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Plenarprotokoll 14/119

Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

119. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Inhalt:

Erhöhung der Anzahl der Mitglieder in den Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE
Ausschüssen für Ernährung, Landwirtschaft GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11426 A
und Forsten sowie für wirtschaftliche Zusam-
Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11426 B
menarbeit und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . 11407 A
Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11427 C
René Röspel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11429 D
Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung):
Stephan Hilsberg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11430 A
a) Erste Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11432 D
Gesetzes über die Feststellung des Bun- Stephan Hilsberg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11433 A
deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr
2001 (Haushaltsgesetz 2001)
(Drucksache 14/4000) . . . . . . . . . . . . . 11407 A Einzelplan 06
b) Unterrichtung durch die Bundesregie- Bundesministerium des Innern
rung: Finanzplan des Bundes 2000 bis Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 11433 A
2004
(Drucksache 14/4001) . . . . . . . . . . . . . 11407 B Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11436 C
Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11438 D
Einzelplan 30 Erwin Marschewski (Recklinghausen)
CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11440 A
Bundesministerium für Bildung und For-
schung Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 11441 D
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 11407 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11443 C
Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11409 B Ludwig Stiegler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11444 D
Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11410 B Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11446 D
Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 11411 B
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU 11413 B
Einzelplan 07
Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE
Bundesministerium der Justiz
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11415 C
Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11417 D
Einzelplan 19
Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11420 A
Bundesverfassungsgericht
Siegrun Klemmer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11421 D
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin
Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11424 A BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11448 A
II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11451 C Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE


GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11470 B
Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11454 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11472 C
Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11474 C
Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11456 B
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)
Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 11457 B CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11476 A
Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11458 B Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11478 A
Albrecht Feibel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11460 C
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11480 C

Schlussrunde
Anlage 1
Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . . 11462 C
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 11481 A
Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11466 C
Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . . 11467 A Anlage 2
Hans Jochen Henke CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11468 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11481 D
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11407

(A) (C)

119. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse: Guten Morgen, liebe dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Noch nie
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. wurde in Bildung und Forschung so viel investiert wie
heute.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Zahl der
Mitglieder im Ausschuss für Ernährung, Landwirt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
schaft und Forsten sowie im Ausschuss für wirt- DIE GRÜNEN)
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung um ei-
Trotz Haushaltskonsolidierung und trotz enger finanziel-
nen Sitz auf jeweils 27 Mitglieder zu erhöhen. Sind Sie
ler Spielräume haben wir die Investitionen in Bildung und
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Forschung kontinuierlich erhöht, und zwar mit dem
Dann verfahren wir so.
Haushalt 2001 nun das dritte Mal in Folge.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Punkt 1 –
Wir legen einen Haushalt vor, der insgesamt 15,37 Mil-
fort: liarden DM umfasst. Damit legt er um 5,3 Prozent zu.
(B) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D)
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest- DIE GRÜNEN)
stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-
haltsjahr 2001 Das, finde ich, ist ein Grund zur Freude, weil dieses Geld
den Jugendlichen und auch der Zukunft unseres Landes
(Haushaltsgesetz 2001) zugute kommt.
– Drucksache 14/4000 – (Beifall bei der SPD)
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss Ich wundere mich – ganz offen gesagt – ein wenig,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- tion, dass Sie dazu nicht klatschen, weil ich denke, dass es
regierung auch in Ihrem Interesse sein sollte, wenn wir hier mehr
Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004 Mittel bereitstellen.
– Drucksache 14/4001 – (Jörg Tauss [SPD]: So sind die halt! – Dietrich
Überweisungsvorschlag: Austermann [CDU/CSU]: Es stimmt ja nicht!
Haushaltsausschuss Wenn es stimmen würde, würden wir auch klat-
schen! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es ist
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Schlussrun-
unglaublich, was Sie da fordern!)
de auf eine Stunde zu verkürzen, sodass für die Ausspra-
che heute insgesamt viereinhalb Stunden zur Verfügung – Wenn ich daran denke, was Sie während Ihrer Re-
stehen. Sie sind, nehme ich an, damit einverstanden. – Ich gierungszeit getan haben, dann muss ich leider feststellen,
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. dass Sie damals jahrelang Entwicklungen und Trends ver-
schlafen haben.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung, Einzel- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
plan 30. Das Wort hat die Frau Bundesministerin DIE GRÜNEN)
Bulmahn.
Sie konnten dann häufig nur noch mit viel Mühe und
Not auf fahrende Züge springen. Darunter hat unser
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung Land gelitten. Wir merken das am Zustand unserer Hoch-
und Forschung (von der SPD und dem Bündnis 90/Die schulen. Wir merken es am Fachkräftemangel im
Grünen mit Beifall begrüßt): Sehr geehrter Herr Präsi- IT-Bereich oder der Abwanderung deutscher Spitzenwis-
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn

(A) senschaftler ins Ausland. All das sind Folgen Ihrer ver- Breitbandige Mobilkommunikationssysteme erlauben an (C)
fehlten Politik. Sie sind leider noch bis heute spürbar. jedem Ort und zu jeder Zeit den Zugriff auf multimediale
Daten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ Technologien der Verkehrstelematik helfen, dass un-
CSU]: Jetzt lache ich mich aber tot!) sere Straßen effizienter genutzt werden. Mit dem Deut-
Ihnen – das muss ich leider so deutlich sagen, das ha- schen Forschungsnetz verfügen wir über eine exzellente,
ben wir häufig diskutiert – waren Bildung und Forschung schnelle Datenautobahn für die gesamten wissenschaftli-
keine müde Mark wert. chen Einrichtungen. Die Entwicklung der Informations-
gesellschaft ist aber kein Selbstläufer. Es wäre fatal, zu
(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ glauben, dies würde alles von allein funktionieren. Viel-
CSU]: Das ist sozialdemokratisches Rechnen! mehr bedarf diese Entwicklung politischer und gestalteri-
15 Milliarden DM sind keine müde Mark!) scher Initiativen, damit der Wandel beschleunigt werden
Ansonsten hätten Sie nicht gerade den Haushalt für Bil- kann und damit die Chancen auch tatsächlich genutzt
dung und Forschung in den Jahren von 1993 bis 1998 um werden.
sage und schreibe mehr als 700 Millionen DM gekürzt. Mit dem Programm „Innovation und Arbeitsplätze in
Das kann man nachlesen. Ich gehe davon aus, dass Sie die der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ und
Zahlen lesen können und wissen, was sie bedeuten. mit der Initiative D 21 bringen wir diese Entwicklung ge-
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist meinsam mit der Wirtschaft weiter voran.
bei dem Bildungsstand sehr schwierig!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Das war eine falsche Politik, die durch diese Bundes- DIE GRÜNEN)
regierung jetzt korrigiert wird. Wir haben gemeinsam mit den Sozialpartnern mit sehr
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten großem Erfolg neue Ausbildungsberufe entwickelt. Wir
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben die Ausbildungsplatzzahlen von 14 000 auf in die-
sem Jahr rund 40 000 gesteigert. Wir haben mit einem
Es war damals in einer Zeit, in der erkennbar war, vor 100-Millionen-Sofortprogramm für die Weiterentwick-
welchen internationalen und nationalen Herausforderun- lung des Informatikstudiums auf den Fachkräftemangel in
gen wir stehen, ein falsches Signal.
diesem Bereich reagiert.
Seit dem Regierungswechsel ist damit nun endlich
Wir haben es geschafft, dass heute bereits 50 Prozent
Schluss. Bildung und Forschung haben in diesem Land
(B) wieder Priorität. Wir modernisieren die berufliche Bil- unserer Schulen ans Netz angeschlossen sind. Wir hatten (D)
in den letzten sechs, sieben Monaten einen dramatischen
dung und sorgen dafür, dass alle Jugendlichen, die einen
Zuwachs. Das ist notwendig und auch richtig. Unser Ziel
Ausbildungsplatz suchen, auch einen Ausbildungsplatz
erhalten. ist, bis zum Ende des Jahres 2001 alle Schulen ans Netz
anzuschließen und eine flächendeckende Ausstattung mit
Wir investieren in die Hochschulen und Forschungs- Computern in den Schulen zu erreichen.
einrichtungen und machen sie zukunftssicher. Wir ver-
wirklichen die Chancengleichheit von Frauen und Män- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
nern in Bildung und Wissenschaft. Wir investieren in die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Menschen in diesem Land und verwirklichen damit eine Wir haben weiterhin die Mittel für computer- und
Politik der Modernisierung und der sozialen Verantwor- netzgestütztes Lernen deutlich erhöht; denn Lern- und
tung. Lehr-Software wird bei den Bildungsstätten der Zukunft
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die gleiche Rolle spielen, wie es heute das Lehrbuch, das
DIE GRÜNEN) Schulbuch oder zum Beispiel der Overheadprojektor tun.
Das bedeutet, dass dort nicht nur ein Programm ent-
Wir verfahren dabei nicht nach dem Gießkannenprin- wickelt werden muss, sondern dass auch didaktische und
zip, sondern wir setzen klare Prioritäten und Schwer- methodische Konzeptionen für den Einsatz der neuen Me-
punkte. Wir konzentrieren uns auf die Handlungsfelder, dien im Unterricht erarbeitet werden müssen.
die die größten Chancen für die Zukunft bieten. Das sind
insbesondere die Informations- und Kommunikations- Ich sage allerdings auch ganz offen: Es kommt dabei
technologien; es sind die Mikrosystemtechnik und die nicht nur auf den Bund an, sondern die Länder müssen
Elektronik. Sie sind die Schlüsselbereiche für wirtschaft- parallel das ihrige tun, das heißt, in die Lehrerfortbildung
liches Wachstum und neue Arbeitsplätze. investieren und die Curricula modernisieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Hier haben wir glücklicherweise gerade in den letzten Einen zweiten Schwerpunkt legen wir mit dem Haus-
zwei Jahren im internationalen Vergleich deutlich aufge- halt 2001 auf die Zukunftsbereiche Biotechnologie, Ge-
holt. Die neuen Informations- und Kommunikationstech- sundheits- und Medizinforschung sowie die molekulare
nologien verzeichnen in Deutschland inzwischen die Medizin. Hier steigern wir im kommenden Jahr den
höchsten Zuwachsraten bei Umsatz und Beschäftigung. Haushaltsansatz allein um 28 Prozent gegenüber dem
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn

(A) diesjährigen Haushalt. Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung (C)


und Forschung: Da ich selbst zu den Abgeordneten
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist das,
gehöre, die 1989/90 das Embryonenschutzgesetz auf den
was der Herr Rüttgers eingeleitet hat!)
Weg gebracht haben, bin ich mir sehr wohl bewusst, dass
– Genau das hat Herr Rüttgers nicht getan. Er hat die Mit- wir bei der Anwendung der Gentechnik ethische Gren-
tel nämlich nicht so gesteigert. zen ziehen müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Georg Wagner [SPD]: Der hat überhaupt nichts des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
gemacht! Sprücheklopfer!)
Ich bin der Überzeugung, dass wir in unserem Land das
Er hat vor allen Dingen in diesem Bereich nicht in die Embryonenschutzgesetz aufrechterhalten müssen und
molekulare Medizin investiert. Das ist aber die notwen- kein therapeutisches Klonen zulassen sollten. Ich hoffe
dige Voraussetzung dafür, dass wir wirklich bessere hier auf eine breite Zustimmung im Parlament.
Methoden entwickeln gerade für die Bekämpfung von
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Volkskrankheiten, von denen ein großer Teil unserer
GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Bevölkerung betroffen ist, wie zum Beispiel Krebs oder
ten der PDS)
Alzheimer. Wir wollen hier effektivere Methoden für die
Bekämpfung von Krankheiten sowie neue Präven- Ich bin allerdings der Auffassung, dass wir auch in der
tionsverfahren entwickeln. Verantwortung stehen, die Chancen, die uns diese Tech-
nologie bietet, im Interesse der Menschen zu nutzen, die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
an den Krankheiten leiden, die ich genannt habe. Wir wis-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sen, dass wir wahrscheinlich nur über diesen Weg wirk-
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Lebenswis- same Therapien entwickeln können. Deshalb ist es kein
senschaften wirklich die Schlüsseltechnologie des Widerspruch, sondern es gehört beides zusammen: auf der
21. Jahrhunderts sind. Deshalb ist es richtig, dass diese In- einen Seite ganz klare ethische Grenzen in der Anwen-
vestitionen hier getätigt werden und dass hier ein Schwer- dung zu ziehen und auf der anderen Seite die Chancen zu
punkt gesetzt wird. nutzen.
Die deutschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nen und Forschungseinrichtungen haben übrigens bei der DIE GRÜNEN)
Sequenzierung und bei der Entschlüsselung des mensch-
Der Vorteil in unserem Land ist, dass wir inzwischen
lichen Genoms wichtige Beiträge geleistet.
gelernt haben, dass es nicht darauf ankommt, Ja oder Nein
(B) zu sagen, sondern dass es darauf ankommt, den Weg so (D)
Präsident Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, ge- einzuschlagen, dass man die Chancen neuer Entwicklun-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert, PDS- gen nutzt, aber auch ganz klar sagt, welche Anwendungen
Fraktion? man nicht will, und dann in der Forschungsförderung und
in der Gesetzgebung die entsprechenen Entscheidungen
trifft.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja. (Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung
[CDU/CSU]: Nicht nur hier, sondern auch in
Brüssel!)
Dr. Ilja Seifert (PDS): Frau Ministerin, Sie sprachen
gerade mit großer Euphorie von den Möglichkeiten der
biologischen Wissenschaften. Sie haben einige Krankhei- Präsident Wolfgang Thierse: Noch eine Rückfrage
ten genannt, die Ihrer Ansicht nach dadurch bekämpft des Kollegen Seifert.
werden könnten. Sie hatten auch angekündigt, von den
UMTS-Geldern vieles in die entsprechenden Forschungs-
Dr. Ilja Seifert (PDS): Ich danke Ihnen für Ihre klare
richtungen zu stecken.
Aussage in Bezug auf die ethischen Grenzen, die Sie zie-
Sie wissen doch aber so gut wie ich, dass sowohl in- hen wollen. Gleichwohl zeigt die Erfahrung, Frau Minis-
nerhalb der Bevölkerung als auch innerhalb des Hauses, terin, dass ethische Grenzen allein häufig nicht sehr
als auch innerhalb Ihrer eigenen Fraktion sehr große Vor- haltbar sind, wenn die technischen und sonstigen Voraus-
behalte und Ängste mit Biotechnologien – insbesondere setzungen dafür geschaffen sind, dass man andere Dinge
der Gentechnik – verbunden sind. Haben Sie nicht die Be- tun kann als das, was Sie oder ich oder wir gemeinsam
fürchtung, dass Sie damit die Arbeit der Enquete-Kom- wünschen. Auch wenn Sie beispielsweise das therapeuti-
mission, die wir extra zu diesem Zweck eingesetzt haben, sche Klonen verbieten wollen, ist doch die Möglichkeit
sehr stark präjudizieren? Schaffen wir damit nicht sehr für wissenschaftliches Klonen eröffnet. Sie wissen so gut
einseitige Tatsachen, die dann unabhängig von den Er- wie ich, dass man dann, wenn man wissenschaftlich klo-
gebnissen der Enquete-Kommission – für den Fall, dass nen kann, auch therapeutisch und schließlich auch repro-
die Enquete-Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass duktiv klonen kann. Das kann mit denselben Methoden,
die Gefahren wesentlich größer sind als die Chancen – mit denselben Instrumenten und von denselben Menschen
überhaupt nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein könn- gemacht werden. Mein Problem ist, dass dann, wenn die
ten? technischen Möglichkeiten da sind, ethische Grenzen von
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Dr. Ilja Seifert

(A) Einzelnen bedauerlicherweise überschritten werden kön- nicht zuzulassen, so wie es auch im Embryonenschutz- (C)
nen und dies nie wieder rückgängig gemacht werden gesetz niedergelegt worden ist. Ich persönlich werde mich
kann. auch in Zukunft dafür einsetzen – so wie ich es auch in der
Vergangenheit getan habe –, dass es dabei bleibt und dass
dieses Gesetz in diesem Punkt nicht geändert wird.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich bin der Überzeugung, dass der Unter- Herr Lensing, ich habe vorhin gesagt, dass die Tatsa-
schied zwischen Menschen und Tieren gerade darin be- che, dass wir urteilsfähig sind und differenzieren können,
steht, dass wir ganz bewusst entscheiden können, dass wir uns als Menschen auszeichnet. Deshalb bin ich der Auf-
urteilen und auch werteorientiert handeln können. Des- fassung, dass man eine Position, von der man zutiefst
halb wiederhole ich, dass wir die ethischen Grenzen nicht überzeugt ist, vertreten muss, und zwar auch in interna-
nur in Werturteilen, sondern auch in unseren Gesetzen zie- tionalen Gremien. Das tue ich auch, im Übrigen gar nicht
hen müssen, wie wir es bereits getan haben. Die gesetzli- so erfolglos, weil zum Beispiel sehr viele meiner For-
che Grenze, die wir gezogen haben, soll aufrechterhalten schungsministerkollegen in der Welt, im G-8-Kreis, aber
werden. In den gesetzlichen Vorschriften wird im Übrigen auch im europäischen Bereich meine Position durchaus
nicht differenziert: In der Bundesrepublik ist Klonen ge- teilen. Von daher sind wir da nicht isoliert. Ich persönlich
nerell untersagt. bin der Meinung: Wir sind in einer guten Position, die auf
unseren humanistischen Weltbild basiert, das wir in Eu-
(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sie sprachen eben nur
ropa haben. Ich finde, es lohnt, sich dafür einzusetzen.
vom therapeutischen Klonen!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– Im Embryonenschutzgesetz ist das Klonen generell un-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
tersagt und das soll auch so bleiben.
PDS)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade vor dem Hin-
Präsident Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, ge-
tergrund, den wir jetzt miteinander diskutiert haben, ist
statten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Werner
wohl jedem deutlich geworden, dass es wichtig ist, die
Lensing, CDU/CSU-Fraktion?
Chancen dieser Technologie zu nutzen, aber auch klare
Grenzen zu ziehen. Wir haben im Bereich der Genom-
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung forschung mehr Mittel eingesetzt und die Mittel in die-
und Forschung: Aber selbstverständlich. sem Jahr auf 144 Millionen DM erhöht. Das bedeutet eine
Steigerung der Fördermittel um 70 Prozent für diesen zen-
tralen Bereich der Lebenswissenschaften. Damit nehmen
(B) Werner Lensing (CDU/CSU): Ich weiß, dass es heute
wir hinter den USA bei der staatlichen Förderung den (D)
primär um haushaltspolitische Fragen geht. Aber da wir
zweiten Platz ein. Also: Das ganze Gerede, wir stünden
hier gerade an einer Nahtstelle von Forschungspolitik und
hier hintenan, ist schlichtweg falsch. Wir haben inzwi-
Ethik sind und über ethische Aspekte reden, möchte ich
schen den zweiten Platz deutlich zurückerobert. Ich
Sie, Frau Ministerin, noch Folgendes fragen: Können Sie
glaube, das ist wichtig zum Nutzen der Menschen.
sich vorstellen, dass in Ihrem Hause im Hinblick auf das
weite Feld der Forschung, das wir gerade behandelt ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ben, eines Tages Handlungsbedarf insofern entstehen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
könnte, als dass wir im Bereich der Humanforschung vie-
Bei der Modernisierung von Wirtschaft und Gesell-
les in der Bundesrepublik Deutschland nicht machen dür-
schaft haben unsere Hochschulen eine Schlüsselrolle. Wir
fen, was aber im Ausland erforscht wird, und wir gleich-
haben für die Hochschulen in den letzten Jahren bereits
wohl mit Teilergebnissen, die im Ausland erzielt worden
eine ganze Menge auf den Weg gebracht und setzen dies
sind, anschließend in der Bundesrepublik Deutschland
in diesem Jahr fort. Wir erhöhen zum einen die Mittel für
weiterarbeiten? Sehen Sie da nicht eventuell die Gefahr
den Hochschulbau auf rund 2,2 Milliarden DM. Das ist
einer doppelten Moral?
notwendig, weil hier in den vergangenen Jahren – gerade
Anfang und Mitte der 90er-Jahre – erheblich gekürzt wor-
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung den ist. Es passt einfach nicht zu einer modernen Hoch-
und Forschung: Eine doppelte Moral ist immer schlecht. schule, wenn der Putz von den Wänden bröckelt und man
Deshalb halte ich zum Beispiel die Regelung, die in den mit Geräten arbeiten muss, die 20 Jahre alt sind. Das geht
USA gilt, für nicht erfolgversprechend und nicht gut. Das nicht und deshalb haben wir die Mittel hier deutlich er-
heißt, dass man zum Beispiel die Finanzierung der Arbeit höht.
mit embryonalen Stammzellen durch private Forschungs-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
förderungsmittel zulässt, die durch staatliche aber nicht.
DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulrike Flach
Das halte ich nicht für eine gute Regelung.
[F.D.P.])
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wir erhöhen zum anderen auch die Mittel für das
der PDS)
BAföG. Das Thema BAföG war in der ersten Hälfte der
Ich bin dabei schon der Auffassung, dass man eine 90er-Jahre ein wirkliches Trauerspiel. Frau Pieper, ich
klare Position haben sollte. Ich habe eine klare Position, sage ganz offen: Eine Opposition, die in den 16 Jahren ih-
dahin gehend, die verbrauchende Embryonenforschung rer Regierungsverantwortung nicht den kleinsten Finger
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11411
Bundesministerin Edelgard Bulmahn

(A) dafür gerührt hat, dass das BAföG vernünftig ausgestattet 80 000 Jugendliche wieder BAföG-berechtigt sind. Das (C)
wird, nehme ich ihre Kritik einfach nicht mehr ab. ist eine große Zahl. Wenn Sie den Vorschlag gemacht hät-
ten, die Freibeträge um 7,3 Prozent anzuheben, dann hät-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ten wir dem zugestimmt. Wenn Sie das vorgeschlagen hät-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
ten, was ich jetzt vorschlage – die Begrenzung der
PDS)
Darlehensbelastung und damit des Schuldenbergs der
Ich kann Ihnen versichern, Sie hätten in all den Jahren, in Studierenden –, dann hätten wir das mitgetragen. Wenn
denen wir in der Opposition waren, unsere Unterstützung Sie – wie wir jetzt – vorgeschlagen hätten, dass auch
gehabt, wenn Sie ernsthafte Anträge zu einer nennens- BAföG-Empfängern nach dem zweiten Semester ein län-
werten Aufstockung gestellt oder eine Reform durchge- geres Auslandsstudium ermöglicht wird, dann hätten wir
führt hätten. Wir hätten damals mitgestimmt; das kann ich das mitgetragen. Wenn Sie die Gleichstellung von Studie-
für alle Kollegen zusagen. Aber Sie haben es nicht ein renden in Ost und West vorgeschlagen hätten – das ma-
einziges Mal wirklich versucht. chen wir jetzt; das ist längst überfällig –,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sanieren das BAföG von Grund auf. Damit gibt es dann hätten wir auch das – das kann ich Ihnen versich-
einen neuen Anfang. Wir erhöhen die Freibeträge und ern – mitgetragen.
die Bedarfssätze beim Höchstsatz um 7,3 Prozent. Wir
sorgen durch die Begrenzung der Darlehensbelastung auf Wenn Sie alle diese Vorschläge gemacht hätten, dann
20 000 DM dafür, dass die Jugendlichen aus den einkom- hätten wir Sie unterstützt, dann hätten wir sie jetzt nicht
mensschwächsten Familien am Ende ihres Studiums nicht selber machen müssen und dann hätten wir das BAföG
mit dem größten Schuldenberg dastehen. Genau das ist ja jetzt noch weiter verbessern können. Ich sage ganz offen:
zurzeit der Fall. Ich finde es nicht besonders überzeugend, dass Sie uns
jetzt sagen: „Es reicht aber nicht“, nachdem Sie selber
16 Jahre überhaupt nichts getan haben.
Präsident Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
F.D.P.-Fraktion? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung Präsident Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, Kol-
und Forschung: Ja, das mache ich. legin Pieper möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
(B) (D)

Cornelia Pieper (F.D.P.): Ich als Abgeordnete danke Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
Ihnen, Frau Ministerin, für die Gelegenheit, in einen Dia- und Forschung: Gut.
log mit Ihnen einzutreten. Wenn ich Sie richtig verstanden
habe, haben Sie gesagt, Sie hätten zusammen mit der Cornelia Pieper (F.D.P.): Frau Ministerin, gestehen
SPD-Bundestagsfraktion einer BAföG-Strukturreform Sie mir zu, dass ich noch nicht so alt aussehe, als ob ich
zugestimmt. Ich möchte deshalb gerne wissen, warum Sie schon 16 Jahre in diesem Parlament sitze?
jetzt keine BAföG-Strukturreform, sondern nur eine wei-
tere Novelle vorlegen wollen. (Zurufe von der SPD: Ja!)
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gestehen Sie mir des Weiteren zu, dass die F.D.P.-Bun-
NEN]: Das wollen Sie nicht wirklich wissen?) destagsfraktion zusammen mit mir die Angleichung der
Wohngeldzuschüsse für Studenten im Osten schon wäh-
rend der letzten Haushaltsberatung gefordert hat? Es gab
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
damals einen sehr heftigen Disput hier im Plenum darüb-
und Forschung: Frau Pieper, das, was wir vorlegen, ist er.
eine BAföG-Strukturreform und keine weitere Novelle.
Ich frage auch: Ist es richtig, dass Ihre jetzige so ge-
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der
nannte Strukturnovelle eine elternabhängige Förderung
CDU/CSU und der F.D.P.)
der Studenten vorsieht, obwohl Sie, Frau Ministerin, noch
Wir werden das BAföG von Grund auf verändern. Wir vor zwei Jahren eine elternunabhängige Förderung beim
werden das Gesetz erheblich entschlacken, sodass es auch BAföG gefordert haben?
wirklich wieder praktikabel ist und die Leute nicht mehr
sagen: Das ist so kompliziert, dass ich einen BAföG- Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
Antrag erst gar nicht stelle. – Das ist im Augenblick – lei-
und Forschung: Zu Ihrer ersten Frage kann ich nur sagen:
der – oft der Fall. Ich hoffe, dass Sie alle dazu beitragen
Frau Pieper, es kommt darauf an, wann Sie Mitglied des
werden, dass die Akzeptanz für dieses Gesetz wieder
Bundestages geworden sind. Wenn man in relativ jungen
wächst und dass es wieder ernst genommen wird.
Jahren in den Bundestag gewählt wird – das trifft auf einen
Wir werden mit dieser Strukturreform erreichen Teil der Abgeordneten zu –, dann kann man jung aussehen
– auch deshalb ist es eine Strukturreform –, dass circa und trotzdem schon 16 Jahre Mitglied dieses Parlaments
11412 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Bundesministerin Edelgard Bulmahn

(A) sein. Wie gesagt, es kommt darauf an, wann man zum ers- Grundlage. Damit bekommen unsere Hochschulen end- (C)
ten Mal Mitglied des Bundestages wird. lich die Planungssicherheit, die sie brauchen.
(Hans Georg Wagner [SPD]: Wann man an- Mit der von mir auf den Weg gebrachten Reform des
fängt! – Dr. Barbara Höll [PDS]: Und wie öffentlichen Dienstrechts im Wissenschaftsbereich will
schnell man dabei alt aussieht!) ich erreichen, dass gute Leistungen in Lehre und For-
schung honoriert werden und nicht an starren Strukturen,
– Genau, wann man anfängt.
an Bürokratie oder Beamtenrecht scheitern.
Zur zweiten Frage: Die SPD-Fraktion hat sich über
(Beifall bei der SPD)
viele Jahre hinweg für zwei Dinge eingesetzt. Wir haben
zum einen eine Grundsanierung des BAföG gefordert. Sie Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der Einführung von
wissen genauso gut wie ich, dass dies absolut zwingend Juniorprofessuren und einer Besoldung für Professoren,
war. Deshalb war ich ja so verärgert, dass dies in den die von den Leistungen und nicht nur vom Alter abhängt,
16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht gemacht worden ist. dem wissenschaftlichen Nachwuchs neue Chancen eröff-
nen.
Wir haben zum anderen eine Änderung der Famili-
enförderung gefordert. Allerdings bringt die Änderung Liebe Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen
der Familienförderung – um auch das ganz deutlich zu sa- brauchen eine gute und qualifizierte Ausbildung, damit
gen – den einkommensschwächeren Familien keine müde sie ihr Leben meistern können. Das gilt für diejenigen, die
Mark mehr ins Portemonnaie. Auch das wissen Sie ge- studieren. Es gilt aber auch generell. Unser Land braucht
nauso gut wie ich. Aber gerade die Förderung von Ju- gut ausgebildete Menschen. Wir brauchen sie, damit sich
gendlichen aus einkommensschwächeren Familien ist unsere Demokratie, unser Land, unsere Wirtschaft, wei-
notwendig, weil wir festgestellt haben, dass sich zurzeit terentwickeln können.
immer weniger junge Menschen, die aus solchen Familien
Die Modernisierung der beruflichen Bildung und die
kommen, ein Studium leisten können. Deshalb ist die von
Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes sind deshalb
uns vorgelegte Strukturreform ein wichtiger Schritt für
wesentliche Schwerpunkte dieses Haushaltes und unserer
Jugendliche aus einkommensschwächeren Familien. Sie
Arbeit. Ich bin sehr froh darüber, dass unsere Arbeit im
können nämlich wieder sagen: Ich kann studieren, weil
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig-
ich es finanzieren kann; denn ich erhalte ein vernünftiges
keit Erfolge zeigt. Wir haben in den alten Bundesländern
BAföG. – Genau das werden wir mit unserer Struktur-
in diesem Jahr zum ersten Mal seit langer Zeit eine fast
reform erreichen.
ausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz. In den neuen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesländern sieht es noch nicht so gut aus. Hier man-
(B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gelt es an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Aber auch (D)
hier haben wir endlich eine Trendwende geschafft. Denn
Wir werden zusätzlich zu dem, was ich bereits zur
wir haben zum ersten Mal einen spürbaren Zuwachs an
Strukturreform in der Antwort auf die Fragen von Frau
betrieblichen Ausbildungsplätzen. Es muss unser Ziel
Pieper gesagt habe, die Möglichkeit schaffen, Bildungs-
sein, betriebliche Ausbildungsplätze in ausreichender
kredite in besonderen Notsituationen in Anspruch zu neh-
Zahl zu haben.
men. Daran arbeiten wir. Auch das halte ich für ein sinn-
volles Ergänzungsinstrument. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias
Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ausdrück-
lich bei den Kammern, aber auch bei vielen einzelnen
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind vor allem die
Handwerksbetrieben und Unternehmen bedanken, dass
jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in
sie hier mitgemacht und Ausbildungsplätze angeboten ha-
unserem Land darüber entscheiden, wie fit unsere Hoch-
ben.
schulen, unsere Gesellschaft und auch unsere Wirtschaft
morgen sind. Deshalb müssen wir den bevorstehenden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Generationenwechsel an unseren Hochschulen im Inte- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
resse der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- Abg. Ulrike Flach [F.D.P.])
ler nutzen. Deshalb haben wir die Förderung des wissen-
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass es uns ge-
schaftlichen Nachwuchses gestärkt und verstetigt. Die
lingt, dass die 3 000 Jugendlichen, die zu Beginn des Aus-
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist für
bildungsjahres noch unvermittelt waren, bis Ende Sep-
uns eine Daueraufgabe und keine Sonderaufgabe, wie es
tember einen Ausbildungsplatz finden werden. Wir
von der alten Bundesregierung tituliert wird. Sie braucht
werden das Unsrige dafür tun, damit es gelingt. Damit
eine langfristige Perspektive.
machen wir unser Versprechen wahr, dass jeder Jugendli-
(Beifall bei der SPD) che, der kann und will, einen Ausbildungsplatz erhält.
Wir gestalten die Hochschulfinanzierung in Zukunft Wir haben in unserem Haushalt noch einen weiteren
berechenbarer und stellen die Förderung von Begabten- Schwerpunkt gelegt, nämlich auf den Ausbau von Bil-
förderungswerken sowie Graduiertenkollegs und den in- dung, Wissenschaft und Forschung in den neuen Ländern.
ternationalen Austausch von Studierenden und Wissen- Dafür werden wir auch künftig mehr als 3 Milliarden DM
schaftlerinnen und Wissenschaftlern auf eine verlässliche pro Jahr zur Verfügung stellen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11413
Bundesministerin Edelgard Bulmahn

(A) Hier möchte ich zwei Programme nennen. Zum einen In Sachen Forschung und Technologie habe ich noch (C)
unterstützen wir mit dem Ausbildungsplatzprogramm einmal den letzten Bericht zur technologischen Leis-
Ost betriebliche Ausbildungsplätze in den neuen Bundes- tungsfähigkeit Deutschlands durchgesehen. Frau Ministe-
ländern. Zum anderen haben wir die Initiative Inno- rin, ich habe bemerkt, dass sich seit dem Regierungs-
Regio. Mit diesem neuen Förderansatz geben wir gerade wechsel bei den wichtigsten Daten nichts geändert hat.
den neuen Bundesländern wichtige Impulse. Mit diesem Wir geben nach wie vor nur 2,3 Prozent unseres Brutto-
neuen Ansatz haben wir schon jetzt große Erfolge er- inlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus.
reicht. Wir schaffen mit ihm etwas, was mir sehr wichtig
ist: Wir schaffen zukunftsfähige Arbeitsplätze in den (Hans Georg Wagner [SPD]: Mit steigender
neuen Bundesländern. Tendenz!)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich komme nachher noch auf die gar nicht so schlechten
DIE GRÜNEN) Zahlen Ihres eigenen Hauses zu sprechen. Aber es kommt
natürlich auch auf die Gesamtbilanz an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verkaufserlöse aus
der Versteigerung der UMTS-Lizenzen wird die Bundes- Ich habe mir eine Übersicht des Bundeswirtschaftsmi-
regierung voll und ganz zur Schuldentilgung einsetzen. nisteriums, das Zuständigkeiten im Bereich von For-
So haben wir es angekündigt. Mit den Zinsersparnissen schung und Entwicklung übernommen hat, mitgenom-
werden wir unsere Zukunftsinvestitionen in Bildung und men. Es behandelt dieses Gebiet absolut stiefmütterlich.
Forschung weiter verstärken, und zwar zusätzlich zu dem, Nach eigenen Angaben liegt die Steigerungsrate im Jahr
was wir im Haushalt haben. 2001 im Vergleich zum Istergebnis des Jahres 1998 bei
0,5 Prozent.
(Beifall bei der SPD)
(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! –
Damit werden wir unserer Politik der Modernisierung und Toll!)
der sozialen Gerechtigkeit zusätzlichen Schub geben.
Man könnte noch andere Ministerien heranziehen, um
Wir sind mit dem Versprechen angetreten, unser Land festzustellen: Die Gesamtbilanz ist nicht sehr gut.
zu modernisieren. Wir halten dieses Versprechen.
Frau Ministerin, ich lese in diesem Bericht zur techno-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So wie viele logischen Leistungsfähigkeit Deutschlands etwas, was
andere!) ich für sehr bemerkenswert halte: Wir sind – das sagen Sie
Ich sage ganz klar: Die Zeit der Sonntagsreden, wie wir ja auch – bei den Spitzentechnologien dabei, etwas auf-
sie in den 90er-Jahren erlebt haben, ist vorbei. Wir packen zuholen. Die Gründe, die von den Gutachtern genannt
(B) es an. werden, sind sehr interessant. In diesem Bericht steht (D)
nämlich, das sei vor allem das Ergebnis von Deregulie-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
rung im Bereich von Telekommunikation und von Gen-
DIE GRÜNEN)
technik. Bei der Deregulierung sind Sie bekanntlich
besonders schwach.
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle-
gen Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Wir sollten uns hüten, zu glauben, dass wir alles in die-
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) (CDU/CSU): Herr ser Welt nur mit Geld verändern können.
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja (Jörg Tauss [SPD]: Stimmung ist auch
Verständnis dafür, dass unsere Ministerin die Auffassung wichtig!)
vertritt, dass nach der Bundestagswahl im Herbst 1998 in
Deutschland die heile Welt begonnen hat. Geld ist wichtig, aber nicht alles, Herr Kollege Tauss. Es
kommt auch auf andere Dinge an.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem: Wir sind in den Haushaltsberatungen und
daher will ich mit dem Geld beginnen. Sie haben nach der
Diese Überzeugung hat sich aber noch nicht einmal bei al- Wahl zugesagt – auf frühere Versprechungen will ich gar
len Mitgliedern Ihrer Koalition verfestigt. nicht eingehen –, die Ausgaben für Bildung und For-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schung jährlich um 1 Milliarde DM zu erhöhen. Sie sind
dann sehr schnell in Sparzwängen stecken geblieben. Auf
Beim Durchlesen von Zeitungsartikeln der letzten Tage dem Papier haben Sie das Versprechen im Jahr 1999 noch
habe ich festgestellt, dass der Kollege Berninger die Auf- so ungefähr eingehalten. Jetzt liegen uns die Istzahlen vor
fassung vertritt, dass die Bildungspolitik der Koalition – Frau Bulmahn, das haben wir Ihnen schon damals an-
blass geblieben ist. gekündigt –: Von dem zusätzlichen Geld haben Sie im
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jahr 1999 – das ging auch gar nicht anders – 236 Milli-
Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat er!) onen DM an den Finanzminister zurückgegeben.
Das wird uns der von mir sehr geschätzte Kollege Im laufenden Haushaltsjahr wurde rechnerisch 1 Mil-
Berninger heute sicher noch erläutern; er steht auf der liarde DM dazugelegt. Dann wurde gespart und es kam
Rednerliste. ein Minus von 340 Millionen DM heraus. Wenn ich das
11414 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

(A) beim Taschengeld meiner Söhne so handhabe, dann hal- siv verfolgt und meine Notizen aufgehoben. In meinen (C)
ten die mich für völlig verrückt. Akten befinden sich nach wie vor die Beschlüsse der Fi-
nanzministerkonferenz aus der letzten Legislaturperiode,
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Dann zie-
hen die aus!) bei der diese einstimmig festgelegt hat, dass eine BAföG-
Reform kostenneutral sein muss, und festgestellt hat, dass
Man kann nicht 1 Milliarde DM zusätzlich ankündigen alle Modelle, die vorgeschlagen wurden, nicht brauchbar
und weniger auszahlen. und finanzierbar sind. Sie erinnern sich vielleicht: Die
Ich sage ausdrücklich: Der in diesem Jahr vorhandene Bayern hatten ein Modell, Herr Rüttgers hatte ein Modell
Zuwachs von 780 Millionen DM ist beachtlich. Ich und Sie hatten damals noch ganz andere Vorstellungen,
möchte erwähnen, dass es durchaus ein Zuwachs an Ehr- die Sie inzwischen beerdigt haben. Wenn Sie hier jetzt
lichkeit ist, dass die Bundesministerin dieses Mal, da sie Vorwürfe erheben, müssen Sie sie schon gerecht verteilen.
das Geld vielleicht tatsächlich noch bekommen wird, da- Sie wissen, dass sich im Zweifel auch bei der SPD nicht
rauf verzichtet hat, von der zusätzlichen Milliarde zu re- die Bildungspolitiker, sondern die Finanzpolitiker durch-
den und diese Summe sozusagen rechnerisch herbeizu- setzen.
zaubern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir entnehmen der Presse, Herr Kollege Tauss, dass Die Bereitstellung der Mittel für die BAföG-Reform ist
gegenüber der alten Finanzplanung schon 411 Milli- überfällig. Auch Herr Eichel hat eine Politik des Verzö-
onen DM mehr im Haushalt enthalten sind. Dabei handelt gerns betrieben, um dadurch zu sparen. Die Studierenden
es sich offensichtlich um Gelder aus den Zinsersparnis- müssen jetzt fast zwei Jahre warten, bis sie echte Leis-
sen, die der Finanzminister eingeplant hat. Nach der tungsverbesserungen erhalten.
neuen Finanzplanung sollen die Ausgaben unserer Bil-
dungs- und Forschungsministerin für Bildung und (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Forschung bis zum Jahr 2003 – das ist nach Ende dieses Die Aufstockung der Mittel – die nochmalige Auf-
Fünfjahreszeitraums – um 2 Milliarden DM steigen. Das stockung der Mittel, muss ich sogar sagen – für den Hoch-
ist, gemessen an Ihren Versprechungen, ein ganz beschei- schulbau ist notwendig, auch wenn ich von herunterpras-
dener Betrag. selndem und -fallendem Putz an den bayerischen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Hochschulen nichts bemerke, weil wir sehr viel vorfinan-
neten der F.D.P.) ziert haben.
Das sind 14 Prozent mehr; das bedeutet eine jährliche (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nieder-
(B) Steigerungsrate von nicht einmal 3 Prozent. sachsen!) (D)
Wir sollten die Chance, die sich aus den Zinserspar- Ich bin der Meinung, dass wir, wenn die Länder die Ko-
nissen ergibt, nutzen. Wir freuen uns, dass wir dabei auch finanzierung sicherstellen können, hier sogar noch einmal
die Unterstützung unserer eigenen Haushaltspolitiker ha- Gelder aus den Zinsersparnissen drauflegen sollten. Da-
ben, – ran hat auch der Bund ein Interesse, weil wir so die Inves-
titionsquote des Bundes verbessern könnten, die sich ja
(Jörg Tauss [SPD]: Herr Merz hat das ganz zurzeit ganz miserabel entwickelt.
anders gesagt! Er will sparen!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Georg
– um diesem Ressort einen kräftigen Nachschlag zu ge- Wagner [SPD]: Es ist falsch, was Sie erzählen!)
ben. Frau Ministerin Bulmahn sollte sich im Übrigen da
einmal bei unseren früheren Ministern Bötsch und Waigel Ich habe gelesen, dass Frau Ministerin Bulmahn vor-
bedanken, die die Privatisierung von Post- und Telekom- schlägt, 1 Milliarde DM aus den Zinsersparnissen verteilt
munikationsleistungen gegen den Widerstand der damali- auf fünf Jahre zusätzlich in die Genomforschung zu
gen Landesfürsten Schröder und Eichel durchgesetzt ha- stecken. Hierbei sind wir uns völlig einig. Diesen Antrag,
ben. fünfmal 200 Millionen DM, also 1 Milliarde DM insge-
samt, zusätzlich zu investieren, haben wir schon im letz-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten Jahr gestellt. Er ist damals leider abgelehnt worden.
Deshalb können Sie heute diese Zusage einhalten. (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Meine Damen und Herren, wir als Opposition sollten Hier können wir uns sicher einigen.
nicht an allem herumnörgeln,
(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Wir hoffen nur, dass Sie sich auch bei Ihren eigenen Fi-
aber auch nicht auf die Knie fallen und diese Regierung
nanzpolitikern durchsetzen.
nur noch loben und preisen.
In der Informationstechnologie setzen Sie zugegebe-
(Jörg Tauss [SPD]: Machen wir selber!)
nermaßen einen Schwerpunkt. Das halten wir für richtig.
Die Ministerin hat die BAföG-Mittel angesprochen. Da wird einiges gemacht. Es hilft der Ministerin jedoch
Frau Ministerin Bulmahn, dieses Mal habe ich die Unter- nicht, ihre Vorschläge bei den eigenen Finanzpolitikern
lagen nicht dabei, aber ich habe die Debatten sehr inten- durchzusetzen, wenn sie jetzt vorschlägt, jeder Schüler
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11415
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

(A) solle einen Laptop erhalten. Das halte ich für völlig über- Das ist kein Vorwurf an Sie allein; das hat sich über (C)
trieben. Das ist nicht solide. Jahre aufgebaut. Es wäre aber ein Vorschlag, um für mehr
Effizienz auch im staatlichen Sektor zu sorgen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der F.D.P.) Vielen Dank.
Wenn Vertreter dieser Regierung eine Chance sehen, in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
den Medien eine Wirkung zu erzielen, dann verlieren sie
schlicht und einfach die Bodenhaftung.
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile nun dem
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kollegen Matthias Berninger, Fraktion Bündnis 90/Die
der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Was sagt Frau Grünen, das Wort.
Schavan dazu?)
Wir schlagen für diesen Bereich etwas ganz anderes Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
vor. Unser Bundeskanzler hat bei seiner Green-Card- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In jeder Haus-
Initiative gerade noch rechtzeitig gemerkt, dass man haltsdebatte findet ein Streit darüber statt, wie viel diese
zunächst einmal etwas für den eigenen Nachwuchs tun Bundesregierung trotz Sparkurs zusätzlich für Bildung
muss. Wir sind ja nicht gegen eine begrenzte Lockerung und Forschung ausgibt. Dieser Streit findet vor allem des-
des Anwerbestopps. halb statt, weil Sie von der Opposition sich darüber är-
gern, dass solche Zuwächse, wie wir sie jetzt im Bil-
Er hat dann den Vorschlag eines Bund-Länder-
dungsbereich haben, in Ihrer Regierungszeit nicht erreicht
Programms gemacht. In diesem Zusammenhang hat er von
worden sind. Vor diesem Hintergrund sehe ich dem Streit
100 Millionen DM gesprochen. De facto gibt der Bund nur
sehr gelassen entgegen.
fünfmal 10 Millionen DM zu diesem Programm. Das, ver-
teilt auf alle Bundesländer, wird weder in Berlin noch an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so-
derswo verhindern, dass in der Informatik der Numerus wie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch
clausus eingeführt wird. Deshalb schlagen wir vor, in die- bei der CDU/CSU)
sem Bereich noch einmal kräftig aufzustocken.
Sie haben völlig Recht: Im Koalitionsvertrag steht,
Ein weiterer Vorschlag zur künftigen Haushaltsgestal- dass wir eine deutliche Aufstockung der Mittel für Bil-
tung. Staatliche Forschungsmittel sind nach Auffassung dung und Forschung wollen. Darüber hinaus wurde
aller Sachverständigen möglichst im Wettbewerb zu ver- selbst in Regierungserklärungen des Bundeskanzlers die
teilen. Insofern hat die Projektförderung einen gewissen Forderung aufgestellt, die Investitionen in Bildung und
(B) Vorteil gegenüber der institutionellen Förderung. Forschung zu verdoppeln. Wir können uns darüber strei- (D)
ten, ob diese Verdopplung der Investitionen in Bildung
Nun sieht der Haushalt eine globale Minderausgabe
und Forschung in voller Höhe erreicht worden ist. Aber
von 265 Millionen DM vor. Es besteht immer die Gefahr,
ich möchte in Erinnerung rufen: Angesichts der
dass diese globale Minderausgabe dort erwirtschaftet
1 500 Milliarden DM Schulden, die wir von Ihnen über-
wird, wo es am einfachsten ist, nämlich bei der Projekt-
nommen haben, war es eine Riesenleistung, die Zu-
förderung. Deshalb werden wir bei den Haushaltsbera-
wächse, die wir bei Bildung und Forschung erreicht ha-
tungen vorschlagen, diese globale Minderausgabe zu
ben, in den Haushalten der vergangenen Jahre zu sichern,
streichen. Das ist übrigens ein Antrag, den Sie, Frau
und ist es ebenso eine Leistung, diese Sicherung in den
Ministerin, wie ich gehört habe, früher in der Opposition
nächsten Jahren fortzusetzen.
regelmäßig selbst gestellt haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der CDU/CSU)
sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffen
Also wird es hier einen großen Konsens geben. Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal
etwas zu Ihren Presseveröffentlichungen, Herr
Ich muss leider zum Schluss kommen und vieles weg-
Berninger! Sie mäkeln doch kontinuierlich an
lassen. Ich darf noch einen Vorschlag machen. Aus guten
der Ministerin rum! Jetzt können Sie das hier
Gründen muten wir unseren Hochschulen und unseren
nicht alles schönreden!)
Forschungseinrichtungen Evaluation, also Überprüfung,
kontinuierliche Begutachtung, zu, um die Effizienz Herr Kollege Friedrich, Sie sagen, im letzten Jahr seien
sicherzustellen. Frau Ministerin, diesmal habe ich mir die Mittel um 375 Millionen DM gekürzt worden. Sie
bei der Durchsicht des Haushaltes auch die Anlagen an- wissen genau, dass das nicht stimmt. Wir haben innerhalb
gesehen und bei der Anlage 2 festgestellt, dass wir bei den des Bundeshaushalts eine Reihe von Veränderungen vor-
Projektträgern 540 Mitarbeiter finanzieren, die For- genommen. Nur ein Beispiel: Der Darlehensanteil des
schungsmittel vergeben. Nun vermute ich, dass auch BAföG wird nicht mehr aus dem Haushalt finanziert, son-
einige der 934 Mitarbeiter Ihres Hauses an der Vergabe dern über die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
dieser Mittel beteiligt sind. Ein Fachmann hat – ich kann
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schatten-
es aber nicht überprüfen – einmal hochgerechnet, dass wir
haushalt!)
insgesamt 7 Prozent der Projektmittel für Verwaltung aus-
geben. Wenn wir also anderen Evaluation zumuten, dann Ergebnis: 500 Millionen DM mehr Spielraum für Bildung
sollten wir dies auch bei unserer eigenen Forschungs- und Forschung. Das können Sie hier nicht als Kürzung
verwaltung tun. hinstellen. Auch diesen Streit hatten wir schon häufiger.
11416 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Matthias Berninger

(A) Entscheidend ist doch: erleichtert werden und dass die Anschaffung zum Beispiel (C)
eines neuen Computers, wenn er für das Studium nötig ist,
(Jörg Tauss [SPD]: Was hinten rauskommt!)
möglich wird. Dafür legen wir dieses Programm auf. Hel-
Wie sind die Zuwächse bei den einzelnen Titeln? Wenn fen Sie, dass es umgesetzt wird, statt hier zu schwadro-
Sie sich das anschauen, merken Sie: Die Spielräume in nieren!
uns sehr wichtigen Forschungsbereichen und bei vielem
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
im Bereich der Hochschulpolitik sind von dieser Bundes-
und bei der SPD)
regierung erweitert worden. Die Bundesregierung hat
auch die Unterstützung der Koalitionsfraktionen, dass das Als wir die Verantwortung übernommen haben, lag der
in Zukunft so bleibt. Hochschulbau brach. Die Mittel für den Hochschulbau
waren viel zu gering – das haben Sie selber zugestanden –,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weil Sie windige Vorfinanzierungsmodelle mit einigen
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ländern vereinbart haben. Hier findet eine kontinuierli-
Die BAföG-Reform ist in dieser Debatte schon ein che Aufstockung der Investitionsmittel für den Hoch-
wichtiges Thema gewesen. Die Kollegin Pieper hat dazu schulbau statt. Wir können zwar mit dieser Maßnahme
einige Fragen gestellt. Es bleibt hier festzustellen: Die nicht groß in die Öffentlichkeit gehen und sagen, wir sind
Koalition hat versprochen, zum Frühjahr nächsten Jahres diejenigen, die das Allerbeste auf den Weg bringen. Aber
eine Strukturreform des bestehenden BAföG auf den Weg trotzdem kann man deutlich machen, dass diese konkre-
zu bringen. Wir hatten ehrgeizigere Ziele; das wissen Sie. ten Hilfen bei den Hochschulen ankommen. Die Auf-
Wir wollten eine grundsätzliche Reform der Ausbildungs- stockung der Hochschulbaumittel in kleinen Schritten
finanzierung. Damit sind wir im Januar gescheitert. Aber – wir unternehmen diese kleinen Schritte nicht, weil wir
uns ist es gelungen, 1,4 Milliarden DM zusätzlich für das nicht mehr machen könnten, sondern weil die Länder
BAföG zu mobilisieren. signalisieren: bitte nicht zu viel, wir können das nicht
gegenfinanzieren – halte ich für sehr vernünftig.
Frau Kollegin Pieper, diese zusätzlichen Mittel bewir-
ken, dass die durchschnittliche BAföG-Förderung nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mehr 640 DM, sondern 730 DM beträgt und dass der und bei der SPD)
BAföG-Höchstsatz anstatt bei etwas über 1 000 DM in- Es ist schon angesprochen worden: Zusätzlich werden
zwischen bei 1 100 DM liegt. Ich halte diese große Aus- wir die UMTS-Milliarden auch dafür nutzen können, im
weitung des BAföG, die erreicht worden ist – verbunden Bildungsbereich weitere Spielräume zu eröffnen. Ich
mit dem Wegfall vieler Detailregelungen aufgrund der möchte in diesem Zusammenhang auf einige Punkte hin-
Vereinfachung, verbunden mit Regelungen, dass Studie- weisen, die mir besonders wichtig erscheinen. Im Bereich
(B) rende in Ost- und Westdeutschland das gleiche BAföG be- der Gentechnik ist es vernünftig, hinsichtlich der Adul- (D)
kommen, verbunden mit der Deckelung der maximalen tenstammzellen in die Genomforschung zu investieren
Darlehensschuld bei 20 000 DM –, für einen großen Er- und die Volkskrankheiten, die die Ministerin schon an-
folg, auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte. Ich finde, sprach, zum Schwerpunkt unserer Forschungsförderung
das sollten Sie einmal zugeben. zu machen, weil wir da den Menschen konkret helfen kön-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen.
und bei der SPD) Als die Ministerin vorhin diesen Punkt angesprochen
Meiner Einschätzung nach ist dennoch Handlungs- hat, raunten aber einige Ihrer Kollegen – auch da unter-
bedarf in der Bildungsfinanzierung gegeben. Neben dem scheiden Sie sich von Ihrer Parteivorsitzenden, Frau
über die Steuer finanzierten Teil der Unterstützung von Merkel – gleich wieder, das sei grüne Gentechnik und, bei
Eltern, deren Kinder studieren, und neben dem BAföG der Landwirtschaft würde sich nichts tun. Diese Bundes-
regierung – das hat die Ministerin dargestellt – fährt bei
wollen wir ein weiteres Element, nämlich einen eltern-
der Gentechnik einen sehr vorsichtigen Kurs. Wir sind
unabhängigen Bildungskredit, einführen. Auch hierfür
nicht blind fortschrittsgläubig. So wie die Konsumenten
werden wir die Voraussetzungen im Haushalt 2001 schaf-
kein Interesse daran haben, Nahrungsmittel, die aus gen-
fen, damit diejenigen, die durch den bisher vorhandenen
technisch veränderten Pflanzen produziert werden, ein-
Förderrost gefallen sind, auch eine Unterstützung bekom-
fach so ohne Kenntnis der Risiken zu konsumieren – das
men. Dies ist ein erster Schritt in Richtung Elternunab-
ist ja bekannt; das ist die große Krise der grünen Gen-
hängigkeit und ein weiterer Schritt in Richtung Entbüro-
technik –, so wollen wir die ethischen und die übrigen Ri-
kratisierung.
siken mitbeachten. Wir wollen die neuen Chancen beson-
Ich wünsche mir dafür auch die Unterstützung der Op- nen und nicht blind fortschrittsgläubig nutzen. Ich bin
position, insbesondere in den Ländern, Herr Kollege froh, dass sich die Koalition in dieser Frage einig ist.
Friedrich – ich nenne in diesem Zusammenhang Bayern –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die sich bisher ein bisschen zieren, ein solches Programm und bei der SPD)
in ihren BAföG-Ämtern mitzuverwalten, obwohl sie kei-
nen Pfennig bezahlen müssen. Sie können noch eine Ein weiterer mir wichtiger Punkt ist die Situation an
ganze Menge in Ihren eigenen Ländern tun, damit die Stu- den Berufsschulen. Wir können in der Schulpolitik in den
dierenden ein weiteres Förderinstrument nutzen können, meisten Bereichen nichts machen, weil dafür die Länder
das dazu beiträgt, dass schneller studiert werden kann, zuständig sind. Hier müssen die Länder nach meiner Ein-
dass der Studienortwechsel und das Studium im Ausland schätzung noch deutlich mehr machen. Wenn alles gut
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11417
Matthias Berninger

(A) läuft, können wir aber zumindest im Bereich der Berufs- Akzent setzen sollten, und hoffe, dass wir in diesem Haus (C)
schulen etwas tun. Ich glaube, es wäre wichtig, die tech- in dieser Sache einen Konsens finden.
nische Ausstattung in den Berufsschulen zu verbessern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Warum? Weil sie dort am schlechtesten ist. Wir können und bei der SPD)
damit gegen die Spaltung in Bezug auf die Nutzung der
neuen Technologien – auch „digital divide“ genannt – ei- Es stehen eine Reihe von Strukturreformen vor uns, die
nen wichtigen Schritt unternehmen. Wenn es uns gelänge, oft gar nicht sehr viel mit Geld zu tun haben, die aber sehr
jährlich 500 der 6 600 Berufsschulen mit besseren Tech- wichtig sind; daher meine Ungeduld, Herr Kollege
nologien auszustatten, würden wir viel dafür tun, dass Friedrich. In den nächsten acht Jahren geht die Hälfte aller
diejenigen, deren Chancen, Zugang zur Informationstech- Professoren in Rente. Unser Dienstrecht stammt aus dem
nologie zu bekommen, bisher gering sind, neue Spiel- 19. Jahrhundert. Wenn wir nichts tun, werden wir dieses
räume erhalten. Meine Fraktion steht einer solchen Über- verkrustete Dienstrecht auch noch im 21. Jahrhundert ha-
legung sehr offen gegenüber. ben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN


Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie ha-
und bei der SPD)
ben Ihre Redezeit bereits überschritten.
Darüber hinaus glaube ich, dass jeder Student vom ers-
ten Semester an zusammen mit dem Immatrikulations- Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ausweis ein Notebook – ähnlich wie es heute ein Semes- Jawohl, Herr Präsident. – Auch die Länder sind gefragt,
terticket gibt – in die Hand bekommen sollte. Warum? wenn es darum geht, etwas dafür zu tun, dass eine Dienst-
In die Studiengänge an den Hochschulen sollten die rechtsreform zustande kommt. Hier bin ich ungeduldig.
neuen Technologien von Anfang an mit einfließen. Es Ich wünsche mir, dass Sie genauso ungeduldig sind, da-
sollten neue Konzepte erarbeitet werden, die dann viel- mit wir in diesem Bereich die bestehende Reformchance
leicht auch in den Schulen dazu führen, dass man mit dem nicht verpassen.
Computer besser arbeiten kann. Das Internet gibt uns
große Chancen, unser Bildungssystem zu revolutionieren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Die Bundesregierung fängt damit nicht nur dadurch an, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dass die Spitze des Bildungsministeriums weiß, wovon und bei der SPD)
sie spricht, sondern auch dadurch, dass wir Fördermittel
für den IT-Bereich einsetzen und hier einen Akzent set-
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort
zen. Ich wäre sehr froh darüber, wenn es uns gelänge, ei-
(B) Kollegin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion. (D)
niges anzustoßen, was in den nächsten zehn oder 20 Jah-
ren positive Wirkung entfalten könnte.
Ulrike Flach (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Herren! In der Sommerpause haben wir eine Bil-
und bei der SPD) dungsministerin erlebt, die mit dem Füllhorn der UMTS-
Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist, ist die Frage der Milliarden durch die Lande zog und alle Wünsche der Bil-
Weiterbildung, sind die Herausforderungen des lebens- dungs- und Forschungspolitiker dieses Landes erfüllen
langen Lernens; auch darüber besteht Einigkeit in den wollte.
Sonntagsreden aller Politiker, vor allem aber bei den Bil- (Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar
dungspolitikern. Im Bereich des lebenslangen Lernens nicht!)
können wir noch in dieser Legislaturperiode neue Ak-
zente setzen. Was auffällt, ist: Die Menschen sind bereit, Der vorgelegte Haushalt des Bildungs- und Forschungs-
ministeriums sieht anders aus, Frau Bulmahn. Er soll im
für Weiterbildung mehr Geld auszugeben. Es ist aber so,
nächsten Jahr auf 15,37 Milliarden DM wachsen. Das ist
dass der Staat Weiterbildung bisher nicht in der Form un-
die von Ihnen angekündigte Steigerung um 780 Milli-
terstützt, wie er viele andere Dinge unterstützt. Meiner
onen DM. Diese Steigerung ist übrigens nicht kontinuier-
Meinung nach sollten wir darüber nachdenken, so etwas lich, wie Sie eben festgestellt haben. Im letzten Jahr wa-
wie ein Bildungssparen einzuführen, wie wir es vom ren es 100 Millionen DM weniger; da gab es kein Plus.
Bausparen und von der Altersvorsorge kennen, damit
Menschen mit geringem Einkommen, die bereit sind, Nun frage ich mich natürlich – das habe ich mir bei der
Geld für Weiterbildung auszugeben, eine staatliche Un- Vorbereitung meiner Rede durch den Kopf gehen lassen –:
terstützung zum Beispiel für Computerkurse bzw. Um- Über welche Vorhaben sollen wir heute eigentlich mit
schulungen erhalten, um dadurch in der Lage zu sein, sich Ihnen diskutieren? Über diejenigen, die Sie vollmundig
einen neuen Job zu suchen. In diesem Bereich müssen ankündigen, oder über diejenigen, die wirklich konkret im
noch Akzente gesetzt werden. Haushalt stehen?

