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D eutscher Bundestag

101. Sitzung
Bonn, den 11. Dezember 1963

Inhalt:

Glückwünsche zu den Geburtstagen der Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) :
Abg. Dr. Willeke, Even (Köln), Wittmer-
Bau der Nord- und Südbrücke in Bonn
Eigenbrodt und Nieberg 4661 A
Dr.-Ing. Seebohm,
Bundesminister . . . 4667 D, 4668 A
Zur Geschäftsordnung
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) .
Dr. Mommer (SPD) 4661 C 4667 D, 4668 A
Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . 4662 D
Zoglmann (FDP) 4663 D Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Straßenverkehr in dem Erholungs-
Fragestunde (Drucksachen IV/1737, IV/1744) gebiet südlich von München
Dr.-Ing. Seebohm,
Fragen des Abg. Seibert: Bundesminister . . . . 4668 B, C, D
Margentarife für die Rheinschiffahrt Ertl (FDP) . . . . . . . . . 4668 C, D
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 4665 C
Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Frage des Abg. Cramer: Ausgestaltung der öffentlichen Ver-
Ausbau des Küstenkanals auf der kehrsmittel
Strecke Kampe—Dörpen Dr.-Ing. Seebohm,
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 4668 D, 4669 D, 4670 A
Bundesminister 4666 B, C, D Schwabe (SPD) 4669 D
Cramer (SPD) 4666 C, D Kahn-Ackermann (SPD) 4670 A
Wächter (FDP) 4666 D
Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) : Bahnverkehr zwischen München und
Überschallflugzeug Concorde Erholungsgebieten
Dr.-Ing. Seebohm, Dr.-Ing. Seebohm,
Bundesminister . . . . 4667 A, B, C Bundesminister . 4670 B, C, D, 4671 A
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) . 4667 B Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . 4670 C, D
Börner (SPD) 4667 B, C Ertl (FDP) 4670 D, 4671 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Fragen der Abg. Dr. Kohut und Dr. Frage des Abg. Welslau:
Müller-Emmert: Inkrafttreten des Bundeskindergeld-
Verkehrs-Zentralkartei in Flensburg gesetzes
Dr.-Ing. Seebohm, Dr. Heck, Bundesminister . . . . 4676 A
Bundesminister 4671 B, 4672 A, B, C, D,
4673 A Fragen des Abg. Faller:
Dr. Kohut (FDP) 4672 A Arzneimittel und Fahrtüchtigkeit von
Dr. Müller-Emmert (FDP) . . . 4672 B, C Kraftfahrern
Dürr (FDP) 4672 D Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister 4676 B, C
Frage des Abg. Dr. Mommer:
Frage des Abg. Dr. Kohut:
Leitplanken
Entschädigung von in Algerien enteig-
Dr.-Ing. Seebohm, neten deutschen Staatsangehörigen
Bundesminister . . . . 4673 A, C, D
Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 4676 C
Dr. Mommer (SPD) 4673 C
Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . . 4676 D
Dr. Rinderspacher (SPD) 4673 D
Fragen des Abg. Dr. Dr. h. c. Friedens-
Frage des Abg. Lemmrich: burg:
Betonrandstreifen an Bundesstraßen Italienische Staatsuniversität mit euro-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 4673 D päischem Charakter in Florenz
Dr. Carstens, Staatssekretär 4677 B, C, D,
Frage des Abg. Fritsch: 4678 A
Schlangestehen vor Schaltern der Bun- Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU)
despost 4677 C, D
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 4674 B, C Frage des Abg. Dr. Mommer:
Fritsch (SPD) 4674 C Volksdeutsche in Rumänien
Dr. Carstens, Staatssekretär 4678 A, B, C, D
Frage der Abg. Frau Herklotz:
Dr. Mommer (SPD) . . . . . . . 4678 B
Kennedy Gedenkmarke
Dr. h. c. Jaksch (SPD) . . . . . . 4678 C
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . 4674 C, D
Frau Herklotz (SPD) 4674 D Sammelübersicht 23 des Petitionsausschus-
ses über Anträge zu Petitionen (Druck-
Frage des Abg. Peiter: sache IV/1689) . . . . . . . . . . 4678 D

Selbstwählferndienst in Limburg . . 4674 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Sonder-


abkommen vom 7. Dezember 1957 mit
Frage des Abg. Dr. Eppler: dem Königreich Belgien über Arbeits-
Ausbau des Postamtes in Alpirsbach losenversicherung (Drucksache IV/1434);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Bornemann, Staatssekretär . . . . 4675 A Arbeit (Drucksache IV/1670) — Zweite
und dritte Beratung — . . . . . . . 4678 D
Frage der Abg. Frau Meermann:
Briefumschlag-Format Din C 5 . . . 4675 A Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag
vom 7. Mai 1963 mit der Republik Oster-
. reich über Kriegsopferversorgung und Be-
Frage des Abg. Dr. Roesch: schäftigung Schwerbeschädigter (Druck-
Beamte mit abgeschlossenem Studium sache IV/1435); Schriftlicher Bericht
der Wirtschaftswissenschaften des Kriegsopferausschusses (Drucksache
IV/1684) — Zweite und dritte Beratung — 4679 A
Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 4675 B
Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände-
Frage des Abg. Hammersen: rung und Ergänzung des Wertpapierbe-
Erschließungsbeitragsrecht nach § 133 reinigungsgesetzes (Wertpapierbereini-
des Bundesbaugesetzes gungsschlußgesetz) (Drucksache IV/1459);
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsaus-
Dr. Ernst, Staatssekretär . . . 4675 B, D schusses (Drucksache IV/1688) — Zweite
Hammersen (FDP) 4675 C, D und dritte Beratung — . . . . . . . 4679 B
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 III

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Druck- vom 17. Oktober 1962 mit Irland zur Ver-
sachen IV/902 [neu], IV/1208); Schrift- meidung der Doppelbesteuerung usw.
licher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache IV/1588); Schriftlicher Be-
(Drucksache IV/1690) — Zweite und dritte richt des Finanzausschusses (Drucksachen
Beratung — 4679 C IV/1743, zu 1743) — Zweite und dritte
Beratung — . . . . . . . . . . . 4682 B
Entwurf eines Bundesjugendzahnpflege-
gesetzes (Drucksachen IV/1260, IV/1266); Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
Schriftlicher Bericht des Gesundheits- des Bundeswahlgesetzes (Drucksache
ausschusses (Drucksachen IV/1735, zu IV/1376); Schriftlicher Bericht des Aus-
IV/1735) — Zweite und dritte Bera- schusses für Inneres (Drucksache IV/1729)
tung — 4680 A — Zweite und dritte Beratung —
Rollmann (CDU/CSU) . 4682 C, 4689 C
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Dr. Conring (CDU/CSU) . . . . 4683 D
Vorschriften auf dem Gebiet der Land-
Schmitt-Vockenhausen (SPD) 4685 C, 4690 D,
beschaffung (Drittes Änderungsgesetz 4691 A
LBG) (Drucksache IV/1648); Schriftlicher
Bericht des Ausschusses für Inneres Dr. Vogel (CDU/CSU) . . . . . 4685 D
(Drucksache IV/1716) — Zweite und Wagner (CDU/CSU) 4686 B
dritte Beratung — 4680 B
Gerlach (SPD) . . . . . . . 4686 C
Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . . 4687 B
Entwurf eines Gesetzes über steuerliche
Maßnahmen zur Förderung von privaten Frau Kalinke (CDU/CSU) . . . 4688 A
Kapitalanlagen in Entwicklungsländern 4689 B
Dr. Miessner (FDP) . . . . . .
(Entwicklungshilfe-Steuergesetz) (Druck-
sache IV/1476); Berichte des Haushalts- Burgemeister (CDU/CSU) . . . 4690 A
und des Finanzausschusses (Drucksachen Zoglmann (FDP) 4690 C
IV/1711, IV/1691) — Zweite und dritte
Beratung —
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Seuffert (SPD) 4680 D Sparprämiengesetzes (Drucksache IV/
Dr. Löbe (FDP) 4680 D 1654) ; Schriftlicher Bericht des Wirt-
schaftsausschusses (Drucksachen IV/1712,
Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein- zu IV/1712) — Zweite und dritte Bera-
kommen Nr. 114 der Internationalen tung —
Arbeitsorganisation vom 19. Juni 1959 Seuffert (SPD) 4692 A,
über den Heuervertrag der Fischer 4694 B, 4697 A, B
(Drucksache IV/1592); Schriftlicher Be- Frau Funcke (Hagen) (FDP) . . . 4692 D
richt des Ausschusses für Arbeit (Druck-
sache IV/1721) — Zweite und dritte Be- Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 4693 A, 4695 A
ratung — Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 4693 C
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 4681 B Katzer (CDU/CSU) . . . . . . . 4694 A
Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 4681 B Dr. Rutschke (FDP) . . . . . . . 4694 D
Dr. Imle (FDP) 4694 D
Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
Kuntscher (CDU/CSU) 4697 B
vom 13. November 1962 über die Än-
derung des Vertrages zur Gründung Dürr (FDP) 4697 B
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
zum Zwecke der Assoziierung der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
Niederländischen Antillen (Drucksache rung und Ergänzung des Gesetzes zur
IV/1474); Schriftlicher Bericht des Aus- Regelung von Ansprüchen aus Lebens-
wärtigen Ausschusses (Drucksache IV/ und Rentenversicherungen (Drucksache
1725) — Zweite und dritte Beratung — 4681 D IV/ 1671) — Erste Beratung — 4697 C

Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen Entwurf eines Gesetzes zu dem Assozi-
vom 4. Juli 1962 mit der Regierung von ierungsabkommen vom 20. Juli 1963 zwi-
Ceylon zur Vermeidung der Doppel- schen der Europäischen Wirtschafts-
besteuerung usw. (Drucksache IV/1424); gemeinschaft und den mit dieser Gemein-
Schriftlicher Bericht des Finanzausschus- schaft assoziierten afrikanischen Staaten
ses (Drucksachen IV/1742, zu IV/1742) — und Madagaskar (Drucksache IV/1673)
Zweite und dritte Beratung — . . . . 4682 A — Erste Beratung — 4697 D
IV Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- Wilhelm (SPD) . . . . . . . . 4702 C


rung des Zollgesetzes (Drucksache
IV/1681) — Erste Beratung — . . . . 4697 D Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) . . 4703 C
Gaßmann (CDU/CSU) 4704 B
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Deutschen Zolltarifs 1961 in der Geiger (SPD) 4709 C
Fassung der Zolltarif-Verordnung (Deut- Killat (SPD) 4710 C, 4711 C
scher Zolltarif 1963) vom 21. Juni
1963 (Zweites Zolltarif Änderungsgesetz)
-
Dr. Franz (CDU/CSU) 4711 A
(Drucksache IV/1702) - Erste Beratung — 4698 A Biermann (SPD) . . . . . . . 4712 B
Weigl (CDU/CSU) 4712 D
Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen
vom 11. April 1962 des Internationalen
Übereinkommens zur Verhütung der Große Anfrage der Fraktion der SPD betr.
Verschmutzung der See durch Öl, 1954, auswärtige Kulturpolitik (Drucksache IV/
und zur Änderung des Gesetzes vom 1315)
21. März 1956 (Drucksache IV/1703)
Erste Beratung Kahn-Ackermann (SPD) 4713 D
— — 4698 A
Dr. Schröder, Bundesminister . . 4723 A
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dr. Huys (CDU/CSU) 4731 A
Rahmengesetzes zur Vereinheitlichung
des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrah- Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 4734 C
mengesetz — BRRG) (SPD) (Drucksache 4740 B
Dr. Hellige (FDP)
IV/1698) — Erste Beratung —. . . . 4698 B
Dr. Martin (CDU/CSU) 4743 C
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) 4744 D
Gesetzes über das gerichtliche Verfahren
in Binnenschiffahrts- und Rheinschiff- Lahr, Staatssekretär 4746 B
fahrtssachen (Drucksache IV/1709) —

Erste Beratung — . . . . . . . . . 4698 B


Mündlicher Bericht des Immunitätsausschus-
ses betr. Genehmigung zur Durchführung
Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschus- eines Strafverfahrens gegen die Abge-
ses über den Antrag der Fraktionen der ordneten Jahn und Merten (Drucksache
CDU/CSU, FDP betr. Braumalzfracht IV/1723)
(Drucksachen IV/1236, IV/1704) . . . . 4698 B
Zoglmann (FDP) 4729 D
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Inneres über den Antrag der Fraktion Mündlicher Bericht des Immunitätsausschus-
der SPD betr. Auslieferung des unga- ses betr. Genehmigung zur Durchführung
rischen Staatsangehörigen Geza Györfi eines Strafverfahrens gegen den Abge-
nach Frankreich (Drucksachen IV/1527, ordneten Dr. h. c. Strauß (Drucksache
IV/1717) IV/1724)
Frau Jacobi (Marl) (CDU/CSU) . . 4698 C Ritzel (SPD) . . . . . . . . . 4730 C

Entwurf eines Sechsten Gesetzes über die Schriftlicher Bericht des Gesundheitsaus-
Anpassung der Renten aus den gesetz- schusses über den Antrag der Abg.
lichen Rentenversicherungen sowie über Struve, Glüsing (Dithmarschen), Tobaben,
die Anpassung der Geldleistungen aus Kuntscher, Hermsdorf, Dr. Schmidt (Gel-
der gesetzlichen Unfallversicherung lersen), Dr. Tamblé, Peters (Poppenbüll),
(Sechstes Rentenanpassungsgesetz = 6. Dr. Miessner u. Gen. betr. Konservie-
RAG) (Drucksache IV/1584) — Zweite rungsmittel für Fischwaren (Drucksachen
Beratung — ; in Verbindung mit dem IV/1622, IV/1730)

Sozialbericht 1963 (Drucksache IV/1486); Frau Dr. Pannhoff (CDU/CSU) . . 4747 C


Schriftlicher Bericht des Sozialpol.
Ausschusses (Drucksachen IV/1731, zu Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschus-
IV/1731) ses über den Entwurf einer Entscheidung
Hussong (SPD) . . . . 4699 C, 4711 D über die vorherige Prüfung und Beratung
von Rechts- und Verwaltungsvorschriften
Klein (Saarbrücken) (CDU/CSU) . 4701 B, der Mitgliedstaaten der EWG auf dem
4703 B, 4711 D Gebiet des Verkehrs (Drucksachen IV/34,
Becker (CDU/CSU) 4701 D zu IV/34, IV/1668) . . . . . . . . . 4747 D
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode - 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 V

Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus-


Arbeit über den Vorschlag der Kommis- schusses über die Verordnung über die
sion der EWG für eine Verordnung des Senkung von Abschöpfungssätzen bei der
Rats zur Änderung des Artikels 13 der Einfuhr von geschlachteten Hühnern nach
Verordnung Nr. 3 und des Artikels 11 Berlin (Drucksachen IV/1617, IV/1728) . 4748 B
der Verordnung Nr. 4 (Drucksachen IV/
1669, IV/1727) 4774 D Bericht des Außenhandelsausschusses über
die Zweiundzwanzigste Verordnung zur
Dritte Verordnung über die Verringerung Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963
von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr (Verlängerung der Zollaussetzung für
von Eiprodukten (Drucksache IV/1726) . 4748 A Melasse) (Drucksachen IV/1601, IV/1720) 4748 C

Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus- Ubersicht 18 des Rechtsausschusses über


schusses über die Dreiundzwanzigste, Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
Vierundzwanzigste und Fünfundzwanzig- gericht (Drucksache IV/1686) . . . . . 4748 D
ste Verordnung zur Änderung des Deut-
schen Zolltarifs 1963 (Drucksachen IV/
1600, IV/1635, IV/1 6 36, IV/1719); in Ver- Antrag betr. Sonderregelung für die Zulas-
bindung mit dem sung von Mähdreschern im Straßenver-
kehr (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen], Freh-
see, Seither, Saxowski u. Gen.) (Druck-
Schriftlichen Bericht des Außenhandelsaus-
sache IV/1701) 4748 D
schusses über die Sechsundzwanzigste,
Siebenundzwanzigste und Dreißigste Ver-
ordnung zur Änderung des Deutschen Nächste Sitzung 4748 D
Zolltarifs 1963 (Drucksachen IV/1637, IV/
1638, IV/1662, IV/1718) . . . . . . 4748 B Anlagen 4749
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4661

101. Sitzung

Bonn, den 11. Dezember 1963

Stenographischer Bericht für die sonstigen Bediensteten auf das Personal des Kon-
trollausschusses
— Drucksache IV/1738 —

Beginn: 9.02 Uhr an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 13. Dezember 1963.
Der Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a GO die
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Sitzung Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zoll-
tarifs 1963 (Banknotenpapier)
ist eröffnet. — Drucksache IV/1715 —
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich dem Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Be-
handlung überwiesen.
Glückwünsche zu Geburtstagen aus: zum 70. Ge-
burtstag — am 7. Dezember — Herrn Kollegen Dr. Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich das
Willeke, Wort der Geschäftsordnung, und zwar zur Tages-
(Beifall) ordnung, dem Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
zum 60. Geburtstag — am 10. Dezember — Herrn
Kollegen Even (Köln),
Dr. Mommer (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-
(Beifall) men und Herren! Namens meiner Fraktion be-
zum 74. Geburtstag Herrn Kollegen Wittmer-Eigen- antrage ich, den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur
brodt, Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts —
(Beifall) Drucksache IV/1714 — auf die Tagesordnung zu
setzen.
und heute feiert seinen 76. Geburtstag Herr Kollege
Nieberg. Die Mehrheit unseres Haushaltsausschusses hat
(Beifall.) § 60 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung arg strapa-
ziert und sich eine Lücke in der Geschäftsordnung
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne über Rechte und Pflichten mitberatender Ausschüsse
Verlesung in den Stenographischen Bericht auf- zunutze gemacht,
genommen:
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 6. Dezem--
(Abg. Dr. Vogel: Das ist eine etwas scharfe
ber 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer- Formulierung!)
Nicolaus, Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven), Frau Funcke (Hagen),
Frau Dr. Kiep-Altenloh und Genossen betr. Beitritt der Bundes-
republik Deutschland zu den UN-Konventionen über die poli- um zu verhindern, daß der Beschluß eines feder
tischen Rechte der Frauen und über Nationalität der verheirate- führenden Ausschusses, des Kriegsopferausschusses,
ten Frauen — Drucksache IV/1616 — beantwortet. Sein Schreiben
ist als Drucksache IV/1736 verteilt.
(Abg. Rasner: Das ist nicht wahr!)
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten hat unter dem 3. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Dr. Frey (Bonn), von Bodelschwingh . Dr. Even uns in dieser Woche zur zweiten und dritten Bera-
(Düsseldorf) und Genossen betr. Rauchschaden an Wäldern — tung zugeleitet werden konnte. Diese Blockierung
Drucksache IV/1630 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Druck-
sache IV/1740 verteilt. hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ge-
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem zwungen, sich des Wortlauts zu bemächtigen, mit
2. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.
Zimmer, Frau Hubert und Genossen betr. Haushalt des Europa- dem der Kriegsopferausschuß die Neuregelung der
rates — Drucksache IV/1644 — beantwortet. Sein Schreiben ist
als Drucksache IV/1741 verteilt.
Kriegsopferrenten beschlossen hat. Wir legen Ihnen
diesen Beschluß, den Sie, meine Damen und Herren,
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 3. Dezem-
ber 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wahl, Bauer mit gefaßt haben, hier wortwörtlich vor, und wir
(Würzburg), Dr. Stammberger und Genossen betr. Haager Über-
einkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen an- wollen Ihnen durch die Beratung dieses Textes die
zuwendende Recht — Drucksache IV/1642 — beantwortet. Sein Gelegenheit geben, sich zu besinnen, die angeb-
Schreiben ist als Drucksache IV/1745 verteilt.
lichen Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß
des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen und noch in dieser Woche das neue Kriegsopferrecht
überwiesen: zu verabschieden.
Verordnung des Rates, in der gemeinsame Grundsätze und
ein gemeinschaftliches Verfahren für den handelspolitischen
Schutz der EWG gegenüber anomalen Praktiken von Dritt-
Der Haushaltsausschuß stand unter einem Druck
ländern festgelegt werden und unter dem Trommelfeuer der Propaganda der
- Drucksache IV/1739 — Bundesregierung.
an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 22. Januar 1964 (Beifall bei der SPD; Lachen in der Mitte;
Verordnung des Rates über die Einzelheiten der Anwendung
des Statuts der Beamten und der Beschäftigungsbedingungen Zuruf des Abg. Rasner.)
4662 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Mommer
Unter diesem Druck und unter dem Trommelfeuer eines solchen Rechenexemples zu finden. Uns wol-
der Propaganda len Sie glauben machen, daß es den Experten im
(Abg. Rasner: Sie sind ja witzig!) Haushaltsausschuß nicht möglich sei, solche Um-
schichtungen vorzunehmen!
hat er mit einem Vertagungsbeschluß, mit einem Ver-
fahrensbeschluß die Verwirklichung der Verbesse- Der wirkliche Grund dafür, daß Sie sich jetzt nicht
rung noch in diesem Jahre verhindert. in der Lage sehen, für Deckung zu sorgen, liegt na-
türlich darin, daß Sie hier sparen und ein Exempel
Meine Damen und Herren! Jeder in diesem Hause von der Unbeugsamkeit des neuen Bundeskanzlers
weiß, daß es um eines hier ganz sicher nicht geht — statuieren wollen. Das ist der wirkliche Grund Ihres
und mögen Sie es noch so oft behaupten. Es geht Verhaltens. Angesichts des Nichtwollens helfen
nicht darum, das Volumen des Haushalts 1964 aus- auch die Beweise nicht, die die Sozialdemokraten
zuweiten. Die Sozialdemokratie wiederholt hier: im Haushaltsausschuß für die Deckungsmög-
Wir akzeptieren den Plafonds von 60,3 Milliarden lichkeiten schon vorgelegt haben. Allein zwei Quel-
DM. Es geht darum, innerhalb dieser Summe Um- len — hören Sie! — würden genügen, um die
schichtungen vorzunehmen, Deckung mehr als sicherzustellen. Da ist erstens die
(Zuruf von der Mitte: Vorschläge!) Möglichkeit gegeben, von den Zuschüssen zur Ren-
um dadurch die Deckung für die Mehrausgaben zu tenversicherung der Arbeiter und Angestellten in
beschaffen. Höhe von 5,4 Milliarden DM statt der jetzt vorge-
(Beifall bei der SPD.) sehenen 500 Millionen DM in Gestalt von Schuld-
buchforderungen den Versicherungsträgern eine
Ich stelle fest: in dem Entwurf des Haushalts 1964 weitere halbe Milliarde in dieser Form zuzuteilen.
sind 648 Millionen DM für die Verbesserung der
Leistungen eingesetzt. Nach Berechnung der Bun- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist keine
desregierung würden zur vollen Verwirklichung der Deckung!)
Beschlüsse des Kriegsopferausschusses weitere Da ist zweitens die Möglichkeit, daß das dem Bund
642 Millionen DM im Jahre 1964 benötigt. für das Jahr 1964 zustehende Darlehen in Höhe von
Das ist eine wahrscheinlich zu hoch gegriffene 280 Millionen DM von der Volkswagenwerkstiftung
Zahl; sie ist auch viel höher als die Zahl, die der in den Haushaltsplan 1964 eingestellt wird. Wer
Herr Bundesfinanzminister gestern in der Öffent- Deckung finden will, der findet sie. Wer aber ver-
lichkeit genannt hat. Aber um Streit zu vermeiden, zögern und auf Kosten der Kriegsopfer am falschen
unterstellen wir diese Zahl als richtig. Dieser Betrag Ende sparen will,
soll also durch Umschichtung und nicht durch Erhö- (Abg. Rasner: Hören Sie mit den Propa
hung des Haushaltsvolumens aufgebracht werden. gandareden auf!)
(Zuruf von der Mitte: Vorschläge!) der findet schon ein Mittel, um den Stufenplan, den
— Die kommen; nur Geduld! Sie theoretisch ablehnen, in der Praxis doch durch-
zusetzen.
Auch die Mehrheit im Haushaltsausschuß hat den (Beifall bei der SPD.)
materiellen Gehalt der Beschlüsse des Fachausschus-
ses akzeptiert; sie behauptete aber, es sei erst in Meine Damen und Herren, hier ist die Gelegen-
der zweiten Januarhälfte möglich, den Haushalt des - heit, der Kriegsopferversorgung den Rang zugeben,
näheren nach Einsparungsmöglichkeiten zu unter- den Sie ihr alle in Ihren Reden feierlich zuerkennen.
suchen.
(Sehr wahr! bei der SPD.)
Ich sage da: wo kein Wille ist, da ist natürlich Hier geht es darum, die feierlichen Wahl-, Regie-
auch kein Weg.
rungs- und Fraktionsversprechungen zu erfüllen und
(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: vor dem Volke glaubwürdig zu bleiben. Hier geht
Schon wieder eine Unterstellung!) es um die Souveränität und die Würde des Bundes-
Holen wir doch einmal diese Zahl herunter in das tages als Herr über Haushalt und Gesetzgebung.
allgemein menschliche Vorstellungsvermögen; was Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
heißt das dann? Meine Damen und Herren, wenn
in einem Haushalt von 60 300 Millionen DM (Beifall bei der SPD. -Abg. Horn: Uner
642 Millionen DM durch Umdispositionen bereitge- hört! Weitere Zurufe von der Mitte.)
stellt werden sollen, dann ist das das gleiche Ver-
hältnis, wie wenn eine Hausfrau, die einen Mo- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort zur
natsetat von 603 DM hat, jetzt etwa infolge von Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Barzel.
Preissteigerungen, die Sie ihr auferlegen,
(Zurufe von der Mitte)
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
für 6,42 DM umdisponieren soll. Damen, meine Herren! Im Namen der Fraktion der
(Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe CDU/CSU lehne ich den Antrag ,der sozialdemokra-
von der Mitte. — Abg. Rasner: Das ist tischen Fraktion ab. Für die Fraktion der CDU/CSU
schlimme Propaganda!) ist die schnelle und würdige Anhebung der Kriegs-
— Das ist genau dasselbe Verhältnis! Und jeden opferrenten eine dringliche Frage,
Monat zwingen Sie unsere Hausfrauen, die Lösung (Lachen bei der SPD)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4663
Dr. Barzel
eine Frage mit Vorrang vor anderen, auch eine Fra- das will wohl überlegt sein im zuständigen Aus-
ge des 'Rechtes. Ich weiß, daß ,der Herr Bundeskanz- Schuß.
ler ebenso denkt und dieser Priorität auch im Haus- (Beifall bei der CDU/CSU.)
haltsansatz für 1964 Ausdruck gegeben hat. Meine Damen und Herren, niemand kann uns, und
(Beifall bei den Regierungsparteien.) zwar uns gemeinsam, diese Verantwortung abneh-
men. Wer an morgen denkt, muß sich heute so ver-
In einem versöhnlichen Telegramm an die Kriegs-
halten, daß wir auch morgen noch den Rentnern und
blinden hat der Bundeskanzler betont, das Parla-
allen gutes deutsches Geld geben können. .
ment .habe noch nicht entschieden, und er hat das
gute Wort gesagt, wir müßten den Weg zueinander (Beifall bei der CDU/CSU.)
finden. Wir lehnen den Antrag auch ab, weil er der bis-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) herigen Übung unseres Bundestages widerspricht.
Zum erstenmal wird eine Ausschußvorlage als An-
Das gilt nicht nur nach draußen, das gilt auch hier trag einer Fraktion eingebracht, und das, obwohl die
im Hause. Wir sollten uns 'bemühen, wieder eine Ausschüsse, denen die Vorlage überwiesen war und
einvernehmliche Lösung zu erreichen. denen wir doch auch Ihren Antrag jetzt, wenn wir
(Beifall bei der CDU/CSU.) ihn annähmen, erst noch überweisen müßten — er
müßte ja an derselben Stelle landen —, ihre Bera-
Wir suchen noch danach — und das hat im Haus- tungen noch nicht haben abschließen können.
haltsausschuß bereits begonnen —, was innerhalb
der 60,3 Milliarden DM, zu denen Sie sich soeben Wir stellen auch fest — das hat Herr Kollege
auch bekannt haben, für 1964 möglich ist. Wir Mommer auch getan —, daß der Entwurf der sozial-
suchen noch nach Deckung für eine würdige Erhö- demokratischen Fraktion sehr deutlich die Hand-
schrift unserer Kollegin Frau Dr. Probst im Aus-
hung der Kriegsopferrenten zum frühest möglichen
schuß trägt.
Termin.
(Lachen bei der SPD.)
(Zurufe von der SPD.)
Meine Damen und Herren! Wir sagen nein zu
Der Haushaltsausschuß wird und soll im Januar Ihrem Antrag, weil er nicht hilft, dringliche Gemein-
hier Klarheit schaffen. Noch aber wissen wir weder, schaftsaufgaben gemeinsam zu lösen, sondern un-
wieviel Geld der Bund für das Jahr 1963 durch den nötig neue Fronten schafft.
Länderbeitrag zur Verfügung haben wird,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Zurufe von der SPD: Aha! — Lachen bei
Wir sagen nein, weil wir in ruhiger Überlegung im
der SPD) Januar das mögliche Beste finden wollen.
noch, wieviel für 1964, noch haben wir den Haus- (Abg. Wehner: Und von dem 1. 10. 1963
haltsplan 1964 hier vorliegen. Der Vermittlungsaus- herunterkommen wollen!)
schuß, einberufen durch den Kollegen Zinn, tagt erst
am 18. Dezember. Die sachlichen Voraussetzungen Wir sind in der glücklichen Lage, unsere positive
für eine Entscheidung heute sind nicht gegeben. Einstellung zur Kriegsgeneration und zum Soldaten
tum nicht erst noch unter Beweis stellen zu müssen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Lebhafter Beilfall bei der CDU/CSU.)
Wenn wir zugleich ja sagen zum Vorrang der -
Kriegsopferversorgung wie auch ja zur finanziellen Wir haben das in Wort und Tat seit 1945 getan. Und
Stabilität, wenn wir also unseren Blick auf das Mög- wir werden es weiter tun!
liche richten, so tun wir das, weil wir wissen, daß (Beifall bei der CDU/CSU.)
die Bereitstellung der fast 50 Milliarden DM, die wir
bisher für die Kriegsopferversorgung haben aus- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort zur
geben dürfen, nur möglich War wegen unserer Poli- Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Zogl-
tik der sozialen Marktwirtschaft und der finanziellen mann.
Stabilität.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Zoglmann (FDP) : Herr Präsident! Meine verehr-
Beifall bei der FDP.) ten Damen und Herren! Wenn ich ein Wort des
Nur wenn wir das erhalten, werden wir auch künf- Kollegen Barzel aufgreifen darf, dann möchte ich
tig, wie bisher, die Sozialleistungen nicht nur an- sagen: Sie werden doch hoffentlich von uns nicht
erwarten, daß wir unser Eintreten für die Kriegs-
heben, sondern real verbessern können. Gerade dem
kleinen Mann dient die stabile Mark. generation in diesem Haus unter Beweis stellen sol-
len. Wir haben das immer getan, und das, was ich
(Zuruf von der SPD: Sie sind ja doch hier auszuführen habe, wird sich im Rahmen dessen
keiner!) bewegen.
Wir werden, meine Damen, meine Herren, das alles Die Bundestagsfraktion der Freien Demokra-
nur erhalten, wenn wir in sachlicher Atmosphäre tischen Partei bekräftigt deshalb ihre Auffassung
klären, wo Kürzungen innerhalb des Haushalts mög- von der Vordringlichkeit der Kriegsfolgengesetz-
lich sind. Auch bei dieser Frage haben wir an alle, gebung, insbesondere der Kriegsopfergesetzgebung.
haben wir an das Ganze zu denken. Zusätzliche Mit- Die vor uns liegenden sozialpolitischen, gesell-
tel hier erfordern Kürzung an anderer Stelle, und schaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Auf-
4664 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Zoglmann
gaben sind untrennbar miteinander verbunden. Sie möglich machen, das Inkrafttreten der Novelle zur
können nur dann bewältigt werden, wenn alle Be- Kriegsopferversorgung
teiligten ihren Zusammenhang erkennen. Das setzt
(Zuruf von der SPD: Erst einmal tun!)
eine gemeinsame Arbeit von Regierung und Par-
lament in sachlicher und nüchterner Atmosphäre mit dem Beginn des neuen Haushaltsjahres
voraus. (Ah-Rufe von der SPD)
Die Freien Demokraten bedauern deshalb, daß die am 1. Januar wirksam werden zu lassen.
Rechtsansprüche der Kriegsopfer zum Gegenstand
(Abg. Wehner: Also erst weg vom 1. 10.!
von Auseinandersetzungen und wahltaktischen Er-
—Weitere Zurufe von der SPD. — Gegen
wägungen geworden sind.
rufe von der Mitte.)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Pfui-Rufe bei
der SPD.) — Herr Kollege Wehner, hier ist von der CDU klar
gesagt worden, sie wünscht, daß die Kriegsopfer
Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, novelle so bald wie möglich in Kraft tritt.
heute in erster Lesung eine Gesetzesinitiative zur (Abg. Leber: Also sind Sie wieder umge
Kriegsopferversorgung im Bundestag zu beraten, ist fallen! — Gegenrufe von der CDU/CSU.)
geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen.
— Herr Leber, wenn jemand in dieser Frage nicht
((Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von umgefallen ist, dann ist es die FDP.
der SPD.)
(Beifall rechts. — Lachen bei der SPD.)
Auch dieser Entwurf der Fraktion der Sozialdemo-
kratischen Partei muß nach § 96 der Geschäftsord- Aber wir wollen dieses Wort aus der Betrachtung
nung des Deutschen Bundestages ebenso wie der herauslassen.
bereits verabschiedete Antrag im Kriegsopferaus- (Abg. Erler: Haben Sie den 1. Oktober
schuß beraten versprochen oder nicht?)
(erneute Zurufe von der SPD) — Die CDU wünscht — sie hat es hier erklärt, und
wir wollen uns an das halten, was hier erklärt wor-
und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden.
den ist — das Inkrafttreten so bald wie möglich.
Erst dann kann er vom Bundestag und vom Bundes-
rat verabschiedet werden. Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion ist
selbstverständlich für das Inkrafttreten am 1. Okto-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Anhal
ber,
tende Zurufe von der SPD.)
(Lachen bei der SPD)
Die Antragsteller können sich nicht darüber im aber sie setzt den 1. Januar nehmen Sie das als

Unklaren sein, lieber Kollege Mommer, daß das in ein Wort, meine sehr verehrten Kollegen von der
den noch verbleibenden Wochen in diesem Jahr SPD! — als den spätestmöglichen Termin der Ver-
nicht mehr möglich ist. abschiedung dieser Novelle. Nehmen Sie das bitte
(Abg. Wehner: Sie wollen alle vom 1. 10. zur Kenntnis!
1963 runter! Sagen Sie das doch offen!) (Beifall bei der FDP und in der Mitte. —
-
— Ich komme sofort darauf zurück, Herr Kollege Zurufe von der SPD.)
Wehner. Eine weitere Verzögerung wird die FDP auf keinen
(Abg. Wehner: Dafür würde ich Ihnen Fall mitmachen.
dankbar sein!) (Lachen bei der SPD.)
Deshalb bittet die Fraktion der Freien Demokra- — Wir werden das ja alles mit Ihnen dann im Ja-
tischen Partei das Hohe Haus um eine nüchterne nuar erleben. Jedenfalls muß dieser heutige Antrag,
Betrachtung der gegebenen Möglichkeiten. der nach unserem Dafürhalten eindeutig aus Über-
Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung legungen gestellt ist, die hier im Hause nicht akzep-
zur Stabilerhaltung unserer Währung. Diese Politik tiert werden können, von uns abgelehnt werden.
dient allen Schichten unseres Volkes. Die FDP (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU. —
wird deshalb dafür sorgen, daß sich das Haushalts- Zurufe von der SPD.)
volumen mit 60,3 Milliarden DM im Rahmen des
Zuwachses des Sozialprodukts hält. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge-
Zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung ordneter Zoglmann, Sie haben gesagt: „der Verab-
wird die FDP im Haushaltsausschuß durch Einspa- schiedung dieser Novelle", — dann müßte das Haus
rungen an anderer Stelle im Haushalt 1964 die not- sich heute damit befassen.
wendigen zusätzlichen Mittel nachweisen und ent- (Beifall und Lachen bei der SPD.)
sprechende Vorschläge ihrerseits unterbreiten.
Sie meinen: „des Inkrafttretens". Das nur zur Klar-
(Abg. Dr. Schäfer: Warum nicht schon stellung vor der Abstimmung.
heute?) Meine Damen und Herren, wir stimmen ab über
Diese Vorschläge werden es nach Überzeugung der den Antrag der Fraktion der SPD, den Gesetzent-
Freien Demokraten allen Fraktionen dieses Hauses wurf Drucksache IV/1714, die Ihnen vorliegt, heute
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4665
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
auf die Tagesordnung zu setzen. Wer diesem Antrag Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- Herr Präsident, ich darf wohl die Fragen des Herrn
chen. — Gegenprobe! — Abgeordneten Seibert, die den gleichen Fragenkom-
plex betreffen, zusammen beantworten, wenn Herr
(Ah-Rufe von der SPD.) Kollege Seibert damit einverstanden ist.
Enthaltung? — Der Antrag ist abgelehnt.
(Abg. Dr. Schäfer: Nicht einer steht zu Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bitte sehr. Ich
seinem Wort!) — Unruhe.) rufe dann noch auf die Fragen I/2 und I/3 — des
Herrn Abgeordneten Seibert —:
Zu der in der Fragestunde der 98. Sitzung des Ist aus der erst neuerdings feststellbaren Ablehnung der
tarifarischen Vorschläge der Kommission der Europäischen Wirt-
Deutschen Bundestages am 4. Dezember 1963 ge- schaftsgemeinschaft für eine gemeinsame Verkehrspolitik durch
stellten Frage des Abgeordneten Ertl Nr. I ist inzwi- die Bundesregierung zu folgern, daß die Bundesregierung andere
konkrete Vorschläge für die künftige Tarifpolitik zu unterbreiten
schen die schriftliche Antwort des Herrn Staatssekre- gedenkt?
tärs Dr. Schäfer vom 6. Dezember 1963 eingegangen. Wäre nicht mit erheblichen weiteren Schwierigkeiten bei einer
Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im nationalen und
Sie lautet: internationalen Rahmen zu rechnen, wenn für die verschiedenen
Nach Auffassung der Bundesregierung sollte aus Sicherheits- Verkehrsträger mit der Einführung von Margentarifen einerseits
gründen im Regelfall vermieden werden, daß mehrere Persön- und der Zustimmung zu einer freien Preisbildung für die Rhein-
lichkeiten in politischen Spitzenstellungen dasselbe Flugzeug schiffahrt andererseits derart unterschiedliche Möglichkeiten für
benutzen. die Festsetzung von Tarifen geschaffen würden?
Bei der Reise des Herrn Bundespräsidenten und der ihn be- Bitte, Herr Minister.
gleitenden Delegation zu den Trauerfeierlichkeiten in Washington
mußte von diesem Grundsatz abgewichen werden, weil diese
Reise unter Zeitdruck stand und nur eine Maschine bereitge-
stellt werden konnte, die zusätzlich zu den Sicherheitsmaß-
nahmen der Fluggesellschaft einer besonderen kriminalpolizei- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
lichen Sicherheitskontrolle unterzogen worden war. Zu den fünf Vorschlägen der EWG-Kommission vom
Die Bundesregierung wird darum besorgt sein, den eingangs 20. Mai 1963 zur Verwirklichung der künftigen ge-
genannten Sicherheitsvorstellungen in dem höchst erreichbaren
und vertretbaren Maße Rechnung zu tragen. meinsamen Verkehrspolitik der Gemeinschaft liegt
bisher weder eine abschließende Stellungnahme der
Zu den in der Fragestunde der 99. Sitzung des Bundesregierung noch eine Entscheidung der Euro-
Deutschen Bundestages am 5. Dezember 1963 ge- päischen Wirtschaftsgemeinschaft vor. Ich habe aber
stellten Fragen des Abgeordneten Dr. Wuermeling als Bundesminister für Verkehr wiederholt die Vor-
Nrn. XII/4, XII/5 und XII/6 ist inzwischen die schrift- schläge der Kommission als grundsätzlich annehm-
liche Antwort des Herrn Bundesministers Blank vom bar bezeichnet, natürlich dazu auch noch Einwände
6. Dezember 1963 eingegangen. Sie lautet: vorgetragen, die sich vor allem auf die meines Er-
Frage 1: messens notwendige rechtzeitige Angleichung der
Es trifft zu, daß im Dezember Weihnachtsgeld an Bundes- Wettbewerbsbedingungen beziehen. Insbesondere
beamte gezahlt wird. Zu welchem Zeitpunkt Leistungsverbesse-
rungen auf den Gebieten des Kindergeldes und der Kriegsopfer- habe ich wiederholt öffentlich darauf hingewiesen,
versorgung in Kraft treten werden, hängt von der Entscheidung
des Parlaments ab.
daß die Einführung von Margentarifen im grenz-
überschreitenden Verkehr zwingend auch die Ein-
Frage 2:
Die Bundesregierung hält an den Grundsätzen der Regierungs-
führung von Margentarifen für die drei Verkehrs-
erklärung vom 18. 10. 1963 fest. Sie hofft, daß der Bundestag träger im Binnenverkehr nach sich ziehen wird und
ihr ermöglichen wird, diese Grundsätze zu verwirklichen.
daß die Rheinschiffahrt im Gemeinsamen Markt
Frage 3: - keine isolierte Tarifinsel bilden kann. Solange über
Die Bundesregierung hat im Haushaltsplan 1964 Mittel für die
Verbesserung der Kindergeldleistungen eingesetzt. Sie ist dabei die Vorschläge der Kommission auf Grund der Vor-
davon ausgegangen, daß das dem Bundestag vorliegende Bun- schriften der Artikels 75 des Römischen Vertrages
deskindergeldgesetz am 1. 4. 1964 in Kraft tritt.
und gemäß den Verfahrensvorschriften dieses Ver-
Wir kommen zur Tagesordnung. Ich rufe auf die trages verhandelt wird und sich die Bundesregie-
rung dazu noch nicht verbindlich erklärt hat, ver-
Fragestunde (Drucksachen IV/1737, IV/1744) bietet sich selbstverständlich jede ablehnende Stel-
(Große Unruhe.) lungnahme einzelner der Regierung angehöriger
Vertreter.
— Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu neh Nach der Veröffentlichung der Vorschläge hat
men. — Wir setzen die Sitzung fort, aber ich unter nicht nur innerhalb der interessierten Kreise, son-
breche unverzüglich, wenn Sie nicht Platz nehmen. dern auch in der breiten Öffentlichkeit eine leb-
(Zustimmung.) hafte Diskussion über deren Inhalt und die Möglich-
Ich bitte die Türen zu schließen. Herr Abgeordne- keiten einer Verwirklichung eingesetzt. Es sind uns
ter Struve, nehmen Sie bitte Platz. eine Reihe von Stellungnahmen zustimmender, ab-
lehnender und einschränkender Art bekannt gewor-
Ich rufe in der Fragestunde die Fragen aus dem den. Die Zentralkommission in Straßburg, die auf
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr dem Wege eines vereinbarten Dokumentenaus-
auf, zunächst die Frage I/1 — des Herrn Abgeord- tauschs die Vorschläge der Kommission unmittelbar
neten Seibert —: erhielt, hat nach Abtrennung der Rechtsfragen, die
Hat der deutsche Regierungsvertreter anläßlich der III. Wirt- der Beratung durch die Kommission vorbehalten
schaftskonferenz der Rhein-Zentralkommission der ablehnenden
Haltung dieser Konferenz gegenüber der Einführung von Mar-
wurden, ihr im Jahre 1951 konstituiertes Beratungs-
gentarifen für die Rheinschiffahrt mit ausdrücklicher Billigung gremium, die sogenannte Wirtschaftskonferenz der
der Bundesregierung zugestimmt?
Rheinschiffahrt, um eine Äußerung zu den Auswir-
Bitte, Herr Bundesverkehrsminister! kungen ersucht, die die Durchführung der Vor-
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Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
schläge der Kommission in Brüssel auf die Rhein- nahmen an den Binnen- und Seewasserstraßen von
schiffahrt haben können. der Bundesregierung leider nicht vorgesehen wer-
In einer ersten Sitzung am 5. und 6. November den.
1963 sind durch das Rheinschiffahrtsgewerbe einige
negative Feststellungen zu verschiedenen Punkten Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
der fünf Vorschläge, soweit diese die Rheinschiff- frage.
fahrt betreffen, unter besonderer Berücksichtigung
des Vorschlages zur Einführung der Margentarife Cramer (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
und zur Verwirklichung der Harmonisierung der daß die niedersächsischen und die bremischen Unter-
Wettbewerbsbedingungen getroffen worden. Diese weserhäfen Augenblick keinen Anschluß an das
Bedenken erklären sich aus der Problematik, die westdeutsche Kanalnetz für auf 1000 t abgeladene
sich aus dem inneren Wettbewerb in der Binnen- Binnenschiffe haben, und zwar bei der jetzt ange-
schiffahrt ergibt. Sie gründen sich auch darauf, daß spannten Konkurrenzlage im Gegensatz zu den
für den bisher durch Tariffestsetzungen nicht regle- übrigen westlichen Seehäfen?
mentierten internationalen Rheinverkehr besonde-
rer Wert auf eine materielle Gleichbehandlung der Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Verkehrsträger im Rahmen der gemeinsamen Ver- Herr Kollege Cramer, Sie wissen wahrscheinlich ge-
kehrspolitik gelegt werden muß. Die als Beobachter nauso gut wie ich, daß wir hi den letzten Jahren
in der Wirtschaftskonferenz anwesenden Regie- die sogenannte Weststrecke des Küstenkanals durch
rungsvertreter aller Rheinuferstaaten und Belgiens Anlage von Weichen für einen einbahnigen Ver-
haben diese wirtschaftlichen Feststellungen in kehr für mit 1000 t abgeladene Schiffe mit 2,20 m
Kenntnis der Zusammenhänge für richtig gehalten, Tiefgang ausgebaut haben, so daß diese Schiffe —
dabei aber aus den eingangs erwähnten Gründen wenn auch mit der üblichen Behinderung des ein-
einer Ablehnung der EWG-Vorschläge durch diese bahnigen Verkehrs — von den Unterweserhäfen
Wirtschaftskonferenz widersprochen. nach dem Dortmund-Ems-Kanal verkehren können.
Auch die Zentralkommission selbst hat sich in
einer darauf folgenden Sitzung am 20./21. Novem- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zu einer
ber noch nicht in der Lage gesehen, sich zu diesen zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Cramer.
Feststellungen der Wirtschaftskonferenz verbind-
lich zu äußern, solange diese nicht von konstruk- Cramer (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
tiven Beiträgen des internationalen Rheinschiffahrts daß auf der ganzen Strecke des Küstenkanals die
gewrbsfüditnVehalugbit 1000-t-Schiffe nicht verkehren können, sondern daß
sind. zwischen Kampe und Dörpen eine Strecke ist, die
Auf die von Ihnen hervorgehobene notwendige noch tiefer ausgebaggert werden muß?
Angleichung der Wettbewerbsbedingungen haben
die Vertreter der Rheinschiffahrt gleichfalls auf- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
merksam gemacht. Auch über diese Frage wird Mir ist nur bekannt, daß wir den Kanal auf seiner
innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemein- ganzen Strecke für die Befahrung mit 1000-t-Schiffen
schaft bekanntlich weiter verhandelt. -
bei 2,20 m — nicht bei 2,50 m — Abladetiefe frei-
gegeben haben.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die
Frage I/4 — des Herrn Abgeordneten Cramer —
auf : Cramer (SPD) : Also nur teilweise.
Treffen Zeitungsmeldungen zu, wonach die Mittel zum Ausbau
des Küstenkanals auf der Strecke Kampe—Dörpen auf 3,50 m
Tiefe auch für 1964 gestrichen sind?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Kollege, der Ausbau des Küstenkanals ist in Wächter (FDP) : Herr Minister, aus Ihren Aus-
dem zweiten Vierjahresprogramm über Investitio- führungen ist also festzustellen, daß mit dem Aus-
nen der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung mit ins- bau des Küstenkanals in der Reststrecke erst im
gesamt 52 Millionen DM enthalten, von denen Jahre 1965 zu rechnen ist. Auf der anderen Seite ist
23 Millionen DM auf den Ausbau der Weststrecke aber vorgesehen, daß der Mittelandkanal zwischen
entfallen. Im Programm war für 1964 ein Teilbetrag Minden und Bergeshövede zu derselben Zeit aus-
von 6,8 Millionen DM vorgesehen. gebaut werden soll. Muß an sich nicht der Küsten-
Es trifft zu, daß die zum Entwurf des Bundeshaus- kanal als Ausweichmöglichkeit für den behinderten
haltsplans 1964 angemeldeten Mittel zum Ausbau Verkehr auf dem Mittellandkanal vorgesehen wer-
der westlichen Strecke des Küstenkanals zwischen den? Würde also .der Ausbau beider Strecken nicht
Sedelsberg und Dörpen gestrichen werden mußten zu einer erheblichen Verkehrsbehinderung führen?
und daher in ihm nicht enthalten sind. Die Begrün-
dung ist in der angespannten Haushaltslage zu Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
suchen. Trotz Anerkennung der Dringlichkeit der Die letzte Frage kann ich verneinen. Außerdem wird
geplanten Maßnahmen konnten die angeforderten der Mittellandkanal leider nicht ausgebaut, wie ich
Mittel für diese wie für zahlreiche andere Baumaß- das wünschen möchte, sondern nur repariert.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4667

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die überhaupt für geeignet für Flugzeuge des Typs, der
Frage I/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing von Herrn Abgeordneten Kliesing genannt worden
(Honnef) — auf: ist?
Ist die Bundesregierung daran interessiert, daß die zivile
deutsche Luftfahrt an der ersten Serie von voraussichtlich 38
Stück des in englisch-französischer Produktionsgemeinschaft zu
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
bauenden Superschallflugzeuges Concorde partizipiert, das etwa Ich habe schon einmal ausgeführt, Herr Kollege, daß
um das Jahr 1970 im zivilen Flugverkehr eingesetzt werden soll wir für den Überschallflugverkehr in erster Linie an
und von dem die ausländische Presse meldet, daß englische,
französische und amerikanische Luftverkehrsunternehmen sich den Ausbau des Flughafens Kaldenkirchen nördlich
bereits die überwiegende Mehrzahl gesichert haben?
von Hamburg denken. Weiterhin sollen voraussicht-
lich zwei Flugplätze in Westdeutschland und ein
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Flugplatz in Süddeutschland dafür vorgesehen wer-
Herr Kollege, das Ü berschallflugzeug „Concorde", den. Von den vorhandenen Flugplätzen sind die
ein französisch-englisches Gemeinschaftsprojekt, ist Flugplätze Frankfurt und Köln-Bonn geeignet..
in der Langstrecken-Version bei 2,2facher Schall-
geschwindigkeit, also Mach 2,2, auf die größte Reich-
weite von 6000 km ausgelegt. Diese Reichweite ge- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
stattet keinen Direktflug von der Bundesrepublik satzfrage.
nach New York. Denn die kürzeste Entfernung —
Großkreis-Entfernung — Frankfurt–New York be- Börner (SPD) : Im Hinblick auf die Lärmbelästi-
trägt 6200 km. Wie bei dem Übergang zu den reinen gung, die bei Überschallmaschinen zu erwarten ist,
Düsenflugzeugen, wo die Entwicklung ähnlich ver- möchte ich Sie fragen, ob es überhaupt wünschens-
lief, sollten wir abwarten, bis Flugzeugmuster mit wert ist, diese Flugplätze für diesen Verkehr freizu-
genügender Reichweite auf den Markt kommen. geben bzw. ihren Ausbau vorzusehen.
Darüber hinaus stehen noch erhebliche wirtschaft-
liche und technische Fragen zur Lösung an — zum Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Beispiel das Lärmproblem —, die es geraten er- Herr Kollege, Köln-Bonn und Frankfurt brauchen,
scheinen lassen, vorerst von einer Beschaffung die- wie gesagt, nicht ausgebaut zu werden. Der Flug-
ses Flugzeugmusters Abstand zu nehmen und die hafen in Kaldenkirchen ist so gelegen, daß eine
weitere Entwicklung der zivilen Überschallflugzeug Lärmbelästigung praktisch nicht eintritt, weil An-
muster abzuwarten. Die Bundesrepublik ist daher und Abflugschneisen über dem Wasser liegen.
nicht daran interessiert, daß die Deutsche Lufthansa
aus der ersten Fertigungsserie Überschallflugzeuge Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die
erhält. nächste Frage auf, Frage I/6 — des Herrn Abgeord-
neten Dr. Kliesing —:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Wann kann mit dem Beginn des Baues der Bonner Nord- bzw.
Südbrücke gerechnet werden?
frage.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Glauben Sie, Herr Kollege, mit dem Bau der Bonner Nordbrücke
Herr Minister, daß die Deutsche Lufthansa unter die- wird im Spätsommer 1964 begonnen.
sen Umständen in den 70er Jahren noch mit den
englischen und französischen Unternehmen konkur-- Die Planung der Bonner Südbrücke steht mit der
renzfähig sein wird? Neuordnung der Verkehrsanlagen in Bonn in engem
Zusammenhang. Die Entscheidung über die Ände-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: rung der Bahnanlagen und über die damit verbun-
Das glaube ich sehr wohl. Denn wir können sicher dene sogenannte Stadtautobahn ist noch nicht ge-
erwarten, daß bis dahin Muster auf dem Markt sein troffen. Damit hängen auch die weiteren Planungen
werden, die unseren Anforderungen genügen. im Raum von Bad Godesberg zusammen. Ferner
ist die Lage der Südbrücke abzustimmen mit der
Planung der Verbindungsstraße von den Bundes-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- staßen 56 und 257 südwestlich Bonns zu der geplan-
satzfrage. ten Auffahrt auf die Köln—Frankfurter Autobahn
bei Stieldorf. Nach dem derzeitigen Sachstand die-
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Haben Sie ser Planungen wird der Baubeginn für die Bonner
Anhaltspunkte dafür, daß gleichzeitig mit der „Con-
Südbrücke daher kaum vor 1967 erwartet werden
corde" oder wenig später andere Muster, von denen
können. Es war von Anfang an vorgesehen, die bei-
Sie eben sprachen, auf dem Markt sein werden?
den Brücken nacheinander zu bauen.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Ja, wir haben Anhaltspunkte dafür. Aber selbstver- frage.
ständlich kann ich Ihnen keine Gewißheit geben.
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Herr Mini-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- ster, könnten Sie mir sagen, welche Argumente da-
frage Herr Abgeordneter Börner. für entscheidend waren, der Bonner Nordbrücke die
Priorität zu geben, während man doch auf Grund
Börner (SPD): Herr Minister, halten Sie die jetzi- der allgemeinen Verkehrslage hätte annehmen dür-
gen großen deutschen internationalen Flughäfen fen, daß zuerst die Südbrücke gebaut werden würde?
4668 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: wie z. B. durch die Deutsche Alpenstraße, Rossfeld
Herr Kollege, die Bonner Nordbrücke liegt im Zuge straße, Klobensteinstraße, Autostraße München-
von Fernverkehrsstraßen und ist daher eine ty- Spatzenhausen—Kempten—Lindau, Ulm - Kempten
pische Aufgabe des Bundes. Die Bonner Südbrücke und die Verbindung Augsburg—Füssen.
dagegen dient in erster Linie der Verbindung der Die von Ihnen erwähnten Belästigungen durch
beiden Rheinufer und hat daher in erster Linie re- Lärm 'und Luftverseuchung sind natürlich nicht von
gionalen Charakter. Nur durch den von mir genann-
der Hand zu weisen, vor allem innerhalb der Kur-
ten Straßenzug von der B 257 zu einer neuen Auto-
orte. Sie sind aber auch als die Kehrseite der er-
bahnauffahrt bei Stieldorf wird sie überhaupt in
freulichen Entwicklung unserer Gesamtwirtschaft zu
das Fernstraßennetz eingeordnet und kann infolge-
werten. Eine Einschränkung des 'individuellen moto-
dessen vom Bund erstellt werden.
risierten Verkehrs halte ich besonders für den Frem-
denverkehr nicht für realistisch. Das kann meines
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Letzte Zu- Erachtens nur örtlich für bestimmte Gebiete in Be-
satzfrage. tracht kommen, um sogenannte Oasen der Ruhe zu
schaffen, z. B. in den Fremdenverkehrsorten selbst,
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Darf ich Ihren für Naturschutzgebiete, an den Seeufern, in be-
Worten also entnehmen, daß die Bonner Nord- stimmten Gebirgstälern usw.
brücke etwa um das Jahr 1966/67, die Bonner Süd-
brücke dagegen nicht vor 1970 fertiggestellt sein Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
wird?
frage, Herr Abgeordneter Ertl.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Ertl (FDP) : Herr Minister, wird — Ihrer These
Sie können, Herr Kollege, damit rechnen, daß die
folgend — demnach in Zukunft bei Fremdenver-
Brücken, wenn alle Voraussetzungen geschaffen
kehrsorten vorrangig die Umgehungsstraße geplant
sind, zwei bis drei Jahre Bauzeit erfordern. Wenn
und gebaut?
es also gelingt, die Bonner Nordbrücke 1964 in Gang
zu bringen, hoffen wir, sie bis 1966 auch fertig-
zustellen, wenn keine besondere Schwierigkeiten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
beim Bau eintreten. Dann könnte 1967 mit der Süd- Soweit es sich um Bundesstraßen handelt, tun wir
brücke begonnen werden, und diese könnte bis das, Herr Kollege. Soweit es sich um die Landes-
etwa 1969 fertiggestellt sein. planung handelt, kann ich Ihnen dazu leider keine
Auskunft geben.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die nächste
Frage ist die Frage I/7 — Abgeordneter Dr. Ertl (FDP) : Würden Sie das in dem betreffenden
Gleissner —: Raum noch einmal überprüfen lassen? Denn es lie-
Sieht die Bundesregierung die Gefahren, die dem Raum süd-
gen für zahlreiche Fremdenverkehrsorte — ich
lich von München als wichtigem Teil des bayerischen Oberlandes denke an Schliersee, an Tegernsee, Bad Wiessee —
in seiner Eigenschaft als Erholungs- und Fremdenverkehrsgebiet
und der ansässigen Bevölkerung durch den in erschreckendem konkrete Anträge vor.
Umfang zunehmenden Straßenverkehr drohen. insbesondere
durch die damit verbundene Lärmentwicklung, Luftverseuchung
und Unfallhäufigkeit? - Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Bitte, Herr Minister! Jawohl. Wir sind aber, wie Sie wissen, Herr Kol-
lege, mit der Planung nicht nur für diese Orte, son-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: dern auch für Bad Tölz beschäftigt und bemüht,
Herr Kollege, das Verkehrsaufkommen ergibt sich Lösungen zu finden. Sie wissen jedoch selbst, welch
im großen ganzen aus der Wirtschafts- und Sied- große Schwierigkeiten es bereitet, in diesen dicht-
lungsstruktur des betreffenden Gebietes. Es handelt besiedelten Gebieten Umgehungsstraßen durchzu-
sich daher primär um eine Frage 'der Landesplanung. führen, und ich verweise darauf, daß überall, wo
Diese ist im wesentlichen eine Aufgabe der Länder ich versuche, eine Linie zu finden, ich bis in höch-
selbst. Die Planung der Bundesstraßen des Fernver- sten Stellen Einsprüche hinnehmen muß.
kehrs geschieht daher im engen Benehmen mit den
Landesplanungsbehörden. Die Planung des örtlichen Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe
und regionalen Straßenverkehrs ist allein Sache der Frage I/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner
Länder. auf:
Ist auch der Herr Bundesverkehrsminister der Auffassung, daß
Ich glaube nicht, ,daß durch den Straßenverkehr — die Überbelastung der Straßen und die damit verbundenen
auch bei weiter ansteigender Entwicklung — der Gefahren durch eine bessere Ausgestaltung der öffentlichen Ver-
kehrsmittel, insbesondere der Bundesbahn, in technischer, fahr-
Raum südlich Münchens als Erholungs- und Frem- planmäßiger und tariflicher Hinsicht kompensiert oder zumindest
gemildert werden können?
denverkehrsgebiet beeinträchtigt wird. Heute be-
darf zudem jedes Wirtschaftsgebiet und vorzüglich Bitte, Herr Minister!
jedes Fremdenverkehrsgebiet einer ausreichenden
Verkehrserschließung. So ist es auch zu verstehen, Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
daß immer wieder gefordert wird, die Fremdenver- Ich teile durchaus Ihre Ansicht, Herr Kollege, daß
kehrsgebiete und vor allem auch den gesamten durch Verbesserungen im Betrieb der öffentlichen
Alpenrand von Berchtesgaden bis zum Bodensee Verkehrsmittel die heute mancherorts zu beobachten-
durch leistungsfähige Straßen weiter zu erschließen de Überbelastung der Straßen durch Personenfahr-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4669
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
zeuge wesentlich abgemildert werden könnte. Park- gentypen und durch eine allgemeine Beschleunigung
und Halteverbote in Verdichtungszonen können die- der Züge sehr gefördert worden. Im Ruhrgebiet lau-
sen Prozeß fördern. Ich denke z. B. an Kassel. Aller- fen Pläne für die Einführung eines Städteverkehrs
dings kann die Bundesregierung in dieser Beziehung mit starrem Fahrplan, in München für die Herein-
keinen Zwang ausüben, weil die Verkehrsregelung nahme des Vorortsverkehrs bis in die Stadtmitte
den Ländern obliegt, weil für die Verkehrsnutzung durch den geplanten Tunnel zwischen Haupt- und
die Wahl des Verkehrsmittels grundsätzlich frei ist Ostbahnhof. Ein freilich nur begrenzt wirksames
und weil die Tarifbildung Sache der konkurrieren- Mittel zur Entlastung der Fernstraßen ist der soge-
den Verkehrsträger ist. nannte Autoreisedienst. Die Beliebtheit dieser Ein-
richtung ist in steter Zunahme begriffen.
Dem Ziele der Straßenentlastung im Güterver-
kehr dienen z. B. alle Formen des kombinierten Im Reiseverkehr, vor allem im Bereich der Groß-
Verkehrs, bei dem die Güter für cien größten Teil städte, wirken sich die auf Veranlassung der Bun-
ihres Laufes auf der Schiene befördert werden, wäh- desregierung besonders entgegenkommend gestal-
rend die An- und Abfuhr auf der Straße erfolgt. teten Zeitkartenpreise verkehrswerbend aus. Wenn
Dazu ist neben dem Behälterverkehr vor allem der auch heute ungeachtet der wesentlich höheren
sogenannte Huckepackverkehr zu zählen. Hierzu Kosten viele Berufstätige den eigenen Pkw be-
gehören bei den Eisenbahnen auch der Einsatz von nutzen, so wird doch, auf die Dauer gesehen, neben
arbeitsökonomischen Güterwagentypen wie Selbst- den günstigen Preisen der Verkehrsnotstand, be-
entladewagen, Muldenkipper, Schiebedach- und sonders auch die Parkraumnot, dahin wirken, daß
Schiebewandwagen sowie die Schaffung geeigneter sich die Berufstätigen vermehrt wieder der Schiene
Umschlagseinrichtungen auf den Bahnhöfen. Alle zuwenden. Die Bundesbahn ist auch tariflich sehr
diese Maßnahmen werden deshalb durch Bereitstel- um den Nahverkehr bemüht. Sie beabsichtigt, durch
lung von Forschungsmitteln gefördert. besondere Ermäßigungen auf die stärkere Benut-
zung ihrer außerhalb des Berufsverkehrs meist
Im Güterverkehr bietet schon jetzt die stark ge- schwach besetzten Personenzüge hinzuwirken. Ab-
stiegene Zahl der TEEM-Züge und der innerdeut- schließend möchte ich Sie noch auf die Arbeit der
schen Schnellgüterzüge, deren Reisegeschwindigkeit Enquete-Kommission über die Verkehrslage in den
von Jahr zu Jahr erhöht wird und deren Fahrplan Gemeinden hinweisen, die 1964 abgeschlossen sein
erweitert wurde, der verladenden Wirtschaft reich- soll und über die ich dem Hohen Hause berichten
lich Gelegenheit, zur Entlastung der Straßen beizu- werde.
tragen. In gleicher Weise wirken Maßnahmen zur
Beschleunigung und Verbesserung des Rangier-
dienstes, die schnell fortschreitende Elektrifizierung Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
und die Verdieselung des Zugantriebs und des Be- frage, Herr Abgeordneter Schwabe.
triebes auf den Rangierbahnhöfen.
Der Entlastung der Straßen und vor allem der Schwabe (SPD) : Herr Minister, werden Si bei
Ortsdurchfahrten vom Lkw-Verkehr dienen ferner Ihren zugesagten Bemühungen wegen der
tarifliche Maßnahmen. In erster Linie ist hier die Schwierigkeiten, die Herr Kollege Gleissner und
Auseinanderentwicklung der Regeltarife für Eisen- Herr Kollege Ertl speziell im Fremdenverkehrsbe
bahn und Kraftwagen zu nennen. Sie zielt darauf, reich dargelegt haben, vielleicht auch die Fraktionen
dem Kraftwagen die kleineren Sendungen, der- der soeben genannten Kollegen darauf hinweisen,
Schiene die größeren Massengutsendungen zuzu- daß eine Reihe von anstehenden Bestrebungen be-
weisen. In gleicher Richtung wirken die Sonder- treffend etwa die Erhöhung der Zahl der Konzes-
ermäßigungen für geschlossene Züge, sogenannte sionen für den Güterfernverkehr auf der Straße,
Ganzzüge, und für Wagengruppen. Ferner werden etwa die Senkung der Beförderungsteuer für den
bisher grundsätzlich die Ausnahmetarife für Mas- Werkverkehr, etwa die Erhöhung der Gewichte der
sengüter auf den Schienenweg beschränkt. Die Be- Lastwagen und die Verlängerung der Lastwagen da-
mühungen der Eisenbahnen und der Binnenschiff- zu beitragen werden, die beklagten Zustände noch
fahrt um den Massengutverkehr werden von mir in beklagenswerter zu machen, und daß die Bemühun-
jeder Weise unterstützt. gen der Fraktionen mit diesen Entwicklungen in
Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß die Einklang gebracht werden müssen?
Heranführung der Verkehrswirtschaft an die so-
ziale Marktwirtschaft und damit eine Lockerung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
noch bestehender Beschränkungen deshalb nur Ich stimme Ihnen vollinhaltlich zu, Herr Kollege
schrittweise erfolgen sollte, weil dazu unsere Ver- Schwabe, und ich werde mich bemühen, alle diese
kehrsinfrastruktur noch nicht ausreicht und z. B. Dinge in solchem Rahmen zu halten, daß sie noch
eine zu starke Ausweitung der Kontingente im ge- erträglich sind. Aber ich gebe Ihnen zu, daß bei
werblichen Güterfernverkehr oder eine zu starke der Ausweitung des Verkehrszuwachses auf den an
Senkung der Beförderungsteuer im Werkfernver- sich schon überlasteten Straßen, bei der ständigen
kehr zusätzlichen Verkehr in einem Ausmaß auf die Zunahme des Pkw-Verkehrs — im letzten Jahr um
Straßen ziehen würde, wie es das heutige schon 1 Million Fahrzeuge — das natürlich ein außeror-
überlastete Straßennetz gar nicht zu fassen vermag, dentlich schwieriges Unterfangen ist.
während das Schienennetz nicht ausgelastet ist.
Der Personenverkehr ist in den letzten Jahren Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
durch den Einsatz moderner Zugeinheiten und Wa- frage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
4670 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Kahn-Ackermann (SPD) : Herr Minister, habe wird die Deutsche Bundesbahn im Zuge der Er-
ich Sie recht verstanden, daß Sie im ersten Teil neuerung ihres Reisezugwagenparks nach und nach
Ihrer Antwort bei den Maßnahmen, die sich direkt in der Lage sein, auch auf den südlichen Vorort-
auf den Straßenverkehr beziehen, sagten, dieser strecken von München modernere Wagen einzuset-
Bereich liege in der Zuständigkeit der bayerischen zen. Erhebliche Fahrzeitgewinne könnten auch noch
Staatsregierung? durch die Umstellung der restlichen Strecken auf
elektrischen oder Dieselbetrieb erreicht werden, die
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: für die Zukunft in Aussicht genommen ist.
Nein, ich glaube, Herr Kollege, da haben Sie mich Diese Maßnahmen sind in einem zwischen mir
nicht ganz richtig verstanden. Soweit es sich um und der Deutschen Bundesbahn abgestimmten lang-
Maßnahmen handelt, die in den Ortschaften und auf fristigen Programm enthalten.
den Landes- und Kreisstraßen getroffen werden
müssen, liegen sie in der Zuständigkeit der bayeri-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
schen Staatsregierung. Soweit es sich um Maßnah
frage?
handelt, die auch wir mit den Bundesfernstraßen
durchführen, führen wir sie nur in Verbindung mit
der Landesplanung durch, und insofern sind auch Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
die bayerische Staatsregierung und die Landespla- sind Sie bereit, im Rahmen der von Ihnen angekün-
nung stets eingeschaltet. digten Überprüfung auch überprüfen zu lassen, ob
die abgebauten Teile der Isartalbahn wieder ausge-
baut werden sollten und der Betrieb auf der Gesamt-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- strecke attraktiv genug gestaltet werden sollte?
frage.
Ich rufe die von Herrn Abgeordneten Dr. Gleiss-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
ner gestellte Frage I/9 auf:
Soweit mir bekannt ist, ist diese Bahn tatsächlich
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, gemeinsam mit
der Deutschen Bundesbahn überprüfen zu lassen, welche Mög- stillgelegt, und stillgelegte Strecken wird die Bundes-
lichkeiten bestehen, um schon jetzt den Betrieb auf den Strecken bahn bestimmt nicht wieder aufnehmen. Denn die
München—Schliersee—Bayrischzell, München—Holzkirchen—Bad
Tölz—Lenggries, ferner München—Isartal/Loisachtal sowie Mün- Stillegung ist ja vorher sehr eingehend mit Bundes-
chen—Ammerseegebiet so auszugestalten, daß für die Bevölke-
rung, insbesondere für den Pendler-, Ausflugs- und Fremden-
und Landesbehörden und dem Verwaltungsrat der
verkehr, die Benutzung der Bundesbahn angesichts des einseitig Deutschen Bundesbahn geprüft und erst dann aus-
überlasteten Straßenverkehrs attraktiver als bisher erscheint und
zumindest eine gleichgute Verkehrsbedienung gewährleistet gesprochen worden.
wird?

