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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
104. Sitzung
Inhalt:
Anlage 7
Anlage 2
Mündliche Frage 10
Mündliche Frage 1 Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
Garrelt Duin (SPD)
Gemeinschaftsbeihilfen der EU zur Ab-
Änderung der Spielverordnung aufgrund gabe von kostenlosem Obst und Gemüse in
des neuen Glücksspielstaatsvertrags Schulen und Kindertagesstätten
Antwort Antwort
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär Peter Bleser, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11921 B BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11923 C
Anlage 3 Anlage 8
Mündliche Frage 2
Mündliche Frage 11
Garrelt Duin (SPD)
Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
Ausweitung der Aktivitäten zur Förderung
von Unternehmensgründungen Förderung einer ausgewogenen Ernährung
bei Kindern und Jugendlichen
Antwort
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär Antwort
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11922 A Peter Bleser, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11923 D
Anlage 4
Anlage 9
Mündliche Frage 5
Anette Kramme (SPD) Mündliche Frage 13
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen Förderung von Aquakulturanlagen
Antwort Antwort
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär Peter Bleser, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11922 B BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11924 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 V
Anlage 10 Antwort
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 14 BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11925 C
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Unterschutzstellung deutscher Meeresge-
biete und damit verbundene Einschrän- Anlage 15
kungen der Fischereiwirtschaft
Mündliche Frage 24
Antwort Katja Keul (BÜNDNIS 90/
Peter Bleser, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN)
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11924 B
Öffnung des protokollarischen Dienstes
der Bundeswehr für Frauen
Anlage 11
Antwort
Mündliche Frage 16 Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11925 D
Verordnungsentwurfs mit bundeseinheitli-
chen Vorgaben für die artgerechte Haltung
von Mastkaninchen Anlage 16
Anlage 28 Anlage 32
Mündliche Frage 40 Mündliche Frage 45
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Subventionen für Atomenergie; Sicher- Einführung des neuen Zulassungsverfah-
heitsmaßstäbe für Kernkraftwerke in rens zum Wintersemester 2011/12
Europa
Antwort
Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11931 D
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11930 D
Anlage 33
Anlage 29
Mündliche Frage 46
Mündliche Frage 41 Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD)
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Toxikologieforschung in der Anwendung
von Nanopartikeln
Eigentumsschutz nach Art. 14 des Grund-
gesetzes für zusätzliche Strommengen und Antwort
Vertrauensschutz der Betreiber von Atom- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
kraftwerken aufgrund von im Rahmen der BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11932 B
Laufzeitverlängerung getätigten Investitio-
nen
Antwort Anlage 34
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11931 A Mündliche Frage 47
René Röspel (SPD)
Forschung und Entwicklung an der
Lithium-Ionen-Batterie
Anlage 30
Antwort
Mündliche Fragen 42 und 43 Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11933 A
DIE GRÜNEN)
Auswirkungen des niedersächsischen Aus-
stiegs aus der Förderung des Projekts
„Hannoversche Moorgeest“ auf die Ziele Anlage 35
der Bundesregierung zum Erhalt des Na- Mündliche Frage 48
tionalen Naturerbes; geplanter Ausgleich René Röspel (SPD)
durch den Bund
Fortführung der Pharma-Initiative für
Antwort Deutschland
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11931 A Antwort
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11933 B
Anlage 31
Mündliche Frage 44 Anlage 36
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 49
Klaus Hagemann (SPD)
Absicherung des Brandschutzes auf dem
Gebiet der Kyritz-Ruppiner Heide nach Mittelabfluss für Forschungsbauten an
dem Abzug der Bundeswehr Hochschulen seit der Föderalismusreform
Antwort Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11931 C BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11933 C
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Anlage 37 Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
Mündliche Frage 50 AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11935 C
Klaus Hagemann (SPD)
Stand des Ausschreibungsverfahrens für
den Nachfolgebau des Forschungsschiffs Anlage 42
„Sonne“; Forschungsschiff-Strategie des
Mündliche Frage 56
Bundes
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11934 B Kondolenzschreiben für die am 1. April
2011 in Afghanistan getöteten UN-Mitar-
beiter
Anlage 38 Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
Mündliche Fragen 51 und 52 AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11936 B
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Entwicklungsorientierte Not- und Über- Anlage 43
gangshilfe für die Elfenbeinküste; Unter-
stützung für die Anrainerstaaten Mündliche Frage 57
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11934 D Etwaige Folgen der Enthaltung Deutsch-
lands in der Abstimmung zur UN-Sicher-
heitsresolution 1973 zu Libyen für die
Wahl in den UN-Menschenrechtsrat
Anlage 39
Antwort
Mündliche Frage 53
Cornelia Pieper, Staatsministerin
Heike Hänsel (DIE LINKE)
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11936 C
Unterstützungsleistungen der Europäi-
schen Union an die Regierung Alassane
Ouattara Anlage 44
Antwort Mündliche Frage 58
Cornelia Pieper, Staatsministerin Katja Keul (BÜNDNIS 90/
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11935 B DIE GRÜNEN)
Informationspflicht der Bundesregierung
Anlage 40 gegenüber dem Deutschen Bundestag in
Bezug auf die Militäroperation EUFOR
Mündliche Frage 54 Libya; weitere Begleitung der Beratungen
Erika Steinbach (CDU/CSU) über Libyen
Anlage 46 Antwort
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 61 BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11939 A
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Weigerung der Volksrepublik China auf Anlage 51
Erteilung eines Visums für Tilman
Spengler Mündliche Frage 68
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11937 C Änderungen beim Katastrophenschutz vor
dem Hintergrund der Nuklearkatastrophe
in Japan
Anlage 47
Mündliche Frage 62 Antwort
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11939 B
Konsequenzen der Festnahme des chinesi-
schen Künstlers Ai Weiwei für die weitere Anlage 52
Chinapolitik
Antwort Mündliche Frage 69
Cornelia Pieper, Staatsministerin Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11937 D DIE GRÜNEN)
Deutsche Bemühungen auf der Tagung des
Anlage 48 Rates Justiz und Inneres der EU für eine
grundgesetzkonforme Verwendung von
Mündliche Fragen 63 und 64 Fluggastdaten
Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Antwort
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
Folgen der Ereignisse rund um die Eröff- BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11939 C
nung der Ausstellung „Die Kunst der Auf-
klärung“ in China
Antwort Anlage 53
Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11938 A Mündliche Fragen 70 und 71
Hans-Joachim Hacker (SPD)
Anlage 49 Maßstäbe für die BVVG bei der Veräuße-
rung pachtfreier bundeseigener landwirt-
Mündliche Frage 65
schaftlicher Nutzflächen in den neuen Län-
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
dern
DIE GRÜNEN)
Genehmigung der Abwicklung iranischer Antwort
Öllieferungen an Indien über die Deutsche Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Bundesbank und die Europäisch-Iranische BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11940 C
Handelsbank als Voraussetzung für die
Freilassung im Iran inhaftierter Reporter
der Bild am Sonntag Anlage 54
Antwort Mündliche Fragen 72 und 73
Cornelia Pieper, Staatsministerin Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11938 C
Förderung der Energieeinsparung über
Gebäudesanierung sowie bereits beste-
Anlage 50 hende Steuererleichterungen im Einkom-
Mündliche Fragen 66 und 67 mensteuergesetz
Iris Gleicke (SPD)
Antwort
Vergabe öffentlicher Mittel an Mitgliedsor- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
ganisationen des Bundes der Vertriebenen BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11941 B
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) (C)
Redetext
104. Sitzung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: reits in diesem Jahr unterschreiten werden und gemäß
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- der voraussehbaren Entwicklung in diesem Jahr ein ge-
zung ist eröffnet. samtstaatliches Defizit von zweieinhalb Prozent haben
werden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Wir haben ja als Lehre aus der Krise um die europäi-
Befragung der Bundesregierung
sche Währung den Stabilitäts- und Wachstumspakt im
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen vergangenen Jahr mit den Beschlüssen des Europäischen
Kabinettssitzung mitgeteilt: deutsches Stabilitätspro- Rats geschärft: In Zukunft spielt nun auch der Schulden-
gramm 2011. stand eine stärkere Rolle; der Gesamtschuldenstand ist
gemäß der präventiven Komponente des Stabilitäts- und
Das Wort für den einleitenden Beitrag, der fünf Minu- Wachstumspaktes in Zukunft in 20 gleichen Jahres-
ten dauern soll, hat der Bundesminister der Finanzen, schritten um den Teil zu reduzieren, der die Gesamtver-
(B) Herr Dr. Wolfgang Schäuble. schuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (D)
überschreitet.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen: Der deutsche Gesamtschuldenstand hat sich durch die
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anrechnung der Maßnahmen, die infolge der Ereignisse
Bundesregierung hat in ihrer heutigen Kabinettssitzung von 2008 für die Rettung des Bankensektors ergriffen
die Aktualisierung des deutschen Stabilitätsprogramms wurden, von 73,4 auf 83,2 Prozent des Bruttoinlandspro-
für 2011 beschlossen. Sie wissen: Ein Bericht über die- dukts erhöht. Wir müssen also den Schuldenstand in den
ses Stabilitätsprogramm ist gemäß dem europäischen kommenden Jahren um jeweils rund 0,5 Prozent reduzie-
Stabilitäts- und Wachstumspakt jährlich zu erstatten. Da- ren. Auch dieser Anforderung werden wir mehr als ge-
rin ist darzulegen, wie die Verpflichtungen des Stabili- recht: Wir werden den Gesamtschuldenstand nach der
täts- und Wachstumspakts eingehalten werden. Projektion, die wir den europäischen Institutionen über-
mitteln, bis 2015 – also bis zum Ende des Projektions-
Nach Überschüssen auf gesamtstaatlicher Ebene in horizonts – von jetzt rund 83 Prozent auf 75,5 Prozent
den Jahren 2007 und 2008 – im Zusammenhang mit dem zurückgeführt haben.
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt geht es ja
um das gesamtstaatliche Defizit bei Bund, Ländern, Kom- Im Übrigen werden wir das mittelfristige Ziel des Sta-
munen und den gesetzlichen Sozialversicherungen – ha- bilitäts- und Wachstumspaktes, nämlich nach der Redu-
ben wir in Deutschland im Jahr 2009 den Referenzwert zierung der zu hohen Defizite dafür zu sorgen, dass das
für die Neuverschuldung in Höhe von 3 Prozent des gesamtstaatliche Defizit in normalen Zeiten dauerhaft
Bruttoinlandsprodukts infolge der schweren Finanz- und nicht mehr als ein halbes Prozent beträgt, nach der jetzt
Wirtschaftskrise überschritten; 2010 haben wir ihn mit absehbaren Entwicklung bereits 2014 erreichen. Wir ge-
einem gesamtstaatlichen Defizit von 3,3 Prozent noch hen also über die Anforderungen des europäischen Sta-
einmal überschritten. Anfang des letzten Jahres wurde ja bilitäts- und Wachstumspaktes hinaus.
erwartet, dass wir ein gesamtstaatliches Defizit von
5,5 Prozent haben. Insofern waren wir bei der Reduzie- Wir leisten mit dieser nachhaltigen Finanzpolitik ers-
rung des zu hohen Defizits im vergangenen Jahr schon tens unseren Beitrag zu einem nachhaltigen wirtschaftli-
ziemlich erfolgreich. chen Wachstum und damit zu nachhaltiger sozialer Leis-
tungsfähigkeit. Denn das Wichtigste ist, dass als Folge
Wir können den europäischen Institutionen jetzt mit- dieser Finanz- und Wachstumspolitik die soziale Stabili-
teilen – das haben wir beschlossen –, dass wir die Defi- tät unseres Landes, insbesondere die des Arbeitsmarktes,
zitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts be- gewährleistet ist.
11876 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
NEN): zen:
Sehr geehrter Herr Bundesminister! Bei meiner Frage Herr Kollege Schneider, die Bundesregierung hat am
geht es um den Komplex Bundesagentur für Arbeit. Es 16. März in dem neuen Verfahren zur Haushaltsaufstel-
ist ja wichtig, dass die Bundesregierung die Schulden- lung, dem sogenannten Top-down-Verfahren, die Eck-
bremse einhält und gleichzeitig ein deutsches Stabilitäts- werte, die wir der Haushaltsaufstellung zugrunde legen
programm auflegt. Wie erklärt es sich die Bundesregie- wollen, beschlossen. Ich habe diese Eckwerte zuerst, wie
rung, dass der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit es meine altmodische Art ist, im Haushaltsausschuss des
(B) sagt, dass wir in den nächsten Jahren aufgrund vermehr- Deutschen Bundestages vorgestellt, bevor ich sie der (D)
ter Belastung, auch durch den neuen ALG-II-Kompro- Bundespressekonferenz erläutert habe. Ich habe am
miss, ein Defizit von bis zu 10 Milliarden Euro haben 16. März – Sie waren dabei anwesend – zugleich darauf
werden, während das BMF davon spricht, dass das nicht hingewiesen, dass diese Eckwerte natürlich immer unter
zu erwarten sei und die Bundesagentur eine schwarze dem Vorbehalt stehen, dass sich die tatsächliche Lage
Null schreiben könne? ein Stück weit anders entwickelt.
Schon damals – das war ein paar Tage nach der
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schrecklichen Katastrophe in Japan – habe ich darauf
Herr Minister. hingewiesen, dass sich aus den schrecklichen Ereignis-
sen in Japan für die Finanzpolitik und für die gesamt-
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- wirtschaftlichen Annahmen erhebliche Veränderungen
zen: ergeben werden, die heute noch keiner kennt. Niemand
Die Haushaltsplanung für die Bundesagentur für Ar- kann Ihnen genau sagen, wie sich die Weltenergiemärkte
beit ist innerhalb der Bundesregierung zwischen dem entwickeln werden. Morgen fahre ich zu der Frühjahrsta-
Bundesfinanzministerium und dem Arbeitsministerium gung von IWF und Weltbank nach Washington. Dort
abgestimmt. Sie ist im Übrigen auch mit der Führung der wird diese Frage wieder ein wichtiger Beratungspunkt
Bundesagentur für Arbeit besprochen und abgestimmt sein. Deswegen habe ich damals gesagt: Ich bin froh,
worden. Im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Ar- dass wir in der Haushaltsplanung ein Stück weit auf der
beit gibt es allerdings drei Bänke: Deren Vertreter sicheren Seite sind.
verhalten sich gelegentlich in ihren öffentlichen Äuße-
rungen so, wie sich auch die Vertreter anderer Interes- Im Übrigen werden wir den Haushalt – das war ja
senverbände in unserer pluralistischen Gesellschaft ver- Ihre Frage –, wenn er im Detail aufgestellt ist, im Deut-
halten. Die von diesen verbreiteten Zahlen entsprechen schen Bundestag erläutern. Der von uns vorzulegende
aber nicht immer der Realität. Die tatsächlichen Zahlen Regierungsentwurf wird dann in erster Lesung im Sep-
werden innerhalb der Bundesregierung und am Ende tember und danach in intensiven Ausschussberatungen
durch den Haushaltsgesetzgeber – das ist der Deutsche behandelt.
Bundestag – beschlossen. Der Internationale Währungsfonds hat gerade in die-
sen Tagen die Industrieländer aufgefordert, die Politik
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der Schuldenreduzierung konsequent fortzusetzen. Da-
Herr Schneider, bitte. bei hat er einige wichtige Industrieländer sehr kritisch
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11877
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) beleuchtet und ein Land als vorbildlich dargestellt. Das lich aus einer Finanztransaktionsteuer eingestellt haben, (C)
war die Bundesrepublik Deutschland. Ich muss da mei- ich aber zugleich auch darauf hingewiesen habe, dass
nen europäischen Partnern nicht viel sagen. Wenn ich keineswegs sicher ist, ob wir sie auch bekommen wer-
mehr sagen würde, entstünde eher die Sorge, dass wir den. Ich habe nämlich immer gesagt: Wir können sie
Deutschen uns zu sehr auf die Schulter klopfen, was nicht alleine beschließen und in einem nationalen Allein-
auch nicht hilfreich wäre. gang einführen. Dass wir sie global nicht eingeführt be-
kommen, wissen wir seit dem G-20-Gipfel in Toronto im
Die Zahlen sprechen für sich. Wenn sich alle die deut- vergangenen Jahr. Wir treten dafür ein, dass sie auf euro-
schen Zahlen zum Vorbild nehmen, ist mir um die Stabi- päischer Ebene zustande kommt, haben aber noch kein
lität der gemeinsamen europäischen Währung nicht Ergebnis erzielt.
Bange.
Ich habe auch immer hinzugefügt: Persönlich bin ich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dafür, dass wir es für den Fall, dass sie in der Europäi-
schen Union nicht zustande kommt, etwa in der Euro-
Herr Schwanitz, bitte.
Zone versuchen sollten. Das ist aber eine Position – das
habe ich auch immer betont –, die innerhalb der Bundes-
Rolf Schwanitz (SPD): regierung noch nicht abgestimmt ist, weil zunächst ver-
Herr Minister, ich möchte eine Frage zum Bereich der sucht werden soll, es in der Europäischen Union insge-
sozialen Sicherungssysteme stellen. Ich habe noch ein- samt zustande zu bringen.
mal in das Stabilitätsprogramm von 2010 geschaut, das
noch im Januar aktualisiert worden ist. Dabei habe ich Jetzt zum konkreten Verhandlungsstand. Das Euro-
einen ausdrücklichen Hinweis zur finanziellen Ausge- päische Parlament hat die Kommission aufgefordert,
staltung der Pflegeversicherung gefunden, nämlich dass Vorschläge zu machen. Die Kommission ist in dieser
für die Pflegeversicherung eine ergänzende Kapital- Frage außergewöhnlich zurückhaltend. Ich habe dem zu-
deckung eingeführt werden soll. Ich möchte Sie fragen, ständigen Kommissar Semeta bei jeder Gelegenheit mit
ob dieses Projekt auch noch im Stabilitätsprogramm der mir eigenen Mischung aus Freundlichkeit und
2011 enthalten ist und, wenn ja, was hierzu geplant ist. Klarheit gesagt, dass ich das erwarte. Die Staats- und
Regierungschefs haben im Europäischen Rat am 24. und
25. März die Kommission aufgefordert, Vorschläge vor-
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- zulegen. Erst gestern – das war meine bisher letzte Initia-
zen: tive – habe ich ein Mitglied der Kommission, Herrn
Herr Kollege Schwanitz, ich muss ein bisschen um Lewandowski, darum gebeten, dass die Kommission
Nachsicht bitten, wenn ich nicht alle Fragen zu allen nicht ständig neue Initiativen für alles Mögliche unter-
(B) Themen mit der Verlässlichkeit, die Sie als Parlamenta- breitet, etwa für eine europäische Dieselbesteuerung, die (D)
rier zu Recht an Antworten der Bundesregierung stellen, die Bundesrepublik Deutschland nicht akzeptieren wird
beantworten kann. – in diesem Fall gilt übrigens das Prinzip der Einstim-
Derzeit befinden wir uns in Diskussionen – innerhalb migkeit –, sondern endlich einmal Vorschläge bezüglich
der Bundesregierung und auch im Parlament – über die einer Finanztransaktionsteuer vorlegt, die der Europäi-
sche Rat und das Europäische Parlament von der Kom-
weitere Ausgestaltung der Pflegeversicherung. Wir sind
mission erbeten haben; denn die Kommission hat bei
nicht am Ende aller Arbeiten für diese Legislaturperiode.
solchen Initiativen das Monopol.
Dem kann ich jetzt nicht vorgreifen, zumal ich mich
auch mit dem Kollegen Rösler abstimmen muss. Beim informellen Treffen der Finanzminister am ver-
gangenen Freitag und Samstag in Gödöllö ist über dieses
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Thema intensiv gesprochen worden. Insbesondere die
Herr Kindler. französische Kollegin hat die Kommission nachdrück-
lich aufgefordert, bis zur nächsten Sitzung der Finanz-
minister im Rahmen des Ecofin-Treffens am 16. Mai
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 2011 entsprechende Vorschläge vorzulegen. Ich bin zu-
NEN): versichtlich und gehe davon aus, dass uns bis dahin Vor-
Herr Minister, die Bundesregierung plant ja, ab 2012 schläge vorgelegt werden. Dann werden wir sehen, ob
2 Milliarden Euro aus der Finanztransaktionsteuer ein- eine Chance besteht, in Europa eine entsprechende Re-
zunehmen. Jetzt frage ich Sie, wie der Verhandlungs- gelung zustande zu bringen. Sollten sie nicht bestehen,
stand zwischen den europäischen Partnern ist und wann werden wir uns innerhalb der Regierung dahin gehend
es konkrete Maßnahmen und Schritte gibt, damit dieses abstimmen, ob wir für eine Regelung innerhalb der
Geld im Haushalt 2012 realisiert werden kann. Euro-Gruppe eintreten. Das ist der Stand der Dinge.
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob wir bereits im
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
Jahr 2012 Einnahmen aus der Finanztransaktionsteuer in
zen:
Höhe von 2 Milliarden Euro realisieren werden. Was ich
Herr Kollege, Sie erinnern sich vielleicht – was Sie aber sagen kann, ist Folgendes – das habe ich auch schon
nicht müssen, Sie können es auch in den Protokollen des am 16. März 2011 gesagt –: Auch wenn wir diese Ein-
Deutschen Bundestages nachlesen –, dass ich bei ver- nahmen nicht realisieren können, sind wir dank der Er-
schiedenen Gelegenheiten wieder und wieder darauf hin- folge unserer Finanzpolitik
gewiesen habe, dass wir in der Tat ab 2012 in unserer
Finanzplanung Einnahmen von 2 Milliarden Euro jähr- (Johannes Kahrs [SPD]: Welche Erfolge?)
11878 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Rolf Schwanitz (SPD): mit der Finanzierungsfazilität getroffen haben, auch für (C)
Meine Frage richtet sich an das Bundeskanzleramt. – den ESM fortzuschreiben. Diesen Empfehlungen des
Herr von Klaeden, ich habe eine Frage im Zusammen- Bundesrechnungshofs möchte ich ausdrücklich nicht wi-
hang mit den Diskussionen über den sogenannten ESM, dersprechen.
den neuen, zu erwartenden Rettungsschirm im Bereich
der Euro-Länder ab 2013. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich denke, zu Ihren Aufgaben gehört auch, die Koor- Damit beende ich die Befragung der Bundesregie-
dinierung zwischen der Bundesregierung und dem Bun- rung.
destag im Blick zu haben. Sie wissen, dass wir im Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2:
Bundestag intensiv darüber diskutieren, welche Beteili-
gungsmöglichkeiten das Parlament im Zusammenhang Fragestunde
mit dem neuen Rettungsschirm ab 2013 haben wird. – Drucksachen 17/5421, 17/5468 –
Deshalb frage ich Sie, ob das Bundeskanzleramt bzw.
die Bundesregierung eine Ausweitung der Beteiligungs- Zu Beginn rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtli-
rechte gegenüber dem bereits bestehenden Gesetz zum nien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf
Europäischen Stabilisierungsmechanismus plant und, Drucksache 17/5468 auf.
wenn ja, in welche Richtung die Überlegungen gehen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundes- Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk be-
kanzlerin: reit.
Herr Kollege Schwanitz, wenn Sie gestatten, wird der Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 der Kollegin
Bundesfinanzminister darauf eingehen. Dr. Dagmar Enkelmann auf:
In welchem Umfang entgehen dem Bundeshaushalt Gel-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der durch den Zahlungsstopp der vier Atomkraftwerksbetrei-
Herr Finanzminister, bitte schön. ber an den Fonds für erneuerbare Energien, und was wird die
Bundesregierung tun, um der gesetzlichen Zahlungspflicht
voll Geltung zu verschaffen?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen: Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Da nach den Regeln des Grundgesetzes die Mitglie- desminister der Finanzen:
der der Bundesregierung ihren Geschäftsbereich inner- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(B) halb der Richtlinien des Bundeskanzlers oder der Bun- (D)
Frau Kollegin Enkelmann, ich beantworte Ihre dringli-
deskanzlerin eigenständig verantworten und für diesen che Frage wie folgt: Die Betreiber der Kernkraftwerke
Bereich der Bundesfinanzminister zuständig ist, habe ich haben erklärt, die nach dem Förderfondsvertrag zu leis-
dem Kollegen von Klaeden angeboten, zuständigkeits- tenden Vorauszahlungen einzustellen. Dem Energie- und
halber die Frage zu beantworten. Klimafonds würden im Jahr 2011 hierdurch monatlich
25 Millionen Euro entgehen. Der Bundeshaushalt ist da-
Ich weise darauf hin, dass ich ab 14 Uhr die Freude
von nicht direkt berührt.
habe, an der Sitzung des Haushaltsausschusses dieses
Hohen Hauses teilzunehmen, um über diese Fragen zu Das angekündigte Vorgehen entspricht nach Auffas-
berichten. Wir stehen ganz am Anfang der Beratungen. sung der Bundesregierung zum jetzigen Verfahrensstand
Denn wir haben jetzt mit Beschluss des Europäischen nicht den Regelungen des Vertrages. Ich bitte um
Rates den Rahmen für den Stabilisierungsmechanismus. Verständnis, dass die Bundesregierung vor diesem Hin-
tergrund keine Stellungnahme zu in diesem Zusammen-
Die Einzelheiten, insbesondere die Übergangsrege-
hang gegebenenfalls relevanten Auslegungsfragen abge-
lung – das spielt heute in einer völlig verzerrenden medi-
ben wird.
alen Darstellung eines Gutachtens des Bundesrech-
nungshofs eine gewisse Rolle –, müssen noch in einem
Vertrag ausgehandelt werden, der der Ratifizierung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
durch den deutschen Gesetzgeber bedarf. Im Zusam- Sie haben eine Nachfrage, Frau Enkelmann? – Bitte
menhang mit dem Ratifizierungsverfahren werden wir sehr.
auch die Parlamentsbeteiligung bei diesen Beschlüssen
regeln. Dazu wird die Bundesregierung Vorschläge ma- Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
chen, die sie aber im Vorfeld, vielleicht schon in der Sit- Das bedauere ich natürlich außerordentlich. Sie haben
zung des Haushaltsausschusses, die um 14 Uhr beginnen die Zahlen genannt. Ich finde, es sind keine Peanuts, um
soll, mit dem Parlament erörtern wird. die es hier geht. Es geht um das Sondervermögen für er-
neuerbare Energien. Aus Ihrem Hause war dennoch zu
Ich weise darauf hin, dass in dem Bericht, den der
vernehmen, dass das Ganze als Vertragsbruch bewertet
Haushaltsausschuss in der vergangenen Woche vom
wird. Ich teile diese Bewertung ausdrücklich und unter-
Rechnungshof angefordert hat und der inzwischen er-
stütze in diesem Fall das Finanzministerium.
stattet worden ist, wie man den Medien entnehmen kann,
ausdrücklich empfohlen worden ist, die Regelungen, die Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Was tut die
wir für die Parlamentsbeteiligung im Zusammenhang Bundesregierung gegen einen offenkundigen Vertrags-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11883
Dr. Dagmar Enkelmann
(A) bruch? Welche Chancen rechnet sie sich dabei aus? – werden. Für die wird es selbstverständlich ein ordentli- (C)
Das ist meine erste Nachfrage. Meine zweite stelle ich ches parlamentarisches Verfahren geben.
später.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Frau Höll.
desminister der Finanzen:
Verehrte Frau Kollegin, die Bundesregierung wird die
notwendigen rechtswahrenden Schritte einleiten. Eine Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
endgültige Klärung zum Förderfondsvertrag wird aber Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, in § 4
erst möglich sein, wenn die Entscheidungen über die Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermö-
Laufzeiten der Kernkraftwerke abschließend getroffen gens „Energie- und Klimafonds“ – Einnahmen des Son-
sind. dervermögens und Ermächtigungen – steht:
Dem Sondervermögen fließen folgende Einnahmen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zu: 1. Einnahmen nach Maßgabe einer vertragli-
Frau Enkelmann, eine zweite Nachfrage. chen Vereinbarung gemäß Absatz 3 zwischen dem
Bund und den Betreibergesellschaften von Kern-
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): kraftwerken und ihren Konzernobergesellschaften
Gut, da dürfen wir gespannt bleiben. – Aus dem Son- in Deutschland, …
dervermögen sollten im Jahr 2011 etwa 60 Millionen Nun ist es so, dass der Bundestag und seine Mitglie-
Euro für die Gebäudesanierung ausgegeben werden. der diesen Vertrag nie zu Gesicht bekommen haben.
Diese Mittel können jetzt offenkundig nicht ausgegeben
werden. Gibt es für die Gebäudesanierung bereits För- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
derzusagen der Bundesregierung, die wegen der Nicht- Geheimvertrag!)
zahlungen der AKW-Betreiber nicht eingehalten werden
können? Wir möchten gerne wissen: Was steht nun tatsächlich in
diesem Geheimvertrag? Was heißt „nach Maßgabe einer
vertraglichen Vereinbarung“? Der Spiegel hat hierzu an-
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
dere, mehr Informationen als wir. Wie ist es zu verste-
desminister der Finanzen:
hen, dass das Ganze nicht nur am Parlament vorbei be-
Davon, Frau Kollegin, geht die Bundesregierung schlossen wurde – ein Skandal –, sondern dass offenbar
nicht aus; denn der Fonds verfügt zurzeit über ein Liqui- auch beim Vertragsabschluss geschludert wurde und Sie (D)
(B)
ditätspolster. Zum einen haben die Unternehmen bislang noch nicht einmal auf der rechtssicheren Seite sind,
pünktlich gezahlt. Zum anderen sind bislang keine wenn Sie nun versuchen, die Gelder von den Kernkraft-
Fondsmittel abgeflossen. Das liegt daran, dass der Fonds werksbetreibern einzutreiben?
erst kürzlich gestartet ist und die über den Fonds finan-
zierten Programme vielfach bereits bestehende Pro-
gramme des Bundeshaushalts verstärken sollen. In Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
diesen Fällen ist geregelt, dass zunächst die im Bundes- desminister der Finanzen:
haushalt verfügbaren Mittel einzusetzen sind. Frau Kollegin, ich möchte für die Bundesregierung
zurückweisen, dass dieser Vertrag, wie Sie gesagt haben,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: in schludriger Weise abgeschlossen worden ist. Ich wie-
Bitte schön, Herr Kollege. derhole: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass
für die Zahlungen bzw. Zuweisungen der Kernkraft-
werksbetreiber zu diesem Fonds eine hinreichend klare
Michael Schlecht (DIE LINKE): rechtliche Grundlage besteht. Die Ankündigung, jetzt
Wäre es gerade vor dem Hintergrund der Unsicher- keine weiteren Zahlungen zu leisten, nachdem man bis-
heiten, die jetzt auftauchen – es wird geklagt, weil man lang seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen
der Auffassung ist, dass die Nichtzahlung nicht in Ord- ist, steht für die Bundesregierung nicht im Einklang mit
nung ist –, vor drei, vier Wochen, als das schreckliche diesem Vertrag. Deshalb prüft die Bundesregierung der-
Unglück in Japan passierte, nicht wichtig gewesen, nicht zeit die Einleitung rechtswahrender Schritte.
ein Moratorium zu beschließen, sondern ein ordnungs-
gemäßes gesetzliches Verfahren durchzuführen? Immer-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
hin weiß man aus anderen Bereichen, dass solche gesetz-
lichen Verfahren durchaus innerhalb von vier, fünf Frau Höger, bitte.
