Sie sind auf Seite 1von 68

2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10.

Dezember 1953 173

Dr. Preiß (FDP) 188 D


Dr. h. c. Lübke, Bundesminister
für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten 191 D
Überweisung an den Ausschuß für Ernäh
rung, Landwirtschaft und Forsten . . . 195 B
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden
Mitglieder des Bundesschuldenausschusses
bei der Bundesschuldenverwaltung (Druck-
sache 115) 195 B
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über das Zusatzprotokoll vom 20. März 1952
zur Konvention zum Schutze der Menschen-
rechte und Grundfreiheiten (Drucksache 85) 195 B
Überweisung an die Ausschüsse für Rechts-

8.Sitzung wesen und Verfassungsrecht und für aus-


wärtige Angelegenheiten 195 C
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über das Abkommen zwischen der Bundes-
Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953. republik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Brasilien vom 4. September
1953 über die Wiederherstellung der durch
den zweiten Weltkrieg betroffenen gewerb-
Geschäftliche Mitteilungen . . . . 175 B, 177 A, lichen Schutzrechte und Urheberrechte
209, A 230 D (Drucksache 91) 195 C
Nachruf für den verstorbenen Abgeordneten Überweisung an die Ausschüsse für Außen
des 1. Deutschen Bundestages Henßler . 175 B handelsfragen und für gewerblichen
Rechtsschutz und Urheberrecht . . . . -195 C
Gedenkworte des Präsidenten zur Erklärung
der Menschenrechte durch die Vereinten Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Nationen vor 5 Jahren 175 C über das Abkommen zwischen der Bundes-
republik Deutschland und Japan vom 8. Mai
Vereidigung des Bundesministers für das 1953 über den Schutz durch den zweiten
Post- und Fernmeldewesen Dr. Balke . . 175 D Weltkrieg beeinträchtigter Rechte auf dem
Interfraktionelle Entschließung zur Vier Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes
mächte Konferenz (Drucksache 138):
- (Drucksache 92) 195 C
Präsident D. Dr. Ehlers 176 A Überweisung an die Ausschüsse für Außen
Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. handelsfragen und für gewerblichen
Barlage und Dr. Willeke 176 C Rechtsschutz und Urheberrecht . . . . 195 D
Nächste Fragestunde 176 C Zweite und dritte Beratung des von den Abg.
Albers, Lenz (Brühl), Mühlenberg, Arndgen
Hinweis auf unterschiedliche Behandlung u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines
von Fragen der Fragestunde und Kleinen Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes
Anfragen 176 C über die einstweilige Außerkraftsetzung
Mitteilung über probeweise Einführung von Vorschriften des Gesetzes betr. die
einer neuen Mikrophonanlage für die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
Fragestunde und Zwischenfragen . . . . 176 D (Drucksache 51); Mündlicher Bericht des
Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Druck-
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
sache 117) in Verbindung mit der
betr. Unterrichtung von Ausschüssen über
die mit der Konferenz auf den Bermudas Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
usw. zusammenhängenden Fragen durch schusses für Wirtschaftspolitik über den
die Bundesregierung (Drucksache 113) . 177 A Antrag der Abg. Albers, Lenz (Brühl),
Annahme des Antrags 177 A Mühlenberg, Arndgen u. Gen. betr. Vorlage
eines Gesetzentwurfs zur Neuregelung des
Beratung der Großen Anfrage der Abg Erwerbs und Wirtschaftsgenossenschafts-
-

Dr. Horlacher u. Gen. betr. Stützung des rechts (Drucksachen 118, 66) 195 D
Milchpreises (Drucksache 61) 177 B
Dr. Horlacher (CSU) 177 B Kurlbaum (SPD), Berichterstatter . 196 A
Präsident D. Dr. Ehlers 180 B Schmücker (CDU) 196 C, 208 A
Dr. h. c. Lübke, Bundesminister Dr. Bucher (FDP) 197 B
für Ernährung, Landwirtschaft und Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU) . . . 199 B
Forsten 180 B Dr. Elbrächter (DP) 200 B
Dannemann (FDP) 182 C Schuler (CDU) 201 C
Kriedemann (SPD) 184 D Krammig (CDU) 201 D
Bauknecht (CDU) 187 C Frau Strobel (SPD) 202 D
Samwer (GB/BHE) 203 C
Überweisung an den Ausschuß für Ernäh Stücklen (CSU) 203 D
rung, Landwirtschaft und Forsten . . . 195 B Becker (Hamburg) (DP) 204 D
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) (CDU) . 205 C
der FDP betr. Preis und Lohn in der Kriedemann (SPD) 205 D
Landwirtschaft (Drucksache 63) 188 C Weyer (FDP) 206 B
174 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953

Dr. Horlacher (CSU) 206 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
Mensing (CDU) 207 C eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs
(Drucksache 90); Mündlicher Bericht des
Namentliche Abstimmung über Art. 1 der Ausschusses für Außenhandelsfragen
Ausschußbeschlüsse Drucksache 117 . 208 C, (Drucksachen 119, 50, 58) 217 D
232 Dr. Serres (CDU), Berichterstatter . 218 A
Abstimmungen 208 D Beschlußfassung 218 B
Unterbrechung der Sitzung . . 209 B
Zweite Beratung des von der Fraktion der
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur vorläufigen Durchführung von wirt- zur Änderung des Einkommensteuerge-
schaftlichen Verträgen mit ausländischen setzes (Drucksache 33); Mündlicher Bericht
Staaten (Drucksache 77) 209 B des Ausschusses für Finanz- und Steuer-
Überweisung an die Ausschüsse für Außen fragen (Drucksache 110, Umdruck 5) 218 C, 237
handelsfragen und für Rechtswesen und Dr. Lindrath (CDU), Berichterstatter 218 D
Verfassungsrecht 209 B Dr. Miessner (FDP), Antragsteller . . 219 D
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Dr. Gülich (SPD) 221 C
eines Gesetzes über das Meistbegünstigungs- Pelster (CDU) 223 B
abkommen vom 31. Oktober 1952 zwischen Abstimmungen 224 C
der Bundesrepublik Deutschland und der
Republik El Salvador (Drucksache 48); Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Mündlicher Bericht des Ausschusses für über die Lastenausgleichsbank (Bank für
Außenhandelsfragen (Drucksache 120) . . 209 B Vertriebene und Geschädigte) (Drucksache
Dr. Oesterle (CSU), Berichterstatter . 209 C 86) 225 A
Beschlußfassung 209 C Dr. Oberländer, Bundesminister
für Vertriebene 225 A
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Dr. Henn (FDP) 226 A
eines Gesetzes über den Handelsvertrag Seuffert (SPD)
vom 18. April 1953 zwischen der Bundes- -226 B
Dr. Atzenroth (FDP) 226 D
republik Deutschland und der Republik Überweisung an die Ausschüsse für Geld
Uruguay (Drucksache 73); Mündlicher Be- und Kredit und für den Lastenausgleich 227 A
richt des Ausschusses für Außenhandels-
fragen (Drucksache 122) 209 D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Dr. Oesterle (CSU), Berichterstatter 209 D
über die Regelung der Beziehungen zwi-
Beschlußfassung 210 A schen Ärzten, Zahnärzten und Kranken-
I Beratung des Mündlichen Berichts des Haus- kassen (Kassenarztrecht) (Drucksache 87) . 227 A
haltsausschusses über den Antrag der Frak- Dr. Hammer (FDP) 227 A
tion der SPD betr. Weihnachtszuwendun- Horn (CDU) 227 B
gen für Bundesbedienstete (Drucksachen Dr. Arndt (SPD) . . . 227 B
137, 103, Umdruck 6) 210 B, 237 Überweisung an die Ausschüsse für Sozial-
Arndgen (CDU), Berichterstatter . . 210 B politik, für Fragen des Gesundheitsw sens
Böhm (Düsseldorf) (SPD) 211 A und an den Rechtsausschuß . . . . 227 A, C
Dr. Kleindinst (CSU) 212 B
Dr. Keller (GB/BHE) 213 A Erste Beratung des von der Fraktion der FDP
Annahme des Ausschußantrags Drucksache eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
214 B Ergänzung des Schwerbeschädigtengesetzes
137
(Drucksache 96) 227 C
Abstimmung über Antrag Umdruck 6 214 C, 217 B Dr. Atzenroth (FDP), Antragsteller . 227D,
Zur Geschäftsordnung betr. Wiederholung 230 B
der Abstimmung: Rasch (SPD) 228 B
Dr. Krone (CDU) 214 D Frau Dr. Probst (CDU) 229 C
Dr. Menzel (SPD) 215 A Überweisung an den Ausschuß für Kriegs-
Dr. Mende (FDP) 215 B opfer- und Heimkehrerfragen 230 C
Ritzel (SPD) . . . . 215 C, 216 B, D, 217 A
Vizepräsident Dr. Jaeger 215 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Haasler (GB/BHE) 216 B zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen
D. Dr. Ehlers (CDU) 216 C Abwanderung aus dem Gebiet der Bundes-
Dr. Schneider (Lollar) (FDP) 216 D republik (Drucksache 76) 230 C
Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Dr. Schröder, Bundesminister des
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- Innern 230 D
derung des Gesetzes der Freien Hansestadt Überweisung an den Ausschuß für Kultur-
Bremen über Wirtschaftsprüfer, Bücher- politik 230 D
revisoren und Steuerberater (Drucksache
84) 217 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
Überweisung an den Ausschuß für Finanz- eines Gesetzes über den Beitritt der Bun-
und Steuerfragen 217 C desrepublik Deutschland zum Internatio-
nalen Schiffssicherheitsvertrag London
Wahl von deutschen Mitgliedern der Gemein- 1948 (Drucksache 89); Schriftlicher Bericht
samen Versammlung der Europäischen Ge- des Ausschusses für Verkehrswesen (Druck-
meinschaft für Kohle und Stahl . . 177 A, 217 C sache 136) 231 A
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 175

