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101. Sitzung
Bonn, den 11. Dezember 1963
Inhalt:
Glückwünsche zu den Geburtstagen der Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) :
Abg. Dr. Willeke, Even (Köln), Wittmer-
Bau der Nord- und Südbrücke in Bonn
Eigenbrodt und Nieberg 4661 A
Dr.-Ing. Seebohm,
Bundesminister . . . 4667 D, 4668 A
Zur Geschäftsordnung
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) .
Dr. Mommer (SPD) 4661 C 4667 D, 4668 A
Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . 4662 D
Zoglmann (FDP) 4663 D Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Straßenverkehr in dem Erholungs-
Fragestunde (Drucksachen IV/1737, IV/1744) gebiet südlich von München
Dr.-Ing. Seebohm,
Fragen des Abg. Seibert: Bundesminister . . . . 4668 B, C, D
Margentarife für die Rheinschiffahrt Ertl (FDP) . . . . . . . . . 4668 C, D
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 4665 C
Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Frage des Abg. Cramer: Ausgestaltung der öffentlichen Ver-
Ausbau des Küstenkanals auf der kehrsmittel
Strecke Kampe—Dörpen Dr.-Ing. Seebohm,
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 4668 D, 4669 D, 4670 A
Bundesminister 4666 B, C, D Schwabe (SPD) 4669 D
Cramer (SPD) 4666 C, D Kahn-Ackermann (SPD) 4670 A
Wächter (FDP) 4666 D
Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) : Bahnverkehr zwischen München und
Überschallflugzeug Concorde Erholungsgebieten
Dr.-Ing. Seebohm, Dr.-Ing. Seebohm,
Bundesminister . . . . 4667 A, B, C Bundesminister . 4670 B, C, D, 4671 A
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) . 4667 B Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . 4670 C, D
Börner (SPD) 4667 B, C Ertl (FDP) 4670 D, 4671 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Fragen der Abg. Dr. Kohut und Dr. Frage des Abg. Welslau:
Müller-Emmert: Inkrafttreten des Bundeskindergeld-
Verkehrs-Zentralkartei in Flensburg gesetzes
Dr.-Ing. Seebohm, Dr. Heck, Bundesminister . . . . 4676 A
Bundesminister 4671 B, 4672 A, B, C, D,
4673 A Fragen des Abg. Faller:
Dr. Kohut (FDP) 4672 A Arzneimittel und Fahrtüchtigkeit von
Dr. Müller-Emmert (FDP) . . . 4672 B, C Kraftfahrern
Dürr (FDP) 4672 D Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister 4676 B, C
Frage des Abg. Dr. Mommer:
Frage des Abg. Dr. Kohut:
Leitplanken
Entschädigung von in Algerien enteig-
Dr.-Ing. Seebohm, neten deutschen Staatsangehörigen
Bundesminister . . . . 4673 A, C, D
Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 4676 C
Dr. Mommer (SPD) 4673 C
Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . . 4676 D
Dr. Rinderspacher (SPD) 4673 D
Fragen des Abg. Dr. Dr. h. c. Friedens-
Frage des Abg. Lemmrich: burg:
Betonrandstreifen an Bundesstraßen Italienische Staatsuniversität mit euro-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 4673 D päischem Charakter in Florenz
Dr. Carstens, Staatssekretär 4677 B, C, D,
Frage des Abg. Fritsch: 4678 A
Schlangestehen vor Schaltern der Bun- Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU)
despost 4677 C, D
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 4674 B, C Frage des Abg. Dr. Mommer:
Fritsch (SPD) 4674 C Volksdeutsche in Rumänien
Dr. Carstens, Staatssekretär 4678 A, B, C, D
Frage der Abg. Frau Herklotz:
Dr. Mommer (SPD) . . . . . . . 4678 B
Kennedy Gedenkmarke
Dr. h. c. Jaksch (SPD) . . . . . . 4678 C
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . 4674 C, D
Frau Herklotz (SPD) 4674 D Sammelübersicht 23 des Petitionsausschus-
ses über Anträge zu Petitionen (Druck-
Frage des Abg. Peiter: sache IV/1689) . . . . . . . . . . 4678 D
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Druck- vom 17. Oktober 1962 mit Irland zur Ver-
sachen IV/902 [neu], IV/1208); Schrift- meidung der Doppelbesteuerung usw.
licher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache IV/1588); Schriftlicher Be-
(Drucksache IV/1690) — Zweite und dritte richt des Finanzausschusses (Drucksachen
Beratung — 4679 C IV/1743, zu 1743) — Zweite und dritte
Beratung — . . . . . . . . . . . 4682 B
Entwurf eines Bundesjugendzahnpflege-
gesetzes (Drucksachen IV/1260, IV/1266); Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
Schriftlicher Bericht des Gesundheits- des Bundeswahlgesetzes (Drucksache
ausschusses (Drucksachen IV/1735, zu IV/1376); Schriftlicher Bericht des Aus-
IV/1735) — Zweite und dritte Bera- schusses für Inneres (Drucksache IV/1729)
tung — 4680 A — Zweite und dritte Beratung —
Rollmann (CDU/CSU) . 4682 C, 4689 C
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Dr. Conring (CDU/CSU) . . . . 4683 D
Vorschriften auf dem Gebiet der Land-
Schmitt-Vockenhausen (SPD) 4685 C, 4690 D,
beschaffung (Drittes Änderungsgesetz 4691 A
LBG) (Drucksache IV/1648); Schriftlicher
Bericht des Ausschusses für Inneres Dr. Vogel (CDU/CSU) . . . . . 4685 D
(Drucksache IV/1716) — Zweite und Wagner (CDU/CSU) 4686 B
dritte Beratung — 4680 B
Gerlach (SPD) . . . . . . . 4686 C
Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . . 4687 B
Entwurf eines Gesetzes über steuerliche
Maßnahmen zur Förderung von privaten Frau Kalinke (CDU/CSU) . . . 4688 A
Kapitalanlagen in Entwicklungsländern 4689 B
Dr. Miessner (FDP) . . . . . .
(Entwicklungshilfe-Steuergesetz) (Druck-
sache IV/1476); Berichte des Haushalts- Burgemeister (CDU/CSU) . . . 4690 A
und des Finanzausschusses (Drucksachen Zoglmann (FDP) 4690 C
IV/1711, IV/1691) — Zweite und dritte
Beratung —
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Seuffert (SPD) 4680 D Sparprämiengesetzes (Drucksache IV/
Dr. Löbe (FDP) 4680 D 1654) ; Schriftlicher Bericht des Wirt-
schaftsausschusses (Drucksachen IV/1712,
Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein- zu IV/1712) — Zweite und dritte Bera-
kommen Nr. 114 der Internationalen tung —
Arbeitsorganisation vom 19. Juni 1959 Seuffert (SPD) 4692 A,
über den Heuervertrag der Fischer 4694 B, 4697 A, B
(Drucksache IV/1592); Schriftlicher Be- Frau Funcke (Hagen) (FDP) . . . 4692 D
richt des Ausschusses für Arbeit (Druck-
sache IV/1721) — Zweite und dritte Be- Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 4693 A, 4695 A
ratung — Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 4693 C
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 4681 B Katzer (CDU/CSU) . . . . . . . 4694 A
Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 4681 B Dr. Rutschke (FDP) . . . . . . . 4694 D
Dr. Imle (FDP) 4694 D
Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
Kuntscher (CDU/CSU) 4697 B
vom 13. November 1962 über die Än-
derung des Vertrages zur Gründung Dürr (FDP) 4697 B
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
zum Zwecke der Assoziierung der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
Niederländischen Antillen (Drucksache rung und Ergänzung des Gesetzes zur
IV/1474); Schriftlicher Bericht des Aus- Regelung von Ansprüchen aus Lebens-
wärtigen Ausschusses (Drucksache IV/ und Rentenversicherungen (Drucksache
1725) — Zweite und dritte Beratung — 4681 D IV/ 1671) — Erste Beratung — 4697 C
Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen Entwurf eines Gesetzes zu dem Assozi-
vom 4. Juli 1962 mit der Regierung von ierungsabkommen vom 20. Juli 1963 zwi-
Ceylon zur Vermeidung der Doppel- schen der Europäischen Wirtschafts-
besteuerung usw. (Drucksache IV/1424); gemeinschaft und den mit dieser Gemein-
Schriftlicher Bericht des Finanzausschus- schaft assoziierten afrikanischen Staaten
ses (Drucksachen IV/1742, zu IV/1742) — und Madagaskar (Drucksache IV/1673)
Zweite und dritte Beratung — . . . . 4682 A — Erste Beratung — 4697 D
IV Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Entwurf eines Sechsten Gesetzes über die Schriftlicher Bericht des Gesundheitsaus-
Anpassung der Renten aus den gesetz- schusses über den Antrag der Abg.
lichen Rentenversicherungen sowie über Struve, Glüsing (Dithmarschen), Tobaben,
die Anpassung der Geldleistungen aus Kuntscher, Hermsdorf, Dr. Schmidt (Gel-
der gesetzlichen Unfallversicherung lersen), Dr. Tamblé, Peters (Poppenbüll),
(Sechstes Rentenanpassungsgesetz = 6. Dr. Miessner u. Gen. betr. Konservie-
RAG) (Drucksache IV/1584) — Zweite rungsmittel für Fischwaren (Drucksachen
Beratung — ; in Verbindung mit dem IV/1622, IV/1730)
101. Sitzung
Stenographischer Bericht für die sonstigen Bediensteten auf das Personal des Kon-
trollausschusses
— Drucksache IV/1738 —
Beginn: 9.02 Uhr an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 13. Dezember 1963.
Der Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a GO die
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Sitzung Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zoll-
tarifs 1963 (Banknotenpapier)
ist eröffnet. — Drucksache IV/1715 —
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich dem Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Be-
handlung überwiesen.
Glückwünsche zu Geburtstagen aus: zum 70. Ge-
burtstag — am 7. Dezember — Herrn Kollegen Dr. Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich das
Willeke, Wort der Geschäftsordnung, und zwar zur Tages-
(Beifall) ordnung, dem Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
zum 60. Geburtstag — am 10. Dezember — Herrn
Kollegen Even (Köln),
Dr. Mommer (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-
(Beifall) men und Herren! Namens meiner Fraktion be-
zum 74. Geburtstag Herrn Kollegen Wittmer-Eigen- antrage ich, den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur
brodt, Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts —
(Beifall) Drucksache IV/1714 — auf die Tagesordnung zu
setzen.
und heute feiert seinen 76. Geburtstag Herr Kollege
Nieberg. Die Mehrheit unseres Haushaltsausschusses hat
(Beifall.) § 60 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung arg strapa-
ziert und sich eine Lücke in der Geschäftsordnung
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne über Rechte und Pflichten mitberatender Ausschüsse
Verlesung in den Stenographischen Bericht auf- zunutze gemacht,
genommen:
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 6. Dezem--
(Abg. Dr. Vogel: Das ist eine etwas scharfe
ber 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer- Formulierung!)
Nicolaus, Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven), Frau Funcke (Hagen),
Frau Dr. Kiep-Altenloh und Genossen betr. Beitritt der Bundes-
republik Deutschland zu den UN-Konventionen über die poli- um zu verhindern, daß der Beschluß eines feder
tischen Rechte der Frauen und über Nationalität der verheirate- führenden Ausschusses, des Kriegsopferausschusses,
ten Frauen — Drucksache IV/1616 — beantwortet. Sein Schreiben
ist als Drucksache IV/1736 verteilt.
(Abg. Rasner: Das ist nicht wahr!)
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten hat unter dem 3. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Dr. Frey (Bonn), von Bodelschwingh . Dr. Even uns in dieser Woche zur zweiten und dritten Bera-
(Düsseldorf) und Genossen betr. Rauchschaden an Wäldern — tung zugeleitet werden konnte. Diese Blockierung
Drucksache IV/1630 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Druck-
sache IV/1740 verteilt. hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ge-
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem zwungen, sich des Wortlauts zu bemächtigen, mit
2. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.
Zimmer, Frau Hubert und Genossen betr. Haushalt des Europa- dem der Kriegsopferausschuß die Neuregelung der
rates — Drucksache IV/1644 — beantwortet. Sein Schreiben ist
als Drucksache IV/1741 verteilt.
Kriegsopferrenten beschlossen hat. Wir legen Ihnen
diesen Beschluß, den Sie, meine Damen und Herren,
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 3. Dezem-
ber 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wahl, Bauer mit gefaßt haben, hier wortwörtlich vor, und wir
(Würzburg), Dr. Stammberger und Genossen betr. Haager Über-
einkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen an- wollen Ihnen durch die Beratung dieses Textes die
zuwendende Recht — Drucksache IV/1642 — beantwortet. Sein Gelegenheit geben, sich zu besinnen, die angeb-
Schreiben ist als Drucksache IV/1745 verteilt.
lichen Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß
des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen und noch in dieser Woche das neue Kriegsopferrecht
überwiesen: zu verabschieden.
Verordnung des Rates, in der gemeinsame Grundsätze und
ein gemeinschaftliches Verfahren für den handelspolitischen
Schutz der EWG gegenüber anomalen Praktiken von Dritt-
Der Haushaltsausschuß stand unter einem Druck
ländern festgelegt werden und unter dem Trommelfeuer der Propaganda der
- Drucksache IV/1739 — Bundesregierung.
an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 22. Januar 1964 (Beifall bei der SPD; Lachen in der Mitte;
Verordnung des Rates über die Einzelheiten der Anwendung
des Statuts der Beamten und der Beschäftigungsbedingungen Zuruf des Abg. Rasner.)
4662 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Mommer
Unter diesem Druck und unter dem Trommelfeuer eines solchen Rechenexemples zu finden. Uns wol-
der Propaganda len Sie glauben machen, daß es den Experten im
(Abg. Rasner: Sie sind ja witzig!) Haushaltsausschuß nicht möglich sei, solche Um-
schichtungen vorzunehmen!
hat er mit einem Vertagungsbeschluß, mit einem Ver-
fahrensbeschluß die Verwirklichung der Verbesse- Der wirkliche Grund dafür, daß Sie sich jetzt nicht
rung noch in diesem Jahre verhindert. in der Lage sehen, für Deckung zu sorgen, liegt na-
türlich darin, daß Sie hier sparen und ein Exempel
Meine Damen und Herren! Jeder in diesem Hause von der Unbeugsamkeit des neuen Bundeskanzlers
weiß, daß es um eines hier ganz sicher nicht geht — statuieren wollen. Das ist der wirkliche Grund Ihres
und mögen Sie es noch so oft behaupten. Es geht Verhaltens. Angesichts des Nichtwollens helfen
nicht darum, das Volumen des Haushalts 1964 aus- auch die Beweise nicht, die die Sozialdemokraten
zuweiten. Die Sozialdemokratie wiederholt hier: im Haushaltsausschuß für die Deckungsmög-
Wir akzeptieren den Plafonds von 60,3 Milliarden lichkeiten schon vorgelegt haben. Allein zwei Quel-
DM. Es geht darum, innerhalb dieser Summe Um- len — hören Sie! — würden genügen, um die
schichtungen vorzunehmen, Deckung mehr als sicherzustellen. Da ist erstens die
(Zuruf von der Mitte: Vorschläge!) Möglichkeit gegeben, von den Zuschüssen zur Ren-
um dadurch die Deckung für die Mehrausgaben zu tenversicherung der Arbeiter und Angestellten in
beschaffen. Höhe von 5,4 Milliarden DM statt der jetzt vorge-
(Beifall bei der SPD.) sehenen 500 Millionen DM in Gestalt von Schuld-
buchforderungen den Versicherungsträgern eine
Ich stelle fest: in dem Entwurf des Haushalts 1964 weitere halbe Milliarde in dieser Form zuzuteilen.
sind 648 Millionen DM für die Verbesserung der
Leistungen eingesetzt. Nach Berechnung der Bun- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist keine
desregierung würden zur vollen Verwirklichung der Deckung!)
Beschlüsse des Kriegsopferausschusses weitere Da ist zweitens die Möglichkeit, daß das dem Bund
642 Millionen DM im Jahre 1964 benötigt. für das Jahr 1964 zustehende Darlehen in Höhe von
Das ist eine wahrscheinlich zu hoch gegriffene 280 Millionen DM von der Volkswagenwerkstiftung
Zahl; sie ist auch viel höher als die Zahl, die der in den Haushaltsplan 1964 eingestellt wird. Wer
Herr Bundesfinanzminister gestern in der Öffent- Deckung finden will, der findet sie. Wer aber ver-
lichkeit genannt hat. Aber um Streit zu vermeiden, zögern und auf Kosten der Kriegsopfer am falschen
unterstellen wir diese Zahl als richtig. Dieser Betrag Ende sparen will,
soll also durch Umschichtung und nicht durch Erhö- (Abg. Rasner: Hören Sie mit den Propa
hung des Haushaltsvolumens aufgebracht werden. gandareden auf!)
(Zuruf von der Mitte: Vorschläge!) der findet schon ein Mittel, um den Stufenplan, den
— Die kommen; nur Geduld! Sie theoretisch ablehnen, in der Praxis doch durch-
zusetzen.
Auch die Mehrheit im Haushaltsausschuß hat den (Beifall bei der SPD.)
materiellen Gehalt der Beschlüsse des Fachausschus-
ses akzeptiert; sie behauptete aber, es sei erst in Meine Damen und Herren, hier ist die Gelegen-
der zweiten Januarhälfte möglich, den Haushalt des - heit, der Kriegsopferversorgung den Rang zugeben,
näheren nach Einsparungsmöglichkeiten zu unter- den Sie ihr alle in Ihren Reden feierlich zuerkennen.
suchen.
(Sehr wahr! bei der SPD.)
Ich sage da: wo kein Wille ist, da ist natürlich Hier geht es darum, die feierlichen Wahl-, Regie-
auch kein Weg.
rungs- und Fraktionsversprechungen zu erfüllen und
(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: vor dem Volke glaubwürdig zu bleiben. Hier geht
Schon wieder eine Unterstellung!) es um die Souveränität und die Würde des Bundes-
Holen wir doch einmal diese Zahl herunter in das tages als Herr über Haushalt und Gesetzgebung.
allgemein menschliche Vorstellungsvermögen; was Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
heißt das dann? Meine Damen und Herren, wenn
in einem Haushalt von 60 300 Millionen DM (Beifall bei der SPD. -Abg. Horn: Uner
642 Millionen DM durch Umdispositionen bereitge- hört! Weitere Zurufe von der Mitte.)
stellt werden sollen, dann ist das das gleiche Ver-
hältnis, wie wenn eine Hausfrau, die einen Mo- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort zur
natsetat von 603 DM hat, jetzt etwa infolge von Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Barzel.
Preissteigerungen, die Sie ihr auferlegen,
(Zurufe von der Mitte)
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
für 6,42 DM umdisponieren soll. Damen, meine Herren! Im Namen der Fraktion der
(Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe CDU/CSU lehne ich den Antrag ,der sozialdemokra-
von der Mitte. — Abg. Rasner: Das ist tischen Fraktion ab. Für die Fraktion der CDU/CSU
schlimme Propaganda!) ist die schnelle und würdige Anhebung der Kriegs-
— Das ist genau dasselbe Verhältnis! Und jeden opferrenten eine dringliche Frage,
Monat zwingen Sie unsere Hausfrauen, die Lösung (Lachen bei der SPD)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4663
Dr. Barzel
eine Frage mit Vorrang vor anderen, auch eine Fra- das will wohl überlegt sein im zuständigen Aus-
ge des 'Rechtes. Ich weiß, daß ,der Herr Bundeskanz- Schuß.
ler ebenso denkt und dieser Priorität auch im Haus- (Beifall bei der CDU/CSU.)
haltsansatz für 1964 Ausdruck gegeben hat. Meine Damen und Herren, niemand kann uns, und
(Beifall bei den Regierungsparteien.) zwar uns gemeinsam, diese Verantwortung abneh-
men. Wer an morgen denkt, muß sich heute so ver-
In einem versöhnlichen Telegramm an die Kriegs-
halten, daß wir auch morgen noch den Rentnern und
blinden hat der Bundeskanzler betont, das Parla-
allen gutes deutsches Geld geben können. .
ment .habe noch nicht entschieden, und er hat das
gute Wort gesagt, wir müßten den Weg zueinander (Beifall bei der CDU/CSU.)
finden. Wir lehnen den Antrag auch ab, weil er der bis-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) herigen Übung unseres Bundestages widerspricht.
Zum erstenmal wird eine Ausschußvorlage als An-
Das gilt nicht nur nach draußen, das gilt auch hier trag einer Fraktion eingebracht, und das, obwohl die
im Hause. Wir sollten uns 'bemühen, wieder eine Ausschüsse, denen die Vorlage überwiesen war und
einvernehmliche Lösung zu erreichen. denen wir doch auch Ihren Antrag jetzt, wenn wir
(Beifall bei der CDU/CSU.) ihn annähmen, erst noch überweisen müßten — er
müßte ja an derselben Stelle landen —, ihre Bera-
Wir suchen noch danach — und das hat im Haus- tungen noch nicht haben abschließen können.
haltsausschuß bereits begonnen —, was innerhalb
der 60,3 Milliarden DM, zu denen Sie sich soeben Wir stellen auch fest — das hat Herr Kollege
auch bekannt haben, für 1964 möglich ist. Wir Mommer auch getan —, daß der Entwurf der sozial-
suchen noch nach Deckung für eine würdige Erhö- demokratischen Fraktion sehr deutlich die Hand-
schrift unserer Kollegin Frau Dr. Probst im Aus-
hung der Kriegsopferrenten zum frühest möglichen
schuß trägt.
Termin.
(Lachen bei der SPD.)
(Zurufe von der SPD.)
Meine Damen und Herren! Wir sagen nein zu
Der Haushaltsausschuß wird und soll im Januar Ihrem Antrag, weil er nicht hilft, dringliche Gemein-
hier Klarheit schaffen. Noch aber wissen wir weder, schaftsaufgaben gemeinsam zu lösen, sondern un-
wieviel Geld der Bund für das Jahr 1963 durch den nötig neue Fronten schafft.
Länderbeitrag zur Verfügung haben wird,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Zurufe von der SPD: Aha! — Lachen bei
Wir sagen nein, weil wir in ruhiger Überlegung im
der SPD) Januar das mögliche Beste finden wollen.
noch, wieviel für 1964, noch haben wir den Haus- (Abg. Wehner: Und von dem 1. 10. 1963
haltsplan 1964 hier vorliegen. Der Vermittlungsaus- herunterkommen wollen!)
schuß, einberufen durch den Kollegen Zinn, tagt erst
am 18. Dezember. Die sachlichen Voraussetzungen Wir sind in der glücklichen Lage, unsere positive
für eine Entscheidung heute sind nicht gegeben. Einstellung zur Kriegsgeneration und zum Soldaten
tum nicht erst noch unter Beweis stellen zu müssen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Lebhafter Beilfall bei der CDU/CSU.)
Wenn wir zugleich ja sagen zum Vorrang der -
Kriegsopferversorgung wie auch ja zur finanziellen Wir haben das in Wort und Tat seit 1945 getan. Und
Stabilität, wenn wir also unseren Blick auf das Mög- wir werden es weiter tun!
liche richten, so tun wir das, weil wir wissen, daß (Beifall bei der CDU/CSU.)
die Bereitstellung der fast 50 Milliarden DM, die wir
bisher für die Kriegsopferversorgung haben aus- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort zur
geben dürfen, nur möglich War wegen unserer Poli- Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Zogl-
tik der sozialen Marktwirtschaft und der finanziellen mann.
Stabilität.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Zoglmann (FDP) : Herr Präsident! Meine verehr-
Beifall bei der FDP.) ten Damen und Herren! Wenn ich ein Wort des
Nur wenn wir das erhalten, werden wir auch künf- Kollegen Barzel aufgreifen darf, dann möchte ich
tig, wie bisher, die Sozialleistungen nicht nur an- sagen: Sie werden doch hoffentlich von uns nicht
erwarten, daß wir unser Eintreten für die Kriegs-
heben, sondern real verbessern können. Gerade dem
kleinen Mann dient die stabile Mark. generation in diesem Haus unter Beweis stellen sol-
len. Wir haben das immer getan, und das, was ich
(Zuruf von der SPD: Sie sind ja doch hier auszuführen habe, wird sich im Rahmen dessen
keiner!) bewegen.
Wir werden, meine Damen, meine Herren, das alles Die Bundestagsfraktion der Freien Demokra-
nur erhalten, wenn wir in sachlicher Atmosphäre tischen Partei bekräftigt deshalb ihre Auffassung
klären, wo Kürzungen innerhalb des Haushalts mög- von der Vordringlichkeit der Kriegsfolgengesetz-
lich sind. Auch bei dieser Frage haben wir an alle, gebung, insbesondere der Kriegsopfergesetzgebung.
haben wir an das Ganze zu denken. Zusätzliche Mit- Die vor uns liegenden sozialpolitischen, gesell-
tel hier erfordern Kürzung an anderer Stelle, und schaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Auf-
4664 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Zoglmann
gaben sind untrennbar miteinander verbunden. Sie möglich machen, das Inkrafttreten der Novelle zur
können nur dann bewältigt werden, wenn alle Be- Kriegsopferversorgung
teiligten ihren Zusammenhang erkennen. Das setzt
(Zuruf von der SPD: Erst einmal tun!)
eine gemeinsame Arbeit von Regierung und Par-
lament in sachlicher und nüchterner Atmosphäre mit dem Beginn des neuen Haushaltsjahres
voraus. (Ah-Rufe von der SPD)
Die Freien Demokraten bedauern deshalb, daß die am 1. Januar wirksam werden zu lassen.
Rechtsansprüche der Kriegsopfer zum Gegenstand
(Abg. Wehner: Also erst weg vom 1. 10.!
von Auseinandersetzungen und wahltaktischen Er-
—Weitere Zurufe von der SPD. — Gegen
wägungen geworden sind.
rufe von der Mitte.)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Pfui-Rufe bei
der SPD.) — Herr Kollege Wehner, hier ist von der CDU klar
gesagt worden, sie wünscht, daß die Kriegsopfer
Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, novelle so bald wie möglich in Kraft tritt.
heute in erster Lesung eine Gesetzesinitiative zur (Abg. Leber: Also sind Sie wieder umge
Kriegsopferversorgung im Bundestag zu beraten, ist fallen! — Gegenrufe von der CDU/CSU.)
geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen.
— Herr Leber, wenn jemand in dieser Frage nicht
((Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von umgefallen ist, dann ist es die FDP.
der SPD.)
(Beifall rechts. — Lachen bei der SPD.)
Auch dieser Entwurf der Fraktion der Sozialdemo-
kratischen Partei muß nach § 96 der Geschäftsord- Aber wir wollen dieses Wort aus der Betrachtung
nung des Deutschen Bundestages ebenso wie der herauslassen.
bereits verabschiedete Antrag im Kriegsopferaus- (Abg. Erler: Haben Sie den 1. Oktober
schuß beraten versprochen oder nicht?)
(erneute Zurufe von der SPD) — Die CDU wünscht — sie hat es hier erklärt, und
wir wollen uns an das halten, was hier erklärt wor-
und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden.
den ist — das Inkrafttreten so bald wie möglich.
Erst dann kann er vom Bundestag und vom Bundes-
rat verabschiedet werden. Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion ist
selbstverständlich für das Inkrafttreten am 1. Okto-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Anhal
ber,
tende Zurufe von der SPD.)
(Lachen bei der SPD)
Die Antragsteller können sich nicht darüber im aber sie setzt den 1. Januar nehmen Sie das als
—
Unklaren sein, lieber Kollege Mommer, daß das in ein Wort, meine sehr verehrten Kollegen von der
den noch verbleibenden Wochen in diesem Jahr SPD! — als den spätestmöglichen Termin der Ver-
nicht mehr möglich ist. abschiedung dieser Novelle. Nehmen Sie das bitte
(Abg. Wehner: Sie wollen alle vom 1. 10. zur Kenntnis!
1963 runter! Sagen Sie das doch offen!) (Beifall bei der FDP und in der Mitte. —
-
— Ich komme sofort darauf zurück, Herr Kollege Zurufe von der SPD.)
Wehner. Eine weitere Verzögerung wird die FDP auf keinen
(Abg. Wehner: Dafür würde ich Ihnen Fall mitmachen.
dankbar sein!) (Lachen bei der SPD.)
Deshalb bittet die Fraktion der Freien Demokra- — Wir werden das ja alles mit Ihnen dann im Ja-
tischen Partei das Hohe Haus um eine nüchterne nuar erleben. Jedenfalls muß dieser heutige Antrag,
Betrachtung der gegebenen Möglichkeiten. der nach unserem Dafürhalten eindeutig aus Über-
Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung legungen gestellt ist, die hier im Hause nicht akzep-
zur Stabilerhaltung unserer Währung. Diese Politik tiert werden können, von uns abgelehnt werden.
dient allen Schichten unseres Volkes. Die FDP (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU. —
wird deshalb dafür sorgen, daß sich das Haushalts- Zurufe von der SPD.)
volumen mit 60,3 Milliarden DM im Rahmen des
Zuwachses des Sozialprodukts hält. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge-
Zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung ordneter Zoglmann, Sie haben gesagt: „der Verab-
wird die FDP im Haushaltsausschuß durch Einspa- schiedung dieser Novelle", — dann müßte das Haus
rungen an anderer Stelle im Haushalt 1964 die not- sich heute damit befassen.
wendigen zusätzlichen Mittel nachweisen und ent- (Beifall und Lachen bei der SPD.)
sprechende Vorschläge ihrerseits unterbreiten.
Sie meinen: „des Inkrafttretens". Das nur zur Klar-
(Abg. Dr. Schäfer: Warum nicht schon stellung vor der Abstimmung.
heute?) Meine Damen und Herren, wir stimmen ab über
Diese Vorschläge werden es nach Überzeugung der den Antrag der Fraktion der SPD, den Gesetzent-
Freien Demokraten allen Fraktionen dieses Hauses wurf Drucksache IV/1714, die Ihnen vorliegt, heute
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4665
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
auf die Tagesordnung zu setzen. Wer diesem Antrag Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- Herr Präsident, ich darf wohl die Fragen des Herrn
chen. — Gegenprobe! — Abgeordneten Seibert, die den gleichen Fragenkom-
plex betreffen, zusammen beantworten, wenn Herr
(Ah-Rufe von der SPD.) Kollege Seibert damit einverstanden ist.
Enthaltung? — Der Antrag ist abgelehnt.
(Abg. Dr. Schäfer: Nicht einer steht zu Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bitte sehr. Ich
seinem Wort!) — Unruhe.) rufe dann noch auf die Fragen I/2 und I/3 — des
Herrn Abgeordneten Seibert —:
Zu der in der Fragestunde der 98. Sitzung des Ist aus der erst neuerdings feststellbaren Ablehnung der
tarifarischen Vorschläge der Kommission der Europäischen Wirt-
Deutschen Bundestages am 4. Dezember 1963 ge- schaftsgemeinschaft für eine gemeinsame Verkehrspolitik durch
stellten Frage des Abgeordneten Ertl Nr. I ist inzwi- die Bundesregierung zu folgern, daß die Bundesregierung andere
konkrete Vorschläge für die künftige Tarifpolitik zu unterbreiten
schen die schriftliche Antwort des Herrn Staatssekre- gedenkt?
tärs Dr. Schäfer vom 6. Dezember 1963 eingegangen. Wäre nicht mit erheblichen weiteren Schwierigkeiten bei einer
Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im nationalen und
Sie lautet: internationalen Rahmen zu rechnen, wenn für die verschiedenen
Nach Auffassung der Bundesregierung sollte aus Sicherheits- Verkehrsträger mit der Einführung von Margentarifen einerseits
gründen im Regelfall vermieden werden, daß mehrere Persön- und der Zustimmung zu einer freien Preisbildung für die Rhein-
lichkeiten in politischen Spitzenstellungen dasselbe Flugzeug schiffahrt andererseits derart unterschiedliche Möglichkeiten für
benutzen. die Festsetzung von Tarifen geschaffen würden?
Bei der Reise des Herrn Bundespräsidenten und der ihn be- Bitte, Herr Minister.
gleitenden Delegation zu den Trauerfeierlichkeiten in Washington
mußte von diesem Grundsatz abgewichen werden, weil diese
Reise unter Zeitdruck stand und nur eine Maschine bereitge-
stellt werden konnte, die zusätzlich zu den Sicherheitsmaß-
nahmen der Fluggesellschaft einer besonderen kriminalpolizei- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
lichen Sicherheitskontrolle unterzogen worden war. Zu den fünf Vorschlägen der EWG-Kommission vom
Die Bundesregierung wird darum besorgt sein, den eingangs 20. Mai 1963 zur Verwirklichung der künftigen ge-
genannten Sicherheitsvorstellungen in dem höchst erreichbaren
und vertretbaren Maße Rechnung zu tragen. meinsamen Verkehrspolitik der Gemeinschaft liegt
bisher weder eine abschließende Stellungnahme der
Zu den in der Fragestunde der 99. Sitzung des Bundesregierung noch eine Entscheidung der Euro-
Deutschen Bundestages am 5. Dezember 1963 ge- päischen Wirtschaftsgemeinschaft vor. Ich habe aber
stellten Fragen des Abgeordneten Dr. Wuermeling als Bundesminister für Verkehr wiederholt die Vor-
Nrn. XII/4, XII/5 und XII/6 ist inzwischen die schrift- schläge der Kommission als grundsätzlich annehm-
liche Antwort des Herrn Bundesministers Blank vom bar bezeichnet, natürlich dazu auch noch Einwände
6. Dezember 1963 eingegangen. Sie lautet: vorgetragen, die sich vor allem auf die meines Er-
Frage 1: messens notwendige rechtzeitige Angleichung der
Es trifft zu, daß im Dezember Weihnachtsgeld an Bundes- Wettbewerbsbedingungen beziehen. Insbesondere
beamte gezahlt wird. Zu welchem Zeitpunkt Leistungsverbesse-
rungen auf den Gebieten des Kindergeldes und der Kriegsopfer- habe ich wiederholt öffentlich darauf hingewiesen,
versorgung in Kraft treten werden, hängt von der Entscheidung
des Parlaments ab.
daß die Einführung von Margentarifen im grenz-
überschreitenden Verkehr zwingend auch die Ein-
Frage 2:
Die Bundesregierung hält an den Grundsätzen der Regierungs-
führung von Margentarifen für die drei Verkehrs-
erklärung vom 18. 10. 1963 fest. Sie hofft, daß der Bundestag träger im Binnenverkehr nach sich ziehen wird und
ihr ermöglichen wird, diese Grundsätze zu verwirklichen.
daß die Rheinschiffahrt im Gemeinsamen Markt
Frage 3: - keine isolierte Tarifinsel bilden kann. Solange über
Die Bundesregierung hat im Haushaltsplan 1964 Mittel für die
Verbesserung der Kindergeldleistungen eingesetzt. Sie ist dabei die Vorschläge der Kommission auf Grund der Vor-
davon ausgegangen, daß das dem Bundestag vorliegende Bun- schriften der Artikels 75 des Römischen Vertrages
deskindergeldgesetz am 1. 4. 1964 in Kraft tritt.
und gemäß den Verfahrensvorschriften dieses Ver-
Wir kommen zur Tagesordnung. Ich rufe auf die trages verhandelt wird und sich die Bundesregie-
rung dazu noch nicht verbindlich erklärt hat, ver-
Fragestunde (Drucksachen IV/1737, IV/1744) bietet sich selbstverständlich jede ablehnende Stel-
(Große Unruhe.) lungnahme einzelner der Regierung angehöriger
Vertreter.
— Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu neh Nach der Veröffentlichung der Vorschläge hat
men. — Wir setzen die Sitzung fort, aber ich unter nicht nur innerhalb der interessierten Kreise, son-
breche unverzüglich, wenn Sie nicht Platz nehmen. dern auch in der breiten Öffentlichkeit eine leb-
(Zustimmung.) hafte Diskussion über deren Inhalt und die Möglich-
Ich bitte die Türen zu schließen. Herr Abgeordne- keiten einer Verwirklichung eingesetzt. Es sind uns
ter Struve, nehmen Sie bitte Platz. eine Reihe von Stellungnahmen zustimmender, ab-
lehnender und einschränkender Art bekannt gewor-
Ich rufe in der Fragestunde die Fragen aus dem den. Die Zentralkommission in Straßburg, die auf
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr dem Wege eines vereinbarten Dokumentenaus-
auf, zunächst die Frage I/1 — des Herrn Abgeord- tauschs die Vorschläge der Kommission unmittelbar
neten Seibert —: erhielt, hat nach Abtrennung der Rechtsfragen, die
Hat der deutsche Regierungsvertreter anläßlich der III. Wirt- der Beratung durch die Kommission vorbehalten
schaftskonferenz der Rhein-Zentralkommission der ablehnenden
Haltung dieser Konferenz gegenüber der Einführung von Mar-
wurden, ihr im Jahre 1951 konstituiertes Beratungs-
gentarifen für die Rheinschiffahrt mit ausdrücklicher Billigung gremium, die sogenannte Wirtschaftskonferenz der
der Bundesregierung zugestimmt?
Rheinschiffahrt, um eine Äußerung zu den Auswir-
Bitte, Herr Bundesverkehrsminister! kungen ersucht, die die Durchführung der Vor-
4666 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
schläge der Kommission in Brüssel auf die Rhein- nahmen an den Binnen- und Seewasserstraßen von
schiffahrt haben können. der Bundesregierung leider nicht vorgesehen wer-
In einer ersten Sitzung am 5. und 6. November den.
1963 sind durch das Rheinschiffahrtsgewerbe einige
negative Feststellungen zu verschiedenen Punkten Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
der fünf Vorschläge, soweit diese die Rheinschiff- frage.
fahrt betreffen, unter besonderer Berücksichtigung
des Vorschlages zur Einführung der Margentarife Cramer (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
und zur Verwirklichung der Harmonisierung der daß die niedersächsischen und die bremischen Unter-
Wettbewerbsbedingungen getroffen worden. Diese weserhäfen Augenblick keinen Anschluß an das
Bedenken erklären sich aus der Problematik, die westdeutsche Kanalnetz für auf 1000 t abgeladene
sich aus dem inneren Wettbewerb in der Binnen- Binnenschiffe haben, und zwar bei der jetzt ange-
schiffahrt ergibt. Sie gründen sich auch darauf, daß spannten Konkurrenzlage im Gegensatz zu den
für den bisher durch Tariffestsetzungen nicht regle- übrigen westlichen Seehäfen?
mentierten internationalen Rheinverkehr besonde-
rer Wert auf eine materielle Gleichbehandlung der Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Verkehrsträger im Rahmen der gemeinsamen Ver- Herr Kollege Cramer, Sie wissen wahrscheinlich ge-
kehrspolitik gelegt werden muß. Die als Beobachter nauso gut wie ich, daß wir hi den letzten Jahren
in der Wirtschaftskonferenz anwesenden Regie- die sogenannte Weststrecke des Küstenkanals durch
rungsvertreter aller Rheinuferstaaten und Belgiens Anlage von Weichen für einen einbahnigen Ver-
haben diese wirtschaftlichen Feststellungen in kehr für mit 1000 t abgeladene Schiffe mit 2,20 m
Kenntnis der Zusammenhänge für richtig gehalten, Tiefgang ausgebaut haben, so daß diese Schiffe —
dabei aber aus den eingangs erwähnten Gründen wenn auch mit der üblichen Behinderung des ein-
einer Ablehnung der EWG-Vorschläge durch diese bahnigen Verkehrs — von den Unterweserhäfen
Wirtschaftskonferenz widersprochen. nach dem Dortmund-Ems-Kanal verkehren können.
Auch die Zentralkommission selbst hat sich in
einer darauf folgenden Sitzung am 20./21. Novem- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zu einer
ber noch nicht in der Lage gesehen, sich zu diesen zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Cramer.
Feststellungen der Wirtschaftskonferenz verbind-
lich zu äußern, solange diese nicht von konstruk- Cramer (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
tiven Beiträgen des internationalen Rheinschiffahrts daß auf der ganzen Strecke des Küstenkanals die
gewrbsfüditnVehalugbit 1000-t-Schiffe nicht verkehren können, sondern daß
sind. zwischen Kampe und Dörpen eine Strecke ist, die
Auf die von Ihnen hervorgehobene notwendige noch tiefer ausgebaggert werden muß?
Angleichung der Wettbewerbsbedingungen haben
die Vertreter der Rheinschiffahrt gleichfalls auf- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
merksam gemacht. Auch über diese Frage wird Mir ist nur bekannt, daß wir den Kanal auf seiner
innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemein- ganzen Strecke für die Befahrung mit 1000-t-Schiffen
schaft bekanntlich weiter verhandelt. -
bei 2,20 m — nicht bei 2,50 m — Abladetiefe frei-
gegeben haben.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die
Frage I/4 — des Herrn Abgeordneten Cramer —
auf : Cramer (SPD) : Also nur teilweise.
Treffen Zeitungsmeldungen zu, wonach die Mittel zum Ausbau
des Küstenkanals auf der Strecke Kampe—Dörpen auf 3,50 m
Tiefe auch für 1964 gestrichen sind?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Kollege, der Ausbau des Küstenkanals ist in Wächter (FDP) : Herr Minister, aus Ihren Aus-
dem zweiten Vierjahresprogramm über Investitio- führungen ist also festzustellen, daß mit dem Aus-
nen der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung mit ins- bau des Küstenkanals in der Reststrecke erst im
gesamt 52 Millionen DM enthalten, von denen Jahre 1965 zu rechnen ist. Auf der anderen Seite ist
23 Millionen DM auf den Ausbau der Weststrecke aber vorgesehen, daß der Mittelandkanal zwischen
entfallen. Im Programm war für 1964 ein Teilbetrag Minden und Bergeshövede zu derselben Zeit aus-
von 6,8 Millionen DM vorgesehen. gebaut werden soll. Muß an sich nicht der Küsten-
Es trifft zu, daß die zum Entwurf des Bundeshaus- kanal als Ausweichmöglichkeit für den behinderten
haltsplans 1964 angemeldeten Mittel zum Ausbau Verkehr auf dem Mittellandkanal vorgesehen wer-
der westlichen Strecke des Küstenkanals zwischen den? Würde also .der Ausbau beider Strecken nicht
Sedelsberg und Dörpen gestrichen werden mußten zu einer erheblichen Verkehrsbehinderung führen?
und daher in ihm nicht enthalten sind. Die Begrün-
dung ist in der angespannten Haushaltslage zu Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
suchen. Trotz Anerkennung der Dringlichkeit der Die letzte Frage kann ich verneinen. Außerdem wird
geplanten Maßnahmen konnten die angeforderten der Mittellandkanal leider nicht ausgebaut, wie ich
Mittel für diese wie für zahlreiche andere Baumaß- das wünschen möchte, sondern nur repariert.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4667
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die überhaupt für geeignet für Flugzeuge des Typs, der
Frage I/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing von Herrn Abgeordneten Kliesing genannt worden
(Honnef) — auf: ist?
Ist die Bundesregierung daran interessiert, daß die zivile
deutsche Luftfahrt an der ersten Serie von voraussichtlich 38
Stück des in englisch-französischer Produktionsgemeinschaft zu
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
bauenden Superschallflugzeuges Concorde partizipiert, das etwa Ich habe schon einmal ausgeführt, Herr Kollege, daß
um das Jahr 1970 im zivilen Flugverkehr eingesetzt werden soll wir für den Überschallflugverkehr in erster Linie an
und von dem die ausländische Presse meldet, daß englische,
französische und amerikanische Luftverkehrsunternehmen sich den Ausbau des Flughafens Kaldenkirchen nördlich
bereits die überwiegende Mehrzahl gesichert haben?
von Hamburg denken. Weiterhin sollen voraussicht-
lich zwei Flugplätze in Westdeutschland und ein
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Flugplatz in Süddeutschland dafür vorgesehen wer-
Herr Kollege, das Ü berschallflugzeug „Concorde", den. Von den vorhandenen Flugplätzen sind die
ein französisch-englisches Gemeinschaftsprojekt, ist Flugplätze Frankfurt und Köln-Bonn geeignet..
in der Langstrecken-Version bei 2,2facher Schall-
geschwindigkeit, also Mach 2,2, auf die größte Reich-
weite von 6000 km ausgelegt. Diese Reichweite ge- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
stattet keinen Direktflug von der Bundesrepublik satzfrage.
nach New York. Denn die kürzeste Entfernung —
Großkreis-Entfernung — Frankfurt–New York be- Börner (SPD) : Im Hinblick auf die Lärmbelästi-
trägt 6200 km. Wie bei dem Übergang zu den reinen gung, die bei Überschallmaschinen zu erwarten ist,
Düsenflugzeugen, wo die Entwicklung ähnlich ver- möchte ich Sie fragen, ob es überhaupt wünschens-
lief, sollten wir abwarten, bis Flugzeugmuster mit wert ist, diese Flugplätze für diesen Verkehr freizu-
genügender Reichweite auf den Markt kommen. geben bzw. ihren Ausbau vorzusehen.