Tagen durchgeführt werden können.
Inge Höger (DIE LINKE):
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vielen Dank. – In der Presse konnten wir lesen, dass
desminister der Finanzen: es Schutzklauseln in dem Geheimvertrag gibt. Verhin-
Herr Kollege, ich bin fest davon überzeugt, dass am dern die Schutzklauseln, dass die Bundesregierung in
Ende des Moratoriums konkrete Vorschläge, auch Ge- gerichtlichen Auseinandersetzungen erfolgversprechend
setzgebungsvorschläge der Bundesregierung, stehen handeln kann?
11884 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
desminister der Finanzen: desminister der Finanzen:
Frau Kollegin, ich möchte zurückweisen, dass es sich Ich bitte um Verständnis, dass wir zu Presseäußerun-
hierbei um einen Geheimvertrag handelt. Ich darf noch- gen, die nicht unbedingt den wirklichen Sachverhalt
mals sagen: Die Bundesregierung ist der Auffassung, wiedergeben, nicht Stellung nehmen.
dass sie diesen Vertrag auf einer einwandfreien Rechts- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann stellen
grundlage abgeschlossen hat. Das bedeutet, dass das an- Sie es doch richtig!)
gekündigte Verhalten der KKW-Betreiber nicht dem
Vertrag entspricht. Die Bundesregierung prüft zurzeit, Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass die angekündigte Zahlungsaussetzung
rechtswahrende Schritte einzuleiten.
der Kernkraftwerksbetreiber nicht mit dem abgeschlos-
senen Vertrag in Einklang steht. Deshalb prüft die Bun-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: desregierung die Einleitung rechtswahrender Schritte.
Frau Dağdelen, bitte.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich rufe die dringliche Frage 2 der Kollegin Höhn auf:
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Wie wirkt sich der Zahlungsstopp der Atomkraftwerksbe-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte die Bun- treiber auf die Leistungsfähigkeit des Energie- und Klima-
desregierung fragen: Mit welchen langfristigen Folgen fonds aus, und mit Einbußen in welcher Höhe rechnet die
für die erneuerbaren Energien rechnen Sie mit Blick auf Bundesregierung für das Jahr 2011 (unter anderem Süddeut-
sche Zeitung vom 11. April 2011)?
das Sondervermögen?
Bitte.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen:
Frau Kollegin, ich habe schon erläutert, dass dieser
Frau Kollegin Höhn, Sie und Kollegin Dr. Enkelmann
Fonds über ein Liquiditätspolster verfügt.
haben Fragen zum gleichen Sachverhalt gestellt. Die im
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wie hoch ist Förderfondsvertrag geregelten Zahlungen der Kernkraft-
das denn?) werksbetreiber basieren auf der gesetzlichen Regelung
der Laufzeitverlängerung. Solange diese noch nicht ge-
Zunächst einmal werden entsprechende Programme, die setzlich verändert wurde, bleibt die Verpflichtung zur
(B) im Haushalt vorgesehen sind, durchgeführt. Die endgül- Einzahlung in den Energie- und Klimafonds und damit (D)
tige Klärung, was den Förderfondsvertrag angeht, wird das bisher vorgesehene Mittelvolumen bestehen. Ich
erst möglich sein, wenn nach Abschluss des Moratori- habe schon ausgeführt, dass derzeit keine Liquiditätspro-
ums Entscheidungen über die endgültigen Laufzeiten bleme beim Energie- und Klimafonds bestehen.
von Kernkraftwerken zu treffen sein werden.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Höhn, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte, Herr Wunderlich.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke schön. – Herr Staatssekretär, die Bundesregie-
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): rung hatte nach den furchtbaren Geschehnissen in Japan
Herr Koschyk, ich habe noch eine Frage. Sie bestrei- öffentlich verkündet, dass sie eine wesentlich andere
ten vehement, dass der Vertrag schludrig ist. Im Spiegel Energiepolitik, auch Atompolitik, betreiben will. Nun
steht: „Regierung schlampt bei AKW-Geheimvertrag“. steht in dem Vertrag, den Sie abgeschlossen haben und
Hinsichtlich der Ökoabgabe heißt es, es sei etwas gere- der auch uns vorliegt – er lag am Anfang nicht vor; jetzt
gelt, dies solle aber nicht so bleiben, da der Strompreis aber liegt er vor –, dass die Vertragspartner ein Kündi-
gungsrecht haben, wenn es zu wesentlichen Änderungen
und damit auch die Marge der Energiekonzerne
kommt. Ist denn die Änderung der Atompolitik eine we-
schwanke. Im Spiegel heißt es weiter – ich zitiere –:
sentliche Änderung, die zur Kündigung des Vertrags
Also werde die Ökoabgabe ab 2017 angepasst, steht führen könnte?
im Abkommen. Und zwar auf der Basis eines In-
dex’ an der Strombörse EEX: des „German Base- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
load Future“. Noch genauer: auf der Basis von des- desminister der Finanzen:
sen volumengewichteten 12-Monats-Durchschnitt. Frau Kollegin Höhn, bis jetzt ist es noch nicht zu Än-
derungen von Beschlüssen der Bundesregierung oder
Das klingt erst einmal in sich konsistent. Das Problem des Parlaments im Hinblick auf die Laufzeiten von
ist nur: Es gibt an der EEX keinen solchen Index; der ist Kernkraftwerken gekommen. Deshalb sind wir der Auf-
nicht existent. Eine Sprecherin der Strombörse hat das fassung – ich darf das wiederholen –, dass im Hinblick
mit den Worten kommentiert: Der Begriff ist völlig un- auf die momentane Situation, bei der es keine Rechts-
präzise. – Was sagen Sie denn dazu? änderung gibt, die Zahlungsaussetzung nicht mit dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11885
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
(A) Vertrag in Einklang steht, weswegen wir die Einleitung beantragen; im Erfolgsfall wird die Zulage dann wieder (C)
rechtswahrender Schritte prüfen. ausgezahlt.
Bei den genannten 1,5 Millionen Fällen handelt es
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sich nicht um die Anzahl der von einer Rückforderung
Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau Höhn? – Bitte betroffenen Anleger, sondern um die Anzahl der zurück-
schön. geforderten jährlichen Altersvorsorgezulagen. Die Al-
tersvorsorgezulage bzw. Teile davon werden bei Fehlen
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Voraussetzungen für den Anspruch auf die Zulagen-
Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Aufgrund der zahlung vom Altersvorsorgekonto ebenso automatisch
Laufzeitverlängerung wurden den Atomkraftwerkbetrei- abgebucht, wie sie zuvor automatisch zugebucht wur-
bern zusätzliche Strommengen zur Verfügung gestellt. den.
Wie sieht das die Bundesregierung? Ist durch die zusätz- Auch wenn die Rückforderung in den allermeisten
lichen Strommengen ein Eigentumsschutz im Sinne des Fällen gerechtfertigt ist und kein Anlass zur Kritik be-
Art. 14 Grundgesetz entstanden? Ist Ihnen bekannt, ob steht, erweist sich allerdings das Riester-Verfahren für
Investitionen vorgenommen worden sind? Sie haben ja zahlreiche Eltern doch an einer Stelle als offenbar zu
gesagt, man wolle sofort in Sicherheit investieren; nun kompliziert: Mütter oder Väter, die einige Zeit über ih-
ist ein halbes Jahr vergangen. Können aus dem Eigen- ren Ehegatten mittelbar zulagenberechtigt waren und
tumsschutz und den möglicherweise getätigten Investi- deshalb keine eigenen Beiträge leisten mussten, werden
tionen Entschädigungsansprüche der Atomkraftwerk- bei der Geburt ihres Kindes aufgrund der damit automa-
betreiber erwachsen? tisch verbundenen Rentenversicherungspflicht unmittel-
bar förderberechtigt. Sie müssten nun eigene Beiträge in
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Höhe des Mindesteigenbeitrags von 60 Euro leisten,
desminister der Finanzen: übersehen diese Verpflichtung aber häufig. Damit ver-
Frau Kollegin Höhn, ich bitte um Verständnis. Das ist fällt dann auch der Anspruch auf die Zulagen. Hier wird
eine sehr schwierige Frage, die auch verfassungsrechtliche das Bundesministerium der Finanzen gemeinsam mit
Aspekte berührt. Sie fragten nach dem Eigentumsschutz. dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales umge-
Ich muss die Beantwortung dieser Frage nachreichen, weil hend prüfen, wie das Verfahren vereinfacht werden
sie nicht allein vom Bundesfinanzministerium, sondern kann.
auch in Abstimmung mit anderen Ressorts geprüft und Außerdem wollen wir prüfen, wie den in der Vergan-
beantwortet werden müsste. Ich reiche sie aber gern genheit von diesem Problem betroffenen Eltern geholfen
nach. werden kann. Dabei sind wir mit dem zuständigen ande- (D)
(B)
ren Ressort in enger Abstimmung. Ich kann heute zusa-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gen, dass es dafür eine kulante und bürgerfreundliche
Dann rufe ich die dringliche Frage 3 der Kollegin Lösung geben wird – sowohl in Zukunft für die genann-
Höll auf: ten Fallkonstellationen als auch durch die Möglichkeit
Stimmen Meldungen des Wirtschaftsmagazins des Bayeri- der Betroffenen, Versäumnisse in der Vergangenheit zum
schen Rundfunks Geld & Leben vom 11. April 2011, wonach Beispiel durch eine Nachentrichtung des Mindesteigen-
der Bund Riester-Zulagen ohne Vorwarnung bei mehr als beitrags in Höhe von 60 Euro auszugleichen. Hier befin-
1,5 Millionen Vorsorgesparern und Vorsorgesparerinnen in
Höhe von insgesamt einer halben Milliarde Euro zurückgeholt
den wir uns in Abstimmung mit dem Arbeitsministe-
hat, und wie teilt sich die Anzahl der Rückforderungen auf die rium. Wir gehen davon aus, dass wir die Betroffenen und
drei möglichen Gründe – vorzeitig gekündigte Verträge, fal- die Öffentlichkeit alsbald sowohl über künftige Verein-
sche Angaben sowie veränderte Lebensumstände – auf? fachungen als auch über Nachentrichtungsmöglichkeiten
bei dieser Konstellation informieren.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Sie sehen: Wir befinden uns an einem Punkt, an dem
desminister der Finanzen: man durchaus einräumen muss, dass die Betroffenen
Frau Kollegin Höll, eine genaue Aufschlüsselung der dies nicht durchschaut haben. Wir sind bereit, dafür zu
Rückforderungsfälle ist nicht möglich. In den allermeis- sorgen, dass das Ganze in Zukunft einfacher zu handha-
ten Fällen erfolgten Rückforderungen von Altersvorsor- ben ist und dass die vergangenheitsbezogenen Fälle bür-
gezulagen in Fällen, in denen der Anleger sein Guthaben gernah und kulant geregelt werden können.
schädlich verwendet hat. Das heißt, der Anleger hat sein
steuerwirksam gefördertes Altersvorsorgevermögen in
diesen Fällen abgehoben und zu anderen als zu Alters- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
vorsorgezwecken verwendet, etwa zum Erwerb eines Frau Höll, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Kfz oder für eine Urlaubsreise. Die Rückforderung der Bitte sehr.
Zulagen und der sonstigen steuerlichen Förderung ist in
einem solchen Fall natürlich unausweichlich. Auf sie Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
kann schon aus Gerechtigkeitserwägungen anderen An- Danke, Herr Staatssekretär. – Ich bin über Ihre Ant-
legern gegenüber nicht verzichtet werden. Unabhängig wort erfreut, dass Sie bemüht sind, in den von Ihnen be-
vom Grund der Rückforderung der Zulage kann sich der schriebenen Fällen eine Lösung zu finden. Trotzdem
Anleger gegen die Rückforderung wehren. Er kann eine drängt sich mir eine bestimmte Frage auf. Wir reden jetzt
Überprüfung der Rückforderung bei der Zulagenstelle über den Veranlagungszeitraum 2005 bis 2007. Was ist
11886 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – In der letzten Woche Bundesminister des Innern:
– wir haben das schon vorher erfahren – konnte man in Herr Kollege Ströbele, ich mache Sie darauf aufmerk-
der Presse nachlesen, dass die EU im Ministerrat im sam, dass die rechtlichen Voraussetzungen des § 23 Auf-
schriftlichen Verfahren einen Vorratsbeschluss zu einer enthaltsgesetz eine Einbeziehung der Bundesländer not-
Militäroperation der Europäischen Union, EUFOR wendig macht; diesen Hinweis wollte ich geben.
Libya, gefasst hat. Zunächst einmal soll eine Anfrage
des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung Ansonsten glaube ich, die Frage mit dem Satz, den
humanitärer Angelegenheiten unter Herrn Ban Ki-moon ich gern wiederhole, beantwortet zu haben: Nach Auf-
abgewartet werden. Dies wurde zur Voraussetzung für fassung der Bundesregierung soll die humanitäre Hilfe
die Mission erklärt. In diesem Zusammenhang wurde für die Flüchtlinge zunächst in der Region erfolgen. Das
bereits im Vorfeld, aber auch danach seitens der Bundes- ist keine Antwort nach dem Ja-oder-Nein-Schema; aber
regierung erklärt, dass dieser Vorratsbeschluss zur Un- es ist trotzdem eine Antwort auf die gestellte Frage.
terstützung der humanitären VN-Hilfeleistungen gefasst
worden ist, zum Teil auch als Beitrag zum sicheren Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Transport und zur Evakuierung von Flüchtlingen. Der Kollege Schmidt, bitte.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gern fra-
gen: In diesem Krisenmanagementkonzept für die Mis- Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sion ist eine enge Kooperation mit Einsätzen von Fron- NEN):
tex als notwendig erachtet worden. Das Anhalten, Entern Herr Staatssekretär, vonseiten der Bundesregierung
und Durchsuchen von Schiffen ist vorgesehen. Für wie ist angekündigt worden: Wenn Italien Reisedokumente
vereinbar halten Sie eigentlich die Unparteilichkeit als für Flüchtlinge ausstellt, könnten wieder Kontrollen an
wichtigstes Prinzip humanitärer Hilfe – auch laut Ärzte den deutschen Grenzen eingeführt werden. An den
ohne Grenzen – damit, dass Sie auf der einen Seite Sol- Grenzen zu welchen Ländern gedenkt die Bundesregie-
(B) daten hinschicken werden und auf der anderen Seite vor- rung gegebenenfalls solche Kontrollen einzuführen: an (D)
geben, Flüchtlingen in Libyen und den humanitären den EU-Binnengrenzen zu Frankreich oder Tschechien
Hilfsorganisationen, die dort im Moment helfen, huma- oder an der Grenze zur Schweiz? Gibt es schon Gesprä-
nitäre Hilfe zu leisten? che mit den betroffenen Ländern darüber, dass man das
jetzt – ich sage einmal: mitten in der Osterreisezeit – er-
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim wägt?
Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, zunächst einmal folgender Hinweis: Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Ich behandle die Frage nach dem EUFOR-Einsatz und Bundesminister des Innern:
dem entsprechenden Votum nur aus der begrenzten Per- Zunächst einmal ein Hinweis: Sie berufen sich auf die
spektive des von mir zu vertretenden Ressorts. Äußerungen eines Landesinnenministers.
Ich will darauf aufmerksam machen, dass gerade die (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
angesprochene Entscheidung als ein Zeichen der Bereit- NEN]: Der immer noch nicht weiß, dass er das
schaft zu werten ist, sich auch im Falle einer weiteren als Landesinnenminister gar nicht mehr ma-
Zuspitzung für den humanitären Einsatz, wenn nötig, chen kann!)
auch mit einer entsprechenden militärischen Absiche-
rung, einzusetzen. Das heißt: Gerade diese Entscheidung Ich betrachte die Einführung von Grenzkontrollen in-
belegt, dass wir die humanitären Herausforderungen, die nerhalb des Schengen-Raums als eine Ultima Ratio, für
im Zuge der Entwicklungen in Libyen einstweilig auftre- die gegenwärtig kein Anlass besteht. Die Bundespolizei
ten, ernst nehmen und angemessen darauf reagieren wol- arbeitet mit erhöhter Aufmerksamkeit. Ansonsten wis-
len. sen wir angesichts der engen Regelungen des Schenge-
ner Durchführungsübereinkommens, dass wir nicht von
einer dauerhaften Wiedereinführung eines Grenzregimes
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ausgehen können.
Herr Ströbele, bitte.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Da sind wir nun ganz beruhigt: Kein
GRÜNEN): Grenzregime wie früher!)
Herr Staatssekretär, Sie haben die Frage der Kollegin
Müller leider nicht beantwortet. Deshalb frage ich nach: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ist die Bundesregierung bereit, ein bestimmtes Kontin- Herr Kollege Fischer, bitte.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11891
(A) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim (C)
Herr Staatssekretär, die Innenminister der EU sollen Bundesminister des Innern:
Gespräche mit dem Übergangsrat in Tunesien zu einem Zunächst einmal habe ich auf Folgendes aufmerksam
möglichen Rückführungsabkommen geführt haben, da gemacht: Sofern es sich um den Einsatz deutscher Solda-
es sich in dem Bereich weitestgehend um Wirtschafts- ten handelt, geht es um einen Vorratsbeschluss bzw. um
flüchtlinge handelt. Können Sie etwas über den Stand eine Vorabsprache, der bzw. die militärische Einsatzmit-
dieser Verhandlungen sagen? tel zur Absicherung humanitärer Maßnahmen vorsieht.
Aus zahlreichen Beispielen wissen wir, dass eine solche
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim humanitäre Absicherung notwendig sein kann. Die
Bundesminister des Innern: große Mehrheit des Hauses hat sie in vergleichbaren Fäl-
Mir ist bekannt, dass mit Italien, dem hauptsächlich len entsprechend unterstützt.
betroffenen Land – in Lampedusa sind überwiegend tu- Es hat wenig mit Parteilichkeit oder Nichtparteilich-
nesische Flüchtlinge angekommen –, ein Rückübernah- keit zu tun, wenn Sie einen Versorgungstransport mit
meabkommen geschlossen wurde, das die Rückführung medizinischen Gütern oder mit Lebensmitteln vor An-
von 60 Flüchtlingen pro Tag vorsieht. Dies kann im Rah- griffen einer gegnerischen Partei schützen, die die huma-
men der EU-rechtlichen Voraussetzungen getan werden. nitäre Versorgung der betroffenen Gruppe nicht will.
Ich will darauf aufmerksam machen, dass es sich hier Dann sind Sie höchstens parteiisch für die Humanität.
vielfach um Personen handelt, bei denen zu erwarten ist,
dass sie nach den erfolgreichen revolutionären Bewe- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gungen in Tunesien für den Aufbau des demokratischen Herr Kollege Ott, bitte.
Gemeinwesens vor Ort gebraucht werden.
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
Frau Keul. manchmal scheint es, als ob sich die Bundesregierung
das Motto eines sehr bekannten Autobauers zu eigen ge-
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): macht hat: „Nichts ist unmöglich“; ob es nun um
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich möchte auf Guttenberg oder die Atomfrage geht.
die EU-Richtlinie zurückkommen, die die Kollegin Ich habe Ihrer Antwort auf die Frage unseres Kolle-
Müller vorhin erwähnt hat. Nach dieser Richtlinie ist es gen Ströbele sehr genau zugehört. Sie haben gesagt, Sie
möglich, Ausländern vorübergehend Schutz in Europa hätten nicht vor, ein dauerhaftes Grenzregime einzufüh-
(B) zu bieten. Ich möchte Sie fragen: Was sind denn die ma- ren. Was ist bei Ihnen ein nicht dauerhaftes Grenz- (D)
teriell-rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen regime, das Sie vielleicht einführen wollen? Haben Sie
Schutz? Sind sie in diesem Falle nicht gegeben und angesichts des bevorstehenden Osterreiseverkehrs Vor-
wenn nein, warum nicht? sorge dafür getroffen, dass die Bevölkerung genügend
informiert und gewappnet ist?
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister des Innern: Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Sie wissen, dass es über diese Frage Diskussionen Bundesminister des Innern:
gibt. Die Voraussetzungen sind letztlich diejenigen, die Herr Kollege, ich empfehle – auch wenn Sie die Nei-
in der Flüchtlingskonvention niedergelegt sind. Die Ent- gung haben, mit Blick auf das Osterfest irgendwelche
scheidung über die Aufnahmequote liegt beim jeweili- Grenzkontrollen anzukündigen –
gen Mitgliedstaat.
(Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das waren doch Sie!)
NEN]: Was macht Deutschland jetzt? – Ge-
genruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- einen Blick in die Regelungen des Schengener Durch-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Beobachten!) führungsübereinkommens.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: NEN]: Da hätte mal ihr Herr Friedrich rein-
Frau Jelpke, bitte. gucken sollen!)
Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns an diese Regelun-
Ulla Jelpke (DIE LINKE): gen gebunden fühlen. Da sind die Voraussetzungen und
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, wie die Zeitdauer für die Einführung von Grenzkontrollen in-
wollen Sie als unparteiisch gelten und als humanitärer nerhalb des Schengen-Raumes sehr eng definiert. Insofern
Helfer wahrgenommen werden, wenn Sie Soldaten nach sind manche der Äußerungen, die in diesem Zusammen-
Libyen schicken und gleichzeitig in der Grenzregion hang getan werden, und auch die Spekulation, die in Ihrer
Frontex einsetzen? Gerade das sind doch Symbole der Frage liegt, aus meiner Sicht völlig unbegründet.
Abschottung.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das hat Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
doch Frau Dağdelen gerade gefragt!) Frau Scheel, bitte.
11892 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): was denn „gegenwärtig“ in Bezug auf die Grenzkontrol- (C)
Herr Staatssekretär, was der Kollege Ott Sie gerade len heißt, ebenfalls noch einer Vertiefung bedürfte. Ich
gefragt hat, ist mehr als begründet, und zwar deswegen, möchte wissen, welche konkreten Erkenntnisse und In-
weil Ihr Minister in den letzten Tagen mehrmals im Zu- formationen die Bundesregierung zu der Frage hat, ob
sammenhang mit dem Schengener Abkommen öffent- unter den Bootsflüchtlingen Bürgerkriegsflüchtlinge
lich darüber gesprochen hat, Grenzkontrollen einzufüh- sind oder ob es sich um andere Flüchtlinge handelt. Das
ren. Dadurch zwingt sich regelrecht der Eindruck auf, ist für die Frage der rechtlichen Einordnung von Bedeu-
dass sich der Minister von der einen oder anderen Über- tung. Welche konkreten Informationen liegen Ihnen vor?
legung, die im Schengener Abkommen formuliert ist,
distanziert hat. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Zur konkreten Frage. Sie sprachen von Grenzkontrol- Bundesminister des Innern:
len nur als Ultima Ratio, einen Halbsatz später hieß es Zunächst einmal: Die große Mehrheit der Flüchtlinge,
aber, dass Grenzkontrollen nicht dauerhaft eingesetzt die in Italien ankommt, stammt aus Tunesien, wo man
werden sollen. Deswegen würde uns in diesem Zusam- gerade erst eine diktatorische Herrschaft abgeschüttelt
menhang interessieren, inwieweit die Bundesregierung und den Status der Freiheit erreicht hat. Von den unge-
zum einen derartige Grenzkontrollen erwogen hat und fähr 23 000 Flüchtlingen, die nach Italien gekommen
ob sie uns zum anderen jetzt endlich einmal sagen kann, sind, haben 10 Prozent einen Asylantrag gestellt. Das
wie sie sich im Zusammenhang mit den Flüchtlingen legt die Vermutung nahe, dass für das Gros der Flücht-
überhaupt verhalten will. linge – ich spreche jetzt wohlgemerkt nur von den
Flüchtlingen aus Tunesien – andere als asylsuchende
Gründe für die Übersiedlung nach Italien entscheidend
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim waren.
Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, zunächst einmal: Für vertiefende Aus-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
künfte empfehle ich das Gespräch mit Ihren Kolleginnen
und Kollegen aus dem Innenausschuss. Der Innenminis- Herr Kollege Montag.
ter hat erst vor einer Stunde im Innenausschuss hierzu
Rede und Antwort gestanden. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär Bergner, Sie haben davon gespro-
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen, dass die Bundesregierung bzw. das Bundesinnen-
NEN]: Wir sind hier im Parlament!) ministerium grundsätzlich nicht an eine Grenzüberwa-
chung im Schengen-Raum an den deutschen Grenzen
(B) Ich denke, jeder, der ihn gehört hat, weiß, dass er gegen- denkt. Auf die zweite Frage haben Sie geantwortet: (D)
wärtig nicht von der Einführung von Grenzkontrollen
ausgeht. „Konkret“ und „unmittelbar“ wird daran nicht gedacht.
Ihre Wortwahl verleitet uns zu der Überlegung, dass
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- doch irgend etwas zwischen „grundsätzlich nicht“ und
NEN]: Niemand hat die Absicht …!) „unmittelbar jetzt nicht“ im Schwange sein könnte.
Gleichwohl bestand im Innenausschuss Einigkeit da- Deswegen stelle ich eine ganz konkrete Frage mit der
rüber – und ich hatte den Eindruck, fraktionsübergrei- Bitte um eine möglichst klare und konkrete Antwort:
fend –, dass das Verhalten der italienischen Regierung in Gibt es für den Fall, dass die italienische Regierung das
dieser Frage nicht akzeptabel ist und dass es geeigneter wahrmacht, was Sie angedeutet haben, und mit der Aus-
Instrumente braucht, darauf hinzuweisen. stellung von Ausweisen beginnt, die zur Ausreise und
freien Bewegung im Schengen-Raum berechtigen – Sie
Man kann seinen Verpflichtungen gegenüber Flücht-
haben das kritisiert; wir kritisieren das auch –, in Ihrem
lingen nicht dadurch gerecht werden, dass man ihnen
Ministerium Pläne zur Durchführung von Kontrollen an
plötzlich Aufenthaltstitel gibt und die Weiterreise inner-
deutschen Grenzen, quasi als Notfallmaßnahme?
halb des Schengen-Raums empfiehlt. Das ist unange-
messen und entspricht nicht den Loyalitätsverpflichtun-
gen innerhalb der Europäischen Union. Die eine oder Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
andere Äußerung, die als Reaktion darauf in der Öffent- Bundesminister des Innern:
lichkeit festzustellen ist, deute ich in dieser Hinsicht. Es Die mit der Grenzsicherung beauftragte Bundespoli-
gibt aber keine ernsthafte Absichtsbezeichnung des Bun- zei muss prinzipiell auch Lagen einkalkulieren, in denen
desinnenministers, unmittelbar jetzt Grenzkontrollen im aus unterschiedlichsten Anlässen im Rahmen des nach
Schengen-Raum einzuführen. dem Schengener Durchführungsübereinkommen Mögli-
chen Grenzkontrollen durchgeführt werden müssen. Ich
will in diesem Zusammenhang einmal einen anderen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Fall als die Flüchtlingsproblematik nennen: Sie wissen,
Jetzt bitte der Kollege Schick. dass wir bei der Fußballweltmeisterschaft – das ist kon-
kret – an der Grenze zu Nachbarstaaten Kontrollen
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durchgeführt haben, um unter anderem bezogen auf
NEN): Hooligans Prüfungen zu ermöglichen. Diese Kontrollen
Ich würde gern auf Ihre Antwort auf die Frage des fanden im Einklang mit den Schengen-Regelungen statt.
Kollegen Fischer zurückkommen, auch wenn die Frage, In diesem Sinne muss man darauf eingestellt sein, in be-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11893
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
(A) stimmten Situationen solche Regelungen vornehmen zu sprache zu diesem Thema findet nach der Fragestunde (C)
müssen. statt.
Ich sage aber noch einmal: Das Schengener Überein- Ich rufe jetzt die dringliche Frage 6 des Abgeordneten
kommen setzt einen engen Rahmen, und wir haben nicht Kilic auf:
die Absicht – ich sprach von der Ultima Ratio –, diesen Beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund
Rahmen in irgendeiner Weise zu verletzen. Wir haben der erfolgten Aufnahme von 100 anerkannten Flüchtlingen
nicht die Absicht, uns in irgendeiner Weise nicht kon- aus Malta (siehe Pressemitteilung des Bundesministeriums
form zum Schengener Übereinkommen zu verhalten. des Innern vom 8. April 2011) die weitere Übernahme von in
Malta ankommenden Flüchtlingen, und ist sie dazu bereit, die
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rückschiebungen von Asylsuchenden nach Malta im Rahmen
des Dublin-II-Verfahrens auszusetzen?
NEN]: Das war nicht sehr konkret! Danke-
schön!) Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte.
(A) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
Bundesminister des Innern: desminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Kollege Kilic, ich kann Ihnen die Zahl nennen, Verehrte Frau Kollegin Wicklein, mehr als 3,7 Millio-
die in meiner Antwort steht. In den vergangenen nen kleine und mittlere Unternehmen sind der Motor für
15 Monaten handelte es sich um 13 Personen. Ich bin Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Das ha-
gern bereit, Ihnen, wenn Sie die Jahre 2007, 2008 und ben wir insbesondere am Ausgang der Krise gesehen.