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-


Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: satzfrage!
Mein Bestreben, Herr Kollege, ist, wie nochmals
betont sei, ganz allgemein darauf gerichtet, alle
Maßnahmen zu unterstützen, die der Entlastung der
Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Minister, ist es
nicht bedauerlich, daß bei der inzwischen eingetre-
Straßen dienen können. So bin ich selbstverständ-
tenen völligen und totalen Verkehrsüberfüllung im
lich bereit, die Bundesbahn zu bitten, dem Verkehr
Isar- und Loisachtal nicht in Erwägung gezogen
auf den von Ihnen genannten Strecken südlich von
- wird, eine vor Jahren erfolgte Stillegung nun doch
München ihre besondere Aufmerksamkeit zu wid-
wieder rückgängig zu machen?
men.
Wie die Bundesbahn mir dazu mitteilt, entspricht
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
die Zahl der auf diesen Strecken eingesetzten Züge
Herr Kollege, bedauerlich ist es vielleicht für die ört-
dem derzeitigen Verkehrsbedürfnis.
lich Betroffenen. Aber die Berechnungen der Bundes-
Als kurzfristige Maßnahme der Deutschen Bun- bahn sind seinerzeit so gewesen, daß letzten Endes
desbahn zur Verkürzung der Reisezeiten ist z. B. auch die bayerische Staatsregierung zugestimmt hat.
der Einsatz von Wendezügen ab Sommer 1964 auf Wir hatten die bayerische Staatsregierung — wie in
der Strecke München—Bayrischzell vorgesehen. Da- allen anderen Fällen — gebeten, das Defizit zu über-
durch entfällt das Umsetzen der Lokomotive in der nehmen. Dazu wir sie nicht bereit.
Spitzkehre Schliersee. Weiterhin ist damit zu rech-
nen, daß nach Inkrafttreten der neuen Eisenbahn Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Bau- und -Betriebsordnung die Geschwindigkeit auf frage des Herrn Abgeordneten Ertl!
geeigneten Nebenbahnen auf 80 Stundenkilometer
heraufgesetzt werden kann. Soweit es sich bei den Ertl (FDP) : Herr Minister, ist bei dem von Ihnen
südlich von München gelegenen Strecken um solche zugesagten Ausbau — ich denke hier insbesondere
Nebenbahnen handelt, wird die Deutsche Bundes- an die Strecke Holzkirchen—Bad Tölz—Tegernsee —
bahn die dann gegebenen Möglichkeiten voll aus- auch daran gedacht, die bisher eingleisige Strecke
schöpfen. auf eine zweigleisige umzustellen? Denn das würde
Als langfristige Maßnahme wird der Bau der Ver- doch sicherlich eine wesentliche Beschleunigung des
bindungsbahn in München durch Zusammenfassung Verkehrs herbeiführen.
aller Münchener Vorortstrecken in dem Tunnel
zwischen Haupt- und Ostbahnhof eine erhebliche Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Verkürzung der Reisezeiten mit sich bringen. Auch Herr Kollege, wir sind der Meinung, daß wir heute
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4671
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
mit eingleisigen Strecken entsprechender Traktion desverfassungsgericht mit Beschluß vom 9. Juli 1963
und mit entsprechenden technischen Einrichtungen festgestellt hat, daß gegen diese Regelung verfas-
für die Signalgebung eine bessere Leistung erzielen sungsmäßige Bedenken nicht bestehen, so ist gleich-
können, als man bis zum Ausbruch des zweiten Welt- wohl nicht zu bestreiten, daß die Gerichte die Frage,
krieges auf zweigleisigen Strecken erzielen konnte. was noch eine leichtere Übertretung ist, nicht ein-
heitlich beantworten. Das hängt mit der Unbestimmt-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite heit des Begriffs der leichteren Übertretung zusam-
Zusatzfrage! men, gegen den die Bundesregierung von Anfang an
im Gesetzesverfahren Bedenken erhoben hat. Aller-
dings kommen unbestimmte Rechtsbegriffe auch
Ertl (FDP) : Herr Minister, darf ich Sie noch ein-
sonst im Strafrecht vor. Sie sind nicht ganz vermeid-
mal fragen — Sie kennen mein altes Leid —: Wird
bar und führen dann zu einer gewissen Uneinheit-
bei der kommenden Fahrplangestaltung auch auf die
lichkeit der Rechtsprechung, die mit Rücksicht auf
Anschlußmöglichkeiten der Fernzüge Rücksicht ge-
die Unabhängigkeit der Gerichte hingenommen wer-
nommen werden? Bis jetzt ist es angesichts der
den muß. Übrigens kann man die Zahl der Nichtein-
schlechten Verhältnisse im Münchner Hauptbahnhof
getragenen natürlich nicht mit der Zahl der von der
und insbesondere des Holzkirchener Bahnhofs kaum
Polizei infolge von Verkehrsdelikten vorgelegten
möglich, die Anschlüsse zu erreichen.
Anzeigen vergleichen, sondern nur mit der Zahl der
Verurteilungen, die sich leider nicht zuverlässig er-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: mitteln läßt.
Ja, Herr Kollege, die Bundesbahn bemüht sich
darum. Der Fahrplan wird auch nicht vom Bundes- Das hier zuständige Koordinierungsorgan, der
minister für Verkehr gemacht, sondern von der Bun- Straßenverkehrssicherheitsausschuß des Bundes und
desbahndirektion im Einvernehmen mit den zustän- der Länder, dem auch Vertreter der Justizministe-
digen Industrie- und Handelskammern. Ich bitte die rien angehören, hat sich wiederholt mit der Anwen-
Industrie- und Handelskammer München wegen dung des § 6 a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes
ihrer Tätigkeit im Fahrplanausschuß noch einmal auf befaßt und Möglichkeiten einer Vereinheitlichung
dieses Anliegen besonders hinzuweisen. der Praxis beraten. Auf Grund dieser Erörterungen
wurde bei den Landesjustizverwaltungen angeregt,
durch ihre Strafverfolgungsbehörden auf eine ein-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage I/10 — heitliche Anwendung der Vorschrift hinzuwirken
des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
und vor allem, notfalls durch Einlegung von Rechts-
Wie wird bei der Verwendung der Auskünfte der Flensburger mitteln, zu verhindern, daß gefährliche Verkehrs-
Autosünderkartei die Gleichheit vor dem Gesetz sichergestellt,
nachdem feststeht, daß die Eintragungsverfügungen der Gerichte verstöße der Eintragung entgehen.
offenbar nach völlig unterschiedlichen Gesichtspunkten ergehen?
Der Straßenverkehrssicherheitsausschuß wird sich
in seiner nächsten Sitzung im Januar 1964 erneut
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: mit diesem Gegenstand befassen. Er wird insbeson-
Herr Präsident, wenn die Herren Abgeordneten Dr.
dere prüfen, ob gesetzgeberische Maßnahmen not-
Müller-Emmert und Dr. Kohut einverstanden wären,
wendig sind. Infolge der Kürze der Beobachtungs-
würde ich gern die Fragen 10 bis 12, da sie densel-
zeit und der bei gesetzlichen Neuregelungen erfah-
ben Gegenstand betreffen, gemeinsam beantworten.
-
rungsgemäß auftretenden Übergangsschwierigkei-
ten war eine abschließende Beurteilung dieser Frage
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bitte sehr. bisher leider noch nicht möglich.
Dann rufe ich auch die Fragen I/11 und I/12 — des
Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Emmert — auf: Ungeachtet dieser gewissen Unzulänglichkeiten
Welche Erfahrungen sind mit dem VerkehrsZentralregister
möchte ich jedoch ausdrücklich feststellen, daß die
beim Kraftfahrt-Bundesamt bisher gemacht worden? Verkehrs-Zentralkartei durch ihre bisherige Tätig-
Trägt die Bundesregierung sich mit der Absicht, gesetz- keit Segen gestiftet hat. Ihre Wirkung läßt sich
geberische Maßnahmen vorzuschlagen, die eine gleichmäßige
Behandlung aller Kraftfahrer bei der Eintragung in das Ver- allerdings statistisch nicht messen. Namentlich kann
kehrs-Zentralregister sicherstellen? nicht gesagt werden, wie viele Kraftfahrer gerade
durch die Scheu vor der Kartei zu einem vorsich-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: tigeren und rücksichtsvolleren Fahren veranlaßt
Mit dem Verkehrs-Zentralregister beim Kraftfahrt wurden. Es ist aber allgemein bekannt, daß sich die
Bundesamt sind bisher gute Erfahrungen gemacht meisten Kraftfahrer sehr bemühen, nicht in die Kar-
worden. Die Eintragungen erfolgen nach der Geset- tei eingetragen zu werden, und sich in ihrer Fahr-
zeslage, die sich wie folgt entwickelte: weise entsprechend verhalten. Wegen dieser ver-
kehrserzieherischen Wirkung hat die Zentralkartei
Bei der gesetzlichen Regelung der Verkehrs Zen- -

bereits große internationale Beachtung gefunden.


tralkartei hatte die Bundesregierung vorgeschlagen,
Die Europäische Konferenz der Verkehrsminister
nur eine kleine, genau bestimmte Gruppe gericht-
von 18 europäischen Ländern hat in einem einstim-
licher Verurteilungen von der Eintragungspflicht
migen Beschluß vom 5. Oktober 1960 allen Mitglied-
auszunehmen. Auf Grund eines Vorschlages des
Vermittlungsausschusses ist der Gesetzgeber jedoch staaten derartige Erfassungen von Verkehrszu-
über diesen Vorschlag der Bundesregierung hinaus- widerhandlungen empfohlen.
gegangen und hat den Gerichten die Möglichkeit er-
öffnet, allgemein bei leichteren Übertretungen die Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Nichteintragung anzuordnen. Wenn auch das Bun- frage, bitte sehr!
4672 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, sind Sie nicht Ermessensspielraum die unterschiedliche Behand-
auch der Meinung, daß es ein untragbarer Zustand lung der Eintragungen zur Folge hat?
ist, wenn die Zahl der Eintragungsverfügungen bei
dem einen Amtsgericht 20 % der Fälle beträgt und Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

bei dem anderen 100 % der Fälle, also, wie sta- Herr Kollege, dieser große Ermessensspielraum ist
tistisch festzustellen ist, zwischen 20 und 100 % den Gerichten durch den Beschluß dieses Hohen
schwankt? Hauses und des Bundesrats gegeben worden und
nicht nach dem Willen der Bundesregierung.
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

Wir haben eine Umfrage veranstaltet, Herr Kollege, Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Letzte Zu-
und festgestellt, daß bei der Mehrzahl aller Ge- satzfrage!
richte diese Schwankungen zwischen 15 und 45 %
betragen, daß es allerdings in Niedersachsen ein Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Präsident, ich
-

Gericht gibt, wo diese Schwankung zwischen 0 und habe noch zwei Zusatzfragen, wenn ich dies sagen
98 % liegt. Aber bei der Unabhängigkeit des Rich- darf. Ich hatte nämlich zwei Fragen gestellt.
ters können wir nur dieses Faktum feststellen und
über die Verkehrssicherheitskonferenz und die
Justizministerien bitten, auf die Gerichte einzuwir- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bitte sehr.
ken, daß sie einheitlicher verfahren.
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, ich
-

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- möchte dazu noch folgendes sagen. Wäre es bei-
satzfrage. spielsweise nicht möglich, so etwas wie ein neues
Punktbewertungssystem in diesem Fall einzuführen,
das sich nach der Schwere der jeweiligen abgeurteil-
Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, sind Sie ent- ten strafbaren Handlung richtet, also ein System,
schlossen, dafür zu sorgen, daß der Autofahrer das einerseits eine gleichmäßige Behandlung der
gegen diese überforschen Richter geschützt wird? Verurteilungen sicherstellen würde, zugleich auch
vollständig wäre, auf der anderen Seite aber auch
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
zulassen würde, daß Verwaltungsbehörden gegen
Herr Kollege, ich vermag leider auf die Richter kei- gewisse Verkehrssünder, die öfter aufgefallen sind,
nen anderen Einfluß auszuüben, als daß ich über vorgehen, indem sie vielleicht die Fahrerlaubnis
die Länderverkehrssicherheitskonferenz die Justiz- entziehen oder sonstige Maßnahmen ergreifen?
ministerien bitte, den Richtern einheitliche Weisun-
gen zu geben und sie zu bitten, sich nach einheit-
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
lichen Grundsätzen zu verhalten. Leider ist mir ein
-

Herr Kollege, es ist ja bei der Durchführung ein


weiterer Weg nicht möglich. genaues System insofern vorhanden — das haben
die Länder eingeführt, nicht wir, und das ist in den
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage? Ländern auch unterschiedlich —, als nämlich bei
Mehrfacheintragungen im Wege von Benachrichti-
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, wäre
- gungen durch das Zentralregister verschiedene Maß-
es nicht möglich, Bestimmungen zu schaffen, die eine nahmen in gesteigerter Form gegen die Mehrfach-
gleichmäßige Behandlung der Verurteilungen im täter getroffen werden, nämlich zunächst Verwar-
Hinblick auf die Eintragung besser gewährleisten, nung, dann Verkehrserziehung und schließlich als
vielleicht in der Form, daß unter Umständen leich- schlimmste verwaltungsmäßige Strafe die Entziehung
teste Übertretungen überhaupt nicht eingetragen des Führerscheins, soweit das Gericht diese Ent-
werden dürfen? ziehung nicht selbst verfügt hat. Das liegt aber in
der Durchführung des Gesetzes, die den Ländern
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
obliegt.
Sie sollen auch nicht eingetragen werden. Das Ge- Wir werden mit dem Verkehrssicherheitsaus-
richt gibt ja selber an, ob einzutragen ist oder nicht; schuß der Länder noch einmal prüfen, ob durch eine
denn das Gericht hat die Möglichkeit, die Eintragung schärfere Fassung der Bestimmung des § 6 a viel-
auszusetzen bzw. gar nicht zu veranlassen. Infolge- leicht eine einheitlichere Rechtsprechung erzielt
dessen liegt es bei dem Richter, ob er eine Ein- werden kann. Aber, wie gesagt, das ist auch eine
tragung für notwendig hält. Es kann durchaus sein, Angelegenheit, die nicht von mir allein entschieden
daß z. B. jemand, der schon einmal eingetragen ist, werden kann, sondern die in diesem Koordinierungs-
auf Wunsch des Richters auch wegen einer leichten organ beraten werden muß, weil es sich hier um
Übertretung noch einmal neu eingetragen wird. ein Zustimmungsgesetz handelt, dessen Ausführung
weitgehend den Justizministern der Länder über-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere lassen ist.
Zusatzfrage!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage?
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, ist es
-
Herr Abgeordneter Dürr.
denn nicht so, daß die Gerichte gemäß § 6 a Abs. 2
des Straßenverkehrsgesetzes eben einen zu großen Dürr (FDP) : Herr Minister, teilen Sie meine An-
Ermessensspielraum haben und daß dieser zu große sicht, daß eine gleichmäßigere Handhabung bei den
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4673

Dürr
verschiedenen Gerichten leichter sein wird, sobald Damit ist unserer Ansicht nach bewiesen, daß die
das im Entwurf der Strafrechtsreform vorgesehene Leitplanken doch einen durchaus guten, unfallver-
Tagesbußensystem eingeführt sein wird? hindernden Zweck erfüllen, weil es gerade zu den
besonders schweren Unfällen geführt hat, wenn
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Fahrzeuge auf die Gegenfahrbahn gerieten.
Das ist durchaus zu erwarten, Herr Kollege. Wir
müssen uns aber, bis das soweit ist, mit den ge- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage,
gebenen Verhältnissen abfinden. Herr Abgeordneter Dr. Mommer.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: In der Druck- Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, wie ist sicher-
sache IV/1744 wird der Verkehrsminister auch noch gestellt, daß Untersuchungen dieser Art unbeeinflußt
einmal gefragt. Herr Minister, sind Sie darauf vor- bleiben von dem Druck bestimmter Lieferanten, die
bereitet? — Ich rufe auf die Frage I/1 — des Herrn Interesse an der Lieferung der einen oder der ande-
Abgeordneten Dr. Mommer —: ren Art haben?
Welches ist das Ergebnis der Tests über Vor- und Nachteile
von Leitplanken und sogenannten Slibardrahtnetzen als Schutz
gegen Verkehrsunfälle? Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Kollege, die Untersuchungen werden unter der
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Leitung des baden-württembergischen Innenministe-
Herr Kollege, Untersuchungen über die Bewährung riums und seiner Abteilung Straßenbau durchgeführt.
von Leitplanken werden durch das Innenministe- Ich habe durchaus das Vertrauen, daß diese Herren,
rium des Landes Baden-Württemberg im Auftrage insbesondere Herr Professor Böhringer in seiner
und mit Mitteln des Kuratoriums „Wir und die gleichzeitigen Eigenschaft als Vorsitzender der For-
Straße" durchgeführt. Außerdem hat der Bundes- schungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V., sehr
minister für Verkehr Erhebungen über die Bewäh- objektiv sind und sich sehr bemühen, die Versuchs-
rung der bisher an den Bundesautobahnen einge- bedingungen objektiv zu gestalten. Herr Professor
bauten Leitplanken in den Mittelstreifen bei Unfäl- Böhringer ist gleichzeitig Professor an der Tech-
len anstellen lassen. Über die Versuche in Baden nischen Hochschule in Stuttgart.
Württemberg liegt dem Bundesminister für Verkehr
ein Zwischenbericht vom 4. November 1963 vor. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage,
Hierin werden die bisher verwendeten Stahl- und Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Betonleitplanken für Pkw-Anfahrten mit Aufprall-
winkeln von 15 Grad und Geschwindigkeiten von Dr. Rinderspacher (SPD) : Herr Minister, sind
100 km in der Stunde als geeignet bezeichnet. Bei die Ergebnisse der gleichartigen Versuche in den
den Lkw-Anfahrten konnten bisher nur die Stahl- Vereinigten Staaten bei diesen Ergebnissen mit ver-
leitplanken — und hier besonders eine Neukon- wertet worden?
struktion — einen mit 70 bis 80 km in der Stunde
anfahrenden und unter 15 Grad aufprallenden Lkw
umlenken und auf dem Mittelstreifen zurückhalten.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Nein. Wenn unsere Untersuchungen fertig sind, wer-
Der in Ihrer Frage genannte Slibardrahtzaun den wir sie mit diesen Ergebnissen vergleichen. Ich
wurde bei Pkw-Anfahrten mit Aufprallwinkeln von - habe eben schon ausgeführt, Herr Kollege, daß ich
15 Grad und Geschwindigkeiten von 100 km in der noch einen Zwischenbericht erstatten könnte.
Stunde niedergewalzt und überquert.
Nach den Voruntersuchungen kommen größere Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
Aufprallwinkel als 15 Grad in der Praxis nur vor, satzfrage.
wenn bei einem Unfall das beteiligte Fahrzeug be-
reits mit einem anderen Hindernis zusammengesto- Dr. Rinderspacher (SPD) : Ist Ihnen bekannt,
ßen ist. Für derartige Fälle bestimmte Verbesserun- daß in den Vereinigten Staaten bereits über zwei
gen an Stahlleitplanken werden zur Zeit im Auftrag Jahre derartige Versuche mit angeblich sehr guten
des Bundesministers für Verkehr auf dem Prüffeld Ergebnissen durchgeführt werden?
in Baden-Württemberg erprobt.
Bei den Erhebungen des Bundesministers für Ver- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
kehr über das Verhalten der bisher an den Bundes- Diese Versuche sind mir durchaus bekannt. Bisher
autobahnen eingebauten Leitplanken im Mittelstrei- decken sich deren Ergebnisse durchaus mit den Er-
fen wurden 1047 Pkw-Unfälle und 455 Lkw-Unfälle gebnissen, die wir haben.
erfaßt. Es betrug der Anteil derjenigen Unfälle, bei
denen die Fahrzeuge von den Leitplanken aufgefan- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage I/2 —
gen wurden, bei Pkw 97,1 %, bei Lkw 90,1 %. Die des Herrn Abgeordneten Lemmrich —:
Leitplanken durchbrachen oder über die Leitplanken Welche Erfahrungen wurden bisher über die Haltbarkeit von
hinweg kippten folgende Fahrzeuge, die jedoch auf Betonrandstreifen an Bundesstraßen gesammelt?
dem Mittelstreifen liegenblieben: bei den Pkw
1,2 %, bei den Lkw 5,7 %. Die Leitplanken durch- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
brachen oder kippten darüber hinweg und gerieten Herr Kollege, mit den Betonrandstreifen wurden an
dabei auf die Gegenfahrbahn: bei den Pkw 1,7 % den Bundesautobahnen und Bundesstraßen gute Er-
und bei den Lkw 4,2 %. fahrungen gemacht. Betonrandstreifen werden seit
4674 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
dem Jahre 1955 angewendet. Die Ebenflächigkeit Fritsch (SPD) : Herr Staatssekretär, sehen Sie eine
der zwischen dem Betonrandstreifen eingebauten Möglichkeit, in Verbindung mit den Rentenversiche-
Fahrbahnen und die genaue Einteilung der verschie- rungsträgern die unbare Zahlungsweise zu fördern?
denen erforderlichen Fahrbahnquerneigungen sind
in erster Linie auf die gut einmeßbaren und sicher Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesministe-
zu gründenden Betonrandstreifen zurückzuführen. rium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Ab-
Außerdem ist durch derartige Einrichtungen eine geordneter, die Deutsche . Bundespost tut — was
lange Haltbarkeit des Fahrbahnrandes gewährlei- Ihnen verständlich sein wird — gemeinsam mit den
stet. Zur Verhütung von Tausalzschäden müssen alles mögliche, um dasRentvrsichugä
die Betonrandstreifen in der gleichen Güte wie der zuerichndwtföre.
Beton der Fahrbahndecken hergestellt werden. Mit
Betonrandstreifen aus Fertigbauteilen haben wir in
letzter Zeit gleich gute Erfolge erzielt. Sie haben Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine weitere
den Vorteil, daß sie in kürzerer Zeit verlegt werden Zusatzfrage. Frage XII/2 — der Frau Abgeordneten
können als solche an Ort und Stelle hergestellte aus Herklotz —:
sogenanntem Ortsbeton. Bei einfacherer Ausbau- Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag zu unterstützen,
eine Kennedy-Gedächtnismarke der Deutschen Bundespost oder
weise — wie z. B. bei Zwischenausbau und anderem der Landespostdirektion Berlin herauszugeben?
— wird auf die Betonrandstreifen verzichtet, ob-
wohl dadurch natürlich der Fahrbahnrand nicht so Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesministe-
geschützt ist wie bei Einbau von Betonrandstreifen. rium für das Post- und Fernmeldewesen: Die Deut-
sche Bundespost trägt sich mit dem Gedanken, eine
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- Kennedy-Gedenkmarke herauszugeben. Mit den
frage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbe- planenden Vorarbeiten hierfür ist bereits am 27. No-
reich des Bundesministers für Verkehr erledigt. vember dieses Jahres begonnen worden. Namhafte
Ich rufe aus der Drucksache IV/1737 die Fragen Graphiker sind zur Zeit mit der Herstellung von
aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Entwürfen für eine solche Gedenkmarke beschäftigt.
das Post- und Fernmeldewesen auf. Zunächst die Die Gedenkmarke wird voraussichtlich in der Bun-
Frage XII/1 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —: desrepublik und in Berlin ausgegeben werden. Die
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, das Schlangestehen
endgültige Entscheidung hierüber ist noch nicht ge-
der Empfänger von Versichertenrenten vor den Auszahlschaltern troffen.
der Deutschen Bundespost zukünftig zu vermeiden?

Bitte, Herr Staatssekretär.


Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage!
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesministe-
rium für das Post- und Fernmeldewesen: Die Deut-
Frau Herklotz (SPD) : Herr Staatssekretär, beab-
sche Bundespost ist ständig bemüht, den Renten- sichtigt die Deutsche Bundespost, die Kennedy-Ge-
empfängern unnötige Wartezeiten an den Renten-
dächtnismarke so schnell wie möglich herauszu-
zahlschaltern zu ersparen. So wurde durch vielfältige
geben, oder soll die Briefmarke zum Jahrestag der
organisatorische Maßnahmen wie Anmietung von
Ermordung des amerikanischen Präsidenten erschei-
Rentenzahlräumen, Vermehrung der Rentenzahltage
nen?
von vier auf sechs, Einrichtung von Rentenzahlschal-
tern in ausreichender Zahl, Einteilung der Zahltage
in Zahlabschnitte für einzelne Empfängergruppen Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesministe-
unter erheblichem Kostenaufwand alles getan, um rium für das Post- und Fernmeldewesen: Wie Sie
Wartezeiten zu vermeiden. Alle diese Maßnahmen aus unseren schnell angelaufenen Vorbereitungen
sind aber vergeblich, wenn ein plötzlicher Witte- ersehen, wollen wir die Herausgabe so schnell wie
rungsumschwung den regelmäßigen Fluß der Ren- möglich bewirken. 'Aber ich darf Ihnen sagen, daß
tenempfänger zur Zahlstelle unterbricht oder die die notwendigen Vorbereitungen so lange dauern
Rentenempfänger sich nicht an die für sie festge- werden, daß aller Voraussicht nach erst der Todes-
setzten Zahltage oder Zahlstunden halten. tag des amerikanischen Präsidenten im nächsten
Jahr der Herausgabetag sein wird.
Bislang ist es gelungen, etwa 25 % aller Renten-
empfänger für die unbare Zahlung zu gewinnen.
Durch den Einsatz elektronischer Datenverarbei- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage XII/3
tungsanlagen haben wir die Möglichkeit, unbare — des Herrn Abgeordneten Peiter —:
Zahlungen in unbeschränktem Umfange durchzu- Wann ist damit zu rechnen, daß das Fernmeldeamt Limburg
an den Selbstwählferndienst angeschlossen und damit die Be-
führen. Es ist zu hoffen, daß die bei den Renten- nachteiligung für Teile des Lahn-, Westerwald-, Aar- und Ein-
rich-Gebietes beseitigt wird?
empfängern in steigendem Maße erkennbare Bereit-
schaft zur unbaren Zahlung künftig mehr als bisher Der Abgeordnete ist nicht im Saal; dann wird die
genutzt wird. Allein durch eine wesentliche Vermeh- Frage schriftlich beantwortet.
rung der unbaren Zahlungen 'ist eine fühlbare Ent- Frage XII/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Epp-
lastung der Auszahlungsschalter zu bewirken. ler —:
Wann wird mit Umbau und Erweiterungsbau des Postamtes in
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Alpirsbach Kr. Freudenstadt begonnen werden?
frage! Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4675

Bornemann, Staatssekretär im Bundesministe- sich am Verfahren zu beteiligen, und ihn mit ein-
rium für das Post- und Fernmeldewesen: Das Post- gehenden Instruktionen versehen. Dabei haben wir
dienstgebäude in Alpirsbach, Bahnhofstraße 9, in unsere bereits in einem Rundeschreiben vom 30. Mai
dem das Postamt und die örtliche Wählvermittlungs- 1962 an die zuständigen Länderminister vertretene
stelle untergebracht sind, muß wegen der unzu- Auffassung dargelegt, nach der bebaute Grund-
reichenden Raumverhältnisse durch einen Neubau stücke nach dem Bundesbaugesetz dann nicht der
ersetzt werden, der auf dem gleichen Grundstück Beitragspflicht unterliegen, wenn sie bereits vor In-
errichtet werden soll. Der Neubau ist bereits grund- krafttreten des ersten Ortsstatuts über die Erhebung
sätzlich genehmigt worden. Die zuständige Ober- von Anliegerbeiträgen oder vor Beginn der Anle-
postdirektion Tübingen ist beauftragt, den Vorent- gung der Straße bebaut worden sind. Die Praxis der
wurf aufzustellen. Nach dem derzeitigen Stand der Verwaltungen und die Rechtsprechung sind dieser
Planung wird das Bauvorhaben noch im Laufe des Auffassung aber nur zum Teil gefolgt.
Jahres 1964 baureif werden. Bei der Vielzahl drin-
Wir haben den Herrn Oberbundesanwalt gebeten,
gender Hochbauvorhaben läßt sich in Anbetracht
das Bundesverwaltungsgericht auf die Unzuträglich-
der außerordentlich angespannten Finanzlage der
keiten, die sich aus dieser unterschiedlichen Recht-
Deutschen Bundespost der Zeitpunkt des Baubeginns
sprechung ergeben, und auf die besondere Dring-
jedoch noch nicht übersehen.
lichkeit einer Entscheidung in dieser Frage hinzu-
weisen. Wie wir inzwischen erfahren haben, ist zu
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf hoffen, daß diese Entscheidung in absehbarer Zeit
die Frage VI — aus dem Geschäftsbereich des Bun- ergeht. Die Bundesregierung meint zunächst die aus-
desministers für das Post- und Fernmeldewesen — stehende Grundsatzentscheidung des Bundesverwal-
auf Drucksache IV/1744, Frage der Abgeordneten tungsgerichts abwarten zu sollen.
Frau Meermann:
Welche Möglichkeiten bestehen für eine Einordnung des Brief-
umschlag-Formats DIN C 5 in das „Standard-Format"? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage.
Frau Abegordnete Meermann ist nicht im Saal; die
Frage wird schriftlich beantwortet.
Hammersen (FDP) : Herr Staatssekretär, darf ich
Ich kehre zurück zu der Drucksache IV/1737. fragen, ob Ihnen das bisher nicht veröffentlichte Ur-
Frage II — des Abgeordneten Dr. Roesch — aus teil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom
dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirt- 9. Oktober 1963 bekannt ist, wonach mit dem In-
schaft: krafttreten des Bundesbaugesetzes bereits verjährte
Wie viele Beamte des höheren Dienstes im Bundeswirtschafts-
ministerium haben ein abgeschlossenes Studium der Wirtschafts-
Beitragsforderungen der Gemeinden auf Grund des
wissenschaften (Diplom-Kaufmann, Diplom-Volkswirt)? § 133 Abs. 4 des Bundesbaugesetzes wieder aufge-
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär. lebt sind, während der Hessische Verwaltungsge-
richtshof eine genau gegenteilige Auffassung ver-
tritt?
Dr. Neef, Staatssekretär im Bundesministerium
für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, das Bundeswirt-
schaftsministerium hat zur Zeit 378 Beamte des Dr. Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium
höheren Dienstes. Davon haben 106 ein abgeschlos- für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung:
senes Studium der Wirtschaftswissenschaften. Auch diese Divergenz ist uns bekannt, und wir hof-
fen, daß das Bundesverwaltungsgericht, wenn es im
Ich möchte ergänzend sagen, daß bei zwölf Wirt- Revisionsverfahren entscheidet, auch zu diesem
schaftswissenschaftlern, Angestellten des höheren Rechtsstreit Stellung nimmt.
Dienstes, heute die Übernahme in das Beamtenver-
hältnis eingeleitet ist.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
satzfrage.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Geschäftsbe-
reich des Bundesministers für Wohnungswesen, Hammersen (FDP) : Herr Staatsekretär, ist Ihnen
Städtebau und Raumordnung. Frage III — des Ab- weiter die sicherlich vom Gesetzgeber nicht ge-
geordneten Hammersen —:
wollte Folge des § 133 Abs. 3 des Bundesbaugeset-
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um der durch zes bekannt, die insofern unbefriedigend ist, als auf
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (Westfalen)
vom 19. Juni 1963 — III A 1134/61, 1 K 480/61/Münster — ein- Grund dieser Bestimmung von Gemeinden Voraus-
getretenen Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete des Erschlie-
ßungsbeitragsrechtes nach § 133 des Bundesbaugesetzes zu be-
leistungen auf Erschließungsbeiträge auch dann
gegnen? gefordert werden, wenn auf einem bereits bebau-
ten Grundstück lediglich wirtschaftlich untergeord-
Dr. Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium nete Ergänzungsbauten oder geringfügige Um- und
für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung: Ausbauten vorgenommen werden, wobei die ange-
Die uneinheitliche Rechtsprechung der Verwaltungs- forderten Erschließungsbeiträge oft die tatsächlichen
gerichte zur Anwendung des § 133 des Bundesbau- Baukosten weit übersteigen?
gesetzes auf bebaute Grundstücke ist von der Bun-
desregierung mit Aufmerksamkeit verfolgt worden. Dr. Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium
Als das erste Revisionsverfahren beim Bundesver- für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung:
waltungsgericht anhängig geworden war, haben wir Auch das ist uns bekannt, Herr Abgeordneter. Wir
sofort den Herrn Oberbundesanwalt angewiesen, hatten im Erlaß vom Mai 1962, auf den ich mich
4776 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Staatssekretär Dr. Ernst
Ist der Bundesregierung die Zahl der Medikamente bekannt,
vorhin bezog, bereits darauf hingewiesen, daß wir die bei Kraftfahrern Rauschzustände" mit oder ohne Alkohol-
der Meinung sind, daß diese Praxis nicht mit dem genuß herbeiführen können?
Sinn des Gesetzes übereinstimmt. Aber ehe wir dem
Bundestag vorschlagen, gesetzgeberische Maßnah- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
men einzuleiten, um das Bundesbaugesetz zu än- sundheitswesen: Die Zahl der Arzneispezialitäten,
dern, möchten wir abwarten, ob das Revisionsge- die einen nachteiligen Einfluß auf die Fahrtüchtig-
richt sich — wie wir hoffen — unserem Standpunkt keit haben, ist im Augenblick noch nicht genau zu
anschließt und damit diese Unzuträglichkeiten aus- übersehen. Wir hoffen, daß wir durch den Ausschuß
räumt. für Verkehrsmedizin, von dem ich soeben gespro-
chen habe, bald einen Überblick darüber bekommen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kommen werden.
zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bun-
desministers für Familie und Jugend. Frage IV — Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kommen
des Abgeordneten Welslau — :
zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amts. Ich rufe auf die Frage VI/1 — des
Welche Schritte hat der Herr Bundesfamilienminister unter-
nommen, um dem in seiner Gegenwart einstimmig gefaßten Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Beschluß des Ausschusses zu entsprechen, den Zeitpunkt des
Inkrafttretens des Bundeskindergeldgesetzes auf den 1. Juli 1963 Ist die Bundesregierung bereit, bei der französischen Regie-
festzusetzen? rung vorstellig zu werden, daß die gesetzlich vorgesehene
Entschädigung von etwa 25 deutschen Staatsangehörigen, die
ihren Besitz in Algerien verloren haben, beschleunigt wird,
— Die Frage wird übernommen. zumal es sich um einen insgesamt geringfügigen Betrag handelt?

Dr. Heck, Bundesminister für Familie und Jugend: Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Herr Präsident! Der in der Sitzung am 22. Mai 1963 Amts: Herr Abgeordneter, dem Auswärtigen Amt
einstimmig gefaßte Beschluß des mitberatenden sind bisher nur zwei Fälle bekanntgeworden, in
Bundestagsausschusses für Familien- und Jugend- denen deutschen Staatsangehörigen in Algerien Be-
fragen stimmt wörtlich überein mit der Vorlage der sitz entzogen worden ist. Eine französische Gesetz-
Regierung. Der federführende Bundestagsausschuß gebung zur Entschädigung von Personen, die nach
für Arbeit hat sich, wie Ihnen sicher bekannt ist, der Unabhängigkeit Algeriens ihren Besitz in
diesem Votum des Bundestagsausschusses für Fa- Algerien verloren haben, besteht bisher nicht. Die
milien- und Jugendfragen nicht angeschlossen. bisherige gesetzliche Regelung bezieht sich viel-
mehr auf die Aufnahme und Eingliederung von
Der Bundesminister für Familie und Jugend hat algerischen Flüchtlingen.
keine Möglichkeit, Beschlüsse von Ausschüssen zu
verhindern oder ihre Änderung durchzusetzen. Die
Entscheidung über die endgültige Fassung des
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
Regierungsentwurfs des Bundeskindergeldgesetzes
und damit auch über den Zeitpunkt des Inkraft- Dr. Kohut (FDP) : Ist Ihnen nicht bekannt, daß die
tretens liegt beim Bundestag. Assemblée Algérienne eine Entschädigungsgesetz-
gebung aufgestellt hat, die auch im Mutterland von
der Assemblée Nationale übernommen worden ist
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- und die beinhaltet, daß auch deutsche Geschäftsleute,
frage.
die in Algerien ansässig waren — nach meinen
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- Informationen sind es höchstens 25 —, entschädigt
bereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. werden müssen und sollen?
Ich rufe auf die Frage V/1 — des Herrn Abgeord-
neten Faller —: Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag des Deutschen Amts: Derartiges ist mir nicht bekannt, Herr Abge-
Touring-Clubs zu unterstützen, alle Arzneimittel einheitlich und
auffällig zu kennzeichnen, die die Fahrtüchtigkeit von Kraft- ordneter, sondern mir ist, wie ich soeben sagte, be-
fahrern beeinträchtigen können? kannt, daß es bisher eine gesetzliche Entschädigung
Zur Beantwortung die Frau Bundesgesundheits- nicht gibt, vielmehr die gesetzlichen Maßnahmen
ministerin. der Eingliederung der Flüchtlinge dienen.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite


Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Zusatzfrage!
sundheitswesen: Die Bundesregierung ist mit der
Prüfung der hier angeschnittenen Frage befaßt. Seit
einiger Zeit wird in einem Ausschuß „Verkehrs- Dr. Kohut (FDP) : Würden Sie so liebenswürdig
medizin" der Bundesärztekammer geprüft, welche sein, die Angelegenheit noch einmal nachzuprüfen?
Medikamente in ein Verzeichnis derjenigen Arznei-
mittel aufzunehmen sind, die solche Wirkungen in Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
bezug auf die Fahrtüchtigkeit hervorbringen Amts: Ich werde das selbstverständlich gern tun,
können. Herr Abgeordneter.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf
— Keine Zusatzfrage. Ich rufe auf die Frage V/2 die Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Dr.
— des Herrn Abgeordneten Faller —: Dr. h. c. Friedensburg —:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4677
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Hält die Bundesregierung die Gründung einer italienischen
Staatsuniversität mit europäischem Charakter, die von der
und die Rechte aller beteiligten Regierungen zur
italienischen Regierung in Florenz vorbereitet wird, für eine Geltung gebracht und dauernd gesichert werden
Verwirklichung der Vorschrift des Artikels 9 Ziffer 2 des Eura-
tomvertrages, wonach im Rahmen der europäischen Gemein- können, wird Gegenstand der in dem Beschluß vor-
schaften eine europäische Anstalt im Range einer Universität gesehenen Konvention sein. Über diese Konvention
geschaffen werden soll?
werden die Verhandlungen im kommenden Jahr
aufgenommen werden.
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Darf ich die beiden Fragen nacheinander be-
antworten? Sie stehen in unmittelbarem Zusammen- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
hang.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Glaubt
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einverstan- die Bundesregierung, daß ihre Verpflichtung aus
den. dem Euratom-Vertrag durch die Bonner Beschlüsse
vom Jahre 1961 verwirklicht ist und damit als
erledigt angesehen werden kann?
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Wenn
ich dadurch nicht in meinen Zusatzfragen beeinträch-
tigt werde, gern. Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Die Bundesregierung glaubt, daß die Be-
schlüsse von 1961 die bestmögliche Art der Ver-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Sie wollen wirklichung der in Artikel 9 des Vertrages zum
also zweimal zwei Zusatzfragen stellen. — Ein biß- Ausdruck gekommenen Absicht darstellen.
chen billiger könnten Sie es ja machen, Herr Kollege
Friedensburg; aber es ist mir recht.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Ich Zusatzfrage!
werde mich bemühen.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Ich muß
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Dann rufe die Frage wiederholen, Herr Staatssekretär: Ist da-
ich also noch die Frage VI/3 - des Herrn Abge- mit die vertragliche Verpflichtung der Bundesregie-
ordneten Dr. Dr. h. c. Friedensburg — auf: rung aus dem Euratom-Vertrag als erledigt anzu-
sehen?
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung für den Fall,
daß sie die in Florenz zu gründende italienische Staatsuniversität
mit europäischem Charakter durch Bundesmittel zu unterstützen
beabsichtigt, die Verwirklichung der in wiederholten Beschlüssen
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
bekanntgegebenen Wünsche des Europäischen Parlaments und Amts: Es handelt sich hier, Herr Abgeordneter, —
der eigenen Vorstellungen der Bundesregierung von den we-
sentlichen Merkmalen einer europäischen Universität sowohl im insofern ging meine Antwort auf Ihre Frage auf den
Aufbau als auch in der weiteren Entwicklung zu sichern? nach meiner Auffassung entscheidenden Punkt ein
— nicht um eine Verpflichtung, die die Bundes-
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen regierung unabhängig von der Verpflichtung der
Amts: Die Grundlage für die Errichtung einer euro- anderen Mitgliedsregierungen übernommen hätte,
päischen Universität, so wie sie jetzt geplant ist, sondern es handelt sich um eine gemeinsame Ver-
bildet ein Beschluß der Staats- und Regierungschefs pflichtung der sechs Mitgliedstaaten. Die Bundes-
der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschafts- regierung hat sich mit größtem Nachdruck für die
gemeinschaften vom 18. Juli 1961, der in Bonn ge- genaue Verwirklichung des in Artikel 9 vorge-
faßt wurde. Der Beschluß sieht die Gründung einer sehenen Planes eingesetzt, jedoch nicht mit dem von
europäischen Universität in Florenz durch Italien uns erstrebten und erwünschten Erfolg. So ist es zu
und eine Beteiligung der fünf anderen Länder vor. der Lösung vom Jahre 1961 gekommen, die, wie ich
gesagt habe, das Bestmögliche darstellt.
Demgegenüber bestimmt Art. 9 des Euratom-Ver-
trages, daß eine Universität kraft europäischen
Rechts errichtet werden soll. Die Verwirklichung Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Dritte Zusatz-
dieses ursprünglichen Plans stieß jedoch auf so frage!
große Schwierigkeiten, daß die Mitgliedstaaten sich
entschlossen, den jetzt vorgesehenen Weg zu gehen. Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Herr
Staatssekretär, ist der Bundesregierung der Gesetz-
Die Haltung der Bundesregierung in der Frage entwurf der italienischen Regierung bekannt, der
der europäischen Universität wird gemäß den der Kammer zugeleitet worden ist und der die Re-
grundgesetzlichen Bestimmungen über die kulturel- gelung für die zukünftige Staatsuniversität in Flo-
len Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutsch- renz enthält? Glaubt die Bundesregierung, daß die-
land in Abstimmung mit den Ländern festgelegt. ser Gesetzentwurf der italienischen Regierung die
Dabei werden selbstverständlich die Resolutionen prinzipiellen Forderungen, die einstimmig vom
des Europäischen Parlaments berücksichtigt, und die Europäischen Parlament angenommen worden sind,
Bundesregierung setzt sich besonders dafür ein, daß erfüllt, wonach — ich lese vor; der Beschluß ist zeit-
sie in einem möglichst weitgehenden Umfang be- lich nach den Bonner Beschlüssen gefaßt — „die er-
rücksichtigt werden. forderliche Annäherung der Mitgliedstaaten der Ge-
Wie im Statut einer europäischen Universität, die meinschaft auf kulturellem und geistigem Gebiete
nach dem Beschluß der Staats- und Regierungschefs nicht allein durch eine Zusammenarbeit der natio-
in Italien errichtet werden soll, die Auffassungen nalen Regierungen verwirklicht werden kann" und
4678 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr. Dr. h. c. Friedensburg


wonach die Universität die volle Autonomie erhal- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zu einer Zu-
ten muß? Ist der Bundesregierung dieser Gesetzent- satzfrage Herr Abgeordneter Jaksch.
wurf bekannt und was gedenkt sie dazu zu tun?
Dr. h. c. Jaksch (SPD) : Herr Staatssekretär, ist
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen die Bundesregierung unter Umständen bereit, den
Amts: Der Bundesregierung ist dieser Gesetzent- vom Kollegen Mommer angeprangerten Menschen-
wurf bekannt, Herr Abgeordneter. Aber ich bin handel vor den Vereinten Nationen zur Sprache zu
sicher, daß die Verabschiedung dieses Gesetzent- bringen, und zwar unter Hinweis auf die in der
wurfes durch das italienische Parlament in engem Charta der Menschenrechte gewährleistete Frei-
Zusammenhang mit der Konvention stehen wird, zügigkeit?
die Italien mit seinen übrigen Partnerstaaten ab-
schließen wird. Gegenstand der Konvention wird Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
die Behandlung und Lösung gerade der von Ihnen Amts: Herr Abgeordneter, ich darf wiederholen,
soeben aufgeworfenen Fragen sein. was ich vorhin gesagt habe: Die Bundesregierung
sucht nach Lösungen für dieses Problem, und zwar
nach Lösungen, die zu einem Erfolg führen. Daß es
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage VI/4 — ein schwieriges Problem ist, ist der Bundesregierung
— des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —: bekannt. Die Bundesregierung glaubt nicht, daß
Weiß die Bundesregierung, wie viele Volksdeutsche in Ru- durch öffentliche Mitteilung der Lösungsmöglich-
mänien zu ihren Angehörigen in die Bundesrepublik übersiedeln
möchten? keiten, die sie sieht, der Sache ein Dienst erwiesen
würde.
Bitte, Herr Staatssekretär!
Präsident Dr. Gerstenmaier: Eine zweite Zu-
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen satzfrage.
Amts: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung
steht wegen des in Ihrer Frage behandelten Kom- Dr. h. c. Jaksch (SPD) : Herr Staatssekretär, ist
plexes in ständiger enger Verbindung mit allen be- sich die Bundesregierung dessen bewußt, daß ein
teiligten Stellen in Deutschland. Sie sucht nach We- einstimmiger Beschluß des 3. Bundestages vom
gen, um das Problem einer Lösung zuzuführen. Eine 14. Juni 1961 vorliegt, welcher auf die menschlichen
öffentliche Mitteilung von Zahlen durch die Bundes- Notstände auf dem Gebiet der Familienzusammen-
regierung würde nach Auffassung der Bundesregie- führung aus den Ostblockstaaten hinweist, und daß
rung die von ihr angestrebte Lösung, an der ein dieser Beschluß einen verpflichtenden Auftrag an
sehr großes menschliches Interesse besteht, er- die Bundesregierung darstellt, bei jeder sich bieten-
schweren. den Gelegenheit für die Beseitigung dieser Not-
stände einzutreten?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Herr Abgeordneter, dieser Beschluß ist der
Dr. Mommer (SPD) : Herr Staatssekretär, liegen Bundesregierung wohlbekannt. Die Bundesregierung
der Bundesregierung Berichte über die Familienzu-
hat u. a. im Hinblick auf diesen Beschluß die von
sammenführung von Volksdeutschen aus Rumänien -
mir eingangs angedeuteten Schritte unternommen.
vor, die nur dadurch möglich wird, daß die Ange- Nur glaubt die Bundesregierung nicht — das darf
hörigen in der Bundesrepublik für die Ausreisen-
ich noch einmal sagen —, daß durch eine öffentliche
den eine Summe zahlen, die für einzelne Familien Mitteilung ihrer Absichten und der von ihr eingelei-
bis zu 50 000 DM gehen soll? teten Schritte der Sache ein Dienst erwiesen würde.

Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich breche die
Amts: Derartige Berichte, Herr Abgeordneter, sind Fragestunde ab. Sie geht morgen um 14 Uhr weiter.
mir nicht zur Kenntnis gekommen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- Beratung der Sammelübersicht 23 des Aus-
satzfrage! schusses für Petitionen (2. Ausschuß) über
Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bun-
Dr. Mommer (SPD) : Ist Ihnen dann auch nicht destages zu Petitionen (Drucksache IV/1689).
bekannt, daß z. B. in meinem Wahlkreis Ludwigs- Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das
burg in Großsachsenheim jetzt fünf Familien mit Wort wird nicht gewünscht.
zusammen 20 Personen leben, die für eine Gesamt- Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen
summe von 109 450 DM freigekauft wurden, das wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge-
heißt für eine Kopfquote von rund 5470 DM? genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Aus-
schusses ist angenommen.
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Auch das, Herr Abgeordneter, ist mir nicht Punkt 3 der Tagesordnung:
bekannt. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Zweite und dritte Beratung des von der Bun
mir die Unterlagen zur Verfügung stellen könnten. desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4679
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Gesetzes zu dem Sonderabkommen vom Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschus-
7. Dezember 1957 zwischen der Bundes- sees (16. Ausschuß) (Drucksache IV/1688).
republik Deutschland und dem Königreich (Erste Beratung 84. Sitzung)
Belgien über Arbeitslosenversicherung (Druck-
sache IV/1434); Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ar- Dr. Steinmetz, ob er das Wort wünscht.
beit (21. Ausschuß) (Drucksache IV/1670). (Abg. Dr. Steinmetz: Nein!)
(Erste Beratung 84. Sitzung) — Der Berichterstatter verzichtet.
Ich frage, ob der Berichterstatter, Herr Abgeord- Ich rufe auf in der zweiten Lesung in der Ausschuß-
neter Haase, das Wort wünscht. — Der Bericht- fassung die §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7—
erstatter verzichtet. Wird sonst in zweiter Beratung usw. bis zum § 40, — Einleitung und Überschrift. —
das Wort gewünscht? — Es wird nicht gewünscht. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht
Die Aussprache ist geschlossen. gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein
Wer in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In
den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! zweiter Lesung einstimmig angenommen.
— Enthaltungen? — In zweiter Beratung ange-
nommen. Dritte Beratung.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Wer der Vorlage in der dritten Lesung zuzustimmen
wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. —
Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, Gegenprobe! — Enthaltungen? — In dritter Lesung
den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — angenommen.
Enthaltungen? — Ist angenommen.
Ich rufe auf den Punkt 6:
Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeug-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines steuergesetzes (Drucksachen IV/902 (neu),
Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Mai 1963 IV/1208);
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
und der Republik Österreich über Kriegsopfer- Schriftlicher Bericht des Finanzauschusses
versorgung und Beschäftigung Schwerbeschä- (14. Ausschuß) (Drucksache IV/1690)
digter (Drucksache IV/1435) ; (Erste Beratung 63., 76. Sitzung)
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Die Berichterstatterin, Frau Abgeordnete Beyer,
Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen (22. Aus- verzichtet. Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung
schuß) (Drucksache IV/1684). und Überschrift. — Hierzu muß ich bekanntgeben,
(Erste Beratung 84. Sitzung) daß bei Durchsicht der Drucksache IV/1690 — das ist
der vorliegende Schriftliche Bericht des Finanzaus-
Ich frage, ob der Berichterstatter, Herr Abgeord- schusses zu diesem Gesetzentwurf — festgestellt
neter Maucher, das Wort wünscht. — Der Bericht- worden ist, daß der dem Plenum zur Annahme
erstatter verzichtet. empfohlene Gesetzestext auf Grund technischen Ver-
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe Art. 1, sehens zwei Fehler enthält, die hiermit berichtigt
2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das werden. In Art. 1 Ziffer 1, § 2, muß in Nr. 3 a vor
Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen dem Wort „Fäkalienabfuhr" das Wort „zur" einge-
Artikeln sowie der Einleitung und der Überschrift fügt und in Nr. 6 hinter dem Wort „Sonderfahr-
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand- zeugen" das Wort „Kraftfahrzeugen" gestrichen
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In werden. — Das Haus hat das zur Kenntnis genom-
zweiter Beratung angenommen. men und so beschlossen. — Meine Damen und Her-
ren, wer in zweiter Beratung den aufgerufenen Arti-
Dritte Beratung. keln, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen
wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe!
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht,
den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Dritte Beratung.
Enthaltungen? — In dritter Beratung angenommen.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen.
Punkt 5 der Tagesordnung: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom
Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- — In dritter Lesung angenommen.
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Vierten Gesetzes zur Änderung und Er- Nr. 2 des Ausschußantrags: die zu dem Gesetz-
gänzung des Wertpapierbereinigungsgesetzes entwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu er-
(Wertpapierbereinigungsschlußgesetz (Druck- klären. Das Haus ist einverstanden? — Kein Wider-
sache IV/1459); spruch; es ist so beschlossen.
4680 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch,, den 11. Dezember 1963
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Punkt 7 der Tagesordnung: Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur För-
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines derung von privaten Kapitalanlagen in Ent-
wicklungsländern (Entwicklungshilfe Steuer-
-

— es tut mir leid, ich muß das scheußliche Wort hier gesetz) (Drucksache IV/1476);
vorlesen; dazu liegt auch ein Änderungsantrag vor —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Aus-
Bundesjugendzahnpflegegesetz (Drucksachen schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
IV/1260, IV/1266); (Drucksache IV/1711) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ge- b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
sundheitswesen (11. Ausschuß) (Drucksachen (14. Ausschuß (Drucksache IV/1691).
IV/1735, zu IV/1735).
(Erste Beratung 94. Sitzung)
(Erste Beratung 79. Sitzung)
Ich frage die Berichterstatterin, Frau Abgeordnete
Ich rufe auf § 1, — 2, — 2 a, 3, — 4. — Zur Ein- Bayer, ob sie das Wort wünscht. — Sie verzichtet.
leitung und zur Überschrift liegt ein interfraktionel-
Ich rufe auf die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — 6, —
ler Antrag *) vor, wonach eine etwas vernünftigere
7, — 8, — 9, — Einleitung und Überschrift. Ände-
Bezeichnung gefunden werden soll. Das Gesetz soll
rungsanträge liegen nicht vor. Wer zuzustimmen
heißen: „Gesetz über die Jugendzahnpflege". Das
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge-
Haus ist mit diesem Änderungsvorschlag einver-
genprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung
standen? — Es ist so beschlossen. — Wer in zweiter
angenommen.
Lesung zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Hand-
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ein- Dritte Beratung.
stimmig angenommen.
Keine Wortmeldungen. Wer in dritter Lesung zuzu-
Dritte Beratung. stimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu er-
heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In drit-
— Keine Wortmeldungen. Wer zuzustimmen
ter Lesung angenommen.
wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen. Ich muß noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages
abstimmen lassen. Das Haus stimmt diesem Aus-
Abgestimmt werden muß noch über den Antrag
schußantrag unter Ziffer 2 zu? — Kein Widerspruch.
des Ausschusses unter Nr. 2. Dem Antrag des Aus-
Es ist so beschlossen.
schusses wird zugestimmt? — Kein Widerspruch; es
ist so beschlossen. Ich lasse über die Entschließungen abstimmen, zu-
nächst über den Entschließungsantrag Umdruck
Ich rufe auf den Punkt 8 der Tagesordnung: 366 S). Wer dem Entschließungsantrag Umdruck 366
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- — Herr Abgeordneter Seuffert, Sie möchten zu Um-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines druck 366 sprechen?
Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf
dem Gebiet der Landbeschaffung (Drittes Än- Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
derungsgesetz LBG) (Drucksache IV/1648); und Herren! Wir können unserer Fraktion unmög-
lich empfehlen, einer Entschließung zuzustimmen,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für In--
die in sich so widerspruchsvoll ist und deren Ge-
neres (6. Ausschuß) (Drucksache IV/1716).
dankengänge zu einer gesetzlichen Lösung derart
(Erste Beratung 98. Sitzung) ungeeignet sind. Da die Sache so unklar aus-
Der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Dr. gedrückt ist, daß es sich kaum lohnt, hier darüber
Rinderspacher, verzichtet. Ich rufe auf Art. 1, — 2, zu reden und zu streiten, werden wir uns der
— 3, — Einleitung und Überschrift. — Wird Stimme enthalten.
das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht ge-
wünscht. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich stelle die
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Entschließung Umdruck 366 zur Abstimmung. Wer
In zweiter Lesung angenommen. zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand-
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei
Ich rufe auf zur
einer Reihe von Enthaltungen ist die Entschließung
dritten Beratung. Umdruck 366 angenommen.
Keine Änderungsanträge. Ich eröffne die allge- Zur Begründung .des Entschließungsantrages Um-
meine Ausprache. — Keine Wortmeldungen. druck 367 *) hat Herr Abgeordneter Dr. Löbe das
Wort.
Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den
bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthal-
tungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Dr. Löbe (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Bei der Beratung des Entwicklungs-
Punkt 9 der Tagesordnung: hilfe-Steuergesetzes haben wir in allen Ausschüssen
unter Zeitdruck gestanden. Deshalb ist eine drin-
Zweite und dritte Beratung des von der Bun gende Sorge der deutschen Seeschiffahrt und der
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
*) Siehe Anlage 3
*) Siehe Anlage 2 *) Siehe Anlage 4
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4681
Dr. Löbe
deutschen Luftfahrt nicht mit der genügenden Sorg- Punkt 9 unserer Tagesordnung — Entwicklungs-
falt erörtert worden. hilfe-Steuergesetz — angenommen ist, daß zwei-
Der Entschließungsantrag hat zum Ziel, daß sich tens der Entschließungsantrag Umdruck 367 eben-
das Parlament mit dieser wichtigen Frage, die mit falls angenommen ist, und um ganz vollständig zu
der Entwicklungshilfe in unmittelbarem Zusammen- sein: Der Antrag Umdruck 366 ist auch angenom-
hang steht, etwas näher beschäftigt und daß auch men. Ist nun alles klar? - Ich bedanke mich.
die Bundesregierung an dieser Untersuchung Anteil Jetzt geht es weiter mit Punkt 10 der Tagesord-
nimmt, damit bei künftigen Verhandlungen nicht die nung. Ich habe schon die zweite und dritte Beratung
Schwierigkeiten außer acht gelassen werden, die des von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
bisher der deutschen Seeschiffahrt so große Sorge wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
gemacht haben. Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag Nr. 114 der Internationalen Arbeitsorganisation
zuzustimmen. vom 19. Juni 1959 über den Heuervertrag der
Fischer aufgerufen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wer diesem
Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeord-
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — neten Dr. Dörinkel, ob er das Wort wünscht. — Er
Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist an- verzichtet.
genommen. Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift.
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das letzte Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
war die Mehrheit?) Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: In zweiter Lesung angenommen.
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Wir kommen zur
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Ü bereinkommen Nr. 114 der dritten Beratung.
Internationalen Arbeitsorganisation vom
19. Juni 1959 über den Heuervertrag der Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Fischer (Drucksache IV/1592); Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.

Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zu-
Arbeit (21. Ausschuß) (Drucksache IV/1721). zustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist
(Erste Beratung 94. Sitzung.) in dritter Lesung angenommen.
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Zur
Geschäftsordnung, Herr Präsident!) Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
— Zur Geschäftsordnung? — Was möchten Sie Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
denn? desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Novem-
ber 1962 über die Änderung des Vertrages
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Prä-
sident, Sie haben eben zu der letzten Entschließung zur Gründung der Europäischen Wirtschafts-
- gemeinschaft zum Zwecke der Assoziierung
bei der Abstimmung gesagt: „Das letzte ist die
der Niederländischen Antillen (Drucksache
Mehrheit".
IV/1474) ;
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das ist ganz Schriftlicher Bericht des Ausschusses für aus-
falsch! wärtige Angelegenheiten (3. Ausschuß)
(Drucksache IV/1725).
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Sie haben (Erste Beratung 84. Sitzung)
dann gesagt, der Antrag sei also angenommen.
Man müßte annehmen, dann sei er abgelehnt ge- Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeord-
wesen. Ich bitte, das doch noch einmal zu klären. neten Metzger, ob er das Wort wünscht. — Der
Herr Berichterstatter verzichtet.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich bedanke Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Über-
mich für den kritischen Hinweis. Wenn der Bundes- schrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist
tagspräsident schläft, ist es natürlich schlecht. nicht der Fall.
(Heiterkeit.) Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
Aber es ist ganz richtig im Protokoll; Sie können Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
sich darauf verlassen. Ein Zuruf, Herr Abgeordneter, In zweiter Lesung angenommen.
hätte aber auch genügt, um mich zum Bewußtsein Wir treten ein in die
des Irrtums zu bringen.
(Heiterkeit. — Zurufe von der Mitte: Ha dritte Beratung.
ben wir gemacht!) Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Meine Damen und Herren, was ich sagen wollte, Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer
ist natürlich, daß erstens dieses Gesetz unter zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erhe-
4682 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Präsident D. Dr. Gerstenmaier


ben. — Gegenprobe! — In dritter Lesung ange- Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu
nommen. erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In
dritter Lesung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juli 1962 desregierung eingebrachten Entwurfs eines
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgeset-
Deutschland und der Regierung von Ceylon zes (Drucksache IV/1376) ;
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und
zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inne-
den Steuern vom Einkommen und vom Ver- res (6. Ausschuß) (Drucksache IV/1729).
mögen (Drucksache IV/1424); (Erste Beratung 84. Sitzung)
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
(14. Ausschuß) (Drucksachen IV/1742, zu
IV/1742).
Rollmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Ich frage den Herrn Abgeordneten Beuster, den Damen und Herren! Seit 1949 ist die Wahlkreisein-
Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Er ver- teilung unverändert. In der gleichen Zeit aber haben
zichtet. sich die Bevölkerungszahlen in den Ländern und in
Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Über- den Wahlkreisen sowohl absolut als auch im Ver-
schrift. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht hältnis zueinander stark verschoben. Die Abwei-
der Fall. chung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein der Wahlkreise soll nach dem Bundeswahlgesetz in
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — einem Wahlkreis nicht mehr als 33 1/3% nach oben
In zweiter Lesung angenommen. oder unten betragen. Diese Toleranz wird zur Zeit
bei 37 Wahlkreisen überschritten. Der größte Wahl-
Wir treten ein in die kreis der Bundesrepublik, Gelsenkirchen, zählt
dritte Beratung. -384 000 Einwohner, der kleinste Wahlkreis, Norder
und Süderdithmarschen, hat nur 128 000 Einwohner.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.. — Keine Der im Grundgesetz und im Bundeswahlgesetz nie-
Wortmeldungen. dergelegte Grundsatz des gleichen Wahlrechts wird
Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den durch Überhangmandate in einigen Bundesländern
bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Ent- gefährdet. Der letzte Bundestag hat auf eine Neu-
haltungen? — In dritter Lesung angenommen. einteilung der Wahlkreise noch verzichtet. In diesem
Bundestag ist es unsere Pflicht, die Wahlkreisein-
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung: teilung wieder mit der Bevölkerungsverteilung und
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- damit wieder mit dem Gesetz in Einklang zu brin-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines gen.
Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Ok- Die Neueinteilung von Wahlkreisen, die in vier-
tober 1962 zwischen der Bundesrepublik zehn Jahren zusammengewachsen sind und von Mit-
Deutschland und Irland zur Vermeidung der gliedern dieses Hauses oftmals mehrere Legislatur-
Doppelbesteuerung und zur Verhinderung perioden hindurch repräsentiert worden sind, ist
der Steuerverkürzung bei den Steuern vom eine schwierige Aufgabe. Wir hätten uns diese Auf-
Einkommen und vom Vermögen sowie der gabe sehr leicht machen können, wenn wir die Zahl
Gewerbesteuer (Drucksache IV/1588); der Wahlkreise so stark erhöht hätten, daß kein
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses Land einen Wahlkreis abzugeben gehabt hätte und
(14. Ausschuß) (Drucksachen IV/1743, zu die Länder mit Bevölkerungszuwachs zusätzliche
IV/1743). Wahlkreise erhalten hätten. Mit der Schaffung von
zirka 15 neuen Wahlkreisen und zirka 15 neuen
Ich frage den Berichterstatter, ob er das Wort Listenplätzen hätten wir dieses Ziel erreicht. Wir
wünscht. — Der Berichterstatter verzichtet. haben diesen Gedanken im Ausschuß für Inneres
Ich rufe in zweiter Lesung auf Art. 1, 2, 3, Ein- nicht weiterverfolgt, weil wir einmütig der Auffas-
leitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? sung waren, daß eine Erhöhung der Zahl der Abge-
— Das ist nicht der Fall. ordneten die Arbeitsfähigkeit des Hauses nicht er-
höht hätte. Es blieb dem Ausschuß also kein anderer
Wer zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich um ein
Weg, als auf der Grundlage des Regierungsentwurfs
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
die Neueinteilung der Wahlkreise zu beraten. Sonst
In zweiter Lesung angenommen.
hätten wir (die notwendige Neueinteilung der Wahl-
Wir treten ein in ,die kreise in dieser Legislaturperiode überhaupt gefähr-
det.
dritte Beratung.
Ohne eine Neueinteilung der Wahlkreise riskie-
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Keine ren wir, daß die nächste Bundestagswahl vom Bun-
Wortmeldungen. derverfassungsgericht wegen Verletzung des Grund-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4683
Rollmann
satzes der gleichen Wahl aufgehoben wird. Das Bun- länglichkeiten an anderer Stelle hervorgerufen
desverfassungsgericht hat in einem Wahlprüfungs- hätte. Wir können nur hoffen, daß sich die Bevölke-
beschwerdeverfahren am 22. Mai dieses Jahres aus- rungszahl in Niedersachsen bis zur nächsten Neu-
geführt: einteilung der Wahlkreise so entwickelt, daß wir
Die Wahlkreiseinteilung in ihrer bisherigen dann auch rein wahlkreismäßig die historische Ein-
heit von Ostfriesland wiederherstellen können.
Form darf der nächsten Bundestagswahl nicht
mehr zugrunde gelegt werden. Die Wahlkreis- Die Wahlkreiseinteilung von 1949 wird letztlich
einteilung ist verfassungswidrig geworden, vier Legislaturperioden hindurch bestanden haben.
weil offenkundig ist, daß sie mit der gegenwär- Wir haben die Bevölkerungszahlen bei der Neuein-
tigen Bevölkerungsverteilung nicht mehr im teilung der Wahlkreise einander so angeglichen;
Einklang steht und nicht mehr erwartet werden daß diese Wahlkreiseinteilung mit Sicherheit wie-
kann, daß die heutige Diskrepanz sich wieder derum für einen längeren Zeitraum gültig sein kann.
ausgleicht. Der Bundesgesetzgeber ist daher ge- Kein Wahlkreis überschreitet die Toleranzgrenze
halten, noch während der laufenden Legislatur- von 33 1/3% die im Bundeswahlgesetz vorgeschrie-
periode für eine Änderung der Wahlkreisein- ben ist. Nur sieben Wahlkreise überschreiten eine
teilung Sorge zu tragen, lindem er die Abwei- Toleranzgrenze von 25 %.
chungen der Einwohnerzahlen der Wahlkreise Ich darf Sie darum bitten, der Vorlage Ihre Zu-
vom Bundesdurchschnitt auf das verfassungs- stimmung zu geben.
rechtlich zulässige Maß zurückführt und die
(Beifall.)
Verteilung der Wahlkreise auf die einzelnen
Länder wieder deren Anteil an der Gesamtbe-
völkerung anpaßt. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich danke
dem Herrn Berichterstatter.
Ich glaube, deutlicher hätte das Bundesverfassungs-
gericht nicht sprechen und uns auf unsere Pflicht Ich rufe in zweiter Lesung den Art. I auf. Hier
zur Neueinteilung der Wahlkreise hinweisen kön- liegt auf Umdruck 375*) ein Änderungsantrag der
nen. Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister und Ge-
nossen vor. Ich frage, ob dieser Änderungsantrag
Das Ergebnis der Ausschußberatungen liegt Ihnen
begründet wird. — Herr Abgeordneter Dr. Conring,
nunmehr vor. Dieses Ergebnis kann natürlich nicht
Sie begründen jetzt die Ziffer 1 — zu Ziffer 1 ist
jede Fraktion und nicht jeden einzelnen Abgeord-
aufgerufen —, oder wollen Sie auch Ziffer 2 be-
neten dieses Hauses voll befriedigen; dazu sind die
gründen? — Bitte sehr!
Interessen zu sehr entgegengesetzt. Wir haben aber
diesen Gesetzentwurf im Innenausschuß einstimmig
verabschiedet. Wir haben uns darum bemüht, die Dr. Conring (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Neueinteilung der Wahlkreise so zu gestalten, daß Damen und Herren! Sie haben von dem Herrn
sie die Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses Berichterstatter gehört, daß an der ostfriesisch-
finden kann. oldenburgischen Nordseeküste aus drei bisherigen
Bundestagswahlkreisen zwei gemacht werden sol-
Ich möchte hier nicht zu allen Änderungen Stel- len. Man fragt sich in der Bevölkerung, warum dies
lung nehmen, die der Ausschuß Ihnen vorschlägt. eigentlich geschehen muß. Und man nimmt dann
Die Neueinteilung der Wahlkreise in Schwaben die „Grundsätze für die Wahlkreiseinteilung" zur
entspricht einem Wunsch aller Fraktionen dieses Hand, die die Wahlkreiskommission auf den Seiten
Hauses. Die einstimmig vorgeschlagene Neueintei- 6 bis 8 der Drucksache IV/741 niedergelegt hat. Man
lung der Wahlkreise in Niederbayern vermehrt die kommt bei der Beantwortung dieser Frage dann zu-
Zahl der niederbayerischen Wahlkreise gegenüber nächst einmal zu dem Ergebnis, daß der Vorschlag
der Regierungsvorlage um einen und bringt eine der Wahlkreiszusammenlegung nicht mit der Größe
bessere räumliche Gliederung dieser Wahlkreise. der beteiligten drei Bundeswahlkreise zu begründen
Über die Gründe, warum wir in Niederbayern einen ist. Die Bevölkerungszahl dieser Bundestagswahl-
Wahlkreis mehr geschaffen haben, habe ich mich in kreise überschreitet in keinem Falle die Toleranz-
meinem schriftlichen Bericht ausführlich geäußert. grenze von 33 1/3%nachobedrnachute,
Die Wahlkreise in Niederbayern waren nach der nicht .die Toleranzgrenze von 25 % nach oben oder
Regierungsvorlage derart ungünstig geschnitten, nach unten, nicht einmal die Toleranzgrenze von
daß ihre Betreuung durch die jeweiligen Wahlkreis- 20 % nach oben oder nach unten. Man sollte des-
abgeordneten gefährdet war. Wenn wir die Verbin- halb davon ausgehen, daß hinsichtlich der Bevölke-
dung zwischen Volk und Parlament auch in Nieder- rungszahl dieser Wahlkreise keine Bedenken be-
bayern aufrechterhalten wollten, konnten wir bei standen hätten, sie unverändert bestehen zu lassen.
unseren Beratungen diesen Gesichtspunkt nicht Zu dem Hinweis des Berichterstatters, daß die Be-
außer acht lassen. völkerungszahl sich vermehren möge, damit man
Meine Damen und Herren, ich darf offen einge- diesen Wahlkreis dann wieder einrichten könne,
stehen, daß wir gegenüber der Regierungsvorlage darf 'ich mitteilen, daß die Bevölkerungszahl sich
im Ausschuß gern eine Einteilung für die ostfriesi- jetzt laufend wieder vermehrt und daß es im übri-
schen Wahlkreise gefunden hätten, die die histori- gen gar nicht an der Bevölkerungszahl liegt, wenn
sche Einheit von Ostfriesland auch wahlkreismäßig der eine von den drei Bundestagswahlkreisen auf-
aufrechterhalten hätte. Leider war es uns nicht mög-
lich, eine Lösung herbeizuführen, die nicht Unzu- *) Siehe Anlage 5
4684 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr. Conring
gelöst werden soll und die beiden anderen geändert Emden — mit 45 000 Einwohnern. Die nächst grö-
werden sollen. ßere Stadt Leer hat 22 000 Einwohner.