Darüber hinaus stehen noch erhebliche wirtschaft-
liche und technische Fragen zur Lösung an — zum Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Beispiel das Lärmproblem —, die es geraten er- Herr Kollege, Köln-Bonn und Frankfurt brauchen,
scheinen lassen, vorerst von einer Beschaffung die- wie gesagt, nicht ausgebaut zu werden. Der Flug-
ses Flugzeugmusters Abstand zu nehmen und die hafen in Kaldenkirchen ist so gelegen, daß eine
weitere Entwicklung der zivilen Überschallflugzeug Lärmbelästigung praktisch nicht eintritt, weil An-
muster abzuwarten. Die Bundesrepublik ist daher und Abflugschneisen über dem Wasser liegen.
nicht daran interessiert, daß die Deutsche Lufthansa
aus der ersten Fertigungsserie Überschallflugzeuge Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die
erhält. nächste Frage auf, Frage I/6 — des Herrn Abgeord-
neten Dr. Kliesing —:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Wann kann mit dem Beginn des Baues der Bonner Nord- bzw.
Südbrücke gerechnet werden?
frage.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Glauben Sie, Herr Kollege, mit dem Bau der Bonner Nordbrücke
Herr Minister, daß die Deutsche Lufthansa unter die- wird im Spätsommer 1964 begonnen.
sen Umständen in den 70er Jahren noch mit den
englischen und französischen Unternehmen konkur-- Die Planung der Bonner Südbrücke steht mit der
renzfähig sein wird? Neuordnung der Verkehrsanlagen in Bonn in engem
Zusammenhang. Die Entscheidung über die Ände-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: rung der Bahnanlagen und über die damit verbun-
Das glaube ich sehr wohl. Denn wir können sicher dene sogenannte Stadtautobahn ist noch nicht ge-
erwarten, daß bis dahin Muster auf dem Markt sein troffen. Damit hängen auch die weiteren Planungen
werden, die unseren Anforderungen genügen. im Raum von Bad Godesberg zusammen. Ferner
ist die Lage der Südbrücke abzustimmen mit der
Planung der Verbindungsstraße von den Bundes-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- staßen 56 und 257 südwestlich Bonns zu der geplan-
satzfrage. ten Auffahrt auf die Köln—Frankfurter Autobahn
bei Stieldorf. Nach dem derzeitigen Sachstand die-
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Haben Sie ser Planungen wird der Baubeginn für die Bonner
Anhaltspunkte dafür, daß gleichzeitig mit der „Con-
Südbrücke daher kaum vor 1967 erwartet werden
corde" oder wenig später andere Muster, von denen
können. Es war von Anfang an vorgesehen, die bei-
Sie eben sprachen, auf dem Markt sein werden?
den Brücken nacheinander zu bauen.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Ja, wir haben Anhaltspunkte dafür. Aber selbstver- frage.
ständlich kann ich Ihnen keine Gewißheit geben.
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Herr Mini-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- ster, könnten Sie mir sagen, welche Argumente da-
frage Herr Abgeordneter Börner. für entscheidend waren, der Bonner Nordbrücke die
Priorität zu geben, während man doch auf Grund
Börner (SPD): Herr Minister, halten Sie die jetzi- der allgemeinen Verkehrslage hätte annehmen dür-
gen großen deutschen internationalen Flughäfen fen, daß zuerst die Südbrücke gebaut werden würde?
4668 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: wie z. B. durch die Deutsche Alpenstraße, Rossfeld
Herr Kollege, die Bonner Nordbrücke liegt im Zuge straße, Klobensteinstraße, Autostraße München-
von Fernverkehrsstraßen und ist daher eine ty- Spatzenhausen—Kempten—Lindau, Ulm - Kempten
pische Aufgabe des Bundes. Die Bonner Südbrücke und die Verbindung Augsburg—Füssen.
dagegen dient in erster Linie der Verbindung der Die von Ihnen erwähnten Belästigungen durch
beiden Rheinufer und hat daher in erster Linie re- Lärm 'und Luftverseuchung sind natürlich nicht von
gionalen Charakter. Nur durch den von mir genann-
der Hand zu weisen, vor allem innerhalb der Kur-
ten Straßenzug von der B 257 zu einer neuen Auto-
orte. Sie sind aber auch als die Kehrseite der er-
bahnauffahrt bei Stieldorf wird sie überhaupt in
freulichen Entwicklung unserer Gesamtwirtschaft zu
das Fernstraßennetz eingeordnet und kann infolge-
werten. Eine Einschränkung des 'individuellen moto-
dessen vom Bund erstellt werden.
risierten Verkehrs halte ich besonders für den Frem-
denverkehr nicht für realistisch. Das kann meines
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Letzte Zu- Erachtens nur örtlich für bestimmte Gebiete in Be-
satzfrage. tracht kommen, um sogenannte Oasen der Ruhe zu
schaffen, z. B. in den Fremdenverkehrsorten selbst,
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Darf ich Ihren für Naturschutzgebiete, an den Seeufern, in be-
Worten also entnehmen, daß die Bonner Nord- stimmten Gebirgstälern usw.
brücke etwa um das Jahr 1966/67, die Bonner Süd-
brücke dagegen nicht vor 1970 fertiggestellt sein Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
wird?
frage, Herr Abgeordneter Ertl.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Ertl (FDP) : Herr Minister, wird — Ihrer These
Sie können, Herr Kollege, damit rechnen, daß die
folgend — demnach in Zukunft bei Fremdenver-
Brücken, wenn alle Voraussetzungen geschaffen
kehrsorten vorrangig die Umgehungsstraße geplant
sind, zwei bis drei Jahre Bauzeit erfordern. Wenn
und gebaut?
es also gelingt, die Bonner Nordbrücke 1964 in Gang
zu bringen, hoffen wir, sie bis 1966 auch fertig-
zustellen, wenn keine besondere Schwierigkeiten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
beim Bau eintreten. Dann könnte 1967 mit der Süd- Soweit es sich um Bundesstraßen handelt, tun wir
brücke begonnen werden, und diese könnte bis das, Herr Kollege. Soweit es sich um die Landes-
etwa 1969 fertiggestellt sein. planung handelt, kann ich Ihnen dazu leider keine
Auskunft geben.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die nächste
Frage ist die Frage I/7 — Abgeordneter Dr. Ertl (FDP) : Würden Sie das in dem betreffenden
Gleissner —: Raum noch einmal überprüfen lassen? Denn es lie-
Sieht die Bundesregierung die Gefahren, die dem Raum süd-
gen für zahlreiche Fremdenverkehrsorte — ich
lich von München als wichtigem Teil des bayerischen Oberlandes denke an Schliersee, an Tegernsee, Bad Wiessee —
in seiner Eigenschaft als Erholungs- und Fremdenverkehrsgebiet
und der ansässigen Bevölkerung durch den in erschreckendem konkrete Anträge vor.
Umfang zunehmenden Straßenverkehr drohen. insbesondere
durch die damit verbundene Lärmentwicklung, Luftverseuchung
und Unfallhäufigkeit? - Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Bitte, Herr Minister! Jawohl. Wir sind aber, wie Sie wissen, Herr Kol-
lege, mit der Planung nicht nur für diese Orte, son-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: dern auch für Bad Tölz beschäftigt und bemüht,
Herr Kollege, das Verkehrsaufkommen ergibt sich Lösungen zu finden. Sie wissen jedoch selbst, welch
im großen ganzen aus der Wirtschafts- und Sied- große Schwierigkeiten es bereitet, in diesen dicht-
lungsstruktur des betreffenden Gebietes. Es handelt besiedelten Gebieten Umgehungsstraßen durchzu-
sich daher primär um eine Frage 'der Landesplanung. führen, und ich verweise darauf, daß überall, wo
Diese ist im wesentlichen eine Aufgabe der Länder ich versuche, eine Linie zu finden, ich bis in höch-
selbst. Die Planung der Bundesstraßen des Fernver- sten Stellen Einsprüche hinnehmen muß.
kehrs geschieht daher im engen Benehmen mit den
Landesplanungsbehörden. Die Planung des örtlichen Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe
und regionalen Straßenverkehrs ist allein Sache der Frage I/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner
Länder. auf:
Ist auch der Herr Bundesverkehrsminister der Auffassung, daß
Ich glaube nicht, ,daß durch den Straßenverkehr — die Überbelastung der Straßen und die damit verbundenen
auch bei weiter ansteigender Entwicklung — der Gefahren durch eine bessere Ausgestaltung der öffentlichen Ver-
kehrsmittel, insbesondere der Bundesbahn, in technischer, fahr-
Raum südlich Münchens als Erholungs- und Frem- planmäßiger und tariflicher Hinsicht kompensiert oder zumindest
gemildert werden können?
denverkehrsgebiet beeinträchtigt wird. Heute be-
darf zudem jedes Wirtschaftsgebiet und vorzüglich Bitte, Herr Minister!
jedes Fremdenverkehrsgebiet einer ausreichenden
Verkehrserschließung. So ist es auch zu verstehen, Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
daß immer wieder gefordert wird, die Fremdenver- Ich teile durchaus Ihre Ansicht, Herr Kollege, daß
kehrsgebiete und vor allem auch den gesamten durch Verbesserungen im Betrieb der öffentlichen
Alpenrand von Berchtesgaden bis zum Bodensee Verkehrsmittel die heute mancherorts zu beobachten-
durch leistungsfähige Straßen weiter zu erschließen de Überbelastung der Straßen durch Personenfahr-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4669
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
zeuge wesentlich abgemildert werden könnte. Park- gentypen und durch eine allgemeine Beschleunigung
und Halteverbote in Verdichtungszonen können die- der Züge sehr gefördert worden. Im Ruhrgebiet lau-
sen Prozeß fördern. Ich denke z. B. an Kassel. Aller- fen Pläne für die Einführung eines Städteverkehrs
dings kann die Bundesregierung in dieser Beziehung mit starrem Fahrplan, in München für die Herein-
keinen Zwang ausüben, weil die Verkehrsregelung nahme des Vorortsverkehrs bis in die Stadtmitte
den Ländern obliegt, weil für die Verkehrsnutzung durch den geplanten Tunnel zwischen Haupt- und
die Wahl des Verkehrsmittels grundsätzlich frei ist Ostbahnhof. Ein freilich nur begrenzt wirksames
und weil die Tarifbildung Sache der konkurrieren- Mittel zur Entlastung der Fernstraßen ist der soge-
den Verkehrsträger ist. nannte Autoreisedienst. Die Beliebtheit dieser Ein-
richtung ist in steter Zunahme begriffen.
Dem Ziele der Straßenentlastung im Güterver-
kehr dienen z. B. alle Formen des kombinierten Im Reiseverkehr, vor allem im Bereich der Groß-
Verkehrs, bei dem die Güter für cien größten Teil städte, wirken sich die auf Veranlassung der Bun-
ihres Laufes auf der Schiene befördert werden, wäh- desregierung besonders entgegenkommend gestal-
rend die An- und Abfuhr auf der Straße erfolgt. teten Zeitkartenpreise verkehrswerbend aus. Wenn
Dazu ist neben dem Behälterverkehr vor allem der auch heute ungeachtet der wesentlich höheren
sogenannte Huckepackverkehr zu zählen. Hierzu Kosten viele Berufstätige den eigenen Pkw be-
gehören bei den Eisenbahnen auch der Einsatz von nutzen, so wird doch, auf die Dauer gesehen, neben
arbeitsökonomischen Güterwagentypen wie Selbst- den günstigen Preisen der Verkehrsnotstand, be-
entladewagen, Muldenkipper, Schiebedach- und sonders auch die Parkraumnot, dahin wirken, daß
Schiebewandwagen sowie die Schaffung geeigneter sich die Berufstätigen vermehrt wieder der Schiene
Umschlagseinrichtungen auf den Bahnhöfen. Alle zuwenden. Die Bundesbahn ist auch tariflich sehr
diese Maßnahmen werden deshalb durch Bereitstel- um den Nahverkehr bemüht. Sie beabsichtigt, durch
lung von Forschungsmitteln gefördert. besondere Ermäßigungen auf die stärkere Benut-
zung ihrer außerhalb des Berufsverkehrs meist
Im Güterverkehr bietet schon jetzt die stark ge- schwach besetzten Personenzüge hinzuwirken. Ab-
stiegene Zahl der TEEM-Züge und der innerdeut- schließend möchte ich Sie noch auf die Arbeit der
schen Schnellgüterzüge, deren Reisegeschwindigkeit Enquete-Kommission über die Verkehrslage in den
von Jahr zu Jahr erhöht wird und deren Fahrplan Gemeinden hinweisen, die 1964 abgeschlossen sein
erweitert wurde, der verladenden Wirtschaft reich- soll und über die ich dem Hohen Hause berichten
lich Gelegenheit, zur Entlastung der Straßen beizu- werde.
tragen. In gleicher Weise wirken Maßnahmen zur
Beschleunigung und Verbesserung des Rangier-
dienstes, die schnell fortschreitende Elektrifizierung Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
und die Verdieselung des Zugantriebs und des Be- frage, Herr Abgeordneter Schwabe.
triebes auf den Rangierbahnhöfen.
Der Entlastung der Straßen und vor allem der Schwabe (SPD) : Herr Minister, werden Si bei
Ortsdurchfahrten vom Lkw-Verkehr dienen ferner Ihren zugesagten Bemühungen wegen der
tarifliche Maßnahmen. In erster Linie ist hier die Schwierigkeiten, die Herr Kollege Gleissner und
Auseinanderentwicklung der Regeltarife für Eisen- Herr Kollege Ertl speziell im Fremdenverkehrsbe
bahn und Kraftwagen zu nennen. Sie zielt darauf, reich dargelegt haben, vielleicht auch die Fraktionen
dem Kraftwagen die kleineren Sendungen, der- der soeben genannten Kollegen darauf hinweisen,
Schiene die größeren Massengutsendungen zuzu- daß eine Reihe von anstehenden Bestrebungen be-
weisen. In gleicher Richtung wirken die Sonder- treffend etwa die Erhöhung der Zahl der Konzes-
ermäßigungen für geschlossene Züge, sogenannte sionen für den Güterfernverkehr auf der Straße,
Ganzzüge, und für Wagengruppen. Ferner werden etwa die Senkung der Beförderungsteuer für den
bisher grundsätzlich die Ausnahmetarife für Mas- Werkverkehr, etwa die Erhöhung der Gewichte der
sengüter auf den Schienenweg beschränkt. Die Be- Lastwagen und die Verlängerung der Lastwagen da-
mühungen der Eisenbahnen und der Binnenschiff- zu beitragen werden, die beklagten Zustände noch
fahrt um den Massengutverkehr werden von mir in beklagenswerter zu machen, und daß die Bemühun-
jeder Weise unterstützt. gen der Fraktionen mit diesen Entwicklungen in
Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß die Einklang gebracht werden müssen?
Heranführung der Verkehrswirtschaft an die so-
ziale Marktwirtschaft und damit eine Lockerung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
noch bestehender Beschränkungen deshalb nur Ich stimme Ihnen vollinhaltlich zu, Herr Kollege
schrittweise erfolgen sollte, weil dazu unsere Ver- Schwabe, und ich werde mich bemühen, alle diese
kehrsinfrastruktur noch nicht ausreicht und z. B. Dinge in solchem Rahmen zu halten, daß sie noch
eine zu starke Ausweitung der Kontingente im ge- erträglich sind. Aber ich gebe Ihnen zu, daß bei
werblichen Güterfernverkehr oder eine zu starke der Ausweitung des Verkehrszuwachses auf den an
Senkung der Beförderungsteuer im Werkfernver- sich schon überlasteten Straßen, bei der ständigen
kehr zusätzlichen Verkehr in einem Ausmaß auf die Zunahme des Pkw-Verkehrs — im letzten Jahr um
Straßen ziehen würde, wie es das heutige schon 1 Million Fahrzeuge — das natürlich ein außeror-
überlastete Straßennetz gar nicht zu fassen vermag, dentlich schwieriges Unterfangen ist.
während das Schienennetz nicht ausgelastet ist.
Der Personenverkehr ist in den letzten Jahren Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
durch den Einsatz moderner Zugeinheiten und Wa- frage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
4670 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann (SPD) : Herr Minister, habe wird die Deutsche Bundesbahn im Zuge der Er-
ich Sie recht verstanden, daß Sie im ersten Teil neuerung ihres Reisezugwagenparks nach und nach
Ihrer Antwort bei den Maßnahmen, die sich direkt in der Lage sein, auch auf den südlichen Vorort-
auf den Straßenverkehr beziehen, sagten, dieser strecken von München modernere Wagen einzuset-
Bereich liege in der Zuständigkeit der bayerischen zen. Erhebliche Fahrzeitgewinne könnten auch noch
Staatsregierung? durch die Umstellung der restlichen Strecken auf
elektrischen oder Dieselbetrieb erreicht werden, die
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: für die Zukunft in Aussicht genommen ist.
Nein, ich glaube, Herr Kollege, da haben Sie mich Diese Maßnahmen sind in einem zwischen mir
nicht ganz richtig verstanden. Soweit es sich um und der Deutschen Bundesbahn abgestimmten lang-
Maßnahmen handelt, die in den Ortschaften und auf fristigen Programm enthalten.
den Landes- und Kreisstraßen getroffen werden
müssen, liegen sie in der Zuständigkeit der bayeri-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
schen Staatsregierung. Soweit es sich um Maßnah
frage?
handelt, die auch wir mit den Bundesfernstraßen
durchführen, führen wir sie nur in Verbindung mit
der Landesplanung durch, und insofern sind auch Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
die bayerische Staatsregierung und die Landespla- sind Sie bereit, im Rahmen der von Ihnen angekün-
nung stets eingeschaltet. digten Überprüfung auch überprüfen zu lassen, ob
die abgebauten Teile der Isartalbahn wieder ausge-
baut werden sollten und der Betrieb auf der Gesamt-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- strecke attraktiv genug gestaltet werden sollte?
frage.
Ich rufe die von Herrn Abgeordneten Dr. Gleiss-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
ner gestellte Frage I/9 auf:
Soweit mir bekannt ist, ist diese Bahn tatsächlich
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, gemeinsam mit
der Deutschen Bundesbahn überprüfen zu lassen, welche Mög- stillgelegt, und stillgelegte Strecken wird die Bundes-
lichkeiten bestehen, um schon jetzt den Betrieb auf den Strecken bahn bestimmt nicht wieder aufnehmen. Denn die
München—Schliersee—Bayrischzell, München—Holzkirchen—Bad
Tölz—Lenggries, ferner München—Isartal/Loisachtal sowie Mün- Stillegung ist ja vorher sehr eingehend mit Bundes-
chen—Ammerseegebiet so auszugestalten, daß für die Bevölke-
rung, insbesondere für den Pendler-, Ausflugs- und Fremden-
und Landesbehörden und dem Verwaltungsrat der
verkehr, die Benutzung der Bundesbahn angesichts des einseitig Deutschen Bundesbahn geprüft und erst dann aus-
überlasteten Straßenverkehrs attraktiver als bisher erscheint und
zumindest eine gleichgute Verkehrsbedienung gewährleistet gesprochen worden.
wird?
Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, sind Sie nicht Ermessensspielraum die unterschiedliche Behand-
auch der Meinung, daß es ein untragbarer Zustand lung der Eintragungen zur Folge hat?
ist, wenn die Zahl der Eintragungsverfügungen bei
dem einen Amtsgericht 20 % der Fälle beträgt und Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
bei dem anderen 100 % der Fälle, also, wie sta- Herr Kollege, dieser große Ermessensspielraum ist
tistisch festzustellen ist, zwischen 20 und 100 % den Gerichten durch den Beschluß dieses Hohen
schwankt? Hauses und des Bundesrats gegeben worden und
nicht nach dem Willen der Bundesregierung.
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
Wir haben eine Umfrage veranstaltet, Herr Kollege, Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Letzte Zu-
und festgestellt, daß bei der Mehrzahl aller Ge- satzfrage!
richte diese Schwankungen zwischen 15 und 45 %
betragen, daß es allerdings in Niedersachsen ein Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Präsident, ich
-
Gericht gibt, wo diese Schwankung zwischen 0 und habe noch zwei Zusatzfragen, wenn ich dies sagen
98 % liegt. Aber bei der Unabhängigkeit des Rich- darf. Ich hatte nämlich zwei Fragen gestellt.
ters können wir nur dieses Faktum feststellen und
über die Verkehrssicherheitskonferenz und die
Justizministerien bitten, auf die Gerichte einzuwir- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bitte sehr.
ken, daß sie einheitlicher verfahren.
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, ich
-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- möchte dazu noch folgendes sagen. Wäre es bei-
satzfrage. spielsweise nicht möglich, so etwas wie ein neues
Punktbewertungssystem in diesem Fall einzuführen,
das sich nach der Schwere der jeweiligen abgeurteil-
Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, sind Sie ent- ten strafbaren Handlung richtet, also ein System,
schlossen, dafür zu sorgen, daß der Autofahrer das einerseits eine gleichmäßige Behandlung der
gegen diese überforschen Richter geschützt wird? Verurteilungen sicherstellen würde, zugleich auch
vollständig wäre, auf der anderen Seite aber auch
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
zulassen würde, daß Verwaltungsbehörden gegen
Herr Kollege, ich vermag leider auf die Richter kei- gewisse Verkehrssünder, die öfter aufgefallen sind,
nen anderen Einfluß auszuüben, als daß ich über vorgehen, indem sie vielleicht die Fahrerlaubnis
die Länderverkehrssicherheitskonferenz die Justiz- entziehen oder sonstige Maßnahmen ergreifen?
ministerien bitte, den Richtern einheitliche Weisun-
gen zu geben und sie zu bitten, sich nach einheit-
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
lichen Grundsätzen zu verhalten. Leider ist mir ein
-
Dürr
verschiedenen Gerichten leichter sein wird, sobald Damit ist unserer Ansicht nach bewiesen, daß die
das im Entwurf der Strafrechtsreform vorgesehene Leitplanken doch einen durchaus guten, unfallver-
Tagesbußensystem eingeführt sein wird? hindernden Zweck erfüllen, weil es gerade zu den
besonders schweren Unfällen geführt hat, wenn
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Fahrzeuge auf die Gegenfahrbahn gerieten.
Das ist durchaus zu erwarten, Herr Kollege. Wir
müssen uns aber, bis das soweit ist, mit den ge- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage,
gebenen Verhältnissen abfinden. Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: In der Druck- Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, wie ist sicher-
sache IV/1744 wird der Verkehrsminister auch noch gestellt, daß Untersuchungen dieser Art unbeeinflußt
einmal gefragt. Herr Minister, sind Sie darauf vor- bleiben von dem Druck bestimmter Lieferanten, die
bereitet? — Ich rufe auf die Frage I/1 — des Herrn Interesse an der Lieferung der einen oder der ande-
Abgeordneten Dr. Mommer —: ren Art haben?
Welches ist das Ergebnis der Tests über Vor- und Nachteile
von Leitplanken und sogenannten Slibardrahtnetzen als Schutz
gegen Verkehrsunfälle? Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Kollege, die Untersuchungen werden unter der
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Leitung des baden-württembergischen Innenministe-
Herr Kollege, Untersuchungen über die Bewährung riums und seiner Abteilung Straßenbau durchgeführt.
von Leitplanken werden durch das Innenministe- Ich habe durchaus das Vertrauen, daß diese Herren,
rium des Landes Baden-Württemberg im Auftrage insbesondere Herr Professor Böhringer in seiner
und mit Mitteln des Kuratoriums „Wir und die gleichzeitigen Eigenschaft als Vorsitzender der For-
Straße" durchgeführt. Außerdem hat der Bundes- schungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V., sehr
minister für Verkehr Erhebungen über die Bewäh- objektiv sind und sich sehr bemühen, die Versuchs-
rung der bisher an den Bundesautobahnen einge- bedingungen objektiv zu gestalten. Herr Professor
bauten Leitplanken in den Mittelstreifen bei Unfäl- Böhringer ist gleichzeitig Professor an der Tech-
len anstellen lassen. Über die Versuche in Baden nischen Hochschule in Stuttgart.
Württemberg liegt dem Bundesminister für Verkehr
ein Zwischenbericht vom 4. November 1963 vor. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage,
Hierin werden die bisher verwendeten Stahl- und Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Betonleitplanken für Pkw-Anfahrten mit Aufprall-
winkeln von 15 Grad und Geschwindigkeiten von Dr. Rinderspacher (SPD) : Herr Minister, sind
100 km in der Stunde als geeignet bezeichnet. Bei die Ergebnisse der gleichartigen Versuche in den
den Lkw-Anfahrten konnten bisher nur die Stahl- Vereinigten Staaten bei diesen Ergebnissen mit ver-
leitplanken — und hier besonders eine Neukon- wertet worden?
struktion — einen mit 70 bis 80 km in der Stunde
anfahrenden und unter 15 Grad aufprallenden Lkw
umlenken und auf dem Mittelstreifen zurückhalten.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Nein. Wenn unsere Untersuchungen fertig sind, wer-
Der in Ihrer Frage genannte Slibardrahtzaun den wir sie mit diesen Ergebnissen vergleichen. Ich
wurde bei Pkw-Anfahrten mit Aufprallwinkeln von - habe eben schon ausgeführt, Herr Kollege, daß ich
15 Grad und Geschwindigkeiten von 100 km in der noch einen Zwischenbericht erstatten könnte.
Stunde niedergewalzt und überquert.
Nach den Voruntersuchungen kommen größere Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
Aufprallwinkel als 15 Grad in der Praxis nur vor, satzfrage.
wenn bei einem Unfall das beteiligte Fahrzeug be-
reits mit einem anderen Hindernis zusammengesto- Dr. Rinderspacher (SPD) : Ist Ihnen bekannt,
ßen ist. Für derartige Fälle bestimmte Verbesserun- daß in den Vereinigten Staaten bereits über zwei
gen an Stahlleitplanken werden zur Zeit im Auftrag Jahre derartige Versuche mit angeblich sehr guten
des Bundesministers für Verkehr auf dem Prüffeld Ergebnissen durchgeführt werden?
in Baden-Württemberg erprobt.
Bei den Erhebungen des Bundesministers für Ver- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
kehr über das Verhalten der bisher an den Bundes- Diese Versuche sind mir durchaus bekannt. Bisher
autobahnen eingebauten Leitplanken im Mittelstrei- decken sich deren Ergebnisse durchaus mit den Er-
fen wurden 1047 Pkw-Unfälle und 455 Lkw-Unfälle gebnissen, die wir haben.
erfaßt. Es betrug der Anteil derjenigen Unfälle, bei
denen die Fahrzeuge von den Leitplanken aufgefan- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage I/2 —
gen wurden, bei Pkw 97,1 %, bei Lkw 90,1 %. Die des Herrn Abgeordneten Lemmrich —:
Leitplanken durchbrachen oder über die Leitplanken Welche Erfahrungen wurden bisher über die Haltbarkeit von
hinweg kippten folgende Fahrzeuge, die jedoch auf Betonrandstreifen an Bundesstraßen gesammelt?
dem Mittelstreifen liegenblieben: bei den Pkw
1,2 %, bei den Lkw 5,7 %. Die Leitplanken durch- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
brachen oder kippten darüber hinweg und gerieten Herr Kollege, mit den Betonrandstreifen wurden an
dabei auf die Gegenfahrbahn: bei den Pkw 1,7 % den Bundesautobahnen und Bundesstraßen gute Er-
und bei den Lkw 4,2 %. fahrungen gemacht. Betonrandstreifen werden seit
4674 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
dem Jahre 1955 angewendet. Die Ebenflächigkeit Fritsch (SPD) : Herr Staatssekretär, sehen Sie eine
der zwischen dem Betonrandstreifen eingebauten Möglichkeit, in Verbindung mit den Rentenversiche-
Fahrbahnen und die genaue Einteilung der verschie- rungsträgern die unbare Zahlungsweise zu fördern?
denen erforderlichen Fahrbahnquerneigungen sind
in erster Linie auf die gut einmeßbaren und sicher Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesministe-
zu gründenden Betonrandstreifen zurückzuführen. rium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Ab-
Außerdem ist durch derartige Einrichtungen eine geordneter, die Deutsche . Bundespost tut — was
lange Haltbarkeit des Fahrbahnrandes gewährlei- Ihnen verständlich sein wird — gemeinsam mit den
stet. Zur Verhütung von Tausalzschäden müssen alles mögliche, um dasRentvrsichugä
die Betonrandstreifen in der gleichen Güte wie der zuerichndwtföre.
Beton der Fahrbahndecken hergestellt werden. Mit
Betonrandstreifen aus Fertigbauteilen haben wir in
letzter Zeit gleich gute Erfolge erzielt. Sie haben Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine weitere
den Vorteil, daß sie in kürzerer Zeit verlegt werden Zusatzfrage. Frage XII/2 — der Frau Abgeordneten
können als solche an Ort und Stelle hergestellte aus Herklotz —:
sogenanntem Ortsbeton. Bei einfacherer Ausbau- Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag zu unterstützen,
eine Kennedy-Gedächtnismarke der Deutschen Bundespost oder
weise — wie z. B. bei Zwischenausbau und anderem der Landespostdirektion Berlin herauszugeben?
— wird auf die Betonrandstreifen verzichtet, ob-
wohl dadurch natürlich der Fahrbahnrand nicht so Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesministe-
geschützt ist wie bei Einbau von Betonrandstreifen. rium für das Post- und Fernmeldewesen: Die Deut-
sche Bundespost trägt sich mit dem Gedanken, eine
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- Kennedy-Gedenkmarke herauszugeben. Mit den
frage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbe- planenden Vorarbeiten hierfür ist bereits am 27. No-
reich des Bundesministers für Verkehr erledigt. vember dieses Jahres begonnen worden. Namhafte
Ich rufe aus der Drucksache IV/1737 die Fragen Graphiker sind zur Zeit mit der Herstellung von
aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Entwürfen für eine solche Gedenkmarke beschäftigt.
das Post- und Fernmeldewesen auf. Zunächst die Die Gedenkmarke wird voraussichtlich in der Bun-
Frage XII/1 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —: desrepublik und in Berlin ausgegeben werden. Die
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, das Schlangestehen
endgültige Entscheidung hierüber ist noch nicht ge-
der Empfänger von Versichertenrenten vor den Auszahlschaltern troffen.
der Deutschen Bundespost zukünftig zu vermeiden?
Bornemann, Staatssekretär im Bundesministe- sich am Verfahren zu beteiligen, und ihn mit ein-
rium für das Post- und Fernmeldewesen: Das Post- gehenden Instruktionen versehen. Dabei haben wir
dienstgebäude in Alpirsbach, Bahnhofstraße 9, in unsere bereits in einem Rundeschreiben vom 30. Mai
dem das Postamt und die örtliche Wählvermittlungs- 1962 an die zuständigen Länderminister vertretene
stelle untergebracht sind, muß wegen der unzu- Auffassung dargelegt, nach der bebaute Grund-
reichenden Raumverhältnisse durch einen Neubau stücke nach dem Bundesbaugesetz dann nicht der
ersetzt werden, der auf dem gleichen Grundstück Beitragspflicht unterliegen, wenn sie bereits vor In-
errichtet werden soll. Der Neubau ist bereits grund- krafttreten des ersten Ortsstatuts über die Erhebung
sätzlich genehmigt worden. Die zuständige Ober- von Anliegerbeiträgen oder vor Beginn der Anle-
postdirektion Tübingen ist beauftragt, den Vorent- gung der Straße bebaut worden sind. Die Praxis der
wurf aufzustellen. Nach dem derzeitigen Stand der Verwaltungen und die Rechtsprechung sind dieser
Planung wird das Bauvorhaben noch im Laufe des Auffassung aber nur zum Teil gefolgt.
Jahres 1964 baureif werden. Bei der Vielzahl drin-
Wir haben den Herrn Oberbundesanwalt gebeten,
gender Hochbauvorhaben läßt sich in Anbetracht
das Bundesverwaltungsgericht auf die Unzuträglich-
der außerordentlich angespannten Finanzlage der
keiten, die sich aus dieser unterschiedlichen Recht-
Deutschen Bundespost der Zeitpunkt des Baubeginns
sprechung ergeben, und auf die besondere Dring-
jedoch noch nicht übersehen.
lichkeit einer Entscheidung in dieser Frage hinzu-
weisen. Wie wir inzwischen erfahren haben, ist zu
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf hoffen, daß diese Entscheidung in absehbarer Zeit
die Frage VI — aus dem Geschäftsbereich des Bun- ergeht. Die Bundesregierung meint zunächst die aus-
desministers für das Post- und Fernmeldewesen — stehende Grundsatzentscheidung des Bundesverwal-
auf Drucksache IV/1744, Frage der Abgeordneten tungsgerichts abwarten zu sollen.
Frau Meermann:
Welche Möglichkeiten bestehen für eine Einordnung des Brief-
umschlag-Formats DIN C 5 in das „Standard-Format"? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage.
Frau Abegordnete Meermann ist nicht im Saal; die
Frage wird schriftlich beantwortet.
Hammersen (FDP) : Herr Staatssekretär, darf ich
Ich kehre zurück zu der Drucksache IV/1737. fragen, ob Ihnen das bisher nicht veröffentlichte Ur-
Frage II — des Abgeordneten Dr. Roesch — aus teil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom
dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirt- 9. Oktober 1963 bekannt ist, wonach mit dem In-
schaft: krafttreten des Bundesbaugesetzes bereits verjährte
Wie viele Beamte des höheren Dienstes im Bundeswirtschafts-
ministerium haben ein abgeschlossenes Studium der Wirtschafts-
Beitragsforderungen der Gemeinden auf Grund des
wissenschaften (Diplom-Kaufmann, Diplom-Volkswirt)? § 133 Abs. 4 des Bundesbaugesetzes wieder aufge-
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär. lebt sind, während der Hessische Verwaltungsge-
richtshof eine genau gegenteilige Auffassung ver-
tritt?
Dr. Neef, Staatssekretär im Bundesministerium
für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, das Bundeswirt-
schaftsministerium hat zur Zeit 378 Beamte des Dr. Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium
höheren Dienstes. Davon haben 106 ein abgeschlos- für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung:
senes Studium der Wirtschaftswissenschaften. Auch diese Divergenz ist uns bekannt, und wir hof-
fen, daß das Bundesverwaltungsgericht, wenn es im
Ich möchte ergänzend sagen, daß bei zwölf Wirt- Revisionsverfahren entscheidet, auch zu diesem
schaftswissenschaftlern, Angestellten des höheren Rechtsstreit Stellung nimmt.
Dienstes, heute die Übernahme in das Beamtenver-
hältnis eingeleitet ist.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
satzfrage.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Geschäftsbe-
reich des Bundesministers für Wohnungswesen, Hammersen (FDP) : Herr Staatsekretär, ist Ihnen
Städtebau und Raumordnung. Frage III — des Ab- weiter die sicherlich vom Gesetzgeber nicht ge-
geordneten Hammersen —:
wollte Folge des § 133 Abs. 3 des Bundesbaugeset-
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um der durch zes bekannt, die insofern unbefriedigend ist, als auf
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (Westfalen)
vom 19. Juni 1963 — III A 1134/61, 1 K 480/61/Münster — ein- Grund dieser Bestimmung von Gemeinden Voraus-
getretenen Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete des Erschlie-
ßungsbeitragsrechtes nach § 133 des Bundesbaugesetzes zu be-
leistungen auf Erschließungsbeiträge auch dann
gegnen? gefordert werden, wenn auf einem bereits bebau-
ten Grundstück lediglich wirtschaftlich untergeord-
Dr. Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium nete Ergänzungsbauten oder geringfügige Um- und
für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung: Ausbauten vorgenommen werden, wobei die ange-
Die uneinheitliche Rechtsprechung der Verwaltungs- forderten Erschließungsbeiträge oft die tatsächlichen
gerichte zur Anwendung des § 133 des Bundesbau- Baukosten weit übersteigen?
gesetzes auf bebaute Grundstücke ist von der Bun-
desregierung mit Aufmerksamkeit verfolgt worden. Dr. Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium
Als das erste Revisionsverfahren beim Bundesver- für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung:
waltungsgericht anhängig geworden war, haben wir Auch das ist uns bekannt, Herr Abgeordneter. Wir
sofort den Herrn Oberbundesanwalt angewiesen, hatten im Erlaß vom Mai 1962, auf den ich mich
4776 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Staatssekretär Dr. Ernst
Ist der Bundesregierung die Zahl der Medikamente bekannt,
vorhin bezog, bereits darauf hingewiesen, daß wir die bei Kraftfahrern Rauschzustände" mit oder ohne Alkohol-
der Meinung sind, daß diese Praxis nicht mit dem genuß herbeiführen können?
Sinn des Gesetzes übereinstimmt. Aber ehe wir dem
Bundestag vorschlagen, gesetzgeberische Maßnah- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
men einzuleiten, um das Bundesbaugesetz zu än- sundheitswesen: Die Zahl der Arzneispezialitäten,
dern, möchten wir abwarten, ob das Revisionsge- die einen nachteiligen Einfluß auf die Fahrtüchtig-
richt sich — wie wir hoffen — unserem Standpunkt keit haben, ist im Augenblick noch nicht genau zu
anschließt und damit diese Unzuträglichkeiten aus- übersehen. Wir hoffen, daß wir durch den Ausschuß
räumt. für Verkehrsmedizin, von dem ich soeben gespro-
chen habe, bald einen Überblick darüber bekommen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kommen werden.
zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bun-
desministers für Familie und Jugend. Frage IV — Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kommen
des Abgeordneten Welslau — :
zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amts. Ich rufe auf die Frage VI/1 — des
Welche Schritte hat der Herr Bundesfamilienminister unter-
nommen, um dem in seiner Gegenwart einstimmig gefaßten Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Beschluß des Ausschusses zu entsprechen, den Zeitpunkt des
Inkrafttretens des Bundeskindergeldgesetzes auf den 1. Juli 1963 Ist die Bundesregierung bereit, bei der französischen Regie-
festzusetzen? rung vorstellig zu werden, daß die gesetzlich vorgesehene
Entschädigung von etwa 25 deutschen Staatsangehörigen, die
ihren Besitz in Algerien verloren haben, beschleunigt wird,
— Die Frage wird übernommen. zumal es sich um einen insgesamt geringfügigen Betrag handelt?
Dr. Heck, Bundesminister für Familie und Jugend: Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Herr Präsident! Der in der Sitzung am 22. Mai 1963 Amts: Herr Abgeordneter, dem Auswärtigen Amt
einstimmig gefaßte Beschluß des mitberatenden sind bisher nur zwei Fälle bekanntgeworden, in
Bundestagsausschusses für Familien- und Jugend- denen deutschen Staatsangehörigen in Algerien Be-
fragen stimmt wörtlich überein mit der Vorlage der sitz entzogen worden ist. Eine französische Gesetz-
Regierung. Der federführende Bundestagsausschuß gebung zur Entschädigung von Personen, die nach
für Arbeit hat sich, wie Ihnen sicher bekannt ist, der Unabhängigkeit Algeriens ihren Besitz in
diesem Votum des Bundestagsausschusses für Fa- Algerien verloren haben, besteht bisher nicht. Die
milien- und Jugendfragen nicht angeschlossen. bisherige gesetzliche Regelung bezieht sich viel-
mehr auf die Aufnahme und Eingliederung von
Der Bundesminister für Familie und Jugend hat algerischen Flüchtlingen.
keine Möglichkeit, Beschlüsse von Ausschüssen zu
verhindern oder ihre Änderung durchzusetzen. Die
Entscheidung über die endgültige Fassung des
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
Regierungsentwurfs des Bundeskindergeldgesetzes
und damit auch über den Zeitpunkt des Inkraft- Dr. Kohut (FDP) : Ist Ihnen nicht bekannt, daß die
tretens liegt beim Bundestag. Assemblée Algérienne eine Entschädigungsgesetz-
gebung aufgestellt hat, die auch im Mutterland von
der Assemblée Nationale übernommen worden ist
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- und die beinhaltet, daß auch deutsche Geschäftsleute,
frage.
die in Algerien ansässig waren — nach meinen
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- Informationen sind es höchstens 25 —, entschädigt
bereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. werden müssen und sollen?
Ich rufe auf die Frage V/1 — des Herrn Abgeord-
neten Faller —: Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag des Deutschen Amts: Derartiges ist mir nicht bekannt, Herr Abge-
Touring-Clubs zu unterstützen, alle Arzneimittel einheitlich und
auffällig zu kennzeichnen, die die Fahrtüchtigkeit von Kraft- ordneter, sondern mir ist, wie ich soeben sagte, be-
fahrern beeinträchtigen können? kannt, daß es bisher eine gesetzliche Entschädigung
Zur Beantwortung die Frau Bundesgesundheits- nicht gibt, vielmehr die gesetzlichen Maßnahmen
ministerin. der Eingliederung der Flüchtlinge dienen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf
— Keine Zusatzfrage. Ich rufe auf die Frage V/2 die Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Dr.
— des Herrn Abgeordneten Faller —: Dr. h. c. Friedensburg —:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4677
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Hält die Bundesregierung die Gründung einer italienischen
Staatsuniversität mit europäischem Charakter, die von der
und die Rechte aller beteiligten Regierungen zur
italienischen Regierung in Florenz vorbereitet wird, für eine Geltung gebracht und dauernd gesichert werden
Verwirklichung der Vorschrift des Artikels 9 Ziffer 2 des Eura-
tomvertrages, wonach im Rahmen der europäischen Gemein- können, wird Gegenstand der in dem Beschluß vor-
schaften eine europäische Anstalt im Range einer Universität gesehenen Konvention sein. Über diese Konvention
geschaffen werden soll?
werden die Verhandlungen im kommenden Jahr
aufgenommen werden.
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Darf ich die beiden Fragen nacheinander be-
antworten? Sie stehen in unmittelbarem Zusammen- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
hang.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Glaubt
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einverstan- die Bundesregierung, daß ihre Verpflichtung aus
den. dem Euratom-Vertrag durch die Bonner Beschlüsse
vom Jahre 1961 verwirklicht ist und damit als
erledigt angesehen werden kann?
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Wenn
ich dadurch nicht in meinen Zusatzfragen beeinträch-
tigt werde, gern. Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Die Bundesregierung glaubt, daß die Be-
schlüsse von 1961 die bestmögliche Art der Ver-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Sie wollen wirklichung der in Artikel 9 des Vertrages zum
also zweimal zwei Zusatzfragen stellen. — Ein biß- Ausdruck gekommenen Absicht darstellen.
chen billiger könnten Sie es ja machen, Herr Kollege
Friedensburg; aber es ist mir recht.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Ich Zusatzfrage!
werde mich bemühen.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Ich muß
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Dann rufe die Frage wiederholen, Herr Staatssekretär: Ist da-
ich also noch die Frage VI/3 - des Herrn Abge- mit die vertragliche Verpflichtung der Bundesregie-
ordneten Dr. Dr. h. c. Friedensburg — auf: rung aus dem Euratom-Vertrag als erledigt anzu-
sehen?
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung für den Fall,
daß sie die in Florenz zu gründende italienische Staatsuniversität
mit europäischem Charakter durch Bundesmittel zu unterstützen
beabsichtigt, die Verwirklichung der in wiederholten Beschlüssen
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
bekanntgegebenen Wünsche des Europäischen Parlaments und Amts: Es handelt sich hier, Herr Abgeordneter, —
der eigenen Vorstellungen der Bundesregierung von den we-
sentlichen Merkmalen einer europäischen Universität sowohl im insofern ging meine Antwort auf Ihre Frage auf den
Aufbau als auch in der weiteren Entwicklung zu sichern? nach meiner Auffassung entscheidenden Punkt ein
— nicht um eine Verpflichtung, die die Bundes-
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen regierung unabhängig von der Verpflichtung der
Amts: Die Grundlage für die Errichtung einer euro- anderen Mitgliedsregierungen übernommen hätte,
päischen Universität, so wie sie jetzt geplant ist, sondern es handelt sich um eine gemeinsame Ver-
bildet ein Beschluß der Staats- und Regierungschefs pflichtung der sechs Mitgliedstaaten. Die Bundes-
der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschafts- regierung hat sich mit größtem Nachdruck für die
gemeinschaften vom 18. Juli 1961, der in Bonn ge- genaue Verwirklichung des in Artikel 9 vorge-
faßt wurde. Der Beschluß sieht die Gründung einer sehenen Planes eingesetzt, jedoch nicht mit dem von
europäischen Universität in Florenz durch Italien uns erstrebten und erwünschten Erfolg. So ist es zu
und eine Beteiligung der fünf anderen Länder vor. der Lösung vom Jahre 1961 gekommen, die, wie ich
gesagt habe, das Bestmögliche darstellt.