2009 in den Blick nehmen wollen, schriftlich eine Aus- Deshalb verfolgt die Bundesregierung eine Wirtschafts-
kunft darüber zu geben. politik, die sich für die Belange des deutschen Mittel-
stands einsetzt. Hierzu hat das Bundesministerium für
Ich sage noch einmal: Zur solidarischen Lösung des
Wirtschaft und Technologie im Januar 2010, also kurz
Problems in Malta muss man, glaube ich, zwei Instru-
nach dem Regierungswechsel, in dem von Ihnen ge-
mente betrachten. Das eine ist der Selbsteintritt, den wir
nannten „Neun-Punkte-Plan für den Mittelstand“ erste
mit der Übernahme der 100 Personen ausüben, das an-
konkrete Vorschläge vorgelegt.
dere ist die Dublin-Verordnung, die ein prinzipielles Ver-
fahren zur Aufnahme von Asylsuchenden vorsieht und Lassen Sie mich beispielhaft auf zwei Ergebnisse des
nach Auffassung der Bundesregierung keinen Vertei- Neun-Punkte-Plans eingehen. Um die Innovationsfähig-
lungsmechanismus für Asylsuchende innerhalb der keit des Mittelstands zu fördern, hat die Bundesregie-
Europäischen Union vorsieht. Aus diesem Grunde kann rung das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand,
ich auf Ihre Nachfrage – ich glaube, dass meine Antwort besser bekannt unter ZIM, trotz Sparzwängen und
gerade deutlich genug war – nur noch einmal antworten, Schuldenbremse fortgeführt und auf hohem Niveau sta-
dass wir im Rahmen des Selbsteintritts 100 Personen bilisiert. Es umfasst in diesem Jahr ein Gesamtvolumen
aufnehmen und dass wir die Dublin-Regelung nicht aus- von 389 Millionen Euro. Das Bundeswirtschaftsministe-
setzen wollen. Dazu sehen wir jedenfalls gegenwärtig rium hat im vergangenen Jahr Innovationsgutscheine
keinen Anlass. eingeführt, um in kleinen Unternehmen Anreize zur ver-
stärkten Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu set-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zen.
Herr Kilic, Sie haben noch eine weitere Nachfrage? – Anfang Februar 2011 hat Bundeswirtschaftsminister
Bitte sehr. Rainer Brüderle die neue Mittelstandsinitiative unter
dem Titel „Auf den Mittelstand setzen: Verantwortung
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stärken – Freiräume erweitern“ auf den Weg gebracht.
Ich habe eine weitere Nachfrage, Herr Staatssekretär. Diese Mittelstandsinitiative stellt den Status quo und
(B) Haben sich andere Mitgliedstaaten der EU bereit erklärt, weitere konkrete Ergebnisse des Neun-Punkte-Plans um- (D)
Flüchtlinge aus Malta aufzunehmen? Wenn ja, welche fassend dar und identifiziert sieben zentrale Themenfel-
Staaten und welche Anzahl? der für die deutsche Mittelstandspolitik der kommenden
Jahre. Das ist sicherlich das, was Sie als Sieben-Punkte-
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Plan bezeichnen.
Bundesminister des Innern: Zur Sicherung des Fachkräftebedarfs der deutschen
Ich habe in meinen Unterlagen keine Angaben über Wirtschaft wurde bereits der Nationale Pakt für Ausbil-
die Aufnahmebereitschaft anderer Staaten. Auch das dung und Fachkräftenachwuchs 2010 bis 2014 unter-
müsste ich Ihnen schriftlich nachliefern. zeichnet. Mit dem neuen Ausbildungspakt, dessen Aufga-
benstellung gegenüber dem früheren sehr stark verändert
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): worden ist, sollen vermehrt leistungsstarke Schulabgän-
Danke. ger für eine betriebliche Berufsausbildung gewonnen
werden. Zudem werden verstärkt auch solche Jugendli-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: che in den Blick genommen, die bisher Schwierigkeiten
Nach den dringlichen Fragen rufe ich jetzt die Fragen beim Übergang in eine Ausbildung hatten. Die Mittel-
auf Drucksache 17/5421 in der üblichen Reihenfolge standsinitiative des BMWi wurde, wie Sie nachrechnen
auf. können, vor zehn Wochen veröffentlicht. Deshalb ist es
zum heutigen Zeitpunkt sicher noch zu früh, ganz kon-
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des krete Ergebnisse zu benennen.
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sekretär Ernst Burgbacher bereit.
Frau Wicklein, Sie haben eine Nachfrage. – Bitte
Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Garrelt Duin werden schön.
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Wicklein: Andrea Wicklein (SPD):
Welche konkreten Ergebnisse haben der „Neun-Punkte- Herr Staatssekretär, ganz herzlichen Dank für die Be-
Plan für den Mittelstand“ sowie die Initiative für den Mittel- antwortung meiner Frage. – Ich möchte Sie noch um
stand „Auf den Mittelstand setzen: Verantwortung stärken – eine Stellungnahme zu der im Koalitionsvertrag ange-
Freiräume erweitern“ gebracht?
kündigten steuerlichen Forschungsförderung bitten, die
Bitte schön. gerade für die kleinen und mittelständischen Unterneh-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11895
Andrea Wicklein
(A) men sehr wichtig ist. Bis jetzt ist eine Umsetzung ausge- Forscherteams in den Lebenswissenschaften und hat dort (C)
blieben, und es gibt verschiedene Aussagen von Mit- seit 2005 bereits 28 Gründerteams gefördert.
gliedern der Regierungsfraktionen, die sich gegenseitig
widersprechen. Die Forschungspolitiker sagen, dass sie Zweitens. Der High-Tech-Gründerfonds investiert Ri-
an diesem Vorhaben festhalten; andere sagen, dass es sikokapital in neu gegründete deutsche Technologie-
sich dabei um Subventionen handelt, die man abbauen unternehmen. Seit seiner Auflage im Jahre 2005 hat der
will. Mich würde interessieren, wie die Haltung der Bun- High-Tech-Gründerfonds bereits 220 Technologiegrün-
desregierung zu diesem aus meiner Sicht sehr wichtigen dungen finanziert. 2 000 zukunftsfähige Arbeitsplätze
Instrument ist. sind entstanden. Die Bundesregierung bereitet einen An-
schlussfonds vor, der im Sommer 2011 an den Start ge-
hen soll und wiederum unter deutlicher Beteiligung der
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun- privaten Wirtschaft aufgelegt werden wird.
desminister für Wirtschaft und Technologie:
Frau Kollegin Wicklein, eine ganz klare Aussage: Wir Gerade wachstumsstarke Gründungen sind auch über
haben zu diesem Thema im Koalitionsvertrag eine Ver- die Gründungsphase hinaus auf ein ausreichendes Finan-
einbarung getroffen. Die Bundesregierung hat deutlich zierungsangebot angewiesen. Deshalb mobilisiert das
gemacht: Oberste Priorität hat die Haushaltskonsolidie- Wirtschaftsministerium mit seiner Förderarchitektur für
rung. Sie alle kennen die angespannte Finanzlage und Wagniskapital in diesem Bereich erhebliches privates
die Sondertatbestände, die so nicht zu kalkulieren waren. Kapital, etwa mit dem ERP-Startfonds und dem ERP/
Deshalb haben wir klar festgelegt: Oberste Priorität hat EIF-Dachfonds. Darüber hinaus setzt sich die Bundes-
die Haushaltskonsolidierung. Wenn sich im Rahmen der regierung dafür ein, die Rahmenbedingungen für Ven-
Haushaltskonsolidierung Freiräume ergeben, dann wer- ture Capital und Business Angels zu verbessern und in-
den andere Themen wie die steuerliche Entlastung und ternational wettbewerbsfähig zu gestalten.
die steuerliche Forschungsförderung wieder auf den Plan
kommen. Im Augenblick aber hat die Haushaltskonsoli- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
dierung, wie gesagt, Vorrang, weil unsere Zukunftsfähig- Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
keit insgesamt dadurch am ehesten garantiert werden desministeriums für Arbeit und Soziales.
kann.
Hier werden die Fragen 5 und 6 der Kollegin Anette
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kramme schriftlich beantwortet.
Sie haben keine weitere Nachfrage zu dieser Frage. Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin Dittrich:
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Wicklein auf: Wo genau beantragen die Empfänger von Arbeitslosen-
(B) geld II bis Ende April 2011 Leistungen aus dem sogenannten
(D)
Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregie-
rung die innovativen Gründungen in Deutschland unterstüt- Bildungspaket für Kinder rückwirkend zum Jahresanfang,
zen? und welche Behörde ist zuständig – die Jobcenter, die Sozial-
ämter, die Familienkasse oder die Jugendämter?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fuchtel steht
zur Beantwortung bereit.
Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie:
Frau Kollegin Wicklein, mit der Initiative „Gründer- Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der
land Deutschland“ des Bundesministeriums für Wirt- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
schaft und Technologie setzt sich die Bundesregierung Verehrte Frau Kollegin, es gibt drei verschiedene Ka-
dafür ein, dass mehr Menschen in Deutschland den tegorien von Betroffenen: Das sind zum Ersten Betrof-
Schritt in die Selbstständigkeit wagen und die Grün- fene nach dem Sozialgesetzbuch II, zum Zweiten Betrof-
dungskultur in Deutschland gestärkt wird. Im Rahmen fene nach dem Sozialgesetzbuch XII und zum Dritten
dieser Initiative kommt innovativen Gründungen eine Betroffene nach dem Bundeskindergeldgesetz.
besondere Bedeutung zu. Die Maßnahmen der Bundes- Die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende
regierung zur Unterstützung innovativer Gründungen nach dem Sozialgesetzbuch II wird von den Jobcentern
konzentrieren sich auf einen erleichterten Zugang dieser durchgeführt. Die Leistungen – auch die rückwirkend zu
Unternehmen zu Finanzierungen. erbringenden – aus dem Bildungspaket nach SGB II sind
Ich möchte zwei Bereiche ansprechen. im Jobcenter zu beantragen. Ob und in welchem Umfang
und unter welchen Voraussetzungen eine Übertragung
Erstens. Das Programm „Existenzgründungen aus der der Aufgabenwahrnehmung auf eine andere Stelle – zum
Wissenschaft“, abgekürzt EXIST, hat zum Ziel, das Beispiel kommunale Träger – rechtlich zulässig ist, wird
Gründungsklima und den Gründungsprozess an Hoch- das BMAS unter Beteiligung der Länder klären und prü-
schulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland zu fen.
verbessern. Mit den entsprechenden Teilmaßnahmen zur
Unterstützung von Ausgründungen mobilisiert das BMWi Zur zweiten Kategorie: Leistungsberechtigte nach
im Jahr gut 200 Ausgründungsprojekte mit einem Volu- SGB XII, die Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, sowie
men von gut 20 Millionen Euro pro Jahr. Ergänzend diejenigen, die Grundsicherung im Alter sowie Sozial-
richtet sich die Maßnahme „GO-Bio“ des Bundesminis- hilfe wegen Erwerbsminderung bekommen, erhalten die
teriums für Bildung und Forschung an gründungsbereite Leistungen aus dem Bildungspaket von den örtlichen
11896 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gemeinsamen Rahmen zur Verfügung, in dem die Mittel (C)
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Das alles hört sich angefordert und verwendet werden können. Ich weise
leider sehr vage an. Alles wird auf die nächste Förder- aber auch darauf hin, dass die Mittel, die im Rahmen der
periode der EU geschoben. Was den zweiten Teil der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
laufenden Förderperiode betrifft, scheint es keine Re- und des Küstenschutzes“ zur Verfügung gestellt werden,
aktion zu geben. Wir beobachten nicht nur, dass sich vorzugsweise im ländlichen Raum Verwendung finden.
strukturschwache ländliche Räume entleeren, sondern Dazu gehören Mittel für Dorfentwicklungsprogramme.
auch, dass sich der Bevölkerungsanteil der älteren, der Auch Investitionen im Agrarbereich dienen der Beschäf-
ärmeren und der bildungsfernen Menschen erhöht. tigungssicherung im ländlichen Raum.
Hinzu kommt, dass der Anteil der Kranken steigt. Es ist
eine Abwehrpolitik nötig, um das Auseinanderdriften Vizepräsident Eduard Oswald:
der Lebensverhältnisse in diesen Regionen zu verhin-
Sie sind zufrieden, Frau Kollegin? – Gut.
dern. Eine Anpassungspolitik genügt nicht. Deswegen
frage ich Sie: Wie sind denn die Empfehlungen der inter- Die Fragen 16 und 17 des Abg. Dr. Wilhelm
ministeriellen Arbeitsgruppe zur ländlichen Entwicklung Priesmeier werden schriftlich beantwortet. Damit ist der
aus der letzten Legislaturperiode dazu von den Ländern Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernäh-
aufgenommen worden? Sind sie schon in den Förderka- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erledigt.
non der GAK eingebaut worden?
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Christian Schmidt zur Verfügung.
cherschutz:
Sehr verehrte Frau Kollegin Behm, insbesondere Die Frage 18 der Frau Kollegin Ulrike Höfken wird
Finanzierungsinstrumente wie Regionalbudgets oder re- schriftlich beantwortet.
volvierende Fonds können eine ergänzende Möglichkeit
für Landkreise oder Kommunen sein, öffentliche Mittel Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Paul Schäfer auf:
für eine nachhaltige und zielgerichtete regionale Ent- Was war die Ursache für den Absturz des US-amerikani-
wicklung einzusetzen. Sie können dazu beitragen, das schen Kampfflugzeuges vom Typ A-10 Thunderbolt am
1. April 2011 in der Nähe von Laufeld?
finanzielle Engagement auch von Unternehmen, Stiftun-
gen oder Verbänden zu steigern. Über die Anwendung Bitte schön, Herr Kollege Schmidt.
dieser Instrumente entscheiden natürlich die Länder. Ich
(B) weise darauf hin, dass dies ein Prozess ist, der gemein- Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- (D)
sam mit den Ländern und Kommunen in Gang gesetzt
desminister der Verteidigung:
werden muss. Die Beachtung des Grundsatzes „Innen-
entwicklung vor Außenentwicklung“ und die Schaffung Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Schäfer,
einer wirtschaftlichen Existenz für die Bürger in den ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die zuständige
ländlichen Räumen sind die entscheidenden Vorausset- Dienststelle für die Untersuchung von Unfällen mit mili-
zungen dafür, um die Menschen vor Ort zu halten. tärischen Luftfahrzeugen in Deutschland – das ist der
General Flugsicherheit der Bundeswehr – steht bezüg-
lich dieses Flugunfalls in engem Kontakt mit der US Air
Vizepräsident Eduard Oswald: Force und ist mit einem Experten an der US-Untersu-
Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin Behm. chung des Flugunfalls beteiligt. Die Unfalluntersuchung
wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Zurzeit lie-
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen zur Unfallursache und zum Unfallhergang noch
Da haben Sie meines Erachtens ganz recht, aber das keine belastbaren Erkenntnisse vor.
Instrument wird bisher unzureichend eingesetzt. Es gibt
schon die Möglichkeit, Regionalbudgets einzusetzen. Vizepräsident Eduard Oswald:
Wir hatten unlängst in der Fraktion dazu ein Fachge- Sie haben eine Nachfrage, Herr Kollege Schäfer?
spräch. Es hat sich gezeigt, dass das relativ wenig ge-
nutzt wird. Deswegen eine weitere Frage zu Ihren Ge-
sprächen mit den Ländern: Wie verliefen diese in Bezug Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
auf die Frage, wie man den Regionen im Rahmen der Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
GAK mehr Entscheidungskompetenz und vor allen Din- lieber Kollege Schmidt, in der Presse war von einem
gen mehr Finanzhoheit übertragen kann? Trainingsflug zu lesen. Das muss ja nicht stimmen. Flug-
zeuge vom Typ A-10 werden gegenwärtig auch aktiv
Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
eingesetzt. Hat die Bundesregierung bereits Erkennt-
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- nisse über Sinn und Zweck des Fluges, die Hinweise auf
cherschutz: die Absturzursache geben könnten?
Frau Kollegin Behm, Sie wissen, dass die Verteilung
der GAK-Mittel an die entsprechenden Interessenten Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
über die Länder erfolgt. Dort ist auch die Gestaltung der desminister der Verteidigung:
Programme vorzunehmen. Wir stellen lediglich einen Solche Hinweise habe ich nicht.
11900 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: der amerikanischen Luftwaffe das Recht eingeräumt, als (C)
Nachfrage, Herr Kollege? Eigentümer des Luftfahrzeugs die Unfallursache zu er-
mitteln. Es ist eine grundsätzliche Regelung, dass das
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Herkunftsland des Flugzeugs innerhalb der NATO die
Eine Nachfrage: Ist diese Maschine nach Ihrem jetzi- Federführung bei der Ermittlung der Unfallursache hat.
gen Erkenntnisstand auf einer genehmigten Flugroute Innerhalb der Bundesregierung gibt es eine Ressort-
unterwegs gewesen, oder etwa nicht? vereinbarung zwischen dem Bundesminister der Vertei-
digung und dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- Stadtentwicklung. Danach ist der Bundesminister der
desminister der Verteidigung: Verteidigung für die Untersuchung aller Flugunfälle mit
Herr Kollege Schäfer, ich muss Sie bezüglich dieser militärischen Luftfahrzeugen in Deutschland zuständig;
Frage, die – mittelbar oder unmittelbar – für die Unfall- hierum handelt es sich ja unstreitig. Die Untersuchungs-
ursache relevant sein kann, darauf verweisen, dass ich kompetenz wiederum wird in der Bundeswehr vom Ge-
Ihnen noch keine gefestigten Informationen vortragen neral Flugsicherheit ausgeübt. Der General Flugsicher-
kann. Ich möchte auch darauf verzichten, in halbspeku- heit steht im Augenblick im engen Kontakt mit den
lativer Art und Weise zu berichten oder zu räsonieren. amerikanischen Luftstreitkräften und ist mit einem Ex-
Ich bitte darum, dass wir dann, wenn der Bericht vor- perten an der Flugunfalluntersuchung beteiligt.
liegt, die entsprechende Information nachreichen dürfen,
soweit das nicht sowieso Gegenstand von Berichterstat- Die Erhebung und die Beseitigung von durch das ver-
tungen im Bundestag sein wird. unglückte Luftfahrzeug verursachten Schäden, wonach
Sie ebenfalls gefragt haben, fallen in die Zuständigkeit
der Landesbehörden. Deswegen liegen der Bundesregie-
Vizepräsident Eduard Oswald: rung keine Informationen über Höhe und Ausmaß der
Es gibt eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Schäden vor. Wenn ich recht informiert bin, ist die zu-
Kollegin Höger. ständige Kreisverwaltungsbehörde aus Rheinland-Pfalz
in diesem Bereich tätig.
Inge Höger (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär Schmidt, können Sie ausschlie- Vizepräsident Eduard Oswald:
ßen, dass dieses Flugzeug im Rahmen des NATO-Ein-
satzes in Libyen unterwegs war? Zusatzfrage, Herr Kollege Schäfer.
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
(B) (D)
desminister der Verteidigung: Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese Informa-
Frau Kollegin, ich liebe Fragen, die mit „Können Sie tion. – Sie scheint sich damit zu decken, dass unmittel-
ausschließen, dass …“ beginnen. Wir haben keinerlei bar am Unfallort nur amerikanische Experten die Unter-
Erkenntnisse dazu. Sie wissen, dass Flugzeuge des Typs suchung durchgeführt haben. Sie sagen, der General
A-10 Thunderbolt – das referiere ich jetzt aus meiner ei- Flugsicherheit sei beteiligt; ein Experte sei irgendwie da-
genen Kenntnis – sehr niedrig fliegende Erdkampfflug- bei. Das wirft für mich die Frage auf: Wie gewährleistet
zeuge sind, die vulgär mit dem Namen „Warzen- die Bundesregierung, dass sie alle nötigen Informationen
schwein“ belegt werden und für Langstreckenflüge, über Sicherheitsrisiken und Gesundheitsrisiken, die
soweit mir das bekannt ist, nicht geeignet sind. Aber das eventuell durch den Unfall ausgelöst werden können, er-
ist mein persönlicher Informationsstand. hält? Schließlich hat sie eine gewisse Informations-
pflicht der Bevölkerung vor Ort gegenüber, die mit
Vizepräsident Eduard Oswald:
Sicherheit ziemlich beunruhigt ist: Gehen von dieser ab-
gestürzten Maschine eventuell Gefahren aus? Meine
Sie wollten noch eine Nachfrage stellen? – Das ist
Frage ist also: Sind Sie angesichts der Tatsache, dass das
nicht der Fall.
in der NATO so geregelt ist, dass in diesem Fall exklusi-
Dann ist rufe ich jetzt die Frage 20, ebenfalls vom ven Zutritt nur Vertreter der US-Behörden haben, so um-
Kollegen Paul Schäfer, auf: fassend informiert, dass Sie der Bevölkerung angemes-
In welcher Form ist die Bundesregierung bzw. sind Bun- sene Informationen weitergeben können?
desbehörden an der Untersuchung der Absturzursache und der
Beseitigung der verursachten Schäden beteiligt?
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Bitte, Herr Staatssekretär. desminister der Verteidigung:
Herr Kollege, vielen Dank für die Nachfrage. – Meine
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- Antwort darauf ist sehr ähnlich meinen Antworten auf
desminister der Verteidigung: die nachfolgenden Fragen der Kollegin Höger. Frage 21
Nach der NATO-STANAG 3531 – das sind standardi- bezieht sich darauf, ob sich an Bord des Kampfflugzeu-
sierte Vereinbarungen über alle technischen und organi- ges, das in der Eifel abgestürzt ist, gesundheits- oder um-
satorischen Vorgänge in der NATO – ist in Verbindung weltgefährdende Substanzen wie etwa Munition aus ab-
mit der ZDv – Zentrale Dienstvorschrift – 19/6 der Bun- gereichertem Uran, Hydrazin oder der NATO-Treibstoff
deswehr – diese betrifft die Behandlung von Unfällen JP-8 befanden und worauf sich die diesbezüglichen Er-
und Zwischenfällen mit militärischen Luftfahrzeugen – kenntnisse der Bundesregierung stützen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11901
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
(A) Wir haben die Auskunft der zuständigen Dienststelle creto beantwortet, habe allerdings einiges vorbereitet, (C)
der US-Luftstreitkräfte – das ist in diesem Fall der 52nd Frau Kollegin Höger, um die Frage 21 zu beantworten.
Fighter Wing in Spangdahlem – erhalten. Wir hatten Vielleicht ergibt sich das eine oder andere aus der kon-
Kontakt mit einem Ingenieur der Umweltabteilung des kreten Beantwortung dieser Frage.
52. US-Jagdgeschwaders. Von den Proben, die entnom-
men worden sind, ist uns berichtet worden. Das Bepro- Vizepräsident Eduard Oswald:
ben der kontaminationsverdächtigen Flächen fällt nicht Genau so werden wir es machen.
mehr in die Zuständigkeit der US-Streitkräfte; das ist
vielmehr Landesangelegenheit. Jetzt kommen wir zu der Frage 21 der Frau Kollegin
Inge Höger:
Ich darf darauf hinweisen, dass die Absicherung der
Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich an
Absturzstelle nicht Angelegenheit der amerikanischen Bord des US-Kampfflugzeuges vom Typ A-10, das in der Ei-
Streitkräfte, sondern der deutschen Seite ist. Diese Absi- fel bei Laufeld am Freitag, dem 1. April 2011, abstürzte, ge-
cherung ist vorgenommen worden. Der Zugang zur Un- sundheits- oder umweltgefährdende Substanzen wie etwa Mu-
fallstelle ist ausschließlich mit deutschen Absicherungs- nition aus abgereichertem Uran – DU-Munition –, Hydrazin
oder der NATO-Treibstoff JP-8 befanden, und worauf stützen
kräften geregelt worden. Wir haben bisher keinerlei sich die diesbezüglichen Erkenntnisse der Bundesregierung?
Veranlassung, an der vertrauensvollen Zusammenarbeit
bei der Aufklärung der Umstände des Unfalls zu zwei- Bitte schön, Herr Staatssekretär.
feln.
Die Auskunft wird erteilt. Wenn die Proben entspre- Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
chend ausfallen, können erforderliche Leistungen, wie desminister der Verteidigung:
etwa die Dekontaminierung, durch die Landesbehörden Die amerikanischen Luftstreitkräfte haben im Rah-
selbst erbracht werden. Gegebenenfalls können Gegen- men der Zusammenarbeit mitgeteilt, dass keine Muni-
proben entnommen werden. Bisher haben wir da keine tion mit abgereichertem Uran, sogenanntes Depleted
Diskrepanzen, von denen ich Ihnen berichten kann. Uranium, an Bord des verunfallten Luftfahrzeugs war. In
diesem Luftfahrzeug wurde der angesprochene Treib-
stoff Hydrazin nicht verwendet.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Herr Schäfer, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? Es wurden Boden- und Luftproben genommen, die
Kontaminationen zeigen sollten, die durch den Treib-
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): stoff JP-8, der in dem Flugzeug Verwendung fand, verur-
sacht sein könnten. Alle Ergebnisse haben sich laut den
Ja, ich möchte eine Zusatzfrage stellen.
(B) uns übermittelten Informationen innerhalb der diesbe- (D)
züglichen Normen befunden.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Bitte schön. Eine zusätzliche Beprobung der Absturzstelle durch
die Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich erfolgte in zeit-
licher Absprache mit den US-Dienststellen vor Ort. Aber
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
ich muss auch hierzu sagen: Das kann ich im Detail erst
Wir werden die Materie ja gleich weiter vertiefen dann nachliefern, wenn wir Rücksprache mit dem Land
können. Rheinland-Pfalz genommen haben. Wir haben gegen-
Mir ist bekannt, dass deutsche Behörden an der Absi- wärtig noch keine Erkenntnisse darüber, was diese Be-
cherung der Unfallstelle beteiligt waren. Ich verstehe, probung ergeben hat.
weshalb der Zugang zu dem US-Flugzeug sehr exklusiv
ist. Meine Frage ist – Sie haben das Thema Kontamina- Vizepräsident Eduard Oswald:
tion angesprochen –, ob ein deutscher Experte direkt an Nachfrage, Frau Kollegin Inge Höger.
der Unfallstelle Ermittlungen aufnehmen konnte, ja oder
nein.
Inge Höger (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- Schmidt, der Treibstoff JP-8 ist hochgiftig. Es kann si-
desminister der Verteidigung: cherlich nicht ausgeschlossen werden, dass davon etwas
Die Untersuchung kann von den Landesbehörden in den Boden gelangt ist. Soweit ich gehört habe, waren
vorgenommen werden. Es entzieht sich meiner Kennt- die am Aufräumen beteiligten Feuerwehrleute sowie
nis, in welchem zeitlichen und inhaltlichen Rahmen das Polizei und Militär, also das Personal der Landesbehör-
de facto in diesem konkreten Fall stattgefunden hat. den – Sie sagten eben, die seien für die Räumung zustän-
Auch dieses müsste ich nachliefern, wobei ich darauf dig –, nicht mit entsprechender Schutzkleidung ausge-
hinweisen möchte, dass wir, da es eine Landesangele- stattet. Wie beurteilen Sie das? Wie wollen Sie in
genheit ist, einer entsprechenden Information durch das Zukunft für die Sicherheit dieser Menschen sorgen?
Land Rheinland-Pfalz bzw. der zuständigen Behörden
dort bedürfen.
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Wenn ich noch etwas ergänzen darf, Herr Präsident: desminister der Verteidigung:
Ich habe die Frage, die Herr Kollege Schäfer gestellt hat, Frau Kollegin Höger, ich kann Ihnen auf diese Frage
nämlich wer denn eigentlich Zugang hat, nicht in in con- aus meiner Zuständigkeit heraus keine Antwort geben.
11902 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: den sich möglicherweise noch an die Diskussion erin- (C)
Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte schön, Frau nern.
Kollegin Höger. Ich will noch auf eines hinweisen: Wir alle sollten uns
nicht an Spekulationen, sondern an Fakten orientieren.
Inge Höger (DIE LINKE): Wir sollten uns auch verpflichtet fühlen, die Ergebnisse
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Schmidt, Sie sa- der Beprobung durch die zuständigen Behörden des Lan-
gen, es bestehe keine Pflicht der US-amerikanischen des Rheinland-Pfalz abzuwarten. Diese Ergebnisse kön-
Streitkräfte, die Bundesregierung darüber zu informie- nen wir dann mit amerikanischen Informationen verglei-
ren, ob DU-Munition auf deutschem Boden vorhanden chen, bei denen wir grundsätzlich davon ausgehen, dass
ist oder in Flugzeugen, die hier fliegen, mitgeführt wird. sie glaubwürdig sind. Wir sollten also keine Schädigun-
Sie glauben, dass bei dem Übungsflug des abgestürzten gen grundlos herbeireden.
Flugzeuges keine DU-Munition an Bord war. Haben Sie
unabhängige Informationen, die belegen, dass das wirk- Vizepräsident Eduard Oswald:
lich der Fall war? Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir haben das Problem, dass in der Eifel in den letz- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
ten Jahren 50 amerikanische Flugzeuge abgestürzt sind. Ende der Fragestunde. Die Beantwortung der noch nicht
Die Bevölkerung ist aufgrund der Explosionen, die es erledigten Fragen erfolgt, wie nach unserer Geschäfts-
gegeben hat, sehr beunruhigt. Diese lassen nämlich da- ordnung vorgesehen.
rauf schließen, dass entsprechende Munition an Bord
war. Es gab in der Folgezeit auch eine Häufung von Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Krebserkrankungen, die ebenfalls darauf schließen lässt, Aktuelle Stunde
dass DU-Munition an Bord war. auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
zu den Antworten der Bundesregierung auf
desminister der Verteidigung:
die dringliche Frage 5 auf Drucksache 17/5468
Ich kann keinen Beitrag dazu leisten, Ihre Vermutun-
gen zu bekräftigen; denn solche Informationen liegen Es geht um die Aufnahme von vom UNHCR aner-
nicht vor. Wir haben auch keine Veranlassung, an der kannten Flüchtlingen aus Libyen in Deutschland.
Solidität der Informationen hinsichtlich der Nichtnut- Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat unsere Kol-
zung von Übungsmunition mit DU seitens der amerika- legin Renate Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die
(B) nischen Streitkräfte zu zweifeln. Wenn es Zweifel gäbe, Grünen das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin Renate (D)
wäre diesen nachzugehen. Die Informationen hinsicht- Künast.
lich des Kampfflugzeugs vom Typ A-10 Thunderbolt,
das am 1. April abgestürzt ist, sind sehr plausibel gewe-
sen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sehen
es jeden Abend in den Fernsehbildern. Jeden Abend se-
Vizepräsident Eduard Oswald: hen wir, wie Boote in Lampedusa und Malta ankommen.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage, bitte schön. Wir hören von Rettungsmaßnahmen; wir sehen Er-
schöpfte an Land kommen. Wir hören aber auch von
Inge Höger (DIE LINKE): Rettungsmaßnahmen, die am Ende leider nicht erfolg-
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär reich waren. Und dann hören wir von einem EU-Innen-
Schmidt, für jeden Gefahrguttransporter gibt es mit ministertreffen, das eigentlich nichts anderes hervorge-
Blick auf mögliche Unfälle umfangreiche Vorschriften bracht hat als das erklärte und bewiesene Scheitern der
zur Sicherung und zum Schutz der Bevölkerung. Der EU-Flüchtlingspolitik.