Schmidt (Hamburg) (SPD): det und hat in der Gewerkschaftsbewegung und


als Berichterstatter 231 A in der Sozialdemokratischen Partei eine führende
Schriftlicher Bericht 238 Rolle gespielt, ist Mitglied des Reichstages ge-
Beschlußfassung 231 A wesen und hat sich während des „Dritten Reiches"
neun Jahre in der Not des Konzentrationslagers
Beratung des interfraktionellen Antrags betr. befunden. Er hat sich an der Neugründung der
Überweisung von Anträgen an die Aus- Gewerkschaften führend beteiligt und ist seit 1946
schüsse (Umdruck 4) 231 C Oberbürgermeister von Dortmund gewesen.
Beschlußfassung 231 C
Ich darf die Übung, die wir im Bundestag gehabt
Weihnachts- und Neujahrswünsche des Prä- haben, nur der Toten zu gedenken, die Mitglieder
sidenten 231 C des Bundestages sind, hier wegen der fortwirken-
den Kraft seines Wirkens und der ehrenden Er-
Nächste Sitzung 231 D innerung, die alle Mitglieder dieses Hauses ihm
schulden, durchbrechen und der Stadt Dortmund,
Zusammenstellung der namentlichen Abstim- seinen Angehörigen und der sozialdemokratischen
mung über Art. 1 des Entwurfs eines Ge- Fraktion das Beileid des Deutschen Bundestages
setzes zur Verlängerung des Gesetzes über zu diesem schweren Verlust zum Ausdruck bringen.
die einstweilige Außerkraftsetzung von Sie haben sich zu Ehren unseres früheren Kol-
Vorschriften des Gesetzes betr. die Er- legen Henßler erhoben; ich danke Ihnen.
werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Meine Damen und Herren! Ein Punkt der heu-
nach den Beschlüssen des Ausschusses für tigen Tagesordnung beschäftigt sich mit der Kon-
Wirtschaftspolitik (Drucksache 117) . . 232 vention zum Schutz der Menschenrechte und
Anlage 1: Änderungsantrag (Eventualantrag) Grundfreiheiten. Wir erinnern uns daran, daß die
Konvention der Menschenrechte der erste inter-
der Fraktion des GB/BHE (Umdruck 6) zum
nationale Vertrag gewesen ist, an dem die deutsche
Antrag des Haushaltsausschusses über den Bundesrepublik teilgenommen hat. Heute vor fünf
Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache Jahren, am 10. Dezember 1948, ist die Erklärung
103) betr. Weihnachtszuwendung an Bun- der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen
desbedienstete 237 -
angenommen worden. Wir haben auf Grund unse-
Anlage 2: Änderungsantrag (Eventualantrag) rer Geschichte in den letzten Jahrzehnten und auf
des Abg. Dr. Miessner (Umdruck 5) zur Grund unserer gegenwärtigen Lage allen Anlaß,
uns dieses Tages zu erinnern, weil wir sicher sind,
zweiten Beratung des von der Fraktion der daß nur bei Achtung dieser Grundrechte der Men-
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes schen in allen Völkern die Voraussetzungen dafür
zur Änderung des Einkommensteuerge- gegeben sind, daß das Zusammenleben der Men-
setzes (Drucksachen 33, 110) 237 schen sich in Formen abspielt, die mit der Würde
Anlage 3: Schriftlicher Bericht des Aus- und dem Freiheitsanspruch der Menschen ver
schusses für Verkehrswesen über den Ent- einbar sind. Wir haben insbesondere Anlaß, deut-
lich zu machen, daß wir die Erhaltung der Men-
wurf eines Gesetzes über den Beitritt der
schenrechte als eine der wesentlichen Voraussetzun-
Bundesrepublik Deutschland zum Inter- gen dafür ansehen, daß allen Deutschen das Recht auf
nationalen Schiffssicherheitsvertrag Lon- Gerechtigkeit und Freiheit und das Recht auf ihre
don 1948 (Drucksache 136) 238 Heimat garantiert wird. Um dieser aktuellen Be-
deutung willen darf ich dieses Tages der Menschen-
rechte heute vor dem Deutschen Bundestag ge-
denken.
Die Sitzung wird um 9 Uhr 33 Minuten durch (Lebhafter Beifall.)
den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet. Weiterhin habe ich vor Eintritt in die Tages-
ordnung davon Kenntnis zu geben, daß mir der
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herr Bundeskanzler mitgeteilt hat, daß der Herr
Herren! Ich eröffne die 8. Sitzung des zweiten Bundespräsident den Diplomingenieur Dr. Sieg-
Deutschen Bundestages und bitte um die Bekannt- fried Balke am 9. Dezember zum Bundesminister
gabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten. für das Post- und Fernmeldewesen ernannt hat.
Frau Geisendörfer, Schriftführerin: Der Präsi- Gemäß Art. 64 des Grundgesetzes ist die
dent hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Vereidigung
Abgeordneten Frau Praetorius, Euler, Dr.-Ing. der Bundesminister vor dem Bundestage vorzu-
h. c. Schuberth, Hermsdorf, Dr. Hoffmann, Frau nehmen. Ich darf Sie bitten, sich zu erheben.
Korspeter, Albers, Dr. von Brentano, Kunze (Die Abgeordneten erheben sich.)
(Bethel), Dr. Mocker, Altmaier, Kahn. Gemäß Art. 64 des Grundgesetzes werden die
Bundesminister vereidigt und leisten vor dem Bun-
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und destag den im Art. 56 des Grundgesetzes vorge-
Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenke sehenen Eid. Herr Bundesminister Dr. Balke, ich
ich der Tatsache, daß das Mitglied des ersten Deut- darf Ihnen die Eidesformel des Art. 56 des Grund-
schen Bundestages, der Dortmunder Oberbürger- gesetzes vorlesen:
meister Fritz Henßler
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle
(die Abgeordneten erheben sich) des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen
am 4. Dezember im Alter von 67 Jahren verstorben mehren, Schaden von ihm wenden, das Grund-
ist. Herr Henßler war durch Wahl des Deutschen gesetz und die Gesetze des Bundes wahren
Bundestages auch Mitglied der Gemeinsamen Ver- und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft
sammlung der Montan-Union. Er ist 1886 in Würt- erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann
temberg geboren, wurde als Buchdrucker ausgebil üben werde. So wahr mir Gott helfe.
176 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Präsident D. Dr. Ehlers)
Ich darf Sie bitten, mir die Formel „Ich schwöre Übereinstimmung mit dieser Entschließung von
es, so wahr mir Gott helfe" zur Verpflichtung auf Ihren Plätzen zu erheben.
diesen Eid nachzusprechen. (Die Abgeordneten erheben sich.)
Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und — Ich stelle fest, daß diese Entschließung von
Fernmeldewesen: Ich schwöre es, so wahr mir Gott allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages
helfe. angenommen ist, und darf der Hoffnung Ausdruck
geben, daß diese Dokumentation des übereinstim-
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich darf Ihnen die menden Willens des Deutschen Bundestages und
Wünsche des Deutschen Bundestages für Ihre des deutschen Volkes in dieser wichtigen Lebens-
Amtsführung zum Ausdruck bringen. frage unserer Nation eine Hilfe für die Verhand-
lungen, die vor uns liegen, bringen und mit helfen
Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und wird, dem deutschen Volke Einheit und Freiheit
Fernmeldewesen: Ich danke. zu bringen. Ich danke Ihnen.
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich danke Ihnen, meine Meine Damen und Herren, ich habe zwei Glück-
Damen und Herren. wünsche zum Ausdruck zu bringen, und zwar
Herrn Abgeordneten Barlage zum 62. Geburtstag
Damit kommen wir zu Punkt 1 der heutigen am 6. Dezember
Tagesordnung: (Beifall)
Interfraktionelle Entschließung zur Vier-
mächtekonferenz. und Herrn Abgeordneten Dr. Willeke zum 60. Ge-
burtstag am 7. Dezember.
Ein Entschließungsentwurf betreffend die Vier-
Mächte-Konferenz liegt Ihnen als Drucksache 138 (Beifall.)
vor. Dieser Entschließungsantrag ist von den Ich weise darauf hin, daß die nächste Frage-
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE stunde am 21. Januar stattfindet. Sperrfrist für
und DP eingebracht worden. Ich habe die Ehre, eingehende Fragen ist der 14. Januar. Ich darf
Ihnen den Text dieses Entschließungsentwurfs noch einmal darauf aufmerksam machen: Im
vorzulesen: Ältestenrat ist gestern darüber gesprochen worden,
Der Bundestag wolle beschließen: daß großes Gewicht darauf gelegt werden muß, daß
der Unterschied zwischen Kleinen Anfragen - und
Durch den letzten Notenwechsel zwischen den Fragen in der Fragestunde beachtet wird, weil
Westmächten und der Sowjetunion hat sich die Fragen, die über den Rahmen einer Fragestunde
Aussicht eröffnet, daß in Kürze in Berlin eine hinausgehen, dazu verführen könnten, daß auch
Vier-Mächte-Konferenz zur Behandlung der die Antworten den Umfang von Beantwortungen
Deutschlandfrage zusammentritt. Aus diesem Kleiner Anfragen annehmen; und das ist nicht
Anlaß erklärt der Deutsche Bundestag erneut wünschenswert im Interesse der Durchführung der
den Willen des ganzen deutschen Volkes, seine
nationale und staatliche Einheit zu wahren und Fragestunde.
als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Ich darf weiter auf eine technische Veränderung
Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Der hinweisen. Sie sehen, daß rechts, in der Mitte und
Bundestag gibt der Hoffnung Ausdruck, daß links einige Mikro; hone angebracht worden sind.
die Vier-Mächte-Konferenz dazu beitragen Wir haben vor, künftig die Fragen der Fragestunde
möge, die Welt dem wirklichen Frieden, den von diesen Mikrophonen aus stellen zu lassen und
alle Völker in Ost und West ersehnen, näher die Mikrophone auch dazu zu benutzen, eventuelle
zubringen. Zwischenfragen, Einwürfe usw. während der De-
batte machen zu lassen, um eine gewisse Auf-
Von der Bundesregierung erwartet der Deut- lockerung der Debatte zu erzielen.
sche Bundestag, daß sie während der Vier-
Mächte-Konferenz dafür eintritt, daß die (Beifall und Zurufe.)
Wiederherstellung der Einheit Deutschlands Die Anbringung der Mikrophone ist ein vorläufiger
auf der Grundlage der Bundestagsentschließung Versuch, dessen technische und praktische Bewäh-
vom 10. Juni 1953 in friedlicher Weise herbei- rung abgewartet werden muß. Ich darf aber die
geführt wird und daß die in der Charta der Herren Abgeordneten, die sich in unmittelbarer
Vereinten Nationen und in der europäischen Nähe der Mikrophone befinden, darauf aufmerk-
Konvention niedergelegten Menschenrechte für sam machen, daß diese Mikrophone nur dann
das ganze deutsche Volk in einer rechtsstaat- funktionieren, wenn ich einen Hebel, den ich vor
lichen Ordnung gewährleistet werden. mir habe, umlege.
Der Deutsche Bundestag bekundet erneut seine (Heiterkeit und Beifall.)
tiefe Verbundenheit mit den Deutschen in der
sowjetisch besetzten Zone und in Berlin. Seine Ich bitte also die Abgeordneten, die von diesen
Arbeit für die deutsche Einheit in Frieden und Mikrophonen Gebrauch zu machen wünschen, sich
Freiheit gilt ihnen ebenso wie allen anderen durch Erheben von den Plätzen, Herantreten an
Deutschen. Sein besonderes Bemühen wird wie die Mikrophone und durch ein Handzeichen be-
in der Vergangenheit so auch in Zukunft merkbar zu machen. Ich werde darauf die Mikro-
darauf gerichtet sein, daß die Unfreiheit be- phone einschalten und Gelegenheit geben, durch
ihre Benutzung die Zwischenfragen zu stellen. Es
seitigt wird und daß auch den politischen Ge-
fangenen, die zum Teil seit Jahren ohne Nach- hat also keinen Zweck, bei nicht eingeschaltetem
Mikrophon dieses Mikrophon etwa zur Verstär-
weis einer Schuld in sowjetzonalen Gefäng- kung von Zwischenrufen zu benutzen.
nissen festgehalten werden, die Freiheit
wiedergegeben wird. (Heiterkeit.)
Meine Damen und Herren, Sie haben den Ent- Ich bitte Sie, freundlichst an der technischen Er-
schließungsantrag sämtlicher Fraktionen des Hau- probung dieser neuartigen Einrichtung des Deut-
ses gehört. Ich bitte Sie, sich zum Zeichen der schen Bundestages mitzuwirken.
2. Deutscher Bundestag —, 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 177
(Präsident D. Dr. Ehlers)
Zur Tagesordnung darf ich noch folgendes sagen. Das landwirtschaftliche Preisniveau, das weit
Die Fraktion der CDU/CSU hat darum gebeten, gehend durch innerwirtschaftliche und han-
daß Punkt 5 etwas zurückgestellt wird, weil delspolitische Maßnahmen beeinflußt werden
darüber noch eine Fraktionsbesprechung statt- kann, mußmeiner Überzeugung nach in einer
finden soll. Parität zu den übrigen Preisen der deutschen
(Lachen und Zurufe links.) Wirtschaft gehalten werden.
— Meine Damen und Herren, ich glaube mich zu- An einer anderen Stelle fährt er fort:
treffend zu erinnern, daß der Wunsch nach Frak- Im Hinblick auf die Bedeutung der Milchwirt
tionsbesprechungen während der Sitzung wieder- schaft im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen
holt von allen Fraktionen geäußert worden ist. Produktion ist ein ausreichender Milchpreis
(Erneute Zurufe von der SPD.) von ausschlaggebender Bedeutung für die
— Die lange Dauer ist noch nie ein Beweis gegen Sicherung der Rentabilität der Landwirtschaft,
die Güte einer Sache gewesen. besonders der bäuerlichen Familienbetriebe.
(Sehr gut! in der Mitte.) Das war derStandpunkt von Rhöndorf. Seit dieser
Erklärung haben die Verhältnisse hin- und her
Die Fraktion der CDU/CSU hat vorgeschlagen, geschwankt, und wir haben uns hinsichtlich der
etwa vor Punkt 14 eine kurze, ungefähr halbstün- Rentabilität der Milchwirtschaft ziemlich weit von
dige Unterbrechung der Sitzung eintreten zu lassen, der Situation von Rhöndorf entfernt. Deswegen
um diese Frage zu klären. Ich nehme an, daß das muß man nach verschiedenen Richtungen Maß-
Haus damit einverstanden ist. nahmen treffen, die das Verhältnis wieder ins
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung: Gleichgewicht bringen.
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD (Anhaltende Unruhe.)
betreffend Unterrichtung von Ausschüssen Das Milchproblem — auch wenn die Herren und
über die mit der Konferenz auf den Ber Damen unruhig sind, so stimmt es doch! — ist
mudas usw. zusammenhängenden Fragen eines der wichtigsten und eines der schwierigsten
durch die Bundesregierung (Drucksache 113). Probleme der Landwirtschaft. Man darf hierbei
Der Ältestenrat hat vorgesehen, daß über diesen nicht nur an den Frischmilchverbrauch denken,
-
Punkt der Tagesordnung nicht debattiert und daß denn leider Gottes muß bei uns der größte Teil der
auch eine Begründung nicht gegeben zu werden Milch zu Butter und Käse verarbeitet werden. Es
braucht. Ich nehme an, daß das die gemeinsame kommt also mit auf die Preislage dieser Produkte
Überzeugung des Hauses ist. Ich bitte die Damen an. Für den Bauern ist nicht nur der Frischmilch
und Herren, die dem Antrag Drucksache 113 zuzu- preis entscheidend, sondern noch weit bedeutsamer
stimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist der Werkmilchpreis; denn aus beiden zu-
ist die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen. sammen ergibt sich erst der Auszahlungspreis ab
Molkerei.
Ich komme zu Punkt 3:
Nun ist ein besonderer Tiefstand in den Grün
Beratung der Großen Anfrage der Abgeord Landgebieten eingetreten. Wir haben Grünland
neten Dr. Horlacher und Genossen betreffend gebiete im Norden in Schleswig-Holstein
Stützung des Milchpreises (Drucksache 61).
(fortgesetzte Unruhe — Glocke des
Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Hor- Präsidenten)
lacher. — Der Ältestenrat hat sich auf eine Begrün- und in Friesland, wo die Verhältnisse auf milch-
dungszeit von höchstens 20 Minuten geeinigt. Das wirtschaftlichem Gebiet besonders konzentriert
Haus ist damit einverstanden. sind, und wir haben das ausgesprochene Grünland-
Bitte schön, Herr Abgeordneter! und Käsegebiet im Allgäu — nicht nur im bayeri-
schen Allgäu, sondern dazu gehört auch das klei-
Dr. Horlacher (CSU): Herr Präsident! Meine sehr nere württembergische Allgäu — und im bayeri-
verehrten Damen und Herren! Ich will mich be- schen Oberland. Die Konzentration ist dort so, daß
mühen, in Kürze das Wesentliche zu der Frage in Bayern 415 000 t Käse erzeugt werden, während
hervorzuheben. Es ist günstig, daß diese sowohl für die gesamte Käseerzeugung des Bundesgebietes
die Versorgung unserer Bevölkerung als auch für 846 000 t Käse beträgt. Daran können Sie ermessen,
unsere Bauernschaft wichtige Frage an der Spitze wie konzentriert sich die Käseerzeugung im Allgäu
unserer heutigen Beratungen steht. Da möchte ich zusammenballt; denn der größte Teil der Käse-
einmal einen Satz aussprechen, den sich jeder erzeugung in Bayern entfällt auf das Allgäu.
merken sollte Nachdem ich kurz diesen Ausgangspunkt skizziert
(Abg. Mellies: Müssen wir ihn aufschreiben, habe, darf ich auf den Tiefstand der Milchpreise
Herr Horlacher?) bei uns im Allgäu hinweisen. Im dortigen Werk-
und der vielleicht dazu dienen wird, die Verhält milchgebiet schwankt der Milchpreis zwischen 20,8
nisse zu bessern: „Fang jeden Tag mit Frischmilch und 21 Pfennig. Da kann keiner mehr behaupten,
an, für dein Gesundheit hast dann viel getan!" daß das für die Existenz der dortigen Landwirt-
schaft ausreichend sei! Bei einem Vergleich mit
(Heiterkeit und Beifall. — Zuruf von der der Verhältnissen in anderen Ländern ergibt sich,
Mitte: Vormachen!) daß hier ein besonderer Tiefstand eingetreten ist.
— Sie wissen ja nicht, ob ich das nicht schon getan Wenn Sie diese Verhältnisse mit dem Durchschnitt
habe! der Preise vom Jahre 1952 vergleichen — Auszah-
(Erneute Heiterkeit. — Abg. Pelster: Da lungspreis ab Molkerei 27 Pfennig —, dann kön-
waren Sie aber ganz klein und in Windeln!) nen Sie ermessen, welch großer Abstand gegen-
Ich gehe zurück auf die grundlegenden Aus- über dem in Rhöndorf anerkannten Normalpreis
führungen des Herrn Bundeskanzlers am 17. Fe- namentlich in diesen Gebieten eingetreten ist.
bruar 1951. Damals hat der Herr Bundeskanzler Ich darf als bekannt voraussetzen, daß innerhalb
in Rhöndorf erklärt: des Indexes der Erzeugerpreise die Milch an un-
178 2. Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Horlacher)
terster Stelle steht. Auch dadurch ist das Problem, nicht deswegen habe ich die Anfrage einge-
das sich hier stellt, genau gekennzeichnet. bracht! —, sondern ich möchte ihn unterstützen,
Was ist da zu tun? damit er sich gegenüber gewissen Kräften, auch
Erstens: Sicherung eines stabilen Trinkmilch innerhalb des Kabinetts, durchsetzen kann.
preises; das ist immer noch der Eckpreis. Die Be- (Hört! Hört! bei der SPD.)
völkerung muß darauf Bedacht nehmen, daß sie Daran fehlt es. Der Ernährungsminister tut sich
eine fettreichere Milch, gewissermaßen eine Milch immer schwer; da liegt der Hase im Pfeffer. Der
mit Qualität, auch entsprechend bewertet. Deshalb Ernährungsminister kann den guten Willen
ist es notwendig, daß sich das Bundesministerium haben, aber was nützt der beste Wille, wenn die
einmal der Angleichung der Milchpreise annimmt, anderen nicht wollen!
damit die Verhältnisse in Ordnung kommen. Es (Heiterkeit.)
sind ja schon grundsätzliche Verordnungen er- Die Einfuhr- und Vorratsstelle muß mit dem
lassen worden. Aber es ist notwendig, daß die nötigen Kapital versorgt werden, und zwar muß
Dinge auch wirklich ins Gleichgewicht gebracht sie das Geld dann zur Verfügung haben, wenn es
werden. k notwendig ist, auf dem Markt einzugreifen; denn
Dann liegt mir noch besonders die Steigerung sonst hat es nach kaufmännischen Gesichtspunkten
des Trinkmilchverbrauchs am Herzen. Am liebsten kaum einen besonderen Wert. Die Einfuhr- und
wäre es mir, wenn wir unsere schulpflichtige Vorratsstelle muß bei saisonalem Überangebot
Jugend erfassen könnten, so daß sie in der Schul- Butter aufnehmen können und muß sie wieder
speisung bevorzugt mit Qualitätsmilch versorgt abgeben können, wenn sich nach der Jahreszeit
wird. Das hängt zwar immer von den mangelnden die Verhältnisse wieder verschoben haben. Es han-
Mitteln ab, aber es wäre die beste Reklame. delt sich hier nicht um eine Preiserhähung bei-
Es gibt einen Verein zur Förderung des Trink- spielsweise für Butter, sondern darum, für die
milchverbrauchs. Herr Bundesminister für Ernäh- Verbraucherschaft wie für die Bauern einen aus-
rung und Landwirtschaft, ich bitte Sie, sich dieses reichenden Durchschnittspreis während des ganzen
Vereins anzunehmen. Was die Leute an Broschüren Jahres durchzuziehen. Wir sind nicht an schwan-
und sonstigem Zeug herausbringen, das können kenden Preisen, sondern an stabilen ausreichenden
sie ruhig in den Ofen werfen. Sie sollten sich ein Preisen interessiert.
Beispiel nehmen an der Reklame, die die Mar- Dann muß ich noch darauf hinweisen, daß- es ein
garineindustrie betreibt; die Kosten für eine lang- schwerer Fehler gewesen ist, als man eines der
weilige Broschürenschreiberei ohne Rücksicht- Teilgebiete in der Bewirtschaftung von Milch und
nahme auf dieSeele des Volkes können sie sich Fett, nämlich die Käseerzeugung, der Liberalisie-
wahrhaftig sparen. rung unterworfen hat. Es ist und bleibt ein Kar-
(Beifall rechts.) dinalfehler, der hier gemacht worden ist. Wenn ich
schon ein Produkt bewirtschafte, muß ich nicht
Wir haben genug solche Broschüren. Wir brauchen bloß das Rohprodukt bewirtschaften können, son-
hier eine tatkräftige, sinnfällige Propaganda. Und dern auch die Fertigerzeugnisse, und dazu gehört
wo wäre die leichter als auf dem Milchgebiet! der Käse. Da ist mir auch verschiedenes ver-
Stellt doch die Milch immer noch das beste, sprochen worden. Im Versprechen sind ja die
vitaminreichste und verhältnismäßig billigste Nah- Stellen meistens sehr groß; es kostet nicht so viel.
rungsmittel für unsere Bevölkerung dar. Als ich auf die Auswirkung der Liberalisierung
(Abg Frau Dr. Weber [Aachen]: Sehr rich beim Käse hingewiesen habe, ist mir in einem
tigl — Weiterer Zuruf von 'der Mitte.) Riesentelegramm, das ich damals von dem Vize-
— Die Milch, ja! Sie werden doch nichts dagegen kanzler Blücher erhalten habe, gesagt worden
habe n. Im Alter kommt allerdings noch etwas dazu Auf der anderen Seite mußte bei der Ent
— untertags Milch und abends ein Gläschen Wein; scheidung auch in Betracht gezogen werden,
das, muß auch noch berücksichtigt werden. daß der Käse doch außerdem einen Schutz
(Heiterkeit.) dadurch genießt, daß die Einfuhr mit einem
Bei dieser Gelegenheit möchte ich 'auch sagen, Zoll von 25 % belegt wird. Es wird ange
daß es gut wäre, wenn an unseren Bauernhäusern nommen, daß die Liberalisierung keine wesent
und auf den Rückwänden unserer Scheunen. Re- liche Steigerung der Käseeinfuhr zur Folge
klame für die eigenen Produkte gemacht würde hat.
und nicht Reklame für die Erzeugnisse der Mar- — Es wird angenommen!
garineindustrie, Gerade in letzter Zeit ist beobachtet worden,
(Sehr gut! rechts) daß die Liberalisierung einer Ware häufig die
Folge hat, daß die Konsumenten nicht mehr
für die jetzt die Schilder dort werben, die schöne die früheren Einkäufe tätigen.
Resi und die eleg an te Sanella und wie sie alle Und dann ist versprochen worden:
heißen.
Das Grundproblem muß einmal anders ange- Zusammenfassend . möchte ich deshalb noch
einmal sagen, daß für die beteiligten Mini-
packt werden. sterien gar keine andere Entscheidung möglich
Erstens muß eine Reklame getrieben werden, war. Es ist selbstverständlich, daß die erfor-
die die Bevölkerung anspricht und die auf die derlichen Maßnahmen getroffen werden, fa ll s
gesundheitlichen Werte hinweist, um die es hier eine ernstliche Beeinträchtigung in der Milch-
geht. wirtschaft auf Grund der Liberalisierung ein-
(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Sehr richtig!) treten sollte.
Zweitens muß die staatliche Einfuhr- und Vor- Wo bleiben diese Maßnahmen? Das ist eine Frage,
ratsstelle für Milch und Fett entsprechend einge- die der Herr Minister beantworten möge.
schaltet werden. Ich will dem Herrn Minister das Zum Thema Käseeinfuhr nur einige Zahlen! Im
Leben nicht erschweren Monat Januar 1952: 2528 t, 1953: 3241 t; im Juni
(Heiterkeit) 1952: 3866 t, 1953: 5123 t; August 1952: 4526 t,
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 179
(Dr. Horlacher)
jetzt bisher 6020 t. Dann ist die Einfuhr in den Als weiteres wichtiges Problem erscheint dann
letzten Monaten noch weiter gestiegen; die Zahlen die Frage der Magermilch. Der Überfluß an Mager-
habe ich noch nicht, da. milch macht uns schwer zu schaffen. Deswegen
sind auf diesem Gebiet besondere Maßnahmen
Sie sehen daraus, daß das, was man damals an- notwendig. Da kommt die Beimischung zum Weiß-
genommen hatte, nicht richtig war. Außerdem ist brot in Betracht. Es sind Versuche im Gange. Hof-
es leider Gottes auch bei Käse so, daß unsere Be- fentlich hören wir bald Günstiges darüber. Wenn
völkerung — wie bei anderen Lebensmitteln — die sie günstig verlaufen, ist es notwendig, das auf alle
Gewohnheit hat, oft den ausländischen Lebens- Gebiete Westdeutschlands auszudehnen, damit wir
mitteln den Vorzug zu geben, selbst dann, wenn einen Teil der Magermilch zur Verbesserung der
sie teurer sind. Wir haben das eine Zeitlang bei Broternährung unseres Volkes unterbringen kön-
Käse erlebt — ich habe die Dinge genau verfolgt —, nen.
und deswegen ist die Liberalisierung bei Käse ohne
Beschränkung der Einfuhrmenge so schädlich ge- Weiterhin müssen wir gewisse Subventionie-
worden. Es wird nicht anders gehen, als daß man rungen ins Auge fassen, damit die Magermilch
sich dieser Dinge wieder einmal annimmt; denn auch zur Fütterung Verwendung finden kann.
es kann nicht so bleiben. Solche Subventionierungen sind auch möglich. Hier
kommt der Landesausgleich in Betracht. Der Lan-
Diese Verhältnisse wirken sich besonders auf desausgleich für diese Zwecke kann aber in den
das konzentrierte Käsegebiet im Allgäu aus. Darum Ländern nicht verwendet werden, die wenig Trink-
wäre ich dem Herrn Minister dankbar, wenn er milchabsatz, wenig große Verbrauchergebiete haben.
eine Ergänzung des Milch- und Fettgesetzes herbei- Da muß man vielmehr schon den Bundesausgleich
führte, und zwar nach der Richtung hin, daß die zur Hilfe nehmen. Der Bundesausgleich ist ja auch
genossenschaftlichen Selbsthilfemaßnahmen, die dafür da, daß über den Landesausgleich him us
auf dem ernährungswirtschaftlichen Gebiet ge- den Ländern geholfen werden kann, die besonderer
troffen werden, unter den Schutz des Gesetzes Unterstützung bedürfen. Da kommt das Allgäu,
fallen. Es ist ein ganz unmöglicher Zustand, daß da kommen auch die übrigen Grünlandgebiete, zum
Staatsanwälte dreinreden können, wenn gewisse Teil kommt auch der Bayerische Wald in Frage
Absprachen bei der Werkmilch-Preisgestaltung Das sind lauter Verhältnisse, die man einmal im
auf dem ernährungswirtschaftlichen Gebiet ge- einzelnen durchprüfen muß. -
troffen werden. Denn die sind ja notwendig, um An die Lösung dieses Problems muß man so rasch
den Markt in einer regulären Bewegung zu halten. wie möglich herangehen. Denn wir müssen das
Weiterhin ist notwendig, daß auch die Selbst- Ziel erreichen, daß wir vor dem nächsten Früh-
hilfemaßnahmen der zusätzlichen Vorratshaltung jahr das Trockenmilchpulver vom Markt wegbe-
durch das Gesetz geschützt werden. Die Einfuhr- kommen, so daß es möglich ist, eine neue Produk-
und Vorratsstelle hat die Vorratshaltung auf Grund tion aufzunehmen. Ich darf bei dieser Gelegen-
Gesetzes zu betreiben. Wir sind bereit, durch die heit verraten, daß unsere eigene Selbsthilfeeinrich-
genossenschaftlichen Absatzzentralen — wie das tung, das Trockenmilchwerk beim Münchner Milch-
auch durch die Molkereizentrale Bayern geschieht — hof, in Tag- und Nachtschicht 16 Millionen kg Ma-
auch von uns aus in den Markt einzugreifen und germilch in Magermilchpulver umgewandelt hat.
Ware auf Lager zu nehmen. Nur müssen wir Ge- Die Regierung muß uns dabei helfen, diese Men-
wißheit haben, daß diese Maßnahmen vom Gesetz- gen abzusetzen.
geber geschützt werden. Die Selbsthilfemaßnahmen Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch berner
der Landwirtschaft erfordern eine gewisse Ergän- ken, daß die Verwendung der Magermilch in
zung des Gesetzes. Amerika eine große Rolle gespielt hat. Dort ist
Ferner schält sich als Gesamtproblem die Ratio- auf gesetzlicher Grundlage eine Beimischung von
nalisierung heraus. Ich habe schon einmal gesagt: 6 % mit der Begründung erfolgt, daß dadurch die
Seien wir vorsichtig mit diesen Wörtern! Ratio- Ernährung vollwertiger, eiweißreicher gemacht
nalisierung bei der Industrie ist etwas ganz anderes wird. Jetzt ist in Amerika gar kein Gesetz mehr
als Rationalisierung bei der Landwirtschaft. Denn notwendig; die Beimischung hat sich bei der Be-
erstens ist der Erfolg der Rationalisierung in der völkerung durchgesetzt. Auch möchte ich einem
Industrie ein ganz, anderer als bei dem langweili- gesetzlichen Zwang nicht ohne weiteres das Wort
gen Umsatz der Landwirtschaft. Außerdem ist es reden; aber wir werden die Versuche hier ausdeh-
ja nicht so, daß bei uns alles rationalisiert wer- nen müssen.
den muß. Aber eine gewisse Rationalisierung auf Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang
dem Gebiet der Landwirtschaft — und besonders noch, daß in USA allein für zur Schulspeisung ver-
der Milchwirtschaft — lehne ich natürlich nicht ab. wendete Nahrungsmittel 168 Millionen Dollar im
Ich wäre dankbar, wenn der Herr Minister so rasch Jahr ausgegeben wurden. Sie ersehen hieraus, daß
wie möglich ins bayerische Allgäu käme, damit er auch andere Länder sich schon mit diesem Problem
an Ort und Stelle sieht, wie die Verhältnisse dort beschäftigt haben. England liegt in der gleichen
gelagert sind. Sie sind dort etwas anders als bei- Linie. Ich bitte den Herrn Minister, sich dieser
spielsweise — wo auch Grünlandgebiete sind — Frage mit besonderem Nachdruck anzunehmen.
in Schleswig-Holstein. Bei uns ist das Land ge-
birgig, und der Emmentaler erfordert eine besondere Weiter bitte ich, dafür zu sorgen, daß die Ein-
Bodenflora, eine besondere Fütterung und Dün- fuhr und Vorratsstelle hier eingeschaltet wird, da-
gung. Alle diese Dinge spielen eine Rolle und er- mit sie durch die Aufnahme von Trockenmilch so
fordern eine Reihe von Kleinbetrieben im Gegen- rasch wie möglich zur Erleichterung des Marktes
satz zu den Flachlandbetrieben. Diese Verhältnisse beitragen kann. Außerdem muß alles darangesetzt
muß man gesehen haben. Deswegen lade ich den werden, um im Wege des Bundesausgleichs allge-
Herrn Minister ein, zu uns ins Allgäu zu kommen. mein in den Grünlandgebieten eine Besserung her-
Er wird bei uns gut aufgenommen werden — auch beizuführen.
wenn ihm dort erzählt werden wird, was not- Ferner bitte ich die Bundesregierung, sich des
wendig ist. Exportgeschäfts anzunehmen. Ich habe den Wunsch,
80 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Horlacher)
daß wir, soweit wir in der Lage sind, landwirt- Frage gestellt, ob dem Hohen Hause und der Bun-
schaftliche Artikel zu exportieren, die gleichen Ver- desregierung klar sei, welche Preiseinbrüche im
günstigungen wie die Industrie erhalten. Ich sehe Rahmen der Milchwirtschaft in den letzten Jahren
nicht ein, warum hier ein Unterschied zwischen vorgekommen seien und ob vor allen Dingen die
Industrie und Landwirtschaft gemacht werden soll, besonderen Klagen aus dem Allgäu, aber auch aus
In Frage kommt insbesondere die Ausfuhr von anderen Grünlandgebieten, insbesondere am Nie-
Emmentaler Käse, z. B. nach Frankreich und nach derrhein und an der Nordseeküste, dem Hause und
Italien. Herr Minister, ich werde Ihnen das Schrei- der Bundesregierung bekanntgeworden seien. Man
ben einer Firma übergeben, die das Geschäft auf darf wohl sagen, daß diese sehr lauttönenden Kla-
unehrliche Weise betrieben und den ehrlichen Kauf- gen, die leider Gottes berechtigt waren, natürlich
leuten das Exportgeschäft verdorben hat. Es sind auch der Bundesregierung bekanntgeworden sind.
ja immer so einzelne Private dabei, die meinen, Die Bundesregierung ist nicht nur bereit, Maß-
sie könnten im Trüben fischen. Es ist eine sehr nahmen in Erwägung zu ziehen, sondern sie hat
bedauerliche Tatsache, daß es gerade da, wo man bereits Maßnahmen eingeleitet, die auch, glaube
erst in das Exportgeschäft hineinkommen will, ich, nicht ganz ohne Erfolg waren und es auch in
schlechte Elemente gibt, die ihren persönlichen Zukunft nicht sein werden.
Nutzen über die Erfordernisse der Allgemeinheit
Zur Frage des Notstandes im Allgäu und in
stellen. einigen anderen Grünlandgebieten darf ich sagen,
Das ist so das Wichtigste, was ich dazu ausfüh- daß der Milchpreis im Jahre 1951 22,7 Pf pro Liter
ren wollte. Sie haben gesehen: Das Milchproblem betrug und im Jahre 1953 0,7 Pf mehr, also
ist ein Kardinalproblem. 30 % der Einnahmen - 23,4 Pf. Das ist also an sich gegenüber dem Frie-
im Durchschnitt gerechnet — des Bauern denspreis eine außerordentlich niedrige Auszah-
stammen aus der Milchwirtschaft. Noch höher sind lung. Wenn Sie dann hören, daß im Allgäu nicht,
diese Einnahmen in den Grönlandgebieten. Man wie Herr Kollege Horlacher sagte, zur Zeit 20,
kann ruhig sagen, daß 80 bis 90 % der Einnahmen sondern 18,6 Pf bezahlt werden, dann wird es
des Allgäuer Bauern auf der Milchwirtschaft be- Ihnen glaubwürdig erscheinen, daß dort Not am
ruhen, und ähnlich werden die Verhältnisse in Mann ist. Das Gebiet ist deshalb in eine außer-
Schleswig-Holstein liegen. ordentlich bedrückte Lage gekommen, weil im
Es ist also notwendig, diesem Zentralproblem der letzten Jahre nach der Liberalisierung schon- in
Landwirtschaft ein besonderes Augenmerk zuzu- dem Halbjahr vom 1. April bis zum 30. September
wenden. Das ist eine echte agrarpolitische Frage, 50 °ío mehr Käse eingeführt worden sind als im
die so rasch wie möglich gelöst werden muß. Ge- Vorjahr. Das war eine natürliche Folge der Libera-
rade die bäuerliche Arbeit wird mit dieser Frage lisierung; sie ist aber wirksam, und sie läßt sich
besonders berührt. Deswegen ist die Lösung des außerordentlich schwer wieder aus der Welt schaf-
Milchproblems für unser Bauerntum von großer fen. Ich kann in diesem Zusammenhang sagen, daß
Bedeutung. Auch die Verbraucherschaft sollte ein der Devisenstatus der Deutschen Bundesrepublik
Interesse an einer leistungsfähigen Milchwirtschaft bei der EZU in Paris zur Zeit so günstig ist, daß
haben. Wir haben doch Zeiten erlebt, in denen Verhandlungen etwa wegen der Deliberalisierung
sich die Dinge plötzlich gewandelt haben, in denen von Braumalz oder Käse außerordentlich schwierig
die Auslandszufuhren nicht mehr geflossen sind sind und auch von uns aus zweckmäßigerweise gar
und es notwendig gewesen ist, in erster Linie die nicht begonnen werden.
eigene Kraft einzusetzen. Eine der wichtigsten Herr Horlacher fordert unter Punkt 1 die Stabi-
Aufgaben ist es da, bei der Milchwirtschaft Ab- lisierung der Trinkmilchpreise. Die Trinkmilch
hilfe zu schaffen und uns so ein leistungsfähiges preise sind im ganzen Bundesgebiet stabilisiert.
Bauerntum zu erhalten. Sowohl für die Existenz Daran wäre also praktisch zur Zeit nichts zu
des Bauern ist es wichtig wie auch für die Ver- ändern. Es scheint aber, daß hinsichtlich der Aus-
sorgung unserer Bevölkerung mit dem wichtigsten
zahlung an die Bauern etwas getan werden müßte.
Nahrungsmittel, wie es nach meiner Überzeugung
Der Trinkmilchpreis, der für Standardmilch zur
nach wie vor die Milch mit ihren Produkten Butter Zeit 38 Pfennig im Preisgebiet I für 3%ige Milch
und Käse darstellt. beträgt, vermindert sich um die Handelsspanne,
(Beifall in der Mitte und rechts.) die normalerweise 6 oder 6 1 /2, Pfennig ausmacht,
Präsident ent D. Dr. Ehlers: MeinDamud um die Fracht- und Bearbeitungskosten und ist
Herren! Ich darf diese Gelegenheit benutzen, ins- deshalb auf dem Bauernhof verschieden hoch. Er
besondere die Mitglieder des Bundestags, die dem wird noch dadurch beeinflußt, daß Ausgleichs-
ersten Bundestag noch nicht angehört haben, auf umlagen von denjenigen, die Trinkmilch verkau-
die Existenz der Milchbar im Restaurant hinzu- fen, an diejenigen bezahlt werden, die ihre Milch
weisen. zur Verarbeitung geben. So kommt es, daß der
(Beifall und Heiterkeit.) Gesamtauszahlungspreis in Gebieten. wo sehr viel
Dies ist sicher die Stelle, an der sich über die von Werkmilch anfällt, außerordentlich niedrig ist und
Herrn Abgeordneten Dr. Horlacher angeschnitte- sich etwa in der eben angeführten Höhe bewegt.
nen Probleme auch mit ihm am förderlichsten Von dem gesamten Milchanfall werden 60 % zu
debattieren läßt. Butter und 8,5 % zu Käse verarbeitet. Es folgen
(Erneuter Beifall und Heiterkeit. — Zu- Konservenmilch, Trockenmilch und vor allen Din-
ruf von der SPD: Nicht bei den Preisen!) gen Frischmilch, deren Verbrauch etwa 28 % be-
Zur Beantwortung der Großen Anfrage der Herr trägt. Der Frischmilchverbrauch könnte in Deutsch-
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft land verdoppelt werden, wobei er auch dann noch
und Forsten! weit unter den Verbrauchssätzen des benachbarten
Auslandes liegen würde.
Dr. h. c. Lübke, Bundesminister für Ernährung, (Abg. Bausch: Sehr richtig!)
Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Diese Verdoppelung oder jedenfalls eine starke
Abgeordneter Ho r l a c her hat zunächst die Erhöhung läge nicht nur im Interesse der Ren-
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 1 81
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
tabilität der Milchwirtschaft, sondern vor allen nehmen können. Es wäre also auch für die Export-
Dingen der Volksgesundheit, und sie würde uns industrie schon Grund genug gegeben, sich in die-
bzw. der Bundesregierung eine ganz wesentliche ser Richtung einzuschalten.
Erleichterung bei den Handelsvertragsverhandlun- Das beste Werbemittel ist, wie ich sagte, die
gen mit unseren nördlichen und westlichen Nach- Qualitätssteigerung. Auf diesem Gebiet hat die
barn bieten. Landwirtschaft durch erhebliche Investierungen
(Abg. Kemper [Trier]: Es müßte dafür Bedeutendes geleistet. Wir haben geschlossene Ein-
mehr Propaganda gemacht werden!) zugsgebiete von Molkereien, die von garantiert ge-
— Sie sagen, Herr Kollege, es müßte mehr Pro- sunden Tierbeständen erstklassige Milch liefern
paganda gemacht werden. Auf dem Gebiet ge- können. Es ist aber nicht möglich, die Gesamt-
schieht wirklich allerlei, und der Trinkmilchver- bereinigung des Gesundheitszustandes so schnell
brauch hat sich auch gehoben. Es werden nicht nur vorwärtszutreiben, daß man von einem Jahr auf
Broschüren ausgegeben, etwa vom Verein zur För- das andere mit großen Erfolgen rechnen könnte.
derung der Milchwirtschaft in Frankfurt, sondern Jedenfalls hat die Zusammenarbeit zwischen der
es wird auch durch Presse, Film, Rundfunk und mit Bundesregierung, den Regierungen der Länder und
allen sonstigen geeigneten Mitteln auf dem Gebiet der praktischen Landwirtschaft auf diesem Gebiete
gearbeitet, und zwar wird nicht gefordert: Trinkt bedeutende Fortschritte gebracht.
mehr Milch, damit die Bauern ihre Milch los Eine weitere Frage zur Steigerung des Ver-
werden!, sondern: Trinkt mehr Milch zur Hebung brauchs von Trinkmilch ist mir oft von Auslän-
der Volksgesundheit! Jede Qualitätserhöhung auf dern gestellt worden. Noch gestern fragte mich ein
dem Gebiet wirkt sich natürlich auch aus in einer ausländischer Journalist: „Warum kann man hier
stärkeren Anfreundung mit der Milch, die: unsere in Deutschland in Restaurants keine Milch kau-
Bevölkerung heute zum Teil deswegen noch ab- fen?" Ich habe ihm gesagt: „Weil die Trinkmilch
lehnt, weil sie in der Kriegszeit in einer außer- preise bei uns gebunden sind und die Handels-
ordentlich schlechten Qualität geboten werden spanne so niedrig ist, daß der Verkauf in den
mußte. Die Bergwerke in Nordrhein-Westfalen Restaurants für den betreffenden Restaurateur
z. B. haben in einer ganz beachtlichen Weise be- kein Interesse hat." So ist es tatsächlich. Es wird
gonnen, den Trinkmilchverbrauch zu steigern und wahrscheinlich möglich sein — das Wirtschafts-
-
ministerium hat seine Einwilligung dazu bereits
im übrigen andere Getränke abzulehnen, weil das
Trinken von eiskaltem Mineralwasser, Coca-Cola gegeben —, für die Qualitätsmilch die Preisbin-
oder Bier nach dem Herausfahren aus dem Schacht dungen in Restaurants aufzuheben, damit auch in
ganz außerordentlich gesundheitsschädlich ist. Die Deutschland, wie es im Ausland üblich ist, in
Bergwerke haben zeitweise einen höheren Prozent- Restaurants jederzeit Milch angeboten werden
satz an Magenkranken als etwa an Silikose oder kann.
ähnlichen Erkrankungen gehabt. Deshalb haben Zu den Fragen 2, 3 und 5 in der Anfrage des Kol-
sie unter ihren Belegschaften den Trinkmilchver- legen Horlacher möchte ich insgesamt antworten.
brauch propagiert, der z. B. in einer einzigen Die Einfuhr- und Vorratsstelle wird genau wie in
Zeche, Bonifatius, in einem Jahr von 0 auf diesem Jahre auch im kommenden Jahre recht-
170 000 kg angewachsen ist. zeitig Butter zum Zwecke des saisonalen Aus-
Wir haben auch in manchen Verwaltungsgebäu- gleichs aus dem Markt nehmen, und zwar wird
den erfreuliche Ansätze, aber ich warte immer sie das nach Möglichkeit zusammen mit Handel
noch mit großem Interesse auf die Wirkung des und Genossenschaften tun. Diese drei Stellen zu-
Anstoßes, den wir der Exportindustrie gegeben sammen werden daran mitwirken, daß durch eine
haben. Die Exportindustrie hält der Landwirt- gleichmäßige Beschickung des Marktes im Früh-
schaft vor, daß infolge der Schwierigkeiten bei der jahr, Som m er und Winter ein verhältnismäßig
Einfuhr agrarischer Produkte nicht genug Ware an gleichbleibender Preis erreicht wird. Wenn etwa
das Ausland geliefert werden könne. Ich habe der die Genossenschaften sich auf diesem Gebiete be
Exportindustrie erklärt: Wenn Sie in sämtlichen tätigen — so verstehe ich die Anfrage von Herrn
für den Export arbeitenden Betrieben jedem Ar- Kollegen Horlacher —, will ich hoffen, daß auch von
beiter ein halbes Liter Milch an seinen Arbeits- den Wirtschaftsressorts der Länder oder von Ge-
platz stellen — bezahlen tut er es ja selbst —, richtsstelle aus eine derartige Tätigkeit in keiner
dann würden wir damit viele tausend Tonnen Weise mehr behelligt wird; denn diese Tätigkeit
Butter aus dem Markt , drängen und die gesamten entspricht voll und ganz dem Sinn und Zweck des
Handelsverträge mit den skandinavischen und Milchgesetzes.
westeuropäischen Ländern in Ordnung bringen .(Zustimmung bei der CDU/CSU.)
können. Die Vorratslagerung in diesem Jahre hat bewirkt,
(Beifall bei der CDU.) daß der Preis im Frühjahr nicht tiefer als 5,60 DM
Die Industrie- und Handelskammern haben sich für den Verbraucher absackte und im Winter nicht
dieser Frage angenommen, und es wird auch höher als 6,80 DM seinwird. Im vorigen Jahr
einiges an vorbereitender Arbeit versucht. Leider schwankte der Preis zwischen 5,20 DM und 8 DM.
ist es so, daß ein energisches Vorwärtsschreiben auf Die Quittung dafür erfolgte in der Weise, daß der
dem Gebiet noch nicht festzustellen ist. Wie not- darauffolgende Monat Januar die niedrigste Ver-
wendig dies jedoch ist, wollen Sie bitte aus fol- braucherquote seit Jahren gehabt hat, nämlich
gendem Beispiel ersehen. Wir stehen in Handels- 16 800 Tonnen gegenüber einem Durchschnitt von
vertragsverhandlungen mit Schweden und Däne- 25 000 Tonnen.
mark. Die Schweden, die Dänen und auch die Hol- Der Einlagerung von Käse, die Herr Kollege
länder bieten uns ihre Butter an, obgleich wir den Horlacher empfiehlt, stehen praktisch sehr große
gesamten Butterkonsum in unserem Lande aus eige- Schwierigkeitenentgegen. Ich möchte sagen, Herr
ner Erzeugung 'decken: Die genannten drei Länder Dr. Horlacher: die Produktion von Käse und die Er-
haben von Deutschland im letzten Jahre für eine haltung und Lagerung von Käse sind so diffizile
Milliarde DM mehr gekauft, als wir von ihnen ab Geschäfte, daß man an diese Arbeit nur Fachleute
182 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 10. Dezember 1953
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
heranlassen sollte. Wenn ich auch meinen Mitarbei- biet und in dieser Richtung ist also ein Lichtblick
tern in dieser Beziehung eine ganze Menge zutraue, zu verzeichnen.
so möchte ich sie auf dem Gebiet der Käselagerung
doch nicht tätig werden lassen. Ich glaube, daß Die Verwendung von Bundeshaushaltsmitteln
gäbe einen Reinfall. Wir würden damit demnächst habe ich bereits erwähnt. Ich habe natürlich in
wieder große Anfragen im Bundestag erleben, Beantwortung der Großen Anfrage zentrale Pro-
weil wir von Amts wegen in den Käsehandel ein- bleme der. Milchwirtschaft nicht ansprechen kön-
gestiegen wären. nen; das hätte den Rahmen dieser Debatte über-
schritten. Es ist aber ganz sicher, daß in der Milch-
(Heiterkeit.) wirtschaft, auch für die Verbraucher, Verbesse-
Außerdem stellt sich bei der Frage nach den rungen in den kommenden Jahren bevorstehen.
Kosten der Käseeinlagerung sofort die Unmöglich- Auf dem gerade jetzt so beklagenswert unren-
keit heraus, auf diesem Gebiet tätig zu werden; tablen Gebiet der Milchwirtschaft ist also noch
denn die Herausnahme entsprechender Käsemen- eine erhebliche Chance für Verbraucher und Er-
gen, die im Allgäu eine Linderung verschaffte, zeuger vorhanden.
würde im Augenblick bedeuten, daß wir mit Beifall in der Mitte.)
vier Millionen DM ins Geschäft gehen müßten.
Wenn auch der Herr Finanzminister auf diesem Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
Gebiet außerordentlich entgegenkommend ist, Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen
(Hört! Hört! bei der SPD) Anfrage gehört. Ich frage: Wird eine Besprechung
der Großen Anfrage gewünscht? — Das sind mehr
so glaube ich doch, daß Sie sich die Verhandlungen als 30 Abgeordnete. Die Besprechung findet statt.
mit ihm etwas einfacher vorstellen, als sie sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dannemann.
(Heiterkeit.)
Ich habe ihm schon gestern den Vorschlag gemacht, Dannemann (FDP): Herr Präsident! Meine sehr
man solle Landes- und Bundesausgleichsmittel, die verehrten Damen und Herren! Die vorliegende An-
ja von der Milchwirtschaft selber aufgebracht frage beschäftigt sich mit einem Problem, das nicht
werden, für gelegentliche Zinsverbilligungen zum ersten Mal Gegenstand einer eingehenden
heranziehen, um die Lagerung zu ermöglichen. Es Debatte in diesem Hohen Hause ist. Sie behandelt
-
ist mir bekannt, daß bereits Bundes- und Landes auch. keine Angelegenheit, die nur das Allgäu an-
ausgleichsmittel ins Allgäu geflossen sind. geht, sondern die Rentabilität der Milchwirtschaft
ist schlechthin für alle bäuerlichen Veredelungs-
Wenn wir die Einbeziehung von Käse in die An- betriebe von entscheidender Bedeutung. Rund 30 %
dienungspflicht bei den Einfuhr- und Vorrats- aller landwirtschaftlichen Einnahmen entfallen im
stellen etwa durch Gesetz untermauerten, würden Bundesgebiet auf die Milchwirtschaft, und idieser
war damit den Käse praktisch entliberalisieren und Anteil steigt um so mehr, je höher der natürliche
auch Schwierigkeiten beim GATT in Torquay be- Grünlandanteil liegt und einseitiger damit
kommen. Das bedeutet also praktisch, daß auf die- naturbedingt die Rindviehhaltung werden muß.
sem Wege eine Erleichterung nicht zu schaffen sein Sie liegt in den Küstengebieten Schleswig-Hol-
wird. steins und Niedersachsens und im Allgäu, wie Sie
Nun zur Frage der Ermöglichung der Bei- aus 'den Ausführungen des Herrn Kollegen Hor-
mischung von Magermilchpulver zum Weizenbrot. lacher gehört haben, bei 50 bis 70% und zum Teil
Dazu darf ich Ihnen mitteilen, was schon Herr darüber, mit anderen Worten, es steht und fällt
Dr. Horlacher andeutete, daß in Nordrhein-West- die Rentabilität dieser Betriebe mit den Milch-
falen in sechs Großstädten ein drei Monate dauern- preisen. Da es sich dabei fast ausschließlich um
der Versuch gemacht wird. Dieser hat in andert- bäuerliche Familienbetriebe handelt, ist die Rege-
halb Monaten bereits gezeigt, daß auf diesem Ge- lung der Milchwirtschaft zu einem sozialen Pro-
biet erhebliche Fortschritte zu erzielen sind. Dem blem erster Ordnung geworden.
Brot werden 3 % Trockenmilch beigemischt. Das Es ist auch viel zu wenig der volkswirtschaftliche
Publikum, dem diese Maßnahme auf einer Ban- Wert bekannt, welchen die Milchproduktion im
derole angezeigt wird, zahlt drei Pfennig pro Kilo Bundesgebiet darstellt. Im Jahre 1952 betrug der
mehr und kauft das Brot in zunehmendem Maße. Wert der Milcherzeugung mit 16 Milliarden kg
Für die ersten anderthalb Monate waren 75 bis genau so viel wie der der gesamten Stein-
80 Tonnen Milchpulver in Aussicht genommen. Bis kohlenproduktion. Jeder in Deutschland ist von
jetzt sind schon 114 Tonnen verbraucht. Die Er- der Wichtigkeit unserer Kohlenförderung über-
wartungen sind also bei weitem übertroffen. In zeugt, und es hat auch in der Vergangenheit
den Vereinigten Staaten von Amerika ist man mit parlamentarisch gar keine Schwierigkeiten be-
dem Verbacken von Milchpulver in Weizenbrot bei reitet, Maßnahmen durchzusetzen, die eine weitere
6 % angelangt.
Förderleistung zu Folge hatten. Wie ganz anders
Was den Export von Emmentaler angeht, so ist demgegenüber die öffentliche Meinung und
kann man sagen, daß das Bundeslandwirtschafts- auch die Haltung der Staatsführung gegenüber
ministerium ihn aufs kräftigste unterstützt. Im unserer deutschen Milcherzeugung!
Jahre 1951 wurden 1200 Tonnen, im Jahre 1952 Mit steigender Sorge beobachten wir die für den
2900 Tonnen ausgeführt. Im laufenden Jahr wer- Milcherzeuger seit einigen Jahren immer ungün-
den wir auf mehr als 2500 Tonnen kommen. Es stiger werdende preisliche Entwicklung. Mit einem
bestehen also auch auf diesem Gebiete gewisse Preisindex von 171 gegenüber 1938 liegt der Milch-
Möglichkeiten.
preis heute an der untersten Grenze ialler land-
Mit Frankreich schweben außerdem aussichts- wirtschaftlichen Erzeugnisse. Bereits im Jahre 1951
reiche Verhandlungen über den Export von fanden in Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers
Emmentaler. Diese Verhandlungen sind allerdings in Rhöndorf entscheidende Besprechungen statt,
erst möglich geworden, nachdem Deutschland den bei denen speziell auch die Milchfrage behandelt
Käse liberalisiert hat. Wenigstens auf diesem Ge- wurde. Es herrschte damals absolute Einigkeit
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 183
(Dannemann)
darüber, daß alles geschehen müsse, um diesen für zeugung möglich geworden ist und wenn darüber
die Landwirtschaft so entscheidenden Produktions- hinaus vor einigen Wochen in Oldenburg erstmalig
zweig wirtschaftlicher zu gestalten. Man war sich eine Auktion durchgeführt werden konnte, bei der
darüber im klaren, daß allein über den Absatz nur Tiere aus anerkannt absolut gesunden Bestän-
von Butter dieses Problem nicht zu lösen war, den zur Anlieferung gelangten. Das wird auch in
sondern daß in erster Linie durch Maßnahmen mit Zukunft so bleiben.
dem Ziel eines verstärkten Trinkmilchverbrauchs Aber trotz all dieser Anstrengungen bleibt der
geholfen werden müsse. Preis der Qualitätsmilch nach oben hin blockiert.
Dazu war aber für die Landwirtschaft erforder- Hier muß eine Änderung eintreten. Auch ist es
lich, nichts unversucht zu lassen, die Qualität zu geradezu widersinnig, wenn heute noch die Mol-
fördern und alle Anstrengungen zu machen, den kereien, die zur Ausmerzung kranker Tiere oder
Verbrauchern absolut einwandfreie und gesunde die zugunsten der Verbraucher im Interesse der
Milch zur Verfügung zu stellen. Mit Recht ver- Qualitätsverbesserung Aufwendungen machen, da-
langte der Verbraucher eine Milch mit einem für zur Körperschaftsteuer oder anderen Steuer-
höheren Fettgehalt als 2,8 %, wie er zu Zeiten des arten herangezogen werden oder wenn solche Maß-
Krieges üblich und notwendig war. Gerne ist nahmen seitens des Herrn Bundesfinanzministers
unsere Landwirtschaft diesem Wunsch nachgekom- als „steuerschädlich" angesehen werden.
men und hat durch Ausmerzung und andere Maß- Auch sind wir der Meinung, daß die Gesundung
nahmen Millionenbeträge zur Gesundung unsere unserer Tierbestände nicht ausschließlich Ange-
