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Plenarprotokoll 17/98

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

98. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Tagesordnungspunkt 1:


nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 A
Befragung der Bundesregierung: Gesetzent-
wurf zur Verbesserung der Feststellung
Zusatztagesordnungspunkt 1: und Anerkennung im Ausland erworbener
Berufsqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11187 D
Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten
(Drucksache 17/5168) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 B Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11178 A BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11188 A

Präsident Dr. Norbert Lammert . . . . . . . . . . . 11178 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11188 D
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
Zusatztagesordnungspunkt 2: BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11189 A

Antrag der Bundesregierung: Beteiligung Heiner Kamp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11189 B


deutscher Streitkräfte am Einsatz von Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
NATO-AWACS im Rahmen der Internatio- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11189 B
nalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan (International Security Assis- Krista Sager (BÜNDNIS 90/
tance Force, ISAF) unter Führung der DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11189 C
NATO auf Grundlage der Resolution 1386
(2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
Resolution 1943 (2010) vom 13. Oktober BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11189 D
2010 des Sicherheitsrats der Vereinten Na- Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 11189 D
tionen
(Drucksache 17/5190) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 C Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11190 A
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 D Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . 11190 B
Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11180 A Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11190 C
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11181 D Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11190 D
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11183 C Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11190 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11184 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 11191 B
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 11185 B Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 11186 A BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11191 B
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . 11186 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 11191 D
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Dringliche Frage 5


BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11191 D Inge Höger (DIE LINKE)
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ Bedeutung der von AWACS-Flugzeugen
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11192 A gesammelten Daten für Einsatzplanung
und Zielfindung bei den Angriffen auf liby-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin sche Ziele
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11192 B Antwort
Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . 11192 C Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11198 A
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Zusatzfragen
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11192 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 11198 D
Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11193 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11199 C
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11200 A
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11193 D Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11200 B

René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11194 B


Dringliche Frage 6
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Inge Höger (DIE LINKE)
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11194 C
Mögliche Einbeziehung der Bundeswehr in
den Einsatz der AWACS-Flugzeuge seit Be-
ginn der Beobachtung des libyschen Luft-
Tagesordnungspunkt 2:
raums
Fragestunde Antwort
(Drucksachen 17/5120, 17/5171 (neu)) . . . . . 11194 C Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11200 C
Zusatzfragen
Dringliche Frage 1
Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 11200 D
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)
Katja Keul (BÜNDNIS 90/
Nutzung der Stützpunkte der USA in DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11201 B
Deutschland zum Einsatz gegen Libyen
Antwort Mündliche Fragen 7 und 8
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister Heinz-Joachim Barchmann (SPD)
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11194 D Einsparungen bei Maßnahmen des Bundes
Zusatzfragen zur Überwindung migrationsspezifischer
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . 11195 A Hindernisse bei der Integration in Ausbil-
Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11195 C dung, Arbeit oder Selbstständigkeit; Re-
form der arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente mit migrationsspezifischen Anteilen
Dringliche Fragen 3 und 4 Antwort
Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11202 A

Rechtliche Grundlage für die AWACS-Auf-


klärungsflüge im Mittelmeerraum; etwai- Mündliche Frage 17
ger Rückgriff auf Informationen von Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
AWACS-Flugzeugen bei Luftschlägen ge- DIE GRÜNEN)
gen Libyen
Kriterien für den Einsatz von Scharfschüt-
Antwort zen der Bundeswehr gegen Zielpersonen in
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister Afghanistan
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11196 A Antwort
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
Zusatzfragen
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11202 D
Katja Keul (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11196 C Zusatzfragen
Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11197 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 11197 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11203 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 III

Zusatztagesordnungspunkt 3: Anlage 4
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Dringliche Frage 7
DIE LINKE: Konkrete Anforderungen ins- Kathrin Vogler (DIE LINKE)
besondere des Bundesumweltministeriums Mögliche gesundheitliche Gefährdung der
für die Sicherheitsüberprüfung deutscher deutschen Bevölkerung durch den Verzehr
Atomkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11204 B verstrahlter Lebensmittel
Dorothee Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 11204 B Antwort
Peter Bleser, Parl. Staatssekretär
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11226 B
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11205 B
Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11206 D
Anlage 5
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11208 A Mündliche Frage 1
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11209 B
Prüfung einer Ausfuhrbeschränkung für
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11210 D das Anästhesiemittel Thiopental
Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11212 B Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 11213 D BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11227 B
Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11215 A
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . 11216 A Anlage 6

Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11217 C Mündliche Frage 2


Andrej Hunko (DIE LINKE)
Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11219 A Diskussionen über einen möglichen Aus-
Dr. Michael Paul (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11220 A tritt Deutschlands aus der Europäischen
Atomgemeinschaft bzw. einer Auflösung
infolge der atomaren Katastrophe in Japan
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11221 C
Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11227 C
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11223 A
Anlage 7
Mündliche Frage 3
Anlage 2 Garrelt Duin (SPD)

Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- Aufstockung der Mittel für das Zentrale
Innovationsprogramm Mittelstand bis
schen Bundestages, die an der Wahl des
2013
Abgeordneten Eduard Oswald zum Vizepräsi-
denten des Deutschen Bundestages teilge- Antwort
nommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11224 A Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11227 D

Anlage 3
Anlage 8
Dringliche Frage 2
Mündliche Fragen 4 und 5
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN)
Durchsetzung eines Waffenembargos gegen Unterstützung für den Trassenausbau nach
Libyen dem Energieleitungsausbaugesetz
Antwort Antwort
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11226 A BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11228 A
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Anlage 9 Anlage 14
Mündliche Frage 6 Mündliche Frage 14
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN)
Mittelbindung der Leistungen zur Einglie-
Umsetzung des Energiekonzepts der Bun- derung in Arbeit im Zeitraum 2005 bis
desregierung in Gesetzen und Verordnun- 2011
gen
Antwort
Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11229 C
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11228 B

Anlage 15
Anlage 10
Mündliche Fragen 15 und 16
Mündliche Frage 9 Kerstin Tack (SPD)
Stefan Schwartze (SPD)
Vorlage der Rechtsverordnung für die
Beteiligung von Bundesministerien an der Eigenkontrollen der Lebens- und Futter-
Erstellung des Aktionsplans zur UN-Behin- mittelunternehmen sowie der Verordnung
dertenrechtskonvention über die Zulassung von Futtermittelunter-
Antwort nehmen
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär Antwort
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11228 C Peter Bleser, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11229 D

Anlage 11
Mündliche Frage 10 Anlage 16
Stefan Schwartze (SPD) Mündliche Frage 18
Berücksichtigung von Vorschlägen der Be- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
hindertenselbsthilfe im Aktionsplan zur DIE GRÜNEN)
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon- Gewährung von Vorteilen für EADS bei
vention den jüngsten Verhandlungen über die Lie-
Antwort ferung von Transportmaschinen durch
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär Vertreter der Bundesregierung
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11228 C Antwort
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11230 A
Anlage 12
Mündliche Fragen 11 und 12
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Anlage 17
DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 19
Fortschritte bei der Umsetzung der Kom- Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD)
plexleistung Frühförderung Bewertung der im Zusammenhang mit
Antwort Förderprogrammen gegen Extremismus
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär abgegebenen Stellungnahmen zur gefor-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11228 D derten Demokratieerklärung von Trägern
Antwort
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Anlage 13 BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11230 D
Mündliche Frage 13
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Anlage 18
Benachteiligung schwerbehinderter Men-
schen in Bewerbungsverfahren Mündliche Frage 20
Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD)
Antwort
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär Auswirkungen von Zusatzerklärungen im
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11229 C Rahmen von Stellungnahmen zur geforder-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 V

ten Demokratieerklärung auf die Behand- Anlage 23


lung im Förderverfahren
Mündliche Frage 25
Antwort Gustav Herzog (SPD)
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Kategorisierung der Bundeswasserstraßen
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11230 D und Vereinbarkeit mit dem Unterhaltungs-
ziel betreffend die Elbe
Anlage 19 Antwort
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 21 BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11232 B
Hans-Joachim Hacker (SPD)
Position der Bundesregierung zur EU-
Anlage 24
Richtlinie zur Regelung von Erstattungs-
ansprüchen gesetzlich Krankenversicher- Mündliche Frage 26
ter bei Behandlung im EU-Ausland und Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
zur Weiterentwicklung der Krankenver- DIE GRÜNEN)
sicherungskarte
Zweckgebundene Verwendung der Divi-
Antwort dende der Bahn AG
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin Antwort
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11231 A Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11232 C
Anlage 20
Mündliche Frage 22 Anlage 25
Hans-Joachim Hacker (SPD) Mündliche Frage 27
Gewährleistung der Arbeitsplätze und der Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
medizinischen Leistungsfähigkeit inländi- DIE GRÜNEN)
scher Kureinrichtungen angesichts der Bundesrechtliche Möglichkeiten der Betei-
Verlagerung ambulanter Vorsorgemaßnah- ligung der Öffentlichkeit in den Planungs-
men aus deutschen Kurorten ins Ausland schritten vor dem Genehmigungsverfahren
Antwort Antwort
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11231 D BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11232 D

Anlage 21 Anlage 26
Mündliche Frage 23 Mündliche Frage 28
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Manfred Grund (CDU/CSU)
DIE GRÜNEN) Überhöhte Flugpreise der Deutschen Luft-
Umfang der Lieferungen des Anästhesie- hansa für Flüge aus Japan
mittels Thiopental in die USA Antwort
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
Antwort
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11233 B
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11231 D
Anlage 27
Anlage 22 Mündliche Fragen 29 und 30
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/
Mündliche Frage 24 DIE GRÜNEN)
Gustav Herzog (SPD)
Überprüfung des Sicherheitssystems des
Vorlage des auf dem Elbschifffahrtstag im AKW Krümmel angesichts der aktuellen
November 2010 angekündigten Elbekon- Ereignisse in japanischen Atomkraftwer-
zepts ken
Antwort Antwort
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11232 B BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11232 C
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Anlage 28 Anlage 33
Mündliche Frage 31 Mündliche Frage 36
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN)
Bewertung der Sicherheitsvorkehrungen für
das in Krümmel bestehende Zwischenlager Gefährdungspotenzial in sicherheitsrele-
vanten Anlagenteilen älterer Kernkraft-
Antwort werke
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11234 A Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
Anlage 29 BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11235 B

Mündliche Frage 32
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Anlage 34
Bewertung des Siedewasserreaktors Krüm- Mündliche Frage 37
mel Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11234 B Gründe für die Stilllegung der Reaktoren
Neckarwestheim 1 und Isar 1 im Unter-
schied zu den baugleichen Anlagen Biblis A
Anlage 30 und B und Unterweser bzw. Brunsbüttel
Mündliche Frage 33 und Philippsburg 1
Steffen-Claudio Lemme (SPD) Antwort
Rücknahme der Kürzungen für die Solar- Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
wirtschaft vor dem Hintergrund der BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11235 B
Wende in der Atompolitik
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Anlage 35
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11234 C
Mündliche Fragen 38 und 39
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Anlage 31 DIE GRÜNEN)
Mündliche Frage 34
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ Anforderungen der angekündigten Sicher-
DIE GRÜNEN) heitsüberprüfungen deutscher Atomkraft-
werke; etwaige Entschädigungszahlungen
Möglichkeit der Laufzeitverlängerung von infolge der Anordnung zur Abschaltung
Kernkraftwerken über 2050 hinaus auf- von Atomkraftwerken
grund der von der schwarz-gelben Koali-
tion geschaffenen Rechtslage Antwort
Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11235 C
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11234 D

Anlage 32 Anlage 36

Mündliche Frage 35 Mündliche Frage 40


Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Unterschiede der Sicherheitsmerkmale still-
Rechtliche Begründungen für die Abschal-
gelegter älterer Kernkraftwerke im Vergleich
zur Sicherheit weiterlaufender Anlagen tung von Neckarwestheim 1 und Isar 1

Antwort Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11235 A BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11236 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 VII

Anlage 37 Anlage 42
Mündliche Frage 41 Mündliche Frage 47
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Übertragung nicht abgerufener Laufzeiten Federführende Stelle in der Bundesregie-
der stillgelegten AKW auf neue AKW rung für die dreimonatige Stilllegung der
Antwort Atomkraftwerke; pünktliche Zahlung in
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin den Förderfonds durch die entsprechenden
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11236 C Stromkonzerne
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
Anlage 38 BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11237 C
Mündliche Fragen 42 und 43
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Anlage 43
Entschädigungsforderungen an den Bund Mündliche Frage 48
und die Länder für die Stilllegung älterer Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
Atomkraftwerke; mögliche Laufzeitüber- DIE GRÜNEN)
tragung an jüngere Anlagen
Sicherheitsrelevante Tatsachen für die An-
Antwort wendung von § 19 Abs. 3 Atomgesetz
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11236 C Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11237 D
Anlage 39
Mündliche Frage 44 Anlage 44
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 49
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
Erforderlichkeit der Atomenergie für den DIE GRÜNEN)
Klimaschutz
Schadenersatzrisiko angesichts der vo-
Antwort rübergehenden Stilllegung von Atomkraft-
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin werken
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11236 D
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
Anlage 40 BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11238 A
Mündliche Frage 45
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/
Anlage 45
DIE GRÜNEN)
Mündliche Fragen 50 und 51
Aufrechterhaltung der Notstromversor-
gung durch Batterien an den einzelnen Sabine Stüber (DIE LINKE)
Atomkraftwerksblöcken im Falle eines Einfluss der BMU-Vorlage zur Verschär-
Stromausfalls fung von Sicherheitsnormen bei deutschen
Antwort Atomkraftwerken auf das Moratorium
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin und die anstehenden Sicherheitsüberprü-
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11237 A fungen
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
Anlage 41 BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11238 B
Mündliche Frage 46
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)
Anlage 46
Pläne des BMU zur Erhöhung der Sicher-
heitsanforderungen für Atomkraftwerke Mündliche Fragen 52 und 53
Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE)
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Studien zum Nachweis von Gesundheits-
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11237 B schädigungen durch radioaktive Strahlung
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

infolge von Atomkraft sowie Grundlage für lung des Auftragsvolumens an deutsche
die Festlegung entsprechender Grenzwerte Unternehmen seit der Änderung
Antwort Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11238 C BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11250 B

Anlage 47
Anlage 52
Mündliche Fragen 54 und 55
Harald Weinberg (DIE LINKE) Mündliche Frage 60
René Röspel (SPD)
Studien zum Einfluss eines Atomkraft-
werks auf die Gesundheit der Anwohner; Kosten für das Projekt „Haus der Zu-
präventive Maßnahmen im Gesundheits- kunft“
system für den Fall einer deutschen Atom- Antwort
katastrophe Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
Antwort BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11250 D
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11239 A
Anlage 53
Anlage 48 Mündliche Fragen 61 und 62
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
Mündliche Frage 56
DIE GRÜNEN)
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Funktion der Bundesregierung bei der Er-
Einbeziehung neuer Waffentypen in die arbeitung und Einführung eines neuen
Untersuchung von Bedrohungsszenarien Verfahrens für die Hochschulzulassung
durch Panzerabwehrlenkwaffen und Stand der Umsetzung des KMK-Be-
schlusses zur Änderung der Länderge-
Antwort meinsamen Strukturvorgaben vom Dezem-
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin ber 2009
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11239 C
Antwort
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
Anlage 49 BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11241 A
Mündliche Frage 57
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Anlage 54
Verwendung von MOX-Brennstäben in Mündliche Frage 63
deutschen Atomkraftwerken Nicole Gohlke (DIE LINKE)
Antwort Beteiligung von Studenten und Lehrkräf-
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin ten am Aufbau und der Struktur der ge-
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11239 D planten Akademie bzw. des Forums für
Studium und Lehre
Anlage 50 Antwort
Mündliche Frage 58 Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11241 C

Gesundheitsprävention im Fall einer deut-


schen atomaren Katastrophe Anlage 55
Antwort Mündliche Frage 64
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11250 A DIE GRÜNEN)
Untersuchung der Korruptionsvorfälle
Anlage 51 beim Globalen Fonds zur Bekämpfung von
Mündliche Frage 59 HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria
Klaus Hagemann (SPD) Antwort
Verbesserung der Ausschreibungspraxis Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
bei „Fusion for Energy“ sowie Entwick- BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11241 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 IX

Anlage 56 Anlage 61
Mündliche Frage 65 Mündliche Fragen 71 und 72
Andrej Hunko (DIE LINKE) Manfred Kolbe (CDU/CSU)
Konsequenzen aus der Forderung Hamid Begründung für die Enthaltung Deutsch-
Karzais nach einem Abzug der NATO aus lands bei der Abstimmung über die Resolu-
Afghanistan für den Einsatz der Bundes- tion zur Einrichtung einer Flugverbotszone
wehr über Libyen
Antwort Antwort
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11242 A AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11243 C

Anlage 57 Anlage 62
Mündliche Fragen 66 und 67 Mündliche Frage 73
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ Steffen-Claudio Lemme (SPD)
DIE GRÜNEN) Neuakzentuierung der Extremismuspolitik
Auswirkungen von Aufrufen zum Boykott vor dem Hintergrund des Erstarkens der
israelischer Waren auf den deutsch-israeli- NPD
schen Dialog Antwort
Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11243 D
AA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11242 B
Anlage 63
Anlage 58 Mündliche Frage 74
Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
Mündliche Frage 68
Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Vereinbarkeit der Verschärfung zu § 8 Abs. 3
Satz 5 (neu) des Aufenthaltsgesetzes bei
Verantwortung der Türkei für die völker-
türkischen Staatsangehörigen mit dem Ver-
rechtswidrige Verhaftung mehrerer Perso-
schlechterungsverbot im Assoziationsrecht
nen durch Besatzungsbehörden im nördli-
chen Teil Zyperns Antwort
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
Antwort BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11244 B
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
AA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11242 C
Anlage 64
Anlage 59 Mündliche Frage 75
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/
Mündliche Frage 69 DIE GRÜNEN)
Manfred Grund (CDU/CSU)
Subsumierung von Terrorangriffen unter
Zusätzliche Flüge zur Rückholung deut- den Begriff „Restrisiko“
scher Staatsangehöriger aus Japan
Antwort
Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11244 C
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11243 A

Anlage 65
Anlage 60
Mündliche Frage 76
Mündliche Frage 70 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE)
Anteil schwerbehinderter Menschen an
Hilfeleistungen für die Opfer von Tscher- den Neueinstellungen in den obersten Bun-
nobyl und der Atomkatastrophe in Japan desbehörden im Jahr 2010
Antwort Antwort
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11243 A BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11244 D
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Anlage 66 Anlage 69
Mündliche Frage 82
Mündliche Fragen 77 und 78
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
Dr. Eva Högl (SPD) DIE GRÜNEN)
Erweiterter Zugriff der USA auf inner- Folgen der einstweiligen Einstellung des
europäische und innerdeutsche Finanz- Betriebs von Atomkraftwerken; etwaige
transaktionsdaten im Rahmen des SWIFT- Entschädigungspflicht gegenüber den Be-
Abkommens treibern
Antwort
Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11246 C
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11245 C
Anlage 70
Anlage 67 Mündliche Frage 83
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
Mündliche Frage 79 Auslaufen der Malusregelung im Kraft-
René Röspel (SPD) fahrzeugsteuergesetz zum 31. März 2011
für Kraftfahrzeuge ohne Partikelfilter
Zulässigkeit der Patentierung von Zellpro-
dukten aus abgetriebenen menschlichen Antwort
Föten Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11246 D
Antwort
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär Anlage 71
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11245 D
Mündliche Frage 84
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
Anlage 68 Reform der Besteuerung der privaten Nut-
zung betrieblicher Kraftfahrzeuge
Mündliche Fragen 80 und 81 Antwort
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11247 A
Pachtpreisreduzierung bei vom Hochwas-
ser betroffenen Flächen der Bodenverwer-
tungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) Anlage 72
für landwirtschaftliche Betriebe; Rück- Mündliche Frage 85
käufe bereits privatisierter BVVG-Flächen Klaus Hagemann (SPD)
aufgrund der Erwerbsansprüche von Alt- Finanzhilfen für Irland; Anhebung der
eigentümern dortigen Steuer- und Abgabenlast
Antwort Antwort
Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11246 B BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11247 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11177

(A) (C)

Redetext

98. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Beginn: 13.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. den Abgeordneten Eduard Oswald als Stellvertreter des
Präsidenten vor. Werden weitere Vorschläge gemacht? –
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
Das ist offenbar nicht der Fall.
herzlich zu unserer 98. Plenarsitzung.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- Dann darf ich jetzt einige Hinweise zum Ablauf der
gesordnung um die Wahl eines Vizepräsidenten sowie Wahl geben. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit
um die Beratung des Antrags der Bundesregierung zur der Mitglieder des Bundestages erhält. Für die Wahl be-
Beteiligung deutscher Streitkräfte am AWACS-Einsatz nötigen Sie Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit
in Afghanistan zu erweitern. Nach der Regierungsbefra- noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in der
gung und der Fragestunde ist später am Nachmittag eine Lobby entnehmen können. Die blaue Stimmkarte sowie
von der Fraktion Die Linke beantragte Aktuelle Stunde der Wahlumschlag werden von den Schriftführerinnen
zu den Anforderungen für Sicherheitsüberprüfungen bei und Schriftführern an den Ausgabetischen vor den Wahl-
(B) deutschen Atomkraftwerken vorgesehen. Sind Sie mit kabinen ausgegeben. Sie dürfen Ihre Stimmkarte nur in (D)
den vorgesehenen Ergänzungen und Änderungen einver- der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte
standen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag le-
beschlossen. gen. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei
„ja“ oder „nein“ oder „enthalte mich“. Stimmkarten, die
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder
Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten Zusätze enthalten, sind ungültig.
– Drucksache 17/5168 – Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen,
Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat ihr Amt als Vize- müssen Sie dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren
präsidentin niedergelegt. Sie weiß, dass ich das bedau- blauen Wahlausweis übergeben. Die Abgabe des Wahl-
ere; aber das hat sie offenkundig nicht hinreichend be- ausweises dient zugleich als Nachweis für die Beteili-
eindruckt. Ich nutze die Gelegenheit gerne, ihr nicht nur gung an der Wahl. Kontrollieren Sie daher bitte, ob der
im Namen der übrigen Mitglieder des Präsidiums, son- Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die drei Wahlurnen
dern sicher auch in Ihrer aller Namen herzlichen Dank sind neben den Sitzreihen der Bundesregierung und des
für ihre langjährige Amtsführung als Mitglied des Präsi- Bundesrates sowie vor dem Rednerpult aufgestellt; das
diums auszusprechen. haben wir oft genug geübt. Um einen reibungslosen Ab-
lauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie, von Ihren
(Beifall) Plätzen aus über die seitlichen Zugänge und möglichst
Liebe Frau Hasselfeldt, ich bin nicht völlig sicher, ob nicht durch den Mittelgang zu den Ausgabetischen zu
es im neuen Amt so schön wird, wie es im alten war. gehen.
(Heiterkeit – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Ich darf nun darum bitten, dass die Schriftführerinnen
DIE GRÜNEN]: Kann gar nicht sein! – Ge- und Schriftführer die vorgesehenen Plätze einnehmen. –
genruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an den
Wir sind ja nicht bei den Grünen! Bei uns ist es vorgesehenen Plätzen? – Das ist offensichtlich der Fall.
noch schön!) Ich eröffne den Wahlgang.
Umso herzlicher sind meine guten Wünsche für die
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des
übernommene neue Aufgabe.
Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht ab-
(Beifall) gegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe den
11178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- Man kann das notfalls auch schriftlich erledigen. Deswe- (C)
führer, mit der Auszählung zu beginnen. gen möchte ich hiermit diesen Teil der Gratulationscour
gerne für beendet erklären und unseren nächsten Tages-
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses werden wir die
ordnungspunkt aufrufen.
Sitzung für einige Minuten unterbrechen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 2:
(Unterbrechung von 13.27 bis 13.46 Uhr)
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Neh- von NATO-AWACS im Rahmen der Interna-
men Sie bitte Platz. tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Ich komme zurück zum Zusatzpunkt 1 und gebe Ih- Afghanistan (International Security Assis-
nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern tance Force, ISAF) unter Führung der NATO
ermittelte Ergebnis der Wahl eines Vizepräsidenten auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und
bekannt: abgegebene Stimmen 570. Alle abgegebenen folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
Stimmen waren gültig. Mit Ja haben gestimmt 504 Mit- 1943 (2010) vom 13. Oktober 2010 des Sicher-
glieder des Deutschen Bundestages.1) heitsrates der Vereinten Nationen
(Beifall im ganzen Hause) – Drucksache 17/5190 –
Mit Nein haben 39 Mitglieder gestimmt. 27 Kolleginnen Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
und Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Damit Innenausschuss
ist der Kollege Eduard Oswald mit der erforderlichen Rechtsausschuss
Mehrheit zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundesta- Verteidigungsausschuss
ges gewählt. Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ich darf Sie fragen, Herr Kollege Oswald: Nehmen und Entwicklung
Sie die Wahl an? Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die


Eduard Oswald (CDU/CSU): Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wir
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich können ganz offenkundig so verfahren.
nehme die Wahl an und bedanke mich sehr herzlich für
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
das Vertrauen.
(B) der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido (D)
(Beifall im ganzen Hause – Abg. Volker Westerwelle.
Kauder [CDU/CSU] und Gerda Hasselfeldt
[CDU/CSU] überreichen dem Vizepräsiden- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ten Eduard Oswald Blumensträuße – Abgeord- der CDU/CSU)
nete aller Fraktionen beglückwünschen den
Vizepräsidenten Eduard Oswald) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
Lieber Kollege Oswald, bevor Sie jetzt eine beacht- ren! Kolleginnen und Kollegen! Am 17. März hat der Si-
lich große Zahl von einzelnen Glückwünschen entgegen- cherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1973
nehmen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die durch beschlossen. Sie ist nach der Entscheidung in New York
mich stellvertretend für alle Mitglieder des Hauses zum geltendes, verbindliches Völkerrecht. Wir unterstützen
Ausdruck gebrachten guten Wünsche für das neue Amt die Ziele dieser Resolution, aber bei den Mitteln ist die
entgegennähmen. Wir freuen uns auf gute Zusammenar- Bundesregierung zu einer anderen Bewertung gekom-
beit. Ich wünsche Ihnen für dieses ebenso schöne wie men als die Mehrheit des Sicherheitsrats. In einer
anspruchsvolle Amt Erfolg und Gottes Segen. Herzli- schwierigen Abwägung der Risiken, auch der Eskala-
chen Glückwunsch! tionsrisiken, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass
wir uns nicht mit der Bundeswehr an diesem Einsatz be-
(Beifall im ganzen Hause) teiligen werden. Die Bundeswehr wird nicht nach Li-
Meine Damen und Herren, im Interesse einer Beherr- byen geschickt. Das heißt nicht, dass wir neutral wären.
schung der Abwicklung der weiteren Tagesordnungs- Wir teilen das Ziel des Schutzes der Zivilbevölkerung
punkte bin ich allen Kolleginnen und Kollegen dankbar, und natürlich auch das Ziel, dass dem Diktator Einhalt
die sich entschlossen haben, ihre persönlichen Glück- geboten werden muss.
wünsche irgendwann im weiteren Verlauf des Tages dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Kollegen Oswald zu überbringen.
Wir respektieren die Entscheidung der internationalen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Staatengemeinschaft, und ich wiederhole: Sie ist gelten-
der SPD) des Recht. Wir wollen dementsprechend auch ihren Er-
folg. Deswegen hat die Bundesregierung beschlossen,
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 unsere Verbündeten zu entlasten, ohne dass wir uns
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11179
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
(A) selbst mit der Bundeswehr in Libyen militärisch enga- gabe der Verantwortung in Verantwortung. Ein kopfloser (C)
gieren. Abzug ist nicht das Richtige. Deswegen werden wir dies
auch nicht dem Deutschen Bundestag vorschlagen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Können Sie mir das mal erklären?) Der AWACS-Einsatz ist aus unserer Sicht militärisch
Die internationale Gemeinschaft ist in Afghanistan notwendig. Er ist übrigens auch schon auf Antrag der
seit dem Strategiewechsel des vergangenen Jahres auf vorherigen Bundesregierung seinerzeit vom Deutschen
Bundestag beschlossen worden. Er lief dann aus, weil
dem richtigen Weg. Wir haben auf den Afghanistan-
objektive Rechtskriterien – Überflugrechte und Weiteres
Konferenzen in London und in Kabul und dann auf der
mehr – nicht erfüllt waren. Deshalb hat die Bundesregie-
Tagung in Lissabon einen Strategiewechsel beschlossen.
rung entschieden, dass gewissermaßen ein leeres Mandat
Wir setzen auf eine politische Lösung.
nicht erneut beantragt wird, sondern erst dann ein Man-
Bei all den schrecklichen Rückschlägen, die wir se- dat beantragt wird, wenn die Lage tatsächlich den Erfor-
hen, dürfen aber auch Fortschritte nicht übersehen wer- dernissen entspricht.
den. Gestern hat Staatspräsident Hamid Karzai drei Pro-
vinzen und vier Städte genannt, die für den Beginn des Der AWACS-Einsatz ist militärisch notwendig, weil
Übergabeprozesses reif sind. Darunter ist Masar-i- er die Operation der NATO unterstützt und die Sicher-
Scharif im deutschen Verantwortungsbereich im Norden. heit der Soldatinnen und Soldaten sowie der afghani-
Das zeigt den Erfolg des Strategiewechsels in Afghanis- schen Bevölkerung erhöht. AWACS liefern zuverlässige
tan, für den die Bundesregierung von Anfang an gewor- Lagebilder und unterstützen auch die medizinische Luft-
ben hat. Die Abzugsperspektive ist sichtbar geworden. rettung. Der AWACS-Einsatz ist zivil notwendig, weil er
Wir sind und bleiben der Überzeugung: Der Einsatz in die Sicherheit der zivilen Luftfahrt schützt. Afghanistan
Afghanistan ist richtig, aber es ist auch richtig, dass der liegt auf der Flugroute von Südostasien nach Europa.
Prozess der Übergabe der Verantwortung gestern begon- AWACS verbessern die Flugsicherheit auch für Linien-
nen hat. und Frachtflüge. Der AWACS-Einsatz ist außerdem
Ausdruck unserer Bündnissolidarität und unserer Solida-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rität mit dem afghanischen Volk. Dass wir selbstver-
der CDU/CSU und des Abg. Dr. h. c. Gernot ständlich unverändert daran arbeiten, dass die Afghanen
Erler [SPD]) mittelfristig selbst den eigenen Luftraum auch technisch
Dass die Afghanen mehr und mehr in der Lage sind, kontrollieren können, das unterstreiche ich hier noch
für die eigene Sicherheit zu sorgen, ist auch ein Erfolg einmal nachdrücklich.
der neuen Schwerpunkte, die auf Aussöhnung, Einglie- Meine Damen und Herren, als die Verlängerung des
(B) derung und Wiederaufbau gesetzt sind. Es ist ein Erfolg Bundestagsmandats Anfang des Jahres anstand, hatte die (D)
der Ausbilder unserer Polizei aus Bund und Ländern, es Bundesregierung auf die Beantragung des Einsatzes von
ist ein Erfolg der Bundeswehrausbilder. Man kann sa- AWACS verzichtet, weil wir den Schwerpunkt unserer
gen: Die Ausbildung durch die internationale Gemein- Kräfte in Abstimmung mit General David Petraeus auf
schaft und uns Deutsche wirkt. Der zivile Aufbau die Ausbildung gelegt haben. Zugleich versicherten die
kommt voran. Die Menschen sehen mehr und mehr eine militärischen Experten der NATO, der AWACS-Einsatz
echte Zukunftsperspektive für sich und ihre Familien. sei auch ohne deutsche Soldaten möglich. Im Dezember
Ich unterstreiche erneut: Die Rückschläge werden hat die Bundesregierung gesagt: Solange die NATO
nicht übersehen. Die Opfer, die wir oft genug zu bekla- ohne uns die AWACS betreiben kann, brauchen wir kein
gen haben, werden nicht vergessen werden. Darüber be- Mandat. – Jetzt sage ich: Die Lage in Libyen hat auch
steht überhaupt kein Zweifel. Deswegen werde ich auch die Lage insgesamt verändert.
diese Debatte nutzen, an dieser Stelle all den Frauen und Ich weise darauf hin, dass wir die Obergrenze für die
Männern, die in Afghanistan für unsere Freiheit und un- Zahl der Soldatinnen und Soldaten unverändert lassen.
sere Sicherheit eintreten, ob in Uniform oder nicht, ein An der Obergrenze, die der Deutsche Bundestag be-
Dankeschön im Namen der Bundesregierung und, des- schlossen hat, wird nichts verändert. Es bleibt bei den
sen bin ich sicher, auch im Namen des Deutschen Bun- bereits vom Deutschen Bundestag beschlossenen
destages zu sagen. 5 350 Soldatinnen und Soldaten als Obergrenze. Die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie deutschen AWACS-Besatzungen werden auf die Ober-
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- grenze angerechnet. Die Bundesregierung wird auf die
NISSES 90/DIE GRÜNEN) flexible Reserve nur im Rahmen dieser Obergrenze zu-
rückgreifen.
Meine Damen und Herren, deshalb bleibt es auch bei
unserem Ziel, dass wir bis zum Jahr 2014 die endgültige Die Bundesregierung bleibt zuversichtlich, im Zuge
Übergabe der Verantwortung schaffen wollen. Aber wir der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz
halten hier fest: Wir müssen auch danach noch unsere der Bundeswehr ab 2011 reduzieren zu können. Dabei
Verantwortung für Frieden und Entwicklung in Afgha- sind wir auf einem guten Weg. Wir bitten Sie, diesen
nistan kennen und uns weiter engagieren. Weg der Übergabe der Verantwortung in diesem Haus
Zehn Jahre nachdem der Afghanistan-Einsatz begon- gemeinsam mit der Bundesregierung zu gehen.
nen wurde, ist durch die gestrige Übergabe der ersten Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Verantwortung ein wichtiger Fortschritt gemacht wor-
den. Ich sage aber ausdrücklich: Wir wollen eine Über- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
11180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: gezwungen, über diesen Einsatz in Sondersitzungen der (C)
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gernot Erler für Ausschüsse quasi im Schweinsgalopp bis zum Freitag
die SPD-Fraktion. dieser Woche abschließend zu beraten. Ich finde, das ist
eine Zumutung,
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zumal dies überhaupt nichts mit der Entwicklung in Af-
Dies ist in erster Linie eine Afghanistan-Debatte. Leider ghanistan zu tun hat.
hatten wir in den vergangenen Jahren viele solcher De-
batten, dabei aber selten Gelegenheit, über gute Nach- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!
richten zu sprechen. Heute ist das jedoch der Fall. Das ist der Punkt!)
Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich die gestrige Es geht stattdessen um ein Problem in einer ganz ande-
Erklärung von Präsident Karzai mit der Benennung von ren Weltgegend, das sich die Bundesregierung selber ge-
sieben Provinzen und Städten, in denen ab Juli dieses schaffen hat – durch ihre Enthaltung bei dem UN-Be-
Jahres die Transition starten soll, also die Verantwor- schluss zur Einrichtung einer Flugverbotszone und zum
tungsübergabe an die afghanische Polizei und die afgha- Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen
nischen Streitkräfte. Genannt werden die Provinz Kabul
mit Ausnahme des Bezirks Surobi, die Provinzen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Pandschschir und Bamiyan sowie die Provinzhaupt- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
städte Masar-i-Scharif, Mehtar Lam, Lashkar Gah und sowie durch die politische Isolierung innerhalb der Euro-
ein Großteil von Herat. päischen Union, die sie damit verursacht hat.
In Masar-i-Scharif befinden sich das zentrale Feldla- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
ger der deutschen Einsatzkräfte und das Nordkom- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
mando. Damit wird der Start der Transition auch im
deutschen Einsatzgebiet stattfinden. Das begrüßen wir Jetzt sucht sie händeringend nach Maßnahmen, die diese
ebenfalls ausdrücklich. politische Isolierung abschwächen oder wenigstens ir-
gendwie hinter den Vorhang schieben.
Der gestern verkündeten Entscheidung ist eine sorg-
fältige Prüfung vorausgegangen. Die Ermutigung liegt Ein einseitiger und schnöder Abzug der deutschen
bereits darin, dass ein verabredetes Verfahren tatsächlich AWACS-Besatzungen im Rahmen der Operation Active
(B) im Zeitplan umgesetzt und nicht immer wieder aufge- Endeavour über dem Mittelmeer hätte allerdings tatsäch- (D)
schoben wird, wie wir das in der Vergangenheit schon lich das fatale Bild des deutschen Sonderweges noch
häufiger erlebt haben. Es passt gut dazu, dass wir in letz- verstärkt. Jetzt wird großzügig Tausch angeboten: Wir
ter Zeit öfter auch Informationen über Fortschritte bei ziehen aus dem Mittelmeer ab, gehen sofort nach Afgha-
der Ausbildung sowohl von Polizei wie auch von Streit- nistan und ermöglichen damit US-Kräften, ihrerseits nun
kräften bekommen haben. Beides, die Verantwortungs- wieder nach Libyen zu gehen. – Aber jeder, der sich mit
übergabe und der Fortschritt bei der Ausbildung, gehört der Materie auskennt, weiß, dass das nicht nur ein Null-
engstens zusammen. Erst der Aufwuchs der afghani- summenspiel ist, sondern dass das obendrein eine politi-
schen Sicherheitskräfte ermöglicht den Inteqal-Prozess, sche Mogelpackung ist.
wie die Transition auf Paschtunisch genannt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Natürlich wissen wir, dass der Härtetest in den drei
Provinzen und den vier Städten noch bevorsteht. Wir Herr Außenminister, Sie haben eben selber erwähnt,
wissen auch, dass es noch ein langer Weg sein wird, bis dass wir schon im Juli 2009 über einen AWACS-Einsatz
alle Städte und alle Provinzen in die afghanische Sicher- im Rahmen von ISAF eine Entscheidung getroffen ha-
heitsverantwortung übergehen werden. Aber nach vielen ben, nämlich zugestimmt haben. Wegen des Streits mit
Rückschlägen signalisiert die Ankündigung von gestern Paris und wegen der Überflugrechte ist es aber zu keiner
doch, dass es jetzt mit der Umsetzung der neuen Afgha- Umsetzung dieses Beschlusses gekommen. Nach einem
nistan-Strategie konkret wird und damit auch die Chan- Jahr verfiel sozusagen das Haltbarkeitsdatum dieses
cen wachsen, dass bis Ende des Jahres erste Kontingente Mandats.
der Bundeswehr zurückgezogen werden können, ohne
Als die Hindernisse endlich ausgeräumt waren und
dass dies zu einer Gefährdung im Lande führt. Das ist
die NATO am 15. Januar dieses Jahres mit dem
gut. Ich freue mich, dass Sie das auch so sehen, Herr Au-
AWACS-Einsatz beginnen wollte, haben Sie sich nicht
ßenminister. Für die SPD ist das ein wirklich wichtiger
getraut – so muss man das ausdrücken –, das noch auf
Punkt. So steht es im Mandat vom Januar dieses Jahres.
das ohnehin zu verlängernde Afghanistan-Mandat drauf-
Das erwartet auch die Öffentlichkeit.
zusatteln, und haben den Verbündeten nahegelegt, doch
Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir nach drei Monaten noch einmal nachzufragen. Die sind
hier über die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Ein- notgedrungen darauf eingegangen und haben den Job für
satz von NATO-AWACS im Rahmen von ISAF zu bera- 90 Tage erst einmal selber gemacht. Am 15. April endet
ten. Dieses Thema wurde nachträglich in die Tagesord- diese Frist. Dann hätten wir hier allerdings ohne jede
nung dieser Woche hineingequetscht. Wir sind Hast und ohne Sondersitzungen sowieso über die deut-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11181
Dr. h. c. Gernot Erler
(A) sche Beteiligung bei den AWACS-Besatzungen zu dis- Fähigkeit zur Bodenaufklärung“ verfügen noch „eine (C)
kutieren und zu entscheiden gehabt. Feuerleitfähigkeit für Luft-Bodeneinsätze“ haben. Wenn
hier kein Irrtum vorliegt, muss erklärt werden, auf wel-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- che Weise AWACS eigentlich Bodenoperationen unter-
NEN]: Aber das ist nach dem 27. März!) stützen sollen. Vielleicht kann der Verteidigungsminister
Die Mogelpackung besteht darin, dass Sie den frus- ja gleich dazu etwas sagen.
trierten Alliierten jetzt, im März, eine in Geschenkpapier Eine andere Frage, die uns schon 2009 beschäftigt
verpackte Leistung als Ausgleich anbieten, für die Sie hat, muss auch diskutiert und beantwortet werden: Wie
für April dieses Jahres sowieso schon eine Zusage in ist es eigentlich mit dem Aufbau einer zivilen bodenge-
Aussicht gestellt haben. Das ist Ihre Art, Bündnissolida- stützten Luftkontrolle in Afghanistan? AWACS ist ja der
rität zu organisieren. fliegende Ersatz für ein solches normales auf dem Boden
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stationiertes Kontrollsystem. Insofern hängt auch die
DIE GRÜNEN) Dauer des AWACS-Einsatzes davon ab, wann denn end-
lich auf afghanischem Boden ein solches System errich-
Ich weiß nicht, wie Sie zu der Hoffnung kommen, dass tet ist. Schon in der Debatte am 17. Juni 2009 hat der
niemand diesen billigen Trick durchschaut. Es wäre je- Kollege Dr. Stinner – er ist unter uns – voller Ungeduld
denfalls ein weiterer Fehler, anzunehmen, dass der höfli- die damalige Bundesregierung gefragt, wie lange es
che Dank der frustrierten Alliierten so zu deuten ist, dass denn noch dauern würde, bis diese notwendige Kontroll-
sie nicht kapiert haben, wie das Spiel hier läuft. funktion in Afghanistan aufgebaut sein werde. Seitdem
Wir haben hier im Deutschen Bundestag einen ande- sind fast zwei Jahre vergangen.
ren Schaden. Sie belasten die deutsche Afghanistan- Die Bundesregierung widmet im Begründungstext
Politik, die doch schwierig genug ist und bei der es die des Antrags einen ganzen Absatz ihren bisherigen und
vernünftige Tradition gibt, nach möglichst viel Gemein- künftigen Bemühungen um den Aufbau eines zivilen
samkeit und Konsens zu suchen, fahrlässig mit dem Luftverkehrskontrollsystems. Wir erfahren von dem Pro-
schweren Gepäck aus Ihrer scheiternden UN- und jekt eines „satellitengestützten zivilen Überwachungs-
Libyen-Politik. systems für den afghanischen Luftraum“, das von 2009
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des bis 2011 laufen sollte, von einem Expertenteam für die
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Umsetzung des Regelwerks der International Civil Avia-
tion Organization, ICAO, sogar von der „Errichtung ei-
Damit legen Sie einer notwendigen Sachdiskussion re- ner Akademie für Zivilluftfahrt“ noch in diesem Jahr
gelrechte Brocken in den Weg und stellen die Bereit- und vom Ausbau der Flughäfen von Masar-i-Scharif und
(B) schaft, gemeinsam zu einem möglichst breiten Konsens (D)
Uruzgan. Irgendeine Angabe darüber, wann denn einmal
zu kommen – an dieser Bereitschaft hat es bei uns, den die Technik stehen wird, um den AWACS-Einsatz über-
Sozialdemokraten, nie gefehlt –, auf eine harte Probe. flüssig zu machen, sucht man aber vergebens. Wir for-
Fängt man trotz dieser widrigen Umstände mit der dern Sie auf, das nachzuliefern.
Sachprüfung an, stellt man fest, dass der Mandatsantrag Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verärgerung
der Bundesregierung über weite Strecken mit dem nicht über das ganze Verfahren ist erheblich. Dieses Verfahren
umgesetzten Mandatsbeschluss vom 2. Juli 2009 wort- erschwert es, sich auf das zu konzentrieren, was eigent-
gleich ist. lich im Zentrum unserer Arbeit stehen sollte: die Bera-
Wir werden diesen Antrag sorgfältig prüfen und un- tung darüber, wie ein Erfolg der neuen Strategie in Af-
sere Fragen dazu ganz besonders auch in den Fachaus- ghanistan von uns am besten abgesichert werden kann.
schüssen stellen. Die Beantwortung dieser Fragen wird (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
für die Entscheidung der SPD wichtig sein.
Sie machen es denjenigen schwer, denen es vor allem
Eine unserer Fragen bezieht sich auf die Definition um Afghanistan geht. Das steht allein in Ihrer Verant-
des Auftrags der AWACS-Systeme. Sowohl in dem im wortung.
Juli 2009 beschlossenen Text wie in dem Mandatsantrag
von heute werden fünf Aufträge genannt, von denen vier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
völlig identisch sind. Bei dem fünften hat es aber eine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Änderung gegeben. 2009 hieß es, zu den Koordinie-
rungsaufgaben des AWACS-Systems gehöre – ich Präsident Dr. Norbert Lammert:
zitiere – „Unterstützung von ISAF-Luftoperationen“. In Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidi-
dem neuen Mandat, das wir jetzt behandeln müssen, gung, Dr. Thomas de Maizière.
fehlt diese Aufgabe. Dafür taucht eine andere auf. Ich zi-
tiere noch einmal: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unterstützung bei der Durchführung von Operatio-


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
nen ISAF-geführter Bodenkräfte; …
teidigung:
Das ist erklärungsbedürftig, zumal bekannt ist, dass, wie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
auch im Begründungsteil des Mandates noch einmal aus- ist meine erste Rede als neuer Bundesminister der Ver-
führlich erwähnt, die NATO-AWACS „weder über die teidigung. Bevor ich zur Sache rede, möchte ich Ihnen
11182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Bundesminister Dr. Thomas


Dr. Thomas de Maizière, de Maizière der Verteidigung
Bundesminister
(A) gerne sagen, wie ich es auch schon im Ausschuss getan von den AWACS für einen operativen Einsatz mit militä- (C)
habe, dass ich dem ganzen Hohen Haus insbesondere in rischem Hintergrund eingesetzt wird, mandatspflichtig.
all den sensiblen Fragen der Sicherheitspolitik auch mei-
nerseits eine offene, konstruktive und vertrauensvolle Deswegen ist das kein schnöder einseitiger Abzug,
Zusammenarbeit anbiete. Ich hoffe, dass sie auch von al- sondern es ist die Konsequenz aus unserer verfassungs-
len erwidert wird. rechtlichen Lage. Das mag man bedauern, aber so ist es
nun einmal.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bei Abgeordneten der LINKEN) Der Außenminister und ich mussten am Freitag und
In Afghanistan sind bereits seit weit vor 2011 natio- Samstag – niemand wusste, wie der Beschluss des
nale AWACS-Flugzeuge unserer Partner, vor allem der NATO-Rats ausfallen würde – darüber entscheiden, ob
Vereinigten Staaten von Amerika, im Einsatz. Um diese wir erstmalig im Laufe dieser Debatten von dem Instru-
wichtige operative Fähigkeit 24 Stunden am Tag im Ein- ment der Eilentscheidung Gebrauch machen. Diese Eil-
satz nutzen zu können, unterstützen seit dem 15. Januar entscheidung hätte beinhaltet, dass die AWACS im Mit-
dieses Jahres darüber hinaus auch NATO-AWACS des telmeerraum bleiben können, falls am Freitag oder
multinationalen Verbandes aus Geilenkirchen diesen Samstag ein Operationsplan und eine Executive Direc-
Einsatz – derzeit ohne deutsche Beteiligung. tive, also die Ausführung, beschlossen worden wären.
Ich hätte sehen wollen, was Sie gesagt hätten, wenn wir
Dieser 24-Stunden-Einsatz hat sich bewährt. Wir wol- Sie erst im Anschluss an eine solche Entscheidung um
len ihn fortsetzen. Ohne deutsche Beteiligung wäre dies ein Mandat gebeten hätten. Das Theater im Bundestag
jedoch nur beschränkt durchhaltefähig. Wie hier richtig hätte ich erleben mögen. Dann hätten Sie zu Recht Kritik
vorgetragen worden ist, würde das ab irgendeinem Zeit- geübt.
punkt im April, Mai oder Juni gelten. Vor dem Hinter-
grund der Libyen-Vorgänge gilt das aber jetzt erst recht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Das ist die Null-
Sie finden in dem Mandatsantrag dazu kein Wort, summe!)
weil die Entscheidung, um die wir den Deutschen Bun-
destag bitten, auch aus sich heraus sinnvoll ist. Auch Nun ein Wort zu den Schiffen. Es ist richtig, dass wir
ohne die Entwicklung in Libyen wäre es sinnvoll und die entsprechenden Schiffe im Mittelmeer seit heute
nötig, den AWACS-Einsatz in Afghanistan zu beschlie- Morgen nationalem Kommando unterstellt haben. Leicht
ßen. Ich höre aus den Wortmeldungen der Sozialdemo- ist mir das nicht gefallen. Aber auch das ist eine Konse-
(B) kraten, dass das jedenfalls ein wichtiger Teil der Sozial- quenz aus der Rechtslage. Wenn die NATO einen Opera- (D)
demokratie ebenfalls so sieht. tionsplan beschließt, was wir nicht verhindert haben, und
es anschließend sofort durch die Executive Directive zur
Aufgrund der Entwicklung in Libyen ist es nun aber Ausführung kommt, die das Waffenembargo vorsieht,
erst recht richtig, dies so zu beschließen; denn wenn wenn also exekutive Maßnahmen mit Zwangscharakter
AWACS am Mittelmeer – und niemand weiß, wie lange greifen, dann unterliegt der Einsatz dieser Schiffe ab die-
die Auseinandersetzung geht – noch lange bzw. dauer- ser Sekunde der Mandatspflicht. Da beißt die Maus kei-
haft gebraucht wird, brauchen wir eine tatsächliche fach- nen Faden ab. Deswegen mussten wir in dieser Sekunde
liche Entlastung der NATO-AWACS. Ohne die Deut- die Schiffe nationalem Kommando unterstellen.
schen kann man auf Dauer nicht in Libyen und in
Afghanistan gleichzeitig sein. Wenn sich der Einsatz am Man kann vor dem Hintergrund der Entwicklung da-
Mittelmeer länger hinziehen sollte, brauchen wir eine rüber diskutieren, ob dafür ein Mandat geschaffen wer-
wirkliche Entlastung für NATO-AWACS. Deswegen ist den muss. Aber es ist nicht kritikwürdig, dass wir sie in
es richtig, die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Ein- dieser Nacht zurückgezogen haben. Das hat unsere ver-
satz von NATO-AWACS in Afghanistan zu beschließen. fassungsrechtliche Lage verlangt.