Absturz dieses US-amerikanischen Flugzeugs bringt Anfang der 90er-Jahre hat Deutschland noch laut ge-
weitaus höhere Gefahren mit sich. Sie verlassen sich rufen und eine Lastenverteilung gefordert. Jetzt fällt
aber ausschließlich auf die Angaben der US-amerikani- Deutschland wirklich nichts anderes ein, als dass sich
schen Streitkräfte. Wie sieht es mit einer freiwilligen der Außenminister bei der Freiheitsbewegung in Kairo
Selbstkontrolle aus? Wie will man Schaden für Mensch einmal auf dem Tahrir-Platz feiern lässt, aber danach
und Umwelt zukünftig abwenden? gibt es nichts als ein Nein? Das Nein gegenüber Italien
meint: Nein, es wird nicht verteilt; ihr müsst mit den täg-
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- lich per Schiff ankommenden Flüchtlingen alleine fertig-
desminister der Verteidigung: werden. Meine Damen und Herren, das ist ein nicht ak-
Frau Kollegin, die gesundheitlichen Gefährdungen, zeptables Vorgehen dieser Regierung.
die aus einer Nutzung von bestimmten militärischen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kampfmitteln entstehen – diese Nutzung ist allerdings
nicht zu erwarten –, waren vor mehreren Jahren Gegen- Ich will durchaus zugeben: Man könnte, wenn man
stand einer intensiven Erörterung und gründlichen Nach- die Zahlen vergleicht, sagen: Italien könnte mit diesen
forschung. Damals ist bekräftigt worden, diese Munition 26 000 Flüchtlingen alleine zurechtkommen und das
auf deutschen Übungsplätzen nicht einzusetzen. Sie wer- Thema menschenwürdig bearbeiten. Ich sage Ihnen
11904 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Renate Künast
(A) aber: Wir alle wissen, dass es nicht bei 26 000 bleiben bereit; wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. (C)
wird. Wir haben eine Umbruchsituation im Norden Afri- Das ist der Satz, den ich von Ihnen erwarte.
kas. Vorher gab es einen fast unanständigen Deal zwi-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schen Berlusconi bzw. Italien und Gaddafi, den heute
und bei der SPD)
keiner mehr kennt und keiner getroffen haben will. Im
Jahr 2010 hatte Italien keine nennenswerten Asylbewer- Wir erwarten, dass es jetzt endlich Vorschläge gibt,
berzahlen, weil sich Berlusconi dies millionenschwer er- wie wir mit besonders Belasteten umgehen: Wie gehen
kauft hat. Das muss man kritisch gegenüber Berlusconi wir mit Frauen und kleinen Kindern um? Gibt es Ange-
anmerken. Es ist aber auch zu fragen: Was heißt eigent- bote für Kranke? – Wir fordern jetzt, wo die Welt in
lich für uns Flüchtlingspolitik in Europa: Abschottung, Nordafrika im Umbruch ist, dass es Kreativität gibt,
die man sehenden Auges hinnimmt? Wir müssen zu- nicht Abschottung. Das heißt: faire Verfahren für dieje-
geben, dass die EU ja auch überlegt hat, Geld zu geben, nigen, die tatsächlich Asylsuchende sind. Das heißt:
damit die Menschen da bleiben. Diese Art des Außen- Aufbauhilfe für Tunesien und Ägypten. Das heißt aber
grenzenschutzes, diese Abschottung, ist ein großer men- auch, endlich kreativ zu überlegen: Kann es in Europa so
schenrechtlicher Makel der Europäischen Union. Das etwas wie eine vorübergehende Anwesenheit für diese
Nein können wir nicht akzeptieren. Menschen geben, damit sie zum Beispiel in Deutschland
für einen gewissen Zeitraum Ausbildungs-, Arbeits- und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Qualifizierungsmöglichkeiten nutzen und nach ihrer
und bei der SPD) Rückkehr den Aufbau – wir haben versprochen, ihn zu
Sie haben ein C in Ihrem Parteinamen, Herr Bundes- unterstützen – mit mehr Kompetenz und einer besseren
innenminister Friedrich. Das soll die gesamteuropäische Qualifikation vorantreiben können?
Solidarität gewesen sein, das Nein im Chor mit den Lan- Meine Damen und Herren, wir wollen, dass den hu-
desinnenministern und am Ende, passend zu Ostern und manitären Worten endlich Taten folgen: nicht Abschot-
dem Reiseverkehr, nichts anderes als Abschottung und tung durch Frontex-Einsätze, sondern Rettung von
der fröhliche Hinweis: „Wir setzen Schengen außer Flüchtlingen, humanitäre Hilfe, gegebenenfalls Gewäh-
Kraft und machen Grenzkontrollen“? Ich wünsche gute rung eines vorübergehenden Bleiberechts, keine Rück-
Verrichtung, Herr Friedrich! schiebungen nach Italien. Es geht hier um wirklich exis-
Zur FDP kann man hier gar nichts sagen. Sie setzt tierende Menschen. Die Weise, wie wir jetzt mit ihnen
sich sowieso null durch, auch wenn sie hin und wieder umgehen, beeinflusst nicht nur deren Zukunft, sondern
den Versuch macht, etwas Humanes zu sagen. Alles, was unser aller gemeinsame Zukunft. Wir warten auf den hu-
diese Bundesregierung gesamteuropäisch und humanitär manitären Einsatz der Bundesregierung.
(B) zu bieten hat, ist sozusagen zur Kenntnis zu nehmen. (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wir lassen uns bei den Umwälzungen feiern, aber Tau- und bei der SPD)
sende von Menschen in ihren überfüllten Booten und in
den Lagern in Italien alleine. Ich sage Ihnen: Es ist nicht
Vizepräsident Eduard Oswald:
akzeptabel, sich über Demokratisierungsprozesse zu
Als Nächster hat Herr Bundesminister Dr. Hans-Peter
freuen, aber dann die Folgen nicht tragen zu wollen. Wir
Friedrich das Wort. Bitte schön, Herr Bundesminister.
verlangen Hilfsbereitschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
Ich erwarte das vornean auch von Frau Merkel, die hier nern:
gestanden und gesagt hat: Solidarität mit den Flücht- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
lingen aus Nordafrika. Sie hat es gesagt. Aber wo ist Herren! Sehr verehrte Frau Künast, natürlich bewegen
denn diese Solidarität? Wo sind die humanitären Unter- uns alle die Bilder, die man jeden Abend im Wohnzim-
stützungen? Ich sehe davon nichts. Allein damit, mer im Fernsehen sieht. Man erkennt: Diese Menschen
100 Flüchtlinge, die in Malta gestrandet sind, hier aufzu- sind in Not; sie wollen ein besseres Leben haben. Wir
nehmen, ist diesem Versprechen nicht Genüge getan; das alle verstehen das; wir wollen ihnen helfen. Aber die
ich keine Solidarität. Es geht auch um die Frage, ob man Antwort muss sein: Wir können ihnen nur dadurch hel-
weitere Menschen aus Malta aufnehmen wird. fen, dass wir Nordafrika stabilisieren, dass wir vor Ort,
in ihren Heimatländern, etwas für den Aufbau der Wirt-
Ich sage Ihnen: Bei 26 000 Flüchtlingen in Italien
schaft und der Demokratie tun. Das ist der Ansatz, den
wird es nicht bleiben. Es sind sicherlich viele Menschen
ich für dringend notwendig halte.
darunter, die sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den
Weg machen. Aber gehen wir einmal differenziert heran. Zuletzt kam es zur Ausreise von etwa 25 000 Perso-
Was ist mit den mehr als 3 000 Menschen, die aus Eri- nen in Richtung Europa; diese Zahl wurde vom UNHCR
trea, aus Äthiopien, aus Somalia und vielen anderen bestätigt. Davon sind etwa 22 000 bis 23 000 Personen
Ländern kommen und vorher schon in anderen Ländern, in Italien angekommen. Man schätzt, dass die Hälfte da-
zum Beispiel in Libyen, gestrandet waren? Wie gehen von schon in weitere Länder gereist ist. Das Interessante
wir mit diesen Menschen um? Wer humanitär vorgehen ist: Von den gut 22 000 Personen haben gerade einmal
will, muss an dieser Stelle sagen: Ja, wir sind zumindest 10 Prozent einen Asylantrag gestellt. Das heißt im Rück-
bei diesen Flüchtlingen zu einer europaweiten Verteilung schluss: Die anderen wissen möglicherweise von vorn-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11905
Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
(A) herein, dass sie einem Asylantragsverfahren gar nicht Wir werden selbstverständlich keine Kontrollen an den (C)
standhalten, sondern gleich zurückgeschoben würden. Grenzen einführen und somit das Schengen-Abkommen
Man kann also davon ausgehen, dass es sich überwie- nicht rückgängig machen. Das geht rechtlich auch gar
gend um Wirtschaftsflüchtlinge handelt. nicht; denn dazu müsste die Sicherheit Deutschlands ge-
fährdet sein. Aber wir müssen die Wachsamkeit verstär-
Natürlich ist es richtig, dass auch Wirtschaftsflücht- ken und beobachten, was jetzt in Italien passiert. Ich
linge arme Menschen sind, die sich ein besseres Leben
denke, das ist eine allzu normale und richtige Reaktion.
wünschen; das ist keine Frage. Man muss aber ganz klar
sagen: Wir können nicht alle Menschen, die irgendwo in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
der Welt in Not sind, aufnehmen; wir müssen doch ge- neten der FDP)
meinsam den Ansatz wählen, ihnen dort zu helfen, wo
Sie haben Malta angesprochen. Malta ist ein kleines
sie leben, also in ihren Ländern.
Land mit 400 000 Einwohnern. Schon jetzt leben dort
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – 1 000 Flüchtlinge. Ich habe mit meinem maltesischen
Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollegen letzte Woche telefoniert. Er hat mir gesagt: Wir
NEN]: Das eine schließt das andere doch nicht haben überwiegend Flüchtlinge aus Somalia, dem Sudan
aus!) und aus Eritrea. Zum Teil wurden Asylverfahren durch-
geführt, zum Teil noch nicht. – Er hat um Hilfe gebeten.
Italien hat am Montag im Rat gesagt: „Wir brauchen Ich habe in Absprache mit den Innenministern der Län-
eine Verteilung der Flüchtlinge“. Es gibt einen Ver- der zugesagt, dass wir 100 Flüchtlinge aufnehmen. Wir
teilungsmechanismus nach der sogenannten Massen- Deutschen waren die ersten, die eine solche Zusage ge-
fluchtrichtlinie. Nur ist die Massenfluchtrichtlinie zu ei- macht haben. Das ist für unsere Partnerländer in Europa
nem Zeitpunkt erlassen worden, als Hunderttausende ein Signal gewesen. Dieses Signal ist sowohl von der
von Flüchtlingen in Europa unterwegs waren. Wir reden Kommission als auch vom UNHCR positiv aufgenom-
jetzt von rund 22 000 Flüchtlingen. Es wäre das falsche men worden.
Signal, jetzt diese Richtlinie zu aktivieren und damit
deutlich zu machen: Ihr müsst nur irgendwie Europa er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
reichen; dann werdet ihr schon verteilt. – Das wäre im
Ich freue mich, dass das vorbildliche Verhalten Deutsch-
Übrigen eine Aufforderung an alle Schleuserorganisatio-
lands am Montag dazu geführt hat, dass Ungarn und die
nen, ganz schnell tätig zu werden und ihr Geschäft blü-
Slowakei spontan erklärt haben, dass auch sie Flücht-
hen zu lassen.
linge aufnehmen werden. Wir haben natürlich die Hoff-
Nein, Italien ist nicht überfordert. Ich will gar nicht nung, dass sich andere Staaten anschließen werden.
daran erinnern, dass wir 1992 in Deutschland
(B) Wichtig ist die humanitäre Hilfe. Sie findet statt. Es (D)
430 000 Flüchtlinge oder mehr hatten. Ich möchte an die
sind bereits 5 Millionen Euro für Soforthilfe in Libyen
Zahlen erinnern, die letztes Jahr im kleinen Land Bel-
bereitgestellt. Es gibt ein EU-Programm. Es geht im
gien erreicht wurden: In Belgien gab es im letzten Jahr
Übrigen nicht um die Finanzierung, sondern darum, ob
20 000 Asylbewerber. In Italien, einem wesentlich grö-
es vor Ort Strukturen gibt, mit denen wir zusammen-
ßeren Land, gab es nur 8 200 Asylbewerber. Das be-
arbeiten können, um die Länder aufzubauen und zu sta-
deutet, dass Belgien im Jahr 2010, umgerechnet auf die
bilisieren. Es geht darum, dass wir gemeinsam mit den
Einwohnerzahl, zehnmal so stark mit Asylbewerbern be-
Regierungen Perspektiven erarbeiten. Das ist Sinn und
lastet war wie Italien. Deswegen sagen wir – das habe ich
Zweck aller Verhandlungen, die die Europäische Union
auch meinem Kollegen aus Italien am Montag gesagt –:
jetzt führt.
Solidarität in Europa heißt auch, dass man seiner eige-
nen Verantwortung – in diesem Fall Italien – gerecht Auf Bitten der Italiener haben wir zugestanden – das
wird. Auch das gehört zur Solidarität. ist die Schlussfolgerung des Rates –, dass die Europäi-
sche Union mit Tunesien verhandeln wird, damit Fron-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
tex, die Grenzschutzagentur der Europäischen Union,
neten der FDP)
schon in den Gewässern Tunesiens dafür sorgen kann,
Die Italiener haben inzwischen eine Vereinbarung mit dass keine weiteren Wirtschaftsflüchtlinge das Risiko
Tunesien getroffen. Nach dieser Vereinbarung werden auf sich nehmen,
60 Personen pro Tag nach Tunesien zurückgebracht.
(Rüdiger Veit [SPD]: Und was ist mit den an-
Was die Italiener allerdings auch gemacht haben, was die
deren Flüchtlingen?)
Partner in Europa unter dem Stichwort Solidarität richtig
gegen sie aufgebracht hat, ist, Aufenthaltsgenehmigun- auf das Meer hinauszugehen und sich in Gefahr zu be-
gen zu erteilen, und zwar nicht, damit die Menschen in geben. Sie sollen sofort auf das tunesische Festland zu-
Italien bleiben, was eigentlich der Sinn von Aufenthalts- rückgebracht werden. Gleichzeitig soll das Europäische
genehmigungen wäre, sondern die ihnen nach Schengen- Unterstützungsbüro für Asylfragen in Tunesien und auch
Recht erlauben, in andere Länder zu gehen. Die Art und in anderen Ländern seine Arbeit aufnehmen, um Hilfe-
Weise, mit der Italien hier vorgegangen ist, ist für uns bedürftige vor Ort aufzunehmen und regionale Schutz-
nicht akzeptabel; denn man hat unzulässigerweise ver- programme umzusetzen. Ich glaube, dass das der rich-
sucht, Druck auf die europäischen Partner auszuüben. tige Weg ist.
Auch das ist kein Ausweis von Solidarität.
Ich sage es noch einmal: Selbstverständlich verhalten
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir uns als Europäer solidarisch und helfen den Kolle-
11906 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund Wer sieht, dass wir Hunderttausende von Menschen
[CDU/CSU]: Haben Sie das schon mal in durch Alphabetisierungskurse schleppen
Cottbus auf einer PDS-Versammlung vorgetra- (Patrick Döring [FDP]: Teure Alphabetisie-
gen?) rungskurse!)
Die Linke hat in diesem Haus schon vor langer Zeit – die Kosten belaufen sich auf 218 Millionen Euro im
ganz klare Forderungen vorgetragen – es ist von anderen Jahr –, und wer die Flüchtlinge aus Afrika sieht, die in
Kollegen bereits gesagt worden, dass sie insbesondere den Lagern dort warten und natürlich gerne zu uns kä-
von dieser Regierung ignoriert werden –: Wir wollen men, wenn man sie ließe, der weiß, dass wir uns auf
endlich ein solidarisches System der Aufnahme und Ver- diese Weise das nächste Massenproblem verschaffen
teilung der Flüchtlinge in der gesamten EU, und zwar würden. Wir reden in diesem Haus ununterbrochen da-
nach Wirtschaftseinkommen und Bevölkerungsgröße. von, was wir brauchen: hochqualifizierte Fachkräfte für
Da sieht es nämlich nicht so gut aus, Herr Innenminister; unsere Wirtschaft. Schauen Sie sich die Flüchtlinge doch
das habe ich Ihnen heute schon im Innenausschuss ge- einmal an! Es sind Analphabeten und ungelernte Hilfs-
sagt. Unter den ersten zehn Ländern wird man Deutsch- arbeiter.
land nicht finden.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
Kurz und knapp: Wir fordern offene Grenzen für GRÜNEN]: Ach! Haben Sie mit denen ge-
Menschen in Not. Das ist, glaube ich, das, was im Mo- sprochen? – Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE
ment angesagt ist. GRÜNEN]: Woher wissen Sie das? Haben Sie
Danke schön. da Überprüfungen vorgenommen?)
(Beifall bei der LINKEN) – Ich rede von den Flüchtlingen im Lager in Tripolis;
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Und woher
Vizepräsident Eduard Oswald: wissen Sie das?)
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster hat unser zu denen aus Tunesien komme ich später. – Ich rede von
Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die Fraktion der CDU/ den Flüchtlingen im Lager in Tripolis, die Frau Jelpke,
(B) CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege. Herr Veit, andere Kollegen und ich dort gesehen haben. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das sind genau die Menschen, denen wir in Deutschland
garantiert keine Arbeit verschaffen können.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Warum denn
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und nicht?)
Kollegen! Es ist richtig: Wir waren in Tripolis und haben Insofern hat ein alter Weltreisender – so möchte ich ihn
uns ein Flüchtlingslager angeschaut. Es ist richtig, dass bezeichnen – wie Peter Scholl-Latour recht,
autokratische Regierungen in der arabischen Welt be-
kämpft werden – sicher zu Recht bekämpft werden – und (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
vielleicht durch andere Regierungen, von denen wir NEN]: Oh Gott!)
noch nicht wissen, wie sie sich entwickeln werden, abge-
löst werden. Es ist richtig, dass deswegen die Migra- wenn er angesichts des Elends auf dieser Welt zu der
tionsströme in großem Stil zunehmen werden. Die Frage Conclusio kommt: Wir können Kalkutta nicht retten, in-
ist: Wie reagieren wir darauf? Was die Linke will, haben dem wir Kalkutta zu uns holen. –
wir gerade gehört. Wir sollen die Tore großzügig aufma- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
chen nach dem Motto: Macht hoch die Tür, die Tor NEN – Arnold Vaatz [CDU/CSU], an das
macht weit! Sie sagten: „Wir müssen helfen“ und spra- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Ja!
chen von Humanität und Solidarität. Was ist denn daran falsch? – Renate Künast
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ja! Genau das!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scholl-
Latour ist auch in der Lage, in zwei Minuten
Es sei doch lächerlich, diesen Menschen hier in Deutsch- eine andere Meinung zu vertreten! Das ist
land keine Arbeit zu geben. doch alles Quatsch! – Gegenruf des Abg.
Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sie aber auch! –
(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
wäre übrigens christlich!) Wir sagen: Wer wie die Linke und vielleicht auch Sie,
Frau Künast – –
Es ist gut, dass die Integrationsministerin gerade ge-
kommen ist. Die Große Koalition hat nämlich eine (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE
Ministerin berufen, die nur eine Aufgabe hat: die Fehl- GRÜNEN]: Das ist zutiefst unchristlich, was
entwicklungen jahrzehntelanger massenhafter falscher Sie hier machen, und Sie verhöhnen auch
11910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
– Warum plärren Sie denn da so rum? Nein, meine Damen und Herren, wir werden eine ge-
meinsame europäische Lösung finden müssen. Die heißt
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE einerseits natürlich, den Schlepperorganisationen nicht
GRÜNEN]: Weil Sie zutiefst unchristlich sind zu helfen. Andererseits muss es Hilfe in der Region ge-
und weil Sie sich auf dem Rücken unschuldi- ben. Die Menschen müssen in der Region bleiben. Wir
ger Menschen profilieren wollen!) müssen ihnen dort eine Perspektive bieten. Alles andere
– Reisen Sie das nächste Mal mit uns, und schauen Sie wäre eine völlig falsche Reaktion.
sich die Flüchtlingslager an! Dann wissen Sie, wovon (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla
wir reden, Sie aber offensichtlich keine Ahnung haben. Jelpke [DIE LINKE]: Und weiterhin Waffen
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Unerträglich!) liefern!)
Meine Damen und Herren, wie können wir Tunesien
helfen? In Tunesien ist die Situation völlig anders. Dort Vizepräsident Eduard Oswald:
(B) gibt es viele hochqualifizierte junge Menschen, die keine Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste hat unsere (D)
Arbeitsplätze bekommen. Hier heißt es, in Tunesien zu Kollegin Frau Kerstin Griese für die Fraktion der Sozial-
helfen. Ich halte es für völlig falsch, jetzt 1 000 Wirt- demokraten das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Kerstin
schaftsflüchtlinge aus Tunesien aufzunehmen. Wenn Griese.
100 000 Deutsche in Tunesien Urlaub machen, helfen (Beifall bei der SPD)
wir Tunesien mehr. Das ist meine Antwort.
(Widerspruch bei der LINKEN und dem Kerstin Griese (SPD):
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir können mit Europa und der GTZ ganz andere Lieber Herr Kollege Uhl, ich bin schon ziemlich ent-
Wege beschreiten, als sie bisher beschritten wurden. Mir setzt, welche Bilder Sie malen und welches Bild Sie von
als Innenpolitiker ist auch völlig klar: Durch eine reine Menschen haben, die auf ihrer Flucht und auch vorher
Abschottungspolitik werden wir die Probleme nicht lö- schon Schlimmes erlebt haben. Wir sollten uns doch
sen. wohl einig sein, dass wir hier die Fluchtursachen und
nicht die Flüchtlinge bekämpfen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aber das macht ihr
doch!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir aber einen Automatismus der Weiterverteilung
der Flüchtlinge in Europa auf die verschiedenen Mit- Mit dieser Vereinfachung, bei der Sie alles durchei-
gliedstaaten organisieren, heißt das nichts anderes, als nandergeworfen haben, kommen wir, glaube ich, nicht
das kriminelle Werk von Schlepperorganisationen durch weiter. Sie haben – auch der Bundesinnenminister hat
uns zu vollenden. Das ist nicht unsere Aufgabe. das am Montag im Kreis der europäischen Innenminister
getan – der Idee eine Absage erteilt, in Europa gemein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sam Verantwortung für Flüchtlinge zu übernehmen. Wir
Wir wollen auch nicht an 20 000 Menschen, die hier erleben gerade, wie im nordafrikanischen Raum viele
angekommen sind, das Signal aussenden: Alles wird gut, junge Menschen auf die Straße gehen, mutig für Freiheit
alle werden in Europa weiterverteilt. – Das wird dazu und Menschenrechte demonstrieren und, wie sie selber
führen, dass es bald nicht 20 000, sondern 200 000 sein sagen, die Mauer der Angst durchbrechen. Sie demons-
werden. Wer will das denn außer den Linken? Das kön- trieren natürlich für Menschenrechte, aber auch für eine
nen auch Sie nicht wollen, Herr Veit. Denn wir können gute soziale und wirtschaftliche Entwicklung ihrer Län-
das Problem nicht lösen. Wir können unseren Wohlstand der.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11911
Kerstin Griese
(A) Es gibt einige Tausend, die aus ihren Ländern fliehen, ginge eigentlich doch nicht, aber wegen der Wirkung ha- (C)
sei es, weil es Bürgerkriegsflüchtlinge sind, wie aus ben Sie es erst einmal angekündigt.
Libyen, sei es, weil es Flüchtlinge sind, besonders aus
Eritrea und Somalia, die von Gaddafi äußerst schlimm (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Wer hat was von
behandelt wurden. Es handelt sich aber auch um Leute, Grenzen schließen gesagt? Behaupten Sie kei-
die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen fliehen. nen Unsinn!)
Auch das gibt es natürlich. Die werden nicht alle einen Deshalb sage ich noch einmal deutlich: Unsere Ant-
Asylantrag stellen. Aber das heißt doch nicht, dass man wort auf die Flüchtlinge aus Nordafrika darf keine neue
sich nicht um sie kümmern soll. Mauer sein, sondern muss eine gemeinsame europäische
Lösung für Hilfen und für den Aufbau der Demokratie in
Die Fluchtursachen zu bekämpfen, heißt doch nicht,
Nordafrika sein.
das andere – nämlich sich anständig um die Flüchtlinge
zu kümmern – sein zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Die europäische Nachbarschaftspolitik muss sich zum
Ziel setzen, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Bürger-
Ich denke auch, dass wir für viele dieser Flüchtlinge
gesellschaft in den Ländern Nordafrikas zu fördern.
gar keine Alphabetisierungsmaßnahmen brauchen; denn
Dazu gehört eben auch eine gleichmäßige und solidari-
sie sind sehr gut ausgebildet. In diesen Ländern sind
sche Verteilung innerhalb der Europäischen Union. Auf
90 Prozent der 20- bis 30-Jährigen sehr gut ausgebildet
der einen Seite müssen wir den Menschen ein Angebot
und arbeitslos. Sie suchen natürlich nach ganz anderen
machen, damit sie nicht fliehen wollen oder müssen
Dingen, zum Beispiel nach Entwicklung. Dabei nehmen
– auch das gibt es ja –, sondern damit sie in ihren Län-
sie es auf sich, über das Mittelmeer zu fahren, wobei
dern demokratische Strukturen aufbauen können. Auf
schon Hunderte zu Tode gekommen sind. Deshalb sollte
der anderen Seite müssen wir aber eine faire innereuro-
es uns auch aus humanitären Gründen beschäftigen, wie
päische Teilung der Verantwortung für die Flüchtlinge
wir mit dieser Situation umgehen.
ermöglichen, die sich in Europa aufhalten. Ja, es geht
Ich glaube, deshalb sind eine differenzierte Betrach- auch um Quoten für die Verteilung.
tung der Situation, eine Unterstützung der Demokratie-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
bewegung in Nordafrika und natürlich auch humanitäre
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hilfe wichtig. Deswegen muss die europäische Politik
gegenüber den arabischen Nachbarn davon geprägt sein, Daneben brauchen wir Resettlement-Programme für
(B) dass wir beim Aufbau der Demokratie mit ihnen zusam- Flüchtlingsgruppen aus Nordafrika, damit hilfesu- (D)
menarbeiten und dass wir die sozialen und wirtschaftli- chende Menschen aus einem Staat, in dem sie Schutz ge-
chen Bedingungen verbessern. Dazu gehört aber eben, sucht haben, auch in einen anderen transferiert werden
dass wir ein offenes Europa brauchen und nicht neue können, der ihrer Aufnahme als Flüchtlinge zustimmt
Mauern bauen dürfen. und in dem sie sich dann zeitweise oder dauerhaft nie-
derlassen können. Damit können übrigens auch illegale
Die SPD hat schon sehr früh sehr deutlich gesagt: Der
Einwanderung und Schlepper verhindert werden. Die Si-
demokratische Aufbruch in Nordafrika und die Men-
tuation, in der sich diese Menschen befinden, ist häufig
schen dort brauchen unsere Unterstützung. Wir haben
lebensgefährlich.
eine Art Marshallplan für die arabische Welt vorgeschla-
gen. Es geht um eine umfassende Förderung von Demo- Die Europäische Union braucht aber nicht nur eine
kratisierung, Modernisierung und wirtschaftlicher Ent- bessere und gerechte Verteilung von Flüchtlingen, son-
wicklung. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat dern sie braucht auch gemeinsame Schutzstandards.
einen Pakt für Arbeit, Ausbildung und Energie vorge- Auch das ist mir ganz wichtig; denn wir haben ja zuletzt
schlagen. Ich denke, es geht tatsächlich darum, die anhand der katastrophalen Situation für Asylbewerber in
Fluchtursachen und nicht die Flüchtlinge selbst zu be- Griechenland oder auch anhand der Situation in Italien,
kämpfen. Deshalb brauchen wir eine neue Flüchtlings- wo es keinerlei soziale Versorgung gibt, gesehen, dass
und Migrationspolitik, um gerade den Menschen zu hel- die Schutzstandards nicht angeglichen sind. Auch das ist
fen, die sich dort auf den Weg machen. eine Aufgabe der Europäischen Union.
Es ist allerdings reiner Populismus – das haben wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen ein offe-
heute wieder gehört; aus den Reihen der CSU haben wir nes Europa, eine Partnerschaft mit der Region Nord-
das öfter gehört –, dass Sie neue Mauern und neue afrika, die Unterstützung von Demokratie und Men-
Grenzanlagen aufbauen wollen. Abgesehen davon, dass schenrechten und die Unterstützung beim Austausch
es praktisch gar nicht geht, ist das reiner Populismus, mit besonders von Bildung und Arbeit. Dafür sollte sich
dem Sie den Stammtisch bedient haben. Europa einsetzen. Ich denke, das ist allemal besser, als
neue Mauern zu bauen und sich politisch abzuschotten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Danke schön.
Wer hat das denn gesagt? Niemand!)
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/
– Sie haben angekündigt, dass Sie wieder Grenzkontrol- CSU: Durch Wiederholung wird es nicht rich-
len einführen wollen. Sie haben dann zwar gesagt, das tiger!)
11912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: muss Italien sachlich mit dieser Situation umgehen und (C)
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster hat unser darf das Thema nicht für andere, innenpolitische Zwecke
Kollege Dr. Djir-Sarai, Fraktion der FDP, das Wort. Bitte missbrauchen. Dazu eignet sich dieses Thema unserer
schön, Herr Kollege Dr. Djir-Sarai. Meinung nach nicht, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
der CDU/CSU) Rüdiger Veit [SPD]: Da sind wir uns aus-
nahmsweise einig!)
Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP): Wir wissen: Wenn wir diese Frage jetzt diskutieren,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir dann müssen wir die Gesamtlage der Flüchtlinge in
haben die Bilder der Menschen vor Augen, die nach ei- Nordafrika und Europa im Blick haben. So hat das Land
ner leidvollen Reise als Flüchtlinge Europa erreicht ha- Tunesien in den letzten Wochen über 220 000 Flücht-
ben. Der Bundesregierung nun aber fehlende Solidarität linge aufgenommen. Das Land Ägypten hat über
oder gar fehlende Hilfsbereitschaft oder Nächstenliebe 180 000 Flüchtlinge aufgenommen. Jeden Tag kommen
vorzuwerfen, ist nicht richtig. fast 2 000 Flüchtlinge nach Ägypten und ungefähr
3 000 nach Tunesien. Hier spielt sich das eigentliche
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Drama ab.
GRÜNEN]: Was ist das denn sonst?)