Viehbestände aufwenden müssen. Sie tat das und legenheit der Landwirtschaft sein kann, sondern
sie konnte das nur tun im Vertrauen auf das ge- zum großen Teil eine Staatsaufgabe ist. Es ist
gebene Wort des Herrn Bundeskanzlers und auf geradezu widersinnig, wenn wir feststellen müssen,
die später durch die Parlamentsbeschlüsse gefaß- daß auf dem Gebiet der Humanmedizin ohne
ten Entscheidungen. Gesetzlich wurde festgelegt, weiteres Millionenbeträge vom Bund und von den
daß die Trinkmilch bei 2,8 % Fettgehalt einen Preis Ländern zur Verfügung gestellt werden, während
haben sollte von 38 Pfennigen, bei 3 % Fettgehalt man bisher nicht gewillt war, am Ursprungsherd
von 40 Pfennigen und bei 3,2% von 42 Pfennigen, der Erkrankung auch nur die geringsten Beträge
was einem Molkereiabgabepreis für Butter von einzusetzen.
5,80 DM je kg oder einem Verbraucherpreis -
Landwirtschaft und Verbraucher sind sich dar-
von 6,30 DM je kg entsprechen sollte. Für den
über im klaren, daß alle Maßnahmen ergriffen
Landwirt entsprach das einem Erzeugerpreis von
werden müssen, die eine Verteuerung des End-
26 Pf je Liter. Tatsächlich aber ist — und die Aus
produkts ausschließen. All das, was zur Verteue-
führungen des Herrn Ministers haben es eben be-
rung des Endprodukts beiträgt, sollte schnellstens
stätigt — in den letzten Jahren dieser Preis nicht
abgebaut werden. In diesem Zusammenhang
annähernd erzielt worden, im Gegenteil, er lag
möchte ich nur einmal auf die Auswirkung der
zum Teil ganz erheblich darunter. Alle Bestrebun-
Umsatzsteuer in der Milchwirtschaft hinweisen.
gen nach weiterer Qualitätsverbesserung und nach
Nach den angestellten Erhebungen wird heute
Erhöhung des Trinkmilchverbrauchs hören einfach jeder Liter Milch, der zu Butter verarbeitet wird,
da auf, wo die Gestehungskosten nicht mehr ge- mit 1,78 Pf Umsatzsteuer belastet. Würde diese
deckt werden. Das ist sehr bedauerlich; denn wir Umsatzsteuer fallen — was durchaus berechtigt
liegen heute, wie wir eben ebenfalls gehört haben, und zweckmäßig wäre —, so ergäbe sich dar-
mit einem Trinkmilchverbrauch von 0,29 1 je Tag aus bei einer jährlichen Ablieferung von 12 Mil-
und Person weit unter dem Durchschnitt des Ver- liarden Liter Milch allein für die Landwirtschaft
brauchs der benachbarten Staaten, insbesondere eine zusätzliche Einnahme von 212,5 Millionen DM.
der nordischen Staaten, die einen Trinkmilchver- Ja, bei der Durchführung einer derartigen Maß-
brauch haben, der zwei- bis dreimal höher liegt. nahme und bei einer entsprechenden Qualitätsver-
Hier muß etwas geschehen, da es so nicht weiter- besserung könnte das Kilogramm Butter für den
gehen kann. Die Milch ist das billigste und gesün- Verbraucher noch um 15 Pf verbilligt werden.
deste Nahrungsmittel. Insofern begrüßen wir auch Hier sollte der Herr Bundesfinanzminister wahr-
grundsätzlich die Anfrage. Über die im einzelnen haftig eine Änderung in der Steuerveranlagung
angeschnittenen Fragen kann man allerdings ge- eintreten lassen. Sie könnte sich sowohl für den
teilter Auffassung sein. Sie werden einer ein- Verbraucher als auch für den Erzeuger nur segens-
reich auswirken.
gehenden Untersuchung unterzogen werden müs-
sen, und sie werden zweifellos in mancherlei Hin- Nun einige Worte zum Butterproblem. Mit ge-
sicht eine Änderung bzw. Ergänzung erfahren wisser Sorge beobachten wir in Deutschland -
müssen. Verbraucher und Erzeuger haben gemein- aber nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa —
sam das größte Interesse daran, einen möglichst den Rückgang des Verbrauchs an Butter und die
stabilen und gerechten Preis für das ganze Jahr ständige Zunahme der Verwendung von Margarine.
zu halten. Auch sollte nichts unversucht bleiben, Diese Erscheinung kann, wie gesagt, nicht nur in
die Güte der Milch und den Gesundheitszustand Deutschland, sondern allgemein in Europa beob-
der Tiere zu fördern. Seitens der Landwirtschaft achtet werden. Heute beträgt der Butterverbrauch
sind in den letzten Jahren erhebliche Anstren- in Westdeutschland 6,4 kg je Kopf und Jahr gegen-
gungen gemacht worden. Ich brauche nur auf über einem Verbrauch von 8 kg vor dem Kriege.
die Gesundung unserer Viehbestände, auf die Ich will hierbei gar nicht auf unsere Abhängigkeit
Bekämpfung des Abortus-Bang und anderer vom Ausland bei verstärkter Margarineerzeugung
Krankheitserscheinungen hinzuweisen. Es ist eingehen, die, wie Sie alle wissen, zu 95 % auf
wahrhaftig ein stolzes Ergebnis, wenn wir heute ausländischer Basis aufgebaut worden ist. Viel
Molkereieinzugsgebiete haben, die über vollkom- mehr Sorge bereitet uns die Tatsache, daß man
men gesunde Milchviehbestände verfügen, wenn glaubt, die Nahrungsmittel ernährungswirtschaft-
die Belieferung der Besatzungstruppen im Gegen- lich nur nach ihrem Gehalt beurteilen zu müssen,
satz zu früheren Jahren heute aus deutscher Er ohne auf die spezifische biologische Wirkung zu
184 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dannemann)
achten. Die in ganz Europa seit Jahrzehnten zu freiwilliger Basis zu einer Beimischung in Höhe
beobachtende Unterversorgung mit ungesättigten von 3 % zum Brot zu gelangen, zumal auf diese
Fettsäuren, wie sie bei der synthetischen Fetther- Art und Weise durch Beimischung eines biologisch
stellung, aber auch bei der Fettversorgung über hochwertigen Eiweißstoffes gerade für die kauf-
die Margarine gegeben ist, muß eines Tages — kräftigen Schichten unserer Bevölkerung die Ei-
und das ist heute vielfach schon zu beobachten weißfrage am einfachsten und billigsten gelöst
— zu ernährungsphysiologischen Störungen füh- werden kann.
ren. Das biologische Fett in der Butter kann nicht Wir glauben auch, daß in der Viehfütterung in
einfach durch synthetisches Fett und auch nicht viel stärkerem Umfang, als es bisher geschehen
durch das Fett in der Margarine ersetzt werden. und bekannt ist, die ausländischen Fischmehlarten
Da die Butterproduktion jahreszeitlich verschieden durch dieses neue Eiweißtrockenfutter ersetzt wer-
ist auf der anderen Seite aber der Verbraucher den können, besonders wenn wir, wie der Herr
ein Interesse an einem stabilen Preis und einer Minister andeutete, mit Hilfe der Ausgleichsmittel
gleichmäßigen Versorgung hat, sieht ja das Milch- seitens des Bundes und der Länder zu einer Ver-
und Fettgesetz die Einrichtung einer Einfuhr- und billigung kommen und wenn diese Maßnahmen
Vorratsstelle vor. Aber nur allzu häufig haben wir nicht einseitig auf das Allgäu beschränkt, sondern
in den letzten Jahren die Bevorratung von Butter für alle notleidenden Grünlandbezirke ergriffen
zu sehr in das politische Gezerre hineingezogen, werden.
und eine derartige Maßnahme mußte sich zwangs-
läufig zum Nachteil der Verbraucher auswirken. Abschließend möchte ich feststellen, daß die Re
Insofern hat die Bevorratung seitens des Bundes gelung der Milchfrage brennend und dringend not-
ihre Berechtigung. wendig ist.
(Sehr richtig! in der Mitte.)
Ich möchte in diesem Zusammenhang jedoch auf
die bisherige Funktion der Einfuhr- und Vorrats- Meine Damen und Herren, ein Pfennig Aufschlag
stellen nicht eingehen. In dieser Hinsicht werden auf die Milch bedeutet für die Landwirtschaft eine
wir demnächst dem Parlament entsprechende Vor- jährliche Mehreinnahme von 120 Millionen Mark.
schläge einreichen, die ein wirkliches und sinn- Eine Erhöhung des Trinkmilchpreises um einen
volles Funktionieren garantieren und die die Ent- Pfennig für den Verbraucher schmeißt aber den
scheidung über die jeweilige Bevorratung nicht Haushalt nicht um. Ich bin daher der Meinung,-
immer allein von dem mehr oder weniger guten daß es sich hier um eine Frage handelt, die für
Willen des Geldgebers beim Bund oder gar von Tausende von deutschen Veredelungsbetrieben von
dem Druck der politischen Parteien abhängig entscheidender Bedeutung. ist. Wir sollten wirklich
machen. alle Maßnahmen ergreifen, um mit diesem Problem
Damit hängt auch die Frage des Käseabsatzes schnellstens fertig zu werden. Wünschenswert wäre
zusammen. Es kann nicht Sache der Einfuhr- und es, wenn auch vom Bund und von den Ländern
Vorratsstellen sein — der Herr Minister hat das Mittel für die allgemeine Einführung eines Milch-
eben schon herausgestellt —, Aufgaben zu über- frühstücks an den Schulen bereitgestellt und wenn
nehmen, die ihr nach dem Gesetz gar nicht zu- darüber hinaus Maßnahmen ergriffen würden, um
kommen. Ganz ohne Frage hat sich die Lage auf den sozial Schwachen einen erhöhten Trinkmilch
dem Käsemarkt seit der Liberalisierung ver- verbrauch zu ermöglichen.
schlechtert. Es fragt sich überhaupt, ob die Ein- (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)
fuhren in dem Umfange, wie es geschehen ist,
durchgeführt werden mußten. Das trifft insbeson- Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Herr
dere auch für die Butter zu. Wir sollten dabei viel Abgeordnete Kriedemann.
mehr Rücksicht auf die eigene Erzeugung nehmen.
Wir sollten in Zukunft Verträge über Einfuhr- Kriedemann (SPD): Herr Präsident! Meine
mengen abschließen, die mehr nach sogenannten Damen und Herren! Anläßlich dieser ersten De-
Besserungsklauseln ausgerichtet sind als nach batte über Milchprobleme darf vielleicht kurz
festen Kontingenten. Daß die landwirtschaftlichen daran erinnert werden, daß wir diese Fragen im
Selbsthilfemaßnahmen an erster Stelle stehen ersten Bundestag wiederholt besprochen haben. Ich
müssen und nicht alles Heil nur vom Staat er- bedaure sehr, daß bei dem unvoreingenommenen
hofft und erwartet werden sollte, ist eine Selbst- Zuhörer im Laufe dieser wiederholten Aussprachen
verständlichkeit. Der Staat aber sollte durch ent- über Milchprobleme der Eindruck entstanden sein
sprechende handels- und steuerpolitische Maßnah- wird, daß man auf diesem Gebiet offenbar nicht
men diese Selbsthilfemaßnahmen des Berufsstan- weiterkommt. Es werden immer dieselben Klagen
des belohnen und nicht bestrafen. geführt, es werden immer dieselben Forderungen
Wesentlich für die Rentabilität der Milchwirt- erhoben, es werden immer dieselben Feststellungen
schaft ist die Verwertung der Magermilch. Je von der Bedeutung der Einnahmen aus der Milch
besser diese durchgeführt wird, um so günstiger usw. getroffen. Das einzige, was bemerkenswert
ist selbstverständlich der Milcherzeugungspreis. ist, ist die Regelmäßigkeit, mit der die Geschichte
Da leider nur ein Teil der Magermilch verfüttert wiederholt wird. Tatsächlich sind wir auch in der
werden kann und da auch die Käsearten, die aus Praxis nicht weitergekommen, und mit Recht ist
Magermilch hergestellt werden, heute besonders an den Ausgangspunkt so vieler Hoffnungen und
schwer abzusetzen sind, müssen hier andere Maß- Enttäuschungen, an die berühmten Rhöndorfer
nahmen ergriffen werden. Von einer Zwangs- Gespräche über den Milchpreis, erinnert worden.
beimischung allerdings, auf die man aus dem An- Ich glaube, daß wir auch auf dem Wege nicht
trag vielleicht schließen könnte, halten wir nicht weiterkommen werden, der mit dieser Großen An-
viel. Wir sind vielmehr der Meinung — und die frage hier nicht neu beschritten, sondern nur wei-
guten Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen er- tergegangen wird. Ich kann Herrn Horlacher eigent-
mutigen uns dazu —, daß es bei einer geschickten lich nur in einem Punkt seiner Ausführungen rück-
Propaganda durchaus möglich sein sollte, auch auf haltlos zustimmen, nämlich da, wo er gesagt hat:
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 185
(Kriedemann)
Man muß das Grundproblem einmal ganz anders kerung eben nur über die Margarine auf der uns
anpacken! allen erwünschten Höhe halten. Aus den verschieden-
sten Gründen wäre das über die Butter ganz einfach
(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!) nicht möglich. Wir schneiden uns die Wege zu bes-
Der Minister ist in der — ich weiß nicht, ob seren Lösungen und zur richtigen Erkenntnis ja
bedauerlichen oder glücklichen — Lage gewesen, selber ab, wenn wir hier an Vorstellungen fest-
von der Mehrzahl der Punkte hier gleich nachwei- halten und immer Behauptungen wiederholen, die
sen zu können, daß es so einfach nicht geht. Wir in der Praxis längst widerlegt sind. Das mag be-
wissen, warum die Forderung, nun endlich den quem sein — bequem in der Propaganda —, und
Käse in die Einfuhr- und Vorratsstelle einzubezie- es mag irgendwo den Eindruck erwecken, als
hen, nicht erfüllt werden kann. Wir wissen von kämpfe man wie zwei Löwen um eine Besserung
einer ganzen Reihe von anderen Fragen, auch von der Situation. Aber den Leuten ist in Wirklichkeit
der Einlagerung von Butter in , den Einfuhr- und damit gar nicht gedient, daß man ihnen das sagt,
Vorratsstellen, daß sich auf diesem Wege das nicht was sie gern hören, wenn dabei materiell für sie
erreichen läßt, was im Mittelpunkt der Überle- nichts herauskommt.
gungen steht, nämlich eine Erhöhung des Auszah- (Abg. Dr. Horlacher: Dummheiten bleiben
lungspreises für den Erzeuger. aber Dummheiten!)
Natürlich haben die Damen und Herren recht, — Es werden ein Haufen Dummheiten gesagt,
die hier festgestellt haben oder vielleicht noch fest- natürlich, Herr Kollege Horlacher.
stellen werden, daß die Milch für die Landwirt- Ich glaube nicht, daß es richtig ist, so zu verfah-
schaft ein Problem ersten Ranges ist, daß sie aber ren, wie ich es hier beinahe glaube gehört zu haben:
auch für den Verbraucher und für die Volksgesund- die Margarine zu diffamieren, in der Hoffnung, die
heit ein Problem ersten Ranges ist. Wenn man nun Leute würden dann mehr Butter essen.
aber dieser Bedeutung durch die Agrarpolitik und
(Zustimmung und Heiterkeit bei der SPD.)
die Ernährungspolitik wirklich Rechnung tragen
will, dann muß man, wie gesagt, das Grundproblem Das gibt es einfach nicht; das haben wir erfahren,
einmal ganz anders anpacken. und daraus sollten wir endlich Konsequenzen
ziehen.
Hier ist mit einer gewissen Vorsicht von einer -
Milchpreiserhöhung um einen Pfennig geredet Diese Konsequenzen scheinen mir eindeutig die
worden. Herr Kollege Dannemann hat gesagt, wie- zu sein, daß der Verbraucher für sein Geld von dem
viel ein Pfennig Mehreinnahme für die Landwirt- biologisch so wertvollen Milchfett am meisten in
schaft bedeute und daß ein Pfennig Mehrausgabe der Vollmilch kaufen kann und daß auch der Er-
für den Verbraucher nicht so schlimm sein könne. zeuger am meisten von derjenigen Milch hat, die in
Das sind aber doch zwei Größen, die sich gar nicht Form von Frischmilch, von Trinkmilch verbraucht
miteinander vergleichen lassen. Wir wissen j a: wird. Da können wir uns einfach nicht mehr mit
wenn man den Milchpreis für den Verbraucher um der Tatsache abfinden, daß ein so kleiner Prozent-
einen Pfennig erhöht, würde günstigstenfalls — satz — Sie haben es hier eben gehört: ein bißchen
und auch das ist keineswegs sicher — nur ein mehr als ein Viertel — der gesamten Milchproduk-
Bruchteil dieses Pfennigs unten beim Erzeuger an- tion vom Verbraucher direkt aufgenommen wird.
kommen. Die Zerlegung der Milch in Butter und Magermilch
(Sehr richtig! bei der SPD.) ist ja gerade das Kostspielige; gerade in diesem
Verarbeitungsprozeß bleibt so viel von dem, was
Wir haben ja schon Verbrauchermilchpreise er- der Verbraucher auf den Tisch legt, hängen, daß
höht, und niemand ist in der Lage, zu behaupten unten beim Erzeuger eben viel zuwenig ankommt.
oder nachzuweisen, daß sich daraus die Rentabili- Sie haben die Zahlen gehört.
tät der Milchviehhaltung für den Erzeuger gebes-
sert habe. Wir müssen uns umstellen. Wir müssen nicht nur
theoretisch fordern, es solle mehr Milch verbraucht
Das liegt, glaube ich, im wesentlichen daran, daß werden. Das ist nicht nur eine Frage der mehr oder
man offenbar nicht Abschied nehmen kann von ge- weniger geschickten Propaganda. Hier hat sich
wissen liebgewordenen Vorstellungen, die mir so einiges gebessert; aber sehr vieles in der Werbung
eine Art von milchwirtschaftlichem Aberglauben für den Milchverbrauch ist — da bin ich mit Herrn
zu sein scheinen und über die man einige neuere Horlacher wieder einmal einig — außerordentlich
Erkenntnisse und einige vielleicht nicht ganz be- dilettantisch gemacht, und die Leute sollten sich
queme Wahrheiten nicht zu erkennen vermag. Man tatsächlich einmal ansehen, wie andere für ihre
soll sich endlich einmal klarmachen, daß es so, wie Produkte werben.
die Dinge nun geworden sind, unmöglich ist, die
Rentabilität aus der Milchviehhaltung über den Dazu sind auch noch einige andere Voraussetzun-
Butterpreis zu sichern. Das würde auch dann nicht gen nötig, und da, meine Damen und Herren,
möglich sein, wenn, wie hier, ein neuer Weg be- scheint mir das eigentliche Kernproblem zu liegen
schritten wird, dem Verbraucher zu sagen, daß Wir haben nämlich im Bereich der Milchwirtschaft
aus dem zunehmenden Margarineverzehr jetzt eine Ordnung, die für mein Gefühl wirklich eine
schon gewisse abträgliche biologische Auswirkun- Ordnung der Zwangswirtschaft ist, und aus ihr
gen zu erkennen seien. Dia müßten andere Völker kommen all die unangenehmen Auswirkungen, die
schon beinahe ausgestorben sein, sich in erster Linie einer Ausweitung des Frisch-
milchverzehrs entgegenstellen. Im Bereich der
(Heiterkeit bei der SPD) Milchwirtschaft ist der Wettbewerb, der Leistungs-
wenn man sich mit der Margarine, wie sie heute an- vergleich, wenn nicht zu 100 %, dann — das kann
geboten wird, nicht einwandfrei und biologisch rich- ich mit gutem Gewissen sagen — zu 99,5 % ausge-
tig ernähren könnte! Das kann man nun aber! Ich schaltet. Die meisten von Ihnen wissen vielleicht
bitte sehr, hier nicht etwa Töne des Bedauerns durch- gar nicht, daß man hier noch nach Prinzipien ver-
klingen zu lassen. Denn es ist uns allen klar: wir fährt, die in diesem Lande nach den vielen Prokla-
können den heutigen Fettverbrauch unserer Bevöl mationen, die so gelegentlich zu hören sind, eigent-
186 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Kriedemann)
lieh nirgendwo mehr zu finden sein sollten. Immer ziehen zu können, von der er glaubt, auch qualitäts-
noch ist der Erzeuger gezwungen, seine Milch an mäßig am besten bedient zu werden. Wir haben dies
eine Molkerei abzuliefern, die ihm die Behörde zu- vorgeschlagen, weil schließlich — das ist hier schon
gewiesen hat. Immer noch ist die Molkerei gehal- mehrfach gesagt worden und kann nur unter-
ten, ihre Milch nur an die Milchhändler zu ver- strichen werden — nur in der Qualität der Anreiz
kaufen, die ihr von der Behörde zugewiesen sind, zum Mehrverbrauch liegt und nicht in der Moral
und ebenso sind die Milchhändler gehalten, von der oder in irgendwelchen anderen Formen der Beleh-
Molkerei Milch zu beziehen, an die sie verwiesen rung und Beschwörung.
worden sind. In weiten Bereichen ist man gerade-
zu stolz darauf, daß man den ambulanten Handel Aber alle diese Anträge sind leider abgelehnt
mit Milch völlig abgeschafft hat, daß es Ein-Mann- worden. Wir werden sie bei der ersten möglichen
Bezirke gibt. So ist eigentlich auch die Hausfrau Gelegenheit aus der Überzeugung wiederholen, daß
schon an den für sie zuständigen Milchhändler ge- man anders mit diesem Problem nicht fertig wer-
bunden, und nur, wenn sie den weiteren Weg in den kann und daß hier die Vorstellungen von einer
den nächsten Bezirk nicht scheut, kann sie ihre Marktordnung geradezu zu Tode geritten werden,
Milch von einem Händler beziehen, der ihr sym- obwohl längst heraus ist, daß mindestens der Er-
zeuger von dieser Marktordnung nicht das bekom-
pathischer ist oder leistungsfähiger scheint. Jeder
men hat, was er von ihr erwartete.
von uns, der in die Dinge hineinschaut, weiß, &.; -5
hier eigentlich die Wurzel des Übels liegt daß Wir müssen uns nicht nur von Ordnungen und
hier die vielen falschen Kosten entstehen, die von Vorschriften frei machen, die die Milch unbe-
ausnahmslos zu Lasten des Erzeugers gehen, weglich machen, sondern wir müssen uns auch sonst
etwas einfallen lassen, um den Verbraucher mit
(Beifall bei der SPD)
mehr Milch in Berührung zu bringen und ihm die
wenn sich der Verbraucher längst mit dem Milch- Milch so leicht zugänglich zu machen, wie ihm so-
preis, den er zahlen muß, abgefunden hat und undso viele andere Waren zugänglich sind, bei
wenn selbst die Milch aufgenommen wird, die zu denen sich ja auch niemand über Abnahme oder
wesentlich höheren Preisen als bessere Milch oder Verzehr beklagen kann. Ein Beispiel für solche
gar als Vorzugsmilch dem Verbraucher angeboten Möglichkeiten ist etwa das Speiseeis. Was hier vor-
wird. Wir haben gestern im Ernährungsausschuß hin über die Umsatzsteuer gesagt worden ist, wiegt
aus einer Stadt gehört, daß die Vorzugsmilch in der noch viel schwerer, wenn man bedenkt, daß - über
modernen Pergamentpackung sogar mit 37 Pfen- ein gutes Speiseeis — es gibt darüber ja Qualitäts-
ning pro halbes Liter verkauft und aufgenommen vorschriften — sehr große Vollmilch aufge-
wird. nommen werden könnten. Wir kämen also schon
Für den Erzeuger hat sich die Lage dadurch weiter, wenn unserer Bevölkerung ein gutes
immer verschlechtert, daß er bei gleichbleibenden Speiseeis '_eicht zugänglich machten. Leider sind
Trinkmilchpreisen und trotz einer gewissen Zu einige Gemeinden auf die Idee gekommen, das
nahme des Trinkmilchverbrauchs für die von ihm Speiseeis nun noch besonders zu besteuern. Daß das
abgelieferte Milch immer weniger bekommt. Ich dem Milchverbrauch abträglich ist, braucht im ein
mache Ihnen den Vorschlag, sich einmal in Ihrem zelnen nicht bewiesen zu werden.
Bereich die Unterschiede in den Auszahlungs- Ich möchte noch eine Bemerkung zur Frage der
preisen der Molkereien anzusehen, ehe diese Unter- stärkeren Einschaltung der Einfuhr- und Vorrats-
schiede durch den Ausgleich zu Lasten der stellen machen. Das alles sind nur — für mein Ge-
leistungsfähigen Molkereien zugedeckt worden sind. fühl jedenfalls — geradezu krampfhafte Versuche
Sehr oft ist der unfähige Leiter einer Molkerei an dem alten Weg festzuhalten. Sie stammen noch
schuld, der sich im übrigen ja auch nicht groß an- aus der Überzeugung, man müsse eben den Butter-
zustrengen braucht und dem die Lieferanten sozu- preis so halten, daß mit diesem Butterpreis die
sagen durch die Polizei zugeführt werden. Die Ab- Rentabilität für den Milcherzeuger gesichert ist.
nehmer werden ihm auch frei Haus geliefert, und Wir wissen ganz genau, daß wir nie so große But-
die müssen halt mit dem, was da ist, zufrieden sein. termengen einlagern können, um wirklich in dem
Wer da heraus will, muß lange Anträge ausfüllen, Sinne Marktausgleich zu betreiben, wie das im
und die Genehmigung seines Antrags hängt dann System der Marktordnung liegt. Die Marktordnung
davon ab, ob eine Behörde erlaubt, den Lieferanten muß sich ja von Marktstützung und Preisstützung
oder den Abnehmer zu wechseln. Warum soll man unter allen Umständen, und zwar ganz klar, unter-
sich da groß anstrengen? Das ist ja eine Tatsache, scheiden, wenn sie nicht in eine sehr gefährliche
die viel zu bekannt ist, und es ist auch ein mensch- Situation hineinkommen soll. Wir haben mit der
lich ganz begreifliches Verhalten. Einlagerung großer Buttermengen Erfahrungen.
Wir haben bei der Vorlage des Milchgesetzes — Wir wissen, wie es den Ablauf des Marktes stört,
wenn diese für eine Lagerung nicht besonders ge-
des Marktordnungsgesetzes, auf dem die Milch-
marktordnung beruht — und auch bei der Vorlage eignete Ware gewälzt werden muß, wenn immer
der Novelle leider vergeblich versucht, hier ein wieder alte Butter aus der Vorratsstelle heraus und
bißchen Auflockerung zu schaffen. Damals haben der Vorrat durch neue Butter aufgefüllt werden
wir Anträge eingebracht, die dahin gingen, daß muß. Die Einfuhr- und Vorratsstelle ist dann so im
es dem Erzeuger beispielsweise erlaubt sein sollte Markt, wie sie das eigentlich nicht sein sollte, ganz
— ohne dabei von der Zustimmung einer Behörde abgesehen von den hierdurch entstehenden Kosten.
abzuhängen —, wenn er seine Milch schon einer Wir sollten auf diesem Wege auch nicht weiter-
Molkerei anliefern muß, sich diese Molkerei wenig- gehen, mit der Illusion, man könnte über das Brot
stens in einem redlichen Rahmen selber aussuchen die Magermilch zu einer besseren Verwertung brin-
zu können. Wir haben damals schon im Interesse gen. Ich habe die Sorge, daß alle diese Versuche
der Qualitätssteigerung vorgeschlagen, man solle uns immer wieder von dem einzig Möglichen ab-
dem Milchhändler erlauben, seine Milch — wenn führen, nämlich mit aller Gewalt und mit dem Ein-
schon von der Molkerei und nicht direkt vom Er- satz entsprechender Mittel den Trinkmilchabsatz
zeuger — dann wenigstens von d e r Molkerei be auf die Höhe zu bringen, die vom Standpunkt einer
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 187
(Kriedemaqn)
optimalen Volksernährung erwünscht und notwen- und gemeint ist, zu beauftragen. Ich möchte es
dig ist und die sich, wie Vergleiche mit anderen Herrn Kollegen Dr. Horlacher überlassen, diesen
Ländern zeigen, auch sicherlich erreichen läßt, Antrag zu stellen. Es ist vielleicht nicht notwendig,
wenn man das nur wirklich will und sich dabei da man weiß, daß der Ernährungsausschuß sich so-
nicht auf Proklamationen und Forderungen be- wieso mit diesem Problem befaßt. Wenn aber zur
schränkt, sondern auch einmal zu Maßnahmen Unterstreichung der großen Bedeutung des Pro-
kommt. Ich will hier offen aussprechen, daß dazu blems Milch und Milchwirtschaft ausdrücklich die
auch öffentliche Mittel gehören, nicht nur für die Überweisung beantragt wird, werden wir ihr mit
Werbung, nicht nur für Hilfen z. B. für die minder- aller Freude zustimmen.
bemittelte Bevölkerung bei Schulspeisungen usw. (Beifall bei der SPD.)
Ich glaube vielmehr, wir kommen nicht darum her-
um, auch einmal öffentliche Mittel für ein Pro- Präsident D. Dr. Ehlers: Zu diesem Thema wäre
gramm der Gesundung unserer Viehbestände ein- darauf hinzuweisen, daß auch nach der Geschäfts-
zusetzen. Das ist, soweit ich im Bilde bin, in keinem ordnung eine solche Überweisung nur zur Prüfung
Lande nur aus den eigenen Kräften der Landwirt- eines Antrags möglich ist, der gleichzeitig gestellt
schaft gemacht worden. Dieses Programm muß un- wäre.
ter allen Umständen durchgeführt werden; denn
auch wir kommen einmal an den Punkt, an dem es Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht.
uns niemand mehr abnimmt, daß die Milch, gegen Bauknecht (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
die die Leute gewisse innere Vorbehalte haben, das und Herren! Keine Sorge; es folgt kein Monolog;
Normale sei und daß die Milch aus gesunden Vieh- nur ein paar Bemerkungen zu dem bisher Ge-
beständen das Übernatürliche sei und deshalb ganz sagten.
besonders teuer bezahlt werden müsse. Deshalb Herr Kriedemann, wir sind uns darin völlig
müssen wir vom Bund nicht bloß freundliche Be- einig, daß, auf lange Sicht gesehen, der deutschen
kenntnisse und Versprechungen, sondern wirk- Milchwirtschaft entscheidend nur geholfen werden
same Maßnahmen auch in finanzieller Hinsicht kann, wenn es gelingt, den Trinkmilchabsatz zu
fordern. Das ist auf alle Fälle viel wirksamer, als steigern. Ich glaube kaum, daß darüber in diesem
wenn man hier versucht, auf dem Umweg über das Hause ein Unterschied in der Auffassung besteht;
Brot etwas von der Magermilch loszuwerden. -
aber Sie wissen genau so wie ich, wie schwierig
Es ist doch eigentlich ein bißchen komisch, daß das ist und daß man das nicht auf Kommando tun
wir dieses prachtvolle Naturprodukt Milch zunächst kann. Man kann es auch deshalb noch nicht tun,
einmal in Butter und in Magermilch zerlegen. Die weil wahrscheinlich heute nicht genügend Milch in
Magermilch wird dann mit sehr erheblichen Kosten der Güte, die wünschenswert wäre, zur Verfügung
in Magermilchpulver verwandelt. Dieses Mager- steht und weil auch die dafür notwendigen Einrich-
milchpulver muß dann — auch wieder auf Kosten tungen fehlen. Ich darf darauf aufmerksam machen,
der Landwirtschaft! — so verbilligt werden, daß daß in anderen Ländern eine totale Kühlkette vom
es mit Ach und Krach in das Brot hineingeht. Auf Kuhstall des Bauern bis zum Volkskühlschrank des
der anderen Seite hört man dann schon fragen: Verbrauchers besteht. Was nützt es, wenn die
Warum wird denn eigentlich nicht die Butter der Familie frische Milch kauft, die — das liegt nun
Margarine beigemischt und auf diese Weise für einmal in der Natur der Sache — unter dem Tem-
einen Butterabsatz gesorgt? Wir bringen dieses peratureinfluß Gefahr läuft, sauer zu werden? Wir
Naturprodukt mit sehr erheblichen Kosten, mit möchten hoffen, daß das Ministerium alles tut, auf
einer echten Wertminderung zunächst einmal aus- diesem Weg auch durch Förderung mit staatlichen
einander und bringen es nachher wieder künstlich Mitteln zu helfen, und wir gehen hier durchaus
zusammen, indem wir auf mit Magermilchpulver mit unserm Bundeswirtschaftsminister einig, wenn
angereichertes Brot mit Butter versetzte Margarine er der Auffassung ist, daß man gerade den Volks-
aufstreichen. Daß das außerdem eine für breite kühlschrank fördern und möglichst billig an den
Schichten unerträgliche Belastung der Lebenshal- Verbraucher heranbringen sollte.
tungskosten ist, das ergibt sich einfach aus dem
notwendigen Aufwand für diesen Verarbeitungs- Solange dieser Weg aber noch nicht gegangen
werden kann, ist es Pflicht der Volksvertretung,
prozeß. sich mit den momentanen Zuständen auseinander-
Deshalb sollten wir, glaube ich, wirklich einmal zusetzen und vorübergehend Wege zu suchen, wie
versuchen, die Sache von der andern Seite her an- der wirklich schlechte Milchpreis in den Grünland
zupacken. Wir sollten ruhig erkennen, daß es auf gebieten verbessert werden kann. Wir sind uns be-
dem bisherigen Weg nicht weitergeht und daß das, wußt, daß man ihn nicht allein etwa durch einen
was wir mit den Mitteln der Marktordnung hier hohen Butterpreis ändern kann, weil die Gefahr
versucht haben, zu keinem nennenswerten Erfolg besteht, daß der Verzehr dann zurückgeht. Aber
geführt hat. Im Gegenteil, die Situation, gekenn- einen Vorwurf kann ich Ihnen, Herr Minister, bzw.
zeichnet durch die Auszahlungspreise, ist von Jahr Ihrem Vorgänger, hier allerdings nicht ersparen:
zu Jahr unbefriedigender geworden. Wir brauchen Sie sind ja erst kurze Zeit für dieses Ressort ver-
vor dieser Erkenntnis keineswegs die Segel zu antwortlich. Wenn man davon spricht, daß die
streichen. Wir müssen nur nach den wirksameren deutsche Produktion so hoch sei, daß auf dem
Mitteln suchen. Wir werden das nur schaffen, wenn Markt nicht mehr aufgenommen bzw. an Butter
wir uns ganz offen und ganz eindeutig von den nicht mehr verzehrt werde, so ist Ihnen doch genau
überkommenen Vorstellungen und von den krampf- so wie mir die Tatsache bekannt, daß trotzdem von
haften Versuchen frei machen. das, was nun ein April bis November 4400 t ausländische Butter ein-
paarmal nicht gegangen ist, noch einmal zu fordern, geführt worden sind. Was hat es denn für einen
zu unternehmen und zu probieren. Das wird uns Wert, wenn wir für einen saisonalen Ausgleich auf
keinen Schritt weiterhelfen. Kosten der Bauern privatim 5000 t aus dem Markt
Es ist hier nicht beantragt worden, den Ernäh- herausgenommen haben und anschließend durch
rungsausschuß mit der Weiterbehandlung der die staatliche Einfuhr- und Vorratsstelle 8000 t?
Großen Anfrage und dessen, was mit ihr gewollt Dann werden diese Selbsthilfemaßnahmen oder die
188 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Bauknecht)
Maßnahmen des Staates wieder blockiert. Ich habe „schlechten Preis", der vorhin genannt wurde, nicht
die Bitte an Sie, Herr Minister, und auch an das noch 1 oder 1 1/2 Pfennig Stützungspreis enthalten
Kabinett, daß man bei den kommenden Handels- wäre, so wäre der Milchpreis noch niedriger. Natür-
vertragsverhandlungen mit Dänemark und Schwe- lich, Herr Kriedemann, wissen wir, daß die Marga-
den klipp und klar sagt, daß wir eben keine Butter rine zu einem Volksnahrungsmittel geworden ist,
weiter brauchen und daß die deutsche Produktion und es wird auch niemand dasein, der hier eine
bereits zu hoch ist. andere Behauptung aufstellen wollte. Wir wissen
(Zuruf: Dann werden die auch keine deut auch, daß sich die Qualität der Margarine sehr ge-
schen Maschinen mehr brauchen!) bessert hat. Aber, Herr Kriedemann, Sie wissen
doch auch, daß in den Ländern, in denen die Roh-
— Dann müssen sie einen anderen Weg weisen; stoffe für die Margarine erzeugt werden, mit billig-
denn der Milchpreis ist nun einmal der Lohn für sten Löhnen gearbeitet und damit der deutsche
den kleinen Bauern. Darüber besteht gar kein Bauer in seinem Lohn gedrückt wird.
Zweifel, und es wird niemand dasein, der etwa
behaupten wollte, daß man Milchwirtschaft nur aus Zum Schluß darf ich an das anknüpfen, was ich
Passion betreibt. Man kann in gewissen Gebieten. vorhin angedeutet habe: Man darf diese Gebiete
in denen die Niederschlagsmenge hoch ist und das nicht im Stich lassen; denn sie haben keine Mög-
Gelände hügelig ist, eben keinen andern Betriebs- lichkeit zur Umstellung. Solange wir noch nicht zu
zweig aufmachen. dem Idealzustand gekommen sind, daß man in den
Städten bei den Verbrauchern wirklich einen stär-
Herr Kriedemann, ich teile Ihre Auffassung nicht, keren Milchverzehr erreicht, hat die Regierung die
die Sie vorhin geäußert haben, daß eine Erhöhung Pflicht, hier mit Stützungsmaßnahmen einzu-
des Milchpreises um einen Pfennig den Erzeugern greifen, und zwar sofort!
vielleicht nicht zugute käme. Sie hätten einmal die (Beifall in der Mitte und rechts.)
Kämpfe mitmachen müssen, die beispielsweise
zwischen den Bauernverbänden und den Molke- Präsident D. Dr. Ehlers: Weitere Wortmeldungen
reien ausgefochten worden sind, bei denen es um liegen nicht vor, damit ist dieser Punkt der Tages-
den letzten Zehntelpfennig gegangen ist der her ordnung erledigt.
usgeprßtwidnachusgezltwird. Ich rufe auf Punkt 4:
(Abg. Kriedemann: Was haben Sie dabei er --a
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion
reicht? — Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Es der FDP betreffend Preis und Lohn in der
sind doch dieselben Leute!) Landwirtschaft (Drucksache 63).
— Dieselben Leute? Wir haben zahlreiche private Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Preiß.
Betriebe! Die Begründungszeit beträgt 20 Minuten.
(Abg. Kriedemann: Was haben Sie dabei
erreicht?) Dr. Preiß (FDP): Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Es ist in gewissem Sinne bedauerlich,
Es ist auf der andern Seite ein Verwertungspro daß eine Spezialdebatte, eine Debatte über nur
blem in bezug auf Käse. Ich möchte hier nicht allzu einen Zweig der Landwirtschaft, wenn auch einen
viel sagen; wir haben genug Zahlen gehört. Aber sehr bedeutsamen Zweig, einen so erheblichen Teil
das eine möchte ich hier betonen. Wenn ein vor unserer Zeit in Anspruch genommen hat und da-
übergehender Weg — und es gibt keinen anderen —, durch vielleicht die Aufmerksamkeit oder das Inter-
die Magermilch haltbar zu machen, die Trocknung esse für das Zentralanliegen der Landwirtschaft
ist, so muß man auch Mittel und Wege finden, die in ihrem Verhältnis zu der Gesamtwirtschaft oder
Trockenmilch zu verwerten. Ich gehe mit Ihnen zu Volk und Staat zu kurz kommen könnte. Diesem
einig, daß es ein gewisser Umweg ist, wenn man Anliegen dient aber unsere Große Anfrage, die
die Magermilch ins Brot bringt; aber, Herr Kriede ich die Ehre habe einzubringen.
mann, Sie sind doch auch mit mir der Auffassung,
daß das Brot dann mit bestem Eiweiß angereichert Die Landwirtschaft der Bundesrepublik hat nach
wird und daß auch die leicht verdaulichen Mineral 1945, insbesondere aber nach der Währungsreform,
salze von den Menschen bewußt oder unbewußt zur nachdem ihr wieder die erforderlichen Produk-
Förderung ihrer Gesundheit aufgenommen werden. tionsmittel in genügendem Umfange zur Verfügung
gestellt werden konnten, den laut an sie gerichteten
(Abg. Kriedemann: Die kriegen sie in der Appell nach rascher Mehrleistung zur Verbesserung
Vollmilch aber besser und billiger!) der Nahrungsmittelversorgung unseres Volkes,
Herr Minister, wenn die Möglichkeit im Augen- aber auch zur Entlastung der sehr schmalen De-
blick nicht besteht, diesen großen Überhang an visendecke zur erleichterten Einfuhr von Rohstof-
Magermilchpulver nun zu annullieren, so glaube fen und Halbfertigwaren sehr willig aufgenommen
ich, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle trotzdem und in relativ kurzer Zeit erstaunliche Mehrleistun-
die Pflicht hat, diese Magermilchpulver-Bestände gen erbracht. Betrug im Jahre 1947/48 die Gesamt-
aufzunehmen, und dann nötigenfalls, etwa mit erzeugung in Getreidewert ausgedrückt in der Bun-
staatlichen Mitteln, auf einen Preis herunterzu- desrepublik 19 Millionen Tonnen oder 16,4 Doppel-
schleusen, bei dem sie verfüttert werden können. zentner je Hektar, so steigerte sich diese auf das
Der Markt muß entlastet werden. Es kann auf Wirtschaftsjahr 1952/53 auf insgesamt 37 Millionen
keinen Fall so weitergehen, daß die Leute in den Tonnen Getreidewert oder 28,6 Doppelzentner je
Grünlandgebieten bestraft werden. Sie stellen sich Hektar. An diese außerordentlich starke Intensivie-
vor, daß man das aus den Milchausgleichsgeldern rung der Flächenleistung, die fast einer Verdop-
machen könnte. Ich glaube, daß das nur bis zu pelung in dieser kurzen Zeit gleichkommt, ist die
einem bestimmten Punkte möglich ist. Ich kann Landwirtschaft natürlich in der selbstverständ-
Ihnen hier sagen, daß wir unsere Landesmittel bei- lichen Erwartung herangegangen — die wohl jedem
spielsweise bisher schon vollauf zur Stützung der Erwerbszweig eigen ist —, daß ihr gemäß den
Werkmilchpreise verwendet und nahezu alles zur Mehrleistungen auch ein entsprechend wachsender
Auszahlung gebracht haben. Wenn nämlich in dem der privater Erfolgsanteil zukomme, mit dem sie
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 189
(Dr. Preiß)
insbesondere in der Lage sei, ihre fleißigen Mit- Tag auf ihren Barlohn verzichtet haben zugunsten
arbeiter angemessen zu entlohnen und den auch dringend notwendiger Anschaffungen im Betrieb.
in der Landwirtschaft allgemein anerkannten, drin- Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren,
gend notwendigen Modernisierungs- oder Ratio- liegt das, was ich als die tiefere Ursache der star-
nalisierungsprozeß, Herr Kollege Kriedemann, so ken, immer mehr zunehmenden Unzufriedenheit
rasch wie irgend möglich durchzuführen, aber auch auf dem flachen Lande bezeichne, die stellenweise
finanziell meistern zu können. In dieser Doppeler- sogar zur Resignation geworden ist. Nämlich alle,
wartung der Möglichkeit ausreichender Entlohnung angefangen von den Schulpflichtigen, die schon
der Mitarbeiter und beschleunigter Rationalisie- fleißig mitarbeiten, bis zu den ergrauten Alten-
rung der Betriebe sieht sich die Landwirtschaft teilern, die noch bis zum Rande ihrer Kraft mittun,
rückschauend bitter enttäuscht. sehen so gut wie keine Barentlohnung ihrer mühe-
vollen Arbeit. So nimmt auch die Abwanderungs-
Das Problem Landflucht — oder wie ich es hier
tendenz der nachgeborenen Söhne und Töchter —
schon einmal bezeichnete: Flucht aus der Landarbeit
— wird wieder so lebhaft erörtert wie seit langen zumindest dieser — immer stärker zu, weil sie aus
den Erfahrungen der letzten Jahre haben erkennen
Jahren nicht mehr. Dabei deckt sich unseres Erach
müssen, daß es den Eltern nicht möglich ist, Rück-
tens die augenblickliche Erscheinung nicht unbe-
dingt mit der früheren Abwanderung des Bevölke- lagen für sie zu bilden, um sie nach sechs, acht oder
zehn Jahren braver Mitarbeit entsprechend aus-
rungsüberschusses vom flachen Lande in die Stadt
statten oder aussteuern zu können.
und damit in die gewerbliche Wirtschaft, was eine
durchaus normale Erscheinung eines wachsenden Wenn die familienfremden Arbeitskräfte so stark
Volkes ist und es auch bei uns lange Jahrzehnte die Arbeit aufgegeben haben, dann hat das, wenn
hindurch war. In den letzten Jahren handelt es sich man auch durchaus viele psychologische Neben-
mehr und mehr um eine eindeutige Aufgabe oder gründe anerkennen mag, seinen entscheidenden
Verweigerung der Aufnahme landwirtschaftlicher Grund in dem großen Lohnabstand gegenüber dem
Arbeit aus dem doch nun mal entscheidendsten in allen Zweigen der gewerblichen Wirtschaft in-
Grund — der kann nicht bestritten werden — un- zwischen erreichten Durchschnittslohn. Wir müssen
gleich geringerer Entlohnung als in fast allen dabei berücksichtigen, daß man auf dem Dorf, wo
Zweigen der sonstigen Wirtschaft. Darum muß ein- jeder jeden kennt, wo alle dicht beieinander woh-
mal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, nen, sehr genaue Vergleiche von Mann zu- Mann
daß schon seit Jahren eine immer wachsende Zahl und von Familie zu Familie hinsichtlich der
von landwirtschaftlichen Betrieben ihre Arbeits- Schwere und Verantwortung der zu leistenden Ar-
spitzen überhaupt nicht mehr mit Dauerarbeits- beit, aber auch hinsichtlich des Lohnes zieht.
kräften zu leisten vermag, sondern oft genötigt ist,
auf gut bezahlte, wenn auch meist schwarz bezahlte Sie könnten nun einwenden, das seien doch wohl
Erwerbslose zurückzugreifen. Das Betrübliche da- alles mehr stimmungsmäßige Eindrücke, die dem
bei ist, daß diese Abwanderung von nahezu einer Gesetzgeber nicht allzugroße Veranlassung geben
halben Million Menschen aus der Landarbeit seit könnten, sich intensiv einer solchen Sache anzu-
der Währungsreform nicht nur auf familienfremde nehmen oder mit der Gesetzgebung etwas zur Ab-
Arbeitskräfte beschränkt geblieben ist, sondern daß stellung solcher Stimmungen zu tun. Mir will aber
sie in zunehmendem Maße auch die familieneigenen scheinen, daß genügend objektive Tatbestände vor-
Arbeitskräfte, die nachgeborenen Bauernsöhne und liegen, um diese Stimmungen begreiflich zu machen.
-töchter, erfaßt, ja stellenweise sogar bereits auf Hierzu einige Angaben aus einer Fülle von in-
Anerbenberechtigte übergegriffen hat. zwischen angestellten Untersuchungen und Berech-
In gleichem Maße nun, wie sich die Beschaffung nungen aller möglichen Art. Zunächst einige
oder Erhaltung ausreichender Arbeitskräfte in den statistische Daten. Der Anteil der landwirtschaft-
Betrieben erschwerte, ergab sich die dringende Not- lichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung be-
wendigkeit einer raschen Motorisierung und Tech- trug nach der letzten Volkszählung 15 %, ihr An-
nisierung, um mit dem Arbeitsvolumen überhaupt teil an der Zahl der insgesamt Beschäftigten 22 %
fertig zu werden. Diese Maßnahmen wurden dann und ihr Anteil am Volkseinkommen 12 %.
leider nicht mit Eigenmitteln, sondern in erheb- (Hört! Hört! rechts.)
lichem Umfang mit Hilfe von mittel- und kurz-
fristigen, sehr aufwendigen Krediten durchgeführt, Selbst wenn man berücksichtigt, daß die Beschäfti-
die im Jahr die immerhin nicht unbedeutende gungsintensität bei allen als „in der Landwirtschaft
Summe von durchschnittlich 700 bis 800 Millionen tätig" bei der Volkszählung Registrierten nicht der
DM ausmachten. So wurde bis jetzt eine Verschul- Vollbeschäftigung entspricht, und man hier ent-
dung der Landwirtschaft mit insgesamt etwas über sprechende Abzüge macht, bleibt doch unverkenn-
5 Milliarden DM herbeigeführt. Dabei kann nüch- bar noch eine beachtliche Diskrepanz.
tern festgestellt werden, daß viele dieser neuen Zweitens einige Indizes, deren Problematik wir
Investierungen durchaus Augenblickszwangslagen alle kennen, die aber als Hilfsmittel für Vergleiche
entsprangen und sehr oft nicht betriebswirtschaft- nun einmal nicht entbehrlich sind; denn wenn,
lichen Zweckmäßigkeiten entsprachen. Auch daraus dann beinhalten alle Indizes diese Problematik und
resultieren sehr bedenkliche Liquiditätsschwierig- nicht nur die Indizes, die für landwirtschaftliche
keiten sehr vieler Betriebe. Produkte oder Löhne oder andere Dinge herange-
Es mag eingewandt werden, daß die Neuinvestie- zogen werden. Der Index für landwirtschaftliche
rungen wertmäßig mehr ausmachen als diese Erzeugnisse gemessen am Jahre 1938 = 100 steht
durchaus tragbare Belastung von fünf Milliarden zur Zeit auf 194, der Index für die sächlichen Be-
für einen solch bedeutsamen Vermögensträger, wie triebsmittel für die Landwirtschaft auf 207, der für
ihn die Landwirtschaft darstellt. Das ist richtig, sie die tariflichen in der Landwirtschaft gezahlten
machen wertmäßig mehr aus; aber es ist zu be- Löhne auf 246, der Index für Nahrungsmittelgrund-
rücksichtigen, daß die Verschuldung nur deshalb in stoffe bei 203, der Index für die Industriegrund-
diesen Grenzen geblieben ist, weil die gesamten stoffe bei 279. Nach Feststellungen des Ifo-Instituts
mitarbeitenden Kräfte der Familie seit Jahr und München beträgt die Einkommenszunahme 1952/53
190 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Preiß)
gegenüber dem Vorjahr in der gesamten gewerb- wichtige und im allgemeinen mit nicht unbedeuten
lichen Wirtschaft im Durchschnitt plus 8 %, in der der Verantwortung belastete Landarbeit als für
Landwirtschaft minus 5 %. Analphabeten oder geistig Zurückgebliebene vorbe-
halten ansehen zu können. Unsere Mitarbeiter
(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt
draußen bei einer so intensiv geführten Landwirt-
den Vorsitz.)
schaft sind durchaus angelernte Arbeiter, ja zum
Seit 1949 beträgt die Einkommenszunahme in der großen Teil sehr beachtliche Facharbeiter.
gewerblichen Wirtschaft 77 % , in der Landwirt- (Sehr richtig! rechts.)
schaft 42 %. Bei Berücksichtigung dieser Tatsachen dürfte diese
Drittens dürften die Arbeiten von Herrn Mini- Überlegung des Ifo-Instituts absolut angebracht
sterialrat Dr. P a d b e r g, der sich weit über sein sein. Sie führt aber dann zu einer Disparitäts-
Ressort hinaus größter Anerkennung als objektiver summe von 1,5 Milliarden DM pro Jahr.
Wissenschaftler erfreut, von außerordentlicher Be- Nicht zuletzt sei auf eine Veröffentlichung des
deutung und sehr beachtenswert sein. Sie wissen Deutschen Industrie-Institutes Bezug genommen,
wohl zum großen Teil, daß er seit Jahren die Wirt- das eine sehr :interessante Aufstellung über die
schaftsbilanz für die Landwirtschaft zieht. Er Verwendung des Sozialprodukts je Kopf der Bevöl-
kommt dabei, indem er von den Verkaufserlösen kerung angestellt hat, und zwar sind in Vergleich
zunächst die baren Betriebsausgaben, dann die per- gesetzt die Veränderungen von 1948/49 gegenüber
sönlichen Steuern und Abgaben und schließlich 1936 und von 1952 gegenüber 1948/49. Ich will
einen Barlohnanspruch der familieneigenen Voll- mich infolge der Zeitnot darauf beschränken, die
arbeitskräfte abzieht, zu einer eigentlichen Über- zuletzt genannten zu zitieren. 1952 haben sich da-
schuß- oder Reinertragszahl. Diese Aufstellung, auf nach gegenüber 1948/49 die Ausgaben pro Kopf
eine Reihe von Jahren verglichen, sieht folgender- der Bevölkerung bei den Nahrungsmitteln um
maßen aus, und nur diese Zahlen, die nun wirklich 17,8 %, bei den Genußmitteln um 70,2 %, bei der
unter dem Strich stehen, geben einen Anhaltspunkt Bekleidung um 100 %, bei Möbeln und Hausrat um
für die Gesamtlage oder -entwicklung, wie sie sich 96,5 %, bei Heizung und Beleuchtung um 46,4 %,
bisher vollzogen hat. Für die Jahre 1935/38 ermit- bei Körper- und Gesundheitspflege um 94,1 % und
telt Dr. Padberg im Durchschnitt einen echten bei Wohnungsnutzung um 11,6 % erhöht. Hieraus
Überschußbetrag von 128 Millionen Mark, für wollen Sie ersehen, daß, abgesehen von den- Aus-
1949/50 einen Minusbetrag von 952 Millionen DM, gaben für Wohnung, auf keinem Verbrauchsgebiet
für 1950/51 einen Minusbetrag von 707 Millionen eine relativ so geringfügige Zunahme der Ausga-
DM und für 1951/52 einen Überschußbetrag von ben zu verzeichnen ist wie bei den Nahrungs-
101 Millionen DM. Sie sehen, daß lediglich im Jahr mitteln.
1951/52, das klimatisch einen sehr günstigen Ver- Ich habe all diese Quellen verwandt, von denen
lauf nahm und eine Rekordernte bei fast allen wohl niemand sagen kann, sie stünden auch nur
Zweigen der Landwirtschaft brachte, ein Überschuß in dem leisesten Verdacht, einseitige und zu-
von 101 Millionen DM erzielt wurde. Diese Zahl gunsten der Landwirtschaft gefärbte Tatbestände
bedeutet aber nur die eigentliche Verzinsung des zu vermitteln.
Anlagekapitals, und unter diesem Gesichtspunkt (Sehr richtig! rechts.)
betrachtet dürfte sie noch außerordentlich gering Alle diese Feststellungen beziehen sich aber allge-
sein. mein auf die unbestreitbare und auch von genü-
Obwohl die endgültigen Zahlen für das letztab- gend breiter Öffentlichkeit anerkannte Disparität
gelaufene Wirtschaftsjahr 1952/53 noch nicht vor- in der Landwirtschaft schlechthin.
liegen, kann hier schon im voraus gesagt werden, Nun wäre eine Menge zu sagen über die unter-
daß es sehr viel ungünstiger abschließen wird als schiedlichen Rückwirkungen dieses Tatbestandes
das vorausgegangene Jahr, weil nämlich im Gegen- auf die verschiedenen Betriebszweige und Betriebs-
satz zu dem vorausgegangenen Jahr ein ungünsti- größen. Das verbietet mir wiederum die kurze
ger Witterungsverlauf weite Landstriche mit einer Zeit. So viel sei aber noch festgestellt, daß es sich
ausgedehnten Trockenheit überzog und weil sich im Gegensatz zu früheren Agrarkrisen zur Zeit
durch Ertragsminderungen, aber auch durch erheb- weniger um Krisen der größeren, arrondierten und
liche Preiseinbrüche auf wichtigen Märkten für in der technischen Entwicklung schon weiter fort-
Veredelungsprodukte die Einnahmen verringerten, geschrittenen Betriebe handelt, bei idenen die Ur-
während sich die Tendenz steigender Betriebsmit- produktion einen größeren Anteil an ihrem Markt-
telpreise und Löhne nachhaltig fortsetzte. verkauf einnimmt. In der Hauptsache beziehen
Als vierte Quelle möchte ich das Wirtschaftswis- sich die krisenhaften Rückwirkungen vielmehr —
senschaftliche Institut der Gewerkschaften heran- das hat die vorausgegangene Spezialdebatte ja wohl
ziehen, das vor einiger Zeit nachgewiesen hat, daß allen Damen und Herren klarwerden lassen —
sich allein von Februar 1950 bis August 1952 die auf die Masse der bäuerlichen Mittel- und Klein-
Agrarpreise indexmäßig gegenüber 1938 nur um betriebe mit ihrer sehr starken Veredelungspro-
30 Punkte verschoben haben, die Betriebsmittel duktion.
preise aber um 52. (Sehr richtig! rechts.)
Fünftens möchte ich mich auf eine ausführliches In diesen Kreisen, die Sie bei allen Anstrengungen
Gutachten des Ifo-Institutes in München beziehen, nicht zu routinierten Marktwirtschaftlern erziehen
das nunmehr in einer ersten Arbeit dieser Art können, ist die Unsicherheit sehr groß geworden,
bei Gegenüberstellung von Gesamteinnahmen und weil sie sich gegen die laufenden Schwankungen
-ausgaben unter Einberechnung eines Paritäts- und zum Teil bizarren Veränderungen ihrer Märkte
lohnes für alle Vollarbeitskräfte in der Landwirt- nicht zur Wehr zu setzen oder ihnen nicht wir-
schaft einen Paritätslohn zu dem angelernten Indu- kungsvoll genug zu begegnen wissen. Sie brauchen
striearbeiter, Ortsklasse III, festgestellt hat. Wohl nicht eine Festpreisregelung, aber eine gewisse
niemand wird diesen Anspruch im Ernste streitig Stabilhaltung ihrer wichtigsten Verkaufsprodukte
machen können; denn die Zeiten dürften endgültig in der Marktnotierung — daran hat, glaube ich,
der Vergangenheit angehören, wo man glaubte, auch die gesamte übrige Wirtschaft ein großes
2. Deutscher Bundestag -- 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 191
(Dr. Preiß)
Interesse , um von der Unruhe dauernder Auf-

