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2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29.

April 1954 1043

Dr. Hallstein, Staatssekretär des Aus-


wärtigen Amts 1047 D, 1048 A

2. betr. Artikel in der Zeitschrift „Außen-


politik" und Vermeidung der Benen-
nung Frankreichs als Partner des Pots-
damer Abkommens sowie Auslegung
des Begriffs „Vereinbarungen von 1945"
in der amtlichen Begründung zum Bon-
ner Vertrag vom 26. Mai 1952:
Dr. Lütkens (SPD) 1048 B, C, D
Dr. Hallstein, Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amts 1048 B, D

3. betr. Unterbindung des Schlachtens von


26. Sitzung Hunden und Katzen zum Zwecke des
Verzehrs:
Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954. Dr. Leiske (CDU/CSU) 1049 A, C, D, 1050 A
Dr. Sonnemann, Staatssekretär im
Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten . . 1049 B, D
Geschäftliche Mitteilung en . . . . 1046 A, 1092 C, Dr. Schröder, Bundesminister des
1101 D, 1141 A Innern 1050 A
Gedenkworte des Präsidenten für die Todes-
opfer des Bergunglücks der Heilbronner 4. betr. Vorschriften zum Schutz der
Schüler und Lehrer und für ihre Hinter- Volksgesundheit im Bereich der Milch-
bliebenen und Dank für die an dem Ret- wirtschaft:
tungswerk Beteiligten 1046 B Frau Nadig (SPD) 1050 A, C
Dr. Sonnemann, Staatssekretär im
Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg Bundesministerium für Ernährung,
Schuler, Höcker, Horn, Ladebeck, Gerns, Landwirtschaft und Forsten . . 1050 A, C
Ritzel, Dr. Bartram, Cillien, Arnholz . . 1046 D
5. betr. Fischereischutzboote für die Fang-
Beschlußfassung des Deutschen Bundesrats gebiete der deutschen Hochseefischerei:
zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags 1046 D
Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 1050 C
Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Dr. Sonnemann, Staatssekretär im
Anfragen 15, 39, 42, 43, 47, 50, 52, 54 Bundesministerium für Ernährung,
(Drucksachen 144, 460; 342, 485; 383, 463; Landwirtschaft und Forsten . . . 1050 D
384, 461; 408, 471; 426, 491; 438, 479;
457, 490) 1046 D 6. betr. Steuererleichterung für den Schau-
stellerstand:
Vorlage des Berichts des Bundesministers
für Ernährung, Landwirtschaft und For- Ruhnke (SPD) 1051 A
sten über Maßnahmen betr. Verlängerung Schäffer, Bundesminister der
der Verordnung über die Beimischung Finanzen 1051 A
inländischen Rüböls und Feintalges
(Drucksache 465) 1047 B 7. betr. Bereitstellung von Mitteln für den
Ausbau des Albaufstiegs auf der Auto-
Vorlage des Geschäftsberichts der Bundes- bahnstrecke von Aichelberg bis Hohen-
monopolverwaltung für Branntwein und stadt (Kreis Göppingen):
der Bilanz nebst Gewinn- und Verlust-
rechnung der Verwertungsstelle für das Finckh (CDU/CSU) 1051 B, C
Geschäftsjahr 1952/1953 (Drucksache 464) 1047 B Dr. Seebohm, Bundesminister für
Verkehr 1051 B, D
Mitteilung über Vereinbarung im Ältesten-
rat betr. Behandlung von Fragen der 8. betr. Vorlage des Entwurfs eines neuen
Fragestunde, die wegen Abwesenheit des Bundesbesoldungsgesetzes:
zuständigen Bundesministers oder seines
Vertreters in der Fragestunde unerledigt Jahn (Frankfurt) (SPD) 1051 D
bleiben 1047 C Schäffer, Bundesminister der
Finanzen 1051 D
Fragestunde (Drucksache 477):
1. betr. Material zur Bewertung der Rede 9. betr. Vorlage des Entwurfs eines Ge-
des Herrn Chruschtschew und zur Be- setzes über die Finanzgerichtsbarkeit:
urteilung der wirtschaftlichen Lage in Dr. Bucher (FDP) 1052 A
der Sowjetunion: Schäffer, Bundesminister der
Dr. Lütkens (SPD) . . . 1047 C, D, 1048 A Finanzen 1052 A
1044 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954

10. betr. Öffnung einer für das Auswärtige 17. betr. Zustände an den Postämtern Rein-
Amt bestimmten Kuriersendung durch heim und Reichelsheim im Odenwald:
eine Zoilkontrollstelle: Banse (SPD) 1055 D
Dr. Lütkens (SPD) 1052 B Dr. Balke, Bundesminister für das
Post- und Fernmeldewesen . . . 1055 D

11. betr. Teilnahme des Kulturattachés der 18. betr. Unterlassung einer Erhöhung der
Deutschen Botschaft in Paris von Tie- Beförderungsgebühren für Päckchen
chowitz an der Französisch-Deutschen in die sowjetisch besetzte Zone:
Pädagogentagung Pfingsten 1953 in
Paris: Becker (Hamburg) (DP) 1056 C
Dr. Lütkens (SPD) . . . 1052 C, D, 1053 A Dr. Balke, Bundesminister für das
Dr. Hallstein , Staatssekretär des Aus- Post- und Fernmeldewesen . . . . 1056 D
wärtigen Amts . . . . 1052 C, D, 1053 A
19. betr. Maßnahmen zur Anwendung des
Betriebsverfassungsgesetzes in den
12. betr. Anwendung der Richtlinien des deutsch-schweizerischen Grenzkraft
Bundesministeriums der Finanzen zur werken des Oberrheins:
Neuregelung von Nutzungsentschädigun- Faller (SPD) 1057 A
gen für von der Besatzungsmacht be-
schlagnahmte landwirtschaftliche Nutz- Storch, Bundesminister für Arbeit 1057 A
flächen:
Kahn-Ackermann (SPD) . . 1053 B, C, D 20. betr. Ablauf der Konzession der Pri-
vatbahn Hetzbach-Beerfelden (Oden-
Schäffer, Bundesminister der wald) und weitere Sicherung der Per-
Finanzen 1053 B, C, D sonen- und Güterbeförderung auf die-
ser Strecke:

13. betr. Verwendung und Aufbewahrung Banse (SPD) 1057 C


des Forschungsguts des früheren Reichs- Dr. Seebohm, Bundesminister für
instituts für Inner-Asien-Forschung in
München: Verkehr 1057 C

Miller (CDU/CSU) 1053 D


21. betr. Ausbau der Elb-Fährverbindung
Dr. Schröder, Bundesminister des Glückstadt—Wischhafen:
Innern 1054 A Dr. von Buchka (CDU/CSU) . . . 1054 C, D
Dr. Seebohm, Bundesminister für
14. betr. Fährverbindung Cuxhaven-Bruns- Verkehr 1054 C, D
büttelkoog (Fährschiff „Niedersach-
sen") : -
22. betr. Maßnahmen zur Förderung des
Dr. von Buchka (CDU/CSU) . . . . 1054 B Wiederaufbaus von Räumungsgrund-
stücken:
Dr. Seebohm, Bundesminister für
Verkehr 1054 B Dr. Hesberg (CDU/CSU) 1057 B
Dr. Preusker, Bundesminister für
15. betr. Nichtberücksichtigung eines der Wohnungsbau 1057 B
vom Bayerischen Verkehrsbeamtenver-
ein in München vorgeschlagenen Ver- 23. bis 41.:
treters für den Postverwaltungsrat:
Wegen Zeitablaufs der Fragestunde
Kramel (CDU/CSU) . . . . 1054 D, 1055 C schriftliche Beantwortung vorgesehen 1057 D
Dr. Balke, Bundesminister für das
Post- und Fernmeldewesen . 1055 A, C Beratung der Großen Anfrage der Fraktion
der SPD betr. Saarfrage (Drucksache 340;
Entschließungsantrag Drucksache 493) in
16. betr. Maßnahmen zum Schutze der in Verbindung mit der
den ostfriesischen Inselbädern ortsan-
sässigen Einzelhandelsbetriebe gegen Beratung der Großen Anfrage der Frak-
Beeinträchtigungen durch Filialbetriebe tionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP
von Großunternehmungen des Festlan- betr. Entwicklung der außenpolitischen
des während der Saison: Lage (Drucksache 488) 1057 D
Kortmann (CDU/CSU) 1055 B, C Dr. Mommer (SPD), Anfragender 1058 A,
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 1070 D, 1071 A
für Wirtschaft 1055 C, D Dr. Kopf (CDU/CSU), Anfragender 1060 C
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Zur Geschäftsordnung, — Frage der Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Verbindung der Beratung der Punkte 2 betr. das Abkommen vom 1. Juli 1953
und 3 der Tagesordnung: über die Errichtung einer Europäischen
Organisation für kernphysikalische For-
Dr. von Brentano (CDU/CSU) 1061 B, 1062 A schung (Drucksache 394) 1140 A
Dr. Menzel (SPD) 1061 B Überweisung an den Ausschuß für aus-
Präsident D. Dr. Ehlers 1062 B wärtige Angelegenheiten 1140 A

Verbindung beschlossen 1062 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes


über das deutsch-österreichische Proto-
Fortsetzung der Beratung der Großen An- koll vom 14. Dezember 1953 über die Ver-
fragen 340 und 488 in weiterer Verbin- längerung des deutschen Zollzugeständ-
dung mit der nisses für Loden (Drucksache 397) . . . 1140 A
Überweisung an den Ausschuß für Außen-
Beratung der Großen Anfrage der Frak- handelsfragen 1140 B
tion der SPD betr. Auswirkungen der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und
Stahl auf die Wirtschaft der Bundes- Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
republik (Drucksache 455) sowie mit der über das Internationale Zuckerabkommen
vom 1. Oktober 1953 (Drucksache 469) . . 1140 B
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Überweisung an den Ausschuß für Außen-
betr. Bildung eines Ausschusses zur handelsfragen 1140 B
Beratung von Vorschlägen gemäß Art. 96
des Vertrages über die Gründung der Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und über das Zollabkommen vom 30. Dezem-
Stahl (Drucksache 459) 1061 B, 1062 C ber 1953 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Königreich Nor-
Dr. Deist (SPD), Anfragender . . . . 1062 C wegen (Drucksache 470) 1140 B
Dr. Adenauer, Bundeskanzler 1067 B, 1070 D, Überweisung an den Ausschuß für Außen-
1071 A, B handelsfragen 1140 B
Dr. Mommer (SPD) 1070 D, 1071 A, 1124 D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
Ollenhauer (SPD) 1076 D eines Gesetzes über den Beitritt der Bun-
desrepublik Deutschland zum Abkom-
Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 1085 D men über die Vorrechte und Befreiungen
der Sonderorganisationen der Vereinten
Dr. Pfleiderer (FDP) . . . . 1092 C, 1095 D Nationen vom 21. November 1947 und
über die Gewährung von Vorrechten und
Dr. Lütkens (SPD) 1095 C, 1120 C Befreiungen an andere zwischenstaatliche
Organisationen (Drucksache 156); Münd-
Seiboth (GB/BHE) 1098 D licher Bericht des Ausschusses für aus-
wärtige Angelegenheiten (Drucksache 337) 1140 B
Dr. von Merkatz (DP) 1101 D
Dr.-Ing. E. h. Schuberth (CDU/CSU),
Freiherr Riederer von Paar Berichterstatter (Schriftlicher Be-
(CDU/CSU) 1107 D richt) 1142

Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 1110 A Beschlußfassung 1141 C


Walz (CDU/CSU) 1114 C
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein schusses für Gesamtdeutsche und Berliner
(FDP) 1115 C Fragen über den Antrag der Abg. Dr. Dr.
h. c. Prinz zu Löwenstein, Walz, Trittel-
D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . . 1117 D, vitz, Seiboth, Schneider (Bremerhaven)
u. Gen. betr. Reiseverkehr mit dem Saar-
1120 C, 1126 B gebiet (Drucksachen 334, 170) 1141 C
Trittelvitz (SPD) 1126 C Walz (CDU/CSU), Berichterstatter
(Schriftlicher Bericht) 1144
Dr. Pohle (Düsseldorf) (CDU/CSU) 1127 D
Dr. Kreyssig (SPD) 1130 B Beschlußfassung 1141 D

Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister Beratung des Antrags der Fraktionen der
für Wirtschaft 1136 C CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr
Betriebskostenpauschale für freie Berufe
Scheel (FDP) 1139 B (Drucksache 418) 1141 D

Abstimmung vertagt 1140 A Beschlußfassung 1141 D


1046 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954

Nächste Sitzung 1141 A, D daß in den vergangenen Wochen eine große Zahl
von deutschen Schülern und ihre Lehrer aus Heil-
bronn einem furchtbaren Bergunglück zum Opfer
Anlage 1: Schriftlicher Bericht des Aus- gefallen sind. Es ist hier nicht der Ort, darüber zu
schusses für auswärtige Angelegenheiten
sprechen, wie es zu einem solchen Unglück kom-
zum Entwurf eines Gesetzes über den
men konnte. Aber ich halte es für die Pflicht des
Beitritt der Bundesrepublik Deutschland
Deutschen Bundestags, sich mit den Eltern, den
zum Abkommen über die Vorrechte und Angehörigen und allen, die um dieses Unglück
Befreiungen der Sonderorganisationen
trauern, zu vereinen und zum Ausdruck zu brin-
der Vereinten Nationen vom 21. Novem-
gen, daß wir uns in der Solidarität der Trauer und
ber 1947 und über die Gewährung von des Mitgefühls befinden.
Vorrechten und Befreiungen an andere
zwischenstaatliche Organisationen (Druck- Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen
sachen 156, 337) 1142 lassen, ohne insbesondere den Männern der öster-
reichischen Gendarmerie und des Bergrettungsdien-
Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Aus- stes aus ganz Österreich und den Bergen, die sich
schusses für Gesamtdeutsche und Berliner freiwillig an dem Rettungswerk beteiligt haben,
Fragen über den Antrag der Abg. Dr. Dr. den aufrichtigen und herzlichen Dank des Deut-
h. c. Prinz zu Löwenstein, Walz, Trittel- schen Bundestages auszusprechen. Diese Männer
vitz, Seiboth, Schneider (Bremerhaven) u. haben unter Einsatz ihres Lebens und unter
Gen. betr. Reiseverkehr milt dem Saar- Opfern, auch in materieller Hinsicht, eine Pflicht
gebiet (Drucksachen 334, 170) 1144 der Kameradschaft der Berge erfüllt, um zu ver-
suchen, das Leben dieser jungen Deutschen zu ret-
ten. Wir wissen das zu würdigen. Wir sind sicher,
daß die Bundesregierung und die Landesregierung
des Landes Baden-Württemberg dazu helfen wer-
den, daß die materiellen Opfer, die gebracht wor-
Die Sitzung wird um 9 Uhr 4 Minuten durch den den sind, nicht von den Männern getragen werden,
Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet. die sich eingesetzt haben. Für das andere, was sie
an Einsatz ihres Lebens, ihrer Körperkraft und
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- ihrer Gesundheit geleistet haben, können wir nur
ren! Ich eröffne die 26. Sitzung des Bundestages den Dank des deutschen Volkes aussprechen.
und bitte um Bekanntgabe der Namen der ent-
schuldigten Abgeordneten. Sie haben sich zu Ehren der Dahingeschiedenen
von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. —
Matzner, Schriftführer: Es suchen für längere Meine Damen und Herren! Ich habe folgende
Zeit um Urlaub nach Abgeordneter von Hassel für Geburtstagsglückwünsche auszusprechen. Am
sieben Wochen wegen dienstlicher Inanspruch- 12. April hat der Abgeordnete Schuler seinen
nahme, Abgeordneter Euler für fünf Wochen we- 69. Geburtstag gefeiert,
gen Krankheit, Abgeordneter Ritzel für vier
Wochen ab 10. April wegen Krankheit, Abgeord- (Beifall)
neter Lenz (Brühl) für vier Wochen wegen Krank- am 15. April der Abgeordnete Höcker seinen
heit, Abgeordneter Schoettle für drei Wochen, Ab- 68. und der Abgeordnete Horn seinen 63. Geburts-
geordneter Dr. Vogel für zwei Wochen, Abgeord- tag,
neter Wiedeck für zwei Wochen — alle wegen (Beifall)
Krankheit —, Abgeordneter Platner für weitere am 17. April der Abgeordnete Ladebeck den 63. Ge-
zwei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. burtstag,
Höck für zwei Wochen wegen dienstlicher Inan- (Beifall)
spruchnahme, Abgeordneter Dr. Dr. h. c. Müller
(Bonn) für zwei Wochen wegen dienstlicher Inan- am 22. April der Abgeordnete Gerns den 62. Ge-
spruchnahme, Abgeordnete Frau Dr. Schwarzhaupt burtstag,
für zwei Wochen wegen Krankheit. (Beifall)
am 10. April der Abgeordnete Ritzel den 61. Ge-
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich unterstelle, daß das burtstag,
Haus mit der Erteilung dieses Urlaubs einverstan- (Beifall)
den ist. — Das ist der Fall. am 21. April der Abgeordnete Dr. Bartram den
61. Geburtstag,
Matzner, Schriftführer: Der Präsident hat Ur- (Beifall)
laub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Bauer-
eisen, Meyer (Oppertshofen), Lermer, Kiesinger, am 23. April — in Amerika — der Abgeordnete
Regling, Koops, Dr. Blank (Oberhausen), Dr. Klein- Cillien den 61. Geburtstag
dinst, Lemmer, Frühwald, Dr. Wellhausen, Geiger (Beifall)
(München), Dr. Mocker, Dr. Elbrächter. und am 12. April der Abgeordnete Arnholz den
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Ur- 60. Geburtstag.
laub erteilt den Abgeordneten Gockeln, Fuchs, (Beifall.)
Barlage, Schill (Freiburg), Bauer (Würzburg), Pel-
ster, Kühltau, Scharnberg, Dr. Miessner, Mauk, Dr. Ich spreche allen diesen Kollegen die herzlichen
Dollinger, Stücklen. Glückwünsche des Bundestages aus in der Gewiß-
heit, daß wir alle älter werden und die Lehre dar-
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- aus ziehen, daß wir „klug werden".
ren, vor Eintritt in die Tagesordnung gedenke ich Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne
der Tatsache, Verlesung ins Stenographische Protokoll aufge-
(die Abgeordneten erheben sich) nommen:
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1047
(Präsident D. Dr. Ehlers)
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. April 1954 den Bevor die Fragestunde beginnt, darf ich darauf
nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß
Art. 77 Abs. 2 nicht gestellt: hinweisen, daß vor einiger Zeit im Ältestenrat die
Gesetz zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsge-
Frage erörtert worden ist, wie verfahren werden
setzes; soll, wenn eine Frage deswegen nicht beantwortet
Gesetz betreffend die Vereinbarungen zwischen der Bundes- werden kann, weil der zuständige Bundesminister
republik Deutschland und den Vertretern der Gläubiger und
der Garantiemächte über die Haftung der Bundesrepublik
oder sein Vertreter nicht anwesend ist und die Be-
Deutschland für gewisse österreichische Auslandsanleihen; antwortung durch ein anderes Mitglied der Bun-
Gesetz betreffend die Vereinbarungen zwischen der Bundes- desregierung nicht zweckmäßig erscheint. Es ist
republik Deutschland und der Französischen Republik und
dem Fürstentum Liechtenstein über die Regelung der For-
vereinbart worden, daß in einem solchen Falle die
derungen des Fürstentums Liechtenstein an die Bundesrepu- Beantwortung der Frage nachgeholt werden soll,
blik Deutschland; sobald der zuständige Bundesminister wieder an-
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum wesend ist, d. h. nicht in der nächsten Fragestunde,
Allgemeinen Abkommen vom 2. September 1949 über die
Vorrechte und Befreiungen des Europarates und zu dem sondern in der nächsten dafür zur Verfügung ste-
Zusatzprotokoll vom 6. November 1952 zu diesem Abkom- henden Sitzung des Bundestages, ohne daß sich
men;
nun daraus jeweils eine neue Fragestunde zu er-
Gesetz über den Freundschafts- und Handelsvertrag vom
21. April 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und geben hat; sondern diese Punkte würden dann,
dem Königreich des Jemen: ohne daß sie besonders in der Tagesordnung ver-
Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes; merkt werden, in dieser vorgeschlagenen Form er-
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur ledigt werden. Ich denke, daß das Haus mit dieser
Konvention vom 5. April 1946 der Internationalen Über-
fischungs, konferenz. Regelung einverstanden ist.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 5. April Die erste Frage, die heute gestellt wird, gehört
1954 die Kleine Anfrage 15 der Fraktion der FDP betreffend zu dieser Art von Fragen. Sie ist heute' im Interesse
Entschädigungen für durch die Besatzungsmacht verursachte Kör-
perschäden — Drucksache 144 — beantwortet. Sein Schreiben wird der Vereinfachung und der Übersicht auf der
als Drucksache 460 vervielfältigt.
Drucksache 477 als erste Frage untergebracht wor-
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 26. April den.
1954 die Kleine Anfrage 39 der Abgeordneten Dr. Höck und Ge-
nossen betreffend Stützung des deutschen Erzbergbaus — Druck- Zu dieser Frage hat das Wort Herr Abgeordneter
sache 342 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 485 Dr. Lütkens.
vervielfälitgt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 7. April
1954 die Kleine Anfrage 42 der Abgeordneten Naegel, Dr. Dr. h. c. Dr. Lütkens (SPD):
Müller (Bonn) und Genossen betreffend Haushaltsrecht und Ver- Welche Dienststelle der Bundesregierung
kauf von Beteiligungen des Bundesvermögens — Drucksache 383 —
beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 463 vervielfältigt. oder wer etwa sonst hat dem Herrn Bundes-
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 6. April kanzler das Material zur Bewertung der Rede
1954 die Kleine Anfrage 43 der Abgeordneten Kahn, Donhauser, des Herrn Chruschtschew und zur Beurteilung
Frau Ilk und Genossen betreffend Förderungsmaßnahmen für Not- der wirtschaftlichen Lage in der Sowjetunion
standsgebiete — Drucksache 384 — beantwortet. Sein Schreiben
wird als Drucksache 461 vervielfältigt. vorbereitet, das er zum Gegenstand eines der
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 15. April UP am 22. November 1953 gegebenen Inter-
1954 die Kleine Anfrage 47 der Abgeordneten Bauknecht, Struve views, über das deutsche Zeitungen eingehend
und Genossen betreffend Herabsetzung der Besteuerung von
Speiseeis — Drucksache 408 — beantwortet. Sein Schreiben wird berichtet haben, gemacht hat?
als Drucksache 471 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 23. April Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Beantwortung der
1954 die Kleine Anfrage 50 der Fraktion der FDP betreffend
Haftpflicht ausländischer Kraftfahrer — Drucksache 426 — be- Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
antwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 491 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 23. April Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen
1954 die Kleine Anfrage 52 der Fraktion der SPD betreffend
Vorlage eines Fürsorgegesetzes für Körperbehinderte (Krüppel- Amts: Der Herr Bundeskanzler hat das Material
fürsorge) — Drucksache 438 — beantwortet. Sein Schreiben wird zur Bewertung aus der Gesamtheit der ihm zu-
als Drucksache 479 vervielfältigt.
gänglichen Erkenntnisquellen geschöpft.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 26. April
1954 die Kleine Anfrage 54 der Abgeordneten Dr. Atzenroth, Dr. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.
-
Drechsel und Genossen betreffend Verwaltungs- und Finanzlerungs
GmbH. Köln — Drucksache 457 — beantwortet. Sein Schreiben wird — Abg. Kunze [Bethel]: Gut! Glänzend! —
als Drucksache 490 vervielfältigt. Lachen und Oh-Rufe von der SPD.)
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten hat unter dem 6. April 1954 über die Maßnahmen zur Präsident D. Dr. Ehlers: Haben Sie eine Zusatz-
Ausführung des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner
19. Sitzung betreffend Verlängerung der Verordnung über die frage, Herr Abgeordneter Lütkens?
Beimischung inländischen Rüböls und Feintalges berichtet. Sein
Schreiben wird als Drucksache 465 vervielfältigt.
Dr. Lütkens (SPD): Hat das Auswärtige Amt
Der Herr Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Brannt-
wein hat unter dem 7. April 1954 gemäß §§ 6 bis 9 des Brannt- wenigstens inzwischen festgestellt, daß in dem
weinmonopolgesetzes den Geschäftsbericht der Bundesmonopolver- Interview des Herrn Bundeskanzlers dem Herrn
waltung für Branntwein sowie die Bilanz nebst Gewinn- und
Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr Chruschtschew Aussagen in den Mund gelegt wer-
1952/53 vorgelegt. Der Bericht wird unter Drucksache 464 ver- den, die er niemals gemacht hat?
vielfältigt.

Meine Damen und Herren! Wir treten dann in Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre-
die Tagesordnung ein. Punkt 1 ist die tär.

Fragestunde (Drucksache 477). Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen


Amts: Nein.
Ich darf darauf hinweisen, daß wir uns, da die
Lautsprecheranlage des Hauses überholt wird, Dr. Lütkens (SPD): Ist es nicht richtig, daß Herr
heute mit einer provisorischen Einrichtung behel- Chruschtschew nicht, wie in dem Interview be-
fen müssen. Wenn es also irgendwo nicht vorge- hauptete wird — ich beziehe mich auf die Überset-
sehene Geräusche oder Pannen gibt, dann bitte ich, zung der Rede, wie sie in den „Ostproblemen" in
das zu entschuldigen. Wir hoffen, daß wir in aller der Nr. 42/1953 erschienen ist —, ausgesagt hat,
Kürze wieder eine voll aktionsfähige Einrichtung die landwirtschaftliche Produktion stehe auf dem
zur Verfügung haben. Stand von 1928, sondern daß er gesagt hat, die
1048 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Lütkens)
Kuhhaltung sei wohl gegenüber 1928 zurückgegan- geordneten Dr. Lütkens selbst im Aprilheft der
gen, aber zwischen 1926 und 1952 sei die Getreide- gleichen Zeitschrift. Die Bundesregierung hält es
produktion von 10 auf 40 Millionen t und die von nicht für angebracht, sich im Rahmen der parla-
Milch von ungefähr 4 auf 13 Millionen t gestiegen. mentarischen Fragestunde in die damit eröffnete
literarische Kontroverse einzumischen. Das bezieht
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre- sich insbesondere auf die erste Frage.
tär. (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Die Bundesregierung hält es nicht für opportun,
Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen einen Zeitschriftenaufsatz zum Anlaß einer grund-
Amts: Mir liegt weder der Text der Bemerkung sätzlichen Stellungnahme zu einer allgemeinen
des Herrn Chruschtschew über die Kuhhaltung in theoretischen Rechtsfrage zu nehmen, für deren
der Sowjetunion noch der Text des Interviews des Beantwortung im gegenwärtigen Zeitpunkt kein
Herrn Bundeskanzlers vor. Ich vermag deshalb die weiterer konkreter Grund besteht.
Frage nicht zu beantworten.
(Beifall rechts.)
(Abg. Heiland: Das klingt schon sachlicher,
Herr Staatssekretär! — Weiterer Zuruf Die zweite Frage ist zu bejahen. Der fragliche
von der SPD: Das sieht Ihnen ähnlich!) Satz in der amtlichen Begründung zum Bonner
Vertrag meint die Vereinbarungen, die im Verhält-
Präsident D. Dr. Ehlers: Noch eine Zusatzfrage, nis der Vier Mächte zueinander die Rechtsgrund-
Herr Abgeordneter Dr. Lütkens! lage für die Stationierung ihrer Truppen in
Deutschland, für den besonderen Status von Berlin
Dr. Lütkens (SPD): Welchen Interessen glaubt und für die Befugnisse der Vier Mächte in bezug
man eigentlich damit zu dienen, daß dem Herrn auf Deutschland als Ganzes bilden. Diese Verein-
Bundeskanzler für seine öffentlichen Äußerungen barungen sind in der Tat in den Berliner Deklara-
nachweislich falsches Material unterbreitet wird? tionen vom 5. Juni 1945 enthalten.

Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre- Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
tär. Abgeordneter Dr. Lütkens!

Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Dr. Lütkens (SPD) : Ist es richtig, daß die Juni-Er-
Amts: Keine Antwort. klärungen von 1945 einen zukünftigen einheitlichen
deutschen Staat nicht vorsahen und nicht vor-
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Staatssekretär sehen konnten, da sie in der damaligen Europä-
hat keine Antwort darauf zu geben. ischen Beratungskommission auf Grundlage der
Beschlüsse der Jalta-Konferenz ausgearbeitet
(Unruhe und Lachen bei der SPD. — Abg. waren und da das Jalta-Protokoll im Abschnitt 3
Welke: Das ist bezeichnend für die Arro festgelegt hatte, daß die Besatzungsmächte solche
ganz! Ungeheuerlich!) Maßnahmen einschließlich der Zerstückelung
Dann kommen wir zur Frage 2. Herr Abgeord- Deutschlands treffen würden, die sie für notwen-
neter Dr. Lütkens zur Frage 2! dig hielten?
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Staatssekretär,
Dr. Lütkens (SPD):
bitte!
Ist dem Auswärtigen Amt ein in der Zeit-
schrift „Außenpolitik" erschienener und in der Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen
„Diplomatischen Korrespondenz" vorabge- -
Amts: Das ist eine neue Frage, Herr Präsident.
druckter Artikel bekannt, den das „Bulletin Darf ich dem Herrn Abgeordneten den Vorschlag
des Presse- und Informationsamtes der Bun- machen, daß diese Frage vielleicht im Auswärtigen
desregierung" vom 27. Januar d. J. als „hoch- Ausschuß gestellt wird? Ich bin bereit, dann dort
aktuellen Artikel, der besondere Beachtung darauf zu antworten.
verdient", gleichfalls wiedergegeben hat. Teilt
die Bundesregierung die in diesem Artikel Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
ausgedrückten Auffassungen, wonach Abgeordneter Lütkens!
1. es im Gegensatz zu früher von ihr im Aus-
wärtigen Ausschuß des Bundestages vertre- Dr. Lütkens (SPD): Während ich der weiteren
tenen Auffassungen „nicht erlaubt sei, Frank- Auseinandersetzung über diese Zusatzfrage im Aus-
reich ganz allgemein und ohne nähere Quali- wärtigen Ausschuß gern meine Zustimmung gebe,
fizierung als Partner des Potsdamer Abkom- frage ich, ob es nicht richtig ist, daß die deutschen
mens anzusprechen"; Völkerrechtslehrer im allgemeinen die Ansicht ver-
2. mit den „Vereinbarungen von 1945", von treten, daß erst das Potsdamer Abkommen — des-
denen die amtliche Begründung zum Bonner sen Prinzipien ich hier im einzelnen in keiner
Vertrag vom 26. Mai 1952 sagt, sie sollten Weise etwa verteidigen will — an Stelle der Zer-
„nick ,t zerstört" werden, nur die „Berliner De- stückelungsthese die These des einheitlichen deut-
klarationen vom 5. Juni 1945" gemeint sein schen Staates gesetzt hat?
sollten?
(Unruhe bei der CDU/CSU. — Abg. Bausch:
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre- Was sind das für Methoden? — Weitere Zu
tär. rufe von der CDU/CSU.)

Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Staatssekretär!
Amts: Der von dem Herrn Abgeordneten erwähnte
Aufsatz im Februarheft der Zeitschrift „Außen- Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen
politik" ist dem Auswärtigen Amt ebensowenig Amts: Ich glaube, daß diese Bemerkung durch die
entgangen wie der Antwortartikel des Herrn Ab Tatsache widerlegt wird, daß den Anlaß zu der
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1049
(Staatssekretär Dr. Hallstein)
gestellten Frage jener Artikel in der Zeitschrift schlachten, ohne daß dies wirksam verhindert wer-
„Außenpolitik" bildet. den könnte. Damit würde aber die Anwendung
der in den gesetzlichen Bestimmungen über das
Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage 2 Schlachten von Tieren vorgesehenen Schutzbe-
erledigt. stimmungen unmöglich gemacht werden. Hinzu
Zur Frage 3 Herr Abgeordneter Dr. Leiske. kommt, daß durch das Fehlen der Fleischunter-
suchung der Verbreitung bestimmter Krankheiten,
Dr. Leiske (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine wie z. B. Trichinose und Tollwut, Vorschub gelei-
Damen und Herren! Ich erlaube mir, folgende stet würde.
Frage zu stellen: Aus den dargelegten Gründen sind wir der Auf-
Ist die Bundesregierung bereit, das Schlach- fassung, daß der Erlaß eines Schlachtverbotes für
ten von Hunden und Katzen zum Zwecke des Hunde und Katzen nicht zweckmäßig ist, sosehr es
Verzehrs, das nach den Vorschriften des Tier- dem Empfinden aller Tierfreunde entsprechen
schutzgesetzes vom 24. November 1933, des würde.
Fleischbeschaugesetzes vom 29. Oktober 1940 (Zurufe: Nicht zu verstehen! Wir haben
und des Gesetzes über das Schlachten von nichts verstanden! — Weitere Zurufe.)
Tieren vom 21. April 1933 zulässig ist, durch
gesetzgeberische Maßnahmen zu unterbinden? Dr. Leiske (CDU/CSU): Herr Präsident, darf ich
eine Zusatzfrage stellen?
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Staatssekretär
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirt- Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage!
schaft und Forsten! Meine Damen und Herren, Sie dienen der Ver-
ständlichkeit, wenn Sie vermeidbare Unterhaltun-
Dr. Sonnemann, Staatssekretär im Bundesmini- gen nicht führen.
sterium für Ernährung, Landwirtschaft und For- Bitte schön, Herr Abgeordneter!
sten: Die in jüngster Zeit in der Presse erschiene-
nen Berichte über das Schlachten von Hunden Dr. Leiske (CDU/CSU): Ist die Bundesregierung
haben mit Recht in weiten Kreisen der Bevölke- bereit, einem allgemeinverbindlichen Verkaufs
rung Empörung hervorgerufen. Der Wunsch, den verbot für Hunde- und Katzenfleisch näherzutre-
Hund als treuen Begleiter des Menschen möglichst ten, wie es kürzlich der Schweizer Bundesrat für
weitgehend zu schützen, ist unseres Erachtens ver- alle Kantone erneut angeordnet hat?
ständlich und begrüßenswert. Das gilt in gleicher
Weise und aus den gleichen Gründen auch für Kat- Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre-
zen. Es ist jedoch unter Abwägung aller Gesichts- tär!
punkte zu prüfen, ob diesen Bestrebungen durch Dr. Sonnemann, Staatssekretär im Bundesmini-
ein Schlachtverbot, wie es in der Anfrage erwähnt sterium für Ernährung, Landwirtschaft und For-
wird, am wirksamsten gedient werden kann. sten: Für die Einführung eines Verbots des Ver-
Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen sind kaufs von Hunde- und Katzenfleisch wäre ein Ge-
im wesentlichen folgende. Das Tierschutzgesetz setz erforderlich. Da die sogenannten wilden
vom 24. November 1933 in der Fassung der Ver- Hundeschlachtungen dadurch nicht erfaßt werden
ordnung zur Ergänzung des Tierschutzgesetzes vom und darüber hinaus Hunde- und Katzenfleisch nach
23. Mai 1938 bezweckt den Schutz aller Tiere vor unserer Meinung nicht in den Verkehr gebracht
Tierquälerei und rohen Mißhandlungen. Das Ge- -
wird, dürfte diesem Verbot eine praktische Bedeu-
setz über das Schlachten von Tieren vom 21. April tung nicht zukommen. Die Bundesregierung ist da-
1933 schreibt die Betäubung aller warmblütigen her der Ansicht, daß die Gründe für den Erlaß
Tiere beim Schlachten vor der Blutentziehung vor. eines solchen Gesetzes nicht ausreichen.
Nach der ergänzenden Verordnung über das
Schlachten von Tieren darf für die Betäubung vor Dr. Leiske (CDU/CSU): Herr Präsident, darf ich
der Schlachtung für die meisten Tierarten, so auch noch eine letzte Zusatzfrage stellen?
für Hunde, nur der Bolzenschußapparat oder elek-
trischer Strom unter der Voraussetzung benutzt Präsident D. Dr. Ehlers: Noch eine Zusatzfrage,
werden, daß dazu in der Praxis erprobte und be- Herr Abgeordneter Dr. Leiske!
währte Apparate verwendet werden.
Dr. Leiske (CDU/CDU): Deckt sich in diesen Fra-
Seit dem Inkrafttreten des Fleischbeschaugeset- gen die Auffassung des Herrn Bundesministers für
zes im Jahre 1900 unterliegen Hunde, deren Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die, so
Fleisch zum Genuß für Menschen verwendet wer- fürchte ich, zahlreiche Tierfreunde sehr enttäu-
den soll, einer amtlichen Fleischuntersuchung. schen wird, mit der Auffassung des Herrn Bundes-
In Deutschland besteht für keine Tierart ein all- ministers des Innern?
gemeines Schlachtverbot. Wenn auch die Schlach-
tung von Hunden und Katzen weitgehend abge- Dr. Sonnemann, Staatssekretär im Bundesmini-
lehnt wird, so dürfte doch ein Schlachtverbot sterium für Ernährung, Landwirtschaft und For-
schwer zu begründen sein. Aus ähnlichen Gründen sten: Ohne dem Herrn Bundesminister des Innern
könnten auch Schlachtverbote für andere Tierar- persönlich vorgreifen zu wollen, darf ich bemerken,
ten, z. B. Pferde, Kaninchen, Tauben, gefordert daß die von mir erteilte Antwort in sorgfältiger
werden. Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium er-
folgt ist.
Es muß als sicher angesehen werden, daß, wenn
die Schlachtung von Hunden verboten würde, die- Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
jenigen Teile der Bevölkerung, die Hundefleisch des Innern wünscht dazu das Wort.
zu verzehren wünschen oder Hundefett zu Heil-
zwecken verwenden wollen, sich nicht davon ab- (Heiterkeit.)
halten lassen würden, Hunde verbotswidrig zu Bitte schön, Herr Bundesminister!
1050 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954

Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Herr Ferner ist den Ländern empfohlen worden, die Tu-
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich be- berkulosefreiheit der Anlieferungsmilch als Güte-
dauere, daß ich der Antwort, die der Herr Staats- merkmal bei der differenzierten Bezahlung zu be-
sekretär Sonnemann im Namen des Herrn Bundes- rücksichtigen. Schließlich befindet sich ein Gesetz
ministers für Ernährung gegeben hat, nicht bei- zur Änderung des Viehseuchengesetzes in Vorbe-
stimmen kann. Ich halte das Schlachten von Hun- reitung, das Bestimmungen über die Schaffung und
den zum Verzehr für eine Barbarei, bleibe bei Erhaltung anerkannt tuberkulosefreier Rinderbe-
dieser Auffassung und werde von mir aus alles stände enthalten wird.
tun, um diese Dinge zu unterbinden.
Frau Nadig (SPD): Glauben Sie, daß damit die
(Beifall im ganzen Hause.) Sicherheit gegeben ist, daß in jeder Molkerei die
Erhitzung der Milch auf die notwendigen Grade
Dr. Leiske (CDU/CSU): Ich danke Ihnen, Herr durchgeführt wird?
Minister, und Ihnen, Herr Staatssekretär.
Dr. Sonnemann, Staatssekretär im Bundesmini-
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- sterium für Ernährung, Landwirtschaft und For-
ren, damit können wir zur Frage 4 übergehen. sten: Die technischen Einrichtungen bieten an sich
Frau Abgeordnete Nadig! die Gewähr. Es handelt sich darum, daß die Vor-
schriften auf ihre Einhaltung kontrolliert werden,
Frau Nadig (SPD): und das ist Sache der Länder. Es besteht aber kein
Hält die Bundesregierung die im Bereich der Anlaß zu der Annahme, daß es nicht geschieht.
Milchwirtschaft geltenden Vorschriften zum
Schutze der Volksgesundheit, besonders im Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist damit er-
Hinblick auf die Verseuchung mit Rinder-Tbc- ledigt.
Bazillen, für ausreichend?
Zur Frage 5 Herr Abgeordneter Schneider (Bre-
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre- merhaven)!
tär!
Schneider (Bremerhaven) (DP):
Dr. Sonnemann, Staatssekretär im Bundesmini- Ist der Bundesregierung bekannt, daß die
sterium für Ernährung, Landwirtschaft und For- beiden von ihr eingesetzten Fischereischutz
sten: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! boote für die ausgedehnten Fanggebiete der
Zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist es deutschen Hochseefischerei völlig unzureichend
verboten, Milch von Kühen in den Verkehr zu sind?
bringen, die geeignet ist, die menschliche Gesund- Warum wurden entgegen den ursprünglichen
heit zu schädigen. Planungen des Bundesministeriums für Er-
Die Hauptmenge der Milch, die als Trinkmilch nährung, Landwirtschaft und Forsten auch
oder in verarbeitetem Zustand in den Verkehr ge- diesmal nicht die erforderlichen Mittel für den
langt, wird in den Molkereien einem Reinigungs- Bau des dritten größeren Fischereischutzbootes
und Pasteurisierungsverfahren unterworfen. Die eingesetzt?
Pasteurisierung ist ein Erhitzungsverfahren, bei Wann glaubt die Bundesregierung nunmehr
dem die Milch für bestimmte Zeit bestimmter Tem- mit dem Bau des dritten Fischereischutzbootes
peratur ausgesetzt ist. Bei ordnungsgemäßer beginnen zu können?
Durchführung der Pasteurisierung ist die erhitzte -
Milch praktisch frei von Krankheitskeimen. Über- Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre-
dies werden zur Erhöhung der Sicherheit laufend tär!
technische Verbesserungen an den Erhitzungsein-
richtungen entwickelt und eingebaut. Dr. Sonnemann, Staatssekretär im Bundesmini-
- In rohem Zustand wird — außer im Ab-Hof sterium für Ernährung, Landwirtschaft und For-
Verkauf, der nicht hinreichend zu kontrollieren sten: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ein verstärkter Fischereischutz wird aus allen
und auch aus hygienischen Gründen unerwünscht
ist — nur Vorzugsmilch in den Verkehr gegeben, möglichen Gründen von unserem Hause für drin-
für die so strenge Vorschriften bestehen, daß bei gend notwendig gehalten, u. a. deswegen, weil
ihrem Genuß keine Gefahr für die Menschen ent- eine wesentliche Verlagerung der Fischgründe
stehen kann. durch die zunehmende Erwärmung des Nordmee-
res und damit eine wesentliche Ausdehnung der
Die Bekämpfung der Rindertuberkulose wird Fanggebiete stattgefunden hat.
von der Bundesregierung durch folgende Maßnah-
men unterstützt. Im Haushaltsplan 1954 des Bun- Bei den Beratungen über den Einzelplan 10 des
desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft Haushaltsvoranschlags 1954 — es ist der Einzel-
und Forsten sind etwa 10 Millionen DM für die Be- plan, der das Bundesministerium für Ernährung,
kämpfung der Rindertuberkulose vorgesehen, die Landwirtschaft und Forsten betrifft — wurde auch
in erster Linie für die Ausmerzung tuberkulöser die Bereitstellung von Mitteln für den Bau eines
Rinder und zur Schaffung tuberkulosefreier Ge- dritten Fischereischutzbootes ausführlich erörtert.
biete eingesetzt werden sollen. Außerdem werden Angesichts der Finanzlage des Bundes konnte je-
Maßnahmen der Molkereien zur Bekämpfung der doch zu unserem Bedauern dem Vorschlag im Ent-
Rindertuberkulose als ein nicht steuerschädliches wurf des Haushaltsplans 1954 nicht entsprochen
Zweck- und Hilfsgeschäft anerkannt. Einzelheiten werden.
der Regelung werden zur Zeit zwischen den zu- Schneider (Bremerhaven) (DP): Danke sehr!
ständigen Ministerien geklärt. Zur Fortführung
von Forschungsvorhaben werden ebenso wie zur
Beratung auf dem Gebiet der Rindertuberkulose Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt.
laufend Bundeszuschüsse zur Verfügung gestellt. Zur Frage 6 Herr Abgeordneter Ruhnke.
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1051

Ruhnke (SPD): aber in einem Rahmen, daß keineswegs in abseh-


Ist die Bundesregierung bereit, die anläßlich barer Zeit mit einer Sperre gerechnet werden
der Verbandstagung des Deutschen Schau- muß.
stellerbundes am 21. Januar 1954 in Hannover (Abg. Finckh: Von amtlicher Seite bin ich
durch den offiziellen Vertreter des Bundes- anders informiert worden!)
wirtschaftsministeriums, Oberregierungsrat Dr. Die Kosten der noch erforderlichen Arbeiten
Rother, in einer Begrüßungsansprache gemach- betragen für den westlichen Ast 15 Millionen DM
ten und stürmisch begrüßten Versprechen, dem in der Herstellung und mindestens 6 Millionen
Schaustellerstand Steuererleichterung zu ver- DM für die dann folgende durchgreifende Instand-
schaffen, in die Tat umzusetzen? setzung des östlichen Astes.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesmini- Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
ster der Finanzen! Abgeordneter Finckh.
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Herr Finckh (CDU/CSU): Soweit ich von amtlicher
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Stelle unterrichtet worden bin, ist tatsächlich die
Oberregierungsrat Rother hat mir mit Schrei- Gefahr gegeben, daß mit einer Sperre dieser
ben vom 23. Februar 1954 den Inhalt seiner Aus- Strecke gerechnet werden muß, sofern nicht so-
führungen auf der Verbandstagung mitgeteilt, und fort entsprechende Maßnahmen getroffen werden.
er schließt mit dem Satz: Als zweite Frage: Herr Minister, bis wann,
Meine Ausführungen können deshalb nicht als glauben Sie, werden die von Ihnen angeschnitte-
ein Versprechen gedeutet werden, dem Schau- nen Fragen geregelt werden können, d. h. bis
stellerstand Steuererleichterungen zu ver- wann wird die Finanzierungsgesellschaft gegrün-
schaffen. det sein, und bis wann werden die sonstigen An-
Ich möchte hierzu bemerken, daß es sich für das gelegenheiten geregelt werden? Für uns ist es na-
Schaustellergewerbe sachlich in erster Linie um türlich entscheidend, zu wissen, bis wann — —
die Vergnügungssteuer handelt und daß die Ver- Präsident D. Dr. Ehlers: Wollen Sie bitte etwas
gnügungssteuer nach Art. 105 des Grundgesetzes dichter ans Mikrophon gehen. Es ist hier sehr
der Gesetzgebung des Bundes überhaupt entzogen schwer zu verstehen.
ist.
Finckh (CDU/CSU): Für uns ist es natürlich ent-
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. scheidend, zu wissen, bis zu welchem Zeitpunkt
Zur Frage 7 Herr Abgeordneter Finckh. definitiv mit dem Ausbau der Straße gerechnet
werden kann. Wir stellen hier eine konkrete Frage
Finckh (CDU/CSU):
und wünschen nicht lediglich eine ungefähre Mit-
Wann ist mit der Bereitstellung der ersten teilung, daß vielleicht bis zu dem oder jenem Zeit-
Rate für den Ausbau des Albaufstiegs auf der punkt angefangen werden dürfte.
Autobahnstrecke von Aichelberg bis Hohen-
stadt (Kreis Göppingen) zu rechnen, nachdem Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Es
sich die bisher befahrene Strecke in einem ist eindeutig klar, daß erst das Verkehrsfinanz-
derartigen Zustand befindet, daß außer mit gesetz verabschiedet werden muß. Vorher läßt sich
einer erhöhten Unfallziffer in absehbarer die Autobahnfinanzierungsgesellschaft nicht mit
Zeit mit einer Sperre gerechnet werden Geld ausstatten, und vorher kann sie natürlich
muß, sofern nicht raschestens Mittel für die auch indirekt keine Aufträge erteilen, indem sie
Ausbesserung und den Ausbau bereitgestellt dem Land die entsprechenden Mittel zur Ver-
werden? fügung stellt. In diesem Jahr ist auch im Haus-
Hinzugefügt sei noch, daß die Bundesstraße 10 halt nichts enthalten, so daß wir vor dem nächsten
nicht als Umleitungsstraße benützt werden kann. Jahr keinesfalls mit einem Beginn der Arbeiten
am zweiten Albaufstieg rechnen können.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesmini-
ster für Verkehr, bitte. Finckh (CDU/CSU): Ich danke.

Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 8 Herr Abge-
Präsident! Meine Damen und Herren! Um die ordneter Jahn (Frankfurt)!
östliche Fahrbahn des Albaufstiegs grundlegend
ausbauen zu können, muß der Verkehr umgelei- Jahn (Frankfurt) (SPD):
tet werden. Dazu ist es aber notwendig, die un- Ist der Herr Bundesminister der Finanzen
vollendete zweite Fahrbahn fertigzustellen. Die in der Lage, einen ungefähren Zeitpunkt zu
Mittel zur Durchführung dieser Arbeiten werden nennen, wann mit der Vorlage des Entwurfs
erst bereitgestellt werden können, wenn das Ver- eines neuen Bundesbesoldungsgesetzes zu
kehrsfinanzgesetz verabschiedet und die Gesell- rechnen ist, und zu welchem Zeitpunkt ge-
schaft für Autobahnfinanzierung ins Leben getre- denkt der Herr Bundesminister die zustän-
ten ist. digen Gewerkschaften an der Vorbereitung
dieses Gesetzes nach den Bestimmungen des
Die Verdrückungen der östlichen Fahrbahn, die § 94 des Bundesbeamtengesetzes zu beteiligen?
mit Granit-Kleinpflaster über einem Unterbau
von Jura-Kalkstein ausgeführt ist, rühren davon Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
her, daß weder der Unterbau noch der Unter- der Finanzen, bitte!
grund dem heutigen Verkehr mit schweren und
schnellen Lastkraftwagen gewachsen ist. Sie Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Der
sind zwar für den Verkehr unangenehm und er- Zeitpunkt, zu dem das Kabinett dem Bundestag
fordern laufend Unterhaltungskosten, halten sich den Entwurf eines neuen Bundesbesoldungsge-
1052 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
setzes wird vorlegen können, läßt sich heute noch Dr. Lütkens (SPD):
nicht mit Sicherheit voraussagen. Ist es richtig, daß sich die Deutsche Botschaft
(Hört! Hört! bei der SPD.) in Paris
Die Fertigstellung eines derartigen Entwurfs, der — ich sage besser: die deutsche Vertretung in
gleichzeitig die Grundlage für die Besoldung der Paris —
Länder- und Gemeindebeamten bilden muß, be- durch den Kulturattaché der Vertretung auf
darf noch weiterer zeitraubender Vorarbeiten und einer Pfingsten 1953 in Paris abgehaltenen
eingehender Verhandlungen mit den Vertretern Französisch-Deutschen Pädagogentagung, die
der Bundesressorts, der Landesregierungen und der von der Gruppe Cent Cinquante veranstaltet
Beamtenschaft. Die Spitzenorganisationen der zu- wurde, hat offiziell vertreten lassen, oder mit
ständigen Gewerkschaften werden in einem mög- welcher sonstigen Begründung hat der Herr
lichst frühen Zeitpunkt, jedenfalls vor Zuleitung Kulturattaché von Tiechowitz etwa an dieser
eines Gesetzentwurfs an das Bundeskabinett, an Tagung teilgenommen?
der Vorbereitung des Gesetzes beteiligt werden.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Staatssekretär
Jahn (Frankfurt) (SPD): Danke! des Auswärtigen Amts.
Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. Amts: Es ist richtig, daß der Kulturreferent der
Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Bucher. Diplomatischen Vertretung in Paris an der Eröff-
nungssitzung dieser Tagung teilgenommen hat. Er
Dr. Bucher (FDP): hat dies in Erfüllung seiner allgemeinen Dienst-
obliegenheiten getan, Vorgänge im Bereich seiner
Wann gedenkt die Bundesregierung das in Verantwortung als Kulturattaché zu beobachten.
Art. 108 Abs. 5 des Grundgesetzes vorgesehene
Gesetz über die Finanzgerichtsbarkeit vorzu- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es
legen? richtig!)
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage Herr
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
der Finanzen! Abgeordneter Lütkens, bitte!

Dr. Lütkens (SPD): War der deutschen Vertretung


Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Es liegt in Paris nicht bekannt, daß dieses pädagogische
bereits ein Referentenentwurf vor, der mit den Treffen von der kommunistischen Fraktion
Finanzministerien der Länder, den Wirtschaftsver- der französischen Lehrerorganisation organisiert
bänden und im wesentlichen auch mit den Bun- war und daß die Gruppe Cent Cinquante eine be-
desressorts bereits besprochen worden ist und über kannte kommunistische Gruppe ist?
1 den Anfang Mai eine abschließende Beratung mit
den Bundesressorts stattfinden soll. Nach Klärung Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Staatssekretär,
der dort etwa noch auftauchenden Fragen soll der bitte!
Entwurf Ende Mai oder Anfang Juni dem Bundes-
kabinett vorgelegt werden. Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich bin nicht sicher, ob das der Diplomati-
Dr. Bucher (FDP): Danke! schen Vertretung bekannt war. Auch wenn es ihr
bekannt war, ist denkbar, daß sie Gründe gehabt
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. hat, diese Veranstaltung zu beobachten.
Meine Damen und Herren, ich bitte erneut darum, (Hört! Hört! bei der SPD. —
möglichst dicht an das Mikrophon zu treten. Sie Abg. Dr. Menzel: Im offiziellen Auftrag?)
merken ja, welche Schwierigkeiten heute bei der
Übertragungsanlage bestehen. — Darf ich auf diesen Zwischenruf antworten?
Zur Frage 10 Herr Abgeordneter Dr. Lütkens.
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Staatssekretär,
Ihre Aufgabe ist hier die Beantwortung von
Dr. Lütkens (SPD): Herr Präsident, ich kann auf Fragen.
die Beantwortung der Frage 10 heute verzichten.
Sie werden mir erlauben, zwei Sätze geschäftsord- Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lütkens.
nungsmäßiger Art dazu zu sagen. Am 30. März hat
mich ein Beamter des Auswärtigen Amtes aufge- Dr. Lütkens (SPD): Ist der Bericht der Hambur-
sucht und gebeten, ich möchte diese Frage zurück- ger Zeitschrift „Der Pflüger" Jahrgang 2, Nr. 4/5
stellen. Ich habe mich unter gewissen Voraussetzun- vom Oktober 1953 also richtig, wonach der deutsche
gen bereit erklärt, von Zusatzfragen abzusehen. Kulturattaché erschienen war und den Rednern
Eine der Bedingungen war, daß mir über eine da- lebhaft applaudierte? Was ist geschehen, nachdem
mals von mir aufgeworfene Frage eine briefliche die Bundesregierung zu Händen des Herrn Bundes-
Mitteilung gemacht würde. Diese briefliche Mittei- bevollmächtigten in Berlin mit seinem Schreiben
lung habe ich am 27. April endlich — also nach vom 15. Januar 1954 von diesem Bericht und die-
vier Wochen und nachdem die Fragen für die heu- sen Vorgängen in Kenntnis gesetzt war?
tige Fragestunde gedruckt vorlagen — erhalten.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Staatssekretär,
bitte!
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
ren, Sie haben von dieser geschäftsordnungsmäßi- Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen
gen Mitteilung des Herrn Abgeordneten Dr. Lüt- Amts: Mir ist weder der Bericht in jener Zeitung,
kens Kenntnis genommen. deren Name ich im Augenblick aus akustischen
Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Dr. Lütkens! Gründen nicht verstanden habe, noch die Mittei-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1053
(Staatssekretär Dr. Hallstein)
lung bekannt, die nach der Bekundung des Herrn Zeit in Anspruch nehmen werde. Ich habe mich
Abgeordneten an den Herrn Bundesbevollmächtig- deshalb mit den Rundschreiben vom 4. August und
ten in Berlin gegangen ist. Ich werde gern beide 15. Oktober 1953 an die Herren Finanzminister
Vorgänge prüfen. und Finanzsenatoren der Länder damit einverstan-
den erklärt, daß die Nutzungsvergütung für land-
Dr. Lütkens (SPD): Darf ich noch eine Zusatz- wirtschaftlich genutzte Grundstücke auf der
frage stellen? Grundlage des Entwurfs der Richtlinien der Bun-
desregierung berechnet wird und daß, falls die zu-
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, eine Zusatzfrage. ständigen alliierten Dienststellen eine Zahlungs-
ermächtigung für die so berechnete Nutzungsver-
Dr. Lütkens (SPD): Wie hat sich der deutsche Kul-
gütung nicht erteilen sollten, die Zahlung des sich
turattaché verhalten, als z. B. in dem Vortrag des
ergebenden Unterschiedsbetrags zunächst zu
Herrn Professors Grappin aus Nancy folgender Lasten des Verteidigungsfolgekostenhaushalts
Satz vorkam: Kap. 3511 erfolgen könne.
Der Widerstand gegen den ersten Schritt zur
Wiedervereinigung Deutschlands, die freien Kahn-Ackermann (SPD): Eine Zusatzfrage, Herr
Wahlen, kommt von seiten der westdeutschen Präsident.
Regierung, nicht von der SED oder der Re-
gierung der DDR. Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Abgeordneter.
Hat er etwa bei dieser Stelle auch applaudiert? Kahn-Ackermann (SPD): Ist dem Herrn Bundes-
(Lachen in der Mitte.) minister der Finanzen bekannt, daß sich z. B. in
den Ländern der ehemaligen amerikanischen Be-
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Staatssekre- satzungszone die Länderfinanzbehörden weigern,
tär! derartige Zahlungen vorzunehmen, und sich dar-
auf berufen, daß die Entscheidung darüber allein
Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen bei der amerikanischen Armee liege?
Amts: Ich weiß nicht, ob der Kulturattaché der
deutschen Diplomatischen Vertretung in Paris in Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Die Bun-
der Veranstaltung zugegen war, als diese Bemer desregierung kann den Ländern lediglich die Er
kung fiel. Infolgedessen bin ich nicht in der Lage, mächtigung erteilen, die Zahlungen zugun-
zu sagen, wie er darauf reagiert hat. sten der Grundstückseigentümer auf Kosten des
Bundes vorzunehmen. Eine Weisung kann sie den
(Zurufe von der SPD.) Ländern nicht erteilen. Wenn hier Wünsche be-
stehen, würde ich deshalb empfehlen, sich damit
Präsident D. Dr. Ehlers: Keine weitere Zusatz- unmittelbar an die Länderregierungen zu wenden.
frage!
Zur Frage 12 Herr Abgeordneter Kahn-Acker- Kahn-Ackermann (SPD): Noch eine Zusatzfrage.
mann.
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage.
Kahn-Ackermann (SPD):
Kahn-Ackermann (SPD): Herr Bundesfinanz-
Was gedenkt die Bundesregierung zu unter- minister, Sie haben am 3. September 1953, drei
nehmen, um den Richtlinien des Bundesmini- Tage vor der Bundestagswahl, einer großen
steriums der Finanzen vorn 20. April 1953 hin- Gruppe von Landwirten im Kreis Fürstenfeldbruck
sichtlich der Neuregelung von Nutzungsent- die persönliche Zusage gemacht, daß Sie die- Fälle,
schädigungen für von der Besatzungsmacht be- die meine Anfrage betrifft, in Kürze zu ihrer Zu-
schlagnahmte landwirtschaftliche Nutzflächen friedenheit regeln wollten. Zwei an Sie gerichtete
Gültigkeit zu verschaffen? Briefe in dieser Angelegenheit sind vom Finanz-
ministerium nicht beantwortet worden. Was ge-
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Bundesminister der denken Sie zu unternehmen, um Ihr Versprechen
Finanzen, bitte! einzulösen?
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Im Bun- Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Ich ge-
desministerium der Finanzen ist ein entsprechender denke, Ihnen die Aktenstücke zuzusenden. Sie
Entwurf für solche Richtlinien seit langer Zeit auf- werden sehen, daß ich diese Frage beantwortet,
gestellt. Da die Besatzungsmächte sich auf Grund und zwar schriftlich beantwortet habe.
des Art. 2 e des Besatzungsstatuts den Erlaß von
Vorschriften zur Regelung der Vergütung von Be- Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage 12
satzungsleistungen und Entschädigungen für Be- erledigt.
satzungsschäden vorbehalten haben, ist der Ent- Zur Frage 13 Abgeordneter Miller.
wurf mit Schreiben vom 20. April 1953 den Mit-
gliedern des Unterausschusses für Besatzungsbe- Miller (CDU/CSU):
darf und Besatzungslasten des Alliierten Finanz- Unter Hinweis auf die Wichtigkeit auch der
ausschusses mit der Bitte übersandt worden, der wirtschaftlichen Beziehungen, insbesondere
Anwendung der Richtlinien zuzustimmen. Die Mit- der Ausfuhrförderung nach den Ländern des
glieder des Ausschusses haben mich davon unter- Fernen Ostens, frage ich die Bundesregierung,
richtet, daß Sachverständige mit der Prüfung der
ob ihr bekannt ist, daß das Forschungsgut des
Richtlinien beauftragt seien. Eine Mitteilung über Reichsinstituts für Inner-Asien
-
früheren
den Abschluß der Prüfung und ihr Ergebnis ist mir Forschung in München der wissenschaftlichen
bisher aber noch nicht zugegangen. Auswertung, wie dies auch aus wirtschaft-
Im Hinblick auf die Schwierigkeit der Sache war lichen Gründen durchaus wünschenswert wäre,
damit zu rechnen, daß die Prüfung des Entwurfs nicht zugängig ist und daß die Gefahr von
durch die alliierten Sachverständigen eine geraume Beschädigung und Zerfall besteht, wenn nicht
1054 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Miller)
für eine zweckmäßige Verwendung und Auf- stadt-Wischhafen bezieht, mit der gemeinsamen
bewahrung Sorge getragen wird. Wer ist ver- Beantwortung einverstanden sind.
fügungsberechtigt und verantwortlich?
Dr. von Buchka (CDU/CSU): Ich bin gerne ein-
Kann das Institut durch entsprechende För- verstanden, Herr Präsident.
derung unter sachkundiger Leitung wieder Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, einen im Ver-
errichtet und durch Heranziehung namentlich kehrsinteresse dringlichen Ausbau der Elb-Fährverbindung Glück-
stadt — Wischhafen mit finanzieren zu helfen?
früherer Expeditionsteilnehmer fortgeführt
werden? Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Die Danke sehr! Der 1. Deutsche Bundestag hat sich
Antwort lautet wie folgt: Das im Jahre 1943 ge- in seiner Sitzung am 1. Oktober 1952 mit der
-gründete Reichsinstitut Sven Hedin für Inner Frage beschäftigt, ob der Bund verpflichtet oder
Asien-Forschung in München hat bei Kriegsschluß rechtlich in der Lage ist, eine Fährverbindung über
seine Arbeiten eingestellt. Das wissenschaftliche eine natürliche Wasserstraße finanziell zu unter-
Material des Instituts wurde zunächst beschlag- stützen. Diese Frage wurde verneint und die Lei-
nahmt und in den Collecting Point in München stung von Bundeszuschüssen durch den Herrn Bun-
verbracht. Es wird heute von der „Treuhandver- desminister der Finanzen abgelehnt. Ich darf inso-
waltung von Kulturgut beim Auswärtigen Amt" weit auf die Bundestagsdrucksache Nr. 4647 der
betreut. ersten Legislaturperiode verweisen.
Bei dem staatsvertraglichen Übergang der Was-
Ein bedeutsamer Fall des Materials, das hundert serstraßen von den Ländern auf das Reich im
bändige religionsgeschichtlich wichtige Werk Kand- Jahre 1921 wurden die Fähren und das Fährregal
schur ist als Leihgabe der Bayerischen Staats- an den natürlichen Wasserstraßen ausdrücklich von
bibliothek überlassen worden und steht dort der dem Übergang ausgenommen. Diese Bestimmung
wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung. Das hat auch im Wasserstraßen-Vermögensgesetz von
übrige Material, bestehend aus der Expeditions- 1951 Aufnahme gefunden. Der Bund, der weder
ausbeute ethnologischer Art, befindet sich im De- das Eigentum noch die Verwaltung der Fähren an
pot der bereits erwähnten Treuhandverwaltung den natürlichen Wasserstraßen hat, ist daher auch
des Auswärtigen Amts. Seitens der Treuhandver- leider nicht in der Lage, Zuschüsse für die Fähren
waltung wird erstrebt, dieses Material durch leih- zu leisten.
weise Überlassung an völkerkundliche Museen der Ich darf bemerken, daß die beiden genannten
Forschung zugänglich zu machen. Der Umfang des Fähren Cuxhaven—Brunsbüttelkoog und Glück-
Materials rechtfertigt es nicht, das frühere Reichs- stadt—Wischhafen auch nicht im Zuge von Bun-
institut wieder ins Leben zu rufen. desstraßen liegen, so daß auch die Bundesstraßen-
Da bei der augenblicklichen Unterbringung — verwaltung rechtlich nicht in der Lage ist, für
Verpackung in Kisten — auf die Dauer, wenig- einen Ausbau der Zubringerstraßen finanzielle
stens bei einem Teil des Materials, die Gefahr des Lasten zu übernehmen. Beide Fähren dienen über-
Zerfalls besteht, beabsichtigt die Treuhandver- wiegend dem Orts- und Bezirksverkehr. Da aber
waltung, die Verhandlungen über eine ander- die Fährverbindung Glückstadt—Wischhafen in un-
weitige zweckmäßige Verwendung beschleunigt mittelbarer Verbindung mit dem niedersächsi-
durchzuführen. schen Sanierungsgebiet liegt, hat der Herr Bundes-
minister für Wirtschaft aus Sanierungsmitteln des
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage?
Bundes einen Kredit von 80 000 DM zur Ver-
Miller (CDU/CSU): Danke schön, keine Zusatz- fügung gestellt und ist bereit, einen weiteren
- Kre-
frage. dit von 55 000 DM für die Zwecke dieser Fähre
aus Sanierungsmitteln zur Verfügung zu stellen.
Präsident D. Dr. Ehlers: Keine Zusatzfrage. Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
Zur Frage 14 Abgeordneter Dr. von Buchka. Abgeordneter?

Dr. von Buchka (CDU/CSU): Dr. von Buchka (CDU/CSU) : Darf ich fragen, ob
Ist die Bundesregierung bereit, die Fähr- hinsichtlich der Fähre Cuxhaven—Brunsbüttelkoog
verbindung Cuxhaven — Brunsbüttelkoog tatsächlich keinerlei Möglichkeiten bestehen, dort-
(Fährschiff „Niedersachsen") angesichts deren hin Bundesmittel als Beihilfen zu geben.
übergebietlicher Bedeutung finanziell zu
unterstützen? Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Lei-
der bestehen diese Möglichkeiten nicht, Herr von
Buchka.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
für Verkehr, bitte. Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist damit
erledigt.
Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Ich
hoffe, das Hohe Haus und Sie, Herr Kollege, Zu Frage 15 Herr Abgeordneter Kramel.
werden, falls der Herr Präsident keine Einwen- Kramel (CDU/CSU):
dungen erheben sollte, damit einverstanden sein, Warum hat die Bundesregierung keinen der
daß ich die Fragen 14 und 21 zusammen beant- vom Bayerischen Verkehrsbeamtenverein e. V.
worte. Beide behandeln die Wünsche nach finan- in München, der ältesten Beamtenorganisation
zieller Unterstützung von zwei Fährverbindungen des ganzen Bundesgebiets, für den Postver-
über die Unterelbe. waltungsrat vorgeschlagenen Vertreter er-
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich darf unterstellen, nannt?
Herr Abgeordneter von Buchka, daß Sie ohne Ver- Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
lesen der Frage 21, die sich auf die Fähre Glück- für das Post- und Fernmeldewesen, bitte.
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1055

Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und geht? Ist der Herr Bundesminister bereit, zum
Fernmeldewesen: Herr Präsident! Meine Damen Schutze der einheimischen Betriebe, die zum
und Herren! Die Vorschläge bzw. Ernennungen der großen Teil ihren Gesamtjahresverdienst aus
Mitglieder des Postverwaltungsrats sind durch das den wenigen Saisontagen ziehen müssen, ge-
Postverwaltungsgesetz festgelegt. Das Postverwal- eignete Maßnahmen zu ergreifen?
tungsgesetz enthält aber keine Bestimmungen dar-
über, wie alle Organisationen, die in Frage kom- Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
men, insbesondere solche mit kleiner Mitglieder- für Wirtschaft zur Beantwortung!
zahl, zu behandeln sind. Bei den Vorschlägen bzw.
bei den Ernennungen mußte daher nach Grund- Dr. Dr. h. C. Erhard, Bundesminister für Wirt-
sätzen verfahren werden, wie sie sich auch bei der schaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Behandlung von Splitterparteien im politischen Nach meinen Feststellungen ist es seit Jahren
Leben bzw. bei anderen Organisationen als zweck- üblich, daß während der Badesaison Modehäuser,
mäßig erwiesen haben. Juweliere, Frisiersalons usw. des Festlandes ihre
in ostfriesischen Badeorten errichteten Filialen
Die Bundesregierung hat dem Bayerischen Ver- öffnen und mit den ortsansässigen Einzelhandels-
kehrsbeamtenverein auf seinen Einspruch ausführ- geschäften in Wettbewerb treten. Für diese Tätig-
lich geantwortet. Ich darf aus dieser Begründung keit wird die anfallende Gewerbesteuer an die
kurz zusammenfassen: Nach § 5 des Postverwal- Inselgemeinden abgeführt. Gegen das Auftreten
tungsgesetzes gehören dem Verwaltungsrat sieben solcher Firmen irgendwelche Maßnahmen zu er-
Vertreter des Personals der Deutschen Bundes- greifen, besteht weder Veranlassung noch eine
post an. Diese müssen aber Mitglieder der bei der Möglichkeit. Dagegen ist mir nichts darüber be-
Deutschen Bundespost vertretenen Gewerkschaften kanntgeworden, daß Filialbetriebe von Großunter-
sein. Die für das Personal vorgesehenen Sitze nehmen des Festlandes während der Saison in
waren daher auf die rund 257 500 gewerkschaftlich großer Anzahl auftreten und das Angebot in un-
organisierten Postangehörigen zu verteilen. Das verhältnismäßig starkem Maße erhöhen.
ergab einen Sitz auf rund 36 800 Angehörige der
Deutschen Bundespost. Der Bayerische Verkehrs- Kortmann (CDU/CSU): Darf ich eine. Zusatzfrage
beamtenverein hat aber nur etwa 2500 Mitglieder, stellen?
(Hört! Hört! links)
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
also noch nicht einmal 10 vom Hundert der bei Abgeordneter Kortmann!
einer gleichmäßigen Verteilung für einen Sitz er-
forderlichen Anzahl. Bei dieser Sachlage war es Kortmann (CDU/CSU): Ist es möglich, für die
leider nicht möglich, ein Mitglied des Bayerischen einheimischen Betriebe dieser Art die Zah-
Verkehrsbeamtenvereins als Vertreter des Perso- lung der Gewerbesteuer auf die Saisonmonate zu
nals im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost beschränken?
zu ernennen.
(Sehr richtig! links.) Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirt-
Kramel (CDU/CSU): Eine Zusatzfrage bitte! schaft: Das ist eine Frage, die der Herr Bundes-
finanzminister zu beantworten hat.
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, eine Zusatzfrage. (Heiterkeit. — Abg. Pelster: Die Kommunal
verwaltung muß das beantragen!)
Kramel (CDU/CSU): Wäre es nicht zweckmäßiger
und dem Arbeitsfrieden dienlicher gewesen, ohne Präsident D. Dr. Ehlers: Damit scheint diese -Frage
Rücksicht auf die Stärke der Organisationen zu- erledigt zu sein.
nächst jeder wenigstens einen Sitz zu geben und Wird die Frage 17 an Stelle des Herrn Abgeord-
die übrigen Sitze nach der Stärkezahl zu verteilen? neten Ritzel von einem anderen Kollegen ge-
stellt? Bitte schön!
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Bundesminister,
bitte! Banse (SPD):
Sind dem Herrn Bundesminister für Post-
Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und und Fernmeldewesen die unhaltbaren Zu-
Fernmeldewesen: Das wäre wohl eine Sache des stände an den Postämtern Reinheim und
Postverwaltungsgesetzes, das diese Bestimmung Reichelsheim im Odenwald bekannt, und was
nicht vorgesehen hat. gedenkt die Bundesregierung zu tun, um in
beiden Fällen für rasche Abhilfe zu sorgen?
Kramel (CDU/CSU): Danke schön!
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. für das Post- und Fernmeldewesen bitte!
Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Kortmann!
Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und
Kortmann (CDU/CSU): Fernmeldewesen: Nach der Anfrage sollen die Zu-
Ist dem Herrn Bundesminister für Wirt- stände auf den Postämtern Reinheim und Rei-
schaft bekannt, daß in den ostfriesischen chelsheim unhaltbar sein. Da in der Anfrage nicht
Inselbädern alle ortsansässigen Einzelhandels- gesagt ist, ob diese „unhaltbaren" Zustände post-
betriebe dadurch in ihrer Existenz auf das betrieblicher, fernmeldetechnischer, baulicher oder
schwerste bedroht werden, daß Filialbetriebe personeller Art sind, war es notwendig, die Ver-
von Großunternehmungen des Festlandes wäh- hältnisse bei beiden Ämtern nach jeder Richtung hin
rend der Saison in großer Zahl auftreten und zu überprüfen. Ich selbst habe Gelegenheit genom-
das Angebot in unverhältnismäßig starkem men, das Zweigpostamt Reichelsheim zu besichti-
Maße erhöhen, wobei noch den Inselgemeinden gen.
die Gewerbesteuer solcher Filialen verloren (Bravo! in der Mitte.)
1056 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundesminister Dr. Balke)
Das Postamt Reinheim habe ich mir aus zeitlichen Darmstadt und zwei — samstags sogar drei —
Gründen noch nicht ansehen können, ich werde das Postverbindungen mit Offenbach.
aber nachholen. In Reinheim befindet sich eine Fernsprechver-
Die Verhältnisse bei den beiden Ämtern sind fol- mittlungsstelle mit Handbetrieb. Bisher konnten
gende. Zweigpostamt Reichelsheim: Das Postamt 49 Anträge auf Einrichtung eines Fernsprechan-
ist zwar etwas beengt untergebracht, jedoch läßt schlusses noch nicht erfüllt werden. Es ist beabsich-
sich der Postdienst in den Räumen glatt abwickeln. tigt, die Ortsvermittlung auf Wählbetrieb umzu-
In postbetrieblicher Hinsicht verfügt Reichelsheim stellen. Die erforderlichen Mittel für Lieferung und
über voll ausreichende Postverbindungen nach Aufbau der technischen Einrichtungen in Höhe von
Reinheim und Lindenfels. Der Verkehrs- und Ver- 99 000 DM sind bereitgestellt. Die Unterbringung
schönerungsverein des Ortes wünschte die Wieder- der neuen Fernsprecheinrichtungen stößt jedoch in-
einführung der früher vorhandenen Bahnpost von folge der oben genannten noch ungeklärten Raum-
Reinheim nach Reichelsheim. Diesem Wunsch fragen des Postamtes auf Schwierigkeiten. Es darf
konnte jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht erwartet werden, daß diese Schwierigkeiten alsbald
entsprochen werden; im anderen Falle hätte näm- behoben werden, wenn auch die Stadt Reinheim
lich die Landkraftpost aufgehoben werden müssen. die Bundespost bei der Lösung der Grundstücks-
Durch die Landkraftpost ist es möglich, im Laufe frage unterstützt.
des Vormittags in Reinheim für den Ort Reichels- Klagen über unzulängliche Personalverhältnisse
heim eingehende Post noch Reichelsheim am glei- bei diesem Postamt sind ebenfalls nicht bekannt-
chen Tage zuzuführen. Dies war früher bei der geworden. Zweifellos bestehen berechtigte Wünsche
Bahnpostbeförderung nicht der Fall. der Bevölkerung auf eine Verbesserung der posta-
Der weitere Wunsch des Verkehrsvereins, in Rei- lischen Einrichtungen. Von „unhaltbaren Zustän-
chelsheim eine zweite Briefzustellung einzuführen, den" kann aber bestimmt nicht gesprochen werden.
ließ sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfül-
len. Der Ort zählt rund 2600 Einwohner. Nach den Banse (SPD): Danke!
Ermittlungen liegen für eine zweite Briefzustellung
im Durchschnitt täglich nur 120 Sendungen vor, Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage
die die Einrichtung einer zweiten Briefzustellung erledigt.
nicht rechtfertigen. Ob während der Sommermonate Zu Frage 18 Herr Abgeordneter Becker (Ham-
in dem Luftkurort Reichelsheim noch ein zweiter burg).
Annahmeschalter offenzuhalten ist, wird geprüft Becker (Hamburg) (DP):
werden.
Die Fernsprechvermittlungsstelle mit Wählbetrieb Ist die Bundesregierung bereit, bei der vor-
gesehenen Neufestsetzung der Portosätze von
ist voll belegt. Ihre Erweiterung ist aus technischen einer Erhöhung der Beförderungsgebühren
Gründen zur Zeit nicht möglich. Es sind augenblick-
lich 38 Anträge auf Herstellung eines Fersprech- für Päckchen in die sowjetisch besetzte Zone
abzusehen?
anschlusses noch nicht erledigt. Es ist beabsichtigt,
eine neue Einrichtung zu schaffen. Diese erfordert Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundes-
jedoch einen erheblichen Mittelaufwand, insgesamt minister!
etwa 270 000 DM. Sofern die angespannte Finanz-
lage der Deutschen Bundespost es zuläßt, soll das Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und
neue Wählamt im Rechnungsjahr 1955 errichtet Fernmeldewesen: Bei der vorgesehenen Neurege-
werden. lung der Gebühren können die Päckchen nach der
In personeller Hinsicht liegen Klagen über das sowjetischen Besatzungszone nicht besonders be-
Zweigpostamt Reichelsheim nicht vor. Auch ich sel- handelt werden. Die Bundesregierung hat volles
ber bin sehr ordentlich bedient worden, weil nie- Verständnis für die Beweggründe, die eine Son-
mand gewußt hat, wer ich war. derbehandlung als wünschenswert erscheinen
lassen. Gewichtige Gegenargumente machen es
Postamt Reinheim. Dieses Postamt ist in einem jedoch notwendig, die Päckchen nach der sowjeti-
Mietpostgebäude untergebracht, das sich im Laufe schen Besatzungszone denselben Gebühren wie die
der Zeit als zu klein erwiesen hat. Erweiterungs- Päckchen innerhalb der Bundesrepublik zu unter-
möglichkeiten bestehen nicht. 1937 wurde bereits werfen. Erstens sprechen rein betriebliche Gründe
ein Bauplatz in Größe von 609 qm gekauft, dieser dagegen, im Inlandsverkehr für dieselbe Versen-
reicht aber für die in den letzten Jahren größer dungsart zwei verschiedene Tarife anzuwenden.
gewordenen Raumbedürfnisse nicht mehr aus. Es Ferner könnte der Sondertarif nicht auf die nach
war beabsichtigt, das anliegende alte Finanzamts- der sowjetischen Besatzungszone gerichteten Päck-
gebäude anzukaufen; diese Verhandlungen sind chen beschränkt bleiben. Zur sowjetischen Besat-
aber kürzlich daran gescheitert, daß die in diesem zungszone gehört postbetrieblich auch Ostberlin;
Gebäude untergebrachten zehn Mietparteien auch wenn aber im Verkehr nach Ostberlin eine Ver-
nicht zum Teil in anderen Wohnungen unterge- günstigung gewährt wird, so ist es kaum möglich,
bracht werden könnten. Das angebotene Wohnhaus Westberlin anders zu behandeln. Diese Unterschei-
der Finanzverwaltung erwies sich als für die Zwecke dung wäre im Postbetrieb außerordentlich schwie-
der Bundespost ungeeignet. Die Bemühungen für rigduchzfüren,siwürdeab uchwolin
die Beschaffung anderer Postdiensträume werden Berlin nicht verstanden werden. Endlich würde
fortgesetzt.
sich die Gebührenvergünstigung nicht auf Päck-
In postbetrieblicher Hinsicht sind Beschwerden chen beschränken lassen. Bei der bevorstehenden
von Postbenutzern über unhaltbare Zustände nicht Neuregelung der Paketgebühren, die in den zur Zeit
erhoben worden. Seit dem 1. April 1954 ist in Rein- schwebenden Verhandlungen mit der Bahn ein-
heim eine zweite Briefzustellung eingeführt wor- heitlich für Pakete und Expreßgut festgesetzt
den. Dem Postamt wurde auch ein Landkraftwagen werden sollen, würden dieselben Vergünstigungen
für die Strecke Reinheim—Reichelsheim zugeteilt. auch für den Paketverkehr in Anspruch genom-
Es bestehen täglich zwei Postverbindungen mit men und nicht verweigert werden können. Hier-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1057
(Bundesminister Dr. Balke)
bei würden sich voraussichtlich Gebührenausfälle Banse (SPD):
für die Deutsche Bundespost in Höhe von etwa Was beabsichtigt die Bundesregierung bzw.
5,4 Millionen DM ergeben. Der Ausfall an Paket- die Deutsche Bundesbahn zu tun, um im Hin-
gebühren läßt sich vor Abschluß der Verhandlun- blick auf den zum 30. Juni 1954 bevorstehen-
gen mit der Deutschen Bundesbahn, in denen die den Ablauf der Konzession der Privatbahn
neuen Sätze festgesetzt werden sollen, überhaupt Hetzbach—Beerfelden (Odenwald) die Per-
noch nicht abschätzen. sonen- und Güterbeförderung auf dieser
Strecke in befriedigender Weise zu sichern?
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist damit
erledigt. Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Zur Frage 19 Herr Abgeordneter Faller! für Verkehr, bitte!