Selbst wenn es nicht nötig wäre, so ist es doch – das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
will ich nicht in Abrede stellen – ein politisches Zeichen Richtig ist, dass die bisherige Umsetzung des im Juli
der Bündnissolidarität, dass wir dies gerade jetzt anbie- 2009 gefassten Beschlusses des Bundestages zum Ein-
ten. satz der NATO-AWACS in Afghanistan nicht ruhmreich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist. Es ist nicht schön, wenn trotz der Zustimmung des
Deutschen Bundestages die Umsetzung nicht erfolgt,
Herr Erler, ich habe Ihr Angebot zur konstruktiven weil man keine Überflugrechte hat; das ist wahr. Das
Zusammenarbeit durchaus zur Kenntnis genommen. In Problem ist inzwischen beseitigt. Es gibt in Konya in der
einem Punkt möchte ich Ihnen aber widersprechen. Sie Türkei eine Stationierungsbasis, und es besteht die Mög-
haben von einem schnöden einseitigen Abzug der lichkeit einer Zwischenlandung in Masar. Frau Abgeord-
AWACS aus dem Mittelmeerraum gesprochen. Der Ab- nete Hoff, ich schließe nicht aus, dass die Maschinen ir-
zug geschieht deswegen, weil dies die Verfassungs- gendwann dauerhaft in Masar stationiert werden können;
rechtslage so vorsieht. Speziell zu AWACS gibt es ein denn acht Stunden Flug, Zwischenlandung und all das
Verfassungsgerichtsurteil. Danach wird der Einsatz von sind doch recht mühsam. Das ließe das Mandat, um des-
AWACS ab dem Moment, in dem Aufklärungsmaterial sen Zustimmung wir bitten, auch zu. Aber zunächst ist es
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11183
Bundesminister Dr. Thomas
Dr. Thomas de Maizière, de Maizière der Verteidigung
Bundesminister
(A) wichtig und geboten, dem Mandat zuzustimmen und es tut, liegt doppelt richtig. Ich bitte herzlich um Zustim- (C)
umzusetzen. mung.
Der Auftrag lautet in der Tat: Erstellung eines Luftla- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gebildes und Unterstützung bei der Durchführung von
Operationen der ISAF-Kräfte, auch der Bodenkräfte. Sie Präsident Dr. Norbert Lammert:
haben danach gefragt, was das konkret bedeutet. Wir ha-
Wolfgang Gehrcke ist der nächste Redner für die
ben darüber im Verteidigungsausschuss bei der Anbera-
Fraktion Die Linke.
tung eben schon diskutiert. Eben wurde das Stichwort
„close air support“ in dem Zusammenhang genannt. (Beifall bei der LINKEN)
Auch beim Herausholen von verletzten Soldaten mit Sa-
nitätsflugzeugen und Ähnlichem hilft die Koordinie-
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
rungstätigkeit mithilfe von AWACS. Das heißt, dieser
Auftrag dient auch dem Schutz deutscher Soldaten und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
ist deswegen nicht kritikwürdig, sondern dringend zu- gleich beim Verteidigungsminister anzuknüpfen: Wer
stimmungsbedürftig. aus beiden Gründen – wegen Libyen und wegen Afgha-
nistan – überhaupt nicht zustimmen will, kann das auch
Zum Auftrag gehören darüber hinaus die Entflechtung tun, indem er dieses Mandat einfach ablehnt.
von Luftverkehrsbewegungen einschließlich der Koordi-
nierung des militärischen Luftverkehrs unter Berücksich- (Beifall bei der LINKEN)
tigung ziviler Luftraumnutzer, die Koordinierung der Luft- Dann ist er immer auf der politisch klügeren und besse-
betankung und die Relaisfunktion für Kommunikations- ren Seite.
und Datenaustausch. Im Übrigen entspricht das Mandat
also unverändert dem vom Juli 2009, dem Sie damals zu- Ich weiß nicht, warum man sich nicht einmal ein biss-
gestimmt hatten. Deswegen können Sie ihm hoffentlich, chen zurücknehmen und darüber nachdenken kann. Ein
unabhängig von den Begleitumständen, auch jetzt zu- Spruch lautet: Ich denke an das Ende und an den Anfang
stimmen. auch. – Das Ende ist völlig klar: Die Bundeswehr wird
irgendwann – ich hoffe, möglichst rasch – aus Afghanis-
Wir haben, auch in der Bundesregierung, über die tan abgezogen. Der Anfang ist auch klar; auch er lag hier
Obergrenze diskutiert. Dafür ist ein gesondertes Mandat im Hause. Kollege Erler, es wird auch noch darüber zu
notwendig. Es endet zeitgleich mit dem normalen ISAF- sprechen sein, unter welcher Regierung, verbunden mit
Mandat, also im Januar 2012. Deswegen hätte man die welchen Aufgaben hier der Anfang geknüpft worden ist.
dafür erforderlichen Zahlen ebenfalls gesondert be- Mir ist nicht klar, wie viele Menschen zwischen dem (D)
(B) schließen können. Aber im Blick auf die gemeinsam ver-
Anfang und dem Ende ihr Leben oder ihre Gesundheit
abschiedete NATO-Strategie, auf die Obergrenze und verlieren werden. Das ist für mich das wichtigste Argu-
auf die gemeinsame Entwicklung einer Abzugsperspek- ment: Ich will diese Mandate nicht, weil Menschen-
tive haben wir uns entschlossen, dass das Mandat sich rechte unter dem Strich niemals mit Bomben und Rake-
im Rahmen der für den Einsatz beschlossenen Ober- ten durchzusetzen sind, weder in Libyen noch in
grenze einschließlich der Reserve bewegen muss. Das ist Afghanistan. Das ist die Motivation, die meine Fraktion
auch eine Geste an die, die sich schwertun, dem Mandat hat.
zuzustimmen. Es ist wahr, dass die Reserve zum Teil an-
ders begründet worden ist. Angesichts der bestehenden (Beifall bei der LINKEN)
Lage ist uns aber bei der Abwägung das Einhalten der
Obergrenze, auch als Signal an die deutsche Öffentlich- Man weiß, dass AWACS kein ziviles System ist; es ist
keit, wichtiger, als an der bisherigen Begründung der ein militärisches System. Man muss der Bevölkerung sa-
Reserve festzuhalten. gen: Wir entscheiden hier über den Einsatz eines militä-
rischen Systems. In Ihrem Antrag steht ausdrücklich,
Wir sagen aber – das finden Sie im letzten Absatz der dass der AWACS-Einsatz auch zur „Unterstützung bei
Begründung –, dass wir auf die Reserve nur im Fall der der Durchführung von Operationen ISAF-geführter Bo-
tatsächlichen Inanspruchnahme der AWACS-gebunde- denkräfte“ genutzt wird. Das ist neu; das stand bisher
nen Soldaten zurückgreifen wollen und darüber hinaus nicht im Mandat. Die SPD muss sich entscheiden, ob sie
nur, wie in dem Verfahren besprochen, nach vorheriger dem zustimmen will oder nicht. Natürlich haben Sie
Konsultation. auch bei der Obergrenze geschummelt, die bisher einen
Puffer enthielt und nichtständige Einsatzgrenze genannt
Das ist der Grund, warum wir sagen: „Jawohl, es ist wurde; jetzt wird die Obergrenze ständig ausgereizt. Das
ein gesondertes Mandat; aber wir bleiben bei der Ober- heißt also: Mit dem AWACS-Einsatz wird der Krieg ver-
grenze.“ Dies muss, wird und soll in die insgesamt ver- schärft; das ist eine nüchterne Feststellung. Darüber
abredete Afghanistan-Strategie einbezogen werden. muss man reden.
Der Grund für die Dringlichkeit ist von mir vorgetra- Ich denke, dass man auch über die Hintergründe re-
gen worden; ich halte ihn für richtig. Wer dem Einsatz den muss. Die Linke lehnt den AWACS-Einsatz wie
zustimmen möchte, weil er ihn im Hinblick auf Afgha- auch andere Einsätze generell ab. Wir werden nicht den
nistan für richtig hält, soll das tun. Wer ihm nur wegen kleinsten Finger für Kriegseinsätze hinhalten.
der Entlastung im Zusammenhang mit Libyen zustim-
men möchte, soll das tun. Wer es aus beiden Gründen (Beifall bei der LINKEN)
11184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Wolfgang Gehrcke
(A) Das ist nicht die politische Linie, sind nicht die Vor- brauchen endlich eine Friedenspolitik. Ich finde, darüber (C)
schläge, die wir vertreten. kann man in diesem Hause streiten. Solche Auseinander-
setzungen sind aber höchst selten geworden.
Herr Außenminister, es ist doch eine eigenartige Lo-
gik, den Krieg in Afghanistan zu verschärfen, weil man Herzlichen Dank.
sich in Libyen – das ist der Sinn der ganzen Sache –
nicht an einem Krieg beteiligen will. Sie helfen zwar (Beifall bei der LINKEN)
nicht direkt mit Soldaten; aber Sie helfen mit anderen
Dingen erheblich bei der Kriegsführung. Nun ist die Ent- Präsident Dr. Norbert Lammert:
scheidung, in Libyen keine Soldaten einzusetzen und Nächster Redner ist der Kollege Nouripour für die
auch die deutsche Marine zurückzuziehen, aus meiner Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sicht durchaus vernünftig. Aber es ist schon – Entschul-
digung, ich finde dafür keinen anderen Ausdruck – eine
ziemlich perverse Logik, dies kompensieren zu wollen, Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
indem man AWACS-Maschinen nach Afghanistan Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
schickt, also den Krieg in Afghanistan zu verschärfen, Gehrcke, ich glaube, Sie haben noch immer nicht ver-
weil man den anderen Krieg in dieser Art und Weise standen, dass der Irakkrieg eine historische Zäsur in ne-
nicht will. Was ist das überhaupt für eine Denkweise! gativer Hinsicht dargestellt hat – ich meine das, was im
Sicherheitsrat damals vorgefallen ist, dass es kein Man-
(Beifall bei der LINKEN)
dat für die Einsätze gab –, und das ist sehr bedauerlich.
Der Volksmund argumentiert: Der Hehler ist genauso Diese historischen Vergleiche hinken immer.
schlimm wie der Stehler. Im Falle des AWACS-Einsat-
zes ist man der Hehler, weil man die Ziele ausmacht; an- (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)
dere sollen diese Ziele dann militärisch bekämpfen. Ich Ich komme jetzt zum AWACS-Einsatz. Viele Kolle-
finde das schlimm. gen in diesem Hohen Haus verstehen in der Sache, wa-
Jetzt noch einmal zu den Kollegen von der SPD. Wel- rum es eine Notwendigkeit zum Einsatz der Fähigkeiten
cher Logik folgt denn der Außenminister? Herr von AWACS-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan
Steinmeier, Sie werden sich genau erinnern, dass Sie als gibt. In den letzten Jahren hat sich die Bundesregierung
Fraktionsvorsitzender die Entscheidung von Gerhard im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen stets bemüht,
Schröder, keine Soldaten in den Irak zu schicken – diese eine breite Mehrheit in diesem Haus zu finden. Das ist
Entscheidung war richtig –, hier, vor diesem Haus, damit auch richtig so; denn Auslandseinsätze bringen eine
große Verantwortung für das gesamte Parlament mit
(B) begründet haben, dass wir uns im Gegenzug stärker in sich. In diesem Fall war das leider nicht möglich, weil (D)
Afghanistan engagieren. In mehreren Debatten zu die-
sem Mandat haben Sie das ausgeführt: Weil wir im Irak eine unglaubliche Eile geboten war. Diese Eile er-
nicht an der Seite unserer Bündnispartner militärisch schwerte die Entscheidungsfindung für alle. Wenn man
agiert haben, sind wir nach Afghanistan gegangen. Ent- sehr genau überlegt, wie es zu dieser Eile kam, kommt
schuldigen Sie, aber genau das Gleiche macht die Bun- man auf eine einzige Antwort: Die Bundesregierung hat
desregierung heute. Die Merkel macht den Schröder. Da- sich in den letzten Wochen und Monaten nicht darum ge-
bei ist schon Schröder mit dieser Politik gescheitert. kümmert. Sie hat die Entscheidungen, die anstanden,
nicht getroffen. Das ist ein großes Problem. Sie haben
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt haben Sie sich darum schlicht nicht gekümmert.
sich ein bisschen verheddert!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn man jetzt sagt, dass wir uns nicht in Libyen en-
gagieren, sondern in Afghanistan, dann folgt man der Ende 2010 gab es zum wiederholten Mal eine An-
gleichen Logik wie damals beim Irak; das wird dieses frage an die Bundesregierung, ob Deutschland sich an
Mal nicht zu einem besseren Ergebnis führen. dem AWACS-Einsatz beteiligt. Der Außenminister war
strikt dagegen. Er hat übrigens auch nach der Abstim-
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Was war mung über das Gesamtmandat verkünden lassen – das
denn 2001 für ein Irakkrieg? – Hubertus Heil war Ende Januar 2011 –: Für die nächsten zwölf Monate
[Peine] [SPD]: Welche Reihenfolge, Herr Kol- ist das kein Thema. Es war aber klar, dass das so nicht
lege? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE geht. Man wollte sich über einen bestimmten Zeitpunkt
GRÜNEN]: Um was ging es eigentlich im retten. Das war keine Landtagswahl, sondern die ISAF-
Irak?) Abstimmung im Deutschen Bundestag. Also machte die
Ich bitte Sie ganz einfach: Nutzen Sie Ihre Möglich- Bundesregierung das, was sie in solchen Situationen im-
keit, mer macht: Sie verhängte ein Moratorium von drei Mo-
naten.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Aber Sie sollten Ihre Möglichkeiten auch nut- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD –
zen, intellektuell!) Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Aha! Da hat das angefangen!)
zweimal mit Nein zu stimmen und weder Soldaten für
den Krieg in Libyen zur Verfügung zu stellen noch den In dieser Zeit sollte über den AWACS-Einsatz nicht ge-
AWACS-Einsatz in Afghanistan zu mandatieren. Wir redet werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11185
Omid Nouripour
(A) Jetzt ist dieses Moratorium fast ausgelaufen. Es stand gefasst worden ist? Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu (C)
also sowieso die Entscheidung an, was nun passiert, ob nehmen?
Deutschland sich an dem AWACS-Einsatz beteiligt oder
nicht. Voller Hektik sagen Sie nun: Nein, wir warten das Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
nicht ab, sondern bieten unsere Beteiligung an dem Ich bin gerne dazu bereit; das freut mich ungemein.
AWACS-Einsatz an. Der Verdacht liegt nahe, dass Sie Ich habe das Gerücht nicht verbreitet; das ist eine Presse-
damit einen einfachen Zweck verfolgen. Sie wollen das meldung.
Desaster der Passivität der Bundesregierung, diesen
deutschen Sonderweg in der Libyen-Frage, gegenüber (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Was
der Öffentlichkeit schnellstmöglich vergessen machen, soll das?)
und das ist indiskutabel. Nichtsdestotrotz habe ich die Verlautbarung der Bundes-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) regierung immer so verstanden, dass man die ganze Zeit
verhandelt und hart mit sich gerungen habe. Nun sagen
Herr Minister Westerwelle, die FAZ meldet, Sie hätten Sie, die Enthaltung habe von vornherein festgestanden.
die Resolution, die Sie danach öffentlich begrüßt haben, Das ist ein wenig verwirrend und macht so keinen Sinn.
eigentlich ablehnen wollen. Wenn das nicht stimmt,
wäre ich sehr dafür, dass Sie das dementieren. Sie haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sich in der Vergangenheit häufiger als Abgeordneter zu sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wort gemeldet und sich erklärt. Jetzt haben Sie die Mög- Zurück zum Antragstext. Sie haben geschrieben – ich
lichkeit, uns zu sagen, ob es stimmt, dass die Bundesre- wiederhole –:
gierung diese Resolution, die sie begrüßt hat, tatsächlich
ablehnen wollte. Die Rehabilitierung des Flughafens Uruzgan …
steht kurz vor dem Beginn.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Das ist eine schöne Sache. Das Problem ist, dass 2009
Schockenhoff [CDU/CSU]: Wir haben sie exakt derselbe Satz im Mandat stand. Auch 2009 hieß es,
nicht abgelehnt! Was soll das? Das ist reine der Beginn der Rehabilitierung des Flughafens Uruzgan
Spekulation!) stehe kurz bevor. Der Satz danach lautete, dass die Fer-
tigstellung für 2010 geplant sei. Das ist nicht konsistent,
Bei diesem Mandat gibt es ein noch größeres Pro- vor allem auch deswegen nicht, weil wir uns alle erin-
blem. Aufgrund der Eile, die Sie sich selbst auferlegt ha- nern, wie es 2009 war: Wir Grüne haben hier dem Man-
ben, legen Sie nicht einmal einen gründlich ausformu- datstext mehrheitlich zugestimmt, um dann festzustellen,
(B) lierten Mandatstext vor. dass sich die Bundesregierung überhaupt nicht um die (D)
Details gekümmert hat. Das war eine extrem peinliche
Ich gebe Ihnen ein einziges Beispiel: das bodenge- Aktion, die jetzt durch dieses hektische Copy and Paste,
stützte System. Wir fragen uns, was hier seit 2009 über- das Sie bei der Erstellung des Antrags gemacht haben,
haupt passiert; das ist eine sehr berechtigte Frage. Im nicht wirklich besser wird. Jetzt geht es darum, dass wir
Mandatstext steht zum Beispiel wortwörtlich: Vertrauen, das in den letzten Tagen verloren gegangen
Die Rehabilitierung des Flughafens Uruzgan … ist, wieder zurückgewinnen. Aber Sie tun nichts dafür.
steht kurz vor dem Beginn. Ein weiteres Beispiel: Es gibt das feste Versprechen
Das ist eine wunderschöne Nachricht; das freut mich der Bundesregierung, dass die Zahl der Soldatinnen und
ungemein. Soldaten in Afghanistan Ende des Jahres – vorbehaltlich
der Sicherheitslage – reduziert wird. Ich habe damals
den Herrn Außenminister im Plenum gefragt: Wie ist es
Präsident Dr. Norbert Lammert: denn, wenn die AWACS dazukommen? Er sagte:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des AWACS und Mandatsobergrenze haben miteinander
Kollegen Stinner? überhaupt nichts zu tun. – Wir erleben gerade, dass ge-
sagt wird: Wir haben jetzt die flexible Reserve angebro-
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): chen. Wir müssen einmal schauen, wie es geht.
Ja. Ich sehe ihn gar nicht. – Da ist er. Das Problem ist, dass Sie sich dadurch, dass wir jetzt
mehr Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan schi-
(Birgit Homburger [FDP]: Ganz vorne!)
cken werden, faktisch von diesem Versprechen entfer-
nen. Ein weiteres Problem ist, dass Sie damit nicht nur
Dr. Rainer Stinner (FDP): die Öffentlichkeit verprellen und Ihr Versprechen mögli-
Vielen Dank. – Sehr geehrter Kollege Nouripour, sind cherweise nicht halten können. Ich hoffe, dass Sie Ihr
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass heute in den Versprechen halten können. Problematisch ist vielmehr
vergangenen zwei bis drei Stunden sowohl das Auswär- auch, dass die Soldatinnen und Soldaten dadurch, dass
tige Amt durch den entsprechenden Sprecher als auch Sie so herumtaktieren, politische Manövriermasse bei ei-
die Bundeskanzlerin durch ihren Sprecher eindeutig er- nem Kuhhandel werden. Der Kuhhandel lautet: Libyen
klärt haben, dass an dem Gerücht, das auch Sie hier ver- nein, deshalb Afghanistan. – Dabei haben die beiden
breitet haben, gar nichts dran ist, sondern dass die Ent- Konflikte in der Sache nichts miteinander zu tun. Es geht
scheidung zur Enthaltung von vornherein einstimmig so darum, dass jeweils für jede Intervention – in manchen
11186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Omid Nouripour
(A) Fällen auch für die jeweilige Nichtintervention – eine kanzlerin hat am vergangenen Samstag beim Gipfel in (C)
genaue Begründung in der Sache vorliegen muss. Das ist Paris klar gesagt, dass die Resolution gilt und Deutsch-
bei Ihnen nicht der Fall, sondern Sie vermengen alles auf land die Ziele der Resolution vorbehaltlos unterstützt.
eine unseriöse Weise miteinander. Das hat mit sachlicher Deshalb unterstützt die CDU/CSU-Fraktion geschlossen
und – das ist das Gravierende – vor allem mit einer wer- das Bestreben der Bundesregierung, unterhalb einer di-
tegebundenen Außenpolitik überhaupt nichts mehr zu rekten militärischen Beteiligung alles dafür zu tun, dass
tun. Die Kontinuität, die die deutsche Außenpolitik aus- die Resolution 1973 erfolgreich durchgesetzt wird.
gemacht hat – egal wer in den letzten Jahrzehnten regiert
Dazu gehört auch – das hat der Verteidigungsminister
hat –, setzen Sie fahrlässig aufs Spiel. Das ist wirklich
dargestellt –, dass wir der NATO zusätzliche Kapazitäten
verheerend.
für den Einsatz in Afghanistan anbieten, indem wir uns
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – an den AWACS-Flügen beteiligen. Dies geschieht auch
Stefan Liebich [DIE LINKE]: Na, danke mit dem Ziel, unsere NATO-Partner für ihren Einsatz in
schön! Keine Position!) Libyen zu entlasten. Das Bündnis hat sich gestern auf
einen Plan zur Durchsetzung eines Flugverbots über
Präsident Dr. Norbert Lammert: Libyen geeinigt. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt diese
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Entscheidung und die erzielte Einigkeit ausdrücklich.
Kollege Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU- Bislang gibt es weder eine Anfrage an die NATO
Fraktion. noch eine Anfrage der Allianz selbst an ihre Mitglieder
(Beifall bei der CDU/CSU) bezüglich einer konkreten Umsetzung der Resolu-
tion 1973. Aber auch hier sage ich in aller Klarheit: Es
ist selbstverständlich, dass Deutschland eine solche Ent-
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):
scheidung unterstützen wird. Das heißt ganz praktisch,
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass die deutschen Soldaten bei einer entsprechenden
Herr Nouripour, Sie haben es geschafft, Ihre volle Rede- Mission der NATO in den integrierten Stäben des Bünd-
zeit auszunutzen, ohne eine einzige Silbe dazu zu sagen, nisses ihre Aufgaben erfüllen und Verantwortung über-
wie sich Ihre Fraktion nachher in dieser Frage verhalten nehmen werden. Die Bundesregierung muss sich daher
wird. von niemandem Vorwürfe gefallen lassen, sie hätte ihre
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Bündnissolidarität infrage gestellt.
LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf das
DIE GRÜNEN]: Wenn wir es uns so einfach vorliegende Mandat zu sprechen. Seit dem 15. Januar
machen würden wie Sie, wäre es hier ganz 2011 sind NATO-AWACS in Afghanistan eingesetzt, (D)
(B)
schlimm!) bisher allerdings ohne deutsche Besatzungen und Bo-
Sie haben von Medienberichten gesprochen. Ich habe denpersonal. Der Einsatz der AWACS erfolgt aufgrund
Medienberichte gelesen, in denen stand, dass Sie für das des steigenden Flugaufkommens über Afghanistan. Die
AWACS-Mandat sind. Ich habe von Herrn Trittin in der Flugzeuge sollen die Koordinierung des militärischen
Presse gelesen, dass er dagegen ist. Mich hätte interes- Flugverkehrs unter Berücksichtigung ziviler Nutzer so-
siert, wie die Mehrheit Ihrer Fraktion das sieht und ob wie Aufgaben zur Unterstützung von ISAF-geführten
Sie in Ihrer Fraktion überhaupt darüber geredet haben. Bodenkräften übernehmen.
Bevor ich zu AWACS komme, möchte ich zwei
Dinge klarstellen: Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Schockenhoff, darf der Kollege Bartels
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
NEN]: Mich würde interessieren, wie es bei
Ihnen aussieht, wie Sie abstimmten, wenn Sie Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):
die Abstimmung freigäben!)
Gerne.
– Sie schreien zwar, aber sagen Sie doch bitte einmal,
wie die Grünen abstimmen. Das interessiert; das andere Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
interessiert nicht. Herr Kollege Schockenhoff, in der vergangenen Wo-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – che habe ich in einem Rundfunkinterview von Ihnen ver-
Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nommen, dass die Nichtbeteiligung Deutschlands an der
NEN]: Wir lesen Mandatstexte, bevor wir ent- Umsetzung des Libyen-Beschlusses des Sicherheitsrats
scheiden!) sowie die Enthaltung Deutschlands im Sicherheitsrat da-
mit begründet wurde, die Bundeswehr könne das gar
Erstens. Die CDU/CSU-Fraktion teilt die Einschät- nicht mehr. Ist das eine tragende Begründung für die Re-
zungen und Abwägungen – dies möchte ich vorab sa- gierungsfraktionen?
gen – der Bundesregierung, die bei der Resolution 1973
zu der Enthaltung im Sicherheitsrat geführt haben.
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):
Zweitens. Deutschland ist in diesem Konflikt nicht Nein, ich habe in der letzten Woche darauf hingewie-
neutral, sondern steht fest an der Seite des libyschen Vol- sen, dass es – und das war bis gestern der Fall – weder
kes und der internationalen Gemeinschaft. Die Bundes- im Sicherheitsrat noch in der EU noch in der NATO
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11187
Dr. Andreas Schockenhoff
(A) noch in der Arabischen Liga Einigung über die Ziele und Zum Abschluss möchte ich noch einmal unterstrei- (C)
die Einsatzregeln für diese Operation gab. Das habe ich chen: Gerade weil dieses Mandat unseren Abzug aus Af-
kritisiert und deshalb gesagt: Es war richtig, dass sich ghanistan befördern kann, kann auf eine Erhöhung der
die Bundesregierung enthalten hat. – Dass wir hinter den Mandatsobergrenze verzichtet werden. Dies ist ein wei-
Zielen „Schutz der Bevölkerung“ und „dem Diktator terer Grund, aus dem die Vorlage der Bundesregierung
Einhalt gebieten“ stehen, ist eindeutig. Das hat auch der eine breite Unterstützung finden sollte. Dazu lade ich
Außenminister für die Bundesregierung und für die uns alle herzlich ein.
Koalitionsfraktionen wiederholt. Dabei bleibt es. Die
Begründung, sich zu enthalten, hat mit den politischen Danke.
Zielen, die wir jetzt voll mittragen, nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich komme zurück zum AWACS-Einsatz. Dieser war
Ich schließe die Aussprache.
ursprünglich für 90 Tage angedacht. Deshalb bestand bei
der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes im Januar Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
auch keine Veranlassung, eine mögliche deutsche Betei- Drucksache 17/5190 an die in der Tagesordnung aufge-
ligung in dem Mandatstext zu berücksichtigen. Weil sich führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
das System bewährt und als sehr effektiv erwiesen hat, verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
soll der Einsatz nun auf Wunsch des ISAF-Oberkom- die Überweisung so beschlossen.
mandos weitergeführt werden.
Es ist vereinbart, dass wir die Sitzung jetzt für Frak-
Die AWACS-Flugzeuge der NATO sind hochinte- tionssitzungen unterbrechen. Das wird bis voraussicht-
grierte Verbände, die ohne deutsches Personal auf Dauer lich 16 Uhr der Fall sein. Wir werden den Wiederbeginn
nur beschränkt einsetzbar sind. Deshalb wollen wir uns der Plenarsitzung wie immer durch Klingelsignal be-
künftig an dem AWACS-Einsatz der NATO in Afghanis- kanntgeben.
tan mit dem Ziel der Luftraumsicherheit und Luftraum-
koordinierung beteiligen. Dies gilt unabhängig von einer Ich möchte Ihnen mit Blick auf den weiteren Ablauf
möglichen Beteiligung des Bündnisses an den Operatio- unserer Tagesordnung einen Verfahrensvorschlag ma-
nen zur Durchsetzung der beiden UNO-Resolutionen zu chen. Als Nächstes werden dann ja die Regierungsbefra-
Libyen. gung und die Fragestunde aufgerufen, auf die die verein-
barte Aktuelle Stunde folgt. Nach Rücksprache mit den
Neben dem Schutz unserer eigenen Soldatinnen und Fraktionen möchte ich Ihnen vorschlagen, dass wir nach
Soldaten sowie der afghanischen Zivilbevölkerung ist einer vielleicht etwas knapper gehaltenen Regierungsbe- (D)
(B)
der wichtigste Aspekt meines Erachtens, dass der Ein- fragung die Fragestunde auf eine Stunde statt zwei Stun-
satz der NATO-AWACS den Prozess der Übergabe der den begrenzen. Auch nach Durchsicht der jetzt schon zur
Sicherheitsverantwortung an die Afghanen unterstützen schriftlichen Beantwortung eingereichten oder korrigier-
kann. Die Flugzeuge verdichten das Lagebild für die ten Fragen scheint mir das auskömmlich zu sein. Dann
Operationsführung nicht nur der ISAF-Truppen, sondern könnten wir zu einer halbwegs kalkulierbaren Zeit mit
auch der afghanischen Sicherheitskräfte, die an Opera- der Aktuellen Stunde beginnen und vermeiden, dass
tionen gegen Aufständische im Rahmen unserer Kon- diese mit Abendverpflichtungen kollidiert. Können wir
zepte des Partnerings und des Mentorings beteiligt sind. so verfahren?
Mit diesem Einsatz befördern wir unser Ziel, mög- (Iris Gleicke [SPD]: Die dringlichen Fragen
lichst schnell eine Übergabe der Sicherheitsverantwor- gehen voran? Ja?)
tung in afghanische Hände zu erreichen, was die Verrin-
gerung unserer militärischen Präsenz zur Folge haben – Natürlich beginnen wir nach der Regierungsbefragung,
kann. Schon aus diesem Grunde hoffen wir, dass das die über das angemeldete Thema hinaus von sonstigen
Mandat eine breite Zustimmung im Bundestag findet. Nachfragen entlastet bleiben könnte, mit den dringlichen
Fragen und rufen die verbliebenen anderen Fragen da-
Im Übrigen zeigt die gestrige Ankündigung des af- nach auf. – Ich bedanke mich für die Zustimmung.
ghanischen Präsidenten Karzai, ab Juli 2011 sieben Re-
gionen in die afghanische Sicherheitsverantwortung zu Die Sitzung ist unterbrochen.
übernehmen, dass der von uns im letzten Jahr vorgenom- (Unterbrechung von 14.42 bis 16.05 Uhr)
mene Strategiewechsel wirkt. Der Aufbau der afghani-
schen Sicherheitskräfte – Armee und Polizei – kommt
zügig voran. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Auch Deutschland hat seine Trainingskapazitäten in
unserem Verantwortungsbereich im Norden Afghanis- Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
tans erhöht und kann nun in der Stadt Masar-i-Scharif Befragung der Bundesregierung
die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen übertra-
gen. Dieser maßgebliche Schritt verdeutlicht, dass wir Als Thema der heutigen Kabinettssitzung hat die
auf dem richtigen Weg sind, um die von uns angestrebte Bundesregierung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Ver-
völlige Übergabe in afghanische Verantwortung bis 2014 besserung der Feststellung und Anerkennung im
zu erreichen. Ausland erworbener Berufsqualifikationen.
11188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Ich erteile das Wort zum fünfminütigen Einführungs- Fachhochschul- oder Hochschulabschluss. Das zeigt zu- (C)
beitrag der Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan. gleich, dass die Personen mit einem Fachhochschul-
oder Hochschulabschluss eher eine Minderheit sind.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Geregelt sind im Gesetz rund 500 Berufe, darunter
dung und Forschung: – das ist die größte Gruppe – die 350 Ausbildungsberufe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen Es gibt jedoch auch Berufe, die auf der Ebene der Län-
und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den die Präsidentin der geregelt werden. Deshalb sind auch die 16 Länder in
angekündigt hat und der heute vom Kabinett verabschie- diesen Prozess mit einbezogen. Dazu gehören zum Bei-
det wurde, ist ein wichtiger Schritt in Bezug auf Integra- spiel die Lehrer. Ich habe es heute Morgen schon gesagt:
tion und eine zentrale Maßnahme in Bezug auf das Es besteht jetzt die Hoffnung, dass vielleicht nicht nur
Thema Fachkräftebedarf, über das wir immer wieder diejenigen, die im Ausland einen Abschluss erworben
diskutieren. haben, in Deutschland diesen anerkannt bekommen, son-
dern dass auch die 16 Bundesländer untereinander ihre
Worum geht es? Was ist neu? Viele von uns kennen Lehrerabschlussprüfungen anerkennen, sodass die Leh-
einzelne Fälle, in denen die Anerkennung eines im Aus- rerinnen und Lehrer überall in Deutschland lehren kön-
land erworbenen Berufsabschlusses viele Behörden be- nen.
schäftigt, lange dauert, ergebnislos bleibt oder in denen
über die Anerkennung in dem einen Bundesland anders Das sind Nebeneffekte, die ich jetzt einmal nennen
entschieden wird als in dem anderen. wollte.
Deshalb – das ist neu – enthält das Gesetz einen Angesprochen sind nicht nur die Bürgerinnen und
Rechtsanspruch auf Prüfung von beruflichen Auslands- Bürger in Deutschland, die woanders ihren Abschluss
qualifikationen. Neu ist, dass das Verfahren der Prüfung, gemacht haben, sondern selbstverständlich auch Deut-
soweit alle Unterlagen vorliegen, in einem Zeitraum von sche, die woanders ihren Abschluss gemacht haben, und
drei Monaten abgeschlossen sein muss. Abgeschlossen in Zukunft wollen wir natürlich auch diejenigen anspre-
werden kann es nicht einfach mit einem Ja oder Nein, chen, die interessiert daran sind, nach Deutschland zu
sondern erforderlich ist ein Hinweis darauf, welche Qua- kommen und in ihrem Beruf zu arbeiten. Vom Ausland
lifikationen vorhanden sind und welche zusätzlichen er- aus kann ein Antrag ebenso gestellt werden wie in
bracht werden müssen, um eine Anerkennung zu bekom- Deutschland selbst.
men. Neu ist auch, dass die Kriterien, anhand derer sich Die Neuigkeiten sind also: Rechtsanspruch auf Prü-
die Frage „Anerkennung, ja oder nein?“ entscheidet, für fung der Anerkennung, klare Angaben über die Dauer
Deutschland insgesamt gelten. der Bearbeitung, gleiche bzw. vergleichbare Kriterien in
(B) (D)
Das Gesetz besteht aus Art. 1 – das ist das eigentliche ganz Deutschland und schließlich eine sehr viel klarere
Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz – und 60 weite- Form, in der eine Beantragung erfolgen kann. Das be-
ren Artikeln, die Änderungen von 60 Berufsgesetzen ginnt schon mit der Hotline, die unmittelbar nach In-
und entsprechenden Verordnungen beinhalten. Ich sage krafttreten des Gesetzes eingerichtet wird.
das, weil manche mit Recht gefragt haben, warum es ei- So weit zu den wichtigsten Informationen zum heute
gentlich so lange gedauert hat, von Dezember 2009, als verabschiedeten Gesetzentwurf.
die Eckpunkte vorlagen, bis März 2011. In diesem Pro-
zess ging es darum, 60 Berufsgesetze zu verändern, und Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
einen Konsens herzustellen, wie hier künftig verfahren
Es gibt schon jetzt eine ganze Reihe von Fragestelle-
wird. Zudem mussten auch die Schritte der Umsetzung,
rinnen und Fragestellern. Ich erinnere noch an die An-
die jetzt anstehen, mit bedacht werden.
kündigung des Präsidenten von vorhin, dass wir die Re-
Wir werden eine bundesweite Hotline einrichten, so- gierungsbefragung heute vielleicht nicht allzu weit
dass jeder, der ein Anerkennungsverfahren anstrebt, un- ausdehnen sollten, und gebe zunächst der Kollegin
ter einer Nummer die Information bekommt, wo und wie Dağdelen das Wort zur Frage.
das möglich ist. Auf der Ebene der Kammern gibt es
Vorbereitungen für die Bündelung von Zuständigkeiten Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
und Kompetenzen, sodass nicht jede Kammer die Ent- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin
sprechenden Entscheidungsgrundlagen vorhalten muss. Schavan, ich würde gerne wissen, ob aufgrund des im
Die Industrie- und Handelskammer plant zum Beispiel Gesetzentwurf und in der Begründung angedachten An-
eine zentrale Stelle, wenn ich es richtig sehe, in Nürn- spruchs, für mehr Transparenz und Vereinfachung zu
berg. sorgen, auch vorgesehen ist, eine einheitliche Datenbank
zu errichten – zum Beispiel auf der Grundlage einer ge-
Betroffen von dem Gesetz sind in Deutschland nach
setzlichen Regelung –, um ungleiche Bewertungsergeb-
jetziger Prognose 285 000 Bürgerinnen und Bürger. Die
nisse bei gleichen Qualifikationen in den Bundesländern
Aufschlüsselung dieser Gruppe ergibt, dass es sich zum
zu vermeiden.
größten Teil – bei rund 250 000 – um Personen handelt,
die über eine Lehre oder einen sonstigen berufsqualifi- In diesem Zusammenhang ist es mir auch wichtig, zu
zierenden Abschluss verfügen. Ungefähr 23 000 Perso- fragen, ob man mehr Transparenz und Vereinfachung da-
nen verfügen über einen Meister-, Techniker- oder Fach- durch erreichen kann, dass man es den Kammern über-
schulabschluss und rund 16 000 Personen über einen lässt, die Anerkennungsverfahren durchzuführen, da es
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11189
Sevim Dağdelen
Daðdelen
(A) dann 16 unterschiedliche Anlaufstellen in 16 unterschied- im Vordergrund. Deshalb würde ich nach heutigem (C)
lichen Bundesländern gibt. Stand sagen: Das, was im Gesetzentwurf vorgesehen ist,
ist ein guter erster Schritt, aber es ist durchaus eine Wei-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: terentwicklung denkbar.
Frau Ministerin. Der wichtigste Schritt in dem Bereich ist, dass nicht
mehr die Staatsangehörigkeit darüber entscheidet, ob je-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- mand eine Approbation oder den Berufszugang be-
dung und Forschung: kommt. Bisher ist dafür in vielen Bereichen die deutsche
Es sind diverse Maßnahmen geplant, um Daten und Staatsangehörigkeit die Voraussetzung. Das gilt selbst
Informationen speziell zu Drittstaaten, deren Abschlüsse für den türkischen Arzt oder die Ärztin, die in Deutsch-
bei uns bislang noch nicht so bekannt sind, zu sammeln. land geboren und ausgebildet sind, aber ihre türkische
Ich nenne zum Beispiel die zentrale Plattform beim Bun- Staatsangehörigkeit behalten. Hier ist eine entscheidende
deswirtschaftsministerium, die zurzeit aufgebaut wird. Änderung erfolgt. Jetzt ist nur noch die Qualifikation
Damit wird es eine gemeinsame Daten- und Informa- Voraussetzung für die Anerkennung. Ich glaube, dass
tionsbasis geben. Damit wir sichergestellt, dass die im das ein erster wichtiger Schritt ist. Eine Weiterentwick-
Gesetz festgelegten Kriterien nicht unterschiedlich ange- lung ist denkbar und vermutlich auch notwendig, wenn
wandt werden. Deshalb sagen uns sowohl die Hand- wir uns gezielt – Kollege Rösler hat in dieser Woche da-
werks- als auch die Industrie- und Handelskammern: Es von gesprochen – außerhalb der EU um Mediziner be-
wird nicht, wie bislang, jede Kammer für sich entschei- mühen wollen.
den, sondern wir wollen Kompetenzzentren einrichten. –
Beim Industrie- und Handelskammertag wird überlegt, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
eine große Stelle in einer Stadt in Deutschland einzurich-
Frau Sager.
ten, sodass nicht unterschiedliche Stellen die gleichen
Kriterien anwenden, sondern das nur an einer Stelle er-
folgen muss. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Ministerin, das Eckpunktepapier der Bundesre-
Das Einzige, was wir nicht wollen, ist, eine neue zen-
gierung hat noch die Einrichtung dezentraler Erstanlauf-
trale Stelle jenseits der Kammern und der bisherigen Be-
stellen in Aussicht gestellt. Eine Internetplattform ist
hörden aufzubauen. Das heißt aber nicht, dass die Kräfte
kein Ersatz für Beratung und Begleitung. Warum regelt
nicht gebündelt werden. Es werden nicht mehr
der Gesetzentwurf nicht den Anspruch auf Beratung und
400 Stellen in Deutschland sein, die die Anerkennungs-
Begleitung durch dezentrale Stellen vor Ort?
verfahren durchführen.
(B) (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die nächste Frage stellt Kollege Kamp. Frau Ministerin.

Heiner Kamp (FDP): Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-


Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, an- dung und Forschung:
gesichts des Mangels an qualifiziertem Personal im Ge- Das, was mit der Erstanlaufstelle beabsichtigt ist,
sundheitsbereich frage ich Sie, welche Auswirkungen wird in unter anderem durch die zentrale Hotline ge-
das Gesetz auf die Anerkennung von Abschlüssen aus- währleistet. Der entscheidende Punkt ist: Jemand, der
ländischer Ärzte, Krankenpfleger, Physiotherapeuten, seine Qualifikation prüfen lassen will, muss sich nicht an
Ergotherapeuten, Hebammen, MTAs und PTAs haben zehn Adressen wenden, sondern an eine zentrale Num-
wird und ob Sie eine Gefahr sehen, dass der Standard der mer. Da nennt man ihm nicht einfach eine weitere Tele-
anerkannten Abschlüsse, ob Hochschulabschlüsse oder fonnummer, sondern er erhält eine gezielte Beratung, an
Berufsausbildung, eventuell gefährdet sein könnte. An- wen er sich mit seinem Antrag wenden kann.
ders gefragt: Könnten diese Abschlüsse dadurch entwer-
Beratung bzw. Begleitung ist uns sehr wichtig. Das
tet werden?
gilt vor allem in den Fällen, in denen eine Anerkennung
nicht ausgesprochen werden kann, und sich die Frage
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: stellt, welche zusätzliche Qualifikation notwendig ist,
Frau Ministerin, bitte. um eine Anerkennung zu erreichen.

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Hierfür sind regionale Stellen vorgesehen. Eine unter-
dung und Forschung: gesetzliche Regelung ist in Arbeit.
Die Gefahr der Entwertung sehe ich nicht. Ich bin da-
von überzeugt, dass die Stellen, die für die Anerkennung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
zuständig sind, die deutschen Referenzqualifikationen Herr Rupprecht.
sehr genau kennen und bei der Qualität unserer Ausbil-
dungen ansetzen werden. Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Was die Mediziner und die sonstigen Heilberufe an- Frau Ministerin, der Entwurf des Anerkennungsgeset-
geht, steht in dem Bereich der Patientenschutz besonders zes ist aus unserer Sicht ein Meilenstein auf dem Weg zu
11190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Albert Rupprecht (Weiden)


(A) mehr Integration. Respekt hierfür! Viele haben lange da- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- (C)
rüber geredet; diese Regierung bringt es auf den Weg. dung und Forschung:
Selbstverständlich. Ich will kurz die Zahlen, die ich
Nichtsdestotrotz geht es um die Qualität, die wir ge- vorhin genannt habe, wiederholen, weil man sich dann
währleistet haben wollen. Ich frage Sie meinerseits zum ein Bild davon machen kann, wer wie stark betroffen
einen: Wie schaffen wir es, dass die dezentral getroffe- sein wird. Wir gehen von etwa 285 000 interessierten
nen Entscheidungen auf vergleichbare Weise zustande Personen in Deutschland aus. Davon haben rund
kommen? Zum anderen frage ich Sie, die Frage des Kol- 250 000 eine Lehre oder eine Art berufsqualifizierende
legen von der FDP vertiefend: Wie gewährleisten wir Ausbildung abgeschlossen. Die große Gruppe der
über den medizinischen Bereich hinaus, dass die hohe 350 Ausbildungsberufe ist also sozusagen das Herzstück
Qualität des deutschen Ausbildungssystems aufrechter- der neuen Regelungen. Der Anteil derer, die einen Hoch-
halten wird? schul- oder Fachhochschulabschluss mitbringen und die
zum Teil – wie beispielsweise Lehrer – in die Rege-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- lungszuständigkeit der Länder fallen, ist vergleichsweise
dung und Forschung: gering. Wir haben in den letzten Monaten konstruktive
Wir gewährleisten das auf zweifache Weise: erstens Gespräche mit den Ländern geführt, damit entspre-
indem die Prüfungen durch die Industrie- und Handels- chende Veränderungen auch in den Ländern vorgenom-
kammern oder Handwerkskammern oder sonstige be- men werden. Mit keinem der 16 Länder gibt es Dissens
rufsnahe Stellen erfolgen – sie erfolgen nicht bei einer darüber, dass nicht nur gesetzliche Änderungen vorzu-
neuen staatlichen Behörde, sondern da, wo Ausbildungs- nehmen sind, sondern dass auch die Praxis der Anerken-
verordnungen mit uns entwickelt werden, da, wo Kom- nung zu verbessern ist; denn so wichtig das Gesetz ist, so
petenz hinsichtlich der Erstausbildung und der Weiter- wichtig ist auch die Praxis, bis hin zu dem Punkt, den ich
bildung sitzt. Und zweitens macht das Gesetz sehr eingangs genannt hatte, nämlich dass mit der Anerken-
deutlich, dass deutsche Qualitätsstandards der Referenz- nung in einem Land zugleich die Anerkennung in
punkt und Maßstab sind, mit dem die ausländischen Deutschland insgesamt gewährleistet sein muss.
Qualifikationen und Zertifikate geprüft werden. Es geht
immer um Gleichwertigkeit und Vergleichbarkeit: Ist Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
das, was vorgelegt wird, vergleichbar mit dem Berufs- Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass wir aus-
bild, um das es geht? drücklich die Nachricht aus der Geschäftsführung der
Ich bin fest davon überzeugt: Es liegt im Interesse SPD-Fraktion hatten, dass wir mit der Regierungsbefra-
von allen Berufsbranchen, ihren Qualitätslevel zu halten. gung beginnen sollen.
(B) Ich füge allerdings hinzu: Ich glaube nicht, dass es in der (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist (D)
Welt nicht auch andere Orte gibt, an denen eine quali- nicht der Fall! Dies bestreite ich hiermit!)
tätsbewusste Ausbildung erfolgt und Berufserfahrung
gewonnen wird. Indem wir keine neue Behörde schaf- – Ich kann das nur so sagen.
fen, sondern die Kompetenzen, die da sind, nutzen, wird (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Hier sitzt
das Ganze – davon bin ich überzeugt – nicht zu einem die Geschäftsführung!)
Absinken der Qualität führen.
Jetzt gebe ich das Wort zu einer Frage dem Kollegen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Feist.
Der Kollege Schulz.
Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich
Swen Schulz (Spandau) (SPD):
bin mir sicher, dass die Menschen, über die Sie vorhin
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Frau gesprochen haben – 285 000 waren das –, dieses Gesetz
Bundesministerin, ich habe leider den Beginn Ihrer Aus- mit großer Spannung erwartet haben. Ich weiß das auch
führungen nicht verfolgen können, weil die SPD-Frak- von Organisationen aus meiner Heimatstadt Leipzig. Für
tion noch getagt hat. Deswegen verzeihen Sie, wenn ich mich wäre interessant, zu erfahren, wie es gewährleistet
jetzt möglicherweise nach etwas frage, das Sie schon worden ist, dass die Verbände der Betroffenen in das Er-
ausgeführt haben. stellen des Gesetzes eingebunden worden sind. Gibt es
Der Gesetzentwurf beinhaltet Regelungen für nur ei- schon erste Reaktionen von diesen darauf?
nen Teil der Ausbildungen, nämlich diejenigen, die so-
zusagen durch Bundesrecht zu regeln sind. Aber es gibt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
noch eine ganze Menge mehr. Deswegen die Frage: Wie Frau Ministerin.
gestaltet sich der Prozess? Engagiert sich die Bundesre-
gierung gemeinsam mit den Bundesländern, eine Rege- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
lung hinzubekommen, die tatsächlich eine Verbesserung dung und Forschung:
für alle Ausbildungen, alle Berufe darstellt?
Es hat in den vergangenen Monaten enorm viele Re-
aktionen der Gruppen, der Verbände – aus unterschied-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lichsten Branchen –, der Kammern und der Länder gege-
Frau Ministerin, bitte. ben. Mein Eindruck ist: Es gibt einen überwältigenden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11191
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) Konsens, dass dieses Vorhaben wichtig und ist und dass Ausland in Deutschland Lehrer werden darf; vielmehr (C)
die Staatsangehörigkeit kein Kriterium für die Zulassung wird die Debatte zwischen den Ländern sein: Was sind
zu bestimmten Berufen sein kann. Der Teufel steckt im die Kriterien für die wechselseitige Anerkennung von
Detail. Natürlich hat jeder Berufsverband deutlich ge- Abschlüssen? Das Bundesgesetz deckt die allermeisten
macht, dass ihm Qualität wichtig ist. Das ist aber auch Anerkennungsfälle ab, zumal das Gros der hier lebenden
unbestritten. Deshalb sagen wir: Wenn die Anerkennung Menschen mit Auslandsqualifikation – 250 000 von den
nicht gleich möglich ist, dann muss die Stelle, die ge- von mir genannten 285 000 Personen – eine Art Lehre
prüft hat, deutlich sagen – das ist eine Frage der Transpa- und sonstigen berufsqualifizierenden Abschluss hat, und
renz –, warum die Anerkennung nicht möglich ist. Sie damit in jedem Fall unter das Gesetz fällt. Das Aller-
darf nicht rein gefühlsmäßig entscheiden, dass eine Qua- meiste ist also geregelt. Dort, wo die Länder zuständig
lifikation nicht reicht. Neu ist also, dass es eine transpa- sind, sind Gesetze angekündigt.
rente Information darüber geben muss, welche Qualifi-
kationsbestandteile noch erbracht werden müssen. Ich Ich bin davon überzeugt, dass das Gesetz ein gutes In-
glaube, dass eines der wichtigsten Signale an die betrof- strument ist, um bundesweite Vergleichbarkeit herzustel-
fenen Gruppen ist, dass es um faire Kriterien und Trans- len. Wenn die Anerkennung ausgesprochen ist, kann
parenz geht und nicht um eine gefühlte Akzeptanz oder nicht an anderer Stelle gesagt werden: Bei uns gilt das
Nichtakzeptanz. nicht.