Man muss sich die verschiedenen Länder in Nord-
Das zielt auf eine mediale Wirkung, und das ist auch afrika sehr genau anschauen. Die Situationen sind unter-
sachlich völlig falsch. schiedlich. Gerade Tunesien ist ein sehr gutes Beispiel.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Menschen dort erleben zum ersten Mal in ihrem Le-
der CDU/CSU) ben die Freiheit. Das Land ist im Umbruch. Das Land
steht vor großen Herausforderungen.
Wenn man so argumentiert, bleibt man an der Ober-
fläche der Diskussion über ein komplexes Thema, das Gerade jetzt werden die jungen Tunesier, die jungen
die gesamte Europäische Union betrifft. Menschen vor Ort, zu Hause in ihrem Land gebraucht.
Sie müssen dieses Land aufbauen. Sie müssen das Land
Wir als Bundesrepublik Deutschland haben dem Staat gestalten. Ihre Zukunft ist zu Hause, nicht in Italien,
Malta spontan und direkt angeboten, Flüchtlinge aufzu- nicht in Frankreich und nicht in Deutschland. Sie werden
nehmen, Flüchtlinge vor Bürgerkriegen, die einen An- in Tunesien händeringend gebraucht.
spruch auf internationalen Schutz haben. Wir sind das
erste Land gewesen, das ein solches Angebot unterbrei- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
(B) tet hat. Für die Bundesregierung ist es eine Selbstver- CDU/CSU) (D)
ständlichkeit, dass wir helfen. Ein Flüchtling, der be- Deshalb bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es
droht wird und Unterstützung braucht, wird nicht die richtige Antwort ist, wenn wir ein Hilfsprogramm,
alleingelassen. ein Entwicklungsprogramm – gerade für Tunesien – zur
Es ist trotzdem wichtig, dass wir sehr genau Verfügung stellen. Es ist außenpolitisch unsere Aufgabe,
hinschauen und differenziert diskutieren. Denn über die Bedingungen für die Menschen in dieser Region mit
20 000 auf Lampedusa angekommene Menschen sind in zu verändern. Wir müssen den Menschen vor Ort helfen.
erster Linie Wirtschaftsflüchtlinge. Die meisten haben Das Problem der Flüchtlingsströme muss an der Wurzel
kein Asyl beantragt. Zu einem großen Teil sind es junge gepackt werden, aber nicht erst dann, wenn es dafür zu
Menschen auf der Suche nach Perspektiven. Es sind spät ist. Diese Region selbst unterstützen: Das ist die
junge Menschen, die völlig falsche Vorstellungen von ei- Antwort, statt Wirtschaftsflüchtlinge auf den verdammt
nem Leben in Europa haben. Sie sind über Schleuserkri- gefährlichen Weg nach Lampedusa zu schicken.
minalität nach Lampedusa gekommen, über Schleuser- Unsere Hilfe muss viel nachhaltiger sein. Die Situa-
banden, die ihnen Wohlstand und Glück in Aussicht tion in Tunesien, aber auch in Ägypten und anderen
gestellt haben. nordafrikanischen Ländern ist schwierig. Diese Länder
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was Sie alles können alle den Weg zu Demokratie jetzt intensivieren.
wissen!) Das ist eine Chance.
Wenn wir hier kein Zeichen setzen, wird eine Welle Aber genau diese Bewegung müssen wir auch unter-
von Wirtschaftsflüchtlingen auf Europa zurollen. Wenn stützen. Wir dürfen nicht wie ein Staubsauger die Men-
Italien Identitätspapiere ausstellt, ist das ein klares Si- schen nach Deutschland oder Europa locken. Das wäre
gnal an potenzielle Einwanderer: Italien steht als Durch- die völlig falsche Antwort. Wir müssen in Ländern wie
gangsland in die EU offen. Einen solchen Staubsauger- Tunesien dafür sorgen, dass sich die Situation konkret
effekt können und wollen wir uns nicht leisten. vor Ort verbessert. Deutschland und die EU müssen in
den Bereichen Bildung und Arbeit, Wirtschaftsförderung
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Ordnung Hilfe
leisten.
Es ist völlig klar: Italien ist gegenwärtig besonders
beansprucht. Diese besondere Situation wird vermutlich Es muss durch deutsche Außen- und Entwicklungs-
noch etwas andauern. Das ist völlig richtig; diese Proble- politik in einem gemeinsamen europäischen Kontext
matik müssen wir sehr sensibel handhaben. Trotzdem möglich sein, die Bedingungen in dieser Region der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11913
Dr. Bijan Djir-Sarai
(A) Welt zu verbessern. Die Jugend in Nordafrika braucht Die berlusconische Lösung sah diesmal aber anders aus. (C)
das Signal, dass sie von Europa nicht unerwünscht ist, Herr Berlusconi will wieder gesetzwidrig handeln und
sondern dass wir an ihrer Seite stehen. Dann müssen wir den Flüchtlingen Schengen-Visa ausstellen.
uns aber auch ehrlich über Wege unterhalten, junge
Menschen im Rahmen einer bestimmten Frist auszubil- Diese berlusconische Lösung empört unter anderem
den, um sie auf die Aufgaben in ihrer Heimat vorzube- unseren Bundesinnenminister. Die Antwort der Bundes-
reiten. regierung ist aber genauso unintelligent wie die berlus-
conische Lösung, nämlich die Freizügigkeit im Schen-
Dann müssen wir uns aber auch ehrlich über Wege gen-Raum kurzfristig aufzuheben. Damit wird eine der
unterhalten, wie wir Erzeugnissen und Waren aus Nord- Grundsäulen der Europäischen Union zerrüttet. Die
afrika den Zugang zu europäischen Märkten erleichtern. Bundesregierung will offenbar Millionen von Oster-
Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion, wenn wir über urlaubern eine Passkontrolle an der Grenze zumuten.
Handelserleichterungen für Textil- und Agrarprodukte Das ist die falsche Richtung. Der europäische Geist und
aus Nordafrika in die EU reden. die Kreativität der Bundesregierung sind erbärmlich.
Ich finde es richtig, dass wir uns offen über dieses (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wider-
komplexe Thema im Deutschen Bundestag unterhalten. spruch bei der CDU/CSU und der FDP)
Konstruktive Lösungen sind jetzt gefragt.
Sie haben das zurückgenommen. Herr Wolff hat be-
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. reits die rechtlichen Grundlagen erklärt und auch, wa-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rum das nicht geht. Aber man kann von einem Bundes-
innenminister erwarten, dass er zuerst die rechtlichen
Grundlagen prüft und dann Sprüche klopft. Tatsächlich
Vizepräsident Eduard Oswald:
ist es umgekehrt: Er klopft kantige Sprüche und prüft
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das erst dann die rechtliche Grundlage. Das ist der falsche
Wort unserer Kollege Memet Kilic für die Fraktion Weg. Wir brauchen offenbar einen anderen Bundes-
Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Herr Kollege. innenminister.
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN – Hartfrid Wolff [Rems-
Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Murr] [FDP]: Sie haben doch gehört, was er
Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei gerade gesagt hat! Jetzt hören Sie aber auf!)
euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch,
und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr Die Regierung handelt realitätsfern, wenn sie glaubt,
(B)
seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. mit dem Motto „Schotten dichtmachen und Grenzkon- (D)
trollen verschärfen“ ließen sich die Probleme lösen. So
So spricht das kollektive Bewusstsein der Menschen, einfach ist es nicht. Wir müssen den Flüchtlingen aus
weil jeder von uns irgendwann auch ein Flüchtling sein Nordafrika, die sich in größter Not befinden, endlich hel-
kann. Davor ist keiner gefeit. fen. Sie reden davon, Herr Friedrich, dass man den Men-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schen vor Ort helfen soll. Ja, gerne! Wir reden aber auch
bei der SPD und der LINKEN) über die Menschen, die nicht mehr vor Ort sind, sondern
bereits in Europa gelandet sind. Wir müssen auch diesen
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Menschen helfen. Darüber reden wir heute hier.
nen und Kollegen! In dieser Diskussion vermisse ich von
der Regierungsseite den richtigen Fokus auf die Flücht- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
linge. Ich habe die Sorge, dass, während die Elefanten Unsere größte Sorge gilt den in Libyen gestrandeten
streiten, die Flüchtlinge wie zarte Grashalme zertrampelt Flüchtlingen aus Staaten wie Somalia, Eritrea, Sudan
werden. Seit Wochen fordert die Bundesregierung laut- und Äthiopien. Sie können nicht in ihre Herkunftsländer
hals eine Demokratisierung in Nordafrika und sagt den zurück und sind in Libyen akut bedroht. Es gibt Meldun-
Aufständischen ihre Unterstützung zu. Wenn aber außer gen, wonach regelrechte Hetzjagden auf die Flüchtlinge
schönen Worten praktische Hilfe im Umgang mit Flücht- veranstaltet werden. Einigen von ihnen ist es geglückt,
lingen notwendig wird, will sie nichts mehr von ihren sich in Auffanglager an den Grenzen zu Tunesien und
Versprechen wissen. Das ist nicht gut. Ägypten durchzuschlagen. Die beiden Nachbarländer
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN befinden sich aber selbst im Umbruch und sind mit die-
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ser Situation völlig überfordert. Sie brauchen dringend
Unterstützung von europäischer Seite.
Als Herr Berlusconi mit Herrn Gaddafi eine völker-
rechtswidrige Vereinbarung einging, damit Herr Gaddafi Wir fordern daher eine humanitäre Evakuierung die-
den Flüchtlingen den Weg nach Europa versperren kann, ser Flüchtlinge aus Libyen. Die Bundesregierung muss
war die Bundesregierung mit dieser berlusconischen Lö- sich dafür einsetzen, dass die Menschen sicher europäi-
sung anscheinend zufrieden. Herr Bundesinnenminister schen Boden erreichen und EU-weit verteilt werden.
Friedrich hat sogar letzte Woche gesagt, dass Italien die Darüber hinaus muss die EU sicherstellen, dass Boots-
Probleme alleine lösen soll. Anscheinend hoffte Herr flüchtlinge nicht zurückgewiesen oder abgedrängt wer-
Friedrich reflexartig auf eine berlusconische Lösung, mit den. Die Menschenrechte gelten an der EU-Grenze, vor
der auch die Bundesrepublik Deutschland leben kann. der Grenze, in internationalen Gewässern, aber auch in
11914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Memet Kilic
(A) den Gewässern von Drittstaaten. Die Flüchtlinge brau- tun, wenn wir so vorgehen würden, und die Integrations- (C)
chen eine rechtsstaatliche Prüfung ihrer Asylanliegen. probleme würden dadurch nicht gelöst werden.
Nur dann können wir feststellen, ob sie Wirtschafts-
flüchtlinge oder Asylbewerber sind. Aber das muss erst (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
einmal geprüft werden. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Darum geht es doch gar nicht! – Ge-
Auf der Tagesordnung steht auch die Übernahme von genruf des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]:
Flüchtlingen aus besonders stark betroffenen Ländern Doch!)
Europas wie Malta in andere EU-Staaten. Bisher hat sich
die Bundesregierung lediglich dazu bereit erklärt, Es ist mehrfach davon gesprochen worden, wir wür-
100 Flüchtlinge aus Malta aufzunehmen. Gleichzeitig den uns abschotten und es gebe keine Lastenverteilung.
werden aber im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens Wir haben im Jahr 2010 in der Europäischen Union
Flüchtlinge nach Malta zurückgeschickt. Das ist nicht 250 000 Asylbewerber gehabt. Knapp 50 000 davon, je-
der richtige Weg; das ist falsch. Das ist nur Symbolpoli- der fünfte, ist nach Deutschland gekommen, er wird hier
tik und schädlich. Wir sollten diese historische Chance anständig untergebracht und bekommt ein faires Asyl-
wahrnehmen und auf allen Ebenen die Menschen unter- verfahren.
stützen, die versuchen, in ihrem Land demokratische und
rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen. Dazu gehört die (Zuruf von der LINKEN: Stimmt doch gar
Unterstützung der Freiheitsbewegung vor Ort, eine ver- nicht! Sie sind doch nicht anständig unterge-
antwortungsvolle Entwicklungshilfe, aber auch die Auf- bracht!)
nahme von Flüchtlingen in Europa. Wir als Europäer Angesichts von knapp 50 000 Asylbewerbern zu sagen,
sollten uns unserer Stärke und Aufnahmefähigkeit be- wir als Deutsche würden uns abschotten und unsere ge-
wusst sein und unseren Freunden, die für Menschen- rechte Last im Rahmen der EU nicht tragen, ist mit den
rechte und Demokratie kämpfen, die Hand ausstrecken. Zahlen, um die es hier geht, nicht zu vereinbaren. Das ist
Vielen Dank. ein falscher Vorwurf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
bei der SPD und der LINKEN) Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Was stellen Sie sich vor?)
Vizepräsident Eduard Oswald: Wir müssen auch einmal differenzieren, über welche
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster spricht für Flüchtlinge wir reden. Es gibt die Gruppe der politischen
(B) die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Reinhard Flüchtlinge aus Libyen und der Flüchtlinge aus ethni- (D)
Grindel. Bitte schön, Kollege Reinhard Grindel. schen Gründen aus Somalia und Eritrea, die sich vor al-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) len Dingen in Malta aufhalten. Wir werden unsere
Verantwortung gegenüber den Freunden in Malta wahr-
nehmen. Der Bundesinnenminister hat das vorgetragen.
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Durch sein Vorbild haben andere Innenminister in eine
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! europäische Lastenverteilung eingewilligt. Ich schließe
Herr Kollege Kilic, Sie haben Ihre Rede mit nachdenkli- auch nicht aus, dass wir als Deutsche uns an humanitä-
chen Worten begonnen. Ich finde es aber unfair, den ren Aktionen beteiligen, die auf den Personenkreis in
Bundesinnenminister anzugreifen, obwohl er exakt das Libyen abzielen.
Gegenteil von dem gesagt hat, was Sie ihm hier vorge-
worfen haben. Auch wenn man die Vergangenheit betrachtet, muss
man feststellen: Wir haben Flüchtlinge aus dem Iran auf-
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: genommen, wir haben in großem Umfang Flüchtlinge
Das stimmt nicht!) aus dem Irak aufgenommen, und wir haben in der Ver-
Es wäre anständig, zumindest zuzuhören. gangenheit nun wirklich unseren Beitrag geleistet, als es
darum ging, Flüchtlinge vom Balkan aufzunehmen. In-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sofern ist der Hinweis auf Lastenverteilung angesichts
der Zahlen wirklich nicht berechtigt.
Frau Kollegin Künast, bei Ihrer Rede habe ich mich
an eine andere Rede erinnert, die Sie im Rahmen einer Auch wir haben dieses Wort von der Lastenverteilung
Aktuellen Stunde gehalten haben, in der es um Integra- in der politischen Diskussion gebraucht, Frau Künast.
tion ging. Sie haben damals nicht zu Unrecht allen Bun- Damals haben wir binnen kürzester Frist
desregierungen vorgeworfen, dass sie keine hinreichen- 350 000 Flüchtlinge alleine aus Bosnien aufgenommen.
den Maßnahmen für die Integration getroffen hätten, Die Situation damals, gerade für unsere Kommunen und
dass es Integrationsprobleme gebe und dass wir kraftvoll Städte, war eine völlig andere als die, die heute in Italien
diejenigen ausländischen Mitbürger, die bei uns sind, in- existiert.
tegrieren müssten. Glauben Sie ernsthaft, dass wir die
Integration in Deutschland erleichtern, wenn wir für eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
völlig ungesteuerte Zuwanderung zusätzlicher Auslän- Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Wenn wir von Las-
der in unser Land sorgen würden? Ich glaube das nicht. tenverteilung gesprochen haben, hat man uns
Den hier lebenden Ausländern würden wir einen Tort an- dafür kritisiert!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11915
Reinhard Grindel
(A) Eine zweite Gruppe sind die Arbeitsflüchtlinge aus April noch in den Knochen – Sie erinnern sich, das war (C)
Tunesien, die zum überwiegenden Teil gar keinen Asyl- sogar das Topthema bei den heute-Nachrichten –: Einer
antrag gestellt haben. Eine dritte Gruppe sind die Ar- dieser „Seelenfänger“ mit mehr als 200 Flüchtlingen aus
mutsflüchtlinge aus afrikanischen Ländern wie dem Afrika ist vor wenigen Tagen gesunken; an die 200 Flücht-
Sudan, dem Tschad, aus Sierra Leone und vielen anderen linge sind dabei ertrunken: Männer, Frauen und viele
Ländern. Letztere sind – die Kollegin Griese hat uns in- Kinder. Was hat diese Menschen angetrieben, dass sie
zwischen verlassen; sie hat das angesprochen – nicht die unbedingt nach Europa wollten? Das ist die Frage, die
Ärmsten der Armen; vielmehr wird im Dorf für diejeni- sich fest in meinem Kopf verankert hat.
gen zusammengelegt, die zu den klugen Köpfen gehören
und die die Dörfer, Gemeinden und Regionen voranbrin- Gleichzeitig erleben wir ein aufgeregtes Italien. Es
gen könnten. Denn nur sie verkörpern die Hoffnung, geriert sich als absolut überfordert, weist jegliche Ver-
dass sie nach Europa durchkommen und dann die Fami- antwortung von sich und stattet Personen, die kein Asyl
lie und womöglich das Dorf ernähren können. Das Geld beantragt haben, derzeit mit Aufenthaltserlaubnissen
wird den Schleppern und Schleusern gegeben. Meinen aus, auf dass sie weiterziehen mögen. Mir ist deshalb
Sie, dass es entwicklungspolitisch eine gute Linie ist, wichtig, festzustellen: Italien ist in dieser Angelegenheit
wenn wir in dieser Form den Braindrain unterstützen nicht das Opfer.
und nebenbei noch das Geschäft der Schlepper und (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Schleuser befördern? Ich halte das nicht für den richti-
gen Weg. Wenn ich mir die Zahlen anschaue – 26 000 Men-
schen, davon relativ wenige, die Asyl beantragt haben,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auf ein Land mit derzeit 60 Millionen Einwohnern –,
neten der FDP – Widerspruch bei der LIN- finde ich es empörend, dass Berlusconi in diesem Zu-
KEN) sammenhang von einem „menschlichen Tsunami“
Es gibt in Birmingham mehr Krankenschwestern aus spricht. Es ist wirklich unglaublich, wie bei einer Zahl,
Malawi als in ganz Malawi selbst. Das ist eines der die derzeit nicht besonders groß ist, Angstbilder produ-
schlechten Beispiele, von denen wir viele bekommen ziert werden. Ich möchte daran erinnern – Herr Grindel
würden, wenn wir entwicklungs- und flüchtlingspoli- hatte es erwähnt –: Deutschland hat allein in der Bos-
tisch so vorgehen würden. Man kann darüber reden. Sie nienkrise 345 000 Personen aufgenommen. Ich möchte
wissen, dass der frühere Bundesinnenminister Wolfgang aber auch daran erinnern, dass wir damals sehr wohl und
Schäuble in die Diskussion eingebracht hat, innerhalb sehr laut danach gerufen haben, doch endlich ein System
der EU über zirkuläre Migration nachzudenken. der Lastenteilung in Europa hinzubekommen.
(B) (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D)
Sie vermischen jetzt!) NEN]: Genau! – Rüdiger Veit [SPD]: Das war
damals richtig, das ist heute immer noch rich-
Aber ich sage Ihnen: Jede Ankündigung, die Grenzen tig! – Gegenruf des Abg. Arnold Vaatz [CDU/
unkontrolliert zu öffnen, eine umfangreiche Lastenver- CSU]: Wir sind damals dafür kritisiert wor-
teilung vorzunehmen, führt nur dazu, dass Schlepper und den! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Schleuser vor Ort sagen können: Es macht wieder Sinn,
sich auf den Weg nach Europa zu begeben – mit all den Ich finde es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass
tödlichen Risiken, die das hat. Ich halte das nicht für den Italien kein unschuldiges Opfer ist, was man sieht, wenn
richtigen Weg. man sich anschaut, welchen Deal Herr Berlusconi mit
Gaddafi abgeschlossen hat: 3,6 Milliarden Euro dafür,
Wir müssen vor Ort helfen. Wir brauchen in unserem dass keine Flüchtlinge mehr aus Libyen in Europa
Land angesichts all der Asylbewerber, Ausländer, die ankommen. Das war sehr erfolgreich. Wo sind die
über Familienzusammenführungen und vieles andere oh- Flüchtlinge geblieben? Zum Teil auf dem libyschen Ar-
nehin jedes Jahr zu uns kommen, vor allen Dingen eine beitsmarkt, aber auch in der Wüste und in Lagern, in
Atmosphäre, in der Integration noch möglich ist und Erdlöchern, unter unmenschlichsten Bedingungen – und
auch gelingen kann. Europa hat weggesehen.
Herzlichen Dank. In der Gesamtschau muss ich allerdings sagen: Auch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wenn Italien im Moment noch nicht überfordert ist
– wenn wir uns die Lage in Nordafrika, die Lage in Grie-
Vizepräsident Eduard Oswald: chenland in Richtung Türkei und die Lage in Malta an-
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste hat das schauen –, finde ich, dass es an der Zeit ist, endlich wie-
Wort unsere Kollegin Frau Daniela Kolbe für die Frak- der über faire Lastenteilung in Europa zu sprechen. Das
tion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Frau Kollegin gehört auf der Agenda der Europäischen Union ganz
Kolbe. nach oben; denn Solidarität ist das Gebot der Stunde. Ich
glaube nicht, dass es bei diesen 26 000 Menschen auf
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lampedusa in Italien bleibt.
(Rüdiger Veit [SPD]: So ist es!)
Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident! – Verehrte Damen und Auch über die Türkei in Richtung Griechenland werden
Herren! Ich gebe zu, mir stecken die Bilder von Anfang weiterhin Menschen kommen.
11916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Noch einmal: Wir brauchen eine faire Lastenteilung; Arnold Vaatz (CDU/CSU):
sich abzuschotten, ist der falsche Weg. Wenn wir,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe
Europa, bei unseren hochgehaltenen Werten bleiben
davon aus, dass kein Einziger in diesem Saal einem
wollen – beim Schutz der Menschenrechte, beim Recht
Menschen, der in Not, in Lebensgefahr geraten ist, seine
auf Asyl –, wenn wir eine gesteuerte Migration nach
Hilfe verweigern oder dafür plädieren wird, dass das ge-
Europa wollen, dann kann Frontex allein sicherlich nicht tan wird. Das unterstelle ich persönlich keinem hier im
die Antwort sein, dann müssen wir endlich Deals wie Saal, und ich wünsche gleichzeitig, dass das auch mir
die, die zwischen Italien unter Berlusconi und Libyen und meiner Regierung nicht unterstellt wird.
unter Gaddafi geschlossen worden sind, international
ächten, und wir müssen endlich mit den nordafrikani- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schen Ländern auf Augenhöhe sprechen. Wir brauchen
dabei wirtschaftliche Unterstützung. Die SPD hat dazu Worüber wir hier reden, ist das, was dem folgt, nach-
Vorschläge gemacht. dem die Elementarvorsorge bereits geleistet worden ist:
über die Entscheidung, wie es mit den in Not geratenen
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die nordafri- Menschen zukünftig weitergeht. Das ist eine andere
kanischen Länder selber durch große Flüchtlingsströme Stufe der Diskussion. Ich wünsche, dass wir diese beiden
belastet sind. Eine ganz plausible Möglichkeit der Pro- Dinge sauber voneinander trennen und unterscheiden.
blemlösung erscheint mir Resettlement: die Aufnahme
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen Land Zu- der FDP)
flucht gefunden haben, um die Zufluchtsländer zu ent-
lasten und sie zu befähigen, ein Asylsystem aufzubauen Ich habe die Debatte von Anfang an verfolgt, auch die
und mit Europa zu kooperieren. heutige Fragestunde. In mir ist der Wunsch aufgekom-
men, dass Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
Hier ist mehrfach von „Wirtschaftsflüchtlingen“ ge- sition, einen Bruchteil der Energie, die Sie für Ihre Kritik (D)
(B) sprochen worden. Herr Uhl meinte, sie seien alle An-
an der Bundesregierung verwendet haben, darauf ver-
alphabeten. wenden, diejenigen mit Ihrer Kritik zu bedenken, die
Verhältnisse geschaffen haben, die zur Folge haben, dass
(Widerspruch des Abg. Helmut Brandt [CDU/ Menschen flüchten.
CSU])
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wäre ja auch
Wenn man sich die Lage in Nordafrika anschaut, sieht gegen die Bundesregierung! Denn die habt ihr
man: Die Arbeitslosigkeit steigt mit dem Bildungsgrad. ja unterstützt!)
Das heißt, es gibt dort sehr viele gut ausgebildete junge
Leute, die von Europa träumen – auch wenn sie dort Die ganze Sache wird dann unaufrichtig, wenn sie
vielleicht nicht dauerhaft bleiben wollen – und die sich den Schwerpunkt Ihrer Kritik auf diejenigen lenken, die
derzeit noch auf diese „Seelenfänger“ begeben müssen, helfen wollen, und nicht auf diejenigen, die den Not-
weil es keine andere Möglichkeit der legalen Migration stand verursacht haben.
nach Europa gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Ich finde, die Frage der legalen Migration nach neten der FDP – Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist
Europa gehört wieder auf die Agenda. Wir müssen da- aber nicht gemacht worden! – Renate Künast
rüber sprechen, wie wir diesen jungen Leuten die Mög- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch
lichkeit geben, gegebenenfalls nach Europa zu kommen, Quatsch, Herr Vaatz! Das ist unter Ihrem Ni-
um Geld nach Hause schicken und mit Berufserfahrung veau! Wir haben doch nicht Berlusconi unter-
zurückkehren zu können. Die Augen davor zu verschlie- stützt! Vielleicht waren Sie das!)
ßen, dass diese Menschen – ich habe es eingangs er- – Sie haben die Bundesregierung ganz entschieden kriti-
wähnt – unbedingt und dringend nach Europa wollen, siert. Das habe ich doch gehört. Oder war das nicht so
bedeutet, dass sich immer mehr Menschen auf diese gemeint? Haben Sie sich vielleicht versprochen, Frau
„Seelenfänger“ begeben und im Mittelmeer ertrinken. Künast?
Hier stehen wir in der Verantwortung. Davor sollte man,
gerade wenn das Wort „christlich“ zum Parteinamen ge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
hört, nicht die Augen verschließen. NEN]: Wir sind ein freies Land! Aber ich habe
mich auch nicht mit Gaddafi getroffen! Ich
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten habe mich mit dem nicht getroffen! – Gegen-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11917
Arnold Vaatz
(A) Der Kollege Veit und die Kollegin Kolbe haben be- angesichts des Ansturms von Flüchtlingen aus dieser Re- (C)
rechtigterweise darauf hingewiesen, dass es unannehm- gion verhalten. Wir haben damals gesagt und sagen auch
bar ist, wie die Regierung Berlusconi diesen Fall insze- heute, dass wir für eine solidarische europäische Lösung
niert, um die Flüchtlinge nach Möglichkeit schnell sind. Damals ist uns von dieser Opposition vorgeworfen
loszuwerden. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Das worden, wir wollten auf diese Weise versuchen, den
verurteile ich auch, und ich gehe davon aus, dass die Druck zulasten von anderen loszuwerden;
meisten aus meiner Fraktion, aus unserer Koalition ge-
nauso denken. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!)
Ich verstehe aber nicht, liebe Kollegen, dass Sie ei- wir sind moralisch diskreditiert und beschimpft worden.
nerseits das Verhalten der Regierung Berlusconi verur- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!)
teilen und andererseits von der Bundesregierung verlan-
gen, genau dieser Regierung Berlusconi auf den Leim zu Hätte ich vorausahnen können, dass diese Diskussion
gehen. heute stattfindet, hätte ich ein paar Redebeiträge aus den
Archiven herausgesucht. Sie können das alles nachle-
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) sen. – Das zur Unaufrichtigkeit in der Diskussion.
Das verstehe ich überhaupt nicht, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Rüdiger Veit [SPD]: Haben Sie nicht neten der FDP)
zugehört?) Solidarität heißt nach meiner Auffassung, dass der
weil Sie nämlich dadurch ein Signal nach Italien senden, stärker Belastete vom weniger Belasteten Hilfe emp-
sodass man dort sagen kann: Freunde in Europa, was fängt, damit er mit seiner Last besser zurechtkommt.
wollt ihr denn? Wir handeln doch genau richtig. Schaut Was Sie verlangen, ist genau das Gegenteil. Unter dem
nach Deutschland! Lest die Debattenbeiträge der Oppo- Eindruck der Rhetorik in Italien – man spricht von einem
sition im Bundestag! Flüchtlingstsunami und ähnlich absurden Geschichten,
davon, dass das alttestamentarische Ausmaße hat – ver-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: suchen Sie, Lasten vom im Augenblick relativ wenig be-
Ich denke, die sind Analphabeten!) lasteten Italien nach Nordeuropa, das in das Flüchtlings-
– Ich rede von Italienern. Im Übrigen teile ich nicht die problem weit stärker involviert ist, zu leiten. Ich denke
Meinung, dass alle Flüchtlinge Analphabeten sind. Das an Belgien, ich denke an Schweden, ich denke an
habe ich nicht gesagt, und ich wünsche auch nicht, dass Deutschland.
mir Behauptungen, die ich nicht aufgestellt habe, vorge- (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(B) worfen werden. (D)
Dann kann Verteilen nur helfen!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Malta ist eine ganz andere Frage. Zu Malta haben wir
neten der FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: uns übrigens eindeutig geäußert.
Das ist der Stil dieser Debatte!)
Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen. Wenn
Das ist nie geäußert worden. Dass es unter den Flüchtlin- hier zugerufen wird, dass unsere Position unchristlich
gen Menschen gibt, die Analphabeten sind, dürften auch sei,
Sie, Frau Künast, nicht bestreiten. Oder doch?
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
In Italien kann die Regierung also sehr gut auf diese GRÜNEN]: Ist sie auch!)
Debatte verweisen und sagen: Freunde, die gesamte Op-
position in Deutschland unterstützt unsere Bemühungen, muss man erwidern: Unchristlich ist in erster Linie,
die Flüchtlinge nach Möglichkeit nach Norden weiterzu- wenn man Signale sendet, dass Flucht ein Allheilmittel
leiten. sein kann.
(Rüdiger Veit [SPD]: Das hat kein Mensch ge- (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sagt! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel Niemand sagt das!)
[CDU/CSU]: Natürlich!)