Demgegenüber bestimmt Art. 9 des Euratom-Ver-
trages, daß eine Universität kraft europäischen
Rechts errichtet werden soll. Die Verwirklichung Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Dritte Zusatz-
dieses ursprünglichen Plans stieß jedoch auf so frage!
große Schwierigkeiten, daß die Mitgliedstaaten sich
entschlossen, den jetzt vorgesehenen Weg zu gehen. Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Herr
Staatssekretär, ist der Bundesregierung der Gesetz-
Die Haltung der Bundesregierung in der Frage entwurf der italienischen Regierung bekannt, der
der europäischen Universität wird gemäß den der Kammer zugeleitet worden ist und der die Re-
grundgesetzlichen Bestimmungen über die kulturel- gelung für die zukünftige Staatsuniversität in Flo-
len Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutsch- renz enthält? Glaubt die Bundesregierung, daß die-
land in Abstimmung mit den Ländern festgelegt. ser Gesetzentwurf der italienischen Regierung die
Dabei werden selbstverständlich die Resolutionen prinzipiellen Forderungen, die einstimmig vom
des Europäischen Parlaments berücksichtigt, und die Europäischen Parlament angenommen worden sind,
Bundesregierung setzt sich besonders dafür ein, daß erfüllt, wonach — ich lese vor; der Beschluß ist zeit-
sie in einem möglichst weitgehenden Umfang be- lich nach den Bonner Beschlüssen gefaßt — „die er-
rücksichtigt werden. forderliche Annäherung der Mitgliedstaaten der Ge-
Wie im Statut einer europäischen Universität, die meinschaft auf kulturellem und geistigem Gebiete
nach dem Beschluß der Staats- und Regierungschefs nicht allein durch eine Zusammenarbeit der natio-
in Italien errichtet werden soll, die Auffassungen nalen Regierungen verwirklicht werden kann" und
4678 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich breche die
Amts: Derartige Berichte, Herr Abgeordneter, sind Fragestunde ab. Sie geht morgen um 14 Uhr weiter.
mir nicht zur Kenntnis gekommen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- Beratung der Sammelübersicht 23 des Aus-
satzfrage! schusses für Petitionen (2. Ausschuß) über
Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bun-
Dr. Mommer (SPD) : Ist Ihnen dann auch nicht destages zu Petitionen (Drucksache IV/1689).
bekannt, daß z. B. in meinem Wahlkreis Ludwigs- Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das
burg in Großsachsenheim jetzt fünf Familien mit Wort wird nicht gewünscht.
zusammen 20 Personen leben, die für eine Gesamt- Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen
summe von 109 450 DM freigekauft wurden, das wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge-
heißt für eine Kopfquote von rund 5470 DM? genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Aus-
schusses ist angenommen.
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Auch das, Herr Abgeordneter, ist mir nicht Punkt 3 der Tagesordnung:
bekannt. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Zweite und dritte Beratung des von der Bun
mir die Unterlagen zur Verfügung stellen könnten. desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4679
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Gesetzes zu dem Sonderabkommen vom Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschus-
7. Dezember 1957 zwischen der Bundes- sees (16. Ausschuß) (Drucksache IV/1688).
republik Deutschland und dem Königreich (Erste Beratung 84. Sitzung)
Belgien über Arbeitslosenversicherung (Druck-
sache IV/1434); Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ar- Dr. Steinmetz, ob er das Wort wünscht.
beit (21. Ausschuß) (Drucksache IV/1670). (Abg. Dr. Steinmetz: Nein!)
(Erste Beratung 84. Sitzung) — Der Berichterstatter verzichtet.
Ich frage, ob der Berichterstatter, Herr Abgeord- Ich rufe auf in der zweiten Lesung in der Ausschuß-
neter Haase, das Wort wünscht. — Der Bericht- fassung die §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7—
erstatter verzichtet. Wird sonst in zweiter Beratung usw. bis zum § 40, — Einleitung und Überschrift. —
das Wort gewünscht? — Es wird nicht gewünscht. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht
Die Aussprache ist geschlossen. gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein
Wer in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In
den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! zweiter Lesung einstimmig angenommen.
— Enthaltungen? — In zweiter Beratung ange-
nommen. Dritte Beratung.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Wer der Vorlage in der dritten Lesung zuzustimmen
wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. —
Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, Gegenprobe! — Enthaltungen? — In dritter Lesung
den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — angenommen.
Enthaltungen? — Ist angenommen.
Ich rufe auf den Punkt 6:
Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeug-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines steuergesetzes (Drucksachen IV/902 (neu),
Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Mai 1963 IV/1208);
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
und der Republik Österreich über Kriegsopfer- Schriftlicher Bericht des Finanzauschusses
versorgung und Beschäftigung Schwerbeschä- (14. Ausschuß) (Drucksache IV/1690)
digter (Drucksache IV/1435) ; (Erste Beratung 63., 76. Sitzung)
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Die Berichterstatterin, Frau Abgeordnete Beyer,
Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen (22. Aus- verzichtet. Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung
schuß) (Drucksache IV/1684). und Überschrift. — Hierzu muß ich bekanntgeben,
(Erste Beratung 84. Sitzung) daß bei Durchsicht der Drucksache IV/1690 — das ist
der vorliegende Schriftliche Bericht des Finanzaus-
Ich frage, ob der Berichterstatter, Herr Abgeord- schusses zu diesem Gesetzentwurf — festgestellt
neter Maucher, das Wort wünscht. — Der Bericht- worden ist, daß der dem Plenum zur Annahme
erstatter verzichtet. empfohlene Gesetzestext auf Grund technischen Ver-
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe Art. 1, sehens zwei Fehler enthält, die hiermit berichtigt
2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das werden. In Art. 1 Ziffer 1, § 2, muß in Nr. 3 a vor
Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen dem Wort „Fäkalienabfuhr" das Wort „zur" einge-
Artikeln sowie der Einleitung und der Überschrift fügt und in Nr. 6 hinter dem Wort „Sonderfahr-
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand- zeugen" das Wort „Kraftfahrzeugen" gestrichen
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In werden. — Das Haus hat das zur Kenntnis genom-
zweiter Beratung angenommen. men und so beschlossen. — Meine Damen und Her-
ren, wer in zweiter Beratung den aufgerufenen Arti-
Dritte Beratung. keln, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen
wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe!
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht,
den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Dritte Beratung.
Enthaltungen? — In dritter Beratung angenommen.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen.
Punkt 5 der Tagesordnung: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom
Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- — In dritter Lesung angenommen.
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Vierten Gesetzes zur Änderung und Er- Nr. 2 des Ausschußantrags: die zu dem Gesetz-
gänzung des Wertpapierbereinigungsgesetzes entwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu er-
(Wertpapierbereinigungsschlußgesetz (Druck- klären. Das Haus ist einverstanden? — Kein Wider-
sache IV/1459); spruch; es ist so beschlossen.
4680 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch,, den 11. Dezember 1963
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Punkt 7 der Tagesordnung: Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur För-
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines derung von privaten Kapitalanlagen in Ent-
wicklungsländern (Entwicklungshilfe Steuer-
-
— es tut mir leid, ich muß das scheußliche Wort hier gesetz) (Drucksache IV/1476);
vorlesen; dazu liegt auch ein Änderungsantrag vor —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Aus-
Bundesjugendzahnpflegegesetz (Drucksachen schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
IV/1260, IV/1266); (Drucksache IV/1711) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ge- b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
sundheitswesen (11. Ausschuß) (Drucksachen (14. Ausschuß (Drucksache IV/1691).
IV/1735, zu IV/1735).
(Erste Beratung 94. Sitzung)
(Erste Beratung 79. Sitzung)
Ich frage die Berichterstatterin, Frau Abgeordnete
Ich rufe auf § 1, — 2, — 2 a, 3, — 4. — Zur Ein- Bayer, ob sie das Wort wünscht. — Sie verzichtet.
leitung und zur Überschrift liegt ein interfraktionel-
Ich rufe auf die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — 6, —
ler Antrag *) vor, wonach eine etwas vernünftigere
7, — 8, — 9, — Einleitung und Überschrift. Ände-
Bezeichnung gefunden werden soll. Das Gesetz soll
rungsanträge liegen nicht vor. Wer zuzustimmen
heißen: „Gesetz über die Jugendzahnpflege". Das
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge-
Haus ist mit diesem Änderungsvorschlag einver-
genprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung
standen? — Es ist so beschlossen. — Wer in zweiter
angenommen.
Lesung zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Hand-
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ein- Dritte Beratung.
stimmig angenommen.
Keine Wortmeldungen. Wer in dritter Lesung zuzu-
Dritte Beratung. stimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu er-
heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In drit-
— Keine Wortmeldungen. Wer zuzustimmen
ter Lesung angenommen.
wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen. Ich muß noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages
abstimmen lassen. Das Haus stimmt diesem Aus-
Abgestimmt werden muß noch über den Antrag
schußantrag unter Ziffer 2 zu? — Kein Widerspruch.
des Ausschusses unter Nr. 2. Dem Antrag des Aus-
Es ist so beschlossen.
schusses wird zugestimmt? — Kein Widerspruch; es
ist so beschlossen. Ich lasse über die Entschließungen abstimmen, zu-
nächst über den Entschließungsantrag Umdruck
Ich rufe auf den Punkt 8 der Tagesordnung: 366 S). Wer dem Entschließungsantrag Umdruck 366
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- — Herr Abgeordneter Seuffert, Sie möchten zu Um-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines druck 366 sprechen?
Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf
dem Gebiet der Landbeschaffung (Drittes Än- Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
derungsgesetz LBG) (Drucksache IV/1648); und Herren! Wir können unserer Fraktion unmög-
lich empfehlen, einer Entschließung zuzustimmen,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für In--
die in sich so widerspruchsvoll ist und deren Ge-
neres (6. Ausschuß) (Drucksache IV/1716).
dankengänge zu einer gesetzlichen Lösung derart
(Erste Beratung 98. Sitzung) ungeeignet sind. Da die Sache so unklar aus-
Der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Dr. gedrückt ist, daß es sich kaum lohnt, hier darüber
Rinderspacher, verzichtet. Ich rufe auf Art. 1, — 2, zu reden und zu streiten, werden wir uns der
— 3, — Einleitung und Überschrift. — Wird Stimme enthalten.
das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht ge-
wünscht. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich stelle die
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Entschließung Umdruck 366 zur Abstimmung. Wer
In zweiter Lesung angenommen. zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand-
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei
Ich rufe auf zur
einer Reihe von Enthaltungen ist die Entschließung
dritten Beratung. Umdruck 366 angenommen.
Keine Änderungsanträge. Ich eröffne die allge- Zur Begründung .des Entschließungsantrages Um-
meine Ausprache. — Keine Wortmeldungen. druck 367 *) hat Herr Abgeordneter Dr. Löbe das
Wort.
Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den
bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthal-
tungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Dr. Löbe (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Bei der Beratung des Entwicklungs-
Punkt 9 der Tagesordnung: hilfe-Steuergesetzes haben wir in allen Ausschüssen
unter Zeitdruck gestanden. Deshalb ist eine drin-
Zweite und dritte Beratung des von der Bun gende Sorge der deutschen Seeschiffahrt und der
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
*) Siehe Anlage 3
*) Siehe Anlage 2 *) Siehe Anlage 4
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4681
Dr. Löbe
deutschen Luftfahrt nicht mit der genügenden Sorg- Punkt 9 unserer Tagesordnung — Entwicklungs-
falt erörtert worden. hilfe-Steuergesetz — angenommen ist, daß zwei-
Der Entschließungsantrag hat zum Ziel, daß sich tens der Entschließungsantrag Umdruck 367 eben-
das Parlament mit dieser wichtigen Frage, die mit falls angenommen ist, und um ganz vollständig zu
der Entwicklungshilfe in unmittelbarem Zusammen- sein: Der Antrag Umdruck 366 ist auch angenom-
hang steht, etwas näher beschäftigt und daß auch men. Ist nun alles klar? - Ich bedanke mich.
die Bundesregierung an dieser Untersuchung Anteil Jetzt geht es weiter mit Punkt 10 der Tagesord-
nimmt, damit bei künftigen Verhandlungen nicht die nung. Ich habe schon die zweite und dritte Beratung
Schwierigkeiten außer acht gelassen werden, die des von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
bisher der deutschen Seeschiffahrt so große Sorge wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
gemacht haben. Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag Nr. 114 der Internationalen Arbeitsorganisation
zuzustimmen. vom 19. Juni 1959 über den Heuervertrag der
Fischer aufgerufen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wer diesem
Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeord-
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — neten Dr. Dörinkel, ob er das Wort wünscht. — Er
Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist an- verzichtet.
genommen. Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift.
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das letzte Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
war die Mehrheit?) Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: In zweiter Lesung angenommen.
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Wir kommen zur
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Ü bereinkommen Nr. 114 der dritten Beratung.
Internationalen Arbeitsorganisation vom
19. Juni 1959 über den Heuervertrag der Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Fischer (Drucksache IV/1592); Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zu-
Arbeit (21. Ausschuß) (Drucksache IV/1721). zustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist
(Erste Beratung 94. Sitzung.) in dritter Lesung angenommen.
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Zur
Geschäftsordnung, Herr Präsident!) Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
— Zur Geschäftsordnung? — Was möchten Sie Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
denn? desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Novem-
ber 1962 über die Änderung des Vertrages
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Prä-
sident, Sie haben eben zu der letzten Entschließung zur Gründung der Europäischen Wirtschafts-
- gemeinschaft zum Zwecke der Assoziierung
bei der Abstimmung gesagt: „Das letzte ist die
der Niederländischen Antillen (Drucksache
Mehrheit".
IV/1474) ;
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das ist ganz Schriftlicher Bericht des Ausschusses für aus-
falsch! wärtige Angelegenheiten (3. Ausschuß)
(Drucksache IV/1725).
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Sie haben (Erste Beratung 84. Sitzung)
dann gesagt, der Antrag sei also angenommen.
Man müßte annehmen, dann sei er abgelehnt ge- Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeord-
wesen. Ich bitte, das doch noch einmal zu klären. neten Metzger, ob er das Wort wünscht. — Der
Herr Berichterstatter verzichtet.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich bedanke Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Über-
mich für den kritischen Hinweis. Wenn der Bundes- schrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist
tagspräsident schläft, ist es natürlich schlecht. nicht der Fall.
(Heiterkeit.) Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
Aber es ist ganz richtig im Protokoll; Sie können Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
sich darauf verlassen. Ein Zuruf, Herr Abgeordneter, In zweiter Lesung angenommen.
hätte aber auch genügt, um mich zum Bewußtsein Wir treten ein in die
des Irrtums zu bringen.
(Heiterkeit. — Zurufe von der Mitte: Ha dritte Beratung.
ben wir gemacht!) Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Meine Damen und Herren, was ich sagen wollte, Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer
ist natürlich, daß erstens dieses Gesetz unter zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erhe-
4682 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Conring
gelöst werden soll und die beiden anderen geändert Emden — mit 45 000 Einwohnern. Die nächst grö-
werden sollen. ßere Stadt Leer hat 22 000 Einwohner.
Wenn Sie statt der drei Bundestagswahlkreise — Wenn Sie diese Einheit — nicht nur die histo-
nach dem Vorschlag ,des Innenausschusses — zwei risch-politische, sondern auch die wirtschaftliche und
Bundestagswahlkreise bilden, werden Sie das Er- soziale Einheit — bei Neueinteilung der Bundes-
gebnis haben, daß die neuen Bundestagswahlkreise tagswahlkreise auflösen und zu einem angeblich
genau um dieselben Zahlenprozente über dem Bun- besseren Ergebnis kommen, dann haben Sie den
desdurchschnitt liegen, wie die bisherigen Wahl- Vorschlag vor sich, den Sie hier in der Vorlage fin-
kreise unter dem Bundesdurchschnitt lagen. Das den. Ostfriesland soll dann also wahlkreismäßig so
wäre allenfalls noch erträglich, wenn nicht in der aufgeteilt werden, daß die Hafen- und Handelsstadt
Drucksache der Wahlkreiskommission zum Aus- Wilhelmshaven mit über 100 000 Einwohnern mit
druck gebracht wäre, daß die jetzigen Bundestags- der ländlichen Regierungshauptstadt Ostfrieslands
wahlkreise „erheblich unter der durchschnittlichen und den ländlichen Kreisen Wittmund und Aurich
Einwohnerzahl der Wahlkreise" lägen, und wenn verbunden wird, unbekümmert darum, daß zwi-
nicht dieselbe Wahlkreiskommission bei den glei- schen der Stadt Wilhelmshaven und Ostfriesland
chen Prozentsätzen, die sich beider Neuordnung — verhältnismäßig wenig Beziehungen bestanden ha-
diesmal über dem Bundesdurchschnitt — ergeben, ben und bestehen.
erklärt hätte, daß dieselben Zahlen „in verhältnis-
Man fragt sich in Ostfriesland, warum denn alle
mäßig geringem Umfang" den Bundesdurchschnitt
diese Gesichtspunkte — die ausreichende Bevöl-
überstiegen. Dieser Widerspruch in der Begründung
kerungszahl, die historisch-politische Einheit, die
ist natürlich auch in den Bundestagswahlkreisen
wirtschaftliche und soziale Einheit — bei der Neu-
aufgefallen. Man hat sich vergeblich die Frage vor-
einteilung der Bundestagswahlkreise nicht berück-
gelegt, warum dieselben Zahlen in dem einen Falle
„erheblich" und in dem anderen Falle unerheblich, sichtigt werden. Man liest in den „Grundsätzen",
„verhältnismäßig gering" seien. Dieser Widerspruch die sich die Wahlkreiskommission selbst gegeben
ist nicht aufgeklärt worden. Wir können, aber da- hat, vergeblich nach. Von allen diesen Grundsätzen
von abgesehen, überhaupt keinen sachlichen Grund sind in diesem speziellen Falle so gut wie alle ver-
finden, den Wahlkreis Leer-Wittmund aufzulösen. letzt oder nicht berücksichtigt. Selbst die Zerschnei-
dung eines Landkreises — des oldenburgischen
Ist die neue Lösung besser als die bisherige Lö- Landkreises Friesland — findet hier statt, etwas,
sung? Sie wissen, ,daß Ostfriesland eine historisch was nach der Auffassung der Wahlkreiskommission
gewachsene Einheit darstellt. Ostfriesland ist ein überhaupt nur dann Platz greifen dürfte, wenn
Fürstentum gewesen, das im Jahre 1744 nach dem sonst „untragbare Abweichungen" von der Einwoh-
Aussterben des ostfriesischen Fürstenhauses an nerzahl gegeben wären.
Preußen fiel. Es ist von 1744 über die napoleoni- Bei dieser Situation kann man sich nicht darüber
schen Wirren hin bei Preußen geblieben und wurde wundern, daß sich die gesamte Bevölkerung von
1815 dem Königreich Hannover zugeteilt. Als das Ostfriesland eindeutig und energisch gegen diese
Königreich Hannover im Jahre 1866 verschwand, Neueinteilung gewandt hat. Die politischen Parteien
wurde es wieder dem Königreich Preußen zugeteilt.
Ostfrieslands, gleich welcher Färbung, sind der
Aber in all den Zeitläufen wurde die Einheit Ost-
Auffassung, daß die Neueinteilung eine wesentliche
frieslands erhalten. Diese Einheit wurde auch nach
Verschlechterung des bisherigen Zustandes dar-
1945 beibehalten, als Ostfriesland zu Niedersachsen
stelle. Die wirtschaftlichen Korporationen — die In-
kam.
dustrie- und Handelskammer, die Handwerkskam-
Jetzt soll in bezug auf die Bundestagswahlkreise mer, die Landwirtschaft, die Ostfrieslandstiftung
diese historisch gewachsene Einheit aufgelöst wer- u. a. — sind der einmütigen Meinung, daß hier
den, indem man einen Teil Ostfrieslands den Ost- keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung
friesen überläßt, während man den anderen Teil stattfindet. Auch die Presse, gleich welcher Rich-
mit dem oldenburgischen Stadtkreis Wilhelmsha- tung, hat erklärt, daß die Neuordnung — ich darf
ven, einer Stadt von über 100 000 Einwohnern, und einmal zitieren — „kein Jota besser" sei als die
einem Teil des oldenburgischen Landkreises Fries- bisherige Ordnung und daß kein Grund gefunden
land verbindet. Wir haben in Ostfriesland keinerlei werden könne, der eine solche Neueinteilung recht-
Verständnis dafür, daß diese alte Einheit Ostfries- fertigen könne. Ja, eine der Zeitungen schließt ihre
lands, die stets respektiert wurde und die sich auch Betrachtungen damit ab, daß sie schreibt, wenn die
bisher in den Bundestagswahlkreisen durchaus gün- Demokratie funktioniere, müsse es für uns bei der
stig ausgewirkt hat, jetzt zerstört werden soll. Wir alten Einteilung bleiben; hier werde gegen die ein-
sind der Auffassung, daß die Herren, die diesen hellige Volksmeinung ein bewährter Zustand nur
Vorschlag gemacht oder ihm zugestimmt haben, all- verschlechtert.
zusehr von statistischen Zahlen ausgegangen sind
und gewachsene historische Einheiten nicht genü- Es ist mir einigermaßen unverständlich, daß man
gend berücksichtigt haben. über diese einheitlichen Auffassungen einfach zur
Tagesordnung übergegangen ist — auch im Aus-
Meine Damen und Herren, dieselbe Einheit be- schuß —, zumal irgendein ersichtlicher Grund, den
steht bezüglich der wirtschaftlichen und sozialen man den Wählern in diesen ostfriesisch-oldenbur-
Struktur. Ostfriesland ist ein strukturell einheitlich gischen Wahlkreisen plausibel machen könnte,
ländliches Gebiet. Es gibt unsere Hafenstadt — überhaupt nicht vorliegt.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4685
Dr. Conring
Bei dieser Sachlage, meine Damen und Herren, er- aus der Geschichte, daß die Friesen ein besonders
hebt sich die Frage: Wie kann dem abgeholfen wer- ausgeprägtes Gefühl für Recht haben.
den? Natürlich hätte man zu einer Neueinteilung (Zuruf in der Mitte: Das haben alle Deut
der Wahlkreise in dem ganzen nordniedersächsi- schen!)
schen Raum kommen können, ohne die Auflösung Aus den Reihen der Friesen sind große Rechtsden-
gerade dieses einen Wahlkreises an der Nordsee- ker hervorgegangen, die Sie kennen. In der ost-
küste, zu der sich kein Grund darbietet, vorzu- friesischen Bevölkerung wird weitgehend die Auf-
schlagen. Das hätte um so näher gelegen — und das fassung vertreten, die u. a. in den Beschlüssen der
ist den beteiligten Ausschußmitgliedern dargelegt ostfriesischen Landkreise und in den Beschlüssen
worden —, als Ostfriesland ein Grenzland und ein der Städte Emden und Leer zum Ausdruck kommt,
Sanierungsgebiet ist, das sehr dringend darauf an- daß der ostfriesischen Bevölkerung kein Unrecht ge-
gewiesen ist, daß seine Abgeordneten im Bundes- schehen sollte, sondern daß ihr das Recht gegeben
tag u. a. auch die regionalen Interessen dieses Ge- werden sollte, auf das sie Anspruch hat.
biets an der Nordseeküste, das etwas abseits ge-
Deshalb bitte ich Sie herzlich, mit der Neueintei-
legen ist, wahrnehmen.
lung der Wahlkreise nicht eine, wie wir in Ostfries-
Man könnte aber auch einen anderen Weg gehen. land beinahe sagen müssen, willkürliche Auflösung
Denn wenn man zu einer Neueinteilung der ver- eines einzelnen Wahlkreises zu verbinden, der
schiedenen nordniedersächsischen Wahlkreise keine Gründe für eine Auflösung aufweist. Ich bitte
käme, würde man natürlich wieder andere Wahl- Sie deshalb, unseren Änderungsantrag Umdruck 375
kreise berühren, die dann ihrerseits erklären wür- anzunehmen.
den: Hier bleibt zwar ein Wahlkreis erhalten, aber (Beifall bei Abgeordneten in der Mitte.)
dort wird dafür ein anderer Wahlkreis aufgelöst.
Deshalb bin ich mit einer Reihe von niedersächsi- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
schen Abgeordneten der CDU bei der Beratung die- Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
ses Gegenstandes zu dem Ergebnis gekommen, daß
man in Ostfriesland den bisherigen Zustand belas- Schmitt - Vockenhausen (SPD) : Meine sehr ver-
sen und statt der Auflösung einen neuen Wahlkreis ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conring,
für Niedersachsen schaffen sollte. Die Gründe, die es ist nicht richtig, daß — wie Sie sagen— der Aus-
gegen diesen Wunsch geltend gemacht werden, sind schuß über die Wünsche von Ostfriesland zur Tages-
m. E. nicht durchschlagend. Ich will Sie damit nicht ordnung übergegangen sei. Wir haben uns sehr
belästigen und auch nicht zu sehr ins einzelne lange und eingehend bemüht, bessere Regelungen
gehen. Ich meine aber, daß der relativ beste und zu finden. Aber das war einfach nicht möglich. So
einfachste Weg wäre, nach dem bayerischen Vor- einfach, wie Sie und einige Kollegen es sich machen
bild zu verfahren und für Niedersachsen einen — einen anderen Wahlkreis aufzuteilen und, wenn
Wahlkreis mehr einzurichten, wie es in Nieder- das nicht geht, schließlich einen weiteren Wahlkreis
bayern jetzt geschieht. Dann würde in Ostfriesland vorzuschlagen —, geht es leider nicht. Der Vor-
die alte Wahlkreiseinteilung bestehenbleiben kön- schlag, den die Antragsteller hier vorlegen, ist
nen. Man sollte aber nicht — wie es in einem Kreis- schlicht verfassungswidrig. Wenn neue Wahlkreise
tagsbeschluß heißt — „die verhängnisvolle und geschaffen würden, würden nach den Prozentzahlen
unzweckmäßige Zerreißung des bisher einheitlichen - zunächst Hamburg und Hessen jeweils einen weite-
und in Jahrhunderten gewachsenen ostfriesischen ren Wahlkreis erhalten müssen und dann erst das
Raumes" aus Gründen vornehmen, die keinem Land Niedersachsen.
Menschen plausibel gemacht werden können. Ich will nicht auf die weiteren Argumente ein-
Aus diesem Grunde habe ich mir erlaubt, den gehen, die der Herr Kollege Conring hier vorge-
Antrag Umdruck 375 vorzulegen. Ich darf bei die- tragen hat: schweres Unrecht, Zerreißung, Gefühl
ser Gelegenheit einen Druckfehler berichtigen, der für Recht. Herr Kollege Conring, hier haben Sie
sich etwas übersteigert. Wir sind auch alle für
sich beim Abschreiben eingeschlichen hat. Zu dem
Recht. Sie wollen doch nicht behaupten, daß wir hier
Wahlkreis 20, dem einen ostfriesischen Wahlkreis, jemandem Unrecht tun wollen. Lesen Sie die Begrün-
der den Namen Aurich-Emden trägt, gehören die dung der Regierungsvorlage und den Bericht der
kreisfreie Stadt Emden, der Landkreis Aurich und Wahlkreiskommission. Wenn wir es uns so einfach
der Landkreis Norden. Der andere ostfriesische machten, wie Sie es vorhaben, könnten in Deutsch-
Wahlkreis umfaßt die Landkreise Leer und Witt- land noch 15 weitere Gegenden mit dem gleichen
mund. Der dritte Kreis — Wilhelmhaven-Fries- Anspruch kommen, noch einen Wahlkreis zu bekom-
land — soll ebenfalls in dem alten Umfang bestehen- men. Das würde dazu führen, daß die gesamte Wahl-
bleiben. kreiseinteilung gefährdet würde.
Die notwendige Neueinteilung der Bundestags- Ich bitte um Ablehnung dieses Antrages.
wahlkreise, gegen die man aus den bekannten, vom (Sehr richtig! rechts.)
Berichterstatter vorgetragenen Gründen nichts ein-
wenden kann — sie ist eine Notwendigkeit für die Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Gesamtheit —, sollte man nicht mit einem, wie wir Abgeordnete Dr. Vogel.
meinen, schweren Unrecht gegenüber den an der
ostfriesisch-oldenburgischen Küste liegenden Bun- Dr. Vogel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
destagswahlkreisen belasten. Sie wissen vielleicht sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ein
4686 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Vogel
anderes Argument in die Debatte einführen, das Mit dem Vorschlag des Innenausschusses, die
mittelbar mit den Argumenten zu tun hat, die Zahl der Wahlkreise von 247 auf 248 zu erhöhen,
Herr Dr. Conring anführte. Ich glaube, es ist hier wurden mögliche Ungerechtigkeiten bei der Ver-
der Platz, etwas zusätzlich zu sagen. teilung der Wahlkreise auf die Bundesländer ver-
Durch die neue Wahlkreiseinteilung werden sehr mieden. Ich bin mir bewußt, daß die Verhältnisse
viele direkte, seit 14 Jahren bestehende Bande zer- in Niedersachsen trotzdem nicht voll befriedigen
schnitten und zerrissen, die zwischen Abgeordneten können. Wir haben deshalb auch geprüft, ob diese
und den Wählern in ihrem Wahlkreis mühsam ge- Härte durch eine Erhöhung der Zahl der Wahlkreise
knüpft worden sind. auf 249 vermieden werden könnte. Wir mußten aber
feststellen, daß vor der Zuteilung eines Wahlkreises
(Abg. Wehner: Das trifft ja wohl auf alle an Niedersachsen auf Grund der Reststimmenzahlen
Seiten zu!) zuerst Hessen und Hamburg zum Zuge kämen. Wir
- Das wollte ich gerade sagen; das trifft Sie genau- müßten also, um Niedersachsen zu helfen, insgesamt
so, wie mich das trifft. sechs zusätzliche Abgeordnetensitze schaffen. Der
Antrag in der Fassung des Umdrucks 375 wider-
(Abg. Wehner: Bloß wir jammern nicht dar
spricht deshalb dem Grundsatz der Gleichbehand-
über!)
lung. Ich muß Sie trotz aller Zuneigung zum Lande
— Entschuldigen Sie — ich jammere auch nicht dar- Niedersachsen bitten, diesen Antrag abzulehnen.
über, und ich wundere mich, daß Sie das als „jam-
mern" bezeichnen, Herr Kollege Wehner. Wir rüh- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
ren hier an einen der wesentlichsten Bestandteile Abgeordnete Gerlach.
im Funktionieren unserer parlamentarischen Demo-
kratie; und da sollten wir nicht mit solchen Aus-
Gerlach (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
drücken operieren, wie Sie das soeben getan haben.
und Herren! Im Schriftlichen Bericht Drucksache
(Beifall bei der CDU/CSU.) IV/1729 hat der Herr Berichterstatter im Teil II
Es kommt mir hier darauf an, ein Argument an- darauf hingewiesen, daß der Ausschuß für Inneres
zuführen, das inmitten der notwendigen Berechnun- bei seinen Beratungen davon ausgegangen ist, daß
der Entwurf der Bundesregierung - Drucksache
gen bis jetzt nach meinem Dafürhalten noch nicht
IV/1376 — und damit der Bericht der Wahlkreis-
seinen Niederschlag gefunden hat. Wir haben eine
kommission nicht wesentlich verändert werden
parlamentarische Demokratie. Diese parlamentari-
könne, ohne daß die notwendige Neueinteilung der
sche Demokratie ringt auch bei uns noch um ihre
Wahlkreise in dieser Legislaturperiode überhaupt
Anerkennung in den breitesten Massen. Es ist kein
gefährdet würde. Über die Notwendigkeit der Neu-
unwesentliches Argument, wenn hier bei dieser Ge-
einteilung der Wahlkreise gibt es keine Meinungs-
legenheit auch derer gedacht wird, die bis jetzt
verschiedenheiten. Es ist mir aber trotz des Hin-
14 Jahre hindurch sich mit ihren Abgeordneten in
weises im Schriftlichen Bericht nicht recht verständ-
Dörfern und Städten verbunden gefühlt haben und
lich, warum begründete Änderungswünsche, die
die nun durch einen notwendigen, auch von uns
dem Inhalt und dem Sinn des Bundeswahlgesetzes
als notwendig anerkannten Verwaltungsakt aus die-
eher entsprechen als der Bericht der Wahlkreiskom-
sem Verhältnis herausgerissen werden. Ich glaube,
mission, keine Berücksichtigung fanden. Es ist anzu-
es ist notwendig, daß das an dieser Stelle auch ein--
erkennen, daß der Ausschuß für Inneres schnell
mal gesagt wird. Denn hier werden Bande zer-
gearbeitet hat. Hierin ist, so glaube ich, auch der
schnitten, die im Laufe von 14 Jahren mühsam ge-
Grund dafür zu finden, daß die Vorschläge der
knüpft worden sind, hier wird eine Arbeit unter-
Wahlkreiskommission eine so weitgehende Billi-
brochen, die im Laufe von 14 Jahren gediehen ist;
gung gefunden haben.
das kann nicht so ohne weiteres durch diesen neuen
Verwaltungsakt ersetzt werden. Ich bitte Sie also, Der Änderungsantrag Umdruck 375 hat zum
auch dieses, wenn Sie wollen: psychologische Zweck, die natürlichen und wirtschaftlichen Zusam-
Moment, Herr Kollege Wehner, dabei nicht völlig menhänge Ostfrieslands, der nordwestlichen Ecke der
außer acht zu lassen, wenn hier aus zwingenden Bundesrepublik, wiederherzustellen, wie es das Bun-
Notwendigkeiten zu einer Ausbalancierung des deswahlgesetz vorsieht. Nach dem Vorschlag der
Gleichgewichts innerhalb der Bundesrepublik ge- Wahlkreiskommission sollen die Landkreise Aurich
kommen werden muß. Wir sehen ein, daß das not- und Wittmund dem Wahlkreis Wilhelmshaven zu-
wendig ist; aber ich glaube, es ist unsere Pflicht, geordnet werden. Die Stadt Aurich ist Sitz des ost-
auch auf dieses sehr wichtige psychologische friesischen Regierungspräsidenten und der altehr-
Moment hinzuweisen. würdigen Körperschaft der „Ostfriesischen Land-
schaft." Der Landkreis Aurich bildet mit den übrigen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
ostfriesischen Landkreisen und der kreisfreien Stadt
Emden nicht nur einen Regierungsbezirk, sondern
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der auch nach der Struktur, seinen Menschen, Gewohn-
Abgeordnete Wagner. heiten und natürlichen Gegebenheiten ein einheit-
liches Ganzes. Die kreisfreie Stadt Wilhelmshaven,
Wagner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- die zum Verwaltungsbezirk Oldenburg gehört, hat
men und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, doch mit dem Landkreis Aurich überhaupt keine und mit
noch eine Bemerkung zu dem Antrag Umdruck 375 dem Landkreis Wittmund nur sehr vage Zusammen-
zu machen. hänge.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4687
Gerlach
Unverständlicherweise sollen auf Vorschlag der Ausland niedergelegt werden kann, eine Bestim-
Wahlkreiskommission die zum Teil vor der Stadt mung von geringer politischer Bedeutung, aber von
Wilhelmshaven liegenden großen Gemeinden Sande, einer gewissen Zweckmäßigkeit. Zum zweiten soll
Zeteln, Bockhorn und Neuenburg, die überdies eng die Bestimmung abgeschafft werden, daß über die
mit Wilhelmshaven verbunden sind, dem neuen Niederlegung eines Mandats der Vorstand des
Wahlkreis Oldenburg zugeteilt werden. Das eine ist Deutschen Bundestages entscheidet. Dies hat sich in
so widersprüchlich wie das andere. der Praxis als umständlich und zeitraubend erwie-
Der vorliegende Änderungsantrag geht davon aus, sen; es hat die Niederlegung zeitlich weit hinaus-
die bestehenden gebietlichen Zusammenhänge zu geschoben. Außerdem bestehen verfassungsrecht-
respektieren, aber nicht neue unbegründete und dem liche Zweifel, ob das Recht des Abgeordneten, sein
Bundeswahlgesetz widersprechende Neugliederun- Mandat niederzulegen, überhaupt durch einen Vor-
gen zu schaffen. standsbeschluß beeinträchtigt werden kann. Dieser
juristische Streit ist nie ausgetragen worden, weil
Meine Damen und Herren, ich bin kein Ostfriese der Vorstand in der Vergangenheit einem solchen
und erhalte auch nicht das Indigenat der „Ostfriesi- Wunsch, wenn auch mit Verzögerung, immer Rech-
schen Landschaft'', wenn ich mich hier für die Bei- nung getragen hat. Aber weil eben solche Zweifel
behaltung der ostfriesischen Wahlkreise einsetze. bestehen, ist es zweckmäßig, diese Bestimmung
Wer aber dieses Land kennt, der weiß um seine abzuschaffen. Ich darf Ihnen gemeinsam mit den
Eigenart und die seiner Menschen, der weiß auch Herrn Kollegen Dr. Schmid und Dr. Dehler, die den
um die Schwierigkeiten, mit denen dieses Land als Antrag unterschrieben haben, und dem Herrn Prä-
Grenzland an der Nordsee und an den Grenzen der sidenten Dr. Gerstenmaier die Annahme des Antra-
Niederlande zu kämpfen hat. ges empfehlen.
Der Änderungsantrag hat trotz des Votums des (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wir stimmen
Innenausschusses eine im Bundeswahlgesetz lie- zu!)
gende Begründung. Wirtschaftliche, strukturelle und
landschaftliche Gegebenheiten werden dadurch wie-
derhergestellt. Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort wird nicht
gewünscht.
Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen, um Unge-
rechtigkeiten zu vermeiden. Wir stimmen dann ab über den Änderungsantrag
auf Umdruck 363. Wer zustimmen will, gebe bitte
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weiteren das Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstim- — Einstimmige Annahme! Dann sind also in Ar-
mung über Ziffer 1 des Änderungsantrags der Ab- tikel I die Nummern 6 a und 6 b eingefügt.
geordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genos- Ich rufe dann auf Nr. 7. Hierzu liegt noch der
sen, Umdruck 375. Wer zustimmen will, gebe bitte Änderungsantrag auf Umdruck 375 unter Ziffer 2
Zeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Die vor. Herr Kollege Conring, wird der Antrag auf-
ablehnenden Stimmen waren ,die Mehrheit; der An- rechterhalten?
trag ist abgelehnt. (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Er ist in der
Ich rufe dann den Art. I Nr. 1 — in der Fassung Sache erledigt!)
des Ausschußbeschlusses —, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4,
Nr. 5 und Nr. 6 auf. — Wer zustimmen will, gebe — .Er ist in der Sache erledigt. Ich bitte dann um
bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Bei Ihre Erklärung: wird der Antrag zurückgenommen?
einigen Enthaltungen angenommen. (Abg. Dr. Conring: Er wird aufrechterhalten!)
Es liegt ein Änderungsantrag Umdruck 363*) vor,
— Der Antrag wird aufrechterhalten. Dann müssen
eine Nr. 6 a und eine Nr. 6 b einzufügen. Wird zu
wir darüber abstimmen.
diesem Antrag das Wort gewünscht? — Bitte, Herr
Kollege Dr. Jaeger. Wir stimmen also ab über den Antrag der Ab-
geordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genos-
Dr. Jaeger (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sen auf Umdruck 375 unter Ziffer 2. Wer diesem
Damen und Herren! Dieser Antrag hat nichts mit Antrag zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen!
der umstrittenen Wahlgeometrie zu tun. Es handelt — Gegenprobe! — Der Antrag ist 'abgelehnt.
sich um einen Antrag, den das Präsidium dieses Ich rufe dann auf Nr. 7 in der Fassung des Be-
Hauses gestellt hat. Jedenfalls hat mich Herr Präsi- schlusses des Ausschusses. Wer zustimmen will,
dent Dr. Gerstenmaier ausdrücklich ermächtigt, dies gebe bitte Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthal-
hier zu sagen. Es fehlt allerdings die Unterschrift tungen? — Einstimmige Annahme!
unseres Kollegen Schoettle, die aber nur deswegen
nicht zu erreichen war, weil er bedauerlicherweise Ich rufe auf Nr. 8. Hier liegt zunächst der Ände-
seit längerer Zeit erkrankt und nicht hier in Bonn rungsantrag auf Umdruck 369 *) der Fraktionen der
ist. CDU/CSU, SPD, FDP vor. Wird hierzu das Wort
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich
Es handelt sich bei diesem Antrag um zweierlei
über diesen Antrag abstimmen. Wer dem Antrag
Fragen. Einmal soll durch die Einfügung von
auf Umdruck 369 zustimmen will, gebe bitte das
Nr. 6 a erreicht werden, daß das Mandat auch im
*) Siehe Anlage 6 *) Siehe Anlage 7
4688 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Burgemeister (CDU/CSU) : Meine sehr verehr- Weiterhin ist eingereicht worden der Änderungs-
ten Damen und Herren! Ich möchte die Ausführun- antrag zu Art. I Nr. 8 von den Abgeordneten Zogl-
gen meiner Kollegin Frau Kalinke hier sehr nach- mann, Busse und Genossen, Umdruck 377*)
drücklich unterstützen. Ich möchte Bezug nehmen
Ich gebe das Wort zur Begründung und, da der
auf das, was der Herr Kollege Miessner in bezug
Antrag noch nicht verteilt ist, zur Verlesung des
auf den Großraum Hannover soeben vorgetragen
Antrags dem Herrn Abgeordneten Zoglmann.
hat. Es könnte der Eindruck entstehen, die Fragen
des Großraums Hannover seien bei der Beurteilung
der Anträge der SPD im Ausschuß nicht genügend Zoglmann (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
berücksichtigt worden. Ich darf deswegen darauf und Herren! Unser Änderungsantrag zu Nr. 8 hat
verweisen, daß schon die Wahlkreiskommission in folgenden Wortlaut:
der Drucksache 741 sehr deutlich gemacht hat, daß
die Frage Hannover bei der Kommission eine ent- Nummer des Wahlkreises: 103
scheidende Rolle gespielt hat und daß die Kommis- Name des Wahlkreises: Bielefeld-Land
sion nach eindeutiger Abwägung der auch von der Gebiet des Wahlkreises: Landkreis Bielefeld
Landesregierung in Hannover vorgebrachten Argu- und Halle (Westfalen)
mente sich dahin entschlossen hat, die Regelung
vorzuschlagen, die in der Regierungsvorlage enthal- Nummer des Wahlkreises: 106
ten ist.
Name des Wahlkreises: Paderborn — Wieden
Es heißt in dem Bericht der Wahlkreiskommission brück
der Bundesregierung ausdrücklich:
Gebiet des Wahlkreises: Landkreis Paderborn
Die Landesregierung hat gegen die Vorschläge Landkreis Wiedenbrück.
keine Einwendungen erhoben, mit Ausnahme
der Vorschläge zur Neugliederung im Raum Der Zweck dieses Antrags ist es, die Stadt Gü-
Hannover. Den Gegenvorschlägen konnte die tersloh als Hauptstadt des Kreises Wiedenbrück im
Kommission nach sorgfältiger Prüfung jedoch Bereich des Wahlkreises zu lassen, in dem sie sich
nicht folgen, weil die Zuteilung eines 3. Wahl- befindet, nämlich im Bereich des Wahlkreises Pa-
kreises für die Stadt Hannover allein im Ver- derborn-Wiedenbrück. Gütersloh ist als Hauptstadt
gleich zu anderen Großstädten mit mehreren des Kreises Wiedenbrück der wirtschaftliche, kul-
Wahlkreisen nicht vertretbar erschien und weil turelle und natürliche Mittelpunkt des Wahlkreises.
die Zusammenfassung der räumlich getrennten Es besteht keine Veranlassung zu einer Änderung;
Teile des Landkreises Hannover zu einem denn die jetzigen Zahlen befinden sich innerhalb
Wahlkreis nur um den Preis der Veränderung der Toleranzgrenzen: der Wahlkreis Bielefeld-Land
weiterer Wahlkreise und der Schaffung über- minus 13 %, der Wahlkreis Paderborn-Wiedenbrück,
durchschnittlich großer Wahlkreise in dünn wie er nach diesem Antrag beibehalten werden
besiedelten Gebieten möglich gewesen wäre. soll, plus 28 % gegenüber dem Bundesdurchschnitt,
d. h. innerhalb der Toleranzgrenze von plus 33 %.
Ich möchte damit deutlich machen, daß die Frage Ich bitte das Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
sehr wohl überprüft worden ist und daß sie des-
wegen nach unserer Meinung nicht hier noch ein- -
mal erörtert werden muß. Wir sind der Meinung, Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
daß die Vorschläge, die im Regierungsentwurf ent- Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
halten sind, wohlbegründet sind und den Verhält-
nissen besonders Rechnung tragen. Schmitt Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!
-
Ich bitte Sie wirklich noch einmal sehr dringend Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natür-
— ich kann es von der SPD sicher nicht verlangen, lich gibt es noch eine Reihe Wünsche anderer und
daß sie es tut, aber ich bitte meine Freunde und ich ähnlicher Art wie den hier vom Herrn Kollegen
bitte die Freunde von der FDP-Fraktion —, diesem Zoglmann vorgetragene Änderungsvorschlag. Wir
Antrag, den Frau Kollegin Kalinke gestellt und können zu unserem großen Bedauern nicht darauf
begründet hat, Ihre Zustimmung zu geben. eingehen. Ich bitte das Haus, den Antrag abzu-
lehnen.
(Beifall in der Mitte.)
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir stimmen ab
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir stimmen nun- über den soeben verlesenen Änderungsantrag der
mehr über den Antrag Umdruck 372 ab. Wer zu- Abgeordneten Zoglmann und Genossen. Wer zu-
stimmt, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! - stimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! —
Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abge- Der Antrag ist abgelehnt.
lehnt. Wir stimmen dann ab über Art. I Nr. 8 in der
Dann noch der Antrag auf Umdruck 375 — der Fassung der Vorlage, Art. II, Art. III, Einleitung
Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister und Ge- und Überschrift. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen.
nossen — unter Ziffer 3. Der Antrag wird aufrecht- — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine
erhalten; wir müssen darüber abstimmen. Wer ihm Stimme angenommen.
zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! —
Der Antrag ist abgelehnt. *) Siehe Anlage 9
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4691
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die das dankenswerterweise heute noch einmal sichtbar
gemacht. Die Chancengleichheit war nach der jetzi-
dritte Beratung. gen Wahlkreiseinteilung nicht mehr genügend ge-
sichert.