Faller (SPD): Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Die


Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, Bahn Hetzbach—Beerfelden ist eine nichtbundes-
um dem Betriebsverfassungsgesetz auch in den eigene Eisenbahn; sie gehört der Süddeutschen
deutsch-schweizerischen Grenzkraftwerken des Eisenbahn-Gesellschaft in Essen. Ihre Betriebs-
Oberrheins volle Geltung zu verschaffen? länge beträgt 5 km. Sie ist seit Jahren Zuschuß
betrieb.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister Die Konzession läuft am 31. Mai 1954 ab. Die
für Arbeit, bitte! Gesellschaft will die Konzession nicht erneuern
und hat dem Personal, 5 Angestellte und 9 Arbei-
Storch, Bundesminister für Arbeit: Der Bundes- ter, rechtzeitig gekündigt. Für die Bundesregie-
regierung ist bekannt, daß die Anwendung der rung und für die Deutsche Bundesbahn besteht
§§ 76 ff. des Betriebsverfassungsgesetzes auf die keine Rechtspflicht zur Übernahme dieser Bahn,
sogenannten Grenzkraftwerke am Oberrhein auf die — wie alle nichtbundeseigenen Eisenbahnen —
gewisse Schwierigkeiten stößt. In einer Reihe von gemäß dem Grundgesetz und dem allgemeinen
Besprechungen mit den beteiligten Ressorts und Eisenbahngesetz ausschließlich der Landesaufsicht
den Sozialpartnern sind im Bundesministerium untersteht.
für Arbeit die Schwierigkeiten und die Möglich- Auch für das Land Hessen besteht keine Rechts-
keiten einer Lösung eingehend erörtert worden.
Die Prüfungen sind jedoch noch nicht abgeschlos- pflicht, diese Strecke selbst zu übernehmen. Das
sen. In einem Schreiben vom 15. April — also vor Land Hessen hat sich in dieser Beziehung schon
ganz kurzer Zeit — hat der Deutsche Gewerk- festgelegt. Es hat inzwischen aber zur Sicherstel-
schaftsbund zu diesem Fragenkreis Stellung ge- lung der Personen- und Güterbeförderung zwi-
nommen. Die Bundesregierung wird sich in der schen Hetzbach und Beerfelden die erforderlichen
Frage der Anwendung des Betriebsverfassungs- Maßnahmen eingeleitet. Der Personenverkehr soll
entweder durch Kraftomnibusse der Bundespost
gesetzes auf die Grenzkraftwerke weiter bemühen,
zu einer allseits befriedigenden Lösung zu kommen. oder der Bundesbahn oder eines geeigneten Privat-
unternehmers abgewickelt werden. Um die anfal-
Faller (SPD): Danke! lenden Güter, vor allem Holz, zu befördern, ist be-
absichtigt, die Strecke als Privatgleisanschluß zu
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. betreiben. Als Anschließer kommen die Gemeinde
Zu Frage 22 Herr Abgeordneter Dr. Hesberg. Beerfelden oder der Landkreis Erbach-Michelstadt
in Betracht. Die Verhandlungen hierüber sind
noch nicht abgeschlossen; aber eine befriedigende
-
Dr. Hesberg (CDU/CSU) : Lösung darf erwartet werden.
Ist der Herr Bundesminister für Wohnungs- (Abg. Faller: Danke!)
bau bereit, im Rahmen der angekündigten
Maßnahmen zur Förderung des Wiederaufbaus Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage
eine Änderung des § 15 Abs. 3 der Berech- erledigt.
nungsverordnung vom 20. November 1950 in
der Weise herbeizuführen, daß der Wert der Meine Damen und Herren! Wir befinden uns
wiederverwendeten Gebäudereste mit dem da- nunmehr am Ende der Fragestunde. Entsprechend
durch ersparten Baukostenbetrage angesetzt der üblichen Handhabung werden die nicht münd-
werden darf entsprechend der Regelung, die lich beantworteten Fragen schriftlich beantwortet
in Abschnitt 35 der vom Bayerischen Staats- werden.
ministerium des Innern erlassenen Bauförde- (Unruhe und Zurufe von den hinteren
rungsbestimmungen getroffen worden ist, da- Bänken: Hier ist nichts zu verstehen!)
mit ein stärkerer Anreiz zum Wiederaufbau — Ich hatte darauf hingewiesen, daß die nicht
der Räumungsgrundstücke gegeben wird? mündlich beantworteten Fragen entsprechend un-
Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Beantwortung der serer Übung schriftlich beantwortet werden.
Herr Bundesminister für Wohnungsbau, bitte! Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion
Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau: der SPD betr. Saarfrage (Drucksache 340);
Meine Antwort ist sehr kurz, Herr Abgeordneter b) Beratung der Großen Anfrage der Frak-
Hesberg. Sie lautet: ja. tionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP
betreffend Entwicklung der außenpoliti-
Dr. Hesberg (CDU/CSU): Danke schön. schen Lage (Drucksache 488).
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren, Meine Damen und Herren! Ich appelliere noch
ich habe versehentlich die Frage 20 überschlagen. einmal — —
Soll die Frage 20 noch gestellt werden? — Herr (Erneute Zurufe: Nicht zu verstehen!
Abgeordneter Banse, bitte! Lauter!)
1058 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Präsident D. Dr. Ehlers)
— Es geht nicht um die Lautsprecher. Ich habe vom 25. März zugunsten der Deutschen Demokra-
mir bereits zu Anfang gestattet, darauf hinzuwei- tischen Republik.
sen — einige Damen und Herren waren offenbar Wir müssen auch feststellen, daß hier im Westen
noch nicht anwesend —, daß wir heute eine be- wie dort im Osten die Besatzungsgewalt zur Ver-
helfsmäßige Verstärkeranlage in Betrieb haben, hinderung freier allgemeiner Wahlen mißbraucht
weil der Umbau der Lautsprecheranlage noch nicht worden ist.
abgeschlossen ist. Ich bitte also herzlich, darauf (Sehr richtig! bei der SPD.)
Rücksicht zu nehmen, indem Sie einmal möglichst
dicht an das Mikrophon herantreten und zweitens Es ist auch bemerkenswert, daß sich nicht nur
die Unterhaltungen im Saal nach Möglichkeit ein- Herr Grotewohl, sondern auch sein westliches Ge-
schränken, damit auch auf den hinteren Bänken, genstück in Saarbrücken in der Sonne der Souverä-
bei denen es besonders schwierig ist, die Ausfüh- nität von Gnaden der Besatzungsmacht sonnt.
rungen verstanden werden können. (Sehr gut! bei der SPD.)
Zunächst hat zur Begründung der Großen An- Als Mustereuropäer, der Herr Hoffmann nun ein-
frage der Fraktion der SPD der Abgeordnete Dr. mal ist, legt er natürlich keinen Wert auf die Be-
Mommer das Wort. wahrung seiner Souveränität, und man las Anfang
dieses Monats in der offiziösen „Saar-Korrespon-
Dr. Mommer (SPD), Anfragender: Herr Präsi- denz", Herr Hoffmann sei bereit, die nationalstaat-
dent! Meine Damen und Herren! Ich darf mir zu lichen Rechte des Saargebiets vorübergehend an
Beginn der Begründung der Großen Anfrage mei- den Europarat oder an die Montan-Union abzu-
ner Fraktion zur Saarpolitik der Regierung zwei treten, bis die Europäische Politische Gemeinschaft
Sätze aus der Regierungserklärung des Herrn gebildet sei.
Bundeskanzlers vom 7. April zu eigen machen. Der
Herr Bundeskanzler hat da gesagt: Meine Damen und Herren! Im vollen Bewußt-
Eine Besatzungsmacht hat nicht das Recht, sein der inneren Verbundenheit und der inneren
ihre Besatzungsgewalt zur politischen Zer- Einheit der Grenzprobleme Deutschlands im Westen
reißung Deutschlands zu mißbrauchen. Deutsch- und im Osten hat der Bundestag am 2. Juli 1953
land als Ganzes ist im Jahre 1945 der alliier- in einer Entschließung Grundsätze für die deutsche
ten Besatzung unterstellt worden, und nur Saarpolitik festgelegt. Der Text liegt Ihnen jetzt
durch einen frei verhandelten Friedensvertrag wieder vor. Da Zweifel aufgekommen sind, ob die
der Besatzungsmächte mit Deutschland kann Grundsätze von damals noch gelten, haben wir
über seine Grenzen entschieden werden. uns erlaubt, Ihnen wortwörtlich dieselbe Ent-
schließung heute wieder vorzulegen. Damals
Ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler bewußt sprachen sich nur die Kommunisten gegen diese
allgemein formuliert hat. Er hat gesagt: Eine Grundsätze aus, und ich glaube, daß dabei mit-
Besatzungsmacht kann ihre Macht nicht miß- spielte, daß die Kommunisten sich der Gefahr wohl
brauchen, und er hat gemeint: Keine Be- bewußt waren, die darin liegt, wenn die Bundes-
satzungsmacht darf sie mißbrauchen. Er hat gesagt: republik dem Westen gegenüber Grenzfragen mit
nicht nur die Frage der Ostgrenze Deutschlands, derselben Elle mißt, wie sie dies im Osten tut.
sondern die Grenzfragen Deutschlands können nur
in einem Friedensvertrag ihre Lösung finden. Die Bundesregierung wird sich durch die Be-
antwortung unserer ersten Frage dazu äußern müs-
Der ganze Bundestag hat in diesen Dingen, von sen, ob sie heute noch zu jenen Grundsätzen steht,
den Kommunisten im ersten Bundestag abgesehen, und der ganze Bundestag wird es tun müssen durch
immer nur eine Meinung gehabt. Wir sind uns Zustimmung oder Ablehnung unserer heute wieder
immer in den Grundsätzen einig gewesen, und das eingebrachten Entschließung, die mit der vom
ist sicher eine große Hilfe für die Behandlung die- 2. Juli 1953 identisch ist. Wir werden dann wissen,
ser Fragen durch die Bundesregierung gewesen. ob es weiterhin gilt, daß das Saargebiet nach deut-
Wir waren uns auch immer bewußt, daß die schem und internationalem Recht ein Teil Deutsch-
Kraft unserer Argumente gegenüber dem Osten lands innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember
davon abhängt, daß wir von den gleichen 1937 ist. Wir werden dann wissen, ob es weiter-
GrundsätzebiBhalungdrGezf hin gilt, daß die Bundesregierung bei Vertragsver-
im Westen ausgehen. Nur wenn wir im Osten und handlungen und Vertragsabschlüssen dahin zu
im Westen mit gleichem Maß messen, nur dann streben hat, daß an der Saar freie demokratische
haben wir die moralische und politische Autorität, Zustände geschaffen werden, und wir werden er-
die wir brauchen, wenn wir Hoffnung auf gün- fahren, ob es weiterhin das Ziel bei Verhandlungen
stige Regelung der Grenzfragen auch im Osten be- und Vertragsabschlüssen ist, der De-facto-Abtren-
wahren sollen. nung ein Ende zu machen und zu erstreben, daß
Erst in jüngster Zeit hat man den Versuch ge- die Zugehörigkeit dieses Gebietsteils zu Deutsch-
macht, aus den großen Unterschieden, die es in den land beachtet wird.
Methoden der Besatzungsmächte in Ost und West Leider müssen wir feststellen, daß die Verhand-
und in dem Grad der Unterdrückung in den be- lungen der Bundesregierung und das, was wir
treffenden Teilen Deutschlands im Osten und im darüber erfahren haben, sowie das Verhalten und
Westen gibt, grundsätzliche Unterschiede in der die Reden prominenter CDU-Vertreter Anlaß zu
Beurteilung und in der Behandlung der Grenz- der Befürchtung gegeben haben, daß die Grund-
probleme in Ost und West zu machen. sätze vom 2. Juli 1953 nicht mehr gelten könnten
Wir müssen aber feststellen, daß mit der Schaf- und die Bundesregierung in bezug auf die Saar
fung der Saargrenze nach 1946 und ihrer drei- den Weg des Verzichts beschritten hätte. Das Fak-
maligen willkürlichen Änderung durch Besatzungs- tum, das uns alle — und zu allen gehört auch
dekrete im Westen Besatzungsgewalt ebenso zur die CDU selbst - so beunruhigt hat, war vor allem
politischen Zerreißung Deutschlands mißbraucht das Kommuniqué, das nach den Besprechungen des
worden ist, wie sie von der Sowjetunion miß- Herrn Bundeskanzlers mit dem französischen
braucht worden ist mit der Souveränitätserklärung Außenminister Bidault am 9. März dieses Jahres
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1059
(Dr. Mommer)
in Paris herausgegeben wurde. Dieses Kommu- und nur eine leere juristische Hülle bliebe für den
niqué sagt: Friedensvertrag übrig.
In dieser Unterredung kamen beide Parteien Es kommt hinzu, daß nach einer weiteren Be-
überein, ihre Verhandlungen fortzusetzen und stimmung dieses Projektes die Saarbevölkerung
sich dabei von den Grundlinien des Vorschlages durch einen Volksentscheid mit der Suggestivfrage,
leiten zu lassen, der den europäischen Status ob sie die Europäisierung wolle, ja oder nein, die-
der Saar definiert und am 6. Februar vom All sem Plan zustimmen soll. Durch diesen Volksent-
gemeinen Ausschuß der Beratenden Versamm scheid würde natürlich, wenn er stattfände, die
lung des Europarates angenommen wurde. Abtrennung so definitiv wie nur möglich gemacht.
Dieses Kommuniqué hat in die deutsche Offent- Ein Volksentscheid übrigens tritt nicht nur in die-
lichkeit eine Unruhe getragen, wie wir sie seit lan- sem Plan, sondern, wie wir doch aus der Geschichte
gem in außenpolitischen Fragen nicht mehr ge- wissen, in allen Polizeistaaten und in allen Dikta-
kannt haben. Ich sagte schon: zu allen, die be- turcri sehr gern an die Stelle von freien Wahlen.
unruhigt sind, gehört auch die CDU. Wie groß die (Sehr wahr! bei der SPD.)
Beunruhigung ist, weiß der Herr Bundeskanzler Freie Wahlen sind nicht vorgesehen in diesem
besser, als wir Sozialdemokraten es wissen. Der Plan, wohl aber ein Plebiszit mit einer suggestiven
französischen Zeitung „Le Monde" konnte man ent- Ja-Nein-Frage. Dieses Plebiszit würde außerdem
nehmen, daß der Herr Bundeskanzler selbst es war, die Funktion haben, der Saarbevölkerung eine Ver-
der vorgeschlagen hat, diesen Plan zur Grundlage antwortung für die Separierung aufzubürden, die
der weiteren Saarverhandlungen zu machen. vorher die Bundesregierung durch Unterzeichnung
Um zu verstehen, weshalb wir alle darüber so eines solchen Vertrages zu tragen hätte. Auch muß
beunruhigt sind, muß man die Grundlinien dieses man darüber nachdenken, ob man das tun kann,
Planes kennen, und ich muß mir die Zeit nehmen, durch Zustimmung zu einem solchen Plebiszit das
Ihnen hier das vorzutragen, was wir Sozialdemo- Recht auf Separation auf Betreiben einer Be-
kraten als die Grundlinien jenes Planes betrachten. satzungsmacht zu begründen. Das kann in der Zu-
Wenn der Herr Bundeskanzler anderer Meinung kunft böse Konsequenzen haben.
sein sollte und anderes aus diesem Plan heraus- (Sehr richtig! bei der SPD.)
liest, dann wird er es hier sagen müssen. Schon
in der Präambel jenes Entwurfs wird von der Gegen diese Versuche des Planes, jetzt schon die
internationalen Garantie für die endgültige Lösung westliche Grenzfrage an der Saar definitiv zu
des Saarproblems gesprochen. In § 1 dieses Planes lösen, stehen die Bestimmungen des Art. 7 des
in Verbindung mit § 19 wird die endgültige Los- Generalvertrags. Dagegen steht auch der zweite
lösung des Saargebiets von Deutschland angestrebt. Satz der Regierungserklärung vom 7. April, den
Übrigens wird — und das ist im Zusammenhang ich zu Beginn meiner Ausführungen verlesen habe.
mit der Diskussion, die sich entwickelt hat, wichtig Wir waren uns bisher alle darin einig und einig
— die endgültige Abtrennung, so wie ich den Wort- mit den westlichen Besatzungsmächten, daß Grenz-
laut dieser Paragraphen verstehe, unabhängig vom fragen eben nur im Friedensvertrag, nicht aber
Zustandekommen der EVG und unabhängig vom separat gelöst werden können.
Zustandekommen der Politischen Gemeinschaft an- Im Zusammenhang mit dem vorgesehenen Ple-
gestrebt. Es ist richtig, daß der Vorbehalt .,Frie- biszit muß man die Frage der Freiheit sehen, und
densvertrag" gemacht wird. Die Lösung soll im da scheint mir eine andere Grundlinie dieses Pro-
Friedensvertrag theoretisch erneut zur Diskussion jekts zu liegen. Mit juristischen Spitzfindigkeiten
stehen. Inzwischen ist es allgemeine Überzeugung wird es abgelehnt, unbedingte und sofortige Frei-
geworden, daß keine der deutschen Teilregierungen heit an der Saar einzuführen. -
eine kommende gesamtdeutsche Regierung ver- (Hört! Hört! bei der SPD.)
pflichten kann. Aber in diesem listenreichen Plan
hat man das Mittel gefunden, wie man über diese Die Freiheit unbedingt und ohne Bezug auf einen
juristische Schwierigkeit politisch hinwegkommt, endgültigen Abtrennungsvertrag erscheint den In-
und in Art. 19 wird deshalb eine internationale spiratoren dieses Planes viel zu gefährlich: wenn
Verpflichtung der Westmächte für die Beibehal- schon Freiheit, dann erst, nachdem eine deutsche
tung der Lostrennung der Saar unter dem Namen Bundesregierung ihre Unterschrift unter einen Ver-
„Europäisierung" bei den Friedensverhandlungen trag gesetzt hat, der den Verzicht auf das Saar-
und im Friedensvertrag vorgesehen. Die West- gebiet beinhaltet. Dann glauben die Inspiratoren
mächte sollen sich in einem Vertrag, der jetzt, vor des Planes, daß man sich für eine kurze Zeit, eine
dem Friedensvertrag, geschlossen werden soll, ver- möglichst kurze Zeit bis zur Abhaltung des Sug-
pflichten, sich bei Friedensverhandlungen für die gestivplebiszits demokratische Freiheiten erlauben
Weiterführung der Lostrennung von Deutschl an d könnte, und aus den Beratungen wissen wir, daß
einzusetzen. man sich jetzt schon Gedanken darüber macht, wie
(Hört! Hört! bei der SPD) man die Freiheiten dann nach dem Plebiszit schnell
und die Bundesregierung soll dieser Garantiever- wieder beseitigen könnte.
pflichtung und dieser Verpflichtung zum Eintreten Es scheint uns auch von Bedeutung zu sein, daß
für die dauernde Lostrennung der Saar von durch diesen Plan Herr Johannes Hoffmann zum
Deutschland beistimmen. Verhandlungspartner des Herrn Bundeskanzlers
(Erneuter Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) und Außenministers wird. Bisher hat die Bundes-
Sie soll politisch so gebunden werden, wie es nur regierung immer in Übereinstimmung mit dem
irgend möglich ist. Wenn man das durchdenkt, ganzen Bundestag erklärt, daß sie die Saarregie-
dann muß jeder zugeben, daß die Konsequenz rung nicht anerkenne, nicht als einen möglichen
eines Vertrages mit solchem Inhalt die wäre, daß Verhandlungspartner ansehe, weil sie nicht auf der
der Vorbehalt des Friedensvertrages zur inhaltlosen Grundlage freier Wahlen gebildet worden sei. Auch
Floskel würde. Tatsächlich würde hier der Frie- zu dieser Frage, unserer Frage Nr. 5, ob es dabei
densvertrag vorweggenommen, bleiben soll, daß der Herr Johannes Hoffmann
(Sehr wahr! bei der SPD) demokratisch ebensowenig hoffähig ist wie der
1060 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Mommer)
Herr Grotewohl, auch zu dieser Frage wird sich Im Laufe der Erklärung, die oft von minutenlan
der Herr Bundeskanzler heute äußern müssen. gem und pathetischem Beifall unterbrochen
wurde, sagte Präsident Löbe:
Nur auf einem Gebiet enthält jener Plan Kon-
zessionen an Deutschland: auf wirtschaftlichem Ge- Niemand hat das Recht, aus eigener Macht-
biet. Allerdings hat man viele Wenn und Aber ein- vollkommenheit Land und Leute preiszu-
gebaut und sich eine Reihe von Hintertüren offen- geben oder eine Politik des Verzichts zu
gelassen. Wir wissen ja auch, daß das Protokoll, treiben.
das Herr Bidault am 8. März dem Herrn Bundes- Wir haben nur den einen Wunsch, daß die heu-
kanzler überreichen ließ, gerade gegen diese Kon- tige Aussprache dazu führen möge, daß wir auch
zessionen Sturm läuft und daß der Versuch gemacht dem westlichen Drängen dieses juristische und
wird, es auch auf wirtschaftlichem Gebiet beim politische „Non possumus" entgegensetzen: „Nie-
alten, d. h. bei der französischen Alleinherrschaft, mand hat das Recht, aus eigener Machtvollkom-
zu belassen. menheit Land und Leute preiszugeben oder eine
(Hört! Hört! bei der SPD.) Politik des Verzichts zu betreiben."
In der Gesamtwertung über diesen Plan muß (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
man sagen, er versucht, die Grundforderung, die
wir immer gehabt haben, die Grundforderung nach Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Begründung der
demokratischer Freiheit an der Saar, einfach zu Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU,
überspielen, und dieser Plan bedeutet die defi- FDP, GB/BHE, DP betreffend Entwicklung der
nitive Abtrennung des Saargebietes von Deutsch- außenpolitischen Lage hat das Wort Herr Abge-
land. Er bedeutet für das Saargebiet das, was die ordneter Dr. Kopf.
Souveränitätserklärung der Sowjetunion vom
25. März für die sogenannte DDR bedeutet, von Dr. Kopf (CDU/CSU), Anfragender: Herr Präsi-
der der Herr Bundeskanzler sagte, daß sie nicht dent! Meine Damen und Herren! In den letzten
nur die schon bestehende Spaltung Deutschlands Monaten und Wochen haben sich auf dem Gebiete
vertiefe, sondern offenkundig auch darauf abziele, der Außenpolitik Entwicklungen angebahnt, die
aus einem nur tatsächlichen und vorläufigen einen unsere ernste Aufmerksamkeit erfordern. Die
völkerrechtlich und politisch endgültigen Zustand Wiedervereinigung Deutschlands, die Eingliede-
zu machen. Das kann wortwörtlich auf jenen Plan rung der Bundesrepublik in den Kreis der freien
übertragen werden, den der Herr Bundeskanzler Nationen des Westens, die Herstellung und die
selbst als Grundlage von Saarverhandlungen vor- Pflege eines guten Einvernehmens mit Frankreich
geschlagen hat. Die „Freie Demokratische Korre- waren und sind Ziele der deutschen Außenpolitik.
spondenz" kommentierte diese Politik vor wenigen Die Berliner Konferenz hat das deutsche Volk sei-
Tagen mit folgenden Sätzen: nem von diesem Hohen Hause immer bekannten
Das schwergeprüfte Nachkriegsdeutschland Ziele der Wiedervereinigung nicht näher gebracht.
wird von Ost und West bestürmt, sich den Die Erklärung Rußlands, daß die Deutsche Demo-
Frieden und Platz unter den Völkern mit kratische Republik in Zukunft wie ein souverä-
Ewigkeitsverzichten auf unverzichtbare na- ner Staat behandelt werden solle — eine Erklä-
tionale Rechte zu erkaufen. An der Oder und rung zu der die Regierung der Bundesrepublik
Neiße nennt man es Friedensgrenze, an der als die einzig demokratisch konstituierte Regie-
Saar heißt es Europäiserung. rung Stellung genommen hat —, kann nicht da-
(Hört! Hört! und Sehr gut! bei der SPD.) zu dienen, uns dem Ziel der Wiedervereinigung
näher zu bringen.
Meine Damen und Herren, das ist eine klare -
Sprache von seiten unserer freien demokratischen Den Gegenstand der Genfer Konferenz bilden
Kollegen, die um so verdienstvoller ist, als sie in fernöstliche Fragen; aber diese Konferenz wirft
Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers geschrie- ihre Schatten voraus auch auf Europa. In einem
ben wurde. Es wird aber jetzt darauf ankommen, fernen Lande kämpft inzwischen Frankreich einen
meine Damen und Herren Kollegen von der schweren und opfervollen Kampf, der zugleich
freien demokratischen Fraktion, daß sie auf dem eine Auseinandersetzung darstellt zwischen Mäch-
nationalen und auf dem internationalen Parkett ten, deren verschiedene politische Grundhaltung
auch entsprechend stimmen und entsprechend die Welt in zwei Lager spaltet.
handeln. Durch die Ratifizierung des Vertrags über die
(Sehr gut! bei der SPD.) Euronäische Verteidigungsgemeinschaft hat sich
Es ist im Rahmen dieser Begründung nicht meine die Bundesrepublik freiwillig in den Kreis der
Aufgabe, die Politik zu analysieren, die die Bun- freien Nationen eingeordnet und sich bereit er-
desregierung in diese Versuchung geführt hat, mit klärt, ihren Beitrag zur Sicherheit des Westens
dem Verzicht auf die deutsche Saar einen un- zu leisten. Außer der Bundesrepublik haben drei
tauglichen Rettungsversuch für die todkranke EVG weitere Länder die parlamentarische Behandlung
zu unternehmen. des EVG-Vertrags abgeschlossen. Noch steht die
Behandlung dieses Vertrags in Italien und in
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von den
Frankreich bevor. Von den drei Vorbedingungen
Regierungsparteien.)
der französischen Regierung für die Ratifikation
Ich darf aber, bevor ich schließe, die Erinnerung des Vertrages sind zwei, die Garantieerklärungen
an eine große und im echtesten Sinne pathetische der USA und Großbritanniens, erfüllt. Die Ver-
Stunde des 1. Deutschen Bundestags wachrufen. handlungen über die dritte Vorbedingung, die
Am 13. Juni 1950 protestierte Alterspräsident Saarfrage, sind aufgenommen worden. Sie sollen
Löbe im Namen aller demokratischen Fraktionen in Bälde weitergeführt werden. So sehr dieses
und mit Zustimmung der Bundesregierung und Hohe Haus mit dem Schicksal des Volkes und des
des Bundesrates gegen die Vereinbarung der Pan- Landes an der Saar sich auf das engste verbun-
kower Regierung von Warschau über die soge- den weiß, so kann doch auch die Saarfrage nicht
nannte Friedensgrenze an der Oder und Neiße. nur als isoliertes Problem, sondern sie muß zu-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1061
(Dr. Kopf)
gleich auch im europäischen Rahmen gesehen und Die Verbindung ist im übrigen auch nach § 28
gelöst werden. Der Naters-Plan knüpft den künf- der Geschäftsordnung unzulässig. § 28 der Ge-
tigen vorläufigen Status der Saar an das Zu- schäftsordnung sagt:
standekommen der europäischen politischen Ge- Die gemeinsame Beratung gleichartiger oder
meinschaft an. Seit der Übergabe des Verf as- verwandter Gegenstände kann jederzeit be-
sungsentwurfs der Ad-hoc-Versammlung an die schlossen werden.
sechs Außenminister ist über ein Jahr verstrichen.
Wir wissen nicht — und wir bedauern, es nicht (Zuruf von der Mitte: Also!)
zu wissen —, ob und inwieweit es in dieser Zeit Ich bitte Sie, sich einmal der Mühe zu unterziehen,
den Bemühungen der Regierungsexperten, deren die drei Anträge, die heute zu den Punkten 2 und 3
Arbeit sich den Augen der Öffentlichkeit entzog, der Tagesordnung vorliegen, etwas sorgfältiger zu
gelungen ist, das mit so großer Zuversicht und lesen. Sie werden bei der Großen Anfrage der SPD
mit so viel Elan begonnene Werk der Parlamen- zur Montan-Union kein Wort finden, das mit der
tarier zu fördern und seiner Verwirklichung Außenpolitik der Bundesregierung zu tun hat. So
näherzubringen. wird in der Großen Anfrage der SPD über die Po-
litik der Montan-Union z. B. um eine Stellung-
Zutiefst überzeugt von der Notwendigkeit der nahme zur Lage auf dem Gebiete des deutschen
europäischen Einigung würden wir es schmerz- Kohlenbergbaus gebeten. Weiter wird nach den
lich bedauern, wenn außerhalb der Einflußsphäre Auswirkungen der Montan-Union für die Eisen-
der Bundesrepublik Umstände eintreten sollten, und Stahlindustrie gefragt. Was hat das, meine
die eine Verzögerung auf dem von uns als richtig Damen und Herren, mit den Saarproblemen, was
erkannten Wege zur Folge haben sollten. Die Zu- hat das — auch nach der Begründung des Herrn
sammenschau all dieser Momente, welche die Kollegen Kopf — mit der außenpolitischen Aus-
Außenpolitik der letzten Zeit als bewegende, als sprache der CDU zu tun?
fördernde und als retardierende Kräfte bestimmt
haben, die Beurteilung der sich anbahnenden Ent- (Sehr gut! bei der SPD.)
wicklungen in der ganzen Welt und ihrer Rück- Es wird in unserer Großen Anfrage weiter gefragt,
wirkungen auf Europa und auf Deutschland ist ob die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation
ein Gebot der Stunde. in Deutschland den Erwartungen der Bundesregie-
In diesem Sinne haben die Fraktionen der Koa- rung entspricht. Es wird nach den Möglichkeiten
litionsparteien die Anfrage an die Bundesregie- der Beseitigung der Startnachteile gefragt. Wenn
rung gerichtet, ob sie angesichts der wichtigen Sie das als Außenpolitik ansehen, können Sie künf-
außenpolitischen Ereignisse der letzten Zeit bereit tig z. B. auch Verordnungen über Ein- und Ausfuhr
ist, dem Bundestag ihre Auffassung zur außen- oder über Zollsätze als ein Stück der Außenpolitik
politischen Gesamtlage darzulegen. betrachten und die Aussprache darüber im Rahmen
einer 'außenpolitischen Debatte unterbringen.
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Abg. Dr. von Brentano: Zur Geschäfts Ich bitte Sie, Ihre eigene Anfrage zu studieren.
ordnung!) Sie wollen heute lediglich — und mit Recht auf
diesen Stoff begrenzt — die Auffassung der Regie-
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren: rung zur außenpolitischen Gesamtlage hö-
Sie haben die Begründung der beiden Großen An- ren. Bei der Anfrage hinsichtlich der Montan-Union
fragen gehört. handelt es sich doch um innerpolitische und um
wirtschaftspolitische Fragen, die in das Ressort des
Zur Geschäftsordnung wünscht das Wort Herr Herrn Wirtschaftsministers gehören. Deshalb- wün-
Abgeordneter Dr. von Brentano. schen wir auch, daß sie der Herr Wirtschaftsmini-
ster beantwortet.
Dr. von Brentano (CDU/CSU): Herr Präsident! (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
Meine Damen und Herren! Ich bitte und schlage
vor, die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung, zumin- Und bei unserer Großen Anfrage zur Saar geht es
um internationale Rechtsfragen, nicht um Kohle,
dest soweit sie die Antwort der Regierung angehen, Eisen und Stahl; da wird mit Recht nach der Wah-
zu verbinden. Ich glaube, diese Dinge stehen in un- rung der freiheitlichen demokratischen Grundord-
mittelbarem Zusammenhang. Ich würde es begrü-
nung im Saargebiet gefragt. Was hat das mit den
ßen, wenn die Regierung Gelegenheit hätte, die
Startnachteilen der deutschen Montan-Industrie zu
Punkte 2 und 3 zusammenhängend zu beantworten.
tun, denen wir gegenüberstehen? Da wird nach dem
(Zuruf von der SPD: Aha! Die alte Taktik!) Inhalt der Gespräche gefragt, die der Bundeskanz-
Das schließt nicht aus, meine Damen und Herren, ler in Paris über die Saar geführt hat. Hier wird
daß wir in der Aussprache, wenn wir das für richtig mit keinem Wort nach irgendwelchen wirtschafts-
halten, die Dinge wieder getrennt diskutieren. politischen Auswirkungen gefragt. Wir möchten
weiter wissen, ob die Bundesregierung der Mei-
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Dr. nung ist, daß eine Volksabstimmung an der Saar
Menzel zur Geschäftsordnung. zulässig wäre und ob Sie sie wünschen. Was hat
das mit der Situation von Eisen, Stahl und Kohle
Dr. Menzel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen im Ruhrgebiet zu tun?
und Herren! Die sozialdemokratische Bundestags- Nach der Geschäftsordnung ist die beantragte
fraktion widerspricht diesem Antrag. Der Altesten- Verbindung unzulässig, wenn Sie nicht aus be-
rat hat sich gestern sehr eingehend mit der Frage stimmten Gründen der Geschäftsordnung des Bun-
der Behandlung der vier großen Anfragen befaßt destages Gewalt antun wollen. Es entsteht daher
und ist dann einhellig zu der Auffassung gekom- in der Tat die Frage, warum diese Verbindung be-
men, daß schon von der Sache her eine säuberliche antragt wird. Will man denn durch solche Metho-
Trennung der außen- und der wirtschaftspoliti- den einer gründlichen Erörterung der so brennen-
schen Probleme in der Diskussion erforderlich ist. den Probleme vielleicht aus dem Wege gehen?
(Zustimmung bei der SPD.) (Beifall bei der SPD.)
1062 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954

Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Dr. der Ältestenrat zu keiner Einmütigkeit darüber
von Brentano zur Geschäftsordnung. gekommen ist, bleibt offenbar nichts anderes
übrig, als das Parlament selbst darüber entscheiden
Dr. von Brentano (CDU/CSU): Meine Damen und zu lassen. Im übrigen, meine Damen und Herren.
Herren, ich glaube, es kommt hier wirklich nicht besteht der Unterschied nach meiner Überzeu-
auf diese Interpretation der Geschäftsordnung an. gung nur darin, ob die Begründung der Großen
Es ist eine reine Frage der Zweckmäßigkeit. Anfrage der Fraktion der SPD, Punkt 3 a der
(Lachen bei der SPD.) Tagesordnung, vor oder nach der Antwort des
Herrn Bundeskanzlers erfolgt.
Wie Sie, meine Herren (zur SPD), später disku-
tieren wollen, bleibt Ihnen überlassen. Sie können (Abg. Dr. von Brentano: Genau!)
ja ohnehin die Regierung nicht daran hindern, da Das ist faktisch der einzige Unterschied.
sie jederzeit die Möglichkeit und das Recht hat, Ich kann also nicht anders, als den Antrag, den
das Wort zu ergreifen und zu jedem Thema zu spre der Abgeordnete Dr. von Brentano gestellt hat,
chen, nun auch schon zu diesen Fragen Stellung gemäß § 28 der Geschäftsordnung die Punkte 2
zu nehmen. Tun Sie doch der Sache keine Gewalt und 3 der Tagesordnung zu verbinden, zur Ab-
an! stimmung zu stellen. Ich bitte die Damen und
(Lebhafte Zurufe von der SPD: Wer tut Herren, die diesem Antrage zuzustimmen wün-
denn Gewalt an? — Doch Sie! — Abg. schen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die
Schröter [Wilmersdorf]: Wo sind die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die
Gewalttäter?) Verbindung dieser Punkte ist beschlossen.
(Zurufe von der SPD.)
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Ich habe dann zu fragen: Wünscht die Fraktion
Schröter, jedenfalls nicht im Hause! Das unter- der SPD ihre Große Anfrage — Punkt 3 a - und
stellen wir doch alle. ihren Antrag — Punkt 3 b — jetzt zu begründen?
(Zurufe von der SPD: Hoffen wir!) Wer wünscht, sie zu begründen? - Bitte schön,
Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Dr. von Brentano (CDU/CSU): Wenn ich mich
recht erinnere, haben wir den Herrn Kollegen Dr. Deist (SPD), Anfragender: Herr Präsident!
Menzel wirklich aussprechen lassen. Wollen wir die Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
gute Übung nicht fortsetzen? Meine Damen und haben in der Großen Anfrage ganz bestimmte
Herren, es handelt sich doch — das ist nicht zu be- wirtschaftspolitische Fragen gestellt. Da wir den
streiten — um einen inneren Zusammenhang. Alle Wunsch haben, wie das eben zum Ausdruck ge-
diese Fragen hängen mit der europäischen Politik, kommen ist, daß darauf auch klare, wirtschafts-
mit der Integrationspolitik der deutschen Bundes- politisch betonte Antworten gegeben werden, darf
regierung zusammen. ich mich darauf beschränken, die Fragen unter
(Zustimmung in der Mitte.) rein wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten zu er-
läutern und gewisse allgemeine Gedanken dazu zu
Ich halte es einfach für eine Frage der Zweckmäßig äußern, die unseres Erachtens für die Beantwor-
keit, daß die Bundesregierung geschlossen auf diese tung der Anfrage von Bedeutung sind.
Fragen antwortet. Ich wiederhole: Wenn Sie dann
Die Meinungsbildung über die wirtschaftlichen
im einzelnen diskutieren wollen, wir wollen es auch.
Auswirkungen und über die wirtschaftspolitische
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren, Bedeutung der Montan-Union hat sich im Laufe
ich darf zunächst eine kleine Korrektur an der der letzten Monate und Jahre in Deutschland
-
Darstellung des Herrn Kollegen Menzel über die wesentlich gewandelt. Es hat sich nämlich heraus-
Beratungen des Ältestenrates anbringen. gestellt, daß das Problem der Montan-Union
Fragen wirtschaftlicher Art und wirtschaftspoli-
(Zurufe: Lauter! Wir verstehen nichts!) tischer Bedeutung aufwirft, die bei der Beschluß-
Es hat im Ältestenrat Einmütigkeit darüber be- fassung über die Montan-Union als einem poli-
standen, daß diese Punkte in getrennten Ziffern tischen Bekenntnis zweifellos nicht mit der ge-
der Tagesordnung untergebracht werden sollen. nügenden Ernsthaftigkeit beurteilt worden sind.
(Wiederholte Zurufe: Lauter!) Zum Beweise dessen darf ich auf einige wichtige
— Gern! — Über die Frage, ob gemeinsam dis- Äußerungen der letzten Zeit hinweisen. Einer der
kutiert werden sollte, bestand im Ältestenrat maßgeblichen Männer der deutschen Eisen- und
keine Einmütigkeit. Stahlindustrie, Herr M o m m s e n von den Klöck-
(Abg. Dr. Menzel: Aber das war doch der Sinn ner-Werken, hat am 7. Januar 1954 in Essen in
der Trennung, Herr Präsident!) einer Rede, in der er den Herrn Bundeswirt-
— Herr Abgeordneter Menzel, es steht mir nicht schaftsminister persönlich ansprach, folgendes ge-
zu, den Sinn von Entscheidungen des Ältestenrates, sagt:
die gar nicht gefällt worden sind, zu erläutern. Es muß hier auch einmal ausgesprochen wer-
den, daß wir inzwischen genügend Opfer ge-
Es wird der Antrag gestellt, der nach § 28 mög- bracht haben.
lich ist,
(Abg. Dr. Menzel: Nein!) (Abg. Mellies: Hört! Hört!)
getrennte Punkte der Tagesordnung gleichartigen Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen
oder verwandten Charakters zu verbinden. Industrie, Herr Berg, hat verhältnismäßig hör-
bar die Tür des Beratenden Ausschusses der Mon-
(Abg. Dr. Menzel: Das ist keine Gleich tan-Union hinter sich zugeworfen, so daß der
artigkeit!) Vizepräsident der Montan-Union, Herr Etzel, nach
Die Meinungsverschiedenheit im Hause besteht Deutschland zitiert werden mußte, um die Wogen
darüber, ob es sich um verwandte Gegenstände etwas zu glätten. Ich darf schließlich auf eine
handelt oder nicht. Da ich nicht imstande bin, dritte Äußerung, die Äußerung eines nicht unmaß-
diese Frage von mir aus zu entscheiden, und da geblichen Herrn der deutschen Wirtschaft, hin-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1063
(Dr. Deist)
weisen. Es war Herr Präsident Abs , der als 1953 um 400 000 t gestiegen, während sie in
Aufsichtsratsvorsitzender des Dortmund-Hörder Deutschland in der gleichen Zeit um 150 000 t ge-
Hüttenvereins folgendes sagte, nachdem er die sunken ist.
Entwicklung in der deutschen Eisen- und Stahl- (Hört! Hört! links.)
industrie und im deutschen Kohlenbergbau unter- Das rührt an eines der wichtigsten Probleme
sucht hatte: der Montan-Union. Es hängt nämlich mit folgen-
Man könnte auf den Gedanken kommen, daß dem merkwürdigen Tatbestand zusammen. Genau
die Idee der Montan-Union nicht von den so wie in England stellen wir auch in Deutschland
Montan-Unions-Ländern, sondern von ihren eine steigende Produktion der Eisenverarbeitung
Konkurrenten gekommen ist. fest. Infolgedessen müßte Deutschland auch einen
(Hört! Hört! bei der SPD.) steigenden Eisenverbrauch und eine steigende
Eisen- und Stahlerzeugung haben. Frankreich hat
Meine sehr verehrten Damen und Herren, war- demgegenüber eine rückläufige Konjunktur und
um bringe ich diese Zitate? Ich bringe sie nicht, daher eine rückläufige Eisen- und Stahlverarbei-
weil wir das Bedürfnis hätten, nachzuweisen, daß tung, darum hat es auch einen rückläufigen Eisen-
die Sozialdemokratie mit ihren Argumenten recht verbrauch.
behalten hätte; denn die wirtschaftlichen Tat-
sachen an Rhein und Ruhr und diese prominenten Es liegt nun im Wesen der Montan-Union, daß
Zeugen reden eine so deutliche Sprache, daß wir sich solche konjunkturellen Schwächen in der Wirt-
eine Erörterung darüber nicht mehr notwendig schaft eines Landes über die Eisen- und Stahl-
haben. Aber wenn wir das Problem der wirt- erzeugung und über den Kohlenbergbau in allen
schaftspolitischen Integration über die Montan- beteiligten Ländern auswirken und dort depressive
Union hier behandeln, so tun wir das aus einer Erscheinungen hervorrufen. Das ist ein Problem,
echten Sorge heraus. Wir tun es aus der Sorge mit dem wir uns zu befassen haben, wenn wir
heraus, daß der Gedanke der europäischen Ver- nicht an ihm vorbeigehen wollen, ein Problem,
ständigung und der Gedanke der europäischen das die Montan-Union aufwirft.
wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die ja nicht nur In der Steinkohle wirkt sich die schwankende
auf dem Wege über die Montan-Union vor sich Konjunktur im Hinblick darauf, daß sich die För-
geht, Not leiden müssen. ,Denn wenn es nur dazu derung der steigenden oder sinkenden Nachfrage
kommt, daß aus dieser Montan-Union letzten nur schwer anpassen kann, in stärkerem Umfang
Endes lediglich ein Montankartell der Art wird, in der Beständeentwicklung aus. Gerade im Hin-
wie wir es vor dem zweiten Weltkrieg in der In- blick auf Anwürfe, die in der Presse erschienen
ternationalen Rohstahlgemeinschaft gehabt haben, sind und die besagten, ich hätte mir die Zahlen
wenn sie sich darauf beschränkte, die Verkaufs- wohl nicht genau angesehen, möchte ich diese
gebiete abzugrenzen, die Preise je nach der Kon- Zahlen, weil ich sie sehr genau kenne und auch
junkturlage herauf- oder herunterzusetzen, Quo- kannte, hier wiedergeben. Wir haben an der Ruhr
ten festzusetzen, dann wäre das ein Rückschritt, 3,8 Millionen t Koks und 1,2 Millionen t Kohle
der der Idee der europäischen Verständigung und auf Halde liegen. Wenn ich den Koks auf Kohle
der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit umrechne, sind das etwa 6 Millionen t Kohle. Das
nicht nützlich wäre. ist eine Förderung von 2 bis 2 1 /2 Wochen und
(Sehr wahr! bei der SPD. — Vizepräsi bedeutet schon ein erhebliches Anwachsen der
dent Dr. Schmid übernimmt den Vor Bestände an der Ruhr, die letzten Endes, jeden-
sitz.) falls zu einem Teil, auf die Schwäche der Eisen-
-
und Stahlkonjunktur in Deutschland zurückzu-
Zur Begründung der Anfrage darf ich auf einige
wichtige Tatsachen hinweisen, ohne zunächst Kon- führen sind.
sequenzen aus ihnen zu ziehen. Meine Damen (Sehr richtig! links.)
und Herren, die Rohstahlproduktion hat sich vom Aber damit hängt noch ein anderes wirtschafts-
Jahre 1952 zum Jahre 1953 wie folgt verändert. politisches Problem zusammen. Bei den Koks-
In Großbritannien ist sie von 16,7 Millionen auf beständen handelt es sich nicht nur um solche, die
19,7 Millionen t gestiegen. für die Eisen- und Stahlerzeugung in Frage kom-
(Zuruf rechts: Weil die Labour Party nicht men, sondern auch um für andere Zwecke vorge-
mehr da ist!) sehene Koksbestände. Damit erhebt sich das
Im Ostblock ist sie von 47,2 Millionen auf 53,8 Mil- Problem konkurrierender Energiequellen, sei es
lionen t gestiegen. Öl , seien es Gas oder Elektrizität. Auch dieses
Problem müssen wir im Gesamtrahmen der
(Zuruf von der SPD: Weil da die Russen Montan-Union sehen.
sind!)
In der Montan-Union ist sie von 41,8 Millionen Die Folgen für den Eisenerzbergbau haben wir
auf 39,7 Millionen t gesunken, aus Anlaß der Etatberatung besprochen; ich
(Hört! Hört! links) brauche hier darauf nicht zurückzukommen. Ich
möchte nur ergänzend bemerken: die Eisenerzerzeu-
und in Deutschland ist sie entsprechend von 15,8 gung ist in der gesamten Montan-Union in den
Millionen auf 15,4 Millionen t gesunken. Jahren 1952/53 um 5 bis 6 % zurückgegangen. Die-
(Zuruf von der SPD: Weil da Adenauer ist!) ser Rückgang trifft ausschließlich den deutschen
und den luxemburgischen Eisenerzbergbau, wäh-
Meine Damen und Herren, ich bin noch gar rend die Förderung des französischen Eisenerz-
nicht bei den Konsequenzen, sondern nur bei der bergbaus weiterhin gestiegen ist.
Feststellung realer, unbestreitbarer Tatsachen. (Hört! Hört! bei der SPD.)
Diese Diskrepanz der Entwicklung zwischen Eng-
land und Deutschland hat sich in den Monaten Ich erwähne dies zunächst nur als Tatbestand, den
Januar bis März 1954 fortgesetzt. In Großbritan- jeder, der die Probleme der Montan-Union zu be-
nien ist die Rohstahlerzeugung in den ersten drei handeln wünscht, zunächst zur Kenntnis zu neh-
Monaten 1954 gegenüber den ersten drei Monaten men hat.
1064 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Deist)
Ich komme dann zu einem zweiten Fragenkreis, Marktes nicht entspricht und eine Diskriminierung
der die Frage der Startgleichheit umfaßt. Sie wer- der deutschen Industrie darstellt. Deshalb wurde
den sich entsinnen, daß die sozialdemokratische auch seinerzeit ein Gesetz angenommen, durch das
Fraktion bei der Beratung des Montan-Vertrags die Bundesregierung ermächtigt wurde, die Um-
im Jahre 1952 beantragt hatte, die Annahme die- satzausgleichsteuer auf Einfuhren von Halbfabrika-
ses Vertrags mit bestimmten Vorbehalten zu ver- ten und Fertigstoffen — also auch auf französi-
sehen und diese den Vertragspartnern mitzuteilen. schen Stahl — mit 12 % zu erheben, um einen
Die wesentlichen Punkte dieser Vorbehalte waren, gewissen Ausgleich herbeizuführen. Damals ist es
die Bundesregierung sollte ein Investitionspro- nicht zur Anwendung dieser Bestimmung gekom-
gramm aufstellen, um den Investitionsrückstand in men, weil die Bundesregierung darauf vertraute,
der Eisen- und Stahlindustrie und im Kohlenberg- daß man in Verhandlungen mit den übrigen Län-
bau zu beseitigen. Ferner sollte die Bundesregie- dern zu einer Lösung dieses Problems kommen
rung eine Neuordnung zur Beseitigung der Nach- würde. Die Lösung sollte zunächst bis Ende 1953
teile aus Gesetz Nr. 27 auf gesetzlichem Wege vor- erfolgen. Wenn ich nicht irre, hat man sich
nehmen. Die Mehrheit des Hauses hat damals inzwischen geeinigt, daß sie zum Juni 1954 erfolgt
geglaubt, diesen Antrag ablehnen zu müssen. Es sein sollte.
wurde nur eine Resolution angenommen, in der Unsere Frage an die Bundesregierung geht dahin:
das Verlangen nach einer Revision der Neuordnung Was ist im Hinblick auf den Steuerstreit in der
fehlt. Aber immerhin waren zwei Gesichtspunkte Zwischenzeit geschehen? Ist die Bundesregierung
in dieser Entschließung, die vom Bundestag ange- bereit, diese gesetzliche Maßnahme anzuwenden,
nommen wurde, von Bedeutung. Das erste Er- oder hat sie weiterhin die Hoffnung, daß es zur
suchen verlangte, dafür Sorge zu tragen, daß im Beseitigung dieser Diskriminierung kommt? Irgend-
Rahmen des Vertrags eine brauchbare Kohlenver- eine Maßnahme müßte doch wohl von der Bundes-
kaufsorganisation aufrechterhalten würde; und regierung ergriffen werden.
das zweite Ersuchen ging dahin, die Bundesregie- Ich komme zu dem zweiten Problem, das ich
rung möge dafür sorgen, daß die notwendigen angeschnitten habe, zu dem Problem der Investi-
Investitionen gesichert würden. Die Mehrheit des tionen. Die Entschließung der Sozialdemokratie
Hauses hat damals geglaubt, mit einer solchen Re- wie auch die Entschließung der Koalitionsparteien
solution und solchen Wünschen könne man, wie es hat auf dieses Problem ganz besondes hingewiesen.
in der Einleitung der Entschließung hieß, „volle Ich glaube, nicht falsch unterrichtet zu sein, wenn
Gleichberechtigung und beste Wettbewerbs- ich erkläre, daß der Herr Bundeswirtschafts-
methoden" herbeiführen. minister auf das Problem ungenügender Investitio-
Die Frage der Startgleichheit ist dann sofort bei nen in der deutschen Grundstoffindustrie später
Eröffnung des Gemeinsamen Marktes für Eisen noch von den verschiedensten Seiten, wenn ich
und Stahl — ich glaube, es war im Mai des ver- mich nicht sehr irre, auch aus den Kreisen des
gangenen Jahres — an dem sogenannten Steuer- Wirtschaftspolitischen Ausschusses des Bundestages
streit entstanden. Es tut mir leid, dieses Problem angesprochen worden ist. Ich beschränke mich jetzt
hier anrühren zu müssen, weil ich den Eindruck wieder auf Feststellungen. In den beiden Jahren
habe, daß sich in gewissem Umfang eine Verschwö- 1952 und 1953 haben die Investitionen folgende
rung des Schweigens um dieses Problem gebildet Entwicklung genommen. Ich beziehe mich hierbei
hat. auf die Aufstellung der Hohen Behörde, die diese
(Beifall bei der SPD. — Abg. Pelster: auf Grund der Meldungen der einzelnen Länder
Keine Sorge, Herr Deist!) offiziell herausgegeben hat. Die Angaben stimmen
mit den Aufstellungen und Meldungen, die man
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie in Deutschland findet, im wesentlichen überein.
werden mir ja gestatten, daß ich meine eigene In Deutschland sind im Laufe der letzten zwei
Auffassung über bestimmte Probleme habe; erst Jahre je Tonne Jahres-Stahlerzeugung etwa 41 DM
das erleichtert ja die Diskussion und macht sie investiert worden; in Frankreich beträgt die In-
fruchtbar. vestition 57 DM. Dabei muß man berücksichtigen,
(Sehr gut! bei der SPD.) daß die größte Investitionswelle in Frankreich
Worum ging es denn bei dieser Frage des Steuer- bereits vor dem Jahre 1952 gelegen hat, im Rah-
-streits? Es ging doch darum, daß der Montan men der Monnet-Pläne und der Modernisierung
Union-Vertrag davon ausgeht: alle Beschränkun- der französischen Grundstoffindustrie. Es kommt
gen beim Übergang von Eisen, Stahl und Kohle ein zweites hinzu: die öffentliche Stützung der
von einem Land in ein anderes Land der Montan- Investitionen durch zentral gesteuerte Mittel oder
Union werden beseitigt. Infolgedessen fallen Zölle durch öffentliche Mittel betrug in Deutschland
und Kontingente weg, und infolgedessen dürfen einschließlich der Investitionshilfe etwa 25 %,
keine gebrochenen Frachtentarife mehr angewandt während in Frankreich öffentliche Kredite in Höhe
werden. Alles muß frei über die Grenze gehen; es von nahezu 50 % des Investitionsaufwandes zur
darf keine Beschränkungen mehr geben. Verfügung gestellt wurden.
Aber eine Beschränkung blieb: wenn franzö- (Abg. Dr. Hellwig: Mit inflationistischer
sischer Stahl z. B. nach Deutschland kommt, tritt Wirkung!)
durch die Rückerstattung der Produktionssteuer — Es kommt hier zunächst auf die Feststellung
eine Ermäßigung um 16,5 % ein; in Deutschland einer Tatsache an. Es ist keineswegs gesagt, daß in
wird dieser Stahl mit — ich glaube 4% — Umsatz- Deutschland bei entsprechender Wirtschaftspolitik
steuer belastet. Umgekehrt erhalten deutsche Er- entsprechende Investitionen in der Eisen- und
zeugnisse, wenn sie nach Frankreich gehen, in Stahlindustrie und im Kohlenbergbau zu inflatio-
Deutschland zwar eine Umsatzsteuerrückerstattung nistischen Folgen hätten führen müssen. Es kommt
von 4 bis 6%, werden aber drüben sofort mit entscheidend darauf an, die übrige Wirtschafts-
16 bis 17% Produktionssteuer belastet. Wir waren politik so zu führen, daß daraus keine inflatio-
uns in diesem Hause alle darüber einig, daß eine nistischen Folgen entstehen.
solche Praxis dem Gedanken des Gemeinsamen (Sehr gut! bei der SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1065
(D r. D eist)
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, Herr Dr. 4,4 Millionen t — das sind 40 %. Dabei muß man
Hellwig, daß ich mich bei meinen Auffassungen berücksichtigen, daß wir in Frankreich einen Kon-
durchaus in Übereinstimmung mit einem großen zentrationsprozeß ganz anderer Art als in Deutsch-
Teil Ihrer Kollegen aus der Eisen- und Stahl- land haben, daß er sich dort nicht nur in den festen
industrie und insbesondere aus dem Kohlenberg- Zusammenschlüssen großer Unternehmungen aus-
bau — vergleiche die „Carbona"-Nachrichten — wirkt, sondern daß darüber hinaus sonstige Ver-
befinde. schachtelung, personelle Verflechtung, vertragliche
(Abg. Dr. Bucerius: Sehr gute Gesellschaft!) Bindungen und dergleichen mehr eine viel größere
Rolle spielen, als es bei uns in Deutschland der
— Ich hatte die Gesellschaft aus Ihren Reihen Fall ist. Die letzten Konzentrationen in Frankreich
gewählt. haben dazu geführt, daß der Gesamtbereich
Die Investitionen in der Steinkohle betrugen im de Wendel, Longwy und Lorraine-Escaut eine Ge-
Durchschnitt der letzten zwei Jahre in Deutschland samtstahlerzeugung von 4 Millionen t in sich ver-
6 DM je Tonne; in Frankreich betrugen sie 17 DM einigt — das sind 40 % der französischen Stahl-
je Tonne Jahresförderung. erzeugung —, während das größte deutsche Hütten-
(Hört! Hört! bei der SPD.) werk nur 2,3 Millionen t und damit 20 % auf sich
Ich darf wiederum darauf hinweisen, daß in vereinigt. Ich glaube, das ist Beweis genug, daß
Deutschland an öffentlich gesteuerten Mitteln 20 %, wir gerade im Hinblick auf die notwendige hori-
dagegen in Frankreich öffentliche Mittel in Höhe zontale Konzentration im Hintertreffen sind.
von 50 % zur Verfügung gestellt wurden. Meine Sie können fragen, meine Damen und Herren:
Frage geht dahin, ob damit einerseits dem Willen wozu diese Tatsachen? Was soll denn eigentlich
des Bundestages, ausreichend Investitionen sicher- auf diesem Gebiet geschehen? Ich darf Sie darauf
zustellen, Rechnung getragen ist und ob damit aufmerksam machen, daß der Montan-Union-Ver-
alles Erforderliche getan worden ist, um die Start- trag sowohl in Art. 65 Vereinbarungen wie auch
nachteile gegenüber den Industrien der anderen in Art. 66 Zusammenschlüsse erlaubt. Ich darf Sie
beteiligten Länder zu beseitigen. darauf hinweisen, daß die letzten Zusammen-
Hinsichtlich der Startnachteile komme ich nun- schlüsse in Frankreich unter der Herrschaft des
mehr zu einem dritten Punkt. Wir sind uns, glaube Montan-Vertrages erfolgt sind, der Hohen Behörde
ich, alle darüber einig, daß die Neuordnung der zur Genehmigung vorgelegt worden sind und ganz
Eisen- und Stahlindustrie auf Grund des Gesetzes zweifellos diese Genehmigung erhalten werden.
Nr. 27 zu Organisationsformen geführt hat, die uns (Hört! Hört! bei der SPD.)
gegenüber der Eisen- und Stahlindustrie der ande- Aber eines ist entscheidend: die Entwicklung in
ren Länder Europas wettbewerbsmäßig benach- Frankreich ist ein Ergebnis der großen Moderni-
teiligen. Es ist im Augenblick nicht meine Aufgabe, sierungskampagne, die unter öffentlicher Initiative
die Schuldfrage zu untersuchen. Ganz abgesehen von seiten der französischen Regierung entfacht
davon, daß das unfruchtbar wäre, scheint es mir worden ist. Die Konzentrationstendenz in England
auch in den Rahmen dieser Diskussion nicht hinein- ist erheblich auf die Intervention von seiten der
zugehören. Nur weil ich hier einige zweifelnde englischen Regierung zurückzuführen. Bei der Zer-
und einige ermunternde Blicke vor mir sehe, splitterung in Deutschland kommt es entscheidend
möchte ich zumindest auf folgendes hinweisen. darauf an, ob die Bundesregierung Möglichkeiten
Die Entscheidung der Bundesregierung zugunsten findet und freimacht, eine ähnliche fortschrittliche
der C-Gesellschaften in der Kohle und die Inter- Organisationsbewegung in Deutschland auszulösen
vention der Bundesregierung im Interesse des -
oder nicht. Hier sind reale Möglichkeiten gegeben,
Schutzes des Eigentums großer Konzernbesitzer diese Startnachteile in organisatorischer Hinsicht
hat jedenfalls eine große Mitverantwortung der zu beseitigen.
Bundesregierung für die tatsächliche Gestaltung
der Neuordnung zur Folge. Ich darf dann auf ein weiteres Problem kommen:
auf das Problem der Teilintegration. Bereits aus
Das Wesen der modernen Konzentrationsbewe- den Darlegungen über die Entwicklung der Eisen-
gung in Europa, die insoweit in Übereinstimmung und Stahlindustrie in den verschiedenen Staaten
mit der Entwicklung in den anderen großen In- der Montan-Union ergab sich, daß sich allgemeine
dustrieländern steht, liegt darin, daß die horizon- wirtschaftliche Schwächeerscheinungen auf die ge-
tale Konzentration vorherrscht. Das heißt, es samten Länder der Montan-Union ausbreiten. Man
herrscht die Tendenz vor, nach Möglichkeit Pro- kann umgekehrt sagen, daß konjunkturelle Auf-
duktionen der gleichen Produktionsstufe in größe- stiegstendenzen in der Eisen- und Stahlindustrie
rem Umfange zusammenzufassen, weil man dann einzelner Länder sich über den Gemeinsamen
die Möglichkeit hat, auf breiter Basis zu speziali- Markt in die Gesamtheit der Länder verlaufen.
sieren und gewisse spezialisierte Produktionen Hinzu kommt eine weitere Komplikation. Es
mit dem Effekt erhöhter Wirtschaftlichkeit und ist nämlich durchaus möglich, daß eines der Län-
geringen Kosten zu konzentrieren. Das ist eines der der die weiterverarbeiteten Erzeugnisse der Eisen-
entscheidendsten Merkmale aller Konzentrations- und Stahlindustrie, die nicht unter die Zuständig-
bewegungen in den modernen Industriestaaten. keit der Montan-Union fallen, durch Ausfuhrför-
Die Entwicklung hat zu folgendem geführt. derungsmaßnahmen stützt und damit in die Lage
Wenn ich einmal vergleiche, welche Stahlproduk- versetzt, die weiterverarbeitende Industrie und
tion auf die drei größten Unternehmungen der damit indirekt die Eisen- und Stahlindustrie be-
wichtigsten Industrieländer entfällt, so haben in nachbarter Länder der Montan-Union zu unter-
den USA die drei größten Unternehmungen eine wandern. Auch das ist keine nur theoretische Mög-
Erzeugung an Rohstahl von 54 Millionen t auf sich lichkeit, sondern im Hinblick auf die Einfuhr fran-
vereinigt — das sind 60% der amerikanischen zösischen Stahls nach Deutschland durchaus eine
Erzeugung —, in Großbritannien 6 Millionen t — Realität.
das sind etwa 35 % —, in Deutschland 5 Millio- (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr. Hell
nen t — das sind etwa 34% — und in Frankreich wig: Das ist zum Teil Saarstahl!)
1066 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Deist)
— Herr Kollege Hellwig, Sie sind ein anerkannter Ich bin ein Liberaler; aber gerade weil ich ein
Saarsachverständiger; ich stelle anheim, sich da- Liberaler bin, halte ich eine Investitionspla-
zu nachher noch zu äußern. Ich stelle im Augen- nung und eine Investitionssteuerung in Europa
blick nur folgendes fest: daß im Rahmen der für erforderlich.
Montan-Union diese Erscheinungen sich auf alle Ich glaube, das sollte man sich auch in der deut-
Staaten auswirken und daß — darüber ist die schen Wirtschaftspolitik merken.
Meinung in Deutschland, glaube ich, einheitlich —
diese Auswirkungen jedenfalls zunächst einmal zu Eine zweite Konsequenz muß, glaube ich, aus
Lasten der deutschen Eisen- und Stahlindustrie diesen Tatbeständen gezogen werden. Das ist die
und des deutschen Kohlenbergbaues ausgefallen Konsequenz, daß ernsthafte Ansätze zu einer ge-
sind. meinsamen Konjunkturpolitik innerhalb der Staa-
ten der Montan-Union gemacht werden müssen.
Dasselbe Problem der Teilintegration stellt sich Wir kennen selbstverständlich die Oktober-Reso-
bei den Transportfragen. Ich brauche das hier lution des Ministerrats, die gleichfalls dieses Be-
nicht näher zu erläutern. kenntnis ablegt. Aber die Frage, die wir zu stel-
len haben, ist folgende: Handelt es sich auch hier
Aber ich möchte noch auf den großen Fragen- nur um ein theoretisches Bekenntnis, oder was ist
komplex der Investitionen eingehen. Meine sehr faktisch an realen Ansätzen zu einer gemeinsamen
verehrten Damen und Herren, bis zum Jahre 1957 Konjunkturpolitik der Länder der Montan-Union
rechnet die Hohe Behörde der Montan-Union mit geschehen? Wir haben von der Hohen Behörde
einer Steigerung der Kapazität der Stahlerzeu- der Montan-Union einige Unterlagen bekommen;
gung von 48 auf 54 Millionen t. Es handelt sich aber ihnen ist bisher an konkreten Dingen nur
dabei nicht um das Ergebnis einer planmäßigen das Schema für einen regelmäßigen Konjunktur-
Investitionspolitik der Hohen Behörde, sondern lagebericht zu entnehmen, jedoch nichts über
um die einfache Zusammenstellung der Investi- effektive Maßnahmen zu einer Koordinierung der
tionsvorhaben der beteiligten Unternehmen inner- Wirtschaftspolitik.
halb der Montan-Union. Es kann kein Zweifel
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es
darüber bestehen, daß es sich hier um eine reich- handelt sich dabei um ein sehr ernstes Problem.
lich hohe Kapazität handelt.
Die Hohe Behörde hat in einem Bericht vom 14.
Ich darf ergänzend die Investitionsprobleme und April 1954 zur augenblicklichen Wirtschaftslage,
die Kapazität der Eisen- und Stahlindustrie in der sich auf die gesamte Union bezieht, ausge-
Deutschland kurz erörtern. Die Wirtschaftsver- führt, daß erstens einmal die interne Nachfrage
einigung der Eisen- und Stahlindustrie hat vor in der Union zunehmend schwächer wird, die Ver-
kurzem eine Untersuchung darüber angestellt, braucher sich zurückhalten, die Staatsausgaben
wie hoch wohl der nachhaltige Eisen- und Stahl- nicht mehr steigen. Sie hat weiter festgestellt,
bedarf in Deutschland ist. Sie ist zu dem Ergeb- daß die Investitionspolitik insgesamt stagniert und
nis gekommen, daß wir einen nachhaltigen Walz- der Anteil der Investitionen am Sozialprodukt im
stahlbedarf von etwa 800 000 bis 850 000 t monat- Rahmen der gesamten Union langsam abnimmt.
lich haben. Wenn man unter Berücksichtigung Die dritte Feststellung war, daß sich die Nach-
von Ein- und Ausfuhr diese Zahl auf Rohstahl um- frage nach Exportgütern im ganzen abgeschwächt
rechnet, ergibt sich ein Verbrauch von 15 bis 16 hat.
Millionen t Rohstahl in den nächsten Jahren. Die Die Hohe Behörde kommt zu folgender meines
Kapazität an Eisen- und Stahlerzeugung beträgt Erachtens schwerwiegenden Schlußfolgerung —
jedoch im Augenblick zumindest 18 Millionen t ich darf den Herrn Präsidenten bitten, diese Zei-
und wird zur Zeit auf 20 bis 21 Millionen t aus- len verlesen zu dürfen —:

gebaut. Zusammenfassend ergibt sich, daß, obwohl die


Wirtschaftstätigkeit in den Ländern der Ge-
Ich möchte ein weiteres Wort zu der Investi- meinschaft sich zur Zeit noch durchweg auf
tionspolitik in Deutschland sagen — und ich hohem Stande hält und Anzeichen für eine
glaube, daß ich nicht zuviel sage —: daß sich unter unmittelbar bevorstehende Verschärfung der
den derzeit im Gange befindlichen Investitionen Wirtschaftslage nicht zu erkennen sind, es
nicht unwesentliche Fehlinvestitionen befinden. doch an Impulsen fehlt, die kräftig und um-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus fassend genug wären, um eine nachhaltige
einer Feststellung dieser Tatsache, die wohl nicht Aufwärtsbewegung der Produktion, der Be-
bestritten werden kann, sind zwei Konsequenzen schäftigung und des Verbrauchs zu gewähr-
zu ziehen. Die erste Konsequenz ist, daß wir uns leisten.
in Deutschland zu einer Investitionssteuerung auf-
raffen müssen. Wenn die Bundesregierung sich Meine Damen und Herren, das sind sehr ernst-
einmal mit den Sachverständigen der Eisen- und hafte Bemerkungen, und wenn wir uns darüber
Stahlindustrie, des Kohlenbergbaues, vielleicht einig sind, daß man eine Gesundung der euro-
auch mit den Sachverständigen der Kreditanstalt päischen Wirtschaft nur durch eine ständige Stei-
für Wiederaufbau ins Benehmen setzen würde, gerung der Produktivität und der Expansion der
dann würde sie erfahren müssen, daß die Not- Wirtschaft herbeiführen kann, dann zeigen uns
wendigkeit einer Investitionssteuerung in den diese Darlegungen, wie dringend das Problem
Grundstoffindustrien ganz allgemein anerkannt einer gemeinsamen Konjunkturpolitik innerhalb
wird, und ich hoffe, daß ich mich jedenfalls bei der Montan-Union ist.
diesen Herren nach Ihrer Auffassung nicht in Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung
schlechter Gesellschaft befinde. zu dem Problem der Konvertibilität und der euro-
päischen Integration. Der Wissenschaftliche Bei-
Aber ich darf Ihnen noch ein anderes ins Ge- rat des Bundeswirtschaftsministeriums hat bereits
dächtnis rufen. Auf der letzten Tagung der Inter- in seinem Gutachten vom 1. Mai 1953 auf die
parlamentarischen Union in Paris hat der frühere Diskrepanzen hingewiesen, die sich aus einer welt-
italienische Finanzminister Pella ausgeführt: weiten Konvertibilitätspolitik und einer euro-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1067
(Dr. Deist)
päischen Produktionspolitik ergeben können. Ich Bei den außenpolitischen Erörterungen hat sich
glaube aber, allen denen, die an der Konferenz trotz mancher Meinungsverschiedenheiten im ein-
in Paris teilgenommen haben, ist doch bewußt ge- zelnen eine völlige Einmütigkeit in einigen Fragen
worden, ein wie aktuelles Problem diese Frage der von zentraler Bedeutung ergeben. Der Platz
Währungskonvertibilität im Zusammenhang mit Deutschlands ist auf der Seite der Völker der
der europäischen Integration ist. Ich möchte dazu freien Welt. Hierüber gibt es keine Diskussion,
nur wenige Sätze sagen. Wenn man der Auffas- hierüber kann es auch keine Diskussion geben.
sung ist, daß das wirtschaftliche Ziel aller freien Wir wissen, daß das deutsche Volk auch da, wo
Völker die Hebung des Lebensstandards, die Stei- es nicht frei seine Ansicht äußern kann, jede
gerung der Produktivität und eine weitgehende Gemeinschaft mit der Welt der totalitären Staats-
Vollbeschäftigung sein soll, dann sind dazu kon- gewalt, der kollektiven Vermassung, der Unfrei-
junkturpolitische Maßnahmen notwendig, die mit heit des Einzelmenschen und der wirtschaftlichen
einer Aufrechterhaltung der freien Konvertibilität Reglementierung verabscheut. Das deutsche Volk
unter allen Umständen nicht immer vereinbar will Sicherheit nach außen und innen. Wir wis-
sind. Andererseits müßte eine weltweite Konver- sen, daß wir dem deutschen Volk diese Sicher-
tibilitätspolitik, die ja von dem Leitmotiv der Sta- heit mit unseren eigenen Mitteln allein nicht
bilität der Kurse bestimmt ist, bis zum letzten schaffen können.
durchgeführt, in Kauf nehmen, daß Beschäftigungs- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
schwankungen in den einzelnen Ländern auftre- Aus diesen wohlerwogenen Gründen haben wir
ten, ganz gleich welches Ausmaß diese annehmen. den Anschluß an den Westen vollzogen.
Infolgedessen scheint doch die Frage berechtigt zu Über die Art der Durchführung der Politik der
sein, ob das Problem der Konvertibilität der Wäh- Zusammenarbeit mit der freien Welt gab es und
rung nicht so zu sehen ist, daß die entscheidenden gibt es noch Meinungsverschiedenheiten. Sie be-
Stellen für die Geld- und Kredit-Politik sich auf treffen aber nur die Methode, niemals das Ziel
denselben Raum erstrecken müssen wie die ent- selbst. Diese Einmütigkeit in der Grundhaltung
scheidenden Stellen für die Konjunkturpolitik, um ist das große Positivum in der deutschen Außen-
Konjunkturpolitik und Geld- und Kreditpolitik politik.
aufeinander abstimmen zu können. Es war sehr (Beifall bei den Regierungsparteien.)
bemerkenswert für alle Teilnehmer der Pariser
Tagung, daß Herr Marjolin und viele andere Dis- Der Entschluß, den wir gefaßt haben, wurde
kussionsredner darauf hinwiesen, daß eine Durch- in der freien Welt verstanden. Das Vertrauen, das
führung der Währungskonvertibiltät unter den uns in so erfreulicher Weise heute entgegenge-
augenblicklich in Europa herrschenden Umständen bracht wird, ist etwas Neues in der deutschen
zu einer Zerstörung der EZU und der OEEC und Geschichte und eine Frucht dieses Entschlusses.
damit zu einer europäischen Desintegration füh- Das Vertrauen wird so lange bestehen, solange
ren würde. wir keinen Zweifel an der Klarheit und an der
(Hört! Hört! bei der SPD.) Festigkeit unserer Entscheidung aufkommen
lassen.
In kleineren Kreisen ist die Frage aufgeworfen (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
worden — die man auf solchen internationalen
Tagungen aus politischer Höflichkeit nicht offen Das Vertrauen wird so lange bestehen, wie wir
auszusprechen wagt —, wie sich eigentlich die euro- alle Fragen der Beziehungen zu unseren Nach-
päische Integrationspolitik der Bundesregierung barn so entscheiden, daß die Bande, die uns mit
mit der Erhardschen Politik weltweiter Konver- dem Westen verknüpfen, nicht gelockert, sondern
gefestigt werden. -
tibilität verträgt. Ich glaube, auch das ist ein
außerordentlich entscheidendes und ernstes Pro- Diese Einmütigkeit und Klarheit unserer außen-
blem, das im Zusammenhang mit dem Fragenkreis politischen Ziele sind heute notwendiger denn je.
der Montan-Union steht, und wir wären dankbar, Die Beziehungen zwischen den beiden großen
wenn wir auch dazu eine entsprechende Antwort Mächtegruppen sind von schweren Problemen
auf unsere Große Anfrage bekommen würden. überschattet, die auf unserer Seite, auf der Seite
des Westens, Selbstdisziplin, Unterordnung eigener
(Beifall bei der SPD.)
Wünsche unter das große gemeinsame Ziel der
Vizepräsident Dr. Schmid: Soll der Antrag unter Sicherung der Freiheit, gegenseitiges Verstehen
Punkt 3 b der Tagesordnung besonders begründet und bereitwillige Zusammenarbeit in allen Dingen
werden? erfordern. Nur dann, wenn die Einheit und ge-
(Zuruf von der SPD: Folgt in der Aus schlossene Kraft des Westens eine wirkliche Re-
sprache!) alität darstellen, sind diese Probleme, die wie un-
— Dann sind die Großen Anfragen begründet. Ich heilvolle Wolken über der Welt und damit auch
brauche wohl nicht besonders die Frage zu stel- über uns hängen, zu lösen.
len, ob die Besprechung gewünscht ist. Das ganze Wie schwer das ist, meine Damen und Herren,
Haus will diese Besprechung haben. hat die Berliner Konferenz gezeigt. Wer gehofft
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler. hatte, es werde möglich sein, mit der Sowjetregie-
rung unter Darlegung guter Gründe, die logisch
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Herr Präsident! und unwiderlegbar sind, zu einem Einvernehmen
Meine Damen und meine Herren! Die Anfragen zu kommen, ist bitter enttäuscht worden. Deutsch-
der Regierungsparteien und der Opposition bezüg- land, Europa und die Welt bleiben infolge der in-
lich der Stellung der Bundesregierung zur allge- transigenten sowjetischen Haltung weiter geteilt.
meinen außenpolitischen Lage, zur Saarfrage und Das sowjetische Bestreben, seine Machtposition in
auch zur Montan-Union geben eine willkommene Europa ohne jede Rücksicht auf Recht und Ver-
Gelegenheit, in einem bedeutsamen Augenblick nunft und auf den Willen der Völker selbst fest
der weltpolitischen Entwicklung die Auffassung zuhalten, ist im Falle Ö sterreichs in seiner ganzen
der Bundesregierung zu den uns beschäftigenden Nacktheit vor aller Welt demonstriert worden.
außenpolitischen Fragen darzulegen. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
106S 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands gen, daß man nur hoffen kann, sie werden niemals
ist das nicht anders. Moskau beharrt auf der Tei- zur Anwendung kommen. Die Tatsache, daß die
lung Deutschlands und Europas, solange es hoffen Welt zu einem Zeitpunkt in zwei große gegnerische
darf, mit der Zeit ganz Deutschland und ganz Lager gespalten ist, in dem gleichzeitig neue,
Europa beherrschen zu können. furchtbare Mittel der Vernichtung entwickelt wer-
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) den, muß jeden verantwortungsvollen Menschen
mit ernstester Sorge erfüllen. Über den Geschäften
In jenem bekannten Angebot eines sowjetischen des Alltags dürfen wir nie aus dem Auge verlieren,
Sicherheitspaktes für Europa enthüllt sich in aller welche Gefahren uns drohen und daß die Schick-
Deutlichkeit die Absicht Moskaus, an der europä- sale der Völker aufs engste miteinander verknüpft
ischen Grenze seines heutigen Einflußbereichs sind, gleichgültig, ob ihre Heimat Ostasien oder
nicht haltzumachen. Zielt nicht der andere sowje- Europa heißt. Es gibt keine Krisen und keine Kon-
tische Vorschlag, die Sowjetunion in die NATO flikte, die nicht auch auf uns ihre Wirkungen aus-
aufzunehmen, auch in dieser Richtung? Zeigen üben.
nicht diese Vorschläge deutlich die Absicht der Die Überzeugung, daß die Entwicklung des neuen
Sowjets, das Verteidigungssystem der freien Welt, deutschen Staates entscheidend von dem Verhältnis
dessen Wirksamkeit auf der Einstimmigkeit seiner dieses Staates zur übrigen Welt beeinflußt werden
Partner beruht, durch ihr Veto zu lähmen, so wie würde, hat die außenpolitische Arbeit der Bundes-
sie es mit so viel Erfolg so oft in den Vereinten regierung von Anfang an geleitet. Der Zusammen-
Nationen getan haben? Die alliierten Regierungen bruch Deutschlands im Jahre 1945 hatte die außen-
haben diese Vorschläge mit Klarheit und Ent- politischen Ziele einer deutschen Regierung vorge-
schlossenheit abgelehnt. Die Wünsche Sowjetruß- zeichnet. Diese Ziele lauteten für die Bundesregie-
lands zielen — und daran kann heute niemand rung: Wiederherstellung der inneren und äußeren
mehr zweifeln — darauf hin, zunächst die Ver- Selbstbestimmung, Gewährleistung von innerer
einigten Staaten aus Europa zu verdrängen, so- und äußerer Sicherheit, Wiedervereinigung Deutsch-
dann das freie Europa zu unterminieren und lands. Alle diese Ziele sind ohne Ausnahme in der
schließlich zu absorbieren. Überall in den Ländern Isolierung Deutschlands nicht zu erreichen.
des Westens sehen wir die von den Sowjets mit
großem Aufwand organisierten Versuche, die (Sehr richtig! in der Mitte.)
Staaten zu unterwühlen, durch Drohungen, Furcht Das Mittel, um zu diesen Zielen zu gelangen, war
und Gewalt zu lähmen und durch Versprechungen und ist die Integration, die Eingliederung Deutsch-
und Propagandamanöver aller Art zu gewinnen. lands in die Gemeinschaft der freien Völker. Der
von der Regierungskoalition und von der Bundes-
Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, daß die regierung eingeschlagene Weg führt zu diesem Ziel.
Konferenz, die in diesen Tagen in Genf begonnen Die Bundesrepublik besitzt heute innere und
hat, wesentlich bessere Ergebnisse haben kann äußere Selbstbestimmung, die ihr ermöglicht, die
als die Viererkonferenz in Berlin. Trotzdem außenpolitischen Interessen Deutschlands in wirk-
möchte ich keine Prognosen stellen. Wenn es mög- samer Weise wahrzunehmen.
lich wäre, in den ostasiatischen Fragen zu einer
Entspannung zu kommen, so müßte sich das auch (Erneute Zustimmung in der Mitte.)
auf die Behandlung der europäischen Fragen aus- Es gibt heute keine Frage von außenpolitischer
wirken. Es wäre völlig verkehrt, wenn wir uns Bedeutung, an der die Bundesrepublik mittelbar
auf den Standpunkt stellen wollten, daß der Streit oder unmittelbar interessiert ist, die von den alli-
auf der anderen Seite des Erdballs uns nichts an- ierten Mächten über den Kopf der Bundesregierung
ginge. Die gleichen Kräfte, die heute an der poli- hinweg entschieden würde. Ich kann mit Befriedi-
tischen, militärischen und wirtschaftlichen Grenze gung feststellen, daß die Bundesregierung nicht
des Eisernen Vorhangs festhalten und durch die nur gehört wird, sondern auch an der Meinungs-
Mittel des Kalten Krieges ihre Macht darüber hin- bildung und Beschlußfassung der großen Mächte
aus auszudehnen versuchen, befinden sich in Ost- mitwirkt. Formal haben wir die volle Souveränität
asien auf dem Wege der unverhüllten Expansion heute noch nicht erreicht, da die Ratifikation des
mit kriegerischen Mitteln. Der Waffenstillstand in Deutschland-Vertrages, die mit der Ratifikation
Korea hat bis heute nur zur Aufrechterhaltung der des Vertrages über die Verteidigungsgemeinschaft
Teilung dieses unglücklichen Landes geführt. Der eng verknüpft ist, noch aussteht. Wenn es nach
Krieg in Indochina ist nicht allein eine französische unseren Wünschen gegangen wäre, so wäre der
Angelegenheit. Die Soldaten, die in Indochina Blut europäische Zusammenschluß in den letzten Mona-
und Leben opfern, tun dies nicht für Frankreich ten mit verstärktem Eifer vorwärtsgetrieben und
allein, sondern im Dienste der Freiheit für die zum Ziele geführt worden.
ganze Welt.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Es ist eine nicht zu bestreitende Tatsache, daß die Wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft
kommunistischen Kräfte Ho-chi-minhs heute ihre heute noch nicht von allen Unterzeichnerstaaten
Waffen und ihre Ausrüstung genau so wie die kom- ratifiziert ist, so liegt die Ursache dafür sicherlich
munistischen Nordkoreaner zu Beginn des Bürger- nicht bei Deutschland. Unsere Entscheidung ist ge-
kriegs aus Rot-China beziehen. Angesichts der fallen. Wir haben alles getan, was wir zu tun
furchtbaren Gefahren, die sich aus einer solchen haben.
Situation für den Frieden der ganzen Welt ergeben (Zuruf von der SPD: Mehr!)
können, gewinnt die Genfer Konferenz auch für Leider haben wir feststellen müssen, daß nationale
uns eine außerordentliche Bedeutung. Egoismen mit den Tendenzen der europäischen
Die Schilderung der Gefahren unserer Zeit Einigung im Kampf liegen. Wir werden aber diesen
würde nicht vollständig sein, wenn man nicht des schwerwiegenden Vorwurf nur dann an die Adresse
Wettrüstens in atomischen Waffen gedächte, mit anderer richten können, wenn wir uns selbst in
denen die Wissenschaft Mittel der Massenvernich- dieser Sache völlig einwandfrei verhalten.
tung geschaffen hat, so furchtbar in ihren Wirkun- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1069
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, daß unter gleich wirksam der Auffassung, daß die britischen
diesem Gesichtspunkt die Aussprache, die wir heute Beistandsverpflichtungen gegenüber der EVG, die
führen, nicht zu einer Schwächung, sondern zu nur für die Dauer des Atlantikpakts festgesetzt
einer Stärkung unseres Ansehens und unserer sind, nach einigen Jahren an Wert verlieren und
Glaubwürdigkeit in der Welt beitragen wird. Wir schließlich hinfällig werden könnten.
wollen hier in Deutschland nie vergessen, in wel-
cher Gefahr dieser Kontinent und vor allem Der Erklärung der britischen Regierung kommt
Deutschland schweben und wie kurzsichtig es ist, jedoch nicht nur militärische Bedeutung zu. Es
um dieser oder jener Mängel eines Vertrages wil- wird oft übersehen, daß der Atlantikpakt für die
len das ganze Werk des Zusammenschlusses und Teilnehmerstaaten nicht nur militärische Verpflich-
damit die eigene Sicherung gegen Gefahren von tungen, sondern auch Verpflichtungen auf anderen
außen und innen aufzuhalten. Gebieten, insbesondere auf dem Gebiet der wirt-
schaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit, mit
(Beifall bei der CDU/CSU.) sich bringt. Die britische Regierung bekennt sich in
Ich glaube, wir können aber trotzdem mit Befrie- ihrer Erklärung zu einer intensiven Zusammen-
digung feststellen, daß seit Beginn dieses Jahres arbeit aller Mitgliedstaaten der atlantischen Ge-
auf dem Gebiet der Sicherung Westeuropas Fort- meinschaft auf allen Gebieten und auf unbegrenzte
schritte erzielt worden sind. Das niederländische, Zeit.
das belgische und das luxemburgische Parlament Dieser Schritt der britischen Regierung ist in der
haben den EVG-Vertrag gebilligt. Damit erhöht englischen Geschichte eine revolutionäre Tat. Indem
sich, wie Herr Abgeordneter Kopf schon gesagt hat, Großbritannien die Sache der EVG zu seiner eige-
die Zahl der Staaten, in denen die parlamentarische nen macht, wird ein Doppeltes offenbar. Großbri-
Behandlung abgeschlossen ist, auf vier. Die italie- tannien hat sich mit dem Schicksal des Kontinents
nische Regierung hat die Verträge dem Parlament solidarisch erklärt. Es hat damit bekundet, daß
inzwischen vorgelegt. heute die Selbstbehauptung irgendeiner Nation in
Das in Paris am 13. April 1954 unterzeichnete der Isolierung unmöglich ist. Es hat weiter seiner
Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Verteidi-
dem Vereinigten Königreich und der Europäischen gungsgemeinschaft ein notwendiges Instrument der
Verteidigungsgemeinschaft stellt einen weiteren Verteidigung der westlichen Welt darstellt.
bedeutsamen Schritt auf dem Wege zur Sicherung Im gleichen Sinne begrüßt die Bundesregierung
Westeuropas dar. Mit diesem Abkommen hat Groß- die Botschaft des Präsidenten der Vereinigten
britannien in konsequenter Verfolgung seiner bis- Staaten vom 16. April 1954. Diese Botschaft bringt
herigen Politik gegenüber der EVG die organisato- in unmißverständlicher Weise das große Interesse
rische Zusammenarbeit mit den Behörden der EVG der amerikanischen Regierung für das Schicksal
auf politischem, militärischem und verwaltungs- der europäischen Integrationsbestrebungen zum
mäßigem Gebiet ausgestaltet und damit seine Ver- Ausdruck und betont die Bedeutung, die der EVG
bundenheit mit Westeuropa auf eine neue feste nicht nur vom amerikanischen Standpunkt aus,
Grundlage gestellt. Das Abkommen sieht nicht nur sondern auch im Rahmen der atlantischen Gemein-
eine Mitarbeit der britischen Regierung innerhalb schaft zukommt. Über ihre bei Unterzeichnung des
des Ministerrates der EVG vor; britische Armee- EVG-Vertrags am 27. Mai 1952 gegenüber der
und Luftwaffenverbände können nunmehr auf EVG und deren Mitgliedstaaten eingegangenen
Verlangen des Obersten Befehlshabers in Europa Verpflichtungen hinaus präzisiert die amerikani-
in europäische Kontingente eingegliedert werden. sche Regierung weitere Verpflichtungen, die sie bei
Damit werden britische Streitkräfte, die der EVG Inkrafttreten des Vertrages zu übernehmen ge-
zugeteilt werden, zwar nicht in deren supranatio- denkt. Die amerikanische Regierung wird hiernach
naler Struktur aufgehen; sie werden aber einem in Europa - natürlich einschließlich Deutschlands
Befehlshaber der Europäischen Verteidigungsge- — weiterhin die erforderlichen Streitkräfte in an-
meinschaft unterstehen und praktisch ebenso ein gemessener Stärke unterhalten, solange eine Be-
Teil der europäischen Armee sein wie die EVG- drohung dieses Raumes anhält. Sie wird sich dar-
Einheiten selbst. über hinaus mit den Mitgliedstaaten der NATO
Das Abkommen sieht weiterhin eine möglichst und der EVG über die Fragen gemeinsamen Inter-
enge Angleichung der militärischen Ausbildung esses konsultieren, insbesondere auch über die
und Ausrüstung der Streitkräfte Großbritanniens Stärke der dem Alliierten Oberbefehlshaber in
und der EVG vor. Großbritannien wird Verände- Europa zur Verfügung gestellten Kräfte; sie wird
rungen im Bestand seiner auf dem Kontinent sta- auch bestrebt sein, eine möglichst enge Integration
tionierten Streitkräfte nur nach vorheriger Konsul- der Streitkräfte der EVG, der Vereinigten Staaten
tation mit den zuständigen Stellen der Europä- sowie der anderen NATO-Länder im Hinblick auf
ischen Verteidigungsgemeinschaft vornehmen. Von Führung, Ausbildung und Organisation herzustel-
besonderer Bedeutung ist ferner die Versicherung len und in verstärktem Maße über die Anwendung
der britischen Regierung, daß britische Streitkräfte neuer Waffen und neuer Methoden für die Verbes-
so lange auf dem Kontinent stationiert werden, als serung der gemeinsamen Verteidigung Nachrichten
eine Bedrohung Westeuropas und der Europäischen auszutauschen. Auch die amerikanische Regierung
Verteidigungsgemeinschaft besteht. spricht die Auffassung aus, daß das atlantische
Bündnis auf unbegrenzte Zeit Geltung besitzt und
Die britische Regierung erklärt weiter, daß nach damit eine ständige enge Zusammenarbeit der
ihrer Auffassung das Atlantikpaktbündnis von un- freien Völker gewährleistet, die es allen Mitglie-
begrenzter Dauer sei. Sie zerstreut damit die Be- dern ermöglicht, ihre Bemühungen zur Wahrung
denken all derer, die in Westeuropa auf die unter- des Friedens und der Freiheit und zur Hebung des
schiedliche Geltungsdauer des atlantischen Bünd- Wohlstandes ihrer Völker gemeinsam zu verfolgen.
nisses, das ein Ausscheiden der Mitglieder 20 Jahre Meine Damen und Herren, es erscheint mir nötig,
nach der Unterzeichnung zuläßt, und des EVG- bei einem Überblick über die außenpolitische Lage
Vertrages, der auf eine Dauer von 50 Jahren abge- gerade von unserem Standpunkt aus dieser Stel-
schlossen ist, hinweisen. Sie begegnet damit zu- lungnahmen der Regierung Großbritanniens und
1070 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
der Regierung der Vereinigten Staaten besonders kennen, die es sich im Saargebiet geschaffen hat.
dankbar zu gedenken. (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Brandt
(Beifall bei den Regierungsparteien.) [Berlin] : Moskau hört mit!)
Ein dauerhafter Zusammenschluß der Völker ist Bleiben wir also beide bei den nationalen Vor-
aber nur möglich, wenn wir vernünftige Lösungen stellungen, die uns aus der Vergangenheit über-
für alle die Probleme finden, die uns als Folge kommen sind, so ist die Folge einfach die, daß der
erscheinungen der Interessengegensätze vergange gegenwärtige Zustand an der Saar aufrechterhal-
ner Zeiten belasten und die denen immer neue ten bleibt. Ich brauche nicht zu schildern, was das
Begründungen liefern, die einen europäischen Zu bedeutet. Dem einseitigen Einfluß Frankreichs an
sammenschluß nicht wollen. Zu diesen Problemen der Saar würde weiter auf ungemessene Zeit Tür
gehört die Saarfrage. Sie werden verstehen, meine und Tor offenstehen. Die Saarbevölkerung selbst
Damen und Herren, daß ich mich zu gewissen Tei und das innerpolitische Leben an der Saar würden
len des Saarproblems mitten in den Verhandlun nicht zur Ruhe kommen. Der heftige Streit der
gen, in denen wir zur Zeit mit der französischen Meinungen würde weitergehen. Der feste Boden
Regierung stehen, nur zurückhaltend äußern kann. würde weiterhin fehlen, der für jedes Gemein-
(Aha-Rufe von der SPD. — Zustimmung wesen auf die Dauer unerläßlich ist.
bei den Regierungsparteien.)
Viel wichtiger indessen, ja entscheidend sind
Aber aus dem, was ich sagen werde, werden Sie zwei andere Faktoren. Zunächst ist es eine absolute
die Grundelemente einer Lösung, wie wir sie uns Notwendigkeit, damit Europa und, meine Damen
denken, erkennen können. und Herren, damit das deutsche Volk einschließlich
Frankreich und wir dürfen diese Frage nicht der Saarbevölkerung am Leben bleiben, die Diffe-
allein im Lichte des alten deutsch-französischen renzen unter den europäischen Völkern zu besei-
Gegensatzes sehen. Das Saarproblem ist einfach tigen.
unlösbar, wenn die beiden Teile es allein unter (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Dr.
dem Gesichtspunkt ihrer nationalen Interessen Mommer: Durch Verzicht?)
lösen wollen. Auf diesem Wege ist, wie die Dinge
nun einmal liegen, eine Lösung nicht zu finden. Mehr noch: ohne Einigkeit unter den europäischen
Völkern können auch die großen globalen Span-
Wir Deutsche haben kein Mittel, Frankreich ge- nungen nicht beseitigt oder wenigstens gemildert
gen seinen Willen zu einem Verzicht auf seine werden. Was sich in solcher Lage anbietet, um dem
Position an der Saar zu zwingen. unfruchtbaren und ausweglosen Gegensatz der
(Hört! Hört! bei der SPD.) nationalen Interessen zu entgehen, ist eine Lösung
— Na, wenn Sie ein Mittel wissen, werden Sie es auf höherer Ebene, ist eine europäische Lösung.
ja sagen. Die Bundesregierung hat deshalb auf der Konfe-
(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — renz der sechs Außenminister in Paris im Juli 1952
Zurufe von der SPD: Aber verzichten? — dem Gedanken zugestimmt, die Saar zum Sitz der
Nur Vorleistungen?) europäischen Institutionen zu machen. Eine not-
wendige Konsequenz ist, daß dem Gebiet, das Sitz
Dabei ist leider nicht entscheidend, ob Frankreich der europäischen Institutionen wird, ein besonderer
sich diese Stellung zu Recht oder zu Unrecht ge- Status gegeben wird. Was diesen Status im ein-
schaffen hat. zelnen anlangt, so waren bei den zahlreichen Ge-
(Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf links: sprächen und Verhandlungen, die ich selbst oder
Mit Ihrer Duldung! — Gegenrufe von der Vertreter der Bundesregierung mit Mitgliedern
- der
Mitte.) französischen Regierung über die Lösung des Saar-
Die Bundesregierung hat mit großer Anstrengung problems geführt haben, immer die folgenden
jahrelang bei jeder sich bietenden Gelegenheit Hauptgesichtspunkte bestimmend. Eine endgültige
versucht, den Standpunkt, den unser eigenes natio- Lösung, die eine Entscheidung über die Grenzen
nales Interesse nahelegt, zur Anerkennung bei den des deutschen Staatsgebiets zum Inhalt hat, kann
anderen Regierungen zu bringen. nur in einem Friedensvertrag erfolgen, der mit
einer gesamtdeutschen Regierung frei auszuhandeln
(Abg. Pelster: Sehr richtig!) ist.
Lassen Sie mich Ihnen heute offen sagen, daß diese
Versuche mit der Erfahrung geendet haben, daß Dr. Mommer (SPD): Eine Frage, Herr Präsident!
für eine Politik, die allein unserem nationalen Darf ich eine Zwischenfrage stellen?
Interesse in der Saarfrage Genüge tut, auch wenn
das Recht auf unserer Seite ist, eine Unterstützung (Zurufe von den Regierungsparteien.)
außerhalb Deutschlands nicht zu erwarten ist.
(Hört! Hört! links und in der Mitte.) Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Ferner, meine
Darum führt es uns leider nicht weiter, wenn wir Damen und Herren, ist jede Lösung an die Zu-
in weitläufige und tiefgründige Untersuchungen stimmung der Saarbevölkerung gebunden.
über die aktuelle Rechtslage eintreten. Wenn wir (Sehr richtig! in der Mitte.)
keine Chance haben, für die Realisierung unseres Und schließlich muß die Lösung wahrhaft euro-
noch so begründeten Rechtsstandpunkts die Unter- päisch sein.
stützung der Welt zu gewinnen, so bleibt uns,
wenn wir eine realistische Politik machen wollen, Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Bundeskanzler,
nichts anderes übrig, als Ausschau nach einer ich bitte einen Moment unterbrechen zu dürfen. Es
neuen Lösung zu halten. wird eine Zwischenfrage gestellt.
Andererseits, meine Damen und Herren, kann (Widerspruch von den Regierungsparteien. —
auch Frankreich uns gegen unseren Willen ebenso- Zurufe: Das ist doch eine Regierungs
wenig dazu bringen, daß wir die Stellung aner- erklärung!)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1071

