen Bauplan, um zu erkennen: plant, jetzt – nach Einsetzung der Kommission, die den
Liegen wir richtig? Müssen wir nachsteuern? Erreichen Monitoring-Bericht begleiten soll – die einzelnen Krite-
wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben? Dieser Bauplan rien, die im Monitoring-Bericht berücksichtigt werden
funktioniert im Sinne eines Frühwarnsystems bzw. eines sollen, detailgenau anhand von konkreten Indikatoren
Korrekturmechanismus und zeigt uns, ob wir im Plan festzulegen, um Vergleichbarkeit herzustellen. Ich habe
liegen. Man braucht einen solchen Bauplan, wenn das eingangs gesagt, dass die drei großen Ziele der Energie-
Projekt gelingen soll. versorgung – Versorgungssicherheit, Umweltverträg-
lichkeit, aber auch Preisgünstigkeit – eine Rolle spielen.
Zweitens wollen und brauchen wir Transparenz. Das Insofern wird die Preisentwicklung natürlich von Bedeu-
Ganze ist ein Gemeinschaftswerk, nicht ein Vorhaben ei- tung sein.
ner Regierung oder eines Parlaments, sondern, wie ich
glaube, von uns allen. Darum wollen und brauchen wir Ich will darauf hinweisen, dass es hier nicht um un-
die Beteiligung der Öffentlichkeit. Es handelt sich also zählige Berichte geht. Vielmehr wird einmal im Jahr, je-
um einen transparenten Prozess. Ein transparenter Ge- weils im Dezember, der Monitoring-Bericht für das vo-
staltungsprozess braucht unabhängige Partner. Wir rich- rangegangene Jahr vorgelegt und alle drei Jahre ein
ten ein unabhängiges Sachverständigengremium ein, das Fortschrittsbericht. Das bedeutet nicht, dass mit der Er-
regelmäßig berichtet. Alle drei Jahre gibt es einen gro- stellung der Berichte die Arbeit getan ist. Es müssen
ßen Bericht, der über die großen Trends informiert, und vielmehr alle Maßnahmen ergriffen werden, um tatsäch-
der Jahresbericht informiert über die jeweiligen jährli- lich zu guten Ergebnissen zu kommen, und zwar unab-
chen Fortschritte. Die Bundesregierung wird ebenfalls hängig von Berichten. Die Berichte sollen nur besagen,
hierzu berichten. Der erste Adressat dieses Berichts ist ob wir den Pfad einhalten oder nicht. Es geht darum, mit
der Deutsche Bundestag. In diesem Forum wird erstmals wirtschafts- und energiepolitischen Maßnahmen dafür
öffentlich darüber diskutiert. Es gibt eine unabhängige zu sorgen, dass die drei eben genannten Ziele erreicht
Kontrolle durch Sachverständige, die in diesen Prozess werden. Wahrscheinlich werden wir über jede einzelne
integriert werden. Es ist übrigens nicht alltäglich, dass Maßnahme auf politischer Ebene diskutieren. Und auf
die Politik sich selber einem solchen Votum bewusst Ihre direkte Frage: Ja, auch die Preisentwicklung wird
aussetzt. ausdrücklich eine Rolle spielen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15573
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Da es geplant ist, die Fragen des Netzausbaus, des (C)
Herr Hempelmann, die Minister wünschen sich, dass Kraftwerkszubaus, der Ersatzinvestitionen, des Ausbaus
Sie andeuten, von wem Sie die Frage beantwortet haben der erneuerbaren Energien und der Integration in das
möchten; aber notfalls entscheiden sie das untereinander. Netz umfangreich im Monitoring-Bericht zu berücksich-
tigen, werden natürlich auch die Fragen der Speicherung
und der Speicherkapazität eine Rolle spielen, ebenso die
Rolf Hempelmann (SPD): Frage, wie wir es schaffen können, im Bereich der For-
Genau damit wollte ich gerade anfangen. – Meine schung zu Speichertechniken und modernen Technolo-
Frage richtet sich an den Wirtschaftsminister, Herrn gien wie der Elektromobilität voranzukommen! All das
Rösler. Sie haben mehrfach erwähnt, dass es jährliche wird Teil des Monitoring-Berichts sein.
Berichte der Monitoring-Kommission geben soll. Ist da-
rüber hinaus geplant, dieser Kommission so etwas wie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
eine Alarmfunktion zu geben, sodass sie Ihnen kurzfris-
tig, zwischen den jährlichen Terminen, über mögliche Frau Höhn, bitte.
Fehlentwicklungen berichten kann und Sie rechtzeitig
gegensteuern können? Das ist die erste Frage. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister Rösler, der Kollege Röttgen hat eben
Die zweite Frage lautet – nach dem, was Sie gerade ausgeführt, dass Energieeffizienz extrem wichtig ist, um
gesagt haben, befürchte ich, die Antwort schon zu ken- das vereinbarte Ziel zu erreichen. Wir haben schon einen
nen –: Welche Sachverhalte werden eigentlich im Ein- Monitoring-Bericht des UBA, in welchem im Juni dieses
zelnen von der Monitoring-Kommission geprüft? Sie ha- Jahres festgestellt wurde, dass man im Bereich
ben sich gerade auf das Zieldreieck bezogen. Daraus Stromeinsparung viel zu langsam vorankommt, dass das,
können wir sozusagen alles ableiten. Ich glaube, dass ge- was getan wird, ungenügend ist.
rade die Energiespeicherung im Zusammenhang mit
dem Umbau des Energiesystems ein wesentlicher Punkt Sie sind für die Umsetzung der Energieeffizienzricht-
ist. Deswegen frage ich: Ist beabsichtigt im Rahmen des linie zuständig und haben an Verhandlungen in Brüssel
Monitorings zu überprüfen, ob wir zum Beispiel bei der teilgenommen. Die Zeitungen berichten, dass Sie den
Systemintegration der erneuerbaren Energien und all Vorschlag der EU-Kommission, das 20-Prozent-Energie-
dem, was in dem Zusammenhang notwendig ist – Aus- einsparziel für verbindlich zu erklären, nicht mittragen,
bau der Speichertechniken und der intelligenten Netze –, genauso wenig wie die wichtigste Maßnahme, nämlich
weiterkommen? die Energieeinsparverpflichtung für die Energieversor-
ger, die fast 50 Prozent der Energieeinsparung ausma-
(B) chen würde. Könnten Sie deutlich machen, warum Sie (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
diese Maßnahme nicht mittragen? Denn unabhängig von
Ich erinnere an die Ein-Minuten-Regel. Es ist nicht einem Monitoring ist doch das Entscheidende, dass man
so, dass hier gerade ein Handy geklingelt hat. Vielmehr die Ziele erreicht.
ertönt nach einer Minute ein Signal, jedoch nicht nach-
her bei der ersten Antwort in der Fragestunde. – Herr
Rösler, bitte. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Abgeordnete, wir
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft sind uns einig – das ist nicht so häufig der Fall –: Es ist
und Technologie: entscheidend, ob man die Ziele erreicht. Die Bundesre-
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Abgeordneter, es ist gierung hat sich in der Tat selber Ziele für den Bereich
so, dass die Bundesregierung den Bericht dem Deut- der Effizienzsteigerung gesetzt. Wir werden weiter daran
schen Bundestag vorlegen und dann dem Bundesrat arbeiten, diese Ziele zu erreichen. Wir haben umfangrei-
zuleiten wird. Die vier Experten werden den Bericht che Vorschläge gemacht, auch im Rahmen der Ener-
kommentieren. Sollten wir feststellen, dass in der Zwi- giewende. Ich bedauere es sehr, dass der Bundesrat nicht
schenzeit wesentliche Dinge auftauchen, die wir vor der bereit war, im Bereich der energetischen Gebäudesanie-
Berichtsvorlage angehen müssen, dann wird das mit Si- rung seinen Beitrag zu leisten. Das hätte nicht nur der
cherheit hier im Bundestag und im Bundesrat Thema Steigerung der Energieeffizienz gedient, sondern auch
sein, aber ausdrücklich nicht im Rahmen eines Zwi- im Interesse der gewerblichen, mittelständischen Wirt-
schenberichtes zum jährlich zu erstellenden Monitoring- schaft gelegen.
Bericht.
Zur europäischen Energieeffizienzrichtlinie. Dort gibt
Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, es die Vorgabe, Einsparungen in Höhe von 1,5 Prozent
dass es seitens des Wirtschaftsministeriums schon Be- des Energieabsatzvolumens für verpflichtend zu erklä-
richte zur Versorgungssicherheit im Bereich des Gas- ren. Das würde bedeuten: Wenn man dieses Ziel nicht er-
und Strommarkts gibt. Ein ähnlicher Bericht kommt von reicht, wird man mit Sanktionsmaßnahmen rechnen
der Bundesnetzagentur. Diese Berichte werden berück- müssen. Damit haben Sie zwar noch keine Leistung im
sichtigt, bleiben aber als einzelne Berichte erhalten. Sinne einer Steigerung der Energieeffizienz, wohl aber
Ähnliche Berichte gibt es auch im Umweltbereich. Das den Weg in Richtung noch mehr Ordnungsrecht und
heißt, hier wird es immer einen Zwischenstand geben, noch mehr Vorgaben beschritten. Dass wir an der Grund-
den man entsprechend politisch begleiten kann. positionierung „Steigerung der Energieeffizienz“ fest-
15574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Dr. Matthias Miersch (SPD): (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD])
Vielen Dank. – Ich habe eine Frage an beide Bundes- Aus meiner Sicht ist das Ergebnis nicht so schlecht. Ich
minister. Monitoring ist ja keine neue Sache. Das haben finde es nicht schlecht, dass wir Politik jetzt langfristig
wir bereits in der Nachhaltigkeitsstrategie verankert. planen. Wir wollen einen Anteil der erneuerbaren Ener-
Herr Bundesumweltminister, mich verwundert, dass Sie gien an der Stromversorgung von 80 Prozent realisieren.
die externen Gremien anführen. Der Sachverständigenrat Wir wollen Energieeffizienz endlich Wirklichkeit wer-
für Umweltfragen hat Ihnen diesbezüglich die Defizite den lassen und nicht nur als Ziel formulieren.
bereits aufgezeigt. Ist das Kernproblem nicht, dass es bei
Fragen der Energiewende keine klare Federführung gibt? Sie sehen also: Das Zuständigkeitsmodell besteht fort.
Ich möchte Sie ganz konkret fragen: Bei welchem Minis- Auf dieser Basis machen wir erfolgreiche Energie- und
terium soll nach Ihrer Auffassung die Federführung für Klimapolitik. Ich glaube, dass das am Ende zu Ihrer Zu-
den Bereich der unkonventionellen Erdgasförderung, friedenheit sein wird, auch wenn Sie Ihre Zufriedenheit
Fracking, liegen? von Amts wegen, als Oppositionspolitiker, nicht immer
so artikulieren können. Dafür habe ich aber natürlich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Verständnis.
Wer möchte beginnen? – Herr Rösler.
(Rolf Hempelmann [SPD]: Man sollte schon
aufpassen, wenn man sich selber lobt!)
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Ich würde mir überhaupt keine Sorgen machen. Der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Monitoring-Bericht wird von der Bundesregierung be- Frau Kollegin Nestle, bitte.
15576 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): als die Ziele, die wir uns in Deutschland selbst setzen – (C)
Herr Minister Rösler, Sie sprachen in Ihrer Antwort hier nicht politisch zu behandeln sein, sondern wir werden
auf die Frage der Kollegin Höhn die deutschen Energie- mit Ordnungsmaßnahmen einschließlich Strafzahlungen
effizienzziele an. Sie sagten auch, dass Sie Maßnahmen belegt werden können. Ich halte das für den falschen
durchführen möchten, die sicherstellen, dass Deutsch- Weg. Wir sollten alle Anstrengungen zur Energieeffi-
land das Energieeffizienzziel erreicht. Berechnungen zienzsteigerung unternehmen. Ich halte den Weg, den
zeigen, dass das von Deutschland angestrebte Effizienz- die Europäische Union mit dieser starren Vorgabe geht,
ziel von 20 Prozent fast genau dem europäischen Effi- ausdrücklich für falsch.
zienzziel von 20 Prozent entspricht. Darüber wird im
Moment im Zusammenhang mit der Effizienzrichtlinie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
verhandelt. Herr Kollege Caesar.
Da Sie wollen, dass Deutschland dieses Ziel erreicht,
frage ich Sie: Werden Sie dafür sorgen, dass dieses Ziel Cajus Caesar (CDU/CSU):
auch europaweit gilt? Werden Sie sich dafür einsetzen, Herr Minister Röttgen, die Frage geht an Sie. Ich will
dass das 20-Prozent-Ziel in der Effizienzrichtlinie klar an dieser Stelle zunächst einmal hohe Anerkennung da-
verankert wird, und zwar entsprechend dem Vorschlag, für zum Ausdruck bringen, dass die Bundesregierung
den Frau Merkel während der deutschen Ratspräsident- bereit ist, sich unabhängiger Begleitung zu stellen. Das
schaft in die Diskussion über das europäische Recht ein- ist eine hervorragende Voraussetzung für das Parlament,
gebracht hat? Das bedeutet gegenüber der gewohnten die notwendigen Beschlüsse herzuleiten. Es gibt Skepti-
Baseline eine Einsparung um 368 Megatonnen Oil Equi- ker, die darlegen, dass die Beschlüsse, die vom Bundes-
valent auf dann 1 474 Megatonnen Oil Equivalent. Diese tag und der Bundesregierung gefasst worden sind, über-
beiden Zahlen sind in dem Richtlinienentwurf verankert. hastet getroffen wurden. Weiterhin sind die Skeptiker
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass diese beiden Zah- der Meinung, dass die ambitionierten Ziele so nicht er-
len in dem Richtlinienentwurf enthalten bleiben? Wer- reichbar sind.
den Sie sich ferner dafür einsetzen, dass das Monitoring,
wie ursprünglich angedacht, 2013 und nicht 2014 durch- Sind Sie meiner Auffassung, dass es gerade durch die
geführt wird? schnellen Beschlüsse möglich war, Investitionen im Mit-
telstand zu mobilisieren, und dass wir durch die Steige-
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft rung des Anteils erneuerbarer Energien in den letzten
und Technologie: Wochen und Monaten schon jetzt auf dem richtigen Weg
sind, auf dem Weg, den sich Bundesregierung und Bun-
Frau Präsidentin! Frau Abgeordnete, zunächst einmal:
(B) Wir halten in der Tat an dem Ziel einer Steigerung der destagsmehrheit vorgenommen haben? (D)
Effizienz um 20 Prozent fest. Das entspricht der politi-
schen Positionierung der gesamten Bundesregierung. Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Dieses Ziel hat Frau Bundeskanzlerin Merkel in ver- Naturschutz und Reaktorsicherheit:
schiedenen Reden dargelegt. Deshalb ist es überhaupt Zunächst einmal, finde ich, kann man festhalten, dass
erst zur Diskussion auf europäischer Ebene gekommen. die Energiewende eine Reaktion auf die Erfahrung der
Nuklearkatastrophe in Fukushima war. Ich halte es nach
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des wie vor für richtig, dass man, wenn ein solches Ereignis
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) passiert, zeitnah entsprechende Konsequenzen zieht.
Wenn wir wollen, dass sich unsere europäischen Part-
Zweitens. In diesem Hause haben alle Fraktionen bis
ner ebenfalls ehrgeizige Ziele setzen, wie Deutschland es
auf eine zugestimmt – das kommt nicht jeden Tag vor –,
getan hat, dann ist es am besten, dass wir uns nicht nur
und im Bundesrat haben alle 16 Bundesländer zuge-
Ziele setzen, sondern auch versuchen, diese Ziele zu er-
stimmt. Das Verfahren hat also eine breite Zustimmung
reichen. Unter diesem Gesichtspunkt sehe ich die Effi-
erzeugt. Ein Verfahrensmangel ist nicht ersichtlich. Das
zienzrichtlinie durchaus kritisch, weil darin nicht nur ein
Verfahren kann nicht so schlecht gewesen sein, wenn es
Ziel beschrieben und vereinbart wird, dass alle mögli-
am Ende eine solche Zustimmung gibt. Unter wirtschaft-
chen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um die-
lichen Gesichtspunkten – nicht nur, was den politischen
ses Ziel zu erreichen, sondern auch eine Vorgabe ge-
Aspekt anbelangt – ist die wichtigste politisch-staatliche
macht wird, nämlich die 1,5-Prozent-Reduzierung.
Leistung, dass Investitionssicherheit vermittelt worden
(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist. Darin liegt die wirtschaftliche Bedeutung. Man ist
NEN]: Ich habe nach den 368 Megatonnen ge- vom Kampf zum Konsens gekommen. Alle, die jetzt
fragt! Ich habe nicht nach 1,5 gefragt!) mitmachen wollen, haben Sicherheit; diese haben wir
gewährleistet.
– Ich habe Ihnen meine Position genannt.
(Rolf Hempelmann [SPD]: Das hätten wir vor
Unsere Positionierung ist: Das ist der klare Einstieg in 11 Jahren haben können!)
Ordnungsrecht. Deswegen lehnen wir – jedenfalls mein
Ressort – diese Energieeffizienzrichtlinie ausdrücklich Drittens. Ich möchte trotz des Signaltons der Präsi-
ab; denn damit würde der Weg in Richtung Ordnungs- dentin noch eine Zahl nennen, die zeigt, dass wir auf ei-
recht beschritten. Wenn man diese Vorgaben von euro- nem guten Kurs sind. Als wir über dieses Thema debat-
päischer Ebene aus nicht erfüllt, dann wird dies – anders tiert haben, war von 17 Prozent Anteil der erneuerbaren
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15577
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) Energien an der Stromerzeugung die Rede. Im ersten von Sachverhalten und Zahlen, die dann vorliegen, de- (C)
Halbjahr 2011 betrug dieser Anteil nicht 17, sondern battieren. Das wäre jedenfalls mein Vorschlag, wie wir
20,8 Prozent. Das sind erneut 14 Prozent mehr; der An- mit diesem Thema umgehen sollten.
teil ist fast so hoch wie früher der Anteil der Kernener-
gie. Das heißt, der Ausbau geht verlässlich und dyna-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
misch weiter.
Herr Kelber, bitte.
Die Festsetzung der EEG-Umlage für das nächste
Jahr ist trotz des Ausbaus praktisch stabil. Die Umlage
steigt um 0,06 Cent pro Kilowattstunde; es geht also um Ulrich Kelber (SPD):
einen Betrag im Centbereich. Das sind 18 Cent für einen Den Kollegen Paul möchte ich zunächst kurz daran
Vierpersonenhaushalt im Monat bzw. 2 Euro im Jahr. erinnern, dass er am 30. Juni dieses Jahres in namentli-
Wir haben einen dynamischen Ausbau, und die Kosten cher Abstimmung gegen eine eigenständige Rolle des
sind stabil. Das sind eine erste Erfolgsmeldung und eine Bundestages im Monitoring-Prozess gestimmt hat.
Konsequenz unserer Entscheidung.
Meine Frage richtet sich an den Bundeswirtschafts-
minister. Aus Gründen der Energieeffizienz hat sich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: diese Regierung wie auch die Vorgängerregierung öf-
Es ist interessant, wie viele Zahlen eine Zahl ausma- fentlich dafür ausgesprochen, das Top-Runner-Prinzip in
chen können. – Frau Menzner, bitte schön. die europäische Ökodesign-Richtlinie und in die Ener-
gieeffizienzrichtlinie einzubeziehen. Jedes energiever-
Dorothee Menzner (DIE LINKE): brauchende Gerät wird demnach gekennzeichnet, um
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Minister Röttgen, ich wie viel schlechter es ist als die energieeffizientesten
habe Fragen zu den voraussichtlichen Ergebnissen des Geräte; für Geräte, die besonders viel Energie verbrau-
Monitoring-Prozesses. Wenn sich herausstellt, dass die chen, wurde sogar ein Verkaufsverbot beschlossen. Aus
aktuellen Prognosen nicht zutreffen, wenn zum Beispiel Protokollen wissen wir allerdings, dass sich die Beamten
der Anteil erneuerbarer Energien sehr viel schneller des Bundeswirtschaftsministeriums in den Verhandlun-
steigt, wäre die Bundesregierung dann bereit, entspre- gen gegen die Anwendung des Top-Runner-Prinzips auf
chende Schlüsse daraus zu ziehen und beispielsweise europäischer Ebene ausgesprochen haben, trotz der Fest-
– entgegen der bisherigen Beschlusslage – die Laufzei- legung der Regierung. Werden Sie eine Dienstanweisung
ten der AKW zu kürzen? Inwieweit fließen neue Er- an Ihre Beamten aussprechen, die Ankündigungen der
kenntnisse in den Monitoring-Prozess ein? Ich möchte Bundesregierung in den Verhandlungen auf europäischer
(B) an dieser Stelle auf die am Montag veröffentlichte Studie Ebene in Zukunft umzusetzen? (D)
verweisen, in der sehr deutlich gemacht wird, dass aus
der Sicht des Arrhenius-Instituts kein Neubau von Koh- Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
lekraftwerken nötig ist, um die Ziele zu erreichen, und und Technologie:
folglich auch keine Förderung derselben. Die Bundesre-
gierung sieht das bisher anders. Darauf hätte ich gerne Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, halten wir zu-
eine Antwort von Ihnen. nächst einmal fest: Es ist dieser Bundesregierung wich-
tig, einen Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz zu
leisten. Wir haben in den Diskussionen immer deutlich
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, gemacht, dass wir möglichst effiziente Produkte brau-
Naturschutz und Reaktorsicherheit: chen. Wir haben dafür geworben, die Energieeffizienz
Sehr geehrte Frau Kollegin, wir stellen heute einen besonders zu betonen, weil es, auch aus Sicht des Ver-
Prozess dar, mit dem überwacht, kontrolliert und Trans- brauchers, ein Marktvorteil ist, wenn man über mög-
parenz geschaffen wird. Jedes Jahr – ich betone: jedes lichst sparsame funktionierende Geräte verfügt.
Jahr – wird ein Bericht veröffentlicht, der an den Bun-
destag geht. Ich finde es, offen gestanden, nicht wirklich Man muss sich genau überlegen, in welchem Umfang
sinnvoll, jetzt zu überlegen: „Was könnte in dem Be- man das Top-Runner-Prinzip, so wie Sie es beschrieben
richt, der in einem Jahr veröffentlicht wird, stehen?“ und haben, verpflichtend anwenden und als feste Vorgabe
hypothetisch über die Frage „Was wäre, wenn …?“ zu formulieren sollte. Als Wirtschaftsminister muss man
diskutieren. immer zwischen der wirtschaftlichen Notwendigkeit auf
der einen Seite und den Ansprüchen an Energieeffizienz
Das Wichtigste ist, dass es diesen Prozess gibt. Dann auf der anderen Seite abwägen. Dieses Thema werde ich
ist es Sache der unabhängigen Sachverständigen, ihr Vo- selbstverständlich ganz kollegial mit meinen Mitarbeite-
tum abzugeben. Die Regierung wird ihr Votum abgeben. rinnen und Mitarbeitern besprechen, so wie es sich für
Das Parlament wird debattieren und gegebenenfalls auch einen guten Minister gehört. Dann werden wir sehen, ob
entscheiden. Aber wir sollten jetzt nicht im Nebel he- wir unser Ziel, möglichst energieeffiziente Produkte auf
rumstochern und uns fragen: Was könnte in dem Bericht den Markt zu bringen und ihnen Marktvorteile zu ver-
stehen? Die Sachverständigen sollen den Bericht verfas- schaffen, erreichen können oder nicht.
sen und ihre Stellungnahmen abgeben. Dann haben wir
eine Grundlage für die Diskussion und für unsere Ent- (Frank Schwabe [SPD]: Was war das denn für
scheidung. Wir sollten aber nicht über hypothetische eine Antwort? – Gegenruf des Abg. Ulrich
Fragen diskutieren, sondern wir müssen auf der Basis Kelber [SPD]: Keine!)
15578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun- Zweitens. Ich habe gerade gesagt, der Sachverhalt sei (C)
desminister für Wirtschaft und Technologie: sehr komplex und schwierig. Es geht um Verordnungs-
Es wird in dem Artikel der Berliner Zeitung der Be- ermächtigungen und um das Energiewirtschaftsgesetz.
schluss des Bundesgerichtshofs genannt, datiert vom Wir brauchen schon ein bisschen mehr Zeit als eine Wo-
28. Juni 2011. Die Urteilsbegründung lag dann am che oder zwei Wochen, um so etwas zu ändern. Wir sind
14. Juli 2011 vor. an der Arbeit. Das, was in der Berliner Zeitung zitiert
wird, vereinfacht das Ganze erheblich. Übrigens muss
Es wurde zunächst immer gefragt: Wieso haben wir man hinter die genannten Zahlen viele Fragezeichen set-
im Zusammenhang mit dem Energiepaket nicht gehan- zen.
delt? Noch einmal: Das Urteil des Bundesgerichtshofs
ist vom 28. Juni 2011 und die Begründung vom 14. Juli Damit ist zu diesem Bereich das Nötige gesagt.
2011. Hingegen ist das Energiepaket bereits am Anfang
Juni 2011 im Kabinett und am 8. Juli 2011 vom Bundes- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
rat beschlossen worden. Die zweite und dritte Lesung Frau Nestle hatte sich zur dringlichen Frage 1 gemel-
hier im Bundestag war Ende Juni. Eine Einbindung in det; deshalb ist sie jetzt an der Reihe. Frau Menzner, Sie
das Energiepaket war deswegen vom zeitlichen Ablauf dürfen noch zwei Nachfragen zu den dringlichen Fragen
her überhaupt nicht möglich. Es bestand also nicht genü- stellen.
gend Spielraum, das Problem im Rahmen des Energie-
paketes aufzugreifen, zumal die rechtlichen Zusammen- Frau Nestle, bitte.
hänge erheblich komplexer sind, als es in dem Artikel
beschrieben wird. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir beschäftigen uns jetzt damit. Das ist eine sehr Herr Staatssekretär, hat die Bundesnetzagentur das
komplizierte Materie. Es geht um das Energiewirt- Bundeswirtschaftsministerium schon vor der Urteils-
schaftsgesetz, das angepasst werden muss. Dann folgen verkündigung auf das schon länger laufende Rechtsver-
die Verordnungsermächtigungen. Der Bundesgerichts- fahren zu dem Produktivitätsfaktor hingewiesen und
hof hat uns mitgeteilt, dass Verordnungen im Zusam- vorgeschlagen, eine gesetzliche Grundlage für diesen
menhang mit dem sektoralen Produktivitätsfaktor allein Produktivitätsfaktor zu schaffen, und, wenn ja, wann
nicht ausreichen. Deshalb brauchen wir ein neues Paket. und in welcher Form?
Wir befinden uns in enger Abstimmung mit der Bundes-
netzagentur und werden Vorschläge vorlegen. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin Nestle, natürlich war der Bundesregie-
(B)
Frau Menzner, Sie haben noch eine weitere Nach- rung das Verfahren bekannt. Mir ist im Augenblick nicht (D)
bekannt, ob die Bundesnetzagentur vorher darauf hinge-
frage. Sie haben danach noch zweimal die Möglichkeit,
wiesen hat. Aber klar war, dass ein Verfahren läuft.
nachzufragen. Auch Frau Nestle hat sich gemeldet.
Ich habe gerade gesagt: Wir haben den Ausgang des
Bitte schön, Frau Menzner.