Wir sind uns darüber einig – Frau Schavan hat hier aus (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
unserem Entschließungsantrag abgeschrieben –, dass es der CDU/CSU)
mehr Qualitätssicherung geben muss, Stichwort: Stiftung Sie sprechen viel über die virtuelle Hochschule und die
Bildungstest. Ich bin der Meinung, dass wir alle mitei- neuen Medien in der Bildung. Manchmal habe ich den
nander im Bereich der Weiterbildung einen zusätzlichen Eindruck: Sie sind uns, aber auch Ihrem Ministerium in
11418 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Ulrike Flach

(A) der virtuellen Welt verloren gegangen. So haben wir uns ddp vor wenigen Tagen sagte, die Regierung müsse sich (C)
inzwischen an Ihre zweistufigen Vorschläge gewöhnt: erst für das Wahljahr 2002 finanzielle Spielräume offen hal-
ein buntes Feuerwerk bildungspolitischer Highlights und ten.
dann ein deutlich abgespeckter Vorschlag für den Haus-
(Zuruf von der CDU/CSU: Schau einer an!)
gebrauch.
Meine Damen und Herren, unsere Studierenden, unsere
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
Lehrenden und Forscher haben es nicht verdient, dass auf
der CDU/CSU)
ihrem Rücken wahltaktische Spiele ausgetragen werden.
Das gilt zum Beispiel auch für den Vorschlag des Kolle-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
gen Berninger – dies toppte er soeben sogar noch für die
Lachen bei der SPD)
Studenten –, alle Schüler mit Laptops auszustatten.
82 Milliarden DM sollte dieses Unterfangen nach ersten Auch ich möchte in diesem Zusammenhang an die Re-
Berechnungen kosten, sozusagen alle UMTS-Erlöse auf gierungserklärung 1998 von Bundeskanzler Schröder er-
einen Schlag. Dann kam die Version für den Alltag: innern, die mit den schönen Worten endete: Wir werden
Laptops für Bedürftige. Dafür wollen Sie nun jährlich die Investitionen in Forschung und Bildung in den nächs-
50 Millionen DM, 350 Millionen DM bis 2006 ausgeben. ten fünf Jahren verdoppeln. Daran müssen Sie sich mes-
Frau Bulmahn, das hört sich schon ganz anders an, wobei sen lassen, Frau Bulmahn, ob es Ihnen passt oder nicht.
ich mich mehr als über solch blumige Vorschläge gefreut (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
hätte, wenn Sie uns Vorschläge über Leasing-Verträge, der CDU/CSU)
über Folgekosten beim Strom, über Softwareanpassung,
Haftpflicht und über die ganz simple Frage, wie ich mit Auf Ihrer Habenseite steht bisher eine Erhöhung
Kindern umgehe, die solche teuren Geräte zu Hause ste- des Haushaltsansatzes um 8,2 Prozent gegenüber den
hen haben, gemacht hätten. 14,2 Milliarden DM des letzten von Minister Rüttgers
verantworteten Haushalts. Das ist ein Schritt nach vorn,
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) da stimme ich zu, aber gemessen an Ihrem Versprechen,
Bildung und Forschung sind teuer, das wissen wir, und das Haushaltsvolumen zu verdoppeln, haben Sie sich weit
dazu steht die F.D.P. So haben wir – Frau Pieper hat es vom Klassenziel entfernt.
soeben erläutert – ein BAföG-Modell vorgelegt, das die Ich vertrete eine Partei, die in Gestalt ihrer Minister
Studienförderung strukturell angeht und nicht nachbessert nicht nur für die Bildung gekämpft hat, sondern sich auch
wie Ihre Reparaturnovelle. durchgesetzt hat. Sie können sicher sein, dass ich Sie auch
(Beifall bei der F.D.P.) als Oppositionspolitikerin massiv unterstützen werde,
(B) Aber natürlich ist eine solche Reform nicht für 500 Milli- wenn es um die Verbesserung der finanziellen Situation (D)
unseres Haushaltsplans geht. Wir sind an Ihrer Seite,
onen DM zu haben. Hier hätten Sie ansetzen müssen – wie wenn Sie für einen höheren Mittelansatz kämpfen, aber
im Wahlkampf versprochen und wie übrigens auch von wir erwarten mehr als nur blumige Ankündigungen.
Herrn Berninger immer wieder betont.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Sie haben sich stattdessen von Ihrer ureigenen pro-
grammatischen Idee einer elternunabhängigen und sozial Wir beide wissen: Unsere Generation hat einen Para-
gerechten BAföG-Reform verabschiedet. digmenwechsel in der Bildungspolitik zu bewältigen. Wir
müssen mit einer Aufholjagd beginnen, um international
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten zu einem attraktiven Bildungs- und Forschungsstandort
der CDU/CSU) zu werden.
Es ist eben leichter, Laptops anzukündigen, anstatt, wie es (Jörg Tauss [SPD]: Aufholjagd ist richtig!)
Herr Berninger in der letzten Debatte gesagt hat, eine
wirklich mutige Reform anzugehen. Wo bleibt übrigens – Roman Herzog sprach von einem Ruck, lieber Herr
der Koalitionsvertrag auf diesem Gebiet? Tauss. Leider haben nur wenige etwas geruckt und viele
sind sehr gemütlich im Sessel sitzen geblieben. Die F.D.P.
Wir stimmen mit Ihnen bei der Genomforschung völ- will mehr als einen Ruck, wir wollen einen Sprint an die
lig überein. 1 Milliarde DM zusätzlich für die deutsche Spitze der Bildungspolitik.
Humangenomforschung wäre ein Schritt vorwärts für
diese wirklich wichtige Schlüsseltechnologie. Ich hoffe (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
sehr, dass der gute Wille Realität wird. Das allerdings, der CDU/CSU)
was Sie jede Woche mit immer fantastischeren Summen Dazu brauchen wir nicht die Haushaltspolitik der tröp-
ankündigen, sind bisher reine Luftbuchungen. Das ein- felnden Gießkanne, –
zige, was wir wissen, ist, dass Sie 1,8 Milliarden DM ge-
fordert haben, Frau Bulmahn, ob Sie diese auch bekom- (Zuruf von der CDU/CSU: Die haben doch
men, steht in den Sternen. nur eine leere Gießkanne!)
Frau Bulmahn, Sie können sicher sein, dass Sie unsere – sondern ein entschlossenes, schnelles und mutiges An-
Unterstützung haben, wenn es darum geht, den Finanzmi- gehen der drängendsten Probleme im Bildungsbereich.
nister von der Notwendigkeit eines massiven Schubs für Stichwort Hochschulbau: Die Ausgaben für den Hoch-
die Bildung zu überzeugen. Ich warne sehr davor, der Ar- schulbau werden im Haushalt 2001 erhöht. Das ist ein er-
gumentation des Kollegen Berninger zu folgen, der laut freuliches Faktum – selbstverständlich –, aber gemessen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11419
Ulrike Flach

(A) am Bedarf ist die Steigerung völlig unzureichend. Sie gewünschten Transfer zwischen Wissenschaft und Wirt- (C)
kennen genauso wie ich das Votum des Wissenschaftsrats, schaft nicht erreichen; denn das ist kein Anreiz für Hoch-
der von einer doppelten Anzahl von Milliarden – 4,7 Mil- schulprofessoren.
liarden DM – ausgeht. Wir alle wissen, dass im Osten das
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
nachgebaut werden muss, was im Westen schon bald wie-
der CDU/CSU)
der renoviert werden muss. Das heißt, mit kleinen Trip-
pelschritten kommen wir zwar weiter, aber weiß Gott Apropos Hochschule: Der schöne Titel „Zukunfts-
nicht so weit, wie wir müssten. initiative Hochschule“ beschreibt leider nur einen höchst
konventionellen Ansatz. Sie wollen – so haben wir den
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Medien entnommen – 650 Millionen DM für die Anwer-
der CDU/CSU) bung von Spitzenwissenschaftlern aus dem Ausland. Ich
Frau Bulmahn, begehen Sie nicht den Fehler, sich an bitte Sie: Hören Sie auf das, was Ihnen der Präsident der
Jürgen Rüttgers zu messen. Gesellschaft für Informatik, Professor Mayr, deutlich ins
Stammbuch geschrieben hat:
(Jörg Tauss [SPD]: Um Gottes willen!)
Das vorrangige Problem ist nicht, gute Köpfe impor-
Dieser hatte zwar den klangvollen Beinamen des „Zu- tieren zu müssen, sondern deren Abwanderung aus
kunftsministers“, aber im Kabinett war er ein Leicht- Deutschland zu verhindern.
gewicht.
(Beifall bei der F.D.P.)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine
flache Argumentation, Frau Kollegin!) Die Belastung der Wissenschaftler mit Lehr- und Ad-
ministrationsaufgaben liegt ein Mehrfaches über
Frau Ministerin, damit, Ihre Millionenhäppchen liebevoll dem amerikanischer Universitäten.
jeweils dahin zu schieben, wo die Medienwirkung am
größten zu sein scheint, laufen Sie Gefahr, ebenso zu Ihr Hochschuldienstrecht in der bisherigen Form entlastet
scheitern wie Ihr Vorgänger. die Hochschullehrer aber nicht von Gremienaufgaben,
sondern sieht sogar noch Zulagen für die Wahrnehmung
(Beifall bei der F.D.P.) von Gremienarbeit vor.
Wir müssen endlich einsehen, dass Bildung die soziale Meine Damen und Herren, wenn unsere Hochschulen
Frage des 21. Jahrhunderts ist – das Mega-Thema, bei für ausländische Wissenschaftler attraktiver wären, müss-
dem wir einen massiven Schub und nicht Zückerchen für ten wir die Leute nicht mit Ihren 650 Millionen DM kö-
(B) die jeweiligen medialen Highlights brauchen. Sie brau- dern, sondern sie würden uns die Bude einrennen, um hier (D)
chen Mut, Frau Bulmahn. Geben Sie sich nicht mit zu forschen, zu lehren und zu studieren.
Laptops zufrieden, gehen Sie an die Wurzeln unserer Bil-
dungsprobleme heran. Das geht – hier stimme ich Herrn (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
Berninger absolut zu – nicht immer nur mit Geld. der CDU/CSU)

(Jörg Tauss [SPD]: Aber auch mit Laptops!) Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie viele Amerika-
ner und Japaner bei uns, wie viele Deutsche aber in deren
Was wir aus Ihrem Hause bisher zum Beispiel zum Ländern tätig sind.
Hochschuldienstrecht sehen, ist kleinmütig und zaghaft.
Das Schrödersche Green-Card-System, die Leute im
(Beifall bei der F.D.P.) Ausland einzukaufen, greift zu kurz. Wir müssen unser
Die leistungsbezogenen Elemente in der Besoldung rei- Bildungssystem internationaler machen. Dies bedeutet
chen nicht aus. Das Fallbeil der Kostenneutralität hängt eine massive Investition in die Ausstattung der Hoch-
über der gesamten Reform. Die Entrümpelung der Prü- schulen. Den letzten Schub gab es Anfang der 90er-Jahre.
fungs- und Studienordnungen ist nicht entschlossen ge- Von der virtuellen, vernetzten Hochschule, von der die
nug. An die Schaffung schnellerer Promotionsverfahren Frau Ministerin so gerne spricht, sind wir leider sehr weit
haben Sie sich gar nicht erst herangetraut. entfernt. Die Lebenswirklichkeit der Studierenden und
Professoren ist noch immer von überfüllten Hörsälen, der
(Beifall bei der F.D.P.) Verlosung von Laborplätzen, ausgeliehenen Büchern und
Das Thema Verbeamtung, Frau Bulmahn, ein Thema, Rissen in den Gebäuden geprägt. Sie wissen das genau,
das uns Liberalen besonders am Herzen liegt, umgehen Frau Bulmahn. Trotzdem reicht Ihr Biss bisher nicht, sich
Sie. Wir würden Sie dabei sehr massiv unterstützen. Ich gegen die Beharrungskräfte in den Institutionen durchzu-
habe mir vor einigen Tagen sehr interessiert Ihre Bemer- setzen.
kungen in der Sendung von Frau Christiansen zu diesem (Beifall bei der F.D.P.)
Thema angehört. Die Professoren brauchen nicht weiter-
Sie laufen Gefahr, ähnlich wie Jürgen Rüttgers eine
hin verbeamtet zu werden. Wenn wir unsere Schulen und
„Zukunftsministerin“ zu werden: viele Pläne, viel Zu-
Hochschulen modernisieren wollen, brauchen wir Luft
kunft, wenig konkrete Umsetzung.
und das Abschneiden alter Zöpfe; weg mit alten Hierar-
chien. Wenn Sie aber den Vorschlägen der Expertenkom- (Beifall bei der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]:
mission folgen, die Sie eingesetzt haben, werden wir den Bei Rüttgers stimmt das!)
11420 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Ulrike Flach

(A) Mit der Methode, kleckerweise, aber mediengerecht Geld bereits Einsparungen bei anderen Titeln veranschlagt (C)
anzukündigen, verbauen Sie sich die Chance zu einer sind, stehen nicht gerade für Haushaltsklarheit und Haus-
wirklichen Strukturveränderung. Überlassen Sie – das ist haltswahrheit.
meine herzliche und ganz persönliche Bitte an Sie – diese Eine Priorität der Forschungsmilliarde soll die Finan-
Art der Politik einem sehr prominenten Mitglied Ihres zierung von Bildung und Forschung in den neuen Bun-
Landesverbandes. desländern sein. Das HSP III ist ausgelaufen, es wird nicht
Ich lade Sie ein, gemeinsam mit der F.D.P. dafür zu annähernd weitergeführt. Umfassende Finanzierungs-
kämpfen, dass der Bildungs- und Forschungshaushalt alternativen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
endlich einen angemessenen Stellenwert erhält. ler aus den neuen Bundesländern werden nicht sichtbar.
(Jörg Tauss [SPD]: Das machen wir schon Zu den Leitprojekten für Diagnose und Therapie in der
allein!) Molekularmedizin gab es durch die Zwischenfrage mei-
Wenn Sie wirklich eine Verdopplung wollen – wann, Frau nes Kollegen Dr. Ilja Seifert schon eine kleine Diskussion.
Bulmahn, wenn nicht jetzt? Nutzen Sie diese Chance, ma- Frau Bulmahn, ich bin der Auffassung, dass das, was Sie
chen Sie mehr Druck im Interesse der nachfolgenden Ge- hier verdeutlicht haben, das Minimum sein muss.
nerationen! Ohne Fleiß kein Preis und ohne Druck kein (Beifall bei der PDS)
Ruck!
Selbstverständlich erkennen wir an, dass die Bundes-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten regierung mit diesem Haushalt eine Trendwende zumin-
der CDU/CSU) dest im BAföG-Etat vollziehen will. Für jede Mark, die
Sie zusätzlich in die Ausbildung junger Menschen inves-
Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat Kollegin tieren, können Sie mit der Unterstützung der PDS-Frak-
Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort. tion rechnen. Sie müssen sich dennoch den Vorwurf ge-
fallen lassen, dass Sie mit Ihrer Vorlage weit hinter den
(Jörg Tauss [SPD]: Frau Böttcher, denken Sie Erwartungen zurückbleiben.
an meine Mahnung!)
Nach Ihren Vorstellungen wird der Bund 2001 rund
1,5 Milliarden DM für die Ausbildungsförderung aus-
Maritta Böttcher (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- geben. Hinzu kommen die Darlehenszahlungen der Deut-
dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr schen Ausgleichsbank. Zusammengerechnet wird der
Tauss, ich werde versuchen, Ihnen keine schlaflose Nacht Bund also im nächsten Jahr rund 2 Milliarden DM bereit-
zu bereiten. stellen. Damit haben Sie aber gerade einmal das Niveau
(B) von Mitte der 90er-Jahre erreicht. (D)
(Jörg Tauss [SPD]: Ich danke Ihnen!)
Der Haushalt des BMBF gehört zu den Gewinnern im Die Vorschläge für eine Strukturreform der Ausbil-
Haushalt 2001, zumindest gemessen an den Kürzungen, dungsförderung liegen seit Jahren auf dem Tisch und be-
die andere Ressorts hinnehmen mussten. ruhen auf einer bestechend einfachen, aber, wie ich finde,
nach wie vor pfiffigen Idee. Von heute auf morgen könn-
(Zuruf von der SPD: Das kann man wohl
sagen!) ten wir jeder Studentin und jedem Studenten jeden Monat
elternunabhängig zusätzlich mindestens 350 DM als Zu-
Gemessen jedoch an Ihren Versprechungen, gemessen schuss ohne Rückzahlungsverpflichtung geben, indem
auch an der Ausgabenstruktur, bleibt vieles offen. Wo ist wir eben Kindergeld und bislang gewährte Steuerfreibe-
zum Beispiel die versprochene jährliche Forschungsmil- träge in die Ausbildungsförderung überführen.
liarde geblieben, die ab 2000 zu 30 Prozent in den Haus-
halt des Wirtschaftsministeriums und zu 70 Prozent in den (Beifall bei der PDS)
Haushalt des Bildungsministeriums fließen sollte? Wenn Wenn wir außerdem die BAföG-Ausgaben deutlich
ich richtig sehe, bekommt der Wirtschaftsminister sogar über das damals von Ihnen selbst als unzureichend kriti-
weniger. Entsprechend fallen die Kürzungen aus. Zu den sierte Niveau der 90er-Jahre hinaus anheben und dabei
geschröpften Titeln gehören dort bezeichnenderweise berücksichtigen, dass Jahr für Jahr Darlehensrückzahlun-
Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern gen ehemaliger Studentinnen und Studenten in Höhe von
und die Förderung des Meister-BAföG. über 1 Milliarde DM an den Fiskus fließen, ließen sich
Da wir es auch im Einzelplan 30 wieder mit erhebli- über die von Ihnen vorgesehenen Verbesserungen hinaus
chen Umstrukturierungen, Verschiebungen, Streichungen zusätzlich sogar 500 DM pro Kopf bereitstellen.
und Neueinführungen verschiedener Titel zu tun haben, ist Sie führen die Öffentlichkeit aber bewusst in die
schwer nachzuvollziehen, wo bestimmte Gelder hingera- Irre, –
ten sind und wer am Ende tatsächlich leer ausgeht. Also,
kurz gesagt, der ganze Einzelplan 30 bleibt immer noch (Zuruf von der SPD: Na, na!)
ein Rechenkunststück. – wenn Sie sich heute damit brüsten, einen Teil der Zins-
Die Aufstockung der globalen Minderausgabe, die Er- ersparnisse aus den UMTS-Erlösen in die Ausbildungs-
wartungen von Einsparungen aus den Kapiteln 30 02 bis förderung zu investieren, gleichzeitig aber verschweigen,
30 07 für Mehrausgaben im Hochschulbau und die Ein- dass Sie damit keine zusätzlichen Verbesserungen im
führung von Leertiteln, zu deren Finanzierung ebenfalls BAföG finanzieren, sondern lediglich den Bundeshaus-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11421
Maritta Böttcher

(A) halt von den bereits im Januar 2000 zugesicherten Mehr- Es bleibt ein Geheimnis dieses Haushalts, wie ein wach- (C)
ausgaben im BAföG-Etat entlasten möchten. sender Bedarf durch weniger Mittel gedeckt werden kann.
(Zuruf von der F.D.P.: Richtig!) Geht die Kürzung bei den überbetrieblichen Ausbil-
dungsstätten hauptsächlich zulasten der Ausbildungswil-
Lassen Sie uns gemeinsam einen ersten Schritt in eine
ligkeit bei den kleinen Unternehmen, so kommt die Bun-
wirklich strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförde-
desregierung mit der erneuten Aufstockung der Mittel für
rung gehen und hören Sie auf mit der halbherzigen
Sonderprogramme zur Schaffung von Ausbildungsplät-
Kesselflickerei.
zen in erster Linie der Ausbildungsunwilligkeit bei Teilen
(Beifall bei der PDS) der großen Unternehmen entgegen. Diese erneute Auf-
Selbstverständlich begrüßen wir auch das Vorhaben, stockung aus Steuermitteln, so sehr sie als Notlösung im
alle Schulen – und bis 2006 jede Schülerin und jeden Interesse derjenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen,
Schüler mit Computer bzw. Laptop auszustatten. geeignet sein mag, steht im krassen Gegensatz zu der Li-
tanei, mit der aus dem BMBF regelmäßig verkündet wird,
(Beifall bei der PDS) dass die Wirtschaft nunmehr ihrer Verantwortung bei der
Natürlich können die für dieses Vorhaben notwendigen Bereitstellung von betrieblichen Ausbildungsplätzen ge-
Gelder unmöglich von Bundesregierung und Kommunen recht werde.
allein aufgebracht werden. Aber machen wir uns doch (Beifall bei der PDS)
nichts vor: Ohne die nicht unbedingt selbstlose Initiative
der Wirtschaft wäre bei der Kampagne „Schulen ans Dieser Haushalt und die aktuelle Zahl der noch nicht ver-
Netz“ wahrscheinlich noch nicht allzu viel passiert. mittelten Jugendlichen belegen das Gegenteil und ma-
chen ein weiteres Mal deutlich: An einer solidarischen
Die Kritik ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, wie fast Umlagefinanzierung führt kein Weg vorbei. Wenn die
immer, auch in diesem Punkt das Ergebnis. Wir halten da- Bundesregierung die sich verweigernden Unternehmen
ran fest: Auch für die neuen Medien muss die Schule auf diese Weise stärker in die Finanzierung der Ausbil-
wichtigster Bildungsträger bleiben, weil die sozialen Un- dung einbeziehen würde, hätte sie auch größeren Spiel-
terschiede sonst zu einem modernen Analphabetismus raum für die Förderung anderer dringlicher Reform-
führen werden. schritte im Bereich der Bildung.
(Beifall bei der PDS) Alle Fraktionen – F.D.P. und CDU/CSU waren jedoch
Im Übrigen, Herr Friedrich: Aus pädagogischer Sicht ist nicht anwesend – haben gestern von der IG-Metall-
es schon wichtig, dass auf jeder Schulbank ein Laptop Jugend vor dem Reichstag eine Gesetzesrolle erhalten.
(B) steht. Ich sage Ihnen: Setzen wir dieses Gesetz endlich um! (D)
(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: (Beifall bei der PDS)
Für Erstklässler, ja? Da bin ich anderer Mei- Zum Thema Weiterbildung muss ich mich wegen der
nung!) knappen Zeit auf einen Satz beschränken: Nehmen Sie
Wird schon der gesamte Einzelplan den Versprechun- Ihre Kompetenz auf diesem Gebiet konsequent wahr und
gen nicht gerecht, mit denen die Bundesregierung auf dem legen Sie ein Rahmengesetz zur Weiterbildung vor!
Gebiet von Bildung und Forschung angetreten ist, so trifft Insgesamt belegen die Zahlen des vorliegenden Ent-
dies für die berufliche Bildung und die Weiterbildung wurfs den fehlenden Mut der Bundesregierung, die Haus-
ganz besonders zu. Ausgerechnet dieses Kapitel ist von haltsmittel, wie hoch auch immer sie sein mögen,
einer Kürzung der Mittel um 10,5 Millionen DM betrof- grundsätzlich neu zugunsten der Belange der Bildung um-
fen. Bezogen auf die Projektförderung dieses Kapitels zuverteilen. Bildung als Investition in die Zukunft, als
steht die Regierung damit wieder so ziemlich auf dem Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft und auch als
Stand, den ihr die Regierung unter Helmut Kohl hinter- Mittel zur Zurückdrängung neofaschistischen Gedanken-
lassen hat. Diese Entwicklung steht im krassen Gegensatz guts bekommt so kaum die dafür notwendige materielle
zu Ihrer Ankündigung bei Ihrem Amtsantritt, Frau Minis- Basis.
terin, als Sie erklärten: Mein erster Schwerpunkt ist die
Modernisierung der beruflichen Bildung. Frau Bulmahn, ich wünsche uns gemeinsam mehr Mut
auf diesem Gebiet, damit wir endlich zu einer Trend-
Nun weiß auch ich, dass Geld allein nichts mit Moder- wende im Bildungsbereich in unserem Land kommen.
nisierung zu tun hat. Betroffen von den Kürzungen sind in
erster Linie das BIBB, dem rund 8 Millionen DM weni- Danke.
ger zur Verfügung stehen, und die überbetrieblichen Aus-
(Beifall bei der PDS)
bildungsstätten, die mit 9 Millionen DM weniger aus-
kommen müssen. Kritik an diesen Kürzungen findet sich
in den Erläuterungen des Titels selbst. Dort heißt es: Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle-
gin Siegrun Klemmer, SPD-Fraktion, das Wort.
Mit der Entwicklung einer kleinbetrieblichen
mittelständischen Wirtschaftsstruktur in den neuen
Ländern wächst der Bedarf an ergänzender überbe- Siegrun Klemmer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi-
trieblicher Berufsausbildung und überbetrieblichen dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Sie vor
Fortbildungsmöglichkeiten... einem Jahr nach der Bedeutung der Abkürzung UMTS
11422 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Siegrun Klemmer

(A) gefragt hätte, hätten sicherlich die meisten von Ihnen Herausragender Eckpfeiler im Haushalt 2001 wird die (C)
– auch ich – mit dem Kopf schütteln müssen. Seit der BAföG-Reform sein. Im Vergleich zum letzten Jahr er-
Versteigerung der Mobilfunklizenzen durch die Regulie- höhen sich die zur Verfügung stehenden Mittel um
rungsbehörde für Telekommunikation weiß nun nahezu 425 Millionen DM. Berücksichtigt man den Länderanteil
jedes Kind, dass hinter „UMTS“ nicht nur Frequenzen für und den Anteil der Deutschen Ausgleichsbank, dann wird
Mobilfunktelefone stecken, sondern dass damit vor allem den Studierenden in Deutschland rechtzeitig zum Beginn
ein ordentlicher Batzen Geld verbunden ist. des Sommersemesters 2001 knapp 1 Milliarde DM mehr
zur Verfügung stehen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Dieser Versteigerungserlös versetzt uns nun in die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lage, einen ganz kleinen Teil des von der christlich-
liberal geführten Bundesregierung in 16 Jahren angehäuf- Auch für die BAföG-Reform gilt: nicht nur mehr Quan-
ten Schuldenberges abzubauen, tität, sondern vor allem mehr Qualität!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Ulrike Flach [F.D.P.]: Wann denn? – Gegenruf
DIE GRÜNEN) des Abg. Hans Georg Wagner [SPD]: Jetzt
schon!)
und lässt eindrucksvoll erkennen, warum der von uns
eingeschlagene Weg der Haushaltskonsolidierung kein Erstens erhöhen wir die Bedarfssätze spürbar, wodurch
sich die Anzahl der Studierenden mit Förderanspruch ver-
Selbstzweck, sondern haushalts- und finanzpolitisch sinn-
größert. Das leitet die seit langem notwendige Trend-
voll ist. Weniger Schulden bedeuten nämlich weniger Zin-
wende bezüglich der Anzahl der BAföG-Empfänger
sen. Weniger Zinsen bedeuten größeren politischen Ge-
ein.
staltungsspielraum für innovative und zukunftsträchtige
Projekte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Während die Zahl der Studierenden, die unter der Vor-
gängerregierung staatliche Beihilfen zu ihrem Studium
Wir haben den von Ihnen geerbten Reformstau aufge- erhielten, von 605 000 im Jahre 1991 auf nur noch
löst, indem wir die Probleme, die auch im Bereich Bil- 340 000 dramatisch abgefallen war, werden wir diese Ent-
dung und Forschung eklatant waren, nacheinander ange- wicklung stoppen und umkehren.
gangen sind. Wir bringen eine BAföG-Reform auf den
Weg. Zweitens erhöhen wir die Freibeträge, die für die anre-
(B) chenbaren Einkommen entscheidend sind. Hierbei (D)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein laues schlägt vor allem die in Zukunft geltende Nichtanre-
Lüftchen!) chenbarkeit des Kindergeldes nachhaltig zu Buche. Das
Wir investieren in die Infrastruktur der Hochschulen und wird besonders Familien mit mittlerem Einkommen zu-
erhöhen dafür kontinuierlich die Mittel. Wir wagen uns an gute kommen.
das Dienstrecht und reformieren es. Und wir widmen uns Drittens erhöhen wir den BAföG-Höchstsatz von
den Zukunfts- und Schlüsseltechnologien, – 1 030 DM auf 1 100 DM und tragen damit den steigenden
Lebenshaltungskosten Rechnung.
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ganz vor-
sichtig, auf Zehenspitzen!) Viertens gilt künftig eine absolute Rückzahlungsober-
grenze von 20 000 DM. Das nimmt vielen jungen Men-
– die unseren wirtschaftlichen Wohlstand auch für die
schen die Angst, überhaupt ein Studium aufzunehmen
kommenden Generationen sichern werden. bzw. ihren BAföG-Anspruch geltend zu machen. Sie wer-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den nun Planungssicherheit haben und wissen, wie hoch
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die möglichen Rückzahlungsbelastungen sein werden.
Kurzum: Wir haben Wort gehalten und unsere Verspre- Fünftens vereinfachen wir die bürokratischen Antrags-
chen in die Tat umgesetzt. und Verwaltungsverfahren, weil wir einerseits die Förde-
rungshöchstdauer der Regelstudienzeit anpassen und an-
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das kann dererseits das komplizierte System der Freibeträge
man wirklich nicht sagen!) abschaffen.
Lassen Sie mich zum Anlass der Debatte zurückkeh- Sechstens – dieser Punkt wird von mir erst an sechster
ren, zur Einbringung des Haushaltes 2001 für den Bereich Stelle aufgeführt, war aber für uns von besonderer Prio-
Bildung und Forschung. Wir können heute einen Einzel- rität – stellen wir Studierende aus Ost und West endlich
plan vorstellen, der bereits im dritten Jahr den Schwer- gleich und realisieren damit die längst überfällige innere
punkten der von uns geführten Bundesregierung Rech- Einheit auch auf diesem Gebiet.
nung trägt: Erhöhung der Mittel für Bildung und
Forschung – trotz Haushaltskonsolidierung. Der Gesamt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
umfang des hier zu debattierenden Einzelplans 30 ist ge-
genüber dem Haushaltsjahr 2000 um 5,3 Prozent – das ist Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, vor
mehr als 750 Millionen DM – gestiegen. allen Dingen der rechten Seite: Das sind die Felder, die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11423
Siegrun Klemmer

(A) beim BAföG die Studierenden und ihre Eltern tatsächlich enorme Forschungs- und Entwicklungspotenziale. Die (C)
interessieren, weil sie die Verbesserungen im Portemon- Bundesregierung erkennt die Zeichen der Zeit und veran-
naie spüren werden. Das interessiert sie mehr als die schlagt im Ansatz 2001 220 Millionen DM für die Bio-
Frage, ob es sich um eine Strukturreform, eine Gesetzes- technologie – das sind 7,3 Prozent mehr als im Vorjahr.
änderung oder was auch immer handelt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die enge Kooperation mit der Wirtschaft, die zahlrei-
DIE GRÜNEN) che Kompetenzzentren entstehen ließ, ist ursächlich für
Beim Hochschulbau gehen wir mit unverminderter den Gründerboom in dieser Branche und bestätigt gleich-
Beharrlichkeit einen Sektor an, der unter Ihnen jahrelang zeitig, dass unsere Strategien und Konzepte sinnvoll,
brachlag; davon war schon die Rede. Nachdem wir nach kreativ und wirtschaftlich viel versprechend sind. Der im
Regierungsübernahme die jährlichen Leistungen bereits Sommer vorgelegte Aktionsplan für die Genomforschung
von 1,8 auf 2 Milliarden DM erhöht und verstetigt haben, belegt, dass Deutschland in Europa an Großbritannien
packen wir in diesem Jahr nochmals 150 Millionen DM vorbeigezogen ist und sich im internationalen Vergleich
drauf und stellen insgesamt 2,15 Milliarden DM zur Ver- hinter die Vereinigten Staaten an die zweite Stelle vorge-
fügung. Und wir fangen an, eine von Ihnen übernommene arbeitet hat.
Altlast zu begleichen, indem wir endlich die Vorleistun- Auch ein so heißes Eisen wie die Dienstrechtsreform
gen der Länder zurückzuzahlen beginnen. werden wir auf den Weg bringen. Die von der Experten-
Ich erwähne diese beiden Punkte ganz besonders, weil kommission vorgelegten Vorschläge sehen unter anderem
sie Ihnen verdeutlichen, dass das Hochschulstudium wie- die Etablierung von Juniorprofessuren vor. Diese Neu-
der Priorität genießen soll. Gerade deswegen stehen wir regelung wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
zu unserem Versprechen, das Erststudium in Deutschland lern Gelegenheit bieten, bereits in jungen Jahren in eige-
gebührenfrei zu belassen. ner Verantwortung Lehrveranstaltungen zu leiten. Damit
werden wir verkrustete Strukturen an Universitäten auf-
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ich brechen, die den nötigen Generationenwechsel beschleu-
denke, man kann Ihnen nicht oft genug vortragen: Der in nigen sollen.
unserem Land herrschende Wohlstand basiert auf einem
Auch die Besoldung wird flexibler gestaltet und mehr
Wissens- und Technologievorsprung. Der lässt sich nur
dem Leistungs- als, wie bisher, dem Senioritätsprinzip
erhalten und vor allen Dingen auch vergrößern, wenn un-
unterworfen sein. Das versetzt die Hochschulen in die
sere Fach- und Hochschulen, unsere Universitäten fähige
Lage, durch individuelle Budgetierung fähige Wissen-
und kompetente Absolventen hervorbringen. schaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Wirtschaft für
(B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Institute der Hochschulen zu interessieren. (D)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die vorgese-
Zu diesem Wissens- und Technologievorsprung hene Schwerpunktsetzung der Bundesregierung bei der
gehört, dass wir in den zukunftsträchtigen Schlüsseltech- Verwendung der Zinsersparnisse im Zusammenhang mit
nologien Spitzenpositionen ausbauen und sie dort errei- den UMTS-Erlösen ist zugleich investitions- und zu-
chen wollen, wo wir noch Bedarf sehen. Daher schaffen kunftsfördernd. Dass Bildung und Forschung neben Städ-
wir Rahmenbedingungen, dass auf den Feldern – nament- tebau und Verkehr auch hier Priorität genießen, setzt den
lich der Informations- und Biotechnologie –, die das Le- bei Regierungsübernahme eingeschlagenen Weg konse-
ben des 21. Jahrhunderts grundlegend bestimmen werden, quent fort. Allerdings bin ich der Meinung, heute und hier
eine herausragende Schwerpunktsetzung erfolgt. ist nicht der Ort, um über die genaue Höhe und die Ver-
wendung der Mittel zu debattieren. Das ist den parlamen-
Der Haushaltsansatz für den Bereich Informations- tarischen Organen, insbesondere dem Haushaltsaus-
und Kommunikationstechnologie sieht mehr als eine schuss, für die Beratung der Haushaltspläne vorbehalten.
halbe Milliarde DM vor. Damit stellen wir ausreichend Wir werden daher erst Ende November, wenn wir den
Ressourcen für diesen äußerst dynamischen Sektor, in Haushalt verabschieden, Genaueres dazu sagen können.
dem die technischen Neuerungen in immer kleineren und
schnelleren Zyklen verlaufen, bereit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen die
zentralen Eckpunkte des Einzelplans 30 vorgestellt. Herr
Wesentlich dynamischer entwickelt sich die Biotech- Kollege Hilsberg wird zu den Bereichen Weiterbildung
nologie und ist deshalb die nächste große Herausforde- und berufliche Bildung noch etwas sagen. Mir als Haus-
rung. Hierbei handelt es sich zweifelsohne für viele Bür- hälterin liegt besonders am Herzen, deutlich zu machen,
gerinnen und Bürger um eine noch unbekannte Größe. dass der Bildungs- und Forschungsetat 2001 der höchste
Gleichwohl wird die Entwicklung auf diesem Sektor ähn- seit über 15 Jahren ist.
lich rasant verlaufen wie auf dem Gebiet der Informati-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
onstechnologie.
DIE GRÜNEN)
Ich denke, es bedarf keiner seherischen Fähigkeiten,
Ich empfehle daher der Frau Ministerin, auf gar keinen
um vorauszusagen, dass uns die nächsten Jahre, vor allen
Fall in irgendeiner Weise in einen Wettbewerb mit Herrn
Dingen auch hier in diesem Haus, noch etliche, natürlich
Rüttgers einzutreten. Das ist nicht nötig; diesen Wettbe-
auch kontroverse Debatten bescheren werden. Doch un-
werb hat sie längst gewonnen.
abhängig davon, wie – auch in der Öffentlichkeit – die
Debatten verlaufen werden, birgt die Biotechnologie (Beifall bei der SPD)
11424 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Siegrun Klemmer

(A) Wir sind zu Recht stolz auf diesen Haushalt. Mit Fug Geld alleine, Frau Ministerin, macht halt nicht glück- (C)
und Recht lässt sich sagen: versprochen und Wort gehal- lich. Sie werden offensichtlich von Ihrer eigenen Koali-
ten! tion negativ bewertet. Sie reichen wohl für Sonntagsre-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den, aber nicht für tatsächliche Politik.
DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU)
Fehlanzeige beispielsweise, wenn Sie sagen, Sie hätten
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- uns hier eine forschungspolitische Konzeption vorgetra-
gen Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. gen. Fehlanzeige, wenn Sie meinen, Sie hätten beim
Thema Gentechnologie die Meinungsführerschaft in
Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Präsident! Deutschland. Bei der Rechtschreibreform, einem Thema,
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist jetzt das viele Menschen in Deutschland beschäftigt, sind Sie
schon der dritte Etat, der von der Frau Bundesbildungs- weggetaucht. Zur Bildungspolitik haben Sie hier außer
ministerin vorgestellt wird und mit dem man, abgesehen Leerformeln nichts vorgetragen. Die Liste Ihrer politi-
von der Botschaft, sie sei besser als im Vorjahr, nichts ver- schen Fehlleistungen und Misserfolge ist lang. Ich weise
bindet. Vor allem hat sie bis heute keine bildungs- und for- nur darauf hin, dass die Kritik auch von einer breiten
schungspolitische Konzeption vorgelegt. Das ist schon Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Laut einer reprä-
ein schwaches Stück. sentativen Umfrage des Forsa-Instituts, kürzlich im
(Beifall bei der CDU/CSU) „Stern“ veröffentlicht, ist eine Mehrheit der Deutschen
der Auffassung, dass Sie aus Ihrem Amt scheiden sollten.
Es stimmt noch nicht einmal, dass die Investitionen in Sie sind der sozialdemokratische Totalausfall im Kabinett
Bildung und Forschung wachsen; denn Tatsache ist, Schröder.
Frau Bundesministerin, dass Sie in Ihrem Etatentwurf für
2001 500 Millionen DM weniger für Investitionen zur (Beifall bei der CDU/CSU – Dietrich
Verfügung haben, als 1998 Herr Rüttgers für Investitionen Austermann [CDU/CSU]: Note fünf!)
in Bildung und Forschung ausgewiesen hatte. Davon
muss die deutsche Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt wer- Ich kann Ihnen daher die Aufzählung Ihrer Fehlleis-
den, denn das ist eine Tatsache. tungen in der heutigen Etatdebatte nicht ersparen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Erste, das von der Frau Kollegin Klemmer sehr
charmant vorgetragen wurde, war die BAföG-Reform.
Selbst wenn ich mir den Aufwuchs des Forschungs- Sie entspricht im Wesentlichen dem, war wir schon vor
etats anschaue und unter diejenigen Teile, die Sie vor ei- drei Jahren gemeinsam mit Ihnen hätten verabschieden
(B) niger Zeit an das Wirtschaftsministerium abgegeben ha- können. Drei Jahre Verspätung für eine von Ihnen (D)
ben, und Ihre Forschungsansätze einen Strich ziehe, dann blockierte Reform kann im Jahre 2000 kein politischer Er-
stelle ich fest, dass das, was Sie dazubekommen haben,
folg sein.
der Wirtschaftsminister eingespart hat. In der Summe ist
das keine erfolgreiche Forschungspolitik dieser Bundes- (Zuruf von der SPD: Bleiben Sie mal bei der
regierung. Sache!)
(Beifall bei der CDU/CSU) Auch in dieser Frage haben Sie nicht mehr die Unterstüt-
Sie haben vorhin gesagt, die Regierung Kohl habe zung Ihrer Koalition. Der Kollege Berninger hat nämlich
keine müde Mark in Bildung und Forschung investiert. schon anlässlich dessen, was Sie als BAföG-Reform vor-
Das ist insoweit richtig, als zu der Zeit, zu der wir regiert gestellt haben, gesagt, dies reiche noch nicht aus, viel-
haben, die Mark noch nicht müde, sondern hart war. Das mehr müsse im Anschluss an die BAföG-Reform, die Sie
ist ein entscheidender Unterschied. hier fälschlicherweise als Strukturreform dargestellt ha-
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und ben, eine Strukturreform der Bildungsfinanzierung kom-
der F.D.P.) men. Ich halte es für ein Stück aus dem Tollhaus, wenn
hier behauptet wird, ein Kernelement Ihrer Bildungspoli-
Ihre politische Halbzeitbilanz fällt in unseren Augen tik sei die BAföG-Reform, wenn vor Verabschiedung die-
eher beschämend aus. Ich will mit einem Zitat belegen, ser BAföG-Reform die Reform der Reform schon von ei-
dass unsere Kritik auch in der Koalition geteilt wird. Der nem Vertreter Ihrer eigenen Koalition angekündigt wird.
bildungs- und forschungspolitische Sprecher der grünen
Bundestagsfraktion, also Ihr Koalitionspartner, wird im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
„Handelsblatt“ vom 7. September so zitiert:
Sie haben auch mehrfach verkündet, Sie wollten Stu-
Trotz des erfreulicherweise steigenden Etats für Bil- diengebühren verbieten lassen. Der Versuch ist geschei-
dung und Forschung tert. Auch das ist ein Misserfolg Ihrer Politik. Wenn ich
– dass auch das falsch ist, habe ich gerade belegt – höre, dass die Dienstrechtsreform nun endlich komme,
muss ich sagen: Ich kann es kaum mehr glauben. Sie ha-
ist es noch nicht gelungen, das Thema jenseits der ben uns das schon so oft angekündigt, aber nichts ist
Sonntagsreden zum Schwerpunkt der Regierungs- passiert. Im Sommer haben Sie aus der SPD-Bundestags-
politik zu machen. fraktion Kritik dafür bekommen. Ich zitiere aus dem
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da hat er „Handelsblatt“ wieder einmal einen Ihrer Bildungspoli-
Recht!) tiker, Herrn Berninger:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11425
Steffen Kampeter

(A) In den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen – Der Brüllfrosch der SPD-Fraktion Tauss hat ausschließ- (C)
wächst die Unzufriedenheit mit dem Kurs von Bun- lich die Aufgabe, hier zu stören, aber keine Beiträge zu
desbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Anlass liefern. Das ist einfach unerträglich.
sind die schleppenden Fortschritte bei der Dienst-
(Beifall bei der CDU/CSU)
rechtsreform... Hintergrund sei die Sorge in den bei-
den Fraktionen, dass die Regierung bei dem derzeiti- Herr Tauss, auch wenn es Ihnen nicht passt: Am 29. Juni
gen Tempo in dieser Legislaturperiode kein großes 1994 hat der Deutsche Bundestag über die Liberalisierung
Reformprojekt in der Bildungspolitik mehr verwirk- der Telekommunikation abgestimmt. Die SPD-Fraktion
lichen kann. hatte Zustimmung signalisiert. Es gab eine namentliche
Abstimmung und unter den 92 Abgeordneten der Kom-
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Recht hat munisten, der Grünen und der SPD, die versucht haben,
der Mann!) die Liberalisierung im Deutschen Bundestag zu verhin-
Wenn Jürgen Rüttgers damals so von seiner eigenen Frak- dern, war Edelgard Bulmahn an der Spitze und heute kas-
tion bzw. der Koalitionsfraktion eingeschätzt worden siert sie die Gelder ein. Damals versuchte sie, das zu ver-
wäre, wäre er zurückgetreten. hindern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist bedauerlich, dass Sie nicht das notwendige poli- Ich will darauf hinweisen, dass diese Abkassiererei noch
tische Gewicht besitzen, die auch von uns für notwendig auf einige Schwierigkeiten stoßen wird. Nach meinen In-
gehaltenen Flexibilisierungen im Dienstrecht durchzuset- formationen hat Bundesfinanzminister Eichel Ihnen in die-
zen. Wir werden Sie bei der Umsetzung politisch unter- ser Woche einen Brief geschrieben, in dem er Sie auffor-
stützen, Sie müssen aber erst in Ihrer eigenen Koalition dert, Ihre Ansprüche hinsichtlich der Zinseinsparungen, die
Mehrheiten haben und uns einen Entwurf vorlegen, der durch die UMTS-Mittel möglich geworden sind, anzumel-
dann von uns diskutiert werden kann. den. Dann soll es einen Kabinettsbeschluss geben und die
sozialdemokratische Bundestagsfraktion soll diesen Kabi-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nettsbeschluss nur noch abnicken und ihn in die Haushalts-
Ich will auf einen weiteren Punkt kommen, nämlich die beratungen einbringen.
Internationalisierung der Hochschulen. Wir stellen fest (Jörg Tauss [SPD]: Gutes Verfahren!)
– Sie haben es hier mehrfach beklagt –, dass die Interna-
tionalisierung der deutschen Hochschulen nicht ausreicht. – Herr Kollege, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass
Sie in dieser Frage zu einer Abnickerfraktion geworden
So werden in den Vereinigten Staaten fünfmal so viele
sind.
(B) ausländische Doktoranden wie in Deutschland geprüft. (D)
(Jörg Tauss [SPD]: Noch eine Erblast!) (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Müller
[Düsseldorf] [SPD]: Das stimmt nicht!)
Wenn ich in den Haushalt sehe, stelle ich fest, dass Sie
Das übliche Verfahren wäre gewesen, dass die Fraktion
beispielsweise beim Deutschen Akademischen Aus-
der SPD gemeinsam mit der Fraktion der Grünen uns
tauschdienst Kürzungen vorgenommen haben, wenn man
heute einen konkreten Vorschlag im Deutschen Bundes-
die Projektmittel hinzu nimmt, die der DAAD früher auch
tag vorlegt, in dem auf Mark und Pfennig belegt wird,
noch aus dem Hochschulsonderprogramm III bekommen
wofür sie die durch den UMTS-Erlös frei werdenden Gel-
hat. der ausgeben möchte. Aber jetzt wird das wieder am Par-
Sie reden viel von Internationalisierung, handeln aber lament vorbei gemacht und ein Beschluss einfach exeku-
nicht entsprechend. Sie hätten beispielsweise spielend mit tiert. Sie dürfen den dann abnicken. Ich würde mich
dem Geld, das Sie haben, das Gastdozentenprogramm schämen, in einer solchen Fraktion Mitglied zu sein.
ausweiten können. Sie hätten auch mehr für die Modell- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der
projekte der Internationalisierung tun können. Ihren Er- SPD)
kenntnissen, die Sie als Opposition hatten, als Sie im Ok-
tober 1998 festgestellt haben, dass die Internationalität Meine Fraktion wird im Rahmen der Haushaltsbe-
von Wissenschaft und Forschung die Erfordernisse der ratungen konkrete Vorschläge machen, wie wir den Be-
Gegenwart sind, folgt leider keinerlei konsequentes Re- reich Bildung und Forschung durch Mittel aus dem Etat
gierungshandeln. des Wirtschaftsministeriums und aus dem Etat von Frau
Bulmahn fördern. Wir werden Vorschläge über eine Of-
(Beifall bei der CDU/CSU) fensive für die technologische Infrastruktur des 21. Jahr-
Etwas schwach und vage, Frau Bundesbildungsminis- hunderts vorlegen, die eine Größenordnung von 1,5 Mil-
terin, waren Ihre Ausführungen zu UMTS, also den „un- liarden DM hat. Alle Mehrausgaben, die wir für diesen
heimlichen Mehreinnahmen trotz Schröder“. Ich kann es Bereich veranschlagen, sind durch Minderausgaben in an-
eigentlich verstehen, dass Sie sehr vage zu UMTS reden, deren Bereichen gedeckt.
denn als wir am 29. Juni 1994 im Deutschen Bundestag (Hans Georg Wagner [SPD]: Das wird eine
über die Grundgesetzänderung abgestimmt haben – – spannende Angelegenheit!)
(Jörg Tauss [SPD]: Könnt Ihr den nicht mal nach Es geht um die Revitalisierung der technologischen
hinten setzen? Das ist ja peinlich! Der ist ja noch Mittelstandsförderung, die Verkehrstechnologie, die
schlimmer als der Austermann!) Umweltforschung, die Weltraumtransportsysteme, die
11426 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Steffen Kampeter