Als Änderungsantrag zur dritten Lesung ist der
Antrag der Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister Die ungünstige Einteilung der Wahlkreise hat
und Genossen neu eingebracht worden. Ich kann dazu geführt — und das war der zweite Grund —,
wohl en bloc über diesen Antrag abstimmen lassen. daß ständig Überhangmandate entstanden sind. Wir
Wer ihm zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! haben mit der heute beschlossenen Lösung die
— Der Antrag ist abgelehnt. Ursache für derartige Überhangmandate abgebaut.
Drittens hat der Ausschuß keine Wahlkreisgeome-
Weitere Anträge liegen nicht vor, auch keine
trie betrieben und keine Veränderungen in den
Wortmeldungen. Ich kann dann in der dritten Be-
Chancen der Parteien vorgenommen.
ratung über die Vorlage in der Fassung der Be-
schlüsse der zweiten Lesung abstimmen lassen. Das ist summa summarum der Inhalt unserer Be-
Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Ent- ratungen gewesen. Wir haben hier schnell die Klar-
haltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen ange- heit geschaffen, die lange genug vor den Wahlen
nommen. für die Wähler, für die Abgeordneten und nicht zu-
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Herr Präsi letzt für die Parteiorganisationen, die sich mit der
dent, ich habe mich bei Ihrem Vorgänger Aufstellung der Kandidaten beschäftigen müssen,
zu einer Erklärung in der allgemeinen Aus notwendig ist.
sprache zu Wort gemeldet!) Ich möchte herzlich den Kolleginnen und Kollegen
— Hat die Erklärung jetzt noch Sinn, Herr Kollege der Fraktionen danken, die den Ausschuß bei der
Schmitt-Vockenhausen? Erörterung und Ablehnung von Sonderwünschen
unterstützt haben. Ich möchte aber auch all den
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ja!)
Mitgliedern des Hohen Hauses herzlich danken, die
— Dann bestehen wohl keine Bedenken, daß die sicher gute Gründe für Änderungsanträge gehabt
Erklärung abgegeben wird. hätten und die heute dennoch im Interesse einer
schnellen Verabschiedung dieser Vorlage darauf ver-
Schmitt Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!
- zichtet haben, solche Anträge zu stellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei Vor-
Einige Fragen und Wünsche sind offengeblieben.
lagen, die das Hohe Haus und seine Mitglieder be-
Ich denke an die Frage, ob das Wahlrecht für die
treffen, verzichtet das Haus gerne auf eine Debatte.
Seeleute durch die Veränderung der Fristen genü-
Das ist verständlich. Aber wir wissen auch, daß das
gend gesichert ist. Darüber werden wir im März
in der Öffentlichkeit oft falsch ausgelegt wird. Es ist
oder April im Ausschuß noch einmal sprechen. Wir
daher vielleicht doch gut, wenn wenigstens einige
werden dann auch noch die Möglichkeiten des Wahl-
grundsätzliche Bemerkungen zu der jetzt verabschie-
rechtes der Europabeamten und eventuell der Aus-
deten Änderung der Wahlkreiseinteilung gemacht
landsdeutschen behandeln.
werden.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß Heute hat das Hohe Haus mit diesem Gesetz ins-
natürlich jeder von uns weiß — der Herr Kollege- gesamt eine wichtige und wesentliche Entscheidung
Vogel hat schon davon gesprochen —, daß diese getroffen. Ich danke Ihnen sehr.
Wahlkreiseinteilung für viele verdiente Mitglieder (Beifall.)
des Hauses eine schwere Entscheidung ist. Ich will
die Schwere und Tragweite hier gar nicht verklei-
nern. Um so dankbarer sind wir alle, daß das Haus Vizepräsident Dr. Dehler: Ich schließe die
sich die Vorlage des Innenausschusses zu eigen ge- Beratung über diesen Punkt und rufe auf Punkt 15
macht hat. Sicher wäre es leichter gewesen, wenn der Tagesordnung:
einige Jahre früher schon einmal eine Änderung
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
erfolgt wäre und wenn nicht der mahnende Finger
des Bundesverfassungsgerichts im Hintergrund der desregierung eingebrachten Entwurfs eines
heutigen Verabschiedung gestanden hätte. Gesetzes zur Änderung des Spar-Prämien-
gesetzes (Drucksache IV/1654);
Wer gehofft hatte, der Ausschuß könne sich in
eine wahlrechtssystematische Diskussion begeben, Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschus-
mußte enttäuscht werden. Eine Debatte hätte sicher ses (16. Ausschuß) (Drucksachen IV/1712,
die innenpolitischen Auseinandersetzungen belebt. zu IV/1712).
Aber wir mußten schnell gute Arbeit leisten, um (Erste Beratung 98. Sitzung)
eine Vorlage zu bringen, die so rechtzeitig vor den
Wahlen in Kraft treten kann, daß Wähler, Parteien Es liegt vor der Schriftliche Bericht des Wirt-
und Abgeordnete sich darauf einstellen können. schaftsausschusses, erstattet durch den Abgeord-
neten Porzner. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Welche Gesichtspunkte waren nun neben den von Wird eine mündliche Ergänzung gewünscht? — Das
der Kommission in ihrem Bericht ausführlich darge- ist nicht der Fall.
stellten für uns entscheidend? Im Grunde hätte schon
in den 50er Jahren eine Neueinteilung vorgenom- Ich eröffne die Beratung und rufe auf Art. 1. Es
men werden müssen. Der Herr Berichterstatter hat liegen vor Änderungsanträge der Fraktion der SPD
4692 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen Vizepräsident Dr. Dehler: Besteht völliges
und Herren! Nach den in der zweiten Lesung getrof- Einverständnis über Fassung und Tragweite des
fenen Entscheidungen ist die CDU/CSU nunmehr be- Antrags? — Das ist der Fall. Wer diesem Ände-
reit, zusammen mit uns dafür Sorge zu tragen, daß rungsantrag zustimmen will, gebe bitte Zeichen. —
die Lastenausgleichstitel in die Prämienförderung Gegenprobe! — Enthaltungen? — der Antrag ist
einbezogen werden. Das hat der Antrag *) zum Ziel, gegen die Stimme des Herrn Dr. Imle, im übrigen
den ich dem Hause vortragen darf und den ich einstimmig angenommen.
Ihnen, Herr Präsident, noch schriftlich übergeben
werde. Danach sollen die gestrichenen Nrn. 1 und 2 Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
des Art. 1 des Gesetzes in der Fassung der Vorlage Gesetz mit der nunmehr beschlossenen Änderung
des Wirtschaftsausschusses wiederhergestellt wer- zustimmt, erhebe sich vom Platze. — Gegenprobe!
den mit der Maßgabe, daß unter Nr. 1 Buchstabe a — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige An-
die Buchstaben aa) und infolgedessen auch die nahme fest.
Unterteilung bb) wegfallen, so daß es unter Buch- Zwischendurch gebe ich bekannt, daß die Beratun-
stabe a heißt: gen heute nachmittag mit Tagesordnungspunkt 16,
In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die folgende Sechstes Rentenanpassungsgesetz, und Tagesord-
Nummer 4 angefügt: nungspunkt 17, Große Anfrage der Fraktion der
SPD betreffend auswärtige Kulturpolitik, fortgesetzt
Das heißt, diese Nr. 1 erhält die Fassung unseres werden.
Änderungsantrags Umdruck 368.
Diesen Antrag möchten wir nunmehr gemeinsam Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 18:
mit der CDU/CSU stellen. Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
Vizepräsident Dr. Dehler: Es wird also der zes zur Änderung und Ergänzung des Geset-
Antrag gestellt: zes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens-
und Rentenversicherungen (Drucksache
§ 1 wird wie folgt geändert: IV/1671).
a) In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die fol-
gende Nummer 4 angefügt: Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht,
Aussprache ebenfalls nicht. Ich schließe die erste
„4. Grundbeträge des Anspruchs ... Beratung.
Und weiter, wie es in der Drucksache IV/1712 steht. Es ist vorgesehen Überweisung an den Wirt-
schaftsausschuß — federführend — und an den
Seuffert (SPD) : Das heißt praktisch: der Buch- Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Keine Ein-
stabe a in der Fassung des Änderunsantrags Um- wendungen; es ist so beschlossen.
druck 368, die Buchstaben b und c in der Fassung der
Ausschußvorlage, auch Nr. 2 in der Fassung der Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 19:
Ausschußvorlage. Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
Vizepräsident Dr. Dehler: Damit wir uns ganz dem Assoziierungsabkommen vom 20. Juli
klar sind: Es soll folgende Änderung vorgenommen 1963 zwischen der Europäischen Wirtschafts-
werden: Die Nr. 4 wird so angefügt, wie es im Än- gemeinschaft und den mit dieser Gemein-
derungsantrag Umdruck 368 Ziffer 1 vorgesehen ist; schaft assoziierten afrikanischen Staaten und
die Buchstaben b und c und Nr. 2 bleiben wie in der Madagaskar sowie zu den mit diesem Ab-
Ausschußvorlage. kommen in Zusammenhang stehenden Ab-
kommen (Drucksache IV/1673).
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Das Wort wird nicht gewünscht.
Kuntscher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Es besteht Streit über die Frage, welche Aus-
Damen und Herren! Wie bereits Herr Kollege Seuf- schüsse zu beteiligen sind. Der Vorsitzende des
fert erklärt hat, entsprechen wir einem Fraktions- Außenhandelsausschusses, Herr Abgeordneter Dr.
beschluß, indem wir jetzt dem Antrag der SPD Um- Serres, ist der Meinung, daß der Außenhandelsaus-
druck 368 beitreten, wonach Schuldverschreibungen schuß zumindest mitbeteiligt werden muß. Bestehen
in Form der Lastenausgleichstitel in das Spar- dagegen Bedenken? — Wenn nicht, dann wird die
prämiengesetz einbezogen werden sollen. Vorlage überwiesen an den Ausschuß für auswär-
tige Angelegenheiten — federführend — sowie an
den Ausschuß für Entwicklungshilfe und den Außen-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
handelsausschuß zur Mitberatung. Es ist so be-
Herr Abgeordnete Dürr.
schlossen.
Dürr (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 20:
Herren! Der Antrag wird nicht strittig werden, denn Erste Beratung des von der Bundesregierung
die Fraktion der FDP schließt sich ihm an. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset-
zes zur Änderung des Zollgesetzes (Druck-
*) Siehe Anlage 12 sache IV/1681).
4698 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Becker
— Darauf komme ich noch. — Aber bei Annahme können, indem wir allen das gleiche Recht geben.
dieser Anträge würden wir eine Vertiefung — ich Wir sollten den Gleichheitsgrundsatz für alle wah-
will das Wort „Zementierung" nicht gebrauchen — ren. Aus diesem Grunde müssen wir die beiden ge-
der ungleichen Behandlung gleicher oder doch ähn- stellten Anträge ablehnen.
licher Tatbestände herbeiführen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
Der verehrte Herr Kollege Hussong sagte vor- Schellenberg: Das war schwach! — Gegen-
hin: Fünfmal haben wir jetzt angepaßt, und auf ein- ruf des Abg. Becker: Da kommt es auf die
mal fällt der Bundesregierung ein, diese Anpas- Auffassung vom Gleichheitsgrundsatz an!)
sung nicht mehr durchzuführen. Herr Kollege Hus-
song, wir haben erst im Juni 1963 das Anglei-
chungsgesetz für die Saar verabschiedet, und erst Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
nach Verabschiedung dieses Gesetzes konnte diese Abgeordnete Wilhelm.
Sache erneut angepackt werden. Das Sozialversiche-
rungs-Angleichungsgesetz für die Saar vom Juni
besagt, daß die Saarländer, die in Frankreich — also Wilhelm (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
in Lothringen — gearbeitet haben, die französischen und Herren! Ich möchte Ihre Zeit nicht lange in
Zeiten nach deutschem Recht durch eine sogenannte Anspruch nehmen. Nur eine kurze Klarstellung. Ich
Sonderleistung — man kann auch sagen: Fürsorge bedaure, daß Herr Kollege Becker zur Ablehnung
— gewertet bekommen. Dadurch sollen sie an die des Antrages erneut ein Argument vorgebracht hat,
deutschen Leistungen angepaßt werden. Es sollte das schon einige Dutzend Male im Laufe der letzten
den Arbeitnehmern der Saar, wie wir damals sag- Jahre entkräftet wurde, nämlich das Argument der
ten, der Besitzstand gewahrt werden. vergleichbaren Grenzgänger in Baden, in Schleswig-
Holstein und sonstwo.
Aber nicht nur an der Saar, sondern auch in vie-
len anderen Gebieten unseres deutschen Vaterlan- (Abg. Becker: In Rheinland-Pfalz!)
des, insbesondere in Grenzgebieten, hat es immer
Es ist durch die Darstellung entkräftet worden, die
Menschen gegeben — unterschiedlich in der
vorhin sowohl Herr Kollege Hussong als auch Herr
Zahl —, die im fremden Land Arbeit und Brot ge-
Kollege Klein im Hinblick auf die historische Ent-
sucht und gefunden haben. Ich komme aus dem
wicklung gegeben haben. Es gibt kein Gebiet in
Grenzland-Wahlkreis Pirmasens-Zweibrücken-Berg-
Deutschland, das ein so wechselvolles staatsrecht-
zabern. Bei uns waren das bis 1914 vielleicht ein
liches Schicksal wie die Saar hatte. Das soll man doch
paar hundert Menschen. Nach 1917, in den 20er Jah-
endlich einmal zur Kenntnis nehmen, wenn solche
ren — die älteren wissen es noch —, in der soge-
Fragen hier zur Diskussion stehen.
nannten Cuno-Zeit, als bei uns Tausende von Men-
schen arbeitslos waren, haben die Menschen drüben (Beifall bei der SPD.)
im Elsaß und in Lothringen Arbeit und Brot gesucht
und sind zum großen Teil mit ihren Familien vor- Man sollte nicht immer die Diskussion von vorn an-
übergehend nach drüben verzogen. Diesen Men- fangen, als habe es keinen Versailler Friedensver-
schen würde dann das gleiche Recht zustehen. Ihre trag mit seinen Auswirkungen auf die Saar gege-
französische Arbeitszeit wird nach französischem ben, als habe es das Jahr 1871 nicht gegeben im
Recht bewertet, und sie werden von der französi- Hinblick auf das Schicksal Elsaß-Lothringens, als
schen Sozialversicherung bezahlt. Das gilt auch für habe es die ganze Entwicklung und die Folgen des
alle anderen in den übrigen Grenzgebieten. Ich zweiten Weltkrieges nicht gegeben. Es kommt
nenne nur diejenigen, die von Nordrhein-Westfalen einem manchmal fast so vor, als hätten nur die
nach Holland in die Provinz Limburg als Bergleute Saarländer den ersten und den zweiten Weltkrieg
gegangen sind, nach Belgien oder nach Luxemburg. verloren
All diese Menschen bekommen ihre Rente für die (Rufe von der Mitte: Au! Au!)
Zeit, die sie drüben gearbeitet haben, nach dem
und als hätten sie ihr staatsrechtliches Schicksal
Recht des jeweiligen Landes. Wenn wir es anders selber verschuldet,
machten, dann würden wir die zwischenstaatlichen
Vereinbarungen, die wir abgeschlossen haben, er- (Beifall bei der SPD. — Unruhe in der Mitte.)
schweren.
Sie mögen abwehren. Aber man hat oft den Ein-
Gerade die Grenzlandabgeordneten werden im- druck, —
mer mit den Schwierigkeiten auf diesem Gebiet
konfrontiert. Es vergeht fast keine Woche, in der (Abg. Stingl: Also tiefer geht's nimmer!)
nicht irgendein Arbeiter von damals, der heute
Dieser Personenkreis ist doch letzten Endes wieder
längst Rentner geworden ist, zu mir kommt und
durch das politische Bekenntnis zu Deutschland in
sagt: Warum bekomme ich meine französischen
das Verhältnis des Grenzgängers gekommen. Hätten
Zeiten so gerechnet, und warum bekommt sie der
sie sich bei der Volksbefragung am 23. Oktober 1955
Kollege, der drüben im Saarland wohnt, so gerech-
anders entschieden, hätte für sie dieses Problem nie
net? Das ist kein Neidkomplex. Aber man muß ja
zur Diskussion gestanden.
mit diesen Dingen fertig werden.
(Zustimmung bei der SPD.)
Ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen. Wir
sollten uns einmal alle miteinander Gedanken dar- Ihr politisches Bekenntnis zu Deutschland mit der
über machen, wie wir allen diesen Leuten helfen Folge der politischen und wirtschaftlichen Einglie-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4703
Wilhelm
derung 1957 und 1959 soll sie jetzt schlechter stellen, Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) : Herr Präsident!
als es sonst der Fall gewesen wäre. Meine Damen und meine Herren! Ich glaube, in die-
sem Jahre haben wir es leichter, das Haus zu der
(Erneute Zustimmung bei der SPD. — An Einsicht zu bewegen, daß nun endlich beim Sechsten
haltende Unruhe in der Mitte.) Rentenanpassungsgesetz auch die rund 2 Millionen
Das wäre eine Bestrafung für ein Bekenntnis zu Rentner berücksichtigt werden müssen, die seiner-
Deutschland. zeit bei der Rentenreform 1957 den Sonderzuschuß
von 21 DM bzw. 14 DM für die Witwen bekommen
(Abg. Stingl: Warum reden wir überhaupt haben. Wir haben in den letzten Wochen und Tagen
darüber? Doch weil es dort geringere Ren Ausführungen gehört, aus denen hervorgeht, daß
ten gibt!) man jetzt eine gezieltere Sozialpolitik betreiben
Darüber hinaus war es das Ziel des saarländi- müsse, daß man zuerst und insbesondere den Krei-
schen Gesetzes Nr. 345, diesen Personenkreis denen sen sozialpolitisch helfen müsse, die es am not-
gleichzustellen, die im Inland gearbeitet haben. Das wendigsten haben. Hier haben wir einen solchen
würde jetzt leider nicht mehr geschehen. hervorstechenden Fall, bei dem es darum geht, den
Menschen zu helfen, denen dringend geholfen wer-
Abschließend noch eine Bemerkung! Im Beamten- den muß, nämlich den 2 Millionen Menschen, die
recht spricht man von wohlerworbenen Rechten. sogenannte Kleinstrenter sind, die also einen Ren-
Wenn es wohlerworbene Rechte gibt, dann haben tenbetrag von 100 bis 150 DM im ganzen Monat —
diese sogenannten Grenzgänger, um die es hier man überlege sich diese Zahl! - haben und größ-
geht, seit Jahrzehnten ihre Rechte wohlerworben. tenteils davon „leben" müssen. Hier können Sie
Ich bitte, das bei Ihrer Abstimmung zu berück- jetzt also Ihre in den letzten Wochen im Zusam-
sichtigen. menhang mit der Kriegsopferversorgung erwähnte
(Beifall bei der SPD.) gezielte sozialpolitische Leistung anbringen, indem
Sie diese Sonderbeträge endlich beim Sechsten Ren-
tenanpassungsgesetz mit anpassen. Die Renten-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
erhöhung würde ganze 80 Pfennig im Monat für
Abgeordnete Klein.
die Menschen betragen, die eine Rente von 100 DM
im Monat haben. Sie würden also eine jährliche
Klein (Saarbrücken) (CDU/CSU) : Herr Präsident! Rentenerhöhung von 10 DM im Durchschnitt erhal-
Meine Damen und Herren! Ich will nur noch zwei ten. Um diese kleinen Beträge haben Sie um des
Sätze sagen. Zunächst möchte ich eine Behauptung Schlagwortes willen, möchte ich sagen, der „Lohn-
aufstellen, und zwar die Behauptung, daß es an bezogenheit" gerade diejenigen Rentner geschädigt,
keiner Grenze des ehemaligen Deutschen Reiches denen doch nach Ihrer Ansicht, die Sie draußen
einen Parallelfall Saar gibt. Dann möchte ich be- vertreten haben, geholfen werden muß.
merken, daß sogar die Weimarer Republik, ohne
Ich habe schon bei den verschiedensten Gelegen-
daß gesetzliche Grundlagen dafür vorhanden waren,
heiten der Verabschiedung der Rentenanpassungs-
diesen Rentnern damals geholfen hat. Ich erinnere
gesetze Ausführungen vom Grundsätzlichen her ge-
nur an die Heidelberger Abrede im Jahre 1927.
macht. Ich möchte es mir in diesem Jahre ersparen,
Man gab jedem Rentner ohne Rechtsgrundlage, ohne
mich insbesondere mit dem Argument auseinander-
daß besondere Gesetze an der Saar dieserhalb be--
zusetzen, das Sie bei den Ausschußberatungen, ich
standen hätten, Zuschüsse. Man hat also Einsicht möchte sagen, lapidar vorgetragen haben, ohne es
gehabt, ohne daß man dazu verpflichtet gewesen
exakt zu beweisen, und das im Bericht wiederkehrt:
wäre. daß dieser Teil seinerzeit nicht „lohnbezogen" war.
(Zurufe von der CDU/CSU und von der Ich könnte Ihnen eine ganze Fülle von Beispielen
SPD.) dafür anführen — ich habe es im Ausschuß und
auch hier bei früheren Ausführungen zu diesem
Thema getan —, daß die Rentenreform des Jahres
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- 1957, von der 6,5 Millionen Rentner erfaßt waren,
dungen liegen nicht vor. eine erhebliche Verzerrung des Rentengefüges mit
Ich komme zur Abstimmung. Wir stimmen ab sich gebracht hat.
über den Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 1 Ich habe im Ausschuß beispielsweise den Fall der
und gleichzeitig über den gleichlautenden Ände-
beiden Schwestern aus Bad Nauheim angeführt, die
rungsantrag Umdruck 373 Ziffer 1. Wer für diese vor der Rentenreform die gleiche Rente, nämlich
gleichlautenden Anträge ist, der gebe das Hand-
genau 144 DM, erhielten. Die Rentnerin, die mehr
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Erstes
Beiträge bezahlt hat — das würde also der Lohn-
war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
bezogenheit gleichkommen —, hat bei der pau-
Wir stimmen nunmehr ab über Art. I §§ 1 bis 4 schalen Umstellung im Jahre 1957 ihre Rente von
einschließlich. Wer zustimmen will, gebe das Hand- 144 DM behalten, während die Rente ihrer Schwester
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Acht auf 210 DM aufgestockt wurde. Diese beiden zu-
Enthaltungen, vier Gegenstimmen; angenommen. sammenlebenden Menschen kommen also immer
weiter auseinander.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 364
Ziffer 2. Wer begründet ihn? - Das Wort hat der Bitte, nehmen wir wirklich einmal das Argument
Abgeordnete Meyer. der exakten Lohnbezogenheit. Man soll aber doch
4704 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Meyer (Wanne-Eickel)
nicht auf Prinzipien herumreiten, sondern soll den haben und uns deshalb bewegen könnten, Ihrem
Menschen sehen, auch diesen Kleinstrentner, dem Antrag zuzustimmen.
man wirklich einmal helfen müßte, statt ihn in
(Abg. Geiger: Sie sind aus Grundsatz un
seinem Rentenbezug immer weiter zurückzustoßen.
einsichtig, Herr Kollege, Sie wollen nicht!)
Ich könnte auch noch einmal das Beispiel der — Was wir wollen, das werde ich Ihnen jetzt genau
Witwenrenten anführen. Wenn sich eine wirkliche sagen, Herr Kollege Geiger.
Lohnbezogenheit der Rentenreform abzeichnete,
Herr Kollege Meyer, auch Ihr jedes Jahr wieder-
müßten alle Witwen, wie wir es beschlossen haben,
kehrendes Beispiel von den beiden Schwestern, die
60% bekommen. Sie wissen aber — und soweit ich ursprünglich beide 144 Mark Rente hatten, von de-
aus der Presse entnommen habe, sind Sie selbst
nen nach der Rentenreform die eine nur 160 DM, die
jetzt, nachdem wir seit Jahren bohren, dabei, dies
andere aber 220 DM bekam, zieht nicht mehr. Die-
zu ändern —, daß die Frauen, die nach 1957 durch ses Beispiel hat mit dem eigentlichen Problem Ihres
den Todesfall ihres Ehegatten Rentnerinnen gewor- heutigen Antrags überhaupt nichts zu tun.
den sind, höchstens 35 %, aber keine 60 % der Rente
bekommen, wie wir es im Gesetz beschlossen haben. (Abg. Dr. Schellenberg: Es ist aber richtig!)
Von einer exakten Lohnbezogenheit kann also auch — Es hat nichts mit dem Problem der Einbeziehung
hier keine Rede sein. Deshalb entfällt dieses Argu- des Sonderzuschusses in die Anpassung zu tun. Es
ment wirklich! sind ja auch nicht wir, die jedes Jahr diese doch
einfach hoffnungslose Frage zur Diskussion stellen.
Wenn wir uns mit diesem Thema weiter ausein-
andersetzten, würden wir die Frage zu beantworten Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-
haben: wie ist denn dieser Sonderzuschuß eigent- tion, haben es mit einer beinahe beneidenswerten
lich entstanden? Da gibt es nur eine Antwort. Sie ist Findigkeit fertiggebracht, Jahr für Jahr eine andere
aus der Wahlsituation des Jahres 1957 entstanden. Definition des rechtlichen bzw. sozialpolitischen
Weil Sie 2 Millionen Rentner nicht leer ausgehen Charakters des Sonderzuschusses vorzutragen. Im
lassen wollten, haben Sie diesen Sonderzuschuß Jahre 1961 meinte der Sprecher Ihrer Fraktion —
erfunden, haben ihn gewährt und haben einige hun- es war ebenfalls der Kollege Meyer —, dieser Son-
dert Millionen D-Mark dafür ausgegeben. Nun sind derzuschuß sei ein echter Rentenbestandteil, der als
Sie nicht bereit, diese Menschen in die Anpassung solcher eo ipso in die Anpassung einbezogen wer-
einzubeziehen, obwohl es kein beweiskräftiges Ar- den müsse. Im letzten Jahr hat Herr Kollege Meyer
gument gibt, sie auszuschließen. seine Definition geändert und davon gesprochen,
daß es sich um einen Teuerungszuschlag handle, der
Bei den Beratungen hat es sogar noch eine Sonder- entsprechend dem Anstieg der Lebenshaltungsko-
betrachtung gegeben, die ich hier aber nicht vertiefen sten dynamisiert werden müsse.
möchte und mit deren Anführung ich Sie sogar in (Abg. Meyer [Wanne-Eickel] : Ich habe die
eine arge Verlegenheit bringen würde. Nach dieser Frageform gebraucht! Ich habe gefragt, ob
Auffassung sollte der Sonderbeitrag insgesamt ab- es ein Teuerungszuschlag ist!)
gesetzt werden, bevor der übrige Teil der Rente
angepaßt wird, also auch bei den Rentnern, bei Sie, Frau Kollegin Korspeter, haben uns im letzten
denen nur fünf, sechs oder gar nur eine Mark in - Jahr zugerufen, dieser Sonderzuschuß sei ein Wahl-
dem Sonderbeitrag stecken. Das Thema erweitert zuschuß.
sich bei der Vergleichsrente sogar noch, und diese (Abg. Dr. Schellenberg: War er auch!)
Beträge werden noch höher; aber alles das möchte — Na, dann haben Sie aber sehr gründlich dabei
ich mir heute wirklich schenken. Ich möchte Sie nur mitgewirkt, denn auch Sie haben einstimmig diesen
an Ihre sozialpolitischen Verlautbarungen der letz- Sonderzuschuß befürwortet.
ten Tage erinnern, nicht 2 Millionen Menschen —
Kleinstrentner — auszuschließen, die gerade auf (Zurufe von der SPD.)
diese geringen Beträge der Anpassung angewiesen Er hat aber mit einer Wahl oder dem Charakter
sind. eines Wahlzuschusses wahrhaftig nichts zu tun.
Deshalb hoffe ich, daß der Antrag in diesem (Abg. Killat: Wir wollen das jedes . Jahr
Jahre einstimmig durchgeht und daß auch der Son- wiederholen!)
derzuschuß in die Anpassung einbezogen wird. — Ich wiederhole dann auch unseren Standpunkt.
Wenn man nachträglich die Niederschrift über die
(Beifall bei der SPD.) letztjährige Sitzung liest, muß man sagen, daß es
nicht passend war, gerade in diesem Zusammenhang
von einem Wahlgeschenk zu sprechen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Gaßmann. Es geht uns — um das von vornherein klarzu-
stellen — wahrhaftig nicht darum, den Rentnern die-
sen Anpassungsteil vorzuenthalten, der bei den
Gaßmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Hinterbliebenenrenten bis zu 1,10 oder 1,15 DM
Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege ansteigen und der bei den Versichertenrenten bis
Meyer, leider muß ich Sie auch in diesem Jahr ent- zu 2,90 DM monatlich betragen kann. Es geht uns
täuschen und Ihnen sagen, daß auch Ihre heutigen nicht darum, den armen Rentnern diesen kleinen
Ausführungen meine Freunde keinesfalls überzeugt Betrag vorzuenthalten, sondern es geht uns darum,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4705
Gaßmann
konsequent zu unterscheiden, was von dem Gesamt- Es ist einer der Grundsätze des Gesetzes. Wo kä-
zahlbetrag eigentliche Rente ist und was aus sozia- men wir hin, wenn wir nun einen Grundsatz um
len Erwägungen zusätzlich hinzugefügt wurde. den anderen aufgäben!
Wenn ich Ihre jahrelangen Bemühungen um im-
mer neue Definitionen über den Charakter dieses Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Sonderzuschusses rückblickend betrachte, dann wun- Zwischenfrage?
dere ich mich nur, daß Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, die geradezu klassische Defi- Gaßmann (CDU/CSU) : Bitte.
nition der Frau Kollegin Korspeter so völlig
vergessen zu haben scheinen. Diese Definition Börner (SPD) : Herr Kollege Gaßmann, darf ich
stammt aus der zweiten Beratung des Arbeiter- Sie fragen, ob das Brot und das Fleisch für die
rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Jahr Rentner mit Sonderzuschuß billiger sind.
1957. Es ging damals um den Art. 2 § 36 des Ge-
setzes, aber gar nicht um den unsere jetzige Frage
berührenden entscheidenden Absatz 2, der besagt, Gaßmann (CDU/CSU) : Darauf bin ich vorhin
daß der § 1272 RVO, der die Anpassung regelt, auf schon eingegangen.
den Sonderzuschuß keine Anwendung findet. Diese (Abg. Wehner: Die sollen weniger essen!)
Bestimmung, die ich eben genannt habe, haben Sie, Ich sagte, es geht uns nicht um die 1,10 DM und
meine Damen und Herren von der Opposition, da- nicht um die 2,90 DM, sondern es geht uns um den
mals gar nicht beanstandet; Sie haben dazu gar Grundsatz,
keinÄdrugsatel,ondrSiwa
damals mit uns der Auffassung, daß die Sonderzu- (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Wehner:
schüsse überhaupt nicht anpassungsfähig sind. Für Urns Prinzip!)
Sie ging es damals um den Abs. 3 des § 36 des um den Grundsatz, daß Rententeile dynamisiert
Art. 2, zu dem Sie — ich anerkenne das — im Inter- werden und daß das, was nicht zur Rente gehört —
esse der Renten-Versicherungsträger forderten, daß ich komme darauf nachher noch einmal zurück —,
der Bund die Aufwendungen für den Sonderzuschuß aus der Anpassung herausgelassen wird.
voll erstatte und nicht nur mit einem Teilbetrag, der
damals im Gesetz auf 320 Millionen DM festgesetzt (Abg. Wehner: Sie sind ein Prinzipienreiter,
worden ist. Diesen Antrag haben Sie, verehrte Frau aber ein Reiter immerhin! — Weitere
Kollegin Korspeter, begründet. Ich erbitte die Ge- Zurufe von der SPD.)
nehmigung des Herrn Präsidenten, zu zitieren, was — Auf eine so unsachliche Bemerkung, Herr Weh-
Sie in der Sitzung vom 18. Januar 1957 — Sie kön- ner, gehe ich überhaupt nicht ein.
nen das auf Seite 10453 des Sitzungsberichts nach- Daß es sich hier nur um einen sozialpolitischen
lesen — gesagt haben. Sie erklärten damals — — Titel handelt, wie Sie, Frau Korspeter, es erklärt
(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Kollege Gaß haben, war damals nicht nur Ihre Auffassung, son-
mann, wollen Sie nicht sozialpolitisch Stel dern das war die Auffassung der gesamten Oppo-
lung nehmen?) sition, und es war auch die Auffassung meiner poli-
— Doch, natürlich! Das gehört genau zur Sozial- tischen Freunde. Der Unterschied zwischen uns und
politik. -
Ihnen ist nur der, daß wir unserer Auffassung über
(Abg. Dr. Schellenberg: Na, na!) den echten rechtlichen Tatbestand treu geblieben
sind, während Sie das in den letzten Jahren nicht
Denn mit dieser Frage haben wir uns und hat sich mehr wahrhaben wollten. Vielleicht sind es —
der Sozialpolitische Ausschuß damals sehr ein- nachdem Sie, Frau Korspeter, uns im letzten Jahr
gehend befaßt. ein solches unterstellt haben, darf auch ich das
Sie haben, Frau Kollegin Korspeter — passen Sie zweifellos hier ruhig sagen — nun bei Ihnen wahl-
genau auf! —, zur Definition eben dieses Sonder- taktische Überlegungen, die Sie zu Ihrem Gesin-
zuschusses wörtlich erklärt: nungswandel veranlaßt haben. Ich werde es mir
deshalb versagen, auf all die gefühlsbetonten Mo-
Da nach der vom Sozialpolitischen Ausschuß er- mente, die mein verehrter Herr Vorredner Kollege
arbeiteten Fassung dieser Sonderzuschuß sowie- Meyer angeführt hat, jetzt einzugehen, und mich nur
so nicht versicherungstechnisch begründet wer- noch mit der ganz eindeutigen Rechtslage befassen.
den kann, sondern aus sozialen Gründen gege-
ben wird, schlagen wir vor, daß die Aufwen- (Abg. Börner: Das sind sozialpolitische
dungen für den Sonderzuschuß in voller Höhe Realitäten, aber keine Gefühle, Herr Gaß
vom Bund erstattet werden. mann!)
Sie haben damals ganz einwandfrei unsere Meinung — Nein! In dieser Frage kann man keine Gefühls-
geteilt, daß es sich hier nicht um einen Rententeil, duselei betreiben; in dieser Frage muß man kon-
sondern um einen aus sozialpolitischen Erwägungen sequent bleiben.
eingefügten Zuschuß handelt. (Erneute Zurufe von der SPD.)
(Abg. Frau Korspeter: Den muß man jetzt
auch anpassen!) Ich sagte, daß ich mich mit der Rechtslage befas-
sen möchte. Ich will als erstes dazu sagen, daß Ihr
— Nein, den muß man eben nicht anpassen. Antrag, der hier vorliegt und über den jetzt abge-
(Abg. Frau Korspeter: Aber natürlich!) stimmt werden soll, nämlich in Art. I § 5 Abs. 1
4706 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Gaßmann
des Sechsten Rentenanpassungsgesetzentwurfs die nicht erwarten konnten, nicht leer ausgehen zu las-
Worte „den Sonderzuschuß und" zu streichen, sen.
rechtspolitisch ja doch nur deklaratorische Bedeu-
tung hätte, daß er, selbst wenn er angenommen Seine Einbeziehung in die Rentenanpassung durch
würde, keinerlei rechtliche Wirkung haben würde; das Sechste Rentenanpassungsgesetz stünde zu dem
denn es bliebe ja immer noch das primäre Recht des System dieses Gesetzes, nach dem ausschließlich
Art. 2 ,§ 36 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs- Renten Gegentand der Anpassung sind, im Wider-
Neuregelungsgesetzes bestehen, der eine Anpas- spruch. Die Anpassung der Renten erfolgt nach § 1
sung der Sonderzuschüsse ausdrücklich verbietet. des heute zur Beschlußfassung anstehenden Renten-
anpassungsgesetzes „aus Anlaß der Veränderung
(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.) der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr
— Herr Professor Schellenberg, vielleicht haben Sie 1963." Der Sonderzuschuß wird von Anfang an un-
das vergessen. Wenn Sie also die Absicht haben, abhängig von der allgemeinen Bemessungsgrund-
im nächsten Jahr mit demselben, allerdings hoff- lage — da beziehe ich mich auf diesen § 1 — und
nungslosen Anliegen wieder zu kommen, empfehle unabhängig von ihren Veränderungen gewährt. Er
ich Ihnen, doch zu beachten, daß Sie zwei Anträge hat zu der Bemessungsgrundlage überhaupt keine
stellen müssen, nämlich einmal, die Bestimmung in innere Beziehung. Seine Anpassung würde deshalb
Art. 2 § 36 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs- seiner Rechtsnatur als einer gleichbleibenden pau-
Neuregelungsgesetzes — dasselbe gilt natürlich für schal gewährten Leistung, die nicht an der allgemei-
das Angestelltenversicherungsgesetz; dort ist es der nen Bemessungsgrundlage orientiert ist, widerspre-
§ 35 Abs. 2 — zu streichen, und zum zweiten, die chen.
drei Worte „den Sonderausschuß und" zu streichen. Personen, die Renten nach dem alten Recht be-
Nur dann hat es überhaupt einen Sinn, sich über ziehen und deshalb einen Sonderzuschuß erhalten,
Ihren Antrag zu unterhalten. sind heute noch gegenüber Personen, denen ein
(Zuruf des Abg. Wehner.) Sonderzuschuß nicht gewährt wird, weil ihre — mag
sein: auch niedrigen — Renten nach neuem Recht
— Ich glaube, wenn es um die Paragraphenreiterei berechnet sind, insoweit begünstigt, als sie all-
geht, können sich die Sozialpolitiker wahrhaftig monatlich zu ihren Renten einen zusätzlichen Betrag
sehen lassen im Vergleich zu dem, was Sie uns als erhalten, ohne daß diesem Versicherungszeiten,
Paragraphenreiterei immer wieder vorexerziert ha- Ausfallzeiten oder Zurechnungszeiten zugrunde lie-
ben, Herr Wehner. gen. Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, Per-
(Zurufe von der SPD.) sonen, die bereits seit Jahren durch den Sonder-
zuschuß begünstigt sind, in noch größerem Umfange
Vizepräsident Dr. Schmid: Ohne in Gefühls- gegenüber den Personen, die nach neuem Recht be-
duselei verfallen zu wollen, Herr Gaßmann, mehr handelt werden und einen Sonderzuschuß nicht er-
Sanftmut, mehr Sanftmut, bitte. halten können, dadurch besserzustellen, daß der
Sonderzuschuß nach dem Sechsten Rentenanpas-
sungsgesetz im Zahlbetrag erhöht wird.
Gaßmann (CDU/CSU) : Ich will mich bemühen,
sanfter zu werden. Dies geht aber nur, wenn mich Da nun der Sonderzuschuß nicht im Wege einer
Herr Kollege Wehner nicht mit solchen unsachlichen versicherungsmäßigen Rentenberechnung ermittelt
Zwischenrufen, die wahrhaftig nichts mit Sozial- wurde, werden mit den Aufwendungen für diesen
politik zu tun haben, immer wieder unterbricht. Sonderzuschuß konsequenterweise die Versicherten
Der Sonderzuschuß wurde bisher — in Überein- nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil be-
stimmung mit dem von mir zitierten Art. 2 § 36 lastet. Für die Aufwendungen für den Sonderzuschuß
Abs. 2 — von allen Rentenanpassungen ausgenom- werden vom Bund im Jahre 1964 den Trägern der
men, und zwar mit gutem Recht. Seine Einbeziehung Rentenversicherung der Arbeiter und den Trägern
in der Rentenanpassung mit diesem Sechsten Ren- der Rentenversicherung der Angestellten annähernd
tenanpassungsgesetz würde daher in diesem Jahre 174 Millionen DM erstattet. 1957 waren es für beide
erstmalig erfolgen, und man würde damit von den Versicherungszweige noch 320 Millionen DM. Dieser
seit Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neu- Erstattungsbetrag ist gerade im Hinblick auf einen
regelungsgesetze durchgeführten Anpassungen ab- gleichbleibenden Sonderzuschuß festgesetzt worden,
weichen, da wir immer nur die Anpassung der Ren- der eben der Anpassung auf Grund der Rentenan-
ten selbst und nicht die Anpassung zusätzlicher passungsgesetze nicht unterliegt. Bei einer Anpas-
sozialpolitischer Elemente vorgeschrieben haben. sung auch des Sonderzuschusses müßten zusätzliche
Mittel dafür entweder vom Bund aufgebracht oder
Ich wiederhole: der Sonderzuschuß ist nun eben die Lasten auf die Versicherten abgewälzt werden.
nicht Bestandteil der Rente; er ist eine Sonder- Dabei handelt es sich immerhin um einen Betrag
leistung, und zwar eine, die bei der Beratung der von 30 Millionen DM. Auch dafür müßte dann im
Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze im Jahre Bundeshaushalt noch Deckung gesucht werden; denn
1956 nicht im Regierungsentwurf stand, sondern auf auch Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
Vorschlag des Sozialpolitischen Ausschusses gewis- sition, würden es sicher für einen schlechten Weg
sermaßen als eine besondere Vergünstigung des Ge- halten, die Versicherten dafür haftbar zu machen,
setzgebers in das Gesetzeswerk aufgenommen daß der Gesetzgeber im Jahre 1957 sozialpolitische
wurde, um solche Rentenempfänger, die auf Grund Elemente in die Rentenberechnung einbezogen hat.
der Umstellung eine Mindesterhöhung ihrer Rente Wir werden Ihnen auf diesem Weg nicht folgen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4707
Gaßmann
Deshalb bitte ich das Hohe Haus namens meiner Gaßmann (CDU/CSU) : Ich möchte erst diese
Fraktion, diesen SPD-Antrag abzulehnen. Darlegungen zu Ende führen; ich stehe nachher
gern zur Verfügung.
Gestatten Sie mir noch einige zusätzliche Aus-
führungen, da es sich hier auch um eine Finanzie- (Abg. Wehner: Bringen Sie ihn doch nicht
rungsfrage für die Rentenversicherung handelt. Ich aus dem Konzept!)
möchte einiges zu den Ausführungen sagen, die
— Er wird mich wirklich nicht aus dem Konzept
der Herr Abgeordnete Dr. Mommer heute morgen
bringen, auch wenn ich die Frage gleich beantwor-
in der Geschäftsordnungsdebatte gemacht hat. Dort
ten würde.
hat er namens seiner Fraktion allen Ernstes vor-
geschlagen, die Finanzierungslücke, die auf Grund Ich wiederhole: Die Mehraufwendungen, die den
des Zweiten Neuordnungsgesetzes für die Kriegs- Rentenversicherungsträgern durch das, was wir
opferversorgung entstehen würde, dadurch zu heute als Rentenanpassungsgesetz beschließen wer-
schließen, daß den deutschen Rentenversicherungs- den, entstehen, betragen immerhin eineinhalb Mil-
trägern von dem allgemeinen Bundeszuschuß zur liarden DM, und die Gesamt-Rentenausgaben der
Rentenversicherung ein Betrag von 1 Milliarde DM Rentenversicherung werden dadurch im Jahre 1964
vorenthalten wird. Dieser Betrag soll nicht, wie es auf etwa 23 Milliarden DM steigen. Ich nenne diese
seit Bestehen des Bundeszuschusses üblich war, in Zahlen, damit man hier weiß, um was für Größen-
bar zur Verfügung gestellt, sondern in langfristigen ordnungen es sich handelt. Der Vorschlag, den Herr
Bundesschuldbuchverschreibungen vergütet werden. Dr. Mommer heute morgen gemacht hat, — —
(Abg. Börner: Ist das kein Geld?) (Zuruf von der SPD: Herr Kollege, wir
sprechen doch vom Sonderzuschuß!)
Ich verkenne nicht, daß der für 1964 im Gesetz vor
— Ob es Ihnen gefällt oder nicht gefällt, das ist eine
geschriebene allgemeine Bundeszuschuß mit rund
— Herr Mommer hat den Betrag heute morgen ge- Sache für sich; aber diese Frage wurde heute mor-
nannt — 5,4 Milliarden DM — — gen angeschnitten, sie hängt zusammen mit der
Finanzlage der Rentenversicherung, sie hängt auch
(Abg. Dr. Schellenberg: Sprechen wir von zusammen mit Ihrem Antrag. Sie können die Bera-
der Rentenanpassung, oder worüber spre tung nur aufhalten, aber Sie können mich nicht zum
chen wir?) Schweigen bringen.
- wir reden von der Finanzierung der Rentenan- (Abg. Wehner: Das glaube ich auch; da gibt
passung. es nichts zum Abstellen!)