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen derhole es —, eine endgültige Lösung, die
und Herren, soviel ich weiß, ist es geschäftsord- eine Entscheidung über die Grenzen des deut-
nungsmäßig nicht zulässig, daß ein Redner, wäh- schen Staatsgebietes zum Inhalt hat, kann nur in
rend er spricht, unterbrochen wird. einem Friedensvertrag erfolgen, der mit einer ge-
(Lebhafter Widerspruch von der SPD. — samtdeutschen Regierung frei auzuhandeln ist.
Unruhe.) (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Abg. Heiland: Das nehmen Sie ja selbst
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Bundeskanzler, nicht ernst!)
das ist geschäftsordnungsmäßig zulässig und wurde Ich glaube, darin liegt doch die Antwort auf die
des öftern schon geübt. — Der Herr Abgeordnete Frage, die mir soeben gestellt worden ist.
Mommer hat das Wort zu einer Zwischenfrage.
(Abg. Dr. Mommer: Nein!)
Dr. Mommer (SPD): Herr Bundeskanzler, — — Ferner ist jede Lösung an die Zustimmung der
(Lärm. — Die Ausführungen des Abg. Dr. Saarbevölkerung gebunden. Schließlich muß die
Mommer bleiben unverständlich.) Lösung wahrhaft europäisch sein. Es darf sich
also nicht darum handeln, den Status quo zum
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Ich habe diese Schein mit einem europäischen Mantel zu ver-
Frage nicht verstanden. kleiden.
(Anhaltende große Unruhe. — Zuruf rechts: (Sehr richtig! in der Mitte.)
Der Lautsprecher war nicht eingeschaltet!) Auch müssen die Menschenrechte und Grundfrei-
heiten, so wie sie in der europäischen Menschen-
Aus technischen und akustischen Gründen habe ich
rechte-Konvention definiert sind, unzweideutige
diese Frage nicht verstanden.
und uneingeschränkte Anerkennung finden.
(Zuruf von der SPD: Dann muß sie wiederholt
werden!) (Zustimmung in der Mitte.)
Es darf endlich kein neuer Staat zu den vorhan-
Dr. Mommer (SPD): Ich wiederhole die Frage. denen europäischen Staaten geschaffen werden.
(Erneuter lebhafter Widerspruch in der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Mitte. — Unruhe.) Die Lösung ist auch an die Verwirklichung einer
Sie kennen den Art. 19 des Plans. Ich frage Sie, ob Europäischen Politischen Gemeinschaft gebunden.
Sie die Garantie , die die Mächte dort für die (Sehr richtig! in der Mitte und beim
Änderung der deutschen Grenze im Westen im GB/BHE.)
Friedensvertrag übernehmen sollen, für gleich-
wertig mit der Festlegung einer Grenze im Endlich muß zwischen der deutschen Wirtschaft,
Friedensvertrag halten. die bisher in diskriminierender Weise von der
saarländischen getrennt ist, und der saarländischen
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen in Etappen ein gemeinsamer Markt hergestellt
und Herren, ich halte eine solche Frage schon des- werden.
halb für ganz unmöglich, weil ich im Laufe mei- Nun hat, auf den Arbeiten des holländischen
ner Besprechungen auf den Naters-Plan noch ein- Europaratsdelegierten van der Goes van Naters
gehen werde und es mir unmöglich erscheint, daß fußend, die allgemeine Kommission der Beraten-
der Fluß einer Rede durch eine solche Frage ein- den Versammlung des Europarates vor drei Tagen
fach unterbrochen wird. einen Vorschlag zur Lösung der Saarfrage im
europäischen Sinne beschlossen. Interessant - ist,
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und
dem GB/BHE. — Zurufe von der SPD daß diese Untersuchung durch die sozialistischen
und Gegenrufe von der Mitte. — Un Vertreter des Europarates beantragt worden ist.
ruhe. — Glocke des Präsidenten.) Sowohl in Deutschland wie in Frankreich ist dieser
Vorschlag teils akzeptiert, teils lebhaft kritisiert
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte doch, den worden. In Deutschland wirft man ihm vor allem
Herrn Bundeskanzler weitersprechen zu lassen! vor, er berücksichtige nicht die unabdingbare Zu-
gehörigkeit des Saargebietes zu Deutschland. Auf
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und französischer Seite wird der Vorwurf laut, er wolle
Herren, nach meinen parlamentarischen Erfahrun- Frankreich die Position entziehen, die es sich mit
gen kommen wir viel weiter, wenn diese Zwi- Zustimmung seiner westlichen Alliierten an der
schenrufe wegbleiben. Sie können ja noch antwor- Saar geschaffen habe. Aber man kann denen, die
ten, solange Sie wollen. an dem Vorschlag des Europarates mitgewirkt
(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — haben, die Anerkennung nicht versagen, daß sie
Zurufe von der SPD.) einen ernsthaften Versuch unternommen haben,
eben jene dritte Lösung zu finden, die Lösung auf
Ich wiederhole, was ich eingangs gesagt habe: der höheren Ebene, von der ich vorhin gesprochen
man wird es in diesem Hause und in der ganzen habe.
Öffentlichkeit verstehen, wenn ich erkläre, daß (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)
es, wenn man mitten in Verhandlungen mit einer
anderen Regierung ist, ganz unmöglich erscheint, Es ist ein Versuch, nicht nur den deutsch-fran-
im Parlament in allen Fragen seinen Standpunkt zösischen Interessengegensatz in der Saarfrage zu
mitzuteilen, schlichten und einen brauchbaren mittleren Weg
(Zustimmung bei der CDU/CSU und beim zu finden, sondern vor allem ist hier zum ersten
GB/BHE) Male in einer bis in die Einzelheit gehenden
Weise die Lösung mit der europäischen Entwick-
ehe diese Verhandlungen, sei es so, sei es so, zum lung verknüpft worden. Aus diesem Grunde habe
Abschluß gekommen sind. Aber ich habe wei ich dem französischen Außenminister gegenüber
ter gesagt — und ich bleibe dabei, ich wie am 9. März meine Bereitschaft erklärt, bei den
1072 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Verhandlungen von den Grundlinien des Vor- d) ihrer Anfrage ja geradezu auf den Zusammen-
schlags des Europaratsausschusses auszugehen, und hang hingewiesen haben.
Herr Bidault hat mir darin zugestimmt. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Diese grundsätzliche Bereitschaft bedeutet nicht Unter d) sagen sie nämlich:
das Einverständnis mit allen Einzelheiten. Vor Entspricht die wirtschaftliche Entwicklung in
allem muß ich mich hier mit einem Punkt aus- den deutschen Grundstoffindustrien den Er-
einandersetzen, in dem der Entwurf der Bundes- wartungen, die die Bundesregierung bei der
regierung eine Entscheidung zumutet, die diese zu Ratifizierung des Schumanplanes in das Funk-
treffen gar nicht in der Lage ist. Der Vorschlag tionieren dieser europäischen Teilintegration
der Kommission zielt nämlich darauf, daß die zu gesetzt hat?
findende Lösung endgültig en Charakter er-
halten soll. Diesem Gedanken steht ein unüber- Damit ist doch der Zusammenhang ganz klar in
steigbares Hindernis entgegen: es ist ein unbe- der Frage gestellt.
strittener Grundsatz, daß die endgültige Festlegung (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)
der Grenzen Deutschlands bis zu einer zwischen
Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei Überdies, meine verehrten Herren, hat Herr
vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für Kollege Deist — wofür wir ihm übrigens sehr
ganz Deutschland aufgeschoben werden muß. Ich dankbar sind, nicht nur in dem Zusammenhang,
verweise hierzu auf Art. 7 des Deutschlandver- sondern wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die
trages. daraus spricht — ausdrücklich folgendes gesagt:
Unsere Anfrage ist getragen von der Sorge, daß
Zu dieser Erwägung tritt eine weitere, poli- der Gedanke der europäischen Einigung Schaden
tische hinzu. Eine über den Friedensvertrag hin- leidet durch die Entwicklung der Montan-Union.
aus bindende Festlegung in einer Gebietsfrage im
Westen würde äußerst nachteilige Wirkungen auf (Zurufe von der CDU/CSU: Na also!)
das Problem der deutschen Ostgrenzen haben. Es Daraus glaube ich doch die Berechtigung herleiten
ist aber eine unabweisbare politische Notwendig- zu können, in einer Darstellung unserer Politik,
keit, auch den leisesten Anschein zu vermeiden, die die europäische Integration zum Gegenstand
der unseren Gegnern in der Frage der Ostgrenze hat, auch auf diese Frage, soweit nötig, einzu-
Vorschub leisten könnte. gehen.
Andererseits möchte ich zugunsten des Vor- Es ist ein Grundgedanke der europäischen Inte-
schlags der Europaratskommission auf einen darin gration, daß die Gemeinschaft der europäischen
enthaltenen wesentlichen Gesichtspunkt hinweisen, Völker sich in Frieden und Freiheit nur entwik-
mit dem wir durchaus übereinstimmen: Die Saar keln kann, wenn zwischen ihnen auch wirtschaft-
kann nur europäisiert werden, wenn eine euro- lich eine enge Zusammenarbeit stattfindet und da-
päische Gemeinschaft eine Realität ist. durch die Existenzbedingungen und die soziale
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Lage der europäischen Menschen entscheidend und
dauerhaft verbessert werden. Von diesem Grund-
Wir müssen deshalb entscheidenden Wert darauf gedanken ausgehend sind wir zum Partner der
legen, daß die Lösung auf das engste mit der Montan-Gemeinschaft geworden. Lassen Sie mich
Schaffung einer europäischen Gemeinschaft ver- Ihnen deshalb etwas über die Erwartungen und
knüpft wird. über die Erfolge sagen.
Meine Damen und Herren, aus der langen Das Ziel bei der Gründung der Montan-Gemein-
Dauer der sehr schwierigen Verhandlungen über schaft war die Schaffung eines einheitlichen
- euro-
das Saarproblem bitte ich Sie zu entnehmen, daß päischen Wirtschaftsraums, eines gemeinsamen
die Bundesregierung die äußersten Anstrengungen Marktes von 160 Millionen Menschen, der sich
macht, den echten europäischen Charakter der zwischen den anderen Wirtschaftsmächten behaup-
Gesamtlösung zu sichern. Ich gebe die Hoffnung ten kann.
nicht auf, daß die französische Regierung und die Daß der Gemeinsame Markt für Kohle und
französische Öffentlichkeit begreifen, daß wir mit Stahl nur ein erster Schritt hierzu sein kann, war
der Annahme der Grundsätze des Naters-Plans von vornherein klar. Aber jenes größere Werk
als Verhandlungsgrundlage eine Kompromißbereit- kann nicht mit einem Schlage geschaffen werden.
schaft in der gesamten Frage bekundet haben, die Uns war es zunächst aufgegeben, einen Anfang zu
uns zu der Erwartung berechtigt, daß die fran- machen.
zösische Regierung ihrerseits ebenfalls Zugeständ- Für Deutschland bestand hieran noch ein be-
nisse von Bedeutung macht. sonderes Interesse. Man vergißt zu schnell, wie
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs es um Deutschland und sein Ansehen in der Welt
parteien.) gestellt war,
Es wäre tragisch, wenn am Mangel einer Einigung (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
in dieser Frage die europäische Gemeinschaft als am 9. Mai 1950 der damalige Außenminister,
scheiterte. Herr Robert Schuman, jene Erklärung der fran-
(Sehr gut! in der Mitte und rechts.) zösischen Regierung verkündete.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich (Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)
einige Ausführungen allgemeinerer und politischer Seitdem die Montan-Gemeinschaft ins Leben ge-
Natur zu der Frage der Montan-Union machen. treten ist, sind das Londoner Abkommen und mit
Ich glaube, daß diese Ausführungen in eine Dar- ihm die Ruhrbehörde gefallen, sind Stahlerzeu-
stellung der gesamten außenpolitischen Lage mit gung und Produktionskapazität von den besat-
hereingehören. Ich darf denjenigen Herren, die zungsrechtlichen Beschränkungen befreit und hat
der Zusammenfassung der Punkte der Tagesord- die Alliierte Hohe Kommission für sich und die
nung widersprochen haben, sagen, daß sie unter ihr angegliederten Kohle- und Stahlkontrollgrup-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1073
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
pen auf alle Eingriffsrechte verzichtet, für welche von Kohle und Stahl eine gewisse Abschwächung
die Hohe Behörde die Zuständigkeit ausübt. eingetreten ist.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) Unter diesen Gesichtspunkten müssen die ersten
Glaubt, meine Damen und Herren, einer von Auswirkungen der Bildung des Gemeinsamen
Ihnen, daß, wenn wir uns damals gegenüber der Marktes auf die deutsche Wirtschaft betrachtet
Montan-Union einfach ablehnend erklärt hätten, werden. Im einzelnen kann nach Ablauf der kur-
diese Befreiungen von den uns durch den Zusam- zen Zeit seit dem Inkrafttreten folgendes festge-
menbruch auferlegten Fesseln eingetreten wären? stellt werden:
(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) 1. Der deutsche Ausfuhrüberschuß an Kohle und
Stahl konnte sich seit Errichtung des Gemeinsamen
Der wirtschaftliche Aufstieg der Bundesrepublik Marktes auf der früheren Höhe halten und zeigt bei
in den letzten Jahren wäre nicht möglich gewe- Stahl in neuester Zeit eine steigende Tendenz.
sen ohne die Befreiung von jenen Fesseln. Es war
selbstverständlich, daß eine derartige, mit einem 2. Die deutschen Kohlenlieferungen in die übri-
Ausschnitt aus der Volkswirtschaft beginnende gen Länder der Gemeinschaft haben zugenommen
Teilintegration und der Aufbau einer so revolutio- im Gegensatz zur Absatzentwicklung im Inland und
när neuartigen Organisation, wie sie eine supra- zur Gestaltung der Kohlenausfuhr nach Ländern
nationale Gemeinschaft darstellt, gewisse Anlauf- außerhalb der Montangemeinschaft.
schwierigkeiten m it sich bringt. Demgemäß hat 3. Die Erlöslage des deutschen Steinkohlenberg-
der Vertrag selbst eine Übergangs- und Anpas- baues hat sich durch die neuerlichen Preismaßnah-
sungszeit von fünf Jahren für notwendig ange- men der Hohen Behörde im ganzen gesehen, wenn
sehen. Er hat darüber hinaus die Möglichkeit vor- auch nur in geringem Umfange, verbessert.
gesehen, daß mit der Anwendung der Vertrags- 4. Die Stahlpreise sind infolge des Wettbewerbs
bestimmungen zeitweise überhaupt innegehalten zwischen den Industrien der Gemeinschaft gesun-
werden könne, falls es durch die Anwendung in ken, was in Anbetracht der Schlüsselstellung der
einem der Mitgliedstaaten zu schweren, länger Eisenpreise für das gesamte wirtschaftliche Niveau
dauernden Störungen kommen würde. von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Dabei
Von dieser Übergangszeit, meine Damen und wurde die Wettbewerbslage der deutschen Stahl-
Herren, ist für den Stahlmarkt ein Jahr vergan- erzeuger durch das Sinken der Rohstoffpreise er-
gen; für den Kohlenmarkt sind es einige Monate leichtert.
mehr. Es ist natürlich schwer, auf Grund einer Das ist die wirtschaftliche Bilanz. Die politische
so kurzen Zeit ein Urteil auszusprechen. Immer- weist darüber hinaus noch weitere Aktiva auf. Sie
hin läßt sich das sagen, daß die Schwierigkeiten bestehen im wesentlichen in den Wirkungen, die
bisher nicht größer, sondern eher geringer gewe- sich aus der Gewöhnung an die Gemeinschaftsarbeit
sen sind, als man bei Vertragsabschluß voraus- ergeben haben. Diese Gewöhnung kann und soll
sah. Ein Zeichen dafür ist, daß die oben genannten nicht dazu führen, daß die Besonderheiten der
Vorschriften über die tiefgreifenden Störungen, Volkswirtschaften der einzelnen Länder in der Ge-
die man bei Abfassung des Vertrages für außeror- meinschaft verschwinden. Wohl aber müssen die
dentlich wichtig ansah, bis jetzt von keinem ein- nationalen Interessen und Eigentümlichkeiten sich
zigen Staat in Anspruch genommen, geschweige in dem gemeinschaftlichen Rahmen zusammenfü-
denn für anwendbar erklärt worden sind. Ebenso gen und in der Verfolgung gemeinsamer Ziele einen
ist unbestritten, daß bereits in der kurzen Zeit des Ausgleich finden. Daß in dieser Art des Arbeitens
gemeinsamen Marktes die innere Verflechtung, der in allen Organen der Gemeinschaft große
innere Austausch innerhalb der Gemeinschaft um - Fort-
schritte erzielt worden sind, kann niemand leugnen,
rund ein Viertel gewachsen ist. An dieser Steige- der von den Dingen unmittelbar Kenntnis hat. Ich
rung des inneren Austauschs hat auch die Bundes- denke insbesondere an das Montanparlament, die
republik einen vollgemessenen, positiven Anteil Gemeinsame Versammlung. Diese hat keineswegs
gehabt. die parlamentarischen Rechte, welche die Bundes-
Damit will ich die bestehenden Schwierigkeiten regierung für eine europäische Versammlung als
nicht verkleinern. Ich will nur ihr wirkliches notwendig ansieht. Trotzdem ist es schon ein echtes
Wesen klarstellen. Es sind Schwierigkeiten, europäisches Parlament geworden, mit europäischen
welche nicht die langfristigen Ziele der Montan- Zielen, europäischen Gesichtspunkten und europä-
Gemeinschaft betreffen. Wenn insbesondere gegen- ischen Parteien.
wärtig von Überkapazität im Gemeinschaftsgebiet Diese im wesentlichen positive Bilanz hat die
hinsichtlich des Stahls die Rede ist, so braucht Bundesregierung nicht verführt die Hände in den
man sich nur daran zu erinnern, daß in der Ge- Schoß zu legen. Zwei Punkte waren und sind es,
meinschaft der Stahlverbrauch pro Kopf der Be- denen vorzugsweise ihr Interesse gilt. Das eine ist
völkerung noch immer nicht einmal ein Drittel die Verbesserung der Startbedingungen der deut-
so viel beträgt wie in den Vereinigten Staaten, schen Montanindustrie. Man hat auf diese schlech-
und selbst in der Bundesrepublik weniger als die ten Startbedingungen bei Beginn des Schuman
Hälfte; es ist also deutlich, daß, auf lange Frist plans vielfach hingewiesen. Für sie ist die Montan-
gesehen, wir unsere Kapazität verstärken müs- gemeinschaft nicht verantwortlich zu machen. Im
sen, falls wir nicht die Hoffnung aufgeben wollen, Gegenteil, die schlechten Startbedingungen lagen
einen einigermaßen gleichwertigen Lebensstandard darin, daß die deutsche Montanindustrie bis zum
zu erreichen. Es handelt sich nur um kurzfristige Schumanplan durch Kriegszerstörung, Demontagen,
Schwierigkeiten. Produktionsbeschränkungen, Entflechtungsmaßnah-
Aber auch diese ergeben sich nicht allein aus men und erzwungene niedrige Kohlenexportpreise
der Montangemeinschaft als solcher und den durch in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beengt war.
sie gegebenen Anpassungsnotwendigkeiten. Viel- Erst der Schumanplan gab, indem er die Diskrimi-
mehr beruhen diese Schwierigkeiten zum Teil dar- nierung Deutschlands und die Beschränkungen sei-
auf, daß in der Weltkonjunktur auf dem Gebiete ner Montanindustrie grundsätzlich beseitigte, die
1074 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Möglichkeit, einen Ausgleich in die Wege zu leiten. Integration ganz überwiegend als Notwendigkeit
Das hat die Bundesregierung im Rahmen der gege- anerkannt und gefordert wird, so hat hieran die
benen Möglichkeiten weitgehend getan. Von insge- Tätigkeit der Montangemeinschaft, die dies stärker
samt 6,2 Milliarden DM, die an zentral gesteuerten als abstrakte Argumente anschaulich gemacht hat,
und vom Bund verbürgten Mitteln der deutschen einen wesentlichen Anteil.
Gesamtwirtschaft zur Verfügung gestellt wurden, Es entspricht also der von Anfang an verfolgten
sind rund 2 Milliarden DM in die Kohle- und Stahl- Grundkonzeption des Montanvertrags, wenn wir
industrie geflossen. Selbstverständlich ist sich die dafür Sorge tragen, daß die Unzulänglichkeiten der
Bundesregierung bewußt, daß mit diesen Mitteln Teilintegration nicht zu einer Hemmung für die
nicht bereits alle Startschwierigkeiten behoben weitere wirtschaftliche Integration Europas wer-
werden konnten; aber im Hinblick auf die be- den, sondern eine dynamische Entwicklung zur
schränkten Möglichkeiten des Kapitalmarktes muß engeren Zusammenarbeit der gesamten europä-
diese Leistung doch als sehr beachtlich anerkannt ischen Wirtschaft einleiten. Dazu gibt gerade die
werden. gegenwärtige Konjunkturlage Anlaß; denn nur
Meine Damen und Herren, auf Grund der beste- durch allgemeine Maßnahmen können jene Schwie-
henden gesetzlichen Vorschriften und der gegebe- rigkeiten auf dem Gebiet von Kohle und Stahl
nen Preissituation ist es zudem der Kohle- und überwunden werden, die in der allgemeinen Kon-
Stahlindustrie selbst gelungen, erhebliche eigene junkturlage ihre Ursache haben.
Mittel für Investitionen verfügbar zu machen. Die In der Erkenntnis dieser Sachlage ist der Mini-
Bundesregierung wird auch weiterhin von sich aus sterrat dazu übergegangen, in seinem Rahmen auch
alles Erdenkliche tun, um den Investitionsbedürf- die mit den Montanfragen in Zusammenhang ste-
nissen der deutschen Grundstoffindustrie Rechnung henden Transport- und Sozialfragen zu behandeln,
zu tragen. In diesem Zusammenhang begrüßt die die der Vertrag an sich dem gemeinsamen Vorgehen
Bundesregierung den erfolgreichen Abschluß der der Regierungen außerhalb des Vertrages über-
Anleiheverhandlungen zwischen der Hohen Behörde lassen hat. Vor allem aber hat der Ministerrat am
der Kohle- und Stahlgemeinschaft und der Regie- 13. Oktober 1953 auf Initiative der Bundesregie-
rung der Vereinigten Staaten. rung den Beschluß gefaßt, zusammen mit der
Herr Dr. Deist hat ausgeführt, daß in Deutsch- Hohen Behörde die Möglichkeit einer gemeinsamen
land auf eine Tonne Kohleförderung 6 DM — wenn Politik der Ausweitung der Wirtschaft und der
ich es recht behalten habe — Investitionsgelder ge- Investitionen zu prüfen. Mit diesem Beschluß, des-
geben worden seien, in Frankreich 17 DM. Nun, ich sen Verwirklichung die Bundesregierung mit allen
bitte Herrn Deist, bei seiner nächsten Anwesenheit Mitteln fördert, haben Rat und Hohe Behörde
in Paris ein längeres Gespräch mit dem dortigen einen Weg beschritten, der über die engen Gren-
Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu zen der Teilintegration hinaus zu neuen Formen
führen. Ich habe dieses Gespräch mit dem Vertreter wirtschaftlicher Zusammenarbeit führen kann.
des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Paris ge- Darüber hinaus ist es ein wesentliches Anliegen,
führt und habe von ihm einen Vergleich geschildert auch die von der Montangemeinschaft ausgehenden
bekommen zwischen dem deutschen und dem fran- Antriebe zur politischen Ausweitung mit allen
zösischen Bergbau. Nach diesem Vergleich können Kräften zu fördern. Schon die Gründung der Mon-
wir mit Ehren bestehen. tangemeinschaft selbst war außerhalb alles Wirt-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Un schaftlichen ein politisches Faktum ersten Ranges.
ruhe bei der SPD.) Kohle und Stahl waren von jeher die Grundlagen
Der zweite Punkt, dem nun die Bundesregierung jeder militärischen Rüstung. Indem die Staaten
besondere Aufmerksamkeit schenkt, ist mit dem -
ihre Hoheitsrechte über diese beiden Grundstoffe
bereits von mir gebrauchten Wort „Teilintegration" auf eine supranationale Gemeinschaft übertrugen,
bezeichnet. Die Montanunion ist in doppeltem Sinne wurde insbesondere zwischen Frankreich und
eine Teilintegration. Einerseits ist sie nur ein Teil Deutschland die Verständigung und Aussöhnung
der wirtschaftlichen Gesamtintegration, und ande- bekräftigt und anschaulich gemacht, in welcher die
rerseits ist diese selbst nur ein Teil der Integration Bundesregierung einen wesentlichen Bestandteil
überhaupt, die ihrem Kern nach politisch ist. ihrer- Politik sieht.
Gelegentlich wird es so dargestellt, als habe man (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
bei Vertragsabschluß der Montan-Union die Teil- Diese politischen Impulse einigender Art, die von
integration als ein sich selbst genügendes Ziel an- der Montangemeinschaft ausgegangen sind, haben
gesehen und als habe man erst in der Zwischenzeit nicht aufgehört zu wirken.
die Schwierigkeiten entdeckt, die sich aus der (Beifall in der Mitte.)
Beschränkung auf eine bloße Teilintegration
ergeben. Das ist völlig unrichtig. Niemals ist die Aus dem politischen Leben ist die Montangemein-
Teilintegration zweier Grundstoffe für uns Selbst- schaft als ein antreibendes Moment der europä-
zweck gewesen, und niemals sind die notwendigen ischen Einigung nicht mehr wegzudenken. Ihr ver-
Unvollkommenheiten einer Teilintegration ver- danken wir zum großen Teil, daß diese Einigung
kannt worden; das ist auch in diesen Verhandlungen eine werdende Wirklichkeit ist — eine kämpfende
eindeutig zum Ausdruck gekommen. und bedrohte Wirklichkeit, aber trotz allem eine
Wirklichkeit.
Aber vor fünf Jahren war eine wirtschaftliche
Gesamtintegration mit der politischen Wirklichkeit (Sehr richtig! in der Mitte.)
nicht vereinbar. Man mußte mit einem Teilgebiet Im Einklang hiermit hat die Bundesregierung
beginnen, um weiter fortzuschreiten. Man mußte auch der Europäischen Politischen Gemeinschaft
sich dabei auf die Hoffnung stützen, daß gerade die besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie begrüßt
Unvollständigkeit der Teilintegration den inneren die Fortschritte, die auf diesem Gebiet gemacht
Zwang zum Fortschreiten auf dem Wege zu engerer worden sind, und widmet sich mit größter Energie
Zusammenarbeit mit sich bringen würde. Diese den laufenden Arbeiten. Aus den Beratungen der
Hoffnung hat sich erfüllt. Wenn heute die weitere Ad-hoc-Versammlung und ihres unter dem Vorsitz
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1075
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
des Abgeordneten von Brentano stehenden Verfas- die ich einleitend gemacht habe — haben mit dazu
sungsausschusses sind hier Entwürfe hervorgegan- geführt, daß auf der Berliner Viererkonferenz der
gen, die die Grundlage aller weiteren Arbeiten Versuch unternommen wurde, die deutsche Frage
bilden müssen. Auf dieser Grundlage sind denn zu lösen. Dieser Versuch ist zunächst gescheitert.
auch inzwischen die Regierungen in gemeinsamer Die Verantwortung dafür trifft die Sowjetunion.
Arbeit bemüht, zu vereinbarten Texten zu kommen. Die alliierten Regierungen hatten in der Form des
Diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Auf das Eden-Plans, der in allen seinen wichtigen Grund-
Tempo ihres Fortgangs hat natürlich auch die Tat- zügen auf den Bundestagsbeschlüssen vom 10. Juni
sache eingewirkt, daß die Europäische Verteidi- 1953 basiert, einen praktischen Vorschlag unter-
gungsgemeinschaft noch nicht Wirklichkeit gewor- breitet. Die Sowjetunion hat klar zu erkennen ge-
den ist. Doch sind bereits die Umrisse der künftigen geben, daß sie an einer Veränderung des Status
Lösung deutlich erkennbar, in deren Mittelpunkt quo in Europa nur dann interessiert ist, wenn diese
ein unmittelbar gewähltes europäisches Parlament Veränderung zu einer Ausdehnung ihres Einflusses
steht, als stärkster Ausdruck des Einigungswillens auf ganz Deutschland führt. Alle die, die geglaubt
der europäischen Völker und als der sicherlich ent- hatten, die Wiedervereinigung in Freiheit zu einem
scheidende dynamische Faktor der weiteren Ent- konkreten Preise erkaufen zu können, sehen sich
wicklung. enttäuscht.
Die allgemeine Erkenntnis, meine Damen und (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Herren, daß Deutschland seine Probleme nur im Die Sowjets haben für die Wiedervereinigung in
Zusammenwirken mit ihm befreundeten Mächten Freiheit überhaupt keinen Preis genannt, auch
lösen kann, gilt auch und nicht zuletzt für das zen- nicht den der Europäischen Verteidigungsgemein-
trale Problem der deutschen Politik: die Wiederver- schaft.
einigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Die (Erneute Zustimmung in der Mitte.)
Spaltung Deutschlands beruht auf dem Konflikt Die Westmächte haben in Übereinstimmung mit
der Großmächte. Sie ist auch nur durch ein Über- den Absichten und Gedanken der Bundesregierung
einkommen der Großmächte zu beseitigen. Die Wie- weiter den Versuch gemacht, die Frage der Sicher-
dervereinigung kann also nur zu einem Teil aus heit, die seit geraumer Zeit in der sowjetischen
eigener deutscher Kraft zustande kommen. Wäre es Propaganda eine bedeutende Rolle spielt, anzu-
anders, so wäre sie — daran lassen die klaren Wil- schneiden, um damit eine entgegenkommendere
lenskundgebungen in allen Teilen Deutschlands Haltung der Sowjetunion in der deutschen und in
keinen Zweifel — längst erfolgt. der österreichischen Frage herbeizuführen. Auch
(Zustimmung in der Mitte.) auf diesem Gebiete hat sich erwiesen, daß die
Wir sind auch in dieser Frage immer darauf ange- Sowjetunion an praktischen Abkommen über
wiesen, Bundesgenossen zu finden, die von der Recht- Sicherheit und Rüstungskontrolle bis jetzt nicht
mäßigkeit unseres Verlangens nach Wiedervereini- interessiert ist. Sie hat einfach alle Bündnisse und
gung überzeugt sind, und sie zu bewegen, sich Gruppierungen, denen sie selbst nicht vorsteht, als
immer wieder aktiv für die Erfüllung dieses Ver- aggressiv und diejenigen, die sie beherrscht, als
langens einzusetzen. Der Bundestag und die Bun- friedliebend erklärt. Auf dieser Basis war natürlich
desregierung haben deshalb von Anbeginn ihrer eine Übereinkunft nicht zu erreichen. Die Sowjet-
Tätigkeit an in voller Einmütigkeit jede Gelegen- union wird der Wiedervereinigung Deutschlands
heit benützt, um die Westalliierten und darüber in Freiheit erst dann zustimmen, wenn sie einsehen
hinaus die ganze Weltöffentlichkeit anzurufen, dem muß, daß ihr Programm einer weiteren Durchdrin-
deutschen Volk sein Recht auf Einheit nicht länger gung des freien Europa nicht mehr zu verwirk-
vorzuenthalten. Wenn heute die ganze freie Welt -
lichen ist und daß die Politik des Kalten Krieges
davon überzeugt ist, daß die beiden Teile Deutsch- am Freiheitswillen des deutschen Volkes geschei-
lands wieder zusammengeführt werden müssen, so tert ist.
ist das das Ergebnis der konsequenten deutschen (Lebhafter Beifall bei den Regierungs
Haltung. parteien.)
(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) Der Kampf, der um die deutsche Freiheit in Berlin
Heute wird in der freien Welt nicht nur allgemein und in der sowjetisch besetzten Zone geführt
anerkannt, daß die Beseitigung der Spaltung wird, wird stärker als alles andere in der Welt das
Deutschlands eine der wesentlichen Voraussetzun- Bewußtsein erhalten, daß es sich hier um ein
gen für die Erhaltung und Festigung des Friedens brennendes Problem handelt, das nicht ungelöst
in Europa ist, sondern es besteht auch weitgehend bleiben darf. Welchen Widerhall dieser Kampf in
Übereinstimmung über den Weg, der allein zu einer der Welt gefunden hat, hat erst in jüngster Zeit
Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit führen wieder die gemeinsame Erklärung der NATO -
kann. Dieser Weg ist von der Bundesregierung Staaten gezeigt, in der sie eine Anerkennung des
und dem Bundestag am 10. Juni 1953 klar vor- pseudosouveränen Pankow-Regimes ablehnen.
gezeichnet worden. Seine Etappen sind — lassen Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen:
Sie es mich noch einmal wiederholen —: die Ab- Die Außenpolitik, die wir geführt haben, hat
haltung freier Wahlen in ganz Deutschland, die Deutschland aus der Isolierung gelöst und zu einem
Bildung einer freien Regierung in ganz Deutsch- angesehenen vertrauenswürdigen Partner der
land, der Abschluß eines mit dieser Regierung frei freien Welt gemacht.
vereinbarten Friedenvertrags, die Regelung aller (Lebhafter Beifall bei den Regierungs
noch offenen territorialen Fragen in diesem Frie- parteien.)
densvertrag, die Sicherung der Handlungsfreiheit Der politische Kredit der Bundesrepublik ist unbe-
für ein gesamtdeutsches Parlament und eine ge- stritten. Überwiegend wird heute in der freien
samtdeutsche Regierung im Rahmen der Grund- Welt die Auffassung vertreten, daß man auf die
sätze und der Ziele der Vereinten Nationen. Zusammenarbeit mit Deutschland nicht mehr ver-
Die Bemühungen der Bundesregierung — lassen zichten kann. Der Weg, der sich über fünf Jahre
Sie mich damit zu Ausführungen zurückkommen, harter und mühsamer Arbeit erstreckt, hat uns die
1076 1 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Befreiung unserer Produktion von den Beschrän- um die tragische Vergangenheit Europas abzu-
kungen und Kontrollen der ersten Besatzungszeit schließen und die Menschen in Europa von der
gebracht. Die Ruhrkontrolle ist gefallen. Unser Geißel des Krieges, von der Furcht um ihre Exi-
Außenhandel entwickelt sich frei in der ganzen stenz, von der Sorge um das Schicksal ihrer Kinder
Welt. Unsere Sicherheit wird durch ein mächtiges zu befreien.
weltweites Bündnissystem garantiert, das uns mit (Anhaltender lebhafter Beifall bei den
den großen Mächten der freien Welt in Freund- Regierungsparteien.)
schaft verbindet. Diese Garantie schließt auch aus-
drücklich Berlin ein. Es gibt keine Interessengegensätze und Streit
objekte zwischen den freien europäischen Völkern,
Den Ungeduldigen, den Zweiflern, den Zaudern-
den muß ich immer wieder die Fragen stellen: (Zurufe von der SPD: Die Saar!)
Welchen anderen Weg können Sie uns zeigen? die, gemessen an der Größe der uns aus dem Osten
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs drohenden Gefahr, so bedeutend wären, daß wir
parteien.) sie nicht schnell überwinden sollten,
(Beifall bei den Regierungsparteien —
Hätten wir das Petersberger Abkommen etwa nicht Zurufe von der SPD)
schließen und damit Hunderte unserer wichtigsten
Werke vor der Demontage bewahren und vielen um den Weg frei zu machen für diesen Zusammen-
Tausenden von Arbeitern die Arbeitsplätze erhal- schluß.
ten sollen? (Zurufe von der SPD: Und die Saar?!)
(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Viele Generationen vor uns, auch sozialistische
Generationen,
Hätten wir nicht dem Europarat beitreten und uns
an der freien Erörterung der wichtigsten Probleme (Sehr gut! in der Mitte)
unseres europäischen Lebens beteiligen sollen? haben sich ihn schon erträumt, und er darf unter
(Erneute Zustimmung bei den Regierungs keinen Umständen an Nationalismus und Egoismus
parteien.) scheitern.
Hätten wir der Montan-Union eine internationale (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
Ruhrkontrolle vorziehen und zugleich die Be- teien. — Zuruf von der SPD: Und die Saar
schränkung unserer Produktion weiter hinnehmen wird verraten!)
sollen? Die Verwirklichung der Pläne für einen europä-
(Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe von der ischen Zusammenschluß immer wieder hinauszu-
SPD.) schieben, enthält eine große Gefahr. Bestimmte,
Sollten wir uns als Niemandsland zwischen Ost und günstige Konstellationen dauern in der Geschichte
West bald dem Zugriff dieser, bald dem Zugriff nicht unbegrenzt fort
jener Macht ausliefern? (Sehr richtig! in der Mitte)
(Wiederholter Beifall bei den Regierungs und kehren selten wieder.
parteien.) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Meine Damen und Herren, wir dürfen und wir Seien wir uns, meine Damen und meine Herren
werden den eingeschlagenen Weg nicht verlassen. — und ich richte diese Worte weit über diesen Saal
(Stürmischer Beifall bei den Regierungs hinaus an alle Menschen im freien Europa, die
parteien.) guten Willens sind —, des Ernstes dieser Zeit be-
Die Quelle des Vertrauens der Welt liegt doch wußt und zeigen wir uns ihren Erfordernissen -
darin, daß die freien Völker aus der Bereitschaft gewachsen, auf daß spätere Generationen uns nicht
der Bundesrepublik zu einer engen Partnerschaft als schwächlich und leichtfertig verurteilen. Wir
auf wirtschaftlichem, militärischem und politischem müssen uns darüber klar sein, daß, wenn der Zu-
Gebiet die Überzeugung gewonnen haben, daß das sammenschluß der europäischen Völker scheitert,
Deutschland der Gegenwart nicht nationalistischem die Existenz dieses Kontinents ins Wanken gerät.
Egoismus verfallen und damit erneut zu einer Be- (Anhaltender stürmischer Beifall bei den
drohung seiner Nachbarn werden kann. Regierungsparteien.)
(Sehr gut! in der Mitte.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
Deutschland ist auf seine Nachbarn angewiesen. Es Herren, wir treten in die Beratung der Großen
kann sich gegen die drohenden Gefahren nicht Anfrage ein. Es ist wohl kein Zweifel, daß die
allein verteidigen und behaupten, es kann aber erforderliche Anzahl von Mitgliedern des Hauses
auch seine wirtschaftlichen Kräfte nicht entfalten die Besprechung verlangen.
ohne enge Zusammenarbeit mit den freien Völkern
der Welt. Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Alle Anstrengungen Ollenhauer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
der großen Mehrheit dieses Hohen Hauses und der und Herren! Die sozialdemokratische Bundestags-
Bundesregierung waren in den letzten fünf Jahren fraktion ist dankbar dafür, daß die heutige Aus-
darauf gerichtet, nach Kräften dazu beizutragen, sprache über die Große Anfrage unserer Fraktion
daß das Werk des europäischen Zusammenschlusses zur Saarfrage ausgeweitet worden ist zu einer
gelingt. In enger Zusammenarbeit mit den Staats- Aussprache über die Außenpolitik der Bundes-
männern in Europa und in Amerika, die von der republik und der Bundesregierung. Wir sind mit
gleichen Überzeugung geleitet sind, haben wir dem Herrn Bundeskanzler darin einig, daß diese
immer wieder versucht, Schwierigkeiten, wo sie Aussprache in einem kritischen Augenblick der
auftauchten, zu überwinden, Probleme, wo sie sich internationalen Situation, aber nach unserer Mei-
stellten, durch neue Vorschläge zu lösen. Für uns nung auch in einem kritischen Stadium der Außen-
Deutsche gibt es nur diesen Weg, politik der Bundesregierung stattfindet.
(Zuruf von der SPD: Nein!) (Sehr richtig! bei der SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1077
(Ollenhauer)
Bevor ich auf diesen Teil der Ausführungen des ren, die sich aus dem Wettrüsten in der Welt erge-
Herrn Bundeskanzlers eingehe, möchte ich doch ben, dürfen vor allem die demokratischen Völker
darauf hinweisen, daß die Unruhe und Besorgnis, in ihren Anstrengungen nicht müde werden, diese
die heute das deutsche Volk erfüllen, nicht nur in Periode durch unablässiges Drängen auf eine
dem Gefühl begründet sind, daß die Außenpolitik internationale Abrüstung abzulösen.
der Bundesregierung sich in einem sehr kritischen (Zuruf von der Mitte: Das will Adenauer!)
Stadium befindet, sondern auch darin, daß noch
einige andere Ereignisse in der internationalen In dem Spiel mit Zahlen über Divisionen, Kampf-
Politik seit dem Ende der Berliner Konferenz ein- geschwader und Atombomben darf das Ziel der
getreten sind, die wohl alle Menschen in der Welt Abrüstung und des dauernden Friedens nicht
mit Besorgnis und Unruhe erfüllen und die auch untergehen.
für uns von entscheidender Bedeutung sind, wenn (Beifall bei der SPD.)
sie auch nicht unmittelbar in die Aufgabenbereiche Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten
der Außenpolitik der Bundesregierung und der lehnen den Krieg als Mittel der Politik ab.
Bundesrepublik fallen. (Beifall links. — Zuruf rechts: Und wir
Ich meine zunächst, daß die neueste Entwicklung genau so!)
der Atom- und Wasserstoffbomben alle Menschen, Es mag auch heute in der Welt noch Menschen
auch die Menschen in der Bundesrepublik, mit geben, die Kriege als unausweichlich ansehen und
größter Sorge erfüllt. Werden diese modernen die sie deshalb in die Kalkulation ihrer Politik
Waffen, über die heute die beiden entscheidenden einbeziehen.
Großmächte der Welt verfügen, in einem kommen-
den Konflikt eingesetzt, dann ist die physische (Abg. Günther: Das lehnt auch Frankreich ab!)
Existenz großer Teile der Menschheit in Frage ge- Aber wir sind der Meinung, daß das Interesse des
stellt, von der Vernichtung unserer Zivilisation deutschen Volkes an der Erhaltung seiner Substanz
überhaupt nicht zu reden. und seiner nationalen Zukunft eine solche Möglich-
(Sehr richtig! bei der SPD.) keit eindeutig ausschließen sollte.
Die Entwicklung ist damit an einem Punkt ange- (Sehr gut! bei der SPD.)
langt, an dem die Kontrolle dieser Energien zu Unser nationales Interesse ist die Erhaltung des
einer Lebensfrage der Menschheit geworden ist. Friedens, und es gibt keine nationalpolitische For-
(Sehr wahr! bei der SPD.) derung des deutschen Volkes, wie schwerwiegend
sie auch sein mag, deren Durchsetzung eine krie-
Das deutsche Volk ist in den Verhandlungen der gerische Auseinandersetzung rechtfertigen könnte.
Mächte über die Möglichkeiten zur Begegnung die-
ser Gefahren als Partner unmittelbar nicht betei- (Beifall links. — Abg. Dr. von Brentano:
ligt, obwohl die Instrumente dieser neuen Erfin- Auch nicht die Freiheit?)
dungen auch auf deutschem Boden stehen. — Ich habe gesagt, was ich meine.
(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr. Wir wissen, daß der gegenwärtige Zustand der
Arndt: Zu Unrecht stehen!) Aufrüstung von den Demokratien nicht mit aggres-
Aber da es hier ja auch um unser Schicksal und siven Absichten herbeigeführt wurde, sondern daß
um die Zukunft unserer Kinder geht, haben nach diese Aufrüstung die notwendige Konsequenz einer
unserer Meinung die verantwortlichen Menschen in Politik der Verteidigung und der Erhaltung der
der Bundesrepublik das Recht und die Pflicht, auch Freiheit und der Unabhängigkeit ihrer Völker ist.
in dieser Sache für das deutsche Volk zu sprechen. (Sehr gut! in der Mitte.) -
Wir begrüßen die durch den amerikanischen Präsi-
denten Eisenhower eingeleiteten Gespräche über Wir haben deshalb auch wiederholt unsere Bereit-
eine Kontrolle der Atomenergie mit dem Ziel, ihre schaft erklärt, an einer solchen Sicherung und Ver-
ausschließliche Verwendung zu friedlichen Zwecken teidigung der Demokratien mitzuwirken.
sicherzustellen, und wir hoffen, daß diese Verhand- (Sehr gut! in der Mitte.)
lungen bald zu einem Erfolg führen. Eine solche Nach unserer Auffassung behält aber eine solche
Vereinbarung würde eine große Last von den Her- Verteidigungspolitik nur dann ihre innere Berech-
zen der Menschen nehmen. tigung, und sie kann nur dann vor unseren Völkern
Allerdings muß hinzugefügt werden: die inter- mit guten Gründen vertreten werden, wenn der
nationale Atomkontrolle kann und darf nur ein Charakter der Verteidigung eindeutig und unver-
Teil einer Politik sein, die die allgemeine, inter- wischt auch in der internationalen Politik der
national kontrollierte Abrüstung zum Ziel hat. Demokratien aufrechterhalten bleibt.
(Beifall bei der SPD.) (Beifall links.)
Die gegenwärtigen Debatten über die Gefahren Lassen Sie mich dazu ein Wort sagen. In dieser
eines neuen Krieges unter Anwendung der neuen Beziehung haben uns, und ich glaube, nicht nur
Waffen erwecken oft den Eindruck, als ob allein uns, sondern breiteste Kreise des deutschen Volkes,
eine internationale Kontrolle der Atomenergien einige Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit
genügte, alle Schrecken und Gefahren eines moder- mit Besorgnis erfüllt. Ich will nur einen Fall er-
nen Krieges zu bannen. In Wirklichkeit ist aber wähnen. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die
eine dauernde Befriedung der Welt nur möglich, amerikanische Außenpolitik anzugreifen. Ein
wenn es zu einer allgemeinen, international kon- solcher Angriff würde auch weder den Lebens-
trollierten Abrüstung kommt. Selbstverständlich interessen des deutschen Volkes entsprechen noch
kann dieses Ziel nicht durch einen einseitigen in Übereinstimmung mit den freundschaftlichen
Schritt der einen oder anderen Seite erreicht wer- Empfindungen stehen, die wir alle für das ameri-
den, sondern es muß sich um eine umfassende und kanische Volk haben. Außerdem wissen wir als
vereinbarte Politik aller Mächte handeln. Das ist Deutsche und Europäer am besten, was Deutsch-
in der gegenwärtigen Zeit zweifellos eine schwie- land und Europa den großen Leistungen des ameri-
rige Aufgabe. Aber gerade angesichts der Gefah kanischen Volkes bei ihrem Wiederaufbau nach
1078 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Ollenhauer)
dem letzten Kriege verdanken. Aber mit der Be- Auf der andern Seite sind die von der Bundes-
sorgnis eines Freundes werfen wir die Frage auf, regierung erhofften Resultate ihrer Integrations-
ob es im Sinne einer Politik der Verständigung politik nicht erreicht worden. Es hilft uns doch
und der Verhandlungsbereitschaft ist, so schwierige nichts, wenn man in einem Rechenschaftsbericht
internationale Verhandlungen wie die von Genf des Herrn Bundeskanzlers die Bilanz über die
mit so schwerwiegenden Schritten zu belasten wie Integrationspolitik der Bundesregierung im wesent-
jener geplanten Warnung der amerikanischen Re- lichen damit ausfüllt, daß man von der allgemeinen
gierung an die Pekinger Regierung, für die Mr. Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit
Dulles die Unterstützung der französischen und spricht.
britischen Regierung zu erreichen versucht hat. (Zustimmung bei der SPD.)
(Sehr wahr! bei der SPD.) Für eine solche Erklärung könnten Sie die Zu-
Wir meinen — ich möchte das in aller Offenheit stimmung, und zwar die volle Zustimmung, auch
sagen —, wir stehen unter Umständen vor der der sozialdemokratischen Fraktion haben, wenn
Gefahr, daß ein Schritt eine Kette von Ereignissen Sie nicht immer wieder, in dieser Rede und in
auslöst, die alle Völker in den Strudel nicht ab- Ihrer Praxis den Begriff — den richtigen und
sehbarer Konflikte einbezieht. wertvollen Begriff — der europäischen Zusammen-
arbeit gleichsetzten mit d e r Integrationspolitik,
(Beifall bei der SPD.) die Sie mit dem Westen Europas betreiben.
Eine solche Politik geht auch uns an. Dieser Um- (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)
stand berechtigt uns deshalb, unseren Besorgnissen
Ausdruck zu geben. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Die Sowjetunion hat durch ihre Politik in Außerdem: wäre es nicht andererseits an der
Zeit, mit weniger Optimismus und mit weniger
Europa und in Asien nach 1945 die entscheidende allgemeinen Betrachtungen vor diesem Hause auch
Verantwortung für den gegenwärtigen Zustand einmal festzustellen: was sind denn die konkreten
zwischen Krieg und Frieden zu tragen. Niemand Resultate für die Bundesrepublik und das deutsche
kann diese Verantwortung verdunkeln, leugnen Volk, die die Integrationspolitik der Bundesregie-
oder verwischen. W i r wollen es jedenfalls nicht. rung und ihrer Mehrheit in diesem Hause in den
Aber diese Tatsache enthebt die demokratische letzten fünf Jahren erzielen konnte?
Welt nicht der Verpflichtung, sich immer ihrer
eigenen großen Verantwortung für die Erhaltung (Zurufe von der Mitte: Na, na!)
des Friedens und die Vermeidung eines neuen Ich werde einiges dazu sagen.
Weltkrieges bewußt zu bleiben, um so mehr, als Ich möchte hier über das Kapitel Montan-Union
alle verantwortlichen Staatsmänner mindestens nicht sprechen, weil wir in unseren Dispositionen
nach den Erfahrungen des zweiten Weltkriegs von der Annahme ausgegangen sind, daß die
wissen sollten, daß ein neuer Krieg keines der gestrige Verabredung für eine getrennte Behand-
Probleme lösen wird, die der zweite Weltkrieg lung dieser Dinge auch heute morgen noch auf-
hinterlassen hat. rechterhalten wird. Ich möchte jedoch einiges zu
(Zustimmung bei der SPD.) dem Kapitel Europäische Verteidigungsgemein-
Wir meinen, unter diesen Perspektiven haben wir schaft sagen. Herr Bundeskanzler, Sie haben
auch die Außenpolitik der Bundesrepublik zu heute — von Ihrem Standpunkt aus mit Recht —
untersuchen. in vollem Wortlaut die britische Garantieerklärung
Die Lage der Bundesrepublik ist einzigartig. Wir gegenüber den EVG-Partnern, insbesondere gegen-
über der französischen Regierung, vorgetragen;
sind nur ein Teil Deutschlands. Deutschland ist als Sie haben mit Recht auch auf die Bedeutung der
Folge der Differenzen zwischen den Besatzungs- amerikanischen Garantieerklärung hingewiesen.
mächten gespalten. Wir sind in der Außenpolitik Aber ist das denn das Problem? Das wirkliche
durch die Begrenzungen beschränkt, die uns heute Problem in der Linie der Effektuierung der EVG
durch das Besatzungsstatut auferlegt sind und die
uns ja auch auferlegt sein werden, wenn morgen war doch die Frage: Wird es möglich sein, Groß-
britannien für die Mitgliedschaft in der EVG zu
der Generalvertrag in Kraft treten sollte.
gewinnen? Ist Großbritannien bereit, sich als ein
(Zustimmung bei der SPD.) Teil dieses integrierten Europas auf dem Gebiet
Wir fühlen uns auf der andern Seite mit der Welt der Verteidigung zu betätigen oder nicht? Alles,
des Westens verbunden. Wir stehen in einem un- was an Zusagen und Garantien in der jetzigen
überbrückbaren Gegensatz zu dem totalitären neuen britischen Erklärung enthalten ist, mag in
System des Bolschewismus; aber gleichzeitig gewissem Sinne französischen Wünschen entgegen-
wissen wir, daß wir unsere nationale Einheit nur kommen; aber das wesentliche Ziel dieser
erreichen können, wenn die westlichen Besatzungs- Verhandlungen ist nicht erreicht worden. Was ist
mächte und die Sowjetunion sich in dieser Frage das Resultat? Es ist nicht unsere Aufgabe, hier
verständigen. Die Politik der Bundesregierung, darüber im einzelnen zu diskutieren.
einseitig die Integration der Bundesrepublik mit (Abg. Dr. Becker [Hersfeld] : Warum tun
dem westeuropäischen Kontinent — bitte, nicht Sie es denn?)
mit Europa! — zu betreiben, — Um Ihnen die Gelegenheit zu geben, Herr
(Sehr richtig! bei der SPD) Becker, nachher als Europäer mich zu widerlegen.
wird dieser Aufgabe nicht gerecht. Sie hat — wenn (Beifall bei der SPD.)
nicht in ihrer Absicht, so doch in ihrer praktischen Das wirkliche Problem ist doch, ob unter den
politischen Wirkung — die ursprünglich durch das heutigen Bedingungen, auch unter den Garantie-
Verhalten der Sowjetunion herbeigeführte Spal- erklärungen von London und Paris im französischen
tung Deutschlands vertieft. Parlament eine Mehrheit für die EVG-Politik
(Sehr wahr! bei der SPD.) erreicht werden kann.
Es ist notwendig, diesen Tatbestand festzuhalten. (Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1079
(Ollenhauer)
Wie ist die Lage denn da? Sind Sie nicht be- trages sicherzustellen, daß auch in Zukunft die
unruhigt über den Tenor der Auseinandersetzun- wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der
gen über die Europäische Verteidigungsgemein- Saar gewahrt bleiben, und daß das Saargebiet
schaft in Frankreich, nicht wieder ein Bestandteil des deutschen Staats-
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Ja, gewiß!) gebietes wird.
wo die Diskussion von Anhängern und Gegnern (Sehr richtig! bei der SPD.)
dieser Gemeinschaft heute im wesentlichen unter Keine Untersuchung des van-Naters-Plans bringt
dem Gesichtspunkt betrieben wird: Ist die Euro- Sie über diese beiden Kardinalpunkte hinweg.
päische Verteidigungsgemeinschaft eine aus- Meine Damen und Herren, wieso sind wir Part-
reichende Kontrollinstanz für die Deutschen, oder ner? Wenn wir Partner wären, dann prüfen wir
ist sie es nicht? doch die Politik des Gleichgewichts, die Sie, meine
(Sehr gut! bei der SPD.) Damen und Herren, mit der Unterzeichnung des
Wo bleibt denn da das, was Sie europäische Vertrages über die Montan-Union in verhängnis-
Partnerschaft in der Verteidigung der Freiheit in voller Weise eingeleitet haben, als Sie die Saar
Europa nennen? als einen Bestandteil Frankreichs auf ökonomi-
schem Gebiet anerkannten, mit der Wirkung, daß
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. heute in der Gemeinsamen Versammlung die Saar-
D. Dr. Gerstenmaier: Das sind Zweck vertreter in den Reihen der französischen Dele-
argumente!) gation sitzen. Da liegen doch die Anfänge,
Nun ein zweites. Wir alle haben hier leiden- (erneute Zustimmung bei der SPD)
schaftliche Diskussionen über die Frage gehabt,
in welchem Ausmaß es möglich ist, dem deutschen und da liegen die Gefahren.
Volk die gleiche Sicherheit zu geben wie irgend- Meine Damen und Herren! Es geht doch hier
einem anderen Volk. Wenn Sie sich daran erinnern, nicht darum — das werden Sie mir hoffentlich
werden Sie wissen, daß einer unserer Einwände glauben —, daß wir einen Vorwand suchen, eine
gegen die EVG die Auffassung war, daß die euro- mögliche europäische Zusammenarbeit unter
päische Verteidigungsgemeinschaft dem deutschen irgendeinem nationalistischen Gesichtspunkt zu
Volke nicht dasselbe Maß von Sicherheit gewähren erschweren. Was uns bewegt, ist etwas ganz
wird oder, wenn Sie wollen, gewähren kann wie anderes. Sie können ein effektives und auf Ver-
den anderen Partnern von EVG und NATO. Bitte, trauen aufgebautes Europa, eine effektive euro-
ich möchte diese Frage heute gar nicht noch einmal päische Gemeinschaft, nur dann haben, wenn diese
theoretisch behandeln. Ich möchte Sie nur fragen, Gemeinschaft die Lebensinteressen und die Selbst-
wie Sie jetzt zu diesem Problem stehen, wenn Sie bestimmung a 11 e r ihrer Partner von Anfang an
sich z. B. in Erinnerung rufen eine Äußerung des respektiert.
höchsten militärischen Mannes der NATO, des (Beifall bei der SPD.)
Generals Gruenther, der in London vor ungefähr Hier liegt das wirkliche Problem. Aber vor dieser
14 Tagen in einer Diskussion oder in einer Kon- Frage stehen Sie ja. Sie werden j a wohl vor dem
ferenz ganz offen erklärt hat: Wir brauchen die 18. Mai sich entscheiden müssen, welchen Preis
12 deutschen Divisionen als Schirm, hinter dem Sie in der Saarfrage zahlen wollen,
wir unsere eigenen Streitkräfte aufbauen können!—
(Sehr gut! bei der SPD)
(Lebhafte Hört!-Hört!-Rufe von der SPD.)
um möglicherweise die Ratifizierung dieses EVG-
Vielleicht ist diese strategische Überlegung des Vertrages zu erhalten.
Generals Gruenther militärisch absolut richtig. -
Aber wo bleibt denn die Sicherheit des deutschen Aber das ist nicht das einzige. Wie wird es denn
Volkes in der Bundesrepublik, wenn das die Po- sein, Herr Bundeskanzler, wenn die französische
litik der EVG-Anhänger ist. Regierung auf ihrer Forderung besteht, die Ihnen
in so diskreter Weise bei der Hinterlegung der
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Bartram: Ratifizierungsurkunden der Verträge in Paris
Worin sehen S i e die Sicherheit? — Abg. übermittelt wurde — zum Unterschied von der an-
D. Dr. Gerstenmaier: Gar keine!) deren Behandlung der holländischen Hinter-
— Meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß ich legungsfeierlichkeit —? Herr Bundeskanzler und
im weiteren Verlauf meiner Auseinandersetzung Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit
darauf zurückkomme. dieses Hauses: was werden Sie denn tun, wenn
(Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt die französische Regierung darauf besteht, daß die
den Vorsitz.) fünf Zusatzprotokolle auch noch durch den Bun-
destag ratifiziert werden? Der Vorteil wäre, daß
Ein Teil der Bilanz, die wir heute hier zu ziehen wir alle in diesem Hause wohl endlich einmal zu-
hätten, ist die Feststellung der Tatsache, daß einer verlässig wüßten, was in diesen fünf Zusatzproto-
der Partner der SechserGemeinschaft, nämlich der kollen steht.
EVG, immer neue Bedingungen an Deutschland (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
stellt, bevor er zur Ratifizierung bereit ist; ich
meine Frankreich. Aber diejenigen, die es wissen — einiges kann
man auch aus den Veröffentlichungen entnehmen
(Sehr richtig! bei der SPD.) —, haben doch keinen Zweifel darüber, daß die
Bitte, wir können eine sehr sachliche, fundierte verniedlichende Auffassung offizieller Regierungs-
und ernsthafte und vielleicht nützliche Aussprache stellen, es handle sich bei diesen Zusatzprotokollen
haben über den Ausgleich der französischen und nur um eine Interpretation des Vertrages, mit der
deutschen Interessen an der Saar, vor allem auf Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Wesentliche Be-
dem wirtschaftlichen Gebiet. Aber darum geht es stimmungen dieser Zusatzprotokolle sind geschaf-
doch hier nicht. Hier geht es um die praktische fen worden, um den Rest von Integration zugun-
politische Forderung Frankreichs, unter irgend- sten der Aufrechterhaltung nationaler Vorrechte
einem Titel vor der Ratifizierung des EVG-Ver Frankreichs zu beseitigen.
1080 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Ollenhauer)
Und wenn Sie den Vertrag schließlich zustande heute wieder mit so großem Nachdruck bekannt
bekommen werden — ich glaube, außer den zwölf hat, führt auch dazu, daß in der Außenpolitik der
deutschen Divisionen wird es wohl kaum andere Bundesregierung die Möglichkeiten ignoriert oder
wirklich europäische und integrierte Divisionen in jedenfalls nicht untersucht werden, die seit der
dieser Europaarmee geben. Aber darüber brauchen Berliner Konferenz in der Frage der europäischen
wir vielleicht nicht zu reden, weil die Aussichten Sicherheit durch die russischen Vorschläge aufge-
für die Realisierung eines solchen Verteidigungs- taucht sind. Bitte, der Berliner Vorschlag Molo-
beitrags auf dieser Ebene mehr als gering sind. tows über ein europäisches Sicherheitssystem war
Was wichtig ist: Wenn Sie eine objektive, nüch- unannehmbar; aber er steht heute nicht mehr in
terne Bilanz dieser EVG-Politik ziehen, müssen der Diskussion. Es gibt eine Note mit Änderungs-
Sie zugeben, daß von der Idee der Partnerschaft, vorschlägen zu diesem Sicherheitsvorschlag, und
zwar mit Änderungsvorschlägen in der Richtung
die ja etwas Positives hätte sein können, in diesen
Verhandlungen und im Vertrag so gut wie nichts der von den Westmächten in Berlin geäußerten
übrig geblieben ist. Kritik, z. B. die Anerkennung, daß die Vereinig-
ten Staaten in ein solches europäisches Sicher-
Noch ein drittes Gebiet gehört in die Integra- heitssystem einbezogen werden sollen. Sicher be-
tionspolitik der Bundesregierung, nämlich die darf auch dieser revidierte Plan eingehender Ver-
Europäische Politische Gemeinschaft. Ich habe mich handlungen, und es ist keineswegs von vornherein
gewundert, daß der Herr Bundeskanzler heute klar, daß er unbesehen akzeptierbar wäre. Aber
wieder solchen Optimismus — war es vielleicht wo gibt es heute überhaupt in der internationalen
nur ein offizieller Optimismus? — in bezug auf Politik eine solche Situation? Was mich bedrückt,
die Entwicklung der Politischen Europäischen Ge- ist z. B. die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler
meinschaft an den Tag gelegt hat. Er hat ja gerade und Außenminister heute im Zusamenhang mit
in dieser Beziehung einige schlechte Erfahrungen dieser neuen Note des russischen Außenministers
hinter sich. feststellt, daß diese Note von den Westmächten ein-
(Heiterkeit bei der SPD.) hellig abgelehnt worden sei. Das ist objektiv nicht
Denn im Frühjahr vorigen Jahres haben Sie, richtig. Es gibt darüber eine sehr interessante Dis-
Herr Bundeskanzler, hier im Bundestag uns an- kussion zwischen den dreien und der Sowjetunion,
gekündigt, daß die ersten Wahlen zu dem ersten um z. B. die Sowjetregierung zu veranlassen,
europäischen Parlament noch vor Ablauf des Jah- Auskunft zu geben, was sie sich unter dem Vor-
res 1953 stattfinden würden. Nun, inzwischen ist schlag vorgestellt hat, daß die Sowjetunion Mit-
nur der Entwurf einer europäischen Verfas- glied der NATO werden solle. Bitte, ich sage
sung der Ad-hoc-Versammlung im wesentlichen nicht, daß dieses Gespräch ein Resultat haben
von den stellvertretenden Außenministern sozu- wird. Aber man muß doch wissen, gerade in der
sagen verarztet worden, und darüber gibt es ja Situation der Bundesrepublik, daß es solche Ge-
zwischen den Parlamentariern und den Ministern spräche gibt, und in der negativen, rein propa-
erhebliche Meinungsverschiedenheiten und Unzu- gandistischen Ablehnung jedes russischen Vor-
friedenheiten. schlages ohne Prüfung brauchen wir doch nun
wirklich nicht die Spitzenleistungen in Europa zu
Es ist kein Zweifel, daß die Aussichten für die vollbringen.
Realisierung einer Europäischen Politischen Ge-
meinschaft heute auf den Nullpunkt gesunken (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
sind. Meine Damen und Herren, warum mache ich
Es mag sein, daß man wiederum zur Gewinnung diese Bemerkung? Sie werden verstehen: es geht
uns hier gar nicht darum, aus irgendeinem an-
einer Mehrheit im französischen Parlament für dern als einem deutschen Grunde die Sowjet-
die Verträge ein Kompromiß findet, etwa in der union irgendwie in dieses Gespräch zu bringen.
Form einer politischen Kontrollkörperschaft. Aber Aber die Sowjetunion ist Nachbar des deutschen
Sie werden genau so gut wissen wie wir, daß eine Volkes und bleibt es; die Sowjetunion ist eine
solche Behelfskörperschaft, wenn sie zustande der entscheidenden Großmächte der Welt von
käme, nichts mehr oder kaum noch etwas mit
heute; und die Sowjetunion ist eine der Besat-
der ursprünglichen Idee der Politischen Gemein-
schaft zu tun haben würde. zungsmächte Deutschlands. Eine Politik, die jeden
russischen Vorschlag einfach nur als kommu-
Ich will mich gar nicht über Einzelheiten ver- nistische Agitation oder als bolschewistisches Ma-
breiten, aber nehmen Sie alle drei Gebiete des növer abtut, ist eine gefährliche Selbsttäuschung
Versuchs, Europa auf dem Wege der kleineuro- der deutschen Politik.
päischen Integration zu gemeinsamem Handeln zu
bringen! Es ist unmöglich, hier von einem Erfolg (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
zu sprechen. Richtiger ist es, festzustellen, daß Sie widerspricht den elementarsten Lebensinteres-
diese Politik von Tag zu Tag mehr in eine Sack- sen des deutschen Volkes.
gasse gerät. (Abg. Dr. Arndt: Sehr richtig!)
(Zustimmung bei der SPD.) Unsere Existenz und unsere Lebensmöglichkeiten,
Ich habe das Gefühl, daß in dieser Lage angesichts ob uns das gefällt oder nicht, werden immer davon
des starren Festhaltens der Regierung an dieser abhängen, daß wir auch ein Verhältnis des erträg-
Politik die Gefahr besteht, daß sich die Bundes- lichen Nebeneinanderlebens dieser beiden Völker
regierung durch die Starrheit ihrer Haltung selbst finden, einfach weil wir mit dieser Frage unserer
die Chancen verbaut, an einer Diskussion über Beziehungen fertig werden müssen.
Alternativlösungen von vornherein maßgebend Die Regelung derartiger Beziehungen ist völlig
mitzuwirken. unabhängig von der moralischen oder politischen
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Bewertung des inneren Systems oder der poli-
CDU/CSU: Vorschläge?!) tischen Weltanschauung, die in der Sowjetunion
Die Einseitigkeit, mit der der Herr Bundeskanz- herrschen.
ler seine Außenpolitik führt und zu der er sich (Abg. Dr. Arndt: Sehr richtig!)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1081
(Ollenhauer)
Wir Sozialdemokraten haben z. B. den Kampf lichkeiten für eine Realisierung der Wiedervereini-
gegen den Kommunismus in Deutschland und gung erschließen. Wir haben die Frage dieses in-
gegen die bolschewistischen Herrschaftsvorstellun neren Zusammenhangs der beiden Probleme nach
gen auch in der Zeit in kompromißloser Schärfe dem Ausgang der Berliner Konferenz und nach
geführt, als die Weimarer Republik freundschaft der sogenannten Souveränitätserklärung der
liche Beziehungen zu der Sowjetunion unterhielt. Sowjetregierung für die sogenannte Pankower Re-
(Sehr richtig! bei der SPD.) gierung in einem neuen Licht zu sehen. Es kommt
sehr darauf an, daß die Bundesrepublik in der
Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. richtigen Weise auf die Konsequenzen reagiert,
Auf außenpolitischem Gebiet müssen wir aber die sich aus diesem Akt der Sowjetregierung
dazu kommen, zu erkennen, daß das Problem der gegenüber Pankow ergeben.
Beziehungen der Sowjetunion zu Deutschland und Ich werde über die innerdeutsche Seite, nämlich
Europa nicht einfach beiseite geschoben werden über das zukünftige Verhältnis zwischen Bundes-
kann. Wenn heute die Sowjetunion — sicher aus republik und der Bevölkerung der Sowjetzone
sehr realistischen und von ihren Interessen dik- später noch etwas sagen. Aber es gibt in der öffent-
tierten Überlegungen — die Frage eines umfassen- lichen Diskussion U berlegungen, die einzig mög-
den Sicherheitssystems in Europa aufwirft, haben liche und richtige Antwort auf den Schritt der
wir nach unserer Meinung ein Interesse daran, bei Sowjetregierung gegenüber Pankow sei, daß man
allen Beteiligten darauf zu drängen, daß diese nunmehr der Bundesrepublik die volle Souveräni-
Vorschläge ernsthaft untersucht werden. Denn tät gebe. Nun, meine Damen und Herren, wir sind
welche Möglichkeiten der Sicherheit auf lange Sicht uns sicher alle darin einig, daß es notwendig ist,
für Deutschland haben wir, wenn wir nicht auch das Besatzungsregime abzulösen, und wir sind
die Möglichkeit des Einbaus eines vereinigten darüber hinaus der Auffassung, daß auch die Be-
Deutschlands in ein umfassendes Sicherheitssystem stimmungen des Generalvertrags nicht ausreichen,
einbeziehen? Wenn es gelänge, eine solche Sicher- um dem deutschen Volk in der Bundesrepublik die
heitsorganisation im Rahmen der Vereinten Natio- volle Freiheit in der Regelung seiner inneren An-
nen zu finden, die Deutschland einschließt und die gelegenheiten zu geben. Was wir wünschen — und
weder von der Sowjetunion noch von den West- wir haben es früher schon gesagt —, ist ein frie
mächten als eine gegen sie gerichtete Bedrohung densvertragsähnlicher Zustand für die Bundes-
empfunden wird, dann wären wir in der Politik republik, aber nicht die Etablierung dieses Teiles
der Entspannung ein großes Stück weiter, Deutschlands als ein selbständiges Staatsgebiet.
(Zustimmung bei der SPD) (Zustimmung bei der SPD.)
und die Aussichten für eine befriedigende Lösung Denn damit würden wir die uns durch die Diffe-
der Frage der Wiedervereinigung und des zukünf- renzen unter den Besatzungsmächten aufgezwun-
tigen Status Deutschlands in einem umfassenden gene Spaltung Deutschlands aus eigenem deutschen
Sicherheitssystem wären unendlich viel größer Entschluß oder durch einen einseitigen Akt der
als heute. drei westlichen Besatzungsmächte zu einem defi-
Wir sind zu einer solchen Politik des Drängens nitiven Zustand machen.
der Bundesregierung auf neue Verhandlungen über (Sehr richtig! bei der SPD.)
das Deutschlandproblem und über den Sicherheits- Eine solche Entscheidung wäre mit der immer
komplex um so mehr verpflichtet, als wir von der wieder von uns gemeinsam deklarierten Politik
nüchternen Tatsache ausgehen müssen, daß in be- der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit
zug auf die Lösung beider Probleme alle an als vordringlichstem Ziel unvereinbar.
Deutschland interessierten Mächte auch die Frage -
der Wiedervereinigung zunächst unter dem Ge- Meine Damen und Herren, Sie können mit Recht
sichtspunkt der Befriedigung ihrer eigenen Inter- die Frage aufwerfen: Was geschieht, wenn auf der
essen in der Auseinandersetzung um die Abgren- einen Seite die Integrationspolitik zu keinem
zung der Einflußsphären in der Welt sehen. Erfolg führt und wenn auf der anderen Seite die
Verhandlungen über ein europäisches umfassendes
(Abg. Dr. Arndt: Sehr richtig!) Sicherheitssystem und über die Wiedervereinigung
Das heißt, wenn wir nicht dauernd aktiv eine Wie- Deutschlands nicht vorankommen, wenn dann im
dervereinigungs- und Sicherheitspolitik betreiben, Westen eine Art von Vakuum entsteht, das zu
werden wir nie erreichen können, daß wir die an- neuen aggressiven Absichten ermutigen könnte?
deren, die über diese Frage entscheidend mitzu- Lassen Sie mich noch einmal eines hier feststel-
reden haben, zu der größten Aktivität und An- len: Selbstverständlich gibt es für die Verteidigung
strengung veranlassen. des Westens noch andere Möglichkeiten als die
Wir sind die letzten, die bestreiten, daß eine EVG,
solche Politik Zeit und Geduld erfordert und daß (Sehr richtig! bei der SPD)
es bei allen diesen Fragen keine hundertprozen- und man sollte endlich Schluß machen mit einer
tige Garantie des Erfolges gibt. Aber, eines kann Politik, die die EVG gewissermaßen zur Weltan-
man heute angesichts der gegenwärtigen Lage schauung des guten Europäers erhebt.
sagen: die Diskussion einer solchen Konzeption ist
in der gegebenen Lage ebensowenig — oder eben- (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
soviel — unrealistisch wie die Integrationspolitik Überall in der Welt werden öffentlich Alternativ-
der Bundesregierung und ihrer Mehrheit. lösungen diskutiert. Es gibt genügend Stimmen
(Sehr richtig! bei der SPD.) in anderen beteiligten Ländern, die die sofortige
Untersuchung anderer Möglichkeiten fordern.
In jedem Falle spricht für eine ernste Behandlung
dieses Sicherheitsproblems für uns die Tatsache, (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Beispiel?)
daß wir bei diesen Verhandlungen den unmittel- — Bitte, lesen Sie die Presse!
baren Zusammenhang zwischen dem internationa- (Lachen bei der CDU/CSU.)
len Status Deutschlands und der Wiedervereinigung Lesen Sie eine ganze Reihe von konkreten Vor
wiederherstellen und wahrscheinlich neue Mög schlägen, an Stelle der integrierten EVG auf einer
1082 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Ollenhauer)
breiteren Basis eine Art von vertraglichem System — Dieses „bis" ist ja sehr mit Fragezeichen ver
für eine Koalitionsarmee Europas zu schaffen. sehen, Herr Kollege von Brentano. Aber das ist
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Die SPD will vielleicht einer Spezialbehandlung wert.
offenbar mit Gewalt eine Nationalarmee!) Was ich hier sagen möchte, ist folgendes: Können
Meine Damen und Herren, Sie können ja darüber wir diese Grundidee, den Ausgangspunkt der
diskutieren, ob es ein besserer oder schlechterer Überlegung des Herrn Bundeskanzlers für ein
Weg ist. Sie können aber nicht behaupten, es mögliches Kompromiß annehmen, wenn wir uns
gäbe keinen anderen Weg als die EVG, und das nicht der Gefahr aussetzen wollen, daß diese Frage
glauben Sie ja auch selbst nicht. der Realität das Argument der anderen Seite wird,
wenn wir über die Gebiete jenseits der Oder und
(Beifall bei der SPD.) Neiße reden?
Ich komme jetzt zurück auf die Bemerkung, die (Beifall bei der SPD.)
ich vorhin machte: Wenn Sie in dieser Weise so-
zusagen bis zum letzten Strohhalm von Hoffnung Es gibt doch keine Machtpolitik von zweierlei Cha-
um diese Konzeption kämpfen, bedeutet das — rakter oder moralischem Wert.
auch wenn sie nicht zum Erfolg führt —, daß die (Sehr gut! bei der SPD.)
Beteiligung Deutschlands an anderen notwendigen Kalte Annexion bleibt kalte Annexion.
Verhandlungen unter schlechteren Voraussetzun- (Erneuter, lebhafter Beifall bei der SPD.)
gen erfolgt. Nur: eine Annexionspolitik eines Volkes, das unter
(Sehr richtig! bei der SPD.) demokratischen Aspekten lebt, trifft uns sehr viel
Ich möchte, daß wir das auch hier in diesem Sta- schmerzlicher,
dium aussprechen; denn wir als sozialdemokra- (fortgesetzter lebhafter Beifall bei der
tische Fraktion haben bei der letzten außenpoli- SPD)
tischen Debatte am Schluß der Berliner Konferenz und zwar deshalb, weil wir fürchten, daß solche
nicht nur grundsätzlich unsere Bereitschaft er- Methoden der Demokratien nicht nur in Europa,
klärt, an der europäischen Gemeinschaft, sondern sondern in der ganzen Welt bei den Menschen und
und eingeschlossen auch an einer eventuellen Völkern, die wir für die Demokratie gewinnen wol-
europäischen Verteidigungsgemeinschaft mitzuwir- len, Zweifel an der Glaubwürdigkeit unserer demo-
ken. Wir haben die konkreten Voraussetzungen kratischen Ideale aufkommen lassen.
genannt, die nach unserer Meinung zur Diskussion (Wiederholter lebhafter Beifall bei der
stehen sollten, und ich wünschte, es wäre endlich SPD und Beifall bei Abgeordneten der
einmal in diesem Hause möglich, auch über solche FDP.)
konkreten Fragen miteinander wirklich zu disku- Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokra-
tieren. tische Partei kann in ihrer Geschichte auf glanz-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) volle Kapitel einer Politik der Verständigung zwi-
Das Wesentliche ist, daß in jedem Fall bei allen schen dem französischen und dem deutschen Volk
unseren Überlegungen über die außenpolitische zurückblicken.
Aktivität der Bundesrepublik die Frage der Wie- (Sehr wahr! bei der SPD.)
dervereinigung Deutschlands den ersten Platz ein-
Ich denke an die Zeit von August Beb e 1 und
nimmt, Jean Jaurès, als diese beiden Männer — im
(Abg. Dr. Arndt: Sehr richtig!) Falle von Jean Jaurès bis zur Aufopferung des
und besonders dann — ich denke an Genf —, Lebens — für die deutsch-französische Verständi-
wenn diese Frage auf der internationalen Bühne gung eingetreten sind. Das bleibt heute unverän-
-
in den Hintergrund zu treten scheint. Dann muß dert bestehen. Es bleibt unsere feste Überzeugung
durch die Aktivität der Bundesrepublik der Ruf bestehen, daß ein wirklich freundschaftliches Ver-
nach der Einheit in der internationalen Öffent- hältnis zwischen dem französischen und dem deut-
lichkeit hörbar bleiben, schen Volke eine entscheidende Voraussetzung für
(Beifall bei der SPD) eine europäische Gemeinschaft darstellt,
und nicht nur, wenn das Thema von den anderen (Beifall bei der SPD)
auf die Tagesordnung gesetzt wird. und es bleibt bestehen, meine Damen und Herren,
Meine Damen und Herren, sehen Sie, die ent- daß die sozialdemokratische Fraktion in dem
scheidende Bedeutung einer Politik der Wieder- 1. Bundestag bei der ersten Saardebatte im Fe-
vereinigung Deutschlands auch für die Saarfrage bruar 1950 durch Dr. Schumacher einen kon-
ist das, was uns auch nach den heutigen Erklärun- kreten Vorschlag gemacht hat, die wirtschaftlichen
gen des Herrn Bundeskanzlers in bezug auf seine Interessen Frankreichs an der Saar durch ein weit
Absichten in der Saarfrage auf das allertiefste gefaßtes Abkommen zwischen Bonn und Paris zu
beunruhigt. befriedigen und diesen Zankapfel Saar aus der
(Abg. Dr. Arndt: Sehr wahr!) Welt zu schaffen. Es ist wahrlich nicht die Schuld
Der Herr Bundeskanzler hat eine ganze Reihe von der Sozialdemokratie, wenn in diesen Verhandlun-
gen nichts unternommen und nichts erreicht wer-
Voraussetzungen genannt, die nach seiner Meinung
erfüllt werden müssen, ehe er und seine Regierung den konnte.
sich bereit sehen könnten, einer solchen sogenann- (Zuruf von der SPD.)
ten Europäisierung zuzustimmen. Aber ist das Aber ich will die Schuldfrage gar nicht untersuchen.
wirklich unsere Position? Können wir tatsächlich Sie können und dürfen jedoch in der Lage, in der
— und das ist der entscheidende Punkt — die Idee wir uns befinden, ohne Friedensvertrag, mit
des Herrn Bundeskanzlers akzeptieren: „Da wir an lebenswichtigen Problemen unserer späteren end-
den realen Machtverhältnissen an der Saar nichts gültigen Grenzen, bei dem Zwang für das deutsche
ändern können, müssen wir eine Kompromiß- Volk — wenn es das nicht aus Überzeugung täte
lösung finden", und zwar vor einem Friedensver- —, zu einer europäischen Zusammenarbeit zu kom-
trag! men, keinen Schritt dieser Zusammenarbeit
(Abg. Dr. von Brentano: Und bis!) Europas mit Zugeständnissen erkaufen, die an die
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1083
(Ollenhauer)
Grundsätze nationaler Selbstbestimmung und dramatischen Zuspitzung vor uns steht, weil für
nationaler Lebensrechte eines jeden freien Volkes die Franzosen die Erledigung dieser Frage eine
gehen. Voraussetzung für die Ratifizierung des EVG-Ver-
(Beifall bei der SPD.) trags im Parlament ist.
Der Herr Bundeskanzler hat geglaubt, darauf (Beifall bei der SPD. — Abg. D. Dr. Ger
hinweisen zu müssen, daß der jetzige sogenannte stenmaier: Das Junktim haben wir nicht
van-der-Goes-van-Naters-Plan von den sozialisti- gemacht!)
schen Vertretern der Beratenden Versammlung Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
des Europarates angeregt wurde. Der einfache letzten Teil meiner Ausführungen kommen.
Sachverhalt ist der, daß auch die Sozialisten dafür (Weitere Zurufe des Abg. D. Dr. Gersten
waren, daß über die Zustände an der Saar, und maier.)
zwar im Zusammenhang mit den Landtagswahlen — Herr Gerstenmaier, vielleicht können Sie sich
an der Saar, eine Untersuchung angestellt wird. nachher zum Wort melden; das macht die Sache für
Das hätte eine nützliche Aufgabe sein können. Ich uns beide und wohl für das ganze Haus inter-
sehe nicht ein, warum wir uns da mit unserer Zu- essanter.
stimmung verstecken sollten. Aber in dem Auftrag
der Beratenden Versammlung lag nicht die Auf- Ich möchte zum letzten Teil meiner Ausführun-
gabe, ein neues System für die Zukunft zu ent- gen kommen. Wir stehen in dieser Debatte vor der
wickeln. Aufgabe, uns mit den Konsequenzen auseinander-
zusetzen, die sich für die Bundesrepublik aus dem
(Sehr wahr! bei der SPD.) neuen Status ergeben und die durch die sogenannte
Als dieser Auftrag eigenmächtig erweitert worden Souveränitätserklärung für die Pankower Regie-
ist, haben jedenfalls wir deutschen Sozialdemokra- rung entstanden sind oder noch entstehen. Ich be-
ten eindeutig dagegen Stellung genommen. Da ich dauere sehr, daß der Herr Bundeskanzler, obwohl
diese Bemerkung auch schon an anderer Stelle er vor dem 7. April damit einverstanden war, daß
gehört und gelesen habe, wollte ich hier diese wir die Aussprache über dieses Kapitel heute hier
Sache aus der Welt schaffen; vielleicht gelingt das führen, so wenig über die Vorstellungen und Ab-
doch. sichten der Bundesregierung in bezug auf dieses
Wie gesagt, es geht nicht um den mehr oder Problem gesagt hat. Ich möchte darlegen, was
weniger guten Willen zum Entgegenkommen, auch jedenfalls wir Sozialdemokraten in diesem Augen-
nicht um den mehr oder weniger guten europä- blick an Maßnahmen, Schritten und Vorstellungen
ischen Geist, sondern es geht um diese elementaren für notwendig halten.
Grundrechte, und es handelt sich darum, daß keine
deutsche Teilregierung und auch keine Besatzungs- Der Deutsche Bundestag hat am 7. April erklärt,
macht das Recht haben, vor Abschluß eines Frie-
das deutsche Volk werde sich niemals mit der
Spaltung Deutschlands abfinden und die Existenz
densvertrags über deutsche Gebiete und deutsche
zweier deutscher Staaten hinnehmen. Daß die
Bevölkerungsteile zu verfügen. Das gilt nach jeder
Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone diese
Seite hin. Jeder Schritt abseits von diesem Wege,
auch wenn er unter der falschen Flagge der Euro- Auffassung voll und ganz teilen, haben sie im Juni
päisierung erfolgt, ist ein unstatthafter Vorgriff vorigen Jahres auf erschütternde Weise kundgetan.
auf die friedensvertragliche Regelung mit unabseh- Die Arbeiter Mitteldeutschlands, die in den Juni-
baren Konsequenzen. tagen 1953 die Arbeit einstellten, um ungeachtet
der Gewaltherrschaft mit der Waffe des Streiks
(Sehr richtig! bei der SPD.) für die deutsche Einheit in Freiheit zu demonstrie-
Die Frage, ob man den Preis zahlen soll, der da -
ren, haben den Anspruch der Sowjetzonenregie-
für die Ratifizierung gestellt ist, ist nicht von uns rung zuschanden gemacht, sie verträte die Bevöl-
aufgeworfen worden. Was ich bedauere, ist, daß kerung dieser Zone.
sich die Bundesregierung vor diese Frage hat stel- (Sehr richtig! bei der SPD.)
len lassen und bereit ist, sie so zu beantworten,
wie der andere Partner sie stellt. Aber um so ernster müssen wir die Aufgabe neh-
men, diese Deutschen davor zu bewahren, unwider-
(Beifall bei der SPD. — Abg. D. Dr. Ger ruflich zur Unfreiheit verdammt zu bleiben. Der
stenmaier: Das ist ja unerhört, Herr Ollen Deutsche Bundestag kann sich deshalb nicht darauf
hauer; das ist ja gar nicht wahr!) beschränken, gegen die verwerflichen Manipulatio-
Das ist das wirkliche Problem. nen der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Herr Ollen Schutzbefohlenen Verwahrung einzulegen. Er ist
hauer, das ist nicht wahr, was Sie gesagt und bleibt verpflichtet, mit allen Kräften dahin zu
haben!) wirken, das Auseinanderfallen Deutschlands in
endgültig voneinander getrennte Staaten zu ver-
— Herr Gerstenmaier, ich habe gesagt, daß die hindern, nicht zuletzt auch um der Deutschen in
Bundesregierung vor diese Frage gestellt ist — — der sowjetisch besetzten Zone willen.
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Und daß sie (Sehr richtig! bei der SPD.)
bereit ist, sie so zu beantworten, das haben
Sie auch noch dazu gesagt!) Meine Damen und Herren, für die Deutschen in
dieser Zone bedeutet es gewiß viel, zu wissen, daß
— „und bereit ist", das habe ich gesagt. Der Bun- wir sie weder vergessen noch aufgeben. Aber es ist
deskanzler ist unter bestimmten Voraussetzungen für sie und für uns alle lebensnotwendig, daß sie
bereit, einer solchen Lösung zuzustimmen. in ihrem täglichen Leben spüren, wie sehr wir uns
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Das ist aber ihnen und der Einheit Deutschlands verpflichtet
etwas anderes, als was Herr Maurice fühlen.
Schuman verlangt hat! — Glocke des Prä (Beifall bei der SPD.)
sidenten.) Also nicht nur Bekenntnisse zur Einheit, sondern
— Ich habe mich bezogen auf die Äußerung des Überwindung der Hindernisse, die immer wieder
Herrn Bundeskanzlers heute. Sie können doch gegen die Verwirklichung der Einheit aufgerichtet
nicht bestreiten, daß jetzt die Saarfrage in dieser werden! Die staatliche Einheit Deutschlands, auf
1084 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Ollenhauer)
die wir Deutschen Anspruch haben und die wir die drei westlichen Besatzungsmächte die Pflicht
uns weder unter dem Deckmantel der sogenannten gehabt, bei der Sowjetregierung auf eine Klärung
Europäisierung deutschen Staatsgebiets noch unter und Feststellung des Inhalts und der Konsequen-
dem Deckmantel einer angeblich souveränen soge- zen dieser Formulierung zu drängen.
nannten Arbeiter- und Bauernregierung auf einem
Teil deutschen Bodens abkaufen oder abzwingen (Sehr gut! links. — Abg. Dr. von Brentano:
lassen, herzustellen, ist und bleibt die vordring- Das tun wir ja seit einigen Jahren!)
lichste Forderung des ganzen deutschen Volkes. Wir bedauern, daß sie auf die Herbeiführung einer
solchen Klärung verzichtet haben. Nach wie vor
Wir wissen, wie sehr die Verwirklichung dieser halten wir es für notwendig, daß die Bundesregie-
Forderung von der Herbeiführung und Sicherung rung von den Besatzungsmächten eine solche Defi-
friedlicher Verhältnisse abhängt. Wir bleiben uns nition der Verpflichtungen der vier Besatzungs-
auch bewußt, daß es wahrscheinlich unausweichlich mächte bezüglich Deutschlands als Ganzem fordert.
ist, auch eine Reihe anderer Streitfragen, über die Wir halten das sowohl im Hinblick auf die Ver-
ich schon gesprochen habe und die auch zwischen pflichtung der Besatzungsmächte zur Beseitigung
den Besatzungsmächten bestehen, zu regeln, um der Spaltung Deutschlands für notwendig als auch
für die Lösung der deutschen Frage die erforder- im Hinblick auf die Gewährleistung eines mög-
liche Atmosphäre zu schaffen. Aber unabhängig lichst reibungslosen und möglichst umfangreichen
davon gibt es gewisse innerdeutsche Voraussetzun- innerdeutschen Verkehrs über die Demarkations-
gen, die entweder erhalten oder geschaffen werden
müssen, um die Bedingungen zur Herstellung der linie.
deutschen Einheit zu verbessern. Für die Erhaltung Die Bundesregierung darf sich nach unserer Auf-
oder Schaffung dieser Voraussetzungen müssen fassung nicht damit abfinden, daß die drei westli-
sowohl die Deutschen selbst als auch die Besat- chen Besatzungsmächte kürzlich erklärt haben, sie
zungsmächte ihren Beitrag leisten. Wenn sich zur hielten weitere Bemühungen um Verhandlungen
Zeit die Besatzungsmächte, wie wir glauben, ernste mit der vierten Besatzungsmacht über die Erleich-
Versäumnisse in dieser Beziehung zuschulden kom- terungen im innerdeutschen Verkehr für zwecklos.
men lassen, so muß der Deutsche Bundestag seine Die Besatzungsmächte müssen in dieser für das
Stimme erheben. deutsche Volk außerordentlich schwierigen Situa-
tion vor die Forderung gestellt werden, durch Vier-
Die westlichen Besatzungsmächte haben in den mächte-Abkommen den Rahmen für die dann zwi-
letzten Wochen in einem Briefwechsel ihrer Hohen schen den beiderseitigen deutschen Behörden zu
Kommissare mit dem russischen Hohen Kommissar regelnden Modalitäten im Verkehr über die Zonen-
über Erleichterungen im innerdeutschen Verkehr grenze zu schaffen.
über die Demarkationslinie kein Einvernehmen
erzielt, nachdem der sowjetische Hohe Kommissar (Sehr gut! links.)
erklärt hat, solche Verhandlungen seien nicht An- Wenn die drei westlichen Besatzungsmächte auf
gelegenheit der Besatzungsmächte, sondern der ihrer Weigerung beharren, diese Diskussion weiter-
Regierungen beider Teile Deutschlands. Die Aus- zuführen, dann muß die Bundesregierung verlan-
einandersetzung über diesen Punkt wurde durch gen, ausdrücklich verlangen, daß die Besatzungs-
die Aufkündigung bisheriger Abmachungen für die mächte in aller Form erklären, es sei künftig Sache
Militärmissionen anderer Staaten als der Besat- der Bundesregierung, Wege zu finden, um die Vor-
zungsmächte beim Alliierten Kontrollrat noch wei- aussetzungen für den innerdeutschen Verkehr der
ter kompliziert. Sie sind durch die sowjetische Hohe Menschen untereinander zu sichern.
Kommission und durch den Anspruch der Sowjet- (Sehr gut! links.)
zonenregierung gekündigt worden, künftig Paßfor- Aber auch in diesem Fall sind die Besatzungsmächte
malitäten und Transitabkommen mit anderen nicht von ihren Verpflichtungen in bezug auf
Staaten selbst regeln zu wollen. Nun, abgesehen Deutschland als Ganzes entbunden.
von dem, was der Deutsche Bundestag zur Verlei- (Sehr richtig! links.)
hung dieser sogenannten Souveränitätsrechte am
7. April grundsätzlich erklärt hat, möchten wir Wenn wir von innerdeutschem Verkehr sprechen,
folgendes feststellen. Die Besatzungsmächte, die im so verstehen wir darunter die Beziehungen zwi-
Jahre 1945 Besatzungszonen errichtet haben und schen den Deutschen beider Teile in jeder Bezie-
bis heute an der zwischen der sowjetischen Besat- hung; wir sind der Auffassung, daß diese Bezie-
zungszone und den drei westlichen Besatzungs- hungen nicht schlechter werden sollten, als sie es
zonen gezogenen Demarkationslinie festgehalten zur Zeit sind. Vielmehr liegt es im Interesse der Ent-
haben, sind für die aus dieser Politik für das inner- spannung der internationalen Gegensätze, auch auf
deutsche Leben entstandenen Folgen verantwortlich. deutschem Boden eine Verbesserung dieser inner-
(Zustimmung bei der SPD.) deutschen Beziehungen in der Richtung normaler
Beziehungen anzustreben.
Ungeachtet aller irreführenden Diskussionen über
angebliche Souveränitätsrechte für den einen oder (Sehr richtig! links.)
für den anderen haben die Besatzungsmächte sich Meine Damen und Herren, wir warnen davor,
ja auch beiderseits Rechte vorbehalten, die diese Fragen dadurch zu komplizieren, daß man sie
Deutschland als Ganzes betreffen. Auf beiden Sei- mit der sogenannten Anerkennung verquickt. Es
ten, sowohl auf der Seite der Westmächte wie auf kann sich bei der Regelung dieser innerdeutschen
der Seite der Sowjetunion, beziehen sich die Besat- Verkehrsbeziehungen weder um eine völkerrecht-
zungsmächte auf den Kern ihrer Abmachungen vom liche noch um eine politische oder moralische An-
Jahre 1945. Nachdem die sowjetische Besatzungs- erkennung von Pankow handeln.
macht in ihrer Erklärung vom 25. März ausdrück- Wenn auf sowjetzonaler Seite der erpresserische
lich die Funktionen für sich beansprucht, die mit Versuch gemacht wird, die derzeitige Sowjetzonen-
der Gewährleistung der Sicherheit in Zusammen- regierung in eine sozusagen völkerrechtlich aner-
hang stehen und sich aus den Verpflichtungen erge- kannte Verhandlungsposition zu bringen, so darf
ben, die der Sowjetunion aus dem Viermächte- dieses Spiel auf unserer Seite nicht noch — wenn
Abkommen erwachsen, hätten unseres Erachtens auch vielleicht zumeist ungewollt — dadurch er-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1085
(Ollenhauer)
leichtert werden, daß man Staatssekretäre und zur friedlichen Lösung der deutschen Frage bei
andere Sprecher der Bundesregierung deklamieren tragen will, dann ist hier der erste praktische
läßt, man werde sich niemals mit den Vertretern Schritt möglich; und dieser erste praktische Schritt
der Sowjetzonenregierung an einen Tisch setzen, muß auch getan werden, um den guten Willen und
um mit ihnen über Fragen zu verhandeln, die den den guten Glauben unter Beweis zu stellen.
innerdeutschen Verkehr betreffen und die auch in Ich komme zum Schluß. Wir haben es für not-
der Vergangenheit behandelt worden sind. wendig gehalten, bei dieser außenpolitischen De-
(Beifall bei der SPD.) batte möglichst auf die konkreten Fragen einzu-
Für die Elemente, die die Politik der Sowjetzonen- gehen, die heute im Vordergrund des Interesses
regierung ausführen, mag es ohne moralische Be- stehen, vor allem auf die Fragen, die sich aus der
deutung sein, ihren politischen Erpressungsversu- sogenannten Souveränitätserklärung der Sowjet-
chen zuliebe die innerdeutschen Beziehungen zeit- union für die Pankower Regierung ergeben können.
weise auf den Nullpunkt herabzudrücken. Sie Sicher bedarf es auch hier noch eingehender Unter-
waren es ja auch, die schon im Jahre 1952 den drei- suchungen und Beratungen, um die besten Mittel
fachen Zonensperrgürtel gezogen haben. Aber für und Wege ausfindig zu machen, die uns die Auf-
die Organe der Bundesrepublik ist die Verantwor- rechterhaltung eines möglichst umfassenden Kon-
tung auch für die Deutschen in der sowjetischen taktes mit der Bevölkerung der Sowjetzone ermög-
Zone etwas Reales. lichen. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen:
wir bedauern es sehr, daß die zur Behandlung
Wir haben die unausweichliche Pflicht, alles zu dieser Probleme im Einvernehmen mit dem Herrn
tun, um die Beziehungen der Deutschen über die Bundeskanzler für gestern in Aussicht genommene
Demarkationslinie hinweg nicht einfrieren zu las- Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses ohne An-
sen, sondern sie so lebendig wie möglich zu gestal- gabe von Gründen abgesagt worden ist.
ten und zu erleichtern.
(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. D. Dr.
(Zustimmung bei der SPD.) Gerstenmaier: Fraktionssitzungen!)
Wenn es in diesem Zusammenhang überhaupt Es mag Gründe geben. Aber ich stelle hier fest: in
etwas anzuerkennen gibt, so ist das einzig und der Diskussion im Auswärtigen Ausschuß waren
allein die Notwendigkeit, nicht zuzulassen, daß die sich alle Mitglieder des Ausschusses und der Bun-
Verbindungen zwischen den Deutschen beider Teile deskanzler selber darüber einig, daß es einen gro-
Deutschlands gedrosselt werden. ßen praktischen Sinn hätte, vor der heutigen De-
(Beifall bei der SPD.) batte im Ausschuß zu diskutieren. Ich kann nur die
In diesem Zusammenhang sollten wir nicht ver- Hoffnung aussprechen, vor allen Dingen auch nach
den sehr allgemein gehaltenen Bemerkungen des
gessen, welche Pflichten wir gegenüber Berlin
Herrn Bundeskanzlers,
haben, dessen Verbindungen zu Westdeutschland
und zu der übrigen Welt so wichtig sind, daß wir (Sehr wahr! bei der SPD)
sie auch nicht durch irgendwelche abwegige Dis- daß darin nicht ein Zeichen dafür liegt, daß die
kussionen über sogenannte Anerkennungsformali- Regierung nicht bereit ist, in diesen konkreten
täten gefährden sollten. Niemand kann von uns, Fragen in der nächsten Zeit aktiv zu werden. Ich
von den Deutschen in der Bundesrepublik erwarten hätte die Frage nicht aufgeworfen, wenn sie sich
oder verlangen, irgendein Zeichen der Sympathie nicht durch diese Umstände einfach aufgedrängt
oder rechtlichen Anerkennung gegenüber den Ge- hätte.
walthabern der sowjetischen Besatzungszone zu Im ganzen gesehen ergeben sich für uns aus
geben. Aber andererseits kann auch niemand von der Prüfung der gegenwärtigen internationalen-
uns erwarten oder verlangen, daß wir den politi- Situation für die auswärtige Politik der Bundes-
schen Manipulationen der Sowjetzonenmachthaber republik vor allem zwei vordringliche Verpflich-
ausweichen und unsere Verpflichtungen gegenüber tungen: erstens die Durchführung einer Politik, die
den Menschen in der Zone vernachlässigen. in jedem Falle und unter allen Umständen dem
An dieser Stelle möchte ich auch ein Wort an die ständigen aktiven Bemühen für eine Wieder-
russische Regierung richten. Wir erinnern uns noch vereinigung Deutschlands in Freiheit vor allen
an die Erklärungen, die Anfang Juni vorigen Jah- anderen Überlegungen den Vorrang gibt, zweitens
res gegeben wurden und die darin gipfelten, es eine Politik der Bundesregierung, die aktiv jede
solle nunmehr auch von sowjetzonaler Seite dahin ernsthafte Bemühung in der internationalen Poli-
gewirkt werden, die Annäherung der beiden Teile tik unterstützt, die auf eine Entspannung und auf
Deutschlands zu erleichtern. Diese Worte wurden die Festigung des Friedens hinausläuft. Nur unter
kürzlich von dem stellvertretenden sowjetischen diesen Voraussetzungen können wir die uns ge-
Ministerpräsidenten Mikoj an in Berlin wieder- stellte nationalpolitische Aufgabe der Wieder-
holt und als Aufgabe der Sowjetzonenregierung vereinigung Deutschlands und unsere Verpflich-
hingestellt. Wir müssen feststellen und wir müssen tungen gegenüber den anderen Völkern der Welt
darauf hinweisen, daß die derzeitige Praxis der erfüllen.
Sowjetzonenregierung in genau entgegengesetzter (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)
Richtung läuft.
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
(Sehr wahr! bei der SPD.) Abgeordnete von Brentano.
Wenn sich die Sowjetregierung nicht dem Verdacht
aussetzen will, daß es sich für sie nur um ein Spiel Dr. von Brentano (CDU/CSU): Herr Präsident!
mit Worten handelt, dann muß sie aktiv werden, Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich
um eine andere Haltung der Sowjetzonenregierung zu dem letzten, was Herr Kollege Ollenhauer
in diesen Fragen des Verkehrs der Menschen zwi- gesagt hat, ein persönliches Wort sagen. Ich
schen den Zonen herbeizuführen. Die Sowjetregie- selber war es, der die Absetzung dieser Aus-
rung kann nicht daran vorübergehen, daß das schußsitzung beantragt hat, nicht wissend, daß
deutsche Volk sich weder volksdemokratisieren eine solche Vereinbarung zustande gekommen
noch sowjetisieren lassen will. Wenn sie das ihrige war, und nur deswegen, weil wir und die
1086 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. von Brentano)
anderen Fraktionen an diesem Mittwoch Sit- nicht ein Bekenntnis zur Politik der Stärke im
zungen hatten, die der Vorbereitung der heu- Sinne der brutalen Machtbedrohung oder der Pro-
tigen Sitzung dienen sollten. Ich habe nicht ein vokation. Wer sich zu einer Politik der Stärke in
einziges Wort des Widerspruchs gehört. Wenn mir diesem Sinne bekennt, bekennt sich zu der Politik
der Vorsitzende oder in seiner Abwesenheit der stell- der Selbstbehauptung und lehnt damit ja gerade
vertretende Vorsitzende eine Mitteilung gemacht eine Politik der Drohung mit Gewalt, eine Politik
hätte, daß eine solche Vereinbarung bestand, hätte der Provokation ab.
ich sofort den Antrag zurückgenommen. Wenn Ich meine, niemand erkennt das besser als die
also schon eine Verantwortung für die Absetzung Sowjetunion, die ja bisher einen recht leidenschaft-
dieser Sitzung vorliegt, dann nehme ich sie auf lichen und leider nicht immer erfolglosen Kampf
mich; es war kein böser Wille der Bundesregie- gegen diese Politik der Zusammenarbeit geführt
rung. hat. Aber soll man es ihr denn verargen? Erlauben
Aber nun zur Sache, meine Damen und Herren! Sie mir diese Frage. Von ihrem machtpolitischen,
In seiner Begründung hat mein Freund Kopf auf Expansion und Eroberung gerichteten Denken
schon darauf hingewiesen, daß es auch unser her hat auch die Sowjetunion recht, wenn sie jeden
Wunsch war, dem Herrn Bundeskanzler die Mög- Versuch unternimmt, diese europäische Zusammen-
lichkeit zu geben, vor dem Deutschen Bundestag arbeit zu stören, insbesondere solange man ihr in
einen Überblick über die gesamte politische Lage Europa selbst ein Schauspiel bietet, das geeignet
zu geben, wie wir sie von hier aus zu sehen ver- zu sein scheint, ihre Absichten nicht nur zu för-
mögen, und ich begrüße es, daß der Herr Bundes- dern, sondern sogar zu verwirklichen.
kanzler von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht Denen, die die Politik der Stärke bekämpfen,
hat. möchte ich auch heute wieder die Frage stellen, ob
Die Vierer-Konferenz, über die wir hier in die- wir uns denn konsequenterweise zu einer Politik
sem Raum schon einmal gesprochen haben, und die der Schwäche, und das bedeutet: zu einer Politik
Genfer Konferenz, die in diesen Tagen eröffnet der Selbstaufgabe, bekennen sollten.
wurde, zeigen uns, wie sehr die ganze weltpoli- (Abg. Lücke: Sehr richtig!)
tische Lage unter einem Spannungszustand steht,
der zwar in einzelnen Tatbeständen seinen Aus- Noch vor ein paar Tagen hat der amerikanische
druck findet, aber Tatbeständen, die doch nur im Präsident Eisenhower auf einem Festbankett des
Zusammenhang gesehen werden können. Hier Kongresses der amerikanischen Zeitungsverleger
stimme ich dem zu, was der Herr Bundeskanzler gesprochen. Erlauben Sie mir ein kurzes Zitat —
sagte und was auch der Herr Kollege Ollenhauer mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — aus
aufnahm: wir können die einzelnen politischen dieser Rede:
Probleme, die sich heute stellen, nicht voneinander Die Aggression ist noch immer eine furcht-
lösen; sie überlagern sich wie konzentrische Kreise, bare Wirklichkeit, obwohl auf allen Konti-
und wir können höchstens in eine Diskussion über nenten und Inseln der Welt die Menschheit
die Wertigkeit des einzelnen Problems eintreten. nach Frieden hungert. Dieser universelle
Da entscheiden subjektive Maßstäbe, und es ist Hunger muß gestillt werden. Entweder bauen
klar, daß für uns, daß für jeden Deutschen die die Völker zusammen am Frieden, oder sie
Fragen der Spaltung Deutschlands und der Spal- werden eines nach dem anderen gezwungen
tung Europas eine entscheidende Rolle spielen und werden, einen aufgenötigten Frieden hinzu-
im Vordergrund aller politischen Erwägungen nehmen, wie er heute von den kommuni-
stehen. Wir würden aber, glaube ich, der Lage stischen Mächten nicht anders als einst von
nicht gerecht und würden Gewichte verschieben, Hitler gesucht wird.
wenn wir nicht erkennen, daß diese zentrale Be- Meine Damen und Herren, wer in einer solchen
deutung eines Teilproblems, wie sie sich für uns Äußerung ein Bekenntnis zu einer Politik der
äußert, nicht bedeutet, daß dieses Problem nun Stärke sieht, dem muß ich zugeben, daß ich mich
von der gesamten Welt in dieselbe Kategorie der in diesem Sinne auch zur Politik der Stärke be-
Wichtigkeit eingesetzt wird. Ich sage das nur, weil kenne.
ich glaube, daß wir uns dann sachlich über die ge- Aber wie wenig eine solche Politik mit einer
samte Problematik zu äußern vermögen. aggressiven Absicht zu tun hat, geht ja auch aus
Ohne Einschränkung stimme ich dem Herrn der wiederholten Erklärung hervor, die ich auch
Bundeskanzler zu, wenn er auch heute wieder mit heute wieder aufnehme, daß wir — gerade auch
großem Nachdruck und mit großem Ernst betont wir — bereit sind, jeden Pakt, jeden Vertrag, jedes
hat, daß wir uns nicht davon abbringen lassen System zu billigen, es selbst anzunehmen, ihm
dürfen, den beschrittenen Weg der Politik ent- beizutreten oder zuzulassen, daß andere es verein-
schlossen und unbeirrbar weiterzugehen. Ich baren, das Sowjetrußland das Gefühl der Sicher-
glaube, daß gerade für unsere heutige Lage wie heit gegen Aggression und Bedrohung vermitteln
selten zuvor das Wort gilt, daß Stillstand Rück- könnte, wobei ich völlig dahingestellt sein lasse,
schritt bedeuten würde. Wir wollen diese Politik ob dieses Gefühl der Bedrohung echt oder vorge-
der europäischen Zusammenarbeit konsequent fort- täuscht ist. Die letzten Diskussionen bei der Vor-
führen, wobei ich mit Ihnen, Herr Kollege Ollen- lage des sowjetrussischen Budgets, die man lesen
hauer, durchaus der Meinung bin, daß die Art der konnte, vermitteln mir nicht die Überzeugung, daß
Zusammenarbeit diskutiert werden kann und daß dieses Gefühl der Bedrohung tatsächlich echt und
die Integration, so wie wir sie sehen, durchaus begründet ist.
nicht den einzigen Weg der Zusammenarbeit dar- Aber ich meine trotz des Widerspruchs des
stellt, wohl aber bis zum Beweis des Gegenteils Herrn Kollegen Ollenhauer, daß wir in der Er-
den besten. Wir wollen diese Politik der euro- kenntnis der Notwendigkeit der Zusammenarbeit
päischen Zusammenarbeit konsequent fortführen, der freien Völker und insbesondere der Völker
damit Europa stark wird. Das bedeutet — das Europas weitere Fortschritte gemacht haben. Ich
möchte ich auch hier einmal gegenüber törichten erinnere an die von dem Herrn Bundeskanzler
oder böswilligen Unterstellungen aussprechen — schon zitierte Erklärung des britischen Außen-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1087
(Dr. von Brentano)
ministers über die Bereitschaft der englischen Re- Duclos und andere wie Herr Herriot oder Herr
gierung zu einer Assoziation mit den Staaten der Daladier, um nur einige zu nennen, dieser euro-
Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Ich bin päischen Integration leidenschaftlich Widerstand
vermessen genug, anzunehmen, daß diese Erklä- leisten. Aber, Herr Kollege Ollenhauer, erlauben
rung wohl nicht abgegeben worden wäre, wenn Sie mir eines zu sagen. Ich bin überzeugt, daß
man auch in London der Überzeugung wäre, wie sehr viele, die in Frankreich, in Belgien und in
sie hier vertreten worden ist — mit einem gewis- Holland die Integration mit derselben Leidenschaft
sen Gefühl der Befriedigung vertreten worden ist, vertreten wie wir — und das sind auch Ihre sozia-
wie ich mit Bedauern feststelle —, daß die Politik listischen Freunde in diesen drei Ländern —, Ihre
der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft be- Äußerungen mit derselben Sorge verfolgen wie
reits zum Sterben verurteilt sei. wir die französischen.
Ich entnehme dieser Erklärung der englischen (Lebhafter Beifall in der Mitte.)
Regierung zwei Dinge: einmal, daß Großbritan-
nien in seiner Abschätzung der Weltlage sich fort- Ich erinnere auch — und auch das hat der Bun-
deskanzler bereits gestreift — an die Erklärung
an die Politik des Gleichgewichts — und das ist ja
des amerikanischen Präsidenten Eisenhower über
das, was man in anderer Sprache auch „Koexistenz" die Zusammenarbeit der NATO mit der EVG.
zu nennen pflegt — nicht mehr auf der inner
Meine Damen und Herren, der amerikanische Prä-
europäischen Ebene, sondern nur noch auf der in- sident hat hier eine weittragende Erklärung ab-
terkontinentalen Ebene vorzustellen vermag, und
gegeben. Ich weiß nicht, ob sie in ihrer Bedeutung
zum anderen, daß Großbritannien sich wohl keine allen ganz bewußt geworden ist. Der amerika-
Situation vorstellen kann, in der nicht eine Betei- nische Präsident hat in dieser Erklärung auch ge-
ligung des in der Atlantischen Gemeinschaft gesam- sagt — ich bitte, den letzten Satz aufmerksam
melten Gewichts am europäischen Aufbau erfor- nachzulesen; er ist im Bulletin veröffentlicht —,
derlich wäre. Herr Kollege Ollenhauer hat daß nur im Falle einer effektiven und wirksamen
diese Erklärung kritisiert und gesagt, sie sei gar
europäischen Zusammenarbeit mit einer langfri-
nichts, denn sie bedeute ja nicht den Beitritt Eng-
stigen Beteiligung der Vereinigten Staaten an der
lands zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. europäischen Politik zu rechnen sei. Dieser Satz
Nun, meine Damen und Herren, das wissen wir
schon seit zwei Jahren, daß England der Euro- sollte auch allen denen zu denken geben, die sich
päischen Verteidigungsgemeinschaft nicht beitritt. bisher immer wieder mit der ebenso apodiktischen
Seine Unterschrift steht ja auch nicht unter dem wie unlogischen Feststellung selbst betrogen haben,
Vertrag, und diese Erklärung lediglich dahin aus- daß die Vereinigten Staaten sich ja gar nicht aus
zulegen, daß das damit sichtbar würde, scheint mir der europäischen Politik lösen und Europa weder
doch ein wenig verspätet zu kommen. Es ging politisch noch militärisch noch strategisch sich
darum, ob sich England, so wie es das in Aus- selbst überlassen könnten. Meine Damen und Her-
sicht gestellt hat, dieser Verteidigungsgemeinschaft ren, vielleicht ist die Gefahr, daß das geschieht,
in einer engen und unauflöslichen Weise asso- größer, als mancher auch in diesem Hause ahnt.
ziieren würde, und diese Voraussetzung ist, wie (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
ich meine, in einer Weise erfüllt worden, wie viel- Es kann einer falschen deutschen Politik sehr
leicht gerade Sie, Herr Kollege Ollenhauer, das leicht gelingen, Deutschland zu isolieren, und es
noch vor kurzer Zeit nicht für möglich gehalten kann auch — das sage ich, ohne zu kritisieren —
hätten. einer falschen französischen Politik ebenso leicht
(Sehr richtig! in der Mitte.) gelingen, die europäische Politik zum Scheitern zu
-
Aber die Aufnahme der Erklärung bei den ver bringen. Gemeinsamen Anstrengungen der Unver-
schiedenen Kritikern hat wieder einmal gezeigt, nunft in Europa kann es gelingen, die gesamte
daß es sehr schwer ist, es allen recht zu machen. europäische Politik zu gefährden, damit den euro-
Ich las noch vor kurzem eine französische Presse- päischen Kontinent zu isolieren und die Voraus-
stimme, allerdings in einer Zeitung, die für ihre setzungen dafür zu schaffen, daß er vielleicht in
erklärt antieuropäische Haltung bekannt ist. Da Kürze zum politischen und später zum mili-
hieß es im ersten Satz, dieses Assoziationsabkom- tärischen Operationsfeld anderer Mächte wird.
men bedeute gar nichts und werde das innere (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Leben und den Bestand der Gemeinschaft gar Wir sollten bei diesen Erwägungen auch die
nicht berühren, und im zweiten Satz wurde dann innenpolitische Entwicklung Deutschlands nicht
gesagt, daß durch das Abkommen Großbritannien aus dem Auge verlieren. Ich glaube, es wäre sehr
einseitig in die Lage versetzt wäre, insbesondere kurzsichtig und sehr falsch, zu glauben, daß die
auf dem Wege über die Rüstungsproduktion, den Stellung, die wir uns wieder errungen haben, poli-
deutschen Einsatz weitgehend mitzubestimmen. tisch und wirtschaftlich, so sicher und beständig
Meine Damen und Herren, wenn der erste Satz sei, daß wir sie nun allein . und aus eigener Kraft
richtig war, dann mußte der zweite falsch sein, auf die Dauer zu halten vermöchten. Ein isoliertes
und umgekehrt. Deutschland würde in kürzester Frist mit wirt-
Das war eine Stimme aus Frankreich, und der schaftlichen Krisen zu kämpfen haben, die es nie-
Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin gefragt, ob mals allein überstehen könnte. Aber noch gefähr-
wir uns nicht auch Sorgen machten, wenn wir die licher könnten und müßten politische Krisen wer-
kritischen Stimmen aus Frankreich hörten, die der den. Wenn die Politik der europäischen Zusam-
Politik der europäischen Integration, so wie sie menarbeit nicht erfolgreich fortgeführt wird, dann
uns und der Bundesregierung vorschwebt, wider- wird die Enttäuschung in allen beteiligten Län-
sprechen. Ich möchte darauf jetzt antworten. Herr dern, auch in denen, die bereits ratifiziert haben
Kollege Ollenhauer, ich versichere Ihnen, daß wir — Holland, Belgien und Luxemburg —, ihren
uns sehr große Sorgen machen, wenn wir hören, Ausdruck darin finden, daß aus dem Gefühl der
wie drüben Gaullisten vom Schlage des Herrn Isolierung heraus eine rückläufige Entwicklung
Palewski, Kommunisten vom Schlage des Herrn zum Nationalismus folgt. Eine solche Entwicklung
1088 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. von Brentano)
wäre ebenso verständlich wie verhängnisvoll; ver- müssen, dann würde ich an der deutschen Zukunft
ständlich deswegen, weil die Menschen ja dann er- verzweifeln.
neut in der Angst leben würden, nur von Fein- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
den umgeben zu sein, denen sie ausschließlich mit Bärsch: Wer hat das behauptet?!)
der äußersten Anspannung aller nationalen Kräfte Aber die Fragen stehen — und das ist auch hier
begegnen zu können glaubten; und verhängnisvoll schon aus verschiedenen Erklärungen sichtbar ge-
deswegen, weil diese Entwicklung der endgültige worden — in einem unmittelbaren Zusammenhang
Sieg der russischen Außenpolitik sein müßte, die auch mit der Anfrage der Sozialdemokratischen
ja nur dann gedeihen kann, wenn die freie Welt Partei zum Saarproblem, und dazu möchte ich
sich untereinander schwächt und ihre wirtschaft- einiges sagen. Ich habe mich am 28. Oktober ver-
lichen und politischen Kräfte zersplittert, anstatt gangenen Jahres zu dieser Frage geäußert, als ich
sie zur gemeinsamen Erhaltung und Entfaltung zu- auf die Regierungserklärung des Herrn Bundes-
sammenzuführen. kanzlers antwortete, und ich halte die Feststellun-
Meine Damen und Herren, ich wiederhole, daß gen, die ich damals getroffen habe, unverändert
ich mit dem Herrn Kollegen Ollenhauer der Mei- aufrecht. Ich bin auch der Meinung, meine Damen
nung bin: wenn wir uns zu dieser Zusammenarbeit und Herren, daß der Beschluß des Bundestags vom
bekennen, gibt es sicherlich verschiedene Wege. 3. Juli vorigen Jahres heute noch unverändert gilt,
Aber auf die Gefahr hin, daß mir ein Protest ent- und ich weiß nicht, wer eigentlich die Zweifel aus-
gegenschallt, möchte ich doch feststellen: soweit ich gelöst hat, die unsere Opposition veranlassen, nun
Ihre Ausführungen heute verfolgen konnte, haben dasselbe noch einmal beschließen zu lassen. Wenn
Sie uns auch heute diese Alternativlösung vorent- wir uns das angewöhnen, fürchte ich, werden wir
halten, demnächst auch die Gesetzesvorlagen wiederholt
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) beschließen. Ich stelle für meine Freunde und mich
fest: An diesem Entschluß vom 3. Juli, der hier im
vielleicht, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu Bundestag einstimmig gefaßt worden ist, ändert
bringen, obwohl mir die Zeit zu drängen scheint. sich nichts, ob wir ihn heute wiederholen oder be-
(Abg. Ollenhauer: Da haben Sie wohl nicht stätigen oder nicht.
zugehört! — Weitere Zurufe von der SPD.) (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
— Auf die Frage der Alternativlösung, die aus Menzel: Dann stimmen Sie zu! Das ist am
meiner Fraktion kam, haben Sie geantwortet, Herr einfachsten!)
Kollege: Lesen Sie die Zeitung! — Ich glaube nicht, Ich habe damals schon gesagt und wiederhole
daß das reicht; aber es mag sein, daß auch Sie sich es: Solange das Problem der Saar im Verhältnis
zu der Auffassung bekennen, die der Herr Kollege zwischen Deutschland und Frankreich nicht in ir-
Lütkens vor wenigen Tagen in Königswinter im gendeiner befriedigenden Weise gelöst ist, wird die
deutsch-englischen Gespräch vertreten hat, als er Spannung zwischen diesen beiden Ländern nicht
zum Abschluß seiner Ausführungen eindeutig er- beseitigt werden, und die Beseitigung dieser Span-
klärte: Es ist nicht die Aufgabe der Opposition, nung ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine
Alternativvorschläge zu machen; das muß die Re- aussichtsreiche Politik der freien Völker, zumindest
gierung tun. in Europa, also nicht nur für eine Zusammenarbeit
(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Tat-
Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Doch, heute hat sache können wir nicht außer acht lassen oder
es Herr Ollenhauer versucht! Aber die leugnen, unabhängig davon, wie wir uns die von
Qualität!! — Abg. Ollenhauer: Aber ich uns erstrebte Form der Zusammenarbeit vorstel-
habe das letzte Mal ausführlich darüber len. -
gesprochen! Ich kann ja nicht dafür, wenn Auch wer glaubt — und das möchte ich gerade
Sie das schon wieder vergessen haben! — auch der Opposition sagen —, daß man nicht auf
Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Herr Ollen dem Wege der Integration fortfahren, sondern die
hauer, es ist nicht besser geworden! — Zusammenarbeit durch multilaterale Verträge,
Abg. Ollenhauer: Dann können Sie nicht durch völkerrechtliche Koalitionen oder durch mi-
sagen, es gebe keine Vorschläge, das glau litärische Allianzen verwirklichen sollte, auch der
ben Sie selber nicht!) muß wissen, daß sich auch diese Vorstellungen
— Ich glaube, so kann man das Gespräch nicht nicht realisieren lassen, solange nicht Frankreich
führen. und Deutschland die Voraussetzungen dafür schaf-
fen, daß solche Verträge überhaupt zustande kom-
Vizepräsident Dr. Schneider: Der Herr Redner men können.
hat das Wort! Noch ein Zweites. Die Verhältnisse im Saar-
gebiet, die in den letzten neun Jahren entstanden
Dr. von Brentano (CDU/CSU): Meine Damen und sind und die wir beklagen und verurteilen, kön-
Herren, ich habe wohl den einen Vorschlag gehört; nen nur befriedigend geändert werden, wenn
aber es schien mir doch nicht sehr konkret zu sein, Deutschland und Frankreich sich verständigen und
von einem Sicherheitssystem im Rahmen der UNO wenn die Bevölkerung an der Saar eine solche Ver-
zu sprechen, in das Deutschland eingebettet wer- ständigung gutheißt. Deswegen dürfen wir meiner
den solle, ein Sicherheitssystem, das dann allen Meinung nach gar nicht darauf verzichten, eine
Beteiligten — auch Rußland und den Weststaa- Verständigung mit allen uns zu Gebote stehenden
ten — die Sicherheit geben sollte, nach der sie ver- Mitteln herbeizuführen. Wer sich diesem Bemühen
langen. Das ist doch ein wenig ein Wunschtraum, versagt, der hat — und das scheint mir logisch —
und ich meine, wir sollten doch auch die Vereinten doch nur die Wahl, den derzeitigen Zustand wenn
Nationen heute nicht mehr bemühen, als notwen- auch unter Protest zu verewigen oder mit dem Ge-
dig ist. So wichtig die Vereinten Nationen sind und danken einer gewaltsamen Lösung zu spielen, und
so sehr ich hoffe, daß sie fortbestehen werden, — ich glaube, daß es wirklich niemand gibt, der sich
wenn ich glaubte, unsere einzige Sicherheit durch für eine dieser beiden, zum wenigsten für die letzte
einen Beitritt zu den Vereinten Nationen finden zu Alternative entscheiden würde.
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1089
(Dr. von Brentano)
Seitdem wir hier im Bundestag das letzte Mal tifizerung des EVG-Vertrags durch Frankreich
über diese Frage diskutieren, wurden die deutsch- und einer Lösung der Saarfrage bestehe. Ich ver-
französischen Gespräche wieder aufgenommen. Sie mag ein solches Junktim in keiner Weise anzuer-
wurden auch durch die Beratungen gefördert, die kennen. Mag sein — wir wissen es ja —, daß die
im Politischen Ausschuß der Beratenden Versamm- französische Regierung für ihre eigene Entschei-
lung des Europarats auf der Grundlage des Be- dung und für die der französischen Kammer ein
richts des holländischen Abgeordneten Van der solches Junktim hergestellt hat. Das ist eine
Goes van Naters geführt wurden. Meine Damen innerpolitische französische Entscheidung, von der
und Herren, Sie werden aus meinen Darlegungen wir Kenntnis nahmen, ohne daß uns daran eine
ersehen, daß auch wir durchaus nicht die in dem Kritik zusteht. Aber im Verhältnis zu Deutschland
Plan des Abgeordneten Van der Goes van Naters als einem Vertragspartner der Verträge von Bonn
entwickelten Gedankengänge zu teilen vermögen und Paris kann ein solches Junktim nicht durch
und daß wir sehr starke und ernste Vorbehalte eine einseitige Erklärung eines Partners hergestellt
haben, Vorbehalte, die zum Teil ihre Erledigung werden.
gefunden haben durch die erfolgreiche Mitarbeit (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen] :
der deutschen Abgeordneten in der Kommission, Sehr richtig!)
zum Teil zum Ausdruck kamen in den Vorbehalten Die Verträge von Bonn und Paris wurden ohne den
bei der Abstimmung. Aber ich halte es doch für Vorbehalt eines solchen Junktims unterzeichnet
richtig und für angemessen, auch hier den Aus- und stehen auch ohne den Vorbehalt eines solchen
druck des persönlichen Dankes an meinen hollän- Junktims nun zur Ratifizierung. Das schließt nicht
dischen Freund Van der Goes van Naters auszu- aus, um auch das klarzustellen, daß wir von dieser
sprechen für sein Bemühen um eine Lösung, für innenpolitischen Verzahnung Kenntnis nehmen
sein uneigennütziges Bemühen um die Lösung einer und daß wir unsere Bereitschaft erklären, an einer
Spannung, die uns allen am Herzen liegt. Lösung mitzuarbeiten, — das um so weniger, als
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wir ja selbst schon wiederholt erklärt haben, daß
Ich möchte gar nicht in allen Punkten zu den das Verhältnis zwischen dem deutschen Mutter-
Einzelheiten des Vorschlages Stellung nehmen. land und dem Saargebiet wieder normalisiert wer-
Aber ich möchte vorausschicken, daß ich — mit den müsse. Dieses Verlangen entspricht ebensosehr
dem Herrn Bundeskanzler wohl — der Meinung dem bereits geäußerten Wunsch, das französisch-
bin, daß der Bericht in der nun vorliegenden Fas- deutsche Verhältnis in einer guten und beständigen
sung vom 7. März geeignet ist, den französisch- Weise neu und dauerhaft zu gestalten, wie auch
deutschen Besprechungen als Arbeitsgrundlage zu dem nicht minder dringenden Wunsch, den deut-
dienen und vielleicht auch später in einer Acht- schen Menschen an der Saar die gleichen politischen
mächtekonferenz als Diskussionsgrundlage verwen- Daseinsbedingungen zu vermitteln, die sowohl in
det zu werden. Allerdings möchte ich, wenn ich Frankreich wie in Deutschland selbstverständlich
das sage, keinen Zweifel daran lassen, daß man von jedem freien Bürger für sich gefordert und
uns, wenn wir schon unsere Bedenken gegen den auch vom Staate gewährt werden,
Plan äußern — und ich werde einige dieser Be- (Beifall bei der CDU/CSU)
denken hier sehr konkret vortragen —, nicht unter-
stellen sollte — und daß die Zustimmung, diese Daseinsbedingungen, wie sie auch in der Konven-
Gedanken als Arbeitsgrundlage zu nehmen, nicht tion für die Menschenrechte eindeutig fixiert wor-
dahin mißdeutet werden sollte —, daß das nun den sind. Diese Konvention hat die einmütige Bil-
ein deutscher Vorschlag sei, den man noch ver- ligung des Europarats gefunden.
schlechtern könne. Was der Van-der-Goes-van-Na- Erlauben Sie, daß ich auch in diesem Zusammen
-
ters-Plan vorschlägt, würde an sich, selbst wenn es hang ein Zitat bringe, das meines Erachtens in einer
in einer noch verbesserten Form akzeptiert würde, sehr eindringlichen Weise die Situation zeigt, wie
von Deutschland Konzessionen verlangen, die für sie heute besteht. Im „Manchester Guardian" ist —
uns alle unendlich schwer zu tragen sein werden. ich glaube, es war in der Nummer vom 17. April —
Ich betone: selbst wenn noch wesentliche Verbes- eine Betrachtung über die Saar erschienen. In die
serungen hinzukommen, die ich hoffe und wünsche. ser Betrachtung heißt es — mit Genehmigung des
Deswegen kann es nicht der Ausgangspunkt sein — Herrn Präsidenten darf ich wörtlich zitieren —:
das möchte ich klarstellen —, daß etwa nun dieser Der zweite Aspekt der Saarfrage ist das Fehlen
Plan im Gegensatz zu weitergehenden Wünschen der politischen Freiheit. Das ist tatsächlich
unseres französischen Gesprächspartners gestellt offen zugegeben von der Saarregierung, von
wird, und zwar in der Hoffnung, sich dann auf Frankreich und von den anderen im Ausschuß
einer mittleren Linie zu verständigen. des Europarats vertretenen Ländern, der im ver-
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, die gangenen Monat in London tagte. Der Aus-
begonnenen Verhandlungen fortzuführen und zu schuß stellte eindeutig fest, daß die politischen
gegebener Zeit das Ergebnis dieser Verhandlungen Freiheiten erst 12 Monate vor der Volksabstim-
vor dem Bundestag darzulegen. Es wäre auch un- mung eingeführt werden sollten. Das scheint
gewöhnlich, wenn wir jetzt zu solchen laufenden uns doch eine überraschende Haltung des west-
politischen und diplomatischen Verhandlungen in lichen Europas zu sein, wenn es gleichzeitig die
Einzelfragen Stellung nehmen wollten. Es erscheint Demokratie gegen die Diktatur verteidigt. War-
mir zweckmäßiger — und hier folge ich auch dem, um sind gewisse politische Parteien im Saarge-
was Herr Kollege Ollenhauer wie auch der Herr biet verboten? Weil sie glauben, daß die Saar
Bundeskanzler sagten —, grundsätzliche Erklärun- eines Tages zu Deutschland zurückkehren
gen zu den Lösungsmöglichkeiten, wie sie sich sollte. Aber die Kommunistische Partei ist,
heute abzeichnen, zu geben, also, wie es der Herr anders als die deutsch-freundlichen Gruppen,
Bundeskanzler ausdrückte, die Lösungselemente nicht verboten, obwohl es sich diese Partei doch
einmal zu skizzieren und zu diskutieren. nicht zum Ziel gesetzt hat, demokratische Ge-
Zunächst eine Bemerkung: Es ist viel von dem setze und demokratische Praxis zu respektie-
Junktim gesprochen worden, das zwischen der Ra- ren. Herr Hoffmann ist der Auffassung, daß
1090 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. von Brentano)
eine große Mehrheit im Saargebiet den Gedan- stützen —, dann müssen wir auch die Formel ein
ken einer Europäisierung unterstützen würde, wenig konkretisieren. In der Diskussion ist dieses
der übrigens nicht von der Bundesregierung Wort „Europäisierung" ein wenig schillernd ge-
bekämpft wurde. Das mag richtig sein. Um so worden durch die Vielfalt seiner Ausdeutung. Ich
mehr Grund besteht, die Anomalien abzuschaf- möchte konkret sagen, was ich mir darunter vor-
fen, die im Verbot politischer Parteien, in der stelle und was sich auch meine politischen Freunde
Zensur der Post, in der Überwachung des Te- darunter vorzustellen vermögen: daß wir uns um
lefons und in dem Verbot von Zeitungen beste- eine europäische Lösung bemühen sollten, die nur
hen. Wenn das Saargebiet das erste europä- darin bestehen kann, dem Gebiete und dem Volk
ische Territorium werden soll, dann sollte es an der Saar den Status eines europäischen Territo-
doch wenigstens auch ein freies und demokra- riums zu geben im Rahmen einer europäischen poli-
tisches sein. Andernfalls würde die Entwick- tischen Gemeinschaft und unter der Autorität und
lung zur europäischen Einigung keinen Vorteil der Kontrolle einer solchen Gemeinschaft. Eine
davon haben, wenn Saarbrücken seine Haupt- solche konkrete Vorstellung dessen, was wir wollen
stadt und sein geographisches Zentrum sein und für möglich halten, schließt zwei Mißverständ-
würde. nisse aus: einmal das Mißverständnis — ja, man
Meine Damen und Herren, das ist ein Zitat aus könnte sagen, die etwas bösartige Unterstellung —,
dem „Manchester Guardian", dem ich nichts hinzu- als könnte die Europäisierung mit einer Anerken-
zufügen habe und das ich gebracht habe, um noch nung und Legalisierung der bestehenden Zustände
einem Einwand zu begegnen, der uns schon entge- gleichgesetzt werden, zum andern das Mißver-
gengehalten wurde, nämlich dem Einwand, wer uns ständnis, als könnte die Lösung darin bestehen,
legitimiere, für die Saar zu sprechen. Man hat aus dem Saargebiet einen neuen Staat oder auch
manchmal sogar eine solche Intervention als Ein- nur ein staatsähnliches Gebilde zu schaffen. Das
mischung bezeichnet. kann und darf nach unserer Absicht nicht ge-
schehen; denn wir würden damit genau den Zielen
Ich habe gesagt und wiederhole es, daß das entgegenhandeln, die wir uns gestellt haben, als
Saargebiet unbestreitbar zum deutschen Gebiet in wir uns zur europäischen Integration bekannt
den Grenzen des Jahres 1937 gehörte. haben.
(Sehr richtig! in der Mitte.) Dieser konkreten Formulierung dessen, was ich
Ich habe damals auch gesagt und wiederhole, daß für möglich halte, möchte ich einige Bemerkungen
Frankreich wiederholt und nachdrücklich erklärt folgen lassen, wobei ich nicht einen starren Katalog
hat, daß es gar nicht daran denke — auch im Jahre von Bedingungen aufstellen möchte. Meine Damen
1945 nicht daran gedacht habe —, das Saargebiet zu und Herren, das stünde uns hier heute nicht zu und
annektieren. Die Menschen an der Saar sind also würde wohl auch wenig dazu beitragen, vertrauens-
Deutsche; sie waren es und sind es geblieben. volle und aussichtsreiche Verhandlungen zu führen.
(Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Frau Dr. Ich will auch nicht von Bedingungen sprechen, son-
Weber [Aachen]: Sie werden es bleiben!) dern wiederholt das Wort aufnehmen, das auch der
Herr Bundeskanzler gebraucht hat, nämlich: die
Man wollte sie gar nicht zu Franzosen machen. Das Elemente einer solchen Lösung diskutieren.
ist die erklärte Politik Frankreichs, die ich nur auf-
nehme. Ein saarländischer Staat konnte gar nicht Ich meine, daß ein europäisches Territorium nur
entstehen; er ist ja auch nicht entstanden. Staats- entstehen kann, wenn die Europäische Gemein-
charakter ist diesem Gebiet nicht zuerkannt wor- schaft Wirklichkeit wird, wie es ja auch in Art. 1
den, das auch nur als assoziiertes Mitglied dem des revidierten Entwurfs von Goes van Naters
Europarat angehört. heißt, und es kann nur bestehen, solange die- Ge-
meinschaft besteht. Die Lösungsmöglichkeit steht
Wir sind auch — und da stehe ich auch in keinem
daher nach meiner Überzeugung gleichermaßen
Widerspruch zu meinen französischen Freunden —
unter der aufschiebenden Bedingung, daß die poli-
bei den Beratungen des europäischen Verfassungs-
entwurfs einmütig davon ausgegangen, als wir den tische Gemeinschaft entsteht, und unter der auf-
Art. 101 formulierten, der leider dann in Straßburg lösenden, falls sie wegfallen sollte.
nicht akzeptiert wurde, daß Bevölkerung und Saar (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)
integrierender Bestandteil der politischen Gemein- Hier scheint meiner Ansicht nach ein echtes
schaft sein sollten, wobei wir dem besonderen Junktim zu bestehen, zu dem ich mich sehr nach-
Status der Saar dadurch Rechnung getragen haben, drücklich bekenne: das Junktim einer echten euro-
daß wir weder seine Regierung noch sein Parla- päischen Saarlösung im Rahmen einer echten euro-
ment in eine Parallele zu den Regierungen und päischen Gemeinschaft.
Parlamenten der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (Beifall bei den Regierungsparteien.)
gestellt haben.
Und zweitens — auch hier stimme ich mit dem
Aber es ist ja wirklich nicht nur eine Rechtsfrage
Herrn Bundeskanzler völlig überein —: die Lösung
nach unserer Legitimation. Man sollte sie nicht so
der Saarfrage kann schon mit Rücksicht auf die
stellen, sondern man sollte doch zugeben und aner-
politische Lage Deutschlands, wie sie auch Herr
kennen, daß, wenn ein Deutscher von den 960 000
Kollege Ollenhauer geschildert hat — wir beurtei-
Menschen an der Saar spricht, er gar nicht nach der len sie kaum verschieden —, nur einen vorläufigen
rechtlichen Grundlage dieses Anliegens fragt, son- Charakter tragen. Dieser besonderen Lage, in der
dern daß sein Herz mit ihm und für die anderen sich Deutschland befindet, hat man ja auch schon
spricht. in der Vergangenheit bereitwillig Rechnung ge-
(Beifall bei den. Regierungsparteien.) tragen. Ich erinnere an den Briefwechsel zwischen
Es ist nun häufig in den vergangenen Monaten dem französischen Außenminister Robert Schuman
das Wort von der Europäisierung der Saar ge- und dem Bundeskanzler Adenauer anläßlich der
braucht worden. Wenn wir uns wirklich um eine Unterzeichnung des Vertrages über die Montan-
echte Lösung bemühen — und ich bin bereit, ein Union; ich erinnere auch an Art. 73 des Deutsch-
solches Bemühen mit aller Leidenschaft zu unter land-Vertrags und nicht zuletzt an die geradezu
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1091
(Dr. von Brentano)
brillante Interpretation des Art. 73 durch den deutsch ist. Die Europäische Politische Gemein-
französischen Außenminister Bidault in Berlin. schaft soll, wie es in Art. 1 des Entwurfs heißt,
(Sehr gut! in der Mitte.) der in der Sonderversammlung einmütig angenom-
men wurde, auf dem Zusammenschluß der Völker
Diese wirklich ausgezeichnete Interpretation, die und Staaten, der Achtung ihrer Eigenart und der
ich mir voll und ganz zu eigen mache, wird auch Gleichheit der Rechte und Pflichten beruhen. Ich
unserm französischen Gesprächspartner das Ver- darf noch auf den Bericht meines italienischen
ständnis dafür vermitteln, warum wir eine end- Freundes Benvenuti verweisen, der zu Art. 1 des
gültige Lösung heute nicht zu diskutieren ver- Entwurfs als Vorsitzender der entsprechenden Un-
mögen. Die endgültige Lösung muß in einem frei terkommission in seinem Bericht ausgeführt hat:
verhandelten Friedensvertrag zustande kommen. Wir alle sind mit der Tradition der Kultur, der
Dabei stimme ich, um den Zwischenruf aufzuneh- eigenen Physiognomie unserer einzelnen Län
men, den Sie, glaube ich, Herr Kollege Mommer, der verbunden. Niemals darf die Gemeinschaft
am Anfang in der Rede des Herrn Bundeskanzlers diese Werte beeinträchtigen, sie absorbieren
machten, mit Ihnen überein, daß die Formulierung oder miteinander vermengen und dadurch
des § 19 des Entwurfs, wie er uns heute vorliegt, ihre Ursprünglichkeit zerstören.
nicht akzeptabel ist. Mein Freund Gerstenmaier
hat ja auch in der Abstimmung in Paris seinen Meine Damen und Herren, wenn ich mich zu
Vorbehalt gegen den Art. 19 gerichtet. Es würde einer möglichen Lösung des Saarproblems im Rah-
meiner Überzeugung nach gegen die Voraussetzung men der europäischen Gemeinschaft bekenne, dann
verstoßen, von der ich sprach, wenn andere Mächte möchte ich mich ausdrücklich auch auf diesen Art. 1
in einem solchen Vertrag eine Garantie dafür über- und auf die Interpretation beziehen und damit zum
nehmen würden, den vorläufigen Zustand in einen Ausdruck bringen: Wer die Saar entdeutschen
endgültigen überzuführen. Die Voraussetzung, wollte, würde gegen diesen ersten Grundsatz han-
auch diese Frage im Friedensvertrag frei zu ver- deln. Die Zugehörigkeit der 960 000 Menschen an
handeln, wäre damit nicht mehr gegeben, und ich der Saar zum deutschen Kulturkreis muß aner-
möchte deswegen an dem Vorbehalt meines Freun- kannt werden. Ich glaube, man tut gut daran, das
des Gerstenmaier mit großem Nachdruck fest- in allem Ernst zu fordern und auch zu bestätigen.
halten. Auch ein Saargebiet, das als europäisches Territo-
rium auf eine andere Ebene gehoben wird, soll
Das Verlangen nach Herstellung der demokra- damit nicht seine Heimat verlieren, sondern soll
tischen Freiheitsrechte an der Saar ist wirklich sie behalten und in den neuen Status mit überneh-
keine Forderung, die man etwa als den Ausdruck men.
eines falschen deutschen Nationalismus abtun (Beifall in der Mitte.)
könnte. Ich habe schon den Artikel des Manchester
Guardian zitiert, der ja wohl ein unverdächtiger Mit einer solchen Lösung, wie ich sie glaube an-
Sprecher unseres Anliegens ist. Aber das Gebiet streben zu sollen, wird auch die Grenzziehung
nicht berührt, und von einer Ausgliederung des
an der Saar kann und darf auch nicht auf Zeit als
Exklave weiterbestehen, in der die demokra- Saargebiets kann nicht gesprochen werden. Die
Grenzziehung kann erst im Friedensvertrag erfol-
tischen Grundrechte weniger Wert besitzen als
jenseits ihres Einflußbereichs. Darum sollte man — gen, wie ich es eingangs schon sagte. Allerdings
möchte ich doch eine Bemerkung hinzufügen: Viel-
da stimme ich auch mit dem Vorbehalt meines leicht sollten wir uns ein wenig von den Begriffs-
Freundes Gerstenmaier überein — die freiheit- vorstellungen und der Ausdrucksweise lösen, die
lichen Zustände auch nicht erst nach Ablauf einer noch so mit unserem nationalstaatlichen Denken
Frist, also zu einem bestimmten Termin, herstellen. verbunden sind, und sollten nicht glauben, -es sei
Fristen und Termine scheinen mir, wenn man über
die Freiheit spricht, nicht angemessen zu sein. ein Verrat am Volkstum, wenn Menschen Europäer
werden. Meine Damen und Herren, ich glaube,
Meine Damen und Herren, wir bestreiten nicht, wenn wir so weiter dächten, würden wir eine
daß Frankreich wirtschaftliche Interessen im Saar- Atmosphäre schaffen, in der eine echte europäische
gebiet hat. Wir glauben mit diesem Anerkenntnis Gemeinsamkeit niemals entstehen könnte.
auch einen wesentlichen Beitrag zu einer franzö-
sisch-deutschen Verständigung leisten zu können. (Sehr richtig! in der Mitte.)
Wir wollen diesen Interessen Rechnung tragen. Wir würden uns dann hinter unseren Grenzen
Aber ich bin überzeugt, auch Frankreich wird ein- festbeißen, und ein Überschreiten dieser Grenzen
sehen und erkennen, daß eine echte europäische würde dann schon als Verrat nationaler Inter-
Lösung schlechthin nur denkbar ist, wenn die zwei- essen betrachtet.
seitigen französisch-saarländischen Vereinbarun- Ich weiß, daß der eine oder andere, auch drüben,
gen in angemessener Frist durch neue Verträge er- vielleicht in solchen Vorschlägen, wie ich sie mache,
setzt werden, an denen Deutschland beteiligt sein in solchen Vorbehalten, wie ich sie äußere, in sol-
wird; denn die wirtschaftlichen Interessen der chen Einschränkungen, wie ich sie wünsche, einen
Saar liegen auch in Deutschland. Man sollte weder Mangel an Verständigungsbereitschaft erblicken
die Saar im Verhältnis zur Bundesrepublik noch könnte. Aber ich möchte denen, die so denken und
die Bundesrepublik im Verhältnis zur Saar diskri- die uns sagen, daß die Lösung auch des Saarpro-
minieren. Ich spreche von einem Abbau in ange- blems ein Testfall auf die europäische Gesinnung
messener Frist. Ich glaube, daß das eine Selbstver- auch der Deutschen darstelle, antworten: wir wol-
ständlichkeit ist: denn niemand wünscht, daß durch len, wenn wir zu einer Lösung in diesem Sinne bei-
eine übereilte Änderung der Zustände etwa wirt- tragen, als gute Deutsche handeln und uns als
schaftliche Krisen ausgelöst werden, wirtschaft- überzeugte Europäer bewähren. Aber von unseren
liche Erschütterungen, die, gleichgültig, wo sie sich französischen Vertragspartnern und Gesprächspart-
ereignen und wen sie treffen, von uns allen nicht nern dürfen wir doch wohl dieselbe Gesinnung er-
gewünscht werden können. warten:
Frankreich selbst — das ist eine weitere Bemer- (Sehr richtig! in der Mitte)
kung zu einer Lösung — hat wiederholt ausge- daß auch sie das europäische Bewußtsein und die
sprochen, daß die Bevölkerung des Saargebiets europäische Verpflichtung mit dem französischen
1092 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. von Brentano)
Denken zu vereinbaren vermögen. Wenn das nicht keine Lösungen irgendwelcher Art ohne uns be-
auf beiden Seiten gelingt, wird keine Lösung mög sprochen werden, als die Isolierung, in die wir
lich sein, mit der man in Deutschland, mit der kämen, wenn wir Ihnen folgten.
man in Frankreich und mit der man auch vor der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Bevölkerung an der Saar wird bestehen können.
Vizepräsident Dr. Schneider: Meine sehr ver-
(Sehr richtig! in der Mitte.)
ehrten Damen und Herren, bevor ich das Wort
Meine Bitte an die Bundesregierung ist es, bei den weiter erteile, mache ich bekannt: es ist interfrak-
folgenden Verhandlungen diese Auffassung, die tionell beschlossen worden, daß die Sitzung nicht,
wir hier im Bundestag vortragen, zu berücksich- wie im Ältestenrat vorgesehen, um 16 Uhr endet,
tigen und diesen Gedanken zum Durchbruch zu sondern heute programmgemäß zu Ende geführt
verhelfen, die, wie ich glaube, einer echten, guten wird und daß demgemäß heute nachmittag keiner-
und beständigen Lösung nicht im Wege stehen. lei Ausschußsitzungen, ganz gleich, wie sie heißen
Meine Damen und Herren, ich möchte keine mögen, mehr stattfinden sollen.
Prognosen über die Entwicklung anstellen, ich Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten
möchte zum wenigsten prognostizieren, was Dr. Pfleiderer.
Deutschland nun aus der Genfer Konferenz zu er-
warten hat. Ich möchte allerdings auch nicht, wie Dr. Pfleiderer (FDP): Herr Präsident! Meine
es mein verehrter Vorredner, Herr Kollege Ollen- Damen und Herren! Es gibt in der Diplomatie eine
hauer, tat, Zensuren an auswärtige Staatsmänner Redensart, die heißt „Qui mange de la Sarre, en
erteilen. Ich glaube, das steht uns nicht zu. meurt" — Wer von der Saar ißt, stirbt daran.
(Abg. Lücke: Sehr gut!) (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: O Gott!)
Ich kann nur hoffen, daß die Deutschlandfrage, Dies gilt natürlich nicht nur für die gequälten
auch wenn sie nicht auf der Tagesordnung von Herren Beamten, die sich in der Saarfrage mühen,
Genf steht, doch auch dort nicht vergessen wird. sondern es gilt ebenso für die Abgeordneten, die
Ich bin überzeugt, daß dem so ist. Denn aus der im Bundestag oder im Europarat mit dieser
Tagesordnung, wie sie in Berlin aufgestellt und schwierigen Sache zu tun haben. Es gilt insbeson-
dann auf Genf übertragen wurde, ergibt sich ja dere auch für die Abgeordneten, die Pläne aus-
der für uns vielleicht beklagenswerte, aber un- arbeiten und für Pläne verantwortlich sind, —
leugbare enge Zusammenhang zwischen der welt- denn Sie wissen ja: wer im öffentlichen Leben
politischen Spannung und unserem eigenen deut- steht und auf sich hält, sollte heute einen Plan
schen Anliegen. Aber ich bin mit der Bundesregie- haben. Es gilt vielleicht auch für die Regierungen,
rung und mit dem Herrn Bundeskanzler der Über- die sich solche Pläne zunutze machen wollen. Die
zeugung, daß wir auch diese Frage, die uns alle Saar ist im höchsten Maße gefährlich, und ich bin
so heiß beschäftigt und so tief bewegt, mit Aus- mir ihrer Gefahren bewußt. Ich möchte mich heute
sicht auf Erfolg überhaupt nur lösen können, wenn durchaus im Umkreis der Saar und ihrer Gefahren
wir ohne jede Abweichung an unserer politischen halten.
Linie festhalten, von der ich glaube, Herr Kollege Am vergangenen Montag wurde im Ausschuß
Ollenhauer, daß wir uns über ihre letzte Auswir- für allgemeine Angelegenheiten des Europarates
kung unterhalten sollten, wenn sie eingetreten ist. in Paris über den sogenannten Naters-Plan zur
Regelung der Saarfrage abgestimmt. Die Abstim-
Ich weiß auch nicht, ob Sie mit der freudigen mung fand, ebenso wie es bei den langwierigen
Genugtuung ganz recht haben, mit der Sie von Verhandlungen vorher der Fall gewesen war, unter
dem möglichen Scheitern dieser Politik sprechen. dem Vorsitz des französischen Abgeordneten M.
Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren, Guy Mollet statt. Ehe ich von irgend etwas - ande-
daß am Scheitern oder Zustandekommen solcher rem spreche, möchte ich hier hervorheben, daß M.
Lösungen auch Ihr Schicksal hängt Guy Mollet der gerechteste und umsichtigste Vor-
(Beifall bei den Regierungsparteien) sitzende war, den man sich wünschen konnte,
und daß es Ihnen innenpolitisch nichts nützen (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Bravo!)
wird, recht behalten zu haben, wenn andere einen eine jener vorbildlichen, klar denkenden und un
Fehler machten! Ich bin der festen Überzeugung, eigennützigen Persönlichkeiten, an denen sich die
daß diese Politik doch zum guten Ende führen europäischen Hoffnungen aufrichten können, wenn
wird, nicht weil ich meine, daß die Integration, wie sie aufs tiefste gesunken sind. Ich möchte nicht ver
ich sie mir vorstelle, nun zum Glaubensbekenntnis säumen, die Dankbarkeit der deutschen Abgeord
des Europäers erhoben werden sollte, wie Herr neten im Plenum des Bundestages aufs angelegent
Kollege Ollenhauer es uns vorwarf — ach, meine lichste und sehr bewegt zum Ausdruck zu bringen.
Damen und Herren, wir sind gar nicht so vermes- (Beifall.)
sen, Glaubensbekenntnisse aufzustellen —, sondern Die drei deutschen Abgeordneten haben in der
weil ich meine, und heute noch mehr als gestern
und vorgestern, daß die Entwicklung es uns ganz Abstimmung den ganzen Reichtum des deutschen
klar zeigt und beweist, daß der Weg, den wir ge- politischen Gemüts erstrahlen lassen. Ich verrate
hen, zumindest im Augenblick der einzig mögliche kein Geheimnis, sondern gebe nur wieder, was die
und damit der einzig richtige ist. Presse sagt, wenn ich mitteile, daß jeder von uns
anders abgestimmt hatte als der andere.
(Sehr richtig! in der Mitte.)
(Zuruf von der Mitte: Vorbildlich!)
An einem solchen Weg festzuhalten, ist kein Aus-
druck der Starrheit. Glauben Sie mir auch, Herr Herr Kollege Gerstenmaier sagte ja, Herr Kollege
Kollege Ollenhauer, wir werden uns dadurch, daß Mommer sagte nein, und ich enthielt mich der
Stimme.
wir an dieser Politik festhalten, nicht aus notwen-
digen internationalen Gesprächen freiwillig entfer- (Heiterkeit.)
nen, wie Sie zu befürchten scheinen. Die Art der Die Abstimmung war insofern europäisch, als wir
Entwicklung, wie sie auch der Herr Bundeskanzler nicht nach Delegationen, auch nicht nach Parteien
geschildert hat, gibt mir mehr Garantie dafür, daß abstimmten, sondern nach unseren eigenen Über-
2. Deutscher Bundestag, — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1093
(Dr. Pfleiderer)
zeugungen, freilich unter angemessener Berücksich- Ich möchte über die Frage der Menschenrechte
tigung der Überzeugungen unserer politischen hier nicht besonders sprechen; sie sind im Laufe
Freunde. der Debatte schon eingehend behandelt worden. Im
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Das ist eine übrigen haben Sie ja, Herr Kollege Gerstenmaier,
diplomatische Methode!) in London darüber verhandelt und wären der Be-
rufenste, darüber zu sprechen.
Ich selber hatte keinen Ehrgeiz, den Rebellen zu Der Herr Bundeskanzler hat in seinen
spielen. Ausführungen zur Saarfrage von der Notwendig-
Ich darf folgendes hervorheben: alle drei deut- keit eines Kompromisses gesprochen, von der Not-
schen Abgeordneten im Ausschuß für allgemeine wendigkeit, sich auf einer mittleren Linie oder
Angelegenheiten kommen aus Württemberg, einer höheren europäischen Ebene zu treffen.
(Heiterkeit — Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Meine politischen Freunde haben oft mehr als ich
Das hätte eigentlich schon zugereicht!) selber die außenpolitische Linie des Herrn Bundes-
kanzlers bejaht und unterstützt und in den euro-
jeder grenzt mit seinem Wahlkreis an die Wahl- päischen Fragen — ich darf nur an meinen Freund
kreise seiner beiden Kollegen, Waiblingen an Lud- Herrn Dr. Becker erinnern — tatkräftig mitgear-
wigsburg und an Backnang und so reihum. Jeder beitet. Meine Freunde sind auch, und ich bin es
von uns ist unmittelbar gewählt, und, obwohl die erst recht, von Natur aus und von Partei wegen
Menschen in allen drei Wahlkreisen ziemlich gleich- gutartig und freundlich und kompromißbereit.
artig sind, haben sie in jedem Wahlkreis den Ab-
geordneten einer anderen Partei gewählt. Herr (Heiterkeit. — Na, Na-Rufe.)
Präsident, ich glaube, ich darf hier schon sagen, es Die Fragen aber, um die es sich bei der Saar han-
gibt noch Charakterköpfe in Württemberg. delt, sind von so grundsätzlicher Bedeutung, daß
(Heiterkeit.) sie Kompromissen schwer zugänglich sind und uns
Mein lieber Freund und Bundesbruder Reinhold zwingen, unsere Ansichten, oder besser: die Lage
Maier wird dies bestätigen, falls ihn der Herr Bun- Deutschlands so deutlich zu formulieren, daß es
deskanzler als Zeugen hierzu hören wollte. keine Mißverständnisse darüber geben kann.
(Erneute Heiterkeit.) (Präsident D. Dr. Ehlers übernimmt
wieder den Vorsitz.)
Die französische Regierung hat den Saarstreit Wenn der Herr Bundeskanzler gesagt hat, daß
oder, besser, die Saarfrage mit der EVG insofern wir hier einseitige Rechtsänderungen hinnehmen
verbunden, als sie die Verträge der Kammer erst müßten, so stimmen meine Freunde darin nicht
vorlegen will, wenn eine für Frankreich befriedi- zu. Auf dieser Grundlage kann man schwer zu-
gende Grundsatzerklärung über die Saarfrage ab- sammen kämpfen, wenn man sich mit anderen da-
gegeben ist. Umgekehrt ist in Art. 1 Abs. 1 des zu zusammenschließen will.
Naters-Plans die Saarfrage mit der Europäischen
Politischen Gemeinschaft verbunden. Damit ist die (Beifall bei der FDP.)
Angelegenheit über sich selbst hinausgewachsen. Die Wirklichkeit der französischen Deutschland-
Die Saarfrage bedingt die Verteidigungsgemein- politik ist von deutscher Seite schwer darzustellen.
schaft und den politischen Zusammenschluß des Es hat immer etwas Mißliches, sich zum Dolmet-
Erdteils. Sie berührt sich mit den Verhandlungen scher fremder Überlegungen und Absichten zu
über Indochina und greift in das „do ut des" der machen. Ich bin deshalb auch gern bereit, mich be-
ganzen Welt. Auf der anderen Seite wird die Saar- richtigen zu lassen, und was ich vortrage, trage
frage vergiftet, weil mancher, der die EVG zu Fall ich vor, ohne es gut oder böse, gerecht oder unge-
bringen möchte, die Saar zum Vorwand nimmt, um -
recht zu heißen. Jeder Staat verfolgt die Politik,
seine Gegnerschaft zur Geltung zu bringen. die ihm gutdünkt. Gerade wir Deutschen sollten
endlich lernen, die Staaten so zu nehmen, wie sie
(Sehr gut! in der Mitte.) sind, und sollten als die Besiegten zweier Welt-
Gerade aus diesem Grunde muß, wer das Wort kriege den Sieger nicht ändern und umerziehen
Saar hört, die echten von den falschen Tönen un- wollen.
terscheiden lernen. Ich selber möchte, obwohl ich Wir glauben nun, in der französischen Saar-
sehr unmusikalisch bin, nur echte und keine f al- politik wirtschaftliche und politische Beweggründe
schen Töne anstimmen. zu sehen, Beweggründe, die verschieden stark sind
(Abg. Dr. Hellwig: Das entscheidet der und zuweilen auch wechseln. Zuerst war von den
Hörer!) Kohlen die Rede, dann von den Devisen, dann von
Die Abstimmung in Paris war deshalb so schwie- Reparationen oder gar von dem Konjunkturpuffer
rig, weil in dem Naters-Plan positive und negative für Lothringen. Oft aber, und hierin scheint etwas
Elemente nebeneinanderstehen, die kaum auf Dauerndes zu liegen, ist von dem Wunsch die
einen Nenner zu bringen sind. Herr Kollege Ger Rede, uns Deutsche als die als gefährlich empfun-
stenmaier hat bei seinem Ja-Wort Vorbehalte denen Nachbarn um Gebiet und Wirtschaftskraft
angemeldet, die sich auf die Frage der Endgültig- der Saar zu schwächen. Das Gleichgewicht zwischen
keit nach Art. 19, auf die Frage der Vereinbarkeit Bundesrepublik und Frankreich sei gestört, so
mit den Art. 2 und 7 des Deutschlandvertrages und heißt es, wenn die Saar bei Deutschland bleibe.
auf die Frage der Menschenrechte beziehen. Ich Mit all dem habe ich mich im Augenblick nicht
habe mir diese Vorbehalte zu eigen gemacht und auseinanderzusetzen. Es würde nur die tausend-
glaube, auch Herr Kollege Mommer hat es ge- jährige Reihe von Klage, Widerklage und Verteidi-
tan. So sind die drei Deutschen in vielem doch einer gung auslösen. Wohl aber habe ich zu prüfen und
Meinung gewesen; nur haben sie in der Abstim- haben wir alle zu prüfen, was der Verbund der
mung verschiedene Folgerungen daraus gezogen. Saarfrage mit der Europäischen Verteidigungsge-
Die Vorbehalte des Herrn Kollegen Dr. Gersten- meinschaft bedeutet. Und nicht nur wir Deutschen
maier waren jedoch, ich möchte sagen, Mindestvor- haben das zu prüfen, sondern alle Staaten haben
behalte. Es gab darüber hinaus noch „Spitzen" in- es zu prüfen, denen am Zustandekommen der ge-
dividueller Natur. meinsamen Verteidigung gelegen ist.
1094 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Pfleiderer)
Die Bundesrepublik hat die Verteidigungs- Heute jedenfalls ist die Lage die, daß zum zweiten
gemeinschaft unterschrieben und ratifiziert. Sie Jahrestag der Unterzeichnung das Schicksal der
will sich auf militärischem Gebiet auf Gedeih und EVG eher unsicherer ist als vor einem Jahr oder
Verderb, auf Leben und Tod mit Frankreich ver- bei der Unterzeichnung selbst. Wir wissen, daß die
binden, und das ist etwas ganz anderes als der grundsätzliche Lösung der Saarfrage eine Vorbe-
Beitritt zum Internationalen Gesundheitsamt oder dingung dafür bildet, daß die EVG in der Kammer
zur Internationalen Reblaus-Konvention. behandelt wird. Aber sie ist nicht die einzige Vor-
Nun, was bedeutet das Junktim von Saar und bedingung. Da gibt es ja noch die militärischen Zu-
EVG? sagen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens
Die Notwendigkeit, Westeuropa zu einer Vertei- und die Frage der Zusatzprotokolle. Heute ist lange