Verfahrens abgewartet. Wir werden jetzt die Konsequen-
zen ziehen. Wir werden gemeinsam mit der Bundesnetz-
Dorothee Menzner (DIE LINKE): agentur sehen, welche konkreten Konsequenzen gezo-
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das seiner- gen werden müssen.
zeit anhängige Gerichtsverfahren als so aussichtslos be-
trachtet haben, dass Sie sich keine Gedanken darüber Ich sage noch einmal: Das ist nicht ganz so einfach,
gemacht haben, ob eine Änderung notwendig ist? Ist es wie es in dem Zeitungsartikel steht, sondern es ist ein re-
richtig, was in dem Artikel der Berliner Zeitung be- lativ komplexer Sachverhalt.
schrieben wird, dass es nämlich auch zu einer Vorschrif-
tenänderung gekommen ist, die die industriellen Groß- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
verbraucher von den Netzentgelten entlastet und daher Frau Menzner, bitte.
bei den kleinen und mittleren Verbrauchern, also bei pri-
vaten Haushalten und beim Mittelstand, zu einer zusätz- Dorothee Menzner (DIE LINKE):
lichen exorbitanten Steigerung führt? Wie steht die Bun- Sie sagen, Sie seien an der Arbeit. Uns interessiert,
desregierung dazu? wann wir mit einer entsprechenden Vorlage rechnen
können. Zieht man die Zahlen, die wir nicht nur aus die-
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun- sem Artikel, sondern auch aus anderen Quellen kennen,
desminister für Wirtschaft und Technologie: zurate, stellt sich durchaus das Bild dar, dass die
Frau Kollegin Menzner, zunächst zu dem Vorwurf, Netzentgelte je nach Region sehr unterschiedlich sind,
den Sie in den Raum gestellt haben: Wir haben – wie es weil es immer darauf ankommt, wie groß und umfäng-
jeder Regierung, jedem Parlament zusteht – das Urteil lich ein Netz ist, wie alt es ist und wie viele Verbrauche-
des Bundesgerichtshofs und die Urteilsbegründung ab- rinnen und Verbraucher es finanzieren. Da schließt sich
gewartet. Das Urteil des Bundesgerichtshofs wurde kurz für mich die Frage an, ob, wenn Sie schon dabei sind zu
vor der dritten Lesung des Energiepakets in diesem überarbeiten, ein regionaler Ausgleich angedacht ist.
Hause verkündet und konnte überhaupt nicht mehr be- Bisher nämlich ist es, vereinfacht gesagt, so, dass die
rücksichtigt werden. ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger sehr viel höhere
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15581
Dorothee Menzner
(A) Netzentgelte zahlen als die Bürgerinnen und Bürger in Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Westdeutschland in den industriellen Ballungsgebieten. Vielen Dank. – Ich habe eine Nachfrage zu dem zwei-
ten Thema, das in der Debatte zu den Netzentgelten auf-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau kam, nämlich zu § 19 Stromnetzentgeltverordnung, der
so ist es!) die Entlastung sehr großer Verbraucher von einem Teil
der Netzentgelte vorsieht. Warum entlasten Sie Großver-
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun- braucher von Netzentgelten, ohne dass diese irgendeinen
desminister für Wirtschaft und Technologie: Nachweis liefern müssen, dass sie tatsächlich zur Sys-
Zunächst einmal zum ersten Teil Ihrer Frage. Wir be- temstabilität beitragen, und belasten damit mittlere Un-
finden uns im Augenblick in der Regulierungsperiode ternehmen und die anderen Verbraucher?
2009 bis 2013. Wir prüfen, wie wir das Ganze so umset-
zen können, dass es 2012 wirksam wird und dass für die Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Jahre 2012/2013 noch in dieser Regulierungsperiode desminister für Wirtschaft und Technologie:
Änderungen vorgenommen werden. Außerdem geht es Wir haben leider den Mechanismus, der übrigens
natürlich um die nächste fünfjährige Regulierungspe- nicht von uns, sondern von Vorgängerregierungen einge-
riode. Wir arbeiten unter Hochdruck. Wie die Lösung führt wurde, dass die Verbraucher in verschiedener
konkret aussehen wird, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Weise durch vieles belastet werden, was an anderer
Stelle an Ausnahmen vorgesehen wurde.
Ich will Ihnen aber eines deutlich machen: Dieser
sektorale Produktivitätsfaktor wurde gerade deshalb ge- Wir haben dafür zu sorgen, dass unser Wirtschafts-
schaffen, weil wir vom Wettbewerb auf dem Markt aus- standort intakt bleibt und die Wettbewerbsbedingungen
gegangen sind, und wenn Unternehmen aus einer Mono- so gestaltet werden, dass große Unternehmen wie auch
polstellung kommen, haben sie Möglichkeiten zum kleine und mittlere Unternehmen die Energiekosten de-
Produktivitätsfortschritt, die wir nutzen wollen. cken können. Das ist eine sehr schwierige Gratwande-
rung. Wir werden das auch an dieser Stelle mitberück-
sichtigen müssen. Seien Sie versichert: Das werden wir
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sehr verantwortungsvoll tun.
Sie haben noch eine Frage offen. Bitte, Frau Menzner.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dorothee Menzner (DIE LINKE): Vielen Dank. – Jetzt kommen wir zu einem Experi-
Danke, Frau Präsidentin. – Ich muss noch eine wei- ment. Besser gesagt werden wir Teil eines Experiments,
das die Parlamentarischen Geschäftsführer miteinander (D)
(B) tere Nachfrage stellen. Habe ich Sie richtig verstanden,
dass das, was Sie noch bis Ende des Jahres auf den Weg verabredet haben, nämlich dass wir alle Fragen, die sich
bringen wollen – darüber wird zurzeit in den Medien be- mit der sogenannten Onlinedurchsuchung beschäftigen,
richtet, nicht nur in der Berliner Zeitung, sondern auch in erstens unabhängig vom jeweiligen Geschäftsbereich
anderen Zeitungen und im Rundfunk –, nämlich dass nacheinander beantworten, und zwar zweitens trotz der
Kundinnen und Kunden im nächsten Jahr mit deutlich Aktuellen Stunde, die zu diesem Thema folgen wird.
höheren Gebühren zu rechnen haben, nicht stattfinden Wir werden Teil dieses Experiments, außer Sie sind
wird? Für Sie und mich sind die 40 Euro im Jahr, die in nicht damit einverstanden. – Das scheint mir nicht der
diesem Zusammenhang kolportiert werden, vielleicht Fall zu sein. Dann werden wir so verfahren.
kein horrender Betrag; aber es gibt sehr viele Familien,
für die das durchaus ein hoher Betrag ist. Können wir Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Ministe-
also davon ausgehen, dass Sie das Gesetzgebungsverfah- riums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der
ren so zeitnah hinbekommen, dass das nicht realisiert Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur
wird? Verfügung.
Ich rufe die Frage 43 des Kollegen Volker Beck auf:
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun- Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung von der
desminister für Wirtschaft und Technologie: Existenz und von dem möglichen Einsatz des vom Chaos
Computer Club, CCC, entdeckten Trojaners, und wer trägt
Frau Kollegin Menzner, die 40 Euro, von denen Sie nach Kenntnis der Bundesregierung für den Trojaner – seine
ausgehen, sind ein hoher Betrag. Unser großes Ziel ist Entwicklung, seine Weitergabe an Dritte, seinen Einsatz – die
es, die Energieversorgung auch weiterhin für alle bezahl- rechtliche oder politische Verantwortung?
bar zu halten. Deshalb muss man jetzt die Konsequenzen Herr Staatssekretär.
ziehen.
Wir sind im Abstimmungsprozess. Ich kann heute Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
nicht sagen, wann das Vorhaben im Kabinett behandelt minister des Innern:
wird und wann es ins Parlament kommt. Aber Sie kön- Herr Kollege Beck, die Antwort lautet wie folgt: Die
nen sicher sein, dass wir das sehr zügig machen werden. Bundesregierung hat keine über die Presseberichterstat-
tung hinausgehende Erkenntnis über die Existenz und
den möglichen Einsatz der vom Chaos Computer Club
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: analysierten Software. Die rechtliche und politische Ver-
Eine Nachfrage von Frau Nestle dazu. antwortung für den Einsatz einer Software zur Quellen-
15582 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dem Ministerium von Anfang an bekannt war, dass die (C)
Nein, Herr Klingbeil, das dürfen Sie nicht, weil es eingesetzte Software nicht vollständig überprüfbar war,
nicht Ihre eigene Frage ist. – Herr Hartmann, bitte. sondern dass man sich auf das verlassen musste, was die
Firma geliefert hat?
Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD):
Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, wann Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
im Bundesinnenministerium bekannt wurde, dass man minister des Innern:
nicht den Quellcode der eingesetzten Quellen-TKÜ Nein, wir haben die Software selbstständig überprüft,
kennt? um den rechtlichen Anforderungen und auch den richter-
lichen Beschlüssen Rechnung zu tragen.
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister des Innern: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bei einer Software, die wir einsetzen, die wir aber Herr Oppermann, bitte.
nicht selber programmieren, ist selbstverständlich, dass
wir den Quellcode nicht kennen. Nur die Firma, die die
Thomas Oppermann (SPD):
Software programmiert hat, kennt ihn. Wir kennen
selbstverständlich den Maschinencode, das heißt das Da stellt sich für mich die Frage, Herr Staatssekretär,
ausführbare Programm, und die Funktionen, die mit die- wie Sie das ohne Kenntnis des Quellcodes machen kön-
sem Programm möglich sind. Das wird in jedem Einzel- nen.
fall vorher geprüft, um den richterlichen Anordnungen Meine eigentliche Frage lautet, ob es nicht insgesamt
Rechnung zu tragen. angezeigt wäre, wenn in einer so sensiblen Materie wie
der Überwachung laufender Computerkommunikation
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: durch den Staat der Staat selbst die volle Kontrolle über
Herr Hofmann. die Überwachungsvorgänge behält, indem er die Soft-
ware selbst entwickelt und weiterentwickelt, sicher auch
unter Nutzung privaten Know-hows, aber doch unter
Frank Hofmann (Volkach) (SPD):
ständiger vollständiger staatlicher Kontrolle des gesam-
Herr Staatssekretär, üblicherweise gehen die Ermitt- ten Vorgangs.
lungsrichter den Anträgen von Staatsanwaltschaften
nach, die jeweils von den Polizeien geschrieben werden.
Sie haben gesagt, wenn ein Ermittlungsrichter Screen- Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
(B) shots anordne, werde das auch gemacht. Üblicherweise minister des Innern: (D)
erfolgt das aber auf Wunsch der Strafverfolgungsbehör- Ich möchte betonen, dass die Behörden des Bundes
den. Ermittlungsrichter gehen selten darüber hinaus. Ich selbstverständlich bei jeder Telekommunikationsüber-
frage Sie deshalb, ob Sie der Meinung sind, dass die wachung und erst recht bei der Quellen-TKÜ die volle
Strafverfolgungsbehörden jeweils solche Anträge ge- Kontrolle über die Software haben.
stellt haben, und ob Sie davon ausgehen, dass auch die
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!)
Strafverfolgungsbehörden das für rechtmäßig halten.
Das wird auch revisionssicher protokolliert. Das kann
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- der jeweilige Richter einsehen. Damit kann genau der
minister des Innern: Vorwurf, den Sie eben geäußert haben – im Übrigen,
Ich kann hier lediglich für die Bundesregierung spre- ohne entsprechende Anhaltspunkte zu haben –,
chen und erklären, dass von Bundesbehörden keine (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Richtig!)
Screenshots durchgeführt und auch keine Programme
verwendet wurden, die solche Screenshots ermöglichen. dass nämlich Beamte sich nicht rechtsstaatlich verhalten
Es ist natürlich klar, dass auch die Länder Ermittlungen haben, entkräftet werden.
durchführen.
Ich möchte außerdem betonen, dass in unserem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Rechtsstaat nicht die Polizeien die Ermittlungen leiten, Herr Hunko, bitte.
sondern immer noch die Staatsanwaltschaften.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Andrej Hunko (DIE LINKE):
NEN]: Nur das BKA glaubt das nie! Deshalb Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Schröder, vorges-
fragt der Kollege!) tern wurde bekannt, dass die Schweiz das Ersuchen an
das LKA Bayern stellte, einen Server in Nürnberg zu
überwachen. Es ging um ein Verfahren gegen zwei linke
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Aktivistinnen. Mit Hard- und Software der Firma Digi-
Herr Reichenbach, bitte. Task wurde der Mailverkehr der beiden abgeschnüffelt.
Auch Schweizer Polizisten waren dafür in Nürnberg ein-
Gerold Reichenbach (SPD): gesetzt. Der Spiegel weiß von mindestens einem weite-
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort auf die ren Fall von Rechtshilfeersuchen einer ausländischen
Frage des Kollegen Michael Hartmann entnehmen, dass Regierung.
15584 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Andrej Hunko
(A) Meine Frage: Von Behörden welcher Regierungen hat Bundesbehörden könnten diese Trojaner vollständig prü- (C)
das Bundeskriminalamt in den letzten fünf Jahren fen; denn der Chaos Computer Club habe es ohne Quell-
Rechtshilfeersuchen entgegengenommen, die später in code auch gekonnt. Das ist eine Antwort mit Chuzpe,
eine Überwachung der Telekommunikation durch die aber so kann man, finde ich, Abgeordnete nicht abspei-
Firma DigiTask mündeten? sen. Der Chaos Computer Club hat ja selbst geschrieben,
dass er nur eine oberflächliche Prüfung durchführen
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- kann. Dass er dabei so viel herausgefunden hat – so hat
minister des Innern: er geschrieben –, ist nur deswegen möglich gewesen,
Sie haben im ersten Fall von einem Rechtshilfeersu- weil dieser Trojaner so miserabel gebaut worden ist.
chen an das Landeskriminalamt berichtet. Darüber kann Deswegen in allem Ernst meine Frage an Sie: Halten
ich keine Auskunft geben. Sie es für richtig, rechtsstaatlich und möglich, dass staat-
Ich kann Ihnen auch nicht en détail sagen, wie viele liche Behörden auf Bundesebene einer privaten Firma
Rechtshilfeersuchen es gegenüber dem BKA gegeben gegen Geld den Auftrag erteilen, eine solche Software
hat. zu entwickeln, sich aber damit begnügen, dass sie von
der Firma keinen Quellcode bekommen und damit eine
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das vollständige Prüfung aller möglicherweise versteckten
können Sie aber nachliefern, wenn Sie es jetzt Funktionalitäten gar nicht vornehmen können?
nicht beantworten können! – Gegenruf des
Abg. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
machen wir im Bayerischen Landtag! – Ge-
minister des Innern:
genruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE
LINKE]: Aber nicht für das BKA! Dafür ist er Entscheidend ist, welche Software im konkreten Fall
nicht zuständig!) angewendet wird. Das ist der rechtsstaatliche Maßstab.
Das wird durch eine revisionssichere Protokollierung si-
chergestellt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Lischka. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das Verfassungsgericht sieht das ganz
anders!)
Burkhard Lischka (SPD):
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie denn die Aus- Wenn der Richter anordnet, dass nur die entsprechende
sage eines Beamten Ihres Hauses heute Morgen im Telekommunikation überwacht werden darf, dann darf
Rechtsausschuss, dass ohne Kenntnis des Quellcodes auch nur dieses Mittel angewendet werden, und das wird
(B) keine komplette Prüfung der Software möglich sei und durch die revisionssichere Protokollierung sichergestellt. (D)
vor allen Dingen keine Aussage darüber möglich sei, ob
in der Software weitere Funktionen vorhanden sind, die Sie unterstellen hier den Beamten, dass sie rechtswid-
nicht aktiviert wurden, oder ob solche Funktionen feh- rig gehandelt haben, und Sie tun das, ohne dass Sie dafür
len? Anhaltspunkte haben. Das ist nicht in Ordnung.
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
minister des Innern: Ich gebe jetzt noch Herrn Winkler die Gelegenheit zu
Diese Aussage – ich war ja heute, anders als Sie, im einer Nachfrage, dann werden wir zu Frage 44 kommen.
Innenausschuss dabei – ist so nicht gemacht worden. Wir haben ja noch einige Fragen, die sich mit diesem
Das BKA hat klargestellt, dass selbstverständlich das Themenbereich beschäftigen.
BKA volle Kontrolle über die Anwendung der Software Bitte schön, Herr Winkler.
hat und deshalb das Ganze rechtmäßig abläuft.
Noch einmal: Das Ganze wird auch über eine revi- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sionssichere Protokollierung festgehalten, damit im NEN):
Nachhinein überprüft werden kann, ob unter Umständen Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
etwas eingesetzt wurde, was vom Richter nicht angeord- ich muss noch einmal nachfragen. Die Bundesregierung
net worden war. hält es nicht für notwendig, den Quellcode der von den
Sicherheitsbehörden des Bundes eingesetzten Software
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zu kennen. Ist das richtig?
Herr Montag, bitte.
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): minister des Innern:
Herr Staatssekretär, ich muss Ihnen vorhalten, dass Die Bundesregierung hält es für notwendig, dass revi-
genau das, was Sie jetzt bestreiten, uns der Vertreter Ih- sionssicher protokolliert wurde, welche Software ange-
res Hauses im Rechtsausschuss gesagt hat: Erstens. Wir wendet wird, damit der Richter das überprüfen kann.
haben keinen Quellcode. Zweitens. Ohne den Quellcode Das ist der entsprechende rechtliche Maßstab, den es
ist eine vollständige Kontrolle nicht möglich. einzuhalten gilt.
Ich halte es, ehrlich gesagt, auch für putzig, dass Sie (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
uns hier erklären, das Bundesinnenministerium und die NEN]: Das war auch eine Antwort!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15585
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C)
Jetzt sind wir bei Frage 44 des Kollegen Volker Beck minister des Innern:
zu dem gleichen Themenkreis: Ich wiederhole mich: Die Sicherheitsbehörden des
Bundes fertigen keine Screenshots an und haben das bis-
Welche Kenntnis – Zeitpunkt der Entwicklung, Entwick- her auch nicht beantragt.
ler, Herkunft – hat die Bundesregierung über den vom CCC
entdeckten Trojaner, und wie unterscheidet er sich von Troja- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
nern, die von Behörden des Bundes verwendet werden? GRÜNEN]: Ich habe nach Ihrer Rechtsposi-
tion gefragt! – Noch eine zweite Nachfrage,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte. wenn ich darf, Frau Präsidentin!)
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
minister des Innern: Ihre zweite Nachfrage, bitte schön.
Aufgrund der in der Analyse des Chaos Computer
Clubs aufgezeigten Produktmerkmale und Programm- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
spezifika geht die Bundesregierung davon aus, dass eine Sie haben in der Antwort auf meine erste Frage wie-
Variante der von der Firma DigiTask hergestellten Quel- derholt, Screenshots würden im Rahmen des vom CCC
len-TKÜ-Software untersucht wurde. Über die Medien- analysierten Trojaners nicht erstellt. Befand sich diese
berichte hinausgehende Informationen liegen der Bun- Software jemals im Bereich des Bundes, ohne dass sie
desregierung nicht vor. konkret von den Bundesbehörden angewendet wurde,
und was ist dann gegebenenfalls mit dieser Software ge-
Die von Behörden im Geschäftsbereich des Bundes- schehen?
ministeriums des Innern verwendeten Quellen-TKÜ-
Software-Versionen weisen die vom CCC analysierten Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Schwachstellen bei der Verschlüsselung nicht auf. Da- minister des Innern:
rüber hinaus sind die von der Software zur Verfügung Ich habe erklärt, dass vor drei Jahren eine solche Soft-
gestellten Funktionen in jedem Einzelfall auf die richter- ware angeboten wurde, die aber nicht angenommen
lich bzw. von der G 10-Kommission angeordneten wurde. Da man sich entschieden hat, diese Software
Maßnahmen beschränkt. Sie wird für den jeweiligen nicht zu nutzen, ist sie an den Anbieter zurückgegangen.
Einzelfall angefertigt. Durch Testmaßnahmen seitens der
anwendenden Bundesbehörde wird überprüft, dass der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(B) Funktionsumfang der Software mit dem Umfang der An- Herr Kelber, bitte. (D)
ordnung übereinstimmt.
Ulrich Kelber (SPD):
Die Software, die von Behörden des Bundes einge- Herr Staatssekretär, Sie haben gerade erklärt, dass vor
setzt wurde, unterscheidet sich von der Software, die dem Einsatz geprüft wird, ob die eingesetzte Software
vom CCC analysiert wurde, dahin gehend, dass sie keine ausschließlich den notwendigen Funktionsumfang hat.
Funktion zur Nutzung von angeschlossenen Kameras, Können Sie als Jurist mir als Informatiker erklären, wie
zum Beispiel Webcams, oder von Mikrofonen zu Zwe- man eine Software, deren Quellcode und Programmier-
cken der Wohnraumüberwachung, zur Aufzeichnung schnittstellen man nicht kennt, daraufhin überprüfen
von Tastaturanschlägen, sogenannte Keylogger, sowie kann, ob sie Funktionen enthält, die man nicht nutzen
zur Anfertigung von Screenshots enthält. will?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister des Innern:
Herr Beck, eine Nachfrage. Das wird durch eine entsprechende Versuchsanord-
nung, beim BKA beispielsweise im BKA-Labor, durch-
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): geführt.
Zu dem Thema Screenshots habe ich eine Nachfrage (Ulrich Kelber [SPD]: Könnte das BKA das
im Zusammenhang mit dem Dialog, den Sie vorhin ge- dann den deutschen Universitäten zur Verfü-
führt haben. Da haben Sie behauptet, Screenshots könn- gung stellen?)
ten grundsätzlich legalerweise in den Bereich der Tele-
kommunikationsüberwachung fallen, was ich bestreiten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
würde; denn ich kann mir nicht vorstellen, dass man da- Herr Kelber, die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stel-
bei nicht Informationen gewinnt, die über die Telekom- len, haben Sie an dieser Stelle leider nicht. – Herr Notz
munikation hinausgehen. Sie sagen, grundsätzlich hätten ist jetzt an der Reihe.
Sie die Möglichkeit von Screenshots nicht in der Soft-
ware; gleichzeitig halten Sie es aber für zulässig, dass Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
Screenshots angefertigt werden, wenn es richterlich an- GRÜNEN):
geordnet wird. Eine solche Anordnung halten Sie dann Herr Staatssekretär, Sie betonen immer das Präsens,
nicht für rechtswidrig? nämlich dass diese Software auf Bundesebene nicht ange-
15586 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE (C)
minister des Innern: GRÜNEN):
Diese Entscheidung wurde getroffen, bevor ich in die- Sie haben von einer technischen Unterstützung des
sem Bereich die Verantwortung übernommen habe. So- Zolls gesprochen. Was genau hat man darunter zu verste-
weit ich weiß, ist in der Großen Koalition entschieden hen? Von was für einer anderen Art der Unterstützung
worden, was in den einzelnen Behörden angeschafft unterscheiden Sie das?
wird. Man wird sicherlich eine Markterkundung durch-
geführt haben, und man wird untersucht haben, ob es Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Unternehmen gibt, die in der Lage sind, ein Produkt zu minister des Innern:
liefern, das den Ansprüchen genügt. Dann wird man die Es handelte sich in diesem Fall nicht um die Beschaf-
anfallenden Kosten abgewogen und sich für diese Au- fung, sondern um die Zurverfügungstellung der Soft-
ßer-Haus-Lösung entschieden haben. ware, da Brandenburg keine eigene Software hatte.
Jerzy Montag
(A) Integrität und Vertraulichkeit von Kommunikationssys- wird. In diesem Zusammenhang eine ganz konkrete (C)
temen nicht betroffen seien. Frage: Wie verhält sich das Bundesjustizministerium zu
den Vorwürfen vonseiten der Innenpolitiker der Union
Ich frage Sie für das Bundesjustizministerium, ob
– ich meine Herrn Uhl und andere –, die Bundesjustiz-
auch Sie der Auffassung sind, dass durch den realen Akt
ministerin sei schuld daran,
der Implementierung einer fremden Software, zum Bei-
spiel in Ihren Computer, die Integrität und Vertraulich- (Signalton)
keit Ihres Computers nicht verletzt werden, unabhängig
dass Polizeibeamte in Grauzonen arbeiteten und rechts-
davon, ob das legal oder illegal geschieht. Teilen Sie
widrige Dinge machen müssten, weil keine gesetzliche
nicht die Auffassung – unabhängig davon, wie Landge-
Grundlage für ihr Handeln vorliege?
richte entscheiden –, dass es besser wäre, wenn man für
eine Quellen-TKÜ eine eigene gesetzliche Grundlage (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das habe
mit scharfen rechtlichen Begrenzungen einführen würde? ich nicht gesagt! „Rechtswidrig“ habe ich
nicht gesagt!)
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Montag, zunächst einmal kommt es für Herr Montag, das akustische Signal richtet sich an
die Rechtspraxis in der Tat auf die Rechtsprechung an. Sie.
Wie Sie wissen, gab es ursprünglich einmal eine Ent-
scheidung des Landgerichts Hamburg, in der eine Quel- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
len-TKÜ als unzulässig angesehen wurde. Mittlerweile Das läutete schon, bevor ich begonnen habe, Frau
gibt es, soweit die Entscheidungen veröffentlicht worden Präsidentin.
und uns daher bekannt sind, eine einheitliche Linie – in-
zwischen auch des Landgerichts Hamburg und des vor- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
hin schon zitierten Landgerichts Landshut, aber auch an-
Das läutete bei Ihrer letzten Frage auch schon. Mögli-
derer Gerichte –, wonach die bestehenden Vorschriften
cherweise ist dadurch dieser Eindruck entstanden.
der §§ 100 a und 100 b StPO dahin gehend ausgelegt
werden, dass darin eine ausreichende und grundrechts-
konforme Grundlage für die Quellen-TKÜ zu sehen ist. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bei der Entscheidung des Landgerichts Landshut, die die Wir haben uns schon gefragt, ob Sie Ihr Handy nicht
aktuelle Debatte mit ausgelöst hat, sieht man, dass die ausgemacht haben.
Gerichte dabei Kautelen einziehen wie beispielsweise
(B) das Verbot von Screenshots. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
Herr Staatssekretär.
Wir sind der Auffassung, dass es jetzt darauf an-
kommt, die Praxis genau darzustellen. Wir wollen, dass
die Innenminister des Bundes und der Länder einen Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Sachstandsbericht vorlegen, wie sich die Praxis entwi- ministerin der Justiz:
ckelt hat, welche Software insbesondere eingesetzt wor- Herr Kollege Montag, das war eine Vielzahl von Fra-
den ist und ob dies eine Software ist, die mehr kann, als gen, die ich in einer Minute beantworten soll. Ich will
sie darf. Auf dieser Grundlage werden wir entscheiden, mich bemühen, es prägnant zu machen.
welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Zunächst einmal steht es mir nicht zu, Aussagen des
Kollegen Uhl zu kommentieren.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das ist
Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte sehr. richtig!)
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich darf aber darauf aufmerksam machen, dass ich ge-
rade dargestellt habe, dass für die Quellen-TKÜ, soweit
Danke schön, Frau Präsidentin. – Danke, Herr Staats-
sie sich wirklich auf die Überwachung laufender Kom-
sekretär Stadler. Das war zwar eine interessante Ant-
munikation beschränkt, nach der einheitlichen Recht-
wort, aber nicht direkt die Antwort auf meine Frage. Ich
sprechung der dafür zuständigen Gerichte eine Rechts-
habe Sie nämlich gefragt, ob Sie die Auffassung Ihres
grundlage in den §§ 100 a und 100 b StPO gesehen wird.
Kollegen neben Ihnen teilen, dass der Einsatz dieser
Das ist kein Verstecken hinter Landgerichten, wie Sie es
Computersoftware keine Verletzung der Integrität und
genannt haben. Aus Ihrer Äußerung klingt übrigens eine
Vertraulichkeit des Computers darstelle. Vielleicht könn-
leichte, etwas deplatzierte Missachtung von Land- und
ten Sie diese Antwort noch nachholen.