(Zuruf von der SPD: Vom Sonderzuschuß Aber das, was Herr Mommer heute vorgeschlagen
sprechen wir!) hat — meine Damen und Herren von der Opposition,
das sollten Sie sich doch genau anhören, denn es
— Natürlich hängt das damit zusammen. Da diese betrifft natürlich gerade auch Ihre Versicherten, die
Ausführungen heute morgen von Herrn Dr. Mom- in den Selbstverwaltungsorganen der Versiche-
mer gemacht worden sind, rungsträger doch mit 50 % vertreten sind —, würde
einem massiven, vom Bundesgesetzgeber auszu-
(Abg. Dr. Schellenberg: Wir sprechen we
- sprechenden Anlagezwang für die Rentenversiche-
der über den Bundeshaushalt noch über
rungsträger gleichkommen, wie man ihn wirklich
die Kriegsopferversorgung!)
nur im Dritten Reich, und das auch nur zum Ende
nehme ich für mich in Anspruch, jetzt auch darauf seiner wenig glorreichen Geschichte erlebt hat; es
zu antworten. würde einer, ich möchte sagen, fast völligen Ent-
mündigung der Selbstverwaltungsorgane bei den
(Abg. Wehner: Lange geschlafen!) Rentenversicherungsträgern gleichkommen und
zweifellos den heftigsten Protest auch der Versi-
Ich gebe also zu, daß diese 5,4 Milliarden DM ein chertenvertreter in diesen Organen auslösen, auch
sehr ansehnlicher Betrag im Rahmen des Bundes- wenn der Vorschlag von der SPD kommt.
haushalts sind, ein Betrag, der aber von den Ren-
tenversicherungsträgern zur Auszahlung der lau- Die Rentenversicherungsträger haben den Finan-
fenden Renten genauso benötigt wird wie der Be- zierungssorgen der Bundesregierung, die sie auch
trag, den man benötigen würde, wenn man Ihrem in den letzten Jahren gehabt hat, stets ein wohlwol-
Antrag und Ihrem Wunsch, auch die Sonderzu- lendes Interesse entgegengebracht. Die Bundesregie-
schüsse anzupassen, folgte. rung ließ sich in diesen Fragen in der Regel durch
die Bundesbank vertreten. Nur einige wenige Zah-
Die Mehraufwendungen der Rentenversicherungs- len! Allein im Jahre 1963 haben die Rentenversiche-
träger, die der Bundestag heute beschließen wird rungsträger auf freiwilliger Grundlage 300 Mil-
— und damit komme ich zu unserer Sache, nämlich lionen DM in Bundestiteln erworben. Bereits diese
dem Rentenanpassungsgesetz — — Übernahme von 300 Millionen DM in Bundestiteln
im Jahre 1963 hat einige Landesversicherungsanstal-
ten in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Es muß
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter, befürchtet werden, daß bei der zwangsweisen Anle-
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten gung des über dreifachen Betrages in Bundestiteln
Ritzel? im Jahre 1964 eine Reihe von Landesversicherungs-
4708 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Gaßmann
anstalten in Liquiditätsschwierigkeiten geraten Soweit flüssige Mittel zur Verfügung stehen, die
würden. nicht als Betriebsmittel benötigt werden, waren die
Versicherungsträger immer einsichtig genug, sie so
(Abg. Dr. Schellenberg: Sprechen Sie doch
anzulegen, daß auch der Bundesregierung geholfen
bitte endlich zum Antrag!)
ist. Ich sagte schon: allein im letzten Jahr haben
— Dazu habe ich schon gesprochen. Nachdem aber die Landesversicherungsanstalten über 300 Millio-
heute morgen außerhalb der reinen Geschäftsord- nen DM auf diese Weise zugunsten des Bundes fest-
nungsdebatte der Herr Dr. Mommer einen Sach- gelegt.
antrag gestellt hat, habe ich mir herausgenommen, (Abg. Killat meldet sich zum Wort.)
jetzt zu dieser Sache ebenfalls zu sprechen. — Bitte nachher; es hat ja keinen Sinn. Da Sie mir
das Recht streitig machen wollen, gerade zu der von
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine Herrn Dr. Mommer heute morgen aufgeworfenen
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel? Frage Stellung zu nehmen, mache ich es Ihnen strei-
tig, mich nun fortgesetzt wegen dieser Frage zu
Gaßmann (CDU/CSU) : Bitte sehr, Herr Ritzel. unterbrechen.
Weiter: Die Kassenüberschüsse der Versicherungs-
Ritzel (SPD): Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, träger werden voraussichtlich in den nächsten Jah-
wieviel die Bundesregierung in ihrem Haushalts- ren zurückgehen. Das ergibt sich aus dem Sozial-
planentwurf 1964 an Überlassung von Schuldtiteln bericht, der uns heute zur Debatte vorgelegt worden
an die Rentenversicherungsträger selbst vorgesehen ist. Andererseits werden die Rentenausgaben in den
hat? nächsten Jahren ansteigen. Wahrscheinlich werden
wir am 1. Januar 1965 nicht eine Rentenanpassung
Gaßmann (CDU/CSU) : Ja, das ist mir wohl be- von 8,2 %, sondern eine solche von 9,4 % haben,
und bei dieser Entwicklung ist unter Umständen mit
kannt. Sie hat 500 Millionen DM vorgesehen.
defizitären Bilanzen in der Rentenversicherung zu
rechnen. Das vorhandene Vermögen müßte dann zu-
Ritzel (SPD) : Schön. — Darf ich weiter fragen, mindest bei einigen Landesversicherungsanstalten
über wieviel flüssiges, anlagesuchendes Kapital die angegriffen werden. Auf diese Weise entstehen ern-
Rentenversicherungsträger zur Zeit verfügen. ste Schwierigkeiten, da es sich bei allen diesen Wer-
ten um länger gebundene Vermögensanlagen han-
Gaßmann (CDU/CSU) : An flüssigem Kapital delt.
stehen den Rentenversicherungsträgern nur die Be- Die Träger der Arbeiterrenten- und der Ange-
triebsmittel zur Verfügung. Alles andere ist nach stelltenversicherung werden 1964 Kassenüberschüsse
den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung in Höhe von etwa 1 Milliarde DM erzielen. So die
angelegt, und wenn Sie den Betrag wissen wollen, Vorausberechnungen. Die Versicherungsanstalten
so kann ich Ihnen auch diesen sagen: das, was an müssen also, wenn dem Vorschlag des Herrn Dr.
Anlagen vorhanden ist, beträgt in der Arbeiterren- Mommer gefolgt wird, ihren gesamten Überschuß
ten- und in der Angestelltenversicherung zusammen in voller Höhe in Bundestiteln anlegen.
etwa 19 Milliarden DM. Aber diese 19 Milliarden (Abg. Dr. Schellenberg: Das glauben Sie
sind zum Teil recht langfristig angelegt. doch selber nicht!)
— Ich bin davon überzeugt;
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Frage!
(Abg. Wehner: Das sieht man Ihnen auch an!)
Ritzel (SPD) : Sie haben überhört, Herr Kollege, denn wenn 1 Milliarde verfügbaren Bundeszuschus-
daß ich Sie gebeten habe, mir auf die Frage zu ses plötzlich wegfällt, der nämlich in Bundestiteln ge-
antworten, wieviel anlagesuchendes, flüssiges Kapi- geben wird, dann geht die Milliarde, die als Einnah-
tal zur Zeit bei den Rentenversicherungsträgern vor- meüberschuß dableibt, restlos in diesen Anlagen auf.
handen ist. Dann ist es aber auch vorbei mit irgendwelchen
Maßnahmen, die bisher von den Landesversiche-
rungsanstalten und der Bundesversicherungsanstalt
Gaßmann (CDU/CSU) : Ich möchte Ihnen sagen: für Angestellte in großzügiger Weise zur Förderung
so gut wie keines. des sozialen Wohnungsbaus getroffen worden sind,
dann ist es vorbei mit der Darlehensgewährung für
Ritzel (SPD) : Dann will ich es Ihnen sagen: den Neubau von Krankenanstalten, mit Darlehen an
2 Milliarden DM. Gemeinden zur Finanzierung der Wasserversor-
gung, der Abwässerbeseitigung, der Maßnahmen zur
Gaßmann (CDU/CSU) : Das ist also noch eben Reinhaltung der Luft, dann ist es aus mit Darlehen
genau der Betrag, den die Rentenversicherungsträger an die Deutsche Bundesbahn und an die Deutsche
etwa monatlich für eine Rentenzahlung und sonstige Bundespost.
Aufgaben benötigen. Hier handelt es sich um Be- Dann bedenken Sie bitte weiter, daß die Renten-
triebsmittel, über die in diesem Zusammenhang, versicherungsträger bereits jetzt Schuldbuchforde-
wenn es sich um Kapitalvermögen handelt, nicht rungen in Höhe von annähernd 3 Milliarden DM in
gesprochen werden kann. ihrem Portefeuille haben. Sie haben darüber hinaus
(Beifall bei der CDU/CSU.) Anleihen der Bundesbahn und der Bundespost sowie
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4709
Gaßmann
Kommunalobligationen in Höhe von 1 1/2 Milliarden — Das hat mit den Kriegsopfern nichts zu tun. Herr
DM übernommen, zusammen also etwa 4 1/2 Milliar- Dr. Mommer, ich habe im Gegenteil die Hoffnung
den DM, und haben damit mehr als ein Fünftel ihres und den Wunsch, daß der Haushaltsausschuß, der
Vermögens ausschließlich in Titeln öffentlich-recht- die Neuregelung der Kriegsopferversorgung zu be-
licher Körperschaften und Organisationen angelegt. handeln haben wird, andere und, wie ich meine,
Die Rücklagen und die Kassenüberschüsse der Ren- bessere Wege finden wird, um den Kriegsopfern zu
tenversicherungsträger — das haben Sie von der ihrem Recht zu verhelfen, das ich ihnen von ganzem
Opositnfrühelbaugt,Siwoens Herzen gönne und wünsche. Ich hoffe aber auch, daß
heute nur nicht mehr wahrhaben — sind eben nicht der Kriegsopferausschuß nicht den von Herrn Dr.
dazu da, um für andere Zwecke verwendet zu wer- Mommer empfohlenen, allzu einfachen, um nicht zu
den als für die Sicherung der Rentenzahlung. Man sagen, primitiven Weg geht, der bei dieser so
würde ein schlechtes Beispiel geben, wenn man bei heiklen und einschneidenden Frage wahrhaftig nicht
jeder anderen Gelegenheit etwa wieder denselben der Weisheit letzter Schluß sein kann.
Weg ginge und zu allem Überschüsse der Landes- (Abg. Börner: Wer schnell gibt, gibt doppelt!)
versicherungsanstalten und der Bundesversiche-
rungsanstalt verwenden wollte. Ich bin bereit, noch die von mir abgewiesene Frage
zu beantworten. Sie wird, wie ich sehe, nicht mehr
Der Bundesregierung sind alle diese Momente, die gestellt. •
ich soeben vorgetragen habe, genau bekannt. Sie (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Börner:
weiß auch, daß sie den Rentenversicherungsträgern Weiterreden! Sie waren so überzeugend!)
Liquiditätshilfe leisten müßte; sie müßte also Bun-
desschuldbuchforderungen vorzeitig zurückbezahlen,
wenn einige Rentenversicherungsträger in Schwie- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
rigkeiten kämen. Deshalb, Herr Kollege Ritzel, hat Abgeordnete Geiger.
die Bundesregierung im Haushaltsgesetz 1964 vor-
gesehen, einen Teilbetrag des allgemeinen Bundes- Geiger (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
zuschusses in Höhe von 500 Millionen DM durch Zu- ehrten Damen und Herren! Wohl selten ist die Ab-
teilung von Schuldbuchforderungen gegen den Bund lehnung einer guten Sache mit so vielen Worten
an die Rentenversicherungsträger zu entrichten und begründet worden, wie das Herr Kollege Gaßmann
sich bzw. den Bundesfinanzminister ermächtigen zu heute nachmittag im Auftrag der CDU/CSU getan
lassen, darüber mit den Rentenversicherungsträgern hat. Ich hätte gewünscht, daß alle Rentnerinnen und
zu verhandeln und Vereinbarungen über diesen Be- Rentner, die einen Sonderzuschuß von 14 bzw.
trag von etwa 10 % des gesamten Bundeszuschusses, 21 DM zu ihrer Rente erhalten, einmal gehört hät-
also von 500 Millionen DM zu treffen. Die Bundes- ten, daß Sie gerade deren Los zum Anlaß nehmen,
regierung will also einen an sich möglichen Anlage- hier über etwas ganz anderes zu sprechen als über
zwang, wie er — ich habe es einleitend schon ge- das, um was es in der Sache wirklich gegangen ist.
sagt — in den Zeiten des „Dritten Reiches" möglich
war, vermeiden. Die verantwortlichen Männer im (Beifall bei der SPD.)
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ha- Herr Kollege Gaßmann, Sie haben sehr viel von
ben sich beim Verbandstag dieses Verbandes vor grundsätzlichen Erwägungen gesprochen und haben
vierzehn Tagen in Hannover für den Abschluß einer uns vorgehalten, wie unsere Definition des Zuschus-
solchen freiwilligen Vereinbarung eingesetzt. Sie ses von 21 oder 14 DM in den verschiedenen Jahren
haben dabei sehr erhebliche Schwierigkeiten zu gelautet hat. Sie hätten aber auch mit aller Deut-
überwinden gehabt, die nicht zuletzt auch von Ver- lichkeit sagen müssen und sagen können, daß schon
sichertenvertretern bei den Landesversicherungsan- bei der Rentenreform im Jahre 1957 wegen des für
stalten gemacht worden sind. diesen Personenkreis schlechten Ergebnisses Son-
(Abg. Ruf: Hört! Hört!) derzuschüsse in Höhe von 14 bzw. 21 DM gezahlt
werden mußten. Auch das hätten Sie einmal sagen
Nun sollen also die Verhandlungen über eine frei- und beachten sollen.
willige Vereinbarung über diese 500 Millionen DM Gerade dieser Personenkreis soll jetzt bei der Ge-
anlaufen, wie sie im Haushaltsgesetzentwurf, wohl
samtentwicklung der Einkommensverhältnisse, aber
in § 21, vorgesehen sind. Da hat uns Herr Dr. Mom-
auch bei der Gesamtentwicklung der Lebenshal-
mer heute morgen mit der Forderung von 1 Mil-
tungskosten und der Preisverhältnisse von einer
liarde DM einen Bärendienst erwiesen;
Rentenanpassung dieses geringen Betrages ausge-
(Abg. Ruf: Sehr gut!) nommen werden. Es scheint zu dem vom Herrn Bun-
desminister für Arbeit und Sozialordnung so oft ge-
denn damit wird es uns erheblich erschwert, priesenen neuen Stil in der Sozialpolitik zu gehö-
(Beifall bei der CDU/CSU) ren, daß Sie für die Rentenversicherung und die
Währungsstabilität immer dann die größte Gefahr
zu einer vernünftigen freiwilligen Regelung mit der sehen, wenn es darum geht, den Menschen, die der
Bundesregierung über die 500 Millionen DM zu sozialen Hilfe wirklich bedürfen, zu helfen.
kommen.
Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Wir Sozial-
(Abg. Dr. Mommer: Dank Ihrer Haltung demokraten folgen Ihnen in diesem Stil nicht. Für
gegenüber den Kriegsopfern ist die Gefahr uns handelt es sich um ein sozialpolitisches Anlie-
abgewendet!) gen für einen Personenkreis, der einer Hilfe bedarf.
4710 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode - 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Geiger
Über die gesetzestechnische Regelung können wir bei festzustellen ist, daß der Antrag Umdruck 364
uns noch auseinandersetzen. Hier geht es gerade Ziffer 4 gleichlautend ist mit dem Antrag Um-
darum, den Menschen zu helfen, die in der Land- druck 373.
wirtschaft tätig waren, die als Heimarbeiter tätig (Abg. Stingl: Sie sind leider nicht gleich
waren, die in ihrem Arbeitsleben schlechte Einkom- lautend!)
mensverhältnisse gehabt haben.
Wer begründet? — Das Wort hat der Abgeord-
Es läßt sich in keiner Weise begründen, daß durch nete Killat.
die Hereinnahme des Sonderzuschusses in die Ren-
tenanpassung die Finanzgrundlagen der Rentenver-
sicherung in Gefahr gebracht werden könnten. Killat (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Ich bitte, mir als Bericht-
Wenn Sie, sehr geehrter Herr Kollege Gaßmann,
erstatter zu gestatten, eine Berichtigung zu der Zu-
hier einige Sorgen der Rentenversicherung darlegen
sammenstellung in Drucksache IV/1731 vorzutragen.
wollten — ich hätte dafür Verständnis —, dann soll-
Auf Seite 7 in der rechten Spalte muß es unter
ten Sie als Verbandsvorsitzender dazu einen ande-
Nr. 2 a in der ersten Zeile heißen: „Als Geldleistung
ren Anlaß nehmen und nicht zu etwas völlig an-
im Sinne des Absatzes 1 . . ." statt „. . . § 1". Es
derem reden als zu dem, worum es geht. Das möchte
handelt sich um einen Druckfehler.
ich mit aller Deutlichkeit sagen.
Nach dem Höhenflug in die Finanzgestaltung der
Was soll man denn von den Maßhalteappellen
Rentenversicherungsträger und in die Anlage- und
halten, wenn sie immer und immer wieder an die-
Vermögensübersicht, den der Herr Kollege Gaßmann
sen Personenkreis gerichtet werden? Meine Damen
unternommen hat, will ich den Versuch machen, un-
und Herren von der CDU/CSU, bedenken Sie doch,
seren Antrag Umdruck 364 Ziffer 3 und — mit Ge-
daß für viele Rentner und erst recht für diesen Teil,
nehmigung des Herrn Präsidenten — Ziffern 5 und 7
der auf den Sonderzuschuß angewiesen ist, die Erhö-
nüchtern vorzutragen; sie sind sachgleich.
hung der Renten, die ab 1. Januar 1964 stattfinden
soll, einfach nicht mehr ausreicht, um die in den Unser Antrag bezweckt, daß auch die Unfall-
letzten Wochen und Monaten eingetretenen Preis- renten derjenigen angepaßt werden, deren Jahres-
erhöhungen aufzufangen, ganz zu schweigen von arbeitsverdienste nach dem Ortslohn berechnet sind.
einer Verbesserung des Lebensstandards dieser auf In Art. II § 1 des Gesetzes wird sinngemäß die Be-
eine Rente angewiesenen Personen. Selbst dann, gründung gegeben, wann in der Unfallversicherung
Herr Kollege Gaßmann und meine Damen und Her- die Renten angepaßt werden sollen. Sie lautet, daß
ren von der CDU/CSU, wenn wir jedes Jahr das alle auf den Jahresarbeitsverdienst abgestellten
gleiche Lied singen müssen, werden wir auf unsere Renten angepaßt werden müssen.
Forderung nach sozialer Gerechtigkeit für diese Men- Nun hat die Regierung vorgeschlagen — das er-
schen nicht verzichten. Wir müssen, wenn es uns gibt sich aus Abs. 2 —, daß von dieser Anpassung
auch schwerfällt, auch Ihr jährliches Nein zu dieser solche Unfallrenten ausgenommen werden sollen,
sozialpolitischen Forderung ertragen. Von der Be- bei denen der Jahresarbeitsverdienst nach dem Orts-
rechtigung unserer Forderung sind wir überzeugt, lohn berechnet ist. Es handelt sich hierbei um Un-
und erst recht sind es die Menschen draußen, die auf fallrenten, die der Natur der Sache nach auf der
eine solche Hilfe angewiesen sind. Basis geringerer Einkommen festgesetzt sind. Es
-
Ich möchte hoffen und wünschen, daß Sie in sich geht beispielsweise um mithelfende Familienange-
gehen und unserem Antrag zustimmen. hörige in der Landwirtschaft und um die Personen-
kreise, die von meinem Kollegen Geiger schon ge-
(Beifall bei der SPD.)
nannt worden sind, solche mit geringeren Bezügen,
Arbeiter und auch Angestellte, die vielleicht auch
Vizepräsident Dr. Schmid: Keine weiteren Teilzeitarbeit geleistet haben. Für diesen Personen-
Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Ab- kreis gilt § 575 RVO. Zur Sicherung einer Mindest-
stimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 364 leistung ist hier der Ortslohn als die Mindestgrenze
Ziffer 2 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. angegeben worden.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthal-
tung. Der Antrag ist abgelehnt. Bei dem jetzt von der Regierung vorgeschlagenen
Verfahren würden wir geradezu das Kuriosum er-
Wir stimmen nunmehr ab über Art. I §§ 5 bis 7. leben, daß die Renten von Unfallrentenbeziehern,
(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Präsident, ich deren Jahresarbeitsverdienste vielleicht gerade
bitte, über § 5 gesondert abstimmen zu noch an der Grenze der Mindestjahresarbeitsver-
lassen!) dienste liegen, noch angepaßt werden, während an-
— Dann stimmen wir zunächst über § 5 ab. Wer zu- dere, bei denen die Jahresarbeitsverdienste viel-
stimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! leicht nur geringfügig unter dieser Grenze liegen
- Enthaltungen? — Erstes war die Mehrheit; der und die nach § 575 den Mindestjahresarbeitsver-
Paragraph ist angenommen. dienst zugeschrieben erhielten, nicht angepaßt wür-
den. Man würde also eine Schutzmaßnahme, eine
Nun die §§ 6 und 7. Wer zustimmen will, gebe das zugunsten dieser Rentner eingefügte Klausel ge-
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — rade in das Gegenteil verkehren und diesen Per-
Einstimmige Annahme. sonenkreis in Zukunft von einer Anpassung aus-
Art. II. Zu § 1 sind drei Änderungsanträge gestellt, schließen. Das kann nicht der Sinn der gene-
Umdruck 364 Ziffern 3 und 4 und Umdruck 373, wo- rellen Vorschrift von § 579 sein, alle auf einen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4711
Killat
Jahresarbeitsverdienst abgestellten Unfallrenten an- Neufestsetzung vom 1. Januar 1964 an keine Ver-
zupassen. pflichtung zur Höherfestsetzung beinhaltet.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Ich darf also bitten, die Anträge Ziffern 3 und 5
letzte Erhöhung der Geldleistungen in der Unfall- des Umdrucks 364 abzulehnen und die Ziffer 7 anzu-
versicherung hinweisen, die 1960 vorgenommen nehmen.
wurde. Man hat damals bei der allgemeinen An- (Beifall bei der CDU/CSU.)
passung die auf Ortslöhnen aufgebauten Renten
durch Anhebung des Ortslohnes erhöht. In § 4 des Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
damaligen Umstellungsgesetzes für die Geldleistun- Abgeordnete Killat.
gen in der Unfallversicherung wurde vorgeschrie-
ben, daß die Ortslöhne mit Wirkung vom 1. Januar Killat (SPD) : Meine sehr geschätzten Damen und
1961 auf den Stand angehoben werden, der als orts- Herren! Ich begrüße es sehr, daß aus sozialpoliti-
üblich gilt. schen Erwägungen die Mehrheit unserem Antrag
Wir bitten Sie, für diesen Personenkreis in der in Ziffer 7 zustimmen wird. Wir sind dann bereit,
Unfallversicherung ebenfalls die Anpassung vorzu- auf eine Abstimmung über die Ziffern 3 und 5 zu
nehmen, und schlagen Ihnen deshalb auf Umdruck verzichten und ziehen unsere Vorschläge in diesen
364 mit den Ziffern 3, 5 und 7 die entsprechenden Ziffern zurück.
Anpassungsregelungen vor. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Sie ziehen also den
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Antrag zurück?
Abgeordnete Dr. Franz. (Abg. Killat: Jawohl!)
Ehe ich über den Paragraphen abstimmen lasse,
Dr. Franz (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine rufe ich zunächst den Änderungsantrag Umdruck
sehr verehrten Damen und Herren! Auch unsere 364 Ziffer 4, gleichlautend mit dem Änderungs-
Fraktion ist der Meinung, daß es zweckmäßig ist, antrag Umdruck 373 Ziffer 2, auf. — Das Wort hat
die Ziffern 3, 5 und 7 des SPD-Antrages, die sich der Abgeordnete Hussong.
unter dem Stichwort „Ortslöhne" subsumieren las-
sen, in einer einheitlichen, gemeinsamen Stellung-
nahme zu behandeln. Hussong (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich glaube, dieser Antrag ist sehr kurz
(Abg. Geiger: Und dafür zu stimmen!?) zu begründen. Es handelt sich im Grunde genom-
men genau um dasselbe Prinzip wie bei Ziffer 1.
Auf den ersten Blick könnte man der Meinung Während es sich dort um Sozialrentner handelt,
sein, daß die Argumentation, die Ortslöhne sollten handelt es sich hier um die Unfallrentner. Das ist
nicht gegenüber den Jahresarbeitsverdiensten be- eigentlich schon alles, was zur Sache zu sagen ist.
nachteiligt werden, etwas für sich hat. Wir müssen
aber feststellen, daß die Jahresarbeitsverdienste — Ergänzend möchte ich noch darauf hinweisen, daß
von denen ich gern zugeben möchte, daß sie die in dieser Sache kaum finanzielle Momente sind;
ganzen wirtschaftlichen Möglichkeiten der dynami- denn nach den getroffenen Feststellungen sind die
schen Lohnentwicklung jener Jahre erkennen las- Unfallrenten, die von Frankreich gezahlt werden,
sen — faktisch aus denen des Jahres 1959 resul- im Schnitt genauso hoch wie die Unfallrenten, die
tieren. Im Rahmen des vorläufigen Neuregelungs- auch sonst üblicherweise gezahlt werden, so daß
gesetzes des Jahres 1961 sind die Jahresarbeitsver- diese Bestimmung keine finanzpolitische Auswir-
dienste 1959 und 1960 mit 1,0 multipliziert worden. kung hat. Es ist aus rechtssystematischen Gründen
Das ist zwar prinzipiell eine Anpassung, faktisch lediglich erforderlich, sie in den Entwurf mit auf-
aber sind die Jahresarbeitsverdienste von 1959 der zunehmen.
Anpassung zugrunde gelegt worden. Wir müssen
feststellen, daß die Ortslöhne und die Jahresarbeits- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
verdienste aus den Ortslöhnen 1961 neu festgesetzt Abgeordnete Klein.
worden sind. Ich gebe zu, daß die Festsetzung der
Ortslöhne starrer vor sich geht als die wirtschaft- Klein (Saarbrücken) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
liche Entwicklung der Jahresarbeitsverdienste. Aber Meine Damen und Herren! Ziffer 1 des Änderungs-
ich glaube, daß ein zweijähriger Vorsprung der antrags Umdruck 373 bezog sich auf die Renten-
Ortslöhne vor den Jahresarbeitsverdiensten durch- versicherung, Ziffer 2 bezieht sich auf die Unfall-
aus angemessen ist. Wir möchten aber durchaus versicherung. Notwendigerweise soll hier ein
nicht zulassen, daß die Ortslöhne gegenüber den Gleichklang bestehen. Deshalb bitte ich, auch diese
Jahresarbeitsverdiensten zu sehr ins Hintertreffen 'Ziffer anzunehmen.
geraten, und sind deshalb bereit, die Ziffer 7 des
SPD-Antrags anzunehmen. Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß zwischen
den beiden Vorlagen in einem Wort ein Unter-
(Abg. Dr. Schellenberg: Gut!) schied besteht. In dem Antrag der SPD Umdruck
In dem Zusammenhang muß aber darauf hinge- 364 Ziffer 4 heißt es im letzten Halbsatz „abzuleiten
wiesen werden — ich glaube, es ist wichtig, das sind", in dem von mir gestellten Antrag Umdruck
festzustellen -, daß die Ermächtigung zu einer 373 Ziffer 2 heißt es „abgeleitet sind". Es ist an sich
4712 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Klein (Saarbrücken)
wohl dasselbe. Nur damit der Wortlaut klar ist, hier in der Vergangenheit so schön hieß, „Schon-
würde ich vorschlagen, zu sagen „abgeleitet sind". frist" von fünf Monaten, d. h. sie erhalten vom 1. Ja-
nuar bis zum 31. Mai eines jeden Jahres die Renten-
Vizepräsident Dr. Schmid: Es heißt „abge- erhöhung, ohne daß eine Anrechnung vorgenommen
leitet sind". Keine weitere Begründung? — Dann wird; aber ab Juni eines jeden Jahres wird die
stimmen wir ab. Der Antrag Umdruck 364 Ziffer 3 Rentenerhöhung angerechnet, und die Einkommen
ist zurückgezogen. der hiervon betroffenen Rentner — ich schätze ihre
Zahl auf etwa eine Million — sinken wieder auf
Es bleibt also abzustimmen über den Antrag den Stand des Vorjahres zurück.
Umdruck 364 Ziffer 4. Wer zustimmen will, gebe
das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Daß ein solches Verfahren nicht nur bei den Be-
— Meine Damen und Herren, es ist schwer zu sa- troffenen kein Verständnis findet, liegt wohl nur zu
gen. Darf ich bitten, die Abstimmung durch Erheben klar auf der Hand. Wir sind darum gehalten, nun
von den Sitzen zu wiederholen. Wer zustimmen endlich dieses Unrecht zu beseitigen. Wir haben
will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! heute auch die Möglichkeit dazu.
— Wir müssen durch Hammelsprung entschei- Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an
den. — die Ausführungen des Sprechers der CDU/CSU, der
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis im vergangenen Jahr — es war einen Tag später,
der Abstimmung bekannt. An der Abstimmung ha- es war am 12. Dezember — hier die Auffassung ver-
ben teilgenommen 355 Abgeordnete. Mit Ja haben treten hat, daß diese Frage durchaus der erneuten
gestimmt 182 Abgeordnete, mit Nein 173. Enthalten und sehr kurzfristigen Prüfung bedürfe. Nun, eine
hat sich kein Abgeordneter. Damit ist der Antrag kurzfristige Prüfung dieser sozialpolitisch nicht wün-
angenommen. schenswerten Ungerechtigkeiten ist nicht erfolgt.
Wir stimmen nunmehr über § 1 in der veränder- Das alte Unrecht haben wir wie gehabt — so darf
ten Fassung ab. Wer Art. II § 1 zustimmen will, man sagen — wieder vor uns. Wir können uns
gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal- darum heute nicht damit zufriedengeben, daß die
Lösung dieses Problems wieder aufgeschoben, daß
tungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenom-
men. sie wieder um ein weiteres Jahr verzögert wird.
Der Änderungsantrag zu § 2 ist zurückgezogen. Meine 'Damen und Herren, ich weiß, man kann
hier sagen: Alle Jahre wieder! Ich will es darum
Wer den §§ 2, — 3, — 4 sowie Art. III § 1 zu- kurz machen. Unser bereits im Ausschuß für Sozial-
stimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegen- politik gestellter Antrag, das Wort „Mai" durch das
probe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenom- Wort „Dezember" zu ersetzen, wurde mit 12 gegen
men. 12 Stimmen bei einer Stimmenthaltung abgelehnt.
Zu Art. III § 2 liegt der Änderungsantrag Um- Das heißt — und das darf ich hier einmal sagen —,
druck 364 Ziffer 6 vor. die Vertreter der CDU/CSU stimmten gegen unse-
ren Antrag, während ein Vertreter der FDP mit
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete
meinen politischen Freunden für unseren Antrag
Biermann.
stimmte und ein Vertreter der FDP sich der Stimme
enthielt.
Biermann (SPD) : Meine Damen und Herren!
Wie in den vergangenen Jahren, wenn wir hier die Wenn man dieses Ergebnis berücksichtigt, kön-
Frage der Rentenanpassung behandelten, so haben nen wir wohl heute trotz der im vergangenen Jahr
wir uns auch heute wieder mit den Anrechnungsbe- gehabten Enttäuschung in dieser Frage zuversicht-
stimmungen des jetzigen Art. III § 2 auseinanderzu- lich sein, daß das anstehende Problem — zumindest
setzen. Es geht hierbei darum, ob die Rentenerhö- mit Mehrheit — für den betroffenen Personenkreis
hung, die wir heute gemeinsam beschließen wollen, gelöst wird.
auch im kommenden Jahr wieder auf die Leistungen Ich darf Sie daher namens meiner Fraktion drin-
aus der Kriegsopferversorgung, die Leistungen nach gend darum bitten, unserem Antrag auf Umdruck
dem Lastenausgleichsgesetz, die Leistungen nach 364 Ziffer 6 Ihre Zustimmung zu geben, um damit
dem Bundesentschädigungsgesetz und die weiteren das bestehende Unrecht in dieser Frage zu beseiti-
Sozialleistungen, die in dem Ihnen vorliegenden gen.
Entwurf im einzelnen aufgeführt sind, angerechnet (Beifall bei der SPD.)
werden soll. Es geht darum, ob wie in der Vergan-
genheit hier die eine Hand wieder nehmen soll, was Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
die andere Hand soeben gegeben hat. Abgeordnete Weigl.
Diese bisher praktizierte Methode des Gebens
und des wieder Nehmens ist nach unserer Auffas- Weigl (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
sung in der Sache widersprüchlich, insbesondere verehrten Damen und Herren! Wir nehmen das von
aber sozial ungerecht, ungerecht deshalb, weil die- dem Kollegen Biermann aufgeworfene Problem, ob
jenigen Rentner, die außer ihrer Rente eine der von eine teilweise Anrechnung oder eine Nichtanrech-
mir eben angeführten Sozialleistungen erhalten, nung der Rentenerhöhung auf andere Sozialleistun-
von der Rentenanpassung praktisch ausgeschlossen gen, insbesondere in der Kriegsopferversorgung, im
bleiben. Diese Rentner erhalten lediglich aus ver- Lastenausgleichsgesetz und im Bundesentschädi-
waltungstechnischen Erfordernissen eine, wie es gungsgesetz, erfolgen soll, sehr ernst. Ich darf nur
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4713
Weigl
auf die Stellungnahmen der Kollegen meiner Frak- und zwar nicht zuletzt im Interesse unserer Rentner
tion in den vergangenen Jahren verweisen. Es ist selbst ablehnen müssen.
auch zuzugestehen, daß man sich nicht leicht tut, (Beifall in der Mitte.)
diesen Sachverhalt dem einzelnen Betroffenen aus-
einanderzusetzen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel-
Trotzdem, meine verehrten Damen und Herren, dungen liegen nicht vor.
müssen wir ablehnen, und zwar deshalb, weil sich
sonst als letzte Konsequenz die Auflösung eines Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Ände-
bewährten Systems andeutet. rungsantrag Umdruck 364 Ziffer 6 zustimmen will,
gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist
Wir bekennen uns zur Lohnfunktion in der gesetz-
die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
lichen Rentenversicherung. Das hat sich schon be-
währt, Herr Kollege. Die Ausgleichsrente im Kriegs- Wir stimmen nun über die §§ 2 und 3 ab. Wer
opferrecht z. B. hat eine völlig andere Funktion. diesen Paragraphen zustimmen will, gebe das Hand
Deshalb scheint es mir übertrieben zu sein, wenn zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei
hier von Unrecht gesprochen wird. zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Wir haben in den vergangenen Jahren immer Der Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 7 ist
wieder betont, daß eine Lösung dieser Frage nur schon begründet. Auch eine Antwort ist schon er-
über eine Verbesserung in den zuständigen Geset- folgt. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen.
zen möglich ist — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
(Zuruf von der SPD) Nunmehr §§ 4 und 5, Einleitung und Überschrift.
— Frau Kollegin, ich werde gleich darauf ein- — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. —
gehen —, um hier nicht systemwidrig vorzugehen.. Gegenprobe! - Enthaltungen? — Angenommen.
Ich möchte, weil gerade der Zwischenruf gekom- Es scheint Übereinstimmung zu bestehen, daß die
men ist: „Warum haben Sie es nicht getan?", dar- dritte Beratung am Freitag erfolgen soll; über die
auf hinweisen, daß sich in den Ausschußberatungen Reihenfolge der Tagesordnung werden wir uns noch
zum Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung verständigen können. Damit ist dieser Punkt für
des Kriegsopferrechts bereits ein erfreulicher Fort- heute erledigt.
schritt abzeichnet. Der § 33 bringt nämlich eine we-
sentliche Verbesserung des anrechnungsfreien Ein- Ich rufe Punkt 17 auf:
kommens. Große Anfrage der Fraktion der SPD betr.
(Abg. Biermann: Aber nicht die, die sein auswärtige Kulturpolitik (Drucksache IV/1315).
sollte!) Zur Begründung der Großen Anfrage hat der Ab-
— Ich darf darauf hinweisen, Herr Kollege, daß Sie geordnete Kahn-Ackermann das Wort.
diese wesentliche Verbesserung sogar in der Druck-
sache IV/1714, also in einen Antrag Ihrer Fraktion, Kahn-Ackermann (SPD) : Herr Präsident! Meine
übernommen haben. Damen und Herren! Wir haben diese Große Anfrage
(Zuruf von der SPD: Natürlich, es ging ja eingebracht, weil uns die steigende Bedeutung einer
nicht anders! — Abg. Geiger: Selber stel
- oft und aus unterschiedlichsten Gründen unzuläng-
len Sie ja keinen, ganz klar!) lich bewältigten Aufgabe Sorge macht. Es ist nicht
so, daß wir die Schwierigkeiten auf dem Gebiet der
Wir haben es also, meine Damen und Herren, auswärtigen Kulturarbeit nicht kennen würden, und
hier mit einer wesentlichen Verbesserung zu tun, es ist nicht so, daß wir dem Geleisteten nicht An-
und ich darf für meine Fraktion die Überzeugung erkennung zollen würden. Aber ich denke, daß die
äußern, daß in den anderen Gesetzen künftig das- Laudatio über die Verdienste von Ihrer Seite her
selbe geschehen wird. kommen wird und daß wir am Schluß der Debatte
Eine Nichtanrechnung der Erhöhung in der ge- sehen können, in welchem Umfang wir ihr beizu-
setzlichen Rentenversicherung auf andere Sozial- pflichten vermögen.
leistungen bis zum Monat Mai kommt nach unserer (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)
Überzeugung einem mittleren Weg gleich. Eine An-
rechnungsfreiheit für ein Jahr wäre die völlige Be- Die Frage nach der Konzeption der auswärtigen
seitigung der Anrechnung überhaupt. Kulturarbeit umschließt auch den Wert, den man ihr
Wir müssen wegen der Konsequenzen, wegen der innerhalb der auswärtigen Politik beimißt: ob man
sich daraus ergebenden Verwirrung, die letztlich die auswärtige Kulturarbeit als ein Ornament, einen
einem Angriff auf das — das werden Sie doch zu- Blinddarm innerhalb des ganzen Gefüges unseres
geben — sicherlich erprobte System gleichkäme, Amtes betrachtet, oder ob man sie als wesentliches
darum bitten, die Ziffer 6 des Umdrucks 364 abzu- Element der Politik betrachtet. Ferner ist da die
lehnen. Wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden, Frage der Methode wichtig, die eng mit der Rolle
gäbe es in der letzten Konsequenz nur einen ein- verknüpft ist, die man unserer Sprache als wichtig-
zigen Ausweg, und das wäre die Einheitsversiche- stem Medium unserer Kulturarbeit beimißt. Hier ist
rung, die wir ablehnen müssen, vieles unklar. Ich darf Sie beispielsweise an die
Denkschrift erinnern, die der Deutsche Industrie - und
(Abg. Stingl: Sehr richtig!) Handelstag im Frühjahr dieses Jahres den Mitglie-
4714 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
dern dieses Hauses zugesandt hat und worin er auf ist er nicht darauf gekommen. Ich finde es jedenfalls
die Folgen hinweist, die z. B. innerhalb unserer schade, daß wir Lassalle, Bebel und den ganzen ent-
europäischen Gremien dadurch entstehen, daß man scheidenden Beitrag der deutschen Arbeiterbewe-
zweifellos nicht eine mehrsprachige Administration gung zur sozialen Revolution des 19. und 20. Jahr-
anstrebt. Wir müssen die Bundesregierung fragen, hunderts den anderen überlassen, und das gerade
welche Rolle sie der deutschen Sprache innerhalb in Ländern, in denen dieser Beitrag für die eigene
Europas zumißt und welche Akzente sie hier zu staatliche Ausformung von ungeheurer Bedeutung
setzen versucht, weil das ein außerordentlich wich- ist. Das hat auch in manchen Kleinigkeiten seine
tiger Punkt innerhalb der auswärtigen Kulturarbeit, Auswirkung. Ich kann mich entsinnen, vor längerer
soweit sie in Europa geleistet wird, ist. Zeit einmal einen Werbefilm für die auswärtige
Kulturarbeit gesehen zu haben, in dem — man
Schließlich die Kernfrage nach dem Inhalt: Soll könnte viel daran kritisieren, aber ich möchte jetzt
Kulturarbeit Vermittlung von Spitzenprodukten für nur auf diese einzige Kleinigkeit zu sprechen kom-
eine intellektuelle Elite sein oder soll sie mehr sein? men — u. a. auch die Stadt Trier mit all ihren histo-
Kulturarbeit — so sehen wir es — ist eigentlich rischen römischen Baudenkmälern gezeigt wurde;
die unablässige Einwirkung von Menschen auf ihre aber auf die Idee, das Geburtshaus von Karl Marx
Umwelt. Es ist sicher, daß wir auf dem Gebiet unse- zu zeigen, das gerade in seiner Werbewirkung für
rer auswärtigen Kulturarbeit diese Breite nicht eine historische Figur, die von den anderen für sich
haben. Aber darauf möchte ich im einzelnen noch zu beansprucht wird, von Wert ist, ist niemand gekom-
sprechen kommen. men. Das könnte für die Bundesrepublik eine Ange-
Unsere Kulturarbeit hat eine Neigung zum Eso- legenheit von positiver Bedeutung sein, und wir
terischen. Ich frage mich manchmal, ob man Konzer- sollten das nicht anderen überlassen.
ten oder literarischen Abenden, die man in man- Meine Damen und Herren, wir kennen die
chen Ländern nahezu ausschließlich für die deutsche
Schwierigkeiten in unseren kulturellen Beziehungen
Kolonie oder das diplomatische Korps veranstaltet, zur Sowjetunion. Trotzdem scheint mir die Bundes-
als Medium der Kulturarbeit nicht eine viel zu republik nicht allzu viel Phantasie an Lösungen für
große Bedeutung beimißt. Wir leben in einer sehr die festgefahrene Situation verschwendet zu haben,
differenzierten Welt, und selbst das akzeptierte Bild
die uns wohlbekannt ist. Ich sage das nur, weil eine
unserer Kulturarbeit, daß wir sozusagen die Selbst- Reihe von unterschiedlichsten Faktoren, von Max
darstellung deutscher Kultur als Leitbild vor uns
Gregers Tanzkapelle angefangen über Bernhard
haben sollen, wird heute auch mitunter fragwürdig, Wickis in Rußland ungewöhnlich erfolgreichen Film
wenn ich an die vielen Länder denke, in denen die
„Die Brücke" bis zu einem Besuch deutscher Schrift-
Leute, die dort wohnen, einfach nicht das intellek-
steller in sehr nachhaltiger Weise auf eine Korrek-
tuelle Interesse haben, sich für unsere Probleme und
tur des sowjetischen Bildes der Bundesrepublik
unsere kulturellen Probleme zu interessieren, weil
hingewirkt haben; ich glaube, eine Korrektur, die
die Voraussetzungen dort nicht erfüllt sind. Hier
wohl auch zu den Zielen unserer auswärtigen Poli-
wird man darangehen müssen, nach besseren und
tik gehört.
politisch wirkungsvolleren Methoden zu suchen.