(A) industrienahe Forschung und die umweltfreundlichen – Ich frage, ob Sie zugeben, dass die Mittel für das (C)
Transporttechnologien sowie die Revitalisierung des Meister-BAföG in den Etat des Wirtschaftsministeriums
deutschen Hochschulwesens. Wir leisten damit einen verlagert worden sind, dass die Mittel von ursprünglich
konstruktiven Beitrag zur Debatte, den wir von dieser 167 Millionen DM auf 78 Millionen DM im Jahr 2000
Forschungs- und Bildungsministerin bisher vermisst ha- gekürzt worden sind und dass sie nun erneut gekürzt wer-
ben. den sollen. Verstehen Sie das unter Neuinvestitionen und
Erhöhung der Investitionen?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei
Abgeordneten der F.D.P.)
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wenn ich von Erhöhung der Forschungsmittel spreche,
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dann sollten auch Sie, Frau Kollegin Aigner, zur Kenntnis
dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen. nehmen, dass der Anteil der Forschungsmittel auch dort
(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt kommt wieder Niveau insgesamt gestiegen ist.
in die Debatte!) Bezüglich der Kürzungen der Mittel für das Meister-
BAföG werden wir unsere Position deutlich machen.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bündnis 90/Die Grünen hatten vor der Wahl die Er-
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! höhung der Forschungsmittel um 2 Milliarden DM ver-
Herr Kampeter, dass wir in der Koalition über die Mög- sprochen. Angesichts des vorliegenden Haushaltsentwur-
lichkeiten diskutieren, wie wir die Mittel für Bildung und fes und der zu erwartenden zusätzlichen Mittel aus den
Forschung erhöhen können und welche Schwerpunkte UMTS-Erlösen können wir unser Versprechen vorzeitig
wir setzen können, ist ein Zeichen dafür, dass wir über- einlösen.
haupt keine Abnickfraktion sind, dass wir uns vielmehr
ernsthaft um mehr Mittel bemühen und dass wir zwar un- Angesichts der Lücken, die die alte Bundesregierung
terschiedliche Positionen vertreten, aber zu einem sehr hinterlassen hat, müssen wir allerdings feststellen, dass
guten Gesamtkonsens kommen. wir von den erreichten Mittelzuwächsen nicht ablassen
dürfen. Es ist zwingend erforderlich – darin sind wir uns
Eines haben Sie, meine Damen und Herren von der mit der Ministerin einig –, dass auch in Zukunft an der Zu-
Union und auch von der F.D.P., immer wieder übersehen: kunftsmilliarde festgehalten wird. Es geht aber nicht nur
Wenn Sie angebliche Kürzungen nennen, dann vermeiden darum, dass wir mehr Mittel zur Verfügung stellen. Es ist
Sie ganz geflissentlich, zu erwähnen, wohin zusätzliche auch notwendig, dass wir die Schwerpunkte anders set-
Gelder für Bildung und Forschung geflossen sind, die zen. Das haben wir bereits getan. Vor allem im For-
(B) nicht im Haushalt des BMBF auftauchen, beispielsweise schungsbereich wurden die Mittel für solche Projekte (D)
die BAföG-Mittel oder die einigen 100 Millionen DM, die gestärkt, bei denen der Nutzen der Gesellschaft im Vor-
in den Etat des Wirtschaftsministeriums geflossen sind. dergrund steht.
Sie reden nicht davon, dass es dort einen deutlichen Zu- Hier möchte ich einige Beispiele nennen. Als Mitglied
wachs gegeben hat. des Verteidigungsausschusses tut es mir gut, die positive
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist die Entwicklung bei der Friedens- und Konfliktforschung
Sparkasse von Werner Müller!) zu sehen. Wir haben die Bundesförderung der Friedens-
und Konfliktforschung wieder ins Leben gerufen, nach-
– Die Punkte, die Sie in der Energieforschung kritisieren, dem sie die alte Regierung faktisch beendet hatte. Zudem
werden wir zusammen mit dem Parlament – wie auch stellen wir im Jahr 2001 wieder umfangreiche Mittel für
schon im letzten Jahr – korrigieren. Es wird auch das die Gründung eines neuen Friedensforschungsinstitutes
Wirtschaftsministerium mit Sicherheit bemerken, dass zur Verfügung.
aufgrund der Ölpreisentwicklung eine Erhöhung der Mit-
tel für die Energieforschung notwendig sein wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/
Bündnis 90/Die Grünen hat seine Wahlversprechen CSU]: Dadurch wird der Frieden sicherer!)
hinsichtlich der Forschungspolitik vollständig einge-
halten. Ich freue mich, dass im Haushalt 2001 die Mittel für
die Technikfolgenabschätzung erneut spürbar ansteigen.
Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Fell, ge- (Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen]
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aigner von [CDU/CSU]: Bremsmittel!)
der CDU/CSU-Fraktion? So werden sie schon im Jahr 2000 mit 8 Millionen DM
mehr als doppelt so hoch liegen wie bei der Regierungs-
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, übernahme. Auch bei der alten rot-grünen Forderung nach
bitte. einer Stärkung kleinerer und mittlerer Forschungsinstitute
auf dem Feld der Nachhaltigkeitsforschung lässt sich
Vollzug melden. Das entsprechende Programm ist ange-
Ilse Aigner (CDU/CSU): Herr Kollege Fell, Sie haben laufen und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet. Ich
gerade gesagt, dass Mittel in andere Ministerien verlagert kann nur sagen: Weiter so, Rot-Grün.
worden seien. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Zuruf von der SPD: Fragen!) und bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11427
Hans-Josef Fell

(A) Ich komme zur Biotechnologie und zur Genomfor- Thomas Rachel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr (C)
schung. Auch hier sind erneut Steigerungen vorgesehen. Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit voll-
Bündnis 90/Die Grünen unterstützen auch die Teile der mundigen Versprechungen ist die Regierung Schröder an-
Gentechnik, die ethisch vertretbar und deren Risiken getreten. Mit ihrem Wahlkampfslogan „Innovation und
überschaubar sind. Gerade in der Gesundheitsforschung Gerechtigkeit“ hat die SPD versprochen, Forschung und
sollten wir die Chancen sehen. Bei der Bekämpfung von Innovation in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen.
Krankheiten wie Krebs, Alzheimer und Parkinson kann (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
die Gentechnik möglicherweise eine große Rolle spielen.
Andererseits wäre es aber nicht klug, alles auf die Karte Ihre Ankündigungen stehen aber im krassen Wider-
spruch zum Schneckentempo rot-grüner Politik in der
der Gentechnik zu setzen. Die meisten Krankheiten sind
Realität.
nicht nur genetisch bedingt. Die anderen Faktoren müssen
ebenso untersucht werden. Deshalb richten wir unser Au- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
genmerk auch auf die Gesundheitsvorsorgeforschung. Im Bundestagswahlkampf hat die SPD eine Garantiekarte
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verteilt. „Bewahren Sie diese Karte auf und Sie werden
und bei der SPD) sehen, dass wir halten, was wir versprechen“, heißt es auf
dieser Karte.
Bündnis 90/Die Grünen werden die bei der rasanten
Entwicklung der Gentechnik auftauchenden Fragen im- (Jörg Tauss [SPD]: Gut aufgehoben!)
mer wieder neu bewerten. Das ist ein schwieriger Prozess, Unter Punkt 4 können Sie lesen: „Die SPD verspricht die
bei dem neben ökonomischen auch ethische Fragestel- Verdopplung der Investitionen in Bildung und Forschung
lungen und der Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit von in fünf Jahren.“ Wir haben Ihre Garantiekarte aufgehoben
großer Bedeutung sein werden. und wir stellen fest, dass Sie Ihr Versprechen nicht halten.
Für unverantwortbar halten wir aber den Vorschlag aus (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans
den Reihen der CDU/CSU, die Gentechnik flächen- Georg Wagner [SPD]: Sie können nicht rech-
deckend in der Landwirtschaft einzusetzen. Demnächst nen!)
wird die CDU/CSU noch vorschlagen, den Menschen Wenn Sie Ihre Zusage einhalten wollten, dann müsste
gentechnisch zu optimieren, um vermeintlich den Stand- der Bildungs- und Forschungsetat jetzt, nach den ersten
ort Deutschland zu stärken. zwei Jahren Ihrer Regierungszeit, schon bei 21 Mil-
liarden DM liegen. Tatsächlich beträgt er aber nur 15 Mil-
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
liarden DM. Ihre Halbzeitbilanz ist bescheiden – viel
Ich bin sehr gespannt, was die konservativen Parteien Lärm um nichts.
(B) noch konservieren wollen, wenn sie die Gene und somit (D)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
den Kern des Lebens vollständig der Standortdiskussion
unterwerfen. Von einer Bildungs- und Forschungsministerin kann
man verlangen, dass sie ihr Amt nicht nur verwaltet, son-
(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Ideologi- dern auch – über ihr Ressort hinaus – als Anwältin für
sche Einfalt ist das!) Innovation und Forschung geradesteht. Doch auch in die-
Die F.D.P. hat der Union eines voraus: Die Werte, die sem Punkt versagt die Ministerin. Die „Wirtschafts-
woche“ hat ihr die Note „Fünf plus“ gegeben, –
außerhalb der Ökonomie liegen, spielen bei ihr schon
längst keine Rolle mehr. (Zuruf von der SPD: Die interessiert uns nicht,
die „Wirtschaftswoche“!)
Die Bewertung des Haushalts der Bundesministerin für
Bildung und Forschung seitens der CDU/CSU – ich habe – in der „Welt am Sonntag“ wurde sie als „zweitschlech-
es eingangs schon erwähnt –, ist vor allem deswegen nicht testes Kabinettsmitglied“ tituliert. Das SPD-Magazin
richtig, weil Sie die vielen Fälle der Forschungsmittel- oder das SPD-nahe Magazin „Stern“
erhöhung in anderen Haushalten einfach übersehen. (Lachen bei der SPD – Beifall bei Abgeord-
Erwähnen will ich als Ergänzung die Forschungsmit- neten der CDU/CSU)
tel, die beispielsweise im Haushalt des Bundeslandwirt- gibt ihr die Note „ausreichend“. Herr Tauss, 56 Prozent
schaftsministeriums zu finden sind. der Bevölkerung – da wird Ihnen das Lachen vergehen –
fordern die Ablösung dieser Forschungs- und Bildungs-
Meine Damen und Herren, die deutlichen Erfolge grü- ministerin. Mit einem solchen Standing können Sie für
ner Forschungs- und Bildungspolitik ermutigen uns, ziel- Forschung und Innovation in der Bundesregierung nichts
strebig weiter rot-grüne Grundsatzpositionen umzusetzen gewinnen.
und nachhaltigen Innovationen den Weg zu bereiten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
In dieser Regierung fehlt die Priorität für Forschung
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Innovation; denn Forschung braucht nicht hier und da
und bei der SPD) ein bisschen mehr Geld, sondern eine nachhaltige Politik
und eine klare Richtung.
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- (Jörg Tauss [SPD]: Bis hin zum
gen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Stiftungsrecht!)
11428 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Thomas Rachel

(A) Die Sozialdemokraten reden hier viel über das Geld des Präsident Wolfgang Thierse: Reden Sie bitte wei- (C)
Staates. Dabei wird vollkommen übersehen, dass 70 Pro- ter.
zent der deutschen Forschungsausgaben in der Wirtschaft
erfolgen. Viel mehr als auf das Geld kommt es somit auf
die Rahmenbedingungen für Innovation und Forschung in Thomas Rachel (CDU/CSU): Das „Handelsblatt“
diesem Lande an. Hier steht die Ampel, entgegen den Ver- vermutet, dass Frau Bulmahn in der Regierung schon zu
balbekenntnissen der Regierung, nicht auf Grün; vielmehr viel Neid auf sich gezogen habe. Das „Handelsblatt“ kom-
schimmert im tiefen Inneren der rot-grünen Seele die alte mentiert:
Feindlichkeit gegenüber neuen Techniken durch. Nun will Frau Bulmahn Wirtschaftsminister Müller
(Widerspruch bei der SPD – Beifall bei der nicht auch noch mit Forderungen nach Abtretungen
CDU/CSU und der F.D.P.) ganzer Abteilungen ärgern.
Konzeptionslosigkeit und Wurstelei stellen wir fest. Wo bleibt Ihre politische Führungskraft, Frau Bulmahn?
So wird man nie Anwältin für Forschung und Innovation
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. in dieser Regierung.
Erstens. Die Innovationspolitik der Regierung (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss
Schröder ist völlig zersplittert. Sie besteht aus zusam- [SPD]: Sie ist es schon!)
menhanglosen Einzelaktivitäten. Die Aufteilung der For-
schungsförderung auf das Wirtschaftsministerium und Zweitens. In einer Anfrage vom 29. Juni dieses Jahres
das Forschungsministerium hat Chaos erzeugt. Mittler- habe ich die Bundesregierung gefragt, wie sich der von
weile scheinen das auch Politiker bei der SPD und den der Regierung beschlossene Ausstieg aus der Kernener-
Grünen kapiert zu haben. Matthias Berninger von den gie mit dem weiterhin gültigen Energieforschungspro-
Grünen – gramm vereinbaren lässt, denn darin ist die Kernenergie-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist einer forschung enthalten. Bis heute – vom 29. Juni bis zum
der schärfsten Kritiker von Frau Bulmahn, 15. September – war die Bundesregierung nicht in der
stellen wir fest!) Lage, diese Anfrage fristgerecht zu beantworten, obwohl
in der Geschäftsordnung dieses Parlaments steht, dass die
– fordert im „Handelsblatt“, dass Energieforschung wie- Regierung innerhalb einer Woche zu antworten habe. Ich
der ins Forschungsministerium eingegliedert werden finde, das ist ein Skandal, und es zeigt, wie diese Regie-
müsse. Zitat: rung mit dem Parlament umgeht.
Es zeigt sich..., dass man Grundlagenforschung und (Beifall bei der CDU/CSU – Dietrich
industrienahe Forschung immer weniger trennen Austermann [CDU/CSU]: Darum müsste sich
(B) kann, (D)
der Präsident einmal kümmern!)
kritisiert Berninger die mangelhaften Zustände. Will die Bundesregierung hinter ihrer Sprachlosigkeit
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Recht hat er!) vielleicht ihre Konzeptlosigkeit verbergen?
Unzufrieden ist auch der SPD-Politiker Stephan Hilsberg. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Vorsicht!
Im „Handelsblatt“ kritisiert er – Zitat –: Das kann man nur sagen, wenn man keine Ah-
nung hat!)
Angesichts der jetzigen Lage muss man sagen, dass
die Industrieforschung im BMWF besser aufgeho- Der ganze Vorgang zeigt, dass die rot-grüne Bundesregie-
ben wäre. rung sich nicht auf ein abgestimmtes Konzept in der Ener-
Auf diese Missstände hat die CDU/CSU-Bundestagsfrak- gieforschung einigen konnte. So wird man kein Innovati-
tion bereits Ende 1998 aufmerksam gemacht; denn ein onsstandort auf Weltniveau.
zentraler politischer Ansprechpartner für Wissenschaft (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
und Forschung ist in dieser Regierung nicht auszuma- neten der F.D.P.)
chen.
Drittes Thema. Nach mehr als 30 Jahren Planungs- und
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Entwicklungszeit haben Sie das Aus für den Transrapid
Aber wo ist Bulmahn? verkündet. Damit verlieren wir unseren Entwicklungs-
vorsprung in der Magnettechnik.
(Zurufe von der SPD: Da hinten! – Rechts von
Ihnen!) (Jörg Tauss [SPD]: Wer hat das denn verhin-
dert? Die Bahn oder wer?)
Dem „Handelsblatt“ zufolge sorgt sich Frau Bulmahn – –
Viertens. Bei der Genehmigung des neuen Garchinger
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die hört noch Forschungsreaktors FRM II sitzt der Umweltminister im
nicht einmal zu!) Bremserhäuschen.
Frau Bulmahn, vielleicht würden Sie dem Parlament Fünftens. Zu Beginn dieses Jahres hat die rot-grüne
einmal Ihr geneigtes Ohr schenken und nicht nur auf der
Koalition eine massive Erhöhung der Patentgebühren
Regierungsbank quatschen. Herr Präsident!
beschlossen. Diese Gebührenerhöhung trifft die Erfinder,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Tüftler, die kleinen Unternehmen, die Patentanmelder
der F.D.P.) in den Hochschulen. Sie ist ein Hemmschuh für den
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11429
Thomas Rachel

(A) Transfer von Forschungsergebnissen in wirtschaftsnahe einer gentechnisch veränderten Maissorte verbieten, ob- (C)
Anwendungen. Denn Patente von heute sind die Ar- wohl dies von der EU-Kommission genehmigt war und
beitsplätze von morgen. ein positives Votum der Zentralen Kommission für die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Biologische Sicherheit vorlag. Mit einer solchen Politik
wird diffuse Angst geschürt und das Vertrauen in wissen-
Vor diesem Hintergrund sind die Schlagworte Innovation schaftliches Urteil und festgelegte Zulassungsverfahren
und Gerechtigkeit, die Sie vor der Wahl verkündet haben, untergraben.
nichts als blanker Hohn.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Sechstes Thema. Als nächste wichtige Technologie
droht die Kernfusion von Rot-Grün beerdigt zu werden.
Bundeskanzler Schröder hat mit seiner seichten Rede in Präsident Wolfgang Thierse: Herr Rachel, Sie müs-
Greifswald zu überdecken versucht, dass in der Regie- sen leider zum Schluss kommen.
rungskoalition totale Uneinigkeit bei der Fusionsfor- (Jörg Tauss [SPD]: Nicht leider!)
schung herrscht. So spricht der forschungspolitische
Sprecher der Grünen, Hans-Josef Fell, von einer Fehl-
investition in Greifswald, die man nicht mehr habe ver- Thomas Rachel (CDU/CSU): Ja. – Diese Rahmen-
hindern können, weil die Investitionen liefen. bedingungen für Innovationen schaden dem Standort
Deutschland. Die rot-grüne Regierung hat sich in wichti-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE gen Bereichen als Innovationshindernis entpuppt. Wir
GRÜNEN]: Völlig richtig!) wollen Entscheidungen am wissenschaftlichen Urteil und
Zukunftsträchtige Projekte bei der Fusionsforschung wol- nicht an ideologischen Vorstellungen orientieren. Wir ap-
len die Grünen aber auf jeden Fall verhindern. Aber ge- pellieren an Sie: Kommen Sie heraus aus dem ideologi-
rade in der Fusionsforschung wäre eine zukunftsweisende schen Bremserhäuschen. Wir wollen, dass Deutschland
Kooperation mit den europäischen Partnern nötig. Statt- als Wissenschaftsstandort eine der ersten Adressen der
dessen droht Deutschland in diesem Bereich in die Dritt- Welt wird. Deshalb kämpfen wir für eine ideologiefreie
klassigkeit abzurutschen. Das kritisieren wir. Modernisierung dieses Landes.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Herzlichen Dank.
Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dafür gehen wir bei den erneuerbaren
Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Rachel, ge-
Energien in die Erstklassigkeit!)
statten Sie noch eine Nachfrage des Kollegen Röspel,
(B) Siebtens. Neuestes Thema der Ministerin ist der SPD-Fraktion? (D)
Laptop für Schüler. Vielleicht wäre es ja wichtiger, dass
wir erst einmal für jede Klasse auch wirklich einen Leh-
rer zur Verfügung hätten. Ich finde, damit sollten wir ein- Thomas Rachel (CDU/CSU): Aber gerne.
mal anfangen, Frau Bulmahn. Im Übrigen verhält es sich
so: Während Sie über Internet und Laptop lamentieren, René Röspel (SPD): Herr Rachel, Sie sprachen ge-
wird im Bundesfinanzministerium die Besteuerung der rade an, dass wir es als kritisch angesehen haben, einen
privaten Internetnutzung am Arbeitsplatz vorbereitet. Insektengift produzierenden, gentechnisch veränderten
Während Sie vom Aufbruch in die Informationsgesell- Mais in die Landschaft ausbringen zu lassen, nachdem wir
schaft sprechen, hat Finanzminister Eichel schon längst erkannt haben, dass immer mehr wissenschaftliche Hin-
das Kassenhäuschen an jedem Internetarbeitsplatz errich- weise darauf abzielen, dass nicht nur Schädlinge, sondern
tet. auch Nützlinge bekämpft werden, dass weiterhin Resis-
(Jörg Tauss [SPD]: Völliger Quatsch!) tenzen entstehen und dass das Gift, das produziert wird,
im Boden bleibt. Weil wir gesehen haben, dass da noch ei-
Meine Damen und Herren, so werden die Arbeitnehmer in nige Fragen ungeklärt sind, haben wir die Ausbringung
Deutschland von dieser Bundesregierung getäuscht. zunächst ausgesetzt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wi-
derspruch bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: So Präsident Wolfgang Thierse: Ihre Frage, bitte.
ein Quatsch! – Zuruf von der CDU/CSU, an
Abg. Jörg Tauss gerichtet: Brüllfrosch!)
René Röspel (SPD): Ich frage Sie, ob Sie es als tech-
Achtes Thema. Erst auf massiven Druck von Opposi- nikfeindlich ansehen, wenn man neue wissenschaftliche
tion und Wissenschaft will die Bundesforschungsministe- Erkenntnisse berücksichtigt, die die Ausbringung dieses
rin die Mittel für die Genomforschung erhöhen. Wir hat-
Maises als problematisch erscheinen lassen.
ten bereits im letzten Jahr beantragt, 200 Millionen DM
mehr hierfür in den Haushalt einzustellen. Sie haben das
eiskalt abgelehnt. Der neu entdeckte Schwerpunkt Gen- Thomas Rachel (CDU/CSU): Ihre Frage unterstellt,
technik ist wichtig, aber wir brauchen auch Fortschritte in dass es hier tatsächlich andere wissenschaftliche Er-
der Anwendung. Sie betreiben hier innovationsfeindliche kenntnisse gegeben hat. Dies ist falsch. Die Zentrale
Politik. So musste das Robert Koch-Institut auf Anwei- Kommission für die Biologische Sicherheit, die nach un-
sung von Gesundheitsministerin Fischer die Ausbringung seren gesetzlichen Bestimmungen damit beauftragt ist, zu
11430 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Thomas Rachel

(A) beurteilen, ob es Sicherheitsrisiken gibt oder nicht, hat In Ihrer Regierungszeit ist der Anteil der Bildungs- (C)
dies eindeutig negativ beantwortet. und Forschungsausgaben kontinuierlich gesunken. Wa-
(Beifall der Abg. Ulrike Flach [F.D.P.]) rum rufen Sie hier mit Krokodilstränen in den Augen, der
Anteil der Bildungs- und Forschungsausgaben am Brutto-
Außerdem hat die EU-Kommission ihr klares bejahendes inlandsprodukt sei gesunken, wenn Sie selber nicht mit
Votum zur Ausbringung gegeben. gutem Beispiel vorangegangen sind? Wir sind das ange-
Wir kritisieren hier, dass Sie, wenn – mit Ihrer Zustim- gangen und machen das weiter. Der Anteil der Bildungs-
mung – in einem ordnungsgemäßen, durch Wissenschaft und Forschungsausgaben steigt von 3,11 auf 3,21 Prozent.
begleiteten Prozess klare rechtliche Verfahren geschaffen Vorbild muss man sein, wenn man von den anderen ver-
wurden, um zu entscheiden, ob eine Maßnahme ergriffen langen will, sie müssten mehr machen!
werden darf oder nicht, diese Maßnahmen dann aus rein
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ideologischen Gründen unterbinden. Das ist Ideologie-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
politik, die wir in diesem Bereich der Forschungspolitik
nicht brauchen können. Meine Damen und Herren von der Opposition, das,
Herzlichen Dank. was ich von Ihnen an Kritik gehört habe, war häufig nur
kleinkrämerisch und – diesen Eindruck hatte ich zum Teil –
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schlicht und einfach von Neid geprägt. Herr Kampeter,
mit Ihren Fähigkeiten des spitzen Bleistiftes, des Umbie-
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort gens und des Umwertens von Zahlen hätten Sie gut in eine
dem Kollegen Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion. statistische Behörde der DDR gepasst; da ist das nämlich
permanent gemacht worden.
Stephan Hilsberg (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Hans Eichel hat BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen
hier vor drei Tagen die Einbringung des Haushalts 2001 Kampeter [CDU/CSU]: Empörend! – Thomas
mit den Worten begonnen, dieser Haushalt 2001 sei ein Rachel [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämt-
Haushalt der Konsolidierung und der Nachhaltigkeit und heit! Entschuldigen Sie sich bitte! – Birgit
ein Haushalt der Stärke. Der Haushalt, den wir hier dis- Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Unverschämt-
kutieren, ist ein Beweis dafür. Recht hat der Mann! heit! – Dr. Barbara Höll [PDS]: Nicht allzu
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- selbstgerecht!)
(B) Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Vielleicht etwas zu Ihrer Beruhigung. Auch von der PDS (D)
Nachdem Sie hier versucht haben, so viele Nebelker- brauchen wir uns nichts sagen zu lassen. Bankrotteure
zen zu werfen, muss man jetzt wieder zu den Fakten sollten uns keine Ratschläge geben, wie man einen Haus-
zurückkehren. halt aufzustellen hat, besonders wenn die Haushalte gut
sind. Regen Sie sich also ab.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir haben
nur die Wahrheit gesagt! Das ist selten!) Was ich überhaupt nicht verstehen kann, ist, dass Sie
Man kann es gar nicht häufig genug sagen: Nachdem die- uns permanent vorhalten, dass wir Ideen realisieren, die
ser Haushalt unter Rüttgers innerhalb von vier Jahren um auch Sie möglicherweise schon im Auge gehabt haben.
400 Millionen DM zurückgegangen ist, haben wir ihn al- Natürlich ist es richtig, beispielsweise die Mittel für den
leine um 780 Millionen DM aufgestockt. Das sind Hochschulbau aufzustocken.
5,3 Prozent mehr, als wir in diesem Jahr haben. Über (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann
BAföG will ich dabei gar nicht reden. Otto Solms)
Wenn Sie den Zeitraum nach 1998 zugrunde legen, ha- Aber genug von den Zahlen. Herr Friedrich, Sie haben
ben wir sogar eine Aufstockung um 1,7 Milliarden DM
völlig Recht: Geld ist nicht alles; es kommt auch auf die
vorgenommen. Das ist ein Plus von über 8 Prozent.
Inhalte an. Dann fangen wir mit denen an. Ich sage das
Diese Leistung ist entscheidend, nicht das, was Sie hier auch mit Blick auf die Jugendlichen auf der Tribüne.
an Nebelkerzen werfen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Fehlanzeige
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- bei Ihnen!)
Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Bleiben Sie doch ganz ruhig, Herr Kampeter. Es kommt
UMTS ist in diese Rechnung noch gar nicht einbezogen. auf die Fakten an. Herr Jagoda war nicht auf unserem Par-
Wenn man diese Erlöse einbezieht, kommen hier 2 Milli- teiticket. Er hat in diesen Tagen gesagt: Es gibt eine Ent-
arden DM hinzu. Damit haben wir nicht nur den höchsten spannung am Arbeitsmarkt. Es gibt einen deutlichen
Bildungs- und Forschungshaushalt, den es in der Bundes- Zuwachs an betrieblichen Ausbildungsplätzen.
republik je gegeben hat, sondern das ist auch eine Trend-
wende. (Beifall bei der SPD)
(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜND- Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage schließt
NIS 90/DIE GRÜNEN]) sich wieder.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11431
Stephan Hilsberg

(A) Das ist unsere Leistung und ein klares Zeichen dafür, Ich will noch einen weiteren Punkt erwähnen. Wir ha- (C)
dass unsere Politik, die Frau Ministerin Bulmahn in Rich- ben über handwerkliche Fähigkeiten geredet. Aber wir
tung Modernisierung der Berufe begonnen hat, Erfolg hat wissen auch – zu diesem Punkt sollten Sie sich ebenfalls
und dass sie Früchte trägt. Im Übrigen ist es ein Erfolg des äußern –, dass handwerkliche Fähigkeiten allein heutzu-
Konsenses im Bündnis für Arbeit und Ausbildung, tage immer weniger ausreichen, um das Leben zu meis-
ohne den diese Steigerung der Zahl der Lehrstellen nicht tern, um Herausforderungen anzunehmen und um die
möglich gewesen wäre. Manchmal wird das Bündnis für
Chancen, die sich in dieser Informationsgesellschaft zu-
Arbeit und Ausbildung als Gefahr für den Parlamentaris-
mus angesehen. Ich glaube, dieses Bündnis für Arbeit und nehmend bieten, zu erkennen und zu nutzen. Deshalb
Ausbildung ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft. muss unser Bildungssystem insgesamt weiterentwickelt
werden.
Man sollte auch diesen Punkt deutlich machen:
Während es jetzt noch – das ist ein Problem – an Ausbil- Wir brauchen mehr die Fähigkeit des Einzelnen zum
dungsplätzen mangelt, werden die Unternehmen gerade eigenen Denken und zur selbstständigen Orientierung.
in den strukturschwachen Gebieten in vier bis fünf Jahren Wir brauchen seine Fähigkeit, mit Mut, Ausdauer und Zu-
ganz andere, für sie existenziellere Sorgen haben als versicht sein eigenes Leben zu meistern. Das muss im
heute. Denn dann wird es einen eklatanten Mangel an Vordergrund des Bildungssystems stehen. Deshalb ist es
Lehrlingen geben. Deshalb kann man diesen Unterneh- so wichtig, dass die Abhängigkeiten aufgelöst werden, da-
men insbesondere in den strukturschwachen Gebieten nur mit an ihre Stelle Selbstverantwortung und auch Freude
zurufen: Bilden Sie jetzt aus, bevor es zu spät ist! am eigenen Handeln treten können. Daher ist es auch so
(Beifall bei der SPD) wichtig, dass wir das Studium der Kinder wieder stärker,
als Sie es vermocht haben, vom Geldbeutel der Eltern ent-
Manchmal denke ich – das betrifft die gesamte Wirt-
schaft –, man müsste hinzufügen: Rufen Sie nicht immer koppeln.
dort nach dem Staat, wo Sie selbst verantwortlich sind! (Beifall bei der SPD)
Den Hochschulbau habe ich schon erwähnt. Ich will Begabung hat sicherlich etwas mit Vererbung zu tun.
aber noch erläutern, was hinter den Zahlen steckt. Im Jahr Aber vor allem hat sie etwas mit den sozialen Randbedin-
2001 gibt es eine Aufstockung um 215 Millionen DM. gungen zu tun, die ihre Entfaltung behindern oder ermög-
Das ist seit 1998 eine Aufstockung um über 400 Milli-
lichen können. Wir Sozialdemokraten wollen – Rot-Grün
onen DM. Zusammen mit dem Kofinanzierungsanteil der
Länder ergeben sich über 800 Millionen DM, die wir zu realisiert das –, dass die Begabung aller Menschen – ob
verantworten haben. Das waren wir und nicht Sie. Damit sie jung oder alt, Junge oder Mädchen sind, deutschstäm-
mig sind oder aus dem Ausland kommen – in unserer Ge-
(B) sind wir den Forderungen des Wissenschaftsrats an dieser (D)
Stelle nachgekommen. Schauen Sie sich einmal die Re- sellschaft wieder aufblühen und sich entfalten kann.
aktion an den Hochschulen an! Mit Ihren Reden können (Beifall bei der SPD – Dr.-Ing. Rainer Jork
Sie sich dort nicht blicken lassen. Es ist doch unseriös,
[CDU/CSU]: Machen, machen!)
was Sie sagen.
(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der Dass die Bundesregierung – durch die Bank weg –
CDU/CSU) allen dem Bund quasi alleine gehörenden außeruniver-
sitären Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-
Diese Investitionsausgaben werden die Studienbedin- Gesellschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Fraun-
gungen für über 1 Million Studenten wie auch die Arbeits- hofer-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft der
bedingungen der Hochschullehrer nachhaltig verbessern.
Großforschungseinrichtungen eine Aufstockung zwi-
Es war falsch, wenn von der rechten Seite des Hauses in
den letzten Jahren immer zu hören war, wir hätten zu viele schen drei und fünf Prozent gewährt, ist kein Zufall. Da-
Studenten. Das war doch letztlich bloß die Kapitulation rüber haben Sie aber überhaupt nicht geredet. Mir ist völ-
angesichts der Tatsache, dass Sie es nicht geschafft haben, lig klar, warum. Warum sollten Sie auch? Denn das sind
die Aufbauarbeit an den Universitäten und Hochschulen Leistungen, die Sie nie zu verbuchen hatten.
zu leisten. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wir brau- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
chen bessere und leistungsfähigere Hochschulen und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Fachhochschulen; denn die Bedeutung wissenschaftlicher
Ausbildung nimmt genauso wie die Bedeutung der Wei- Diese Aufstockungen folgen nicht nur der Logik, dass
terbildung in unseren Tagen zu und nicht ab. Forschung ein Innovationsmotor ist. Wir alle wissen, dass
An dieser Stelle ein Wort zum Meister-BAföG. Sie sel- Investitionen in Forschung Investitionen in Arbeitsplätze
ber wissen ganz genau, dass Sie die Urheber der Probleme von morgen sind. Diese Aufstockungen haben auch etwas
beim Meister-BAföG waren und dass das Problem nicht mit der hohen Wertschätzung zu tun, die Wissenschaft und
darin besteht, dass wir zu wenig Geld bereitstellen. Das Forschung in unserem Land traditionell genießen und
Problem liegt vielmehr darin, dass das Geld nicht abfließt. brauchen und die wir weiterhin garantieren werden. Denn
Ich gebe Ihnen hier Brief und Siegel, dass wir dieses Pro- je offener und aufgeklärter die Wissenschaft an die Erfor-
blem im Haushalt 2001 mindern und schließlich lösen schung und Behandlung der offenen Fragen unserer Zeit
werden. herangeht – davon haben wir genug –, desto offener und
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aufgeklärter kann unsere demokratische Gesellschaft an
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Lösung ihrer Zukunftsprobleme herangehen.
11432 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Stephan Hilsberg

(A) Das betrifft zum Beispiel das Energieproblem, das – Frau Flach, ein Name ist übrigens auch ein Programm. (C)
ohne eine verstärkte Erforschung alternativer und erneu- An Ihrer Stelle hätte ich diese Bemerkung nicht ge-
erbarer Energien wohl nicht lösbar ist. macht. Ihre Meinung, dass mein Hinweis auf die Sorge,
(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜND- in der ostdeutschen Forschungslandschaft passiere etwas
NIS 90/DIE GRÜNEN]) Schlechtes, gar nicht stimmt – denn da sei ja alles in Ord-
nung –, zeigt –
Das ist der Knackpunkt bei der Fusionsforschung; Sie
werfen da nur Nebelkerzen. (Ulrike Flach [F.D.P.]: Habe ich doch nie ge-
sagt! Herr Hilsberg, Sie sollten besser lesen!)
Übrigens, das Europäische Parlament hat nichts ande-
res gesagt als wir. Wir sind nicht gegen die Fusionsfor- – Sie haben nicht anders reagiert –, dass Sie überhaupt
schung; um das hier einmal deutlich zu sagen. keine Ahnung von der ostdeutschen Forschungsland-
(Ulrike Flach [F.D.P.]: Hört! Hört!) schaft haben.
Wir fragen nur: Stimmen an dieser Stelle die Gewichtun-
gen und müssen wir nicht angesichts des Umstandes, dass Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol-
die Ergebnisse der Fusionsforschung – wenn überhaupt – lege, kommen Sie bitte zum Schluss.
erst in 50 Jahren vorliegen, schon für die Zeit davor
brauchbare Lösungen liefern, die unser Energieproblem Stephan Hilsberg (SPD): Wir befinden uns mitten
lösen können? Oder haben Sie alle übersehen, was in der
auf dem Weg in die Bildungsgesellschaft. Ich habe schon
„Bild“-Zeitung oder sonstwo stand, dass nämlich der
Nordpol bereits zu schmelzen beginnt? Das ist ja nur eine festgestellt: Bildung und die Fähigkeit des Einzelnen, sich
Kleinigkeit gemessen an den Problemen, die vor uns lie- stärker selber orientieren zu können, werden angesichts
gen. der Globalisierung eine immer größere Rolle spielen. Wir
haben in den letzten zwei Jahren den Müll, den Sie uns
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des hinterlassen haben, weggeräumt. Wir stehen vor einer
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neuen großen Bildungsoffensive. Der Haushalt, dessen
Richtig ist übrigens auch, dass man mit den Strukturen Beratung in erster Lesung wir jetzt abschließen, ist dafür
von gestern heute keine moderne Forschung mehr betrei- ein notwendiger, erfolgreicher und großer Schritt. Dafür
ben kann. Deshalb war es so wichtig, dass sich Frau bedanken wir uns.
Bulmahn an die Fusion von GMD und FhG gemacht hat.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Da ist nichts DIE GRÜNEN)
(B) herausgekommen! Wo sind die Ergebnisse?) (D)
Wir sollten dem erfolgreichen Fortgang dieser Fusion ein Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer
gutes Gelingen wünschen. Kurzintervention gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen
Auch ist richtig, dass sich die Helmholtz-Gemein- Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion.
schaft der Großforschungseinrichtungen in Richtung
des Aufbaus neuer Programmforschungsstrukturen bege-
ben hat. Ganz besonders freut mich übrigens dabei, dass Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Kollege
auch sie dann in den Genuss kommt, nicht mehr Jahr für Hilsberg, Sie haben mich persönlich wegen meiner Kritik
Jahr anderthalb Prozent ihrer Stellen kürzen zu müssen, an der Forschungspolitik der Bundesregierung angespro-
wie wir das bereits bei der Max-Planck-Gesellschaft rea- chen. Deswegen möchte ich meine Kernkritik noch ein-
lisiert haben. Wir hoffen, dass das auch so bleibt, denn mal kurz vortragen: In den Jahren 1998 bis 2001 gehen
Forschungsstrukturen kann man nicht so behandeln wie – dies ist im Haushaltsplan ausgewiesen – die Investitio-
x-beliebige Verwaltungseinheiten. nen in Bildung und Forschung um 500 Millionen DM
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zur Blauen Liste der zurück. Folgerichtig wird das Versprechen, die Investitio-
Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft. Auch hier wäre nen in Bildung und Forschung zu verdoppeln, in mehrfa-
eine deutliche Aufstockung der Mittel nötig gewesen. cher Hinsicht gebrochen. Das sind die Tatsachen.
Aufgrund der Mischfinanzierung zwischen Bund und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ländern ist aber nur ein gemeinsames Vorgehen möglich.
Wenn sich hier – ich sage das sehr deutlich und mit Wenn Sie mich angesichts dieser berechtigten Kritik an
großem Ernst – die Haltung der ostdeutschen Sitzländer der Halbzeitbilanz der Forschungspolitik in die Nähe des
nicht ändert, dann wird der Transformationsprozess der menschenverachtenden Systems der DDR rücken, dann
ostdeutschen Wissenschaftslandschaft, der sich ja auf der halte ich das für unangemessen. So etwas kann natürlich
Zielgeraden befindet, einen schweren Rückschlag erlei- in einer Debatte passieren. Ich halte es jedoch weiterhin
den, an dem wir alle kein Interesse haben können. für notwendig, diese miese Politik kräftig zu kritisieren.
(Ulrike Flach [F.D.P.]: Das sind doch Ihre ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
genen Leute!) neten der F.D.P.)
– Wieso? Auch Sachsen und Thüringen sind damit ge-
meint. Schauen Sie sich doch die Bilanzen einmal an! Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwi-
(Ulrike Flach [F.D.P.]: Und die anderen?) derung, Herr Kollege Hilsberg.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11433

(A) Stephan Hilsberg (SPD): Herr Kampeter, in den zehn Ich stelle die Sportpolitik sehr bewusst an den Anfang. (C)
Jahren, in denen ich hier im Parlament bin – zur deutschen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Einheit habe ich vielleicht ein kleines Stück beitragen
können; ich habe sie immer begrüßt –, habe ich eines be- Sie wissen, ich bin ein enthusiastischer Sportminister und
merkt, nämlich dass die Methoden, mit denen man hier es macht mir sehr viel Spaß, auf diesem Gebiet tätig zu
Politik betreibt, keineswegs harmlos und schön sind und sein. Ich denke, es ist eine der erfreulichsten Nachrichten
dass sich nicht alle Politiker der Wahrheit verpflichtet dieses Jahres, dass wir im Jahre 2006 als vereintes
fühlen. Deutschland Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft
sein dürfen.
(Ulrike Flach [F.D.P.]: Was soll denn das
heißen?) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)
Das hat nichts mit Parallelen zur DDR zu tun. Aber mit
Ihren Fähigkeiten – das möchte ich betonen –, Zahlen, Es eint uns, wenn wir Franz Beckenbauer und dem Deut-
Daten und Fakten zu verleugnen und umzudrehen, hätten schen Fußball-Bund dazu herzlich gratulieren. Ich möchte
Sie im Statistischen Amt der DDR reüssieren können. das mit den besten Genesungswünschen an den Präsiden-
ten des Deutschen Fußball-Bunds, Egidius Braun, verbin-
(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel den.
[CDU/CSU]: Unverschämtheit!)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere bei Abgeordneten der PDS)
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung liegen nicht vor. In diesem Zusammenhang darf ich Folgendes er-
wähnen: Der Bundeskanzler hat mir im Kabinett Vorhal-
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bun- tungen über das schlechte Abschneiden der deutschen
desministeriums des Innern, Einzelplan 06. Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft
Das Wort hat als erster Redner Bundesminister Otto gemacht. Ich habe in Demut meinen Kopf gesenkt.
Schily. (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/
CSU]: Ausnahmsweise zu Recht!)
Otto Schily, Bundesminister des Innern: Herr Präsi- Aber es gibt auch eine erfreuliche Nachricht von der eu-
dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Nach guter ropäischen Fußballmeisterschaft: Wir haben eine große
parlamentarischer Tradition bietet die Etatdebatte die Ge- Leistung für die Sicherheit bei diesem großen Sportereig-
(B) legenheit, den Rückblick auf ein vergangenes Etatjahr mit nis in Belgien und Holland erbracht. (D)
einem Ausblick zu verbinden. Leider haben wir für eine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
solche Debatte immer nur ein sehr enges zeitliches Kor-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
sett zur Verfügung. Das will ich an dieser Stelle einmal an- Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.])
merken. Ich erlaube mir die Anregung, einmal darüber
nachzudenken, ob wir dieses enge Korsett nicht erweitern Ich glaube, darauf können wir sehr stolz sein. Wir ha-
sollten, ben dafür sehr viel Anerkennung bekommen. Ich möchte
deshalb an dieser Stelle den Beamtinnen und Beamten des
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Bundesgrenzschutzes und den Beamtinnen und Beamten
F.D.P.) der Länderpolizeien meinen sehr herzlichen Dank zum
ob wir uns nicht mehr Zeit für die Etatdebatte nehmen Ausdruck bringen. Sie haben ihn verdient.
sollten, damit wirklich Argument und Gegenargument, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Rede und Gegenrede stattfinden können, damit es auch DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
möglich wird, die eigene Auffassung kritisch zu überprü- CDU/CSU und der F.D.P.)
fen. Denn die parlamentarische Debatte dient dem demo-
kratischen Dialog. Die Sportförderung lässt sich auch an Zahlen ablesen.
Ich denke, es ist eine Erwähnung wert, dass der Bun-
(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) desminister des Innern in seinem Etat die Sportförderung
Dann wird auch das Parlament in seiner Funktion als Le- auf einem sehr hohen Niveau fortsetzt. Wir werden im
gitimationsinstrument für Politik wieder an Bedeutung kommenden Haushaltsjahr 10 Millionen DM mehr für
gewinnen. die Sportförderung aufwenden, also sogar mehr als im
Olympiajahr 2000.
Ich sage im Übrigen in aller Bescheidenheit: Die Zeit,
die mir zugewiesen ist, reicht nicht aus, um die umfang- Ich will eine Zahl herausgreifen. Sie steht im Zusam-
reiche Erfolgsbilanz des Bundesministeriums des Innern menhang mit der Fußballweltmeisterschaft. Die Bun-
vorzutragen. desregierung wird für die Sanierung und Modernisierung
des Olympiastadions in Berlin insgesamt – das ist eine ge-
(Beifall bei der SPD und der F.D.P. – Erwin waltige Summe – 383 Millionen DM zur Verfügung stel-
Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: len und den Umbau des Zentralstadions in Leipzig mit
Man kann viel sagen in 13 Minuten!) 100 Millionen DM fördern.
Ich muss mich also auf einige wenige Stichpunkte be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schränken. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
11434 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Bundesminister Otto Schily

(A) Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für diejenigen, die Auch wenn es manchmal weh tut und für die einzelne (C)
in unserem Land sportbegeistert sind. Kommune schwierig ist, das Ganze darzustellen: Wir
brauchen ein ungeschminktes, nicht beschönigtes Bild
Wir haben die Mittel auch in anderen Bereichen aufge-
dieser Wirklichkeit.
stockt. Ich will nur einen erwähnen: Wir werden für die
Dopingforschung 900 000 DM zusätzlich zur Verfügung Nun stellt sich die Frage: Was tun wir gegen Extremis-
stellen. mus, welche Mittel setzen wir ein? Hier gibt es nicht die
Alternative Repression oder Prävention.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)
Meine Damen und Herren, wir sollten den hohen Stel-
lenwert des Sports immer wieder betonen. Er hat eine In- Dies ist eine falsche Alternative. Beides gehört zusam-
tegrationskraft in der Gesellschaft. Dies verbinde ich mit men. Wir müssen entschlossen repressive Mittel einset-
einem Appell an die Länder, den Sportunterricht bitte zen.
nicht zu vernachlässigen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SES 90/DIE GRÜNEN)
PDS) Ich habe gestern das Verbot der Organisation „Blood &
Der Sportunterricht ist gerade in einer Welt, in der Kinder Honour“ bekannt gegeben. Wir müssen gegen Organisa-
und Jugendliche stärker an technischen Geräten ausgebil- tionen, die dieses Gift bei Jugendlichen ausstreuen, mit
det werden, von herausragender Bedeutung. aller gebotenen Härte vorgehen.