Wenn Sie statt der drei Bundestagswahlkreise — Wenn Sie diese Einheit — nicht nur die histo-
nach dem Vorschlag ,des Innenausschusses — zwei risch-politische, sondern auch die wirtschaftliche und
Bundestagswahlkreise bilden, werden Sie das Er- soziale Einheit — bei Neueinteilung der Bundes-
gebnis haben, daß die neuen Bundestagswahlkreise tagswahlkreise auflösen und zu einem angeblich
genau um dieselben Zahlenprozente über dem Bun- besseren Ergebnis kommen, dann haben Sie den
desdurchschnitt liegen, wie die bisherigen Wahl- Vorschlag vor sich, den Sie hier in der Vorlage fin-
kreise unter dem Bundesdurchschnitt lagen. Das den. Ostfriesland soll dann also wahlkreismäßig so
wäre allenfalls noch erträglich, wenn nicht in der aufgeteilt werden, daß die Hafen- und Handelsstadt
Drucksache der Wahlkreiskommission zum Aus- Wilhelmshaven mit über 100 000 Einwohnern mit
druck gebracht wäre, daß die jetzigen Bundestags- der ländlichen Regierungshauptstadt Ostfrieslands
wahlkreise „erheblich unter der durchschnittlichen und den ländlichen Kreisen Wittmund und Aurich
Einwohnerzahl der Wahlkreise" lägen, und wenn verbunden wird, unbekümmert darum, daß zwi-
nicht dieselbe Wahlkreiskommission bei den glei- schen der Stadt Wilhelmshaven und Ostfriesland
chen Prozentsätzen, die sich beider Neuordnung — verhältnismäßig wenig Beziehungen bestanden ha-
diesmal über dem Bundesdurchschnitt — ergeben, ben und bestehen.
erklärt hätte, daß dieselben Zahlen „in verhältnis-
Man fragt sich in Ostfriesland, warum denn alle
mäßig geringem Umfang" den Bundesdurchschnitt
diese Gesichtspunkte — die ausreichende Bevöl-
überstiegen. Dieser Widerspruch in der Begründung
kerungszahl, die historisch-politische Einheit, die
ist natürlich auch in den Bundestagswahlkreisen
wirtschaftliche und soziale Einheit — bei der Neu-
aufgefallen. Man hat sich vergeblich die Frage vor-
einteilung der Bundestagswahlkreise nicht berück-
gelegt, warum dieselben Zahlen in dem einen Falle
„erheblich" und in dem anderen Falle unerheblich, sichtigt werden. Man liest in den „Grundsätzen",
„verhältnismäßig gering" seien. Dieser Widerspruch die sich die Wahlkreiskommission selbst gegeben
ist nicht aufgeklärt worden. Wir können, aber da- hat, vergeblich nach. Von allen diesen Grundsätzen
von abgesehen, überhaupt keinen sachlichen Grund sind in diesem speziellen Falle so gut wie alle ver-
finden, den Wahlkreis Leer-Wittmund aufzulösen. letzt oder nicht berücksichtigt. Selbst die Zerschnei-
dung eines Landkreises — des oldenburgischen
Ist die neue Lösung besser als die bisherige Lö- Landkreises Friesland — findet hier statt, etwas,
sung? Sie wissen, ,daß Ostfriesland eine historisch was nach der Auffassung der Wahlkreiskommission
gewachsene Einheit darstellt. Ostfriesland ist ein überhaupt nur dann Platz greifen dürfte, wenn
Fürstentum gewesen, das im Jahre 1744 nach dem sonst „untragbare Abweichungen" von der Einwoh-
Aussterben des ostfriesischen Fürstenhauses an nerzahl gegeben wären.
Preußen fiel. Es ist von 1744 über die napoleoni- Bei dieser Situation kann man sich nicht darüber
schen Wirren hin bei Preußen geblieben und wurde wundern, daß sich die gesamte Bevölkerung von
1815 dem Königreich Hannover zugeteilt. Als das Ostfriesland eindeutig und energisch gegen diese
Königreich Hannover im Jahre 1866 verschwand, Neueinteilung gewandt hat. Die politischen Parteien
wurde es wieder dem Königreich Preußen zugeteilt.
Ostfrieslands, gleich welcher Färbung, sind der
Aber in all den Zeitläufen wurde die Einheit Ost-
Auffassung, daß die Neueinteilung eine wesentliche
frieslands erhalten. Diese Einheit wurde auch nach
Verschlechterung des bisherigen Zustandes dar-
1945 beibehalten, als Ostfriesland zu Niedersachsen
stelle. Die wirtschaftlichen Korporationen — die In-
kam.
dustrie- und Handelskammer, die Handwerkskam-
Jetzt soll in bezug auf die Bundestagswahlkreise mer, die Landwirtschaft, die Ostfrieslandstiftung
diese historisch gewachsene Einheit aufgelöst wer- u. a. — sind der einmütigen Meinung, daß hier
den, indem man einen Teil Ostfrieslands den Ost- keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung
friesen überläßt, während man den anderen Teil stattfindet. Auch die Presse, gleich welcher Rich-
mit dem oldenburgischen Stadtkreis Wilhelmsha- tung, hat erklärt, daß die Neuordnung — ich darf
ven, einer Stadt von über 100 000 Einwohnern, und einmal zitieren — „kein Jota besser" sei als die
einem Teil des oldenburgischen Landkreises Fries- bisherige Ordnung und daß kein Grund gefunden
land verbindet. Wir haben in Ostfriesland keinerlei werden könne, der eine solche Neueinteilung recht-
Verständnis dafür, daß diese alte Einheit Ostfries- fertigen könne. Ja, eine der Zeitungen schließt ihre
lands, die stets respektiert wurde und die sich auch Betrachtungen damit ab, daß sie schreibt, wenn die
bisher in den Bundestagswahlkreisen durchaus gün- Demokratie funktioniere, müsse es für uns bei der
stig ausgewirkt hat, jetzt zerstört werden soll. Wir alten Einteilung bleiben; hier werde gegen die ein-
sind der Auffassung, daß die Herren, die diesen hellige Volksmeinung ein bewährter Zustand nur
Vorschlag gemacht oder ihm zugestimmt haben, all- verschlechtert.
zusehr von statistischen Zahlen ausgegangen sind
und gewachsene historische Einheiten nicht genü- Es ist mir einigermaßen unverständlich, daß man
gend berücksichtigt haben. über diese einheitlichen Auffassungen einfach zur
Tagesordnung übergegangen ist — auch im Aus-
Meine Damen und Herren, dieselbe Einheit be- schuß —, zumal irgendein ersichtlicher Grund, den
steht bezüglich der wirtschaftlichen und sozialen man den Wählern in diesen ostfriesisch-oldenbur-
Struktur. Ostfriesland ist ein strukturell einheitlich gischen Wahlkreisen plausibel machen könnte,
ländliches Gebiet. Es gibt unsere Hafenstadt — überhaupt nicht vorliegt.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4685
Dr. Conring
Bei dieser Sachlage, meine Damen und Herren, er- aus der Geschichte, daß die Friesen ein besonders
hebt sich die Frage: Wie kann dem abgeholfen wer- ausgeprägtes Gefühl für Recht haben.
den? Natürlich hätte man zu einer Neueinteilung (Zuruf in der Mitte: Das haben alle Deut
der Wahlkreise in dem ganzen nordniedersächsi- schen!)
schen Raum kommen können, ohne die Auflösung Aus den Reihen der Friesen sind große Rechtsden-
gerade dieses einen Wahlkreises an der Nordsee- ker hervorgegangen, die Sie kennen. In der ost-
küste, zu der sich kein Grund darbietet, vorzu- friesischen Bevölkerung wird weitgehend die Auf-
schlagen. Das hätte um so näher gelegen — und das fassung vertreten, die u. a. in den Beschlüssen der
ist den beteiligten Ausschußmitgliedern dargelegt ostfriesischen Landkreise und in den Beschlüssen
worden —, als Ostfriesland ein Grenzland und ein der Städte Emden und Leer zum Ausdruck kommt,
Sanierungsgebiet ist, das sehr dringend darauf an- daß der ostfriesischen Bevölkerung kein Unrecht ge-
gewiesen ist, daß seine Abgeordneten im Bundes- schehen sollte, sondern daß ihr das Recht gegeben
tag u. a. auch die regionalen Interessen dieses Ge- werden sollte, auf das sie Anspruch hat.
biets an der Nordseeküste, das etwas abseits ge-
Deshalb bitte ich Sie herzlich, mit der Neueintei-
legen ist, wahrnehmen.
lung der Wahlkreise nicht eine, wie wir in Ostfries-
Man könnte aber auch einen anderen Weg gehen. land beinahe sagen müssen, willkürliche Auflösung
Denn wenn man zu einer Neueinteilung der ver- eines einzelnen Wahlkreises zu verbinden, der
schiedenen nordniedersächsischen Wahlkreise keine Gründe für eine Auflösung aufweist. Ich bitte
käme, würde man natürlich wieder andere Wahl- Sie deshalb, unseren Änderungsantrag Umdruck 375
kreise berühren, die dann ihrerseits erklären wür- anzunehmen.
den: Hier bleibt zwar ein Wahlkreis erhalten, aber (Beifall bei Abgeordneten in der Mitte.)
dort wird dafür ein anderer Wahlkreis aufgelöst.
Deshalb bin ich mit einer Reihe von niedersächsi- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
schen Abgeordneten der CDU bei der Beratung die- Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
ses Gegenstandes zu dem Ergebnis gekommen, daß
man in Ostfriesland den bisherigen Zustand belas- Schmitt - Vockenhausen (SPD) : Meine sehr ver-
sen und statt der Auflösung einen neuen Wahlkreis ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conring,
für Niedersachsen schaffen sollte. Die Gründe, die es ist nicht richtig, daß — wie Sie sagen— der Aus-
gegen diesen Wunsch geltend gemacht werden, sind schuß über die Wünsche von Ostfriesland zur Tages-
m. E. nicht durchschlagend. Ich will Sie damit nicht ordnung übergegangen sei. Wir haben uns sehr
belästigen und auch nicht zu sehr ins einzelne lange und eingehend bemüht, bessere Regelungen
gehen. Ich meine aber, daß der relativ beste und zu finden. Aber das war einfach nicht möglich. So
einfachste Weg wäre, nach dem bayerischen Vor- einfach, wie Sie und einige Kollegen es sich machen
bild zu verfahren und für Niedersachsen einen — einen anderen Wahlkreis aufzuteilen und, wenn
Wahlkreis mehr einzurichten, wie es in Nieder- das nicht geht, schließlich einen weiteren Wahlkreis
bayern jetzt geschieht. Dann würde in Ostfriesland vorzuschlagen —, geht es leider nicht. Der Vor-
die alte Wahlkreiseinteilung bestehenbleiben kön- schlag, den die Antragsteller hier vorlegen, ist
nen. Man sollte aber nicht — wie es in einem Kreis- schlicht verfassungswidrig. Wenn neue Wahlkreise
tagsbeschluß heißt — „die verhängnisvolle und geschaffen würden, würden nach den Prozentzahlen
unzweckmäßige Zerreißung des bisher einheitlichen - zunächst Hamburg und Hessen jeweils einen weite-
und in Jahrhunderten gewachsenen ostfriesischen ren Wahlkreis erhalten müssen und dann erst das
Raumes" aus Gründen vornehmen, die keinem Land Niedersachsen.
Menschen plausibel gemacht werden können. Ich will nicht auf die weiteren Argumente ein-
Aus diesem Grunde habe ich mir erlaubt, den gehen, die der Herr Kollege Conring hier vorge-
Antrag Umdruck 375 vorzulegen. Ich darf bei die- tragen hat: schweres Unrecht, Zerreißung, Gefühl
ser Gelegenheit einen Druckfehler berichtigen, der für Recht. Herr Kollege Conring, hier haben Sie
sich etwas übersteigert. Wir sind auch alle für
sich beim Abschreiben eingeschlichen hat. Zu dem
Recht. Sie wollen doch nicht behaupten, daß wir hier
Wahlkreis 20, dem einen ostfriesischen Wahlkreis, jemandem Unrecht tun wollen. Lesen Sie die Begrün-
der den Namen Aurich-Emden trägt, gehören die dung der Regierungsvorlage und den Bericht der
kreisfreie Stadt Emden, der Landkreis Aurich und Wahlkreiskommission. Wenn wir es uns so einfach
der Landkreis Norden. Der andere ostfriesische machten, wie Sie es vorhaben, könnten in Deutsch-
Wahlkreis umfaßt die Landkreise Leer und Witt- land noch 15 weitere Gegenden mit dem gleichen
mund. Der dritte Kreis — Wilhelmhaven-Fries- Anspruch kommen, noch einen Wahlkreis zu bekom-
land — soll ebenfalls in dem alten Umfang bestehen- men. Das würde dazu führen, daß die gesamte Wahl-
bleiben. kreiseinteilung gefährdet würde.
Die notwendige Neueinteilung der Bundestags- Ich bitte um Ablehnung dieses Antrages.
wahlkreise, gegen die man aus den bekannten, vom (Sehr richtig! rechts.)
Berichterstatter vorgetragenen Gründen nichts ein-
wenden kann — sie ist eine Notwendigkeit für die Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Gesamtheit —, sollte man nicht mit einem, wie wir Abgeordnete Dr. Vogel.
meinen, schweren Unrecht gegenüber den an der
ostfriesisch-oldenburgischen Küste liegenden Bun- Dr. Vogel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
destagswahlkreisen belasten. Sie wissen vielleicht sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ein
4686 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr. Vogel
anderes Argument in die Debatte einführen, das Mit dem Vorschlag des Innenausschusses, die
mittelbar mit den Argumenten zu tun hat, die Zahl der Wahlkreise von 247 auf 248 zu erhöhen,
Herr Dr. Conring anführte. Ich glaube, es ist hier wurden mögliche Ungerechtigkeiten bei der Ver-
der Platz, etwas zusätzlich zu sagen. teilung der Wahlkreise auf die Bundesländer ver-
Durch die neue Wahlkreiseinteilung werden sehr mieden. Ich bin mir bewußt, daß die Verhältnisse
viele direkte, seit 14 Jahren bestehende Bande zer- in Niedersachsen trotzdem nicht voll befriedigen
schnitten und zerrissen, die zwischen Abgeordneten können. Wir haben deshalb auch geprüft, ob diese
und den Wählern in ihrem Wahlkreis mühsam ge- Härte durch eine Erhöhung der Zahl der Wahlkreise
knüpft worden sind. auf 249 vermieden werden könnte. Wir mußten aber
feststellen, daß vor der Zuteilung eines Wahlkreises
(Abg. Wehner: Das trifft ja wohl auf alle an Niedersachsen auf Grund der Reststimmenzahlen
Seiten zu!) zuerst Hessen und Hamburg zum Zuge kämen. Wir
- Das wollte ich gerade sagen; das trifft Sie genau- müßten also, um Niedersachsen zu helfen, insgesamt
so, wie mich das trifft. sechs zusätzliche Abgeordnetensitze schaffen. Der
Antrag in der Fassung des Umdrucks 375 wider-
(Abg. Wehner: Bloß wir jammern nicht dar
spricht deshalb dem Grundsatz der Gleichbehand-
über!)
lung. Ich muß Sie trotz aller Zuneigung zum Lande
— Entschuldigen Sie — ich jammere auch nicht dar- Niedersachsen bitten, diesen Antrag abzulehnen.
über, und ich wundere mich, daß Sie das als „jam-
mern" bezeichnen, Herr Kollege Wehner. Wir rüh- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
ren hier an einen der wesentlichsten Bestandteile Abgeordnete Gerlach.
im Funktionieren unserer parlamentarischen Demo-
kratie; und da sollten wir nicht mit solchen Aus-
Gerlach (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
drücken operieren, wie Sie das soeben getan haben.
und Herren! Im Schriftlichen Bericht Drucksache
(Beifall bei der CDU/CSU.) IV/1729 hat der Herr Berichterstatter im Teil II
Es kommt mir hier darauf an, ein Argument an- darauf hingewiesen, daß der Ausschuß für Inneres
zuführen, das inmitten der notwendigen Berechnun- bei seinen Beratungen davon ausgegangen ist, daß
der Entwurf der Bundesregierung - Drucksache
gen bis jetzt nach meinem Dafürhalten noch nicht
IV/1376 — und damit der Bericht der Wahlkreis-
seinen Niederschlag gefunden hat. Wir haben eine
kommission nicht wesentlich verändert werden
parlamentarische Demokratie. Diese parlamentari-
könne, ohne daß die notwendige Neueinteilung der
sche Demokratie ringt auch bei uns noch um ihre
Wahlkreise in dieser Legislaturperiode überhaupt
Anerkennung in den breitesten Massen. Es ist kein
gefährdet würde. Über die Notwendigkeit der Neu-
unwesentliches Argument, wenn hier bei dieser Ge-
einteilung der Wahlkreise gibt es keine Meinungs-
legenheit auch derer gedacht wird, die bis jetzt
verschiedenheiten. Es ist mir aber trotz des Hin-
14 Jahre hindurch sich mit ihren Abgeordneten in
weises im Schriftlichen Bericht nicht recht verständ-
Dörfern und Städten verbunden gefühlt haben und
lich, warum begründete Änderungswünsche, die
die nun durch einen notwendigen, auch von uns
dem Inhalt und dem Sinn des Bundeswahlgesetzes
als notwendig anerkannten Verwaltungsakt aus die-
eher entsprechen als der Bericht der Wahlkreiskom-
sem Verhältnis herausgerissen werden. Ich glaube,
mission, keine Berücksichtigung fanden. Es ist anzu-
es ist notwendig, daß das an dieser Stelle auch ein--
erkennen, daß der Ausschuß für Inneres schnell
mal gesagt wird. Denn hier werden Bande zer-
gearbeitet hat. Hierin ist, so glaube ich, auch der
schnitten, die im Laufe von 14 Jahren mühsam ge-
Grund dafür zu finden, daß die Vorschläge der
knüpft worden sind, hier wird eine Arbeit unter-
Wahlkreiskommission eine so weitgehende Billi-
brochen, die im Laufe von 14 Jahren gediehen ist;
gung gefunden haben.
das kann nicht so ohne weiteres durch diesen neuen
Verwaltungsakt ersetzt werden. Ich bitte Sie also, Der Änderungsantrag Umdruck 375 hat zum
auch dieses, wenn Sie wollen: psychologische Zweck, die natürlichen und wirtschaftlichen Zusam-
Moment, Herr Kollege Wehner, dabei nicht völlig menhänge Ostfrieslands, der nordwestlichen Ecke der
außer acht zu lassen, wenn hier aus zwingenden Bundesrepublik, wiederherzustellen, wie es das Bun-
Notwendigkeiten zu einer Ausbalancierung des deswahlgesetz vorsieht. Nach dem Vorschlag der
Gleichgewichts innerhalb der Bundesrepublik ge- Wahlkreiskommission sollen die Landkreise Aurich
kommen werden muß. Wir sehen ein, daß das not- und Wittmund dem Wahlkreis Wilhelmshaven zu-
wendig ist; aber ich glaube, es ist unsere Pflicht, geordnet werden. Die Stadt Aurich ist Sitz des ost-
auch auf dieses sehr wichtige psychologische friesischen Regierungspräsidenten und der altehr-
Moment hinzuweisen. würdigen Körperschaft der „Ostfriesischen Land-
schaft." Der Landkreis Aurich bildet mit den übrigen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
ostfriesischen Landkreisen und der kreisfreien Stadt
Emden nicht nur einen Regierungsbezirk, sondern
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der auch nach der Struktur, seinen Menschen, Gewohn-
Abgeordnete Wagner. heiten und natürlichen Gegebenheiten ein einheit-
liches Ganzes. Die kreisfreie Stadt Wilhelmshaven,
Wagner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- die zum Verwaltungsbezirk Oldenburg gehört, hat
men und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, doch mit dem Landkreis Aurich überhaupt keine und mit
noch eine Bemerkung zu dem Antrag Umdruck 375 dem Landkreis Wittmund nur sehr vage Zusammen-
zu machen. hänge.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4687
Gerlach
Unverständlicherweise sollen auf Vorschlag der Ausland niedergelegt werden kann, eine Bestim-
Wahlkreiskommission die zum Teil vor der Stadt mung von geringer politischer Bedeutung, aber von
Wilhelmshaven liegenden großen Gemeinden Sande, einer gewissen Zweckmäßigkeit. Zum zweiten soll
Zeteln, Bockhorn und Neuenburg, die überdies eng die Bestimmung abgeschafft werden, daß über die
mit Wilhelmshaven verbunden sind, dem neuen Niederlegung eines Mandats der Vorstand des
Wahlkreis Oldenburg zugeteilt werden. Das eine ist Deutschen Bundestages entscheidet. Dies hat sich in
so widersprüchlich wie das andere. der Praxis als umständlich und zeitraubend erwie-
Der vorliegende Änderungsantrag geht davon aus, sen; es hat die Niederlegung zeitlich weit hinaus-
die bestehenden gebietlichen Zusammenhänge zu geschoben. Außerdem bestehen verfassungsrecht-
respektieren, aber nicht neue unbegründete und dem liche Zweifel, ob das Recht des Abgeordneten, sein
Bundeswahlgesetz widersprechende Neugliederun- Mandat niederzulegen, überhaupt durch einen Vor-
gen zu schaffen. standsbeschluß beeinträchtigt werden kann. Dieser
juristische Streit ist nie ausgetragen worden, weil
Meine Damen und Herren, ich bin kein Ostfriese der Vorstand in der Vergangenheit einem solchen
und erhalte auch nicht das Indigenat der „Ostfriesi- Wunsch, wenn auch mit Verzögerung, immer Rech-
schen Landschaft'', wenn ich mich hier für die Bei- nung getragen hat. Aber weil eben solche Zweifel
behaltung der ostfriesischen Wahlkreise einsetze. bestehen, ist es zweckmäßig, diese Bestimmung
Wer aber dieses Land kennt, der weiß um seine abzuschaffen. Ich darf Ihnen gemeinsam mit den
Eigenart und die seiner Menschen, der weiß auch Herrn Kollegen Dr. Schmid und Dr. Dehler, die den
um die Schwierigkeiten, mit denen dieses Land als Antrag unterschrieben haben, und dem Herrn Prä-
Grenzland an der Nordsee und an den Grenzen der sidenten Dr. Gerstenmaier die Annahme des Antra-
Niederlande zu kämpfen hat. ges empfehlen.
Der Änderungsantrag hat trotz des Votums des (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wir stimmen
Innenausschusses eine im Bundeswahlgesetz lie- zu!)
gende Begründung. Wirtschaftliche, strukturelle und
landschaftliche Gegebenheiten werden dadurch wie-
derhergestellt. Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort wird nicht
gewünscht.
Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen, um Unge-
rechtigkeiten zu vermeiden. Wir stimmen dann ab über den Änderungsantrag
auf Umdruck 363. Wer zustimmen will, gebe bitte
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weiteren das Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstim- — Einstimmige Annahme! Dann sind also in Ar-
mung über Ziffer 1 des Änderungsantrags der Ab- tikel I die Nummern 6 a und 6 b eingefügt.
geordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genos- Ich rufe dann auf Nr. 7. Hierzu liegt noch der
sen, Umdruck 375. Wer zustimmen will, gebe bitte Änderungsantrag auf Umdruck 375 unter Ziffer 2
Zeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Die vor. Herr Kollege Conring, wird der Antrag auf-
ablehnenden Stimmen waren ,die Mehrheit; der An- rechterhalten?
trag ist abgelehnt. (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Er ist in der
Ich rufe dann den Art. I Nr. 1 — in der Fassung Sache erledigt!)
des Ausschußbeschlusses —, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4,
Nr. 5 und Nr. 6 auf. — Wer zustimmen will, gebe — .Er ist in der Sache erledigt. Ich bitte dann um
bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Bei Ihre Erklärung: wird der Antrag zurückgenommen?
einigen Enthaltungen angenommen. (Abg. Dr. Conring: Er wird aufrechterhalten!)
Es liegt ein Änderungsantrag Umdruck 363*) vor,
— Der Antrag wird aufrechterhalten. Dann müssen
eine Nr. 6 a und eine Nr. 6 b einzufügen. Wird zu
wir darüber abstimmen.
diesem Antrag das Wort gewünscht? — Bitte, Herr
Kollege Dr. Jaeger. Wir stimmen also ab über den Antrag der Ab-
geordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genos-
Dr. Jaeger (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sen auf Umdruck 375 unter Ziffer 2. Wer diesem
Damen und Herren! Dieser Antrag hat nichts mit Antrag zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen!
der umstrittenen Wahlgeometrie zu tun. Es handelt — Gegenprobe! — Der Antrag ist 'abgelehnt.
sich um einen Antrag, den das Präsidium dieses Ich rufe dann auf Nr. 7 in der Fassung des Be-
Hauses gestellt hat. Jedenfalls hat mich Herr Präsi- schlusses des Ausschusses. Wer zustimmen will,
dent Dr. Gerstenmaier ausdrücklich ermächtigt, dies gebe bitte Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthal-
hier zu sagen. Es fehlt allerdings die Unterschrift tungen? — Einstimmige Annahme!
unseres Kollegen Schoettle, die aber nur deswegen
nicht zu erreichen war, weil er bedauerlicherweise Ich rufe auf Nr. 8. Hier liegt zunächst der Ände-
seit längerer Zeit erkrankt und nicht hier in Bonn rungsantrag auf Umdruck 369 *) der Fraktionen der
ist. CDU/CSU, SPD, FDP vor. Wird hierzu das Wort
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich
Es handelt sich bei diesem Antrag um zweierlei
über diesen Antrag abstimmen. Wer dem Antrag
Fragen. Einmal soll durch die Einfügung von
auf Umdruck 369 zustimmen will, gebe bitte das
Nr. 6 a erreicht werden, daß das Mandat auch im
*) Siehe Anlage 6 *) Siehe Anlage 7
4688 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Vizepräsident Dr. Dehler


Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — rungsvorlage bedeutet, so muß ich dem in bezug
Der Antrag ist einstimmig angenommen. auf die Landeshauptstadt entschieden widerspre
Es liegt weiter vor der Antrag auf Umdruck 372 **) chen. Der Ausschußbericht enthält die Feststellung
der Abgeordneten Frau Kalinke, Werner, Missbach, — die der Vorsitzende und der Berichterstatter ge-
Dr. Pflaumbaum, Burgemeister, Böhme (Hildesheim) meinsam unterzeichnet haben —, daß es sich bei
und Genossen. Das Wort zur Begründung hat Frau der Landeshauptstadt und damit bei der Änderung
Abgeordnete Kalinke. der Wahlkreise 36, 37, 38 und 41 nur „um gering-
fügige Änderungen" handelt. Ich muß, auch im Na-
men meiner Freunde, .sagen, daß hiervon keines-
Frau Kalinke (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
wegs die Redesein kann.
Herren und Damen! Über die Verhältnisse, die sich
aus der im Ausschuß vorgenommenen Änderung Wir haben verstanden, daß man sich im Aus-
und .aus den Beschlüssen und Vorschlägen der Kom- schuß mit manchen Dingen, wie der Herr Vorsit-
mission in Niedersachsen ergeben, hat die soeben zende hier gesagt hat, große Mühe gegeben hat.
beendete Debatte schon einiges sehr deutlich ge- Im Falle der Landeshauptstadt Hannover scheint
macht. Es wird niemanden hier im Hause geben, der mir das weniger .der Fall gewesen zu sein.
uns nicht bestätigen wird, daß die Verhältnisse in
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: )Doch, Frau
Niedersachsen außerordentlich unbefriedigend sind.
Kollegin! Wir geben uns immer Mühe! Das
Es wird niemanden geben, der nicht die Notwendig-
wissen Sie!)
keit einsieht, das zum mindesten hier in allem
Ernst zum Ausdruck zu bringen, auch wenn der An- — Ich bin nicht Mitglied Ihres Ausschusses. Aber
trag auf Umdruck 372 sich speziell auf die han- ich habe mich bemüht, bei der Diskussion dieser
noverschen Wahlkreise bezieht. Frage ,die Motive 'und die Hintergründe sehr ein-
gehend zu untersuchen und habe festgestellt, daß
Ich verzichte darauf, über die weiteren Probleme
schon aus dem Kommissionsbericht und aus der
in Niedersachsen jetzt zu sprechen. Ich will viel-
von der Kommission gegebenen Begründung er-
mehr in dem Antrag, der gemeinsam nicht nur von
meinen Freunden aus Niedersachsen, sondern ge- kennbar ist, wohin die Wünsche der niedersächsi-
meinsam mit vielen Kollegen aus allen Bundes- schen Landesregierung und die Wünsche unserer
ländern gestellt ist, nur auf das besondere Problem verehrlichen Opposition in diesem Hohen Hause in
der Landeshauptstadt Niedersachsens, Hannover, diesem Fall gehen.
hinweisen. Wir sehen durchaus manche Argumente (Lebhafte Rufe von der SPD: Oho!)
ein, die von der Kommission und von .den Kollegen
Ich spreche das sehr offen aus, weil ich immer für
geltend gemacht worden sind, die sich für die Kom-
ein offenes Wort bin und weil ich meine, daß es
missionsvorschläge auch zuungunsten vieler .speziel-
sich .die loyalen Vertreter der Opposition selber
ler Wünsche in unserem Lande ausgesprochen haben.
angelegen sein lassen werden, in dieser Frage nicht
Wir haben Verständnis für manche Änderung, so
den Verdacht aufkommen zu lassen, daß es sich
hart sie auch ist. Wir haben aber kein Verständnis,
hier um andere Hintergründe handelt.
daß sich die Mehrheit im Ausschuß dafür ausge-
sprochen hat — ja, ich glaube, es war sogar ein- (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Frau Kolle
stimmig, und ich spreche das offen aus —, in fast gin, wir lassen ebensowenig wie bei ande
allen entscheidenden Fällen die Sonderwünsche und - ren Änderungen Verdacht aufkommen!)
einzelne begründete Anträge mit dem Hinweis auf
— Gut, das werde ich bei der Abstimmung sehen,
die Kommissionsvorschläge abzulehnen, aber aus-
gerechnet im Falle der Landeshauptstadt Hannover Herr Vorsitzender.
die Kommissionsvorschläge zugunsten der Wünsche Wir bedauern jedenfalls, .daß man den Vorschlä-
der sozialdemokratischen Fraktion und der Landes- gen der Kommission hier nicht gefolgt ist, obwohl
regierung in Niedersachsen abzulehnen. gerade Sie, Herr Schmitt-Vockenhausen, bei der
Wir sehen die Notwendigkeit der Schaffung eines Ablehnung von anderen Wünschen immer wieder
dritten Wahlkreises in Hannover ein. Wir haben Wert darauf gelegt haben, zu betonen, daß es die
aber auch kein Verständnis — das möchte ich hier Vorschläge der Kommission seien, auf die man
.ganz objektiv feststellen — für die Begründung im Rücksicht nehmen solle. Aber in Hannover wird
man genauso wie in anderen Bezirken fragen,
Ausschußbericht. Im Ausschußbericht ist gesagt, daß
.der Entwurf nicht wesentlich verändert werden warum denn gerade hier Sie und Ihre Freunde mit
der niedersächsischen Landesregierung von diesem
kann, ohne 'die notwendige Neueinteilung der Wahl-
kreise in dieser Legislaturperiode überhaupt zu ge- Grundsatz, der Kommission und ihren Vorschlägen
fährden. Auf diesen Satz will ich, um die Debatte zu folgen — ich halte die Vorschläge der Kommis-
nicht zu verlängern, nicht mehr besonders eingehen. sion für loyal, für neutral und für sehr gut über-
Er verdiente untersucht zu werden! legt —, abgegangen sind. Diese Änderung steht
auch im Gegensatz zu der Erklärung im Ausschuß-
Manches Vernünftige und Richtige dagegen ist bericht, wonach der Ausschuß davon ausgegangen
schon gesagt worden. Wenn aber die Änderung ist, daß der Entwurf nicht wesentlich verändert
nach allgemeiner und !unbestrittener Auffassung, werden könnte, ohne notwendige Neuregelungen
wie es in diesem Bericht heißt, in räumlicher und zu gefährden.
struktureller Hinsicht eine Verbesserung der Regie-
Aus diesem Grunde haben meine Freunde zwar
**) Siehe Anlage 8 darauf verzichtet, weitere Anträge zu stellen, sehen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4689
Frau Kalinke
sich aber nicht in der Lage, darauf zu verzichten, dann zu einem Ergebnis kommt, das gerade diesen
das Problem der hannoverschen Wahlkreise hier einheitlichen Großraum wieder zerreißt. Ich darf da-
zu erwähnen und um Ihr Verständnis und um Ihre her namens meiner Fraktion erklären, daß wir ge-
Stimme für die Wiederherstellung der Regierungs- rade, weil sich in den letzten Jahren die Entwick-
und der Kommissionsvorlage zu bitten. lung zum Großraum Hannover, der die Gebiete der
Stadt und des Landkreises umfaßt, vollzogen hat,
Es war der erklärte Wille ,der Kommission, daß,
diesen Großraum nun nicht durch eine davon abwei-
wie der Abgeordnete Vogel hier erklärt hat, auch
chende Wahlkreiseinteilung wieder auseinanderrei-
auf die Gewöhnung der Wähler und die Zusam-
ßen wollen. Das aber würde geschehen, wenn man
menhänge zwischen ihnen und ihren Abgeordneten
dem Vorschlag der Frau Abgeordneten Kalinke
Rücksicht genommen werden soll. Wir sind der
folgte. Nach der Vorlage des Ausschusses haben wir
der Neuschaffung eines drittenMeinug,daßb
jetzt den guten Zustand, daß sich die drei Wahl-
Wahlkreises auf zusammenhängende Bezirke Rück- kreise 36, 37 und 38 mit dem Gebiet des Großraums
sicht genommen werden muß. Trotzdem glaube ich, Hannover voll decken, und darum sollte man es
daß, alles in allem, die Kommission bemüht gewesen dabei belassen.
ist, loyal zu verfahren, und auch Gründe gehabt
hat, bei gründlicher Prüfung schon bei der Entste- Im übrigen, meine Damen und Herren, sind die
hung dieses Gesetzes die Wünsche der Landesregie- Dinge im Ausschuß sehr sachlich besprochen wor-
rung von Niedersachsen im Stadium der Vorberei- den. Es sind dies keine Fragen von Opposition oder
tung anzuhören, aber nicht zu berücksichtigen. Es Regierung.
ist auffällig, daß, wie aus dem Bericht zu erkennen (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)
ist, alle Anregungen aller Landesregierungen bis
auf diese eine berücksichtigt werden konnten.
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Ich wäre daher dankbar, wenn sich die Kollegen Abgeordnete Rollmann.
aller Fraktionen in diesem Hause in diesem Punkt,
der Neugründung eines dritten Wahlkreises i n Han-
nover, darauf einigen könnten, die Vorschläge der Rollmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Kommission, die so gründlich geprüft worden sind, Damen und Herren! Frau Kollegin Kalinke hat sich
und auch die Vorschläge , der innerstädtischen Ab- hier mit sehr nebulösen Andeutungen erkundigt,
grenzung in den neuen Großräumen, die sich weit- was den Ausschuß dazu bewogen hat, eine Ände-
gehend auf Stellungnahmen auch der städtischen rung der Wahlkreise in Hannover vorzuschlagen.
Verwaltungen stützten
(Abg. Frau Kalinke: Ich kann auch deut
(Widerspruch bei der SPD) licher werden!)
— so steht es in dem Bericht —, zu berücksichtigen. Herr Dr. Miessner hat soeben bereits einige Gründe
(Zuruf von der SPD: Da sind Sie falsch dargelegt, nämlich die Schaffung des Großraums
informiert!) Hannover-Stadt und -Land. Meine Damen und Her-
ren, wenn Sie sich einmal die Mühe machten,
— Sie werden mir zugeben, Herr Kollege, daß der
Versuch der Kommission zur objektiven und unpar- einen Stadtplan von Hannover vorzunehmen, könn-
teiischen Beurteilung ,der Situation i n keiner Weise ten Sie sehen, daß die Einteilung, die wir im Aus-
bestritten werden kann. Sie werden, wenn Sie ande-
- schuß einstimmig gefunden haben, eine bedeutend
rer Auffassung sind, zu erläutern haben, welche bessere Abgrenzung der Stadtkreise in Hannover
Gründe und Hintergründe es geben kann, in die- vorsieht als jene, die die Regierung vorgeschlagen
sem Ausnahmefall im Lande Niedersachsen und vor hat. Ich glaube, daß die Gliederung, die wir auf
allem in der Landeshauptstadt Hannover der Kom- diese Weise gefunden haben, wirklich die bessere
mission nicht zu folgen. Ich werde mich freuen, ist.
wenn sich auch in Ihrer Fraktion — Herr Kollege, Herr Dr. Vogel hat soeben davon gesprochen, daß
ich sage das auf Grund Ihres Zurufs — Kollegen wir alte Wahlkreise erhalten sollten. Durch die
finden, die namens der sozialdemokratischen Frak- Neuregelung für den Raum Hannover, die wir im
tion zum Ausdruck bringen, daß ihnen bei dieser Ausschuß gefunden haben, ist es möglich gewesen,
Entscheidung daran liegt, jeden Verdacht eines par- daß ein weiterer Wahlkreis voll und ganz erhalten
teipolitischen Interesses auszuräumen, indem sie geblieben ist, nämlich der Wahlkreis Hameln
den Kommissionsvorschlägen folgen. Springe. Damit hat sich die Zahl der Wahlkreise,
Ich bitte das Haus, die Regierungsvorlage wieder- die in ihrem Besitzstand erhalten geblieben sind,
herzustellen. von 93 auf 94 erhöht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) (Zustimmung bei der SPD.)
Auch das ist ein Argument, das einmal deutlich ge-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der sagt werden muß. Ich darf Sie daher bitten, der
Abgeordnete Dr. Miessner. Ausschußvorlage Ihre Zustimmung zu geben.
(Beifall bei allen Fraktionen.)
Dr. Miessner (FDP) : Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich bin etwas verwundert, daß hier
auf die tatsächlichen Verhältnisse des Großraums Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Hannover abgehoben wird und meine Vorrednerin Burgemeister hat das Wort.
4690 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Burgemeister (CDU/CSU) : Meine sehr verehr- Weiterhin ist eingereicht worden der Änderungs-
ten Damen und Herren! Ich möchte die Ausführun- antrag zu Art. I Nr. 8 von den Abgeordneten Zogl-
gen meiner Kollegin Frau Kalinke hier sehr nach- mann, Busse und Genossen, Umdruck 377*)
drücklich unterstützen. Ich möchte Bezug nehmen
Ich gebe das Wort zur Begründung und, da der
auf das, was der Herr Kollege Miessner in bezug
Antrag noch nicht verteilt ist, zur Verlesung des
auf den Großraum Hannover soeben vorgetragen
Antrags dem Herrn Abgeordneten Zoglmann.
hat. Es könnte der Eindruck entstehen, die Fragen
des Großraums Hannover seien bei der Beurteilung
der Anträge der SPD im Ausschuß nicht genügend Zoglmann (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
berücksichtigt worden. Ich darf deswegen darauf und Herren! Unser Änderungsantrag zu Nr. 8 hat
verweisen, daß schon die Wahlkreiskommission in folgenden Wortlaut:
der Drucksache 741 sehr deutlich gemacht hat, daß
die Frage Hannover bei der Kommission eine ent- Nummer des Wahlkreises: 103
scheidende Rolle gespielt hat und daß die Kommis- Name des Wahlkreises: Bielefeld-Land
sion nach eindeutiger Abwägung der auch von der Gebiet des Wahlkreises: Landkreis Bielefeld
Landesregierung in Hannover vorgebrachten Argu- und Halle (Westfalen)
mente sich dahin entschlossen hat, die Regelung
vorzuschlagen, die in der Regierungsvorlage enthal- Nummer des Wahlkreises: 106
ten ist.
Name des Wahlkreises: Paderborn — Wieden
Es heißt in dem Bericht der Wahlkreiskommission brück
der Bundesregierung ausdrücklich:
Gebiet des Wahlkreises: Landkreis Paderborn
Die Landesregierung hat gegen die Vorschläge Landkreis Wiedenbrück.
keine Einwendungen erhoben, mit Ausnahme
der Vorschläge zur Neugliederung im Raum Der Zweck dieses Antrags ist es, die Stadt Gü-
Hannover. Den Gegenvorschlägen konnte die tersloh als Hauptstadt des Kreises Wiedenbrück im
Kommission nach sorgfältiger Prüfung jedoch Bereich des Wahlkreises zu lassen, in dem sie sich
nicht folgen, weil die Zuteilung eines 3. Wahl- befindet, nämlich im Bereich des Wahlkreises Pa-
kreises für die Stadt Hannover allein im Ver- derborn-Wiedenbrück. Gütersloh ist als Hauptstadt
gleich zu anderen Großstädten mit mehreren des Kreises Wiedenbrück der wirtschaftliche, kul-
Wahlkreisen nicht vertretbar erschien und weil turelle und natürliche Mittelpunkt des Wahlkreises.
die Zusammenfassung der räumlich getrennten Es besteht keine Veranlassung zu einer Änderung;
Teile des Landkreises Hannover zu einem denn die jetzigen Zahlen befinden sich innerhalb
Wahlkreis nur um den Preis der Veränderung der Toleranzgrenzen: der Wahlkreis Bielefeld-Land
weiterer Wahlkreise und der Schaffung über- minus 13 %, der Wahlkreis Paderborn-Wiedenbrück,
durchschnittlich großer Wahlkreise in dünn wie er nach diesem Antrag beibehalten werden
besiedelten Gebieten möglich gewesen wäre. soll, plus 28 % gegenüber dem Bundesdurchschnitt,
d. h. innerhalb der Toleranzgrenze von plus 33 %.
Ich möchte damit deutlich machen, daß die Frage Ich bitte das Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
sehr wohl überprüft worden ist und daß sie des-
wegen nach unserer Meinung nicht hier noch ein- -
mal erörtert werden muß. Wir sind der Meinung, Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
daß die Vorschläge, die im Regierungsentwurf ent- Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
halten sind, wohlbegründet sind und den Verhält-
nissen besonders Rechnung tragen. Schmitt Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!
-

Ich bitte Sie wirklich noch einmal sehr dringend Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natür-
— ich kann es von der SPD sicher nicht verlangen, lich gibt es noch eine Reihe Wünsche anderer und
daß sie es tut, aber ich bitte meine Freunde und ich ähnlicher Art wie den hier vom Herrn Kollegen
bitte die Freunde von der FDP-Fraktion —, diesem Zoglmann vorgetragene Änderungsvorschlag. Wir
Antrag, den Frau Kollegin Kalinke gestellt und können zu unserem großen Bedauern nicht darauf
begründet hat, Ihre Zustimmung zu geben. eingehen. Ich bitte das Haus, den Antrag abzu-
lehnen.
(Beifall in der Mitte.)
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir stimmen ab
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir stimmen nun- über den soeben verlesenen Änderungsantrag der
mehr über den Antrag Umdruck 372 ab. Wer zu- Abgeordneten Zoglmann und Genossen. Wer zu-
stimmt, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! - stimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! —
Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abge- Der Antrag ist abgelehnt.
lehnt. Wir stimmen dann ab über Art. I Nr. 8 in der
Dann noch der Antrag auf Umdruck 375 — der Fassung der Vorlage, Art. II, Art. III, Einleitung
Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister und Ge- und Überschrift. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen.
nossen — unter Ziffer 3. Der Antrag wird aufrecht- — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine
erhalten; wir müssen darüber abstimmen. Wer ihm Stimme angenommen.
zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! —
Der Antrag ist abgelehnt. *) Siehe Anlage 9
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4691
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die das dankenswerterweise heute noch einmal sichtbar
gemacht. Die Chancengleichheit war nach der jetzi-
dritte Beratung. gen Wahlkreiseinteilung nicht mehr genügend ge-
sichert.
Als Änderungsantrag zur dritten Lesung ist der
Antrag der Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister Die ungünstige Einteilung der Wahlkreise hat
und Genossen neu eingebracht worden. Ich kann dazu geführt — und das war der zweite Grund —,
wohl en bloc über diesen Antrag abstimmen lassen. daß ständig Überhangmandate entstanden sind. Wir
Wer ihm zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! haben mit der heute beschlossenen Lösung die
— Der Antrag ist abgelehnt. Ursache für derartige Überhangmandate abgebaut.
Drittens hat der Ausschuß keine Wahlkreisgeome-
Weitere Anträge liegen nicht vor, auch keine
trie betrieben und keine Veränderungen in den
Wortmeldungen. Ich kann dann in der dritten Be-
Chancen der Parteien vorgenommen.
ratung über die Vorlage in der Fassung der Be-
schlüsse der zweiten Lesung abstimmen lassen. Das ist summa summarum der Inhalt unserer Be-
Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Ent- ratungen gewesen. Wir haben hier schnell die Klar-
haltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen ange- heit geschaffen, die lange genug vor den Wahlen
nommen. für die Wähler, für die Abgeordneten und nicht zu-
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Herr Präsi letzt für die Parteiorganisationen, die sich mit der
dent, ich habe mich bei Ihrem Vorgänger Aufstellung der Kandidaten beschäftigen müssen,
zu einer Erklärung in der allgemeinen Aus notwendig ist.
sprache zu Wort gemeldet!) Ich möchte herzlich den Kolleginnen und Kollegen
— Hat die Erklärung jetzt noch Sinn, Herr Kollege der Fraktionen danken, die den Ausschuß bei der
Schmitt-Vockenhausen? Erörterung und Ablehnung von Sonderwünschen
unterstützt haben. Ich möchte aber auch all den
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ja!)
Mitgliedern des Hohen Hauses herzlich danken, die
— Dann bestehen wohl keine Bedenken, daß die sicher gute Gründe für Änderungsanträge gehabt
Erklärung abgegeben wird. hätten und die heute dennoch im Interesse einer
schnellen Verabschiedung dieser Vorlage darauf ver-
Schmitt Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!
- zichtet haben, solche Anträge zu stellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei Vor-
Einige Fragen und Wünsche sind offengeblieben.
lagen, die das Hohe Haus und seine Mitglieder be-
Ich denke an die Frage, ob das Wahlrecht für die
treffen, verzichtet das Haus gerne auf eine Debatte.
Seeleute durch die Veränderung der Fristen genü-
Das ist verständlich. Aber wir wissen auch, daß das
gend gesichert ist. Darüber werden wir im März
in der Öffentlichkeit oft falsch ausgelegt wird. Es ist
oder April im Ausschuß noch einmal sprechen. Wir
daher vielleicht doch gut, wenn wenigstens einige
werden dann auch noch die Möglichkeiten des Wahl-
grundsätzliche Bemerkungen zu der jetzt verabschie-
rechtes der Europabeamten und eventuell der Aus-
deten Änderung der Wahlkreiseinteilung gemacht
landsdeutschen behandeln.
werden.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß Heute hat das Hohe Haus mit diesem Gesetz ins-
natürlich jeder von uns weiß — der Herr Kollege- gesamt eine wichtige und wesentliche Entscheidung
Vogel hat schon davon gesprochen —, daß diese getroffen. Ich danke Ihnen sehr.
Wahlkreiseinteilung für viele verdiente Mitglieder (Beifall.)
des Hauses eine schwere Entscheidung ist. Ich will
die Schwere und Tragweite hier gar nicht verklei-
nern. Um so dankbarer sind wir alle, daß das Haus Vizepräsident Dr. Dehler: Ich schließe die
sich die Vorlage des Innenausschusses zu eigen ge- Beratung über diesen Punkt und rufe auf Punkt 15
macht hat. Sicher wäre es leichter gewesen, wenn der Tagesordnung:
einige Jahre früher schon einmal eine Änderung
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
erfolgt wäre und wenn nicht der mahnende Finger
des Bundesverfassungsgerichts im Hintergrund der desregierung eingebrachten Entwurfs eines
heutigen Verabschiedung gestanden hätte. Gesetzes zur Änderung des Spar-Prämien-
gesetzes (Drucksache IV/1654);
Wer gehofft hatte, der Ausschuß könne sich in
eine wahlrechtssystematische Diskussion begeben, Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschus-
mußte enttäuscht werden. Eine Debatte hätte sicher ses (16. Ausschuß) (Drucksachen IV/1712,
die innenpolitischen Auseinandersetzungen belebt. zu IV/1712).
Aber wir mußten schnell gute Arbeit leisten, um (Erste Beratung 98. Sitzung)
eine Vorlage zu bringen, die so rechtzeitig vor den
Wahlen in Kraft treten kann, daß Wähler, Parteien Es liegt vor der Schriftliche Bericht des Wirt-
und Abgeordnete sich darauf einstellen können. schaftsausschusses, erstattet durch den Abgeord-
neten Porzner. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Welche Gesichtspunkte waren nun neben den von Wird eine mündliche Ergänzung gewünscht? — Das
der Kommission in ihrem Bericht ausführlich darge- ist nicht der Fall.
stellten für uns entscheidend? Im Grunde hätte schon
in den 50er Jahren eine Neueinteilung vorgenom- Ich eröffne die Beratung und rufe auf Art. 1. Es
men werden müssen. Der Herr Berichterstatter hat liegen vor Änderungsanträge der Fraktion der SPD
4692 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Vizepräsident Dr. Dehler


auf Umdruck 368 *) und der Fraktion der FDP auf dieses Jahres erwartet. Wir haben zur Kenntnis
Umdruck 371 **). nehmen müssen, daß die Regierung eine solche Vor-
lage bis zu diesem Zeitpunkt nicht einbringen kann.
Das Wort zur Begründung des Änderungsantrages
Wir haben weiter zur Kenntnis genommen, daß die
Umdruck 368 hat Herr Abgeordneter Seuffert.
Regierung beabsichtigt, diese Fragen im Zusammen-
hang mit dem von ihr geplanten Steueränderungs-
Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen gesetz 1964 anzugreifen. Wenn wir jetzt, wie in der
und Herren! Der Änderungsantrag der sozialdemo- Ausschußvorlage vorgesehen, die unbefristete
kratischen Fraktion zum Ausschußantrag hat in der Weitergeltung des derzeitigen Gesetzes beschlie-
Sache zum Ziel, die Regierungsvorlage wiederher- ßen, so heißt das nichts anderes, als daß wir von
zustellen, — mit Ausnahme der Einfügung der Be- dieser Harmonisierung, von diesen Absichten der
stimmungen über die Lastenausgleichstitel, die jetzt Regierung und von der wirklichen Reform der Spar-
in die Prämienförderung einbezogen werden sollen. förderung nichts wissen wollen. Deswegen unser
Der Antrag entspricht mit Ausnahme eben dieses Antrag, der in der Sache mit dem Antrag der Freien
Punktes der Lastenausgleichstitel auch dem Antrag Demokratischen Partei und mit den Beschlüssen des
der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck Finanzausschusses völlig übereinstimmt, wie in der
371. Er entspricht schließlich dem Beschluß, den der Regierungsvorlage die Weitergeltung , des Gesetzes
Finanzausschuß des Bundestages mit großer Mehr- nur .auf das nächste Jahr zu erstrecken. Das heißt,
heit gefaßt hat. daß wir für das nächste Jahr auf Grund von ent-
In dem vom Wirtschaftsausschuß mit Mehrheit sprechenden Regierungsvorlagen und auf Grund der
beschlossenen Gesetzentwurf ist eine Einzelände- Anträge der Opposition, die dem Hause und dem
rung des bestehenden Gesetzes vorgesehen, näm- Ausschuß bereits vorliegen, eine Reform und eine
lich die, daß nicht mehr nur der Ersterwerb, son- Harmonisierung des ganzen Systems fordern und
dern der einfache Erwerb irgendeines Papieres zur erwarten.
Prämienfördeung berechtigen soll. Dieser Änderung
stehen schwere Bedenken entgegen. Wesentlich ist Vizepräsident Dr. Dehler: Wünscht noch je-
aber, daß, wenn man schon in solche Einzelfragen mand das Wort? —
einsteigen wollte, eine ganze Reihe von Fragen zu
(Zuruf.)
diesem Gesetz zu stellen wären, die in der Kürze
der Zeit — denn es handelt sich ja um die not- — Es ist aufgerufen — es gilt als aufgerufen —
wendige Erstreckung einer Befristung — gar nicht Art. 1 Nr. 1. Sie wollen den Antrag auf Streichung
behandelt werden können. der Nr. 1 begründen? — Bitte, Frau Abgeordnete
Die Mittel für die Sparprämien nehmen mittler- Funcke.
weile .einen sehr erheblichen Teil der Haushaltsaus-
gaben in Anspruch. Es ist deswegen, wie wir glau- Frau Funcke (Hagen) (FDP) : Herr Präsident!
ben, mit etwas größerer Sorgfalt zu prüfen, ob sie Meine Herren und Damen! Die Freien Demokraten
nicht etwas zu ungezielt gestreut werden und ob sie haben sich mit den verschiedenen Anregungen, die
nicht besser gezielt werden könnten, insbesondere zu dem Sparprämiengesetz an sie herangetragen
im Sinne des dem Hause seit etwa anderthalb worden sind und die sich auch aus dem Gesetz im
Jahren vorliegenden Antrags der sozialdemokrati- Laufe der Zeit entwickelt haben, befaßt. Sie halten
schen Fraktion, durch gewisse Staffelungen Sorge es für notwendig, daß wir über das Sparprämienge-
dafür zu tragen, daß die Sparförderung verstärkt, setz und die Möglichkeiten, die Eigentumsbildung
wenn nicht vorzüglich den kleinen Einkommen zu- zu fördern, sehr eingehend nachdenken. Wir sollten
gute kommt. Das ist die eine Überlegung, die ins- dies jedoch im Zusammenhang mit dem von der
besondere die Mehrheit des Finanzausschusses bei Regierung zur Reform der Einkommensteuer insge-
ihrem Beschluß geleitet hat, nämlich daß man nicht samt zugesagten Entwurf tun. Darum halten wir es
eine Einzelfrage vorziehen kann, ohne die vielen nicht für richtig, schon in diesem Augenblick, und
anderen Einzelfragen, die ebenfalls anstehen, zu zwar nur für ein Jahr, Änderungen vorzunehmen,
berücksichtigen. die doch sinnvollerweise im Gesamtzusammenhang
mit der Sparprämienförderung und den Möglich-
Ganz wesentlich ist vor allem, daß der Wirt- keiten der Steuervergünstigung bei den Sonderaus-
schaftsausschuß entgegen der Regierungsvorlage, gaben im Einkommensteuerrecht gesehen werden
die nur eine Erstreckung der Geltungsdauer des Ge- müssen.
setzes auf ,ein Jahr vorsehen wollte, die unbefristete
Weitergeltung des derzeitigen Gesetzes vorsehen Aus diesem Grunde bitten wir das Haus, unseren
will. Damit wird der Notwendigkeit, eine Harmoni- Antrag anzunehmen, der praktisch die Wiederher-
sierung und eine Reform sämtlicher Sparförderungs- stellung der Regierungsvorlage vorsieht, d. h. in
maßnahmen unserer Gesetze vorzunehmen, eine diesem Augenblick keinerlei Änderungen vorzuneh-
eindeutige Absage erteilt. Diese Notwendigkeit ist men, damit nicht den späteren Beratungen etwas
in einigen Beschlüssen dieses Hauses, in Regie- vorweggenommen und unter Umständen etwas
rungserklärungen und zuletzt wieder in der Re- blockiert wird.
gierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Erhard Herr Kollege Seuffert, auch wir hätten das Ein-
betont worden. Wir haben diese Reform zum Ende kommensteuergesetz gern schon jetzt beraten. Da
dies aber im Augenblick nicht möglich ist, halten
*)SiehAnlag10 wir es für die bessere Lösung, die Geltungsdauer
**) Siehe Anlage 11 des Gesetzes um ein Jahr zu verlängern und keiner-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4693
Frau Funcke (Hagen)
lei Änderungen vorzunehmen. Wir bitten daher, werden sollen, sind, soweit ich das übersehen kann,
unseren Antrag anzunehmen. die Fraktionen dieses Hohen Hauses einig. Das ist
(Beifall bei der FDP.) sehr erfreulich. Das zeigt aber auch, daß es doch
wohl Fragen gibt, die man am besten bei dem jetzi-
gen Beschluß regelt.
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Abgeordnete Burgbacher. Wir bitten deshalb höflichst, die Vorlage so an-
zunehmen, wie sie Ihnen auf Drucksache IV/1712
vorliegt.
Dr. Burgbacher (CDU/CSU) : Herr Präsident!
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-
Fraktion stelle ich den Antrag, das Hohe Haus möge
entsprechend dem Antrag im Schriftlichen Bericht Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
des Wirtschaftsausschusses die Vorlage in der Fas- Herr Abgeordnete Dr. Schmidt (Wuppertal).
sung, wie sie aus der Drucksache IV/1712 ersichtlich
ist, annehmen. Ich stelle weiter den Antrag, die auf Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Prä-
den Umdrucken 368 und 371 vorliegenden Ände- sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
rungsanträge abzulehnen. Ich glaube, nach den Darlegungen hier im Hause
Ich begründe das wie folgt. Meine Fraktion ist verpflichtet zu sein, eine Erklärung darüber abzu-
der Auffassung, daß die Förderung des Eigentums geben, wie die Mehrheit des Finanzausschusses da-
lin Personenhand und die grundsätzliche politische
zu gekommen ist, sich der Regierungsvorlage anzu-
Maßnahme der Förderung des Sparens zu den poli- schließen.
tischen Grundlinien der übersehbaren Zukunft ge- Die Regierung hat ja eine Befristung auf ein Jahr
hören und deshalb nicht jedes Jahr durch ein auf ein ohne jede weitere materielle Änderung gewünscht.
Jahr verlängertes Gesetz der Öffentlichkeit gegen- Der Sinn der Regierungsvorlage war der: innerhalb
über in Frage gestellt werden dürfen. dieses Jahres sollte nicht etwa das Sparprämien-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gesetz abgeschafft, sondern sollte die längst an-
stehende Aufgabe der Koordinierung der verschie-
Wir bitten deshalb das Hohe Haus um die unbefri- denen Sparformen gelöst werden. Das ist mehr als
stete Verlängerung als eine politische Willenshand- dringend notwendig. Die Regelungen des § 10 des
lung, die auf dem grundsätzlichen Bekenntnis zur Einkommensteuergesetzes, das Bausparprämienge-
Förderung des Eigentums in Personenhand durch setz und das Sparprämiengesetz widersprechen ein-
den Sparprozeß beruht. ander, decken sich jedenfalls nicht. Deshalb hat es
(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.) einen guten Sinn, zunächst einmal eine Befristung
des gegenwärtigen Rechtszustandes vorzunehmen
Wenn ein so kluger Jurist wie unser Kollege und innerhalb dieser Frist die anstehenden Grund-
Seuffert versucht, dem Hohen Hause klarzumachen, probleme zu lösen. Zu diesen Grundproblemen ge-
daß man ein Gesetz nur ändern könne, wenn es auf hören auch Beschränkungen, möglicherweise unter
ein Jahr verlängert werde, wird er, so hoffe ich, Bezugnahme auf die Einkommensgrenze, nach oben,
kein Gehör finden. Es steht dem gar nichts im damit ein Mißbrauch des Sparprämienwesens ver-
Wege, daß im Laufe des kommenden Jahres nicht mieden wird.
nur die Sparprämienförderung, sondern überhaupt
das System der Prämienförderung erneut durch- Ich glaube, niemand von der Mehrheit des Finanz-
dacht, modernisiert und auch im Sinne der ver- ausschusses hat etwas gegen eine bestimmte gesell-
stärkten Förderung der Eigentumsbildung für Klein- schaftspolitische Auffassung, nämlich gegen die För-
einkommen novelliert wird. Zu dieser Harmonisie- derung des Eigentums. Aber dieses Gesetz hat ja
rung und zu einer Verstärkung der Wirkung für nicht nur einen gesellschaftspolitischen Aspekt, son-
Kleineinkommen bekennt sich meine Fraktion aus- dern hat auch einen entscheidenden finanz- und
drücklich. Sie verpflichtet sich, entsprechende Vor- wirtschaftspolitischen Aspekt.
lagen im Sinne dieses Zieles zu beraten. Angesichts der Entwicklung der Staatsausgaben
kann es uns nicht gleichgültig sein, ob und in wel-
(Abg. Katzer: Sehr gut!)
cher Weise die Koordinierung vorgenommen wird,
Die in der vom Wirtschaftsausschuß erarbeite- und insbesondere, ob das Prämiensparen zu einer
ten Fassung des § 1 Abs. 2 in Nr. 3 vorgesehene Er- Dauereinrichtung wird. Ein wirtschaftspolitisches
setzung des Wortes „Ersterwerb" durch das Wort Instrument, das zugleich Privilegien verleiht, muß
„Erwerb" verfolgt den Zweck, daß alle Wertpapiere, sehr wohl auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet
und zwar auch Aktien, sparprämienfähig gemacht werden, ob es nicht schlechthin einer Befristung sol-
werden. Wir wissen, daß jeder zunächst in barem cher Privilegien bedarf; man sollte in einem späte-
Geld sparen soll. Wir sind aber der Meinung, daß ren Zeitpunkt erneut überprüfen können, ob alle
man in unserer modernen Wirtschaft die Wertpa- gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen
piere und die Aktien nicht diskriminieren und daß Bedürfnisse die Verlängerung notwendig machen
man für sie — nach Wahl jedes Bürgers — diese und, wenn ja, in welcher Form.
Möglichkeit schaffen sollte. Das sind die Überlegungen der Finanzpolitiker.
Was die andere Frage angeht, ob Grundbeträge Das sind berechtigte wirtschaftspolitische Über-
des Anspruchs auf Hauptentschädigung nach dem legungen. Ohne also zu gesellschaftspolitischen Ab-
Lastenausgleichsgesetz sparprämienfähig gemacht sichten Stellung zu nehmen, waren wir der Auffas-
4694 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmidt (Wuppertal)
sung — und ich für meine Person bleibe bei dieser längern. Sie wollen aber beschließen, das jetzige, im
Auffassung —, daß es richtiger ist, zunächst einmal Grunde auch von Ihnen kritisierte Gesetz soll unbe-
die sachliche Koordinierung vorzunehmen. Deshalb fristet gelten.
werde ich mich für die Anträge der SPD und der Ich verzichte in diesem Augenblick darauf, näher
FDP entscheiden. auszuführen, was der Begriff Erwerb oder Erst-
(Beifall bei der SPD und der FDP und ver erwerb überhaupt bedeutet. Sie verlangen nicht
einzelt in der Mitte.) mehr den Ersterwerb. Bisher war die Voraussetzung
für die Sparförderung beim Erwerb eines Wert-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der papiers, daß ein neues Papier auf den Kapitalmarkt
Abgeordnete Katzer. gelangt ist. Genau wie bei Sparguthaben mußte es
sich um einen Sparakt handeln, und es durfte nicht
Katzer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr ein Umtausch von Papieren vorliegen, die bereits
verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur zwei auf dem Kapitalmarkt waren. Es wird also eine Be-
Bemerkungen machen. einträchtigung der Förderung des Sparens in Form
von Sparguthaben eintreten, die sehr bedenklich ist.
Die Tatsache, daß wir uns heute über eine Ver-
Was die Lastenausgleichstitel anlangt, so handelt
längerung des Sparprämiengesetzes in diesem Ho-
es sich darum, daß das Finanzministerium im Zu-
hen Hause unterhalten, unterstreicht sehr nach-
sammenhang mit der erst kürzlich eingeleiteten Mo-
drücklich die Richtigkeit des Vorschlages der CDU/
bilisierung der Entschädigungsforderungen des La-
CSU-Bundestagsfraktion auf unbefristete Verlänge-
stenausgleichs die Einbeziehung dieser neuen Titel
rung dieses Gesetzes. Ich darf daran erinnern, daß
in die Prämienförderung nachdrücklich befürwortet.
wir genau vor einem Jahr dieselbe Debatte über
Ich würde deshalb sehr verbunden sein, wenn die
diesen Gegenstand hatten, daß aber damals die
Freie Demokratische Partei auf ihren Antrag, auch
CDU/CSU-Fraktion leider im Hammelsprung unter-
diese Änderung wegfallen zu lassen, verzichtete.
lag und daß es leider nur zu einer einjährigen Be-
Denn darüber, daß wir das im Zusammenhang mit
fristung kam. Jetzt wird von einigen Gruppen dieses
dem Lastenausgleich logischerweise einbeziehen
Hohen Hauses leider wieder versucht, das Gesetz
müssen, sind wir alle einig.
nur um ein Jahr zu verlängern. Ich möchte deshalb
sehr nachdrücklich darum bitten, dieses Gesetz un-
befristet zu verlängern. Dabei haben wir durchaus
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Rutschke.
die Möglichkeit zur Harmonisierung, wie es dar-
gestellt wurde.
Dr. Rutschke (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr
Als zweites möchte ich zu den Ausführungen des verehrten Damen und Herren! Wer wird einem
Kollegen Dr. Schmidt folgendes sagen. Die CDU/ gesellschaftspolitischen Zweck, der zweifellos gut
CSU-Fraktion hat gestern bei ausgezeichneter Be- ist, widersprechen wollen! Ich möchte Sie aber dar-
setzung gegen nur fünf Stimmen sich für die An- auf hinweisen, daß wir ja wohl andere Fragen vor-
nahme der Vorlage des Wirtschaftsausschusses aus- rangig zu regeln haben. Wir sind der Meinung, daß,
gesprochen. Ich darf das Hohe Haus bitten, so zu wenn wir nun einmal feststellen mußten, daß wir
verfahren. z. B. mit der Regelung für die Kriegsopfer warten
(Beifall bei der CDU/CSU.) - müssen, weil nicht genügend Geld da ist, wir erst
einmal das Geld dafür ausgeben sollten, die alten
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Schulden zu begleichen.
Abgeordnete Seuffert. Deshalb meine ich, daß der Antrag, der hier eine
Erweiterung vorsieht, abgelehnt werden sollte.
Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Nach den dankenswerten Ausführun- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
gen des Kollegen Schmidt (Wuppertal) kann ich Abgeordnete Dr. Imle.
mich bei meiner Erwiderung auf die Darlegungen
der Kollegen Burgbacher und Katzer auf einige Dr. Imle (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
Worte beschränken. und Herren! Es geht uns hier um folgendes. Der gan-
Es geht, Herr Kollege Burgbacher, nicht um den ze Komplex der Eigentumsbildung soll im kommen-
formaljuristischen Unterschied, daß auch ein unbe- den Steueränderungsgesetz seinen Niederschlag
fristetes Gesetz jederzeit geändert werden kann, finden. Wir halten es nicht für richtig, jetzt schon
sondern es geht darum, ob wir die auch von Ihnen etwas vorwegzunehmen, was noch bis dahin Zeit
als notwendig und von Ihnen als erstrebenswert be- hat. Unsere Fraktion ist bereit, die Regelung so
zeichnete Reform und Harmonisierung der Sparför- vorzunehmen, daß die Bestimmungen betreffend
derungen im nächsten Jahr endlich haben wollen Erwerb und bezüglich der Lastenausgleichsforderun-
oder ob wir sie irgendwann haben wollen. Das ist gen bereits mit Wirkung ab 1. Januar 1964
der Unterschied. Diese Reform sollte nach den Be- in Kraft gesetzt werden können. Wir sollten
schlüssen dieses Hauses schon längst erfolgt sein. uns aber nicht durch .die Vorwegnahme dieser
Sie soll nunmehr — und das ist der Sinn — ernst- Bestimmungen die Möglichkeit nehmen, bei , der
lich in Angriff genommen und nächstes Jahr erle- Beratung des Steueränderungsgesetzes 1964 den
digt werden. Sie können ein Gesetz, das Sie selber Komplex im ganzen zu erörtern. Wir glauben da-
als reformbedürftig bezeichnen, nicht unbefristet ver- her, daß die Regierungsvorlage angenommen wer-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4695
Dr. Imle
den sollte, und haben deshalb den Antrag gestellt, Dr. h. c. Brauer Merten
Brünen Metter
sie wiederherzustellen. Bruse Metzger
(Beifall bei der FDP.) Buchstaller Dr. Meyer (Frankfurt)
Büttner Meyer (Wanne-Bickel)
Busch Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Corterier Dr. Mommer
Abgeordnete Professor Dr. Burgbacher. Cramer Dr. Morgenstern
Dr. Deist Müller (Erbendorf)
Diekmann Müller (Nordenham)
Dr. Burgbacher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Frau Döhring Müller (Ravensburg)
Meine Damen und Herren! Ich möchte keine Aus- Dopatka Müller (Worms)
Dröscher Dr. Müller-Emmert
führungen zur Sache mehr machen, möchte aber mit Frau Bilers Peiter
Rücksicht auf die politische Bedeutung, die die Frage Dr. Eppler Peters (Norden)
für uns hat, namentliche Abstimmung beantragen. Erler Dr. Pohlenz
Eschmann Porzner
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) Faller Priebe
Felder Ravens
Figgen Regling
Vizepräsident Dr. Dehler: Weitere Wortmel- Flämig Rehs
dungen liegen nicht vor. Ich nehme an, daß der An- Folger Dr. Reischl
trag auf namentliche Abstimmung von einer genü- Franke Reitz
Dr. Frede Frau Renger
genden Zahl von Kollegen unterstützt wird. — Er Frehsee Riegel (Göppingen)
ist hinreichend unterstützt. Frau Freyh (Frankfurt) Dr. Rinderspacher
Fritsch Ritzel
Wir müssen uns jetzt klarwerden, worüber die Dr. Roesch
Geiger
namentliche Abstimmung stattfinden soll. Ich halte Gerlach Rohde
es für richtig, daß wir den Änderungsantrag der Glombig Frau Rudoll
Fraktion der FDP Umdruck 371 Ziffer 1 vorziehen. Gscheidle Sänger
Haage (München) Saxowski
Das ist zwar ein negativer Antrag, und wir haben Dr. Schäfer
Haase (Kellinghusen)
an sich die Übung, nur positiv abzustimmen. Ich Hamacher Frau Schanzenbach
möchte es aber in diesem Falle für richtig halten, Hansing Scheuren
den Streichungsantrag vorzuziehen; durch die Strei- Hauffe Dr. Schmid (Frankfurt)
Hei de Schmidt (Braunschweig)
chung würde ja die Regierungsvorlage insoweit Dr. Schmidt (Gellersen)
Heiland
wiederhergestellt werden. — Besteht Einigkeit, daß Dr. Dr. Heinemann Dr. Schmidt (Offenbach)
wir so verfahren? Ich halte es für zweckmäßig. Herr Hellenbrock Schmidt (Würgendorf)
Frau Herklotz Schmitt-Vockenhausen
Professor Burgbacher, ich verstehe Ihren Antrag da- Schröder (Osterode)
Hermsdorf
hin, daß über den Antrag Umdruck 371 Ziffer 1 Schwabe
Herold
namentlich abgestimmt werden soll. Einverständ- Hirsch Seidel (Fürth)
nis? Höhmann Seither
(Hessisch Lichtenau) Frau Seppi
(Abg. Dr. Burgbacher: Ja!) Seuffert
Hörauf
Wir stimmen also ab über den Änderungsantrag Hörmann (Freiburg) Stephan
Frau Dr. Hubert Striebeck
der Fraktion der FDP Umdruck 371 Ziffer 1. Es wird Strohmayr
Hussong
namentlich abgestimmt. Ich bitte die Schriftführer, Jacobi (Köln) Dr. Tamblé
die Stimmkarten einzusammeln. Jacobs Wegener
Jahn Wehner
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstim- Dr. h. c. Jaksch Welke
mung bekannt. Es haben 392 stimmberechtigte Ab- Jürgensen Welslau
geordnete und 19 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Junghans Weltner (Rinteln)
Junker Frau Wessel
Mit Ja haben 216, mit Nein 172 stimmberechtigte Wienand
Kaffka
Abgeordnete gestimmt. Enthalten haben sich 4 Kahn-Ackermann Wilhelm
stimmberechtigte Abgeordnete. Von den Berliner Kalbitzer Wischnewski
Abgeordneten haben 11 mit Ja und 8 mit Nein ge- Frau Kettig Frau Zimmermann
Killat (Brackwede)
stimmt. Der Antrag Umdruck 371 Ziffer 1, Nrn. 1 Zühlke
Dr. Koch
und 2 zu streichen, ist also angenommen. Könen (Düsseldorf)
Frau Korspeter Berliner Abgeordnete
Ja Bading Kraus Bartsch
Bäuerle Dr. Kreyssig Frau Berger-Heise
CDU/CSU Bäumer Dr. Kübler Braun
Bewerunge Bals Kulawig Frau Krappe
Dr. Dr. h. c. Dresbach Bauer (Würzburg) Lange (Essen) Liehr (Berlin)
Frau Haas Dr. Bechert Langebeck Mattick
Dr. Höchst Behrendt Lautenschlager Neumann (Berlin)
Frau Dr. Probst Bergmann Lemper Dr. Schellenberg
Dr. Schmidt (Wuppertal) Berkhan Lenz (Bremerhaven) Dr. Seume
Windelen Berlin Dr. Lohmar Urban
Beuster Lücke (Osnabrück) Wellmann
Biegler Maibaum
SPD Marquardt
Biermann
Frau Albertz Birkelbach Marx FDP
Anders Blachstein Matthöfer
Arendt (Wattenscheid) Dr. Bleiß Matzner Busse
Auge Börner Frau Meermann Dr. Danz
4696 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr. Dehler Dr. Czaja Dr. Pflaumbaum Verhoeven


Deneke van Delden Dr.-Ing. Philipp Vogt
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dr. Dittrich Frau Pitz-Savelsberg Wagner
Dr. Dörinkel Drachsler Dr. Poepke Dr. Weber (Koblenz)
Dürr Draeger Porten Weigl
Eisenmann Ehnes Dr. Ramminger Weinkamm
Dr. Emde Ehren Rasner Weinzierl
Ertl Eichelbaum Rauhaus Werner
Frau Dr. Flitz Dr. Elbrächter Frau Dr. Rehling Wieninger
(Wilhelmshaven) Frau Engländer Dr. Reinhard Winkelheide
Frau Funcke (Hagen) Dr. Even (Düsseldorf) Riedel (Frankfurt) Dr. Winter
Dr. Hamm (Kaiserslautern) Even (Köln) Rollmann Wittmer-Eigenbrodt
Hammersen Falke Rommerskirchen Dr. Wuermeling
Dr. Hellige Dr. Franz Ruf Wullenhaupt
Dr. Imle Franzen Ruland Ziegler
Frau Dr. Kiep-Altenloh Dr. Fritz (Ludwigshafen) Scheppmann Dr. Zimmer
Dr. Kohut Dr. Furler Schlee Dr. Zimmermann (München)
Kreitmeyer Gaßmann Schlick
Kubitza Gedat Schneider, (Hamburg)
Freiherr von Kühlmann Gehring Frau Schroeder (Detmold) Berliner Abgeordnete
Stumm Dr. Gerlich Dr. Schwörer
Gibbert Dr. Seffrin Benda
Dr. Löbe Dr. Dr. h. c. Friedensburg
Logemann Giencke Dr. Serres
Dr. Gleissner Dr. Siemer Dr. Gradl
Dr. Mälzig Hübner
Mertes Glüsing (Dithmarschen) Dr. Sinn
Dr. Gossel Spies Lemmer
Freiherr von Mühlen Frau Dr. Maxsein
Murr Gottesleben Stauch
Dr. h. c. Güde Dr. Stecker Mü ller (Berlin)
Opitz Stingl
Peters (Poppenbüll) Härzschel Stein
Rademacher Hahn (Bielefeld) Dr. Steinmetz
Ramms Dr. Hahn (Heidelberg) Stiller
Reichmann Dr. von Haniel-Niethammer Stooß
Dr. Rieger (Köln) Harnischfeger Storm Enthalten
Dr. Rutschke Dr. Hauser Strauß
Heix Struve CDU/CSU
Sander
Schmidt (Kempten) Dr. Hesberg Sühler Dr. Dichgans
Schultz Hesemann Tobaben Haase (Kassel)
Soetebier Hösl Unertl Schulhoff
Spitzmüller Holkenbrink Varelmann Dr. Vogel
Dr. Stammberger Horn
Dr. Supf Dr. Huys
Illerhaus Damit sind der Antrag der SPD Umdruck 368 Zif-
Wächter
Walter Frau Jacobi (Marl) fer 1 und der Ausschußbeschluß über Art. 1 Nrn. 1
Weber (Georgenau) Josten und 2 gegenstandslos.
Zoglmann Dr. Jungmann
Frau Kalinke Dann ist über Nr. 3 zu verhandeln. Hierzu liegen
Dr. Kanka die Änderungsanträge Umdruck 368 Ziffer 2 der
Nein Katzer
Dr. Kempfler Fraktion der SPD und Umdruck 371 Ziffer 2 der
CDU/CSU Fraktion der FDP vor, die identisch sind. Wird zu
Frau Klee
Adorno Klein (Saarbrücken)
-
diesen Anträgen das Wort gewünscht? — Nicht.
Dr. Aigner Dr. Kliesing (Honnef)
Dr. Althammer Knobloch Ich mache zur Grundlage der Abstimmung den
Arndgen Dr. Knorr Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 368
Dr. Arnold Dr. Kopf
Dr. Artzinger Krug Ziffer 2. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Ge-
Baier (Mosbach) Frau Dr. Kuchtner genprobe! — Enthaltungen? — Ich muß die Abstim-
Baldauf Kühn (Hildesheim) mung wiederholen. Wer dem Antrag unter Ziffer 2
Balkenhol Kuntscher auf Umdruck 368 zustimmt, erhebe sich vom Platz.
Dr. Barzel Leicht
Bauer (Wasserburg) Lemmrich — Gegenprobe! — Der Vorstand ist nicht einig. Wir
Bauknecht Lenz (Brühl) müssen auszählen. —
Bausch Lenze (Attendorn)
Becker Leonhard Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt.
Berberich Lermer Mit Ja haben gestimmt 187 Abgeordnete, mit Nein
Dr. Besold Leukert 173, keine Enthaltungen. Der Antrag unter Ziffer 2
Biechele Dr. Luda des Umdrucks 368 der Fraktion der SPD ist also an-
Dr. Bieringer Maier (Mannheim)
Dr. Birrenbach Majonica genommen, damit übereinstimmend der Antrag der
Frau Dr. Bleyler Dr. Martin Fraktion der FDP unter Ziffer 2 des Umdrucks 371.
Blöcker Meis
Frau Blohm Mengelkamp Ich rufe dann auf Art. 2, — Art. 3, — Einleitung
von Bodelschwingh Menke und Überschrift. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen.
Dr. Böhm (Frankfurt) Dr. von Merkatz — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige
Böhme (Hildesheim) Mick Annahme. Ich schließe die zweite Beratung.
Brand Missbach
Dr. Brenck Müller (Aachen-Land)
Brese Müller (Remscheid) Ich eröffne die
Brück Müser dritte Beratung.
Bühler Nieberg
Dr. Burgbacher Dr. Dr. Oberländer
Burgemeister Oetzel Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter
Dr. Conring Frau Dr. Pannhoff Seuffert hat das Wort.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4697

Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen Vizepräsident Dr. Dehler: Besteht völliges
und Herren! Nach den in der zweiten Lesung getrof- Einverständnis über Fassung und Tragweite des
fenen Entscheidungen ist die CDU/CSU nunmehr be- Antrags? — Das ist der Fall. Wer diesem Ände-
reit, zusammen mit uns dafür Sorge zu tragen, daß rungsantrag zustimmen will, gebe bitte Zeichen. —
die Lastenausgleichstitel in die Prämienförderung Gegenprobe! — Enthaltungen? — der Antrag ist
einbezogen werden. Das hat der Antrag *) zum Ziel, gegen die Stimme des Herrn Dr. Imle, im übrigen
den ich dem Hause vortragen darf und den ich einstimmig angenommen.
Ihnen, Herr Präsident, noch schriftlich übergeben
werde. Danach sollen die gestrichenen Nrn. 1 und 2 Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
des Art. 1 des Gesetzes in der Fassung der Vorlage Gesetz mit der nunmehr beschlossenen Änderung
des Wirtschaftsausschusses wiederhergestellt wer- zustimmt, erhebe sich vom Platze. — Gegenprobe!
den mit der Maßgabe, daß unter Nr. 1 Buchstabe a — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige An-
die Buchstaben aa) und infolgedessen auch die nahme fest.
Unterteilung bb) wegfallen, so daß es unter Buch- Zwischendurch gebe ich bekannt, daß die Beratun-
stabe a heißt: gen heute nachmittag mit Tagesordnungspunkt 16,
In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die folgende Sechstes Rentenanpassungsgesetz, und Tagesord-
Nummer 4 angefügt: nungspunkt 17, Große Anfrage der Fraktion der
SPD betreffend auswärtige Kulturpolitik, fortgesetzt
Das heißt, diese Nr. 1 erhält die Fassung unseres werden.
Änderungsantrags Umdruck 368.
Diesen Antrag möchten wir nunmehr gemeinsam Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 18:
mit der CDU/CSU stellen. Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
Vizepräsident Dr. Dehler: Es wird also der zes zur Änderung und Ergänzung des Geset-
Antrag gestellt: zes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens-
und Rentenversicherungen (Drucksache
§ 1 wird wie folgt geändert: IV/1671).
a) In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die fol-
gende Nummer 4 angefügt: Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht,
Aussprache ebenfalls nicht. Ich schließe die erste
„4. Grundbeträge des Anspruchs ... Beratung.
Und weiter, wie es in der Drucksache IV/1712 steht. Es ist vorgesehen Überweisung an den Wirt-
schaftsausschuß — federführend — und an den
Seuffert (SPD) : Das heißt praktisch: der Buch- Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Keine Ein-
stabe a in der Fassung des Änderunsantrags Um- wendungen; es ist so beschlossen.
druck 368, die Buchstaben b und c in der Fassung der
Ausschußvorlage, auch Nr. 2 in der Fassung der Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 19:
Ausschußvorlage. Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
Vizepräsident Dr. Dehler: Damit wir uns ganz dem Assoziierungsabkommen vom 20. Juli
klar sind: Es soll folgende Änderung vorgenommen 1963 zwischen der Europäischen Wirtschafts-
werden: Die Nr. 4 wird so angefügt, wie es im Än- gemeinschaft und den mit dieser Gemein-
derungsantrag Umdruck 368 Ziffer 1 vorgesehen ist; schaft assoziierten afrikanischen Staaten und
die Buchstaben b und c und Nr. 2 bleiben wie in der Madagaskar sowie zu den mit diesem Ab-
Ausschußvorlage. kommen in Zusammenhang stehenden Ab-
kommen (Drucksache IV/1673).
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Das Wort wird nicht gewünscht.
Kuntscher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Es besteht Streit über die Frage, welche Aus-
Damen und Herren! Wie bereits Herr Kollege Seuf- schüsse zu beteiligen sind. Der Vorsitzende des
fert erklärt hat, entsprechen wir einem Fraktions- Außenhandelsausschusses, Herr Abgeordneter Dr.
beschluß, indem wir jetzt dem Antrag der SPD Um- Serres, ist der Meinung, daß der Außenhandelsaus-
druck 368 beitreten, wonach Schuldverschreibungen schuß zumindest mitbeteiligt werden muß. Bestehen
in Form der Lastenausgleichstitel in das Spar- dagegen Bedenken? — Wenn nicht, dann wird die
prämiengesetz einbezogen werden sollen. Vorlage überwiesen an den Ausschuß für auswär-
tige Angelegenheiten — federführend — sowie an
den Ausschuß für Entwicklungshilfe und den Außen-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
handelsausschuß zur Mitberatung. Es ist so be-
Herr Abgeordnete Dürr.
schlossen.