Amtsgerichten heraus, wenn Sie mir diese Anmerkung
Meine zweite Nachfrage erklärt sich dadurch, dass ich gestatten.
nicht ganz verstehen kann, warum sich das Bundesjus-
(Patrick Döring [FDP]: Sehr gut! – Jerzy
tizministerium, das für Vorschläge zur Kodifizierung des
Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völ-
Bundesrechts zuständig ist, hinter der Rechtsprechung
lig fern!)
von Landgerichten versteckt. Zunächst verschweigen
Sie – ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen –, dass in – Wir sind uns einig, dass eine solche fehl am Platze
der Literatur aktuell eine völlig andere Position vertreten wäre.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15593
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
(A) Selbstverständlich ist die verbindliche Auslegung von ter Instanz eine Beanstandung erfolgt –, dann ist es doch (C)
gesetzlichen Bestimmungen Sache der Justiz. Das macht richtig, dass wir – dies hat Burkhard Hirsch immer ge-
sie in einzelnen Fällen, und das respektieren wir. fordert, als er noch Mitglied des Deutschen Bundestages
war – unsere Normsetzung an der Rechtswirklichkeit
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: orientieren, dass wir uns von den Innenministern des
Herr Oppermann, bitte. Bundes und der Länder die Sachlage und die Software,
die eingesetzt wird, genau darstellen lassen
Thomas Oppermann (SPD): (Signalton)
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, dass die
– ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin; ein
Bundesregierung die Rechtsprechung der Gerichte re-
ganz wichtiger Aspekt noch – und dass wir eine Antwort
spektiert. Das nenne ich einen Fortschritt. Das ist ja nicht auf die Frage suchen, ob es überhaupt möglich ist, eine
immer so. sozusagen treffsichere Software zu installieren, die nicht
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist eine Un- über das Mithören der laufenden Kommunikation hi-
terstellung! – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: nausgeht.
Was soll das?)
All diese Fragen müssen jetzt im Tatsächlichen ge-
Die Vorschriften der Strafprozessordnung, um die es klärt werden. Dann werden wir entscheiden, ob es bei
hier geht – §§ 100 a und 100 b StPO –, sind in einer Zeit den bestehenden Vorschriften bleiben kann oder ob – das
geschaffen worden, in der wir Skype-Telefonie über beträfe nicht nur die StPO, sondern auch andere Ma-
Computer und Internet noch nicht kannten. Das Bundes- terien, bei denen sich ähnliche Probleme stellen – Prä-
verfassungsgericht hat bei der Formulierung des Grund- zisierungen, Einschränkungen, Änderungen erforderlich
rechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und auf sind. Das ist die richtige Reihenfolge: Wir müssen erst
Sicherheit informationstechnischer Systeme Wert da- den Sachverhalt klären, und dann können wir Entschei-
rauf gelegt, dass ein Eingriff in diese Grundrechte nur dungen treffen.
aufgrund von präzisen, bereichsspezifischen Regelungen
und nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
erfolgen kann. Sehen Sie vor diesem Hintergrund nicht Herr Ströbele, bitte.
einen grundlegenden Regelungsbedarf in der Strafpro-
zessordnung? Sie haben gesagt, dass Sie die Rechtspre-
chung respektieren und die Rechtssituation prüfen wol- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
len. Wie wahrscheinlich ist es, dass diesbezüglich ein GRÜNEN):
(B) Vorschlag für eine Neuregelung von Ihnen vorgelegt Herr Kollege Stadler, Sie haben es vorhin abgelehnt, (D)
wird? die Aussagen des Kollegen Uhl zu kommentieren oder
zu interpretieren. Sind Sie denn bereit, Ihre eigenen Aus-
sagen zu interpretieren? Ich habe Sie heute Morgen im
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Radio gehört. Da haben Sie Ähnliches wie gerade eben
ministerin der Justiz: gesagt, nur haben Sie es dort mehr auf den Punkt ge-
Herr Kollege Oppermann, die von mir zitierte amts- bracht. Sie sagten – so habe ich Sie jedenfalls verstan-
und landgerichtliche Rechtsprechung datiert aus der Zeit den –, dass auch Sie bei der Anwendung der Quellen-
nach der wichtigen Entscheidung des Bundesverfas- TKÜ, also des Trojaners, der nur mithört, Bauchschmer-
sungsgerichts vom Februar 2008 und setzt sich demge- zen haben, weil Sie darin die Gefahr sehen, dass das zu
mäß natürlich mit dem Urteil des Bundesverfassungs- Weiterem führen kann. Sie haben vorgeschlagen, dass
gerichts auseinander. Wie Sie wissen, wird von den man – so haben Sie es jetzt gerade auch gesagt – ganz
Gerichten für das Aufspielen der Software eine soge- konkret im Einzelnen überprüfen soll, ob ein Trojaner
nannte Annexkompetenz in Anspruch genommen, die überhaupt notwendig ist
die Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung
von Internettelefonie nach §§ 100 a und 100 b StPO er- (Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär: Ja!)
möglichen soll. oder ob man ihn nicht durch andere Technik, die all
Herr Kollege Montag hat darauf hingewiesen, dass in diese bösen, verbotenen Sachen macht, ersetzen sollte.
der Literatur andere Auffassungen vertreten werden. Das Jetzt frage ich Sie: War das, was Sie heute Morgen im
ist völlig richtig. Beispielsweise wird aber von Meyer- Radio erzählt haben, Ihre Meinung, oder ist das die Mei-
Goßner, wenn ich das richtig im Kopf habe, im Stan- nung der Bundesregierung? Wenn es die Meinung der
dardkommentar von Kleinknecht, aber auch von Armin Bundesregierung ist, dass nur „kein Trojaner“ ein siche-
Nack im Karlsruher Kommentar diese Rechtsprechung rer Trojaner ist, kann ich dann daraus schließen, dass Sie
befürwortet. Wie so oft in der Juristerei gehen die Posi- andere Technik einsetzen wollen?
tionen also auseinander.
Mir kommt es jetzt auf Folgendes an, Herr Kollege Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Oppermann – ich habe vorhin versucht, das darzustellen –: ministerin der Justiz:
Wenn wir durch Vorgänge wie jetzt in Landshut Kennt- Herr Kollege Ströbele, zunächst freut es mich, dass
nis davon bekommen, dass Software eingesetzt wird, bei Sie einen so schönen Start in den heutigen Tag hatten
der man zumindest Bedenken haben kann, ob das so
richtig ist – vom Landgericht Landshut ist sogar in zwei- (Heiterkeit)
15594 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Burkhard Lischka (SPD): Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Herr Staatssekretär, wie bewertet das Bundesjustiz- ministerin der Justiz:
ministerium die rechtliche Zulässigkeit von sogenannten Lieber Herr Kollege Wieland, ich habe vorhin präzise
Screenshots im Rahmen einer Quellen-TKÜ? Sehen Sie gesagt – das kann man im Protokoll nachlesen –, dass
in dem juristischen Streit zwischen der Bayerischen die Bundesministerin der Justiz diese Rechtsprechung
Staatsregierung und dem Landgericht Landshut, den wir respektiert.
seit einigen Tagen verfolgen können, nicht einen Anlass,
die entsprechende Vorschrift des § 100 a StPO zu präzi- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sieren? NEN]: Das ist keine Antwort!)
Beim Generalbundesanwalt gab es nur einen einzigen
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Vorgang, der einschlägig ist. Er hat sich so zugetragen,
ministerin der Justiz: dass die Staatsanwaltschaft in einem Bundesland gegen
Herr Lischka, das ist wieder ein Beispiel für das, was vier Beschuldigte Beschlüsse erwirkt hat, eine Quellen-
ich als unsere Grundlinie angegeben habe. Wir werden TKÜ durchzuführen. Gegen zwei Beschuldigte wurde
mit Lebenssachverhalten konfrontiert, die sich außerhalb von dieser Staatsanwaltschaft eines Bundeslandes mit
unseres Zuständigkeitsbereichs zugetragen haben. Die dem Vollzug dieser Beschlüsse begonnen. In einem drit-
Verantwortung für die Durchführung von Überwa- ten Fall kam es aus bestimmten Gründen nicht dazu;
chungsmaßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Land- dann hat der Generalbundesanwalt den Fall übernom-
gerichts Landshut trägt die dortige Staatsanwaltschaft, men. Er hatte zu entscheiden, wie im Hinblick auf den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15595
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
(A) vierten Beschuldigten zu verfahren ist. Er hat seine Ent- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (C)
scheidung, auf die Durchführung einer Quellen-TKÜ zu GRÜNEN]: Positiv! Gut!)
verzichten, autonom getroffen. Weitere Vorgänge sind
mir nicht bekannt. Die Gerichte, deren Rechtsprechung ich zitiert habe,
nehmen für sich in Anspruch, wie ich schon mehrfach
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ausgeführt habe, dass sie ihre Entscheidungen nicht etwa
NEN]: Also weiß Deutschlands oberster Poli- ohne gesetzliche Grundlage, sondern in Auslegung der
zist nicht, dass die Quellen-TKÜ vom Gene- bestehenden Vorschriften in der StPO treffen. Wie ich
ralbundesanwalt erwünscht ist? Das muss ja auch schon dargelegt habe, entnehmen sie daraus eine
dann so sein!) Annexkompetenz.
Für mich ist es wichtig, dass daraus in der Praxis nicht
Vizepräsident Eduard Oswald: etwa die Befugnis abgeleitet wird, zusätzliche Maßnah-
Das war noch ein Kommentar des Kollegen Wieland. – men, die über das Abhören der laufenden Telekommuni-
Die nächste Frage stellt der Kollege Volker Beck. kation hinausgehen, als gedeckt anzusehen. Ich habe es
schon gesagt: Es gilt jetzt, die Technik genau darzustel-
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): len und von den Innenministern einen klaren Bericht da-
rüber zu bekommen. Dann kann man entscheiden, ob
Herr Staatssekretär, an Ihrer ausweichenden Antwort-
man gesetzliche Restriktionen braucht oder ob die Aus-
strategie merkt man, dass Ihnen bei Ihrer Position – nach
legung der bestehenden Vorschriften reicht.
dem Motto „Das reicht irgendwie aus“ – nicht ganz wohl
ist. Ich finde, das ist sehr nachvollziehbar. Natürlich mag Ich darf bei dieser Gelegenheit vielleicht noch darauf
es sein, dass, wenn es um das eigentliche Abhören geht, aufmerksam machen, dass in den Bundesländern hin-
die §§ 100 a und 100 b StPO einschlägig sind. Aber der sichtlich des Polizeirechts unterschiedlich verfahren
Vorgang zuvor, auf den auch Jerzy Montag Bezug ge- wird. Einige Bundesländer, wie etwa Rheinland-Pfalz,
nommen hat, nämlich das Installieren einer Software, haben eine Spezialnorm für die Quellen-TKÜ im Poli-
greift in ein vom Bundesverfassungsgericht gerade im zeirecht, andere, wie beispielsweise Baden-Württem-
Hinblick auf das Internet neu geschaffenes Grundrecht berg, haben sie nicht. Das zeigt, dass diese Debatte dort
ein: in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertrau- unterschiedlich gesehen wird.
lichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
Wir werden unsere Entscheidung in absehbarer Zeit
In Grundrechte kann man zwar ausnahmsweise ein- zu treffen haben. Darauf kommen wir ja zurück; das
greifen, aber nur auf der Grundlage eines Gesetzes. habe ich zugesagt.
(B) Deshalb frage ich mich, warum wir das erst für die Ge- (D)
fahrenabwehr schaffen, dann aber durch eine Annex- Vizepräsident Eduard Oswald:
kompetenz locker und frei aus den §§ 100 a und 100 b
Vielen Dank. – Wir kommen nun zum Geschäftsbe-
StPO etwas schöpfen, was im Gesetz nicht vorgesehen
reich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beant-
ist. Das wird in der Literatur ja auch zu Recht umfang-
wortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
reich kritisiert.
Hartmut Koschyk zur Verfügung.
Wenn man das hier kodifiziert: Müsste man dann Ich rufe die Frage 58 des Kollegen Jerzy Montag auf:
nicht vielleicht auch in Rechnung stellen, dass die Tele-
fonie über das Internet womöglich einen intimeren Welche Funktionsmöglichkeiten über das Abhören von
Voice-over-IP-Gesprächen hinaus hat die vom Zollkriminal-
Kommunikationsvorgang darstellt, weil hier durch die amt, ZKA, tatsächlich verwendete Software (laut dpa-Mel-
Unterstützung von Kameras usw. weitere Kommunika- dung vom 12. Oktober 2011 um 12.47 Uhr dementiert das
tionsebenen eröffnet werden, und deshalb einen höheren ZKA, die vom Chaos Computer Club mit Datum vom 8. Ok-
Schutz braucht, als dies in den Normen zur Telefonüber- tober 2011 analysierte Software verwendet zu haben), und auf
welche Art und Weise kann auch die Software des ZKA er-
wachung in der Strafprozessordnung geregelt ist? weitert werden, insbesondere auf die Funktionen des Durch-
suchens und gegebenenfalls Veränderns von Daten oder die
Funktion, grafische Bildschirminhalte zu kopieren (soge-
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
nannte Screenshots)?
ministerin der Justiz:
Herr Kollege Beck, um das einmal ganz deutlich zu
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
sagen, weil wir auf diese Punkte bisher noch nicht zu
sprechen gekommen sind: Ich hielte es für unzulässig, desminister der Finanzen:
wenn beispielsweise Mikrofone oder Kameras von au- Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege
ßen bedient würden. Ich hielte es selbstverständlich auch Montag, die Software zur Überwachung der Onlinetele-
für unerträglich, wenn der Inhalt eines Computers von kommunikation, die das Zollkriminalamt im Geschäftsbe-
außen manipuliert würde. reich des Bundesministeriums der Finanzen verwendet,
ist aufgrund ihrer Konfiguration auf die Überwachung
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE der laufenden Telekommunikation beschränkt. Weitere
GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage! Das Funktionalitäten bestehen nicht.
ist selbstverständlich! Das ist nicht die Frage!)
Ein Zugriff auf sonstige auf dem zu überwachenden
– Ja, aber ich darf das doch erwähnen, damit hier kein Rechner gespeicherten Daten und deren Ausleitung sind
schiefer Eindruck entsteht. technisch nicht konfiguriert und damit ausgeschlossen.
15596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Vielen Dank. Er hat die Frage nicht beantwortet, ob diese Kontrolle
nur vorgetäuscht war. Aber bitte schön!
Wir kommen nun zur Frage 59 des Kollegen
Wolfgang Wieland: Meine zweite Frage schließt an das an, was Sie eben
Hat der Zoll in dem aktuell diskutierten und vom Chaos dargestellt haben. Sie sagten auf die Frage des Kollegen
Computer Club untersuchten Fall tatsächlich die Software für Ströbele sinngemäß, Sie seien ein guter Kunde bei Digi-
das Bayerische Landeskriminalamt auf dem zu überwachen- Task. Sie unterhielten nach unseren Informationen über
den Computer installiert, und von welcher Behörde bzw. wel- die Jahre hinweg eine gute Geschäftsbeziehung. Das-
chem Unternehmen hat der Zoll die Software zuvor erhalten?
selbe haben wir vom Bundeskriminalamt gehört.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Es gab einmal die Idee – Werthebach-Kommission –,
desminister der Finanzen: gewisse Synergien zwischen Zollfahndung und Bundes-
kriminalamt herzustellen. Nun höre ich zu meiner Über-
Herr Kollege Wieland, die Zollverwaltung hat die ge-
raschung, dass Sie offenbar durch Ihre IT-Fachleute die
genständliche Software nicht auf dem zu überwachenden
identischen Prüfungen durchführen, die auch das BKA
Computer installiert. Die Installation wurde vom Bayeri-
macht – bei derselben Firma, die diese Trojaner liefert.
schen Landeskriminalamt gelegentlich einer Zollkon-
Gibt es denn ein Zusammenarbeitsverbot zwischen Ih-
trolle, die sich am 4. April 2009 ereignet hat, durchgeführt.
nen und dem Bundeskriminalamt? Warum strickt man
Das Aufspielen der Software erfolgte ausschließlich
doppelt? Wie soll ich mir das erklären?
durch Bedienstete des Bayerischen Landeskriminalamts.
Insofern wurde der Zollverwaltung die Software im Vor-
feld der Kontrolle weder übergeben noch anderweitig zur Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Verfügung gestellt. desminister der Finanzen:
Herr Kollege Wieland, natürlich gibt es kein Zusam-
Vizepräsident Eduard Oswald: menarbeitsverbot zwischen Bundeskriminalamt und
Zollkriminalamt. Bundeskriminalamt und Zollkriminal-
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Wieland.
amt arbeiten in verschiedenen Bereichen erfolgreich zu-
sammen. Vielleicht kann dieser Vorgang Anlass sein,
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch in diesem Bereich die Zusammenarbeit zwischen
Herr Staatssekretär Koschyk, wie soll ich mir das Bundeskriminalamt und Zollkriminalamt noch zu inten-
konkret vorstellen? Wurde die Zollkontrolle nur vorge- sivieren.
(B) täuscht, damit die Kollegen vom Landeskriminalamt in (D)
Ruhe im Hinterzimmer ihren Trojaner installieren konn- Vizepräsident Eduard Oswald:
ten? Muss ich in Zukunft als Reisender, wenn es „Zoll-
Vielen Dank.
kontrolle“ heißt, hinterher immer meinen Laptop scan-
nen lassen, ob bei dieser Gelegenheit ein Trojaner Wir kommen nun zur Frage 60, die ebenfalls von un-
aufgespielt wurde? Sagen Sie dann: „Ich wasche meine serem Kollegen Wolfgang Wieland vorgelegt wurde:
Hände in Unschuld; wir waren es jetzt ja nicht, es war
Gibt es weitere Fälle des Einsatzes von Überwachungs-
das Bayerische LKA“? software durch Landesbehörden, in denen eine derartige Zu-
sammenarbeit mit dem Zoll stattgefunden hat, und gibt es
über die am 12. Oktober 2011 vom Bundesministerium der
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Finanzen bestätigten 16 Fälle, in denen der Zoll eigenständig
desminister der Finanzen: einen sogenannten Trojaner eingesetzt hat, hinaus noch wei-
Weil ich bei dieser Maßnahme nicht persönlich dabei tere Fälle, in denen der Zoll solche Software eingesetzt hat?
war,
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
desminister der Finanzen:
NEN]: Schade!)
Sehr geehrter Herr Kollege Wieland, dem Bundes-
habe ich mich auch gefragt, Herr Kollege Wieland, wie ministerium der Finanzen liegen derzeit keine Erkennt-
sich dies zugetragen hat. Nach den Informationen, die nisse über Fälle vor, in denen Landesbehörden die Gele-
ich erhalten habe, hat sich der Vorgang so zugetragen: genheit genutzt haben, Software am Rande von
Das Bayerische Landeskriminalamt ist mit einem ent- Zollkontrollen auf Notebooks von Reisenden zu installie-
sprechenden richterlichen Beschluss auf die Zollbehörde ren. Im Zuständigkeitsbereich des Zollfahndungsdienstes
zugegangen und hat die Zollbehörde gebeten, bei der wurden im Zeitraum von 2007 bis zum heutigen Tag in
Einreise des entsprechenden Betroffenen, für den der 16 Verfahren Maßnahmen zur Quellen-Telekommunika-
richterliche Beschluss vorlag, eine Zollkontrolle durch- tionsüberwachung für eigene Ermittlungszwecke bean-
zuführen. Gelegentlich dieser Zollkontrolle ist von Mit- tragt. In diesem Verfahren wurden insgesamt 19 Be-
arbeitern des Landeskriminalamts die entsprechende schlüsse erlassen.
Software auf den Computer aufgespielt worden.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur ersten Nachfrage des Kollegen
Ihre zweite Frage, Kollege Wieland. Wieland.
15598 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C)
Etwas salopp gefragt: Wenden Sie immer den Koffer- GRÜNEN]: Nicht jedem Reisenden, aber mir
trick an, oder gibt es auch andere Möglichkeiten, den vielleicht!)
Trojaner auf Laptops oder PC zu bringen? ist eine Mutmaßung, die, glaube ich, Ihrer Kenntnis und
Erfahrung in diesem Bereich nicht angemessen ist.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Vizepräsident Eduard Oswald:
Mir ist nicht bekannt, ob sich über das, was ich Ihnen Eine weitere Nachfrage unseres Kollegen Jerzy
geschildert habe, hinaus eine solche Art der Inanspruch- Montag.
nahme von Zollkontrollen für das Aufspielen von Troja-
nern durch andere Institutionen wie in dem geschilderten Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Fall vom 4. April 2009 zugetragen hat. Herr Staatssekretär, verzeihen Sie, aber ich muss, weil
er einen ernsten Kern hat, noch einmal auf den bayeri-
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen Vorfall zu sprechen kommen. Sie sagen selber: Sie
Dann kann ich auch keine weitere Frage stellen. waren nicht dabei und mussten sich erst informieren. Ich
bestreite sicherlich nicht, dass die Kollegen des Landes-
kriminalamts einen gerichtlichen Beschluss zur Ermitt-
Vizepräsident Eduard Oswald:
lung schwerwiegender Straftaten hatten. Aber Sie haben
Dann gibt es jetzt weitere Zusatzfragen. Zunächst selber formuliert: Sie sind dann auf den Zoll zugegangen
Kollege Christian Ströbele und dann Kollege Jerzy und haben unter Hinweis auf den Beschluss gesagt, dass
Montag. sie das gerne implementieren würden.
Was passierte dann? War das eine Zollkontrolle, die
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sowieso vorgesehen war, oder hat man auf Wunsch des
NEN):
Landeskriminalamts nur so getan, als würde man eine
Herr Staatssekretär, das hat mich doch ein bisschen Zollkontrolle durchführen, um den Computer in die
besorgt gemacht. Wir alle fliegen manchmal und müssen Hand zu bekommen und ihn in ein anderes Zimmer zu
dann bei der Kontrolle unseren Laptop abgeben. Er wan- bringen, damit dort, auf welchem Weg auch immer, der
dert dann durch ein Röntgengerät und kommt auf der an- Trojaner implementiert werden konnte?
deren Seite wieder raus; dann kann man ihn wieder ein-
packen. Wenn es so war, dass der Zoll keine Kontrolle durch-
führen wollte und er sie nur dem Schein nach gemacht
(B) Wie ist der konkrete Vorgang, wenn etwas aufgespielt (D)
hat, weil das Landeskriminalamt dies – sicherlich auf-
wird? Wird ein Stick in den Laptop gesteckt und dieser grund einer gerichtlichen Verfügung – so gewünscht hat,
eingeschaltet, oder nehmen Sie ihn irgendwohin mit würden Sie das als legale Amtshilfe verstehen?
nach hinten? Wie muss ich mir das vorstellen? Wo muss
ich als Bundestagsabgeordneter aufpassen, dass man auf
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
meinen Computer nicht so etwas aufspielt?
desminister der Finanzen:
Herr Kollege Montag, ich kann diese Frage deshalb
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- nicht beantworten, weil man nicht ausschließen kann,
desminister der Finanzen: dass das Landeskriminalamt die zuständige Zolldienst-
Herr Kollege Ströbele, ich glaube, der von Ihnen ge- stelle bei der Information über den richterlichen Be-
schilderte Vorgang ist keine Zollkontrolle, sondern eine schluss mit einem Sachverhalt konfrontiert hat, der den
routinemäßige Gepäckkontrolle, bei der zum Beispiel Zoll dann veranlasst hat, eine übliche Zollkontrolle
Ihr Laptop durch ein Röntgengerät wandert. Das hat durchzuführen, wobei das Landeskriminalamt diese
nichts mit Zollkontrollen zu tun. Zollkontrolle genutzt hat, um den Trojaner aufzuspielen.
Dies kann ich im Moment nicht beantworten. Ich sage
Zollkontrollen werden zum Beispiel durchgeführt, um noch einmal: Es kann durchaus sein, dass der Sachver-
die illegale Einfuhr oder Ausfuhr von Bargeld zu unter- halt, auf dem die richterliche Anordnung beruht hat, der-
binden. Nach meinen Informationen war die Kontrolle, gestalt war, dass eine Zollkontrolle notwendig geworden
die am 4. April 2009 durchgeführt wurde, eine soge- ist.
nannte Bargeldkontrolle. Ich weise noch einmal darauf
hin, dass beim Aufspielen des Trojaners durch Bediens-
tete des Landeskriminalamts gelegentlich dieser Kon- Vizepräsident Eduard Oswald:
trolle ein richterlicher Beschluss, den das Landeskrimi- Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
nalamt der zuständigen Zolldienststelle vorgelegt hat, Nachdem die Fragen zum Themenkreis Überwachung
der Anlass war – wie wir zur Kenntnis genommen und der Onlinetelekommunikation aufgerufen und beantwor-
gestattet haben –, dass gelegentlich dieser Kontrolle tet worden sind, rufe ich jetzt die übrigen Fragen auf
durch Mitarbeiter des LKA der entsprechende Trojaner Drucksache 17/7311 auf. Ich weise darauf hin, dass die
aufgespielt wurde. Aktuelle Stunde in circa 20 Minuten aufgerufen wird.
Das jetzt als Massenphänomen darzustellen, das je- Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
dem Reisenden passieren kann, lieber Kollege Ströbele, teriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15599
Vizepräsident Eduard Oswald
(A) der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): (C)
zur Verfügung. Vielen Dank für die ausführliche Antwort, Herr
Staatssekretär. Können Sie mir auch sagen, ob Bundes-
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert behörden Internetseiten nach der Barrierefreie Informa-
auf: tionstechnik-Verordnung bereits entwickelt haben bzw.
Welche konkreten Vorhaben und Maßnahmen gibt es sei- ob Internetseiten nach der bereits bestehenden Verord-
tens der Bundesregierung nach derzeitigem Planungsstand in nung des Jahres 2002 existieren?
den Jahren 2011 und 2012 zur Umsetzung der am 22. Septem-
ber 2011 in Kraft getretenen neuen Barrierefreie Informa-
tionstechnik-Verordnung, BITV 2.0? Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ich kann Sie darauf hinweisen, dass je-
denfalls übergangsweise die Regelungen der alten BITV
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der noch fortbestehen. Die entsprechenden neuen Regelun-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: gen sollen spätestens ab dem 23. März 2012 beachtet
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, gerne be- werden. Für einzelne Bereiche gibt es noch weiter ge-
antworte ich die Frage 1 unserer heutigen Fragestunde. fasste Übergangsfristen. Wir haben insgesamt ein drei-
Die Umsetzung der Barrierefreie Informationstechnik- stufiges System von Übergangsfristen. Bis zum jetzigen
Verordnung vom 22. September 2011, BITV 2.0, wird die Zeitpunkt, wenige Tage nach dem Inkrafttreten der
Bundesregierung insbesondere mit Informationsveran- neuen BITV 2.0, kann jedenfalls noch keine Behörde in
staltungen für die Behörden sowie mit der Entwicklung Bezug auf die Umsetzung der BITV 2.0 in Verzug gera-
und der Bereitstellung ergänzender Materialien zur Um- ten sein.
setzung der BITV 2.0 unterstützen. In den Jahren 2011
und 2012 sind mehrere Veranstaltungen zur BITV 2.0 Vizepräsident Eduard Oswald:
vorgesehen. Insbesondere in Bonn und Berlin werden In- Ihre weitere Nachfrage, bitte schön, Kollege
formationsveranstaltungen für die Behörden stattfinden, Dr. Seifert.
die die Verordnung umsetzen müssen. Darüber hinaus
wird die BITV 2.0 im Rahmen weiterer allgemeiner Ver-
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
anstaltungen und Austausche zur Informations- und
Kommunikationstechnik erörtert werden. So wird sich Können Sie mir dann wenigstens sagen, Herr Staats-
zum Beispiel der Rat der IT-Beauftragten der Ressorts sekretär, mit welchen Kosten Sie rechnen, die in diesem
noch in diesem Jahr mit der BITV 2.0 und deren Umset- Zusammenhang auf den Bundeshaushalt zukommen
(B) zung befassen. werden, und wo die entsprechenden Gelder im Bundes- (D)
haushalt eingestellt sind? Das Jahr 2011 ist ja schon fast
Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Umset- vorbei. Aber wenigstens für die Jahre 2012 und 2013, in
zung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die denen, wie Sie sagen, die Umsetzung erfolgen soll,
Bundesregierung verpflichtet, die Implementierung der müssten ja entsprechende Haushaltsansätze vorgesehen
BITV 2.0 mit flankierenden Maßnahmen zu unterstüt- sein. Also: Wer bezahlt das aus welchem Budget?
zen. Hierzu gehören insbesondere der Webguide für Ver-
waltungen, der im Auftrag des Bundesministeriums für Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Arbeit und Soziales in den Jahren 2011 und 2012 entwi- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
ckelt werden soll, und der Leitfaden für Leichte Sprache, Herr Kollege, ich liefere Ihnen die Antwort auf diese
der ebenfalls im Auftrag des BMAS im Jahr 2012 entwi- Frage gerne nach. Ich kann sie Ihnen jetzt nicht beant-
ckelt werden soll. worten.