Wenn man die Illusion, dass man sich durch Flucht ver-
Das wird man genau in dieser Weise auslegen, und Sie bessern kann, in den Menschen immer weiter stärkt, ist
tragen dazu bei. das unchristlich,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist doch unter Ihrem Niveau! Sie NEN], ihren Platz verlassend: Das hätten Sie
haben doch mal für Freiheit gekämpft! Oder mal in der DDR sagen sollen! Sie sollten sich
nicht?) schämen! Sie haben für Freiheit gekämpft! –
Gegenruf des Abg. Patrick Döring [FDP]: Wie
Als Nächstes komme ich zu der Frage: Was ist Solida- führen Sie sich hier eigentlich auf? Setzen Sie
rität? Das ist der Punkt, auf den es mir ganz besonders sich mal wieder hin!)
ankommt. Meine Damen und Herren, ich halte Ihre Dis-
kussion über Solidarität für unaufrichtig. Wir haben auf weil man auf diese Weise den Menschen falsche Signale
dem Höhepunkt der Balkankrise – ich war frisch im und falsche Ziele gibt und mit dazu beiträgt, dass die
Bundestag – ausführlich darüber diskutiert, wie wir uns Verhältnisse in den Ländern, aus denen diese Menschen
11918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Arnold Vaatz
(A) kommen, von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und von europäischen Regionalfonds beigetragen, um dort in den (C)
Jahr zu Jahr unerträglicher werden. beschäftigungsintensiven Bereichen kleinste, kleine und
mittlere Unternehmen zu unterstützen. Wir haben zusätz-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
lich 2 Millionen Euro für PPP-Projekte und 2,25 Millio-
Das erreichen Sie mit der Einladungsrhetorik, die Sie nen Euro für Hochschulförderung und Ähnliches zur
hier präsentieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass Ih- Verfügung gestellt.
nen in Deutschland diese Rhetorik niemand mehr abneh-
men wird, je schlimmer das Problem für uns alle wird. Es ist schon bedauerlich, dass keine Entwicklungs-
politiker aus den Oppositionsfraktionen zu diesem
Vielen Dank. Thema, durch das die Menschen eine Zukunftsperspek-
tive erhalten, reden durften;
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Zurufe von der CDU/CSU: Bravo!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
ruf des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE
Vizepräsident Eduard Oswald: GRÜNEN])
Der letzte Redner auf unserer Rednerliste ist der Kol- denn wir brauchen Möglichkeiten, damit sich die Men-
lege Hartwig Fischer für die Fraktion der CDU/CSU. schen dort Existenzgrundlagen schaffen können.
Bitte schön, Kollege Hartwig Fischer.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, den ich für so
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wichtig halte, dass ich die Regierung bitte, dafür einen
neten der FDP)
Sonderfonds aufzulegen. Wir haben ein hervorragendes
Informationsinstrument, nämlich die Deutsche Welle.
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Die Deutsche Welle ist auch in der Maghreb-Region füh-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rend beim Rundfunk, insofern er dort alle erreicht, aber
finde es einigermaßen enttäuschend, wenn wir bei einem auch beim Internet, das bei der Revolution eine große
solch ernsten Thema, bei dem es um Menschenleben, um Rolle gespielt hat. Ich erwarte, dass wir die Deutsche
Überleben geht, Welle in die Lage versetzen, über die Situation der
(Zuruf von der LINKEN: Nicht wirklich Flüchtling zu sprechen, die aus diesen Ländern stam-
helfen können!) men, um den Menschen die Realität vor Augen zu füh-
ren. Die Schlepperorganisationen gaukeln ihnen ja etwas
keine Alternativen aus der Opposition aufgezeigt be- ganz anderes vor, und zwar mit negativen Folgen: Sie
kommen. verlieren das Hab und Gut der ganzen Familie, weil sie
(B) meinen, ins gelobte Land zu kommen. (D)
(Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Was? –
Rüdiger Veit [SPD]: Wo waren Sie in der letz- Ich finde es übrigens schlimm, dass sich Frau Künast
ten Stunde? – Memet Kilic [BÜNDNIS 90/ jetzt einfach aus der Diskussion verabschiedet und geht.
DIE GRÜNEN]: Haben wir!) Damit stimmt genau das, was Herr Schily am 27. Sep-
Am 17. Dezember 2010 begann die Jasmin-Revolu- tember 2000 gesagt hat: Sie glänzt durch die Pose der
tion in Tunesien, am 25. Januar 2011 in Ägypten, im Fe- Überheblichkeit.
bruar in Libyen. Wir reden heute über die Flüchtlings- Meine Damen und Herren, wir brauchen auch in der
ströme, was auch notwendig ist; aber niemand nimmt Opposition Freundinnen und Freunde, die diese Projekte
zur Kenntnis, was innerhalb dieser kurzen Zeit auch von mitgestalten.
der christlich-liberalen Koalition geleistet worden ist,
sowohl in der EU als auch in Deutschland. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Richtig! Genau so
ist es!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mich
Es geht nicht um die Anträge, die wir hier verabschie- betroffen macht. Sie sehen die Bilder, über die wir hier
det haben, sondern es geht ums Handeln. Wir könnten sprechen, im Fernsehen; ich habe sie in der Realität er-
über den Antrag „Die arabische Welt – Region im Auf- lebt. Ich habe mit meiner Frau Urlaub auf Lanzarote ge-
bruch, Partner im Wandel“ der Koalition sprechen. Aber macht. An unserem zweiten Urlaubstag, am 16. Februar
ich möchte über die Punkte sprechen, die dem Aufbau in 2009, ist 20 Meter vor dem Urlaubsort Costa Teguise in
den Ländern dienen sollen. Bei einigen Rednern wurde einer Sturmböe ein Boot gekentert, auf dem 30 Boat-
ja schon deutlich: Es geht darum, den Menschen in ihrer people aus Afrika waren. Nur sechs haben überlebt, ob-
Heimat eine bessere Perspektive zu geben, damit sie wohl viele Urlauber versucht haben, zu retten. Die meis-
nicht fliehen. ten der ums Leben Gekommenen waren Kinder.
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist es!)
Das ist das, was wir den Menschen in den Ländern,
Wir haben einen Fonds für Demokratie und struktur- aus denen sie fliehen wollen, deutlich machen müssen:
und ordnungspolitische Beratung für die reform- Sie dürfen nicht glauben, dass es ihnen, wenn sie zu uns
orientierten Kräfte aufgelegt. Wir haben den Fonds „Re- nach Europa kommen, hier auf jeden Fall besser geht.
gionalvorhaben zur Qualifizierung und Beschäftigungs- Das ist keine echte Perspektive. Vielmehr müssen wir
förderung Jugendlicher“ für diese Länder aufgelegt. Wir den Menschen, die in ihren Heimatländern verbleiben,
haben mit 20 Millionen Euro zur Finanzierung eines eine Chance geben, zum Beispiel in Form eines Austau-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11919
Hartwig Fischer (Göttingen)
(A) sches mit unseren Unternehmen, damit sie, hier gebildet, Somalia über Libyen kommen oder aus dem Bürger- (C)
in ihre Heimatländer zurückkehren können. kriegsgebiet Libyen kommen, prüfen. Wir nehmen ja
auch 100 auf, die aus diesen Gründen nach Europa ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kommen sind. Das ist überhaupt keine Frage.
Wenn wir da gemeinsam an einem Strang ziehen, dann
Aber ich möchte, dass den Menschen deutlich ge-
können wir dazu beitragen, dass die Menschen nicht ihre
macht wird, was sie erwartet, wenn sie sich auf die
Länder verlassen und sich auf den Weg machen, sondern
Flucht begeben. Wir alle sollten die Möglichkeiten nut-
Perspektiven in ihrer Heimat sehen.
zen, ihnen dieses über die Deutsche Welle oder auch di-
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rekt vor Ort, wenn wir in diese Länder fahren, deutlich
Die Menschen, die das Leben ihrer Kinder die- zu machen.
ser Gefahr aussetzen, machen keinen Spaß!
Sie machen auch keinen Urlaub! Sie setzen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
das Leben ihrer Kinder dieser Gefahr aus, weil
sie wissen, dass ihre Kinder dort, wo sie her- Vizepräsident Eduard Oswald:
kommen, überhaupt keine Überlebenschance Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Aktuelle Stunde ist
haben! Deshalb kommen sie hierher, und des- damit beendet.
halb müssen wir den Menschen auch helfen,
wenn sie in Europa sind!) Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
– Herr Kollege, da es in der Aktuellen Stunde keine Zwi- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
schenfragen gibt, aber ich trotzdem zugehört und noch destages auf morgen, Donnerstag, den 14. April 2011,
24 Sekunden Redezeit habe, sage ich Ihnen: Das ist für 9 Uhr, ein.
mich überhaupt keine Frage. Der Kollege Grindel hat Die Sitzung ist geschlossen.
ganz klar begründet, dass wir die Asylanträge derjeni-
gen, die aus Asylgründen zum Beispiel aus Eritrea oder (Schluss: 17.05 Uhr)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11921
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 13.04.2011 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 13.04.2011*
DIE GRÜNEN
Werner, Katrin DIE LINKE 13.04.2011*
Binding (Heidelberg), SPD 13.04.2011
Lothar Dr. Westerwelle, Guido FDP 13.04.2011
Bonde, Alexander BÜNDNIS 90/ 13.04.2011 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ 13.04.2011
DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN
(A) Im Übrigen ist festzuhalten, dass mit der Föderalis- sich aus Sicht der Bundesregierung bewährt. In den ver- (C)
musreform des Jahres 2006 die Kompetenz für das Recht gangenen Jahren ist sowohl die Zahl der bei beschäfti-
der Spielhallen vom Bund auf die Länder übergegangen gungspflichtigen Arbeitgebern beschäftigten schwerbe-
ist (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG). Aus Sicht der Bundesre- hinderten Menschen als auch die Zahl der besetzten
gierung umfasst diese Gesetzgebungskompetenz alle Pflichtplätze stetig gestiegen. Ziel dieses Systems ist es
Maßnahmen mit örtlichem Regelungsbezug und damit nicht, Unternehmen zu bestrafen, sondern zu motivieren,
die gesamte bauliche und situative Ausgestaltung der verstärkt schwerbehinderte Menschen einzustellen (An-
Spielhallen. Die Länder erwägen aktuell, von ihrer Zu- reizfunktion). Wird dieses Ziel nicht erreicht, wird nach-
ständigkeit im Rahmen der geplanten Überarbeitung des rangig eine Ausgleichsabgabe erhoben, die zum Zweck
Glücksspielstaatsvertrags Gebrauch zu machen. Dem der Eingliederung schwerbehinderter Menschen einge-
Bund verbleibt die Gesetzgebungskompetenz für geräte- setzt wird. Damit soll den unterschiedlichen Belastungen
bezogene Regelungen. zwischen den Arbeitgebern, die die Beschäftigungs-
pflicht erfüllen, und denjenigen, die nur wenige oder
keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen, Rech-
Anlage 3 nung getragen werden (Ausgleichsfunktion). Im Jahr
2010 hat die Bundesagentur für Arbeit im Zusammen-
Antwort hang mit Verstößen gegen die Regelungen zur Beschäfti-
des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage gungspflicht und weitere Arbeitgeberpflichten insgesamt
des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksache in 269 Fällen eine Verwarnung ausgesprochen und in
17/5421, Frage 2): 970 Fällen eine Geldbuße verhängt.
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass im
Jahr 2010 in Deutschland weniger Unternehmen gegründet
worden sind als im Krisenjahr 2009, und wie will sie vor die- Anlage 5
sem Hintergrund ihre Aktivitäten bzw. Programme zur Förde-
rung von Unternehmensgründungen ausweiten? Antwort
Die Gründungen sind 2010 im zweiten Jahr in Folge des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
angestiegen. Nach Analyse des Instituts für Mittel- Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD)
standsforschung Bonn, IfM Bonn, sind die Existenz- (Drucksache 17/5421, Frage 6):
gründungen um 1,2 Prozent auf rund 417 600 angestie- Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass im Falle
gen. Die Gründungsstatistik des IfM Bonn basiert auf steigender Strompreise wegen der Abschaltung von Atom-
kraftwerken Geringverdiener und Empfänger von existenz-
der Gewerbeanzeigenstatistik des Statistischen Bundes- sichernden Leistungen nach dem Zweiten und dem Zwölften
(B) amtes ohne Nebenerwerbsgründungen sowie bereinigt Buch Sozialgesetzbuch sowie dem Asylbewerberleistungsge- (D)
um nicht gründungsrelevante Effekte. Der Aufschwung setz nicht über Gebühr belastet werden, und sieht die Bundes-
gibt auch Gründerinnen und Gründern eine gute Per- regierung eine Möglichkeit, den Arbeitslosengeld-II-Regel-
spektive für den Start in die unternehmerische Selbst- satz zeitnäher an höhere Verbrauchskosten anzupassen oder
den Heizkostenzuschuss wieder einzuführen?
ständigkeit.
Für Leistungsberechtigte nach dem Zweiten und
Die Bundesregierung hat 2010 gemeinsam mit der Zwölften Buch Sozialgesetzbuch werden die Regelbe-
Wirtschaft die Initiative „Gründerland Deutschland“ ge- darfe nach dem sogenannten Mischindex fortgeschrieben.
startet. Ziel ist es, die Gründungskultur in Deutschland Nach diesem in § 28 a des Zwölften Buches Sozialgesetz-
zu stärken und neue Impulse für eine höhere Gründungs- buch, SGB XII, enthaltenen Fortschreibungsmechanis-
dynamik zu geben. Schwerpunkte der Initiative sind ins- mus werden die Regelbedarfsstufen mit der Verände-
besondere die Entwicklung einer neuen Gründungskul- rungsrate der Preise sowie der Nettolöhne und -gehälter
tur, die Stärkung der gründungsbezogenen Ausbildung fortgeschrieben. Angesichts der Bedeutung der Preisent-
an Schulen und Hochschulen sowie die Erleichterung wicklung für die Aufrechterhaltung des Existenzmini-
der Unternehmensnachfolge. mums geht die Veränderungsrate des Preisindexes mit
einem Anteil von 70 Prozent in den Mischindex ein.
Anlage 4 Die Veränderungsrate der Preise ergibt sich nicht aus
dem normalen Verbraucherpreisindex, sondern aus ei-
Antwort nem speziellen Preisindex, der nur die in den Regelbe-
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die darf eingehenden regelbedarfsrelevanten Verbrauchsaus-
Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) gaben berücksichtigt. Dies bedeutet konkret, dass die bei
(Drucksache 17/5421, Frage 5): der Ermittlung des Regelbedarfs berücksichtigten Ver-
brauchsausgaben – und damit auch Verbrauchsausgaben
Durch welche Maßnahme stellt die Bundesregierung si-
cher, dass Arbeitgeber der Beschäftigungspflicht im Sinne
für Strom – mit dem sich bei der Regelbedarfsermittlung
von § 71 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Pflicht der ergebenden Anteil an allen berücksichtigten Verbrauchs-
Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen – ausgaben in die Veränderungsrate der für die Fortschrei-
nachkommen, und in wie vielen Fällen wurde im Jahr 2010 bung heranzuziehenden Preisentwicklung eingehen. So
wegen einer Ordnungswidrigkeit eine Verwarnung ausgespro- ist der Anteil der Stromverbrauchsausgaben an allen re-
chen oder ein Bußgeld verhängt?
gelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben und damit
Die Regelungen des Neunten Buches Sozialgesetz- auch dessen Gewicht in dem in den Mischindex einge-
buch zur Beschäftigungspflicht von Arbeitgebern haben henden Preisindex mit rund 7,8 Prozent deutlich höher
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11923
Befasst sich das Bundesministerium für Ernährung, Land- Sachsen-Anhalt 566 900 25 Prozent
wirtschaft und Verbraucherschutz mit den kürzlich im sächsi-
schen Vogtland aufgetretenen Fällen von Botulismus bei Rin- Thüringen 800 000 25 Prozent
dern, und, falls ja, welche Konsequenzen zieht das
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz aus diesen Botulismusfällen?
Anlage 8
Dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- Antwort
schaft und Verbraucherschutz liegen keine Angaben zu
den kürzlich im sächsischen Vogtland aufgetretenen Fäl- des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der
len von Botulismus bei Rindern vor. Botulismus ist we- Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
der eine anzeigepflichtige Tierseuche noch eine melde- (Drucksache 17/5421, Frage 11):
pflichtige Tierkrankheit. Die Bundesregierung fordert Welche Altersklassen in Betreuungs- und Bildungseinrich-
Forschungsvorhaben, um das Krankheitsbild zu untersu- tungen profitieren bislang von dem mit EU-Mitteln geförder-
ten europäischen Schulobstprogramm zur Verteilung von kos-
chen. Sie arbeitet hierbei eng mit den Bundesländern zu- tenlosem Obst und Gemüse, und welche Maßnahmen werden
sammen. darüber hinaus getroffen, um eine ausgewogene Ernährung
11924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) bei den Kindern und Jugendlichen zu erreichen, bzw. gibt es unter Schutz gestellt werden, und welche fischereiwirtschaft- (C)
diesbezüglich Initiativen der Bundesregierung? lichen Einschränkungen sind damit konkret verbunden – An-
gabe bitte flächenbezogen?
In Deutschland sind die Länder für die Durchführung
des EU-Schulobstprogramms zuständig. Die Altersklas- Die Bundesregierung hat insgesamt zehn Meeres-
sen reichen von vorschulischen Einrichtungen bis zur schutzgebiete nach NATURA 2000 in der deutschen
4. Schulklasse. Zielgruppe sind in der Regel Kinder in Ausschließlichen Wirtschaftszone, AWZ, gemeldet, da-
Grund- und Förderschulen bzw. Schulen mit besonderer von sechs in der Ostsee und vier in der Nordsee. Die
pädagogischer Prägung. Gebiete wurden von der Europäischen Kommission im
Januar 2008 auf die Liste der Gebiete von gemeinschaft-
Die Bundesregierung hat mit dem Nationalen Ak- licher Bedeutung aufgenommen; sie umfassen etwa
tionsplan IN FORM Deutschlands Initiative für gesunde 30 Prozent der Gesamtfläche der deutschen AWZ. Die
Ernährung und mehr Bewegung eine umfassende Initia- konkreten Schutzgebietsausweisungen sind binnen sechs
tive zur Unterstützung von Projekten und Maßnahmen in Jahren nach Listung vorzunehmen.
den Bereichen Ernährung und Bewegung ergriffen.
Zu den konkreten Fischereiregelungen in den Schutz-
Die begleitenden Maßnahmen der Länder umfassen
gebieten ist zu sagen, dass hierzu die wissenschaftlichen
darüber hinaus beispielsweise Informationsmaterialien,
Einrichtungen des Bundes zurzeit Vorschläge für solche
Unterrichtseinheiten, Besuche auf dem Bauernhof oder
bei Obstanbaubetrieben. Regelungen erarbeiten. Die Bundesregierung liegt hier
voll im Zeitplan, den die EU vorsieht.
Anlage 9
Anlage 11
Antwort
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der
Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage des
(Drucksache 17/5421, Frage 13): Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) (Druck-
sache 17/5421, Frage 16):
Wie bewertet die Bundesregierung die nationalen Förder-
möglichkeiten für Aquakulturanlagen, und welche Anstren- Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung in den
gungen unternimmt die Bundesregierung zur Beseitigung letzten sechs Monaten unternommen, damit in 2012 ein Ver-
rechtlicher bzw. struktureller Hindernisse der Stärkung einer ordnungsentwurf mit bundeseinheitlichen Vorgaben für die
nachhaltigen Aquakultur in Deutschland? artgerechte Haltung von Mastkaninchen vorgelegt werden
(B) kann?
(D)
Im Rahmen des Operationellen Programms für die
Förderung der Fischerei in Deutschland 2007 bis 2013 Im Vergleich zu anderen Nutztierarten lagen bisher
ist die Aquakulturförderung ein Förderschwerpunkt. nur wenige Kenntnisse über die Voraussetzungen einer
tiergerechten Kaninchenhaltung vor. Als Grundlage für
Allerdings sind für die Aquakulturförderung aus- eine Ergänzung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverord-
schließlich die Länder zuständig. Im Bereich des Europäi- nung um spezifische Anforderungen an die Haltung von
schen Fischereifonds, EFF, gewähren die Landesregierun-
Kaninchen versendete das Bundesministerium für Er-
gen der Fischerei und insbesondere der Aquakultur im
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Ok-
Grundsatz die Unterstützung, die rechtlich vorgegeben
tober 2010 eine Abfrage zur aktuellen Situation an die
ist. Dafür sind die nationalen, die EU-Regelungen und
Bundesländer. Zudem wurden wissenschaftliche Veröf-
die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel ausschlag-
gebend. fentlichungen gesammelt und geprüft, fachspezifische
Veranstaltungen besucht und Tierhaltungsbetriebe be-
Gerade Aquakultur als aufstrebender Wirtschaftsbe- sichtigt, um weitere detaillierte Daten in Bezug auf eine
reich soll mit dem Ziel der umweltgerechten und nach- verhaltensgerechte Unterbringung und Pflege von Ka-
haltigen Nutzung der Ressourcen unterstützt werden. ninchen zu gewinnen.
Die Bundesregierung setzt sich auch auf europäischer
Ebene dafür ein, dass ein Ausbau von Aquakultur und Mithilfe der gewonnenen Daten konnten anschlie-
Binnenfischerei nicht durch untragbare Schäden – wie ßend im Rahmen einer Projektgruppe mit Ländervertre-
beispielsweise von Kormoranen – gefährdet wird. tern Eckpunkte der zukünftigen Regelung erarbeitet und
an die für Tierschutz zuständigen Referenten der Länder
mit der Bitte um Stellungnahme versendet werden.
Anlage 10 Die eingegangenen Stellungnahmen und Vorschläge
Antwort werden aktuell in das genannte Eckpunktepapier einge-
arbeitet. Das Eckpunktepapier soll dann an die Verbände
des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der und betroffenen Kreise zur Stellungnahme übersandt
Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) werden. Das BMELV ist an einem zügigen Fortgang in-
(Drucksache 17/5421, Frage 14): teressiert, der weitere Zeitablauf ist aber wesentlich vom
Wie viel Prozent der deutschen Meeresgebiete stehen un- Verlauf der Abstimmungen und dem Diskussionsbedarf
ter Schutz bzw. sollen in den kommenden Jahren zusätzlich der im üblichen Verfahren zu Beteiligenden abhängig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11925
(A) dienstleistende Männer und ab 1. Juli 2011 auch für Frei- der zur Sicherung der ärztlichen Versorgung auf fol- (C)
willig Wehrdienstleistende Frauen. gende Punkte geeinigt:
Erstens. Die Bundesländer erhalten ein Mitberatungs-
Anlage 16 und Initiativrecht bei den Beratungen des Gemeinsamen
Bundesausschusses, G-BA, zu Fragen der Bedarfspla-
Antwort nung. Das Mitberatungsrecht beinhaltet ein Rederecht
sowie ein Anwesenheitsrecht bei den Beratungen und
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra-
Abstimmungen in den Gremien des G-BA.
gen der Abgeordneten Sabine Stüber (DIE LINKE)
(Drucksache 17/5421, Fragen 25 und 26): Zweitens. Die regionalen Gremien in den Bundeslän-
Ist das Nichtvorhandensein eines Jugendmigrationsdiens- dern erhalten durch Gesetz die Möglichkeit, bei der Er-
tes ein Ausschlusskriterium für die Förderung einer Kompe- stellung des Bedarfsplans zur Berücksichtigung eines re-
tenzagentur in einer bestimmten Region? gionalen Versorgungsbedarfs von den Regelungen der
Warum wird ab dem 1. Januar 2012 eine Kofinanzierung Bedarfsplanungsrichtlinie des G-BA abzuweichen, zum
der Kompetenzagenturen durch die Jobcenter, die Agentur für Beispiel bei der Bestimmung der Planungsbereiche und
Arbeit und den Europäischen Sozialfonds ausgeschlossen?
den zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versor-
gung festzulegenden Verhältniszahlen.
Zu Frage 25:
Das Nichtvorhandensein eines Jugendmigrations- Drittens. Die Beteiligungsrechte der Länder gegen-
dienstes ist kein Ausschlusskriterium für die Förderung über dem jeweiligen Landesausschuss werden analog
einer Kompetenzagentur. Das Bundesministerium für Fa- den Beteiligungsrechten des Bundesministeriums für
milie, Senioren, Frauen und Jugend hat im Rahmen der Gesundheit gegenüber dem G-BA ausgestaltet. Dies be-
neuen Ausschreibung die Kofinanzierung der Kompetenz- deutet, dass das Land die Rechtsaufsicht über den Lan-
agenturen aus Mitteln der Jugendmigrationsdienste er- desausschuss erhält. Die vom Ausschuss zu treffenden
möglicht, um die Programme der Initiative JUGEND Beschlüsse sind dem Land künftig vorzulegen und kön-
STÄRKEN besser miteinander zu verzahnen. Die erfor- nen innerhalb einer bestimmten Frist vom Land bean-
derliche Kofinanzierung kann aber auch auf anderem standet werden. Die Nichtbeanstandung eines Beschlus-
Wege, zum Beispiel durch die Kommunen oder Stiftun- ses kann mit Auflagen verbunden und zur Erfüllung
gen, erbracht werden. einer Auflage eine angemessene Frist gesetzt werden.
Für den Fall, dass ein für die Sicherstellung der ärztli-
Zu Frage 26: chen Versorgung erforderlicher Beschluss des Ausschus-
ses nicht oder nicht innerhalb einer vom Land gesetzten
(B) Die Kofinanzierung des Programms Kompetenzagen- Frist zustande komme oder Beanstandungen des Landes (D)
turen soll im Hinblick auf die angestrebte Verstetigung nicht innerhalb einer vorher gesetzten Frist behoben
des Angebots und zur Stärkung der kommunalen Ju- werden, kann das Land den Beschluss erlassen (Ersatz-
gendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII in erster Linie aus vornahme).
kommunalen Mitteln erfolgen. Die nach einer Über-
gangszeit bis Ende 2011 auslaufende Möglichkeit der Das Teilnahmerecht des Landes an Sitzungen des
Kofinanzierung aus Mitteln des Zweiten und Dritten Bu- Landesausschusses wird analog der Regelung zur Betei-
ches Sozialgesetzbuch, SGB II und SGB III, trägt die- ligung der Patientenvertreter ausgestaltet. Das Land er-
sem Anliegen Rechnung. Zudem kann künftig auch eine hält damit auch ein Mitberatungsrecht.
Kofinanzierung aus dem Programm der Jugendmigra- Viertens. Zur Genehmigung vorgelegte Verträge nach
tionsdienste erbracht werden. den §§ 73 b und c sowie nach den §§ 140 a bis d Fünftes
Buch Sozialgesetzbuch, SGB V, mit Auswirkungen auf
das landesbezogene Versorgungsgeschehen sind künftig
Anlage 17 unabhängig von der aufsichtsrechtlichen Zuständigkeit
Antwort für die Kassen der betroffenen Landesaufsichtsbehörde
vorzulegen. Die Bundesländer erhalten die Möglichkeit,
der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf binnen eines Monats der zuständigen Aufsichtsbehörde
die Frage des Abgeordneten Fritz Rudolf Körper ihre Position vorzulegen. Darüber hinaus hat die zustän-
(SPD) (Drucksache 17/5421, Frage 27): dige Aufsichtsbehörde bei den genannten Verträgen im
Wie sehen die konkreten Vorschläge der Bundesregierung Falle einer Beanstandung das Benehmen mit den betrof-
für Beteiligungsmöglichkeiten der Bundesländer zur Siche- fenen Aufsichtsbehörden herzustellen. Die Bundesländer
rung der ärztlichen Versorgung insbesondere im ländlichen erhalten bezogen auf diese Versorgungsverträge zudem
Raum (vergleiche Süddeutsche Zeitung vom 6. April 2011)
aus, und welche konkrete Zeitplanung zu deren Umsetzung zur Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung
gibt es? ein Initiativrecht.
Der von Ihnen angesprochene Artikel der Süddeut- Fünftens. Alle Krankenkassen einer Kassenart mit
schen Zeitung bezieht sich auf eine von der Gesundheits- Mitgliedern mit Wohnsitz in einem Land haben künftig
ministerkonferenz eingerichtete Bund-Länder-Kommis- für das jeweilige Land für alle gemeinsam und einheit-
sion zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in lich zu treffende Entscheidungen sowie für gemeinsam
Deutschland. Diese Kommission hat sich am 6. April und einheitlich abzuschließende Verträge auf Landes-
2011 zu den Beteiligungsmöglichkeiten der Bundeslän- ebene jeweils einen gemeinsamen Bevollmächtigten mit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11927
(A) Abschlussbefugnis gegenüber der zuständigen Obersten Bestandteil des regierungsinternen Haushaltsaufstel- (C)
Verwaltungsbehörde des jeweiligen Landes zu benennen. lungsverfahrens ist. Gleiches gilt für den Wirtschaftsplan
Können sich die betroffenen Krankenkassen einer Kas- 2012 zum Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“,
senart nicht auf einen Bevollmächtigten einigen, be- der parallel zum Haushalt aufgestellt, verhandelt und
stimmt die für die Sozialversicherung zuständige verabschiedet wird. Insofern kann über die Höhe der
Oberste Verwaltungsbehörde des jeweiligen Landes die- künftigen Programmmittel für das CO2-Gebäudesanie-
sen gemeinsamen Bevollmächtigten. Eine Ausnahme- rungsprogramm derzeit noch keine Aussage getroffen
regelung gilt, soweit für ein Land ein Landesvertreter ei- werden.
ner Kassenart oder ein Landesverband besteht oder die
Aufgaben eines Landesverbandes nach § 207 Abs. 4 a
SGB V wahrgenommen werden. Anlage 19
Sechstens. Im SGB V wird die Rechtsgrundlage zur Antwort
optionalen Bildung eines sektorübergreifenden Gre-
miums auf Landesebene vorgesehen, das Empfehlungen des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
zur medizinischen Versorgung ohne Bindungswirkung Frage der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/
aussprechen kann. Das Nähere zur Umsetzung und Ar- CSU) (Drucksache 17/5421, Frage 30):
beitsweise dieses Gremiums ist dann gegebenenfalls Wie hoch ist die von der Deutschen Bahn AG beantragte
durch Landesrecht zu regeln. Förderung zum Neubau des City-Tunnels Leipzig im Rahmen
des Operationellen Programms, OP, Verkehr EFRE Bund
Es ist vorgesehen, die vorgenannten Punkte in das an- 2007 bis 2013?
stehende Versorgungsgesetz, das zum 1. Januar 2012 in
Kraft treten soll, einzubeziehen. Die DB Netz AG hat bislang für den Neubau des
City-Tunnels Leipzig 77,344 Millionen Euro aus den
EFRE-Mitteln des Operationellen Programms Verkehr
Anlage 18 EFRE Bund 2007 bis 2013 beantragt.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Anlage 20
Fragen der Abgeordneten Bettina Herlitzius (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Fragen 28 Antwort
und 29): des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
(B) Soll das vom Parlamentarischen Staatssekretär beim Bun- Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜND- (D)
desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Jan NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 31):
Mücke in einem Eckpunktepapier angekündigte KfW-Pro-
gramm zur energetischen Stadtsanierung als Zuschusspro- Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der nach
gramm oder als Kreditprogramm ausgestaltet werden, und Aussagen des Veranstalters erfolgten Weigerung der Deut-
wie beabsichtigt die Bundesregierung die Finanzierung des schen Bahn AG, dem „Zug der Erinnerung“, der am 1. und
Programms vor dem Hintergrund sicherzustellen, dass der 2. April 2011 im Bahnhof Düren Station machte, wie schon
Energie- und Klimafonds aufgrund der aktuellen Entwicklun- zuvor in anderen Bahnhöfen, den notwendigen Strom-
gen voraussichtlich nicht über die erwarteten Einnahmen ver- anschluss zur Verfügung zu stellen, und was wird die Bundes-
fügt? regierung als hundertprozentige Eignerin der Deutschen Bahn
AG veranlassen, damit dem „Zug der Erinnerung“ in Zukunft
Wie hoch wird die Gebäudesanierungsquote in 2012 aus-
in allen Bahnhöfen, in denen er Station macht, der notwendige
fallen, wenn die KfW-Mittel für die Gebäudesanierung, wie
Stromanschluss zur Verfügung gestellt wird?
bekannt wurde, in 2012 auf knapp 50 Millionen Euro gekürzt
werden, und wie beabsichtigt die Bundesregierung vor diesem
Hintergrund die Klimaziele zu erreichen?