Dürr (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 20:
Herren! Der Antrag wird nicht strittig werden, denn Erste Beratung des von der Bundesregierung
die Fraktion der FDP schließt sich ihm an. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset-
zes zur Änderung des Zollgesetzes (Druck-
*) Siehe Anlage 12 sache IV/1681).
4698 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Vizepräsident Dr. Dehler


Die Vorlage kann ohne Beratung an den Finanz- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 25 auf:
ausschuß — federführend — sowie an den Außen- Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
handels ausschuß zur Mitberatung überwiesen wer- schusses für Inneres (6. Ausschuß) über den
den. — Keine Einwendungen; es ist so beschlossen.
Antrag der Fraktion der SPD betr. Ausliefe-
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 21: rung des ungarischen Staatsangehörigen Geza
Györfi nach Frankreich (Drucksachen IV/1527,
Erste Beratung des von der Bundesregierung IV/1717).
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Deutschen Zolltarifs Der Bericht der Frau Abgeordneten Jacobi (Marl)
1961 in der Fassung der Zolltarif-Verordnung liegt vor. Sie hat das Wort zur Ergänzung.
(Deutscher Zolltarif 1963) vom 21. Juni 1963
(Zweites Zolltarif-Änderungsgesetz) (Druck- Frau Jacobi (Marl) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
sache IV/1702). Meine Damen und Herren! Zunächst muß ich einen
Fehler berichtigen, der sich in der Drucksache
Es ist vorgeschlagen Überweisung an den Außen- IV/1717 eingeschlichen hat. Die Ausweisung des
handelsausschuß. — Es ist so beschlossen. Ungarn Geza Györfi ist nach § 5 der Ausländer-
polizeiverordnung und nicht nach § 5 der Asylver-
Tagesordnungspunkt 22: ordnung erfolgt, wie in der Drucksache links Zeile 3
von unten steht. Es ist festzustellen, daß die Behör-
Erste Beratung des von der Bundesregierung den bei der Ausweisung des Györfi gesetzesbuch-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu stabengetreu gehandelt haben. Györfi kam nicht di-
den Änderungen vom 11. April 1962 des rekt aus einem Verfolgungsland. Deshalb meinte das
Internationalen Übereinkommens zur Verhü- Fürther Landratsamt, daß auf ihn § 4 der Asylver-
tung der Verschmutzung der See durch Öl, ordnung nicht zutreffe. Er war mittellos und ohne
1954, und zur Änderung des Gesetzes vom Paß und verschwand nach einigen Tagen aus dem
21. März 1956 (Drucksache IV/1703). Lager. Daraufhin wurde die Ausweisungsverfügung
Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Ver- am 24. Juli erstellt und sofortige Ausführung ange-
kehr, Post- und Fernmeldewesen überwiesen wer- ordnet. Unverständlich ist nur der Vermerk: Der
den. — Es ist so beschlossen. Stellung eines eventuellen Asylantrags stehen der
Erlaß und der Vollzug dieses Aufenthaltsverbotes
Tagesordnungspunkt 23: nicht entgegen, da der Betroffene die Entscheidung
über seinen Antrag auch in Frankreich abwarten
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD kann. Gerade das war die Härte; denn man mußte
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wissen, was Györfi in Frankreich erwartete. Außer-
Änderung des Rahmengesetzes zur Verein- dem hätte man schon in den ersten Tagen bei
heitlichung des Beamtenrechts (Beamten- intensiverer Befragung des Aufenthaltsuchenden
rechtsrahmengesetz — BRRG) (Drucksache feststellen können, daß Györfi von Dezember 1956
IV/1698). bis 'September 1960 in der Schweiz gelebt und dort
Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Inne- Asylrecht genossen hat. Man hätte ihn auch statt
res überwiesen werden. — Es ist so beschlossen. nach Frankreich nach der Schweiz überstellen kön-
nen. Die baden-württembergische Polizei war ledig-
Tagesordnungspunkt 24: lich ausführendes Organ und zur Amtshilfe ver-
Erste Beratung des von der Bundesregierung pflichtet, als sie zwei Monate später Györfi in Heil-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur bronn auffand. Schon am Nachmittag dieses Tages
Änderung des Gesetzes über das gerichtliche wurde Györfi an der Rheinbrücke in Kehl der fran-
Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rhein- zösischen Polizei überstellt.
schiffahrtssachen (Drucksache IV/1709). In dem Entwurf des neuen Ausländergesetzes, der
Der Gesetzentwurf soll an den Rechtsausschuß dem Bundestag vorliegt und zur Zeit im Innenaus-
überwiesen werden. — Es ist so beschlossen. schuß beraten wird, ist eine Bestimmung über eine
Duldung vorgesehen, die es den Behörden in Zu-
kunft erleichtern wird, aus menschlichen Gründen
Dann rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 26: auf den Vollzug einer Ausweisung zu verzichten.
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- Das läßt uns hoffen, daß uns ähnliche tragische Kon-
schusses für Verkehr, Post- und Fernmelde- flikte in Zukunft nicht mehr werden beunruhigen
wesen (23. Ausschuß) über den Antrag der müssen. Daß die Öffentlichkeit so intensiv dazu
Fraktionen der CDU/CSU, FDP betr. Brau- Stellung nahm, bezeugt nur, daß gerade die deut-
malzfracht (Drucksachen IV/1236, IV/1704). sche Bevölkerung mit dem Herzen immer auf seiten
dessen steht, den das Schicksal aus seiner Heimat
Der Bericht des Herrn Abgeordneten Drachsler hinter dem Eisernen Vorhang herausgeführt hat.
liegt vor. Der Bericht wird nicht ergänzt. Ich danke Die Bemühungen, Györfi aus Frankreich wieder
dem Herrn Berichterstatter. nach Deutschland zurückzuholen, sind sowohl von
Ich stelle den Antrag des Ausschusses auf Druck- den Bundesbehörden wie auch durch die Presse
sache 1704 zur Abstimmung. Wer dem Antrag zu- eingeleitet worden. Die „Heilbronner Zeitung"
stimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Ent- hatte Stimmen gesammelt, die Frankreich gegenüber
haltungen? — Einstimmig angenommen. den Wunsch nach Rückführung äußerten. Es war
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4699
Frau Jacobi (Marl)
also eine richtige Volksabstimmung. 2700 Menschen Wer begründet den Änderungsantrag Um-
gaben innerhalb von 4 Tagen der „Heilbronner Zei- druck 364? — Herr Abgeordneter Hussong!
tung" die Unterschrift für den Wunsch, daß Györfi
nach Deutschland zurückgeführt werde. Hussong (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
Wessen Bemühungen es nun zuzuschreiben ist, und Herren! Ich begründe die Änderungsanträge
daß Györfi nach Deutschland zurückkam, schon be- meiner Fraktion Umdruck 364 Ziffer 1 und Ziffer 4. Es
vor der Bundestag zu dem Antrag der SPD Stellung RentenanpassunggehtirbumdasAße
genommen hatte, können wir nicht feststellen. Wir für etwa 11 000 Rentenbezieher, die im Saarland
können aber sicherlich den französischen Behörden wohnhaft sind und in Lothringen gearbeitet haben.
unseren Dank für das Verständnis, das sie gezeigt Der weitaus größte Teil dieser Arbeitnehmer —
haben, aussprechen und darauf hinweisen, daß es etwa 10 000 — waren bei den lothringischen Gru-
auch in einem anderen Falle, nämlich im Falle des ben beschäftigt und beziehen heute als Rentner
Oberst Argoud, wünschenswert wäre, wenn das- sowohl eine Besitzstandsrente als auch zum Aus-
selbe Verständnis der französischen Behörden eben- gleich Fürsorgeleistungen nach den Bestimmungen,
falls zu der Rückführung führen würde. die das in diesem Jahr aufgehobene saarländische
Fürsorgegesetz Nr. 345 vorgesehen hatte. Diese
Dieses wollte ich als Erläuterung zu dem Schrift- Leistungen sind in den vergangenen Jahren fünf-
lichen Bericht noch sagen. Die Presse hat in der mal angepaßt worden. In dem jetzt zur Verabschie-
ganzen Angelegenheit jedenfalls eine wichtige und dung vorliegenden Entwurf hat die Bundesregierung
gute Funktion ausgeübt. zum erstenmal von einer Anpassung abgesehen.
(Beifall.)
Der Sozialpolitische Ausschuß hat sich bei seinen
Beratungen in Berlin mit dem Entwurf befaßt und
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke der Frau hat einstimmig beschlossen, die Anpassung der Für-
Berichterstatterin. sorgeleistungen — also der Ausgleichsleistungen —
Das Wort wird nicht gewünscht. — Es liegt der vorzunehmen. Nicht angepaßt wurden jedoch die
Antrag des Ausschusses vor, den Antrag der Frak- Besitzstandsrenten. Wenn der Entwurf in der vom
tion der SPD für erledigt zu erklären. — Ich darf Sozialpolitischen Ausschuß vorgelegten Fassung ver-
Ihr Einverständnis mit diesem Antrag annehmen. abschiedet werden sollte, würden die Renten der
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. betroffenen ehemaligen saarländischen Grenzgänger
in einem geringeren Ausmaß als die Renten aller
übrigen Bezugsberechtigten angepaßt werden.
(Unterbrechung der Sitzung von 13.04 Uhr
bis 15.03 Uhr.) Lassen Sie mich dafür ein Beispiel anführen. Un-
terstellt, ein Rentner bezieht 400 DM Versiche-
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Sitzung ist rungsrente und zum Ausgleich eine Fürsorgelei-
wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 16 der Tagesord- stung von 200 DM, insgesamt also 600 DM. Die An-
nung auf: passung nur auf die Fürsorgeleistung, in diesem
Falle auf die 200 DM, bezogen, würde bedeuten, daß
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- eine Erhöhung um 16,40 DM erfolgen würde, wäh-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines rend der Vergleichsrentner mit der Anpassung auf
Sechsten Gesetzes über die Anpassung der 600 DM eine Erhöhung von 49,20 DM bekommen
Renten aus den gesetzlichen Rentenversi- würde. Ein solcher Rentner wäre also Monat für
cherungen sowie über die Anpassung der Monat um den Betrag von 32,80 DM gegenüber dem
Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfall- vergleichbaren Rentner benachteiligt, und dieser
versicherung (Sechstes Rentenanpassungs- Differenzbetrag würde sich von einer Anpassung
gesetz - 6. RAG) (Drucksache IV/1584) zur anderen noch erhöhen.
in Verbindung mit dem Sozialbericht 1963
(Drucksache IV/1486); Unabhängig davon, ob hier der Grundsatz der
Gleichbehandlung aller Versicherten noch eingehal-
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für So- ten oder ob er verletzt ist, glaube ich, daß sich eine
zialpolitik (20. Ausschuß) (Drucksache IV/ solche Entscheidung auch moralisch gesehen nicht
1731, zu IV/1731). rechtfertigen ließe und ja wohl auch außerhalb der
(Erste Beratung 96. Sitzung) Bundesregierung von niemand gewollt war. Eine
Nichtanpassung der Besitzstandsleistungen würde
Berichterstatter ist der Abgeordnete Killat. Ich auch den politischen und staatsrechtlichen Verhält-
erteile ihm das Wort. nissen, denen die Betreffenden in der Vergangen-
(Abg. Killat: Ich verzichte!) heit unterlagen, nicht entsprechen. Sie würde auch
— Sie verzichten. den sozialversicherungsrechtlichen Entwicklungen,
die zu- den Fürsorgeleistungen geführt haben, nicht
Ich rufe in zweiter Beratung den Artikel I auf. Rechnung tragen.
Dazu liegen auf Umdruck 364 *) Ziffer 1 und auf
Umdruck 373 **) zwei Änderungsanträge vor. Beide Die Bundesregierung begründet nun ihre Nicht-
Anträge beziehen sich auf § 1 Abs. 2. anpassungs bestimmung mit Idem Hinweis, daß es
sich um eine Leistung handle, die lediglich im Wege
*) Siehe Anlage 13 der Besitzstandswahrung gewährt werde und daß
**) Siehe Anlage 14 hier eine Angleichung nicht gerechtfertigt sei. Dar-
4700 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Hussong
über hinaus sind von den Vertretern der Bundes- tigten auch nach der Aufhebung des Gesetzes Um-
regierung anläßlich der Beratung des Entwurfs stände eintreten sollten, die nach dem bisherigen
Vergleiche zu der Rechtssituation der Grenzgänger Recht zu einer Erhöhung der Fürsorgeleistungen,
anderer Bundesgebiete gezogen worden. Meine und zwar durch familiäre Veränderungen, geführt
Freunde und ich halten eine solche Betrachtungswei- hätten, diese Leistungen gewährt werden sollten.
se für ungerechtfertigt. Die einzige Vergleichsbasis
Über die künftige Anpassung bestand im Sozial-
liegt nur in dem Wort „Grenzgänger", und diese politischen Ausschuß Einmütigkeit. Der Herr Be-
Betrachtung ist auch noch, nebenbei bemerkt, un- richterstatter hat damals hier vorgetragen, daß die
zutreffend. Es handelt sich um ein ausgesprochen Leistungen grundsätzlich an Rentenanpassungen
saarländisches Problem, für das es Vergleiche zu teilnehmen sollen. Diese Auffassung wurde auch
und in anderen Gebieten des Bundes nicht gibt. noch durch den Hinweis erhärtet, daß die Bundes-
Lassen Sie mich zur Sach- und Rechtslage einige regierung gebeten wurde, bei der Vorlage von Ren-
Ausführungen machen. 1871 ist Elsaß-Lothringen tenanpassungsgesetzen entsprechende Vorschläge
von Frankreich abgetrennt worden. Dieses Gebiet, zu machen. Das ist auch praktisch durch das Hohe
das mit der Saar eine Wirtschaftseinheit bildete, Haus hier beschlossen worden. Die Bundesregierung
war somit Gebiet des Deutschen Reiches und damit ist trotz dieser klaren Willensäußerung und unter
Inland. Dieser staatsrechtliche Zustand bestand bis Außerachtlassung des ihr gebotenen Auftrags an-
zum Kriegsende 1918, also rund 47 Jahre. ders verfahren. Sie hat die Anpassung ausdrücklich,
Dann wurde durch den Versailler Friedensvertrag und zwar für alle Rententeile, ausgenommen.
die Saar aus dem Reichsgebiet ausgegliedert und Bei der letzten Beratung in Berlin haben wir uns
verwaltungsmäßig dem Völkerbund unterstellt. Die noch einmal einstimmig für die Anpassung ausge-
Gruben des Saarlandes wurden Frankreich zur Aus- sprochen. Wir alle waren wohl der Auffassung, daß
beute als Eigentum übergeben und waren bei einer es sich um eine Anpassung aller Rentenbezüge, also
späteren Regelung wieder zurückzukaufen. Insoweit auch der Vergleichsrenten, handelte. Jetzt wird die
war zumindest eine Wirtschafts- und betriebswirt- Sache so interpretiert, daß nur die Fürsorgeleistun-
schaftliche Einheit mit den saarländischen und gen, nicht aber die Vergleichsrenten angepaßt wer-
lothringischen Gruben für diese Zeit gegeben. den sollten. Damit können wir uns nicht zufrieden
Erst 1935, nach der Abstimmung, wurde die alte geben. Eine solche Regelung wäre auch menschlich
deutsch-französische Grenze wiederhergestellt, und ungerecht, weil die Betroffenen die politischen und
zwar nach einem Zeitraum von 62 Jahren. Damals staatsrechtlichen Verhältnisse nicht zu verantworten
wurden die Bergleute, die in Lothringen arbeiteten, haben. Sie haben weder die Regelung von 1871
praktisch erstmalig tatsächlich Grenzgänger. Damals noch den Versailler Friedensvertrag von 1919 noch
war aber auch die Arbeitslosigkeit an der Saar noch die Regelung nach 1945 zu verantworten. Sie haben
so groß, daß den Bergarbeitern durch die Arbeits- selbst genug unter diesem wechselseitigen Ablauf
ämter die Nichtvermittlung angedroht wurde, falls der Dinge zu leiden gehabt.
sie ihre Arbeitsplätze in Lothringen aufgeben soll- Bei einem solchen Beschluß bedenken Sie bitte:
ten. unsere Bergarbeiter haben ein ganzes Arbeitsleben
1940 war es wieder andersherum. Lothringen war lang praktisch im Inland gearbeitet und sind, wenn
wieder einmal zum Saarland dazugeschlagen. Man- man von den vier Jahren nach 1935 bis 1940 ein-
hat zu diesem Zeitpunkt, und zwar mit Wirkung mal absieht, erst mit der wirtschaftlichen Eingliede-
vom 1. Januar 1941, das Reichsrecht in Lothringen rung der Saar in den Bund im Jahre 1959 echte
eingeführt. Die Rentenleistungen für lothringische Grenzgänger geworden. Wenn Sie also diese An-
Versicherungszeiten wurden nach den Bestimmun- passung nicht vornehmen wollen, dann bedeutet
gen der Reichsversicherungsordnung berechnet und das praktisch, daß diese zwar auch als inländische
gezahlt. Arbeitskräfte geltenden Menschen nicht nur ihren
Diese Bestimmungen sind nach dein zweiten Welt- Arbeitskameraden im Inland gegenüber erheblich
krieg, als die Saar wieder einmal mit Frankreich benachteiligt würden. Dann müßten sie sich auch
eine Wirtschaftsgemeinschaft, eine Währungs- und noch wünschen, nicht in Lothringen, sondern z. B.
Zolleinheit, bildete, beibehalten worden mit der in Polen oder in einem anderen Lande, das nicht der
Maßgabe, daß die französische Knappschaft die auf der EWG angehört, gearbeitet zu haben. Dann
ihre Versicherungszeiten anfallenden Leistungen an würde nämlich die Anrechnung über das Fremd
die Saar-Knappschaft zurückzahlte. Über eine recht- Rentenrecht erfolgen. Das kann doch sicherlich nie-
liche Zwischenstufe sind dann die versicherungs- mand gewollt haben. Das kann sicherlich auch nie-
rechtlichen Beziehungen für den Personenkreis mit mand als gerechtfertigt ansehen. Deshalb unsere
dem saarländischen Fürsorgegesetz Nr. 345 völlig Änderungsanträge! Ich darf Sie bitten, ihnen zuzu-
neu und abschließend geregelt worden. stimmen.
(Beifall bei der SPD.)
Mit der Einführung des Sozialversicherungs-
Angleichungsgesetzes Saar wurde dieses Gesetz Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Zahlen
Nr. 345 außer Kraft gesetzt. Bei der Neuregelung mitteilen, damit hier auch einmal die Größenver-
war zwar nicht der rechtliche, aber doch der per- hältnisse angesprochen werden. Reine Fürsorgelei-
sönliche Besitzstand gesichert worden, soweit er stungen erhalten 1886 Invaliden, 1592 Witwen und
bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes 270 Waisen. Rund 3800 Personen beziehen also
erworben war. Dabei bestand volle Übereinstim- überhaupt keine Rente aus Versicherungszeiten,
mung darüber, daß, wenn in der Person der Berech- sondern ihre ganzen Bezüge sind nur Fürsorgelei-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4701
Hussong
stungen. Nach dem, was der Außenpolitische Aus- vom Nationalsozialismus sogar ein politischer
schuß beschlossen hat, wären diese Renten in der Zwang ausgeübt wurde, indem man diesen Tausen-
Höhe des Rentenanpassungsgesetzes anzupassen. den von Leuten sagte: Ihr müßt drüben bleiben,
Dann verblieben nur noch 6569 Personen, deren an- einmal aus marktpolitischen Erwägungen und zum
dere Rentenbestandteile nicht angepaßt werden. zweiten auch im Hinblick auf die Devisenlage. Mit
Dazu kommen in der IV und AV noch rund 350 oder Fug und Recht können wir also sagen, daß es sich
400 Fälle, so daß es insgesamt 7000 Angleichungs- hier um einen Kreis von Personen handelt, die
fälle gibt. Da die Anpassungsbeträge zu einem gro- einen Arbeitsplatz jenseits der Grenze nicht von
ßen Teil zu Lasten der Versicherungsträger gehen, sich aus gesucht haben, sondern dazu durch den
ist für den Bund nach meiner Auffassung die Finanz- politischen Wirrwarr — mal so, mal so — gezwun-
frage von untergeordneter Bedeutung. gen waren.
Nur noch eine letzte Bemerkung. Fünfmal sind Zweitens ist zu fragen: Was war für diese Men-
jetzt alle Leistungen aus der Rentenversicherung schen richtig? Waren sie in dieser Periode diesseits
angepaßt worden. Im Bereich des Arbeitsrechts der Grenze, dann war jenseits richtig. Waren sie in
wäre ein solches Verfahren sicherlich nach höchst- einer anderen Periode jenseits, dann war diesseits
richterlicher Entscheidung schon längst zum Ge- richtig. Versetzen wir uns in die Situation dieser
wohnheitsrecht geworden. Es ist bedauerlich, daß Menschen, Menschen, die nun mehr als 200 Jahre
der gleiche Rechtsgrundsatz bisher keinen Nieder- zwischen den Grenzen leben!
schlag im Sozialrecht gefunden hat. In den Kreisen Ich möchte noch auf einen anderen Grund hin-
der Betroffenen würde man es aber sicherlich nicht weisen. Sämtliche Parteien und auch die Abgeord-
verstehen, wenn man fünfmal den Rentnern gleich- neten an der Saar hatten den im Mai 1963 in Berlin
gestellt worden ist, von der sechsten Rentenanglei- gefaßten Beschluß des Ausschusses an der Saar
chung ab aber keine Berücksichtigung mehr erfol- publiziert. Auf diesen Beschluß ist hinreichend hin-
gen soll. gewiesen worden. Ich will ihn nicht mehr vorlesen,
(Hört! Hört! bei der SPD.) sondern will nur sagen, daß damals in ganz konkre-
Auch aus diesem Grunde darf ich Sie noch einmal ter Weise die Anpassung für die spätere Zeit vor-
recht herzlich bitten: stimmen Sie unseren Anträgen gesehen war. Wenn wir dies berücksichtigen, soll-
zu und behandeln Sie die im Saarland wohnhaften ten wir beschließen, daß für diesen Personenkreis
und 98 % ihres Arbeitslebens im Inland arbeiten- die Anpassung in vollem Maße durchgeführt wird.
den Arbeitnehmer genauso, wie Sie ihre Kollegen Nun zu dem vorliegenden Antrag. Ich muß hier
im übrigen Bundesgebiet behandeln. betonen: Weil die Zeit zur Unterschriftensammlung
(Beifall bei der SPD.) fehlte, habe ich diesen Antrag im Auftrage aller
saarländischen Abgeordneten und einer Anzahl
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der anderer Abgeordneten eingereicht. Das ist der
Abgeordnete Klein zur Begründung seines Antrages. Grund, weshalb nicht mehrere Unterschriften dar
unterstehen.
Klein (Saarbrücken) (CDU/CSU) : Herr Präsident! Ich bitte nun, Herr Präsident, daß über den An-
Meine Damen und 'Herren! Ich will hier ein Wort trag der Fraktion der SPD Umdruck 364 Ziffern 1
wiederholen, das ich dieser Tage gesprochen habe:- und 4 zusammen mit den Ziffern 1 und 2 unseres
Ich wäre sehr erfreut, wenn wir einmal dahin ge- Antrags abgestimmt wird, da sie sich insoweit
langten, daß wir hier im Hause nicht mehr geson- decken.
dert vom Saarland zu sprechen brauchen. Es ist nicht Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesem
meine Absicht, die gesamte historische Entwicklung Antrag zu entsprechen.
des Saarlandes, auf die sich diese Anträge gründen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
noch einmal darzulegen. Ich will nur in einigen Sät-
und bei der SPD.)
zen sagen, warum wir der Meinung sind, daß die
Renten dieses Personenkreises angepaßt werden
müssen, und warum die Betroffenen dieselbe Mei- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
nung haben. Abgeordnete Becker.
Im Jahre 1680 begann die Tragödie des immer
währenden Grenzwechsels zwischen Saarland und
Becker (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich muß zu den Ausführungen
dem übrigen Deutschen Reich. Viermal wurde das
meiner beiden Herren Vorredner doch einiges
Saarland auf längere Zeiträume hinaus ganz abge-
sagen, ja, ich muß sogar den Anträgen widerspre-
trennt, und einmal wurden sogar große Teile des
chen.
Landes auf die Dauer von 200 Jahren abgetrennt.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
1870/71 wurde das Gebiet zwangsläufig wirtschaft-
lich mit Lothringen als vorher französischem Land, — Warum „Hört! Hört!"? Wenn ich diese Angele-
das dann zum Deutschen Reich gehörte, vereinigt. genheit nur aus regionaler Sicht sähe, würde ich
1919 erfolgte dann noch einmal die Abtrennung. vielleicht genauso reden wie der verehrte Herr
Kollege Hussong oder der verehrte Herr Kollege
Dabei wurde zwangsläufig das Grenzgängerpro-
blem gefördert. Die Menschen wurden angegangen, Klein.
ihre Arbeitsplätze jenseits der Grenze aufrechtzuer- (Zuruf von der SPD: Politisch sollen Sie es
halten. Wir können mit Sicherheit sagen, daß 1935 sehen!)
4702 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Becker
— Darauf komme ich noch. — Aber bei Annahme können, indem wir allen das gleiche Recht geben.
dieser Anträge würden wir eine Vertiefung — ich Wir sollten den Gleichheitsgrundsatz für alle wah-
will das Wort „Zementierung" nicht gebrauchen — ren. Aus diesem Grunde müssen wir die beiden ge-
der ungleichen Behandlung gleicher oder doch ähn- stellten Anträge ablehnen.
licher Tatbestände herbeiführen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
Der verehrte Herr Kollege Hussong sagte vor- Schellenberg: Das war schwach! — Gegen-
hin: Fünfmal haben wir jetzt angepaßt, und auf ein- ruf des Abg. Becker: Da kommt es auf die
mal fällt der Bundesregierung ein, diese Anpas- Auffassung vom Gleichheitsgrundsatz an!)
sung nicht mehr durchzuführen. Herr Kollege Hus-
song, wir haben erst im Juni 1963 das Anglei-
chungsgesetz für die Saar verabschiedet, und erst Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
nach Verabschiedung dieses Gesetzes konnte diese Abgeordnete Wilhelm.
Sache erneut angepackt werden. Das Sozialversiche-
rungs-Angleichungsgesetz für die Saar vom Juni
besagt, daß die Saarländer, die in Frankreich — also Wilhelm (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
in Lothringen — gearbeitet haben, die französischen und Herren! Ich möchte Ihre Zeit nicht lange in
Zeiten nach deutschem Recht durch eine sogenannte Anspruch nehmen. Nur eine kurze Klarstellung. Ich
Sonderleistung — man kann auch sagen: Fürsorge bedaure, daß Herr Kollege Becker zur Ablehnung
— gewertet bekommen. Dadurch sollen sie an die des Antrages erneut ein Argument vorgebracht hat,
deutschen Leistungen angepaßt werden. Es sollte das schon einige Dutzend Male im Laufe der letzten
den Arbeitnehmern der Saar, wie wir damals sag- Jahre entkräftet wurde, nämlich das Argument der
ten, der Besitzstand gewahrt werden. vergleichbaren Grenzgänger in Baden, in Schleswig-
Holstein und sonstwo.
Aber nicht nur an der Saar, sondern auch in vie-
len anderen Gebieten unseres deutschen Vaterlan- (Abg. Becker: In Rheinland-Pfalz!)
des, insbesondere in Grenzgebieten, hat es immer
Es ist durch die Darstellung entkräftet worden, die
Menschen gegeben — unterschiedlich in der
vorhin sowohl Herr Kollege Hussong als auch Herr
Zahl —, die im fremden Land Arbeit und Brot ge-
Kollege Klein im Hinblick auf die historische Ent-
sucht und gefunden haben. Ich komme aus dem
wicklung gegeben haben. Es gibt kein Gebiet in
Grenzland-Wahlkreis Pirmasens-Zweibrücken-Berg-
Deutschland, das ein so wechselvolles staatsrecht-
zabern. Bei uns waren das bis 1914 vielleicht ein
liches Schicksal wie die Saar hatte. Das soll man doch
paar hundert Menschen. Nach 1917, in den 20er Jah-
endlich einmal zur Kenntnis nehmen, wenn solche
ren — die älteren wissen es noch —, in der soge-
Fragen hier zur Diskussion stehen.
nannten Cuno-Zeit, als bei uns Tausende von Men-
schen arbeitslos waren, haben die Menschen drüben (Beifall bei der SPD.)
im Elsaß und in Lothringen Arbeit und Brot gesucht
und sind zum großen Teil mit ihren Familien vor- Man sollte nicht immer die Diskussion von vorn an-
übergehend nach drüben verzogen. Diesen Men- fangen, als habe es keinen Versailler Friedensver-
schen würde dann das gleiche Recht zustehen. Ihre trag mit seinen Auswirkungen auf die Saar gege-
französische Arbeitszeit wird nach französischem ben, als habe es das Jahr 1871 nicht gegeben im
Recht bewertet, und sie werden von der französi- Hinblick auf das Schicksal Elsaß-Lothringens, als
schen Sozialversicherung bezahlt. Das gilt auch für habe es die ganze Entwicklung und die Folgen des
alle anderen in den übrigen Grenzgebieten. Ich zweiten Weltkrieges nicht gegeben. Es kommt
nenne nur diejenigen, die von Nordrhein-Westfalen einem manchmal fast so vor, als hätten nur die
nach Holland in die Provinz Limburg als Bergleute Saarländer den ersten und den zweiten Weltkrieg
gegangen sind, nach Belgien oder nach Luxemburg. verloren
All diese Menschen bekommen ihre Rente für die (Rufe von der Mitte: Au! Au!)
Zeit, die sie drüben gearbeitet haben, nach dem
und als hätten sie ihr staatsrechtliches Schicksal
Recht des jeweiligen Landes. Wenn wir es anders selber verschuldet,
machten, dann würden wir die zwischenstaatlichen
Vereinbarungen, die wir abgeschlossen haben, er- (Beifall bei der SPD. — Unruhe in der Mitte.)
schweren.
Sie mögen abwehren. Aber man hat oft den Ein-
Gerade die Grenzlandabgeordneten werden im- druck, —
mer mit den Schwierigkeiten auf diesem Gebiet
konfrontiert. Es vergeht fast keine Woche, in der (Abg. Stingl: Also tiefer geht's nimmer!)
nicht irgendein Arbeiter von damals, der heute
Dieser Personenkreis ist doch letzten Endes wieder
längst Rentner geworden ist, zu mir kommt und
durch das politische Bekenntnis zu Deutschland in
sagt: Warum bekomme ich meine französischen
das Verhältnis des Grenzgängers gekommen. Hätten
Zeiten so gerechnet, und warum bekommt sie der
sie sich bei der Volksbefragung am 23. Oktober 1955
Kollege, der drüben im Saarland wohnt, so gerech-
anders entschieden, hätte für sie dieses Problem nie
net? Das ist kein Neidkomplex. Aber man muß ja
zur Diskussion gestanden.
mit diesen Dingen fertig werden.
(Zustimmung bei der SPD.)
Ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen. Wir
sollten uns einmal alle miteinander Gedanken dar- Ihr politisches Bekenntnis zu Deutschland mit der
über machen, wie wir allen diesen Leuten helfen Folge der politischen und wirtschaftlichen Einglie-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4703
Wilhelm
derung 1957 und 1959 soll sie jetzt schlechter stellen, Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) : Herr Präsident!
als es sonst der Fall gewesen wäre. Meine Damen und meine Herren! Ich glaube, in die-
sem Jahre haben wir es leichter, das Haus zu der
(Erneute Zustimmung bei der SPD. — An Einsicht zu bewegen, daß nun endlich beim Sechsten
haltende Unruhe in der Mitte.) Rentenanpassungsgesetz auch die rund 2 Millionen
Das wäre eine Bestrafung für ein Bekenntnis zu Rentner berücksichtigt werden müssen, die seiner-
Deutschland. zeit bei der Rentenreform 1957 den Sonderzuschuß
von 21 DM bzw. 14 DM für die Witwen bekommen
(Abg. Stingl: Warum reden wir überhaupt haben. Wir haben in den letzten Wochen und Tagen
darüber? Doch weil es dort geringere Ren Ausführungen gehört, aus denen hervorgeht, daß
ten gibt!) man jetzt eine gezieltere Sozialpolitik betreiben
Darüber hinaus war es das Ziel des saarländi- müsse, daß man zuerst und insbesondere den Krei-
schen Gesetzes Nr. 345, diesen Personenkreis denen sen sozialpolitisch helfen müsse, die es am not-
gleichzustellen, die im Inland gearbeitet haben. Das wendigsten haben. Hier haben wir einen solchen
würde jetzt leider nicht mehr geschehen. hervorstechenden Fall, bei dem es darum geht, den
Menschen zu helfen, denen dringend geholfen wer-
Abschließend noch eine Bemerkung! Im Beamten- den muß, nämlich den 2 Millionen Menschen, die
recht spricht man von wohlerworbenen Rechten. sogenannte Kleinstrenter sind, die also einen Ren-
Wenn es wohlerworbene Rechte gibt, dann haben tenbetrag von 100 bis 150 DM im ganzen Monat —
diese sogenannten Grenzgänger, um die es hier man überlege sich diese Zahl! - haben und größ-
geht, seit Jahrzehnten ihre Rechte wohlerworben. tenteils davon „leben" müssen. Hier können Sie
Ich bitte, das bei Ihrer Abstimmung zu berück- jetzt also Ihre in den letzten Wochen im Zusam-
sichtigen. menhang mit der Kriegsopferversorgung erwähnte
(Beifall bei der SPD.) gezielte sozialpolitische Leistung anbringen, indem
Sie diese Sonderbeträge endlich beim Sechsten Ren-
tenanpassungsgesetz mit anpassen. Die Renten-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
erhöhung würde ganze 80 Pfennig im Monat für
Abgeordnete Klein.
die Menschen betragen, die eine Rente von 100 DM
im Monat haben. Sie würden also eine jährliche
Klein (Saarbrücken) (CDU/CSU) : Herr Präsident! Rentenerhöhung von 10 DM im Durchschnitt erhal-
Meine Damen und Herren! Ich will nur noch zwei ten. Um diese kleinen Beträge haben Sie um des
Sätze sagen. Zunächst möchte ich eine Behauptung Schlagwortes willen, möchte ich sagen, der „Lohn-
aufstellen, und zwar die Behauptung, daß es an bezogenheit" gerade diejenigen Rentner geschädigt,
keiner Grenze des ehemaligen Deutschen Reiches denen doch nach Ihrer Ansicht, die Sie draußen
einen Parallelfall Saar gibt. Dann möchte ich be- vertreten haben, geholfen werden muß.
merken, daß sogar die Weimarer Republik, ohne
Ich habe schon bei den verschiedensten Gelegen-
daß gesetzliche Grundlagen dafür vorhanden waren,
heiten der Verabschiedung der Rentenanpassungs-
diesen Rentnern damals geholfen hat. Ich erinnere
gesetze Ausführungen vom Grundsätzlichen her ge-
nur an die Heidelberger Abrede im Jahre 1927.
macht. Ich möchte es mir in diesem Jahre ersparen,
Man gab jedem Rentner ohne Rechtsgrundlage, ohne
mich insbesondere mit dem Argument auseinander-
daß besondere Gesetze an der Saar dieserhalb be--
zusetzen, das Sie bei den Ausschußberatungen, ich
standen hätten, Zuschüsse. Man hat also Einsicht möchte sagen, lapidar vorgetragen haben, ohne es
gehabt, ohne daß man dazu verpflichtet gewesen
exakt zu beweisen, und das im Bericht wiederkehrt:
wäre. daß dieser Teil seinerzeit nicht „lohnbezogen" war.
(Zurufe von der CDU/CSU und von der Ich könnte Ihnen eine ganze Fülle von Beispielen
SPD.) dafür anführen — ich habe es im Ausschuß und
auch hier bei früheren Ausführungen zu diesem
Thema getan —, daß die Rentenreform des Jahres
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- 1957, von der 6,5 Millionen Rentner erfaßt waren,
dungen liegen nicht vor. eine erhebliche Verzerrung des Rentengefüges mit
Ich komme zur Abstimmung. Wir stimmen ab sich gebracht hat.
über den Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 1 Ich habe im Ausschuß beispielsweise den Fall der
und gleichzeitig über den gleichlautenden Ände-
beiden Schwestern aus Bad Nauheim angeführt, die
rungsantrag Umdruck 373 Ziffer 1. Wer für diese vor der Rentenreform die gleiche Rente, nämlich
gleichlautenden Anträge ist, der gebe das Hand-
genau 144 DM, erhielten. Die Rentnerin, die mehr
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Erstes
Beiträge bezahlt hat — das würde also der Lohn-
war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
bezogenheit gleichkommen —, hat bei der pau-
Wir stimmen nunmehr ab über Art. I §§ 1 bis 4 schalen Umstellung im Jahre 1957 ihre Rente von
einschließlich. Wer zustimmen will, gebe das Hand- 144 DM behalten, während die Rente ihrer Schwester
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Acht auf 210 DM aufgestockt wurde. Diese beiden zu-
Enthaltungen, vier Gegenstimmen; angenommen. sammenlebenden Menschen kommen also immer
weiter auseinander.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 364
Ziffer 2. Wer begründet ihn? - Das Wort hat der Bitte, nehmen wir wirklich einmal das Argument
Abgeordnete Meyer. der exakten Lohnbezogenheit. Man soll aber doch
4704 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Meyer (Wanne-Eickel)
nicht auf Prinzipien herumreiten, sondern soll den haben und uns deshalb bewegen könnten, Ihrem
Menschen sehen, auch diesen Kleinstrentner, dem Antrag zuzustimmen.
man wirklich einmal helfen müßte, statt ihn in
(Abg. Geiger: Sie sind aus Grundsatz un
seinem Rentenbezug immer weiter zurückzustoßen.
einsichtig, Herr Kollege, Sie wollen nicht!)
Ich könnte auch noch einmal das Beispiel der — Was wir wollen, das werde ich Ihnen jetzt genau
Witwenrenten anführen. Wenn sich eine wirkliche sagen, Herr Kollege Geiger.
Lohnbezogenheit der Rentenreform abzeichnete,
Herr Kollege Meyer, auch Ihr jedes Jahr wieder-
müßten alle Witwen, wie wir es beschlossen haben,
kehrendes Beispiel von den beiden Schwestern, die
60% bekommen. Sie wissen aber — und soweit ich ursprünglich beide 144 Mark Rente hatten, von de-
aus der Presse entnommen habe, sind Sie selbst
nen nach der Rentenreform die eine nur 160 DM, die
jetzt, nachdem wir seit Jahren bohren, dabei, dies
andere aber 220 DM bekam, zieht nicht mehr. Die-
zu ändern —, daß die Frauen, die nach 1957 durch ses Beispiel hat mit dem eigentlichen Problem Ihres
den Todesfall ihres Ehegatten Rentnerinnen gewor- heutigen Antrags überhaupt nichts zu tun.
den sind, höchstens 35 %, aber keine 60 % der Rente
bekommen, wie wir es im Gesetz beschlossen haben. (Abg. Dr. Schellenberg: Es ist aber richtig!)
Von einer exakten Lohnbezogenheit kann also auch — Es hat nichts mit dem Problem der Einbeziehung
hier keine Rede sein. Deshalb entfällt dieses Argu- des Sonderzuschusses in die Anpassung zu tun. Es
ment wirklich! sind ja auch nicht wir, die jedes Jahr diese doch
einfach hoffnungslose Frage zur Diskussion stellen.
Wenn wir uns mit diesem Thema weiter ausein-
andersetzten, würden wir die Frage zu beantworten Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-
haben: wie ist denn dieser Sonderzuschuß eigent- tion, haben es mit einer beinahe beneidenswerten
lich entstanden? Da gibt es nur eine Antwort. Sie ist Findigkeit fertiggebracht, Jahr für Jahr eine andere
aus der Wahlsituation des Jahres 1957 entstanden. Definition des rechtlichen bzw. sozialpolitischen
Weil Sie 2 Millionen Rentner nicht leer ausgehen Charakters des Sonderzuschusses vorzutragen. Im
lassen wollten, haben Sie diesen Sonderzuschuß Jahre 1961 meinte der Sprecher Ihrer Fraktion —
erfunden, haben ihn gewährt und haben einige hun- es war ebenfalls der Kollege Meyer —, dieser Son-
dert Millionen D-Mark dafür ausgegeben. Nun sind derzuschuß sei ein echter Rentenbestandteil, der als
Sie nicht bereit, diese Menschen in die Anpassung solcher eo ipso in die Anpassung einbezogen wer-
einzubeziehen, obwohl es kein beweiskräftiges Ar- den müsse. Im letzten Jahr hat Herr Kollege Meyer
gument gibt, sie auszuschließen. seine Definition geändert und davon gesprochen,
daß es sich um einen Teuerungszuschlag handle, der
Bei den Beratungen hat es sogar noch eine Sonder- entsprechend dem Anstieg der Lebenshaltungsko-
betrachtung gegeben, die ich hier aber nicht vertiefen sten dynamisiert werden müsse.
möchte und mit deren Anführung ich Sie sogar in (Abg. Meyer [Wanne-Eickel] : Ich habe die
eine arge Verlegenheit bringen würde. Nach dieser Frageform gebraucht! Ich habe gefragt, ob
Auffassung sollte der Sonderbeitrag insgesamt ab- es ein Teuerungszuschlag ist!)
gesetzt werden, bevor der übrige Teil der Rente
angepaßt wird, also auch bei den Rentnern, bei Sie, Frau Kollegin Korspeter, haben uns im letzten
denen nur fünf, sechs oder gar nur eine Mark in - Jahr zugerufen, dieser Sonderzuschuß sei ein Wahl-
dem Sonderbeitrag stecken. Das Thema erweitert zuschuß.
sich bei der Vergleichsrente sogar noch, und diese (Abg. Dr. Schellenberg: War er auch!)
Beträge werden noch höher; aber alles das möchte — Na, dann haben Sie aber sehr gründlich dabei
ich mir heute wirklich schenken. Ich möchte Sie nur mitgewirkt, denn auch Sie haben einstimmig diesen
an Ihre sozialpolitischen Verlautbarungen der letz- Sonderzuschuß befürwortet.
ten Tage erinnern, nicht 2 Millionen Menschen —
Kleinstrentner — auszuschließen, die gerade auf (Zurufe von der SPD.)
diese geringen Beträge der Anpassung angewiesen Er hat aber mit einer Wahl oder dem Charakter
sind. eines Wahlzuschusses wahrhaftig nichts zu tun.
Deshalb hoffe ich, daß der Antrag in diesem (Abg. Killat: Wir wollen das jedes . Jahr
Jahre einstimmig durchgeht und daß auch der Son- wiederholen!)
derzuschuß in die Anpassung einbezogen wird. — Ich wiederhole dann auch unseren Standpunkt.
Wenn man nachträglich die Niederschrift über die
(Beifall bei der SPD.) letztjährige Sitzung liest, muß man sagen, daß es
nicht passend war, gerade in diesem Zusammenhang
von einem Wahlgeschenk zu sprechen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Gaßmann. Es geht uns — um das von vornherein klarzu-
stellen — wahrhaftig nicht darum, den Rentnern die-
sen Anpassungsteil vorzuenthalten, der bei den
Gaßmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Hinterbliebenenrenten bis zu 1,10 oder 1,15 DM
Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege ansteigen und der bei den Versichertenrenten bis
Meyer, leider muß ich Sie auch in diesem Jahr ent- zu 2,90 DM monatlich betragen kann. Es geht uns
täuschen und Ihnen sagen, daß auch Ihre heutigen nicht darum, den armen Rentnern diesen kleinen
Ausführungen meine Freunde keinesfalls überzeugt Betrag vorzuenthalten, sondern es geht uns darum,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4705
Gaßmann
konsequent zu unterscheiden, was von dem Gesamt- Es ist einer der Grundsätze des Gesetzes. Wo kä-
zahlbetrag eigentliche Rente ist und was aus sozia- men wir hin, wenn wir nun einen Grundsatz um
len Erwägungen zusätzlich hinzugefügt wurde. den anderen aufgäben!
Wenn ich Ihre jahrelangen Bemühungen um im-
mer neue Definitionen über den Charakter dieses Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Sonderzuschusses rückblickend betrachte, dann wun- Zwischenfrage?
dere ich mich nur, daß Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, die geradezu klassische Defi- Gaßmann (CDU/CSU) : Bitte.
nition der Frau Kollegin Korspeter so völlig
vergessen zu haben scheinen. Diese Definition Börner (SPD) : Herr Kollege Gaßmann, darf ich
stammt aus der zweiten Beratung des Arbeiter- Sie fragen, ob das Brot und das Fleisch für die
rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Jahr Rentner mit Sonderzuschuß billiger sind.
1957. Es ging damals um den Art. 2 § 36 des Ge-
setzes, aber gar nicht um den unsere jetzige Frage
berührenden entscheidenden Absatz 2, der besagt, Gaßmann (CDU/CSU) : Darauf bin ich vorhin
daß der § 1272 RVO, der die Anpassung regelt, auf schon eingegangen.
den Sonderzuschuß keine Anwendung findet. Diese (Abg. Wehner: Die sollen weniger essen!)
Bestimmung, die ich eben genannt habe, haben Sie, Ich sagte, es geht uns nicht um die 1,10 DM und
meine Damen und Herren von der Opposition, da- nicht um die 2,90 DM, sondern es geht uns um den
mals gar nicht beanstandet; Sie haben dazu gar Grundsatz,
keinÄdrugsatel,ondrSiwa
damals mit uns der Auffassung, daß die Sonderzu- (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Wehner:
schüsse überhaupt nicht anpassungsfähig sind. Für Urns Prinzip!)
Sie ging es damals um den Abs. 3 des § 36 des um den Grundsatz, daß Rententeile dynamisiert
Art. 2, zu dem Sie — ich anerkenne das — im Inter- werden und daß das, was nicht zur Rente gehört —
esse der Renten-Versicherungsträger forderten, daß ich komme darauf nachher noch einmal zurück —,
der Bund die Aufwendungen für den Sonderzuschuß aus der Anpassung herausgelassen wird.
voll erstatte und nicht nur mit einem Teilbetrag, der
damals im Gesetz auf 320 Millionen DM festgesetzt (Abg. Wehner: Sie sind ein Prinzipienreiter,
worden ist. Diesen Antrag haben Sie, verehrte Frau aber ein Reiter immerhin! — Weitere
Kollegin Korspeter, begründet. Ich erbitte die Ge- Zurufe von der SPD.)
nehmigung des Herrn Präsidenten, zu zitieren, was — Auf eine so unsachliche Bemerkung, Herr Weh-
Sie in der Sitzung vom 18. Januar 1957 — Sie kön- ner, gehe ich überhaupt nicht ein.
nen das auf Seite 10453 des Sitzungsberichts nach- Daß es sich hier nur um einen sozialpolitischen
lesen — gesagt haben. Sie erklärten damals — — Titel handelt, wie Sie, Frau Korspeter, es erklärt
(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Kollege Gaß haben, war damals nicht nur Ihre Auffassung, son-
mann, wollen Sie nicht sozialpolitisch Stel dern das war die Auffassung der gesamten Oppo-
lung nehmen?) sition, und es war auch die Auffassung meiner poli-
— Doch, natürlich! Das gehört genau zur Sozial- tischen Freunde. Der Unterschied zwischen uns und
politik. -
Ihnen ist nur der, daß wir unserer Auffassung über
(Abg. Dr. Schellenberg: Na, na!) den echten rechtlichen Tatbestand treu geblieben
sind, während Sie das in den letzten Jahren nicht
Denn mit dieser Frage haben wir uns und hat sich mehr wahrhaben wollten. Vielleicht sind es —
der Sozialpolitische Ausschuß damals sehr ein- nachdem Sie, Frau Korspeter, uns im letzten Jahr
gehend befaßt. ein solches unterstellt haben, darf auch ich das
Sie haben, Frau Kollegin Korspeter — passen Sie zweifellos hier ruhig sagen — nun bei Ihnen wahl-
genau auf! —, zur Definition eben dieses Sonder- taktische Überlegungen, die Sie zu Ihrem Gesin-
zuschusses wörtlich erklärt: nungswandel veranlaßt haben. Ich werde es mir
deshalb versagen, auf all die gefühlsbetonten Mo-
Da nach der vom Sozialpolitischen Ausschuß er- mente, die mein verehrter Herr Vorredner Kollege
arbeiteten Fassung dieser Sonderzuschuß sowie- Meyer angeführt hat, jetzt einzugehen, und mich nur
so nicht versicherungstechnisch begründet wer- noch mit der ganz eindeutigen Rechtslage befassen.
den kann, sondern aus sozialen Gründen gege-
ben wird, schlagen wir vor, daß die Aufwen- (Abg. Börner: Das sind sozialpolitische
dungen für den Sonderzuschuß in voller Höhe Realitäten, aber keine Gefühle, Herr Gaß
vom Bund erstattet werden. mann!)
Sie haben damals ganz einwandfrei unsere Meinung — Nein! In dieser Frage kann man keine Gefühls-
geteilt, daß es sich hier nicht um einen Rententeil, duselei betreiben; in dieser Frage muß man kon-
sondern um einen aus sozialpolitischen Erwägungen sequent bleiben.
eingefügten Zuschuß handelt. (Erneute Zurufe von der SPD.)
(Abg. Frau Korspeter: Den muß man jetzt
auch anpassen!) Ich sagte, daß ich mich mit der Rechtslage befas-
sen möchte. Ich will als erstes dazu sagen, daß Ihr
— Nein, den muß man eben nicht anpassen. Antrag, der hier vorliegt und über den jetzt abge-
(Abg. Frau Korspeter: Aber natürlich!) stimmt werden soll, nämlich in Art. I § 5 Abs. 1
4706 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Gaßmann
des Sechsten Rentenanpassungsgesetzentwurfs die nicht erwarten konnten, nicht leer ausgehen zu las-
Worte „den Sonderzuschuß und" zu streichen, sen.
rechtspolitisch ja doch nur deklaratorische Bedeu-
tung hätte, daß er, selbst wenn er angenommen Seine Einbeziehung in die Rentenanpassung durch
würde, keinerlei rechtliche Wirkung haben würde; das Sechste Rentenanpassungsgesetz stünde zu dem
denn es bliebe ja immer noch das primäre Recht des System dieses Gesetzes, nach dem ausschließlich
Art. 2 ,§ 36 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs- Renten Gegentand der Anpassung sind, im Wider-
Neuregelungsgesetzes bestehen, der eine Anpas- spruch. Die Anpassung der Renten erfolgt nach § 1
sung der Sonderzuschüsse ausdrücklich verbietet. des heute zur Beschlußfassung anstehenden Renten-
anpassungsgesetzes „aus Anlaß der Veränderung
(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.) der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr
— Herr Professor Schellenberg, vielleicht haben Sie 1963." Der Sonderzuschuß wird von Anfang an un-
das vergessen. Wenn Sie also die Absicht haben, abhängig von der allgemeinen Bemessungsgrund-
im nächsten Jahr mit demselben, allerdings hoff- lage — da beziehe ich mich auf diesen § 1 — und
nungslosen Anliegen wieder zu kommen, empfehle unabhängig von ihren Veränderungen gewährt. Er
ich Ihnen, doch zu beachten, daß Sie zwei Anträge hat zu der Bemessungsgrundlage überhaupt keine
stellen müssen, nämlich einmal, die Bestimmung in innere Beziehung. Seine Anpassung würde deshalb
Art. 2 § 36 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs- seiner Rechtsnatur als einer gleichbleibenden pau-
Neuregelungsgesetzes — dasselbe gilt natürlich für schal gewährten Leistung, die nicht an der allgemei-
das Angestelltenversicherungsgesetz; dort ist es der nen Bemessungsgrundlage orientiert ist, widerspre-
§ 35 Abs. 2 — zu streichen, und zum zweiten, die chen.
drei Worte „den Sonderausschuß und" zu streichen. Personen, die Renten nach dem alten Recht be-
Nur dann hat es überhaupt einen Sinn, sich über ziehen und deshalb einen Sonderzuschuß erhalten,
Ihren Antrag zu unterhalten. sind heute noch gegenüber Personen, denen ein
(Zuruf des Abg. Wehner.) Sonderzuschuß nicht gewährt wird, weil ihre — mag
sein: auch niedrigen — Renten nach neuem Recht
— Ich glaube, wenn es um die Paragraphenreiterei berechnet sind, insoweit begünstigt, als sie all-
geht, können sich die Sozialpolitiker wahrhaftig monatlich zu ihren Renten einen zusätzlichen Betrag
sehen lassen im Vergleich zu dem, was Sie uns als erhalten, ohne daß diesem Versicherungszeiten,
Paragraphenreiterei immer wieder vorexerziert ha- Ausfallzeiten oder Zurechnungszeiten zugrunde lie-
ben, Herr Wehner. gen. Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, Per-
(Zurufe von der SPD.) sonen, die bereits seit Jahren durch den Sonder-
zuschuß begünstigt sind, in noch größerem Umfange
Vizepräsident Dr. Schmid: Ohne in Gefühls- gegenüber den Personen, die nach neuem Recht be-
duselei verfallen zu wollen, Herr Gaßmann, mehr handelt werden und einen Sonderzuschuß nicht er-
Sanftmut, mehr Sanftmut, bitte. halten können, dadurch besserzustellen, daß der
Sonderzuschuß nach dem Sechsten Rentenanpas-
sungsgesetz im Zahlbetrag erhöht wird.
Gaßmann (CDU/CSU) : Ich will mich bemühen,
sanfter zu werden. Dies geht aber nur, wenn mich Da nun der Sonderzuschuß nicht im Wege einer
Herr Kollege Wehner nicht mit solchen unsachlichen versicherungsmäßigen Rentenberechnung ermittelt
Zwischenrufen, die wahrhaftig nichts mit Sozial- wurde, werden mit den Aufwendungen für diesen
politik zu tun haben, immer wieder unterbricht. Sonderzuschuß konsequenterweise die Versicherten
Der Sonderzuschuß wurde bisher — in Überein- nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil be-
stimmung mit dem von mir zitierten Art. 2 § 36 lastet. Für die Aufwendungen für den Sonderzuschuß
Abs. 2 — von allen Rentenanpassungen ausgenom- werden vom Bund im Jahre 1964 den Trägern der
men, und zwar mit gutem Recht. Seine Einbeziehung Rentenversicherung der Arbeiter und den Trägern
in der Rentenanpassung mit diesem Sechsten Ren- der Rentenversicherung der Angestellten annähernd
tenanpassungsgesetz würde daher in diesem Jahre 174 Millionen DM erstattet. 1957 waren es für beide
erstmalig erfolgen, und man würde damit von den Versicherungszweige noch 320 Millionen DM. Dieser
seit Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neu- Erstattungsbetrag ist gerade im Hinblick auf einen
regelungsgesetze durchgeführten Anpassungen ab- gleichbleibenden Sonderzuschuß festgesetzt worden,
weichen, da wir immer nur die Anpassung der Ren- der eben der Anpassung auf Grund der Rentenan-
ten selbst und nicht die Anpassung zusätzlicher passungsgesetze nicht unterliegt. Bei einer Anpas-
sozialpolitischer Elemente vorgeschrieben haben. sung auch des Sonderzuschusses müßten zusätzliche
Mittel dafür entweder vom Bund aufgebracht oder
Ich wiederhole: der Sonderzuschuß ist nun eben die Lasten auf die Versicherten abgewälzt werden.
nicht Bestandteil der Rente; er ist eine Sonder- Dabei handelt es sich immerhin um einen Betrag
leistung, und zwar eine, die bei der Beratung der von 30 Millionen DM. Auch dafür müßte dann im
Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze im Jahre Bundeshaushalt noch Deckung gesucht werden; denn
1956 nicht im Regierungsentwurf stand, sondern auf auch Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
Vorschlag des Sozialpolitischen Ausschusses gewis- sition, würden es sicher für einen schlechten Weg
sermaßen als eine besondere Vergünstigung des Ge- halten, die Versicherten dafür haftbar zu machen,
setzgebers in das Gesetzeswerk aufgenommen daß der Gesetzgeber im Jahre 1957 sozialpolitische
wurde, um solche Rentenempfänger, die auf Grund Elemente in die Rentenberechnung einbezogen hat.
der Umstellung eine Mindesterhöhung ihrer Rente Wir werden Ihnen auf diesem Weg nicht folgen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4707
Gaßmann
Deshalb bitte ich das Hohe Haus namens meiner Gaßmann (CDU/CSU) : Ich möchte erst diese
Fraktion, diesen SPD-Antrag abzulehnen. Darlegungen zu Ende führen; ich stehe nachher
gern zur Verfügung.
Gestatten Sie mir noch einige zusätzliche Aus-
führungen, da es sich hier auch um eine Finanzie- (Abg. Wehner: Bringen Sie ihn doch nicht
rungsfrage für die Rentenversicherung handelt. Ich aus dem Konzept!)
möchte einiges zu den Ausführungen sagen, die
— Er wird mich wirklich nicht aus dem Konzept
der Herr Abgeordnete Dr. Mommer heute morgen
bringen, auch wenn ich die Frage gleich beantwor-
in der Geschäftsordnungsdebatte gemacht hat. Dort
ten würde.
hat er namens seiner Fraktion allen Ernstes vor-
geschlagen, die Finanzierungslücke, die auf Grund Ich wiederhole: Die Mehraufwendungen, die den
des Zweiten Neuordnungsgesetzes für die Kriegs- Rentenversicherungsträgern durch das, was wir
opferversorgung entstehen würde, dadurch zu heute als Rentenanpassungsgesetz beschließen wer-
schließen, daß den deutschen Rentenversicherungs- den, entstehen, betragen immerhin eineinhalb Mil-
trägern von dem allgemeinen Bundeszuschuß zur liarden DM, und die Gesamt-Rentenausgaben der
Rentenversicherung ein Betrag von 1 Milliarde DM Rentenversicherung werden dadurch im Jahre 1964
vorenthalten wird. Dieser Betrag soll nicht, wie es auf etwa 23 Milliarden DM steigen. Ich nenne diese
seit Bestehen des Bundeszuschusses üblich war, in Zahlen, damit man hier weiß, um was für Größen-
bar zur Verfügung gestellt, sondern in langfristigen ordnungen es sich handelt. Der Vorschlag, den Herr
Bundesschuldbuchverschreibungen vergütet werden. Dr. Mommer heute morgen gemacht hat, — —