Darüber hinaus hat sich die Bundesregierung im Rah-
men des Nationalen Aktionsplanes verpflichtet, das Vizepräsident Eduard Oswald:
bereits bestehende Beratungsangebot des Bundesverwal- Kollege Dr. Seifert ist damit einverstanden.
tungsamtes zur Umsetzung der BITV 2.0 in den kom-
Die Frage 2 der Kollegin Silvia Schmidt wird schrift-
menden Jahren auszubauen und entsprechende Schulun-
lich beantwortet, sodass ich jetzt zur Frage 3 des Kolle-
gen und Seminare zur BITV 2.0 anzubieten. Wie schon
gen Ottmar Schreiner komme:
bei der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung
vom 17. Juli 2002 werden auch im Zusammenhang mit Wie will die Bundesministerin für Arbeit und Soziales,
Dr. Ursula von der Leyen, die Globalisierung sozialpolitisch
der Umsetzung der neuen Verordnung in den Jahren gestalten, und welche Maßnahmen will sie ergreifen, die
2011 und 2012 vom BMAS geförderte Projekte, wie – wie von der OECD vor dem Treffen der G-20-Arbeitsminis-
zum Beispiel „BIK@work“ oder „Digital informiert – ter am 26./27. September 2011 gefordert – zu „fairen und
im Job integriert“, sowie Informationsveranstaltungen, hochwertigen Beschäftigungsverhältnissen führen“?
Schulungen, Seminare, Tests und Beratungen als qualifi- Bitte schön, Herr Staatssekretär.
zierte Hilfestellung zur Umsetzung der BITV 2.0 ange-
boten.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, ich be-
Erste Nachfrage des Kollegen Dr. Seifert. antworte Ihre Frage wie folgt: Bundesministerin
15600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(Zuruf von der CDU/CSU: Wer lügt, der wird (Beifall bei der SPD)
gelobt!) Insofern sagen wir: Natürlich ist es möglich, auch auf
(B)
Die heutigen Gremiensitzungen, einschließlich der privates Know-how zurückzugreifen; aber der Staat (D)
Fragestunde des Bundestages, haben gezeigt, dass viele muss in allen Phasen die vollständige technische Kon-
politische Verantwortliche – nicht nur in Bayern – sorg- trolle behalten, damit das Vertrauen in die Integrität
los, fahrlässig und zum Teil ahnungslos mit so schwieri- staatlichen Handelns gewährleistet bleibt.
gen Instrumenten wie dem Staatstrojaner umgehen. Frau Justizministerin, ich sehe, dass auch Sie auf dem
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Weg sind, die Staatstrojaner zu verstaatlichen. Das ist
DIE GRÜNEN – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: einmal eine Verstaatlichungsforderung von der FDP.
Falsch! Falsch!) Vielleicht ist das auch der gute Geist von Burkhard
Hirsch, der oben auf der Besuchertribüne sitzt und diese
Das Beispiel zeigt: Für den effektiven Schutz der Debatte verfolgt und den ich bei dieser Gelegenheit
Grundrechte reicht es nicht, einen demokratischen Staat, herzlich begrüßen möchte.
unabhängige Gerichte und freie Medien zu haben. Viel-
mehr brauchen wir auch eine aufmerksame, wachsame (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Zivilgesellschaft. Der Chaos Computer Club ist ein her- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
vorragender Repräsentant einer wachsamen Zivilgesell- Zweitens. Der Chaos Computer Club hat bei der ein-
schaft in Deutschland. gesetzten Software Sicherheitslücken festgestellt, die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von Dritten missbraucht werden können, um die Durch-
DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE suchten zusätzlich auszuforschen. Das darf nicht sein.
LINKE]) Im BKA-Gesetz steht:
Der CCC hat chaotische Verhältnisse auch in der Das eingesetzte Mittel ist nach dem Stand der Tech-
Bundesregierung aufgedeckt. Nur einen Tag, nachdem nik gegen unbefugte Nutzung zu schützen.
die Defizite der Staatstrojaner bekannt geworden sind, Frau Justizministerin, ich frage Sie: Warum steht der
zetteln die beiden für die Verfassung und die Grund- Satz nicht in der Strafprozessordnung? Ist er da entbehr-
rechte zuständigen Minister, der Innenminister und die lich? Dies ist jedenfalls eine klare Regelung. Wir for-
Justizministerin, einen Streit auf offener Bühne an. Erst dern, dass das Gesetz beachtet wird. Sorgen Sie also
sagt Friedrich, es habe keinen Einsatz eines Staatstroja- unverzüglich dafür, dass höchstmögliche Sicherheits-
ners von der Firma DigiTask auf Bundesebene gegeben. standards den Missbrauch durch Dritte ausschließen.
Dann muss er zugeben, dass sich auch der Bund dort ein-
gedeckt hat. (Beifall bei der SPD)
15606 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Thomas Oppermann
(A) Der dritte und letzte Punkt. Wir erwarten, dass sich Dafür gab es keine Rechtsgrundlage. Das ist ohne (C)
Bund und Länder bei Trojaner-Einsätzen abstimmen. Rechtsgrundlage gemacht worden.
Der Innenminister, der dieser Debatte nicht beiwohnt,
(Jimmy Schulz [FDP]: Hört! Hört! Der Täter
sagt, er habe keine Möglichkeit, die Innenminister der
ist gestellt! – Thomas Oppermann [SPD]: Das
Länder anzuweisen. Das ist richtig. Aber niemand ver-
war ein Forschungsprojekt!)
bietet ihm, sich mit ihnen zu treffen. Warum brauchen
wir in 16 Bundesländern, beim Bund und bei den ver- Meine Kollegen, die damals im Innenausschuss waren,
schiedenen gefahrenabwehrenden und strafverfolgen- erinnern sich besonders gerne an Herrn Diwell. Er war
den Behörden unterschiedliche, maßgeschneiderte Soft- Staatssekretär im BMJ.
ware? Das muss untereinander abgestimmt werden. Frau
(Jimmy Schulz [FDP]: Wo waren denn die
Justizministerin, sorgen Sie dafür, wenn der Innenminis-
Grünen? – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE
ter dazu nicht in der Lage ist. Bringen Sie uns auf den
GRÜNEN: Zur Sache!)
Stand, dass der Trojaner-Einsatz transparent ist und
nachvollzogen werden kann. Vor zwei Jahren haben wir ihn gebeten, er solle uns er-
klären, wie es sein kann, dass man Trojaner ohne
Ich fasse zusammen. Die Bürgerinnen und Bürger er-
Rechtsgrundlage einfach mal auf Rechnern installiert.
warten zu Recht,
Leider haben wir bis heute keine Antwort bekommen.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Bessere
(Thomas Oppermann [SPD]: Heute regieren
Reden im Plenum!)
auch Sie, bitte schön!)
dass das vom Bundesverfassungsgericht formulierte
Deshalb finde ich: Bei diesem Thema wäre vonseiten der
Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und
SPD ein bisschen Demut angemessen;
Integrität informationstechnischer Systeme volle Beach-
tung findet. Sorgen Sie dafür, dass mit Staatstrojanern (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
sorgfältig und präzise umgegangen wird; sonst ist zu be-
fürchten, dass der gesellschaftliche Schaden, der durch denn Sie haben es erfunden. Sie waren der Ansicht: Das
den jetzigen Umgang entstanden ist, am Ende größer ist geht ohne Rechtsgrundlage. – Das muss man der Ehr-
als der kriminalpolitische Nutzen. lichkeit halber der staunenden Öffentlichkeit sagen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Otto von
Troja!)
(Beifall bei der SPD)
– Otto von Troja, das ist eine hübsche Idee.
(B) Vizepräsident Eduard Oswald: Es ist sicherlich ebenfalls spannend, sich mit dem zu (D)
Vielen Dank, Kollege Thomas Oppermann. – Jetzt für beschäftigen, was die bayerische Polizei macht oder
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Gisela Piltz. Bitte nicht, aber klar ist: Das ist eine Frage für das Maximilia-
schön, Frau Kollegin Piltz. neum und nicht für den Deutschen Bundestag. Die Vor-
gänge in Bayern sind in Bayern aufzuklären und nicht
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hier. Sie sind allerdings für uns Anlass, Fragen zu stellen
der CDU/CSU) und uns zu kümmern.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Gisela Piltz (FDP):
NEN]: Ihr habt doch ein Moratorium gefor-
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! dert!)
Der erste Einsatz eines trojanischen Pferdes wurde be-
kanntlich von Odysseus durchgeführt. Es ging damals Es geht um die Zuständigkeit bzw. darum, ob die Be-
um den bekannten Entführungsfall der schönen Helena. hörden des Bundes möglicherweise gegen Recht versto-
Es wird wohl Historikern überlassen bleiben, herauszu- ßen haben könnten; ich sage nur: könnten. Man kann das
finden, ob das eine Maßnahme ist, die vom § 100 a grundsätzlich diskutieren. Man kann die Frage stellen,
StPO, wenn es ihn damals gegeben hätte, gedeckt wor- ob es überhaupt staatliche Trojaner geben soll. Wir als
den wäre oder nicht. Heute sind es allerdings weniger Fraktion haben eine sehr klare Haltung gehabt
listenreiche Helden, die sich trojanischer Pferde bedie-
(Jan Korte [DIE LINKE]: Gehabt!)
nen. Die Pferde sind nicht mehr aus Holz, was zum Pro-
blem werden kann. Zudem entspringen ihnen nicht mehr – die haben wir auch heute noch –, für die wir in ver-
wie bei Homer bewaffnete Männer. Das, was dem Quell- schiedenen Konstellationen im Deutschen Bundestag
code entspringt, ist viel weniger greifbar, für viele jeden- keine Mehrheit gefunden haben.
falls.
Nur für das Protokoll: Der Einsatz der bekannt ge-
Herr Oppermann, ich finde es interessant, was Sie wordenen Software entspricht nicht der Vorstellung der
hier tun. Ich bin schon ein bisschen länger im Deutschen Liberalen. Es bringt keinen weiter, den Chaos Computer
Bundestag. Ich kann mich erinnern: Meine Fraktion hat Club zu chaotisieren oder zu heroisieren. Vielmehr müs-
damals anhand eines Haushaltstitels, den der Kollege sen wir das, was wir dadurch erfahren haben, aufklären
Schily zu verantworten hatte, überhaupt erst herausge- und seriös damit umgehen. Das muss die Haltung des
funden, dass an Onlinedurchsuchungen geforscht wird. Deutschen Bundestages sein. Daran arbeiten wir.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!) (Beifall bei der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15607
Gisela Piltz
(A) Diese Koalition ist angetreten, die Balance zwischen meine Sonntagszeitung, die das alles lobenswerterweise (C)
Sicherheit und Freiheit immer wieder dort neu auszuta- abgedruckt hat. Das kommt selten vor und muss daher
rieren, wo es nötig ist. Wir haben im Koalitionsvertrag jetzt einmal gesagt werden.
zum BKA-Gesetz vereinbart, dass wir den Schutz des
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Kernbereichs privater Lebensgestaltung verbessern müs-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
sen, weil wir durchaus Lücken gesehen haben. Diesen
GRÜNEN)
Auftrag aus dem Koalitionsvertrag nehmen wir uns jetzt
noch „ernster“ vor – wenn diese Steigerungsform über- Demgegenüber gibt es das genaue Gegenteil, nämlich
haupt möglich ist –; denn die aktuelle Debatte rückt un- die Bundesregierung und den abwesenden Innenminis-
ser Vorhaben noch mehr in die Öffentlichkeit. ter, die verschleiert und verzögert haben, die gar nichts
sagen und die im Innenausschuss gefühlte stundenlange
Klar ist – das hat der Staatssekretär bereits angespro- Vorträge halten, ohne inhaltlich auch nur einen Satz zu
chen –: Heutzutage wird viel über das Internet telefo- sagen. Das Problem bei dieser Bundesregierung ist, dass
niert. Es kann auch nicht sein, dass sich Kriminelle ins sie bei dieser sehr wichtigen Frage, die so viele Men-
Internet retten dürfen. Man muss aber feststellen: Früher schen bewegt, kein Problembewusstsein hat.
hat man mit einem Telefon mit Wählscheibe telefoniert,
heute telefoniert man mit einem Smartphone oder eben (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet
mit einem Computer. In den neuen technischen Geräten Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
befinden sich Dinge, die einem anderen Schutz unterlie- Nun zu der sogenannten Quellen-TKÜ. Man muss das
gen als bei der normalen Telefonie. Von daher muss man für diejenigen draußen, die sich nicht so intensiv damit
sich ernsthaft damit auseinandersetzen, was geht und beschäftigen wie wir, ein wenig übersetzen. Man könnte
was nicht geht, was wir tun und was wir nicht tun wol- vielleicht besser sagen: In dem Fall, um den es geht,
len; denn klar ist: Für die Daten außerhalb der Telefonie handelt es sich um eine Überwachungswanze, die viel
gelten ganz andere verfassungsrechtliche Schranken. mehr kann, als eigentlich vorgesehen ist. Sie kann eine
Wenn ich mir noch erlauben darf, das Folgende zu sa- Kamera einschalten, Screenshots abfotografieren, eine
gen: Ich finde es schon kritisch, was der Chef des BKA Raumüberwachung veranlassen, die Tastatureingabe
heute gesagt hat, nämlich dass man den Quellcode dieser überwachen etc. Darum geht es eigentlich.
Firma nicht gekannt habe. Wenn wir als Staat schon so (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Darum geht
etwas benutzen, dann muss klar sein, dass wir es beherr- es nicht! Das wissen Sie doch!)
schen und jederzeit verfolgen können.
Das greift in die tiefste Privatsphäre der Menschen ein,
(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN in ihre geschützten Räume, wo Menschen miteinander
(B) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommunizieren und einander lieben. Sie haben vor al- (D)
Das müssen wir uns für die Zukunft vornehmen. lem ein Recht darauf, dass es niemanden etwas angeht,
was sie in ihren vier Wänden machen, um das einmal
Wir müssen aber auch die Frage klären: Gibt es an- klar zu sagen.
dere technische Möglichkeiten, Internettelefonie zu
(Beifall bei der LINKEN)
überwachen? Wenn das in Asien möglich ist – ich meine
ausdrücklich nicht die Chinesen –, dann kann ich mir Im Hinblick auf den Trojaner, der aufgedeckt worden
nicht vorstellen, dass diese grundrechtsschonendere Me- ist, können Sie, Herr Staatssekretär, eben nicht garantie-
thode nicht auch in Deutschland funktionieren kann. ren, dass er bei den vom BKA angewendeten Program-
men nicht doch zufällig mit drin ist. Das konnten Sie
Es ist unsere Aufgabe, die Problematik dieses Themas heute im Innenausschuss nicht garantieren, weder das
seriös zu lösen. Wir dürfen uns nicht mit Verdächtigun- BKA noch die Bundesregierung. Das ist die Situation.
gen hochschaukeln. Deswegen ist das in der Tat ein grundsätzlich demokrati-
Vielen Dank. sches Problem. Es verunsichert Menschen.
(Beifall bei der FDP) (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Sie verun-
sichern Menschen!)
Vizepräsident Eduard Oswald: Es erzeugt Angst vor freier Kommunikation. Es nimmt
Vielen Dank, Frau Kollegin Piltz. – Jetzt für die Frak- den Bürgerinnen und Bürgern Souveränität. Zudem be-
tion Die Linke unser Kollege Jan Korte. Bitte schön, hindert es in der Konsequenz den aufrechten Gang,
Kollege Jan Korte. wenn man nicht mehr genau weiß, was Sie mitlesen wol-
len und was nicht. Das ist das Grundproblem. Deswegen
(Beifall bei der LINKEN) ist das eine grundlegend demokratische Frage, über die
wir heute diskutieren.
Jan Korte (DIE LINKE):
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch von uns zunächst ein Dank an den Chaos Compu- Es gibt dazu eine klare Alternative, und zwar einen
ter Club, der sich in diesem Fall um die Demokratie kompletten Stopp des Einsatzes von Trojanern, den die
wirklich verdient gemacht hat. Darüber hinaus – das Linke klar und ohne Debatte fordert. Es gibt eine weitere
kommt nicht oft vor – ein herzlicher Dank und einen klare Alternative, die bedeutet: keinerlei Onlinedurchsu-
Gruß an Frank Schirrmacher und die Frankfurter Allge- chung. Die FDP hat in den nächsten Wochen die Chance,
15608 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Jan Korte
(A) (Gisela Piltz [FDP]: Das ist keine Chance! Das Vizepräsident Eduard Oswald: (C)
ist eine Drohung!) Vielen Dank, Kollege Korte. – Jetzt für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Konstantin
einem Antrag der Linken zuzustimmen, in dem wir die
von Notz. Bitte schön, Kollege Dr. von Notz.
Aufhebung der Befugnisse zur Onlinedurchsuchung im
BKA-Gesetz fordern. Da können Sie sich einmal sach-
lich – und nicht ideologisch – entscheiden und dem An- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
trag dann zustimmen. GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter
FDP) Herr Staatssekretär! Seit nunmehr zehn Tagen brodelt
– Das ist ein faires Angebot. und kocht der Skandal um die Bundestrojaner vor sich
hin. Sie haben es in diesen zehn Tagen geschafft, argu-
Der dritte Punkt – das ist schon angesprochen wor- mentativ einmal im Kreis zu laufen. Sie werfen Nebel-
den – ist, dass Sie die Privatisierung auch im Bereich der kerzen, anstatt Antworten zu geben. Das war auch heute
inneren Sicherheit zurückdrängen müssen. Sie muss eine Morgen im Innenausschuss und in der Fragestunde der
staatliche Hoheitsaufgabe sein. Sie kann nicht an externe Fall. Es ist Ihnen gelungen, die Situation hinsichtlich der
Firmen vergeben werden, die gar nicht zu kontrollieren Bundestrojaner massiv zu chaotisieren. Sie ignorieren
sind. Die Botschaft heute hier im Bundestag muss sein: und relativieren die Relevanz der Grundrechte im Netz,
Stoppen Sie die Privatisierung der inneren Sicherheit auf und Sie beschädigen damit das Ansehen der Bundes-
allen Ebenen! regierung in einem weiteren Politikfeld.
(Beifall bei der LINKEN) (Zuruf des Abg. Clemens Binninger [CDU/
Zum Schluss. Es ist schon einiges zu den Debatten CSU])
gesagt worden, die jetzt von FDP und CDU bzw. CSU – Das ist nicht meine erste Sorge, Herr Binninger, da ha-
geführt werden. Auch über diese Frage wird debattiert. ben Sie völlig recht. Durch die chaotische Informations-
Das ist mal erheiternd und mal ernüchternd, wie auch politik geht aber Vertrauen der Bevölkerung in die Bun-
immer; es ist vor allem Ihr Problem. Ich will die Bundes- desregierung in diesem Bereich verloren, und das ist
justizministerin zitieren, die vor nicht langer Zeit – ich sehr bedauerlich.
glaube, das war 2007 oder 2008 – in den Blättern für
deutsche und internationale Politik einen hervorragen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
den Aufsatz veröffentlicht hat. Heute sitzt sie auf der Re- sowie bei Abgeordneten der SPD)
(B) gierungsbank. Frau Ministerin, erfreulicherweise sind Herr Kollege Uhl, manchmal tun Sie mir leid. Be- (D)
Sie anwesend. Sie sind, was nicht erfreulich ist, eine der
stimmte Statements sollten Sie pseudonymisiert abgeben
letzten drei Linksliberalen in Ihrer Partei.
können
(Gisela Piltz [FDP]: Sie wissen doch gar nicht,
was linksliberal ist!) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So
wie bei Twitter!)
Deswegen will ich an Ihre Worte erinnern. Ich darf zitie-
ren. Frau Leutheusser-Schnarrenberger schrieb damals: – ja, das gilt auch bei Twitter –, zum Beispiel, wenn Sie
darüber reden, in welchen rechtlichen Graubereichen die
Es muss jedenfalls damit gerechnet werden, dass Polizei im Augenblick arbeiten muss. Seit gestern befin-
die Politik der inneren Sicherheit der großen Koali- den Sie sich diesbezüglich ja eins zu eins auf der Linie
tion an der mittlerweile ins Maßlose abgeglittenen der Bundesjustizministerin.
Überwachung der Bürgerinnen und Bürger weiter
festhalten wird. (Zuruf von der SPD: Oh Gott!)
Das sagte sie mit Blick auf die Große Koalition. Weiter Das ist eine ganz ungewöhnliche Allianz. Schnallen Sie
schrieb sie: sich fest: Der Bundesinnenminister, der zur selben Partei
wie Sie gehört, fühlt sich in diesem Graubereich, den Sie
Mit der Furcht vor Terrorismus im Rücken wird der zu Recht beschrieben haben, pudelwohl. Er hat daran
rechts-, besser, der verfassungspolitische Aufstand überhaupt nichts auszusetzen.
geprobt – gegen eine ihrer Idee nach freiheitliche
Gesellschaftsordnung … Ein Urteil des Landgerichts Landshut ist lediglich „ir-
gendeine Rechtsmeinung“, gegen die die Rechtsauffas-
Dem ist nichts hinzuzufügen. Es wäre schön, wenn sung der bayerischen Staatsregierung steht. Das Urteil
Sie jetzt, wo Sie die Chance dazu haben, weil Sie auf der des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008 spielt
Regierungsbank sitzen, diesen klugen Worten Taten fol- auch keine große Rolle. In diesem Urteil wurde klipp
gen lassen und energischen Widerstand gegen die Über- und klar – darauf ist heute schon hingewiesen worden –
wachungsfreunde aus der CDU/CSU an den Tag legen von „technischen Vorkehrungen“ und „rechtlichen Vor-
würden. Dabei hätten Sie unsere Unterstützung auf jeden gaben“ gesprochen. Wir haben heute erfahren, dass
Fall. überhaupt nicht gewährleistet ist, dass in ausreichendem
Vielen Dank. Maße technische Vorkehrungen getroffen wurden. Weil
weder die Bundesregierung noch das BKA den Quell-
(Beifall bei der LINKEN) code einsehen können, können sie überhaupt nicht ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15609
Dr. Konstantin von Notz
(A) währleisten, dass die entsprechenden technischen Vor- Zum Schluss. Im Bundesinnenministerium müsste (C)
kehrungen getroffen wurden. man sich fragen: Warum die ganze Aufregung? Alles ist
doch voll super. Wo liegt eigentlich das Problem? Das ist
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Doch, kann doch nur ein bisschen Überwachung; da kann man doch
man!) mal fünf gerade sein lassen. Dazu sage ich Ihnen Folgen-
Bezüglich der rechtlichen Vorgaben sind Sie sehr zer- des: Eine Mehrheit der Menschen in diesem Land lehnt
stritten. Das zeigt sich daran, dass Sie, Frau Bundesjus- die Onlinedurchsuchung ab. Eine deutliche Mehrheit in
tizministerin und Herr Staatssekretär, einsam auf der diesem Land lehnt übrigens auch die Vorratsdatenspei-
Regierungsbank sitzen. Es gibt unterschiedlichste Auf- cherung ab.
fassungen, wie man mit der Situation umgehen soll. Das (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Jetzt
ist nach Ablauf von zehn Tagen ein Armutszeugnis. wieder zur Quellen-TKÜ!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Deswegen sage ich Ihnen: Die Bürgerinnen und Bürger
bei der SPD und der LINKEN) in diesem Land begreifen sehr genau, wie sensibel der
Hinzu kommen die hochnotpeinlichen gegenseitigen Bereich der Privat- und Intimsphäre auch im Internet ist.
Schuldzuweisungen. Die Bundesregierung verweist Es reicht nicht, zu sagen: Wir lassen fünf gerade sein;
noch auf die Länder, als die Kollegen Krings und Uhl das passt schon irgendwie.
schon durch die Gegend ziehen und sagen: Alles ist die Sie müssen begreifen, dass auch das Netz ein Raum
Schuld der Bundesjustizministerin, weil es keine ordent- ist, in dem die Grundrechte eins zu eins gelten. Ich sage
liche Rechtsgrundlage gibt. – Kurze Zeit später sagen Ihnen: Beenden Sie das Nebelkerzenwerfen, machen Sie
Sie, die Rechtsgrundlage sei völlig ausreichend und su- klare Statements, und geben Sie Antworten. Dass der
per. Minister heute nicht anwesend ist, ist ein Armutszeug-
Ich will Ihnen sagen – das können Sie dem Minister ja nis.
ausrichten –: Ich glaube, er hat im Augenblick insgesamt (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])
zu viel Bälle in der Luft. Das hat man heute Morgen im
Innenausschuss deutlich gemerkt. Die Thesen und Das wird deutlich, wenn man sich anschaut, was für ein
Schlussfolgerungen aus dieser Angelegenheit – alles ist Presseecho dieses Thema ausgelöst hat. Nichts gegen
super; nichts Genaues wissen wir selber nicht; im Bund Sie, Herr Staatssekretär, aber der Minister zeigt seine
ist alles richtig, in Bayern ist alles super gelaufen – wer- Wertschätzung, wenn er nach seiner Auffassung wichti-
den nicht tragen; das garantiere ich Ihnen. Gerade wenn gere Termine als diesen hier wahrnimmt. So werden Sie
man sagt, dass Screenshots zur Kommunikation gehö- damit nicht durchkommen.
(B) ren, wird deutlich, dass Sie die Problematik noch nicht (D)
Ganz herzlichen Dank.
ganz durchdrungen haben. Deswegen sage ich Ihnen: So
werden Sie scheitern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Folgende Fragen stehen im Raum und sind nicht be- KEN)
antwortet: Wie viele Trojanerversionen sind eigentlich
wo genau im Umlauf? Vizepräsident Eduard Oswald:
(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] Vielen Dank, Kollege Dr. von Notz. – Nächster Red-
[CDU/CSU]: Die sind nicht im Umlauf!) ner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Dr. Hans-Peter Uhl. Bitte
Wie wird sichergestellt, dass der Trojaner rechtskonform schön, Kollege Hans-Peter Uhl.
ist, wenn Sie den Quellcode nicht kennen? Wieso wird
überhaupt so ein grundrechtssensibler Bereich an eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
private Firma ausgelagert und ihr damit praktisch die neten der FDP – Dr. Patrick Sensburg [CDU/
Verantwortung übertragen? Auf diese Fragen haben Sie CSU]: Jetzt kommt wieder Klarheit rein!)
heute keine Antworten gegeben.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
Wir wissen nur: Sie haben viel Geld für eine dilettan-
tisch programmierte Software verausgabt, für ein frag- Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
würdiges Unternehmen. Statt zu sagen: „Vertrauen ist Kollegen! Seit einer guten Woche wird an einem Zerr-
gut, Kontrolle ist besser“, haben Sie bei dieser Firma auf bild gearbeitet, an dem Zerrbild, der Staat würde sich al-
das Gegenteil gesetzt. Zudem sind Sie so tief zerstritten, len Ernstes in die Computer seiner 80 Millionen Bürger
dass Sie sich – das haben Sie gerade gemacht, Herr einhacken.