digungsgemeinschaft zusammenzuschließen, wird davon gesprochen worden, diese sei befriedigend
damit begründet, daß Europa von Osten her be- geregelt, aber wir wissen, daß sich die französische
droht sei. Diese Bedrohung ist, wenn man sie an- Regierung und französische Kreise vorbehalten zu
erkennt — und die Bundesregierung und viele an- sagen, ob nun diese Zusagen wirklich auch genüg-
dere Regierungen erkennen sie an —, für Frank- ten. Es gibt noch ganz andere und viel schwierigere
reich nicht geringer als für die Bundesrepublik; sie Fragen, und wenn man sie nicht oder noch nicht
ist für uns nicht größer, als sie für Frankreich ist. öffentlich vorbringt, dann soll das nicht heißen,
Wenn nun aber der eine Teil seine Bereitwilligkeit daß man sich ihrer in Frankreich nicht sehr be-
zur gemeinsamen Verteidigung von der Lösung wußt wäre. Es handelt sich um die ganze Proble-
eines bestimmten, mit der Verteidigung an sich matik der deutschen Ostgrenzen, mit der man sich
gar nicht zusammenhängenden Streitfalles abhän- in Frankreich durch die Verteidigungsgemeinschaft
gig macht, und zwar in dem Sinne abhängig macht, viel enger verbunden glaubt als ohne diese. Ich
daß er gewillt ist, auf die gemeinsame Verteidi- unterziehe mich der höchst undankbaren Aufgabe,
gung zu verzichten, wenn der Streitfall nicht in diese Fragen hier vorzubringen, und zwar deshalb,
seinem Sinne gelöst wird, dann wird die Auffas- weil wir mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß
sung, daß man bedroht sei und sich gemeinsam hinter dem Junktim von Saar und Europäischer
verteidigen müsse, unglaubwürdig, Verteidigungsgemeinschaft nicht nur der begreif-
liche und lobenswerte Wunsch unserer französi-
(Beifall bei der FDP — Zustimmung bei schen Freunde steht, vor Eingehen einer Partner-
der SPD und beim GB/BHE) schaft so enger Art, wie es die Verteidigungsge-
dann wird dem Gedanken der gemeinsamen Ver- meinschaft wäre, alten Streit mit uns zu bereinigen
teidigung der Boden entzogen, es wird seine Be- und zu begraben, sondern vielleicht auch der
rechtigung zerstört. Wer die Lösung der Saarfrage Wunsch, die EVG selbst zu treffen und ganz andere
zur Vorbedingung der westlichen Verteidigung er- Lösungen anzustreben als die, die wir unterzeich-
hebt, stellt innereuropäische Streitfragen über die net und zum Leitstern unserer Politik erhoben
gemeinsame Verteidigung und leugnet damit die haben.
Notwendigkeit dieser Verteidigung selbst. Meine Damen und Herren, ich möchte es vermei-
(Sehr gut! bei der FDP.) den, die heute schon wiederholt berührte heikle
Denn entweder ist man bedroht, oder man ist nicht Frage der Alternative aufzuwerfen. Ich habe ein-
bedroht; und wenn man bedroht ist, kann man mal Alternativen vorgeschlagen und bin dadurch
nicht so tun, als wäre man es nicht. fast berühmt geworden.
Dies ist ein sehr ernster Punkt; denn er stellt (Heiterkeit. — Abg. Hilbert: Nur „fast"!
die Gemeinsamkeit in Frage. Wenn der eine unter — Erneute Heiterkeit.)
allen Umständen will und der andere nur unter Ich fand diesen Zustand aber höchst unbequem und
bestimmten Umständen will, dann ist der, der möchte alles vermeiden, ihn erneut herbeizuführen.
unter allen Umständen will, hoffnungslos im Nach- Wohl aber sei einmal rein dialektisch gesagt, daß,
teil. wenn sich eine Politik a nicht verwirklichen läßt,
(Sehr gut! bei der FDP.) dann der Zustand non-a eintritt, ohne Rücksicht
Diese Lage müssen wir unter allen Umständen ver- darauf, ob man ihn Alternative heißt oder nicht
meiden, weil wir sonst von Vorleistung zu Vor- heißt. In Wirklichkeit trägt jede Politik durch die
leistung gezogen werden, Möglichkeit ihres Scheiterns die Möglichkeit und
(Sehr richtig! bei der SPD) Notwendigkeit ihrer Alternative in sich.
ohne sicher zu sein, die Gegenleistung zu erhalten. (Sehr richtig! links und rechts.)
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem Diese Tatsache sollte zumindest dazu zwingen, daß
GB/BHE.) man sich ernstlich mit ihr befaßt. Wir leben, als
käme es nie dazu, und darin sehe ich eine große
Wir wissen, daß die Grundsatzerklärung über Gefahr.
die Saarfrage die Voraussetzung dafür bildet, daß
die EVG vor die französische Kammer kommt. (Abg. Dr. Menzel: Sehr gut! Sehr wahr!)
Aber wir haben noch keine Sicherheit dafür, daß Meine Freunde und ich finden das Junktim zwi-
die EVG dann sicher ratifiziert wird. Wir befin- schen Saar und EVG über alle Maßen schädlich,
den uns hier in einer höchst unbefriedigenden schädlich für die Saarfrage, die dadurch überbewer-
Lage, und weite Kreise des deutschen Volkes be- tet wird und ihre Größenverhältnisse verliert, und
ginnen ja auch unruhig zu werden, weil wir mit schädlich für die Europäische Verteidigungsgemein-
den zentralen Fragen unserer Außenpolitik, mit schaft, die durch diese ihr völlig fremde Frage be-
den Fragen der Sicherheit und Verteidigung von schwert wird. Das Junktim ist erst nach der Unter-
völlig ungewissen Mehrheitsverhältnissen in einem zeichnung der Verträge aufgestellt worden. Es
fremden Parlament abhängig sind. Man mag wohl wäre besser gewesen, man hätte sich nie darauf
darüber nachdenken, was in Frankreich geschehen eingelassen, und es wäre heute noch besser, sich
wäre, wenn wir schon vor anderthalb Jahren rati- von ihm zu lösen.
fiziert hätten. (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Haben wir ja
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) auch nicht!)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1095
(Dr. Pfleiderer)
— Ja, offenbar doch! einbarte friedensvertragliche Regelung für
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Nein, wir ganz Deutschland ist, welche die Grundlage
haben's nicht!) für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie
— Warten Sie nur! — Man würde nach den Folgen, sind weiterhin darüber einig, daß die end-
die sich daraus ergeben, zu einer klareren Erkennt- gültige Festlegung der Grenzen Deutschlands
nis der französischen Verteidigungspolitik kom- bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden
men. Ich meine, auch ohne dieses Junktim fließt muß.
der Rhein, wo er fließt, und werden Kräfte auf Nach diesen Bestimmungen soll alles, was sich auf
Verständigung drängen, hüben und drüben, viel- Grenzen bezieht, dem Friedensvertrag vorbehalten
leicht weniger stürmisch und weniger vollkommen, bleiben. Dieser Friedensvertrag, das haben wir
aber auch mit weniger Konflikten und mit einem heute schon gehört, soll zwischen Deutschland, d. h.
weit geringeren Verlust an kostbarer Zeit. Wir Gesamtdeutschland, und seinen ehemaligen Geg-
wollen nicht vergessen, in welchen Verhandlungen nern, d. h. auch der Sowjetunion, geschlossen wer-
und in welchen Kämpfen Frankreich steht. Da den. Gelegentlich wird gesagt, daß an die Stelle
sieht sich manches anders an als von unserem eines Friedensvertrages auch ein anderer dement-
Standpunkt. Vielleicht kann man die französische sprechender Vertrag treten könnte. Aber was für
EVG-Politik nicht verstehen, wenn man dies nicht ein Vertrag müßte das denn sein, der an die Stelle
berücksichtigt. eines solchen Friedensvertrags treten könnte? Ein
Vertrag nur zwischen der Bundesrepublik und den
Nach dem Naters-Plan soll das Saargebiet euro- drei westlichen Alliierten könnte es ja wohl nicht
päisches Gebiet werden, sobald eine europäische gut sein; denn er wäre seinem Wesen nach etwas
politische Gemeinschaft gegründet ist. Das Saarge-
biet soll dieser Gemeinschaft unterstellt werden, anderes als ein Vertrag zwischen Gesamtdeutsch-
ohne eine eigene Staatlichkeit zu erlangen. Dies land und den vier ehemaligen Gegnern. Und ein
Vertrag, der nur Teilstücke behandelte und den
versteht man unter „Europäisierung" des Gebiets. politischen Zusammenhang, der zwischen allen
Abgesehen nun von der Frage, welche Beschaffen-
Teilstücken besteht, auseinanderrisse, wäre gleich-
heit das europäisierte Gebiet und die Gemeinschaft
haben sollen und welche besonderen Erleichterun- falls etwas ganz anderes als ein Friedensvertrag,
gen der Vorgang der Europäisierung für das Saar- der die Fragen der deutschen Freiheit, Sicherheit
gebiet mit sich bringen soll, die Tatsache bleibt be- und Einheit in einem löste. Ersatz wäre hier un-
stehen, daß wir es mit einer echten Loslösung aus vollkommener als sonst.
dem deutschen Staatsverband zu tun haben, (Abg. Dr. Lütkens: Darf ich eine Frage an
(Abg. Dr. Arndt: Hört! Hört!) den Herrn Redner stellen?)
mit einer echten Grenzfrage. Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte!
Hier erhebt sich die weitere Frage, ob die Bun- Dr. Lütkens (SPD): Würde der Herr Abgeordnete
desrepublik überhaupt Rechtsgeschäfte vornehmen im Lichte seiner jetzigen Ausführung zu dem
kann, die sich auf die Grenzen Deutschlands be- Briefwechsel Stellung nehmen, den der Herr Bun-
ziehen. deskanzler anläßlich und in Zusammenhang mit
(Zuruf von der SPD: Kann sie nach der dem Abschluß des Montanvertrages mit dem fran-
Verfassung nicht!) zösischen Außenminister gepflogen hat und in dem
Durch den Deutschland-Vertrag hat die Bundes- davon die Rede ist, daß die Saarfrage entweder
republik, wie vorläufig sie auch als Staatswesen durch einen Friedensvertrag oder durch einen
sein mag, volle Macht über ihre inneren und gleichartigen Vertrag — im französischen Text: en
-
äußeren Angelegenheiten erhalten. Darin ist an tenant lieu — abgeschlossen werden könnte?
sich auch jede Abmachung über das Saargebiet ein-
geschlossen. Schranken sind der Bundesrepublik Dr. Pfleiderer (FDP): Ich möchte hier den Herrn
jedoch gezogen, wenn es sich um die Rechte han- Bundeskanzler nicht interpretieren.
delt, die sich die drei westlichen Mächte in Art. 2 (Abg. Dr. Mende: Sehr richtig!)
des Deutschlandvertrages im Hinblick auf die inter- Ich glaube, er würde selbst den Wunsch haben,
nationale Lage, d. h. vor allem im Hinblick auf die hierauf zu antworten.
vierte Besatzungsmacht, auf die Sowjetunion, vor- (Abg. Dr. Arndt: Das tut er doch nicht!)
behalten haben. Diese Rechte beziehen sich auf
Deutschland als Ganzes einschließlich der Wieder- Der sogenannte gesamtdeutsche Vorbehalt in dem
vereinigung und einer friedensvertraglichen Rege- Bonner Vertrag, d. h. der Vorbehalt, daß nur Ge-
lung. samtdeutschland Bestimmungen über die Grenzen
treffen könne, und der Vorbehalt, daß wir mit
Diesen Rechten der Westalliierten gegenüber der
allen unseren ehemaligen Gegnern abschließen soll-
Bundesrepublik entsprechen die Verpflichtungen ten, bilden eine wesentliche Seite unserer völker-
der Westalliierten gegenüber der Sowjetunion. Es
rechtlichen Stellung, und wer als Deutscher davon
handelt sich hier um Tatbestände von höchster poli-
tischer Bedeutung, es handelt sich um die Klammer abgeht oder als Partner uns zum Abgehen veran-
um Deutschland, um die letzten Bestimmungen, lassen will, überschreitet die Grenzen der recht-
auf denen unsere Einheit beruht, aber auch um die lichen, vertraglich festgelegten Möglichkeiten der
letzte Grundlage, auf der wir die Besatzungsmächte Bundesrepublik und erschüttert den von uns rati-
für unsere Einheit verantwortlich halten können. fizierten Deutschland-Vertrag als das außenpoli-
tische Grundgesetz unseres staatlichen Lebens.
(Zustimmung bei der FDP.)
Wenn meine Freunde dem Naters-Plan so kritisch
Von Bedeutung ist ferner der Art. 7 des Deutsch- und ablehnend gegenüberstehen und wenn ich
landvertrages, in dem es heißt: selbst in Paris ein Ja nicht aussprechen konnte,
Die Bundesrepublik und die Drei Mächte sind dann deshalb, weil wir durch die Zustimmung zu
darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer der Europäisierung gezwungen werden sollen, über
gemeinsamen Politik eine zwischen Deutsch- unseren bundesrepublikanischen Schatten zu sprin-
land und seinen ehemaligen Gegnern frei ver gen. Wir würden, statt über den Schatten zu sprin-
1096 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Pfleiderer)
gen, nur ins Dunkle geraten. Das wollen wir nicht, Plan nicht zu, wo er Grenzfragen aufwirft, die an
und deshalb darf ich im Namen meiner Freunde die letzte Klammer um Gesamtdeutschland rühren.
auch erklären, daß wir nach wie vor auf der Er- Sie beklagen es aufs tiefste, daß die Deutschen in
klärung vom 2. Juli 1953 bestehen bleiben. diesen Fragen auf ihre eigenen nationalen Energien
(Beifall bei der FDP und bei der SPD.) verwiesen werden, statt die wohltätige Unter-
stützung ihrer Partner zu erhalten und ihre deut-
Immer und immer wieder ist hervorgehoben wor- schen Sorgen als europäische anerkannt und von
den, daß die Einwilligung in die Europäisierung allen gemeinsam getragen zu sehen.
das Gefüge Deutschlands und den letzten Zusam-
menhalt des geteilten Landes erschüttern würde. Nun kommt noch eine letzte Frage, die uns bei
Aber für die Europäisierung als einer Loslösung dem Naters-Plan mit Bedenken erfüllt, ehe wir
des Saargebietes von Deutschland liegen nicht nur dazu übergehen können, seine freundlicheren
französische Wünsche vor. Es scheint vielmehr, daß Seiten zu betrachten. Ich meine das deutsche Junk-
sich die Vereinigten Staaten und Großbritannien an tim mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft.
ihre auf der Moskauer Konferenz im Jahre 1947 ge- Sehen wir noch einmal von der juristischen Frage
gebene Zusage, sich für eine Loslösung des Saarge- ab, ob wir als Bundesrepublik ein Stück Deutsch-
bietes von Deutschland einzusetzen, auch heute land europäisieren können, und betrachten wir nur
noch gebunden fühlen, selbst wenn sie sich äußer- die Frage, die sich mit der Politischen Gemein-
lich zurückhaltend zeigen. Dadurch ist die Bundes- schaft stellt. Ich glaube, wir alle können bestätigen,
republik in eine schwierige Lage geraten. Sie sieht daß die Deutschen viel Herzblut an den euro-
sich von allen ihren großen Partnern vor die Frage päischen Gedanken gegeben haben und daß sich die
gestellt, zur Vollendung der EVG auf deutsches Hoffnung der Jugend damit verbunden hat. Könnte
Gebiet zu verzichten, und zwar unausweichlich, mit man nicht die Saar aus Deutschland entlassen, um
der Uhr in der Hand, in kostspieliger Ungeduld. ihr als Europäer in Europa wieder zu begegnen?
Wir haben den Weg Europas von Konferenz zu
(Abg. Dr. Mommer: Sehr gut!) Konferenz betrachtet und das Fähnlein der sieben
Diese Lage enthüllt den ganzen Ernst, der in den Aufrechten unter dem Banner unseres verehrten
auswärtigen Geschäften steckt, der im Bewußtsein Herrn Kollegen von Brentano wacker streiten
der Deutschen noch viel zu wenig lebendig gewor- sehen. Nun, Herr Präsident, der Deutsche Bundes-
den ist. Rein juristisch können wir sagen, die Mos- tag ist in letzter Zeit etwas literarisch geworden;
kauer Abmachungen von 1947 seien Abmachungen (Abg. Mellies: Das kann man wohl sagen!)
unter Dritten und für Deutschland nicht bindend. mit Don Carlos hat es damals angefangen. Ich
Ja, wir können sogar fragen, ob diese Abmachun- selbst fühle mich aber mehr zu den Romantikern
gen mit Art. 7 Abs. 1 des Deutschland-Vertrags hingezogen,
vereinbar seien.
(Heiterkeit)
Aber nicht allein auf das Juristische kommt es besonders, wenn ich an Herrn von Brentano denke.
hier an, sondern auf eine politische Tatsache und
eine politische Erkenntnis. Es kommt auf die Tat- (Erneute Heiterkeit.)
sache und die Erkenntnis an, daß wir in den ge- Aber ich muß doch sagen, was da aus des „Knaben
samtdeutschen Fragen im Grunde doch völlig allein Wunderhorn" an europäischen Gaben hervorkam,
gelassen sind. Es kommt auf die Tatsache und die reicht für die Europäisierung der Saar nicht aus.
Erkenntnis an, daß sich unsere Vertragspartner (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)
nicht dazu bereit finden wollen, die gesamtdeut-
schen Fragen als ihre eigene Frage zu betrachten, Wir können uns nicht gut eine diskriminierende
obwohl doch unsere Grenze die der westlichen Europäisierung einzelner Gebietsteile vorstellen,
Welt im ganzen ist. Dies ist es, was uns mit Be- ein Europa mit europäisierten und nichteuropäisier-
trübnis und Bitterkeit erfüllt. ten Staaten nebeneinander. Der Gedanke aber, daß
die Saar ein Vorläufer sei und daß die Staatlich-
Es ist auf der Berliner Konferenz nicht gelungen, keit der Nationalstaaten nach und nach so ausge-
die Einheit Deutschlands herzustellen. Auf allen höhlt würde, daß sie selbst zu Saargebieten wür-
Seiten hat es Schwierigkeiten gegeben. Wir hauen den, ist ein Gedanke fast wie von gestern. Die Uhr
diese Tatsache bis auf weiteres hinzunehmen. Aber des übernationalen Europas hat ihren Gang ver-
daß es damit nicht genug sein soll, sondern daß wir langsamt, zeitweise scheint sie stillzustehen oder
jetzt noch Handlungen vornehmen sollen, durch die gar rückwärts zu ticken.
auch die juristische Grundlage Gesamtdeutschlands
angetastet wird — die einzige Grundlage, die noch Es verwickelt die Saarfrage, wenn man sie mit
besteht —, das ist es, was wir nur schwer begreifen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Ver-
können. Wenn die deutsche Frage keine europäische bindung bringt. Viele meiner Freunde sind mit
Frage ist, die den Zusammenhalt aller braucht, dem supranationalen kleineuropäischen Gedanken
welche um Gottes willen ist es denn dann? aber so eng verbunden, wie ich es mit dem inter-
gouvernementalen großeuropäischen bin.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten (Abg. D. Dr. Gerstenmaier:
der SPD.) Das ist der Zweifel!)
Die Sowjetunion hat sich, soviel bis heute be- Ich denke nicht daran, hier eine Einheitsfront der
kanntgeworden ist, in der Saarfrage nicht gebun- freien Demokraten behaupten zu wollen; denn es
den. Sie hat keine Zusicherungen gegeben, sich für gibt sie in dieser Beziehung nicht. Ich möchte nur
eine Abtrennung des Gebiets von Deutschland ein- als meine persönliche Ansicht vortragen, daß die
zusetzen. Jüngste Verlautbarungen aus Ämtern, die Verbindung der Saarfrage mit der Europäischen
über die sowjetische Politik unterrichtet zu sein Politischen Gemeinschaft die Sache verwickelt, sie
pflegen, können in gleicher Richtung gedeutet auf lange Zeit in der Schwebe hält und jene, die
werden. gegen eine Europäisierung des Saargebietes sind, zu
Die Freien Demokraten verurteilen das Junktim Gegnern der Europäischen Politischen Gemein-
zwischen Saar und EVG. Sie stimmen dem Naters- schaft macht. Das aber ist nicht gut.
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1097
(Dr. Pfleiderer)
Ich möchte an den Anfang aller Versuche, die Die Mittelstellung des Saargebiets zwischen
Saarfrage zu lösen, den Satz stellen: Je weniger Deutschland und Frankreich zwingt dazu, ihm die
Junktim, desto besser. Die Saarfrage verdient es Möglichkeit einer eigenen Wirtschaftspolitik zu
um der Saar willen, gelöst zu werden. Die Deut- geben. Das spielt bis in die Fragen der Währung
schen dort haben genug gelitten; ihre Heimat muß hinein. Die französischen Deviseninteressen an der
zur Ruhe kommen, und ihre großen Nachbarn Saar sind heute erheblicher als die Kohleinteressen.
sollten mit ihren Wünschen und Selbstsüchten zu- Frankreich bliebe jedoch in der Zahlungsbilanz mit
rücktreten und nur daran denken, wie man diesem der Saar auch dann noch aktiv, wenn das Gebiet
unglücklichen Gebiet helfen kann, das auf einer aus der Frankenzone gelöst würde. Die deutschen
Grundfläche von der Größe Luxemburgs die drei- Interessen auf dem Gebiet des industriellen Eigen-
fache Bevölkerung ernähren soll. tums, der Banken und Versicherungen verlangen
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundes- dringend unter Abgeltung der Reparationen neu
tag darf sich glücklich schätzen, in seinen Reihen geregelt zu werden.
ein Mitglied zu besitzen, das über die vollkom- Für das Saargebiet bleibt als eine, seine eigenen
menste Kenntnis aller wirtschaftlichen Saarfragen finanziellen Kräfte fast übersteigende Aufgabe die
verfügt und diese seine Kenntnisse in einem so- des Betriebs der umstrittenen Gruben. Man sollte,
eben erschienenen Werke niedergelegt hat, durch um die Last der Verluste und der Investitionen zu
das wir alle sehr bereichert worden sind: ich verteilen und um den Anreiz zum Bezug von Saar-
meine Herrn Abgeordneten Dr. Fritz Hellwig. kohle zu erhöhen, eine Betriebsform finden, an der
Den Ausführungen des Herrn Kollegen Hellwig ist die Saar, Deutschland und Frankreich nach be-
zu entnehmen, daß das Saargebiet zu dem wurde stimmtem Schlüssel beteiligt werden.
und werden konnte, was es heute ist und noch ist, nur, Großer Sorgfalt bedürfte die Abstimmung auf
weil es Teil eines Zollgebietes war, zu dem als Zu- die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
bringer und Bezieher auch Lothringen und Luxem- Weisen der Gemeinsame Markt, die Aufhebung der
burg, das Elsaß und ganz West- und Süddeutsch- Frachtvergünstigungen und der Wegfall der Zölle
land gehörten. Diese Einheit ist zerschnitten wor- entschlossen in die europäische Zukunft und führen
den, und es gilt, sie wiederherzustellen. Die Saar sogar bereits einen Teil der hier empfohlenen Lö-
braucht Märkte zu Absatz und Bezug, sie braucht sung herbei, so müßte die Saar auf anderen Ge-
Investitionen von drinnen und draußen. Die Um- bieten aber erst in die Lage versetzt werden, ihren
welt der Saar heißt in erster Linie Deutschland größeren Aufgaben gerecht zu werden. Geschieht
und Frankreich. Vier Fünftel der saarländischen dies nicht, dann wird die Problematik eines halb
Ein- und Ausfuhr kommen dort her oder gehen durchgeführten Schumanplans auch hier aufge-
dort hin. worfen bis zu Standort- und Marktverschiebungen
sozial gefährlicher Art. Die saarländische Wirt-
Die wirtschaftlichen Fragen haben eine unmittel- schaft braucht für Kapitalbildung und Investi-
bare politische Bedeutung. Nur wenn die wirt- tionen, für Devisen und Kredite, für Steuern und
schaftlichen Fragen zum höchsten Nutzen der Saar- Soziales ihre eigene Entwicklung, ihre eigene Le-
bevölkerung geregelt werden, kann man erwarten, bensluft. Sie sollte aufhören, als Aschenbrödel zu
daß die politischen Lösungen, die man darüber dienen, sich ihr Geld von anderen entlehnen und
stülpt, halten. Es wäre gefährlich, wenn sich die ihre Kohle von außerhalb abgraben lassen zu
Vernunft der Wirtschaft an politischer Unvernunft müssen. Die Schwierigkeiten der saarländischen
stieße. Wirtschaftslage zwischen Ost und West, zwischen
Die Hauptfrage, die sich bei den wirtschaftlichen Deutschland und Frankreich, rechtfertigen es, dem
Lösungen stellt, ist die, wie das Saargebiet mit umstrittenen Gebiet eigene Zuständigkeiten zu - ver-
seinen beiden Hauptpartnern am besten zu verbin- leihen, und die Schwierigkeiten, die bestehen,
den wäre. Im Zeichen der europäischen Einigung mögen empfehlen, ihm ein eigenes Organ zu geben,
und besonders im Zeichen der Europäischen Ge- das die Beziehungen des Gebiets zu seiner Umwelt
meinschaft für Kohle und Stahl ist es schwer, hier- betreut und überwacht. Ein solcher Treuhänder
für einen andern Grundsatz als den der Gleich- müßte unabhängig und gerecht, im besten Sinne
berechtigung zu vertreten. Das Saargebiet braucht, europäisch sein.
wie alle Zahlen zeigen, in steigendem Maße den Meine Damen und Herren, was ich hier an wirt-
deutschen Markt. Wer sich hiergegen wendet, schaftlichen Gedanken vorgetragen habe, entspricht
schadet der Wirtschaft an der Saar und jedem aus in großen Zügen dem, was im wirtschaftlichen Teil
dem Volk. Es wäre deshalb auch nicht zu recht- des Naters-Plans enthalten ist. Ich habe daran
fertigen, wenn man die Erstreckung der franzö- selbst mitgearbeitet. Es ist der Teil des Berichts,
sisch-saarländischen Verflechtung auf die Bundes- der in Brüssel verhandelt und einstimmig ange-
republik verhindern wollte, bis erst ganz Europa nommen wurde. Sie werden meine Liebe zu die-
zur wirtschaftlichen Einheit zusammengewachsen sem meinem Kinde verstehen, auch wenn ich nur
wäre. einer von sechs Vätern bin.
Diese Frage hat in den Beratungen des Europa- (Heiterkeit.)
rats eine große Rolle gespielt. Niemand von uns Ich wäre mir treulos vorgekommen, wenn ich wie
bestreitet, daß die Aufhebung der Ein- und Aus- Herr Kollege Mommer, der übrigens nicht in Brüs-
fuhrzölle zwischen Deutschland und dem Saar- sel war, zum ganzen Naters-Plan nein gesagt hätte.
gebiet Übergangsmaßnahmen erfordert, die nach Dies wäre auch dem unermüdlichen Berichter-
Dauer und Umfang sorgfältig zu berechnen wären. statter des Ausschusses, Jonkheer van der Goes
Das Ziel aber darf man nicht aus dem Auge ver- van Naters, nicht gerecht geworden. Ich gebe al-
lieren, den Gemeinsamen Markt auch zwischen lerdings offen zu, daß die wirtschaftlichen Bestim-
Deutschland und dem Saargebiet so rasch wie mög- mungen des Naters-Plans noch sehr die Spuren des
lich herzustellen. Aufgabe von Sachverständigen Kompromisses an sich tragen.
wäre es, zu verhindern, daß die Saar zum franzö- Eine Enttäuschung ist uns allen nicht erspart
sischen Loch im Osten und zum deutschen Loch geblieben: daß nämlich gerade der Teil des Be-
im Westen würde. richts, der für die Bevölkerung und die saarlän-
1098 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Pfleiderer)
dische Wirtschaft der bedeutsamste zu sein schien, staatlichen kennen wir neuerdings ja auch schon
bei der französischen Regierung am wenigsten Ge- die zwischenstaatlichen Sonderzuständigkeiten.
genliebe gefunden hat. Soviel wir aus der Presse Wir haben zusammen mit fünf anderen Staaten
wissen, haben die Vertreter der Bundesregierung Kohle und Stahl einer überstaatlichen Sonderho-
in ihren mühevollen Verhandlungen mit der fran- heit unterstellt. Vorgänge dieser Art brauchen we-
zösischen Regierung noch keine befriedigenden Er- der Grenzen noch Staatsangehörigkeit, weder Spra-
gebnisse erzielt. che noch Kultur zu berühren. Die hier vorgeschla-
Und doch ist in den wirtschaftlichen Fragen durch gene wirtschaftliche Lösung bedingt keine Abtren-
schmerzliche Tatsachen der Praxis und durch sorg- nung des Saargebiets von seinem deutschen Mut-
fältige theoretische Untersuchungen bereits eine terland.
Art gemeinsame Überzeugung entstanden. Die Not- Nun zeichnet sich auf diese Weise eine klare Lö-
wendigkeit, den deutschen Markt geöffnet zu sung ab, eine Lösung, die von dem Junktim mit
sehen, wird immer stärker anerkannt. Die Unter- der EVG und vielleicht gar mit der Politischen Ge-
suchungen der Handelskammer in Saarbrücken meinschaft gelöst und rein auf das Wohl und Ge-
weisen in die gleiche Richtung. In einer Rede des deihen des Saargebiets selbst abgestellt ist, eine
saarländischen Herrn Ministerpräsidenten von An- Lösung, die die wirtschaftliche Sonderstellung des
fang April sind einige Sätze enthalten, die, ich Gebiets zwischen Ost und West in vollem Umfang
will nicht sagen, von Herrn Kollegen Mommer, anerkennt und berücksichtigt, eine Lösung, bei der
aber vielleicht von mir gesagt worden sein könnten. alle Grenzfragen bis zum Friedensvertrag aufge-
(Abg. Dr. Hellwig: Der schreibt ganz gut!) schoben sind, eine Lösung, die dort, wo für den
Treuhänder eine europäische Gemeinschaft nötig
Man fürchtet freilich an der Saar, daß eine zu enge ist, die Dienste des Europarats in Anspruch nimmt.
Verflechtung mit uns französische Gegenmaß-
nahmen auslösen könnte, von deren möglichen Das bietet mir die willkommene Gelegenheit, ein
Härten man ganz bestimmte Vorstellungen zu Wort höchsten Lobes und höchster Würdigung für
haben scheint. Hier hat sich das Wort Europa noch den Europarat in Straßburg zu sagen. Der Europa-
nicht ganz herumgesprochen. Wir alle werden mit rat besteht und er hat seine Organe. Ich habe den
Aufmerksamkeit betrachten, welche Rolle die supranationalen Versuchen stets mit Skepsis ge-
wirtschaftlichen Bestimmungen des Naters-Plans genübergestanden und die Einrichtungen, die nach
in den deutsch-französischen Verhandlungen spielen den alten Regeln des Völkerrechts geschaffen wor-
werden. den sind, als die mit dem längeren Atem betrach-
Auf einen Punkt möchte ich hier noch hinweisen. tet. Ich hielt es für unbescheiden, zu glauben, die
Da Herr Kollege Mommer als einziger nein sagte alten Nationalstaaten würden abdanken und sich
und ich mich als einziger der Stimme enthielt, darf wirksamen supranationalen Behörden unterstellen.
man annehmen, daß auch die französischen Abge- Ich habe dem Europarat die Treue gehalten, als die
ordneten mit Ja stimmten. Da nun die Verhand- Supranationalität so verführerisch winkte, die sich
lungen über die Grundsatzerklärung so sehr heute doch ihren Freunden entzieht.
schleppend vor sich gehen, scheint zwischen den Ich spreche nur persönlich und nicht für meine
französischen Abgeordneten im Europarat und der Fraktion, wenn ich dem Hause empfehle, diese Ent-
französischen Regierung keine volle Übereinstim- wicklung doch ja genau zu verfolgen. Denn könnte
mung zu bestehen oder höchstens ein englisches es nicht sein, daß wir Fehler begehen, wenn wir
„agree not to agree". Aber während nun in Frank- wirklich wie ein Tantalus immer nach Speisen
reich alle Abgeordneten ja sagen und die Regie- greifen, die sich wieder zurückziehen, wenn wir die
rung Zurückhaltung übt, sagt bei uns die Regie- -
Hände ausstrecken, und daß wir kostbare Zeit ver-
rung eher ja und üben viele Abgeordnete Zurück- lieren, als hätte die drängende Zukunft nicht schon
haltung. Daraus ergeben sich Schlußfolgerungen für begonnen? Die Welt ist voll von Gefahren. Wir
die praktische Lage, von denen ich offen bekennen müssen uns mit Frankreich zusammentun. Das steht
will, daß sie nicht sehr willkommen sind. am Anfang und im Mittelpunkt aller politischen
Die Frage nun, ob die Schaffung saarländischer und militärischen Erwägungen. Darum kommt nie-
Sonderzuständigkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet mand herum. Wir haben so vieles miteinander zu
und die Einsetzung eines Treuhänders oder Treu- bereden; denn dadurch, daß wir mit den Soldaten
händerkommissars eine Änderung der Staats- und begonnen haben statt mit dem Politischen, ist so
völkerrechtlichen Verhältnisse des Saargebiets, ins- vieles noch offen geblieben. Wir sollten daß Große
besondere die Loslösung aus dem deutschen Staats groß und das Kleine klein sehen. Klein aber ist
verband, nach sich ziehen müßten, ist zu verneinen. die Saar, wenn man sie Saar sein läßt, und groß
Deutschland als Ganzes wie auch die Bundesrepu- ist die Welt, die sich über die Erdteile ausdehnt,
blik als Teil davon ist an Treuhänder und selbst die berufen sind, der Schauplatz eines überlegten
an Kommissare gewöhnt. Darüber hinaus zeigt Zusammenwirkens zu werden.
schon ein oberflächlicher Blick auf die deutsche (Beifall bei der FDP.)
Rechtsgeschichte, daß wir in unseren verschiedenen
Reichen und Bünden seit über 1000 Jahren jede Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren,
Art von Gewichtsverteilung zwischen Kaiser und auf der Rednerliste stehen zur Zeit 12 Abgeord-
Fürsten, Reich und Ländern, Ober- und Unter-, nete!
Mittel- und Ortsgewalt gekannt haben. Es hat für (Zurufe.)
Deutsche weder etwas Ungewöhnliches noch etwas Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Erschreckendes, wenn ein bestimmtes Gebiet aus
besonderen Gründen besondere Zuständigkeiten Seiboth (GB/BHE): Herr Präsident! Meine
und Einrichtungen erhält. Wenn dem Saargebiet Damen und Herren! Es ist nicht leicht, zu einer
auf Grund seiner Mittelstellung zwischen Deutsch- Uhrzeit, zu der die Plenarsitzung geschlossen wer-
land und Frankreich eine eigene Wirtschaftspolitik den sollte, Sie nochmals um Ihre Aufmerksamkeit
ermöglicht werden soll, dann bereitet dies staats- zu bitten. Wenn ich es trotzdem tue, so deshalb,
rechtlich keine Schwierigkeiten. Neben den inner- weil es vielleicht nicht unwichtig ist, daß im Ple-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1099
(Seiboth)
num des 2. Deutschen Bundestags eine Fraktion seinerzeit, obwohl unsere Partei ursprünglich et-
ihre Meinung zu den Fragen, die heute zur Be- was anderer Meinung war und nachdem bestimmte
handlung stehen, darlegt, die, weil sie im ersten Besorgnisse ausgeräumt waren, der Montan-Union
Bundestag nicht vertreten war, dazu noch keine und dem EVG-Vertrag zugestimmt, weil wir in
Gelegenheit hatte und weil es die Fraktion einer diesen Zusammenschlüssen auf dem Gebiete der
Partei ist, die, weil ihre Wähler zu einem sehr Wirtschaft und auf dem Gebiete der Verteidigung
hohen Prozentsatz Menschen des deutschen Ostens eben doch Ansätze für den kommenden politischen
sind, zu den Fragen der deutschen Saar doch eine Zusammenschluß sehen.
Stellungnahme abzugeben hat, die beachtet werden Wenn heute hier von dem Sprecher der Oppo-
sollte. sition die Frage aufgeworfen wurde, ob es eine
Meine Parteifreunde und unsere Parteimitglie- Alternative zur EVG gibt, so wollen wir das nicht
der und -wähler sind überzeugte und, ich möchte unbedingt verneinen. Wir wissen, es gibt im Volke
beinahe sagen, fanatische Anhänger des Gedankens darüber sehr verschiedene Meinungen. Die Frage
eines echten europäischen Zusammenschlusses. ist doch aber nur, ob eine Alternative zur EVG
Wenn ich das feststelle, muß ich hinzufügen, daß besser ist als die Lösung der EVG. Es ist vielleicht
wir unter einem echten europäischen Zusammen- gut, wenn gerade wir, die wir zum Großteil Men-
schluß selbstverständlich das verstehen, was schen aus dem deutschen Osten sind, denen man
auch mein Vorredner als einen echten politischen oft, wenn sie nach dem Recht auf ihre Heimat ru-
europäischen Zusammenschluß bezeichnet hat. Wir fen, nachsagt, sie seien Nationalisten, betonen: wir
meinen also, daß eine westeuropäische Integration, sehen in der EVG gerade deshalb, weil hier mili-
die vorläufig der Umstände und der Weltsituation tärische Streitkräfte der verschiedenen Nationen
wegen noch am Eisernen Vorhang enden muß, zusammengefaßt sind, die geringste Gefahr, daß in
nur ein Vorläufer jener größeren europäischen po- Europa im Laufe der politischen Entwicklung der
litischen Einigung sein kann, zu der auch einmal alte Nationalismus wieder aufflammt.
der mitteleuropäische und der ost- und südost- (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Sehr richtig!)
europäische Raum gehören soll, der die Heimat
sehr vieler deutscher Menschen, aber auch die Jede denkbare andere Lösung, die auch nur annä-
Heimat heute unterjochter anderer Völker birgt. hernd den einzelnen Staaten vielleicht wieder eige-
Wenn wir trotzdem diesen westeuropäischen Zu- ne Truppen, eine eigene Wehrmacht geben könnte,
sammenschluß bejahen, von dem wir hoffen, daß so schön das vielleicht diesem oder jenem scheinen
er der Vorläufer eines größeren wird, so deshalb, mag, schließt aber doch immer wieder die Gefahr
weil wir der Meinung sind, daß ja irgendwann und in sich, daß wir auf diese Art und Weise zu einem
irgendwo unter den Gegebenheiten, die sich eben echten politischen Zusammenschluß und zu einer
bieten, ein Anfang gemacht werden muß und daß Überbrückung der nationalen Gegensätze der Ver-
ein Versuch besser ist als keiner, als nur immer gangenheit nicht kommen, sondern daß wir sie
geübte Kritik. Wir sind nicht hell begeistert, weil eher vertiefen würden.
der westeuropäische Zusammenschluß im Tempo (Beifall bei den Regierungsparteien.)
und auch in Form und Art nicht so vor sich geht, Wir sehen selbstverständlich gerade die heute
wie wir das wünschen und wie es angesichts hier so ausführlich behandelte Saarfrage und die
der Weltlage erforderlich ist. Wir würden es damit zusammenhängenden Probleme in engem Zu-
bei Gott viel lieber sehen, wenn wir heute schon sammenhang mit dem europäischen Problem. Wir
an eine Konzeption im westeuropäischen Rah- sind sehr zufrieden darüber, daß der deutsche
men denken könnten, in der Grenzen zwischen Standpunkt heute hier unmißverständlich dargetan
Staaten überhaupt keine Daseinsberechtigung mehr worden ist. Draußen im Volk waren Befürchtungen
haben, wenn es möglich wäre, heute schon eine vorhanden — und sie sind auch in der Presse ge-
Konzeption zu entwickeln und zu verwirklichen, äußert worden —, daß die Bundesregierung auf
bei der nur freie Volkstümer zu einer europäischen dem besten Wege sei, deutsches Recht um eines
politischen Gemeinschaft zusammengeschlossen europäischen Traumes willen zu opfern. Nach die-
sind. Wir wissen, daß es so weit noch nicht ist. Das ser Debatte im Bundestag und auch nach den Dar-
liegt nicht nur an uns Deutschen. Wenn wir uns legungen des Herrn Bundeskanzlers kann heute,
die Pläne und Vorschläge ansehen, die von dem glaube ich, keine Unklarheit mehr darüber herr-
Ausschuß für Verfassungsfragen unter Vorsitz des schen, daß die deutsche Bundesregierung und auch
Herrn Kollegen Dr. von Brentano erarbeitet wur- der Deutsche Bundestag durchaus gewillt sind,
den, so haben wir das Empfinden, daß wir wohl deutsches Recht zu wahren, ohne dabei die Politik
auf eine politische Gemeinschaft zusteuern, die — der europäischen Vereinigung aufzugeben.
wie es darin heißt — ein politisches Gebilde beson- (Abg. Kunze [Bethel] : Gut!)
derer Art ist, die aber in Wahrheit doch dem sehr
nahe kommt, was man gemeinhin Staatenbund Wenn wir auch die Saar gegenwärtig nicht besit-
nennt. Wir meinen aber: wenn wir versuchen, bei zen, so ist sie doch nach dem immer noch geltenden
einem solchen staatenbundähnlichen Gebilde durch Ergebnis der 1935 unter internationaler Kontrolle
Übertragung verschiedenster Funktionen auf dem durchgeführten Volksabstimmung deutsch. Das
Gebiete der Wirtschaft, des Verkehrs, der Land- Saargebiet gehört zu dem de jure immer noch be-
wirtschaft usw. an eine supranationale Behörde stehenden Deutschen Reich, zu jenem Gesamt-
allmählich die Souveränität der einzelnen noch deutschland also, mit dem entsprechend Art. 7 des
verbleibenden Nationalstaaten abzubauen, kom- Deutschlandvertrages die Grenzfragen, die terri-
men wir doch Schritt um Schritt vielleicht einer torialen Fragen erst in einem frei zu vereinbaren-
echten europäischen politischen Gemeinschaft im den Friedensvertrag zu regeln sind. Ohne Recht zu
Westen nahe, wie wir sie uns vorstellen. Diese po- verletzen ist deshalb die Bundesrepublik gar nicht
litische Gemeinschaft könnte dann für die Völker in der Lage, die Saar durch irgendwelche Abkom-
hinter dem Eisernen Vorhang ein Modell darstel- men aus Gesamtdeutschland zu entlassen.
len, in das auch sie und ihre Heimat später einmal (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
politisch eingegliedert werden könnten. Wir haben Gerade im Recht aber ist, wie der Herr Abgeord-
1100 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Seiboth)
nete Dr. Kopf als Berichterstatter in der Saarde- seinen Außenminister auf der Berliner Konferenz
batte vom 2. Juli 1953 gesagt hat, die Stärke unse- ja die demokratischen Freiheiten im Namen der
rer deutschen Position in der Saarfrage begründet. ganzen freien Welt, also auch Frankreichs, für die
Wer die Bundesrepublik als zur Zeit einzigen deut- sowjetisch besetzte Zone gefordert hat. Was dort
schen Rechtsstaat anerkennt, wie es die West- gefordert wurde, muß in einem Teil der freien
mächte und auch Frankreich tun, der kann auch von westlichen Welt eine Selbstverständlichkeit sein.
dieser Bundesrepublik nichts anderes verlangen,
Die zweite grundlegende Bedingung ist — und
als daß sie sich zum Recht bekennt. Der deutsche
diese Bedingung müssen wir vor der Bundesregie-
Name hat — das wollen wir hier einmal offen aus-
sprechen — in der Vergangenheit nicht zuletzt da- rung vortragen —, daß niemals eine endgültige
durch gelitten, daß in der Ara vor 1945 zu unserem Lösung der Saarfrage vorgenommen wird, weil eine
Schaden das Recht nach innen und nach außen sehr gesamtdeutsche Regierung im Interesse der Mög-
lichkeiten für eine Wiedervereinigung Gesamt-
oft mißachtet wurde. Man soll uns heute vom Aus- deutschlands nicht gebunden werden darf. Es sollte
land her deshalb keine Vorwürfe machen, wenn an sich überflüssig sein, dies zu betonen; denn
wir versuchen, durch die Beachtung des Rechts, auf der Berliner Konferenz ist von den Außen-
auch unseres deutschen Rechts, den deutschen Na- ministern des Westens, besonders von Herrn Dulles,
men wieder reinzuwaschen. darauf hingewiesen worden, daß die Verträge, die
(Beifall beim GB/BHE und rechts.) die Bundesregierung schließt, auch der EVG-Ver-
Wir identifizieren uns mit der Auffassung des trag, die künftige gesamtdeutsche Regierung nicht
Herrn Bundeskanzlers, die er am 30. Mai 1950 dem binden. Aber im Hinblick auf den Inhalt des
Bundestag vorgetragen hat und die er auch heute Naters-Planes, der ja auch vorsieht, daß die drei
wiederholte, nämlich daß ein selbständiger, von Westmächte sich verpflichten sollen, beim Friedens-
Deutschland getrennter Saarstaat schon vom euro- vertrag sich für die Beibehaltung dieser Lösung
päischen Standpunkt aus unbedingt abzulehnen ist. einzusetzen, halten wir es doch für notwendig, es
(Vizepräsident D r. Schneider über- hier ausdrücklich auszusprechen.
nimmt den Vorsitz.) Wenn aber über diese Frage Klarheit herrscht —
Es geht heute nicht darum, neue Kleinstaaten, und das ist, soweit es sich heute aus der Debatte
neue Grenzen zu schaffen, sondern die Klein- und der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers er-
staaterei, das nationalstaatliche Denken und die geben hat, der Fall —, daß nämlich eine Lösung
Grenzen in Europa zu überwinden. an der Saar, wie sie hier skizziert wurde, auf alle
Wir bestreiten der Saarbevölkerung nicht das Fälle nur ein Provisorium bis zu einem Friedens
Recht, selbst frei zu entscheiden, ob sie ihre zu Ge- vertrage ist und eine gesamtdeutsche Regierung
nicht bindet, dann gibt es auch tatsächlich kein
samtdeutschland gehörende Heimat zur Unterbrin- Präjudiz für den Osten.
gung europäischer Institutionen, wie der Herr Bun- Wenn ich mir hier erlauben darf, zur Frage des
deskanzler gesagt hat, für ein europäisches Terri- Ostens noch einiges zu sagen, dann folgendes. Es
torium oder Exterritorium zur Verfügung stellen ist richtig, wie hier mehrfach erwähnt wurde, daß
will. Die Einrichtung eines solchen europäischen
Territoriums setzt aber voraus, das eine Euro- die Wiedervereinigung Deutschlands — und wir
verstehen darunter immer Gesamtdeutschland, auch
päische Politische Gemeinschaft bereits vorhanden wenn wir dabei die zeitliche Rangfolge anerkennen
ist. Ein Volksentscheid in dem vorher erwähnten und gern beachten — nur durch ein Abkommen der
Sinne ist also frühestens im Zeitpunkt des recht- Großmächte zu erzielen ist. Wir möchten aber die
lichen Inkrafttretens der Europäischen Politischen nachdrückliche Bitte an die Bundesregierung rich-
Gemeinschaft möglich. -
ten, immer darauf bedacht zu sein, den westlichen
Wir freuen uns, daß über diese Auffassung nach Großmächten vor Augen zu halten, wie dringend
den heutigen Darlegungen des Herrn Bundeskanz- das Verlangen nach Wiedervereinigung in unserm
lers kein Zweifel mehr sein kann, um so mehr, als Volk ist, damit von diesen Großmächten, sei es im
der Zwischenfall, der heute vormittag durch eine Verkehr der Hohen Kommissare untereinander —
Zwischenfrage von seiten der SPD hervorgerufen so wie es heute Herr Kollege Ollenhauer erwähnt
wurde, ja bewies, daß solche Zweifel tatsächlich be- und zum Teil bemängelt hat —, sei es bei den
standen haben mögen. Es geht also nicht, wie hier großen Konferenzen, die Notwendigkeit nie aus
von meinem Vorredner, Herrn Abgeordneten Dr. dem Auge gelassen wird, jede Gelegenheit, die sich
Pfleiderer, betont worden ist, um ein Junktim bietet, zu nützen, auch in Situationen, in denen viel-
zwischen Saar und EVG, das wir aus den gleichen leicht einmal der Osten vom Westen unbedingt eine
Gründen wie die FDP ablehnen, sondern, wenn Zustimmung zu dieser oder jener Frage braucht,
man schon von einem Junktim sprechen will, um um die deutsche Wiedervereinigung immer wieder
ein Junktim zwischen der Saar-Lösung und der ins Spiel zu bringen und zur Vorbedingung für
Europäischen Politischen Gemeinschaft, wie es der Verhandlungen zu machen; denn nur darin sehen
Herr Kollege von Brentano gesagt hat. wir heute eine Möglichkeit, auf jener höheren
Für eine solche Lösung aber sind zwei grund- Ebene, auf der allein politisch die Wiedervereini-
legende Bedingungen auch für uns maßgebend und gung betrieben werden kann, zu einer Lösung zu
Voraussetzung. Die erste, die wir vor allem vor kommen.
den Mächten der freien Welt, insbesondere vor Ich glaube aber auch, hier einmal deutlich aus-
Frankreich, vorzutragen hätten, ist die, daß sofort sprechen zu müssen, was in der Debatte —, ich
an der Saar die demokratischen Freiheiten herge- weiß nicht, aus welchen Gründen — nicht richtig
stellt werden. Es ist unmöglich, daß heute Kolo- herausgeklungen ist, daß es nämlich nicht nur eine
nialmethoden früherer Zeiten, für die man in an- Angelegenheit der Großmächte ist, ob diese Wie-
deren Breitengraden jetzt einen hohen Blutzoll ent- dervereinigung vorankommt, sondern daß es auch
richten muß, auf Europa übertragen werden. Das eine Angelegenheit des deutschen Volkes selbst
können wir nicht widerspruchslos zur Kenntnis sein muß. Ich weiß und kann mir denken, warum
nehmen, vor allem auch deshalb nicht, weil die hier die verschiedenen Möglichkeiten der mensch-
freie Welt und nicht zuletzt Frankreich durch lichen Kontakte, vielleicht auch der fachlichen, die
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1101
(Seiboth)
gesucht werden müssen, nicht erwähnt wurden, Wir haben vor kurzem erst drüben vor der Sek-
warum nicht davon gesprochen wurde, daß wir es torengrenze die hohnvolle rote Fahne der Kommu-
ohne weiteres hinnehmen könnten, wenn im nisten auf dem Brandenburger Tor flattern hören,
Westen auch die Zeitungen, die Bücher und Zeit- und daneben steht das zerstörte Gebäude des Reichs-
schriften des Ostens vertrieben würden, wenn es tags. Das wäre eine Aufgabe; hier könnte unser Volk
eine Gegenseitigkeit dafür gäbe, wenn ein Wander- sich beteiligen, und es würde sich gern beteiligen,
und Reisverkehr oder ein Sportverkehr usw. nach wenn wir ihm sagten: Wir wollen über dem Portal
beiden Seiten möglich wäre. Man kann zu leicht des künftigen Reichstagsgebäudes die neue In-
erwidern: Das hängt ja nicht von unserem guten schrift anbringen „Das ganze Deutschland soll es
Willen ab, sondern von dem der derzeitigen Macht- sein".
haber in der Zone, und die haben diesen guten Ich habe mit Absicht, obwohl das mit Außen-
Willen nicht. politik nichts zu tun haben mag, diese Fragen hier
Ich meine, wir sollten beispielsweise über solche einmal vor dem Plenum des Bundestages ange-
Aufsätze, wie sie neulich in der Schweizer Zeitung sprochen, weil wir draußen in Versammlungen und
„Die Tat" von Hans Fleig unter dem Titel „Der Zusammenkünften mit unseren Menschen immer
deutsche Teig" erschienen sind, einmal etwas mehr wieder gefragt werden, warum denn nicht eine
nachdenken, als das der Fall zu sein scheint. Initiative .zu dieser Volksbewegung, von der ge-
sprochen wurde, von politischer Seite her gegeben
(Sehr gut! beim GB/BHE.) wird. Ich betone noch einmal: uns liegt nichts
daran, diese Dinge für uns verbuchen zu wollen.
Dort wird uns nicht nur vorgeworfen, daß wir Wir wissen ganz genau, daß diese Gedanken heute
träge sind, sondern auch, daß wir nicht einmal ver- in allen Fraktionen und in allen Parteien vorhan-
suchen, diese Trägheit durch gewisse Aktionen zu- den sind und man sich den Kopf darüber zerbricht,
mindest zu bemänteln. Ich meine, man kann dem wie man sie politisch aktivieren könnte. Wir wür-
Volke bei uns nicht vorwerfen, daß es an dieser den uns deshalb freuen, wenn wir zu allem, was
Wiedervereinigung nicht interessiert sei. Ich glaube wir von den Großmächten und von der Bundes-
im Gegenteil, daß es tatsächlich ein brennender regierung für die Wiedervereinigung verlangen
Wunsch jedes einzelnen Deutschen hier wie drüben müssen, auch selber als die politischen Parteien des
ist, daß diese Wiedervereinigung Wirklichkeit wird. deutschen Volkes eine Aktivität entfalteten, die
Aber es fehlt wohl bei uns an den nötigen An- imstande ist, den Gedanken der deutschen Wieder-
regungen für das Volk. Es sind die Beispiele nicht vereinigung in unserem Volk vorwärtszutreiben.
gesetzt, an denen sich das Volk nun in seinem
Wunsch, seinem Drang nach Wiedervereinigung (Beifall beim GB/BHE und bei der
Ausdruck zu geben, irgendwie festhalten kann. Wir CDU/CSU.)
bedauern außerordentlich, daß wir seinerzeit, als
wir — ich betone: wir hatten keineswegs die Ab- Vizepräsident Dr. Schneider: Ich gebe folgendes
sicht, daraus vielleicht eine parteipropagandistische bekannt. Der Haushaltsausschuß muß um 17 Uhr
Angelegenheit zu machen — den Vorschlag mach- im früheren CDU-Saal zu einer kurzen Sitzung
ten, von allen Parteien gemeinsam eine gesamt- zusammentreten. Diese kurze Sitzung ist notwen-
deutsche Spendenaktion nach der Berliner Kon- dig, weil noch einiges für die morgige Haushalts-
ferenz auszurufen, auf so wenig Gegenliebe ge- debatte vorbereitet werden muß.
stoßen sind. Nachher ist dankenswerterweise von Ich erteile das Wort dem Abgeordneten von
Herrn Bundesminister Kaiser der Gedanke ins Volk Merkatz.
getragen worden, daß nun eine gesamtdeutsche Be-
wegung für die Wiedervereinigung ins Leben ge- Dr. von Merkatz (DP): Herr Präsident! Meine
rufen werden müsse. So dankenswert diese Initia- Damen und Herren! Der Ernst des Tages, an dem
tive ist, — wenn man aber an gewisse Verhält- heute unsere Debatte stattfindet, ist nicht zu ver-
nisse drüben hinter dem Eisernen Vorhang denkt, kennen. Seit dem Überfall auf Südkorea ist die
dann wird einem bewußt, daß gewisse Gefahren Weltlage nicht so ernst gewesen, wie sie es heute
darin liegen, wenn nur vom Staate her solche An- ist. Das verpflichtet uns zu einem besonderen Maß
regungen gegeben werden. Es könnten Gefahren an Zurückhaltung und zu einer besonderen Selbst-
darin liegen, wenn diese Bewegungen auch vom kontrolle bei den Worten, die wir zu sagen haben.
Staate getragen werden sollten. Hier liegt — das Ich bin nicht befugt, Zensuren zu geben, und unter-
wollen wir offen sagen — eine Aufgabe für die drücke deshalb ein Urteil über diesen oder jenen
Parteien als Willensträger des Volkes vor. Die Punkt, der hier zum Ausdruck gebracht worden
Parteien sollten sich dieser Bewegung für die ist, ob alle Ausführungen diesem Maßstab und die-
Wiedervereinigung annehmen und ihr Gestalt ser Verantwortung genügt haben. Wir führen diese
geben. außenpolitische Debatte in einer sehr unpräzisen
Situation. Infolgedessen ist es außerordentlich
Wenn man sagt, man könne sich nicht vorstel- schwierig, etwas Präzises zu sagen, es sei denn,
len, was man mit diesen Mitteln, die damals be- daß man sich in der Eitelkeit bewegt, Originalitä-
stimmt gern gegeben worden wären oder zum ten und intellektuelle Gedankenblüten auf den
1. Mai gegeben werden würden, tun könnte, möchte
Tisch des Hauses zu legen. Damit dient man aber
ich dem entgegenhalten: wie wäre es beispiels- den deutschen Interessen in gar keiner Weise. Ich
weise, wenn wir gesagt hätten, das deutsche Volk möchte mich daher in dieser Situation darauf be-
wolle zum Zeichen dafür, daß es unverbrüchlich schränken, grundsätzliche Auffassungen meiner
an die Wiedervereinigung glaubt, daß es an dem Partei zum Ausdruck zu bringen. Es hat keinen
Glauben festhält, daß Berlin wieder einmal die Sinn, sich in diesem Moment darauf zu beschrän-
Hauptstadt ganz Deutschlands sein wird, mit die- ken, über die gegebenen Verhältnisse zu lamen-
ser gesamtdeutschen Spende unmittelbar an der
tieren und die schlimmen Dinge, die in der Welt
Sektorengrenze in Berlin das Reichstagsgebäude
neu aufbauen? geschehen, zu kritisieren und sich dem Gefühl der
Enttäuschung über den Verlauf der europäischen
(Beifall beim GB/BHE.) Politik und die schlechte Entwicklung der Dinge
1102 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. von Merkatz)
hinzugeben. Das hat keinen Sinn, wenn ich nicht zu sein scheinen. Insbesondere scheint vergessen zu
mit dieser Kritik zugleich eine konstruktive Idee sein, daß diese ganz konkrete Form einer europä-
zu verbinden habe. ischen Politik — nämlich die der EVG—ja schließ-
Ich muß aufrichtig sagen, daß der heutige Tag lich durch eine sowjetrussische Aggression hervor-
über den bisherigen Grundgedanken der deutschen gerufen worden ist, nämlich
Außenpolitik hinaus keine eigentlich neuen kon- (Sehr gut! in der Mitte)
struktiven Gesichtspunkte hervorgebracht hat. dadurch, daß die Sowjetunion ihre Rechte als Be-
Wir stehen unter dem Einfluß von drei Faktoren. satzungsmacht mißbraucht hat, daß sie die Spal-
Der eine ist die objektiv veränderte Weltlage. Die tung des deutschen Staatswesens aufrechtzuerhal-
Existenz des alten Staatensystems, so wie es in der ten oder das Wiedererstehen des deutschen Gesamt-
Vergangenheit als vielfältiges nationalstaatliches staates zu behindern sucht, daß sie tatsächlich durch
System geworden ist, ist auf die Dauer nicht mehr eine immer weitere Ausdehnung ihres Einflusses
aufrecht zu erhalten. Die Welt ist in zwei große den Versuch macht, die westliche Welt unter Druck
zu setzen, um die vorherrschende Macht zu wer-
Machtzentren zerfallen, in das Machtzentrum des
Ostens und in das Machtzentrum der Amerikaner. den. Aus diesem Verhalten ist die gegenwärtige
In diesem Gefüge großräumiger Zusammenschlüsse, Lage entstanden. Es ist also nicht etwa eine Erfin-
das im Ostblock bereits vollendet ist, im Westen dung der westlichen Politiker, den Zusammen-
aber noch nicht vollendet ist, besteht praktisch das schluß Europas in dieser oder jener Form vorzu-
nehmen, sondern das ist eben die Antwort auf
europäische Loch. In diesem europäischen Vakuum
einen unguten Druck, der die Welt beunruhigt.
liegt die Gefahr eines deutschen Niemandslandes Wir müssen feststellen, daß es eine Verbindung
zwischen Ost und West, d. h. die Gefahr der Ver-
nichtung des deutschen Volkes. Unter diesen von Staaten gibt, die als potentielle Aggressoren
schweren Bedingungen haben wir Politik treiben gelten müssen, weil sie darauf abzielen, die Frei
müssen. Ich bitte dabei zu berücksichtigen, daß heit der Völker im Innern und nach außen zu
1945 die Niederlage nicht nur eine gewöhnliche beseitigen. Wer das bestreitet, den muß ich auf den
Niederlage war, sondern die Zerstörung des ge- Angriff in Korea verweisen und dem halte ich ins-
samtstaatlichen Gefüges und seiner politischen Ver- besondere entgegen, daß vor dem Beginn der
Genfer Konferenz, wo alles darauf ankam, daß es
tretung nach außen. wirklich zu einer entspannten Atmosphäre kam,
(Abg. Lücke: Sehr gut!) in dieser Situation bei den Vorgängen in Indochina
Das hat es bisher noch kaum gegeben. Das war erneute Aggressionen begonnen worden sind mit
mehr als ein verlorener Krieg. Das war eine Ver- dem Ziel, auf der Genfer Konferenz militärische
nichtung, und aus diesem Zustand der Vernichtung Vorteile in Indochina aufweisen zu können. Es sind
heraus mußte Außenpolitik getrieben werden. Wer also lauter Handlungen begangen worden, die die
sich einbildet, daß die Gefahr der Vernichtung be- Atmosphäre verschlechtert haben. Ich denke auch
reits von unserem Haupte weggenommen worden an den Abbruch der diplomatischen Beziehungen
sei, und deshalb, weil dank der Politik der Regie- mit Australien und noch an andere Fälle, in denen
rung die Leute wieder satt zu essen haben — je- eine so deutliche Verschärfung der Situation durch
denfalls der größte Teil wieder satt zu essen hat — den Ostblock festgestellt werden muß, daß man
und man wieder Luxus sieht, nun etwa glaubt, sich wirklich fragen kann, ob nicht diejeni-
man sei in Sicherheit und damit sei nun alles aus- gen, die der Illusion der Entspannungspolitik von
gestanden, der lügt sich doch etwas vor! Berlin, ich möchte sagen, überhaupt den Illusionen
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. des Jahres 1953 erlegen sind, eine sehr gefährliche
Heiland: Das haben Sie aber spät begriffen!) und auf die Dauer die Aggressoren nur -ermuti-
gende Politik treiben.
— Das habe ich schon mehrfach gesagt, Herr Kol- (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)
lege Heiland. Ich glaube, man sollte den Begriff Meine Damen und Herren, ich weiß, daß es viel-
des Rechtes der Menschen auf die Heimat und in leicht für einen Deutschen, der sich mit diesen
der Heimat als den obersten Grundsatz und Maß- Problemen beschäftigen muß, der aber nicht viel
stab feststellen und daran alle übrigen Dinge be- dabei mitzureden hat, etwas gewagt ist, das zu
messen, die geschehen sind. Das sind nicht mehr sagen. Ich möchte aber behaupten, daß diejenigen
nationalistische Prestigefragen. Vielmehr handelt Illusionisten, die der Sowjetunion ein angebliches
es sich um die Frage: Was dient den Menschen, Sicherheitsbedürfnis und deshalb Entspannungs-
was erhält ihr Menschenrecht in der Heimat, und bedürfnis zugesprochen haben, die ihr also die
wie ist es möglich, daß diese Menschen in Ruhe „Friedenspolitik" abgenommen haben und die des-
und Frieden und Sicherheit in ihrem Siedlungs- halb die Politik der europäischen Sicherheit und
raum sitzen und arbeiten können und eine Zu- Verteidigung zwei Jahre lang verzögert haben, so
kunft haben? Das ist ein Maßstab, und allein nach daß man jetzt unter Umständen bald über diese
diesem Maßstab ist meiner Ansicht nach Erfolg Politik das Wort „zu spät" setzen muß, jetzt all-
oder Mißerfolg einer Außenpolitik zu messen. mählich eines Besseren belehrt sind. Ich kann mir
Man mag vielleicht sagen: Das ist eine Politik nicht vorstellen, daß gegenüber einer Politik, die
der Illusionen! Ich halte sie für eine sehr prak- auf Ausdehnung der Machtsphäre gerichtet ist und
tische Politik, weil sie auf das wirkliche Bedürf- die auch kein Mittel — auch nicht das der direkten
nis der Menschen eingeht und weil sie bei richtiger Gewalt — gescheut hat, wenn es auch nur in ört-
Anwendung des Grundsatzes des Rechtes der Men- lich begrenztem Umfang wie in Korea oder in In-
schen auf die Heimat und in der Heimat manches dochina angewandt wurde, daß gegenüber einem
aufgeblasene Scheinproblem auf das reduziert, was solchen politischen Wollen eine andere Haltung
es eigentlich politisch bedeutet. möglich wäre als eine Politik, die klarstellt, daß
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn mit diesen Mitteln der Gewalt und Aggression ein-
man die außenpolitischen Debatten hört, hat man fach nicht weiterzukommen ist, ohne die eigene Po-
oft den Eindruck, daß Ursache und Wirkung un- sition entscheidend zu gefährden.
serer gegenwärtigen Lage vollkommen vergessen (Sehr richtig! rechts.)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1103
(Dr. von Merkatz)
Ich glaube, der Politik der Aggression muß ein Es war doch Amerika, und es wäre undankbar,
deutlicher Wille entgegengesetzt werden, und dieser das nicht deutlich zu bekennen.
Notwendigkeit der freien Welt haben wir auch un- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
sere eigenen Überlegungen in Deutschland unter- Ein weiterer Punkt. Wir wissen um die Furcht-
zuordnen. Ich möchte dabei all denen, die jetzt die barkeit der Vernichtungswaffen, der Atombomben.
Krise der europäischen Politik mit einer gewissen Wir müssen aber auch feststellen, daß durch die
hämischen Genugtuung vermerken, folgendes sagen. Überlegenheit dieser amerikanischen Rüstung an
Ich darf daran erinnern, daß wir auch zwischen einigen Orten der Welt, wo militärisch schwache
dem ersten und dem zweiten Weltkrieg unter Völker leben — und wir gehören leider zu diesen
Briand und Stresemann — man lese einmal die geschwächten Völkern—, die Freiheit bewahrt wor-
Dokumente dieser Zeit durch den ist. Ich bin sehr für ein Verbot der über-
(Sehr gut! in der Mitte) schweren Waffen, die ja im Grunde genommen
und vermerke, mit welch innerem Glauben und Freund und Feind vernichten und schädigen. Aber
Schwung sie geschrieben worden sind — eine ich bin nicht gewillt, zuzustimmen, daß man bei
Chance hatten. Man bekämpfte diese Politik da- dieser Frage, dem Wettlauf zwischen den Rüstun-
mals genau so hämisch wie heute, weil man den gen Moskaus und Washingtons, gewissermaßen
letzten Schritt nicht tun wollte. In der Genugtuung Moskau den Vorteil verschafft. Wir brauchen in der
über das Scheitern dieser Politik waren damals Welt die gesamte Abrüstung, wenn die Zivili-
allerdings die politischen Fronten bei uns anders sation überleben soll. Jeder, der heute mit dem
als heute. Mit einer hämischen Genugtuung hat Gedanken der Gewalt auch nur spielt, der setzt
man eine Entwicklung, eine Chance zerredet, die damit die Existenz der gesamten menschlichen
dann nicht wiedergekommen ist, für die aber in Zivilisation aufs Spiel.
Europa alles in allem nachher die Katastrophe Die Lage ist aber auch nüchtern so zu betrach-
dann unausweichlich kam. ten: Die Sowjetunion macht den Wettlauf um die
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!) H-Bomben mit; denn sie besitzt sie ja auch, aller-
Warum hat man damals nicht eingesehen, daß das, dings wohl nicht in der gleichen Zahl; das wissen
was mit den Locarno-Verträgen begonnen war, wir nicht genau. Sie scheint jedoch eine sehr deut-
nicht zugleich wieder durch eine Mißtrauenspolitik liche Überlegenheit an den sogenannten üblichen
gegenüber Deutschland zerstört werden durfte? Waffen zu haben, die vorläufig durch die Atom-
Was ist dabei herausgekommen? Man hat eine Poli- rüstung der Vereinigten Staaten ausgeglichen ist.
tik getrieben — ich will nicht im einzelnen sagen, Meine Damen und Herren, wir haben als
wer es war —, die dem inneren Sinn der Locarno- Deutsche ein sehr, sehr großes Interesse daran, daß
Verträge absolut entgegengesetzt war, indem man man wirklich zu einem allgemeinen System der
eine Politik der Einkreisung trieb und ein Deutsch- Abrüstung kommt und daß die atomare Kraft aus-
land isolierendes Sicherheitssystem aufbaute, das schließlich für friedliche Zwecke verwendet wird.
dann zum Zusammenbruch der konstruktiven Verkennen wir aber bitte nicht, daß die Frage der
Locarnopolitik führen mußte und mit eine der Ur- Abrüstung und des Verbots der schweren und über-
sachen war, daß die damalige Chance verpaßt schweren Waffen eng mit dem Aufbau eines allge-
wurde, die 40 Millionen Menschen das Leben ge- meinen Sicherheitssystem zusammenhängt und nur
rettet hätte, die uns noch in unserer Heimat hätte Hand in Hand mit den Fragen der allgemeinen
verbleiben lassen und Millionen Menschen anderer Sicherheit einer wahrhaften Lösung entgegenge-
Völker in ihren Siedlungsgebieten gelassen hätte, führt werden kann. Deshalb glaube ich, es ist eine
die so viel Unheil von der Welt abgewandt hätte, Notwendigkeit für das Überleben unseres Volkes,
wenn man damals auch den inneren Schwung und daß wir bei der Beratung all dieser Fragen mit im
den Mut gehabt hätte und sich nicht hämisch an Spiele sind, daß wir gefragt, daß wir konsultiert
der Zerstörung und dem Zusammenbruch dieser werden. Es ist nicht in die Verantwortung eines
Politik gefreut hätte. deutschen Politikers gestellt, sich unter den gegen-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wärtigen Umständen sozusagen in einen Schmoll-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man winkel zu setzen oder zu erklären: „Alles muß hier
spricht davon, daß sich die Amerikaner aus Europa bei uns an staatlichem Handelnkönnen wiederaufge-
loslösen und eine periphere Verteidigung vorziehen baut sein, dann erst beteilige ich mich wieder." Das
könnten. Ob das militärisch im amerikanischen geht nicht. Ich halte es nach wie vor — und das ist
Interesse vernünftig wäre oder nicht, vermag ich hier oft ausgesprochen worden — für unsere abso-
und will ich hier nicht untersuchen. Aber man muß lute Pflicht, jeden Zipfel von Verantwortung, die
eines doch allen Ernstes feststellen. Die Ent- uns zuwächst, zu übernehmen, um mit am Tisch der
täuschung über einen politischen Weg kann sehr Nationen zu sitzen und für das Recht unserer Men-
große Änderungen in den öffentlichen Meinungen schen innerhalb der Grenzen des Geltungsbereichs
von Demokratien auslösen. Ob das Ergebnis dabei des Grundgesetzes und darüber hinaus einzutreten.
militärisch und strategisch vernünftig oder unver- Ich glaube dabei, daß aus den Stürmen unserer
nünftig ist, spielt bei solchen spontanen Wendun- Zeit ein großes Prinzip hervorgeht, das ich das
gen keine entscheidende Rolle. Man muß damit Prinzip der atlantischen Solidarität nennen möchte.
rechnen, daß, wenn dieser konkrete, durch Jahre Nach meiner Auffassung kann man bei den gereif-
nun verfolgte politische Weg in Europa versagt, es ten Verhältnissen in der Welt nicht Nationen fusio-
dann einen Umschwung in der Meinung des Volkes nieren. Man sollte den Gedanken einer Fusion der
der Vereinigten Staaten gibt, der sie zu einem iso- Nationen — Integration als Fusion der Nationen —
lationistischen oder peripher verteidigten System nicht verfolgen. Die Geschichte hat die Völker, so
hindrängen wird. Da sagen dann die Leute, es sei wie sie sind, in ihrer Eigenart geformt. Eines ist
amerikahörig, so etwas zu sagen. Wer hat denn — aber zweifellos möglich und notwendig, das ist die
seien wir doch ehrlich — die Freiheit in der Welt Fusion der Interessen der freien Welt.
und bei uns verteidigt? Dabei frage ich ganz konkret, ob jenes Forum des
(Sehr richtig! in der Mitte.) Europarates genügt, um eine wirkliche Fusion der
1104 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. von Merkatz)
Interessen herbeizuführen. Ich frage, ob die bis- gnose stellen zu können, wird unter Umständen
herigen, traditionellen zwischenstaatlichen Formen durch die Ereignisse widerlegt. Es ist dann, glaube
ausreichen, um eine wirksame Fusion der Inter- ich, auch nicht nützlich, wenn man einerseits er-
essen durchzuführen. klärt: Wir stehen im Wort, und das Wort, das wir
Ich bin sehr glücklich darüber, daß der Europa- gegeben haben, ist in seiner Verpflichtung unum-
rat besteht und hier eine Klammer, ein Kontakt stößlich, daß man dann zugleich mit einer pessimi-
zwischen allen europäischen Völkern gegeben ist. stisch unkenden Prognose aufwartet. Irgendwie ist
Ich möchte nicht in den Chor jener einstimmen — auch die eigene innere Haltung selbst ein Element
übrigens haben sich da merkwürdigerweise die der Gestaltung.
Fronten vertauscht —, die den Europarat als (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Schwatzbude diffamiert haben; diese Kreise fan-
Meine Damen und Herren, nun könnte es ja so
gen jetzt an, ihn zu lo ben, nachdem die Konstruk-
tion eines Klein-Europa der sechs Staaten zu kon- sein, daß wir den Anschein erweckten, an diesem
kreteren Formen der Zusammenarbeit fortentwik- EVG-Vertrag so übermäßig interessiert zu sein,
kelt werden konnte. Ich bin sehr glücklich darüber, daß wir es gar nicht erwarten könnten, wieder die
daß der Europarat besteht, weil er tatsächlich ein Uniform anzuziehen, und daß wir im Verlangen
Forum ist, bei dem man sich noch treffen kann, bei nach militärischer Macht alles daransetzen würden,
dem man sich verständigen kann. Jeder muß sich um diese Verteidigungspolitik zur Vollendung zu
aber auch darüber klar sein: Was man an Gedan- bringen. Wer die Dinge so darstellt, verkennt voll-
kenaustausch und Resolutionen in den Kommissio- kommen die Mentalität des deutschen Volkes und
nen und im Plenum der Beratenden Versammlung das, was es durchgemacht hat. Daß man bei der
schaffen kann, ist nützlich für die Vorbereitung effektiven europäischen Einigung mit militärischen
der öffentlichen Meinung, jedoch reicht das nicht Fragen hat anfangen müssen, ist nicht die Schuld
aus für die Fusion der Interessen und der ohne der freien Welt, sondern ist, wie ich schon darzu-
Zeitverlust wirksam zu lösenden europäischen Auf- legen bemüht war, eben eine Folge der Situation
gaben, wo es um Sein oder Nichtsein geht. und der Übermacht des Ostblocks und seines klaren
Willens, auch nicht ein Stückchen Kompromißbe-
Es wird soviel von einer Alternative zum euro- reitschaft auf europäischem Boden zu zeigen. Da-
päischen Verteidigungsvertrag gesprochen. Alter- rum sind nun diese militärischen Fragen in den
nativen kann man sich am grünen Tisch ausden- Mittelpunkt getreten. Aber ich möchte gerade un-
ken, und intellektuell ersonnen gibt es natürlich seren französischen Nachbarn das eine sagen: Vie-
zahlreiche Alternativen. les, was sie selbst an Bedenken haben und immer
(Sehr richtig! rechts.) wieder äußern, macht auch uns nicht gerade über-
Aber zu dem, was wirklich sein kann, habe ich nur mäßig Freude. Aber wir erkennen mit ihnen und
folgendes zu bemerken. mit allen Völkern Europas an, daß es keinen an-
deren Weg gibt, um der gegenwärtigen Situation
Wir haben in diesem Hause die Ratifikation der
Verträge von Bonn und Paris beschlossen. Wir im Sinne der Freiheit und der Interessen aller eu-
ropäischen Nationen wirksam zu begegnen, und daß
sind im Wort. Ich glaube, es hat bisher niemals
der Zuverlässigkeit einer Politik gedient, wenn uns bisher keine Entwicklung in dieser Überzeu-
man stets neue Gedanken produziert und damit gung hat schwankend machen können. Leider hat
ein inneres Schwanken, eine innere Unsicherheit die Welt keine andere Entwicklung nehmen kön-
erkennbar gemacht hat. Wir sind im Wort und nen, die eine Alternative mehr auf politischem und
haben vorläufig dem von uns gegebenen Wort hin- weniger auf militärischem Gebiet erlaubt hätte.
sichtlich der Vertragsgestaltung nichts hinzuzufü- Meine Damen und Herren, Herr Kollege - Ollen-
gen, sondern haben bei unserer Offerte, wenn man hauer hat eine Äußerung des Generals Gruenther
so sagen will, zu bleiben. vorgetragen, wonach 12 deutsche Divisionen ge-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wissermaßen nur als Vorhut für die eigentlichen
Ich weiß, daß manches, was bei der Diskussion Streitkräfte der Alliierten aufgestellt werden soll-
dieser Vertragswerke gesagt wird, uns tiefe Sorge ten. Ich glaube, daß diese Äußerung mißverstanden
machen muß. Zu dem, was der Kollege Ollen worden ist. Ich möchte empfehlen, den Aufsatz von
hauer heute morgen gesagt hat: Machen Sie sich Foster Dulles über die neue Art der Verteidigung
über das, was in der französischen Kammer und der Vereinigten Staaten von Amerika zu studieren,
auch in der Presse gesagt wird, keine Sorgen?, um zu begreifen, welche echte Funktion diesen
kann ich nur sagen: wir, ich glaube, alle Deutschen 12 Divisionen zukommt.
mit europäischer Gesinnung, machen uns erheb- Aber glauben Sie denn wirklich, auf der einen
liche Sorgen über diese Form, in der der Grund- Seite sagen zu können: Gesamtdeutschland muß
gedanke durch das Verzögern der Politik über wiederhergestellt werden, wenn Sie auf der ande-
zwei Jahre zersetzt worden ist, so daß man sich ren Seite unsere Sicherheit durch andere garantie-
tatsächlich manchmal fragen muß, was aus dieser ren lassen wollen, ohne daß das deutsche Volk
Politik noch werden soll. Aber es gehört auch zu selbst bei der unmittelbaren Nähe der Gefahr sei-
den Tugenden in der Politik, daß man dann, wenn nen Teil an dieser Aufgabe übernimmt?
einmal eine kritische Lage auftritt — und alle grö- (Lebhafter Beifall bei den Regierungs
ßeren Dinge müssen ihre Krisen durchschreiten —, parteien.)
mit vollkommener Konsequenz an dem einmal ge-
gebenen Wort festhält, bis man davon befreit wird, Das ist doch undenkbar. Man kann niemals einem
bis eben das Scheitern feststeht. anderen das zulasten, was man selbst tun muß.
(Abg. Dr. Kreyssig: Bis fünf Minuten nach Herr Kollege Pfleiderer sagte. vorhin, in gesamt-
zwölf?) deutschen Fragen seien wir praktisch allein. Aller-
— Ich möchte keine genaue Uhrzeit angeben, Herr dings, in den Fragen des eigensten nationalen
Kollege Kreyssig. Aber eines sei dabei noch gesagt. Interesses ist man immer irgendwie allein. Man
Derjenige, der heute schon glaubt, eine klare Dia findet nur dann Freunde und Bundesgenossen,
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1105
(Dr. von Merkatz)
wenn man in sich selber die Kraft zur Initiative tionen —, um die Einheit Deutschlands wiederher-
und zum Handeln entwickelt hat. zustellen.
(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.) Heute ist das Wort gefallen, die einzige Klammer
der deutschen Einheit und der Zusammengehörig-
Damit möchte ich die Frage kurz ansprechen, keit sei gewissermaßen die Potsdamer Grundlage.
die uns wohl am meisten angeht: die deutsche Ich möchte diesem Satz mit allem Ernst wider-
Einheit. Man kann schlagwortartig sagen, daß die sprechen. Deutschlands Einheit beruht nicht auf
Entwicklung der Frage der deutschen Einheit zwei Abmachungen der Besatzungsmächte, sondern auf
Phasen durchgemacht hat, den Weg von Potsdam unserem heiligen historischen Recht, das in uns
nach London, jener Außenministerkonferenz, die selbst begründet ist.
dann 1947 im Dezember auseinanderbrach, und (Beifall bei den Regierungsparteien)
schließlich den Weg von London nach Berlin und
jetzt nach Genf. Meine Damen und Herren, ich Ob Potsdam über Bord geht oder nicht, ob inter-
habe vorhin schon von der verhängnisvollen Fehl- nationale Abmachungen bestehen oder nicht,
diagnose gesprochen, die zur Verzögerung der Deutschlands Einheit ist in uns selbst gegeben und
Europapolitik, zur Verzögerung der Ratifizierung nicht nur als Anspruch, sondern als Realität unse-
der EVG und zur Verzögerung des Wirksam- res einheitlichen Volkes unzerstörbar.
machens einer europäischen Zusammenarbeit ge- (Abg. Dr. Menzel: Das ist völlig falsch! —
führt hat. Berlin hat doch für uns Ergebnisse ge- Weiterer Zuruf von der SPD: Sie sehen
bracht, die uns zwingen sollten, die Politik der Zu- ja Gespenster!)
sammenarbeit mit der freien Welt so weit zu ver-
stärken wie überhaupt nur möglich. Denn Berlin — Ich sehe keine Gespenster! —
hat als Ergebnis gezeitigt, daß die Sowjetunion (Abg. Dr. Menzel: Das war ein Zitat aus
nicht gewillt ist, die Teilung Deutschlands aufzu- der Begründung der Regierung zum EVG-
heben unter Bedingungen, die die Freiheit der Vertrag und zum Deutschlandvertrag! —
deutschen Menschen gewährleisten. Ich glaube, daß Weitere Zurufe von der SPD.)
man hier im Sinne der gesamtdeutschen Aufgabe — Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese
festbleiben muß, daß man auch nicht das geringste Polemik hat sich gar nicht gegen Sie (die SPD) ge-
an deutschen Freiheitsrechten und an der Möglich- richtet. Ich weiß nicht, wer es gesagt hat, aber
keit deutscher Freiheit verraten darf. heute morgen wurde gesagt, daß Potsdam die ein-
Hinsichtlich der Zuerkennung gewisser Souverä- zige Klammer sei. Wenn das in der Begründung
nitätsrechte an die Administration in der sowjetisch zum Deutschland-Vertrag gestanden hat, so hat
besetzten Zone möchte ich nur eines sagen. Es gibt das einen anderen Sinn als den, von dem ich eben
nur eine deutsche Souveränität, und diese eine sprach. Die Potsdamer Grundlage bezog sich auf
deutsche Souveränität kann nicht durch auswärtige die Zusage, die Debellatio nicht zur Zerstörung der
Gewalten gespalten werden. deutschen Einheit mißbrauchen zu wollen; ich aber
sprach von der natürlichen Einheit Deutschlands,
(Sehr gut! rechts.) die über allem Besatzungsrecht steht.
An diesem Grundsatz müssen wir meiner Ansicht Ich möchte nur das eine sagen: Wenn auch die
nach festhalten. Es ist auch nicht so, daß Souve- Potsdamer Grundlage aufgegeben wird, die Ein-
ränitätsrechte von irgendeiner anderen Regierung heit der Nation kann niemals durch einen fremden
als der eines gesamtdeutschen Staates ausgeübt Akt aufgehoben werden. Es ist eigentlich eine Zu-
werden könnten. Wir müssen aber Souveränitäts- mutung — ich möchte nicht dem Schweizer Blatt
rechte auch im Geltungsgebiet des Grundgesetzes -
zu nahe treten und schon gar nicht dem Schrift-
ausüben. Diese Ausübung der Souveränitätsrechte steller —, aber ich meine, es ist wirklich nicht das
geschieht treuhänderisch. Aber auch, wenn sie Amt eines Ausländers, die Deutschen daran zu
treuhänderisch geschieht, ist es immer die Aus- erinnern, was sie sich selber schuldig sind. Das
übung ein und derselben gesamtdeutschen Souve- möchte ich solchen Zensoren gegenüber eindeutig
ränität, die unzerstörbar ist. Diese eine deutsche zum Ausdruck bringen. Was wir uns als Politiker
Souveränität kann ihre volle Wirksamkeit erst ent- in deutscher Verantwortung schuldig sind, darüber
falten, wenn sie wieder vom Gesamtstaat ausgeübt bestimmen wir in innerer Souveränität und ver-
werden kann. Sie wird in den freien Teilen bitten uns, daß man uns darüber Vorhaltungen
Deutschlands treuhänderisch, und zwar immer als oder Vorschriften macht.
eine einheitliche, das gesamte deutsche Volk be-
treffende Souveränität wahrgenommen. Wir ha- (Abg. Wehner: War das an Herrn Dulles
ben mit jedem Souveränitätsakt, der von uns in gesagt?)
der Vertretung der auswärtigen Politik oder auch — Das war an alle gesagt, die diesen Versuch
nach innen vorgenommen wird, eine Verantwor- unternehmen sollten.
tung gegenüber dem gesamten deutschen Volk zu Abschließend komme ich zu dem schwierigen
erfüllen. Die Notwendigkeit, den Beistand der Problem der Saar. Es ist ein Teilproblem, man
freien Welt für die Wiederherstellung der deut- muß es im Gesamtzusammenhang der Außenpolitik
schen Einheit zu gewinnen, liegt auf der Hand. und vor allem im Zusammenhang mit dem Pro-
Man kann sagen, daß auf der Bermuda-Konferenz blem der deutschen Einheit sehen. Ich muß wirk-
und auf der Konferenz von Berlin — und wir hof- lich sagen, daß es sich erübrigt, gegen das Junktim
fen das auch von der Konferenz von Genf — die einer Saarlösung mit der EVG zu polemisieren.
erste Stufe doch erreicht worden ist, nämlich die Sollte tatsächlich in dem Verlangen, daß vor der
Stabilisierung und Konsolidierung der westlichen Ratifikation des EVG-Vertrages und als Voraus-
Zusammenarbeit als die erste Voraussetzung. Da- setzung einer Debatte darüber in der französischen
mit hat aber nun die zweite Phase begonnen — der Kammer eine Lösung der Saarfrage erzielt wird,
Vertreter des Gesamtdeutschen Blocks sprach be- eine Pression ausgeübt werden, so müßten wir
reits davon —, in der wir die eigene Verantwor- das vom deutschen Standpunkt aus entschieden
tung verstärken müssen — in echten eigenen Ak ablehnen, da diese Frage mit der Europäischen
1106 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. von Merkatz)
Verteidigungsgemeinschaft überhaupt nichts zu tun Wir sind auch nicht in der Lage, einer Annexion
hat. Ich muß unterstreichen, was heute gesagt wor- — das will Frankreich auch gar nicht — oder der
den ist: sowenig Junktims wie möglich. Aber den Entstehung eines neuen Luxemburg, eines sieben-
Grundgedanken, eine Lösung der Saarfrage in den ten europäischen Staates zuzustimmen. Beide Denk-
Zusammenhang mit der europäischen Gemeinschaft figuren sind nicht richtig. Worauf kommt es an?
zu bringen, halte ich für sehr vernünftig, weil eine Ich komme wieder auf den Grundsatz zurück, den
europäische Realität erst geschaffen sein wird. ich einleitend betont habe: das Recht auf die Hei-
wenn wir uns in Europa über eine effektive Zu- mat für die Menschen sicherzustellen. Es kommt
sammenarbeit auf politischer Ebene geeinigt haben. darauf an, die Saarwirtschaft aus ihrer Isolierung
Es ist richtig, wenn der Herr Bundeskanzler heute und politischen Gestörtheit zu befreien. Diese Auf-
festgestellt hat, daß der deutsche Standpunkt und gabe ist erfüllbar, so glaube ich. Wir haben ge-
der französische Standpunkt in der Frage der Saar sehen, daß der Natersplan Teil III, der sich mit den
unüberbrückbar sind. Wir haben das Recht, die wirtschaftlichen Fragen befaßt, durchaus die Billi-
anderen haben den Besitz. Aber ich möchte mich gung hat finden können, daß aber nicht die politi-
dagegen wenden, daß Vokabeln wie „Vorleistung" schen Teile dieses Resolutionsentwurfes die Billi-
und „Verzicht" gebraucht werden. Leider ist es gung finden konnten.
so, daß de facto das Saargebiet vom deutschen Es kann, glaube ich, auch keine Diskussion dar-
Staats- und Volkskörper abgetrennt ist. über geben, daß die Menschenrechte für die deut-
(Abg. Dr. Mommer: Wir haben das schon schen Menschen an der Saar in vollem Inhalt so
„Verzicht" genannt!) hergestellt werden müssen, wie sie nach der Prä-
- Nein, wir haben auf nichts verzichtet. Man hat ambel und nach der Satzung des Europarats gel-
es weggenommen und hat es nun in der Hand. Die ten. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen,
Pflichten deutscher Politiker gehen dahin, unserem daß eine Volksabstimmung auf Separation nicht
Volk an der Saar zu helfen, Treuhänder des ge- zugestanden werden kann, weil es dieses Recht
samten deutschen Staates, der deutschen Souverä- nicht gibt. Es gibt aber — das ist anerkanntes Völ-
nität zu sein. Inhalt einer Souveränität ist immer, kerrecht — eine eigentlich selbstverständliche Ver-
den Bewohnern eines Gebietes Schutz, Hilfe und pflichtung, daß jede Regelung, die mit dem Statut
Sicherheit zu gewähren. Hier geht es doch ganz eines Gebietes zusammenhängt, von der dort woh-
klar darum, einem deutschen Gebiet wieder die nenden Bevölkerung bestätigt sein muß und nicht
notwendige innere Prosperität, Sicherheit und Sta- diesem Volke durch eine Verfügung von oben her
bilität zu geben, die ihm zukommen und die durch abgenötigt werden kann.
ständige politische Störungen, durch Grenzziehun- Da die Zeit nicht für uns arbeitet und die Dinge
gen usw. gestört worden sind. Die Aufgabe ist, in Europa drängen, müssen wir uns deshalb darin
etwas gesund zu machen, zu schutzen, was durch einig sein, daß irgendwie eine Lösung des Konflikts
falsche politische Entscheidungen, durch Gewalt zwischen uns und Frankreich über dieses Gebiet
zerstört worden ist. eingeleitet werden muß, und zwar bald und
Man hat oft den Eindruck — ich möchte das schnell. Wenn man nicht einfach in zwei unüber-
offen aussprechen —, daß man diesen Konflikt — brückbaren Standpunkten erstarren will, in dem
und über diese Frage besteht zwischen zwei euro- französischen und in dem deutschen, gibt es nur
päischen Völkern ein echter Konflikt — jeweils die Möglichkeit, eine sogenannte europäische Lö-
dann betont, wenn man glaubt, daß man die For- sung zu finden.
men der europäischen Zusammenarbeit, so wie sie Ich persönlich liebe das Wort „Europäisierung"
sich entwickelt haben, damit stören könnte. Ich nicht, weil sich hinter diesem Wort in seinen Ur-
kann mir nicht denken, wie man Volk und Gebiet sprüngen die Verschleierung eines Tatbestandes
an der Saar eine wirkliche Hilfe bringen will, wie versteckt hatte, der nichts anderes wollte, als die
man die Pflicht auch diesem Teil Deutschlands ge- wirtschaftliche Annexion des Saargebietes für die
genüber erfüllen will — das Saargebiet gehört zu Franzosen dauernd zu machen. Das ist nicht akzep-
unserem Staatsgebiet in den Grenzen von 1937 —, tabel.
wenn man die Dinge unüberbrückt so liegen läßt
und damit den Einfluß Frankreichs, das die Saar Es kommt darauf an, eine ehrenhafte Lösung zu
praktisch wirtschaftlich annektiert hat, sich immer suchen, die vor allen Dingen den Interessen der
mehr ausbreiten und schließlich de facto Zustände Bevölkerung an der Saar als einer deutschen Be-
eintreten läßt, die dann nicht mehr zu reparieren völkerung selber dient, eine Lösung, die schon
sind. Ich glaube, man kann sich dieser Pflicht ein- deshalb vor dem Friedensvertrag kommen muß,
fach nicht entziehen. Man kann nicht bis zu einem weil die Zeit bei einem Bestehenlassen der Um-
Friedensvertrag gewissermaßen trotzend stehen- stände, wie sie gegenwärtig sind, gegen uns arbeitet,
bleiben und die Dinge einfach liegen lassen. Man eine ehrenhafte Lösung also, die gewissermaßen
verschlechtert die Lage zuungunsten Deutschlands, ein Zugeständnis von beiden Seiten ermöglicht und
wenn man die Dinge bis zum Friedensvertrag ein- ein Zugeständnis beinhaltet, das vor allem der
fach in der Schwebe läßt und wartet. Saarwirtschaft, dem Volk und Gebiet an der Saar
Es dürfte, glaube ich, keine Meinungsver- selber dient. Was sollte man vernünftigerweise ge-
schiedenheit darüber geben, daß nur ein Friedens- gen eine solche Lösung vorzubringen haben, wenn
vertrag die Frage der Zugehörigkeit von Volk und sie überhaupt bei der gegenwärtigen Situation zu
Gebiet an der Saar lösen kann. realisieren ist?
(Präsident D. Dr. Ehlers übernimmt Das heißt mit anderen Worten: über Grenzfra-
wieder den Vorsitz.) gen kann nur im künftigen Friedensvertrag ent-
Vom Standpunkt meiner politischen Freunde aus schieden werden. Es kann also kein Statut geschaf-
ist der Art. 19 des Naters-Plans, mit dem gewis- fen werden, das vor Abschluß eines Friedensver-
sermaßen ein pactum de contrahendo geschaffen trages eine Herauslösung dieses Gebietes aus dem
worden ist, eine Vorverpflichtung für den alten Verband beinhaltet. Aber das, was geschehen
Friedensvertrag beschlossen werden soll, nicht ak- muß, wenn man nicht gewissermaßen in dem Eng-
zeptabel. paß zweier unlösbarer Gegensätze stehen bleiben
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1107
(Dr. von Merkatz)
soll, ist, daß man an die Stelle des alten Rechts, Ich möchte Sie im übrigen an eine geschichtliche
das bestritten wird, und des alten Besitzes, der Tatsache erinnern. Um das heutige Luxemburg
auch bestritten ist, etwas Neues setzt, eine neue gab es einmal einen ganz ähnlichen Streit, und da
Rechtsschöpfung als eine europäische Realität und war es selbst ein Bismarck, der damals einer Neu-
als den ersten Anfang der Erkenntnis, daß es ge- tralisierung und damit dem Herausnehmen dieses
lingen kann, einen fast unlösbaren Gegensatz zwi- Gebietes — das ja bis dahin noch zum Deutschen
schen zwei Nationen in entscheidender Stunde zu Bund gehört hatte — aus dem Streit durchaus zu-
bereinigen und sich in einem vorläufigen, keinen stimmte, in der Hoffnung und Erwartung, daß
der Partner präjudizierenden Zugeständnis zu hierdurch ein drohender Konflikt beseitigt werden
einigen. könnte.
(Abg. Dr. von Brentano: Gut!) Ich glaube, es gehört wirklich zu den entschei-
Das ist eine Realität, keine Vorausleistung und denden Aufgaben deutscher Politik, Konfliktstoffe
auch kein Verzicht. aus der Welt zu schaffen, ohne dabei etwa Land und
Die Voraussetzung dazu ist, daß eine wirkliche Leute preiszugeben, vielmehr im Dienst an den
europäische Gemeinschaft mit echter Autorität, Interessen dieses Gebietes und dieses Volkes an der
die den wirtschaftlichen Treuhänder, von dem Herr Saar zu handeln. Denn dessen höchstes Interesse
Pfleiderer gesprochen hat, stellen könnte, entsteht ist es, aus seiner Isolierung, aus seiner politischen
oder, wie Herr von Brentano es richtig ausgedrückt Störung herauszukommen. Einer Widmung zu dem
hat, daß alles dies unter der aufschiebenden und Zweck der echten Gestaltung einer europäischen
auflösenden Bedingung geschieht, daß die unver- Aufgabe — und um damit der einseitigen Annexion
wässerten — ich betone: unverwässerten — Sta- und dem Verlust von Gebiet und Volk an der Saar
tuten der politischen Gemeinschaft nun doch Wirk- ein Ende zu setzen — zuzustimmen, liegt, glaube
lichkeit werden. ich, eindeutig in der klaren Verantwortung deut-
scher Politik, für die Interessen deutscher Men-
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!) schen einzustehen.
Nicht daß das ein Junktim im eigentlichen Sinne
ist — denn wir haben hier keine Koppelgeschäfte Die Zeit arbeitet nicht für uns. Alle vertagten
zu machen —, sondern das eine versteht sich aus Probleme verhärten sich. Irgendwie müssen wir zu
dem anderen. Man kann nicht Volk und Gebiet an unseren Verantwortlichkeiten Stellung nehmen,
der Saar einladen, zuzustimmen, sich einer europä- und zwar mit einer Chance des Gelingens und im
ischen Aufgabe zu widmen, wenn diese europäische Dienst an den Menschen. Meine Damen und Her-
Aufgabe nicht in sich schon restlos Gestalt gefun- ren, vielleicht haben wir gegenüber den europä-
den hat. ischen Möglichkeiten, wie auch der Herr Bundes-
kanzler bereits gesagt hat, die letzte Chance zu
(Sehr gut! rechts.) gewinnen oder zu verpassen. Vielleicht hängt alles
Ich möchte also ganz klarmachen: Diese Widmung daran, und es gibt tatsächlich nach einem zweiten
von Volk und Gebiet an der Saar an eine europä- Versagen gegenüber der Aufgabe, eine vernünf-
ische Aufgabe und damit die Schaffung einer euro- tige Ordnung unter den Menschen und Völkern in
päischen Realität hängt davon ab, daß die unver- Europa zu gewinnen, keine Alternative mehr. Na-
wässerte politische Gemeinschaft entsteht. Sie be- tionales Interesse — das nationale Interesse hat
deutet weder eine Annexion noch eine Separation mit nationalistischem Interesse gar nichts zu tun
noch auch sonst eine Entfremdung von Volk und — ist, glaube ich, ausschließlich das, was bisher
Gebiet an der Saar aus seinen natürlichen Zusam- betätigt wurde, nämlich den Menschen, die die
menhängen. Es bedeutet aber die Befreiung eines Katastrophe überlebt haben, und damit Volk und
namhaften Bevölkerungsteils von dem ständigen Nation den Weg in eine Zukunft der Freiheit und
Druck, das Objekt des Streites zwischen zwei Na- Sicherheit, den Weg zum Frieden zu erschließen,
tionen zu sein, und damit die Einleitung dazu, daß kompromißlos gegenüber Zumutungen, die uner-
in einem Friedensvertrag — wenn dann überhaupt träglich sind; und unerträglich ist die Unterwer-
Grenzfragen noch so wichtig sind, wie sie heute fung unter die totalitäre Unfreiheit. Wir gehören
noch genommen werden müssen — Lösungen hin- nach dem Prinzip innerster Solidarität zum freien
sichtlich der Gebietsfragen getroffen werden, die Westen; aber wir müssen auch für jene handeln,
wirklich tragbar sind und vor allen Dingen den denen in Freiheit zu handeln gegenwärtig ver-
dort wohnenden Menschen dienen. wehrt ist. Allein das, was an echter Freiheitssub-
Wenn man den Vergleich und die Gleichstellung stanz, Zukunfts- und Lebensmöglichkeit für die
dieser Frage mit der Oder-Neiße-Frage nimmt, Deutschen errungen werden kann, legitimiert uns;
über alles andere wird die Zeit hinweggehen, und
dann kann ich nur sagen: das ist sehr formal ge-
sehen. Wir könnten als Vertriebene glücklich sein, solche Scheinprobleme eines falsch verstandenen
wenn man in den Gebieten östlich von Oder und Prestiges werden dann nicht mehr sein als bemal-
tes Papier.
Neiße auch nur annähernd mit Vorschlägen kom-
men könnte, (Lebhafter Beifall bei der DP, FDP und
(Abg. Dr. von Brentano: Weiß Gott!) CDU/CSU.)
sie in einen Status zu bringen, wie er hier vorge- Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Ab-
sehen ist. Vor diesem Präjudiz, daß auch die Ost- geordnete Freiherr Riederer von Paar.
grenze gewissen europäischen neuen Formen ge-
widmet wird und wahrscheinlich überhaupt nur so Freiherr Riederer von Paar (CDU/CSU): Herr
die völkischen Schwierigkeiten zu lösen sind — vor Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bun-
diesem Präjudiz allerdings habe ich keine Sorge. deskanzler hat in seiner heutigen Rede die Grund-
Ich hätte nur eine Sorge, wenn man den Friedens- sätze seiner Außenpolitik entwickelt. Aus seinen
vertrag insofern vorwegnimmt, daß man sich an- Ausführungen lassen sich einige allgemeine Wahr-
heischig macht, über ein gesamtdeutsches Gut de- heiten ableiten, die ich kurz zusammenfassen
finitiv zu verfügen oder einen neuen, separierten möchte. Es klingt nach Binsenwahrheiten, aber die
Staat entstehen zu lassen. Erfahrung zeigt, daß sie häufig und mit Schaden
1108 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Freiherr Riederer von Paar)
vergessen worden sind. Das eine ist, daß man in (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)
der Außenpolitik noch mehr als auf anderen Ge- Wir können trotzdem mit großer Befriedigung
bieten die Dinge und die Menschen so nehmen feststellen, daß es der Bundesregierung gelungen
muß, wie sie sind, und nicht so, wie man sie haben ist, konsultiert zu werden in allen Fragen, in denen
möchte. Das andere ist, daß die Politik die Kunst deutsche Interessen berührt werden, und nicht nur
des Möglichen ist und daß es zu nichts Gutem konsultiert zu werden, sondern sie hat es erreicht,
führt, Zielen nachzustreben, die nach vernünftiger ihren Rat und ihre Vorschläge in allen wichtigen
Beurteilung unerreichbar sind. Fragen anbringen zu können. Wir haben feststel-
(Abg. Dr. Kreyssig: Sehr richtig!) len dürfen, daß dieser Rat und diese Vorschläge
Durch Mißachtung dieser fundamentalen Grund- häufig in wichtigen Fragen befolgt worden sind.
sätze hat die Außenpolitik des Wilhelminischen Auf dem Weg zu der von uns erstrebten Europä-
Reiches und noch mehr des „Dritten Reiches" Miß- ischen Politischen Gemeinschaft liegt die Europä-
erfolge gezeitigt, deren Folgen wir jeden Tag vor ische Verteidigungsgemeinschaft. Die EVG ist für
Augen haben. Wenn die deutsche Außenpolitik seit uns nicht Endziel und nicht Selbstzweck unserer
1949 Erfolge gezeitigt hat, die kein vernünftiger Politik, sondern ein wesentlicher Schritt auf dem
Mensch bestreiten kann, so geht das . vor allem Weg zur europäischen Integration und nach un-
darauf zurück, daß sie seitdem mit dem Kopf ge- serer Überzeugung die relativ beste Lösung der
macht worden ist und nicht mit dem Gefühl. westeuropäischen Verteidigung unter deutscher
(Beifall bei der CDU/CSU.) militärischer Beteiligung.
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht betont Die EPG, die Europäische Politische Gemein-
daß eine selbständige Außenpolitik der Bundes- schaft, ist unser Ziel. Aber wir glauben allerdings
republik ohne Anlehnung an eine der großen daß dieses Ziel auf dem Wege über die EVG am
Mächtegruppen heute mehr denn je ein Ding der schnellsten und am sichersten zu erreichen ist. Wir
Unmöglichkeit ist. Der Versuch, eine solche Politik bestreiten, daß die EVG ein Hindernis für die
zwischen Ost und West zu treiben, ist sowohl dem Wiedervereinigung ist, die in der deutschen Frage
Zweiten wie dem Dritten Reich mißlungen. Die immer das zentrale und überragende Ziel unserer
Folge war jeweils wachsendes Mißtrauen aller Politik sein muß.
Nachbarn und zum Schluß eine Weltkoalition, die Wenn Sowjetrußland es in Berlin nicht zu einer
uns zweimal in die Katastrophe gestürzt hat. In Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit kom-
diesem Hause besteht keine Meinungsverschieden- men ließ, so war daran nicht die EVG schuld. Im
heit darüber, daß für uns nur eine Anlehnung an Gegenteil, es spricht manches dafür, daß das Er-
den Westen möglich ist, und der Herr Bundeskanz- gebnis der dortigen Konferenz ein besseres gewe-
ler hat das soeben mit allem Nachdruck erneut zum sen wäre, hätten die Westmächte auf eine bereits
Ausdruck gebracht. Seine Politik ging seit 1949 in Kraft stehende und wirksame Europäische Ver-
klar und unmißverständlich in diese Richtung, und teidigungsgemeinschaft hinweisen können.
zwar nicht nur in die Richtung einer allgemeinen, (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
mehr oder weniger losen Koalition mit den west- Denn die Sowjets werden nach unserer Überzeu-
lichen Staaten, sondern, soweit diese auf dem euro- gung, die auch der Herr Bundeskanzler heute wie-
päischen Kontinent liegen, in die Richtung einer der ausgesprochen hat, in der deutschen Frage erst
Vereinigung zu einer politisch, wirtschaftlich und dann bereit sein, politische Opfer zu bringen, wenn
militärisch geschlossenen Einheit, die auf weithin sie die Hoffnung auf westeuropäische Uneinigkeit
absehbare Zeit Westeuropa sichern und seinen Völ- und Zwietracht endgültig aufgegeben haben. Daß
kern eine immer bessere Lebensgrundlage ver- aber die EVG vor Berlin nicht zur Entstehung ge-
schaffen soll. Wir unterstützen diese Politik aus kommen ist, liegt, wie ich hier nachdrücklich her-
voller Überzeugung. vorheben möchte, in erster Linie bei der deutschen
Wir sind uns dabei klar darüber, daß die Bun- Opposition, die seit der Unterzeichnung der Ver-
desrepublik bei aller Wahrung der berechtigten träge mit allen parlamentarischen und außerparla-
deutschen Belange sich keinesfalls anmaßen darf, mentarischen Mitteln die Ratifikation so sehr ver-
die Führerrolle in dieser westlichen Gemeinschaft zögert hat, daß sie erst zwei Jahre nach Abschluß
zu beanspruchen. der Verträge endgültig vollzogen werden konnte.
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!) Wäre die Ratifikation in der Bundesrepublik im
Sommer 1952 zustande gekommen, so hätte — dar-
Das können auch die westlichen europäischen Groß- über kann wenig Zweifel bestehen — die franzö-
mächte nicht. Die „Sunday Times" hat vor wenigen sische Nationalversammlung die Ratifikation ihrer-
Tagen mit Recht festgestellt, daß auf der Genfer seits anschließend durchgeführt; denn damals war
Konferenz die USA unbedingt die Führerrolle Robert Schuman noch Außenminister, steckte der
übernehmen müßten. Es sei nicht an England, zu Indochina-Konflikt noch in den Kinderschuhen,
befehlen. Das größte Unglück, das England befal- war die Lage in Marokko noch weniger gespannt
len könnte, wäre, wenn Amerika wieder zum Iso- als heute, der Wirtschaftsaufschwung der Bundes-
lationismus zurückkehren würde. Das gilt natür- republik noch nicht so augenfällig wie jetzt und,
lich nicht nur für die in Genf verhandelten Fern- wenn ich auch dies erwähnen darf, das deutsche
ost-Probleme, sondern genau so für die europä- Drängen auf Inkraftsetzung der Verträge den uns
ischen Fragen. Denn die Weltpolitik ist ein Ganzes gegenüber bekanntlich immer noch etwas miß-
und läßt sich nicht in voneinander unabhängige trauischen Franzosen noch nicht so auf die Nerven
Scheiben tranchieren. Das gilt nicht nur für Eng- gefallen.
land, sondern in verstärktem Maße für die Bundes-
republik, deren wirtschaftliches und gar militäri- (Abg. Dr. von Brentano: Richtig! Sehr schön!)
sches Potential doch wesentlich geringer ist als das Im Anschluß an Frankreich hätten zweifellos auch
des britischen Reiches. Wir können uns eben leider die übrigen Vertragspartner wesentlich schneller
noch nicht leisten, zu vergessen, daß wir den Krieg ratifiziert, als dies so der Fall war. Das Vertrags-
verloren haben, und zwar so total, wie vielleicht werk stünde längst in Kraft. Wie gesagt, es ist
noch nie einer verloren worden ist. durchaus möglich, daß dann die Berliner Konfe-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1109
(Freiherr Riederer von Paar)
renz zu greifbareren Ergebnissen geführt hätte, vor der Abstimmung an der Saar uns ganz beson-
als dies tatsächlich der Fall war. ders unbefriedigend erscheint.
Doch daran läßt sich heute nichts mehr ändern. Besonders unterstreichen möchte ich die Forde-
Es bleibt uns nur übrig, die französische Entschei- rung, daß auch eine vorläufige Saarlösung auf der
dung abzuwarten und durch taktvolles Verhalten Grundlage des Naters-Planes aufs engste mit der
der französischen Nationalversammlung den zwei- Schaffung der Europäischen Politischen Gemein-
fellos schwierigen Absprung aus voller Selbstän- schaft verknüpft sein muß, weil erste Vorausset-
digkeit in die europäische Gemeinschaft zu erleich- zung für die Europäisierung der Saar die Ent-
tern. Mißlingt allerdings dieser Absprung und stehung und Verwirklichung einer wahren europä-
scheitert daran die Europäische Verteidigungsge- ischen Gemeinschaft sein muß. Ist allerdings diese
meinschaft, was wir angesichts der politischen Ur- Voraussetzung erfüllt — nämlich das Zustande-
teilsfähigkeit der Mehrheit des französischen Vol- kommen einer echten europäischen Gemeinschaft,
kes immer noch nicht glauben wollen, so werden in der die einzelnen Mitgliedsstaaten in unwider-
wir deshalb das Ziel der europäischen Einigung, ruflicher Weise nationale Hoheitsrechte an supra-
der europäischen Integration nicht aufgeben. nationale Zentralinstanzen übertragen haben —,
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!) dann spielt nach unserer Auffassung die formelle
Zugehörigkeit der Saar zum deutschen Staatsver-
Wir werden in Ruhe und mit kühlem Kopf nach band nicht mehr dieselbe Rolle wie heute, wo die
anderen Wegen suchen müssen, um doch zu der er- nationalen Staatsgrenzen immer noch ihre ver-
strebten Integration zu kommen. hängnisvolle Bedeutung haben. Unter dieser Vor-
Wäre die EVG 1952 ratifiziert worden, so wäre aussetzung wird also auch aus der Behandlung der
auch unsere taktische Verhandlungslage in der Saar kein Präjudiz für die deutschen Gebiete jen-
Saarfrage wesentlich günstiger. Denn dann wäre seits der Oder-Neiße abgeleitet werden können;
das erst durch den Nachfolger Robert Schumans denn die Saar wäre ja in eine wahre europäische
erfundene Junktim zwischen Saar und EVG, das Gemeinschaft eingebracht, an der wir selber maß-
dem Fortgang der Verhandlungen und der Stim- gebend beteiligt wären. Wir haben die Zuversicht,
mung, in der sie geführt werden, so abträglich ist, daß der Herr Bundeskanzler die auf diesem Ge-
nicht entstanden. biet noch bevorstehenden schwierigen Verhand-
Der Bundeskanzler hat unseren Standpunkt in lungen auf der Grundlage der Bundestagsresolu-
der Saarfrage klar und eindeutig herausgestellt. tion vom 2. Juli 1953 und im Sinne seiner heuti-
Er hat insbesondere nachdrücklich betont, daß eine gen Ausführungen unter voller Wahrung des deut-
endgültige Lösung dieser Frage nur im Rahmen schen Standpunktes, aber gleichzeitig im europä-
eines mit einer gesamtdeutschen Regierung frei ischen Geiste fortführen und hoffentlich zu einem
verhandelten Friedensvertrages möglich ist. Alles, Ergebnis führen wird, das diese noch schwärende
was jetzt Gegenstand der schwebenden Verhand- Wunde im Mittelpunkt Europas zur Heilung brin-
lungen bildet, kann also nur eine provisorische gen wird.
Regelung bis zu diesem Friedensvertrag sein. Da Gestatten Sie mir zum Schluß noch einige Worte
wir aber leider mit der Möglichkeit rechnen müs- über unser Verhältnis zu den Behörden der sowie
sen, daß dieser Friedensvertrag, der eine Einigung tischen Besatzungszone. Der Herr Bundeskanzler
der vier Großmächte und ebenso eine vorausge- hat die gemeinsame Erklärung der NATO-Regie-
gangene Wiedervereinigung Deutschlands voraus- rungen erwähnt, in der diese einmütig eine Aner-
setzt, noch länger auf sich warten lassen wird, als kennung des pseudosouveränen Pankow-Regimes
wir das wünschen möchten, so besteht zweifellos, abgelehnt haben. Dieser Standpunkt muß für die
-
ganz abgesehen von dem Zusammenhang mit der Bundesregierung in noch höherem Maße gelten.
Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, ein ge- Eine Anerkennung dieser Regierung käme einer
meinsames Interesse aller Beteiligten, besonders Aufgabe des in diesem Hause wiederholt und noch
der beiden großen Nachbarvölker und der Bevöl- vor kurzem einmütig gebilligten Grundsatzes
kerung an der Saar, durch eine vorläufige Rege- gleich, daß wir uns niemals mit dem Bestehen
lung eine Besserung der Verhältnisse herbeizufüh- zweier deutscher Staaten abfinden werden.
ren, die in vieler Beziehung sowohl den Grund- Es kann uns wohl auch nicht entgegengehalten
sätzen der Menschenrechte wie dem Gedanken werden, daß wir auch zu anderen nicht demokra-
eines politisch und wirtschaftlich in vertrauens- tisch legitimierten Regierungen diplomatische Be-
voller Zusammenarbeit vereinigten Westeuropas ziehungen unterhalten; denn es ist für uns nicht
widerstreben. Aus den Gründen, die der Herr Bun- das gleiche, ob nichtdeutschen Völkern das Recht
deskanzler überzeugend dargelegt hat, gibt es hier- zu politischer Meinungsäußerung und Willensbil-
für nur den Weg des Verhandelns unter beidersei- dung vorenthalten wird oder ob das bei 18 Milli-
tigem Nachgeben. Wir müssen, glaube ich, der Be- onen Deutschen der Fall ist. Die Nichtanerkennung
ratenden Versammlung des Europarats dankbar wird allerdings in der Zukunft nicht ausschließen
sein, daß sie sich vermittelnd und anregend einge- — wie es auch in der Vergangenheit nicht ausge-
schaltet hat und uns damit die Möglichkeit eröffnet schlossen war—, daß über wirtschaftliche und tech-
hat, Bundesgenossen für eine gerechte und ver- nische Fragen insbesondere auf dem Verkehrsge-
nünftige Interimslösung zu finden. biet durch die örtlich und sachlich zuständigen Be-
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr wahr!) hörden oder sonstigen Stellen mit Organen der So-
wjetzonenverwaltung verhandelt wird. Die Fort-
Der van-Naters-Plan ist gewiß keine ideale Lö- setzung dieses rein praktischen Zwecken dienenden
sung und entspricht in vieler Beziehung noch nicht Kontakts auf der hierfür geeigneten Ebene liegt
dem Bild, das wir uns von einer tragbaren Rege- in hohem Maße im Interesse der deutschen Bevöl-
lung des Saarproblems machen. Indessen dürfen kerung der Sowjetzone, deren Wünsche und Sor-
wir hoffen, daß hier im Verhandlungsweg noch gen uns nicht gleichgültig sein können. Es wird ge-
Verbesserungen zu erreichen sein werden, insbe- prüft werden können, ob dieser praktische Kon-
sondere hinsichtlich der Einräumung der Menschen- takt im Interesse unserer deutschen Brüder und
rechte, deren sparsame Zumessung erst ein Jahr Schwestern jenseits der Zonengrenze auch auf an-
1110 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Freiherr Riederer von Paar)
dere unpolitische Gebiete, etwa den Kulturaus- einem totalitären System, dem kommunistischen
tausch oder den Sport, erstreckt werden kann. System, das in sich — wir haben ja alle mal in
Von besonderer Bedeutung bleibt auch für die einem totalitären System gelebt — den Willen
Zukunft in diesem Zusammenhang die Aufrecht- trägt, alle seinen Ideen untertänig zu machen. Wir
erhaltung West-Berlins, das ein entscheidender stellen zum zweiten fest, daß es Rußland war, das
Faktor in der Wahrung der moralischen Stärke 1945 nicht abgerüstet, sondern weiter aufgerüstet
und des Widerstandswillens der deutschen Bevöl- hat. Eine Zahl von 175 russischen Divisionen
kerung in der Sowjetzone ist. nannte vor einiger Zeit der französische Staats-
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!) mann Paul Reynaud in Straßburg. Und zum drit-
ten ist festzustellen, daß dieser selbe Staat in allen
Die uns in nächster Zeit bevorstehenden Auf- Ländern sogenannte Fünfte Kolonnen besitzt, d. h.
gaben auf dem Gebiete der Außenpolitik sind die kommunistischen Parteien in anderen Ländern;
nicht leicht, aber auch nicht schwieriger als die, diese sind nicht mit Parteien zu vergleichen, die
deren Lösung bereits gelungen ist. Wir haben un- auf unter sich gleichen Tendenzen fußen. Wenn sie
beschadet mancher Wünsche hinsichtlich der künf- sich auch in ihren Tendenzen unter Umständen glei-
tigen Organisation des Auswärtigen Dienstes die chen, so unterscheiden sich die kommunistischen
Zuversicht, daß es dem Bundeskanzler, gestützt auf Parteien doch darin von ihnen, daß sie von einem
die große Mehrheit dieses Hauses, gelingen wird, einheitlichen Willen regiert werden, nach einheit-
sie in einer unseren deutschen Interessen und lichem Befehl handeln und daß nur die Methoden,
gleichzeitig dem europäischen Gedanken Rechnung mit denen sie in den verschiedenen Ländern han-
tragenden Form ihrer Lösung näherzubringen. deln, den Eigenarten des betreffenden Landes an-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gepaßt sind. Dazu kommen dann als letztes noch
die Aggressionen, die dieser Staat von 1944 an
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Ab-
vorgenommen hat. Ich brauche Ihnen die Satelli-
geordnete Dr. Becker. tenstaaten, die er sich unterworfen hat, nicht auf-
Dr. Becker (Hersfeld) (FDP): Meine sehr ver- zuzählen. Ich erinnere nur an die Blockade von
ehrten Damen und Herren! Manchmal hat ein Berlin und daran, was das Kennzeichen der letz-
Bundestagsabgeordneter auch Zeit, ein Buch zu ten Zeit gewesen ist: daß Rußland den Angriff im-
lesen; aber nur manchmal. So habe ich denn in mer durch Stellvertreter vortragen läßt, so wie
den Weihnachtstagen einmal ein ausgezeichnetes es auch jetzt in Indochina geschieht. Und da hinein
Buch einer Französin gelesen, dessen Titel in der paßt wieder ein Wort, das Paul Reynaud zitierte,
deutschen Übersetzung lautet: „Wie ich die Wölfin ein Wort von Lenin, das ich schon oft genannt
zähmte". Es handelt sich dabei um die ausgezeich- habe und das ich nur immer wiederholen kann und
net nachempfundenen Memoiren des römischen das ausgerechnet in den Tagen der Genfer Kon-
Kaisers Hadrian. Als ich das Buch las, kam mir ferenz als aktuell zu bezeichnen ist. Dieses Wort
der Gedanke, wie hat doch eigentlich damals die lautet: Der Weg des Kommunismus von Moskau
Welt mehrere Jahrhunderte glücklich in einem nach Paris geht über Peking und Kalkutta. In
Frieden gelebt, weil nur eine einzige Macht ge- Peking ist er. Und wie weit Kalkutta von Indo-
wissermaßen die Welt beherrschte. Daher spricht china entfernt liegt, na, das wissen wir alle.
man auch noch von der Zeit der pax Romana. Ich Nun ist die Frage aufgeworfen worden: Hat
glaube, sogar das Problem der Konvertibilität hat Rußland nicht inzwischen seine Tendenzen geän-
damals keine Schmerzen gemacht. dert? — O ja, in den Methoden nach außen hin
(Heiterkeit.) etwas. Man hat auch irgendwie versucht, wieder
Wenn wir dann die Geschichte weiter durchgehen, den Nachdruck auf die Konsumgüterindustrie - und
dann kommen wir bis zum 19. Jahrhundert und die landwirtschaftliche Produktion zu legen. Aber
stellen fest, das von 1815 an unter Führung des ist das eine Änderung nach außen? Ich beziehe
englischen Reiches und gestützt auf die Ausba- mich auf einen Zeugen, der vielleicht auch von den
lancierung des Gleichgewichts der Kräfte auf dem Kollegen der SPD als guter Zeuge anerkannt wird.
Kontinent auch wieder in summa summarum eine In der vergangenen Woche hat sich in Paris auf der
Zeit des Friedens herrschte, wenn auch manche Konferenz der europäischen Parlamentarier der
Kriege, wenn auch jeder nur von kurzer Dauer, führende Sozialist in Dänemark, Herr Jakobsen,
die Friedenszeit unterbrochen haben. Auch damals klar und deutlich dahin ausgesprochen, daß sich in
hat man sich über die Konvertibilität der Wäh- Rußland in der Tat etwas geändert habe. Man sei
rungen keine Kopfschmerzen bereiten lassen. nämlich jetzt vorsichtiger geworden, man sei
Heute stellen wir nun fest, daß die Welt in zwei schmiegsamer, man sei nicht mehr so stur, aber
große Mächte gespalten ist, die miteinander den man sei darum um so gefährlicher, weil die be-
Erdball umspannen, die also jeden Staat irgendwie herrschenden Tendenzen geblieben seien.
mit ihrer Einflußsphäre umspannen und ergrei- Es fällt mir hier ein Wort ein, das vor zwei Jah-
fen und von deren Beziehung zueinander eigent- ren der verstorbene Kollege Schumacher mal
lich das Schicksal der ganzen Welt abhängig ist. gesprochen hat. Er redete in seiner ironisierenden
Dann haben wir festzustellen, daß ausgerechnet die Art von jenen Hirtenknaben, die auszogen, das rus-
Brennpunkte der Spannungen dieser beiden Mächte sische Lämmlein zu hüten. Die gibt's auch heute
im Osten in dem gespaltenen Korea, im Westen in noch.
dem gespaltenen Deutschland liegen. Das ist heute (Sehr richtig! in der Mitte.)
unsere Situation, und das ist das, was die Welt Weiter sprach er, wie mir noch einfällt, in der
in Unruhe versetzt. gleichen Rede davon, daß er eine ganze trojanische
Die zweite Frage dazu, wo die Gefahr liegt, daß Kavallerie angaloppieren sehe. Nun ja, heute
es zum Zusamenprall kommt, ist meiner Ansicht haben wir den Vorschlag des Herrn Molotow, zu
nach eindeutig dahin zu beantworten, daß nach nächst in der Berliner Konferenz dahin ausge
allem, was wir bisher erlebt haben, von der rus- sprochen, daß man in das Europäische Verteidi
sischen Seite die größere Gefahr droht. Der rus- gungssystem, in die EVG mit eintreten wolle, und
sische Staat wird kontrolliert und geführt von dann später dahin moduliert, daß man der NATO
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1111
(Dr. Becker [Hersfeld])
beitreten möchte. Ich glaube, es ist vorhin der Vor- von darf man hier in diesem Zusammenhang ein-
wurf erhoben worden, man hätte diese Vorschläge mal sprechen, auch wenn Sie mich vielleicht in An-
nicht ernst genommen, nicht genug studiert. Wir betracht dessen, was ich jetzt sagen werde, für
haben sie studiert. Aber nach allem, was wir von ein bißchen veraltet halten würden. Ich bin der
den dahinter steckenden Tendenzen wissen, nach Meinung, daß bei allen Völkern, bei allen Staaten
allem, was wir in der Vergangenheit, auch schon und bei allen Staatsmännern der ernste Entschluß
vom August 1953 an erlebt haben, haben wir den obwalten muß, nur eine solche Politik zu führen,
Eindruck, daß es sich um trojanische Pferde in die vor dem Schöpfer aller Dinge und vor dem
Großformat handelt. ewigen Sittengesetz bestehen kann,
Wenn wir feststellen konnten, daß zwei starke (Abg. Kunze [Bethel]: Sehr richtig!)
Mächte die Welt beherrschen und die anderen Län- nur eine solche Politik zu betreiben, die mit den
der in dem Spannungsfeld dieser beiden Mächte Grundsätzen der Humanität übereinstimmt. Wir
liegen, und wenn wir uns daran erinnern, daß Deutschen, die wir aus der Hitlerzeit wissen, was
auf der Konferenz in Berlin leider Gottes praktisch eine vom ewigen Recht abweichende Politik zu be-
nichts erreicht worden ist, müssen wir doch ganz deuten hat, wir, die wir ihre Folgen an unserem
realistisch die Konsequenz daraus ziehen. So sehr Volk, an unserem Staat, an uns selbst und dazu
wir nach wie vor alles tun, um die Wiedervereini- noch die Folgen eines unseligen Krieges zu spüren
gung herbeizuführen, so ist doch in dem Augen- bekommen haben, haben gelernt, daß alle Politik
blick, in dem sich die Standpunkte der beiden nur dann vom Vertrauen eines Volkes getragen
Mächte festgefahren haben, in dem keine Verhand- sein kann, wenn sie mit den ewigen Gesetzen, die
lungen hinüber und herüber mehr möglich sind, der Schöpfer aller Dinge geoffenbart hat — und
leider ein Status quo geschaffen, von dem wir nicht er offenbart sie in vielerlei Form und Gestalt —,
wissen, wie lange er dauert. in Übereinstimmung steht.
Erlauben Sie mir deshalb in diesem Zusammen- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
hang eine Frage. Wie wäre es, wenn man dem Bei-
spiel der Siegermächte hinsichtlich des Friedens- Eine solche moralische Haltung in der Politik gibt
vertrages mit Japan folgte und nun doch einmal allen denen, die diese Politik treiben sollen, aber
den Versuch machen wollte, auch mit uns einen auch ihren Völkern, den inneren Halt und die
Friedensvertrag abzuschließen? Das hätte zur Vor- Charakterstärke, die erforderlich sind, um das
aussetzung, daß die vier Mächte zunächst unter sich Grauen, von dem sich die Menschheit in dieser
irgendwie in Verbindung miteinander treten müß- zweigeteilten Welt im Zeitalter dieser schaurigen
ten. Damit würden auch automatisch wieder Ver- Bomben auf Schritt und Tritt bedroht fühlt, zu be-
handlungen kommen, zu deren Thema dann in stehen. Nur durch Gottvertrauen kommt man zum
irgendeiner Form die Frage der Wiedervereinigung Selbstvertrauen, und dann gilt auch wieder der
gehören würde. Ich bitte, sich einmal diese Frage zu Satz für jeden einzelnen von uns: Pfeiler, Säulen
überlegen. kann man brechen, aber nicht ein freies Herz!
Als weiteren Punkt möchte ich nennen: Es muß
Zu dieser Unruhe in der Welt, die aus dem Vor-
verhindert werden, daß die angreifende Macht, also
handensein dieser zwei großen Mächte herrührt,
Sowjetrußland, noch weiteren Machtzuwachs er-
kommt nun noch, daß in diese zweigeteilte Welt,
in die Welt der Unruhe und des Kalten Krieges hält. Ich deute an, daß sie durch stellvertretende
noch die Bilder der Explosionen der Atom- und Angriffe versucht, über Peking, über Kalkutta zu
Wasserstoffbomben dringen. Die Öffentlichkeit der dem Ziel Westeuropa bis zum Atlantischen Ozean
zu kommen. Ich begrüße den Vorschlag der USA zu
Welt ist durch das unvorstellbare Grauen alarmiert, einem Verteidigungsabkommen für Südostasien,
das die Verwendung solcher Bomben in einem das in dieser Linie liegt. Ich begrüße zugleich, daß
Krieg hervorrufen könnte. Millionenstädte könn- damit der Gedanke verbunden ist, diesen Völkern
ten durch einen Bombenabwurf verschwinden. Die Asiens die Unabhängigkeit zu geben und sie auf
Erdoberfläche kann bis zu 70 m tief mit allen den Boden der Freiheit zu führen. Dazu gehört
Kasematten, Konzentrationslagern, Luftschutzkel- ferner, daß nach dem Truman-Vorschlag Nr. 4,
lern, Bankgewölben und Stahlfächern aufgewühlt Hilfe für die zurückgebliebenen Gebiete, und eben-
werden. Die Luft kann auf weite Entfernungen hin so nach dem Kolombo-Plan der englischen Domi-
todbringend verseucht sein. Die verzagte Welt nien auch nach der materiellen Richtung hin das
schaut sich nun um, ob und wie es Mittel gibt, ein getan werden muß, was notwendig ist, um Angriffe
derartiges Weltunglück zu verhindern. Wir wollen des Kommunismus in dieser Richtung zu unter-
prüfen, was da zu tun ist. binden.
Wir begrüßen es, ähnlich wie es schon die Vor- Dann noch ein letztes. Es muß versucht werden,
redner getan haben, daß Präsident Eisenhower den aus der Zweiteilung der Welt herauszukommen,
Versuch macht, in unmitelbarem Benehmen mit d. h. es muß versucht werden, noch weitere Macht-
Sowjetrußland ein Verbot der kriegerischen Ver- gruppen zu schaffen, auch wenn sie an Machtfülle
wendung dieser fürchterlichen Waffen zu verein- nicht an diese beiden Staaten herankommen kön-
baren und Grundlagen für eine nur friedliche Ver- nen. Ich denke an den indischen Subkontinent mit
wendung dieser gigantischen Kräfte zu finden. Das Pakistan, an die arabischen Staaten und nicht zu-
wäre das erste. letzt an unser Europa.
Darüber hinaus müßten sich eigentlich alle Völ- Wir haben — Herr von Brentano ist leider nicht
ker, auch die, die nicht Mitglied der Vereinten hier, sonst würde ich ihm sagen, daß auch ich zu
Nationen sind, verpflichten, alle Streitfragen zu- den Romantikern gehöre, von denen mein Kollege
nächst einem internationalen Schiedsgericht zu Pfleiderer gesprochen hat — in einer sehr inten-
unterbreiten, soweit nicht der Weg unmittelbarer siven und von uns sehr ernst genommenen Arbeit
Verhandlungen ohne weiteres zum Ziele, zur im Winter 1952/53 den Versuch gemacht, eine Ver-
Schlichtung führt. fassung für Europa auszuarbeiten. Ich stehe zu
Dann kommt aber noch ein Drittes hinzu, und ihrem Inhalt, und ich bin der Meinung, daß so-
das liegt auf ideellem Gebiet. Ich glaube, auch da- wohl die Montan-Union wie der EVG-Vertrag viel-
1112 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Becker [Hersfeld])
leicht nur ein Torso bleiben, wenn nicht der weitere prägt: „Europäisieren Sie zuerst Europa, und dann
Schritt zur Europäischen Politischen Gemeinschaft ist die Saarfrage mit den wirtschaftlichen Verflech
gegangen wird. Der Kollege Deist war es, glaube tungen, die dann zu treffen sind, leicht zu regeln!"
ich, der heute morgen davon spach, daß sich um Ich muß leider feststellen, daß das Wort „Euro-
die Ergebnisse der Montan-Union eine Art Ver- päisierung" im Zusammenhang mit der Saar, wie
schwörung des Schweigens gebildet habe. Das ist es jetzt vorgeschlagen wird, nur geeignet ist, den
ein Irrtum. In der vorigen Woche hat mein Frak- wirklichen europäischen Gedanken zu kompromit-
tionskollege und Freund Blank in Paris ausdrück- tieren. Der echte Wille, ein Europa zu schaffen,
lich davon gesprochen, daß es in der Montan-Union kann Schaden leiden, wenn eine Lösung, die keine
vielleicht gewisse Kinderkrankheiten gebe, daß europäische Lösung ist, so genannt wird; und der
aber noch nicht feststehe, ob die Montan-Union als europäische Gedanke kann Schaden leiden, wenn in
solche, die Konstruktion dieser Verbindung die Ur- dem Naters-Plan der Begriff Europa in allen mög-
sache dessen sei, was wir zu konstatieren haben. lichen Zusammenhängen vorkommt, die kein
Vor allen Dingen müsse man sich, wenn eine ge- Mensch verstehen kann. Es wird ein Kommissar
wisse Übergangszeit vorüber sei, darüber klar sein, vorgeschlagen, der vom Europarat, d. h. von den
daß diesem ersten Schritt zur europäischen Inte- Staaten, die von Island bis zur Türkei hin in ihm
gration weitere folgen müssen, wenn nicht ein versammelt sind, ernannt werden soll. Auf der
Torso bleiben soll, wenn man nicht wünschen
andern Seite wird ein Berater vorgeschlagen,
müsse, diesen Schritt unter Umständen rückgängig
der von der luxemburgischen Montanbehörde, also
zu machen. von dem Europa der Sechs, ernannt werden soll.
Nun zur Europäischen Politischen Gemeinschaft! Zum Schluß wird von einem Europastatut der
Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen von Saar geredet, das überhaupt erst in einer Kon-
Fortschritten gesprochen, die auf diesem Gebiet ge- ferenz geschaffen werden soll, so daß hier die
macht worden seien. Er wird es mir nicht übel- dritte Bedeutung ties Begriffes Europa hinein-
nehmen, wenn ich sage, daß es nach meiner Auf- kommt, — und das Ganze durcheinander. Das, was
fassung Rückschritte sind. Ich habe den ernsten hier geschaffen wird, ist niemals eine echte Euro-
Wunsch auszusprechen, daß diese Angelegenheit päisierung.
doch kräftig in Angriff genommen wird, und zwar Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß
auf folgende Weise. Die sechs Regierungen haben das, was an der Saar geschieht, unserer Auffas-
damals, im September 1952, ein Parlament von sung nach eine verhüllte Annexion ist. Frankreich
europäischen Parlamentariern geschaffen, gleich- behauptet, es wolle nicht annektieren. Was heißt
sam „als ob" ein Europa politisch schon existiere. annektieren? Ein Territorium aus einem Staatsge-
Nun drehen wir den Spieß um und sagen wir: bilde herauslösen und es einem andern irgendwie
wenn dieses „Als-ob-Parlament" da ist, dann muß einverleiben. Man kann unter den heutigen Ver-
ihm gegenüber auch eine „Als-ob-Regierung" da hältnissen — bei den Verflechtungen auf den Ge-
sein, d. h., es muß nun versucht werden, dieses Ver- bieten des Geldes, der Wirtschaft, der Organisa-
tragsinstrument in gemeinsamen Verhandlungen tion usw. — ohne weiteres sehr leicht auch ohne
zwischen dieser quasi-Regierung Europas und dem territoriale Regelung, die nach außen auf der Land-
quasi-Parlament Europas weiterzuführen. Ich sehe karte ersichtlich wird, doch durch derartige wirt-
nur, daß das, was wir in einem halben Jahr gut schaftliche Verflechtungen, Konventionen, wie sie
zustande gebracht haben, jetzt in weit über einem vorliegen, eine verschleierte Annexion vornehmen.
Jahr, seitdem nun die Regierungen, die auswär-
tigen Ämter der sechs Staaten die Angelegenheit Nun wird gesagt, das seien aber doch Tatsachen,
in die Hand genommen haben, keine Fortschritte es sei doch ein De-facto-Zustand an der Saar.
- Sehr
gemacht hat. Ich weiß, daß die Diplomaten die ab schön! Aber wer verlangt denn nun, daß es jetzt
gewogenere Art der Verhandlung haben und daß geregelt wird? Wir? — Nein, Frankreich! Frank-
diesem oder jenem Parlamentarier gern vorge- reich möchte noch die Unterschrift Deutschlands
worfen wird, er habe vielleicht zuviel Tempera- dazu haben. Die Unterschrift, die Frankreich ver-
ment. Aber ich glaube doch, daß ohne Tempera- langt, die ihm viel wert zu sein scheint, ist uns
ment, ohne Begeisterung und ohne Nachdruck, den dasselbe wert.
auszuüben die Parlamentarier vielleicht mehr ge- (Sehr gut! bei der SPD.)
wohnt sind als die Diplomaten, die Dinge nicht so Wir sind der Meinung, daß der Naters-Plan —
vorangehen werden, wie sie vorangehen sollten. Kollege Pfleiderer hat das schon ausgeführt —
Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung, den keine Grundlage ist, auf der man Verhandlungen
Vorschlag zu machen, daß die sechs Regierungen führen kann. Der Naters-Plan bietet zwei Vorteile.
zusammen mit der Ad-hoc-Versammlung ver- Er gibt uns das Versprechen, daß, wenn auf der
suchen, auf der Grundlage des Statuts, das wir aus- einen Seite die wirtschaftliche Verbindung mit
gearbeitet haben, zum Ziele zu kommen. Ich halte Frankreich bleibt, eine Konferenz in der Zukunft
den augenblicklichen Zeitpunkt für außerordentlich versuchen soll, auch nach der deutschen Seite hin
günstig, und zwar aus personellen Gründen, weil wirtschaftliche Verbindungen zu schaffen. Ich bin
nämlich der bisherige Präsident der Verfassung- der Meinung, das kommt auf uns zu, auch wenn
gebenden Versammlung, Herr Spaak, nunmehr der De-facto-Zustand bleibt. Sogar ein selbstän-
auf die andere Seite hinübergewechselt und Außen- diger Saarstaat würde im Interesse seiner Wirt-
minister Belgiens geworden ist, so daß er in seiner schaft und seiner Bevölkerung auch mit seinem
doppelten Eigenschaft, mit seinen doppelten Er- östlichen Nachbarn, also mit uns, wirtschaftliche
fahrungen und mit der Dynamik, die ich ihm zu- Verbindungen pflegen müssen.
traue und die ich zu kennen glaube, vielleicht doch
die Dinge, wenn an ihn herangegangen würde, Als zweites wird uns vorgeschlagen, daß demo-
voranbringen könnte. kratische Freiheiten kommen sollen, aber in einer
zeitlichen Dosierung, bei der man nicht weiß,
Denn, meine Damen und Herren — und damit warum die zeitliche Dosierung notwendig sein soll,
komme ich nun zur Saarfrage —: Ein Deutscher wenn andererseits das erste und praktisch einzige,
von der Saar hat einmal sehr schön das Wort ge was der Europarat fertiggebracht hat, nämlich die
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1113
(Dr. Becker [Hersfeld])
Konvention der Menschenrechte, doch nun Entmilitarisierungsbestimmungen, sie stand auch
sozusagen das Grundgesetz von Europa ist. unter dem Eindruck der Geschehnisse dieses Krie-
Man kann sich nicht vorstellen, warum ges. Speziell bei unserer Jugend war noch im Jahre
das erst mit zeitlichem Abstand eingeführt 1950 der Gedanke von „Ohne mich!" bis zu einem
werden soll. Ich glaube, daß der Druck der Welt- gewissen Grade populär. Sie entsinnen sich; ich
meinung und der Druck der Saarbevölkerung so habe einmal im Europarat in Straßburg den dort
stark sein werden, daß wir für dieses Entgegen- versammelten ausländischen Kollegen vorzuführen
kommen nicht noch zu zahlen brauchen. Mir kommt versucht, in welcher Stimmung unsere Jugend da-
manchmal, wenn ich den Naters-Plan lese, das Ge- mals gewesen ist. Wir haben uns nicht zur Bildung
dicht von Schiller von dem Mädchen aus der eines Heeres gedrängt. Wir sind an sich auch nicht
Fremde in Erinnerung. Das kam auch jedes Jahr nervös, wenn Frankreich seine Entscheidung aus
ins Land und reichte der einen Seite Früchte und diesem oder jenem Grund verzögert. Wir zeigen
der andern Blumen dar. Die Blumen sind uns zu- deswegen keine Ungeduld. Aber wir wollen doch
gedacht, das sind die Versprechungen, die darin nun einmal wissen, woran wir sind. Wenn Frank-
enthalten sind, die erst durch eine Konferenz rea- reich das nicht will, was seine Regierung schon
lisiert werden sollen. Wenn ich mir überlege, wie unterschrieben hat — es wird doch die Bedrohung
lange man gebraucht hat, um z. B. den EVG-Ver- aus dem Osten so sehen wie wir auch; es war ja
trag zu unterschreiben, und wie lange es jetzt der französische Staatsmann Paul Reynaud, der
dauert, bis er ratifiziert wird, dann habe ich Be- daran erinnert hat, daß im Osten 175 Divisionen
denken, wenn ich mir die Zeit vorstelle, die es stehen, daß der Weg von Moskau nach Paris über
dauern wird, bis diese Zusagen dann erfüllt sein Peking und Kalkutta und über Indochina geht —,
werden. muß Frankreich schließlich einmal sagen, welche
(Zuruf von SPD: Drei Monate, Alternative es eigentlich hat. Denn dann tritt auch
sagt Naters!) an uns die Frage heran, unsererseits Alternativen
Ich bin der Meinung, daß man, wenn man über- zu prüfen oder zu überlegen. Frankreich sieht die
haupt verhandelt, nur Zug um Zug Leistungen ver- Dinge, weil es 700 km vom Eisernen Vorhang ent-
abreden kann. Die Zeit der Vorleistungen muß fernt liegt, etwas zu leicht. Wenn die „Comédie
vorüber sein. Française" zur Zeit in Moskau 28 Vorhänge hat —
(Beifall bei der FDP und der SPD.) ich gönne es den Künstlern, es sind ausgezeichnete
Künstler, aber wir wissen ja von unseren Erfah-
In dem Plan ist von einer Volksabstimmung die rungen in Deutschland, wie in einem totalitären
Rede. Die Volksabstimmung, die dort vorgeschla- Staate derartige Beifallskundgebungen organisiert
gen wird, hat ein doppeltes Gesicht. Sie soll der werden —, so berauscht man sich daran. Aber man
Saarbevölkerung das Recht geben, ihre Verfassung sieht nicht, daß da drunten in Indochina bei Dien
gewissermaßen neu zu schaffen. Das zweite Ge- Bien Phu das Blut von Europäern fließt, auch das
sicht, das diese Volksabstimmung hat, hat völker- Blut von vielen deutschen Menschen. Das darf ein-
rechtliche Bedeutung, staatsrechtliche Bedeutung mal hier gesagt sein. Und wenn die Weltöffentlich-
nach außen hin gesehen. Das heißt, sie führt dahin, keit mit Recht dem kommandierenden General
daß gewissermaßen ein Teil, nämlich das Teil-
territorium, das abgetreten werden soll, über sein de Castries ihre Hochachtung zollt, dann wollen wir
Schicksal bestimmen soll, ohne daß das Gesamt- in diesem Augenblick auch an die dort eingesetzten
territorium, nämlich Deutschland, gefragt wird. Es Soldaten, auch an unsere deutschen Menschen den-
ken, die dort unten kämpfen und bluten.
ist eine alte Regel, die nur einmal, im Versailler
Vertrag in den Bestimmungen über die Saar, (Beifall bei der FDP.)
durchbrochen wurde, daß nur der Staat als Gan- Ich darf bitten, mir noch zu gestatten, auf- Grund
zes, das Volk als Ganzes darüber zu bestimmen eines persönlichen Erlebnisses etwas anzufügen.
hat, ob ein Teil von ihm losgelöst werden soll oder Im Jahre 1552 — —
nicht. (Abg. Dr. von Brentano: Das ist doch kein
(Sehr richtig! bei der FDP und SPD.) persönliches Erlebnis! So alt sind Sie noch
nicht, Herr Kollege! — Heiterkeit.)
Ich bitte die Herren Korrespondenten der Aus- — Das kommt noch; der Satz war noch nicht zu
landspresse, wenn sie über diese Sitzung berichten, Ende. Warten Sie den Satz ab; ich komme dann
ihren Lesern auch einmal mitzuteilen, daß es an zu dieser Gegenwart. —
der Saar nur Deutsche, keine Ausländer gibt.
(Sehr gut! bei der FDP und bei der SPD.)
Der Vertrag von 1552, den damals einzelne
Landstände in Deutschland — Hessen, Sachsen,
Der Gedanke, der manchmal im Ausland auftritt, Württemberg und einige andere — mit dem fran-
daß es hier eine Mischbevölkerung gebe, die dar- zösischen König abgeschlossen haben und mit dem
über abstimmen müßte, wo sie hingehört, ist also sie Metz, Toul, Verdun in Lothringen an Frank-
völlig falsch. Weiter bitte ich die Herren Auslands- reich ausgeantwortet haben unter dem Vorbehalt
korrespondenten, ihre Völker doch auch einmal zu aller „dero Kaiserlicher Majestät geschuldeten
fragen, was irgendeiner der sechs Staaten wohl Rechte" oder unter dem Vorbehalt „aller Gerecht
sagen würde, wenn an ihn von einem anderen same des Heiligen Römischen Reiches", mit dem
Staat die Aufforderung erginge, im Interesse der Vorbehalt, daß es wieder zurückrevidiert werden
Europäisierung einen Teil seines Landes abzu- könnte, — dieser Vertrag wurde in einem hessi-
treten. schen Jagdschloß geschlossen, das in meinem Hei-
(Sehr gut! bei der SPD.) matkreis liegt, in dem Schloß Friedewald. Eine
Nun ist die Frage aufzuwerfen, was Frankreich Tafel erinnert noch heute an dieses Geschehnis.
denn eigentlich will; ich meine jetzt nicht nur an Nun kommt das Persönliche: ich möchte es lieber
der Saar, sondern im Großen und Ganzen seiner sehen, daß unsere Namen einmal auf einer Tafel
Politik. Was will es? Wir haben uns nicht zum stehen, auf der es heißt: „Ihr wart beteiligt an der
EVG-Vertrag gedrängt. Unsere deutsche Bevölke- Schaffung eines einigen Europa und habt damit
rung stand noch völlig unter dem Eindruck der eine Zwietracht, die jahrhundertelang Europa in
1114 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Becker [Hersfeld])
Unruhe gehalten hat, zwischen Deutschland und Deshalb glaube ich, daß es nunmehr an Frank
Frankreich aus der Welt geschafft." reich wäre, zu antworten.
(Abg. Lücke: Sehr gut! — Abg. Frau Dr. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten
Weber [Aachen]: Das wollen wir ja!) der CDU/CSU.)
Von den Höhen meiner hessischen Heimat geht Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
mein Blick dann herüber zu den Höhen von Abgeordnete Walz.
Verdun. Ich habe zwischen den beiden Kriegen
einmal dort oben gestanden und das große Bein- Walz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen
haus „Ossuâire" gesehen, das dort errichtet ist und und Herren! Als Deutscher von der Saar darf ich
in dem die sterblichen Überreste aller derjenigen wohl zur Saarfrage heute auch etwas sagen. Vor
beigesetzt sind, deren Persönlichkeit nicht hat allen Dingen darf ich es deshalb tun, weil ich
identifiziert werden können. Es war erschütternd, glaube, für diejenigen Deutschen an der Saar mit
zu sehen, daß da unten unerkannt und ungekannt zu sprechen, die bis heute dort keine Gelegenheit
vielleicht Freund und Feind miteinander im Frie- gehabt haben, ihren Standpunkt, ihren wahren
den vereint liegen, aber tot. Und warum tot? Weil deutschen Standpunkt zur Saarfrage darzulegen.
zwischen Deutschland und Frankreich alle 50 bis
(Bravo! bei der SPD.)
60 Jahre Kriege stattgefunden haben, Kriege, an
denen wir nicht allein schuld waren — es gab auch Wenn wir an der Saar die unveräußerlichen
einen Ludwig XIV. und einen Napoleon I. —, aber demokratischen und politischen Rechte gehabt hät-
immer mit dem Ergebnis, daß die Grenze zwischen ten, wie wir sie im deutschen Bundesgebiet be-
unseren beiden Staaten bald einmal 60 bis 80 km sitzen, wie der Verlauf der heutigen Aussprache
weiter nach Osten und bald einmal 60 bis 80 km im Deutschen Bundestag bewiesen hat, dann
weiter nach Westen verlegt wurde. Hören wir doch wäre, glaube ich, die Saarfrage vielleicht
endlich auf mit diesem Verschieben von Grenzen, schon geregelt, und wir wären in der europäischen
und kommen wir dahin, daß die Grenzen weg- Entwicklung weiter vorangekommen, als das bis
fallen! jetzt der Fall ist.
(Abg. Lücke: Sehr gut!) (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Wenn wir aber zu dem Ergebnis in Gestalt der Ich komme gleich zum van-Naters-Plan. Ich
politischen Gemeinschaft kommen wollen, die diese brauche ja in dieser vorgeschrittenen Stunde nicht
Grenzen sukzessive abbaut, dann darf dieses Er- zu wiederholen, was bereits im Laufe des heutigen
gebnis nicht dadurch herbeigeführt werden, daß Tages in positivem Sinne für uns an der Saar ge-
nun zum letztenmal vorher noch einmal Grenzen sprochen worden ist.
verschoben werden, nämlich unsere Westgrenze, Ich für meine Person — ich glaube aber, das auch
die jetzt vom Westen der Saar an den Ostrand der im Namen und sogar im Auftrag unserer Freunde
Saar gelegt werden soll. Das paßt dann nicht zu -an der Saar sagen zu dürfen — lehne den van
den europäischen Methoden. Das paßt nur noch in Naters-Plan ab. Wir verkennen nicht, daß dieser
das 19. Jahrhundert hinein, dessen Verdienst es Plan einige Ansatzpunkte enthält, die nach unserer
wohl war, die Nationalstaaten geschaffen zu haben. Auffassung dazu beitragen könnten, in europäischer
Aber das Kennzeichen des 20. Jahrhunderts ist die Beziehung und vor allen Dingen in der Herstellung
Schaffung von über den Nationen stehenden Ge- der demokratischen Freiheiten an der Saar vor-
meinschaften, und diese müssen nach anderen wärtszukommen.
Methoden geschaffen werden als nach denen des - Die erste Feststellung, die man im van-Naters
19. Jahrhunderts. Plan treffen kann, ist die, daß es an der Saar
Ich habe vorhin davon gesprochen, daß die Po- nur Deutsche gibt und daß die Saar deutsch - ist.
litik immer dem ewigen Sittengesetz entsprechen
muß. Es entspricht aber nicht dem ewigen Sitten- Das zweite ist, daß dieser Plan nicht ver-
gesetz, wenn ein Volk, ein Staat, ein Land, in dem schweigen kann, daß an der Saar keine Verfassung
nur Deutsche wohnen, abgetrennt wird und wenn und keine Rechtsordnung besteht, die es den Men-
wir das noch zum Opfer bringen wollen, nur um schen an der Saar in vollem Umfange ermöglichen
die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu würde, ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen
schaffen. Ich widersetze mich einem Junktim zwi- und kulturellen Angelegenheiten selbst zu regeln.
schen EVG und einer solchen Abtrennung. Richtig: Es ist nicht erlaubt, anderer Auffassung zu
sein oder sich in einem anderen Sinne zu äußern,
Und noch ein Letztes. Wir wollen eine gemein- als es das herrschende Regime an der Saar wünscht
same europäische Armee schaffen. Leben sollen die oder erwartet. Aus den von mir angeführten
Söhne der Völker, die bei Verdun sich so oft be- Lebensbereichen darf ich ein Beispiel anführen. Es
kämpft haben, nun nebeneinander in der gleichen ist in der gewerkschaftlichen Geschichte bis jetzt
europäischen Wehrmacht. Es geht nicht an, es ist wohl kaum vorgekommen, daß eine große Gewerk-
psychologisch unmöglich, eine Wehrmacht aufzu- schaft, wie der Industrieverband Bergbau an der
bauen und darin Soldaten deutscher Nationalität Saar, aufgelöst worden ist, von der Polizei nur auf-
zu haben, die sich sagen müssen: Jetzt treten wir gelöst worden ist, weil er in wirtschaftlicher Bezie-
gemeinsam zum Schutz von Europa an, aber nur hung anderer Auffassung war als das herrschende
deshalb, weil vorher erst noch ein Stück Deutsch- Regime und weil er die Auffassung vertrat, daß
lands geopfert werden mußte. die Grundfreiheiten an der Saar nicht gewährleistet
(Sehr gut! bei der SPD.) seien.
Das paßt nicht zusammen. Das dritte ist, daß der van-Naters-Plan die ein-
Ich fragte vorhin: Was wird Frankreich tun? Ich seitige wirtschaftliche Bindung, die in der fran-
glaube, wenn ich wieder hinblicke auf jenes ernste zösischsaarländischen Wirtschafts- und Zollunion
Haus auf den Höhen bei Douaumont, dann ist die zum Ausdruck kommt, nicht hundertprozentig gut-
Frage zu stellen: Sollen wir nicht ohne diese Zu- heißt und die daraus sich ergebenden politischen
taten eines verflossenen nationalistischen Jahrhun- Folgen nicht abzustreiten vermag. Das ist durchaus
derts uns so als Europäer finden? richtig und entspricht auch einem Standpunkt, der
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1115
(Walz)
bei einer anderen Gelegenheit von französischer lichkeit schon längst auch uns an der Saar diese
Seite eingenommen worden ist. Bei den Erwägun- Freiheiten hätte einräumen müssen. Dann würde
gen, die anläßlich der Schaffung einer deutsch- halt die Saarfrage von uns selber zu regeln sein.
österreichischen Zollunion angestellt worden sind, Ich glaube, die Deutschen an der Saar müßten zu-
war es gerade Frankreich — und nachlesen können erst diejenigen sein, die über ihr Schicksal zu ent-
wir es in dem bekannten Buch des französischen scheiden bzw. als Voraussetzung dazu zunächst ein-
Botschafters François-Poncet „Als Botschafter in mal darüber frei und offen zu sprechen und zu dis-
Berlin" —, das sich vor dem Haager Gerichtshof kutieren haben. Deswegen muß ich meine Stimme
mit dem Argument durchzusetzen vermochte, daß, dagegen erheben, daß gerade die fehlenden poli-
wenn ein kleinerer Partner mit einem größeren Part- tischen und demokratischen Freiheiten eingetauscht
ner eine solche Abmachung treffe, er früher werden sollten gegen Zugeständnisse, die es uns un-
oder später auch in den politischen Einflußbereich möglich machen würden, das zu bleiben, was wir
dieses größeren Partners geraten und seine Selb- sind und was wir bleiben wollen: nämlich
ständigkeit verlieren müsse. Das hieße in unserem Deutsche.
Fall: die Abtrennung von Deutschland, auch in kul- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
tureller Beziehung. Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
Das vierte, was der van-Naters-Plan zum Aus- Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
druck bringt, ist, daß an der Saar keine uneinge-
schränkte Meinungs-, Presse-, Vereins-, Versamm- Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP): Herr Prä-
lungs- und Parteienfreiheit besteht. Dieses An- sident! Meine Damen und Herren! Obgleich die
liegen muß nach unserer Auffassung und auch nach Stunde sehr vorgerückt ist, wird man dennoch als
meiner persönlichen Auffassung unbedingt vorge- sicher annehmen dürfen, daß das deutsche Volk
bracht werden. Ich muß hier die Bitte hinzufügen, östlich und westlich des Eisernen Vorhangs an der
vor allem folgende Bedenken ernsthaft zu beach- heutigen Debatte im Deutschen Bundestag mit un-
ten. Wir von der Saar-CDU fühlen uns nach wie geteiltem Interesse teilnimmt. Ganz besonders gilt
vor mit Deutschland verbunden. Wir betrachten die das für das deutsche Volk im Saargebiet. Es wird
Saar als ein Stück der deutschen Heimat. Wir ver- auch allgemein begrüßt werden, daß diese Debatte
mögen uns also nicht dazu zu entschließen, uns von von der einstimmigen Resolution des Deutschen
Deutschland abzutrennen. Bundestages vom 2. Juli 1953 ausgeht. Im Volke
Nun hat Herr Abgeordneter Dr. Pfleiderer, ist diese Resolution nämlich keineswegs vergessen.
-ein Europaexperte und auch van-Naters-Plan Daß es hier um eine Frage von entscheidender Be-
-Experte, zum Ausdruck gebracht, daß der van deutung geht, um eine Schicksalsfrage größten Aus-
Naters-Plan eine echte Loslösung von Deutschland maßes, darüber ist man sich im deutschen Volke
mit sich brächte. Wir aber wollen uns nicht von ohne Unterschied der Partei seit langem im klaren.
Deutschland lösen. Wenn jetzt etwa im Rahmen Man weiß, daß von der Wiederherstellung von
irgendwelcher Bemühungen eine Grundsatzer- Recht, Freiheit und Demokratie an der Saar die
klärung oder eine sonstige Abmachung zwischen ganze Zukunft eines im Osten und Westen einigen
Deutschland und Frankreich zustande käme, dann, Volkes abhängen wird. Und mehr noch, man weiß
meine sehr verehrten Damen und Herren, frage in der deutschen Öffentlichkeit, daß an der Saar
ich Sie, wie wir an der Saar noch unseren Stand- über Sein oder Nichtsein Europas und darüber
punkt zum Ausdruck bringen könnten. Es wäre un- hinaus über das Schicksal der freien Welt entschie-
möglich, ihn in der Annahme und der Hoffnung den werden wird. Man hat im Volke — man
zum Ausdruck zu bringen, ihm zum Erfolge zu ver- braucht nur in die Wahlkreise hinauszugehen, um
helfen. Wir könnten es wohl versuchen. Wir wür- es festzustellen — ein sehr lebendiges Gefühl
- da-
den bei dieser Tätigkeit aber unzweifelhaft auch für, daß die Saar Prüfstein Europas ist, daß sich
sowohl in einen antideutschen als auch in einen an der Saar erweisen muß, ob das Bekenntnis zum
antieuropäischen Akzent geraten, und beides wol- Recht, zum strengen, zum absoluten Recht ehrlich
len ja die Deutschen an der Saar nicht. Wir wollen gemeint ist oder ob auch im Westen die überlebten
bei Deutschland bleiben. Wir wollen helfen, Europa Methoden der Machtpolitik triumphieren, wenn
zu schaffen. Wir an der Saar sind keine Nationa- das Recht ihnen entgegensteht, wenn das Recht
listen. Wir sind gute Deutsche, genau wie Sie gute anfängt, unbequem zu werden.
Deutsche sind. Das sind wir, aber keine Nationali- Meine Damen und Herren, wenn dies so wäre
sten. Eine der deutschen Parteien an der Saar hat und wenn dieser Deutsche Bundestag seine Stel-
bereits im Jahre 1950, um aus den Schwierigkeiten lung als Wahrer des gesamtdeutschen Interesses
mit dem Saarproblem herauszukommen, eine euro- verlöre, dann würde dies für unsere Landsleute
päische Lösung an der Saar vorgeschlagen und ist östlich des Eisernen Vorhangs und für alle unsere
deshalb von dem herrschenden Regime verboten Heimatvertriebenen einen vernichtenden Schlag
worden. darstellen, und die Welt, die sich frei nennt, würde
(Hört! Hört! bei der SPD.) an der Saar, dieser Oder-Neiße-Linie des Westens,
politisch und moralisch eine vernichtende Nieder-
Diese Partei hat sich jetzt, kurz vor Weihnachten lage erleiden.
1953, sogar vom Oberverwaltungsgericht Saarlouis
diese Entscheidung ausdrücklich bestätigen lassen (Sehr wahr! bei der SPD.)
müssen. Im Laufe der Debatte des heutigen Tages ist
Die politischen und demokratischen Freiheiten von manchen Seiten das Gefühl zum Ausdruck ge-
sind für uns ein ganz selbstverständliches Anliegen, bracht worden, daß man sich vielleicht in der näch-
das nach unserer Auffassung unbedingt berück- sten Zeit noch einmal über die Grundlagen der
sichtigt und auch durchgesetzt werden müßte. Ich deutschen Außenpolitik eingehend unterhalten
glaube bestimmt daran, daß Frankreich, wenn es sollte. In der Tat scheint es mir so zu sein, als ob
nicht eine gewisse Anzahl von undemokratischen in der deutschen Öffentlichkeit eine gewisse Beun-
Helfershelfern an der Saar besäße, mit seinen ruhigung über den Gesamtkurs unserer Außenpo-
hohen Idealen der Freiheit, Gleichheit und Brüder litik eingetreten wäre und als ob die Gefahr ent-
1116 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein)
stünde, mehr in eine — wie soll ich es ausdrücken? und weil wir meinen, daß nur auf einer Basis der 1
— Außenseiterpolitik hineinzukommen als in eine Gleichberechtigung ein wahres Europa errichtet
Außenpolitik. werden kann.
(Sehr gut! bei der SPD.) Man kann Europa nicht dadurch schaffen, daß
Es ist ein gewisses Mißtrauen entstanden, und man zuerst einmal Grundsätze preisgibt, auf denen
zwar auch in der Weltöffentlichkeit, hervorgerufen es ruhen soll.
durch unsere Betriebsamkeit, durch unsere Hast; (Sehr gut! bei der SPD.)
vielleicht, daß weniger mehr gewesen wäre, auch Was heißt hier „Europäisierung" oder gar „echte
im Hinblick auf die Verwirklichung der Europä- Europäisierung"?
ischen Verteidigungsgemeinschaft. Tatsache dürfte
doch wohl sein, daß, je mehr wir angeboten haben, (Sehr gut! bei der SPD.)
desto höher von der anderen Seite der Preis ge- Wenn ich mir ein Paar Schuhe kaufe, dann sollen
stiegen ist. es Lederschuhe sein, und wenn mir der Verkäufer
(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen] : Wer hat sagt, es seien echte Lederschuhe, dann bin ich sehr
denn angeboten?) mißtrauisch.
Hier spielt die Saar eine entscheidende Rolle. Es (Beifall bei der SPD.)
ist der archimedische Punkt, an dem man versu- Europa ist eine Gemeinschaft des Rechtes, der Sitte,
chen kann, das Gesamtunrecht aus den Angeln zu und Europa kann nicht geschaffen werden, indem
heben. Was heißt hier überhaupt „Saarfrage", man zuerst ein Stück eines anderen Landes ab-
meine Damen und Herren? Auch ich verwende das trennt und das mit einer europäischen Etikette
Wort. Man sollte es eigentlich gar nicht verwen- versieht.
den. Es ist künstlich geschaffen. Es gab keine Saar- Man sage uns nicht, daß es ein kleines Problem
frage mehr. Wir wissen, woher sie kommt, wo sie sei im Verhältnis zu viel größeren! Manche von
wiedergeboren wurde, auch wenn es der deutschen Ihnen werden noch die Sitzung des Völkerbundes
Öffentlichkeit noch nicht so ganz zum Bewußtsein in Genf miterlebt haben, in der Reichsaußenmini-
gekommen ist. Auf der zweiten Konferenz von ster Stresemann, schon vom Tode gezeichnet,
Quebec im September 1944 wurde die Saarfrage zum letzten Male sprach, in jener Sitzung, in der in
neu geschaffen, und zwar im Morgenthau-Plan, einer großen lebendigen Vision der damaligen Zeit
(Abg. Dr. Mommer: Hört! Hört!) von den „Vereinigten Staaten von Europa" gespro-
und es ist bezeichnend, daß die Grenzen im Osten chen wurde. Und Stresemann sah die Saar als nicht
und im Westen für das Nachkriegsdeutschland im zu gering an, um sie zu erwähnen und um auszu-
selben Absatz des Protokolls von Quebec enthalten führen, daß dieses Europa von der Lösung dieser
sind. Frage abhängt. Wir meinen also, auch historisch
in guter Gesellschaft zu sein, und wir meinen, daß