Mit Blick auf den Aufbau der Strukturen, die erfor- Auch der Umgang mit vorgelegten Zertifikaten wird
derlich sind, um die Anerkennungsverfahren zügig eingeübt werden müssen; das ist gar keine Frage. Da
durchzuführen – drei Monate ist ein anspruchsvolles wird es manche interne Diskussion geben. Der Rechts-
Ziel –, gab es eine sehr gute Zusammenarbeit mit diesen anspruch bedeutet aber, dass es einen Anspruch darauf
vielen Partnern, die im Zusammenhang mit der Ände- gibt, dass geprüft wird und dass am Ende transparent er-
rung von 60 Berufsgesetzen gefordert waren. klärt wird, wie die Anerkennung oder die Nichtanerken-
nung zustande kommt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin Hein, bitte.
Herr Kollege Weinberg.

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):


Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):
Frau Ministerin, ich bin, ehrlich gesagt, aus dem, was
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin,
Sie vorhin gesagt haben, und der Antwort, die Sie eben
(B) Herrn Schulz gegeben haben, nicht so richtig schlau ge- Kollege Rupprecht hat schon gesagt, dass dies für die (D)
Zielgruppe des Gesetzentwurfs, für die hier lebenden
worden. Ich möchte deshalb gerne nachfragen. Sind nun
rund 300 000 Migranten, unter arbeitsmarkt- und inte-
mit diesem Gesetz auch Berufe erfasst, für die die Aus-
grationspolitischen Gesichtspunkten ein Meilenstein ist.
bildungszuständigkeit bei den Ländern liegt, oder nicht?
In zwei Nebensätzen haben Sie schon angesprochen,
Zum Zweiten: Sie haben gesagt, es gebe einheitliche
dass damit natürlich die Frage einhergeht, was in Zu-
Verfahrensregeln. Nun werden Sie sicherlich zugeben,
kunft mit den Menschen passiert, die nach Deutschland
dass man einheitliche Verfahrensregeln unterschiedlich
kommen.
auslegen kann. Können Sie ausschließen, dass die Kam-
mern eine unterschiedliche Bewertung von vorgelegten Meine Frage ist, inwieweit man überlegt hat, ob es in
Nachweisen vornehmen und eine Anerkennung viel- Zukunft eine Beratungsmöglichkeit bereits im Ur-
leicht davon abhängig machen, ob es in dem betreffen- sprungsland geben soll, und inwieweit man mit den Au-
den Beruf gerade einen Bedarf gibt oder nicht? Können ßenhandelskammern, mit den Botschaften und mit den
Sie eine solche Einheitlichkeit im Verfahren mit diesem Konsulaten im Gespräch ist, damit diese Beratungsfunk-
Gesetz tatsächlich garantieren? tion für die Menschen, die nach Deutschland kommen
und das Anerkennungsverfahren bereits frühzeitig
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: durchführen wollen, auch in Zukunft gewährleistet ist.
Frau Ministerin, bitte.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- Frau Ministerin.
dung und Forschung:
Zu Ihrer ersten Frage möchte ich klarmachen, was Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
vom Gesetz erfasst ist. Erfasst sind sämtliche 350 Aus- dung und Forschung:
bildungsberufe, alle Heilberufe, Juristen, Fahrlehrer und Ein Antrag auf Prüfung der Anerkennung kann in der
weitere bundesrechtlich geregelte Berufe. Auf der Ebene Tat auch vom Ausland aus gestellt werden. Man muss
der Länder zu regeln ist zum Beispiel die Anerkennung also nicht schon in Deutschland sein. Das wird in den
der Ausbildungsnachweise von Lehrern, Ingenieuren weiteren Debatten über Fachkräfte ein interessanter
und Erziehern. Die Länder haben zugesagt, die entspre- Punkt werden: Welche Rolle spielt, dass jemand bereits
chenden Gesetze zu liefern. Deshalb habe ich eben ge- im Ausland einen Antrag gestellt hat, dieser bearbeitet
sagt: Das hat den Vorzug, dass es etwa bei den Lehrern wurde und die Anerkennung ausgesprochen wurde? Das
nicht mehr nur um die Frage geht, ob jemand aus dem erleichtert hier natürlich vieles.
11192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) Ich gehe davon aus, dass die Botschaften bzw. Konsu- entscheidender Schritt, gleichsam die rechtliche Voraus- (C)
late eine zentrale Anlaufstelle sein werden und die Ver- setzung, um sich bewerben zu können.
mittlung zur Hotline oder zu den Anerkennungsstellen
organisieren werden. Und auch innerhalb Deutschlands Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wird es regionale Stellen geben, die Beratung anbieten Frau Kollegin Kolbe.
und Verbindungen herstellen werden.
Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Bundesminis-
Kollege Kilic.
terin, Sie haben recht: Es gibt schon seit langem einen
Konsens darüber, dass wir ein Anerkennungsgesetz
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): brauchen. Ich freue mich darüber, dass jetzt ein Entwurf
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr verehrte Bil- dazu vorliegt. Allerdings: Dass es weiterhin ein Wirr-
dungsministerin, Sie haben in der Öffentlichkeit verkün- warr von Anlaufstellen gibt und dass Sie sich nicht Ge-
det, dass Sie nicht wollen, dass Ärzte als Taxifahrer be- danken darüber gemacht haben, wie man den Menschen
schäftigt werden. Diesen Ansatz haben wir begrüßt. Ihr weiterhilft, die keine Anerkennung oder nur eine Teil-
erster Arbeitsentwurf machte auch große Hoffnungen. anerkennung bekommen, denen der große Schritt zu ei-
Darin haben Sie festgelegt, dass Sie den Immigranten zu ner wirklichen Anerkennung also fehlt, betrübt mich
ihren Berufen adäquate Beschäftigungen ermöglichen sehr. Sie als Bildungsministerin wissen ja, dass viele der
wollen. Aus meiner Sicht wird dieses Ziel im Gesetzent- Menschen, die schon jetzt ein Recht auf Feststellung der
wurf allerdings ein bisschen verwässert. Dort ist von be- Anerkennung haben, mit dem, was sie erhalten, zum
rufsnahen Beschäftigungen die Rede. Ist das so zu ver- Beispiel eine Ablehnung, nicht weiterkommen. Ich hätte
stehen, dass man sich damit zufriedengeben wird, wenn mir gewünscht, dass die Bundesregierung für diese Men-
ein Arzt als Krankenpfleger oder eine Krankenschwester schen Wege aufzeigt, sodass ein solches Ergebnis nicht
als Altenpflegerin arbeitet? Das wäre schade. zustande kommt. Das ist nicht geschehen.
Außerdem wäre es besser gewesen, wenn Sie die Re- Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Bundesre-
gelungen, die sich auf Verfahren beziehen, für die Län- gierung versucht hat, hier möglichst unter der Prämisse
der als verbindlich erklärt hätten. Das haben Sie bewusst „Es darf nichts kosten“ zu agieren. Genau dazu die
nicht getan. Die Länder können jetzt eigene Verfahrens- Frage. Sie schreiben in dem Gesetz zum Thema Kosten,
regelungen schaffen. Es wäre aber schade, wenn wir dass Anpassungsmaßnahmen für Menschen, die zum
bundesweit 16 unterschiedliche Regelungen hätten. Beispiel über die Argen, die Jobcenter betreut werden,
(B) aus dem Topf der aktiven Arbeitsmarktförderung finan- (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ziert werden sollen. Diesen Topf hat die Bundesregie-
Frau Ministerin, bitte. rung aber schon massiv gekürzt. Können Sie mir dazu
eine Zahl sagen? Mit welcher Größenordnung rechnen
Sie in diesem Feld? Ich halte diese Maßnahmen für sinn-
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
voll. Allerdings ist die Frage, ob die Größe des Topfes
dung und Forschung:
angemessen ist.
Es liegt nicht in der Kompetenz der Länder, Regelun-
gen zu den Heilberufen zu schaffen. Die Regelungszu- Eine zweite Frage. Vergleichbarkeit setzt Wissen vo-
ständigkeit für sämtliche Heilberufe liegt beim Bund. raus. Man muss wissen, welches Wissen für bestimmte
Berufe in Uganda oder in anderen Staaten notwendig ist.
Neben dem Ingenieurberuf wird vor allem der Arzt- Auch über das Sammeln und Verwalten von Wissen
beruf schon jetzt als Mangelberuf angesehen. Das wird dazu steht in Ihrem Gesetz nichts. Das hat mich sehr ent-
zunehmen. Dann wird es schlicht ein großes Interesse täuscht.
daran geben, dass diejenigen, die Ärzte sind, auch als
Ärzte arbeiten können.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Zweitens machen wir kein Gesetz zur Vermittlung in Frau Ministerin.
berufsadäquate Beschäftigung, sondern ein Gesetz, das
endlich die erforderlichen Voraussetzungen dafür schafft.
Bezogen auf den Arztberuf heißt das, dass nicht mehr die Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
Staatsangehörigkeit über die Approbation entscheidet, dung und Forschung:
sondern die Qualifikation. Das ist ein ganz wichtiger Wenn ich Sie wäre, dann wäre ich jetzt eher ein biss-
Punkt, wenn man an die Ärzteversorgung in der Fläche chen betrübt darüber, dass niemand in den früheren Bun-
denkt. desregierungen auf die Idee gekommen ist, ein solches
Gesetz vorzulegen.
Ich kann niemandem vorschreiben, Menschen mit an-
erkanntem Abschluss zu beschäftigen. Aber klar ist: (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: So
Wenn die Anerkennung des Abschlusses erfolgt ist, ist es!)
bringt derjenige, der sich um eine adäquate Beschäfti- Es gab 60 Jahre Zeit dafür.
gung bewirbt, die dafür notwendigen Voraussetzungen
mit. Er kann nicht abgewiesen werden mit der Begrün- (Ulrich Kelber [SPD]: Waren Sie nicht schon
dung, die Voraussetzungen lägen nicht vor. Das ist ein vorher Bundesbildungsministerin?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11193
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) Auch wir sind erst jetzt darauf gekommen. Aber ich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
wäre darüber jetzt nicht so betrübt. Man hätte das alles Frau Alpers.
vor 10 Jahren oder vor 20 Jahren machen können. Deut-
lich ist, dass es höchste Zeit für dieses Gesetz ist. Agnes Alpers (DIE LINKE):
Natürlich haben wir uns Gedanken gemacht; mit Ver- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte eine Vor-
laub. Ich habe einige Stichworte genannt. Es geht um die bemerkung machen: Frau Ministerin, wir freuen uns na-
türlich, dass das Gesetz nun endlich auf den Weg ge-
Wege derer, die Anerkennung beantragen. Es geht um
bracht wird. Wir waren ja diejenigen, die 2007 dieses
die Frage: Wie ist es, wenn eine Anerkennung noch nicht
Thema zum ersten Mal in den Bundestag gebracht ha-
ausgesprochen werden kann, weil noch keine ausrei- ben.
chenden Qualifikationen vorliegen? Das wird im Zwei-
felsfall sogar die größte Gruppe von Fällen sein. Es wird (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
vermutlich nicht allzu viele geben, die einfach eine An-
– Es war so.
erkennung erhalten. Man wird feststellen: Diese und
jene Kompetenz ist noch wichtig. Ich möchte noch einmal auf die Entscheidungskom-
petenz zu sprechen kommen. Im Ausschuss und auch bei
In diesem Zusammenhang denke ich auch an den Eu- den Anhörungen war immer wieder das zentrale Thema,
ropäischen Qualifikationsrahmen und die Umsetzung wer letztlich entscheidet. Es war lange in der Diskussion
hier. Wir wissen doch, dass in Zukunft eine solche Fest- – das hatten wir auch mit vorgeschlagen –, dass ein un-
stellung nicht mehr nur auf der Grundlage von Abschlüs- abhängiges Entscheidungsgremium eingerichtet wird.
sen, sondern auch auf der Grundlage von Kompetenzen Nun sagen Sie, dass die Kriterien für die Entscheidun-
getroffen wird. Genau dem tragen wir mit diesem Gesetz gen, die dann für alle gelten, vom Wirtschaftsministe-
im Blick auf im Ausland erworbene Abschlüsse schon rium zusammengetragen werden und die Kammern ent-
einmal Rechnung. scheiden sollen. Wir fragen uns: Warum wurde nicht
eine unabhängige Stelle eingerichtet? Nach welchen Kri-
Das passiert übrigens genau da, wo es auch die Mög- terien entscheiden die Kammern? Ist es tatsächlich so,
lichkeiten gibt, Angebote zu unterbreiten, damit diese dass die Unabhängigkeit gewährleistet ist?
zusätzlichen Qualifikationen erworben werden können:
bei den Kammern, im Zusammenhang mit überbetriebli- In § 1 „Zweck des Gesetzes“ heißt es:
chen Ausbildungsstätten, in den großen beruflichen Dieses Gesetz dient der besseren Nutzung … für
Schulzentren, bei den Trägern der berufsbegleitenden den deutschen Arbeitsmarkt, …
(B) Weiterqualifizierung. Das alles wird selbstverständlich Hierzu möchte ich Ihnen sagen: Ein wichtiger Zweck ist (D)
stattfinden. Das gehört zur Umsetzung des Gesetzes. Das
ist keine Frage der gesetzlichen Regelung, sondern eine auch die Integration von Menschen und die Anerken-
nung ihrer Leistungen. Es kann doch nicht sein, dass
Frage von untergesetzlichen Maßnahmen im Prozess der
Qualifikationen, die aktuell auf dem Arbeitsmarkt nicht
Umsetzung. Sowohl in den Handwerks- als auch in den
gebraucht werden, unter Umständen nicht so schnell an-
Industrie- und Handelskammern wird man sich große
erkannt werden. Auf diese Weise wird es uns nicht gelin-
Mühe geben, eine attraktive Infrastruktur aufzubauen, gen, die Kompetenzen eines jeden Menschen anzuerken-
weil Anerkennung nicht nur für die interessant ist, die nen. Wie wollen Sie den Prozess also so ausgestalten,
sie beantragen, sondern – weil es einen Fachkräftebedarf dass die Anerkennung nicht von wirtschaftlichen Anfor-
gibt – auch für die, die die Anerkennungsverfahren derungen in einzelnen Berufen und Branchen abhängig
durchführen. gemacht wird?
Ich kann Ihnen keine Zahlen nennen; aber es ist völlig
klar, dass für alle Beteiligten Möglichkeiten zur Weiter- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
qualifizierung gegeben sein müssen. Die hierbei entste- Frau Ministerin.
henden Kosten – das wurde von Ihnen angesprochen –
werden denjenigen, für die diese Maßnahmen wichtig Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
sind, um überhaupt wieder in den Arbeitsmarkt zu kom- dung und Forschung:
men, und die auf Unterstützung angewiesen sind, erstat- Das Gesetz ist doch gerade das Instrument, das deut-
tet. lich macht, dass Bedarf, Staatsangehörigkeit oder Ähnli-
ches keine Kriterien sind, die bei der Prüfung eines ent-
Also: Der Gesetzestext liegt vor. Viele Vorbereitun- sprechenden Antrags eine Rolle spielen. Es geht nicht
gen sind längst im Gange. Das Wissen über Abschlüsse um die Frage, ob in einer Branche jemand gebraucht
zum Beispiel in Uganda – das habe ich eben angespro- wird. Es geht nicht um die Frage, ob jemand diese oder
chen – wird in einer Wissens- bzw. Datenbank zusam- jene Staatsangehörigkeit hat. Es geht vielmehr um eine
mengetragen, die das Wirtschaftsministerium derzeit systemimmanente Geschichte: Jemand bringt Qualifika-
aufbaut und die immer weiterentwickelt wird. Dieses tionen mit, die bei uns zu einem bestimmten Berufsbild
Wissen wird dann auch den Kammern zur Verfügung ge- passen. Referenz sind damit dieses Berufsbild und die
stellt werden. Es wird also einen zentralen Datenpool Qualifikationen, die damit verbunden sind. Diese muss
auch über jene Länder geben, über die wir derzeit viel- man nicht neu erfinden; sie lassen sich aus Ausbildungs-
leicht noch nicht so viel Wissen in Deutschland haben. ordnungen und den darin enthaltenen Zielsetzungen und
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Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) damit verbundenen Kompetenzfeldern erschließen. Nun Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- (C)
ist die Aufgabe – wie übrigens immer schon, wenn aus- dung und Forschung:
ländische akademische Abschlüsse bei der entsprechen- Es gibt einen Rechtsanspruch auf Prüfung der An-
den Prüfstelle der KMK geprüft wurden –, festzustellen, erkennung, keinen Rechtsanspruch auf Anpassungswei-
ob es, wenn schon nicht Gleiches, so doch wenigstens terbildung. Es ist im Interesse derer, die einen Antrag
Gleichwertiges gibt. stellen, dass, wenn es um den Erwerb zusätzlicher Quali-
fikationen geht, diese zusätzlichen Qualifikationen auch
Das, was Sie schildern, ist eine Problematik von frü- erworben werden können. Dafür wird es – davon bin ich
her. Damals hat man gesagt: Wir brauchen das nicht. Da- überzeugt – nicht nur bei den Kammern gute Angebote
her müssen wir es auch nicht prüfen. Niemand hat einen geben. Ich habe bereits einige Institutionen genannt, die
Anspruch darauf, dass geprüft wird. – Jetzt besteht ein in dem Bereich von Weiterbildung bzw. Weiterqualifi-
Anspruch auf Prüfung. zierung tätig sind. In diesem Zusammenhang gibt es die
zwei Wege, die schon genannt wurden. Wenn Ansprüche
Außerdem stellt sich die Frage, welche Stelle unab-
auf Leistungen bestehen, werden die Kosten von der BA
hängig ist. Es kann nur ein Netzwerk unterschiedlichster
erstattet. Ansonsten werden die Kosten von den Bewer-
Stellen sein, das über alle Informationen und Daten ver-
bern getragen.
fügt, die für eine Bewertung notwendig sind. Eine vom
Staat unabhängige Instanz sind die Kammern. Sie sind
zugleich diejenigen, die im Bereich der Ausbildungsbe- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
rufe das meiste Wissen haben. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Um für die Kammern die erforderliche Dienstleistung Fragestunde


zu erbringen, habe ich mit dem Wirtschaftsminister – Drucksachen 17/5120, 17/5171 (neu) –
schon vor einigen Monaten besprochen, dass jetzt eine
solche zentrale Datenbank aufgebaut und immer wieder Wir verkürzen die Fragestunde um die überzogenen
aktualisiert wird. Sie steht übrigens nicht nur den Aner- Minuten, wie es üblich ist.
kennungsstellen zur Verfügung, sondern ist auch für alle Zu Beginn der Fragestunde rufe ich nach Nr. 10
Bewerber von Interesse. Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringli-
Ich halte die Entwicklung eines Netzwerks aus vielen chen Fragen auf Drucksache 17/5171 (neu) auf.
unterschiedlichen Stellen, die Verantwortung tragen, für Wir kommen zunächst zu den dringlichen Fragen im
sehr praktikabel. Auch das Bundesamt für Migration und Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beant-
(B) Flüchtlinge gehört dazu. Da hier ganz unterschiedliche wortung steht Staatsminister Dr. Werner Hoyer zur Ver- (D)
Ressorts beteiligt sind, gibt es viel mehr Dynamik und fügung.
viel mehr Spielraum als bei einer zentralen Stelle, die
neu aufgebaut würde. Dort müsste man auch neue Kom- Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Enkelmann auf:
petenz schaffen. In diesem Fall müssten Sie ab Verkün- Welche Garantien und Zusagen machte der Bundesaußen-
dung des Gesetzes erst einmal zwei, drei Jahre ins Land minister Dr. Guido Westerwelle bei seinem jetzt bekannt ge-
wordenen Telefonat mit der Außenministerin der USA, ver-
gehen lassen, bis Sie eine Behörde aufgebaut haben, die gleiche Süddeutsche Zeitung vom 21. März 2011, bezüglich
über die notwendigen Kompetenzen verfügt. der Nutzung der Stützpunkte der USA in Deutschland zum
Einsatz gegen Libyen?

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Minister.


Nachdem wir die für diesen Tagesordnungspunkt vor-
gesehene Zeit von einer halben Stunde deutlich über- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
schritten haben, rufe ich jetzt als letzten Fragesteller den Amt:
Kollegen Röspel auf. Alle anderen Kolleginnen und Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr verehrte Frau
Kollegen haben im Übrigen schon die Gelegenheit ge- Kollegin Enkelmann, am 18. März 2011 informierte die
habt. – Bitte schön. amerikanische Außenministerin, Hillary Clinton, den
Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
René Röspel (SPD): telefonisch über die vorgesehene Nutzung von US-Mili-
tärstützpunkten in Deutschland im Rahmen des interna-
Vielen Dank für die Großzügigkeit. – Frau Ministerin, tionalen Militäreinsatzes in Libyen. Eine solche Nutzung
meine Frage lautet: Wie wird denn gewährleistet, dass richtet sich nach dem Vertrag über den Aufenthalt aus-
Antragsteller tatsächlich Anpassungs- und Qualifizie- ländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutsch-
rungsmaßnahmen absolvieren können? Werden sie einen land vom 23. Oktober 1954, dem NATO-Truppenstatut
Anspruch auf solche Maßnahmen – möglicherweise im vom 19. Juni 1951 und dem Zusatzabkommen zum
Sinne eines Rechtsanspruchs – bekommen, und wie wird NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 in der Fas-
sichergestellt, dass sie finanziell auch in der Lage sind, sung vom 18. März 1993.
solche Maßnahmen durchzuführen?
Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte da-
für vor, dass die gegenwärtige Nutzung der amerikani-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schen Militärstützpunkte in Deutschland nicht in diesem
Frau Ministerin, bitte. rechtlichen Rahmen erfolgt. Zusagen, die darüber hi-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11195
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
(A) nausgehen würden, hat der Bundesminister nicht gege- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen (C)
ben, geschweige denn irgendwelche geheimen Nebenab- Amt:
reden getroffen. Die Frage kann ich Ihnen hier nicht beantworten;
denn darauf habe ich mich nicht vorbereitet. Ich gehe da-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: von aus, dass solche Genehmigungen in einer pauscha-
len Vereinbarung enthalten sind. Aber ich glaube, dass
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Enkelmann? – Bitte
jeder einzelne Flug, im zivilen wie im militärischen Be-
schön.
reich, angemeldet werden muss und entsprechend einem
Genehmigungsvorbehalt unterliegt. Deshalb kann ich
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): mir vorstellen, dass die Genehmigung im Einzelfall er-
Herzlichen Dank. – Die erste Nachfrage. Es geht hier teilt wird. Es wäre aber unseriös, wenn ich die Frage
um die indirekte oder mittelbare Beteiligung Deutsch- jetzt abschließend beantworten würde. Sie bekommen
lands am Kriegseinsatz in Libyen. Die Koordinierung die präzise Antwort sofort im Anschluss schriftlich.
dieses Einsatzes erfolgt ja unter anderem über das
Afrika-Kommando der USA, dessen Stützpunkt in Stutt- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gart-Möhringen liegt. Inwieweit sind deutsche Behörden
Ich weise darauf hin, dass natürlich nichts so sicher ist
bzw. Vertreter deutscher Behörden an der Planung des
wie das Protokoll der Protokollantinnen und Protokol-
Einsatzes im Afrika-Kommando oder anderweitig betei-
lanten des Deutschen Bundestages.
ligt?
Frau Dağdelen, Sie haben eine Nachfrage.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Staatsminister. Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Hoyer,
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen ich würde gerne wissen, wann und in welchem Umfang
Amt: die Strukturen der NATO in Deutschland für die Vorbe-
reitung und Durchführung des Krieges in Libyen genutzt
Gar nicht.
wurden oder werden, zum Beispiel die NATO-Airbase in
Geilenkirchen in meinem Bundesland Nordrhein-West-
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): falen oder andere Einrichtungen und Kommandostruktu-
Deutsche Behörden oder Vertreter von deutschen Be- ren.
hörden sind also nicht beteiligt?
(B) (D)
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Amt: Die Einrichtungen der Verbündeten einschließlich des
Nein. Nordatlantischen Bündnisses in Deutschland können
selbstverständlich genutzt werden; das ist so vereinbart.
Eine Beteiligung deutscher Staatsbürger daran gibt es
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht. Deswegen sieht die Bundesregierung hier kein
Das war noch nicht die zweite Frage? Problem.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Nein,
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Moment mal!)
Das war nur eine Nachfrage.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Dağdelen, Sie haben nicht die Möglichkeit, zwei
Das war ein Zwiegespräch, das hier nicht gestattet ist, Nachfragen zu stellen; das darf nur die ursprüngliche
Frau Enkelmann. Die zweite Frage können Sie jetzt stel- Fragestellerin.
len.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das habe ich
nicht gefragt!)
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Das war nur eine Nachfrage, um das sicher verstan- Die dringliche Frage 2 des Kollegen Omid Nouripour
den zu haben, vor allen Dingen, damit es sicher im Pro- wird schriftlich beantwortet.
tokoll steht.
Wir kommen zur dringlichen Frage 3 der Kollegin
Die zweite Frage betrifft den deutschen Luftraum. Keul:
Dort gibt es Überflugrechte nicht nur für amerikanische, Treffen die Berichte – vergleiche „Wir wünschen viel Er-
sondern zum Beispiel auch für dänische Militärmaschi- folg“, Süddeutsche Zeitung vom 19. März 2011 – zu, dass die
nen. Wie werden die erforderlichen Genehmigungen er- derzeit im Mittelmeerraum stattfindenden AWACS-Aufklä-
rungsflüge, die auch den libyschen Luftraum erfassen, unter
teilt? Gibt es pauschale Genehmigungen für Überflüge, dem Mandat der Operation Active Endeavour laufen, und,
oder werden die Genehmigungen im Einzelfall, für jeden falls nein, auf welcher rechtlichen Grundlage findet ihr Ein-
einzelnen Flug, erteilt? satz statt?
11196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Amt: Vielen Dank. – Herr Staatsminister, das war eine wei-
Wenn ich darf, Frau Präsidentin, möchte ich die Ant- tere widersprüchliche Aussage. Wir haben einmal gehört,
worten auf die beiden dringlichen Fragen von Frau Keul dass die AWACS-Maschinen im Rahmen der Operation
zusammenfassen. Active Endeavour unterwegs sind. Der Staatssekretär im
Verteidigungsministerium Wolf hat uns das Gegenteil ge-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sagt. Er hat gesagt, dass sie keinesfalls im Rahmen der
Operation Active Endeavour unterwegs gewesen sind.
Dann rufe ich auch die dringliche Frage 4 auf:
Deswegen ist an dieser Stelle meine Frage: Wie kommt es
Wurde im Rahmen der am letzten Wochenende gegen Li- zu diesen Widersprüchen? Ist denn der Bundesregierung
byen durchgeführten Luftschläge auf Informationen von
AWACS-Flugzeugen zurückgegriffen, an deren Flügen auch
nicht eindeutig klar, ob die AWACS-Maschinen nun auf
deutsche Besatzungsmitglieder beteiligt waren, und wie der Rechtsgrundlage der Operation Active Endeavour
schließt die Bundesregierung aus, dass dies vorkommen wird? dort sind? Die Maschinen sind, wenn ich Sie richtig ver-
standen habe, außerhalb der Operation Active Endeavour
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen vom SACEUR dorthin geschickt worden. Wäre das nicht
Amt: im Zusammenhang mit Libyen ein Einsatz, der nachträg-
Vielen Dank. – Auftrag der Operation Active Endea- lich genehmigt werden müsste?
vour ist der Schutz gegen eine mögliche terroristische
Bedrohung im Mittelmeerraum. In diesem Zusammen- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
hang erstellt die Operation Active Endeavour ein Lage- Amt:
bild und gleicht dieses mit denen von Partnern ab. Vor Nein, Frau Kollegin. Ich habe versucht – ich bin der
dem Hintergrund der verstärkten Schiffsbewegungen im Meinung, es ist mir gelungen –, die Sequenz, die Ab-
zentralen Mittelmeer setzte Operationskommandeur folge der Einzelentscheidungen präzise darzustellen. Der
COM JFC Neapel seine Kräfte im Schwerpunkt im mitt- Einsatz vor dem 12. März war eindeutig im Rahmen der
leren Mittelmeer ein. Hierzu gehörten seit Mitte 2010 Operation Active Endeavour. Dann gab es die Anord-
regelmäßig auch NATO-AWACS-Flugzeuge. nung des SACEUR, vom 12. bis zum 19. März die Ver-
antwortung des SACEUR für die Krisenfrüherkennung
Zwischen dem 12. und dem 19. März 2011 hat und den Schutz des Bündnisgebietes außerhalb der Ope-
SACEUR den im Rahmen von OAE eingesetzten ration Active Endeavour wahrzunehmen. Es ist die legi-
NATO-AWACS-Flugzeugen den Auftrag erteilt, auch time Aufgabe des SACEUR, die entsprechenden Mittel
ein Luftlagebild zu Libyen zu erstellen. Dieser Auftrag des Bündnisses für diese seine Aufgabe einzusetzen.
wurde ergänzend und außerhalb von OAE erteilt und
(B)
diente der Wahrnehmung der Verantwortung des Seit wenigen Tagen haben wir eine neue Rechts- (D)
SACEUR für die Krisenfrüherkennung und den Schutz grundlage. Daraufhin wurde sofort entschieden, ab dem
des Bündnisgebietes. Das ist die Rechtsgrundlage für 19. März mithilfe nationaler AWACS-Maschinen einzel-
das, was SACEUR hier angeordnet hatte. ner Partner ein Luftlagebild zu Libyen aufzubauen. Der
verbliebene Teil des NATO-AWACS-Einsatzes im Rah-
Seit dem 19. März 2011 wird das Luftlagebild zu men der Operation Active Endeavour erfolgt im mitt-
Libyen durch nationale AWACS-Maschinen einzelner leren Mittelmeer und hat keinen direkten Bezug zu
Partner aufgebaut. Der NATO-AWACS-Einsatz unter Libyen.
OAE erfolgt seitdem mit Aufklärungsschwerpunkt im
zentralen Mittelmeer ohne räumlichen oder inhaltlichen Das ist eine klare Abfolge. Damit ist sichergestellt,
Bezug zu Libyen. Durch die zeitgerechte Verlegung des dass die Rechtsgrundlagen für das Tätigwerden deut-
Aufklärungsschwerpunktes seit dem 19. März wurde ein schen Personals in NATO-AWACS-Flugzeugen glasklar
Beitrag der NATO-AWACS-Maschinen zu exekutiven sind.
Handlungen der Koalition im Zusammenhang mit
Libyen ausgeschlossen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie haben eine zweite Nachfrage? – Bitte schön.
Zur zweiten Frage. Bei der Vorbereitung der Luft-
schläge der Koalition der Willigen auf Ziele in Libyen
wurden weder NATO-Kräfte noch NATO-Informations- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
stränge genutzt. Die unter deutscher Beteiligung im Mit- Oder habe ich jetzt vier Nachfragen?
telmeerraum bis zum 22. März 2011 operierenden
AWACS-Flugzeuge lieferten mithin keinen Beitrag zur Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
militärischen Durchsetzung der UN-Sicherheitsrats- Natürlich. Es waren zwei Fragen; es gibt insgesamt
resolution 1973 aus 2011. Durch die bereits erwähnte vier Nachfragen.
zeitgerechte Verlegung des Aufklärungsschwerpunktes
seit dem 19. März wird ein Beitrag der NATO-AWACS- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Maschinen zu exekutiven Handlungen der Koalition aus-
Vielen Dank. – Ich möchte an der Stelle nachhaken.
geschlossen.
Wie konnte denn die Bundesregierung zwischen dem
19. und dem 22. März, also gestern, sichergehen, dass
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: diese Informationen nicht bei dem Lufteinsatz in Libyen
Frau Keul, Ihre erste Nachfrage. zum Einsatz gekommen sind, also weitergeleitet wur-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11197
Katja Keul
(A) den? Der Verteidigungsminister hat uns heute hier im Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
Plenum deutlich erklärt, wie wichtig es aus verfassungs- Frau Dağdelen.
rechtlicher Sicht war, gleich gestern, am 22. März, die
Besatzungen der dortigen AWACS-Maschinen abzuzie- Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
hen bzw. die Schiffe unter nationales Kommando zu stel- Vielen Dank. – Meine Nachfrage zur dringlichen
len. Wenn das am 22. März verfassungsrechtlich not- Frage 4 meiner Kollegin Keul richtet sich an Herrn
wendig war, warum dann nicht auch vom 19. bis zum Hoyer. Die AWACS-Überwachung wurde seitens der
22. März? Deutschen aufgrund des Krieges gegen das Gaddafi-Re-
gime eingestellt. Die Bundeswehr hat sich aus den Ein-
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen sätzen des NATO-Verbandes im Mittelmeer ganz zu-
Amt: rückgezogen. Zwei Schiffe und zwei Boote mit mehr als
Weil vom 19. bis zum 22. März die Aufgabe des 500 Soldaten wurden bereits am Dienstag wieder unter
SACEUR, die ich eben beschrieben habe, von nationalen deutsches Kommando gestellt. Der Abzug von 60 bis
AWACS-Flugzeugen wahrgenommen wurde, nicht von 70 deutschen Besatzungsmitgliedern der NATO-
den NATO-AWACS-Flugzeugen aus Geilenkirchen. AWACS-Maschinen im Mittelmeerraum läuft bereits.
Deshalb möchte ich gerne fragen: Kann die Bundesre-
gierung ausschließen, dass darüber hinaus Soldatinnen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
und Soldaten der Bundeswehr in NATO-Stäben mit der
Sie haben eine weitere Nachfrage? – Bitte sehr. Planung und Durchführung von Aktionen im Zusam-
menhang mit dem Krieg gegen Libyen befasst sind?
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mir ist eines nicht ganz klar: Wenn die AWACS-Be- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
satzungen im Mittelmeer jetzt abgezogen werden müs- Amt:
sen, weil Deutschland den Flugeinsatz über Libyen nicht Die Frage der Präsenz in NATO-Stäben ist gesondert
mitträgt, wie können dann die gleichen Besatzungen in geregelt. Sie unterliegt keiner Mandatierung. Von daher
Afghanistan in AWACS-Maschinen eingesetzt werden, war es erforderlich, dass die Bundesregierung zum Bei-
um zum Beispiel verbliebene OEF-Kräfte Großbritan- spiel im Hinblick auf bestimmte schwimmende Einhei-
niens und Amerikas weiter zu unterstützen? So steht es ten, die im Mittelmeer unterwegs waren, durch ihre not-
nämlich in der Begründung des uns heute vorgelegten wendigen Entscheidungen von vornherein klarstellt,
Mandates. Deutschland hat die OEF-Mission im letzten dass eine Involvierung in die Linienaktivitäten nicht
Jahr beendet. Wie kann es also sein, dass das, was in möglich ist. Alles andere, auch nur ein Verbleib dieser
(B) Afghanistan möglich sein soll, in Libyen nicht möglich Schiffe in der Region oder die Beteiligung an entspre- (D)
ist? chenden Operationen, hätte eine unmittelbare Beschluss-
fassung des Deutschen Bundestages erforderlich ge-
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen macht oder, im Falle einer Dringlichkeitsentscheidung
Amt: der Bundesregierung, die nachträgliche Befassung des
Das ist jetzt, glaube ich, eine falsche Interpretation Bundestages. Das ist nicht geschehen und war auch nicht
dessen, was in dem Mandatstext steht. Hier geht es um erforderlich.
die Unterstützung von ISAF und nicht um die von OEF
in Afghanistan. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Höger hat eine Nachfrage. – Bitte schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Keul, Sie haben noch eine Nachfrage. Inge Höger (DIE LINKE):
Vielen Dank. – Seit dem 7. März 2011 waren deut-
sche Soldaten an den AWACS-Überwachungsflügen im
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Luftraum über Libyen beteiligt. Ich möchte nachfragen,
In der Begründung des Antrags steht ausdrücklich unter welchem Mandat das in dem Zeitraum bis zum
– das können Sie gerne nachlesen –: zur Unterstützung 19. oder 23. März 2011 stattgefunden hat. Oder hat es
der Kräfte von OEF am Boden. Wie erklären Sie sich überhaupt kein Mandat gegeben? Oder wissen Sie das
das? selber nicht so genau?

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Amt: Amt:
Der entscheidende Punkt ist, dass aufgrund des Be- Ich habe das eben sehr präzise dargestellt. Ich er-
gründungstextes eine operative Unterstützung von OEF- innere an die Antwort auf die Frage der Kollegin Keul,
Einsätzen nicht möglich ist. Dazu haben die AWACS- in der ich die Sequenz deutlich gemacht habe: vor dem
Flugzeuge, die über Afghanistan fliegen, im Übrigen 12. März, zwischen dem 12. März und dem 19. März,
auch gar nicht die Möglichkeit, weil sie weder im Hin- nach dem 19. März bzw. jetzt im Zusammenhang mit der
blick auf den Bodenkampf eingesetzt werden können Operation, die die Koalition der Willigen in Libyen
noch eine unmittelbare Feuerleitfunktion wahrnehmen durchführt. Dementsprechend wurde der Beitrag deut-
können. scher Soldaten rechtlich abgesichert. Von daher gibt es
11198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Staatsminister Dr. Werner Hoyer


(A) keine neue Lage, die uns zu einer neuen Bewertung der regierung, für diesen Fall eine konkrete Bedrohung in (C)
Aktion vor dem 12. März veranlassen würde. Anspruch genommen.
Gerade weil wir dieses Urteil kennen und, wie der
Vizepräsidentin Petra Pau: Bundesverteidigungsminister heute ausgeführt hat, sehr
Herzlichen Dank. korrekt beachten wollen und werden, hatten wir alle
Dinge ausgeschlossen, die außerhalb einer rein routine-
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes- mäßigen, unser aller Sicherheit dienenden Operation von
ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht AWACS hätten entstanden sein können. Das heißt, we-
der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt der sind Daten an die Coalition of the Willing zu geben
zur Verfügung. gewesen, noch ist – sobald die Gefahr bestanden hätte,
Ich rufe die dringliche Frage 5 der Kollegin Höger dass im Rahmen einer Umsetzung der Sicherheitsrats-
auf: resolution 1973 eine Operation notwendig gewesen
wäre – aus der Sicht einiger dies den Vereinten Nationen
Welche Bedeutung haben Daten, die von den nach Anga- anzeigenden Mitgliedstaaten der NATO, insbesondere
ben der NATO seit dem 7. März 2011 den libyschen Luftraum
auch unter Einsatz deutschen Personals überwachenden
Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Staa-
AWACS-Flugzeugen gesammelt wurden, für die Einsatzpla- ten von Amerika sowie einiger anderer, klargestellt und
nung und Zielfindung bei den Angriffen auf libysche Ziele sichergestellt worden, dass Daten hier nicht ausgetauscht
nach dem Inkrafttreten der UN-Resolution 1973? werden. Dies wurde dann durch andere Aufklärungsmit-
tel der jeweiligen Nationalstaaten sichergestellt.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sie haben, wenn ich das unterstreichen darf, weiterhin
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- die Frage gestellt, wie das Verhältnis zwischen der Ope-
desminister der Verteidigung: ration Active Endeavour und dieser Operation ist. Auch
hier ist es im Rahmen der von uns dem SACEUR, dem
Frau Präsidentin, mit Verlaub, ohne dem Präsidium
Supreme Allied Commander Europe, dem Oberbefehls-
oder sonst jemandem im Hohen Hause zu nahe treten zu
haber der NATO-Streitkräfte in Europa, übertragenen
wollen, möchte ich sagen: Eigentlich sind die dringli-
Routinekompetenz möglich, dass er Flüge anordnet. Er
chen Fragen 5 und 6 gerade schon beantwortet worden.
kann jedoch nicht beispielsweise ein Mandat wie die
Ich habe aber nicht übel Lust, die Antworten von meiner
Operation Active Endeavour ausdehnen; denn dieses
Seite mit einem Hinweis zu ergänzen.
Mandat beruht auf Art. 51 der Charta der Vereinten Na-
Hinsichtlich der Frage, welche Bedeutung die Daten tionen und ist ein Antiterrormandat. Gerade aus diesem
(B) haben, die nach Angaben der NATO seit dem 7. März Grunde hat er zwar für die Ausübung dieses Antiterror- (D)
2011 im libyschen Luftraum gesammelt worden sind, mandats, das vom Deutschen Bundestag mandatiert wor-
möchte ich Bezug nehmen auf die Äußerungen von den ist, die Kompetenz, dass er AWACS-Flugzeuge ein-
Staatsminister Hoyer, denen ich inhaltlich voll zu- setzt. Allerdings dürfen diese dann sozusagen nicht das
stimme. Ich weise darauf hin, dass die unter deutscher Mandat ausweiten. Deswegen ist hier eine strikte Tren-
Beteiligung im Mittelmeerraum bis zum 22. März 2011 nung erfolgt.
operierenden AWACS-Flugzeuge mithin keinen Beitrag Ich darf Ihnen versichern, dass die Bundesregierung
zur militärischen Durchsetzung der Sicherheitsresolution in voller Kenntnis der Rechts- und Sachlage sehr exakt
1973 geliefert haben. und präzise die Regeln beachtet, die wir uns in diesem
Das „übel Lust“ bezieht sich auf Folgendes: Wir hat- Hause auferlegt haben und die uns das Völkerrecht so-
ten in diesem Haus zu Zeiten der rot-grünen Regierung wie das Bundesverfassungsgericht explizit auferlegt ha-
eine intensive Diskussion darüber, ob es für den Einsatz ben.
von AWACS-Flugzeugen eines Mandats bedarf oder
nicht. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei im Vizepräsidentin Petra Pau:
Deutschen Bundestag hat – interessanterweise ohne ein Sie haben das Recht zu einer Nachfrage.
Mandat – in einer Situation geklagt, in der bereits ein
Konflikt, nämlich der Irak-Konflikt, unterwegs war.
Inge Höger (DIE LINKE):
Diese Flugzeuge wurden mit der Begründung geschickt,
sie würden nur Routineaufgaben erfüllen. Daraus schlie- Vielen Dank. – Es ist richtig: Das Mandat Operation
ßen wir: In der Tat gibt es Routineaufgaben. AWACS- Active Endeavour umfasst den Kampf gegen den Terror
Flugzeuge steigen nicht erst dann in die Luft, wenn eine und nicht die Überwachung des Luftraums über Libyen.
Sicherheitsratsresolution vorhanden ist. Sie sollen auch In dem Urteil, das die FDP erstritten hat – das haben Sie
dazu dienen, dass für unser Bündnis, für die NATO Si- nicht zitiert –, ist auch ausgeführt worden: Eine Manda-
cherheit im eigenen Territorium möglich ist. Das ist eine tierung ist nötig, wenn greifbare tatsächliche Anhalts-
rund um die Uhr bestehende Aufgabe. punkte für eine drohende Verstrickung in bewaffneter
Auseinandersetzung vorliegen. Das war auch schon vor
Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil aus dem 19. März gegeben, weil sich die Auseinanderset-
dem Jahre 2008, das Sie sicherlich gelesen haben, ich zungen in Libyen zuspitzten. Wenn im Luftraum von Li-
glaube, in den Ziffern 76 und 78 ausgeführt, dass kon- byen Daten unter Beteiligung deutscher Soldatinnen und
krete Bedrohungslagen vorhanden sind. Es hat dann, im Soldaten gesammelt worden sind, dann sehe ich schon
Gegensatz zur Einschätzung der damaligen Bundes- eine Mandatierungsnotwendigkeit.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11199

(A) Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- lich mit einigen Hinweisen versorgen. Das heißt nicht, (C)
desminister der Verteidigung: dass in diesem Zusammenhang konkret auf ein bestimm-
Frau Kollegin Höger, ich darf Ihnen in aller Freund- tes Land geachtet worden ist; es stand vielmehr die ge-
lichkeit, aber auch mit aller Entschiedenheit widerspre- samte Region einschließlich des Mittelmeerraumes im
chen. Ich bitte Sie, noch einmal den zeitlichen Ablauf zu Fokus.
überdenken und sich die Frage zu stellen: Ist am
19. März bereits ein NATO-Aktivierungsmandat für Wir haben nicht zugestimmt, dass weitere Informatio-
AWACS ergangen? Nein. Wir wissen, dass zu diesem nen zur Durchsetzung der Flugverbotszone – ich muss
Zeitpunkt in Brüssel noch intensiv über diese Frage ge- das von unserer Seite noch einmal unterstreichen – wei-
rungen worden ist und dass das Mandat zwischenzeit- tergegeben werden. Uns liegen auch keinerlei Anhalts-
lich, am 22. März, erteilt worden ist. In dem Augenblick, punkte dafür vor, dass sie etwa weitergegeben worden
in dem ein entsprechendes Mandat – Mandat nicht im wären. Die militärische Notwendigkeit ist – das ist jetzt
Sinne einer Mandatserteilung für Deutschland durch den nur nachrichtlich, Frau Präsidentin – außerhalb des Rah-
Deutschen Bundestag, sondern ein Mandat der NATO – mens der Kenntnisse und der Zuständigkeiten der Bun-
für eine Operation der der NATO unterstellten Kräfte er- desregierung. Es gibt aber für diejenigen, die konkrete
gangen ist, haben wir unsere Kräfte aus diesen mögli- Operationen beabsichtigen, planen und diese auch
cherweise zur Mandatserfüllung benötigten Mitteln und durchgeführt haben, andere Möglichkeiten, sich Infor-
Fähigkeiten zurückgezogen. mationen zu verschaffen.

Das, was Sie für die Zeit zwischen dem 19. und
22. März implizieren, würde erfordern, dass eine aktive Vizepräsidentin Petra Pau:
Informationshandlung an andere Stellen außerhalb der Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Dağdelen
NATO – nationale Stellen sind Stellen außerhalb der das Wort.
NATO – ergangen ist. Wir hatten sehr deutlich gemacht,
dass eine solche Vorgehensweise mit uns nicht durchzu- Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
führen sein wird, auch unter Hinweis auf die Notwendig-
keit eines Mandats. Ich nehme die Möglichkeit wahr Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär
– ohne Ihnen direkt aus den NATO-Treffen zu berich- Schmidt, ich würde gerne wissen, wer auf die Daten, die
ten –, Ihnen die notwendigen Informationen zu liefern man im Rahmen dieses AWACS-Einsatzes ermittelt hat,
und bin derjenige, der die entsprechenden Erklärungen Zugriff hat. Sind darunter auch die NATO-Mitglieder,
im Kopf gehabt und mündlich gegeben hat. Insofern zum Beispiel die USA, Frankreich, Großbritannien, Spa-
können Sie sicher sein, dass die Informationen so präzise nien und Dänemark, die sich an der Bombardierung Li-
(B) gemacht worden sind, wie es notwendig ist. Ich gehe byens beteiligen? (D)
auch davon aus, dass sie ebenso präzise beachtet worden
sind. Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Verteidigung:
Vizepräsidentin Petra Pau: Vielen Dank. – Ich will noch einmal etwas sagen, das
Haben Sie eine zweite Nachfrage zu dieser Antwort? hoffentlich zu mehr Klarheit über die ermittelten Daten
beiträgt. Kollege Hoyer hat bereits darauf hingewiesen,
Inge Höger (DIE LINKE): dass der Aufklärungsschwerpunkt der Operation Active
Endeavour seit dem 19. März 2011 – es gab da noch kein
Ich würde gerne wissen, welche Daten genau aufge-
AWACS-Mandat innerhalb der NATO – im zentralen
klärt worden sind und an welche Stellen diese in der
Mittelmeer gewesen ist. Hierbei – ich hatte das angedeu-
NATO weitergegeben wurden.
tet – spielte der durchaus vorhandene räumliche Bezug
zu Libyen und anderen Ländern eine Rolle. Das heißt, ab
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- diesem Zeitpunkt wurden auch die Schwerpunkte der
desminister der Verteidigung: Aufklärung von OAE ganz bewusst von Libyen wegver-
Zunächst möchte ich noch etwas zu Libyen sagen. legt.
Wir haben ein den Mittelmeerraum betreffendes Mandat
zur Antiterrorbekämpfung im Rahmen von Active Das gilt im Übrigen auch für die im Rahmen von
Endeavour. An diesem Mandat nimmt auch die Bundes- OAE tätigen Schiffe der Marine. Über die Situation seit
republik Deutschland teil. Das ist ein parlamentarisch diesem Zeitpunkt kann ich aber nur Interpretationen an-
akzeptiertes und genehmigtes Mandat. Wir haben auch stellen; ich kann das nicht im Detail sagen. Ich gehe
nicht die Absicht, dieses Mandat nicht weiter fortzufüh- auch nicht davon aus, dass in dieser Zeit Daten angefal-
ren. len sind, die für eine Luftbildaufklärung hinsichtlich Li-
byens verwendbar gewesen wären; Sie gestatten mir die
Bis zu der Situation der Operation, die sich jetzt in Unschärfe des Wortes „verwendbar“. Ich meine, dass
Verfolgung der Resolution 1973 des Sicherheitsrats der solche Daten nicht in Zusammenhang mit einer Opera-
Vereinten Nationen ergeben hat, ist uns auf dem Lage- tion gebracht werden können.
bild, das zu erstellen ist, nicht der Eindruck entstanden,
Libyen sei ein Land, in dem per se der Terrorismus keine
Rolle spielen könnte. Menschen, die Herrn Gaddafi be- Vizepräsidentin Petra Pau:
reits länger kennen, könnten mich diesbezüglich sicher- Der Kollege Ströbele stellt eine weitere Nachfrage.
11200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mando der NATO fliegen, bei dem maritimen Teil über- (C)
NEN): wiegend bzw. fast ausschließlich – mir ist nicht bekannt,
Herr Staatssekretär, ich habe eine ganz präzise Frage: dass die NATO eigene Schiffe hätte – um Schiffe der Mit-
Können Sie ausschließen, dass der Bundesregierung gliedstaaten handelt, so auch um Schiffe der deutschen
oder einer der ihr unterstellten Behörden, insbesondere Marine. Beispielsweise nutzen Fregatten, die im Rahmen
der Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden, aus der Operation Atalanta eingesetzt wurden und vom Horn
der Aufklärung durch AWACS-Flugzeuge seit Beginn von Afrika zurückverlegt werden, diese Zeit, um diese
der Aufstandsbewegung und des Bürgerkrieges Informa- Aufklärungsaufgabe mit zu erfüllen. Wir haben also
tionen bzw. Daten über Flugbewegungen in und über Li- Schiffe, die diese Aufgabe erfüllen, zwar nicht nebenbei,
byen, über Zerstörungen, etwa von Stadtteilen, oder aber auch nicht als Hauptaufgabe. Es gibt aber auch
Ähnliches – ganz egal, in welchem Auftrag diese aufge- Schiffe – wir nennen sie Flottendienstboote –, die ein gro-
nommen worden sind – gegeben worden sind? ßes Spektrum von Fähigkeiten in dieser Richtung haben.
Auch im Rahmen der Operation Active Endeavour war
Vizepräsidentin Petra Pau: im Frühjahr zeitweise ein Flottendienstboot mit einbezo-
Bitte, Herr Staatssekretär. gen.

Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsidentin Petra Pau:


desminister der Verteidigung: Dann kommen wir zur dringlichen Frage 6 der Kolle-
Ich bedanke mich für die Frage. Ich liebe insbeson- gin Höger:
dere die Fragen, die mit „Können Sie ausschließen“ be- In welchem Umfang und zu welcher Zeit ist die Bundes-
ginnen. Diese Zwischenbemerkung gegenüber dem Kol- wehr seit Beginn der Beobachtung des libyschen Luftraums
mit Boden- und Besatzungspersonal in den Einsatz der
legen Ströbele sei mir erlaubt. AWACS-Flugzeuge und damit möglicherweise in die Vorbe-
reitung der Intervention gegen Libyen involviert gewesen?
Ich habe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem so
ist. Ich bitte allerdings darum, dass ich das, soweit sich Bitte, Herr Staatssekretär.
anderes ergibt, schriftlich nachweisen kann, wobei mir
der Zusammenhang zur Ausgangsfrage allerdings nicht Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
ganz klar ist. Sie wollen ja wissen, ob wir etwas erfahren desminister der Verteidigung:
haben. Da stellt sich auch die Frage, durch wen wir et-
Frau Kollegin, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
was hätten erfahren können.
Die im Rahmen der Beteiligung an AWACS im Mittel-
(Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele meerraum eingesetzten deutschen Soldaten haben keinen
(B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Beitrag zur Vorbereitung der Intervention in Libyen ge- (D)
leistet. Das deutsche Kontingent unter dem Mandat der
Frau Präsidentin, soweit der Inhalt von Fragen dem Operation Active Endeavour, nach dessen Stärke Sie fra-
Geheimschutz unterliegt, würde ich das entsprechende gen, umfasste im Zeitraum vom 28. Februar 2011 bis
Verfahren bitte zur Anwendung kommen lassen. zum 22. März 2011 bis zu 75 Soldatinnen und Soldaten.

Vizepräsidentin Petra Pau:


Vizepräsidentin Petra Pau:
Gut, das halten wir fest. – Die letzte Nachfrage zu
Ihre erste Nachfrage.
dieser Frage stellt der Kollege Hunko. Danach fahren
wir mit Frage 6 fort.
Inge Höger (DIE LINKE):
Wie viele dieser 60 bis 70 Soldaten waren an der
Andrej Hunko (DIE LINKE):
Operation Active Endeavour beteiligt, und wie viele wa-
Ich habe eine Nachfrage hinsichtlich der Frage mei-
ren an der Überwachung des Luftraums über Libyen be-
ner Kollegin Dağdelen. Sie hat ja gefragt, wer, zum Bei-
teiligt?
spiel welche NATO-Staaten, auf die Daten Zugriff ha-
ben, und nicht, wofür die Daten verwendbar sind.
Könnten Sie freundlicherweise noch einmal präzisieren, Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
wer auf die Daten zugreifen kann? desminister der Verteidigung:
Hier muss man unterscheiden: Am 22. März 2011, in
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- dem Augenblick, in dem die NATO ihren Operations-
desminister der Verteidigung: plan gebilligt und die Aufgabe übernommen hat, war
niemand mehr beteiligt. Was die Zeit vorher betrifft
Die von NATO-Stellen erhobenen Daten sind grund-
– Kollege Hoyer hat gerade auf die Unterscheidung zwi-
sätzlich zur Verwendung der NATO. Sie wertet sie auch
schen der Operation Active Endeavour einerseits und der
aus. Am Beispiel der Operation Active Endeavour ist er-
allgemeinen, routinemäßigen, parallel dazu stattfinden-
kennbar, dass die NATO die Daten im Rahmen eines
den Luftraumüberwachung andererseits hingewiesen –,
NATO-Mandats erhebt, natürlich durch nationale Stellen
kann ich Ihnen jetzt keine tieferen Details zur Beteili-
oder Schiffe.
gung deutscher Kräfte nennen. Ich bin aber gerne bereit,
Ich darf darauf hinweisen, dass es sich im Gegensatz dies nachzuliefern und zahlenmäßig aufzuschlüsseln. Es
zu AWACS, wo es einen integrierten Verband gibt, also wird sich vermutlich in der gleichen Größenordnung be-
Flugzeuge, die im unmittelbaren Auftrag und unter Kom- wegen, das heißt bei bis zu 75 Personen. Aber ich bitte
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11201
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
(A) darum, Frau Präsidentin, diese Information schriftlich Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
nachliefern zu dürfen. desminister der Verteidigung:
Ich darf das für die AWACS-Flugzeuge sagen. Wir
Vizepräsidentin Petra Pau:
haben ja einen Teil dieser Flugzeuge mit den Pilzen
drauf, die sehr augenfällig sind und die unter NATO-
Herzlichen Dank. – Sie haben die Möglichkeit zu ei- Kommando stehen – das ist eine Zahl von, ich glaube,
ner zweiten Nachfrage. 16 oder 17 Flugzeugen –, und dann nationale Flugzeuge
amerikanischer, britischer und französischer Herkunft.
Inge Höger (DIE LINKE): Es gibt dann noch einige weitere andere Typen. Aber ich
nehme einmal diese drei Nationen, weil sie ja die Haupt-
Ich danke Ihnen erst einmal dafür, dass Sie das nach- träger der Umsetzung der Resolution 1973 sind. In der
liefern. Falls Sie meine zweite Frage auch nicht beant- Tat wurde das Luftlagebild Libyens ab dem 19. März
worten können, können Sie dies dabei gleich mit einbe- von nationalen AWACS-Flugzeugen und nicht mehr von
ziehen. War auch deutsches Bodenpersonal an den NATO-Flugzeugen erstellt.
AWACS-Überwachungen beteiligt?
Ich kann Ihnen die Flugrouten der AWACS-Flugzeuge
der NATO nun nicht genau nennen. Aber wenn man da-
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
von ausgeht – ich mag mich korrigieren, wenn ich jetzt et-
desminister der Verteidigung: was Falsches sage –, dass die Eindringtiefe eines
Lassen Sie mich Folgendes sagen, Frau Kollegin: Ich AWACS-Flugzeuges sichtmäßig 400 Kilometer beträgt
gehe davon aus, dass Bodenpersonal beteiligt war. Schon – ich glaube, das ist sogar etwas zu weit –, dann zeigt
allein deswegen: Sie wissen, dass die Hauptbasis der sich, dass das Mittelmeer durchaus auch Räume hat, von
NATO-AWACS-Flugzeuge, wo immer die Flugzeuge denen aus man, wenn man dort fliegt, keinen Einblick in
konkret gestartet sind, in Geilenkirchen bei Aachen ist. diese Region mehr hat.
Ich gehe davon aus, dass zur Vorbereitung dieser Flüge
zwangsläufig auch in Aachen Bodenpersonal beteiligt Es wurde hier aufgeschrieben: das zentrale Mittel-
wurde, zum Beispiel Tankwarte. Inwieweit aufgenom- meer. Ich würde einmal sagen, dass es das Gebiet nörd-
lich des Einzugsgebiets Große Syrte usw. vor Libyen ist.
mene Daten weitergegeben worden sind, müsste ich Ih-
Wie groß die Entfernung genau ist, kann ich Ihnen nicht
nen nachliefern. Ich gehe davon aus, dass die Erfüllung
sagen. Ich weiß auch nicht, ob das genau rekonstruierbar
der Aufgaben im gesamten Umfeld der fliegerischen Be-
ist; aber sie sind mit erheblichem Sicherheitsabstand ge-
treuung, die Auswertung sowie die Vor- und Nachberei-
flogen.
tung, weiteres Personal erfordert haben.
(B) (D)
Klammer auf: Sie haben die Frage zwar nicht gestellt, Vizepräsidentin Petra Pau:
aber Sie haben insinuiert, dass dann, wenn man 300 in Danke, Herr Staatssekretär.
einem Mandat fordert, dabei alle diejenigen hinzuge-
zählt werden müssen, die nicht im Flugzeug sitzen, son- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
dern drumherum sind und helfen, dass das Flugzeug ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
fliegt – Klammer zu. braucherschutz.
Die dringliche Frage 7 der Abgeordneten Vogler wird
Vizepräsidentin Petra Pau: schriftlich beantwortet.
Zu einer letzten Nachfrage hat die Kollegin Keul das Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und be-
Wort. antwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf
Drucksache 17/5120 in der üblichen Reihenfolge auf.
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Schmidt, es ist ja ministeriums für Wirtschaft und Technologie.
etwas verwirrend. Deswegen nochmals die Nachfrage, Die Frage 1 des Abgeordneten Tom Koenigs, die
um zu sehen, ob ich das auch richtig verstanden habe. Frage 2 des Abgeordneten Andrej Hunko, die Frage 3
Sie sagen, bis zum 19. März sind die AWACS und die des Abgeordneten Garrelt Duin, die Fragen 4 und 5 der
entsprechenden Schiffe in einem Bereich eingesetzt ge- Abgeordneten Ingrid Nestle und die Frage 6 der Abge-
wesen, in dem sie unter anderem libyschen Luftraum mit ordneten Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet.
überwacht haben, weil das zum allgemeinen Mandat da-
zugehörte. Am 19. März, also mit Beginn des Einsatzes Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
der Koalition der Willigen, haben sich die AWACS und desministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwor-
die Schiffe mit deutschen Besatzungen, wie Sie sagen, tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekre-
irgendwo in einen Bereich im Mittelmeer zurückgezo- tär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung.
gen, in dem sie außerhalb des Bereichs waren, von dem Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Barchmann auf:
aus sie libyschen Luftraum überwachen konnten. Habe
ich das richtig verstanden und, wenn ja, wohin sind sie In welcher Form werden die Instrumente und Programme
des Bundes, die zur Überwindung von migrationsspezifischen
denn gefahren? Wo waren sie dann außerhalb der Reich- Hindernissen bei der Integration in Ausbildung, Arbeit oder
weite? Selbstständigkeit dienen, von Einsparungen im Bundeshaus-
11202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) halt und bei der Bundesagentur für Arbeit aktuell und mittel- Heinz-Joachim Barchmann (SPD): (C)
fristig betroffen sein? Ich verzichte auf Nachfragen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Sie verzichten. – Herzlichen Dank, Herr Staatssekre-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: tär.
Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, würde ich
Die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Stefan
die Fragen 7 und 8 gern gemeinsam beantworten.
Schwartze, die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten
(Heinz-Joachim Barchmann [SPD]: Bin ich!) Markus Kurth, die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert und die Frage 14 der Abgeordneten Sabine
– Vielen Dank. Zimmermann sollen schriftlich beantwortet werden.

Vizepräsidentin Petra Pau: Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
Dann rufe ich die Frage 8 des Abgeordneten desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
Barchmann auf: braucherschutz.
Welche inhaltlichen Veränderungen bei den Instrumenten Die Fragen 15 und 16 der Abgeordneten Kerstin Tack
und Programmen des Zweiten und Dritten Buches Sozialge- sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
setzbuch mit migrationsspezifischen Anteilen bzw. den Instru-
menten und Programmen, an denen Personen mit Migrations- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
hintergrund besonders partizipieren, sind angesichts der von ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
der Bundesregierung geplanten Reform der arbeitsmarktpoli-
tischen Instrumente derzeit geplant?
Fragen steht wiederum der Parlamentarische Staatsse-
kretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Christian
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Ströbele auf:
Zunächst einmal zu dem Zweiten und Dritten Sozial- Nach welchen Kriterien, Bezug nehmend auf meine
gesetzbuch und den darin geregelten Instrumentarien. mündlichen Fragen auf Bundestagsdrucksache 17/4812 und
Nach dem Aufbau des Sozialgesetzbuchs wird keine spe- 17/5015 – vergleiche Plenarprotokoll 17/92 und 17/95 –,
wählen Bundeswehr-Scharfschützen in Afghanistan Zielper-
zifische Zielgruppe herausgegriffen, sondern es geht um sonen aus, die sie aus dem Hinterhalt nach oft langem getarn-
das Instrument insgesamt. Bei dem Instrument geht es ten Warten aus mehreren 100 Metern Entfernung militärisch
darum, zu erreichen, generell Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen, also töten, auch wenn diese nicht „unmittelbar an
Feindseligkeiten beteiligt“ sind, sondern sich auf Wegen oder
(B) vermeiden oder auch zu beseitigen und individuelle Be- Feldern bewegen und nichtsahnend ungedeckt ins freie (D)
schäftigungsfähigkeiten wiederherzustellen. In diesem
Schussfeld treten, und wenn somit eine vom Scharfschützen
Zusammenhang bemüht man sich natürlich auch sehr nur durchs Fernglas aktuell beobachtete unmittelbare Beteili-
stark darum, individuelle migrationsspezifische Hemm- gung der einzelnen Personen an Feindseligkeiten als Aus-
nisse zu beseitigen. Anfängliche Defizite in der Ausbil- wahlkriterium faktisch entfällt, nach welchen sonstigen Krite-
dung der Mitarbeiter wurden in der Zwischenzeit durch rien, Fotos, Beschreibungen oder Ähnlichem erkennen die
Scharfschützen „ihre Zielperson“ sonst und schließen verse-
viele Bemühungen der Bundesagentur und der Jobcenter hentlichen tödlichen militärischen Einsatz gegen nicht unmit-
behoben. telbar an Feindseligkeiten beteiligte, also unbeteiligte, harm-
lose Zivilpersonen wirkungsvoll aus?
Insoweit werden die Kürzungen auch davon abhän-
gen, wie die Arbeitsmarktinstrumente in der Zukunft Bitte, Herr Staatssekretär.
aussehen. Die Abstimmung hierüber haben wir in der
Bundesregierung noch nicht abgeschlossen, sodass ich Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
am heutigen Tage auch noch keine spezielle Aussage desminister der Verteidigung:
dazu machen kann. Ich erwarte, dass wir in der nächsten Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Zeit recht viel mehr dazu sagen können. Ströbele, die Entscheidung zur Bekämpfung eines legiti-
Ein besonderes Programm ist das Netzwerk „Integra- men militärischen Ziels ist nach den jeweiligen Umstän-
tion durch Qualifizierung“, IQ. Hierbei geht es um die den des Einzelfalls zu bewerten. Ausgangspunkt ist da-
berufliche Integration und die Beratung von Zuwande- bei regelmäßig die Beurteilung, ob es sich um eine
rern. Dieses Netzwerk soll nach dem derzeitigen Stand Person handelt, die sich unmittelbar an Feindseligkeiten
fortgesetzt werden. Im Jahre 2011 ist es mit beteiligt. Zur Vermeidung der Gefährdung von unbetei-
10 Millionen Euro dotiert, wobei 7 Millionen Euro aus ligten Zivilpersonen muss dies vor der Anwendung mili-
dem Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia- tärischer Gewalt durch entsprechende Beobachtungen si-
les und 3 Millionen Euro aus dem Etat des Bundesminis- chergestellt sein.
teriums für Bildung und Forschung kommen. Die Bun- Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan ste-
desregierung plant, dieses Netzwerk wenigstens bis hen keine Befugnisse zur Anwendung militärischer Ge-
Ende 2014 fortzusetzen. walt zu, die über die Befugnisse der anderen Kräfte des
deutschen Einsatzkontingents ISAF hinausgehen. Auf
Vizepräsidentin Petra Pau: der Grundlage der völkerrechtlichen Ermächtigung
Sie haben die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfra- durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und des
gen. Bitte. Mandates des Deutschen Bundestages gelten das inter-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11203
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
(A) nationale operative ISAF-Regelwerk und auch die Ta- die betroffenen amerikanischen Soldaten. Soweit ich (C)
schenkarte für den deutschen Anteil an ISAF. weiß, hat sich die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika bereits entschuldigt und davon distanziert. Ob
Vizepräsidentin Petra Pau: schon eine Verurteilung erfolgt ist, ist mir nicht bekannt.
Ihre erste Nachfrage, bitte. Im Zusammenhang mit der Frage der Völkerrechts-
mäßigkeit von militärischen Handlungen, die Sie ange-
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sprochen haben, gehe ich davon aus, dass wir sehr scharf
NEN): zwischen Angelegenheiten trennen müssen, die die ame-
Herr Staatssekretär, das ist die graue Theorie. Ich be- rikanische Armee innerhalb ihrer Verantwortlichkeiten
danke mich zunächst einmal bei Ihnen – das ist ja die zu behandeln hat, und dem nach Recht und Gesetz abge-
dritte Frage, die ich zu diesem Thema gestellt habe –, sicherten Verhalten von Soldaten der Bundeswehr. Falls
dass Sie mir jetzt noch einmal schriftlich beantwortet ha- hier ein Zusammenhang hergestellt werden sollte, würde
ben, wie viele Scharfschützen die Bundeswehr in den ich ihn in aller Schärfe zurückweisen.
letzten Jahren bis heute in Afghanistan eingesetzt hat.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass sich die Anzahl Die von Ihnen gestellte Frage hat auch damit zu tun,
von 2008 bis 2010 verdreifacht hat. Dadurch wird diese inwieweit man das Völkerrecht in extenso nutzt. Das
Anfrage, die ich hier jetzt noch einmal gestellt habe, be- Völkerrecht sieht vor, dass bei einer direkten Beteiligung
sonders dringlich. an Feindseligkeiten eine Person, die aufgrund ihrer Rolle
und Funktion bei den gegnerischen Kräften dauerhaft an
Sie wissen – darauf habe ich mich ja bezogen –, dass den Feindseligkeiten beteiligt ist – das ist mit „conti-
der Stern von einem Scharfschützen berichtet hat, der in nuous combat function“ gemeint –, auch außerhalb der
Afghanistan eingesetzt ist, und er hat auch darüber be- Teilnahme an konkreten Feindseligkeiten ein legitimes
richtet, dass noch mehrere solcher Scharfschützen mit militärisches Ziel ist. Landläufig heißt das, dass die An-
einem solchen Auftrag dort sind. Der Auftrag soll darin führer, die Rädelsführer auch dann bekämpft werden
bestehen, dass sich der Scharfschütze an einer Durch- können, wenn es keine unmittelbaren Kampfhandlungen
gangsstraße postiert und möglicherweise ein bis zwei und Gefechte gibt.
Tage im Gras liegt und wartet, bis ein vermutlicher,
feindlicher Kämpfer auftaucht, um ihn dann aus großer Das ist eine der Grundlagen im Zusammenhang mit
Entfernung – 800 Meter oder ähnlich weit entfernt – zu dem sogenannten Targeted Killing. Wir haben bei ande-
bekämpfen, das heißt, zu erschießen. rer Gelegenheit in diesem Hause darüber gesprochen,
dass sich die Bundeswehr an dem Targeted Killing nicht
(B) Alle meine Fragen zielen darauf hin: Nach welchen beteiligt. Ziel und Auftrag der Bundeswehr ist es nicht, (D)
Kriterien entscheiden Scharfschützen – nicht allgemein; die auf der Liste genannten Personen – sie ist als „JPEL
das könnte ich auch nachlesen –, wenn sie alleine dort
list“ bekannt – zu töten, sondern sie zu verhaften und
warten, sich also nicht in einer Kampfhandlung befinden
festzusetzen.
– sie warten dort, bis jemand kommt –, ob es sich bei der
Person, die sie an bzw. auf der Straße sehen – meinetwe- Scharfschützen haben – das habe ich bereits angedeu-
gen einen jungen Mann, der sich vielleicht an der Straße tet – über Aufgaben und Funktion der Bundeswehr ins-
zu schaffen macht –, um eine Person handelt, gegen die gesamt im ISAF-Einsatz und innerhalb des nationalen
sie militärisch, das heißt, durch Töten, vorgehen? und völkerrechtlichen Regelwerkes hinaus keine Befug-
Ich habe besonderen Anlass zu dieser Frage: Ich habe nisse. Sie haben deshalb nur die Befugnis, bei einer un-
den Spiegel von dieser Woche gelesen, dessen Lektüre mittelbaren Verknüpfung mit Kampfhandlungen tätig zu
ich Ihnen dringend empfehlen kann. Er enthält einen län- werden.
geren Artikel über US-amerikanische NATO-Soldaten,
Ich weiß nicht, wo die Bilder, die Sie im Zusammen-
die sich geradezu einen Spaß daraus gemacht haben, dort
hang mit dem Artikel im Stern ansprechen, entstanden
Unschuldige, also Nichtkämpfer, zu töten und sich an-
schließend, indem sie die Köpfe der Getöteten hochhal- sind und wer dafür verantwortlich ist. Ich kann Ihnen
ten, als Trophäenjäger zu präsentieren. Vor diesem Hin- aber versichern, dass es nach Ausbildung, Ausrüstung
tergrund frage ich Sie: Wie kann man ausschließen, dass und Befehlslage Scharfschützen, die in schwierigen Ge-
durch diese Scharfschützen auch Unschuldige getroffen fechtssituationen durchaus zum Einsatz kommen und die
werden, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind? auch benötigt werden, nicht erlaubt ist, nur dazuliegen
und so lange zu warten, bis einer vorbeikommt, der ein
Gegner sein könnte. Dies ist nach dem nationalen Regel-
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- werk für die deutschen Soldaten ausgeschlossen.
desminister der Verteidigung:
Sehr geehrter Kollege Ströbele, diesen Spiegel-Arti-
kel haben sicherlich viele Kollegen im Haus gelesen. Vizepräsidentin Petra Pau:
Wir alle teilen die Abscheu gegenüber dem, was an völ- Kollege Ströbele, bevor Sie Ihre zweite Nachfrage
lig inakzeptablen und auch rechtlich in keiner Weise zu stellen, erlaube ich mir den Hinweis, dass wir noch zwei
rechtfertigenden menschenverachtenden Handlungen Minuten in der Fragestunde haben. Es wäre also schön,
dort stattgefunden hat. Wenn ich richtig informiert bin, wenn wir es schafften, Frage und Antwort in ein ange-
bezieht sich der Artikel auf ein Gerichtsverfahren gegen messenes zeitliches Verhältnis zu stellen.
11204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unfassbare dreifache Katastrophe von Japan erlebt, nicht (C)
NEN): nur Erdbeben und Tsunami, sondern auch die atomare
Meine zweite Nachfrage ist noch kürzer. – Herr Katastrophe in Fukushima. Ich möchte betonen, auch
Staatssekretär Schmidt, die Scharfschützen, von denen wenn sie heute nicht mehr die Headline in allen Nach-
ich rede – die Tätigkeit eines Scharfschützen ist im Stern richten bestimmt: Diese Katastrophe ist beileibe nicht
beschrieben –, befinden sich nicht in aktuellen Kampf- beendet. Wir kennen bis heute nicht ihren Ausgang.
handlungen, sondern liegen friedlich oder nicht friedlich
Gregor Gysi sagte letzte Woche: Die Vorkommnisse
im Gras – genau so, wie ich es beschrieben habe –, ohne
in Fukushima sind „eine Zäsur, ein Zivilisationsbruch in
dass um sie herum Kampfhandlungen stattfinden, und
der Geschichte des industriell-kapitalistischen Zeital-
warten so lange, bis Personen auftauchen. Über diese
ters“. – Er hat recht. Zu diesem Schluss komme ich,
Personen wissen sie nichts. Sie kennen weder ihre Her-
wenn ich tagtäglich die Nachrichten, die noch immer
kunft noch ihre Tätigkeit. Allein von der visuellen Fest-
reich an Hiobsbotschaften sind, verfolge. Das Ganze hat
stellung her gehen sie gegen diese vor. So wird das von
einen ungewissen Ausgang und auf jeden Fall fatale Fol-
einem der Scharfschützen beschrieben. Wollen Sie aus-
gen für viele Japanerinnen und Japaner.
schließen, dass solche Scharfschützen auch gegen Un-
schuldige, an Kampfhandlungen nicht Beteiligte mit mi- Jetzt liegt ein Papier vor, erstellt im Zusammenhang
litärischen Mitteln vorgehen bzw. diese töten? mit dem dreimonatigen sogenannten Moratorium. Die
Arbeitsgruppe Reaktorsicherheit hat erste Überlegungen
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- angestellt. So weit, so gut. In dem Papier steht viel Ver-
desminister der Verteidigung: nünftiges. Bei manchem frage ich mich allerdings, wieso
Frau Präsidentin, im Rahmen der nationalen Regula- man das nicht schon längst im Vorfeld des Oktobers auf
rien ist es den Scharfschützen der Bundeswehr in Afgha- die Tagesordnung gesetzt hat.
nistan untersagt, Personen, die sich dauerhaft an bewaff- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten Auseinandersetzungen beteiligen, also die neten der SPD und des Abg. Oliver Krischer
genannte „continuous combat function“ innehaben, au- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
ßerhalb einer Situation, an der sie an konkreten Feindse-
ligkeiten teilnehmen, durch gezielte Waffenwirkung zu Es steht dort zum Beispiel, dass eine Erdbebenauslegung
bekämpfen. oder eine Hochwasserauslegung nach dem Stand von
Wissenschaft und Technik erfolgen soll. Was ist denn,
Vizepräsidentin Petra Pau:
bitte schön, daran so Besonderes? Weiter hinten liest
man, dass eine Notsteuerstelle selbst im Falle einer ato-
Danke, Herr Staatssekretär. maren Kontamination betretbar und bedienbar sein (D)
(B)
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die übrigen muss. Ich behaupte: Das ist eigentlich etwas Normales.
Fragen werden schriftlich beantwortet. Das erwarten die Menschen mit Fug und Recht.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des Abg. Oliver Krischer
Aktuelle Stunde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Wie gesagt, in diesem Papier steht viel Vernünftiges.
Konkrete Anforderungen insbesondere des Es wird auch angemerkt, dass man die Ereignisse von
Bundesumweltministeriums für die Sicher- Fukushima abwarten, vielleicht nachsteuern und noch
heitsüberprüfung deutscher Atomkraftwerke das eine oder andere aufnehmen muss. Aber eines wird
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- auch deutlich: Selbst wenn man alles, was in diesem Pa-
gin Dorothee Menzner für die Fraktion Die Linke. pier aufgeführt ist, wirklich eins zu eins umsetzen
würde, und nicht alles wieder weichspült und das eine
(Beifall bei der LINKEN) oder andere herausstreicht, weil die Maßnahme ach so
teuer wird, weil sie nicht leistbar ist oder weil sie die Ge-
Dorothee Menzner (DIE LINKE): winne der Konzerne schmälert, bleibt die energetische
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nutzung von Atomenergie ein unsicheres Verfahren;
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben (Beifall bei der LINKEN)
seit Monaten – und im Moment mit wachsender Ge-
schwindigkeit – eine Achterbahnfahrt in Sachen Atom- denn Menschen sind nun einmal fehlbar, und zwar so-
energie und energetischer Nutzung von Atomtechnik. wohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung von
Ich möchte Sie an den 28. Oktober letzten Jahres erin- Dingen, sie sind fehlbar in ihrem Handeln. Daher kann
nern. Da haben wir in diesem Haus trotz massiver Be- uns das beste Sicherheitskonzept – die Japaner hatten Si-
denken vieler Kolleginnen und Kollegen mehrheitlich cherheitskonzepte, die uns immer als beispielgebend
die Laufzeiten verlängert. Wir haben die Laufzeiten nach hingestellt wurden – nicht davor bewahren, dass es zu
einem Verfahren verlängert, das mit den Produzenten, solch unfassbaren Katastrophen kommt. Wenn man sich
den Atomkonzernen ausgekungelt war. Man hätte mei- die Geschichte atomarer Unfälle anschaut, dann stellt
nen können, dass eine Sicherheitsüberprüfung der Kraft- man fest, dass es meistens Lappalien oder Dinge, auf die
werke vorgenommen worden wäre, bevor man zu einem kein Mensch vorher gekommen ist, waren, die zu den
solchen Schritt kommt. Am 11. März haben wir dann die Unfällen geführt haben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11205
Dorothee Menzner
(A) Auch wenn Sie jetzt solche engagierten Papiere in Ih- Thema der Aktuellen Stunde –, welche Sicherheitsüber- (C)
rem Haus erarbeiten, was ich, wie gesagt, zuerst einmal prüfungen es in unseren deutschen Kernkraftwerken ge-
gut finde, frage ich mich schon: Wieso müssen wir wo- ben wird.
chenlang bohren und fragen, was es mit der Auffälligkeit
im Kühlkreislauf des Kraftwerks Grafenrheinfeld auf Bei allen betroffenen Reaktoren gab es ein Zusammen-
sich hat, wo Ultraschallaufnahmen gezeigt haben, dass treffen eines extremen Erdbebens mit einem Tsunami.
es einen Riss in den Rohren geben könnte? Es behauptet Das Zusammenwirken hat zum Ausfall der externen
niemand, dass es tatsächlich einen Riss gibt, aber es Stromversorgung geführt. In der Folge wurden die not-
könnte einen geben. Es dauerte Monate, bis Sie das wendigen Sicherheitseinrichtungen zerstört. Die Kern-
AKW heruntergefahren haben, um genauer nachzu- kühlung bei den Blöcken 1 bis 3 am Standort Fukushima
schauen. Ich möchte weiterhin an die Probleme in Phi- fiel aus. Die Blöcke 4 bis 6 waren zu diesem Zeitpunkt ab-
lippsburg in den letzten anderthalb Jahren erinnern, die geschaltet, weil sie in Revision waren. Gleichwohl ma-
heute deutlich wurden. chen sie uns heute auch große Probleme, wie Sie den Me-
dien entnehmen können.
Die Frage wird sein, wie wir nach dem dreimonatigen
Moratorium damit umgehen und wie es weitergeht. Die In den Blöcken 1 bis 3 waren die Reaktorkerne zeit-
Menschen erwarten klare Positionen. Sie wollen aus der weise nicht mehr mit Wasser bedeckt mit der Folge von
Atomenergie aussteigen, und zwar unverzüglich und un- schweren Kernschäden bis hin zu einer beginnenden
umkehrbar. Kernschmelze. Infolgedessen wurde Wasserstoff freige-
setzt. Es kam zu Explosionen. Die Reaktorgebäude wur-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- den schwer beschädigt. Sie alle kennen die Bilder.
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) Obwohl bereits das Erdbeben mit einer Stärke von 9
eine deutliche Überschreitung der Auslegung darstellte,
Dass Sie es mit viel Gegenwind zu tun haben, erleben kam es aber erst durch den anschließenden Tsunami zu
Sie im Moment Montag für Montag bei den Mahnwa- dieser dramatischen Entwicklung. Aus diesem Zusam-
chen, und das werden Sie am kommenden Samstag bei menwirken von zwei Ereignissen, die deutlich über die
den Großdemos erleben. Sie erleben es auch dadurch, Auslegung der Reaktoren hinausging, resultiert die Not-
dass heute die Bravo nach 55 Jahren zum ersten Mal in wendigkeit, die Lage bei uns in Deutschland vorbehalt-
ihrer Geschichte ein Poster mit einem politischen Inhalt los zu analysieren.
bringt.
Die Ereignisse in Japan haben uns gezeigt, dass das
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sogenannte Restrisiko durchaus existent ist und dass es
(B) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE sich hierbei nicht nur um eine rechnerische Größe han- (D)
GRÜNEN) delt. Es gibt eine Vielzahl von Fragestellungen, die im
Wir werden die Proteste auf jeden Fall begleiten und Lichte von Japan gegebenenfalls neu bewertet werden
weiter Druck machen. müssen. Dies gilt vor allem für die Frage der Bewertung
der Sicherheit und der Bewertung der Sicherheitsstan-
Ich danke. dards.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Deshalb hat die Bundesregierung, hat die Bundes-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE kanzlerin und haben die Ministerpräsidenten der Bun-
GRÜNEN) desländer mit Kernkraftwerken beschlossen, die Sicher-
heit aller Kernkraftwerke in Deutschland im Lichte der
Vizepräsidentin Petra Pau: Ereignisse von Japan zu überprüfen. Sie haben ferner be-
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin schlossen, die sieben ältesten Kernkraftwerke für einen
Ursula Heinen-Esser. Zeitraum von drei Monaten vom Netz zu nehmen. Wir
haben das schon intensiv diskutiert. Für die dreimona-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tige Betriebseinstellung als vorläufige Maßnahme sieht
der FDP) das Atomgesetz § 19 Abs. 3 als Rechtsgrundlage vor.
Aufgrund dieser Rechtsgrundlage kann bei Vorliegen ei-
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim nes Gefahrenverdachts die einstweilige Betriebseinstel-
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- lung angeordnet werden.
cherheit:
In der Zeit des Moratoriums werden sich zwei Kom-
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
missionen intensiv mit der Frage der Sicherheit befas-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist wirk-
sen. Dies ist zum einen die Reaktor-Sicherheitskommis-
lich unzweifelhaft: Die nuklearen Folgen der Erdbeben-
sion, die beim Bundesumweltminister angesiedelt ist.
katastrophe in Japan bedeuten einen Einschnitt, zualler-
Das ist ein Gremium unabhängiger Experten. Diese wird
erst selbstverständlich für Japan, aber auch für die ganze
gemeinsam mit den Ländern, die jeweils aufsichtsfüh-
Welt. Die Katastrophe hat ganz deutlich gezeigt, dass Er-
rende Stelle sind, eine Überprüfung aller Kernkraftwerke
eignisse auch jenseits der bislang berücksichtigten Sze-
durchführen. Sie wird sich insbesondere mit der Frage
narien eintreten können.
beschäftigen, ob die bisherigen Auslegungsgrenzen rich-
Vielleicht noch ein paar Punkte zum Sachverhalt, weil tig definiert sind. Dabei geht es nicht nur um die Frage
es im Weiteren darum gehen wird – so verstehe ich das der Stärke eines Erdbebens oder um die Frage der Höhe
11206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser


(A) des Hochwassers, sondern darum, ob die bisherigen Sie können nicht von heute auf morgen Deutschland (C)
Auslegungsgrenzen richtig definiert sind und wie robust komplett von der Stromversorgung abhängen. Das funk-
unsere deutschen Kernkraftwerke gegenüber ausle- tioniert einfach nicht.
gungsüberschreitenden Ereignissen sind. (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie scheinen Pro-
Gerade eben wurde noch einmal erwähnt: Das Papier, bleme zu haben! – Ulrich Kelber [SPD]: Seit
das eine Vielzahl von Themen enthält und das immer 16 Monaten kürzen Sie bei den Erneuerbaren!)
wieder öffentlich diskutiert wird, dieses Papier, das bei Über diese Folgen wissen Sie auch Bescheid. Wenn Sie
uns im Haus erstellt worden ist, war eine Ideensamm- heute im Ausschuss gewesen wären, hätten Sie auch das
lung für die Reaktor-Sicherheitskommission, um zu sa- eine oder andere dazugelernt.
gen: Das könnten Themen sein, die zusätzlich berück-
sichtigt werden sollten. Es geht um die entscheidende Frage, dass Sicherheit
eben nicht in umfassender Weise ausrechenbar ist – ich
Hierbei geht es insbesondere – auch wenn es ein biss- habe es vorhin schon gesagt –, sondern dass das am
chen technisch ist, es ist aber besonders zu erwähnen – Ende eine gesellschaftlich-politische Wertung ist. Mit
um die Schutzziele Abschaltbarkeit, Kühlung der Brenn- dieser Frage wird sich die Ethikkommission befassen.
elemente im Reaktordruckbehälter sowie im Brennele- (Ulrich Kelber [SPD]: Die bringt Sie hoffent-
mentebecken und Begrenzung der Freisetzung radioakti- lich auf den neuesten Stand! Der Rest der Ge-
ver Stoffe. Das sind drei Themen, die wir Tag für Tag als sellschaft ist schon so weit!)
große Probleme mit verheerenden Wirkungen in Fuku-
shima beobachten können. In diese Betrachtung sind na- Beide Gremien werden in den nächsten drei Monaten
türlich auch naturbedingte Ereignisse wie Erdbeben oder überlegen, welche Lehren aus der Katastrophe in Fuku-
Hochwasser, aber auch Explosionsdruckwellen, gezielte shima tatsächlich zu ziehen sind.
Angriffe, Abstürze etc. einzubeziehen. Gestatten Sie mir noch einen Hinweis auf die interna-
Neben der Reaktor-Sicherheitskommission, die sich tionale Situation. Die Internationale Atomenergie-Orga-
nisation hat angekündigt, neue Richtlinien der nuklearen
mit den technischen Fragen, mit den Auslegungsgrenzen
Sicherheit zu entwickeln. China hat seine Neubaupläne
und mit dem Restrisiko befasst, wird sich eine neue
vorerst gestoppt – das ist, finde ich, ein klares Zeichen –
Ethikkommission mit den gesellschaftlichen Fragen der
und eine Sicherheitsprüfung angekündigt. Auf Einladung
Atomtechnologie auseinandersetzen.
von EU-Energiekommissar Oettinger haben die Regie-
Den Vorsitz wird der ehemalige Umweltminister Pro- rungsvertreter aus dem Energiebereich über Sicherheits-
fessor Klaus Töpfer zusammen mit dem Präsidenten der fragen debattiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel macht
(B) Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Kleiner, die Frage der Sicherheit von Kernkraftwerken zu einem (D)
übernehmen. Diese Ethikkommission wird die Aufgabe wichtigen Thema auch auf dem Europäischen Rat am
haben, Risiken zu bewerten und entsprechend einzuord- Ende dieser Woche.
nen. Das heißt, sie wird sich natürlich mit der Frage der Es gibt international, sicherlich aber auch national ei-
Sicherheit der Kernkraftwerke befassen, aber auf der an- nen breiten Konsens darüber, dass die Risiken von Kern-
deren Seite auch mit der Schlüssigkeit in der Frage: Wie energie neu bewertet werden müssen. Ich habe die Bitte
kann man den Ausstieg mit Augenmaß so vollziehen, an die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundes-
dass der Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren tag, auch hier im Bundestag einen solchen Konsens mit
Energien praktikabel und vernünftig ist, zu suchen
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das wissen wir doch schon längst! Al- NEN]: Frau Heinen-Esser, das ist doch wohl
les da, schon seit Jahren!) nicht wahr!)

und wie lässt sich vermeiden, dass zum Beispiel durch und zu sagen: Hier geht es um entscheidende wissen-
den Import von Strom aus Kernenergie nach Deutsch- schaftlich-gesellschaftliche Fragen. Dazu lade ich Sie
land Risiken eingegangen werden, herzlich ein.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Ulrich Kelber [SPD]: Ein Fauxpas nach dem
anderen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

die vielleicht höher zu bewerten sind als die Risiken bei Vizepräsidentin Petra Pau:
der Produktion von Strom aus Kernenergie in Deutsch- Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für
land? die SPD-Fraktion.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD)
NEN]: Das ist nicht Ihr Niveau!)
– Herr Kelber, Sie müssen sich auch einmal mit ein paar Dr. Matthias Miersch (SPD):
Wahrheiten befassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, ich habe mich eben gefragt: Wo waren
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie eigentlich vor wenigen Monaten, als die Entschei-
neten der FDP) dung darüber anstand, ob der Konsens, der im Jahr 2000/01
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11207
Dr. Matthias Miersch
(A) bereits gefunden worden war – einen solchen Konsens meilern vorzuschreiben und die Laufzeitverlängerung (C)
mahnen Sie hier an –, wieder aufgeschnürt werden soll? erst zu genehmigen, wenn diese erfüllt sind. Der Bun-
Wo haben Sie sich da eingebracht? desumweltminister hat da gelacht. Jetzt sagt er, es gebe
eine neue Sicherheitslage. Das ist keine glaubwürdige
Wir brauchen an dieser Stelle nicht zwei weitere Politik.
Kommissionen; wir brauchen ein selbstbewusstes Parla-
ment, das seine Aufgabe wahrnimmt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der schleswig-holsteinische Justizminister hat da bei-
spielsweise Dinge geschrieben, die Sie mittlerweile in
Eine schlechte Regierung kann nur durch ein gutes Ge-
Ihre Ideensammlung aufgenommen haben. Er hat Ihnen
setz ausgeglichen werden, und dazu sind Sie jetzt aufge-
nämlich attestiert, dass die Themen „Flugzeugabstürze“
fordert.
und „externe Ereignisse“ in Ihrem Gesetz nicht berück-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sichtigt wurden und der Sicherheitsstandard gegenüber
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den vorherigen Regelungen sogar noch deutlich abge-
schwächt worden ist. Der Bundesumweltminister hat da
Sie werden morgen das erste Mal die Möglichkeit be- gelacht, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das kann man
kommen, zwei entsprechenden Gesetzentwürfen zuzu- ihm, wie ich finde, nicht durchgehen lassen. Er muss er-
stimmen. Das Angebot steht weiter: Wenn wir uns denn klären, wie der plötzliche Sinneswandel zustande ge-
einig sind, dass es ein Fehler gewesen ist, was Sie hier kommen ist.
mit Ihrer Mehrheit vor wenigen Monaten beschlossen
haben, dann lassen Sie es uns rückgängig machen, und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zwar so schnell wie möglich! DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eigentlich war es ja noch schlimmer: Sie von der
Koalition haben nicht nur diese Argumente nicht berück-
Was sollen diese Kommissionen eigentlich bringen?
sichtigt, sondern Sie haben noch eins draufgesetzt: Sie
Eine Ethikkommission! Was wurde die letzten Jahr-
sind einen Deal eingegangen und haben einen Vertrag
zehnte in Deutschland eigentlich diskutiert? Wenn man
geschlossen, in dem Sie die Haftung der vier großen
wissen will, was Herr Töpfer zum Thema Kernenergie
Konzerne für Sicherheitsnachforderungen auf 500 Mil-
und Atomtechnologie sagt, kann man das nachlesen.
lionen Euro begrenzt haben. Sie sind ihnen bei den Si-
Wenn man hätte wissen wollen, was die Kirchen in
cherheitsanforderungen entgegengekommen, obwohl Sie
Deutschland über dieses Thema denken, dann hätte man
(B) wussten, dass Nachbesserungen notwendig sind. Sie (D)
es im Oktober nachlesen können. Liebe Kolleginnen und
wollten verhindern, dass sie in die Enge gedrängt wer-
Kollegen, bitte lassen Sie sich nicht auf diese Verzöge-
den und diese Altmeiler abschalten müssen. Dies ist ein
rungs-, auf diese Verschleierungstaktik ein, sondern neh-
Versagen der Politik auf ganzer Linie.
men Sie Ihre Verantwortung wahr und nehmen Sie zur
Kenntnis, was in der Bundesrepublik Deutschland be- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
reits an ethischen Grundsätzen entwickelt worden ist! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Sie haben darüber hinaus das kerntechnische Regel-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werk negiert und einen der Cheflobbyisten der deutschen
Hinsichtlich der geplanten Sicherheitskommission Atomwirtschaft – das ist, wie ich finde, das eigentlich
frage ich Sie: Ist es nicht doch angebracht gewesen, dass Denkwürdige – zum Abteilungsleiter gemacht, der über
wir im Umweltausschuss, als es um die Auswertung der die einzurichtende Sicherheitskommission wachen soll.
sehr ausführlichen Sachverständigenanhörung zur Lauf- Das kann doch nicht wahr sein! Das ist nichts anderes,
zeitverlängerung ging, sehr emotional diskutiert haben? als den Bock zum Gärtner zu machen.
Lesen Sie noch einmal die Anhörungsprotokolle nach, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
die vor einigen Monaten erstellt wurden. Sie werden BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des
feststellen, dass dort sämtliche Sicherheitsrisiken ange- Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])
sprochen wurden. Sie haben sich schlichtweg darüber
hinweggesetzt und sich geweigert, sich mit diesen Argu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es noch
menten auseinanderzusetzen. einmal: Das Parlament ist der Ort, in den Diskussionen
um Ethik und elementare Sicherheitsfragen der deut-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem schen Bevölkerung gehören. Insofern fordere ich Sie
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingbert Liebing auf: Nehmen Sie Ihre Aufgabe wahr! Lassen Sie uns hier
[CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) diskutieren! Lassen Sie uns hier möglichst schnell ab-
Ich habe bei der Schlussberatung einen Brief des stimmen! Auf diese Weise können wir gerne zu einem
schleswig-holsteinischen Justizministers vorgelesen, Konsens kommen.
weil der Bundesumweltminister womöglich den Argu- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
menten von Rot-Grün nicht glaubte. Wenige Tage vor
der Schlussabstimmung hier im Parlament hat er darin (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
dem Bundesumweltminister dringend dazu geraten, vor DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
einer Laufzeitverlängerung Verbesserungen bei den Alt- LINKEN)
11208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: (Zuruf von der SPD: Wir stellen uns auf kein (C)
Der Kollege Kauch hat für die FDP-Fraktion das Ross!)
Wort.
Auch Sie sollten verstehen, dass sich mit Japan etwas
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verändert hat.
der CDU/CSU)
(Lachen bei der LINKEN und beim BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN)
Michael Kauch (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Op- Eine Veränderung ist, dass wir über die Sicherheitspuffer
position zeigt, dass sie ein heißes Herz hat. Aber die reden müssen, die bei unseren Szenarien, was passieren
Frage ist, ob sie auch einen kühlen Kopf hat. Nachdem kann, gesetzt wurden. Das kerntechnische Regelwerk,
ich Herrn Miersch und Frau Menzner gehört habe, muss das Herr Gabriel in Kraft setzen wollte, muss vor dem
ich sagen: Das alles passt nicht so ganz zusammen. Frau Hintergrund von Japan ebenfalls überprüft werden. Es
Menzner redet so, als wenn wir sofort, noch heute, aus geht nicht nur darum, die Kernkraftwerke daraufhin zu
der Kernkraft aussteigen könnten. überprüfen, ob sie im genehmigten Betrieb sicher sind
– das stellt dieses kerntechnische Regelwerk sicher –,
(Beifall bei der LINKEN) sondern auch um die Frage, ob das Regelwerk selbst
Herr Miersch erinnert sich offensichtlich schon ein biss- noch den Anforderungen genügt. Das muss überprüft
chen mehr an das, was Rot-Grün gemacht hat: Rot-Grün werden. Diese Aufgabe wird im Rahmen dessen wahrge-
ist nämlich nicht von heute auf morgen aus der Kernkraft nommen, was die Bundesregierung macht. Dafür müs-
ausgestiegen. Das stimmt, sen wir alle umdenken – auch Sie, meine Damen und
Herren.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt
sprechen wir doch mal darüber, was Sie denn (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
gesagt haben!) Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wie lange wollen Sie damit noch wei-
auch wenn andere Redner hier plötzlich so tun, als wäre termachen? Warum bleiben die 60er-Jahre-An-
das möglich. forderungen in Kraft? Auf so was kann nur
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Christian Herr Kauch kommen!)
Lange [Backnang] [SPD]: Schluss mit den Lü- Die Sicherheitsüberprüfung ist notwendig, weil wir
gen!) die gleichen Risiken nach Japan anders bewerten müs-
Ich erinnere daran, dass Rot-Grün einen Deal ge- sen, als das vorher gemacht worden ist.
(B) (D)
macht hat. Rot-Grün hat einen Vertrag mit den Kern- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
kraftwerksbetreibern abgeschlossen. Darin stand: Wir NEN]: Das hat man alles vorher bewertet, Herr
steigen über einen Zeitraum von 20 Jahren aus. Dafür Kauch!)
garantieren wir, dass die Sicherheitsphilosophie und,
von wenigen Einzelmaßnahmen abgesehen, die sonsti- – Das ist hier auch von Ihnen anders bewertet worden,
gen Sicherheitsniveaus der Kernkraftwerke so bleiben, liebe Damen und Herren von der Koalition.
wie sie heute sind. – (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Noch
(Ulrich Kelber [SPD]: Das steht dort nicht! sind wir nicht die Koalition, aber demnächst
Das war jetzt frei zitiert!) vielleicht!)
Das war Ihr schmutziger Deal gegen die Sicherheit von – Von der Opposition. – Hätten Sie schon in Ihrer dama-
Kernkraftwerken. ligen Koalition diese Einschätzung gehabt und gewusst,
wie man diese Risiken nach Japan zu bewerten hat, wäre
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – es nämlich Ihre Pflicht und Schuldigkeit gewesen, die
Ulrich Kelber [SPD]: Sie wissen, dass Sie lü- Kernkraftwerke abzuschalten, anstatt 20 Jahre dauernde
gen, Herr Kauch! Es wird nicht besser durch Ausstiegsszenarien zu machen.
Wiederholungen!)
(Ulrich Kelber [SPD]: Wir hätten sie eher ab-
Dagegen hat die Koalition im letzten Oktober mit der geschaltet, wenn Sie die Laufzeit nicht verlän-
Einführung des § 7 d in das Atomgesetz zusätzliche Si- gert hätten!)
cherheitsmaßnahmen von den Kernkraftwerksbetreibern
verlangt. Wir haben mehr Sicherheit ins Gesetz geschrie- Das ist die Unredlichkeit der Opposition in diesem Haus.
ben. Sie haben hingegen weniger Sicherheit in einen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vertrag geschrieben. Das ist die Wahrheit, die hier auch
einmal gesagt werden muss. Diese Koalition hat verstanden, dass wir den Bereich
Kernkraftwerke überdenken müssen, dass es zu neuen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Regelwerken kommen muss. Es ist richtig, dass diese
Ulrich Kelber [SPD]: Alle Experten haben bei
Koalition eine Kommission mit unabhängigen Experten
der Anhörung dieser Aussage widersprochen!)
eingesetzt hat – auch mit solchen, die mit der Beaufsich-
Die Opposition stellt sich aufs hohe Ross. Sie hat tigung des jeweiligen Kraftwerks bisher nicht betraut
schon immer alles gewusst. waren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11209
Michael Kauch
(A) Wenn ein Kraftwerk nicht den neuen Sicherheitsan- Gestatten Sie mir eine weitere Vorbemerkung. Für die (C)
forderungen entspricht, gibt es die Möglichkeit, es nach- heutige Fragestunde waren 30 Fragen zur Sicherheit der
zurüsten. Falls eine solche Nachrüstung nicht möglich Atomkraftwerke und zu konkreten Sicherheitsproblemen
oder wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, wird dieses Kern- eingereicht worden. Diese Fragen wurden nicht zugelas-
kraftwerk aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Das wird sen. Das mag nach der Geschäftsordnung korrekt sein;
das Ergebnis des Moratoriums sein. aber es zeigt, dass sich die Bundesregierung, genauso
wie heute Morgen im Umweltausschuss, weigert, in eine
Meine Damen und Herren, Sie sollten hier weniger Debatte über die konkreten Probleme in den Atomkraft-
mit Schaum vor dem Mund reden werken einzutreten. Daran wird deutlich: Das Vertu-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen und Wegdrücken geht schon wieder los.
NEN]: Das sagt genau der Richtige! – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Christian Lange [Backnang] [SPD]: Hier im bei der SPD und der LINKEN – Dr. Michael
Raum redet eigentlich nur einer!) Paul [CDU/CSU]: Komm, hör auf!)
und mehr darüber, welche Sicherheitsanforderungen tat- Meine Damen und Herren, wir haben vorhin gehört,
sächlich erfüllt werden müssen. Auch unter den Ge- dass für das Auftreten eines GAUs in Form einer Kern-
sichtspunkten, die die SPD hier in den Raum gestellt hat, schmelze eine Wahrscheinlichkeit von ein paar Hundert-
würden diese Kernkraftwerke noch zehn Jahre laufen, tausend Jahren gilt. Jetzt haben wir schon zwei innerhalb
und Sie hätten die gleiche Verpflichtung, zur Sicher- von 25 Jahren erlebt. Wer angesichts dessen nicht an-
heitsdiskussion beizutragen. Sie haben sich jahrelang fängt, nachzudenken, und nicht die Größe hat, zu sagen:
nur mit dem Thema Abschalten beschäftigt, aber nicht „Wir haben uns geirrt; wir müssen etwas ändern“, der
mit der Frage, welches Sicherheitsniveau in diesen zehn hat wirklich nichts verstanden.
Jahren notwendig ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Ulrich Kelber [SPD]: Andere für die eigenen sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Fehler zu beschimpfen, ist primitiv!) KEN – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]:
Das ist genauso unsere Verantwortung. Meinen Sie, wir haben die Atomkraftwerke
nur so abgeschaltet?)
In diesem Zusammenhang geht es nicht nur um Lauf-
zeiten, sondern auch um die Sicherheit der Kraftwerke, Der Vorfall hat sich jetzt nicht in einem untergehen-
die in der Übergangszeit noch laufen müssen, den System wie der damaligen Sowjetunion, sondern im
Hightechland Japan ereignet. Wir alle sitzen erschrocken
(B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und schockiert vor den Fernsehbildschirmen und sehen (D)
zu, wie man hilflos versucht, die Reaktoren mit Wasser
weil wir eben nicht von heute auf morgen aus der Kern- aus Wasserschläuchen und von Hubschraubern aus zu
kraft herauskommen. kühlen. Die Hilflosigkeit zeigt doch eigentlich nur eines:
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt kommt’s Diese Technologie ist unbeherrschbar, und sie verzeiht
raus: doch kein Ausstieg!) keine Fehler. Deshalb müssen wir sie schnellstmöglich
hinter uns lassen.
Wer das der Bevölkerung weismachen will, der lügt die
Bevölkerung an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich
Kelber [SPD]: Das tun Sie in der Tat!) Was im Moment in Japan passiert, ist auch in
Deutschland vorstellbar. Denn die eigentliche Ursache
der Vorfälle in den Reaktoren waren nicht der Tsunami
Vizepräsidentin Petra Pau: oder das Erdbeben, sondern der Ausfall der Stromver-
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol- sorgung und damit der Kühlung. Dafür sind sehr viele
lege Krischer das Wort. Auslöser vorstellbar, auch in Deutschland, zum Beispiel
ein Flugzeugabsturz, eine Überschwemmung oder auch
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): anderes, worüber wir heute noch gar nicht reden können.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber all das war auch schon im Oktober letzten Jahres
Herr Kauch, Sie haben durch die Japan-Katastrophe bekannt, als Sie die Laufzeitverlängerung beschlossen
überhaupt nichts verstanden. haben und nicht über dieses Thema reden wollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN) bei der SPD und der LINKEN – Dr. Maria
Flachsbarth [CDU/CSU]: Das war auch schon
Sie halten hier die gleiche Rede wie vor vier Monaten, vor fünf oder zehn Jahren bekannt! Meine
statt die Größe zu haben, zu sagen: Wir haben uns geirrt; Güte!)
wir haben vielleicht eine falsche Einschätzung gehabt. –
Sie haben schlicht und ergreifend nichts verstanden. Ein weiteres Versäumnis hat der Kollege Miersch be-
reits angesprochen. Es gibt ein kerntechnisches Regel-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, werk; aber Sie weigern sich beharrlich, es in Kraft zu
bei der SPD und der LINKEN) setzen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Obwohl es
11210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Oliver Krischer
(A) dieses Regelwerk gibt, ziehen Sie es vor, das Regelwerk haben Sie offensichtlich nicht. Das Einzige, was Sie mit (C)
der 60er- und 70er-Jahre anzuwenden. Dafür gibt es eine der Einsetzung der Ethikkommission bezwecken wollen,
Erklärung: Wenn Sie das neue kerntechnische Regel- ist: Sie wollen herausfinden, wie viel Atomkraft man
werk in Kraft setzen würden, würde das erhebliche Si- dem deutschen Volk zumuten kann, damit die Union und
cherheitsauflagen bedeuten, und damit würden etliche die FDP noch so gerade an der Macht bleiben können.
Anlagen zusätzlich zu den alten vom Netz gehen. Genau Das ist der wahre Zweck dieser Ethikkommission.
das wollen Sie nicht, weil Sie immer noch an den Atom-
konzernen kleben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LIN-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]:
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Sinn und Zweck ist nur, über den Sonntag zu
LINKEN) kommen, sonst nichts!)
Ich könnte hier über viele Schwachstellen und Sicher-
heitsmängel in Atomkraftwerken berichten: über fehlen- Vizepräsidentin Petra Pau:
den Feuerschutz, fehlenden Erdbebenschutz, fehlende Kollege Krischer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Notstandswarte. All das ist Realität in deutschen Atom-
kraftwerken. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Michael Kauch [FDP]: Das war Realität unter Ich komme zum Schluss. – Letzter Satz: Entscheiden
Trittin!) Sie sich zusammen mit uns, die sieben ältesten AKW so-
fort vom Netz zu nehmen, das kerntechnische Regelwerk
Die Kollegen im Umweltausschuss haben heute zur in Kraft zu setzen, eine hinreichende Sicherheitsüberprü-
Kenntnis nehmen müssen, dass es noch nicht einmal ein fung zu starten, die Laufzeitverlängerung zurückzuneh-
meldepflichtiges Ereignis ist, wenn unbemerkt men sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien und
10 Prozent des Kühlmittels verloren gehen. Das ist of- die Erhöhung der Energieeffizienz wirklich und ehrlich
fensichtlich ein völlig normaler Vorgang. Ich mag mir voranzubringen.
gar nicht ausmalen, was sonst noch alles in Atomkraft-
werken passiert, ohne dass Behörden und Öffentlichkeit Ich danke Ihnen.
davon erfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau:
(B)
Sie wissen, dass Sie mit dieser fragwürdigen Atom- Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Nüßlein (D)
nummer nicht mehr durchkommen. Deshalb gibt es jetzt das Wort.
das fragwürdige dreimonatige Moratorium. Ich frage (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
mich: Was wollen Sie in drei Monaten herausfinden? der FDP)
Die Überprüfung dauert viel länger. Wenn Ihr Vorhaben
seriös sein sollte, müssten Sie einen viel längeren Zeit-
raum vorsehen. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Außerdem soll die Überprüfung – das ist wirklich der Herr Krischer, man müsste an Ihrer Rede korrigieren,
Gipfel – unter der Federführung von Herrn Hennenhöfer dass der „oberste Atomaufseher“ – anders als Sie es ge-
– er sitzt hinter der Regierungsbank –, Exlobbyist der sagt haben – nicht Herr Hennenhöfer ist, sondern Herr
Atomkraft, heute der oberste Atomaufseher, stattfinden. Röttgen.
(Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Pfui! – Ute Vogt [SPD]: Von unseren NEN]: Das ist ja noch schlimmer!)
Steuergeldern bezahlt!)
Man könnte das zu einer Abhandlung ausbauen, um zu
Wenn Sie es mit der Sicherheitsüberprüfung ernst mei- zeigen, welche Unwahrheiten Sie an dieser Stelle ver-
nen würden, dann müssten wir Ihnen sagen: Sie haben breiten.
den Frosch beauftragt, den Sumpf trockenzulegen.
Ich will mit einem Begriff anfangen, der in den Vorre-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den mehrfach aufgetaucht ist, nämlich mit dem Wort
bei der SPD und der LINKEN – Dr. Hermann „Konsens“. Ich möchte herausstellen, was man, wenn
Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat man redlich ist, als Konsens in diesem Parlament be-
den Bock zum Gärtner gemacht!) schreiben muss:
Jetzt wurde eine sogenannte Ethikkommission einge- Erstens. Es gibt einen Konsens, dass wir aus der
setzt. Ich muss ehrlich sagen: Als ich gestern die ent- Kernenergie aussteigen wollen. In unserem Koalitions-
sprechende Meldung gelesen habe, habe ich das nicht vertrag steht klipp und klar:
geglaubt. Ist die gesellschaftliche Debatte der letzten
30 Jahre eigentlich an Ihnen vorbeigegangen? Haben Sie Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis
nicht gelesen, was Kirchen, Verbände und Institutionen sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt
zum Thema „Atomkraft und Ethik“ gesagt haben? Nein, werden kann.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11211
Dr. Georg Nüßlein
(A) Es geht also um einen Ausstieg. Dort steht auch: len, dass es offenbar ein gemeinsames Verständnis hin- (C)
sichtlich Sicherheit und Vertretbarkeit gibt. Im Übrigen
Das Neubauverbot … bleibt bestehen. steht nichts anderes in Ihrem sogenannten Ausstiegsver-
(Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- trag. Dort heißt es explizit, dass die Anlagen auf einem
NEN]: Aussteigen, aber verlängern! Toll!) im internationalen Vergleich hohen Sicherheitsniveau
betrieben werden. Die Einschätzung des Sicherheitsni-
Ich gehe davon aus, dass Sie das genauso sehen. Das ist veaus, die dem bisherigen Betrieb zugrunde lag, ist ge-
nur eine Frage der – – meinsam erfolgt. Ich würde das an Ihrer Stelle nicht be-
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: streiten. Wenn Sie es anders sehen, dann stellt sich
Der Dauer!) nämlich die Frage: Warum sind Sie damals nicht ausge-
stiegen?
Die Frage ist: Wie lange dauert der Übergang? Wie lang
muss diese Brücke sein? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zweitens. Wenn ich von den Grünen wäre, würde ich Lassen Sie mich zu dem seltsamen Deal kommen, der
nicht ganz so laut schreien. Denn Sie haben es im schon angesprochen wurde. Das Ganze ärgert Sie immer
Jahr 2000 offenbar genauso gesehen, dass es nämlich wieder; das weiß ich. Sie haben in dem Ausstiegsvertrag
eine Übergangsfrist geben muss. mit den Versorgern niederlegt:
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Bundesregierung wird keine Initiative ergrei-
NEN]: Aber nicht eine so lange wie bei Ih- fen, um diesen
nen!)
– den gerade beschriebenen –
Sie sind im Wahlkampf 1998 mit der Forderung nach ei-
nem sofortigen Ausstieg angetreten; die Nutzung der Sicherheitsstandard und die diesem zugrunde lie-
Kernkraft sei unverantwortlich. gende Sicherheitsphilosophie zu ändern.