(Abg. Börner: Ist das kein Geld?) (Zuruf von der SPD: Herr Kollege, wir
sprechen doch vom Sonderzuschuß!)
Ich verkenne nicht, daß der für 1964 im Gesetz vor
— Ob es Ihnen gefällt oder nicht gefällt, das ist eine
geschriebene allgemeine Bundeszuschuß mit rund
— Herr Mommer hat den Betrag heute morgen ge- Sache für sich; aber diese Frage wurde heute mor-
nannt — 5,4 Milliarden DM — — gen angeschnitten, sie hängt zusammen mit der
Finanzlage der Rentenversicherung, sie hängt auch
(Abg. Dr. Schellenberg: Sprechen wir von zusammen mit Ihrem Antrag. Sie können die Bera-
der Rentenanpassung, oder worüber spre tung nur aufhalten, aber Sie können mich nicht zum
chen wir?) Schweigen bringen.
- wir reden von der Finanzierung der Rentenan- (Abg. Wehner: Das glaube ich auch; da gibt
passung. es nichts zum Abstellen!)
(Zuruf von der SPD: Vom Sonderzuschuß Aber das, was Herr Mommer heute vorgeschlagen
sprechen wir!) hat — meine Damen und Herren von der Opposition,
das sollten Sie sich doch genau anhören, denn es
— Natürlich hängt das damit zusammen. Da diese betrifft natürlich gerade auch Ihre Versicherten, die
Ausführungen heute morgen von Herrn Dr. Mom- in den Selbstverwaltungsorganen der Versiche-
mer gemacht worden sind, rungsträger doch mit 50 % vertreten sind —, würde
einem massiven, vom Bundesgesetzgeber auszu-
(Abg. Dr. Schellenberg: Wir sprechen we
- sprechenden Anlagezwang für die Rentenversiche-
der über den Bundeshaushalt noch über
rungsträger gleichkommen, wie man ihn wirklich
die Kriegsopferversorgung!)
nur im Dritten Reich, und das auch nur zum Ende
nehme ich für mich in Anspruch, jetzt auch darauf seiner wenig glorreichen Geschichte erlebt hat; es
zu antworten. würde einer, ich möchte sagen, fast völligen Ent-
mündigung der Selbstverwaltungsorgane bei den
(Abg. Wehner: Lange geschlafen!) Rentenversicherungsträgern gleichkommen und
zweifellos den heftigsten Protest auch der Versi-
Ich gebe also zu, daß diese 5,4 Milliarden DM ein chertenvertreter in diesen Organen auslösen, auch
sehr ansehnlicher Betrag im Rahmen des Bundes- wenn der Vorschlag von der SPD kommt.
haushalts sind, ein Betrag, der aber von den Ren-
tenversicherungsträgern zur Auszahlung der lau- Die Rentenversicherungsträger haben den Finan-
fenden Renten genauso benötigt wird wie der Be- zierungssorgen der Bundesregierung, die sie auch
trag, den man benötigen würde, wenn man Ihrem in den letzten Jahren gehabt hat, stets ein wohlwol-
Antrag und Ihrem Wunsch, auch die Sonderzu- lendes Interesse entgegengebracht. Die Bundesregie-
schüsse anzupassen, folgte. rung ließ sich in diesen Fragen in der Regel durch
die Bundesbank vertreten. Nur einige wenige Zah-
Die Mehraufwendungen der Rentenversicherungs- len! Allein im Jahre 1963 haben die Rentenversiche-
träger, die der Bundestag heute beschließen wird rungsträger auf freiwilliger Grundlage 300 Mil-
— und damit komme ich zu unserer Sache, nämlich lionen DM in Bundestiteln erworben. Bereits diese
dem Rentenanpassungsgesetz — — Übernahme von 300 Millionen DM in Bundestiteln
im Jahre 1963 hat einige Landesversicherungsanstal-
ten in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Es muß
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter, befürchtet werden, daß bei der zwangsweisen Anle-
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten gung des über dreifachen Betrages in Bundestiteln
Ritzel? im Jahre 1964 eine Reihe von Landesversicherungs-
4708 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Gaßmann
anstalten in Liquiditätsschwierigkeiten geraten Soweit flüssige Mittel zur Verfügung stehen, die
würden. nicht als Betriebsmittel benötigt werden, waren die
Versicherungsträger immer einsichtig genug, sie so
(Abg. Dr. Schellenberg: Sprechen Sie doch
anzulegen, daß auch der Bundesregierung geholfen
bitte endlich zum Antrag!)
ist. Ich sagte schon: allein im letzten Jahr haben
— Dazu habe ich schon gesprochen. Nachdem aber die Landesversicherungsanstalten über 300 Millio-
heute morgen außerhalb der reinen Geschäftsord- nen DM auf diese Weise zugunsten des Bundes fest-
nungsdebatte der Herr Dr. Mommer einen Sach- gelegt.
antrag gestellt hat, habe ich mir herausgenommen, (Abg. Killat meldet sich zum Wort.)
jetzt zu dieser Sache ebenfalls zu sprechen. — Bitte nachher; es hat ja keinen Sinn. Da Sie mir
das Recht streitig machen wollen, gerade zu der von
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine Herrn Dr. Mommer heute morgen aufgeworfenen
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel? Frage Stellung zu nehmen, mache ich es Ihnen strei-
tig, mich nun fortgesetzt wegen dieser Frage zu
Gaßmann (CDU/CSU) : Bitte sehr, Herr Ritzel. unterbrechen.
Weiter: Die Kassenüberschüsse der Versicherungs-
Ritzel (SPD): Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, träger werden voraussichtlich in den nächsten Jah-
wieviel die Bundesregierung in ihrem Haushalts- ren zurückgehen. Das ergibt sich aus dem Sozial-
planentwurf 1964 an Überlassung von Schuldtiteln bericht, der uns heute zur Debatte vorgelegt worden
an die Rentenversicherungsträger selbst vorgesehen ist. Andererseits werden die Rentenausgaben in den
hat? nächsten Jahren ansteigen. Wahrscheinlich werden
wir am 1. Januar 1965 nicht eine Rentenanpassung
Gaßmann (CDU/CSU) : Ja, das ist mir wohl be- von 8,2 %, sondern eine solche von 9,4 % haben,
und bei dieser Entwicklung ist unter Umständen mit
kannt. Sie hat 500 Millionen DM vorgesehen.
defizitären Bilanzen in der Rentenversicherung zu
rechnen. Das vorhandene Vermögen müßte dann zu-
Ritzel (SPD) : Schön. — Darf ich weiter fragen, mindest bei einigen Landesversicherungsanstalten
über wieviel flüssiges, anlagesuchendes Kapital die angegriffen werden. Auf diese Weise entstehen ern-
Rentenversicherungsträger zur Zeit verfügen. ste Schwierigkeiten, da es sich bei allen diesen Wer-
ten um länger gebundene Vermögensanlagen han-
Gaßmann (CDU/CSU) : An flüssigem Kapital delt.
stehen den Rentenversicherungsträgern nur die Be- Die Träger der Arbeiterrenten- und der Ange-
triebsmittel zur Verfügung. Alles andere ist nach stelltenversicherung werden 1964 Kassenüberschüsse
den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung in Höhe von etwa 1 Milliarde DM erzielen. So die
angelegt, und wenn Sie den Betrag wissen wollen, Vorausberechnungen. Die Versicherungsanstalten
so kann ich Ihnen auch diesen sagen: das, was an müssen also, wenn dem Vorschlag des Herrn Dr.
Anlagen vorhanden ist, beträgt in der Arbeiterren- Mommer gefolgt wird, ihren gesamten Überschuß
ten- und in der Angestelltenversicherung zusammen in voller Höhe in Bundestiteln anlegen.
etwa 19 Milliarden DM. Aber diese 19 Milliarden (Abg. Dr. Schellenberg: Das glauben Sie
sind zum Teil recht langfristig angelegt. doch selber nicht!)
— Ich bin davon überzeugt;
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Frage!
(Abg. Wehner: Das sieht man Ihnen auch an!)
Ritzel (SPD) : Sie haben überhört, Herr Kollege, denn wenn 1 Milliarde verfügbaren Bundeszuschus-
daß ich Sie gebeten habe, mir auf die Frage zu ses plötzlich wegfällt, der nämlich in Bundestiteln ge-
antworten, wieviel anlagesuchendes, flüssiges Kapi- geben wird, dann geht die Milliarde, die als Einnah-
tal zur Zeit bei den Rentenversicherungsträgern vor- meüberschuß dableibt, restlos in diesen Anlagen auf.
handen ist. Dann ist es aber auch vorbei mit irgendwelchen
Maßnahmen, die bisher von den Landesversiche-
rungsanstalten und der Bundesversicherungsanstalt
Gaßmann (CDU/CSU) : Ich möchte Ihnen sagen: für Angestellte in großzügiger Weise zur Förderung
so gut wie keines. des sozialen Wohnungsbaus getroffen worden sind,
dann ist es vorbei mit der Darlehensgewährung für
Ritzel (SPD) : Dann will ich es Ihnen sagen: den Neubau von Krankenanstalten, mit Darlehen an
2 Milliarden DM. Gemeinden zur Finanzierung der Wasserversor-
gung, der Abwässerbeseitigung, der Maßnahmen zur
Gaßmann (CDU/CSU) : Das ist also noch eben Reinhaltung der Luft, dann ist es aus mit Darlehen
genau der Betrag, den die Rentenversicherungsträger an die Deutsche Bundesbahn und an die Deutsche
etwa monatlich für eine Rentenzahlung und sonstige Bundespost.
Aufgaben benötigen. Hier handelt es sich um Be- Dann bedenken Sie bitte weiter, daß die Renten-
triebsmittel, über die in diesem Zusammenhang, versicherungsträger bereits jetzt Schuldbuchforde-
wenn es sich um Kapitalvermögen handelt, nicht rungen in Höhe von annähernd 3 Milliarden DM in
gesprochen werden kann. ihrem Portefeuille haben. Sie haben darüber hinaus
(Beifall bei der CDU/CSU.) Anleihen der Bundesbahn und der Bundespost sowie
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4709
Gaßmann
Kommunalobligationen in Höhe von 1 1/2 Milliarden — Das hat mit den Kriegsopfern nichts zu tun. Herr
DM übernommen, zusammen also etwa 4 1/2 Milliar- Dr. Mommer, ich habe im Gegenteil die Hoffnung
den DM, und haben damit mehr als ein Fünftel ihres und den Wunsch, daß der Haushaltsausschuß, der
Vermögens ausschließlich in Titeln öffentlich-recht- die Neuregelung der Kriegsopferversorgung zu be-
licher Körperschaften und Organisationen angelegt. handeln haben wird, andere und, wie ich meine,
Die Rücklagen und die Kassenüberschüsse der Ren- bessere Wege finden wird, um den Kriegsopfern zu
tenversicherungsträger — das haben Sie von der ihrem Recht zu verhelfen, das ich ihnen von ganzem
Opositnfrühelbaugt,Siwoens Herzen gönne und wünsche. Ich hoffe aber auch, daß
heute nur nicht mehr wahrhaben — sind eben nicht der Kriegsopferausschuß nicht den von Herrn Dr.
dazu da, um für andere Zwecke verwendet zu wer- Mommer empfohlenen, allzu einfachen, um nicht zu
den als für die Sicherung der Rentenzahlung. Man sagen, primitiven Weg geht, der bei dieser so
würde ein schlechtes Beispiel geben, wenn man bei heiklen und einschneidenden Frage wahrhaftig nicht
jeder anderen Gelegenheit etwa wieder denselben der Weisheit letzter Schluß sein kann.
Weg ginge und zu allem Überschüsse der Landes- (Abg. Börner: Wer schnell gibt, gibt doppelt!)
versicherungsanstalten und der Bundesversiche-
rungsanstalt verwenden wollte. Ich bin bereit, noch die von mir abgewiesene Frage
zu beantworten. Sie wird, wie ich sehe, nicht mehr
Der Bundesregierung sind alle diese Momente, die gestellt. •
ich soeben vorgetragen habe, genau bekannt. Sie (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Börner:
weiß auch, daß sie den Rentenversicherungsträgern Weiterreden! Sie waren so überzeugend!)
Liquiditätshilfe leisten müßte; sie müßte also Bun-
desschuldbuchforderungen vorzeitig zurückbezahlen,
wenn einige Rentenversicherungsträger in Schwie- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
rigkeiten kämen. Deshalb, Herr Kollege Ritzel, hat Abgeordnete Geiger.
die Bundesregierung im Haushaltsgesetz 1964 vor-
gesehen, einen Teilbetrag des allgemeinen Bundes- Geiger (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
zuschusses in Höhe von 500 Millionen DM durch Zu- ehrten Damen und Herren! Wohl selten ist die Ab-
teilung von Schuldbuchforderungen gegen den Bund lehnung einer guten Sache mit so vielen Worten
an die Rentenversicherungsträger zu entrichten und begründet worden, wie das Herr Kollege Gaßmann
sich bzw. den Bundesfinanzminister ermächtigen zu heute nachmittag im Auftrag der CDU/CSU getan
lassen, darüber mit den Rentenversicherungsträgern hat. Ich hätte gewünscht, daß alle Rentnerinnen und
zu verhandeln und Vereinbarungen über diesen Be- Rentner, die einen Sonderzuschuß von 14 bzw.
trag von etwa 10 % des gesamten Bundeszuschusses, 21 DM zu ihrer Rente erhalten, einmal gehört hät-
also von 500 Millionen DM zu treffen. Die Bundes- ten, daß Sie gerade deren Los zum Anlaß nehmen,
regierung will also einen an sich möglichen Anlage- hier über etwas ganz anderes zu sprechen als über
zwang, wie er — ich habe es einleitend schon ge- das, um was es in der Sache wirklich gegangen ist.
sagt — in den Zeiten des „Dritten Reiches" möglich
war, vermeiden. Die verantwortlichen Männer im (Beifall bei der SPD.)
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ha- Herr Kollege Gaßmann, Sie haben sehr viel von
ben sich beim Verbandstag dieses Verbandes vor grundsätzlichen Erwägungen gesprochen und haben
vierzehn Tagen in Hannover für den Abschluß einer uns vorgehalten, wie unsere Definition des Zuschus-
solchen freiwilligen Vereinbarung eingesetzt. Sie ses von 21 oder 14 DM in den verschiedenen Jahren
haben dabei sehr erhebliche Schwierigkeiten zu gelautet hat. Sie hätten aber auch mit aller Deut-
überwinden gehabt, die nicht zuletzt auch von Ver- lichkeit sagen müssen und sagen können, daß schon
sichertenvertretern bei den Landesversicherungsan- bei der Rentenreform im Jahre 1957 wegen des für
stalten gemacht worden sind. diesen Personenkreis schlechten Ergebnisses Son-
(Abg. Ruf: Hört! Hört!) derzuschüsse in Höhe von 14 bzw. 21 DM gezahlt
werden mußten. Auch das hätten Sie einmal sagen
Nun sollen also die Verhandlungen über eine frei- und beachten sollen.
willige Vereinbarung über diese 500 Millionen DM Gerade dieser Personenkreis soll jetzt bei der Ge-
anlaufen, wie sie im Haushaltsgesetzentwurf, wohl
samtentwicklung der Einkommensverhältnisse, aber
in § 21, vorgesehen sind. Da hat uns Herr Dr. Mom-
auch bei der Gesamtentwicklung der Lebenshal-
mer heute morgen mit der Forderung von 1 Mil-
tungskosten und der Preisverhältnisse von einer
liarde DM einen Bärendienst erwiesen;
Rentenanpassung dieses geringen Betrages ausge-
(Abg. Ruf: Sehr gut!) nommen werden. Es scheint zu dem vom Herrn Bun-
desminister für Arbeit und Sozialordnung so oft ge-
denn damit wird es uns erheblich erschwert, priesenen neuen Stil in der Sozialpolitik zu gehö-
(Beifall bei der CDU/CSU) ren, daß Sie für die Rentenversicherung und die
Währungsstabilität immer dann die größte Gefahr
zu einer vernünftigen freiwilligen Regelung mit der sehen, wenn es darum geht, den Menschen, die der
Bundesregierung über die 500 Millionen DM zu sozialen Hilfe wirklich bedürfen, zu helfen.
kommen.
Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Wir Sozial-
(Abg. Dr. Mommer: Dank Ihrer Haltung demokraten folgen Ihnen in diesem Stil nicht. Für
gegenüber den Kriegsopfern ist die Gefahr uns handelt es sich um ein sozialpolitisches Anlie-
abgewendet!) gen für einen Personenkreis, der einer Hilfe bedarf.
4710 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode - 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Geiger
Über die gesetzestechnische Regelung können wir bei festzustellen ist, daß der Antrag Umdruck 364
uns noch auseinandersetzen. Hier geht es gerade Ziffer 4 gleichlautend ist mit dem Antrag Um-
darum, den Menschen zu helfen, die in der Land- druck 373.
wirtschaft tätig waren, die als Heimarbeiter tätig (Abg. Stingl: Sie sind leider nicht gleich
waren, die in ihrem Arbeitsleben schlechte Einkom- lautend!)
mensverhältnisse gehabt haben.
Wer begründet? — Das Wort hat der Abgeord-
Es läßt sich in keiner Weise begründen, daß durch nete Killat.
die Hereinnahme des Sonderzuschusses in die Ren-
tenanpassung die Finanzgrundlagen der Rentenver-
sicherung in Gefahr gebracht werden könnten. Killat (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Ich bitte, mir als Bericht-
Wenn Sie, sehr geehrter Herr Kollege Gaßmann,
erstatter zu gestatten, eine Berichtigung zu der Zu-
hier einige Sorgen der Rentenversicherung darlegen
sammenstellung in Drucksache IV/1731 vorzutragen.
wollten — ich hätte dafür Verständnis —, dann soll-
Auf Seite 7 in der rechten Spalte muß es unter
ten Sie als Verbandsvorsitzender dazu einen ande-
Nr. 2 a in der ersten Zeile heißen: „Als Geldleistung
ren Anlaß nehmen und nicht zu etwas völlig an-
im Sinne des Absatzes 1 . . ." statt „. . . § 1". Es
derem reden als zu dem, worum es geht. Das möchte
handelt sich um einen Druckfehler.
ich mit aller Deutlichkeit sagen.
Nach dem Höhenflug in die Finanzgestaltung der
Was soll man denn von den Maßhalteappellen
Rentenversicherungsträger und in die Anlage- und
halten, wenn sie immer und immer wieder an die-
Vermögensübersicht, den der Herr Kollege Gaßmann
sen Personenkreis gerichtet werden? Meine Damen
unternommen hat, will ich den Versuch machen, un-
und Herren von der CDU/CSU, bedenken Sie doch,
seren Antrag Umdruck 364 Ziffer 3 und — mit Ge-
daß für viele Rentner und erst recht für diesen Teil,
nehmigung des Herrn Präsidenten — Ziffern 5 und 7
der auf den Sonderzuschuß angewiesen ist, die Erhö-
nüchtern vorzutragen; sie sind sachgleich.
hung der Renten, die ab 1. Januar 1964 stattfinden
soll, einfach nicht mehr ausreicht, um die in den Unser Antrag bezweckt, daß auch die Unfall-
letzten Wochen und Monaten eingetretenen Preis- renten derjenigen angepaßt werden, deren Jahres-
erhöhungen aufzufangen, ganz zu schweigen von arbeitsverdienste nach dem Ortslohn berechnet sind.
einer Verbesserung des Lebensstandards dieser auf In Art. II § 1 des Gesetzes wird sinngemäß die Be-
eine Rente angewiesenen Personen. Selbst dann, gründung gegeben, wann in der Unfallversicherung
Herr Kollege Gaßmann und meine Damen und Her- die Renten angepaßt werden sollen. Sie lautet, daß
ren von der CDU/CSU, wenn wir jedes Jahr das alle auf den Jahresarbeitsverdienst abgestellten
gleiche Lied singen müssen, werden wir auf unsere Renten angepaßt werden müssen.
Forderung nach sozialer Gerechtigkeit für diese Men- Nun hat die Regierung vorgeschlagen — das er-
schen nicht verzichten. Wir müssen, wenn es uns gibt sich aus Abs. 2 —, daß von dieser Anpassung
auch schwerfällt, auch Ihr jährliches Nein zu dieser solche Unfallrenten ausgenommen werden sollen,
sozialpolitischen Forderung ertragen. Von der Be- bei denen der Jahresarbeitsverdienst nach dem Orts-
rechtigung unserer Forderung sind wir überzeugt, lohn berechnet ist. Es handelt sich hierbei um Un-
und erst recht sind es die Menschen draußen, die auf fallrenten, die der Natur der Sache nach auf der
eine solche Hilfe angewiesen sind. Basis geringerer Einkommen festgesetzt sind. Es
-
Ich möchte hoffen und wünschen, daß Sie in sich geht beispielsweise um mithelfende Familienange-
gehen und unserem Antrag zustimmen. hörige in der Landwirtschaft und um die Personen-
kreise, die von meinem Kollegen Geiger schon ge-
(Beifall bei der SPD.)
nannt worden sind, solche mit geringeren Bezügen,
Arbeiter und auch Angestellte, die vielleicht auch
Vizepräsident Dr. Schmid: Keine weiteren Teilzeitarbeit geleistet haben. Für diesen Personen-
Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Ab- kreis gilt § 575 RVO. Zur Sicherung einer Mindest-
stimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 364 leistung ist hier der Ortslohn als die Mindestgrenze
Ziffer 2 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. angegeben worden.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthal-
tung. Der Antrag ist abgelehnt. Bei dem jetzt von der Regierung vorgeschlagenen
Verfahren würden wir geradezu das Kuriosum er-
Wir stimmen nunmehr ab über Art. I §§ 5 bis 7. leben, daß die Renten von Unfallrentenbeziehern,
(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Präsident, ich deren Jahresarbeitsverdienste vielleicht gerade
bitte, über § 5 gesondert abstimmen zu noch an der Grenze der Mindestjahresarbeitsver-
lassen!) dienste liegen, noch angepaßt werden, während an-
— Dann stimmen wir zunächst über § 5 ab. Wer zu- dere, bei denen die Jahresarbeitsverdienste viel-
stimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! leicht nur geringfügig unter dieser Grenze liegen
- Enthaltungen? — Erstes war die Mehrheit; der und die nach § 575 den Mindestjahresarbeitsver-
Paragraph ist angenommen. dienst zugeschrieben erhielten, nicht angepaßt wür-
den. Man würde also eine Schutzmaßnahme, eine
Nun die §§ 6 und 7. Wer zustimmen will, gebe das zugunsten dieser Rentner eingefügte Klausel ge-
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — rade in das Gegenteil verkehren und diesen Per-
Einstimmige Annahme. sonenkreis in Zukunft von einer Anpassung aus-
Art. II. Zu § 1 sind drei Änderungsanträge gestellt, schließen. Das kann nicht der Sinn der gene-
Umdruck 364 Ziffern 3 und 4 und Umdruck 373, wo- rellen Vorschrift von § 579 sein, alle auf einen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4711
Killat
Jahresarbeitsverdienst abgestellten Unfallrenten an- Neufestsetzung vom 1. Januar 1964 an keine Ver-
zupassen. pflichtung zur Höherfestsetzung beinhaltet.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Ich darf also bitten, die Anträge Ziffern 3 und 5
letzte Erhöhung der Geldleistungen in der Unfall- des Umdrucks 364 abzulehnen und die Ziffer 7 anzu-
versicherung hinweisen, die 1960 vorgenommen nehmen.
wurde. Man hat damals bei der allgemeinen An- (Beifall bei der CDU/CSU.)
passung die auf Ortslöhnen aufgebauten Renten
durch Anhebung des Ortslohnes erhöht. In § 4 des Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
damaligen Umstellungsgesetzes für die Geldleistun- Abgeordnete Killat.
gen in der Unfallversicherung wurde vorgeschrie-
ben, daß die Ortslöhne mit Wirkung vom 1. Januar Killat (SPD) : Meine sehr geschätzten Damen und
1961 auf den Stand angehoben werden, der als orts- Herren! Ich begrüße es sehr, daß aus sozialpoliti-
üblich gilt. schen Erwägungen die Mehrheit unserem Antrag
Wir bitten Sie, für diesen Personenkreis in der in Ziffer 7 zustimmen wird. Wir sind dann bereit,
Unfallversicherung ebenfalls die Anpassung vorzu- auf eine Abstimmung über die Ziffern 3 und 5 zu
nehmen, und schlagen Ihnen deshalb auf Umdruck verzichten und ziehen unsere Vorschläge in diesen
364 mit den Ziffern 3, 5 und 7 die entsprechenden Ziffern zurück.
Anpassungsregelungen vor. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Sie ziehen also den
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Antrag zurück?
Abgeordnete Dr. Franz. (Abg. Killat: Jawohl!)
Ehe ich über den Paragraphen abstimmen lasse,
Dr. Franz (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine rufe ich zunächst den Änderungsantrag Umdruck
sehr verehrten Damen und Herren! Auch unsere 364 Ziffer 4, gleichlautend mit dem Änderungs-
Fraktion ist der Meinung, daß es zweckmäßig ist, antrag Umdruck 373 Ziffer 2, auf. — Das Wort hat
die Ziffern 3, 5 und 7 des SPD-Antrages, die sich der Abgeordnete Hussong.
unter dem Stichwort „Ortslöhne" subsumieren las-
sen, in einer einheitlichen, gemeinsamen Stellung-
nahme zu behandeln. Hussong (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich glaube, dieser Antrag ist sehr kurz
(Abg. Geiger: Und dafür zu stimmen!?) zu begründen. Es handelt sich im Grunde genom-
men genau um dasselbe Prinzip wie bei Ziffer 1.
Auf den ersten Blick könnte man der Meinung Während es sich dort um Sozialrentner handelt,
sein, daß die Argumentation, die Ortslöhne sollten handelt es sich hier um die Unfallrentner. Das ist
nicht gegenüber den Jahresarbeitsverdiensten be- eigentlich schon alles, was zur Sache zu sagen ist.
nachteiligt werden, etwas für sich hat. Wir müssen
aber feststellen, daß die Jahresarbeitsverdienste — Ergänzend möchte ich noch darauf hinweisen, daß
von denen ich gern zugeben möchte, daß sie die in dieser Sache kaum finanzielle Momente sind;
ganzen wirtschaftlichen Möglichkeiten der dynami- denn nach den getroffenen Feststellungen sind die
schen Lohnentwicklung jener Jahre erkennen las- Unfallrenten, die von Frankreich gezahlt werden,
sen — faktisch aus denen des Jahres 1959 resul- im Schnitt genauso hoch wie die Unfallrenten, die
tieren. Im Rahmen des vorläufigen Neuregelungs- auch sonst üblicherweise gezahlt werden, so daß
gesetzes des Jahres 1961 sind die Jahresarbeitsver- diese Bestimmung keine finanzpolitische Auswir-
dienste 1959 und 1960 mit 1,0 multipliziert worden. kung hat. Es ist aus rechtssystematischen Gründen
Das ist zwar prinzipiell eine Anpassung, faktisch lediglich erforderlich, sie in den Entwurf mit auf-
aber sind die Jahresarbeitsverdienste von 1959 der zunehmen.
Anpassung zugrunde gelegt worden. Wir müssen
feststellen, daß die Ortslöhne und die Jahresarbeits- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
verdienste aus den Ortslöhnen 1961 neu festgesetzt Abgeordnete Klein.
worden sind. Ich gebe zu, daß die Festsetzung der
Ortslöhne starrer vor sich geht als die wirtschaft- Klein (Saarbrücken) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
liche Entwicklung der Jahresarbeitsverdienste. Aber Meine Damen und Herren! Ziffer 1 des Änderungs-
ich glaube, daß ein zweijähriger Vorsprung der antrags Umdruck 373 bezog sich auf die Renten-
Ortslöhne vor den Jahresarbeitsverdiensten durch- versicherung, Ziffer 2 bezieht sich auf die Unfall-
aus angemessen ist. Wir möchten aber durchaus versicherung. Notwendigerweise soll hier ein
nicht zulassen, daß die Ortslöhne gegenüber den Gleichklang bestehen. Deshalb bitte ich, auch diese
Jahresarbeitsverdiensten zu sehr ins Hintertreffen 'Ziffer anzunehmen.
geraten, und sind deshalb bereit, die Ziffer 7 des
SPD-Antrags anzunehmen. Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß zwischen
den beiden Vorlagen in einem Wort ein Unter-
(Abg. Dr. Schellenberg: Gut!) schied besteht. In dem Antrag der SPD Umdruck
In dem Zusammenhang muß aber darauf hinge- 364 Ziffer 4 heißt es im letzten Halbsatz „abzuleiten
wiesen werden — ich glaube, es ist wichtig, das sind", in dem von mir gestellten Antrag Umdruck
festzustellen -, daß die Ermächtigung zu einer 373 Ziffer 2 heißt es „abgeleitet sind". Es ist an sich
4712 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Klein (Saarbrücken)
wohl dasselbe. Nur damit der Wortlaut klar ist, hier in der Vergangenheit so schön hieß, „Schon-
würde ich vorschlagen, zu sagen „abgeleitet sind". frist" von fünf Monaten, d. h. sie erhalten vom 1. Ja-
nuar bis zum 31. Mai eines jeden Jahres die Renten-
Vizepräsident Dr. Schmid: Es heißt „abge- erhöhung, ohne daß eine Anrechnung vorgenommen
leitet sind". Keine weitere Begründung? — Dann wird; aber ab Juni eines jeden Jahres wird die
stimmen wir ab. Der Antrag Umdruck 364 Ziffer 3 Rentenerhöhung angerechnet, und die Einkommen
ist zurückgezogen. der hiervon betroffenen Rentner — ich schätze ihre
Zahl auf etwa eine Million — sinken wieder auf
Es bleibt also abzustimmen über den Antrag den Stand des Vorjahres zurück.
Umdruck 364 Ziffer 4. Wer zustimmen will, gebe
das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Daß ein solches Verfahren nicht nur bei den Be-
— Meine Damen und Herren, es ist schwer zu sa- troffenen kein Verständnis findet, liegt wohl nur zu
gen. Darf ich bitten, die Abstimmung durch Erheben klar auf der Hand. Wir sind darum gehalten, nun
von den Sitzen zu wiederholen. Wer zustimmen endlich dieses Unrecht zu beseitigen. Wir haben
will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! heute auch die Möglichkeit dazu.
— Wir müssen durch Hammelsprung entschei- Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an
den. — die Ausführungen des Sprechers der CDU/CSU, der
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis im vergangenen Jahr — es war einen Tag später,
der Abstimmung bekannt. An der Abstimmung ha- es war am 12. Dezember — hier die Auffassung ver-
ben teilgenommen 355 Abgeordnete. Mit Ja haben treten hat, daß diese Frage durchaus der erneuten
gestimmt 182 Abgeordnete, mit Nein 173. Enthalten und sehr kurzfristigen Prüfung bedürfe. Nun, eine
hat sich kein Abgeordneter. Damit ist der Antrag kurzfristige Prüfung dieser sozialpolitisch nicht wün-
angenommen. schenswerten Ungerechtigkeiten ist nicht erfolgt.
Wir stimmen nunmehr über § 1 in der veränder- Das alte Unrecht haben wir wie gehabt — so darf
ten Fassung ab. Wer Art. II § 1 zustimmen will, man sagen — wieder vor uns. Wir können uns
gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal- darum heute nicht damit zufriedengeben, daß die
Lösung dieses Problems wieder aufgeschoben, daß
tungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenom-
men. sie wieder um ein weiteres Jahr verzögert wird.

Der Änderungsantrag zu § 2 ist zurückgezogen. Meine 'Damen und Herren, ich weiß, man kann
hier sagen: Alle Jahre wieder! Ich will es darum
Wer den §§ 2, — 3, — 4 sowie Art. III § 1 zu- kurz machen. Unser bereits im Ausschuß für Sozial-
stimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegen- politik gestellter Antrag, das Wort „Mai" durch das
probe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenom- Wort „Dezember" zu ersetzen, wurde mit 12 gegen
men. 12 Stimmen bei einer Stimmenthaltung abgelehnt.
Zu Art. III § 2 liegt der Änderungsantrag Um- Das heißt — und das darf ich hier einmal sagen —,
druck 364 Ziffer 6 vor. die Vertreter der CDU/CSU stimmten gegen unse-
ren Antrag, während ein Vertreter der FDP mit
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete
meinen politischen Freunden für unseren Antrag
Biermann.
stimmte und ein Vertreter der FDP sich der Stimme
enthielt.
Biermann (SPD) : Meine Damen und Herren!
Wie in den vergangenen Jahren, wenn wir hier die Wenn man dieses Ergebnis berücksichtigt, kön-
Frage der Rentenanpassung behandelten, so haben nen wir wohl heute trotz der im vergangenen Jahr
wir uns auch heute wieder mit den Anrechnungsbe- gehabten Enttäuschung in dieser Frage zuversicht-
stimmungen des jetzigen Art. III § 2 auseinanderzu- lich sein, daß das anstehende Problem — zumindest
setzen. Es geht hierbei darum, ob die Rentenerhö- mit Mehrheit — für den betroffenen Personenkreis
hung, die wir heute gemeinsam beschließen wollen, gelöst wird.
auch im kommenden Jahr wieder auf die Leistungen Ich darf Sie daher namens meiner Fraktion drin-
aus der Kriegsopferversorgung, die Leistungen nach gend darum bitten, unserem Antrag auf Umdruck
dem Lastenausgleichsgesetz, die Leistungen nach 364 Ziffer 6 Ihre Zustimmung zu geben, um damit
dem Bundesentschädigungsgesetz und die weiteren das bestehende Unrecht in dieser Frage zu beseiti-
Sozialleistungen, die in dem Ihnen vorliegenden gen.
Entwurf im einzelnen aufgeführt sind, angerechnet (Beifall bei der SPD.)
werden soll. Es geht darum, ob wie in der Vergan-
genheit hier die eine Hand wieder nehmen soll, was Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
die andere Hand soeben gegeben hat. Abgeordnete Weigl.
Diese bisher praktizierte Methode des Gebens
und des wieder Nehmens ist nach unserer Auffas- Weigl (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
sung in der Sache widersprüchlich, insbesondere verehrten Damen und Herren! Wir nehmen das von
aber sozial ungerecht, ungerecht deshalb, weil die- dem Kollegen Biermann aufgeworfene Problem, ob
jenigen Rentner, die außer ihrer Rente eine der von eine teilweise Anrechnung oder eine Nichtanrech-
mir eben angeführten Sozialleistungen erhalten, nung der Rentenerhöhung auf andere Sozialleistun-
von der Rentenanpassung praktisch ausgeschlossen gen, insbesondere in der Kriegsopferversorgung, im
bleiben. Diese Rentner erhalten lediglich aus ver- Lastenausgleichsgesetz und im Bundesentschädi-
waltungstechnischen Erfordernissen eine, wie es gungsgesetz, erfolgen soll, sehr ernst. Ich darf nur
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4713
Weigl
auf die Stellungnahmen der Kollegen meiner Frak- und zwar nicht zuletzt im Interesse unserer Rentner
tion in den vergangenen Jahren verweisen. Es ist selbst ablehnen müssen.
auch zuzugestehen, daß man sich nicht leicht tut, (Beifall in der Mitte.)
diesen Sachverhalt dem einzelnen Betroffenen aus-
einanderzusetzen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel-
Trotzdem, meine verehrten Damen und Herren, dungen liegen nicht vor.
müssen wir ablehnen, und zwar deshalb, weil sich
sonst als letzte Konsequenz die Auflösung eines Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Ände-
bewährten Systems andeutet. rungsantrag Umdruck 364 Ziffer 6 zustimmen will,
gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist
Wir bekennen uns zur Lohnfunktion in der gesetz-
die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
lichen Rentenversicherung. Das hat sich schon be-
währt, Herr Kollege. Die Ausgleichsrente im Kriegs- Wir stimmen nun über die §§ 2 und 3 ab. Wer
opferrecht z. B. hat eine völlig andere Funktion. diesen Paragraphen zustimmen will, gebe das Hand
Deshalb scheint es mir übertrieben zu sein, wenn zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei
hier von Unrecht gesprochen wird. zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Wir haben in den vergangenen Jahren immer Der Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 7 ist
wieder betont, daß eine Lösung dieser Frage nur schon begründet. Auch eine Antwort ist schon er-
über eine Verbesserung in den zuständigen Geset- folgt. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen.
zen möglich ist — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
(Zuruf von der SPD) Nunmehr §§ 4 und 5, Einleitung und Überschrift.
— Frau Kollegin, ich werde gleich darauf ein- — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. —
gehen —, um hier nicht systemwidrig vorzugehen.. Gegenprobe! - Enthaltungen? — Angenommen.
Ich möchte, weil gerade der Zwischenruf gekom- Es scheint Übereinstimmung zu bestehen, daß die
men ist: „Warum haben Sie es nicht getan?", dar- dritte Beratung am Freitag erfolgen soll; über die
auf hinweisen, daß sich in den Ausschußberatungen Reihenfolge der Tagesordnung werden wir uns noch
zum Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung verständigen können. Damit ist dieser Punkt für
des Kriegsopferrechts bereits ein erfreulicher Fort- heute erledigt.
schritt abzeichnet. Der § 33 bringt nämlich eine we-
sentliche Verbesserung des anrechnungsfreien Ein- Ich rufe Punkt 17 auf:
kommens. Große Anfrage der Fraktion der SPD betr.
(Abg. Biermann: Aber nicht die, die sein auswärtige Kulturpolitik (Drucksache IV/1315).
sollte!) Zur Begründung der Großen Anfrage hat der Ab-
— Ich darf darauf hinweisen, Herr Kollege, daß Sie geordnete Kahn-Ackermann das Wort.
diese wesentliche Verbesserung sogar in der Druck-
sache IV/1714, also in einen Antrag Ihrer Fraktion, Kahn-Ackermann (SPD) : Herr Präsident! Meine
übernommen haben. Damen und Herren! Wir haben diese Große Anfrage
(Zuruf von der SPD: Natürlich, es ging ja eingebracht, weil uns die steigende Bedeutung einer
nicht anders! — Abg. Geiger: Selber stel
- oft und aus unterschiedlichsten Gründen unzuläng-
len Sie ja keinen, ganz klar!) lich bewältigten Aufgabe Sorge macht. Es ist nicht
so, daß wir die Schwierigkeiten auf dem Gebiet der
Wir haben es also, meine Damen und Herren, auswärtigen Kulturarbeit nicht kennen würden, und
hier mit einer wesentlichen Verbesserung zu tun, es ist nicht so, daß wir dem Geleisteten nicht An-
und ich darf für meine Fraktion die Überzeugung erkennung zollen würden. Aber ich denke, daß die
äußern, daß in den anderen Gesetzen künftig das- Laudatio über die Verdienste von Ihrer Seite her
selbe geschehen wird. kommen wird und daß wir am Schluß der Debatte
Eine Nichtanrechnung der Erhöhung in der ge- sehen können, in welchem Umfang wir ihr beizu-
setzlichen Rentenversicherung auf andere Sozial- pflichten vermögen.
leistungen bis zum Monat Mai kommt nach unserer (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)
Überzeugung einem mittleren Weg gleich. Eine An-
rechnungsfreiheit für ein Jahr wäre die völlige Be- Die Frage nach der Konzeption der auswärtigen
seitigung der Anrechnung überhaupt. Kulturarbeit umschließt auch den Wert, den man ihr
Wir müssen wegen der Konsequenzen, wegen der innerhalb der auswärtigen Politik beimißt: ob man
sich daraus ergebenden Verwirrung, die letztlich die auswärtige Kulturarbeit als ein Ornament, einen
einem Angriff auf das — das werden Sie doch zu- Blinddarm innerhalb des ganzen Gefüges unseres
geben — sicherlich erprobte System gleichkäme, Amtes betrachtet, oder ob man sie als wesentliches
darum bitten, die Ziffer 6 des Umdrucks 364 abzu- Element der Politik betrachtet. Ferner ist da die
lehnen. Wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden, Frage der Methode wichtig, die eng mit der Rolle
gäbe es in der letzten Konsequenz nur einen ein- verknüpft ist, die man unserer Sprache als wichtig-
zigen Ausweg, und das wäre die Einheitsversiche- stem Medium unserer Kulturarbeit beimißt. Hier ist
rung, die wir ablehnen müssen, vieles unklar. Ich darf Sie beispielsweise an die
Denkschrift erinnern, die der Deutsche Industrie - und
(Abg. Stingl: Sehr richtig!) Handelstag im Frühjahr dieses Jahres den Mitglie-
4714 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

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dern dieses Hauses zugesandt hat und worin er auf ist er nicht darauf gekommen. Ich finde es jedenfalls
die Folgen hinweist, die z. B. innerhalb unserer schade, daß wir Lassalle, Bebel und den ganzen ent-
europäischen Gremien dadurch entstehen, daß man scheidenden Beitrag der deutschen Arbeiterbewe-
zweifellos nicht eine mehrsprachige Administration gung zur sozialen Revolution des 19. und 20. Jahr-
anstrebt. Wir müssen die Bundesregierung fragen, hunderts den anderen überlassen, und das gerade
welche Rolle sie der deutschen Sprache innerhalb in Ländern, in denen dieser Beitrag für die eigene
Europas zumißt und welche Akzente sie hier zu staatliche Ausformung von ungeheurer Bedeutung
setzen versucht, weil das ein außerordentlich wich- ist. Das hat auch in manchen Kleinigkeiten seine
tiger Punkt innerhalb der auswärtigen Kulturarbeit, Auswirkung. Ich kann mich entsinnen, vor längerer
soweit sie in Europa geleistet wird, ist. Zeit einmal einen Werbefilm für die auswärtige
Kulturarbeit gesehen zu haben, in dem — man
Schließlich die Kernfrage nach dem Inhalt: Soll könnte viel daran kritisieren, aber ich möchte jetzt
Kulturarbeit Vermittlung von Spitzenprodukten für nur auf diese einzige Kleinigkeit zu sprechen kom-
eine intellektuelle Elite sein oder soll sie mehr sein? men — u. a. auch die Stadt Trier mit all ihren histo-
Kulturarbeit — so sehen wir es — ist eigentlich rischen römischen Baudenkmälern gezeigt wurde;
die unablässige Einwirkung von Menschen auf ihre aber auf die Idee, das Geburtshaus von Karl Marx
Umwelt. Es ist sicher, daß wir auf dem Gebiet unse- zu zeigen, das gerade in seiner Werbewirkung für
rer auswärtigen Kulturarbeit diese Breite nicht eine historische Figur, die von den anderen für sich
haben. Aber darauf möchte ich im einzelnen noch zu beansprucht wird, von Wert ist, ist niemand gekom-
sprechen kommen. men. Das könnte für die Bundesrepublik eine Ange-
Unsere Kulturarbeit hat eine Neigung zum Eso- legenheit von positiver Bedeutung sein, und wir
terischen. Ich frage mich manchmal, ob man Konzer- sollten das nicht anderen überlassen.
ten oder literarischen Abenden, die man in man- Meine Damen und Herren, wir kennen die
chen Ländern nahezu ausschließlich für die deutsche
Schwierigkeiten in unseren kulturellen Beziehungen
Kolonie oder das diplomatische Korps veranstaltet, zur Sowjetunion. Trotzdem scheint mir die Bundes-
als Medium der Kulturarbeit nicht eine viel zu republik nicht allzu viel Phantasie an Lösungen für
große Bedeutung beimißt. Wir leben in einer sehr die festgefahrene Situation verschwendet zu haben,
differenzierten Welt, und selbst das akzeptierte Bild
die uns wohlbekannt ist. Ich sage das nur, weil eine
unserer Kulturarbeit, daß wir sozusagen die Selbst- Reihe von unterschiedlichsten Faktoren, von Max
darstellung deutscher Kultur als Leitbild vor uns
Gregers Tanzkapelle angefangen über Bernhard
haben sollen, wird heute auch mitunter fragwürdig, Wickis in Rußland ungewöhnlich erfolgreichen Film
wenn ich an die vielen Länder denke, in denen die
„Die Brücke" bis zu einem Besuch deutscher Schrift-
Leute, die dort wohnen, einfach nicht das intellek-
steller in sehr nachhaltiger Weise auf eine Korrek-
tuelle Interesse haben, sich für unsere Probleme und
tur des sowjetischen Bildes der Bundesrepublik
unsere kulturellen Probleme zu interessieren, weil
hingewirkt haben; ich glaube, eine Korrektur, die
die Voraussetzungen dort nicht erfüllt sind. Hier
wohl auch zu den Zielen unserer auswärtigen Poli-
wird man darangehen müssen, nach besseren und
tik gehört.
politisch wirkungsvolleren Methoden zu suchen.
Noch ein Satz zu unseren kulturellen Beziehun-
Wir übersehen ferner nicht, daß mancher Akzent gen zu den osteuropäischen Staaten. Sie sind ein
unserer auswärtigen Kulturarbeit durch die nicht- Teil Europas, und ein Abbau administrativer Hin-
zu unterschätzende Aktivität der Zone und ihrer dernisse gegenüber einer intensiveren Pflege kul-
auswärtigen Missionen gesetzt wird. Aber gerade tureller Beziehungen würde auch da auf ganz natür-
diese Tätigkeit trifft bei uns auf eine verwundbare liche Weise dem Zerrbild entgegenwirken, das poli
Stelle. Die in einem Grundsatzerlaß vorgeschriebene tische Propaganda vor uns errichtet hat.
politische Abstinenz für die die Kulturarbeit tragen-
den Goethe-Institute, die ich als Prinzip für Unsinn Hätte die Bundesrepublik in all diesen entschei-
halte und die nur im Einzelfall berechtigt sein mag, denden Fragen ein Konzept und lebte sie weniger
setzt hier unseren Wirkungsmöglichkeiten nicht aus einer Kombination von etwas zuviel Kultur-
unbeträchtliche Grenzen. So verschweigt die deut- routine und leider wenig genialen Improvisationen,
sche Kulturpolitik die Existenz weiter Bereiche so hätten wir die simple Frage nach dem Konzept
unseres Lebens und unserer Geschichte, und so der kulturpolitischen Arbeit im Ausland nicht zu
nimmt es nicht wunder, daß beispielsweise, von stellen brauchen.
ganz verschwindenden Ausnahmen abgesehen, nie- Zweitens wird nach den Beiträgen gefragt, die die
mand daran gedacht hat, im Rahmen dieser auswär- Bundesrepublik zur Kulturarbeit im Rahmen der
tigen Kulturarbeit etwa des hundertjährigen Grün- europäischen Institutionen leistet. Da möchte ich die
dungstages der deutschen Arbeiterbewegung zu Frage an Sie richten, Herr Minister, inwieweit die
gedenken und sie für das deutsche Ansehen in vie- Bundesregierung sich die Empfehlungen des Europa-
len Ländern, in denen das Bild Deutschlands gerade rats vom 16. September dieses Jahres zu Herzen
von dieser Seite her nicht bekannt ist, nutzbar zu genommen hat und inwieweit sie wirklich daran-
machen. Als ich diese Frage einem der Kulturatta- geht, sich in etwa positiv der Idee einer gemein-
chés in einem unserer wichtigsten Nachbarländer samen Darstellung Europas auf den anderen Konti-
vorgelegt habe, in dem das gerade infolge der star- nenten anzuschließen, einem Postulat, das, wie ich
ken politischen Linken dort sicherlich eine nützliche mit großer Freude bemerkt habe, auch von den Kol-
Angelegenheit gewesen wäre, hat er gesagt, das sei legen der CDU in den europäischen Gremien befür-
selbstverständlich eine gute Idee; aber von selber wortet worden ist. Ferner erhebt sich die Frage, in-
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wieweit die Bundesregierung die Empfehlungen des und dem Goethe-Institut nur gratulieren, wenn es
Europaparlaments zur kulturellen Zusammenarbeit ihm gelungen sein sollte, in einem einzigen Jahr
der Mitgliedstaaten zu befolgen gedenkt und daran 30 gute Leute für diese neu eröffneten Institute zu
mitwirken will, daß gemeinsame Einrichtungen, die finden. Gerade das ist ein Moment, das mich sehr
dazu nötig sind, geschaffen werden. hoffnungsfreudig macht, daß auch dort, wo die Vor-
Wir möchten auch gerne wissen, worin die deut- stellungen über die Besetzung mit geeigneten Per-
sche Mitarbeit im Rat für kulturelle Zusammenarbeit sönlichkeiten noch nicht verwirklicht werden kön-
sozusagen ihr Arbeitsziel sieht. Wir wissen, daß nen, eine Verwirklichung möglich ist.
dieses Gremium umgebaut werden soll, weil es die Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der
Erwartungen nicht ganz erfüllt hat, die man in es Grundsatzerlaß „keine Politik an den Goethe
gesetzt hat. Ich muß sagen: einem Gremium, das Instituten" ihre Wirkungsmöglichkeiten stark be-
fast ausschließlich aus Beamten besteht — ich habe einträchtigt, wenn Sie Politik in einem weiteren
nichts gegen Beamte; aber sie sind an Weisungen Sinne nehmen, wie er etwa von den Organisationen
gebunden —, fällt es schwer, progressive Ideen zu verstanden wird, die sich in unseren Nachbarstaaten
entwickeln und einen Schritt nach vorn zu tun. Aber oder in anderen Staaten mit der kulturellen Arbeit
uns interessiert, welche Haltung die Bundesregie- beschäftigen, z. B. vom British Council.
rung hier einnimmt und ob sie glaubt, daß eine der- In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr
artige Institution alle die ihr übertragenen Auf-
Minister, daran erinnern, daß, wenn man die Aus-
gaben mit einem Budget von 2 Millionen Neuen
leihlisten unserer Goethe-Institute nachprüft, die
Franken erfüllen kann. politische Literatur immer noch vor der anderen
Angesichts des Ranges, der ganz offensichtlich führt und daß Marx noch immer an der Spitze aller
nach außen diesem Beitrag zur europäischen Kultur- Autoren vor Goethe rangiert. Das möge nur ein
arbeit beigemessen wird, muß man schließlich fra- Fingerzeig für das Interesse sein, das das Leser-
gen, ob dort wirklich eine ernsthafte Mitarbeit er- publikum in diesen überwiegend in Entwicklungs-
folgt oder ob man einfach in diesen Gremien mit- ländern gelegenen Leseinstituten hat.
wirkt, weil man eben drin ist. Die Frage nach einem
Zu viele dieser Institute führen, so möchte ich
gemeinsamen Europa stellt sich auch in der Frage
sagen, ein rein einem ästhetischen Programm ver-
unserer zwischenstaatlichen kulturellen Beziehun-
haftetes Dasein. Das sollte man wohl schon im Hin-
gen. Der Begriff der gemeinsamen abendländischen
blick auf die Tätigkeit der auswärtigen Missionen
Kultur wird oft verwendet. Wenn man ihn aber ge-
der Zone, wie ich vorhin gesagt habe, ändern.
braucht, soll man ihn nicht bloß als Floskel benut-
zen, sondern dann soll man damit in seiner Politik Die Haupttätigkeit der Institute ist die Vermitt-
auch zeigen, daß man ernsthaft um eine Verwirk- lung der deutschen Sprache. Hier werden wir Jahr
lichung einer gemeinsamen Kulturpolitik bemüht ist. für Jahr mit der Tatsache konfrontiert, daß erfreu-
licherweise die Zahl derjenigen, die Deutsch lernen
(Sehr richtig! bei der SPD.)
wollen, ansteigt. Ja, man muß direkt staunen,
Ich komme zur dritten Frage. Die deutschen Kul- welche Mengen da in unsere Kurse strömen. Aber
turinstitute sind das Hauptmedium unserer Kultur- aus dieser Tatsache ergibt sich nach meiner Ansicht
arbeit geworden. Kürzlich haben wir in Algier das eine Reihe von außerordentlich wichtigen Fragen.
100. Goethe-Institut eröffnet. Seit einer Reihe von Zunächst einmal soll man sich durch die Zahlen nicht
Jahren stellt sich aber für diese große Zahl von- blenden lassen. Wer Gelegenheit hat, mit den Lei-
Kulturinstituten, die heute im wesentlichen sehr tern solcher Kulturinstitute zu sprechen, und den
selbständig ihre Aufgabe wahrnehmen, das Pro- Dingen auf den Grund geht, wird feststellen, daß
blem der geeigneten zentralen Führung und in die- im Endeffekt die Zahl derjenigen, die wirklich be-
sem Zusammenhang auch des Programmdirektors. müht sind, Deutsch soweit zu lernen, daß sie es als
Mit Wahl von Botschafter Pfeiffer zum Präsiden- Sprache benutzen können, sehr gering ist. Das
ten dieser Institution ist gewiß gegenüber dem vor- zweite: wenn man diesen Zweig des Unterrichts der
her herrschenden Interregnum ein Fortschritt er- deutschen Sprache so sehr ausdehnt, muß man sich
zielt worden. Jedoch muß ich die Frage stellen, ob auch die Frage stellen, was man später einmal mit
nicht auch hier das gilt, was ich vorhin für das den Leuten anfangen will, die die deutsche Sprache
allgemeine Konzept gesagt habe, nämlich ob man erlernt haben. Hier fehlt die Fortsetzung. Es fehlt
nicht daran denken muß, für diese Aufgabe Persön- ein Fortsetzungsprogramm. Es fehlt an Möglichkei-
lichkeiten zu gewinnen, die selber schöpferische ten, die Leute, die wirklich Deutsch gelernt haben,
Ideen zu unserer kulturellen Wirksamkeit im Aus- weiter für die Arbeit unserer Kulturinstitute zu in-
land beitragen können. Ich weiß, daß es da Hinder- teressieren. Es mag sein, daß hier zuweilen ein ma-
nisse hinsichtlich der Bezahlung und der Möglichkeit terieller Mangel mitspielt, aber im großen und gan-
gibt, gute Kräfte zu gewinnen. Aber wo ein Wille zen ist für diesen Fall nichts vorgesehen. Es er-
ist, ist auch ein Weg. Die Frage ist lediglich, welche scheint mir auch als ein Mangel unseres Besucher-
Bedeutung man diesen Aufgaben zumißt. Dann wird programms, daß etwaige besonders gute Absolven-
man auch Wege finden, auch die materiellen Wege, ten der Kurse an unseren Goethe-Instituten, die es
um die für Führungsaufgaben in solchen Gremien in der Tat bis zu einer Art Diplom gebracht haben,
geeigneten Persönlichkeiten zu finden. Natürlich ist dann nicht auch als Ansporn und um sie zur Mit-
die Lösung der Personalfrage nicht einfach. Allein arbeit zu gewinnen, in das Besucherprogramm oder
im Jahre 1962 sind 30 derartige neue Institute er- in die verschiedenen Besucherprogramme der Bun-
öffnet worden. Man kann dem Auswärtigen Amt desregierung einbezogen werden.
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Lassen Sie mich zum Problem der Goethe-Insti- — ein vom Amt und seinen Diensten völlig unkon-
tute noch eines sagen. Alle diese Goethe Institute
- trolliertes Dasein führen.
besitzen Bibliotheken, und das ist mit einer der Für ihre Leistung und für ihr Ansehen gibt es
Hauptzwecke ihres Daseins. Aber was nützt es, daß keine objektiven Beurteilungsunterlagen. So konnte
wir in solchen Ländern Hunderte oder Tausende es beispielsweise vorkommen — ich möchte Sie an
von deutschen Büchern haben, wenn sie trotz des dieses Ereignis nur erinnern —, daß vor zwei Jah-
Deutschunterrichts praktisch nur von einem Mini- ren in einer unserer Renommierschulen, nämlich
mum der Besucher gelesen werden! Es erscheint ab- der neuen Schule in Madrid, beim Abitur 95 % der
solut notwendig, daß die Bemühungen, mehr eng- Schüler durchgefallen sind, weil man festgestellt
lische und französische Übersetzungen deutscher hat, daß trotz Neubaus und aller möglichen Bestre-
Literatur und deutscher Fachliteratur in diese Bib- bungen in dem Wirken dieser Schule einfach die
liotheken einzustellen, verstärkt werden. Möglichkeiten für den Unterricht, wie sie bei uns
Dann noch eines. Ein Teil des Bildes, das man sich angesehen werden, nicht mehr vorhanden waren
von uns als Kulturnation im Ausland macht, beruht und daß man sich auch andere Ziele gesetzt hat.
auf einer Reihe von technischen Leistungen. In Bei manchen dieser Schulen muß man sich fragen,
kaum einem dieser Goethe-Institute finden Sie aber ob es noch deutsche Schulen sind oder ob wir sie
eine technische Bibliothek, die diese Leistungen in nicht besser unter der Rubrik „Bildungshilfe" einem
etwa repräsentiert. Dieser Mangel ist mir nicht bloß neuen Status zuführen sollten. Nur eine Handvoll
von Leitern, sondern auch von vielen Besuchern die- der Auslandsschulen führt zum Abitur. Ich möchte
ser Bibliotheken vorgehalten worden. Sie fragen, ob das im Interesse unserer Hochschul-
Uns stehen für den Ausbau dieser Institute nur politik liegt, wo wir zusätzlich eine Menge Geld
beschränkte Mittel zur Verfügung. Da muß man ausgeben, um Bewerber aus anderen Ländern — ich
allen Ernstes fragen, ob nicht manchmal ein etwas denke hier besonders an die Entwicklungsländer —
vorsichtigeres Taktieren am Platz wäre; denn wenn in Deutschland zusätzliche Deutschkurse absolvieren
man an manchen Orten in den Entwicklungsländern zu lassen. Irgendwo erscheint es mir persönlich
prüft, wer von den Einheimischen die Veranstaltun- auch geradezu widersinnig, wenn eine der berühm-
gen dieser Institute besucht — vielleicht ist es das testen dieser Schulen, unsere Humboldt-Schule in
Konzept, daß man in die Zukunft gebaut hat —, Mexiko, praktisch ein Jahr vor dem Abitur aufhört.
dann stellt man fest, daß im Jahresdurchschnitt, nur Das ist eine Art Fehlplanung, die der baldigsten
auf die einheimischen Besucher abgehoben, manch- Korrektur bedarf.
mal nicht mehr als 10, 15 oder 20 Leute kommen. Fachleute bemängeln außerdem das veraltete Er-
Auch an eine Verlagerung der Gewichte muß ge- ziehungsziel vieler deutscher Schulen besonders in
dacht werden. Schauen Sie, da gibt es verhältnis- den Entwicklungsländern, und sie fragen, wo denn
mäßig kleine Zweit- und Drittorte in afrikanischen eine neue deutsche Modellschule bleibe, die auf die
Ländern, die heute bereits über ein Goethe-Institut moderne Industriegesellschaft vorbereite und die
verfügen. In der größten Stadt Indiens, in Bombay, nach der Grundstufe Aufbauzüge für die kaufmän-
mit über 6 Millionen Einwohnern, die auch für das nisch, die technisch, die landwirtschaftlich und die
geistige Leben Indiens von großer Bedeutung ist, wissenschaftlich Interessierten und Begabten ent-
haben wir kein Kulturinstitut. Ich kenne die dornen- halte.
volle Vorgeschichte, warum wir dort keines haben. Auf Prestigeschulen, die schlechter als die Schulen
Aber auch hier ist es eine Frage des guten Willens des Gastlandes sind, sollten wir verzichten. Das
und die Frage gewesen, wie man einen guten Weg ganze Problem bedarf eines sorgfältigen Studiums,
findet, dieses Problem zu bewältigen. einer politischen Klärung und einer neuen organi-
Unsere vierte Frage beschäftigt sich mit den satorischen Lösung. Der jetzige Zustand ist unbe-
deutschen Schulen im Ausland. Sie sind ein Kern- friedigend und verleitet, materiell gesehen, zu Fehl-
stück unserer Kulturarbeit und zugleich eines der investitionen und zur Verschwendung von Geld.
problematischsten. Die Schwierigkeiten auf diesem In diesem Zusammenhang bleibt die Beteiligung
Gebiet reißen nicht ab. Schwierigkeiten bereiten die an internationalen oder europäischen Schulvorhaben
nach 1945 geschaffenen Schulträgerschaften. Sie für die Beschulung deutscher Kinder zu prüfen. Ich
waren, genauer gesagt, oft mehr hinderlich als möchte hier fragen, inwieweit die Schulabteilung
förderliche Schulvereine. Sie waren ursprünglich des Auswärtigen Amts der Empfehlung des Kultur-
einmal dazu gedacht, einen Teil der Mittel für diese politischen Beirats des Auswärtigen Amts vom
Schulen aufzubringen, was sich im Laufe der Jahre 24. Oktober 1961 nachgekommen ist, möglichst deut-
jedoch größtenteils als Illusion herausgestellt hat. sche Lehrer für solche internationalen Schulen be-
Da sind die ungelösten Verwaltungsfragen. reitzustellen.
Seit Jahren haben wir nur eine Handvoll Leute — (Zuruf von der SPD: Was tut der Beirat
darunter nur vier Herren des höheren Dienstes, die überhaupt?)
meist Juristen und keine Pädagogen sind —, die — Darüber müßte man sich auch noch unterhalten.
praktisch die Arbeit in über 350 Schulen beobachten
und leiten sollen. Das ist ein unmöglicher Zustand. Eine Nebenbemerkung. Es ist sehr schön, daß wir
Das kann man mit einer solchen Equipe nicht ma- eine große und mittlerweile voll ausgebaute deut-
chen. Es kann einen nicht wunder nehmen, daß sche Schule in Paris haben. Aber ich muß fragen,
zwei Drittel der Schulen daher — genau betrachtet warum man sich eigentlich keine Sorgen über die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4717

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Schulverhältnisse von 400 deutschen Bergarbeiter- sammenarbeit die grundsätzliche Bereitschaft
kindern in Nordfrankreich macht. Ich habe bisher erklärt, Fachkräfte für eine Tätigkeit in Ent-
noch nicht gehört, daß deutscherseits irgendwo ein wicklungsländern zu beurlauben.
schulisches Zentrum für diese Kinder in Aussicht Mir scheint, daß hier irgendwo Sand im Getriebe ist
genommen worden ist. und daß dieser Sand mit einem geeigneten Scheuer-
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu den Ge- mittel alsbald entfernt werden sollte.
werbeschulen sagen, die in vieler Hinsicht ein be- Der schwächste Punkt unserer Kulturpolitik liegt
deutender Pluspunkt unserer auswärtigen Kultur- in dem Thema, das wir unter Punkt 6 angeschnitten
arbeit sind. 22 davon sind in Betrieb. Die Errichtung haben: die Entsendung von Hochschullehrern und
von 44 solcher Schulen hat die Bundesregierung Lektoren ins Ausland und die Beziehungen zwischen
bindend zugesagt. Aber da bereits im abgelaufenen deutschen und ausländischen Universitäten. Die un-
Jahr vorübergehend vier der schon in Betrieb be- geheure Nachfrage nach Lektoren und Hochschul-
findlichen Schulen ohne Leiter waren, weil es den lehrern hat in all den vergangenen Jahren niemals
Ländern nicht möglich war, für Ersatz zu sorgen, befriedigt werden können. Die Schwierigkeiten sind
frage ich mich, ob sich die Bundesregierung bei der nicht zu übersehen. Beamtete Hochschullehrer gehen
Zusage für diese 44 Gewerbeschulen auch Gedanken ungern aus der Bundesrepublik heraus, weil noch
darüber gemacht hat, wo sie die Gewerbelehrer für immer — obwohl eine Reihe von Universitäten dan-
diese 44 Schulen herbekommt. Sie können praktisch kenswerterweise entsprechende Leerstellen geschaf-
nur aus dem Reservoir der Länder geschöpft wer- fen haben — diese Frage nicht in einer Weise ge-
den, wo sie selbst eine Mangelware sind. Ein breit regelt ist, die es für Hochschullehrer attraktiv
gestreutes Programm erscheint mir bei der Kürze macht, ins Ausland zu gehen. Diejenigen Hochschul-
der Zeit, in der es durchgeführt werden soll, als lehrer die von sich aus und durch Verträge mit
eine Verzettelung der zur Verfügung stehenden fremden Regierungen auf sich allein gestellt drau-
Kräfte. ßen arbeiten, werden nach wie vor in einer unzu-
reichenden Weise durch die Bundesrepublik geför-
Ganz abgesehen davon sollte die Bundesregierung
dert. Ich will gern zugeben, daß seit der Errichtung
ihre Autorität dafür einsetzen, daß die wirklich ent- der Vermittlungsstelle für Wissenschaftler im Aus-
nervende Zersplitterung der Zuständigkeiten im land einiges geschehen ist und sich manches gebes-
Dienstverkehr der bereits bestehenden Schulen mit sert hat. Aber im großen und ganzen, so muß man
deutschen Stellen in irgendeiner Form bereinigt sagen, ist dieses Problem ungelöst.
wird. Wenn die Leiter dieser Schulen irgendwelche
Anliegen haben, so müssen sie sich meistens erst Ich habe kürzlich mit dem Rektor einer Tech-
I an fünf Stellen wenden, bevor sich eine dieser nischen Hochschule eines sehr, sehr großen Entwick-
Stellen als zuständig erklärt. lungslandes gesprochen. Dieser Mann hat einen
Monat hindurch sämtliche deutsche Universitäten
Noch eine kurze Bemerkung zu den Lehrern an und Technischen Hochschulen besucht, um zwei Lehr-
unseren Auslandschulen. Die Auswahl dieser Lehrer kräfte für seine eigene Universität zu erhalten. Er
— manche Zwischenfälle und die viele, viele Arbeit, ist mit leeren Händen wieder nach Hause gefahren.
die das Amt damit hat, auch das Bundesverwaltungs- Das verwundert mich auch gar nicht. Denn in den
amt, führen dazu, daß die Schulabteilung im Aus- Hochschulen selbst sind ja keine Möglichkeiten für
wärtigen Amt mit der ihr übertragenen Aufgabe- eine solche Entsendung vorhanden. Aber ich würde
nicht fertig wird — ist nach wie vor problematisch. sagen: wenn schon ein solcher Mann nach Deutsch-
Das kann unter den gegenwärtigen Umständen, die land kommt, wäre es wohl die Pflicht des Aus-
ja nicht zu ändern sind, auch nicht anders sein. Aber wärtigen Amtes, ihn auch mit jenen Stellen in
auch hier vermisse ich eine Initiative, um gemein- Kontakt zu bringen, mit denen er vielleicht positi-
sam mit der Kultusministerkonferenz zu einer bes- vere Gespräche in dieser Sache führen kann.
seren Lösung dieses Problems zu kommen.
(Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg: Es sind
Schließlich bleibt noch das Problem der Entsen- keine Leute dazu da! — Gegenrufe.)
dung von deutschen Lehrern an nichtdeutsche Schu- Universitätspartnerschaften, wie sie in den ver-
len beispielsweise in Entwicklungsländern. Mein gangenen Jahren eingeleitet worden sind, sind
Freund Wischnewski hat kürzlich die Öffentlichkeit sicherlich eine gute Sache. Auch die Versprechun-
darauf aufmerksam gemacht, daß die Bundesrepu- gen und die Zusagen, die die Bundesrepublik ande-
blik offensichtlich nicht in der Lage war, der Regie- ren Ländern zum Mitaufbau an ihren Universitäten
rung der Republik Algerien neun von ihr erbetene gegeben hat, bleiben genau wie in unserem eigenen
Schullehrer zu schicken. Diese seine Bekannt- Lande, wo ja auch die Universitäten aus ihren Näh-
machung in der Öffentlichkeit hat eine Stellung- ten platzen, eine problematische Aufgabe deswegen,
nahme der Ständigen Konferenz der Kultusminister
weil es sich immer schon nach wenigen Jahren her-
gezeitigt, die mich eigentlich überrascht hat. Der
auszustellen pflegt, daß die Bundesrepublik den aus
Vertreter der Konferenz schreibt hier — wenn ich
solchen Partnerschaften oder Zusagen erwachsenen
das eben verlesen darf —:
Verpflichtungen materiell nicht mehr gewachsen ist.
Ich darf Ihnen hierzu mitteilen, daß den Kultus-
(Abg. Dr. Fritz [Ludwigshafen]: Aber bis
ministern der Länder von der algerischen Bitte
jetzt hat sie sie erfüllt!)
nichts bekanntgeworden ist. Die Kultusminister
haben wiederholt dem Auswärtigen Amt und Selbstverständlich will dann eine solche Universität
dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zu neue Institute haben, mehr Professoren, sie wächst
4718 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

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heraus, und das führt allerdings nachher in mate- eine größere Zahl von ausländischen Studenten
rielle Kategorien, die wahrscheinlich von uns allein nach Deutschland hereinzuziehen. Ich bin froh, daß
nicht mehr zu bewältigen sind. Man muß daher fra- die Westdeutsche Rektorenkonferenz eine sachliche
gen, ob es auch gerade bei den Unversitätspartner- Erwiderung darauf gegeben hat. Ich will die be-
schaften nicht besser wäre, ein bißchen mehr auf kannte Liste der Mißstände hier nicht repetieren.
die europäische und internationale Zusammenarbeit Aber ich möchte Sie an ein Wort Ihres Vorgängers
zuzusteuern, um weitere finanzkräftige Partner erinnern, Herr Minister, der gesagt hat, daß alle
beim Aufbau solcher Universitäten zu haben. auswärtige Kulturarbeit sinnlos wird, wenn wir
Studenten, Besuchern und Praktikanten nicht unser
In diesem Bereich ist ferner das Problem der Lek- Leben sinnfällig machen können und sie enttäuscht
toren, der Germanisten an den auswärtigen Univer- in ihre Heimatländer zurückfahren lassen. Wenn
sitäten und besonders in den Entwicklungsländern auch Ihr Amt in diesem Fall nur der Briefkasten ist,
völlig ungelöst. Sie alle, meine Damen und Herren, es dürfte Ihnen in diesem Zusammenhang nicht
haben wahrscheinlich die Denkschrift von Professor gleichgültig sein, was die Studenten und Praktikan-
Lennartz vom DAAD erhalten, der darauf hinweist, ten in unserem Lande an persönlichen Erlebnissen
daß er mit den ihm in diesem Jahr bewilligten haben, und in diesem Zusammenhang auch nicht,
Haushaltsmitteln, obwohl das Auswärtige Amt die was die Allgemeinheit über das Leben in diesen
Berechtigung seiner Forderung erkenne, nicht aus- Ländern weiß und was Volksschüler in der Bundes-
kommen könne. Ich möchte darauf hinweisen, daß republik über Afrika, Asien und Lateinamerika
gerade auf diesem Gebiet der Entsendung von Lek- erfahren.
toren und Professoren künftig mehr getan werden
muß. Dies ist mindestens so wichtig wie die Errich- Eine in dankenswerter Weise auf Initiative der
tung von neuen Goethe-Instituten; denn wie die Er- UNESCO durchgeführte Bestandsaufnahme über
fahrungen gezeigt haben, kommen Lektoren oder Unterrichtswerke in der Bundesrepublik enthüllt,
besonders Professoren häufig in die Situation, Be- daß Bildungshilfe im eigenen Land auf diesem Ge-
rater fremder Administrationen und Minister zu biet dringend geboten erscheint. In diesen Büchern
sein und in eine Tätigkeit zu gelangen, in der sie enthüllt sich ein europazentrisches Geschichtsbild.
für die auswärtige Politik und auch die auswärtigen Den Schülern wird nicht vermittelt, daß eine vier-
Kulturbeziehungen der Bundesrepublik in einem hundertjährige Hegemonie Europas durch eine plu-
ungeheuren Maße nützlich sein können. ralistische Völkergemeinschaft abgelöst worden ist.
Ich bin daher einem Beamten der Bundesregierung
Ich möchte Ihnen, Herr Minister, um aus diesen dankbar, der die Herausgabe eines ausgezeichneten
Schwierigkeiten herauszukommen, eine Anregung Modellunterrichtsbuches veranlaßt hat, das, wie mir
geben. Die Probleme liegen ja hauptsächlich darin, scheint, eine passende Weihnachtsgabe des Außen-
daß es für die einzelnen Universitäten, die wir nicht ministers für seine Kollegen für Kultur und Erzie-
beeinflussen können, offensichtlich so sehr, sehr hung in den Ländern sein würde.
schwierig ist, Leute zu entsenden, wegen der Leer- (Dr. Martin [CDU/CSU] : In den Ländern!)
stellen, wegen der Frage, was nachher mit den Leu-
ten geschieht, wenn sie wieder zurückkommen. Sie Aber zurück zu den Studenten. Ich weiß, daß nicht
glauben, daß sie dann irgendwie in ihrem Fortkom- übermäßig viel geschieht, um eine gelegentlich
men behindert sind. Wäre es nicht möglich, einmal- oberflächliche Begeisterung für unsere Formen, zu
mit einem dazu geeigneten oder bereiten Bundes- leben und Politik zu machen, zu vertiefen. Trotzdem
land zu sprechen, ob es vielleicht bereit ist, eine sollten wir alles tun, um den Sinn dieser Studenten
Universität zu errichten, die praktisch nur aus einer für ein freiheitliches Weltbild zu wecken. Statt des-
Verwaltung besteht und in der alle diejenigen sen aber werden unsere akademischen Besucher in
Hochschullehrer beheimatet sein könnten, die län- der Bundesrepublik häufig mit einer doppelbödigen
ger als zwei, drei Jahre — und das ist ja auch sehr akademischen Freiheit konfrontiert. Das Recht der
wichtig; manche sind fünf, zehn oder 15 Jahre drau- freien Meinungsäußerung ist vielen Studenten ver-
ßen — solche Aufgaben im Interesse der Bundes- wehrt, und mit Recht beklagt sich die Vereinigung
republik übernehmen? Ich weiß nicht, ob eine sol- der afro-asiatischen Studenten, daß die Anerken-
che Idee an den bestehenden Schwierigkeiten schei- nung ihrer Gruppen und Vereine an vielen Univer
tert. Zumindest scheint sie mir ein praktischer Lö- sitäten von der schriftlichen Verpflichtung abhängt,
sungsvorschlag zu sein, dem man vielleicht nach- keine politischen Diskussionen zu veranstalten. Ist
gehen könnte. denn die Bundesregierung Erfüllungsgehilfe der
politischen Doktrinen ausländischer Staaten? Das
(Abg. Dr. Lohmar: Vielleicht gibt es noch kann ich nicht glauben.
andere Wege!)
In dieses Gebiet, meine Damen und Herren,
Unsere Frage Nr. 7 beschäftigt sich damit, ob die gehört es auch, daß wir uns etwas härter zeigen
Bundesregierung Möglichkeiten sieht, bei dem sollten, wenn nach einem jeweiligen Regierungs-
Studium von Studenten aus anderen Ländern auf- wechsel in irgendeinem fernen Land die neue Regie-
getretenen Mängeln besser entgegenzuwirken als rung plötzlich darauf besteht, daß ein großer Teil
bisher. Das Problem der Auslandstudenten ist in der bei uns studierenden Landsleute von ihnen
diesen Tagen durch eine Denkschrift der Kultus- zurückgerufen wird, Menschen, in die die Steuer-
ministerkonferenz neu aktuell geworden, die zu zahler der Bundesrepublik viele Tausende von Mark
meinem großen Erstaunen der Bundesrepublik vor- investiert haben, nur weil ihnen die Richtung dieser
schlägt, mehr für das Ausländerstudium zu tun bzw. Leute im Augenblick nicht paßt, und daß sie ver-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4719
Kahn-Ackermann
suchen — und wir das zulassen —, die Rückkehr res Verbindungsmedium zu den Länderhauptstädten
durch Paßentziehungen und durch Denunziation und den Entscheidungen auf kulturellem Gebiet, die
etwa in der Richtung, es handele sich überwiegend dort gefällt werden. Das legt mir die Fragenahe,
um Kommunisten und dergleichen, zu erzwingen. warum eigentlich der Herr Minister für Bundesrats-
angelegenheiten, von dem ich glaube, daß er in sei-
Mir scheint im großen und ganzen, daß in der ner Tätigkeit nicht durch übermäßige Arbeitsfülle
Frage der ausländischen Studenten bei uns eine be- verhindert ist, sich nicht angelegentlicher um dieses
scheidene Änderung der politischen Richtung ge- Gebiet und um Maßnahmen auf diesem Gebiet küm-
boten ist, insbesondere was die Vergabe von Sti- mert, auf dem er mir in hohem Maße zuständig zu
pendien betrifft, wenn mir auch klar ist, daß wir sein scheint. Hier könnte er bei den auftretenden
damit nur einen sehr kleinen Teil erreichen; denn Schwierigkeiten dem Auswärtigen Amt eine Menge
praktisch sind nur 15% aller auswärtigen Studie- von Ungelegenheiten im Verkehr mit der Kultus-
renden Stipendienstudenten. Aber ich möchte doch ministerkonferenz, den Bundesländern oder dem
folgendes bemerken. In Afrika und in Asien, beson- Bundesrat abnehmen.
ders aber in Afrika, gibt es erstklassige Universi-
täten und Technische Hochschulen mit viel freier Kulturarbeit hat heute - darüber gibt es gar
Kapazität, da die afrikanischen Eltern in der Regel keinen Zweifel mehr — in Europa eine ,andere Ziel-
zu arm sind, um ihre Kinder studieren zu lassen. setzung als in Afrika, in Asien eine andere als in
Die von der UNESCO in diesem Herbst veranstal- Amerika. Sie können unsere wichtigsten Verbünde-
tete Konferenz über die Entwicklung des Erzie- ten, z. B. die USA, in dieser Hinsicht nicht behandeln
hungswesens in Afrika hat empfohlen, Stipendien wie irgendein ähnlich großes Land in Asien. Die
nur noch den Ländern anzubieten, die keine eige- Aufgabenstellung ist eine andere. Dieser Diversität
nen Universitäten haben. Die afrikanische Rektoren- der Aufgabe ist aber die Organisation der Kultur-
konferenz im Oktober dieses Jahres ist sogar noch arbeit nicht gewachsen. Sie bedarf einer grundsätz-
weiter gegangen und hat gemeint, daß das ganze lichen Reform, in der sich in gewisser Weise auch
Undergraduate-Studium an afrikanische Universi- die Neuorganisation des Amtes widerspiegelt. Sie
täten verlegt werden sollte. bräuchte eine Europaabteilung, eine Afrikaabtei-
Ein zweites Moment ist — ich habe mich auf lung, eine Asienabteilung, und sie müßte das Refe-
mehreren Reisen selber davon überzeugen können, rat, das sich mit unseren Kulturbeziehungen zu
insbesondere in Asien -, daß viele in der Bundes- internationalen Organisationen befaßt, von vielen
republik ausgebildete Fachkräfte in ihrem Heimat- anderen Aufgaben entlasten. Allein die unzuläng-
land keine ihrer Ausbildung entsprechende Stellung lichen organisatorischen und personellen Voraus-
finden. Es scheint mir, daß auf diesem ganzen Ge- setzungen dieser Abteilung bewirken, daß die Kul-
biet in Zukunft eine etwas sorgfältigere Planung turbeziehungen weit hinter den wirtschaftlichen und
Platz greifen müßte. politischen Beziehungen mit anderen Ländern zu-
Unsere nächste Frage bezieht sich auf die orga- rückgeblieben sind.
nisatorischen und personellen Voraussetzungen der
Kulturabteilung des Auswärtigen Amts. Noch immer Noch ein Wort über das Verhältnis der Abteilung
gilt diese Abteilung zuwenig in Ihrem Haus, Herr zu den Organisationen, mit denen sie zusammen-
Minister. Man könnte auch hier die grundsätzliche arbeitet und in die sie einen Teil ihrer Aufgaben
Frage, die öfters diskutiert worden ist, anknüpfen, hineingelegt hat, wie das Goethe-Institut, den Aka-
ob die Arbeit dieser Abteilung überhaupt in Ihr demischen Austauschdienst, die Humboldt-Stiftung
Haus gehört. Wir sind der Meinung, daß sich hier und andere. Diese Organisationen arbeiten heute
nun einmal eine Tradition eingebürgert hat. Einiges an unseren auswärtigen Missionen selbständig, und
wird in Ihrem Hause gemacht. Die Kulturarbeit ein direktes Weisungsrecht des beauftragten Kultur-
draußen ist ein untrennbarer Bestandteil der Außen- referenten ihnen gegenüber besteht nicht. Die Zu-
politik, und deswegen kann das Leiten und Planen sammenarbeit klappt überall da, wo das menschliche
nicht aus dem Ministerium herausverlegt werden. Verhältnis harmonisch ist. Aber wie Sie selbst wis-
Aber es gibt eine Diskrepanz zwischen den 172 Mil- sen, kann das menschliche Verhältnis nicht immer
lionen DM, die in dieser Abteilung verplant wer- harmonisch sein, und ich finde, man muß auch für
den, und der Zahl der Verwalter, die damit beschäf- solche Fälle Vorsorge treffen. Ich würde einer Rege-
tigt sind. Eines der größten Probleme dieser Abtei- lung des Verhältnisses zu diesen Organisationen
lung ist, ,daß die Mitarbeiter vor Verwaltungsarbeit den Vorzug geben, die auch der Möglichkeit Rech-
kaum noch zum Planen und Nachdenken kommen. nung trägt, daß das persönliche Verhältnis zwischen
Die Klage über unbeantwortete oder viel zu spät dem Kulturreferenten und den Leitern dieser In-
beantwortete Post reißt nicht ab. Entscheidungen, stitute kein besonders herzliches ist — das kommt
die von außen angefordert worden sind, kommen vor — und daß dort etwas gänzlich anderes gemacht
oft so spät, daß sie durch den Gang der Ereignisse wird, als was sich der Kulturreferent für die politi-
überholt sind. sche und kulturpolitische Arbeit in dem betreffenden
Lande vorstellt.
Glücklicherweise kann man feststellen, daß we-
nigstens auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit In manchen Ländern ist es heute so, daß die Funk-
der Kultusministerkonferenz sich einige positive tion des Kulturreferenten praktisch auf die eines
Nuancen abzeichnen. Aber diese Konferenz kann ja Verwaltungsmannes abgesunken ist. Da könnten
immer nur Empfehlungen aussprechen. Eigentlich Sie an seine Stelle auch einen Konsularsekretär
brauchte das Auswärtige Amt ein noch intensive- setzen; der könnte das nämlich auch machen. Ich
4720 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
glaube nicht, daß eine solche Lösung im Interesse Heute höre ich, daß Sie die Personalpolitik er-
der Bundesrepublik liegt. folgreich gegen die Lobbyisten von außen abge-
Noch ein Wort über die Zusammenarbeit mit den schirmt hätten. Wenn dem so ist, wäre das ein Ver-
nachfolgenden Organisationen, die Kulturarbeit ma- dienst. Aber wir kommen an der Tatsache nicht vor-
chen. Es scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, daß bei, daß der Chef Ihrer Personalabteilung nun-