Ich habe nach diesen von Ihnen so sachlich vorge
und Abbewegungen der Preise für notwendige tragenen Momenten, über die selbstverständlich
Lebensmittel wegzukommen. Hierin ist Meines Er- diskutiert werden muß; keinen Zweifel, daß wir auf
achtens die entscheidende Frage der heutigen Agrar- breitester Ebene in diesem Hause auch für das
politik zu sehen. Gesamtanliegen — Erhaltung einer !auskömmlichen
Es handelt sich dabei nicht nur um eine rein und für notwendig erachteten Rentabilität auch in
ökonomische, sondern um eine weit darüber hinaus den bäuerlichen Wirtschaften - zu einer guten Zu-
gewachsene staatspolitische, zozielogische oder auch sammenarbeit und damit auch zu entsprechenden
allgemein soziale Frage, nämlich die, ob wir unser Erfolgen kommen werden.
reich gegliedertes, in seiner Struktur so engmaschi- (Abg. Kriedemann: An unserem Widerstand
ges Bauerntum erhalten können oder ob wir es von hat es auch in den vergangenen vier
einer ausländischen Konkurrenz,, die unter ,günsti- Jahren nicht gelegen!)
geren 'natürlichen wie allgemein wirtschaftlichen
Bedingungen produziert, erdrücken lassen wollen. Wir freuen uns, 'feststellen zu können, daß auch
der Herr Bundeskanzler schon vor eineinhalb Jah-
Ich möchte es kurz machen, weil mich schon das ren diesem Problem sehr real gegenübergetreten
Schlußlicht mahnt, aber doch noch auf eine Äuße- ist und daß er auch im letzten Sommer, noch
rung Bezug nehmen — sie ist mir erst kürzlich vor den Bundestagswahlen, hochoffizielle Veran-
bekanntgeworden —, die angeblich vor etwa einem staltungen der Berufsorganisationen auf diesem
Jahr der ausgeschiedene Herr Bundesernährungs- Sektor wahrgenommen und dort bestimmte Er-
minister Dr. Niklas auf einer agrarwissenschaft- klärungen abgegeben hat, wie er auch in seiner
lichen Tagung in Bad Kreuznach gemacht haben, Regierungserklärung die Dinge sehr nachhaltig an-
soll. Er hat sich dort sehr eingehend zunächst mit gesprochen hat. Ich habe deshalb im Auftrage mei-
der Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Ver- ner Fraktion die vorliegende Anfrage zu stellen:
ediungsproduktion gegenüber günstigeren Liefer- Der Herr Bundeskanzler hat am 17. Februar
ländern auseinandergesetzt und soll dann sinnge-
mäß gesagt haben, die Weltwirtschaft sei grausam, 1951 vor Vertretern der Landwirtschaft erklärt:
und sie werde in den nächsten Jahren bei uns „Das landwirtschaftliche Preisniveau, das
70-bis8 äuerlchExtnzvie. weitgehend durch innerwirtschaftliche und
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir pflich- handelspolitische Maßnahmen beeinflußt - wer-
ten Herrn Minister a. D. Niklas bei, daß die Welt- den kann, muß meiner Überzeugung nach
wirtschaft grausam, ja sehr grausam sein kann. in einer Parität zu den übrigen Preisen der
Wenn man sie sich hemmungslos, etwa nach einem deutschen Wirtschaft gehalten werden, ins-
unbeeinflußten weltweiten Laissez faire, laissez besondere zu den Löhnen und hier wiederum
aller, entwickeln lassen wollte, dann ist ja auch bei in erster Linie zu den landwirtschaftlichen
uns nicht Schluß bei der Vernichtung von 700 000 Löhnen."
bis 800 000 bäuerlichen Existenzen, sondern wird In der Regierungserklärung vom 2. Oktober
i) eine ebenso große Zahl von mittelständischen Exi- 1953 hat der Herr Bundeskanzler ähnlich lau-
stenzen aus Handwerk und Gewerbe in die Ver- tende Erklärungen abgegeben.
nichtung einbezogen werden. Diese Entwicklung,
meine Damen und Herren, kann doch wohl nie- Wir fragen daher:
mand von uns in diesem Hause gutheißen oder ihr Bis wann und in weicher Weise gedenkt die
tatenlos zusehen wollen. Bundesregierung die Gleichstellung der Land
Der neue Herr Minister für Ernährung, Land- wirtschaft in Preis und Lohn mit den übrigen
wirtschaft und Forsten Dr. Lübke hat uns seit Wirtschaftsgruppen herbeizuführen?
seiner Amtsübernahme eine Reihe von Vorschlä- (Beifall bei der FDP und in der Litte.)
gen darüber mitgeteilt, wie er dass Problem der
Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der all- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr
gemeinen Leistungssteigerung der Betrie be anzu- Bundesminister Lübke.
fassen gedenkt. Er hat in allen diesen Vorhaben
unsere volle Unterstützung, weil wir sie auch für Dr. h. Lübke, Bundesminister für Ernährung,
c.
unerläßlich halten und es für angebracht ansehen, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident!
baldmöglichst mit ihnen zu beginnen. Aber ein- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf,
wenden möchte ich im Auftrage meiner Fraktion, bevor ich zur Sache komme, noch eine abschließende
daß sie alle stark in die Zukunft weisen und wegen Bemerkung zur Beratung der Großen Anfrage des
der für sie notwendigen erheblichen Aufwendun- Abgeordneten Dr. Horlacher machen. Falls einige
gen nicht so rasche und durchschlagende Änderun- der hier gegebenen Anregungen noch im Ausschuß
gen der Verhältnisse herbeizuführen in der Lage weiter behandelt werden sollen, wie angedeutet
sein werden, wie es aus der augenblicklichen wurde, wird es notwendig sein, dazu einen beson-
Situation heraus geboten erscheint. deren Antrag einzubringen.
Deshalb sind wir der Meinung, daß sofort oder Des weiteren möchte ich sagen, daß ich zu der
wenigstens baldigst alle anderen Möglichkeiten, die Einladung von Herrn Dr. Horlacher, ins Allgäu zu
nun einmal zur Verfügung stehen, Möglichkeiten kommen und dort etwas zu lernen, gern ja sage.
der Handelspolitik, der Kreditpolitik, der Steuer- Ich hoffe, daß die Schule, in die ich dort gehen muß,
politik und viele andere mehr, benutzt werden soll- nicht allzu lange dauert!
ten, um der ungesunden und krisenhaften Ent-
wicklung steuern zu können. Ich bin mit Ihnen, (Heiterkeit. — Abg. Kriedemann: Vor allem,
sehr geehrter Herr Kollege Kriedemann, nicht daß Sie lebend wieder herauskommen!)
immer so eins gewesen wie in dem, was Sie vorhin Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage
zu dem Spezialproblem Milch ausgeführt haben. der FDP begrüße ich insoweit, als uns die heutige
(Abg. Kriedemann: Sie können es ruhig ein Debatte und die Beratung in den Ausschüssen der
bißchen öfter sein, Herr Abgeordneter!) Klärung dieses sehr schwierigen Fragenkomplexes
192 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
näherbringen werden. Die Auffassungen über die durch Massenanwendung von Kunstdünger auf den
Bedeutung und die Möglichkeiten eines auf der kleineren Flächen so erhebliche Erträge erzielt, daß
Forderung nach Parität aufgebauten Gesetz- das, was mit der Einschränkung der Anbaufläche
gebungswerkes sind außerordentlich verschieden. erreicht werden sollte, auf diese Weise wieder aus-
Für die einen bedeutet Parität in der Landwirt- geglichen wurde.
schaft ein Zaubermittel, mit dem die Landwirt- Die Ergebnisse dieser landwirtschaftlichen Preis-
schaft auf die Dauer rentabel gemacht werden stützung bzw. Paritätssicherung in den USA waren
kann sowie Lohn und Preis usw. in Ordnung kom- folgende: Die Vereinigten Staaten von Nordamerika
men. Für die anderen bedeutet die Parität eine wurden dadurch dreimal — einmal in der großen
Utopie, mit der man in der Praxis nichts anfangen Dürre in den Jahren 1934 bis 1936 — vor einer
kann. Krise gerettet, und verschiedene Nachbarländer
Um diese Dinge zu klären, die man nicht einfach ebenfalls. Weiterhin konnten die USA bei Eintritt
mit Schlagworten abtun kann, ist es notwendig, in den Zweiten Weltkrieg über enorme Reserven
den Problemen gründlich zu Leibe zu gehen und verfügen. Nach dem Kriege, insbesondere auch in
sich zu fragen: Können wir, wie etwa andere Län- der Korea-Zeit, konnten sie nicht nur den Kriegs-
der, in der Weise vorgehen, daß wir ein Paritäts- schauplatz versorgen, sondern darüber hinaus alle
gesetz beschließen und es dann dem Staat über- in Not geratenen Länder, wie z. B. Deutschland.
lassen, durch Anhebung der Preise oder durch Zu- Man kann aber im normalen Ablauf der Zeit nicht
schüsse auf diesem Gebiet weiterzukommen? erwarten, daß Amerika noch einmal derartig gün-
Man beschäftigt sich ja nicht nur in Deutschland stige zwanzig Jahre haben wird. Denn wenn Frie-
mit diesen Fragen. Die Diskussion hat weltweite den bleibt - was keiner von uns weiß —, wird
Ausmaße angenommen. In Europa haben die Länder nicht dreimal in zwanzig Jahren der Fall eintreten,
England, Schweden und die Schweiz auf- diesem daß die Vereinigten Staaten auf sehr einfache Weise
Gebiet Erfahrungen gesammelt; die größten Er- von ihren Riesenvorräten befreit werden. Deshalb
fahrungen haben aber die Vereinigten Staaten von denkt man heute in Amerika daran, dieses System
Nordamerika. abzubauen, weil es auf der einen Seite ungeheure
Unter Paritat im landwirtschaftlichen Sektor Kasten verursacht hat, Kosten in einem Ausmaß,
versteht man heute landwirtschaftliche Preis- bzw. wie sie bei uns gar nicht denkbar wären -- bis zu
Einkommensverhältnisse, wie sie in einer als nor- 25 Milliarden DM wurden in guten Erntejahren für
mal angesehenen Vergleichszeit bestanden. Man Preisstützung ausgegeben —, weil außerdem der-
versteht weiterhin darunter Bestrebungen zur An- artige. Vorräte anwachsen, daß man keine Möglich-
gleichung des landwirtschaftlichen Einkommens an keit mehr sieht, sie überhaupt unterzubringen, ge-
dasjenige Einkommen, das bei vergleichbaren schweige denn zu verkaufen. Wenn nun die Ameri-
Tätigkeiten im gewerblichen Sektor erzielt werden . kaner, den in ihrem Lande erwogenen Plänen fol-
kann. Neuerdings versteht man unter landwirt- gend, die Paritätspreise auf Kosten der Verbraucher
schaftlicher Parität in einer ungenauen Umdeutung halten, im übrigen aber in Kauf nehmen, daß in-
dieses Wortes auch die Parität zwischen Aufwand folge Hergabe dieser Riesenmengen die Preise auf
und Ertrag, also die sogenannte Aufwand-Ertrag- dem Weltmarkt sehr stark sinken, so bedeutet das
Parität, für die man aber keine Vergleichszeit bzw. unter Umständen- eine völlige Deroute der land-
keine Vergleichswerte zu einer Basiszeit vorweisen wirtschaftlichen Preisverhältnisse auf dem Welt-
kann, die infolgedessen eigentlich auch nicht Pari- markt und damit eine Störung der Agrarpolitik in
tät genannt werden dürfte. Aber gerade die letzt- sämtlichen Ländern.
genannte Parität wird in den kernmenden Ausein- In der Schweiz hat man eine im Landwirtschafts-
andersetzungen eine erhebliche Rolle spielen. Man gesetz verankerte Preispolitik darauf abgestellt,
unterscheidet nach dem Gutachten des Wissen- daß die Erzeugerpreise mehrerer Jahre die mitt-
schaftlichen Beirats beim Bundesernährungsmini leren Produktionskosten rationell geführter Betriebe
sterium Paritätspreissysteme und Paritätseinkom- decken sollen. Die Schweiz hat aber mit diesen
menssysteme. Maßnahmen noch nicht so viele Erfahrungen ge-
wonnen, daß man daraus lernen könnte. Es ist
Entsprechend den zahlreichen Möglichkeiten, die außerdem in diesem Gesetz bestimmt, daß die wirt-
auf diesem Gebiet denkbar sind, hat man im Aus- schaftliche Lage der übrigen Bevölkerung und ins-
land ganz verschiedene Lösungen entwickelt, und besondere der Verbraucher in Rechnung. gestellt
mit diesen Lösungen werden wir uns zweckmäßiger- werden soll. Damit sind die Bestimmungen so
weise zunächst einmal beschäftigen. dehnbar, daß man daraus eine wirksame Politik
In den Vereinigten Staaten wird seit etwa 20 Jah- wohl nicht entwickeln kann.
ren für die wichtigsten Agrarerzeugnisse laufend In Schweden zielt das System darauf ab, der
ein Paritätspreisniveau errechnet, das unter Zu-
Landwirtschaft das Realeinkommen von 1938/39 zu
grundelegung der entstandenen Unkosten und einer erhalten, wobei die Errechnung des für die einzel-
Basiszeit von 1910 bis 1914 den Paritätspreis angibt, nen Wirtschaftsjahre anzustrebenden Einkommens
den man durch Preisstützung erzielen will. Dieser von Betrieben bestimmter Größenordnung und
Preis wird bekanntgegeben; die Commodity Credit rationeller Bewirtschaftung ausgeht. Neuerdings
Corporation (CCC) erhält die Anweisung, die vor-
handenen landwirtschaftlichen Vorräte an den will man das landwirtschaftliche Einkommen —
wichtigsten Produkten, an Butter, an Getreide, an im Vergleich zu ganz bestimmten gewerblichen Be-
rufsgruppen — stabilisieren. Ob das leichter ist als
Fleisch usw., zu beleihen, und zwar von 60 bis zu nach dem bisherigen System, das sich offenbar nicht
90 % , je nach der Versorgungslage. Die Landwirt
schaftsverwaltung kann, wenn notwendig, eine Ein- bewährt hat, ist mir sehr zweifelhaft.
schränkung der Produktionsflächen anordnen. Letz- In England hat man eine sehr sorgfältige Arbeit
teres hat sich in Amerika als völlig nutzlos erwiesen. geleistet. Man hat die . Produktionskosten errechnet
Denn wenn die Farmer die Anbauflächen ein- und Preise festgelegt, die es ermöglichen, die Pro-
schränken mußten, haben sie die Bewirtschaftung duktionskosten zu decken. Diese Preise gehen nicht
der genehmigten Flächen derart intensiviert und direkt auf Kasten der Verbraucher, sondern werden
2. Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 10. Dezember 1953 19 3
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
vorn Staate übernommen. In den Jahren, in denen Paritätssystemen hier der Vorteil, daß alle auf die
England in dieser Einsicht am stärksten engagiert Kosten- und Ertragslage einwirkenden Einflüsse
war und damit die größten Opfer brachte, mußte es auf einen einzigen Generalnenner gebracht werden
jährlich etwa 7 Milliarden DM zahlen, um diesen können, nämlich auf den Vergleich der Gesamtein-
Ausgleich zwischen Produktionskosten und Ein nahmen mit den Gesamtausgaben. Danach würde
nahmen sicherzustellen. also in einem landwirtschaftlichen Betrieb die Auf-
Für uns wäre eine Nachahmung derartiger Pari- wand-Ertrag-Parität hergestellt sein, wenn die Er-
tätspreissysteme sowohl nach dem Vorbild der träge die entstandenen Kosten einschließlich einer
USA wie auch dem Englands schon aus diesem Kapitalverzinsung und einschließlich eines ange-
Grunde nicht möglich. Aus Schweden und aus der messenen Entgelts für den Betriebsleiter sowie für
Schweiz liegen wegen der dort ständig vorgenom- die mitarbeitenden Familienmitglieder und die
menen Änderungen noch wenig Erfahrungen vor, Fremdarbeiter decken, und zwar das Entgelt für
so daß wir auch auf ihnen nicht aufbauen können. die mitarbeitenden Familienmitglieder und die
So steht es also mit den theoretischen Überlegun- Fremdarbeiter in einem Ausmaß, das den Löhnen
gen und den praktischen Erfahrungen in der Welt. entspricht, die in der gewerblichen Wirtschaft in
vergleichbarer Tätigkeit gezahlt werden. Das ist
Den Erörterungen und Überlegungen über diese der entscheidende Punkt.
schwierige Frage, die die eigene, die deutsche Lage (Zuruf von der Mitte: Sonst hört die Land
betreffen, muß folgendes vorausgeschickt werden. wirtschaft nämlich auf!)
Das Einkommen in der Landwirtschaft wird in sei-
ner Höhe und in seiner Verteilung im wesentlichen Das sieht alles sehr einfach aus; es durchzufüh-
durch folgende Faktoren bestimmt: a) durch die ren aber sehr schwierig. Der einzelne Betrieb
Preise und die Mengen der Verkaufserzeugnisse, kann nichts verschenken, aber auch die Gesamt-
b) durch die Höhe der personellen und sächlichen wirtschaft kann nichts verschenken. Letzten Endes
Betriebskosten und c) durch rationelle Verwendung muß also die Produktivität vorhanden sein, bevor
und Kombination. Wir müssen also bei einem even- derartige Löhne und ein derartiges Entgelt für die
tuell zu konstruierenden Paritätspreissystem ein landwirtschaftlichen Familienmitglieder gezahlt
System wählen, das nicht den Preisindex für die werden. Die hier zu treffenden Feststellungen kön-
Produktionsmittel und den Index für die landwirt- nen nicht in Betrieben erfolgen, die wegen der
- völ-
schaftlichen Produkte für sich allein berücksichtigt. ligen Zersplitterung ihrer Grundstücke, wegen un-
Das wäre eine Rechnung im luftleeren Raum, aus moderner Gebäude, wegen der Lage in den dicht
der man zwar erkennen kann, daß die Indices für gedrängten Dörfern nicht rentabel sind oder deren
die Preise der Produktionsmittel höher als die der Produktivität vielleicht auch unter ungeeigneten
Produktenpreise liegen; aber damit allein kann Betriebsleitern leidet. Da könnte man zu gänzlich
man leider nicht viel anfangen. Man muß sich diese falschen Schlüssen kommen. Man müßte also nach
Erkenntnisse vor Augen halten, wenn man sich klar ganz objektiven Maßstäben vorgehen und, so wie
werden will: Wie kann die Bundesregierung über- das Ausland es tut, die Feststellungen lediglich in
haupt eine Preisentwicklung im Sinne der Parität rationell arbeitenden Betrieben treffen.
beeinflussen? Hieran erkennen Sie, warum es notwendig ist,
In der Diskussion, die nun seit vier Jahren in zunächst einmal mit einem Programm zur Normali-
Deutschland im Gange ist, wurden folgende drei sierung der Agrarstruktur anzufangen. Die unter
Lösungen erörtert. Die erste Lösung bildete das Sonderbedingungen wirtschaftenden Landwirte
eben schon erwähnte Paritätspreissystem, das nur müssen so schnell wie möglich durch eine Normali-
die Indices für die Produktionsmittelpreise und die sierung der Agrarstruktur an den Stand der übri-
Indices für die Produktenpreise berücksichtigt und gen Betriebe herangebracht werden, damit für alle
die Tendenz verfolgt, die Schere zu schließen. Das in gleicher Weise etwas geschehen kann.
kann man aber, wie ich schon erwähnte, ohne Ein- (Zuruf rechts: Frühestens in 10 Jahren!)
rechnung und Anrechnung der verkauften Mengen
nicht tun. — Über diese Frage werden wir uns noch öfters
Die zweite Lösung ist die der Einkommenspari- unterhalten, Herr Kollege.
tät. Es wird damit die Sicherstellung eines Einkom- (Sehr richtig! bei der SPD.)
mens verlangt, das dem Einkommen in einem ver- Die Klarstellung einer etwa bestehenden Dispari-
gleichbaren Berufszweig aus dem gewerblichen tät oder Diskrepanz bedeutet aber noch nicht den
Sektor oder aus irgendeinem anderen vergleich- Weg zur Lösung.
baren Gebiet gleich ist. Die Sicherung einer derar-
tigen Einkommensparität würde aber bedeuten, daß Welche Mittel stehen zur Verfügung? Wir hätten
einem einzelnen Berufsstande auf Kosten der Ge- einmal die Wege zu betrachten, die in England be-
samtheit ein bestimmtes Einkommen garantiert schritten werden. Den Bauern werden bestimmte
wird. Dadurch würde praktisch jeder Fortschritt Preise garantiert, und zwar auf Kosten der Staats-
oder jedes Fortschrittstreben unmöglich gemacht kasse. Dem Verbraucher werden die Preise ver-
werden. Eine derartige Lösung scheidet also auch billigt, auch auf Kosten des Staates. Das hat in
aus. England in einzelnen Rechnungsjahren bis zu
7 Milliarden DM gekostet und in Amerika das Drei-
Die dritte Lösung, die sogenannte Aufwand-Er- fache. Ich glaube, daß Verhandlungen hierüber mit
trag-Parität erstrebt lediglich eine laufende An- dem Chef des Finanzressorts wenigstens im Augen-
gleichung des landwirtschaftlichen Ertrages an dem blick völlig aussichtslos sein würden. Ich kenne
Betriebsaufwand undberücksichtigt außer dem ihn so weit, daß ich es jedenfalls nicht versuchen
Preis auch die erzeugten Mengen. Nach meiner würde.
Meinung wird das System der Aufwand-Ertrag-
Parität für deutsche Verhältnisse das einzige sein, (Heiterkeit rechts. - Hört! Hört! in der
das die zwischen Aufwand und Ertrag bestehende Mitte.)
Diskrepanz nach objektiven Maßstäben klarlegen Die zweite Möglichkeit: Kann man durch ein-
kann. Außerdem bietet sich gegenüber den anderen fache Anhebung der Preise auf politischem Wege
194 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
[Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
eine entsprechende Rentabilität in der Landwirt- Irland und den Niederlanden ist noch niedriger. 1
schaft erzeugen, so daß die entsprechenden Löhne Also gerade diejenigen Länder, die mit uns konkur-
gezahlt werden können? Sicherlich kann man das. rieren, haben einen billigeren, Stickstoffpreis, nicht
Aber hier bestehen die Bedenken, daß der Ver- nur bei. Chilesalpeter, der aus dem Ausland kommt,
braucher, der ja dann die Kosten zu tragen hätte, sondern auch bei anderen Salpetersorten. Nur in
in den Nichtverbrauch ausweichen kann, d. h. der Frankreich und Italien sind die Salpeterdünger
Konsum würde sinken, wie wir es z. B. im vorigen preise höher als bei uns. Bei schwefelsaurem Am-
Jahre uni diese Zeit bei der Butter erlebt haben. moniak, Superphosphat und Thomasphosphat lie-
Das ist die eine Gefahr. Wenn zweitens die Arbeiter- gen die Preise der gesamten Nachbarländer beacht-
schaft auf die Preiserhöhungen mit einer Forde- lich unter den unsrigen. Ich brauche die Länder
rung nach höheren Löhnen antwortet, wäre die nicht alle aufzuzählen. Ähnlich verhält es sich beim
Lohn-Preis-Spirale in Bewegung gesetzt, und wir Kalkdünger.
würden uns mit höheren Preisen, mit höheren Löh- Die deutsche Landwirtschaft kann, bevor sich
nen und höheren Produktionsmittelpreisen der ihre Produktionsbedingungen nicht so stellen, wie
Landwirtschaft die bekannte Treppe langsam wie- es im Ausland selbstverständlich ist, überhaupt
der heraufbewegen. Ich glaube also nicht, daß durch nicht daran denken, sich auf den europäischen
die Aufwendung öffentlicher Mittel, durch allge- Markt einzustellen; weil es unter diesen Umständen
meine Anhebung der Preise eine Parität zwischen kaum möglich sein wird, einen Ausgleich zwischen
Aufwand und Ertrag hergestellt werden kann. Aufwand und Ertrag zu erreichen.
Wohl aber bieten sich andere Mittel, und diese (Sehr richtig! bei der CDU.)
Mittel werden auch in der Regierungserklärung
angegeben. Eines dieser Mittel ist die Senkung Das sind nicht die einzigen Mittel, die angewen-
sämtlicher Betriebsmittelkosten, z. B. der Preise det werden können. Über die sogenannte Typen-
für Elsen und Stahl, Maschinen und Geräte, Kunst- bereinigung ist schon gesprochen worden. Wir
dünger und Kraftstoffe. Diese Kosten müssen wir haben in Deutschland etwa 120 Treckertypen,
uns einmal näher ansehen. Herr Kollege Preiß er- während in dem großen Gebiet der Vereinigten
wähnte schon, daß die Preise für landwirtschaft- Staaten von Amerika ungefähr nur 20 vorhanden
liche Produkte gegenüber 1938 auf einem Index von sind. Unsere Fabriken können sich das bei dem
194 stehen, während die heute morgen so eingehend Absatz in Deutschland offenbar leisten. -
und liebevoll erörterte Milch sogar nur einen Index Um die Typenbereinigung in großem Umfang
von 171 aufweist. Demgegenüber steht die letzte durchzuführen, ist es notwendig, daß sich die Fa-
Preisindexziffer für Stahl und Eisen insgesamt auf briken zu einem Rationalisierungskartell zusam-
338, darunter für Roheisen auf 459, für Stabstahl menschließen, um Zusammenbrüche zu verhindern
auf 355 und für Feinbleche auf 361. Ich bin aller- und nur diejenigen Typen herauszubringen, die
dings der Meinung, daß wir nicht die einzigen sind, preiswert und leistungsfähig genug sind, damit
die unter diesen hohen Stahl- und Eisenpreisen zu unsere Landwirtschaft der ausländischen Landwirt-
leiden haben. In diesem Punkt . wird hoffentlich schaft Paroli bieten kann. In Kreisen der Industrie
auch die eisenverarbeitende Industrie an die Seite wird dieses Problem auch mit sehr viel gutem Wil-
der Landwirtschaft treten, wenn es sich darum han- len behandelt, aber es geht natürlich nicht, daß
delt, hier eine Änderung zu schaffen. Wir ha ben, sich diese Gespräche vielleicht über Monate und
weil die hohen Eisen- und Stahlpreise die Preise
Jahre hinziehen, worauf Herr Kollege Preiß mit
für Ackerschlepper und Landmaschinen und damit Recht hingewiesen hat. Auf diesem Gebiet muß
die landwirtschaftlichen Verkaufspreise stark be- gehandelt werden. Da die Vertreter der Montan
einflussen, stärkste Ursache, uns darum zu be- Union gerade hier sind, hätten sie vielleicht Gele-
mühen, die Stahl- und Eisenpreise zu senken. Im genheit, uns mitzuteilen, was sie auf dem Gebiet
übrigen stehen die Ab-Werk-Preise für den Ma- der Verbilligung von Eisen und Stahl innerhalb
schinenbau insgesamt bei einem Index von 213, der Montan-Union zu tun vermögen.
für Landmaschinen bei 244, für Antriebsmaschinen
bei 228 und für Arbeitsmaschinen bei 222. (Beifall bei der CDU.)
Wir kommen auch im Falle großer Erntemengen Bei der Typenbereinigung wird auch eine einge-
bei einem Preisindex für die landwirtschaftliche; hende Prüfungsarbeit notwendig sein, um die rich-
Erzeugnisse von 194 gegen eine derartige Höhe der tigen Treckertypen und Maschinentypen heraus-
Produktionsmittelpreise nicht an, zumal die Lage auf bringen zu können. In diesem Punkte sind uns
dem Gebiete der Kunstdünger- und der Kraftstoff- Schweden und Dänemark weit überlegen. Sie ha-
preise nicht sehr viel anders ist. Ich darf Ihnen ben nicht so leistungsfähige Fabriken wie wir, aber
hier z. B. die Dollar-Preise für 100 Liter Diesel- sie haben sehr leistungsfähige Typen, weil sie die
betriebsstoff in Westdeutschland und den benach- Landwirtschaft und die Technik durch Einsatz von
barten Ländern vorlesen: in Westdeutschland 8,3, Staatsmitteln in die Lage versetzen, die richtigen
Frankreich 13,0, Belgien 4,7, Luxemburg 5,1, i n. den Typen auszuwählen.
Niederlanden 3,7, in Italien 4,3, Österreich 8,4, Grie-
chenland 4,5, Dänemark 4,2, Schweden 4,8, Nor- Wir benötigen auch die Hilfe des Finanz-
wegen 3,5. Sie sehen, außer Frankreich steht ministers, der alle Maßnahmen produktionsfördern-
Deutschland gegenüber sämtlichen Nachbarländern der Natur, die uns auf dem Marsch in den euro-
mit dem Kraftstoffpreis in stolzer Höhe. Wir be päischen Markt unterstützen, steuerbegünstigen
-zahlengübrusmNachlndHo sollte. Ich hoffe, daß gerade die Normalisierung
das 2 1/2fache für den Kraftstoff. unserer Agrarstruktur und viele Dinge auf diesem
Gebiet die Aufmerksamkeit und Aufgeschlossen-
(Hört! Hört! bei der CDU.) heit des Finanzministers finden werden. Ich bin
Wie sieht es nun beim Kunstdünger aus? Bei natürlich nach den Verhandlungen, die ich in den
Salpetersorten, z. B. bei Chilesalpeter, hat Deutsch- vergangenen Wochen gehabt habe, nicht gerade
land einen Preisstand von 488, Schweden 462, Dä- verwöhnt.
nemark 453, Großbritannien 456; der Preisstand in (Heiterkeit. — Hört! Hört! bei der SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 195
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
Aber es gehört noch mehr dazu. Es gehört vor Der Präsident Dr. Ehlers hat auf die Bedeutung
allen Dingen in der Landwirtschaft selbst eine gei- dieser Konvention zu Beginn der Sitzung, die mit
stige Aufgeschlossenheit und ein Tätigwerden als dem 5. Jahrestag der Beschlußfassung über die
Unternehmer dazu. Es muß die Ängstlichkeit vor Konvention vor der UNO zusammenfällt, schon
der Konkurrenz abgeworfen werden. Es muß sich hingewiesen. — Das Haus verzichtet auf Begrün-
mehr Selbstbewußtsein entwickeln. Im Grunde dung und Aussprache. Die Vorlage soll dem Aus-
genommen ist kein einziger Bauer auf der ganzen schuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und
Welt — Sie können hingehen, wohin Sie wollen — dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten
so fleißig, so leistungsfähig und so zäh wie der überwiesen werden. Wird ein weiterer Antrag ge-
deutsche. stellt? - Das ist nicht der Fall. Wer für diese
Überweisung ist, den bitte ich, die Hand zu erhe-
(Beifall bei den Regierungsparteien und ben. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Be-
bei der SPD.) schlußfassung fest.
Er sollte einmal andere Länder besuchen. Er würde Ziffer 8 der Tagesordnung:
mit einem stolzen Selbstbewußtsein zurückkom-
men und dem Glauben, daß er es im europäischen Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Markt schon schaffen würde. Die altbekannten über das Abkommen zwischen der Bundes-
Lieder von der Klagemauer würden dann aufhören. republik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Brasilien vom 4. September
(Abg. Kriedemann: Dafür ist aber ein 1953 über die Wiederherstellung der durch
neuer Stil in der Agrarpolitik die Vor den zweiten Weltkrieg betroffenen gewerb-
aussetzung!) lichen Schutzrechte und Urheberrechte
Wenn Landwirtschaft, Bundestag und Bundesregie- (Drucksache 91).
rung in dieser Form an die Lösung des Problems Auch hier schlägt der Ältestenrat vor, auf Be-
herangehen, dann, glaube ich, wird der Weg zu gründung und Aussprache zu verzichten und die
einer vernünftigen Lösung der Paritätsfrage und Vorlage an den Ausschuß für Außenhandelsfragen
zur Normalisierung der Agrarstruktur mit Erfolg als federführenden und an den Ausschuß für ge-
beschritten werden. werblichen Rechtsschutz und Urheberrecht zu über-
weisen. — Das Haus ist damit einverstanden. - Es
(Beifall bei den Regierungsparteien und
bei der SPD.) ist so beschlossen.
Ziffer 9:
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Große Anfrage
ist beantwortet. Ich frage das Haus, ob eine allge- Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
meine Aussprache gewünscht wird. — Keine allge- über das Abkommen zwischen der Bundes-
meine Aussprache? — Sie entfällt. Das Haus be- republik Deutschland und Japan vom 8. Mai
gnügt sich mit der Entgegennahme der Antwort
1953 über den Schutz durch den zweiten
des Herrn Ministers. Weltkrieg beeinträchtigter Rechte auf dem
Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes
Es wurde mir gesagt, daß zu Punkt 4 der Wunsch (Drucksache 92).
bestehe, daß die Große Anfrage an den Ausschuß Auch hier empfiehlt der Ältestenrat, von einer
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gege- Begründung und Aussprache abzusehen und die
ben werden soll. — Das Haus ist damit einver- Vorlage an den Ausschuß für Außenhandelsfragen
standen. als federführenden und an den Ausschuß für ge-
(Abg. Kriedemann: Punkt 3 bitte auch!) werblichen Rechtsschutz und Urheberrecht als mit-
beratenden zu überweisen. — Das Haus ist damit
— Ja, Punkt 3, Stützung der Milchpreise, ebenfalls. einverstanden. Es ist so beschlossen.
Das Haus ist damit einverstanden. Das gilt als be-
schlossen. Punkt 10:
Wir haben nun eine Wahl vorzunehmen, und a) Zweite und dritte Beratung des von den
zwar zunächst nach Punkt 6 — Punkt 5 wird Abgeordneten Albers, Lenz (Brühl), Müh-
später drankommen —: lenberg, Arndgen und Genossen einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Verlängerung des Gesetzes über die einst-
Mitglieder des Bundesschuldenausschusses weilige Außerkraftsetzung von Vorschrif-
bei der Bundesschuldenverwaltung (Druck- ten des Gesetzes betreffend die Erwerbs-
sache 115). und Wirtschaftsgenossenschaften (Druck-
Wird das Wort hierzu gewünscht? — Das ist sache 51);
nicht der Fall. Wir kommen zur Wahl. Ich nehme Mündlicher Bericht des Ausschusses für
an, das Haus ist damit einverstanden, daß ohne Wirtschaftspolitik (21. Ausschuß) (Druck-
Stimmzettel, nur durch Handaufheben gewählt sache 117);
wird. Wer für den Antrag der Franktionen der (Erste Beratung: 7. Sitzung);
CDU/CSU, SPD, FDP auf Drucksache 115 ist, den
bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! - b) Beratung des Mündlichen Berichts des
Enthaltungen? — Ich stelle die einstimmige Wahl Ausschusses für Wirtschaftspolitik (21.
der Herren Dr. Vogel, Schoettle und Dr. Blank Ausschuß) über den Antrag der Abgeord-
(Oberhausen) fest. neten Albers, Lenz (Brühl), Mühlenberg,
Arndgen und Genossen betreffend Vor-
Punkt '7: lage eines Gesetzentwurfs zur Neurege-
lung des Erwerbs- und Wirtschaftsgenos-
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes senschaftsrechts (Drucksachen 118, 66).
über das Zusatzprotokoll vom 20. März 1952
zur Konvention zum Schutze der Menschen- Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeord-
rechte und Grundfreiheiten (Drucksache 85). nete Kurlbaum.
196 2. Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn. Donnerstag, den 10. Dezember 1953