Wir werden auch ein spezielles Programm „Sport (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gegen Gewalt“ auflegen. Auch in der Auseinanderset- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
zung mit dem Rechtsextremismus spielt der Sport eine CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)
große Rolle. Auch in diesem Zusammenhang ist Dank Aber wir sollten auch nicht verkennen, dass es in der
angebracht, so für Einzelinitiativen von Polizei- und Bun- Gesellschaft eine positive Bewegung gibt. Es gibt erfreu-
desgrenzschutzbeamten, die sich in dieser Richtung be- licherweise viele Initiativen. Ich will nur zwei von vielen
tätigen. Ich glaube, dies ist ein gutes Mittel, dem Rechts- erwähnen. Das erste Beispiel: Bei mir hat sich ganz spon-
extremismus entgegenzuwirken. tan ein Bürger aus München gemeldet und gesagt, ange-
sichts des schrecklichen Anschlages in Düsseldorf stelle
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
er den zwei Schwerstverletzten für die Dauer von zwei
(B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jahren eine Übergangshilfe zur Verfügung – eine wirklich (D)
Damit bin ich beim Thema Rechtsextremismus. Ich rühmenswerte, spontane Reaktion.
glaube, dass die Etatdebatte wegen des eigentlich benötig-
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
ten Zeitbedarfes nicht ausreicht, um dieses Thema einge- GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie
hend und umfassend zu behandeln. Wir haben uns vorge- bei Abgeordneten der PDS)
nommen, dieses Thema genauer zu diskutieren, dazu wird
also noch Gelegenheit sein. Das zweite Beispiel ist eine Anzeige von Bayern Mün-
chen und der Opel AG. Dies ist eine gelungene Anzeige,
Ich möchte aber auf einige aktuelle Fragen eingehen. um zu zeigen, wie wichtig Zuwanderung für unser Land
Zunächst will ich deutlich sagen, dass ich die Kritik an und gerade für den Sport in unseren Fußballstadien ist.
manchen Statistiken für berechtigt halte. Dies muss man
offen einräumen. Dazu ist eine Überprüfung veranlasst. (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei
Ich werde dafür sorgen, dass diese Überprüfung auch kon- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
sequent durchgeführt wird. GRÜNEN)
Dass das Engagement des Bundesministers des Innern Wir werden unserer Verantwortung als Bundesregie-
in diesem Fall außer Zweifel steht, sehen Sie daran, dass rung gerecht werden und unsere Anstrengungen in die-
manches von dem, was dazu jetzt an neuen Überlegungen sem Zusammenhang verstärken. Ich darf darauf hinwei-
öffentlich geworden ist, aus Forschungsergebnissen von sen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz im
Professor Pfeiffer stammt, den ich beauftragt habe, an Verfassungsschutzbericht die Gefahren des Rechtsextre-
dem periodischen Sicherheitsbericht mitzuwirken. mismus wahrlich nicht verharmlost hat. Der neue Präsi-
dent hat dies in seinen Worten sehr deutlich zum Aus-
Dass an dieser Stelle auch einige Schwierigkeiten auf- druck gebracht.
treten, sollten wir ebenfalls nicht leugnen. Im Übrigen ist
das Bundesministerium des Innern natürlich auf das Ma- Das Bundeskriminalamt wird im Herbst eine Tagung
terial angewiesen, das ihm von dezentraler Stelle zur Ver- veranstalten, die sich ausschließlich mit diesem Thema
beschäftigt. Viele andere Maßnahmen sind in die Wege
fügung gestellt wird. Wir wollen aber ein ungeschminktes
geleitet. Eine Maßnahme, die mir wichtig ist, will ich er-
Bild. Niemand kann ein Interesse daran haben, Sachver-
wähnen, nämlich die Reform der Bundeszentrale für po-
halte zu beschönigen oder beiseite zu schieben.
litische Bildung. Die Arbeit in dieser Bundeszentrale
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss auch einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung des
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rechtsextremismus setzen. Deswegen haben wir einen er-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11435
Bundesminister Otto Schily

(A) heblichen Teil der Mittel für die Bundeszentrale für diese abschluss, auf eine längere Frist angelegt, zustande ge- (C)
Arbeit zur Verfügung gestellt. bracht. Ich glaube, das war ein großer Erfolg der Tarifpo-
litik, weil dieser Abschluss vor allen Dingen den Ländern
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
und den Kommunen die Möglichkeit verschafft, über ei-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
nen längeren Zeitraum eine solide Finanzplanung zu ha-
F.D.P.)
ben. Das gilt auch für den Bund.
Meine Damen und Herren, wir müssen aber wissen:
An dieser Stelle wird sicherlich die Frage gestellt wer-
Es gibt kurzfristige Maßnahmen, es gibt Verbotsmaßnah-
den, wie wir es mit den Beamten halten. Wir werden eine
men. Wir werden sehr sorgfältig prüfen, ob wir zu einem
Lösung für die Beamten finden, die sich weitgehend an
Verbot der NPD gelangen können. Wenn es eine Chance
diesen Tarifabschluss anlehnt. Allerdings müssen wir
gibt, werden wir dieses Verbotsverfahren einleiten. Dann
auch sehen, dass wir eine Annäherung an die Regelung bei
ist es aber wichtig, dass sich alle drei Verfassungsinstitu-
den Renten finden. Ich muss natürlich auch Rücksicht auf
tionen, –
meinen Kollegen Eichel nehmen, auf die Sparerforder-
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nisse, die von dieser Seite geltend gemacht werden, an
NEN]: So ist es!) denen ich mich solidarisch beteilige.
– um diesem Antrag Nachdruck zu verleihen, an dem An- Ich will zum Schluss Folgendes sagen – ich glaube,
trag beteiligen wenn man über innere Sicherheit redet, darf man diesen
Gesichtspunkt nicht vernachlässigen –: Sie werden in den
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
letzten Monaten vielleicht festgestellt haben, dass ich
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
mich als Mitglied der Regierung bei einem bestimmten
CDU/CSU)
Thema sehr bewusst zurückgehalten habe, weil ich der
sowohl der Bundesrat als auch der Bundestag und die Meinung bin, dieses Thema ist in erster Linie Angelegen-
Bundesregierung. heit des Parlaments, der ihm möglichen Institutionen und
der Aufklärung, die auf diese Weise zustande kommen
Aber es gehört mehr dazu. Es gehört etwas dazu, was
kann.
Professor Heitmeyer einmal die „Kultur der Anerken-
nung“ genannt hat. Wir müssen nicht nur auf das achten, Ich will Ihnen aber in aller Offenheit sagen: Für mich
was der Staat tut. Die Polizei kann die gesellschaftlichen ist Kern der inneren Sicherheit in einer Demokratie die
Probleme nicht lösen. Das kann sie nicht. Sie wird meis- Rechtsstaatlichkeit.
tens dann tätig, wenn bestimmte Dinge schon in die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
falsche Richtung gelaufen sind.
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
(B) Also müssen wir dafür sorgen, dass in der Gesellschaft F.D.P.) (D)
eine Atmosphäre entsteht, die nicht etwa erlaubt, dass ir-
Wir müssen uns bewusst werden, dass wir die innere Si-
gendwo in unserem Land so genannte befreite Zonen ent-
cherheit nur aufrechterhalten können, wenn die innere Le-
stehen, in denen der Staat mit dem Gewaltmonopol des
gitimität unseres Staatswesens außer Frage steht, wenn
Staates zurückweicht. Das können wir nicht dulden.
Recht und Gesetz gilt.
(Beifall im ganzen Hause)
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Siehe
Der Frieden im Innern ist ein hohes Gut. Die innere Si- Ronald Pofalla!)
cherheit ist ein hohes Gut. Wenn Sie die Zahlen für den
Das muss man gerade in diesen Tagen besonders betonen.
kommenden Etat lesen, werden Sie erkennen: Die Bun-
Ich freue mich, dass die sächsische Staatsregierung diesen
desregierung wird ihrer Verantwortung gerecht. Sie stärkt
Hinweis gerade jetzt auch gegeben hat. Sehr vernünftig!
die Sicherheitsinstitutionen Bundesgrenzschutz, Bundes-
amt für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bun- (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sagen Sie
desamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Zu ei- etwas zu Ronald Pofalla!)
ner modernen Sicherheitspolitik gehört auch, dass wir die
– Das gilt für jede Richtung, Herr Bosbach. Wenn es da
Fragen, die die neue Informationstechnik angehen, sehr
Kritik zu üben gilt, werden Sie mich an Ihrer Seite finden.
ernst nehmen.
Aber ich will Ihnen noch etwas sagen. Wir dürfen auch
Vor wenigen Tagen bin ich mit dem Leiter des FBI zu-
da nicht das Normengefüge außer Acht lassen. Hier ist
sammengekommen. Wir haben auch mit den Vereinigten
manches in einen Nebel geraten. Ich will Ihnen etwas
Staaten eine enge Zusammenarbeit verabredet, damit be-
vorlesen, damit Sie wissen, was ich meine, nämlich einen
stimmte Inhalte von Websites, antisemitische, rassisti-
Auszug aus einer Entscheidung des Bundesverfassungs-
sche, nazistische Inhalte, aus dem Internet verschwinden.
gerichts vom 24. Juli 1979:
(Beifall im ganzen Hause)
Der Gefahr, dass anonyme Großspender durch ins
Ich kann wegen der Kürze der Zeit nicht auf alles ein- Gewicht fallende finanzielle Zuwendungen auf die
gehen. Eine kurze Bemerkung sei aber der Frage gewid- längerfristige Zielsetzung der begünstigten Partei
met, wie wir mit den berechtigten Ansprüchen der Be- oder sie berührende innerparteiliche Entscheidungen
schäftigten im öffentlichen Dienst zurechtkommen, an von Einzelfragen einzuwirken versuchen, um so in-
dem wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben. Sie wissen, wir direkt mehr oder minder großen Einfluss auf die
haben – wie ich finde – einen sehr ausgewogenen Tarif- staatliche Willensbildung zu gewinnen, begegnet das
11436 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Bundesminister Otto Schily

(A) Grundgesetz durch das in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG ordnung so, wie wir sie gemeinsam festgelegt haben, Be- (C)
an die Parteien gerichtete Gebot, über die Herkunft stand hat – sie hat immerhin Erfolgsgeschichte geschrie-
ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu geben. ... Die- ben –, dann muss eines gelten: Gleiches Recht für alle.
sem Verfassungsgebot
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
– hören Sie bitte gut zu! – DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/
CSU]: Lassen Sie die dritte Gewalt doch erst
kommt zentrale Bedeutung zu. Es zielt darauf ab, den
einmal entscheiden!)
Prozess der politischen Willensbildung für den
Wähler durchschaubar zu machen und ihm offen zu „Das Recht sie sollen lassen stahn“ – das ist die Grund-
legen, welche Gruppen, Verbände oder Privatperso- lage und das Fundament unserer Demokratie, meine Da-
nen durch Geldzuwendungen auf die Parteien poli- men und Herren.
tisch einzuwirken suchen.
Vielen Dank.
Es ist also nicht etwa eine Ordnungswidrigkeit oder ein
(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem
Gesetzesverstoß, sondern ein Verfassungsverstoß, wenn
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der
darüber hinweggegangen wird.
F.D.P. und der PDS)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als
Meine Damen und Herren, wie soll eine Rechtsord- nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann von
nung bestehen, wenn sich jemand anmaßt, sich über die- der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
ses Verfassungsgebot hinwegzusetzen?
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Präsident!
GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nun in
13 Jahren Parlamentszugehörigkeit schon manche Etat-
Wie sollen wir von dem kleinen Mann auf der Straße ver-
rede eines Innenministers gehört, –
langen können, dass er sich an Gesetz und Recht hält,
wenn sich andere darüber erheben? (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aber keine so gute! – Cem Özdemir
Ich habe keinen Namen erwähnt und werde dies auch
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die
nicht tun.
beste!)
(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist auch gar
(B) – aber selten eine – (D)
nicht notwendig, Herr Minister!)
(Lothar Mark [SPD]: Die so gut war!)
Im Übrigen wird die Sache nicht besser, wenn es sich um
eine Persönlichkeit handelt, die große historische Ver- – ich sage einmal –, die so an den Kernthemen der Innen-
dienste erworben hat, die ihm niemand abspricht. Im Ge- politik vorbeimarschiert ist, wie die, die Sie gerade ge-
genteil, dadurch wird es schlimmer; denn diese Persön- halten haben.
lichkeit ist ja zu Recht Vorbild für viele junge Menschen.
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Peinlich! – Lothar Mark [SPD]: Soll er
GRÜNEN und der PDS) sie wiederholen?)
Gerade eine solche Persönlichkeit trägt besondere Verant- – Schreien Sie doch nicht gleich, bevor Sie mehr als zwei
wortung. Sätze gehört haben.
Ich sage ein Zweites: Es darf in unserem Lande nicht Mir fällt bei dieser Rede, Herr Minister Schily, doch ei-
sein, dass, wenn ein Strafverfahren bzw. ein Ermittlungs- nes auf, insbesondere beim letzten Abschnitt, in dem Sie
verfahren zur Debatte steht, bei dem es um einen Millio- sich mit einer hoch brisanten Frage beschäftigen, –
nenschaden geht, gesagt wird: Millionenschaden hin oder
(Lothar Mark [SPD]: Die Sie aber
her, wir stellen das Verfahren möglicherweise wegen Ge-
verniedlichen!)
ringfügigkeit ein. – Ich habe genug forensische Erfah-
rung, um zu wissen, dass man kleine Handwerker, die in – nämlich der Tatsache, über das Parlament Einfluss auf
ihrer Notlage die AOK-Beiträge nicht entrichtet haben, gewichtige Einrichtungen wie zum Beispiel Staatsan-
erbarmungslos wegen Untreue verurteilt. waltschaften zu nehmen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Lachen bei der SPD – Beifall bei Abgeordne-
GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. ten der CDU/CSU)
Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.])
Ich halte das für eine höchst schwierige Geschichte, die
Es kann nicht sein, dass es Privilegien gibt, wenn es um dort abgelaufen ist. Es kann nicht sein, dass wir in einer
so hohe Summen geht. Das ist für mich keine Geringfü- Republik der geteilten Gewalten gegenseitig dahin ge-
gigkeit, es ist eine Aus- und Verdehnung der Vorschrift hend Druck machen, –
in § 153 der Strafprozessordnung.
(Lothar Mark [SPD]: Sagen Sie das der CSU
Wenn wir wirklich wollen, dass unsere Verfassungs- wegen Augsburg!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11437
Wolfgang Zeitlmann

(A) – was richtig und falsch ist. Ich würde umgekehrt Äuße- – zur Vorsitzenden einer Kommission für Frauen- und Fa- (C)
rungen von Gerichten, die Druck auf die Exekutive oder milienfragen ernannt hätten, hätte ich keine Einwände.
Legislative ausüben wollen, genauso wenig für richtig Aber hinter die Tatsache, sie in einem Beritt zur Vorsit-
halten. zenden zu machen, in dem sie zeit Ihrer Parlamentszu-
gehörigkeit keine Fachkenntnis erworben hat, mache ich
Ich habe zur Rechtsprechung und zu den Gerichten dann doch ein Fragezeichen.
volles Vertrauen, dass die dritte Gewalt mit Schwierigkei-
ten in unserem Lande fertig wird. (Zurufe von der SPD und der PDS)
(Zuruf von der SPD: So nennt man das jetzt!) Aber noch eines zur Kommission. Es hätte auch Alter-
nativen gegeben.
– Entschuldigung, es wird doch noch zulässig sein, dass
man an die Prinzipien dieses Rechtsstaates, nämlich an (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das darf wohl
die Gewaltenteilung, erinnert und darauf hinweist, dass nicht wahr sein!)
man zumindest nicht als Bundesverfassungsminister Herr Minister Schily, wenn Sie im Bereich des Zuwande-
Druck ausüben sollte. rungsrechts und des Asylrechts offene Fragen gehabt hät-
Wir sind hier zur Halbzeit einer Regierungskoalition, ten, hätten Sie doch Sachverständige einsetzen, ihnen
um die Thematik Innenpolitik zu diskutieren. Der Bun- klare Prüfaufträge erteilen können – von mir aus fünf
desinnenminister hat vieles im Bereich des Sports und im Wissenschaftlern und fünf Praktikern, –
Bereich der allgemeinen Thematik behandelt, aber er ist (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
meines Erachtens auf die Kernproblematik seiner bisheri- NEN]: Und Herrn Zeitlmann!)
gen Tätigkeit in den letzten zwei Jahren wenig eingegan-
gen. – Sie haben in Ihrem Haus welche –, sie in Klausur
schicken und sagen können: Binnen vier Wochen möchte
(Hedi Wegener [SPD]: Da haben Sie nicht ich zu folgenden Kernfragen Ergebnisse haben.
zugehört!)
(Wolfgang Gehrke [PDS]: Jawohl,
Es gibt, wenn man die zwei Jahre Revue passieren Herr General!)
lässt, nicht sehr viele Aktivposten. Sie haben als großes
Highlight in Ihrer Koalitionsvereinbarung eine Reform Nichts dergleichen. Man hat viele Gutmenschen aus die-
des Staatsangehörigkeitsrechtes angekündigt, haben ser Republik – Bischöfe und andere mehr – zusammen-
entsprechend heftige Vorschläge gemacht und sind dann gerufen, –
natürlich kläglich gescheitert. Sie mussten hier einen (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]:
Kompromiss akzeptieren. Ich habe den Eindruck, dass Der Gutmensch Henke!)
(B) aus diesen Erfahrungen in vielen anderen Themenberei- (D)
chen bei Ihnen der Schwung weg ist und man sich weit- – und erwartet nun zu einer Kernthematik Ergebnisse.
gehend bemüht, Brandherde und Kritik zu vermeiden, Interessant, dass in Ihrem Haushalt zwölf neue Stellen
und man daher möglichst wenig tut, um möglichst wenig ausgewiesen sind, die nur der Kommission dienen sollen.
anzuecken. Warten wir es ab. Ich habe große Zweifel daran, dass man
(Sebastian Edathy [SPD]: Fragen Sie Frau unter Zuhilfenahme von solchen Kommissionen schneller
Süssmuth! Die macht eine Menge!) und besser zu Ergebnissen kommt. Ich hätte mir die Al-
ternative vorstellen können.
Im Bereich des Themas Zuwanderung ist außer der
Berufung einer Kommission im Kern nichts passiert. Wir (Barbara Wittig [SPD]: Sie haben ja nichts
haben über viele Monate gehört, in dieser Wahlperiode gemacht!)
werde dieses Thema nicht angegangen. Viele Monate gab Herr Minister Schily, Sie haben sich dann zu einem
es nur Beschwichtigung: Wir machen in dieser Legisla- Thema geäußert, das uns natürlich alle interessieren muss
turperiode nichts. Dann irgendwann kam Druck von oben. und interessiert, nämlich die Problematik Radikalismus.
Der Bundeskanzler hat erklärt, natürlich könne und müsse Es ist überhaupt keine Frage, dass Sie in diesem Parla-
man darüber reden. Nun wird mit einer Kommission ver- ment die volle Unterstützung haben, wenn Sie Radikalis-
sucht – ich sage es einmal so –, eine Atempause einzule- mus bekämpfen.
gen.
(Zuruf von der PDS: Wo waren Sie diesen
(Sebastian Edathy [SPD]: Haben Sie etwas Sommer?)
gegen Frau Süssmuth?)
Nur eins möchte ich auch sagen: Alle Aktionen der
– Dazu können Sie von mir gerne eine Äußerung bekom- letzten Monate erwecken den Eindruck, als gäbe es in die-
men. Als freier Abgeordneter habe ich kein Problem, auch ser Republik nur noch Rechtsextremismus.
Kolleginnen infrage zu stellen.
(Sebastian Edathy [SPD]: Wollen Sie das
(Zurufe von der SPD: Oh!) verharmlosen?)
Herr Schily – der Kollege hat das angesprochen –, wenn – Ich will gar nichts verharmlosen. Ich habe gerade er-
Sie die Dame – klärt: Wir unterstützen jeden Kampf gegen Extremismus.
(Lothar Mark [SPD]: „Dame“! Das ist eine (Lothar Mark [SPD]: Wo ist denn
Kollegin!) Linksextremismus?)
11438 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Wolfgang Zeitlmann

(A) Aber ich habe genauso klar erklärt – als zum Beispiel ankündigungen nicht immer zuerst in öffentlichen Me- (C)
diese Aktion zwischen Däubler-Gmelin und Schily lief, dien liest und die Dinge dann im Innenausschuss abwie-
die sich nur gegen Rechts gewandt hat –: Wir hätten uns gelt.
sofort mit jedem Aktionsbündnis einverstanden erklärt,
wenn es sich gegen jegliche Radikalität in diesem Land (Hedi Wegener [SPD]: Im Sommer hat der
gerichtet hätte, gegen Rechts und Links – Innenausschuss nicht getagt!)

(Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, es gäbe Anlass, das gesamte Thema Be-
kämpfung des Radikalismus bis hin zur Änderung des
– ich füge hinzu: auch gegen Ausländerextremismus. Versammlungsrechtes schleunigst einmal zu debattieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich gebe zu bedenken, dass Sie Vorschläge von unserer
Seite bisher eigentlich immer nur abgelehnt haben, ohne
Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt keinen eigene Vorschläge zu bringen – das geht in diesen zwei
Grund, hier irgendetwas zu wiederholen, was ich gerade Jahren eigentlich laufend so. Ich erinnere mich an Be-
gesagt habe, aber es wird möglich sein, dass man ein paar reiche des Asylrechts und des Ausländerrechts. Auch hin-
Zahlen erwähnt: sichtlich des Zuwanderungsrechts AZR haben wir bisher
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Das ist von Ihnen keine eigenen Vorstellungen gehört, sondern
Verharmlosung!) nur negative Äußerungen zu unseren Vorschlägen.
Es gibt in unsrem Lande nach dem Verfassungsschutzbe- Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz sagen
richt des Jahres 1999 34 200 Linksextreme, 51 400 Rechts- – Sie sind ja immerhin Beamtenminister –: Ich finde es
extreme und 60 000 Ausländerextremisten. Ich zitiere nur bemerkenswert, dass Sie in Ihrer Rede keinen Satz darüb-
den Verfassungsschutzbericht. er verloren haben, dass Sie den deutschen Beamten in
diesem Jahr eine Nullrunde und damit ein Sonderopfer
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zugemutet haben.
NEN]: Sie haben sich selbst vergessen!)
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/
Und: Es gibt laut Verfassungsschutzbericht 1999 CSU]: Insbesondere den kleinen Beamten!)
711 linksextreme und 746 rechtsextreme Gewalttaten –
Dazu hätten Sie schon ein paar Sätze sagen müssen. Dies
(Sebastian Edathy [SPD]: Sie relativieren ge-
spielt dann auch bei der Frage eine Rolle, wie Sie das
rade! – Barbara Wittig [SPD]: Was soll denn
nächste Tarifergebnis übertragen werden. Es sollte in un-
das?)
serem Lande gerecht zugehen.
– zu der Statistik sei gesagt: In dem Jahr 1999 gab es, was
(B) linksextreme Gewalttaten anbelangt, keinen Castortrans- Meine Damen und Herren, ein bisschen mehr Demo- (D)
port; warten Sie einmal ab, wie die Statistik aussieht, kratie und ein bisschen mehr Hören auf das, was von der
wenn wieder Castortransporte stattfinden – Opposition kommt, könnten Ihnen nicht schaden.

(Lothar Mark [SPD]: Das kann man doch Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
nicht miteinander vergleichen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
– und es gab 391 ausländerextreme Gewalttaten. Jetzt Hans-Peter Kemper [SPD]: Dann müssen Sie
sage ich Ihnen: Wenn Sie heute Programme vorstellen, die etwas Gescheites erzählen, dann machen wir
gegen beide Richtungen und zudem gegen die der aus- das!)
länderextremen Richtung vorgehen, haben Sie unsere Un-
terstützung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort
(Sebastian Edathy [SPD]: Unglaublich! – hat jetzt der Kollege Cem Özdemir vom Bündnis 90/Die
Lothar Mark [SPD]: Hier werden Mord und Grünen.
Kaufhausdiebstahl miteinander verglichen!)
Ich sage noch einmal: Es wird doch in diesem Lande mög- Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
lich sein, dass man die Dinge zumindest zurechtrückt. Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Ge-
legenheit der Haushaltsberatung nutzen, dem Innenmi-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – nister und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines
Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauses für die hervorragende Zusammenarbeit zu dan-
Eine Zumutung ist das, was Sie hier von sich ken. Ich nutze die Gelegenheit zugleich, dafür zu danken,
geben!) dass in den Zeiten knapper Kassen auch das Innenmini-
Es kann doch nicht sein, dass man auf einem Auge blind sterium seinen Beitrag dazu geleistet hat, mit den finan-
ist und nur den einen Teil der Medaille sieht. ziellen Ressourcen dieser Republik verantwortungsvoll
umzugehen. Dass es nicht immer einfach ist, wissen wir.
Ein Punkt ist mir in den letzten Wochen noch aufgefal- Dass man beim Sparen auch intelligent sparen kann, ohne
len: Sie, Herr Minister, denken daran – ich glaube, in ei- dass man „totspart“, belegt dieser Haushalt auf eine sehr
nem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ –, die eindrückliche Art und Weise.
Aufgaben des BGS auszuweiten. Man kann ja mit uns
über alles reden. Wenn es Sinn macht, warum auch nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich hätte nur ganz gerne, dass man solche Gesetzes- und bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11439
Cem Özdemir

(A) Ein Beispiel dafür, wie man im Haushalt trotz knapper sung kommen. Der Innenminister hat ein bisschen seine (C)
Kassen Akzente und Schwerpunkte setzen kann, ist der Skepsis durchklingen lassen, was eine Fokussierung auf
Haushalt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unter- das NPD-Verbot bewirken würde. Es ist sicherlich rich-
lagen. Ich bin froh darüber, dass auch zehn Jahre nach der tig, ein NPD-Verbot in Erwägung zu ziehen. Gleichzeitig
deutsch-deutschen Vereinigung ein klares Signal gesetzt ist es aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es ein
wurde und die Mittel, die der Bund dafür aufwendet, in solches Verbot nicht isoliert geben kann. Ich warne all die-
ähnlicher Höhe erhalten werden konnten. Für uns ist die jenigen, die sich davon erhoffen, dass es eine einfache Lö-
Arbeit des oder der Bundesbeauftragten für die Stasi-Un- sung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus gäbe.
terlagen nicht beendet. Nach wie vor besteht eine große Die Sympathisanten und Wähler der NPD und diejenigen,
Notwendigkeit für diese Arbeit; – die NPD-Sprüche auf den Lippen haben, werden wir da-
durch nicht wegbekommen. Wir werden einen längeren
(Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) Atem brauchen, um den Rechtsextremismus zu bekämp-
– das belegt die riesige Zahl von Anfragen, die täglich den fen.
Bundesbeauftragten erreichen. Wir brauchen einen Dreiklang aus Prävention, Repres-
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch eines klar ma- sion und Stärkung der Zivilgesellschaft.
chen: Wir alle wären falsch beraten, wenn wir glaubten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dieses Kapitel betreffe nur die neuen Länder. Wir haben und bei der SPD sowie des Abg. Eckart von
gerade aus der Arbeit des Bundesbeauftragten sehr ein- Klaeden [CDU/CSU])
drücklich erfahren, dass auch die Geschichte der alten
Bundesrepublik Deutschland mehr oder weniger von der Ich danke all jenen, die sich tagein, tagaus für die Stär-
Stasi mit geschrieben wurde. kung der Zivilgesellschaft einsetzen. Manchmal droht
der Zungenschlag aufzukommen, dass sich in den neuen
(Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) Ländern quasi nur noch Rechtsradikale bewegten. Dem
Ich sage das auch als jemand, der aus der Friedensbe- ist eindeutig nicht so. Es gibt viele Menschen in den neuen
wegung kommt. Wenn ich mir rückblickend anschaue, Ländern, die sich in vorbildlicher Weise für Zusammen-
wer früher wo war, dann wird mir manchmal ganz angst leben, Toleranz und gegenseitigen Respekt einsetzen. All
denen gebührt der Dank unseres Hauses.
und bange. Insofern kann ich, wie ich glaube, im Namen
des ganzen Hauses sagen, dass wir dieser Behörde wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
terhin viel Erfolg wünschen. Ich denke auch, dass sich alle und bei der SPD)
weiterhin dafür verwenden werden, dass dort jede Mark
Stellvertretend für alle nenne ich die Aktion Courage, die
gut angelegtes Geld ist.
Amadeo-Antonio-Stiftung, die regionalen Stellen für
(B) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausländerfragen und die Aktion Zuflucht, in denen sich (D)
und der SPD sowie des Abg. Eckart von viele Menschen in ihrer Freizeit in vorbildlicher Weise für
Klaeden [CDU/CSU] und des Abg. Ulrich die Zivilgesellschaft, die Bürgergesellschaft einsetzen.
Heinrich [F.D.P.]) Ich glaube, das Thema wäre nicht vollständig behan-
Lassen Sie mich zu einem weiteren sehr ernsten Thema delt, wenn ich nicht auch noch ein paar Worte darüber ver-
kommen, das der Innenminister angesprochen hat, näm- lieren würde, dass es nicht angehen kann, dass Opfer
lich zum Thema Rechtsradikalismus. Wir sollten alle rechtsradikaler Gewalt und deren Angehörige von Ab-
miteinander dafür sorgen, dass es sich hier nicht um ein schiebung betroffen sind, wie dies in Brandenburg ganz
Sommerlochthema handelt. Vielmehr sollten wir uns da- offensichtlich der Fall zu sein scheint.
rum bemühen, dass dieses Thema ganz oben auf der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Agenda bleibt, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN PDS)
und bei der SPD) Dies darf nicht der Fall sein. Wir müssen alle miteinander
und zwar auch dann, wenn die rechtsradikalen Anschläge, dafür sorgen, dass das, was Bundestagspräsident Thierse
die wahrscheinlich leider weitergehen werden, ganz hin- zu Recht angesprochen hat, nicht eintritt. Das wäre eine
ten in den Zeitungen veröffentlicht werden und wenn sich Blamage für das gesamte Land, eine Schande für unsere
Anschläge nicht nur gegen Nichtdeutsche richten, son- Republik, wenn Opfer rechtsradikaler Gewalt abgescho-
dern zunehmend auch gegen Schwule und Lesben, gegen ben werden. Dann hätten die Rechtsradikalen tatsächlich
Obdachlose, gegen Langhaarige, gegen Punks, gegen so ihr Ziel erreicht.
genannte Zecken, wie die Rechtsradikalen sagen. Auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
dann ist das Parlament in der Verantwortung und in der bei der SPD und der PDS)
Pflicht, sich mit diesem Thema in angemessener Form zu
beschäftigen. Ich bin froh, dass der Innenminister die Entschlossen-
heit dieser Bundesregierung klar gemacht hat, indem er
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Organisation „Blood & Honour“ schnell verboten hat.
und bei der SPD) Das ist eine richtige Maßnahme, die die Rechtsradikalen,
so glaube ich, verstehen.
Ich warne auch davor, zu Schnellschüssen zu tendie-
ren. Ich weiß, der Druck aus der Öffentlichkeit ist da. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Gleichwohl können wir jetzt nicht mit einer schnellen Lö- SES 90/DIE GRÜNEN)
11440 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Cem Özdemir

(A) Ich warne auch davor, dass wir auf den Rechtsextre- Dinge. Auch solche Dinge würden dann unter Strafe ge- (C)
mismus mit einem Abbau von Bürgerrechten reagieren. stellt, damit die Polizei flexibler damit umgehen kann.
Das wäre genau das falsche Signal. Eine Bekämpfung des
Was ich aber nicht möchte, Herr Marschewski: Ich
Rechtsextremismus muss mit rechtsstaatlichen Mitteln er- möchte nicht, dass Demonstranten, die für das Holocaust-
folgen. Wir brauchen auch keine neue Bannmeile: die Mahnmal demonstrieren wollen, nicht mehr demonstrie-
Regelung, die wir haben – der geschützte Bereich um das ren können, weil wir einen geschützten Bereich geschaf-
Parlament –, reicht völlig aus und hat sich bewährt. fen haben.
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: (Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Brandenburger Tor!) Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das hat keiner
Wenn Sie den Blick nach draußen werfen – manche haben vor!)
es auch gehört –: Die Junge Union aus Ihrem Bundesland, Ich möchte, dass demokratische Organisationen auch am
Herr Zeitlmann, demonstriert heute, ich weiß nicht wofür Brandenburger Tor demonstrieren können. Das müssen
oder wogegen, vielleicht demonstriert sie für diese Bun- wir gewährleisten. Wenn Sie dafür eine Lösung haben,
desregierung. Jedenfalls sind wir dafür, dass solche De- wie wir das hinkriegen, können wir uns gerne darüber un-
monstrationen auch in einer Sitzungswoche stattfinden terhalten.
können, wenn sie von Organisationen sind, die Teil unse-
rer Demokratie sind, wozu ich die Junge Union ausdrück- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
lich rechne. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte zum Abschluss dieses Themas noch auf ei-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- nes hinweisen: Statt einer immer währenden Diskussion
lege Özdemir, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol- über neue Gesetzesverschärfungen, beispielsweise über
legen Marschewski? die verstärkte Anwendung des Erwachsenenstrafrechtes
anstelle des Jugendstrafrechtes – übrigens: das Jugend-
strafrecht bietet ausreichend Gelegenheit, um angemes-
Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sen zu reagieren, deshalb braucht es hier keine Änderun-
Gerne. gen –, brauchen wir Richter, die schnell und entschlossen
agieren.
Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Bei dieser Gelegenheit möchte ich ausdrücklich sagen:
Herr Kollege Özdemir, halten Sie es weiterhin für richtig, Das Vorgehen in Dessau, bei dem die Täter zwei Monate
dass Rechtsradikale unter dem Brandenburger Tor de- nach der Tat verurteilt worden sind, ist genau der Weg,
(B) monstrieren oder teilen Sie nicht vielmehr unsere Auffas- den wir brauchen. Was wir nicht brauchen, ist das, was (D)
sung, dass das eine Schande für unser Volk ist? gegenwärtig in Guben passiert. Dort schleppt sich das
Verfahren seit über einem Jahr dahin. Auf diese Weise be-
kommen die Rechtsradikalen das Signal, nachträglich vor
Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
Gericht noch eine Tribüne zu haben und so noch andere
glaube, jeder verurteilt diese Demonstrationen. Das Bild,
auf ihre Schandtaten aufmerksam machen zu können. Das
das im Ausland auf Deutschland fällt, ist skandalös. Was
ist der falsche Weg.
mich aber mehr ärgert, ist das Bild, das wir in dieser Re-
publik von uns selber haben. Wir müssen uns überlegen, (Beifall der Abg. Ingrid Holzhüter [SPD])
wie wir dazu beitragen können, dass solche Demonstra- Also: Der Rechtsstaat bietet genug Möglichkeiten, wir
tionen nicht mehr stattfinden. brauchen keine Verschärfungen beim Demonstrations-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) recht und beim Versammlungsrecht. Was wir brauchen
ist eine konsequente Anwendung der bestehenden Ge-
Jede dieser Demonstrationen hat bisher Gegendemons- setze. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.
trationen ausgelöst. Das heißt: Es haben sich viel mehr
Menschen gefunden, die gegen die NPD demonstriert ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ben, als die NPD selbst aufgeboten hat. Auch das ist ein und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Zeichen dafür, dass die Heilinstrumente unserer Gesell- PDS)
schaft funktionieren, dass die Wahrnehmung in unserer Lassen Sie mich noch ein paar wenige Worte zum Ver-
Gesellschaft vorhanden ist. Ich will aber nicht verhehlen, fassungsschutz sagen. Sie wissen, dass ich aus einer
dass es auch bei uns Überlegungen gibt – ich weiß, dass Fraktion komme, die traditionell eine sehr skeptische bis
es diese auch im Innenministerium und anderen Fraktio- kritische Haltung zum Verfassungsschutz hat.
nen gibt –,
(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sehr
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: vorsichtig formuliert!)
Bundeskanzler!)
– „Sehr vorsichtig formuliert“, Herr Kollege Westerwelle.
– durch das Strafgesetzbuch, zum Beispiel durch den § 86, Das hat sich auch nicht geändert. Ich möchte trotzdem die
unter den die Verwendung nationalsozialistischer Sym- Gelegenheit nutzen, Herrn Fromm, der zum Präsidenten
bole fällt, auch die Verwendung naziähnlicher Symbole des Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt wurde,
unter Strafe zu stellen. Sie kennen in diesem Zusammen- zu gratulieren. Ich bin froh darüber, dass er gleich zu Be-
hang das Beispiel „88“ für „Heil Hitler“ und andere ginn seiner Amtszeit eine Akzentverschiebung hinsicht-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11441
Cem Özdemir

(A) lich der Bekämpfung des Rechtsextremismus angekün- Wir fürchten uns auch nicht vor Mehrheitsentscheidun- (C)
digt hat. Das ist der richtige Weg. Umso weniger verstehe gen. Leider hat Ihre Fraktion an der Reise des Innenaus-
ich es daher, dass beispielsweise die Jungdemokraten schusses in die Schweiz nicht teilgenommen. Sie hätten
– das müsste Ihnen von der F.D.P. eigentlich ein Anliegen dort sehr viele eindrückliche Erfahrungen machen kön-
sein; da war doch einmal was – nen. Überall dort, wo es direkte Demokratie gibt – ob nun
(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die sind in der Schweiz oder im wunderschönen Bayern; Sie müss-
PDS! Die haben wir rausgeworfen!) ten es eigentlich wissen, Herr Zeitlmann –, hat sich die di-
rekte Demokratie bewährt. Ich verstehe nicht, warum das,
– nach wie vor beobachtet werden. Das ist nicht notwen- was in Bayern gut funktioniert und von den Grünen bis
dig. Wir brauchen den Verfassungsschutz nicht, um die hin zur CSU angenommen wird, im Bund schlecht funk-
Jungdemokraten zu beobachten. tionieren soll. Das müssen Sie, bitte schön, der Bevölke-
(Beifall bei Abgeordneten der PDS) rung erklären.
Wir brauchen den Verfassungsschutz auch nicht, um die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
DKP zu beobachten. Das ist nur Beschäftigungstherapie. sowie bei Abgeordneten der PDS)
Es wäre besser, wenn wir die dort eingesetzten Ressour-
Die Mehrheit Ihrer Wählerinnen und Wähler möchte die
cen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus verwen-
den würden. direkte Demokratie. Hören Sie auf Ihre Wählerinnen und
Wähler! Vielleicht nützt es Ihnen etwas.
Wir können künftig keine innenpolitischen Debatten
mehr führen, ohne nicht auch ein paar Sätze über das (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Internet zu verlieren. Alles, was es in der Gesellschaft SES 90/DIE GRÜNEN)
gibt, gibt es auch im Internet. Das Internet ist ein Spie- Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt ein-
gelbild der Gesellschaft. Es ist also nicht schlimmer als gehen, der im Zusammenhang mit dem Thema der direk-
die Gesellschaft. Darum ist es falsch, wenn wir jetzt so ten Demokratie steht. Wir brauchen auch ein Gesetz zum
tun, als ob im Internet schlimmere Dinge passieren als in Schutz der Informationsfreiheit. Deshalb bin ich froh,
der Gesellschaft. Ein großes Lob an die Hosts, die sich dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr – meine
jetzt – vielleicht zu spät – bereit erklärt haben, all diejeni- Fraktion setzt sich ja seit langem dafür ein – ein Gesetz
gen, die rechtsradikale Domains haben, herauszuwerfen. zum Schutz der Informationsfreiheit angekündigt hat. Die
Ich warne aber davor, wie in China einen Zentralrech- Amerikaner haben ein solches Gesetz seit Ende der 60er-
ner dazwischenzuschalten und damit den Datenfluss im Jahre. Ein solches Gesetz wäre ein wichtiges Signal für
Internet zu verlangsamen. Ich möchte keinen zentralen die Abkehr vom Obrigkeitsstaat.
(B) Rechner in der Bundesrepublik Deutschland haben, mit Danke sehr. (D)
dem eingehende E-Mails kontrolliert werden. Das würde
sich nicht mit dem vertragen, wofür das Internet steht. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
müssen aufpassen, dass wir bei der Bekämpfung von ex- und bei der SPD)
tremistischen Tendenzen nicht mit Mitteln agieren, die
sich nicht mit der Demokratie vertragen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Kollege Guido Westerwelle von der F.D.P.-
sowie bei Abgeordneten der SPD) Fraktion.
Lassen Sie mich zum Ende meiner Redezeit auf ein
Thema kommen, das uns hoffentlich auch noch im zwei- Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Herr Präsident!
ten Teil der Legislaturperiode beschäftigen wird. Die Dis- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Innenmi-
kussion über den Volksentscheid ist erneut angestoßen nister, Sie haben hier eine ausgeglichene Bilanz vorge-
worden. Eine jüngste Umfrage hat ergeben, dass 75 Pro- legt.
zent –
(Beifall des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD])
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Gegen die
Ökosteuer sind!) Das ist für einen Oppositionspolitiker eine wichtige
– unserer Bevölkerung sich ausdrücklich für die direkte Bemerkung in einer Haushaltsberatung. Ich möchte aus-
Demokratie aussprechen. Herr Bosbach, wenn Ihnen die- drücklich festhalten, dass das, was im Zusammenhang mit
ses Thema so wichtig ist, warum fürchten Sie sich dann vielen anderen Etats zu Recht an der Regierung kritisiert
vor der Bevölkerung? Wenn Ihnen dieses Thema wichtig wird, nämlich dass über die Köpfe des Parlaments und der
ist, dann lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir Abgeordneten hinweg entschieden wird, im Bereich der
Elemente einer direkten Demokratie einführen können. Innenpolitik nicht der Fall ist. Die Zusammenarbeit ist
Das Angebot ist ehrlich gemeint. Wir sind auch bereit, die konstruktiv und sachlich. Ihre Politik, Herr Minister, ist
Diskussion über Hürden, Quoren und die Ausgestaltung überwiegend pragmatisch, meistens rational und manch-
eines mehrstufigen Verfahrens der direkten Demokratie mal sogar liberal.
zu führen. Sie haben Ihre Themen; wir haben unsere The- (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/
men. Wir fürchten uns nicht vor der Bevölkerung. CSU]: Die Jungs wären ein guter Koalitions-
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Nicht vor partner! Nehmen Sie an, Herr Schily! Nehmen
der Bevölkerung! Nur vor deren Meinung!) Sie sie in den Arm und küssen Sie sie!)
11442 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Dr. Guido Westerwelle

(A) Deswegen möchte ich ausdrücklich anerkennen, dass Sie zurückgeht. Ich kann an Sie nur appellieren, diesen Ent- (C)
die Zusammenarbeit gut pflegen. Darüber freuen wir uns wurf zur Grundlage zu machen, weil ich ihn in diesem
sehr. Hause und in der Gesellschaft für konsensfähig halte.
(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Man sollte die Kommission, die Sie, Herr Minister, zu
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Recht eingesetzt haben, nicht nutzen, um das Thema auf
die lange Bank zu schieben.
Cem Özdemir, Sie müssen nicht gleich feuchte Finger
bekommen. Bleiben Sie ruhig. (Beifall bei der F.D.P.)
Wenn etwas konstruktiv läuft, dann muss man es auch Wir werden darauf achten, dass das nicht das Vehikel für
ausdrücklich anerkennen. Wir haben mit der Regelung der die Vertagung in die nächste Legislaturperiode wird.
Staatsangehörigkeit eine der wichtigsten gesellschafts- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
politischen Herausforderungen gemeinsam bewältigt.
Wir wollen in dieser Legislaturperiode eine bessere Kon-
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- trolle und Steuerung der Zuwanderung, die sich auch an
NEN]: Verschlimmbessert!) den wohlverstandenen nationalen Interessen unseres Lan-
Dies ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Das wird auch des ausrichtet.
von der Fraktion der Freien Demokraten ausdrücklich an- (Beifall bei der F.D.P.)
erkannt.
Meine Damen und Herren, das Thema Extremismus
Wir hoffen und setzen darauf, dass die Zusammenar- ist angesprochen worden. Das ist eines der wichtigsten
beit bei der wichtigen Frage der Migration, bei der wich- Themen, das im Rahmen einer solchen Debatte zu be-
tigen Frage der Zuwanderungspolitik fortgesetzt wird. sprechen ist. Das ist auch notwendig. In einem Punkt
Auch hier werden wir an einem überparteilichen Konsens muss ich Ihnen widersprechen, Herr Minister. Ich glaube,
arbeiten. Nach Ihren Ausführungen, Herr Kollege dass Sie das falsch einschätzen. Sie haben in Ihrer Rede
Zeitlmann – bei allem Respekt gegenüber Frau Kollegin gesagt: Wenn es eine Chance für ein Verbotsverfahren
Süssmuth –, ist man versucht, ihr politisches Asyl anzu- der NPD gibt, dann werden wir diese Chance ergreifen.
bieten. Das ist der falsche Ansatz. Erst wenn Sie die Sicherheit
(Beifall bei der F.D.P. und der PDS – Zuruf von haben, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD ver-
der CDU/CSU: Tut es doch! – Wolfgang bieten wird, dürfen Sie diesen Verbotsantrag stellen, Herr
Zeitlmann [CDU/CSU]: Ihr dürft sie haben!) Minister.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
(B) – Da die Abgeordneten der CDU/CSU gerade rufen: Ihr (D)
dürft sie haben, – der SPD)

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist Denn ein Vabanquespiel vor dem Bundesverfassungsge-
nicht wahr!) richt ist leichtsinnig. Man stelle sich vor, die Verfas-
sungsorgane beantragten das Verbot der NPD und das
– betone ich ausdrücklich: Wir nehmen sie gerne, wenn Verfassungsgericht würde diesem Verbotsantrag nicht fol-
sie denn möchte. gen. Das wäre der Stempel der Verfassungsmäßigkeit
(Beifall bei der F.D.P.) der NPD, geradezu ein Zulaufprogramm für die NPD.
Korrigieren Sie diesbezüglich Ihre Haltung, Herr Innen-
Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass Ihr Bild bemer- minister. Hier liegen Sie eindeutig falsch.
kenswert ist. Wenn Frau Süssmuth eine Kommission für
Familie und Frauen geleitet hätte, wäre das in Ordnung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
gewesen. der CDU/CSU)

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Weil sie Erst wenn Sie die Sicherheit haben, dürfen Sie einen sol-
davon etwas versteht!) chen Antrag stellen.

Trennen Sie sich doch endlich von dem Frauenbild der Meine Damen und Herren, ich glaube auch, dass Ihr
drei Ks: Kinder, Küche, Kirche. Ansatz, den Sie vorgetragen haben, den Sie vorgestern
exekutiert haben, richtig ist, wonach Sie sich auf das Ver-
(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND- einsverbotsverfahren konzentrieren. Wir begrüßen Ihre
NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Entscheidung ausdrücklich, dass Sie die Organisation
Das ist heute nicht mehr so. Das passt auch nicht mehr. „Blood & Honour“ und die angegliederten Nebenorgani-
sationen verfolgen beziehungsweise verbieten. Das ist der
Meine Damen und Herren, wir müssen – das ist der richtige Weg.
Ausblick auf die nächste Zeit – in der Migrationspolitik
eine Lösung finden. Das ist ein herausragendes Anliegen. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])
Wir müssen es schaffen, und zwar noch in dieser Der Vorzug ist aber auch, dass Sie bei einem Vereins-
Legislaturperiode, dafür zu sorgen, dass wir ein Zuwan- verbotsverfahren nicht das hohe verfassungsrechtliche
derungssteuerungsgesetz bekommen. Auch hier liegt ein Risiko eingehen, das durch Art. 21 bei den Parteien vor-
Gesetzentwurf der Freien Demokraten vor, der auf den handen ist. Das ist der klügere Weg. Wir sind jedenfalls
Entwurf der rheinland-pfälzischen Landesregierung der Auffassung, dass Sie diesen Weg gehen sollten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11443
Dr. Guido Westerwelle

(A) Es ist in diesem Hause völlig unstreitig, dass politi- Das liegt auch im Interesse der Beamtinnen und Beamten, (C)
scher Extremismus, gleich von welcher Couleur, verfolgt deren Dienstherr Sie sind. Sie sollten sich vor Ihre Beam-
werden muss. Das ist einerseits eine Frage der Prävention. ten stellen und nicht die verlängerte Hand von Herrn
Das ist andererseits eine Frage der besseren Bildung, übri- Eichel sein.
gens auch einer werthaltigen Bildung. Dies ist in diesem
Zusammenhang ein ganz wichtiges Thema. Das ist aber Ich danke Ihnen.
auch eindeutig eine Frage der Repression. Ich teile Ihre (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
Einschätzung: Hier ist im wahrsten Sinne des Wortes der der CDU/CSU)
starke Staat, der starke Rechtsstaat gefordert. Wenn je-
mand Brandbomben auf Minderheiten wirft, ist das kein
Grund für irgendwelche psychotherapeutischen Erklä- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als
rungsversuche. Vielmehr muss das zu einem klaren, effi- nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke von der
zienten Strafverfahren vor Gericht führen, meine sehr ge- PDS-Fraktion das Wort.
ehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herren! Herr Schily, auch ich meine, dass Ihre Bilanz, die
Sie heute im Rahmen der Haushaltsdebatte zu ziehen ver-
Da Sie hier zu Recht die Vorbildfunktion des öffentli- sucht haben, eher matt und schwach war. Wenn Sie heute
chen Lebens angesprochen haben, möchte ich Ihnen aus- zugestehen, dass Sie die Statistiken über die Zahl der
drücklich sagen: Da haben Sie sich meiner Meinung nach,
Straftaten überprüfen lassen wollen, dann nehme ich das
als Sie sich von Ihrem Manuskript gelöst haben, deutlich
erst einmal positiv zur Kenntnis. Aber ich möchte Sie ein-
vergaloppiert. Es ist vielleicht am Privatmann Otto Schily,
fach darauf aufmerksam machen, dass meine Fraktion seit
aber nicht am deutschen Innenminister im Deutschen
Bundestag, der Bonner Staatsanwaltschaft direkt oder zehn Jahren versucht, parlamentarische Kontrolle aus-
auch durch die Blume Empfehlungen zu geben, wann sie zuüben, wenn es um Aktivitäten von Rechtsextremisten,
ein Verfahren nach § 153a StPO einzustellen hat oder wenn es um Straftaten und vor allen Dingen wenn es um
nicht. die Opfer geht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Ich meine, dass Ihr Ministerium den Rechtsextremis-
Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ mus systematisch verharmlost hat, nicht nur in der Zeit,
CSU]: Sehr wahr! – Eckart von Klaeden in der Sie regieren, sondern auch in den Jahren davor.
[CDU/CSU]: Da war keine Blume mehr!) (Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!)
Das ist hier nicht die Kanzel für solche Empfehlungen. Ich könnte das an zig Beispielen belegen. Leider wird die- (D)
(B) Das darf kein Abgeordneter und erst recht kein Minister
ser Trend unter Ihrer Regierung ungebrochen fortgesetzt.
in diesem Hause. So etwas bleibt nicht ohne Auswirkun- Das kann man zum Beispiel anhand der Zahlen der Opfer
gen. Sie sollten das korrigieren. Ich kann mir nicht vor- und auch anhand der Antworten auf viele Anfragen be-
stellen, dass Sie es so meinen. weisen, die zeigen, dass Sie einfach nicht wahrhaben wol-
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nur so hat len, dass Rechtsextremismus in vielen Institutionen und
er es gemeint!) Organisationen verbreitet ist und dass Sie bisher nichts
dagegen getan haben.
Aber es muss bei den Ermittlern so ankommen. Es ist
nicht an Ihnen, hier etwas Derartiges zu sagen. (Beifall bei der PDS)
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Ich habe heute auch ein Wort von Ihnen an die Opfer
vermisst. Ich habe vermisst, dass Sie sich bei den Opfern
Last not least möchte ich noch einen weiteren Punkt
ausdrücklich ansprechen, der von Herrn Kollegen entschuldigen –
Zeitlmann, wie ich finde, völlig zu Recht erwähnt wurde: (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was?)
In diesem Bereich der Beamtenpolitik besteht zwischen
uns ein ganz klarer Dissens. Da das hier eine konstruktive – und dass Sie hier tatsächlich haushaltsrelevante Maß-
innenpolitische Debatte sein soll – so verstehen wir un- nahmen vorstellen, die endlich einen Opferschutz darstel-
sere Oppositionsarbeit –, will ich ganz klar sagen: Es ist len und vor allen Dingen die Opfer entschädigen, die zur-
ein Fehler, die Entwicklung der Gehälter der Beamten zeit beispielsweise mit Nebenklagen und Ähnlichem viele
von den Vereinbarungen im öffentlichen Dienst abzukop- Gelder aufbringen müssen und keine Unterstützung fin-
peln. Dieses Vorhaben ist mit dem Wort Sonderopfer in den.
der Tat richtig und präzise beschrieben. Es geht in die (Beifall bei der PDS)
falsche Richtung. Sie sollten umkehren!
Herr Innenminister, ich meine, dass man die Wahl sei-
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] ner Worte wirklich prüfen muss. Um ein Beispiel zu ge-
[CDU/CSU]: Sehr wahr!) ben: Sie haben im Sommer im „Spiegel“ auf die Frage,
Wir möchten, dass in der Logik der bisherigen Politik der warum so viel gegen die RAF getan wurde, aber nichts
Innenministerien weitergehandelt wird. gegen den Rechtsextremismus, gesagt:
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Erwin Wir reagieren nicht matt ... Heute handelt es sich um
Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: eine sehr diffuse Szene – Einzeltäter, Exzess-Taten
Nicht nur Staatssekretäre!) sind darunter, häufig spielt der Alkohol eine Rolle.
11444 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Ulla Jelpke

(A) Ich meine, dass auch das eine Verharmlosung ist. Wenn Deswegen werden wir auch im Rahmen der Beratungen (C)
Sie nur einmal den Bericht Ihres eigenen Verfassungs- dieses Haushalts erneut unsere Anträge zur Ausweitung
schutzes läsen, dann vernähmen Sie von dort ganz andere der Aufklärungsarbeit einbringen.
Töne, was die Strukturen und die Organisiertheit von
Rechtsextremisten angeht. Wenn Sie sich anschauen, was Ich komme zu einem weiteren Punkt.
gestern im „Tagesspiegel“ und in der „Frankfurter Rund-
schau“ an Todesfällen dokumentiert wurde, dann werden Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kol-
Sie sehr genau feststellen können, dass Rechtsextremisten legin, Sie sollten allmählich zum Schluss kommen.
aus Organisationen der Skinheads immer und teilweise
sogar aus der NPD dabei waren. Dagegen, meine ich, gilt
es anzugehen. Nicht mit Verboten von Kleinstgruppen, Ulla Jelpke (PDS): Ja, ich werde mich jetzt kurz fas-
wie es gestern geschehen ist, ist es getan, auch wenn das sen.
ein richtiger Schritt in die richtige Richtung war. Wir Wer Rechtsextremismus wirklich bekämpfen will,
brauchen eine breite gesellschaftliche Gegenwehr gegen- muss die Ursachen bekämpfen. Dazu gehört auch, dass
über dem Rechtsextremismus. Wir brauchen eine Äch- sämtliche Gesetze, die Ausländer diskriminieren bzw.
tung von Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt in der
schlechter als Deutsche stellen, endlich geändert werden.
gesamten Gesellschaft.
In den vergangenen Jahren war auch dies ein Boden, auf
(Beifall bei der PDS) dem Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wachsen
Nun zum Haushalt: Während des Sommerlochs hat die konnten.
Bundesregierung den Eindruck zu erwecken versucht, sie Ansonsten wünsche ich mir natürlich, dass die Bun-
würde 400 Millionen DM im Kampf gegen Rechtsextre- desregierung nicht nur Feierstunden mit einem Bündnis
mismus und Fremdenfeindlichkeit ausgeben. Die Presse für mehr Toleranz initiiert, sondern tatsächlich ein breites
hat sich diese Zahlen genauer vorgenommen – „Spiegel“, gesellschaftliches Bündnis initiiert, das Aktionsbereit-
„Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“ – und hat davon schaft zeigt sowie Aufklärung bietet, und die Mittel tat-
gesprochen, dass diese Zahlen irreführend sind und nicht sächlich für die Opfer und den Opferschutz eingesetzt
den Tatsachen entsprechen. In der Antwort auf eine werden.
Kleine Anfrage, die gerade auf meinem Schreibtisch ge-
landet ist, lese ich jetzt, dass Sie sogar 635 Millionen DM Danke.
für den Kampf gegen den Rechtsextremismus ausgeben
(Beifall bei der PDS)
wollen.