(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Ute Vogt [SPD]: Sicherheit nach Stand von
NEN]: Die alte Leier wieder!) Wissenschaft und Technik! Das war unsere
Grundlage!)
Diese Forderung kramen Sie heute wieder heraus. Dann
haben Sie unter dem Eindruck der Annehmlichkeiten Wenn man das so niederlegt, ist man meiner Ansicht
von Dienstwagen gesagt: nach in der Defensive.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- (Frank Schwabe [SPD]: Wir sind in der Defen-
(B) NIS 90/DIE GRÜNEN – Ute Vogt [SPD]: Bil- sive? Lenken Sie doch nicht ab!) (D)
lig!) – Warten Sie es ab. – Man muss sich Folgendes vor Au-
Wenn es dem Erhalt von Ministerämtern dient, dann gen führen:
kann man eine längere Laufzeit verantworten. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt ent-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schuldigen Sie sich doch tatsächlich für Ihre
Atompolitik in den letzten Jahrzehnten! Eine
Liebe Freunde von der SPD, noch schlimmer war, Entschuldigung gegenüber dem deutschen
dass sich der frühere Umweltminister, Herr Gabriel, in Volk wäre angesagt! Das ist ja unglaublich!)
der letzten Debatte dazu hinreißen ließ, zu sagen, er habe
schon immer gewusst, dass von den alten Anlagen, die Wenn das, was Sie mit den Versorgern vereinbart haben,
wir jetzt vom Netz genommen haben, eine Gefahr für was wir geändert haben, weiterhin gelten würde, dann
Leib und Leben ausgehe. Da frage ich mich: Was war brauchten wir jetzt nicht über ein Moratorium, eine Än-
das für ein Minister, der das wusste, der die Verantwor- derung der Politik und all das zu diskutieren. Wir disku-
tung dafür tragen musste, aber nicht zurückgetreten ist? tieren darüber, weil Sie damals etwas anderes vereinbart
Meine Damen und Herren, an der Stelle müssen wir haben. Das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen.
doch überhaupt nicht über Redlichkeit diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
der FDP) GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]:
Eine Entschuldigung fehlt!)
Es muss eine Übergangsfrist geben. Wir haben über
die Frage diskutiert, wie lang diese sein muss; darüber Wenn Sie jetzt wieder mit der Ausrede kommen, Sie
werden wir im Rahmen des Moratoriums sicherlich neu hätten das kerntechnische Regelwerk auf den Weg ge-
diskutieren. bracht, entgegne ich: Das war ein langer Weg; sieben
Jahre regierte Rot-Grün.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ich dachte, Sie wollen aussteigen! Jetzt (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist noch nicht
wollen Sie darüber „neu diskutieren“!) einmal Stammtischniveau!)
Auch muss man Ihnen deutlich sagen – Kollege Anschließend war Herr Gabriel Umweltminister. Jetzt,
Kauch hatte damit schon angefangen –: Konsens bestand in der Erprobungsphase, kann man doch nicht sagen,
hinsichtlich des Sicherheitsniveaus. Man muss klarstel- dass Herr Röttgen daran schuld ist, dass das Ganze noch
11212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Dr. Georg Nüßlein


(A) nicht in Gang gesetzt wurde. Das kann doch nicht wahr Nun hat es auch Herr Seehofer gemerkt. Dabei wurde (C)
sein. schon in der Anhörung am 21. Oktober 2010 deutlich,
dass keines der älteren Kraftwerke gegen einen Absturz
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Ihre Rede kann
von Kleinflugzeugen gesichert ist. Gegen den Absturz
nicht wahr sein!)
großer Passagierflugzeuge haben wir erst recht keinerlei
Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was wir an dieser Absicherung.
Stelle tun, ist richtig, und es ist auch richtig – ich sage das,
weil die Ethikkommission hier kritisiert worden ist –, (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Und Ihre Kon-
noch einmal über das Thema Restrisiko zu diskutieren. sequenz? Und Gabriels Konsequenz? Nichts!
Welches Restrisiko ist gesellschaftlich akzeptiert? Da- Der hat es doch genauso akzeptiert!)
rüber muss auch unter ethischen Gesichtspunkten disku- Es war fahrlässig, falsch und nur Wirtschaftsinteressen
tiert werden. Eines ist uns allen klar: Egal was wir an die- geschuldet, dass Sie die Laufzeit verlängert haben. Das
ser Stelle tun, es wird ökonomische und ökologische war ein unsinniger Beschluss.
Konsequenzen – Stichwort „Klimaschutz“ – haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Noch etwas möchte ich unterstreichen: Unabhängig DIE GRÜNEN)
von der Frage, was bei dem Moratorium am Ende he-
rauskommt, ist das entscheidend, was international pas- Im Moment erleben wir, dass das Unwahrscheinliche,
siert. Wenn sich an der Haltung zur Kernenergie auf in- das Seltene alltäglich geworden ist. Gerade die Ereig-
ternationaler Ebene nichts ändert, insbesondere nicht in nisse, die nicht vorhersehbar sind, bewirken in unserer
Europa, werden wir keinen Gewinn an Sicherheit, aber Welt oft die entscheidenden Veränderungen. Wir haben
einen Verlust an ökonomischer Unabhängigkeit haben. das am 11. September 2001 erlebt. Kein Mensch hat je
mit einer solchen Gefährdung gerechnet. Jetzt haben wir
Vielen herzlichen Dank. das in Japan erlebt. Selbst wir, die wir immer schon ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen Atomkraftwerke gekämpft und uns gegen die Nut-
zung der Atomkraft eingesetzt haben,
Vizepräsidentin Petra Pau: (Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Christian
Das Wort hat die Kollegin Ute Vogt für die SPD-Frak- Ruck [CDU/CSU]: Das ist wahnsinnig konse-
tion. quent!)
(Beifall bei der SPD) haben nicht damit gerechnet – wir haben nicht damit
rechnen wollen –, dass es so schnell zu einem Störfall
(B) Ute Vogt (SPD): dieses Ausmaßes kommen kann. (D)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben Ihre Rede mit der Be-
wahnsinnig tapfer, was Sie da sagen!)
merkung begonnen, dass es Ihnen um Redlichkeit geht.
Wenn es Ihnen um Redlichkeit gegangen wäre, hätten Wir müssen uns bewusst werden, dass wir eine Techno-
Sie mit einer Entschuldigung begonnen. Dann hätten Sie logie in Gang gesetzt haben, hinsichtlich der ein Teil des
deutlich gemacht, dass Sie falsch gelegen haben Parlaments schon lange vorbereitet hat, aus ihr auszu-
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Besonders steigen, weil erkannt worden ist, welche Gefährdungen
Sie müssen das sagen!) sie birgt. Diese Technologie entzieht sich in einem Stör-
fall jeglicher Kontrolle.
mit der ungeprüften Verlängerung der Laufzeiten, die
Sie in Gang gesetzt haben. Sie haben in der Art und Weise, wie Sie Ihre Regie-
rungsverantwortung und die politische Verantwortung in
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Hände der Atomlobby gegeben haben, im Grunde
DIE GRÜNEN – Dr. Christian Ruck [CDU/ genommen einen Fall von beispielloser Verantwortungs-
CSU]: Sie sollten sich schämen!) losigkeit in politischen Entscheidungen gezeigt.
Ich kann verstehen, dass Sie sich für solche oberfläch- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
lichen Entscheidungen in Grund und Boden schämen. DIE GRÜNEN – Christian Hirte [CDU/CSU]:
Zur Politik gehört aber, dass man auch in solchen Au- Sie müssen nicht von sich auf andere schlie-
genblicken Haltung bewahrt und Demut zeigt, wo sie an- ßen!)
gebracht ist, und hier keine Märchenstunde abhält, was
wir gerade bei Ihnen und Herrn Kauch erlebt haben. Den Geheimvertrag haben nicht die Ministerien mit
den Betreibern von Atomkraftwerken ausgehandelt, son-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dern es haben Anwaltskanzleien der Betreiber von Atom-
DIE GRÜNEN – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: kraftwerken mit einer Anwaltskanzlei, die den Auftrag
Sie leiden doch unter Amnesie!) der Bundesregierung hatte, verhandelt, um einen Ge-
Wissen Sie, Herr Kollege Nüßlein, das Atomkraft- heimvertrag festzulegen. Ich sage Ihnen: Das kann doch
werk Isar liegt auf einmal, seit dem 11. März 2011, in ei- wohl nicht wahr sein!
ner Einflugschneise.
(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist auch
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) nicht wahr!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11213
Ute Vogt
(A) Wo, wenn nicht in der Bundesregierung, haben wir viele Diskutiert, beraten und philosophiert wurde über (C)
ausgezeichnete Juristen? Herr Staatssekretär Stadler die Atomkraft in den letzten 30 Jahren genug. Alle
wird das bestätigen können. Dennoch nutzen Sie eine Argumente liegen auf dem Tisch. Angela Merkel
Anwaltskanzlei für Geheimverhandlungen, und am Ende muss etwas machen, was ihr gar nicht liegt: Sie
stellt sich heraus, dass diese auch schon für die Atom- muss sich festlegen. Jetzt sind politische Entschei-
konzerne tätig gewesen ist. dungen gefragt. Schwarz-Gelb muss Farbe beken-
nen, wohin die Reise in der Energiepolitik gehen
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Die nächste soll.
Lüge!)
Das sind Folgen einer unglaublichen Wirtschaftshörig- Vizepräsidentin Petra Pau:
keit, die Ihre Augen vor allen anderen Risiken ver- Kollegin Vogt, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
schließt. kommen.
(Beifall bei der SPD – Michael Kauch [FDP]:
Utes Märchenstunde!) Ute Vogt (SPD):
Ich sage Ihnen: Wenn Ihre Kanzlerin für diese Ent-
Schauen wir uns jetzt einmal an, wie die Überprüfung scheidungen zu feige ist, dann nehmen Sie als Parlamen-
der Sicherheit von Atomkraftwerken ablaufen soll. Wir tier es in die Hand. Haben Sie Mumm! Zeigen Sie ein-
haben uns schon ein bisschen die Augen gerieben, als es mal Verantwortungsgefühl, und verabschieden Sie ein
heute Morgen im Umweltausschuss hieß, dass auch der Abschaltgesetz!
TÜV Süd wieder maßgeblich beteiligt ist, wenn es um
die Überprüfung und die weitere Kontrolle der Sicher- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
heit geht. Das Mitgliederverzeichnis des TÜV Süd, also DIE GRÜNEN)
das Mitgliederverzeichnis eines e. V., weist die EnBW,
Vattenfall, Eon und andere aus. Vizepräsidentin Petra Pau:
(Michael Kauch [FDP]: Wie war es denn unter Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Brunkhorst das
Gabriel? – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wort.
Gabriel und Steinmeier, das sind die Ober- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
scheinheiligen!) der CDU/CSU – Michael Kauch [FDP]: Jetzt
wird es einmal sachlich!)
Ich glaube, dass wir gut daran tun, jetzt nicht nur ober-
flächlich darüber zu diskutieren, was notwendig ist, son-
(B) dern auch zu schauen, wem wir die Verantwortung über- Angelika Brunkhorst (FDP): (D)
haupt noch in die Hände legen können. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach so viel Aufgeregtheit werde ich einmal versuchen,
Wir haben heute ein beispielloses Versagen von desin- hier ein bisschen Ruhe hineinzubringen.
teressierten Landesministerien erlebt, und zwar am Bei-
spiel von Baden-Württemberg, wo es im Umweltministe- (Ute Vogt [SPD]: Ein bisschen Temperament
rium kein vernünftiges Meldesystem gibt. Die Ministerin schadet nicht!)
lässt sich bei diesem schwierigen Thema nicht etwa in – Temperament hat damit gar nichts zu tun. Es hat damit
regelmäßigen Abständen informieren; vielmehr sind es zu tun, dass die Notwendigkeit besteht und dass man die
ausschließlich Beamte, die sich wöchentlich treffen, um Chance nutzen kann, den Bürgern draußen im Lande
über mögliche Vorfälle zu diskutieren. Wir haben außer- klar darzulegen, was alles im Moment im Hintergrund
dem erfahren, dass die Ministerin nur dann eingeschaltet läuft und was getan wird; das wird hier ja völlig unter
wird, wenn tatsächlich etwas Gravierendes passiert. Ich den Tisch gekehrt.
sage Ihnen: Nach den Maßstäben, die in Baden-Württem-
berg angelegt werden, hat man den Eindruck, dass etwas (Beifall bei der FDP)
Gravierendes am Ende allenfalls noch die Kernschmelze Wir alle haben uns dazu verpflichtet – Sie selbst
sein könnte. auch –, aus dem Reaktorunglück in Fukushima Lehren
(Beifall bei der SPD – Christian Lange [Back- zu ziehen.
nang] [SPD]: „Abschalten, abwählen!“, kann (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Welche?)
man da nur sagen!)
Leider wissen wir heute noch nicht im Detail, wie groß
die Schäden sein werden, welche Kontaminationen es
Vizepräsidentin Petra Pau:
gibt usw. Wir müssen die Ursachen und die Wirkungs-
Kollegin Vogt, kommen Sie bitte zum Schluss! ketten kennen, wenn wir daraus Schlussfolgerungen für
die Sicherheit der kerntechnischen Anlagen in Deutsch-
Ute Vogt (SPD): land ziehen wollen.
Ich möchte Ihnen abschließend ein Zitat aus einer ba-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
den-württembergischen Zeitung vorlesen, die nicht un-
NEN]: Abschalten!)
bedingt immer sozialdemokratische Politik befürwortet,
nämlich aus den Stuttgarter Nachrichten. Diese Zeitung Die Bundesregierung hat in Anbetracht der Umstände
schreibt heute, wie ich finde, sehr treffend: schnell gehandelt. Zwei Drittel der Bundesbürger befür-
11214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Angelika Brunkhorst
(A) worten, dass die Bundesregierung das dreimonatige Mo- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
ratorium verfügt hat. NEN]: Und in fünf Jahren haben wir ein Er-
gebnis!)
(Ulrich Kelber [SPD]: 80 Prozent halten es für
einen Wahlkampftrick!) Diese Gutachten werden eine konkrete Grundlage zur
Beurteilung jedes einzelnen Kraftwerks sein. Sollte
Wir werden dieses Moratorium nutzen, um über die Si-
diese Risikoanalyse ergeben, dass ein Kraftwerk den
cherheitsannahmen und die Sicherheitsreserven intensiv
möglicherweise veränderten und erhöhten Sicherheitsan-
und seriös nachzudenken.
forderungen nicht entspricht, dann muss entsprechend
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nachgebessert werden.
An dieser Stelle ist festzuhalten – das kann man gar (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nicht oft genug tun –, dass deutsche Kernkraftwerke NEN]: Ich dachte, abgeschaltet!)
über ein hohes Sicherheitsniveau verfügen.
Wenn sich das wirtschaftlich nicht darstellen lässt, dann
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird man unter Umständen überlegen müssen, ob diese
NEN]: Das haben auch die Japaner gesagt! – Kraftwerke weiter betrieben werden können.
Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Erörtern
Sie mal, was „unter Umständen“ heißt!)
Das haben selbst die Kernenergiekritiker Gerhard
Schröder und Jürgen Trittin im Ausstiegsbeschluss be- – Ich denke, hier sind keine Fragen zugelassen.
stätigt. Wörtlich heißt es darin – ich zitiere aus dem Aus- (Lachen bei der SPD – Christian Lange [Back-
stiegskonsens –, dass die nang] [SPD]: Bei Ihrem Vortrag sind sie zwin-
kerntechnischen Anlagen auf einem international gend!)
gesehen hohen Sicherheitsniveau betrieben werden. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die
Das ist die Formulierung der beiden Herren. Zwölfte Atomgesetznovelle mit dem neuen § 7 d zu
sprechen kommen, weil Sie immer sagen, wir täten
An dieser Stelle möchte ich den Bürgern klar sagen nichts für zusätzliche Sicherheit. In diesem neuen § 7 d
– das haben wir nicht nur in der Vergangenheit gemacht, wird erstmals eine aktive, dynamische Beteiligung der
sondern das machen wir ständig –, dass im Rahmen von Betreiber eingefordert. Danach müssen die Betreiber, hi-
Änderungsgenehmigungen und periodischen Sicher- nausgehend über das, was irgendwann einmal Stand von
heitsüberprüfungen sowie bei der laufenden Überwa- Wissenschaft und Technik war, die neuesten technischen (D)
(B) chung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden in den
und wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgreifen und aus
Ländern das Sicherheitsniveau ständig überprüft wird. eigener Initiative nachrüsten.
Dadurch wird die Sicherheit garantiert. Die Frage, die
wir uns heute stellen wollen – an dieser Stelle hören Sie Sie haben vorhin den Rat der Weisen ein wenig herab-
nie genau zu –, lautet: Gibt es Szenarien oder Ereignisse lassend dargestellt.
über unsere im Atomgesetz abgebildeten Sicherheits-
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
kriterien hinaus, die wir in Betracht ziehen müssen? Da- NEN]: Was ist denn der Rat der Weisen, Frau
rüber müssen wir seit den Ereignissen in Japan nachden-
Kollegin?)
ken.
Die Diskussionen in der Bevölkerung zu diesem Thema
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
und die große mediale Aufmerksamkeit machen es gera-
NEN]: Wir kennen doch die Terrorgefahren!
dezu notwendig, dass man alle gesellschaftlichen Grup-
Darüber müssen wir nicht nachdenken!)
pen abbildet. Beim Rat der Weisen handelt sich immer-
– Ich rede nicht nur von Terrorgefahren. Das ist für mich hin um hochrangige und anerkannte Experten. Ich finde,
nicht unbedingt entscheidend. Das mag ja für Sie ent- man sollte hier jetzt nicht so tun, als ob sie nichts zu sa-
scheidend sein. gen hätten. Es sind durchaus Personen dabei, denen Sie
sonst den Rücken stärken. Tun Sie also bitte nicht so, als
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ob das alles nicht gewollt ist. Ich denke, die Bevölkerung
NEN]: Genau das ist das Problem!) wird es dankbar aufnehmen und froh darüber sein, nicht
– Das ist kein Problem. Es hat vielmehr mit der Frage zu nur von Politikern, sondern auch von Persönlichkeiten
tun, wie man die Risikofaktoren einschätzt. aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen die Mei-
nung zu hören.
Das Bundesumweltministerium hat uns heute den
Fahrplan im Umweltausschuss erörtert. Eine erste Ideen- Ich danke für die Aufmerksamkeit.
liste ist bereits vorgelegt worden. Die Staatssekretärin
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
hat gesagt, dass bis zum Ende dieses Monats eine end-
der CDU/CSU)
gültige Prüffassung vorgelegt werden wird. Diese wird
den Bundesländern zugeleitet. Die zuständigen Geneh-
migungsbehörden werden ihrerseits die Gesellschaft für Vizepräsidentin Petra Pau:
Anlagen- und Reaktorsicherheit beauftragen, konkrete Das Wort hat die Kollegin Johanna Voß für die Frak-
technisch-wissenschaftliche Gutachten zu erstellen. tion Die Linke.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11215
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) (Beifall bei der LINKEN) eventuell noch schützen. Bei Atommüllzwischenlagern (C)
ist der Lagerbehälter die einzige Barriere. Sie allein soll
Johanna Voß (DIE LINKE): ausreichen, den hochradioaktiven Müll von der Umwelt
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man abzuschirmen. Ein fundamental wichtiges und interna-
hört jetzt oft: Nur ein abgeschaltetes Atomkraftwerk ist tional anerkanntes Sicherheitsprinzip wird hier ignoriert.
ein sicheres Atomkraftwerk. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Wer aber wie ich aus Lüchow-Dannenberg, aus dem Auch die Hallen der Zwischenlager dienen nur dem
Wendland, kommt, der weiß es besser: Nur ein zurück- Schutz vor Regen – das sind Kartoffelscheunen –, aber
gebautes Atomkraftwerk ist ein sicheres Atomkraftwerk. sie schützen die Bevölkerung keineswegs vor der ständi-
gen Neutronenstrahlung.
(Beifall bei der LINKEN)
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war
Damit sind wir genau bei dem Punkt, der hier bislang eine rot-grüne Idee!)
ausgelassen wurde. Wenn die Regierungsparteien jetzt
feststellen, dass die Sicherheitsanforderungen an Atom- Diese Strahlung geht die ganze Zeit von den Castoren
kraftwerke nicht ausreichen, stellen sich folgende Fra- aus – da braucht man sich nichts vorzumachen – und
gen: Wie sieht es denn bei den Zwischenlagern aus? Wie schädigt die Umwelt. Hinzu kommt: Ob ein Castor-Be-
sieht es bei Atommülltransporten aus? Wie sieht es bei hälter überhaupt 40 Jahre hält – so ist es vorgesehen –
der langfristigen Lagerung radioaktiver Abfälle aus? oder ob er nicht vielmehr porös wird und das Material
durch die starke Strahlung zerfällt, wissen wir nicht.
Wer Atomkraft nutzt, produziert Atommüll, und zwar
in riesigen Mengen. Jedes Jahr fallen in deutschen (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Atomkraftwerken rund 400 Tonnen abgebrannte Brenn- Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das ist
elemente an. Sie sind hochradioaktiv. Trotzdem gibt es doch Unfug!)
beim Transport und bei der Lagerung nicht annähernd so – Es ist noch kein Castor 40 Jahre alt. Es ist noch keiner
hohe Sicherheitsanforderungen wie bei Atomkraftwer- mit Glaskokillen oder abgebrannten Brennstäben 40 Jahre
ken, und das, obwohl auch die Sicherheitsanforderungen lang irgendwo gelagert worden.
an AKW, wie es das BMU in dem erwähnten internen
Papier festgestellt hat, viel zu niedrig sind. Japan zeigt Wir fordern, dass die Sicherheitsanforderungen bei
uns, dass selbst zwischengelagerte Brennelemente das der Lagerung massiv verschärft werden. Auch hier muss
Potenzial für einen GAU haben. Auch dieses akute Pro- das Prinzip der Mehrfachbarrieren gelten. Auch hier
(B) blem gehört auf den Tisch. muss jedes Unfallszenario einkalkuliert werden. Ebenso (D)
müssen die Gefahren, die insbesondere durch die
Dazu ein paar Fakten: Ein Castor-Behälter enthält Niedrigstrahlung von Castor-Behältern ausgehen, neu
über 1 000 Trillionen Becquerel. Anders ausgedrückt: bewertet werden. Dafür brauchen wir eine systematische
Die Radioaktivitätsmengen von Gorleben betragen ein Erfassung der durch Neutronenstrahlen verursachten Ge-
Zigfaches der bei der Tschernobyl-Katastrophe frei ge- sundheitsschäden, der Krebserkrankungen und der signi-
wordenen Radioaktivität. Greenpeace sagt: Castoren fikant niedrigeren Geburtenrate bei Mädchen, die rund
sind nur unzureichend gesichert. Sie sind in der Nähe um Gorleben und rund um die Asse festgestellt wurde;
des Deckels und des Bodens ohne Abschirmung. Neu- dies wurde übrigens auch nach den Atombombenabwür-
tronenstrahlung kann an diesen Stellen ungehindert fen über Hiroshima und Nagasaki festgestellt.
durchkommen. Prüfvorschriften sind so gestaltet, dass
diese Mängel bei Castor-Behältern für Brennelemente Schließlich: Die Asse ist abgesoffen. Ebenso sind
nur teilweise, bei Castor-Behältern für Glaskokillen gar Gorleben und der Schacht Konrad als Standorte für ein
nicht erfasst werden. Diese Prüfvorschriften für den sogenanntes Endlager bewiesenermaßen ungeeignet.
Transport und die Lagerung wurden von der dafür ver- Wir brauchen einen Schnitt. Wir brauchen ein Verfahren
antwortlichen Firma GNS entwickelt. Der TÜV und die zur Auswahl eines Standortes für die sichere Lagerung
zuständigen Behörden BfS und BAM haben sie unverän- von Atommüll. Hier brauchen wir ganz dringend Bür-
dert genehmigt. Wir brauchen eine unabhängige Revi- gerbeteiligung, Frau Heinen-Esser, und keinen Dialog.
sion der Prüfvorschriften und in dieser Zeit einen Trans- Die nationale Lagersuche muss beginnen: transparent,
portstopp für weitere Castoren. ergebnisoffen und mit Beteiligung der Bürger, aber nicht
so, wie sie bisher gelaufen ist.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Wenn Lobbygruppen Prüfvorschriften ausarbeiten, ist al-
neten der SPD)
lein das ein Grund, nach diesen Vorschriften keine neue
Genehmigung zu erteilen. Mir wird immer wieder versichert, dass ein Atom-
meiler extrem sicher ist und 10 000 Jahre hält. Man muss
(Beifall bei der LINKEN)
aber weiterrechnen. Es gibt über 400 Atomkraftwerke auf
Aber es geht noch weiter. Bei Atomkraftwerken gilt: der Welt. Das bedeutet: Im Schnitt gibt es alle 25 Jahre
Die Radioaktivität im Reaktorinnern wird durch mehrere einen Unfall, einen GAU. Wir haben das erlebt; wir
voneinander unabhängige Barrieren von der Umwelt ab- brauchten es aber nicht mehr. Denn wir hätten die Atom-
geschirmt. Wird eine Hülle zerstört, kann die zweite kraftwerke längst abschalten können, wir hätten längst
11216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Johanna Voß
(A) umdenken können, und wir hätten uns längst auf die Su- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
che nach einem sicheren Lager für abgebrannte Brennele- NEN]: Für Sie hat sich das geändert!)
mente machen können.
Sie hat sich deshalb geändert, weil wir aus den Ereignis-
Wir brauchen Schutz vor Flugzeugabstürzen, wir brau- sen in Japan lernen mussten, dass sich Zwischenfälle er-
chen Schutz vor Naturkatastrophen, wir brauchen Schutz eignen können, deren Stärke, deren Dramatik und deren
vor Terrorangriffen, wenn wir in unserem Land Atom- mögliche Häufung die Auslegung von Kernkraftwerken
kraft nutzen. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es darf kein bezüglich ihrer Sicherheit infrage stellen können.
weiterer Atommüll produziert werden. Deswegen gilt:
AKW abschalten, und zwar alle, unumkehrbar und ohne Ich begrüße das Moratorium, nach dem die sieben äl-
weiteres Hinauszögern! Mehr Atommüll können und dür- testen deutschen Kraftwerke, die vor 1980 in Betrieb ge-
fen wir uns nicht leisten. gangen sind, vorübergehend vom Netz genommen wur-
den. In diesen drei Monaten soll die Sicherheit aller
Danke schön. 17 Kraftwerke, nicht nur die der sieben ältesten, noch
einmal grundlegend überprüft werden, und zwar nach
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Maßgaben, die die Reaktor-Sicherheitskommission neu
neten der SPD) erarbeitet.
Die Reaktor-Sicherheitskommission ist eine Kommis-
Vizepräsidentin Petra Pau:
sion, die den Bundesumweltminister berät. Trotz bester
Kollegin Voß, das war Ihre erste Rede im Hohen Kompetenz, Herr Kollege Miersch, können wir hier im
Hause. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Bundestag gar nichts ausrichten. Das müssen Techniker
Arbeit. machen; das müssen Fachleute machen. Das können
(Beifall) keine Politiker machen. Deshalb ist es selbstverständlich
richtig, dass die Reaktor-Sicherheitskommission jetzt
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Dr. Flachsbarth schaut,
das Wort.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NEN]: 17 Atomkraftwerke in drei Monaten?
Das dauert mindestens ein Jahr!)
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): wie denn die Sicherheitsmaßgaben in Bezug auf kumula-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tive Ereignisse, auf die Größe von Schadensereignissen,
Es ist wirklich gut, dass es in diesem Parlament ein paar auf Naturkatastrophen, Klimawandel, Cyberangriffe, ter-
(B) Abgeordnete gibt, die schon immer alles wussten – roristische Gefahren usw. ausgelegt sind. (D)
schade nur, dass der Erkenntnisprozess und konkretes
politisches Handeln oftmals auseinanderfallen. Heute Morgen ist uns im Umweltausschuss mitgeteilt
worden, dass das neue Prüfkonzept bis Ende kommender
(Ute Vogt [SPD]: Oh ja! Stimmt! – Oliver Woche konkretisiert wird und dass danach die Unter-
Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor- suchungen im Hinblick auf diese Punkte beginnen. Das
sicht! Das trifft auch auf Sie zu!) begrüße ich ausdrücklich. Darüber hinaus ist eine Ethik-
kommission unter der Leitung des ehemaligen Umwelt-
Liebe Frau Kollegin Voß, vielen Dank für Ihre beden-
ministers Klaus Töpfer und des Präsidenten der Deut-
kenswerten Worte, die Sie zur Zwischenlagerung und zu
schen Forschungsgemeinschaft, Professor Matthias
Castor-Transporten vorgetragen haben. Das waren aller-
Kleiner, eingesetzt worden, in der auch Vertreter der en-
dings keine Erkenntnisse, die wir erst in den letzten Jah-
ergieintensiven Industrie, von Gewerkschaften, Kirchen
ren gewonnen haben, sondern diese Fragen stellen sich
und weiteren gesellschaftlich relevanten Gruppen mit-
schon seit Jahrzehnten. Wir sollten gemeinsam daran ar-
wirken. Auch dafür gab es schon viel Häme.
beiten – hier bin ich ganz bei Ihnen –, so schnell wie
möglich ein sicheres Endlager für hochradioaktive Ab- Ich will sagen, meine sehr geehrten Kolleginnen und
fälle zu finden. Wenn zumindest dies bei dieser Debatte Kollegen: Ende der 60er- bis Mitte der 70er-Jahre des
herauskommen würde, wäre das schon ein großer Erfolg. letzten Jahrhunderts gab es einen gesamtgesellschaftli-
chen Konsens darüber, dass Kernenergie ein wichtiger
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Baustein für die Energieversorgung in Deutschland sei.
Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Man plante sogar bis zu 50 neue Kernkraftwerke.
NEN]: Bringen wir den Atommüll also nach
wie vor nach Gorleben, ja? Oder gibt es da in- (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zwischen neue Erkenntnisse?) DIE GRÜNEN)
Die objektive Sicherheitslage für Kernkraftwerke in – Nun hören Sie doch zu und brüllen Sie nicht herum!
Deutschland hat sich auch nach den Ereignissen in Japan Damit kommen wir bei der Lösung dieser Problematik
ohne Zweifel nicht geändert. keinen Schritt weiter.
(Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU)
NEN]: Aha! Das ist ja interessant!)
Ich bin davon überzeugt, liebe Kolleginnen und Kol-
Was sich geändert hat, ist die Bewertung des Restrisikos. legen auf allen Seiten des Hauses: Wir brauchen auch
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11217
Dr. Maria Flachsbarth
(A) heute wieder einen gesamtgesellschaftlichen Konsens Christine Lambrecht (SPD): (C)
über Energiepolitik in diesem Lande; Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Flachsbarth, ich kann Ihnen versichern,
(Zuruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜND-
dass ich in dieser Diskussion sachlich bleibe. Aber ich
NIS 90/DIE GRÜNEN] – Weitere Zurufe von
kündige an: Ohne Emotionen geht es ganz bestimmt
der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nicht. Das hat damit zu tun, dass ich aus dem Wahlkreis
NEN)
komme, in dem Biblis liegt. Sie können sich vorstellen,
denn Energiepolitik ist die Grundlage für den Industrie- wie hoch angesichts der Situation die Emotionen da im
standort Deutschland. Das wiederum ist die Grundlage Moment schlagen. Aber das hat auch etwas damit zu tun,
für den Wohlstand in Deutschland. welche Argumente in dieser Debatte vorgetragen wer-
den. Es ist nicht zu fassen, welche dreisten, unverschäm-
Wir stehen jetzt vor ganz neuen Herausforderungen,
ten Angriffsversuche von der CDU/CSU uns gegenüber
aber natürlich auch vor neuen Chancen. Wichtig ist mir
gestartet werden. Ich will Ihnen auch sagen, warum.
auch der Gesamtzusammenhang im Hinblick auf die No-
velle zum EEG im nächsten Sommer. Wichtig ist für Ich habe Herrn Nüßlein so verstanden, dass Sie quasi
mich, dass wir jetzt an die Bundesregierung die drin- gezwungen waren, eine Laufzeitverlängerung vorzuneh-
gende Bitte richten, men, weil wir nicht sofort aus der Atomenergie ausge-
stiegen sind. Ist das verkehrte Welt, oder wie habe ich
(Frank Schwabe [SPD]: Was heißt eigentlich
das zu verstehen?
„Bitte“?)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
auf der Grundlage des Energiekonzeptes den Ausbau
DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das war
von erneuerbaren Energien, den Ausbau von Netzen,
wirklich der Gipfel!)
von Speichern, auch im Hinblick auf Elektrolyse und auf
erneuerbares Methan, zu konkretisieren und zu be- Das ist doch nichts anderes als ein kläglicher Versuch,
schleunigen. Ihre Rolle rückwärts jetzt noch mit irgendwelchen Argu-
Aber wir müssen alle wissen – deshalb bitte ich um menten zu begründen.
diesen Grundkonsens –: Auch dies wird keine Harmo- (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Nein! Das hat
nieveranstaltung: nicht bezüglich des Ausbaus von Net- mit Ihrer Glaubwürdigkeit und Ihrer Schein-
zen, nicht bezüglich des Ausbaus von Speichern und heiligkeit zu tun! Das ist es!)
auch nicht bezüglich des Zubaus von Anlagen zur Ge-
winnung von erneuerbaren Energien. Wir kennen doch Sie wissen, dass Sie mit dem Rücken zur Wand ste-
hen; denn die Bürgerinnen und Bürger haben nicht ver-
(B) die Stichworte: in Bezug auf Wind die Verspargelung der gessen, dass Sie es waren, die angesichts ganz vieler (D)
Landschaft, in Bezug auf Biomasse die Vermaisung der
Landschaft, in Bezug auf Geothermie die Angst vor seis- Vorfälle und angesichts ganz vieler bekannter Umstände
mischen Ereignissen und auch die Angst vor radioakti- im letzten Jahr die Laufzeitverlängerung beschlossen ha-
ver Bedrohung, in Bezug auf Wasserkraft die Durchläs- ben. Deswegen versuchen Sie jetzt, uns nach dem Motto:
sigkeit der Flüsse. Wir kennen das doch alles. „Angriff ist die beste Verteidigung“ an die Wand zu stel-
len. Das wird Ihnen nicht gelingen. Das sehen Sie auch
Meine Damen und Herren, ich würde uns sehr drin- an den aktuellen Umfrageergebnissen.
gend zu einer Versachlichung der Debatte raten. Ich
hoffe, dass es dazu kommt, wenn sich der Pulverdampf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
der Wahlkämpfer am nächsten Wochenende verzogen DIE GRÜNEN)
hat. Es ist zutreffend, dass 70 Prozent der Bürgerinnen
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Dann und Bürger es begrüßen, dass Sie jetzt aussteigen bzw.
zeigt die CDU ihr wahres Gesicht!) die acht ältesten Atomkraftwerke abschalten und die an-
deren überprüfen wollen. Aber auch diese Wahrheit ge-
Energiepolitik bleibt ein hochemotionales Thema. Wir hört dazu: 80 Prozent kaufen Ihnen das nicht als ehrliche
können dieses Thema missbrauchen, um uns gegenseitig Position ab, sondern sehen das als nichts anderes als ein
politisch vorzuführen. Aber ich glaube nicht, dass das Wahlkampfmanöver an, was es auch ist.
der Zukunft dieses Landes tatsächlich dient.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Vielen Dank. DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang]
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – [SPD]: Nichts anderes!)
Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lassen Sie mich jetzt noch auf ein paar Argumente
NEN]: Ich werde Sie beim Wort nehmen, Frau eingehen, die in der Debatte schon genannt worden sind.
Flachsbarth! – Christian Lange [Backnang]
[SPD]: Aussteigen und Abschalten!) Herr Nüßlein, Sie haben gesagt: Wir alle sind uns da-
rüber einig, dass es ein Ende der Atomkraft gibt und es
Vizepräsidentin Petra Pau: nur noch darum geht, wann dieses Ende eintritt. – Ich
habe nicht den Eindruck, dass wir diesen Konsens hier in
Das Wort hat die Kollegin Lambrecht für die SPD-
diesem Haus haben. Mein Wahlkreiskollege von der
Fraktion.
CDU hat noch im Jahre 1998 gefordert, dass es in Biblis
(Beifall bei der SPD) nicht nur die Blöcke A und B, sondern auch noch einen
11218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Christine Lambrecht
(A) neuen Block C geben soll. Von wegen Konsens! Das Dies zeigt, mit welchem Zynismus Sie diese Themen an- (C)
müssen Sie sich einmal vorstellen. Es gibt in Ihren Rei- gehen. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass er sagt,
hen überhaupt keinen Konsens darüber, dass es tatsäch- man solle auch noch Sonnenkollektoren aufstellen, da-
lich ein Ende der Atomkraft gibt. mit man die Piloten blenden kann.
Frau Flachsbarth, Sie sagen, wir müssen jetzt darüber (Heiterkeit bei der LINKEN)
nachdenken, welche zusätzlichen Ereignisse, Umstände Wenn die Situation nicht so schlimm und schwierig
hinzukommen können, aufgrund derer man bei dem ei- wäre, könnte man wirklich darüber lachen. Das ist der
nen oder anderen Kraftwerk jetzt vielleicht neue Sicher- Zynismus, den Sie hier an den Tag legen.
heitsmaßnahmen auf die Beine stellt. Ich will Ihnen ein-
mal Folgendes sagen: Das Kraftwerk Biblis liegt in der Sie sagen, wir hätten die Standards in Bezug auf die
Einflugschneise des Frankfurter Flughafens. Das ist be- Sicherheitsanforderungen abgesenkt, während Sie im
kanntermaßen kein Regionalflughafen, sondern ein in- letzten Jahr bei der Verlängerung der Laufzeiten alles
ternationales Drehkreuz. Spätestens seit dem Jahr 2001, ganz groß aufgebaut hätten, sodass es jetzt sicher sei.
Lassen Sie mich mit Erlaubnis der Präsidentin noch ganz
(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Wer kurz etwas aus einem Brief von Herrn Schmalfuß, Jus-
regierte da noch mal?) tizminister in Schleswig-Holstein, zitieren, der zu dieser
Bewertung des § 7 d schreibt:
spätestens seit den terroristischen Angriffen, wird da-
rüber auch ganz intensiv diskutiert, da gerade dieses Für gänzlich inakzeptabel halte ich die von Ihnen
Kraftwerk nicht gegen Flugzeugabstürze – noch nicht geplante und regelungstechnisch auch in § 7 d AtG
einmal gegen Abstürze von kleinen Flugzeugen – gesi- verankerte Einschränkung des Rechtsschutzes Drit-
chert ist. ter. Das Bundesverwaltungsgericht hat gerade im
Urteil vom 10. April 2008 zum atomaren Standort-
(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Wer zwischenlanger Brunsbüttel in wünschenswerter
regierte da denn?) Klarheit ausgeführt, dass das Risiko terroristischer
– Sie können sich die Protokolle von 2001 einmal an- Anschläge
schauen. Sehen Sie sich doch einmal an, wer 2001 in – und damit eben auch Abstürze von Flugzeugen –
Hessen regiert hat.
grundsätzlich der Schadensvorsorge zuzurechnen
(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Ach so! ist und Dritte auch insoweit subjektive Rechte gel-
In Hessen!) tend machen können. Ich halte es für einen umwelt-
rechtlichen, umweltpolitisch sowie verfassungs-
(B) Ich weiß ganz genau: Seit 1999 haben wir in Hessen rechtlich und rechtspolitisch verfehlten Rückschritt, (D)
nicht mehr regiert.
– merken Sie sich das gut! –
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Tatenlos!)
wenn Sie nunmehr qua Gesetz trotz entgegenste-
Wir versuchen gebetsmühlenartig, darauf hinzuweisen, hender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
dass dieses Kraftwerk allein schon wegen dieser Gefähr- richtes in existente Rechtspositionen Dritter ein-
dung abgeschaltet werden muss. greifen wollen.
(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Und was haben Das ist die exakte Bewertung des von Ihnen zitierten
Sie gemacht?) § 7 d Atomgesetz. Es geht nicht um ein Mehr an Rech-
ten, sondern um einen Rückschritt.
Herr Kauch, Sie sagen: Wir müssen jetzt einmal über
Sicherheitspuffer nachdenken. Es gibt ganz interessante (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Vorschläge dazu. Ein Vorschlag ist zum Beispiel: Lasst DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das
uns doch um das Atomkraftwerk Biblis Windräder weiß der Herr Kauch auch! Das darf er nur
bauen. – Das soll nicht etwa geschehen, um erneuerbare nicht zugeben!)
Energien zu gewinnen, nein, der Vorschlag bezweckt:
Wir bauen Windräder um das Atomkraftwerk, damit sich Hören Sie auf mit diesen Nebelkerzen, und fangen Sie
abstürzende Flugzeuge darin verheddern. an, sich der ganzen Situation endlich einmal sachgerecht
zu widmen – durchaus mit Emotionen –; denn das ist ein
(Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und dem Thema, das die Menschen bewegt.
Bündnis 90/Die Grünen – Oliver Krischer
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Könnte von Vizepräsidentin Petra Pau:
der FDP sein!) Frau Kollegin Lambrecht, ich wollte gerne das voll-
– Darüber wird gelacht. Der Vorschlag ist aber gemacht ständige Zitat zulassen. Das heißt aber nicht, dass wir die
worden, und er kam zu dieser Zeit nicht von irgendwem, Redezeit verlängern. Schauen Sie bitte auf die Uhr und
auch nicht von einem Kabarettisten, sondern vom dama- kommen Sie bitte zum Schluss!
ligen FDP-Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Land- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
tag, Herrn Hahn, der heute Justizminister ist.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Christine Lambrecht (SPD):
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, ich komme zum Schluss.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11219
Christine Lambrecht
(A) Lassen Sie uns diese acht derzeit abgeschalteten alten NEN]: Das ist doch unglaublich! Nicht zu fas- (C)
Kraftwerke dauerhaft abschalten. Der Kraftwerksbetrei- sen! – Christian Lange [Backnang] [SPD]:
ber von Biblis verkündet heute schon, dass er die drei Kann es sein, dass Sie gegen die Bundesregie-
Monate abwarten wird, dass er aber selbstverständlich rung sprechen?)
davon ausgeht, dass es danach wieder hochgefahren
wird. Wir werden Sie beim Wort nehmen und nachhal- Wenn wir in der Frage einen Konsens anstreben wol-
ten, ob Sie in dieser Frage endlich Konsequenzen ziehen. len, dann müssen wir die Ursachen, die zu dem Desaster
in Japan geführt haben, gründlich analysieren und einen
Vielen Dank. Vergleich zwischen der Sicherheitstechnik in Japan und
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in Deutschland ziehen.
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
GRÜNEN) Christian Lange [Backnang] [SPD]: Was heißt
das jetzt für heute? Weiter Atomenergie zulas-
Vizepräsidentin Petra Pau: sen, oder was heißt das? Nichts tun oder wie?)
Das Wort hat der Kollege Obermeier für die Unions- Ich verspreche Ihnen: Wir werden zu völlig unterschied-
fraktion.
lichen Ergebnissen kommen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Ich will nicht sagen, dass wir so weitermachen sollen
wie bisher.
Franz Obermeier (CDU/CSU): (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Sagen Sie doch mal
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Japan etwas zu Isar 1!)
ist von einer der schlimmsten Naturkatastrophen seit Ich bin davon überzeugt, dass wir auf Grundlage der Be-
Menschengedenken betroffen. Ein schweres Erdbeben wertung der Ereignisse in Japan zu neuen Kriterien kom-
und ein gewaltiger Tsunami auf einer Strecke von über men werden, die ohne jeden Zweifel zur Folge haben
1 000 Kilometern haben die Küste auf einer Breite von können, dass die infrage stehenden Kernkraftwerke ab-
10 Kilometern und mehr verwüstet. geschaltet bleiben und möglicherweise weitere vom
Frankreich macht Hilfsangebote an Japan. Die USA Netz gehen werden. Wir dürfen aber keinen Vergleich
helfen vor Ort. Russland bietet Hilfe für verstrahlte zwischen den Verhältnissen in einem akuten Erdbeben-
Menschen und Obdachlose an. Was machen wir? gebiet mit einem drohenden Tsunami und den Verhält-
nissen in Mitteleuropa ziehen. Hier gelten andere Krite-
(Ute Vogt [SPD]: Das THW war schon da!) rien.
(B) Die Opposition nutzt die Aktuelle Stunde für ihr Ge- (D)
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
schrei und führt einen Veitstanz auf.
an die Kollegin Ute Vogt richten. Frau Vogt, ich emp-
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie fehle Ihnen dringend ein Gespräch mit Altbundeskanzler
haben so schön angefangen! – Ulrich Kelber Helmut Schmidt.
[SPD]: Sie haben persönlich gegen Hilfe für
Japan gestimmt! Am letzten Donnerstag in (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig! Ganz
diesem Plenum!) genau! – Ulrich Kelber [SPD]: Und Ihnen mit
Herrn Töpfer!)
– Herr Solar-Kelber, Sie nutzen diese Gelegenheit hier
als Theater, statt gemeinsam und in aller Ruhe darüber Ihnen ist völlig entgangen, dass die allermeisten Kern-
zu diskutieren, welche Bedeutung das Ganze für unsere kraftwerke in der Regierungszeit der SPD genehmigt
Energiepolitik in Deutschland hat. und gebaut wurden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Hermann Ott (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil das neten der FDP – Ute Vogt [SPD]: Vor meiner
auch hier passieren kann!) Geburt!)
Als ob die zwei verheerenden Ereignisse nicht rei- Sie stellen sich hierhin und informieren die Öffentlich-
chen würden, kommt es bei den Kernkraftwerken noch keit völlig falsch. Nach Ihrem Slogan müsste man sagen:
zu Ausfällen der Notfalleinrichtungen. Die Notstromver- Sie lügen.
sorgung funktioniert nicht. Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
es wäre angebracht, dass wir mit einer gewissen Demut Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
über dieses Thema reden, NEN]: Und Sie von der CDU etwa nicht? –
(Christine Lambrecht [SPD]: Ihr ja!) Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Waren Sie damals dagegen, wenn Sie
weil wir noch nicht wissen, woran es gelegen hat, dass schon dabei waren?)
die Sicherungseinrichtungen ausgefallen sind. Das wis-
sen wir bis zum heutigen Tag nicht. Trotzdem tun viele Ich sage das nicht. Aber Sie haben hier Dinge erzählt,
von uns so, als könnten sie Rückschlüsse auf die Sicher- die nichts mit der Wahrheit zu tun haben und völlig
heitstechnik in Deutschland ziehen. falsch sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Ute Vogt [SPD]: Ich war schon immer gegen
Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Atomkraftwerke!)
11220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