Noch ein Satz zu unseren kulturellen Beziehun-
Wir übersehen ferner nicht, daß mancher Akzent gen zu den osteuropäischen Staaten. Sie sind ein
unserer auswärtigen Kulturarbeit durch die nicht- Teil Europas, und ein Abbau administrativer Hin-
zu unterschätzende Aktivität der Zone und ihrer dernisse gegenüber einer intensiveren Pflege kul-
auswärtigen Missionen gesetzt wird. Aber gerade tureller Beziehungen würde auch da auf ganz natür-
diese Tätigkeit trifft bei uns auf eine verwundbare liche Weise dem Zerrbild entgegenwirken, das poli
Stelle. Die in einem Grundsatzerlaß vorgeschriebene tische Propaganda vor uns errichtet hat.
politische Abstinenz für die die Kulturarbeit tragen-
den Goethe-Institute, die ich als Prinzip für Unsinn Hätte die Bundesrepublik in all diesen entschei-
halte und die nur im Einzelfall berechtigt sein mag, denden Fragen ein Konzept und lebte sie weniger
setzt hier unseren Wirkungsmöglichkeiten nicht aus einer Kombination von etwas zuviel Kultur-
unbeträchtliche Grenzen. So verschweigt die deut- routine und leider wenig genialen Improvisationen,
sche Kulturpolitik die Existenz weiter Bereiche so hätten wir die simple Frage nach dem Konzept
unseres Lebens und unserer Geschichte, und so der kulturpolitischen Arbeit im Ausland nicht zu
nimmt es nicht wunder, daß beispielsweise, von stellen brauchen.
ganz verschwindenden Ausnahmen abgesehen, nie- Zweitens wird nach den Beiträgen gefragt, die die
mand daran gedacht hat, im Rahmen dieser auswär- Bundesrepublik zur Kulturarbeit im Rahmen der
tigen Kulturarbeit etwa des hundertjährigen Grün- europäischen Institutionen leistet. Da möchte ich die
dungstages der deutschen Arbeiterbewegung zu Frage an Sie richten, Herr Minister, inwieweit die
gedenken und sie für das deutsche Ansehen in vie- Bundesregierung sich die Empfehlungen des Europa-
len Ländern, in denen das Bild Deutschlands gerade rats vom 16. September dieses Jahres zu Herzen
von dieser Seite her nicht bekannt ist, nutzbar zu genommen hat und inwieweit sie wirklich daran-
machen. Als ich diese Frage einem der Kulturatta- geht, sich in etwa positiv der Idee einer gemein-
chés in einem unserer wichtigsten Nachbarländer samen Darstellung Europas auf den anderen Konti-
vorgelegt habe, in dem das gerade infolge der star- nenten anzuschließen, einem Postulat, das, wie ich
ken politischen Linken dort sicherlich eine nützliche mit großer Freude bemerkt habe, auch von den Kol-
Angelegenheit gewesen wäre, hat er gesagt, das sei legen der CDU in den europäischen Gremien befür-
selbstverständlich eine gute Idee; aber von selber wortet worden ist. Ferner erhebt sich die Frage, in-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4715
Kahn-Ackermann
wieweit die Bundesregierung die Empfehlungen des und dem Goethe-Institut nur gratulieren, wenn es
Europaparlaments zur kulturellen Zusammenarbeit ihm gelungen sein sollte, in einem einzigen Jahr
der Mitgliedstaaten zu befolgen gedenkt und daran 30 gute Leute für diese neu eröffneten Institute zu
mitwirken will, daß gemeinsame Einrichtungen, die finden. Gerade das ist ein Moment, das mich sehr
dazu nötig sind, geschaffen werden. hoffnungsfreudig macht, daß auch dort, wo die Vor-
Wir möchten auch gerne wissen, worin die deut- stellungen über die Besetzung mit geeigneten Per-
sche Mitarbeit im Rat für kulturelle Zusammenarbeit sönlichkeiten noch nicht verwirklicht werden kön-
sozusagen ihr Arbeitsziel sieht. Wir wissen, daß nen, eine Verwirklichung möglich ist.
dieses Gremium umgebaut werden soll, weil es die Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der
Erwartungen nicht ganz erfüllt hat, die man in es Grundsatzerlaß „keine Politik an den Goethe
gesetzt hat. Ich muß sagen: einem Gremium, das Instituten" ihre Wirkungsmöglichkeiten stark be-
fast ausschließlich aus Beamten besteht — ich habe einträchtigt, wenn Sie Politik in einem weiteren
nichts gegen Beamte; aber sie sind an Weisungen Sinne nehmen, wie er etwa von den Organisationen
gebunden —, fällt es schwer, progressive Ideen zu verstanden wird, die sich in unseren Nachbarstaaten
entwickeln und einen Schritt nach vorn zu tun. Aber oder in anderen Staaten mit der kulturellen Arbeit
uns interessiert, welche Haltung die Bundesregie- beschäftigen, z. B. vom British Council.
rung hier einnimmt und ob sie glaubt, daß eine der- In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr
artige Institution alle die ihr übertragenen Auf-
Minister, daran erinnern, daß, wenn man die Aus-
gaben mit einem Budget von 2 Millionen Neuen
leihlisten unserer Goethe-Institute nachprüft, die
Franken erfüllen kann. politische Literatur immer noch vor der anderen
Angesichts des Ranges, der ganz offensichtlich führt und daß Marx noch immer an der Spitze aller
nach außen diesem Beitrag zur europäischen Kultur- Autoren vor Goethe rangiert. Das möge nur ein
arbeit beigemessen wird, muß man schließlich fra- Fingerzeig für das Interesse sein, das das Leser-
gen, ob dort wirklich eine ernsthafte Mitarbeit er- publikum in diesen überwiegend in Entwicklungs-
folgt oder ob man einfach in diesen Gremien mit- ländern gelegenen Leseinstituten hat.
wirkt, weil man eben drin ist. Die Frage nach einem
Zu viele dieser Institute führen, so möchte ich
gemeinsamen Europa stellt sich auch in der Frage
sagen, ein rein einem ästhetischen Programm ver-
unserer zwischenstaatlichen kulturellen Beziehun-
haftetes Dasein. Das sollte man wohl schon im Hin-
gen. Der Begriff der gemeinsamen abendländischen
blick auf die Tätigkeit der auswärtigen Missionen
Kultur wird oft verwendet. Wenn man ihn aber ge-
der Zone, wie ich vorhin gesagt habe, ändern.
braucht, soll man ihn nicht bloß als Floskel benut-
zen, sondern dann soll man damit in seiner Politik Die Haupttätigkeit der Institute ist die Vermitt-
auch zeigen, daß man ernsthaft um eine Verwirk- lung der deutschen Sprache. Hier werden wir Jahr
lichung einer gemeinsamen Kulturpolitik bemüht ist. für Jahr mit der Tatsache konfrontiert, daß erfreu-
licherweise die Zahl derjenigen, die Deutsch lernen
(Sehr richtig! bei der SPD.)
wollen, ansteigt. Ja, man muß direkt staunen,
Ich komme zur dritten Frage. Die deutschen Kul- welche Mengen da in unsere Kurse strömen. Aber
turinstitute sind das Hauptmedium unserer Kultur- aus dieser Tatsache ergibt sich nach meiner Ansicht
arbeit geworden. Kürzlich haben wir in Algier das eine Reihe von außerordentlich wichtigen Fragen.
100. Goethe-Institut eröffnet. Seit einer Reihe von Zunächst einmal soll man sich durch die Zahlen nicht
Jahren stellt sich aber für diese große Zahl von- blenden lassen. Wer Gelegenheit hat, mit den Lei-
Kulturinstituten, die heute im wesentlichen sehr tern solcher Kulturinstitute zu sprechen, und den
selbständig ihre Aufgabe wahrnehmen, das Pro- Dingen auf den Grund geht, wird feststellen, daß
blem der geeigneten zentralen Führung und in die- im Endeffekt die Zahl derjenigen, die wirklich be-
sem Zusammenhang auch des Programmdirektors. müht sind, Deutsch soweit zu lernen, daß sie es als
Mit Wahl von Botschafter Pfeiffer zum Präsiden- Sprache benutzen können, sehr gering ist. Das
ten dieser Institution ist gewiß gegenüber dem vor- zweite: wenn man diesen Zweig des Unterrichts der
her herrschenden Interregnum ein Fortschritt er- deutschen Sprache so sehr ausdehnt, muß man sich
zielt worden. Jedoch muß ich die Frage stellen, ob auch die Frage stellen, was man später einmal mit
nicht auch hier das gilt, was ich vorhin für das den Leuten anfangen will, die die deutsche Sprache
allgemeine Konzept gesagt habe, nämlich ob man erlernt haben. Hier fehlt die Fortsetzung. Es fehlt
nicht daran denken muß, für diese Aufgabe Persön- ein Fortsetzungsprogramm. Es fehlt an Möglichkei-
lichkeiten zu gewinnen, die selber schöpferische ten, die Leute, die wirklich Deutsch gelernt haben,
Ideen zu unserer kulturellen Wirksamkeit im Aus- weiter für die Arbeit unserer Kulturinstitute zu in-
land beitragen können. Ich weiß, daß es da Hinder- teressieren. Es mag sein, daß hier zuweilen ein ma-
nisse hinsichtlich der Bezahlung und der Möglichkeit terieller Mangel mitspielt, aber im großen und gan-
gibt, gute Kräfte zu gewinnen. Aber wo ein Wille zen ist für diesen Fall nichts vorgesehen. Es er-
ist, ist auch ein Weg. Die Frage ist lediglich, welche scheint mir auch als ein Mangel unseres Besucher-
Bedeutung man diesen Aufgaben zumißt. Dann wird programms, daß etwaige besonders gute Absolven-
man auch Wege finden, auch die materiellen Wege, ten der Kurse an unseren Goethe-Instituten, die es
um die für Führungsaufgaben in solchen Gremien in der Tat bis zu einer Art Diplom gebracht haben,
geeigneten Persönlichkeiten zu finden. Natürlich ist dann nicht auch als Ansporn und um sie zur Mit-
die Lösung der Personalfrage nicht einfach. Allein arbeit zu gewinnen, in das Besucherprogramm oder
im Jahre 1962 sind 30 derartige neue Institute er- in die verschiedenen Besucherprogramme der Bun-
öffnet worden. Man kann dem Auswärtigen Amt desregierung einbezogen werden.
4716 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
Lassen Sie mich zum Problem der Goethe-Insti- — ein vom Amt und seinen Diensten völlig unkon-
tute noch eines sagen. Alle diese Goethe Institute
- trolliertes Dasein führen.
besitzen Bibliotheken, und das ist mit einer der Für ihre Leistung und für ihr Ansehen gibt es
Hauptzwecke ihres Daseins. Aber was nützt es, daß keine objektiven Beurteilungsunterlagen. So konnte
wir in solchen Ländern Hunderte oder Tausende es beispielsweise vorkommen — ich möchte Sie an
von deutschen Büchern haben, wenn sie trotz des dieses Ereignis nur erinnern —, daß vor zwei Jah-
Deutschunterrichts praktisch nur von einem Mini- ren in einer unserer Renommierschulen, nämlich
mum der Besucher gelesen werden! Es erscheint ab- der neuen Schule in Madrid, beim Abitur 95 % der
solut notwendig, daß die Bemühungen, mehr eng- Schüler durchgefallen sind, weil man festgestellt
lische und französische Übersetzungen deutscher hat, daß trotz Neubaus und aller möglichen Bestre-
Literatur und deutscher Fachliteratur in diese Bib- bungen in dem Wirken dieser Schule einfach die
liotheken einzustellen, verstärkt werden. Möglichkeiten für den Unterricht, wie sie bei uns
Dann noch eines. Ein Teil des Bildes, das man sich angesehen werden, nicht mehr vorhanden waren
von uns als Kulturnation im Ausland macht, beruht und daß man sich auch andere Ziele gesetzt hat.
auf einer Reihe von technischen Leistungen. In Bei manchen dieser Schulen muß man sich fragen,
kaum einem dieser Goethe-Institute finden Sie aber ob es noch deutsche Schulen sind oder ob wir sie
eine technische Bibliothek, die diese Leistungen in nicht besser unter der Rubrik „Bildungshilfe" einem
etwa repräsentiert. Dieser Mangel ist mir nicht bloß neuen Status zuführen sollten. Nur eine Handvoll
von Leitern, sondern auch von vielen Besuchern die- der Auslandsschulen führt zum Abitur. Ich möchte
ser Bibliotheken vorgehalten worden. Sie fragen, ob das im Interesse unserer Hochschul-
Uns stehen für den Ausbau dieser Institute nur politik liegt, wo wir zusätzlich eine Menge Geld
beschränkte Mittel zur Verfügung. Da muß man ausgeben, um Bewerber aus anderen Ländern — ich
allen Ernstes fragen, ob nicht manchmal ein etwas denke hier besonders an die Entwicklungsländer —
vorsichtigeres Taktieren am Platz wäre; denn wenn in Deutschland zusätzliche Deutschkurse absolvieren
man an manchen Orten in den Entwicklungsländern zu lassen. Irgendwo erscheint es mir persönlich
prüft, wer von den Einheimischen die Veranstaltun- auch geradezu widersinnig, wenn eine der berühm-
gen dieser Institute besucht — vielleicht ist es das testen dieser Schulen, unsere Humboldt-Schule in
Konzept, daß man in die Zukunft gebaut hat —, Mexiko, praktisch ein Jahr vor dem Abitur aufhört.
dann stellt man fest, daß im Jahresdurchschnitt, nur Das ist eine Art Fehlplanung, die der baldigsten
auf die einheimischen Besucher abgehoben, manch- Korrektur bedarf.
mal nicht mehr als 10, 15 oder 20 Leute kommen. Fachleute bemängeln außerdem das veraltete Er-
Auch an eine Verlagerung der Gewichte muß ge- ziehungsziel vieler deutscher Schulen besonders in
dacht werden. Schauen Sie, da gibt es verhältnis- den Entwicklungsländern, und sie fragen, wo denn
mäßig kleine Zweit- und Drittorte in afrikanischen eine neue deutsche Modellschule bleibe, die auf die
Ländern, die heute bereits über ein Goethe-Institut moderne Industriegesellschaft vorbereite und die
verfügen. In der größten Stadt Indiens, in Bombay, nach der Grundstufe Aufbauzüge für die kaufmän-
mit über 6 Millionen Einwohnern, die auch für das nisch, die technisch, die landwirtschaftlich und die
geistige Leben Indiens von großer Bedeutung ist, wissenschaftlich Interessierten und Begabten ent-
haben wir kein Kulturinstitut. Ich kenne die dornen- halte.
volle Vorgeschichte, warum wir dort keines haben. Auf Prestigeschulen, die schlechter als die Schulen
Aber auch hier ist es eine Frage des guten Willens des Gastlandes sind, sollten wir verzichten. Das
und die Frage gewesen, wie man einen guten Weg ganze Problem bedarf eines sorgfältigen Studiums,
findet, dieses Problem zu bewältigen. einer politischen Klärung und einer neuen organi-
Unsere vierte Frage beschäftigt sich mit den satorischen Lösung. Der jetzige Zustand ist unbe-
deutschen Schulen im Ausland. Sie sind ein Kern- friedigend und verleitet, materiell gesehen, zu Fehl-
stück unserer Kulturarbeit und zugleich eines der investitionen und zur Verschwendung von Geld.
problematischsten. Die Schwierigkeiten auf diesem In diesem Zusammenhang bleibt die Beteiligung
Gebiet reißen nicht ab. Schwierigkeiten bereiten die an internationalen oder europäischen Schulvorhaben
nach 1945 geschaffenen Schulträgerschaften. Sie für die Beschulung deutscher Kinder zu prüfen. Ich
waren, genauer gesagt, oft mehr hinderlich als möchte hier fragen, inwieweit die Schulabteilung
förderliche Schulvereine. Sie waren ursprünglich des Auswärtigen Amts der Empfehlung des Kultur-
einmal dazu gedacht, einen Teil der Mittel für diese politischen Beirats des Auswärtigen Amts vom
Schulen aufzubringen, was sich im Laufe der Jahre 24. Oktober 1961 nachgekommen ist, möglichst deut-
jedoch größtenteils als Illusion herausgestellt hat. sche Lehrer für solche internationalen Schulen be-
Da sind die ungelösten Verwaltungsfragen. reitzustellen.
Seit Jahren haben wir nur eine Handvoll Leute — (Zuruf von der SPD: Was tut der Beirat
darunter nur vier Herren des höheren Dienstes, die überhaupt?)
meist Juristen und keine Pädagogen sind —, die — Darüber müßte man sich auch noch unterhalten.
praktisch die Arbeit in über 350 Schulen beobachten
und leiten sollen. Das ist ein unmöglicher Zustand. Eine Nebenbemerkung. Es ist sehr schön, daß wir
Das kann man mit einer solchen Equipe nicht ma- eine große und mittlerweile voll ausgebaute deut-
chen. Es kann einen nicht wunder nehmen, daß sche Schule in Paris haben. Aber ich muß fragen,
zwei Drittel der Schulen daher — genau betrachtet warum man sich eigentlich keine Sorgen über die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4717
Kahn-Ackermann
Schulverhältnisse von 400 deutschen Bergarbeiter- sammenarbeit die grundsätzliche Bereitschaft
kindern in Nordfrankreich macht. Ich habe bisher erklärt, Fachkräfte für eine Tätigkeit in Ent-
noch nicht gehört, daß deutscherseits irgendwo ein wicklungsländern zu beurlauben.
schulisches Zentrum für diese Kinder in Aussicht Mir scheint, daß hier irgendwo Sand im Getriebe ist
genommen worden ist. und daß dieser Sand mit einem geeigneten Scheuer-
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu den Ge- mittel alsbald entfernt werden sollte.
werbeschulen sagen, die in vieler Hinsicht ein be- Der schwächste Punkt unserer Kulturpolitik liegt
deutender Pluspunkt unserer auswärtigen Kultur- in dem Thema, das wir unter Punkt 6 angeschnitten
arbeit sind. 22 davon sind in Betrieb. Die Errichtung haben: die Entsendung von Hochschullehrern und
von 44 solcher Schulen hat die Bundesregierung Lektoren ins Ausland und die Beziehungen zwischen
bindend zugesagt. Aber da bereits im abgelaufenen deutschen und ausländischen Universitäten. Die un-
Jahr vorübergehend vier der schon in Betrieb be- geheure Nachfrage nach Lektoren und Hochschul-
findlichen Schulen ohne Leiter waren, weil es den lehrern hat in all den vergangenen Jahren niemals
Ländern nicht möglich war, für Ersatz zu sorgen, befriedigt werden können. Die Schwierigkeiten sind
frage ich mich, ob sich die Bundesregierung bei der nicht zu übersehen. Beamtete Hochschullehrer gehen
Zusage für diese 44 Gewerbeschulen auch Gedanken ungern aus der Bundesrepublik heraus, weil noch
darüber gemacht hat, wo sie die Gewerbelehrer für immer — obwohl eine Reihe von Universitäten dan-
diese 44 Schulen herbekommt. Sie können praktisch kenswerterweise entsprechende Leerstellen geschaf-
nur aus dem Reservoir der Länder geschöpft wer- fen haben — diese Frage nicht in einer Weise ge-
den, wo sie selbst eine Mangelware sind. Ein breit regelt ist, die es für Hochschullehrer attraktiv
gestreutes Programm erscheint mir bei der Kürze macht, ins Ausland zu gehen. Diejenigen Hochschul-
der Zeit, in der es durchgeführt werden soll, als lehrer die von sich aus und durch Verträge mit
eine Verzettelung der zur Verfügung stehenden fremden Regierungen auf sich allein gestellt drau-
Kräfte. ßen arbeiten, werden nach wie vor in einer unzu-
reichenden Weise durch die Bundesrepublik geför-
Ganz abgesehen davon sollte die Bundesregierung
dert. Ich will gern zugeben, daß seit der Errichtung
ihre Autorität dafür einsetzen, daß die wirklich ent- der Vermittlungsstelle für Wissenschaftler im Aus-
nervende Zersplitterung der Zuständigkeiten im land einiges geschehen ist und sich manches gebes-
Dienstverkehr der bereits bestehenden Schulen mit sert hat. Aber im großen und ganzen, so muß man
deutschen Stellen in irgendeiner Form bereinigt sagen, ist dieses Problem ungelöst.
wird. Wenn die Leiter dieser Schulen irgendwelche
Anliegen haben, so müssen sie sich meistens erst Ich habe kürzlich mit dem Rektor einer Tech-
I an fünf Stellen wenden, bevor sich eine dieser nischen Hochschule eines sehr, sehr großen Entwick-
Stellen als zuständig erklärt. lungslandes gesprochen. Dieser Mann hat einen
Monat hindurch sämtliche deutsche Universitäten
Noch eine kurze Bemerkung zu den Lehrern an und Technischen Hochschulen besucht, um zwei Lehr-
unseren Auslandschulen. Die Auswahl dieser Lehrer kräfte für seine eigene Universität zu erhalten. Er
— manche Zwischenfälle und die viele, viele Arbeit, ist mit leeren Händen wieder nach Hause gefahren.
die das Amt damit hat, auch das Bundesverwaltungs- Das verwundert mich auch gar nicht. Denn in den
amt, führen dazu, daß die Schulabteilung im Aus- Hochschulen selbst sind ja keine Möglichkeiten für
wärtigen Amt mit der ihr übertragenen Aufgabe- eine solche Entsendung vorhanden. Aber ich würde
nicht fertig wird — ist nach wie vor problematisch. sagen: wenn schon ein solcher Mann nach Deutsch-
Das kann unter den gegenwärtigen Umständen, die land kommt, wäre es wohl die Pflicht des Aus-
ja nicht zu ändern sind, auch nicht anders sein. Aber wärtigen Amtes, ihn auch mit jenen Stellen in
auch hier vermisse ich eine Initiative, um gemein- Kontakt zu bringen, mit denen er vielleicht positi-
sam mit der Kultusministerkonferenz zu einer bes- vere Gespräche in dieser Sache führen kann.
seren Lösung dieses Problems zu kommen.
(Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg: Es sind
Schließlich bleibt noch das Problem der Entsen- keine Leute dazu da! — Gegenrufe.)
dung von deutschen Lehrern an nichtdeutsche Schu- Universitätspartnerschaften, wie sie in den ver-
len beispielsweise in Entwicklungsländern. Mein gangenen Jahren eingeleitet worden sind, sind
Freund Wischnewski hat kürzlich die Öffentlichkeit sicherlich eine gute Sache. Auch die Versprechun-
darauf aufmerksam gemacht, daß die Bundesrepu- gen und die Zusagen, die die Bundesrepublik ande-
blik offensichtlich nicht in der Lage war, der Regie- ren Ländern zum Mitaufbau an ihren Universitäten
rung der Republik Algerien neun von ihr erbetene gegeben hat, bleiben genau wie in unserem eigenen
Schullehrer zu schicken. Diese seine Bekannt- Lande, wo ja auch die Universitäten aus ihren Näh-
machung in der Öffentlichkeit hat eine Stellung- ten platzen, eine problematische Aufgabe deswegen,
nahme der Ständigen Konferenz der Kultusminister
weil es sich immer schon nach wenigen Jahren her-
gezeitigt, die mich eigentlich überrascht hat. Der
auszustellen pflegt, daß die Bundesrepublik den aus
Vertreter der Konferenz schreibt hier — wenn ich
solchen Partnerschaften oder Zusagen erwachsenen
das eben verlesen darf —:
Verpflichtungen materiell nicht mehr gewachsen ist.
Ich darf Ihnen hierzu mitteilen, daß den Kultus-
(Abg. Dr. Fritz [Ludwigshafen]: Aber bis
ministern der Länder von der algerischen Bitte
jetzt hat sie sie erfüllt!)
nichts bekanntgeworden ist. Die Kultusminister
haben wiederholt dem Auswärtigen Amt und Selbstverständlich will dann eine solche Universität
dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zu neue Institute haben, mehr Professoren, sie wächst
4718 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
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heraus, und das führt allerdings nachher in mate- eine größere Zahl von ausländischen Studenten
rielle Kategorien, die wahrscheinlich von uns allein nach Deutschland hereinzuziehen. Ich bin froh, daß
nicht mehr zu bewältigen sind. Man muß daher fra- die Westdeutsche Rektorenkonferenz eine sachliche
gen, ob es auch gerade bei den Unversitätspartner- Erwiderung darauf gegeben hat. Ich will die be-
schaften nicht besser wäre, ein bißchen mehr auf kannte Liste der Mißstände hier nicht repetieren.
die europäische und internationale Zusammenarbeit Aber ich möchte Sie an ein Wort Ihres Vorgängers
zuzusteuern, um weitere finanzkräftige Partner erinnern, Herr Minister, der gesagt hat, daß alle
beim Aufbau solcher Universitäten zu haben. auswärtige Kulturarbeit sinnlos wird, wenn wir
Studenten, Besuchern und Praktikanten nicht unser
In diesem Bereich ist ferner das Problem der Lek- Leben sinnfällig machen können und sie enttäuscht
toren, der Germanisten an den auswärtigen Univer- in ihre Heimatländer zurückfahren lassen. Wenn
sitäten und besonders in den Entwicklungsländern auch Ihr Amt in diesem Fall nur der Briefkasten ist,
völlig ungelöst. Sie alle, meine Damen und Herren, es dürfte Ihnen in diesem Zusammenhang nicht
haben wahrscheinlich die Denkschrift von Professor gleichgültig sein, was die Studenten und Praktikan-
Lennartz vom DAAD erhalten, der darauf hinweist, ten in unserem Lande an persönlichen Erlebnissen
daß er mit den ihm in diesem Jahr bewilligten haben, und in diesem Zusammenhang auch nicht,
Haushaltsmitteln, obwohl das Auswärtige Amt die was die Allgemeinheit über das Leben in diesen
Berechtigung seiner Forderung erkenne, nicht aus- Ländern weiß und was Volksschüler in der Bundes-
kommen könne. Ich möchte darauf hinweisen, daß republik über Afrika, Asien und Lateinamerika
gerade auf diesem Gebiet der Entsendung von Lek- erfahren.
toren und Professoren künftig mehr getan werden
muß. Dies ist mindestens so wichtig wie die Errich- Eine in dankenswerter Weise auf Initiative der
tung von neuen Goethe-Instituten; denn wie die Er- UNESCO durchgeführte Bestandsaufnahme über
fahrungen gezeigt haben, kommen Lektoren oder Unterrichtswerke in der Bundesrepublik enthüllt,
besonders Professoren häufig in die Situation, Be- daß Bildungshilfe im eigenen Land auf diesem Ge-
rater fremder Administrationen und Minister zu biet dringend geboten erscheint. In diesen Büchern
sein und in eine Tätigkeit zu gelangen, in der sie enthüllt sich ein europazentrisches Geschichtsbild.
für die auswärtige Politik und auch die auswärtigen Den Schülern wird nicht vermittelt, daß eine vier-
Kulturbeziehungen der Bundesrepublik in einem hundertjährige Hegemonie Europas durch eine plu-
ungeheuren Maße nützlich sein können. ralistische Völkergemeinschaft abgelöst worden ist.
Ich bin daher einem Beamten der Bundesregierung
Ich möchte Ihnen, Herr Minister, um aus diesen dankbar, der die Herausgabe eines ausgezeichneten
Schwierigkeiten herauszukommen, eine Anregung Modellunterrichtsbuches veranlaßt hat, das, wie mir
geben. Die Probleme liegen ja hauptsächlich darin, scheint, eine passende Weihnachtsgabe des Außen-
daß es für die einzelnen Universitäten, die wir nicht ministers für seine Kollegen für Kultur und Erzie-
beeinflussen können, offensichtlich so sehr, sehr hung in den Ländern sein würde.
schwierig ist, Leute zu entsenden, wegen der Leer- (Dr. Martin [CDU/CSU] : In den Ländern!)
stellen, wegen der Frage, was nachher mit den Leu-
ten geschieht, wenn sie wieder zurückkommen. Sie Aber zurück zu den Studenten. Ich weiß, daß nicht
glauben, daß sie dann irgendwie in ihrem Fortkom- übermäßig viel geschieht, um eine gelegentlich
men behindert sind. Wäre es nicht möglich, einmal- oberflächliche Begeisterung für unsere Formen, zu
mit einem dazu geeigneten oder bereiten Bundes- leben und Politik zu machen, zu vertiefen. Trotzdem
land zu sprechen, ob es vielleicht bereit ist, eine sollten wir alles tun, um den Sinn dieser Studenten
Universität zu errichten, die praktisch nur aus einer für ein freiheitliches Weltbild zu wecken. Statt des-
Verwaltung besteht und in der alle diejenigen sen aber werden unsere akademischen Besucher in
Hochschullehrer beheimatet sein könnten, die län- der Bundesrepublik häufig mit einer doppelbödigen
ger als zwei, drei Jahre — und das ist ja auch sehr akademischen Freiheit konfrontiert. Das Recht der
wichtig; manche sind fünf, zehn oder 15 Jahre drau- freien Meinungsäußerung ist vielen Studenten ver-
ßen — solche Aufgaben im Interesse der Bundes- wehrt, und mit Recht beklagt sich die Vereinigung
republik übernehmen? Ich weiß nicht, ob eine sol- der afro-asiatischen Studenten, daß die Anerken-
che Idee an den bestehenden Schwierigkeiten schei- nung ihrer Gruppen und Vereine an vielen Univer
tert. Zumindest scheint sie mir ein praktischer Lö- sitäten von der schriftlichen Verpflichtung abhängt,
sungsvorschlag zu sein, dem man vielleicht nach- keine politischen Diskussionen zu veranstalten. Ist
gehen könnte. denn die Bundesregierung Erfüllungsgehilfe der
politischen Doktrinen ausländischer Staaten? Das
(Abg. Dr. Lohmar: Vielleicht gibt es noch kann ich nicht glauben.
andere Wege!)
In dieses Gebiet, meine Damen und Herren,
Unsere Frage Nr. 7 beschäftigt sich damit, ob die gehört es auch, daß wir uns etwas härter zeigen
Bundesregierung Möglichkeiten sieht, bei dem sollten, wenn nach einem jeweiligen Regierungs-
Studium von Studenten aus anderen Ländern auf- wechsel in irgendeinem fernen Land die neue Regie-
getretenen Mängeln besser entgegenzuwirken als rung plötzlich darauf besteht, daß ein großer Teil
bisher. Das Problem der Auslandstudenten ist in der bei uns studierenden Landsleute von ihnen
diesen Tagen durch eine Denkschrift der Kultus- zurückgerufen wird, Menschen, in die die Steuer-
ministerkonferenz neu aktuell geworden, die zu zahler der Bundesrepublik viele Tausende von Mark
meinem großen Erstaunen der Bundesrepublik vor- investiert haben, nur weil ihnen die Richtung dieser
schlägt, mehr für das Ausländerstudium zu tun bzw. Leute im Augenblick nicht paßt, und daß sie ver-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4719
Kahn-Ackermann
suchen — und wir das zulassen —, die Rückkehr res Verbindungsmedium zu den Länderhauptstädten
durch Paßentziehungen und durch Denunziation und den Entscheidungen auf kulturellem Gebiet, die
etwa in der Richtung, es handele sich überwiegend dort gefällt werden. Das legt mir die Fragenahe,
um Kommunisten und dergleichen, zu erzwingen. warum eigentlich der Herr Minister für Bundesrats-
angelegenheiten, von dem ich glaube, daß er in sei-
Mir scheint im großen und ganzen, daß in der ner Tätigkeit nicht durch übermäßige Arbeitsfülle
Frage der ausländischen Studenten bei uns eine be- verhindert ist, sich nicht angelegentlicher um dieses
scheidene Änderung der politischen Richtung ge- Gebiet und um Maßnahmen auf diesem Gebiet küm-
boten ist, insbesondere was die Vergabe von Sti- mert, auf dem er mir in hohem Maße zuständig zu
pendien betrifft, wenn mir auch klar ist, daß wir sein scheint. Hier könnte er bei den auftretenden
damit nur einen sehr kleinen Teil erreichen; denn Schwierigkeiten dem Auswärtigen Amt eine Menge
praktisch sind nur 15% aller auswärtigen Studie- von Ungelegenheiten im Verkehr mit der Kultus-
renden Stipendienstudenten. Aber ich möchte doch ministerkonferenz, den Bundesländern oder dem
folgendes bemerken. In Afrika und in Asien, beson- Bundesrat abnehmen.
ders aber in Afrika, gibt es erstklassige Universi-
täten und Technische Hochschulen mit viel freier Kulturarbeit hat heute - darüber gibt es gar
Kapazität, da die afrikanischen Eltern in der Regel keinen Zweifel mehr — in Europa eine ,andere Ziel-
zu arm sind, um ihre Kinder studieren zu lassen. setzung als in Afrika, in Asien eine andere als in
Die von der UNESCO in diesem Herbst veranstal- Amerika. Sie können unsere wichtigsten Verbünde-
tete Konferenz über die Entwicklung des Erzie- ten, z. B. die USA, in dieser Hinsicht nicht behandeln
hungswesens in Afrika hat empfohlen, Stipendien wie irgendein ähnlich großes Land in Asien. Die
nur noch den Ländern anzubieten, die keine eige- Aufgabenstellung ist eine andere. Dieser Diversität
nen Universitäten haben. Die afrikanische Rektoren- der Aufgabe ist aber die Organisation der Kultur-
konferenz im Oktober dieses Jahres ist sogar noch arbeit nicht gewachsen. Sie bedarf einer grundsätz-
weiter gegangen und hat gemeint, daß das ganze lichen Reform, in der sich in gewisser Weise auch
Undergraduate-Studium an afrikanische Universi- die Neuorganisation des Amtes widerspiegelt. Sie
täten verlegt werden sollte. bräuchte eine Europaabteilung, eine Afrikaabtei-
Ein zweites Moment ist — ich habe mich auf lung, eine Asienabteilung, und sie müßte das Refe-
mehreren Reisen selber davon überzeugen können, rat, das sich mit unseren Kulturbeziehungen zu
insbesondere in Asien -, daß viele in der Bundes- internationalen Organisationen befaßt, von vielen
republik ausgebildete Fachkräfte in ihrem Heimat- anderen Aufgaben entlasten. Allein die unzuläng-
land keine ihrer Ausbildung entsprechende Stellung lichen organisatorischen und personellen Voraus-
finden. Es scheint mir, daß auf diesem ganzen Ge- setzungen dieser Abteilung bewirken, daß die Kul-
biet in Zukunft eine etwas sorgfältigere Planung turbeziehungen weit hinter den wirtschaftlichen und
Platz greifen müßte. politischen Beziehungen mit anderen Ländern zu-
Unsere nächste Frage bezieht sich auf die orga- rückgeblieben sind.
nisatorischen und personellen Voraussetzungen der
Kulturabteilung des Auswärtigen Amts. Noch immer Noch ein Wort über das Verhältnis der Abteilung
gilt diese Abteilung zuwenig in Ihrem Haus, Herr zu den Organisationen, mit denen sie zusammen-
Minister. Man könnte auch hier die grundsätzliche arbeitet und in die sie einen Teil ihrer Aufgaben
Frage, die öfters diskutiert worden ist, anknüpfen, hineingelegt hat, wie das Goethe-Institut, den Aka-
ob die Arbeit dieser Abteilung überhaupt in Ihr demischen Austauschdienst, die Humboldt-Stiftung
Haus gehört. Wir sind der Meinung, daß sich hier und andere. Diese Organisationen arbeiten heute
nun einmal eine Tradition eingebürgert hat. Einiges an unseren auswärtigen Missionen selbständig, und
wird in Ihrem Hause gemacht. Die Kulturarbeit ein direktes Weisungsrecht des beauftragten Kultur-
draußen ist ein untrennbarer Bestandteil der Außen- referenten ihnen gegenüber besteht nicht. Die Zu-
politik, und deswegen kann das Leiten und Planen sammenarbeit klappt überall da, wo das menschliche
nicht aus dem Ministerium herausverlegt werden. Verhältnis harmonisch ist. Aber wie Sie selbst wis-
Aber es gibt eine Diskrepanz zwischen den 172 Mil- sen, kann das menschliche Verhältnis nicht immer
lionen DM, die in dieser Abteilung verplant wer- harmonisch sein, und ich finde, man muß auch für
den, und der Zahl der Verwalter, die damit beschäf- solche Fälle Vorsorge treffen. Ich würde einer Rege-
tigt sind. Eines der größten Probleme dieser Abtei- lung des Verhältnisses zu diesen Organisationen
lung ist, ,daß die Mitarbeiter vor Verwaltungsarbeit den Vorzug geben, die auch der Möglichkeit Rech-
kaum noch zum Planen und Nachdenken kommen. nung trägt, daß das persönliche Verhältnis zwischen
Die Klage über unbeantwortete oder viel zu spät dem Kulturreferenten und den Leitern dieser In-
beantwortete Post reißt nicht ab. Entscheidungen, stitute kein besonders herzliches ist — das kommt
die von außen angefordert worden sind, kommen vor — und daß dort etwas gänzlich anderes gemacht
oft so spät, daß sie durch den Gang der Ereignisse wird, als was sich der Kulturreferent für die politi-
überholt sind. sche und kulturpolitische Arbeit in dem betreffenden
Lande vorstellt.
Glücklicherweise kann man feststellen, daß we-
nigstens auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit In manchen Ländern ist es heute so, daß die Funk-
der Kultusministerkonferenz sich einige positive tion des Kulturreferenten praktisch auf die eines
Nuancen abzeichnen. Aber diese Konferenz kann ja Verwaltungsmannes abgesunken ist. Da könnten
immer nur Empfehlungen aussprechen. Eigentlich Sie an seine Stelle auch einen Konsularsekretär
brauchte das Auswärtige Amt ein noch intensive- setzen; der könnte das nämlich auch machen. Ich
4720 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
glaube nicht, daß eine solche Lösung im Interesse Heute höre ich, daß Sie die Personalpolitik er-
der Bundesrepublik liegt. folgreich gegen die Lobbyisten von außen abge-
Noch ein Wort über die Zusammenarbeit mit den schirmt hätten. Wenn dem so ist, wäre das ein Ver-
nachfolgenden Organisationen, die Kulturarbeit ma- dienst. Aber wir kommen an der Tatsache nicht vor-
chen. Es scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, daß bei, daß der Chef Ihrer Personalabteilung nun-
—
hier die Bestimmung vorherrscht, daß die Verwal- mehr sozusagen in der dritten Generation — kein
tungskosten bei den ständigen Zuschüssen, die dort Mann aus dem auswärtigen Dienst ist, auch kein
geleistet werden, nur 7 % über den Personalkosten Mann, der jemals im Ausland war.
liegen dürfen. In der Kulturarbeit sind solche bin- Man muß in diesem Zusammenhang mal fragen:
denden Vorschriften, die eigentlich geradezu einer Wieso gilt eigentlich die Regelung bei der Einstel-
Aufblähung des Personalapparates das Wort reden, lung in den auswärtigen Dienst, daß die Eingestell-
meiner Ansicht nach etwas unsinnig. ten mindestens eine Fremdsprache beherrschen
(Abg. Lohmar: Wer hat das angeordnet?) müssen, für die Personalreferenten aber nicht? Die
einzige „Fremdsprache" von der ich glaube, daß
— Das ist eine haushaltstechnische Anordnung, die Herr Raab sie beherrscht, ist Rheinisch.
vom Auswärtigen Amt und seinen Inspektoren den
nachgeordneten Organisationen auferlegt ist. (Zuruf: Ist das nichts? — Heiterkeit.)
Lassen Sie mich nun etwas zu der Frage 9 sagen, An den auftretenden Unzulänglichkeiten bei der
also zu der Frage, welche Erfahrungen die Bundes- Besetzung ausländischer Missionen sind meines Er-
regierung mit Kulturreferenten gemacht hat, die achtens eine Reihe von Faktoren schuld, erstens
keinLaufbhmtsd.Healnichm einmal, daß, Herr Minister, Fehlentscheidungen in
Amt selber diejenigen, die nur Angestellte und Ihrem Amt offenbar aus Gründen der Autorität
Spezialisten sind, und Beamte etwa die Waage. Ihres Personalchefs grundsätzlich nicht rückgängig
Aber ich möchte sagen, im Amt fehlt ein bißchen gemacht werden, und dann, daß in dem Kollegium,
die Neigung, besonders qualifizierte Köpfe für die in dem Sie jetzt Ihre personalpolitischen Entschei-
Aufgabe des Kulturreferenten heranzuziehen und dungen treffen, einer der Hauptakteure — eben der
heranzubilden. Es scheint eine Politik zu sein, daß Personalreferent — den auswärtigen Dienst aus ei-
man diese Aufgaben überwiegend Beamten über- gener Erfahrung nicht kennt. Und keiner Ihrer bei-
tragen will, die aus dem eigentlichen allgemeinen den Staatssekretäre, denen man viel Lob zollen
Dienst stammen, und wir müssen unsere große muß, hat überhaupt jemals irgendeine Zeit auf einer
Skepsis anmelden, ob eine solche Politik die richtige auswärtigen Mission verbracht. Offenbar werden
ist. Jedenfalls, die Parade, die wir nach der Tagung bei solchen Ernennungen auch Konsultationen mit
I der Kulturreferenten in Maria-Eich gesehen haben, erfahrenen Referenten nur im Ausnahmefall ge-
hat doch sehr deutlich gezeigt, daß zumindest das pflogen.
Amt für seine kulturelle Auslandsarbeit noch ganz
Der nächste Faktor ist wohl die Illusion vom so-
gut eine Reihe von exquisiten Köpfen gebrauchen
genannten allgemeinen Dienst, d. h. die Vorstel-
kann.
lung, daß jeder im auswärtigen Dienst grundsätzlich
Das alles aber hängt doch wohl eng mit der all- für jedes Amt geeignet sein muß. Dieses Prinzip
gemeinen Personalpolitik des Auswärtigen Amts ist ohnehin durchbrochen durch die zahlreichen kli-
zusammen. Ich möchte nicht in den Verruf kommen matisch schwierigen Positionen, auf die man eine
oder sozusagen der Mißdeutung ausgesetzt wer- Reihe von Herren Ihres Hauses aus gesundheit-
den, daß ich das, was ich jetzt sage, etwa deshalb lichen Gründen nicht schicken kann. Inzwischen
sage, weil ich, da ich irgendwo nicht richtig behan- müßte sich aber bei Ihnen doch auch herumgespro-
delt worden sei, verschnupft sei. Das ist unter gar chen haben, daß ein Mann, der vielleicht in Den
keinen Umständen der Fall. Ein Botschafter einer Haag oder in Teheran sehr gut ist, möglicherweise
unserer größeren Missionen hat neulich bei Antritt — es ist ein Beispiel — in Delhi versagt oder in
seines Amts seinen Mitarbeitern gesagt, er halte die Djakarta sogar fehl am Platz ist. Die Aufgaben-
Betreuung von Ministern und Abgeordneten für stellung des Amtes und das Handwerk der Diplo-
eine der wichtigsten Aufgaben einer Botschaft, weil matie haben sich verändert, was freilich viele nicht
die Botschaft sozusagen nach dieser Betreuung be- wahrhaben wollen; sonst könnte es einem nicht pas-
urteilt werde. Das ist ein sehr weiser Satz, Herr sieren, daß ein Botschafter in einem Lande, in dem
Minister. Ich kann Ihnen für die Betreuung, die die meisten Führer der zu der Regierung in Opposi-
man an. unseren auswärtigen Missionen erfährt, für tion stehenden Gruppen nicht in der Lage sind, ir-
die Gastfreundschaft und die Hilfe, die einem dort gendeine der europäischen Sprachen zu sprechen, in
gewährt werden, nur das Zeugnis 1 a ausstellen. dem man nicht einmal die Aufschrift auf einem Om-
nibus lesen kann, wenn man durch die Straßen
Ein kluger Mann aus Ihrem Amt hat einmal ge-
der Hauptstadt geht, erklärt, er glaube, daß die Be-
sagt, daß die Personalpolitik unter Ihrem Vorgänger
herrschung der Landessprache für Herren seiner
aus drei Komponenten zusammengesetzt gewesen
Mission eine überflüssige Angelegenheit sei; das
sei, nämlich aus den Wünschen des ehemaligen
sei keine Frage, die für seine Berichte und über-
Bundeskanzlers Dr. Adenauer und seines Staats-
haupt für die Beziehungen der Botschaft zu diesem
sekretärs, aus den Vorurteilen des damaligen
betreffenden Land eine bedeutsame Rolle spiele.
Außenministers und aus den Pressionen von Grup-
pen, die von außen her in das Amt hineingewirkt Das Potential des Amtes an in seltenen Sprachen
haben. erfahrenen Herren, Herr Minister, wird überhaupt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4721
Kahn-Ackermann
gelegentlich recht kurios eingesetzt. Ich habe mir habe, er sei dort der auf ihn harrenden delikaten
sagen lassen, daß beispielsweise in diesem Jahr Aufgabe nicht gewachsen. Und schließlich die offen-
— ich weiß nicht, ob es wahr ist; vielleicht demen- bare Folge dieser Personalpolitik: daß ein Teil der
tieren Sie es — drei Herren des höheren Dienstes Botschaften eines ganzen Kontinents von Herren
nach Moskau hätten versetzt werden sollen, die geleitet wird, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen
weder russisch sprachen, noch irgendeine Vorkennt- und nicht fähig sind. Um jedem Mißverständnis vor-
nis von diesem Land hatten. Ich kann verstehen, zubeugen, Herr Minister: das ist nicht meine Mei-
daß ein junger Mann auch mal nach Moskau muß, nung, sondern das ist die Meinung eines Ihrer treff-
um das Land kennenzulernen und auch die Sprache lichen Herren, der es als der für diesen Kontinent
zu lernen. Wenn aber das zuträfe, daß gleich ein zuständige Referent eigentlich wissen müßte.
solcher Massennachschub geplant war, wäre das (Zurufe von der Mitte: Na, na!)
doch etwas eigenartig.