Kuribaum (SPD), Berichterstatter: Herr Präsi- Ich habe Ihnen die Annahme beider Mündlichen
dent! Meine Damen und Herren! Der Antrag Druck- Berichte, Drucksachen 117 und 118, im Namen des
sache 51 betreffend den Entwurf eines Gesetzes zur Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu empfehlen.
Verlängerung des Gesetzes über die einstweilige (Beifall.)
Außerkraftsetzung von Vorschriften des Gesetzes
betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen- Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn
schaften wurde in der 7. Plenarsitzung am 3. De- Berichterstatter.
zember dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß feder-
führend und dem Ausschuß für Sonderfragen des Wir treten in die zweite Beratung des Entwurfs
Mittelstandes mitberatend überwiesen. Der Aus- ein. Ich rufe auf Art. 1. — Das Wort hat der Ab-
schuß für Wirtschaftspolitik hat am 4. Dezember geordnete Schmücker.
diese Vorlage beraten.
Schmücker (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
Der wesentliche Inhalt der Vorlage ist der Antrag: und Herren! Der Punkt 10 a ist fraglos prächtig
Der Bundestag möge beschließen, den § 1 des Ge- dazu geeignet, hier ein Streitgespräch mit aller
setzes über die einstweilige Außerkraftsetzung Leidenschaft heraufzubeschwören. Wenn man an
von Vorschriften des Gesetzes betreffend die all die vielen Briefe, Drucksachen und auch Tele-
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom gramme der letzten Tage denkt, könnte man an-
27. Dezember 1951 zu verlängern, und zwar nehmen, daß eine solche Debatte sogar unvermeid-
bis zum 31. Dezember 1954. Materiell handelt es bar wäre. Aber wie wir uns heute entscheiden, die
sich dabei um die Verlängerung der Außerkraft- eigentliche Debatte kommt ja erst, und darum,
setzung von Vorschriften des Gesetzes betreffend meine ich, wäre es durchaus möglich, in aller Ruhe
die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, die hier anstehenden Fragen zu besprechen. Ich will
durch die den Konsumvereinen der Verkauf an damit keineswegs die Beratung bagatellisieren;
Nichtmitglieder verboten wurde, und um die Außer- doch möchte ich mich auch gegen eine Überspitzung
kraftsetzung von den dazugehörigen Strafbestim- wenden. Die endgültige Beratung wird ja, wie ich
mungen. sagte, erst kommen, und damit wird auch die end-
Zu beginn der Beratung im Wirtschaftsausschuß gültige Entscheidung fallen.
wurde beschlossen, die Diskussion nicht auf den Ich weiß, daß es das Bestreben einer Mehrheit -
materiellen Inhalt des derzeit für die Genossen- dieses Hauses ist, echten Wettbewerb allüberall zu
schaften gültigen Rechts auszudehnen. Die Mehr- schaffen. Diesen echten Wettbewerb gilt es, auch in
heit des Ausschusses entschied sich für die Verlän- der Konkurrenz zwischen den Konsumgenossen-
gerung der Frist, weil man einen Vorentscheid über schaften und den Einzelhandelsunternehmen herzu-
den materiellen Inhalt der gesetzlichen Bestim- stellen. Ich bin der Meinung, daß gegenwärtig der
mungen nicht wollte. Man entschied sich aus dem Wettbewerb zwischen „Konsum" und Handel recht
,gleichen Grund aber auch für eine möglichst kurze erheblich gestört ist. Der „Konsum" erhielt als
Verlängerung der Frist, nämlich nur soweit sie für Wiedergutmachungsmaßnahme das Recht des Ver
die Einbringung und Beratung eines neuen Ge- kaufs an Nichtmitglieder. Er erhielt dieses Recht
setzes zur Regelung des Genossenschaftsrechts er- ohne steuerliche Konsequenzen, und darauf kommt
forderlich ist. Dementsprechend beschloß die Mehr- es an.
heit des Ausschusses für Wirtschaftspolitik eine (Sehr richtig! in der Mitte.)
Änderung der Drucksache 51; sie liegt Ihnen in der Die Frage, ob Nichtmitgliedergeschäft oder Mit-
Drucksache 117 vor. Dieser Beschluß wurde mit gliedergeschäft, ist für sich belanglos; man muß
einer Stimmenmehrheit von 19:8 gefaßt. Mit dieser aber auch die anderen Konsequenzen sehen. Dieses
Änderung und einer Mehrheit von 19:7 beschloß Wiedergutmachungsrecht, das hier gar nicht be-
dann der Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Ihnen stritten oder kritisiert werden soll, ist als Nichtmit-
den Mündlichen Bericht gemäß Drucksache 117 gliedergeschäft ohne steuerliche Konsequenzen ge-
vorzulegen. geben worderi Ich bin sogar der Meinung, daß das
Der mitberatende Ausschuß für Sonderfragen Nichtmitgliedergeschäft an sich gar nicht so ent-
des Mittelstands beschäftigte sich in einer Sitzung scheidend ist, sondern daß es eben darauf an-
am 8. Dezember mit der gleichen Vorlage. Er kommt, wie es gehandhabt wird, daß es also auf den
stimmte den Beschlüssen des Wirtschaftsaus- gleichen Wettbewerb ankommt.
schusses mit einer Mehrheit von 11:10 zu, weil nach Dieser gleiche Wettbewerb ist gegenwärtig nicht
seiner Meinung mit der Neuregelung des Genossen- vorhanden; denn sonst hätte man nicht das Sonder-
schaftswesens gleiche Wettbewerbsvoraussetzun- recht zur Wiedergutmachung zu geben brauchen.
gen gegenüber der übrigen Wirtschaft geschaffen Wir wollen den gleichen Start für alle, und wenn
werden müßten. wir wissen, daß hier eine Regelung vertagt worden
Die Drucksache 66 wurde vom federführenden ist, so müssen wir uns auch für die Übergangszeit
Ausschuß für Wirtschaftspolitik mit der Drucksache überlegen, ob die gegenwärtige Regelung unserem
51 am gleichen Tage behandelt. Hier war es nötig, Ideal des gleichen Wettbewerbs näherkommt oder
die Frist, die im Antrag Drucksache 66 vorge- ob uns ein Auslaufen der Sonderbestimmungen
schlagen war, der Frist anzupassen, wie sie im diesem Ideal näherbringen würde.
Mündlichen Bericht gemäß Drucksache 117 festge- Nun bin ich der Meinung, daß wir dem Idealzu-
legt worden ist. Dementsprechend beschloß der stand eines gleichen Wettbewerbs näherkämen,
Ausschuß für Wirtschaftspolitik einstimmig, die wenn wir uns entschließen könnten, dieses Sonder-
Frist für die Vorlage eines neuen Gesetzentwurfs recht zur Wiedergutmachung termingemäß - oder
betreffend die Neuregelung der Erwerbs- und sagen wir, nach der dritten Verlängerung, die es ja
Wirtschaftsgenossenschaften auf den 28. Februar wohl ist, oder nach der zweiten — auslaufen zu las-
1954 vorzuverlegen. Der mitberatende Ausschuß für sen. Ich bin mir wohl darüber im klaren, daß auch
Sonderfragen des Mittelstands hat sich auch diesem der alte Zustand nicht voll befriedigt; aber ich
Beschluß des federführenden Ausschusses ange- möchte betonen, daß er dem Prinzip des gleichen
schlossen, und zwar einstimmig. Wettbewerbs am nächsten kommt, und darum
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 197
(Schmücker)
glaube ich, daß man dieses Sonderrecht auslaufen sich selber setzt, hat es etwas auf sich. Meistens be
lassen sollte. Denn schließlich müssen auch die ginnt am Ende, kurz vor Ablauf der Frist, manch-
Neuordnungen, die für eine lange Zeit gelten sollen. mal auch lange nachher, ein emsiges Treiben, aber
auf einer normalen Basis, auf der Basis der gewöhn- nun nicht mit dem Ziel, das Gesetz, das fällig war,
lichen Regelung erfolgen und nicht von einem zu schaffen, sondern die Frist zu verlängern. Ich
Sonderstatus ausgehen. Deswegen — ich wiederhole will daraus keinen Vorwurf herleiten, aber Sie
es noch einmal — bin ich mit einer großen Zahl werden verstehen, daß wir von einem gewissen Miß-
meiner Fraktionsfreunde der Auffassung, daß wir trauen solchen Fristverlängerungen gegenüber be
der Ausschußvorlage unter Punkt 10a der Tages- seelt sind. Ob es nun um ein ganzes oder um ein
ordnung — also Verlängerung der Sonderrege- halbes Jahr geht, berührt uns dabei weniger.
lung — nicht zustimmen sollten. Ich möchte Sie
bitten, diese Bestimmung abzulehnen. In dieser Frage nun — Verlängerung des Nicht-
mitgliedergeschäfts der Konsumgenossenschaften
Ich darf aber noch ein zweites Argument hinzu- — können wir natürlich nicht ganz von grundsätz-
fügen, meine verehrten Damen und Herren. Wenn lichen Fragen absehen. Wir können vor allem den
man neu ordnet und wenn man meint, man müßte Zusammenhang mit der gleichzeitigen Vorlage
irgendeinem einen Vorsprung geben, dann kann Drucksache 66 nicht übersehen. Wir von der Freien
man doch diesen Vorsprung nur demjenigen zuteil Demokratischen Partei bejahen durchaus die Not-
werden lassen, der im Wettbewerb der Schwächere wendigkeit einer Neuregelung des Genossenschafts
ist. Man muß also, wenn man schon vom Recht ab- wesens. Wir sind sogar der Ansicht, daß man dabei
weichen will, immerhin soziale Gesichtspunkte nicht nur an das denken sollte, was man seinerzeit
gelten lassen. Ich glaube, keinen Widerspruch zu mit der Drucksache 4074 des ersten Bundestages im
finden, wenn ich behaupte, daß die Konsumgenos- Auge hatte — Nichtmitgliedergeschäft, §§ 5 und 6
senschaften in diesem Wettbewerb der stärkere Teil des Rabattgesetzes, § .36 der Körperschaftsteuer
sind und der Handel — zumindest der mittelstän- Durchführungsverordnung —, sondern daß man
dische Einzelhandel — der schwächere Teil ist. z. B. auch an den Zusammenhang mit dem Kartell-
(Widerspruch links. — Abg. Dr. Schöne: gesetz denken und sich natürlich vor allem mit dem
Die Konsumenten gehören auch dazu!) Wesen der Genossenschaft befassen muß. Es wird
eigentlich Aufgabe der Genossenschaften, der Kon-
— Ja, meine Damen und Herren, das ist es ja ge- sumgenossenschaften vor allem, selber sein, zu - ent-
rade — ich wollte an sich eine Grundsatzdebatte scheiden, was sie sein wollen, entweder Selbsthilfe-
vermeiden —, daß einige glauben, sie könnten einen organisationen, die im gemeinsamen Zusammen-
gemeinsamen Einkauf durchführen und gleich wirken ihren Mitgliedern helfen, oder aber ge-
zeitig an andere verkaufen, und behaupten, sie seien wöhnliche geschäftliche Erwerbsunternehmungen.
Konsumenten, während sie nichts weiter als ganz Nach dieser Entscheidung, die die Genossenschaften
normale Unternehmer sind. selbst zu treffen haben, beantwortet sich dann auch
(Beifall in der Mitte und rechts.) die Frage: Mitgliedergeschäft, ja oder nein? Wir
Wir freuen uns ja über diese Entwicklung, daß sind also durchaus mit dem Antrag der Drucksache
man über die Genossenschaften hinausgewachsen 66 einverstanden.
ist. Wir freuen uns, daß man Unternehmer ge Nun aber zur Drucksache 51. Was soll geschehen,
worden ist, aber wir bitten dann auch darum, die was soll Rechtens sein, bis diese Neuregelung in
Konsequenzen zu ziehen! Es kann niemand be Kraft tritt? Die bisherige Begründung für die Zu
streiten, daß der Konsum als großwirtschaftliches lassung des Nichtmitgliedergeschäfts war, dies sei
Unternehmen — Konsumgenossenschaften und ein Akt der Wiedergutmachung. Ich brauche darauf
alles, was dazu gehört — stärker ist als der mittel nicht einzugehen, da diese Begündung heute nicht
ständische Einzelhandel, und die Wünsche, die hier mehr vorgebracht wird. Ich möchte Ihnen aber
vorgetragen werden, richten sich auf eine weitere einige Zahlen nennen, die auch nachher eine Rolle
Ausdehnung des wirtschaftlichen Einflusses des spielen werden. Nach eigenen Angaben der Kon
Konsums. Meine Damen und Herren, ich nehme es sumgenossenschaften betrugen ihre Umsätze im
dem Konsum ja gar nicht übel, daß er sich aus Jahre 1930 817 Millionen Mark, dagegen im Jahre
dehnen will. Aber wenn wir schon die Wahrheit 1951 1089 Millionen DM, im Jahre 1952 1350 Mil
sagen wollen, dann müssen wir auf der anderen lionen DM. Das bedeutet eine Steigerung um 23%.
Seite feststellen, daß hier ein Stand nicht um eine (Abg. Arndgen: Wie hoch ist der Umsatz
Ausdehnung kämpft, sondern daß der mittelstän des Einzelhandels?)
dische Einzelhandel hier um seine Existenz ringt. — 6%. Ihre Zahlen habe ich eben nicht hier.
(Beifall rechts.) (Abg. Sabel: Das wäre aber interessant! —
Meine Damen und Herren, aus zwei Gründen, die Abg. Erler: Der Anteil der Genossen-
ich schon erwähnt habe, nämlich weil wir nach schaften ist nämlich geringer als 1930,
meiner Meinung :dem Idealzustand des gleichen wenn Sie die gesamten Einzelhandelsum-
Wettbewerbs dann am nächsten kommen, wenn wir sätze nehmen! — Weiterer Zuruf von der
das Sonderrecht auslaufen lassen, aber auch aus SPD: Hier sind die genauen Zahlen vom
dem zweiten, sozialen Grunde, daß in diesem Wett- Wirtschaftsministerium! - Ein Abgeord-
bewerb der schwächere Teil der Einzelhandel ist, neter der SPD überreicht dem Redner ein
bitte ich Sie, den Vorschlag des Ausschusses auf Schriftstück.)
Verlängerung der Fristen abzulehnen. Für das Jahr 1953 ist mit einem Umsatz von
(Beifall rechts und in der Mitte.) 1,5 Milliarden DM zu rechnen. Meine Damen und
Herren, es geht ja hier nicht um die absoluten Zah-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab- len, sondern es geht ja um die Steigerung.
geordnete Dr. Bucher. (Abg. Erler: Um den Anteil!)
Dr. Bucher (FDP): Herr Präsident! Meine Damen — Nicht um den Anteil, sondern es soll gezeigt
und Herren! Mit den Fristen, die unser Parlament werden, wieweit die Wiedergutmachung gelungen
198 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Bucher)
ist. Bei Berücksichtigung des gestiegenen Lebens- können zwar auch Rabatt geben, aber, wohlver-
haltungsindexes wäre dies also eine Steigerung auf standen, einen festen, von vornherein bestimmten
120 %. Satz, nicht eine von Fall zu Fall ausgerechnete
Rückvergütung. Sie tragen also auch hierbei ein
Nun, wie gesagt, diese Begründung spielt ja heute ganz anderes Risiko. Vor allem aber ist ihre steuer-
keine Rolle mehr, sondern heute wird eine prinzi- liche Belastung viel höher. Abgesehen von der
pielle Begründung vorgetragen, nämlich die, das Mehrphasen-Umsatzsteuer treffen sie auch die volle
Verbot des Nichtmitgliedergeschäfts bedeute eine Körperschaftsteuer und die volle Gewerbesteuer.
Ungleichheit vor dem Gesetz, bedeute einen Wider- Deshalb ist es unbedingt nötig, sehr schnell gleiche
spruch zur freien Marktwirtschaft und bedeute, daß Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
keine freie Konsumwahl bestehe. Nun, mit der
freien Konsumwahl hat die Frage des Nichtmit- Herr Kollege Schmücker hat schon ausge-
gliedergeschäfts doch nichts zu tun. Auch wenn ein führt, daß die Konsumgenossenschaften heute ja
Nichtmitgliedergeschäft verboten ist, kann ja jeder zwei Vergünstigungen genießen, die steuerliche
im Konsum kaufen Vergünstigung nach § 36 der Körperschaftsteuer
Durchführungsverordnung und die Zulassung des
(Widerspruch links) Nichtmitgliedergeschäfts. Wenn man ihnen nun das
und kann der Konsum mit jedem Geschäfte machen, Nichtmitgliedergeschäft nimmt, so haben sie immer
der bereit ist, Mitglied zu werden. noch die sehr wesentliche steuerliche Vergünsti-
(Lachen links.) gung und die Freiheit unbeschränkter Ausschüttung
und Rückvergütung. Es besteht also nicht etwa der
Wenn das den Konsumgenossenschaften nicht paßt, Kompromiß, den die Drucksache Nr. 4074 im ersten
so kommt mir das so vor, wie wenn ein Mann, der Bundestag vorgesehen hat, sondern es besteht im-
sich verehelicht hat, zwar die damit verbundene mer noch diese eine Vergünstigung. Wo soll hier
Umgruppierung von Steuerklasse I in Steuerklasse eine Diskriminierung, wo eine Ungerechtigkeit
II gern mitnimmt, sich aber bitter darüber beklagt, liegen und wo ein Verstoß gegen das Prinzip der
daß er nun neben seiner Ehefrau Gleichheit vor dem Gesetz?
(Zuruf von der SPD: Vor der Ehe kommt Im übrigen bedeutet auch das Verbot des Nicht-
die Verlobung! — Heiterkeit) mitglieder-Geschäfts für die Konsumgenossen-
-
schaften meiner Ansicht nach keine Diskriminie-
keine freie Konsumwahl mehr hat.
rung, auch wenn man es für sich betrachtet. Denn
(Große Heiterkeit. - Lebhafte Zurufe von der Grundsatz ist ja der, daß Genossenschaften nur
der Mitte: Au, au! - Abg. Frau Dr. Weber für ihre Mitglieder dasein sollen. Von diesem
[Aachen]: Ein schlechtes Beispiel! - Abg. Grundsatz macht das Genossenschaftsgesetz eine
Naegel: Ohne jedes Niveau! - Unruhe.) Ausnahme, daß nämlich die Genossenschaften be-
rechtigt sind, mit Nichtmitgliedern Geschäfte zu
Die Konsumgenossenschaften müssen selber ent- treiben, wenn sie es in ihrer Satzung verankern.
scheiden, was sie sein wollen. Wenn sie darauf be- Von dieser Ausnahme bestehen nun wieder zwei
stehen wollen, Genossenschaften zu sein, weitere Ausnahmen, nämlich § 8 Abs. 2 für die
(Zuruf von der Mitte: Der leistet der Sache Kreditgenossenschaften und § 8 Abs. 4 für die Kon-
einen schlechten Dienst!) sumgenossenschaften. Nehmen Sie es mir nicht übel,
dann müssen sie sich auch daran halten, daß sie im wenn ich Ihnen sage, daß es in dem Gesetz von der
freien Handel nicht wie jeder andere auftreten letztgenannten Ausnahme wieder eine Ausnahme
können. gibt: Die landwirtschaftlichen Konsumgenossen-
schaften ohne offene Läden dürfen Nichtmitglieder
Mit der freien Konsumwahl verhält es sich ja Geschäfte machen. Ich glaube, diese gesetzliche Re-
gerade umgekehrt. Heute werden doch häufig in gelung, so kompliziert sie aussieht, war wohl durch-
neuen Wohnsiedlungen Konsumfilialen aufgemacht dacht. Sie geht nämlich von dem Grundsatz aus: Kein
ohne einen einzigen Genossen, und ohne daß ein Nichtmitglieder-Geschäft. Aber zweiter Grundsatz:
anderes Geschäft, ein Einzelhandelsgeschäft, die minima non curat praetor. Man soll und kann sich
Möglichkeit hat, sich dort aufzumachen. Hier be- nicht darum kümmern, wenn in kleinen Genossen-
steht nun wirklich keine freie Konsumwahl mehr. schaften, vor allem auf dem Lande, Nichtmit-
Dieser Zustand widerspricht dem Wesen der Genos- glieder-Geschäfte betrieben werden. Hier gibt man
senschaft. Die ursprüngliche Idee der Genossen- die Möglichkeit, sie zuzulassen. Man verbietet sie
schaften ist doch, die Vorteile, die das Großgewerbe aber — und das ist interessant - nicht nur bei den
infolge seiner Kapitalkraft hatte, durch einen Zu- Konsumgenossenschaften, sondern auch, wenn es
sammenschluß, durch Selbsthilfe der Schwächeren sich um die Gewährung von Darlehen h andelt.
auszgleichn.Udwtarusgeon?Ich Schließlich hat diese Regelung von 1889 bis 1933,
brauche nicht im einzelnen vorzulesen, aus welchen also auch in einer demokratischen Zeit bestanden,
Fabriken und Unternehmungen der GEG-Konzern und man kann doch nicht sagen, daß diese ganze
heute besteht. Aber es ist jedenfalls ein solider Zeit hindurch ein schreiendes Unrecht als Recht ge-
„Selbsthilfekonzern", wenn man so sagen will. Ich golten hätte. Deshalb können wir der vorgeschla-
glaube, wenn der alte Schulze-Delitzsch heute käme, genen Verlängerung des Nichtmitglieder-Geschäfts
würde er als erstes eine Genossenschaft zur Selbst- nicht zustimmen.
hilfe gegen gewisse Genossenschaften gründen. Eine Frist bedeutet natürlich immer einen Druck,
(Zuruf von der SPD: Da müßtet ihr aber das Gesetz zuwege zu bringen. Es ist nur gerecht —
draußen bleiben! — Heiterkeit links.) ich darf wieder an das anknüpfen, was Kollege
Schmücker sagte —, daß man den unter Druck setzt,
Demgegenüber sind die selbständigen Gewerbe- der zur Zeit in der günstigeren Position ist Die
treibenden des Mittelstandes heute doch wirklich, Zahlen, die ich vorhin nannte - -
wie schon der Herr Vorredner gesagt hat, die wirt-
schaftlich Schwächeren. Sie sind ganz auf sich ge- (Abg. Dr. Schöne: Nennen Sie doch einmal
stellt, sie haben keinen festen Mitgliederkreis. Sie die Zahlen!)
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 199
(Dr. Bucher)
— Ich sagte ja, es interessieren doch hier nicht die eter Dr. Bucher hat gesagt, es handle sich bei
absoluten Zahlen, sondern die verhältnismäßige dieser etwas komplizierten Regelung des Rechtes
Entwicklung. von Genossenschaften zur Belieferung von Nicht-
(Abg. Dr. Schöne: Das sind ja die relativen mitgliedern um eine wohldurchdachte gesetzgebe-
Zahlen!) rische Schöpfung. Nun, in dem Regierungsentwurf
von 1889 stand nichts von einer Ausnahme zuun-
— Sie können diese Zahlen ja nachher bekannt- gunsten der Konsumvereine.
geben! (Hört! Hört! bei der SPD.)
(Abg. Dr. Schöne: Das sind doch nicht
meine Zahlen, sie sind vom Wirtschafts Es war ja zunächst die Regierung, die dieses Gesetz
ministerium! — Gegenruf rechts: Nicht so durchdacht hatte; und beim Durchdenken des Ge-
aufgeregt!) setzes war die damalige Reichsregierung nicht der
Ansicht, daß den Konsumgenossenschaften ein
— Bitte, Sie können sie ja nachher bekanntgeben! — Recht verwehrt werden -sollte, das den anderen Ge-
Diese Zahlen zeigen einen Trend an, der zu denken nossenschaften eingeräumt wird. Dieser Paragraph,
gibt. Trotzdem ziehen wir daraus nicht die Folge- dieser Absatz zuungunsten der Konsumgenossen-
rung, daß wir nun grundsätzlich die Konsumgenos- schaften kam vielmehr durch den Reichstag, und
senschaften ablehnen und bekämpfen müßten. zwar durch eine sehr geringe Mehrheit, zustande.
(Zurufe von der SPD.) (Abg. Schmücker: Was besagt das? —
Wir sind ja keine Feinde der Konsumgenossen- Weitere Zurufe von der CDU und rechts.)
schaften. Aber — das geben wir allerdings zu — wir — Es besagt, daß von einer methodischen und
sind Freunde des Mittelstandes systematischen Durchdenkung hier wohl nicht ge-
(Zuruf von der CDU: Das sind wir auch!) redet werden kann.
— um so erfreulicher! — und vor allem des gewerb- (Sehr richtig! bei der SPD. — Zurufe von
lichen Mittelstandes. Diese Freundschaft bedeutet der Mitte und rechts: Warum? — Die
nicht, daß wir ihn subventionieren wollen, sondern Mehrheit war ja dafür!)
es muß bei den Gesetzen der freien Wirtschaft
bleiben. Helfen muß sich jeder selber, aber der ge- Es waren damals im Reichstag hauptsächlich --nmittel-
werbliche Mittelstand soll auch nicht benachteiligt ständlerische Gruppen, die der Meinung waren, daß
werden. die Konsumvereine von der für alle anderen Ge-
nossenschaften geltenden Regelung — bei den
Ich möchte nun nicht Ausführungen darüber Kreditgenossenschaften liegt eine andere Lage vor
machen, warum dem gewerblichen Mittelstand hier — auszunehmen seien. Es wurde das den Konsum-
etwas geholfen werden soll und warum er bisher genossenschaften damals aufgezwungen.
zuwenig berücksichtigt worden ist. Ich glaube, es
ist uns allen in diesem Hause klar, daß ein gesunder (Abg. Dr. Greve: Das ist systematische In
Mittelstand für einen freien Staat doch sehr we- teressentenpolitik!)
sentlich ist. Ich möchte nur noch, anstatt eigener
Ausführungen dazu, einen sehr unverdächtigen Nun sagte Herr Abgeordneter Bucher, das sei auch
Zeugen zitieren, wenn Sie mir das gestatten. Es ist ganz richtig, denn die sollten nur Mitglieder be-
Aristoteles, der vor 2400 Jahren liefern. Meine Damen und Herren, das ist polizei-
staatlich gedacht.
(Heiterkeit) (Beifall bei einem Teil der CDU und bei
in seiner „Politik" Kapitel 11 schrieb: der SPD. — Zurufe rechts: Na, na!)
Ein Staat will möglichst aus gleichen und ähn- Das Genossenschaftsgesetz und unsere ganzen Han-
lichen Bürgern bestehen, und das findet sich delsgesellschaftsformen schreiben nicht vor, was
am meisten beim Mittelstand. Es ist daher klar, diese Gesellschaften tun sollen, sondern es werden
daß sich die Gemeinschaft, die sich auf den den Gesellschaften Rechtsformen für ihre Zwecke
Mittelstand gründet, die beste ist und daß solche zur Verfügung gestellt. So ist es mit den Genossen-
Staaten in der Lage sind, eine gute Verfassung schaften ebenfalls. Es handelt sich nicht um das
zu haben, in denen eben der Mittelstand zahl- Recht der Konsumwahl, sondern um das Recht der
reich vertreten ist und, wenn möglich, die Gewerbefreiheit. Jede Offene Handelsgesellschaft
beiden anderen Stände an Stärke übertrifft. hat das Recht, ihre eigenen Gesellschafter zu ver-
sorgen, also Aufgaben zu übernehmen, die auch Ge-
(Beifall rechts.) nossenschaften übernehmen. Die Genossenschaft
soll das Recht haben, mit ihrem Genossenschaftsbe-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab- trieb einen Handelsbetrieb zu kombinieren. Das ist
geordnete Dr. Böhm. die Gewerbefreiheit!
(Beifall bei der SPD.)
Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU): Herr Präsident! Meine Diese Gewerbefreiheit ist in § 8 Abs. 4 zu Lasten
Damen und Herren! Es handelt sich, wie schon von den der Konsumvereine als ein privilegium odiosum
Vorrednern hervorgehoben worden ist, nur um eine eingeschränkt worden.
kurz befristete Zwischenregelung und nur um die
Frage: Soll die Zwischenregelung, die jetzt für ein Ja, so werden Sie fragen, warum hat das so
halbes Jahr getroffen wird, an den Zustand an- lange gedauert? Nun, weil die Frage für die Genos-
knüpfen, der vom Jahre 1945 bis zum heutigen senschaften relativ unwichtig ist und immer relativ
Tage gedauert hat, oder an den Zustand, wie er unwichtig sein wird. Deswegen setzt man keine
dem § 8 Abs. 4 des Genossenschaftsgesetzes ent- großen Apparate in Bewegung. Es waren ja auch
spricht, das im Jahre 1889 erlassen worden ist und nicht die Konsumvereine, die nach 1945 Wiedergut-
dessen § 8 Abs. 4 bis zum Jahre 1945 gegolten hat. machung verlangten, sondern es waren weitgehend
Hier ist aber eines zu überlegen. Herr Abgeord die Regierungspräsidenten und die Landräte, die
200 2. Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Böhm [Frankfurt])
damals zur Versorgung der Bevölkerung die Ge- Wettbewerbsstandpunkt und vom Standpunkt des
nossenschaften gebraucht haben. gleichen Startes sind keinerlei Bedenken zu er-
(Widerspruch bei Abgeordneten der heben.
CDU/CSU.) Ich möchte die Ablehnung — ich darf das hier
gleich betonen — nicht etwa so verstanden wissen,
Nachdem man im Januar 1947 die Nichtmitgliederbe- daß wir uns überhaupt grundsätzlich gegen die Ge-
lieferung der Konsumgenossenschaften auf Zeit zu- nossenschaften als solche stellen Im Gegenteil, un-
gelassen hat, will man jetzt für eine Dauer von sere Fraktion hat einen tiefen Respekt vor dieser
sechs Monaten wieder von dieser Regelung ab- Institution. Wir wissen sehr wohl, daß der Gedanke
weichen und die Ausnahmen von dem Grundsatz des genossenschaftlichen Zusammenschlusses ein
der Gewerbefreiheit, die § 8 Abs. 4 des Genossen- sehr langes und sehr fruchtbares Leben in der Ge-
schaftsgesetzes enthält, wieder einführen, das steht schichte unseres Volkes hat. Es sind schon Erinne-
zumindest nicht im Einklang mit den Ordnungs- rungen an die Geschichte gebracht warden; aber ich
grundsätzen einer Marktwirtschaft, einer Wettbe- will bei der deutschen Geschichte bleiben, die etwas
werbswirtschaft, und mit den Grundsätzen einer kürzer ist. Der Kulturgeschichtler weiß sehr wohl,
Gewerbefreiheit. Infolgedessen ist es besser — daß gerade der genossenschaftliche Zusammen-
namentlich, da das ja auch der Wirtschaftspolitik der schluß der Bauern z. B. im Mittelalter ihnen einen
Bundesregierung im ganzen mehr entspricht —, wir Rest von politischer Freiheit bewahrt hat, einer
machen diesen kurzen Übergangszustand so, daß Freiheit, die sie leider an den Feudalstaat verloren
wir damit näher an dem allgemeinen Grundsatz der haben und die sie andererseits — das muß auch
Gewerbefreiheit bleiben und nicht, wenn auch nur festgestellt werden — sehr leicht aufzugeben bereit
vorübergehend, zu einem Zustand zurückkehren, waren, wenn es sich um materielle Vorteile
der auf einer Ausnahme von diesem Grundsatz be- handelte.
ruht. Das ist gegenüber einer anderen Lösung der
geringere Eingriff. Ich mache diese Vorbemerkung, damit Sie
Von großer Wichtigkeit ist das in der Praxis glauben, daß wir es wirklich dankbar begrüßen,
nicht. Aber mir scheint doch wichtig zu sein, daß daß die Regierung sich entschlossen hat, das ge-
wir eine Entpolitisierung des Wettbewerbsverhält- samte Genossenschaftsrecht neu zu ordnen. Uns
nisses Einzelhandel — Konsumvereine anstreben, das scheint das wirklich notwendig zu sein. Hier- haben
in. der Vergangenheit durch Hineinziehen des Ge- wir es aber mit einer begrenzten Frage zu tun, mit
setzgebers politisiert war, und zwar teils zugunsten der Frage, ob für den kurzen Zeitraum, der in dem
und teils zuungunsten der Konsumvereine, steuer- Antrag Albers und Genossen genannt ist, noch das
lich und in anderer Beziehung. Ausnahmerecht gelten soll oder nicht. Ich glaube,
die besseren Argumente sprechen dafür, daß man
Wir sollten zu einer vollständigen Neutralität des es zunächst bei dem alten Recht beläßt: Tatsache ist
Gesetzgebers zurückkommen. Wir müssen ja im doch, daß unter dem alten Recht, seit 1889, die Ge-
Laufe dieser Wahlperiode Novellen und Gesetze nossenschaften, die Konsumvereine ein sehr gutes
auf dem Gebiet des Genossenschaftswesens verab- wirtschaftliches Leben führen konnten. Es ist doch
schieden. Dabei sollten wir dieses Prinzip der abso- typisch — und das, scheint mir, sollte jetzt nicht
luten Neutralität der Gesetzgebung auf der Basis bagatellisiert werden — daß die Begründung
unbedingter Startgleichheit, auch steuerlicher Start- seinerzeit ausdrücklich dahin gegangen ist, daß
gleichheit, anstreben. man den Genossenschaften wieder den gleichen
Start geben wollte. Alle Zahlen sprechen dafür, daß
(Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt dieses Ziel erreicht ist.
den Vorsitz.)
Damit entfällt jede rechtliche und wirtschaftliche
Wir wollen hoffen, daß sich dann ein Gebrauch Notwendigkeit, den Genossenschaften wieder das
nach dem Grundsatz anbahnt: Wer im Wettbewerb Mitgliedergeschäft zu gestatten. Wenn demgegen-
gegen eine Konkurrentengruppe den Gesetzgeber über jetzt argumentiert wird, damit würde eine ge-
zu Hilfe rufen will, treibt unlauteren Wettbewerb. wisse Diskriminierung der K onsumvereine ausge
(Beifall in der Mitte. — Zuruf des Abg. sprochen, so kann ich dem nicht folgen. Denn auf
Schmücker.) der anderen Seite bleibt die Begünstigung steuer-
licher Art. Es darf nicht verkannt werden — und
ich bitte insbesondere Herrn Professor Böhm, das
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- richtig zu sehen —, daß die Beschränkung auf das
geordnete Dr. Elbrächter. Mitgliedergeschäft notwendigerweise voraussetzt,
daß steuerliche Vergünstigungen gewährt werden
Dr. Elbrächter (DP): Herr Präsident! Meine Da- können. Wer diese Zusammenhänge nicht sieht, der
men und Herren! Der Herr Berichterstatter hat er- urteilt, glaube ich, nicht ganz objektiv. Auch aus der
wähnt, daß der Ausschuß für Wirtschaftspolitik Begründung, die die Bundesregierung ihrem Ge-
keine Vorentscheidung fällen wollte und sich daher setzentwurf gegeben hat, geht wohl eindeutig her-
mit Mehrheit dafür entschieden hat, dem Antrag vor, .daß diese Zusammenhänge bestehen.
Albers und Genossen zuzustimmen. Ich persönlich
bin der Auffassung, daß mit dieser Zustimmung be- Wenn man also jetzt das Nichtmitgliedergeschäft
reits eine Vorentscheidung fällt. fordert, dann muß man notwendigerweise auf
steuerliche Begünstigungen verzichten, sonst bleibt
Ich bin nicht der Ansicht von Herrn Professor der unlautere Wettbewerb, Herr Kollege. Böhm;
Böhm, daß die Genossenschaften in ihrem Wettbe-
werb wesentlich eingeengt sind. Auch die freie (Beifall rechts und in der Mitte)
Konsumwahl — das ist hier bereits zum Ausdruck denn man benachteiligt doch den Einzelhändler und
gebracht worden — wird nicht eingeschränkt; denn bürdet ihm steuerliche Lasten auf, die die Konsum-
es steht jedem Bürger frei, Mitglied der Konsum- genossenschaften nicht tragen.
vereine zu werden. Die dazu notwendigen Formali-
täten sind leicht zu erfüllen. Ich glaube also vom (Zuruf des Abg. Pelster.)
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 201
(Dr. Elbrächter)
— Ich möchte hier nicht in eine Grundsatzdebatte setzen. Damit entfällt der Grund, der ursprünglich
über den Sinn und das Wesen der Genossenschaften zu einer Steuerbegünstigung geführt hat.
eintreten; wir werden ja Gelegenheit haben, Herr (Beifall rechts und in der Mitte. — Abg.
Kollege Pelster, darüber vielleicht im Wirtschafts- Mellies: Aber Gesetze können nur durch
ausschuß zu sprechen. Tatsache ist doch, daß die Gesetze geändert werden, Herr Kollege!
Vorteile, die die Konsumvereine den Verbrauchern Das müßten Sie langsam wissen!)
gewähren können, im wesentlichen auf den steuer-
lichen Vorteilen beruhen. Ich stelle anheim, zu Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
überlegen, ob den Mitgliedern der Konsumvereine geordnete Schuler.
gedient ist, wenn man ihnen diese steuerlichen Vor-
teile nimmt. Mir scheinen sowohl die Fragen des Schuler (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
Rechtes wie auch die des Wettbewerbs durchaus und Herren! Alle Jahre wieder
für die bisherige Regelung zu sprechen, daß man
die Genossenschaften auf das Geschäft mit den Mit- (Heiterkeit)
gliedern beschränkt. Das scheint mir eine wesent- kommen die Anträge, das Sonderrecht der Konsum-
liche Voraussetzung des genossenschaftlichen Zu genossenschaften, an Nichtmitglieder zu verkaufen,
sammenschlusses zu sein. Verzichten die Konsum um ein weiteres Jahr zu verlängern.
vereine darauf, dann ist das ihre Sache; dann muß (Zuruf rechts: Ein halbes Jahr!)
notwendigerweise aber auch im gleichen Augen-
blick auf jegliche steuerliche Begünstigung Verzich- Hier wird mit einer Beharrlichkeit, die einer bes-
tet werden. Mir scheint das eine ganz nüchterne, seren Sache würdig wäre, gefordert, daß ein Un-
logische Folgerung zu sein. recht als Sonderrecht anerkannt wird. Der Einzel-
Ich glaube allerdings, wir sollten diese Frage der handel ist nicht mehr bereit, eine einseitige steuer-
Konsumvereine nicht nur von wirtschaftspolitischen liche und wirtschaftliche Benachteiligung gegen-
über den Konsumgenossenschaften, deren Konkur-
und rechtlichen Gesichtspunkten her betrachten. Ich renz er unter Voraussetzung gleicher Start- und
möchte vielmehr auch hier für die Frage der Kon- Arbeitsbedingungen nicht zu fürchten hätte, wei-
sumvereine in Anspruch nehmen, was Herr Kollege terhin in Kauf zu nehmen. Er ist ferner nicht der
Preiß in Zusammenhang mit der Landwirtschaft Ansicht, daß die durch das Bündnis zwischen- Kon-
vorhin geäußert hat, daß nämlich wichtige politisch sumgenossenschaften, Gewerkschaften und Bauge-
soziologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen nossenschaften dauernd wachsende Machtkonzen-
sind. Ich möchte das auf eine ganz kurze Formel tration mit den Grundsätzen der sozialen Markt-
bringen, nämlich auf die Formel, daß es meinen wirtschaft zu vereinbaren ist.
politischen Freunden und mir lieber ist, wenn
tausend selbständige Einzelhändler da sind, als etwa Die rapide Entwicklung der Konsumgenossen-
tausend Filialleiter. schaften seit 1945 liegt klar auf der Hand.
(Beifall rechts und in der Mitte.) (Zuruf von der CDU: Auch des Einzel-
Ich glaube schon, daß Aristoteles hier nicht um- handels!)
sonst zitiert worden ist. Es ist in der Tat eine Er- Ihr Umsatz steigerte sich von 1949 bis 1952 um
fahrung — und ich bitte die Freunde der Konsum- 88 %, der des Einzelhandels in derselben Zeitspanne
vereine, nachzulesen, was die Schweizer darüber um nur 17%. Dieser Vernichtungswett-
sagen —, daß die Demokratie dort am besten ge- b e w e r b gegen den Einzelhandel kann so nicht
deiht, wo möglichst viele selbständige Menschen mehr weitergehen. Ich bitte das Hohe Haus, diesen
sind, die für ihre Freiheit arbeiten und auch etwas Antrag auf Verlängerung des Verkaufs der Kon-
wagen. sumgenossenschaften an Nichtmitglieder, Druck-
(Beifall rechts.) sache Nr. 51, abzulehnen.
Ich glaube, unter diesem Gesichtspunkt sollten wir (Beifall rechts.)
die Frage entscheiden. Das bedeutet keine Diskri-
minierung etwa der Angestellten. Ich gehöre selber Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
dazu und bitte, das hier richtigstellen zu dürfen. geordnete Krammig.
Ich möchte zum Schluß beantragen, daß über den Krammig (CDU): Herr Präsident! Meine sehr ver-
Antrag Albers und Genossen in namentlicher Ab- ehrten Damen und Herren! Hier ist so viel von
stimmung entschieden wird. Steuer ,gesprochen worden; ich stehe aber unter
Herr Präsident, ich habe noch einen Eventualan- dem Eindruck, daß die Redner in der Steuersyste-
trag zu stellen. Sollte der Antrag Albers und Ge- matik nicht bewandert sind. Sie könnten sonst nicht
nossen angenommen werden, dann bitte ich den die Behauptung aufstellen, die Konsumgenossen-
Bundestag, zu beschließen, daß ab 1. Januar 1954 schaften würden steuerlich begünstigt.
sämtliche steuerliche Vorteile entfallen, die bisher
den Konsumgenossenschaften gewährt worden sind. (Sehr richtig! in der Mitte.)
Die Begründung ist sehr einfach. Nachdem durch Für die Ertragsbesteuerung der Konsumgenossen-
Mehrheitsbeschluß des Deutschen Bundestages das schaften, meine Damen und Herren, gelten die all-
Nichtmitgliedergeschäft den Konsumgenossenschaf- gemeinen steuerlichen Vorschriften, und danach
ten für ein weiteres halbes Jahr gestattet ist und unterliegen alle Warengenossenschaften der Kör-
nachdem beabsichtigt ist, das Nichtmitgliederge- perschaftsteuer, der Gewerbesteuer vom Ertrag
schäft in einer gesetzlichen Neuregelung des Rech- und dem Notopfer Berlin.
tes der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Zuruf rechts: Ertrag haben sie ja keinen,
zu genehmigen, besteht schon jetzt keinerlei Grund der ist ja vorher ausgeschüttet!)
mehr, die Konsumgenossenschaften steuerlich zu
begünstigen. Durch die Freigabe des Nichtmitglie- — Warten Sie mal ab, wir kommen auch, noch auf
dergeschäfts haben die Konsumgenossenschaften den Ertrag zu sprechen.
ihr eigentliches Aufgabengebiet verändert. Sie sind (Abg. Stücklen: Sie sind auch schlecht in
jetzt jeder andern Erwerbsgesellschaft gleichzu- Steuersachen bewandert!)
202 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Krammig)
— Das glaube ich nicht. Das können Sie zum Schluß hält dagegen eine Hausfrau, die Genossenschafts-
sagen, aber jetzt nicht, Herr Kollege Stücklen. mitglied ist, die Rückvergütung, dann verbilligen
Die einzige Sondervorschrift für alle Warenge- sich dadurch ihre Lebenshaltungskosten. Ich habe
nossenschaften, nicht nur für die Konsumgenossen noch nie gehört, daß eine Verbilligung der Lebens-
schaften, enthält § 36 der Körperschaftsteuer haltungskosten zu einer Steuerpflicht führen
Durchführungsverordnung, der den Abzug der müßte. Im Ausland hat man die gleiche steuerliche
Rückvergütungen regelt, und danach kann die Rück- Regelung. In den Vereinigten Staaten, in denen die
vergütung steuerlich nur abgezogen werden, so- Rechtsprechung in dieser Hinsicht sehr stark aus-
weit sie im Mitgliedergeschäft erwirtschaftet wird. gebildet ist, ist unter anderem gesagt worden: Die
Rückvergütungen stellen Ersparnisse der Mitglie-
(Zuruf rechts: Wie wird das getrennt?) der dar.
Aus Fremderträgen, also Nichtmitglieder-Geschäf-
ten erwirtschaftete Erlöse sind voll körperschaft- Nun lassen Sie mich zum Schluß noch einen wirk-
steuerpflichtig. Wird eine höhere Rückvergütung lich sehr unverdächtigen Zeugen apostrophieren.
ausgeschüttet, als der Überschuß aus dem Mitglie- Der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzmini-
dergeschäft beträgt, wird also die sogenannte Ab- steriums hat in seinem Bericht zur Frage einer
zugsgrenze überschritten, dann ist insoweit Kapi- organischen Steuerreform Seite 29 folgendes ge-
talertragsteuer zu entrichten, sagt — gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich das
wörtlich zitiere —:
(Abg. Pelster: Sehr richtig!)
Die derzeitige Regelung der Genossenschafts-
und im Falle ungekürzter Auszahlung dieses über besteuerung ist mit der Maßgabe aufrechtzu-
schrittenen Betrages wird die Kapitalertragsteuer erhalten, daß Rückvergütungen und Nachver-
mit dem Höchstsatz, nämlich mit 33 1/3 % erhoben. gütungen, die 5 % der Umsätze des Mitglieds
(Abg. Pelster: Sehr richtig!) bei der Genossenschaft übersteigen, körper-
Wenn Sie dazu nun den vollen Körperschaftsteuer- schaftsteuerpflichtig sind, da es nicht Sinn und
satz nehmen, werden Sie feststellen, daß diese ZweckinrGoshaft,möglicoe
Steuer prohibitiv wirkt, daß also überhaupt keine Rückvergütungen an ihre Mitglieder auszu-
schütten.
Überschüsse über das Mitgliedergeschäft hinaus
ausgeschüttet werden können, weil das steuerlich -
Damit wir die Möglichkeit haben, diese steuerliche
Unsinn wäre. Frage zu regeln, sollte uns die Frist bis zum
Im übrigen ist die Rückvergütung keine Steuer- 30. Juni eingeräumt werden.
vergünstigung, denn sie gehört steuerlich zu den (Beifall in der Mitte und bei der SPD.)
Betriebsausgaben im Sinne des Einkommensteuer-
rechts. Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat die Ab-
(Lachen rechts.) geordnete Frau Strobel.
— Ja, meine Damen und Herren, wenn Sie meinen,
darüber lachen zu sollen, dann müssen Sie die Frau Strobel (SPD): Meine Herren und Damen!
Systematik des Steuerrechts ändern. Dafür sind Es war bis jetzt in dieser Debatte eigentlich immer
die Konsumgenossenschaften ja nicht verantwort- nur die Rede von den beiden Verteilergruppen,
lich; hie Einzelhandel, hie Konsumgenossenschaf ten.
(Sehr richtig! in der Mitte) Man bekommt beinahe das Gefühl, daß diejenigen,
denn diese Rückvergütung wird nach dem Umsatz die am meisten von einer solchen Regelung betrof-
bemessen. Sie stellt also steuerlich gesehen, eine fen werden, nämlich der Verbraucher und die Haus-
nachträgliche Senkung der Betriebsspanne dar und frau, dabei nicht in Betracht gezogen werden.
nichts anderes. Wenn Sie einmal den § 28 des (Sehr gut! bei der SPD.)
Tabaksteuergesetzes nachlesen, dann werden Sie
feststellen, daß es da ebenso verboten ist, Rück- Ich möchte Sie alle aus diesem Grunde doch einmal
vergütungen zu gewähren wie Rabatte. ganz schlicht daran erinnern und Sie bitten, darüber
Damit kommen wir nämlich auf den Kern der nachzudenken, in welch unmögliche Situationen
Sache, denn damit wird die Rückvergütung ertrag Sie die Hausfrauen in der Bundesrepublik bringen,
steuerlich gesehen, den Rabatten, Boni usw. gleich- wenn Sie ihnen jetzt verbieten wollen, dort ein-
gestellt. Sie werden nicht behaupten wollen, daß zukaufen, wo sie das für richtig halten. Ich glaube,
Rabatte schon jemals steuerlich erfaßt worden sind. man sollte die Angelegenheit ganz einfach auch einmal
Sie sind als Betriebsausgaben steuerlich abzugs- von diesem Gesichtspunkt her betrachten, daß es
fähig gewesen. doch mit Freiheit sehr wenig zu tun hat, wenn man
einer Hausfrau verbieten will, in einem Laden ein-
(Zuruf rechts: Bis zu 3 %!) zukaufen, der ihr am nächsten liegt oder aus
Jede Ertragsminderung wirkt steuerertragsmin- irgendeinem anderen Grunde genehm ist. Das nur
dernd. Das liegt nun einmal im Wesen der Er- nebenbei.
tragsbesteuerung. Die Rückvergütung ist Gewinn- Ich möchte noch auf einige Bemerkungen ein-
verzicht und kann daher steuerlich niemals mit gehen, die hier gemacht worden sind und die, glaube
Unternehmergewinn gleichgestellt werden. Steuer- ich, doch richtiggestellt werden müssen. Wir haben
vergleiche, die auf solcher Gleichsetzung beruhen, uns von vornherein enthalten, hier eine Grundsatz-
sind eben nicht vertretbar. debatte über das Genossenschaftsgesetz und die
Wie wird denn nun die Rückvergütung beim gesetzlichen Grundlagen für die verschiedenen
Empfänger behandelt? Auch diese Frage sollte ein- Wirtschaftsformen überhaupt zu führen. Leider ist
mal interessieren. Wenn ein Genosse, z. B. eine trotzdem eine solche Debatte entstanden, obwohl
Firma, sagen wir eine Einkaufsgenossenschaft, eine sie nicht gerade bei diesem Gesetz, sondern bei
Rückvergütung erhält, so mindert diese Rückver- der endgültigen Regelung all dieser Fragen im Ge-
gütung nachträglich die Bezugskosten, erhöht den nossenschaftsgesetz, in der Steuergesetzgebung, im
zu versteuernden Gewinn und wird erfaßt. Er Kartellgesetz usw. nötig wäre; dort ist sie dann
2. Deutcher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 202
(Frau Strobel)
angebracht, meine ich. Ich möchte ganz klar aus- unter dem der freien Konsumwahl, des gleichen
sprechen: Es müssen allen durchaus gleiche Start- Wettbewerbs und der Gewerbefreiheit für alle.
und Wettbewerbsbedingungen gegeben werden. Sie (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. —
herzustellen, ist aber nicht eine Angelegenheit Zuruf rechts: Auch in Tarifverträgen?!)
dieses Gesetzes, sondern der bereits angeführten. Und das allein kann, glaube ich, das Entscheidende
sein: nicht Interessenstandpunkt, sondern volks-
Hier ist viel davon die Rede gewesen, daß dieser wirtschaftlicher Standpunkt, der die Gleichberech-
Paragraph schon seit dem Jahre 1889 besteht. Darf tigung aller vor dem Gesetz sichert.
ich vielleicht auch einmal daran erinnern, daß die
Konsumgenossenschaften damals körperschaft- und (Beifall bei der SPD.)
gewerbesteuerfrei waren. Dieser Absatz ist also
unter ganz anderen steuerlichen Voraussetzungen Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
geschaffen worden. geordnete Samwer.
Auch davon war die Rede, daß die Wiedergut- Samwer (GB/BHE): Herr Präsident! Meine Da-
machung 'bereits erfolgt sei. Dabei geht man von men und Herren! Meine politischen Freunde vom
falschen Voraussetzungen aus. Wenn man schon Gesamtdeutschen Block/BHE sind mit mir grund-
den Gesichtspunkt der Wiedergutmachung in die sätzlich der Meinung, daß der Ausgangspunkt bei
Debatte wirft, muß man doch anerkennen, daß es den kommenden Verhandlungen über eine Novelle
nicht genügt, einen Zustand wiederherzustellen, des Genossenschaftsrechts hinsichtlich der Konsum-
wie er im Jahre 1933 bestand, sondern dann müßte genossenschaften der alte gesetzliche Zustand
man davon ausgehen, wie der Zustand im Jahre bleiben soll, bei dem die Konsumgenossenschaften
1945 gewesen wäre, wenn die Konsumgenossen- an Nichtmitglieder nicht verkaufen dürfen, da sie
schaften in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung in auch nach dem alten Gesetz andere Vergünstigun-
der Nazizeit nicht derartig behindert worden wären. gen genießen, die bisher nicht außer Kraft gesetzt
Aber selbst wenn man von dem Jahre 1933 aus- worden sind.
geht, kann man, nachdem hier Zahlen angeführt (Zurufe von der SPD: Welche?! — Ist ja
worden sind, die ein falsches Bild entstehen las- gar nicht wahr!)
sen, nicht darauf verzichten, die tatsächlichen Ent-
wicklungszahlen zu nennen. Nach den Zahlen vom Die derzeitige Ausnahmeregelung, wonach Kon-
sumgenossenschaften auch an Nichtmitglieder - ver-
Wirtschaftsministerium hatten die Konsumgenos-
senschaften im Jahre 1932 im gegenwärtigen Ge- kaufen dürfen, war begründet und auch gerecht-
biet der Bundesrepublik 2,1 Millionen Mitglieder, fertigt dadurch, daß Umsatz und Mitgliederbestand
im Jahre 1952 1,8 Millionen. Es besteht also noch der Konsumgenossenschaften nach dem Zusam-
ein Unterschied von 0,3 Millionen. Im Jahre 1932 menbruch von 1945 gegenüber der Zeit vor 1933
hatten sie im gleichen Gebiet 8500, im Jahre 1952 erheblich zurückgegangen waren. Nach den Ver-
7363 Verteilungsstellen. Für den Umsatz darf ich öffentlichungen der Konsumgenossenschaften selbst
folgende Zahlen nennen. Der Umsatz im Jahre sind inzwischen die früheren Höchstziffern im Um-
1932 war 722 Millionen Mark, im Jahre 1952 1,34 satz wie im Mitgliederbestand sogar überschritten
Milliarden DM. Bedenken Sie dabei aber bitte, worden.
daß der Preisindex im Jahre 1952 im Verhältnis (Zurufe von der SPD: Lesen Sie vor! — Sie
zum Jahre 1932 bei 200 lag. Danach sind die Kon- haben nicht aufgepaßt!)
sumgenossenschaften auch in ihrem Umsatz noch Allerdings stehen die Ausführungen des Herrn
im Rückstand gegenüber der damaligen Zeit. Das Vertreters des Bundeswirtschaftsministeriums, die
wollte ich doch zu den hier aufgestellten Behaup- er kürzlich im Wirtschaftspolitischen Ausschuß ge-
tungen sagen, die man objektiver in diesem Licht macht hat, hierzu in einem nicht überzeugenden
sehen muß. Gegensatz, der hoffentlich recht bald eindeutig auf-
geklärt wird.
Zum Schluß möchte ich noch folgendes erklären.
Ich fürchte, daß all die Herren, die hier glauben, (Zuruf von der SPD: Frisiert werden muß!)
dem Einzelhandel damit einen Dienst zu erweisen, Gestatten Sie mir die persönliche Erklärung, daß
daß sie das Nichtmitgliedergeschäft der Konsum- ich dem Ausschußantrag nicht zustimmen werde
genossenschaften beseitigen wollen, nicht mit ent- — auch eine Vielzahl meiner politischen Freunde
sprechender Voraussicht an die Zukunft gedacht werden so handeln —, weil er nicht die Wettbe-
haben. Denn letzten Endes wird es dahin kommen, werbsgleichheit zwischen Konsumgenossenschaften
daß all die Hausfrauen, die bisher hie und da ein- und Handelsbetrieben gewährleistet. Eine Zustim-
mal im Konsum gekauft haben und nicht Mitglied mung zu dem kurzfristigen Kompromiß, der nie-
geworden sind, als Mitglied in die Konsumgenos- mals verlängert werden sollte, kann allgemein die
senschaften eintreten, kommende Neuregelung des Rechts der Konsum
genossenschaften in keiner Weise präjudizieren.
(Abg. Dr. Orth: Um so besser für euch! —
Nach unserer Wirtschaftsauffassung dürfen die
Weitere Zurufe rechts) Konsumgenossenschaften nach dem Gleichheits-
und die Hausfrau, die einmal Mitglied im Konsum prinzip künftig keinesfalls gegenüber den Handels-
geworden ist, macht ihre Einkäufe dann unter dem betrieben bevorzugt bleiben.
Gesichtspunkt der größtmöglichen Rückvergütung; (Beifall beim GB/BHE und rechts.)
sie wird also in Zukunft mehr im Konsum kaufen,
als sie es bisher getan hat. Man sollte das auch Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
einmal von diesem Standpunkt aus sehen. geordnete Stücklen.
(Erneute Zurufe rechts.)
Stücklen (CSU): Herr Präsident! Meine Damen
Ich vertrete die Angelegenheit ja nicht unter dem und Herren! Aus meinem Beruf bin ich gewohnt, an
Gesichtspunkt, daß die Konsumgenossenschaften Aufgaben mit ziemlicher Logik heranzugehen.
das größtmögliche Geschäft machen sollen, sondern (Lachen und Zurufe links.)
204 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Stücklen)
— Ich wollte Ihnen eben ein Kompliment machen. auch die marktbeherrschende Position der Konsum
Ich habe mich gefreut, daß die Frau Kollegin genossenschaf ten.
Strobel auf den Kern der Sache zurückgegangen (Beifall in der Mitte und rechts. — Abg.
ist. Denn die Aufhebung des § 8 Abs. 4 durch die
britische Besatzungsmacht 1946, durch den Wirt- Pelster: 4 % Anteil!)
schaftsrat 1947 und die Verlängerung dieser Auf- — Herr Kollege Pelster, es handelt sich hier um
hebung um ein Jahr durch uns 1952 gehen darauf das Argument des Herrn Professor Böhm.
zurück, daß man den Konsumgenossenschaften die Wenn wir nun im Zusammenhang der Beratun-
der Wiedergut- Möglichketbnwo,mZug gen die Frage entscheiden müssen, ob Verlänge-
machung auf den alten Stand zurückzukommen. rung oder nicht, dann darf ich Sie, Frau Kollegin
Nun haben Sie, Frau Kollegin Strobe l, eine Strobel, einmal ansprechen. Sie gehören sehr lange
Statistik verwendet, die uns auch im Ausschuß für der Konsumgenossenschaftsbewegung an. Vielleicht
Sonderfragen des Mittelstands vorgelegen hat. Ich sind Sie auch bei dem Konsumvereinsverbandstag
habe dort zu dieser Statistik allerdings sagen müs- von 1929 mit dabei gewesen. Der Konsumvereins
sen, daß man sie, wenn sie sich einmal auf das Jahr verbandstag von 1929 hat die Einführung des
1930 bezieht, dann auf das Jahr 1932 und dann auf Nichtmitgliedergeschäfts als den Genossenschaften
1931, nicht als eine saubere und konkrete Unterlage wesensfremd bezeichnet und das Nichtmitglieder-
zur Beweisführung verwenden kann. geschäft selbst seitens des Konsumvereinsverbandes
abgelehnt.
Das Genossenschaftswesen ist heute in eine Rich- (Hört! Hört! bei der FDP.)
tung gegangen, die nicht mehr mit dem genossen-
schaftlichen Prinzip vereinbar erklärt werden kann. Es scheint mir, daß es damals noch echte Genossen
Wenn Herr Professor B ö h in der Meinung ist, schaftler waren. Es scheint mir, daß damals der
daß die Regierungsvorlage durchdacht sei, die Ent- Wert einer Selbsthilfeorganisation erkannt worden
scheidung des Reichstags von 1898 aber nicht, dann ist, und es scheint mir weiter, daß man durch die
liegt darin die Wertung einer parlamentarischen von 1946 bis heute geltende Ausnahmebestimmung
Entscheidung, deren Beurteilung ich Ihnen, Herr Geschmack an der Kapitalgesellschaft gewonnen
Professor Böhm, ganz allein überlassen möchte. hat.
(Lebhafter Beifall in der Mitte und
(Abg. Arndgen: Wissen Sie nichts von rechts. - Zurufe links.) -
Kampfabstimmungen?)
Dagegen wenden wir uns. Wenn Sie eine Erwerbs-
— Herr Kollege Arndgen, wir haben hier im Bun gesellschaft werden wollen oder eine Kapitalgesell-
destag auch Kampfabstimmungen gehabt, als es schaft, dann nehmen Sie die Rechtsform an, die für
um die Verlängerung oder Nichtverlängerung ging. eine solche Gesellschaft möglich ist; beanspruchen
(Abg. Sabel: Eine bessere Begründung wäre Sie aber bitte nicht für sich den Genossenschafts-
mehr wert gewesen!) charakter, wenn Sie längst über diesen Bereich hin-
ausgegangen sind.
— Kommt auch noch.
Nun wird man mit allen möglichen Statistiken Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren,
kommen, mit Umsatzzahlen usw. Man sagt, daß die zur Abstimmung. Ich glaube, daß diese Abstim-
Konsumgenossenschaften nur mit 4 % am Gesamt- mung ein Prüfstein dafür ist, wie die einzelnen
umsatz des, Einzelhandelsgeschäfts teilhaben. Es ist Fraktionen gewillt sind, die Versprechungen, die
aber doch ein wesentlicher Unterschied, ob nun die sie im Wahlkampf gegeben haben, seine positive
Mittelstandspolitik zu betreiben, einzulösen.
4 % in der Hand einer einzigen Genossenschaft
liegen oder ob die 96 % von Hunderttausenden von (Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe
Einzelhändlern, von Einzelexistenzen gebracht links. — Abg. Sabel: Unerhört! — Abg.
werden. Pelster: Unverschämtheit! — Unruhe.)
(Beifall in der Mitte.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
Das ist der wesentliche Unterschied in unserem geordnete Becker (Hamburg).
Denken. Hier ist das Denken, das den Persönlich-
keitswert betont, und dort das, das den Kollektiv- Becker (Hamburg) (DP): Meine Damen sind Her-
erfolg als gleichwertig hinstellt. Gegen diese Be- ren! Die Freunde und Mitglieder der Konsumgenos-
strebungen wenden wir uns. Deshalb werden wir senschaften leisten dem Konsumgenossenschaftsge-
auch mit aller Entschiedenheit gegen eine Ver- danken, wie ich glaube, keinen guten Dienst, wenn
längerung dieses Gesetzes eintreten, weil dadurch Sie sich jetzt mit dieser Beharrlichkeit für das so-
die Voraussetzungen zur Neuregelung im Genos- genannte Nichtmitgliedergeschäft einsetzen. Mein
senschaftswesen auf eine vollkommen falsche Basis Herr Vorredner hat schon darauf hingewiesen, daß
gestellt werden. früher die Einstellung der Konsumgenossen-
Wenn Herr Professor Böhm — ich muß noch ein- schaften und der Konsumgenossen selber eine
mal darauf zurückkommen — gesagt hat, daß es andere gewesen ist. Ich sage Ihnen als Mitglied
1945/46 notwendig war, den Konsumgenossenschaf- einer großen Konsumgenossenschaft Norddeutsch-
ten die Möglichkeit des freien Verkaufs zu geben, lands aus meiner konservativen Einstellung, daß
um die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuer- der Weg, den die Konsumgenossenschaften jetzt
halten, dann darf ich doch hinzufügen, daß auch die einschlagen - nämlich zu dem Nichtmitgliederge-
übrige gewerbliche Wirtschaft — die Einzelhandels- schäft als Regel überzugehen —, von dem ursprüng-
geschäfte — ihren Anteil daran gehabt haben. lichen Gedanken der Genossenschaftsselbsthilfe
wegführt.
(Abg. Sabel: Von niemand bestritten!) (Sehr richtig! rechts.)
Wenn Sie aber meinen,, Herr Professor Böhm, daß Vielleicht nehmen die Freunde, die sich immer als
es nur dann möglich war, den Konsumenten zu be- alleinberechtigte Sprecher der Konsumgenossen-
friedigen, wenn die Konsumgenossenschaften frei schaften ausgeben, einmal zur Kenntnis, daß die
verkaufen konnten, dann bestätigen Sie damit aber Konsumgenossenschaften eine gute Anzahl konser-
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 205
(Becker [Hamburg])
vativ eingestellter Mitglieder haben, die sich nach Zum Schluß darf ich folgendes sagen. Solange die
wie vor zu dem ursprünglichen Gedanken be- Dinge in politischer Hinsicht noch so unausgeglichen
kennen. sind, glaube ich, sollte man berechtigterweise von
der Grundlage ausgehen, die die Konsumgenossen-
Frau Kollegin Strobel hat nun ausgeführt, es schaften fördernden Bestimmungen, wie sie in den
sei für den Verbraucher bei der heutigen Entwick- vergangenen Jahren bestanden haben, nun doch ein-
lung schlechthin lästig, wenn er nicht in den einen mal bis zur endgültigen Klärung zurückzustellen,
oder anderen Laden gehen könne. Das ist eine Tat- damit die offiziell befugten Vertreter der Konsum-
sache, die nicht zu leugnen ist. Von dem Standpunkt genossenschaften sich einmal überlegen, daß sie
des einfachen Verbrauchers aus, der also nicht kon- besser eine faire Diskussion betreiben sollten, um
sumgenossenschaftlich orientiert und organisiert zu einer gerechten Lösung zu kommen, die alle
ist, ist diese Einstellung vertretbar und auch be- Teile befriedigen kann.
rechtigt. Wenn als Folge davon aber gefordert wird,
daß die Gewerbefreiheit für alle Verkaufseinrich- (Beifall rechts und in der Mitte.)
tungen gleich ist, muß auf der anderen Seite auch
die Konsequenz gezogen werden, daß man eine Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
gleiche steuerliche Behandlung schafft. Ich will gar geordnete Dr. Dr. Müller.
nicht behaupten, die Konsumgenossenschaf ten
würden steuerlich besser behandelt. Ich stelle nur Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) (CDU): Herr Präsident!
fest, daß die Konsumgenossenschaften steuerlich Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Ab-
anders behandelt werden, daß also der Start für sicht, in diese Debatte einzugreifen. Aber die Aus-
den Wettbewerb ungleich ist. Aus allen diesen führungen meines Fraktionskollegen Stücklen
Gründen glaube ich, daß die Argumente, die von zwingen mich dazu, ein paar Bemerkungen zu
den Vertretern der vorliegenden Drucksache 51 an- machen.
geführt werden, die schlechteren sind. (Sehr gut!)
Hinzu kommt aber noch folgendes, und das Meine Damen und Herren, von dem Antrag und
möchte ich zum Schluß bemerken. Die Auseinander- dem Beschluß des Wirtschaftspolitischen Auschusses
setzungen über dieses Thema haben eine erfreuliche wird die sachliche Frage, wie Konsumvereine, an-
Seite. Sie weisen darauf hin, daß die wirtschaft- dere Genossenschaften und Einzelhandel behandelt
-
liche Gesundung in Westdeutschland schon so fort- werden sollen, überhaupt nicht tangiert,
geschritten ist, daß sich schon an diesen zweit- und (Sehr richtig! in der Mitte)
drittrangigen Fragen eine derart lebhafte Ausein- sondern das Ziel dieses Antrages ist, dem Bundes-
andersetzung entzündet. Sie zeigen weiter, daß die tag Zeit zu geben, in eine Erörterung der an-
Gedanken der staatlichen Lenkung der Wirtschaft stehenden Probleme einzutreten und eine Regelung
allm ählich hoffentlich ganz aus den Köpfen der zu finden, die allen Beteiligten im Wirtschafts-
Deutschen in Westdeutschland verschwinden. Aber leben gleichen Start gibt.
auf der anderen Seite muß auch darauf hingewiesen
werden, daß die Auseinandersetzungen von den (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)
beiden Interessentengruppen in diesem Falle vor- Ich glaube, wenn man sachlich und unvoreingenom-
wiegend in einer Weise geführt worden sind, die men ist, wird man dem Bundestag diese Möglich-
nicht ohne weiteres hingenommen werden kann. keit geben müssen, zumal der erste Bundestag die
Ich gebe zu, daß die Interessenvertretungen des Drucksache Nr. 4074, die sich mit dieser Materie
Einzelhandels teilweise eine Argumentation ge- schon befaßte, nicht mehr erledigen konnte.
führt haben, die über das Maß der Sachlichkeit (Zuruf links: Das ist bedauerlich!)
hinausgeht. Sie haben sich teilweise in der Wort-
wahl vergriffen, haben von „Provokation des Mit- Es ist mir unverständlich, daß in diese Debatte
telstandes" gesprochen. Das . ist, glaube ich. eine et- Schärfen hineingetragen werden können, wie es
was starke Dosis. Auf der anderen Seite muß man Herr Kollege Stücklen getan hat.
sich aber fragen: Wie war die Antwort der Konsum- (Beifall in der Mitte.)
genossenschaften? Ihnen allen ist der „Ver-
braucher", die Zeitschrift des Zentralverbandes der Meine Damen und Herren, es geht nicht an, Aus-
Konsumgenossenschaften zugegangen, in der die, führungen zu machen, die den Eindruck erwecken
ich muß wohl sagen, ungeheuerliche Feststellung könnten, als ob diejenigen, die nur für diese Ver-
eines Mitgliedes einer Genossenschaft steht, der längerung sind, damit eine mittelstandsfeindliche
Kampf gegen die Konsumgenossenschaften habe Haltung bekundeten.
jetzt schon wieder Formen angenommen, welche (Erneuter Beifall in der Mitte.)
den Methoden des tausendjährigen Reiches ent-
sprächen. Ich habe mich selber in der Beurteilung dieser
Dinge hier zurückgehalten, aber ich bin der Auffas-
Meine Damen und Herren, mit dieser Argumen- sung: man lasse diese Schärfen aus der Debatte
tation, die eine reine Polemik ist, nützen Sie nie- heraus
mandem. Sie bringen vielmehr dasselbe Argument, (Sehr richtig! in der Mitte)
das jetzt Gott sei Dank von der politischen Ebene und sorge dafür, daß wir uns nach den Ferien zu
verschwunden ist, in die wirtschaftspolitische Aus- sammensetzen und in aller Offenheit die Dinge so
einandersetzung wieder hinein, wenn Sie Ihre Ge- regeln, wie es die wirtschaftliche Vernunft verlangt.
genspieler bezichtigen, Methoden des tausendjäh-
rigen Reiches anzuwenden. Dabei hat von der an- (Lebhafter Beifall in der Mitte.)
deren Seite, vom Einzelhandel und vom gewerb-
lichen Mittelstand, niemand etwa ein Verbot, eine Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
Auflösung der Konsumgenossenschaften oder etwas geordnete Kriedemann.
Ähnliches gefordert. Wenn Sie mit solchen Argu-
menten arbeiten, leisten Sie der Sache, die Sie ver- Kriedemann (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
treten, keinen guten Dienst. men und Herren! Der Herr Kollege Stücklen hat
206 2. Deutscher Bundestag — a. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Kriedemann)
hier an Wahlversprechungen erinnert. Das sei ihm gen gehörten zu den Betriebsausgaben und seien
unbenommen. Ich möchte mir aber doch den Vor- ein Gewinnverzicht. Das Ist labsolut richtig. Aber
schlag erlauben, daß wir die Diskussion nicht in die Rückvergütungen, die der Einzelhandel geben
Form von Wahlversammlungen führen. Damit kann, sind durch das Rabattgesetz auf 3 % be-
niemand hier unter irgendeinem falschen Eindruck schränkt. Diese Beschränkung gilt nicht für die
seine Abstimmung vornimmt — und ein solcher Konsumgenossenschaften. Darin liegt der Unter-
Eindruck müßte eigentlich entstehen, wenn man schied, und dieser Unterschied sollbeseitigt wer-
sagt: Ja, nur 4 %, aber in einer Hand, ein ganz den. Das haben Sie leider nicht gesagt.
großer Konzern -, möchte ich hier darauf auf-
merksam machen, daß es nicht nur eine Konsum- Ich darf für die FDP-Fraktion den Antrag der
genossenschaft gibt, DP auf namentliche Abstimmung unterstützen. Ich
bitte, die Problematik sehr klar zu erkennen, ob
(Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte) der Sondervorteil, der den Konsumgenossenschaf-
sondern fast 300 Konsumgenossenschaften, ich ten
glaube, genau 200 und einige 90, (Zuruf von der Mitte: Gar nicht vorhanden!)
(Abg. Lenz: 312!) bis zum heutigen Tage gewährt worden ist, auch
über den 31. Dezember hinaus gewährt werden
— 305, Herr Kollege Lenz, von denen eine größere soll, oder ob wir mit gleichen Startbedingungen in
Anzahl nur eine, zwei, drei Verkaufsstellen unter-
halten; die neuen Verhandlungen eintreten. Das ist, glaube
(Sehr richtig! in der Mitte) ich, die Kernfrage.
also wahrlich ein Kreis von Menschen, die sich zu (Beifall rechts und in der Mitte. — Abg.
einer echten Selbsthilfeaufgabe zusammenge- Pelster: Völlig daneben!)
schlossen haben. Wenn nun einer glaubt, es gebe
darüber aber so eine magische Zusammenfassung, Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
die das Ganze doch zu einem von einem zentralen geordnete Dr. Horlacher.
Punkt aus gesteuerten Konzern mache, dann möge
der Betreffende doch einmal seine Voreingenom- Dr. Horlacher (CSU): Meine sehr verehrten Da-
menheit oder vielleicht auch seine Angst über- -
men und Herren! Ich habe in den Wahlauseinander-
winden, möge in den Laden einer Konsumgenossen- setzungen keine Versprechungen gemacht;
schaft gehen und einmal sehen, was denn nun dort (Abg. Schmücker: Vorsicht!)
zum Verkauf gestellt wird. Das sind keineswegs
etwa nur Produkte aus den Fabriken der Konsum- infolgedessen kann ich auch ruhig und objektiv
genossenschaften, sondern - - zu der Frage Stellung nehmen.
(Zuruf rechts: 50%!) (Heiterkeit.)
— Dann - sind es immerhin noch 50% von diesen Die Debatte hat eine Reihe von Unklarheiten
4%, die aus der sogenannten freien Wirtschaft, aus ergeben, deren baldige Beseitigung unbedingt not-
privaten Unternehmungen kommen, wendig ist. Ich wäre der Letzte, der gegen eine
(Abg. Pelster: Sehr richtig!) solche Klärung wäre. Schon allein das Nichtmitglie
der-Geschäft ist, wenn Sie sich einmal. die Kom-
und dann überlegen * Sie bitte, ob das nun etwa die mentare zu § 8 des Genossenschaftsgesetzes an-
richtige Art von Mittelstandspolitik wäre, wenn
Sie die Konsumgenossenschaften vor eine Aus- sehen, so eine schwankende Gestalt. Was sind
nahmeregelung stellten — neulich ist im Wirt- Nichtmitglieder-Geschäfte? Die gewerblichen Roh-
schaftspolitischen Ausschuß in nicht ganz unzutref- stoffverbände, die an Nichtmitglieder verkaufen,
fender Weise das Wort „Ghetto" gebraucht worden dürfen dies tun. Konsumvereine, die selber produ-
zieren, dürfen die selber produzierten Waren auch
— und ob Sie dadurch denen — und 50% von 4 % an Nichtmitglieder verkaufen. Um stich auf dem Ge-
des Gesamtumsatzes ist vielleicht auch noch ein
ganz interessantes Geschäft — wirklich einen biet des Mitgliedergeschäfts und Nichtmitglieder
großen Gefallen täten, die bisher zu den Lieferanten Geschäfts zurechtzufinden, muß man die Kommen-
der Konsumgenossenschaften gehören., tare genau studieren.
(Beifall bei der SPD und in der Mitte.) Ich möchte nicht in den Fehler verfallen, Mer
lediglich aus Interessengründen eine Agitations
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- politik zu treiben.
geordnete Weyer. (Beifall in der Mitte.)
Weyer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- Aber es kommt hier darauf 'hinaus, als ob den Kon-
ehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Hoff- sumvereinen lediglich der Einzelhändler gegen-
nung, daß wir uns heute noch gegenseitig zu über- überstände. Ja, gibt es denn außer den Konsum-
zeugen vertrnögen. Ich glaube, die Meinungen sind vereinen und der GEG nicht andere Wirtschafts-
ziemlich vorgefaßt, und wir könnten die Debatte gebilde?
beenden. (Zuruf: EDEKA!)
(Sehr richtig! in der Mitte.) Gibt es nicht diese Wirtschaftsgebilde und all die
Ich möchte mich auch nicht in die kleine Ausein- großen Einkaufsgesellschaften, deren Vertreter in
andersetzung innerhalb der CDU-Fraktion ein- den Ländern umherfahren und bei denen die
mischen. Wir teilen den Standpunkt, den Herr Kol- Einzelkaufleute
lege Stücklen vorgetragen hat, und wir würden (Abg. Schmücker: Warenhaussteuer!)
uns freuen, wenn sich auch die Mehrheit der CDU- nur noch Filialleiter sind? Davon spricht kein
Fraktion diesem Standpunktanschließen würde. Mensch.
Ich darf noch ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege (Zuruf rechts: Das hat hiermit nichts
Krammig , sagen. Sie sagten, die Rückvergütun zu tun!)
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 207
(Dr. Horlacher)
Ich selber bin Genossenschaftler genug, um zu zu klären, auffordern, für die Verlängerung zu
wissen, wie der Genossenschaftsgedanke jeweils stimmen, damit wir in der Zwischenzeit eine rich
angewendet werden -muß. Er findet auch in den tige Lösung der Probleme finden können.
mittelständischen Betrieben Anwendung. Ich er- (Beifall bei einem Teil der CDU/CSU
innere nur an die EDEKA-Genossenschaft. Jeder und bei der SPD.)
Einzelhändler hat die Möglichkeit und das Recht,
sich die Vorteile des Großbezugs zu eigen zu Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Herr
machen, indem er sich beispielsweise der EDEKA- Abgeordneter Mensing.
Genossenschaft anschließt.
(Abg. Meyer- Ronnenberg: Er muß sie aber Mensing (CDU): Herr Präsident! Meine Damen!
voll versteuern!) Meine Herren! Wir wollen die Dinge nicht ins
Lächerliche ziehen; dafür ist die Frage doch zu ernst.
— Jetzt kommen Sie wieder mit dem Steuer- Ich hatte nicht die Absicht, hier das Wort zu neh-
problem. Dazu haben ändere Kollegen schon Stel- men; veranlaßt hat mich dazu der Kollege Horlacher.
lung genommen. Das ist ein weiterer Grund, der
mich veranlaßt, meine engeren Freunde aufzufor- Ich bin der Auffassung, daß der ganze hier zur
dern, unter allen Umständen für die Verlängerung Diskussion gestellte Fragenkomplex selbstverständ-
bis 30. Juni zu stimmen. Denn die steuerliche lich zwei Seiten hat, und spreche dies klipp und
Behandlung der Genossenschaften weist eine Reihe klar aus. Wir vom gewerblichen Mittelstand fühlen
von Unrichtigkeiten auf, die dringend der Klärung uns nicht nur von den Konsumvereinen bedroht,
bedürfen. sondern auch von den anderen Großbetrieben —
(Beifall in der Mitte.) um mich ganz vorsichtig auszudrücken—, von wirt-
schaftlich rechts. Unser Behauptungskampf richtet
Es wird ja immer nur einfach drauflos behauptet. sich daher gegen wirtschaftlich links und gegen wirt-
Es ist nicht das erste Mal, daß ich eine Konsum- schaftlich rechts.
vereins-Debatte mitmache; ich bin auf dem Gebiet (Heiterkeit bei der SPD. — Unruhe. —
schon hartgesotten. Zuruf von der CDU: Was heißt das?
(Heiterkeit.)
Ich bin ehrlich genug einzugestehen, daß unsere
Die Welt ist deswegen noch nicht zugrunde gegan- handwerklichen Genossenschaften zum Teil- auch
gen. Die Meinungen sind immer quer durch die an Nichtmitglieder verkaufen.
Fraktionen gegangen. Wir haben uns allerdings (Abg. Arndgen: Aha!)
gegenseitig, glaube ich, nicht so abgekämpft wie
heute; es ist ein bißchen gemütlicher zugegangen. Aber bitte, ich will die Dinge, nachdem der Kollege
Heute war die Debatte interessenmäßig ein bißchen Horlacher mich dazu gezwungen hat, hier die
sehr scharf zugespitzt, so daß man nicht mehr das Bühne zu betreten, — —
Wirkliche von dem Unwirklichen, nicht mehr das (Große Heiterkeit.—Zuruf: Wer war das?)
Echte vom Unechten, nicht mehr das Agitatorische
von dem hat unterscheiden können, was man — Bitte, lachen Sie ruhig! Ich bin gewohnt, in
eigentlich will. diesen Dingen eine ganz offene Sprache zu sprechen.
(Beifall bei Abgeordneten in der Mitte (Zuruf von der SPD: Es geht um die
und -bei der SPD.) Wurst!)
Das Genossenschaftswesen dient genau so dem Nein —, es geht um etwas anderes. Es geht darum —
gewerblichen Mittelstand wie den anderen Ständen, und Ihre hämischen Bemerkungen geben mir Ver-
(Zustimmung einiger Abgeordneter anlassung dazu —, die Frage der Konsumvereine
der CDU) von der politischen Seite zu untersuchen.
und die Genossenschaftler müssen sehr vorsichtig (Sehr gut! rechts. — Aha!-Rufe von der
sein, wenn sie den einen Genossenschaftsgedanken SPD. — Zuruf: Wurst wider Wurst!)
da verwerfen und dort wieder beanspruchen. Ich Es wurde hier zum Ausdruck gebracht, daß die
weiß zum Beispiel, daß die Fleischer dein Genos- Konsumvereine längst über den genossenschaft-
senschaftsgedanken nicht so gegenüberstehen, wie lichen Rahmen der Selbsthilfe hinausgegangen sind
es heute zum Ausdruck gekommen ist. Da gehen . und heute reine Erwerbsunternehmen geworden
dieMnugrchade gnir. sind. Wir sehen in ihren Genossenschaften (zur
Aber wenn ich schon einmal das Genossenschafts- SPD) in erster Linie wirtschaftliche Institutionen,
prinzip als berechtigt anerkenne, . dann muß ich die dazu berufen sind, sehr viele Menschen aus
auch dafür sorgen, daß keine Ausnahmebestim- Ihren politischen Reihen unterzubringen, damit sie
mungen gegen eine Genossenschaft bestehen. die Möglichkeit haben, frei von wirtschaft lichen
(Sehr richtig! in der Mitte.) Sorgen sich für Ihre politische Idee einzusetzen.
Das Nichtmitglieder-Geschäft kann ja von jeder (Lachen und erneute Zurufe von der
Genossenschaft betrieben werden, wenn es in den SPD. — Abg. Mellies: Wollen Sie ernst
Statuten festgelegt ist. Nur der § 8 Abs. 4 hat genommen werden oder nicht?)
diese Ausnahmebestimmung. Der gewerbliche Mittelstand sieht die Dinge auch
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist von dem staatspolitischen Gesichtspunkt an.
meiner Ansicht nach dringend notwendig, die (Zuruf von der SPD: Da haben wir es!)
Dinge gründlich zu klären. Ich will mich in den Wir bekennen uns zur Persönlichkeitswirtschaft
Streit der Meinungen nicht weiter einmischen, ich und wünschen,
will gar keine grundsätzlichen Ausführungen Zuruf von der SPD: Sülze! — Heiterkeit
machen. Denn die Dinge sind ja schon so festgefah- links)
ren, daß man kaum mehr zur Vernunft reden
darf. Aber ich möchte die Mitglieder des Hauses, daß die vielen selbständigen kleinen und mittleren
die -das Bedürfnis haben, die Frage noch weiter Betriebe der Volkswirtschaft erhalten bleiben. Der
208 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Mensing)
1 Staat, der es versteht diese selbständigen Kräfte Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Rednerliste ist
am Leben zu erhalten, hat die Gewähr, daß er sich erschöpft.
einen guten Dienst erweist. Vergessen Sie nicht, (Zuruf von der SPD: Wir auch!)
die Ausschaltung dieser Gruppen des Mittelstandes
wird gleichbedeutend damit sein, daß den Söhnen Ich schließe die Aussprache zu Art. 1. Es ist der An-
der Arbeiterschaft die Aufstiegsmöglichkeiten ge- trag auf namentliche Abstimmung über Drucksache
nommen werden. 117 gestellt. Ich nehme an, daß hier eine nament-
liche Abstimmung zu Art. 1 in zweiter Lesung ge-
(Lachen bei der SPD. - Abg. Dr. Greve: meint ist. Besteht darüber Einverständnis? — Das
Was sagen Sie denn zu Ahrberg, Herr ist der Fall.
Mensing? - Weitere Zurufe.)
Ich frage, ob der Antrag auf namentliche Ab-
— Ich bin ein Gegner der Filialbetriebe und der. stimmung von wenigstens 50 Mitgliedern des Hau-
Großbetriebe. ses unterstützt wird. — Das sind wenigstens 50 Mit-
(Zuruf von der SPD: Aller anderen Metz glieder. Die namentliche Abstimmung wird hiermit
gerläden! — Heiterkeit links.) eröffnet. Ich bitte die Herren Schriftführer, sich
Ich persönlich werde meinem Freund Schmücker zu den Urnen zu begeben und die Stimmkarten
Gefolgschaft leisten einzusammeln.
(Lachen bei der SPD) (Einsammeln der Stimmkarten.)
und bekenne mich zu seiner Auffassung. Sind noch Damen und Herren im Saal, die ihre
Stimme abzugeben wünschen?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Zuruf: Jawohl!)
und bei der FDP. — Zurufe von der SPD.)
Ich frage nochmals: sind noch Damen und Herren
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- im Saale, die ihre Stimme abzugeben wünschen? —
geordnete Schmücker. Das ist nicht der Fall. Ich schließe die namentliche
Abstimmung.
Schmücker (CDU):. Herr Präsident! Meine Damen (Auszählen der Abstimmungskarten.) -
und Herren! Ich habe Ihnen als erster Redner vor-
geschlagen, man möge versuchen, eine leidenschafts- Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis
lose Debatte zu führen. Ich muß sagen, daß wir der namentlichen Abstimmung*) bekannt. Von den
gegenwärtig von beiden Seiten den Versuch stimmberechtigten Abgeordneten wurden 458 Stim-
machen, mit anderen Argumenten als mit denen men abgegeben. Es stimmten mit Ja 259, mit Nein
der Vernunft überzeugen zu wollen. Lautstärke 185 bei 14 Enthaltungen. Von den Berliner Abge-
spricht nicht für sich; es spricht auch nicht für sich, ordneten wurden 20 Stimmen abgegeben. Mit Ja
wenn man einem Kollegen mit Gelächter oder/ähn- stimmten 14, mit Nein 6; keine Enthaltungen. Da-
lichen Dingen entgegentritt. mit ist Art. 1 angenommen.
Es ist von Interessen und anderen Dingen ge- Seitens der Fraktion der Deutschen Partei wurde
sprochen worden. Ja, meine Damen und Herren, als Eventualantrag ein Änderungsantrag auf Ein-
das bestreitet niemand, daß der eine oder andere fügung eines Art. 1 a gestellt:
diese oder jene Interessen hat. Aber wenn wir Ab 1. Januar 1954 entfallen sämtliche steuer-
nicht einmal mehr in der Lage sind, dem anderen liche Vorteile, die bisher den Konsumgenossen-
zuzubilligen, daß er nach seinem echten Empfin- schaften gewährt wurden.
den urteilt, können wir nach Hause gehen.
Der Antrag ist bereits begründet. Wird hierzu
Wir haben Ihnen klar gesagt, daß es uns gar noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
nicht darauf ankommt, irgendwie das Mitglieder- Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungs-
geschäft zu beschränken. Uns kommt es vielmehr antrag der Deutschen Partei zustimmen will, den
darauf an, einen gleichen Wettbewerb herzustellen. bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die
Da sind die einen der Meinung, daß man für die Gegenprobe. - Enthaltungen? — Bei einigen Ent-
Übergangszeit so verfahren soll, und die anderen, haltungen mit Mehrheit abgelehnt.
daß man so verfahren soll. Ich mache niemandem
einen Vorwurf daraus, daß er so oder so urteilt. Ich rufe auf Art. 2. Wird hierzu das Wort ge-
Und wenn ich der Meinung bin, habe ich auch das wünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Art. 2
Recht dazu, mich so zu äußern, daß das Auslaufen zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu heben. —
der Sonderbestimmungen dem Ideal des gleichen Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? —
Wettbewerbs am nächsten kommt. Mit Mehrheit angenommen.
(Abg. Arndgen: Wozu die Entschuldi Ich rufe auf Art. 3. Wird das Wort gewünscht? —
gungen?) Das ist nicht der Fall. Wer dem Art. 3 zustimmen
will, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte
— Herr Arndgen, ich habe mich bisher ordentlich um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste
ausgedrückt und erwarte von Ihnen, daß Sie mich ist die Mehrheit;, der Art. 3 ist angenommen.
entsprechend behandeln. Ich bin der Meinung, daß
wir dem Idealzustand des gleichen Wettbewerbs, Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. Wer Zu-
der nie erreichbar sein wird, in der Übergangszeit stimmen will, den bitte ich, die Hand zu heben.
dadurch am nächsten kommen, daß wir das Son- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einleitung und
derrecht auslaufen lassen. Nur aus diesem Grunde Überschrift sind mit großer Mehrheit angenommen.
stimme ich und stimmt eine große Anzahl meiner Ich komme zur
Freunde gegen die Ausschußvorlage. Über Mitglie- dritten Beratung.
dergeschäft, Steuersachen usw. sprechen wir, wenn
es auf der Tagesordnung steht. — Das ist mein Ich eröffne die Aussprache.. Wird das Wort ge-
Schlußwort.
(Beifall in der Mitte und rechts.) *) Siehe Abstimmungsliste Seite 232.
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 209
(Vizepräsident Dr. Jaeger)
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete
Generalaussprache. Dr. Oesterle.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, - Einleitung und
Überschrift. Wer diesen aufgerufenen Artikeln so- Dr. Oesterle (CSU), Berichterstatter: Herr Präsi-
wie Einleitung und Überschrift die Zustimmung dent! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für
geben will, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich Außenhandelsfragen hat sich in seiner Sitzung vom
bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit 4. Dezember mit dem Meistbegünstigungsabkom-
Mehrheit angenommen. men zwischen ,der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik El Salvador befaßt. Es hat keine Aus-
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Ge- sprache gegeben. Der Vertrag sieht die gegensei-
setz als Ganzem die Zustimmung geben will, den tige unbeschränkte Meistbegünstigung vor, so daß
bitte ich, sich zu erheben. Ich bitte um die Gegen- er die klassischen Erfordernisse eines solchen Ab-
probe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei kommens erfüllt. Ich habe lediglich zu beantragen,
einigen Enthaltungen angenommen. daß , der vom Bundesrat eingefügte Art. IIa redak-
Wir kommen noch zur Abstimmung zu Punkt 10b. tionell geändert wird und Art. III wird und dem-
Wird zu dem Antrag Drucksache 118 das Wort ge- entsprechend Art. III Art. IV wird.
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Münd- Ich habe das Hohe Haus zu bitten, dem Antrag
lichen Bericht des Wirtschaftspolitischen Ausschus- des Ausschusses, der einstimmig gefaßt worden ist,
ses betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur zuzustimmen.
Neuregelung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenos-
senschaften die Zustimmung geben will, den bitte Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird das Wort ge-
ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegen- wünscht? — Das ist nicht der Fall.
probe. — Enthaltungen? — Einstimmig ange-
nommen. Ich komme zur Abstimmung. Ich rufe auf Art. I.
— Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Hand-
Ich schlage Ihnen vor, die beabsichtigte Pause von zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ein-
45 Minuten jetzt eintreten zu lassen. Stimmt dem stimmig angenommen.
das Haus zu? — Das ist der Fall.
Ich rufe auf Art. II. — Das Wort wird nicht ge-
Ich darf darauf hinweisen, daß jetzt die konstitu- wünscht. Wer die Zustimmung bezeugen will, den
ierende Sitzung des 32. Ausschusses, des Ausschus- bitte ich, die Hand zu heben. — Das ist die Mehr-
ses für Wiederaufbau und Wohnungswesen, im heit; angenommen.
Zimmer 204 Süd stattfindet. Ebenso findet jetzt
eine Fraktionssitzung der CDU/CSU im Sitzungs- Art. III. — Wer die Zustimmung bezeugen will,
saal statt. den bitte ich, die Hand zu heben. — Das ist die
Mehrheit; angenommen.
Wir treten um 15 Uhr 5 Minuten wieder zusam-
men. Ich unterbreche die Sitzung auf 45 Minuten. Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. — Wer
zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu heben .
(Unterbrechung der Sitzung. 14 Uhr , die Mehrheit; angenommen. —Dasit
22 Minuten.) Ich komme zur
Die Sitzung wird um 15 Uhr 13 Minuten durch dritten Beratung.
den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder aufge- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht
nommen.
gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich eröffne die unter- Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
brochene Sitzung. Entwurf eines Gesetzes über das Meistbegünsti-
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: gungsabkommen vom 31. Oktober 1952 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes El Salvador zustimmen will, den bitte ich, sich zu
zur vorläufigen Durchführung von wirt- erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ent-
schaftlichen Verträgen mit ausländischen haltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig
Staaten (Drucksache 77). angenommen.
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
Es ist beantragt, den Gesetzentwurf federfüh- eines Gesetzes über den Handelsvertrag vom
rend an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu 18. April 1953 zwischen der Bundesrepublik
überweisen, außerdem an den Ausschuß für Rechts- Deutschland und der Republik Uruguay
wesen und Verfassungsrecht. Wer dem Antrag zu- (Drucksache 73). Mündlicher Bericht des Aus-
stimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das schusses für Außenhandelsfragen (23. Aus-
ist die Mehrheit; die Überweisung ist beschlossen. schuß) (Drucksache 122).
(Erste Beratung: 7. Sitzung.)
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Als Berichterstatter hat das Wort der Abgeord-
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs nete Dr. Oesterle.
eines Gesetzes über das Meistbegünstigungs-
abkommen vom 31. Oktober 1952 zwischen Dr. Oesterle (CSU), Berichterstatter: Herr Präsi-
der Bundesrepublik Deutschland und der Re- dent! Meine Damen und Herren! Genau wie im vor-
publik El Salvador (Drucksache 48); Münd- hergehenden Fall handelt es sich wieder um einen
licher Bericht , des Ausschusses für Außen- Handelsvertrag, und zwar zwischen der Bundes-
handelsfragen (23. Ausschuß) (Drucksache republik Deutschland und der Republik Uruguay.
120). Auch bei der Beratung dieses Vertrags hat sich der
(Erste Beratung: 7. Sitzung.) Ausschuß für Außenhandelsfragen einstimmig für
210 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Oesterle)
die Annahme des Vertrags ausgesprochen. Wesent- rücksichtigt werden, auf die Besoldung im
liche Änderungen gegenüber solchen Verträgen er- öffentlichen Dienst nicht übernommen werden
geben sich nicht. Das einzige, was vom handels- können. Die Beamten können nicht die Rechte
politischen Standpunkt dazu gesagt werden kann, aus den Beamtengesetzen und die Sonder-
ist vielleicht, daß sich gerade im Hinblick auf die leistungen der freien Wirtschaft gleichzeitig
Senkung der Kaffeesteuer die Beziehungen aus- in Anspruch nehmen. Die Angestellten und Ar-
weiten können, was wir alle ja nur erhoffen. beiter des öffentlichen Dienstes haben eine viel
Ich habe Sie im Auftrage des Ausschusses zu gesichertere Stellung als in der freien Wirt-
bitten, dem Ausschußantrag zuzustimmen. schaft, erhalten Fürsorgeleistungen und haben
zum Teil eine Zusatzversorgung und streben
Vizepräsident Dr. jaeger: Wird das Wort ge- sie zum Teil an. Die Verbesserung der wirt-
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich rufe Art. I schaftlichen Stellung der öffentlichen Bedien-
auf. Wer zustimmen will, den bitte ich, die Hand steten muß über die Besoldungsordnung un d.
zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen. über die Tarifverträge, nicht aber über Weih-
nachtszuwendungen erfolgen.
Art. II. Wird das Wort gewünscht? — Das ist
nicht der Fall. Wer zustimmen will, den bitte ich, Im Dezember 1952 wurden Zahlungen ein-
die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; an- schließlich der in Nordrhein-Westfalen ge-
genommen. währten Zuwendungen ausdrücklich als Vor-
leistung für die Monate Dezember 1952 bis
Art. III. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer März 1953 gewährt, weil die Art der Besol-
zustimmen will, den bitte ich, ,die Hand zu heben. dungserhöhung vom 1. April 1953 an noch
— Angenommen. nicht feststand, die später auf 20 vom Hundert
Art. IV. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer des Grundgehaltes festgelegt wurde.
zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu heben. Soweit der sachliche Inhalt dieses Schreibens.
— Das ist die Mehrheit; angenommen.
Soweit die fiskalische Seite des Antrages Druck-
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer zu-
sache 103 zu prüfen war, wurde von einem Ver-
stimmen will, den bitte ich, die Hand zu heben. —
Das ist die Mehrheit; angenommen. treter des Herrn Finanzministers darauf verwiesen,
-
daß die Verwirklichung dieses Antrages den Bund
Wir kommen zur zusätzlich mit 22 Millionen DM, die Bundesbahn
dritten Beratung. mit 41 Millionen DM und die Bundespost mit
30 Millionen DM belasten würde. Zu diesen Finanz-
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort wird nicht belastungen kämen noch solche, die entstünden,
gewünscht. Ich schließe die Aussprache. weil auch an die Bediensteten der Besatzungs-
Ich rufe auf Art. I, —II, III,
— IV,
— Ein-