hier die Bestimmung vorherrscht, daß die Verwal- mehr sozusagen in der dritten Generation — kein
tungskosten bei den ständigen Zuschüssen, die dort Mann aus dem auswärtigen Dienst ist, auch kein
geleistet werden, nur 7 % über den Personalkosten Mann, der jemals im Ausland war.
liegen dürfen. In der Kulturarbeit sind solche bin- Man muß in diesem Zusammenhang mal fragen:
denden Vorschriften, die eigentlich geradezu einer Wieso gilt eigentlich die Regelung bei der Einstel-
Aufblähung des Personalapparates das Wort reden, lung in den auswärtigen Dienst, daß die Eingestell-
meiner Ansicht nach etwas unsinnig. ten mindestens eine Fremdsprache beherrschen
(Abg. Lohmar: Wer hat das angeordnet?) müssen, für die Personalreferenten aber nicht? Die
einzige „Fremdsprache" von der ich glaube, daß
— Das ist eine haushaltstechnische Anordnung, die Herr Raab sie beherrscht, ist Rheinisch.
vom Auswärtigen Amt und seinen Inspektoren den
nachgeordneten Organisationen auferlegt ist. (Zuruf: Ist das nichts? — Heiterkeit.)
Lassen Sie mich nun etwas zu der Frage 9 sagen, An den auftretenden Unzulänglichkeiten bei der
also zu der Frage, welche Erfahrungen die Bundes- Besetzung ausländischer Missionen sind meines Er-
regierung mit Kulturreferenten gemacht hat, die achtens eine Reihe von Faktoren schuld, erstens
keinLaufbhmtsd.Healnichm einmal, daß, Herr Minister, Fehlentscheidungen in
Amt selber diejenigen, die nur Angestellte und Ihrem Amt offenbar aus Gründen der Autorität
Spezialisten sind, und Beamte etwa die Waage. Ihres Personalchefs grundsätzlich nicht rückgängig
Aber ich möchte sagen, im Amt fehlt ein bißchen gemacht werden, und dann, daß in dem Kollegium,
die Neigung, besonders qualifizierte Köpfe für die in dem Sie jetzt Ihre personalpolitischen Entschei-
Aufgabe des Kulturreferenten heranzuziehen und dungen treffen, einer der Hauptakteure — eben der
heranzubilden. Es scheint eine Politik zu sein, daß Personalreferent — den auswärtigen Dienst aus ei-
man diese Aufgaben überwiegend Beamten über- gener Erfahrung nicht kennt. Und keiner Ihrer bei-
tragen will, die aus dem eigentlichen allgemeinen den Staatssekretäre, denen man viel Lob zollen
Dienst stammen, und wir müssen unsere große muß, hat überhaupt jemals irgendeine Zeit auf einer
Skepsis anmelden, ob eine solche Politik die richtige auswärtigen Mission verbracht. Offenbar werden
ist. Jedenfalls, die Parade, die wir nach der Tagung bei solchen Ernennungen auch Konsultationen mit
I der Kulturreferenten in Maria-Eich gesehen haben, erfahrenen Referenten nur im Ausnahmefall ge-
hat doch sehr deutlich gezeigt, daß zumindest das pflogen.
Amt für seine kulturelle Auslandsarbeit noch ganz
Der nächste Faktor ist wohl die Illusion vom so-
gut eine Reihe von exquisiten Köpfen gebrauchen
genannten allgemeinen Dienst, d. h. die Vorstel-
kann.
lung, daß jeder im auswärtigen Dienst grundsätzlich
Das alles aber hängt doch wohl eng mit der all- für jedes Amt geeignet sein muß. Dieses Prinzip
gemeinen Personalpolitik des Auswärtigen Amts ist ohnehin durchbrochen durch die zahlreichen kli-
zusammen. Ich möchte nicht in den Verruf kommen matisch schwierigen Positionen, auf die man eine
oder sozusagen der Mißdeutung ausgesetzt wer- Reihe von Herren Ihres Hauses aus gesundheit-
den, daß ich das, was ich jetzt sage, etwa deshalb lichen Gründen nicht schicken kann. Inzwischen
sage, weil ich, da ich irgendwo nicht richtig behan- müßte sich aber bei Ihnen doch auch herumgespro-
delt worden sei, verschnupft sei. Das ist unter gar chen haben, daß ein Mann, der vielleicht in Den
keinen Umständen der Fall. Ein Botschafter einer Haag oder in Teheran sehr gut ist, möglicherweise
unserer größeren Missionen hat neulich bei Antritt — es ist ein Beispiel — in Delhi versagt oder in
seines Amts seinen Mitarbeitern gesagt, er halte die Djakarta sogar fehl am Platz ist. Die Aufgaben-
Betreuung von Ministern und Abgeordneten für stellung des Amtes und das Handwerk der Diplo-
eine der wichtigsten Aufgaben einer Botschaft, weil matie haben sich verändert, was freilich viele nicht
die Botschaft sozusagen nach dieser Betreuung be- wahrhaben wollen; sonst könnte es einem nicht pas-
urteilt werde. Das ist ein sehr weiser Satz, Herr sieren, daß ein Botschafter in einem Lande, in dem
Minister. Ich kann Ihnen für die Betreuung, die die meisten Führer der zu der Regierung in Opposi-
man an. unseren auswärtigen Missionen erfährt, für tion stehenden Gruppen nicht in der Lage sind, ir-
die Gastfreundschaft und die Hilfe, die einem dort gendeine der europäischen Sprachen zu sprechen, in
gewährt werden, nur das Zeugnis 1 a ausstellen. dem man nicht einmal die Aufschrift auf einem Om-
nibus lesen kann, wenn man durch die Straßen
Ein kluger Mann aus Ihrem Amt hat einmal ge-
der Hauptstadt geht, erklärt, er glaube, daß die Be-
sagt, daß die Personalpolitik unter Ihrem Vorgänger
herrschung der Landessprache für Herren seiner
aus drei Komponenten zusammengesetzt gewesen
Mission eine überflüssige Angelegenheit sei; das
sei, nämlich aus den Wünschen des ehemaligen
sei keine Frage, die für seine Berichte und über-
Bundeskanzlers Dr. Adenauer und seines Staats-
haupt für die Beziehungen der Botschaft zu diesem
sekretärs, aus den Vorurteilen des damaligen
betreffenden Land eine bedeutsame Rolle spiele.
Außenministers und aus den Pressionen von Grup-
pen, die von außen her in das Amt hineingewirkt Das Potential des Amtes an in seltenen Sprachen
haben. erfahrenen Herren, Herr Minister, wird überhaupt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4721
Kahn-Ackermann
gelegentlich recht kurios eingesetzt. Ich habe mir habe, er sei dort der auf ihn harrenden delikaten
sagen lassen, daß beispielsweise in diesem Jahr Aufgabe nicht gewachsen. Und schließlich die offen-
— ich weiß nicht, ob es wahr ist; vielleicht demen- bare Folge dieser Personalpolitik: daß ein Teil der
tieren Sie es — drei Herren des höheren Dienstes Botschaften eines ganzen Kontinents von Herren
nach Moskau hätten versetzt werden sollen, die geleitet wird, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen
weder russisch sprachen, noch irgendeine Vorkennt- und nicht fähig sind. Um jedem Mißverständnis vor-
nis von diesem Land hatten. Ich kann verstehen, zubeugen, Herr Minister: das ist nicht meine Mei-
daß ein junger Mann auch mal nach Moskau muß, nung, sondern das ist die Meinung eines Ihrer treff-
um das Land kennenzulernen und auch die Sprache lichen Herren, der es als der für diesen Kontinent
zu lernen. Wenn aber das zuträfe, daß gleich ein zuständige Referent eigentlich wissen müßte.
solcher Massennachschub geplant war, wäre das (Zurufe von der Mitte: Na, na!)
doch etwas eigenartig.
Ich bin kein Fürsprecher des Proporzes; im diplo-
Ich entsinne mich an meinen Besuch in Hongkonk, matischen Dienst schon gar nicht. Aber bei der
wo mir erzählt wurde, daß ein großer Mangel an riesigen Zahl unserer auswärtigen Vertretungen fällt
chinesisch sprechenden Herren bestehe, die zur es doch auf, daß über einigen recht offen die Fahne
Auswertung der Presse usw. benötigt würden, wäh- der Regierungspartei flattert, während von der
rend man drei oder vier gar nicht so weit entfernt Opposition zur Zeit nur noch e i n Herr vorhanden
liegende Orte nennen könne, in denen zur gleichen ist. Ich wäre sehr froh, wenn Sie mich eines Besse-
Zeit chinesisch sprechende Herren in absolut unter- ren belehren würden. Ich will gar nicht Kritik daran
geordneten Positionen tätig seien. Ich glaube also, üben, aber ich möchte sagen, es ist ein bißchen
daß hier eine gewisse Rationalisierung in der Ar- vielleicht ein Symptom, das durch eine Entwicklung
beit von Wert wäre. hervorgerufen worden ist, die nicht so ganz mit
Mangelnde Sprachkenntnisse führen natürlich zur dem Charakter des Auswärtigen Dienstes überein-
Verwendung von einheimischen Kräften. Da muß es stimmt. Mein Freund Wischnewski hat schon vor
manchmal überraschen, wenn man erfährt, daß sol- geraumer Zeit darauf hingewiesen, daß Botschaft
che als V-Leute aus den Bürgern des Gastlandes nicht gleich Botschaft ist und daß die Hilfsreferenten,
rekrutierte Personen, die sich im Dienst oder im die unter afrikanischer Sonne ihre Beglaubigungs-
Nachfolgedienst unserer Missionen befinden, häufig schreiben überreichen, vielleicht nicht in Ihren Au-
eher über bevorstehende personalpolitische Verän- gen, Herr Minister, aber doch in den Augen der
derungen an der Mission unterrichtet sind, von Bürokratie und des Amtes weiter Hilfsreferenten
der sie verwendet werden, als der Geschäftsträger, bleiben. Das führt zu der direkten Überlegung, ob
der Generalkonsul oder der Botschafter. Das weist nicht das traditionelle Bewertungsschema unserer
doch immerhin darauf hin, daß solche Leute noch Auslandsvertretungen vielleicht einem revolutionä-
direkte Drähte zu Ihrem Amt haben und von dort ren Akt unterworfen werden sollte, der die tatsäch-
eben schneller bedient werden als der eigentliche liche Bedeutung des Platzes dem Rang des Botschaf-
Missionschef. ters angleicht.
Das merkwürdige System, nach dem offenbar seit
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Jahren gelegentlich Missionschefs ausgesucht wer-
Kahn-Ackermann, gestatten Sie, daß ich darauf auf-
den, zeitigt auch andere Folgen. Ich muß sagen, ich merksam mache, daß nach § 39 der Geschäftsord-
persönlich empfinde es nicht gerade sehr angenehm,
nung die Redezeit im allgemeinen nicht viel mehr
wenn man bei dem Besuch einer Botschaft schon
als eine Stunde betragen soll.
bald von einem jüngeren Herrn im konsularischen
Dienst erfährt (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg: Was hat
das mit der Sache zu tun?) Kahn-Ackermann (SPD) : Schließlich lassen Sie
mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort über
— das hat alles etwas damit zu tun, denn es handelt die Angestellten sagen, weil unter ihnen eine be-
sich um Fragen der Personalpolitik, und ich glaube, sonders große Zahl von Kulturreferenten ist. Hier
wir sollten diese Angelegenheit hier einmal be- gibt es nach dem geltenden Bundesangestelltentarif
rühren, denn es geht hier um die Verwendung von völlig ungenügende Aufstiegschancen, und hier er-
Spezialisten, und Spezialisten sind in diesem Falle reicht eine manchmal formalistische Personalpolitik
auch die Leute, die in der Kulturpolitik tätig sein des Amtes zuweilen einen gewissen Höhepunkt an
sollen —, Unsinnigkeit, wenn man von der Vorstellung aus-
(Abg. Dr. Dittrich: Plaudereien am Kamin!) geht, daß ein Angestellter nichts mehr zulernen
könne. Wie könnte es sonst geschehen, daß Missio-
daß etwa der Botschafter nichts tauge, und wenn nen angewiesen werden, Angestellten, die sich zu
einem diese Tatsache nachher von Herren des hö- Spezialkennern des Landes emporgearbeitet haben,
heren Dienstes bestätigt wird. Das finde ich etwas die Ausübung ihrer augenblicklichen Funktion zu
eigenartig. untersagen, weil diese nicht zu den Tätigkeits-
Es gibt noch viel Interessanteres. Herr Minister, merkmalen der Tarifgruppe gehöre, in der sie dort
ich habe mir sagen lassen, daß es eine diplomati- beschäftigt sind! Auf diese Art und Weise hat —
sche Mission gibt, die auf Anweisung aus dem Amt das wissen Sie selber — das Amt in den letzten
von dem zuständigen Geschäftsträger überhaupt Jahren einige ungewöhnlich tüchtige Angestellte in
gar nicht betreten werden darf, weil man Angst leitenden Funktionen verloren.
4722 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Kahn-Ackermann
Lassen Sie mich jetzt noch einiges zu dem Punkt UNESCO-Institut in Hamburg erhalten bleibt, was
10, der Frage der Kulturabkommen, sagen. Ich nach vielen Mühen auch gelungen ist, während jetzt
möchte mich auf ein einziges Beispiel in bezug auf plötzlich der Finanzminister aus technischen Grün-
unser Kulturabkommen mit Frankreich beschrän- den diesem Institut vorübergehend die Zuschüsse
ken. Seit 1954 haben wir dort eine Gemischte Kom- entzogen hat, was eine große Verärgerung im Ge-
mission. Trotz der in dem Kulturabkommen enthal- neralkonsulat der UNESCO hervorgerufen hat und
tenen Bestimmungen ist in den meisten der dort was sicherlich keine gute Sache war, da ein Zwei-
behandelten Fragen immer noch kein großer Fort- fel darüber bestehen muß, was wir auf diesem Ge-
schritt erzielt worden. Beispielsweise berät die biet eigentlich wollen.
Kommission seit sechs Jahren über die gegenseitige Noch eine Bemerkung zu diesem Thema. Die Bun-
Anerkennung der Zeugnisse und Semester. Man desrepublik hat im Zuge des UNESCO-Programms
muß sich in diesem Zusammenhang klar sein, daß der Rettung der nubischen Tempel in Kalabsha einen
solche Abkommen — das Kulturabkommen ist ja guten Beitrag geleistet. Ich muß aber sagen, daß die
jetzt noch unterstützt worden durch den Vertrag, Handhabung unserer Mitwirkung bei der Rettung
den wir geschlossen haben — nicht historische des großen Tempels von Abu Simbel uns nicht ge-
Unterschiede wegwischen. Wir haben beispiels- rade zur Ehre gereicht hat. Ich kann nicht begreifen,
weise, das wissen Sie ja, 20 Millionen DM für den daß man einem Land, in dem wir auf der Ebene der
Jugendaustausch mit Frankreich bereitgestellt. Man Entwicklungshilfe große Mengen Geld investieren,
muß sich darüber klar sein, daß dieser Jugendaus- lange Zeit gezögert hat, ein paar Millionen zu ge-
tausch überwiegend eine Frage der gegenseitigen ben, um dieses in der Menschheitsgeschichte ein-
Sprachkenntnisse ist. In diesem Zusammenhang malige Denkmal zu retten, und daß bei den entschei-
spielen die in dem Kulturabkommen vorgesehenen denden Verhandlungen, die vor kurzem in Kairo
Bestimmungen, daß der gegenseitige Sprachunter- stattgefunden haben, die Bundesrepublik auf der
richt gefördert werden soll, eine große Rolle. Wenn Konferenz der beteiligten Mächte durch einen Lega-
hier auf dieser einen Seite so viel Geld für diesen tionsrat vertreten war, der von der Botschaft ent-
Zweck ausgegeben wird, wie in der Praxis gar nicht sandt worden ist und der über die ganze Angelegen-
unterzubringen ist, dann kann ich es auf der ande- heit überhaupt nicht informiert worden ist, so daß
ren Seite nicht begreifen, warum das Geld nicht vor- wir dort einen denkbar ungünstigen Eindruck hinter-
handen ist, um die von den Franzosen gewünschte lassen haben.
Vermehrung der Zahl der Deutsch-Lektoren an Ich möchte auch gerne wissen, wie sich die Bun-
ihren Oberschulen durchzuführen. Das wäre doch desregierung zukünftig zur UNESCO-Politik stellt,
im Rahmen unserer Kulturpolitik, im Rahmen die- ob sie damit einverstanden ist, daß das Budget der
ser Kulturabkommen eine sinnvolle Aufgabe! UNESCO um 20 % angehoben wird, ob sie Möglich-
Schließlich und endlich möchte ich noch auf ein keiten erkennt, die uns im Rahmen der UNESCO-
zweites Kulturabkommen zu sprechen kommen, Politik gegeben sind, auch mit den osteuropäischen
nämlich das Kulturabkommen mit der Südafrika- Staaten in einen gewissen kulturellen Austausch
nischen Union. Herr Minister, ich möchte Sie fragen, zu kommen, und welche Beiträge sie zum Ost-West-
wer auf die Idee gekommen ist, dieses Abkommen Programm der UNESCO zu liefern gedenkt.
zu schließen, und ob dieses Abkommen denn auch Punkt 12 unserer Großen Anfrage betrifft die Ab-
jenen zugute kommt, die unter der Rassentrennungs- grenzung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem
politik in der Südafrikanischen Union zu leiden Ministerium des Herrn Scheel. Ich höre, daß inzwi-
haben, und ob es denn die Politik der Bundesregie- schen eine Abgrenzung zwischen den beiden Mini-
rung sein kann, ein solches Kulturabkommen zu sterien gefunden worden ist. Das scheint mir eine
schließen, das diesem Teil, dem überwiegenden Teil erfreuliche Folge dieser Großen Anfrage zu sein.
der Bevölkerung in diesem Lande, nicht zugute Der Dschungelkrieg, der zwischen dem Auswärtigen
kommt. Amt und dem BMZ geführt worden ist, ist unerträg-
Unter Punkt 11 unserer Großen Anfrage fragen lich gewesen. Lange Zeit hat man sich vielfach nicht
wir nach der Zusammenarbeit mit der UNESCO. Da gegenseitig informiert, und der Aktentransfer hat
gibt es eine Reihe von Aufgaben. Ich möchte nur häufig Monate in Anspruch genommen.
daran erinnnern, daß von den 1200 Stellen des Pro- Herr Minister, ich hoffe, daß die echte Koopera-
gramms der Technischen Hilfe der UNESCO nur 36 tion nun einsetzt. Ich fürchte nur, daß sich das nicht
von Deutschen besetzt sind, obwohl wir das Land ändern wird, solange der Herr Scheel sich mehr als
sind, das den fünftgrößten Beitrag in dieser Orga- Ko-Pilot denn als Chefmechaniker in einem ihm zu-
nisation zahlt. gewiesenen technischen Bereich fühlt.
Die UNESCO ist eine Körperschaft geworden, in Ein Wort zum Schluß. Ich hoffe, daß diese Debatte
der die Auseinandersetzungen immer politischer zu einer klaren Zielsetzung unserer auswärtigen
werden und in der die Zone auf Anerkennung Kulturpolitik, zu einer wirkungsvolleren Arbeit, zur
drängt. Ich fürchte, daß die deutsche Haltung in die- Abstellung der Mängel und zur Reorganisation der
ser Organisation diesen Bestrebungen nicht immer Kulturabteilung führt. Man kann nicht 175 Mil-
Rechnung trägt. Unser ganzes Engagement in der lionen mit ebensoviel Leuten und mit der gleichen
UNESCO ist überhaupt etwas merkwürdig. Ich Organisation verplanen und verteilen wie 20 Mil-
denke daran, daß wir beispielsweise auf der letzten lionen. Man darf dann nicht erwarten, daß sich der
Generalkonferenz mit allen uns zu Gebote stehen- erhoffte Erfolg einstellt. Der gegenwärtige Zustand
den Hilfsmitteln dafür gekämpft haben, daß das ist nicht sehr sinnvoll. In diesem Haus ist seit Jah-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4723
Kahn-Ackermann
ren vergeblich versucht worden, die Regierung zur tes für diese Aufgaben nicht der richtige Mann sei.
Einsicht zu bewegen, gelegentlich auch in diesem Ich drücke das einmal ganz einfach aus. In diesem
Bereich die Kollegen des Haushaltsausschusses. Punkte bin ich ganz anderer Meinung. Ich schätze
Aber die Initiative hier muß beim Außenminister den Leiter der Personalabteilung als einen hervor-
liegen, und das war bisher nicht immer übermäßig ragenden Mann. Ich selbst bin es gewesen, der ihn
spürbar. Mit Ihrem Vorgänger, Herr Minister, habe daran gehindert hat, jetzt eine Auslandsvertretung
ich darüber in diesem Hause öfter diskutiert und zu übernehmen, weil ich glaube, daß seine Wirk-
auch korrespondiert. Seine nie erfüllte Hoffnungen samkeit, um wirklich einen vollen Ertrag bringen zu
erweckenden Briefe könnte man vielleicht heute in können, noch länger dauern sollte. Ich möchte mich
einem sehr schmalen, „Lieben Sie Brecht?" — nicht also wirklich, da er dann und wann auch öffentlich
Brahms! Brecht! — titulierten Bändchen veröffent- angegriffen wird, in aller Form und mit großer
lichen. Wir hoffen, daß Ihre Antwort den Willen Überzeugung vor ihn stellen. Es gibt sehr wenig
zu einer planvollen Intensivierung der auswärtigen Leute, die geeignet und bereit sind, eine so opfer-
Kulturpolitik deutlich macht. Es wäre zu schade, volle und beschwerliche Position wie die des Lei-
wenn Ihre heutige Antwort, um nochmals mit ters einer so großen Personal- und einer so großen
Françoise Sagan zu sprechen, mit der Überschrift Verwaltungsabteilung zu übernehmen. Ich würde
„Bon jour tristesse" versehen werden müßte. Ihnen beinahe eine Wette anbieten, daß wir, wenn
wir alle unsere B-8-Botschafter, also alle Botschaf-
(Beifall bei der SPD und Heiterkeit. —
ter in einer vergleichbaren Kategorie, befragen wür-
Zuruf von der CDU/CSU: Es ist schon
den, ob sie bereit wären, in das Auswärtige Amt
Abend, Herr Kahn-Ackermann! — Abg. Dr.
zurückzukommen und mit ihren hervorragenden Er-
Dittrich: Löscht die Lichter aus!)
fahrungen im Auslande ihrem Vaterlande an die-
ser speziellen Stelle zu dienen, nicht übermäßig viel
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Große Anfrage Zusagen zu erwarten hätten. Damit will ich den
ist begründet. Das Wort hat der Herr Bundesmini- Herren nicht zu nahe treten. Ich will nur die Schwie-
ster des Auswärtigen. rigkeit und das Beschwerliche dieser Position mit
Nachdruck herausstellen.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der In anderem Zusammenhang ist vom Kollegen
Herr Kollege Kahn-Ackermann hat eine Menge von Kahn-Ackermann gesagt worden, daß wir personell
Gedanken und eine Fülle von Tatsachen vorgetra- sehr knapp seien — das ist ganz offensichtlich —
gen. Ich bin ihm dafür herzlich dankbar, für den und daß wir auch an sprachbegabten Leuten sehr
einen Teil mehr, für den anderen Teil weniger, wie knapp seien; auch das ist richtig. Ich bezweifle das
das so zu sein pflegt. Wir haben uns zuletzt in nicht einen Augenblick. Wenn ich Ihnen durch einen
Djakarta getroffen. Ich erwähne das nur, um aus Blick in unsere Kartei einmal zeigen würde, wie-
eigenem Wissen zu bestätigen, wie sehr sich der viel Beamte des höheren Dienstes wir haben, die
Herr Kollege Kahn-Ackermann eine Information der russischen Sprache mächtig sind, dann werden
über die hier zur Erörterung stehenden Tatbestände Sie sehr schnell einsehen, wie schwer es ist, eine
hat angelegen sein lassen. Mission wie die in Moskau zu besetzen. Das gilt für
andere Fälle cum grano salis. Deswegen kann man
An sich sind Debatten der hier angeregten Art nicht mehr tun, als unter dem vorhandenen Perso-
sehr schwierig. Wir sind gegen Abend in diesem- nal s o gut wie möglich auszusuchen und dafür zu
Hohen Hause in eine etwas intimere Atmosphäre sorgen, daß auch dem Beet des Nachwuchses all-
geraten, wenn man die Zahl der Teilnehmer als mählich mehr und mehr brauchbare Kräfte heran-
einen Ausdruck der Intimität auffassen will. gezogen werden.
(Heiterkeit.) Ich bin in der Tat der Meinung, daß wir für die
In der Tat eignet sich ein derartiges Thema, wenn Sprachenausbildung noch sehr viel tun müssen und
es in eine solche Fülle von Punkten zerfällt, nur vielleicht noch ganz andere Wege beschreiten müs-
wenig zu einer Plenarbehandlung. Ich bitte des- sen. — Bitte sehr, Herr Kollege Dresbach.
wegen zu entschuldigen, wenn ich nicht auf die
Fülle der Fragen, die Herr Kollege Kahn-Acker- Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Herr Mini-
mann über die formulierten Fragen hinaus gestellt ster, können die Herren denn nicht noch eine Spra-
hat, so ohne weiteres eingehen kann. che dazulernen? Ich darf Sie darauf aufmerksam
machen, daß der Großvater unseres Kollegen Bis-
Gewisse Teile seiner Darlegungen bewegten sich marck mit 45 Jahren in Petersburg noch Russisch
im Bereich des Budgetrechts. Fragen, die er hinsicht- gelernt hat.
lich der Vermehrung von Stellen vorgebracht hat, (Heiterkeit.)
können in sehr nützlicher Weise noch einmal in der
Haushaltsdebatte aufgenommen werden. Fragen der
personellen Kritik eignen sich auch nicht unbedingt Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Dresbach, ich bin Ihnen für diese Frage
zur Beantwortung im Plenum. Trotzdem will ich auf
dankbar. Sie gibt mir Gelegenheit zu sagen, daß
einiges davon gleich, bevor ich zu den formulierten
natürlich erwartet werden muß -- in manchen Fäl-
Fragen Stellung nehme, eingehen.
len ist es sicherlich ein gewisses Opfer daß die
Im Grunde lief die Kritik darauf hinaus, daß der Herren, die in ein Land der Welt versetzt werden,
Leiter der Personalabteilung des Auswärtigen Am dessen Sprache sie nicht beherrschen, das Äußerste
4724 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
tun, um mindestens in den Gebrauch dieser Sprache schläge des verlorenen Krieges, die Auflösung zahl-
einigermaßen hineinzuwachsen. Das gehört zu den reicher deutscher Bildungseinrichtungen im Ausland
Pflichten eines Diplomaten in einer solchen Stellung, und die finanzielle Enge gestatteten nur langsam,
und es gibt dafür auch gute Beispiele, wie mir diese Tätigkeiten wieder aufzunehmen und zu er-
scheint. weitern. Hinzu kommt, daß die Kompetenzvertei-
lung auf kulturellem Gebiet die Tätigkeit des Bun-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Bundesmini- des bei der Pflege der kulturellen Beziehungen zum
ster, verzeihen Sie. Gestatten Sie auch eine Frage Ausland schwerfälliger als z. B. in Frankreich und
des Herrn Abgeordneten Sanger? Großbritannien macht.
In den ersten Jahren beschränkte sich die Kultur-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: arbeit im Ausland darauf, Stück um Stück der durch
Natürlich, bitte sehr! das Dritte Reich und den Krieg verlorenen Positio-
nen zurückzugewinnen. Die Bundesregierung war
Sänger (SPD) : Herr Bundesminister, könnte der bemüht, die klassischen Mittel der kulturellen Wir-
Mangel an geeignetem Personal für manche Teile kung im Ausland wieder aufzubauen. Dabei sind an
des Auslands nicht auch daran liegen, daß die Vor- erster Stelle das deutsche Auslandsschulwesen und
aussetzungen für die Personalauswahl einmal über- daneben der Professoren- und Studentenaustausch
dacht werden müßten und daß man vielleicht auch zu nennen. Der Deutsche Akademische Austausch-
zu anderen Prinzipien als den bisherigen für die dienst zur Vergabe von Stipendien an ausländische
Ausbildung des geeigneten Personals kommen Studenten und die Alexander-von-Humboldt-Stif-
müßte? tung für Stipendien an Ausländer mit abgeschlos-
senem Hochschulstudium wurden wieder gegründet.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Neue Wege konnten erst seit 1955 beschritten
Herr Kollege Sänger, wir haben schon häufiger dar-
werden. Die Betreuung von ausländischen Studen-
über nachgedacht, ob die derzeitigen Sprachenerfor-
ten und Praktikanten in der Bundesrepublik wurde
dernisse, die wir für den Eintritt in den auswärtigen
eine der Hauptaufgaben. Das erste deutsche Kultur-
Dienst aufstellen, richtig sind oder nicht. Das ist ein
institut nach dem zweiten Weltkrieg wurde 1955 in
sehr, sehr schwieriges Thema. Wir haben sogar ge-
Rom eröffnet. Seit 1960 wurde das Goethe-Institut
legentlich daran gedacht, die sprachlichen Erforder-
in München mit der Verwaltung der vom Bund er-
nisse eher herabzusetzen, um eine größere Aus-
richteten Kulturinstitute beauftragt. 1961 wurde der
wahlbreite zu bekommen und unsererseits dann
Kulturpolitische Beirat als Beratungsorgan des Aus-
mehr für die Sprachenausbildung zu tun. Aber es
wärtigen Amts gegründet. Eine Reihe von großen
istehrcw,dnWgzubestim rn
Gastspielen brachte deutsche Kunst in alle Teile der
mit einiger Sicherheit an das Ziel kommen läßt, das
Erde. Daneben wurden Versuche mit folkloristischen
wir erreichen müssen.
und ähnlichen Darstellern unternommen. Der rasch
Erlauben Sie mir nun, daß ich die Fragen, die ge- wachsenden Bedeutung der Massenmedien, Rund-
stellt worden sind, in der Reihenfolge beantworte, funk, Film und Ton, für die kulturellen Beziehungen
wie sie vorgetragen worden sind. zum Ausland wurde Rechnung getragen. Auch auf
Zunächst zur Frage 1. Die Pflege der kulturellen dem Gebiet der Erwachsenenbildung, der Jugend-
Beziehungen zum Ausland bildet seit dem Ende des pflege und des Sports wurden zahlreiche Verbin-
ersten Weltkrieges einen immer wichtiger gewor- dungen mit anderen Ländern angeknüpft, wobei die
denen Teil der deutschen Außenpolitik. Diese Ar- Entwicklungsländer eine besondere Rolle spielen.
beit begann am Ende ,des vergangenen Jahrhunderts Ein großes Gästeprogramm wurde aufgestellt, das
mit der staatlichen Förderung von deutschen Bil- Persönlichkeiten nach Deutschland bringt, die durch
dungseinrichtungen im Ausland, insbesondere der ihre Tätigkeit in ihrem eigenen Land eine Kenntnis
archäologischen und historischen Institute und der der deutschen Verhältnisse verbreiten können. Ein
deutschen Auslandsschulen. Es folgte die staatliche großzügiges Hilfswerk 'wurde für die kulturelle,
Förderung des Austausches von Professoren, Do- nicht missionarische Tätigkeit der Kirchen, vor
zenten, Studenten und Praktikanten. In diesem allem in den Entwicklungsländern, ermöglicht.
Sinne war der Deutsche Akademische Austausch- Die vom Parlament im Kultur- und Schulfonds zur
dienst seit 1925 mit staatlichen Geldern tätig. Ein Verfügung gestellten Mittel für diesen Zweck sind
weiteres Arbeitsgebiet war die systematische För- von 2,8 Millionen DM im Jahre 1952 auf 165 Millio-
derung der Verbreitung der deutschen Sprache und nen DM im Jahre 1963 gestiegen. Damit ist ein Um-
Kultur durch die Einrichtung von Sprachkursen und fang erreicht, der ungefähr den Bemühungen von
Kulturinstituten. 1932 wurde zu diesem Zweck das Frankreich und Großbritannien auf diesem Gebiet
Goethe-Institut in München gegründet. Ein viertes entspricht. Trotz der Schwierigkeiten, die in der Bun-
Tätigkeitsfeld rückte nach dem zweiten Weltkrieg desrepublik dieser Arbeit entgegenstehen — der Tat-
immer stärker in den Vordergrund: die internatio- sache, daß keine historische Hauptstadt vorhanden
nale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Bildungs- ist, keine so verbreitete Sprache wie Englisch oder
wesens, z. B. UNESCO und Europarat. Französisch, lange Unterbrechung kultureller Bezie-
Die Bundesregierung war seit der Wiedereinrich- hungen —, sind in den letzten Jahren große Fort-
tung des Auswärtigen Amts und seiner Kulturabtei- schritte erzielt worden. Natürlich sind noch nicht alle
lung 1951 bemüht, die Förderung dieser vier Ziele Pläne verwirklicht worden. Die Grenzen liegen in
in eine geordnete Konzeption zu bringen. Die Rück- den Möglichkeiten des Haushalts, aber auch in der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4725
Bundesminister Dr. Schröder
Schwierigkeit, im Lande der Vollbeschäftigung die len, der europäischen Hochschulwochen sowie der
notwendigen Personen zu finden. europäischen Kulturtage. Die Bundesrepublik hat
sich auch an den großen Kunstausstellungen des
Die Vorstellungen, von denen sich die Bundes-
Europarats in hervorragender Weise beteiligt.
regierung bei der Pflege der kulturellen Beziehungen
leiten läßt, möchte ich danach wie folgt zusammen- Der finanzielle Beitrag des Bundes zur Kultur-
fassen: arbeit des Europarats wird aus dem Gesamtbeitrag
des Bundes an den Europarat bestritten. Darüber
Erstens. Die Bundesregierung ist davon überzeugt,
daß die geistigen Kräfte eines Volkes und seine hinaus werden mit Bundesmitteln Seminare, Kurse
Kultur nur in ständiger Berührung und Beschäftigung und Treffen im Rahmen der kulturellen Programme
des Europarats durchgeführt. In der Regel werden
mit anderen Völkern und Kulturen, in unausgesetz-
tem Austausch von Gedanken und Erfahrungen und in der Bundesrepublik jährlich drei bis vier solcher
in der Auseinandersetzung mit fremden Ideen und Seminare abgehalten. Die 1962 veranstaltete Euro-
Lebensformen lebendig bleiben und sich weiterent- parat-Konferenz über Lehrbücher der Geographie
wickeln können. Sie wird daher das unendlich man- war besonders erfolgreich und hat zu Fortsetzungs-
nigfaltige und vielschichtige Netz kultureller Ver- seminaren geführt. Im Jahre 1963 hat die Bundes-
flechtung, das sich — mit und ohne staatliches Zutun republik einen Europarat-Kurs zur Einführung in
— seit dem zweiten Weltkrieg mit dem Ausland die Arbeit der Erwachsenenbildungszentren sowie
wieder angesponnen hat, behutsam pflegen und, so- im Rahmen der Jugendarbeit des Europarats und,
weit erforderlich, mit Bundesmitteln fördern. In die- gemeinsam mit Frankreich und den Niederlanden,
sem Bemühen wird die Bundesregierung im Rahmen ein Seminar „Kennenlernen internationaler Arbeits-
ihrer finanziellen Möglichkeiten anderen Völkern, stätten" veranstaltet. In Vorbereitung ist eine von
die eine kulturelle Beziehung zu Deutschland suchen, deutscher Seite vorgeschlagene didaktische Aus-
die Gelegenheit dazu auch in ihrem eigenen Lande stellungsreihe über europäische Einrichtungen.
bieten. Der von der Europäischen Wirtschaftsgemein-
Zweitens. Eine solche Darstellung deutscher Kultur schaft getragene Gedanke einer europäischen Uni-
wird sich nicht in dem Rückgriff auf ein vielhundert- versität wird von der Bundesregierung begrüßt.
jähriges reiches kulturelles Erbe und die wissen-
Die Antwort auf die dritte Frage lautet folgen-
schaftlichen wie technischen Leistungen unserer Vä-
dermaßen. Der Aufbau der deutschen Kulturinsti-
ter erschöpfen können. Sie wird auch die Bekannt-
tute nach dem zweiten Weltkrieg war ein fast völ-
schaft mit dem heutigen Deutschland vermitteln, das
liger Neubeginn. Es begann 1955. Heute gibt es
darum ringt, mit den Folgen der Zeit von 1933 bis
nahezu 200 Kulturinstitute größerer und kleinerer
1945 fertig zu werden, vor allem mit der Tragödie
Art, von denen etwa die Hälfte dem Goethe-Institut
1 der Spaltung unseres Vaterlandes. Hierbei soll das
in München untersteht; die übrigen werden meist
Kulturgut der Vertreibungsgebiete und Mittel-
von deutsch-ausländischen Vereinen, einige unmit-
deutschlands im Bewußtsein des Auslands erhalten
telbar vom Bunde verwaltet. Über zwei Drittel die-
bleiben, um für die geistige Einheit Gesamtdeutsch-
ser Kulturinstitute sind erst in den letzten vier
lands Zeugnis abzulegen. Die Kulturpolitik soll
Jahren entstanden. Obwohl ihre Arbeit erst nach
einen Beitrag zur Wiederherstellung des deutschen
einer Anlaufzeit von mehreren Jahren mit einiger
Ansehens in der Welt liefern und die Bemühungen
Sicherheit beurteilt werden kann, läßt sich heute
der deutschen Außenpolitik ergänzen. -
schon sagen, daß sie den Erwartungen der Bundes-
Drittens. Die Darstellung Deutschlands soll ferner regierung entspricht. Gewisse Mängel, die sich zu-
unseren Willen zeigen, mit anderen Völkern dieser weilen gezeigt haben, sind aus dem Anfangssta-
Erde im Rahmen der internationalen Zusammen- dium zu erklären.
arbeit an den großen Aufgaben der Zukunft mitzu-
Zu den Aufgaben dieser Institute gehört das
arbeiten, die der Hebung des Bildungswesens in
Abhalten deutscher Sprachkurse, die Fortbildung
der Welt und dem kulturellen Weiterschreiten die-
ausländischer Deutschlehrer, die Einrichtung einer
nen. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist nach An-
Bibliothek, das Verleihen von Filmen, Dias und
sicht der Bundesregierung ein entscheidender Bei-
Tonbändern, die Veranstaltung von Vorträgen,
trag zur Erhaltung des Weltfriedens.
Filmabenden, Konzerten, Diskussionsabenden und
Viertens. Die Bundesregierung ist sich der großen kleinen Ausstellungen sowie ein allgemeiner Aus-
Bedeutung kulturpolitischer Bemühungen bilateraler kunftsdienst über das kulturelle Leben in Deutsch-
wie multilateraler Natur gegenüber den Entwick- land. Diese Zielsetzung entspricht den Wünschen
lungsländern bewußt. der Bundesregierung.
Nun die Antwort auf die zweite Frage. Von den Bei der Planung der Kulturinstitute ist die Bun-
staatlichen europäischen Organisationen hat nur der desregierung bemüht gewesen, die Schwerpunkte
Europarat ein eigenes Organ für Kulturarbeit, näm- nach der kulturpolitischen Dringlichkeit zu vertei-
lich den im Januar 1962 geschaffenen Rat für kul- len. Demgemäß sind Kulturinstitute geschaffen
turelle Zusammenarbeit. An der Arbeit seiner Fach- worden, wo im benachbarten europäischen Ausland
ausschüsse und Arbeitsgruppen nimmt die Bundes- die Begegnung mit deutscher Kultur gewünscht
regierung regen Anteil. Von der Notwendigkeit wurde und wünschenswert war oder wo in Übersee,
einer kulturellen Zusammenarbeit in Europa sind z. B. Südamerika, von Nachkommen deutscher Aus-
wir durchdrungen. Mit Bedacht fördern wir den Ge- wanderer die kulturelle Verbindung mit der Heimat
danken des Europakollegs, der europäischen Schu ihrer Väter gesucht wurde.
4726 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
Die Frage, inwieweit auch andere Länder in das rung in ihre neue Heimat zu beeinträchtigen. Hier-
Netz unserer Kulturinstitute einbezogen werden aus folgt, daß Deutsch nur noch in Ausnahmefällen
können, hängt von den dafür im Bundeshaushalt die ausschließliche Unterrichtssprache ist. Diese
bereitgestellten Mitteln und von der Möglichkeit Schulen werden möglichst zur Oberstufe und bis
ab, geeignete Persönlichkeiten für diese Aufgabe zu zum deutschen Abitur oder einem Abschluß ge-
gewinnen. Die Schließung eines Kulturinstitutes mit führt, der dem deutschen Abitur entspricht.
dem Ziele, dafür an anderer Stelle ein neues zu
eröffnen, stößt in dem betreffenden Lande, wie die Neben der Begegnungsschule sind neuerdings eine
Erfahrung gezeigt hat, auf heftigen Widerstand und Reihe von deutschen Auslandsschulen geschaffen
kann dadurch sogar zu einem Politikum werden. worden, in denen ganz überwiegend Kinder deut-
scher Eltern unterrichtet werden, die nur vorüber-
Zur vierten Frage: Auslandsschulen sind eines der gehend im Ausland ansässig sind. Meist handelt es
ältesten und wirkungsvollsten Mittel der Kultur- sich dabei um Kinder von Experten und Technikern
politik, neuerdings aber auch eines der teuersten. in Entwicklungsländern oder von Angehörigen deut-
In früheren Jahrzehnten wurden die zahlreichen scher Auslandsdienststellen. Diese Schulen sollen
deutschen Auslandsschulen ganz oder überwiegend den deutschen Kindern den Anschluß an das heimat-
durch die von einer wohlhabenden deutschen Aus- liche Schulsystem ermöglichen; sie werden daher im
landskolonie getragenen deutschen Schulvereine allgemeinen nicht über die Grundschule hinausge-
finanziert. Die Katastrophe der beiden Weltkriege führt.
hat nicht nur dieses blühende deutsche Auslands-
schulwesen, sondern auch das Vermögen seiner aus- Die Entscheidung, ob und in welchem Maße eine
landsdeutschen Förderer vernichtet. Der Wiederauf- Auslandsschule förderungswürdig ist, kann nicht an
bau begann 1950 vom Nullpunkt und ohne wesent- Hand starrer Kriterien, sondern nur unter Berück-
liche Finanzhilfe von auslandsdeutscher Seite. Heute sichtigung der in jedem Land anders gelagerten Ge-
gibt es wieder 137 deutsche Auslandsschulen mit gebenheiten erfolgen. Die Grenzlinie liegt dort, wo
fast 1200 aus dem innerdeutschen Schuldienst ent- der Einfluß deutscher Bildungselemente so gering-
sandten Lehrkräften sowie etwa 300 weitere Schu- fügig geworden ist, daß von einer wirksamen kul-
len, denen die Bundesregierung mit Lehrmitteln turellen Ausstrahlung nicht mehr gesprochen wer-
oder Sachspenden hilft. Dieser Wiederaufbau ist den kann.
zum größten Teil aus Bundesmitteln finanziert wor-
Zur Frage 5: Die Erfahrungen der deutschen Leh-
den. Der Zuschuß aus Bundesmitteln beträgt heute
rer an Auslandsschulen werden bisher vornehmlich
im allgemeinen 3/4 bis 4/5 der Kosten einer deutschen
im Ausschuß für das . Auslandsschulwesen der Kul-
Auslandsschule.
tusministerkonferenz ausgewertet. Dieser Ausschuß
Diese auf den Bund übergegangene Finanzlast hat seit 1951 in 44 Sitzungen das Auswärtige Amt
setzt der Errichtung neuer deutscher Auslands- bei der Ausarbeitung von Regelungen der Vertrags-
schulen Grenzen und zwingt zu sorgfältiger Planung verhältnisse, der finanziellen und sozialen Siche-
und zu eingehenden Überlegungen, ob und wann rung der deutschen Auslandslehrer beraten und da-
ein Schulbau zweckmäßig sei, welcher Schulstruktur bei eine überaus nützliche Arbeit geleistet. Die an-
der Vorzug zu geben und wie die deutsche Aus- gestrebte Entlastung von administrativer Klein-
landsschule an Schulsystem und Lehrplan des Gast- arbeit, der in dem Entwurf des Haushaltsplans für
landes anzupassen sei. Zur Vermeidung von Fehl- 1964 vorgesehene Einsatz einzelner erfahrener
leistungen bedarf die deutsche Auslandsschule lau-- Pädagogen der Länder und die bereits gewonnenen
fender schulischer wie pädagogischer Beaufsichti- Erkenntnisse werden die Bundesregierung künftig
gung und Beratung durch erfahrene Pädagogen so- stärker als bisher in die Lage versetzt, die Erfah-
wie regelmäßiger Inspektionen. Um diese wichtige rungen der Auslandslehrer bei den Planungs- und
Aufgabe stärker als bisher durchführen zu können, Lenkungsaufgaben für Neugründung, Ausbau oder
sind Überlegungen im Gange, das Auswärtige Amt Schließung von Auslandsschulen, ihren Strukturfra-
in größerem Umfange von routinemäßigen Verwal- gen u. a. planmäßig zu sammeln, auszuwerten und
tungsaufgaben im Bereich des Auslandsschulwesens bei der weiteren Arbeit zu berücksichtigen. Darüber
durch Übertragung dieser Aufgaben auf andere, da- hinaus werden auch Ausarbeitungen über pädago-
für geeignete Bundeseinrichtungen zu entlasten. Die gische Grundsatzfragen angestrebt. Bei der Auswahl
Bundesregierung hat im übrigen in Erkenntnis die- der für den Auslandsschuldienst geeigneten Lehrer
ser Notwendigkeiten im Entwurf des Haushaltsplans arbeitet das Auswärtige Amt mit den Kultusmini-
1964 die Bewilligung neuer Planstellen beantragt, stern der Länder eng und erfolgreich zusammen.
um die Abordnung von Pädagogen für diese Auf- Über die Dauer der Dienstverträge deutscher Lehrer
gaben an das Auswärtige Amt zu ermöglichen. an einer Auslandsschule sind im November 1962
Bei der Errichtung, Erhaltung und Förderung deut- zwischen dem Auswärtigen Amt und den Kultus-
scher Auslandsschulen hat sich die Bundesregierung ministern der Länder Richtlinien vereinbart worden,
von Grundsätzen leiten lassen, die dem erheblich ge- die den Anforderungen der Auslandsschulen wie
wachsenen Nationalbewußtsein der außereuropäi- der Möglichkeit von Beurlaubungen Rechnung tra-
schen Völker und ihrem Wunsche nach Assimilie- gen. Eine zu kurze Vertragsdauer entspricht nicht
rung fremder Volksgruppen Rechnung tragen. Sie den Erfordernissen der Auslandsschule; eine zu
hat als neuen Begriff die „Begegnungsschule" ent- lange Beurlaubung verbietet sich aus pädagogischen
wickelt, in der auch nichtdeutschen Landeskindern Gründen. Der im allgemeinen gangbare Mittelweg
nach deutschen Lehrmethoden deutsche Kulturwerte ist eine Entsendung, je nach den klimatischen Be-
nahegebracht werden, ohne dadurch die Eingliede dingungen des Gastlandes, von drei bis fünf Jahren
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4727
Bundesminister Dr. Schröder
mit einer Verlängerung, in Einzelfällen, von zwei Entwicklungsländern, die sich noch im Aufbau be-
bis drei Jahren. Für die zur Entsendung ausgewähl- finden. Bei diesen Patenschaften stellt die deutsche
ten Auslandslehrer veranstaltet das Auswärtige Seite die Lehrkräfte, der ausländische Partner die
Amt Vorbereitungskurse, in denen die Lehrer unter Lehrgebäude und normalerweise auch die Lehrein-
Verwertung der Erfahrungen zurückgekehrter Leh- richtungen bereit. Eigentliche Patenschaften beste-
rer auf ihre neuen Aufgaben hingeführt werden. hen nur mit den Universitäten in Kabul und Hue.
Die Vermehrung dieser Lehrgänge findet an den Daneben gibt es eine Reihe patenschaftsähnlicher
beschränkten Haushaltsmitteln ihre Schranke. Bindungen, unter anderem mit den Universitäten in
Izmir in der Türkei, in Awas im Iran, in Ife in Nige-
Zur sechsten Frage: Die Beziehungen zwischen ria, in Nairobi in Kenya und in Recife in Brasilien.
den deutschen Hochschulen und den Hochschulen Die Bundesregierung verkennt nicht die Bedeutung,
des Auslandes sind so alt wie die Hochschulen die den Unversitätspatenschaften zukommt. Die bis-
selbst. Sie werden von Hochschullehrern und Insti- herigen Erfahrungen haben aber auch die Schwierig-
tuten getragen, durch den Austausch von Veröffent- keiten erkennen lassen, die bei der Durchführung
lichungen gepflegt und auf internationalen Kon- zutage treten. Insbesondere muß bei der revolutio-
gressen erneuert. Die Kosten hierfür — Leerstellen, nären Grundhaltung der Studentenschaft in man-
Beurlaubungen — tragen fast immer die Länder der chen Partnerländern die Bundesregierung darauf be-
Bundesrepublik. Im Jahre 1961 waren 82 deutsche dacht sein, nicht durch die Patenschaft in innerpoli-
Hochschullehrer als ständige Gastprofessoren an tische Auseinandersetzungen des Partnerlandes
ausländischen Hochschulen und 141 ausländische hineingezogen zu werden.
Gastprofessoren an deutschen Hochschulen tätig.
Die Zahl der zu kurzfristigen Gastvorlesungen ent- Eine wirksame Hilfe beim Aufbau von Hoch-
sandten deutschen Professoren überstieg 900. schulen im Ausland sind die aus Bundesmitteln
finanzierten Sachspenden an ausländische Hochschu-
Initiative, Fortführung und Pflege dieser Bezie- len, besonders in den Entwicklungsländern, die der
hungen liegen weitgehend bei den Hochschulen und Einrichtung und Ausgestaltung von Universitäts-
ihren Lehrkörpern. Die Bundesregierung greift hel- instituten dienen.
fend ein, falls die hierfür benötigten Mittel nicht Zur Frage 7. Die Bundesregierung hat nur be-
ausreichen und die Anknüpfung oder Erhaltung die- schränkte Möglichkeiten, den vorhandenen Män-
ser 'Beziehungen unter außenpolitischen Gesichts- geln beim Studium von Ausländern in der Bundes-
punkten wünschenswert erscheint. So hat die Bun-
republik entgegenzuwirken, da sie im Innern keine
desregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern Zuständigkeit in kulturellen Angelegenheiten be-
und der Westdeutschen Rektorenkonferenz 1961 die
sitzt. Zuständig für Maßnahmen zur Behebung sol-
„Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler
cher Mängel sind die deutschen Länder sowie die
im Ausland" geschaffen und finanziert, deren Tätig-
Universitäten, die sich weitgehender Autonomie er-
keit zu einer erheblichen Verstärkung der wissen-
freuen.
schaftlichen Beziehungen zu Hochschulen, auch in
Entwicklungsländern, geführt hat. In der Bundesrepublik sind in früheren Jahren
aus dem Bestreben, die deutsche Hilfsbereitschaft
Ein bewährtes Mittel zur Förderung der Verbin- bei der Heranbildung des akademischen Nachwuch-
dung zwischen deutschen und ausländischen Hoch- ses befreundeter Staaten unter Beweis zu stellen,
schulen ist die Gewährung von Stipendien. Die Bun- die Zulassungsbedingungen für die deutschen Hoch-
desregierung hat in zunehmendem Maße Mittel da- schulen großzügig gehandhabt worden. Diese Groß-
für bereitgestellt. Die Zahl der über den DAAD an zügigkeit hat zu dem Mißbrauch geführt, daß zahl-
Ausländer vergebenen Stipendien der Bundesregie- reiche ausländische Studenten, die wegen unzuläng-
rung ist von 700 im Jahre 1957 auf 1800 im Jahre licher Leistungen in ihren Heimatstaaten zum Hoch-
1963 gestiegen. Daneben werden über das Bundes- schulstudium nicht zugelassen worden sind, deut-
ministerium des Innern jährlich 183 Hochschul- sche Hochschulen bezogen haben. Dadurch hat
stipendien zur Förderung des unmittelbaren Studen- manch tüchtiger ausländischer Student an deutschen
tenaustausches gewährt, wobei die Auswahl der Hochschulen keinen Platz gefunden,
Partnerhochschule und die Stipendienvergabe den
deutschen Hochschulen überlassen bleiben. Sodann (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sehr richtig!)
ermöglicht die Bundesregierung durch die etwa und der Leistungsdurchschnitt ausländischer Stu-
350 von ihr geschaffenen Forschungsstipendien der denten ist zum Nachteil des Rufes der deutschen
Alexander-von-Humboldt-Stiftung jungen ausländi- Hochschulen gesunken.
schen Wissenschaftlern die Fortbildung an deutschen
Die Bundesregierung trägt dafür Sorge, daß dort,
wissenschaftlichen Instituten.
wo sie Einfluß nehmen kann — etwa bei den Ver-
Erwähnung verdienen auch die 190 mit Bundes- gabebedingungen für DAAD-Stipendien —, strenge
mitteln geförderten Lektorate der deutschen Sprache Maßstäbe angelegt und hohe Qualitäten gefordert
an ausländischen Hochschulen; ihrer wünschenswer- werden. Sie hofft dadurch vorbildlich zu wirken.
ten Vermehrung sind durch die beschränkten Haus- Außerdem wird gegenwärtig von den zuständigen
haltsmittel Grenzen gesetzt. Stellen an einer strengeren Handhabung der Zulas-
sungsbedingungen gearbeitet.
Patenschaften zwischen deutschen und ausländi-
schen Hochschulen sind eine sich neuerdings ab- Für Betreuungsaufgaben stellt die Bundesregie-
zeichnende Form der Zusammenarbeit. Sie dienen rung jährlich einen erheblichen Betrag im Bundes-
vornehmlich der Förderung von Hochschulen in den haushalt bereit, und zwar 1962 7,4 Millionen DM,
4728 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
1963 6,7 Millionen DM. Sie versieht studentische beamten hat sich als belebendes und anregendes
und andere Betreuungsorganisationen mit Geldmit- Element erwiesen. Die ihm nicht seltengepaarte
teln und gewährt beträchtliche Zuschüsse zum Bau Unkenntnis der für eine geordnete Verwaltung
und zur Einrichtung von internationalen Studenten- unerläßlichen Grundbegriffe und Gepflogenheiten
wohnheimen. hat sich zuwielen als Hemmnis ausgewirkt.
Den Mängeln, die sich im Einzelfalle auf der
Für die Verwendbarkeit in der auswärtigen Kul-
Ebene menschlicher Beziehungen mit ausländischen
turarbeit ist aus der Unterscheidung zwischen Nicht-
Studierenden ergeben, versucht die Bundesregie- laufbahn- und Laufbahnbeamten schwerlich ein
rung durch Aufklärung und Betreuungsmaßnahmen
Maßstab zu gewinnen. Die Ausbildung und die
entgegenzuwirken.
Tätigkeit in der Kulturabteilung des Auswärtigen
Zur Frage 8. Die Bundesregierung ist sich der Amts gehört zum Werdegang der Laufbahnbeamten.
Tatsache bewußt, daß sie der zunehmenden Bedeu- Im Prinzip sollen künftig zu Leitern von Auslands-
tung der auswärtigen Kulturpolitik auch in organi- vertretungen nur solche Beamten bestellt werden,
satorischer und personeller Hinsicht Rechnung tra- die sich mit der Kulturarbeit befaßt haben. Aber ich
gen muß, um die Gesamtaufgabe möglichst wirksam sage noch einmal: im Prinzip. Das wird nicht ganz
lenken zu können. leicht durchzuführen sein. In Bereichen, die ein be-
In der Zeit von 1956 bis 1963 ist daher die Zahl sonderes Maß an Spezialwissen erfordern, wird die
der Bediensteten in der Kulturabteilung des Aus- Bundesregierung auch in Zukunft geeignete Persön-
wärtigen Amts um etwa 40 % verstärkt worden. lichkeiten, die nicht Laufbahnbeamte sind, für die
Dieser Personalvermehrung steht ein rasch anwach- Kulturarbeit des Auswärtigen Amts heranziehen.
sender Arbeitsanfall gegenüber. So werden im Zur Frage 10. Kulturabkommen können bei der
Schul- und Kulturfonds heute 166 Millionen DM Konstruktion des Grundgesetzes nicht mehr sein
gegenüber 27 Millionen DM im Jahre 1956 verwal- als Rahmenabkommen. Die Bundesregierung hat
tet; die Zahl der vom Schulreferat vermittelten Leh- seit 1953 mit 18 Staaten Kulturabkommen geschlos-
rer stieg im gleichen Zeitraum von 312 auf 1168, die sen, darunter mit Frankreich, Großbritannien, Ita-
Zahl der betreuten Schulen von rund 140 auf etwa lien und sieben weiteren europäischen Staaten, den
440, die Zahl der zu bearbeitenden Kulturabkom- Vereinigten Staaten, zwei südamerikanischen, drei
men von 11 auf 32. Dieses Anwachsen der Aufgaben asiatischen und zwei afrikanischen Staaten. Mit 16
hat teilweise zu erheblichen Belastungen der Be- weiteren Staaten in Südamerika, Asien und Afrika
diensteten in der Kulturabteilung geführt. Dennoch steht sie in Verhandlungen, die zum Teil kurz vor
konnten die gestellten Aufgaben bewältigt werden. dem Abschluß stehen.
Die Bundesregierung wird dieser Frage weiterhin Alle von der Bundesrepublik abgeschlossenen
ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Kulturabkommen sehen die Errichtung von Stän-
Vergleichbare Staaten wie Frankreich und Italien digen Gemischten Ausschüssen vor, die mit einer
schaffen sich die für ihre Kulturpolitik erforderlichen gleichen Anzahl deutscher und ausländischer Per-
organisatorischen und personellen Voraussetzungen sönlichkeiten besetzt sind. Die Bundesregierung ent-
durch langjährige Abordnung entsprechender Fach- sendet in diese Ausschüsse Vertreter des Auswärti-
beamten aus den Erziehungs- bzw. Kultusministe- gen Amts, des Bundesministeriums des Innern, der
rien. Großbritannien und die Vereinigten Staaten- Ständigen Konferenz der Kultusminister und der
von Amerika haben sich durch die Schaffung eigener freien Wissenschaft.
Organisationen wie des British Council und des Aufgabe dieser gemeinhin mit ein- bis zweijähri-
USIS geholfen. gem Abstand zusammentretenden Ausschüsse ist
Auch die Bundesregierung ist bemüht, im Rahmen die Beratung konkreter Austauschvorhaben, die in
ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ähnliche den Rahmen der Kulturabkommen passen. Die von
Wege zu beschreiten. Sie will in ihrem Haushalts- den Ausschüssen angenommenen Entschließungen
plan für 1964 die Voraussetzungen schaffen, um haben den Charakter von Empfehlungen an die bei-
z. B. für das Auslandsschulwesen abgeordnete Fach- derseitigen Regierungen. Sie werden über die Kul-
kräfte der Länder gewinnen zu können. Sodann hat turabteilung des Auswärtigen Amts den zustän-
sie seit einigen Jahren die Durchführung gewisser digen innerdeutschen Stellen mit der Bitte um
Aufgaben anderen, zum Teil seit Jahrzehnten be- Durchführung zugeleitet. Die Bundesregierung be-
stehenden Organisationen, wie dem Akademischen sitzt keine verfassungsrechtliche Handhabe, um die
Austauschdienst und dem Goethe-Institut, über- Verwirklichung dieser Empfehlungen zu erzwingen.
tragen. Darüber hinaus sind Überlegungen im
Zur Frage 11. Die Bundesregierung ist der An-
Gange, das Auswärtige Amt weiter von routine- sicht, daß die multilaterale Zusammenarbeit bei der
mäßigen Verwaltungsaufgaben im Bereich des Aus-
Lösung der Aufgaben, die den technisch fortgeschrit-
landsschulwesens durch Übertragung von Aufgaben
tenen Staaten auf dem Gebiete der Wissenschaft,
auf andere, dafür geeignete Bundeseinrichtungen zu
Erziehung und Kultur im Verhältnis zueinander und
entlasten, wie ich schon zu der voraufgehenden
Frage gesagt habe. gegenüber den Entwicklungsländern zufallen, mit
den Jahren zunehmen und an Gewicht gewinnen
Zur Frage 9. Die Bundesregierung hat im Aus- wird. Sie glaubt, daß manche kulturpolitischen Ziele
wärtigen Amt mit Mitarbeitern, die nicht Laufbahn- sich durch internationale Zusammenarbeit leichter
beamte waren, gate wie schlechte Erfahrungen ge- und besser erreichen lassen als durch bilaterale
macht. Das große Fachwissen vieler Nichtlaufbahn Maßnahmen. Die Bedeutung, die sie den internatio-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4729
Bundesminister Dr. Schröder
nalen Organisationen, besonders der UNESCO, Entwicklungsländern beitragen, sollen hingegen in
aber auch den Wissenschaftsausschüssen der OECD die Zuständigkeit des Bundesministeriums für wirt-
und der NATO beimißt, zeigt sich in der Verwen- schaftliche Zusammenarbeit fallen. Obwohl die Ab-
dung eines beträchtlichen Teils der im Bundeshaus- grenzung der Aufgaben im einzelnen noch nicht
halt an verschiedenen Stellen bereitgestellten Mit- abgeschlossen ist, sind beide Ministerien überein-
tel für kulturpolitische Aufgaben multilateraler Art. gekommen, Grenzfälle pragmatisch zu regeln. Nach
der erfolgten Neubildung des Kabinetts wird sich
Die ernste, eifrige und selbstlose deutsche Mit- die Bundesregierung nunmehr beschleunigt um eine
arbeit in den internationalen Organisationen ist endgültige Regelung der Zuständigkeit bemühen.
zugleich eine Widerlegung der immer wieder ver- Sie wissen ja, daß Zuständigkeitsfragen nicht immer
suchten Verdächtigung eines angeblichen Faschis- ganz einfach sind; aber die Frage wird schon gelöst
mus oder Neo-Kolonialismus. Die deutsche Anteil- werden.
nahme an den Problemen anderer Länder erweckt
deren Sympathie für unsere Sorgen, vor allem für Entschuldigen Sie bitte, daß ich durch diese Ant-
die Teilung unseres Vaterlandes. wort mit Rücksicht auf die begrenzte Zeit etwas
durchgehastet bin. Ich möchte aber zum Schluß noch
Das Weisungsrecht für die deutschen Vertreter einmal sagen: ich bin dankbar dafür, daß ich dies
in der UNESCO und der NATO liegt beim Aus- hier habe ausführen können. Zahlreiche weitere
wärtigen Amt, für die Vertreter in der OECD beim Fragen und Anregungen des Herrn Kollegen Kahn
Bundesminister für Wirtschaft. Die Weisungen wer- Ackermann sollten nach meiner Meinung im Aus-
den in interministeriellen Besprechungen erarbeitet. wärtigen Ausschuß oder sonst in einer geeigneten
An diesen Besprechungen nehmen auch Vertreter Zusammensetzung weiter behandelt werden. Die
der Länder sowie der fachlich betroffenen nichtamt- Nichtbeantwortung der Fragen aus dem Stegreif ist
lichen Organisationen teil. Die Zusammenarbeit der nicht ein . Zeichen mangelnden Interesses; ich bin
Beteiligten hat sich im Laufe der Jahre. eingespielt. vielmehr aufrichtig dankbar, daß ich die Möglichkeit
Im Europarat, im Sekretariat der OECD und im hatte, wenigstens einen Teil des Hohen Hauses für
Wissenschaftsausschuß der NATO ist die Bundes- diese Fragen heute am späten Nachmittag zu inter-
republik stets angemessen vertreten gewesen. Unzu- essieren.
reichend war bisher der deutsche Anteil im Gene- (Beifall.)
ralsekretariat der UNESCO. Zum Teil lag es an der
in bezug auf Sprachkenntnisse mangelnden Quali- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Haus hat die
fikation deutscher Bewerber bei den UNESCO-Stel- Antwort der Bundesregierung entgegengenommen.
lenausschreibungen. Dank der sorgfältigen Arbeit Gemäß § 106 der Geschäftsordnung frage ich, ob
der mit UNESCO-Aufgaben in der Bundesrepublik eine Aussprache gewünscht wird. Wer das wünscht,
befaßten Stellen können seit etwa zwei Jahren dem den bitte ich um ein Handzeichen. — Es müssen
UNESCO-Generalsekretariat deutsche Bewerber von 30 Mitglieder des Hauses sein. — Jetzt sind es mehr
internationalem Format vorgeschlagen werden. als 30 Mitglieder des Hauses. Meine Damen und
Gegenwärtig sind mehr als 30 deutsche Experten Herren, wir werden in die Aussprache eintreten. Es
für die UNESCO im sogenannten Field Service — ist mir jedoch mitgeteilt worden, daß eine interfrak-
fachliche Hilfe in Entwicklungsländern — tätig. Im tionelle Vereinbarung dahin bestehe, an dieser
Generalsekretariat arbeiten 14 Deutsche. Wir blei Stelle zu unterbrechen und die Punkte 37 und 38
-
dabei unter unserer Quote, die zwischen 15 und der Tagesordnung mit Rücksicht auf die Bericht-
25 Angestellten liegt. erstatter vorzuziehen. Wird hiergegen eine Ein-
wendung erhoben? — Das ist nicht der Fall. Dann
Das Bemühen der Bundesregierung, in den Sekre- rufe ich Punkt 37 der Tagesordnung auf:
tariaten der internationalen staatlichen Organisa-
tionen zahlreich und gut vertreten zu sein, wird Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
häufig erschwert durch die mangelnde Bereitschaft schuses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
hochqualifizierter und sprachlich versierter Fach- schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts-
kräfte, ihre Stellungen in Deutschland ohne eine angelegenheiten —
Stellengarantie im Falle der Rückkehr aufzugeben. betr. Genehmigung zur Durchführung eines
Eine solche Garantie vermag die Bundesregierung Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Jahn
für Nicht-Bundesbedienstete nicht zu bieten; sie und Merten gemäß Schreiben des Bundes-
obläge vielmehr — durch Bereitstellung von Leer- ministers der Justiz vom 10. Mai 1963 (Druck-
stellen — denjenigen Stellen, von denen diese Fach- sache IV/1723).
kräfte kommen, also vornehmlich den Ländern.
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete
Schließlich zur Frage 12. Zwischen dem Auswär- Zoglmann.
tigen Amt und dem Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit sind Grundsätze für Zoglmann (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
eine Abgrenzung der Zuständigkeiten im Bereich und Herren! Auf Ersuchen des Generalbundesan-
der Bildungshilfe ausgearbeitet worden. Nach ihnen walts hat der Herr Bundesminister der Justiz mit
soll das Auswärtige Amt im Hinblick auf die Ent- einem Schreiben vom 10. Mai 1963 den Herrn Präsi-
wicklungsländer für solche Maßnahmen der aus- denten des Deutschen Bundestages gebeten, die Ge-
wärtigen Kulturpolitik zuständig sein, wie sie auch nehmigung des Hohen Hauses zur Durchführung
zwischen entwickelten Ländern üblich sind. Maß- eines Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Jahn
nahmen, die als Bildungshilfe zur Förderung von und Merten zu erteilen.
4730 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Zoglmann
Nach dem Bericht des Generalbundesanwalts be- schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts-
steht gegen die beiden Abgeordneten der Verdacht angelegenheiten —
des Verrats von Staatsgeheinmnissen und des Ver- betr. Genehmigung zur Durchführung eines
trauensbruches im Sinne der §§ 99 Abs. 1 und 353 c Strafverfahrens gegen den Abgeordneten
des Strafgesetzbuches.
Dr. h. c. Strauß gemäß Schreiben des Bundes-
Der Generalbundesanwalt sieht den Verdacht ein- ministers der Justiz vom 28. November 1963
mal darin begründet, daß der Abgeordnete Merten (Drucksache IV/1724).
dem Abgeordneten Jahn das Protokoll der 14. Sit-
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel als Bericht-
zung des Verteidigungsausschusses des Deutschen
erstatter.
Bundestages übergab und der Abgeordnete Jahn
eine Photokopie dieses Protokolls dem Spiegel-
redakteur Schmelz übermittelte. Dieser Sachverhalt Ritzel (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
wird von den beiden Abgeordneten nicht bestritten. Herren! Mit Schreiben vom 28. November 1963 hat
Der Generalbundesanwalt begründet den Ver- der Bundesminister der Justiz dem Bundestagspräsi-
dacht strafbarer Handlungen weiter damit, daß auch denten das Ersuchen auf Genehmigung zur Durch-
von dem Protkoll der 19. Sitzung des Ausschusses führung eines Strafverfahrens gegen den Bundes-
für Verteidigung des Deutschen Bundestages eine tagsabgeordneten Dr. h. c. Strauß übermittelt. Der
Photokopie beim Spiegelredakteur Schmelz gefun- Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
den wurde. schäftsordnung hat sich in seiner Sitzung vom 5. De-
zember 1963 mit dem Ersuchen befaßt und einstim-
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler.) mig beschlossen, dem Bundestag zu empfehlen, die
Genehmigung zu erteilen.
Auch diese Photokopie wurde, wie das Protokoll
Gegenstand der Beschuldigung ist die Mitwirkung
der 14. Sitzung, von einer Ausfertigung erstellt, die
des Abgeordneten Dr. h. c. Strauß bei der Fest-
dem Abgeordneten Merten laut Quittung ausge-
nahme des Redakteurs der Zeitschrift „Der Spiegel",
händigt worden war.
Konrad Ahlers, durch spanische Behörden am 27. Ok-
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und tober 1963 gegen 3 Uhr in Torremolinos bei Malaga.
Geschäftsordnung hat sich in mehreren Sitzungen Wegen dieser Mitwirkung waren bei der zuständi-
mit dem Ersuchen des Generalbundesanwalts be- gen Staatsanwaltschaft in Bonn elf Strafanzeigen
faßt. Er kam nach Übersendung der Akten und des gegen den Abgeordneten Dr. h. c. Strauß eingegan-
Gutachtens des Bundeskriminalamtes vom 29. No- gen, in denen im wesentlichen der Vorwurf der Frei-
vember 1963 einstimmig zu dem Ergebnis, dem Bun- heitsberaubung im Amt, der Amtsanmaßung und
destag den in der Drucksache IV/1723 enthaltenen der falschen Anschuldigung erhoben wurde. Die
Antrag zur Annahme zu empfehlen. In dem Gut- zuständige Staatsanwaltschaft ist nach den vorlie-
achten des Bundeskriminalamtes wurde entgegen genden Erkenntnissen zu dem Ergebnis gekommen,
bisheriger Auffassung festgestellt, daß die beiden daß als Straftatbestand die Amtsanmaßung — Ver-
Photokopien mit verschiedenen Vervielfältigungs- gehen gegen § 132 StGB, zweite Alternative: „unbe-
geräten und auch verschiedenen Papieren hergestellt fugt eine Handlung vornimmt, welche nur kraft
wurden. eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden
Das Ersuchen des Generalbundesanwalts, die Ge-- darf" — in Betracht käme. Dagegen lägen bisher
nehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß
gegen den Abgeordneten Jahn auch bezüglich des sich der Abgeordnete Dr. h. c. Strauß einer Frei-
Vorgangs um das Protokoll der 19. Sitzung des heitsberaubung im Amt — Verbrechen gegen § 341
Ausschusses für Verteidigung zu erteilen, wurde StGB — oder einer einfachen Freiheitsberaubung —
daher mit Mehrheit im Immunitätsausschuß abge- Vergehen gegen § 239 StGB — schuldig gemacht ha-
lehnt. Diese Mehrheit ließ sich dabei von der Auf- ben könnte. Weitere von den Anzeigenden aufge-
fassung leiten, daß auf Grund der bisherigen Fest- führte Straftatbestände scheiden nach Auffassung der
stellungen der Verdacht einer strafbaren Handlung Staatsanwaltschaft mangels Vorliegens objektiver
des Abgeordneten Jahn im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmale aus.
Protokoll der 19. Sitzung des Verteidigungsausschus- Der Ausschuß empfiehlt dem Bundestag, den in
ses nicht begründet ist. Drucksache IV/1724 enthaltenen Antrag anzuneh-
Ich bitte Sie, dem Ihnen zugeleiteten Antrag auf men.
Drucksache IV/1723 Ihre Zustimmung zu erteilen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Wenn das Wort
Vizepräsident Dr. Dehler: Werden Erklärun- nicht gewünscht wird, stimmen wir über diesen An-
gen abgegeben? — Das ist nicht der Fall. Wir kom- trag ab. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. —
men zur Abstimmung über den Antrag des Aus- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist
schusses auf Drucksache IV/1723. Wer zustimmen einstimmig angenommen.
will, gebe bitte ein Zeichen. — Die Gegenprobe! — Ich eröffne nunmehr die Aussprache über die Ant-
Enthaltungen? — Einstimmige Annahme. wort der Bundesregierung auf die
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Große Anfrage der Fraktion der SPD
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus betr. auswärtige Kulturpolitik.
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Huys.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4731