Staatssekretär – in das Beschimpfen der Opposition, der (Thomas Oppermann [SPD]: Nur der CSU-
FAZ und des Chaos Computer Clubs flüchten. Sie würdi- Staat!)
gen das Ehrenamt bei jeder Gelegenheit. Die Mitglieder
des Chaos Computer Clubs arbeiten ehrenamtlich. Daher An diesem Zerrbild wird von interessierter Seite gearbei-
sollten Sie auch deren Arbeit jetzt würdigen. tet. Natürlich hat der Vertreter der Linkspartei dieses
Zerrbild am besten und am glaubwürdigsten darstellen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können. Niemand kann besser über einen Überwa-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- chungsstaat reden als ein Angehöriger der Linkspartei.
KEN) Sie wissen, wovon Sie reden.
15610 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(Burkhard Lischka [SPD]: Das macht doch die Dokumente liegen mir vor. Der Chaos Computer
keiner! – Jan Korte [DIE LINKE]: Wer sagt Club hat überhaupt nichts aufgedeckt. Das alles ist in
das denn?) den amtlichen Protokollen des Bayerischen Landtages
nachzulesen.
Ist das die Rolle des Staates? Wenn das nicht die Rolle
des Staates ist, dann muss er natürlich dafür sorgen, dass Warten wir ab, was bei den Untersuchungen heraus-
er diesen Tätern im Internet auf die Spur kommt. Dazu kommt. Ich habe den Verdacht, dass herauskommen
gibt es die Quellen-TKÜ. Wir werden sie auch in Zu- wird, dass sich kein Beamter rechtswidrig verhalten hat.
kunft anwenden. Jeder vernünftige Innenminister in Das ist meine Vermutung;
Deutschland tut das, Innenminister Gall, SPD, in Baden-
Württemberg, Innenminister Woidke, SPD, in Branden- (Sebastian Edathy [SPD]: Das ist Ihr Verdacht! –
burg oder Innenminister Jäger, SPD, in Nordrhein-West- Thomas Oppermann [SPD]: Das hat doch gar
falen. Sie alle bekennen sich zur Quellen-TKÜ, und das keiner behauptet, dass sich die Beamten
ist gut so. rechtswidrig verhalten haben!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ich kann sie nur nicht beweisen. Ich vermute, dass alles
neten der FDP – Sebastian Edathy [SPD]: Das wie ein Kartenhaus zusammenbrechen wird.
ist doch gar nicht das Thema!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
Es ist bedauerlich, dass von der SPD bisher kein Mit- GRÜNEN]: Es gibt nur die Unschuldsvermu-
glied des Innenausschusses geredet hat, das heute Mor- tung, aber keinen Unschuldsverdacht! –
gen die eindrucksvolle Rede des Präsidenten des Bun- Sebastian Edathy [SPD]: Auch in Bayern?)
deskriminalamtes, Herrn Ziercke, gehört hat;
Man wird sagen: Die Software der Quellen-TKÜ kann
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das stimmt!) sehr viel mehr, als sie darf. Aber sie wurde nicht rechts-
widrig, sondern rechtmäßig und reduziert angewandt.
ich werde diese Rede jedem Mitglied meiner Fraktion
zukommen lassen. Er hat auf eindrucksvolle Weise dar- (Thomas Oppermann [SPD]: Aber nicht in
gelegt, was das Bundeskriminalamt bei der Quellen- Bayern! Das gilt nicht für Bayern, was Sie da
TKÜ in welcher stufenweisen Abfolge macht. Nichts ge- sagen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15611
Dr. Hans-Peter Uhl
(A) Sie hat überall nur das getan, was sie darf. Das wird bei Ich hätte mir übrigens gewünscht, auch die Union hätte (C)
den verschiedenen Untersuchungen mit großer Wahr- heute einen Netzpolitiker reden lassen. Ich sage Ihnen:
scheinlichkeit herauskommen. Dann hätten Sie in Ihrer Fraktion viel lernen können.
(Thomas Oppermann [SPD]: In Bayern war (Beifall bei der SPD)
das anders! – Weiterer Zuruf von der SPD:
Sehr geehrte Damen und Herren, vor über einer Wo-
Woher wissen Sie das?)
che hat der Chaos Computer Club seine Erkenntnisse
Ich sage: Das Land ist nicht außer Kontrolle, wie ein über den Bundestrojaner veröffentlicht. Er hat aufge-
Kommentator einer großen deutschen Zeitung heute zeigt, dass offensichtlich von staatlichen Behörden zum
schwadroniert hat; Zwecke der Strafverfolgung in Computer eingegriffen
wurde und dass die Grenzen, die das Bundesverfas-
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE sungsgericht im Jahr 2008 gesetzt hat, dabei deutlich
GRÜNEN]: Ja, ja! Die FAZ! Wie böse! – überschritten wurden.
Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nicht die FAZ beschimpfen!) (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Quatsch! –
Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Woher wissen
vielmehr verfügt das Land über Sicherheitsbehörden, die Sie das? Das ist doch einfach unwahr! Sie hät-
sehr kontrolliert, sehr sorgfältig, sehr behutsam mit dem ten mal im Innenausschuss den BKA-Präsi-
sensiblen Instrument der Quellen-TKÜ umgehen. So soll denten Ziercke hören müssen!)
es auch sein. Es wäre schlimm, wenn unser Land von
Piraten und Chaoten aus dem Chaos Computer Club re- – Den Rechtsstaat brüllt man nicht herbei, liebe Kolle-
giert würde. ginnen und Kollegen von der Union.
(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Staat wird durch eine solche Aktion angekratzt. Anstatt
Chaoten wird es doch schon regiert! Gucken in den zuständigen Ausschüssen, in der Fragestunde und
Sie mal: Die Chaoten sind schon da!) auch hier in der Aktuellen Stunde schnell, unverzüglich
Wir haben Sicherheitsbeamte, die Recht und Gesetz ver- und umfangreich Aufklärung zu leisten, laviert diese Re-
pflichtet sind. Wenn Sie von den Grünen und Teile der gierung; sie versteckt sich hinter fadenscheinigen Erklä-
Linken und der SPD auf Schmusekurs zu den Piraten ge- rungen und widerspricht sich dabei am laufenden Band.
hen, ist das Ihr Problem. Damit werden Sie kein Glück Ich sage Ihnen: Diese Regierung trägt dazu bei, dass der
(B) haben. öffentliche Vertrauensverlust in staatliches Handeln un- (D)
vermindert weitergeht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: (Beifall bei der SPD – Beatrix Philipp [CDU/
Sie haben ein sehr reduziertes Weltbild! – CSU]: Durch Ihre Rede hier in der Aktuellen
Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Stunde!)
GRÜNEN]: Und der Oberschmuser heißt Der Bundesinnenminister – Anmerkung: der Verfas-
Peter Altmaier!) sungsminister – gab in der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung ein bemerkenswertes Interview, in dem
Vizepräsident Eduard Oswald: er, auf die Veröffentlichung des Chaos Computer Clubs
Vielen Dank, Kollege Dr. Uhl. – Jetzt für die Fraktion angesprochen, sagte – ich zitiere –:
der Sozialdemokraten unser Kollege Lars Klingbeil. Der CCC hat nichts aufgeklärt, sondern dem Chaos
Bitte schön, Kollege Lars Klingbeil. in seinem Namen alle Ehre gemacht.
(Beifall bei der SPD) Ich hätte mir gewünscht, der Minister wäre jetzt hier. Ich
will Ihnen eines sagen: Wenn man die Verantwortung für
Lars Klingbeil (SPD): die Trojaner weit von sich weist, wenn man zunächst
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und von einer unklaren Rechtslage spricht und diese dann
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Uhl, doch als gegeben ansieht und wenn man dann sogar die
ich habe gerade kurz überlegt, ob ich auf Ihren Redebei- Nachladefunktion, die eine Überschreitung der vom
trag eingehe. Bundesverfassungsgericht gesetzten Grenzen darstellt,
gutheißt, dann ist es einzig und allein die schwarz-gelbe
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Warum nicht?) Regierung, die den Titel „Chaos Club“ mit Leben füllt –
und niemand anderes.
Ich glaube, ich lasse es lieber. Er wird an anderer Stelle
ausreichend kommentiert werden. Ich will Ihnen aber (Beifall bei der SPD – Dr. Hans-Peter Uhl
versichern: Es wird ein Innenpolitiker der SPD reden, es [CDU/CSU]: Sie wissen gar nicht, wovon Sie
wird ein Rechtspolitiker der SPD reden, die Fraktions- reden!)
spitze hat geredet, und jetzt redet ein Netzpolitiker.
Ich will für meine Fraktion eines ganz deutlich sagen:
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Sieht man Es ist dem Chaos Computer Club zu danken, dass wir
so aus, wenn man Netzpolitiker ist?) diese Debatte heute hier öffentlich führen können. Hier
15612 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Lars Klingbeil
(A) wurden Kontrolle und Aufklärung geleistet, die ich mir von früher. Ich sage Ihnen: Hierdurch geht weiter Ver- (C)
von staatlichen Stellen gewünscht hätte. Deswegen ist trauen in staatliches Handeln verloren.
Dank und keine Beschimpfung angebracht.
(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
(Beifall bei der SPD – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Er hat aber recht!)
[CDU/CSU]: Komisches Rechtsverständnis! – Ich wünsche mir, dass wir die neuesten Erkenntnisse
Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Peinlich!) nutzen, um noch einmal über die Verhältnismäßigkeit
Das Internet bietet die riesige Chance, staatliches solcher Instrumente zu diskutieren. Ich kann den Kolle-
Handeln transparenter zu machen und die Bürgerinnen gen von der Union nur empfehlen, die Aussagen von
und Bürger viel stärker in politische Prozesse einzubin- Peter Altmaier – mittlerweile ist er da – in der Frankfur-
den. Ich bin mir sicher, dass das Vertrauen der Menschen ter Allgemeinen Zeitung vom letzten Freitag zu lesen.
in den Staat gerade durch das Instrument des Internets Ich glaube, hier kann man viel lernen. Ich wünschte mir,
gestärkt werden kann. Wir wissen aber auch, dass das In- in dieser Diskussion würde seitens der Union weniger
ternet Herausforderungen und Risiken mit sich bringt. Uhl und mehr Altmaier herrschen. Ich glaube, dann kä-
Wir müssen die Herausforderungen sorgfältig diskutie- men wir zu einer vernünftigen Debatte, die wir dringend
ren und immer eine Abwägung zwischen den individuel- brauchen.
len Freiheitsrechten und den berechtigten und notwendi- Danke für Ihr Zuhören.
gen Sicherheitsinteressen treffen. In einer Sache müssten
wir uns aber doch einig sein: Wenn wir in die Persön- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
lichkeitsrechte die Bürgerinnen und Bürger eingreifen, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
dann muss technisch, rechtlich und auch politisch die Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: In jeder
Kontrolle sichergestellt sein. Was wir hier mit der Fraktion gibt es einen Piraten!)
schwarz-gelben Regierung erleben, ist die Offenbarung
eines Kontrollverlustes in technischer, rechtlicher und Vizepräsident Eduard Oswald:
politischer Hinsicht. Vielen Dank, Kollege Klingbeil. – Jetzt spricht für die
Bundesregierung Frau Bundesministerin Sabine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Leutheusser-Schnarrenberger. Bitte schön, Frau Bundes-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ministerin.
Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Kann es sein,
dass Sie keine Ahnung haben?) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich zitiere aus einer Anfrage der SPD-Fraktion zum Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
(B) Thema Onlinedurchsuchung. (D)
ministerin der Justiz:
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat doch Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
mit dem Thema nichts zu tun! Den Unter- nen und Kollegen! Ja, wir befassen uns heute mit einem
schied zwischen Onlinedurchsuchung und wirklich sensiblen Thema. Deshalb muss Vorwürfen und
Quellen-TKÜ muss man schon kennen! Das Behauptungen, die von Personen aufgestellt werden, die
ist ja eine Offenbarung! – Beatrix Philipp sich aufgrund ihres beruflichen Hintergrundes zu diesen
[CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Feststellungen berufen fühlen, nachgegangen werden.
Da wird nicht dramatisiert, nicht skandalisiert und auch
Wir haben den Bundesinnenminister gefragt: Wer berät nicht heroisiert. Notwendig ist ein Blick auf mögliche
sachverständig die Sicherheitsbehörden und das Bundes- Defizite und Schwächen gerade in der technischen Di-
innenministerium bei der Konfiguration von Online- mension, die deutlich gemacht wurden.
durchsuchungen? Die Antwort des Innenministeriums Natürlich unterscheiden wir zwischen Quellen-TKÜ
besteht aus einem Satz: und Onlinedurchsuchung; das sind zwei unterschiedliche
Die Sicherheitsbehörden und das Bundesministe- Dinge.
rium des Innern verfügen grundsätzlich über genü- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Für Herrn
gend Sachverstand. Klingbeil nicht!)
Was wir erleben und heute hören, ist doch, dass kein Aber eines ist klar: Eine Quellen-TKÜ darf nicht in eine
ausreichender Sachverstand vorhanden ist. Es wird über Onlinedurchsuchung übergehen,
die Zuverlässigkeit diskutiert, und heute hören wir, dass
(Sebastian Edathy [SPD]: Hört! Hört!)
der Quellcode nicht bekannt war, dass man also Instru-
mente eingesetzt hat, von denen nicht bekannt war, was auch nicht unbewusst durch technische Möglichkeiten.
sie können. Ich sage Ihnen: Hier wird staatliches Ver- Das darf nicht sein.
trauen gefährdet. Sie haben die Katze im Sack gekauft.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN
Sie wussten nicht, was Sie tun. Ich erwarte von einer Re-
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
gierung, dass sie hier jederzeit öffentlich Verantwortung
des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])
übernehmen und darüber aufklären kann, was sie tut.
Der Staatssekretär hat vorhin in der Fragestunde auf die Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei-
Frage, ob man die Vergangenheit von DigiTask kenne, dung 2008 sehr deutlich gemacht, dass es diese Möglich-
geantwortet: Das DigiTask von heute ist nicht mehr das keiten zur heimlichen Ermittlung unter bestimmten Vo-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15613
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(A) raussetzungen sehr wohl geben darf. Aber es hat eben Grundlagen habe, dann muss ich doch auch alles tun, da- (C)
auch ganz deutlich gemacht, dass es kein Verwischen mit Technik nicht rechtliche und verfassungsgerichtliche
dieser beiden Ermittlungsmöglichkeiten geben darf und Vorgaben außer Kraft setzt. Um nicht mehr und um nicht
dass vor allen Dingen eine Quellen-Telekommunika- weniger geht es.
tionsüberwachung nicht zu einer Infiltrierung des Com- Vielen Dank.
puters führen darf. Genau diese Fragen und auch die
technische Dimension, die damit verbunden ist, müssen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
uns jetzt beschäftigen.
Schauen wir einmal nach Bayern. In Bayern ist wie Vizepräsident Eduard Oswald:
auch in anderen Bundesländern – das wissen wir – diese Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Jetzt für die
Art von Technik zum Einsatz gekommen. Der Innen- Fraktion Die Linke unsere Kollegin Ulla Jelpke. Bitte
minister in Bayern hat dann sehr schnell entschieden schön, Frau Kollegin Jelpke.
– dazu haben wir ihn deutlich ermutigt –, zu sagen: (Beifall bei der LINKEN)
Diese Art von Technik wird nicht mehr angewandt, bis
der Sachverhalt aufgeklärt ist und bis wir geklärt haben Ulla Jelpke (DIE LINKE):
– das geht über das Urteil des Landgerichts Landshut hi-
Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
naus –: Was gibt es an möglichen weiteren technischen
Ich möchte mich ausdrücklich dem Dank an die Aktivis-
Funktionalitäten, die vielleicht bisher nicht eingesetzt
tinnen und Aktivisten des Chaos Computer Clubs an-
wurden, aber zum Einsatz gebracht werden könnten?
schließen.
Was bedeutet es, wenn Dritte die Möglichkeit haben, die
bei einem Computer eingesetzte Technik noch einmal zu (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
manipulieren?
– Kollegen von der Union, in der Tat möchte ich hier
Wir wissen doch alle: Da müssen klare Grenzen gezo- deutlich sagen, dass die Aufdeckung des Trojaner-Skan-
gen werden. Manipulationsmöglichkeiten müssen ausge- dals vor allen Dingen dem Chaos Computer Club zu ver-
schlossen werden. Aber erst einmal müssen wir den danken ist. Dass hier wieder einmal eine Debatte um die
technischen Sachverhalt aufklären. Keiner von uns kann persönlichen Freiheiten in diesem Land und darüber, wie
im Moment mit absoluter Sicherheit sagen: Wir kennen sie zu verteidigen sind, geführt wird, ist, wie sich heute
jede Einzelheit der Technik, die hier im Bund und vor al- auch im Innenausschuss gezeigt hat, ausgesprochen
len Dingen in allen Ländern zum Einsatz kam; denn es wichtig.
gibt in vielen Ländern – einige sind schon genannt wor-
(Beifall bei der LINKEN)
den – die entsprechenden Grundlagen, um diese Technik
(B) zur Wahrnehmung von wichtigen Aufgaben einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist schon mehrfach er- (D)
wähnt worden, dass das Bundesverfassungsgericht in
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der mündli-
seinem Urteil zur Onlinedurchsuchung ganz deutlich die
chen Verhandlung zur Onlinedurchsuchung mit genau
Konsequenzen für den Schutz der individuellen Freihei-
diesen technischen Problemen intensiv befasst. Auch ein
ten, vor allen Dingen für Menschen, die im Netz arbei-
Vertreter des Chaos Computer Clubs war als einer von
ten, gezogen hat. Auch das Landgericht Landshut hat im
vielen Experten dort, weil vielen Stimmen Gehör ver-
Januar ganz klar geurteilt, dass das Erstellen von
schafft werden sollte, um dann in der Gesamtbetrach-
Screenshots durch polizeiliche Trojaner rechtswidrig ist.
tung ein Urteil mit hohem technischen Sachverstand ab-
Der Bundesinnenminister hat dazu eine ganz lapidare
geben zu können.
Haltung. In der FAZ hat er mal eben so locker gesagt,
Neben der Notwendigkeit, die technische Situation dass man auch eine andere Auffassung haben könne als
darzustellen, stellt sich aber natürlich sehr wohl die ein Landgericht. Da fragt man sich natürlich schon, wie
Frage: Sollte nicht der Staat diese staatliche Aufgabe ein Innenminister, der zugleich Verfassungsminister ist,
vollumfänglich wahrnehmen? diese Freiheitsrechte verteidigen will. Rechtsstaatlich-
keit, wenn er sie verinnerlicht hat, bedeutet nichts ande-
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem res – um das ganz deutlich zu sagen –, als dass der Staat
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in seinem Handeln von Gerichten begrenzt werden kann.
Ich meine, dafür spricht sehr viel. Natürlich ist das mit Nichts anderes haben das Bundesverfassungsgericht und
einem finanziellen Aufwand verbunden; das wissen wir. das Landgericht Landshut gemacht.
Aber es ist besser, wenn der Staat für diesen sensiblen Da sind wir auch schon bei dem Beispiel. Herr
Bereich die volle Verantwortung trägt und wahrnehmen Schröder hat hier von schwerer Kriminalität, Terroris-
kann. Es wäre zu klären, inwieweit externe Experten mus usw. gesprochen. Aber wodurch ist dieser Fall ei-
dann beurteilen können, was die Software im Einzelnen gentlich bekannt geworden? Der bayerische Innenminis-
kann. Manche werfen hier die Stichworte „TÜV“ oder ter scheint ganz offensichtlich in Muskelmännern eine
„Zertifizierung“ ein. Worum geht es uns? Es geht uns solche Gefahr für den Freistaat zu sehen, dass er schon
doch darum, dass wir Vertrauen der Bürgerinnen und Jagd auf diese kleinkriminellen Anabolikahändler
Bürger in staatliches Handeln da stärken und wiederher- macht. Recht und Gesetz hat er ganz eindeutig mit Fü-
stellen wollen, wo es verloren gegangen ist. Deshalb ßen getreten.
nehmen wir uns dieser Fragen so offen an. Hier debat-
tiert doch niemand darüber, dass man die entsprechen- (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
den Regelungen in den Gesetzen abschaffen will. Darum [CDU/CSU]: Anabolikahändler sind keine
geht es doch nicht. Aber wenn ich diese gesetzlichen Kleinkriminellen!)
15614 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Ulla Jelpke
(A) Dass ein Trojaner nicht einfach Zehntausende Bild- Vizepräsident Eduard Oswald: (C)
schirmfotos erstellen darf, ergibt sich meines Erachtens Vielen Dank, Frau Kollegin Jelpke. – Jetzt spricht für
schon aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege
Aber nach dem Urteil des Landgerichts Landshut vom Volker Beck.
Januar dieses Jahres hätte völlig klar sein müssen, dass
dieser Trojaner rechtswidrig ist und nicht eingesetzt wer- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
den darf. Was die Screenshots umfassen, ist heute schon Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Uhl,
mehrfach gesagt worden: Die Aktivitäten eines Men- als ich Ihre Rede mit dem wunderbaren Spruch „Wer
schen an dem Computer können vollständig erfasst wer- sich ins Internet begibt, kommt darin um“ gehört habe,
den. Das hat mit einer Überwachung von Telekommuni-
kation – das hat die Ministerin eben noch einmal sehr (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das kann
deutlich gemacht – nun wirklich nichts mehr, gar nichts Ihnen auch passieren!)
mehr zu tun. war mein Gedanke: Lassen Sie sich in Ihrem Büro ein
(Beifall bei der LINKEN) Exemplar von dem bösen Internet ausdrucken, und dann
bitten Sie Herrn Friedrich, es endlich abzuschalten.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil
von 2008 festgelegt, die Überwachung müsse sich „aus- (Lachen bei der SPD)
schließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommu- So zu argumentieren, ist weltfremd.
nikationsvorgang“ beschränken. Es hat außerdem gesagt
– das insbesondere an die Adresse der Unionskollegen –: Viel besser waren auch Sie nicht, Herr Schröder; Sie
waren auch nicht viel näher an der Realität der Debatte.
Dies muss durch technische Vorkehrungen und Sie bauen einen Popanz auf, indem Sie sagen, die Alter-
rechtliche Vorgaben sichergestellt sein. nativen wären, alles an Überwachung grenzenlos zu er-
lauben oder die Kriminalität einfach zuzulassen. Ich
Auch nach der heutigen fast dreistündigen Debatte im sage Ihnen: Der Staat – das ist auch Law and Order – hat
Innenausschuss bleibt es äußerst zweifelhaft, ob die vom zwei Aufgaben. Er muss die Sicherheit wahren, indem er
Bundeskriminalamt und Zollkriminalamt eingesetzte Gefahren abwehrt und Kriminalität strafverfolgt
Spionagesoftware diesem Anspruch wirklich genügt.
Das Bundeskriminalamt hat zwar – nach eigenen Anga- (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Auch im
ben – eine Version der Software bestellt, deren Funktion Netz, Herr Kollege!)
offenbar auf die Quellen-Telekommunikationsüberwa-
– sehr richtig –, und er muss dabei rechtsstaatlich han-
chung reduziert ist. Es gibt aber weiterhin eine Online-
deln und die Rechte seiner Bürger, wie sie im Grundge-
(B) nachladefunktion. Es ist heute nicht ausreichend aufge- setz formuliert sind, respektieren. Beides ist Recht und (D)
klärt worden, ob sie eingesetzt wurde bzw. welcher
Gesetz.
Codes es bedarf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Also wis- sowie bei Abgeordneten der SPD)
sen Sie es gar nicht? Sie wissen nicht, ob die
eingesetzt wurde?) Das Tragische an dieser Debatte ist: Es war keine
Kontrollbehörde, die festgestellt hat, dass irgendetwas
– Nein, das wissen wir nicht, weil wir keine vernünftigen schiefläuft, sondern der Chaos Computer Club.
Auskünfte vom Innenministerium darüber bekommen
haben. – Man braucht keine detaillierten Computer- (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
kenntnisse, um zu wissen, dass mit solchen Nachlade- [CDU/CSU]: Das war ein Rechtsanwalt!)
funktionen alles Mögliche angestellt werden kann. Sogar Seine Mitglieder sind darauf gekommen, weil ihnen et-
digitale große Späh- und Lauschangriffe können so was zugespielt wurde und sie in der Lage waren, das zu
durchgeführt werden. Der Bundesinnenminister begrün- analysieren. Dabei haben sie zweifelsfrei festgestellt,
det diese Nachladefunktion ausdrücklich mit der regel- dass diese Software mehr kann, als das Bundesverfas-
mäßigen Aktualisierung der in fremde Computer einge- sungsgericht erlaubt.
bauten Spionagesoftware. Das wollen wir weiter
erläutert haben. Daraus ergibt sich zwingend das Faktum: Wir haben
ein Problem. Das Problem lautet: Wer überwacht die
Die Linke hat sich in der Vergangenheit bereits bei Überwacher und die Überwachungssoftware? Gerade
der Novelle zum BKA-Gesetz gegen die Onlinedurchsu- wenn solche Bereiche an Private übertragen werden,
chungen gewandt. Nach dem Urteil des Bundesverfas- muss man anschließend darauf achten, was sich alles da-
sungsgerichts haben wir immer wieder Zweifel daran ge- rin verbirgt. Ich finde den Ansatz richtig, zu sagen: Das
äußert, ob die Vorgaben so in die Praxis umgesetzt macht der Staat in Zukunft selbst.
werden können. Die jüngsten Ereignisse haben unsere
Befürchtungen bestätigt. Deshalb bleibt die Linke dabei: (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
Hände weg von der Onlinedurchsuchung und den massi- [CDU/CSU]: In dem Fall hat es ein Gericht
ven Überwachungen! gemacht!)
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: zichten würden, wären wir bei der Bekämpfung der Or- (C)
Vielen Dank, Kollege Volker Beck. – Jetzt spricht für ganisierten Kriminalität, der Kinderpornografie und des
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Clemens Terrorismus ohne Erkenntnismöglichkeiten. Das kann
Binninger. der Rechtsstaat nicht wollen und nicht zulassen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben heute Morgen eine sehr sachliche Debatte
Clemens Binninger (CDU/CSU): im Innenausschuss geführt. Herr Kollege Oppermann,
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie dürfen sich darüber gerne bei Ihren SPD-Kollegen
Herr Beck, wir nehmen zustimmend und zufrieden zur informieren. Diese Debatte war von deutlich mehr Ver-
Kenntnis: Die Grünen sind für Quellen-TKÜ mit Soft- ständnis für das Anliegen geprägt als einige der Bei-
ware, und sie sind dafür, dass der Staat diese Software träge, die wir hier heute Nachmittag gehört haben. Der
selber entwickelt. Das haben Sie hier an diesem Redner- BKA-Präsident
pult gesagt.
(Zuruf von der SPD: Guter Mann!)