mächte ähnliche Zuwendungen gegeben werden
leitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, müßten. Dadurch würden diese Weihnachtsbeihil-
den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um fen den Bundeshaushalt dann mit rund 100 Millio
die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig nen DM belasten, wofür keine Deckung vorhanden
angenommen. sei.
Die Schlußabstimmung entfällt gemäß § 88 der Aus diesen fiskalischen Gründen und auch aus
Geschäftsordnung. den grundsätzlichen Erwägungen, die in dem
Schreiben, das ich hier vorlesen durfte, nieder-
gelegt sind, hat der Ausschuß mit 20 gegen 9 Stim-
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: men beschlossen, dem Hause zu empfehlen, den
Beratung des Mündlichen Berichts des Haus- Antrag Drucksache 103 abzulehnen.
haltsausschusses (18. Ausschuß) über den An- Seitens der Fraktion des BHE wurde im Haus-
trag der Fraktion der SPD betreffend Weih- haltsausschuß ein sogenannter Kompromißantrag
nachtszuwendungen für Bundesbedienstete. vorgelegt. Dieser Kompromißantrag sah vor, an-
statt 50 DM Weihnachtsgratifikation nur 25 DM
Als Berichterstatter hat der Abgeordnete Arndgen und für jeden zum Haushalt gehörenden einen
das Wort. Zuschlag von 10 DM zu gewähren, mit der Maß-
Arndgen (CDU), Berichterstatter: Herr Präsi- gabe, daß die so geartete Weihnachtsgratifikation
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! nur an solche gezahlt werden soll, deren Einkom-
Der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Weih- men im Monat 300 DM nicht übersteigt. Auch die-
nachtszuwendungen an Bundesbedienstete —Druck- ser Vermittlungsvorschlag ist im Haushaltsausschuß
sache 103 — ist gestern, am 9. Dezember, im Haus- mit 19 gegen 10 Stimmen abgelehnt worden, nicht
haltsausschuß beraten worden. Während der Be- zuletzt deswegen, weil er, wenn er verwirklicht
ratung wurde dem Ausschuß ein Schreiben des würde in der Hauptsache den jungen Leuten und
Vorsitzenden des Ausschusses für Beamtenrecht den Ledigen die Weihnachtsgratifikation gewähren
zur Kenntnis gebracht, in dem zu Gratifikationen würde, während die Familien und alle anderen
an Behördenbedienstete grundsätzlich Stellung ge- von ihr nicht allzuviel hätten.
nommen wird. Dieses Schreiben, daß auch dem Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
Beamtenrechtsausschuß zur Kenntnis gebracht habe den Auftrag, Sie zu bitten, der Drucksache 137
wurde, kann als ein Gutachten zu der Frage der mit Rücksicht auf alle diese Gründe Ihre Zustim-
Gratifikation bewertet werden. Ich bitte den Herrn mung zu geben.
Präsidenten, das Schreiben vorlesen zu dürfen. Es
hatinsemclIhatfogendWrlu: Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem Herrn
Maßgebend war die grundsätzliche Überzeu Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache.
gung, daß die Weihnachtszuwendungen in der (Abg. Böhm [Düsseldorf] meldet sich zum
freien Wirtschaft, die bei den Gehältern be Wort.)
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 211
(Vizepräsident Dr. Jaeger)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kleindinst. In der letzen Ausgabe des „Bulletin" spricht aber
(Abg. Dr. Kleindinst: Erst Antragsteller! die Regierung bei Erwähnung der Zahlung im
— Weitere Zurufe. — Abg. Dr. Kleindinst: vergangenen Jahr selber von einer Weihnachts-
Zuerst doch den Antragsteller!) zuwendung und nicht von einem Vorschuß auf noch
— Es liegen bei mir sonst keine Wortmeldungen zu erwartende Gehaltsaufbesserungen.
vor. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Klein- Es gibt dabei aber noch eine andere Seite. Bei
dinst. den Gemeinden ist im vergangenen Jahr die Weih-
(Erneute Zurufe von der Mitte.) nachtszuwendung durch Tarifvertrag festgelegt
— Ich bitte Sie, sich doch schriftlich zu melden, worden, und zwar auch für dieses Jahr, und sie
damit ich das hier sehen kann. wird auch gezahlt. Für die Arbeiter und Angestell-
ten in den Ländern wäre noch im September dieses
(Zuruf von der Mitte: Böhm hatte sich Jahres die Möglichkeit gewesen, diese Weihnachts-
doch gemeldet!) zuwendungen durch Tarifvertrag zu vereinbaren.
Herr Abgeordneter Böhm hat das Wort. Das war voriges Jahr auch beabsichtigt. Die Ge-
werkschaften haben aber eine derartige Verein-
Böhm (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! Meine barung mit Rücksicht auf die labilen Verhältnisse
Damen und Herren! Die Drucksache 103, die der im vergangenen Jahr abgelehnt. Für den Bund
Bundestag in der letzten Sitzung dem Haushalts- sind solche Vereinbarungen weder in diesem noch
ausschuß überwiesen hat, verlangt für alle öffent- im vorigen Jahr getroffen worden mit Ausnahme
lichen Bediensteten einschließlich der Ruhegeld- der Regelung, die voriges Jahr für alle Gültigkeit
empfänger eine Weihnachtszuwendung von 50 bzw. hatte.
35 DM, d. h. 50 DM für Verheiratete, 35 DM für Nun muß man bei der Erörterung dieser Frage
Ledige, und für jedes unterhaltsberechtigte Kind zwei Grundsatzfragen klären, und zwar einmal die
eine Zuwendung von 15 DM. Dieser Antrag bzw. Frage, ob aus haushaltsrechtlichen Gründen die
die Frage der Zuwendungen für die öffentlichen Möglichkeit gegeben ist, für den gesamten öffent-
Bediensteten anläßlich des Weihnachtsfestes hat lichen Dienst, soweit hier die Bundesverwaltung
draußen in der Öffentlichkeit zu sehr starken Dis- in Frage kommt, diese Weihnachtszuwendungen
kussionen geführt. Inzwischen haben sowohl die zu geben. Der Berichterstatter sagt, dazu seien-
Länder- wie auch die Gemeindeparlamente dazu 100 Millionen DM notwendig und der Bundes-
Stellung genommen. Der Bayerische Landtag hat finanzminister sei nicht in der Lage, für diese
beschlossen, den Bediensteten des Landes Bayern Mittel irgendwelche Deckung zu schaffen, da sie
eine Weihnachtszuwendung zu zahlen. Eine Reihe im Haushalt selber nicht vorgesehen seien. Ich
von Städten und Gemeinden haben das gleiche be- glaube nicht, daß diese 100 Millionen DM den Haus
schlossen. Es ist zur Stunde noch nicht bekannt, halt bei einer Haushaltssumme von rund 26 Mil-
wenigstens mir nicht, ob das Bundesverfassungs- liarden ins Wanken bringen, ganz abgesehen da-
gericht in Karlsruhe der Klage des Bundesfinanz- von, daß der Bundesfinanzminister ja selbst gesagt
ministers stattgegeben hat und durch eine einst- hat und es unbestritten ist, daß eine Reihe von
weilige Verfügung die Länderregierungen ver Einsparungen vorgenommen wurden, deren Zins-
verpflichtet, sich dem Grundsatz. des Bundesfinanz- erträge ausreichen würden, diese Zuwendungen zu
ministeriums anzuschließen und keine Weihnachts- geben.
zuwendungen zu zahlen. Auf der anderen Seite ist die Frage zu prüfen,
Der Berichterstatter des Haushaltsausschusses ob nach arbeits- oder beamtenrechtlichen Gesichts-
hat nun auf einen Brief Bezug genommen, der punkten eine Zahlung geleistet werden kann. Ich
gewissermaßen als Gutachten dafür gelten soll, daß bin persönlich der Meinung, daß, soweit die Ar-
Weihnachtszuwendungen für die im öffentlichen beiter und Angestellten in Frage kommen, die
Dienst Stehenden aus dem Rahmen fallen, weil tarifrechtliche Regelung für die Gemeinden unab-
im öffentlichen Dienst andere Arbeits-, Entlöh- dingbar ist. Daß die Länder und Gemeinden willens
nungs- und Versorgungspraktiken geübt werden. sind, auch in diesem Jahre zu zahlen, haben sie
Mir ist nicht bekannt, daß dem Beamtenrechtsaus- durch die ein z elnen Beschlüsse bewiesen. Bleibt
schuß, dessen Mitglied ich bin, ein derartiger Brief also nur noch die Frage zu prüfen, ob auch den
vorgelegen hat. Beamten eine Weihnachtszuwendung gegeben wer-
(Hört! Hört! bei der SPD.) den soll und ob diese Weihnachtszuwendung sich
Mir ist lediglich bekannt, daß in der ersten Sitzung mit beamtenrechtlichen Gründen und Begründun-
des Beamtenrechtsausschusses, als diese Frage be- gen überhaupt verträgt. Ich glaube, es hat mit der
handelt wurde, die Vertreter der Regierungskoa- Rechtsstellung der Beamten, mit ihrer Versorgung
lition zu verstehen gaben, sie wollten eine Weih- und ihrer Besoldung nicht das geringste zu tun,
nachtsgratifikation oder eine Zuwendung nicht wenn der Bund von sich aus an Weihnachten eine
geben, und sie begründeten es besonders mit der Sonderzuwendung in der von uns beantragten
rechtlichen Stellung der Beamten, daß die Weih- Höhe gibt.
nachtszuwendungen ihren Platz eigentlich im An- Die Begründung, die der Berichterstatter des
gestellten- und Arbeitsrecht hätten und daher für Haushaltsausschusses gegeben hat, deckt sich auch
die Beamten nicht in Frage kämen. gar nicht - oder will sich meiner Meinung nach
Ich glaube, es ist notwendig, einiges Grundsätz- auch gar nicht decken — mit dem Loblied, das
liche dazu zu sagen. Der Bund hat auch im ver- man nach Beendigung der ersten Periode des Bun-
gangenen Jahr Weihnachtszuwendungen sowohl destages auf die Arbeit im öffentlichen Dienst
an die Arbeiter wie an die Angestellten und an die gesungen hat. Das herauszustellen halte ich eben-
Beamten gegeben. Heute sagt man, es sei eine Vor- falls für notwendig. Ich bin der Meinung, daß die
leistung auf die im April erfolgte Erhöhung der geleistete Arbeit im öffentlichen Dienst eine der-
Besoldung gewesen. artige Zuwendung durchaus rechtfertigt.
(Zuruf von der Mitte: Das hat man damals Dabei ist sicherlich auch die Frage zu prüfen, ob
schon gesagt!) diese Zuwendungen Teil der Besoldung oder Son-
212 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Böhm [Düsseldorf])
derzuwendungen sein sollen. Draußen in der sätzlicher Art. Herr Kollege Böhm hat hervor-
freien Wirtschaft sind Weihnachtszuwendungen gehoben, daß sich die Weihnachtsgratifikationen
zur Selbstverständlichkeit geworden, und sie sind oder Weihnachtszuwendungen in der freien Wirt-
meiner Meinung nach, soweit wir Arbeiter und An- schaft .entwickelt haben. Sie sind in die Gestaltung
gestellte im öffentlichen Dienst sind, auch im der Anstellungsbedingungen und der Zahlung der
öffentlichen Dienst unbestritten. Die Leistungen Monatsgehälter mit eingerechnet. Sie sind auch eine
der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Abgeltung für besondere Leistungen, die die ein-
Dienst sind im Vergleich mit der Privatwirtschaft zelnen geleistet haben. Das öffentliche Recht kannte
ebenfalls beachtenswert und haben zum mindesten niemals derartige Weihnachtszuwendungen. Die
die gleiche Bewertung verdient wie die draußen Rechte der Beamten gehen aus den Beamten-
in der freien Wirtschaft. Wir werden uns vielleicht gesetzen hervor, und man kann nicht die Beamten-
daran gewöhnen müssen, daß das, was bisher noch rechte und zugleich die Gewohnheiten der freien
nicht war, für die Zukunft sein wird, und wenn Wirtschaft in Anspruch nehmen. Wir gleiten sonst
Sie beschließen, den Beamten an Weihnachten eine in eine Vermischung dieser beiden Rechtsgebiete ab,
besondere Zuwendung zu geben, dann wird das was zu weitgehenden Konsequenzen führen müßte.
für die Beamten nur ein Beweis dafür sein, daß Ich gebe ohne weiteres zu, daß die Stellung der
man ihre so herausgestellte Arbeit auch anerkennt. Angestellten und der Arbeiter im öffentlichen
Wir sind also der Auffassung, daß weder die Dienst nicht in vollem Maße mit der der Beamten
Rechtsstellung der Beamten noch ihre Einkommens- verglichen werden kann. Aber diese Angestellten
und Versorgungsverhältnisse eine Begründung da- und Arbeiter sind gegenüber der freien Wirtschaft
für sein können, diese Zuwendungen für alle Be- doch in einer viel stärker gesicherten Position. Sie
diensteten an Weihnachten abzulehnen. nehmen nicht an dem Konjunkturauf- und -abstieg
teil. Sie haben namentlich in den Gemeinden — die
Wir bitten Sie, den Antrag des Ausschusses ab- Dinge wirken ja auch in die Gemeinden hinein —
zulehnen und unserem Antrag Drucksache 103 zu- zum Teil ihre Zusatzversorgung, zum Teil wird
zustimmen. diese angestrebt, auch bei den Ländern und beim
(Beifall bei der SPD.) Bund, soweit sie für einzelne Gruppen nicht schon
erreicht worden ist. Diese Regelungen müssen -
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und dann doch einheitlich und gleichmäßig sein. Aus
Herren, ich darf zuerst folgendes zur Geschäfts- dieser grundsätzlichen Stellungnahme kommen wir
ordnung feststellen. Es wird hier nicht über den zur Ablehnung.
Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 103, son- Es soll aber auch nicht der Eindruck entstehen,
dern über den Mündlichen Bericht Drucksache 137 als werde das Streben nach diesen Weihnachszu-
in Verbindung mit Drucksache 103 verhandelt. wendungen von der Beamtenschaft allgemein ge-
Unter diesen Umständen sprach zuerst der Bericht- teilt. Die Schreiben und Entschließungen, die mir
erstatter, und dann wurde in die Aussprache ein- zu Gesicht gekommen sind, zeigen, daß die betref-
getreten. Da ein Antrag nicht unmittelbar vorliegt, fenden Verfasser nicht den Anspruch erheben kön-
war nicht dem Antragsteller zuerst das Wort zu nen, die Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit zu
geben, sondern in der Reihenfolge der eingegange- vertreten.
nen Wortmeldungen das Wort zu erteilen.
Nun muß aber noch etwas anderes erwogen
Herr Dr. Kleindinst, der vorhin darauf verzichtet werden. Wir haben im Bundestag wiederholt da-
hat, hat nunmehr das Wort. von gesprochen, daß es große Bevölkerungsgruppen
gibt, die an der Besserung unserer wirtschaftlichen
Dr. Kleindinst (CSU): Herr Präsident! Meine sehr Verhältnisse noch nicht teilgenommen haben. Wir
verehrten Damen und Herren! Ich muß zunächst wissen, daß wir eine grundsätzliche Verbesserung
klarstellen, daß ich dem Haushaltsausschuß weder der Verhältnisse dieser Gruppen herbeiführen müs-
ein Gutachten noch eine Stellungnahme des Vor- sen. Wir können es diesen Bevölkerungsgruppen
sitzenden, sondern lediglich einen Bericht über die gegenüber nicht verantworten, daß wir für Beamte,
Stellungnahme der vier Fraktionen abgegeben habe, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes
und zwar deshalb, weil sich der Ausschuß für Be- Weihnachtszuwendungen beschließen, während
amtenrecht mit der Materie befaßt, aber keinen jene noch warten müssen, bis ihre sozialen Ver-
Beschluß gefunden, sondern lediglich den Bericht hältnisse geregelt werden.
über die Stellungnahme der Fraktionen zur Kennt-
nis genommen hatte. Die Herren der SPD haben Es ist zu bedauern, daß es nun zu Überschnei-
sich ja damals die Stellungnahme vorbehalten. dungen mit den Regelungen einzelner Länder und
Nachdem der Antrag in der letzten Sitzung etwas der Gemeinden kommt. Aber das muß hingenom-
beschleunigt an den Haushaltsausschuß überwiesen men werden. Denn es kommt darauf an, den
worden war — und nicht auch an den Beamten Grundsatz des öffentlichen Rechtes, den Grundsatz
rechtsausschuß —, war es natürlich notwendig, daß der Besoldung im öffentlichen Dienst für alle Zu-
ich den Herrn Vorsitzenden des Haushaltsauschus- kunft klar herauszustellen und nicht zu einer Ver-
ses über die Vorgänge unterrichtete. Er hat mich mischung dieser Rechtsgebiete zu kommen. Eine
gebeten, das schriftlich niederzulegen. Mehr war Vermischung würde, das wissen wir ja, wenn sie
in dem Schreiben nicht enthalten. Es war also nicht einmal beschlossen ist, für die Dauer ihre Konse-
ein Gutachten, es war nicht eine Stellungnahme quenzen haben.
des Ausschusses, sondern es war eine Unterrich- Und nun noch eines! Es unterliegt keinem Zwei-
tung über diese vorausgegangenen Vorgänge. Das fel, daß die Zahlungen im Dezember vergangenen
muß ich der Loyalität halber hier feststellen. Jahres ausgesprochenermaßen für Dezember, Ja-
nuar, Februar und März als Vorgriff auf die Ge-
Nun bin ich beauftragt, Ihnen namens der Frak- haltserhöhungen gegeben worden sind.
tionen der CDU/CSU, der FDP und der DP zu
empfehlen, die gestellten Anträge abzulehnen und (Zuruf von der SPD.)
den Antrag des Haushaltsausschusses anzunehmen. Daraus können keine Konsequenzen gezogen wer
Die Stellungnahme der drei Fraktionen ist grund den, auch nicht auf Grund der Tatsache, daß noch
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 213
(Dr. Kleindinst)
die kleinen Beträge der Zuwendungen in Nord- In der Beurteilung der grundsätzlichen Frage ist
rhein-Westfalen angehängt wurden. Wir haben aus- man sich ja durchaus nicht einig. In den Ländern
drücklich vermieden, von Weihnachtszuwendungen hat man bezüglich der eigenen Beamten und eige-
zu sprechen, weil das im Widerspruch zu dem nen öffentlichen Bediensteten dieselbe Frage prü-
öffentlichen Besoldungsrecht stehen würde. Eine fen müssen und ist zum Teil zu anderen Ergebnis-
solche Vermengung müssen wir wegen der weit sen gekommen, nicht allein in Nordrhein-Westfalen,
tragenden Folgen grundsätzlich vermeiden. wie Herr Kollege Dr. Kleindinst vorhin gesagt hat,
Nur aus dieser grundsätzlichen Erwägung bitte sondern z. B. auch in Bayern im vorigen Jahre und
ich, dem Ausschußantrag zuzustimmen und die noch in diesem Jahre, was dann Gegenstand des
weiteren Anträge abzulehnen. überraschenden und an sich bedauerlichen Streites
vor dem Bundesverfassungsgericht geworden ist.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Die Dinge liegen uneinheitlich. Die Kommunen
sind auf Grund ihrer andern Situation bei den An-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- gestellten vorausgeprescht; die Tarifbindungen ha-
geordnete Dr. Keller. ben sie dazu veranlaßt. Der Städtetag, ein Gremium,
das sich immerhin auch Gedanken machen wird,
Dr. Keller (GB/BHE): Herr Präsident! Meine hat sich vor einiger Zeit, wie man hört, an die Bun-
Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß die desregierung mit der Bitte gewandt, die Situation
Frage der Weihnachtsbeihilfen sich zu einem Pro- noch einmal zu überprüfen, um die Beamten mit
blem ausgewachsen hat. Man möchte manchmal mei- den Angestellten und den Arbeitern in den Kom-
nen, daß der Streit um diese Dinge, der in der munen gleichzustellen. Es besteht die Gefahr, daß
weiten Öffentlichkeit entstanden ist, dem Weih- hier gerade in den unteren Einkommensschichten
nachtsfrieden nicht besonders gut ansteht. des öffentlichen Dienstes ein Sozialgefälle eintritt,
das nicht wünschenswert sein kann.
Wir sehen uns nicht in der Lage, dem Antrag Deswegen haben wir auch bewußt den Änderungs-
der Fraktion der SPD zuzustimmen. Wenn auch antrag*) als Parallele zu der Regelung gestellt, die
fiskalische Überlegungen nicht immer und in allen das Hohe Haus bereits in der vorigen Woche auf
Fragen allein bestimmend sein können, so sind Grund vorangegangener Schritte der Bundesregie-
doch die Zahlen, die hier vom Finanzministerium rung zur Kenntnis genommen und der es- damit
genannt worden sind, sehr beachtlich, gerade im
zugestimmt hat. Es bestand damals im Hause Einig-
Hinblick auf die Notlage der Bundespost und der keit darüber, daß gewisse sozial schwachen Schich-
Bundesbahn, die dadurch in einem vielleicht un- ten eine Weihnachtsunterstützung, oder wie immer
erträglichen Maße weiter belastet werden würden. man sie ihrer Rechtsnatur nach nennen will, ge-
Die weiteren Argumente, die auch in der Öffent- währt werden müßte. Es ist nun vielleicht auf den
lichkeit angeführt worden sind, gehen in zwei Rich- ersten Blick erstaunlich, aber bei näherem Hinsehen
tungen. Einmal handelt es sich um die fiskalische gar nicht mehr so verwunderlich, daß in den unte-
Frage und zum anderen um die Grundsatzf rage. ren Schichten des öffentlichen Dienstes jeder Art
WirgehnmtdMug,ieBamtn- und so auch beim Bund gewisse Parallelen der Not-
rechtsausschuß geäußert und niedergelegt worden lage doch noch gegeben sind. Wenn auch bei den
ist, im Grundsatz durchaus einig, obwohl ich ge- kleinen Einkommen bis zu 300 DM brutto, wie wir
hört habe, daß diese Haltung im Beamtenrechts beantragt haben, bereits eine gewisse Besserstel-
ausschuß von den Fraktionen sozusagen vorsorg- lung erfolgen würde, so gibt es doch eine ganze
lich eingenommen worden ist, bevor der Antrag Anzahl von kleinen Gehaltsempfängern, die diesen
der Sozialdemokratie überhaupt vorlag. Ich sagte Betrag bei weitem nicht erreichen.
bereits, wir können diesem Antrag aus verschie- Noch eines ist zu berücksichtigen: der kleine,
denen Gründen nicht zustimmen, nicht bloß aus schlecht besoldete Beamte oder Angestellte hat in
dem Grunde nicht, den der Herr Vorredner soeben seinem Leben als Angehöriger des öffentlichen
angeführt hat, sondern auch weil sich eben die Dienstes ganz andere Verpflichtungen. Er kann die
Lage der Beamtenschaft im ganzen gesehen und Not nicht so zeigen, wie mancher Mensch, dem das
zu einem erheblichen Teil durch die Gehaltserhö- Schicksal Arbeit und Brot noch verweigert, sie not-
hungen schon wesentlich gebessert hat. wendigerweise zeigen muß. Er muß sich als einer,
Das trifft allerdings nur für einen Teil zu. Diese der im öffentlichen Leben steht, an seinem Platz
Überlegung hat uns dazu geführt, unseren Ände- auch äußerlich den Erfordernissen des öffentlichen
rungsantrag zu stellen. Ein Teil der Beamtenschaft Dienstes anpassen, in der Kleidung, in allem, was
und der im öffentlichen Dienst tätigen Angestell- dazu gehört, in seinem ganzen bescheidenen Stan-
ten und Arbeiter hat bis heute noch nicht in vol- dard. Darum glaubten wir, daß es im Sinne der
lem Umfange an dem wirtschaftlichen Aufstieg Schließung von sozialen Lücken, die wir nicht gern
des Volkes teilgenommen. Den Kleinen, der Be- sehen, doch notwendig wäre, hier die Parallele zu
völkerungsschicht, die der Herr Bundeskanzler sel- ziehen. Die Sätze, die wir dem Hohen Hause glau-
ber an dieser Stelle ausgesprochen hat, muß noch ge- ben vorschlagen zu sollen, sind die gleichen wie
holfen werden. Dadurch werden nach unserer Auf- diejenigen, auf die sich die beteiligten Ministerien
fassung die Dinge so schwierig, daß sie für den seinerzeit bereits in der gemeinsamen Bekannt-
Augenblick die Grundsätze zu verwischen drohen. machung geeinigt haben, und deswegen geht un-
Wir haben nicht die Absicht, etwa an einer Ten- sere Begrenzung bewußt auf einen ganz kleinen
denz mitzuwirken, die allmählich die Weihnachts- Teil. Er ist nicht allzu klein — das gebe ich gern zu
beihilfen sich zu einer festen Übung auswachsen —; aber ich nehme doch an, daß, wenn bereits in
lassen würde. Wir glauben nur, daß es in den Jah- der Begrenzung der Beträge nach diesem Vorschlag
ren, die uns von einem wirtschaftlichen Aufstieg die Hälfte genommen worden ist und wenn weiter-
oder einer Konsolidierung auch der unteren Volks- hin ein nicht unerheblicher Teil der höherbesolde-
schichten trennen, nicht zu vermeiden sein wird, ten Beamten, Angestellten und vielleicht auch Ar-
eine Gleichstellung vorzunehmen, um ein soziales beiter aus dieser Regelung herausfallen würde,
Gefälle zu verhindern. *) Umdruck 6, siehe Anlage 1 Seite 237.
214 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Keller)
dann die Zuwendungen des Bundes, die dazu er- Wer diesem Ausschußantrag zustimmen will, den
forderlich wären, bei weitem nicht die Hälfte oder bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die
vielleicht noch viel weniger der Voranschläge er- Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Präsidium
reichen würden, die vom Bundesfinanzministerium ist sich nicht einig; wir müssen die Stimmen aus-
im Hinblick auf den konkreten Vorschlag der sozial- zählen. Ich bitte im Interesse einer raschen Er-
demokratischen Fraktion ausgearbeitet worden sind. ledigung, den Saal beschleunigt zu verlassen.
Ganz ablehnend scheint man ja im Bundesfinanz- (Die Abgeordneten verlassen den Saal.)
ministerium dieser Frage doch nicht gegenüberge- Ich bitte die Schriftführer, sich auf die Plätze
standen zu haben; denn immerhin ist in der gestri- zu begeben. — Die Abstimmung wird eröffnet; ich
gen Beratung des Haushaltsausschusses gesagt wor-
bitte, die Stimmen auszuzählen.
den, daß man kursorisch die Frage geprüft hätte,
ob es nicht möglich wäre, zurückgreifend auf eine (Wiedereintritt und Zählung.)
Verordnung aus dem Jahre 1939, einen Betrag von Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. —
8 Mark je Person der zu Versorgenden zu gewäh- Ich bitte, die Türen zu schließen. — Die Abstim-
ren. Hier allerdings sind sich gestern im Aus- mung ist beendet.
schuß alle Fraktionen darin einig gewesen, daß man
mit einer solchen Regelung der Angelegenheit Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis
mehr schaden als nützen würde. Ich stehe nicht auf der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt
dem Standpunkt der Fraktion der SPD, der ge- 251, mit Nein 165, enthalten haben sich 6. Damit
stern bekundet worden ist, daß die vorgeschlagene ist der Ausschußantrag angenommen; die Druck-
Regelung — 25 Mark für den Empfänger der Be- sachen 137 und 103 sind erledigt.
soldung und 10 Mark für die zuschlagsberechtig- Wir kommen zur Abstimmung über den Ände-
ten Familienangehörigen — einem Almosen ent- rungsantrag — Eventualantrag — der Fraktion des
spreche. Für diejenigen, die es angeht, würde es GB/BHE Umdruck 6.*) Wer diesem Antrag die Zu-
wirklich eine Hilfe bedeuten. stimmung geben will, den bitte ich, die Hand zu
Ich möchte noch einen Einwand, der sehr leicht erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ent-
auftauchen kann, anführen und mich bemühen, haltungen? —
ihn von vornherein auszuräumen. Es ist nicht Sinn (Abg. Albers: Das zweite war doch
dieses Antrages und es kann auch nicht seine Folge die Mehrheit!) -
sein, nivellierende Tendenzen zu begünstigen. Ge- Das Präsidium ist sich nicht einig; wir müssen die
rade wir, die wir immer energisch die Wiederer- Stimmen auszählen. Ich bitte, den Saal zu räumen.
richtung der durch den Krieg verlorengegangenen
Sozialstruktur fordern, sind an allem anderen in- (Die Abgeordneten verlassen den Saal.)
teressiert als an Dingen, die nivellierend wirken Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. —
könnten. Aber an der unteren Grenze, dort, wo die Ich bitte die Schriftführer, sich an die Plätze an
Grundlage eines gesellschaftlichen Aufbaues liegt, den Türen zu begeben.
;) und sie ist etwa bei dieser Größenordnung er- Die Abstimmung beginnt. Ich bitte, in den Saal
reicht, können nach unserer Auffassung im Sinne
einzutreten.
einer sozialen Gerechtigkeit diese Dinge keine oder
zumindest keine entscheidende Rolle mehr spielen. (Wiedereintritt und Zählung.)
Ich möchte hoffen, daß in dieser weitgehenden Ein- Ich bitte um Beschleunigung der Abstimmung. —
schränkung der Vorschläge der SPD vielleicht Ich bitte, alle Türen zu schließen.
doch haushaltsmäßig die Möglichkeit gegeben wäre,
über all die Schwierigkeiten hinwegzukommen, die Die Abstimmung ist geschlossen.
aus der Diskussion der Probleme in der Öffent- Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt.
lichkeit entstanden sind. Mit Ja haben gestimmt 212 Abgeordnete, mit Nein
Ich betone noch einmal: Uns kommt es nicht dar- 200, enthalten haben sich 2 Mitglieder des Hauses.
auf an, damit Regelungen, die den Grundsätzen, (Lebhafter Beifall links und beim BHE.)
die auch wir anerkennen, widersprechen würden,
Damit ist der Antrag Umdruck 6 angenommen. —
langsam und schleichend einzuführen. Wir sind der
Meinung, daß solche Regelungen sobald wie mög- (Unruhe.)
lich aufhören sollten, wenn die Voraussetzungen — Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abge-
für sie entfallen sind. Bis dahin aber glauben wir, ordnete Dr. Krone.
diesen Standpunkt vertreten zu müssen, und bitten
um Ihre Zustimmung. Dr. Krone (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
(Beifall beim BHE.) und Herren! Mir wird soeben mitgeteilt, daß eine
Anzahl von Abgeordneten, und zwar auch meiner
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und Fraktion, in Unkenntnis der Materie durch die Ja
Herren! Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich Tür gegangen sind.
schließe die Aussprache. Ich darf bemerken, daß
der Änderungsantrag der Fraktion des Gesamt- (Lachen links und lebhafte Zurufe.)
deutschen Blocks/BHE auf Umdruck Nr. 6, der so- — Meine Damen und Herren, ich darf darauf hin
eben begründet wurde, als Eventualantrag bezeich- weisen, daß das nicht das erste Mal ist
net wird. Über ihn kann deshalb erst abgestimmt (Zuruf von der Mitte: Sehr richtig!)
werden, nachdem über die Drucksache Nr. 137 ab-
und daß das in Ihren Reihen auch schon vorge-
gestimmt worden ist.
kommen ist.
Wir kommen zur Abstimmung über die Druck-
(Zuruf von der SPD: Aber beim Hammel-
sache Nr. 137:
sprung noch nie! — Abg. Wehner: Unsere
Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag Hämmel springen richtig! — Heiterkeit.)
der Fraktion der SPD betreffend Weihnachts-
zuwendung an Bundesbedienstete — Druck- *)SiehAnlag1t237.
sache 103 — abzulehnen. **) Vgl. Seite 217 B.
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 215
(Dr. Krone)
— Nicht so temperamentvoll! Ritzel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und (C
Herren! Ich darf auf einen Präzedenzfall verweisen,
Ich muß also das Ergebnis der Abstimmung aus
der dem Geschäftsordnungsausschuß seinerzeit Ver-
diesem Grund anzweifeln. anlassung zu einer Art authentischer Interpretation
(Abg. Dr. Greve: Anzweifeln können Sie auf Grund der Geschäftsordnung gegeben hat. Ich
das doch nicht! Das ist doch kein Grund darf daraus zitieren, daß es sich nur dann um die
zum Anzweifeln, Herr Krone! — Weitere Wiederholung einer Abstimmung handeln kann,
Zurufe. — Unruhe.) wenn offenbare Unrichtigkeiten des ursprünglichen
Antrags festgestellt werden. Hier handelt es sich
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- nur um einen menschlich verständlichen und ver-
geordnete Dr. Menzel. zeihlichen Irrtum, sofern er überhaupt vorliegen
sollte; aber eine rechtliche Begründung für die
Dr. Menzel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Wiederholung einer Abstimmung ist aus einem
und Herren! Ich finde das etwas blamabel, was uns solchen Irrtum nicht abzuleiten.
vorgetragen worden ist.
(Zurufe von der Mitte: Na, na!) Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort wird nicht
mehr gewünscht. Meine Damen und Herren, Irren
Eine Anzweiflung des Ergebnisses der Abstimmung ist menschlich. Abgeordnete sind Menschen, also
ist aber auf keinen Fall möglich, kann auch bei Abgeordneten ein Irrtum vorkom-
(Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf von men. Für die rechtliche Frage ist hier entscheidend,
der Mitte: Eine Wiederholung!) ob dieser Irrtum erheblich ist oder nicht. Ich bitte
es sei denn, Sie wollten behaupten, ,daß der Herr deshalb, um dies festzustellen, diejenigen Damen
Präsident oder daß das Präsidium die Stimmen und Herren der Fraktion der CDU/CSU, die sich
falsch zusammengezählt hätten. nach der Erklärung des Herrn Dr. Krone bei der
Abstimmung geirrt haben, die Hand zu heben.
(Widerspruch.)
(Abg. Horn: Nicht nur der CDU, auch
Übrigens, Herr Kollege Krone, würde es uns andere!)
interessieren — wir bezweifeln das zunächst —, wer
— Meine Damen und Herren, es genügt. Es haben
denn geglaubt hat, daß er durch die falsche Tür sich 10 Stück, 10 Herren erhoben.
gegangen ist. -
(Lachen links.) (Lebhafte Zurufe: Stück! — Große Heiter
keit.)
Wir haben, wie Sie ganz richtig sagten, schon ähn- Die Mehrheit betrug 12 Stimmen, folglich war der
liche Vorfälle erlebt. Ich erinnere an das Abkom- Irrtum erheblich.
men Deutschland—Frankreich über die Schulden-
regelung. Am nächsten Tag erklärten Sie, ein Teil (Sehr richtig! in der Mitte.)
Ihrer Fraktion habe in Unkenntnis über den Inhalt Unter diesen Umständen sehe ich mich gezwungen,
des Gesetzes falsch abgestimmt. die Abstimmung zu wiederholen und Sie zu bitten,
(Abg. Pelster: Beim Mitbestimmungsrecht
lag es an Ihrer Seite!) (Große Unruhe bei der SPD. — Abg. Dr.
Greve: Das nennt man unparteiische Ge
Auch das war kein Ruhmesblatt für das Parlament. schäftsführung. — Abg. Haasler: Das ist
Aber wenn Sie jetzt sagen, daß ein gewählter Ab- doch nach der Geschäftsordnung gar nicht
geordneter nicht einmal weiß, worüber er abstim- möglich! — Abg. Dr. Greve: Wenn das
men und wie er abstimmen soll, — — ich glaube, keine parteiische Geschäftsführung ist! -
es ist nicht gut, wenn Sie so etwas hier vorbringen. Weitere Zurufe von der SPD: Unglaublich!
Eine Beanstandung ist nach der Geschäftsordnung Das ist unglaublich! — Unruhe.)
nicht möglich.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- den Saal zu räumen.
geordnete Dr. Mende. (Anhaltende große Unruhe.)
Dr. Mende (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Meine Damen und Herren, ich unterbreche die
Sitzung auf 10 Minuten.
und Herren! Ich verstehe den Herrn Abgeordneten
Krone so, daß er für seine Fraktion erklären wollte, (Pause.)
eine größere Zahl von Abgeordneten sei sich über
den Inhalt der Abstimmung im unklaren gewesen. Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Ich glaube, bei mehreren Abstimmungen soll es Herren! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
durchaus vorkommen, Herr Kollege Menzel, daß Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
man gelegentlich versehentlich durch die falsche Ich darf zur Behebung von Zweifeln über die
Tür geht, zumal bei Abgeordneten, die hier erst vorherigen Vorgänge auf folgendes hinweisen. In
wenige Wochen in der Übung der Abstimmung dem von den Herren Ritzel und Koch herausgege-
sind. Ich schlage deshalb vor, daß der Herr Prä- benen Kommentar ist zu § 54 der Geschäftsord-
sident fragt, welche Kollegen der CDU/CSU-Frak- nung festgehalten — ich darf vorlesen —:
tion sich über , den Inhalt der Abstimmung im un- Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Im-
klaren waren. munität hat die Aufnahme einer neuen Be-
(Lachen bei der SPD.) stimmung in die Geschäftsordnung über den
Diese Frage legitimiert dann den Herrn Präsiden- Irrtum bei der Abstimmung abgelehnt und auf
ten durchaus, nach dem Ergebnis der Handmeldun- Grund eines schriftlichen Berichts der Abge-
gen eventuell die Abstimmung zu wiederholen. ordneten Sassnick und Kahn ... festgestellt .
2. daß der Präsident eine Abstimmung wieder-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordnneter holen kann, wenn er der Ansicht ist, daß ein
Ritzel! erheblicher Irrtum vorliegt und daß bei einer
216 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Vizepräsident Dr. Jaeger)
sofortigen Wiederholung der Abstimmung Krone bereits vor der Verkündung des Abstim-
voraussichtlich ein anderer Beschluß heraus- mungsergebnisses den Herrn Präsidenten und das
kommen würde. Büro darauf aufmerksam gemacht hat, daß sich
Ich war dieser Ansicht, und zwar pflichtgemäß, einige Abgeordnete bei der Abgabe ihrer Stimme
nachdem, wie das Präsidium festgestellt hat, der geirrt hätten. Das veranlaßt an sich dazu, aus Grün-
den der Loyalität — die auch in diesem Hause
Abgeordnete Dr. Krone seine Anzweiflung hier
persönlich bereits vor der Verkündung der Ab- nicht fehlen sollte — den Standpunkt einzunehmen,
stimmung ausgesprochen hat. Ich mußte Ihnen je- daß eine Wiederholung der Abstimmung zulässig
ist. Aber, Herr Präsident, Sie dürfen die Bestim-
doch zuerst das Ergebnis bekanntgeben, damit Sie
mungen der Geschäftsordnung nach meiner Mei-
daraufhin die Gründe des Herrn Dr. Krone würdi-
gen konnten. Um festzustellen, ob es sich um einen nung nicht so auslegen, daß die zu wiederholende
erheblichen oder unerheblichen Irrtum handelte, Abstimmung nicht in der Form einer namentlichen
Abstimmung stattfinden kann. Wir befinden uns
habe ich die Damen und Herren, die sich geirrt
jetzt durch diese Berichtigung eines angeblichen
hatten, um ein Handzeichen gebeten. Das waren
Irrtums in einem völlig neuen Gang der Abstim-
10 Damen und Herren.
mung und haben die Möglichkeit, auch namentlich
(Zuruf von der SPD: Anfänglich nur zwei!— abzustimmen.
Weitere Zurufe und Unruhe bei der SPD.) (Beifall bei der SPD.)
— Ob es anfänglich nur zwei waren und einige Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
erst später den Mut gehabt haben, sich zu ihrem geordnete Dr. Ehlers.
Irrtum zu bekennen, tut nichts dazu. Ich muß von
jedem Mitglied des Deutschen Bundestags, das D. Dr. Ehlers (CDU): Meine Damen und Herren!
seine Hand hebt, in einem solchen Falle annehmen, Ich bedaure, mich der Ansicht meines sehr verehr-
daß diese Erklärung auf Ehrenwort erfolgt und dar ten Kollegen Ritzel, des Kommentators der Ge-
Wahreitnspc.wrdaihtzugne schäftsordnung, nicht anschließen zu können. Der
legen, können wir, glaube ich, in diesem Hohen Antrag auf namentliche Abstimmung ist in diesem
Hause nicht arbeiten. Augenblick sicher nicht zulässig. Es handelt sich
Da nun das Mehrheitsverhältnis 212 zu 200 nicht um zwei Abstimmungen, sondern es handelt
lautete, ergibt sich von selbst, daß, wenn sich 10 sich um eine Abstimmung, die wiederholt- wird,
Abgeordnete geirrt haben, die Mehrheit anders weil die erste Abstimmung durch das Verfahren
ausgefallen wäre. Ich war also 'berechtigt, die An- nicht zu dem geschäftsordnungsmäßig notwendigen
sicht zu haben, die in Ziffer 2 des Kommentars Ergebnis geführt hat.
dargelegt ist. Auf Grund dessen habe ich die Ab- (Lachen bei der SPD.)
stimmung wiederholen lassen. Ich habe also nur
von dem Ermessen, das nach der bisherigen Ge- — Entschuldigen Sie, ich meine nicht das zahlen-
schäftsordnungspraxis dem Präsidenten eingeräumt mäßige Ergebnis, sondern das klare und eindeutige
ist, Gebrauch gemacht. geschäftsordnungsmäßige Ergebnis hinsichtlich der
Beendigung der Abstimmung. Die jetzt stattfin-
(Abg. Haasler: Bleibt es dabei, Herr Präsi dende Abstimmung ist sachlich mit der ersten Ab-
dent?) stimmung identisch. Da in der Geschäftsordnung
— Es bleibt dabei! festgelegt ist, daß nur bis zum Beginn der Abstim-
(Abg. Haasler: Dann bitte ich ums Wort!) mung namentliche Abstimmung beantragt werden
— Herr Abgeordneter Haasler, bitte! kann, scheint mir kein Zweifel zu bestehen, daß
bei dieser Lage ein Antrag auf namentliche Ab-
Haasler (GB/BHE): Wir beantragen namentliche stimmung nicht mehr zulässig ist.
Abstimmung.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich darf Sie darauf geordnete Ritzel.
aufmerksam machen, daß nicht namentliche Ab-
stimmung beantragt werden kann, wenn wir be- Ritzel (SPD): Es tut mir leid, daß ich dem ge-
reits in die Abstimmung eingetreten sind. Wir schätzten Herrn Vorredner die Bestimmungen der
waren bereits in die Abstimmung eingetreten. Geschäftsordnung entgegenhalten muß. In § 57
heißt es: „Namentliche Abstimmung kann bis zur
(Lebhafter Widerspruch bei der SPD. — Eröffnung der Abstimmung verlangt werden." Der
Zurufe. — Abg. Ritzel: Ich bitte ums Wort!) Herr Präsident hat das vorherige Abstimmungs-
— Herr Abgeordneter Ritzel, bitte! ergebnis für ungültig erklärt. Wir stehen damit,
wenn das akzeptiert wird, vor einer neuen Ab-
Ritzel (SPD): Ich bedaure sehr, meine Damen stimmung. Bis zur Eröffnung der Abstimmung kann
und Herren, zunächst zu den Mitteilungen des laut Geschäftsordnung die namentliche Abstim-
Herrn Präsidenten eine kleine Berichtigung an- mung verlangt werden.
bringen zu müssen. Der Herr Präsident hat bei der (Zustimmung bei der SPD. — Wider
Verlesung von Ziffer 2 übersehen, daß es auch eine spruch in der Mitte.)
Ziffer 1 gibt. In Ziffer 1 heißt es, ,,daß eine Anfech-
tung einer Schlußabstimmung nicht möglich sein
soll". Das ist seinerzeit die einheitliche Meinung Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
geordnete Dr. Schneider.
des Geschäftsordnungsausschusses gewesen.
Nun ergab sich hier — und das könnte eine Dr. Schneider (Lollar) (FDP): Meine sehr ver-
Grundlage für das sein, was der Herr Präsident nach ehrten Damen und Herren! Wir brauchen uns nicht
Ziffer 2 hier 'angeordnet hat — folgender neuer zu erregen, sondern die Dinge ergeben sich zwangs-
Tatbestand, der vorhin nicht bekannt war. Es läufig. Alle haben recht. Aber auch der Präsident
wurde hier in einem Gespräch festgestellt und von hat recht;
dem Büro bestätigt, daß Herr Abgeordneter Dr. (Heiterkeit)
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 217
(Dr. Schneider [Lollar])
denn er hatte ja mit der zweiten Abstimmung 191 Mitglieder des Hauses, mit Nein 225, enthalten
bereits begonnen; wir hatten schon damit begon- haben sich 5. Der Antrag ist ,abgelehnt.
nen, den Sitzungssaal zu verlassen. Damit waren (Zurufe von der SPD: Wir gratulieren! Das
wir in der Abstimmung, und deshalb kann ein scheint ein Haus von Irrenden zu sein!
anderer Abstimmungsmodus, insbesondere nament- Herzlichen Glückwunsch!)
liche Abstimmung, nicht mehr beantragt werden.
Damit 'ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
(Zurufe links.)
Ich rufe Punkt 15 auf:
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
geordnete Ritzel. Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
(Unruhe.) brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes der Freien Hansestadt
— Meine Damen und Herren, ich bitte doch um Bremen über Wirtschaftsprüfer, Bücher-
Ruhe, damit wir hier eine Frage, die eigentlich eine revisoren und Steuerberater (Drucksache 84).
juristische und keine politische ist, auch in Ruhe
lösen können. (Vizepräisdent Dr. Schneider über
nimmt den Vorsitz.)
Ritzel (SPD): Da die Frage eine juristische ist Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
und keine politische sein sollte, darf ich mir den
Herren, es ist vereinbart, daß zu dem aufgerufenen
Hinweis darauf erlauben, daß vorhin durch den Gesetzentwurf in erster Lesung weder eine Begrün-
Herrn Präsidenten die Sitzung unterbrochen wurde,
dung gegeben werden noch eine Beratung stattfin-
daß durchaus die Möglichkeit besteht, daß das Hohe
Haus jetzt Zuzug erhalten hat, daß noch andere den soll. Ich nehme das Einverständnis des Hauses
Abgeordnete bei der Wiederholung der Abstim- dazu an. Ich schließe die erste Lesung. Ich schlage
mung teilnehmen können und daß es sich daher Ihnen vor, die Drucksache 84 an den Ausschuß für
durchaus im Sinne des § 57 um einen Sachverhalt Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. Ist das
bis zur Eröffnung , der Abstimmung handelt. Ich Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall; die
unterstütze , den Antrag auf namentliche Abstim- Überweisung ist erfolgt.
mung, der vorhin gestellt worden ist, und bitte, Meine Damen und Herren, ich rufe den zurück-
-
dementsprechend zu verfahren. gestellten Tagesordnungspunkt 5 auf:
Wahl von deutschen Mitgliedern der Gemein-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und samen Versammlung der Europäischen Ge-
Herren! Damit wollen wir die Debatte hierüber meinschaft für Kohle und Stahl.
beschließen. Unbeschadet dessen, ob die wiederholte
Abstimmung jetzt erneut begonnen oder fortgesetzt Es liegt mir ein gemeinsamer Antrag der Frak
wird, vertrete ich die Auffassung, daß in dem tionen der CDU/CSU und der SPD vor, den ich ver
Augenblick, wo eine Abstimmung abgeschlossen ist, lese, da er, wie ich annehme, noch nicht verteilt ist:
das Ergebnis für ungültig erklärt und die Abstim- Der Bundestag wolle beschließen:
mung wiederholt wird, es dieselbe Abstimmung ist 1. Der Stellenanteil der Fraktionen für die gemäß
und daß man auf Grund dessen nicht erneut in der Art. 21 des Vertrages über die Gründung der
Lage ist, den Antrag lauf eine andere Form der Ab- Europäischen Gemeinschaft für Kohle und
stimmung zu stellen. Wenn hierüber Zweifel be-
Stahl vom 18. April 1952 (Bundesgesetzbl. II
stehen — das scheint bei einigen oder mehreren S. 445) vom Bundestag zu wählenden Mitglie-
Damen und Herren der Fall zu sein —, so berufe der der Gemeinsamen Versammlung der Euro-
ich mich auf § 128 der Geschäftsordnung, wonach päischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
Zweifel während einer Sitzung vom Präsidenten wird nach dem Verfahren d'Hondt berechnet.
entschieden werden. Ich muß sie so entscheiden. Sie
haben die Möglichkeit, die Frage später im Ge- 2. Die Mandate der Abgeordneten Dr. Henle,
schäftsordnungsausschuß grundsätzlich zu klären. Henßler, Imig, Dr. Bertram sind erloschen.
Jetzt muß ich mich an diese Entscheidung halten, 3. Unter Bezugnahme auf die in der 280. Sitzung
und damit bitte ich, nunmehr die Abstimmung des ersten Deutschen Bundestages vom 3. Juli
durch Auszählen zu wiederholen. 1953 gewählten Vertreter werden zur Wahl
Es wird abgestimmt über den Eventual- und vorgeschlagen:
Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE auf Abg. Dr. Jaeger (CDU/CSU)
Umdruck Nr. 6. Wer mit Ja stimmt, den bitte ich, Abg. Aloys Lenz (Brühl) (CDU/CSU)
durch die Ja-Tür zu gehen, wer mit Nein stimmen Abg. Dr. Pohle (Düsseldorf) (CDU/CSU)
will, durch die Nein-Tür; die anderen durch die Abg. Dr. Deist (SPD).
Enthaltungs-Tür. Ich bitte, mit der Abstimmung zu
beginnen. Meine Damen und Herren, ich glaube, eine Aus-
sprache dazu ist nicht — auch geschäftsordnungs-
(Die Abgeordneten verlassen den Saal.) mäßig nicht — vorgesehen.
Ich bitte, sich zu beeilen und die Türen zu schließen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag,
— Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen; die den ich eben verlesen habe, zustimmen will, den
Abstimmung wird eröffnet. bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die
(Wiedereintritt und Zählung.) Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Ent-
haltungen mit großer Mehrheit angenommen. Da-
Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen.
mit ist Punkt 5 der Tagesordnung erledigt.
Ich bitte, die Türen zu schließen. — Die Abstim-
mung ist geschlossen. Ich komme zu Punkt 16 der Tagesordnung:
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs
218 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Vizepräsident Dr. Schneider)
(Drucksache 90); Mündlicher Bericht des Aus- Ich rufe zur
schusses für Außenhandelsfragen (23. Aus- dritten Beratung
schuß) (Drucksache 119).
auf und eröffnet die allgemeine Aussprache. —
(Erste Beratung: 7. Sitzung.) Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die
allgemeine Aussprache.
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter Abge-
ordneten Dr. Serres. Ich rufe auf: § 1, — § 2, — § 3, — Einleitung und
Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren,
Dr. Serres (CDU), Berichterstatter: Herr Präsi- die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. —
dent! Meine Damen und Herren! Dem Hause ist Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in
mit Drucksache 90 der Entwurf eines Gesetzes zur der dritten Beratung einstimmig angenommen.
Änderung des Zolltarifs vorgelegt worden. Es han- Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Ge-
delt sich um die Tarifnummer 1107, Malz. Es ist setz in der Schlußabstimmung seine Zustimmung
vorgesehen, daß an Stelle des bisherigen reinen geben will, den bitte ich, sich vom Sitz zu erheben.
Wertzolls ein gleitender Mischzoll tritt, und zwar - Gegenprobe! — Enthaltungen? - Das Gesetz ist
für das Jahr 1954 von 20 %, jedoch mindestens für damit einstimmig verabschiedet.
100 kg 60 DM abzüglich 70 % des Wertes.
Wir kommen jetzt zu dem Teil des Antrags des
Die Bundesregierung hat sich zu dieser Vorlage Ausschusses, der eben von dem Herrn Bericht-
entschlossen, nachdem die Preise für Braugerste erstatter mündlich vorgetragen wurde und der da-
auf dem Weltmarkt stark rückläufig waren, auf hin lautet, daß die Drucksachen 50 und 58 mit der
der anderen Seite aber die inländischen Mälzereien Annahme dieses Gesetzes als für erledigt erklärt
mit einem inländischen Mindestpreis für Brau- anzusehen sind. Wird das Wort dazu gewünscht? —
gerste zu kalkulieren hatten. Die Wettbewerbs- Das ist nicht der Fall. Ich schließe dann die Aus-
fähigkeit der inländischen Mälzereien war dadurch sprache.
beeinträchtigt.
Ich komme zur Abstimmung. Wer diesem Antrag
Uns liegen weiterhin zwei Anträge der Fraktion des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um
der FDP Drucksache 50 und der Abgeordneten Dr. ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
Horlacher und Genossen Drucksache 58 vor, die — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Da-
weitgehend gleichlautend mit der Vorlage der Re- -
mit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
gierung sind. Sie unterscheiden sich nur dadurch,
daß der Abzugsbetrag in den beiden Anträgen Ich komme zu Punkt 17 der Tagesordnung:
Drucksachen 50 und 58 mit 65 % angegeben ist,
während die Regierungsvorlage 70 % vorsieht. Zweite und dritte Beratung des von der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Mit diesen drei Vorlagen haben sich der Ausschuß Gesetzes zur Änderung des Einkommen-
für Außenhandelsfragen und der Ausschuß für Er- steuergesetzes (Drucksache 33);
nährung, Landwirtschaft und Forsten befaßt. Beide
haben sich einmütig auf die Regierungsvorlage Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Drucksache 90 geeinigt. Ich habe daher die Ehre, Finanz- und Steuerfragen (19. Ausschuß)
dem Hohen Hause namens des Ausschusses vorzu- (Drucksache 110).
schlagen, dem Ausschußantrag Drucksache 119 mit (Erste Beratung: 6. Sitzung.)
der Maßgabe die Zustimmung zu geben, daß ein
Halbsatz hinzugefügt wird. Es muß in Ergänzung des Ich erteile das Wort dem Berichterstatter Herrn
Antrags Drucksache 119 heißen: Der Bundestag Abgeordneten Dr. Lindrath.
wolle beschließen, dem Gesetzentwurf — Druck-
sache 90 — zuzustimmen „und die Anträge Druck- Dr. Lindrath (CDU), Berichterstatter: Herr Präsi-
sachen 50 und 58 fürerledigt zu erklären". dent! Meine Damen und Herren! In der 6. Sitzung
am 11. November 1953 hat der Deutsche Bundestag
Vizepräsident Dr. Schneider: Ich danke dem den von der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-
Herrn Berichterstatter und eröffne die Einzelbera- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommen-
tung der zweiten Lesung. steuergestzes mit dem Datum vom 27. Oktober 1953
gemäß Drucksache 33 dem Ausschuß für Finanz-
Ich rufe § 1 auf. — Das Wort wird nicht ge- und Steuerfragen als federführendem Ausschuß
wünscht. Ich schließe die Einzelberatung des § 1. und dem Haushaltsausschuß überwiesen. Das gleiche
gilt von dem von der Fraktion der DP eingebrach-
Ich rufe § 2 auf. — Das Wort wird nicht ge- ten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ein-
wünscht. — Ich schließe die Einzelberatung zu § 2. kommensteuergesetzes mit dem Datum vom 21. Ok-
Wer diesen beiden Paragraphen zustimmen will, tober 1953 gemäß Drucksache 29. Die Fraktion der
den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um DP hat ihren Antrag in der Sitzung des Ausschusses
die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig für Finanz- und Steuerfragen am 20. November
angenommen! 1953 zurückgezogen.
Meine Damen und Herren, ich rufe § 3 auf. — Das (Abg. Dr. Gülich: Hatte sich bei der Ein
Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aus- bringung geirrt!)
sprache. Ich komme zur Abstimmung. Wer § 3 zu- Es handelt sich bei dem Gesetzentwurf der Frak-
stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — tion der FDP um die Erhöhung der Steuerfreigrenze
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig an- für Weihnachtszuwendungen gemäß § 3 Nr. 15 des
genommen! Einkommensteuergesetzes von 100 DM auf 200 DM.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat
diesen zustimmen will, den bitte ich um ein Hand- diesen Antrag der FDP in seiner 2. Sitzung am
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ein- 20. November 1953 und der Haushaltsausschuß in
stimmig angenommen! Damit ist die zweite Be- seiner 2. Sitzung am 2. Dezember 1953 behandelt.
ratung dieses Gesetzes abgeschlossen. Die Antragsteller haben ihren Antrag damit be-
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 219
(Dr. Lindrath)
gründet, daß infolge der Preissteigerung eine Er- Seitens der Vertreter des Bundesfinanzministe
höhung der seit 1948 bestehenden Befreiung von riums wurde schließlich noch in formaler Hinsicht
der Einkommensteuer für Weihnachtszuwendungen darauf aufmerksam gemacht, daß ein Gesetz nach
gerechtfertigt sei und daß die Notwendigkeit be- dem vorliegenden Entwurf nicht rechtzeitig ver-
stehe, Festbesoldeten eine gewisse steuerliche Er- kündet werden könne, so daß sich eine Erhöhung der
leichterung zu verschaffen. Letzteres wurde mit Steuerfreigrenze nicht mehr für die Weihnachts-
dem Hinweis auf die Abschreibungsmöglichkeiten zuwendungen 1953 auswirken könne; denn die Ent-
der gewerblichen Wirtschaft und auf die gesetzlich scheidung des Bundesrates könne, falls wir zustim-
vorgesehene Möglichkeit zur Gewährung von men, erst im Jahre 1954 herbeigeführt werden. Da
Pauschbeträgen an freie Berufe begründet. jedoch der Bundesfinanzhof kürzlich die Rückwir-
Nach § 3 Ziffer 15 des Einkommensteuergesetzes kung von Steuergesetzen als unzulässig erklärt
in der gegenwärtig gültigen Fassung sind Weih habe, sei auch ein rückwirkendes Inkrafttreten die-
nachts- und Neujahrszuwendungen, soweit sie im ser Bestimmungen unzulässig, auch derartiger Be-
einzelnen Fall 100 DM nicht übersteigen, einkom- stimmungen, die sich zugunsten der Steuerpflich-
mensteuerfrei. Diese Vorschrift war zunächst im tigen auswirken.
Abschnitt 16 der Lohnsteuerrichtlinien 1948 ent- Die Mehrheit des Ausschusses war ferner der
halten. Später wurde sie dann in § 6 Ziffer 10 der Auffassung, daß es ein Hauptziel der kleinen Steu-
Lohnsteuerdurchführungsverordnung 1950 auf- erreform gewesen sei, Sondervergünstigungen für
genommen. Durch das Einkommensteueränderungs- einzelne Gruppen von Steuerpflichtigen abzubauen.
gesetz 1951 ist sie dann mit gleichem Wortlaut in Werde die Steuerfreigrenze für Weihnachtsgratifi-
das Einkommensteuergesetz 1951 übernommen kationen erhöht, so werde diesem Prinzip zuwider-
worden und seither gesetzlicher Bestandteil unseres gehandelt.
Einkommensteuerrechts. Aus dieser geschichtlichen Schließlich wurde auch auf die sozialpolitische
Entwicklung ergibt sich, daß die parlamentarischen Bedeutung der Frage hingewiesen. In Arbeitneh-
Körperschaften in der Bundesrepublik sich bereits merkreisen, die wenig oder keine Weihnachtszu-
wiederholt mit der steuerrechtlichen Behandlung wendungen erhielten, müsse eine Steuerbefreiung
der Weihnachtszuwendungen zu befassen hatten. bis zu 200 DM als ungerecht empfunden werden.
Es ist mehrfach der Versuch unternommen wor- Für weite Kreise der Bevölkerung seien 100 DM
den, den Freibetrag von 100 DM zu erhöhen. Schon oftmals schon mehr Einkommen, als durch die - Er-
im Jahre 1950 hatte der Bundestag einmal eine ge- höhung der Steuerfreigrenze für Lohn- und Ge-
setzliche Erhöhung auf 200 DM beschlossen. Die- haltsempfänger gefordert werde.
ser Beschluß konnte jedoch nicht rechtskräftig wer- Man darf auch nicht übersehen, daß die Weih-
den, da der Bundesrat seine nach dem Grundge- nachtszuwendungen bei der Berechnung der Lohn-
setz erforderliche Zustimmung verweigerte. Der steuer auf die zwölf Monate des ablaufenden Jahres
Vertreter des Bundesfinanzministeriums verwies verteilt und damit einer geringeren Steuerprogres-
-
daher in der Sitzung des Ausschusses für Finanz sion unterworfen werden können oder auch daß
und Steuerfragen auf die Drucksache des Bundes- eine Steuersenkung durch den Lohnsteuerjahres-
rates Nr. 1718 vom 15. Dezember 1950, mit der der ausgleich erzielt werden kann. Unter diesen Um-
Bundesrat die Erhöhung der Freigrenze auf 200 ständen ergibt sich in der überwiegenden Mehr-
DM abgelehnt hatte. Da die Argumente des Bun- zahl der Fälle für Weihnachtszuwendungen bis zu
desrates auch heute noch stichhaltig seien und da 200 DM eine Steuerbelastung, die in Anbetracht der
seit der gesetzlichen Fixierung der Steuerfrei allgemeinen Verhältnisse als zumutbar angesehen
grenze für Zuwendungen dieser Art im Jahre 1951 werden kann.
keine Preissteigerungen eingetreten seien, könne Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat
nicht damit gerechnet werden, daß der Bundesrat den Antrag gegen die Stimmen der Antragsteller
dem Gesetz, falls der Bundestag es beschließen abgelehnt, die Vertreter der SPD-Fraktion enthiel-
würde, zustimmen werde. ten sich der Stimme. Der Haushaltsausschuß hat
Auch die Frage der fiskalischen Auswirkung die- den Antrag ebenfalls mit Mehrheit gegen die Stim-
ses G- setzes ist eingehend geprüft worden. Das men der Vertreter der sozialdemokratischen Frak-
Bundesfinanzministerium schätzt den bei Annahme tion abgelehnt.
dieses Gesetzes entstehenden Steuerausfall auf zirka
Namens des Ausschusses für Finanz- und Steu-
90 Millionen DM. Hierbei rechnet man mit einem
Lohnsteuerausfall von etwa 60 Millionen DM und erfragen habe ich die Pflicht, dem Hohen Hause zu
empfehlen, den Antrag der Fraktion der FDP be-
mit einem weiteren Ausfall von etwa 35 Millionen
treffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
DM dadurch, daß bei einer Erhöhung der Frei-
grenze auch mehr Gratifikationen gezahlt würden, Einkommensteuergesetzes — Drucksache 33 — ab-
zulehnen.
die alsdann bei den Unternehmen, die sie auszah-
len, als Betriebsausgaben die Einkommensteuer Vizepräsident Dr. Schneider: Ich danke dem
oder Körperschaftsteuer schmälern würden. Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Einzelbe-
Das Ergebnis der Ausfallschätzung des Bundes- ratung des Gesetzes ein.
finanzministeriums ist eingehend diskutiert wor- Ich rufe auf Art. I. Dazu liegt Ihnen auf Umdruck
den. Zweifelhaft erschien insbesondere die Frage, 5 ein Änderungsantrag als Eventualantrag vor.*)
ob bei der fiskalischen Beurteilung des Problems Herr Dr. Miessner hat das Wort zur Begründung.
nur der Ausfall an Lohnsteuer berücksichtigt oder
ob auch der Ausfall an Einkommen- oder Körper- Dr. Miessner (FDP), Antragsteller: Herr Präsi-
schaftsteuer bei Erhöhung derartiger Zuwendun- dent! Meine Damen und Herren! Ich will nicht
gen ins Feld geführt werden dürfe. Seitens der mehr auf die wirtschaftliche Bedeutung und die so-
Antragsteller wurde vorgetragen, daß ein Lohn- ziale Notwendigkeit der Erhöhung der Steuerfrei
steuerausfall von höchstens etwa 45 Millionen DM grenze für Weihnachtsgelder eingehen. Die Frage
zu erwarten sei. Ein erheblicher Teil hiervon werde als solche ist schon wiederholt diskutiert worden,
jedoch wieder durch die infolge der Konsumbele-
bung anwachsende Umsatzsteuer wettgemacht. *) Siehe Anlage 2 Seite 237.
220 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Miessner)
und das Problem ist auch klar. Im übrigen befin- 100 DM auszuzahlen und daß sich dadurch bei den
den wir uns heute in der zweiten Lesung und nicht Betrieben die Einkommen- und Körperschaftsteuer
mehr in der Grundsatzaussprache. im Ergebnis senken könne. Das also ist die Grund-
lage für die 40 Millionen DM, mit denen man über-
Ich möchte aber zugleich mit der Begründung haupt erst auf 100 Millionen DM gekommen ist.
meines Eventualantrages doch auf einige Argu- Demgegenüber muß man doch sagen, daß man,
mente eingehen, die seitens des Herrn Berichter- wenn man schon so rechnet, auch den Wiederein-
statters und auch seitens des Herrn Bundesfinanz- gang der Einkommen- und Körperschaftsteuer bei
ministers in der Öffentlichkeit gegen den Antrag anderen Betrieben hinzuzählen muß, insbesondere
der Freien Demokratischen Partei auf Erhöhung aber die erhöhte Umsatzsteuer, die voll dem Bund
der Freigrenze von 100 auf 200 DM vorgebracht zukommt. Das Geld wird ja nicht in den Strumpf
worden sind. Zunächst wurde von dem Herrn Be- gesteckt, sondern die Erfahrung lehrt, daß gerade
richterstatter darauf hingewiesen, daß wir bereits Weihnachtsgelder sofort in den Konsum gehen, also
im Dezember seien und daß es mißlich sei, wenn sofort umgeschlagen werden.
die Dinge bis zum Weihnachtsfest nicht mehr ge-
klärt werden könnten. In den Ausschußberatungen Wir sind heute in der glücklichen Lage, daß wir
wurde von dem Herrn Staatssrekretär des Bun- dem Herrn Bundesfinanzminister einmal ein Exem-
desfinanzministeriums noch der Hinweis gebracht, pel vorrechnen können, das auf seiner Erklärung von
daß der Bundesrat, der am 18. Dezember seine vor einigen Tegen basiert. Er hat in der Frage-
nächste Sitzung hat, diese Angelegenheit keines- stunde am 3. Dezember auf eine von mir gestellte
falls mehr auf seine Tagesordnung setzen werde. Frage nach den steuerlichen Auswirkungen gewis-
Ja, meine Damen und Herren, so bedauerlich es ist, ser Freibeträge bei den freien Berufen erklärt —
daß wir mit der Behandlung dieses Antrages nun ich zitiere sinngemäß aus dem Sitzungsprotokoll
in den Dezember hineingeraten sind, diesmal war vom 3. Dezember —, daß ein jährlicher Freibetrag
es nun wirklich nicht früher möglich. Unser Antrag von 1200 DM, also monatlich 100 DM für alle
hat das Datum vom 27. Oktober 1953. Er ist sofort Lohn- und Gehaltsempfänger einen Ausfall von
in der ersten Sitzung des Finanz- und Steueraus- schätzungsweise 500 Millionen DM im Jahr bedeu-
schusses behandelt und so schnell wie möglich dem te. Das ergibt folgende Rechnung: 500 Millionen
Bundestag zur Behandlung zugeleitet worden. DM geteilt durch 12 macht 42 Millionen DM. Da-
mit nähern wir uns sehr genau der Schätzung, die
Was den Hinweis auf den Bundesrat betrifft, so wir selbst auf Grund unserer Erhebungen in den
möchte ich dazu folgendes sagen. Man kann doch Betrieben angestellt haben. Ich glaube also gerade
wohl nicht im Ernst annehmen, daß der Bundesrat nach dieser Erklärung des Herrn Bundesfinanz-
in dem Falle, daß wir heute hier zu einer po- ministers heute sagen zu können, daß der gesamte
sitiven Entscheidung im Sinne unseres Antrages Steuerausfall an Lohnsteuer auf keinen Fall über
kämen, den Punkt nicht mehr auf die Tagesord- der von uns angegebenen Zahl von 45 Millionen
nung setzen würde. Ich glaube, so bürokratisch DM liegt. Wenn Sie bedenken, daß davon den Bun-
wäre der Bundesrat nicht. Er würde diesen kurzen deshaushalt unmittelbar nur 38 % betreffen, so
Punkt wohl auch noch einschieben, zumal noch acht liegt der Steuerausfall in diesem Haushaltsjahr für
Tage dazwischenliegen. den Bund unter 20 Millionen DM. Das ist doch im-
Ein sehr wichtiger Einwand ist natürlich immer merhin ein beachtlicher Unterschied gegenüber den
der des Bundesfinanzministeriums hinsichtlich der Erklärungen über einen Steuerausfall von 100 Mil-
Kostenfrage. Sie wissen, daß sofort nach dem Be- lionen DM!
kanntwerden unseres Antrags das Bundesfinanz- Nun ist von seiten des Herrn Berichterstatters
ministerium die Summe von 100 Millionen DM in noch ausgeführt worden, daß man eine solche An-
die Diskussion warf. Wir hatten den Eindruck, derung des Einkommensteuergesetzes auch deshalb
daß dies nicht mit besonders großer Sorgfalt er- ablehne, weil man erst vor zwei Jahren, im Jahre
rechnet war, sondern daß es eine ziemlich grobe 1951, die Regelung in dieser Höhe und mit dem Frei-
Schätzung war. Wir haben uns selber die Mühe betrag von 100 DM in das Einkommensteuergesetz
gemacht, in Betrieben im Norden, Süden und We- eingebaut habe. Im Ausschuß ist ferner noch einge-
sten unserer Bundesrepublik Erhebungen anzustel- wandt worden, man habe sich über diese Dinge an-
len, und sind dabei auf folgende Rechnung gekom- läßlich der kleinen Steuerreform nochmals unter-
men. Wenn wir einmal alle Berufstätigen, die als halten und habe damals ausdrücklich an der 100-
Arbeiter und Angestellte für eine solche Weih- DM-Grenze festhalten wollen; es sei also heute
nachtszulage in Betracht kommen, zusammenrech- kein Grund zur Abänderung gegeben, und man
nen, so ergibt sich eine Beschäftigtenzahl von 16 müsse bis zur großen Steuerreform warten. Dem
Millionen Menschen. Nach unseren Erhebungen ist entgegenzuhalten, daß bis dahin noch geraume
würde sich auf den Durchschnitt des Betriebszuge- Zeit vergeht. Wir alle wissen — und Sie, Herr Bun-
hörigen eine Steuereinbuße von 2,53 DM ergeben — desfinanzminister, wissen es sicherlich am besten —,
auf den Durchschnitt, für einige ist es höher, für daß das Einkommensteuerrecht eine Reihe von Ver-
andere weniger —, so daß wir bei 16 Millionen Be- günstigungen gewährt, die den Lohnsteuerzahlern
schäftigten mal 2,53 DM auf rund 45 Millionen DM nicht zugute kommen. Das soll allerdings bei der
kommen. großen Steuerreform ausgeglichen werden. Man
sollte daher aber gerade für die Übergangszeit bis
Im Ausschuß haben wir festgestellt, daß mit den zur großen Steuerreform diese kleinen Vergünsti-
angeblichen 100 Millionen DM Steuerausfall gar gungen wenigstens denjenigen zugute kommen lassen,
nicht der Ausfall an Lohnsteuer gemeint war, viel- die als feste Lohn- und Gehaltsempfänger zu denen
mehr erklärte das Finanzministerium auf Nach- gehören, deren Einkommen immer restlos erfaßt
frage, den Lohnsteuerausfall beziffere es selber nur wird. Das sollte man tun, ganz unabhängig davon,
mit 60 Millionen DM. Die übrigen 30 bis 40 Millio- wie man sich später in der großen Steuerreform
nen DM habe es hinzugeschlagen in der Annahme, entscheiden wird, ob man dann sämtliche Steuer-
daß bei einer derartigen Erhöhung der Freigrenze vergünstigungen, also auch diese. abbaut oder oh
ein gewisser Anreiz entstehen könne, mehr als man in Angleichung an vielleicht noch weiterhin
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 221
(Dr. Miessner)
bestehende Steuervergünstigungen für den Ein- der eine dem anderen diese kleine Weihnachtsgabe
kommensteuerzahler den Lohn- und Gehaltsemp- des Finanzamts nicht neiden, auch wenn er selbst
fängern diese kleinen Vergünstigungen zu Weih- vielleicht in diesem speziellen Falle persönlich
nachten als doch nur kleines Äquivalent beläßt. nichts davon hat.
Es könnte noch ein anderer Einwand, und zwar
ein Einwand aus der Systematik des Steuerrechts Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat Herr
erhoben werden; ich möchte ihn vorwegnehmen Abgeordneter Dr. Gülich.
für den Fall, daß der Bundesfinanzminister noch
das Wort ergreift. Diesen Einwand sehe ich eigent- Dr. Gülich (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
lich als den einzig bedeutsamen an. Eine bestimmte und Herren! Mit der Zuverlässigkeit, mit der das
Freigrenze, die ohne Rücksicht auf den Familien- Christkind alle Jahre wieder kommt, kommt auch
stand, Kinderzahl usw. gewährt wird, bedeutet na- die Diskussion über die Erhöhung der Freigrenze
türlich eine gewisse Durchbrechung unseres Ein- bei Weihnachtsgratifikationen. Es muß also etwas
kommensteuersystems, das ja grundsätzlich die Be- an der Sache dran sein, wenn sie immer wieder
steuerung von dem Familienstand abhängig macht. aufs neue diskutiert wird.
Mit diesem Prinzip muß man sich daher schon aus- Das Bedenken — wenn ich das vorwegnehmen
einandersetzen. Nun ist allerdings nach der Mei- darf —, der Bundesrat könnte die Angelegenheit
nung meiner Fraktion — wenn man auch derartige vor Weihnachten nicht mehr erledigen, teile ich
Freibeträge natürlich nicht unbegrenzt ohne Rück- nicht. Der Bundesrat hat in anderen Fällen sehr
sicht auf den Familienstand einführen könnte — viel schneller gearbeitet. Ich erinnere mich, daß wir
dieser einmalige Freibetrag von 200 DM, auf das 1952 an einem Donnerstag die Einführung einer
Jahr gerechnet, so unbedeutend, daß man darin Steuer auf Schaumwein beschlossen und daß am
ernstlich noch keinen Verstoß gegen das Prinzip Freitag — am nächsten Tage! — der Bundesrat
der Besteuerung nach dem Familienstand zu sehen diesen Gesetzesbeschluß des Bundestags behandelt
braucht. Ich persönlich habe gerade für diejenigen und ihm zugestimmt hat. Es dürften also gar keine
Damen und Herren, die aus Gründen der Steuer- Bedenken bestehen, daß der Bundesrat am Freitag
systematik Hemmungen in dieser Richtung haben, nächster Woche zu dieser Vorlage Stellung nimmt.
als Eventualantrag den Änderungsantrag gestellt,
den Sie in Umdruck 5 vor sich haben. Für den Fall, Ich darf, bevor ich zur Sache komme, noch - be-
daß der Hauptantrag der FDP-Fraktion abgelehnt merken, daß ich soeben die Mitteilung bekommen
werden sollte, empfehle ich die Annahme dieses habe, daß der Bundesverfassungsgerichtshof in
Eventualantrages, Steuerfreiheit für Weihnachtszu- Karlsruhe gegen Herrn Minister Schäffer entschie-
wendungen den Personen, denen Kinderermäßi- den hat.
gungen zustehen, bei einem Kind in Höhe von (Hört! Hört! bei der SPD.)
120,— DM, bei zwei Kindern in Höhe von 140,— Das bedeutet also, daß die Länder Bayern und Hes-
DM, bei drei Kindern in Höhe von 160,— DM, bei sen an ihre Landesbediensteten jetzt eine Weih-
vier Kindern in Höhe von 180,— DM und bei fünf nachtsgratifikation zahlen. Daß die übrigen Länder
und mehr Kindern in Höhe von 200,— DM zu ge- sich nicht ausschließen können, liegt auf der Hand.
währen. Meine Damen und Herren, Sie brauchen Und es bleibt dann lediglich der Bund übrig, der
keine Sorge zu haben, daß das etwa eine kompli- sich ausschließen wird! — Ja, Herr Kollege Pelster,
zierte Rechnung geben würde. Es muß ohnehin beim auf Ihre Handbewegung hin — —
Dezembergehalt von dem zu versteuernden Lohn (Abg. Pelster: Ich habe ja gar keine ge
ein Betrag abgesetzt werden, derzeit 100 DM. Bei macht, Herr Professor!)
Annahme des FDP-Antrages wären es 200 DM und
bei Annahme des Eventualantrages im Einzelfall — Doch, Sie haben die Bewegung des Zahlens ge-
120 DM, 140 DM usw., was leicht zu ersehen ist, da macht!
die Steuerkarte des Betreffenden ohnehin dabeilie- (Abg. Pelster: Für die Länder, für Schleswig
gen muß. Dem Hohen Hause wäre also die Möglich- Holstein!)
keit gegeben, sich noch auf diesen Eventualantrag — Ja, dazu möchte ich sagen: Für die „reichen Län-
zurückzuziehen, wenn der andere Antrag abgelehnt der" — wir haben ja leider Gottes diesen Unter-
werden sollte. Die haushaltsmäßigen Auswirkun- schied — spielt es keine Rolle, und was die „armen"
gen des Eventualantrages dürften bei höchstens 10 anlangt, die müssen ohnehin danach trachten, daß
Millionen DM liegen. ihnen von ihren Landesbediensteten, die sie schlech-
Lassen Sie mich abschließend noch folgendes sa- ter bezahlen als die „reichen Länder" - z. B.
gen; damit möchte ich auf den letzten Punkt der schlechter einstufen —, die tüchtigen Kräfte nicht
Gegenargumente des Ausschußberichts eingehen. weglaufen: So bleibt ihnen gar nichts anderes
Gewiß sind auch mir Schreiben zugegangen, übrig, als die Gratifikation dann auch zu zahlen.
in denen der Einsender schreibt: „Ich würde gern Nun komme ich zu der Frage, die in Art. 1 be-
Steuern bezahlen", — Herr Pelster, darauf werden handelt wird. Der Herr Bundesfinanz-
Sie j a noch zu sprechen kommen — minister ist gegen eine Erhöhung der Freigrenze
(Abg. Pelster: Auch mir sind sie zugegan von 100 auf 200 DM. Er behauptet — ich brauche
gen, genau so wie Ihnen!) nicht das zu wiederholen, was Herr Kollege Miess-
— natürlich, sie gehen uns allen zu — „ Ich würde ner bereits ausgeführt hat —, das werde einen
gern Steuern bezahlen, wenn ich überhaupt nur Lohnsteuerausfall von 60 Millionen DM mit sich
ein solches Glückskind wäre, dem der Weihnachts bringen. Er beweist seine Behauptungen aber
mann 200 DM zu Weihnachten bringt!" Meine Da nicht. Er sagt ferner, bei der Einkommen- und Kör-
men und Herren, daß solche Briefe geschrieben perschaftsteuer werde eine Schmälerung um
werden, ist doch kein ernsthaftes Argument gegen 35 Millionen DM eintreten, weil er von der Vor-
eine Steuervergünstigung dieser Art. Es liegt im aussetzung ausgeht, daß die Erhöhung der Frei-
übrigen nun einmal in der Natur der Sache, daß grenze viele Unternehmen veranlassen würde, eine
von Steuervergünstigungen niemals alle Gebrauch höhere Gratifikation zu zahlen, als sie das sonst
machen können. Das wird nie so sein. Darum sollte tun würden. Diese Annahme kann kaum zutreffen.
222 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Gülich)
Rechnet man aber so, wie das Bundesfinanz- nicht viel. Interessant ist nur die Streuung. Die
ministerium rechnet — daß nämlich eine Minderung Streuung gibt uns für die Beurteilung des vorlie-
von 35 Millionen DM im Einkommen- und Körper- genden Gesetzentwurfs die interessantesten Hin-
schaftsteueraufkommen eintreten würde —, dann weise. Im Bereich des Geld-, Bank- und Börsen-
mußman andererseits auch in Rechnung stellen—dar- wesens haben die Sonderzuweisungen pro Arbeit-
auf hat Herr Kollege Miessner schon hingewiesen—, nehmer 383 DM im Jahre, im Bereich des Versiche-
daß die gesamte Weihnachtsgratifikation unmittel- rungswesens 294 DM im Jahre betragen. Das sind
bar in den Konsum geht. Dieses Geld wird nicht die beiden Wirtschaftszweige, in denen das 13. Mo-
auf das Bankkonto gebracht, sondern die Leute, natsgehalt üblich geworden ist.
die es empfangen, werden „praktische Geschenke"
machen — um mich des Jargons der vorweihnacht- Unsere Frage ist: Wo liegt die richtige Frei-
lichen Geschäftswerbung zu bedienen. Sie werden grenze? Die Erhebung zeigt, daß diejenigen Wirt-
also ihre Gratifikationen voll und ganz in Konsum- schaftszweige, welche geringe Löhne zahlen, auch
gütern anlegen, zum Teil sogar in Konsumgütern, geringe Gratifikationen zahlen. Es kommen z. B.
die mit einer hohen Verbrauchssteuer belastet sind. in der Herren- und Damenschneiderei die männ-
Man müßte also, wenn man den Steuerausfall rich- lichen Schneider 32 DM, die weiblichen nui 25 DM,
tig berechnen will, auch feststellen, was von der in der Obst- und Gemüseverarbeitung die Männer
Summe der Gratifikationen an Steuern in die 48 DM, die Frauen nur 20 DM, in der Wäscherei,
öffentlichen Finanzkassen zurückfließt. Man geht Färberei und chemischen Reinigung die Männer
in der Annahme nicht fehl, daß dies ein Drittel der 34 DM, die Frauen nur 20 DM. Ich habe das als
gesamten Summe ausmachen wird. extreme Beispiele der niedrigsten Gruppen hervor-
gehoben und sage Ihnen nun die höchsten Gruppen
Außerdem müßte der Bundesfinanzminister be-
dieser Lohnstrukturerhebung. Dabei zeigt sich, daß
denken, daß 60 % des geschätzten Steuerausfalls auf die Hochofen-, Stahl- und Walzwerksarbeiter
Rechnung der Länder und nur 40 % auf Rechnung 170 DM, die Arbeiter in der Mineralöl verarbeiten-
des Bundes gehen. Hinsichtlich der Länder gilt das- den Industrie 191 DM, die Arbeiter in der che-
selbe, was ich vorhin Herrn Kollegen Pelster über mischen Industrie 186 DM, in der Papiererzeugung
die „armen" und die „reichen" Länder gesagt habe. und -verarbeitung 196 DM, in der Zementindustrie
Nun habe ich mich bemüht, zu erfahren, auf 187 DM und in der Kunstseide- und Zellwoll-
Grund welcher Unterlagen das Bundesfinanzmini- herstellung 180 DM bekommen. Damit habe - ich
sterium diesen Steuerausfall errechnet hat. Leider Ihnen auf der andern Seite die Gruppe der Bezieher
gibt es keine Unterlagen darüber, was in den letz- der höchsten Einkommen unter den Arbeitern ge-
ten Jahren an Gratifikationen gezahlt worden ist, nannt. Diese Extreme sind ja recht interessant.
welche Steuersumme auf die Gratifikationen entf al- Von den Frauen ist zu sagen, daß sie in diesen hoch
len ist und wie hoch der Steuerausfall ist, der bezahlten Gruppen durchweg höhere Gratifika-
durch die Steuerfreigrenze bei den Weihnachtsgra- tionen bekommen, daß sie aber alle unter 100 DM
tifikationen eingetreten ist. Das wissen wir also liegen und infolgedessen für die gegenwärtige Be-
nicht. Zur Grundlage der Schätzungen ist die hoch- trachtung ausscheiden.
interessante Lohnstrukturerhebung vom November
1951 gemacht worden, die leider erst vor kurzem, Ich ziehe nun aus dem eben Dargelegten den
im Oktoberheft 1953 von „Wirtschaft und Statistik", Schluß. Diese Lohngruppenerhebung zeigt zwei
veröffentlicht worden ist. interessante Ergebnisse: Erstens zeigt sie eindeutig,
daß es richtig ist, die Steuerfreigrenze auf 200 DM
An dieser Stelle kann ich einen Stoßseufzer über zu setzen. Bei 200 DM ist steuersystematisch die
unsere Finanz- und Steuerstatistik nicht unter- richtige Grenze gefunden. Das hat man 1951, als
drücken. Die Finanz- und Steuerstatistik müßte man die Grenze gesetzlich auf 100 DM festgesetzt
sehr viel weiter ausgebaut werden, sie müßte stär- hat, noch nicht wissen können. Man kann es jetzt
ker differenziert sein: bisher ist sie sachlich un- erst, seit wenigen Wochen, wissen, seitdem näm-
zureichend. Die Ergebnisse der Finanz- und Steuer- lich diese Lohnstrukturerhebung vorliegt. Es ist
statistik hinken so beträchtlich hinter der Wirk- also durchaus ein Anlaß gegeben, nunmehr die
lichkeit her, daß sie für wirtschaftspolitische un d Freigrenze richtig festzusetzen. Man sollte hier
finanz- und steuerpolitische Entscheidungen keine auch nicht einwenden, daß es dazu jetzt nicht an
geeignete Grundlage abgeben können: sie sind nicht der Zeit wäre, sondern daß man bis zu der sagen-
zeitnahe genug. Dieser Mißstand hat seinen Grund haften großen Steuerreform warten sollte. Wenn
zum Teil darin, daß die Veranlagung der Einkom- wir uns erinnern, wie viele Steuervergünstigungen
men- und Körperschaftsteuer mit jahrelanger Ver- der Bundestag für eine ganze Reihe von Wirt-
spätung erfolgt. schaftszweigen in den letzten vier Jahren beschlos-
Das Bundesfinanzministerium hat die Lohn- sen hat, dann können wir bei der immer wieder-
strukturerhebung vom November 1951 auf die Be- kehrenden Weihnachtsgratifikations-Diskussion —
triebsstättenzählung vom Jahre 1950 bezogen. Das was für ein ominöses Wort! — uns nunmehr ver-
ist im Dezember 1953 eine mißliche Grundlage. Ich anlaßt sehen, das jetzt ermittelte richtige Ergeb-
fand die Ergebnisse dieser Erhebung aber in an- nis von 200 DM einzusetzen. Das ist das eine inter-
derer Hinsicht für das hier zu behandelnde Pro- essante Ergebnis.
blem bemerkenswert. Das ist dem Bundesfinanz- Das zweite ist: Die Lohnstrukturerhebung macht
ministerium leider entgangen. deutlich, daß die Frage der Steuerfreigrenze für
Die Lohnstrukturerhebung bringt auch die durch- Weihnachtsgratifikationen in der Wirtschaft keine
schnittlichen Sonderzuweisungen für Arbeiter und primär soziale Angelegenheit ist. Dieses Ergebnis
Arbeiterinnen in ungefähr 100 Wirtschaftszweigen. müssen wir respektieren; denn ich habe gesagt —
Der durchschnittliche Betrag der jährlichen Son- und es geht ganz klar daraus hervor —, daß die
derzuweisungen — das sind im wesentlichen die höher bezahlten Facharbeiter höhere Gratifikatio-
sogenannten Weihnachtsgratifikationen — ist für nen bekommen, während die niedrig bezahlten
männliche Arbeiter 69 DM und für weibliche Ar- niedrige bekommen. Ich sagte aber — und ich lege
beiter 48 DM. Ein solcher Durchschnitt besagt aber das Hauptgewicht darauf —: wir haben endlich eine
2 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 223
(Dr. Gülich)
Grundlage dafür, daß wir aus steuersystematischen wir auch diesen Antrag: 1949 Antrag aus den Rei
Gründen die Freigrenze jetzt auf 200 DM fest- hen der Rechten: 300 DM. Das Haus hat beschlos-
setzen können. sen: 300 DM sollen steuerfrei sein. — Verhand-
lungen mit den Finanzministern. — Vermittlungs-
Die Gratifikationen werden ja auch gelegentlich ausschuß. Ergebnis : 100 DM werden steuerfrei ge-
in der Arbeitsrechtsprechung als Teil des Lohnes zahlt. — Im folgenden Jahr ein Antrag aus den-
aufgefaßt. Man muß aber sagen, daß die Gratifika- selben Reihen: 200 DM. — Das Haus hat beschlos-
tion, die zum Abschluß des Geschäftsjahrs aus An- sen: 200 DM. — Verhandlungen mit den Landes-
laß des Weihnachtsfestes gegeben wird, von allen finanzministern. — Nein, es bleibt bei 100 DM
Empfängern als eine Weihnachtszuwen- steuerfreier Weihnachtszulage, und man hat sich
dung empfunden wird, auch als eine Anerkennung damit zufrieden gegeben.
für geleistete Arbeit, und der Stärkung der Werks-
zugehörigkeit dienen soll. (Abg. Dr. Miessner: Diesmal muß es werden!)
Hierbei möchte ich noch auf einen anderen — Diesmal werden wiederum 200 DM beantragt;
Punkt hinweisen. Die Lohnsteuerpflichtigen sind Herr Kollege Miessner, auf Ihren Eventualantrag
ja objektiv die wirklich Steuerehrlichen. Die komme ich noch. Die Dinge liegen jetzt so: Wir
Einkommensteuerpflichtigen haben auch aus haben den 10. Dezember. Das Haus geht in die
Anlaß des Weihnachtsfestes so viele Aus- Ferien. Der Bundesrat wird noch tagen. Glauben
weichmöglichkeiten, die die Lohnsteuerpflichtigen Sie, daß er jetzt, nachdem die Dinge zweimal so
nicht haben. Deswegen bin ich der Meinung, daß verlaufen sind, ja sagt? Nein, er wird den Ver-
gegenüber diesen uneingeschränkt Steuerehrlichen mittlungsausschuß anrufen. Das wird Mitte Januar,
der Bundesfinanzminister und die Länderfinanz- und dann läuft die Sache den Gesetzgebungsweg;
minister — es betrifft sie ja alle gleichermaßen — damit ist die Zeit, die im Gesetz für die Zahlung
nicht so happig sein und diesem Anliegen ent- von Weihnachtsgratifikationen festgelegt ist, ab-
sprechen sollten. zumal es, wie ich eben dargelegt gelaufen. Das müssen wir doch dabei berücksich
habe, steuersystematisch in bester Ordnung ist. tigen.
Ich brauche wohl nur noch darauf hinzuweisen, daß Dann ist doch auch eines nicht richtig, nämlich
alle Lohnempfänger, auch die besser bezahlten, daß man sagt, andere haben Vergünstigungen be-
ihren Nachholbedarf mit Abschlagszahlungen fest kommen. Nachdem zweimal diese Verhandlungen -
.