(B) Wer sich diese Antwort genauer anschaut, wird fest-


stellen, dass auch hier wieder etwas vorgetäuscht wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als (D)
Sie führen nämlich in Ihrer Übersicht die politische Bil- nächster Redner hat jetzt der Kollege Ludwig Stiegler von
dung von Zivildienstleistenden, den Deutschen Entwick- der SPD-Fraktion das Wort.
lungsdienst, die Kosten für die Eingliederung von Aus- (Erwin Marschewski [Recklinghausen]
siedlern, sogar Mittel für Städtebau und Geld für neue [CDU/CSU]: Muss das sein?)
Unternehmen als Beispiele für den Kampf gegen den
Rechtsextremismus auf. Ich habe mich, ehrlich gesagt,
gefragt, warum Sie nicht gleich den Etat der Bundeswehr, Ludwig Stiegler (SPD): Du brauchst nicht schon wie-
die Mittel für den Kosovo-Krieg und den Etat des Bun- der Angst zu haben.
desgrenzschutzes auch noch mit aufgenommen haben. Ir-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurden
gendwo scheint es mir doch wirklich übertrieben zu sein,
was hier formuliert worden ist. hier Zeugnisnoten ausgegeben. Für meine Fraktion kann
ich sagen: Innen und Sport gut.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Meine Fraktion hat seit Jahren bei allen Haushaltbera-
tungen immer wieder Anträge gestellt, mehr Mittel für Man muss sich einmal anschauen, von welchen Vo-
Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus und Anti- raussetzungen wir ausgehen mussten. 1 500 Milliar-
semitismus zur Verfügung zu stellen. In den vergangenen den DM Schulden haben Sie hinterlassen, 82 Milliar-
Jahren hat das Innenministerium gerade einmal 2 Milli- den DM an Zinsen.
onen DM dafür zur Verfügung gestellt; in diesem Jahr sol-
len es ganze 2,5 Millionen DM sein. Außerdem sind – der (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Endlich mal
Minister hat es erwähnt – 1,8 Millionen DM für die Bun- was Neues!)
deszentrale für politische Bildung vorgesehen. Ob man 156 000 DM zahlen wir pro Minute für Ihre Schulden. Da
angesichts dieser Zahlen von einer Reform sprechen trauen Sie sich noch, das Maul aufzureißen! Das ist doch
kann, möchte ich infrage stellen. Eines ist aber völlig klar: unerhört!
Diese Mittel reichen nicht aus, um wirkliche Auf-
klärungsarbeit im Bereich Rechtsextremismus, Antisemi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
tismus und vor allen Dingen im antirassistischen Bereich DIE GRÜNEN)
zu leisten.
Vielmehr müssten Sie dem Innenminister Gold, Weih-
(Beifall bei der PDS) rauch und Myrrhe dafür geben, dass er mit dieser
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11445
Ludwig Stiegler

(A) Erbschaft, die er eigentlich hätte ausschlagen müssen, Ich danke dem Innenminister auch für die BGS- (C)
fertig geworden ist. So sieht doch die Situation aus. Hotline, die wesentlich dazu beiträgt, dass es in diesem
Land keinen öffentlichen Raum gibt, den Minderheiten,
(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Aber Sie kön- Ausländer oder wer auch immer nicht ohne Angst und
nen von der F.D.P. wirklich keinen Weihrauch Furcht betreten können. Das ist unser Auftrag.
erwarten! – Gegenruf von der CDU/CSU: Es
gibt keinen mehr! Sie haben so viel versprüht!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
– Das ist okay, aber die Schwarzen haben Weihrauch ge-
nug. Der Haushalt 2001 setzt Prioritäten bei der inneren Si-
cherheit. Ich denke etwa daran, wie Sie früher mit Beför-
(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das müssen derungsproblemen im BGS umgegangen sind. Damals
wir einmal festhalten!) haben sich die Kinder von Grenzschutzbeamten, etwa bei
Vor diesem Hintergrund ist das Innenministerium mit uns an der Grenze, gefragt: Was hat mein Vater angestellt,
den Aufgaben hervorragend fertig geworden. Es sind dass er im Verhältnis zur Polizei so schlecht dasteht?
gewaltige Einsparungen vorgenommen worden, ohne Diese Zeiten haben ein Ende.
dass zentrale Belange vernachlässigt worden sind. (Beifall bei der SPD)
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Sagen Sie Dafür danke ich dem Innenminister und auch Günter
doch mal was zu den Beamten!) Graf, der sich bei uns darum gekümmert hat, dass wir end-
Das verdient Anerkennung und deshalb sollten wir dem lich etwas für die BGS-Beamten tun und dass wir im Be-
Innenministerium, seinen Mitarbeitern und seiner ver- reich der inneren Sicherheit trotz der bestehenden Pro-
sammelten Führungsmannschaft wirklich herzlich dan- bleme vorankommen.
ken, dass sie mit Ihrer Hinterlassenschaft so gut fertig ge- Auch die Sportförderung kann sich sehen lassen.
worden sind und dass sie gute Akzente gesetzt haben.
Während wir hier zusammensitzen, läuft die Eröffnungs-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ feier der Olympiade. Ich glaube, wir alle wünschen unse-
DIE GRÜNEN) ren Athleten, dass sie so fröhlich agieren, wie der Innen-
minister sie entlassen hat, dass sie Erfolge heimbringen
Sie haben die Strukturreformen eingeleitet. Auch das, und dass sie ein Bild unseres Landes zeichnen, über das
was Jochen Welt bei der Aussiedlerintegration an neuen wir uns freuen können.
Leistungen geschaffen hat, ist vorbildlich. Darüber freuen
wir uns und dafür bedanken wir uns. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
(Beifall bei der SPD)
(B) Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Jede Goldme- (D)
Es bleibt die Aufgabe, den Rechtsextremismus zu daille ist eine rot-grüne Goldmedaille! – Erwin
bekämpfen. Auch das ist ein Erbe. Ich habe am Wochen- Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]:
ende einmal in alten Jahrgängen der „Politischen Viertel- Das heißt übrigens Olympische Spiele!)
jahresschrift“ nachgelesen und festgestellt, dass dieses
– Da können Sie ruhig mitklatschen.
Thema seit Jahrzehnten immer wieder angesprochen
wird. Es gab richtige Wellen des Rechtsextremismus und Ich denke an die Leistungen im Zusammenhang mit
jedes Mal ist das Thema wieder eingeschlafen. Das der Fußballweltmeisterschaft 2006. Es ist schmerzlich für
Haus war vor der Sommerpause noch nicht sonderlich meine schwarzen Brüder und Schwestern, dass der „Kai-
interessiert, den von der Koalition vorbereiteten Antrag ser“ den Kanzler und den Innenminister lobt. Das ist je-
– wir haben ein Jahr daran gearbeitet – zu beraten. doch bezeichnend. Der „Kaiser“ ist ja keiner primären so-
zialdemokratischen Umtriebe verdächtig. Aber wenn er
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Beschweren
zu dem Eindruck kommt, dass Otto Schily und Gerhard
Sie sich über Ihre eigene Mehrheit oder was?)
Schröder eine hervorragende Arbeit für den Sport geleis-
In der Sommerpause ist die Gesellschaft aufgewacht. tet haben, dann müssen Sie das wenigstens zähneknir-
schend anerkennen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Wir haben unseren Antrag vor der öffentlichen Diskus-
sion eingebracht, Sie haben jetzt irgendetwas nachgelegt. Ich liefere Ihnen gerne eine Knirschschiene für die Nacht,
Das ist der Unterschied zwischen unseren Fraktionen. wenn es Ihnen zu schwer fällt.
Es ist eine Bewusstseinsschärfung erfolgt. Wir brau- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir huldi-
chen die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gen dem „Burger King“!)
und die Erhöhung der Mittel; es muss einen Kampf um die
Ich danke auch dafür, dass der Goldene Plan Ost fort-
Köpfe geben. Dazu gehört, dass die Bundeszentrale diese
geführt wird, dass die Baumaßnahmen vorankommen,
Aufgaben übernimmt. Ich rate der Bundeszentrale, die
dass wir im internationalen Bereich und im Dopingbe-
neuen Mittel zum Beispiel dafür zu verwenden, mit den
reich vorangekommen sind.
Justizvollzugsangestellten über die Resozialisierung der
verurteilten Jugendlichen zu sprechen. Da schaut es in (Beifall bei Abgeordneten der SPD –
manchen Bereichen düster aus. Wir müssen sehen, was Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Der Mann
mit diesen Leuten in der Zukunft geschieht. sagt nur „Danke schön“!)
11446 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Ludwig Stiegler

(A) – Wir haben eine gute Bilanz. Auf den Sportbereich kön- bruch eines ehemaligen Bundeskanzlers gutgeheißen (C)
nen wir wirklich stolz sein. wird, –
Wir haben die Integrationsbemühungen in Bezug auf (Norbert Geis [CDU/CSU]: Schämen Sie
die Aussiedler verstärkt; da habe ich schon Jochen Welt sich!)
angesprochen. Das gilt aber auch für die Integration der
– dann ist das kein Beitrag zur inneren Sicherheit, sondern
Ausländer. Ich hoffe, dass nächste Woche auch die Ver-
ein Anschlag auf die innere Sicherheit. Das sollten Sie zur
handlungen über die Arbeitserlaubnis vorankommen,
Kenntnis nehmen und deshalb hier ganz bescheiden auf-
damit wir in diesem Bereich endlich Gerechtigkeit er- treten.
langen und einen Beitrag zum inneren Frieden leisten
können. Ich hoffe auch, dass die Neukonsolidierung des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Bundesamtes in Nürnberg mit dem neuen Präsidenten DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]:
dazu beiträgt, dass wir viele Probleme – etwa bei der Um- Völlig überzogene Bewertung, die Sie hier ma-
setzung des neuesten Urteils des Bundesverfassungsge- chen! Sie haben ja keine Ahnung von der Ver-
richtes – lösen können. fassung! Eine Unverschämtheit!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vielen Dank und gute Besserung!
DIE GRÜNEN – Wolfgang Zeitlmann [CDU/ (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
CSU]: Du solltest Danke sagen!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckart von
Ich danke dem Innenminister, – Klaeden [CDU/CSU]: Auf der Schleimspur
zurück zum Platz! – Wolfgang Bosbach
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das habe [CDU/CSU]: Olympier aller Länder, vereinigt
ich mir gedacht!) euch! – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Helau!
– dass er dazu beigetragen hat, dass das Amt neue Zu- Alaaf!)
kunftsperspektiven hat.
Wir haben wirklich Anlass, fröhlich zu sein. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol-
lege Geis, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das Wort
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Verleumder nicht zum parlamentarischen Sprachge-
Das glaube ich!) brauch gehört.
Sie, Herr Zeitlmann, haben jahrelang dem Herrn Kanther (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
zu Füßen gelegen, – F.D.P. – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]:
(B) (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nein! Aber „Maul“ auch nicht! – Ludwig Stiegler (D)
Nein!) [SPD]: Herr Präsident, dem Geis muss man das
verzeihen!)
– an seinen Lippen gehangen.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nein!) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein von der CDU/
Auch der Hinterausgang war besetzt. CSU-Fraktion.
(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein (CDU/
CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
Dabei haben Sie übersehen, dass der Mann wie Dorian und Kollegen! Ich möchte gerne eine Vorbemerkung ma-
Gray zwei Gesichter hatte. Er hat hier law and order ge- chen, die meines Erachtens sehr wichtig ist. Herr Minis-
predigt, aber heimlich ist er zu einem Experten für orga- ter, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass ich mit Be-
nisierte Kriminalität geworden. amten Ihres Ministeriums und mit einem großen Teil der
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kollegen gesprochen habe. Alle sind sich darin einig: Der
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Haushalt Ihres Einzelplanes ist a) unübersichtlich, b) sehr
PDS) spät gekommen – dazu werde ich gleich noch etwas sa-
gen – und auch sehr kompliziert. Deswegen kann ich an-
Das ist Ihre innenpolitische Tradition und muss an dieser gesichts der haushaltspolitischen Themen, über die der
Stelle angesprochen werden. Bayer Stiegler gesprochen hat, nachvollziehen, dass er
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Eine Unver- den Haushalt nicht verstanden hat. Es ist unvorstellbar.
schämtheit! Sie sind ein Verleumder!) (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang
Der Kanther hatte wenigstens so viel Ehrgefühl, aus dem Zeitlmann [CDU/CSU]: Ich bin mir gar nicht
Parlament auszuscheiden, während andere Eidesbrecher sicher, ob er lesen kann! – Eckart von Klaeden
von Ihnen groß gefeiert werden. [CDU/CSU]: Der Stiegler liest keine Haus-
halte!)
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Ich bin nur in einem Punkt mit Ihnen einverstanden.
Ich kann den Innenminister in diesem Punkt nur unter- Wir müssen den Sport fördern und den betreffenden
stützen: Wenn von Ihrer Seite unverhohlen zu Blockaden Menschen helfen. Was ist aber definitiv geschehen? Ich
aufgerufen wird, wenn von Ihrer Seite der Verfassungs- kann Sie ja verstehen, Herr Minister Schily. Der Kanzler
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11447
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein

(A) hat Sie mit seinen Ideen derart überrascht, dass Sie von Vielmehr kommt es zu unvorstellbaren Ausgabenbelas- (C)
Ihren alten Standpunkten eingeholt werden. Sie waren tungen. Dazu hören Sie gleich noch mehr.
nämlich gegen die Beihilfe für die Polizei – das ist nicht
in Ihrem Einzelplan vorhanden –, aber auch gegen die Un- Ich habe in Frankfurt mit Vertretern der Bahn gespro-
terstützung bezüglich der Stadien. Können Sie sich daran chen: Es wurde in diesem Zusammenhang nichts mit dem
erinnern, wie wir uns darum bemüht haben? Vorstandsvorsitzenden Mehdorn abgesprochen. Vielmehr
wird es wahrscheinlich Ihrerseits einen Erlass bzw. eine
„Kaiser“ Franz ist von Ihnen in diesem Zusammen- Verordnung geben, dass der Bahn die Kosten für den Bun-
hang erwähnt worden, Herr Kollege Stiegler. desgrenzschutz zwangsweise aufgedrückt werden.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Wo er Recht hat, hat (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist ein
er Recht!) Verschiebebahnhof!)
Er hat inzwischen eine weitere Forderung gestellt, näm- Aufgabe des Staates ist es, die finanziellen Vorausset-
lich nicht nur für die Sanierung und Modernisierung des zungen dafür zu schaffen, dass die Bahnhöfe und die
Zentralstadions in Leipzig, sondern auch des Olympiasta- Schienen in der Bundesrepublik Deutschland, solange sie
dions in München als Stadion für die Fußballweltmeister- Staatseigentum sind, ohne Wenn und Aber gesichert wer-
schaft Mittel zu gewähren. den. Ich hoffe, dass in dieser Hinsicht etwas passiert.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Das hat nur der Die Situation der Bahn ist doch im Moment folgender-
Stoiber gefordert! Der Franz kann das selber maßen: Sie wird nicht nur durch die Ökosteuer bzw. die
finanzieren!) „K. O.-Steuer“, sondern auch durch die Stromsteuer be-
Ich bin einmal gespannt, wie sich das weiterentwickeln lastet. Nun kommen auch noch die Kosten für den BGS
wird. Aber in Ihrem Haushalt kann ich die Summe von hinzu. Dies gibt es in anderen Eisenbahnunternehmen der
383 Millionen DM, die Sie ins Gespräch gebracht haben, Welt nicht. Deswegen ist es meines Erachtens wichtig,
überhaupt nicht erkennen. dass wir uns mit dieser Thematik beschäftigen.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] Herr Minister Schily, ein weiterer Bereich, der meines
[CDU/CSU]: Keine Mark!) Erachtens sehr wichtig ist, sind die zusätzlichen Flug-
sicherheitsgebühren. Man kann darüber natürlich disku-
Über diesen Punkt müssen wir in den Einzelberatungen tieren. Aber Sie sollten die Öffentlichkeit schon klar und
sicherlich noch klar und deutlich sprechen. Dazu bin ich deutlich darauf hinweisen, was Sie vorhaben. Die Flugsi-
bereit.
cherheitsgebühren an den Flughäfen werden von 305 Mil-
Ihr Haushalt wird durch Kürzungen im investiven Be- lionen auf 442 Millionen DM erhöht. Das ist eine Er-
reich geprägt. Dies kann kein Bürger der Bundesrepublik höhung um knapp 50 Prozent. In Zukunft wird es also
(B) Deutschland verstehen. Ich weiß nicht, wie sorgfältig Sie nicht nur die Ökosteuer, die Stromsteuer, also die „K. O.- (D)
Ihren eigenen Haushalt gelesen haben. Er wird um Steuer“, sondern auch noch eine Mallorca-Steuer geben.
7,8 Prozent gekürzt. Diese Kürzung findet man in allen Sie, die Sie da oben auf der Tribüne sitzen, wissen nun,
Bereichen. was in Zukunft auf Sie noch zukommt. Ich glaube, dass
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! wir uns als Opposition in diesem Bereich noch klar und
Hört!) deutlich melden werden. Darauf werde ich in jeder Ver-
anstaltung hinweisen.
Sie haben mit großer Anerkennung von den BGS-Be-
amten und ihrer Arbeit gesprochen. Auch ich möchte sie (Beifall bei der CDU/CSU)
ausdrücklich erwähnen und ihnen ganz herzlich für ihre Diese Horrorliste lässt sich beliebig fortsetzen. Ich
großartige Arbeit danken. hoffe nur, Herr Minister, dass Sie in den Gesprächen, die
Wenn ich den Katalog an Horrorszenen in Bezug auf wir in Kürze im Zuge der Haushaltsberatungen haben
die Kürzungen im investiven Bereich hier vortragen werden, hier und dort gewisse Signale geben.
würde, wären Sie verzweifelt. Mir geht es genauso wie Ihnen: Meine Redezeit ist zu
(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie würden nur der kurz. Ich könnte Ihnen noch einen großen Teil anderer
Irreführung überführt werden!) Dinge erklären.
Ich nenne nur einen Bereich: Wir haben uns bereits des (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das wäre
Öfteren mit den unvorstellbaren Missständen an den nötig!)
Bahnhöfen, was die Unterbringung der Bundesgrenz- Das kann ich heute nicht leisten; denn meine Redezeit ist
schutzbeamten angeht, auseinander gesetzt. Dieser Be- zu Ende. Damit möchte ich schließen.
reich des Haushalts wird um 2 Millionen DM gekürzt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Beim Bundesgrenzschutz kommt ein weiterer Punkt
hinzu: Sie haben in Ihren Haushalt für diesen Bereich
125 Millionen DM eingestellt und sprechen von ausga- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere
benmindernden Wirkungen. Ich sehe das überhaupt nicht Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
ein; Herr Stiegler spricht ja immer davon, der Haushalt teriums des Inneren liegen nicht vor.
sei sicher.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Der hat desministeriums der Justiz, Einzelplan 07, und zum
doch keine Ahnung!) Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht.
11448 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

(A) Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Frau wohnt haben. Wir werden darüber hinaus auch gerichtli- (C)
Dr. Däubler-Gmelin das Wort. che Kontaktverbote in diesem Gesetz vorschlagen. Ich
glaube, damit sind wir wieder ein Stück weiter.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Das Sanktionengesetz, über das wir schon viele Dis-
Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! kussionen geführt haben, wird eine Reihe von Vorschlä-
Bekanntlich haben sich die Bundesregierung und die rot- gen bringen. Über diese wird noch im Einzelnen zu dis-
grüne Koalition vorgenommen, den schädlichen und kutieren sein. Mir ist unter dem Gesichtspunkt „Das Recht
lange andauernden Reformstau aufzulösen. Damit soll muss auf der Seite der Schwächeren stehen“ ganz beson-
zum Ersten endlich wieder deutlich werden, dass unser ders das wichtig, was wir hier zusätzlich für die Opfer
Recht auf der Seite der Schwächeren steht. wollen und vorschlagen. Wir wollen, dass 10 Prozent der
(Beifall bei der SPD) Geldstrafen endlich dafür zur Verfügung stehen, dass Op-
fern von Kriminalität geholfen werden kann.
Damit sollen zum Zweiten wichtige Gebiete unseres
Rechtes und unsere rechtsstaatlichen Institutionen so mo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
dernisiert werden, dass sie ihren grundgesetzlichen Auf- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
trag für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auch F.D.P.)
in Zukunft gut erfüllen können. Dieser grundgesetzliche
Diese gehen heute bisweilen leer aus.
Auftrag, diese Dienstleistung für die Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes ist nämlich von zentraler Wich- Wir alle haben gerade in den letzten Monaten – zu
tigkeit. Damit wollen wir zum Dritten beim Aufbau unse- Recht – darauf hingewiesen, dass Zivilcourage auch ge-
res Europa, das künftig ein gemeinsamer Raum der Frei- gen Rechts erforderlich ist. Wer aber erfahren hat, wie
heit, der Sicherheit und des Rechtes sein soll, die Menschen, die diese Zivilcourage aufgebracht haben und
Gestaltungselemente und Strukturen, das heißt mehr denen dabei etwas passiert ist, manchmal allein gelassen
Rechtsstaatlichkeit und mehr sozialstaatliche Demokra- wurden, der weiß, wovon ich rede. Hier ist ein weiterer
tie, so einbringen, wie sie sich nach unserer Erfahrung in Schritt erforderlich.
den vergangenen 50 Jahren bei uns in der Bundesrepublik
bewährt haben. Meine Damen und Herren, es muss auch darum gehen,
dass Opfer von Straftaten, die Schäden erlitten haben, eine
(Beifall bei der SPD) leichtere Möglichkeit erhalten, diese Schäden auch ersetzt
Wir haben in den letzten beiden Jahren – wir nähern zu bekommen. Das ist der zweite Punkt, auf den ich Sie
uns bald der Halbzeit der Legislaturperiode – sehr deutli- hinweisen möchte.
(B) che Akzente gesetzt, die diese Weichenstellung unter- Nehmen wir den Schwerpunkt Modernisierung. Wir (D)
streichen. Lassen sie mich zum ersten Teil – Recht auf der haben mit der außergerichtlichen Streitschlichtung be-
Seite der Schwächeren – sagen: Der Täter-Opfer-Aus- gonnen, weil wir der Auffassung sind, dass es im tägli-
gleich ist einer der Bereiche; die Ächtung der Gewalt in chen Leben zum Beispiel Streitigkeiten unter Nachbarn
der Erziehung und Hilfe für Alleinerziehende sind wei-
gibt, bei denen es viel besser ist, eine Lösung zu finden,
tere Beispiele.
die zum Rechtsfrieden beiträgt, statt vor Gericht zu gehen
Lassen Sie mich an dieser Stelle hinzufügen: Es ist un- und die Sache streitig entscheiden zu lassen.
geheuer wichtig, immer wieder zu sagen, dass der Bun-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
desrat hier nicht unter Anleitung einer Mehrheit von Kol-
legen aus den Justizministerien, die der Opposition Das ist bereits Gesetz.
angehören – ich meine jetzt nicht die F.D.P. –, Einspruch
einlegen sollte. Das wäre ganz falsch und würde das drin- Es gibt jetzt eine ganze Reihe von Ländern, die anfan-
gend erforderliche Signal zur Gewaltbekämpfung in un- gen, Modelle der außergerichtlichen Streitschlichtung zu
serer Gesellschaft deutlich konterkarieren. entwickeln. Deshalb erwähne ich das. Wir wissen: In den
vergangenen Jahren ist im Bereich der Mediation, vor al-
(Beifall bei der SPD) lem der Mediationspraxis und der Mediationswissen-
Ich appelliere gerade an die Kolleginnen und Kollegen schaft, von Anwälten, von Instituten und von Menschen,
von der Opposition: Wenn Sie Einfluss haben, nutzen Sie die ganz besonders viel davon verstehen, eine Menge an
diesen Einfluss, damit die klare Aussage „Das Recht steht nützlichen Erkenntnissen zusammengetragen worden, die
auf der Seite der Schwächeren“ auch in diesem Bereich jetzt für die Praxis verfügbar gemacht werden sollten.
deutlich wird. Ich bitte Sie auch hier: Nutzen Sie Ihren Einfluss in den
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ländern, die solche Gesetze der außergerichtlichen Streit-
schlichtung wollen, aus, damit sie die Mediation und
Das Gewaltschutzgesetz und das Sanktionengesetz
alles, was dazu dient, den Rechtsfrieden wieder herzu-
kommen im Herbst. Das wissen Sie. Das erste soll ge-
stellen, auch tatsächlich in Anspruch nehmen und ver-
schlagenen Frauen und ihren Kindern nicht mehr nur die
bindlich einbeziehen.
Möglichkeit belassen, ins Frauenhaus zu gehen – so wich-
tig und wertvoll diese Institutionen sind, um erste Hilfe zu Ein weiterer Punkt: Wir haben die Präsidialverfassung
leisten –, sondern es wird diesen Frauen die Möglichkeit verändert und Gerichte geöffnet. Auch das war, obwohl es
eröffnen, in der Wohnung zu bleiben, in der sie bisher ge- sehr streitig war, sehr wichtig.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11449
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

(A) Dass wir sehr viele wichtige Modernisierungsvorha- Es gibt noch einen dritten Punkt, auf den ich Sie auf- (C)
ben wie die Justizreform, die Einführung der Namens- merksam machen möchte und der uns ebenfalls in diesem
aktie, die Anerkennung von Lebenspartnerschaften, Än- Herbst beschäftigen wird. Er hat ebenfalls mit Moderni-
derungen im Mietrecht oder eine Reform der Finanzge- sierung und dem Aufbau eines einheitlichen Raumes der
richtsordnung bereits auf den Weg gebracht haben – sie Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa zu tun:
sind zum Teil schon im Gesetzgebungsverfahren –, das die Modernisierung des Schuldrechts. Jeder Jurist und
wissen Sie. Im Herbst werden wir hier in diesem Hause jede Juristin hat sich seit dem ersten Semester der juristi-
sehr viele Schwerpunktaufgaben zu diskutieren haben. schen Ausbildung immer wieder damit beschäftigt und
All dies dient der Modernisierung, dient dazu, dass die In- geht nahezu täglich damit um. Aber wir wissen ganz ge-
stitutionen unseres Landes und dass auch unsere Rechts- nau: Europa der Bürger, Europa der Wirtschaft, Europa
des Handels bedeutet, dass die Einflüsse aus Europa im-
ordnung ihren grundgesetzlichen Auftrag auf Dauer gut
mer stärker werden. Wir müssen – damit fange ich nun
erfüllen können.
an – verschiedene europäische Richtlinien umsetzen: die
Lassen Sie mich von den Projekten, die im Herbst an- Fernabsatzrichtlinie, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
stehen, drei wichtige ansprechen. Ich schließe mich mei- und einige andere, mit deren Nennung ich Sie jetzt nicht
nem Vorredner, Bundesinnenminister Schily, an, der ge- erschrecken will. Diese greifen massiv in die Kaufbezie-
sagt hat, dass wir für die Diskussion darüber erheblich hungen und damit in unser Schuldrecht ein.
mehr Zeit haben müssten. Hier kann man jetzt nur mit we- Wir hatten seit langem – das ist sehr gut – eine gute
nigen Worten informieren, statt in Ruhe das Für und das Grundlage, auf der auch die Richtlinien verhandelt wor-
Gegen in Einzelheiten vorzutragen. den sind, nämlich die Ergebnisse der Schuldrechtskom-
Wir setzen nur die Biopatentrichtlinie um. Dies ist ein mission, die Anfang der 90er-Jahre eingesetzt wurde und
ganz wichtiges Werk, und zwar ganz einfach deshalb, weil ihre Ergebnisse vorgelegt hatte.
es hier darum geht, geistige Leistungen durch Änderun- Jetzt stehen wir vor einer schwierigen Weichenstel-
gen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes zu lung. Wir müssen entscheiden: Wollen wir bei der Umset-
schützen und gleichzeitig Forschung und Innovationen zu zung des EU-Rechts, wo doch das System des EU-Rechts
fördern, aber auch die ethischen Grenzen dessen, was wir anders ist, unser bürgerliches Recht, unser Kaufrecht und
machen dürfen, festzulegen. unser Schuldrecht noch stärker verkomplizieren oder sind
wir bei der Modernisierung so mutig zu sagen: Wir neh-
Ich hätte mir gewünscht, dass diese Diskussion hier men das, was die Schuldrechtskommission vorgeschlagen
schon sehr viel früher in Gang gekommen wäre, zum Bei- hat, dazu und setzen das einmal richtig, aber gründlich
spiel in den zehn Jahren, in denen die Biopatentrichtlinie um? Um diese Weichenstellung wird es in diesem Herbst
auf europäischer Ebene beraten wurde. Ich lade ausdrück- gehen.
(B) lich alle ein, sich an der Diskussion zu beteiligen. Wir (D)
werden hier eine zielgenaue, klare Gratwanderung, die Ich werde Ihnen in den kommenden Tagen einen ersten
diese drei Gesichtspunkte zusammenbringt, unternehmen Entwurf zur Diskussion zusenden. Ich bitte Sie, sich auch
hier an der Modernisierung zu beteiligen.
müssen. Das können wir am besten gemeinsam.
Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundes-
Ich nenne einen zweiten Bereich, der ebenfalls mit dem
ministeriums der Justiz für 2001, klein, wie er ist, und
Schutz geistiger Leistungen zusammenhängt: das Urhe- sparsam, wie wir sein müssen, spiegelt diese Schwer-
berrecht. punkte und andere wider. Mir wäre es lieber, wir müssten
(Rainer Funke [F.D.P.]: Ja!) nicht so viel sparen. Ich sage das, weil unser Kollege
Bundesfinanzminister im Saal ist, der eine Sparpolitik be-
– Ich komme gleich zu dem Dank, keine Sorge. – Auch treibt.
hier liegt eine Menge Arbeit vor uns. Wir müssen, einge-
bettet in die rechtlichen Regelungen, die in Europa und (Zurufe von der CDU/CSU: Er gibt selber mehr
weltweit entwickelt, erarbeitet und ausverhandelt wurden Geld aus! – Der Haushalt ist um 30 Milliarden
– man kann das nicht mehr nur national machen –, Ur- DM gewachsen, seit er dran ist!)
heber im digitalen Zeitalter bzw. im Zeitalter der Infor- – Das macht er ja nicht freiwillig, sondern im Interesse der
mationsgesellschaft besser schützen. Bevölkerung und einfach deswegen, weil er mit Ihrer Erb-
schaft fertig werden muss.
Ich bedanke mich übrigens ausdrücklich bei den Kol-
leginnen und Kollegen auch der CDU/CSU und der F.D.P. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der
dafür, dass sie sich in den letzten Wochen, als es diesen CDU/CSU: Deutsche Einheit!)
kurzen Aufschrei von dem einen oder anderen aus Indus- Der wird das genauso sehen.
trieverbänden gegeben hat, die meinten, das gelte nicht
für sie – sie sind zwar der Auffassung, dass man dann, Wir haben das, was wir machen konnten, erreicht.
wenn man einen Kassettenrecorder kauft, eine Abgabe (Zuruf von der CDU/CSU: Lafontaine hat doch
leisten muss, die den Urhebern zugute kommt, dass dies erhöht, aber Sie haben es nicht runtergenom-
aber bei den modernen Vervielfältigungsgeräten nicht so men!)
sein sollte –, dazu geäußert und dem klar widersprochen
haben. Das finde ich gut. In allen Parteien gab es auch an- – Ich weiß, es gefällt Ihnen nicht.
dere Stimmen; aber das Urheberrecht ist auch ein schwie- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Es gefällt
riges Gebiet. uns gut!)
11450 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

(A) Wenn ich in Ihrer Situation wäre, würde ich jetzt ebenfalls Bereich, nämlich das Deutsche Patent- und Marken- (C)
heftig widersprechen. Aber alle Leute wissen mittler- amt, das uns 1998, als wir die Regierung übernommen
weile, welchen Schuldenberg und welches Erbe Sie uns haben, schon als Sorgenkind angekündigt worden war, –
hinterlassen haben. Ich denke, darüber brauchen wir jetzt
(Ludwig Stiegler [SPD]: So ist es!
nicht zu streiten.
Verwahrlost!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
– als Sorgenkind mit ganz großen Problemen, obwohl die
DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]:
Menschen, die dort arbeiten, voll motiviert sind und ob-
Sie haben die Einheit vergessen, die Kosten der
wohl sie sich jede Mühe geben, als Sorgenkind deshalb,
Einheit, Frau Ministerin! Daran sollten Sie ein-
weil wir seit 1991 sehen mussten, dass die Zahl der An-
mal denken!)
meldungen von Patenten erfreulich stieg und steigt – Zei-
Wir schaffen – verehrter Herr Geis, das wird Sie be- chen ökonomischer Innovationsbereitschaft und auch von
sonders interessieren – im Haushalt 2001 die Vorausset- Wirtschaftskraft –, die Zahl der Marken auch, während
zungen dafür, dass das Menschenrechtsinstitut, das wir aber die Zahl der Stellen beim Deutschen Patent- und
geplant haben und das die rot-grüne Koalition will, im Markenamt von der Vorgängerregierung in erheblichem
nächsten Jahr anfangen kann zu arbeiten. Das bedeutet, Maße gesenkt wurde. Das kann nichts werden, wenn sich
dass wir nicht nur durch Reden, sondern auch durch Tun die Schere öffnet.
sehr deutlich machen, wie viel wir von den Menschen-
Hinzu kommt eine völlig unzulängliche Ausstattung
rechten halten. Übrigens gilt das nicht nur im Inland. Las-
mit Computern oder mit Mitteln einer modernen Arbeits-
sen Sie mich dazu ergänzen, dass ich jeder Polizistin und
organisation.
jedem Polizisten, jedem Staatsanwalt und jedem Richter
dankbar bin, der oder die im Rahmen seines oder ihres (Ludwig Stiegler [SPD]: So ist es!)
Verantwortungsbereiches deutlich macht, dass Straftaten
Sie werden wissen, wovon ich rede. Im Haushalt – das
mit rechtsextremistischem Hintergrund von uns nicht ge-
sage ich jetzt nur für die Leute, die nachlesen wollen –,
duldet werden.
den Herr Waigel für das Jahr 1999 vorgeschlagen hatte,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wäre es mit den Stellenstreichungen weitergegangen.
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben kein Geld
CDU/CSU und der F.D.P. und des Abg. Rolf
gegeben! – Zuruf von der CDU/CSU: Ich
Kutzmutz [PDS] – Norbert Geis [CDU/CSU]:
denke, wir haben zu viel ausgegeben!)
Straftaten werden von uns überhaupt nicht ge-
duldet!) Wir haben hier schon 1999 dank der Unterstützung
(B) auch des Herrn Bundesfinanzministers eine – wenn auch (D)
Menschenrechtspolitik und der Schutz der Menschen-
nur leichte – Trendwende erreicht. Wir konnten für 2000
rechte sind nicht allein bei uns im Inland wichtig. Wir sind
sehr viele zusätzliche Patentprüferstellen einrichten. Wir
der Meinung, sie müssen auch, und zwar mit deutscher
haben auch etwas Geld für die Ausstattung mit Compu-
Beteiligung, über die deutschen Grenzen hinaus unter-
tern, an denen Patentprüfer arbeiten sollen, bekommen.
stützt werden.
Wir sind schon sehr weit bei der Verbesserung in Bezug
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir dulden auf Informations- und Kommunikationstechnologie und
überhaupt keine Straftaten!) eine moderne Arbeitsorganisation.
Deswegen bin ich der Auffassung, es ist hoch an der Ich sage Ihnen: Das, was mich 1998 beinahe zu Tränen
Zeit, dass die Einsetzung eines internationalen Strafge- gerührt hat, die gezackte Gebührenmarke, werden wir ins
richtshofs endlich auch vom Parlament beschlossen wird. Euro-Zeitalter ebenso wenig mit hinübernehmen wie das
veraltete Kostenverrechnungssystem.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
F.D.P.) DIE GRÜNEN)
Mein Appell geht an alle Seiten des Hauses, das nicht Warum sage ich das? Die dringend nötigen Verbesse-
mehr zu verzögern, sondern es wirklich zu beschleunigen. rungen waren und sind ohne eine Gebührenerhöhung
nicht möglich. Das will ich hier auch einmal deutlich an-
Dass wir den Rechtsstaatsdialog mit der Volksrepublik
sprechen: Hätte die Union ihre Verpflichtung früher wahr-
China intensivieren, wird – auch das weiß ich – vom ge-
genommen –
samten Haus getragen. Das möchte ich an dieser Stelle
ebenfalls erwähnen. Das tun wir natürlich nicht nur we- (Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr! Ich habe
gen des bilateralen Nutzens, sondern wir machen das im Rechtsausschuss dafür gekämpft!)
auch, weil wir der Auffassung sind, dass wir dadurch auf
– und das Patent- und Markenamt nicht in diesen Zustand
der globalen Ebene zu einem gemeinsamen Verständnis
kommen lassen –
von Grund- und Menschenrechten beitragen können, das
wir in einer Welt, die immer stärker zusammenwächst, (Zuruf von der CDU/CSU: Der Zustand ist
dringend brauchen. von Ihnen ja nur verschlimmert worden!)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas – und hätte sie den Mut gehabt, Herr Feibel, die seit 1976
zur Modernisierung sagen. Das gilt vor allem für einen nicht mehr erhöhten Gebühren vernünftig, mittelstands-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11451
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

(A) freundlich und erfinderfreundlich anzupassen, wie wir Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! (C)
das jetzt mussten, dann wäre es für uns viel leichter ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch den Justizhaus-
wesen und dann wären wir jetzt weiter. halt des Bundes wird nur zu einem geringen Teil eine ganz
zentrale und vitale Staatsaufgabe finanziert. Justiz ist
(Beifall bei der SPD) vornehmlich Ländersache und die Zivilgerichtsbarkeit hat
Ich will es Ihnen ganz deutlich sagen: Wir brauchen durch die Einnahme von Gebühren zur Freude aller Fi-
noch ein wenig Zeit. Was wir aber überhaupt nicht brau- nanzminister eine hohe Selbstfinanzierungsquote.
chen, ist, dass diejenigen, die an diesem Zustand schuld Die Arbeit der Ziviljustiz ist keineswegs, wie gerne be-
sind, jetzt meinen, beckmesserisch auftreten zu können. hauptet wird, durch stetig steigende, sondern durch
Wir brauchen die Unterstützung des ganzen Hauses und tendenziell leicht fallende Fallzahlen, relativ kurze Ver-
des Haushaltsausschusses, um noch mehr zu erreichen. fahrenszeiten und geringe Rechtsmittelquoten gekenn-
Alles andere wäre unseres Landes unwürdig. zeichnet. Aber – dieser Umstand, Frau Ministerin, ver-
dient eine besondere Beachtung – die eingelegten
Lassen Sie mich mit einem Dank an all jene schließen, Rechtsmittel haben eine relativ hohe Erfolgsquote von
die an dem Ziel, einen einheitlichen Rechtsraum in Eu- fast 50 Prozent.
ropa zu schaffen, mitgearbeitet und mitgewirkt haben.
Sie alle wissen, wie schwer es ist, die Abwicklung des (Joachim Stünker [SPD]: Warum denn?)
Tagesgeschäfts im europäischen Raum voranzubringen. Schon diese Zahl belegt, dass es keinen vernünftigen
Wir wussten dies, als Sie die Verantwortung hatten, und Grund gibt, die Überprüfung vermeintlich oder tatsäch-
Sie wissen es jetzt, da wir sie haben. Wir haben Eurojust lich fehlerhafter Urteile unnötig zu erschweren.
auf den Weg gebracht. Zusätzlich verbessern wir die Le-
(Beifall bei der CDU/CSU)
bensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger in der Eu-
ropäischen Union, damit sie zum Beispiel ihren Schaden Die Regierung plant Änderungen in der Zivilpro-
leichter ersetzt bekommen, wenn sie einen Verkehrsunfall zessordnung, die so tief greifend sind, dass die konkrete
im Ausland haben, auch bei Gerichtsprozessen und ande- Gefahr besteht, dass der Recht suchende Bürger zukünf-
ren Problembereichen helfen wir ihnen. Auch der E-Com- tig nicht mehr in dem Umfang Recht erhält, wie unbedingt
merce gehört dazu. notwendig, –

Eines aber will ich besonders herausstellen, und zwar (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es! – Joachim
die Europäische Grundrechte-Charta. Ich weiß aus Ge- Stünker [SPD]: Das stimmt doch nicht! – Zuruf
von der SPD: Unsinn!)
sprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschied-
(B) lichen Parteien, dass deren Schaffung vielen von ihnen ein – dass der bewährte Gerichtsaufbau unnötig ins Wanken (D)
ähnlich großes Anliegen war und ist. Dennoch war immer gerät –
wieder Skepsis zu vernehmen, als wir Deutschen, als ge- (Alfred Hartenbach [SPD]: Wenn hier einer ins
rade ich im Rahmen der deutschen Präsidentschaft darauf Wanken gerät, dann sind Sie das, Herr
gedrungen habe, die Europäische Grundrechte-Charta auf Bosbach!)
den Weg zu bringen.
– und dass unser auch im internationalen Vergleich vor-
Ich stelle heute mit großer Freude fest, dass die Charta bildliches Rechtssystem nachhaltig geschädigt wird.
auf einem guten Wege ist, und darf denen, die uns im Kon-
(Beifall bei der CDU/CSU)
vent vertreten, ausdrücklich danken. Mein Dank richtet
sich an Herrn Professor Meyer – ich sehe ihn hier vor Entgegen anders lautenden Behauptungen, Frau Justiz-
mir –, der dort den Bundestag vertritt, ministerin, ist die von Ihnen mit Hochdruck betriebene
Reform der ZPO nicht bürgerfreundlich, sondern bürger-
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE feindlich.
GRÜNEN und der PDS)
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!)
aber auch an die Adresse von Professor Herzog, der heute
nicht anwesend ist. Ich glaube, ohne die beiden wären wir Sie macht den Zivilprozess nicht schneller, sondern büro-
nicht so weit, wie wir heute sind. Lassen Sie uns gemein- kratischer. Sie sorgt nicht für mehr Recht, sondern muss
sam daran arbeiten, dass Europa nicht allein als Europa fast zwangsläufig zu mehr Ungerechtigkeit führen. Unser
Rechtssystem würde nicht reformiert, sondern deformiert.
der Wirtschaft und Europa des Euro bekannt ist, sondern
zum Europa der Bürgerinnen und Bürger und zum Europa Wieso soll ein Berufungsgericht ein angegriffenes
der gemeinsamen Werte wird. Das brauchen wir alle. Urteil nur dann korrigieren dürfen, wenn „ernstliche“
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der ent-
Ganz herzlichen Dank. scheidungserheblichen Feststellung besteht? Welchen
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE vernünftigen, dem Bürger vermittelbaren Grund gibt es
GRÜNEN und der PDS) dafür, beim Vorliegen von Zweifeln an der Richtigkeit der
Sachverhaltsfeststellungen die Berufung nicht durchzu-
führen? Sie können nicht ernsthaft wollen, dass in all
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als denjenigen Fällen, in denen ein Einzelrichter oder gar
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Bosbach von ein Richterkollegium Zweifel an der richtigen Tatsa-
der CDU/CSU-Fraktion das Wort. chenfeststellung der ersten Instanz hat, das auf diesen
11452 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Wolfgang Bosbach

(A) Feststellungen basierende Urteil nicht mehr überprüft – Das ist Ihnen peinlich. Sie hätten natürlich große Freude (C)
werden darf. Das wäre nicht Politik für, sondern gegen daran, wenn ich jetzt, wie die Frau Ministerin, über die ge-
den Bürger. zackte Gebührenmarke reden würde. Genau deswegen tue
ich Ihnen den Gefallen nicht.
Warum wollen Sie das bewährte Prinzip aufgeben, dass
nun einmal sechs Augen mehr sehen als zwei Augen? (Alfred Hartenbach [SPD]: Sie sollen über die
Wenn erstinstanzlich vor den Landgerichten zukünftig Staatsanwaltschaft Augsburg reden!)
mehr Einzelrichter als Kammern entscheiden sollen, dann Am 2. August 2000 hat das Landgericht Kleve rechts-
muss sich daraus der zwingende Schluss ergeben, dass zu- kräftig festgestellt, dass es nie – ich betone: nie – einen be-
mindest in der nächsten, möglicherweise letzten Instanz gründeten Tatverdacht gegen den Kollegen Pofalla gege-
mehr als nur ein Richter Recht spricht. ben hat. Das Gericht hat alle – komplett alle –
Auch Ihnen kann nicht entgangen sein, dass Ihre Pläne Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse für
von der gesamten Fachwelt, von allen, von Richtern, von rechtswidrig erklärt.
Anwälten, von den Justizministern der Länder, gleich (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein Skandal
welcher Couleur, je nach Temperament und Interesse ist das!)
milde oder hart kritisiert, jedenfalls komplett abgelehnt
werden. Bei dieser Lage will man uns allen Ernstes weisma-
chen, dass es nur ein Zufall sei, dass die beiden gegen den
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist denen ent- Kollegen Pofalla ermittelnden Staatsanwälte nicht aus der
gangen! Sie nehmen es gar nicht mehr wahr! – zuständigen Staatsanwaltschaft in Kleve kommen, son-
Zuruf von der SPD: Sie lesen die falschen Zei- dern erst Anfang des Jahres aus dem Landesjustizministe-
tungen, Herr Kollege!) rium nach Kleve versetzt wurden.
Gegen diejenigen, die tagtäglich mit der ZPO arbeiten (Norbert Geis [CDU/CSU]: Unglaublich!)
müssen, und gegen die Länder kann eine Reform keinen
Erfolg haben. Einer der beiden Helden soll in Kürze als leitender Ober-
staatsanwalt Behördenchef in Kleve werden. – Befehl
Niemand spricht Ihnen, Frau Professor, ein hohes Maß ausgeführt.
an Intelligenz ab.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: GRÜNEN]: Wer hat denn den Befehl gegeben?)
Danke!)
Die zweite Koryphäe soll ihm in zwei Jahren nachfolgen.
Bitte seien Sie aber auch klug und ziehen Sie diesen Ge- Gibt es hier im Parlament tatsächlich irgendjemanden, der
(B) setzentwurf zurück! Suchen Sie stattdessen das Gespräch bei diesen Versetzungen und Beförderungen an einen Zu- (D)
mit der Fachwelt und mit den Kolleginnen und Kollegen fall glaubt?
der Länder für eine Reform, die dem Recht dient und nicht
der Rechtskultur unseres Landes und den Recht suchen- Warum wurde auf dem sozialdemokratischen Dienst-
den Bürgern schadet! weg vom Generalstaatsanwalt in Düsseldorf über den
Landesjustizminister, über die Bundesministerin der Jus-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tiz bis zum Präsidenten des Deutschen Bundestages und
neten der F.D.P.) von dort zur Vorsitzenden des Immunitätsausschusses
Kommen wir von der Rechtspolitik zur sozialdemo- nicht ein einziges Mal gründlich überprüft, ob tatsächlich
kratischen Rechtspraxis in Nordrhein-Westfalen und in ein Tatverdacht vorliegt –
diesem Hause. Punktgenau drei Tage vor der Landtags- (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin:
wahl in Nordrhein-Westfalen wurde bundesweit publik, Unglaublich! Das dürfen wir überhaupt nicht!)
dass unser Kollege Ronald Pofalla in dem Verdacht steht,
Steuern hinterzogen zu haben. Unter Vortäuschung – und ob die Behauptung der Staatsanwaltschaft, es sei
falscher Tatsachen wurde unser eigener Immunitätsaus- wegen drohender Verjährung geboten, die Hausdurchsu-
schuss veranlasst, die Immunität des Kollegen Pofalla chungen und Beschlagnahmen sofort zu genehmigen,
aufzuheben. Der Skandal war perfekt. tatsächlich richtig ist? Ein kurzer Blick in § 78b des Straf-
gesetzbuches hätte genügt, um festzustellen, dass diese
(Alfred Hartenbach [SPD]: Ich wäre sehr vor- Behauptung im Hinblick auf den Kollegen Pofalla grober
sichtig mit solchen Behauptungen!) Unfug ist.
Heute wissen wir: Einen Skandal des Kollegen Ronald Gibt es hier im Deutschen Bundestag irgendjemanden,
Pofalla hat es zu keiner Sekunde gegeben. Aber wir wis- der nur an eine Kombination von Schlamperei und
sen jetzt genau, dass es skandalöse Verhältnisse in dem Dummheit glaubt? Minister Dieckmann sagt, er hätte per-
Teil der nordrhein-westfälischen Justiz gibt, der nicht sönlich von dem Treiben seiner Staatsanwälte keine
weiß, dass er nicht der SPD, nicht Herrn Müntefering, Kenntnis gehabt. Glauben wir das einmal und warten wir
nicht Herrn Dieckmann, sondern nur dem Recht zu dienen ab, ob er die Wahrheit sagt.
hat.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Andere Minister
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – müssen deswegen zurücktreten! – Alfred
Alfred Hartenbach [SPD]: Wie ist denn das mit Hartenbach [SPD]: Was dem Koch Recht
Augsburg und Herrn Weiß?) ist ...!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11453
Wolfgang Bosbach

(A) Warum hat sich eigentlich bis zur Stunde keiner der be- nicht Ehe, sondern anders nennen. Gleichzeitig behaupten (C)
teiligten sozialdemokratischen Würdenträger bei dem Sie zur Rechtfertigung des Angriffs auf Ehe und Familie,
Kollegen Pofalla entschuldigt? dass diese Initiative wegen des Gleichheitsgebotes des
Grundgesetzes aus Gründen der Gerechtigkeit dringend
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu-
geboten sei. Diese Argumentation belegt, dass Sie von
ruf von der SPD: Ihre Kollegen haben doch zu-
dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung eine falsche
gestimmt!)
Vorstellung haben.
Sie können das heute in dieser Debatte nachholen.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nichts verstanden
Minister Schily ist leider gegangen: Ich hätte ihm gerne haben! – Zuruf von der SPD: Frau Merkel ist
gesagt: Wer die Parteispendenaffäre erwähnt und zum aber schon umgeschwenkt, Herr Bosbach!)
Fall Pofalla schweigt, hat ein gespaltenes Rechtsver-
ständnis. Gleichbehandlung bedeutet, nur Gleiches gleich zu be-
handeln, und im Umkehrschluss; Ungleiches ungleich zu
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. behandeln.
Rainer Funke [F.D.P.] – Norbert Geis [CDU/
CSU]: Der ist unglaubwürdig!) (Beifall bei der CDU/CSU)

Die parteipolitische Wertung der Parteispendenaffäre ist Eine schematische automatische Übertragung von
die eine Sache. Wenn aber ein Innenminister der Bundes- Rechtsvorschriften und damit verbundenen Rechtswir-
republik Deutschland einerseits Entscheidungen des Bun- kungen von einem gesellschaftlichen Bereich auf den an-
desverfassungsgerichtes zitiert und andererseits dann das deren ohne Rücksichtnahme auf fundamentale Unter-
Plenum und sein Amt dazu benutzt, auf die unabhängige schiede ist kein Gebot des Artikel 3 Grundgesetz, sondern
Justiz in einem ganz konkreten Fall aus parteipolitischen ein Verstoß dagegen.
Motiven Druck auszuüben, dann geht das entschieden zu Macht es Sie eigentlich kein bisschen nachdenklich,
weit und ist scheinheilig. wenn nicht nur die Union und mit ihr große Teile der Be-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. völkerung, sondern auch die beiden großen christlichen
Rainer Funke [F.D.P.] – Norbert Geis Kirchen und viele namhafte Familien- und Staatsrechtler
[CDU/CSU]: Das ist unglaublich!) Ihren Gesetzentwurf mit guten Argumenten ablehnen?
Noch ein kurzes Wort zum Thema rot-grünes Rechts- Sie sagen: Der Ehe werde nichts genommen; deshalb
verständnis. Das Recht auf freie Meinungsäußerung werde Artikel 6 des Grundgesetz nicht verletzt. Richtig ist
und das Demonstrationsrecht sind elementare Grund- das Gegenteil: Es ist gerade das politische Ziel der rot-
(B) rechte. Sie gelten sogar dann, wenn sich der Volkszorn ge- grünen Pläne, dem traditionellen, bewährten Leitbild der (D)
gen eine rot-grüne Regierung richtet. – Nur zur Klarstel- Ehe und Familie die gesetzliche und gesellschaftliche
lung. Klar ist auch, dass derjenige, der demonstrieren will, Vorrangstellung zu nehmen.
das Recht beachten muss und vor allen Dingen keine (Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der
Straftaten begehen darf. Für diesen Fall hat der Kanzler CDU/CSU: Natürlich, was denn sonst? – Zuruf
mit der ganzen Härte des Gesetzes gedroht. von der SPD: Ich würde an Ihrer Stelle im Ur-
Aber eines muss ebenfalls klar sein: Man kann nicht wald auf die Bäume gehen!)
die aufgebrachten Bergarbeiter, die in Bonn die F.D.P.- – Sie sollten den Mut haben, das auch zuzugestehen.
Zentrale attackieren, den Verkehr lahm legen, das Regie-
rungsviertel blockieren und die Bannmeile durchbrechen, Sie geben das Ziel des besonderen Schutzes des Staa-
bejubeln und mit Durchhalteparolen unterstützen und tes für Ehe und Familie auf und wollen alle Formen des
protestierenden Brummifahrern, die um ihre Existenz Zusammenlebens einebnen.
bangen, mit der Staatsmacht drohen. (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Es wäre schön,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ wenn es so wäre!)
DIE GRÜNEN]: Nötigung!) Es soll zukünftig gerade keine Vorrangstellung von
So verhilft man dem Recht nicht zur Geltung. Ehe und Familie vor anderen Formen des Zusammenle-
bens geben. Ehe und Familie sind jedoch die Keimzelle
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des jeder staatlichen Gemeinschaft. Darum stehen sie unter
Abg. Rainer Funke [F.D.P.]) dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.
In wenigen Tagen erfolgt die Sachverständigenan- Wir sind gern bereit, mit Ihnen offen darüber zu disku-
hörung zu dem Herzensanliegen des Kanzlers, unter dem tieren, wie dies auf geeignete Art und Weise geschehen
Arbeitstitel „eingetragene Lebenspartnerschaften“ ho-
kann. Wir wollen in schwierigen Lebenssituationen hel-
mosexuellen Paaren den Weg zum Standesamt und zur
fen und sind selbstverständlich bereit, dort Konsequenzen
Eheschließung zu ermöglichen. Den Mut, das Kind beim
zu ziehen, wo es die gleichgeschlechtlichen Partner nach
Namen zu nennen, hat die Koalition nicht. Mit minimalen
der derzeitigen Rechtslage nicht schaffen, ihre Probleme
Ausnahmen übertragen Sie die eherechtlichen Regelun-
zu lösen.
gen und die damit verbundenen Wirkungen. Sie schaffen
eine vollständige Kopie der Ehe für gleichgeschlechtliche (Zuruf von der SPD: Die bedürfen doch keiner
Paare, die Sie jedoch zur Beruhigung der Bevölkerung Therapie!)
11454 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- ser Gesetz zur außergerichtlichen Streitbeilegung äußert. (C)
lege Bosbach, kommen Sie bitte zum Schluss. Damit wird nämlich auch in Bayern ermöglicht, dass die
überlasteten Gerichte nicht mehr mit jedem Bagatellfall
belästigt werden. Schlichten statt Richten, das ist rot-
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Ich komme zum
grüne Rechtspolitik in diesem Bereich, auf die man of-
Schluss, Herr Präsident.
fensichtlich auch in Bayern lange gewartet hat.
Wenn Sie aber weiterhin Ihren Plan verfolgen, auch ho-
Konsequent und zügig treibt diese Koalition die not-
mosexuellen Paaren unter der Überschrift „eingetragene
wendigen Modernisierung der Justiz voran. Nach der Ein-
Lebenspartnerschaften“ die Eheschließung zu ermögli-
führung der außergerichtlichen Streitschlichtung bei
chen, dann werden Sie zwangsläufig scheitern und mög-
Bagatell- und Nachbarschaftsstreitigkeiten und nach der
licherweise denjenigen, denen Sie helfen möchten, nicht
Reform der Präsidialverfassung haben wir jetzt eine Re-
helfen können.
form des Zivilprozesses auf den Weg gebracht. Wir stär-
Danke fürs Zuhören. ken dabei die Eingangsgerichte qualitativ und personell.
Deswegen werden in Zukunft die Korrekturzahlen, die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
Sie vorhin im Hinblick auf Rechtsmittel erwähnt haben,
Ingrid Holzhüter [SPD]: Als ob die Ehe ein Pa-
anders ausfallen. Die erstinstanzlichen Entscheidungen
radies wäre! Ich kenne da ganz andere Fälle!)
werden eine höhere Qualität haben und deshalb auch häu-
figer als heute Bestand haben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
hat jetzt der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD –
Grünen.
Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Jetzt schon
97 Prozent!)
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es ist schon absurd, wenn uns jetzt von Ihnen vorge-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zu
worfen wird, Rot-Grün betreibe mit dieser Reform den
dem, was Sie, Herr Bosbach, hinsichtlich des Kollegen
Abbau von Rechtsstaatlichkeit.
Pofalla gesagt haben. Wenn Herrn Pofalla in diesem Zu-
sammenhang Unrecht geschehen sein sollte, – (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das sagen ja
alle!)
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das steht ja
fest!) Das Gegenteil ist richtig. Gegen 40 Prozent der erst-
instanzlichen Urteile steht heute kein Rechtsmittel zur
– dann bedauern wir dies. Aber die Vorwürfe insbeson-
(B) dere gegen das Bundesjustizministerium, – Verfügung, sieht man vom Gang nach Karlsruhe wegen (D)
Verwehrung rechtlichen Gehörs ab. Damit machen wir
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Nicht Schluss. Wir schaffen auch in diesen Fällen bei groben
„insbesondere!“) Rechtsfehlern eine rechtliche Überprüfbarkeit. Das ist
eine Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit und eine Ver-
– die Sie aus diesem Vorfall abgeleitet haben, sind völlig
besserung für die Recht suchenden Bürger.
unangemessen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]:
und bei der SPD)
Das kann sich ja niemand leisten!)
Das Bundesjustizministerium ist nicht die Prüfbehörde
Die Menschen beschweren sich im Zusammenhang
für Tätigkeiten der Landesjustizverwaltung in Nordrhein-
mit der Justiz am meisten über Verzögerungen. Das ist
Westfalen.
auch klar, wenn in einem Amtsgericht die Richterinnen
(Alfred Hartenbach [SPD]: Das hat Herr und Richter durchschnittlich bis zu 650 Fälle im Jahr zu
Bosbach nicht verstanden! Das ist das Staats- bearbeiten haben. Da leidet auch beim fleißigsten Richter
verständnis der CDU/CSU!) manchmal die Qualität der Entscheidung.
Was da geschehen ist, müssen wir uns alle genau an- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben doch die
schauen; da haben Sie Recht. Wenn wir weiterhin darüber schnellsten Erledigungen in der ganzen Welt!)
diskutieren wollen, müssen wir diesen Sachverhalt sehr
Das werden wir verbessern, ohne an falschen Stellen Ein-
präzise untersuchen und genau feststellen, wer da was
schnitte vorzunehmen.
verbockt hat.
Als Bündnisgrüne haben wir erreicht, dass, wenn not-
Der Reformstau in der Rechtspolitik löst sich all-
wendig, Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz auch
mählich auf. Endlich, muss man sagen. Statt auf Flick-
in der Berufungsinstanz überprüft werden können. Der
schusterei, wie sie noch unter Schwarz-Gelb mit diversen
Richterbund findet das überflüssig; der Anwaltschaft ist
Rechtspflegeentlastungsgesetzen üblich war, setzt Rot-
damit das Fenster zur nächsten Instanz noch nicht weit ge-
Grün auf eine Komplettreparatur der Justiz. Meine Da-
nug aufgestoßen. Diese kontroverse Kritik zeigt, dass wir
men und Herren von der Union, selbst Ihr bayerischer
eine gute und ausgewogene Lösung gefunden haben.
Parteifreund, Herr Justizminister Weiß, erkennt offenbar
die Zeichen der Zeit. Schauen Sie nur, wie er sich im ak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
tuellen „Focus“ geradezu erleichtert und erfreut über un- sowie des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11455
Volker Beck (Köln)