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt! Ich konnte zweifelsfrei darlegen, dass die Anwendungsfälle,
habe gesagt: Wenn man es macht, muss man es die es im BKA gibt, den Vorgaben des Karlsruher Ge-
rechtlich sauber machen!) richtes entsprechen. Es gibt keinen Grund, dort etwas zu
kritisieren oder gar zu skandalisieren. Was in den Län-
Aus dieser Position werden wir Sie nicht mehr entlassen. dern passiert – egal, ob der Innenminister von der SPD,
der CDU oder der CSU gestellt wird –, müssen die Län-
(Beifall bei der CDU/CSU)
der erklären und auch verantworten. Das ist nicht unsere
Die Debatte der letzten zehn Tage war – ich will gar Hauptaufgabe.
nicht bestreiten, dass, was den technischen Aspekt be-
Es bleiben am Ende – das will ich ganz freimütig ein-
trifft, etwas zur Aufklärung beigetragen wurde – stark
räumen – zwei Punkte in der Debatte übrig, über die wir
von pauschalen Verdächtigungen, der Kriminalisierung
eigentlich Einigkeit erzielen könnten, ein rechtlicher und
von Polizeiarbeit und von Diskreditierung geprägt. Dazu
ein technischer Aspekt.
muss ich sagen: Dieser Tenor führt keinen Schritt weiter.
Das darf sich so nicht wiederholen. Erster Punkt: § 100 a StPO ist zweifellos nach der
Rechtsprechung die richtige Rechtsgrundlage für die
Der Fall, den einige lobend erwähnt haben – es wurde
Quellen-TKÜ. Das ist wohl unbestritten. Unbestritten ist
sehr kryptisch in einer Sonntagszeitung beschrieben,
(B) was man recherchiert habe –, wäre deutlich weniger in- aber auch, dass § 100 a von der Justiz uneinheitlich an- (D)
gewandt wird. Vom Generalbundesanwalt wird er gar
teressant gewesen, wenn der Schreiber seinen Artikel
nicht angewandt, in den Ländern dagegen wird er von
mit dem Hinweis eingeleitet hätte, dass es dazu bereits
den Staatsanwaltschaften zur Quellen-TKÜ angewandt.
eine Verhandlung vor einem Landgericht, eine Debatte
Von dieser Debatte kann somit durchaus der Impuls aus-
im Bayerischen Landtag und zwei Publikationen in den
gehen, dass die Justizminister von Bund und Ländern
juristischen Fachzeitschriften NJW und NStZ gegeben
darüber reden, ob es einer Fortentwicklung des § 100 a
hat. Dann wäre das Geheimnisumwobene weg und die
StPO bedarf, um die infrage stehenden Dinge klarzustel-
Debatte vielleicht sachlicher gewesen. Es geht auch völ-
len und eine einheitliche Rechtsanwendung zu garantie-
lig unter, worum es in diesem Verfahren ging. Es ging
ren. Das ist keine Skandalisierung; es ist auch keine Kri-
um das bandenmäßige Beschaffen von Betäubungsmit-
tik an irgendjemandem, wenn man das fordert. Das ist
teln in 74 Fällen. Hierfür wurde eine mehrjährige Haft-
vielmehr den Erkenntnissen geschuldet, die wir jetzt
strafe verhängt. Auch das darf man wohl in diesem Zu-
sehr seriös und verantwortungsbewusst gewonnen ha-
sammenhang einmal erwähnen, damit jeder weiß,
ben.
worüber wir heute hier reden.
Wir reden übrigens nicht über Onlinedurchsuchun- Der zweite Punkt: Wir müssen uns darüber im Klaren
gen, auch nicht über Quellen-TKÜ zur Gefahrenabwehr. sein, dass wir aufgrund der fortschreitenden technischen
Entwicklung immer wieder an einen Punkt gelangen, wo
Wir reden ausschließlich über die Maßnahme „Quellen-
TKÜ im Ermittlungsverfahren nach § 100 a StPO“, wir uns fragen müssen, ob technisch mehr möglich ist
als rechtlich zulässig und ob wir die Technik überhaupt
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE noch übersehen. Können wir uns darauf verlassen, dass
GRÜNEN]: Alles hängt mit allem zusam- das, was wir von einem Fremdunternehmen bekommen,
men!) alle diese Aspekte berücksichtigt, oder bleibt ein letzter
Rest an Unsicherheit, obwohl alles dafür getan wird, um
also das Abhören verschlüsselter Telefonate bei schwe- diese Unsicherheit auszuräumen?
ren Straftaten. Darum geht es im Kern. Dass wir darauf
verzichten können, hat, wie ich glaube, niemand in die- Wenn wir sicherstellen wollen, dass keine Lücke zwi-
sem Hause außer Herrn Korte – bei ihm war ich mir da schen technisch Möglichem und rechtlich Machbarem
nicht ganz sicher – gefordert. Auf diese Ermittlungsme- entsteht, brauchen wir eine staatliche Stelle, ein Service-
thode kann die Polizei weder im Bund noch in den Län- und Kompetenzzentrum, das die Aufgabe hat, den Er-
dern verzichten. Diese klare Botschaft muss zunächst mittlungsbehörden die entsprechende Technik bereitzu-
einmal vorausgeschickt werden. Wenn wir darauf ver- stellen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15617
Clemens Binninger
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (C)
der SPD) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN)
Diese Stelle kann das Know-how bereitstellen, auf dem
neuesten Stand der Technik. Dann sind wir auf der siche- Auf der anderen Seite bin ich es ja gewohnt, dass wir
ren Seite. Das könnte durchaus auch im Sinne der Grü- seit zwei Jahren in der Innen- und Rechtspolitik streiten
nen sein. In der Großen Koalition hatten wir schon ein- bzw. dass Sie streiten. Die Koalition streitet sich wie
mal über die Einrichtung eines solchen Service- und zwei ungleiche Schwestern, die sich fast bis aufs Blut
Kompetenzzentrums diskutiert. Damals wurde es von den bekämpfen. Sie verbeißen sich in politische Extreme, ei-
Grünen mit dem Schlagwort „Die Lauscher vom Rhein“ nigen können Sie sich lange nicht mehr. Union und FDP
diskreditiert und gesagt: Wir wollen es nicht. Deshalb sind aufgrund ihrer Unfähigkeit zur politischen Ent-
sage ich an die Adresse der Grünen: Beides wird nicht zu scheidung gleichermaßen zum Sicherheits- und zum
haben sein. Wenn wir Sicherheit in den Ermittlungsver- Freiheitsrisiko geworden.
fahren haben wollen – das wollen wir ja alle –, werden
wir nicht umhinkommen, eine solche staatliche Stelle zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jan
schaffen. Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!)
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Genau so ist Es hat in Deutschland wohl noch keinen Fall gegeben,
es!) in dem sich ein bayerischer Innenminister so dreist und
öffentlich vor einen meines Erachtens eindeutigen
Das BKA alleine ist in der Lage, die Sicherheitsanforde- Rechtsbruch gestellt hat.
rungen zu garantieren. Aber wollen Sie das auch jeder
Länderpolizei überlassen? – Ich glaube deshalb, der (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
zweite und wichtige Impuls aus dieser Debatte lautet: GRÜNEN]: So ist es!)
Wir brauchen ein Service- und Kompetenzzentrum für
das gesamte Spektrum an Überwachungstechnik. Dann Wenn Herr Uhl immer von der Grauzone spricht, dann
sind wir auf der sicheren Seite. weiß ich, eigentlich meint er Rechtsbruch. Deswegen
sage ich auch Rechtsbruch.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- DIE GRÜNEN)
neten der FDP)
Das Grundgesetz erlaubt die Überwachung von Tele-
kommunikation an der Quelle, meines Erachtens aber
(B) Vizepräsident Eduard Oswald: nicht das Anfertigen von Screenshots, bei denen man na- (D)
Vielen Dank, Kollege Binninger. – Jetzt für die Frak- turgemäß viel mehr sehen kann als nur eine einzelne
tion der Sozialdemokraten unser Kollege Frank E-Mail oder einen E-Mail-Entwurf, zumal wenn alle
Hofmann. Bitte schön, Kollege Frank Hofmann. 30 Sekunden ein Bild gemacht wird.
(Beifall bei der SPD) Mit ihrer Software hat die bayerische Polizei im Prin-
zip nichts anderes gemacht als eine Onlinedurchsuchung
Frank Hofmann (Volkach) (SPD): durch die juristische Hintertür. Der bayerische Innen-
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen minister Herrmann kann noch so viel reden, glaubhaft
und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn abstreiten kann er das nicht.
wir den Chaos Computer Club vor zehn Tagen nicht ge-
Erschütternd ist für mich auch die Ignoranz des Bun-
habt hätten und die Medien nicht darüber berichtet hät-
desinnenministers gewesen. Manchmal hatte ich den
ten, wären wir noch nicht so weit wie heute. Die Exeku-
Eindruck, er weiß nicht, wovon er spricht. Wie sonst
tive hat bisher immer gemauert. Wir hatten keine
konnte er sich zu den Äußerungen hinreißen lassen,
Erkenntnisse. Die sind heute zum ersten Mal offengelegt
Screenshots oder gar das Aufzeichnen von Eingaben
worden, und es sind völlig neue Ideen aufgetaucht. Herr
über die Tastatur – also das Keyloggen – gehöre zum Er-
Binninger hat eben gesagt: Kompetenzzentrum, Service-
fassen der Telekommunikation. Es muss doch klar sein,
zentrum. Wir müssen aber aufpassen, dass wir daraus
wenn man die Quellen-TKÜ ohne solche grundrechts-
keine Abhörzentrale machen.
widrigen Maßnahmen nicht umsetzen kann, dann darf
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man sie auch nicht umsetzen.
NEN]: Genau!)
Wer ist eigentlich zuständig für diese Misere? – Frau
Sie sprachen an, den § 100 a StPO müssen wir neu ma- Leutheusser-Schnarrenberger sagt, Herr Friedrich soll
chen, und es muss eine eigene Software her. – Ich denke, eine Führungsrolle in der Aufklärung übernehmen. Herr
das sind Sachen, über die hätten wir uns auch schon vor Friedrich gibt den Schuh weiter an die Bundesländer.
zwei Jahren unterhalten können, wenn wir das Thema Der bayerische Innenminister Herrmann sieht den Bund
angesprochen hätten. Nein, dieses Thema ist heute hoch- in der Pflicht, Klarheit für künftige Computerüberwa-
gekommen, weil es der Chaos Computer Club war, der chungen zu schaffen. – Meine Damen und Herren, bitte
uns dieses Thema gegeben hat. Sonst wären wir nicht so einigen Sie sich doch. Es ist vielleicht nicht in Ihrem In-
weit. Deswegen auch von mir herzlichen Dank an den teresse, sich zu einigen, aber es ist im Interesse unseres
Chaos Computer Club. Landes.
15618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Sebastian Edathy
(A) Mit anderen Worten: Offenkundig muss man auch mal Wir haben heute im Rechtsausschuss gehört, dass die (C)
gelegentlich auf eine Sicherheitsmaßnahme verzichten, Bundesregierung und das Bundeskriminalamt gar keinen
weil es das Ziel des Freiheitsschutzes gibt. Ich dachte Zugang zu den Quelldateien der Programme haben, die
bislang immer, es würde fraktionsübergreifend den man bei einer privaten Firma in Auftrag gegeben hat; das
Grundkonsens geben, dass Sicherheit der Freiheit dient Bundeskriminalamt hat dies eingeräumt. Das ist schlicht-
und dass Freiheit kein Randphänomen ist. Es ist ja nicht weg fahrlässig und ein Riesenproblem. Da darf man
so, dass Sicherheit und Freiheit gleichrangige Güter wä- nicht unklar bleiben. Da muss Klarheit her. Da darf man
ren. Sicherheit kann man auch in Nordkorea, in einem nicht zweideutig, sondern muss eindeutig sein.
Nichtrechtsstaat, in einer Diktatur optimal organisieren.
Aber das Wesen der Organisation von Sicherheit in ei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte beenden Sie
nem Rechtsstaat ist, dass die Sicherheit zuvorderst dem diesen Zustand! Stellen Sie sicher, dass der Rechtsstaat
Schutz der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger dient. funktioniert! Klären Sie die Unstimmigkeiten innerhalb
Ihrer eigenen Koalition! Und hören Sie bitte auf, die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bürgerrechte der Menschen in unserem Land gegen Si-
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE cherheitsbelange auszuspielen! Beides gehört zusam-
GRÜNEN) men.
Dies muss der Maßstab sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das größte Kapital, das wir in der Demokratie haben,
ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die
Vizepräsident Eduard Oswald:
Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats. Dieses Vertrauen
hat auch unter tatkräftiger Mitwirkung von Vertretern Vielen Dank, Kollege Edathy. – Jetzt für die Fraktion
der Bundesregierung, insbesondere des Bundesinnen- der CDU/CSU der Kollege Prof. Dr. Sensburg. Bitte
ministers, im Laufe der letzten Wochen Schaden genom- schön, Kollege Dr. Sensburg.
men. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich wundere mich übrigens, warum man so fahrlässig
Wasser auf die Mühlen der Kritiker unseres demokrati- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):
schen Systems gießt. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
ich wundere mich auch über Folgendes – es tut mir leid; und Kollegen! Durch die Diskussion in den letzten Ta-
ich muss das hier ansprechen –: Sie haben mit dafür ge- gen und auch durch einige Wortbeiträge musste man den
sorgt, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Eindruck gewinnen, der Staat überwache eine Vielzahl (D)
(B)
2008 ein ganz klares Urteil gesprochen hat. Sie waren von Computern, iPads und Smartphones, und das wo-
damals Klägerin. Dieses Urteil hat sich nicht auf Maßga- möglich auch noch zu Hause in den eigenen vier Wän-
ben für die künftige Onlinedurchsuchung beschränkt. Es den. Dieser Eindruck wird auch vom Chaos Computer
hat auch ein zusätzliches Grundrecht konstituiert. Ich Club erweckt, wenn von Spionagesoftware, Schnüffel-
finde es erstaunlich: Noch 2008 haben Sie gegen ein Ge- software, ausuferndem Computerschnüffeln, staatlichen
setz geklagt, woraufhin es zu einem Richterspruch kam. Computerwanzen oder heimlicher Infiltration von infor-
Seit zwei Jahren sind Sie Bundesjustizministerin. Nun mationstechnischen Systemen, also des heimischen
fällt Ihnen plötzlich ein, dass man seitens der Bundesre- Computers, gesprochen wird.
gierung vielleicht einmal einen Blick darauf werfen
könnte, wie in den Bundesbehörden eigentlich mit dem Eigentlich muss jeder Bürger inzwischen Angst ha-
Thema Telekommunikationsüberwachung umgegangen ben, dass sich staatliche Trojaner auf seinem Rechner
wird. Das ist ein ganz schwaches Bild, gerade für eine befinden. Ich habe eine Anfrage bekommen, die wie
Rechtsstaatsliberale. Das muss ich Ihnen leider so vor- folgt lautete: Sind fast alle Computer vom Bundestroja-
halten. ner befallen? Muss ich mir Sorgen machen? – Diese An-
frage habe ich über Facebook bekommen, jenes Netz-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werk, in das viele Menschen Informationen über ihren
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beziehungspartner, Urlaubsfotos und viele weitere Da-
ten einstellen.
Ich finde es gut, dass Sie sagen, dass etwas getan und
nicht nur geprüft werden muss. Das ist aber offenkundig Wie aber sieht die Realität aus? Bei den vom Chaos
noch nicht ganz klar: Wird jetzt geprüft, ob etwas zu prü- Computer Club im Staatstrojaner-Bericht angegebenen
fen ist, wie Herr Friedrich sagte, oder muss man etwas Programmen handelt es sich nicht um Software, die vom
Konkretes machen, wie Kollege Schulz und Frau Bund eingesetzt wird. Ich glaube, das ist inzwischen un-
Leutheusser-Schnarrenberger sagten? Ganz klar ist streitig; alle Redner haben das hier heute betont. Das
doch: Wir haben es hier mit einem derart sensiblen scheint, auch wenn die Äußerungen des Chaos Computer
Thema zu tun, das die Aufmerksamkeit des Großteils der Clubs unterschiedlich sind, inzwischen selbst vom
Öffentlichkeit auf sich zieht, dass wir es uns überhaupt Chaos Computer Club nicht anders gesehen zu werden.
nicht leisten können, angreifbar zu sein. Was den Kern- Denn es wird nicht mehr vom Bundestrojaner gesprochen,
bereich der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben an- sondern vom Behördentrojaner oder vom Staatstrojaner.
geht, muss völlig klar sein, dass die entsprechenden Es ist wichtig, festzuhalten, dass es hier nicht um den
staatlichen Instanzen die volle Kontrolle haben. Einsatz einer Bundessoftware geht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15621
Dr. Patrick Sensburg
(A) Zu den Zahlen. Seit 2007 ist vom BKA und vom Bun- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C)
desverfassungsschutz in circa 25 Fällen ein Trojaner zur GRÜNEN]: Landgericht Landshut, sage ich
Quellen-TKÜ eingesetzt worden. Dabei handelte es sich nur!)
– ich wiederhole das – ausdrücklich um eine Quellen-
TKÜ. Das betone ich, weil der eine oder andere Vorred- Ein derartiger Beschluss muss von einem Richter ange-
ner, etwa die Kollegen von Notz und Klingbeil oder Frau ordnet werden. Ich möchte Ihnen einmal eine solche
Jelpke, die Quellen-TKÜ mit der Onlinedurchsuchung Stelle zitieren:
vermischt haben. Von den 25 Fällen ist es in nur sieben Auch insoweit sind nur solche Maßnahmen zuläs-
Fällen tatsächlich zu einer Auslesung von Daten gekom- sig, die der Überwachung der Telekommunikation
men. dienen und die für die technische Umsetzung der
Überwachung zwingend erforderlich sind.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Auch das ist grundrechtsrelevant, Das sagt ein Gericht in einem entsprechenden Beschluss.
Herr Kollege Sensburg!)
Unzulässig sind die Durchsuchung eines Compu-
Wir reden also von Einzelfällen, und das seit 2007. Es ters nach bestimmten auf diesem gespeicherten Da-
geht nicht um ein massenhaftes Abrufen von Daten im ten sowie das Kopieren und Übertragen von Daten
Rahmen der Quellen-TKÜ. Das muss klar sein. von einem Computer, die nicht die Telekommuni-
kation des Beschuldigten über das Internet mittels
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Voice-over-IP betreffen.
NEN]: Grundrecht ist Grundrecht! – Jan Korte
[DIE LINKE]: Wo beginnt das Problem: bei (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
50, 100 oder erst bei 200?) GRÜNEN]: Lesen Sie mal das Urteil des
Landgerichts Landshut!)
Zum Zweiten ist die rechtliche Grundlage klar, das ist
auch ganz deutlich gesagt worden. Auch das Abhören von Gesprächen, die außerhalb
eines Telekommunikationsvorgangs im Sinne des
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- § 100 a StPO erfolgen, ist unzulässig.
NEN]: Sie kennen sich nicht aus!) In gerichtlichen Beschlüssen wird genau dieses gere-
Staatssekretär Stadler hat in der heutigen Fragestunde gelt. Das muss man doch einmal feststellen. Hier haben
schon gesagt: § 100 a StPO ist nach der Rechtsprechung wir mit dem Richter doch eine Stelle, der wir vertrauen
die richtige Grundlage. Das wurde auf die Frage vom können.
(B) Kollegen Montag deutlich ausgeführt. Von daher muss Festzuhalten bleibt also: Es gibt keine Funktionen (D)
das an dieser Stelle auch einmal deutlich gesagt werden. zum Erstellen von Screenshots, die von den sogenannten
Bundestrojanern eingesetzt worden sind. So steht es
Im Hinblick auf die Straftaten – wenn es um schwere
übrigens auch im Bericht vom Chaos Computer Club.
Kriminalität geht – sind alle einer Meinung, nämlich
Lesen Sie dort auf der Seite 9 einmal nach. Da steht,
dass aufgrund eines richterlichen Beschlusses eine Tele-
dass es höchstens die Möglichkeit von sogenannten
fonüberwachung stattfinden kann. Ich glaube, da
Application Shots gibt; das betrifft also nicht den gesam-
herrscht Konsens.
ten Bildschirm. Das ist wichtig vor dem Hintergrund des
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Bundesverfassungsgerichtsurteils. Es gab keine Keylogger,
GRÜNEN]: Kommt auf den Einzelfall an!) die die Tastatur mitzeichnen können. Es gab kein An-
schalten von Kameras und Mikrofonen. Wir müssen
Dann muss aber auch Konsens darüber bestehen, dass feststellen: All diese Vorgänge werden aufgezeichnet
beim Telefonieren über das Internet – fußend auf einem und protokolliert, weil das für die Revision und eine
richterlichen Beschluss – eine entsprechende Überwa- mögliche spätere strafrechtliche Verurteilung wichtig ist.
chung des Internettelefonverkehrs durchgeführt werden
kann. Wie ist das Ganze denn herausgekommen? Doch nur,
weil der Strafverteidiger diese Protokolle gelesen hat
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE und somit nachvollziehen konnte, was tatsächlich statt-
GRÜNEN]: Nur wenn es grundrechtlich mög- gefunden hat. Deswegen können wir sagen: Die Maß-
lich ist!) nahmen werden rechtmäßig durchgeführt.
– Genau, nur wenn es grundrechtlich möglich ist. Ich habe mich gefragt: Hat denn der Chaos Computer
Club verantwortungsvoll gehandelt?
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!)
GRÜNEN]: Das ist die entscheidende Frage!)
Sie meinen, ja; ich hingegen war sehr enttäuscht, das
– Es ist grundrechtlich möglich. Das sagt das Bundes- muss ich sagen. Diese Frage habe ich zur Beantwortung
verfassungsgericht. Herr Kollege von Notz, auch Sie ha- dem Wissenschaftlichen Dienst vorgelegt.
ben eben nach einer Stelle gefragt, der man vertrauen
kann. Hiernach ist öfter gefragt worden. Ich kann einem (Burkhard Lischka [SPD]: Das ist aber origi-
Richter vertrauen. Für mich ist das eine Stelle, die Ver- nell, den Wissenschaftlichen Dienst zu beauf-
trauen genießt. tragen!)
15622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
Anlage 1 Anlage 2
Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
entschuldigt bis Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben)
Abgeordnete(r) einschließlich (SPD) (Drucksache 17/7311, Frage 2):
Teilt die Bundesregierung die in der Begründung des
Bär, Dorothee CDU/CSU 19.10.2011 Urteils des Bundessozialgerichts vom 7. Oktober 2010 – B 3
KR 13/09 R – enthaltene Aussage, dass die Barrierefreiheit
öffentlicher Gebäude in Deutschland als generelle Tatsache
Barchmann, Heinz- SPD 19.10.2011 unterstellt werden könne und deshalb die Überwindung von
Joachim Barrieren nicht mehr als Grundbedürfnis zu werten sei, und,
wenn nein, welche Anstrengungen wird sie vor dem Hinter-
Barnett, Doris SPD 19.10.2011 grund der entsprechenden Ausführungen des Aktionsplanes
der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behinderten-
rechtskonvention unternehmen, um dies auszugleichen?
Bülow, Marco SPD 19.10.2011
Die Bundesregierung teilt die differenzierte Einschät-
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 19.10.2011 zung des Bundessozialgerichts, BSG, hinsichtlich der
DIE GRÜNEN Umsetzung von Barrierefreiheit. Das Bundessozialge-
richt stellt einerseits fest, dass seit den 1980er-Jahren bei
Erdel, Rainer FDP 19.10.2011 der Mobilität von Menschen mit Behinderung, insbeson-
dere von Rollstuhlfahrern, im Nahbereich der Wohnung
Götz, Peter CDU/CSU 19.10.2011* erhebliche Verbesserungen beim Gebäude- und Straßen-
bau erfolgt sind. Andererseits hebt das BSG aber auch
Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 19.10.2011 hervor, dass die Herstellung von Barrierefreiheit im öf-
fentlichen Raum zwar fortschreitet, aber noch nicht voll-
Lutze, Thomas DIE LINKE 19.10.2011 ständig gewährleistet ist und insoweit zum Beispiel bei
Bestandsbauten noch Handlungsbedarf besteht.
(B) Möller, Kornelia DIE LINKE 19.10.2011 Dass Barrieren bei öffentlich zugänglichen Gebäuden (D)
stark abgenommen haben, bewertet die Bundesregierung
Nahles, Andrea SPD 19.10.2011 vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren ge-
troffenen Regelungen von Bund und Ländern zur Her-
Ortel, Holger SPD 19.10.2011 stellung von Barrierefreiheit öffentlich zugänglicher Ge-
bäude und der seither erfolgten, vielfach barrierefreien
Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 19.10.2011 Neu- und Umbauten nicht anders als das BSG. Diese
Einschätzung widerspricht nicht den Ausführungen der
Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 19.10.2011 Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan zur Umset-
zung der UN-Behindertenrechtskonvention, NAP. Die
Rupprecht (Tuchenbach), SPD 19.10.2011 Bundesregierung hat darin auch klar gestellt, dass es vor
Marlene allem bei Bestandsbauten hinsichtlich deren Barriere-
freiheit noch Verbesserungspotenzial gibt. Die Bundes-
Schlecht, Michael DIE LINKE 19.10.2011 regierung hat sich daher über den NAP verpflichtet, sich
dafür einzusetzen, dass sowohl Neu- und Umbauten als
Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.10.2011* auch die große Anzahl der Bestandsbauten langfristig
weitgehend barrierefrei werden.
Ulrich, Alexander DIE LINKE 19.10.2011*
(A) Aus dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungs- 22,401 Millionen Euro. Dieser Betrag ist zu einem An- (C)
chancen am Arbeitsmarkt ergeben sich keinerlei Kür- teil von 60 Prozent ODA-anrechnungsfähig.
zungen bei Maßnahmen zur Unterstützung von Lang-
zeitarbeitslosen, die Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch erhalten. Das Gesetz zielt insbeson- Anlage 5
dere auf die Fortentwicklung des arbeitsmarktpolitischen
Instrumentariums ab. Die Höhe der Mittel für Eingliede- Antwort
rung und Verwaltung im Jahr 2012 ergibt sich aus dem
Bundeshaushalt, und deren Verteilung wird anschließend des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
durch eine entsprechende Verordnung festgelegt. Frage der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD)
(Drucksache 17/7311, Frage 7):
Welche „Hinweise zu einzelnen Punkten des Vorschlags“
(siehe Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Ralf
Brauksiepe vom 21. September 2011 zu Frage 34 auf Bundes-
Anlage 4 tagsdrucksache 17/7084) hat das Bundesministerium für Ar-
beit und Soziales im Rahmen seiner Prüfung des Mindestloh-
Antwort nes in der Leiharbeit an die Tarifvertragsparteien gegeben,
und wie stellt sich zeitlich das schnellstmögliche Verfahren
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die zur Umsetzung des Mindestlohns nach Einreichung des von
Frage des Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ Arbeitgebern und Gewerkschaften überarbeiteten Antrags
über einen Mindestlohn in der Leiharbeit dar?