in ihre Haushaltsplanung einbezogen haben und — um 200 und 300 DM — stattgefunden hatten,
daß von allen die Weihnachtsgratifikationen als hat man sich mit übergroßer Mehrheit entschlos-
wirkliche Erleichterung empfunden werden. Des- sen, die Dinge im Gesetz unter Nr. 15 des § 3 zu
wegen meine ich, man sollte jetzt endlich diese verankern. Zu gleicher Zeit haben wir in demsel-
Frage lösen und sie nicht noch weiter hinaus- ben § 3 festgelegt, daß bei Eheschließung Zuwen-
schieben. dungen bis zum Betrage von 500 DM und bei Ge-
burten in der Familie in jedem Falle Zuwendun-
Außerdem glaube ich, daß den Arbeitern und An
gestellten, nicht zuletzt natürlich auch den Angehö- gen bis zu einer bestimmten Summe steuerfrei sein
sollen. Das und einige Dinge mehr haben wir ein-
rigen des öffentlichen Dienstes, denen das Haus vor-
gefügt. Wir haben dazu gesagt, dieser Streit soll
hin nach dem Irrtum in der Abstimmung auch die
bescheidene Zuwendung, die vom BHE beantragt endgültig durch eine Festlegung auf 100 DM be-
graben werden. Nun bitte ich Sie, meine sehr ver-
worden war, versagt hat, und den Rentenempfän-
ehrten Damen und Herren, doch auch daran zu
gern, denen eine Weihnachtsbeihilfe zu zahlen in
denken, daß Millionen und aber Millionen —
der vorigen Woche abgelehnt worden ist, vom
Herr Professor Gülich war so freundlich, die
Spätsommer her noch die Lobgesänge über das
Zahlen von 32, 20, 25 und 28 DM als Weihnachts-
deutsche Wirtschaftswunder im Ohr klingen. Sie
haben das ganz simple Gefühl, daß sie auch nach gratifikation zu nennen — sowieso schon steuer-
frei sind. Es gibt auch Grenzen darüber; das ist
den Wahlen aus Anlaß des Weihnachtsfestes einen
richtig, Herr Professor Gülich. Sie werden auch,
bescheidenen Anteil an diesem Wunder haben
Herr Miessner, wie ich Briefe bekommen haben.
möchten. Bezeichnend war ein Brief einer Dame, die aus
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU: West-Berlin ganz kurz und lapidar geschrieben
Sehr billig.) hat:
Ich bin Tbc-krank. Mir stehen zur Verfü-
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der gung 40 DM für Wohnung, 52 DM für Le-
Abgeordnete Pelster. bensunterhalt, 20 DM Pflegezulage, im Win-
ter 10 DM mehr. Das zur Beurteilung der
Pelster (CDU): Herr Präsident! Meine Damen Erhöhung der Steuerfreigrenze auf 200 DM.
und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Professor Repressalien fürchtend, aber nicht achtend,
Gülich, das letzte hätten wir uns eigentlich zeichne ich mit vollem Namen
sparen können. Hochachtungsvoll.
(Oho-Rufe von der SPD. — Zurufe von der
SPD: Sie sind schwer heruntergegangen.) Es folgt dann die Unterschrift. — Sehen Sie, da
müssen wir noch vieles tun. Die Lasten, die immer
Es ist ja nicht wahr, daß den Rentenempfängern
wieder von neuem auf uns zukommen, haben uns
alles abgelehnt worden ist, wie es hier behauptet
noch nicht dazu kommen lassen.
wurde, sondern auf Grund der Verordnung vom
16. September werden die Beträge bezahlt, die (Zuruf von der SPD.)
auch im Vorjahr gezahlt wurden, dazu noch mit Es ist manches im Werden. In den vergangenen
einer Erhöhung und an einen weit größeren Kreis vier Jahren ist auch die Rentenfrage immer wieder
von Empfängern als im vorigen Jahr. von neuem aufgegriffen worden, und es sind Erhö-
(Sehr richtig! bei der CDU.) hungen vorgenommen worden.
Auf der anderen Seite stimmt nun folgendes Es wird nun gesagt, diese Grenze macht bei
wirklich, Herr Professor: Alle Jahre wieder haben , 200 DM 2,52 DM Steuer aus. Ich weiß nicht, ob es
224 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Pelster)
dann notwendig ist, dafür ein besonderes Gesetz Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
zu machen, um das jetzt zu ermöglichen. Derjenige, Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
der diese 200 DM zu einem vollen Gehalt bekommt, Ich schließe daher die Einzelberatung zu Art. I
wird sich wegen dieser 2,52 DM nicht groß erregen. des Gesetzes und komme zur Abstimmung. Damit
Er freut sich, daß ihm immer noch 197, 50 DM ver- aber nicht wieder Irrtümer vorkommen,
bleiben. Demgegenüber muß man berücksichtigen, (Heiterkeit)
was eine ganze Menge anderer Leute an Einkom-
men haben. Ich könnte Ihnen ganz große Gruppen möchte ich folgendes sagen. Der Ausschuß hat Ab-
der Arbeiter nennen — ich denke an die Tabakar- lehnung des Gesetzes im ganzen beantragt. Ich kann
beiter usw. —, die noch bei 48-stündiger Arbeit aber in dieser Form nicht verfahren, weil es sich
sehr häufig mit 5 und 6 Kindern nicht einmal das um einen Gesetzentwurf handelt. Die Geschäfts-
an Lohn haben. Auch das wollen wir dabei sehen. ordnung schreibt vor, daß in der zweiten Beratung
Dort wurde die Erhöhung der Steuerfreigrenze ab über jeden einzelnen Teil des Gesetzes abgestimmt
200 DM ein bitteres Gefühl auslösen. werden muß. Wer also im Sinne des Ausschußan-
trages abstimmen will, der dahin geht, daß das
Dann erinnere ich daran, daß eine Verteilung ganze Gesetz abgelehnt wird, der muß den Art. I,
dieser 200 DM, wenn sie gezahlt werden, auf zwölf den ich jetzt zur Abstimmung stelle, ablehnen.
Monate möglich ist. Daraus ergibt sich durchweg
bei zwei, drei oder vier Kindern eine Freigrenze, Ich rufe Art. I zur Abstimmung auf. Wer dafür
daß selbst bei 200 DM keine Steuern mehr bezahlt ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
werden. Auch das sollten wir bei der Beurteilung zu (Abg. Mellies: Nur Art. I?)
Rate ziehen, wenn wir eine Entscheidung über diese — Nur Art. I. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Frage treffen. Das zweite war die Mehrheit. Der Art. I ist mit
Nun, Herr Kollege Miessner, zu Ihrem Eventual- Mehrheit abgelehnt.
antrag. Ich bin bestimmt derjenige, der den kinder- Da für diesen Fall der Eventualantrag Umdruck
reichen Familien helfen will. Es wurde schon im- 5 gestellt ist, komme ich jetzt zur Abstimmung
mer und wird auch noch sehr lebhaft darüber darüber. Er liegt ja wohl allen Damen und Herren
Klage geführt daß das ganze Gesetz Gott weiß des Hauses vor. Wer diesem Eventualantrag Um-
wie verklausuliert ist. Jetzt stehen die Weihnachts- druck 5 zustimmen will, den bitte ich um - ein
gratifikationen noch mit einem Betrag drin. Wenn Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
sie aber in Zukunft mit sechs Beträgen drinstehen, Enthaltungen? — Auch der Eventualantrag ist bei
dann wird die ganze Sache immer unübersichtli- vielen Gegenstimmen und einer Enthaltung mit
cher. Im großen und ganzen sind diese Menschen Mehrheit abgelehnt.
bei fünf Kindern und bei einem regulären Einkom- Ich rufe in der Einzelberatung Art. II des Gesetz-
men sowieso auch bei 200 DM Zuwendung schon entwurfs auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich
steuerfrei, vielleicht auch noch bei einer größeren schließe die Einzelberatung zu Art. II und komme
Summe. Darum sollte man diese Dinge jetzt nicht zur Abstimmung. Wer Art. II zustimmt, den bitte
einführen, zumal damit zu rechnen ist, daß die ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Ge-
Finanzminister — wir haben das in der letzten genprobe. — Enthaltungen? — Auch Art. II ist
Zeit doch immer wieder erlebt, wenn Belastungen mit Mehrheit abgelehnt.
auf die Länder zukamen — nein sagen, den Ver-
mittlungsausschuß anrufen, und wir dann viel- Ich rufe in der Einzelberatung Art. III auf. —
leicht Mitte Februar mit der Frage fertig sind. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die
Ich bitte deshalb, dem Ausschußantrag zuzustim- Einzelberatung zu Art. III. Wer Art. III zustimmen
men. Ich darf Ihnen als Mitglied des Steueraus- will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegen-
schusses versichern, daß wir die Frage von allen probe! — Enthaltungen? — Auch Art. III ist mit
Seiten beleuchtet und beurteilt haben und zu dem Mehrheit abgelehnt.
Beschluß gekommen sind, die Dinge so zu lassen, Ich rufe Einleitung und Überschrift auf.
wie sie sind. (Heiterkeit.)
(Zurufe von der SPD.)
Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. —
Man soll nicht von „sagenhaft" reden. Wir haben Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch Einleitung
es ja selber mit in der Hand, indem wir die Arbeit und Überschrift sind abgelehnt.
ein bißchen organisch einteilen, daß auch die große (Heiterkeit.)
Steuerreform sehr schnell auf uns zukommt. Daß
diese nicht die Abschaffung aller Steuern bedeutet, — Meine Damen und Herren, Sie lächeln, weil ich
darüber sind wir uns klar. Sie kann aber eine orga- das so mache. Die Geschäftsordnung schreibt das
nische Ordnung herbeiführen. Es ist dann möglich, leider vor.
dabei auch diese Dinge, die in § 3 stehen, zu än- (Abg. Mellies: Gott sei Dank!)
dern und neu zu ordnen. § 84 Abs. 3 sagt zwingend:
Angesichts der Tatsache, daß das Weihnachtsfest Sind in der zweiten Beratung alle Teile eines
vor der Tür steht und Millionen und aber Millio- Gesetzentwurfes abgelehnt worden, so unter
nen, ich möchte sagen, die überwältigende Mehr- bleibt jede weitere Beratung und Abstimmung.
heit der Arbeitnehmer mit mehreren Kindern
selbst mit 200 DM sowieso schon steuerfrei sind, Also: alle Teile, auch Einleitung und Überschrift.
bitte ich Sie, diese Dinge nicht zu machen. Wenn Andernfalls müßte ich, wenn auch nur die Über-
dann — Sie, Herr Kollege Miesner, haben es an schrift übriggeblieben wäre, die dritte Beratung
drei Betrieben in Ost, Süd und West ausgerechnet eröffnen. Das ist jedenfalls meine Auslegung.
— der Durchschnitt wirklich 2,52 DM ist, sollten Da in der zweiten Beratung das Gesetz in allen
wir dafür kein Gesetz ändern. seinen Teilen abgelehnt worden ist, unterbleibt,
Ich bitte, dem Ausschußantrag zuzustimmen. wie die Geschäftsordnung sagt, eine weitere Bera-
tung und Abstimmung. Die dritte Beratung entfällt.
(Beifall in der Mitte.) Der Punkt der Tagesordnung ist erledigt.
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 10. Dezember 1953 225
(Vizepräsident Dr. Schneider)
Ich rufe auf Punkt 18 der Tagesordnung: DM aus Mitteln des Ausgleichsfonds. Das zu über-
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes nehmende Kapital der Lastenausgleichsbank Akti-
über die Lastenausgleichsbank (Bank für engesellschaft stammt aus dem ERP-Sondervermö-
Vertriebene und Geschädigte) (Drucksache 86). gen. Bei den 22 Millionen DM des Ausgleichsfonds
Das Wort zur Einbringung hat der Herr Minister handelt es sich nicht um neue Mittel des Ausgleichs-
Oberländer. fonds, sondern um einen Teil derjenigen Liquidi-
tätsmittel, die das Bundesausgleichsamt der Bank
Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene: bereits seit langer Zeit zur Verfügung gestellt hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Hierdurch wird also eine Inanspruchnahme der Li-
Entwurf eines Gesetzes über die Lastenausgleichs- quidität des Ausgleichsfonds vermieden. Der Ge-
bank, der dem Hohen Hause heute zur Beratung setzgeber hat diese geplante Beteiligung schon in
in erster Lesung vorliegt, bringt eine Entwicklung § 323 Abs. 4 des Lastenausgleichsgesetzes vorgese-
zum Abschluß, die mit der Gründung der Vertrie- hen, indem er dort bestimmte, daß sich der Aus-
benenbank Aktiengesellschaft am 12. Mai 1950 be- gleichsfonds an öffentlich-rechtlichen Anstalten der
gonnen hat. Diese Gründung entsprach einem seit Bundesrepublik bis zur Höhe von 30 Millionen DM
langer Zeit gehegten Wunsche der Vertriebenen, beteiligen darf. Daß die Lastenausgleichsbank bei
der wirtschaftlichen Situation dieses Personenkrei- einer Bilanzsumme, die am 31. Dezember 1952
ses bei der Bildung der Bundesregierung im Herbst schon 760 Millionen DM betrug und am Schluß des
1949 und der Entwicklung der Gesetzgebung über laufenden Geschäftsjahres etwa 1 1/2 Milliarden DM
den Lastenausgleich. Die Tatsache, daß Kredite an betragen wird, unbedingt erforderlich ist, bedarf
Vertriebene infolge des mangelnden Eigenkapitals keiner weiteren Ausführung.
und der wiederum daraus sich ergebenden Unmög- Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Be-
lichkeit ausreichender Kreditsicherung besonders stimmung des § 4 Abs. 3, nach, der das Institut
risikobehaftet sind, hatte dazu geführt, daß es für grundsätzlich als Bank der Banken arbeitet und
die Unternehmen Vertriebener nahezu unmöglich seine Mittel über Kreditinstitute an den letzten
war, die Kredithilfe zu finden, die für den Fort- Kreditnehmer leitet. Nur in begründeten Ausnah
bestand neu gegründeter selbständiger Betriebe mefällen ist mit Zustimmung des Verwaltungsrats
oder ihre organische Entwicklung oder auch für eine unmittelbare Kreditgewährung zugelassen.
die Errichtung solcher Betriebe unbedingt notwen- -
Die Vorschriften über die Organe der Bank ent-
dig war. Der Bundesvertriebenenminister stand sprechen der Regelung bei ähnlichen öffentlich-
vor der Notwendigkeit, ein besonderes Kreditinsti- rechtlichen Instituten.
tut zu errichten, weil die bestehenden Banken sich
nicht in der Lage sahen, derart risikobehaftete Bin- Zum Verwaltungsrat, der in § 7 behandelt ist,
dungen einzugehen, wenn sie nicht die Möglichkeit darf ich bemerken, daß unter Berücksichtigung
fänden, sich an ein Institut anzulehnen, das ihnen einer ausgewogenen Vertretung aller an den Auf-
das Risiko ganz oder zum größten Teil abnahm. gaben der Bank interessierten Stellen darauf ge-
Andererseits wäre es falsch gewesen, eine neue achtet werden mußte, daß die Bundesregierung
Geschäftsbank zu errichten und damit den vorhan- und die Bundesländer einen hinreichenden Einfluß
denen Bankapparat auf diesem Sektor zu erwei- auf die Bank unterhalten. Der Verwaltungsrat sieht
tern. Die Errichtung der Vertriebenenbank Aktien- 23 Obligatorische und 7 fakultative Mitglieder vor.
gesellschaft füllte also eine Lücke aus, die auf an- Der Vorsitzende des Verwaltungsrats soll personen-
dere Weise nicht ausgefüllt werden konnte. gleich mit dem Präsidenten des Bundesausgleichs-
amts sein, eine Bestimmung, die sich fast zwangs-
Der Bundesvertriebenenminister war im Zeit- läufig aus der Tatsache ergibt, daß der Ausgleichs-
punkt der Errichtung dieses Institutes schon der fonds in Zukunft den überwiegenden Anteil am
Überzeugung, daß es wahrscheinlich zweckmäßig Kapital haben wird und daß auch überwiegend die
wäre, das Institut sofort in öffentlich-rechtlicher Mittel des Ausgleichsfonds über die Bank geleitet
Form zu gründen. Die gebotene Beschleunigung bei werden. Bei dem. Umfang des Verwaltungsrats ist
der Errichtung zwang aber zur Gründung in Form die Möglichkeit vorgesehen, einzelne Befugnisse
der Aktiengesellschaft, weil der Weg zur Errich- auf Ausschüsse zu übertragen.
tung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt nur über
die Legislative führte und hierzu eine relativ lange In § 13 wird bestimmt, daß die Bank der Auf-
Zeit erforderlich gewesen wäre. Die sehr schnelle sicht der Bundesregierung unterstellt ist und daß
Entwicklung des Instituts, insbesondere die Über- diese die Aufsicht einem Bundesminister übertragen
tragung weiterer Aufgaben durch das Hauptamt kann. Ferner ist vorgesehen, daß der aufsichtfüh-
für Soforthilfe, ließ es angebracht erscheinen, dem rende Bundesminister mit Zustimmung der Bun-
Drängen des Bundesrechnungshofs auf Umwand- desregierung einen Kommissar ernennt, dem wie
lung in die öffentlich-rechtliche Form nachzuge in ähnlich gelagerten Fällen weitgehende Befug-
ben und damit dem Parlament das Gesetz vorzule- nisse zustehen.
gen, das Sie zu beraten haben. Der Gesetzentwurf sieht in § 14 die Freistellung
Im einzelnen ist zu dem vorliegenden Gesetzent- der Bank von der Vermögensteuer, der Körper-
wurf folgendes in Kürze auszuführen. Die in § 1 schaftsteuer, der Gewerbesteuer und Erleichterun-
niedergelegte Bezeichnung des Zweckes der Errich- gen bei der Wertpapiersteuer und bei der Ausgabe
tung der Bank lehnt sich an die Präambel des von Schuldverschreibungen vor.
Lastenausgleichsgesetzes an. Es soll damit zum Der Entwurf hat auch dem Bundesrat vorgele
Ausdruck gebracht werden, daß in dem Institut im gen, der am 24. April beschlossen hat , einige An-
wesentlichen der Personenkreis betreut werden soll,
,