(Abg. Dr. Mommer: Hört! Hört!) man einem nicht ein Opfer zumuten kann, durch
Man weiß heute, wer die Väter dieses Plans der das niemandem geholfen wird, am wenigsten
Gesamtdemontage Deutschlands gewesen sind. Man Europa.
weiß, daß es zum großen Teil Männer waren, die Auch nicht wegen der EVG! In der vergangenen
im bezahlten Dienst der, Sowjetunion standen, und Woche hat Paul Bourdin in der „Zeit" vielleicht
man weiß, wozu diese Bestimmungen hineinkamen: das Abschließende darüber geschrieben, ein ausge-
um Unruhe zu schaffen in Europa, um ein Pro- zeichneter Journalist, wenngleich er sich manchmal
blem zu kreieren, das Deutschland und Frankreich ein wenig — —; na, ich brauche es nicht auszufüh-
auseinanderhalten würde. ren; gerade deswegen vielleicht ein besonders be-
Man kann ja wohl in diesem Zusammenhang die merkenswerter Mann! Er führte aus, daß die
nationalen Interessen Frankreichs mit den natio- Schwierigkeiten mit der Ratifizierung der EVG
nalen Interessen Deutschlands nicht ohne weiteres gar nicht so sehr in der Saarfrage begründet sind
identifizieren. Denn was Deutschland anlangt, be- als in den internen Verhältnissen Frankreichs. Wir
steht doch wohl ein Recht, ein unbestreitbares Recht glauben daher, daß von unserer Seite schon alles
auf das Saargebiet, während von seiten Frank- geschehen ist, was nur vernünftigerweise verlangt
reichs ein solches Recht nicht gegeben ist. Es wäre werden kann, um unsere Bereitschaft für Europa
ein Vorwurf, der einen nicht treffen könnte, wenn zum Ausdruck zu bringen.
gesagt würde, daß wir alle, die wir für das deutsche Ich habe gesagt, daß man ohne Unterschied der
Recht eintreten, deshalb Chauvinisten seien, gar Parteien in der deutschen Öffentlichkeit die heutige
Feinde des Friedens und Europas. Debatte mit wachsamster Aufmerksamkeit ver-
In diesem Hohen Hause sitzen in allen Parteien folgt. Das wird jeder bestätigen können, der in
Männer und Frauen, die sich gegen jede Phase der das Volk hinausgeht, in dieses Volk, wo es längst
Hitlersehen Aggressionspolitik mit all ihren Kräf- über alle Trennungen hinweg in dieser Frage eine
ten zur Wehr gesetzt haben. Sie taten es aus Liebe Art von Großer Koalition gibt, die wirklich alle
zu Deutschland und aus Liebe zum Rechte, und sie Kräfte umspannt, die sich ehrlich für Europa und
taten es deshalb, weil sie erkannten, daß jedes die Demokratie einsetzen. Die Saarfrage hat auch
Unrecht zur nationalen und zur europäischen Ka- nichts zu tun mit irgendwelchen Sonderinteressen
tastrophe führen muß. Wir wehren uns heute ohne einzelner sozialer Stände und Schichten. Kollege
Unterschied der Parteien nicht deshalb gegen neues Walz hat eben ausgeführt, daß an der Saar die
Unrecht, weil wir gegen Europa wären, und nicht Gewerkschaften unterdrückt werden, daß das
deshalb, weil wir Feinde Frankreichs wären. Weiß selbstverständlichste Recht moderner Demokratie,
Gott, wir sind es nicht! Wir glauben an die Ver- nämlich daß die Arbeiterschaft durch freie Gewerk-
ständigung und an die Freundschaft mit Frank- schaften vertreten sei, an der Saar nicht geachtet
reich. Wir wehren uns gegen das Unrecht aus Liebe wird.
zu Europa, Während Europa, dieses Resteuropa, sich gegen
(Beifall bei der FDP) die Massenenteignungen durch den Bolschewismus
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1117
(Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein)
wehrt, herrscht an der Saar bereits der kalte Bol- die nicht uns, sondern dem ganzen deutschen Volk
schewismus. gehören.
(Sehr gut! bei der SPD.) (Beifall bei der FDP und SPD.)
Die deutschen Vermögenswerte sind schutzlos je- Abschließend darf ich von dieser Stelle einen
dem politischen Willkürakt preisgegeben. Kohlen- Appell an die Vereinigten Staaten, an Großbritan-
gruben, Hüttenwerke, Banken, Versicherungen, nien und auch an Frankreich richten. Es geht hier
Unternehmungen aller Art in einem Gesamtwert um das Prestige der deutschen Demokratie. Wenn
von schätzungsweise 6- bis 700 Millionen Dollar diese deutsche Demokratie ihr Gesicht verlöre,
sind praktisch schon enteignet. Dieselbe Gefahr be- wenn sie kompromittiert würde, wäre Deutsch-
droht jeden kleinen Mann, wenn er sich politisch land nicht mehr ein bündnisfähiger Faktor. Wenn
mißliebig macht. Man sage nicht, daß man die Saar diese deutsche Demokratie kompromittiert würde,
nicht mit dem Osten vergleichen könne; der Terror wäre das eine unendliche Gefahr nicht nur für un-
sei dort viel stärker. Gewiß, das politische Klima ser Volk, durch den heraufsteigenden Radikalis-
in Westeuropa ist milder. Aber das, was dort ge- mus, sondern für die gesamte freie Welt.
schieht, genügt völlig, um die politische Willens- Meine Damen und Herren, ein Verzicht unserer-
freiheit zu unterdrücken; seits wäre also rechtsunwirksam.
(Sehr wahr! bei der SPD) (Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!)
und wie man Angst hat vor dieser Freiheit, ergibt Wir würden uns damit vor dem deutschen Volk
sich aus dem Verbot freier Parteienbildung, schuldig machen.
(Sehr richtig! bei der SPD) (Abg. Arnholz: Sehr gut!)
es ergibt sich aus der Unterdrückung der Presse. Unser Freund Reinhold Maier hat vor wenigen
Tagen gesagt: Die Machthaber des Ostens werden
(Beifall bei der FDP und SPD.) eines Tages, wenn die Wiedervereinigung kommt,
Wenn von Zeit zur Zeit Beschwerden kommen, wegen ihrer Vorgriffe und Preisgabe der Oder-
weil aufrechte Leute Zeitungen von der Bundes- Neiße-Linie erröten müssen. Wir, sagte er, wollen
republik hinübergebracht haben, so muß man fra- nicht erröten müssen.
gen: warum ist das nötig? In ein freies Land (Beifall bei der FDP und SPD.)
braucht man nicht Zeitungen von anderswoher zu Es wird gefragt, welche Mittel wir denn haben.
bringen. Es muß geschehen, weil die Stimme der Das Recht ist keine Fiktion! Das Recht ist eine
Demokratie an der Saar selber nicht gehört wer- Realität, und zwar eine politische. Wenn wir für
den kann. dieses Recht eintreten, treten wir nicht nur für ein
(Sehr richtig! bei der SPD..) deutsches Recht, sondern für ein allgemeines Men-
Meine Damen und Herren, vielleicht ist das Fol- schenrecht ein, das jede Nation betrifft. Wir wer-
gende zu volkstümlich für dieses Hohe Haus; aber den in der ganzen Welt Freunde und Bundesgenos-
wir sind Vertreter des Volkes, und deshalb darf sen finden, die auf unsere Seite treten.
erwähnt werden, wie man draußen im Lande den Wir sind bereit — ich brauche es nicht zu wie-
Goes-van-Naters-Plan nennt: man spricht vom derholen —, jede vernünftige wirtschaftliche Kon-
Goes-van-Morgenthau-Plan. zession zu machen. Wir wollen Frankreich im In-
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Pfui!) teresse des Friedens bis zum Äußersten entgegen-
kommen. Diese Konzessionen müssen aber von
Ich darf vielleicht auf eine merkwürdige Sache ganz Deutschland gebracht werden, nicht von
hinweisen. einem einzelnen Teil unseres Vaterlandes.
(Abg. Lücke: Wer hat Ihnen das gesagt?) So wage ich zu behaupten, daß in den Händen
dieses Deutschen Bundestags, der für alle Deut-
— Überall, wo ich hinkomme, in den Versamm- schen zu sprechen berufen ist — in der Bundesre-
lungen verschiedenster Parteien, ganz gleich wel- publik, im Saargebiet und jenseits des Eisernen
cher Gruppen! Vorhangs —, die Zukunft eines wahren Europas
(Abg. Lücke: Das ist doch übertrieben!) liegt, jenes Europas, das nur gedacht werden kann
als eine Gemeinschaft unabdingbaren Rechtes, als
Darf ich vielleicht auf folgendes hinweisen, was eine Gemeinschaft freier, demokratischer und
ich persönlich nicht verstehe. Ich habe am 21. Ja- gleichberechtigter Nationen.
nuar an den Herrn Staatssekretär des Äußeren die
Frage gerichtet, ob das kommende Gutachten der (Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei
Bundesregierung vom van-Naters-Plan unab- Abgeordneten des GB/BHE.)
hängig sein oder ihn zum Ausgangspunkt nehmen Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
wird. Herr Staatssekretär, Sie haben mir geant-
Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
wortet, dieses Gutachten wird unabhängig sein. Ich
verstehe nicht, wie die Entwicklung weiter gelau- D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU): Herr Präsident!
fen ist; denn nur wenige Wochen später las man Meine Damen und Herren! Ich darf mir in meiner
in der Presse, daß dieser Plan die offizielle Grund- Eigenschaft als Vorsitzender des Auswärtigen Aus-
lage der Verhandlungen geworden ist. Ich ver- schusses des Bundestages eine Bemerkung vorweg
stehe das nicht. Vielleicht versteht man es draußen erlauben, die sich auf die Kritik bezieht, die der
auch nicht ganz. Zwar sprechen die Historiker so Herr Fraktionsvorsitzende der SPD heute vormit-
gern von der Kontinuitätslosigkeit der deutschen tag daran geübt hat, daß die Sitzung des Aus-
Geschichte. Aber Kontinuitätslosigkeit in so kurzer wärtigen Ausschusses gestern abgesagt werden
Zeit?! mußte. Meine Damen und Herren, ich bedauere
Was über das Provisorium zu sagen ist, hat Ihnen mit Herrn Ollenhauer, daß die Sitzung des Aus-
Herr Dr. Becker vorhin dargelegt. Ich meine, daß wärtigen Ausschusses gestern abgesagt werden
wir nicht die rechtliche Befähigung besitzen, auch mußte. Es ist aber eine gute Übung in diesem
nur provisorisch auf Hoheitsrechte zu verzichten, Hause, daß, wenn große Fraktionen darum bitten,
1118 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(D. Dr. Gerstenmaier)
dem Wunsch nach Möglichkeit entsprochen wird. lichen Gesichtspunkt für uns irgend etwas zu ge-
Ich darf daran erinnern, daß der Herr Fraktions- winnen wäre. Ich wiederhole: Wir haben das für
vorsitzende der SPD in einer der vorletzten Sitzun- ein Unglück gehalten. Wir haben es auch aus an-
gen ebenfalls um Vertagung gebeten hat und daß deren Gründen, von denen ich glaube, daß sie
ich diesem Wunsche entsprochen habe. Ich be- zwingende Rechtsgründe sind, von Anbeginn an
dauere, daß es mir infolge der Anwesenheit in abgelehnt, und wir lehnen es auch heute ab. Wir
Paris in der Sitzung des Allgemeinen Ausschusses sind nämlich der Meinung, daß das Junktim
des Europarats nicht möglich war, die Mitteilung zwischen der EVG und der Saarlösung für dieses
selber zu lesen und sie selber hier abzuverfügen. Haus deshalb unzumutbar ist, weil man uns, wenn
Sie hätten sonst auch die Gründe gehört. man so etwas auf der andern Seite im Auge ge-
(Abg. Brandt [Berlin] : Diesmal gab es habt hat, bei der Unterzeichnung spätestens nach
doch eine Vereinbarung, Herr der Unterzeichnung der Verträge darüber hätte
Gerstenmaier!) unterrichten müssen, daß ein anderer Partner nur
unter der Bedingung zu ratifizieren gedenke, daß
— Es gab keine Vereinbarung, sondern eine Ent- auch die Saar in irgendeiner Weise in die Lösung
scheidung auf Grund einer Bitte, die von der CDU/ mit hineingenommen werde. Davon kann aber gar
CSU-Fraktion genau so wie seinerzeit die Bitte keine Rede sein. Niemand hat uns das gesagt, und
der SPD-Fraktion an mich herangetragen worden wenn man es uns gesagt hätte, dann hätte ich
war. widerraten, darauf einzugehen. Wir stehen also in-
(Abg. Arnholz: Dann mußte eine Begrün soweit heute in einer völlig freien Situation und
dung gegeben werden! — Gegenrufe von mit reinstem Gewissen vor dem deutschen Volk
der Mitte.) und vor dem Bundestag. Das Junktim zwischen
— Dafür gab es eine Begründung, eine zwingende EVG und Saar haben wir nicht erfunden. Wir
Aussprache in der Fraktion für die heutige haben es von Anfang an bekämpft und bekämpfen
Sitzung. es auch heute noch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Las- (Abg. Dr. Mommer: Dann weiß ich nicht,
sen Sie mich damit zum Thema des Tages kom- weshalb Sie darauf eingehen! Die Tat
men. Nach einer neunstündigen Debatte wird es sachen sind entscheidend!)
unmöglich, die Vielfalt der Gesichtspunkte noch
einmal zu berühren. Ich habe auch nicht den Ehr- Es ist auch gar kein Junktim. Passen Sie auf,
geiz, das hier zu tun. Aber es gibt in dieser De- Herr Kollege Mommer, was ich jetzt sage: Es ist
batte eine solche Serie von Mißverständnissen, ja, gar kein Junktim, es ist nur der einseitige Ver-
von Mißdeutungen in einer Art, daß man sich fragt, such, uns eine Bedingung zu stellen für einen un-
ob sie noch unter dem Begriff der Gutwilligkeit gewissen Debattenausgang. Meine Damen und Her-
verstanden werden können. ren, wenn Sie uns für etwas nicht halten sollten,
(Beifall bei den Regierungsparteien. — dann sollten Sie uns nicht für Träumer halten. Wir
Zurufe links.) sind keine Träumer und keine Illusionisten, und
Dazu gehört, daß uns hier nicht nur von einer, deshalb sind wir auch nicht der Meinung, daß,
sondern von mehreren Seiten geradezu unterstellt selbst wenn wir darauf eingehen würden,
worden ist, wir hätten ein Junktim, eine Koppe- dabei irgend etwas gewonnen werden könnte. Da-
lung, eine Verbindung zwischen der EVG-Ratifi- mit kann nichts gewonnen werden. Es sind inner
zierung und der Saar von unserer Seite gesucht französische Schwierigkeiten, mit denen sich die
oder angestrebt. französische Regierung und das französische Par-
lament auseinandersetzen müssen, nicht aber - wir.
(Zurufe von der SPD: Aber akzeptiert!) Nicht wir haben uns damit auseinanderzusetzen,
Abgesehen von dem Blödsinn, der darin liegt, unter welchen Bedingungen und wann endlich sie
möchte ich mir doch erlauben zu sagen, daß wir die Frage zur Entscheidung bringen, ob und wann
eine solche Verbindung von Anfang an bekämpft sie den unterzeichneten EVG-Vertrag ratifizieren.
haben. Daß wir uns auf eine Art Junktim einlassen, auf
(Abg. Lücke: Sehr richtig!) eine Bedingung eingehen für eine Sache, von der
wir noch nicht einmal wissen, wie denn die De-
Wir haben es für ein Unglück gehalten, daß die da- batte schließlich ausgeht, — meine Damen und
malige französische Regierung beim Abschluß ihres Herren, unterschätzen Sie uns doch wenigstens
Staatsbesuches in Washington solche Verlautbarun- nicht in dieser Weise!
gen wie die in die Welt gesetzt hat, sie beab-
sichtige, die Saarlösung vor der Ratifizierung des (Abg. Lücke: Ausgezeichnet!)
EVG-Vertrages in ihrem Parlament zu klären. Wir Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
haben das nicht nur bedauert, sondern wir haben
das für ein Unglück gehalten. Ich scheue mich gar muß aber zu meinem großen Bedauern den von
nicht, das hier zur Steuer der Wahrheit heute ein- mir persönlich sehr verehrten Herrn Kollegen
mal mit Nachdruck auszusprechen. Ollenhauer doch noch einmal angreifen, und
zwar wegen einer Feststellung, die er heute morgen
(Abg. Dr. Menzel: Das hätten Sie damals getroffen hat und die wir einfach so nicht auf uns
sagen sollen, nicht erst heute!) sitzen zu lassen bereit sind, weil sie der Wahrheit
widerspricht. Herr Kollege Ollenhauer hat wörtlich
Es ist eine unzumutbare Unterstellung; denn was
an uns ist — und zufällig weiß ich auch, was in gesagt, die Bundesregierung habe sich nicht nur
von dem andern Partner die Frage stellen lassen,
dieser Sache an der Bundesregierung war —, so
haben wir dieses Junktim immer mit größtem sondern sie sei auch bereit, sie so zu beantworten,
wie der andere Partner sie stellt. Es fehlte nur
Nachdruck abgelehnt. An der witzigen Rede meines noch, daß er gesagt hätte: sie so zu beantworten,
Freundes Pfleiderer ist mir das eine unver-
ständlich, wie er auch nur von der fernsten Ferne wie der andere Partner sie beantwortet haben will!
auf die Idee kommen konnte, daß in diesem (Abg. Dr. Arndt: Dann haben Sie nicht zu
Junktim unter dem einen oder andern unerfind gehört; Sie müssen besser zuhören!)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1119
(D. Dr. Gerstenmaier)
— Ich habe zugehört, Herr Kollege Dr. Arndt. Ich nicht. Was hat M. Guy Mollet darauf geantwortet?
habe mir das Protokoll geben lassen, Herr Kollege Der Mann soll gelobt werden! Er hat gesagt: „Ich
Arndt. gehöre nicht zu denen, die diese Vorbedingungen ge-
(Zuruf von der SPD: Er hat nicht zugehört!) stellt, gefordert und vertreten haben. Richten Sie
diese Frage an diejenigen, die diese Bedingung ge-
— Aber gewiß: ich habe mir das Protokoll geben stellt haben, nicht an mich; ich gehöre nicht zu
lassen! ihnen!" Auch solche Männer gibt es im franzö-
(Zuruf von der SPD: Lesen Sie doch die sischen Parlament.
Stelle aus dem Protokoll vor!) Ich kann also nur darauf aufmerksam machen,
Er hat gesagt, daß sie — nämlich die Bundesregie- daß jedenfalls die Annahme, von der dieser Teil
rung — auch bereit sei, die Frage so zu beantwor- der Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer
ten, wie der andere Partner sie stellt. Meine Damen ausgegangen ist, grundlegend irrig ist. Es ist kein
und Herren, das ist genau nicht der Fall. Übrigens -Geheimnis, daß die politische Substanz des Naters
kann jedes Mitglied des Europarats, das die Debat- Plans die Anwendung des europäischen Integra-
ten in Straßburg oder in Paris verfolgt hat, das be- tionsgedankens auf eine der bestehenden aktuellen
stätigen. Wir wären mit dem heute so viel zitierten Hauptschwierigkeiten zwischen Deutschland und
Naters-Plan in einer völlig anderen Situation, wenn Frankreich ist.
nur etwas von dem wahr wäre, was Herr Kollege In der heutigen neunstündigen Debatte
Ollenhauer hier gesagt hat. Wenn wir lediglich ein- (Zuruf von der Mitte: Zehnstündigen!)
gegangen wären auf die Fragestellung der fran- ist unendlich viel gesagt worden, um uns gegen-
zösischen Regierung und wenn der Herr Bundes- seitig stark zu machen in der Überzeugung, daß
kanzler auch nur im entferntesten bereit gewesen wir wirklich einen Rechtsanspruch auf die Saar
wäre oder sich bereit gezeigt hätte, die Antwort zu haben. Ich möchte eigentlich wissen, für wen in
geben, die die Herren am Quai d'Orsay zu hören diesem Hause das zu sagen unerläßlich ist. Diese
wünschten, dann, meine Damen und Herren, würde Frage ist völlig unbestritten. Wir reden den ganzen
es um den Naters-Plan etwas anders bestellt sein. Tag in diesem Sinne, denn wir haben niemals die
Dann würde die Situation auch in mancher Hin- Entschließung vom 2. Juli an irgendeinem Punkt
sicht anders sein. Ich sage nicht, daß die Situation verlassen. Wir sind bei allem davon ausgegangen,
befriedigend wäre; ich sage nur, daß sie anders daß die Saar ein Bestandteil Deutschlands, um es
wäre. Das ist aber nicht der Fall. genau zu sagen, ein Bestandteil des Deutschen
Reiches ist. Ich möchte mir zu dem, was die beiden
Es muß auch einmal frei ausgesprochen werden
Herren hier von der Saar gesagt haben, in diesem
— warum eigentlich nicht? —, daß mit der Ver- Zusammenhang zu bemerken erlauben — in der
einbarung vom 9. März in Paris, mit diesem Kom- Hoffnung, daß der saarländische Rundfunk nicht
muniqué es jedenfalls in den Wochen danach nicht
abgeschaltet ist oder jedenfalls die deutschen Rund-
ganz so exakt bestellt war, wie wir es im Anfang
vielleicht annehmen durften. Es hat sich nämlich funksendungen an die Saar kommen —, daß wir
großen Respekt und alle Achtung vor der Reichs-
herausgestellt, daß sich der Quai d'Orsay mitnich- treue der Saarländer haben, denen die uneinge-
ten, jedenfalls bis jetzt nicht, bereit gefunden hat, schränkte politische Bewegungsfreiheit bis zum
-
den in diesem Hause so sehr kritisierten Naters heutigen Tage, Gott sei es geklagt, versagt ist.
Plan im Ernst als Grundlage für eine beabsichtigte
europäische Saarlösung entgegenzunehmen. Das hat Aber was haben wir denn eigentlich von Anfang
der Quai d'Orsay — ich kann nur sagen: zu an getan, als dafür gekämpft, daß diese Bewegungs-
meinem Bedauern — bis jetzt nicht getan, sondern freiheit eingeräumt wird? Im Europarat ging es
der Herr Staatssekretär im Quai d'Orsay hat einen damit los. Es gibt das Dokument Nr. 60, das nicht
anderen Vorschlag gemacht. Dieser andere Vor- nur die Sozialisten unterschrieben haben — das ist
schlag ist noch etwas anderes als eine bloße Inter- wahr —, sondern das wir Deutschen alle mitein-
pretationsverschiedenheit zum Naters-Plan. Das ist ander unterschrieben haben und in dem wir ge-
etwas qualitativ anderes, und heute geht der Streit sagt haben, daß sich die Beratende Versammlung
darum. Die sogenannten bilateralen Verhandlungen des Europarates damit befassen möge, daß endlich
scheinen mir deshalb so schwierig zu sein, weil man an der Saar die uneingeschränkte Gewährung der
in Tat und Wahrheit von ganz verschiedenen politischen Grundrechte hergestellt wird, d. h. daß
Standpunkten und Grundlagen ausgeht und weil der verdammte Lizenzzwang endlich einmal falle.
offenbar diese Situation noch nicht bewältigt ist. Das ist wahr; aber das ist nicht alles.
Wenn es so ist, dann darf man doch auch hinzu- Es gibt auch das Dokument Nr. 54, Herr Kollege
fügen, was neulich ein scharfsinniger französischer Ollenhauer, und damit fing die Geschichte des soge-
Journalist bei einer Pressekonferenz, die M. Guy nannten Naters-Plans an. Der Herr Bundeskanzler
Mollet abgehalten hat, im Chateau de la Muette hat mit seinen heutigen Feststellungen ganz recht
gesagt hat: es stelle sich also offensichtlich heraus, gehabt. Darauf kam nämlich im Europarat der An-
daß der jetzt vom Allgemeinen Ausschuß des Euro- trag, über das zukünftige Statut der Saar zu ver-
parats verabschiedete Naters-Plan, vielleicht zum handeln, sich im Europarat Gedanken zu machen
Unterschied zur ursprünglichen Gestalt des Naters- nicht nur darüber, wie der Lizenzzwang für politi-
Plans, doch viel mehr und weit stärker den deut- sche Parteien schleunigst beseitigt werden könnte,
schen Gesichtspunkten, die auch vom Bundeskanz- sondern sich auch Gedanken darüber zu machen, wie
ler und der Bundesrepublik Deutschland verfochten das zukünftige Statut, die zukünftige Position —
worden seien, Rechnung trage als den Erfordernis- la position future de la Sarre — aussehen solle oder
sen, von denen der Quai d'Orsay bis jetzt ausgegan- könne. Das, meine Damen und Herren, steht in
gen sei. Die Frage, die an M. Guy Mollet an- dem Antrag an die Beratende Versammlung, Do-
schließend noch gestellt wurde, war die, ob er kument Nr. 54, vom 17. September 1952. Ich kann
meine, daß das französische Parlament auf Grund Ihnen nicht helfen, es ist unterzeichnet nur von So-
dieses Naters-Plan-Vorschlags bzw. dieses Europa- zialisten. Es finden sich darunter die Namen unse-
rats-Vorschlags seine dritte Bedingung für die rer Kollegen Altmaier, Nölting, Krahnstöver. Kal-
Ratifizierung der EVG als erfüllt ansehe oder bitzer, Paul, Erler, Schmid usw. Die anderen sind
1120 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(D. Dr. Gerstenmaier)
Franzosen. Damit begann die Geschichte mit dem Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter,
Naters-Plan zu Straßburg im Europarat und nicht es wird eine Zwischenfrage gewünscht.
mit einer Initiative von uns.
Dr. Lütkens (SPD): Ich darf mir die Frage an
(Hört!Hört! bei der CDU/CSU.) den Herrn Abgeordneten Dr. Gerstenmaier erlau-
Man muß das einfach einmal zur Steuer der Wahr- ben, auf Grund welcher satzungsmäßigen Bestim-
mungen des Europarates es der Versammlung er-
heit feststellen. laubt ist, diese Art von Verhandlungen mit frem-
Nachdem uns das beschieden war, war es ganz den Regierungen zu führen, wie verschiedene Mit-
natürlich, daß auch dieser Antrag, der an die Be- glieder des Ausschusses, insbesondere auch Herr
ratende Versammlung des Europarates eingereicht van Naters, es zu tun pflegen.
wurde, ordnungsmäßig an den Allgemeinen Aus- D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU): Herr Kollege
schuß weiterging. Der Allgemeine Ausschuß hat Naters, — —
beide Dinge miteinander verknüpft. Meine beiden (Heiterkeit.)
Kollegen Mommer und Pfleiderer werden mir
bestätigen, daß wir unsererseits, soweit wir an — Verzeihen Sie, Herr Kollege Lütkens! Es ist
diesem Tisch dort überhaupt etwas zu erreichen eine wirkliche, eine echte Verwechslung; das hat
vermochten, immer wieder versucht haben, die gar nichts miteinander zu tun. — Ich antworte auf
Frage der Freiheitsrechte an der Saar in den Vor- diese Frage sehr gern. Ich kann nur sagen, daß die
dergrund zu bringen. Wir haben einen gemein- Verhandlungen, die Herr van der Goes von Naters
samen Antrag eingebracht, dem Entwurf von van mit Regierungen geführt hat, außerhalb dessen
der Goes van Naters ein neues Kapitel 1 voranzu- waren, was ihm vom Allgemeinen Ausschuß der
stellen, in dem nichts anderes stehen sollte, als daß Beratenden Versammlung des Europarates zuge-
unbefristet und ohne alle weitere Kautelen der wiesen war. Was er zunächst bei der Herstellung
Lizenzzwang für politische Parteien an der Saar seines Berichtes getan hat, möchte ich davon aus-
aufgehoben werden soll. Es ist wahr — der Kollege nehmen. Ich bin nicht erfahren genug, um beurtei-
Pfleiderer hat darauf hingewiesen, ich stehe auch len zu können, welche Fühlungnahmen mit frem-
dazu —, ich habe nicht nur in Paris mit Unter- den Regierungen für den Berichterstatter des All-
stützung der Kollegen Mommer und Pfleiderer, gemeinen Ausschusses erforderlich wurden, damit
sondern auch in London im Unterausschuß alles er seinen Bericht zustande bringen konnte. Das
getan, was überhaupt möglich war, um die Be- vermag ich nicht zu sagen. Aber daß alles, was er
seitigung des Lizenzzwanges zu erreichen. Ich kann danach tat, ausschließlich auf sein eigenes und per-
bestätigen, daß ich dabei immer wieder auf die sönliches Risiko ging, das, Herr Kollege Lütkens,
Unterstützung der Bundesregierung gestoßen bin, glaube ich doch feststellen zu können, ohne daß
daß ich sie überall im diplomatischen Bereich ge- wir dabei in irgendeiner Weise der Wahrheit etwas
funden habe. Man kann uns deshalb keinen Augen- abbrechen.
blick nachsagen, daß von deutscher Seite nicht alles, Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir,
was überhaupt denkbar und möglich war, ge- noch ein Wort zu den Vorbehalten zu sagen. Ich
schehen ist, um diesen Skandal an der Saar zu be- fühle mich in dem, was ich in diesen Monaten,
enden. Es ist ein Skandal, daß an der Saar einer- übrigens zum großen Teil mit der dankenswerten
seits die Europäische Konvention zum Schutz der Unterstützung auch meines Kollegen Mommer, ver-
Menschenrechte unterzeichnet und ratifiziert wurde treten habe und zu vertreten mich bemühte, heute
und daß es auf der andern Seite ein Gesetz wie insoweit von dem Herrn Bundeskanzler bestätigt,
dieses Gesetz über die Zulassung der Parteien mit als ich sagen kann, daß die Vorbehalte, die der Herr
dem Art. 2 gibt, wo mit einem Gaunertrick die Bundeskanzler heute in seiner Erklärung dem
Grundrechte wieder eingeschränkt werden. Aber es Deutschen Bundestag vorgetragen hat, in teilweise
kann nicht der mindeste Zweifel darüber sein, daß wörtlicher Übereinstimmung mit den Vorbehalten
hier nicht nur eine einhellige deutsche Auffassung stehen, die ich vor der Abstimmung des Allgemei-
bestand, sondern auch einhellig, gemeinsam nen Ausschusses in Paris vor einigen Tagen vor-
operiert wurde und daß wir dabei jederzeit in allen gebracht habe.
Punkten und auf allen Ebenen, die überhaupt in Ich habe gesagt, mein erster Vorbehalt richte
Betracht kamen, die volle Unterstützung der Bun- sich dagegen, daß die Präambel von einer „endgül-
desregierung hatten. tigen europäischen Lösung" spreche und daß damit
die Präambel im Widerspruch zu dem Art. 1 des
Trotzdem müssen wir uns, solange wir uns im Vorschlags stehe, in dem die Verwandlung des
Bereich der Demokratie befinden, mit Mehrheits- Saargebietes in ein europäisches Territorium unter
entscheidungen, in diesem Falle — Gott sei es ge- den Vorbehalt der Bestimmungen des Friedensver-
klagt — mit sehr traurigen Mehrheitsentscheidun- trages oder einer an dessen Stelle tretenden Rege-
gen abfinden. Die letzte Mehrheitsentscheidung in lung gestellt wird. Ich habe gesagt, daß dies auch
Paris, als wir den Antrag von London erneut vor- geschehen müsse, denn die Lösung der Saarfrage
brachten, war die, daß wir Deutschen gegen alle betreffe die deutschen Grenzen, da die Saar ein
anderen allein geblieben sind, allerdings zugunsten Teil Deutschlands ist. Es wird das Haus interessie-
eines sehr gut gemeinten, eines wirklich redlich ge- ren, zu hören, daß dieser Feststellung gar nicht
meinten Vermittlungsvorschlages des dänischen widersprochen worden ist. Damit das Bild voll-
Sozialisten Jacobsen, der aber unseren grundsätz-
ständig wird, muß ich aber auch hinzufügen, daß
lichen und praktischen Forderungen bei weitem sie auch leider nicht bestätigt worden ist.
nicht zu genügen vermochte. Auch das muß hier
einmal ausgesprochen und klar herausgestellt wer- Es ist unbestritten, so habe ich weiter gesagt,
den. Es kann keine Rede davon sein, daß wir des- daß die endgültige Festlegung der Grenzen
halb, weil wir in diesem Punkte von einer großen Deutschlands bis zu einer zwischen Deutschland
Mehrheit geschlagen worden sind, die gegen uns und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarten
stand, nicht unsererseits alles getan hätten, was friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutsch-
überhaupt in unserer Kraft ist. land aufgeschoben werden muß. Dieser Grundsatz
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1121
(D. Dr. Gerstenmaier)
ist in Art. 7 des Vertrages über die Regelung der nicht nur bei Sozialdemokraten von einiger Pro-
Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutsch- minenz, die bedauerlicherweise in diesem Hause
land und den Drei Mächten ausdrücklich festgelegt. nicht vertreten sind, sondern auch bei Sozialdemo-
Eine Zustimmung der Bundesregierung stände in kraten, die diesem Hause angehören, Anklänge an
Widerspruch zu Art. 7 des Deutschlandvertrages. den ehemals von uns gemeinsam gepriesenen und
Ich muß deshalb insoweit einen ausdrücklichen bekannten Gedanken der europäischen Einigung
Vorbehalt gegen den Art. 19 des van Naters-Planes gibt, wenn wir auch allmählich daran gewöhnt
anmelden. sind, daß man sagt: „Ja, aber nicht Klein-Europa!"
Meine Damen und Herren! Diese Vorbehalte sind Aber, meine Damen und Herren, so wie die Dinge
zur Kenntnis genommen worden, und Sie können stehen, sind nun einmal die Vertragsentwürfe und
sich darauf verlassen, daß wir sie auch dort zu ver- sind nun einmal die Verfassungsentwürfe der Ad-
treten wissen, wo das Thema erneut zur Debatte hoc-Versammlung über die Europäische Politische
stehen wird, nämlich in der Beratenden Versamm- Gemeinschaft das einzige, was konkret diesem Ge-
lung des Europarats. danken in Deutschland, in Europa heute Gestalt,
Form und überhaupt praktische Diskussionsmög-
Meine Kritiker von heute, Herrn Kollegen Ollen- lichkeit verschafft. Deshalb würde ich doch emp-
hauer wie Herrn Kollegen Pfleiderer, möchte ich fehlen, daß man damit etwas vorsichtiger umgeht
noch auf eines hinweisen. Abgesehen von dem, was als so, wie es mein lieber Freund Pfleiderer mit
Herr Kollege von Merkatz hier so eindrucksvoll „Des Knaben Wunderhorn" getan hat unter Beru-
herausgestellt hat, nämlich daß es das natürliche fung auf einen anderen Brentano als den, der zu
Recht eines gewachsenen Volkes sei, jederzeit für unserer Freude hier vor uns sitzt.
seine Ganzheit einzutreten, — neben diesem natür- Meine Damen und Herren, vom Zustandekom-
lichen Grundrecht haben meine Kritiker sich unab- men der Europäischen Politischen Gemeinschaft,
lässig auf den Deutschland-Vertrag berufen, auf
von ihrem Sein oder Nichtsein wird es schließlich
denselben Vertrag also, den Herr Kollege Pfleide- und endlich abhängen, ob die weitaus größte und
rer so sehr lange und so intensiv kritisiert hat mächtigste Idee in diesem von Kriegen und Elend
(Sehr gut! bei der CDU/CSU) heimgesuchten Kontinent nach zwei Weltkriegen
und den Sie, Herr Kollege Ollenhauer, abgelehnt Gestalt gewinnt
haben. (Sehr gut! bei der CDU/CSU)
(Abg. Ollenhauer: Das hat doch nichts zu oder ob wir wieder zurückfallen in die politischen
bedeuten! Das ist doch kein Argument!) Albernheiten des letzten, des ausgehenden 19. Jahr-
Gerade in diesem Deutschlandvertrag stecken die hunderts. Der ganze Charme meines Kollegen
Rechtsargumente, jedenfalls die Rechtsargumente Pfleiderer kann mich nicht davon überzeugen, daß
des positiven Rechts, mit denen wir kämpfen. diese Weisheit der intergouvernementalen Koali-
Warum wollen Sie uns dieses Wenige aus der tion eben doch der beste Weg für Europa sei. Wenn
Hand schlagen? Ich würde der SPD empfehlen, ich mir einen Witz erlauben dürfte, würde ich sa-
wenn sie sich schon zu einer solchen Würdigung gen: er wird doch nicht denken, daß die Diploma-
des Deutschland-Vertrages entschlossen hat, dann ten arbeitslos werden könnten, wenn es zu einer
auch die Politik zu unterstützen, die darauf ge- europäischen Föderation kommt.
richtet ist, ihn überhaupt erst in die Welt zu brin- (Beifall bei der CDU/CSU.)
gen. Selbstverständlich werden die Methoden der inter-
(Beifall bei der CDU/CSU.) nationalen, insbesondere der europäischen Zusam-
menarbeit etwas anders werden als die der - klas-
Herr Kollege Pfleiderer wünscht das vorbehalt- sischen Auswärtigen Ämter, die im 19. Jahrhundert
lose Engagement der Westalliierten für Gesamt- so schön herangewachsen sind und dann zwei Welt-
deutschland. Wir wünschen das auch, meine Damen kriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
und Herren. Wo in aller Welt steht denn aber mit ihrer brillanten Arbeit nicht zu verhindern
etwas, was auch nur in diese Richtung anklingt, wußten. Diese Dinge werden ein wenig anders wer-
wenn nicht in der Präambel und in den Artikeln 2
und 7 dieses von ihm so lange kritisierten Deutsch- den.
land-Vertrages? Man darf aber nicht nur solche (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abge
Wünsche äußern, sondern wenn man schon solche ordneten der FDP.)
Wünsche hat, dann muß man auch eine entspre- Im übrigen: was nützen uns eigentlich heute über-
chende Politik machen und den Mut haben, eine haupt Ausflüge in diese Integrationsdebatte? Meine
solche Politik zu verfechten, eine Politik, die davon Damen und Herren, sie nützen folgendes. Wenn ich
lebt, daß sie die Kraft zu einem konstruktiven recht verstanden habe, ist sowohl der Herr Kollege
Ausgleich aufbringt, der doch nun einmal so, wie Ollenhauer wie der Herr Kollege Pfleiderer der Mei-
die Welt gebaut ist, Voraussetzung eines solchen nung, daß es doch besser sei, den Status quo an
Hand-in-Hand-Arbeitens, eines solchen Engage- der Saar, so schlecht er ist — ganz gewiß, sie sind
ments ehemaliger Kriegsgegner ist. beide nicht der Meinung, daß er gut ist, im Gegen-
- Meine Damen und Herren! Die Kritik am Naters teil, sie sind mit uns der Meinung: „So schnell wie
Plan hat sich weiter auf den Punkt bezogen, von möglich weg von ihm!" —, bestehen, ja ihn zemen-
dem ich allerdings auch n a c h der langen Kritik tieren zu lassen bis zu einem Friedensschluß,
von heute nachmittag der Meinung bin, daß er der (Widerspruch bei der SPD)
weitaus konstruktivste ist, nämlich auf das Junk- als unter dem Aspekt der europäischen Einigung
tim von Saar-Lösung und Europäischer Politischer zu einem Kompromiß zu kommen.
Gemeinschaft. Eigentlich sind zu meinem Bedauern (Beifall bei der CDU/CSU.)
Herr Ollenhauer und Herr Pfleiderer auch hier
einig in der Ablehnung der bis jetzt einzigen kon- Ganz gewiß zu einem Kompromiß; denn, meine
kreten Gestalt der Europäisierung, d. h. der Ver- Damen und Herren, wenn wir tun könnten, was
einigung Europas. Ich stelle immer wieder zu mei- wir wollten,
nem eigenen Trost fest, daß es hin und wieder (Lebhafte Zurufe von der SPD)
1122 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(D. Dr. Gerstenmaier)
dann, glaube ich, würden wir uns über die Saar sie über uns hereinbrechen, erschlagen sie Sie —
wenigstens nicht mehr sehr lange streiten. von der Opposition — ebenso wie uns. Die eine
(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zu dieser beiden Gefahren ist die der Auskreisung
ruf von der SPD: Das war Ihr zweiter Deutschlands,
Witz!) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
Außerdem, meine Damen und Herren, möchte ich d. h. des Hinauswürfelns Deutschlands aus der ge-
doch einmal auf diese Binsenwahrheit hinweisen sicherten Existenz in der Gemeinschaft der freien
dürfen: Es sieht gelegentlich so aus, als ob eigent- Völker. Wir sind doch noch nicht zu Ende. Wir
lich w i r dieses Saarelend sozusagen in dieser Ge- haben doch den EVG-Vertrag noch nicht; wir haben
stalt hingedreht hätten. doch den Deutschland-Vertrag noch nicht. Wir sind
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) immer noch in einem unerhörten Maße gefährdet,
Wo kommt es denn her? Neulich hat irgendeiner, nicht allein vom Osten her, sondern auch dadurch,
den ich sonst als einen klugen Mann schätze, gesagt, daß sich im Westen einige Leute überlegen könn-
es sei ein Musterstück, eine Paradeleistung der fran- ten, die vielleicht binnen kurzem die Macht haben,
zösischen Diplomatie. Meine Damen und Herren, daß es nicht so wahnsinnig empfehlenswert sei,
es ist weder ein schuldhaftes Unterlassen von uns sich mit diesen Deutschen für die nächsten paar
— gar keine Rede davon! —, noch ist es ein Glanz- hundert Jahre zu verheiraten, und die es dann
stück der französischen Diplomatie, was heute an vorziehen würden — entschuldigen Sie, wenn man
der Saar ist, sondern es ist zunächst und in erster das ausspricht! —, die Deutschen draußen im Nie
Linie eine ganz erbärmliche Folge des von Adolf mandsland zwischen Ost und West zu sehen.
Hitler zu verantwortenden zweiten Weltkrieges.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Diese Gefahr ist noch nicht ganz gebannt. Des-
Zurufe links und rechts. — Gegenrufe in halb muß sie hier vor das deutsche Volk hinge-
der Mitte.) stellt werden. Die Gefahr der Auskreisung Deutsch-
lands muß gesehen werden. Wir kämpfen darum,
Wenn man sich das vor Augen hält, — — mit ganz Deutschland in eine gesicherte Existenz,
(Anhaltende Zurufe und Gegenrufe. — in die Gemeinschaft der freien Welt hineinzukom-
Große Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) men. Da wir das wollen, da wir das wollen müs
— Also schreien Sie doch ruhig noch ein bißchen; sen , meine Damen und Herren, lassen wir uns
dann kann ich mich inzwischen erholen! auch nicht von Argumenten beeindrucken oder be-
irren, von denen wir nicht behaupten, daß über-
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
haupt nichts an ihnen sei, sondern die wir an sich
Herren! Die Debatte wird durch diese lauten Ge-
würdigen, von denen wir aber doch sagen müssen,
spräche nicht entspannt!
daß andere Argumente von höherer Rangordnung
D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU): Meine Damen dagegenstehen. Die Rangordnung muß gesehen
und Herren! Diese Ausgangsposition haben wir werden!
alle miteinander vorgefunden. Allerdings sollte die (Beifall bei der CDU/CSU. —
famose Saarverfassung in vieler Hinsicht in die Zurufe von der SPD.)
Geschichte eingehen. Man sollte sie in juristischen
und anderen Seminaren vorlegen und als ein Bei- Ein Zweites. Meine Damen und Herren, ich ver-
spiel dafür hinstellen, wie man eine Verfassung lasse mich darauf, wenigstens an diesem Punkte
nie machen darf. Diese Verfassung des Saarlandes bei Ihnen in der Opposition Verständnis zu finden.
ist datiert vom 15. Dezember 1947. Das war Wir sind uns doch gelegentlich einig gewesen-über die
einige Zeit, bevor wir uns hier zusammengetan Gefahr des deutschen Nationalismus. Ich habe noch
haben. Sie bereitet uns sehr viel Kummer. Wenn nie davon geredet, daß ich Ihnen diesen Vorwurf
man sich diesen Ausgangspunkt vergegenwärtigt, mache; ich sage aber, daß die Gefahr der Wieder-
dann kann man doch weiß Gott nicht sagen, daß kehr eines ungeläuterten deutschen Nationalismus
die Bundesregierung oder sonst jemand in diesem in diesem Volke leider offenbar immer noch nicht
Hause aufgehört habe, die Zugehörigkeit der Saar ganz überwunden ist. Was steht denn dafür? Die
zu Deutschland zu beachten. Ich möchte es einmal ungeheure Verführung, ja die Gefahr, daß die an-
verschärfen und sagen: aktiv zu beachten. Un- deren, die jenseits der deutschen Grenze zu be-
ablässig, wo wir auch immer stehen und wo wir finden haben, uns in eine Situation hineinjagen,
von der Saar reden, denken wir daran, daß diese in der uns gar nichts anderes mehr übrig bleibt,
Saar ein Teil Deutschlands ist, denken wir daran, als die Hinwendung zu einer Politik des bloßen
daß die Saarländer, gleichgültig, was sie auf ihre Revisionismus, der Politik des nationalen Revi-
Pässe schreiben, Deutsche sind. Man soll uns doch sionismus. Und, meine Damen und Herren, was
nicht unterstellen oder so tun, als ob wir das nicht auf diesem Pflaster zu erwarten ist, das haben wir
sehen wollten oder als ob wir das nicht wahrhaben doch nun exerziert nach dem Tode Stresemanns
wollten. bis zum glorreichen 30. Januar 1933! Wir haben
nur die Möglichkeit: die deutsche Politik, solange
(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Zurufe links.) es irgend geht, unter das Leitbild der europäischen
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist nun Vereinigung oder unter das der Rückkehr zu einer
einmal so, daß man in dieser Frage nur dann zu erst moderierten und dann immer rasanter werden-
einem Urteil mit Augenmaß kommen wird, wenn den Politik des nationalen Revisionismus zu stellen.
man die Begründungszusammenhänge und den Das letztere wollen wir nicht, wir sind gebrannte
Aspekt in die Zukunft hinein sieht, unter denen Kinder, und es hat keinen Zweck, nachher vor den
diese Frage verstanden und gesehen werden muß. Generälen zu warnen. Man muß eine richtige Po-
litik machen, in der die Generäle kein entscheiden-
Es ist doch Tatsache — und ich sehe gar nicht des Wort haben.
ein, warum es nicht nachgerade mit allem Nach-
druck und mit aller Schärfe ausgesprochen werden (Lebhafter Beifall in der Mitte und bei
soll —, daß zwei Gefahren über uns stehen. Wenn Abgeordneten der SPD. — Zurufe links.)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1123
(D. Dr. Gerstenmaier)
Herr Kollege Ollenhauer, ich habe mit Sozialdemokratische Partei Deutschlands minde-
großer Aufmerksamkeit heute den Teil Ihrer Dar- stens noch nicht als letztes Wort ansehen. Vielleicht
legungen gehört, in dem Sie zu einem Gedanken machen Sie uns im Herbst einen neuen verbesser-
zurückgekehrt sind, über den wir uns im Herbst ten Vorschlag, der einige, wenigstens einige be-
letzten Jahres gegenseitig an diesem Rednerpult scheidene, aber reale Ansatzpunkte hat. Der jetzige
unterhalten haben. Ich habe mich etwas gewundert, Vorschlag hat noch weniger reale Ansatzpunkte
daß Sie den Gedanken wieder aufgenommen haben. als der Vorschlag, den Sie im Herbst 1953 gemacht
Es ist monatelang darüber still gewesen. Nun gut, haben.
Sie haben ihn heute wieder in die Diskussion ge- (Beifall in der Mitte. — Abg. Baur [Augs-
stellt, und mein freundschaftlicher Zuruf an mei- burg] : Nur was ihr sagt, ist real.)
nen Freund von Brentano bezweckte, diesem Ge- Aber noch eine andere Sache.
danken nach Möglichkeit noch in seiner Rede ge- (Lebhafte Zurufe von der SPD. —
recht zu werden. Ich bin der Meinung, daß Ihnen Gegenrufe von der CDU/CSU.)
und uns nichts geholfen ist, wenn wir sagen: die — Hören Sie her, ich bemühe mich sowieso schon,
Sozialdemokraten bieten ja keinen neuen Vor- einigermaßen interessant für Sie zu sprechen. Sie
schlag, sie bieten keine neue Idee. Es ist wahr, dürfen auch nachher wieder reden. Aber ich wollte
Kollege Ollenhauer, und ich habe es zur Kenntnis gerade einen Ihrer Freunde loben.
genommen, daß Sie heute einen Gedanken in neuer
Form vorgetragen haben, den Sie schon einmal (Große Heiterkeit. — Zuruf von der SPD:
hier angesprochen haben, und daß Sie offenbar Gefährlich! — Darauf legen wir keinen
der Meinung sind, es gebe eine reale Möglichkeit Wert! — Weitere Zurufe von der SPD.)
für die Bundesregierung und für dieses Haus, die- Es handelt sich um die Rede von Herrn Dr. Deist.
sen Gedanken konstruktiv in die europäische und Wir haben in diesem Hause im alten Bundestag
in die Weltpolitik einzuführen. Herr Kollege Ollen- auch die Reden über die Montan-Union, über den
hauer, ich will kein Wort davon sagen, was etwa Eintritt in die Montan-Union gehört. Ich kann nur
an dieser Konstruktion, die Sie uns hier vor Augen sagen: Hier stelle ich einen sachlichen Fortschritt
geführt haben, reizvoll sein könnte. Ich gehöre zu fest. Der Herr Kollege Deist hat bedauerlicher-
denen, die das Erstehen der Vereinten Nationen weise dem alten Bundestag nicht angehört. Viel-
nicht nur mit großem Interesse, sondern mit großer leicht wäre es dann schon damals anders gewesen.
innerer Anteilnahme verfolgt haben. Wenn ich mir Aber was er neulich in der Gemeinsamen Ver-
seinerzeit gelegentlich der Debatte im Herbst eine sammlung in Straßburg vorgetragen hat, das hat
Warnung davor erlaubt habe, die deutsche Sicher- nicht nur den Fachmann verraten, sondern das hat
heit im Rahmen des Weltsicherheitsrats der UNO auch den Mann gezeigt, der sich möglichst frei hält
zu suchen oder zu begründen, dann geschah das von den allgemeinen Parolen und mittendurch
nicht aus irgendeinem Bedürfnis nach herabsetzen- einen klaren und gehbaren und brauchbaren Weg
der Kritik an der UNO, o nein, meine Damen und sucht. Meine Damen und Herren, wie wäre es, wenn
Herren; im Gegenteil, es geschah im Bedauern, Sie dieser Methode Deist auch im übrigen, min-
daß die UNO-Konstruktion mitsamt dem Welt- destens im Bereich Ihrer Außenpolitik, folgten und
sicherheitsrat nicht imstande gewesen ist, diese sich ihr anschlössen?
Welt in einem globalen Sicherheitssystem zusam- (Beifall bei der CDU/CSU.)
menzuhalten, obwohl alle Voraussetzungen dafür Da wir vor keinen sehr ernsthaften Wahlkämpfen
gegeben waren. stehen, können wir es uns doch erlauben, nun ein-
(Beifall bei der CDU/CSU.) mal ganz ruhig zu sprechen. Ich muß noch einmal-
Nun, Kollege Ollenhauer, es sind inzwischen sagen: Deutschland kommt allmählich in eine Si-
einige Dinge passiert, die ich mir in diesen Nach- tuation, in der es der zusammengefaßten Kraft
mittagsstunden überlegt habe. Aber ich muß doch dieses Hauses bedarf. Jahrelang habe ich von etwas
zusammenfassend sagen, daß ich nicht einsehen geschwiegen, was ich als Anfänger hier auf dieser
kann, warum der Gedanke, den Sie jetzt wieder Bühne im Herbst 1949 gesagt habe und was ich
aufgegriffen haben, heute, im Frühjahr 1954, immer wieder gedacht habe in Erinnerung an ge-
größere Chancen haben sollte als im Herbst 1953. meinsame Freunde. Ich habe geschwiegen von dem
Im Frühjahr 1954 hat sich die Situation in Asien Versuch einer gemeinsamen Außenpolitik. Ich will
in einer unerhörten Weise zugespitzt im Verhält- auch jetzt nicht davon reden. Aber vielleicht könnte
nis zum Herbst 1953. Das Problem Korea ist immer der ungeheure Ernst der weltpolitischen Situation
noch nicht aus der Welt. Vor allem haben wir in- uns veranlassen, unsere Position auf der einen wie
zwischen etwas erlebt, worüber wir vielleicht zu- auf der andern Seite einmal unter dem Gesichts-
nächst verschieden gedacht und geurteilt haben, punkt zu überprüfen, ob sich sachliche Möglich-
nämlich wir haben die Viererkonferenz und ihr keiten klarer herausstellen lassen, die wir vielleicht
Scheitern erlebt. Herr Kollege Ollenhauer, minde- gemeinsam auf die Schultern nehmen könnten.
stens die Zuspitzung der Dinge in Asien und das (Zurufe von der SPD.)
Scheitern der Viererkonferenz sowie die enormen In Sachen Montan-Union hat Herr Deist schon so
Schwierigkeiten, deren Zeuge wir als Zuschauer im etwas wie den Silberstreifen a m Horizont in dieser
Blick auf Genf sind, zusammengenommen, können Richtung heraufgeführt.
uns doch nun nicht ermutigen, etwa einen Beschluß
zu fassen derart, der Bundeskanzler möge seine (Erneute Zurufe von der SPD.)
Politik nicht etwa überprüfen, sondern umkehren Ich glaube, daß wir uns jedenfalls im klaren sein
und auf diese höchst labilen Tatbestände gründen. sollten, welche Politik Sie auch vertreten wollen,
daß es keine Politik sein darf, die den Kräften
(Sehr gut! in der Mitte.) in der Welt Vorschub leistet, deren letztes Ziel
Meine Damen und Herren, das kann man nicht tun. offenbar doch nicht das Hereinnehmen der frei
Es ist nicht einfach Banalität der parteipolitischen heitsbedürftigen und freiheitsentschiedenen Deut
Auseinandersetzung, wenn wir sagen, wir können schen in die freie Welt ist, sondern deren letztes
diese Auskunft von Herrn Ollenhauer für die große Ziel doch das Ausbooten, die Auskreisung Deutsch-
1124 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(D. Dr. Gerstenmaier)
lands aus der freien Welt zu sein scheint, sein Hin- Wir werden — darauf können Sie sich verlassen
überschleudern in das Niemandsland zwischen Ost — alles tun, was überhaupt möglich ist, um den-
und West. jenigen, die das freie Deutschland und das noch
Auch der Blick auf die Entwicklung der Atom- unter der Sklaverei lebende Deutschland aus der
waffen, auf die damit zusammenhängenden Dis- freien Welt auskreisen wollen, dieses Geschäft so
kussionen über die periphere Strategie haben doch schwer wie möglich zu machen. Darauf können
eine Veränderung des Bildes geschaffen, das seiner- Sie sich verlassen, daß wir dazu unsere Hände und
zeit bestand. Sie haben ein anderes weltpolitisches unsere Köpfe brauchen werden.
Bild hervorgerufen, als es damals bestand, als die (Erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
SPD im Frühjahr 1950 ihren außenpolitischen Kurs Im übrigen brauchen wir jetzt — auch in der Saar-
festlegte. Ich meine, mindestens die Veränderung frage — nicht nur den Blick für große Aspekte,
der Weltsituation sollte nun Anlaß geben, diese sondern was wir brauchen, ist die ganz einfache
Revision zu vollziehen, die überfällig geworden ist. Zivilcourage. Was wir brauchen, ist der Mut zum
(Zuruf von der SPD: Für Sie!) vertretbaren Kompromiß.
Daß es sich im Kreml nicht um eine Bremse des (Zurufe von der SPD.)
Vormarsches gehandelt hat, als Josef Stalin starb, — Ich weiß, meine Damen und Herren, sonst, bei
das wissen wir ja nun inzwischen auch. Die Kampf- den Angelsachsen, ist der Kompromiß eine Tugend.
stätten Asiens sind Signale! Und wer von uns hat In Deutschland ist er kompromittierend. Nun, wer
denn eine Garantie, daß wir mit unseren Kindern in der Situation, in der sich Deutschland befindet,
und Kindeskindern von ähnlichem verschont blei- mit dem unbewältigten Erbe eines zweiten Welt-
ben werden? — Es ist höchste Zeit! krieges, nicht den Mut zum Kompromiß mit seinen
Es ist bei weitem nicht an dem, und man komme Nachbarn hat, der kann mir leid tun!
uns doch nicht immer wieder damit, daß man uns (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
andichtet, daß wir uns sozusagen in einer Hysterie Wir sind darauf gefaßt, jeder Verdächtigung die
der Termine oder des Nichtzeithabens befinden. Stirne zu bieten, und man wird uns verdächtigen,
Wer setzt dem deutschen Volk eigentlich diesen man wird uns Feiglinge heißen, man wird uns
Floh ins Ohr, meine Damen und Herren? Glauben „vaterlandslose Gesellen" beschimpfen.
Sie, Prinz Löwenstein, wir würden gelobt, wenn
(Lachen und Zurufe bei der SPD.)
etwa der Bundeskanzler die Hände in den Schoß
sinken ließe und in dem stimmungsvollen Palais — Na, sehen Sie, auf das ziehen Sie! Das ist be-
Schaumburg die Baumblüte und den strömenden kannt! Die Parole kennen Sie! Meine Damen und
Rhein ansehen würde? Herren, ich kann Ihnen nachfühlen, daß Sie sich
nicht noch einmal nachsagen lassen wollen, vater-
(Große Heiterkeit.)
landslose Gesellen zu sein.
Herr Prinz zu Löwenstein, die Weltgeschichte — Wo es sich aber um Deutschland, um die Freiheit
das sollten Sie doch wissen! — ist kein botanischer seiner Menschen und um seine Zukunft in der Ge-
Garten,
meinschaft der europäischen Völker handelt, da
(erneute große Heiterkeit und lebhafter werden wir jedenfalls auch den Mut haben, uns
Beifall in der Mitte) solchen Vorwürfen und Verdächtigungen zu stellen
sondern hier muß gehandelt, hier muß entschieden und mit Mannesmut unseren Weg geradeaus zu
werden. gehen.
(Zurufe von der SPD.) (Lebhafter Beifall bei den Regierungs
Meine Damen und Herren, es gäbe noch mehr parteien. — Lachen und Zurufe bei- der
Stoff für eine längere Rede am Abend einer SPD.)
solchen Debatte; aber ich nehme an, daß der Herr
Kollege Wehner auch noch sprechen will, und des- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
halb möchte ich zum Schluß kommen. Es besteht Abgeordnete Mommer.
immer das Risiko, daß man am Schluß einer
solchen Rede pathetisch wird. Ich möchte das nicht Dr. Mommer (SPD): Herr Präsident! Meine
tun; ich möchte auch gar nicht feierlich werden. Damen und Herren! Ein konkreter Angriff des
(Zuruf des Abg. Dr. Kreyssig.) Kollegen Gerstenmaier zwingt mich zu einer
— Ich möchte auch gar nicht feierlich werden, Herr kurzen Klarstellung. Er hat gesagt, daß es sozia-
Dr. Kreyssig, sondern ich möchte mich erst den listische Abgeordnete waren — und darunter So-
Gepflogenheiten Ihrer Branche von Kohle und - zialdemokraten —, die den Anlaß zu dem Naters
Stahl — da Sie offenbar noch über die Montan- Bericht im Europarat gegeben haben. Sie haben
Union sprechen wollen — anschließen. Aber ich richtig dargestellt, daß zuerst unser gemeinsamer
möchte mir doch erlauben, folgendes zu sagen. Antrag auf Herstellung der demokratischen Frei-
heiten im Saargebiet vorlag. Dann wurde von van
Meine Damen und Herren, daß Sie uns sozusagen der Goes van Naters der Antrag eingebracht, die
ermuntern oder Rezepte geben könnten, die in Frage der zukünftigen Stellung der Saar — „la
ihrer praktischen Auswirkung darauf hinausliefen, position future de la Sarre", wie es ursprünglich
daß wir dem Selbstmord Deutschlands im Rah- hieß — auf die Tagesordnung der Versammlung
men eines ungebändigten europäischen Interessen- zu setzen. Das hat Herr van Naters in einer ge-
gegensatzes untätig zusehen oder ihm, wie Sie meinsamen Sitzung der sozialistischen Gruppe ge-
vielleicht meinen, mit großer Gelassenheit abwar- tan. Als dort diese Anregung kam, über die zu-
tend entgegensehen, — nein, meine Damen und künftige Stellung der Saar in der Versammlung
Herren, davon kann keine Rede sein! Zu einer zu diskutieren — und keineswegs ein Statut vor-
solchen Taktik und zu einer solchen Aktion hat zulegen —, da haben einige unserer Kollegen,
uns das deutsche Volk am 6. September nicht er- nicht ich und nicht mein Kollege Lütkens, sondern
mutigt und auch nicht hierhergeschickt. einige andere, gemeint — jawohl, hier steht es
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) genau so, wie ich gesagt habe; ich kenne das Do-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1125
(Dr. Mommer)
kurrent sehr gut —, daß wir natürlich nichts gegen politischen Kommission und in der Beratenden
eine Diskussion des Saarproblems in allen seinen Versammlung des Europarates viel Politik gemacht
Aspekten in der Versammlung haben könnten. So worden. Es ist ja die Schwierigkeit unserer poli-
hat es auch die Versammlung aufgefaßt; denn es tischen Situation auf diesem Parkett überhaupt,
hat sich, als Sie nicht in der Allgemeinen Korn- daß dort Männer und Frauen von Ländern sind, die
mission waren, folgendes abgespielt. Herr van vom nationalsozialistischen Deutschland angegrif-
Naters hat mehr und mehr seinen Auftrag aus- fen und besetzt wurden. Das haben Sie hier mit
gedehnt; aus der „position" ist das „statut", das Recht ausgeführt. Ich komme aber gleich darauf
künftige Statut der Saar geworden. zurück, was dazu des weiteren zu sagen ist.
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Daraus mache ich Nun, Herr Gerstenmaier, es kommt nicht darauf
Ihnen keinen Vorwurf!) an, auf Grund welchen Textes so etwas in Be-
Ich habe ihm sofort einen Protestbrief geschrieben wegung geraten ist. Die Frage ist, wie wir uns zu
und habe gesagt, der Auftrag laute ganz anders; dem verhalten, was dann daraus geworden ist. Da
es lägen zwei Entschließungen über die Frage der wissen Sie doch eines, Herr Gerstenmaier. In be-
demokratischen Freiheiten an der Saar und eine zug auf dieses Problem geschieht in Straßburg
über die „position future de la Sarre" vor. Dar- nichts gegen die geschlossen e Front der deutschen
aus ergebe sich, daß, wenn er einen Bericht mache, Mitglieder.
er schon im Titel ganz anders aussehen müsse, (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Wir sind über
nämlich „das Saarproblem", mit einem ganz neu- stimmt worden!)
tralen Titel. Die Abschriften meiner Briefe habe Die andern wissen sehr wohl, daß alles, was sie
ich oben; ich kann sie Ihnen zeigen. gegen unsere drei Stimmen im Ausschuß und gegen
Als dann Herr Naters im Ausschuß seine ersten unsere 18 Stimmen in der Versammlung machen,
Vorschlage unterbreitete und anfing, auf ein Sta- vergebliche Mühe ist; dabei kann niemals etwas
tut loszusteuern, da habe ich protestiert und habe herauskommen.
mich sogar in diesem Ausschuß durchsetzen kön- (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Sie haben uns
nen. Das ist zu Protokoll genommen worden. Es doch überstimmt!)
steht da zu lesen, daß Herr Naters eine Unter- Herr Gerstenmaier, da liegt der Anfang dieses
suchung über die demokratischen Zustände an der Naters-Projekts: daß von Anfang an der Wider-
Saar und über die allgemeinen Ideen, die bei den
verschiedenen interessierten Stellen über das stand auf der deutschen Seite gering war. Der
Saarproblem vorhanden seien, zu machen habe. Widerstand wurde nicht in der Versammlung bei
Diese Ideen, einschließlich von Lösungsvorschlägen, den Abgeordneten gebrochen, sondern — ich be-
die hier und dort in der Vergangenheit gemacht dauere das sagen zu müssen — im Ministeraus-
worden seien, sollte er in seinem Bericht vorlegen schuß; denn da wurde der Europäisierungsvor-
und — wie es wörtlich heißt, ich besinne mich schlag zuerst vom Außenminister Schuman ge-
sehr gut auf diesen Beschluß — „mit einer kri- macht. Und der Herr Bundeskanzler hat sich die-
tischen Analyse unter seiner eigenen Verantwor- sem Vorschlag nicht widersetzt.
tung versehen". Er hatte nicht den Auftrag, ein (Hört! Hört! bei der SPD.)
Statut auszuarbeiten, und er hat es getan in Über- Er hat kritische Fragen gestellt. Er ist später dar-
schreitung seines Auftrages. auf eingegangen und hat nur gesagt, es müsse da-
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Ich mache Ihnen bei eine echte Europäisierung herauskommen. Und
keinen Vorwurf!) da, Herr Gerstenmaier, liegt der Hund begraben!
Da lag der Anfang zu einem Projekt, das uns jetzt
Allerdings, indem er seinen Auftrag überschritt, mit der Autorität der Zustimmung von Neutralen-
kam er den inneren Absichten einer Mehrheit in vorgesetzt wird. Das muß hier auch einmal gesagt
diesem Ausschuß entgegen, und deshalb war es werden.
auch nicht möglich, ihn von diesem Wege abzu- (Den Vorsitz übernimmt Vizepräsident
bringen. Dr. Schneider.)
Es kommt aber noch etwas hinzu. Als Herr van Das Malheur hat noch viel früher angefangen.
Naters zum Berichterstatter für den Ausschuß Wir kennen das Protokoll der Ausschußsitzung
und die Versammlung benannt werden sollte, da des Ministerrats, in der über die Aufnahme der
habe ich in dieser internationalen Atmosphäre der Bundesrepublik und die gleichzeitige Aufnahme
Höflichkeit etwas sehr Ungewöhnliches getan: Ich des Saargebiets in den Europarat gesprochen
habe den Finger gehoben und gesagt: Es ist un- wurde. Wir wissen aus diesem Protokoll, daß z. B.
möglich, daß Herr van Naters Berichterstatter die nordischen Minister nicht geneigt waren, dieses
wird, denn er ist mir als einer bekannt, der fertige deutsche Teilgebiet Saar in den Europarat aufzu-
Meinungen über das Saarproblem hat; er hat im nehmen, weil sie fürchteten, daß dann die immer-
Saarproblem einen kämpferischen Standpunkt, so hin wichtigere Bundesrepublik nicht kommen
wie Herr Mommer einen hat. Und so wie ich, werde. Aber dann, Herr Bundeskanzler — das
Mommer, kein guter Berichterstatter für diese steht in dem Protokoll —, zog Herr Schuman eine
Versammlung sein könnte, so kann es Herr van Zeitung, eine Schweizer Zeitung, aus der Tasche
Naters nicht sein. Ich habe erklärt: Berichterstatter und las vor, daß der Herr Bundeskanzler erklärt
kann hier nur jemand sein, der in dieser Hinsicht habe, er werde auch kommen, wenn gleichzeitig
nicht voreingenommen ist. Ich habe unsere Ihnen die Saar eingeladen werde.
so bekannten Kollegen Jakobsen, Robens oder
andere, die in dieser Beziehung unbeschriebene (Hört! Hört! bei der SPD.)
Blätter sind, vorgeschlagen. Gegen meine Stimme Da hatten die anderen natürlich keinen Grund,
und bei Stimmenthaltung von mehrerer anderen deutscher zu sein als der deutsche Außenminister.
Kollegen — Skandinaviern, Engländern — ist So ist das Stück Siegerpolitik Saar in den Europa-
Herr van Naters Berichterstatter geworden. rat hineingekommen.
Da das alles hier zur Sprache kommt, muß ich Es ist ein untauglicher und, ich glaube, auch ein
zu meinem großen Bedauern sagen: Es ist in der nicht ganz fairer Versuch, Herr Gerstenmaier, eine
1126 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Mommer)
Mitverantwortung der Sozialdemokraten daraus zu nicht, die Debatte fortzuführen, sondern, dem Kol-
etablieren, daß da einige Unterschriften unter einem legen Mommer eine Ehrenerklärung abzugeben.
Antrag zum Studium eines Problems stehen, der Der Kollege Mommer hat recht, jedenfalls soweit es
auf jeden Fall gekommen wäre. . sich um die strittige These gehandelt hat, wer eigent-
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Ich bin jederzeit lich daran schuld ist, daß im Europarat eine Diskus-
zu einer Ehrenerklärung für Sie bereit!) sion über das zukünftige Statut der Saar entstand.
Ich bin nicht in jeder Sitzung gewesen. Ich zweifle
Sie sagten, wir wollten das, was da an der Saar keinen Augenblick daran, daß das, was der Herr
ist, doch praktisch nur zementieren. Kollege Mommer hier dem Hause darüber mitge-
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Das wollen Sie teilt hat, voll und ganz der Wahrheit entspricht.
nicht, das kommt aber heraus!)
(Zurufe von der SPD: Na also!)
— Nein, wir wollen das nicht zementieren. Wir sind Der Sinn meiner Anführung ist auch nicht der,
auch hartnäckig in der Frage der Oder-Neiße- das irgendwie in Frage zu stellen oder sogar die
Linie. Wir sind hartnäckig in unserem Widerstand Sozialdemokratie daraufhin anzugreifen. Das fällt
gegen das Regime von Pankow, und diese Hart- mir gar nicht ein! Der Sinn ist vielmehr, eine Klar-
näckigkeit machen wir nicht davon abhängig, ob stellung zu einem Debattepunkt des heutigen Tages
dadurch im Augenblick irgend etwas an den Zu- zu treffen, die durch eine Bemerkung des Herrn
ständen dort geändert werden kann. An der Saar Bundeskanzlers in seiner Erklärung und durch eine
sieht es noch ganz anders aus. Herr Gerstenmaier, Gegenerklärung des Herrn Kollegen Ollenhauer not-
sprechen Sie mit unseren Freunden an der Saar, wendig geworden ist. Nun, der Herr Kollege Mom-
und sie werden Ihnen alle sagen, daß nichts sie in mer hat das hier dargelegt. Nehmen wir das zur
den vergangenen Jahren so sehr gehindert und Kenntnis! Ich beschränke mich auf diesen Punkt, Herr
geschwächt hat wie die Saarpolitik der Bundes- Kollege Mommer. Im übrigen hätte ich es lieber
regierung. Herr Hoffmann, der Chef des Separa-
tismus, hat sich allzu häufig darauf berufen kön- gesehen, wenn Sie die Namen Hoffmann und Aden-
nen, daß der Herr Bundeskanzler doch offensicht- auer nicht in einem Atemzug genannt hätten.
lich ungefähr dieselbe Politik machen wolle wie Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
er, der Herr Hoffmann. Das hat unsere demokra- Abgeordnete Trittelvitz.
tische Position bei der deutschen Bevölkerung an
der Saar kolossal geschwächt, und durch die Trittelvitz (SPD): Meine Damen und Herren! Ich
Schwächung dieser Position ist es auch möglich möchte nicht in einen edlen Wettstreit mit meinem
geworden, uns so etwas zuzumuten wie das, was Freund Walz von der Saar treten, nun hier eben-
heute in dem Saarplan steht. Aber das bleibt ein falls unbedingt und allein der Sprecher für die
Stück Papier, wenn wir uns entschließen, es nicht Sorgen der saarländischen Bevölkerung zu sein
anzunehmen. oder Ihnen die Sorgen, Nöte und Ängste dieser
Menschen allein vorzutragen, die sich beunruhigt
Ich kann nur hoffen, Herr Kollege Gerstenmaier, fühlen durch die Ereignisse, die zu dieser Debatte
daß Sie sich auch diese Addition noch einmal über- geführt haben und zu der Anfrage der SPD, die
legen. Sie haben zu dem Plan, der im Februar zur mein Freund Dr. Mommer heute begründete. Es ist
Abstimmung stand, sich der Stimme enthalten. Sie die Sorge der saarländischen Bevölkerung, meiner
haben zu dem zweiten Teil, zu der Entschließung
über die politischen Parteien, zusammen mit mir deutschen Landsleute, über die Absicht, den Euro-
- und ich bin wirklich auch dankbar für unsere päisierungsbestrebungen nach jenem heute so oft
gute Zusammenarbeit auf diesem Gebiet - nein genannten Plan in irgendeiner Form, auch in der
gesagt. Aber eine Enthaltung plus ein Nein hat Form eines Kompromisses, zuzustimmen. Denn wir
dann in der Schlußabstimmung ein Ja minus Vor- unten an der Saar wissen, was sich zumindest
- die
behalte ergeben. Saarbehörden unter dem Naters-Plan vorstellen
und wie sie gedenken, mit den Mitteln, die sie seit
(Hört! Hört! bei der SPD.) neun Jahren praktiziert 'haben, die Europäisierung
Die Vorbehalte haben es in sich. an der Saar entsprechend dem Naters-Plan durch-
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Und die Berliner zuführen. Darum ist unsere Sorge so groß, und
Konferenz!) darum müssen vielleicht wir beide versuchen, in
diesem Hause das auszusprechen, was bei uns da-
Es ist auch noch eine Frage, ob das die richtige heim niemand sagen kann.
Taktik ist; denn Ihr Ja minus Vorbehalte setzt Sie In jenem Plan des Holländers van Naters ist
jetzt den Zweifeln aus, sowohl in Deutschland als doch nur die völkerrechtliche Verankerung des
auch in Frankreich. Was Sie jetzt nämlich wirk- gegenwärtigen Zustandes vorgesehen. Er ent-
lich wollen, nun, das ist niemandem restlos klar. Sie hält dazu noch Bestimmungen über das Verfahren
müssen es sich gefallen lassen, daß Ihnen in einer Volksabstimmung an der Saar, einer Volks-
Deutschland gesagt wird, Sie sind für den Verzicht abstimmung, der, wie wir es lesen konnten, der
auf die Saar, und Sie werden es sich gefallen Herr Bundeskanzler zugestimmt hat. Ja, der Herr
lassen müssen, daß man von Ihnen in Frankreich Bundeskanzler hat die Volksabstimmung der saar-
sagt: Er macht zwar noch allerlei Vorbehalte, und ländischen Bevölkerung geradezu verlangt, damit
er denkt dann später doch auf das ganze Problem dieses Europäisierungsstatut in Kraft tritt. In je-
zurückzukommen und es in einem Sinn zu lösen, nem Plan wird einem deutschen Volksteil, nämlich
wie wir, die Franzosen, es nicht möchten. den Menschen an der Saar, zugemutet, der Sepa-
(Beifall bei der SPD.) ration durch ein „Ja" zuzustimmen, durch ein Ple
biszit, dem die echte Alternative fehlt, in dem es
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der nur darum gehen kann, entweder durch ein Ja zur
Abgeordnete Dr. Gerstenmaier zu einer kurzen Preisgabe dieses Gebietes an eine europäische In-
Bemerkung. stitution, die politisch für uns dasselbe bedeutet
wie das Regime von heute, von Deutschland Ab-
D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) : Meine Damen schied zu nehmen oder aber zu einem solchen Sta-
und Herren! Der Zweck meiner Wortmeldung ist tut nein zu sagen und sich damit für den Status
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1127
(Trittelvitz)
quo zu entscheiden, den wir heute zur Genüge ken- schen Freiheiten in Etappen und auf Zeit und auf
nen und den Herr Kollege Dr. Gerstenmaier heute Frist, zumal sie doch mit ungenügenden Mitteln
so trefflich charakterisiert hat, wofür ich ihm dank- arbeiten müßten, ein vollendeter Apparat der öf-
bar bin. Er meinte, vielleicht habe Radio Saarbrük- fentlichen Meinungsbildung an der Saar gegenüber-
ken abgeschaltet. Er kann ohne Sorge sein, Radio stehen. Aber wem sollen sie sich denn entgegen-
Saarbrücken vermittelt der Saarbevölkerung keine setzen? Was sollen sie denn angesichts der Situa-
Saardebatten des Deutschen Bundestages. tion diesem Monopol entgegensetzen? Und wogegen
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Das ist freilich oder wofür sollen sie als eine deutsche Opposition
bedauerlich!) kämpfen, selbst wenn die vollendetsten Freiheiten
angeboten würden? Sie stehen einem von der Bun-
Mit dem „Nein" in jenem Plebiszit zur Europäisie- desregierung doch in irgendeiner Form vorab zu
rung, die Bundestag und Bundesregierung von uns billigenden Europastatut gegenüber, in dem das
fordern sollen, würden wir uns dann aber auch Plebiszit eine Alternative nicht kennt. Das, was
gegen die Bundesrepublik richten, die doch nach sich die Saarbevölkerung von diesem Bundestag
dem Grundgesetz verpflichtet ist, auch für jene und von dieser Bundesregierung gewünscht hat, ist
Deutsche zu handeln, denen am Wiederaufbau die unablässige Bemühung um die Öffnung der
Deutschlands mitzuwirken versagt ist. Und das sind Tore zu politischen Freiheiten an der Saar, um das
doch die Deutschen an der Saar. Öffnen der Tore zu freien Wahlen, uneingeschränkt
Weil die demokratischen Freiheiten an der Saar durch Statute und dergleichen. Diese freien Wah-
nicht gegeben sind, ist jener Auftrag an den Dele- len und dieses freie Recht sollten den Menschen an
gierten van Naters erfolgt. Herr van Naters hatte der Saar gestatten, sich frei und ohne Furcht ge-
die Mangelhaftigkeit des demokratischen Prinzips gen Bedrohungen zu wenden, die die Zerstücke-
in einem Lande, das die Konvention über die Men- lung Deutschlands auch im Westen zum Ziele ha-
schenrechte ratifiziert hat, feststellen sollen. Das ben. So ist das Grundgesetz zu verstehen, und so
Ergebnis war aber nicht die Feststellung der Un- wollen wir Deutschen an der Saar das Grundgesetz
freiheit, sondern der Vorschlag der vertraglichen verstehen, wonach das gesamte deutsche Volk ein-
Fixierung d e s Status, den wir heute haben mit schließlich der Saar aufgefordert ist, frei die Ein-
den kleinen Resten an bürgerlich demokratischen heit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Hierin
Rechten, die dem Bürger an der Saar gegeben sind, und nicht in der Zerreißung Deutschlands im We-
dazu etwas Freiheit in schwacher Dosierung und sten sehen die Deutschen an der Saar die Aufgabe
auf Zeit. In diesem Plan ist das demokratische der Bundesregierung und des Deutschen Bundes-
Grundrecht in Vollendung gelenkt. tags.
Nur scheinbar sind doch die Möglichkeiten gleich, (Beifall bei der SPD.)
mit denen die beiden Kräfte in einem solchen Land Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
unter dem Schutz dieses Statuts gegeneinander Abgeordnete Dr. Pohle.
wirken könnten. Nur scheinbar hätten diese Kräfte
einen gleichen Start, um sich gegeneinander zu Dr. Pohle (Düsseldorf) (CDU/CSU): Herr Präsi-
wenden und einen Einfluß auf den saarländischen dent! Meine Damen und Herren! Ich habe für
Wähler auszuüben. Die Abschirmung nach Osten meine Freunde zu den beiden Drucksachen 455
und Westen ist in jenem Plan vorgesehen, d. h. die und 459 einige Bemerkungen zu machen.
Verhinderung des politischen Einflusses Deutsch-
Was zunächst die Drucksache 459 anlangt, den
lands auf ein Gebiet, das rechtlich unwidersprochen
zu diesem Deutschland gehört. Die politische Ein- Antrag der Fraktion der SPD, zur Vorbereitung
wirkung auf dieses Land von Westen soll natürlich der sogenannten großen Revision nach Art. 96 des
auch verhindert werden. Aber jeder von uns Montan-Union-Vertrages einen Ausschuß einzuset-
weiß, wie stark die Positionen gerade Frankreichs, zen, so halten wir diesen Antrag für erwägens-
wie stark die Positionen der Besatzungmacht wert. Wir glauben, daß eine Reihe von Gründen
in diesem Gebiete schon sind und wie sie sich in für die Bildung eines solchen Ausschusses spricht.
neun Jahren haben erproben können, so daß heute Aber manche Gründe sprechen auch dagegen. Es
keine Lücke für eine politische Betätigung im Sinne muß berücksichtigt werden, daß die Revision erst
nach dem 1. Februar 1958 möglich ist. Wir müssen
der Zugehörigkeit und des Verbleibens deutscher
Menschen bei Deutschland bleibt, für die Entwick- deshalb die Frage aufwerfen, ob es angebracht ist,
lung der politischen Kräfte, die sich gegen die Po- schon heute einen derartigen Ausschuß ins Leben
litik der Separation an der Saar wehren könnten. zu rufen, oder ob es nicht zweckmäßig ist, daß der
Es ist das Land mit dem „liberalsten Polizeistaat", Wirtschaftspolitische Ausschuß diese Aufgabe mit
wie es ein englischer Jou rn alist nannte. Die übernimmt. Wir beantragen deshalb, diesen Antrag
Gesetze dieses Gebietes sind vielleicht in Sei- zur Prüfung an den Wirtschaftspolitischen Aus-
denpapier eingewickelt; sie sind aber lücken- schuß zu überweisen.
los, und sie wirken gegen jeden, der es Aus den in der Großen Anfrage der sozialdemo-
wagen 'sollte, sich zu dem zu bekennen, was kratischen Fraktion zum Montan-Union-Vertrag
wir als das Recht der deutschen Entscheidung an — Drucksache 455 — gestellten Einzelfragen, ins-
der Saar bezeichnen könnten. Die Beherrschung des besondere aus den Fragen c) und d) — die Fragen
Apparates ist eine lückenlose. Die eingeschränkten bilden eine Einheit —, geht hervor, daß gewisse
Grundrechte kennen wir, aber wir kennen auch die Zweifel an der Funktionsfähigkeit des gemeinsa-
völlige Beherrschung der Industrie, das Informa- men Marktes geäußert werden. Es wird auch davon
tions- und das Propagandamonopol, das für den gesprochen, daß bereits Nachteile und Schäden für
Fall der Inkraftsetzung eines derartigen Statuts die Wirtschaft der Bundesrepublik eingetreten
und für den Fall der Vorbereitung einer sogenann- seien. Weiter werden gegen den Schumanplan als
ten Volksabstimmung — der ja eine echte Alterna- ganzen gewisse Bedenken erhoben.
tive fehlt — eine Startmöglichkeit den deutschen Diese Art der Fragestellung erfordert eine
politischen Kräften nicht geben würde. Diesen grundsätzliche Bemerkung. Der Herr Bundeskanz-
Kräften würde im Falle der Schaffung von politi- ler hat schon heute morgen in seiner Regierungs-
1128 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Pohle [Eckernförde])
erklärung zum Ausdruck gebracht, welche wirt- zu befragen und zu einem Ausgleich der Meinun-
-schaftliche und politische Aspekte der Montan gen zu gelangen.
Union-Vertrag für uns hat. Es kann kein Zweifel Deutschland und die betroffenen Grundindu-
bestehen, daß, wer die europäische Gemeinschaft strien haben durch ihren Beitritt zur Montan-
ernstlich will, auch die Montan-Union bejahen Union eine politische Entscheidung getroffen. Sie
muß und daß umgekehrt, wer die Montan-Union haben sie getroffen in voller Erkenntnis der Tat-
als Institution verneint, auch die Idee der europäi- sache, daß sie willens und bereit sind, im Rahmen
schen Integration leugnet. Um so mehr begrüße der europäischen — auch wirtschaftlichen — In-
ich es, daß Herr Kollege Deist heute morgen betont tegration gewisse Opfer zu bringen, um des großen
hat, daß er aus seiner Sorge um diese Institution Ziels der europäischen Gemeinschaft willen. In
gesprochen hat. Er hat damit das gleiche Positivum vollem Bewußtsein dessen hat Deutschland damals
wiederholt, das auch in Straßburg Gegenstand der die sogenannten Startnachteile in Kauf genommen.
einstimmigen Resolution aller Parteien im In- Die deutschen Werke waren damals besonders be-
vestitionsausschuß und in der Gemeinsamen Ver- nachteiligt, weil, wie der Herr Bundeskanzler aus-
sammlung war. Meine Freunde und ich halten es geführt hat, einige Faktoren zusammentrafen, die
für angebracht und notwendig, an dieser Stelle erhebliche Investitionsrückstände, eine erheblich
erneut und mit allem Nachdruck zu betonen, daß schlechtere technische Ausrüstung und demgemäß
wir uns rückhaltlos zur Idee und zur Realisierung eine schlechtere Wettbewerbslage zur Folge hatten.
der Montan-Union bekennen. Wir halten dieses Der Vollständigkeit halber darf ich nur hinzufü-
Vertragswerk für einen bedeutungsvollen Schritt gen, daß auch die Unterschiedlichkeit der Steuer-
auf dem Wege zur Verwirklichung der europäi- systeme, die den Export der deutschen eisenschaf-
schen Gemeinschaft und wiederholen die in diesem fenden Industrie in die Montan-Union-Länder
Hause schon mehrfach abgegebene Erklärung, daß gegenüber anderen Mitgliedstaaten benachteiligt, zu
wir den Vertrag als außerordentlich wichtige poli- diesen Startnachteilen gehört. Wir hoffen, daß die
tische Etappe betrachten. Bundesregierung nichts unterlassen wird, um diese
Dieses Bekenntnis hindert uns nicht, mit der Differenzierung der steuerlichen Belastungen auf
Bundesregierung festzustellen, daß sich naturge- die Dauer zu beseitigen. Vom Kollegen Deist ist
mäß Anlauf- und Anfangsschwierigkeiten ergeben. ferner auf Art. 66 verwiesen worden. Wir hoffen,
Einmal deshalb, weil es sich bei einer supranatio- daß es gelingt — ich weiß, daß die Bundesregie-
nalen Behörde um ein rechtliches, zumindest um rung nach dieser Richtung eifrig tätig gewesen ist
ein wirtschaftliches Novum handelt. Zum andern, —, eine Zementierung des Startnachteils, der hier-
weil die Wirtschaftssysteme und Wirtschaftsstruk- mit im Zusammenhang steht, zu beseitigen.
turen der einzelnen Mitgliedstaaten völlig verschie- Mit Recht hat der Herr Bundeskanzler heute
den sind — daher auch die Übergangsbestimmun- morgen hervorgehoben, daß bei der Verkündung
gen der Art. 95 und 96 —, und zum dritten, weil des Schumanplans diesen Startnachteilen auch er-
die Montan-Union, wie der Herr Bundeskanzler hebliche Vorteile gegenüberstanden, die durch das
zum Ausdruck gebracht hat, nur eine Teilintegra- Inkrafttreten des Plans ausgelöst wurden. Er hat
tion ist und sich zwischen den integrierten und auf die schnellebige Zeit verwiesen. Ich kann von
nicht integrierten Teilen der Nationalwirtschaften mir aus hinzufügen: wer damals die Eingriffe der
Reibungen ergeben müssen. Die Überwindung und Alliierten in den Betrieben erlebt hat und wer
Beseitigung dieser Störungsfaktoren ist unser aller heute feststellt, wie unsere Vertreter im Montan-
Anliegen, sowohl das der Bundesregierung wie von Parlament und in allen anderen Instanzen als
uns, die wir die Ehre haben, den Bundestag in der gleichberechtigte Partner tätigen Anteil am Ge-
Gemeinsamen Versammlung der Montan-Union zu schick der Montan-Industrie nicht nur von Deutsch-
vertreten. Selbst wenn wir dort nicht mit den glei- land, sondern von ganz Europa nehmen, für den
chen parlamentarischen Rechten ausgestattet sind, ist dieser Unterschied eklatant.
wie wir sie in diesem Hohen Hause genießen —
das liegt am Vertragswerk —, so haben wir doch Von dieser Gesamtkonzeption aus nehme ich nun
weitgehende Zusammenwirkungsmöglichkeiten mit noch zu einigen Punkten, die in der Anfrage be-
der Hohen Behörde. handelt sind, Stellung. Ich glaube nicht, daß man
Es ist selbstverständlich, meine Damen und Her- sagen kann, daß durch die bisherige Praktizierung
ren — und ich stehe nicht an, das ganz offen aus- des Gemeinsamen Marktes eine erhebliche Benach-
zusprechen —, daß nicht alle Maßnahmen der teiligung der deutschen Montanwirtschaft einge-
Hohen Behörde unseren ungeteilten Beifall gefun- treten ist. Die Steinkohlenförderung betrug im
den haben und finden können, und wir haben auch Jahre 1953 im Monatsdurchschnitt 10,3 Millionen t
mit unserer Kritik bisweilen nicht zurückgehalten. — 1953 trat der Gemeinsame Markt in Kraft —
So und nicht anders, als ein Beitrag zu einer auf- gegenüber 10,2 Millionen t in 1952. In den Mona-
bauenden und positiv-kritischen Stellungnahme zu ten Januar/Februar 1954 zeigte sich keine Verrin-
den Maßnahmen der Hohen Behörde, sind — ich gerung. Im Februar 1954 war die Förderung um
habe Anlaß, das besonders zu betonen — auch die rund 5 % höher als im Februar 1953. Die Einfuhr
Äußerungen der Herren Momsen, Berg und Abs an Steinkohlen im Jahre 1953 bis 1954 zeigte ein
aufzufassen, von denen heute morgen hier die Rede gleichbleibendes Niveau von rund 800 000 Monats-
war. tonnen. Aber im Jahre 1953 waren die Einfuhren
Manche Maßnahmen der Hohen Behörde zeigen gegenüber 1952 um etwa 2,3 Millionen t zurückge-
das Bestreben, die noch nicht erprobten Bestim- gangen trotz eines nicht unbeträchtlichen Anstei-
mungen des Vertrages mit der Praxis in Einklang gens der Einfuhr von Saar- und Lothringen-Kohle
zu bringen. Eins aber ist sicher anzuerkennen: die nach Süddeutschland.
Hohe Behörde hat immer das Bestreben gezeigt, Sie sehen also, daß der Gemeinsame Markt in
vor allen ihren Entscheidungen und Empfehlungen Fluß gekommen ist. Eine Verschiebung bestand
die zuständigen Instanzen, sei es den Ministerrat, nur darin, daß der prozentuale Anteil der Liefe-
sei es den Beratenden Ausschuß, sei es auch im rungen aus Ländern des Gemeinsamen Marktes
Rahmen seiner Befugnisse das Montan-Parlament, zunahm, die Einfuhren aus dritten Ländern da-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1129
(Pohle [Eckernförde])
gegen zurückgingen. Dies ist aber kein Nachteil Markt noch keine Rede sein konnte —, so ergibt
des Gemeinsamen Marktes, sondern entspricht ge- sich ein für Deutschland noch sehr viel günstigeres
radezu seiner Idee. Bild.
Die Ausfuhr von Steinkohle blieb mit unwesent- Im übrigen wird immer gesagt, daß auf Grund
lichen Schwankungen im Laufe des Jahres 1953 auf des Gemeinsamen Marktes die Einfuhren gestiegen
rund 2 Millionen Monatstonnen stehen, war aber seien und zu dem Rückgang der Stahlproduktion
gegenüber 1952 um rund 1,5 Millionen Tonnen ge- in Deutschland — die sich bekanntlich um 3 bis
stiegen. Auch dies entspricht dem Gedanken des 4 % vermindert hat — wesentlich beigetragen
Gemeinsamen Marktes. hätten. Auch dies glaube ich nicht. Die Erhöhung
Nun hat Herr Kollege Deist auf das Ansteigen der Einfuhren war nicht eine Folge des Gemein-
der Haldenbestände verwiesen. Meine Damen und samen Marktes. Der Rückgang der Stahlproduktion
Herren, es läßt sich nicht leugnen — und ich war eine Folge der abgeschwächten Weltkonjunk-
glaube, daß die von Herrn Deist genannten Zahlen tur, war eine Folge des Übergangs vom Verkäufer
richtig sind —, daß die Haldenbestände an Kohle zum Käufermarkt, war eine Folge der notwendigen
und Koks gestiegen sind. Da jedoch weder nach Liberalisierung des deutschen Außenhandels und
der Einfuhr- noch nach der Ausfuhrseite Änderun- der damit im Zusammenhang stehenden Zollstun-
gen feststellbar sind, kann meines Erachtens das dungen auch dritten Ländern gegenüber. Diese
Steigen der Haldenbestände nicht auf das Inkraft- Maßnahmen dienten zugleich der notwendigen
treten des Gemeinsamen Marktes zurückzuführen Entlastung der deutschen Zahlungsbilanz. Das sind
sein. Es hat vielmehr andere Ursachen. Sie liegen alles Dinge, die uns aus anderen Unterhaltungen
in der konjunkturellen Abschwächung, die die geläufig sind. Jedenfalls kann man den Rückgang
Eisenindustrie zu verzeichnen hatte. Herr Deist hat der deutschen Stahlproduktion nicht dem Gemein-
außerdem darauf verwiesen, daß die Konkurrenz samen Markt zur Last legen.
durch andere Energiequellen sich verstärkt hat, Meine Damen und Herren, Herr Deist ist auf den
eine Konkurrenz, die nicht auf den Gemeinsamen Erzbergbau nur am Rande eingegangen. Ich glaube,
Markt zurückzuführen ist. Die Haldenbestände daß auch ich mir Ausführungen darüber ersparen
werden vermutlich in dem Umfange abgebaut kann, nachdem in der Haushaltsdebatte hierüber
werden können, in dem sich eine Wiederbelebung gesprochen worden ist.
der Eisenindustrie bemerkbar macht. Noch ein Wort zu den Investitionen. Es ist nicht
Nun noch ein kurzes Wort zu den preispolitischen zu bestreiten — und ich habe das eingangs schon
Maßnahmen der Hohen Behörde im Kohlensektor. gesagt — , daß die deutsche Eisenindustrie und
Es ist dort der Höchstpreis der Kohle um 2 DM auch der Kohlenbergbau mit einem erheblichen
pro Tonne herabgesetzt worden. Das bedeutet für Investitionsrückstand in die Montan-Union hinein-
den Kohlenbergbau eine Erlöseinbuße, die seine gegangen sind. Auch das hat der Herr Bundes-
Selbstkostenlage beeinträchtigt. Demgegenüber kanzler in seiner Regierungserklärung bereits be-
steht die Aufhebung der Sondervergünstigungen, tont. Auf der andern Seite ist sicherlich richtig,
durch die eine erhebliche Entlastung eintritt. Zieht daß inzwischen große Summen in Kohle und Eisen
man hiervon die vom Bergbau zur Verbilligung der investiert worden sind, teilweise mit Hilfe öffent-
Hausbrandbezüge minderbemittelter Kreise zur licher Mittel, teilweise auf Grund der Eigenfinan-
Verfügung gestellten jährlich 25 Millionen DM ab, zierung der Werke. Es ist ebenso richtig, daß diese
so verbleibt eine Entlastung von jährlich 45 Mil- Investitionsmittel noch nicht ausreichen, um die
lionen DM. Das ist auf der Erlösseite nicht sehr Betriebe auf den neuesten technischen Stand zu
heben. Mit der Bundesregierung hoffen wir- daher,
erheblich für die Selbstkostenlage. Wir werden daß die Hohe Behörde an der ersten Tranche von
diesem Problem weiter ernste Aufmerksamkeit 100 Millionen Dollar, die ihr für die europäische
widmen müssen. Immerhin ist insgesamt eine Ent- Montanwirtschaft von amerikanischer Seite zur
lastung eingetreten. Verfügung gestellt werden, auch die deutsche Mon-
Nun einige kurze Bemerkungen zum Eisen. Auch tanindustrie unter Anwendung der vom Bundes-
die Eisenwirtschaft kann nur im Gesamtrahmen wirtschaftsminister vorzuschlagenden Finanz-
gesehen werden. Ob die bisherigen Entscheidungen methoden beteiligen wird. Wir dürfen mit beson-
der Hohen Behörde über die Eisenpreisregelung, derer Befriedigung feststellen, daß sich die Bun-
die anfänglich starre Handhabung des Preislisten desregierung der Notwendigkeit nicht verschließt,
systems und seine spätere Abwandlung durch Zu- auch weiterhin alles Erdenkliche zu tun, um den
erkennung einer Abweichungsmarge von 2 1 /2 % Investitionsbedürfnissen der Grundindustrien
richtig sind, muß der Beobachtung in einem län- Rechnung zu tragen. Es bedarf in erster Linie der
geren Zeitraum überlassen bleiben. Es mag dabei Rationalisierung und Modernisierung der Betriebe.
auch mitspielen, daß der neuartige Begriff der Die Betriebe werden ohne besondere Investitions-
Diskriminierung von der Hohen Behörde erstmals planung der Hohen Behörde in der Lage sein,
gehandhabt werden mußte. Was die behaupteten etwaige Fehlinvestitionen, von denen Dr. Deist
nachteiligen Auswirkungen des Gemeinsamen gesprochen hat und die zweifellos mit der Entflech-
Marktes auf Eisen und Stahl anlangt, so glaube ich, tung zusammenhängen, auszugleichen, wenn auf
daß die Zahlen, die Herr Dr. Deist heute morgen der andern Seite die Nationalwirtschaften dafür
hinsichtlich der Stahlproduktion genannt hat, nicht sorgen, daß überall wieder gesunde Kapitalmarkt-
völlig zutreffend sind. Wenn man das Jahr 1953 verhältnisse entstehen.
mit dem Jahr 1952 in Bezug setzt, so ergibt sich, Meine Damen und Herren, wir sind uns völlig
daß die Stahlerzeugung innerhalb der Montan- im klaren darüber, daß die europäische Gemein-
Union zwar um 5% zurückgegangen ist. In Deutsch- schaft allein mit Kohle und Eisen und aus Kohle
land beträgt dieser Rückgang aber nur 2,5 %; in und Eisen nicht gebaut werden kann. Die Montan-
Frankreich 7 %, an der Saar 3,5 %. Setzt man diese Union war ein kühner Schritt, aber sie war, wie
Zahlen vollends in Vergleich zum Jahre 1950 — der Herr Bundeskanzler heute morgen ausgeführt
einem Jahr, in dem allerdings vom Gemeinsamen hat, nur ein erster Schritt, dem weitere zu
1130 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Pohle [Eckernförde])
folgen haben. Wir sind des Glaubens, daß dies der ausgesprochen wirtschaftspolitischen Frage aber
Fall sein wird und daß infolgedessen die Montan- mals nicht geäußert hat, eine Antwort bekommen
Union ein wesentlicher und sehr wertvoller von dem Chefjustitiar eines großen Stahlunter
Schrittmacher der europäischen Gemeinschaft ist. nehmens, der sich der Mühe unterzogen hat,
Wir wollen zu unserem Teil im Sinne der Prä- wenigstens den Versuch zu machen, die materielle
ambel dieses Vertrages dazu beitragen, durch kon- Antwort zu den Fragen zu geben, die wir vom
krete Tatsachen eine wirkliche Solidarität zu Herrn Bundeskanzler heute nicht bekommen haben.
schaffen und Europa durch Errichtung gemein- (Bundesminister Dr. Tillmanns: Was ist
samer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwick- denn Herr Deist? — Zuruf von der CDU/
lung mit aufzubauen. CSU: Zudem ist er Abgeordneter!)
Ein Schlußwort im Interesse der Stärkung des Gewiß, das ist schon richtig; aber es ist dennoch
europäischen Gedankens und eine Hoffnung. Wir eine eigentümliche Angelegenheit, wenn sich ein
haben Verständnis dafür, daß Großbritannien an- Abgeordneter freundlicherweise der Mühe unter-
gesichts seiner besonderen Lage Bedenken gegen zieht, die Sache der Regierung ist. Vielleicht ist
einen Beitritt zur Montan-Union hegt. Wir haben der Herr Bundeswirtschaftsminister darüber sehr
aber die zuversichtliche Hoffnung, daß das gerade froh; denn man weiß, daß er in gewissen Kreisen
auf montanwirtschaftlichem Gebiet so leistungs- gesagt hat, er sei immer davon überzeugt ge-
fähige Land in absehbarer Zeit durch Sonder wesen, daß die Teilintegration auf dem Sektor von
abreden in ein näheres Verhältnis zu der kon- Stahl und Kohle, also die Montan-Union, nichts
tinentalen Montanwirtschaft gerückt werden kann. Gescheites werden könne, und er schweigt viel-
Wir haben diese Hoffnung um so mehr, als sich leicht deshalb, weil er nun der Meinung ist, das
die britische Regierung in ihrer Erklärung zum Schweigen sei in so einer Situation der beste Aus-
EVG-Vertrag zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit weg.
bekannt hat und sich mit dem Kontinent, wie der Ich halte es für eine unmögliche Situation, daß
Herr Bundeskanzler es ausdrückte, solidarisch er- wir seitens der Regierung auf eine Große Anfrage
klärte. über wirtschaftspolitische Fragen, die die ganze
(Präsident D. Dr. Ehlers übernimmt wieder Bevölkerung der Bundesrepublik und in der
den Vorsitz.) Weiterwirkung nicht nur Kohle und Eisen, son-
Wir begrüßen deshalb auch die Botschaft, die die dern die ganze Industrie angehen, unzureichende
Westminster-Konferenz am 1. Februar 1954 an die und unzulängliche Antworten bekommen. Ich muß
Ministerpräsidenten der Montan-Union-Länder, allerdings sagen, meine Hoffnung, daß vielleicht
an den Ministerpräsidenten des Vereinigten König- der Herr Bundeswirtschaftsminister konkreter ge-
reichs und an den Präsidenten der Hohen Behörde antwortet hätte, hat sich zerschlagen, nachdem ich,
gerichtet hat, und wünschen mit dieser Botschaft, eigentlich ganz zufällig, heute früh die Antwort
daß im Interesse aller Beteiligten eine möglichst in die Hand bekommen habe, die seitens des Bun-
enge Zusammenarbeit des Vereinigten Königreichs desministers für Wirtschaft auf eine Kleine An-
mit der kontinentalen Montanwirtschaft stattfindet. frage ergangen ist, die einige Abgeordnete der
CSU, also des Landes Bayern, woher auch ich
(Beifall bei der CDU/CSU.) komme, am 11. März mit einiger Besorgnis gestellt
haben. In dieser Kleinen Anfrage Nr. 37 haben die
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abge- Kollegen Strauß, Dr. Jaeger und Genossen bis zu
ordnete Dr. Kreyssig. meinem Wahlkreiskollegen Wieninger die Regie-
rung gefragt, ob die Pressemeldungen zutreffend
Dr. Kreyssig (SPD): Herr Präsident! Meine seien, daß der Preis für Hausbrandkohle erhöht
Damen und Herren! Es scheint mir von einiger- werden solle, und was, wenn die Meldung den - Tat-
maßen symbolischem Charakter zu sein, daß wir sachen entspräche, die Bundesregierung eventuell
heute abend zur Aussprache über unsere Große tun würde, um die möglicherweise unvermeidbare
Anfrage über die Montan-Union kommen, nach- Erhöhung des Preises für Hausbrand zu vermeiden.
dem die Sonne im Westen versunken ist. Das sind — wir kennen uns in Bayern da besser
(Oho-Rufe und Zurufe in der Mitte und rechts.) aus — die kleinen weißblauen Hechte in dem
Karpfenteich der großen CDU. Das sollte vielleicht
Sie ist schon eine ganze Weile versunken. — und das ist das Interessante —, weil die Kol-
(Abg. Dr. Dresbach: Sie geht im Osten nicht legen Strauß und Dr. Jaeger Abgeordnete des
auf!) Montanparlaments sind, die bayrischen Kollegen
Das scheint deshalb von etwas symbolischem Cha- aus dem Montanparlament entlasten. Die Bundes-
rakter zu sein, weil von der großen Begeisterung, regierung hat also geantwortet, ich meine, in die-
die hier einmal geherrscht hat, als es sich um die sem Fall der Bundesminister für Wirtschaft, aller-
Ratifizierung des Schumanplans handelte, eine dings wieder einmal gezeichnet „In Vertretung:
ganze Menge verschwunden ist. Ich habe trotzdem m.d.W.d.G.b. Westrick". Das heißt, nach der Termi-
das Gefühl, daß der Herr Bundeskanzler und mög- nologie unserer Bürokratie, daß er „mit der Wahr-
licherweise die ganze Bundesregierung noch nicht nehmung der Geschäfte beauftragt" ist, während
ausreichend erkannt haben, daß aus der Begeiste- der Herr Bundeswirtschaftsminister, glaube ich, in
rung für Europa und vielleicht auch aus gewissen Südamerika war und sich durch zollfreie Einfuhr
Illusionen inzwischen sehr harte wirtschaftliche von einigen Orden ausgezeichnet hat.
Tatbesiande geworden sind. (Große Heiterkeit.)
Ich finde es sehr merkwürdig, daß wir, nachdem Der Bundeswirtschaftsminister hat daraufhin ge-
der Herr Bundeskanzler heute morgen die sehr antwortet, daß sich nach dem Inkrafttreten des
exakt und präzis formulierte Große Anfrage un- Gemeinsamen Marktes die Hohe Behörde zunächst
serer Fraktion nur mit allgemeinen Worten und einmal damit einverstanden erklärt habe, die
Sätzen und mit der Erinnerung an lange zurück- Kohlenpreisermäßigung für den Hausbrand noch
liegende Dinge beantwortet und nachdem der Herr für ein Jahr zu erlauben. Es wird weiter gesagt,
Bundeswirtschaftsminister sich auch heute zu einer daß sie sich das Recht vorbehalten habe, die Frage
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1131
(Dr. Kreyssig)
zu überprüfen. Im Zuge dieser vorgenommenen Material geben. Ich nehme es Ihnen nicht übel, Sie
Überprüfung sei auch der Ministerrat der Euro- können es nicht beurteilen, und vielleicht einige
päischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in andere, die nicht in der Materie sind, auch nicht.
seiner Sitzung am 12. und 13. März 1954 konsultiert Sie haben gesagt, die Erlöslage habe sich ver-
worden. In diesem Ministerrat sitzt bekanntlich bessert. Es steht auch in der Antwort, die schrift-
auch die Bundesregierung mit ihren Vertretern. lich auf die Kleine Anfrage gegeben worden ist,
Im Verlauf dieser Sitzung hat sich die deutsche es habe sich eine Erlösverbesserung ergeben. Nun,
Delegation, nachdem die Angelegenheit zuvor mit wir haben uns, da wir uns nun mal in der Mon-
den Wirtschaftsministern der Länder behandelt tan-Union und im Parlament diese Dinge angele-
war, mit der Aufhebung der Hausbrandverbilli- gen sein lassen müssen, dort in der vorigen Woche
gung einverstanden erklärt. — der Herr Kollege Pohle wird es bestätigen —
(Abg. Hilbert: Wir haben es auch gelesen!) die Zahlen geben lassen, und wissen Sie, was da-
bei herausgekommen ist? Daß von einer Erlösver-
— Na, es kann nichts schaden, wenn ich es Ihnen besserung, die hier behauptet wird, für den deut-
noch einmal in Erinnerung bringe. Ich werde
Ihnen gleich sagen, warum, Herr Hilbert. Sie schen Kohlenbergbau keine Rede sein kann.
müssen nicht immer so nervös werden. (Abg. Dr. Hellwig: Das haben Sie vor
neun Tagen im Rundfunk auch noch gesagt!)
(Lachen und Zurufe von der Mitte.)
— Ja, das ist auch deshalb nicht falsch geworden,
Es steht in dieser Antwort, die in „der Wahrneh- weil ich es wiederhole, mein verehrter Herr Dr.
mung der Geschäfte" gegeben worden ist, eine be- Hellwig! Sonst müßten S i e den Beweis antreten,
deutsame Zahl. Es steht nämlich darin, daß der daß die Zahlen, die die Hohe Behörde und der
deutsche Bergbau bisher durch diese Hausbrand- deutsche Vizepräsident, Herr Etzel, uns gegeben
verbilligung, die jetzt durch die Hohe Behörde haben, falsch sind. Solange Sie diesen Beweis nicht
beseitigt worden ist, mit 190 bis 200 Millionen DM erbringen, bleibt das bare Münze, was gesagt ist.
belastet gewesen sei.
(Abg. Dr. Hellwig: Auch im Rundfunk
Nun, die Kollegen aus Bayern haben dann ge- haben Sie eine Erlösverbesserung errechnet!)
fragt, was die Regierung tun wolle, um Schäden — Passen Sie auf! Inzwischen liegt das Protokoll
oder Nachteile für die Bevölkerung zu vermeiden. vor, und aus diesem Protokoll - das werden Sie
Daraufhin hat die Bundesregierung etwas geant- nun zugeben müssen, und Herr Pohle weiß es ja;
wortet, was ich nun in der glücklichen Lage bin
im übrigen hat er es in seinen Akten, und wir
ergänzen zu können, nachdem der Herr Kollege haben gemeinsam geprüft, was stimmt — geht
Pohle, mit dem ich ja in dem Ausschuß für den hervor, daß durch die von der Hohen Behörde ver-
Gemeinsamen Markt der Montan-Union bestens ordnete Preissenkung, im Durchschnitt 2 DM —
gemeinsam deutsche Belange und deutsche Not-
wendigkeiten mich wahrzunehmen bemühe — wir angepaßt für Kohle und Kr Ks —, der deutschen
haben bis jetzt ausgezeichnet kooperiert — — Volkswirtschaft ein Betrag von 221 Millionen DM
verlorengeht.
(Abg. Kemmer [Bamberg]: Na also! — (Hört! Hört! bei der SPD.)
Weiterer Zuruf von der Mitte: Ist ja
wunderbar!) Denn mit jeder Tonne, die wir exportieren, kriegen
wir weniger Erlös.
— Warten Sie nur ab, lieber Freund, es kommt Schauen Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie heute
noch! Da wird nun zur Beschwichtigung gesagt, früh so liebenswürdig waren, andeutungsweise
daß die Aufhebung der Preisspaltung sich für den unsere Große Anfrage zu beantworten,
überwiegenden Teil der Hausbrandverbraucher
nicht in vollem Umfange auswirken werde. Denn (Heiterkeit)
— Sie wissen es — inzwischen habe sich die das ist ja eines der Dinge, die wir von der Regie-
Kohlenbergbauindustrie bereit erklärt, einen Be- rung wissen wollten, ob das den Voraussetzungen
trag von 25 Millionen DM zur Verfügung zu oder den Hoffnungen entspricht, die man in die
stellen, der in Form von Verbilligungsscheinen an Union gesetzt hat, und das hängt auch zusammen
die Bevölkerung gehe. Das sind zwei Zahlen, die mit den Startbedingungen.
aufschlußreich und interessant sind. Von den (Abg. Dr. von Brentano: Sind Sie denn
25 Millionen, die gegeben werden, lieber Kollege für Preiserhöhungen, Herr Kollege
Wieninger, steht hier in der Antwort nichts drin. Kreyssig?)
Das haben wir inzwischen aus der Presse erfahren.
Hier steht aber drin, daß die Hausbrandverbilli- — Ich komme darauf, Herr Brentano. Sie
gung, die in Wegfall kommt, eine Belastung für kommen in dieses Montanparlament auch nur,
die Bevölkerung in Höhe von 190 bis 200 Mil- wenn über die großen politischen Fragen entschie-
lionen DM bedeutet, während demgegenüber nur den wird. Wenn Sie mal vertretungsweise — der
für 25 Millionen DM Verbilligungsscheine gegeben Herr Pelster war da für Herrn Jaeger — ge-
werden. Das ist eine exakte Rechnung, die sogar kommen wären statt Herrn Pelster, hätten Sie so-
der verehrte Kollege Kunze trotz seines Kopf- gar in der vorigen Sitzung des Ausschusses für den
schüttelns einfach nachrechnen kann. Gemeinsamen Markt direkt offiziell von dem
„Europäer von Beruf", wie er sich genannt hat,
Sehen Sie, Herr Kanzler, das sind Dinge, die von Herrn Etzel, diese Auskünfte bekommen.
wir an sich hier vielleicht einmal von der Regie- (Abg. Dr. von Brentano: Das ist interessant!)
rung und nicht von der Opposition hätten erfahren
sollen, oder die Bevölkerung hätte es erfahren Ich habe gesagt, die Startbedingungen waren
sollen, schlecht, und wir haben gefragt: Was ist ge-
schehen, um sie zu verbessern? Ich brauche mich
(Zuruf von der Mitte: Sie wissen es ja schon!) gar in der vorigen Sitzung des Ausschusses für den
wenn wir diese Frage gestellt haben. Dann hat es wieder die merkwürdige Theorie entwickelt wird,
auch keinen Zweck, wenn Sie sagen — wenn ich wir Sozialdemokraten empfänden Genugtuung
Sie recht verstanden habe, haben Sie das heute darüber, wie die Dinge laufen. Genau das Gegen-
früh gesagt —, das seien die Herren, die Ihnen das teil ist wahr. Es ist schade, daß Herr Gerstenmaier
1132 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Kreyssig)
jetzt nicht anwesend ist. Aber er ist sehr ange- also nun, Herr Kanzler, alle die Fragen an Sie
strengt und muß sich wahrscheinlich von seiner richten, die Sie heute früh durch Ihre mangelhafte
Rede erholen und stärken. Ich würde sonst sogar Beantwortung unserer Großen Anfrage ausgelöst
ihm verständlich machen können, daß wir Sozial- haben.
demokraten, nachdem dieser Vertrag für 50 Jahre (Lebhafte Zurufe von der Mitte.)
gültig ist, allerdings der Meinung sind, daß wir — Bitte, was Sie sich immer aufregen müssen!
hier das Beste herausholen müssen, was möglich Solange sogar der Bundeskanzler der Meinung ist,
ist, — und soviel Schäden wie möglich zu ver- daß das richtig ist, was ich sage — —. Wir werden
meiden haben, die sonst auf die Bundesrepublik ja hören, was sein Bundeswirtschaftsminister, der
fallen. Ob Ihnen das behagt oder nicht behagt, ist heute offenbar Redeerlaubnis zum Schumanplan
Ihre Angelegenheit. Wir Sozialdemokraten waren hat, zu sagen hat.
durchaus damit zufrieden, daß die gesamte
Gemeinsame Versammlung die Resolution ange- (Beifall bei der SPD. — Lachen in der
nommen hat, die durch unsere Initiative im In- Mitte.)
vestitionsausschuß in Straßburg im Januar er- — Meine Damen und Herren, bis jetzt hat der
arbeitet worden ist. Bundeswirtschaftsminister — damit ich Ihr Ge-
dächtnis ein bißchen auffrische und die neuen Kol-
(Abg. Dr. von Brentano: So vernünftig sind legen davon informiere — zum Schumanplan noch
wir!)
nicht ein einziges Mal auch nur ein Wort gesagt.
— Bravo, das freut mich. Ich hoffe, Sie bleiben es. (Hört! Hört! bei der SPD.)
(Abg. Dr. von Brentano: Immer! — Heiterkeit.) Diejenigen — ich will das gleich einfügen —, die
- Na, freuen wir uns darüber. Aber warten wir dem Herrn Bundeskanzler das Material für seine
ab; es gibt noch mehr Sitzungen. Rede gegeben haben, sollten doch nun wirklich
Damals haben wir die ganze Versammlung des endlich auch einmal wenigstens den Schumanplan,
Montanparlaments — das sind immerhin 78 supra- den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft
nationale Abgeordnete, von denen wir Deutsche für Kohle und Stahl, so gründlich lesen, daß sie
nur 18 sind, und die Opposition nur 6 von den 18 wissen, was drinsteht. Schauen Sie, was nun das
— dahin gebracht, einstimmig die Hohe Behörde anlangt, Herr Bundeskanzler: Es gibt nicht meh-
aufzufordern, die Möglichkeiten aus dem Vertrag rere Fristen, es gibt fünf Jahre Übergangszeit. Die
wahrzunehmen, um eben daraus und aus der fängt nicht für die Kohle an einem Termin und
Politik der Hohen Behörde etwas Vernünftiges zu für den Stahl an einem anderen an, sondern völlig
machen. einwandfrei und klar heißt es in dem Übergangs-
abkommen:
Herr Bundeskanzler, wenn Sie heute früh als
Außenminister und Bundeskanzler und gleich- Die Übergangszeit beginnt mit der Errichtung
zeitig Wirtschaftsressortverwalter — Sie bestim- des gemeinsamen Marktes und endet mit Ab
men ja die Richtlinien der Politik — geantwortet lauf einer Frist von fünf Jahren nach der Er
haben, — — richtung des gemeinsamen Marktes für Kohle.
(Zuruf von der Mitte: Der kommt noch!) Und damit ist es aus. Wenn der Edelstahl erst
jetzt am 1. Juni in den gemeinsamen Markt hinein-
— Um so besser; wenn wir die Antwort auch noch
kriegen, dann wäre es ja — kommt, ändert das auch nichts daran. Es gibt nur
eine fünfjährige Übergangsfrist.
(Zuruf des Abg. Hilbert.) (Zuruf von der Mitte: Das stimmt genau
Ich will Ihnen mal eines sagen, Herr Hilbert, mit mit dem überein, was der Bundeskanzler
aller Aufrichtigkeit und auch mit aller Unmißver- gesagt hat!) -
ständlichkeit. Wenn Sie als Regierungskoalition — Der Herr Bundeskanzler hat etwas anderes ge-
und Sie, Herr Kanzler, der Meinung sind, daß der
Herr Bundeswirtschaftsminister unsere begründete sagt! Ich habe ihm ausgezeichnet zugehört. Er hat
Anfrage beantworten soll, dann wäre es fair ge- gesagt, die Übergangszeit beginnt bei Kohle im
wesen und richtig gewesen, ihn vorher sprechen Februar und bei Stahl später.
zu lassen (Zurufe von der Mitte: Nein! — Abg. Kunze
(lebhafte Zustimmung bei der SPD) [Bethel] : Da sind Sie wirklich momentan im
Irrtum!)
und nicht erst die Aussprache laufen zu lassen. — Also, wenn ich das nicht genau gehört haben
Ich will Ihnen nur sagen: Glauben Sie ja nicht, daß
wir davor Bange haben, daß der Herr Professor sollte, bin ich sogar damit zufrieden, feststellen
Erhard nachher kommt und wir nicht zu ant- zu können, daß die Texte aus dem Abkommen
worten wüßten! wirklich exakt bekannt sind. Aber bis zur Ein-
sicht des Protokolls habe ich einen kleinen Vor-
(Erneute Zustimmung bei der SPD.) behalt.
Aber ich bin der Meinung, man soll bei Großen (Abg. Heiland: Das Protokoll kann man
Anfragen die parlamentarischen Spielregeln ein- ändern! — Gegenrufe von der Mitte: Der
halten. Das gehört zum Parlament und gehört zu Text der Rede ist doch schon verteilt!)
einer sauberen Demokratie. Ich komme nun zu dem Thema zurück, von dem
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Sie mich auch durch Zwischenrufe nicht abbrin-
Kunze [Bethel]: Ganz unsere Meinung!) gen werden. Auf Grund der Zahlen, die wir von
Herrn Professor Erhard in allen Ehren, ich freue der Hohen Behörde unter dem Vorsitz des Vize-
mich, daß ich mal wieder die Klinge mit Ihnen präsidenten Etzel— was die Hohe Behörde
kreuzen kann, dann besonders unverdächtig macht — bekommen
haben, haben wir jedenfalls den Nachweis be-
(Lachen bei den Regierungsparteien) kommen, daß sich die Erlöslage für den Bergbau
und mein Kollege Deist wird das auch tun. Ich in keiner Weise gebessert habe. Ganz im Gegen-
hoffe, daß das in einer Form geschieht, daß wir teil, dadurch, daß die Kohle insgesamt und auch
hier konkrete Antworten bekommen. Ich werde der Koks um 2 DM billiger verkauft werden müs-
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1133
(Dr. Kreyssig)
sen — das weiß Herr Pohle und alle anderen auch—, 30. Juni, glaube ich, am Leben bleibt. Dann muß
ist die Situation vieler deutscher Zechen weit weiter verhandelt werden. Ich halte es für einen
schwieriger geworden, als sie vorher gewesen ist. großen Fortschritt, daß sogar der Herr Bundes-
Auf der anderen Seite ist aber die Situation ein- wirtschaftsminister eingesehen und zugegeben hat,
getreten, daß der Vorsprung der französischen man könne auf dem Sektor von Kohle und Stahl
Stahlindustrie in Lothringen noch größer gewor- mit freien Preisen und freiem Wettbewerb
den ist. Warum reden Sie um die Dinge herum? bestenfalls ein Chaos schaffen, aber keine ver-
Wir wissen von einem Sprecher von „GEORG" — nünftige Wirtschaftspolitik betreiben. Der Herr
das ist die berühmte Abkürzung für die Gemein- Minister Erhard hat durch seinen Vertreter, den
schaftsorganisation für den Kohlenverkauf an der Herrn Staatssekretär Westrick, den er immer mal
Ruhr —, daß dort gesagt worden ist, daß die nach Luxemburg schickt, durchgesetzt, daß keine
neue Kohlepreisfestsetzung „eindeutig zum Nut- Preisfreigabe bei der Kohle erfolgte, die wir auch
zen der französischen Stahlindustrie erfolgt" sei. für einen unmöglichen Zustand halten. Er hat er-
Da hat man sich beklagt und war überrascht, reicht, daß die Preisfestsetzung für die Kohle
daß die Kohlepreisfestsetzung mit Zustimmung durch die Montanbehörde in Luxemburg zunächst
der Bunderegierung erfolgt ist. einmal wieder für ein Jahr oder eine entspre-
Nun, Herr von Brentano hat, glaube ich, den un- chend lange Frist durchgeführt worden ist.
vorsichtigen Zwischenruf gemacht, ob ich freie Hier zeigt sich also eine gewisse Einsicht, daß
Preise wolle. bestimmte Dinge unbedingt notwendig sind. Wenn
(Abg. Dr. von Brentano: Höhere!) diese Einsichten wachsen, sind wir sogar davon
— Von höheren Preisen hat kein vernünftiger überzeugt, daß wir Sozialdemokraten bei solcher
Mensch geredet. Ich stelle aber die Tatsache fest, Kooperation in der Lage sind, aus der Montan-
daß jeder Bürgen in der Bundesrepublik, obwohl Union ein brauchbares Instrument zu machen, das
der Schumanplan die Besserung der Lebenshaltung schlimme Dinge verhüten kann.
herbeiführen soll, den Hausbrand um 60 bis 65 Pf en- (Beifall in der Mitte.)
nig teurer bezahlen muß. Denn wenn die Bevölke- — Wenn Sie dafür der Sozialdemokratie Beifall
rung bisher den Hausbrand um 200 Millionen DM spenden, dann möchte ich Ihnen in Erwiderung
billiger bekommen hat, dieser aber jetzt um 200 des Dankes doch wenigstens empfehlen, einigen
Millionen DM verteuert wird — minus 25 Millio- Ihrer Kollegen den guten Rat zu geben, keine
nen DM für Verbesserungsscheine —, dann wird törichten Zeitungsartikel zu schreiben, wo nach-
damit dem kleinsten Mann auf der Straße klar, her so alle möglichen Schwätzerchen dabei heraus-
was es bedeutet, wenn man die Verfügungsgewalt kommen und die Sache verschoben wird. Sie ken-
über Kohle und Stahl nicht mehr in der Hand hat, nen ja wahrscheinlich besser als ich Ihre Leib-
sondern auf die Entscheidung einer supranatio- schmerzen!
nalen Behörde angewiesen ist.
(Abg. Dr. von Brentano: Gegenseitig!)
(Abg. Dr. von Brentano: Das ist auch
logisch!) — Nein, wir haben in dieser Hinsicht keine.
— Das ist sehr logisch, Herr von Brentano! Wenn (Heiterkeit und Zurufe in der Mitte.)
Sie da nicht mitkommen, kann ich Ihnen nicht Sie wissen aber, was ich meine. Wir kommen dann
helfen. auf eine viel vernünftigere Basis.
(Abg. Dr. von Brentano: Da komme ich (Zuruf von der Mitte: Dunkel ist der
auch nicht mit!) Rede Sinn!)
Nun, das ist die eine Situation. Herr Bundeskanzler, Sie haben heute früh auch
geantwortet, daß Sie sehr vieles zur Verbesserung
Ich muß nun, da wir von der Kohle sprechen der Startbedingungen getan hätten. Man hat
und ich nicht noch einmal darauf zurückkommen Ihnen einige Zahlen über Investitionen genannt.
will und nachdem ich schon einen Vertreter von Sie haben sich dann darüber gefreut, daß die
„GEORG" zitiert habe, auf eine sehr ernste Frage Hohe Behörde von Amerika eine Anleihe bekom-
eingehen, die in unserer Großen Anfrage einbe- men hat.
griffen ist. Wir entsinnen uns — und der Herr
Bundeskanzler wird es auch ganz genau wissen, Dazu muß ich ein paar Dinge sagen. Ich möchte
denn er hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis —, dabei zunächst die Frage stellen — vielleicht kann
daß er kurz nach der Annahme des Schumanplans sie nachher Professor Erhard beantworten —, ob
im Bundestag den Hohen Kommissaren einen Sie unter Verbesserung der Startbedingungen für
Brief geschrieben hat, die Bundesregierung sei die deutsche Kohle- und Stahlindustrie etwa ver-
damit einverstanden, daß der Deutsche Kohlever- stehen wollen, daß die Franzosen jetzt mit einem
kauf, DKV, bis Mitte des Jahres 1952 aufgelöst Aufwand von 15 Milliarden Franken eine der be-
wird. Wir waren überrascht, als wir nach eini- sten Gruben im Ruhrgebiet gekauft haben, nämlich
gen Rückfragen mit einiger Verzögerung von die- die Harpener Bergbau AG., die eine ausgezeichnete
sem Schreiben Kenntnis bekamen. Die Alliierten Kokskohle liefert.
bestanden nun darauf, da sie ja erklärt hatten, daß (Hört! Hört! bei der SPD.)
es keine Kartelle und dergleichen mehr geben Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Geld für
dürfe; und zweitens ist in dem Schumanplanver- den Kauf dieser Kohlengrube, mit der nun der
trag festgestellt, daß es keine Kartelle mehr geben lothringische Stahl aus eigener Produktion, wenn
soll. sie auch auf deutschem Gebiet liegt, wer weiß, wie
Nun, wir haben eine, wie soll ich sagen, sehr billig — mit Werksverrechnungen — versorgt wer-
delikate Situation. Unser Herr Bundeswirtschafts- den kann, wodurch er in der Konkurrenz wieder
minister, der ja auch landauf, landab für freie überlegen wird, von der französischen Regierung
Wirtschaft und gegen alle Kartelle ficht, hat es in Form einer Anleihe zu außerordentlich günsti-
— ich sage es ausdrücklich — dankenswerterweise gen, vorteilhaften Bedingungen gegeben worden
erreicht, daß der GEORG, die Kohleverkaufsorga- ist?
nisation des Ruhrgebiets, wenigstens noch bis zum (Hört! Hört! bei der SPD.)
1134 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Kreyssig)
Es ist kein Aprilscherz, wenn „Le Monde" am getan hat. Es ist dann nicht ausreichend, einfach
1. April darüber berichtet hat. In „Le Monde" stand zu sagen: Wir haben einiges für die Startbedingun-
am 1. April als große Schlagzeile zu lesen: „Dank gen getan und dergleichen mehr.
eines von der französischen Regierung gewährten Zurück zu der Anleihe. M. Monnet, der Präsident
Kredits konnte die lothringische Stahlindustrie eine der Hohen Behörde, kommt mit ganzen 100 Mil-
der schönsten Gruben der Ruhr erwerben." Ver- lionen Dollar nach Hause. Im Juni vergangenen
käufer ist ein wahrscheinlich sehr braver natio- Jahres hat M. Monnet in der Versammlung des
naler Mann. Er heißt Flick. Mehr brauche ich nicht Montanparlaments in Straßburg die große Unruhe
zu sagen. Der Name Flick hat eine gewisse Ver- und Unzufriedenheit mit dem Anlaufen des Ex-
gangenheit und keinen allzu guten Ruf. Aber „Le periments durch die Erklärung abgefangen — die
Monde" hat dazu noch etwas geschrieben, was in Zeugen sitzen unter uns; sie haben es mitgehört —:
das Gebiet fällt. Ich glaube sagen zu dürfen, daß Hier habe ich die große Zusage aus Amerika. Und
der Herr Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als da wurde von einer halben Milliarde Dollar, viel-
Außenminister oder sein Stellvertreter im Minister- leicht sogar von einer Milliarde Dollar gesprochen.
rat der Montan-Union vielleicht einmal ein Wort M. Monnet hat es für notwendig oder richtig ge-
im Interesse der Bundesrepublik und in unser aller halten, an Herrn Vizepräsidenten Etzel ein Tele-
gemeinsamem Interesse reden müßte. Es hat in „Le gramm zu schicken, welches besagt, daß das Ver-
Monde" außerdem gestanden, und zwar fett ge- halten der deutschen Industrie und die Kritik, die
druckt, damit es ja keiner übersieht, diese Erwer- sich an den schlechten Ergebnissen des Gemeinsa-
bung stelle eine mutige Operation der lothringi- men Marktes — die man doch nicht wegdiskutieren
schen Stahlindustrie dar. Diese wolle sich „von der kann — entzündet hat, die Anleiheverhandlungen
traditionellen Vormundschaft Deutschlands be- in Amerika entscheidend gestört haben. Nun, jeder
freien, das die Kokslieferungen einschränke, um die wußte schon zu dem Zeitpunkt, als wir im Januar
Entwicklung der französischen Stahlindustrie zu die Sitzung hatten und als dann M. Monnet nach
hindern." Berlin geflogen war, um sich dort mit dem Außen-
Nachdem wir 4 1/2 Millionen Tonnen Koks auf minister Dulles zu unterhalten, daß die Anleihe-
Halde haben, einmal weil die Franzosen viel weni- aussichten erheblich gesunken waren. Schön, es
ger Koks abnehmen, als sie ursprünglich benötig- sind 100 Millionen Dollar. In den deutschen Zeitun-
ten, weil sie nämlich durch ihre Produktionsüber- gen steht — natürlich etwas, wie soll ich sagen,
legenheit gar nicht mehr so auf unseren Koks an- ausgerichtet oder dirigiert; in einer Art „gelenkter
gewiesen sind, wie das früher einmal der Fall war, Meinung" —: Keine große Enttäuschung. Man
und zum anderen infolge dieser Überlegenheit na- spricht von der Anerkennung und von allen mög-
türlich auch die deutsche Stahlindustrie weniger lichen Dingen, die man an die Anleihe knüpft.
arbeitet und weniger verbraucht, kann uns ja weiß Aber es kommt auch die Frage: Was wird denn
Gott niemand den Vorwurf machen, wir schütteten Deutschland wohl davon bekommen?
aus lauter Böswilligkeit den Koks auf Halde, bloß Wir haben den Tätigkeitsbericht der Hohen Be-
damit die Franzosen nicht produzieren könnten. hörde, den wir von der übernächsten Woche an
Außerdem stimmt es nicht. Ich will Sie jetzt nicht während zweier Wochen in Straßburg gründlich
langweilen, nachdem Herr Dr. Pohle schon so viele diskutieren werden, inzwischen bekommen. Ich
Zahlen genannt hat. Tatsache ist jedoch, daß die darf einmal auf Dinge aufmerksam machen,
französische Stahlindustrie in einem erheblichen die die deutsche Bevölkerung interessieren und die
Umfange nach Deutschland exportiert hat, zu La- auch dieses Parlament wissen soll. Wir haben ja
sten der Stahlindustrie, die bei uns in Deutschland sogar in der Parlamentarischen Gesellschaft be-
arbeitet und dazu übergegangen ist, Arbeiter zu schlossen, solche Debatten hier im Plenum zu füh-
entlassen. Lesen Sie die Berichte aus den Haupt- ren. Vom 1. Januar 1953 bis 1. Januar 1954 hat die
versammlungen! Herr Abs hat ja nicht nur eine Hohe Behörde insgesamt 43 Millionen Dollar aus
nette Bemerkung über die Montan-Union gemacht, Umlagen von der Kohle- und Stahlindustrie der
sondern auch mitgeteilt, daß man schon 1000 und sechs Montanländer bekommen: Sie erhebt augen-
1500 und mehr Arbeiter entlassen mußte, weil der blicklich 0,9 % von den Nettoumsätzen. In dem
Produktionsgang nachläßt. Wenn Sie Bedenken ha- Jahr, das ich hier erwähne, war die Abgabe gestaf-
ben, daß wir die Dinge falsch sehen oder etwa die felt. Von diesen 43 Millionen Dollar hat die Bun-
Absicht hätten, die Dinge schlechter zu sehen, als desrepublik 47 % bezahlt. Das sind 20,21 Millionen
sie sind, dann darf ich auf eine Erklärung des Un- Dollar oder rund 85 Millionen DM. Es wird wahr-
ternehmensverbandes Ruhrbergbau in Essen hin- scheinlich niemanden unter uns geben, der glaubt,
weisen: daß das, was wir möglicherweise aus der Anleihe
Aus der Tatsache, daß wir 3,82 Millionen Ton- von 100 Millionen Dollar, die Herr Monnet nach
nen Koks und 1,23 Millionen Tonnen Kohle auf Hause bringt, für Deutschland bekommen könnten,
Halde haben, geht eindeutig hervor, daß die etwa diesem Umfang entspricht.
derzeitigen Absatzschwierigkeiten in erster Ich komme auf das zurück, was ich zur Kohlen-
Linie in den geringen Abrufen der Eisen- und preissenkung sagte. Wir geben an die Montan-
Stahlindustrie begründet sind. Diese Abrufe Union durch den um 2 Mark gesenkten Kohlenpreis
haben sich keineswegs gebessert, und irgend- noch einmal beachtliche Summen in der Größen-
welche Anzeichen für eine Änderung der Lage ordnung von 40 oder 60 Millionen pro Jahr, und,
in absehbarer Zukunft sind dem Ruhrbergbau meine Damen und Herren, Herr Wirtschaftsminister
nicht bekannt. und auch Herr Bundeskanzler, wir zahlen außer-
Herr Bundeskanzler, das war einer der Gründe: dem noch, beinahe als einziges Land, die Ausgleichs-
die Unruhe, die seit Wochen und Monaten vorhan- umlage für diejenigen Länder, die betroffen wer-
den ist, die Tatsache, daß ungefähr schon 200 000 den, für die belgischen Kohlengruben und ähnliche
Bergarbeiter Feierschichten verfahren haben und Dinge. Dort ist dafür gesorgt, daß keine Schäden
daß wir auch von Stahlwerken wissen, bei denen entstehen. Wenn wir das zusammenrechnen, kostet
langsam die roten Ziffern in Erscheinung treten. Des- uns diese Mitgliedschaft in der Montan-Union pro
halb wollten wir wissen, was die Bundesregierung Jahr — Herr Pferdmenges ist am Rechnen; er hat
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1135
(Dr. Kreyssig)
es schneller raus als ich, scheint's, ich kann aber aus dieser Antwort nicht folgern und nicht etwa
auch rechnen — 80 oder 85 und noch einmal 75 folgern müssen, daß die Bundesregierung noch
— diese 75 sind die Ausgleichsumlage, die sich lang- geraume Weile zusieht, wie die Dinge weiterlaufen,
sam reduziert —, das sind 160 Millionen. Dazu bis sich, sagen wir, das Maximum an Nachteilen
kommt das, was wir an jeder Tonne Kohle und ergeben hat, das sie zum Eingreifen veranlaßt. Ich
Koks um 2 Mark weniger als Erlös bekommen. glaube, es ist höchste Zeit, und zwar deshalb, weil
Da ist die Frage, ob das nun alles den Erwartun- wir aus dem Vorgehen, aus den Anträgen, aus der
gen entspricht, die die Bundesregierung in den Diskussion der Abgeordneten der anderen Länder
Vertrag gesetzt hat, immerhin einigermaßen be- merken, wie energisch und mit wieviel Nachdruck
rechtigt. Aber reden wir nicht mehr länger über die Regierungen dieser Länder darum besorgt sind,
dies Dolchstoßprogramm von Herrn Monnet. Das ist daß möglichst alles Nachteilige hier bei uns
ganz offensichtlich, da er ja sonst ganz gute Ner- bleibt — die wir so schön vorgeleistet haben —
ven hat, ein „supranationaler Betriebsunfall"; das und den anderen Ländern kein Schaden entsteht.
nehmen wir nicht so tragisch. Die Bundesregierung, das ist die Auffassung der
Was uns viel mehr interessiert — und hier kom- Opposition, muß also weit mehr tun, und sie sollte
men wir auf die Frage der Aktivität der Bundes- gerade auch im Ministerrat im Interesse einer
regierung im Ministerrat und im Rahmen der Mög- Konjunkturpolitik aktiv werden. Wir haben er-
lichkeiten der Montan-Union —, ist z. B. die Tat- reicht — Herr Pohle hat den Antrag, den ich im
sache, daß gerade jetzt die British Iron and Steel Ausschuß vorgeschlagen habe und der dann ein-
Federation, also der Eisen- und Stahlverband Eng- stimmig angenommen worden ist, sogar noch er-
lands, erklärt hat, daß er mit aller Energie und weitert —, daß von der Hohen Behörde den Parla-
mit allen Argumenten gegen eine Assoziierung mentsausschüssen die Unterlagen über Konjunktur-
Englands an die Montan-Union angehen wird. Nun, beurteilung und einiges andere mehr vorgelegt
das ist einer der entscheidenden Punkte. Wenn es werden müssen. Das muß auch im Ministerrat
nicht gelingt, durch eine Politik — zu der eben die vorangetrieben werden, sonst kommen wir in
Bundesregierung beitragen muß, wenn die anderen Schwierigkeiten.
sie nicht richtig hinkriegen — die Montan-Union Herr Bundeskanzler, da dieses supranationale
aktionsfähig und wenigstens zu einem Teilinstru- Parlament gottlob ein, wenn auch nur mit geringen
ment für Europa zu machen, das einen Anreiz für Rechten ausgestattetes, so doch einwandfrei demo-
England und andere Länder bietet, dann bleiben kratisches Parlament ist, hätte ich noch eine Bitte,
wir auf diesem Sektor der Teilintegration stehen. die ich allerdings vorläufig nur für die Opposition
Der Wissenschaftliche Beirat und viele andere kluge aussprechen kann, die ich aber eigentlich für die
Leute, die darüber nachgedacht haben, sogar in 18 deutschen Delegierten im Montan-Parlament
Ihren Reihen, wissen, daß es zu nichts führen kann, gern aussprechen möchte: daß Sie im Ministerrat
wenn man nicht über diesen Zustand hinauskommt. nicht mehr so viel Mühe darauf verwenden, zu
Deshalb haben wir die Frage gestellt, was die erreichen, daß der Ministerrat in jedem Ausschuß
Bundesregierung getan hat, um den Beschluß im vertreten ist — er hat seine eigenen Funktionen —,
Ministerrat durchzuführen. Der Herr Bundes- sondern daß sich in Zukunft die Tätigkeit und die
kanzler hat uns geantwortet, die Bundesregierung Aktivität der deutschen Regierung vor allem auf
sei eifrig bemüht, diesem Beschluß nach Kräften das konzentriert, was wirklich notwendig ist.
zur Realisierung zu verhelfen. Aber schauen Sie, Da ich gehört habe, daß sich der Herr Bundes-
Herr Bundeskanzler, bei diesem supranationalen wirtschaftsminister noch zu Wort melden und noch
Parlament sind wir nun einmal in der — Gott sei sprechen wird, möchte ich daran erinnern — - damit
Dank, möchte ich sagen — glücklichen Lage, in er die Möglichkeit hat, darauf zu antworten —, daß
ihm und durch seine Ausschüsse einiges zu erfah- M. Monnet erklärt hat, die Anleihe, die er nach
ren und auch einiges über das zu erfahren, was die Hause bringe, und wenn es auch nur die 100 Mil-
deutsche Regierung im Ministerrat tut. Wir haben lionen seien, sei zur Durchführung dessen gedacht,
uns erkundigt, was aus der Realisierung des Be- was er gewissermaßen den „Monnet-Plan für West-
schlusses geworden ist. Die Antwort lautete: man europa" nennt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister
wird einige Experten über Konjunkturbeurteilung wird wahrscheinlich wissen oder es durch die Re-
und dergleichen mehr in den nächsten Monaten ferenten mitgeteilt bekommen haben, wie die Hohe
oder Wochen mal zusammenrufen. Es ist also seit Behörde den Investitionsbedarf einschätzt. Wir
dem 13. Oktober 1953 bis heute nichts geschehen, haben an schwebenden Investitionen allein im
um zu einer gemeinsamen Politik in der Montan- Kohlenbergbau 1 3 /4 Milliarden Dollar in der
Union zu kommen, um die Ausweitung der In- Montan-Union, an die 6 Milliarden Dollar an Ge-
vestitionen zu überprüfen und um regelmäßig die samtprojekten überhaupt.
Konjunkturlage zu prüfen und zu verfolgen. Ich darf noch auf eines hinweisen, was vielleicht
Das sind aber entscheidend wichtige Dinge, wenn die deutschen Vertreter im Ministerrat einmal zum
wir nicht Gefahr laufen wollen, daß sich die Nachdenken bringt: während in anderen Ländern
Situation verschlechtert oder weiter zu unseren die Entwicklung gut gegangen ist, vor allem in
Ungunsten entwickelt, Daß sie zu unseren Gunsten England, hat die Montan-Union 11,5 Millionen t
verlaufen sei, hat bis jetzt noch niemand behaup- Steinkohle auf Lager, daneben ungefähr 4,5 bis
tet; Herr Pohle hat sehr geschickt und gut und 5 Millionen t Koks. Da wir das Hauptlieferland
sorgfältig formuliert. Die Tatsachen sind bekannt. sind — wir stellen ungefähr 65% der Kohle, Herr
Wir wissen nun einmal, daß die Dinge weitaus Kunze —
schlechter gelaufen sind, als vorher angenommen
worden ist. Als sich der Herr Kanzler bemühte, (Zuruf des Abg. Kunze [Bethel])
diesen Teil unserer Großen Anfrage zu beantworten, — ich dachte, Sie wollten etwas erwidern, weil Sie
hat er gesagt, daß bisher die Befürchtungen bezüg- den Kopf schütteln —, ist natürlich jeder Rück
lich der Anfangsschäden und -schwierigkeiten, die schlag, der einsetzt, in der Bundesrepublik doppelt
die Bundesregierung gehegt habe, in geringerem und dreifach fühlbar. Deshalb sind unsere Anfragen
Umfang als erwartet eingetreten seien. Ich möchte von der Sorge geleitet gewesen, ob die Bundes-
1136 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Dr. Kreyssig)
regierung die Dinge richtig sieht, ob sie bereit ist, — Wenn Sie wenigstens geistreich und zugleich
in dem Umfang und nach den Möglichkeiten, die laut sprächen, könnte ich es verstehen. Seinerzeit,
der Montanvertrag und der Ministerrat geben, als der Vertrag ratifiziert wurde, ist von sehr viel
aktiv zu werden und dadurch größere Nachteile Begeisterung die Rede gewesen. Wir haben davon
für die Bundesrepublik zu verhüten. gehört, daß die große Sinfonie von Stahl und Kohle
Als letztes folgendes. mit dem neuen europäischen Geist und der neuen
(Zuruf von der Mitte.) europäischen Einstellung jetzt über Europa er-
tönen wird. Wenn man nun einmal in aller Nüch-
— Herr Kollege, Sie bedauern das wohl? Ich kann ternheit einen Versuch macht, zu diesen begeister-
Ihnen noch eine Stunde Unterricht geben, damit ten Europäern zu sprechen, und wenn man heute
Sie etwas lernen, und mehr lernen. nach anderthalb oder beinahe zwei Jahren sich
(Zurufe von der Mitte.) fragt, wie sich denn der Gemeinsame Markt aus-
Es kann Ihnen bestimmt nichts schaden, das kann gewirkt hat und wie es mit den Startbedingungen,
ich Ihnen obendrein sagen. Absatzbedingungen und alledem aussieht, dann
(Erneute Zurufe von der Mitte.) kommt man zu dem Ergebnis: jetzt sind wir aller-
Wir haben auf Drucksache 459 im Hinblick auf dings auf diesem Gemeinsamen Markt im freien
die Möglichkeiten der Revision des Vertrages nach Lauf des Wettbewerbs. Die lothringische Industrie
Ablauf der fünfjährigen Anlauffrist beantragt, und damit die französische Industrie hat eine aus-
einen Ausschuß einzusetzen, in dem wir diese gezeichnete Aschenbahn, gut und solide mit deut-
Probleme gründlich beraten können. Herr Pohle schem Koks fundiert. Wenn ich mir aber ansehe,
hat gesagt, da sei manches Gute, vielleicht auch wie es bei uns aussieht, dann habe ich das Gefühl,
manches zu Überlegende drin. Ich möchte Sie auf daß wir bei diesem Wettlauf in den Gemeinsamen
einiges aufmerksam machen. Da der Kollege Markt auf einem sehr schlechten Knüppeldamm
Gerstenmaier nicht da ist, kann ich ihm nicht armselig hinterherhinken. Das zu beseitigen, ist
sagen, daß die Montan-Union und was damit eine der wichtigsten Aufgaben, die die Bundes-
zusammenhängt, ein ziemlich schwieriges Auf- regierung hat.
gabengebiet ist. Um da einigermaßen bewandert Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
zu sein, muß man eine ganze Menge können. Und (Beifall bei der SPD.)
wenn Herr Gerstenmaier über die Kenntnisse von
Herrn Dr. Deist so überaus erstaunt ist, so ist das Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Herr
nicht weiter verwunderlich, weil ja der Kollege Bundesminister für Wirtschaft.
Gerstenmaier in der Montan-Union auch nur „Po-
litik" macht, obwohl ich ihm zutraue, daß er den Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft:
Unterschied zwischen einem Brikett und einem Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach-
Stück Koks durchaus kennt dem mein Herr Vorredner selber der Auffassung
(Zurufe von der Mitte) war, daß die Große Anfrage, wenn auch nach seiner
Meinung unzulänglich, vom Herrn Bundeskanzler
und sich befleißigt, auch sonst in der Politik zu heute morgen beantwortet wurde, habe ich nicht
unterscheiden. — Werden Sie jetzt nur nicht zu die Absicht, zu der Großen Anfrage zu sprechen,
ernst, Herr Kollege. — Wir sind der Meinung, der sondern Herrn Kollegen Kreyssig zu antworten.
Bundestag sollte unserem Antrag, diesen Ausschuß
einzusetzen, sofort zustimmen. Ich möchte dem Ich bin von Herrn Kollegen Kreyssig drama-
Kollegen Pohle und allen unseren Kollegen aus tische Wendungen gewohnt.
dem Montanparlament sagen: wem tut es denn (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
weh? Es kann doch nur jedem von uns nutzen, und Wir kennen uns seit dem Jahre 1948. Ich bin auch
wir kommen obendrein um eine Situation herum, die düsteren Prophezeiung en aus seinem
die uns allen unbequem war, als wir nämlich ohne Munde gewohnt; sie haben nur leider die unange-
einen funktionierenden Ausschuß, bevor wir nach nehme Begleiterscheinung, daß sie niemals zu-
Straßburg fuhren, vom Auswärtigen Amt oder von treffen.
irgendeinem Minister eingeladen wurden und In- (Lebhafte Heiterkeit bei der CDU/CSU
formationen bekamen, die uns zu geben die Regie- und rechts. — Abg. Dr. Kreyssig: Immer
rung gute und gewichtige Gründe hatte. Wenn wir noch die alte Platte, Herr Erhard! Legen
den Ausschuß haben und regelmäßig unterrichtet Sie einmal eine neue auf!)
werden, können wir uns gemeinsam in aller Gründ-
lichkeit und Bedächtigkeit überlegen, was wir an — Die haben ja Sie aufgelegt, Herr Kreyssig, und
Änderungen vorschlagen können und müssen, nach- nicht ich!
dem der Vertrag keine ernsthaften Schädigungen Herr Kreyssig behauptet, daß ich mich zur Teil-
eines beteiligten Landes herbeiführen soll, während integration jeweils selbst skeptisch geäußert hätte.
das heute leider der Fall ist oder die Gefahr be- Ja, selbstverständlich! Das hat heute früh der Herr
stehen könnte. Außerdem belasten wir den Wirt- Bundeskanzler in dem gleichen Sinne getan, wie
schaftsausschuß nicht mit einer Arbeit, der er, ich es unternommen habe, indem er darauf hin-
glaube ich, nicht gewachsen ist, weil die Zusam- wies, daß eine Teilintegration nie zu der vollen
mensetzung des Ausschusses dem nicht entspricht bzw. möglichen Fruchtbarkeit gelangen kann. Aus
und der Ausschuß zu groß ist. Da wirklich nichts dem Grunde müßte es das Anliegen der Bundes-
geschieht, was irgendwie jemandem hinderlich sein regierung und meiner Ansicht nach auch des Bun-
könnte, möchte ich Sie also bitten, unserem Antrag destages sein, von der Teilintegration zu neuen
zuzustimmen. und weiteren Formen der Zusammenarbeit vor-
Zum Abschluß! wärtszuschreiten. Wenn diese Teilintegration noch
(Zuruf von der Mitte: Immer noch?) nicht weiter ausgereift ist, dann liegt die Schuld
— Ja, ich möchte jetzt auf den Sprecher eingehen, ganz bestimmt nicht bei der Bundesregierung, son-
der offenbar als nächster Redner kommt, auf den dern mehr in Ihrem Lager!
Herrn Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard. (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
(Zuruf des Abg. Hilbert.) Kreyssig: Was soll die Bemerkung, Herr
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1137
(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)
Professor Erhard! Sie sitzen im Minister- dann aber langsam abgeflossen sind. Diese Er-
rat der Montan-Union und nicht wir!) scheinungen
- sind auch nicht nur in den Montan
— Ja, daran brauchen Sie mich gar nicht zu er- Union-Ländern aufgetreten; in England war es
innern! ähnlich, und sogar in den Vereinigten Staaten
(Heiterkeit in der Mitte und rechts.) haben sich die gleichen Spannungen und Störun-
Wenn Sie sich auch als Oberlehrer des Ministerrats gen ausgewirkt. Ich behaupte noch einmal — und
aufspielen, der Ministerrat erfüllt seine Pflicht ge- ich bitte, den Gegenbeweis antreten oder durch
nau so gut wie jede andere Institution der Ge- Zahlen widerlegen zu wollen —: seitdem wir im
meinschaft. Gemeinsamen Markt sind, hat Deutschland, so-
wohl was die Produktion als auch den Absatz im
(Zuruf von der SPD: Das ist nicht Innern und im Ausland anlangt, keine schlechtere,
angekommen!) sondern eine bessere Entwicklung genommen als
Im übrigen frage ich mich: was steckt denn die übrigen Teilnehmerländer.
eigentlich hinter dieser Dramatisierung der Si- Sie sprachen ein großes Wort gelassen aus, wenn
tuation bei Kohle, Eisen und Stahl? Sie sagten, wir verschenkten die Kohle. Leider sind
(Zuruf von der SPD: Der Hausbrand!) wir dazu nicht in der Lage.
Zunächst einmal ist eines ganz deutlich geworden: (Abg. Dr. Kreyssig: Das habe ich nicht
Wir sind unter ungünstigeren Startbedingungen in gesagt! Hören Sie besser zu, was ich sage!)
den Gemeinsamen Markt gegangen, aber das war Die deutsche Kohle wäre im Preis auch dann rück-
selbstverständlich. läufig gewesen, wenn die Hohe Behörde gewisse
(Abg. Heiland: Das haben Sie damals Preisnachlässe nicht verfügt hätte. Die deutschen
aber bestritten!) Kohlenbehörden haben z. B. bei Kohlesorten, für
Das ist ja die Tragik unseres Schicksals nach dem die Preisermäßigungen nicht von der Hohen Be-
verlorenen Krieg und allen seinen Folgeerscheinun- hörde dekretiert worden sind, den Preis freiwillig
gen gewesen. Heute ist aber auch deutlich gewor- ermäßigt, weil eben die Marktlage das hat sinnvoll
den, was gerade der Beitritt zum Gemeinsamen erscheinen lassen. Da kann man doch nicht von
Markt uns an Befreiungen und Entlastungen ge- Verschenken von Kohle sprechen. Der Kohlenpreis
bracht hat. Ich meine, man sollte nicht immer mit ist von der Konjunktur, von der Absatzsituation
den „ollen Kamellen" kommen. Wir wissen alle, abhängig wie jeder andere Preis auch.
was sich bis zum Jahre 1948 ereignet hat und wir (Abg. Dr. Kreyssig: Für 5 % der gesamten
wissen auch, daß man das nicht an einem Tage Förderung!)
aufholen kann. Ob die Hohe Behörde den Preis geändert hat oder
(Abg. Dr. Kreyssig: Kritisieren Sie den ob wir ihn freiwillig geändert haben, es war jeden-
Kánzler? Sie haben doch mit den alten falls eine aus der Marktsituation heraus sich er-
Kamellen angefangen!) gebende Notwendigkeit.
Sie haben mit keinem Wort und mit keiner Zahl Im übrigen werden bei Kohle jetzt Sommer-
beweisen können, daß die Bundesrepublik, seit sie rabatte gegeben, und des weiteren sind auch die
im Gemeinsamen Markt ist, in irgendeiner Be- Zuschüsse für den Hausbrand für den nächsten
ziehung, sei es hinsichtlich der Produktion oder Winter verfügbar. Diese Regelung ist im Einver-
der Ausfuhr, schlechter weggekommen wäre als nehmen und mit voller Zustimmung der Gewerk-
irgendein anderes beteiligtes Land. Im Gegenteil! schaften getroffen worden, so daß ich nicht weiß,
Seitdem wir im Schumanplan sind — nehmen Sie warum Sie hier päpstlicher sein wollen als - der
die letzte Entwicklung, das jetzige Konjunktur- Papst. Es war alles mit dieser Regelung zufrieden,
bild —, stellt sich die deutsche Konjunktur besser und es bestand nicht der geringste Anlaß, hier nun
dar als die in allen anderen europäischen Ländern. noch einmal die Dinge zu dramatisieren.
Es gibt im Augenblick kein europäisches Land, (Abg. Dr. Kreyssig: Was heißt „dramati
dessen konjunkturelle Zeichen so günstig stehen sieren"? Ich habe festgestellt, daß beim
wie bei uns. Hausbrand die Belastung der deutschen
(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!) Bevölkerung um 175 Millionen gestiegen
Selbstverständlich wird von einer solchen allge- ist. Widerlegen Sie das!)
meinen Konjunkturbelebung zuletzt auch die — Aber ich bitte Sie, es besteht doch gar keine
Grundstoffindustrie Kohle, Eisen und Stahl nach- Veranlassung, entgegen der Übung in allen an-
gezogen, so daß der Zeitpunkt, an dem wir uns deren Ländern ausgerechnet in Deutschland die
über die angeblich schlechte Situation und Nach- Kohle unter Kostenpreis abzugeben und auch an
teile hätten unterhalten können, eigentlich schon solche Einkommensbezieher unter Kostenpreis ab-
längst vorüber ist. Ich darf daran erinnern, daß zugeben, die sich den echten Kostenpreis leisten
sich z. B. im März der Auftragseingang nicht nur können und denen man die Bezahlung des echten
für die gesamte deutsche Industrie, sondern vor Kostenpreises auch zumuten kann.
allen Dingen für die Stahlindustrie außerordentlich (Sehr richtig! bei der CDU/CSU. —
gebessert hat. Bei einem der wesentlichsten Zweige, Zurufe von der SPD.)
den Kaltziehereien, ist der Auftragseingang im Bei den Schichten, für die der jetzige Übergang
März um 100 % höher gewesen, als er im Februar zum Kostenpreis wirklich Härten mit sich bringt,
war, und alles spricht dafür, daß die Spannungen ist dafür gesorgt, daß diese Härten vermieden
praktisch überwunden sind. werden.
Wir wissen auch, woher diese Spannungen Auch heute früh sind Gedanken angeklungen,
kamen. Sie kamen gewiß nicht vom Gemeinsamen so als ob die Hohe Behörde bzw. die Montan-
Markt; es waren noch die Ausflüsse der Korea- Union als solche Maßnahmen verfügt hätten, die
Krise und der. Hysterie, die sich damals in aller sich zuungunsten Deutschlands auswirkten. Es ist
Welt austobte. Wir wissen, daß zu jener Zeit hier zum Beispiel von dem bekannten Steuerstreit
Eisen und Stahl gehortet worden ist, diese Läger gesprochen worden. Sicher war es ein Streit, und
1138 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)
auch heute noch ist keine völlige Abklärung er- dem Aufschwung möglichst alle beteiligten Länder
folgt. Aber wenn Sie so gut mit den Problemen teilhaben können.
der Hohen Behörde und des Gemeinsamen Marktes (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
vertraut sind, dann wissen Sie auch, wie hart die
Geister gerungen haben, um zu der letzten und Die Nutzanwendung aus dieser Politik der Iso-
besten Erkenntnis durchzustoßen. Sie wissen von lierung würde dahin lauten müssen: Schließe sich
dem Tynbergen-Gutachten, jedes Land ab, kehren wir wieder zur Autarkie,
zur Abschirmung, zur Devisenzwangswirtschaft zu-
(Zuruf des Abg. Dr. Kreyssig) rück, um es zu erreichen, daß nicht irgendein Un-
und Sie wissen sehr wohl, daß wir von deutscher heil, ein Störungsfaktor in der Welt auf einem an-
Seite aus selbst noch sehr heftig am Überlegen dern Markt zur Auswirkung kommt. Seien wir
sind, welches denn der richtige und gerechte Aus- uns darüber klar, und das sage ich denen, die
gleich wäre, glaubten, daß die von mir erhobene Forderung
(Abg. Dr. Kreyssig: Wir wissen sogar, nach Konvertierbarkeit der Währungen nicht mit
daß bis jetzt nichts geschehen ist!) europäischer Integration zu vereinbaren sei, daß
gerade das Gegenteil richtig ist; denn europäische
so daß man von vornherein von einer Benachtei- Integration kann niemals eine Isolierung Europas
ligung durch irgendeine Regelung jedenfalls nicht bedeuten; vielmehr wird die Integration erst dann
sprechen kann. zu voller Fruchtbarkeit gelangen, wenn auch die-
Und wenn Sie von der Konjunkturpolitik spre- ses integrierte Europa und diese Zusammenarbeit
chen, dann möchte ich Sie daran erinnern dürfen, auf einem Gemeinsamen Markt nicht an den Gren-
daß ausgerechnet ich es gewesen bin, der in der zen Europas endet, sondern in einem multilatera-
Ministerratssitzung vom Oktober vorigen Jahres len, weltweiten System mit der ganzen freien
diese Abstimmung in der Konjunkturpolitik ver- Welt frei spielen kann.
langt hat. Sie nahmen den Mund etwas voll, Herr
(Abg. Dr. Kreyssig: Bravo!) K r e y s s i g, und sprachen von 4 Milliarden Ton-
Bei den anderen Ländern glaubte man nur auf nen Kohle auf den Halden. Es sind aber nur
die Investitionspolitik eingehen zu sollen. Das An- 4 Millionen!
liegen war die Steigerung des Verbrauchs von (Heiterkeit. — Abg. Dr. Kreyssig: Da habe
Kohle, Eisen und Stahl. Da habe ich eingewandt, ich mich bestenfalls versprochen; das wissen
daß hierzu die Investitionspolitik allein nicht aus- Sie doch!)
reicht; denn zur Erzielung einer Mengenkonjunk- — Ich bin das bei Ihnen gewohnt!
tur, zur Steigerung des Verbrauchs gibt es auch
noch andere konjunkturpolitische Mittel als nur (Große Heiterkeit in der Mitte. — Abg.
die Investitionen. Im übrigen ist auch an dieser Heiland: Ist Ihnen so ein Lapsus linguae
Frage in der Zwischenzeit ernst, ehrlich und eifrig niemals passiert? — Weitere Zurufe.)
weitergearbeitet worden. Alle Länder haben die Es war auch nie von einem Kredit von einer Mil-
Unterlagen erarbeitet, und für die nächste Woche liarde Dollar die Rede, sondern es waren beschei-
ist schon die Kommission bestimmt, die dann im dene Ziffern in der Diskussion, und es ist selbst-
Konkreten auf der Ebene der Hohen Behörde an verständlich — es ist keine neue Anregung Ihrer-
die Probleme herangeht. seits —, daß man bemüht sein wird, die Abgabe
Dann möchte ich noch etwas gegen das einwen- der Montan-Union für eine Kreditgewährung und
den, was heute morgen Herr Deist gesagt hat. für Investitionen fruchtbar einzusetzen. Die- Ge-
Er stellte die schlechte Konjunktur in Frankreich spräche darüber sind mitten im Gange.
fest und meinte, durch den Gemeinsamen Markt Im ganzen möchte ich sagen: von einer „höch-
werde sozusagen diese Ungunst der Konjunktur sten Zeit zum Eingreifen" kann nun wirklich nicht
zu uns herübergeschlagen, was auch ein Nachteil in einem Augenblick gesprochen werden, in dem
der Hohen Behörde bzw. des Gemeinsamen Mark- die Konjunktur bereits wieder umgebrochen ist.
tes sei. Erstens einmal ist, wenn die französische Man bemüht sich hier fast, die Konjunktur in
Konjunktur wirklich schwächer ist als die unsere, Deutschland, die so günstig gelagert ist, wieder zu
diese Ungunst nicht zu uns herübergekommen. Ich zerreden. Aber das wird Ihnen nicht gelingen.
glaube, Sie haben auch so viel Instinkt und Ein- Mit dieser deutschen Konjunktur werden auch, wie
fühlungsvermögen in konjunkturelle Situationen, schon die Zahlen des Auftragseingangs deutlich
um zu wissen, daß bei uns keine schlechte Kon- genug beweisen, die Spannungen in der Eisen- und
junktur ist. Stahlindustrie und bei der Kohle überwunden wer-
(Zuruf des Abg. Dr. Kreyssig.) den.
Sollte aber allen Ernstes die Forderung aufge- Ein Letztes! Herr Dr. Kreyssig, Sie meinten, ich
stellt werden, daß die einzelnen Länder, um nicht war in Südamerika, um zollfrei Orden einzufüh-
von anderen Volkswirtschaften schlechte Konjunk- ren. Sie sind zwar nicht berufen, über meine
turen übernehmen zu müssen, sich gegenseitig ab- Tätigkeit zu wachen, — —
riegeln sollten? Wäre das das Ideal, wäre das der (Lebhafte Zurufe von der SPD: Doch!
Geist des kommenden Europa, wenn man sagen Doch! — Abg. Heiland: Sie scheinen die
dürfte: Frankreich ist in einer schlechten Konjunk- Rolle des Parlaments nicht zu kennen!)
tur, also abriegeln, um diese ja nicht übertreten — Nicht die Aufgaben zu begutachten, die ich in
zu lassen!? Latein-Amerika zu besorgen hatte. Ich habe z. B.
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!) mitgebracht auch zollfrei das deutsche Vermögen,
das mir in Peru übergeben worden ist;
Im Gegenteil, ich bin der Meinung, daß es gerade
ein Anliegen der europäischen Politik sein muß, (Abg. Arnholz: Und die Diamanten?)
über den Gemeinsamen Markt zu Konjunkturaus- in meiner Anwesenheit ist das Dekret unterzeich
gleichen zu kommen und dafür zu sorgen, daß an net worden, das in Chile die Kriegsverordnungen
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1139
(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)
über die Beschlagnahme des deutschen Vermögens arbeitenden Industrie haben. Das ist doch, wenn
aufhebt, man das bescheidenerweise erwähnen darf, nicht
(Abg. Dr. Kreyssig: Den Humor haben Sie zuletzt ein Verdienst der Bundesregierung ge-
in Südamerika gelassen!) wesen. An dieser günstigen Konjunkturentwick-
und auch in anderen Ländern wird das schnell lung in der verarbeitenden Industrie haben un-
sere Grundstoffindustrien aber deswegen nicht so
heranreifen — alles zollfrei, Herr Dr. Kreyssig! teilnehmen können, weil alle sich daran beteilig-
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs ten. Andererseits gab es wegen der mäßigen Kon-
parteien. — Abg. Arnholz: Wo bleiben junkturlage unserer Nachbarländer keinen ent-
die Diamanten?) sprechenden Ausgleich. Aber nach einem halben
Herr Dr. Kreyssig, Sie sagten, Sie wollen mit Jahre des Funktionierens des Marktes kann man
mir die Klingen kreuzen. Herr Dr. Kreyssig, Sie das nicht negativ auslegen, weil man ja nicht weiß,
sind noch nie besonders gut dabei weggekommen. wie Konjunkturschwankungen der nächsten Jahre
sich auswirken werden.
(Große Heiterkeit und Beifall bei den
Regierungsparteien.) Herr Kreyssig hat hier ein sehr düsteres
Ich würde auch vorsichtig sein. Denken Sie mal Bild der augenblicklichen Lage entwickelt. Es ist
daran, was Sie im Winter 1951 alles über die Kohle eben schon vom Bundeswirtschaftsminister darauf
gesagt haben, und vergleichen Sie es mit dem, was hingewiesen worden, daß seine Prognosen häufig
Sie heute dazu ausgeführt haben! düster gewesen sind. Aber nicht nur er, sondern
auch die Sprecher der SPD während der Schuman-
(Abg. Dr. Kreyssig: Über Sie gibt es ganze plan-Debatte haben ein düsteres Bild entwickelt.
Broschüren!) Sie gingen nämlich von der Unterstellung aus —
Mit Ihnen die Klingen zu kreuzen, ist mir ein als hier im Hause die Schumanplan-Debatte statt-
wahres Vergnügen. fand —, daß wir auf fünf bis zehn Jahre eine
(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs permanente Mangellage in Kohle und Stahl haben
parteien.) würden. Noch schlimmer ist es ja Herrn Loritz
Und damit glaube ich, daß der Restteil der Gro- ergangen. Sie werden sich erinnern; wenn er jetzt
ßen Anfrage erledigt sein wird. hier wäre, müßte er einen Besen fressen, weil er
behauptet hat, das würde er tun, wenn Stahl und
(Große Heiterkeit und lebhafter Beifall Kohle im Gemeinsamen Markt billiger würden
bei den Regierungsparteien.) und wenn man sie leichter erhalten könnte. Und
wie ich Herrn Loritz zu kennen glaube, würde er
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Ab- ihn jetzt tatsächlich fressen, diesen Besen.
geordnete Scheel. (Heiterkeit.)