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 6):
Welche Maßnahmen werden über den Titel „Kosten der Die Hinweise des Bundesministeriums für Arbeit und
internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Arbeits- Soziales bezogen sich auf eine im Vorschlag enthaltene
und Sozialpolitik“ (Titel 532 01-011) finanziert, und inwie- mehrdeutige Regelung, die im Hinblick auf das Gebot
fern sind die eingesetzten Mittel offiziell als Entwicklungszu-
sammenarbeit anrechenbar (ODA-anrechenbar)? der Rechtsklarheit und Bestimmtheit gesetzlicher Rege-
lungen kritisch zu sehen war. Da Voraussetzung für eine
Der Titel 532 01 – Kosten der internationalen Zusam- Rechtsverordnung zur Einführung einer Lohnunter-
menarbeit auf dem Gebiet der Arbeits- und Sozialpolitik – grenze in der Arbeitnehmerüberlassung ein gemeinsa-
im Einzelplan 11 wurde im Jahr 2006 für die Finanzie- mer Vorschlag und damit ein gemeinsames Verständnis
rung internationaler Konferenzen – ASEM-Arbeitsminis- der Tarifvertragsparteien über die materiellen Regelun-
tertreffen, Globalisierungskonferenz des BMAS – und gen der Lohnuntergrenze ist, wurden die Tarifvertrags-
Maßnahmen zur Vorbereitung und Umsetzung bilateraler parteien gebeten, insofern einen überarbeiteten Vor-
(B) „Gemeinsamer Absichtserklärungen“, Experteneinsätze schlag vorzulegen. Nach dessen Eingang wird das im (D)
und die Verhandlungen bilateraler Sozialversicherungs- Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Einzelnen geregelte
abkommen eingerichtet. Verordnungsverfahren zügig durchgeführt werden.
Die vor 2010 angefallenen Kosten, wie zum Beispiel
Saalmieten, Kosten für technische Ausstattung, Dolmet-
scherkosten etc., erfüllen die Kriterien für eine Anre- Anlage 6
chenbarkeit zur Official Develoment Assistance, ODA,
nicht. Antwort
Im Jahr 2010 wurde dem Statistischen Bundesamt, des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
das nach Ablauf jeden Jahres die ODA-anrechnungsfähi- Frage der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD)
gen Ausgaben erhebt, aus dem Titel ein Projekt zur „In- (Drucksache 17/7311, Frage 8):
klusion behinderter Jugendlicher und junger Erwachse-
Wie hoch ist der Anteil der bundesweit an Tarifverträge
ner“ im Rahmen des Deutschlandjahres in Vietnam gebundenen Arbeitgeber im Gastgewerbe an allen Arbeitge-
übermittelt. Die Kosten in Höhe von 37 000 Euro wur- bern im Gastgewerbe – sowie unterteilt nach Beherbergung
den als ODA-anrechnungsfähig angemeldet. und Gastronomie –, und wie viel Prozent der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer im Gastgewerbe – ebenfalls zusätzlich
Darüber hinaus wurde im Jahr 2010 aus dem Titel der unterteilt nach Beherbergung und Gastronomie – fallen unter
Einsatz eines nationalen Beraters im Regionalbüro der den Geltungsbereich von Tarifverträgen?
Internationalen Arbeitsagentur, ILO, in Addis Abeba in
Höhe von circa 190 000 Euro finanziert. Dieser Betrag Daten zur Tarifbindung im Gastgewerbe liegen der
ist ebenfalls ODA-anrechnungsfähig. Da der Beraterein- Bundesregierung nur auf der Basis des IAB-Betriebspa-
satz bis Ende 2012 fortdauert, werden die Kosten auch in nels vor. Da es sich beim IAB-Betriebspanel um eine
diesem und im nächsten Jahr als ODA-anrechnungsfähig Stichprobenerhebung handelt, sind die Ergebnisse mit
aus dem Titel finanziert werden. statistischen Unsicherheiten behaftet. Eine Unterteilung
nach Beherbergung und Gastronomie ist mit dem IAB-
Zusätzlich zu dem Titel 532 01 sind auch bei dem Ti- Betriebspanel nicht möglich. Für beide Wirtschafts-
tel 687 01 – Beiträge an internationale Organisationen – zweige zusammen lag die Tarifbindung der Betriebe bei
ODA-anrechnungsfähige Ausgaben veranschlagt. Aus 27 Prozent, bei tarifgebundenen Arbeitgebern waren
dem Titel wird unter anderem der Mitgliedsbeitrag 49 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Deutschlands zur ILO finanziert. Im Jahr 2011 sind dies beschäftigt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15627
(A) Aufgrund des Preiszusammenbruches im Frühjahr gilt dagegen das Gebot eines möglichst weitgehenden (C)
2011 wurde auf politische Initiative des BMELV ein Ausgleichs des Funktionsdefizits.
Runder Tisch unter Beteiligung der Niederlande in Bonn
ausgerichtet, um in diesem Gespräch Lösungsmöglich- Im konkret entschiedenen Fall sah das Bundessozial-
keiten für die Krabbenfischer in ihren Kampf um bessere gericht das Grundbedürfnis auf Mobilität im Nahbereich
Preise zu finden. Ausgelöst durch diese politische Initia- der Wohnung durch die Versorgung mit Rollstühlen ge-
tive konnten anfängliche Erfolge verzeichnet werden. So währleistet. Besondere Wohnverhältnisse – zum Beispiel
stieg der Preis wieder auf 2,80 Euro/kg. Die gute Koope- eine zweigeschossige Wohnung oder ein Hausgarten –
ration zwischen der Bundesregierung und den Nieder- begründen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts
landen hat sich in diesem Fall also eindeutig bewährt. keinen weitergehenden Anspruch. Eine behindertenge-
Aus diesem Grunde steht auch jetzt die Bundesregierung rechte Ausgestaltung des Wohnungszugangs über ein
in engem Kontakt mit der niederländischen Regierung. Treppenhaus fällt nicht in die Zuständigkeit der gesetzli-
Die Niederlande werden im Rahmen des regionalen Be- chen Krankenversicherung. Eine entsprechende Erweite-
ratungsausschusses für die Nordsee in Kürze zu einer rung des Leistungsanspruchs der Versicherten hätte weit-
Konferenz nach Amsterdam einladen, um erneut Lösun- reichende finanzielle Konsequenzen und kann daher
gen für die Krabbenproblematik zu suchen. An diesem nicht in Aussicht gestellt werden.
noch technischen Treffen sollen neben den Vertretern der Eine generelle Verweisung auf die Sozialhilfe kommt
Krabbenfischer und den Krabbenaufkäufern auch Wis- nicht in Betracht. Die Bundesregierung wird im Rahmen
senschaftler sowie die Vertreter der Regierungen der der Diskussion zur Weiterentwicklung der Eingliede-
Niederlande, Dänemarks, Belgiens und Deutschlands rungshilfe für Menschen mit Behinderungen prüfen, ob
teilnehmen. In diesem ersten informellen Gespräch sol- bezüglich der Leistungen der Sozialhilfe Klarstellungs-
len alle Möglichkeiten auf der Managementseite disku- bedarf besteht.
tiert werden. Die Niederlande behalten sich vor, kurz-
fristig zusätzlich auf politischer Ebene einzuladen.
Anlage 14
Anlage 12 Antwort
(A) ten und Energie würde eine Anhebung der Sanierungsquote Anlage 17 (C)
auf 3 Prozent im Jahr bringen, wie sie im Entwurf der neuen
EU-Energieeffizienzrichtlinie vorgesehen ist? Antwort
Die Sanierungsrate von Bundesgebäuden der „letzten der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
Jahre“ kann so nicht vollumfänglich ermittelt werden. der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
Aber: Die Angaben werden im Rahmen der Erarbeitung DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 20):
des Sanierungsfahrplans belastbar erhoben, dokumen- Wie sieht der aktuelle Zeitplan des Bundesministeriums
tiert und auch entsprechend kommuniziert. für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für die Erar-
beitung des Entwurfs eines Endlagersuchgesetzes aus – bitte
Welche Einsparungen an Kosten und Energie durch mit Angabe wesentlicher Zwischenetappen, Meilensteine etc. –,
eine Anhebung der Sanierungsrate auf 3 Prozent im Jahr und wann soll nach derzeitigem Planungsstand das Treffen
der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit den Ministerprä-
erreichbar sind, hängt ganz wesentlich von den jeweili- sidenten der Länder zur Frage einer Endlagerstandortsuche
gen energetischen Istzuständen der Gebäude und den en- bzw. Suche von zu Gorleben alternativen Standorten stattfin-
ergetischen Verbesserungsmaßnahmen ab. Pauschalbe- den (falls noch kein Termin feststeht, wird gebeten, die Daten
wertungen kann es deswegen nicht geben. der derzeit ins Auge gefassten möglichen Termine anzuge-
ben)?
Derzeit wird die Gesamtfläche, Nettogrundfläche, der Ihre Frage wurde von mir und Herrn Bundesminister
Bundesgebäude auf rund 46 Millionen Quadratmeter ge- Dr. Röttgen in der Fragestunde des Deutschen Bundesta-
schätzt. Bei einer Sanierungsrate von 3 Prozent müssten ges am 28. September 2011 entsprechend dem damali-
jährlich Gebäude mit rund 1,4 Millionen Quadratmeter gen Sachstand beantwortet. Heute kann ich Ihnen mittei-
Nettogrundfläche verbessert werden. Beispielsweise len, dass Herr Bundesminister Dr. Röttgen die
liegt die auf Nettogrundfläche bezogene spezifische Ener- Ministerpräsidenten der Bundesländer am 13. Oktober
gieeinsparung einer baulichen Sanierung mit Wärmedäm- 2011 zu einem politischen Dialog über alle Aspekte der
mung der Außenwände und Fenstererneuerung bei rund Entsorgung radioaktiver Abfälle eingeladen hat. Die
70 kWh/m2 pro Jahr. Bei einer Sanierungsrate von 3 Pro- erste Gesprächsrunde soll am 11. November 2011 statt-
zent könnten so insgesamt fast 0,1 Millionen MWh pro finden.
Jahr eingespart werden. Dies entspräche einer jährlichen
Kosteneinsparung von rund 7 Millionen Euro für Ener-
gie, wobei die notwendigen Investitionskosten in der Anlage 18
Größenordnung dreistelliger Millionen-Euro-Beträge zu
berücksichtigen wären. Die zusätzlichen Einsparungen Antwort
(B) an Kosten und Energie aus einer Anhebung der Sanie- der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage (D)
rungsrate auf 3 Prozent im Jahr ergeben sich dann nach
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
Abzug der derzeit bereits erfolgenden Sanierungen.
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 21):
Einen Hinweis möchte ich zudem geben: Neben dem Hat sich der Abteilungsleiter RS im Bundesministerium
bewährten Vorgehen, haben die Konjunkturpakete schon für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU,
viel an Investitionstätigkeit erreicht bei energetischer Sa- Gerald Hennenhöfer, im Frühjahr/Sommer 2010 persönlich
mit Bruno Thomauske im BMU getroffen, bevor das BMU
nierung. den Auftrag für die vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben,
VSG, an die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit,
GRS, vergab, an der Bruno Thomauske als Unterauftragneh-
mer mitwirkt – gegebenenfalls bitte mit Angabe des Datums
Anlage 16 des/der Treffen und des Bezugs zum damals bevorstehenden
VSG-Auftrag des BMU –, und mit wem im BMU hat die GRS
Antwort die Vergabe der VSG-Unteraufträge vertragsgemäß abge-
stimmt (gemeint ist Abteilungsleiter-, Staatssekretärs- oder
des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Ministerebene; zum Fakt der GRS-Abstimmung mit dem
Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ BMU vergleiche Bundestagsdrucksache 17/6817, Antwort zu
Frage 10 a)?
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 19):
Wie verträgt sich die Ablehnung verbindlicher Effizienz- Die Auswahl der Unterauftragnehmer der vorläufigen
ziele auf EU-Ebene durch die Bundesregierung, vor dem Hin- Sicherheitsanalyse erfolgt eigenständig nach fachlichen
tergrund der bestehenden deutschen Ziele zur Steigerung der Gesichtspunkten durch die GRS. Die Zustimmung des
Energieeffizienz, mit dem Bestreben, europaweit gleiche BMU zur Vergabe an Unterauftragsnehmer erfolgte auf
Wettbewerbsbedingungen zu schaffen?
Referatsebene. Im Übrigen wird auf die Bundestags-
Die Bundesregierung unterstützt weiterhin das indi- drucksache 17/6817 verwiesen.
kative europaweite Ziel einer Steigerung der Energieeffi-
zienz um 20 Prozent bis 2020 und setzt sich für ambitio-
nierte, verbindliche Maßnahmen zur Erreichung des EU- Anlage 19
Ziels ein. Die Vorgabe gleicher verbindlicher Effizienz- Antwort
ziele für alle Mitgliedstaaten würde zu erheblichen Wett-
bewerbsverzerrungen führen, da die unterschiedliche der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
Ausgangssituation der Mitgliedstaaten nicht berücksich- der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tigt würde. NEN) (Drucksache 17/7311, Frage 22):
15630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) Möchte die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass Umsetzung in Deutschland erfolgte mit dem Treibhaus- (C)
nach dem Finanzgericht Hamburg auch das Finanzgericht gas-Emissionshandelsgesetz. Der Vollzug läuft bereits
München die Rechtmäßigkeit der Brennelementesteuer be-
zweifelt (Der Spiegel und Handelsblatt, 10. Oktober 2011), und die wettbewerbsneutrale Einbeziehung der Emissio-
die Atomwirtschaft weiterhin an Sanierungskosten der nen aller Flüge von, nach und innerhalb der EU erfolgt
Schachtanlage Asse II beteiligen, und inwieweit erachtet die wie vorgesehen ab 1. Januar 2012. Um bei Drittstaaten
Bundesregierung in diesem Zusammenhang eine Novellie- auf eine positive Haltung zur Einbeziehung ihrer Flugge-
rung des Kernbrennstoffsteuergesetzes für notwendig?
sellschaften hinzuwirken, führen die EU-Kommission
Nach dem Atomgesetz ist der Bund für die Kosten der und viele Mitgliedstaaten Gespräche mit Drittstaaten
Stilllegung der Schachtanlage Asse II zuständig. Die und weisen dabei insbesondere auf die Möglichkeit der
Energieversorgungsunternehmen wurden zu Zahlungen für Ausnahme vom EU-Emissionshandelssystem für Flüge
die Einlagerung von Abfällen herangezogen. Für die Sa- aus Drittstaaten in die EU hin, sofern in diesen Staaten
nierungskosten können die Energieversorgungsunterneh- gleichwertige eigene Maßnahmen zur Begrenzung der
men aus rechtlichen Gründen nicht herangezogen werden. Emissionen dieser Flüge ergriffen werden.
Eine Novellierung des Kernbrennstoffsteuergesetzes wird
nicht in Betracht gezogen, da die Bundesregierung da-
von ausgeht, dass sich die erwarteten Einnahmen aus der Anlage 22
Kernbrennstoffsteuer unverändert realisieren lassen. Antwort
der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage der
Anlage 20 Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksache
17/7311, Frage 25):
Antwort Welche entwicklungspolitischen Projekte führen die Deut-
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage sche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH,
GIZ, und der SES, Senior Experten Service, im Auftrag der
des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE Bundesregierung in der Villa Baviera durch, und wie werden
GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 23): sie evaluiert?
Wird die Bundesregierung mit der Aufstockung der Mittel
für die Nationale Klimaschutzinitiative, NKI, in Höhe von
Die GIZ unterstützt seit 2009 im Auftrag des Auswär-
100 Millionen Euro im Rahmen des Energie- und Klimafonds, tigen Amtes wirtschaftliche Aktivitäten der Villa Ba-
EKF, im Haushalt 2012 auch das Impulsprogramm zur Förde- viera mit dem Ziel, die Integration der Bewohner der
rung von Mini-Kraft-Wärme-Kopplung-Anlagen wieder neu Villa Baviera in die chilenische Gesellschaft zu fördern.
auflegen, und, falls ja, welche Änderungen bezüglich Förder- Die Projektaktivitäten der GIZ in der Villa Baviera wer-
kriterien werden dann gelten?
den einem regulären Evaluierungsprozess, wie er auch
(B) Über eine etwaige Wiederaufnahme des Impulspro- für alle übrigen Aktivitäten der GIZ im Auftrag des AA (D)
gramms zur Förderung von Mini-KWK-Anlagen ab gilt, unterzogen.
2012 und deren Modalitäten kann erst nach Abschluss
Der SES hat seit 2007 acht ehrenamtliche Einsätze
der laufenden parlamentarischen Haushaltsverhandlun-
zur Verbesserung der medizinischen und wirtschaftli-
gen abschließend entschieden werden. Im Interesse einer
chen Situation der Villa Baviera durchgeführt. Seit 2009
Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung wäre eine nach-
hat die GIZ Einsätze des Senior Expert Service im Auf-
haltige Finanzierung zum Beispiel aus dem Titel 686 05
trag des Auswärtigen Amtes umgesetzt. Der derzeit in
– Nationale Klimaschutzinitiative – des Sondervermö-
der Villa Baviera tätige SES-Experte wurde von dort un-
gens Energie- und Klimafonds zu begrüßen.
mittelbar beim SES angefordert.
SES-Experten unterstützten vor Ort die Geriatrie und
Anlage 21 Krankenpflege, die Milchproduktion und -verarbeitung,
die Produktionsprozesse in einer Bäckerei und Fleische-
Antwort rei, die Modernisierung der Landwirtschaft, den Ausbau
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage eines Gasthofes und die teilweise Umgestaltung der
des Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ Siedlung für touristische Zwecke.
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 24):
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
den angekündigten Reaktionen von Drittstaaten, die sich ge- Anlage 23
gen die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshan-
del positionieren – vergleiche Süddeutsche Zeitung, 7. Okto-
Antwort
ber 2011, „Gegen den Rest der Welt“ –, und wie ist aktuell des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage
ihre Position zur Einbeziehung des Flugverkehrs in den euro-
päischen Emissionshandel 2012? des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 26):
Die Position der Bundesregierung ist unverändert: In welcher Höhe sind bisher öffentliche Fördermittel von
Die Einbeziehung des Luftverkehrs in den EU-Emis- EU und Bund für das CCS-Projekt Jänschwalde an die Firma
sionshandel ist Teil der umfassenden Strategie zur Errei- Vattenfall oder Dritte gezahlt worden, und wann müssen wel-
chung der EU-Klimaziele, zu denen alle Sektoren einen che Mittel davon zurückgezahlt werden angesichts der Tatsa-
che, dass die Bundesregierung laut Antwort auf die schriftli-
Beitrag leisten müssen. Die Richtlinie ist geltendes euro- che Frage 41 auf Bundestagsdrucksache 17/7279 im Monat
päisches Recht, das Deutschland – wie alle anderen Mit- September 2011 absehbar nicht erwartet, dass ein CCS-Gesetz
gliedstaaten – in nationales Recht umgesetzt hat. Die in Kraft treten kann?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15631
(A) Die Firma Vattenfall Europe Generation AG hat einen Anlage 25 (C)
Zuschlag für eine Förderung in Höhe von 180 Millionen
Antwort
Euro für die Entwicklung eines CCS-Demonstrations-
kraftwerks bekommen. Die Förderung erfolgt im Rah- des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage
men des europäischen Konjunkturprogramms, EEPR. der Abgeordneten Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE
Einzelheiten der Förderung aus dem EEPR ergeben sich GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 28):
aus der Verordnung (EG) Nr. 663/2009, aus den von der Unterstützt die Bundesregierung das unter deutschem Vor-
Kommission festgelegten Durchführungsbedingungen sitz im Europäischen Rat 2007 beschlossene und von ihr 2011
und -modalitäten sowie aus den zwischen dem Empfän- nochmals bekräftigte Ziel zur Steigerung der Energieeffizienz
ger der Förderung und der Kommission abgeschlossenen in der Europäischen Union bis 2020 um 20 Prozent, und hält
die Bundesregierung auch weiterhin an dem nationalen Ziel
Finanzierungsvereinbarungen. Zuständig für die Ab- aus ihrem Energiekonzept fest, den Primärenergieverbrauch
wicklung der Projekte ist die Europäische Kommission. um 20 Prozent zu senken?
Über eine Rückforderung von Mitteln durch die Europäi-
sche Kommission liegen der Bundesregierung keine In- Die Bundesregierung unterstützt weiterhin das indi-
formationen vor. kative Ziel, die Energieeffizienz in der EU bis 2020 um
20 Prozent zu steigern. Gleiches gilt für das nationale
Ziel der Primärenergieverbrauchssenkung um 20 Pro-
zent bis 2020 aus dem Energiekonzept.
Anlage 24
Antwort
Anlage 26
des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage
Antwort
der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 27): des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage
Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der Eu-
der Abgeordneten Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE
ropäischen Kommission zur Kohäsionspolitik vom 6. Oktober GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 29):
2011 für die Periode 2014 bis 2020, besonders hinsichtlich der Wie verträgt sich die Forderung des Bundesministeriums
angedachten Änderung im Europäischen Fonds für regionale für Wirtschaft und Technologie, BMWi, Art. 6 der Energieef-
Entwicklung, EFRE, nach der in den weiterentwickelten Re- fizienzrichtlinie ersatzlos zu streichen, Bericht der Süddeut-
gionen und den Übergangsregionen 20 Prozent der EFRE- schen Zeitung am 14. September 2011 unter Bezug auf eine
Mittel für Energieeffizienz und erneuerbare Energien ausge- ihr vorliegende Stellungnahme des BMWi vom 22. August
geben werden können? 2011 zum Kommissionsvorschlag, mit dem im Eckpunktepa-
pier Energieeffizienz bekräftigten Ziel der Bundesregierung,
(B) Die Bundesregierung unterstützt die mit den Verord- die Förderung im Wärmebereich mittelfristig ab 2015 auf eine (D)
nungsentwürfen der Europäischen Kommission zur Ko- marktbasierte und haushaltsunabhängige Lösung umzustel-
häsionspolitik vom 6. Oktober 2011 verbundene Zielset- len?
zung, die Förderung noch stärker auf die europäischen Die Bundesregierung hat am 6. Juni 2011 eine Prü-
Zukunftsaufgaben im Rahmen der Strategie Europa 2020 fung der Umstellung der Förderung im Gebäudebereich
auszurichten. Dazu gehören auch die Ziele von Europa ab 2015 auf eine marktbasierte und haushaltsunabhän-
2020 im Hinblick auf das nachhaltige Wachstum, ein- gige Lösung beschlossen. Erste Gespräche hierzu haben
schließlich der Leitinitiativen zur Steigerung der Energie- bereits stattgefunden. Bezüglich des Art. 6 der Energie-
effizienz sowie des Anteils an erneuerbaren Energien. effizienzrichtlinie sieht die Bundesregierung noch Klä-
rungsbedarf. Hierzu laufen die Abstimmungen zwischen
Die Auswahl der Förderthemen muss allerdings auch den beteiligten Ressorts.
das originäre Ziel der Kohäsionspolitik widerspiegeln,
die regionalen Entwicklungsunterschiede zu verringern.
Zudem müssen weiterhin regional passfähige Entwick- Anlage 27
lungsstrategien umsetzbar sein. Denn es ist – verglichen
mit den sektoralen EU-Politiken – gerade eine große Antwort
Stärke der Kohäsionspolitik, einen integrierten Ansatz
des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage
unter Einbeziehung mehrerer Politikbereiche zu ermög-
des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)
lichen. Deshalb muss genügend Spielraum für eigene
(Drucksache 17/7311, Frage 30):
Schwerpunktsetzungen in den Mitgliedstaaten und Re-
gionen verbleiben. Aus diesem Grund sieht Deutschland Ist die Bundesregierung der Auffasssung, dass deutsche
Reiseleiter bei Ausübung ihrer Tätigkeit im Bereich der Euro-
Quoten kritisch. Die KOM-Vorschläge zu Quoten sind päischen Union uneingeschränkt gleichbehandelt werden,
daher eingehend zu prüfen. Die Bundesregierung wird und, wenn nein, welche Maßnahmen plant die Bundesregie-
in den kommenden Wochen – in Abstimmung mit Bun- rung, um eine Benachteiligung künftig auszuschließen?
destag und Bundesrat – die Vorschläge der Europäi-
Der Beruf des Reiseleiters ist in einigen EU-Mitglied-
schen Kommission zur künftigen Ausgestaltung der Ko-
staaten reglementiert, etwa in Italien, Griechenland, Spa-
häsionspolitik im Einzelnen genau prüfen. Dabei
nien oder Österreich. Eine solche Reglementierung von
werden insbesondere die Länder einzubeziehen sein, die
Berufen steht den Mitgliedstaaten grundsätzlich offen.
im Wesentlichen für die Umsetzung der Kohäsionspoli-
tik zuständig sind, insbesondere für die Umsetzung des Allerdings begegnen deutsche Reiseleiter in einigen
Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, EFRE. dieser Mitgliedstaaten übermäßigen Schwierigkeiten,
15632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) etwa wenn sie Reisegruppen in diese Länder begleiten. derem die Bedeutung der beantragten Ausfuhr für die (C)
Den Reiseleitern wird ihre Tätigkeit oft durch eine unfle- Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität
xible und bürokratische Anwendung der in der Berufs- in der Region, Kriterium 4 des Gemeinsamen Stand-
anerkennungsrichtlinie vorgesehenen Meldepflichten er- punkts der EU, geprüft. Auch der Achtung der Menschen-
schwert oder unmöglich gemacht. rechte, Kriterium 2 des Gemeinsamen Standpunkts der
EU, sowie den Einsatzmöglichkeiten der zu liefernden
Die Bundesregierung geht gegen Verstöße gegen EU- Rüstungsgüter kam bei der Prüfung besondere Bedeutung
Recht im Einzelfall etwa mittels des Kontaktstellennetz- zu. Die Entwicklungen in den verschiedenen Ländern der
werkes SOLVIT vor. SOLVIT ist als Streitbeilegungsnetz- Region vollzogen sich unterschiedlich. Daher war auch
werk geschaffen worden, um mögliche Anwendungsfeh- eine jeweils differenzierende Betrachtung geboten.
ler durch öffentliche Stellen in den Mitgliedstaaten
aufzudecken und abzustellen.
Zudem werden die Arbeiten zur Überarbeitung der Anlage 29
Berufsanerkennungsrichtlinie in Kürze beginnen. Die
Antwort
EU-Kommission plant, noch in diesem Jahr einen Richt-
linienvorschlag vorzulegen. Die Bundesregierung wird des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage
sich im Zuge der Verhandlungen des Richtlinienvor- der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
schlags dafür einsetzen, dass die Situation für deutsche (Drucksache 17/7311, Frage 32):
Reiseleiter in diesem Rahmen verbessert wird. Wie hoch sind der Umfang und das Finanzvolumen der
von der Bundesregierung bereits zugesagten bzw. geplanten
Rüstungsgeschäfte mit der Republik Angola, und welche
Anlage 28 Auswirkungen wird diese Rüstungskooperation – angesichts
der jüngsten Angriffe auf die Presse- und Versammlungsfrei-
Antwort heit, insbesondere nach der Verurteilung von William Tonet,
dem langjährigen Herausgeber der Zeitung Folha 8, zu einer
des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage einjährigen Haftstrafe wegen eines kritischen Artikels über
der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE das angolanische Militär – auf die Gewährleistung elementa-
rer Bürgerrechte in Angola haben?
GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 31):
Wie viele Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegs- Die Bundesregierung hat derzeit weder eine Rüs-
waffen und sonstigen Rüstungsgütern in arabische Länder hat tungskooperation noch eigene Rüstungsgeschäfte mit
die Bundesregierung aufgrund des arabischen Frühlings im Angola zugesagt noch geplant.
Nachhinein widerrufen?