derungen vorzuschlagen, im übrigen Einwendun-


der auch im Lastenausgleichsgesetz begünstigt wird. gen nicht zu erheben. Der Bundesrat hat der An-
Die Kapitalausstattung des Instituts erfolgt nach sicht Ausdruck verliehen, daß das Gesetz seiner
§ 2 in Höhe von 3 Millionen DM aus dem Vermögen Zustimmung bedarf.
der gemäß § 16 zu übernehmenden Bank für Ver-
triebene und Geschädigte (Lastenausgleichsbank) Die Bundesregierung hat sich den Änderungs-
Aktiengesellschaft und in Höhe von 22 Millionen vorschlägen des Bundesrates nicht angeschlossen.
226 2. Deutscher Bundestag — 8: Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Bundesminister Dr. Oberländer)
Ich bitte das Hohe Haus, von dem Entwurf in Wir begrüßen deswegen die Vorlage. Ich werde
erster Lesung Kenntnis zu nehmen und ihn zur in der ersten Lesung nicht auf viele Einzelprobleme
.weiteren Behandlung dem zuständigen Ausschuß eingehen, die sich bezüglich der Zusammensetzung
zu überweisen. des Verwaltungsrats und anderer Dinge ergeben
können. Sie werden schon aus der Kontroverse
Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und zwischen Bundesrat und Bundesregierung über den
Herren, ich eröffne die Aussprache zur ersten Be- Zweck der Bank und über die eventuelle Benen
ratung des Gesetzentwurfs. Wird das Wort ge- nung der Bank, über die auch mein Herr Vor-
wünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Henn! redner soeben gesprochen hat, gesehen haben, daß
da allerhand im Ausschuß zu erörtern sein wird.
Dr. Henn (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Wenn man sich die Vorlage näher ansieht, erkennt
und Herren! Zu dem uns ,vorliegenden Entwurf man auch, daß es durchaus nicht selbstverständlich
über die Lastenausgleichsbank ist einigen vom ist, daß der Herr Bundesminister für Vertriebene
Standpunkt der Sowjetzonenflüchtlinge aus zu federführend für dieses Gesetz auftritt. Derjenige
sagen. Ich darf darauf hinweisen, daß in § 1 des Bundesminister, dem die Aufsicht über die Bank
Gesetzentwurfs steht, daß zur wirtschaftlichen Ein- übertragen werden. soll, ist ja im Gesetz vorsich-
gliederung und Förderung der Vertriebenen und tigerweise einstweilen nicht benannt. Wir, die so-
Flüchtlinge usw. die Lastenausgleichsbank geschaf- zialdemokratische Fraktion, können nur die Hoff-
fen wird. Weiter ist in der Begründung ausdrücklich nung aussprechen, daß diese Fragen nach rein sach-
darauf hingewiesen, daß auch Flüchtlinge durch die lichen Gesichtspunkten und nicht etwa nach Ge-
Lastenausgleichsbank betreut werden sollen. Die sichtspunkten der Verbändepolitik oder der inter-
Flüchtlinge sind also neben den Vertriebenen be- nen Koalitionspolitik entschieden werden.
sonders hervorgehoben. An einer Stelle heißt es Eine Frage, die im AuSschuß auch noch zu be-
dann, daß der Bundesrat empfehle, „Sowjetzonen- antworten sein wird, ist die, wie es dazu kommen
flüchtlinge" zu sagen. Die Bundesregierung hat sich konnte, daß in einer für eine öffentlich-rechtliche
dagegen ausgesprochen, da das eine zu enge Aus- Körperschaft ungewöhnlichen, meines Erachtens so-
legung sei; man müsse „Flüchtlinge" sagen. Auf gar juristisch unmöglichen Weise vorgesehen ist,
jeden Fall ist immer von Flüchtlingen die Rede. daß das Kapital durch Kapitalbeteiligungsvertrag
Leider ist aberdiese Erkenntnis im Grundsätzlichen -
ergänzt werden kann. Das ist um so erstaunlicher,
nicht auf den Text im einzelnen übertragen worden. als über . die Gewinnverwendung und die Gewinn-
Ich darf darauf hinweisen, daß der Name der Bank abführung der Bank doch noch viel Genaueres hätte
lauten soll „Bank für Vertriebene und Geschä- gesagt werden können, als in diesem Gesetz steht.
digte". Nach den Ausführungen der Begründung
müßte er lauten „Bank für Vertriebene, Flüchtlinge Ich habe damit nur einige Fragen angedeutet, die
und Geschädigte". im Ausschuß zu besprechen sein werden. Ich be-
antrage die Verweisung — das entspricht einer
Bei der Regelung der Zusammensetzung des Ver interfraktionellen Besprechung — an die Ausschüsse
waltungsrates, von der der Herr Minister eben ge- für den Lastenausgleich und für Geld und Kredit,
sprochen hat, ist in Abs. 1 Ziffer 6 davon die Rede, an letzteren federführend.
daß dem Verwaltungsrat zwei Vertreter der Ver-
triebenenorganisationen angehören sollen. Nach der Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
Begründung, die die Regierung dem Gesetz ge- Abgeordnete Dr. Atzenroth.
geben hat, halte ich es doch für selbstverständlich,
daß dazu ein Vertreter der Organisation der Dr. Atzenroth (FDP): Meine Damen und Herren!
Sowjetzonenflüchtlinge kommt. Ich will mich dem Herrn Vorredner anschließen
Das gleiche bitte ich für die Satzung der Bank und in der ersten Lesung ebenfalls keine Ausfüh-
zu veranlassen. Auch da ist in § 2 in der alten Fas- rungen zu den Einzelheiten des Gesetzes machen.
sung nur von Vertriebenen die Rede. Es müßte Wir begrüßen die Errichtung dieser Bank, die
auch hier in Zukunft heißen „Vertriebenen und eigentlich eine Fortführung der jetzt bestehenden
Flüchtlingen". Bank sein soll. Ich möchte nur zwei Vorbehalte an-
Ich wollte nur diese Anregung geben und würde melden, die wir dann in den Ausschußberatungen
bitten, daß sich vielleicht der Herr Minister dazu vortragen werden. Der eine Vorbehalt geht dahin,
äußert. Sonst würde ich gegebenenfalls in den daß der Aufgabenkreis der Bank sehr eng gefaßt
späteren Lesungen entsprechende Anträge stellen, ist und daß man sehr leicht Erweiterungen vor-
(Zurufe: Im Ausschuß!) nehmen kann. Die Bank hat auch in ihrer Struktur,
wie sie dieses Gesetz vorsieht, nicht einen zeitlich
falls es nicht schon im Ausschuß zu einer Klärung begrenzten Charakter. Sie wird, wie alle Körper-
kommt. schaften öffentlichen Rechts, das Bestreben haben,
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der ihre Tätigkeit lange fortsetzen. Wir möchten also
Abgeordnete Seuffert. in dieses Gesetz Bestimmungen hineinbringen, die
es ermöglichen,e Bank wieder zum Auslaufen zu
Seuffert (SPD): Herr Präsident! Meine Damen bringen, wenn die Gedanken, die uns beim Lasten-
und Herren! Daß die Lastenausgleichsbank mit ausgleich bewegt haben, ihre Verwirklichung ge-
Hilfe eines Gesetzes eine ordnungsmäßige Form funden haben, also nicht erst nach den 30 Jahren,
als öffentlich-rechtliche Körperschaft erhält, ist eine sondern schon zu dem Zeitpunkt, zu dem die Haupt-
alte Forderung der sozialdemokratischen Fraktion, entschädigung angelaufen ist und von dem an die
die hier schon immer mit Nachdruck vorgetragen Kreditgewährung immer mehr absinken wind.
worden ist, deren Erfüllung öfter zugesagt und Der zweite Vorbehalt bezieht sich auf die Zusam-
lange Zeit verzögert worden ist. Es kann gar kein mensetzung des Verwaltungsrats. Wir werden hier
Zweifel bestehen, daß die derzeitige provisorische eine Beteiligung auch derjenigen Kreise fordern,
Form und die derzeitige provisorische Leitung der die die Mittel, welche dieser Bank aus dem Aus-
Lastenausgleichsbank auf die Dauer einfach unhalt- gleichsfonds zur Verfügung stehen, aufzubringen
bar sind. haben. Es ist eine Forderung der Gerechtigkeit, daß
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 227
(Dr. Atzenroth)
auch diese Kreise wenigstens durch eine oder zwei seiner Auffassung erforderlich sei, hier auch den
Personen am Verwaltungsrat beteiligt werden. Rechtsausschuß zu beteiligen, da einige grundsätz-
Im übrigen schließe ich mich dem Verweisungs- liche Verfassungsfragen bezüglich der Freiheit der
vorschlag des Kollegen Seuffert an. Berufswahl mit zu entscheiden seien. Ich habe
mich damit einverstanden erklärt. Ich darf Sie
(Präsident D. Dr. Ehlers übernimmt darauf hinweisen, daß eine dieser Fragen be-
wieder den Vorsitz.) reits beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
rechtshängig ist.
Präsident D. Dr. Ehlers: Weitere Wortmeldungen
liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich Unter diesen Umständen empfiehlt es sich doch
schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Aus- — und ich verspreche Ihnen auch, daß dadurch kei-
schuß für Geld und Kredit und dem Ausschuß für nerlei Verzögerung eintritt —, den Ausschuß für
den Lastenausgleich zu überweisen, Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht mitzubeteiligen.
Geld und Kredit federführend. — Keine Bedenken Es empfiehlt sich für das Hohe Haus nicht, ein
dagegen. Die Überweisung ist erfolgt. Gesetz zu verabschieden, bei dem nachher Zweifel
hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit bestehen
Ich komme zu Punkt 19: könnten. Es liegt in unser aller Interesse, ganz
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gleich, welcher Partei wir angehören oder welche
über die Regelung der Beziehungen zwischen Meinung wir in der Frage des Kassenarztrechtes
Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen haben, durch den Rechtsausschuß prüfen zu lassen,
(Kassenarztrecht) (Drucksache 87). ob wir glauben, uns im Rahmen des Grundgesetzes
Es ist eine Vereinbarung darüber zustande ge- zu halten oder ob von rechtskundiger Seite Be-
kommen, daß dieser Gesetzentwurf ohne Begrün- denken anzumelden sind.
dung und ohne Aussprache überwiesen werden soll,
und zwar federführend an den Ausschuß für Präsident D. Dr. Ehlers: Ich nehme an, daß wir
Sozialpolitik, ferner an den Ausschuß für Fragen die Debatte darüber schließen können. Meine
des Gesundheitswesens und im Hinblick auf die Damen und Herren! Wer ist für die Überweisung
verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Gesetzes auch an den Rechtsausschuß? — Das ist die über-
auch an den Rechtsausschuß. Sind Sie damit ein- wiegende Mehrheit des Hauses. Die Überweisung
verstanden? ist erfolgt.
(Abg. Dr. Hammer: Ich bitte ums Wort.) Ich rufe auf Punkt 20:
Herr Abgeordneter Dr. Hammer! Erste Beratung des von der Fraktion der
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Dr. Hammer (FDP): Meine Damen und Herren! zur Ergänzung des Schwerbeschädigten-
Ich bitte, den Antrag nicht auch noch dem Rechts- gesetzes (Drucksache 96).
ausschuß zu überweisen. In der Regel sollen die Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Atzen-
Entwürfe doch nur einem einzigen Ausschuß über-
roth.
wiesen werden. Ich sehe keinen triftigen Grund ein,
warum man hier von der alten Regel abweichen Dr. Atzenroth (FDP), Antragsteller: Herr Präsi-
soll. Im übrigen hat dieses Haus den inhaltlich dent! Meine Damen und Herren! Das Schwerbe-
gleichen Antrag vor einem Dreivierteljahr auch nur schädigtengesetz ist von uns mit dem Ziel geschaf-
an den Ausschuß für Sozialpolitik und an den Aus- fen worden, die Eingliederung der Schwerbeschä-
schuß für Gesundheitswesen überwiesen. digten in das Wirtschaftsleben zu fördern. Wir ha-
ben alle unser Bestreben darin gesehen, diese
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Horn! Menschen in Arbeit zu bringen, weil wir das für
richtiger hielten, als ihnen Renten zu zahlen. Wenn
Horn (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und wir hier den ersten Änderungsantrag zu diesem
Herren! Ich möchte mich auch für meine Freunde
Gesetz stellen, dann möchte ich mit aller Deutlich-
dieser Auffassung des Herrn Dr. Hammer an- keit vorausschicken, daß an diesem Ziel nichts ge-
schließen. Es handelt sich um eine reine Angelegen- ändert werden soll und nichts geändert werden
heit der Reichsversicherungsordnung, um eine Neu-
darf.
regelung der §§ 368 ff. Es ist also nicht einzusehen,
daß nun, entgegen der damaligen Regelung, auch Bei dem Anlaufen dieses Gesetzes haben sich
noch der Rechtsausschuß einbezogen werden soll. Schwierigkeiten ergeben. Nach bisher unwider-
Voraussetzungen dafür sind nach meinem Dafür- sprochenen Mitteilungen beträgt die Zahl der
halten nicht gegeben. Ich bitte also, den Rechtsaus- Schwerbeschädigten im Bundesgebiet rund 700 000.
schuß nicht damit zu beauftragen. Von diesen 700 000 sind etwa 40 000 noch bei den
Arbeitsämtern als nicht in Arbeit befindlich ge-
Präsident D. Dr. Ehlers: Einen Ihrer Freunde, meldet. Darunter befindet sich auch ein bestimmter
Herr Kollege Horn, müssen Sie davon ausnehmen, Kreis, dessen Zahl ich nicht angeben kann, der
denn er hat gerade bei mir beantragt, den Entwurf praktisch nicht einsatzfähig ist. Hierüber liegen
auch dem Rechtsausschuß zu überweisen. noch keine amtlichen Zahlen vor. Die Bundesan-
stalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver-
(Heiterkeit.) sicherung hat eine Untersuchung veranstaltet, um
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt. echtes Zahlenmaterial vorlegen zu können, an
Hand dessen man tatsächlich nachher die Entschei-
Dr. Arndt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen dungen treffen kann. Wenn die Zahlen, die mir
und Herren! Der Herr Kollege Ho ogen, der im genannt worden sind, richtig sind, dann wird es
Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht uns gar nicht möglich sein, die in dem Gesetz vor-
den Vorsitz führt, ist leider nicht anwesend. Daher gesehenen Quoten überall aufzubringen, weil so-
erlaube ich mir, in seiner Vertretung hierzu einiges viel Schwerbeschädigte zum Einsatz gar nicht vor-
zu sagen. Herr Kollege Hoogen ist von sich aus an handen sind. Das ändert natürlich nichts an der
mich herangetreten und hat mir gesagt, daß es nach Schwierigkeit, daß örtliche Zusammenballungen
228 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Dr. Atzenroth)
anders gelagert sein können und daß an einzelnen würde bedeuten, daß das soziale Fundament des
Schwerpunkten, wo sich sehr viele Schwerbeschä- Schwerbeschädigtengesetzes untergraben und durch
digte zusammenfinden, das Verhältnis ein ungün- weitere Maßnahmen in gleicher Richtung der so-
stigeres sein kann. Aber diese Dinge sind nur der ziale Inhalt dieses bedeutsamen Gesetzes für die
äußere Anlaß. beschädigten ehemaligen Soldaten auf kaltem
Wege beseitigt wird. Ich kann mich des Eindrucks
In der Zwischenzeit beschäftigen sich das Mini- nicht erwehren, daß man hier den gleichen Weg
sterium und alle betroffenen Kreise mit der
gehen will, den man mit der Nichtverkündung des
Rechtsverordnung, die die im Gesetz selbst vorge- Heimkehrerentschädigungsgesetzes betreten hat:
sehenen Milderungen für den Einstellungszwang nach außen hin große Hilfsversprechen, während
bringen soll. Diese Rechtsverordnung ist bis heute man intern und in den Ausschüssen schon Über-
noch nicht erlassen. Es besteht also ein außeror- legungen anstellt, wie man schnell — und ohne
dentlicher Unsicherheitsfaktor im Wirtschaftsleben. daß es die Betroffenen merken — die Versprechun-
Ich erinnere daran, daß nach wohl allgemeiner gen wieder rückgängig machen kann.
Auffassung im Bergbau die Quote herabgesetzt
werden soll. Das ist aber noch nicht geschehen; Das Schwerbeschädigtengesetz sieht vor, daß Ar-
nach dem äußeren Wortlaut des Gesetzes gilt also beitgeber, die der Pflicht, Schwerbeschädigte zu
auch für den Bergbau das Gesetz noch mit all beschäftigen, nicht genügen oder diese Verpflich-
seinen äußersten Konsequenzen. tung nicht durch andere Leistungen erfüllen, die
in den §§ 7 und 8 des Schwerbeschädigtengesetzes
Der von uns eingebrachte Antrag soll nun für aufgezeigt sind, eine monatliche Ausgleichsabgabe
eine Übergangszeit, nämlich für die Zeit vom
von 50 DM zu leisten haben. Und um diese 50 DM
1. November, an dem das Gesetz in Kraft getreten geht es in dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion.
ist, bis zum 28. Februar, also für vier Monate,
eine Milderung der Aiunsglechoabfr (Widerspruch bei der FDP.)
bringen, als für diese Zeit die Abgabe nur nach Man spricht heute noch nicht offen davon, die Be-
dem Satz von 6 % zu beschäftigender Schwerbe- schäftigungsquote generell für alle öffentlichen
schädigter zu berechnen sein soll. Nach unserem und privaten Betriebe von 8 auf 6 % zu senken.
Vorschlag soll an dem Einstellungszwang nichts Man kann ja das Ziel auch so erreichen — und das
geändert werden. Es kann also nicht entgegenge- ist der Sinn des Gesetzentwurfs —, daß man zwar
halten werden, daß etwa auf Grund dieses An- sagt: „Sie sind verpflichtet, 8 % zu beschäftigen",
trags Entlassungen von Schwerbeschädigten an aber die Verpflichtung zur Entrichtung der Aus-
irgendeiner Stelle möglich sein könnten, wo es gleichsabgabe in Höhe von 50 DM beseitigt. In der
sonst nicht der Fall wäre. Es soll an dem Einstel- Begründung zum Schwerbeschädigtengesetz heißt
lungszwang, wie er im Gesetz vorgesehen ist, nichts es ausdrücklich:
geändert werden; nur die Ausgleichsabgabe soll
für die vorübergehende Zeit von vier Monaten in Die Ausgleichsabgabe hat aber in jedem Fall
einer etwas geringeren Höhe erhoben werden, um den Zweck, den Arbeitgeber zur Erfüllung
die Härten zu vermeiden, die sich daraus ergeben, der ihm nach dem Schwerbeschädigtengesetz
daß wohl einzelne Arbeitsämter eine Herabset- auferlegten Verpflichtungen anzuhalten. Dat-
zung vornehmen können, w as jetzt in völlig un- um betont der Gesetzgeber auch ausdrücklich
gleichem Maße geschieht. Wir halten es für rich- im § 9 Abs. 1 des Gesetzes, daß die Zahlung
tiger, daß der Gesetzgeber das gleichmäßig für das der Ausgleichsabgabe die Pflicht zur Beschäf-
ganze Bundesgebiet regelt. In dieser Zeit könnte tigung Schwerbeschädigter nicht aufhebt.
und muß die volle Klärung erfolgt sein; bis da- Mit dieser Feststellung ist bewußt der Tendenz
hin liegt das Material von der Bundesanstalt für des sogenannten Loskaufens von der Pflicht zur
Arbeit unter allen Umständen vor, und dann kön- Einstellung Schwerbeschädigter vorgebeugt wor-
nen wir uns darüber klar werden, welche Quote, den.
welche Mindestzahl von Beschäftigten nach den
Unterlagen, die uns dann von der amtlichen Stelle (Abg. Weyer: Davon ist doch gar keine Rede!)
zur Verfügung gestellt werden, angemessen sind. Für Schwerbeschädigte, meine Damen und Herren,
Ich wiederhole: an der Tendenz, der das Gesetz ist es immer betrüblich — und es ist für uns als
seine Entstehung verdankt, soll durch diesen An- Schwerbeschädigte manchmal entwürdigend—, wenn
trag nichts geändert werden, es soll nur eine vor- man immer wieder erleben muß, daß um unsere
übergehende Milderung in der Zeit der Unsicher- 5 % mehr oder weniger körperlicher Beschädigung
heit geschaffen werden. aus fiskalischen und jetzt auch noch aus privatwirt-
Ich bitte Sie daher, diesen Antrag dem zuständi- schaftlichen Gründen gefeilscht wird. Es ist meines
gen Ausschuß zur möglichst baldigen Beratung zu Erachtens notwendig, auch hier einmal daran zu
überweisen. erinnern, daß wir Schwerbeschädigte einmal die
gesundesten Deutschen waren und unsere Gesund-
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- heit auch für diejenigen geopfert haben, die sich
ren, Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne heute nicht scheuen, die Beseitigung der Geldquel-
die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter len zu beantragen, deren Fließen doch für die Aus-
Rasch. bildung und berufliche Weiterbildung gerade der
schwerstbeschädigten Menschen dringend notwen-
Rasch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und dig ist.
Herren! Der Antrag der FDP-Fraktion — Druck-
sache 96 — bedeutet keine Ergänzung des Schwer- (Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)
beschädigtengesetzes, das der erste Bundestag am Die Gelder, die aus der Ausgleichsabgabe herein-
16. Juni 1953 einstimmig beschlossen hat. Ergän- kommen, werden ja nur verwandt und dürfen nur
zen, meine Damen und Herren, ist meines Erach- verwandt werden für die Ausbildung von Schwer-
tens das Schließen einer Lücke, nicht die Beseiti- beschädigten. Wenn diese Beträge regelrecht und
gung eines bis jetzt kaum verwirklichten sozialen ordentlich verwandt worden sind, kommen sie doch
Tatbestandes. Die Annahme des FDP-Antrages dem Arbeitgeber wieder dadurch zugute, daß er
2. Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 229
(Rasch)
durch das Hereinnehmen von vorgeschulten und Möglichkeiten stehen dem Arbeitgeber offen, und
ausgebildeten Menschen seine wirtschaftliche Sub- die Vergangenheit hat gelehrt, daß alle Möglich-
stanz festigt und auch stärkt. Ich glaube, es ist not- keiten ausgeschöpft worden sind.
wendig, auch auf diesen Tatbestand einmal hinzu- Wenn die Rechtsverordnungen, die die Bundes-
weisen. regierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen
Tatsache ist ebenfalls, daß der Arbeitgeber bei muß, bis heute nicht erschienen sind, ist das nicht
60% seiner beschäftigten Schwerbeschädigten gar unsere Schuld, auch nicht die Schuld der Schwer-
nicht merkt, daß sie überhaupt schwerbeschädigt beschädigten. Aber auf keinen Fall kann meine
sind, weil sie nämlich ihrer Berufspflicht vollauf Fraktion es billigen, daß man nun, da man all die
genügen, da sie an einem Arbeitsplatz eingesetzt Dinge vor Weihnachten abgelehnt hat, den Schwer-
sind, an dem sie praktisch so wirken und werken beschädigten zumutet, auf dem Altar des nicht ge-
können wie gesund gebliebene Menschen auch. Für gebenen Weihnachtsfestes auch noch ein Opfer zu
weitere 20% der jetzt beschäftigten Schwerbeschä- bringen. Wir werden jedenfalls dafür eintreten, daß
digten ist durch die Bereitstellung technischer Ar- dieser Antrag der FDP nicht zum Zuge kommt.
beitshilfen erreicht warden, daß sie dem gesunden
Arbeitnehmer gegenüber — wie es von verantwor- (Beifall bei der SPD.)
tungsbewußten Arbeitgebern immer wieder aner-
kannt wird — in gar keiner Weise auffallen. Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat Frau Ab-
geordnete Dr. Probst.
Vor allen Dingen, meine Herren Antragsteller,
möchte ich darauf verweisen, daß Sie ja mit diesem Frau Dr. Probst (CSU): Herr Präsident! Meine
Antrag den Arbeitgeber bestrafen, der in der Ver- Herren und Damen! Es wäre eine sehr bedenkliche
gangenheit freiwillig und aus seiner sittlichen Ver- Praxis, Herr Kollege Atzenroth, wenn wir Ihrem
pflichtung heraus mehr als 8% Beschädigte be- Rate folgen wollten, Gesetze mit der Begründung
schäftigt hat. abzuändern, daß die Durchführungsverordnung
Es ist auch notwendig zu sagen, daß ja nicht erst noch nicht erschienen ist. Wir würden dadurch als-
heute diese immerhin nicht geringen Angriffe bald in ein gesetzgeberisches Chaos geraten. Schon
gegen das Schwerbeschädigtengesetz kommen. Tat- aus diesem Grunde muß ich von vornherein Be-
sache ist, daß schon vor der Verkündung des Ge- denken gegen den Antrag der Fraktion der FDP
setzes von den verschiedensten Berufs- und In- auf Drucksache 96 geltend machen. -
dustriezweigen an die Arbeitsverwaltung und an Dazu kommen eine Reihe weiterer Überlegungen:
die sonstigen Durchführungsorgane Anträge her- Es stellt sich von vornherein die Frage, ob es über-
angetragen worden sind, die den Sinn hatten, die haupt eines solchen Antrages bedarf. Bei der
Quote nach Möglichkeit so tief wie nur eben mög- Schaffung des Schwerbeschädigtengesetzes hat das
lich zu halten. Hohe Haus auf die Bedürfnisse der Wirtschaft und
Es muß auch festgestellt werden, daß die Zahlen, des Schwerbeschädigten durch die Möglichkeit
die über die jetzt noch arbeitslosen Schwerbeschä- elastischer Anpassung bewußt Rücksicht genom-
digten genannt werden, sehr unterschiedlich sind. men. Es sei mir gestattet, in aller Kürze auf die
Sie sind auch wohl niemals ganz genau festzustel- einschlägigen Bestimmungen des Schwerbeschädig-
len. Ich habe ungefähre Unterlagen darüber, nach tengesetzes hinzuweisen. Der § 3 Abs. 2 z. B. sieht
denen noch 65 000 Schwerbeschädigte in der Bun- vor, daß die Bundesregierung für ganze Wirt-
desrepub li k vorhanden sind. schaftszweige oder Betriebsarten den Pflichtsatz
Wir stellen darüber hinaus noch folgende Tatsache bis auf 4 % herabsetzen kann. Nach § 3 Abs. 4
fest. Wir haben in der Bundesrepublik noch 675 000 kann das Landesarbeitsamt, also die mittlere In-
unerledigte Rentenanträge in der Kriegsopferver- stanz, soweit die Erfüllung der Beschäftigungs-
sorgung. Rechnet man einmal grob, daß 5 % dieser pflicht nicht möglich ist, die Quote im Einzelfall
Anträge mit Zuerkennung der Schwerbeschädig- bis auf 4 % herabsetzen. Ich verweise ferner auf
teneigenschaft beschieden werden, dann kommen § 9 Abs. 3, wo es heißt:
weitere 30 000 Schwerbeschädigte hinzu. Das Landesarbeitsamt kann im Benehmen mit
(Abg. Dr. Atzenroth: Viel zu hoch gerechnet!) der Hauptfürsorgestelle die Ausgleichsabgabe
in Härtefällen auf Antrag der Arbeitgeber her-
Ein weiteres Moment, das nicht außer acht ge- absetzen oder erlassen. Es soll den Arbeitge-
lassen werden darf, ist die Umsiedlung von bern die Ausgleichsabgabe erlassen, wenn sie
Schwerbeschädigten, die Frage der Heranführung trotz eigener Bemühungen ihrer Pflicht zur
von Schwerbeschädigten an Arbeitsplätze aus Ge- Beschäftigung Schwerbeschädigter nicht nach-
bieten, in denen keine Arbeit mehr vorhanden ist kommen konnten und das Arbeitsamt ihnen
— ich denke an Niedersachsen, an Schleswig-Hol- seit mehr als drei Monaten Schwerbeschädigte
stein, an Bayern —, in Gebiete wie Nordrhein-West- nicht nachweisen konnte.
falen oder andere Länder der Bundesrepublik, in Außerdem wird im § 39 die Bundesregierung er
denen wir diese schwerbeschädigten Menschen be- machtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften zu
schäftigen können. erlassen über eine begrenzte Anrechnung von Ar-
Ferner sind in dem Gesetz so viele Möglichkei- beitsplätzen in Saison- und Kampagnebetrieben
ten und Handhaben gegeben, mit denen man auch und von Arbeitsplätzen, die nur vorübergehend
dem Arbeitgeber entgegenkommt. Ich denke da oder befristet oder mit geringfügig beschäftigten
z. B. daran, daß er, wenn keine Schwerbeschädig- Personenbesetzt sind. Die Bundesregierung wird
ten vorhanden sind, jederzeit in der Lage ist, einen ferner ermächtigt, durch Rechtsverordnung Bestim-
Leichtbeschädigten einzustellen. Ich denke daran, mungen zu erlassen über die Nichtanrechnung oder
daß er jederzeit in der Lage ist, statt eines Be- begrenzte Anrechnung von Arbeitsplätzen, die nach
schädigten zwei Kriegerwitwen einzustellen; wei- der Art der zu leistenden Arbeit, nach bestehen-
ter sieht das Gesetz auch die Möglichkeit vor, daß den Vorschriften oder — Herr Kollege Atzenroth!
der Arbeitgeber für einen Schwerstbeschädigten zwei -- auf Grund von Anordnungen der Gewerbe- oder
Arbeitsplätze angerechnet bekommt. Alle diese Bergaufsicht nicht mit Schwerbeschädigten besetzt
230 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953
(Frau Dr. Probst)
werden können. In der Ausschußberatung. wird Kollege von der SPD gesagt hat, daß man den
klarzustellen sein, daß der vorliegende Antrag der Schwerbeschädigten ein schlechtes Weihnachtsge-
SPD angesichts der Möglichkeiten des Gesetzes schenk oder so etwas machen wollte. Ich habe be-
selbst als überholt zu betrachten ist. tont, auch den Antragstellern sei bewußt, daß die
Auf der anderen Seite muß darauf hingewiesen Eingliederung der arbeitslosen Schwerbeschädigten
werden, daß die Quote von 8 % in industrie- in den Arbeitsprozeß die beste Hilfe für sie dar-
schwächeren Ländern, wie etwa Bayern, seit Jah- stellt. Deswegen muß ich die Vorwürfe, die hier
ren in Anwendung ist und dort bei elastischer Hand- vorgebracht worden sind, zurückweisen.
habung zu keinen wesentlichen Schwierigkeiten
— von der Wirtschaft her gesehen — geführt hat. Präsident D. Dr. Ehlers: Keine weiteren Wort-
Trotz der Quote von 8 % hat Bayern nach dem meldungen. Ich schließe die Besprechung.
Stande vom 31. 10. 1953 noch 8489 arbeitslose"
schwerbeschädigte Kriegs- und Arbeitsopfer. Eine Meine Damen und Herren, es ist Überweisung an
auch nur vorübergehende Senkung der Quote den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrer-
würdegößtBunhi erd90n fragen beantragt worden.
Bayern beschäftigten Schwerbeschädigten und den (Abg. Mellies: Wir bitten um Abstimmung,
noch arbeitslosen schaffen. Jede Senkung, wenn Herr Präsident!)
auch nur vorübergehender Art, würde zu einer — Über die Überweisung?
Steigerung der Arbeitslosigkeit dieses Personen-
kreises führen, die unter keinen Umständen ver- (Abg. Mellies: Ja!)
antwortet werden kann. Die schwerbeschädigten Ich bitte die Damen und Herren, die für die Über-
Kriegs- und Arbeitsopfer haben im Dienste der weisung an den Ausschuß sind, eine Hand zu er-
Wirtschaft und im Dienste unseres Volkes das heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das
schwerste Opfer gebracht, das ein Mensch bringen erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
kann, nämlich das der Gesundheit und der Lebens-
kraft. Sie sind gewillt, die ihnen verbliebenen Ich rufe auf Punkt 21:
Kräfte wieder in den Dienst der Allgemeinheit zu
stellen. Die Kriegs- und Arbeitsopfer lehnen ein Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
totales Staatsrentnertum ab. Sie wollen wieder so zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen
- Ab-
weit als möglich die eigene Kraft in den Dienst wanderung aus dem Gebiet der Bundes-
der Allgemeinheit stellen und die eigene Existenz republik (Drucksache 76).
selbst gestalten. Es ist unsere Verpflichtung, die- Meine Damen und Herren, der Bundesminister
sem Wollen ungeschmälert zu entsprechen. des Innern hat die Absicht, das Gesetz kurz zu be-
Ein letzter Gedanke, Herr Kollege Atzenroth: Die gründen. Ich frage im Interesse der Abkürzung:
Erfahrung hat gelehrt, daß der Schwerbeschädigte Sind Sie bereit, auf eine Aussprache zu verzichten?
wertvoller amrichtgenAbsplz oder
(Zustimmung.)
Mitarbeiter ist. Der Antrag der FDP in der vorlie-
genden Form müßte zu der sicher nicht gewollten Der Herr Bundesminister des Innern hat das
Annahme führen, daß die Freie Demokratische Wort.
Partei dem Unternehmer unterstellen wolle, daß er
den Menschen, die in seinem Dienst und im Dienst Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Herr
der Wirtschaft wie des ganzen Volkes ihre Gesund- Präsident! Meine Damen und Herren!' Es bedurfte
heit geopfert haben, ihre Arbeitsplätze vorenthal- nicht Ihrer Liebenswürdigkeit, um mich angesichts
ten wolle. Das Gegenteil ist der Fall. Auch unter der vorgerückten Stunde zur äußersten Kürze zu
diesem Gesichtspunkt bedarf der Antrag der Re- veranlassen. Ich glaube, daß dieses Gesetz im Ge-
vision. gensatz zu manchen anderen allein in seiner Über-
Ich bitte im Namen meiner Fraktion, den Antrag schrift seinen Gegenstand bereits genau genug um-
der FDP Drucksache 96 dem Ausschuß für Kriegs- schreibt, wenn es sich „Gesetz zum Schutz deut-
schen Kulturgutes gegen Abwanderung aus dem
opfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen. Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" nennt.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Nach einem Hinweis auf diese Überschrift brauche
ich Sie nur noch auf den § 24 verweisen, aus dem
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Ab- Sie ersehen werden, daß es die Absicht dieses Ge-
geordnete Dr. Atzenroth. setzes ist, reichsrechtliche, hessische und bayerische
Vorschriften aufzuheben, neuzufassen und zu ver-
Dr. Atzenroth (FDP): Meine Damen und Herren! einheitlichen.
Ich habe das Gefühl, als ob meine Ausführungen
einen Kampf gegen Windmühlen ausgelöst haben. Ich brauche nur einen weiteren Satz hinzuzu-
Ich möchte noch einmal betonen, daß wir keinem fügen. Wir sind uns mit dem Bundesrat nicht ganz
Schwerbeschädigten ein Recht wegnehmen wollen. einig geworden in dem dafür richtigen Verfahren.
Wir wollen an der Einstellungsquote nichts ändern. IchmötedWunsArckgeb,daßs
Das habe ich mit aller Deutlichkeit ausgeführt. Es dem Bundestag gelingen wird, ein Verfahren zu
scheint, daß sich hier auf dieser Tribüne ein Wett verabschieden, das praktisch genug ist, um die
kampf zwischen den beiden Verbänden an dieser Zwecke dieses Gesetzes wirklich zu erreichen.
Frage entzünden soll, der nicht geeignet ist, - -
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich eröffne die Aus-
(Abg. Frau Dr. Probst: Steht im Antrag!) sprache und sehe keine Wortmeldungen. Ich schließe
— Ich wiederholte mit aller Deutlichkeit: Es han- die Aussprache. Sind Sie mit der Überweisung an
delt sich hier um eine vorübergehende, auf vier den Ausschuß für Kulturpolitik einverstanden? —
Monate befristete Maßnahme, und es soll keine Das ist der Fall.
Änderung des Einstellungszwanges erfolgen. Es Die Fraktion der DP hat den Antrag unter Punkt
kann also nicht davon gesprochen werden, wie der 22 der Tagesordnung — betreffend Vorlage eines
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 231
(Präsident D. Dr. Ehlers)
Gesetzes zur Überführung des kollektiven Woh- schrift zuzustimmen wünschen, um ein Hand
nungseigentums und Hausbesitzes in Privateigen zeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
tum — für heute zurückgezogen mit der Bitte, Ich komme zur
ihn in einer der nächsten Tagesordnungen zu Be-
ginn unterzubringen. dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldun-
Ich rufe auf Punkt 23: gen. Einzelberatung entfällt. Ich bitte die Damen
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs und Herren, die dem Entwurf eines Gesetzes über
eines Gesetzes über den Beitritt der Bundes- den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum
republik Deutschland zum Internationalen Internationalen Schiffssicherheitsvertrag London
Schiffssicherheitsvertrag London 1948 (Druck- 1948 in der Schlußabstimmung zuzustimmen wün-
sache 89); schen, sich zu erheben. — Dieses Gesetz ist ein-
stimmig angenommen.
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Verkehrswesen (30. Ausschuß) (Drucksache Ich bitte die Damen und Herren, die dem An-
136). (Erste Beratung: 7. Sitzung.) trag des Ausschusses unter 2 b, die eingegangenen
Petitionen für erledigt zu erklären, zuzustimmen
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Schmidt wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist offen-
(Hamburg). bar die Mehrheit; angenommen.
Schmidt (Hamburg) (SPD): Herr Präsident, darf Ich rufe auf Punkt 24:
ich vorschlagen, auf die mündliche Berichterstattung
zu verzichten. Es liegt ein schriftlicher Bericht *) Beratung des interfraktionellen Antrags be-
auf Drucksache Nr. 136 vor. treffend Überweisung von Anträgen an die
Ausschüsse (Umdruck 4).
Präsident D. Dr. Ehlers: Da ein schriftlicher Be- Ich bitte die Damen und Herren, die der Über-
richt, Drucksache Nr. 136, vorliegt, wird vorge- weisung zustimmen, eine Hand zu erheben. — Das
schlagen, auf die Berichterstattung zu verzichten. ist die Mehrheit; angenommen.
Ich darf annehmen, daß das Haus gern damit ein-
verstanden ist. Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesord-
-
nung. Meine Damen und Herren, es bleibt mir die
Ich komme dann zur Einzelbesprechung in der Pflicht, allen Mitgliedern des Hauses zum Weih-
zweiten Beratung. Sie finden diese Beschlüsse des nachtsfest und zum neuen Jahr herzliche Glück-
Ausschusses in der Anlage 1 der Drucksache Nr. 136. und Segenswünsche auszusprechen.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — 6, —
7, — Einleitung und Überschrift. Keine Wort- Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag,
meldungen. Ich bitte die. Damen und Herren, die den 14. Januar 1954, 9 Uhr 30, ein und schließe die
den aufgerufenen Artikeln, Einleitung und Über- 8. Sitzung des Deutschen Bundestages.

Siehe Anlage Seite 238. (Schluß der Sitzung: 19 Uhr.)


232 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953

Namentliche Abstimmung
über Art. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes über die einstweilige
Außerkraftsetzung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschafts
genossenschaften nach den Beschlüssen des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Drucksache 117)

Name Abstimmung Name Abstimmung

CDU/CSU

Frau Ackermann . Ja Fuchs Nein


Dr. Adenauer — Funk Nein
Albers entschuld. Dr. Furler Nein
Arndgen Ja Gedat Nein
Barlage Nein Geiger Nein
Dr. Bartram Nein Frau Geisendörfer . . . Nein
Bauer (Wasserburg). Nein Gengler . Ja
Bauereisen Nein Gerns Nein
Bauknecht -- D. Dr. Gerstenmaier . . entschuld.
Bausch Nein Gibbert —
Becker (Pirmasens). enthalten Giencke . Nein
Berendsen Ja Dr. Glasmeyer Ja -
Dr. Bergmeyer Nein Dr. Gleissner (München) Nein
Fürst von Bismarck . . . Nein Glüsing Nein
Blank (Dortmund) . . . Ja Gockeln . Ja
Frau Dr. Bleyler Dr. Götz Ja
(Freiburg) Ja Goldhagen Nein
Bock Nein Gontrum Nein
von Bodelschwingh . . . Ja Dr. Graf Nein
Dr. Böhm (Frankfurt) . Ja Griem Nein
Brand (Remscheid) . Ja Günther Nein
Frau Brauksiepe. enthalten Gumrum Nein
Dr. von Brentano .. entschuld. Häussler Ja "
Brese Nein Hahn enthalten
Frau Dr. Brökelschen . Nein Harnischfeger Ja
Dr. Brönner Nein von Hassel Nein
Brookmann (Kiel) Nein Heix Ja
Brück Ja Dr. Hellwig Ja
Dr. Bucerius Nein Dr. Graf Henckel . Nein
Dr. von Buchka . Nein Dr. Hesberg Nein
Dr. Bürkel Ja Heye Ja
Burgemeister Nein Hilbert Nein
Caspers Ja Höcherl Nein
Cillien Ja Dr. Höck Nein
Dr. Conring Nein Höfler Ja
Dr. Czaja Ja Holla Nein
Demmelmeier Nein Hoogen Ja
Diedrichsen Nein Dr. Horlacher Ja
Frau Dietz Ja Horn Ja
Dr. Dittrich Nein Huth Nein
Dr. Dollinger Nein Illerhaus Nein
Donhauser Nein Dr. Jaeger Nein
Dr. Dresbach Ja Jahn (Stuttgart) . Ja
Eckstein — Frau Dr. Jochmus. Ja
D. Dr. Ehlers Nein Josten Nein
Ehren Ja Kahn entschuld.
Engelbrecht-Greve .. Nein Kaiser Ja
Dr. Dr. h. c. Erhard .. Ja Karpf Ja
Etzenbach . Ja Dr. Kather entschuld.
Even Ja Kemmer (Bamberg) Nein
Feldmann . krank Kemper (Trier) enthalten
Finckh Ja Kiesinger Ja
Dr. Franz Ja Dr. Kihn (Würzburg) . . Nein
Franzen Ja Kirchhoff Nein
Friese Nein Klausner Ja
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 233

Name Abstimmung Name Abstimmung

Dr. Kleindinst Nein Rasner Nein


Dr. Kliesing Ja Frau Dr. Rehling . . . . enthalten
Knapp Nein Richarts Nein
Knobloch Nein Frhr. Riederer von Paar Nein
Dr. Köhler Ja Dr. Rinke Nein
Dr. Kolbe Ja Frau Rösch Ja
Koops Nein Rümmele Ja
Dr. Kopf Nein Ruf Ja
Kortmann Nein Sabaß Ja
Kramel Nein Sabel Ja
Krammig Ja Schäffer Nein
Kroll Nein Scharnberg Nein
Frau Dr. Kuchtner .. Nein Scheppmann Ja
Kühlthau Nein Schill (Freiburg) . . . . Ja
Kuntscher Ja Schlick Nein
Kunze (Bethel) krank Schmidt-Wittmack . . . Nein
Lang (München) Ja Schmücker Nein
Leibfried Ja Schneider (Hamburg) . . Ja
Dr. Leiske Ja Schrader Nein
Lenz (Brühl) Ja Dr. Schröder (Düsseldorf) —
Dr. Lenz (Godesberg) krank Dr.-Ing. h. c. Schuberth entschuld.
Lenze (Attendorn) Ja Schüttler Ja
Leonhard Nein Schütz Ja
Lermer Nein Schuler Nein
Leukert Ja Schulze-Pellengahr . Ja
Dr. Leverkuehn . . . . Nein Schwarz Nein
Dr. Lindenberg . . . . Nein Frau Dr. Schwarzhaupt Ja
Dr. Lindrath Nein Dr. Seffrin Nein
Dr. Löhr Nein Seidl (Dorfen) Nein
Dr. h. c. Lübke . . . . Ja Dr. Serres Ja
Lücke Ja Siebel Nein
Lücker (München) Ja Dr. Siemer Nein
Lulay Ja Solke Nein
Maier (Mannheim) Ja Spies (Brücken) . . enthalten
Majonica enthalten Spies (Emmenhausen) . Nein
Dr. Baron Manteuffel- Spörl Nein
Szoege Ja Graf von Spreti Nein
Massoth Ja Stauch Nein
Maucher enthalten Frau Dr. Steinbiß Nein
Mayer (Birkenfeld) . . Nein Stiller Nein
Menke Nein Storch Ja
Mensing Nein Dr. Storm Ja
Meyer (Oppertshofen) . Nein Strauß Nein
Miller (Ingolstadt) . . . Nein Struve Nein
Dr. Moerchel Ja Stücklen Nein
Morgenthaler Ja Teriete Ja
Muckermann enthalten Unertl Nein
Mühlenberg Ja Varelmann Ja
Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) Ja Frau Vietje Nein
Müller-Hermann . . . . Nein Dr. Vogel Ja
Müser Nein Voß Ja
Naegel Ja Wacher (Hof) Nein
Nellen Ja Wacker (Buchen) . Ja
Neuburger Ja Dr. Wahl Nein
Niederalt Nein Walz Ja
Frau Niggemeyer Ja Frau Dr. Weber (Aachen) Ja
Dr. Oesterle Nein Dr. Weber (Koblenz) . . Nein
Oetzel enthalten Wehking Nein
Dr. Orth Nein Dr. Welskop Nein
Pelster Ja Dr. Werber Nein
Dr. Pferdmenges . Ja Wiedeck Ja
Frau Pitz Ja Wieninger Nein
Platner Nein Dr. Willeke entschuld.
Dr. Pohle (Düsseldorf) . Ja Winkelheide Ja
Frau Praetorius krank Wittmann Nein
Frau Dr. Probst . . . . Nein Wolf (Stuttgart) Ja
Dr. Dr. h. c. Pünder . . Ja Dr. Wuermeling Ja
Raestrup enthalten Wullenhaupt Ja
234 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953

Name Abstimmung Name Abstimmung

SPD

Frau Albertz Ja Keuning Ja


Frau Albrecht Ja Kinat Ja
Altmaier krank Frau Kipp-Kaule . . . Ja
Dr. Arndt Ja Koenen (Lippstadt) . . Ja
Arnholz Ja Könen (Düsseldorf) . . . Ja
Dr. Baade Ja Frau Korspeter . . . . krank
Dr. Bärsch Ja Dr. Kreyssig Ja
Bals Ja Kriedemann Ja
Banse Ja Kühn (Köln) Ja
Bauer (Würzburg) . . . Ja Kurlbaum Ja
Baur (Augsburg) . . . . Ja Ladebeck Ja
Bazille Ja Lange (Essen) Ja
Behrisch Ja Frau Lockmann . . . Ja
Frau Bennemann Ja Ludwig Ja
Bergmann Ja Dr. Lütkens Ja
Berlin Ja Maier (Freiburg) . . . Ja
Bettgenhäuser Ja Marx Ja
Frau Beyer (Frankfurt) Ja Matzner Ja
Birkelbach Ja Meitmann Ja
Blachstein Ja Mellies Ja
Dr. Bleiß Ja Dr. Menzel Ja
Böhm (Düsseldorf) . . . Ja Merten Ja
Bruse Ja Metzger Ja
Corterier Ja Frau Meyer (Dortmund) Ja
Dannebom Ja Meyer (Wanne-Eickel) . Ja
Daum Ja Frau Meyer-Laule . . . Ja
Dr. Deist Ja Moll Ja
Dewald Ja Dr. Mommer Ja
Diekmann Ja Müller (Erbendorf) . . . Ja
Diel Ja Müller (Worms) . . . . Ja
Frau Döhring Ja Frau Nadig Ja
Erler Ja Odenthal Ja
Eschmann Ja Ohlig Ja
Faller Ja 011enhauer Ja
Franke Ja Op den Orth Ja
Frehsee Ja Paul Ja
Freidhof Ja Peters Ja
Frenzel Ja Pöhler Ja
Gefeller Ja Pohle (Eckernförde) . . Ja
Geritzmann Ja Dr. Preller Ja
Gleisner (Unna) . . . . Ja Priebe Ja
Görlinger Ja Pusch Ja
Dr. Greve Ja Rasch Ja
Dr. Gülich Ja Regling Ja
Hansen (Köln) Ja Rehs Ja
Hansing (Bremen) . . . Ja Reitz Ja
Hauffe Ja Reitzner Ja
Heide Ja Frau Renger Ja
Heiland Ja Richter Ja
Heinrich Ja Ritzel Ja
Hellenbrock Ja Frau Rudoll Ja
Hermsdorf krank Ruhnke Ja
Herold Ja Runge Ja
Höcker Ja S assnick Ja
Höhne Ja Frau Schanzenbach . . Ja
Hörauf Ja Scheuren Ja
Frau Dr. Hubert . . . . Ja Dr. Schmid (Tübingen) . Ja
Hufnagel Ja Dr. Schmidt (Gellersen) . Ja
Jacobi Ja Schmidt (Hamburg) . . Ja
Jacobs Ja Schmitt (Vockenhausen) . Ja
Jahn (Frankfurt) . . . . Ja Schoettle Ja
Jaksch Ja Dr. Schöne Ja
Kahn-Ackermann . . . Ja Seidel (Fürth) Ja
Kalbitzer Ja Seither Ja
Frau Keilhack Ja Seuffert Ja
Frau Kettig Ja Stierle Ja
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 235

Name Abstimmung Name Abstimmung

Sträter Ja Dr. Stammberger . . . Nein


Frau Strobel Ja Dr. Starke Nein
Tenhagen Ja Stegner Nein
Thieme Ja Dr. Wellhausen . . . . Nein
Traub Ja Weyer Nein
Trittelvitz Ja Wirths Nein
Dr. E. h. Veit Ja
Wagner (Deggenau) . . Ja
Wagner (Ludwigshafen) —
Wehner Ja
Wehr Ja GB/BHE
Welke Ja
Weltner Ja Bender Nein
Lic. Dr. Wenzel . . . . Ja Dr. Czermak Nein
Wienand Ja Dr. Eckhardt Nein
Winter Ja Elsner Nein
Wittrock Ja Engell Ja
Ziegler Ja Feller Ja
Zühlke Ja Gräfin Finckenstein . . Nein
Frau Finselberger . . Nein
Gemein Nein
Dr. Gille Ja
Haasler Ja
FDP Dr. Keller Ja
Dr. Klötzer Nein
Dr. Atzenroth . . . . . Nein Körner Nein
Dr. Becker (Hersfeld) . . Nein Kraft —
Dr. Blank (Oberhausen) . entschuld. Kunz (Schwalbach) . . Ja
Blücher krank Kutschera Ja
Dr. Bucher Nein Meyer-Ronnenberg . . . Nein
Dannemann — Dr. Mocker entschuld.
Dr. Dehler Nein Dr. Oberländer . . . . Ja
Dr.-Ing. Drechsel . . . . Nein Petersen enthalten
Eberhard Nein Dr. Reichstein enthalten
Euler entschuld. Samwer Nein
Fassbender Nein Seiboth Ja
Frau Friese-Korn . . . Nein Dr. Sornik Nein
Frühwald Nein Srock Ja
Gaul Nein Dr. Strosche Ja
Dr. Hammer Nein
Hepp Nein
Dr. Hoffmann entschuld.
Frau Dr. Ilk Nein
Dr. Jentzsch Nein DP
Kühn (Bonn) Nein
Lahr Nein Becker (Hamburg) . . . Nein
Lenz (Trossingen) . . . Nein Dr. Brühler Nein
Dr. Dr. h. c. Prinz zu Lö- Eickhoff Nein
wenstein Nein Dr. Elbrächter Nein
Dr. Maier (Stuttgart) . . Nein Hellwege —
von Manteuffel (Neuß) . Nein Matthes Nein
Margulies Nein Dr. von Merkatz . . . . Nein
Mauk Nein Müller (Wehdel) . . . . Nein
Dr. Mende Nein Dr. Schild (Düsseldorf) . Nein
Dr. Middelhauve . . . Nein Schneider (Bremerhaven) Nein
Dr. Miessner Nein Dr. Schranz Nein
Neumayer Nein Dr. Seebohm krank
Onnen Nein Walter enthalten
Dr. Pfleiderer Nein Wittenburg Nein
Dr. Preiß Nein Dr. Zimmermann . . . Nein
Dr. Preusker Nein
Rademacher Nein
Dr. Schäfer Nein
Scheel Nein
Schloß . . . . . . . . Nein Fraktionslos
Dr. Schneider (Lollar) Nein
Schwann Nein Böhner Ja
Stahl Nein Brockmann (Rinkerode) Ja
336 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953

Zusammenstellung der Abstimmung

Abstimmung

Abgegebene Stimmen 458


Davon:
Ja 259
Nein 185
Stimmenthaltung . 14
Zusammen wie oben . . 458

Berliner Abgeordnete

Name Abstimmung Name Abstimmung

CDU/CSU Mattick Ja
Neubauer Ja
Dr. Friedensburg . . . . Nein Neumann Ja
Dr. Krone Ja Dr. Schellenberg . . . . entschuld.
Lemmer entschuld. Frau Schroeder (Berlin) . Ja
Frau Dr. Maxsein . . . Ja Schröter (Wilmersdorf) . Ja
Stingl Ja Frau Wolff (Berlin). Ja
Dr. Tillmanns Ja
FDP
SPD
Dr. Henn Nein
Brandt (Berlin) . . . . Ja Hübner Nein
Frau Heise Ja Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Nein
Klingelhöfer Ja Dr. Reif Nein
Dr. Königswarter . . . Ja Dr. Will Nein

Zusammenstellung der Abstimmung der Berliner Abgeordneten

Abstimmung

Abgegebene Stimmen 20
Davon :
Ja 14
Nein 6
Stimmenthaltung . —
Zusammen wie oben . . 20
2. Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953

Anlage 1 zum Stenographischen Bericht der 8. Sitzung

Änderungsantrag
(Eventualantrag)
der Fraktion des GB/BHE
(Umdruck 6)
zur Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß)
über den Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache 103) betreffend
Weihnachtszuwendung an Bundesbedienstete

Der Bundestag wolle beschließen: Der gleiche Betrag soll unter den gleichen Vor-
Die Bundesregierung wird ersucht, analle Bedien- aussetzungen auch an die Ruhegehalts- und Ruhe-
steten des Bundes (Arbeiter, Angestellte und Be- lohnempfänger sowie an alle unter das Gesetz zu
amte), welche mit Ausnahme von Kinderzuschlägen Artikel 131 GG fallenden Personen gezahlt werden.
Monats-Bruttobezüge bis zu 300 DM erhalten, zu
Weihnachten eine einmalige Zuwendung zu zahlen.
Bonn, den 9. Dezember 1953
Die Zuwendung soll betragen:
für den Bediensteten 25 DM
für die Ehefrau und jedes unter Dr. Keller
-
haltsberechtigte Kind je 10 DM Dr. Eckhardt und Fraktion

Anlage 2 zum Stenographischen Bericht der 8. Sitzung

Änderungsantrag
(Exentualantrag)

des Abgeordneten Dr. Miessner


(Umdruck 5)
zur zweiten Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes
(Drucksachen 33, 110)

Der Bundestag wolle beschließen:


In Artikel I erhält § 3. Nr. 15 Satz 1 folgende
Fassung:
„Weihnachtszuwendungen (Neujahrszuwendun-
gen), soweit sie im einzelnen Falle insgesamt für
Personen, denen Kinderermäßigungen nach § 32
zustehen,
mit einem Kind 120 Deutsche Mark
mit zwei Kindern 140 Deutsche Mark
mit drei Kindern 160 Deutsche Mark
mit vier Kindern 180 Deutsche Mark
mit fünf und
mehr Kindern 200 Deutsche Mark
nicht übersteigen." '

Bonn, den 9. Dezember 1953


Dr. Miessner
238 2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953

Anlage 3 zum Stenographischen Bericht der 8. Sitzung

Schriftlicher Bericht
des Ausschusses für Verkehrswesen (30. Ausschuß)

über den

Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum
Internationalen Schiffssicherheitsvertrag London 1948
(Drucksache 89)

Berichterstatter: Abgeordneter Schmidt (Hamburg)

Der Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt der I. Allgemeines -


Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen
Schiffssicherheitsvertrag London 1948 — Druck Bei den Beratungen bezogen sich die Ausschüsse
sache 89 - wurde in der 7. Plenarsitzung des Deut im wesentlichen auf die in Drucksache 89 gegebene
schen Bundestages am 3. Dezember 1953 an die Begründung.
Ausschüsse für Verkehrswesen (federführend) und
für Post- und Fernmeldewesen sowie für auswär Die Ausschüsse vertraten einmütig die Auf-
tige Angelegenheiten (beteiligt) überwiesen. fassung, daß die Bundesrepublik Deutschland sich
durch ihren Beitritt zum Schiffssicherheitsvertrag
Die beteiligten Ausschüsse für Post- und Fern London 1948 den internationalen Bemühungen um
meldewesen und für auswärtige Angelegenheiten den Schutz des menschlichen Lebens auf See bald-
gaben mit Schreiben vom 3. Dezember 1953 fol möglich anschließen sollte. Sie hielten ferner einen
gende gemeinsame Stellungnahme an den Vor unverzüglichen Beitritt für notwendig, weil andern-
sitzenden des Ausschusses für Verkehrswesen ab: falls die deutschen Seeschiffe mit Schwierigkeiten
Die beiden obenerwähnten Ausschüsse haben bei der Abfertigung im Ausland rechnen müssen.
heute in einer gemeinsamen Sitzung den Ent- Der Ausschuß für Verkehrswesen war gich darüber
wurf eines Gesetzes über den Beitritt der klar, daß der Text des Vertragswerks im Rahmen
Bundesrepublik Deutschland zum Internatio- dieses Ratifizierungsgesetzes nicht geändert werden
nalen Schiffssicherheitsvertrag London 1948 kann.
behandelt und beschlossen, dem federführen-
den Ausschuß für Verkehrswesen zu empfehlen,
dem Gesetzentwurf in der Fassung der Druck- II. Im einzelnen
sache 89 (Anlage a) *) unter Berücksichtigung
der Änderungen in der Synopse (Anlage b) *) Zu Art. 1:
des Entwurfs zu einem Änderungsa,ntrag (An-
lage c) *) und den Berichtigungen des Wort- Der in Abs. 2 neu eingefügte Satz 2 bewirkt,
lauts des Internationalen Schiffssicherheits- daß die Regeln zur Verhütung von Zusammen-
vertrags London 1948 (Anlage d) *) unverändert stößen auf See mit dem Inkrafttreten des Gesetzes
zuzustimmen. materielle Normen des deutschen Rechts werden
Es wird darum gebeten, dies bei der Bericht- und an die Stelle der bisherigen Seestraßenord-
erstattung zum Ausdruck zu bringen. nung in der Fassung der Bekanntmachung vom
5. Februar 1906 (Reichsgesetzbl. S. 120) treten. Da-
Der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich in durch erübrigt sich der frühere Satz 1 des Abs. 3.
seiner Sitzung vom 8. Dezember 1953 den Empfeh-
lungen der beteiligten Ausschüsse vollinhaltlich Zu Art. 2:
angeschlossen und nach eingehender Beratung ein-
stimmig beschlossen, dem Plenum des Deutschen Siehe Begründung in Drucksache 89.
Bundestages zu empfehlen, den Entwurf eines Ge-
setzes über den Beitritt der Bundesrepublik Zu Art. 3:
Deutschland zum Internationalen Schiffssicherheits-
vertrag London 1948 in der aus der Anlage 1 Durch die Einfügung der Worte „zur Durchfüh-
ersichtlichen Fassung **) anzunehmen. rung des Schiffssicherheitsvertrages" in Abs. 1
wird entsprechend einer Anregung des Bundes-
*) Anlagen a und d haben in den Ausschußberatungen rates die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsver-
vorgelegen und sind diesem Bericht nicht beigefügt. ordnungen an den Rahmen des Vertragswerks ge-
**) Siehe Drucksache 136 bunden.
2. Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1953 239

Die bisher in Nr. 8 vorgesehene Ermächtigung schiffahrt vom 22. November 1950 (Bundes
entfällt durch die Einfügung des Satzes 2 in Art. 1 gesetzbl. S. 767) hat die See-Berufsgenossenschaft in
Abs. 2. Hamburg die Vorschriften des Bundes zur Siche
Die neue Nr. 8 schafft auf Wunsch der Küsten- ung der Seefahrt auszuführen. Der vorliegende
länder eine Rechtsgrundlage, die Besetzung von esetzentwurf erweitert den Kreis der Schiffs-
Schiffen mit Kapitänen, Schiffsoffizieren und sicherheits-Vorschriften um Bestimmungen, die
Schiffsleuten sowie die Anforderungen an deren bisher nicht als Schiffssicherheits-Vorschrif ten
Eignung und Befähigung durch Rechtsverordnung geltnudichvorSe-Bufsgnchat,
zu regeln. sondern von den Ländern ausgeführt werden.
Hierbei handelt es sich um die Rechtsverordnun-
Die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder gen nach Art. 3 Abs. 1 Nrn. 5, 7 und 8. Deshalb
zur Ausführung der Rechtsverordnungen sollen beläßt Art. 5 nur die übrigen Angelegenheiten des
durch das Gesetz gegenüber der bisherigen Auf- Art. 3 Abs. 1 in der Zuständigkeit des Bundes und
gabenteilung nicht geändert werden (vgl. Art. 5). ermöglicht nur insoweit die Übertragung dieser
Dieser Abgrenzung der Zuständigkeiten auf dem Aufgaben an die See-Berufsgenossenschaft.
Gebiet der Verwaltung entsprechen die Bestim-
mungen über die Zustimmungsbedürftigkeit der Gleichzeitig ergibt sich hieraus in Verbindung
Rechtsverordnungen in den neuen Sätzen 2 und 3 mit Art. 83 GG, daß die in Abs. 1 nicht enthaltenen
des Abs. 1. Die Einfügung der Worte „die Be- Materien Angelegenheiten der Länder sind.
setzung der Seeschiffe durch Funker" in Abs. 2
wird durch die neue Nr. 8 in Abs. 1 erforderlich, Zu Art. 6:
um auch insoweit die Belange des Bundesministers
für das Post- und Fernmeldewesen zu wahren. Die Bestimmung enthält die Berlin-Klausel in
der üblichen Fassung.
In Abs. 4 sind auf Wunsch des Bundesrates die
Worte „oberste Verkehrsbehörde" (der Länder)
durch die Worte „Regierungen" (der Länder) ersetzt Zu Art. 7:
worden, damit die Landesregierungen in der Wahl Da die neue Seestraßenordnung mit dem In-
ihrer Vertreter für den Fachausschuß frei sind. krafttreten des Gesetzes wirksam wird, muß Abs. 2
-g-
durch Einfügung der Nrn. 3 und 4 (bisher Nrn. l
Zu Art. 4: und 2 in Abs. 3) vorsehen, daß die entsprechenden
bisherigen Bestimmungen gleichzeitig außer Kraft
Die als Abs. 1 neu eingefügte Strafvorschrift treten.
wird durch die sofortige Inkraftsetzung der neuen
Seestraßenordnung erforderlich (vgl. Art. 1 Abs. 2
Satz 2). Abs. 2 entspricht der bisherigen Fassung
des Art. 4. Bonn, den 8. Dezember 1953

Zu Art. 5:
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Schmidt (Hamburg)
Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der See Berichterstatter

Das könnte Ihnen auch gefallen