Ich bin kein Fürsprecher des Proporzes; im diplo-
Ich entsinne mich an meinen Besuch in Hongkonk, matischen Dienst schon gar nicht. Aber bei der
wo mir erzählt wurde, daß ein großer Mangel an riesigen Zahl unserer auswärtigen Vertretungen fällt
chinesisch sprechenden Herren bestehe, die zur es doch auf, daß über einigen recht offen die Fahne
Auswertung der Presse usw. benötigt würden, wäh- der Regierungspartei flattert, während von der
rend man drei oder vier gar nicht so weit entfernt Opposition zur Zeit nur noch e i n Herr vorhanden
liegende Orte nennen könne, in denen zur gleichen ist. Ich wäre sehr froh, wenn Sie mich eines Besse-
Zeit chinesisch sprechende Herren in absolut unter- ren belehren würden. Ich will gar nicht Kritik daran
geordneten Positionen tätig seien. Ich glaube also, üben, aber ich möchte sagen, es ist ein bißchen
daß hier eine gewisse Rationalisierung in der Ar- vielleicht ein Symptom, das durch eine Entwicklung
beit von Wert wäre. hervorgerufen worden ist, die nicht so ganz mit
Mangelnde Sprachkenntnisse führen natürlich zur dem Charakter des Auswärtigen Dienstes überein-
Verwendung von einheimischen Kräften. Da muß es stimmt. Mein Freund Wischnewski hat schon vor
manchmal überraschen, wenn man erfährt, daß sol- geraumer Zeit darauf hingewiesen, daß Botschaft
che als V-Leute aus den Bürgern des Gastlandes nicht gleich Botschaft ist und daß die Hilfsreferenten,
rekrutierte Personen, die sich im Dienst oder im die unter afrikanischer Sonne ihre Beglaubigungs-
Nachfolgedienst unserer Missionen befinden, häufig schreiben überreichen, vielleicht nicht in Ihren Au-
eher über bevorstehende personalpolitische Verän- gen, Herr Minister, aber doch in den Augen der
derungen an der Mission unterrichtet sind, von Bürokratie und des Amtes weiter Hilfsreferenten
der sie verwendet werden, als der Geschäftsträger, bleiben. Das führt zu der direkten Überlegung, ob
der Generalkonsul oder der Botschafter. Das weist nicht das traditionelle Bewertungsschema unserer
doch immerhin darauf hin, daß solche Leute noch Auslandsvertretungen vielleicht einem revolutionä-
direkte Drähte zu Ihrem Amt haben und von dort ren Akt unterworfen werden sollte, der die tatsäch-
eben schneller bedient werden als der eigentliche liche Bedeutung des Platzes dem Rang des Botschaf-
Missionschef. ters angleicht.
Das merkwürdige System, nach dem offenbar seit
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Jahren gelegentlich Missionschefs ausgesucht wer-
Kahn-Ackermann, gestatten Sie, daß ich darauf auf-
den, zeitigt auch andere Folgen. Ich muß sagen, ich merksam mache, daß nach § 39 der Geschäftsord-
persönlich empfinde es nicht gerade sehr angenehm,
nung die Redezeit im allgemeinen nicht viel mehr
wenn man bei dem Besuch einer Botschaft schon
als eine Stunde betragen soll.
bald von einem jüngeren Herrn im konsularischen
Dienst erfährt (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg: Was hat
das mit der Sache zu tun?) Kahn-Ackermann (SPD) : Schließlich lassen Sie
mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort über
— das hat alles etwas damit zu tun, denn es handelt die Angestellten sagen, weil unter ihnen eine be-
sich um Fragen der Personalpolitik, und ich glaube, sonders große Zahl von Kulturreferenten ist. Hier
wir sollten diese Angelegenheit hier einmal be- gibt es nach dem geltenden Bundesangestelltentarif
rühren, denn es geht hier um die Verwendung von völlig ungenügende Aufstiegschancen, und hier er-
Spezialisten, und Spezialisten sind in diesem Falle reicht eine manchmal formalistische Personalpolitik
auch die Leute, die in der Kulturpolitik tätig sein des Amtes zuweilen einen gewissen Höhepunkt an
sollen —, Unsinnigkeit, wenn man von der Vorstellung aus-
(Abg. Dr. Dittrich: Plaudereien am Kamin!) geht, daß ein Angestellter nichts mehr zulernen
könne. Wie könnte es sonst geschehen, daß Missio-
daß etwa der Botschafter nichts tauge, und wenn nen angewiesen werden, Angestellten, die sich zu
einem diese Tatsache nachher von Herren des hö- Spezialkennern des Landes emporgearbeitet haben,
heren Dienstes bestätigt wird. Das finde ich etwas die Ausübung ihrer augenblicklichen Funktion zu
eigenartig. untersagen, weil diese nicht zu den Tätigkeits-
Es gibt noch viel Interessanteres. Herr Minister, merkmalen der Tarifgruppe gehöre, in der sie dort
ich habe mir sagen lassen, daß es eine diplomati- beschäftigt sind! Auf diese Art und Weise hat —
sche Mission gibt, die auf Anweisung aus dem Amt das wissen Sie selber — das Amt in den letzten
von dem zuständigen Geschäftsträger überhaupt Jahren einige ungewöhnlich tüchtige Angestellte in
gar nicht betreten werden darf, weil man Angst leitenden Funktionen verloren.
4722 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
Lassen Sie mich jetzt noch einiges zu dem Punkt UNESCO-Institut in Hamburg erhalten bleibt, was
10, der Frage der Kulturabkommen, sagen. Ich nach vielen Mühen auch gelungen ist, während jetzt
möchte mich auf ein einziges Beispiel in bezug auf plötzlich der Finanzminister aus technischen Grün-
unser Kulturabkommen mit Frankreich beschrän- den diesem Institut vorübergehend die Zuschüsse
ken. Seit 1954 haben wir dort eine Gemischte Kom- entzogen hat, was eine große Verärgerung im Ge-
mission. Trotz der in dem Kulturabkommen enthal- neralkonsulat der UNESCO hervorgerufen hat und
tenen Bestimmungen ist in den meisten der dort was sicherlich keine gute Sache war, da ein Zwei-
behandelten Fragen immer noch kein großer Fort- fel darüber bestehen muß, was wir auf diesem Ge-
schritt erzielt worden. Beispielsweise berät die biet eigentlich wollen.
Kommission seit sechs Jahren über die gegenseitige Noch eine Bemerkung zu diesem Thema. Die Bun-
Anerkennung der Zeugnisse und Semester. Man desrepublik hat im Zuge des UNESCO-Programms
muß sich in diesem Zusammenhang klar sein, daß der Rettung der nubischen Tempel in Kalabsha einen
solche Abkommen — das Kulturabkommen ist ja guten Beitrag geleistet. Ich muß aber sagen, daß die
jetzt noch unterstützt worden durch den Vertrag, Handhabung unserer Mitwirkung bei der Rettung
den wir geschlossen haben — nicht historische des großen Tempels von Abu Simbel uns nicht ge-
Unterschiede wegwischen. Wir haben beispiels- rade zur Ehre gereicht hat. Ich kann nicht begreifen,
weise, das wissen Sie ja, 20 Millionen DM für den daß man einem Land, in dem wir auf der Ebene der
Jugendaustausch mit Frankreich bereitgestellt. Man Entwicklungshilfe große Mengen Geld investieren,
muß sich darüber klar sein, daß dieser Jugendaus- lange Zeit gezögert hat, ein paar Millionen zu ge-
tausch überwiegend eine Frage der gegenseitigen ben, um dieses in der Menschheitsgeschichte ein-
Sprachkenntnisse ist. In diesem Zusammenhang malige Denkmal zu retten, und daß bei den entschei-
spielen die in dem Kulturabkommen vorgesehenen denden Verhandlungen, die vor kurzem in Kairo
Bestimmungen, daß der gegenseitige Sprachunter- stattgefunden haben, die Bundesrepublik auf der
richt gefördert werden soll, eine große Rolle. Wenn Konferenz der beteiligten Mächte durch einen Lega-
hier auf dieser einen Seite so viel Geld für diesen tionsrat vertreten war, der von der Botschaft ent-
Zweck ausgegeben wird, wie in der Praxis gar nicht sandt worden ist und der über die ganze Angelegen-
unterzubringen ist, dann kann ich es auf der ande- heit überhaupt nicht informiert worden ist, so daß
ren Seite nicht begreifen, warum das Geld nicht vor- wir dort einen denkbar ungünstigen Eindruck hinter-
handen ist, um die von den Franzosen gewünschte lassen haben.
Vermehrung der Zahl der Deutsch-Lektoren an Ich möchte auch gerne wissen, wie sich die Bun-
ihren Oberschulen durchzuführen. Das wäre doch desregierung zukünftig zur UNESCO-Politik stellt,
im Rahmen unserer Kulturpolitik, im Rahmen die- ob sie damit einverstanden ist, daß das Budget der
ser Kulturabkommen eine sinnvolle Aufgabe! UNESCO um 20 % angehoben wird, ob sie Möglich-
Schließlich und endlich möchte ich noch auf ein keiten erkennt, die uns im Rahmen der UNESCO-
zweites Kulturabkommen zu sprechen kommen, Politik gegeben sind, auch mit den osteuropäischen
nämlich das Kulturabkommen mit der Südafrika- Staaten in einen gewissen kulturellen Austausch
nischen Union. Herr Minister, ich möchte Sie fragen, zu kommen, und welche Beiträge sie zum Ost-West-
wer auf die Idee gekommen ist, dieses Abkommen Programm der UNESCO zu liefern gedenkt.
zu schließen, und ob dieses Abkommen denn auch Punkt 12 unserer Großen Anfrage betrifft die Ab-
jenen zugute kommt, die unter der Rassentrennungs- grenzung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem
politik in der Südafrikanischen Union zu leiden Ministerium des Herrn Scheel. Ich höre, daß inzwi-
haben, und ob es denn die Politik der Bundesregie- schen eine Abgrenzung zwischen den beiden Mini-
rung sein kann, ein solches Kulturabkommen zu sterien gefunden worden ist. Das scheint mir eine
schließen, das diesem Teil, dem überwiegenden Teil erfreuliche Folge dieser Großen Anfrage zu sein.
der Bevölkerung in diesem Lande, nicht zugute Der Dschungelkrieg, der zwischen dem Auswärtigen
kommt. Amt und dem BMZ geführt worden ist, ist unerträg-
Unter Punkt 11 unserer Großen Anfrage fragen lich gewesen. Lange Zeit hat man sich vielfach nicht
wir nach der Zusammenarbeit mit der UNESCO. Da gegenseitig informiert, und der Aktentransfer hat
gibt es eine Reihe von Aufgaben. Ich möchte nur häufig Monate in Anspruch genommen.
daran erinnnern, daß von den 1200 Stellen des Pro- Herr Minister, ich hoffe, daß die echte Koopera-
gramms der Technischen Hilfe der UNESCO nur 36 tion nun einsetzt. Ich fürchte nur, daß sich das nicht
von Deutschen besetzt sind, obwohl wir das Land ändern wird, solange der Herr Scheel sich mehr als
sind, das den fünftgrößten Beitrag in dieser Orga- Ko-Pilot denn als Chefmechaniker in einem ihm zu-
nisation zahlt. gewiesenen technischen Bereich fühlt.
Die UNESCO ist eine Körperschaft geworden, in Ein Wort zum Schluß. Ich hoffe, daß diese Debatte
der die Auseinandersetzungen immer politischer zu einer klaren Zielsetzung unserer auswärtigen
werden und in der die Zone auf Anerkennung Kulturpolitik, zu einer wirkungsvolleren Arbeit, zur
drängt. Ich fürchte, daß die deutsche Haltung in die- Abstellung der Mängel und zur Reorganisation der
ser Organisation diesen Bestrebungen nicht immer Kulturabteilung führt. Man kann nicht 175 Mil-
Rechnung trägt. Unser ganzes Engagement in der lionen mit ebensoviel Leuten und mit der gleichen
UNESCO ist überhaupt etwas merkwürdig. Ich Organisation verplanen und verteilen wie 20 Mil-
denke daran, daß wir beispielsweise auf der letzten lionen. Man darf dann nicht erwarten, daß sich der
Generalkonferenz mit allen uns zu Gebote stehen- erhoffte Erfolg einstellt. Der gegenwärtige Zustand
den Hilfsmitteln dafür gekämpft haben, daß das ist nicht sehr sinnvoll. In diesem Haus ist seit Jah-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4723
Kahn-Ackermann
ren vergeblich versucht worden, die Regierung zur tes für diese Aufgaben nicht der richtige Mann sei.
Einsicht zu bewegen, gelegentlich auch in diesem Ich drücke das einmal ganz einfach aus. In diesem
Bereich die Kollegen des Haushaltsausschusses. Punkte bin ich ganz anderer Meinung. Ich schätze
Aber die Initiative hier muß beim Außenminister den Leiter der Personalabteilung als einen hervor-
liegen, und das war bisher nicht immer übermäßig ragenden Mann. Ich selbst bin es gewesen, der ihn
spürbar. Mit Ihrem Vorgänger, Herr Minister, habe daran gehindert hat, jetzt eine Auslandsvertretung
ich darüber in diesem Hause öfter diskutiert und zu übernehmen, weil ich glaube, daß seine Wirk-
auch korrespondiert. Seine nie erfüllte Hoffnungen samkeit, um wirklich einen vollen Ertrag bringen zu
erweckenden Briefe könnte man vielleicht heute in können, noch länger dauern sollte. Ich möchte mich
einem sehr schmalen, „Lieben Sie Brecht?" — nicht also wirklich, da er dann und wann auch öffentlich
Brahms! Brecht! — titulierten Bändchen veröffent- angegriffen wird, in aller Form und mit großer
lichen. Wir hoffen, daß Ihre Antwort den Willen Überzeugung vor ihn stellen. Es gibt sehr wenig
zu einer planvollen Intensivierung der auswärtigen Leute, die geeignet und bereit sind, eine so opfer-
Kulturpolitik deutlich macht. Es wäre zu schade, volle und beschwerliche Position wie die des Lei-
wenn Ihre heutige Antwort, um nochmals mit ters einer so großen Personal- und einer so großen
Françoise Sagan zu sprechen, mit der Überschrift Verwaltungsabteilung zu übernehmen. Ich würde
„Bon jour tristesse" versehen werden müßte. Ihnen beinahe eine Wette anbieten, daß wir, wenn
wir alle unsere B-8-Botschafter, also alle Botschaf-
(Beifall bei der SPD und Heiterkeit. —
ter in einer vergleichbaren Kategorie, befragen wür-
Zuruf von der CDU/CSU: Es ist schon
den, ob sie bereit wären, in das Auswärtige Amt
Abend, Herr Kahn-Ackermann! — Abg. Dr.
zurückzukommen und mit ihren hervorragenden Er-
Dittrich: Löscht die Lichter aus!)
fahrungen im Auslande ihrem Vaterlande an die-
ser speziellen Stelle zu dienen, nicht übermäßig viel
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Große Anfrage Zusagen zu erwarten hätten. Damit will ich den
ist begründet. Das Wort hat der Herr Bundesmini- Herren nicht zu nahe treten. Ich will nur die Schwie-
ster des Auswärtigen. rigkeit und das Beschwerliche dieser Position mit
Nachdruck herausstellen.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der In anderem Zusammenhang ist vom Kollegen
Herr Kollege Kahn-Ackermann hat eine Menge von Kahn-Ackermann gesagt worden, daß wir personell
Gedanken und eine Fülle von Tatsachen vorgetra- sehr knapp seien — das ist ganz offensichtlich —
gen. Ich bin ihm dafür herzlich dankbar, für den und daß wir auch an sprachbegabten Leuten sehr
einen Teil mehr, für den anderen Teil weniger, wie knapp seien; auch das ist richtig. Ich bezweifle das
das so zu sein pflegt. Wir haben uns zuletzt in nicht einen Augenblick. Wenn ich Ihnen durch einen
Djakarta getroffen. Ich erwähne das nur, um aus Blick in unsere Kartei einmal zeigen würde, wie-
eigenem Wissen zu bestätigen, wie sehr sich der viel Beamte des höheren Dienstes wir haben, die
Herr Kollege Kahn-Ackermann eine Information der russischen Sprache mächtig sind, dann werden
über die hier zur Erörterung stehenden Tatbestände Sie sehr schnell einsehen, wie schwer es ist, eine
hat angelegen sein lassen. Mission wie die in Moskau zu besetzen. Das gilt für
andere Fälle cum grano salis. Deswegen kann man
An sich sind Debatten der hier angeregten Art nicht mehr tun, als unter dem vorhandenen Perso-
sehr schwierig. Wir sind gegen Abend in diesem- nal s o gut wie möglich auszusuchen und dafür zu
Hohen Hause in eine etwas intimere Atmosphäre sorgen, daß auch dem Beet des Nachwuchses all-
geraten, wenn man die Zahl der Teilnehmer als mählich mehr und mehr brauchbare Kräfte heran-
einen Ausdruck der Intimität auffassen will. gezogen werden.
(Heiterkeit.) Ich bin in der Tat der Meinung, daß wir für die
In der Tat eignet sich ein derartiges Thema, wenn Sprachenausbildung noch sehr viel tun müssen und
es in eine solche Fülle von Punkten zerfällt, nur vielleicht noch ganz andere Wege beschreiten müs-
wenig zu einer Plenarbehandlung. Ich bitte des- sen. — Bitte sehr, Herr Kollege Dresbach.
wegen zu entschuldigen, wenn ich nicht auf die
Fülle der Fragen, die Herr Kollege Kahn-Acker- Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Herr Mini-
mann über die formulierten Fragen hinaus gestellt ster, können die Herren denn nicht noch eine Spra-
hat, so ohne weiteres eingehen kann. che dazulernen? Ich darf Sie darauf aufmerksam
machen, daß der Großvater unseres Kollegen Bis-
Gewisse Teile seiner Darlegungen bewegten sich marck mit 45 Jahren in Petersburg noch Russisch
im Bereich des Budgetrechts. Fragen, die er hinsicht- gelernt hat.
lich der Vermehrung von Stellen vorgebracht hat, (Heiterkeit.)
können in sehr nützlicher Weise noch einmal in der
Haushaltsdebatte aufgenommen werden. Fragen der
personellen Kritik eignen sich auch nicht unbedingt Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Dresbach, ich bin Ihnen für diese Frage
zur Beantwortung im Plenum. Trotzdem will ich auf
dankbar. Sie gibt mir Gelegenheit zu sagen, daß
einiges davon gleich, bevor ich zu den formulierten
natürlich erwartet werden muß -- in manchen Fäl-
Fragen Stellung nehme, eingehen.
len ist es sicherlich ein gewisses Opfer daß die
Im Grunde lief die Kritik darauf hinaus, daß der Herren, die in ein Land der Welt versetzt werden,
Leiter der Personalabteilung des Auswärtigen Am dessen Sprache sie nicht beherrschen, das Äußerste
4724 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
tun, um mindestens in den Gebrauch dieser Sprache schläge des verlorenen Krieges, die Auflösung zahl-
einigermaßen hineinzuwachsen. Das gehört zu den reicher deutscher Bildungseinrichtungen im Ausland
Pflichten eines Diplomaten in einer solchen Stellung, und die finanzielle Enge gestatteten nur langsam,
und es gibt dafür auch gute Beispiele, wie mir diese Tätigkeiten wieder aufzunehmen und zu er-
scheint. weitern. Hinzu kommt, daß die Kompetenzvertei-
lung auf kulturellem Gebiet die Tätigkeit des Bun-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Bundesmini- des bei der Pflege der kulturellen Beziehungen zum
ster, verzeihen Sie. Gestatten Sie auch eine Frage Ausland schwerfälliger als z. B. in Frankreich und
des Herrn Abgeordneten Sanger? Großbritannien macht.
In den ersten Jahren beschränkte sich die Kultur-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: arbeit im Ausland darauf, Stück um Stück der durch
Natürlich, bitte sehr! das Dritte Reich und den Krieg verlorenen Positio-
nen zurückzugewinnen. Die Bundesregierung war
Sänger (SPD) : Herr Bundesminister, könnte der bemüht, die klassischen Mittel der kulturellen Wir-
Mangel an geeignetem Personal für manche Teile kung im Ausland wieder aufzubauen. Dabei sind an
des Auslands nicht auch daran liegen, daß die Vor- erster Stelle das deutsche Auslandsschulwesen und
aussetzungen für die Personalauswahl einmal über- daneben der Professoren- und Studentenaustausch
dacht werden müßten und daß man vielleicht auch zu nennen. Der Deutsche Akademische Austausch-
zu anderen Prinzipien als den bisherigen für die dienst zur Vergabe von Stipendien an ausländische
Ausbildung des geeigneten Personals kommen Studenten und die Alexander-von-Humboldt-Stif-
müßte? tung für Stipendien an Ausländer mit abgeschlos-
senem Hochschulstudium wurden wieder gegründet.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Neue Wege konnten erst seit 1955 beschritten
Herr Kollege Sänger, wir haben schon häufiger dar-
werden. Die Betreuung von ausländischen Studen-
über nachgedacht, ob die derzeitigen Sprachenerfor-
ten und Praktikanten in der Bundesrepublik wurde
dernisse, die wir für den Eintritt in den auswärtigen
eine der Hauptaufgaben. Das erste deutsche Kultur-
Dienst aufstellen, richtig sind oder nicht. Das ist ein
institut nach dem zweiten Weltkrieg wurde 1955 in
sehr, sehr schwieriges Thema. Wir haben sogar ge-
Rom eröffnet. Seit 1960 wurde das Goethe-Institut
legentlich daran gedacht, die sprachlichen Erforder-
in München mit der Verwaltung der vom Bund er-
nisse eher herabzusetzen, um eine größere Aus-
richteten Kulturinstitute beauftragt. 1961 wurde der
wahlbreite zu bekommen und unsererseits dann
Kulturpolitische Beirat als Beratungsorgan des Aus-
mehr für die Sprachenausbildung zu tun. Aber es
wärtigen Amts gegründet. Eine Reihe von großen
istehrcw,dnWgzubestim rn
Gastspielen brachte deutsche Kunst in alle Teile der
mit einiger Sicherheit an das Ziel kommen läßt, das
Erde. Daneben wurden Versuche mit folkloristischen
wir erreichen müssen.
und ähnlichen Darstellern unternommen. Der rasch
Erlauben Sie mir nun, daß ich die Fragen, die ge- wachsenden Bedeutung der Massenmedien, Rund-
stellt worden sind, in der Reihenfolge beantworte, funk, Film und Ton, für die kulturellen Beziehungen
wie sie vorgetragen worden sind. zum Ausland wurde Rechnung getragen. Auch auf
Zunächst zur Frage 1. Die Pflege der kulturellen dem Gebiet der Erwachsenenbildung, der Jugend-
Beziehungen zum Ausland bildet seit dem Ende des pflege und des Sports wurden zahlreiche Verbin-
ersten Weltkrieges einen immer wichtiger gewor- dungen mit anderen Ländern angeknüpft, wobei die
denen Teil der deutschen Außenpolitik. Diese Ar- Entwicklungsländer eine besondere Rolle spielen.
beit begann am Ende ,des vergangenen Jahrhunderts Ein großes Gästeprogramm wurde aufgestellt, das
mit der staatlichen Förderung von deutschen Bil- Persönlichkeiten nach Deutschland bringt, die durch
dungseinrichtungen im Ausland, insbesondere der ihre Tätigkeit in ihrem eigenen Land eine Kenntnis
archäologischen und historischen Institute und der der deutschen Verhältnisse verbreiten können. Ein
deutschen Auslandsschulen. Es folgte die staatliche großzügiges Hilfswerk 'wurde für die kulturelle,
Förderung des Austausches von Professoren, Do- nicht missionarische Tätigkeit der Kirchen, vor
zenten, Studenten und Praktikanten. In diesem allem in den Entwicklungsländern, ermöglicht.
Sinne war der Deutsche Akademische Austausch- Die vom Parlament im Kultur- und Schulfonds zur
dienst seit 1925 mit staatlichen Geldern tätig. Ein Verfügung gestellten Mittel für diesen Zweck sind
weiteres Arbeitsgebiet war die systematische För- von 2,8 Millionen DM im Jahre 1952 auf 165 Millio-
derung der Verbreitung der deutschen Sprache und nen DM im Jahre 1963 gestiegen. Damit ist ein Um-
Kultur durch die Einrichtung von Sprachkursen und fang erreicht, der ungefähr den Bemühungen von
Kulturinstituten. 1932 wurde zu diesem Zweck das Frankreich und Großbritannien auf diesem Gebiet
Goethe-Institut in München gegründet. Ein viertes entspricht. Trotz der Schwierigkeiten, die in der Bun-
Tätigkeitsfeld rückte nach dem zweiten Weltkrieg desrepublik dieser Arbeit entgegenstehen — der Tat-
immer stärker in den Vordergrund: die internatio- sache, daß keine historische Hauptstadt vorhanden
nale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Bildungs- ist, keine so verbreitete Sprache wie Englisch oder
wesens, z. B. UNESCO und Europarat. Französisch, lange Unterbrechung kultureller Bezie-
Die Bundesregierung war seit der Wiedereinrich- hungen —, sind in den letzten Jahren große Fort-
tung des Auswärtigen Amts und seiner Kulturabtei- schritte erzielt worden. Natürlich sind noch nicht alle
lung 1951 bemüht, die Förderung dieser vier Ziele Pläne verwirklicht worden. Die Grenzen liegen in
in eine geordnete Konzeption zu bringen. Die Rück- den Möglichkeiten des Haushalts, aber auch in der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4725
Bundesminister Dr. Schröder
Schwierigkeit, im Lande der Vollbeschäftigung die len, der europäischen Hochschulwochen sowie der
notwendigen Personen zu finden. europäischen Kulturtage. Die Bundesrepublik hat
sich auch an den großen Kunstausstellungen des
Die Vorstellungen, von denen sich die Bundes-
Europarats in hervorragender Weise beteiligt.
regierung bei der Pflege der kulturellen Beziehungen
leiten läßt, möchte ich danach wie folgt zusammen- Der finanzielle Beitrag des Bundes zur Kultur-
fassen: arbeit des Europarats wird aus dem Gesamtbeitrag
des Bundes an den Europarat bestritten. Darüber
Erstens. Die Bundesregierung ist davon überzeugt,
daß die geistigen Kräfte eines Volkes und seine hinaus werden mit Bundesmitteln Seminare, Kurse
Kultur nur in ständiger Berührung und Beschäftigung und Treffen im Rahmen der kulturellen Programme
des Europarats durchgeführt. In der Regel werden
mit anderen Völkern und Kulturen, in unausgesetz-
tem Austausch von Gedanken und Erfahrungen und in der Bundesrepublik jährlich drei bis vier solcher
in der Auseinandersetzung mit fremden Ideen und Seminare abgehalten. Die 1962 veranstaltete Euro-
Lebensformen lebendig bleiben und sich weiterent- parat-Konferenz über Lehrbücher der Geographie
wickeln können. Sie wird daher das unendlich man- war besonders erfolgreich und hat zu Fortsetzungs-
nigfaltige und vielschichtige Netz kultureller Ver- seminaren geführt. Im Jahre 1963 hat die Bundes-
flechtung, das sich — mit und ohne staatliches Zutun republik einen Europarat-Kurs zur Einführung in
— seit dem zweiten Weltkrieg mit dem Ausland die Arbeit der Erwachsenenbildungszentren sowie
wieder angesponnen hat, behutsam pflegen und, so- im Rahmen der Jugendarbeit des Europarats und,
weit erforderlich, mit Bundesmitteln fördern. In die- gemeinsam mit Frankreich und den Niederlanden,
sem Bemühen wird die Bundesregierung im Rahmen ein Seminar „Kennenlernen internationaler Arbeits-
ihrer finanziellen Möglichkeiten anderen Völkern, stätten" veranstaltet. In Vorbereitung ist eine von
die eine kulturelle Beziehung zu Deutschland suchen, deutscher Seite vorgeschlagene didaktische Aus-
die Gelegenheit dazu auch in ihrem eigenen Lande stellungsreihe über europäische Einrichtungen.
bieten. Der von der Europäischen Wirtschaftsgemein-
Zweitens. Eine solche Darstellung deutscher Kultur schaft getragene Gedanke einer europäischen Uni-
wird sich nicht in dem Rückgriff auf ein vielhundert- versität wird von der Bundesregierung begrüßt.
jähriges reiches kulturelles Erbe und die wissen-
Die Antwort auf die dritte Frage lautet folgen-
schaftlichen wie technischen Leistungen unserer Vä-
dermaßen. Der Aufbau der deutschen Kulturinsti-
ter erschöpfen können. Sie wird auch die Bekannt-
tute nach dem zweiten Weltkrieg war ein fast völ-
schaft mit dem heutigen Deutschland vermitteln, das
liger Neubeginn. Es begann 1955. Heute gibt es
darum ringt, mit den Folgen der Zeit von 1933 bis
nahezu 200 Kulturinstitute größerer und kleinerer
1945 fertig zu werden, vor allem mit der Tragödie
Art, von denen etwa die Hälfte dem Goethe-Institut
1 der Spaltung unseres Vaterlandes. Hierbei soll das
in München untersteht; die übrigen werden meist
Kulturgut der Vertreibungsgebiete und Mittel-
von deutsch-ausländischen Vereinen, einige unmit-
deutschlands im Bewußtsein des Auslands erhalten
telbar vom Bunde verwaltet. Über zwei Drittel die-
bleiben, um für die geistige Einheit Gesamtdeutsch-
ser Kulturinstitute sind erst in den letzten vier
lands Zeugnis abzulegen. Die Kulturpolitik soll
Jahren entstanden. Obwohl ihre Arbeit erst nach
einen Beitrag zur Wiederherstellung des deutschen
einer Anlaufzeit von mehreren Jahren mit einiger
Ansehens in der Welt liefern und die Bemühungen
Sicherheit beurteilt werden kann, läßt sich heute
der deutschen Außenpolitik ergänzen. -
schon sagen, daß sie den Erwartungen der Bundes-
Drittens. Die Darstellung Deutschlands soll ferner regierung entspricht. Gewisse Mängel, die sich zu-
unseren Willen zeigen, mit anderen Völkern dieser weilen gezeigt haben, sind aus dem Anfangssta-
Erde im Rahmen der internationalen Zusammen- dium zu erklären.
arbeit an den großen Aufgaben der Zukunft mitzu-
Zu den Aufgaben dieser Institute gehört das
arbeiten, die der Hebung des Bildungswesens in
Abhalten deutscher Sprachkurse, die Fortbildung
der Welt und dem kulturellen Weiterschreiten die-
ausländischer Deutschlehrer, die Einrichtung einer
nen. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist nach An-
Bibliothek, das Verleihen von Filmen, Dias und
sicht der Bundesregierung ein entscheidender Bei-
Tonbändern, die Veranstaltung von Vorträgen,
trag zur Erhaltung des Weltfriedens.
Filmabenden, Konzerten, Diskussionsabenden und
Viertens. Die Bundesregierung ist sich der großen kleinen Ausstellungen sowie ein allgemeiner Aus-
Bedeutung kulturpolitischer Bemühungen bilateraler kunftsdienst über das kulturelle Leben in Deutsch-
wie multilateraler Natur gegenüber den Entwick- land. Diese Zielsetzung entspricht den Wünschen
lungsländern bewußt. der Bundesregierung.
Nun die Antwort auf die zweite Frage. Von den Bei der Planung der Kulturinstitute ist die Bun-
staatlichen europäischen Organisationen hat nur der desregierung bemüht gewesen, die Schwerpunkte
Europarat ein eigenes Organ für Kulturarbeit, näm- nach der kulturpolitischen Dringlichkeit zu vertei-
lich den im Januar 1962 geschaffenen Rat für kul- len. Demgemäß sind Kulturinstitute geschaffen
turelle Zusammenarbeit. An der Arbeit seiner Fach- worden, wo im benachbarten europäischen Ausland
ausschüsse und Arbeitsgruppen nimmt die Bundes- die Begegnung mit deutscher Kultur gewünscht
regierung regen Anteil. Von der Notwendigkeit wurde und wünschenswert war oder wo in Übersee,
einer kulturellen Zusammenarbeit in Europa sind z. B. Südamerika, von Nachkommen deutscher Aus-
wir durchdrungen. Mit Bedacht fördern wir den Ge- wanderer die kulturelle Verbindung mit der Heimat
danken des Europakollegs, der europäischen Schu ihrer Väter gesucht wurde.
4726 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
Die Frage, inwieweit auch andere Länder in das rung in ihre neue Heimat zu beeinträchtigen. Hier-
Netz unserer Kulturinstitute einbezogen werden aus folgt, daß Deutsch nur noch in Ausnahmefällen
können, hängt von den dafür im Bundeshaushalt die ausschließliche Unterrichtssprache ist. Diese
bereitgestellten Mitteln und von der Möglichkeit Schulen werden möglichst zur Oberstufe und bis
ab, geeignete Persönlichkeiten für diese Aufgabe zu zum deutschen Abitur oder einem Abschluß ge-
gewinnen. Die Schließung eines Kulturinstitutes mit führt, der dem deutschen Abitur entspricht.
dem Ziele, dafür an anderer Stelle ein neues zu
eröffnen, stößt in dem betreffenden Lande, wie die Neben der Begegnungsschule sind neuerdings eine
Erfahrung gezeigt hat, auf heftigen Widerstand und Reihe von deutschen Auslandsschulen geschaffen
kann dadurch sogar zu einem Politikum werden. worden, in denen ganz überwiegend Kinder deut-
scher Eltern unterrichtet werden, die nur vorüber-
Zur vierten Frage: Auslandsschulen sind eines der gehend im Ausland ansässig sind. Meist handelt es
ältesten und wirkungsvollsten Mittel der Kultur- sich dabei um Kinder von Experten und Technikern
politik, neuerdings aber auch eines der teuersten. in Entwicklungsländern oder von Angehörigen deut-
In früheren Jahrzehnten wurden die zahlreichen scher Auslandsdienststellen. Diese Schulen sollen
deutschen Auslandsschulen ganz oder überwiegend den deutschen Kindern den Anschluß an das heimat-
durch die von einer wohlhabenden deutschen Aus- liche Schulsystem ermöglichen; sie werden daher im
landskolonie getragenen deutschen Schulvereine allgemeinen nicht über die Grundschule hinausge-
finanziert. Die Katastrophe der beiden Weltkriege führt.
hat nicht nur dieses blühende deutsche Auslands-
schulwesen, sondern auch das Vermögen seiner aus- Die Entscheidung, ob und in welchem Maße eine
landsdeutschen Förderer vernichtet. Der Wiederauf- Auslandsschule förderungswürdig ist, kann nicht an
bau begann 1950 vom Nullpunkt und ohne wesent- Hand starrer Kriterien, sondern nur unter Berück-
liche Finanzhilfe von auslandsdeutscher Seite. Heute sichtigung der in jedem Land anders gelagerten Ge-
gibt es wieder 137 deutsche Auslandsschulen mit gebenheiten erfolgen. Die Grenzlinie liegt dort, wo
fast 1200 aus dem innerdeutschen Schuldienst ent- der Einfluß deutscher Bildungselemente so gering-
sandten Lehrkräften sowie etwa 300 weitere Schu- fügig geworden ist, daß von einer wirksamen kul-
len, denen die Bundesregierung mit Lehrmitteln turellen Ausstrahlung nicht mehr gesprochen wer-
oder Sachspenden hilft. Dieser Wiederaufbau ist den kann.
zum größten Teil aus Bundesmitteln finanziert wor-
Zur Frage 5: Die Erfahrungen der deutschen Leh-
den. Der Zuschuß aus Bundesmitteln beträgt heute
rer an Auslandsschulen werden bisher vornehmlich
im allgemeinen 3/4 bis 4/5 der Kosten einer deutschen
im Ausschuß für das . Auslandsschulwesen der Kul-
Auslandsschule.
tusministerkonferenz ausgewertet. Dieser Ausschuß
Diese auf den Bund übergegangene Finanzlast hat seit 1951 in 44 Sitzungen das Auswärtige Amt
setzt der Errichtung neuer deutscher Auslands- bei der Ausarbeitung von Regelungen der Vertrags-
schulen Grenzen und zwingt zu sorgfältiger Planung verhältnisse, der finanziellen und sozialen Siche-
und zu eingehenden Überlegungen, ob und wann rung der deutschen Auslandslehrer beraten und da-
ein Schulbau zweckmäßig sei, welcher Schulstruktur bei eine überaus nützliche Arbeit geleistet. Die an-
der Vorzug zu geben und wie die deutsche Aus- gestrebte Entlastung von administrativer Klein-
landsschule an Schulsystem und Lehrplan des Gast- arbeit, der in dem Entwurf des Haushaltsplans für
landes anzupassen sei. Zur Vermeidung von Fehl- 1964 vorgesehene Einsatz einzelner erfahrener
leistungen bedarf die deutsche Auslandsschule lau-- Pädagogen der Länder und die bereits gewonnenen
fender schulischer wie pädagogischer Beaufsichti- Erkenntnisse werden die Bundesregierung künftig
gung und Beratung durch erfahrene Pädagogen so- stärker als bisher in die Lage versetzt, die Erfah-
wie regelmäßiger Inspektionen. Um diese wichtige rungen der Auslandslehrer bei den Planungs- und
Aufgabe stärker als bisher durchführen zu können, Lenkungsaufgaben für Neugründung, Ausbau oder
sind Überlegungen im Gange, das Auswärtige Amt Schließung von Auslandsschulen, ihren Strukturfra-
in größerem Umfange von routinemäßigen Verwal- gen u. a. planmäßig zu sammeln, auszuwerten und
tungsaufgaben im Bereich des Auslandsschulwesens bei der weiteren Arbeit zu berücksichtigen. Darüber
durch Übertragung dieser Aufgaben auf andere, da- hinaus werden auch Ausarbeitungen über pädago-
für geeignete Bundeseinrichtungen zu entlasten. Die gische Grundsatzfragen angestrebt. Bei der Auswahl
Bundesregierung hat im übrigen in Erkenntnis die- der für den Auslandsschuldienst geeigneten Lehrer
ser Notwendigkeiten im Entwurf des Haushaltsplans arbeitet das Auswärtige Amt mit den Kultusmini-
1964 die Bewilligung neuer Planstellen beantragt, stern der Länder eng und erfolgreich zusammen.
um die Abordnung von Pädagogen für diese Auf- Über die Dauer der Dienstverträge deutscher Lehrer
gaben an das Auswärtige Amt zu ermöglichen. an einer Auslandsschule sind im November 1962
Bei der Errichtung, Erhaltung und Förderung deut- zwischen dem Auswärtigen Amt und den Kultus-
scher Auslandsschulen hat sich die Bundesregierung ministern der Länder Richtlinien vereinbart worden,
von Grundsätzen leiten lassen, die dem erheblich ge- die den Anforderungen der Auslandsschulen wie
wachsenen Nationalbewußtsein der außereuropäi- der Möglichkeit von Beurlaubungen Rechnung tra-
schen Völker und ihrem Wunsche nach Assimilie- gen. Eine zu kurze Vertragsdauer entspricht nicht
rung fremder Volksgruppen Rechnung tragen. Sie den Erfordernissen der Auslandsschule; eine zu
hat als neuen Begriff die „Begegnungsschule" ent- lange Beurlaubung verbietet sich aus pädagogischen
wickelt, in der auch nichtdeutschen Landeskindern Gründen. Der im allgemeinen gangbare Mittelweg
nach deutschen Lehrmethoden deutsche Kulturwerte ist eine Entsendung, je nach den klimatischen Be-
nahegebracht werden, ohne dadurch die Eingliede dingungen des Gastlandes, von drei bis fünf Jahren
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4727
Bundesminister Dr. Schröder
mit einer Verlängerung, in Einzelfällen, von zwei Entwicklungsländern, die sich noch im Aufbau be-
bis drei Jahren. Für die zur Entsendung ausgewähl- finden. Bei diesen Patenschaften stellt die deutsche
ten Auslandslehrer veranstaltet das Auswärtige Seite die Lehrkräfte, der ausländische Partner die
Amt Vorbereitungskurse, in denen die Lehrer unter Lehrgebäude und normalerweise auch die Lehrein-
Verwertung der Erfahrungen zurückgekehrter Leh- richtungen bereit. Eigentliche Patenschaften beste-
rer auf ihre neuen Aufgaben hingeführt werden. hen nur mit den Universitäten in Kabul und Hue.
Die Vermehrung dieser Lehrgänge findet an den Daneben gibt es eine Reihe patenschaftsähnlicher
beschränkten Haushaltsmitteln ihre Schranke. Bindungen, unter anderem mit den Universitäten in
Izmir in der Türkei, in Awas im Iran, in Ife in Nige-
Zur sechsten Frage: Die Beziehungen zwischen ria, in Nairobi in Kenya und in Recife in Brasilien.
den deutschen Hochschulen und den Hochschulen Die Bundesregierung verkennt nicht die Bedeutung,
des Auslandes sind so alt wie die Hochschulen die den Unversitätspatenschaften zukommt. Die bis-
selbst. Sie werden von Hochschullehrern und Insti- herigen Erfahrungen haben aber auch die Schwierig-
tuten getragen, durch den Austausch von Veröffent- keiten erkennen lassen, die bei der Durchführung
lichungen gepflegt und auf internationalen Kon- zutage treten. Insbesondere muß bei der revolutio-
gressen erneuert. Die Kosten hierfür — Leerstellen, nären Grundhaltung der Studentenschaft in man-
Beurlaubungen — tragen fast immer die Länder der chen Partnerländern die Bundesregierung darauf be-
Bundesrepublik. Im Jahre 1961 waren 82 deutsche dacht sein, nicht durch die Patenschaft in innerpoli-
Hochschullehrer als ständige Gastprofessoren an tische Auseinandersetzungen des Partnerlandes
ausländischen Hochschulen und 141 ausländische hineingezogen zu werden.
Gastprofessoren an deutschen Hochschulen tätig.
Die Zahl der zu kurzfristigen Gastvorlesungen ent- Eine wirksame Hilfe beim Aufbau von Hoch-
sandten deutschen Professoren überstieg 900. schulen im Ausland sind die aus Bundesmitteln
finanzierten Sachspenden an ausländische Hochschu-
Initiative, Fortführung und Pflege dieser Bezie- len, besonders in den Entwicklungsländern, die der
hungen liegen weitgehend bei den Hochschulen und Einrichtung und Ausgestaltung von Universitäts-
ihren Lehrkörpern. Die Bundesregierung greift hel- instituten dienen.
fend ein, falls die hierfür benötigten Mittel nicht Zur Frage 7. Die Bundesregierung hat nur be-
ausreichen und die Anknüpfung oder Erhaltung die- schränkte Möglichkeiten, den vorhandenen Män-
ser 'Beziehungen unter außenpolitischen Gesichts- geln beim Studium von Ausländern in der Bundes-
punkten wünschenswert erscheint. So hat die Bun-
republik entgegenzuwirken, da sie im Innern keine
desregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern Zuständigkeit in kulturellen Angelegenheiten be-
und der Westdeutschen Rektorenkonferenz 1961 die
sitzt. Zuständig für Maßnahmen zur Behebung sol-
„Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler
cher Mängel sind die deutschen Länder sowie die
im Ausland" geschaffen und finanziert, deren Tätig-
Universitäten, die sich weitgehender Autonomie er-
keit zu einer erheblichen Verstärkung der wissen-
freuen.
schaftlichen Beziehungen zu Hochschulen, auch in
Entwicklungsländern, geführt hat. In der Bundesrepublik sind in früheren Jahren
aus dem Bestreben, die deutsche Hilfsbereitschaft
Ein bewährtes Mittel zur Förderung der Verbin- bei der Heranbildung des akademischen Nachwuch-
dung zwischen deutschen und ausländischen Hoch- ses befreundeter Staaten unter Beweis zu stellen,
schulen ist die Gewährung von Stipendien. Die Bun- die Zulassungsbedingungen für die deutschen Hoch-
desregierung hat in zunehmendem Maße Mittel da- schulen großzügig gehandhabt worden. Diese Groß-
für bereitgestellt. Die Zahl der über den DAAD an zügigkeit hat zu dem Mißbrauch geführt, daß zahl-
Ausländer vergebenen Stipendien der Bundesregie- reiche ausländische Studenten, die wegen unzuläng-
rung ist von 700 im Jahre 1957 auf 1800 im Jahre licher Leistungen in ihren Heimatstaaten zum Hoch-
1963 gestiegen. Daneben werden über das Bundes- schulstudium nicht zugelassen worden sind, deut-
ministerium des Innern jährlich 183 Hochschul- sche Hochschulen bezogen haben. Dadurch hat
stipendien zur Förderung des unmittelbaren Studen- manch tüchtiger ausländischer Student an deutschen
tenaustausches gewährt, wobei die Auswahl der Hochschulen keinen Platz gefunden,
Partnerhochschule und die Stipendienvergabe den
deutschen Hochschulen überlassen bleiben. Sodann (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sehr richtig!)
ermöglicht die Bundesregierung durch die etwa und der Leistungsdurchschnitt ausländischer Stu-
350 von ihr geschaffenen Forschungsstipendien der denten ist zum Nachteil des Rufes der deutschen
Alexander-von-Humboldt-Stiftung jungen ausländi- Hochschulen gesunken.
schen Wissenschaftlern die Fortbildung an deutschen
Die Bundesregierung trägt dafür Sorge, daß dort,
wissenschaftlichen Instituten.
wo sie Einfluß nehmen kann — etwa bei den Ver-
Erwähnung verdienen auch die 190 mit Bundes- gabebedingungen für DAAD-Stipendien —, strenge
mitteln geförderten Lektorate der deutschen Sprache Maßstäbe angelegt und hohe Qualitäten gefordert
an ausländischen Hochschulen; ihrer wünschenswer- werden. Sie hofft dadurch vorbildlich zu wirken.
ten Vermehrung sind durch die beschränkten Haus- Außerdem wird gegenwärtig von den zuständigen
haltsmittel Grenzen gesetzt. Stellen an einer strengeren Handhabung der Zulas-
sungsbedingungen gearbeitet.