(A) Diese Koalition hat den Mut, den Rechtsstaat von Grund aller Schattierungen und von einem Teil der Christdemo- (C)
auf zu modernisieren, wo dies geboten ist. Es ist auch an kraten beschlossen.
einem Punkt geboten, den Sie in Ihrer Rede erwähnt ha-
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Was sagt
ben: die eingetragene Partnerschaft. Es ist einfach nicht uns das jetzt?)
hinzunehmen, dass es in unserer Gesellschaft eine Gruppe
gibt, nämlich die Schwulen und Lesben, die kein Recht Dort hat man anerkannt, dass der Respekt des Rechts
haben, ihre Partnerschaften als Verantwortungs- und Ein- auch vor den homosexuellen Partnerschaften nicht Halt
stehensgemeinschaften unter rechtlichem Schutz zu le- machen kann. Wenn man dagegen in Ihre Vorschläge,
ben. Es ist ein Skandal, dass dieser Zustand schon seit Herr Bosbach, sieht, wo Sie vereinzelt sagen, Sie wollten
Jahrzehnten unter der Geltung des Grundgesetzes andau- den Homosexuellen helfen, erkennt man, dass das fol-
ert, obwohl uns die Gerichte inzwischen sagen, dass sich gende Sachverhalte betrifft: auf dem Totenbett, im Kran-
auch die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft auf kenhaus, in der Justizvollzugsanstalt und im Gerichtssaal.
Da sehen Sie die Homosexuellen und da wollen Sie ihnen
den Schutz des Grundgesetzes berufen kann, nämlich auf
ein bisschen helfen.
die Handlungsfreiheit, den Schutz der Menschenwürde
und die Gleichheit vor dem Gesetz. Das hat uns Karlsruhe (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Was spricht
1993 ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben. denn dagegen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Die Menschen wollen aber ihre Partnerschaft begrün-
wie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis den und ihr Leben gestalten, und das findet nicht nur an
[CDU/CSU]: Dann haben Sie das Urteil falsch diesen Orten statt, auch wenn das offensichtlich noch
verstanden!) Ihrem etwas zurückgebliebenen Bild von dieser sozialen
Gruppe entspricht.
Sie haben ja ein Verständnis des Artikel 6 des Grund-
gesetzes, den Sie hier immer vortragen, das ein bezeich- Wir packen die notwendigen Reformen auch in ande-
nendes Licht auf die Familienpolitik der CDU wirft. Für ren Bereichen an und werden sie in diesem Jahr auf den
Sie ist Artikel 6 des Grundgesetzes in seiner Bedeutung Weg bringen bzw. durchsetzen: zum Beispiel die Reform
nur noch ein Ausgrenzungsartikel, nicht ein Artikel, bei des Mietrechts und des strafrechtlichen Sanktionensys-
tems. Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erzie-
dem wir sagen: Wir fördern Partnerschaftlichkeit und Fa-
hung, das wir hier beschlossen haben, setzt ein wichtiges
milie. Für Sie geht es nur darum, andere Lebensformen,
Zeichen, und ich hoffe, dass Sie das im Bundesrat mitma-
die Ihrem Leitbild nicht entsprechen, auszugrenzen und
chen. Wir müssen ein Signal gegen die Gewalt in der Ge-
zu diskriminieren. sellschaft setzen. Wir wollen festhalten, dass Kinder ein
(B) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie wissen doch Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben. (D)
selbst, dass das nicht wahr ist, was Sie (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aus diesem Ge-
sagen!) setz wird nichts hervorgehen! Reine Deklama-
Das ist nicht unser Verständnis. Diese Koalition hat wie tion!)
keine andere Koalition zuvor für die Familie gearbeitet: Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Gewalt-
beim Erziehungsgeld, beim Kindergeld und bei der Steu- prävention. Wir durchbrechen die Spirale der Gewalt,
erreform. Deshalb haben wir es, um familienfreundlich zu weil wir aus den Untersuchungen über gewalttätige kri-
sein, nicht nötig, andere Lebensformen auszugrenzen minelle Jugendliche wissen, dass ein großer Teil derjeni-
und zu diskriminieren. gen, die bei Körperverletzungsdelikten auffällig werden,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrer Kindheit im Elternhaus Opfer von Gewalt gewe-
sowie bei Abgeordneten der SPD – Dietrich sen sind. Wenn wir dagegen wirklich etwas machen wol-
len, müssen wir unmissverständlich klarmachen: Gewalt-
Austermann [CDU/CSU]: Sie nehmen die Ver-
mittel sind keine Erziehungsmittel. Genau da setzen wir
fassung nicht ernst!)
ein Zeichen.
Wissen Sie, Herr Bosbach, man muss sich ja schon
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
manchmal über die Diskussion in unserem Land in Bezug sowie bei Abgeordneten der SPD)
auf solche Themen wundern. Da wird ein Buhei gemacht!
Bei der Sanktionenrechtsreform, die noch in diesem
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das stimmt! Jahr auf den Weg gebracht wird, werden wir den Gerich-
Da haben Sie Recht!) ten das Instrument der gemeinnützigen Arbeit an die Hand
In anderen Ländern, zum Beispiel den Niederlanden, geben. „Schwitzen statt Sitzen“ ist das Motto. Das ist bes-
Skandinavien oder Frankreich, diskutiert man solche Fra- ser, als die ohnehin belasteten Gefängnisse mit Leuten zu
gen ergebnisorientiert und viel gelassener. Ich will auf füllen, denen die Mittel zur Bezahlung ihrer Geldstrafen
eine dpa-Meldung dieser Woche hinweisen, wonach un- fehlen. Auch die Aufwertung des Fahrverbotes zur Haupt-
ser Nachbarland Niederlande in dieser Frage viel, viel strafe ist sinnvoll. Die Mobilitätseinbuße schmerzt den
weiter geht und trotzdem sehr gelassen damit umgeht. Das gut verdienenden Täter wesentlich mehr als eine Geld-
Niederländische Zweite Haus hat diese Woche mit 107 zu strafe, die er locker wegsteckt.
33 Stimmen beschlossen, die Ehe für gleichgeschlechtli- In den Diskussionen der letzten Wochen wurden aber
che Paare zu öffnen. Dieses Gesetz wurde unter Zustim- auch Forderungen nach höheren Strafen für rechts-
mung der Sozialdemokraten, der Grünen, der Liberalen extremistische Täter laut. Ich möchte dazu ganz klar
11456 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Volker Beck (Köln)

(A) sagen: Spezielle Sanktionen für rechtsradikale Täter oder durchgeführt wird. Nichts davon wird durch Ihre angebli- (C)
Sonderstraftatbestände aus Gesinnungsgründen lehnen che Justizreform erfüllt.
wir ab. Eine derartige Sonderbehandlung wäre verfas-
(Beifall des Abg. Dietrich Austermann
sungswidrig.
[CDU/CSU])
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da sind wir einer
Der Rechtsschutz des Bürgers wird in der zweiten Instanz
Meinung!)
drastisch verkürzt. Rechtsanwälte, Richter und praktisch
Ein Gesinnungsstrafrecht würde die Rechtssicherheit und alle mit dem Rechtswesen verbundenen Verbände lehnen
das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz erheblich diese Reform ab. Auch die Mehrzahl der Länder hat sich
gefährden. Ich möchte eindringlich davor warnen, im in die Reihen der Kritiker begeben. Sie sollten unter die-
Rahmen der Rechtsextremismusdebatte allzu sehr auf sol- sen Umständen Ihren Entwurf schleunigst zurückziehen.
che populistischen Schnellschüsse zu setzen. Sagen Sie
– Herr Geis, Sie nicken so freundlich – das bitte Herrn Schließlich ist der Rechtsfrieden unserer Gesellschaft
Schelter in Brandenburg, der solche Vorschläge gemacht ein äußerst wichtiges Gut. Ehe man grundlegende Verän-
hat. derungen vornimmt, muss eine ausführliche Diskussion
erfolgen. Diese Diskussion haben Sie, Frau Ministerin,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sagen Sie das zwar angekündigt, aber Sie haben diese Ankündigung
Herrn Struck! Der ist aber nicht da!) nicht wahr werden lassen;
Wir haben gesehen, der Rechtsstaat ist in der Lage, (Beifall bei der F.D.P.)
konsequent und angemessen zu reagieren. Wer in
Deutschland fremde Mitbürgerinnen und -bürger durch denn die Anwaltsvereine, die Anwaltskammern und die
die Straßen hetzt, sie beleidigt, verletzt und tötet, der kann Richterschaft sind nicht rechtzeitig informiert worden.
dafür hinreichend bestraft werden. Im Rahmen der Straf- (Beifall bei der F.D.P.)
zumessung müssen die Gerichte das Motiv „Ausländer-
hass“ sogar strafverschärfend berücksichtigen. Deswegen ist es zweckmäßig, hier noch einmal genau zu
fragen: Was brauchen wir für eine Justizreform? Wir brau-
(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss) chen im Grunde genommen noch eine grundlegende Dis-
Wir haben an den Urteilen, die in Sachsen-Anhalt ge- kussion.
fällt wurden, gesehen, dass auch entsprechend reagiert Mit großer Sorge sieht unsere Fraktion, dass das Pa-
wird. Es wurde einmal Lebenslänglich und zweimal eine tent- und Markenamt zurzeit über 100 000 Anträge
Jugendstrafe von neun Jahren verhängt. Völlig zu Recht! nicht bearbeitet hat. Diese Zahl wird nach Auskunft des
Das war ein klares Signal des Rechtsstaates, dass solche Präsidenten dieses Amtes weiter steigen. Aber die Wirt- (D)
(B) Gewalttaten von uns nicht hingenommen werden und
schaft und die Rechteinhaber sind auf eine zügige Ab-
dass derjenige, der sie begeht, außerhalb dieser Gesell- arbeitung der Anträge schon aus Gründen der Konkurrenz
schaft steht. Wir brauchen also zwar keine neuen Gesetze, mit den internationalen Wettbewerbern angewiesen. Die
aber wir brauchen jede Menge kreative Maßnahmen, um F.D.P. wird daher bei den Haushaltsberatungen Anträge
die Zivilgesellschaftlichkeit zu stärken und um denjeni- stellen – Frau Ministerin, hören Sie doch zu, dann kann
gen zu helfen, die Opfer von solchen Gewalttaten werden. man das vielleicht auch gemeinsam regeln –, das Personal
Vielen Dank, meine Damen und Herren. weiter aufzustocken, damit beim Patent- und Markenamt
ordnungsgemäß gearbeitet werden kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort für die Frau Ministerin, wir sind auch bereit, Ihren zusätzli-
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Rainer Funke. chen Wunsch zu unterstützen, einen Arbeitsstab für die
Beilegung internationaler Sorgerechtsstreitigkeiten, ins-
besondere in Kindschaftssachen, einzurichten. Wir wer-
Rainer Funke (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da-
den das im Haushaltsausschuss und auch im Rechtsaus-
men und Herren! Das Bundesjustizministerium ist trotz
schuss unterstützen. Genauso unterstützen wir Ihre
seiner geringen Größe und des geringen Volumens seines
Vorschläge zum Täter-Opfer-Ausgleich und Ihren Kampf
Haushalts ein bedeutendes Haus und ist hinsichtlich der
gegen die Gewalt in der Familie.
Wahrung unseres Rechtsstaates, der rechtlichen Rahmen-
bedingungen unserer Wirtschaft und der Wahrung der (Beifall bei der F.D.P.)
Freiheitsrechte des Bürgers aus unserer Gesellschaft
Mit Sorge sehen wir dagegen, dass Sie Ihre Ankündi-
– Gott sei Dank – nicht mehr wegzudenken. Damit ver-
gung, die Sie schon vor zwei Jahren in diesem Hause ge-
bunden sind natürlich hohe Ansprüche an das Bundesjus-
macht haben – nämlich bei der Regierungserklärung –,
tizministerium, aber auch an Sie, Frau Ministerin. Diese
eine fünfte und sechste Urheberrechtsnovelle einzubrin-
hohe Messlatte ist auch an Ihr Vorhaben einer Justizre-
gen, bis heute nicht umgesetzt haben. Sie haben sich le-
form anzulegen, die Sie zurzeit betreiben.
diglich positiv zu einem Gesetzentwurf einiger Professo-
Eine Justizreform macht nur dann Sinn, wenn der ren zum Urhebervertragsrecht – das hat nichts mit dem
Rechtsschutz des Bürgers gewährt bleibt und wenn sie Urheberrecht zu tun – geäußert. Dies ersetzt natürlich
nicht gegen die Beteiligten, sondern mit ihnen gemeinsam nicht das Einbringen eines eigenen Gesetzentwurfs in den
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11457
Rainer Funke

(A) Deutschen Bundestag. Das Urheberrecht ist bei Ihnen we- Wie sieht diese Bilanz aus? Bei einigen Gesetz- (C)
nigstens zurzeit leider noch schlecht aufgehoben. gebungsvorhaben der Koalition ist durchaus das eine oder
andere Positive erreicht worden. Es bleibt jedoch in den
(Beifall bei der F.D.P.)
verbleibenden zwei Jahren noch viel zu tun, zum Beispiel
Eine Reihe von Gesetzentwürfen, wie zum Beispiel in den Bereichen der Verbraucherinsolvenz, des Sanktio-
das Mietrecht, die Änderung des Strafvollzugsgesetzes nensystems oder auch des Grundstücksrechts. Ich habe er-
zur Gefangenenentlohnung, die Verbesserung der Juris- hebliche Zweifel, ob die wichtigen Vorhaben in dieser
tenausbildung, die Änderungen zu Art. 16 und 12a des Legislaturperiode zu tatsächlichen Reformen geführt wer-
Grundgesetzes, bedürfen wegen ihrer grundlegenden Be- den bzw. überhaupt realisiert werden können. Fraglich er-
deutung ausführlicher Diskussion und eines möglichst scheint mir dabei insbesondere, wieweit die Bundesregie-
breiten Konsenses innerhalb des Bundestages, mit dem rung bei ihren Reformvorhaben in der Rechtspolitik an
Bundesrat und sicherlich auch mit der Gesellschaft. In ihren eigenen inhaltlichen Zielvorstellungen festhalten
diesem Zusammenhang darf ich ausdrücklich betonen, kann.
dass der Ton und die Argumentationsweise von Ihnen – im Bei der Mietrechtsreform mussten Sie, Frau Ministe-
Gegensatz zur früheren kollegialen Zusammenarbeit im rin, bereits an zwei wichtigen Punkten, nämlich bei der
Deutschen Bundestag – der Sache nicht immer dienlich Modernisierungsumlage und bei den verkürzten Kündi-
gewesen sind. Ich will es bei dieser etwas vornehmen Um- gungsfristen für Mieter, deutliche Zugeständnisse ma-
schreibung belassen. chen, um den Entwurf überhaupt durch das Kabinett zu
Das Justizministerium ist immer ein Hort sachgerech- bringen. Auch wenn ich weiß, dass größere und große
ter Mitprüfung der Gesetzesvorhaben der anderen Fach- Projekte ohne Kompromisse kaum zu haben sind, hoffe
ressorts gewesen. Die Prüfung der Rechtsförmlichkeit der ich doch, dass die nächsten Projekte nicht unter dem
Gesetzesvorhaben anderer Häuser hat ja einen guten Sinn. mächtigen Druck der Vermieterverbände einseitig zulas-
Mit Sorge betrachte ich, dass gerade im letzten Jahr diese ten der Mieter gehen.
Prüfung allzu häufig wegen der Nichteinhaltung von Fris- (Beifall bei der PDS)
ten durch andere Häuser nicht möglich gewesen ist. Sie
haben das einfach widerspruchslos hingenommen. Es ist Sie werden dazu in Kürze auch einen ausführlichen Än-
nicht nur einmal vorgekommen, dass die Vertreter Ihres derungsantrag unserer Fraktion erhalten.
Hauses im Rechtsausschuss erklären mussten, dass sie die Die Geschichte der Justizreform in Deutschland ist im
Änderungsanträge und Vorlagen anderer Häuser auch Wesentlichen eine Geschichte des Scheiterns. Sie ist auch
vorher nicht gesehen haben, geschweige denn sie haben eine Leidensgeschichte der jeweils amtierenden Justizmi-
prüfen können. Gerade Sie als Justizministerin sollten da- nister. Im Gegensatz zu früheren Reformvorhaben sind
(B) rauf achten, dass in Zukunft wieder geordnete Beratungs- die Voraussetzungen aber heute besser; denn wir verfügen (D)
grundlagen im Rechtsausschuss vorhanden sind, denn nur dank qualifizierter rechtstatsächlicher Untersuchungen
so können wir unserem gemeinsamen Ziel, die Rechts- über eine gute Datenbasis. Deshalb begrüße ich auch die
ordnung den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Än- geplanten Mehrausgaben für Forschungen und Untersu-
derungen anzupassen, gerecht werden. Dazu wünsche ich chungen. Daten allein reichen aber nicht aus.
Ihren hervorragenden Mitarbeitern und auch Ihnen, Frau
Ich will heute nicht über die Gründe des Widerstandes
Ministerin, Erfolg.
gegen die Reform orakeln. Auch hier wird es naturgemäß
Vielen Dank. ohne Zugeständnisse nicht abgehen. Ich sehe vor allem
das Problem, dass wir jetzt zwar einen Entwurf vorzule-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU gen haben, der vor allem die Rechtsmittelreform be-
sowie bei Abgeordneten der SPD) inhaltet, dass jedoch die zweite Seite der Medaille, die an-
gekündigte Reform der Gerichtsverfassung, das heißt vor
Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktion allem die Frage der zu begrüßenden Dreistufigkeit, bisher
hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler das Wort. nur durchscheint.
Wenn jedoch, wie es sich gegenwärtig abzeichnet, bei
Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Frau Präsidentin! Liebe der Rechtsmittelreform von den ursprünglichen Vorstel-
Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten sind be- lungen immer weiter abgewichen wird oder abgewichen
kanntermaßen Abrechnungsdebatten im doppelten Sinne. werden muss, gerät das Gesamtkonzept, einschließlich ei-
Abgesehen von der Frage, ob im kommenden Jahr das ge- nes dreigliedrigen Gerichtsaufbaus, ins Wanken. Es be-
plante Budget in vernünftiger Relation zu den anstehen- steht die ernsthafte Gefahr, dass am Ende beide Seiten
den Aufgaben angesetzt wird und sachgerecht eingesetzt nicht mehr zusammenpassen. Um nicht missverstanden
werden soll, geht es gerade in der ersten Lesung um eine zu werden: Ich sehe durchaus begründeten Änderungsbe-
inhaltliche Bilanz, zumal – wie die Fußballer sagen wür- darf beim vorliegenden Entwurf, gerade im Hinblick auf
den – gerade die zweite Halbzeit angepfiffen wurde. Die die zweite Instanz. Die Reform des Zivilprozesses und der
hektischen Aktivitäten des Ministeriums kurz vor Beginn Gerichtsverfassung sind jedoch zwei Seiten einer Me-
der Sommerpause, um den Entwurf zum ZPO-Reformge- daille und müssen deshalb aus einem Guss entstehen.
setz noch in der ersten Halbzeit in Richtung Tor zu bewe- Hinzu kommt, dass diese Reform, wenn sie funktio-
gen, zeigen, dass man sich in der Jerusalemer Straße nieren soll, Geld kosten wird. Wenn uns Recht und
mächtig ins Zeug gelegt hat, um die Halbzeitbilanz posi- Rechtsstaat teuer sind, wie Sie, Frau Ministerin Däubler-
tiv zu beeinflussen. Gmelin, zum Beispiel auf dem rechtspolitischen
11458 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Dr. Evelyn Kenzler

(A) Kongress Ihrer Partei 1997 in Mainz selber gesagt haben, Sie aber, Herr Rechtsanwalt Bosbach, wo auch immer Sie (C)
so muss auch offen und ehrlich über die Kosten gespro- sich jetzt in diesem Hause nach Ihrer Schandrede ver-
chen werden. stecken,
(Beifall bei der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen
Denn nur wenn die Finanzierung mit den Ländern zufrie- bei der CDU/CSU)
denstellend geregelt werden kann, kann die Reform einen sollten eines wissen: Vorverurteilungen in die eine wie in
deutlichen Schritt nach vorne machen. die andere Richtung sind hier nicht angebracht.
Zu fragen ist auch, wie die Bürgerinnen und Bürger an- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von
gesprochen werden können, die die Reform doch in erster
der CDU/CSU: Wen hat er denn vorverurteilt?)
Linie angeht. Ich weiß sehr wohl, wie schwer es ist, die
Bevölkerung für die Justiz insgesamt zu interessieren, Wenn Sie hier berichten, sollten Sie auch wissen: Es
über den konkreten Einzelfall hinaus. Selbst die Diskus- war nicht nur die Staatsanwaltschaft, es war ein deutsches
sion im Plenum fand praktisch nur unter Juristen statt. Als Amtsgericht, welches dem Immunitätsausschuss einen
hätte es sich bis in die Kuppel herumgesprochen, gibt es Beschluss vorgelegt hat. Sie wissen genauso gut wie ich,
kaum einmal interessierte Bürger, die diesen Fragen hier dass der Immunitätsausschuss gar nicht anders entschei-
Aufmerksamkeit zuwenden. Erfreulicherweise sieht der den konnte.
neue Haushalt für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundes-
justizministeriums eine deutliche Steigerung vor, die hof- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]:
fentlich auch für solche Zwecke verwendet wird. So ist es!)
(Beifall bei der PDS) Wo waren denn da Ihre Leute?
Wenn Politik ein starkes beharrliches Bohren von har- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Helmut
ten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich be- Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
deutet, dann hat in der Rechtspolitik zunächst ein gele- NEN])
gentliches, jetzt allmählich stärker werdendes Klopfen
begonnen. Frau Ministerin, Sie haben sich für die zweite Ihre Brandrede zeigt doch, dass Sie eine ganz erbärmliche
Halbzeit nach dem, was Sie eben hier ausgeführt haben, Justizpolitik vertreten. Da ist nichts an Form, nichts an
viel vorgenommen. Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge, Format, sondern nur Hetze, nur Bösartigkeit, nur Unwis-
habe jedoch auch Skepsis, ob Sie sich dabei nicht verhe- sen, –
ben werden. Dort, wo das Recht tatsächlich zu mehr Recht
für die Schwächeren wird und werden soll, werden Sie in (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie sind das beste
(B) meiner Fraktion einen Verbündeten haben. Beispiel dafür!) (D)
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten – nur, Herr Geis, übelste Polemik.
der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Wo ist (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Helmut
das Angebot der CDU/CSU?)
Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN] – Unruhe bei der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner für
die SPD-Fraktion ist der Kollege Alfred Hartenbach. Wir, meine Damen und Herren, werden unsere Re-
formpolitik heute sachlich darstellen. Wir werden unsere
Reformpolitik weiter betreiben.
Alfred Hartenbach (SPD): Frau Präsidentin, ich
möchte Sie eigentlich bitten, die Sitzung zu unterbrechen, (Rainer Funke [F.D.P.]: Unkontrollierte Leute
bis der Herr Bosbach wieder da ist. Erst eine solche sind gefährlich!)
Brandrede zu halten und dann abzuhauen gibt ein ganz Die Menschen in diesem Land haben nämlich verstanden,
schlechtes Bild ab.
dass nach 16 Jahren Stillstand dieser Tu-nichts-Koalition
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Helmut endlich wieder etwas geschehen muss.
Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]) (Beifall bei der SPD)
Da ich aber offensichtlich die Unterbrechung nicht be- Mit einigem Stolz können wir auf eine gute Bilanz ver-
komme, muss ich ihn in Abwesenheit tadeln. weisen.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Von Ihnen lasse (Zuruf von der SPD: Eine hervorragende! –
ich mir nicht sagen, dass er „abhaut“! – Detlev Lachen des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/
von Larcher [SPD]: Der Abgeordnete auf der CSU])
Flucht!)
Wir haben sicher keine Gesetze am Fließband produziert,
Wenn, meine sehr verehrten Damen und Herren, im was die Opposition ja manchmal kritisiert, aber wir haben
Falle Pofalla etwas falsch gelaufen ist, dann, da können mit Verstand Gesetze mit Inhalt gemacht. Die Gesetze, die
Sie versichert sein, werden wir uns nicht gegen eine Auf- wir verabschiedet haben, überzeugen durch Inhalt und
klärung stellen. Qualität. Dabei setzen wir, meine lieben Kolleginnen und
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: In der Kollegen, unsere Schwerpunkte genau in den Bereichen,
Geschichte müssen Köpfe rollen!) die die Vorgängerregierung entweder nicht erkannt oder
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11459
Alfred Hartenbach

(A) sträflich vernachlässigt hat. Das sind die Gebiete des Wir wollen eine Chance für die gutwilligen Schuldner (C)
Gesellschaftsrechts, des Wirtschafts- und Wettbewerbs- eröffnen, damit sie wieder am Wirtschaftsleben teilneh-
rechts, besonders aber die ordentliche Gerichtsbarkeit, die men können.
dringend der Reform bedarf.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn
Das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung stellen
in den letzten zehn Jahren? – Rainer Funke sich derzeit immer wieder als Hemmnisse einer prospe-
[F.D.P.]: Er war selbst Berichterstatter!) rierenden Wirtschaft dar. Dafür haben Sie 16 Jahre lang
Wir haben einen mutigen Schritt getan, indem wir das kein Auge gehabt. Dies in enger Zusammenarbeit mit
Gesetz über eingetragene Lebenspartnerschaften in ei- den Betroffenen zu verbessern wird eines unserer Ziele
ner viel beachteten ersten Lesung in das Gesetzgebungs- sein.
verfahren eingebracht haben. Hier hat sich gezeigt, dass Ebenso werden wir uns – da bin ich anderer Ansicht als
die rot-grüne Rechtspolitik arbeitsfähig und zukunftsori- Sie, Herr Funke – dem Urheberrecht mit besonderer Auf-
entiert ist. Wir haben das Ende der Diskriminierung von merksamkeit widmen.
Menschen mit gleichgeschlechtlicher Neigung eingeläu-
tet und damit für einen großen Personenkreis neue gesell- (Rainer Funke [F.D.P.]: Das wird auch Zeit!)
schaftliche Perspektiven geschaffen. Ich lade Sie als Fachmann besonders zu den Gesprächen
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wo versteckt sich ein.
eigentlich der Herr Beck?) Wir unterstützen den Weg unserer Bundesjustiz-
– Herr Beck hat sich bei mir entschuldigt. – Wir erwarten ministerin, die Personaldecke im Deutschen Patent- und
von allen Parteien hier im Bundestag, dass sie nicht nur Markenamt zu verbessern. Wir wissen, dass es hier seit
polemisieren, sondern es so wie Ihre Vorsitzende machen, langem einen Schwachpunkt gibt, den wiederum Sie mit-
die ja schon auf die Schwulen und Lesben Ihrer Partei verursacht haben.
zugegangen ist, und mit uns über das Thema sachlich re- (Ludwig Stiegler [SPD]: So ist es! Keine Ände-
den. rung beschlossen! Nur gebremst! Nichts ge-
macht! Alles verhindert!)
Die Bürgerinnen und Bürger der mittel- und ost-
deutschen Bundesländer finden in uns einen Anwalt ih- Wir wissen, dass hier eine moderne technische Ausstat-
rer Sache. So haben wir im Zweiten SED-Unrechtsberei- tung notwendig ist. Hier kann die Frau Ministerin alle Un-
nigungsgesetz die Stellung der Opfer verbessert und ihre terstützung von uns erwarten.
(B) Rechte gestärkt. Mit dem Grundstückrechtsänderungs- (Beifall bei der SPD) (D)
gesetz wollen wir den Ländern und Kommunen mehr
Planungssicherheit geben. Es ist für mich völlig unver- Eine unserer wichtigsten Aufgaben wird es jedoch
ständlich, dass dieses Gesetz von der Mehrheit im Bun- sein, die ordentliche Gerichtsbarkeit so zu modernisie-
desrat blockiert wird. ren, –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jeder
Richter einen Laptop!)
Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der
Koalition, eine zukunftsorientierte Planung unserer Mi- – dass sie bürgernah und effizienter wird und sich im eu-
nisterin und eine solide und gründliche Fleißarbeit der ropäischen Wettbewerb behaupten kann.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizministerium Wenn Herr Bosbach – ich habe das eben in die Debatte
werden weitere Früchte unserer Arbeit bringen. geworfen – selbst lesen und nicht lesen lassen würde, wie
Dank der neuen Offenheit der Justizministerin im er es offensichtlich getan hat,
Gesetzgebungsverfahren wissen diejenigen, die es an- (Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)
geht, dass wir insbesondere das Insolvenzgesetz ändern
und die Zugänge für die Verbraucherinsolvenz öffnen. dann würde er merken, dass der Entwurf, wie wir ihn von
Herr Pick – – Er ist auch nicht da; der Koalition eingebracht haben und wie er mittlerweile
als Regierungsentwurf im Bundesrat vorliegt, durchaus
(Heiterkeit) eine sehr positive Beachtung gefunden hat.
alle, die ich ansprechen will, sind nicht da. (Rainer Funke [F.D.P.]: Wo denn? Erzählen Sie
(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: doch mal! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bei
Er ist bei seiner Fraktion! – Eckart von Klaeden Müntefering?)
[CDU/CSU]: Sie haben Herrn Stiegler auch Ihr Herr Röttgen hat vom Deutschen Richterbund eins
während der Rede kommen lassen!) übergebraten bekommen, weil er ihn falsch zitiert hat.
Herr Professor Pick, ich wollte Sie gerade loben: So se- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt wol-
hen insbesondere die Väter des Insolvenzgesetzes aus der len wir mal ein paar positive Stimmen hören!)
12. Legislaturperiode, dass es hier weitergeht.
Ich verstehe aber auch, dass wir die Politik nicht auf den
(Beifall bei der SPD) Deutschen Richterbund übertragen dürfen.
11460 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Alfred Hartenbach

(A) Wir haben diesen Koalitionsentwurf eingebracht, weil (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
wir wissen, und zwar nicht erst seit gestern, dass die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Justiz reformbedürftig ist.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner in die-
unbestritten!) ser Debatte zum Geschäftsbereich Justiz ist der Kollege
Albrecht Feibel für die Fraktion der CDU/CSU.
Sie wissen das ebenfalls, denn Sie haben einen Entwurf
eingebracht, dessen Vorschriften sich zu etwa 40 Prozent
mit unseren Vorschlägen decken. Nur, heute tun Sie so, als Albrecht Feibel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ver-
ob Sie von nichts mehr wüssten. Aber es ist ja bei Ihnen ehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe interessierte Bür-
in der Union nichts Neues, dass man vergisst, was man gerinnen und Bürger! Herzlich willkommen hier bei uns
gestern gesagt hat. im Reichstag!
(Beifall bei der SPD) (Zustimmung bei der CDU/CSU)
Es ist hier wenig hilfreich, immer nur Nein zu sagen. Vorhin wurde noch gesagt, es gebe keine interessierten
Heribert Prantl, den Sie sicherlich alle kennen und schät- Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen also das Gegenteil
zen, hat gesagt: Die deutsche Justiz ist nicht das Paradies feststellen.
auf Erden und die Zivilprozessordnung ist auch nicht die Da der Bundesfinanzminister anwesend ist, möchte ich
Heilige Schrift. Er hat im „Deutschen Anwalts- noch eine Bemerkung zu seinen Äußerungen in diesen Ta-
blatt“ 9/2000 – Bosbach sollte das lesen –, zum Besten ge- gen machen – die Kollegen von den Koalitionsfraktionen
geben – – haben sich dem angeschlossen –, bevor ich etwas zu der
Frau Justizministerin sage. Es geht mir um die 50 Pfennig,
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege die unter der CDU/CSU-Regierung als Steuer auf die
Hartenbach, bevor Sie weiterzitieren, muss ich Sie darauf Treibstoffkosten aufgeschlagen wurden.
aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist. Lieber Herr Bundesminister, Sie verschweigen zweier-
lei: Erstens. Die Steuererhöhungen wurden in fast allen
Alfred Hartenbach (SPD): Schade, Frau Präsidentin, Fällen auch mit Zustimmung der SPD durchgeführt, –
dass Sie mich hier stoppen. Ich komme jetzt zum Schluss. (Hans Eichel, Bundesminister: Richtig!
Gestatten Sie mir noch ein Wort. Stimmen Sie auch mal zu!)
– wobei aber Ihre Änderungsanträge – ich habe mir das
(B) Vizepräsidentin Petra Bläss: Aber wirklich nur ein extra angeschaut – lediglich formaler Natur waren. Sie (D)
kurzes! hatten nie das Ziel, diese Erhöhungen nicht in dieser
Größenordnung durchführen zu wollen.
Alfred Hartenbach (SPD): Wirklich nur ein Wort. Zweitens. Sie wissen – aber verschweigen es –, dass
diese Steuererhöhungen nicht willkürlich waren, sondern
Wenn Sie immer nur Nein sagen, kommen wir nicht dass es darum ging, damit die Kosten des Golfkrieges, der
weiter. Bahnreform und der deutschen Einheit mit zu finanzieren.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ein ganz
Wir würden so gerne Ja sagen!) neues Argument! Das haben wir noch nie
Bringen Sie doch auch einmal wieder etwas Positives hier gehört!)
ein, nicht nur schwarze Kassen, Meineide und Falsch- Wie wir wissen, hat die Bundesregierung bei ihrem
aussagen. Amtsantritt 1998 wichtige Reformen der Vorgängerregie-
(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Billig!) rung zurückgenommen, –
Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden das gemein- (Alfred Hartenbach [SPD]: Reden Sie über
sam schaffen. den Justizhaushalt!)
Ihnen, Frau Ministerin, danke ich sehr herzlich für die – beispielsweise Rentenreform und Gesundheitsreform.
gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich bitte Sie, Bisher konnten wir allerdings nicht feststellen, Herr Bun-
dies auch Ihrer Leitungsebene und Ihren Mitarbeiterinnen desminister, dass die Regierung Schröder die damaligen
und Mitarbeitern mitzuteilen, die ich genauso schätze wie Steuererhöhungen zurückgenommen hätte. Die Bundes-
Herr Funke. Deswegen habe ich ihm eben eine Kusshand regierung von SPD und Grünen kritisiert zwar, kassiert
zugeworfen; Sie wissen das. aber diese Erhöhungen munter weiter. Während sie kriti-
siert, sattelt sie weitere Belastungen drauf.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege (Alfred Hartenbach [SPD]: Jetzt kommen wir
zum Justizhaushalt!)
Hartenbach, das war jetzt wirklich ein sehr, sehr langes Wort.
– Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Das tut Ihnen
natürlich weh.
Alfred Hartenbach (SPD): Ich bedanke mich bei Ih-
nen für Ihre Langmut, Frau Präsidentin, und wünsche (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der
noch ein schönes Wochenende. SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11461
Albrecht Feibel

(A) Diese Politik führt zu gewaltigen Belastungen der Fa- ben Sie in Wirklichkeit nicht 49 Stellen, sondern lediglich (C)
milien. Dieser Punkt muss doch immer wieder angespro- 10,5 neue Stellen geschaffen.
chen werden. Wer in diesem Jahr für die Heizkosten
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
2 000 DM gezahlt hat, der zahlt im nächsten Jahr
4 000 DM. Herr Kollege Hartenbach, das ist Ihre soziale Von 2000 zu 2001 wollen Sie 32,5 neue Stellen schaffen.
Politik. Frau Ministerin, Sie sollten ruhig zuhören.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die haben keine (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist der Unter-
soziale Politik!) schied zwischen Reden und Handeln!)
Sie verstehen unter sozialer Politik, dass Sie die Familien, Das sind von 1999 bis 2001 knapp 2 Prozent mehr Stel-
und gerade die mit geringem Einkommen, mit ihrer Öko- len.
steuer – die diese Bezeichnung ja gar nicht verdient – dop-
Gleichzeitig sind die am Jahresende bestehenden
pelt belasten.
Überhänge an nicht bearbeiteten Patentanmeldungen –
(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach das waren 1995 noch 70 000 – auf mehr als 100 000 ge-
[SPD]: Sie wollten doch über Ehe und Familie stiegen. Das heißt, die Überhänge sind um 30 Prozent ge-
reden!) stiegen. Diese Steigerung von 30 Prozent wollen Sie mit
einer Personalaufstockung in Höhe von 2 Prozent aus-
Trotz einer leichten Verbesserung der Arbeitsmarkt-
zahlen ist das Arbeitslosenproblem immer noch be- gleichen.
drückend. Ich nehme an, auch Sie stimmen dem zu. Auch Meine Damen und Herren, Erfindungen, Entwicklun-
Frau Engelen-Kefer vom DGB kritisiert die Stagnation gen und neue Marken sind ungeheuer wichtig zur Stär-
auf dem Arbeitsmarkt: zu wenig neue Arbeitsplätze und kung des Wirtschaftswachstums und der Wettbewerbs-
zu viele ältere Langzeitarbeitslose. Da hilft kein Schönre- fähigkeit unserer Unternehmen. Diese Zusammenhänge
den, wir haben immer noch rund 4 Millionen Arbeitslose. sollte man ernst nehmen. Die Bundesregierung sollte ein
Daraus folgt: Die Bundesregierung muss alles tun, um das realistisches Verhältnis zwischen der Zahl der Beschäftig-
notwendige Wirtschaftswachstum zu fördern, damit das ten und der Zahl der zu bearbeitenden Anträge herstellen.
Problem der Arbeitslosigkeit wirksam angegangen wer- Von einer solchen Annäherung sind Sie, Frau Ministerin,
den kann. meilenweit entfernt. Dieser Zustand schadet dem Wirt-
(Detlev von Larcher [SPD]: Was hat das mit schaftswachstum und der Wettbewerbsfähigkeit unserer
dem Justizhaushalt zu tun? – Alfred Hartenbach Unternehmen.
[SPD]: Es gibt auch arbeitslose Juristen!) (Ludwig Stiegler [SPD]: Hättet ihr einmal
(B) – Hören Sie ruhig einmal zu! Sie haben sich vorhin über vorher etwas getan!) (D)
den Kollegen Bosbach aufgeregt. Sie sollten wissen, dass – Herr Stiegler, damals gab es am Jahresende nur 40 000 bzw.
er vorhin unterwegs war, um den Kollegen Beck von den 50 000 Überhänge. Heute sind es 100 000. Das ist ein ge-
Grünen zu suchen. Deswegen war er nicht anwesend. waltiger Unterschied. Diese Überhänge haben Sie abzu-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) bauen, indem Sie Personal einstellen.
Wichtiger Impulsgeber für das Wirtschaftswachstum (Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler
und für neue Arbeitsplätze ist die Entwicklung neuer Pro- [SPD]: Wir haben Ihnen das vorhergesagt und
dukte und Dienstleistungen. Deshalb – Frau Ministerin, Sie haben nichts gemacht!)
vielleicht hören Sie jetzt einmal zu – kommt dem Patent- Sie schaffen viel zu wenig neue Stellen.
und Markenwesen in diesem Zusammenhang ganz be-
sondere Bedeutung zu. Gleichzeitig haben Sie, Frau Ministerin, die Gebühren
für die Patentanmeldungen und für die Patentbearbeitun-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe gen kräftig erhöht. Diese Gebührenerhöhungen werden
von der SPD: Ah!) aber nicht zu einer beschleunigten Bearbeitung der An-
Das erkannte die Frau Ministerin im letzten Jahr noch und träge genutzt. Sie belasten die Antragsteller stattdessen
führte dann aus: zusätzlich zu den ungebührlich langen Wartezeiten.
(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin:
So ist es!) Das ist falsch!)
Soweit die Frau Ministerin im letzten Jahr. – Wenn das wirklich falsch sein sollte, könnten Sie es ja
nachher richtig stellen.
Diese 49 neuen Stellen haben Sie zwar versprochen,
aber weder in 2000 geschaffen, noch haben Sie die Ab- In einer Zeit, in der Erfindungen insbesondere im
sicht, dies in 2001 zu tun. Kommunikationsbereich eine immer kürzere Halbwerts-
zeit haben, müssen unsere Erfinder zwei oder drei Jahre
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt kommt es warten, wenn sie ihr neues Produkt patentgeschützt auf
raus!) den Markt bringen wollen. Das ist eine unerträgliche Si-
Tatsächlich sind es nämlich weniger Stellen, die Sie in tuation. Durch solche Personalengpässe wird die Wirt-
München schaffen werden, obwohl die Zahl der Patent- schaftsentwicklung bewusst und vorsätzlich ausgebremst
anmeldungen enorm gestiegen ist. Von 1999 bis 2000 ha- sowie Innovationskraft geschädigt und nicht gefördert.
11462 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Albrecht Feibel

(A) Der Haushalt des Deutschen Patent- und Markenamtes Wir kommen deshalb zur Schlussrunde. Ich erteile (C)
ist – ohne Bundesmittel – bei den Einnahmen und Ausga- zunächst dem Bundesfinanzminister Hans Eichel das
ben nicht nur ausgeglichen, er würde sogar einen Über- Wort.
schuss ausweisen, wenn nicht von diesen Einnahmen
auch noch das Bundespatentgericht finanziert werden Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen (von der
müsste. Frau Ministerin, wir fordern Sie auf, dafür zu sor- SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
gen, dass das DPMA eine angemessene Personalausstat- GRÜNEN mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine
tung erhält, die die Chance eröffnet, die Bearbeitungszei- sehr verehrten Damen und Herren! Vor sehr gelichteten
ten auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Lösen Sie Ihre Reihen möchte ich ein paar kurze Schlussbemerkungen
Versprechungen ein und setzen Sie dieses Amt in den machen: Erstens. Was hätten Sie, meine verehrten Damen
Stand, die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft stär- und Herren von der Opposition, nur gemacht, wenn Sie
ken zu helfen! das Thema Ökosteuer nicht gehabt hätten?
Wenn man auf der anderen Seite den Ansatz, den Sie in (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ihrem Etat für Öffentlichkeitsarbeit vorsehen, betrach-
tet, dann ist festzustellen: Da sieht die Welt ganz anders Wie hätten Sie dann, nach all dem, was Sie hier geboten
aus. haben, die Haushaltsdebatte geführt?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aha!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: War doch


gut!)
1999 hatten Sie 443 000 DM für Öffentlichkeitsarbeit
vorgesehen. In diesem Jahr waren es 475 000 DM. Für das Es war eine ziemlich lustlose, teilweise kabarettisti-
Jahr 2001 erhöhen Sie diesen Ansatz um 50 Prozent auf sche Veranstaltung; um den Haushalt ging es nur wenig.
675 000 DM. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Günter
Gott sei Dank! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Rexrodt [F.D.P.])
Der Wahlkampf lässt grüßen!) – Ich bin bereit, Herr Rexrodt, zu differenzieren. Ich bin
dazu ausdrücklich bereit. – Es ging immer nach demsel-
Dieses Geld sollten Sie besser zur Förderung der Arbeit
ben Motto: Überall, bei jedem Einzelplan, müsste es ein
im Deutschen Patent- und Markenamt einsetzen als für
wenig mehr sein, insgesamt aber wird zu wenig gespart
Ihre Öffentlichkeitsarbeit. Vielleicht können Sie uns ein-
und viel zu viel ausgegeben, außerdem wurde bei den
mal erklären, was mit diesem Geld geschehen soll.
Steuern viel zu wenig gesenkt.
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D)
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Richtig! Das ist
Jedenfalls können Sie sich nicht länger mit der beste- wahr!)
henden Erblast herausreden. Seit zwei Jahren tragen Sie Im Übrigen haben Sie mit den Schulden gar nichts zu tun.
für das Deutsche Patent- und Markenamt in München die
Verantwortung. Seit zwei Jahren ist nichts Wesentliches (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch, wir
geschehen, um dort eine beschleunigte Bearbeitung der stehen zu den Schulden!)
Anträge zu erreichen. Nachdem ich das nun zum zweiten Mal in diesem
Danke schön. Hause erlebe, verstehe ich, dass die Finanzlage des Bun-
des so zustande gekommen ist, wie sie sich heute darstellt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Feibel,
dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bun- Sie können aber sicher sein: Genauso werden wir das
destages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen nicht weitermachen. Deswegen sind wir auf Konsolidie-
möchte ich Sie dazu recht herzlich beglückwünschen. rungskurs gegangen, den wir nunmehr im zweiten Jahr
halten. Das ist eine Grundsatzentscheidung; denn nur der-
(Beifall) jenige, der Ausgabendisziplin übt, wird die Finanzen in
Gestatten Sie mir ein Kompliment: Sie haben bei Ihrer Ordnung bringen. Nur derjenige, der Ausgabendiszplin
ersten Rede auf Anhieb Ihre Redezeit eingehalten. übt, hat auch die Chance, aus der Schuldenfalle heraus-
zukommen.
(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Weil Sie eine
strenge Präsidentin sind!) Dass das keine buchhalterische Frage ist, hat inzwi-
schen das ganze Land verstanden. Die Menschen haben
Das ist eine Eigenschaft, über die wir fast alle nicht so verstanden, dass es um die Zukunft unserer Kinder und
recht verfügen. der nächsten Generationen geht, dass wir etwas für deren
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bildung tun und ihnen eine lebenswerte Umwelt hinter-
Bundesministeriums der Justiz liegen nicht vor. Wenn ich lassen müssen, ihnen anstatt immer neue Schulden auf-
den Saal recht überschaue, gibt es auch keine weiteren zuhäufen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
Suchmeldungen nach Abgeordneten, die wir während der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Debatte ja reichlich hatten. DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11463
Bundesminister Hans Eichel

(A) Deswegen gehen wir zunächst konsequent den Weg zu Mineralölsteuer wegen des Golfkrieges erhöht. Dazu (C)
einem Haushalt ohne neue Schulden. Heute tun wir den kann ich nur sagen: Dieser war auch in Ihrer Regierungs-
zweiten Schritt; ihm müssen noch mehrere folgen, bis wir zeit schon lange vorbei. Wenn das der Grund gewesen
einen ausgeglichenen Haushalt – ich hoffe, in 2006 – er- wäre, hätten Sie schon lange vorher die Mineralölsteuer
reicht haben. Dann erst beginnt der Abbau der Staatsver- zurückführen müssen. Das ist übrigens wie mit der Sekt-
schuldung. steuer. Diese hätten Sie auch schon lange abschaffen kön-
nen, denn diese ist vor dem Ersten Weltkrieg wegen der
Wir werden lernen müssen – ich wiederhole das –, uns
Reichskriegsflotte eingeführt worden.
auch über die Grenzen hinweg zu orientieren. Zu dem
Zeitpunkt, da wir erst den Gipfel der Staatsverschuldung (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
erreicht haben, sind andere Länder – Dänemark ist so ein SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber
Fall – schon fast frei von ihrer Staatsschuld. Wer sich Ihr habt den Kriegskrediten zugestimmt! – Wei-
überlegt, – tere Zurufe von der CDU/CSU)
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die haben – Ja, aber daran sehen Sie, dass man mit einer solchen Ar-
kräftig Steuern gesenkt!) gumentation nicht weiterkommt.
– was das für die Chancen der jungen Dänen im Verhält- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Lesen Sie
nis zu den Chancen der jungen Deutschen bedeutet, wird Ihr „Wirtschaftswoche“-Interview! Das haben
darüber nachdenken, was ihn seine Kinder eines Tages Sie früher alles ganz anders gesehen!)
fragen werden, wenn wir diesen Weg nicht endlich kon-
In einem Punkt haben Sie völlig Recht: Im Unterschied
sequent gehen werden. Deswegen bitte ich um etwas mehr
zu Ihnen, wenn Sie in der Opposition sind, haben wir auch
Seriosität und Konsequenz in den Haushaltsberatungen.
einmal zugestimmt, wenn wir etwas für vernünftig hiel-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten. Da davon die Rede ist, wer was zu verantworten hat,
DIE GRÜNEN) habe ich mir angesehen, wie das mit der Mineralölsteuer
zu den verschiedenen Regierungszeiten war.
Es kann sich keiner, der in diesen Beratungen ernst ge-
nommen werden will, mehr erlauben, nur die Einnahme-
seite oder nur die Ausgabeseite zu betrachten. Denn man Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Minister, gestat-
muss das eine immer im Zusammenhang mit dem ande- ten Sie zuvor eine Zwischenfrage?
ren sehen.
Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Nein. –
Zweitens. Dieser Haushalt ist der Haushalt, der die
Jetzt macht die Mineralölsteuer je Liter Benzin 1,10 DM
größte Nettoentlastung von Steuern und Abgaben, die es
aus. Herr Stoiber hat – ich glaube, es war vorgestern
(B) je in der Geschichte der Bundesrepublik innerhalb eines Abend – von „Luxussteuer“ gesprochen, die besonders (D)
Jahres gegeben hat, verkraften muss.
die kleinen Leute treffe, was wir zu verantworten hätten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, von diesen 1,10 DM sind zu-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – zeiten der Regierungsführung der CDU/CSU –
Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das merkt
(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) [SPD]: Und
nur keiner!)
F.D.P.!)
Die Nettoentlastung beträgt innerhalb eines einzigen Jah-
– 79 Pfennig und zuzeiten der großen Koalition, an der
res 45 Milliarden DM, das sind 1,1 Prozent des Brutto-
wir unter Ihrer Führung beteiligt waren, 3 Pfennig – die-
inlandsprodukts. So etwas hat es noch nie in Deutschland
se können Sie draufrechnen, wenn Sie wollen, Herr
gegeben und so etwas gibt es gegenwärtig auch nirgend-
Austermann; Sie können es auch lassen – beschlossen
wo anders in Europa.
worden. Unter unserer Führung waren dies 28 Pfennig.
Wir haben eine Steuerreform gemacht, die nachhaltig
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Alex
– dann jährlich – zu einer Entlastung von 93,5 Milliar-
Möller ist deswegen zurückgetreten!)
den DM führt. Und um noch einmal Ihr altes Märchen mit
Zahlen zu widerlegen: Davon kommen 65 Milliarden DM Ich wiederhole: Von den 1,10 DM verantworten Sie
bei den privaten Haushalten an, 30 Milliarden DM bei den 79 Pfennig –
kleinen und mittleren Unternehmen, während die Groß-
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie haben
unternehmen sogar mit einer kleinen zusätzlichen Belas-
vorher zugestimmt!)
tung dabei sind. Aber deren Problem war nie die objektive
Steuerlast, sondern das im internationalen Vergleich nicht – und wir 28 Pfennig. Damit wir dies nur richtig festhal-
wettbewerbsfähige Steuerrecht und Steuersystem. Auch ten: Abzocke in Sachen Mineralölsteuer haben allein Sie
das haben wir geändert. betrieben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Da
waren Sie doch auch dabei! – Dietrich
Nun noch wenige Bemerkungen zur Ökosteuer. Herr
Austermann [CDU/CSU]: Welche Erhöhung
Feibel, auf Ihre Bemerkungen muss ich zurückkommen;
haben Sie denn abgelehnt?)
die waren gottvoll. Solch eine gute Vorlage habe ich sel-
ten bekommen; das war schon fast ein Elfmeter. Sie sa- Sie haben ungeheuer viel Gelegenheit, über dieses
gen – wenn ich Sie daran erinnern darf –, Sie hätten die Thema zu reden. Sie können natürlich sicher sein, sehr
11464 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Bundesminister Hans Eichel