Franz Obermeier
(A) Das Einzige, was bei Ihnen gestimmt hat, ist die Laut- lassen. Dabei haben Sie die Sicherheitsanforderungen (C)
stärke, aber sonst nichts. eingefroren, nur damit Ihre industriellen Partner von den
Kosten der Nachrüstung verschont bleiben. Das ist doch
Herzlichen Dank. die Wahrheit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Christian Lange [Backnang] [SPD]: Der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
Atomfetischist hat gesprochen! – Ulrich derspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Kelber [SPD]: Er hat sich gestern wahrschein- NEN)
lich zehn Minuten über den Gag gefreut, als er Es ist vollkommen richtig, dass wir nach einem sol-
den gefunden hat!) chen schweren Unfall wie in Japan innehalten, die Er-
kenntnisse auswerten und alle Reaktoren in Deutschland
Vizepräsidentin Petra Pau: auf den Prüfstand stellen. Dazu werden wir das dreimo-
Das Wort hat der Kollege Dr. Paul für die Unionsfrak- natige Moratorium nutzen. Bei dieser Prüfung kann es
tion. aber aus meiner Sicht nicht nur darum gehen, einzelne
Szenarien, die bisher betrachtet wurden, zahlenmäßig zu
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) verändern, also beispielsweise statt das stärkste Erdbe-
ben der letzten 10 000 Jahre nun das stärkste der letzten
Dr. Michael Paul (CDU/CSU): 100 000 Jahre in Betracht zu ziehen; denn jede Zahl, die
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vor- man bei solchen Szenarien einsetzt, ist letztlich willkür-
gänge in Japan sind ernst. Sie sind sicherlich viel zu lich. Vielmehr muss es darum gehen, die Sicherheitsre-
ernst, um daraus ein innenpolitisches Süppchen zu ko- serven der Anlagen darauf zu untersuchen, ob Situatio-
chen. Ich sage in aller Ernsthaftigkeit: nen, wie sie nach Naturkatastrophen und anderen
Ereignissen entstehen können, zum Beispiel der Fall ei-
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Deshalb
nes totalen Stromausfalls im Kernkraftwerk, den soge-
das Moratorium!)
nannten Station Blackout, den wir auch in Japan erleben
Gerade Sie, meine Damen und Herren von der Linken, mussten, überstanden werden können, ohne dass Men-
haben in diesem Haus die geringste Berechtigung, über schen in diesem Land von radioaktiver Strahlung ver-
die Sicherheit der Kernenergie in Deutschland zu spre- letzt oder getötet werden. Diese Sicherheitsreserven
chen. müssen wir systematisch untersuchen und gegebenen-
falls verbessern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) (D)
NEN]: In drei Monaten? Warum haben Sie das
Schließlich war es die SED – die Partei, aus der Sie her-
letztes Jahr nicht gemacht?)
vorgegangen sind –, die für den Bau von Schrottreakto-
ren in Deutschland verantwortlich war. Wir werden aber auch grundsätzlich einen neuen, er-
(Ulrich Kelber [SPD]: Die Ost-CDU war auch gebnisoffenen gesellschaftlichen Diskurs über die Frage
dabei!) führen, welches Risiko wir hier in Deutschland bereit
sind zu tragen. Hier wird die Ethikkommission sicher-
Sieben Blöcke sowjetischer Bauart haben Sie in lich einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei darf sich die
Deutschland in Betrieb genommen. Alle wurden 1990 Diskussion meiner Meinung nach aber nicht nur auf eine
wegen Sicherheitsdefiziten vom Netz genommen. einzige Technologie beschränken; denn es geht um die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- Gesundheit und das Leben der Menschen in diesem
derspruch bei der LINKEN) Land. Beides kann nicht nur durch die Kernenergienut-
zung gefährdet werden. Vielmehr gehen wir in einem In-
Erzählen Sie also den Menschen in diesem Land nichts dustrieland wie Deutschland mit vielfältigen Risiken
von nuklearer Sicherheit! um. Wir haben allein über 2 000 Industrieanlagen, in de-
nen mit gefährlichen oder sogar sehr gefährlichen Stof-
Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, auch
fen umgegangen wird. Über die Frage, welche Risiken
Sie kann ich heute nicht verschonen. Sie haben schon
wir in unserem Land hinnehmen, können wir ehrlich
vor zehn Jahren jede Legitimation verloren, um in Fra-
– nicht isoliert, nur hinsichtlich der Kernenergie – disku-
gen der Sicherheit ernst genommen zu werden.
tieren. Außerdem müssen die Fragen, die wir zuletzt bei
(Ute Vogt [SPD]: Wenn man mit dem Finger der Erarbeitung des Energiekonzepts in den Mittelpunkt
auf andere zeigt, dann zeigen drei auf einen gestellt und beantwortet haben, einbezogen werden.
zurück!)
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Sie wollten mit dem von Herrn Trittin und Herrn NEN]: Das mit dem Energiekonzept ist wohl
Schröder im Jahr 2001 unterzeichneten Deal, erledigt! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sie haben nur ein Atomkon-
(Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
zept gehabt! – Christian Lange [Backnang]
NEN]: Den Sie bekämpft haben!)
[SPD]: Sie haben überhaupt kein Energiekon-
den Sie mit der Industrie geschlossen haben, die deut- zept! Sie haben ein Atomkonzept, sonst
schen Kernkraftwerke um bis zu 20 Jahre weiter laufen nichts!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11221
Dr. Michael Paul
(A) Denn die Fragen sind richtig: Wie können wir sicher- Auch auf diese Fragen müssen wir in der anstehenden (C)
stellen, dass wir auch in Zukunft keine Stromausfälle ha- Diskussion Antworten geben; denn wir wollen auch in
ben? Wie können wir die Preise für Energie für die Bür- Zukunft in diesem Land in Sicherheit leben – und das
gerinnen und Bürger und auch für unsere Industrie auch mit einer hohen Lebensqualität.
in Zukunft bezahlbar halten?
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das geht nur ohne Atom!)
NEN]: Mit Atomenergie bestimmt nicht!)
Vielen Dank.
Wie erreichen wir unsere anspruchsvollen Umwelt-
und Klimaschutzziele? Wie finanzieren wir den Umbau (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
des Energiesystems hin zu mehr erneuerbaren Energien?
(Dorothee Menzner [DIE LINKE]: Lesen Sie Vizepräsidentin Petra Pau:
das Gutachten Ihres eigenen Sachverständi- Die Aktuelle Stunde ist beendet.
genbeirats!)
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
Wie kommen wir in der Forschung weiter? Wie können ordnung.
wir den Netzausbau und die Entwicklung von Speichern
voranbringen? Beides brauchen wir, wenn wir aus Sonne Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
und Wind Strom erzeugen wollen. destages auf morgen, Donnerstag, den 24. März 2011,
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 9 Uhr, ein.
NEN]: Schauen Sie doch mal in das grüne Die Sitzung ist geschlossen.
Energiekonzept! Da hätten Sie das längst lesen
können!) (Schluss: 19.06 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11223

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bas, Bärbel SPD 23.03.2011 Kunert, Katrin DIE LINKE 23.03.2011

Binder, Karin DIE LINKE 23.03.2011 Kurth (Kyffhäuser), FDP 23.03.2011


Patrick
Brinkmann SPD 23.03.2011
(Hildesheim), Laurischk, Sibylle FDP 23.03.2011
Bernhard
Nietan, Dietmar SPD 23.03.2011
Buchholz, Christine DIE LINKE 23.03.2011
Pieper, Cornelia FDP 23.03.2011
Bülow, Marco SPD 23.03.2011
Reiche (Potsdam), CDU/CSU 23.03.2011
Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 23.03.2011 Katherina

Dr. Danckert, Peter SPD 23.03.2011 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 23.03.2011
Claudia DIE GRÜNEN
Dyckmans, Mechthild FDP 23.03.2011
Rupprecht SPD 23.03.2011*
Ernstberger, Petra SPD 23.03.2011 (Tuchenbach),
Marlene
(B) (D)
Ferner, Elke SPD 23.03.2011
Schlecht, Michael DIE LINKE 23.03.2011
Friedhoff, Paul K. FDP 23.03.2011
Schmidt (Eisleben), SPD 23.03.2011
Gerster, Martin SPD 23.03.2011 Silvia

Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 23.03.2011 Schulz, Jimmy FDP 23.03.2011

Hänsel, Heike DIE LINKE 23.03.2011 Sendker, CDU/CSU 23.03.2011


Reinhold
Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 23.03.2011
DIE GRÜNEN Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 23.03.2011
DIE GRÜNEN
Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 23.03.2011
DIE GRÜNEN Werner, Katrin DIE LINKE 23.03.2011

Klöckner, Julia CDU/CSU 23.03.2011 Wichtel, Peter CDU/CSU 23.03.2011

Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 23.03.2011 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
DIE GRÜNEN sammlung des Europarates
11224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Anlage 2 (C)


Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Abgeordneten Eduard Oswald zum
Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben

CDU/CSU Markus Grübel Paul Lehrieder Dr. Andreas Schockenhoff


Manfred Grund Dr. Ursula von der Leyen Nadine Schön (St. Wendel)
Ilse Aigner
Monika Grütters Ingbert Liebing Dr. Kristina Schröder
Peter Altmaier
Olav Gutting Matthias Lietz (Wiesbaden)
Peter Aumer
Florian Hahn Dr. Carsten Linnemann Dr. Ole Schröder
Thomas Bareiß
Dr. Stephan Harbarth Patricia Lips Bernhard Schulte-Drüggelte
Norbert Barthle Dr. Jan-Marco Luczak
Jürgen Hardt Uwe Schummer
Günter Baumann Daniela Ludwig
Gerda Hasselfeldt Armin Schuster (Weil am
Ernst-Reinhard Beck Dr. Matthias Heider Dr. Michael Luther Rhein)
(Reutlingen) Helmut Heiderich Karin Maag Detlef Seif
Manfred Behrens (Börde) Mechthild Heil Dr. Thomas de Maizière Johannes Selle
Veronika Bellmann Ursula Heinen-Esser Hans-Georg von der Marwitz Dr. Patrick Sensburg
Dr. Christoph Bergner Frank Heinrich Andreas Mattfeldt Bernd Siebert
Peter Beyer Rudolf Henke Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn
Steffen Bilger Michael Hennrich Dr. Michael Meister Johannes Singhammer
Clemens Binninger Jürgen Herrmann Maria Michalk Jens Spahn
Peter Bleser Ansgar Heveling Dr. h. c. Hans Michelbach Carola Stauche
Dr. Maria Böhmer Ernst Hinsken Dr. Mathias Middelberg Dr. Frank Steffel
Wolfgang Börnsen Peter Hintze Philipp Mißfelder Erika Steinbach
(Bönstrup) Christian Hirte Dietrich Monstadt Christian Freiherr von Stetten
Wolfgang Bosbach Robert Hochbaum Marlene Mortler Dieter Stier
Norbert Brackmann Karl Holmeier Dr. Gerd Müller Gero Storjohann
Klaus Brähmig Franz-Josef Holzenkamp Stefan Müller (Erlangen) Stephan Stracke
Michael Brand Joachim Hörster Dr. Philipp Murmann Max Straubinger
Dr. Reinhard Brandl Anette Hübinger Bernd Neumann (Bremen) Karin Strenz
Helmut Brandt Thomas Jarzombek Michaela Noll Thomas Strobl (Heilbronn)
Dr. Ralf Brauksiepe Dieter Jasper Dr. Georg Nüßlein Lena Strothmann
Dr. Helge Braun Dr. Franz Josef Jung Franz Obermeier Michael Stübgen
(B) Heike Brehmer Andreas Jung (Konstanz) Eduard Oswald (D)
Dr. Peter Tauber
Ralph Brinkhaus Dr. Egon Jüttner Henning Otte Antje Tillmann
Cajus Caesar Bartholomäus Kalb Dr. Michael Paul Dr. Hans-Peter Uhl
Gitta Connemann Hans-Werner Kammer Rita Pawelski Arnold Vaatz
Alexander Dobrindt Steffen Kampeter Ulrich Petzold Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Thomas Dörflinger Alois Karl Dr. Joachim Pfeiffer Stefanie Vogelsang
Marie-Luise Dött Bernhard Kaster Sibylle Pfeiffer Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Thomas Feist Volker Kauder Beatrix Philipp Dr. Johann Wadephul
Enak Ferlemann Siegfried Kauder (Villingen- Ronald Pofalla Marco Wanderwitz
Ingrid Fischbach Schwenningen) Christoph Poland Kai Wegner
Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Stefan Kaufmann Ruprecht Polenz Marcus Weinberg (Hamburg)
Dirk Fischer (Hamburg) Roderich Kiesewetter Eckhard Pols Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Maria Flachsbarth Eckart von Klaeden Thomas Rachel Sabine Weiss (Wesel I)
Klaus-Peter Flosbach Ewa Klamt Dr. Peter Ramsauer Ingo Wellenreuther
Herbert Frankenhauser Volkmar Klein Eckhardt Rehberg Karl-Georg Wellmann
Dr. Hans-Peter Friedrich Jürgen Klimke Lothar Riebsamen Annette Widmann-Mauz
(Hof) Axel Knoerig Josef Rief Klaus-Peter Willsch
Michael Frieser Jens Koeppen Klaus Riegert Elisabeth Winkelmeier-
Erich G. Fritz Manfred Kolbe Dr. Heinz Riesenhuber Becker
Dr. Michael Fuchs Dr. Rolf Koschorrek Johannes Röring Dagmar Wöhrl
Hans-Joachim Fuchtel Hartmut Koschyk Dr. Norbert Röttgen Dr. Matthias Zimmer
Alexander Funk Thomas Kossendey Dr. Christian Ruck Wolfgang Zöller
Ingo Gädechens Michael Kretschmer Erwin Rüddel Willi Zylajew
Dr. Thomas Gebhart Gunther Krichbaum Albert Rupprecht (Weiden)
Norbert Geis Dr. Günter Krings Anita Schäfer (Saalstadt) SPD
Alois Gerig Rüdiger Kruse Dr. Wolfgang Schäuble
Eberhard Gienger Bettina Kudla Dr. Annette Schavan Ingrid Arndt-Brauer
Josef Göppel Dr. Hermann Kues Dr. Andreas Scheuer Rainer Arnold
Peter Götz Günter Lach Karl Schiewerling Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Wolfgang Götzer Andreas G. Lämmel Norbert Schindler Doris Barnett
Ute Granold Dr. Norbert Lammert Tankred Schipanski Dr. Hans-Peter Bartels
Reinhard Grindel Katharina Landgraf Georg Schirmbeck Klaus Barthel
Hermann Gröhe Ulrich Lange Christian Schmidt (Fürth) Sören Bartol
Michael Grosse-Brömer Dr. Max Lehmer Patrick Schnieder Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11225

(A) Dirk Becker Petra Merkel (Berlin) Claudia Bögel Dr. Erik Schweickert (C)
Uwe Beckmeyer Ullrich Meßmer Nicole Bracht-Bendt Werner Simmling
Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Matthias Miersch Klaus Breil Judith Skudelny
Gerd Bollmann Franz Müntefering Rainer Brüderle Dr. Hermann Otto Solms
Klaus Brandner Dr. Rolf Mützenich Angelika Brunkhorst Joachim Spatz
Willi Brase Manfred Nink Ernst Burgbacher Dr. Max Stadler
Ulla Burchardt Thomas Oppermann Marco Buschmann Dr. Rainer Stinner
Martin Burkert Holger Ortel Sylvia Canel Stephan Thomae
Petra Crone Heinz Paula Helga Daub Florian Toncar
Martin Dörmann Johannes Pflug Reiner Deutschmann Serkan Tören
Elvira Drobinski-Weiß Joachim Poß Dr. Bijan Djir-Sarai Johannes Vogel
Garrelt Duin Dr. Wilhelm Priesmeier Patrick Döring (Lüdenscheid)
Sebastian Edathy Florian Pronold Rainer Erdel Dr. Daniel Volk
Ingo Egloff Dr. Sascha Raabe Jörg van Essen Dr. Guido Westerwelle
Siegmund Ehrmann Mechthild Rawert Ulrike Flach Dr. Claudia Winterstein
Dr. h. c. Gernot Erler Gerold Reichenbach Otto Fricke Dr. Volker Wissing
Karin Evers-Meyer Sönke Rix Dr. Edmund Peter Geisen Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Gabriele Fograscher René Röspel Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Edgar Franke Dr. Ernst Dieter Rossmann Hans-Michael Goldmann DIE LINKE
Dagmar Freitag Karin Roth (Esslingen) Heinz Golombeck Jan van Aken
Sigmar Gabriel Michael Roth (Heringen) Miriam Gruß Agnes Alpers
Michael Gerdes Marlene Rupprecht Joachim Günther (Plauen) Dr. Dietmar Bartsch
Iris Gleicke (Tuchenbach) Dr. Christel Happach-Kasan Herbert Behrens
Günter Gloser Anton Schaaf Heinz-Peter Haustein Matthias W. Birkwald
Ulrike Gottschalck Axel Schäfer (Bochum) Manuel Höferlin Heidrun Bluhm
Angelika Graf (Rosenheim) Bernd Scheelen Elke Hoff Steffen Bockhahn
Kerstin Griese Marianne Schieder Birgit Homburger Dr. Martina Bunge
Michael Groschek (Schwandorf) Dr. Werner Hoyer Roland Claus
Michael Groß Werner Schieder (Weiden) Heiner Kamp Sevim Dağdelen
Wolfgang Gunkel Ulla Schmidt (Aachen) Michael Kauch Dr. Diether Dehm
Hans-Joachim Hacker Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Lutz Knopek Heidrun Dittrich
Bettina Hagedorn Ottmar Schreiner Pascal Kober Werner Dreibus
Klaus Hagemann Swen Schulz (Spandau) Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Dagmar Enkelmann
Michael Hartmann Ewald Schurer Gudrun Kopp Klaus Ernst
(Wackernheim) Frank Schwabe Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(B) Dr. Martin Schwanholz
Wolfgang Gehrcke (D)
Hubertus Heil (Peine) Sebastian Körber Nicole Gohlke
Rolf Hempelmann Rolf Schwanitz Holger Krestel Diana Golze
Dr. Barbara Hendricks Stefan Schwartze Heinz Lanfermann Annette Groth
Gustav Herzog Rita Schwarzelühr-Sutter Sibylle Laurischk Dr. Rosemarie Hein
Gabriele Hiller-Ohm Dr. Carsten Sieling Harald Leibrecht Inge Höger
Petra Hinz (Essen) Sonja Steffen Sabine Leutheusser- Dr. Barbara Höll
Frank Hofmann (Volkach) Peer Steinbrück Schnarrenberger Andrej Hunko
Dr. Eva Högl Dr. Frank-Walter Steinmeier Christian Lindner Ulla Jelpke
Christel Humme Christoph Strässer Dr. Martin Lindner (Berlin) Dr. Lukrezia Jochimsen
Josip Juratovic Kerstin Tack Michael Link (Heilbronn) Katja Kipping
Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Erwin Lotter Harald Koch
Johannes Kahrs Franz Thönnes Oliver Luksic Jan Korte
Dr. h. c. Susanne Kastner Wolfgang Tiefensee Horst Meierhofer Jutta Krellmann
Ulrich Kelber Rüdiger Veit Patrick Meinhardt Caren Lay
Lars Klingbeil Ute Vogt Gabriele Molitor Sabine Leidig
Hans-Ulrich Klose Dr. Marlies Volkmer Jan Mücke Ralph Lenkert
Dr. Bärbel Kofler Andrea Wicklein Petra Müller (Aachen) Michael Leutert
Daniela Kolbe (Leipzig) Heidemarie Wieczorek-Zeul Burkhardt Müller-Sönksen Stefan Liebich
Fritz Rudolf Körper Waltraud Wolff Dr. Martin Neumann Ulla Lötzer
Anette Kramme (Wolmirstedt) (Lausitz) Dr. Gesine Lötzsch
Nicolette Kressl Uta Zapf Dirk Niebel Thomas Lutze
Angelika Krüger-Leißner Dagmar Ziegler Hans-Joachim Otto Dorothee Menzner
Ute Kumpf Manfred Zöllmer (Frankfurt) Cornelia Möhring
Christine Lambrecht Brigitte Zypries Gisela Piltz Kornelia Möller
Christian Lange (Backnang) Dr. Christiane Ratjen- Niema Movassat
Dr. Karl Lauterbach FDP Damerau Wolfgang Nešković
Steffen-Claudio Lemme Jens Ackermann Dr. Birgit Reinemund Petra Pau
Burkhard Lischka Christian Ahrendt Dr. Peter Röhlinger Jens Petermann
Gabriele Lösekrug-Möller Christine Aschenberg- Dr. Stefan Ruppert Richard Pitterle
Kirsten Lühmann Dugnus Björn Sänger Yvonne Ploetz
Caren Marks Daniel Bahr (Münster) Frank Schäffler Ingrid Remmers
Katja Mast Florian Bernschneider Christoph Schnurr Paul Schäfer (Köln)
Hilde Mattheis Sebastian Blumenthal Marina Schuster Dr. Ilja Seifert
11226 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Raju Sharma Volker Beck (Köln) Memet Kilic Dr. Hermann Ott (C)
Dr. Petra Sitte Cornelia Behm Sven-Christian Kindler Lisa Paus
Kersten Steinke Birgitt Bender Maria Anna Klein-Schmeink Brigitte Pothmer
Sabine Stüber Alexander Bonde Ute Koczy Tabea Rößner
Alexander Süßmair Viola von Cramon-Taubadel Tom Koenigs Krista Sager
Dr. Kirsten Tackmann Ekin Deligöz Oliver Krischer Manuel Sarrazin
Frank Tempel Katja Dörner Agnes Krumwiede Elisabeth Scharfenberg
Dr. Axel Troost Hans-Josef Fell Stephan Kühn Christine Scheel
Alexander Ulrich Dr. Thomas Gambke Renate Künast Dr. Gerhard Schick
Kathrin Vogler Kai Gehring Markus Kurth Dr. Frithjof Schmidt
Johanna Voß Katrin Göring-Eckardt Undine Kurth (Quedlinburg) Dorothea Steiner
Sahra Wagenknecht Britta Haßelmann Monika Lazar Dr. Wolfgang Strengmann-
Halina Wawzyniak Bettina Herlitzius Agnes Malczak Kuhn
Jörn Wunderlich Winfried Hermann Jerzy Montag Hans-Christian Ströbele
Sabine Zimmermann Priska Hinz (Herborn) Kerstin Müller (Köln) Dr. Harald Terpe
Dr. Anton Hofreiter Beate Müller-Gemmeke Markus Tressel
BÜNDNIS 90/ Ingrid Hönlinger Ingrid Nestle Daniela Wagner
DIE GRÜNEN Thilo Hoppe Dr. Konstantin von Notz Wolfgang Wieland
Kerstin Andreae Uwe Kekeritz Omid Nouripour Dr. Valerie Wilms
Marieluise Beck (Bremen) Katja Keul Friedrich Ostendorff Josef Philip Winkler

Anlage 3 Der Handel mit Japan ist nach dem schrecklichen


Erdbeben und dem Tsunami praktisch zum Erliegen ge-
Antwort kommen. Zudem ist Japan ein Lebensmittelimportland.
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage des Exporte aus Japan nach Deutschland sind weitgehend
Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE auf Spezialitäten beschränkt, wie beispielsweise Soja-
GRÜNEN) (Drucksache 17/5171, Dringliche Frage 2): saucen und Nori-Algen. Frischwaren werden praktisch
Wie und mit welchen zivilen und militärischen Mitteln nicht exportiert, ausgenommen wenige Fischspezialitä-
will die Bundesregierung die am letzten Wochenende durch ten. Zum Vergleich: 2010 führte Deutschland rund
den NATO-Rat beschlossene Durchsetzung eines Waffenem- 913 000 Tonnen Fisch und Fischerzeugnisse ein, aus Ja-
bargos gegen Libyen unterstützen? pan stammten davon nur etwa 60 Tonnen.
(B) (D)
Der NATO-Rat hat gestern, 22. März 2011, die In Deutschland ist das Johann Heinrich von Thünen-
Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen be- Institut, vTI, nach dem Strahlenschutzvorsorgegesetz als
schlossen. Leitstelle für die Überwachung der hiesigen Umweltra-
Die Bundesregierung wird sich hieran mit militäri- dioaktivität in Fischen und Fischereiprodukten zuständig
schen Mitteln nicht beteiligen. Auch zivile Mittel zum und beobachtet die Lage in Japan aufmerksam. Das Ins-
Einsatz durch die NATO sind nicht vorgesehen. titut geht derzeit davon aus, dass eine Gefährdung der
deutschen Verbraucher durch Fisch aus Japan zum jetzi-
gen Zeitpunkt ausgeschlossen werden kann.
Anlage 4 Europaweite Höchstwerte an Radioaktivität in Le-
Antwort bens- und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls
sind in einer Verordnung der EU-Kommission bereits
des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der seit langem im Grundsatz abgestimmt, Verordnung
Abgeordneten Kathrin Vogler (DIE LINKE) (Drucksa- – EuroATOM – Nr. 3954/87 des Rates; Höchstwerte für
che 17/5171, Dringliche Frage 7): Futtermittel sind auf der Grundlage dieser Verordnung
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit einer durch die Verordnung – EuroATOM – Nr. 770/90 abge-
gesundheitlichen Gefährdung der deutschen Bevölkerung stimmt worden.
durch den Verzehr verstrahlter Lebensmittel wie beispiels-
weise Spinat, Blattgemüse oder Bohnen aus Japan, und mit Sollte die Kommission Informationen über eine radio-
welchen Maßnahmen will die Bundesregierung – gegebe- logische Notstandssituation erhalten, aus der sich ergibt,
nenfalls gemeinsam bzw. in Abstimmung mit den Partnerlän- dass die Höchstwerte in Lebens- oder Futtermitteln er-
dern der Europäischen Union – sofort und dauerhaft verhin-
dern, dass kontaminierte Lebensmittel bzw. industriell reicht werden könnten, erlässt sie unverzüglich eine zu-
verarbeitete Nahrungsmittel wie zum Beispiel Fertignudeln, nächst zeitlich befristete Verordnung zur Anwendung
Schokolade, Reiskräcker und Kekse aus Japan und dem pazi- dieser Werte.
fischen Raum mit Strahlenbelastung auf den deutschen Markt
gelangen können? Lebens- und Futtermittel, die diese Höchstwerte über-
schreiten, dürften nicht importiert oder auf den Markt
Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es zurzeit keine
gebracht werden.
Auswirkungen auf die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher in Deutschland durch möglicherweise kontami- Auf europäischer Ebene wird es nach Informationen
nierte Lebensmittel aus Japan. Hierbei wird die aktuelle der Europäischen Kommission nicht für erforderlich ge-
Medienberichterstattung sehr aufmerksam verfolgt. halten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Maßnahmen zur
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11227

(A) Beschränkung des Imports von Lebensmitteln aus Japan schöpfen. Unabhängig davon unterstützt die Bundesre- (C)
oder des Verzehrs japanischer Lebensmittel auszuspre- gierung in Abstimmung mit den EU-Partnern die Dis-
chen. Ich teile diese Auffassung. Die Einschätzung kussion über die Schaffung einer EU-einheitlichen
wurde in Abstimmung mit der FAO getroffen. Es ist Regelung in der Anti-Folter-Verordnung (EG) Nr. 1236/
ebenfalls zurzeit nicht vorgesehen, die oben erwähnten 2005.
Notfallwerte in Kraft zu setzen.
Um ein Lagebild zu erhalten, hat die Europäische
Kommission den Mitgliedstaaten am 15. März 2011 Anlage 6
empfohlen, ab sofort Lebensmittel pflanzlichen und tie- Antwort
rischen Ursprungs – insbesondere Fisch und Fisch-
erzeugnisse – sowie von Futtermitteln aus Japan auf des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Radioaktivität zu untersuchen und sofort über unge- Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE)
wöhnliche Messwerte informiert zu werden. Unsichere (Drucksache 17/5120, Frage 2):
Lebensmittel dürfen nicht in den Verkehr gebracht wer-
Inwiefern gab es infolge der atomaren Katastrophe in Ja-
den. pan in der Bundesregierung Diskussionen über einen mögli-
chen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Atomge-
Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklungen in meinschaft bzw. eine Auflösung, und welche Kenntnisse hat
Japan ebenfalls sehr sorgfältig. Das BMELV hat die für die Bundesregierung über ähnliche Diskussionen oder Initiati-
die Lebensmittelkontrolle zuständigen Bundesländer ven in den Mitgliedstaaten der EU und in der EU, zeitlich un-
über die Empfehlung der EU-Kommission informiert. abhängig von der Katastrophe in Japan?
Unter anderem haben Länder mit wichtigen internationa-
len Einfuhrstellen bereits entsprechende Kontrollverfah- Die Frage eines Austritts Deutschlands aus der Euro-
ren etabliert und führen im Rahmen ihrer Zuständigkeit päischen Atomgemeinschaft, EuroATOM, stellt sich
Untersuchungen von Lebens- und Futtermitteln auf Ra- nicht.
dioaktivität durch. Des Weiteren wurde der Zoll durch Der EuroATOM-Vertrag von 1957 als einer der Grün-
das BMF gebeten, die Lebensmittelüberwachung bei der dungsverträge der EU beschäftigt sich unter anderem mit
Wahrnehmung dieser Aufgabe zu unterstützen. einheitlichen Sicherheitsanforderungen und Kontroll-
Außerdem hat das BMELV das Bundesamt für Ver- maßnahmen und dient damit in weiten Teilen der Sicher-
braucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Berlin be- heitsvorsorge der Bevölkerung.
auftragt, die Untersuchungsergebnisse zentral zu sam-
(B) meln und sie zügig auszuwerten. Auch Erkenntnisse aus (D)
den Forschungseinrichtungen – BfR, BfS, vTI – fließen Anlage 7
hier ein.
Antwort
Nach Aussagen der WHO gibt es zum jetzigen Zeit-
punkt keine Hinweise darauf, dass kontaminierte Nah- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
rungsmittel in andere Länder gelangt sein könnten. Auch Frage des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksa-
dem BMELV liegen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine che 17/5120, Frage 3):
Kenntnisse hierüber vor. In welchem Umfang wird die Bundesregierung – wie in
einer entsprechenden Publikation angekündigt – die Mittel für
das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, bis
2013 weiter aufstocken, und wie erklärt sich vor diesem Hin-
Anlage 5 tergrund der Widerspruch zu den Aussagen im Eckwertebe-
schluss zum Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2012
Antwort und zum Finanzplan 2011 bis 2015, dass bei den klassischen
Ausgabeschwerpunkten des Bundesministeriums für Wirt-
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die schaft und Technologie, wie der Stärkung der kleinen und mit-
Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ telständischen Betriebe und der Förderung von neuen Techno-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 1): logien und Innovationen, die bisherige Finanzplanlinie
lediglich fortgeschrieben wird?
Hat die Bundesregierung die rechtliche Prüfung der Aus-
fuhrbeschränkung für das Anästhesiemittel Thiopental abge- Für das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand,
schlossen, und welche Haltung nimmt die Bundesregierung
zu einer etwaigen Ausfuhrbeschränkung von Thiopental in die
ZIM, sind im Bundeshaushalt 2011 und in der Mittel-
USA ein? fristigen Finanzplanung 2012 bis 2014 im Rahmen des
Einzelplans des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Die Prüfung von nationalen ausfuhrkontrollrechtli- Technologie Mittel vorgesehen, die von 389 Millionen
chen Möglichkeiten der Beschränkung der Lieferung Euro im laufenden Jahr auf jeweils über 500 Millionen
von Thiopental-Natrium in die USA ist innerhalb der Euro in den Folgejahren anwachsen.
Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Die Bundes-
regierung wird aber die zur Verfügung stehenden rechtli- Damit besteht bei Fortschreibung der Finanzplanung
chen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Verhinderung kein Widerspruch zu der Aussage, dass die Bundesregie-
einer Lieferung von Thiopental-Natrium in die USA rung die Mittel für das ZIM bis 2013 weiter aufstocken
zum Einsatz bei der Vollstreckung der Todesstrafe aus- wird.
11228 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Anlage 8 Anlage 10 (C)


Antwort Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
gen der Abgeordneten Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ Frage des Abgeordneten Stefan Schwartze (SPD)
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fragen 4 und 5): (Drucksache 17/5120, Frage 9):
Sind Vertreter von Bundesministerien außer dem Bundes-
Wie viele der 24 Trassen des Vordringlichen Bedarfs nach ministerium für Arbeit und Soziales an der Erstellung des Ak-
§ 1 Abs. 1 des Energieleitungsausbaugesetzes sind in erster tionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven-
Linie aufgrund der mangelnden Akzeptanz in der Bevölke- tion beteiligt und, wenn ja, welche?
rung verzögert?
Was tut die Bundesregierung, um den Ausbau der Verteil- Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-
netze voranzubringen, deren Engpässe aktuell die Hauptursa- Behindertenrechtskonvention ist ein Aktionsplan der ge-
che für die Abregelung von erneuerbaren Energieanlagen samten Bundesregierung. Deshalb sind alle Ressorts in
sind? die Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans eingebun-
den. Die Federführung liegt beim Bundesministerium
Zu Frage 4: für Arbeit und Soziales.
Eine projektbezogene Aussage über die fehlende Ak-
zeptanz lässt sich nicht treffen. Die fehlende gesell- Anlage 11
schaftliche Akzeptanz ist ein flächendeckendes Phäno-
men, das sich in einigen Regionen stärker gegen den Antwort
Netzausbau kanalisiert als in anderen.
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Fragen des Abgeordneten Stefan Schwartze (SPD)
Zu Frage 5: (Drucksache 17/5120, Frage 10):
Die Bundesregierung hat erst jüngst die Investitions- Ist beabsichtigt, die Vorschläge der Behindertenselbsthilfe
aus den Kongressen „Mit Dir zum Wir“ im Aktionsplan zur
bedingungen der Verteilnetzbetreiber verbessert, um den Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Men-
Netzausbau aufgrund der Einspeisung Erneuerbarer schen mit Behinderungen aufzugreifen, und wird die Bundes-
Energien zu beschleunigen. Regulatorisch wurde der so- regierung das Votum der Mehrheit der Teilnehmer für ein Ge-
genannte Erweiterungsfaktor im Rahmen der Anreizre- setz zur sozialen Teilhabe beachten?
gulierung so geändert, dass die dezentrale Einspeisung Die Ergebnisse der Kongresse „Teilhabe braucht Vi-
aus Erneuerbaren Energien stärker berücksichtigt wird. sionen“ vom 23. Juni 2010 und „Teilhabe braucht Maß-
(B) Das erhöht die Rückflüsse aus Investitionen der Netzbe- nahmen“ vom 4. November 2010 in Berlin fließen in den (D)
treiber. Darüber hinaus wird im Rahmen der im Bundes- Nationalen Aktionsplan ein. Das kann aber nicht bedeu-
ministerium für Wirtschaft und Technologie angesiedel- ten, dass alle Forderungen der Behindertenverbände in
ten Netzplattform auch die Situation der Verteilnetze im den Nationalen Aktionsplan übernommen werden.
Hinblick auf die Beschleunigung des Netzausbaus sowie
die Verbesserung der Akzeptanz untersucht. Auf dieser Im Rahmen des Maßnahmenkongresses des BMAS
Basis wird dann zu entscheiden sein, ob und gegebenen- im November 2011 gab es keine „Abstimmung“ unter
falls welche Korrekturen bei der Regelung der Verteil- allen 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu einzel-
netze erforderlich sind. nen Maßnahmen. Dies gilt auch für den Vorschlag eines
neuen Leistungsgesetzes zur sozialen Teilhabe.

Anlage 9
Anlage 12
Antwort
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Fragen des Abgeordneten Markus Kurth (BÜND-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 6): NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fra-
Welche im Energiekonzept der Bundesregierung angekün- gen 11 und 12):
digten Maßnahmen sind schon per Gesetz oder Verordnung
Welche inhaltlichen Punkte zu Fragen der Umsetzung der
umgesetzt worden, und welche Maßnahmen sollen in der No-
Komplexleistung Frühförderung wurden bei der ersten Ana-
velle zum Energiewirtschaftsgesetz umgesetzt werden?
lyse der Fachreferate im Bundesministerium für Arbeit und
Soziales und im Bundesministerium für Gesundheit mit Ver-
Die Bundesregierung wird die im 10-Punkte-Sofort- tretern von Leistungserbringern und Leistungsträgern auf
programm zum Energiekonzept beschlossenen Maßnah- Bundesebene sowie einer Vertreterin des Beauftragten der
men wie angekündigt bis Ende 2011 umsetzen. Im Rah- Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen am
men der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes sollen 16. November 2010 besprochen, und warum haben entgegen
die Netzentwicklungspläne der Netzbetreiber (Sofort- der Verlautbarungen der Bundesregierung (mündliche
Frage 32 auf Bundestagsdrucksache 17/3947) im Jahr 2011
programm zum Energiekonzept) umgesetzt werden. Die noch keine Bund-Länder-Gespräche zur Abstimmung des
Ressortabstimmung hierzu läuft bereits. Sie soll zügig weiteren Vorgehens stattgefunden?
durchgeführt werden, um noch im Sommer das parla- Wann ist nach Ansicht der Bundesregierung mit aussage-
mentarische Verfahren beginnen zu können. kräftigen Ergebnissen darüber zu rechnen, ob das aus dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11229

(A) Juni 2009 datierende gemeinsame Rundschreiben des Bun- Anlage 13 (C)
desministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesmi-
nisteriums für Gesundheit an die Spitzenverbände der Antwort
zuständigen Rehabilitationsträger die Probleme bei der Um-
setzung der Komplexleistung Frühförderung beseitigt hat? des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Zu Frage 11: (Drucksache 17/5120, Frage 13):
Welche Bundesbehörden betrifft die Kritik der Leiterin der
Gegenstand der Sitzung am 16. November 2010, an Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, und
der auch die Interessenvertretungen der behinderten des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behin-
Menschen teilnahmen, war vor allem die Diskussion derter Menschen, Hubert Hüppe, dass schwerbehinderte Men-
schen in Bewerbungsverfahren, zum Beispiel durch Nichtein-
über die Ergebnisse der Befragung des BMAS zur Um- ladung zu Vorstellungsgesprächen, benachteiligt werden (siehe
setzung der Komplexleistung Frühförderung 2010. Die deren Pressemitteilung vom 17. März 2011)?
Ergebnisse wurden unterschiedlich gewertet. Die Leis-
tungsträger sahen eine Verbesserung der Situation. Die Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berät
Interessenvertretungen der behinderten Menschen sahen Menschen, die sich wegen der im Allgemeinen Gleich-
noch Verbesserungspotenziale vor allem bei der Ausge- behandlungsgesetz genannten Gründe, zum Beispiel we-
staltung und der Finanzierung der Komplexleistung. Als gen einer Behinderung, benachteiligt fühlen. Dieses Be-
Lösungsvorschläge wurden insbesondere eine Ergän- ratungsangebot ist anonym und vertraulich, sodass
zung der Frühförderverordnung und die Einrichtung von konkrete Einzelfälle nicht öffentlich gemacht werden
Schiedsstellen diskutiert. Letztere sollen Streitigkeiten können.
bei den Vertragsverhandlungen zwischen Leistungsträ-
gern und Leistungserbringern beilegen.
Anlage 14
Diese Anregungen werden in den Nationalen Akti-
onsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon- Antwort
vention einfließen. Vor Kabinettsbefassung werden auch des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
die Länder in die Abstimmung des Aktionsplans einbe- Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE
zogen. LINKE) (Drucksache 17/5120, Frage 14):
Die Länder wurden bereits über die Ergebnisse der Wie viele der Mittel der Leistungen zur Eingliederung in
Arbeit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sind 2005
Besprechung im BMAS am 16. November 2010 infor- bis 2011 absolut und relativ bereits gebunden gewesen?
miert. Ihnen wurden auch die Ergebnisse der BMAS-
(B) Untersuchung zur Kenntnis gegeben. Die den Grundsicherungsstellen insgesamt zugewie- (D)
senen Budgets für Leistungen zur Eingliederung für Ar-
Zu Frage 12: beit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (ohne
Sonderprogramme) und die zum 1. Januar des jeweiligen
Das 2009 gemeinsam von BMAS und BMG heraus- Jahres insgesamt bestehenden Festlegungen sowie der
gegebene Rundschreiben hat die damals bestehenden Anteil dieser Bindungen am zugewiesenen Budget sind
Probleme, insbesondere zum Anwendungsbereich der der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen:
Frühförderverordnung, zum Inhalt der Komplexleistung
sowie zur Abgrenzung der Zuständigkeiten der Reha- Budget Bindung Anteil
Träger praxisorientiert aufgegriffen. Jahr
in Millionen Euro in Prozent
Das Rundschreiben ist sowohl bei den Betroffenen-
2005 6 528,3 558,2 8,6
verbänden als auch den Reha-Trägern auf eine sehr posi-
tive Resonanz gestoßen und hat zur Klarstellung der da- 2006 5 496,3 1 365,0 24,8
mals offenen Fragen beigetragen. Es lässt aber auch
weiterhin die Freiheit und Flexibilität, örtlich angepasste 2007 5 508,6 2 019,1 36,7
Lösungen im Rahmen von Landesrahmenempfehlungen 2008 6 398,7 2 213,9 34,6
und Vereinbarungen zu entwickeln. Dies entspricht dem
überwiegenden Interesse der Reha-Träger, der Träger 2009 6 294,8 2 568,5 40,8
der Sozialhilfe und der Leistungserbringer, da es eine ge-
wachsene Landschaft mit unterschiedlichen Strukturen 2010 5 570,1 3 041,8 54,6
gibt. 2011 4 662,0 2 088,8 44,8
In diesem Sinne haben sich auch die Vertreterin des
Deutschen Städtetages und Verbandsvertreter in der Kin-
derkommission des Deutschen Bundestages am 1. De- Anlage 15
zember 2010 dafür eingesetzt, es bei den Verbesserun- Antwort
gen des Rundschreibens zu belassen und diese zu be-
herzigen. Denn letztlich könne auch eine gesetzliche des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Fragen der
Regelung inhaltlich nicht über das Rundschreiben hin- Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) (Drucksache 17/5120,
ausgehen. Fragen 15 und 16):
11230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Wann wird die Bundesregierung die im Rahmen des Zwei- Die vertraglich im A400M-DPP-Vertrag geregelte (C)
ten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermit- Preisanpassung, die im Rahmen der Fortführung des
telgesetzbuches sowie anderer Vorschriften angekündigte
Rechtsverordnung für die Eigenkontrollen der Lebens- und A400M-Programms nicht geändert wurde, wird sich auf-
Futtermittelunternehmen vorlegen? grund der Vertragsverlängerung nunmehr über einen län-
Wann ist mit der Verordnung über die Zulassung von Fut- geren Zeitraum erstrecken. Der sich daraus ergebende
termittelunternehmen zu rechnen? Effekt wird, basierend auf dem neuen Lieferplan, auf
circa 346 Millionen Euro prognostiziert.
Zu Frage 15: Das Bundesministerium der Verteidigung beabsich-
Es ist geplant, in Kürze einen Vorschlag für eine Ver- tigt daneben, zur Fortführung der Entwicklung und Be-
ordnung nach dem neuen Artikel 44 a LFGB vorzulegen. schaffung des Lufttransportflugzeugs A400M ein be-
Ein Referentenentwurf ist in Vorbereitung. Vorausset- dingt rückzahlbares verzinsliches Darlehen, dessen
zung für den Erlass der neuen Verordnung ist das In- Rückzahlung an den Exporterfolg des Lufttransportflug-
krafttreten der Änderung des LFGB. zeugs A400M gekoppelt ist, an die Airbus Operations
GmbH unter Einbeziehung der Kreditanstalt für Wieder-
Zu Frage 16: aufbau auszureichen.