Ein Handeln der Bundesregierung ist nicht angezeigt.
Nach Feststellung der Bundesnetzagentur liegt folgender
Sachverhalt zugrunde:
Zu Frage 28:
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jan Mücke Die Deutsche Museums-Eisenbahn GmbH (DME),
hatte mit Schreiben vom 31. März 2011 an den Aus- die für den Verein „Zug der Erinnerung“ alle betriebs-
schuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Eck- technischen Leistungen übernimmt, hatte relativ kurz-
punkte zur Ausgestaltung des Programms „Energetische fristig eine Trasse im Bahnhof Düren beantragt. Im
Stadtsanierung“ übermittelt. Danach sollen sowohl zins- Bahnhof stellte sich dann heraus, dass die vom Zug be-
verbilligte Kredite als auch Zuschüsse zur Verfügung ge- nötigte Netzspannung von 220 V Wechselstrom nicht
stellt werden. Die Verhandlungen zum Sondervermögen ohne Weiteres durch Netzanschluss am Gleis oder bahn-
„Energie- und Klimafonds“ für das Jahr 2012 sind noch hofseitig zur Verfügung gestellt werden konnte. Für eine
nicht abgeschlossen. Insofern ist derzeit noch keine Aus- Verbindung mit dem Netzanschluss des Bahnhofsgebäu-
sage über die finanzielle Ausstattung des Programms des wäre eine Verlegung des Stromkabels unter den
möglich. Gleisen notwendig gewesen. Hierfür ist eine Bau- und
Betriebsanweisung der DB Netz AG, der die betroffenen
Zu Frage 29: Gleise gehören, notwendig, die in der Kürze der Zeit
nicht zu erlangen war. Daher stellte das herbeigerufene
Die von Ihnen erbetenen Angaben beziehen sich auf THW einen Stromgenerator am Bahnsteig zur Verfü-
den Inhalt des Bundeshaushaltes 2012, der derzeit noch gung.
11928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Nach Einschätzung der DME waren die eingetretenen haben ergeben, dass von US-militärischer Seite Bepro- (C)
Schwierigkeiten nicht Ausdruck abweisenden Verhaltens bungen der Luft und des Bodens vorgenommen worden
seitens der Deutsche Bahn AG. sind. Die Untersuchungen der Umweltabteilung des
52. Jagdgeschwaders der US-Streitkräfte auf den Stoff
Petroleum Hydrocarbonat sowie auf Kontaminationen,
Anlage 21 die durch den Treibstoff verursacht werden können, ha-
ben Ergebnisse gebracht, die sich innerhalb der Norm
Antwort befanden.
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
Nach Auskunft aus dem rheinland-pfälzischen Um-
des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
weltministerium hat die zuständige Behörde, die Kreis-
GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 32):
verwaltung Bernkastel-Wittlich, im Bereich des Flug-
Welche konkreten sechs deutschen Projekte (siehe Ant- zeugabsturzes noch keine Messungen über mögliche
wort der Bundesregierung auf meine schriftliche Frage auf
Bundestagsdrucksache 17/5422) wurden von der Bundesre- Verunreinigungen des Bodens durchführen können, da
gierung an die Europäische Kommission als mögliche Pro- es noch militärisches Sperrgebiet ist.
jekte zur Förderung aus dem NER-300-Programm weiterge-
leitet, und welche Unternehmen sind daran beteiligt?
(A) nerieren ein Kredit- und Zuschussvolumen in Höhe von wie andere Länder ihre Klimaziele erreichen, hat die (C)
rund 5 Milliarden Euro und stoßen damit Gesamtinvesti- Bundesregierung nicht zu entscheiden.
tionen von 12 Milliarden Euro an. Zugleich werden jähr-
lich bis zu 340 000 Arbeitsplätze im Mittelstand/Hand-
werk geschaffen bzw. gesichert. Der jährliche CO2- Anlage 25
Ausstoß wird durch die bislang geförderten Investitionen
an Wohngebäuden um rund 4,7 Millionen Tonnen ver- Antwort
mindert. Und zwar jährlich wiederkehrend über einen der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
durchschnittlich 30-jährigen Nutzungszeitraum der Maß- der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
nahmen. Pro Milliarde Euro Fördermittel beträgt das DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 37):
jährliche Energieeinsparpotenzial etwa 2 Terawattstun-
den. In welchem Verfahren wird die Reaktor-Sicherheitskom-
mission, RSK, die von ihr noch festzulegenden Maßstäbe, auf
deren Basis sie die von den Gutachtern unter der Federfüh-
Bei der Evaluierung wurden allerdings nicht alle rung der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit,
gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Maßnahme GRS, vorzulegenden Ergebnisse der Atomkraftwerkeprüfun-
berücksichtigt. So können aufgrund der erforderlichen gen bewerten wird (vergleiche Plenarprotokoll 17/101, An-
Finanzierung negative Effekte an anderer Stelle entste- lage 16), festlegen – bitte insbesondere mit Angabe etwaiger
Sondersitzungen der RSK, bis wann die Festlegung abge-
hen. schlossen sein soll und ob sie in Abstimmung mit dem Bun-
desministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Darüber hinaus werden im Rahmen des Marktanreiz- heit erfolgt –, und welcher konkrete Zeitplan existiert für oben
programms Erneuerbare Energien und im Rahmen der genannte Gutachter unter der Federführung der GRS für die
Nationalen Klimaschutzinitiative des Bundesministe- Vorlage ihrer Zwischen- und Endergebnisse an die RSK?
riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die RSK erstellt zurzeit im Rahmen einer Redak-
ebenfalls Mittel bereitgestellt, die im Bereich der priva-
tionsgruppe Vorschläge für Bewertungsmaßstäbe für die
ten Haushalte und der CO2-Minderung in Gebäuden
Einstufung der Ergebnisse der Sicherheitsüberprüfungen
wirksam werden. Beide Fördermaßnahmen werden 2011
der deutschen Kernkraftwerke. Es ist geplant, diese Vor-
aus Mitteln des neu eingerichteten Energie- und Klima-
schläge auf einer RSK-Sitzung am 21. April 2011 zu be-
fonds der Bundesregierung flankiert.
raten und die Bewertungsmaßstäbe zu verabschieden.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit wird, wie üblich, an der Sitzung der
Anlage 24 RSK teilnehmen.
(B) Antwort 4. bis 21. April 2011: (D)
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fra- Vorbereitende Arbeiten wie zum Beispiel Herausar-
gen des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ beitung des anlagenspezifischen Sachstands, Konzipie-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Fragen 35 und 36): rung der Gliederung, Konzipierung der Art der Darstel-
lung unter Berücksichtigung der Fragenliste, GRS,
Wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse der
jüngsten Klimaverhandlungen in Bangkok, auch vor dem Gutachterteams, Anlagengutachter.
Hintergrund der Erfordernisse für eine erfolgreiche Klima-
konferenz in Durban Ende dieses Jahres? 21. April 2011:
Welche Rolle hat aus Sicht der Bundesregierung die Deadline für den Eingang der Antworten der Betrei-
Atomenergie beim weltweiten Klimaschutz? ber bei Landesbehörden; GRS und RSK. 435. Sitzung
der RSK: unter anderem Diskussion Bewertungsmaß-
Zu Frage 35: stäbe und Struktur der Stellungnahme.
Die Klimaverhandlungsrunde in Bangkok hat den 21. April 2011 bis 2. Mai 2011:
Fahrplan der Verhandlungen für dieses Jahr bis zur Kli-
Aufbereitung der Antworten der Betreiber durch die
makonferenz in Durban im Dezember vereinbart. Fest-
Gutachterteams. Formulierung etwaiger Nachfragen an
gelegt wurde, dass der Schwerpunkt sowohl auf der Um-
die Landesbehörden oder Betreiber, um bestimmte Sach-
setzung der Vereinbarungen von Cancún liegen soll als
verhalte aufklären zu können. Die RSK wird fortlaufend
auch auf der Adressierung der in Cancún offen gebliebe-
über Teilergebnisse informiert.
nen Fragen.
2. Mai 2011:
Zu Frage 36:
Abschluss der Arbeiten der Gutachterteams. Vorlage
Für die Bundesregierung ist die Kernenergie eine einer Zusammenstellung der aus den Antworten der Be-
Brückentechnologie, deren künftige Nutzung derzeit neu treiber gewonnenen Ergebnisse und Weiterleitung an die
bewertet wird. Allerdings muss dies realistisch und mit RSK.
Augenmaß erfolgen. Die Bundesregierung setzt insofern 12. bis 13. Mai 2011:
auf den zügigen Ausbau Erneuerbarer Energien, einen
entsprechenden Ausbau der Stromnetze, auf Energieein- Abschluss der RSK-Beratung in Form einer Stellung-
sparung und eine höhere Energieeffizienz. Die Frage, nahme in der 436. Sitzung der RSK.
11930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
Stan-
Phy-
genb. TÜV TÜV TÜV TÜV
Öko- siker-
Team ESN GRS & Nord Nord Süd Süd
Institut büro
Part- EnSYS SysTec ET IS
Br.
ner
Naturbedingte Ereignisse 1 3 1 1 – 1 1 1 1
Zivilisatorisch Einwirkungen – 3 1 1 1 1 1 2 1
von außen
SEWD 1 3 – – – 1 1 1 2
Vorsorgemaßnahmen – 3 1 1 – 1 1 2 2
Notstromversorgung, Neben- 1 3 1 1 – – 2 3 2
kühlwasser etc. SWR
Notstromversorgung, Neben- 1 3 1 1 – 2 1 2 2
kühlwasser etc. DWR
Notfallmaßnahmen 2 3 1 1 – 1 2 1 2
(Kern- und BE-Becken)
Abschätzungen und Analysen – 4 – – – 2 1 2 1
(B) (D)
Anlage 27 Anlage 28
Antwort Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 39): GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 40):
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass Pho- Beabsichtigt die Bundesregierung, sich auf der europäi-
tovoltaikstrom und Windstrom aus Deutschland an der Strom- schen Ebene zukünftig gegen direkte und indirekte Subventio-
börse wettbewerbsfähiger sind als Atomstrom aus Frankreich nen für Atomenergie einzusetzen, damit die deutsche Wirt-
oder Tschechien, und sind der Bundesregierung Atomkraft- schaft nicht durch im europäischen Ausland begünstigten
werke bekannt, die im Ausland infolge des deutschen Morato- Atomstrom benachteiligt wird, und wird sich die Bundesre-
riums neu ans Netz gegangen sind? gierung für europaweit höchste Sicherheitsmaßstäbe bei
Atomkraftwerken einsetzen, um ein Sicherheitsdumping zum
Strom aus Windenergie und Photovoltaikanlagen wird Nachteil der deutschen Wirtschaft zu verhindern?
an der Strombörse im Wesentlichen zu variablen Kosten
null angerechnet. Windenergie und Photovoltaik ordnen Die Bundesregierung unterstützt weiterhin eine strin-
sich daher in der Reihenfolge des Kraftwerkseinsatzes gente Wettbewerbskontrolle durch die Europäische
– sogenannte Merit Order – idealtypisch links vor der Kommission.
Kernenergie ein. Dies ist Folge auch des gesetzlichen
Einspeisevorrangs der erneuerbaren Energien. Aller- Die Bundesregierung setzt sich europaweit und inter-
dings beschreibt dieser Merit-Order-Effekt lediglich den national für ein höchst mögliches Sicherheitsniveau
Preisbildungsmechanismus an der Strombörse. Er stellt sowohl bei bestehenden als auch geplanten Kernkraft-
keine allgemeine Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit werken ein. Bei den auf EU-Ebene beschlossenen
verschiedener Erzeugungstechnologien dar, unter ande- Stresstests tritt sie beispielsweise dafür ein, dass sich
rem wird dabei die Förderung durch das EEG nicht be- diese an den Kriterien der Reaktorsicherheitskommis-
rücksichtigt. sion, die derzeit für deutsche Sicherheitsüberprüfungen
erarbeitet werden, orientieren. Darüber hinaus fordert
Der Bundesregierung sind keine Kernkraftwerke be- die Bundesregierung nachdrücklich, dass auch Nicht-
kannt, die im Ausland infolge des deutschen Morato- EU-Mitgliedstaaten ihre Kernkraftwerke anspruchsvol-
riums neu ans Netz gegangen sind. len Sicherheitsüberprüfungen unterziehen. Die aus den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11931
(A) che Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Sieht die Bundesregierung bei der Nanotechnologie einen (C)
Erkenntnissen/Ergebnissen des Softwaretests – Quality Gates – Nachholbedarf bei der Erforschung von toxikologischen Aus-
vom 8. April 2011? wirkungen auf Mensch und Umwelt, und wie hoch sind die
derzeit eingeplanten Mittel für die Toxikologieforschung in
Die Entwicklung des Dialogorientierten Servicever- der Anwendung von Nanopartikeln im Bereich des Bundes-
fahrens erfolgt im Auftrag und in der Verantwortung der instituts für Risikobewertung?
von den Ländern im Zusammenwirken mit den Hoch- Forschungsaktivitäten zu Risiken der Nanotechnolo-
schulen getragenen Stiftung für Hochschulzulassung, gie für Gesundheit und Umwelt werden national und auf
SfH. Gemäß dem in der Sitzung des Stiftungsrats SfH am EU-Ebene seit mehr als zehn Jahren gefördert. Die Bun-
14. März 2011 beschlossenen neuen Zeitplan mit zwei desregierung unterstützt im Rahmen der BMBF-Aktivi-
Quality Gates – 8. April 2011 und 28. April 2011 – hat täten solche Arbeiten als einen integralen Bestandteil der
das Projektmanagement der SfH gemeinsam mit den Fachprogramme. Risiken werden parallel zu den An-
Fachberatern und den Vorsitzenden des Stiftungsrats am wendungen der Nanotechnologie erforscht.
8. April 2011 eine Bewertung des Projektfortschritts im
Dialogorientierten Serviceverfahren vorgenommen Aktuell fördert das Bundesministerium für Bildung
(Quality Gate 1). Auf Basis der Bewertungsergebnisse und Forschung, BMBF, im Rahmen von zwei Aktivitä-
sind die Vorsitzenden des Stiftungsrats zu dem Ergebnis ten Arbeiten zu Auswirkungen von Nanomaterialien auf
gekommen, dass aus Gesamtprojektsicht zum gegenwär- Mensch und Umwelt: „NanoNature: Nanotechnologien
tigen Zeitpunkt eine Inbetriebnahme des Dialogorientier- für den Umweltschutz – Nutzen und Auswirkungen“ so-
ten Serviceverfahrens – „Go-live“ – für die Zulassungs- wie „NanoCare – Auswirkungen von synthetischen Na-
verfahren zum Wintersemester 2011/12 aus Gründen der nomaterialien und -partikeln auf die Gesundheit“. Auch
Verfahrenssicherheit nicht empfohlen werden kann, da in Fördermaßnahmen wie „NanoTextil – Nanotechnolo-
– obwohl die technischen Voraussetzungen zum April gie für textile Anwendungen“ und „Nanotecture – Nano-
2011 im Wesentlichen geschaffen werden konnten – eine technologie im Bauwesen“ werden Auswirkungen des
rechtzeitige und stabile Anbindung der Hochschulen für Nanotechnologieeinsatzes erforscht. Darüber hinaus ist
das Wintersemester 2011/12 nicht mehr als realisierbar in der Innovationsallianz „Kohlenstoffnanoröhren: CNT-
angesehen werden kann. Sie haben deshalb dem Stif- Materialien erobern Märkte“ ein umfangreiches Arbeits-
tungsrat vorgeschlagen, zu beschließen, die Arbeiten und paket zur Risikoforschung enthalten. Zudem werden aus
dem Umweltforschungsplan 2009 und 2010 des Bundes-
insbesondere die Tests sowie die Anbindung der Hoch-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
schulen an das Dialogorientierte Serviceverfahren wei-
sicherheit, BMU, Vorhaben finanziert, die sich mit der
terzuführen, aber den Start zu verschieben. Ferner soll die
grundlegenden Erforschung der möglichen Umweltrisi-
(B) Vorbereitungsgruppe des Stiftungsrats beauftragt werden, ken von Nanomaterialien befassen. Die Ergebnisse die- (D)
in ihrer nächsten Sitzung die weiteren Schritte zu beraten
ser Arbeiten gehen unter anderem in das internationale
und dem Stiftungsrat einen Aktionsplan vorzulegen, wie Testprogramm zur Sicherheitsforschung von Nanomate-
das System in vollem Funktionsumfang und Service für rialen der OECD ein – „Sponsorship Programm“ der
Bewerberinnen und Bewerber sowie Hochschulen einge- „OECD Working Party of Manufactured Nanomate-
setzt werden kann. Der Stiftungsrat hat diesem Vorschlag rials“.
am 12. April 2011 im Umlaufverfahren zugestimmt.
Über die Projektförderung hinaus werden im Rahmen
Die Bundesregierung unterstreicht, dass die Zuverläs- der institutionellen Förderung Forschungsarbeiten zu
sigkeit des Systems für Bewerberinnen und Bewerber Auswirkungen von Nanomaterialien an Instituten der
sowie Hochschulen erste Priorität hat. Sie betont, dass Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft
die Entwicklung der neuen Software fast abgeschlossen und der Leibnitz-Gemeinschaft durchgeführt. Fragen der
ist und bedauert, dass es bislang nicht ausreichend ge- verbraucher-, umwelt- und gesundheitsschutzorientier-
lungen ist, den Datenaustausch mit bestehenden Cam- ten Begleitforschung zur Nanotechnologie bearbeiten
pussystemen verfahrenssicher zu gestalten. Hier muss zudem das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, die
die Devise gelten: Qualität geht vor Schnelligkeit. Die Bundesforschungsanstalten, das Umweltbundesamt,
Bundesregierung erwartet jetzt von der Stiftung für UBA, sowie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar-
Hochschulzulassung, dass sie zügig einen neuen, die ak- beitsmedizin, BAuA. Unter Federführung der BAuA ar-
tuelle Situation berücksichtigenden, konkreten Plan zur beiten die Bundesoberbehörden an der Auswertung und
Realisierung des Dialogorientierten Serviceverfahrens Weiterführung der gemeinsamen Forschungsstrategie
vorstellt, damit das System baldmöglichst an den Start zur Sicherheitsforschung von Nanomaterialen aus dem
geht. Jahre 2007.
Im Haushalt des BfR sind Mittel für Forschung zum
Nachweis und zur Wirkung potenziell toxischer Substan-
Anlage 33
zen in Bedarfsgegenständen und Untersuchungen von
Antwort toxikokinetischen und mechanistisch toxikologischen
Aspekten als Basis für Risikobewertungen in Höhe von
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage 160 000 Euro in 2011 eingeplant. Darüber hinaus ist das
der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) BfR in Drittmittelprojekte involviert, in denen die Wir-
(Drucksache 17/5421, Frage 46): kungen von Nanopartikeln untersucht werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11933
(A) – Nicht abgerufene Mittel Das europaweite Ausschreibungsverfahren zum „Sonne“- (C)
Nachfolgebau wurde im Dezember 2008 mit einem eu-
Von den Ländern wurden insgesamt rund 154,9 Millio-
ropaweiten Teilnahmewettbewerb eingeleitet. Die ge-
nen Euro nicht abgerufen. Auf die Jahre verteilt ergeben
meinsame Finanzierung der geschätzten Baukosten des
sich folgende Beträge:
neuen Tiefseeforschungsschiffes ist vertraglich mit den
Haushaltsjahr 2007 6 775 000 fünf Küstenländern in der Bund-Länder-Vereinbarung
vom 18. Dezember 2008 geregelt. Dementsprechend
Haushaltsjahr 2008 -6 277 555
wurden die Mittel des Bundes und der Küstenländer im
Haushaltsjahr 2009 -34 194 883 Einzelplan 30 sowie der mittelfristigen Finanzplanung
eingestellt.
Haushaltsjahr 2010 -121 230 216
Einzelheiten zum noch laufenden Ausschreibungsver-
Gesamt -154 927 654
fahren wie zum Beispiel zum Zuschlagsnehmer oder der
– Mittel im Bundeshaushalt bis 2010 Zuschlagssumme dürfen aufgrund der rechtlich vorge-
schriebenen Vertraulichkeit derzeit nicht öffentlich be-
Für Forschungsbauten an Hochschulen standen im Bun-
kannt gemacht werden. Die Bundesregierung erwartet
deshaushalt in den Jahren 2007 bis 2010 852,0 Millio-
die Zuschlagserteilung für Mitte des Jahres. Danach er-
nen Euro zur Verfügung.
folgt die Unterrichtung des Parlamentes und der Öffent-
– Verausgabte Mittel bis 2010 lichkeit.
Für die Forschungsbauten wurden bis 2010 rund Zur Gesamtschiffstrategie für die deutsche Forschungs-
697,1 Millionen Euro verausgabt. flotte hat der Wissenschaftsrat die vom Bundesministerium
– Verfügbare Ausgabereste zum 1. Januar 2011 für Bildung und Forschung erbetenen Empfehlungen im
vergangenen November abgegeben. Diese Empfehlungen
Von den nicht verausgabten Mitteln wurden Ausgabe- werden derzeit mit den Küstenländern und den beteiligten
reste in Höhe von rund 81,1 Millionen Euro gebildet. wissenschaftlichen Einrichtungen analysiert und bewer-
– bzw. verfallene Mittel tet.
Rund 73,9 Millionen sind in den Bundeshaushalt zu- Ich gehe davon aus, dass die darauf basierende Ge-
rückgeflossen. samtschiffstrategie des Bundesministerium für Bildung
und Forschung einschließlich der notwendigen Finanz-
Aus Sicht der Bundesregierung besteht keine Not- planung ebenfalls Mitte diesen Jahres fertiggestellt sein
wendigkeit, von dem wissenschaftsgeleiteten und quali- wird.
(B) tätsgesteuertem Begutachtungsverfahren durch den Wis- (D)
senschaftsrat abzurücken.
Das Verfahren zwischen Bund und den Ländern ist in Anlage 38
der Ausführungsvereinbarung Forschungsbauten an Antwort
Hochschulen einschließlich Großgeräten, AV-FuG, gere-
gelt. der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Fragen
des Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE
Bund und Länder werden gemäß § 11 AV-FuG die GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Fragen 51 und 52):
Ausgestaltung der Gemeinschaftsaufgabe evaluieren.
Welche kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen plant
Die Ergebnisse der Evaluierung sollen der GWK bis die Bundesregierung im Bereich der entwicklungsorientierten
Mitte 2012 vorliegen. Not- und Übergangshilfe sowie in der Entwicklungszusam-
menarbeit mit der Elfenbeinküste?
Nach den aktuellen Meldungen der Länder und den
Inwiefern und in welchem finanziellen und technischen
erwarteten Neuaufnahmen in die Förderung durch die Umfang plant die Bundesregierung, die Anrainerstaaten, die
GWK wird im Jahr 2012 mit einem deutlich höheren durch die Flüchtlingsströme aus der Elfenbeinküste betroffen
Mittelabfluss zu rechnen sein. sind, zu unterstützen?
Zu Frage 51:
Anlage 37
Die Bundesregierung beobachtet die aktuelle Ent-
Antwort wicklung in der Elfenbeinküste intensiv. Nach überein-
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage stimmenden Berichten von Vereinten Nationen und loka-
des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksa- len Organisationen sind landesweit viele Hunderttausend
che 17/5421, Frage 50): Menschen intern auf der Flucht vor den anhaltenden ge-
walttätigen Auseinandersetzung zwischen den Anhän-
Wie ist der aktuelle Stand des Ausschreibungsverfahrens
des Nachfolgebaus des Forschungsschiffes „Sonne“ gegebe- gern der beiden Präsidenten. Viele Menschen versuchen
nenfalls unter Angabe des Zuschlagnehmers, der Zuschlags- zudem, sich in das benachbarte Ausland zu retten. Mehr
summe – in Jahrestranchen – sowie der Beteiligung der Küs- als 130 000 Ivorer sind in den vergangenen Wochen al-
tenländer, für das bereits im Regierungsentwurf für den lein nach Liberia geflohen. Das BMZ wird das Welt-
Bundeshaushalt 2009 15 Millionen Euro veranschlagt waren,
und wie sieht die weitere Forschungsschiffstrategie der Bun-
ernährungsprogramm in der Elfenbeinküste kurzfristig
desregierung insbesondere im Hinblick auf Zeitplanung und bei der Versorgung der intern Vertriebenen mit Nah-
in der mittelfristigen Finanzplanung eingestellte Mittel aus? rungsmitteln unterstützen und hat dafür 500 000 Euro
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11935
(A) bereitgestellt. Aktuell werden zudem mit Zustimmung rem die Bereiche Justiz und Menschenrechte, Außenbe- (C)
der Bundesregierung Nahrungsmittel aus Burkina Faso ziehungen und Wirtschaft und Finanzen logistisch, finan-
zur Unterstützung der intern Vertriebenen in die Elfen- ziell und personell unterstützen.
beinküste verbracht, um den kurzfristigen Bedarf zu de-
cken. Mittelfristige Maßnahmen der entwicklungsorien-
tierten Not- und Übergangshilfe sowie Maßnahmen der Anlage 40
Entwicklungszusammenarbeit sind vor dem Hintergrund
der aktuellen Situation derzeit nicht geplant Antwort
Zu Frage Nr. 52: der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Erika Steinbach (CDU/CSU) (Drucksa-
Die Bundesregierung hat im vergangenen Dezember che 17/5421, Frage 54):
einer vorübergehenden Umwidmung von Mitteln des Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über ehemalige
Welternährungsprogramms (WEP) in Liberia in Höhe Angehörige der Nationalen Volksarmee der DDR bzw. andere
von 240 000 Euro zugestimmt. Darüber hinaus wird die „Bewaffnete Organe der DDR“, die sich weltweit als Söldner
Bundesregierung das WEP in Liberia bei der Versorgung verdungen haben?
von Flüchtlingen aus der Elfenbeinküste mit einem Be-
trag von 500 000 Euro unterstützen. Die Bundesregierung hat keine Kenntnis, ob ehema-
lige Angehörige der Nationalen Volksarmee der DDR
Im Rahmen der humanitären Soforthilfe steht die bzw. anderer „Bewaffneter Organe der DDR“ in anderen
Bundesregierung seit Beginn der Krise in engem Kon- Staaten als Söldner angeworben worden sind.
takt mit internationalen und nationalen Hilfsorganisatio-
nen. Für die Flüchtlinge in den Nachbarstaaten der
Elfenbeinküste hat sie in mehreren Schritten bislang Anlage 41
1,25 Millionen Euro für Maßnahmen der Notversorgung
bereitgestellt. Diese Maßnahmen werden vom Flücht- Antwort
lingshilfswerk UNHCR sowie einer deutschen NRO
überwiegend in Liberia, zum kleineren Teil in Mali um- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
gesetzt. Die Bundesregierung beobachtet die Flücht- Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
lingsströme in den Anrainerstaaten fortlaufend und DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 55):
schließt nicht aus, dass weitere humanitäre Bedarfe Was ist der Bundesregierung bekannt über die Auswahl-
durch die internationale Gemeinschaft gedeckt werden kriterien und konkrete Anzahl der Personen, die seit Anfang
müssen. 2010 im unter deutscher Verantwortung stehenden ISAF-
(B) Kommandobereich Nord in Afghanistan durch US-amerikani- (D)
sche Drohnen oder sogenannte Kill-Teams aus einer der in-
frage kommenden Ziellisten gezielt getötet worden sind, und
Anlage 39 kann die Bundesregierung ausschließen, dass die seither zuge-
nommenen dortigen Anschläge, die den Aufständischen zuge-
Antwort schrieben werden, mit zahlreichen – auch deutschen –
Verletzten und Getöteten Reaktionen auf diese US-amerikani-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der schen Tötungspraktiken darstellen?
Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksache
17/5421, Frage 53): Zunächst folgende Klarstellung: Es gibt keine Verbin-
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Ver-
dung zwischen den gemäß Völkerrecht sowie Opera-
gabemittel und Verwendung von Unterstützungsleistungen tionsplan und Einsatzregeln der NATO ausgeführten
der Europäischen Union an die Regierung Alassane Outtara in Gefechtshandlungen von ISAF-Kräften bzw. unter natio-
Côte d’Ivoire und die parallel zur militärischen Eskalation in nalem Kommando stehenden Kräften einerseits und den
Côte d’Ivoire zusätzlich für „administrative Aufgaben“ bereit- kriminellen Aktivitäten einzelner US-Soldaten des soge-
gestellte 1 Million Euro durch den Europäischen Auswärtigen
Dienst aus dem Instrument für Stabilität an die Regierung nannten Kill-Teams andererseits. Den Mitgliedern dieses
Alassane Outtara? „Kill-Teams“ wurde oder wird wegen ihrer Verbrechen
der Prozess gemacht. Die US-Armee hat sich dafür ent-
Die Krise in der Republik Côte d’Ivoire ist seit Be- schuldigt. Die Morde des „Kill-Teams“ stehen in keinem
kanntgabe der Ergebnisse der Präsidentenstichwahl An- Zusammenhang mit der Operation von ISAF.
fang Dezember 2010, die schon mit zunehmender Ge-
walt und Menschenrechtsverletzungen einhergegangen Nun zu Ihrer Frage: Unter nationaler Führung der
war, weiter eskaliert. USA eingesetzte Streitkräfte gehen gemeinsam mit
afghanischen Sicherheitskräften seit 2009 zur Unterstüt-
Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kom-
zung im ISAF-Regionalkommando Nord gegen die re-
mission im Rahmen der Bemühungen der internationa-
gierungsfeindlichen Kräfte vor. Nach Angaben der USA
len Gemeinschaft, den Konflikt mit friedlichen Mitteln
sind bei diesen Operationen mehrere Personen, die auch
zu lösen, im März 2011 beschlossen, eine Zuwendung
auf der sogenannten Joint Prioritized Effects List, JPEL,
aus dem Stabilitätsinstrument der Kommission von bis
der ISAF aufgeführt waren, getötet worden. Die Bundes-
zu 1 Millionen Euro an die Regierung von Präsident
regierung hat weder Kenntnis über eine gezielte
Ouattara in die Planung aufzunehmen.