(A) verehrter Herr Austermann, dass wir dafür sorgen werden, – oder dass neue Schulden gemacht werden. Dazu sage (C)
dass jeder Haushalt im Lande dieses Tableau in die Hand ich Ihnen dezidiert: Genau das machen wir nicht, meine
bekommt. sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann
Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auf Kosten [CDU/CSU]: Das Geld fließt Ihnen rechts und
der Steuerzahler, wie immer!) links aus der Tasche!)
Alle Sozialdemokraten – ich vermute, auch alle Grünen – Dass das Konzept im Übrigen vernünftig ist, bestätigen
werden das gerne sehen. Ihnen zurzeit – wenn Sie einmal in die Zeitung schauen –
Weil Ihr Debattenbeitrag, Herr Rexrodt, diesmal so ziemlich alle Wirtschaftsforschungsinstitute und alle
freundlicher war – das habe ich gern zur Kenntnis ge- Wirtschaftswissenschaftler. Da sagt heute – ich nehme nur
nommen –, will ich nur in aller Freundschaft darauf hin- einen für viele – der Konjunkturchef des Ifo-Instituts, das
weisen: Es gibt eine Partei, die noch mehr beteiligt war, bekanntlich in München sitzt und ansonsten Gutachten
und das ist die F.D.P. schreibt, die vor allem der Bayerischen Staatsregierung
gefallen, zu dieser Frage: Wenn man mit der Ökosteuer
(Lachen und Beifall bei der SPD sowie bei Ab- die Rentenbeiträge und damit die Lohnkosten senken
geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- kann und damit Arbeitsplätze schaffen kann, mag man das
NEN)
durchaus positiv sehen. – So sehen es die Wirtschaftsfor-
Die F.D.P. war nämlich meistens in der Regierung und an schungsinstitute durchweg.
85 Prozent der Mineralölsteuererhöhungen beteiligt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Da ging es der Re- DIE GRÜNEN)
publik auch gut! – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]:
Die Stimme der Vernunft!) Wenn Sie sich außerdem den europäischen Vergleich
ansehen, stellen Sie fest, dass Deutschland nicht nur beim
Dies werden wir gelegentlich sagen müssen, wenn Sie Preis, sondern auch beim Steueranteil unterhalb des
wieder Aktionen an den Zapfsäulen machen. Dies sage ich Durchschnitts in der Europäischen Union liegt. Das wol-
nur, damit richtig verstanden wird, wie es angesichts der len wir bei der Gelegenheit auch einmal festhalten, meine
Veranstaltungen, die Sie gegenwärtig machen, mit Ihrer Damen und Herren.
Glaubwürdigkeit aussieht.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wenn man nur die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hälfte anrechnet!)
(B) DIE GRÜNEN) (D)
Und noch eines – das ist schon ein ziemliches Stück aus
Es gibt einen großen Unterschied: Sie haben – dagegen dem Tollhaus: Vorgestern, pünktlich zu Ihrer Debatte, er-
will ich gar nichts sagen – die Mineralölsteuer wegen des höhen die Mineralölkonzerne –
Golfkriegs erhöht. Wir – das gebe ich zu – erhöhen die
Mineralölsteuer, um die Rentenversicherungsbeiträge zu (Zuruf von der CDU/CSU: Autofahren ist zu
senken. billig!)
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das findet – die Preise für Benzin um 4 Pfennig und für Diesel um
bloß nicht statt!) 5 Pfennig. Haben wir da irgendetwas mit der Ökosteuer
gemacht? Sie sollten sich den Zusammenhang zwischen
Hier sind wir am entscheidenden Punkt. Zu allem, was
Besteuerung und Preispolitik der Konzerne einmal ge-
Sie an Wohltaten versprechen, müssen Sie immer auch sa-
gen, wie Sie das finanzieren wollen. Etwas anderes wird nauer anschauen. Dass ich als Sozialdemokrat eines Tages
man Ihnen nicht durchgehen lassen, denn die finanzpoli- der Christlich Demokratischen Union und – mit Verlaub –
tische Debatte hat in diesem Punkt sehr an Seriosität ge- auch der F.D.P. etwas über die Regeln der Marktwirtschaft
wonnen. Wenn Sie ernst genommen werden wollen, wer- erzählen muss, habe ich mir auch nicht träumen lassen.
den Sie das zugeben müssen. (Lachen und Beifall bei der SPD und dem
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen
DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann Koppelin [F.D.P.]: Die haben Sie noch nie be-
[CDU/CSU]: Das hat Ihnen Herr Waigel früher griffen!)
auch schon gesagt!) – Seien Sie ganz vorsichtig! Sogar Herr Gysi hat dazu in
Es reicht nicht, zu sagen: Wir wollen die nächste Stufe der Ihre Richtung eine zutreffende Bemerkung gemacht – und
Ökosteuer – das sind in der Tat 5 Milliarden DM – nicht. der kommt aus der Planwirtschaft. Passen Sie auf, dass
Vielmehr müssen Sie auch sagen, dass dies entweder Sie da nicht hinmarschieren!
dazu führt, dass der Rentenversicherungsbeitrag wieder (Lachen und Beifall bei der SPD und dem
steigt – dies werden Sie gegenüber den Menschen, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Rentenversicherungsbeiträge bezahlen, ausrechnen müs-
sen –, Der Sachverhalt ist ja ganz einfach – Sie wissen das
auch –: Die Unternehmen nehmen, was der Markt hergibt.
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein, das
hat damit überhaupt nichts zu tun!) (Zuruf von der F.D.P.: Sie setzen obendrauf!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11465
Bundesminister Hans Eichel

(A) Allerdings – das ist das Problem und deshalb hätten kaltem Weg, weil man bei Diesel noch Spielräume für (C)
Sie, Herr Feibel, diesen Beitrag nicht leisten dürfen –: Preiserhöhungen sieht, der Preis ordentlich mehr angeho-
Wissen Sie, wo die Preise am stärksten gestiegen sind? – ben. Man stellt fest, dass der Preis für Diesel langsam an
Beim Heizöl. Sie haben gesagt, im vorigen Jahr betrug die den Preis für das Benzin herankommt. Das hat aber mit
Rechnung für die Winterperiode 2 000 DM, dieses Jahr der Steuer gar nichts zu tun, –
4 000 DM. In dieser Zeit gab es keinen Pfennig Steuer- (Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)
erhöhung!
– denn die Steuer beim Diesel ist wesentlich niedriger und
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was?) ist auch nicht stärker erhöht worden als beim Benzin.
Die letzte Steuererhöhung beim Heizöl hat am 1. April Muss man Ihnen denn wirklich erklären, dass das aus-
1999 stattgefunden. schließlich eine Frage dessen ist, welchen Preis man am
(Unruhe bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin Markt erzielen kann? Deswegen ist auch völlig klar:
[F.D.P.]: Mehrwertsteuer!) Wenn wir den Platz räumen, dann rücken die nur nach.
Das ist die eiserne Konsequenz der Marktwirtschaft.
In der Ökosteuer ist das Heizöl überhaupt nicht drin.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Was ist denn mit der DIE GRÜNEN)
Mehrwertsteuer?) – Lachen und Zurufe bei der
SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist es schon ein dreistes Stück, wenn Sie an
den Tagen, an denen die Mineralölkonzerne die Preise
Sehr verehrter Herr Koppelin, die Mehrwertsteuer ist das hochtreiben, in Ihren Reden gegen die Bundesregierung
letzte Mal unter Ihrer Verantwortung erhöht worden. Das zu Felde ziehen. Hätten Sie nur einige Worte über das Ver-
wollen wir auch noch festhalten. halten der Konzerne gefunden, hätten Sie den Interessen
(Lachen und Beifall bei der SPD und dem der Autofahrer und Bürger im Lande besser gedient.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Koppelin [F.D.P.]: Er weiß nicht, wie das funk- DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/
tioniert!) CSU]: Grober Unfug ist das!)
Wir wollen also festhalten: Wenn voriges Jahr das Nun zu der „Belastung der Familien“. Herr Feibel, Sie
Heizöl bei 50 Pfennig pro Liter lag, wenn am 1. April sind zwar neu im Parlament, aber auch das hätten Sie
1999 für viele Jahre letztmalig die Mineralölsteuer auf das nicht sagen dürfen. Es war doch das Bundesverfassungs-
Heizöl um 4 Pfennig erhöht worden ist – gericht, das Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat, die
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das sind Familie während Ihrer Regierungszeit verfassungswidrig
(B) hoch besteuert zu haben. (D)
5 Pfennig Preissteigerung!)
– und jetzt der Liter Heizöl bei 1 DM liegt, dann stellen (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
wir fest, dass es die höchste Preiserhöhung gerade dort Und wir sind es, die den Mangel, den Sie zu verantworten
gibt, wo die Steuer überhaupt keine Rolle spielt. haben, jetzt mit unseren Gesetzen beseitigen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD.: Wohl
wahr!) Ich will Ihnen auch sagen, wie wir Abhilfe schaffen,
nämlich durch die dreistufige Steuerentlastung, die wir
Auch in Bezug auf die Mineralölsteuer müssen Sie auf- bereits durchgesetzt haben – damit beziehe ich das In-
passen, was da im Moment passiert. Die größten Er- Kraft-Treten der letzten Stufe zum 1. Januar 2001 ein –
höhungen werden beim Diesel vorgenommen. und durch die eine Durchschnittsverdienerfamilie mit
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und zwei Kindern eine Entlastung in Höhe von 2 600 DM im
der F.D.P.) Jahr erfährt. Darin enthalten ist auch die zweimalige Er-
höhung des Kindergeldes. Und nachdem Sie zehn Jahre
– Ich darf vielleicht einen Moment um Ruhe bitten. Es ist lang beim Wohngeld nichts getan haben – damit komme
ein bisschen unruhig bei den Herren da drüben, – ich zum nächsten Punkt –, erhöhen wir zudem mit unse-
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE rem Haushalt für das Jahr 2001 das Wohngeld.
GRÜNEN]: Sie müssen sich verständigen, wie Wir erhöhen die BAföG-Leistungen.
es wirklich ist!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie kassieren das
– auch wenn ich verstehen kann, dass denen das nicht ge- doch wieder!)
fällt.
Auch in diesem Bereich haben Sie zehn Jahre lang nichts
(Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der getan – mit fürchterlichen Folgen. Im Jahr der deutschen
F.D.P.) Einheit wurden noch 605 000 Studentinnen und Studenten
durch das BAföG gefördert, am Ende Ihrer Regierungs-
Beim Diesel gibt es inzwischen auf den Steueranteil
tätigkeit waren es nur noch 340 000. Das ist Bildungsab-
von 74 Pfennig einen Aufschlag von über 1 DM, denn der
bau im gröbsten Sinne. Das haben Sie zu verantworten.
Preis beträgt schon fast 1,80 DM. Beim Benzin haben wir
einen Steueranteil von 1,10 DM, während der Preis bei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
knapp über 2 DM liegt. Was passiert also? – Hier wird auf DIE GRÜNEN)
11466 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Bundesminister Hans Eichel

(A) Das ist schlimm für unseren künftigen Wohlstand; denn solidierungskurs durchgesetzt. Damit sich da keiner (C)
wer so wenig in die Bildung junger Leute investiert und täuscht: Was wir im vorigen Jahr an Standhaftigkeit er-
Kinder aus Familien mit geringem Einkommen dadurch probt haben, hält auch dieses Jahr.
am Studieren hindert, versündigt sich am künftigen Wohl- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
stand dieses Volkes, meine Damen und Herren. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzinter-
Der Anteil des Haushaltes für Forschung und Bildung vention erteile ich jetzt dem Kollegen Dietrich
wird gerade durch unsere Konsolidierungspolitik syste- Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
matisch erhöht. Auch das wollen wir festhalten: Sie haben (Detlev von Larcher [SPD]: Er spricht jetzt
uns einen Haushalt hinterlassen, wo dessen Anteil am über die Mehrwertsteuer beim Diesel!)
Bundeshaushalt 3,11 Prozent betrug. Bei uns erreicht die-
ser Anteil im nächsten Jahr bereits 3,21 Prozent.
Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Bundes-
Nein, meine Damen und Herren, dies ist ein Haushalt, finanzminister, Sie haben sich möglicherweise verspro-
der die Zukunft sichert, und wir haben Erfolg damit. chen. Deswegen möchte ich richtig stellen, was beim Pu-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) blikum eventuell als Falschaussage angekommen ist. Sie
haben behauptet, an der Höhe des Heizölpreises habe die
Das Wirtschaftswachstum war seit über zehn Jahren nicht Bundesregierung keine Schuld. Im letzten Jahr sei von Ih-
so hoch wie heute; das ist die Wirklichkeit. Die Beschäf- rer Seite aus nichts passiert.
tigung baut sich auf, wie dies seit der Wiedervereinigung
nicht mehr der Fall war. Wir werden 170 000 neue Be- Nun weiß ich, dass die Haushaltspolitiker immer das
schäftigte in diesem Jahr und 270 000 im nächsten Jahr letzte Jahr für das Jahr nehmen, in dem man sich befindet,
haben. wobei das neue das eigentlich gültige Jahr ist.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was? Die Erstens. Die Ökosteuer hat natürlich, wie Sie genau
Beschäftigung baut sich auf? Sie baut sich wissen, auch das Heizöl verteuert: 4 Pfennig im Jahre
ab!) 1999. Diese Verteuerung setzt sich fort.
Und die Preise sind, obwohl man da aufpassen muss, nach (Widerspruch bei der SPD)
wie vor stabil. Deswegen sind wir auf dem richtigen Weg. Zweitens. Über die Mehrwertsteuer sind Sie ein Tritt-
Es muss Ihnen schon zu denken geben, wenn die inter- brettfahrer der OPEC und der anderen Organisationen, die
(B) die Preise treiben. (D)
nationale Bewertung Deutschlands auf dem Weg zur
Weltspitze so ausfällt, dass Deutschland bereits in einem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Jahr, nämlich von 1998 auf 1999 – das war also nach dem Widerspruch bei der SPD)
Regierungswechsel –, von Platz 6 auf Platz 3 gestiegen
ist, vor uns nur noch Finnland und die Vereinigten Staa- Drittens. Auch die Euro-schädliche Politik, über die
ten. Und das, obwohl die Einkommen- und Unterneh- vor allen Dingen in der Wirtschaftsdebatte gesprochen
mensteuern zu hoch waren! In diesem Bereich greift jetzt worden ist, trägt natürlich dazu bei, dass sich die Preise so
unsere Reform. Ich bin gespannt, wie die Bewertung entwickelt haben. Die Relation Euro-Dollar ist zum Teil
Deutschlands nächstes Jahr aussieht. auch auf das Versagen der Bundesregierung zurückzu-
führen.
Heute ist im „Handelsblatt“ zu lesen: Manager geben
dem Standort Deutschland Bestnoten, die Arbeit der Bun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
desregierung wird von Führungskräften positiv bewertet, Zurufe von der SPD: Oh!)
die Investitionsbereitschaft wächst. Und zum Schluss Nun haben Sie sich auf den wirtschaftlichen Sachver-
steht dort: Sie äußern sich über den Standort Deutschland stand berufen. Dazu lese ich Ihnen ganz kurz vor, was ein
so positiv wie nie seit Beginn der Umfragen Anfang 1999. wirklich anerkannter Sachverständiger im Bereich der
Wir sind also auf dem richtigen Wege. Es wäre gut, Wirtschaft, der Vorstandschef des größten deutschen
wenn Sie draußen nicht versuchten, das Volk aufzuhetzen. Unternehmens, Herr von Pierer – übrigens auch aus Mün-
Bei allem Ärger der Menschen, den ich verstehen kann, chen, wie das Institut, das Sie erwähnt haben –,
muss ich nämlich sagen: Eine Verantwortung tragen auch (Hans Georg Wagner [SPD]: Spender der
Sie, nämlich die, die enorm positive Entwicklung in CDU, jawohl, 1 Million!)
Deutschland nicht wieder in Gefahr zu bringen durch un-
sinnige Aktionen, die uns keinen Deut weiterbringen. – heute in einer Zeitung dazu sagt: Die Ökosteuer lähmt
unseren Aufschwung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Dies kann man ganz leicht nachvollziehen. Darauf
möchte ich mich beschränken. Das, was an Energiepreis-
Meine Damen und Herren, gehen Sie einmal davon verteuerung innerhalb eines Jahres auf Bürger und Be-
aus: Diese Bundesregierung hält Kurs. Diese Bundesre- triebe zukommt, summiert sich mit Ökosteuer, Mehrwert-
gierung hat schon im vorigen Jahr gegen alle Ihre Wider- steuer und höheren Preisen für Gas und Heizöl auf ein
stände und auch gegen Lobbyisten den notwendigen Kon- Gesamtvolumen von 65 Milliarden DM im Jahr. Dies
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11467
Dietrich Austermann

(A) übersteigt bei weitem das, was es möglicherweise am das sie an anderer Stelle nicht ausgeben können. Die (C)
1. Januar 2001 durch die Steuerreform an Bürgerentlas- Mehrwertsteuer wächst doch gar nicht überproportional.
tung geben wird. Die Mehrwertsteuer wächst völlig unabhängig davon, wie
sich im Einzelnen das Preisgefüge im Land entwickelt.
(Hans Georg Wagner [SPD]: Macht der eine
Das ist doch der einfache Sachverhalt.
Rede? Frau Präsidentin, darf er eine Rede hal-
ten?) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie bestäti-
gen die Aussage von Heinrich von Pierer! Also
Jeder Vermieter denkt heute darüber nach, den Bürgern
hat von Pierer Recht!)
die Heizkostenabrechnung im nächsten Jahr dadurch zu
erleichtern, indem er die Vorauszahlungen erhöht. Auch Sie wissen das ganz genau. Das ist zu der Zeit, als Sie
der Bund müsste das tun und tut es wahrscheinlich auch. den Finanzminister gestellt haben, nicht anders gewesen.
Wenn die Situation so ist, wie können Sie dann versuchen, Deswegen halte ich fest: Dort, wo überhaupt kein Pfennig
den Bürgern vorzumachen, dass Sie mit alldem nichts zu Ökosteuererhöhung enthalten ist, ist die Preistreiberei am
tun haben? allerschlimmsten; beim Diesel, für den die Mineralöl-
steuer niedriger ist, ist die Preistreiberei höher als beim
(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Georg Benzin.
Wagner [SPD]: So ein Dummschwätzer!)
Deswegen sage ich: Es ist ein einfaches Gesetz der
Marktwirtschaft, dass sich jeder nimmt, was er kriegen
Vizepräsidentin Petra Bläss: Zur Erwiderung, Herr kann. Das ist der Punkt. Der Spielraum, den Sie schaffen,
Bundesfinanzminister Eichel, bitte. wenn Sie Steuern nicht erheben, bewirkt, dass das die
Kassen der Konzerne füllt.
Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Erstens. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Herr Austermann, ich wiederhole: In den Heizölpreisen, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
von denen Herr Feibel gesprochen hat, nämlich in der PDS)
Steigerung von 2 000 DM aus der vorherigen Heizperiode
auf 4 000 DM in dieser Heizperiode, steckt kein Pfennig Im Übrigen darf man ja noch einmal darüber nachden-
Erhöhung über die Ökosteuer drin, weil das Heizöl in ken, wie das funktioniert: Morgens fängt ein Mineralöl-
dem betreffenden Gesetz überhaupt nicht enthalten ist. konzern an und am selben Tag sind dann ruck, zuck alle
Die letzte Erhöhung – in den nächsten Jahren ist keine ge- Tankstellen und alle Konzerne umgestellt. Darüber darf
plant – hat am 1. April 1999 stattgefunden und betrug man doch noch einmal nachdenken, das ist doch eine
4 Pfennig. spannende Sache.
(B) (D)
(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn da (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schickt das
regiert?) Kartellamt los! Wer ist denn Chef vom Kartell-
amt?)
Also steckt in der Verdoppelung des Heizölpreises –
ich wiederhole das – von der vorherigen Heizperiode zu Darüber einmal zu reden hätte Ihnen doch angestanden,
dieser Heizperiode kein einziger Pfennig Steuererhöhung wenn Sie das schon zum Thema machen wollen.
durch die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
DIE GRÜNEN) PDS)
Zweiter Punkt. Natürlich ist die Mehrwertsteuer ent- Wenn es Ihnen ein Herzensanliegen ist, frage ich noch
halten. Es ist übrigens erstaunlich – das war auch zu Ihrer einmal: Wieso haben Sie eigentlich zehn Jahre lang das
Zeit so –: Wann immer irgendwo Preise erhöht werden, Wohngeld nicht erhöht? Das hätten Sie getan, wenn Ihnen
betrifft das auch die Mehrwertsteuer. Das war 35 Jahre die Mieterinteressen irgendetwas bedeutet hätten.
lang so, als Sie den Finanzminister gestellt haben. Das ha- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ben Sie als Problem übrigens nie entdeckt. Das entdecken DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Sie erst, seitdem Sie nicht mehr den Bundesfinanzminis- PDS)
ter stellen.
So, Herr Austermann, geht das doch nicht. Ich verstehe
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Weil es ja, dass Sie jetzt eine Kampagne machen, aber ich sage Ih-
solch eine Explosion noch nicht gegeben hat! – nen: Wir werden den Leuten präzise die Wahrheit sagen.
Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das,
was bei Austermann explodiert, ist sein Kopf!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auf
Kosten der Steuerzahler!)
Aber der entscheidende Punkt ist doch ein ganz ande-
rer. Es ist nicht so, dass die Mehrwertsteuer insgesamt Eins lassen wir Ihnen nicht durchgehen: das, was die
steigt. Auch das gehört zu Ihren Märchen. Das Problem, Kassen bei den Konzernen füllt, uns noch auf die politi-
sche Rechnung zu schreiben. Da hört der Spaß auf.
das an dieser Stelle entsteht, ist doch ganz einfach: Die
Leute haben nicht mehr Geld in der Tasche, sondern sie Sehen Sie sich einmal an – es sind übrigens weniger die
sind wegen der Preispolitik der OPEC und der Konzerne OPEC-Staaten –, wie bei den Konzernen von 1999 auf
gezwungen, mehr Geld für Kraftstoff auszugeben, Geld, 2000 die Gewinne explodiert sind: Sie haben sich im
11468 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Bundesminister Hans Eichel

(A) Schnitt mindestens verdoppelt. Darüber müssen Sie ein- Vor dem Hintergrund kann es nicht die Aufgabe einer (C)
mal ein Wort reden. Das ist auch eine spannende Veran- inzwischen nicht mehr amtierenden Regierung gewesen
staltung, wenn wir über die Frage reden, wer hier die sein, aber es ist auch nicht allein Aufgabe der jetzt amtie-
Preise treibt. renden Regierung, diese Herausforderung abzutragen.
Am Ende ist dies auch nicht entscheidend. Das Ganze war
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
und bleibt eine Generationen-, ja wahrscheinlich eine
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Jahrhundertaufgabe und -herausforderung. In diesem
PDS)
Lichte erkennen wir die Leistung an und zollen allen
Menschen in Ost und West und denjenigen, die konse-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Liebe Kolleginnen quent Verantwortung in dieser Zeit getragen haben, Dank.
und Kollegen, die Anmeldungen zu Kurzinterventionen,
die mich gerade erreichen, kommen einfach zu spät. Be- (Beifall bei der CDU/CSU)
kanntlich darf man nur eine Kurzintervention auf eine Es gehört auch zur Ehrlichkeit dieser Haushaltsdebatte,
Rede hin machen und sich nicht auf eine andere Kurz- festzuhalten, dass trotz dieser Sondersituation, Herr
intervention beziehen. Eichel, gleichzeitig der Weg über die Maastricht-Kriterien
Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege Hans und über den europäischen Stabilitätspakt bis hin zu einer
Jochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion. europäischen Währung gegangen werden konnte.
Werte rot-grüne Koalitionäre, ohne die Haushaltskon-
Hans Jochen Henke (CDU/CSU) (von Abgeordne- solidierung, begonnen in den 80er-Jahren, ohne stabili-
ten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! tätsorientierte Euro-Grundlagen und eine sparsamste,
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister zielgerichtete Haushaltsführung in den 90er-Jahren wäre
Eichel, ich möchte Sie zuerst direkt ansprechen. Auch das alles nicht möglich gewesen.
wenn Sie es nicht glauben: Wenige Tage vor dem 3. Ok-
Der amerikanische Botschafter John Kornblum hat bei
tober 2000 stehen wir ohne Wenn und Aber zu allen Leis-
mehreren Gelegenheiten erklärt, er kenne keine andere
tungen wie zu allen Lasten, die aus zehn Jahren Wieder-
historische Leistung, die in so kurzer Zeit bewältigt wor-
vereinigung resultieren. Wir stellen fest: Der von Helmut
Kohl und Theo Waigel eingeschlagene Weg zur Vollen- den wäre, wie die Wiedervereinigung. Jeweils fügte er
dung der deutschen Einheit war wichtig und richtig – auch dann sehr nachdenklich hinzu, er wisse nicht, wie die
gerade gegen Zauderer und Verweigerer. amerikanische Nation in einer vergleichbaren Situation
mit einer solchen Herausforderung umgegangen wäre. Ob
(Beifall bei der CDU/CSU) in diesem Lichte, verehrte Koalitionäre von Rot-Grün, die
(B) Ich habe zu wenig Zeit, – vom Bundeskanzler bemühte „deutsche Krankheit“ über- (D)
haupt angeführt werden kann, mögen andere entscheiden.
(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist gut! – Sie mögen dann aber insbesondere die Beiträge von den
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann las- Ministerpräsidenten Lafontaine, Schröder und Eichel mit
sen Sie den Unsinn auch!) ihren Errungenschaften von der Steuer- über die Gesund-
– aber zwei Zitate will ich bringen. Minister Eichel – heits- und die Lohnnebenkosten- bis hin zur Arbeits-
Herbst 1989: Die Bereitschaft kann weder bei unseren marktspolitik angemessen würdigen.
westlichen noch bei unseren östlichen Nachbarn geweckt (Beifall bei der CDU/CSU)
werden, die Einheit Deutschlands auf die Tagesordnung
der Weltpolitik zu setzen. Ich habe mir zu den Bereichen Gesundheit, Renten-
reform, Pflegeversicherung und den Strukturreformen bei
(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt
Telekom, Post und Bahn sowie zum Investitionsförde-
[Salzgitter] [SPD]: Darüber haben wir am Mitt-
rungsgesetz so viele Punkte aufgeschrieben, dass es den
woch schon ausreichend gesprochen! Sie haben
auch nichts verstanden! – Detlev von Larcher Zeitrahmen sprengen würde, und möchte nur einige Re-
[SPD]: Wissen Sie, was Kohl 1989 gesagt hat? formen in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre heraus-
– Die Einheit steht nicht auf der Tagesordnung!) stellen.

Eichel in der „Frankfurter Neuen Presse“ genau vor zehn (Jörg Tauss [SPD]: Wir wollen hier über die
Jahren: Einheit bringt Ländern untragbare Last! Zukunft reden! Das ist interessanter!)

(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Ihr nach der Wahl einsetzender Reformeifer führte un-
ter Schröder/Lafontaine, Gott sei es geklagt, in eine völ-
Es war und bleibt richtig, Schulden und Altlasten der lig andere, verquere Richtung: Ökosteuer, Rücknahme
DDR zu übernehmen und Folgelasten der Wiedervereini- von Rentenreform und zusätzliche Belastungen mit weit
gung auch gegen egoistische Länderinteressen entschlos- reichenden Konsequenzen für den Haushalt 2001 und alle
sen beim Bund zu schultern. Es ist gelungen, die größte Folgehaushalte sowohl auf der Einnahmen- als auch auf
finanzielle Belastung in so kurzer Zeit zu bestehen – und der Ausgabenseite.
dies ohne diejenigen, die vor Währungs- und Kredit-
marktrisiken und vor der Überforderung der Leistungsfä- (Detlev von Larcher [SPD]: Das hilft Ihnen
higkeit aller Beteiligten gewarnt haben. Es ist und bleibt alles nichts!)
eine einmalige historische Leistung.
Sie haben entscheidende Fehler Ihrer eigenen ersten
(Beifall bei der CDU/CSU) Regierungsphase bis heute nicht korrigiert. Wenn man-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11469
Hans Jochen Henke

(A) cher Finanzspielraum nicht so ist, wie Sie es gern hätten, Wer demnächst näherungsweise 100 Milliarden DM (C)
ist es darauf – vor allem auf die verheerende Ökosteuer – einschließlich Umsatzsteueranteile – ohne Ökosteuer –
zurückzuführen. aus Mineralölsteuereinnahmen erwirtschaften wird, hat
doch wahrhaftig genügend Steuerungs- und Gestaltungs-
(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der
SPD) spielräume, auch für ökologische Steuerungsmaßnahmen.
Im Übrigen haben Sie Ihr Ökosteuerkonzept bei der Ver-
Der Minister hat ja vorhin gerade selber die besten Ar- abschiedung ganz anders dargestellt und sich selbst be-
gumente für die Abschaffung der Ökosteuer geliefert. Sie schränkt. Sie wollten nämlich nur eine Stufe einführen
belasten im Jahre 2004 nach fünf Stufen den Markt und und alles andere im europäischen Kontext machen. Nur
die Bürger mit zusätzlich 33 Milliarden DM jährlich. reden Sie davon heute nicht mehr. Das heißt: Sie handeln
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jährlich eigentlich gegen Ihre eigenen Vorgaben.
doch nicht! So ein Quatsch! – Gegenruf des (Beifall bei der CDU/CSU)
Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Natür-
lich jährlich!) Seien Sie konsequent und nehmen Sie das Geld, das
Sie aus den Zinsersparnissen durch die ausdrücklich von
Dies passiert in einer Zeit, in der Ihre Jahrhundertsteuer- diesem Haus einvernehmlich mitgetragene Sondertilgung
reform angeblich nachhaltige Entlastungen für die Men- aus den UMTS-Erlösen und weitere Privatisierungen er-
schen in unserem Lande bringen soll. Wirklichkeit ist aber wirtschaften und setzen Sie es zielgerichtet ein. Herr
nach Ihren eigenen Planansätzen, dass die Steuereinnah- Minister Eichel – auch darüber werden wir noch reden –,
men des Bundes trotz Ihrer Jahrhundertreform in diesem in Wirklichkeit sind es ja mehr als 5 Milliarden DM.
Jahr erstmals die 400-Milliarden-DM-Schallgrenze über-
schreiten werden und in den nächsten Jahren sage und Es ist auch nicht notwendig, die Investitionen auf ei-
schreibe auf mehr als 450 Milliarden DM pro Jahr an- ner historisch einmalig niedrigen Stufe anzusiedeln. Dies
wachsen werden. Dabei ist die von Ihnen fälschlicher- hat verheerende Wirkungen für den Standort Deutsch-
weise vorgenommene Abkoppelung vom Zuwachs des land, die Wettbewerbsfähigkeit, die Wirtschaft und die
Bruttoinlandsprodukts und von den Zuwächsen bei den Zahl der Arbeitsplätze. Der Ansatz beläuft sich auf
Steuern eingerechnet, was noch nie der Fall war, was sich 10,4 Milliarden DM. Das gab es nie und wird es hoffent-
auch als falsch, als „Arm-Rechnen“ herausstellen wird. lich in der Zukunft auch nie wieder geben.
(Beifall bei der CDU/CSU) Diese Regierung hat angekündigt, die Spielräume soll-
ten größer werden. Just zu unserer heutigen Beratung
Ich sage an dieser Stelle nur: Eichel weiß, warum er
kommt eine volkswirtschaftliche Schätzung der Einkom-
uns keinen Nachtragshaushalt liefert: weil sich die Öf-
(B) fentlichkeit insbesondere unter Berücksichtigung von mensbelastung durch den Bund der Steuerzahler. Das ist (D)
eine völlig neutrale Seite.
UMTS- und anderen Privatisierungserlösen staunend die
Augen darüber reiben würde, welch historisch einmalige (Widerspruch bei der SPD – Hans Georg
Einnahmesituation in diesem Jahr gegeben ist. Nur ha- Wagner [SPD]: Die Nicht-Zahler sind das!)
ben die Weichen andere gestellt, die Vorleistungen andere
erbracht. Wer dieses Tableau nimmt und die Zahlen von 1998 und
2002 vergleicht – das wollen Sie nicht hören –, wird fest-
(Beifall bei der CDU/CSU) stellen: Es wird für die Bürger weder im Jahre 2000 noch
Wenn wir gerade bei der Steuerreform sind: Die Zeit in im Jahre 2003 und auch nicht im Jahre 2005 nachhaltige
jenen 48 Stunden um den 14. Juli hätten Sie besser für Entlastungen geben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
nachhaltige Verbesserungen der Reform verwandt, statt (Beifall bei der CDU/CSU)
Ländern Leistungen in Aussicht zu stellen, die zusätzliche
Ausgaben verursachen und mit Blick auf die Zukunft des Die aktuelle Haushaltssituation ist aus Gründen, für die
neu zu ordnenden Länderfinanzausgleichs neue und nicht nicht Sie, sondern andere verantwortlich sind, besser, als
kalkulierbare Risiken für den Bund zeitigen werden. Auf Sie es je zu träumen wagten. In den zwei Jahren Ihrer Re-
diesen Merkposten werden wir rechtzeitig zurückkom- gierungszeit ist außer beim Herunterfahren und Sparen
men. eine klare Linie nicht erkennbar gewesen. Die nachhalti-
gen Strukturprobleme sind nicht gelöst. Schröder ist im
(Beifall bei der CDU/CSU) Kleinen, wie bei Holzmann, Österreich und der Green
Wir sind der Meinung, dass die falsch angelegte Öko- Card, groß. Ob er auch im Großen nicht, wie bisher, klein
steuer zurückgenommen werden muss, weil sie eben nicht bleiben wird, muss sich erweisen.
geeignet ist, eine dauerhafte Gegenfinanzierung der Ren- Herr Eichel und ich haben gestern Abend einen sehr in-
ten sicherzustellen und weil sie trotz Ihrer anders lauten- teressanten Vortrag über die Situation des Euro und die
den Beteuerungen nicht nur zur Gegenfinanzierung der Ursachen für seine Schwäche gehört. Der Redner hat –
Renten herangezogen wird. wenige Meter von hier – sehr kompetent festgestellt, dass
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) die Entscheidung der Märkte über den Wert einer
Währung im Grunde eine Abstimmung über die Solidität
Sie dient zur allgemeinen Haushaltsdeckung und ist ein
und Seriosität der Politik ist. Das sollten diejenigen, die
schlichtes, blankes Abkassieren.
Verantwortung für den Standort Deutschland und die Leit-
(Beifall bei der CDU/CSU) währung tragen, beachten.
11470 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege, würden – Sie haben auch jeden Monat 150 DM von den Betrieben (C)
Sie bitte zum Schluss kommen. zur Finanzierung der deutschen Einheit verlangt. Damit
haben Sie wesentlich zu der hohen Arbeitslosigkeit bei-
getragen, die uns und damit auch den Haushalt beinahe in
Hans Jochen Henke (CDU/CSU): Jawohl, ich
den Ruin getrieben hätte.
komme zum Schluss.
Vor diesem Hintergrund finde ich es eine Unver-
Die Risiken Ihrer Fiskalpolitik liegen voll beim Bür- schämtheit, wenn Sie hier eine Diskussion über die klei-
ger, dem Steuerzahler und der Wirtschaft, und zwar mit nen und mittleren Einkünfte beginnen. Sie haben die
unverändert hohen Steuer- und Abgabenlasten, mit wach- deutsche Einheit auf dem Rücken der Bezieher von klei-
senden Zins-, Inflations- und Währungsrisiken, mit real nen und mittleren Einkommen finanziert. Das ist das
gekürzten Renten und mit nur geringfügigen Tarifverbes- Hauptproblem, mit dem wir heute zu kämpfen haben.
serungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Zuruf von der SPD: Reden sie nicht so einen und bei der SPD)
Unsinn!)
Hier gibt es auch eine Verbindung zur Ökosteuer. Die
Es ist mehr und Nachhaltigeres gefordert als das, was rot-grüne Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, die Lohn-
Sie bisher gebracht haben. Wenn Herr Schröder wirklich nebenkosten wieder zu drücken, –
meint, zum Jahresende könne Redaktionsschluss bei allen
Reformen sein, – (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ziel ver-
fehlt! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nicht
gelungen!)
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Henke,
ich bitte Sie, nun wirklich zum Schluss zu kommen. – und zwar unter 45 Prozentpunkte.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Die Steuer-
Hans Jochen Henke (CDU/CSU): – werden Sie er- last steigt wieder, Herr Kollege Berninger!)
heblich zu kurz gesprungen sein. Wir haben den Wählerinnen und Wählern reinen Wein
Ich danke Ihnen. eingeschenkt, indem wir ihnen gesagt haben: Wir erhöhen
die Ökosteuer und stecken die daraus erzielten Gelder in
(Beifall bei der CDU/CSU) die Rentenversicherung, mit dem Ziel, die Lohnneben-
kosten zu senken.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die Fraktion von (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Von einer
(B) Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Matthias Tasche in die andere! – Gegenruf des Abg. Hans (D)
Berninger. Georg Wagner [SPD]: Jawohl! Von Bayern
nach Baden-Württemberg!)
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben wir nicht gesagt, weil wir uns irgendwann ein-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur mal etwas Lustiges überlegt haben; wir machen das viel-
wegen des zehnten Jahrestages ist die deutsche Einheit in mehr deshalb, weil die hohen Lohnnebenkosten, die Sie
der Tat in Verbindung mit diesen Haushaltsberatungen ein uns hinterlassen haben, eine erdrückende Last sind, mit
sehr wichtiges Thema. Ich denke, hier muss noch einiges der wir seit der Regierungsübernahme 1998 zu kämpfen
gerade gerückt werden. haben. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, bevor Sie hier
gegen die Ökosteuer polemisieren. Wenn Sie das nicht
Die CDU bekennt sich zu den Schulden, die sie ge- tun, machen Sie eine unseriöse Politik.
macht hat. In Ordnung. Die Schulden in Höhe von
1 500 Milliarden DM werden im Rahmen der Beratungen Mit den Mehreinnahmen von 100 Milliarden DM
über das Sparpaket von den CDU-Kollegen zum Teil noch durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen – diesen
bestritten. Privatisierungserlös verwenden wir übrigens auch des-
halb zur Schuldentilgung, weil das die Haushälter
(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ während der letzten Haushaltsberatungen gefordert
CSU]: Sagen Sie doch mal, für wen die gemacht haben – tilgen wir gerade einmal die Schulden von acht
wurden!) Monaten der Amtszeit von Helmut Kohl, acht Monate von
Es wurde gesagt, das alles sei eine Hinterlassenschaft von 16 Jahren! Vor diesem Hintergrund muss man noch ein-
Helmut Schmidt. In diesem Punkt haben Sie nach einem mal unterstreichen: Der einzig gangbare Weg ist, die er-
Jahr dazugelernt. Nicht schlecht! zielten Mehreinnahmen zum Senken der Schuldenlast zu
verwenden.
Sie sagen dann aber wieder Halbwahrheiten. Im Zuge
der deutschen Einheit, also seit 1990, sind die Lohnne- Dennoch wird es bis zum Jahr 2006 dauern – damit
benkosten um 6,5 Prozentpunkte gestiegen. Was bedeutet hebe ich ein weiteres Kernproblem in dieser Haushalts-
das für den Durchschnittshaushalt? Jeden Monat haben debatte deutlich hervor –, bis wir Haushalte aufstellen
können, ohne neue Schulden machen zu müssen. Wir wer-
Sie von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
den trotz des Sparkurses noch 145 Milliarden DM an
150 DM zur Finanzierung der deutschen Einheit verlangt.
Schulden machen müssen, bevor wir das Ziel erreichen,
(Jörg Tauss [SPD]: Und den Betrieben!) für das Hans Eichel eisern steht und für das er in den
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11471
Matthias Berninger

(A) Fraktionen die volle Unterstützung hat, dass in Deutsch- 2 Pfennig, wie es jetzt durch die Ökosteuer geschieht, be- (C)
land ausgeglichene Haushalte aufgestellt werden können. lastet werden. Das muss man hier auch noch sagen. Das,
Wie gesagt, erst nach 2006 beginnen wir, den Schulden- was Sie den Leuten zumuten wollten, wäre mehr als das
berg Jahr für Jahr systematisch abzutragen. Trotzdem for- Zehnfache gewesen.
dern Sie die Aussetzung von Steuern. Sie können sich sel-
(Joachim Poß [SPD]: Erst ab dem 15. Kilome-
ber ausrechnen, welche Konsequenzen das hätte. Die
ter! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wir ha-
Konsequenzen der Aussetzung von Steuern sind neue
ben die Kilometerpauschale immer erhöht!)
Schulden. Das bedeutet, es dauert länger, bis der Haushalt
im Gleichgewicht ist; das bedeutet, es werden mehr Geld Trotzdem haben Sie die Stirn, eine solche Kampagne vom
der Bürgerinnen und Bürger und mehr Steuereinnahmen Zaum zu brechen. Mich ärgert das tierisch, weil ich finde,
auf die Zahlung von Zinsen verwendet. dass dies das Unglaubwürdigste ist, was man machen
kann.
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die
Einnahmen sprudeln!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Auch vor diesem Hintergrund finde ich die von Ihnen an-
gestoßene Ökosteuerkampagne eine Unverschämtheit. Sie machen Kampagnen und reden über den hohen
Steueranteil bei dem Mineralölpreis. Sie behaupten, dass
Ich möchte Ihnen einen weiteren Grund nennen, es beim Preis einen Steueranteil in Höhe von 70 Prozent
warum ich es eine Unverschämtheit finde, hier die Ängs- und einen Rohölanteil von 30 Prozent gibt. In Ihrer Amts-
te der Bürgerinnen und Bürger zu schüren. Das Konzept zeit betrug der Steueranteil 80 Prozent und der Rohölan-
der Bayerischen Staatsregierung, das von der CDU/CSU- teil 20 Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass das Pro-
Fraktion übernommen wurde – blem der Preissteigerung nicht an der Ökosteuer liegt,
(Hans Georg Wagner [SPD]: Der Oberbefehls- sondern daran, dass die Preise auf dem Weltmarkt in die
haber sitzt immer in München!) Höhe gegangen sind. Insofern sind wir der falsche Adres-
sat für Ihre Kritik. Das muss noch einmal sehr deutlich ge-
– mit dem Titel „Die bessere Alternative – Eine Steuer- sagt werden.
reform für Wachstum und Beschäftigung“, ist Ihnen wohl
bekannt. Damit haben Sie uns vor der Sommerpause ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nervt, als Sie glaubten, Sie könnten die Steuerreform und bei der SPD)
blockieren. Ich möchte noch einmal auf die 145 Milliarden DM
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da war ich neuen Schulden zurückkommen, die wir in dieser und der
sogar dabei, als wir das ausgearbeitet haben!) nächsten Legislaturperiode abbauen wollen. Den Betrag
(B) von 145 Milliarden DM wollen die Koalitionsfraktionen (D)
– Sie waren also dabei, als das Konzept ausgearbeitet möglichst noch senken. Wir haben uns zum Ziel gesetzt,
wurde. die Nettoneuverschuldung unter 45 Milliarden DM zu
(Joachim Poß [SPD]: Entfernungspauschale! – drücken. Wir können das vergessen, wenn wir jetzt an-
Gegenruf des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ fangen, blindlings irgendwelche Steuern auszusetzen. Wir
CSU]: War doch gut!) erreichen das nur, wenn der eiserne Sparkurs eingehalten
wird, wenn die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent ge-
Das finde ich ganz hervorragend, Herr Kollege Kalb. Sie senkt werden, damit wir Impulse für mehr Wachstum und
wollten den Bürgerinnen und Bürgern, den Pendlern, auf Beschäftigung auslösen, und wenn es uns gelingt, die Mit-
deren Kosten Sie derzeit Stimmung machen, eine um tel für Investitionen im Bundeshaushalt wieder nach oben
20 Pfennig gekürzte Entfernungspauschale zumuten. zu treiben.
Aber das erwähnen Sie nicht in Ihrer Ökosteuerkampa-
gne. Seien Sie stolz darauf! Als zum ersten Mal über den Kabinettsentwurf zum
Haushalt geredet wurde, haben wir gesagt, dass wir uns
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alle wünschen, dass es in diesem Haushalt mehr Investi-
und bei der SPD) tionen gibt. Niemand bestreitet, dass echte Investitionen
Wir können über alles reden. Wir können auch über die in Straße, in Schiene, in Altbausanierung Arbeitsplätze
Frage diskutieren, ob die Entfernungspauschale sinnvoll schaffen. Wir haben aber gesagt, dass wir keine Investi-
ist. Ökologen argumentieren, sie trage zur Zersiedelung tionen zum Preis von neuen Schulden machen wollen.
der Landschaft bei. Ich finde es aber falsch Der Kollege Henke sagte, dass die Investitionsquote
(Zuruf von der CDU/CSU) bei 10,4 Prozent liege. Lieber Kollege Henke, am Ende
der Haushaltsberatungen werden wir eine Investitions-
– Herr Kollege, Sie können mir eine Zwischenfrage stel- quote von 12,1 Prozent erreichen. Dies werden echte In-
len, wenn Sie ein Problem mit dem haben, was ich sage –, vestitionen sein und keine Buchungstricks wie bei der In-
wenn Sie Stimmung gegen die Ökosteuer machen, ob- vestitionsquote des Kollegen Waigel.
wohl Sie selber die Pendler massiv belasten wollten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
und bei der SPD)
Sie haben Dinge als Investitionen bezeichnet, die alles
Nebenbei gesagt: Es ist ein gravierender Unterschied, waren, aber keine Investitionen. Wir wollen echte Inves-
ob die Pendler mit 20 Pfennig oder mit noch nicht einmal titionen. Wir wollen die Angleichung der Mittel für die
11472 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Matthias Berninger

(A) Schiene an die für die Straße. Wir wollen dort, wo es nötig tig mitberaten können. Wir werden uns als Parlamentarier (C)
ist, in den Straßenbau investieren, damit Staus bekämpft dafür einsetzen, schon aus Gründen der Kollegialität.
werden und die Anwohner vom Lärm entlastet werden.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was haben
Wir wollen ein Altbausanierungsprogramm, das zum
Sie für ein Parlamentsverständnis?)
Klimaschutz beiträgt und den Menschen eine höhere
Wohnqualität gibt. Wir wollen das alles aber nicht zum – Ich habe Ihnen gerade schon gesagt, welches Parla-
Preis von neuen Schulden. Daran werden wir festhalten. mentsverständnis ich habe, Herr Kollege Kalb.
Davon weichen wir keinen Millimeter ab. Sie sollten sich
überlegen, warum Sie das so selten thematisieren. Mein Ich bin der Meinung, dass wir darüber in Ruhe beraten
Eindruck ist, dass Sie das nur aus einem Grund tun: Sie müssen. Ich glaube, es wird uns gelingen, ein vernünfti-
wissen genau, dass wir Recht haben. Gerade die konser- ges Paket für mehr Wachstum und Beschäftigung und für
vativen Haushaltspolitiker wissen genau, dass das Ihre einen Haushalt im Gleichgewicht zu schnüren.
Achillesferse ist. Wir machen keine Politik auf Pump, wie Vielen Dank.
es die Regierung Kohl getan hat. Es ist nicht so, dass die
Roten und die Grünen nicht mit Geld umgehen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Sie sind es, die es nicht konnten! Das ist Ihre Achilles-
ferse.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die F.D.P.-Frak-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
tion spricht jetzt der Kollege Jürgen Koppelin.
und bei der SPD)
Zum Abschluss der Haushaltsberatungen dieser Woche
Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe
muss das deutlich gemacht werden.
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzminister
Die Haushaltsdebatte zeigt doch: Die Koalitionsfrak- schloss seine Rede mit der Bemerkung ab, diese Regie-
tionen sind sich über zwei Dinge einig. Sie wollen die rung und natürlich vor allem er hielten Kurs. Herr Bun-
UMTS-Milliarden zur Schuldensenkung verwenden. Sie desfinanzminister, das kam mir so wie bei Kolumbus vor:
wollen den Haushalt im Gleichgewicht halten und Spiel- Auch er hat immer Kurs gehalten; aber als er ankam,
räume für neue Investitionen schaffen. Das ist die eine Sa- wusste er nicht, wo er war.
che, über die wir uns einig sind. Die andere Sache ist: Wir (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der
wollen die Lohnnebenkosten so weit wie möglich senken. CDU/CSU)
Wir Grüne halten an dem Ziel fest: unter 40 Prozent.
So ist das auch bei Ihnen.
Was ist Ihr Alternativkonzept? Sie fabulieren über
(B) Steuererleichterungen. Das hat der Kollege Stoiber schon Der Haushalt des Bundesfinanzministers Eichel ist wie (D)
im letzten Jahr gemacht. Am Ende des Jahres waren sie eine Medaille, die bekanntlich zwei Seiten hat. Ich will
nicht so hoch. Sie blenden Risiken aus, zum Beispiel die die eine Seite beleuchten, die aus Sicht der F.D.P.-Frak-
Postunterstützungskasse, den Kurs der Telekom-Aktie, tion durchaus positiv ist: Der Bundesfinanzminister will
was sich natürlich auch auf den Haushalt auswirkt. Sie die Schulden des Bundes senken. Wir finden, dass er da-
haben kein Alternativkonzept auf den Tisch gelegt. Wenn bei durchaus auf dem richtigen Weg ist.
Sie Alternativkonzepte vorlegen, wie dieses wundersame (Zurufe von der SPD: Oi, Oi!)
Steuerkonzept, dann sind es Konzepte, die wirklich zulas-
ten der kleinen und mittleren Einkommen gehen, die die – Hören Sie doch einfach einmal zu! – Wir denken, er ist
Menschen tatsächlich belasten. Das lassen Sie in solchen durchaus auf dem richtigen Weg, wenn er die 100 Milli-
Situationen unter den Tisch fallen. Das lassen wir Ihnen arden DM aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen al-
nicht durchgehen. lein für die Senkung der Schulden des Bundes benutzt.
Mein Kollege Rexrodt hat schon am ersten Tag der De-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN batte gesagt: Das werden wir voll unterstützen. – Über
und bei der SPD) das, was mit den Zinsersparnissen zu geschehen hat, müs-
Zum Schluss möchte ich noch etwas dazu sagen, wofür sen wir uns im Haushaltsausschuss noch unterhalten. Ich
die UMTS-Milliarden ausgegeben werden sollen. Das bin der Auffassung, man könnte sie genauso zur Schul-
müssen wir in den Koalitionsfraktionen beraten. Es muss densenkung oder zur Förderung des Mittelstandes ver-
im Kabinett beraten werden. wenden. Ich kann mir auch noch das eine oder andere
vorstellen. Wir sollten sie nur nicht verkleckern. Ich per-
(Roland Claus [PDS]: Da muss der Bundestag sönlich bin eher für Schuldensenkung.
auch mitmachen!)
Herr Bundesfinanzminister, mit der Einnahme aus der
Wir werden auch dafür Sorge tragen, dass die Koalitions- Versteigerung der Lizenzen sind Sie ein wahrer Hans im
fraktionen den Oppositionsfraktionen und damit dem ge- Glück. Man könnte fast sagen: Sie sind wie ein Lotto-
samten Parlament die Möglichkeit geben, darüber seriös spieler, der alle Zahlen falsch getippt hat, aber trotzdem
zu beraten. Das ist bisher unter den Tisch gefallen. den Hauptgewinn bekommt.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Der Bundes- (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der
haushalt liegt in der Hand des Bundestages!) CDU/CSU)
Mir ist es wichtig, dass Sie unsere Vorschläge nicht in der Denn diese Einnahmen durch die Versteigerung der Li-
letzten Minute prüfen müssen, sondern dass Sie vernünf- zenzen war nur möglich, weil die frühere Koalition aus
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11473
Jürgen Koppelin

(A) CDU/CSU und F.D.P. die Privatisierung der Post vorge- Der hieß Oskar Lafontaine und schmiss das Geld zum (C)
nommen hat, und das gegen den erbitterten Widerstand Fenster raus.
von Sozialdemokraten und Grünen.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Richtig!) Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: In der
Während die Grünen zu dieser Zeit sogar das Handy für kurzen Zeit hatte der gar keine Gelegenheit!)
Teufelszeug gehalten haben, trat der heutige Bundes- Der Bundesfinanzminister – das ist jetzt die andere
finanzminister im Bundesrat massiv gegen die Privatisie- Seite der Medaille des Haushaltes – behauptet – das hat er
rung ein. auch heute gemacht; wir unterstützen das –: Es muss ge-
spart werden. Wenn man sich den Haushalt anschaut,
(Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl!)
dann erkennt man: Er spart gar nicht. Bei Eichel bekommt
Ich sage noch einmal: Gut, dass unsere alte Koalition das Wort „sparen“ eine völlig neue Bedeutung: Abkassie-
nicht dem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten ge- ren und das Geld in den eigenen Haushalt stecken, das ist
folgt ist. für ihn sparen. Er hat auch davon gesprochen – dabei kön-
Aber es wird noch interessanter. Ich rate – leider ist kei- nen wir ihm teilweise sogar folgen –, man dürfe nicht zu
ner vom Bundespresseamt da –, einmal die ganzen viele Wohltaten verteilen und man müsse wissen, wie die
Reden, die Herr Eichel im Bundesrat gehalten hat, als Gegenfinanzierung aussieht. „Gegenfinanzierung“ ist
Broschüre herauszugeben. Die Republik würde staunen, übrigens sein Lieblingswort.
was Sie alles gesagt haben. Ich kann Ihnen heute nur eine (Joachim Poß [SPD]: Das ist bei Ihnen ein
kleine Kostprobe davon geben. Fremdwort!)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten – Nein, hören Sie doch einfach einmal zu! Ich war bei
der CDU/CSU) Ihrer Rede, glaube ich, der Ruhigste und das war ver-
Herr Eichel sagte im Bundesrat als hessischer Minis- dammt schwer. Ich wäre dankbar, wenn Sie auch bei mir
terpräsident: zuhören würden.