Scheel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Meine Damen und Herren, damals hat der Pro-
und Herren! Als letzter Redner hier zu erscheinen, fessor Nölting hier für die SPD gesprochen, und
ist eine dankbare und undankbare Aufgabe zu- er ging eben von der Voraussetzung aus, daß wir
gleich; dankbar insofern, als ich definitiv die letzte eine Mangellage auf absehbare Zeit behalten
Figur bin, die Sie strapazieren wird, und ich hoffe, würden. Nun, es ist nicht so eingetreten, wie vieles
daß Sie das etwas freundlicher stimmt. nicht eintreten wird, was düster prophezeit wird.
Ich hatte bei Herrn Kreyssig manchmal den Ein-
Als ich die Große Anfrage der SPD gesehen habe, druck, daß er mit einem wahren Vergnügen wieder
habe ich mich gefragt, ob sie geschickt gestellt ist. -
mal eine Schwierigkeit entdeckt hatte, die sich uns
Ich habe Verständnis dafür, daß die SPD jetzt eine irgendwie bei der Bildung Europas in den Weg
Anfrage an die Bundesregierung stellt, um die stellte. Der einzige der damals in der Debatte —
Meinung der Bundesregierung über die Konjunk- ich darf das vielleicht noch erwähnen — sehr
turlage in Stahl und Kohle zu erfahren, jetzt, wo realistisch gewesen ist, das war der jetzige Vize-
die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vor präsident der Hohen Behörde — ich habe das ein-
der Tür stehen, in dem Land, wo Kohle gefördert mal nachgelesen —, Herr Etzel, der nämlich bei
und Eisen produziert wird. Ich habe durchaus diesen Mangellagengesprächen den Zwischenruf
Verständnis dafür. Ich habe auch Verständnis für machte: „Sie können sich darauf verlassen, in zwei
die rhetorische Frage, die sich dann anschließt: Jahren werden wir froh sein, wenn wir unsere
„Was gedenkt die Bundesregierung zu tun". Häufig Kohle verkaufen könnten!" Und genau das ist
fragt man das ja, wenn man selber nicht genau nun eingetreten.
weiß, was man tun würde.
Nun haben die Vertreter der Regierungsparteien
(Heiterkeit in der Mitte.) damals in der Debatte durchaus nicht nur in Opti-
Ich glaube aber, daß die Verbindung dieser Frage mismus gemacht. Sie waren sich darüber klar,
nach der Konjunkturentwicklung mit der Montan- daß der Montanvertrag ein politischer Wechsel ist,
Union irgendwie nicht ganz geschickt gewesen ist. ganz ohne Zweifel sogar ein Wechsel, den wir
Denn der Grund für die augenblickliche Situation akzeptiert haben, nachdem Herr Schuman ihn zu
in Kohle und Stahl liegt ja nicht in der Montan- einem Zeitpunkt ausgestellt hat, als die Lieferung
behörde, sondern im Gegenteil gerade außerhalb noch nicht erfolgt war. Ich möchte fast sagen: Wir
des Bereichs der Montan-Union. Er liegt nämlich lösen ihn heute schon ein, und die Lieferung ist
in der unterschiedlichen Konjunkturentwicklung noch immer nicht erfolgt. Das führt vielleicht zu
in den Industriebereichen außerhalb des Gemein- dem Schluß, zu sagen: Gott noch mal, das Geschäft
samen Marktes. Das ist ja der wahre Grund für hätten wir dann vielleicht besser als Kassageschäft
die augenblickliche Lage, vornehmlich für die Lage machen können. Es ist im allgemeinen billiger.
unserer Stahlindustrie, deren Zulieferant die Aber, meine Damen und Herren, für einen Käufer
Kohleindustrie ist. Wir dürfen doch mit einem ge- bedarf es einer gewissen Liquidität, wenn er
wissen Stolz behaupten, daß wir in der Bundes- Kassageschäfte machen will. Er braucht etwas Be-
republik eine sehr gute Konjunkturlage in der ver triebskapital, und gerade dieses Vertrauenskapital,
1140 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954
(Scheel)
das wir nötig gehabt hätten, besaßen wir gar nicht. nämlich die Wettbewerbslage unserer Stahl-
Wir mußten ein solches Wechselgeschäft machen. industrie im Verhältnis zu der Industrie der übri-
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!) gen teilnehmenden Nationen. Es ist hier mehrfach
gesagt worden, daß unsere Startposition eine weit-
In einem, meine Damen und Herren, hat damals
Herr Professor Nölting, mit dem ich lange im aus ungünstigere gewesen ist als die der übrigen
Landtag zusammengesessen habe, durchaus recht Teilnehmer am Montanmarkt. Die Hohe Behörde
gehabt, nämlich als er von der gespaltenen Volks- sollte das, so glaube ich, berücksichtigen, vom
wirtschaft gesprochen und gefragt hat: Wer wird Art. 66 Gebrauch machen und uns helfen, zu ver-
nun dafür sorgen, daß eines Tages die nicht inte- nünftigen Betriebsgrößen zu kommen, die erst
grierten Teile, die um den Montanmarkt herum unsere Situation erleichtern werden.
liegen, integriert werden, welches Organ gibt es Außerdem scheint es eine dankenswerte Auf-
dafür, wer wird sich darum bemühen? Diese Fage gabe zu sein, etwas dafür zu tun, daß der Stahl-
war berechtigt, und auf diese Frage hat der verbrauch pro Kopf der Bevölkerung im ganzen
Staatssekretär im Auswärtigen Amt geantwortet Montanraum auch durch die Methoden der Wer-
und gesagt, daß eine Lösung immer nur ein Schritt bung angeregt wird, so wie es die Amerikaner
nach vorn sein muß, nämlich zu einer weiteren seit Jahrzehnten und mit großem Erfolg tun. Das
Integrierung. Die Frage, die damals Herr Nölting wäre eine echte Aufgabe, die auch die Montan-
gestellt hat: Wer wird sich darum bemühen?, behörde erfüllen sollte.
müssen wir beantworten, meine Damen und Her-
ren. Wir müssen uns darum bemühen, und wir Und dann kann man nur noch den Rat geben,
müssen unseren Einfluß bei der Regierung und bei daß sich die Montanbehörde aller dirigistischen
der Hohen Behörde geltend machen, daß nun diese Maßnahmen weise enthalten möge.
Schritte getan werden, die uns notwendig er- Zu der 100-Millionen-Anleihe wäre zu sagen,
scheinen, um die Integration weiter vorwärtszu- daß es vielleicht gefährlich ist, wegen dieses Be-
treiben. trags einen Streit zu entfesseln; denn 100 Mil-
Im vorigen Jahr hat Professor Schmölders einen lionen sind in Anbetracht der Aufgaben, die in
Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen" ge- bezug auf die Investitionsvorhaben vor uns stehen,
schrieben, in dem er mit Recht gesagt hat: Der eine sehr bescheidene Summe. Wenn Sie sie einmal
Montanvertrag ist eigentlich gar nicht der erste mit Vorhaben einzelner Stahlwerke bei uns ver-
Schritt auf dem Wege zur Integration Europas, gleichen, dann werden Sie ermessen, wie gering
sondern er ist ein vorweggenommenes Ergebnis. diese Summe ist. In dem Zusammenhang ist viel-
Man hätte organisch andere Schritte vorweg tun leicht noch einmal der Hinweis darauf gestattet,
müssen. Das scheint mir sehr wesentlich auch für daß die Schaffung echter Relationen zwischen
die Entschlüsse der Hohen Behörde zu sein. Der unseren europäischen Währungssystemen und die
Vertrag als solcher unterstellt ja eine Integrations- Herbeiführung der Konvertibilität im Raume der
situation, die eigentlich gar nicht vorhanden ist, Montan-Union sicherlich die Voraussetzung dafür
und die Hohe Behörde sollte darum vielleicht in schaffen würde, daß wir im europäischen Raum
ihren Entscheidungen etwas mehr wirtschaftlich eigene Anstrengungen anstellen könnten, um
denken und weniger juristisch. Sie befindet sich Grundlagen für Investitionsvorhaben in Kohle und
nämlich augenblicklich in einer Übergangssituation, Stahl zu schaffen.
die sie immer wieder berücksichtigen muß. Sie (Sehr gut! rechts.)
sollte vielleicht die in den Vereinigten Staaten ge-
bräuchliche Rule of reasons bei ihren Entschei- Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum
dungen anwenden. Abschluß — das ist eine beliebte Redewendung
Was muß nun getan werden und welche Kritik im parlamentarischen Raum;
gibt es noch? Meine Damen und Herren, ich sagte (Abg. Kunze [Bethel] : Dabei werden Sie
schon, die Integration ist weiterzutreiben. Aber sehr ernst genommen! — Weiterer Zuruf
wie und auf welchem Wege? Der Ministerrat hat von der Mitte: Sie wird auch immer gern
nun eine ganz besondere Bedeutung. Eigentlich gehört!)
ist er ja nur geschaffen worden, um die Schwie- sie wird ernst genommen und auch erfüllt — nur
rigkeiten der Übergangszeit irgendwie zu meistern, eine Frage stellen. Es sind hier von der Opposition
um also ein ständiges Angleichen des Montan- die Schwierigkeiten aufgezeigt worden, die sich
marktes an die nationalen Märkte herbeizuführen. bei der Integration Europas ergeben. Die Schwie-
Von daher muß also weiter darauf gedrängt wer- rigkeiten kennen wir. Das Entdecken dieser Tat-
den, daß eine gemeinsame Konjunkturentwicklung sachen entbehrt des Reizes der Originalität. Aber
angestrebt wird. Vor allen Dingen müssen — und es ist nötig, doch immer wieder einmal die Alter-
ich glaube, darauf ist bis jetzt zu wenig Gewicht native kurz zu überdenken, die sich gegenüber
gelegt worden — unsere Währungssysteme in dem Montan-Union-Vertrag ergibt, und zwar die
Europa unter die Lupe genommen und angeglichen wirtschaftliche Alternative, aufgesplittert zwischen
werden, damit eine Wettbewerbssituation geschaf- zwei wirtschaftlichen Großräumen zu stehen. Wenn
fen wird, die eine weitere Entwicklung überhaupt
Sie darüber etwas nachdenken, werden Sie zu
erst möglich macht. dem Schluß kommen, daß es für uns nur eine Ent-
Die Erziehung zum Teamwork ist schon heute scheidung geben kann, nämlich die, weiter fortzu-
morgen hier angesprochen worden. Der Herr schreiten, und zwar mutig und auch hoffnungsvoll
Bundeskanzler hat sie als wichtige Aufgabe der auf dem Wege, der nun einmal beschritten worden
Hohen Behörde bezeichnet und gefordert, das ist. Wenn sich die Opposition auch dazu nun voll
Teamwork müsse noch verstärkt werden. Der und nicht nur, wie erfreulicherweise festzustellen
Europatrainer Monnet sollte also seine ganze Sorg- ist, teilweise bekennen würde, dann, glaube ich,
falt darauf verwenden. würden wir in gemeinsamer Anstrengung das von
Nun noch ein Punkt, dessen Erwähnung mir uns allen gewünschte Ziel erreichen.
in diesem Zusammenhang wichtig zu sein scheint, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1141

Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren! Mündlicher Bericht des Ausschusses für aus-
Ich weise darauf hin, daß eine Vereinbarung unter wärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß)
den Fraktionen zustande gekommen ist, daß die (Drucksache 337).
zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung anfal- (Erste Beratung: 10. Sitzung.)
lenden Abstimmungen morgen mittag um 13 Uhr
stattfinden sollen. Es liegt ein Mündlicher Bericht des Ausschusses
für auswärtige Angelegenheiten vor. Ich frage, ob
Ich schlage Ihnen vor, daß wir die letzten der Berichterstatter und das Haus damit einver-
Punkte der Tagesordnung, die Punkte 4 bis 10, standen sind, daß dieser Bericht schriftlich zu den
deren Behandlung nach der Vereinbarung im Älte- Akten gegeben werden kann. — Das Haus ist da-
stenrat ohne Aussprache vor sich gehen soll, jetzt mit einverstanden.*)
noch erledigen.
Meine Damen und Herren, ich komme zur zwei-
Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf: ten Beratung. Es handelt sich um einen internatio-
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes nalen Vertrag. Ich bitte die Damen und Herren, die
betreffend das Abkommen vom 1. Juli 1953 Art. 1 bis Art. 5 und Einleitung und Überschrift
über die Errichtung einer Europäischen Or- zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. —
ganisation für kernphysikalische Forschung Das ist einstimmig angenommen.
(Drucksache 394).
Ich komme zur
Eine Aussprache soll nicht stattfinden. Ich schlage dritten Beratung.
Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für aus-
wärtige Angelegenheiten vor. — Das Haus ist da- Allgemeine Aussprache entfällt, Einzelaussprache
mit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt. ebenfalls. Ich bitte die Damen und Herren, die dem
(Große Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) Gesetz, das ich eben aufgerufen habe, in der Ge-
samtheit zuzustimmen wünschen, um ein Hand-
Meine Damen und Herren, Sie dienen der Sache, zeichen. — Das ist die Mehrheit. Da es sich um
wenn Sie Ihre Gespräche noch fünf Minuten etwas einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, entfällt
einschränken. eine Schlußabstimmung.
Punkt 5: Ich komme zu Punkt 9:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
über das deutsch-österreichische Protokoll schusses für Gesamtdeutsche und Berliner
vom 14. Dezember 1953 über die Verlänge- Fragen (35. Ausschuß) über den Antrag der
rung des deutschen Zollzugeständnisses für Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwen-
Loden (Drucksache 397). stein, Walz, Trittelvitz, Seiboth, Schneider
(Bremerhaven) und Genossen betreffend
Eine Aussprache soll hier ebenfalls nicht statt- Reiseverkehr mit- dem Saargebiet (Druck-
finden. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Aus- sachen 334, 170).
schuß für Außenhandelsfragen vor. — Sie sind da-
mit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Walz. Ich
unterstelle, daß das Haus hier ebenfalls den Wunsch
Nächster Punkt: hat, daß der Bericht schriftlich zu den Akten gege-
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes ben wird.**) — Herr Abgeordneter Walz ist damit
über das Internationale Zuckerabkommen einverstanden, das Haus ebenfalls.
vom 1. Oktober 1953 (Drucksache 469). Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag
des Ausschusses, Drucksache 334, zuzustimmen
Es gilt das gleiche. Ich schlage Ihnen Überwei- wünschen, eine Hand zu erheben. — Dieser Antrag
sung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. ist einstimmig angenommen.
— Das Haus ist damit einverstanden. Die Überwei-
sung ist erfolgt. Ich komme zu Punkt 10:
Beratung des Antrags der Fraktionen der
Punkt 7: CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betref-
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes fend Betriebskostenpauschale für freie Be-
über das Zollabkommen vom 30. Dezember rufe (Drucksache 418).
1953 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Im Ältestenrat ist eine Vereinbarung darüber zu-
land und dem Königreich Norwegen (Druck- stande gekommen, daß dieser Antrag ohne Aus-
sache 470). schußüberweisung zur Abstimmung gestellt wer-
den soll. Ich bitte die Damen und Herern, die dem
Ebenfalls keine Aussprache. Ich schlage Ihnen Antrag Drucksache 418 zuzustimmen wünschen,
Überweisung an den Ausschuß für Außenhandels- eine Hand zu erheben. — Ich stelle fest, daß dieser
fragen vor. — Die Überweisung ist erfolgt. Antrag einstimmig angenommen worden ist.
Punkt 8: Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesord-
nung.
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes über den Beitritt der Bundes- Ich berufe die nächste Sitzung — die 27. — auf
republik Deutschland zum Abkommen über Freitag, den 30. April, 9 Uhr, und schließe die
die Vorrechte und Befreiungen der Sonder- 26. Sitzung.
organisationen der Vereinten Nationen vom
21. November 1947 und über die Gewährung (Schluß der Sitzung: 21 Uhr 46 Minuten.)
von Vorrechten und Befreiungen an andere
zwischenstaatliche Organisationen (Druck- *) Siehe Anlage 1 Seite 1142.
sache 156); **) Siehe Anlage 2 Seite 1144.
1142 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954