Dr. Huys (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Ausland Grenzen" setzt „und zu sorgfältiger Pla-
Damen und Herren! Es wird heute von niemandem nung und zu eingehenden Überlegungen" zwingt,
mehr bestritten, daß der Kulturpolitik eine hohe, „ob und wann ein Schulbau zweckmäßig sei".
sich immer mehr steigernde Bedeutung zukommt. An dieser Stelle scheint es mir notwendig zu sein,
Nicht nur innenpolitisch, sondern insbesondere die Arbeit der deutschen Schule im Ausland und
außenpolitisch ist die Kulturarbeit neben dem wirt- ihre Ausstrahlungskraft kurz zu betrachten, die
schaftlichen und dem militärischen Bereich ein wich- Frage aufzuwerfen, ob nicht gerade die Arbeit der
tiger Faktor. Welch bedeutsames Politikum Kultur- deutschen Schulen eine ganz besonders wichtige
abkommen geworden sind, brauche ich hier nicht unter allen anderen Möglichkeiten der kulturellen
zu betonen, die jüngsten Ereignisse im Falle des Einflußnahme unter dem Blickwinkel der allgemei-
Amerikaners Barghorn zeigen das und haben das nen Konzeption der Bundesregierung ist. Von der
sehr deutlich gemacht. Die Kulturpolitik stellt Beantwortung dieser Frage wird es weitgehend ab-
heute — wie Herr Dr. Sattler sagt — gleichsam eine hängen, ob die soeben erwähnte Formulierung der
„dritte Bühne" dar, auf der sich in zunehmendem Bundesregierung dies deutlich genug zum Ausdruck
Maße politische Entscheidungen abspielen. Diese gebracht hat.
Tatsache soll uns allerdings nicht dazu verführen,
unsere Kultur zu propagandistischen Zwecken zu Über die Bedeutung der deutschen Auslandschu-
mißbrauchen, um unser politisches Prestige zu he- len für die deutsche Auslandskulturpolitik sind sich
ben, das wäre grundfalsch, aber sie hilft, das er- die Experten nicht ganz einig. Es wird im allgemei-
schütterte Vertrauen in uns wiederherzustellen, das nen anerkannt, daß die deutschen Auslandsschulen
zum Teil wiedererstandene Ansehen zu festigen, — ich meine hier die Schulen alter Form, die
und vor allem, den Anspruch der Bundesregierung, Deutsch als Unterrichtssprache haben — durch die
für ganz Deutschland zu sprechen, wirkungsvoll zu Vermittlung der Sprache trotz Film, Funk und Fern-
demonstrieren. sehen nach wie vor die stärksten kulturellen Mitt-
ler sind, weil jeder, der in seiner Jugend irgendwo
Die Zusammenfassung der Bundesregierung zu in der Welt an einer deutschen Schule Deutsch ge-
Punkt 1 der Anfrage kann also voll und ganz unter- lernt hat, eine innere Bindung zu unserem Land
stützt werden. behalten wird; aber es wird bezweifelt, daß es not-
Ich möchte nur zu den Fragen 4 und 5 sprechen, wendig ist, deswegen die große Aufgabe, die der
zumal ich glaube, daß in die Anfrage sehr viel ge- Bau und die laufenden Unterhaltungskosten einer
packt ist, aber zu den anderen Fragen werden Schule, ihre Ausstattung, ihr Lehrerkollegium mit
meine Kollegen Professor Friedensburg und Dr. sich bringen, auf sich zu nehmen. Die Tatsache, daß
Martin sprechen. nach dem zweiten Weltkrieg ein entscheidender
Vielleicht hat die Presse Ihre Anfrage überschätzt, Strukturwandel im deutschen Auslandsschulwesen
indem sie — wie ein Artikel der heutigen Abend- eingetreten ist — die mannigfachen Gründe dafür
zeitung vermuten läßt — angenommen hat, wir brauchen hier nicht erörtert zu werden —, wes-
würden vielleicht über Jazz oder Mozart diskutie- wegen jetzt u. a. die sogenannte „Begegnungs-
ren. Jedenfalls hat sie sicherlich nicht angenommen, schule" als neuer deutscher Schultyp entwickelt
daß ein großer Teil der Ausführungen der Personal- wird, scheint diesen Zweifeln recht zu geben. In
politik des Auswärtigen Amtes gelten würde, bei diesen Schulen soll das deutsche kulturelle Erbe als
der Meinungen von Beamten des Auswärtigen Am- bedeutsame Bereicherung für das geistige Leben
tes preisgegeben würden. Ich halte es auch nicht des jeweiligen Landes eingebracht und nicht mehr
für fair, Herr Kahn-Ackermann, wenn ein Angriff nur wie vor dem Kriege das Ziel verfolgt werden,
auf die Person des Vorgängers des Herrn Außen- Deutsche im Sinne nationaler Volkstums- und Min-
ministers gestartet wird, der sich nicht verteidigen derheitspolitik zu erziehen. Allerdings müssen die
kann, weil er krank ist. Mindestanforderungen hinsichtlich des deutschen
Charakters einer solchen Schule klar sein. Der kul-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) turpolitische Aspekt macht manche Schulen förde-
Ich möchte jetzt also speziell auf die deutschen rungswürdig, obwohl sie vom Pädagogischen her
Schulen im Ausland zu sprechen kommen, auf ihre vielfach nicht so förderungswürdig zu sein scheinen.
Bedeutung und Aufgabe innerhalb dieser Konzep- Herr Kahn-Ackermann ist vorhin schon darauf
tion, zumal ich glaube, daß einige allgemeine Ge- eingegangen. Er meinte, sehr viele Schulen hätten
danken ausgesprochen werden müßten, obwohl ich ein veraltetes Erziehungsziel. Herr Kahn-Acker-
weiß, daß die Verhältnisse in den einzelnen Län- mann, es gibt sehr viele junge Leute — alle drei
dern sehr differenziert sind und jeder Einzelfall Jahre wechseln sie in einem Turnus —, die die mo-
anders liegt. derne Auffassung auch vom Erziehungsziel mit-
Der Herr Außenminister hat dargelegt, wie die bringen, so daß ich Ihnen nicht ganz abnehme, daß
augenblickliche Lage des Auslandsschulwesens ist, sie veraltete Erziehungsziele haben. Etwas aller-
und hat darauf hingewiesen, warum die Zuschüsse dings werden sie von dem jeweiligen Erziehungs-
aus Bundesmitteln gerade für diesen Bereich der ziel der Staaten beeinflußt, in denen unsere Schulen
Kulturpolitik so hoch sein müssen. Er zog daraus errichtet werden.
den vorsichtigen Schluß, daß die Finanzlast, die der Um die Relation der deutschen zu den ausländi-
Bund jetzt, im Gegensatz zu den Zeiten vor dem schen Schülern ausgewogen zu halten und um die
Krieg, für die Auslandsschulen zu tragen gezwun- deutschen Kinder eines größeren Raumes erfassen
gen ist, der „Errichtung neuer deutscher Schulen im zu können, müßten Internate in Verbindung mit
4732 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Huys
den Schulen gebaut werden, wie sie z. B. in Oscorno, sam wird. Eine Koordinierung der Mittel für die
Temuco und u. a. auch in Athen vorgesehen sind. Schulen im Ausland und der Entwicklungshilfe
Man könnte sie vergleichen mit den Bestrebungen müßte man vornehmen, um etwas großzügiger in
in unseren ländlichen Kreisen, „Mittelpunktschulen" Einzelfällen vorgehen zu können.
zu schaffen. Das vom Ausland geäußerte Interesse an der
Ich möchte hier ein paar Gedanken äußern, die, deutschen Sprache, ja, an der Bundesrepublik
so scheint es mir, bedacht werden müssen, ehe man schlechthin, würde einen entscheidenden Rückschlag
die Maßstäbe festlegt, die für die Gründung und erleiden, wenn die deutschen Auslandsschulen we-
Erhaltung von deutschen Schulen im Ausland in Zu- niger unterstützt würden. Dadurch würde unter Um-
kunft bestimmend sein werden. Ich stütze mich da- ständen der Weg für andere, sehr unerwünschte
bei auf Erhebungen, die das Auswärtige Amt 1960 Einflüsse freigemacht. Das Aufgeben einer kostspie-
in dieser Richtung gemacht hat, auf Erfahrungs- ligen, vielleicht wenig rentablen deutschen Schule
berichte verschiedener Persönlichkeiten oder Insti- oder der Verzicht auf eine noch zu gründende, von
tutionen wie auch auf meine eigenen Erkenntnisse, dem fremden Staat gewünschte Schule würde zwei-
die ich hinsichtlich dieses Problems auf meiner Reise fellos die SBZ auf den Plan rufen, die dann nicht zö-
nach Athen, Istanbul und Kairo gewinnen konnte. gern würde, als die maßgebliche Vertreterin deut-
scher Kultur aufzutreten.
Folgende Gründe sprechen dafür, daß das deut-
sche Auslandsschulwesen unterstützt, gefördert und (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
erweitert wird.
In der Intensität ist eine deutsche Schule, das heißt
Abgesehen von dem Wert, den die deutsche Aus- also eine deutsche Schule, in der Deutsch die Unter-
landsschule für die im Ausland lebenden deutschen richtssprache ist und nicht wie in der sogenannten
Familien und ihre Kinder hat, vermitteln die deut- „Begegnungsschule" eine Sprache unter anderen,
schen Auslandsschulen Sprachkenntnisse an Kinder die so gelehrt wird wie bei uns Englisch oder Fran-
und Jugendliche fremder Völker. Ihre Wirkung ist zösisch, dem neuen Typ überlegen. Mit der Unter-
darum breit und nachhaltig und daher von kulturel- richtssprache dringt eben doch auch deutsche Art
lem Wert; solche Sprachkenntnisse sind das Funda- ein, mit dem Wissensstoff wird deutsches Leben
ment für die Beziehungen, die Angehörige fremder lebendig und verständlich. Es ist eben etwas ande-
Staaten zu Deutschland knüpfen, sei es nun auf res, ob ich die deutsche Sprache wie ein Dolmet-
kulturellen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gebie- scher sprechen kann oder ob ich in ihre Gehalte ein-
ten. Ohne die Kenntnis der deutschen Sprache ist gedrungen bin. Zweifellos ist die kulturelle Wir-
kein Studium an deutschen Universitäten möglich. kung einer Schule geringer, die nur Lektorate oder
Es ist sehr wichtig, daß gerade Kinder die deut- Lehrerstellen für Deutsch hat, im übrigen aber einem
sche Sprache erlernen und nicht erst die Erwachse- internationalen Institut als einer eigenständigen
nen; denn Kinder wachsen unmittelbarer, aber auch Einrichtung angegliedert ist, die selbstverständlich
nachhaltiger in einen fremden Kulturkreis hinein ihre Tore auch weit für die Kinder des Gastvolkes
und werden von ihm geformt. Darüber hinaus die- öffnen soll. Das hat nichts mit Kulturpropaganda zu
nen die deutschen Auslandsschulen aber auch der tun, aber sehr viel mit einem Versuch, die eigene
Erwachsenenbildung. Kultur als Verständigungsmittel für das eigene
- Leben in Gesellschaft und Staat wirken zu lassen.
Die deutschen Auslandsschulen sind überall, wo Nur wirkliches Kennenlernen kann zum Verständ-
sie existieren, Mittelpunkte des kulturellen Lebens nis des anderen führen, und ein solches Kennen-
für die Deutschen in diesem Lande; sie sind Brücke lernen vermittelt die deutsche Schule im Ausland
zur Heimat, aber darüber hinaus sind sie auch Ver- stärker als jede andere Institution.
bindung und Anregung für Fremde, sie sind „Bot-
schafter Deutschlands" und stellen den ständigen So muß z. B. nicht nur in Athen, Istanbul und
Kontakt her zu den kommenden gebildeten Schich- Kairo, sondern auch in vielen anderen Ländern Tau-
ten ihres Gastlandes. senden von ausländischen Kindern die Aufnahme
verweigert werden, weil die Kapazität der Schulen
Die völkerverbindende Aufgabe der deutschen es nicht zuläßt. Das geht u. a. auch daraus hervor,
Auslandsschule kann gar nicht genug hervorgeho- daß trotz schlechter Schulgebäude die tonangeben-
ben werden. Kinder der verschiedenen Nationen den Schichten der jeweiligen Länder versuchen, ihre
lernen einander kennen und verstehen. Ein toleran- Kinder in der deutschen Schule erziehen zu lassen.
tes, mitmenschliches Verhalten wird ihnen selbst-
verständlich. Wir sollten es uns also sehr überlegen, ob wir es
uns leisten können, den deutschen Auslandsschulen
Der Erfahrungsaustausch der Lehrer untereinan- gegenüber geizig zu sein. Eine Kürzung der Mittel
der wird ungemein stark befruchtet, der Horizont oder gar ein Abbau der Schulen, wie er gelegent-
geweitet, Abkapselung vermieden, Wechselbezie-
lich zugunsten der Errichtung allgemeiner Kultur-
hungen werden hergestellt, alles Faktoren, die der
institute gefordert wird und wie es vorhin eigent-
politischen Bildung förderlich sind. lich auch Herr Kollege Kahn-Ackermann ausgeführt
Deutsche Auslandsschulen tragen wesentlich zur hat, daß das Hauptmedium der Kultur eben diese
Entwicklungshilfe bei, wenn sie im richtigen Sinne, allgemeinen Kulturinstitute seien, würde eine der
nämlich als Bildungshilfe, verstanden werden. Nur wichtigsten Kommunikationsstellen für unsere kul-
so wird es möglich, daß auch der technische und turellen Bestrebungen einengen oder schädigen. Die
wirtschaftliche Bereich der Entwicklungshilfe wirk Folgen würden sich — wie immer im kulturellen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4733
Dr. Huys
Sektor — allerdings erst in späteren Jahren 'zeigen, gabte ausländische Schüler der deutschen Schulen
dann aber sicherlich empfindlich und sehr negativ. im Ausland sollten mehr als bisher Stipendien für
Es ist ja beliebt, notwendige Sparmaßnahmen immer ein Studium in Deutschland erhalten, zumal sie sich
auf dem kulturellen Sektor vorzunehmen, weil hier schneller auf den deutschen Hochschulen zurechtfin-
imalgendrstWieanzub- den, wenn sie an deutschen Auslandsschulen ihre
fürchten ist. Man vergleiche dies beim Honnefer Reifeprüfung abgelegt haben.
Modell im neuen Haushaltsplan. Daß der Schaden Hier mag auch die neue Form der sogenannten
einmal in nicht allzu ferner Zeit sichtbar wird, dar- Expertenschule ihren Ort haben. Sie ist notwendig,
über sind sich allerdings alle einig. Treiben wir also weil hier die Kinder deutscher Eltern unterrichtet
nicht eine Politik „nach uns die Sintflut", sondern werden, die technische, wirtschaftliche oder son-
suchen wir nach Maßnahmen, die helfen, aus der stige staatliche Aufträge ausführen. Warum sollen
finanziellen Enge herauszukommen, ohne daß wir aus diesen Schulen, die zunächst sehr zweckgebun-
so anerkannt wichtige Kulturzentren wie die deut- den sind, nicht wie in früherer Zeit langsam Kultur-
schen Schulen im Ausland aufgeben oder mangel- zentren erwachsen, auch wenn der Aufenthalt der
haft fördern. Deutschen dort nur vorübergehend geplant war!
Im Memorandum des Auswärtigen Amtes vom Auf jeden Fall sollte gewarnt werden vor einem
14. September 1962 wird festgestellt, daß es erstaun- Abbau deutscher Schulen aus rein finanziellen Grün-
lich sei, wie stark das Motiv, ihren Kindern deut- den. Der Verlust könnte sehr groß, ja, irreparabel
sche Erziehungsmethoden zugute kommen zu lassen, sein.
die nicht deutschstämmigen Eltern auch in solchen
Ländern bewegt, in denen die alten deutschen Schu- Mir scheint, daß die Frage nach den Lehrern, die
len nach dem letzten Krieg durch Landesgesetze ein- an deutsche Auslandsschulen zu gehen bereit sind,
geengt sind und einen Teil ihres ursprünglichen bedeutungsvoller als die finanzielle ist. In der Bun-
Charakters verloren haben. Ja, es kann hinzugefügt desrepublik Deutschland selbst herrscht akuter
werden, daß auch bauliche Unzulänglichkeiten die Lehrermangel. Dennoch sollte es eigentlich möglich
Eltern nicht abschrecken, ihre Kinder in diese Schu- sein, daß von den 180 000 Lehrern, die es in der
len zu schicken. Das Auswärtige Amt folgerte da- Bundesrepublik gibt, jährlich 100 bis 200 an deut-
mals mit Recht daraus, daß uns hier eine Möglich- sche Auslandsschulen abgegeben werden. Daher
keit gegeben ist, für die Grundsätze der freien Welt sollte man vielleicht die Anregung von Präsident
zu wirken, auf die nicht verzichtet werden sollte. Es Dr. Löffler, Stuttgart, aufgreifen, der vorschlug,
würde von den Gastländern nicht verstanden wer- junge deutschstämmige Menschen im Ausland für
den, wenn die Unterstützungen durch die Bundes- den Dienst an den von deutschen Schulvereinen ge-
republik nur deshalb eingeschränkt würden, weil tragenen Schulen an bestehenden oder noch zu
nicht alle Vorbedingungen erfüllt sind, die nach gründenden Lehrerseminaren auszubilden.
deutschen pädagogischen Vorstellungen erfüllt sein Auch die rechtliche Stellung des Lehrers im Aus-
müßten. Hier ist aus weltweiten Gründen jeder land ist trotz der Verträge oft so wenig erfreulich
kleinliche Maßstab abzulehnen. Ich möchte mich der und unsicher, daß viele allein deswegen vor dem
Feststellung des Auswärtigen Amtes anschließen und „Abenteuer" zurückschrecken.
diese hier ins Gedächtnis zurückrufen, die lautet:
Bei der Suche nach einer Lösung des Problems
Soweit ein angemessenes Verhältnis zwischen- der deutschen Auslandsschulen muß also neben der
deutschen und nichtdeutschen Schülern erhalten finanziellen Seite sehr akzentuiert auch die perso-
bleibt — dd. h. also die Zahlen der deutschen nelle einbezogen werden. Mir scheint, daß die Lö-
Schüler den ausländischen gegenüber nicht zu sung dieser Frage nicht nur durch grundsätzliche
klein wird — und die Vermittlung deutscher Erwägungen, von denen eben die Rede war, gefun-
Sprachkenntnisse und sonstiger kultureller den werden kann, sondern wesentlich auch von der
Werte nach deutschen pädagogischen Metho- organisatorischen Seite her angefaßt werden muß.
den nicht zu weit an den Rand des schulischen
Lebens gedrängt wird, sollte die Chance nicht Ob für das deutsche Auslandschulwesen eine
gering geachtet werden, die in diesem Beitrag Zentralstelle errichtet werden sollte oder nicht, muß
zur Verständigung der Völker abseits von allen ernsthaft überlegt werden, ebenso, welche Rechts-
Hintergedanken aggressiver Kulturpolitik ver- form man ihr geben soll. Jedenfalls erscheint es
gangener Zeiten liegt. Intensität und Tiefen- auch mir notwendig, daß das Auswärtige Amt u. a.
wirkung einer durch Jahre hindurch in täg- von den administrativen Aufgaben entlastet wird,
lichem Kontakt praktizierten Begegnung von damit es sich den Grundprinzipien dieser Arbeit
Angehörigen verschiedener Kulturen ist in besser zuwenden kann. Diese eventuell zu schaf-
ihrem Einfluß auf die Förderung des gegenseiti- fende Verwaltungsstelle müßte mit weit mehr päda-
gen Verständnisses der Nationen nicht zu unter- gogischem Fachpersonal ausgestattet werden, zumal
schätzen. Die geschaffenen Bindungen und es mit zwei Pädagogen im Auswärtigen Amt nicht
menschlichen Beziehungen tragen oftmals ihre getan ist. Diese wurden auch erst zum 1. Januar
politischen Zinsen. 1964 angefordert. Es sind ein Studienrat und 'ein
Volksschullehrer angefordert. Aber damit ist es bei
Wenn dieses von Schulen gesagt wurde, die nur 1200 Lehrern im Ausland, 137 Schulen und 300 wei-
noch zum Teil den alten Charakter haben, um wie- teren Schulen, die das Auswärtige Amt teilweise
viel mehr gilt das von den eigentlichen deutschen zu betreuen hat, und einem Etat von 50 Millionen
Auslandsschulen! Das möchte ich hier betonen. Be DM nicht getan; denn außer auf Planungs- und
4734 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Huys
Lenkungsaufgaben für Neugründungen, Ausbau teln unterstützt werden sollte. Jeder enge Maßstab,
oder Schließung von Auslandsschulen unter kultur- ihre Förderungswürdigkeit betreffend, muß abge-
politischen oder pädagogischen Gesichtspunkten lehnt werden. Wir dürfen uns nicht dem Vorwurf
kommt es meines Erachtens besonders auf die aussetzen, irgendwo in der Welt eine Chance für
pädagogische Betreuung der Schulen an. die Repräsentanz unserer Bundesrepublik verpaßt
Sicherlich ist die Erarbeitung von Grundsätzen zu haben.
der Methodik oder Didaktik für Auslandsschulen Zweitens. Die Bedeutung und die Intensität der
wesentlich. Darüber hinaus jedoch scheint mir nach kulturellen Arbeit der deutschen Auslandslehrer
meinen Unterhaltungen mit zurückgekehrten Aus- und -schulen erfordert eine baldige Entscheidung in
landslehrern der pädagogische Kontakt mit den Verbindung mit den Ländern über eine Zentralstelle
Lehrern aller Schulsparten außerordentlich wichtig für auslandsdeutsche Schulen, eine bessere perso-
zu sein. Eine große Zahl von Auslandsschulen haben nelle Ausstattung des Schulreferates im Auswärti-
nämlich Kindergarten, Volks-, Mittel- und höhere gen Amt und eine bessere pädagogische Durchdrin-
Schule sozusagen in einer Einheit zusammengefaßt. gung dieser Arbeit.
Im allgemeinen scheint es bisher so zu sein, daß
ein Oberschulrat oder Oberstudiendirektor anläßlich Ich bin mir bewußt, an wen ich mich ganz beson-
einer Inspektionsreise oder der Abnahme einer ders zu wenden habe. Daher möchte ich mit dem
Prüfung — im übrigen ist es nicht so, wie Herr türkischen Sprichwort, das uns die deutschen Lehrer
Kahn-Ackermann vorhin gesagt hat, daß zwei Drit- in Istanbul für die Beseitigung ihrer Nöte mit auf
tel ohne Prüfungen und ohne Kontrolle sind; das den Weg nach Bonn gegeben haben, meine Ausfüh-
sind nur 47 von 137 Schulen — auftauchen, die Schu- rungen schließen. Das schöne und beherzigenswerte
len aufsuchen und nun pädagogisch beraten. Dabei türkische Sprichwort, lieber Haushaltsausschuß,
kommen meines Erachtens die Volks- und die Mit- lautet: „Meine Sorge an Dein Herz."
telschullehrer zu kurz. Ein Oberstudiendirektor ist (Beifall bei der CDU/CSU.)
nämlich kein Fachpädagoge für Volks- und Mittel-
schulen. Aber auch diese Lehrer wünschen innerhalb
von fünf oder sechs Jahren Auslandsaufenthalt eine Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
fachliche Beratung. Dieser Wunsch müßte bei dem Herr Abgeordnete Professor Dr. Schmid.
Stellenplan einer zu gründenden Zentralstelle für
auslandsdeutsche Schulen berücksichtigt werden. Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Herr Präsident!
Die Fluktuation des Personals des Schulreferates Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß der
im Auswärtigen Amt ist in der Antwort der Bundes- Herr Minister unsere Beratung verlassen mußte,
regierung als ein Hindernis für eine kontinuierliche sicher aus triftigen Gründen. Ich hätte ihm gern
Arbeit herausgestellt worden. Das gilt aber auch für einige Komplimente gemacht über seine Ausführun-
die Lehrer an den Auslandsschulen. Man sollte trotz gen — es hätte ihn vielleicht gefreut, wenn er sie
der vereinbarten Richtlinien von 1962 nochmals selbst hätte anhören können —, wie ich gleicher-
überlegen, ob man nicht längerfristige Verträge maßen meinen Vorrednern Komplimente machen
wenigstens für Leiter und Stammpersonal in jeder möchte, deren Fachwissen das meine weit übersteigt
Schulsparte und Fakultät abschließen sollte. Das ist und vor deren Realismus ich mich fast ein wenig
ein Wunsch, der uns auf der Besichtigungsreise - glaube schämen zu müssen. Denn ich werde von
öfter vorgetragen wurde. solch praktischen und handfesten Dingen nicht viel
sprechen können. Aber ich hatte mich auf diese
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas sagen, Debatte so gefreut, daß ich, obwohl ich sachlich dem
was mir auf meiner Reise aufgefallen ist. Durchweg schon Gesagten nicht viel hinzuzufügen habe, auf
werden Schulen von 500 bis 1000 Schülern von Ober- die Freude nicht verzichten möchte, hier vor diesem
studienräten und Grundschulen mittlerer Schüler- Hause sprechen zu dürfen.
zahl von Volksschullehrern geleitet, die eigentlich
Oberstudiendirektoren bzw. Rektoren oder Haupt- (Beifall.)
lehrer sein müßten. Nach meinen langjährigen Er-
fahrungen als Ratsherr im Personalausschuß meiner Wenn ich das Wort „Kulturpolitik" höre, be-
Heimatstadt würde ein Personalrat das zum stän- schleicht mich fast immer ein Unbehagen, verband
digen Klagepunkt in jeder Sitzung machen, daß sich doch mit diesem Wort vor noch nicht langer
nämlich ein Mann eine Tätigkeit ausübt, die sowohl Zeit die Vorstellung, eine spezielle Vorstellung,
dem Gehalt wie dem Rang nach bessergestellt sein gelegentlich auch eine akademisch geäußerte Vor-
müßte. Solche Anhebungen kämen sowohl dem An- stellung, der Staat könne Kultur machen und habe
sehen der Schule als auch innerhalb der Gesellschaft sie zu machen. Wenn ich gar von „Kulturpolitik im
dem „kleinen Botschafter Deutschlands" zugute. Im Ausland" reden höre, da steigen vor mir so Gespen-
übrigen wäre hier eine echte Gelegenheit für Bund ster auf, die mit dem Finger nach außen zeigen und
und Länder, dem bei der Behandlung der L-Besol- verkünden: Wir müssen doch denen draußen unsere
dung viel beklagten Mangel an Beförderungsstellen Kultur bringen; denn „Am deutschen Wesen soll
für Lehrer ein ganz klein wenig abzuhelfen. einmal die Welt genesen". Es ist gar nicht lange
her, daß diese Gespenster noch recht lebendige
Ich möchte meine Ausführungen dahin zusammen- Menschen gewesen sind. — Sie lächeln mir zu, Herr
fassen: Kollege Friedensburg, Sie scheinen meine Meinun-
Erstens. Die kulturelle Wirksamkeit der deutschen gen, meine Befürchtungen und meine Gespenster-
Auslandsschulen ist so groß, daß sie mit allen Mit angst zu teilen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4735
Dr. Schmid (Frankfurt)
Ich weiß, daß in diesem Saal niemand so denkt, tun, zu formen, zu bilden vermögen. Das Wort
und ich sage das wirklich, wie ich es meine. Aber Rankes vom Primat der Außenpolitik hat nur diesen
vielleicht ist es nicht schlecht, sich zu erinnern, daß einen Sinn.
die Zeiten nicht sehr fern sind, in denen in Deutsch- So kann in der Tat auch der Stand der Kultur in
land viele so gedacht haben, in denen es geradezu einem Volk ein außenpolitischer Faktor sein, ein
als ein Schibboleth für gutes Deutschtum galt, so zu Potential, wie man so gerne sagt, wobei ich unter
denken und so zu sprechen. Was uns das gekostet „Kultur" ganz schlicht verstehe: In welchen Formen,
hat, im Innern und außen, ich glaube, das wissen mit der Verkörperung welcher Werte, mit welchem
wir heute alle. Denn sehr vieles von dem, was in Grad der Fruchtbarkeit für uns selber und für an-
dieser Welt an Schrecklichem in unserem Namen dere verwirklichen wir, vergegenwärtigen wir un-
geschehen ist und geschehen konnte, ist mit durch sere schöpferischen Kräfte? Dabei meine ich das
diese Art des Verabsolutierens des Staates und Wort „vergegenwärtigen" in dem Sinne, in dem
gerade des Staates in bezug auf Geistiges möglich man oft das Fremdwort gebraucht: ver-repräsentie-
geworden, nicht geschehen, aber möglich geworden. ren wir uns in unseren schöpferischen Kräften? Der
Der Staat kann keine Kultur machen. Er kann Grad einer solchen Kultur kann recht bestimmend
bestimmte Lagen auf dem Felde der Kunst, der sein für die Reichweite des politischen Armes eines
Wissenschaft als politische Potentiale in Ansatz Staates.
bringen, wenn ich so sagen darf. Aber Kultur wird Was der Stand einer Kultur, ihre spezifische Art,
gelebt, wird nicht gemacht. Sie wird im Mutterschoß in anderen für Gefühle weckt, Sympathien, Anti-
des Volkes gelebt von vielen einzelnen, die sich pathien, kann positive oder negative Dispositionen
in dem Wissen zur Gemeinschaft verbunden fühlen, oder Trends schaffen, die so mächtig wirken kön-
daß sie identische Menschheitswerte auf gleiche nen wie das, was man gelegentlich die materiellen
Weise, auf gemeinsame Weise lieben und entschlos- Interessen der Staaten nennt. Denn eines ist nicht
sen sind, sie auf dem ihnen zugeordneten Boden zu zu vergessen: daß, was wir für unser Interesse hal-
verwirklichen. ten, glauben ansehen zu müssen, uns sehr häufig
Wenn Fichte recht hatte, wird aus. diesem Willen im Lichte unserer Sympathien oder Antipathien be-
heraus ein Volk zur Nation und damit geschichts- wußt wird oder überhaupt erst in diesem Lichte Ge-
mächtig und, ich glaube, damit auch etwas, das eine stalt gewinnt.
lebendige Kultur hervorzubringen vermag, die nie- Beispiel: Was bedeutet es für die Reichweite, die
mand zu machen braucht und die niemand machen politische Reichweite Großbritanniens, daß die Welt
kann. gefunden hat, daß das, was sie „british way of life"
Wenn ich das Wort Politik so häufig in Verbin- nennt, eine Sache ist, die den Menschen zu steigern
dung mit anderen Worten höre — Kulturpolitik, vermag! Was bedeutet es für die Reichweite Frank-
Sozialpolitik, Außenpolitik —, dann habe ich gele- reichs, die politische Reichweite Frankreichs, daß
gentlich die Sorge, daß man aus diesen Wortverbin- Frankreichs Hauptstadt Paris heißt, in der ganzen
dungen heraus eines vergessen könnte, nämlich: Welt geliebt, auch dort, wo man weiß, wie hart
daß all diese Dinge nicht besondere Arten der Poli- diese Stadt sein kann, wie grausam sie sein kann,
tik sind, sondern einfach Modalitäten des einen als die Stadt der Künste, als die Stadt des guten
Wortes, des einen Begriffes, den man Politik heißt. Geschmacks, die Stadt des „savoir vivre", der
Politik ist nichts anderes als die Bestimmung der Lebensart, und auch der „douceur de vivre", der
Lebensordnungen des Volkes im Staate und die Süßigkeit des Lebens! Denken wir an Rom, die Be-
Bestimmung der Stellung des Volkes im Koordi- deutung Roms für Italien! Ich will niemanden krän-
natensystem, in dem alle Staaten dieser Welt ver- ken und werde sicher niemanden kränken, wenn ich
flochten sind. sage, daß der Grund, weswegen vor dem ersten
Innen- und Außenpolitik, Kulturpolitik, Sozial- Weltkrieg Italien mit seinen relativ schwachen mili-
politik, alle diese Wortverbindungen bedingen sich, tärischen Kräften — die zählten doch damals be-
der Substanz nach, gegenseitig. Das Innere des Staa- sonders viel — in den Kreis der Großmächte auf-
tes bestimmt die Möglichkeiten des Staates, nach genommen wurde, dem Respekt zu verdanken ist,
außen zu wirken. Sie kennen vielleicht alle — um den man glaubte einem Volke nicht verwehren zu
von den Finanzen zu sprechen, von denen heute können, das der Welt so unendlich viel gegeben hat
erfreulicherweise wenig gesprochen worden ist — im Felde von Kunst und Wissenschaft. Ein großer
das Wort eines bekannten und berühmten fran- englischer Historiker hat vor dem ersten Weltkrieg
zösischen Außenministers: Macht mir gute Finan- Italien einmal eine „Respektsgroßmacht" genannt,
zen, und ich mache euch eine gute Außenpolitik. und ich glaube, dieses Wort ist gut und ehrenvoll
Oder das Wort, das unsere Schulmeister mit Recht für Italien.
gern im Munde führten: daß Königgrätz gewonnen Ich spreche von Deutschland. Was hat es alles für
worden sei durch die deutschen Schulmeister. Da die Möglichkeiten, hinauszuwirken über unsere
haben Sie beides, nicht wahr: daß das Innere die Grenzen hinaus, in der Zeit, als wir noch kein Deut-
Möglichkeit, nach außen und außen zu wirken, be- sches Reich waren, bedeutet, daß uns die Welt sah
dingt. nach dem, was das Buch der Madame de Staël, das
Umgekehrt schafft die Außenpolitik, das, was Buch über Deutschland, von uns gezeichnet hat! Wir
man dort erreicht, um die Stellung seines Staates waren damals vielleicht einer echten Großmacht
zu begründen im Kontext der Weltpolitik, den näher als später in der Zeit, wo man glaubte, Blut
Raum für das, was wir im Inneren zu leisten, zu und Eisen seien die hauptsächlichsten Beweger der
4736 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmid (Frankfurt)
Geschichte. Ich weiß durchaus, was in der Geschichte Eines sollten wir von vornherein ausschließen,
dieses Volkes notwendig war und nicht zu umgehen wenn wir an Kulturpolitik im Ausland denken,
war. Aber vielleicht haben wir in den Zeiten vor- etwas, von dem manche früher geglaubt haben,
her, als wir noch das Deutschland der Madame de das sei ihr Hauptzweck: den Versuch, eine Irre -
Staël waren und von der Welt so gesehen wurden, denta zu schaffen oder Irredenta zu organisieren
was kulturelle Wirkung anbetrifft und über diese oder von außen her eine Irredenta halten zu wollen.
hinaus Erhöhung unseres Ansehens in der Welt, Und das zweite: Wir sollten alles vermeiden, was
mehr gehabt als nachher. Nun, das nur nebenbei. da aussehen könnte, als wollten wir eine Art von
Bindestrich-Politik betreiben, Bindestrich-Amerika-
Wenn dem aber so ist, brauchte man eigentlich,
ner, Bindestrich-Italiener, Bindestrich-undsoweiter-
so glaube ich, Kultur nicht nach außen zu tragen,
Leute schaffen. Wir dürfen durch unsere kulturpoliti-
brauchte man sie nicht nach außen vorzuführen,
schen Bemühungen keine Deutsche schaffen wollen.
sicher nicht. Ihre Wirkung auch für die Außen-
politik beginnt zu Hause. Abgesehen davon: Außen Wer an dem teilnimmt, was wir zu bieten im-
vorführen kann man nur, was man hat und was stande sind, soll dadurch ein besserer Bürger seines
man ist. Trotzdem, ein Volk hat sich auch im Aus- Landes werden können. Und was haben wir denn zu
land darzustellen. Es kann nicht mehr damit rech- bieten? Wir haben sehr viel zu bieten. Freilich wer-
nen, daß man es nur bei sich selber anschauen den viele von uns der Meinung sein, daß das, was
will. Es wird auch, von außen betrachtet, sehr häu- andere von uns glauben mit Vorzug bieten zu sol-
fig nicht so richtig gesehen, wie es gesehen werden len, nicht das Richtige ist. Jeder von uns hat seine
müßte, um richtig beurteilt zu werden; denn zwi- Vorlieben, jeder von uns hat seine Kriterien, seine
schen diesem Innen und Außen stehen eben seit Kategorien. Das ist gut so. Aber wir sollten viel-
einigen Dingen, . die auf unser Schuldkonto zu leicht an ein Wort denken, das ein großer Franzose,
schreiben sind, einige verzerrende Glaswände, die Jean Jaurès, um die Jahrhundertwende ausgespro-
das Bild trüben, das man von uns haben sollte. chen hat. Als in der französischen Linken Stimmen
Und da ist es schon gut, wenn wir nach außen gehen laut wurden, es ginge doch nicht an, daß man Ver-
und zeigen, wie wir sind. Die Regierung hat die sailles feiere, das doch von dem Tyrannen Ludwig
Aufgabe, dies möglich zu machen, dem einen Rah- XIV. unter Ausbeutung von Hunderttausenden bra-
men zu geben, auch einen institutionellen Rahmen ver Menschen erbaut worden sei, sagte er: „Tout ce
zu geben, Ort und Zeit zu bestimmen, Mittel zur qui est national, est nôtre". Alles, was zur Bildung
Verfügung zu stellen, Prioritäten aufzustellen, zu unserer Nation geführt hat, gehört uns allen ge-
lenken und auszuwählen. Diese Dinge würde ich meinsam und allen zusammen.
Kulturpolitik im Ausland nennen und nicht sehr
viel mehr als das. Daran sollten wir denken, wenn wir uns fragen:
Wie soll denn dieses Deutschland nach außen hin
Jener Talleyrand, den man so gern zitiert,
vergegenwärtigt werden? Und da meine ich, daß es
pflegte seinen Botschaftern eine einzige Instruktion
für einen Sozialdemokraten durchaus wohlgetan ist,
mitzugeben: „Faites aimer la France." — „Eure
etwa Friedrich den Großen zu rühmen, wie es Ihnen
Aufgabe besteht darin, in eurer Person und durch
(nach rechts) gut anstände, etwa einige der großen
eure Tätigkeit Frankreich liebenswert zu machen."
Männer der deutschen Arbeiterbewegung zu rüh-
Das ist nicht nur ein Bonmot gewesen; das war,
men. Denn wenn dieses Deutschland das ist, was es
glaube ich, eine vortreffliche politische Instruktion
heute ist, ist es auch diesen Menschen zu verdan-
an Diplomaten, die ins Ausland geschickt werden.
ken, daß es so ist, wie es ist. Ich glaube, wenn wir
Insoweit ist es eine Aufgabe von uns allen, wenn
so denken, dann wird manches nicht mehr passieren,
wir ins Ausland gehen, uns so aufzuführen, so zu
was früher häufig passiert ist und was heute leider
sprechen und so darzustellen, daß in unserer Person
Gottes manchmal noch passiert ist.
und durch uns das Volk, das Land, dem wir an-
gehören, liebenswert erscheint. Aber trotzdem gibt Ich sagte, wir haben viel zu bieten. Was sollen
es hier einige besondere Fachprobleme, möchte ich wir bieten? In was sollen wir uns darstellen? Nun,
sagen, eine Spezialisierung des Problems; das be- ein Volk ist etwas sehr Komplexes, ich möchte sa-
trifft eben die Außenpolitik als solche. gen, in all dem, in dem wir schöpferisch geworden
Wie kann man und mit welchen Mitteln die Men- sind. Das ist zunächst einmal die Kunst. Warum
schen draußen immer wieder davon überzeugen, daß wollen wir nicht das schöpferische Vermögen un-
Deutschland ein Land ist, das liebenswert ist, mit seres Volkes zeigen — wir können das und können
dem auch in andere als kommerzielle Beziehungen, dabei manchen Wettbewerb bestehen —, die Wis-
als Beziehungen der Techniker untereinander zu senschaft zeigen, was darin an geistiger Disziplin
treten einen Sinn haben könnte, ein Land, durch steckt, nicht nur an sogenannten Leistungen und Er-
dessen Kontakt man vielleicht selber eine Steige- folgen — das ist vielleicht nicht einmal so sehr das
rung erfahren könnte, so wie sehr viele glauben, es Entscheidende —, die Bildung, die Weite, die Tiefe,
zu erleben, wenn sie eben an Frankreich denken? den Reichtum dessen, was wir Deutschen — muß ich
Ich denke an das Wort eines großen Amerikaners, sagen: einst? — an Bildung hatten, an Bildung zu
eines der Stifter Amerikas: „Jeder hat zwei Vater- verkörpern imstande waren, auch an Universalität,
länder, seines und Frankreich." Auch das ist nicht an Weltläufigkeit und an Weltgehalt? Ich glaube,
einfach als Bonmot abzutun. Dieses Wort bringt daß es draußen manche gibt, die gern daran teilneh-
wirklich einiges, recht vieles, zum Ausdruck, das men würden.
sich in dieser Welt politisch recht real und recht Wir haben auf einem ganz anderen Gebiet Zeug-
konkret ausgewirkt hat. nisse der Gediegenheit und der Redlichkeit unseres
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4737
Dr. Schmid (Frankfurt)
Arbeitens vom kleinen Werkstück bis zum größten Wir können unsere deutschen Maler, unsere deut-
hin zu bieten. Auch das ist etwas, in dem ein Volk schen Bildhauer getrost draußen ausstellen. Wir soll-
sich darstellt. ten es vielleicht häufiger tun, als wir es machen. Ich
Und last not least der Sport. Ich meine das wirk- habe es selbst erlebt, wie 'das in Paris gewirkt hat,
lich so: der Sport, der vielverlästerte. Ich sage das als man als eine der ersten deutschen Ausstellungen
trotz der Sportbeilagen mancher Zeitungen, die zu eine große Ausstellung der sogenannten deutschen
lesen nicht immer Freude bereitet. Aber ich sehe im Primitiven gemacht hat, also der Künstler vor der
Sport auch einen Ort, an dem ein Volk sich verge- Renaissance. Das war eine Offenbarung für die
genwärtigt, an dem ein Volk sein schöpferisches Franzosen. Sie hatten nicht gedacht, daß so etwas
Vermögen darzustellen vermag. Ich werde darüber im finsteren Deutschland jenseits der Wälder mög-
noch einiges zu sagen haben. lich gewesen sein könnte. Und die Ausstellung der
deutschen Expressionisten, die jüngst in Paris ge-
Gehen wir zurück zur Kunst, zur Musik. Wo nach wesen ist, hat genauso gewirkt. Es schlägt für uns
diesem zweiten Krieg, nach all dem Schrecklichen, zu Buche, wenn ein so begabtes und im Felde der
was damals geschehen ist, wir unsere Musik nach Kunst so schöpferisches, so reiches Volk wie die
außen getragen haben, da schien auf einmal verges- Franzosen sagt: Auch die Deutschen sind keine Bet-
sen zu sein, was an Bösem an unserem Namen hing, telmänner auf diesem Feld, auch die Deutschen
da wurden die Leute aufgeschlossen, da konnte man haben aus eigenem etwas gebracht und nicht nur als
wieder mit ihnen sprechen, wenn man den Versuch unsere Schüler und gar als unsere Kopisten.
dazu in der gebotenen Bescheidenheit und Scham
machte. Da ist es nicht bloß die große symphonische Aber 'bei allen diesen Dingen gebe man immer
Musik und die Kammermusik; auch die moderne nur die erste Qualität nach draußen! Non multa, sed
Musik sollten wir draußen hören lassen. Denn auch multum, lieber einige Dinge weniger, einige Auf-
hier haben wir Deutsche, glaube ich, besondere führungen weniger, kleinere Ausstellungen, weni-
Schöpferkraft bewiesen, die draußen anerkannt ger, aber dafür wirklich das Beste, Dinge, die sich
wird. Und wenn ich von uns Deutschen spreche, mö- mit dem Besten draußen vergleichen lassen.
gen mir das unsere österreichischen Freunde nicht Es wurde von meinem Freund Kahn-Ackermann
verübeln: in diesen kulturellen Dingen sind wir von den Gesprächen mit Dichtern aus der Sowjet-
doch immer noch etwas, das zusammengehört. zone gesprochen, die stattgefunden haben, von de-
Denken wir, wenn wir von der Musik sprechen, nen, wie er meinte, nicht genug Notiz genommen
auch an das deutsche Lied, nicht bloß an die großen worden sei. Ich glaube, er hat recht. Wir sollten
Opern. Vergessen wir nicht, daß die Franzosen dar- auch solche Dinge tun, hier und draußen. Ich glaube,
aus ein französisches Wort gemacht haben — le wir sollten den Dialog ruhig wagen. Denn es gibt
lied —; damit bezeichnen sie gerade diese spezifi- eine Reihe von Ländern — Italien, Frankreich —, in
sche Art von Musik, die von uns in Deutschland, denen — leider Gottes, wenn Sie wollen — ein
sagen wir von Beethoven über Schubert, Wolf und großer Teil der Intelligenzia der Meinung ist, man
Brahms, der Welt geschenkt worden ist. müsse nach Osten schauen, wenn man zeitgenös-
sisch, lebendig kulturell schöpferisch werden wolle.
Das Theater! Wo wir mit Theater hingekommen
Wenn wir den Leuten zeigen, daß man gar nicht so
sind, war es genauso. Auch dort wurde neidlos an-
weit dort hinüberzuschauen braucht, sondern daß
erkannt, daß wir Deutsche hier etwas zu bieten
man auch im Gespräch mit uns auf Dinge stoßen
haben, etwas, das das Urteil über uns vielleicht ver-
kann, die ganz und gar aus dieser Zeit sind und viel-
ändern müßte. Ich habe jüngst in einer großen Pari-
leicht sogar in die Zukunft weisen, könnte das,
ser Zeitung gelesen, in der von einer deutschen
meine ich, auch politisch zu Buche schlagen. Es gibt
Theateraufführung die Rede war und wo der Schluß-
in Rom eine Institution der Zonenregierung, das
satz war: Vielleicht sollten wir doch über die Deut-
Centro Thomas Mann — Zentrum Thomas Mann —,
schen anders denken, als man das bisher landauf,
von dem nun wirklich wie von einem Magneten
landab glaubte tun zu sollen.
diese ganze Intelligenzia Roms angezogen wird. Die
Auch da möchte ich etwas sagen, was wohl nicht Leute — ich habe mit ihnen gesprochen — sind tat-
jedem gefallen wird: man soll nicht gleich laut auf- sächlich der Meinung, daß von den Deutschen nur
schreien, wenn ein deutsches Theater 'im Ausland von dort her, von Pankow her irgend etwas Neues,
Bert Brecht spielt. Sehen Sie, dieser Bert Brecht ist etwas nach Gerhardt Hauptmann, wenn nicht gar
ein großer deutscher 'Dichter, ein Mann mit einer nach Goethe, zu erwarten sei.
sehr verhängnisvollen politischen Leidenschaft —
Ich meine, wir sollten diesen Dialog ruhig wagen,
sicher, war er! Aber es war ein wirklicher Dichter,
sollten dieses Gespräch führen. Ich hoffe, daß wir
einer der wenigen echten Dichter, die wir in den
uns behaupten können. Sollten wir uns dabei nicht
letzten Jahrzehnten gehabt haben. Und so sieht
behaupten können, werden wir vielleicht auch dar-
man ihn auch draußen. Man schreibt diesen Mann
aus etwas lernen, nämlich lernen, daß es so mit un-
nicht auf das Konto Kommunismus, sondern auf das
seren Bemühungen um uns selbst nicht weitergehen
Konto deutsche Leistung. Ich glaube, wir sollten den
kann.
Mut haben, das als eine solche Leistung gelten zu
lassen. Ich möchte sagen, auch in diesen Dingen gibt Nun, die Wissenschaft! In der Wissenschaft bleibt
es weder ein ideologisch gespaltenes noch ein poli- man zu Hause. Aber man sollte doch die Möglich-
tisch gespaltenes Deutschland, sondern da gibt es keit schaffen, daß man unser deutsches wissenschaft-
eben Deutschland. liches Bemühen von draußen her kennenlernt, bes-
(Beifall.) ser kennenlernt, als es heute der Fall ist. Wir dürfen
4738 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmid (Frankfurt)
doch nicht vergessen, welches politische Potential, und Außenpolitik gehört zur Kompetenz des Bun-
welcher Sympathiekredit uns durch die großartigen des; ganz schlicht!
Leistungen der deutschen Wissenschaft im 19. Jahr- (Abg. Dr. Martin: Das ist aber sehr um
hundert und im ersten Drittel dieses Jahrhunderts stritten!)
zugewachsen ist. Es hat etwas für uns bedeutet —
auch politisch —, was das Urteil der französischen — Ich weiß es, und ich erlaube mir, meine Meinung
Oberschicht z. B. über die Deutschen anbetrifft, daß dazu zu sagen. Oder glauben Sie wirklich, daß die
die französischen Universitäten am Ende des Frage, wie eine deutsche Schule in Mexiko oder in
19. Jahrhunderts glaubten, sich , auf dem Modell der Bangkok aussehen soll, etwas ist, was die Kultur-
Deutschen — gerade auf dem Gebiet der Natur- hoheit Hamburgs oder Hessens oder Bayerns inter-
wissenschaften und auch gewisser Geisteswissen- essieren könnte, wenn man nicht nur an Ämter-
schaften — reformieren zu sollen. Man studierte patronage denkt?
früher in Deutschland, wenn man glaubte, die Wis- (Zuruf von der Mitte: Aber die kümmern
senschaft ernst nehmen zu sollen. Wie ist es heute? sich darum!)
Heute studiert man in den Vereinigten Staaten von
Amerika, in Großbritannien, in Frankreich, in Ruß- — Haben sie schon gefragt, wenn sie das tun, wie
land! Man studiert auch in Deutschland, aber längst sie es können? Ich glaube, das sind Dinge, die in der
nicht mehr mit diesem absoluten Wertakzent, den Bundeskompetenz liegen, und hier sollte der Bund
man früher diesem Studium gegeben hat. seine Kompetenz in Anspruch nehmen.

Ich glaube, wir sollten hier einiges tun, um abzu- (Beifall im ganzen Hause.)
helfen; nicht um Kultur zu machen, wie gesagt, aber Er kann es auf den verschiedensten Gebieten, auf
um Raum zu schaffen, um Mittel zu geben. die verschiedenste Weise. Ich sprach schon von den
Stiftungen könnten hier viel helfen; Stipendien Stiftungen; es wären auch noch andere Dinge zu
könnten viel helfen, nach innen und nach außen. nennen. Sie haben schon viele Details gehört, und
Wir könnten mit diesen Stipendien Ausländer zu ich will nicht weiter bei diesen Details verweilen.
uns bekommen, und vielleicht würden wir bessere Nur soviel möchte ich hier sagen: Warum soll der
bekommen, und vielleicht würden wir sie leichter Bund nicht eine Bundeslaufbahn für Lehrer an deut-
bekommen, wenn diese Dinge nicht unmittelbar vom schen Auslandsschulen und für Leiter deutscher
Staat in die Hand genommen würden. Es müßte so Kulturinstitute im Ausland schaffen,
sein wie in Amerika; ich denke an die Ford Foun- (Beifall)
dation. Die Thyssenstiftung, die Duisbergstiftung
sind solche Stiftungen. Aber ich glaube, es sollten eine Bundeslaufbahn, wie die Franzosen eine natio-
mehr sein und sie sollten mehr Mittel haben. nale Laufbahn für diese Zwecke geschaffen haben?
Dort riskiert eine Schule nicht, daß man nach drei
Noch wichtiger wäre, daß deutsche Gelehrte an Jahren den Lehrer abberuft, weil es an der Zeit ist,
ausländische Forschungsanstalten oder an Univer- daß er wieder nach Hause kommt; dort kommt der
sitäten gehen, nicht nur um Entwicklungshilfe zu Mann von Stockholm nach Kopenhagen, und dann
leisten — natürlich ist das wichtig, vordringlich wird er vielleicht nach Warschau versetzt. Kurz und
wichtig; ich brauche darüber kein Wort zu verlieren, gut, dort können Erfahrungen weiter verwertet
daß das meine Meinung ist —, sondern man sollte werden, und es kann etwas wie ein Korpsgeist ge-
diesen Menschen die Möglichkeit geben, langfristig- schaffen werden, was der Sache nicht schadet. Ich
ins Ausland zu gehen, nicht als „verlorener Haufen", meine, wir sollten das wagen. Wer macht mit von
der vergessen wird, wenn er ein paar Jahre draußen denen, die Beifall geklatscht haben, falls man im
war; sie sollen mit einer Equipe, mit einer Mann- Bundestag einen entsprechenden Antrag für ein
schaft hingehen, damit sie über das hinaus wirken solches Gesetz einbringt? Ich frage: wer von Ihnen
können, was sie als einzelne gerade noch tun könn- macht mit?
ten.
(Abg. Dr. Martin: Ich mache mit!)
Wir sollten dabei nicht nur an die Naturwissen-
schaften und an die Medizin denken; wir sollten — Ausgezeichnet! Wir sprechen uns wieder.
auch z. B. an die Philosophie denken. Vergessen wir (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Martin:
doch nicht, daß wir Deutschen in der Welt doch Herr Professor, es ist im Grundgesetz leider
schlechthin als das Volk der Philosophie der Mo- nicht drin!)
derne galten. Auch das hat uns einen Sympathie-
kredit gegeben, den wir nicht geringschätzen kön- — Das Grundgesetz ist interpretationsfähig. Darf ich
nen. Ich glaube wirklich, wir sollten auch daran Ihnen ein kleines Beispiel erzählen, wie man inter-
denken. pretieren kann, wenn man es mit seinem Staat ernst
meint: In der Verfassung der Vereinigten Staaten
Nun kommen manche, heben den Finger und
steht kein Wort, daß die Union berechtigt sei,
sagen: Aber, wir sind doch ein föderalistischer Staat,
direkte Steuern zu erheben. Aber es steht darin, daß
all diese Dinge, die Du da präkonisierst, stören
unsere föderalistische Struktur und passen nicht. die Union verpflichtet ist, eine Flotte zu bauen. Nun,
was sie an Einnahmen bekam, das reichte nicht aus.
Ich will dazu ein ganz freies und offenes Wort sa-
gen. Diese Dinge — Kulturpolitik im Ausland — (Zuruf rechts: Stiftung Flotte! — Heiterkeit.)
haben nichts mit der inneren Kulturhoheit der — Da würde ich widerraten. Aber ein großartiger
Länder zu tun, das ist deutsche Außenpolitik, Richter, der Richter Marshall vom obersten Bundes-
(Zustimmung des Abg. Dr. Martin) gericht, hat vor rund 120 Jahren ein Urteil gefällt,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4739
Dr. Schmid (Frankfurt)
das dahingeht: Wenn die Verfassung der Union die ten dabei nicht nur Starleistungen vorführen, son-
Verpflichtung auferlegt, eine Flotte zu unterhalten, dern wir sollten Mannschaftsleistungen vorführen.
dann muß die Union auch die Möglichkeit haben, Wie haben die Russen davon profitiert, daß sie mit
sich das Geld dazu zu verschaffen, diese Flotte zu ihren Mannschaften bei fast allen großen inter-
bezahlen; also kann sie direkte Steuern erheben, nationalen sportlichen Wettbewerben immer mehr
wenn sie auf andere Weise nicht zu Geld kommt. an die Spitze gekommen sind!
— Das ist, glaube ich, schöpferische Jurisprudenz,
durch die die Verfassung nicht verdreht und ver- (Abg. Dr. Friedensburg: Weil sie nicht an
die Amateurregeln gebunden sind!)
kehrt wird, sondern durch die die Verfassung im
Sinne ihrer Schöpfer interpretiert wird. — Ja, ich weiß es. Nun, da gab es früher schon
Ein Weiteres — ich habe auch davon schon ge- Kontroversen. Wenn man etwa sagte: „Die Kaval-
sprochen —, mit dem wir uns im Ausland darstel- lerieoffiziere sind doch keine Amateure, wenn die
len können, ist unser technisches Können. Deutsch- bei den Olympischen Spielen mitreiten; das ist ihr
land als das Land des Made in Germany von einst Beruf, dafür werden sie bezahlt", hat man trotzdem
ist etwas, das sich, glaube ich, draußen vorstellen mit Recht gesagt: „Es sind Amateure." Was Sie
kann, und das ist etwas, das auf die Vorstellungen hier gegen den Postangestellten oder Eisenbahner
rückwirkt, die man von Deutschen überhaupt hat: einwenden, der viel frei bekommt, um trainieren
Deutschland als das Land der Qualität. Nur sollten zu können, das konnte man auch von anderen sa-
wir um Gottes willen nicht glauben, wir seien die gen. — Ich brauche hier nicht zu sagen, daß mir
einzigen, die technisch etwas können und die Quali- der reine Amateur der liebste Sportler ist.
tät zu schaffen vermögen. Wir sind durchaus nicht Wie gesagt: nicht in erster Linie mit jedem Mit-
die einzigen; bei weitem nicht! Aber wir gehören tel siegen wollen, sondern zeigen, wie man auch.
auch zu denen, die das können, und wir sollten auf dem grünen Rasen das Humane zu verwirk-
das zeigen. Wir sollten Ausstellungen, technische lichen vermag. Ich glaube, das kann man zeigen,
Leistungen zeigen; wir sollten das vielleicht mehr und das hat man schon gezeigt.
als heute draußen zeigen. Wir sollten es nicht nur
auf Messen zeigen, wo wir hoffen können, daß uns Meine Damen und Herren, ich habe Sie wohl
etwas abgekauft wird; wir sollten es auch so zei- schon zu lange aufgehalten. Ich weiß, das alles
gen, ohne Hoffnung, daß es gekauft wird. Ich habe kostet Geld, sicher viel Geld, wahrscheinlich mehr
in Island erlebt, daß mir Isländer sagten: „Die So- Geld, als wir heute dafür ausgeben können. Aber
wjetzone bringt dauernd Ausstellungen technischer ich glaube, das zahlt sich aus, diese Investitionen
Art." Die glauben allmählich, die sind die einzigen, lohnen sich. Vielleicht können wir eines Tages das
die so etwas können. „Ihr tut das nicht, weil es Geld, das wir für bestimmte Dinge heute aufwen-
etwa 80 000 Mark kostet. Das Geld bringt man nicht den und aufwenden müssen, nur noch aufwenden,
auf." Ich habe an das Auswärtige Amt berichtet; weil uns der Ruf, den wir uns im Ausland zu ver-
mir wurde gesagt: „Leider ist es so; aber das Geld schaffen vermocht haben, uns eine Stellung gegeben
ist eben nicht aufzubringen." Ich glaube, daß Geld, hat, die uns diese Möglichkeiten erlaubt. Umge-
das auf diese Weise ausgegeben würde, gut ange- kehrtes könnte bedeuten, daß wir das eines Tages
legtes Geld wäre. nicht mehr könnten.
Nun, Deutschland, das Land der guten Leistung, Das alles stellt Fragen nach der Organisation. Die
sollte nicht selbstgefällig werden auf Grund dieses - will ich hier nicht erörtern. Das alles erfordert Phan-
Wissens um seine Leistungsfähigkeit, man sollte
tasie, Mut zu Neuerungen. Wir brauchen nicht im-
das nicht dazu benutzen, auch dem Ausland gegen- mer in den alten Formen zu handeln, so sehr sie
über seine Schätzung der Technik zu überwerten.
sich auch bewährt haben mögen. Es gibt andere
Es ist nicht gut, wenn man glaubt, am Deutschen
Formen, die der Zeit angepaßter sein mögen. Mir
die Fähigkeit zum Roboterdasein nach außen hin
schwebt immer etwas vor wie das British Council,
anpreisen zu sollen; auch das geschieht ja manch-
diese großartige Organisation, die praktisch all das
mal.
in Händen hat, was man Kulturpolitik im Ausland
Ich sprach vom Sport. Auch dieser schafft unter nennt, oder gewisse Stiftungen, wie die Ford Foun-
Umständen politische Geltung. Denken Sie daran, dation und anderes. Und wenn hier unsere Landes-
welchen Zuwachs an politischem Kredit und Poten- regierungen sagen sollten, daß man damit den Föde-
tial das kleine Finnland erhalten hat, als seine ralismus aushöhle, — nun, die Max-Planck-Gesell-
Läufer auf Olympischen Spielen Sieg um Sieg nach schaft z. B. hat doch den Föderalismus nicht ausge-
Hause brachten. Wir haben in Amerika zum ersten- höhlt, obwohl sie ihn auf manchen Gebieten völlig
mal wieder in breiten Massen Resonanz gefunden überflüssig gemacht hat. Man sollte diese Dinge
als Germans, als die Boxweltmeisterschaft an einen einmal in allgemeinerem Zusammenhang und ex
Deutschen fiel, an jenen Schmeling. Nun, denken professo erörtern. Ich bin für die Zusage des Herrn
Sie von mir, wie Sie wollen, nachdem ich das ge- Außenministers dankbar, daß er dies besorgen will.
sagt habe. Ich sage das, weil es meine Meinung Der Auswärtige Ausschuß ist sicher der rechte Ort
ist, daß ein Volk sich auch auf diese Weise nicht dafür.
nur in Erinnerung bringen kann, sondern etwas
auszumachen vermag. Man soll dabei nicht nur Aber man sollte diese Dinge vielleicht noch in
zeigen, daß man im Wettkampf siegen kann, man einem anderen Zusammenhang erörtern; denn hier
soll dabei zeigen, w i e man siegen kann — das geht es doch um recht Diffiziles, um recht Komple-
scheint mir das Wichtige zu sein —, und wir soll xes. Wir können uns das ein anderes Mal über-
4740 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr. Schmid (Frankfurt)