Aufgabe der Postreform ist nicht die Sanierung des (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
Bundeshaushaltes. Es muss sichergestellt werden, Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie doch etwas zur
dass Verkaufserlöse bei der Post verbleiben und zur Gegenfinanzierung!)
Erfüllung ihres Auftrages wieder eingesetzt werden Bei Eichel sieht es folgendermaßen aus: Wenn aus sei-
können. Kein Verständnis hätte ich dafür, wenn die ner eigenen Fraktion oder aus der Koalition der Wunsch
Verkaufserlöse an den Bund abgeführt würden. geäußert wird, Wohltaten – ich benutze den Ausdruck, den
(B) (Lachen bei der F.D.P.CDU/CSU) Sie gebraucht haben – zu verteilen, dann sagt er: „Okay, (D)
das machen wir; aber wir brauchen die Gegenfinanzie-
So Hans Eichel als Ministerpräsident. Als Haushaltspoli- rung.“ Die Bürgerinnen und Bürger bekommen dann
tiker der F.D.P. bin ich natürlich froh, dass wir Herrn 1 000 DM in die eine Tasche und aus der anderen nimmt
Eichel nicht gefolgt sind. er ihnen 1 300 DM heraus. Das ist dann die „Methode
Herr Bundesfinanzminister, da Sie uns hier einige Vor- Eichel“ der Gegenfinanzierung.
haltungen gemacht haben – Sie werfen uns vor, früher (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
nicht gespart zu haben –, erlauben Sie – es ist noch nicht
lange her, genau drei Jahre – noch eine Kostprobe. Da ha- Real sieht es nämlich so aus – darauf wurde schon un-
ben Sie der damaligen Bundesregierung im Bundesrat ter anderem vom Kollegen Rexrodt in seiner Rede hinge-
vorgeworfen – ich habe das Protokoll bei mir –, sie spare wiesen –: Bürger und Unternehmen zahlten im Jahre 1999
zu viel. Sie sagten, Sie seien es leid, über das Sparen zu etwa 376 Milliarden DM an den Bund; im Jahre 2004 wer-
reden. Sie haben den Wohnungsbau, das BAföG und eine den es bereits fast 450 Milliarden DM sein. Das sind Gel-
ganze Liste weiterer Punkte aufgeführt – der, die die Steuerzahler zahlen, Herr Minister. Sie müs-
sen doch immer wieder überlegen, was Sie von dieser
(Hans Eichel, Bundesminister: Ja, richtig!) großen Summe an den Bürger zurückgeben können.
– und behauptet, wir brächten die Zukunftsfähigkeit un- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Von vorn-
seres Landes in Gefahr, wenn wir weiterhin so sparten. herein beim Bürger belassen!)
Das haben Sie uns noch vor drei Jahren vorgeworfen.
Stellen Sie sich nicht hier hin und halten Sie nicht solche Wir als Freie Demokraten sind überhaupt der Auffassung,
Reden, wie Sie es heute getan haben! dass der Bürger besser mit dem Geld umgehen kann, als
Sie es können.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Nun – das möchte ich noch einmal unterstreichen –
Herr Bundesfinanzminister, Sie sind in einem Punkt machen wir uns schon um die hohen Mineralöl- und
unehrlich: Heizölpreise Sorgen. Herr Minister, Sie können nicht ein-
(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nicht nur in fach sagen, die Bürger müssten das so tragen oder, wie
einem!) es der Landesvorsitzende der Grünen in Schleswig-Hol-
stein sagte, auf die Urlaubsreise verzichten. So geht es
Sie vergleichen sich immer mit Theo Waigel. Zu dessen
nicht.
Politik könnte man zwar das eine oder andere sagen,
aber Sie müssen sich mit Ihrem Vorgänger vergleichen. (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
11474 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Jürgen Koppelin

(A) Angesichts des Vorschlags von den Grünen aus Schles- kraten werden sich daran beteiligen; das ist selbstver- (C)
wig-Holstein, auf die Urlaubsreise zu verzichten, – ständlich. Wir werden aus der Oppositionsrolle heraus
versuchen, unsere Vorstellungen darzulegen. Unsere Vor-
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE
stellungen sind ganz klar: wo es möglich ist, Arbeitsplätze
GRÜNEN]: Ein Kollege!)
schaffen, Arbeitsplätze schaffen und nochmals Arbeits-
– fällt mir noch etwas ein – Herr Kollege Metzger, ich plätze schaffen. Diese Linie werden wir verfolgen.
sehe Sie gerade –: Nach einer Forsa-Umfrage, die ich
Vielen Dank für Ihre Geduld.
kürzlich gelesen habe, könnte sich jeder vierte Deutsche
vorstellen, mit Joschka Fischer Urlaub zu machen. Daraus (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
wird dann nichts, kann ich Ihnen da nur sagen. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das fällt
(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P., dem Ihnen aber spät ein! Nach so viel Polemik nur
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/ ein Satz zu den Arbeitsplätzen!)
CSU)
Wenn wir uns über Ökosteuern sowie Benzin- und Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktion
Heizölpreise unterhalten, dann darf ich Ihnen doch noch spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.
einmal wieder zu Gehör bringen – das habe ich diese Wo-
che ja schon einmal gemacht –, was der jetzige Bundes- Dr. Christa Luft (PDS): Frau Präsidentin! Verehrte
kanzler als niedersächsischer Ministerpräsident in einem Kolleginnen und Kollegen! Von der ersten Minute dieser
dpa-Interview 1997 gesagt hat. Er hat gesagt: Für die Bür- einwöchigen Redeschlacht bis zu den letzten Minuten fin-
ger in den Flächenstaaten ist ein höherer Benzinpreis eine det hier offenbar vor allen Dingen eines statt: nämlich
erhebliche Mehrausgabe. Die SPD muss in Kauf nehmen, gegenseitige Schuldzuweisungen der früheren Koalition
dass die Leute dann die Schnauze von uns voll haben. – an die jetzige und der jetzigen an die frühere. Dabei wird
Das hat Schröder gesagt. mitunter auch noch Lautstärke mit Argumentationsstärke
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) verwechselt.

Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, dass Sie Ich kann Ihnen nur sagen: Wer arbeitslos ist, als Bau-
ein Konzept anbieten werden, in dem es Entlastungen für arbeiter oder in einem anderen Beruf seinen Lebensun-
die Bürger geben wird. Sie halten diesen Druck ja gar terhalt bestreiten muss, wer als Elternpaar für seinen
nicht aus; das wissen wir. Ich kann mir einfach nicht vor- zwölfjährigen Sohn bzw. seine zwölfjährige Tochter sich
stellen, dass dieser Bundeskanzler, der ja den Ruf hat, darum Sorgen machen muss, ob in vier Jahren eine
auch ein Freund der großen Autobosse zu sein, gerne in Lehrstelle zu finden ist, wer als Rentner bzw. Rentnerin
(B) die Geschichte als Heizöl- oder Benzinkanzler eingehen mit um 0,6 Prozent angehobenen Rentenbezügen in die- (D)
will. Das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Wir wer- sem Jahr eine 1,8-prozentige Inflationsrate verkraften
den einmal die nächsten Tage abwarten, was da kommen muss oder wer als Pendler – in Ostdeutschland sind das
wird. Die Grünen werden dann wieder alles schlucken; immerhin 500 000 Menschen – mit den explodierenden
davon sind wir fest überzeugt. Spritkosten konfrontiert ist, dem nützen gegenseitige
Schuldzuweisungen überhaupt nichts.
Nun noch ein paar Punkte zum Haushalt, Herr Minis-
ter. (Beifall bei der PDS)
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE Der möchte Lösungsangebote haben, damit er sich
GRÜNEN]: Endlich zum Thema!) zwischen den jeweiligen politischen Kräften entscheiden
kann.
Schauen Sie sich einmal Ihren Verteidigungshaushalt
an. Ich weiß, wie schwer das ist. Aber mit diesem Vertei- Was konkrete Lösungsangebote anbetrifft, sah das
digungshaushalt ist eine Reform der Bundeswehr nicht hier eher mager aus. Ich habe gehört, dass den Rentnern
möglich. Das steht eindeutig fest. Wie Sie uns das noch empfohlen wird, sich Energie sparende Heizgeräte anzu-
verkaufen wollen, zumal die entsprechenden Ergänzun- schaffen, und den Pendlern empfohlen wird, endlich ein-
gen aus dem Ministerium, Frau Staatssekretärin, fehlen, mal einen ADAC-Lehrgang für Sprit sparendes Fahren zu
werden wir ruhig abwarten. besuchen. Das kann man alles empfehlen, aber insgesamt
sind das, wie ich finde, ärmliche Vorschläge.
Wo setzt der Haushalt für Forschung und Bildung
Akzente? Ich kann Ihnen aufgrund der Zeit nur wenige (Beifall bei der PDS)
Punkte nennen. Wo setzt er Akzente? Ich habe dazu nichts Herr Minister, in dieser Schlussrunde wäre Gelegen-
gehört. heit gewesen zu sagen: Denken Sie nicht vielleicht doch an
(Jörg Tauss [SPD]: Was wollen Sie denn alles? eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale?
– Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben
(Beifall bei der PDS)
Sie denn nicht zugehört?)
Wie wollen Sie den öffentlichen Personennahverkehr so
Straßenbau und vieles andere findet nicht statt.
entlasten, dass er auch noch von den Leuten genutzt wer-
Deswegen sage ich zum Schluss, liebe Kolleginnen den kann, die nicht besonders viel Geld in der Tasche ha-
und Kollegen: Wir werden interessante Haushaltsbera- ben? Und haben Sie nicht vielleicht doch vor – hoffent-
tungen im Haushaltsausschuss haben. Die Freien Demo- lich; man konnte im Sommer so etwas hören –, die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11475
Dr. Christa Luft

(A) Nettolohnformel für die Anpassung der Renten wieder Dabei stößt mir zweierlei bitter auf; ich will es in aller (C)
einzuführen? Heute wäre Gelegenheit gewesen, solche Kürze noch hier andeuten. Sie setzen, wie die frühere Ko-
Signale zu senden; – alition, darauf, dass die Arbeitslosigkeit durch Steuer-
senkungen für die Unternehmen bekämpft werden kann
(Beifall bei der PDS – Hans-Peter Repnik und muss, was Sie auch tun.
[CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)
(Joachim Poß [SPD]: Steuersenkungen für
– denn die Bürgerinnen und Bürger, die uns zugehört und alle!)
zugeschaut haben, warten auf Signale.
Außerdem setzen Sie auf die Einführung neuer Technolo-
Herr Minister, Sie sagen: Sollen doch die Brummifah- gien und anhaltenden Exportboom. Es bleibt jedoch da-
rer, sollen doch die von den Spritpreisen betroffenen bei, dass sehr viele Unternehmen trotz sinkender Steuern
Menschen ihren Frust bei der OPEC und bei den Ölkon- noch in diesem Jahr in Konkurs gehen werden.
zernen ablassen. – Diese haben aber leider keine gewähl-
ten Vertreter. Die gewählten Vertreterinnen und Vertreter (Joachim Poß [SPD]: Aber eine Pleitewelle
des Volkes sitzen hier. Daher muss hier die Debatte dazu wie bei Kohl haben wir nicht mehr!)
stattfinden und daher muss hier eine Antwort gegeben Es bleibt auch dabei, dass es in vielen Bereichen des ge-
werden. sellschaftlichen Lebens Arbeit gibt, die leider nicht ratio-
(Beifall bei der PDS) nalisierbar ist: Auch wenn Sie die Unternehmensteuern
auf null zurückfahren würden, würden Private in bestim-
Ich finde es reichlich absurd, wenn der Außenminister mten Bereichen keine Arbeit anfassen.
dieser Koalition vor der UNO sagt: Wir müssen alles tun,
Ich nenne nur den sensiblen Bereich Kinder- und
um die schädlichen Marktkräfte in der Welt einzudäm-
Jugendarbeit, in dem es in diesem Lande geradezu
men – was ich natürlich unterstreiche. Aber wenn die ei- brennt. Jeder von uns bekommt Briefe von betroffenen
gene Regierung zu Hause sagt: „Gegen diese schädlichen Verbänden und Vereinen. Eine Vereinsvorsitzende aus
Marktkräfte können wir leider nichts tun, die müssen wir dem Be-reich der Evangelischen Kirche in Berlin-Bran-
hinnehmen“, ist das ein bisschen absurd. denburg hat mir geschrieben, dass sie morgen vor die
(Beifall bei der PDS) dann ge-schlossenen Räume treten und den Kindern – es
sind meis-tens verhaltensgestörte Kinder – sagen muss:
Nie ist in diesem Hause – ich kann mich jedenfalls Kinder, es liegt nicht an euch, aber es gibt kein Geld.
nicht erinnern – innerhalb einer Woche so häufig von den
Interessen künftiger Generationen die Rede gewesen wie (Hans Georg Wagner [SPD]: Es liegt aber auch
dieses Mal. Das ist zu begrüßen. Es ist natürlich richtig, nicht an der Bundesregierung!)
(B) dass die Interessen künftiger Generationen bei der Vertei- (D)
Sie sagt zu mir: Wenn Sie mich kennen, ahnen Sie, wie
lung öffentlicher Steuergelder schon heute vertreten wer- mir zumute sein wird. – Ich kann es ihr nachfühlen.
den. Das ist unbestritten und das unterstützen wir.
Wir als PDS werden daher ein Modellvorhaben in die
Wir unterstützen als PDS – das mögen Sie vielleicht Haushaltsberatungen einbringen, um zu zeigen, wie man
nicht erwartet haben – den eingeschlagenen Kurs der im Bereich Kinder- und Jugendarbeit feste Stellen schaf-
Haushaltskonsolidierung, wenngleich wir sagen: Das fen kann. Das kann man nicht den Kommunen überlassen,
Ganze darf nicht zum Selbstzweck werden. Schon heute weil es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.
wirft Ihnen das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor-
schung vor, dass ein übergroßer Spareifer auch Probleme
Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin Luft,
für die Zukunft aufwerfen kann.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
(Beifall bei der PDS)
Diesen Aspekt werden wir in den weiteren Haushalts- Dr. Christa Luft (PDS): Die sich ergebenden Kosten
beratungen stark beachten. sind nicht höher, als zum Beispiel die Steuerbefreiung für
Flugbenzin ausmacht.
Also: Haushaltskonsolidierung in jedem Falle, aber sie
darf nicht zum Selbstzweck werden. Aufgrund meiner abgelaufenen Redezeit kann ich ein
weiteres Problem nicht mehr ansprechen. Nur so viel
Es sind ja nicht nur die Finanzschulden, die die junge möchte ich noch sagen: Wenn Sie das Programm gegen
Generation belasten. Unsere Kinder und Kindeskinder Jugendarbeitslosigkeit weiter so finanzieren – wir haben
sind auch belastet, wenn ihre, in vielen Fällen hoch quali- uns diesbezüglich immer mit Kritik zurückgehalten –,
fizierten, Eltern arbeitslos sind, wenn ihre berufserfah- dann wird es die Steuerzahler nach drei Jahren 6 Milliar-
renen Großeltern frühverrentet werden. den DM gekostet haben, ein beträchtlicher Batzen Geld.
(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!) Wenn Sie sich endlich entschließen würden, die Unter-
nehmen, die sich aus der Finanzierung der Ausbildung
Das ist für die junge Generation eine Bürde. Daher muss heraushalten, mit einer Ausbildungsplatzumlage zu bele-
es dabei bleiben, dass Zukunftssicherung nicht erst mit gen, –
der Haushaltskonsolidierung beginnt, sondern schon mit
der Bekämpfung der aktuellen Arbeitslosigkeit.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin, ich
(Beifall bei der PDS) muss Sie noch einmal ermahnen.
11476 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

(A) Dr. Christa Luft (PDS): – dann würden wir jedes Möglichkeit nur die Erhöhung der Mineralölsteuer, weil (C)
Jahr 2 Milliarden DM für andere Zwecke im Haushalt dies die einzige Steuer ist, die ihm zufließt. Die anderen
zur Verfügung haben. Steuern hätten alle nur mit Beteiligung der Länder erhöht
werden können. Diesen Punkt sollten Sie schon einmal
(Beifall bei der PDS)
richtig stellen.
(Joachim Poß [SPD]: Das Interessante ist, dass
Vizepräsidentin Petra Bläss: Der nächste Redner ist
Sie das nicht zur Begründung herangezogen ha-
der Kollege Hansgeorg Hauser für die CDU/CSU-Frak-
ben, sondern den Golfkrieg!)
tion.
Aber der auf die Regierung zurückzuführende Anstieg
aufgrund der Erhöhung der Mineralölsteuer und der auf
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/CSU):
den Bund entfallende Anteil bei der Mehrwertsteuer sind
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
ein wesentlicher Teil dieser Preissteigerungen.
Kollegen! Am Ende der mehrtägigen Debatte zur Ein-
bringung des Haushalts 2001 bleibt eine wichtige Frage Absolut alleine zu vertreten hat die Regierung den Un-
unbeantwortet. fug mit der Ökosteuer. Es ist schon mehrfach ausgeführt
worden, dass diese Steuer weder ökologisch sinnvoll noch
(Jörg-Otto Spiller [SPD]: Was macht die
steuersystematisch vertretbar und schon gar nicht sozial
CDU?)
gerecht ist. Was hat denn der Rentner davon, dass die
Wer die Debatte zur Finanz- und Steuerpolitik dieser Re- Beiträge gesenkt werden? – Gar nichts. Er darf nur die
gierung verfolgt hat, fragt sich unwillkürlich, was aufsei- Kosten dafür tragen. Diese Politik machen Sie, obwohl
ten dieser Regierung und der sie tragenden Regierungs- Sie doch immer die kleinen Leute vertreten wollen.
fraktionen denn nun größer sei: die Blindheit, die Sturheit
Die Regierung vertritt stur die Haltung, dass diese
oder die Arroganz.
Steuer notwendig ist und eines ihrer Meisterstücke dar-
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der stellt. Lenkungseffekte für ein besseres ökologisches Ver-
SPD: Oh! – Hans Georg Wagner [SPD]: Der Er- halten sollen von ihr ausgehen. Der Bürger hat aber längst
folg ist größer!) gemerkt, dass es – wie einst bei dem 5-Mark-Beschluss
der Grünen – nur auf eines hinausläuft: Man will dem
Trotz eindeutiger Zahlen über die eklatanten Preisstei-
Bürger vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat,
gerungen in allen Energiebereichen tut die Regierung so,
wann und wie oft er mit dem Auto fahren darf, wie schnell
als wäre alles ganz normal verkraftbar. Der Anstieg der In-
er unterwegs sein darf und welches Auto er letzten Endes
flation wird nicht zur Kenntnis genommen. Die Belastun-
fahren darf.
(B) gen der Wirtschaft werden als das übliche Gejammere (D)
dargestellt. Die Sorgen der Bürger, insbesondere der klei- Dass die ökologische Lenkungswirkung ein Märchen
nen Leute, werden damit abgetan, dass soziale Härtefälle ist, hat sich längst herausgestellt. Bei der unlogischen
mit ein paar Mark Ausgleich geregelt werden könnten – Konstruktion des Gesetzes, wonach beispielsweise rege-
und das natürlich in der für Sozialdemokraten typischen nerative Energiequellen nicht von der Besteuerung aus-
Art: mit riesigem bürokratischem Aufwand und mithilfe genommen sind und obendrein öffentliche Verkehrsmittel
der Erfindung neuer Beihilfen. Es wird wahrscheinlich zusätzlich belastet werden, ist dies kein Wunder.
ein neuer Bezugsscheinbürokratismus kreiert werden.
Auch – wie immer wieder behauptet wird – die aus-
(Zuruf von der SPD: Was? – Zuruf von der schließliche Verwendung der Einnahmen zur Finanzie-
CDU/CSU: Winterhilfe!) rung des Zuschusses an die Rentenkasse ist längst aufge-
deckt und nimmt Ihnen niemand mehr ab. Diese sys-
Es ist bezeichnend, dass man das Ganze auf die Sozial-
temwidrige Finanzierung wird Sie nicht davor bewahren,
hilfe abwälzen will; denn die zahlen die Kommunen. Die
im Rentenbereich erhebliche Kostenreduzierungsmaß-
Regierung ist dafür nicht zuständig.
nahmen durchzuführen und die Augen gegenüber den
Diese Regierung ist offensichtlich blind und taub ge- Generationsveränderungen aufzumachen.
genüber Warnungen, dass die anspringende Konjunktur
Herr Bundesfinanzminister, wie alle Vorredner aus
einen deutlichen Schaden erleiden könnte. So gesehen ist
meiner Fraktion kann ich Sie nur auffordern, den Unfug
es natürlich verständlich, dass der Bundeskanzler einen
mit der Ökosteuer endlich zu beenden.
niedrigeren Euro als gut für die Wirtschaft bezeichnet und
sich damit seines soeben gewonnenen Titels wahrhaft (Beifall bei der CDU/CSU)
würdig erweist.
Dazu gibt es eine gute Gelegenheit: Stimmen Sie unserem
Sicher ist es richtig, dass ein Teil der Preissteige- Entwurf eines Ökosteuerabschaffungsgesetzes, das wir
rungen nicht alleine die Regierung zu vertreten hat. Aber, einbringen werden, zu.
sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, nach Ihrem
(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]:
dramatischen Auftritt vorgestern, –
Träumt weiter! – Joachim Poß [SPD]: Der Gip-
(Jörg Tauss [SPD]: Der war gut!) fel der Unseriosität!)
– muss ich sagen: Sie hätten schon einmal an das Ge- Diese Aufforderung wird in einer arroganten Art und
schachere zwischen Ländern und Bund zur Finanzierung Weise missachtet und einfach nur als Druck von der
der Einheit erinnern können. Der Bund hatte als einzige Straße diffamiert. Das wird Ihnen sicher noch einmal
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11477
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

(A) Leid tun. Wer den Brummifahrern vorwirft, sie würden Auch bei der Steuerreform ist nach anfänglicher Eu- (C)
Maßnahmen vorbereiten, die den Straftatbestand der phorie schnell Ernüchterung eingetreten. Sie haben in den
Nötigung erfüllen, zeigt, dass er von deren Sorgen keine Sommermonaten Ihren Triumph genossen, Verhandlungs-
Ahnung hat. partner über den Tisch gezogen zu haben und auf Teufel
komm raus eine Steuerreform umzusetzen. Erste Repara-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- turarbeiten werden bereits vorgenommen. Denn nichts
neten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Sie berei- anderes ist das Steuersenkungsergänzungsgesetz, das wir
ten das vor!) jetzt beschließen sollen.
Der Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Das Urteil über die Steuerreform bleibt unsererseits
Logistik und Entsorgung, des BGL, Hermann Grewer, ist trotzdem bestehen: Entlastungen kommen zu spät. Die
ein sehr besonnener und intelligenter Mensch. vorgesehenen Steuersatzsenkungen sind ungerecht, weil
(Joachim Poß [SPD]: Das hat auch keiner nicht rechtsformneutral verteilt, und der Systemwechsel
infrage gestellt!) vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren
bringt erhebliche Komplizierungen und führt zu neuen
Ihm vorzuwerfen, er erarbeite Aufmarschpläne, und ihn Ungerechtigkeiten.
damit mit Chaoten und Gewaltdemonstranten gleichzu-
stellen ist eine Unverschämtheit. Lassen Sie mich ganz kurz drei Beispiele aufführen,
die zeigen, dass diese Gerechtigkeitslücke zu einem
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Scheunentor geworden ist: Veräußerungsgewinne – Sie
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat kennen das Thema – werden in dreifacher Hinsicht voll-
denn das gemacht? – Joachim Poß [SPD]: Das kommen unterschiedlich behandelt. Bei einer Kapital-
hat doch gar keiner getan!) gesellschaft wird die Beteiligungsveräußerung steuerfrei
Wenn in ihrer Existenz gefährdete Bürger zu Demon- belassen. Bei einer natürlichen Person, die einen Anteil an
strationen aufrufen, dann regt sich der Bundeskanzler auf. einer Kapitalgesellschaft hat, gilt das Halbeinkünftever-
Als in Hannover die Chaoten randalierten, hat dies den da- fahren. Kommt es zu einer Veräußerung eines Einzelun-
maligen niedersächsischen Ministerpräsidenten wenig ternehmens oder einer Beteiligung an einer Personen-
gekümmert. gesellschaft, wird das Ganze voll besteuert.
(Hans-Dirk Bierling [CDU/CSU]: Das ist doch
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
pure Ideologie!)
neten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)
Ein weiteres Beispiel sind die Steuerbelastungen bei
Wenn Sie den Bürgern vorschlagen, langsamer zu fahren,
gewerblichen Einkünften. Auch diese werden vollkom-
(B) dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn dieser Rat men unterschiedlich behandelt. Gewerbliche Einkünfte (D)
von den Brummifahrern befolgt wird.
aus einer Personengesellschaft oder einem Einzelunter-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) nehmen unterliegen in voller Höhe der Einkommensteuer,
wenn der Spitzensteuersatz erreicht wird. Dieser Satz be-
Die Folgen können Sie verantworten. trägt im Jahre 2001 immerhin noch 48,5 Prozent.
Der Gipfel der Arroganz – das ist schon erwähnt wor- Die Gewinne der Kapitalgesellschaften werden mit
den – ist die Äußerung des Vorsitzenden der Grünen in 25 Prozent besteuert. Hier ist es ein großer Unterschied,
Schleswig-Holstein, dass auf den Urlaub verzichtet wer- ob die Gewinne im Inland erwirtschaftet werden oder ob
den müsse. Die „Bild“-Zeitung hat es richtig erkannt, als sie beispielsweise aus einer Beteiligung im Ausland stam-
sie fragte: Sind die Sorgen der Menschen, die um ihre men, denn die Erträge aus der Beteiligung an ausländi-
Existenz bangen, Nebensache? schen Gesellschaften sind in Deutschland völlig steuer-
Angesichts eines Kanzlers, der im Himmel schwebt, frei.
eines Finanzministers, der vor Kraft nicht mehr laufen International tätige Unternehmen werden sich daher
kann, – künftig sehr genau überlegen, ob sie Investitionen in
(Joachim Poß [SPD]: Einen solchen Minister Deutschland oder im Ausland tätigen. Genau an dieser
hätten Sie auch gerne gehabt! Sie hatten doch Stelle wird Ihr Anliegen, dass die Steuerreform einen
den schwächelnden Waigel!) beschäftigungspolitischen Erfolg erzielt, zum Scheitern
verurteilt sein. Die Überlegungen, ob künftig mehr im
– und eines Außenministers, der die Freundschaft mit ei- Ausland investiert werden soll, sind bereits in vollem
nem Nachbarstaat zerstört hat und sich lieber mit dem Öl- Gange.
multi Gaddafi trifft, ist es kein Wunder, dass sich die Be-
völkerung fragt, ob diese Regierung noch etwas mit ihren Dazu trägt auch bei, dass künftig Auslandsverluste im
Bürgerinnen und Bürgern zu tun haben will. Inland nicht mehr geltend gemacht werden können, mit
dem Ergebnis, dass risikobehaftete Investitionen eher in
(Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland durchgeführt werden und ertragreiche Inves-
80 Prozent der Deutschen lehnen die Ökosteuer ab. titionen eher im Ausland.
Eine Umfrage der „Woche“ hat ergeben, dass 60 Prozent Experten tüfteln vielfach, weil sie alle den Schluss ge-
sogar bereit sind, die Regierung mit Aktionen in die Knie zogen haben, dass beim Schritt über die Grenze die frühe-
zu zwingen. Das sollte Ihnen die Augen öffnen und Sie zu ren Personengesellschaftsstrukturen an Bedeutung verlie-
einer Umkehr von diesem falschen Weg bewegen. ren und durch Konzernsachverhalte ersetzt werden.
11478 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

(A) Durch den Wegfall des Anrechnungsverfahrens und den Merkel endlich einmal den Mund aufmacht, ihn zurecht- (C)
Übergang auf das Halbeinkünfteverfahren steigt die At- weist und sich bei allen Sozialdemokraten in Deutschland
traktivität von Auslandsinvestitionen. Daher wird den entschuldigt.
Mandanten in allen großen Kanzleien empfohlen, im Aus-
land und nicht mehr im Inland zu investieren. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/
CSU: Darf ich Ihnen die Zitate zeigen?)
Herr Poß, Sie können den Menschen – Sie haben am
Wochenende auf Ihrem Parteitag Gelegenheit dazu – er- Ich nenne Ihnen Herbert Wehner, der Mann für Mann
klären: Früher haben die großen Gesellschaften relativ aus den Gefängnissen der DDR geholt hat, als Sie noch
wenig Steuern gezahlt – so haben Sie es immer behaup- gar nicht daran dachten, mit den Herrschenden zu reden.
tet –, jetzt zahlen sie gar keine mehr. Das ist der Erfolg Ih- Soll ich an den Friedensnobelpreisträger Willy Brandt er-
rer Politik. innern? Muss ich andere wie Helmut Schmidt nennen?
Hätte Helmut Schmidt durch seine Gespräche mit den
(Joachim Poß [SPD]: Warten wir ab!) Führern der DDR nicht für Verständigung gesorgt, hätte
Genauso ist es bei den Dividenden. Bei deren Be- Helmut Kohl nicht den roten Teppich in Bonn ausrollen
steuerung gilt die gleiche Problematik. können, über den Herr Honecker schreiten konnte.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie Erhard Eppler, Hans-Jochen Vogel und viele andere,
haben nichts kapiert! Tausende von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-
ten haben sich bemüht. Sie haben mit heißem Herzen für
Auch hier sind diejenigen mit niedrigen Steuersätzen die Wiedervereinigung gekämpft, die dann die Menschen
künftig wesentlich schlechter gestellt als diejenigen mit in der DDR – und nicht Sie – verwirklicht haben. Sie wa-
höheren Steuersätzen, denn diese werden künftig kräftig ren das nicht, Sie waren wie auch wir nur Zuschauer im
entlastet. Das ist der Erfolg Ihrer Steuerreform. Ich hoffe, Westen.
Sie erzählen auch das auf dem Parteitag der SPD.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Bartholomäus
Kalb [CDU/CSU])
Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner in die- – Sie haben das auch noch fortgesetzt, Herr Kollege Kalb.
ser Haushaltsdebatte ist der Kollege Hans Georg Wagner Die Sozialdemokratie hat hier im Deutschen Bundestag
für die SPD-Fraktion. der Verabschiedung des Einigungsvertrags einstimmig
zugestimmt, während 13 Kolleginnen und Kollegen der
Hans Georg Wagner (SPD) (von Abgeordneten der CDU/CSU den Einigungsvertrag abgelehnt haben. Es ist
(B) SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr scheinheilig, wie Sie sich hier aufführen. (D)
verehrten Damen und Herren! Es gehört zu den Abson- (Beifall bei der SPD)
derlichkeiten dieser Debatte, dass ausgerechnet der Hei-
zer des Schuldenzugs von Herrn Waigel in dieser Form Wie ist das mit den Blockflöten, die hier noch am Mitt-
über die Bundesregierung herzieht. woch geklatscht haben? Die Blockflöten waren an jeder
SED-Regierung der DDR beteiligt. Es gab nie eine Al-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ leinregierung der SED. Es war immer die Bauernpartei
DIE GRÜNEN) dabei. Es war immer die Ost-CDU, die bei Ihnen gelandet
Als Sie geschürt haben, sind die Schulden gestiegen. Herr ist, an der Regierung beteiligt. Sie waren am Mord durch
Kollege Hauser, erinnern Sie sich bitte daran. den Schießbefehl an der Mauer beteiligt. Sie waren immer
beteiligt, wenn irgend eine Schmutzigkeit gegen die Men-
Zu den Absonderlichkeiten dieser Debatte gehört auch, schen in der DDR gemacht wurde. Damit sollten Sie ein-
dass vonseiten der CDU/CSU und F.D.P. überhaupt kein mal in Ihren Reihen aufräumen.
konkreter Vorschlag zum Haushalt gekommen ist. Ich be-
daure das. Nur Frau Luft hat einige Punkte genannt, die (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der
durchaus diskussionswürdig sind. Wir hätten gern über CDU/CSU)
Vorschläge diskutiert, wenn nicht ständig durch die De- Nun zur Ökosteuer. Ein schlimmeres und makabereres
batte über die Ökosteuer vom Thema abgelenkt worden Spiel als das, was Sie zurzeit mit den Betroffenen treiben,
wäre. Auch dazu werde ich gleich noch etwas sagen. hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gege-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ben. Das ist ein ganz makaberes Spiel.
Ich gehe zunächst auf etwas ein, das mich als Sozial- Ich gebe nur wieder, was Martin Hüfner, der Chef-
demokrat furchtbar geärgert und tief getroffen hat. volkswirt der bayerischen Hypovereinsbank, im ZDF ge-
sagt hat. Er hat gesagt: Die Ökosteuer muss bleiben. Nun
(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Schon kann es sein, dass Sie zu einem bestimmten Konzern
wieder!)
– hier denke ich an Elf Aquitaine und an die Minol-Über-
– Ich bin sonst sehr hart im Nehmen, Herr Kollege nahme, die Übernahme der Tankstellen der ehemaligen
Repnik. Ich halte viel aus und ich teile viel aus. Wenn sich DDR – natürlich eine besondere Affinität besitzen. Dies
aber ein Herr Merz hier hinstellt und die Sozialdemo- wird zumindest in den Büchern in Frankreich behauptet.
kratie im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Denn wo sonst sollen die ganzen Spenden herkommen,
Deutschlands diffamiert, dann erwarte ich, dass Frau über die Herr Kohl nicht zu sprechen wagt? Elf Aquitaine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11479
Hans Georg Wagner

(A) ist immerhin ein großer Benzinkonzern, der natürlich die Was Herr Merz hier vorschlägt, ist eine Aufforderung an (C)
Preise auch erhöht. die Koalition, das Gesetz zu brechen.
(Zuruf von der CDU/CSU) (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/
CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)
– Herr Kollege, er ist inzwischen in Lyon angesiedelt, Sie
können mal hinfahren und gucken. Reden Sie einmal mit Dies ist eine Aufforderung an die Koalition, die Nettokre-
Ihren Spenderfreunden, vielleicht senken sie in diesem ditaufnahme so zu erhöhen, dass der Haushalt 2001 ver-
Zusammenhang ja die Preise. fassungswidrig wird. Für wie doof halten Sie uns eigent-
lich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU?
Heute morgen hat der Hauptgeschäftsführer des Ar-
beitgeberverbandes Gesamtmetall, Hans Werner Busch, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
laut ddp erklärt, er befürworte die Ökosteuer. Im DIE GRÜNEN)
„Deutschlandradio Berlin“ begründet Busch dies heute
Dass wir einen solchen Blödsinn nicht mitmachen, ist
mit den positiven Effekten der Ökosteuer auf den Ar-
doch wohl selbstverständlich.
beitsmarkt. Er führte weiter aus, eine Abschaffung hätte
eine Erhöhung der Beiträge und damit eine Erhöhung der Herr Gysi – um auch hier einen Punkt aufzugreifen –
Lohnnebenkosten zur Folge. Die Entwicklung der schlägt vor, man solle von den Einnahmen aus der Ver-
Arbeitsplätze wäre gefährdet. Und Herr Busch ist kein steigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 100 Milli-
ausgewiesener Sozialdemokrat, eher ein F.D.P.-Mann, arden DM 10 Milliarden DM für andere Zwecke verwen-
wie wir wissen. den. Dazu kann ich nur sagen: Er muss sich das
Haushaltsgesetz für das Jahr 2000 durchlesen. Auch die
Wenn Sie schon über diese ganzen Erhöhungen reden:
PDS muss dieses Gesetz einhalten. Darin steht ausdrück-
Der Biodiesel hat zur Zeit die höchsten Preissteigerungen
lich, dass die Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Li-
und dies hat mit unserer Ökosteuer überhaupt nichts zu
zenzen in den Bundeshaushalt zur Schuldentilgung auf-
tun. Fragen Sie einmal Ihre Landwirtsfreunde, die heute
genommen werden, und zwar in ihrer Gesamtheit. Man
auf dem Traktor sitzen und hier in der Gegend herumfah-
kann keinen Teil davon wegbrechen und damit machen,
ren, warum sie den Biodiesel so teuer machen. Warum
was man will. Auch dies gehört zur Redlichkeit der Poli-
machen sie ihn denn nicht billiger, wenn das wirklich ein
tik.
Produkt sein soll, das weltweit verbreitet werden soll?
Herr Gysi – auch wenn er nicht mehr im Saal ist –, wir
Ich schenke es mir, noch einmal darauf einzugehen,
haben nicht vor, die Bundesanstalt für Arbeit hinsichtlich
was hier die Frau Kollegin Merkel gesagt hat. Interessan-
der AB-Maßnahmen schlechter zu stellen. Dies bleibt für
terweise hat sie als Parteivorsitzende von Dienstagmittag
die neuen Länder genauso, wie auch die Finanzhilfen zur
(B) bis eben, als sie verschwunden ist, standhaft den Mund Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Sie (D)
gehalten. Zum Haushalt oder zur politischen Auseinan-
infrage gestellt haben, erhalten bleiben.
dersetzung hat sie offenbar gar nichts zu sagen. Ich be-
daure das außerordentlich, denn ich würde gern hören, wo (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Die Sachkosten!)
es mit der CDU eigentlich langgeht. Aber das ist nicht er-
– Gut, wir können darüber diskutieren. Dies sollte alles so
kennbar.
bleiben, wie es war.
Ich werde auch Herrn Merz nicht mehr zitieren, der im
Herr Austermann hat mir gesagt, er müsse früher weg.
November 1998 noch gesagt hat, durch die Ökosteuer
Ich habe ihm aber ordnungsgemäß gesagt, ich würde ihn
sollten Einnahmen erzielt werden, um Sozialabgaben zu
jetzt beschimpfen. Er hat heute morgen Ihr Leib- und Ma-
reduzieren. Dies hat Herr Merz gesagt. Am Mittwoch hat
genblatt, die „Bild“-Zeitung, zitiert. Er legte dem armen
Herr Merz jetzt eines gefordert – das ist klar –, nämlich
Herrn Pierer die Überschrift der „Bild“-Zeitung in den
die Nettokreditaufnahme in Deutschland um 22 Milliar-
Mund und behauptet, er hätte gesagt: „Die Ökosteuer
den DM zu erhöhen; denn der Wegfall der Ökosteuer
lähmt unseren Aufschwung“.
würde einen Wegfall von 22 Milliarden DM bedeuten.
Jetzt lese ich einmal nach, was Herr Pierer in dem In-
(Joachim Poß [SPD]: So ist das!)
terview wirklich gesagt hat. Er sagte auf eine entspre-
Er sagte dazu, dass wir diese Summe auf die Nettokredit- chende Frage:
aufnahme draufschlagen müssten, damit wir die Höhe der
Davon halte ich gar nichts! Man sollte sich über die
Rentenversicherungsbeiträge überhaupt halten könnten.
Ökosteuer noch einmal unterhalten.
Das ist die Logik seiner Ausführungen.
– Ist das so schlimm? Aber Austermann zitiert Pierer. Pie-
(Zuruf von der CDU/CSU: Die Mehreinnah-
rer habe gesagt, weg mit der Ökosteuer, sie lähme die
men dafür einsetzen!)
Wirtschaft. Nachdem Herr Pierer der CDU eine Telefon-
Nach dem, was die CDU hier vorgetragen hat, entspricht anlage finanziert hat – Siemens spendierte ja der CDU
das einer Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge auf eine Telefonanlage –, kann es sein, dass das die Dankbar-
21 Prozent. keitsretourkutsche war.
Mit den 22 Milliarden DM kämen wir dann an die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
denkwürdige Grenze des Artikel 115 des Grundgesetzes: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Haushalt wäre verfassungswidrig.
Das ist über einen Konzern bekannt geworden. Die An-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) lage ist in Potsdam installiert worden. – Herr Koppelin,
11480 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

Hans Georg Wagner

(A) Sie beugen sich interessiert vor. Ich verstehe: Sie wollen Schönen Dank. (C)
wissen, wie Sie für die F.D.P. Geld einsparen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Heiterkeit bei der SPD – Jürgen Koppelin DIE GRÜNEN)
[F.D.P.]: Ich wollte nur wissen, ob das die
„Bild“-Ausgabe von Saarbrücken ist!)
Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus-
Das geht bis zu Herrn Däke. Herr Däke ist Ihnen be- sprache.
kannt. Er ist Ihr Kronzeuge vom Bund der Steuernicht-
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
zahler. Er erklärt, man solle doch bitte das Kfz-Steuer-
den Drucksachen 14/4000 und 14/4001 an den Haushalts-
Änderungesetz von 1997 aufheben. Er meinte, uns ans
ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
Leder zu können bei einem Gesetz, das Sie verabschiedet
den? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Über-
haben. Er geht also mittlerweile gegen Sie. Seien Sie also
weisung so beschlossen.
bitte vorsichtig, wenn Sie ihn als Kronzeugen aufrufen. Er
ist in der Tat ein schlechter Kronzeuge dafür, wenn es um Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
irgendwelche steuerlichen Überlegungen geht. Schluss unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Kurzum, meine Damen und Herren, wir haben bei die- Ich möchte mich ausdrücklich bei all denjenigen be-
sem Haushalt Folgendes festzustellen: Der Regierungs- danken, die es bis zum Ende des Sitzungsmarathons die-
entwurf verlässt heute, in diesen Minuten, die Regierung ser Haushaltswoche ausgehalten haben. Mein Kompli-
und wird zum Entwurf des Parlamentes. Sie brauchen sich ment an Sie.
deshalb gar keine Gedanken zu machen. Wir Abgeordnete
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
werden alles ordnungsgemäß beraten, wie es sich im
tages auf Mittwoch, den 27. September 2000, 13 Uhr, ein.
Deutschen Bundestag gehört. Wir werden diesen grund-
soliden Haushalt mit unserer und – so hoffe ich jeden- Ich wünsche allen, auch Ihnen oben auf der Tribüne,
falls – mit Ihrer Mitwirkung verabschieden und die Kon- ein interessantes Wochenende.
solidierung fortsetzen. Ich bin sicher, dass wir auf gutem
Die Sitzung ist geschlossen.
Wege sind, insbesondere im Interesse unserer Kinder und
Kindeskinder. (Schluss: 15.06 Uhr)

(B) (D)
Berichtigung
118. Sitzung, Seite 11361 (A) Zweiter Absatz, der letzte Satz ist wie folgt zu
lesen: „Herr Bundesminister Trittin jedenfalls war nicht dabei“.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11481

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C)


Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 15.09.2000 Marquardt, Angela PDS 15.09.2000


Bernhardt, Otto CDU/CSU 15.09.2000 Mogg, Ursula SPD 15.09.2000
Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.09.2000 Parr, Detlef F.D.P. 15.09.2000
Bodewig, Kurt SPD 15.09.2000 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 15.09.2000
Bohl, Friedrich CDU/CSU 15.09.2000 Reichard (Dresden), CDU/CSU 15.09.2000
Christa
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 15.09.2000
Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 15.09.2000
Brunnhuber, Georg CDU/CSU 15.09.2000 Hannelore
Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 15.09.2000 Schmidt (Eisleben), SPD 15.09.2000
Peter H. Silvia
Catenhusen, SPD 15.09.2000 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 15.09.2000
Wolf-Michael Hans Peter
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 15.09.2000 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 15.09.2000
DIE GRÜNEN
Seehofer, Horst CDU/CSU 15.09.2000
Elser, Marga SPD 15.09.2000
Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 15.09.2000
Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ 15.09.2000 Wolfgang
(B) DIE GRÜNEN (D)
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15.09.2000
Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 15.09.2000
Joseph DIE GRÜNEN Wieczorek-Zeul, SPD 15.09.2000
Heidemarie
Frick, Gisela F.D.P. 15.09.2000
Wilz, Bernd CDU/CSU 15.09.2000
Göllner, Uwe SPD 15.09.2000
Zierer, Benno CDU/CSU 15.09.2000
Goldmann, Hans-Michael F.D.P. 15.09.2000
Hauer, Nina SPD 15.09.2000 Anlage 2
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 15.09.2000 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
DIE GRÜNEN
Der Bundesrat hat in seiner 753. Sitzung am
Hiksch, Uwe PDS 15.09.2000 14. Juli 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-
Hoffmann (Chemnitz), SPD 15.09.2000 satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen:
Jelena
– Gesetz zur Änderung und Ergänzung vermögens-
Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 15.09.2000 rechtlicher und anderer Vorschriften (Vermögens-
rechtsergänzungsgesetz – VermRErgG)
Kolbe, Manfred CDU/CSU 15.09.2000
– Gesetz zu dem Rotterdamer Übereinkommen
Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 15.09.2000 über das Verfahren der vorherigen Zustim-
Dr. Küster, Uwe SPD 15.09.2000 mung nach Inkenntnissetzung für bestimmte
gefährliche Chemikalien sowie Pflanzenschutz-
Lamp, Helmut CDU/CSU 15.09.2000 und Schädlingsbekämpfungsmittel im interna-
tionalen Handel vom 10. September 1998
Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 15.09.2000
DIE GRÜNEN – Gesetz zu dem Protokoll vom 14. Dezem-
ber 1998 zur Änderung des am 3. Dezem-
Lüth, Heidemarie PDS 15.09.2000 ber 1980 in Bonn unterzeichneten Abkommens
11482 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000

(A) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kraft treten. (C)


den Vereinigten Staaten von Amerika zur Ver-
Der Bundesrat hat in seiner 753. Sitzung am
meidung der Doppelbesteuerung auf dem Ge-
14. Juli 2000 beschlossen, gemäß Artikel 76 Absatz 2
biet der Nachlass-, Erbschaft- und Schenkung-
Grundgesetz gegen den Gesetzentwurf keine Einwendun-
steuern
gen zu erheben:
– Zweites Gesetz zur Änderung des Altschulden-
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung verkehrs-
hilfe-Gesetzes (Zweites Altschuldenhilfe-Ände-
wegerechtlicher Vorschriften (VerkVÄndG)
rungsgesetz – 2. AHÄndG)
Die Fraktion der F.D.P. hat mit Schreiben vom 13. Sep-
– Gesetz zur Änderung des Schornsteinfeger-
tember 2000 den Antrag „Sanktionen gegenüber Öster-
gesetzes und anderer schornsteinfegerrechtli-
reich sofort aufheben “ – Drucksache 14/4068 –
cher Vorschriften zurückgezogen.
– Gesetz zur Sicherung der nationalen Buch- Der Abgeordnete Thomas Kossendey hat seine Unter-
preisbindung schrift zu dem Antrag „Zukunft der Bundeswehr“ –
– Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Drucksache 14/3775 – zurückgezogen.
Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschrif- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
ten geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
– Zweites Gesetz zur Änderung des Melderechts- Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der
rahmengesetzes (MRRG) nachstehenden Vorlage absieht:
– Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immun- Finanzausschuss
prophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Personen (Anti-D-Hilfegesetz, AntiDHG) Jahresgutachten 1999/2000 des Sachverständigenrates
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick-
– Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinne- lung
rung, Verantwortung und Zukunft“
– Drucksache 14/2223 –
– Erstes Gesetz zur Änderung des Zivildienstver-
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
trauensmann-Gesetzes (Erstes Zivildienstver-
trauensmann-Änderungsgesetz – 1. ZD- – Unterrichtung durch die Bundesregierung
VÄndG) Bericht der Bundesregierung über die Beschäftigung
Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst
(B) – Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Re- (D)
– Drucksache 14/232 –
form der Unternehmensbesteuerung (Steuersen-
kungsgesetz – StSenkG) – Unterrichtung durch die Bundesregierung

Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat fol- Beschäftigungspolitischer Aktionsplan der Bundes-
republik Deutschland 2000
gende Entschließung gefasst:
– Drucksache 14/2950 –
1. Nach Zustimmung zum Steuersenkungsgesetz er-
wartet der Bundesrat, dass die Bundesregierung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
dem Gesetzgeber folgende Vorschläge zur Fortent- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
wicklung des Steuersenkungsgesetzes unterbrei- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
tet: ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
abgesehen hat.
– Eine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes Finanzausschuss
der Einkommensteuer um einen Prozentpunkt
Drucksache 14/3146 Nr. 2.23
auf 42 Prozent ab 2005. Drucksache 14/3146 Nr. 2.27
Drucksache 14/3341 Nr. 2.42
– Wiedereinführung des halben Steuersatzes für Drucksache 14/3341 Nr. 2.46
Betriebsveräußerungen und Betriebsaufgaben Drucksache 14/3341 Nr. 2.52
für aus dem Berufsleben ausscheidende Unter- Drucksache 14/3428 Nr. 2.4
Drucksache 14/3576 Nr. 2.24
nehmer einmal im Leben.
Die Ergänzungen sollen gleichzeitig mit dem Steuer- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
senkungsgesetz wirksam werden. Drucksache 14/1016 Nr. 1.6
2. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Drucksache 14/1778 Nr. 2.13
Drucksache 14/1778 Nr. 2.15
das Notwendige zu veranlassen, dass die AfA-Ta- Drucksache 14/1936 Nr. 1.2
bellen aufgrund der Rechtsprechung des Bundes- Drucksache 14/1936 Nr. 1.3
finanzhofs vom 19. November 1997 zur sachge- Drucksache 14/1936 Nr. 1.6
rechten Verlängerung der technischen Nutzungs- Drucksache 14/1936 Nr. 1.10
Drucksache 14/1936 Nr. 1.14
dauer von Anlagegütern überarbeitet werden und Drucksache 14/1936 Nr. 1.16
zur Sicherung des Finanzierungsvolumens des Drucksache 14/1936 Nr. 1.18
Steuersenkungsgesetzes zum 1. Januar 2001 in Drucksache 14/1936 Nr. 1.20
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000 11483

(A) Drucksache 14/1936 Nr. 1.21 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (C)
Drucksache 14/1936 Nr. 1.23
Drucksache 14/1936 Nr. 1.24 Drucksache 14/2817 Nr. 2.15
Drucksache 14/2009 Nr. 2.2
Drucksache 14/2009 Nr. 2.3 Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Drucksache 14/2009 Nr. 2.5
Drucksache 14/2009 Nr. 2.6 Drucksache 14/342 Nr. 2.22
Drucksache 14/2747 Nr. 2.50 Drucksache 14/342 Nr. 2.37
Drucksache 14/2747 Nr. 2.51 Drucksache 14/1188 Nr. 2.15
Drucksache 14/2747 Nr. 2.52 Drucksache 14/1276 Nr. 2.4
Drucksache 14/2817 Nr. 2.4 Drucksache 14/1276 Nr. 2.17
Drucksache 14/2817 Nr. 2.5 Drucksache 14/1778 Nr. 2.10
Drucksache 14/2817 Nr. 2.29 Drucksache 14/2211 Nr. 1.3
Drucksache 14/2952 Nr. 2.4 Drucksache 14/2952 Nr. 2.7
Drucksache 14/2952 Nr. 2.12
Drucksache 14/2952 Nr. 2.18 Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 14/2952 Nr. 2.21
Drucksache 14/3050 Nr. 2.3 Drucksache 14/3576 Nr. 2.7
Drucksache 14/3146 Nr. 2.21 Drucksache 14/3576 Nr. 2.8
Drucksache 14/3146 Nr. 2.22
Drucksache 14/3146 Nr. 2.24 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Drucksache 14/3146 Nr. 2.25
Drucksache 14/3146 Nr. 2.26 Drucksache 14/3341 Nr. 2.4
Drucksache 14/3146 Nr. 2.28
Drucksache 14/3146 Nr. 2.29 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Drucksache 14/3146 Nr. 2.30 heit
Drucksache 14/3146 Nr. 2.31
Drucksache 14/3341 Nr. 1.5 Drucksache 14/3146 Nr. 2.20
Drucksache 14/3341 Nr. 1.6 Drucksache 14/3341 Nr. 2.33
Drucksache 14/3341 Nr. 1.7 Drucksache 14/3428 Nr. 2.10
Drucksache 14/3341 Nr. 2.2 Drucksache 14/3428 Nr. 2.30
Drucksache 14/3341 Nr. 2.3
Drucksache 14/3341 Nr. 2.10 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
Drucksache 14/3341 Nr. 2.12 abschätzung
Drucksache 14/3341 Nr. 2.13
Drucksache 14/3341 Nr. 2.18 Drucksache 14/3576 Nr. 1.8
Drucksache 14/3341 Nr. 2.25
Drucksache 14/3341 Nr. 2.27 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Drucksache 14/3341 Nr. 2.29 Entwicklung
(B) Drucksache 14/3341 Nr. 2.35 (D)
Drucksache 14/3341 Nr. 2.36 Drucksache 14/2609 Nr. 1.9
Drucksache 14/3341 Nr. 2.50 Drucksache 14/2817 Nr. 2.28
Drucksache 14/3428 Nr. 2.1 Drucksache 14/2817 Nr. 2.34
Drucksache 14/3428 Nr. 2.9 Drucksache 14/2952 Nr. 2.10
Drucksache 14/3428 Nr. 2.20 Drucksache 14/2952 Nr. 2.24
Drucksache 14/3428 Nr. 2.26
Drucksache 14/3428 Nr. 2.27
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Drucksache 14/3428 Nr. 2.31
Drucksache 14/3428 Nr. 2.32 Union
Drucksache 14/3428 Nr. 2.33
Drucksache 14/3576 Nr. 1.1 Drucksache 14/3050 Nr. 1.1
Drucksache 14/3576 Nr. 2.12 Drucksache 14/3146 Nr. 2.7
Drucksache 14/3576 Nr. 2.17 Drucksache 14/3576 Nr. 1.10
Drucksache 14/3576 Nr. 2.40 Drucksache 14/3576 Nr. 1.13
Drucksache 14/3576 Nr. 2.42 Drucksache 14/3576 Nr. 2.2
Drucksache 14/3576 Nr. 2.43 Drucksache 14/3576 Nr. 2.9
Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28 / 3 82 08 40, Telefax: 02 28 / 3 82 08 44
ISSN 0722-7980

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