Anlage 1 zum Stenographischen Bericht der 26. Sitzung

Schriftlicher Bericht
des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß)
zum Entwurf eines Gesetzes über den
Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen
der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die
Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen
(Drucksachen 337, 156)

Berichterstatter: Dr.-Ing. E. h. Schuberth

Die Bundestagsdrucksache 156 enthält den über die schon bisher eingeräumten Befreiungen
Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt der Bun- und Vorrechte hinaus die Beziehungen der Bundes-
desrepublik Deutschland zum Abkommen über die republik zu anderen Sonderorganisationen auf eine
Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisa- einwandfreie Grundlage zu stellen. Zur Zeit wird
tionen der Vereinten Nationen vom 21. 11. 1947 verhandelt über Verträge mit der Arbeitsgemein-
und über die Gewährung von Vorrechten und Be- schaft der Skandinavischen Wohlfahrtsverbände,
freiungen an andere zwischenstaatliche Organisa- dem Weltkirchenrat, dem Lutherischen Weltbund,
tionen. Neben diesem Entwurf liegt eine Begrün- der World's Young Men's Christian Association und
dung dazu und weiter der von der Vollversamm- der National Catholic Welfare Conference.
lung der Vereinten Nationen am 21. 11. 1947 ge- Zu dem Inhalt des Abkommens sei zunächst be-
billigte Text des Abkommens vor. Es handelt sich merkt, daß es weitgehend dem Abkommen über die
dabei um folgendes. Vorrechte und Befreiungen des Europarats ähnelt.
I. Im Gegensatz dazu ist das Abkommen für die Son-
derorganisationen ein Rahmenabkommen. Es wird
Die Bundesrepublik ist bekanntlich Mitglied für die einzelnen Organisationen je nach der In-
einiger der sogenannten Sonderorganisationen der teressenlage durch Anhänge ergänzt. Die Rechts-
Vereinten Nationen, z. B. der Internationalen Ar- stellung, die der einzelnen Sonderorganisation zu-
beitsorganisation, der UNESCO, der Weltgesund- kommt, ergibt sich also aus dem Abkommen und
heitsorganisation, des Internationalen Fernmelde- dem Anhang.
vereins. In anderen Sonderorganisationen arbeitet
die Bundesrepublik mit, ohne formell Mitglied zu Die wesentlichsten Bestimmungen des Abkom-
sein, so z. B. in der Organisation für internationale mens sind in den Artikeln II, III, V und VI ent-
zivile Luftfahrt, im Weltpostverein. Bis jetzt fehlt halten. Die Artikel II und III befassen sich mit der
es an einer Rechtsgrundlage, die den Organisa- Rechtsstellung, die der Organisation als solcher ge-
tionen, in denen die Bundesrepublik Mitglied ist währt wird. Danach erhält die Sonderorganisation
oder an deren Arbeiten sie teilnimmt, diejenigen die Qualifikation einer Rechtspersönlichkeit. Sie
Vorrechte und Befreiungen zukommen läßt, welche kann also Verträge abschließen, Vermögen erwer-
nach internationaler Übung den Organisationen ben und darüber verfügen. Sie kann vor Gericht
und ihrem Mitarbeiterstab in anderen Staaten klagen und verklagt werden (Art. II § 3). Die völ-
gewährt werden. Die Bundesregierung mußte kerrechtliche Stellung der Organisation behandelt
schon bisher einigen Sonderorganisationen ohne die Art. III. Die hier zusammengefaßten Vorschriften
besagte Rechtsgrundlage Vorrechte und Befreiun- geben den Sonderorganisationen die Freiheit, ihren
gen in beschränktem Rahmen einräumen, so z. B. Aufgaben in voller Unabhängigkeit von einzelnen
der OEEC, der CARE-Organisation, der Liga der Mitgliedern gerecht zu werden. Das heißt: die
Rotkreuzgesellschaften, der Schweizer Europa- Sonderorganisationen sind für ihr Vermögen von
hilfe. Die Zugeständnisse waren dann notwendig, der Gerichtsbarkeit befreit. Ihre Räumlichkeiten
wenn eine Sonderorganisation im Gebiet der Bun- und Archive sind unverletzlich. Ihre Guthaben, ihre
desrepublik etwa eine Zweigstelle errichtete, so Einkünfte unterliegen nicht den direkten Steuern,
z. B. die Zweigstelle der Internationalen Arbeits- und schließlich sind sie auch bezüglich der zum
organisation in Bad Godesberg, oder wenn eine Amtsgebrauch bestimmten Gegenstände von allen
Organisation in Deutschland Grundbesitz erwarb Zöllen, Ein- und Ausfuhrverboten freigestellt.
oder Bankkonten eröffnete oder schließlich, wenn Art. III § 7 sieht auch eine Befreiung von devisen-
eine Organisation im Gebiet der Bundesrepublik rechtlichen Beschränkungen vor. Das kann aber in
eine Tagung abhielt. vollem Umfange für die Bundesrepublik nicht gel-
ten. Deshalb macht Art. 1 des Beitrittsgesetzes
Der Beitritt der Bundesrepublik zu dem Abkom- einen Vorbehalt zu § 7 b. Dies bedeutet aber nicht,
men soll jetzt für solche Maßnahmen die Rechts- daß die Sonderorganisationen ihre in der Bundes-
grundlage schaffen und auch die Möglichkeit geben, republik befindlichen Guthaben und Devisen usw.
2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954 1143
(Dr.-Ing. E. H. Schuberth)
nicht transferieren dürfen. Der Transfer bedarf nur Leiter der betreffenden Sonderorganisation hinter-
der nach deutschem Recht erforderlichen Ge- legt wird. Das Abkommen wird jeweils im Ver-
nehmigung. hältnis zwischen dem Staat und der in Frage
stehenden Sonderorganisation wirksam.
Die persönlichen Vorrechte und Befreiungen sind
Gegenstand der Vorschriften in Art. V und Art. VI.
Art. V behandelt die Vorrechte und Befreiungen II.
für die Vertreter der Mitgliedstaaten, die an Tagun- Der vorliegende Gesetzentwurf regelt nicht nur
gen der Sonderorganisationen teilnehmen. Die den Beitritt der Bundesrepublik zu dem Abkom-
Vertreter der Mitgliedstaaten sollen sich in voller men über die Vorrechte und Befreiungen der
Freiheit zum Tagungsort begeben, vom Tagungs- Sonderorganisationen der Vereinten Nationen,
ort zurückkehren und auf der Tagung ihres Amts sondern macht es im Art. III der Bundesregierung
walten können. Art. V sieht deshalb die Befreiung möglich, durch Rechtsverordnung Vorrechte und
von Verhaftung und Festnahme auf der Reise Befreiungen auch anderen zwischenstaatlichen
nach und vom Tagungsort, die Unverletzlichkeit Sonderorganisationen sowie ausländischen Wohl-
aller Papiere und Schriftstücke, die Befreiung von fahrtsorganisationen und ihren ausländischen Ver-
fremdenpolizeilichen Vorschriften sowie eine Im- tretern im Bundesgebiet zu gewähren. Solche amt-
munität für alle Äußerungen bei der Ausübung lichen zwischenstaatlichen Organisationen sind z. B.
des Amts vor. Die Freiheiten, welche in dieser internationale Schiedsgerichte, die mit dem Sitz in
Weise den Vertretern der Mitgliedstaaten einge- der Bundesrepublik errichtet werden, so der
räumt werden, gelten nicht im Verhältnis zu dem- Schiedsgerichtshof des Londoner Schuldenabkom-
jenigen Staat, dem der Vertreter angehört oder den mens. Ausländischen Wohlfahrtsorganisationen hat
er bei der Sonderorganisation zu vertreten hat die Bundesregierung schon in der Vergangenheit
(§ 17). auf Grund besonderer Abmachungen Steuer- und
Die Vorrechte und Befreiungen, die die Beamten Zollvergünstigungen einräumen müssen (z. B.
der Sonderorganisationen erhalten haben, sind CARE, CRALOG, LICROS usw.); siehe Begrün-
nach der Funktion, die der einzelne Beamte aus- dung des Gesetzentwurfs auf Seite 4.
übt, abgestuft. Die Leiter der Sonderorganisationen
genießen volle diplomatische Immunitäten für sich III.
und ihre Familienangehörigen (§ 21). Die übrigen
Beamten sind von der Gerichtsbarkeit befreit in Aus allgemein politischen, aus rechtlichen, aber
bezug auf amtliche Äußerungen und Handlungen. auch vielleicht aus moralischen Gründen sollte die
Sie sind befreit von der Einkommensteuer, von Bundesrepublik dem Abkommen beitreten. Der
fremdenpolizeilichen Vorschriften und vom Zoll für Bundesrat hat dem Gesetzentwurf mit der Maß-
gabe zugestimmt, daß in Art. III Satz 3 die Worte
die erstmalige Überführung ihres Hausrats. Außer- eingefügt werden sollen: „mit Zustimmung des
dem genießen sie eine bevorzugte Behandlung bei Bundesrats". Dieses Verlangen des Bundesrats
der Devisenbewirtschaftung. Welchen Beamten scheint berechtigt; die Bundesregierung hat hier-
diese Befreiungen zustehen sollen, bestimmt jede gegen auch nichts einzuwenden gehabt.
Organisation für sich. Der Generalsekretär der
Sonderorganisation hat die Namen der Beamten, Die Berlin-Klausel in Art. IV sollte die jetzt
die solche Befreiungen erhalten sollen, den Mit- übliche Fassung erhalten, nämlich:
gliedsregierungen mitzuteilen (§ 18). Art. VII §§ 24
und 25 schafft Vorkehrungen, die es erlauben, Dieses Gesetz gilt auch im Lande Berlin, wenn
einem Mißbrauch der Vorrechte zu begegnen. das Land Berlin die Anwendung dieses Ge-
setzes feststellt.
Von Interesse ist schließlich Art. IX, der ein
Verfahren vorsieht, nach dem Streitigkeiten auf
dem Gebiet des Vertragsrechts geschlichtet wer-
den oder auch Streitigkeiten, an denen ein mit Bonn, den 29. April 1954
Immunitäten begabter Beamter beteiligt ist.
Der Beitritt der Bundesrepublik wird dadurch
wirksam, daß die Beitrittserklärung bei dem Dr.-Ing. E. h. Schuberth
Generalsekretär der Vereinten Nationen oder dem Berichterstatter
1144 2. Deutscher Bundestag — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1954

Anlage 2 zum Stenographischen Bericht der 26. Sitzung

Schriftlicher Bericht
des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen (35. Ausschuß)
über den Antrag der Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein, Walz, Trittelvitz,
Seiboth, Schneider (Bremerhaven) und Genossen
betreffend

Reiseverkehr mit dem Saargebiet


(Drucksachen 334, 170)

Berichterstatter: Abgeordneter Walz

Der Bundestag hat mit Beschluß vom 12. Juli federführend unter Mitbeteiligung des Ausschusses
1950 die Bundesregierung aufgefordert, sich für die für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über-
Aufhebung des Paß- und Visumzwangs im Reise- wiesen worden. In einer Sitzung vom 9. Februar
verkehr mit dem Saargebiet einzusetzen. Die dar- 1954 beschloß der mitbeteiligte Ausschuß für An-
aufhin eingeleiteten Verhandlungen mit der Alliier- gelegenheiten der inneren Verwaltung daraufhin,
ten Hohen Kommission führten mit Wirkung vom dem federführenden Ausschuß für Gesamtdeutsche
1. Januar 1951 zur Aufhebung des Visumzwangs. und Berliner Fragen folgende Formulierung zu
Der Paßzwang blieb bestehen. empfehlen:
Das neue Bundesgesetz über das Paßwesen vom Der Bundestag wolle beschließen:
4. März 1952 schreibt einen Paßzwang nur für Die Bundesregierung wird beauftragt, den
Deutsche vor, die das Bundesgebiet über eine Aus- Reiseverkehr zwischen dem Saargebiet, den
landsgrenze verlassen oder betreten. Nach deut- unter vorläufiger Auftragsverwaltung stehen-
schem Recht besteht daher für die Ausreise von den Westgebieten und dem Bundesgebiet nach
deutschen Staatsangehörigen aus dem deutschen den Gepflogenheiten des innerdeutschen Reise-
Bundesgebiet in das Saargebiet oder für die Ein- verkehrs zu regeln.
reise von Saarbewohnern deutscher Staatsangehö-
rigkeit aus dem Saar- in das Bundesgebiet kein Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner
Paßzwang. Bei der damaligen Beratung des neuen Fragen hat in seiner Sitzung vom 16. März 1954
Paßgesetzes im Ausschuß des Bundestages für An- diese Formulierung gutgeheißen und beschlossen,
gelegenheiten der inneren Verwaltung bestand da- sie als Antrag dem Bundestag vorzulegen.
her Übereinstimmung darüber, daß rechtlich gegen-
über dem Saargebiet ebensowenig ein Paßzwang Als Berichterstatter empfehle ich Ihnen, in die-
für Deutsche in Frage kommt wie beim Übertritt sem Sinne zu beschließen.
über die Sowjetzonengrenze.
Der Antrag der Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Prinz Bonn, den 29. April 1954
zu Löwenstein, Walz, Trittelvitz, Seiboth, Schnei-
der (Bremerhaven) und Genossen betreffend Reise-
verkehr mit dem Saargebiet vom 8. Januar 1954
ist nach einem Beschluß des Bundestages dem Aus- Walz
schuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen Berichterstatter

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