Der Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Fut- Mit den beschriebenen Maßnahmen haben die Part-
termittelverordnung, in dem unter anderem in Umset- nernationen nach langwierigen Untersuchungen und
zung des Aktionsplans Verbraucherschutz in der Futter- Verhandlungen gemeinsam mit der Firma EADS das
mittelkette eine Zulassungspflicht für bestimmte A400M-Programm wieder auf einen erfolgreichen Weg
Betriebe im nationalen Recht verankert werden soll, gebracht und sichern damit sowohl die Einsatzbereit-
wird in Kürze vorgelegt werden. schaft ihrer jeweiligen Streitkräfte, den Erhalt ihrer für
die Souveränität der Partnernationen unabdingbaren na-
tionalen wehrtechnischen Kernfähigkeiten sowie erheb-
Anlage 16 liches nationales Wertschöpfungspotenzial.

Antwort
Anlage 17
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- Antwort
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 18):
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die
Treffen Medienberichte zu, wonach der ehemalige Bun- Frage der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD)
(B) desminister der Verteidigung oder andere Vertreter der Bun-
(Drucksache 17/5120, Frage 19): (D)
desregierung bei den jüngsten Verhandlungen mit dem
EADS-Unternehmen über die Lieferung von EADS-Trans- Wie bewertet das Bundesministerium für Familie, Senio-
portmaschinen Vorteile für das Unternehmen von insgesamt ren, Frauen und Jugend, BMFSFJ, die im Zusammenhang mit
1,75 Milliarden Euro „herausgehandelt“ hat, bestehend aus Förderprogrammen des BMFSFJ und des Bundesministeri-
398 Millionen Euro Verzicht auf Vertragsstrafen, Verzicht auf ums des Innern gegen Extremismus abgegebenen kritischen
sieben Maschinen bei gleichem Preis – circa 1 Milliarde Euro –, Erklärungen zur geforderten sogenannten Demokratieerklä-
500 Millionen Euro Kredit – von der Bundesregierung an rung vieler Träger, und gibt es Weisungen, Überlegungen und/
EADS – und 346 Millionen Euro Preiserhöhung für EADS oder Aussagen seitens der Bundesministerien, Antragsteller,
– trotz verspäteter Lieferung, weil EADS inzwischen die die eine solche kritische Erklärung abgeben, im Förderverfah-
Preise angehoben hat – so ARD-Magazin Fakt vom Januar ren anders bzw. schlechter zu behandeln?
2011 (www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?do-
cumentId=6272182), und wie rechtfertigt die Bundesregie- Es steht jedem Träger frei, seine Meinung zur Demo-
rung diese Ausgabe in Höhe von 1,75 Milliarden Euro (500- kratieerklärung zu äußern.
Millionen-Euro-Kredit nicht mitgerechnet)?
Dabei ist klar, dass die Abgabe der Demokratieerklä-
Deutschland beteiligt sich entsprechend der im rung eine Voraussetzung für die Förderung und Bestand-
A400M-DPP-Vertrag vereinbarten Abnahmemenge von teil des Bewilligungsbescheides ist. Kritische Kommen-
A400M-Luftfahrzeugen an der Fortführung des A400M- tare zur Erklärung haben keinen Einfluss auf die
Programmes nach Maßgabe der durch die Staatssekre- Förderentscheidung.
täre der A400M-Partnernationen im Rahmen der „Berli-
ner Erklärung“ vom 5. März 2010 festgelegten Parame-
ter. Anlage 18
Dies bedeutet im Einzelnen, dass Deutschland seinen Antwort
Anteil an der Vertragsanpassung durch einen Leistungs-
verzicht, insbesondere den Verzicht auf sieben Luftfahr- des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die
zeuge, welche nunmehr als Optionen zur Verfügung ste- Frage der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD)
hen, in Höhe von 667 Millionen Euro erbringt. (Drucksache 17/5120, Frage 20):
Wem obliegt im Rahmen der Lokalen Aktionspläne die
Zudem verzichtet Deutschland gemeinsam mit den letztendliche Entscheidung über die Förderung von beantrag-
anderen Partnernationen auf die Geltendmachung von ten Projekten, dem für den Lokalen Aktionsplan verantwortli-
chen Landkreis oder dem BMFSFJ als Initiator des Förderpro-
Verzugsentschädigungen gemäß dem A400M-DPP-Ver- gramms, und gibt es Überlegungen seitens des BMFSFJ im
trag. Der deutsche Anteil beläuft sich auf 398 Millionen Rahmen der Lokalen Aktionspläne getroffene Förderentschei-
Euro, mit dem Preisstand Dezember 2010. dungen aufzuheben, wenn geförderte Projektträger eine Zu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11231

(A) satzerklärung entsprechend der vorhergehenden Frage abge- rechtlichen und technischen Grundlagen für die Einfüh- (C)
geben haben? rung der eEHIC auszuarbeiten.
Die Verantwortung für die Umsetzung des Lokalen Diese Ad-hoc-Arbeitsgruppe wurde geleitet von ei-
Aktionsplans hat die Behörde in der Kommune, die den nem Mitarbeiter der Gesellschaft für Telematikanwen-
Antrag zur Entwicklung, Implementierung und Umset- dungen der Gesundheitskarte mbH, gematik, die in
zung eines Lokalen Aktionsplans gestellt hat. Sie setzt Deutschland für die Einführung der elektronischen Ge-
damit auch die Demokratieerklärung vor Ort um. sundheitskarte zuständig ist. Die Ad-hoc-Gruppe hat im
Was den zweiten Teil Ihrer Frage anbetrifft, so habe Mai 2009 einen Abschlussbericht vorgelegt, in dem die
ich ja bereits gesagt, dass kritische Kommentare keinen rechtlichen, funktionalen und technischen Anforderun-
Einfluss auf die Förderentscheidung haben. gen für die Einführung einer eEHIC dargelegt wurden.
In ihrer 326. Sitzung am 16./17. März 2011 hat die
Verwaltungskommission für die Koordinierung der Sys-
Anlage 19 teme der sozialen Sicherheit beschlossen, hierzu eine
Antwort Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben.
der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf Die Bundesregierung wird auch weiterhin die kon-
die Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker zeptionellen Arbeiten zur Einführung einer eEHIC un-
(SPD) (Drucksache 17/5120, Frage 21): terstützen. Insbesondere wird dann, wenn die Karte nicht
Welche Position hat die Bundesregierung zur Verabschie- ausschließlich im Rahmen der Kostenerstattung, sondern
dung einer neuen EU-Richtlinie, mit der Erstattungsansprüche zusätzlich auch im Rahmen der grenzübergreifenden
von gesetzlich Krankenversicherten bei der Behandlung in- medizinischen Versorgung eingesetzt werden soll – zum
nerhalb der Mitgliedsländer einheitlich geregelt werden sol- Beispiel als Schlüssel für den Zugang zu medizinischen
len, und welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zur
Weiterentwicklung der europäischen Krankenversicherungs-
Daten des Versicherten –, die Frage der Kompatibilität
karte (travel-tribune Nr. 7/11 vom 17. Februar 2011, Seite 13? und Interoperabilität zur deutschen elektronischen Ge-
sundheitskarte und zur Telematikinfrastruktur im deut-
Die „Richtlinie über die Ausübung der Patienten- schen Gesundheitswesen eine wesentliche Rolle spielen.
rechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsver- Dem Datenschutz wird dabei oberste Priorität einge-
sorgung“ hat der EU-Ministerrat am 28. Februar 2011 räumt.
verabschiedet. Bereits am 19. Januar 2011 hatte das
Europäische Parlament seine Zustimmung erteilt. Die
Richtlinie setzt die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Anlage 20
(B) Europäischen Union, EuGH, zur Patientenmobilität um, (D)
wonach jeder Patient ein Recht auf Behandlung im Aus- Antwort
land hat. Die Kosten für die Auslandsbehandlung sind
nach der Richtlinie grundsätzlich von der Krankenkasse der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf
bis zu der Höhe und für solche Leistungen zu erstatten, die Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker
die auch bei einer entsprechend im Inland nach dem (SPD) (Drucksache 17/5120, Frage 22):
Leistungskatalog des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung zu
SGB V, erbrachten Behandlung angefallen wären. Darü- sinkenden Zahlen ambulanter Vorsorgemaßnahmen in Kuror-
ten in Deutschland in den vergangenen Jahren zugunsten
ber hinaus sieht die Richtlinie die Schaffung neuer Kon- kurörtlicher Maßnahmen im Ausland, und mit welchen
taktstellen vor, mittels derer sich Patientinnen und Pati- Maßnahmen will die Bundesregierung der Gefährdung der
enten in Zukunft besser über Behandlungsmöglichkeiten Arbeitsplätze und der medizinischen und pflegerischen
in anderen EU-Staaten informieren können. Zudem kön- Leistungsfähigkeit der inländischen Kureinrichtungen entge-
gentreten?
nen sich die Mitgliedstaaten unter anderem an Referenz-
netzwerken zur Behandlung und Erforschung von selte- Die amtliche Statistik erfasst nicht, ob eine ambulante
nen Erkrankungen beteiligen. Die Bundesregierung Vorsorgemaßnahme zulasten inländischer Kureinrich-
begrüßt die rechtliche Klarstellung im Sinne der Versi- tungen im Ausland durchgeführt wurde. Der Bundesre-
cherten und sieht in ihr Chancen für Anbieter im deut- gierung sind auch aus anderen Quellen keine belastbaren
schen Gesundheitswesen. Sie wird die Richtlinie Zahlen bekannt, die solche Verlagerungen belegen.
innerhalb der vorgesehenen Frist von 30 Monaten um-
setzen. Auf dieser Basis sind daher auch keine Aussagen da-
rüber möglich, ob sich hieraus Gefährdungen für die Ar-
Eine Weiterentwicklung der europäischen Kranken- beitsplätze und die Leistungsfähigkeit inländischer Kur-
versichertenkarte wird im Zusammenhang mit der Ein- einrichtungen ergeben.
führung einer elektronischen – also SmartCard-basier-
ten – europäischen Krankenversichertenkarte, eEHIC,
untersucht. Anlage 21
Ende 2007 hat die für die EHIC zuständige Verwal- Antwort
tungskommission für Wanderarbeitnehmer, in der die
Bundesregierung durch das Bundesministerium für Ar- der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf
beit und Soziales vertreten wird, eine Ad-hoc-Arbeits- die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜND-
gruppe eingesetzt, die den Auftrag hatte, die politischen, NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 23):
11232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) In welchem Umfang wurde das Anästhesiemittel Thiopen- Erhaltung und Ersatz und Betrieb erfolgen bedarfsge- (C)
tal in die USA geliefert, und wird das Mittel weiterhin – ent- recht.“
gegen der verlautbarten Selbstverpflichtung der produzieren-
den Unternehmen – exportiert?

Da das Arzneimittelgesetz keine Verpflichtung für Anlage 24


pharmazeutische Unternehmen oder Großhändler vor-
sieht, den Export eines Arzneimittels ins Ausland unter Antwort
Angabe der Bezeichnung des Arzneimittels anzuzeigen, des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
liegen keine Erkenntnisse vor, ob Thiopental überhaupt Frage des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜND-
aus Deutschland in die USA exportiert worden ist. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 26):
Entsprechend seiner Zweckrichtung enthält das Arz- Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die hö-
neimittelgesetz, AMG, im Falle der Ausfuhr von in here Dividende der Deutschen Bahn AG zweckgebunden für
die Schieneninfrastruktur und nicht für die Sanierung des
Deutschland zugelassenen und verkehrsfähigen Arznei- Haushalts eingesetzt wird, und welche Zweckbindung sieht
mitteln nur Regelungen, um die Berechtigung der aus- die Bundesregierung für die 500 Millionen Euro Dividende
führenden Person – Großhändler – zu kontrollieren. Für vor, die nicht in die Schieneninfrastruktur zurückfließen sol-
den Export von Arzneimitteln gelten die allgemeinen len?
ausfuhr- und zollrechtlichen Bestimmungen. Eine Zweckbindung der Dividendeneinnahmen der
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darü- Deutsche Bahn AG im Bundeshaushalt besteht nicht. Im
ber vor, ob Lieferungen in die USA in den letzten Mona- Rahmen des Eckwertebeschlusses für den Regierungs-
ten nachgefragt wurden. Die Firmen und die Großhänd- entwurf des Bundeshaushalts 2012 hat das Bundesminis-
ler haben erklärt, dass sie entsprechenden terium der Finanzen dem Bundesministerium für Ver-
Lieferungsbegehren nicht nachkommen würden. Der kehr, Bau und Stadtentwicklung zusätzliche Mittel für
Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels hat die Schienenwegeinvestitionen zur Verfügung gestellt.
deutlich gemacht, dass seine Mitgliedsfirmen Arzneimit- Dabei wurde auch die um 25 Millionen Euro erhöhte Di-
tel ausschließlich an deutsche Apotheken liefern. vidende berücksichtigt, die zur Gänze als Einnahme im
Einzelplan 12 vorgesehen sein wird. Aus dieser haushal-
terischen Maßnahme werden langfristig zusätzliche Mit-
Anlage 22 tel für Neu- und Ausbauvorhaben bei der Schiene in
Höhe von knapp 1 Milliarde Euro bis 2014 und in Höhe
Antwort von circa 350 Millionen Euro jährlich ab 2015 verfüg-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die bar. Damit wird auch mithilfe der Dividende ein Finan-
(B) Frage des Abgeordneten Gustav Herzog (SPD) (Druck- zierungskreislauf Schiene begonnen. (D)
sache 17/5120, Frage 24):
Wann wird die Bundesregierung das bereits auf dem Elb-
schifffahrtstag in Wittenberge im November 2010 angekün- Anlage 25
digte Elbekonzept vorlegen?
Antwort
Das sogenannte Gesamtkonzept für die Binnenelbe ist
noch in der abschließenden Bearbeitung. des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
Frage des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 27):
Anlage 23 Welche bundesrechtlichen Möglichkeiten sieht die Bun-
desregierung, die Öffentlichkeit frühzeitig, das heißt in den
Antwort Planungsschritten vor dem Genehmigungsverfahren, wie Li-
nienbestimmungsverfahren, Raumordnungsverfahren etc., an-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die gemessen zu beteiligen, und wie bewertet die Bundesregie-
Frage des Abgeordneten Gustav Herzog (SPD) (Druck- rung die Möglichkeit, in diesen Planungsschritten bereits
sache 17/5120, Frage 25): gerichtliche Überprüfungsmittel für Bürgerinnen und Bürger
sowie Nichtregierungsorganisationen vorzusehen?
Wie vereinbart die Bundesregierung das auf dem Elb-
schifffahrtstag 2010 in Wittenberge erneut bekräftigte und mit Durch die frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit
den internationalen Verpflichtungen in Einklang stehende Un- kann die gesellschaftliche Akzeptanz von Projekten
terhaltungsziel mit der von der Bundesregierung neu vorge-
stellten Kategorisierung der Bundeswasserstraßen, die die
nachhaltig gestärkt werden. Die Bundesregierung prüft
Elbe lediglich als Nebennetz einstuft und somit von jeglichen vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, zusätzliche
Ausbaumaßnahmen ausschließt? Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungs-
verfahren einzuführen, damit die Beteiligung der Öffent-
Die Bundesregierung verfolgt keine Ausbauplanun-
lichkeit gestärkt und die Akzeptanz von Infrastruktur-
gen an der Binnenelbe. Die Maßnahmen an der Bin-
und sonstigen Großvorhaben verbessert werden kann.
nenelbe beschränken sich auf Unterhaltungsmaßnah-
Ein Ansatz könnte das Instrument einer „frühen Öffent-
men, die den Status quo der Schifffahrtsverhältnisse vor
lichkeitsbeteiligung“ sein, das heißt, das Vorhaben wird
dem Hochwasser von August 2002 wieder herstellen und
frühzeitig der Öffentlichkeit vorgestellt und mit ihr erör-
erhalten. Dieses Konzept geht konform mit dem soge-
tert.
nannten Modernisierungskonzept der WSV, das zum Ne-
bennetz enthält: „Bestandserhaltung steht im Vorder- Es wird derzeit geprüft, ob eine entsprechende Rege-
grund, Ausbau findet nicht statt, Unterhaltung, lung in dem Entwurf für ein Planungsvereinheitlichungs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11233

(A) gesetz vorgesehen werden könnte, der derzeit vom Bun- Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über an- (C)
desministerium des Innern überarbeitet wird. geblich von der Deutschen Lufthansa AG durchgeführte
Flüge aus Tokio bzw. anderen japanischen Flughäfen, bei de-
Eine wichtige Frage ist in diesem Zusammenhang, nen laut Fernsehberichten nur Tickets der Businessclass zu
stark überhöhten Preisen – bis zu 7 000 Euro – angeboten
welche Personen unter den Begriff der „Öffentlichkeit“
werden und dabei in Kauf genommen wird, die Maschinen
fallen. Zwar würde dieser Kreis weiter zu fassen sein als auch halbleer nach Deutschland fliegen zu lassen?
die in eigenen Rechten „Betroffenen“. Andererseits ist
offensichtlich, dass bei Vorhaben mit überregionaler Be- Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor,
deutung eine Beschränkung erforderlich sein wird. die das in der Frage zitierte Buchungsverhalten bestäti-
gen würden.
Es ist aber auch darauf hinzuweisen, dass es bereits
heute üblich ist, bei Planungsvorhaben die Öffentlichkeit
frühzeitig zu informieren und mit ihr das Vorhaben auch
zu diskutieren. Dies geschieht zum einen in gesetzlich Anlage 27
vorgeschriebenen Verfahren, etwa im Rahmen der Betei-
Antwort
ligung bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen
nach § 10 Abs.1 ROG und auch im Raumordnungs- der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
verfahren nach § 15 ROG Abs. 3 i. V. m. den Lan- Fragen des Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/
desplanungsgesetzen oder bei Linienbestimmungsver- DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fragen 29 und 30):
fahren im Bundesfernstraßenbau, bei der in der Regel
nach § 15 i. V. m. § 9 UVPG die Öffentlichkeit beteiligt Wie wird die Überprüfung des Sicherheitssystems des
Atomkraftwerks, AKW, Krümmel angesichts der aktuellen
wird. Dabei kommen ausdrücklich auch Fragen zum Ereignisse in japanischen Atomkraftwerken aussehen, und
Vorhaben und den Alternativen zur Sprache. Im Bauleit- wie wird mit Schwachstellen umgegangen bzw. in welchem
planverfahren ist eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteili- Umfang könnten Nachbesserungen vorgenommen werden?
gung grundsätzlich erforderlich, § 3 Abs.1 BauGB. Kann die Bundesregierung absehen, bis wann die Sicher-
Zum anderen werden aber auch gesetzlich nicht vor- heitsüberprüfung des AKW Krümmel im Rahmen des Mora-
toriums abgeschlossen sein wird, und in welchem Rahmen
geschriebene Beteiligungsverfahren wie Runde Tische, und Umfang wird die Bundesregierung den Deutschen Bun-
Mediationsverfahren, Bürgerforen etc. zusätzlich bereits destag und die Öffentlichkeit über die gewonnenen Erkennt-
genutzt. nisse informieren?

Die Frage einer gerichtlichen Überprüfbarkeit von Die nuklearen Folgen der Erdbebenkatastrophe in Ja-
vorgelagerten Verfahrensschritten stellt sich nicht, weil pan bedeuten einen Einschnitt – für Japan und die ganze
(B) eine abschließende Entscheidung gerade nicht vorliegt, Welt. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten (D)
sondern vorbereitet werden soll. Eine Rechtsverletzung der Bundesländer mit Kernkraftwerken haben deshalb
kann aber erst mit der Zulassungsentscheidung eintreten, beschlossen, die Sicherheit aller Kernkraftwerke in
eine Klagemöglichkeit im Vorfeld ist daher abzulehnen. Deutschland zu überprüfen. Die Vorkommnisse in Japan
Das Raumordnungsverfahren beispielsweise oder auch haben gezeigt, dass Ereignisse auch jenseits der bisher
das Linienbestimmungsverfahren sind verwaltungsin- berücksichtigten Szenarien eintreten können. Hieraus re-
terne Verfahren ohne Außenwirkung gegenüber den Bür- sultiert die Notwendigkeit, die Lage unter Berücksichti-
gern. Das Ergebnis kann auch in der Gesamtabwägung gung der aktuellen Ereignisse vorbehaltlos zu analysie-
überwunden werden. Ein Rechtsschutzverfahren in die- ren. Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt,
sen Verfahren wäre im deutschen Recht nicht nur sys- Naturschutz und Reaktorsicherheit wird die Risikoana-
temfremd, es könnte auch zu keinem durchsetzungsfähi- lyse aller deutschen Kernkraftwerke von der Reaktorsi-
gen Ergebnis führen. cherheitskommission als Gremium unabhängiger Exper-
Das Instrument der Popularklage, also die Möglich- ten in Abstimmung mit den zuständigen Behörden der
keit, auch ohne eigene rechtliche Betroffenheit Klage er- Länder vorgenommen.
heben zu können, ist im geltenden Rechtssystem mit gu-
ten Gründen nicht angelegt. Bei dieser Sicherheitsanalyse ist zu überprüfen, in-
wieweit bisher nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr
Es ist aber auch ein ausreichender Rechtsschutz ge- eine neue Bewertung erfordern. Dabei sollen auch ex-
währleistet, wenn die durch die Zulassungsentscheidung terne Risiken betrachtet werden, die denen vergleichbar
Betroffenen und die mit entsprechenden Anfechtungs- sind, die sich in Japan ereignet haben. Die Reaktor-Si-
rechten ausgestatteten Vereinigungen (zum Beispiel an- cherheitskommission hat am 17. März 2011 die Beratun-
erkannte Umweltschutzvereinigungen) die Entscheidung gen zur Durchführung der Sicherheitsüberprüfung für
gerichtlich überprüfen lassen können. die deutschen Kernkraftwerke aufgenommen. Alle Be-
teiligten sind aufgerufen, diesen Prüfprozess sehr ernst
zu nehmen. Daraus folgt natürlich, dass nicht schon am
Anlage 26 Beginn dieses Prüfprozesses über mögliche Ergebnisse
oder einzelne Teilaspekte des Prüfbereiches Auskunft
Antwort
gegeben werden kann. Nach Ablauf der Prüffrist wird zu
des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die beurteilen sein, welche konkreten Entscheidungen ge-
Frage des Abgeordneten Manfred Grund (CDU/CSU) troffen werden müssen. Die Überprüfung dient genau
(Drucksache 17/5120, Frage 28): dieser Entscheidungsfindung.
11234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Anlage 28 Bei dieser Sicherheitsanalyse ist zu überprüfen, in- (C)


wieweit bisher nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr
Antwort eine neue Bewertung erfordern. Dabei sollen auch ex-
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die terne Risiken betrachtet werden, die denen vergleichbar
Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz sind, die sich in Japan ereignet haben. Die Reaktor-Si-
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, cherheitskommission hat am 17. März 2011 die Beratun-
Frage 31): gen zur Durchführung der Sicherheitsüberprüfung für
die deutschen Kernkraftwerke aufgenommen. Alle Be-
Wie bewertet die Bundesregierung, auch vor dem Hinter-
grund der Geschehnisse im Reaktor Fukushima, die getroffe- teiligten sind aufgerufen, diesen Prüfprozess sehr ernst
nen Sicherheitsvorkehrungen für das in Krümmel ebenfalls zu nehmen. Daraus folgt natürlich, dass nicht schon am
bestehende Zwischenlager? Beginn dieses Prüfprozesses über mögliche Ergebnisse
oder einzelne Teilaspekte des Prüfbereiches Auskunft
Basierend auf der am 19. Dezember 2003 vom Bun- gegeben werden kann. Nach Ablauf der Prüffrist wird zu
desamt für Strahlenschutz, BfS, erteilten atomrecht- beurteilen sein, welche konkreten Entscheidungen ge-
lichen Aufbewahrungsgenehmigung lagern im Stand- troffen werden müssen. Die Überprüfung dient genau
ortzwischenlager Krümmel Ende des Jahres 2010 19 Be- dieser Entscheidungsfindung. Im Rahmen der Sicher-
hälter vom Typ Castor V/52. heitsüberprüfung wird auch die Verfügbarkeit des Not-
Das Gebäude des Standortzwischenlagers ist gegen stromsystems, dem die Batterien zugeordnet sind, über-
das für den Standort zugrunde zu legende Bemessungs- prüft.
erdbeben und das Bemessungshochwasser der Elbe aus-
gelegt.
Anlage 30
Die Transport- und Lagerbehälter vom Typ Castor V/52
sind aufgrund ihrer Prüfungen im Rahmen der verkehrs- Antwort
rechtlichen Zulassung, Typ B(U), ebenfalls gegenüber der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
dem Einfluss des Bemessungserdbebens und einer Über- Frage des Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme (SPD)
flutung ausgelegt. (Drucksache 17/5120, Frage 33):
Plant die Bundesregierung, die jüngsten Kürzungen für die
deutsche Solarwirtschaft vor dem Hintergrund ihrer Kehrt-
Anlage 29 wende in der Atompolitik in der letzten Woche zurückzuneh-
men?
Antwort
(B) Die Bundesregierung hat ein dreimonatiges Morato- (D)
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die rium für die kürzlich beschlossene Laufzeitverlängerung
Frage des Abgeordneten Dr. Konstantion von Notz deutscher Kernkraftwerke verkündet. In dieser Zeit sollen
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, alle deutschen Kernkraftwerke einer umfassenden, ergeb-
Frage 32): nisoffenen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden.
Wie bewertet die Bundesregierung, dass der Siedewasser- Die Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes soll
reaktor Krümmel, der gleichen Bautyps ist wie der in Fuku- unabhängig vom Ausgang dieser Überprüfung nicht zu-
shima, im Falle eines Ausfallens der Notstromgeneratoren im rückgenommen werden. Die Anpassung der Photovol-
Gegensatz zur Anlage in Fukushima nicht einen sechs-, son-
dern lediglich einen zweistündigen Batterienotstrombetrieb
taikförderung steht den Zielen der Bundesregierung zum
sicherstellen kann (Bergedorfer Zeitung, 15. März 2011)? Ausbau erneuerbarer Energien nicht entgegen und ist er-
forderlich, um die Kosten für die Stromverbraucher zu
Das Kernkraftwerk Krümmel ist ein Siedewasserre- begrenzen. Sie ist gerechtfertigt, da aufgrund eines star-
aktor der Baulinie 69. Dieser hat sowohl Gemeinsamkei- ken Zubaus von weltweiten Produktionskapazitäten die
ten als auch zahlreiche Unterschiede zu den Siedewas- Kosten der Photovoltaikhersteller stark gesunken sind. Mit
serreaktoren in Fukushima, vom Typ General Electric der Änderung der Degressionsschritte wurde auf diese
Mark I, ist also keineswegs baugleich. Kostensenkung reagiert. Der Kürzungsvorschlag ist ge-
Die nuklearen Folgen der Erdbebenkatastrophe in Ja- meinsam mit der Photovoltaikindustrie entwickelt wor-
pan bedeuten einen Einschnitt – für Japan und die ganze den.
Welt. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten
der Bundesländer mit Kernkraftwerken haben deshalb
beschlossen, die Sicherheit aller Kernkraftwerke in Anlage 31
Deutschland zu überprüfen. Die Vorkommnisse in Japan Antwort
haben gezeigt, dass Ereignisse auch jenseits der bisher
berücksichtigten Szenarien eintreten können. Hieraus re- der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
sultiert die Notwendigkeit, die Lage unter Berücksichti- Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜND-
gung der aktuellen Ereignisse vorbehaltlos zu analysie- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 34):
ren. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums wird Trifft es zu, dass durch die von der schwarz-gelben Bun-
die Risikoanalyse aller deutschen Kernkraftwerke von desregierung geschaffene Rechtslage, wonach die Laufzeiten
der älteren Atomkraftwerke, AKW, um acht Jahre, die der
der Reaktorsicherheitskommission als Gremium unab- jüngeren AKW um zwölf Jahre verlängert wurden, und durch
hängiger Experten in Abstimmung mit den zuständigen die Möglichkeit der Laufzeitübertragung die Möglichkeit be-
Behörden der Länder vorgenommen. steht, die AKW über 2050 hinaus zu betreiben?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11235

(A) Mit der Atomgesetznovelle 2002 wurde ein § 7 Welche konkreten Anlagen- oder Gefahrenaspekte haben (C)
Abs. 1 b in das Atomgesetz eingefügt, wonach unter be- nach Kenntnis der Bundesregierung zu der Einschätzung ge-
führt, dass die beiden Reaktoren Neckarwestheim 1 und Isar 1
stimmten Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, endgültig stillgelegt werden sollen, und wieso werden nach
Elektrizitätsmengen ganz oder teilweise auf andere An- Kenntnis der Bundesregierung dieselben Anlagen- oder Ge-
lagen zu übertragen. fahrenaspekte nicht auch bei den zu Neckarwestheim 1 und
Isar 1 baugleichen Atomkraftwerken Biblis A und B und Un-
Ob im Lichte der Ergebnisse des Moratoriums die terweser – Reaktorbaulinie DWR-2 – bzw. Brunsbüttel und
geltende Rechtslage noch geändert werden soll, ist dann Philippsburg 1 – Reaktorbaulinie SWR-69 – zur Anwendung
zu entscheiden. gebracht?

Die Bundesregierung hat ihrer Entscheidung keine


konkreten Anlagenaspekte zugrunde gelegt. Diese wer-
Anlage 32 den erst bei der vorgesehenen Sicherheitsüberprüfung
untersucht. Insbesondere für die sieben ältesten deut-
Antwort schen Anlagen – denen auch bereits im Rahmen einer
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Differenzierung der Laufzeitverlängerung eine geringere
Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜND- zusätzliche Elektrizitätsmenge zugewiesen wurde – ist
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 35): nach den Ereignissen in Japan zu überprüfen, inwieweit
An genau welchen Punkten unterscheiden sich die Sicher-
bisher nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr eine
heitsmerkmale, die zur Einstellung des Betriebes der ältesten neue Bewertung erfordern. Da sich gerade bei älteren
AKW führen, von der Sicherheit der weiterlaufenden AKW? Anlagen die Frage nach den in der Auslegung berück-
sichtigten Szenarien in besonderer Weise stellen kann,
Die Bundesregierung hat ihrer Entscheidung keine werden diese Anlagen für den Zeitraum der Überprüfung
konkreten Anlagenaspekte zugrunde gelegt. Diese wer- vom Netz genommen.
den erst bei der vorgesehenen Sicherheitsüberprüfung
untersucht. Insbesondere für die sieben ältesten deut-
schen Anlagen – denen auch bereits im Rahmen einer
Anlage 35
Differenzierung der Laufzeitverlängerung eine geringere
zusätzliche Elektrizitätsmenge zugewiesen wurde – ist Antwort
nach den Ereignissen in Japan zu überprüfen, inwieweit
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
bisher nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr eine
Fragen des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
neue Bewertung erfordern. Da sich gerade bei älteren
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fragen 38 und 39):
Anlagen die Frage nach den in der Auslegung berück-
Wie unterscheiden sich die nun angekündigten Sicher-
(B) sichtigten Szenarien in besonderer Weise stellen kann, heitsüberprüfungen der deutschen Atomkraftwerke von den (D)
werden diese Anlagen für den Zeitraum der Überprüfung bisherigen, und worin unterscheiden sich bei den anstehenden
vom Netz genommen. Sicherheitsüberprüfungen für Flugzeugabstürze die Untersu-
chungsstandards von denjenigen vorangegangener Sicher-
heitsuntersuchungen?
Anlage 33 Geht die Bundesregierung davon aus, dass sie für die An-
ordnung der Einstellung des Betriebes Entschädigungszahlun-
Antwort gen an die Betreiber wird zahlen müssen und, wenn nein, wa-
rum nicht?
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND- Zu Frage 38:
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 36):
Die nuklearen Folgen der Erdbebenkatastrophe in Ja-
In welchen deutschen Atomkraftwerken ist die Abtren-
nung von Anlagenteilen mit hohem Gefährdungspotenzial
pan bedeuten einen Einschnitt – für Japan und die ganze
– Brandlast – von sicherheitsrelevanten Anlagenteilen oder Welt. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten
Raumbereichen nicht vollständig gegeben, und in welchen der der Bundesländer mit Kernkraftwerken haben deshalb
älteren Atomkraftwerke sind teilweise noch brennbare PVC- beschlossen, die Sicherheit aller Kernkraftwerke in
Kabel innerhalb des Sicherheitsbehälters vorhanden? Deutschland zu überprüfen. Die Vorkommnisse in Japan
Zu dieser Frage liegen beim Bundesministerium für haben gezeigt, dass Ereignisse auch jenseits der bisher
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit kurzfristig berücksichtigten Szenarien eintreten können. Hieraus re-
keine Informationen vor. Das Bundesministerium für sultiert die Notwendigkeit, die Lage unter Berücksichti-
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird die zu- gung der aktuellen Ereignisse vorbehaltlos zu analysie-
ständigen Aufsichtsbehörden der Länder bitten, zu der ren. Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt,
Frage Stellung zu nehmen. Naturschutz und Reaktorsicherheit wird die Risikoana-
lyse aller deutschen Kernkraftwerke von der Reaktorsi-
cherheitskommission als Gremium unabhängiger Exper-
Anlage 34 ten in Abstimmung mit den zuständigen Behörden der
Länder vorgenommen.
Antwort
Bei dieser Sicherheitsanalyse ist zu überprüfen, in-
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die wieweit bisher nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr
Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND- eine neue Bewertung erfordern. Dabei sollen auch ex-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 37): terne Risiken betrachtet werden, die denen vergleichbar
11236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) sind, die sich in Japan ereignet haben. Die Reaktor-Si- Anlage 37 (C)
cherheitskommission hat am 17. März 2011 die Beratun-
Antwort
gen zur Durchführung der Sicherheitsüberprüfung für
die deutschen Kernkraftwerke aufgenommen. Alle Be- der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
teiligten sind aufgerufen, diesen Prüfprozess sehr ernst Frage der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜND-
zu nehmen. Daraus folgt natürlich, dass nicht schon am NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 41):
Beginn dieses Prüfprozesses über mögliche Ergebnisse Werden die nicht abgerufenen Laufzeiten der stillgelegten
oder einzelne Teilaspekte des Prüfbereiches Auskunft AKW auf neuere AKW übertragen und, wenn ja, nach wel-
gegeben werden kann. Nach Ablauf der Prüffrist wird zu chem Modus?
beurteilen sein, welche konkreten Entscheidungen ge- Mit der Atomgesetznovelle 2002 wurde ein § 7 Abs. 1 b
troffen werden müssen. Die Überprüfung dient genau in das Atomgesetz eingefügt, wonach unter bestimmten
dieser Entscheidungsfindung. Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, Elektrizitäts-
mengen ganz oder teilweise auf andere Anlagen zu über-
Zu Frage 39: tragen.
Ob im Lichte der Ergebnisse des Moratoriums die
Die Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellun- geltende Rechtslage geändert werden soll, ist dann zu
gen erfolgt auf der Rechtsgrundlage des § 19 Abs. 3 Satz 2 entscheiden.
Nr. 3 des Atomgesetzes. Danach sind Entschädigungs-
zahlungen an die Betreiber bei der Anordnungen der
einstweiligen Betriebseinstellung nicht vorgesehen. Anlage 38
Antwort
Anlage 36 der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Fragen der Abgeordneten Dorothea Steiner (BÜND-
Antwort NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fra-
gen 42 und 43):
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
In welcher Höhe gegenüber welchem Betreiber wird die
Frage der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜND- Bundesrepublik Deutschland oder werden einzelne Bundes-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 40): länder für die einstweilige Einstellung des Betriebs der AKW
eine Entschädigung zu leisten haben?
Welche Rechtsprüfung hat stattgefunden, auf deren Basis
die Bundesregierung annimmt, dass die Einstellung des Be- Trifft es zu, dass der Betreiber des stillgelegten Atomkraft-
triebs nach § 19 des Atomgesetzes möglich ist, wenn bekannt werks, AKW, Neckarwestheim 1 berechtigt ist, die ihm für
(B) ist, dass ein Atomkraftwerk, AKW, nicht dem gesetzlichen Si- diese Anlage von der schwarz-gelben Bundesregierung zuge- (D)
cherheitsstandard entspricht oder wenn Gefahr für Leben und standene zusätzliche Laufzeit von acht Jahren ohne Genehmi-
Gesundheit befürchtet wird, und welche dieser beiden Be- gung durch die Atomaufsicht auf jüngere Anlagen zu übertra-
gründungen war die entscheidende für die Abschaltung von gen, und trifft dies analog für alle weiteren Fälle zu, in denen
Neckarwestheim 1 und Isar 1? AKW, die vor 1980 fertiggestellt wurden, vor dem Ende ihrer
regulären Betriebszeit endgültig stillgelegt werden?
Für die dreimonatige Betriebseinstellung der sieben
ältesten Anlagen als vorläufige aufsichtliche Maßnahme Zu Frage 42:
sieht das Atomgesetz § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des Atom- Die Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellun-
gesetzes als einschlägige Rechtsgrundlage vor. Auf gen erfolgt auf der Rechtsgrundlage des § 19 Abs. 3 Satz 2
dieser Rechtsgrundlage kann bei Vorliegen eines Gefah- Nr. 3 des Atomgesetzes. Danach sind Entschädigungs-
renverdachts die einstweilige Betriebseinstellung ange- zahlungen an die Betreiber bei der Anordnung der einst-
ordnet werden. Ein derartiger Verdacht ist im Atomrecht weiligen Betriebseinstellung nicht vorgesehen.
bereits dann gegeben, wenn sich wegen begründeter Un-
sicherheiten im Rahmen der Risikovorsorge Schadens- Zu Frage 43:
möglichkeiten nicht völlig ausschließen lassen.
Mit der Atomgesetznovelle 2002 wurde ein § 7 Abs. 1 b
Insbesondere für die sieben ältesten deutschen Anla- in das Atomgesetz eingefügt, wonach unter bestimmten
gen – denen auch bereits im Rahmen einer Differenzie- Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, Elektrizitäts-
rung der Laufzeitverlängerung eine geringere zusätzli- mengen ganz oder teilweise auf andere Anlagen zu über-
che Elektrizitätsmenge zugewiesen wurde – ist nach den tragen.
Ereignissen in Japan zu überprüfen, inwieweit bisher Ob im Lichte der Ergebnisse des Moratoriums die
nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr eine neue Be- geltende Rechtslage geändert werden soll, ist dann zu
wertung erfordern. Da sich gerade bei älteren Anlagen entscheiden.
die Frage nach den in der Auslegung berücksichtigten
Szenarien in besonderer Weise stellen kann, haben sich
die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Anlage 39
Bundesländer mit Kernkraftwerken dazu entschlossen,
Antwort
diese Anlagen für den Zeitraum der Überprüfung vom
Netz zu nehmen. Dies ist Ausdruck äußerster Vorsorge, der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
der sich die Bundesregierung und die Ministerpräsiden- Frage des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜND-
ten zum Schutz der Bevölkerung verpflichtet sehen. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 44):
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11237

(A) Wie bewertet die Bundesregierung, dass die Bundeskanz- der Besprechung der Minister vom 15. März 2011 ange- (C)
lerin Dr. Angela Merkel in der Regierungserklärung vom sprochen, in dem auch die vorübergehende Betriebsein-
17. März 2011 die Erforderlichkeit der Atomenergie für den
Klimaschutz betonte, gegenüber den Angaben des Umwelt- stellung der sieben ältesten Kernkraftwerke erörtert
bundesamtes, ebenfalls vom 17. März 2011, Deutschland wurde. Das Dokument wurde der Reaktor-Sicherheits-
könne sofort und ohne Stromlücken auf neun Atomkraftwerke kommission, RSK, übermittelt. Die RSK berät derzeit
verzichten und dass bis 2017 ein vollständiger Ausstieg ohne die Anforderungen der Sicherheitsüberprüfungen und ist
den Neubau von Kohlekraftwerken möglich sei?
dabei als unabhängiges Gremium nicht an das als Ideen-
Eine Gefährdung der Versorgungssicherheit mit Strom sammlung gedachte Papier gebunden.
ist durch das von der Bundesregierung beschlossene Mo-
ratorium nicht zu befürchten. Dies sieht auch das Um-
weltbundesamt so. Nach Einschätzung der Übertragungs- Anlage 42
netzbetreiber hat die im Rahmen des Moratoriums Antwort
angeordnete Abschaltung der Kernkraftwerke zurzeit be-
herrschbare Auswirkungen auch auf die Netzsicherheit der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
und die Systemstabilität. Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 47):
Aus Sicht der Bundesregierung hat die Sicherheit der
Wer innerhalb der Bundesregierung redet federführend mit
Kernkraftwerke oberste Priorität. Deswegen sind für ge- den Atomkraftwerksbetreibern über die dreimonatige Stillle-
gebenenfalls weitere Entscheidungen die Ergebnisse der gung der Reaktoren, und geht die Bundesregierung davon aus,
im Rahmen des Moratoriums anberaumten Sicherheits- dass die entsprechenden Stromkonzerne laut Förderfondsver-
überprüfung abzuwarten. trag in den nächsten drei Monaten zum zehnten Bankarbeits-
tag jeweils die volle Höhe der vereinbarten Summe in den
Förderfonds einzahlen?

Anlage 40 Die Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellung


erfolgt durch die zuständigen Atomaufsichtsbehörden
Antwort der Länder auf Bitten des Bundesministeriums für Um-
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Fragen der Abgeordneten Brigitte Pothmer (BÜND- Die Rechtslage bezüglich des Förderfondsvertrags
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fra- bleibt von den Anordnungen der einstweiligen Betriebs-
ge 45): einstellung unberührt.
Wie lange können an den einzelnen Atomkraftwerksblö-
cken Batterien die Notstromversorgung alleine aufrechterhal-
(B) ten, falls die übrige Stromversorgung ausgefallen ist? (D)
Anlage 43
Die Batterien sind vorgesehen für Teile der Notstrom-
Antwort
versorgung. Für diesen Zweck haben sie eine Kapazität
von mindestens zwei Stunden. Insbesondere versorgen der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
sie die Gleichstromanlage, die gesicherten Notstrom- Fragen der Abgeordneten Ingrid Hönlinger (BÜND-
schienen und sicherheitstechnisch wichtige Steuerungs- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 48):
systeme. Welche sicherheitsrelevanten Tatsachen und welche Ver-
änderung des Sicherheitsniveaus an welchen Punkten nimmt
die Bundesregierung an, die die Voraussetzungen des § 19
Abs. 3 des Atomgesetzes begründen?
Anlage 41
Die bisher unbestrittene Sicherheit der deutschen
Antwort
Kernkraftwerke beruht auf der Einhaltung des Atomge-
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die setzes, der auf dem Atomgesetz beruhenden Rechtsver-
Frage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE ordnungen und der erteilten Genehmigungen. Die Vor-
LINKE) (Drucksache 17/5120, Frage 46): kommnisse in Japan haben jedoch gezeigt, dass
Wie bewertet die Bundesregierung die – laut einem Be- Ereignisse auch jenseits der bisher berücksichtigten Sze-
richt der Sendung Kontraste vom 17. März 2011 – in einem narien eintreten können. Hieraus resultiert die Notwen-
Papier des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und digkeit, die Lage unter Berücksichtigung der aktuellen
Reaktorsicherheit festgelegten Anforderungen für den Weiter- Ereignisse vorbehaltlos zu analysieren und hieraus die
betrieb inländischer Atomkraftwerke hinsichtlich der Sicher-
heit gegen Stromausfälle, Hochwasser, Erdbeben und Flug-
entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Zu diesem Zweck
zeugabstürze, und ist die Bundesregierung bereit, diese wird die Reaktorsicherheitskommission als Gremium
Anforderungen in vollem Maße unverzüglich umzusetzen? unabhängiger Experten in Zusammenarbeit mit den zu-
ständigen Behörden der Länder und dem Bundesum-
Das von Kontraste zitierte Papier wurde ab Sonntag,
weltministerium eine neue Sicherheitsanalyse im Lichte
den 13. März 2011 im Hinblick auf eine Sicherheitsüber-
der Ereignisse in Japan für alle deutschen Kernkraft-
prüfung als eine erste Diskussionsgrundlage im Bundes-
werke vornehmen.
ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit erstellt. Das Bundesministerium für Umwelt, Für die dreimonatige Betriebseinstellung der sieben
Naturschutz und Reaktorsicherheit hat das Papier am ältesten Anlagen als vorläufige aufsichtliche Maßnahme
14. März 2011 den für die Aufsicht über Kernkraftwerke sieht das Atomgesetz § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des Atom-
zuständigen Landesministerien übermittelt. Es wurde in gesetzes als einschlägige Rechtsgrundlage vor. Auf
11238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) dieser Rechtsgrundlage kann bei Vorliegen eines Gefah- Zu Frage 50: (C)
renverdachts die einstweilige Betriebseinstellung ange-
ordnet werden. Ein derartiger Verdacht ist im Atomrecht Nein.
bereits dann gegeben, wenn sich wegen begründeter Un-
sicherheiten im Rahmen der Risikovorsorge Schadens- Zu Frage 51:
möglichkeiten nicht völlig ausschließen lassen. Das von Kontraste zitierte Papier wurde ab Sonntag,
Insbesondere für die sieben ältesten deutschen Anla- den 13. März 2011, im Hinblick auf eine Sicherheits-
gen – denen auch bereits im Rahmen einer Differenzie- überprüfung als eine erste Diskussionsgrundlage erstellt.
rung der Laufzeitverlängerung eine geringere zusätzli- Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
che Elektrizitätsmenge zugewiesen wurde – ist nach den Reaktorsicherheit hat das Papier am 14. März 2011 den
Ereignissen in Japan zu überprüfen, inwieweit bisher für die Aufsicht über Kernkraftwerke zuständigen Lan-
nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr eine neue Be- desministerien übermittelt. Es wurde in der Besprechung
wertung erfordern. Da sich gerade bei älteren Anlagen der Minister vom 15. März 2011 angesprochen, in dem
die Frage nach den in der Auslegung berücksichtigten auch die vorübergehende Betriebseinstellung der sieben
Szenarien in besonderer Weise stellen kann, haben sich ältesten Kernkraftwerke erörtert wurde. Das Dokument
die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der wurde der Reaktor-Sicherheitskommission, RSK, über-
Bundesländer mit Kernkraftwerken dazu entschlossen, mittelt. Die RSK berät derzeit die Anforderungen der Si-
diese Anlagen für den Zeitraum der Überprüfung vom cherheitsüberprüfungen und ist dabei als unabhängiges
Netz zu nehmen. Dies ist Ausdruck äußerster Vorsorge, Gremium nicht an das als Ideensammlung gedachte Pa-
der sich die Bundesregierung und die Ministerpräsiden- pier gebunden.
ten zum Schutz der Bevölkerung verpflichtet sehen.
Anlage 46
Anlage 44 Antwort
Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Fragen der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer
Frage der Abgeordneten Ingrid Hönlinger (BÜND- (DIE LINKE) (Drucksache 17/5120, Fragen 52 und 53):
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 49): Welche Studien liegen der Bundesregierung vor, die einen
Mit welchem Schadenersatzrisiko – aufgeschlüsselt nach Zusammenhang radioaktiver Strahlung sowohl wegen der
Wahrscheinlichkeit, Höhe und Anspruchsteller – rechnet die Atomkatastrophe in Tschernobyl wie auch wegen in Deutsch-
Bundesregierung angesichts des Umstandes, dass die Atom- land vorhandener Atomkraftwerke bzw. Atomlager mit ge-
(B) sundheitlichen Beeinträchtigungen bis hin zu Krebs nahele-
(D)
konzerne EnBW, Eon und RWE angekündigt haben, die vorü-
bergehende Stilllegung ihrer Atomkraftwerke juristisch über- gen oder nachweisen – bitte alle Studien benennen)?
prüfen zu lassen? Aufgrund welcher wissenschaftlicher Expertisen werden
Grenzwerte für Strahlungen aus Atomkraftwerken festgelegt,
Die Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellun- und liegen prospektive wissenschaftliche Langzeitstudien
gen erfolgt auf der Rechtsgrundlage des § 19 Abs. 3 Satz 2 dazu vor, dass bei Strahlenbelastungen unterhalb dieser
Nr. 3 des Atomgesetzes. Danach sind Entschädigungs- Grenzwerte gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgeschlos-
zahlungen an die Betreiber bei der Anordnung der einst- sen werden können – bitte Studien benennen?
weiligen Betriebseinstellung nicht vorgesehen. Die Bundesregierung verfolgt und bewertet zusam-
men mit dem Bundesamt für Strahlenschutz und der
Strahlenschutzkommission die aktuelle Entwicklung des
Anlage 45 Kenntnisstandes im Strahlenschutz. Der Stand des dies-
Antwort bezüglichen Wissens, insbesondere zu den Risiken durch
ionisierende Strahlung, ist in den Berichten des United
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic
Fragen der Abgeordneten Sabine Stüber (DIE LINKE) Radiation, UNSCEAR, und in den Empfehlungen der In-
(Drucksache 17/5120, Fragen 50 und 51): ternationalen Strahlenschutzkommission, ICRP, abgebil-
Hatte die Bundesregierung bereits vor dem Reaktorun- det. Hieraus ergeben sich die Grundlagen für inter-
glück in Japan Kenntnis von dem laut einem Bericht der Sen- nationale Standards und Regelungen – zum Beispiel der
dung Kontraste vom 17. März 2011 im Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, er- Internationalen Atomenergie Organisation, IAEO, und
stellten Papier, in dem deutlich erhöhte Anforderungen für der Europäischen Kommission – und die nationale Fest-
den Weiterbetrieb inländischer Atomkraftwerke hinsichtlich legung von Grenzwerten. Falls Anzeichen für neue Er-
der Sicherheit gegen Stromausfälle, Hochwasser, Erdbeben kenntnisse vorliegen, werden die bestehenden Regelun-
und Flugzeugabstürze festgelegt sind, und, wenn ja, warum ist
dieses Papier nicht unverzüglich umgesetzt worden?
gen überprüft.
Welche Rolle hat das Papier des BMU zur Verschärfung Ein Beweis, dass unterhalb der Grenzwerte gesund-
von Sicherheitsnormen bei deutschen Atomkraftwerken, über heitliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden
das das Fernsehmagazin Kontraste am 17. März 2011 berich-
tete, bei der Entscheidung der Bundesregierung über die
können, ist aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht
dreimonatige Stilllegung der sieben ältesten Atomkraftwerke möglich.
gemäß § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes gespielt, und wird es als
Basis für die anstehenden Sicherheitsüberprüfungen der deut- Eine Auflistung aller Studien, die sich auf mehrere
schen Atomkraftwerke dienen? Hundert belaufen dürften, ist kurzfristig nicht möglich.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11239