Über die Erteilung von Genehmigungen für Rüs-
(B) Die Bundesregierung hat keine Genehmigungen über tungsexporte entscheidet die Bundesregierung im Ein- (D)
die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs- zelfall und im Lichte der jeweiligen Situation nach sorg-
gütern in arabische Länder aufgrund der Ereignisse des fältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und
sogenannten arabischen Frühlings widerrufen. sicherheitspolitischer Erwägungen. Grundlage hierfür
Für die Länder Libyen und Syrien war ein Widerruf sind die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung
von Ausfuhrgenehmigungen nicht erforderlich, weil die für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüs-
noch nicht ausgenutzten Genehmigungen aufgrund der tungsgütern“ aus dem Jahr 2000 und der „Gemeinsame
von EU bzw. VN beschlossenen Sanktionen zurückgege- Standpunkt des Rates der Europäischen Union vom 8.
ben bzw. nicht weiter ausgenutzt wurden. Vor Inkrafttre- Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die
ten der Sanktionen gegen Libyen und Syrien sowie in Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Mili-
Bezug auf die anderen Länder der Region wurden die tärgütern“. Der Beachtung der Menschenrechte im Emp-
Unternehmen von der Bundesregierung gebeten, erteilte fangsland und den Gefahren eines Missbrauchs des kon-
Genehmigungen nicht auszunutzen, bis eine entspre- kreten Rüstungsguts kommen dabei eine besondere
chende Überprüfung der Genehmigungen durch die Bedeutung zu.
Bundesregierung abgeschlossen war. Nach Auffassung der Bundesregierung haben diejeni-
Bei dieser erneuten Einzelfallprüfung erfolgte eine gen Rüstungsgüter, für die die Bundesregierung bislang
sorgfältige Abwägung aller außen-, sicherheits- und men- Ausfuhrgenehmigungen erteilt oder in Aussicht gestellt
schenrechtspolitischen Belange im Einzelfall und im hat, keine Auswirkung auf die Presse- und Versamm-
Lichte der aktuellen Situation. Die Bundesregierung lungsfreiheit.
stützte sich dabei ausdrücklich auf die „Politischen Der Prozess gegen den Journalisten William Tonet
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von wegen Verleumdung dauert 4 Jahre an. Das Verfahren ist
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, Revision ist
Jahr 2000 und den „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/ noch möglich. Die Bundesregierung sieht in dem Ver-
GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezem- fahren keinen exemplarischen Fall eines staatlichen An-
ber 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle griffs auf das Recht der Pressefreiheit.
der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“,
die auch Grundlage für die Prüfung jedes einzelnen An- In der Implementierung der verfassungsmäßig veran-
trags auf Ausfuhrgenehmigung sind. Dabei wurde in je- kerten Versammlungs- und Meinungsfreiheit zeichnet
dem Einzelfall sehr gründlich vor dem Hintergrund der sich in Angola, auch im regionalen Vergleich, eine posi-
Lage in der Region und in dem betroffenen Land unter an- tive Entwicklung ab. Im Übrigen bietet die am 18. Juli
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15633
(A) 2011 begründete politische Partnerschaft mit Angola – 2010 1,5 Milliarden Euro und (C)
eine Plattform, um mit der Regierung von Angola einen
intensiven Dialog über die Implementierung der Bürger- – 2011 1,6 Milliarden Euro. Diese Summe wurde an-
rechte zu führen. schließend Anfang 2011 um circa 500 Millionen
Euro, um rund ein Drittel gekürzt.
Der Begriff „Beschaffungen“ schließt hierbei Ersatz-
Anlage 30 teile und „upgrades“ ein und bedeutet somit nicht auto-
Antwort matisch Neubeschaffung.
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Eine Aufschlüsselung der Rüstungsimporte nach Län-
Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- dern ist nicht möglich, da diese Angaben vom griechi-
sache 17/7311, Frage 33): schen Verteidigungsministerium vertraulich behandelt
werden.
Wie hoch schätzt die Bundesregierung angesichts des neu-
esten Eskalationsversuchs der US-Regierung gegenüber dem In den griechischen Haushaltszahlen sind keine An-
Iran – bei dem nach Presseberichten des US State Depart- gaben über Rüstungsexporte des Landes enthalten, wei-
ments bereits mit seinen Verbündeten die „Entsendung einer
sehr starken Nachricht“ konsultiert wurde – die Möglichkeit
tere Angaben hierzu liegen der Bundesregierung nicht
eines neuen völkerrechtswidrigen Überfalls auf einen vor.
UN-Mitgliedstaat ein, wenn selbst ehemalige CIA-Mitarbeiter
an der offiziellen Darstellung des State Departments über die
mutmaßlichen Attentatspläne auf den saudi-arabischen Bot-
schafter in den USA ernste Zweifel äußern? Anlage 32
(A) Anlage 33 dienst systematisch Gefangene foltern, für ihr Engagement in (C)
Afghanistan?
Antwort
Die im Bericht differenziert beschriebenen Miss-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des stände erfüllen die Bundesregierung mit Sorge. Die Bun-
Abgeordneten Josef Philipp Winkler (BÜNDNIS 90/ desregierung nimmt den Inhalt des Berichtes sehr ernst.
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Fragen 36 und 37): Wir weisen jedoch darauf hin, dass von einem systemi-
Wie sehen die Pläne der Bundesregierung, die Visaver- schen Problem in allen afghanischen Haftanstalten aus-
gabe an libysche Kriegsverletzte zu lockern und eine mögli- drücklich nicht die Rede ist.
che Luftbrücke für Verletzte einzurichten – Financial Times
Deutschland, 12. Oktober 2011 –, konkret aus, und auf wel- Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die kon-
cher rechtlichen Grundlage basieren sie? struktive Haltung der afghanischen Regierung. Diese
Wann ist mit dem Beginn der Aktion zu rechnen? zeigt sich insbesondere in dem produktiven Dialog, der
zwischen der Unterstützungsmission der Vereinten
Zu Frage 36: Nationen in Afghanistan, UNAMA, und der Regierung
im Vorfeld der Veröffentlichung geführt wurde. Auch hat
Die Behandlung von verwundeten Libyern kann der- die afghanische Seite bei der Erstellung des Berichts
zeit vor Ort aufgrund fehlenden Personals und Zerstö- sehr eng und konstruktiv mit UNAMA zusammengear-
rungen der Infrastruktur nicht im notwendigen Umfang beitet.
geleistet werden. In dieser humanitären Notlage ist die
Bundesregierung bereit, zu unterstützen. Sie entspricht Die afghanische Regierung muss jetzt die identifizier-
hiermit auch den Wünschen des Nationalen Übergangs- ten Missstände beseitigen. Erste Maßnahmen werden im
rates Libyens. Bericht bereits angekündigt. So soll im afghanischen
Geheimdienst NDS eine Menschenrechtsüberwachungs-
Die rasche Visumvergabe an libysche Kriegsverletzte
stelle eingerichtet und Zugang zu Gefängnissen gewährt
durch die deutschen Botschaften in Nordafrika erfolgt im
werden. Die Vertreter der internationalen Gemeinschaft
Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften.
in Kabul und damit auch die Bundesregierung werden
Europäische – der EU-Visakodex – und deutsche Rechts-
vorschriften – das Aufenthaltsgesetz und die Aufenthalts- die afghanische Regierung dabei unterstützen und die
verordnung – erlauben die hierfür notwendigen Verfah- Entwicklungen aktiv weiterverfolgen.
rensvereinfachungen in Ausnahme- und Notfallsituationen. Die Bundesregierung wird in diesem Zusammenhang
auch die Bemühungen der unabhängigen Afghanischen
Zu Frage 37: Menschenrechtskommission, AIHRC, weiter unterstüt- (D)
(B)
zen, die Menschenrechtssituation in Afghanistan zu ver-
Auf ausdrücklichen Wunsch des libyschen Nationalen
bessern.
Übergangsrates und in enger Abstimmung mit dem Aus-
wärtigen Amt wurde ein sanitätsdienstliches Team des
Bundesministeriums der Verteidigung, BMVg, am
4. Oktober 2011 nach Tunesien geschickt, um eine Ana-
lyse der Lage vor Ort durchzuführen und Verletzte für ei- Anlage 35
nen möglichen Transport nach Deutschland zu identifi-
Antwort
zieren.
In enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt hat der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
das das Bundesministerium der Verteidigung, BMVg, Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
am 18. Oktober 2011 39 Verletzte ausgeflogen und auf NEN) (Drucksache 17/7311, Frage 39):
Bundeswehrkrankenhäuser verteilt. Weitere Maßnahmen Wie weit ist die Neukonzeption des Deutschen Akademi-
werden gemeinsam mit der Libyschen Botschaft in der schen Austauschdienstes, DAAD, in Kabul vorangeschritten,
Bundesrepublik Deutschland und in enger Absprache und ist die Stelle des entsandten Mitarbeiters im DAAD-Büro
in Kabul mittlerweile besetzt bzw. wann ist damit zu rechnen?
zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Technologie sowie privaten Hinsichtlich einer mittel- bis langfristigen Kontinuität
deutschen Anbietern des Gesundheitswesens beraten. der Aufbauaktivitäten des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes, DAAD, wird das Koordinierungs-
büro zukünftig von einem entsandten Mitarbeiter des
DAAD geleitet. Zuvor wurde die Aufgabe von Lektoren
Anlage 34 übernommen, also durch vom DAAD vermittelte Perso-
Antwort nen, die der Rechtsform nach an einer ausländischen
Gasthochschule angestellt sind.
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache Der entsandte Mitarbeiter des DAAD wurde nach
17/7311, Frage 38): Ausschreibung der Stelle bereits ausgewählt und wird
Mitte November 2011 seine Arbeit in Afghanistan auf-
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
UNAMA-Bericht vom 10. Oktober 2011, aus dem hervorgeht, nehmen. Aktuell wird er in Deutschland auf seine zu-
dass die afghanische Polizei und der afghanische Geheim- künftige Tätigkeit vorbereitet.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15635
Allerdings ist auch klar, dass mit der aktuellen Serie des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
von Gewalttaten gegen Sachen erhebliche Belastungen des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Tausender Bürgerinnen und Bürger in Kauf genommen (Drucksache 17/7311, Frage 50):
werden. Das ist eine weitere Umdrehung in der Gewalt- Inwieweit ist aus Sicht der Bundesregierung der Aus-
spirale, die ich mit großer Sorge sehe. Wir müssen daher schluss von Menschen mit Behinderungen vom aktiven und
passiven Wahlrecht nach § 13 Nr. 2 und 3 des Bundeswahlge-
auf der Hut sein und allen Strukturen im Ansatz ent- setzes, BWahlG, mit ihrem uneingeschränkten Recht, sich ak-
schieden entgegenwirken, die geeignet sind, einen Nähr- tiv und passiv an Wahlen „gleichberechtigt mit anderen“ zu
boden zu bereiten, auf dem sich Linksterrorismus ent- beteiligen – siehe UN-Behindertenrechtskonvention, insbe-
wickeln könnte. sondere Art. 29 a, 12 und 21 –, vereinbar, und welche Pläne
hat die Bundesregierung zur diesbezüglichen Novellierung
des Bundeswahlgesetzes?
(A) tionell selber wahr. Die Bundesregierung bringt hierzu tion hat die Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan (C)
üblicherweise keine eigenen Gesetzentwürfe ein. beschlossen, in einer Studie zur aktiven und passiven
Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Wah-
len die reale Praxis in diesem Bereich zu untersuchen
Anlage 41 und Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der
Wahlbeteiligung zu entwickeln.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Fragen Zu Frage 52:
des Abgeordneten Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE Ausgestaltung und Novellierung des Rechts für die
GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Fragen 51 und 52): Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages
Wie beurteilt die Bundesregierung den Ausschluss von nimmt der Bundestag traditionell selber wahr. Die Bun-
Menschen mit Behinderungen vom aktiven und passiven desregierung bringt hierzu üblicherweise keine eigenen
Wahlrecht durch § 13 Nrn. 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes,
und wie gedenkt sie vor dem Hintergrund des in der UN-Be- Gesetzentwürfe ein.
hindertenrechtskonvention in Art. 29 a präzisierten Rechts
von Menschen mit Behinderungen, sich aktiv und passiv an
Wahlen zu beteiligen, mit diesem Ausschluss umzugehen?
Anlage 42
Wie hat die Bundesregierung im Zuge der Novellierung
des Bundeswahlgesetzes die Vorgaben der UN-Behinderten- Antwort
rechtskonvention berücksichtigt, und inwiefern wurde der Be-
auftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage
Menschen in dieser Frage angehört? des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 53):
Zu Frage 51: Was ist der Bundesregierung – insbesondere Bundesminis-
terium der Justiz und Bundeskanzleramt – bekannt über die
Entsprechend dem verfassungsrechtlichen Grundsatz Gründe, die dazu geführt haben, dass Mitte September 2011
der Allgemeinheit der Wahl steht selbstverständlich auch der vom Generalbundesanwalt erwirkte Europäische Haftbe-
behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht fehl gegen den Chef des mongolischen Geheimdienstes Bat
zu. In den deutschen Wahlgesetzen finden sich verschie- Khurts aufgehoben sowie dieser freigelassen wurde und
dene Regelungen, mit denen die Möglichkeit zur barrie- prompt in die Mongolei ausreiste, nachdem er aufgrund jenes
Haftbefehls im September 2010 in London verhaftet, Ende
refreien Teilnahme an Wahlen garantiert werden soll. Juli 2011 nach Deutschland ausgeliefert sowie am 4. August
§ 13 des Bundeswahlgesetzes schließt nicht, wie es aus 2011 vom Generalbundesanwalt vor dem Kammergericht an-
der Frage scheinen könnte, allgemein „Menschen mit geklagt worden war wegen Verschleppung und gefährlicher
(B) Behinderungen vom aktiven und passiven Wahlrecht“ Körperverletzung, weil Bat Khurts den mongolischen Staats- (D)
angehörigen D. Enkhbat, im Mai 2003 aus Frankreich ent-
aus. § 13 Nr. 2 sieht nur vor, dass solche Personen vom führt, nach Deutschland verschleppt, mit Drogen betäubt, in
Wahlrecht ausgeschlossen sind, für die vom Betreuungs- einen Rollstuhl gefesselt durch die Kontrollen des Berliner
gericht ein Betreuer zur Besorgung aller ihrer Angele- Flughafens Tegel geschleust sowie in die Mongolei ausgeflo-
genheiten bestellt werden musste, weil sie aufgrund ei- gen haben soll, wo das Opfer inhaftiert, gefoltert sowie nach
ner psychischen Krankheit oder einer körperlichen, Haftentlassung gestorben ist, und hat die Bundeskanzlerin bei
ihrem Besuch am 12. Oktober 2011 in der Mongolei, bei dem
geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegen- ein Lieferabkommen über „kritische Rohstoffe“ unterzeichnet
heiten nicht besorgen können. § 13 Nr. 3 ordnet einen wurde und mit dem in den mongolischen Medien die überra-
Wahlrechtsausschluss nur für solche Personen an, die schende Freilassung in Zusammenhang gebracht wurde, ge-
sich aufgrund einer richterlichen Anordnung in einem genüber der mongolischen Regierung darauf gedrungen, dass
Bat Khurts nach Eröffnung des Hauptverfahrens am Kammer-
psychiatrischen Krankenhaus befinden, weil sie im Zu- gericht seiner Ladung zur Hauptverhandlung nachkommt?
stand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat be-
gangen haben und von ihnen infolge ihres Zustandes er- Zum ersten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen Folgendes
hebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und sie mitteilen:
deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sind.
Der Generalbundesanwalt ermittelt seit Jahren gegen
Diese Wahlrechtsausschlussgründe stehen nach Auf- den mongolischen Staatsangehörigen B. K. wegen Ver-
fassung der Bundesregierung auch im Einklang mit der schleppung und gefährlicher Körperverletzung. Am
Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. 30. Januar 2006 hat der Ermittlungsrichter beim Bundes-
Die in Art. 29 der Behindertenkonvention garantierte gerichtshof einen Haftbefehl erlassen, der zur Grundlage
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am politi- des Europäischen Haftbefehls wurde und damit das Aus-
schen Leben greift die durch den Zivilpakt der Vereinten lieferungsverfahren in Gang setzte. Der Beschuldigte
Nationen von 1966 festgeschriebenen staatlichen Ver- wurde am 17. September 2010 im Vereinigten König-
pflichtungen auf. Für das im Zivilpakt verankerte Wahl- reich festgenommen und am 19. August 2011 nach
recht können die Vertragsstaaten nach allgemeiner An- Deutschland überstellt.
sicht objektive und angemessene Ausschlussgründe
durch Gesetze auch für Fälle geistiger oder psychischer Der Generalbundesanwalt hat am 4. August 2011 vor
Behinderungen oder Fälle der Unzurechnungsfähigkeit dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts in Berlin
vorsehen. Anklage erhoben. Auf eine Haftbeschwerde des Ange-
schuldigten hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
Im Rahmen der Erarbeitung des Nationalen Aktions- am 16. September 2011 den Haftbefehl aufgehoben und
plans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven- die sofortige Freilassung des Angeschuldigten angeord-
15638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(A) net. Der Generalbundesanwalt hat sich in seiner Stel- Beschlusses, der in der Entscheidungsdatenbank des (C)
lungnahme zuvor gegen eine Aufhebung des Haftbefehls Bundesgerichtshofes unter dem Aktenzeichen StB 11/11
ausgesprochen. Der Angeschuldigte hat anschließend veröffentlicht ist.
Deutschland verlassen und ist in die Mongolei zurückge-
Zum zweiten Teil Ihrer Frage:
kehrt.
Der Fall Bat Khurts war nicht Gegenstand der Ge-
Dem Haftbefehl und der Anklage liegt folgender vom spräche der Bundeskanzlerin in der Mongolei.
Generalbundesanwalt ermittelte Tatvorwurf zugrunde,
wie Sie auch einer hierzu veröffentlichten Pressemittei-
lung des Generalbundesanwalts vom 23. August 2011 Anlage 43
entnehmen können:
Antwort
„Als Angehöriger des mongolischen Geheimdienstes
und zugleich Diplomat an einer Botschaft in Europa er- des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage
hielt der Angeschuldigte im Jahr 2003 den Auftrag, sei- der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE
nen in Frankreich lebenden Landsmann D. in die Mon- GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 54):
golei zu verschleppen. D. sollte der mongolischen In welchem Abstimmungsstadium zwischen den Bundes-
Öffentlichkeit als Mörder des im Jahr 1998 in Ulan Ba- ministerien befindet sich der Referentenentwurf, Stand:
11. Mai 2011, für ein Gesetz über die energetische Moderni-
tor getöteten Politikers Zorig Sanjasuuren präsentiert sierung von vermietetem Wohnraum und über die verein-
werden. Anhaltspunkte für seine Täterschaft gab es al- fachte Durchsetzung von Räumungstiteln, und wann wird er
lerdings nicht. Zusammen mit weiteren Angehörigen des zur Stellungnahme an die Verbände weitergeleitet sowie in
mongolischen Geheimdienstes lockte der Angeschul- den Bundestag eingebracht?
digte den arglosen D. auf einen Parkplatz in Le Havre, Die Abstimmung eines Referentenentwurfs für ein
überwältigte ihn und brachte ihn mit einem Auto zu- Gesetz über die energetische Modernisierung von ver-
nächst in die Mongolische Botschaft in Brüssel, dann in mietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durch-
die Botschaft in Berlin. Wenige Tage später fuhren sie setzung von Räumungstiteln dauert innerhalb der Bun-
den seit dem Zwischenhalt in Brüssel wiederholt mit Be- desregierung noch an.
täubungsmitteln ruhig gestellten D. zum Flughafen Te-
gel. Dort wurde er betäubt, in einem Rollstuhl fixiert und Das Bundesministerium der Justiz hat zunächst die
gefesselt als angeblich verletzter mongolischer Diplomat Stellungnahmen der Ressorts ausgewertet und auf dieser
durch die Flughafenkontrollen geschleust. Anschlie- Grundlage einzelne Regelungsvorschläge im Ressort-
ßend flog der Angeschuldigte mit ihm in die Mongolei, kreis erörtert. Darüber hat das Bundesministerium der
Justiz die bekannt gewordenen Stellungnahmen zu dem
(B) wo D. in Haft genommen wurde. Er sollte zugeben, Entwurf in der Fassung vom 11. Mai 2011 geprüft. Diese (D)
Sanjasuuren ermordet zu haben. Trotz ihm gegenüber
angewandter rechtsstaatswidriger Vernehmungsmetho- Arbeiten sind weitgehend abgeschlossen. Es ist deshalb
den nahm D. die Tat nicht auf sich. Das Verfahren gegen beabsichtigt, nach Herstellung des Einvernehmens mit
ihn wegen seiner angeblichen Beteiligung am Attentat den Ressorts den Ländern und interessierten Kreisen
an Zorig Sanjasuuren wurde im November 2003 einge- eine überarbeitete Fassung des Referentenentwurfs zur
stellt. D. ist im April 2006 aus Strafhaft in anderer Sache Stellungnahme zu übersenden.
entlassen worden und noch im gleichen Monat verstor- Nach Auswertung der dann eingehenden Stellungnah-
ben.“ men und nach Abschluss der Ressortabstimmung wird
das Bundesministerium der Justiz den Regierungsent-
Der Generalbundesanwalt hat dieses Tatgeschehen
wurf vorbereiten. Die Bundesregierung wird nach Be-
rechtlich als Verschleppung gemäß § 234 a Abs. 1 StGB
schlussfassung durch das Kabinett den Regierungsent-
in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß
wurf Bundesrat und Bundestag zuleiten.
§ 224 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB gewertet, wobei eine Zu-
ständigkeit der Bundesjustiz im Hinblick auf den ange-
nommenen Tatbestand der Verschleppung, § 234 a StGB,
Anlage 44
eröffnet war. Auf dieser rechtlichen Wertung beruhte
auch der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundes- Antwort
gerichtshofes und der am 9. Februar 2006 ausgestellte
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Fragen
Europäische Haftbefehl, der rechtliche Grundlage für die
der Abgeordneten Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
Auslieferung des Angeschuldigten Khurts aus dem Ver-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Fragen 55 und
einigten Königreich nach Deutschland war.
56):
In Abkehr von der früheren Wertung im Haftbefehl Welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen,
vom 30. Januar 2006 und einer Entscheidung des Kam- um Rechts- und Verfassungsverstöße durch den Einsatz des
mergerichts Berlin zur Aufrechterhaltung des Haftbe- sogenannten Trojaners in Zukunft zu verhindern?
fehls direkt nach der Überstellung vom 19. August 2011 Wie kann die Justiz künftig kontrollieren, wie ihre Anfor-
derungen technisch umgesetzt werden?
hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom
16. September 2011 das Vorliegen eines dringenden Tat-
Zu Frage 55:
verdachts bezüglich der dem Beschuldigten vorgeworfe-
nen Verschleppung, § 234 a StGB, abgelehnt. Die weite- Die Frage, in welchem Umfang bundesweit Software
ren Einzelheiten ergeben sich aus den Gründen des zum Einsatz gekommen ist, mit der eine Quellen-Tele-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011 15639
(A) kommunikation durchgeführt werden kann, ist Gegen- Zu Frage 62: (C)
stand einer intensiven Prüfung durch die Bundesregie-
Seit Gründung der Bundesanstalt für Immobilienauf-
rung, die noch nicht abgeschlossen ist. Dabei wird auch
gaben, BImA, zum 1. Januar 2005 wurden 41 Kauf-
aufzuklären sein, über welche technischen Möglichkei- verträge für den Nutzungszweck Photovoltaik-Anlagen
ten diese Software insgesamt verfügt und ob diese den abgeschlossen oder befinden sich derzeit im Verhand-
verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bundesver- lungsstadium. Der Umgang der BImA mit der Nutzbar-
fassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 27. Fe- machung ihrer Liegenschaften für erneuerbare Energien
bruar 2008 zur Onlinedurchsuchung Rechnung trägt. belebt die Nachfrage der in diesem Marktsegment täti-
gen Investoren/Betreiber.
Erst nach Abschluss dieser Prüfung wird die Bundes-
regierung über Inhalt und Umfang möglicher Konse-
quenzen entscheiden.
Anlage 46
Zu Frage 56: Antwort
Der Justiz stehen bereits heute umfassende Kontroll- des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)
möglichkeiten zur Verfügung. So hat etwa die zustän-
(Drucksache 17/7311, Frage 63):
dige Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, sich über sämt-
liche technische Funktionen der zur Verwendung Trifft es zu, dass die Bundesregierung eine einheitliche
Absenkung der Luftverkehrsteuer um 5,5 Prozent ab dem Jahr
kommenden Software bei der ermittelnden Dienststelle 2012 plant, und welche Beweggründe führten zu dem Kurs-
zu informieren und in Zweifelsfällen eine gutachterliche wechsel der Bundesregierung?
Stellungnahme einzuholen. Auch den anordnenden Ge-
Die Bundesregierung ist gemäß § 11 Abs. 2 Luftver-
richten bleibt es unbenommen, sich bei den Strafverfol- kehrsteuergesetz ermächtigt, unter Berücksichtigung der
gungsbehörden über die konkreten Einsatzmöglichkeiten Einnahmen aus der Einbeziehung des Luftverkehrs in
der verwendeten Software zu erkundigen und das Ergeb- den Handel mit Treibhausgas-Emissionszertifikaten die
nis dieser Auskunft in ihre Entscheidungen einfließen zu Luftverkehrsteuersätze ab 2012 jährlich durch Rechts-
lassen. § 100 b Abs. 4 Satz 2 StPO sieht zudem vor, dass verordnung anzupassen.
das anordnende Gericht nach Beendigung einer
Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme über de- Hierzu hat das Bundesministerium der Finanzen ei-
ren Ergebnisse zu unterrichten ist. nen Referentenentwurf erstellt, der – auf Grundlage der
Schätzung der zu erwartenden Einnahmen aus dem
(B) Emissionshandel – eine Absenkung der Steuersätze im (D)
Jahr 2012 um jeweils 5,52 Prozent vorsieht. Danach
Anlage 45
würden sich folgende Steuersätze in 2012 ergeben:
Antwort – für Länder nach der Anlage 1: 8,00 Euro – 0,44 Euro
= 7,56 Euro,
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra-
gen der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE – für Länder nach der Anlage 2: 25,00 Euro – 1,38 Euro
LINKE) (Drucksache 17/7311, Fragen 61 und 62): = 23,62 Euro,
Wie geht die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, – für andere Länder: 45,00 Euro – 2,48 Euro
BImA, mit Anfragen zur Errichtung von Photovoltaik(PV)- = 42,52 Euro
Anlagen auf zur Vermarktung vorgesehenen Immobilien um?
In welchen konkreten Fällen wurden oder sollen PV-Anla-
Der Referentenentwurf befindet sich derzeit in der
gen auf zur Veräußerung vorgesehenen BImA-Immobilien in- Ressortabstimmung und wird gegebenenfalls noch anzu-
stalliert werden, und wie wirkt oder wirkte sich das auf poten- passen sein.
zielle Interessenten aus?
Bei der Anpassung handelt es sich mithin nicht um ei-
nen Kurswechsel der Bundesregierung, sondern um die
Zu Frage 61: Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Anpassungs-
Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, BImA, möglichkeiten.
versucht bei entsprechenden Anfragen, geeignete, in ih-
rem Verkaufsportfolio befindliche und zum Anforde-
Anlage 47
rungsprofil des jeweiligen Betreibers passende Flächen
zu identifizieren und nimmt dann Kontakt mit dem In- Antwort
teressenten auf.
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
Im Einzelfall sind auch Verpachtungen möglich, so- der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
weit die beabsichtigte Nutzung rechtlich zulässig ist und (Drucksache 17/7311, Frage 64):
der Abschluss eines langfristigen Miet- oder Pachtver- Welche konkreten Veränderungen plant die Bundesregie-
trages den Verkauf der jeweiligen Immobilie nicht be- rung nach aktuellen Pressemitteilungen zur Senkung der Flug-
verkehrsteuer zum 1. Januar kommenden Jahres, und wie wir-
hindert beziehungsweise sich als wirtschaftlichere Alter- ken sich die geplanten Veränderungen voraussichtlich auf das
native zur Veräußerung darstellt. gesamte Steueraufkommen aus?
15640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. Oktober 2011
(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980