Tötungsabsicht im konkreten Einzelfall noch über die
Diese Mittel sollten der Verwaltung der Regierung möglicherweise ursächlich dafür zugrunde gelegten
Ouattara zur Verfügung gestellt werden und unter ande- Auswahlkriterien.
11936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Ihre Annahme, dass die „Anschläge“ im Regional- den des Angriffes am 1. April 2011 eine Sondersitzung (C)
kommando Nord seit Anfang 2010 zugenommen hätten, des VN-Sicherheitsrates einberufen. Auf ihr beschloss
ist in dieser pauschalen Form nicht zutreffend. Die im der Sicherheitsrat eine auf deutsche Initiative entstandene
Verlauf des Jahres 2010 angestiegene Zahl der soge- Erklärung, in der das Mitgefühl des Sicherheitsrates und
nannten sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Norden seiner Mitglieder zum Ausdruck gebracht wurde und der
Afghanistans steht nach den vorliegenden Erkenntnissen Anschlag mit klaren Worten verurteilt wurde.
zudem in keinem direkten Zusammenhang mit dem Vor-
Der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutsch-
gehen der US-Streitkräfte. Vielmehr hat vor allem der
land bei den Vereinten Nationen in New York, Botschaf-
zahlenmäßige Aufwuchs und das insgesamt erhöhte
ter Dr. Peter Wittig, kondolierte dem Generalsekretär der
Operationstempo der afghanischen und internationalen
Vereinten Nationen mit Schreiben vom 4. April 2011.
Sicherheitskräfte im Einsatzgebiet sowie ihr Vordringen
in die bisherigen Rückzugsräume der regierungsfeind-
lichen Kräfte den Anstieg der Sicherheitsvorfälle ver-
ursacht. Anlage 43
Antwort
Die Sicherheitslage im Einsatzgebiet wird durch ein
komplexes Beziehungsgeflecht unterschiedlicher Fakto- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
ren bestimmt. Die Absicht der regierungsfeindlichen Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Kräfte, Stabilität und Wiederaufbau zu verhindern und NEN) (Drucksache 17/5421, Frage 57):
darüber hinaus die örtlich jeweils vorherrschende soziale Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass
und wirtschaftliche Situation der Bevölkerung spielen sich durch die Enthaltung Deutschlands in der Abstimmung
dabei die wichtigste Rolle. In den Gebieten, in denen un- zur UN-Sicherheitsratsresolution 1973 (2011) zu Libyen die
ter anderem mit gezielten Zugriffen auf regierungsfeind- Chancen Deutschlands für die Wahl in den UN-Menschen-
rechtsrat verschlechtert haben, und inwieweit hat die Ein-
liche Kräfte die staatliche Kontrolle durch die afghani- schätzung der internationalen politischen Folgen des Abstim-
schen Sicherheitskräfte wiederhergestellt wurde, ist im mungsverhaltens Deutschlands zur genannten Resolution im
ersten Quartal 2011 sogar erstmals eine leicht verbes- UN-Sicherheitsrat die Bundesregierung bewogen, erst 2012
serte Sicherheitslage zu konstatieren: Stabilisierungs- – und nicht wie geplant 2011 – für eine Mitgliedschaft im
UN-Menschenrechtsrat zu kandidieren?
und Entwicklungsprojekte können wieder ausgeführt
werden. Dies führt in vielen Fällen zu einer deutlich ver- Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, dass
besserten Gesundheits- und sanitären Versorgung der sich die Chancen Deutschlands für die Wahl in den Men-
Menschen, zum Beispiel im südlichen Chahar Darah. schenrechtsrat der Vereinten Nationen aufgrund der Ent-
haltung Deutschlands in der Abstimmung zur VN-
Schließlich möchte ich auf die Antwort der Bundes- (D)
(B) Sicherheitsratsresolution 1973 verschlechtert haben.
regierung auf die Kleine Anfrage Ihrer Fraktion zum
Thema „Informationspolitik zum Afghanistan-Einsatz“ Die Bundesregierung hat sich bereits zu Beginn ihrer
(Bundestagsdrucksache 17/2884) hinweisen. Das kom- ersten Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat dazu ent-
plexe Zielauswahlverfahren von ISAF und die Haltung schlossen, danach für die Wahlperiode 2012 bis 2015 zu
der Bundesregierung dazu sind dort ausführlich darge- kandidieren. Sie hat die Kandidatur im April 2007 in
legt. New York bekannt gemacht und seitdem aktiv für ihre
erneute Wahl im Mai 2012 geworben.
Es hat insofern keine Verschiebung der Kandidatur
Anlage 42
stattgefunden.
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Anlage 44
Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) (Drucksache 17/5421, Frage 56): Antwort
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung davon ab- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
gesehen, anlässlich des Mordes an sieben UN-Mitarbeitern
am 1. April 2011 in der afghanischen Stadt Masar-i-Scharif
Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ein Kondolenzschreiben an die UN zu verfassen? NEN) (Drucksache 17/5421, Frage 58):
Inwiefern meint die Bundesregierung, ihrer sich aus § 5
Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Af- EUZBBG ergebenden Informationspflicht gegenüber dem
ghanistan und Pakistan, Botschafter Michael Steiner, hat Deutschen Bundestag in Bezug auf ihre Zustimmung zum Be-
den Vereinten Nationen umgehend persönlich, sowohl schluss des Europäischen Rates am 1. April 2011, die Militär-
mündlich als auch schriftlich, kondoliert. operation EUFOR Libya einzusetzen, nachgekommen zu sein,
und wie begleitet Deutschland in der Funktion als Mitglied
Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen die Beratungen
Westerwelle, hat noch am Tag der Ereignisse in einer über Libyen im Amt der Vereinten Nationen für die Koordi-
nierung humanitärer Angelegenheiten, OCHA, auf dessen
Presseerklärung dem VN-Generalsekretär im Namen der konkrete Anfrage hin der EU-Ratsbeschluss zu EUFOR Libya
Bundesregierung seine Anteilnahme ausgesprochen. umgesetzt werden soll?
Deutschland hat als für die Behandlung des Afghanis- Der Ratsbeschluss vom 1. April 2011 ist nicht gleich-
tan-Dossiers federführendes Land im Sicherheitsrat der zusetzen mit der Entscheidung, eine Operation zu begin-
Vereinten Nationen bereits unmittelbar nach Bekanntwer- nen. Vielmehr stellte er eine notwendige Maßnahme dar,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11937
(A) um die Planungen der EU weiter fortsetzen zu können. Laut Ratsbeschluss vom 1. April 2011 soll die Opera- (C)
Ein endgültiger Beschluss über einen EU-Einsatz setzt tion EUFOR Libya, wenn es zu Anfrage durch OCHA
voraus, dass OCHA eine entsprechende Anfrage an die kommt, vielmehr folgende mögliche Aufgaben haben:
EU richtet. Beitrag zum sicheren Transport und zur Evakuierung
von Staatsangehörigen dritter Staaten leisten und huma-
Der Deutsche Bundestag wird bei zu mandatierenden nitäre Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit durch die Be-
GSVP-Operationen regelmäßig auf Basis eines vorlie- reitstellung von spezifischen militärischen Fähigkeiten
genden Operationsplans und seiner Anhänge, insbeson- unterstützen.
dere der Einsatzregeln, befasst. Ein solcher Operations-
plan existiert noch nicht.
Die Unterrichtung der Bundesregierung über den Anlage 46
Ratsbeschluss zu EUFOR Libyen erfolgte gemäß § 8
EUZBBG. Der entsprechende Rechtsakt wurde dem Antwort
Bundestag im Rahmen des etablierten Verfahrens, als der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
Nachmeldung zur Indikativen Vorschau auf anstehende Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE
GASP-Rechtsakte, am 5. April 2011 über das Bundes- GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 61):
ministerium für Wirtschaft und Technologie zugeleitet.
Wie bewertet die Bundesregierung die Weigerung der
In der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Volksrepublik China, dem für die Delegation des Bundesmi-
nisters des Auswärtigen auf dessen vergangener Chinareise
Deutschen Bundestages am 6. April 2011 informierte zu- als Begleiter vorgesehenen Tilman Spengler die Erteilung ei-
dem der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Wolf- nes Visums zu verweigern, und welche Konsequenzen zieht
Ruthart Born, den Ausschuss zu diesem Thema im Rah- sie daraus für ihre künftige Planung von Delegationen?
men einer mündlichen Unterrichtung.
Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
Das Auswärtige Amt steht in regelmäßigem Kontakt Westerwelle, hat Dr. Spengler wegen seines großen Bei-
mit dem Amt für die Koordinierung humanitärer Ange- trags für die Vorbereitung der Ausstellung „Kunst der
legenheiten der Vereinten Nationen, OCHA, um sich Aufklärung“ und des begleitenden Dialogprogramms zur
über die Bewertung der humanitären Lage in Libyen Mitreise eingeladen.
auszutauschen. Dabei legt es großen Wert auf die unab-
hängige, an humanitären Kriterien ausgerichtete Ein- Trotz hochrangiger Intervention des Bundespräsiden-
schätzung von OCHA. ten und der Bundesregierung hat China das Einreise-
visum für Dr. Spengler abgelehnt, weil dieser sich für
den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo engagiert
(B) hatte. (D)
Anlage 45
Antwort Die Bundesregierung hat dieses Vorgehen bedauert
und hätte in dieser Frage von der chinesischen Regie-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des rung eine gelassenere Reaktion erwartet. Wir hoffen,
Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- dass Dr. Spengler weiterhin sein wertvolles Engagement
sache 17/5421, Fragen 59 und 60): für die deutsch-chinesischen Beziehungen fortsetzen
Mit welchen Kapazitäten und in welcher Form planen die kann.
Bundesregierung und andere EU-Mitgliedstaaten, sich an der
Militärmission EUFOR Libya – EU-Battlegroup oder Teilfä- Auf die künftige Zusammensetzung der Delegationen
higkeiten – zu beteiligen, und welche Vorbereitungen hierzu des Bundesministers haben solche Vorgänge grundsätz-
wurden bereits getroffen? lich keinen Einfluss.
Ist bei der geplanten Militärmission EUFOR Libya nach
dem gegenwärtig vorliegenden Krisenmanagementkonzept,
CMC, wie insbesondere von Malta gefordert, eine Zusam-
menarbeit mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex vorgese-
Anlage 47
hen, und kann die Bundesregierung ausschließen, dass eine
solche Zusammenarbeit stattfinden wird?
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
Zu Frage 59: Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE
Die Planungen der EU für eine mögliche Operation GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 62):
EUFOR Libya haben erst begonnen. Da derzeit keine Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
konkrete Anforderung des Amtes für die Koordinierung Festnahme des chinesischen Künstlers Ai Weiwei unter dem
zwischenzeitlichen Vorwurf der Wirtschaftsverbrechen unmit-
humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen, telbar nach der Eröffnung der Ausstellung „Die Kunst der
OCHA, vorliegt, kann auch keine detaillierte Planung Aufklärung“ durch den Bundesminister des Auswärtigen für
der EU, insbesondere bezüglich möglicherweise benö- ihre weitere Chinapolitik, und welche Ergebnisse erbrachten
tigter Kapazitäten erfolgen. die in dem Gespräch mit dem einberufenen Botschafter der
Volksrepublik China vorgetragenen Forderungen unter ande-
rem nach der umgehenden Freilassung Ai Weiweis (verglei-
Zu Frage 60: che Mitteilung auf der Homepage des Auswärtigen Amts vom
6. April 2011: www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/
Das Krisenmanagementkonzept enthält keinerlei Be- Laender/Aktuelle_Artikel/China/110406-AiWeiwei-node.html–
zug zur EU-Grenzschutzagentur Frontex. Stand 7. April 2011)?
11938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) Die Bundesregierung ist in großer Sorge über die Fest- interessiert, werden dabei aber auch die Fragen der poli- (C)
nahme des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Der tischen Freiheitsrechte weiterhin nicht ausklammern.
Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
hat gegenüber der chinesischen Regierung die klare Er- Zu Frage 64:
wartung geäußert, dass Ai Weiwei umgehend freigelas-
sen wird, und um Aufklärung gebeten. Bisher war es immer möglich, mit der chinesischen
Seite für die Dialoge Themen zu vereinbaren, die den In-
Der Botschafter der Volksrepublik China in der Bun- teressen beider Seiten gerecht wurden. Dialoge funktio-
desrepublik Deutschland wurde am 6. April 2011 zu ei- nieren grundsätzlich nur, wenn beide Seiten die Themen
nem Gespräch in das Auswärtige Amt gebeten, bei dem und die Teilnehmer akzeptieren.
ihm diese Haltung der Bundesregierung deutlich vermit-
telt wurde. China verweigert seit Jahren die Teilnahme von
Nichtregierungsorganisationen an Veranstaltungen des
Auch der Botschafter der Bundesrepublik Deutsch- Menschenrechtsdialogs und lehnt regelmäßig Visa für
land in China, Michael Schaefer, hat gegenüber der chi- kritische Wissenschaftler und Intellektuelle ab.
nesischen Vizeaußenministerin Fu Ying mit klaren Wor-
ten gegen die Festnahme Ai Weiweis protestiert. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass es
trotzdem richtig ist, diese Dialoge fortzusetzen und wei-
terhin alle Möglichkeiten auszuschöpfen, mit China
auch auf hoher Ebene gerade über diese Probleme zu re-
Anlage 48
den.
Antwort
Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der Westerwelle, hat bei seinem Besuch in China Fragen der
Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜND- Meinungs- und der Pressefreiheit mehrfach in aller
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Fra- Deutlichkeit angesprochen.
gen 63 und 64):
Sieht die Bundesregierung in den Ereignissen rund um die
Eröffnung der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ durch Anlage 49
den Bundesminister des Auswärtigen – Verweigerung der
Einreise Tilman Spenglers und Verhaftung Ai Weiweis direkt Antwort
im Anschluss – einen Anlass, ihre Strategie für künftige Men-
schenrechtsdialoge, Rechtsstaatsdialoge oder die deutsch-chi- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
(B) nesischen Regierungskonsultationen zu ändern und, wenn ja, Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE (D)
auf welche Weise? GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 65):
Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die chinesische Wie schätzt die Bundesregierung die in der zwölften Ka-
Seite in diesem Rahmen nicht in überproportionaler Weise Ta- lenderwoche dieses Jahres bekannt gewordenen Aussagen ei-
gesordnungspunkte und Diskussionsthemen setzt sowie Teil- niger ihrer Mitarbeiter ein (vergleiche Roland Nelles und an-
nehmerlisten bestimmt, und ist sie der Auffassung, dass ihr dere „Das Rätsel um den deutschen Iran-Deal“, Spiegel
dies im genannten Fall gelungen ist? Online vom 1. April 2011), dass die ursprünglich von der
Bundesregierung und der Deutschen Bundesbank (vergleiche
Zu Frage 63: Antwort der Bundesregierung auf Frage 83 des Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, siehe Plenarprotokoll 17/101) erteilte Ge-
Die Bundesregierung hat sowohl gegen die Visaver- nehmigung für die Abwicklung der indischen Zahlungen für
iranische Öllieferungen über die Deutsche Bundesbank und
weigerung für den Sinologen Dr. Tilman Spengler, als die von den USA sanktionierte Europäisch-Iranische Handels-
auch gegen die Verhaftung des Künstlers Ai Weiwei bank (vergleiche Pressemitteilung TG-847 des US-Finanz-
hochrangig und massiv protestiert. ministeriums vom 7. September 2010) eine Voraussetzung für
die Freilassung der inhaftierten Reporter der Bild am Sonntag
Die Bundesregierung setzt sich seit Jahren gegen die war, besonders angesichts des Umstandes, dass das langwie-
andauernden Menschenrechtsverletzungen in China ein. rige Genehmigungsverfahren unmittelbar nach den Freilas-
sungsverhandlungen abgeschlossen wurde?
Der Menschenrechtsdialog dient gerade auch dazu, der
chinesischen Regierung die Positionen der Bundesregie- Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Inhaf-
rung zu Meinungs- und Gewissensfreiheit zu verdeutli- tierung der beiden BILD-Journalisten im Oktober 2010
chen. auf allen Ebenen intensiv dafür eingesetzt, dass die bei-
den Deutschen so rasch wie möglich nach Hause zurück-
Im Rechtsstaatsdialog haben wir erfolgreich dazu bei- kehren können.
tragen können, Schritt für Schritt rechtsstaatliche Ele-
mente in China zu verstärken. Wir stellen diese wichti- Die in der Frage aufgegriffene Medienberichterstat-
gen Instrumente daher auch jetzt nicht infrage. tung enthält Mutmaßungen, die von der Bundesregie-
rung nicht kommentiert werden.
Die Bundesregierung plant, im Sommer bei den ers-
ten Deutsch-Chinesischen Regierungskonsultationen Zahlungen von und an durch Iran kontrollierte Unter-
über das ganze Spektrum der Beziehungen zu sprechen. nehmen werden gemäß den EU-Sanktionen gegenüber
China ist einer der weltweit wichtigsten, aber auch der Iran sehr genau kontrolliert. Über deren Zulässigkeit
schwierigsten Akteure in Politik und Wirtschaft. Wir wird nach Rechtslage entschieden. Zu einzelnen Zahlun-
sind weiterhin an einer Vertiefung der Zusammenarbeit gen kann die Bundesregierung nicht Stellung nehmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11939
(A) Der Bundesminister des Innern, Dr. Friedrich, be- sätze eine vorherige unabhängige Kontrolle durch (C)
grüßte die Verbesserungen des Richtlinien-Vorschlags eine von der Leitung der Zentralstelle unabhängige
im Vergleich zur Fassung von 2007, sprach sich aber Instanz voraussetzen sollte;
gleichzeitig für weitere datenschutzrechtliche Verbesse-
rungen aus: Verkürzung der Speicherfrist der Klardaten, – hohe Eingriffsvoraussetzungen für die reaktive Ver-
strengere Eingriffsvoraussetzungen bei der reaktiven wendung der PNR-Daten:
Nutzung, proaktive Nutzung nur mit anonymisierten Da- – Verwendung von vollständigen PNR-Daten zur
ten. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Strafverfolgung nur bei im Einzelfall tatsächlich
Richtlinie auf innergemeinschaftliche Flüge lehnte er ab: schwerwiegenden Straftaten;
Die Ausweitung würde zu einer erheblichen Ausweitung
der Datensammlung führen, die Verhältnismäßigkeit der – Verwendung von vollständigen PNR-Daten zur
Ausweitung sei fraglich, die Ausweitung sei zudem noch Gefahrenabwehr nur, wenn bestimmte Tatsachen
in keiner Folgenabschätzung untersucht worden und Grund zu der Annahme geben, dass eine konkrete
würde auch zu einer höheren Kostenbelastung für die gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Frei-
Fluggesellschaften führen. heit einer Person, für den Bestand oder die Si-
cherheit eines Mitgliedstaates besteht oder zur
Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin bei Abwehr einer gemeinen Gefahr;
den Verhandlungen in Brüssel dafür einsetzen, dass der
Richtlinienentwurf so gestaltet wird, dass er mit europäi- – nachträgliche Benachrichtigungspflicht der Betroffe-
schen und nationalen Grundrechten, insbesondere auch nen im Falle der reaktiven Nutzung der PNR-Daten,
dem Grundrecht auf Datenschutz bzw. informationelle sofern dem keine zwingenden Gründe entgegenstehen
Selbstbestimmung, vereinbar sein wird. Dabei sieht sich bzw. die Benachrichtigung zu unverhältnismäßigem
die Bundesregierung selbstverständlich auch an die Vor- Aufwand führen würde.
gaben gebunden, die das Bundesverfassungsgericht ins-
besondere in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung
formuliert hat. Anlage 53
In den anstehenden Verhandlungen wird Deutschland Antwort
daher unter anderem besonderen Wert auf folgende des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra-
Punkte legen: gen des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)
– Der Kanon der betroffenen Daten ist zum einen kon- (Drucksache 17/5421, Fragen 70 und 71):
kreter zu fassen und zum anderen auf das im Hinblick Welche Maßstäbe setzt die Bundesregierung für die
(B) auf die verfolgten Zwecke Erforderliche und Unab- BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH bei der (D)
dingbare weiter einzuschränken; Veräußerung pachtfreier bundeseigener landwirtschaftlicher
Nutzflächen in den neuen Bundesländern, und welche Ergeb-
– Reduzierung des Straftatenkatalogs auf solche Straf- nisse sind in den Gesprächen mit den betroffenen Ländern
hinsichtlich einer Übertragung dieser Flächen auf die Länder
taten, bei denen im Hinblick auf die Schwere und die erreicht worden?
Art der Straftat eine Nutzung von PNR-Daten sinn-
Wird die Bundesregierung bei den weiteren Veräußerun-
voll und angemessen erscheint; gen von BVVG-Flächen gegenüber der BVVG darauf hinwir-
– Differenzierung der Verwendung der Daten nach ken, dass bei einem Verkauf die Agrarstruktur in den neuen
Ländern gestärkt und eine Schwächung der Agrarstruktur
Zwecken: durch Veräußerungen an nicht landwirtschaftlich gebundene
Bewerber ausgeschlossen wird?
– Verwendung von PNR-Daten zu Zwecken der
Echtzeitanalyse nur, wenn gewährleistet ist, dass
die nicht anonymisierten oder pseudonymisierten Zu Frage 70:
PNR-Daten ausschließlich für diese Zwecke und Maßstab für die Veräußerung bundeseigener landwirt-
nur für die Dauer der Echtzeitanalyse zur Verfü- schaftlicher Nutzflächen in den neuen Ländern sind die
gung stehen; Grundsätze für die weitere Privatisierung der landwirt-
– Ablehnung eines darüber hinausgehenden Vor- schaftlichen Flächen der Bodenverwertungs- und -ver-
haltens nicht wenigstens pseudonymisierter Da- waltungs GmbH BVVG (Privatisierungsgrundsätze), die
ten (keine Speicherung von vollständigen PNR- von Bund und Ländern im März 2010 unterzeichnet
Daten für die Dauer von 30 Tagen); wurden. Dabei sind das Haushaltsrecht des Bundes
– Verkauf zum vollen Wert – und das Beihilferecht der
– Verwendung von PNR-Daten zu „proaktiven“ Europäischen Union zu beachten. Ferner werden Flä-
Zwecken nur in anonymisierter Form; chen nach § 3 Abs. 5 des Ausgleichsleistungsgesetzes an
Alteigentümer veräußert.
– Verwendung von PNR-Daten zu Zwecken der
Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nur mit ei- Hinsichtlich einer Übertragung landwirtschaftlicher
ner so kurz wie möglich bemessenen Speicher- Flächen an die Länder ist bisher folgendes Ergebnis er-
frist, die jedenfalls deutlich kürzer als fünf Jahre reicht worden:
sein muss;
Der Bund und das Land Sachsen-Anhalt befinden
– Speicherung nur in pseudonymisierter Form, wobei sich seit Anfang 2009 in konkreten Gesprächen. Bisher
die Wiederherstellung der vollständigen PNR-Daten- konnte keine Übereinstimmung zum Kaufpreis erzielt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011 11941
(A) werden. In Auftrag gegebene Gutachten zur Preisfin- für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungs- (C)
dung bestätigen prinzipiell das Herangehen des Bundes. maßnahmen im Haushalt des Steuerpflichtigen, § 35a Ab-
satz 3 EStG, sofern keine Förderung über KfW-Pro-
Das Land Thüringen hat sich mit seinem Erwerbs-
gramme erfolgt.
wunsch an die BVVG gewandt. Aussagen zu Wertvor-
stellungen wurden nicht gemacht. Auch hier gilt, dass Ob es weiterer Maßnahmen bedarf, wird die Bundes-
der Bund die Flächen nur zum vollen Wert verkaufen regierung im Lichte der weiteren energie- und klimapoli-
kann. Gespräche wurden bisher nicht aufgenommen. tischen Entscheidung und der erreichten Konsolidie-
Die Länder Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vor- rungsfortschritte der Haushalte von Bund und Ländern
pommern haben sich vor einigen Tagen in einem Schrei- entscheiden.
ben an den Bundesminister der Finanzen gewandt und
um ein Gespräch über die Möglichkeiten der Privatisie-
rung der BVVG-Flächen gebeten. Ein Termin ist noch Anlage 55
nicht anberaumt. Antwort
Zu Frage 71: des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
Gemäß Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5421, Frage 74):
FDP soll die Verwertung der Flächen der Bodenverwer-
In welchem Umfang erwartet die Bundesregierung, dass
tungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) unter verstärk- der Hypo Real Estate Holding AG, HRE, gewährte Finanzhil-
ter Berücksichtigung agrarstruktureller Belange zügig fen – Zahlungen, Kredite, Garantien – von dieser je zurücker-
vorangebracht und im Wesentlichen bis zum Jahr 2025 stattet werden – wie kürzlich die Commerzbank AG entspre-
abgeschlossen werden. Diesem Ziel wurde mit der Über- chend ankündigte – oder aber realistischerweise abgeschrieben
werden müssen, und was ist der Bundesregierung bekannt über
arbeitung der Grundsätze für die weitere Privatisierung die Höhe von Vergütungen und Boni, die an Repräsentanten so-
der landwirtschaftlichen Flächen der BVVG Rechnung wie Mitarbeiter der am 30. September 2010 zur Verwaltung
getragen. von 173 Milliarden Euro sogenannter Schrottpapiere gegrün-
deten bundeseigenen HRE-Abwicklungsanstalt FMS – Bad
Die BVVG verkauft über 95 Prozent ihrer landwirt- Bank – zugesagt bzw. schon gezahlt wurden, insbesondere ob
schaftlichen Flächen an ortsansässige Landwirte und Be- entsprechend § 5 Abs. 2 FMStFV diese Personen nicht mehr als
triebe. Eine Schwächung der Agrarstruktur durch Veräu- 500 000 Euro jährlich verdienen?
ßerungen der BVVG ist nicht erkennbar. Antwort zu Ihrer ersten Teilfrage:
Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass die HRE
(B) Anlage 54 Garantien und direkte Kapitalisierungen erhielt, ihr je- (D)
doch – anders als in Ihrer Frage dargestellt – kein Kredit
Antwort gewährt wurde.
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra- Zu den Garantien:
gen der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
(Drucksache 17/5421, Fragen 72 und 73): Der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung SoFFin
Welche konkreten steuerlichen Maßnahmen zur Förderung gewährte der HRE zur Refinanzierung und zur Beschaf-
der Energieeinsparung über Gebäudesanierung strebt die Bun- fung von Liquidität ein Garantievolumen von insgesamt
desregierung an (vergleiche die Äußerungen des Bundes- 142 Milliarden Euro. Hiervon zog die HRE zum 30. Sep-
ministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
vom 7. April 2011 im Handelsblatt), und welche konkreten
tember 2010 Garantien von 124 Milliarden Euro. Mit der
steuerlichen Fördermaßnahmen zur Förderung der Energie- Übertragung der von Ihnen erwähnten Vermögensposi-
einsparung existieren derzeit bereits im Einkommensteuerge- tionen von rund 173 Milliarden Euro zum 1. Oktober 2010
setz? gingen sämtliche SoFFin-Garantien auf die FMS Wert-
Wie viele neue Schreiben des Bundesministeriums der management über. Mitte März dieses Jahres konnten
Finanzen sind seit der letzten Positivliste mit Stand vom diese Garantien in voller Höhe zurückgegeben und durch
23. April 2010 und der aktuellen Positivliste mit Stand vom
1. April 2011 hinzugekommen, und wie viele wurden ledig-
eigene Emissionen der FMS Wertmanagement ersetzt
lich überarbeitet und nicht aufgehoben? werden. Es gab hierbei weder eine Inanspruchnahme des
SoFFin noch Abschreibungen.
Bereits nach geltendem Einkommensteuerrecht kön-
nen steuerliche Fördermöglichkeiten genutzt werden, Zur Kapitalisierung:
zum Beispiel erhöhte Absetzungen für Modernisierungs- Das Gesamtvolumen des SoFFin zur Kapitalisierung
und Instandsetzungsmaßnahmen im Sinne des § 177 der HRE einschließlich ihrer Abwicklungsanstalt beträgt
BauGB für im Inland belegene Gebäude in Sanierungsge- 9,95 Milliarden Euro. Hiervon hat der Bund 7,42 Mil-
bieten und städtebaulichen Entwicklungsgebieten, § 7h liarden Euro an die HRE gezahlt. Den Restbetrag erhält
EStG; erhöhte Absetzungen für Herstellungskosten für die FMS Wertmanagement nach der noch ausstehenden
Baumaßnahmen an Baudenkmalen, § 7i EStG; Steuerbe- Genehmigung des Beihilfeverfahrens durch die Europäi-
günstigungen wie Sonderausgaben für Aufwendungen an sche Kommission.
zu eigenen Wohnzwecken genutzten Baudenkmalen oder
Gebäuden in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Der Bund hält seit Oktober 2009 bekanntlich sämtli-
Entwicklungsbereichen, § 10f EStG, sowie Steuerermäßi- che Anteile der HRE. Das Gesamtergebnis des Engage-
gungen für Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen ments des Bundes bei der HRE kann erst nach der voll-
11942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 104. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2011
(A) ständigen Abwicklung des übertragenen Portfolios sowie Antwort zu Ihrer zweiten Teilfrage: (C)
nach der beabsichtigten Veräußerung der HRE in private
Hände beziffert werden. Zum heutigen Zeitpunkt ist Die Vergütung ist branchenüblich.
keine seriöse Aussage möglich. Die Bundesregierung Keine Mitarbeiterin bzw. kein Mitarbeiter erhält mehr
wird jedoch einen möglichen Verlust im Interesse der als 500 000 Euro brutto im Jahr. Es wurden keine Bo-
Steuerzahler so gering wie möglich halten. nuszahlungen geleistet.
(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980