(A) Anlage 47 schutz und Reaktorsicherheit und des Bundesamtes für (C)
Strahlenschutz erarbeitet. Entsprechende Fortbildungs-
Antwort angebote werden bereits gemacht.
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Fragen des Abgeordneten Harald Weinberg (DIE
LINKE) (Drucksache 17/5120, Fragen 54 und 55): Anlage 48
Plant die Bundesregierung neben der dreimonatigen Un- Antwort
terbrechung der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke in
Deutschland, Studien zur gesundheitlichen Situation von An-
wohnern von Kernkraftwerken bezüglich möglicher erhöhter
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Strahlenwerte und deren Auswirkungen in Auftrag zu geben? Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND-
Welche präventiven Maßnahmen ergreift die Bundesregie-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 56):
rung angesichts der Erfahrung einer Atomkatastrophe in Ja- Werden nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Unter-
pan im deutschen Gesundheitssystem – zum Beispiel Bevor- suchung von Bedrohungsszenarien durch Panzerabwehrlenk-
ratung von Jodtabletten, Lebensmitteln und Wasser – für den waffen auch neuere Waffentypen in die Szenarien einbezogen,
Fall einer Atomkatastrophe in Deutschland oder einem euro- die in den letzten Jahren produziert wurden, und, falls ja, wer-
päischen Nachbarland, und sind Weiterbildungsmaßnahmen den auch Waffentypen einbezogen, die sich in der Entwick-
für das Personal in Krankenhäusern und bei niedergelassenen lungspipeline der Hersteller befinden?
Ärzten vorgesehen?
Grundlage der erforderlichen Schutzmaßnahmen ge-
Zu Frage 54: gen eine mögliche terroristische Bedrohung kerntechni-
scher Anlagen und Einrichtungen sind Lastannahmen als
Nein. Die bisherigen Untersuchungen sind nach der- Ergebnis einer Bedrohungsanalyse. Diese Lastannahmen
zeitigem Kenntnisstand methodisch nicht mehr zu ver- werden in Abstimmung zwischen den atomrechtlichen
bessern; ein Erkenntnisgewinn durch weitere Untersu- Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden und den Sicher-
chungen ist gegenwärtig nicht zu erwarten. heitsbehörden festgelegt, regelmäßig überprüft und ge-
gebenenfalls an neue Erkenntnisse angepasst.
Zu Frage 55:
Zu den Lastannahmen zählen auch mögliche Tatmittel
Der Katastrophenschutz fällt in die ausschließliche potenzieller Täter. Panzerabwehrlenkwaffen gehören
Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Auch der Ge- zum derzeitigen Spektrum der Tatmittel. Einzelheiten zu
setzesvollzug unterliegt dem Verantwortungsbereich der den unterstellten Waffentypen werden jedoch grundsätz-
Landesregierungen. Dies umfasst auch die unmittelbare lich nicht veröffentlicht, um die Wirksamkeit der getrof-
Gefahrenabwehr im nuklearen Notfallschutz. fenen Gegenmaßnahmen nicht zu gefährden.
(B) (D)
Damit die Planungen der Bundesländer im Zusam-
menhang mit nuklearen Ereignissen nach weitgehend
einheitlichen Kriterien erfolgen und bei der besonderen Anlage 49
Katastrophenschutzplanung für die Umgebung kerntech- Antwort
nischer Anlagen im gesamten Bundesgebiet soweit wie
möglich nach gleichen Grundsätzen verfahren wird, hat der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
der Bund in Zusammenarbeit mit den Ländern und der Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND-
Strahlenschutzkommission die „Rahmenempfehlungen NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 57):
für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechni- In welchen deutschen Atomkraftwerken werden MOX-
scher Anlagen“ sowie die „Radiologischen Grundlagen Brennelemente eingesetzt, und in welchen wurden in der Ver-
für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der gangenheit MOX-Brennelemente eingesetzt?
Bevölkerung bei unfallbedingten Freisetzungen von Ra-
Folgende Kernkraftwerke haben Genehmigungen für
dionukliden“ – in der Fassung vom 27. Oktober 2008;
den Einsatz von Mischoxid-(MOX-)Brennelementen;
GMBl. 2008, Nr. 62/63, S. 1278 ff. – herausgegeben. Auf
die Jahreszahl, in Klammern, bezieht sich auf die bislang
die konkreten Einzelplanungen und Maßnahmen hat der
letzte Nachladung von MOX-Brennelementen: Die
Bund keinen Einfluss. Die Bevorratung von Jodtabletten
Druckwasserreaktoren Neckarwestheim Block 1 (1992)
ist umgesetzt.
und 2 (2003), Philippsburg 2 (2006), Unterweser (2006),
Auch der Vollzug der Trinkwasserverordnung liegt in Grohnde (2004), Brokdorf (2009), Emsland (2009),
der Zuständigkeit der Länder. Um die geltenden rechtli- Grafenrheinfeld (2007), Isar 2 (2009) und die Siede-
chen Bestimmungen zum Schutz der Bevölkerung vor wasserreaktoren Gundremmingen Block B (2009) und
Gesundheitsgefahren durch kontaminiertes Trinkwasser Block C (2009). In der Regel bleiben die MOX-Brenn-
sicherzustellen, werden regelmäßige Wasseruntersu- elemente wie die Uranbrennelemente für vier Zyklen,
chungen vorgenommen. Für den Fall einer Kontaminie- das heißt für rund vier Jahre, im Kern, bis sie ihren
rung können von den zuständigen Behörden geeignete Zielabbrand erreicht haben.
Maßnahmen vor Ort eingeleitet werden, die bis zu einer
lokalen Unterbrechung der Trinkwasserversorgung so- Weiter wurden in folgenden stillgelegten Kernkraft-
wie einer ersatzweisen Trinkwasserversorgung reichen. werken oder Prototypreaktoren MOX-Brennelemente
eingesetzt: Obrigheim vor dem Jahr 2000, Gundremmin-
Ein Kurrikulum für die Fortbildung von Ärzten wurde gen A vor 1983, Lingen vor 1977 und Versuchsatom-
im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Natur- kraftwerk Kahl, VAK, vor 1985.
11240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Anlage 50 robust management and governance of the ITER pro- (C)
ject“ vorgelegt. Die in ihm enthaltenen Vorschläge zur
Antwort Veränderung des Managements gehen aus Sicht der Bun-
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die desregierung in die richtige Richtung, reichen aber noch
Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE nicht aus. Daher hat die Bundesregierung in der genann-
LINKE) (Drucksache 17/5120, Frage 58): ten Ratssitzung eine Erklärung mit initiiert, nach der
Welche präventiven Maßnahmen empfiehlt die Bundesre-
noch erhebliche Anstrengungen erforderlich sind, um
gierung der Bevölkerung angesichts der Erfahrung einer das Projekt auf eine solide Basis zu stellen. Inzwischen
Atomkatastrophe in Japan, um im Falle einer atomaren Kata- hat der Aufsichtsrat der Europäischen ITER-Agentur
strophe Gesundheitsschäden zu vermeiden, und wie wird über Fusion for Energy, F4E, eine Arbeitsgruppe eingerichtet,
solche Maßnahmen informiert? die sich mit allen Fragen der Verbesserung von
Die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz liegt Management und Governance einschließlich der Verga-
bei den Ländern. Nach den der Bundesregierung vorlie- bepraxis befasst. Die Bundesregierung ist in der Arbeits-
genden Informationen sind die vorgesehenen Maßnah- gruppe vertreten. Die Ergebnisse sollen in Kürze vorlie-
men der Länder ausreichend. Die Länder sind zusammen gen. Bereits jetzt ist zu sagen, dass die diskutierten
mit den Betreibern verpflichtet, für die Bevölkerung in Veränderungen zum großen Teil in die von der Bundes-
einem Umkreis von 25 km um ein Kernkraftwerk die regierung gewünschte Richtung gehen.
Bevölkerung über geplante Katastrophenschutzmaßnah- Zum zweiten Teil der Frage: Seit der Sitzung des
men zu unterrichten. Wettbewerbsfähigkeitsrates am 26. November 2010 sind
Damit die Planungen der Bundesländer im Zusam- keine größeren Ausschreibungen erfolgt. Zurzeit wird
menhang mit nuklearen Ereignissen nach weitgehend ein recht großer Auftrag verhandelt, bei dem ein deut-
einheitlichen Kriterien erfolgen und bei der besonderen sches Unternehmen in einem internationalen Konsor-
Katastrophenschutzplanung für die Umgebung kerntech- tium größere Chancen hat, den Zuschlag zu erhalten.
nischer Anlagen im gesamten Bundesgebiet soweit wie Allerdings wird von F4E vorgetragen, dass die Preisvor-
möglich nach gleichen Grundsätzen verfahren wird, hat stellungen des französisch-deutschen Konsortiums deut-
der Bund in Zusammenarbeit mit den Ländern und der lich über den Erwartungen von F4E liegen und daher ge-
Strahlenschutzkommission die „Rahmenempfehlungen gebenenfalls auch eine internationale Ausschreibung als
für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntech- notwendig angesehen wird. Die Bundesregierung be-
nischer Anlagen“ sowie die „Radiologischen Grundla- obachtet diesen Prozess sehr genau.
gen für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz
der Bevölkerung bei unfallbedingten Freisetzungen von
(B) Radionukliden“ – i. d. F. vom 27. Oktober 2008; GMBl. Anlage 52 (D)
2008, Nr. 62/63, Seite 1278 ff. – herausgegeben. Auf die
konkreten Einzelplanungen und Maßnahmen hat der Antwort
Bund keinen Einfluss. des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des
Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/5120,
Frage 60):
Anlage 51
Welche Kosten erwartet die Bundesregierung für die Um-
Antwort setzung des Konzepts des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung für ein „Haus der Zukunft“, und welche Kos-
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage ten sind für das Projekt bisher entstanden?
des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksa- Aus der Machbarkeitsstudie, die das Bundesministe-
che 17/5120, Frage 59): rium für Bildung und Forschung zum „Haus der Zu-
Welche konkreten Verbesserungen beim Management von kunft“ in Auftrag gegeben hat, lassen sich jährliche Kos-
„Fusion for Energy“ konnte die Bundesregierung insbeson- ten in Höhe von circa 11 bis 13 Millionen Euro ableiten.
dere im Hinblick auf die von ihr kritisierte „intransparente
Ausschreibungspraxis“ von „Fusion for Energy“ (Ausschuss- Darin sind einerseits die aus dem Bundeshaushalt zu fi-
drucksache 17(8)1932) zwischenzeitlich aufgrund ihrer Vor- nanzierenden Umlagekosten für die Infrastruktur an die
schläge beim europäischen Wettbewerbsfähigkeitsrat vom 26. Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, BImA, und an-
November 2010 erreichen, und wie haben sich die Auftrags- dererseits die Kosten für Betrieb und Bespielung enthal-
volumina an deutsche Unternehmen, die sich demnach auf
„lediglich ca. 28 Millionen Euro“ bei einem „Gesamtvolumen
ten. Letztere soll eine Trägerorganisation unter maßgeb-
von 1,3 Milliarden Euro“ beliefen, mittlerweile entwickelt? licher Mitwirkung des Bundes, der Wissenschaft, der
Wirtschaft und von Stiftungen finanzieren.
Nach Kenntnisstand der Bundesregierung haben – un-
abhängig von der vom Europäischen Wettbewerbs- Hinzu kommen Vor-Eröffnungs-Kosten und Kosten
fähigskeitsrat konkret erbetenen Vorschläge – bei der für die Planung und Einrichtung der Erstausstattung der
Europäischen ITER-Agentur eine Reihe von Verwal- Ausstellung, für die circa 11 bis 13 Millionen Euro ein-
tungsanpassungen im vergangenen Jahr bereits stattge- zuplanen sind. Ziel ist es, auch dafür anteilig private
funden. Mittel einzuwerben.
Für die Beantwortung der Forderungen der Rats- Bislang sind aus dem Titel 3003/539 99 Haushalts-
schlussfolgerungen hatte die Europäische Kommission mittel in Höhe von rund 335 000 Euro für das Projekt
im November letzten Jahres das Dokument „Towards a „Haus der Zukunft“ abgeflossen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11241

(A) Anlage 53 nung von Studienleistungen und die Klarstellungen zur (C)
geforderten Anzahl von ECTS-Punkten stellen wichtige
Antwort Verbesserungen dar. Die Umsetzung der Strukturvorga-
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen ben in den Landeshochschulgesetzen und Studienord-
des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE nungen der Hochschulen dauert an.
GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fragen 61 und 62):
Welche steuernde, koordinierende, beratende und kontrol-
lierende Funktion nimmt die Bundesregierung bei der Erar- Anlage 54
beitung und Einführung eines neuen Verfahrens für die Hoch-
schulzulassung derzeit wahr, und welche aktive Rolle will sie Antwort
vor dem Hintergrund des Fachgesprächs im Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deut- des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage
schen Bundestages am 16. März 2011 übernehmen, um wei- der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Druck-
tere Verzögerungen beim Starttermin des Systems und fortge- sache 17/5120, Frage 63):
setztes Durcheinander bei der Hochschulzulassung zu
verhindern? Wie will die Bundesregierung zukünftig die Beteiligung
und Mitbestimmung der Studierenden sowie der Lehrenden
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den – etwa in Form einer Vertreterin oder eines Vertreters des
zentralen Ergebnissen des 11. Studierendensurveys insbeson- Freien Zusammenschlusses von Student/inn/enschaften e. V.
dere im Hinblick auf die beabsichtigten Korrekturen der Bolo- bzw. der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft – beim
gna-Reform – Studierbarkeit verbessern und Mobilitätsfenster Aufbau und bei der Struktur der geplanten Akademie bzw. des
integrieren, individuelle Studienverläufe sichern, breite wis- geplanten Forums für Studium und Lehre sicherstellen, und
senschaftliche Qualifizierung sichern, Masterzugang flexibili- warum ist dies bisher nicht erfolgt?
sieren, Transparenz des gestuften Studiensystems erhöhen,
Studierbarkeit in Akkreditierung prüfen, Kompetenz benen- Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, GWK,
nen, Prüfungsleistungen reduzieren, Anerkennung verbessern, von Bund und Ländern hat noch nicht abschließend über
Arbeitsbelastung flexibilisieren –, und wie bewertet sie den den Vorschlag eines Forums für Studium und Lehre ent-
Stand der Umsetzung des Kultusmininisterkonferenzbe-
schlusses zur Änderung der Ländergemeinsamen Strukturvor- schieden. Die in diesem Zusammenhang diskutierten
gaben vom Dezember 2009? Aufgaben für eine mögliche Bund-Länder-Initiative sol-
len zunächst im Lichte der mehr als 200 zwischenzeit-
Zu Frage 61: lich eingegangenen Anträge der Hochschulen für den
Qualitätspakt Lehre sowie der durch verschiedene Stif-
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung tungen angekündigten Fördermaßnahmen für gute Lehre
hat der von Ländern und Hochschulen getragenen Stif- bewertet werden.
tung für Hochschulzulassung eine Zuwendung für die
(B) Anschubfinanzierung des neuen dialogorientierten Ser- (D)
viceverfahrens als Projektförderung gewährt. Die Anlage 55
Durchführung des Projekts obliegt der Stiftung für
Hochschulzulassung. Im Rahmen des Projektcontrol- Antwort
lings wirkt das Bundesministerium für Bildung und For-
der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage des
schung auf die am Projekt unmittelbar beteiligten Ak-
Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
teure ein. Diese Rolle wird die Bundesregierung auch
NEN) (Drucksache 17/5120, Frage 64):
weiterhin aktiv wahrnehmen.
Wie sieht der genaue Zeitplan der Bundesregierung für die
Untersuchung der Korruptionsvorfälle im Globalen Fonds zur
Zu Frage 62: Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria aus, und
wie soll die Sonderprüfung konkret gestaltet werden?
Der 11. Studierendensurvey der Arbeitsgruppe Hoch-
schulforschung an der Universität Konstanz beruht auf Derzeit wird ein „hochrangiges unabhängiges Unter-
einer Erhebung, die im Wintersemester 2009/2010 suchungsgremium zur Finanzkontrolle und -überprüfung
durchgeführt wurde. Insofern können die Ergebnisse des Globalen Fonds“ (High-Level Independent Review
noch nicht die Auswirkungen der politischen Vereinba- Panel of Global Fund Fiduciary Controls and Oversight)
rungen aus dem Jahr 2010 zeigen. Die Ergebnisse bestä- eingerichtet. Derzeit stehen erst die beiden Ko-Vorsit-
tigen jedoch, dass mit den Maßnahmen, die von Bund, zenden fest: Festus Mogae, ehemaliger Präsident von
Ländern und Hochschulen zur Verbesserung der Qualität Botswana und Träger des Mo-Ibrahim-Preises für gute
der Lehre, zur Studierbarkeit und zur Reduzierung der Regierungsführung, sowie Michael O. Leavitt, ehemali-
Prüfungslast vorgenommen wurden, zentrale Bereiche ger Minister für Gesundheit und Soziales der USA. Die
für eine verbesserte Umsetzung der Bologna-Reformen Bundesregierung wird die Gesamtbesetzung, die Aufga-
in Angriff genommen wurden. benstellung, den Zeitplan und die geplante Vorgehens-
weise dieses Panels bewerten. Sie bemüht sich im Übri-
Die Umsetzung des Beschlusses der Kultusminister- gen um hochrangige Beteiligung in dem Panel. Die
konferenz zur Änderung der Ländergemeinsamen Struk- Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die notwendigen
turvorgaben vom Dezember 2009 ist erfolgt durch die Prüfungsergebnisse noch vor Ende Juni 2011 vorliegen,
Verabschiedung einer veränderten Fassung am sodass sie noch im Juli eine Auswertung vornehmen
4. Februar 2010. Die in dieser Fassung enthaltenen Neu- kann.
regelungen, insbesondere zur Berücksichtigung der Stu-
dierbarkeit in der Akkreditierung, die Verweise auf die Abhängig von der Bewertung der Zusammensetzung,
Lissabon-Konvention als Grundlage für die Anerken- der Aufgabenstellung, dem Zeitplan und der geplanten
11242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) Vorgehensweise des Panels behält sich die Bundesregie- Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über ähnliche (C)
rung vor, ergänzende eigene Prüfungen durchzuführen. Aktionen, Kundgebungen oder Boykottaufrufe in den vergan-
genen zwölf Monaten, und von welchen Personen, Parteien,
Dies gebietet die Verantwortung für die ordnungsge- Verbänden, Initiativen oder Vereinigungen wurden diese ini-
mäße Umsetzung öffentlicher Gelder. Die konkrete Ge- tiiert?
staltung einer eventuell erforderlichen eigenen Sonder-
prüfung steht vor diesem Hintergrund noch nicht fest. Zu Frage 66:
Die Bundesregierung lehnt Aufrufe zum Boykott aus
Anlage 56 Israel importierter Waren nachdrücklich ab. Solche Auf-
rufe sind für das deutsch-israelische Verhältnis zutiefst
Antwort schädlich.
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage des Sie zeugen von einem eklatanten Mangel an Bewusst-
Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksa- sein für unsere besondere historische Verantwortung ge-
che 17/5120, Frage 65): genüber Israel.
Wie bewertet die Bundesregierung die vom afghanischen
Präsidenten Hamid Karzai geäußerte Kritik daran, dass Zivi-
listen bei Bombardierungen der internationalen Truppen zu Zu Frage 67:
Tode gekommen sind, und seine Forderung nach einem Ab-
zug der NATO aus Afghanistan (Tagesschau vom 12. März Der Bundesregierung sind keine weitere Boykottauf-
2011) und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung rufe ähnlicher Art aus den letzten zwölf Monaten in der
aus der Forderung von Hamid Karzai für den Einsatz der Bun- Bundesrepublik bekannt.
deswehr in Afghanistan?

Staatspräsident Karsai hat gegenüber dem Sonderbe-


auftragten der Bundesregierung für Afghanistan und Pa-
kistan, Botschafter Steiner, klargestellt, dass er sich bei Anlage 58
seiner Aussage auf Operationen, soweit sie zivile Opfer
im afghanischen Volk fordern, bezogen hat. Dies bestä- Antwort
tigte auch der Sprecher des Präsidenten, Wahid Omer, des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage der
auf einer Pressekonferenz am 14. März 2011. Einen Ab- Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck-
zug der NATO aus Afghanistan hat Präsident Karsai sache 17/5120, Frage 68):
nicht gefordert.
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass
(B) In diesem Kontext ist die gemachte Aussage nach- die Verhaftung der zyprischen Europaabgeordneten Eleni
(D)
vollziehbar und wird so auch von der Bundesregierung Theocharous, der polnischen Europaabgeordneten Jaroslaw
Walesa und Artur Zasada, der bulgarischen Abgeordneten
geteilt. Die Internationale Sicherheits- und Unter- Mariya Nedelcheva, des Bischofs von Neapolis Porfyrios, der
stützungstruppe ISAF, der auch die Bundeswehr ange- früheren Europaabgeordneten Yiannakis Matsis sowie der
hört, ist bestrebt, ihren Auftrag ohne Opfer unter der Zi- Vertreter der Flüchtlinge aus Famagusta, Loizos Afxentiou,
vilbevölkerung zu erfüllen. und zwei weiterer Personen am 12. März 2011 durch Besat-
zungsbehörden im türkisch besetzten Teil Zyperns völker-
Die Bundesregierung und die afghanische Regierung rechtswidrig war, und inwieweit ist die Bundesregierung der
sind sich darin einig, an dem international vereinbarten Auffassung, dass die Türkei dafür zwar nicht tatsächlich ver-
antwortlich sei, aber dieser Akt grundsätzlich in die Hoheits-
Zeitplan zur Übergabe der Sicherheitsverantwortung an gewalt der Türkei fällt, auch wenn er außerhalb türkischen
die afghanischen Sicherheitskräfte bis 2014 festhalten zu Hoheitsgebiets gesetzt wurde, weil die Verantwortlichkeit als
wollen. Nach diesem Ziel richtet sich auch der Einsatz Folge der militärischen Besetzung des nördlichen Teils Zy-
der Bundeswehr in Afghanistan. perns entsteht, in deren Folge die Türkei die effektive Kon-
trolle über ein fremdes Gebiet ausübt?

Die Verhaftung der Abgeordneten sowie der weiteren


Anlage 57 Personen fand in dem Teil Zyperns statt, in welchem die
Regierung der Republik Zypern keine tatsächliche Kon-
Antwort trolle ausübt.
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen der
Eine rechtliche Bewertung des Falles durch die Bun-
Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Fragen 66 und 67): desregierung wird nicht weiterführen. Die Bundesregie-
rung hält vielmehr die Verhandlungsführung der Parteien
Wie bewertet die Bundesregierung Kundgebungen und untereinander mit Unterstützung durch die Vereinten Na-
Aufrufe wie zum Beispiel die von Aktivisten des Bremer Frie-
densforums – Arbeitsgruppe Nahost –, dem Arbeitskreis Süd-
tionen für den richtigen Weg zu einer Lösung des Zy-
Nord Bremen und der Initiative „Nordbremer Bürger gegen pern-Konflikts.
den Krieg“ am 11. März 2011 in Bremen durchgeführte Ak-
tion, die den Boykott aus Israel importierter Waren zum Inhalt Die Bundesregierung fordert die am Zypernkonflikt
hatte, und die Folgen derartiger Aufrufe und Aktionen für den beteiligten Parteien in Übereinstimmung mit EU und In-
deutsch-israelischen Dialog – vergleiche www.dielinke-bre- ternationaler Gemeinschaft immer wieder auf, in gegen-
men.de/nc/politik/aktuell/detail/zurueck/bremennews/artikel/
boykottaktion-in-der-wachmannstrasse, aufgerufen am 16. März seitigem Einvernehmen die bestehende Blockade zu
2011, 14.30 Uhr? überwinden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11243

(A) Anlage 59 dem 18. März 2011 vor Ort ist, rasch zu konkreten Er- (C)
gebnissen und Vorschlägen kommt.
Antwort
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage des
Abgeordneten Manfred Grund (CDU/CSU) (Drucksa- Anlage 61
che 17/5120, Frage 69): Antwort
Inwieweit plant die Bundesregierung, Flugzeuge einzuset-
zen, um deutsche Staatsangehörige aus Japan nach Deutsch- des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des
land zu fliegen? Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/CSU) (Drucksa-
che 17/5120, Fragen 71 und 72):
Linienflüge von und nach Japan verkehren regelmä-
Warum hat sich Deutschland bei der Abstimmung über die
ßig. Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Li-
byen enthalten, während alle unsere westlichen Partner diese
Es stehen ausreichend Sitzplatzkapazitäten in Linien- Maßnahme gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi befür-
flügen sowohl für Flüge aus Japan in die Region als auch wortet haben, die auch von der Arabischen Liga gefordert
aus Japan nach Europa zur Verfügung. worden war?
Glaubt die Bundesregierung, dass allein die starken Worte
des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
den Diktator Muammar al-Gaddafi zur Einhaltung der Men-
Anlage 60 schenrechte bewegen werden und das angekündigte Massaker
an der Opposition in Bengasi verhindert hätten?
Antwort
Zu Frage 71:
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage der
Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Die Bundesregierung hat sich die Entscheidung nicht
(Drucksache 17/5120, Frage 70): leicht gemacht. Sie war Ergebnis eines intensiven, aus-
Welche Maßnahmen und Hilfen leistet die Bundesregie-
führlichen und schwierigen Abwägungsprozesses. Wir
rung für die Opfer der Atomkatastrophe von Tschernobyl, und waren uns einig: Der Druck auf Gaddafi muss erhöht
welche Hilfen für die Opfer der Atomkatastrophe von Japan werden. Über dieses Ziel gibt es keinen Zweifel. Wir un-
sind bisher geplant? terstützen nachdrücklich jene Teile der Resolution 1973,
Zu Tschernobyl: die die Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime weiter
und erheblich verschärfen. Wir sind aber in der Abwä-
G 8, EU sowie 20 weitere Geberstaaten haben dem gung aller Risiken zu dem Ergebnis gekommen, dass wir
(B) Chernobyl Shelter Fund, CSF, aus dem die Stabilisie- uns nicht mit deutschen Soldaten an einem militärischen (D)
rung des bestehenden Sarkophags sowie der Bau des Einsatz in Libyen beteiligen werden. Daher haben wir
neuen sichereren Einschlusses finanziert werden, seit uns bei der Abstimmung enthalten.
1997 circa 864 Millionen Euro zugesagt und davon bis-
her 793 Millionen Euro überwiesen – Stand: Oktober Zu Frage 72:
2010. Deutschland beteiligt sich mit circa 60,5 Millionen
Euro am CSF und stellte 43,9 Millionen Euro für den Die Bundesregierung ist überzeugt, dass die Verhän-
Nuclear Safety Account, NSA, der der Errichtung neuer gung gezielter, harter Sanktionen und ihre weltweite
Abkling- und Lagerbecken dient, zur Verfügung. konsequente Umsetzung geeignet sind, das Gaddafi-Re-
gime zur Abgabe der Macht zu zwingen. Eine militäri-
Daneben gab es umfangreiche Hilfen sowohl der sche Intervention ist demgegenüber mit hohen Risiken
Bundesregierung als auch aus der Bevölkerung, für die für alle Beteiligten – auch für die libysche Bevölkerung –
von der Katastrophe betroffenen Menschen. Deren ge- behaftet. Insofern verweise ich auf meine Antwort auf
nauer Umfang ließ sich – hierfür bitte ich um Verständ- Ihre erste Frage.
nis – in der Kürze der Zeit nicht mehr exakt rekonstruie-
ren.
Zu Fukushima:
Anlage 62
Zu den Ereignissen am Kernkraftwerk Fukushima in
Antwort
Japan liegen bislang keine verlässlichen Informationen
vor. Insbesondere ist nicht absehbar, welche Opfer das des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
Unglück gefordert hat und mit welchen Langzeitfolgen des Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme (SPD)
zu rechnen ist. Nach Kenntnissen der Bundesregierung (Drucksache 17/5120, Frage 73):
ist in Japan eine umfassende und gute medizinische Ver- Wird die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Er-
sorgung gewährleistet. Japan hat am 16. März 2011 Hilfeer- starkens der rechtsextremen NPD in einem weiteren ostdeut-
suchen an die EU gerichtet. Japan wünscht derzeit keine schen Bundesland eine Neuakzentuierung ihrer bisherigen
Extremismuspolitik vornehmen?
bilaterale humanitäre Hilfe, da diese besser aus Japan
bzw. regional zu beschaffen ist. Wir unterstützen die EU- Die Bundesregierung betrachtet den Schutz der frei-
Kommissarin für internationale Zusammenarbeit, huma- heitlichen demokratischen Grundordnung und – damit
nitäre Hilfe und Krisenreaktion, Kristalina Georgieva, verbunden – die Bekämpfung und Prävention von poli-
und erwarten, dass die EU-Expertenmission, die seit tisch oder religiös motiviertem Extremismus als eine der
11244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) grundlegenden Aufgaben von Staat und Gesellschaft. schließt, das heißt insbesondere ausreichende Kenntnisse (C)
Die Bundesprogramme zur Stärkung von Demokratie der deutschen Sprache erwirbt.
und Toleranz leisten im Bereich pädagogischer Arbeit
mit jungen Menschen und in anderen Bereichen der de- Die Frage der Vereinbarkeit einer gesetzlichen Festle-
mokratischen Gemeinwesenarbeit hierzu ihren aner- gung der Geltungsdauer von Aufenthaltstiteln mit
Art. 13 Assoziationsratsbeschluss 1/80 ist in der Recht-
kannten Beitrag. Diesen Weg gilt es, nicht zuletzt auch
sprechung des Europäische Gerichtshof noch nicht ent-
in Ansehung der jüngsten Wahlergebnisse der NPD in
schieden.
Sachsen-Anhalt, weiterhin konsequent zu beschreiten. In
Ostdeutschland unterstützt der Beauftragte der Bundes-
regierung für die Neuen Bundesländer mit dem Pro-
gramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ entsprechende
Bemühungen in besonderer Weise. Die Förderprojekte Anlage 64
für demokratische Teilhabe orientieren sich an dem von Antwort
der Bundesregierung verfolgten ganzheitlichen Ansatz.
Durch die Förderung von Handlungskompetenzen zum des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
Beispiel im Bereich der Jugendarbeit sowie einer Stär- der Abgeordneten Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/
kung demokratischer Teilhabe sollen Einflussmöglich- DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5120, Frage 75):
keiten extremistischer Tendenzen minimiert werden. Fallen aus Sicht der Bundesregierung Terrorangriffe unter
den Begriff „Restrisiko“?
In diesem Sinne wird die Bundesregierung ihre Poli-
tik zur Bekämpfung von Extremismus und Intoleranz Nein.
unter Einbeziehung aller politischen Kräfte und des zi-
Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden des Bun-
vilgesellschaftlichen Engagements weiter entschlossen des muss ein Anschlag auf kerntechnische Einrichtungen
fortsetzen. in Deutschland als mögliche Option islamistischer Ter-
roristen in Betracht gezogen werden und kann insoweit
nicht völlig ausgeschlossen werden. Doch wird eine sol-
che Gefährdung derzeit als nicht wahrscheinlich bewer-
Anlage 63 tet. Für Anschlagsszenarien wie etwa ein gewillkürter
Flugzeugabsturz auf ein Kernkraftwerk oder Terrorakte
Antwort in einer Anlage besteht zwar eine sehr niedrige Eintritts-
(B) des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage wahrscheinlichkeit. Sie sind aber von dem sogenannten (D)
Restrisiko zu unterscheiden, das als unentrinnbar hinzu-
der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
nehmen ist, weil seine Realisierung als praktisch ausge-
(Drucksache 17/5120, Frage 74): schlossen erscheint. Der deshalb erforderlichen Scha-
Inwieweit ist die Verschärfung zu § 8 Abs. 3 Satz 5 des densvorsorge wird durch ein integriertes Sicherungs-
Aufenthaltsgesetzes – Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und Schutzkonzept Rechnung getragen, in dem Maßnah-
nur für maximal ein Jahr, solange nicht das Sprachniveau B 1 men der Betreiber und der staatlichen Sicherheitskräfte
nachgewiesen wurde – bei türkischen Staatsangehörigen mit
dem Verschlechterungsverbot im Assoziationsrecht vereinbar aufeinander abgestimmt sind.
– Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates
EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation –, sowohl
was das neue Erfordernis eines Sprachnachweises betrifft als
auch die neuen Beschränkungen infolge vermehrter Vorspra-
chen und damit verbundener erhöhter Kosten für häufigere Anlage 65
Verlängerungen der Aufenthaltserlaubnis, und inwieweit hält
die Bundesregierung diese Neuregelung überhaupt noch für Antwort
sinnvoll, wenn sie auf die Hauptbetroffenengruppe gar nicht
anwendbar ist? des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Die Rechte der türkischen Staatsangehörigen nach (Drucksache 17/5120, Frage 76):
dem Assoziationsrecht EWG-Türkei bleiben durch die
Wie viele Neueinstellungen erfolgten im Jahr 2010 in den
Neuregelung unberührt. obersten Bundesbehörden, und wie viele davon waren
schwerbehinderte Frauen und Männer (bitte aufgeschlüsselt
Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis jeweils nur nach Bundesbehörden)?
um maximal ein Jahr bis zum erfolgreichen Abschluss
des Integrationskurses bzw. dem Nachweis, dass die Inte- Statistische Daten über die jährlichen Neueinstellun-
gration anderweitig erfolgt ist, kann einen zusätzlichen gen in den obersten Bundesbehörden werden nicht zen-
tral erhoben. Diese Daten einschließlich der Anzahl der
Anreiz schaffen, sich zügig in die Lebensverhältnisse in
neueingestellten schwerbehinderten Frauen und Männer
Deutschland zu integrieren. § 8 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz
wurden zur Beantwortung der mündlichen Frage mittels
stellt bislang lediglich auf die ordnungsgemäße und nicht einer Ressortabfrage erhoben.
auf die erfolgreiche Teilnahme am Integrationskurs ab.
Integrationspolitisch kommt es jedoch darauf an, dass der In den obersten Bundesbehörden erfolgten im Jahr
Betroffene den Integrationskurs auch erfolgreich ab- 2010 671 Neueinstellungen, davon waren 26 schwerbe-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11245

(A) hindert. Der Anteil der schwerbehinderten Frauen und Anlage 66 (C)
Männern lag bei 3,9 Prozent.
Antwort
Neueinstellungen im Jahr 2010 des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Fragen der
Abgeordneten Dr. Eva Högl (SPD) (Drucksache 17/5120,
Oberste davon schwerbehindert Fragen 77 und 78):
Bundes- Seit wann ist dem Bundesministerium der Justiz bekannt,
insge- insgesamt davon dass die USA nach dem SWIFT-Abkommen auch Zugriff auf
behörde samt davon innereuropäische – und sogar zu einem geringen Anteil auch
abso- in Pro- Frauen Män- auf innerdeutsche – Finanztransaktionsdaten über das System
lut zent ner SWIFTNet FIN haben und nur Daten aus dem SEPA-Über-
weisungssystem vor dem Zugriff geschützt sind?
BK 13 0 0,0 0 0 Warum hat das Bundesministerium der Justiz in den Ver-
handlungen zum SWIFT-Abkommen mit den USA nicht da-
AA 198 8 4,0 2 6 rauf gedrungen, auch die Daten, die über das System SWIFT-
Net FIN übertragen werden, vor dem Zugriff durch die USA
BMI 37 1 2,7 0 1 zu schützen?

BMJ 32 2 6,3 1 1 Zu Frage 77:

BMF 22 0 0,0 0 0 Vorab möchte ich anmerken, dass Zahlungen von


Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat der EU
BMWi 41 0 0,0 0 0 grundsätzlich als SEPA-Überweisung erfolgen und da-
her vom TFTP-Abkommen ausgenommen sind. Diese
BMAS 23 3 13,0 1 2 Ausnahme gilt zwar nicht für frühere EU-Zahlungsfor-
men, wie die EU-Standardüberweisung. Da eine SEPA-
BMELV 44 2 4,5 2 0 Überweisung jedoch wesentlich billiger als die früheren
EU-Zahlungsformen ist, hat sie diese im grenzüber-
BMVg 13 0 0,0 0 0 schreitenden Zahlungsverkehr weitgehend verdrängt.
BMFSFJ 34 2 5,9 1 1 Nach dem Scheitern des sogenannten Interimsabkom-
mens am 11. Februar 2010 im Europäischen Parlament
BMG 30 2 6,7 1 1 wurde innerhalb des Rates zunächst das Mandat für die
weiteren Verhandlungen über das spätere TFTP-Abkom-
(B) BMVBS 56 2 3,6 1 1 men vorbereitet. Die vom Rat beschlossenen Verhand- (D)
BMU 55 1 1,8 0 1 lungsrichtlinien vom 26. April 2010 für die Verhandlun-
gen mit den USA sahen vor, dass SEPA-Überweisungen
BMBF 36 2 5,6 0 2 von der Übertragung in die USA ausgeschlossen wer-
den.
BMZ 32 1 3,1 0 1
Am Ratsbeschluss über die Verhandlungsrichtlinien
BPA 6 0 0,0 0 0 hat die Bundesregierung mitgewirkt. Die Ausnahme für
SEPA-Überweisungen war allen beteiligten Stellen be-
Insgesamt 672 26 3,9 9 17 kannt.

Zu Frage 78:
Die nach § 71 Abs. 1 in Verbindung mit § 159 Abs. 1
SGB IX zu erfüllende Beschäftigungsquote schwerbe- Die Bundesregierung hat sich im Vorfeld der Beratun-
hinderter Menschen beträgt für den Bund 5 bzw. 6 Pro- gen dafür eingesetzt, die Menge der in die USA zu über-
zent, gemessen an dem Gesamtbestand der Beschäftig- tragenden Daten möglichst gering zu halten und hierzu
ten des Bundes. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Übermittlung von Daten an möglichste enge Tatbe-
diese Quote auf die gesamte Bundesverwaltung bezieht. standsvoraussetzungen zu knüpfen.
Daher ist die isolierte Betrachtung eines Jahres hinsicht- Die jetzige Regelung im Abkommen ist das Ergebnis
lich der Erfüllung der gesetzlichen Quote nicht aussage- der Verhandlungen zwischen EU und USA.
kräftig. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass eine
Schwerbehinderung auch im Laufe des Berufslebens erst
entstehen kann. Der Beschäftigungsanteil von Schwer- Anlage 67
behinderten beim Arbeitgeber Bund und somit den Er-
füllungsgrad der gesetzlichen Quote erhebt die Bundes- Antwort
agentur für Arbeit. Die Auswertung für das Jahr 2008 des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage
ergab für die Bundesverwaltung eine Beschäftigungs- des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache
quote von 7,9 Prozent. Die gesetzlich zu erfüllende 17/5120, Frage 79):
Quote wurde damit deutlich übererfüllt. Da der Bund die
Ist es nach geltendem Recht – vor dem Hintergrund der
Beschäftigungsquote regelmäßig erfüllt, entfällt die Zah- Debatte über das sogenannte Brüstle-Patent – zulässig, Zellen
lung der Ausgleichsabgabe. bzw. Zellprodukte aus abgetriebenen menschlichen Föten zu
11246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011

(A) patentieren, und wie bewertet die Bundesregierung diesen Zu Frage 81: (C)
Sachverhalt?
Für derartige Rückkäufe von der BVVG privatisierter
Dem Europäischen Gerichtshof liegt derzeit das in Flächen gibt es keine Grundlage.
der Frage erwähnte „Brüstle-Patent“ aufgrund eines Vor-
abentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs zur
Entscheidung vor, Rechtssache C-34/10. Dieses Patent
Anlage 69
betrifft isolierte und gereinigte Vorläuferzellen, die aus
menschlichen embryonalen Stammzellen hergestellt und Antwort
zur Behandlung neurologischer Erkrankungen verwen-
det werden sollen. Der EuGH wird auf der Grundlage des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage
der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz bio- der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
technologischer Erfindungen die Frage zu beantworten NEN) (Drucksache 17/5120, Frage 82):
haben, ob der Ausschluss von der Patentierbarkeit des Welche Wirkung hat der mit den Energieversorgungsun-
menschlichen Embryos alle Entwicklungsstadien mensch- ternehmen geschlossene Vertrag für die einstweilige Einstel-
lichen Lebens von der Befruchtung der Eizelle an um- lung des Betriebs von Atomkraftwerken, und folgt aus dem
Vertrag eine Entschädigungspflicht gegenüber den Betrei-
fasst oder zusätzliche Voraussetzungen wie zum Beispiel bern?
das Erreichen eines bestimmten Entwicklungsstadiums
erfüllt sein müssen. Der EuGH wird auch Stellung neh- Die Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellung
men zu der Frage der Patentierbarkeit für den Fall, dass auf der Rechtsgrundlage des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des
die Durchführung eines Verfahrens die vorherige Zerstö- Atomgesetzes hat keinen Einfluss auf den Förderfonds-
rung menschlicher Embryonen oder ihre Verwendung als vertrag, der finanzielle Leistungen der Betreiber von
Ausgangsmaterial umfasst, selbst wenn in der Beschrei- Kernkraftwerken für die Nutzung von Strommengen aus
bung auf deren Verwendung nicht hingewiesen wird. der Laufzeitverlängerung ab 2017 regelt. Der Vertrag
sieht hierfür auch keine Entschädigungsregeln vor.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Ent-
scheidung des EuGH zum „Brüstle-Patent“ sowie das
auf dieser Grundlage zu fällende Berufungsurteil des Anlage 70
Bundesgerichtshofs im Hinblick auf die vorgenannten
Fragen Rechtssicherheit herstellen wird. Antwort
des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
Anlage 68 (Drucksache 17/5120, Frage 83):
(B) (D)
Antwort Hält es die Bundesregierung für einen positiven Beitrag
zum Umweltschutz, dass die im Kraftfahrzeugsteuergesetz
des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Fra- verankerte Malusregelung in Höhe von durchschnittlich
gen der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE 24 Euro pro Jahr angesichts der rund 5 Millionen Kraftfahr-
LINKE) (Drucksache 17/5120, Fragen 80 und 81): zeuge, die nicht mit einem Partikelminderungssystem ausge-
stattet sind, zum 31. März 2011 ausläuft?
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über
von Hochwasser betroffenen Flächen der Bodenverwertungs- Durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Kraftfahr-
und -verwaltungs GmbH, BVVG, vor, und welche Möglich- zeugsteuergesetzes vom 24. März 2007 war eine befris-
keiten einer Pachtpreisreduzierung zur Unterstützung der da- tete Steuerbefreiung von 330 Euro für Diesel-Pkw einge-
von betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe sind nach An-
sicht der Bundesregierung der BVVG möglich bzw. werden führt worden, die mit Partikelminderungstechnik
bereits genutzt? nachgerüstet wurden, um eine Reduktion der vom Stra-
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Not-
ßenverkehr ausgehenden Feinstaubbelastung zu errei-
wendigkeit von Rückkäufen bereits privatisierter BVVG-Flä- chen. Diese Regelung lief zum 31. Dezember 2009 aus.
chen aufgrund der Erwerbsansprüche von Alteigentümern in-
folge des Zweiten Flächenerwerbsänderungsgesetzes? Durch diese befristeten Steuerbefreiungen entstanden
Mindereinnahmen, die zulasten der Länder gingen, de-
Zu Frage 80: nen die Kraftfahrzeugsteuer damals zustand. Diese Min-
dereinnahmen sollten im Zeitraum 2007 bis 2011 wei-
Nach eigenen Erkenntnissen der BVVG Bodenver- testgehend kompensiert werden durch einen
wertungs- und -verwaltungs GmbH sind deren Flächen vergleichsweise geringen Zuschlag in Höhe von
nur in geringem Umfang betroffen, zum Beispiel maxi- 1,20 Euro je 100 Kubikzentimeter für Diesel-Pkw ohne
mal 100 Hektar in der Region Bernburg, Sachsen-An- Partikelfilter – vgl. Bundestagsdrucksache 16/4010, Fi-
halt. nanztableau auf Seite 8. Dementsprechend wurde der
Zuschlag bis 31. März 2011 befristet.
Eine genaue Aussage zum betroffenen Flächenvolu-
men ist nicht möglich, weil der BVVG bisher keine An- Ab August 2009 konnte der nachträgliche Einbau von
träge auf Pachtzinsreduzierung oder -stundung vorlie- Partikelminderungstechnik wahlweise auch über einen
gen. Sollten entsprechende Anträge von Pächtern Barzuschuss von 330 Euro gefördert werden. Die Förde-
eingehen, wird die BVVG entsprechend § 59 Bundes- rung über den Barzuschuss wurde in 2010 verlängert und
haushaltsordnung nach Prüfung des Einzelfalles über ein auf leichte Nutzfahrzeuge ausgedehnt. Die Bundesregie-
Entgegenkommen entscheiden. rung prüft, ob und in welcher Form zusätzliche Anreize
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. März 2011 11247

(A) zur Emissionsminderung an der Quelle gesetzt und wie gen Anhebung der Steuer- und Abgabenlast von drei bis vier (C)
diese ausgestaltet werden können. Prozent in Irland“ diese Finanzhilfe nicht erforderlich sei?

Das Bruttoinlandsprodukt, BIP, pro Kopf lag 2009


(neuere Daten liegen im Folgenden nicht für beide Län-
Anlage 71 der vor) in Deutschland bei 29 300 Euro, in Irland bei
Antwort 35 700 Euro. Das Nettonationaleinkommen betrug 2009
in Deutschland 25 200 Euro und in Irland 26 400 Euro je
des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage Einwohner. Misst man aber die Größen in Kaufkraftstan-
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) dards, KKS, verringert sich der relative Wohlstand Ir-
(Drucksache 17/5120, Frage 84): lands deutlich. Gemessen in KKS betrug das BIP pro
Welche steuerlichen Ausfälle bei der Einkommensteuer Kopf 2009 in Deutschland 27 400 KKS und in Irland
wären zu verzeichnen, wenn im Rahmen einer Steuervereinfa- 29 800 KKS je Einwohner. Das Nettonationaleinkom-
chung die 0,03-Prozent-Regelung für die Besteuerung der pri-
vaten Nutzung von betrieblichen Kraftfahrzeugen ersatzlos
men betrug 2009 in Deutschland 23 600 KKS und in Ir-
gestrichen würde, gleichzeitig in diesen Fällen aber auch ein land 22 000 KKS je Einwohner (Quelle: Eurostat Daten-
Ansatz der Entfernungspauschale für die Wege zur Arbeits- bank).
stätte entfiele, und wie ist der Stand bei der Überprüfung der
Angemessenheit der Besteuerung des geldwerten Vorteils aus Die Steuerquote betrug 2009 in Deutschland
der Privatnutzung betrieblicher Kraftfahrzeuge durch die 22,6 Prozent des BIP, in Irland 22,3 Prozent. Die Abga-
Bundesregierung?
benquote, Steuern und Sozialabgaben, lag 2009 in
Nach dem Koalitionsvertrag soll die Angemessenheit Deutschland bei 37 Prozent des BIP, in Irland bei
der Besteuerung des geldwerten Vorteils aus der Privat- 27,8 Prozent (Quelle: OECD Revenue Statistics, 2010).
nutzung betrieblicher Fahrzeuge überprüft werden. Die Die Gesamtbelastung eines alleinstehenden Arbeitneh-
Bundesregierung kommt derzeit diesem Prüfauftrag mers mit durchschnittlichem Einkommen betrug 2009 in
nach. Die Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen. Deutschland 50,9 Prozent der Lohnkosten und in Irland
Dies schließt auch die Frage der steuerlichen Ausfälle 28,6 Prozent (Quelle: OECD Taxing Wages 2010). Al-
ein. lerdings kann die Steuer- und Abgabenlast in Irland nach
Umsetzung der Sparmaßnahmen derzeit noch nicht ex-
akt beziffert werden.
Anlage 72
Die Aussage des Sachverständigen in der öffentlichen
Antwort Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen
des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage Bundestages am 14. März 2011, dass bei einer „gering-
(B)
des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksa- fügigen Anhebung der Steuer- und Abgabenlast von drei (D)
che 17/5120, Frage 85): bis vier Prozent in Irland“ die Finanzhilfe nicht erforder-
lich wäre, greift zu kurz. Irland hat derzeit insbesondere
Wie hoch waren in Bezug auf die Aussagen von Professor
Dr. Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut für Wirtschaftsfor-
aufgrund der Probleme im Bankensektor keinen Zugang
schung an der Universität München in der öffentlichen Anhö- zum Kapitalmarkt. Die Finanzhilfen der EU und des In-
rung zur haushalts- und wirtschaftspolitischen Koordinierung ternationalen Währungsfonds sollen den Zeitraum über-
in der Europäischen Union im Haushaltsausschuss des Deut- brücken, in dem Irland keinen Zugang zum Kapitalmarkt
schen Bundestages am 14. März 2011 jeweils das Bruttoin- hat. Der Finanzierungsbedarf Irlands beträgt in diesem
landsprodukt pro Kopf und das durchschnittliche Nettoein-
kommen pro Kopf im Jahr 2010 in Deutschland und in Irland, Jahr nach gegenwärtigem Stand 26 Milliarden Euro, dies
die Steuer- und Abgabenlast von Arbeinehmern in 2010 und entspricht etwa 17 Prozent des BIP. Dies kann kurzfristig
2011 in diesen beiden Ländern sowie die Steuer- und Abga- nicht durch die Anhebung der Steuer- und Abgabenlast
benlast in Irland nach Umsetzung der Sparmaßnahmen, die gedeckt werden. Um den Zugang zum Kapitalmarkt wie-
Grundlage der Vereinbarungen mit dem Internationalen Wäh-
rungsfonds und der Europäischen Union für Finanzhilfen
der zu erlangen, sind umfassende Reformen notwendig,
sind, und inwieweit trifft die Aussage von Professor Dr. Hans- die Irland im Rahmen seines Anpassungsprogramms an-
Werner Sinn in der Anhörung zu, dass bei einer „geringfügi- geht und dessen Anforderungen es bis jetzt erfüllt hat.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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