legen. Heute ist dafür nicht die Zeit und nicht der Kollege Schmid, in denen nicht nur unser Volk
Ort. glaubte, an seinem Wesen müsse die Welt genesen.
Zunächst geht es darum, daß man das Vorhan- (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Nur haben
dene richtig koordiniert und richtig aufbaut. Dann wir es lauter gesagt!)
geht es darum, daß man die rechtlichen Vorausset- Zwei Weltkriege haben das weiße Imperium zer-
zungen für angepaßtere Formen schafft und daß schlagen und die Werte in Frage gestellt, auf denen
man da und dort versucht, auf ein anderes Geleise es gegründet war. Ein Teil der weißen Völker ist
überzuwechseln von dem alten, das zu ausgefahren dem Kommunismus erlegen. In jungen Nationen,
sein mag. oft Nationen ohne eigene Geschichte, feiert der Na-
tionalismus, den zu überwinden wir bemüht sind,
Einige Vorschläge, was da geschehen könnte, sind
Triumphe. Wohin ihr Weg führen wird, kann noch
in dem Resolutionsentwurf Umdruck 3701 enthal-
niemand voraussehen. In vielen Teilen der Welt
ten, der Ihnen vorgelegt worden ist. Ich will die
entstehen Stahlwerke neben Hütten und ehrwürdi-
Punkte nicht im einzelnen durchgehen und begrün
gen Tempeln. Alte Kulturen sehen sich mit den
den. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Ich
Realitäten des 20. Jahrhunderts konfrontiert.
glaube, es ist ein Antrag, dem jeder in diesem
Hause zustimmen kann. In dieser Zeit des Kulturwandels, der allgemeinen
Unsicherheit kann auswärtige Kulturpolitik nur be-
Alles, was heute an organisatorischen Maßnah- deuten: das Gespräch suchen.
men vorgeschlagen worden ist, ist wichtig, und
sicher ist manches davon vortrefflich. Aber das Ent- Sind wir darauf vorbereitet? Meine Damen und
scheidende liegt ganz woanders. Die entscheidende Herren, wir haben wenig Grund, zufrieden zu sein.
Frage scheint mir zu sein, ob wir in Deutschland Zwei Weltkriege haben dazu geführt, daß die Kennt-
selbst uns selber in einer Weise darzustellen ver- nis der deutschen Sprache, des wesentlichen Zu-
mögen, die uns bei Menschen anderer Länder an- gangsmittels zu unseren kulturellen Leistungen,
ziehender erscheinen läßt. Es wird viel gewonnen überall in der Welt stark abgenommen hat. Vor dem
sein, wenn man den Verkehr mit uns nicht nur des- letzten Kriege gab es in Europa 50 deutsche Schulen
wegen glaubt suchen zu müssen, weil man es für mit fast 10 000 Schülern, in Afrika 22 Schulen mit
Handelszwecke glaubt nötig zu haben oder weil 1650 Kindern, in Südamerika 175 Schulen mit über
man deutsche Techniker braucht. Das ist zwar gut 17 000 Besuchern. In dieser Zahl sind die nicht
und wichtig, und so etwas kann man weiterbauen; genau zu erfassenden Siedlerschulen nicht enthal-
aber nur wenn wir dazu kommen, auch aus allge- ten. In den deutsch besiedelten Gebieten des Bal-
meineren, aus schlechthin humanen Gründen heraus kans bestanden zahlreiche Schulen. Was davon ge-
den anderen anziehend zu erscheinen, wird auf die blieben ist, ist schwer zu beurteilen. Aber auch in
Dauer politischen Nutzen bringen, was wir von uns den Ländern, in denen wir heute wieder arbeiten
im Ausland zeigen. Wie gesagt: Kultur beginnt zu können, hatte die deutsche Auslandsschule schwere
Hause zu wirken, und Kulturpolitik hat in erster Rückschläge zu überwinden. Die Lehrer waren ver-
trieben, die Gebäude beschlagnahmt, die Lehrmittel
Linie zu Hause zu beginnen.
verlorengegangen.
(Allgemeiner Beifall.) Vieles ist inzwischen geschehen. Es gibt wieder
- 132 Auslandsschulen. Die Lehrer stellen unsere
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Länder. Das Auswärtige Amt vermittelt sie. Die
Abgeordnete Dr. Hellige. Verträge werden auf drei Jahre abgeschlossen.
Noch vor kurzem waren es fünf Jahre. Wenn man
berücksichtigt, daß mindestens ein Jahr für die Ein-
Dr. Hellige (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen gewöhnung benötigt wird, erscheint diese Zeit recht
und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich als vierter kurz. Sicher wird mancher Lehrer gerne bald zurück-
Sprecher in einer Debatte, die einer so breit ange- kehren. Andere werden, wenn ihnen die Verhält-
legten und mit Material wohlgefüllten Begründung nisse zusagen, eine Verlängerung wünschen. Trotz
folgt, mich sehr konzentriert halte und nur die des Lehrermangels in der Heimat sollte man ihnen
Punkte erörtere, die mir besonders wesentlich er- entgegenkommen. Nur so kann die Kontinuität ge-
scheinen, und gestatten Sie mir ferner, daß ich nach sichert werden. Beförderungsmöglichkeiten sollten
den tiefen Grundtönen unseres Themas, die mein in höherem Maße vorgesehen werden. Aber Aus-
Vorredner so meisterlich anzuschlagen wußte, die landserfahrung wird bei uns noch zu wenig gewer-
Diskussion wieder auf die Erörterung der konkreten tet.
Zustände und Maßnahmen herabführe.
Die Lehrmittelversorgung ist nach den Berichten,
(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ich habe mich die ich erhielt, meist ausreichend. Die Schulen, die
auch entschuldigt!) Internate sind aber oft noch recht dürftig. Daher sind
Baubeihilfen erwünscht und nötig.
Auswärtige Kulturpolitik ist in unseren Tagen Die Lage des deutschen Lehrers und Schulleiters
eine problematische Aufgabe. Längst dahin sind die im Ausland ist oft nicht einfach — hier stimme ich
Jahre, in denen man unter Kulturpolitik Kultur- mit Ihnen überein, Herr Kollege Huys —, er ist be-
propaganda verstehen durfte, die Zeiten, Herr urlaubter Beamter eines Bundeslandes. Das sichert
seine Wiederverwendung in der Heimat. Anderer-
`) Siehe Anlage 15 seits aber ist er Angestellter eines Schulvereins.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1063 4741
Dr. Hellige
Die Vorstände dieser Vereine sind mitunter recht schriften einer Behörde gebunden. Es tut sich leichter
heterogen zusammengesetzt. Je nach der Einwande- im Auffinden geeigneter Persönlichkeiten; es kann
rungszeit des Vorstandsmitgliedes oder seiner Vor- Verträge leichter schließen und sie leichter lösen. Der
fahren herrschen große Meinungsverschiedenheiten Leiter einer Zweigstelle untersteht nicht dem Bot-
über den Sinn einer deutschen Schule und die Art, schafter. Er hat größere Freiheit in der Arbeit.
wie sie arbeiten sollte. Die Vorschriften der ört-
lichen Schulbehörden sind zu beachten. Mitunter ist Aber dieser Vorteil wird mit Nachteilen erkauft.
die deutsche Sprache nicht einmal im Unterricht zu- Die Leiter der Goethe-Institute genießen keinen di-
gelassen und der Unterricht darin muß außerhalb plomatischen Status. Das mindert ihr Ansehen und
der Pflichtstunden erteilt werden. nimmt ihnen die mannigfachen Vorteile, die der
Diplomat genießt. Wir haben darüber Klagen gehört,
Nicht überall sind die Verhältnisse so günstig wie berechtigte Klagen, wie wir glauben. Die Zusam-
beispielsweise bei der deutschen Schule in Ben- menarbeit zwischen Botschaften und Goethe-Insti-
guela, wo die portugiesische Verwaltung die Absol- tut mag in der Regel gut sein: Wir kennen aber
vierung des vierklassigen Volksschulprogramms auch einen Fall, wo nach dem Urteil von hochstehen-
nach dem Lehrplan des Landes vorschreibt, danach den Persönlichkeiten des Empfangslandes Botschaft
aber der Schule völlig freie Hand in der Gestaltung und Goethe-Institut gegeneinanderarbeiten. Das
ihres Lehrplanes läßt. Auch in Ägypten ist es ge- liegt natürlich im Menschlichen — hier stimme ich
lungen, den deutschen Charakter der drei weiter- Herrn Kahn-Ackermann voll zu —, nicht in der Insti-
führenden Schulen mit deutschem Lehrplan und tution.
deutscher Unterrichtssprache zu erhalten.
Solche Risiken ließen sich vermeiden, wenn man
So günstig wie in diesen beiden Beispielen liegen dem Botschafter Weisungsbefugnisse zuerkennt. Das
die Verhältnisse nicht überall. Man wird die Frage würde voraussetzen, daß die Botschafter eine Affini-
stellen müssen, ob alle Schulen, die das Auswärtige tät zur Kulturarbeit haben. Man könnte sie viel-
Amt unterstützt, noch als deutsche Schulen aner- leicht fördern, wenn man diese Probleme bei der
kannt werden können und ob sich ihre Erhaltung Attaché-Ausbildung etwas stärker behandelte.
lohnt.
Aber wichtiger ist ein anderes Bedenken gegen
Die Frage der verwaltungsmäßigen Betreuung der die Übertragung der Kulturinstitute an das Goethe
Auslandsschulen ist schon vom Kollegen Kahn Institut. Ich glaube, hier bin ich mit meinem Herrn
Ackermann angeschnitten worden. Auch wir halten Vorredner nicht einer Meinung. Wir sehen mit Sorge,
sie nicht für gelöst. Die Schulabteilung des Auswär- wie der Staat mehr und mehr Teile seiner Zuständig-
tigen Amts ist bei ihrer schwachen Personalausstat- keit an Gremien abtritt, die dem Parlament nicht
tung nicht in der Lage, diese Aufgabe zu überneh- verantwortlich sind, wie er sich mehr und mehr in
men. Ein Ministerium sollte sich auch darauf be- die Rolle des Geldgebers zurückzieht. Die Pflege
schränken, Leitsätze zu entwickeln und die oberste der Kultur ist in unserem Vaterland stets eine
Aufsicht zu führen. Die Erledigung der laufenden Hauptaufgabe des Staates gewesen. Noch nie hat
Verwaltungsgeschäfte gehört in die Hände einer sich in der deutschen Geschichte der Neuzeit ein
untergeordneten Stelle. Sie sollte bald geschaffen Staat die Führung der Kulturpolitik aus der Hand
werden. Das Auswärtige Amt sollte sich um den nehmen lassen. In dieser Auffassung darf ich mich
Abschluß von Schul- und Kulturabkommen auch auf einen großen Liberalen berufen, auf meinen ver-
weiterhin bemühen, die unseren Schulen freie Unter-- ehrten Lehrer Carl Heinrich Becker, der als preußi-
richtsentfaltung in deutscher Sprache sichern.
scher Kultusminister diesen Standpunkt stets mit
Den Auslandsschulen fällt eine doppelte Aufgabe Nachdruck vertreten hat.
zu. Sie sollen den Kindern deutscher oder deutsch-
(Abg. Dr. Martin: Vor 50 Jahren!)
sprachiger Familien eine Erziehung vermitteln, die
der in der Heimat ähnlich oder gleichwertig ist. Zu- — So lange ist das noch nicht her, Herr Kollege
gleich sollen die Schulen der Jugend des Gastlandes Martin.
— sie stellt in vielen Fällen die Mehrzahl der Schü-
Wir kennen aus den Ausschußberatungen auch
ler — eine tief gegründete Begegnung mit der deut-
den Anlaß zur Übertragung der Institute auf das
schen Kultur ermöglichen. Sie soll das leisten, ohne
Goethe-Institut. Dem Auswärtigen Amt sind die
diese Schüler ihrer eigenen Umgebung zu entfrem-
Stellen nicht bewilligt worden, die zur Durchführung
den. Die deutsche Schule wird daher stets nur einen
dieser Aufgaben nötig gewesen wären. Da sich die
sehr kleinen Kreis der an unseren Kulturwerten
interessierten Bürger des Landes erfassen können. Aufgaben nicht einsparen lassen, lassen sich auch
die Kosten nicht einsparen. Also verschiebt man
Sehr viel weiter ist der Personenkreis, an den sich die Ausgaben vom Personaletat auf den Sachetat. Ob
die Kulturinstitute wenden. Sie arbeiten nach den dabei Geld gespart wird?
Methoden und Erfahrungen der Erwachsenenbildung. Wenn ich auch mit der Organisationsform dieser
Ihr Programm ist sehr weit gespannt. Der Schwer- Arbeit nicht ganz glücklich bin, — von der Arbeit
punkt wird immer in der Vermittlung deutscher des Goethe-Instituts selbst habe ich ein positives
Sprachkenntnisse liegen müssen. Bild gewonnen. Die Unterrichtsmethoden sind mo-
In den letzten drei Jahren ist diese Materie zu- dern. Der Unterrichtserfolg ist beachtlich. Ich habe
nehmend dem Goethe Institut übertragen worden.
- zusammen mit dem Kollegen Dr. Frede im Frühjahr
Wir verkennen nicht den Vorteil dieser Lösung. Das einem Unterricht im deutschen Goethe-Institut in
Institut ist nicht an die etwas unbeweglichen Vor- Delhi beigewohnt, und ich glaube, Herr Frede, wir
4742 Deutscher, Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Hellige
waren beide davon beeindruckt, wie sehr Inder, die muß entgegengewirkt werden. Wir müssen einen
dort seit anderthalb Jahren unterrichtet wurden, der stärkeren finanziellen Anreiz für die Arbeit im
deutschen Sprache schon mächtig waren. Ausland, vor allem in Übersee, geben. Wir sollten
Natürlich lassen sich auch in diesen Dingen nicht uns. bemühen, Gelehrte, die emigriert sind und
alle Wünsche erfüllen. Die Mittel sind beschränkt. reiche Auslandserfahrung haben, für diese Arbeiten
Aber es gibt auch eindrucksvolle Zahlen. Nehmen zu gewinnen. Wir müssen ihre Zukunft sichern. Wir
wir als Beispiel das größte Goethe-Institut, das es sollten vor allem darauf sehen, unseren Nachwuchs
gibt, Kairo: 20 deutsche Dozenten, 64 vom Goethe möglichst früh ins Ausland auf die Hochschulen der
Institut ausgebildete einheimische Lehrkräfte, 30 jungen Staaten zu schicken. Natürlich hat man dort
weitere akademisch gebildete einheimische Deutsch- lieber Professoren mit bedeutendem Namen. Die
lehrer. Rund 10 000 Schüler werden von ihnen in können wir allenfalls für kurze Zeit entbehren. Man
unserer Sprache unterrichtet. Das sind doch recht sollte daher junge, nicht habilitierte Kräfte als Do-
erfreuliche Daten in einer Zeit, in der die einst- zenten an die Hochschulen der Entwicklungsländer
malige Weltbedeutung der deutschen Sprache ver- schicken. Ein Studienassessor, der noch keine schul-
schwunden ist. pflichtigen Kinder hat und der den klimatischen
Schwierigkeiten leichter begegnen kann als ein
Schließen wir unseren Diskussionsbeitrag über älterer Herr, wird in vielen Fällen als Dozent gute
die Kulturinstitute mit zwei Fragen an den Herrn Dienste leisten. Seine Zukunft läßt sich auch leichter
Bundesminister des Äußeren. Erstens: Sehen Sie, sichern. Wir wissen, daß solche Herren mit gutem
Herr Staatssekretär, in der Übernahme der Leitung Erfolg entsandt worden sind. Es werden sich wei-
des Goethe-Instituts durch einen erfahrenen Bot- tere finden.
schafter — die wir sehr begrüßen - eine ausrei-
chende Sicherung für die Zusammenarbeit Ihres Einige Hochschulen haben die Auslandsarbeit
Hauses mit dem Institut? Und zum zweiten: Welche durch Übernahme von Patenschaften gefördert. Wir
Möglichkeit werden die Mitglieder dieses Parla- halten das für einen guten Weg. Wir hoffen, daß
ments haben, um Einblick in die Arbeit des Instituts er weiterhin beschritten wird. Gern hätten wir Zah-
zu erhalten und ihrer Pflicht zur Kontrolle über die len und Berichte über die dabei gemachten Erfah-
Verwendung öffentlicher Mittel zu genügen? rungen. Von der Vermittlungsstelle erhielten wir
ansprechende Resultate.
Nun, meine Damen und Herren, das Ansehen der
Lassen Sie mich nun einige ihrer Zahlen vom
geistigen Leistung unseres Volkes in der Welt be-
ruht zum nicht geringen Teil auf der Tätigkeit deut- neuesten Stand mit Angaben der Westdeutschen
scher Gelehrter an fremden Hochschulen. Wir haben Rektorenkonferenz aus dem Jahre 1960 vergleichen.
schon im vergangenen Jahre Gelegenheit genom- In Ägypten waren 1960 zwei deutsche Wissenschaft-
men, auf die schweren Rückschläge zu verweisen, ler tätig, heute sind es acht. In Afghanistan 1960
die ihre Arbeit durch zwei Weltkriege und die Zeit zwei, heute 17; darin zeigen sich die Erfolge der
der Diktatur erlitten hat. Inzwischen hat sich die Patenschaften, die Köln und Aachen für die Uni-
Lage gebessert. Die Länder und die Hochschulen versität in Kabul übernommen haben. Irak: früher
selbst, der Deutsche Akademische Austauschdienst fünf, jetzt nur noch zwei. Iran: drei, gleichbleibend.
und die Vermittlungsstelle für deutsche Wissen- In Lybien 1960 einer, jetzt drei. In Äthiopien einer,
schaftler im Ausland sind mit Erfolg tätig. Wir ken- jetzt zwei. In Japan zwei, jetzt vier. In Indien einer,
nen die Schwierigkeiten: Es liegt nicht in der Tra- - jetzt 14. Das sind erfreuliche Steigerungen, wenn
dition unseres Volkes, in weltweiten Maßstäben zu auch viele Wünsche offenbleiben.
leben. Wir sind ein Kontinentalstaat, in der Ver- Im vergangenen Jahre beklagten wir, daß in dem
gangenheit meist eigenen Problemen zugewandt. In gesamten Gebiet des westlichen Islam kein Vertre-
Frankreich und in England gilt Auslandserfahrung ter der deutschen Wissenschaft tätig ist. Das ist
seit langem geradezu als Vorbedingung für leitende auch heute noch der Fall. Wir dürfen also nicht auf
Stellen im Staat und in der Wissenschaft. Auch der dem Erreichten ausruhen. Wir sollten uns bemühen,
deutsche Student sah noch im 18. Jahrhundert in diese für unser Ansehen in der Welt wesentliche
einer „Bildungsreise" einen notwendigen Teil der Arbeit durch Gewährung höherer Mittel zu fördern.
eruditio aulica. Seit dem Biedermeier bleiben wir Von den 578 Wissenschaftlern im Ausland außer-
im Lande und nähren uns redlich. Ich kenne noch halb der USA arbeiten drei Fünftel in Staaten
Ordinarien der Orientalistik, meines Fachs, Persön- europäischer Kultur. Die Entwicklungsländer Afri-
lichkeiten von hohem wissenschaftlichem Rang, die kas und Asiens sind noch immer sehr schwach ver-
nie im Orient waren. sehen.
Heute hat sich vieles gewandelt. Aber ein Rest Es gibt noch einen anderen Weg, die künftigen
ist geblieben. Längere Auslandstätigkeit hindert Akademiker des Auslandes mit Methodik und
einen künftigen Universitätslehrer mehr, als sie ihn Ergebnissen unserer Wissenschaft vertraut zu ma-
fördert. Wer klug ist, verschwindet nicht aus den chen: die Ausbildung ausländischer Studenten an
Augen der älteren Kollegen, wenn er mit einem unseren Hochschulen. Sie kennen die Schwierigkei-
Rufe rechnen will. Dazu kommt, daß wissenschaft- ten, denen vor allem die Studenten der Entwick-
liche Kräfte bei uns selbst knapp sind. Wir können lungsländer gegenüberstehen; sie stellen ja die
kaum den heimischen Bedarf decken. Die Alters- Hälfte unserer Kommilitonen aus dem Ausland —:
versorgung für Wissenschaftler im Ausland ist noch die Verpflanzung in eine klimatisch und kulturell
mmer ungeregelt. Soll man es da dem Nachwuchs völlig andersgeartete Landschaft, daraus resultie-
verübeln, wenn er den sicheren Weg wählt? Dem rende Schwierigkeiten in der Anpassung, später oft
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4743
Dr. Hellige
größere Schwierigkeiten in der Rückgewöhnung. Lektorenprogramm einzuschränken. Das erscheint
Mangelndes Verständnis unserer Mitbürger für ihr uns Sparsamkeit am falschen Orte.
Anderssein. Das Gefühl der Verlassenheit, das jeden Die Förderung der deutschen Sprache im Ausland
Studienanfänger befällt, der aus der Geborgenheit verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Ihre Kennt-
des Elternhauses die Musenstadt bezieht, durch die nis erschließt den Zugang zu unseren kulturellen
kulturell und sprachlich fremde Umgebung noch Werten. Ihre Kenntnis kommt auch — davon bin ich
erheblich gesteigert. Der erschwerte Anschluß an überzeugt — unserer Wirtschaft zugute.
die Kommilitonen, an ihre Gruppen. Vor allem aber
oft mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache (Beifall bei den Regierungsparteien.)
und damit Schwierigkeiten, dem akademischen
Unterricht zu folgen. Der ausländische Student aus Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Ländern europäischer Kultur hat es viel leichter. Abgeordnete Dr. Martin.
Für ihn ergeben sich Schwierigkeiten meist nur aus
der Sprache.
Dr. Martin (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Der farbige Student muß schon überdurchschnitt- Damen und Herren! Ich habe mein Konzept auf
lich begabt sein, wenn er ein Studium, das seinen meinem Platz gelassen. Das ist die einzige Chance,
deutschen Kommilitonen das Letzte abverlangt, mit wie man sich heute in dieser späten Stunde noch
Erfolg beenden will. Das erklärt so manche Fehl- Freunde erwerben kann.
schläge. Die Studiendauer verlängert sich oft erheb-
lich, und dennoch erreichen viele ihr Ziel nicht. Das (Heiterkeit und Beifall.)
können wir nicht wünschen. Ein bei uns ausgebilde- Ich glaube, es gibt zwei Möglichkeiten, eine kul-
ter Akademiker wird in der Regel ein wertvoller turpolitische Diskussion zu verfehlen. Die erste ist,
Freund unseres Landes. Ich kenne viele Herren in daß man zu fachmännisch ist.
Übersee, die sich mit großer Herzlichkeit ihren alten
deutschen Hochschulen verbunden wissen. Ein (Abg. Wehner: Zu früh am Morgen ... zu
erfolgloses Studium schafft leicht Ressentiments. spät am Abend!)
Unsere Hochschulen tun viel zur Betreuung ihrer Die zweite ist, den Versuch zu machen, Kultur zu
ausländischen Studenten: Studienkollegs, Tutoren, definieren. Beides führt in Schwierigkeiten, wie wir
Wohnheimplätze, die sie in überschaubare Gruppen heute, glaube ich, gesehen haben.
einführen und ihnen Rat und Hilfe älterer Kommili- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
tonen sichern, Auslandsämter, Foren internationaler
Begegnung. Man könnte die Liste fortsetzen. Die Ich werde beide Versuche, meine Damen und Her-
Schwierigkeiten lassen sich nie ganz ausräumen. ren, nicht unternehmen.
Wir sollten uns die Frage stellen, ob es zweck- Ich kann mir das hinsichtlich der Definition auch
dienlich ist, eine größtmögliche Zahl von Studien- leisten. Am 11. vorigen Monats hat André Malraux
anfängern aus den Entwicklungsländern an unsere im Kabinett in Paris einen großen Erfolg erzielt, als
Hochschulen zu ziehen. Mit diesen Zweifeln sehe ich er den anwesenden Kollegen sagte, er sei der ein-
mich in einer guten Gesellschaft: der afrikanischen zige Mensch, der nichts von Kultur verstehe. Dennoch
Rektorenkonferenz, der Westdeutschen Rektoren- hielt er im Parlament eine hinreißende Rede über
konferenz und des Auswärtigen Amtes. Um Fehl- den Begriff der Kultur. Wenn man diese Rede ins
schlägen vorzubeugen, sollte man die Zulassungs- Deutsche übersetzt, ist sie schon etwas weniger
bedingungen streng handhaben. Man sollte Vorbil- überzeugend. Was er sagte, ist ungemein inter-
dung und Sprachkenntnisse genau prüfen. Man tut ein essant, und das französische Parlament hatte eine
gutes Werk an einem jungen Menschen, wenn man große Stunde. Uns ist es, glaube ich, nicht gelungen.
ihn vor falschen Entschlüssen bewahrt. Die Aufge- Wir müssen uns ernstlich überlegen, wie wir die
nommenen aber sollte man mit allen Mitteln fördern. Debatte in Zukunft führen wollen, wenn wir der
Ich stimme der Westdeutschen Rektorenkonferenz Kultur und der Politik einen Dienst erweisen wol-
zu, wenn sie meint, das Studium im Ausland sei len. Meine Damen und Herren, ich sage das an uns
nicht für alle Studenten aus den Entwicklungslän- alle; denn wir haben die Debatte ja vorbereitet.
dern besser als das Studium im Heimatland. Denn Was steckt denn an politischen Entscheidungen in
auch in ihrer Heimat können wir ihnen durch Ent- der Anfrage? Es ist hier angeschnitten worden,
sendung von Dozenten helfen. Dadurch, so meinen Carlo Schmid hat es erläutert: Es gibt ein Unbehagen,
wir, läßt sich mit dem Einsatz gleicher Mittel das wenn man daran denkt, Kultur und Politik zusam-
Vielfache erreichen. Unsere Stipendien sollten wir menzuspannen. Das haben alle Leute, die sich damit
an Hochbegabte, vor allem aber an junge Akade- beschäftigen, die Engländer, Amerikaner und Fran-
miker mit abgeschlossener Hochschulbildung und an zosen. Das drückt sich bereits in der Terminologie
akademische Lehrer dieser Länder vergeben. Eine aus. Sie reden bald von „Cultural Diplomacy", bald
enge Verbindung zwischen den Hochschulen hüben von „Exchange", weil sie nicht die Courage haben,
und drüben halten wir für besonders nötig und er- zu sagen: Es ist Politik. Aber es ist in der Tat Politik.
folgversprechend. Dafür sollte man vermehrt Mittel Es geht für' den Deutschen Bundestag allein um
bereitstellen. Organisation und Finanzierung; denn wir machen
Wir bedauern daher, daß die Kürzungen im Kul- nicht die Kultur. Da stimme ich Herrn Carlo Schmid
turetat des Auswärtigen Amts den Deutschen Aka- zu 50'0/o zu und widerspreche mit den anderen 50 %
demischen Austauschdienst zwingen werden, sein meinem hochverehrten Herrn Kollegen Hellige. So
4744 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Martin
einfach liegen die Dinge nicht. Ich muß jetzt doch wir das nicht schaffen, meine Damen und Herren,
darauf antworten. wird die Sache nichts.
Es ist so, wie Carlo Schmid gesagt hat: Kultur ist Ich will dazu eine Geschichte erzählen. Herr Satt-
ein politisches Potential. Aber der Witz ist der, daß ler hat vor einiger Zeit seine Leute zusammen-
sie nicht zu haben ist, nicht disponiert werden kann. gerufen und gefragt: „Wer von Ihnen will eigent-
Man kann nicht mit ihr umgehen, sie ist nicht mach- lich in diesem Geschäft bleiben?" Da haben zwei
bar, sondern sie wird von anderen zur Verfügung Dritte] gesagt: „Wir nicht!"
gestellt. Darauf muß der Staat Rücksicht nehmen. Der (Zuruf von der CDU/CSU: Kulturbanausen!)
Staat ist das Subjekt der kulturellen Außenpolitik,
aber nicht das Subjekt der Kultur, und das muß er Das eine Drittel, das übrigblieb, waren Leute, die
organisatorisch deutlich machen. aus Altersgründen, oder weil sie nicht mehr vor
den Bundespersonalausschuß wollten, sagten: „Ich
(Abg. Dr. Hellige: Völlig meine Meinung!) nicht mehr. Ich bleibe lieber bei der Kultur."
— Moment, Herr Kollege, sonst dauert es wieder zu Ja, meine Damen und Herren, so geht das nicht.
lange. — Das hat die Bundesregierung dadurch ge- Wenn es wahr ist, daß es eine ernste Arbeit für
tan, daß sie ein gutes und ein ausgewogenes Ver- unser Land ist, dann ist das eine Lebensaufgabe,
hältnis zwischen staatlicher Initiative und kultureller dann ist das die Aufgabe eines hochspezialisierten
Betätigung geschaffen hat. Das haben wir heute. Es Beamten, der das zu seiner Lebensaufgabe machen
gibt im Prinzip zwei Modelle der Kulturpolitik im muß. Sie kriegen die Leute natürlich nicht, wenn
Ausland. Das eine ist das französische: Der Staat ist Sie Ihnen nicht laufbahnmäßig das Entsprechende
der Träger der Initiative und der Exekutive. Das anbieten. Mit anderen Worten, der Vorschlag
andere ist das System des „British Council". Ferner müßte lauten, daß Sie einen Teil der Stellen im
gibt es das gemischte System, wie wir es haben. Ich auswärtigen Dienst für Kulturdiplomaten blockie-
will das jetzt nicht begründen; ich habe es oft getan. ren, damit sie ihre Laufbahn durchhalten. Ich bin
Ich glaube, daß wir mit der jetzigen Lösung im gro- gern bereit, das am anderen Ort ausführlicher dar-
ßen und ganzen richtig gefahren sind, wenngleich die zustellen. Ich möchte mich heute auf das Gesagte
endgültige juristische Form noch nicht gefunden ist. beschränken. Es ist ein wesentlicher Punkt, den wir
klären müssen.
Ich will eine Bemerkung machen. Die Kultur- Ich glaube, wir sollten im ganzen Hause dankbar
politik, wie wir sie jetzt mit Ausgaben von über dafür sein, daß etwa seit 1957 ein frischer Elan in
170 Millionen DM vor uns haben, ist eine sehr gute die auswärtige Kulturpolitik gekommen ist. Es ist
Leistung. In ein paar Jahren ist viel aufgebaut
in diesem Hause von den Haushaltsleuten, vom
worden. Aber es zeigt sich jetzt folgendes: Wer
Auswärtigen Amt sehr viel getan worden. Herr
die Entwicklung des Haushaltsplans genau beob-
Kahn-Ackermann, ich habe auch Sorgen. Kritik,
achtet, der sieht, daß die Herren, die die Kultur-
selbstverständlich; aber nehmt alles nur in allem.
politik zu machen haben, immer schwerer manöve-
Meine Damen und Herren, es ist eine runde Arbeit
rieren können. Wenn man kulturpolitisch investiert,
geleistet worden. Das Geld ist nicht umsonst aus-
dann muß man damit rechnen, daß man 25 % dieses
gegeben worden.
Betrages laufend braucht, um das Geschaffene in
Gang zu halten. Wir haben sehr stark investiert, Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir
und jetzt stoßen wir an die Grenze. Meine Forde- auf diesem Wege fortfahren, die Organisation und
rung und die meiner Freunde ist: das Geschaffene die Finanzierung der auswärtigen Kulturpolitik —
erhalten und weiter entwickeln. Wir wollen keine und das ist die Aufgabe in dieser Stunde — end-
Prioritäten und keine Extravaganzen für die Kultur. gültig festzulegen. Über die Größe, über die Grenze,
Fürchten Sie bitte nicht, daß ich jetzt etwa sage: über den nötigen Finanzbedarf sollte dann im Prin-
hier liegt die Priorität, und Helmut Becker unter- zip nicht mehr jährlich diskutiert werden, sondern
streichend weiter sage: der Primat der Außenpolitik dieser Betrag sollte als ständige Reserve der Außen-
ist abgelöst worden durch den Primat der Kultur- politik auch zur Verfügung stehen.
politik. So nicht! Aber wenn wir uns darauf einigen,
daß wir in jedem Jahr im Rahmen des Zuwachses Das war es, was ich sagen wollte. Ich hoffe, meine
des Sozialprodukts den Haushalt aufstocken, dann Ausführungen sind kurz genug gewesen.
bin ich zufrieden. Das wären etwa 8, 9, 10 Millionen. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Das müssen die Haushaltsleute uns garantieren.
Sonst ist das Reden über die Bedeutung der Kultur
in der Außenpolitik eben ganz schlicht Gerede. — Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat Herr
Das ist der zweite Punkt. Abgeordneter Friedensburg als letzter Redner in
der Debatte.
Und der dritte Punkt: Kulturpolitik ist immer eine
Sache von Menschen, die sie machen. Ihr Erfolg
entscheidet sich entsprechend dem Rang der Kultur- Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Herr
beamten. Das sind also unsere Leute, die draußen Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich den
eingesetzt werden. Ich bin der Überzeugung, daß Auftrag meiner Freunde erfülle und noch einige
das System der Ausbildung der Diplomaten falsch wenige Worte zur europäischen Kulturpolitik sage,
ist und korrigiert werden muß. Wir brauchen eine habe ich, glaube ich, in Ihrer aller Namen dem Aus-
spezielle Ausbildung von Kulturdiplomaten. Wenn wärtigen Amt für die großartige Leistung zu dan-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4745
Dr. Dr. h. c. Friedensburg
ken, die aus dem Bericht des Herrn Außenministers großzügig gewesen ist, wo der Deutsche so freund-
hervorgegangen ist. schaftlich aufgenommen wird wie in in Südafrika.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
In derselben Minute — und daran erkennen Sie
Da ist uns nicht nur in den Zahlen und in den Ihre Inkonsequenz —, in der Sie eine Intensivie-
Grundsätzen etwas Wichtiges gesagt worden, son- rung der 'kulturellen Beziehungen zu den Ostblock-
dern jeder, der im Ausland reist, weiß, daß wirklich staaten verlangen, also zu Staaten, wo Sie an den
ein Erfolg erzielt worden ist. Ich persönlich habe Rabbiner in Kischinew oder Odessa auch nicht mit
das Glück oder Unglück, gerade auch als Wissen- deutscher Kulturpropaganda herankommen, möch-
schaftler sehr oft draußen zu sein, und ich kann nur ten Sie womöglich die kulturellen Beziehungen zu
sagen: es hat sich draußen ein Klima entwickelt, einem Lande absperren, in dem es dem Bantu in
das wir vor achtzehn Jahren einfach nicht für mög- Transkei tausendmal besser geht als dem Rabbiner
lich gehalten haben. Als wir 1945 in Berlin zusam- in Odessa.
mensaßen, nachdem sich der erste Staub der Ruinen
und der Rauch der Brände verzogen hatten, waren (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)
wir der Ansicht, wir könnten zu unseren Lebzeiten Es ist hier nicht der Ort und nicht die Zeit, diese
nicht mehr ins Ausland reisen, man könne sich nach Dinge zu vertiefen. Aber ich warne dringend vor
dem, was angerichtet worden ist, nicht mehr im aller Engherzigkeit und vor aller Anmaßung, die
Ausland sehen lassen. Wir wissen heute, daß es uns 'Deutschen weiß Gott nicht gut anstehen.
sehr viele Länder gibt — ich möchte sagen, es ist
Ich habe nun noch einige Bitten an das Auswär-
die Mehrzahl —, wo der Deutsche der angesehenste
tige Amt, die sich auf die europäische Politik be-
und beliebteste Gast von allen ist. Das liegt an
ziehen. Wir haben in dieser Stunde leider nicht die
manchen anderen Dingen, liegt aber auch daran,
Muße, die Fragen ausführlich zu besprechen; aber
daß hier eine sehr gute und vernünftige Kultur-
zwei wichtige Fragen möchte ich anschneiden. Das
politik gemacht worden ist. Ich verstehe gar nicht,
eine ist: unsere Regierung möge bei der Zusammen-
warum wir immer Angst haben sollten vor Begrif- arbeit mit den anderen europäischen Ländern in
fen, die die ganze Welt unbefangen benutzt, wäh- den europäischen Gremien dafür sorgen, daß man
rend wir einen Schreck bekommen, wenn wir das sich nicht mit einem europäischen Etikett begnügt,
Wort „Kulturpolitik" nur in den Mund nehmen. hinter dem ein nationales Institut bleibt, das im
Nun muß ich aber meinem verehrten Freund und Grunde den europäischen Namen nicht verdient.
Kollegen — so darf ich wohl sagen — Schmid, der Ich muß als Mitglied des Forschungs- und Kultur-
leider nicht hier ist, etwas zu seinem Versuch sagen, ausschusses des Europäischen Parlaments vor allem
den Paavo Nurmi und den Max Schmeling als Kul- noch einmal auf die Frage der Europäischen Uni-
turträger ihrer Länder hinzustellen. Ich erinnere ihn versität zurückkommen, obwohl ich sie heute mor-
daran — und gerade da er die düsteren Schatten der gen in der Fragestunde schon einmal angesprochen
Vergangenheit heraufbeschworen hat, muß das, habe. Herr Staatssekretär, ich bitte doch davon
glaube ich, ausgesprochen werden —, daß der Rauch Kenntnis zu nehmen, daß das gesamte Europäische
der Brände, die die „entartete" Kunst und die „ent- Parlament in allen Nationalitäten und in allen Par-
arteten" Bücher vernichtet hatten, noch nicht ver- teien tief enttäuscht gewesen ist von dem, was sich
zogen war, als in der Berliner Olympiade Deutsch-- auf dem Gebiet der Europäischen Universität getan
land die größten sportlichen Triumphe errang, die hat. Wir sahen hier endlich einmal eine wahrhaft
es jemals gegeben hat. Ich warne also dringend europäische Institution entstehen, und als wir glück-
davor, zuglauben, daß sportliche Leistung und wirk-
lich so weit waren — wir kauften das Grundstück
liche Kultur ohne weiteres gleichgestellt werden in Florenz —, daß sie Wirklichkeit werden sollte, da
können. Wir freuen uns über jeden sportlichen Er- kam gar nicht weit von hier in Godesberg ein Ver-
folg, den unsere jungen Leute draußen erringen.
trag zustande, nach dem eine italienische Staats-
Aber bilden wir uns um Gottes willen nicht ein, universität geschaffen werden sollte, die ein müh-
daß das mit geistiger Kultur und kultureller Lei-
sam angeklebtes europäisches Etikett tragen sollte.
stung zu tun hat.
Wir sind damit nicht zufrieden. Wir wollen das hin-
Dann noch eins, und da muß ich mich an den Spre- nehmen; es ist immer noch besser als gar nichts.
cher der sozialdemokratischen Fraktion, Herrn Kahn Aber bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir nicht
Ackermann, wenden. Ich meine seine Bemerkung glauben, daß die Verpflichtung aller. beteiligten
über Südafrika. Herr Kollege Kahn-Ackermann, ist Regierungen aus dem Euratom-Vertrage erfüllt ist,
das nicht ein gräßlicher Rückfall in eine überwun- wenn jetzt in Florenz eine italienische Staatsuniver-
dene Zeit, in eine anmaßende Haltung, wenn wir sität errichtet wird, die noch dazu in zahlreichen
Kulturverträge mit einem Staat schließen, weil er Bestimmungen keineswegs dem Bild entspricht, das
uns zufällig in seiner Politik gefällt, und mit einem wir uns von einer autonomen, nur der Wissenschaft
anderen nicht, weil er uns nicht gefällt? Es ließe sich und dem europäischen Gedanken ergebenen Euro-
über Südafrika 'manches sagen. Auch ich bin mit päischen Universität machen.
manchem nicht einverstanden. Aber es wäre eine
(Beifall.)
unverzeihliche Verfehlung, wenn wir unsere Kultur-
beziehungen danach richten wollten, ganz abgese- Dann, meine verehrten Kollegen, noch ein letztes!
hen davon, daß es wohl kein Land gibt, das in Ich möchte, daß wir uns gerade auch in der euro-
bezug auf die Rückgabe deutschen Eigentums so päischen Kulturpolitik der entscheidenden Grund-
4746 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Dr. Dr. h. c. Friedensburg


lagen des Abendlandes bewußt werden. Diese ent- der einen Seite und den 11 Ländern auf der anderen
scheidenden Grundlagen sind Christentum und Seite herzustellen, während sich die französischen
Humanismus. Es ist ein Jammer, wie wenig diese und die englischen Diplomaten nur mit ihren Kol-
entscheidenden Grundlagen in der europäischen legen aus dem Kultusministerium der gleichen Re-
Arbeit tasächlich zum Ausdruck kommen. gierung zu unterhalten brauchen. Wir sind nicht in
der Lage, mit dem Ausland irgendwelche Arrange-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
ments zu treffen, ohne uns vorher vergewissert zu
Es ist nicht der Volkswagen, und es sind nicht die haben, daß die 11 Länder mitmachen. Wir haben
Ausstellungen, sondern es sind diese Grundlagen, auf vielen Gebieten keinen unmittelbaren Einfluß
die uns wirklich zusammenfassen und die uns auch auf die Durchführung dessen, was wir mit dem
befähigen werden, die anderen europäischen Völker Ausland vereinbaren.
einmal zu uns heranzuziehen und uns nicht zu Der zweite Mangel ist, daß wir im Laufe der
begnügen mit der vorläufigen Interessengemein- letzten 50 Jahre zweimal von neuem anfangen muß-
schaft, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ten. Das ist ein sehr schweres Handicap. Die große
und die anderen europäischen Organisationen heute Stärke der französischen und der englischen Kultur-
noch darstellen. politik liegt darin, daß sie sich auf Stützpunkte im
(Beifall bei der CDU/CSU.) Auslande verlassen können, die seit Generationen
dort bestehen und im Kulturleben dieser Länder
Nur wenn wir diese Ideen verwirklichen, haben
ihren festen Platz haben. Die gleiche Kontinuität ist
wir auch den guten, festen Boden, auf dem wir
in den inneren Verwaltungen, d. h. in den Außen-
eine wirkliche Kulturpolitik treiben können. Denn
ministerien und in den Kultusministerien, vorhan-
Kulturpolitik ist eine geistige Leistung, und geistige
den. Beides fehlt bei uns.
Leistung ist nicht möglich, ohne daß man einen
Boden der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit, des Dann das Geld! Die Bundesregierung ist dem Par-
Anstandes und der humanistischen Weltanschauung lament sehr dankbar für die beträchtlichen Steige-
besitzt, auf dem man die Arbeit aufbaut. rungen, die der Kulturetat des Auswärtigen Amtes
in den letzten Jahren erfahren hat. Aber ich darf
Wir haben die dringende Bitte, daß das Auswär-
ganz offen sagen: wenn wir die vielen guten An-
tige Amt seinen Einfluß geltend macht, soweit die-
regungen, die wir heute abend erfahren haben, ver-
ser Einfluß reicht. Wir wissen, daß da Schwierig-
wirklichen sollen, so gehört dazu noch eine ganze
keiten bestehen. Wir haben den dringenden
Menge mehr Geld.
Wunsch, daß die Kulturpolitik auf europäischem
Gebiete — und insofern freue ich mich, daß unsere Ich habe mich gefreut, in der Aussprache etwas
sozialdemokratischen Kollegen gerade auch diesen nicht zu hören, daß nämlich das Auswärtige Amt
Punkt angeschnitten haben — wirklich europäisch von dem Geld, das es von Ihnen bekommen hat,
ist, dann aber abendländisch, im abendländischen nicht den richtigen Gebrauch gemacht hätte. Wir
Geiste. sind der Auffassung, daß wir es im allgemeinen gut
(Beifall bei der CDU/CSU.) angewandt haben. Es ist außerordentlich schwierig,
eine Maßnahme, die man einmal getroffen hat — die
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat Herr Maßnahmen werden ja alle auf längere Zeit ge-
Staatssekretär Lahr. troffen —, etwa rückgängig zu machen, um sie durch
andere Maßnahmen zu ersetzen; das geht praktisch
nicht. Aber ich wüßte auch gar nicht, welche der
Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts: bisher getroffenen Maßnahmen wir nun stoppen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sollten; denn sie erscheinen mir im großen und
Sie mir erlauben, in Vertretung des Bundesaußen- ganzen alle recht gut.
ministers zum Abschluß dieser Diskussion einige
Worte zu sagen, so seien mir folgende Bermerkun- Der dritte Mangel sind die Menschen; darüber
gen gestattet. Durch das, was der Herr Abgeordnete brauche ich hier nicht mehr zu sprechen.
Kahn-Ackermann einleitend und dann der Herr Das Auswärtige Amt hat in der Diskussion teils
Bundesaußenminister gesagt haben und was in der Lob, teils Kritik, teils gute Ratschläge empfangen.
anschließenden Diskussion zum Ausdruck gebracht Für das Lob bedanke ich mich. Was die Kritik
worden ist, zieht sich wie ein roter Faden, daß angeht, so fehlt es einfach an der Zeit, auf die
unsere Kulturpolitik mit einigen strukturellen Män- vielen Punkte, an denen die Kritik angesetzt hat,
geln behaftet ist, Mängeln, die teils überhaupt nicht einzugehen. Aber ich muß sagen; selbst wenn die
und teils nur schwer zu beseitigen sind. Zeit da wäre, würde ich es wahrscheinlich gar nicht
Wenn ich die Arbeit des Auswärtigen Amts auf tun; den ich sehe, es war eine sehr wohlwollende,
dem Gebiete der Kultur mit der Kulturarbeit, sagen eine freundschaftliche Kritik, und als solche nehme
wir, des Quai d'Orsay oder des Foreign Office ver- ich sie an.
gleiche, muß ich sagen, daß wir vor zwei ganz Ich sagte eben schon: wir haben wieder angefan-
speziellen Schwierigkeiten stehen. Die eine ist der gen, sind also in gewissem Sinne Anfänger. Wir
föderative Aufbau der Bundesrepublik. Die Zusam- wissen genau, daß wir noch eine Menge dazuzu-
menarbeit mit den Ländern ist gut. Ich habe absolut lernen haben. In diesem Sinne wollen wir das, was
keinen Anlaß, mich zu beklagen. Aber selbst bei wir hier gehört haben, beherzigen.
einem großen Maß von gutem Willen, das zweifellos
überall vorhanden ist, bleibt es eben doch überaus Es sind ferner eine ganze Reihe von Ratschlägen
mühselig, ein Einvernehmen zwischen dem Bund auf gegeben worden, teils sehr gute, teils gute. Ich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4747

Staatssekretär Lahr
glaube, auch hierauf kann ich jetzt im einzelnen nicht an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik
eingehen. Das sollte in dem zuständigen Ausschuß — mitberatend —. — Es ist so beschlossen.
und in einer systematischen Weise geschehen. Ich
meine, wir sollten alle Gedanken, die heute abend Ich rufe den Punkt 27 auf:
geäußert worden sind, dort in aller Ruhe durch- Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
gehen; dann wird diese Aussprache ihre nachhaltige schusses für Gesundheitswesen (11. Ausschuß)
Wirkung haben. über den Antrag der Abgeordneten Struve,
Dasselbe gilt für die Fragen, die einige Herren Glüsing (Dithmarschen), Tobaben, Kuntscher,
Abgeordnete an mich gerichtet haben. In einem Hermsdorf, Dr. Schmidt (Gellersen), Dr. Tamblé,
Punkte, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann, muß Peters (Poppenbüll), Dr. Miessner und Ge-
ich Ihnen entschieden widersprechen, nämlich Ihrer nossen betreffend Konservierungsmittel für
Bemerkung, daß die Kulturpolitik im Auswärtigen Fischwaren (Drucksachen IV/1622, IV/1730).
Amt nicht richtig bewertet würde, daß sie dort so Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Pannhoff
etwas wie ein Stiefkind sei. Das ist einfach nicht als Berichterstatterin.
richtig. Es mag sein, daß unter Angehörigen des
Auswärtigen Amtes der älteren Generation hie und Frau Dr. Pannhoff (CDU/CSU) : Herr Präsident!
da eine solche Ansicht vertreten worden ist; aber Meine Damen und Herren! Zur Klarstellung und
das zu verallgemeinern, ist nicht berechtigt. um Mißverständnisse zu verhindern, halte ich es für
Wir sehen ganz klar, daß sich in der Wirkungs- notwendig, einen Satz meines Schriftlichen Berichtes
weise des auswärtigen Dienstes in den letzten anders zu formulieren. Es handelt sich um den Satz
Jahren — man kann auch sagen, Jahrzehnten — auf der Rückseite des Berichts in der linken Seite,
Veränderungen ergeben haben. Während früher, viertletzte Zeile, der mit den Worten beginnt: „Auf
sagen wir, die reine Politik im Vordergrund stand, ausdrückliche Befragung . . .". Diesen Satz möchte
sind heute andere Gebiete dazugekommen und ich folgendermaßen umformulieren:
haben sich sehr stark in den Vordergrund gerückt; Auf ausdrückliche Befragung antworteten die
das ist die Handelspolitik, das ist die Entwicklungs- Sachverständigen, die sich experimentell mit
politik, und das ist auch die Kulturpolitik. In einem Hexamethylentetramin befaßt hatten, daß sie
jungen Entwicklungsland ist die Tätigkeit des deut- keine ernstlichen Bedenken gegen die Zu-
schen Missionschefs im wesentlichen nicht die, sich lassung von Hexamethylentetramin für die
mit bilateralen politischen Fragen — sie existieren Dauer von zwei Jahren hätten.
meist gar nicht — oder mit den Fragen der großen Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrag des Aus-
Weltpolitik zu befassen; daran sind diese Länder schusses zuzustimmen.
meist gar nicht interessiert, denn sie sind mit ihren
eigenen Dingen befaßt. Dort muß sich der Missions-
chef auf das konzentrieren, was die Leute interes- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke der Frau
siert: Fragen der Entwicklungshilfe, der Handels- Berichterstatterin.
politik und in zunehmendem Maße auch der Kulur- Wir stimmen ab über den Antrag des Ausschusses
politik. Bei alten Ländern wie in Südamerika kann auf Drucksache IV/1730. Wer zustimmt, gebe bitte
man sagen, daß das Hauptarbeitsgebiet die Handels- ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
politik und die Kulturpolitik ist. Auf dem Gebiet der- ich bitte, die Abstimmung durch Erheben zu wieder-
Kulturpolitik haben wir vieles zu bieten, anderes holen. Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! —
als die Engländer oder Franzosen; aber ich möchte Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist ange-
sagen: doch Gleichwertiges. Es gehört zu den er- nommen.
freulichen Feststellungen bei der Betätigung auf
diesem Gebiet, wenn man im Gespräch mit den Ich rufe den Punkt 28 auf:
Ausländern in den Ländern, in denen wir Kultur- Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
politik betreiben, das Echo erfährt. Es gibt hier schusses für Verkehr, Post- und Fernmelde-
wirklich eine Welle der Sympathie, der Anerken- wesen (23. Ausschuß) über den von der Bun-
nung, ich kann auch sagen: der Bewunderung, die desregierung zur Unterrichtung vorgelegten
uns da entgegenschlägt. Entwurf einer Entscheidung über die vor-
Ich darf schließen, indem ich die verschiedenen herige Prüfung und Beratung von Rechts- und
Tätigkeitsgebiete des Auswärtigen Amtes und ihre Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten
Wirkungsweise auf eine kurze Formel bringe: mit der EWG auf dem Gebiet des Verkehrs
der Bündnispolitik schafft man sich Bundesgenossen, (Drucksachen IV/34, zu IV/34, IV/1668).
mit der Handelspolitik Geschäftspartner und mit der Ich danke dem Herrn Berichterstatter, Herrn Ab-
Kulturpolitik Freunde; so sehen wir die Kultur- geordneten Haage, für seinen Schriftlichen Bericht.
politik, und so handhaben wir sie.
Wir stimmen über den Antrag des Ausschusses
(Beifall bei den Regierungsparteien.) auf Drucksache 1668 ab. Ich nehme an, daß gegen
den Antrag keine Bedenken bestehen. — Der
Antrag ist angenommen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Es liegt vor der
Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 370. Vorge- Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:
sehen ist die Überweisung an den Ausschuß für Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus
auswärtige Angelegenheiten — federführend — und schusses für Arbeit (21. Ausschuß) über den
4748 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Vizepräsident Dr. Dehler


von der Bundesregierung zur Kenntnisnahme sätzen bei der Einfuhr von geschlachteten
vorgelegten Vorschlag der Kommission der Hühnern nach Berlin (Drucksachen IV/1617,
EWG für eine Verordnung des Rats zur IV.1728).
Änderung des Artikels 13 der Verordnung
Es liegt der Antrag des Ausschusses vor, der Ver-
Nr. 3 und des Artikels 11 der Verordnung
ordnung unverändert zuzustimmen. Wer zustim-
Nr. 4 (Rechtsvorschriften, die auf entsandte
men will, den bitte ich um das Zeichen. — Gegen-
Arbeitnehmer sowie auf Arbeitnehmer anzu-
probe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
wenden sind, die ihre Berufstätigkeit gewöhn-
lich in mehreren Mitgliedstaaten ausüben) Es liegt dann der Entschließungsantrag der Abge-
(Drucksachen IV/1669, IV/1727). ordneten Dr. Reinhard, Struve, Bauknecht, Dr. Sie-
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten mer, Ehnes und Genossen auf Umdruck 376 vor.
Franzen. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Es Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe!
liegt vor der Antrag des Ausschusses auf Druck- — Bei zwei Gegenstimmen ist der Entschließungs-
antrag gebilligt.
sache 1727. Ich nehme an, daß keine Bedenken
bestehen. — Keine Bedenken. Der Antrag ist ange-
nommen. Punkt 34 der Tagesordnung:
Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
Punkt 31 der Tagesordnung: schusses (17. Ausschuß) über die von der
Beratung der von der Bundesregierung vor- Bundesregierung erlassene Zweiundzwanzig-
gelegten Dritten Verordnung über die Ver- ste Verordnung zur Änderung des Deutschen
ringerung von Abschöpfungssätzen bei der Zolltarifs 1963 (Verlängerung der Zollaus-
Einfuhr von Eiprodukten (Drucksache IV/ setzung für Melasse) (Drucksachen IV/1601,
1726). IV/1720).

Beratung findet nicht statt. Es ist vorgesehen Über- Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Birrenbach.
weisung an den Außenhandelsausschuß — feder- Ich danke ihm für seinen Bericht. — Das Haus soll
führend — und an den Ausschuß für Ernährung, von dem Bericht Kenntnis nehmen. - Das ist ge-
landwirtschaft und Forsten — mitberatend —. — Ich schehen.
stelle Einverständnis fest.
Punkt 35 der Tagesordnung:
Ich rufe Punkt 32 der Tagesordnung auf: Beratung der Übersicht 18 des Rechtsaus-
a) Beratung des Schriftlichen Berichts des schusses (12. Ausschuß) über die dem Deut-
schen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor
Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß)
dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache
über die von der Bundesregierung vor-
gelegte Dreiundzwanzigste, Vierundzwan- IV/1686).
zigste und Fünfundzwanzigste Verordnung Ich nehme an, daß dem Antrag des Ausschusses,
zur Änderung des Deutschen Zolltarifs von einer Äußerung zu diesen Streitsachen abzu-
1963 (Drucksachen IV/1600, IV/ 1635, IV/ sehen, zugestimmt wird. — Ich stelle das fest; der
1636, IV/1719), Antrag ist angenommen.
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des-
Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) Punkt 36 der Tagesordnung:
über die von der Bundesregierung vorge- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
legte Sechsundzwanzigste, Siebenund- Schmidt (Gellersen), Frehsee, Seither, Saxow-
zwanzigste und Dreißigste Verordnung zur ski und Genossen
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963
betr. Sonderregelung für die Zulassung von
(Drucksachen IV/1637, IV/1638, IV/1662,
IV/1718).
Mähdreschern im Straßenverkehr (Drucksache
IV/1701).
Es liegen vor die Berichte der Herren Kollegen
Margulies und Müller (Erbendorf). Ich danke den Der Antrag soll dem Ausschuß für Verkehr, Post-
Berichterstattern. Auf das Wort wird verzichtet. und Fernmeldewesen überwiesen werden. — Es ist
Eine Aussprache wird nicht gewünscht. so beschlossen.
Der Ausschuß schlägt I nen vor, den aufgerufenen
h
Die Punkte 29 und 39 sollen am Freitag behandelt
Verordnungen unverändert zuzustimmen. Wer das
werden.
tun will, den bitte ich um das Handzeichen. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegen- Damit sind wir für heute am Ende. Ich danke
stimmen. Keine Enthaltungen; ich stelle die einstim- Ihnen für Ihre Geduld.
mige Annahme fest.
Unter der Voraussetzung, daß keine Debatte ge- Ich berufe die nächste Sitzung ein auf morgen,
wünscht wird; rufe ich auf Punkt 33: Donnerstag, den 12. Dezember, 14 Uhr.

Beratung des Schriftlichen Berichts des Außen- Ich schließe die heutige Sitzung.
handelsausschusses (17. Ausschuß) über die
von der Bundesregierung vorgelegte Ver-
ordnung über die Senkung von Abschöpfungs (Schluß der Sitzung: 21.11 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4749

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Der Bundestag wolle beschließen:


Die Überschrift erhält folgende Fassung:
Liste der beurlaubten Abgeordneten
„Gesetz über die Jugendzahnpflege"
Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich
Bonn, den 10. Dezember 1963
a) Beurlaubungen
Dr. Arndt (Berlin) 31. 12. Dr. von Brentano und Fraktion
Dr. Aschoff 13. 12. Ollenhauer und Fraktion
Dr.-Ing. Balke 13. 12. Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion
Berlin 13. 12.
Fürst von Bismarck 13. 12.
Blumenfeld 11. 12.
Frau Brauksiepe 13. 12. Anlage 3 Umdruck 366
Dr. von Brentano 15. 12.
Burckardt 12. 12. Entschließungsantrag der Fraktionen der
Deringer 11. 12. CDU/CSU, FDP zur dritten Beratung , des von der
Dr. Fritz (Ludwigshafen) 11. 12. Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung
Goldhagen 15. 12.
von privaten Kapitalanlagen in Entwicklungslän-
Freiherr zu Guttenberg 15. 12. dern (Entwicklungshilfe-Steuergesetz) (Drucksachen
Hufnagel 13. 12. IV/1476, IV/1691).
Klinker 13. 12.
13. 12. Der Bundestag wolle beschließen:
Kriedemann
Dr. Löhr 12. 12. Die Bundesregierung wird ersucht, bis zum 31. März
Margulies 13. 12. 1964 einen Bericht über die Fragen vorzulegen, die
sich ergeben, wenn die Wirtschaft der Entwicklungs-
Mauk * 12. 12.
länder durch Bewertungsabschläge und steuerbegün-
Memmel 11. 12. stigte Rücklagen für Gegenstände des in den Ent-
Michels 13. 12. wicklungsländern liegenden Umlaufvermögens deut-
Dr. Müller-Hermann 15. 12. scher Unternehmungen gefördert werden soll.
Nellen 11. 12. Der Bundestag ist der Auffassung, daß die Unter-
Ollenhauer 31. 12.. haltung deutscher Handelsläger, die den Bedürfnis-
Richarts * 13. 12. sen der Entwicklungsländer entsprechen, einen wich-
Dr. Schneider (Saarbrücken) 13. 12. tigen Bestandteil der Entwicklungshilfe darstellen
kann.
Schoettle 31. 12.
Seifriz 15. 12.
Bonn, den 10. Dezember 1963
Dr. Starke 12. 12.
Steinhoff 15. 12. Dr. Barzel und Fraktion
Storch * 11. 12. Schultz und Fraktion
Frau Strobel 15. 12.
Dr. Frh. v. Vittinghoff-Schell 15. 12.
Wendelborn 13. 12.

b) Urlaubsanträge Anlage 4 Umdruck 367


Dr. Harm (Hamburg) 31. 1.
Frau Lösche 7. 1. Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr.
Löbe, Dr. Imle und Genossen zur dritten Beratung
des von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen
zur Förderung von privaten Kapitalanlagen in Ent-
Anlage 2 Umdruck 365 wicklungsländern (Entwicklungshilfe-Steuergesetz)
(Drucksachen IV/1476, IV/1691).
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/
Der Bundestag wolle beschließen:
CSU, SPD, FDP zur zweiten Beratung des Entwurfs
eines Bundesjugendzahnpflegegesetzes (Druck- Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß zu einer
sachen IV/1260, IV/1266, IV/1735). Entwicklungshilfe im Geiste echter Partnerschaft
auch die Beseitigung bestehender oder die Vermei-
* Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen ,des Euro-
dung drohender Störungen durch die Doppelbe-
päischen Parlaments steuerung gehört.
4750 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Der Deutsche Bundestag erwartet von der Bundes- 2. In Artikel I erhält Nummer 7 folgende Fassung:
regierung, daß sie dieser Feststellung bei allen Wirt- ,7. § 54 Nr. 1 erhält folgende Fassung:
schafts- und Kreditverhandlungen mit Entwicklungs-
ländern Rechnung trägt und sich in noch stärkerem „1. Die in § 1 Abs. 1 festgelegte Abgeord-
Maße als bisher in diesem Rahmen um den Ab- netenzahl verringert sich auf 498, die
schluß von Vereinbarungen über die Vermeidung Zahl der nach § 1 Abs. 2 nach Kreis-
der Doppelbesteuerung bemüht. wahlvorschlägen zu wählenden Abge-
ordneten auf 249."'
Bonn, den 10. Dezember 1963 Im Lande Niedersachsen erhöht sich die Zahl der
Wahlkreise von 30 auf 31.

Dr. Löbe 3. Artikel 1 Nr. 8 wird die Anlage wie folgt ge-
Dr. Imle ändert:
Dr. Atzenroth
Deneke Nr. des
Wahl Name des Wahl Gebiet des Wahl
Dorn kreises kreises kreises
Dr. Effertz
Ertl
Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) 20 Aurich-Emden Kreisfreie Stadt
Frau Funcke (Hagen) Emden
Dr. Hoven Landkreise
Frau Dr. Kiep-Altenloh Aurich und
Kreitmeyer Emden
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 21 Leer-Wittmund umfassend Land-
Mertes kreise Leer und
Murr Wittmund
Opitz
22 Wilhelmshaven umfassend kreis-
Peters (Poppenbüll)
Ramms Friesland freie Stadt Wil-
Reichmann helmshaven und
Soetebier Landkreis Fries-
Dr. Supf land
Wächter Folgende Nummern rücken nach.
Walter
Bonn, den 10. Dezember 1963

Dr. Conring Dr. Dr. Oberländer


Burgemeister Dr.-Ing. Seebohm
Anlage 5 Umdruck 375 Dr. Elbrächter Dr. Siemer
-
Dr. Jungmann Dr. Steinmetz
Kühn (Hildesheim) Werner
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Con- Dr. von Merkatz
ring, Burgemeister und Genossen zur zweiten Be-
ratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-
wahlgesetzes (Drucksachen IV/1376, IV/1729).
Anlage 6 Umdruck 363
Der Bundestag wolle beschließen
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Jae-
1. In Artikel I erhält Nummer 1 folgende Fassung: ger, Dr. Schmid (Frankfurt) und Dr. Dehler zur
1. § 1 wird wie folgt geändert: zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
,a) Absatz 1 Satz 1 erhält folgende Fas- des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen IV/1376,
sung: IV/1729).
„Der Bundestag besteht vorbehaltlich Der Bundestag wolle beschließen:
der sich aus diesem Gesetz ergebenden
Abweichungen aus 520 Abgeordneten." In Artikel I werden folgende Nummern 6 a und
6 b eingefügt:
b) Absatz 2 erhält folgende Fassung: '6 a. § 46 Abs. 1 Nr. 5 erhält folgende Fassung:
„ (2) Von den Abgeordneten werden „5. bei Verzicht. Der Verzicht ist nur wirk-
260 nach Kreiswahlvorschlägen in den sam, wenn er dem Präsidenten des Bun-
Wahlkreisen und die übrigen nach Lan- destages, einem deutschen Notar, der sei-
deswahlvorschlägen (Landeslisten) ge- nen Sitz im Wahlgebiet hat, oder einem
wählt."' zur Vornahme von Beurkundungen er-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4751

mächtigten Bediensteten bei einer deut- Anlagen 8 Umdruck 372


schen Auslandsvertretung zur Nieder-
schrift erklärt wird. Der Verzicht kann Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Ka-
nicht widerrufen werden." linke, Werner, Missbach, Dr. Pflaumbaum, Burge-
meister, 'Böhme (Hildesheim) und Genossen zur
6 b. § 47 wird wie folgt geändert: zweiten Beratung des von der Bundesregierung
a) Absatz 1 Nr. 3 erhält folgende Fassung: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
„3. im Falle der Nummern 2 und 4 durch rung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen IV/1376,
Beschluß des Vorstandes des Bundes- IV/1729).
tages."
Der Bundestag wolle 'beschließen:
b) Es wird folgender Absatz 2 eingefügt:
„ (2) Im Falle der Nummer 5 ist ein Be- In der Anlage zu Artikel I Nr. 8 wird in der Spalte
schluß des Vorstandes des Bundestages „Gebiet des Wahlkreises"
nicht erforderlich. Mit der Abgabe oder
dem Eingang der Verzichterklärung bei beim Wahlkreis 36 Hannover I
dem Präsidenten des Bundestages ist die beim Wahlkreis 37 Hannover II
Mitgliedschaft erloschen."
beim Wahlkreis 38 Hannover III
c) Absatz 2 wird Absatz 3.
und beim Wahlkreis 41 Hameln - Springe
Bonn, den 10. Dezember 1963 die Fassung der Regierungsvorlage — Drucksache
IV/1729 wiederhergestellt.
Dr. Jaeger
Dr. Schmid (Frankfurt)
Dr. Dehler Bonn, den 11. Dezember 1963

Frau Kalinke Kühn (Hildesheim)


Werner Lenz (Brühl)

Anlagen 7 Umdruck 369 Missbach Leonhard


Dr. Pflaumbaum Dr. von Merkatz
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ Burgemeister Müser
CSU, SPD, FDP zur zweiten Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Böhme (Hildesheim) Dr. Dr. Oberländer
setzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes Becker Frau Pitz-Savelsberg
(Drucksachen IV/1376, IV/1729). Frau Dr. Bleyler Frau Dr. Rehling
Der Bundestag wolle beschließen: Bühler Schlick
- Schulhoff
In der Anlage zu Artikel 1 Nr. 8 erhalten die nach- Dr. Draeger
folgenden Wahlkreise folgende Bezeichnung: Frau Engländer Dr. Schwörer
Dr. h. c. Güde Dr. Steinmetz
Nr. des
Wahl
Name des Gebiet des Horn Unertl
Wahlkreises Wahlkreises
kreises Dr. Huys Frau Welter (Aachen)
Frau Jacobi (Marl) Dr. Wuermeling
47 Goslar-Wolfenbüttel unverändert
64 Siegkreis I — Bonn-Land unverändert
65 Oberbergischer Kreis —
Siegkreis II unverändert
105 Detmold-Lippe unverändert Anlage 9 Umdruck 377
175 Schwäbisch Gmünd —
Backnang unverändert Änderungsantrag der Abgeordneten Zoglmann,
184 Heidelberg-Land — Busse zur zweiten Beratung des von der Bundes-
Sinsheim unverändert regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen
IV/1376, IV/1729).
Bonn, den 10. Dezember 1963
Der Bundestag wolle beschließen:
Barzel und Fraktion
OlenhaurdFktio Die Anlage zu Artikel 1 Nr. 8 wird wie folgt ge-
Dürr und Fraktion ändert:
4752 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

2. Artikel 1 Nr. 3 wird in der Fassung des Arti-


Nummer des Name des Gebiet des kels i der Regierungsvorlage gemäß. Drucksache
Wahlkreises: Wahlkreises: Wahlkreises: IV/1654 wiederhergestellt.

103 Bielefeld-Land Landkreise Bonn, den 10. Dezember 1963


Bielefeld und
Halle (West- Dr. Imle
falen) Schultz und Fraktion
106 Paderborn Landkreis
Wiedenbrück Paderborn
Landkreis
Wiedenbrück
Anlage 12 Umdruck 378
Bonn, den 11. Dezember 1963
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/
Zoglmann CSU, SPD, zur dritten Beratung des von der Bundes-
Busse regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Spar-Prämiengesetzes (Druck-
sachen IV/1654, IV/1712).

Der Bundestag wolle beschließen:


Anlage 10 Umdruck 368 Artikel i erhält folgende Fassung:

„Artikel i
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein- Das Spar-Prämiengesetz in der Fassung vom
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung 16. Februar 1963 (Bundesgesetzbl. I S. 92) wird wie
des Spar-Prämiengesetzes (Drucksachen IV/1654, folgt geändert:
IV/1712).
1. § 1 wird wie folgt geändert:
Der Bundestag wolle beschließen: a) In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die fol-
1. In Artikel 1 Nr. i erhält Buchstabe a folgende gende Nummer 4 angefügt:
Fassung: „4. Grundbeträge des Anspruchs auf Haupt-
,a) In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die fol- entschädigung, in deren Höhe nach § 252
gende Nummer 4 angefügt: Abs. 3 des Lastenausgleichsgesetzes
Schuldbuchforderungen oder Schuldver-
„4. Grundbeträge des Anspruchs auf Haupt- schreibungen erworben werden."
entschädigung, in deren Höhe nach § 252
Abs. 3 des Lastenausgleichsgesetzes b) Absatz 3 erhält die folgende Fassung:
-
Schuldbuchforderungen oder Schuldver- „(3) Als Wertpapiere im Sinne des Absat-
schreibungen erworben werden." zes 2 gelten auch Schuldbucheintragungen, bei
denen der Gläubiger verlangen kann, daß ihm
2. Artikel 1 Nr. 3 erhält folgende Fassung: an Stelle seiner Schuldbuchforderung eine
„3. In § 8 Abs. i wird der zweite Satz gestri- Schuldverschreibung erteilt wird."
chen."
c) Die bisherigen Absätze 3 und 4 werden Ab-
Bonn, den 10. Dezember 1963 sätze 4 und 5.

2. Hinter § 5 wird der folgende § 5 a eingefügt:


Ollenhauer und Fraktion
㤠5 a
Prämienverfahren beim Erwerb von
Schuldbuchforderungen auf den eigenen Namen

Anlage 11 Umdruck 371 Erwirbt der Prämiensparer Schuldbuchforderun-


gen auf den eigenen Namen (§ 1 Abs. 3), so tritt
für die Durchführung des Prämienverfahrens
Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur (§§ 3 bis 5) die Schuldenverwaltung an die Stelle
zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein- des Kreditinstituts."
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Spar-Prämiengesetzes (Drucksachen IV/1654, 3. In § 8 Abs. 1 wird der zweite Satz gestrichen."
IV/1712).
Bonn, den 11. Dezember 1963
Der Bundestag wolle beschließen:
1. In Artikel 1 werden die Nummern 1 und 2 ge- Dr. von Brentano und Fraktion
strichen. Ollenhauer und Fraktion
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4753

Anlage 13 Umdruck 364 gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die


Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur Unfallversicherung (Sechstes Rentenanpassungs-
zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein- gesetz — 6. RAG) (Drucksachen IV/1584, IV/1731).
gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes über
die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Der Bundestag wolle beschließen:
Rentenversicherungen sowie über die Anpassung 1. In Artikel I wird in § 1 Abs. 2 der Punkt durch
der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallver- ein Komma ersetzt und folgender Halbsatz
sicherung (Sechstes Rentenanpassungsgesetz angefügt:
—6.RAG)(DrucksahenIV/1584,IV/173).
„wobei von den Größen auszugehen ist, von
Der Bundestag wolle beschließen: denen die Leistungen abgeleitet sind."
1. Hinter Artikel I § 1 Abs. 2 wird der Punkt durch 2. In Artikel II § 1 Abs. 2 a wird der Punkt durch
ein Komma ersetzt und folgender Satz angefügt: ein Komma ersetzt und folgender Halbsatz an-
„wobei von den Größen auszugehen ist, von gefügt:
denen die Leistungen abzuleiten sind." „wobei von den Größen auszugehen ist, von
2. In Artikel I § 5 Abs. i werden die Worte „den denen die Leistungen abgeleitet sind."
Sonderzuschuß und" gestrichen.
Bonn, den 11. Dezember 1963
3. In Artikel II § 1 Abs. 2 werden die Worte „so-
weit der Jahresarbeitsverdienst nach dem Orts-
lohn berechnet ist" gestrichen. Klein (Saarbrücken)
4. In Artikel II § 1 Abs. 2 a wird der Punkt durch
ein Komma ersetzt und folgender Halbsatz ange-
fügt „wobei von den Größen auszugehen ist, von
denen die Leistungen abzuleiten sind." Anlage 15 Umdruck 376
5. Hinter Artikel II § 2 Abs. i wird folgender Ab-
satz 1 a eingefügt: Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr.
„ (1 a) Soweit der Jahresarbeitsverdienst nach Reinhard, Struve, Bauknecht, Dr. Siemer, Ehnes und
dem Ortslohn berechnet ist, ist dieser nicht nach Genossen zur Beratung des Schriftlichen Berichts
Absatz 1 anzupassen, sondern nach dem gemäß des Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über
Artikel IV § 1 neu festgesetzten Ortslohn zu die von der Bundesregierung vorgelegte Verord-
berechnen." nung über die Senkung von Abschöpfungssätzen bei
der Einfuhr von geschlachteten Hühnern nach Berlin
6. In Artikel III § 2 Abs. 1 tritt an die Stelle des (Drucksachen IV/1617, IV/1728).
Wortes „Mai" das Wort „Dezember".
7. Hinter Artikel III § 3 wird folgender Artikel IV Der Bundestag wolle beschließen:
eingefügt: Die Bundesregierung wird ersucht,
„Artikel IV
- 1. dafür Sorge zu tragen, daß durch die vorgesehene
Neufestsetzung der Ortslöhne und Schlußvor Sonderregelung für Berlin die deutsche Produk-
schriften tion und deren Absatz in Berlin keine Nachteile
erleiden und daß gegebenenfalls ein Ausgleich
§1 vorgenommen wird,
Die Ortslöhne sind für die Zeit vom 1. Januar 2. für die Zeit nach dem 30. Juni 1964 einen geeig-
1964 an für den Geltungsbereich dieses Gesetzes neteren Weg zu suchen und am 1. April 1964
binnen drei Monaten nach der Verkündung die- einen Zwischenbericht über die Auswirkungen
ses Gesetzes neu festzusetzen." zu geben.
Artikel III § 4 wird Artikel IV § 2 Artikel III
§ 5 wird Artikel IV § 3. Bonn, den 11. Dezember 1963

Bonn, den 10. Dezember 1963 Dr. Reinhard Dr. Höchst


Struve Hösl
Ollenhauer und Fraktion Bauknecht Knobloch
Dr. Siemer Krug
Ehnes Menke
Bauer (Wasserburg) Frau Dr. Pannhoff
von Bodelschwingh Dr. Pflaumbaum
Anlage 14 Umdruck 373 Dr. Frey (Bonn) Stooß
Gehring Sühler
Änderungsantrag des Abgeordneten Klein Dr. Gleissner Tobaben
(Saarbrücken) zur zweiten Beratung des von der Glüsing (Dithmarschen) Weinzierl
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Dr. von Haniel-Niethammer Wittmer-Eigenbrodt
setzes über die Anpassung der Renten aus den Hesemann
4754 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963

Anlage 16 Umdruck 370 gesehenen gemischten Kommissionen tätig ge-


worden sind;
Antrag der Fraktion der SPD zur Großen An- 8.füreinwksamKodrugltpische
frage der SPD — Drucksache IV/1315 — betreffend Maßnahmen im Rahmen 'der Entwicklungshilfe
auswärtige Kulturpolitik. zu sorgen.
Der Bundestag wolle beschließen:
Bonn, den 10. Dezember 1963
Infolge der zunehmenden Bedeutung kulturpoliti-
scher Arbeit im Rahmen der Beziehungen der Bun- Ollenhauer ¡und Fraktion
desrepublik zu anderen Ländern wird die Bundes-
regierung aufgefordert,
1. bei der kulturellen Auslandsarbeit die politi-
schen, sozialen und wissenschaftlichen Aspekte Anlage 17
des deutschen Kulturlebens in Vergangenheit
und Gegenwart mehr als bisher zu vermitteln; Schriftliche Antwort
2. die Arbeit der Bundesrepublik Deutschland in
des Herrn Staatssekretärs Bornemann vom 9. De
,den internationalen Kulturorganisationen, beson- zember 1963 auf ¡die Mündliche Anfrage des Abge
ders in der UNESCO, zu koordinieren und für
ordneten Sänger (Drucksache IV/1665 Frage XV/9).
eine wirkungsvolle Vertretung der Bundesrepu-
blik Deutschland auf internationalen Kulturkon- Ist der Bundesregierung bekannt, daß die neuen Standardfor-
mate der Deutschen Bundespost für den Versand von Briefpost
ferenzen zu sorgen; nicht den international üblichen Formaten von Fotos der Presse-
und Bildagenturen entsprechen und zu einer erheblichen Ver-
3. die kulturpolitische Arbeit in den europäischen teuerung des Bildversands für die Presse führen müsse?

Partnerländern und insbesondere die angemes- Die Standardmaße für Briefsendungen (Länge zwi-
sene Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse in schen 14 und 23,5 cm. Breite zwischen 9 und 12 cm)
einem vielsprachigen Europa zu intensivieren; bilden einen Rahmen, der die deutschen Industrie-
sich um 'bessere organisatorische und personelle normen A 6, C 6 und DL mit umfaßt. Innerhalb
Voraussetzungen für die deutsche Kulturarbeit dieses Rahmens ist es — wie jahrelange technische
und , das deutsche Schulwesen im Ausland zu be- Vorarbeiten ergeben haben — möglich, Briefsendun-
mühen und bei den Ministerpräsidenten der Bun- gen maschinell und automatisch zu behandeln.
desländer darauf hinzuwirken, daß genügend
Dieses Ergebnis ist mit Vertretern des Deutschen
sprach- und sachkundige Beamte aus den Bun- Industrie- und Handelstages und des Deutschen
desländern für ¡die kulturelle Auslandsarbeit zur Normenausschusses sorgfältig erarbeitet worden.
Verfügung stehen; Die von der Deutschen Bundespost vorgesehenen
4. im Einvernehmen mit den Bundesländern auf die Standardmaße wurden von den Mitgliedern der
gegenseitige Anerkennung von Abschlußprüfun- europäischen Postkonferenz und von den zustän-
gen, Reifezeugnissen, Hochschulprüfungen und digen Ausschüssen des Weltpostvereins als Emp-
Semestern in , den Mitgliedsländern des Europa- fehlungen übernommen.
rates hinzuwirken und die Kultusverwaltungen- Soweit Fotos der Presseagenturen den Standard-
der Bundesländer aufzufordern, hier voranzu- maßen nicht entsprechen, sind sie keineswegs von
gehen; der Postbeförderung ausgeschlossen; sie müssen
5. zu prüfen, ob sich die bisherige Form der Träger- aber, da sie wegen ihrer Größe nicht maschinell
schaft der deutschen Auslandsschulen bewährt behandelt werden können, mit der entsprechend
hat, und ob neue Schulen im Ausland gemeinsam höheren Gebühr für größere Briefsendungen freige-
mit anderen Ländern errichtet werden können, macht werden. Die Gebührendifferenz beträgt im
dem Bundestag bis zum 1. April 1964 über die übrigen bei Drucksachen bis 20 g nur 5 Pf.
Lage der deutschen Auslandsschulen, den Stand
ihres Ausbaues, die in ihnen jeweils angestrebten
Bildungsziele — auch im Hinblick auf die Schul-
gesetze des Gastlandes — zu berichten;
Anlage 18
dafür zu sorgen, daß Absolventen deutscher Aus
landsschulen bei Vergabe von Stipendien aus Schriftliche Antwort
Bundesmitteln angemessen berücksichtigt werden;
des Herrn Staatssekretärs Bornemann vom 9. De-
6. das Goethe-Institut zu veranlassen, jährlich einen zember 1963 auf die Mündlichen Anfragen des Ab-
Erfahrungs- und Arbeitsbericht vorzulegen und geordneten Schmidt (Würgendorf) (Drucksache
¡die kontinuierliche Betreuung erfolgreicher Kurs- IV/1665 Frage XV/10 und XV/11).
teilnehmer sicherzustellen;
Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß der Landkreis
7. dem Bundestag bis zum 1. März 1964 zu berichten, Wittgenstein in Nordrhein-Westfalen am 13. und 14. November
1963 durch einen Schaden am Hauptkabel ohne Fernsprech- und
inwieweit die zwischen der Bundesrepublik und Fernschreibverbindung zur Außenwelt war?
anderen Staaten abgeschlossenen Kulturabkom- Welche Maßnahmen wird die Deutsche Bundespost treffen, um
men in den Bundesländern verwirklicht wurden die in Frage XV/10 geschilderte, von der Bevölkerung und
Wirtschaft dieses Raumes mit Sorge und Empörung registrierte
und in welcher Weise die in den Abkommen vor Panne für die Zukunft auszuschalten?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4755

Frage XV/10: werden, falls keine laufende Überwachung der Fertighauspro


duktion auf die Beibehaltung der Qualitäten hin beabsichtigt ist?
Es ist dem Bundesministerium für das Post- und Teilt die Bundesregierung die in dem vom Bundeswohnungs-
Fernmeldewesen bekannt, daß der abgehende und ministerium herausgegebenen Bundesblatt, Heft 10/63, S. 471,
vertretene Auffassung, daß alle Häuser, die in das im Auftrage
fast ganz auch der ankommende Fernsprechverkehr des gleichen Bundesministeriums herausgegebene „Fertighaus-
verzeichnis" aufgenommen worden sind, „ein (leider unsichtbares)
und der Fernschreibverkehr des Bereichs der Kno- Gütesiegel tragen"?
tenvermittlungsstelle Berleburg (Landkkreis Witt-
genstein) vom 13. November 7 Uhr bis zum 14. No- Zur Frage XVI/1
vember 15 Uhr unterbrochen war. Die Ursache lag Nachdem im Juni die ersten Hefte erschienen sind,
in einer Vollstörung des einzigen Fernkabels, das haben nunmehr 21 Fertighausbauarten die notwen-
die Knotenvermittlungsstelle Berleburg mit der digen Prüfverfahren durchlaufen. Über weitere 8 bis
Hauptvermittlungsstelle Siegen verbindet. Die 10 Häuser finden noch in diesem Monat abschlie-
Beseitigung des Kabelfehlers wurde durch das Zu- ßende Beratungen statt. Weitere Anträge mit voll-
sammentreffen mehrer ungünstiger Umstände ganz ständigen Unterlagen liegen nach Mitteilung des
außergewöhnlich verzögert. Zweitwege sind zur Zeit federführenden Prüfinstituts zur Zeit nicht vor.
noch nicht vorhanden.
Die Regelung bauaufsichtlicher Fragen gehört zum
Frage XV/11: Aufgabenbereich der Länder. Beim Fertighausver-
zeichnis hat sich aber eine gute Zusammenarbeit
Die Maßnahmen zur Beseitigung dieser Lage sind zwischen Bund und Ländern ergeben. Auf Grund
von der Deutschen Bundespost im Zuge des Aus- meiner Bemühungen bereiten gegenwärtig die Län-
baus des Selbstwählferndienstes bereits vor länge- der einen Erlaß vor. Ich habe berechtigte Hoffnun-
rer Zeit eingeleitet worden und werden in abseh- gen, daß damit das Fertighausverzeichnis als Grund-
barer Zeit abgeschlossen sein. lage des bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahrens
Die Knotenvermittlungsstelle Berleburg ist zur Zeit verwendet werden kann.
noch mit Einrichtungen alter Technik ausgestattet. Wahrscheinlich schon in Kürze werden also auch
Vor etwa 1 1/2 Jahren ist mit dem Aufbau der neuen die örtlichen Bauaufsichtsbehörden das Verzeichnis
Knotenvermittlungsstelle begonnen worden, die mit benutzen. Bauinteressenten und Kreditinstitute tun
modernen technischen Einrichtungen ausgestattet das schon in großem Umfange, wie die unerwartet
wird und in einigen Wochen in Betrieb genommen hohe Auflage der Hefte zeigt.
werden soll. Dadurch ist es möglich, für die Knoten-
vermittlungsstelle Berleburg voraussichtlich Anfang Zur Frage XVI/2
Februar 1964 einen zweiten Ausgang, und zwar zum
Die Hefte des Fertighausverzeichnisses enthalten
gesamten Bereich der Hauptvermittlungsstelle Me-
eine sehr eingehende technische Beschreibung der
schede einzurichten. Im Jahre 1965 wird darüber
Häuser. Damit ist ein weitgehender Identitätsnach-
hinaus voraussichtlich ein weiteres Kabel zwischen
weis für das jeweils gelieferte Haus möglich. Schon
Berleburg und Siegen verlegt werden.
von Beginn der Arbeit am Fertighausverzeichnis an
hat das Bundesministerium für Wohnungswesen,
Städtebau und Raumordnung eine Güteüberwachung
als erstrebenswertes Ziel angesehen; als Grundlage
Anlage 19 hierfür war zunächst das Verzeichnis selbst aufzu-
-
stellen. Auch die in Vorbereitung befindlichen Er-
Schriftliche Antwort lasse der Länder werden bereits für einige wichtige
Bauteile und Baustoffe eine Güteüberwachung for-
des Herrn Staatssekretärs Dr. Ernst vom 6. Dezem- dern. Das Verfahren soll aber dann noch weiter aus-
ber 1963 auf die Mündlichen Anfragen des Abge- gebaut werden.
ordneten Hammersen (Drucksache IV/1665 Fragen
XVI/i, XVI/2 und XVI/3). Zur Frage XVI/3
Welche Bemühungen hat die Bunderegierung über den Erlaß
des Bundeswohnungsministers vom 5. September 1963 an die zu- Die Äußerung im Bundesbaublatt, daß die in das
ständigen Länderministerien hinaus angestellt, um der allge- Fertighausverzeichnis aufgenommenen Häuser „ein
meinen Anerkennung des Fertighausverzeichnisses zum Durch-
bruch zu verhelfen, insbesondere eine spezielle Prüfung der in — leider unsichtbares — Gütesiegel tragen", ist im
das Verzeichnis aufgenommenen Fertighausbauarten unter Vor- nichtamtlichen Teil erschienen. Die Bundesregierung
lage völlig andersgearteter Prüfungsunterlagen zu vermeiden
und darüber hinaus das Fertighausverzeichnis als eine Grund- ist aber — wie Sie meinen Ausführungen entnom-
lage im Rahmen der Baugenehmigungsverfahren der Bauauf-
sichtsbehörde zu verwenden? men haben — bestrebt, zu einer Güteüberwachung
Welche Gewähr ist dafür gegeben, daß die im Prüfungsver- der Fertighäuser zu gelangen. Eine solche Güteüber-
fahren ermittelten und für die Aufnahme in das Fertighausver- wachung hat sich bei vielen Baustoffen und Bau-
zeichnis maßgeblich gewesenen Baustoffqualitäten, Konstruktions-
eigenschaften u. ä. auch späterhin in gleicher Weise beibehalten teilen bereits seit Jahren bewährt.

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