Patenschaften zwischen deutschen und ausländi-
schen Hochschulen sind eine sich neuerdings ab- Für Betreuungsaufgaben stellt die Bundesregie-
zeichnende Form der Zusammenarbeit. Sie dienen rung jährlich einen erheblichen Betrag im Bundes-
vornehmlich der Förderung von Hochschulen in den haushalt bereit, und zwar 1962 7,4 Millionen DM,
4728 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
1963 6,7 Millionen DM. Sie versieht studentische beamten hat sich als belebendes und anregendes
und andere Betreuungsorganisationen mit Geldmit- Element erwiesen. Die ihm nicht seltengepaarte
teln und gewährt beträchtliche Zuschüsse zum Bau Unkenntnis der für eine geordnete Verwaltung
und zur Einrichtung von internationalen Studenten- unerläßlichen Grundbegriffe und Gepflogenheiten
wohnheimen. hat sich zuwielen als Hemmnis ausgewirkt.
Den Mängeln, die sich im Einzelfalle auf der
Für die Verwendbarkeit in der auswärtigen Kul-
Ebene menschlicher Beziehungen mit ausländischen
turarbeit ist aus der Unterscheidung zwischen Nicht-
Studierenden ergeben, versucht die Bundesregie- laufbahn- und Laufbahnbeamten schwerlich ein
rung durch Aufklärung und Betreuungsmaßnahmen
Maßstab zu gewinnen. Die Ausbildung und die
entgegenzuwirken.
Tätigkeit in der Kulturabteilung des Auswärtigen
Zur Frage 8. Die Bundesregierung ist sich der Amts gehört zum Werdegang der Laufbahnbeamten.
Tatsache bewußt, daß sie der zunehmenden Bedeu- Im Prinzip sollen künftig zu Leitern von Auslands-
tung der auswärtigen Kulturpolitik auch in organi- vertretungen nur solche Beamten bestellt werden,
satorischer und personeller Hinsicht Rechnung tra- die sich mit der Kulturarbeit befaßt haben. Aber ich
gen muß, um die Gesamtaufgabe möglichst wirksam sage noch einmal: im Prinzip. Das wird nicht ganz
lenken zu können. leicht durchzuführen sein. In Bereichen, die ein be-
In der Zeit von 1956 bis 1963 ist daher die Zahl sonderes Maß an Spezialwissen erfordern, wird die
der Bediensteten in der Kulturabteilung des Aus- Bundesregierung auch in Zukunft geeignete Persön-
wärtigen Amts um etwa 40 % verstärkt worden. lichkeiten, die nicht Laufbahnbeamte sind, für die
Dieser Personalvermehrung steht ein rasch anwach- Kulturarbeit des Auswärtigen Amts heranziehen.
sender Arbeitsanfall gegenüber. So werden im Zur Frage 10. Kulturabkommen können bei der
Schul- und Kulturfonds heute 166 Millionen DM Konstruktion des Grundgesetzes nicht mehr sein
gegenüber 27 Millionen DM im Jahre 1956 verwal- als Rahmenabkommen. Die Bundesregierung hat
tet; die Zahl der vom Schulreferat vermittelten Leh- seit 1953 mit 18 Staaten Kulturabkommen geschlos-
rer stieg im gleichen Zeitraum von 312 auf 1168, die sen, darunter mit Frankreich, Großbritannien, Ita-
Zahl der betreuten Schulen von rund 140 auf etwa lien und sieben weiteren europäischen Staaten, den
440, die Zahl der zu bearbeitenden Kulturabkom- Vereinigten Staaten, zwei südamerikanischen, drei
men von 11 auf 32. Dieses Anwachsen der Aufgaben asiatischen und zwei afrikanischen Staaten. Mit 16
hat teilweise zu erheblichen Belastungen der Be- weiteren Staaten in Südamerika, Asien und Afrika
diensteten in der Kulturabteilung geführt. Dennoch steht sie in Verhandlungen, die zum Teil kurz vor
konnten die gestellten Aufgaben bewältigt werden. dem Abschluß stehen.
Die Bundesregierung wird dieser Frage weiterhin Alle von der Bundesrepublik abgeschlossenen
ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Kulturabkommen sehen die Errichtung von Stän-
Vergleichbare Staaten wie Frankreich und Italien digen Gemischten Ausschüssen vor, die mit einer
schaffen sich die für ihre Kulturpolitik erforderlichen gleichen Anzahl deutscher und ausländischer Per-
organisatorischen und personellen Voraussetzungen sönlichkeiten besetzt sind. Die Bundesregierung ent-
durch langjährige Abordnung entsprechender Fach- sendet in diese Ausschüsse Vertreter des Auswärti-
beamten aus den Erziehungs- bzw. Kultusministe- gen Amts, des Bundesministeriums des Innern, der
rien. Großbritannien und die Vereinigten Staaten- Ständigen Konferenz der Kultusminister und der
von Amerika haben sich durch die Schaffung eigener freien Wissenschaft.
Organisationen wie des British Council und des Aufgabe dieser gemeinhin mit ein- bis zweijähri-
USIS geholfen. gem Abstand zusammentretenden Ausschüsse ist
Auch die Bundesregierung ist bemüht, im Rahmen die Beratung konkreter Austauschvorhaben, die in
ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ähnliche den Rahmen der Kulturabkommen passen. Die von
Wege zu beschreiten. Sie will in ihrem Haushalts- den Ausschüssen angenommenen Entschließungen
plan für 1964 die Voraussetzungen schaffen, um haben den Charakter von Empfehlungen an die bei-
z. B. für das Auslandsschulwesen abgeordnete Fach- derseitigen Regierungen. Sie werden über die Kul-
kräfte der Länder gewinnen zu können. Sodann hat turabteilung des Auswärtigen Amts den zustän-
sie seit einigen Jahren die Durchführung gewisser digen innerdeutschen Stellen mit der Bitte um
Aufgaben anderen, zum Teil seit Jahrzehnten be- Durchführung zugeleitet. Die Bundesregierung be-
stehenden Organisationen, wie dem Akademischen sitzt keine verfassungsrechtliche Handhabe, um die
Austauschdienst und dem Goethe-Institut, über- Verwirklichung dieser Empfehlungen zu erzwingen.
tragen. Darüber hinaus sind Überlegungen im
Zur Frage 11. Die Bundesregierung ist der An-
Gange, das Auswärtige Amt weiter von routine- sicht, daß die multilaterale Zusammenarbeit bei der
mäßigen Verwaltungsaufgaben im Bereich des Aus-
Lösung der Aufgaben, die den technisch fortgeschrit-
landsschulwesens durch Übertragung von Aufgaben
tenen Staaten auf dem Gebiete der Wissenschaft,
auf andere, dafür geeignete Bundeseinrichtungen zu
Erziehung und Kultur im Verhältnis zueinander und
entlasten, wie ich schon zu der voraufgehenden
Frage gesagt habe. gegenüber den Entwicklungsländern zufallen, mit
den Jahren zunehmen und an Gewicht gewinnen
Zur Frage 9. Die Bundesregierung hat im Aus- wird. Sie glaubt, daß manche kulturpolitischen Ziele
wärtigen Amt mit Mitarbeitern, die nicht Laufbahn- sich durch internationale Zusammenarbeit leichter
beamte waren, gate wie schlechte Erfahrungen ge- und besser erreichen lassen als durch bilaterale
macht. Das große Fachwissen vieler Nichtlaufbahn Maßnahmen. Die Bedeutung, die sie den internatio-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4729
Bundesminister Dr. Schröder
nalen Organisationen, besonders der UNESCO, Entwicklungsländern beitragen, sollen hingegen in
aber auch den Wissenschaftsausschüssen der OECD die Zuständigkeit des Bundesministeriums für wirt-
und der NATO beimißt, zeigt sich in der Verwen- schaftliche Zusammenarbeit fallen. Obwohl die Ab-
dung eines beträchtlichen Teils der im Bundeshaus- grenzung der Aufgaben im einzelnen noch nicht
halt an verschiedenen Stellen bereitgestellten Mit- abgeschlossen ist, sind beide Ministerien überein-
tel für kulturpolitische Aufgaben multilateraler Art. gekommen, Grenzfälle pragmatisch zu regeln. Nach
der erfolgten Neubildung des Kabinetts wird sich
Die ernste, eifrige und selbstlose deutsche Mit- die Bundesregierung nunmehr beschleunigt um eine
arbeit in den internationalen Organisationen ist endgültige Regelung der Zuständigkeit bemühen.
zugleich eine Widerlegung der immer wieder ver- Sie wissen ja, daß Zuständigkeitsfragen nicht immer
suchten Verdächtigung eines angeblichen Faschis- ganz einfach sind; aber die Frage wird schon gelöst
mus oder Neo-Kolonialismus. Die deutsche Anteil- werden.
nahme an den Problemen anderer Länder erweckt
deren Sympathie für unsere Sorgen, vor allem für Entschuldigen Sie bitte, daß ich durch diese Ant-
die Teilung unseres Vaterlandes. wort mit Rücksicht auf die begrenzte Zeit etwas
durchgehastet bin. Ich möchte aber zum Schluß noch
Das Weisungsrecht für die deutschen Vertreter einmal sagen: ich bin dankbar dafür, daß ich dies
in der UNESCO und der NATO liegt beim Aus- hier habe ausführen können. Zahlreiche weitere
wärtigen Amt, für die Vertreter in der OECD beim Fragen und Anregungen des Herrn Kollegen Kahn
Bundesminister für Wirtschaft. Die Weisungen wer- Ackermann sollten nach meiner Meinung im Aus-
den in interministeriellen Besprechungen erarbeitet. wärtigen Ausschuß oder sonst in einer geeigneten
An diesen Besprechungen nehmen auch Vertreter Zusammensetzung weiter behandelt werden. Die
der Länder sowie der fachlich betroffenen nichtamt- Nichtbeantwortung der Fragen aus dem Stegreif ist
lichen Organisationen teil. Die Zusammenarbeit der nicht ein . Zeichen mangelnden Interesses; ich bin
Beteiligten hat sich im Laufe der Jahre. eingespielt. vielmehr aufrichtig dankbar, daß ich die Möglichkeit
Im Europarat, im Sekretariat der OECD und im hatte, wenigstens einen Teil des Hohen Hauses für
Wissenschaftsausschuß der NATO ist die Bundes- diese Fragen heute am späten Nachmittag zu inter-
republik stets angemessen vertreten gewesen. Unzu- essieren.
reichend war bisher der deutsche Anteil im Gene- (Beifall.)
ralsekretariat der UNESCO. Zum Teil lag es an der
in bezug auf Sprachkenntnisse mangelnden Quali- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Haus hat die
fikation deutscher Bewerber bei den UNESCO-Stel- Antwort der Bundesregierung entgegengenommen.
lenausschreibungen. Dank der sorgfältigen Arbeit Gemäß § 106 der Geschäftsordnung frage ich, ob
der mit UNESCO-Aufgaben in der Bundesrepublik eine Aussprache gewünscht wird. Wer das wünscht,
befaßten Stellen können seit etwa zwei Jahren dem den bitte ich um ein Handzeichen. — Es müssen
UNESCO-Generalsekretariat deutsche Bewerber von 30 Mitglieder des Hauses sein. — Jetzt sind es mehr
internationalem Format vorgeschlagen werden. als 30 Mitglieder des Hauses. Meine Damen und
Gegenwärtig sind mehr als 30 deutsche Experten Herren, wir werden in die Aussprache eintreten. Es
für die UNESCO im sogenannten Field Service — ist mir jedoch mitgeteilt worden, daß eine interfrak-
fachliche Hilfe in Entwicklungsländern — tätig. Im tionelle Vereinbarung dahin bestehe, an dieser
Generalsekretariat arbeiten 14 Deutsche. Wir blei Stelle zu unterbrechen und die Punkte 37 und 38
-
dabei unter unserer Quote, die zwischen 15 und der Tagesordnung mit Rücksicht auf die Bericht-
25 Angestellten liegt. erstatter vorzuziehen. Wird hiergegen eine Ein-
wendung erhoben? — Das ist nicht der Fall. Dann
Das Bemühen der Bundesregierung, in den Sekre- rufe ich Punkt 37 der Tagesordnung auf:
tariaten der internationalen staatlichen Organisa-
tionen zahlreich und gut vertreten zu sein, wird Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
häufig erschwert durch die mangelnde Bereitschaft schuses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
hochqualifizierter und sprachlich versierter Fach- schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts-
kräfte, ihre Stellungen in Deutschland ohne eine angelegenheiten —
Stellengarantie im Falle der Rückkehr aufzugeben. betr. Genehmigung zur Durchführung eines
Eine solche Garantie vermag die Bundesregierung Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Jahn
für Nicht-Bundesbedienstete nicht zu bieten; sie und Merten gemäß Schreiben des Bundes-
obläge vielmehr — durch Bereitstellung von Leer- ministers der Justiz vom 10. Mai 1963 (Druck-
stellen — denjenigen Stellen, von denen diese Fach- sache IV/1723).
kräfte kommen, also vornehmlich den Ländern.
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete
Schließlich zur Frage 12. Zwischen dem Auswär- Zoglmann.
tigen Amt und dem Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit sind Grundsätze für Zoglmann (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
eine Abgrenzung der Zuständigkeiten im Bereich und Herren! Auf Ersuchen des Generalbundesan-
der Bildungshilfe ausgearbeitet worden. Nach ihnen walts hat der Herr Bundesminister der Justiz mit
soll das Auswärtige Amt im Hinblick auf die Ent- einem Schreiben vom 10. Mai 1963 den Herrn Präsi-
wicklungsländer für solche Maßnahmen der aus- denten des Deutschen Bundestages gebeten, die Ge-
wärtigen Kulturpolitik zuständig sein, wie sie auch nehmigung des Hohen Hauses zur Durchführung
zwischen entwickelten Ländern üblich sind. Maß- eines Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Jahn
nahmen, die als Bildungshilfe zur Förderung von und Merten zu erteilen.
4730 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Zoglmann
Nach dem Bericht des Generalbundesanwalts be- schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts-
steht gegen die beiden Abgeordneten der Verdacht angelegenheiten —
des Verrats von Staatsgeheinmnissen und des Ver- betr. Genehmigung zur Durchführung eines
trauensbruches im Sinne der §§ 99 Abs. 1 und 353 c Strafverfahrens gegen den Abgeordneten
des Strafgesetzbuches.
Dr. h. c. Strauß gemäß Schreiben des Bundes-
Der Generalbundesanwalt sieht den Verdacht ein- ministers der Justiz vom 28. November 1963
mal darin begründet, daß der Abgeordnete Merten (Drucksache IV/1724).
dem Abgeordneten Jahn das Protokoll der 14. Sit-
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel als Bericht-
zung des Verteidigungsausschusses des Deutschen
erstatter.
Bundestages übergab und der Abgeordnete Jahn
eine Photokopie dieses Protokolls dem Spiegel-
redakteur Schmelz übermittelte. Dieser Sachverhalt Ritzel (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
wird von den beiden Abgeordneten nicht bestritten. Herren! Mit Schreiben vom 28. November 1963 hat
Der Generalbundesanwalt begründet den Ver- der Bundesminister der Justiz dem Bundestagspräsi-
dacht strafbarer Handlungen weiter damit, daß auch denten das Ersuchen auf Genehmigung zur Durch-
von dem Protkoll der 19. Sitzung des Ausschusses führung eines Strafverfahrens gegen den Bundes-
für Verteidigung des Deutschen Bundestages eine tagsabgeordneten Dr. h. c. Strauß übermittelt. Der
Photokopie beim Spiegelredakteur Schmelz gefun- Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
den wurde. schäftsordnung hat sich in seiner Sitzung vom 5. De-
zember 1963 mit dem Ersuchen befaßt und einstim-
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler.) mig beschlossen, dem Bundestag zu empfehlen, die
Genehmigung zu erteilen.
Auch diese Photokopie wurde, wie das Protokoll
Gegenstand der Beschuldigung ist die Mitwirkung
der 14. Sitzung, von einer Ausfertigung erstellt, die
des Abgeordneten Dr. h. c. Strauß bei der Fest-
dem Abgeordneten Merten laut Quittung ausge-
nahme des Redakteurs der Zeitschrift „Der Spiegel",
händigt worden war.
Konrad Ahlers, durch spanische Behörden am 27. Ok-
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und tober 1963 gegen 3 Uhr in Torremolinos bei Malaga.
Geschäftsordnung hat sich in mehreren Sitzungen Wegen dieser Mitwirkung waren bei der zuständi-
mit dem Ersuchen des Generalbundesanwalts be- gen Staatsanwaltschaft in Bonn elf Strafanzeigen
faßt. Er kam nach Übersendung der Akten und des gegen den Abgeordneten Dr. h. c. Strauß eingegan-
Gutachtens des Bundeskriminalamtes vom 29. No- gen, in denen im wesentlichen der Vorwurf der Frei-
vember 1963 einstimmig zu dem Ergebnis, dem Bun- heitsberaubung im Amt, der Amtsanmaßung und
destag den in der Drucksache IV/1723 enthaltenen der falschen Anschuldigung erhoben wurde. Die
Antrag zur Annahme zu empfehlen. In dem Gut- zuständige Staatsanwaltschaft ist nach den vorlie-
achten des Bundeskriminalamtes wurde entgegen genden Erkenntnissen zu dem Ergebnis gekommen,
bisheriger Auffassung festgestellt, daß die beiden daß als Straftatbestand die Amtsanmaßung — Ver-
Photokopien mit verschiedenen Vervielfältigungs- gehen gegen § 132 StGB, zweite Alternative: „unbe-
geräten und auch verschiedenen Papieren hergestellt fugt eine Handlung vornimmt, welche nur kraft
wurden. eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden
Das Ersuchen des Generalbundesanwalts, die Ge-- darf" — in Betracht käme. Dagegen lägen bisher
nehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß
gegen den Abgeordneten Jahn auch bezüglich des sich der Abgeordnete Dr. h. c. Strauß einer Frei-
Vorgangs um das Protokoll der 19. Sitzung des heitsberaubung im Amt — Verbrechen gegen § 341
Ausschusses für Verteidigung zu erteilen, wurde StGB — oder einer einfachen Freiheitsberaubung —
daher mit Mehrheit im Immunitätsausschuß abge- Vergehen gegen § 239 StGB — schuldig gemacht ha-
lehnt. Diese Mehrheit ließ sich dabei von der Auf- ben könnte. Weitere von den Anzeigenden aufge-
fassung leiten, daß auf Grund der bisherigen Fest- führte Straftatbestände scheiden nach Auffassung der
stellungen der Verdacht einer strafbaren Handlung Staatsanwaltschaft mangels Vorliegens objektiver
des Abgeordneten Jahn im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmale aus.
Protokoll der 19. Sitzung des Verteidigungsausschus- Der Ausschuß empfiehlt dem Bundestag, den in
ses nicht begründet ist. Drucksache IV/1724 enthaltenen Antrag anzuneh-
Ich bitte Sie, dem Ihnen zugeleiteten Antrag auf men.
Drucksache IV/1723 Ihre Zustimmung zu erteilen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Wenn das Wort
Vizepräsident Dr. Dehler: Werden Erklärun- nicht gewünscht wird, stimmen wir über diesen An-
gen abgegeben? — Das ist nicht der Fall. Wir kom- trag ab. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. —
men zur Abstimmung über den Antrag des Aus- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist
schusses auf Drucksache IV/1723. Wer zustimmen einstimmig angenommen.
will, gebe bitte ein Zeichen. — Die Gegenprobe! — Ich eröffne nunmehr die Aussprache über die Ant-
Enthaltungen? — Einstimmige Annahme. wort der Bundesregierung auf die
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Große Anfrage der Fraktion der SPD
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus betr. auswärtige Kulturpolitik.
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Huys.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4731
Dr. Huys (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Ausland Grenzen" setzt „und zu sorgfältiger Pla-
Damen und Herren! Es wird heute von niemandem nung und zu eingehenden Überlegungen" zwingt,
mehr bestritten, daß der Kulturpolitik eine hohe, „ob und wann ein Schulbau zweckmäßig sei".
sich immer mehr steigernde Bedeutung zukommt. An dieser Stelle scheint es mir notwendig zu sein,
Nicht nur innenpolitisch, sondern insbesondere die Arbeit der deutschen Schule im Ausland und
außenpolitisch ist die Kulturarbeit neben dem wirt- ihre Ausstrahlungskraft kurz zu betrachten, die
schaftlichen und dem militärischen Bereich ein wich- Frage aufzuwerfen, ob nicht gerade die Arbeit der
tiger Faktor. Welch bedeutsames Politikum Kultur- deutschen Schulen eine ganz besonders wichtige
abkommen geworden sind, brauche ich hier nicht unter allen anderen Möglichkeiten der kulturellen
zu betonen, die jüngsten Ereignisse im Falle des Einflußnahme unter dem Blickwinkel der allgemei-
Amerikaners Barghorn zeigen das und haben das nen Konzeption der Bundesregierung ist. Von der
sehr deutlich gemacht. Die Kulturpolitik stellt Beantwortung dieser Frage wird es weitgehend ab-
heute — wie Herr Dr. Sattler sagt — gleichsam eine hängen, ob die soeben erwähnte Formulierung der
„dritte Bühne" dar, auf der sich in zunehmendem Bundesregierung dies deutlich genug zum Ausdruck
Maße politische Entscheidungen abspielen. Diese gebracht hat.
Tatsache soll uns allerdings nicht dazu verführen,
unsere Kultur zu propagandistischen Zwecken zu Über die Bedeutung der deutschen Auslandschu-
mißbrauchen, um unser politisches Prestige zu he- len für die deutsche Auslandskulturpolitik sind sich
ben, das wäre grundfalsch, aber sie hilft, das er- die Experten nicht ganz einig. Es wird im allgemei-
schütterte Vertrauen in uns wiederherzustellen, das nen anerkannt, daß die deutschen Auslandsschulen
zum Teil wiedererstandene Ansehen zu festigen, — ich meine hier die Schulen alter Form, die
und vor allem, den Anspruch der Bundesregierung, Deutsch als Unterrichtssprache haben — durch die
für ganz Deutschland zu sprechen, wirkungsvoll zu Vermittlung der Sprache trotz Film, Funk und Fern-
demonstrieren. sehen nach wie vor die stärksten kulturellen Mitt-
ler sind, weil jeder, der in seiner Jugend irgendwo
Die Zusammenfassung der Bundesregierung zu in der Welt an einer deutschen Schule Deutsch ge-
Punkt 1 der Anfrage kann also voll und ganz unter- lernt hat, eine innere Bindung zu unserem Land
stützt werden. behalten wird; aber es wird bezweifelt, daß es not-
Ich möchte nur zu den Fragen 4 und 5 sprechen, wendig ist, deswegen die große Aufgabe, die der
zumal ich glaube, daß in die Anfrage sehr viel ge- Bau und die laufenden Unterhaltungskosten einer
packt ist, aber zu den anderen Fragen werden Schule, ihre Ausstattung, ihr Lehrerkollegium mit
meine Kollegen Professor Friedensburg und Dr. sich bringen, auf sich zu nehmen. Die Tatsache, daß
Martin sprechen. nach dem zweiten Weltkrieg ein entscheidender
Vielleicht hat die Presse Ihre Anfrage überschätzt, Strukturwandel im deutschen Auslandsschulwesen
indem sie — wie ein Artikel der heutigen Abend- eingetreten ist — die mannigfachen Gründe dafür
zeitung vermuten läßt — angenommen hat, wir brauchen hier nicht erörtert zu werden —, wes-
würden vielleicht über Jazz oder Mozart diskutie- wegen jetzt u. a. die sogenannte „Begegnungs-
ren. Jedenfalls hat sie sicherlich nicht angenommen, schule" als neuer deutscher Schultyp entwickelt
daß ein großer Teil der Ausführungen der Personal- wird, scheint diesen Zweifeln recht zu geben. In
politik des Auswärtigen Amtes gelten würde, bei diesen Schulen soll das deutsche kulturelle Erbe als
der Meinungen von Beamten des Auswärtigen Am- bedeutsame Bereicherung für das geistige Leben
tes preisgegeben würden. Ich halte es auch nicht des jeweiligen Landes eingebracht und nicht mehr
für fair, Herr Kahn-Ackermann, wenn ein Angriff nur wie vor dem Kriege das Ziel verfolgt werden,
auf die Person des Vorgängers des Herrn Außen- Deutsche im Sinne nationaler Volkstums- und Min-
ministers gestartet wird, der sich nicht verteidigen derheitspolitik zu erziehen. Allerdings müssen die
kann, weil er krank ist. Mindestanforderungen hinsichtlich des deutschen
Charakters einer solchen Schule klar sein. Der kul-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) turpolitische Aspekt macht manche Schulen förde-
Ich möchte jetzt also speziell auf die deutschen rungswürdig, obwohl sie vom Pädagogischen her
Schulen im Ausland zu sprechen kommen, auf ihre vielfach nicht so förderungswürdig zu sein scheinen.
Bedeutung und Aufgabe innerhalb dieser Konzep- Herr Kahn-Ackermann ist vorhin schon darauf
tion, zumal ich glaube, daß einige allgemeine Ge- eingegangen. Er meinte, sehr viele Schulen hätten
danken ausgesprochen werden müßten, obwohl ich ein veraltetes Erziehungsziel. Herr Kahn-Acker-
weiß, daß die Verhältnisse in den einzelnen Län- mann, es gibt sehr viele junge Leute — alle drei
dern sehr differenziert sind und jeder Einzelfall Jahre wechseln sie in einem Turnus —, die die mo-
anders liegt. derne Auffassung auch vom Erziehungsziel mit-
Der Herr Außenminister hat dargelegt, wie die bringen, so daß ich Ihnen nicht ganz abnehme, daß
augenblickliche Lage des Auslandsschulwesens ist, sie veraltete Erziehungsziele haben. Etwas aller-
und hat darauf hingewiesen, warum die Zuschüsse dings werden sie von dem jeweiligen Erziehungs-
aus Bundesmitteln gerade für diesen Bereich der ziel der Staaten beeinflußt, in denen unsere Schulen
Kulturpolitik so hoch sein müssen. Er zog daraus errichtet werden.
den vorsichtigen Schluß, daß die Finanzlast, die der Um die Relation der deutschen zu den ausländi-
Bund jetzt, im Gegensatz zu den Zeiten vor dem schen Schülern ausgewogen zu halten und um die
Krieg, für die Auslandsschulen zu tragen gezwun- deutschen Kinder eines größeren Raumes erfassen
gen ist, der „Errichtung neuer deutscher Schulen im zu können, müßten Internate in Verbindung mit
4732 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Huys
den Schulen gebaut werden, wie sie z. B. in Oscorno, sam wird. Eine Koordinierung der Mittel für die
Temuco und u. a. auch in Athen vorgesehen sind. Schulen im Ausland und der Entwicklungshilfe
Man könnte sie vergleichen mit den Bestrebungen müßte man vornehmen, um etwas großzügiger in
in unseren ländlichen Kreisen, „Mittelpunktschulen" Einzelfällen vorgehen zu können.
zu schaffen. Das vom Ausland geäußerte Interesse an der
Ich möchte hier ein paar Gedanken äußern, die, deutschen Sprache, ja, an der Bundesrepublik
so scheint es mir, bedacht werden müssen, ehe man schlechthin, würde einen entscheidenden Rückschlag
die Maßstäbe festlegt, die für die Gründung und erleiden, wenn die deutschen Auslandsschulen we-
Erhaltung von deutschen Schulen im Ausland in Zu- niger unterstützt würden. Dadurch würde unter Um-
kunft bestimmend sein werden. Ich stütze mich da- ständen der Weg für andere, sehr unerwünschte
bei auf Erhebungen, die das Auswärtige Amt 1960 Einflüsse freigemacht. Das Aufgeben einer kostspie-
in dieser Richtung gemacht hat, auf Erfahrungs- ligen, vielleicht wenig rentablen deutschen Schule
berichte verschiedener Persönlichkeiten oder Insti- oder der Verzicht auf eine noch zu gründende, von
tutionen wie auch auf meine eigenen Erkenntnisse, dem fremden Staat gewünschte Schule würde zwei-
die ich hinsichtlich dieses Problems auf meiner Reise fellos die SBZ auf den Plan rufen, die dann nicht zö-
nach Athen, Istanbul und Kairo gewinnen konnte. gern würde, als die maßgebliche Vertreterin deut-
scher Kultur aufzutreten.
Folgende Gründe sprechen dafür, daß das deut-
sche Auslandsschulwesen unterstützt, gefördert und (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
erweitert wird.
In der Intensität ist eine deutsche Schule, das heißt
Abgesehen von dem Wert, den die deutsche Aus- also eine deutsche Schule, in der Deutsch die Unter-
landsschule für die im Ausland lebenden deutschen richtssprache ist und nicht wie in der sogenannten
Familien und ihre Kinder hat, vermitteln die deut- „Begegnungsschule" eine Sprache unter anderen,
schen Auslandsschulen Sprachkenntnisse an Kinder die so gelehrt wird wie bei uns Englisch oder Fran-
und Jugendliche fremder Völker. Ihre Wirkung ist zösisch, dem neuen Typ überlegen. Mit der Unter-
darum breit und nachhaltig und daher von kulturel- richtssprache dringt eben doch auch deutsche Art
lem Wert; solche Sprachkenntnisse sind das Funda- ein, mit dem Wissensstoff wird deutsches Leben
ment für die Beziehungen, die Angehörige fremder lebendig und verständlich. Es ist eben etwas ande-
Staaten zu Deutschland knüpfen, sei es nun auf res, ob ich die deutsche Sprache wie ein Dolmet-
kulturellen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gebie- scher sprechen kann oder ob ich in ihre Gehalte ein-
ten. Ohne die Kenntnis der deutschen Sprache ist gedrungen bin. Zweifellos ist die kulturelle Wir-
kein Studium an deutschen Universitäten möglich. kung einer Schule geringer, die nur Lektorate oder
Es ist sehr wichtig, daß gerade Kinder die deut- Lehrerstellen für Deutsch hat, im übrigen aber einem
sche Sprache erlernen und nicht erst die Erwachse- internationalen Institut als einer eigenständigen
nen; denn Kinder wachsen unmittelbarer, aber auch Einrichtung angegliedert ist, die selbstverständlich
nachhaltiger in einen fremden Kulturkreis hinein ihre Tore auch weit für die Kinder des Gastvolkes
und werden von ihm geformt. Darüber hinaus die- öffnen soll. Das hat nichts mit Kulturpropaganda zu
nen die deutschen Auslandsschulen aber auch der tun, aber sehr viel mit einem Versuch, die eigene
Erwachsenenbildung. Kultur als Verständigungsmittel für das eigene
- Leben in Gesellschaft und Staat wirken zu lassen.
Die deutschen Auslandsschulen sind überall, wo Nur wirkliches Kennenlernen kann zum Verständ-
sie existieren, Mittelpunkte des kulturellen Lebens nis des anderen führen, und ein solches Kennen-
für die Deutschen in diesem Lande; sie sind Brücke lernen vermittelt die deutsche Schule im Ausland
zur Heimat, aber darüber hinaus sind sie auch Ver- stärker als jede andere Institution.
bindung und Anregung für Fremde, sie sind „Bot-
schafter Deutschlands" und stellen den ständigen So muß z. B. nicht nur in Athen, Istanbul und
Kontakt her zu den kommenden gebildeten Schich- Kairo, sondern auch in vielen anderen Ländern Tau-
ten ihres Gastlandes. senden von ausländischen Kindern die Aufnahme
verweigert werden, weil die Kapazität der Schulen
Die völkerverbindende Aufgabe der deutschen es nicht zuläßt. Das geht u. a. auch daraus hervor,
Auslandsschule kann gar nicht genug hervorgeho- daß trotz schlechter Schulgebäude die tonangeben-
ben werden. Kinder der verschiedenen Nationen den Schichten der jeweiligen Länder versuchen, ihre
lernen einander kennen und verstehen. Ein toleran- Kinder in der deutschen Schule erziehen zu lassen.
tes, mitmenschliches Verhalten wird ihnen selbst-
verständlich. Wir sollten es uns also sehr überlegen, ob wir es
uns leisten können, den deutschen Auslandsschulen
Der Erfahrungsaustausch der Lehrer untereinan- gegenüber geizig zu sein. Eine Kürzung der Mittel
der wird ungemein stark befruchtet, der Horizont oder gar ein Abbau der Schulen, wie er gelegent-
geweitet, Abkapselung vermieden, Wechselbezie-
lich zugunsten der Errichtung allgemeiner Kultur-
hungen werden hergestellt, alles Faktoren, die der
institute gefordert wird und wie es vorhin eigent-
politischen Bildung förderlich sind. lich auch Herr Kollege Kahn-Ackermann ausgeführt
Deutsche Auslandsschulen tragen wesentlich zur hat, daß das Hauptmedium der Kultur eben diese
Entwicklungshilfe bei, wenn sie im richtigen Sinne, allgemeinen Kulturinstitute seien, würde eine der
nämlich als Bildungshilfe, verstanden werden. Nur wichtigsten Kommunikationsstellen für unsere kul-
so wird es möglich, daß auch der technische und turellen Bestrebungen einengen oder schädigen. Die
wirtschaftliche Bereich der Entwicklungshilfe wirk Folgen würden sich — wie immer im kulturellen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4733
Dr. Huys
Sektor — allerdings erst in späteren Jahren 'zeigen, gabte ausländische Schüler der deutschen Schulen
dann aber sicherlich empfindlich und sehr negativ. im Ausland sollten mehr als bisher Stipendien für
Es ist ja beliebt, notwendige Sparmaßnahmen immer ein Studium in Deutschland erhalten, zumal sie sich
auf dem kulturellen Sektor vorzunehmen, weil hier schneller auf den deutschen Hochschulen zurechtfin-
imalgendrstWieanzub- den, wenn sie an deutschen Auslandsschulen ihre
fürchten ist. Man vergleiche dies beim Honnefer Reifeprüfung abgelegt haben.
Modell im neuen Haushaltsplan. Daß der Schaden Hier mag auch die neue Form der sogenannten
einmal in nicht allzu ferner Zeit sichtbar wird, dar- Expertenschule ihren Ort haben. Sie ist notwendig,
über sind sich allerdings alle einig. Treiben wir also weil hier die Kinder deutscher Eltern unterrichtet
nicht eine Politik „nach uns die Sintflut", sondern werden, die technische, wirtschaftliche oder son-
suchen wir nach Maßnahmen, die helfen, aus der stige staatliche Aufträge ausführen. Warum sollen
finanziellen Enge herauszukommen, ohne daß wir aus diesen Schulen, die zunächst sehr zweckgebun-
so anerkannt wichtige Kulturzentren wie die deut- den sind, nicht wie in früherer Zeit langsam Kultur-
schen Schulen im Ausland aufgeben oder mangel- zentren erwachsen, auch wenn der Aufenthalt der
haft fördern. Deutschen dort nur vorübergehend geplant war!
Im Memorandum des Auswärtigen Amtes vom Auf jeden Fall sollte gewarnt werden vor einem
14. September 1962 wird festgestellt, daß es erstaun- Abbau deutscher Schulen aus rein finanziellen Grün-
lich sei, wie stark das Motiv, ihren Kindern deut- den. Der Verlust könnte sehr groß, ja, irreparabel
sche Erziehungsmethoden zugute kommen zu lassen, sein.
die nicht deutschstämmigen Eltern auch in solchen
Ländern bewegt, in denen die alten deutschen Schu- Mir scheint, daß die Frage nach den Lehrern, die
len nach dem letzten Krieg durch Landesgesetze ein- an deutsche Auslandsschulen zu gehen bereit sind,
geengt sind und einen Teil ihres ursprünglichen bedeutungsvoller als die finanzielle ist. In der Bun-
Charakters verloren haben. Ja, es kann hinzugefügt desrepublik Deutschland selbst herrscht akuter
werden, daß auch bauliche Unzulänglichkeiten die Lehrermangel. Dennoch sollte es eigentlich möglich
Eltern nicht abschrecken, ihre Kinder in diese Schu- sein, daß von den 180 000 Lehrern, die es in der
len zu schicken. Das Auswärtige Amt folgerte da- Bundesrepublik gibt, jährlich 100 bis 200 an deut-
mals mit Recht daraus, daß uns hier eine Möglich- sche Auslandsschulen abgegeben werden. Daher
keit gegeben ist, für die Grundsätze der freien Welt sollte man vielleicht die Anregung von Präsident
zu wirken, auf die nicht verzichtet werden sollte. Es Dr. Löffler, Stuttgart, aufgreifen, der vorschlug,
würde von den Gastländern nicht verstanden wer- junge deutschstämmige Menschen im Ausland für
den, wenn die Unterstützungen durch die Bundes- den Dienst an den von deutschen Schulvereinen ge-
republik nur deshalb eingeschränkt würden, weil tragenen Schulen an bestehenden oder noch zu
nicht alle Vorbedingungen erfüllt sind, die nach gründenden Lehrerseminaren auszubilden.
deutschen pädagogischen Vorstellungen erfüllt sein Auch die rechtliche Stellung des Lehrers im Aus-
müßten. Hier ist aus weltweiten Gründen jeder land ist trotz der Verträge oft so wenig erfreulich
kleinliche Maßstab abzulehnen. Ich möchte mich der und unsicher, daß viele allein deswegen vor dem
Feststellung des Auswärtigen Amtes anschließen und „Abenteuer" zurückschrecken.
diese hier ins Gedächtnis zurückrufen, die lautet:
Bei der Suche nach einer Lösung des Problems
Soweit ein angemessenes Verhältnis zwischen- der deutschen Auslandsschulen muß also neben der
deutschen und nichtdeutschen Schülern erhalten finanziellen Seite sehr akzentuiert auch die perso-
bleibt — dd. h. also die Zahlen der deutschen nelle einbezogen werden. Mir scheint, daß die Lö-
Schüler den ausländischen gegenüber nicht zu sung dieser Frage nicht nur durch grundsätzliche
klein wird — und die Vermittlung deutscher Erwägungen, von denen eben die Rede war, gefun-
Sprachkenntnisse und sonstiger kultureller den werden kann, sondern wesentlich auch von der
Werte nach deutschen pädagogischen Metho- organisatorischen Seite her angefaßt werden muß.
den nicht zu weit an den Rand des schulischen
Lebens gedrängt wird, sollte die Chance nicht Ob für das deutsche Auslandschulwesen eine
gering geachtet werden, die in diesem Beitrag Zentralstelle errichtet werden sollte oder nicht, muß
zur Verständigung der Völker abseits von allen ernsthaft überlegt werden, ebenso, welche Rechts-
Hintergedanken aggressiver Kulturpolitik ver- form man ihr geben soll. Jedenfalls erscheint es
gangener Zeiten liegt. Intensität und Tiefen- auch mir notwendig, daß das Auswärtige Amt u. a.
wirkung einer durch Jahre hindurch in täg- von den administrativen Aufgaben entlastet wird,
lichem Kontakt praktizierten Begegnung von damit es sich den Grundprinzipien dieser Arbeit
Angehörigen verschiedener Kulturen ist in besser zuwenden kann. Diese eventuell zu schaf-
ihrem Einfluß auf die Förderung des gegenseiti- fende Verwaltungsstelle müßte mit weit mehr päda-
gen Verständnisses der Nationen nicht zu unter- gogischem Fachpersonal ausgestattet werden, zumal
schätzen. Die geschaffenen Bindungen und es mit zwei Pädagogen im Auswärtigen Amt nicht
menschlichen Beziehungen tragen oftmals ihre getan ist. Diese wurden auch erst zum 1. Januar
politischen Zinsen. 1964 angefordert. Es sind ein Studienrat und 'ein
Volksschullehrer angefordert. Aber damit ist es bei
Wenn dieses von Schulen gesagt wurde, die nur 1200 Lehrern im Ausland, 137 Schulen und 300 wei-
noch zum Teil den alten Charakter haben, um wie- teren Schulen, die das Auswärtige Amt teilweise
viel mehr gilt das von den eigentlichen deutschen zu betreuen hat, und einem Etat von 50 Millionen
Auslandsschulen! Das möchte ich hier betonen. Be DM nicht getan; denn außer auf Planungs- und
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Dr. Huys
Lenkungsaufgaben für Neugründungen, Ausbau teln unterstützt werden sollte. Jeder enge Maßstab,
oder Schließung von Auslandsschulen unter kultur- ihre Förderungswürdigkeit betreffend, muß abge-
politischen oder pädagogischen Gesichtspunkten lehnt werden. Wir dürfen uns nicht dem Vorwurf
kommt es meines Erachtens besonders auf die aussetzen, irgendwo in der Welt eine Chance für
pädagogische Betreuung der Schulen an. die Repräsentanz unserer Bundesrepublik verpaßt
Sicherlich ist die Erarbeitung von Grundsätzen zu haben.
der Methodik oder Didaktik für Auslandsschulen Zweitens. Die Bedeutung und die Intensität der
wesentlich. Darüber hinaus jedoch scheint mir nach kulturellen Arbeit der deutschen Auslandslehrer
meinen Unterhaltungen mit zurückgekehrten Aus- und -schulen erfordert eine baldige Entscheidung in
landslehrern der pädagogische Kontakt mit den Verbindung mit den Ländern über eine Zentralstelle
Lehrern aller Schulsparten außerordentlich wichtig für auslandsdeutsche Schulen, eine bessere perso-
zu sein. Eine große Zahl von Auslandsschulen haben nelle Ausstattung des Schulreferates im Auswärti-
nämlich Kindergarten, Volks-, Mittel- und höhere gen Amt und eine bessere pädagogische Durchdrin-
Schule sozusagen in einer Einheit zusammengefaßt. gung dieser Arbeit.
Im allgemeinen scheint es bisher so zu sein, daß
ein Oberschulrat oder Oberstudiendirektor anläßlich Ich bin mir bewußt, an wen ich mich ganz beson-
einer Inspektionsreise oder der Abnahme einer ders zu wenden habe. Daher möchte ich mit dem
Prüfung — im übrigen ist es nicht so, wie Herr türkischen Sprichwort, das uns die deutschen Lehrer
Kahn-Ackermann vorhin gesagt hat, daß zwei Drit- in Istanbul für die Beseitigung ihrer Nöte mit auf
tel ohne Prüfungen und ohne Kontrolle sind; das den Weg nach Bonn gegeben haben, meine Ausfüh-
sind nur 47 von 137 Schulen — auftauchen, die Schu- rungen schließen. Das schöne und beherzigenswerte
len aufsuchen und nun pädagogisch beraten. Dabei türkische Sprichwort, lieber Haushaltsausschuß,
kommen meines Erachtens die Volks- und die Mit- lautet: „Meine Sorge an Dein Herz."
telschullehrer zu kurz. Ein Oberstudiendirektor ist (Beifall bei der CDU/CSU.)
nämlich kein Fachpädagoge für Volks- und Mittel-
schulen. Aber auch diese Lehrer wünschen innerhalb
von fünf oder sechs Jahren Auslandsaufenthalt eine Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
fachliche Beratung. Dieser Wunsch müßte bei dem Herr Abgeordnete Professor Dr. Schmid.
Stellenplan einer zu gründenden Zentralstelle für
auslandsdeutsche Schulen berücksichtigt werden. Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Herr Präsident!
Die Fluktuation des Personals des Schulreferates Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß der
im Auswärtigen Amt ist in der Antwort der Bundes- Herr Minister unsere Beratung verlassen mußte,
regierung als ein Hindernis für eine kontinuierliche sicher aus triftigen Gründen. Ich hätte ihm gern
Arbeit herausgestellt worden. Das gilt aber auch für einige Komplimente gemacht über seine Ausführun-
die Lehrer an den Auslandsschulen. Man sollte trotz gen — es hätte ihn vielleicht gefreut, wenn er sie
der vereinbarten Richtlinien von 1962 nochmals selbst hätte anhören können —, wie ich gleicher-
überlegen, ob man nicht längerfristige Verträge maßen meinen Vorrednern Komplimente machen
wenigstens für Leiter und Stammpersonal in jeder möchte, deren Fachwissen das meine weit übersteigt
Schulsparte und Fakultät abschließen sollte. Das ist und vor deren Realismus ich mich fast ein wenig
ein Wunsch, der uns auf der Besichtigungsreise - glaube schämen zu müssen. Denn ich werde von
öfter vorgetragen wurde. solch praktischen und handfesten Dingen nicht viel
sprechen können. Aber ich hatte mich auf diese
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas sagen, Debatte so gefreut, daß ich, obwohl ich sachlich dem
was mir auf meiner Reise aufgefallen ist. Durchweg schon Gesagten nicht viel hinzuzufügen habe, auf
werden Schulen von 500 bis 1000 Schülern von Ober- die Freude nicht verzichten möchte, hier vor diesem
studienräten und Grundschulen mittlerer Schüler- Hause sprechen zu dürfen.
zahl von Volksschullehrern geleitet, die eigentlich
Oberstudiendirektoren bzw. Rektoren oder Haupt- (Beifall.)
lehrer sein müßten. Nach meinen langjährigen Er-
fahrungen als Ratsherr im Personalausschuß meiner Wenn ich das Wort „Kulturpolitik" höre, be-
Heimatstadt würde ein Personalrat das zum stän- schleicht mich fast immer ein Unbehagen, verband
digen Klagepunkt in jeder Sitzung machen, daß sich doch mit diesem Wort vor noch nicht langer
nämlich ein Mann eine Tätigkeit ausübt, die sowohl Zeit die Vorstellung, eine spezielle Vorstellung,
dem Gehalt wie dem Rang nach bessergestellt sein gelegentlich auch eine akademisch geäußerte Vor-
müßte. Solche Anhebungen kämen sowohl dem An- stellung, der Staat könne Kultur machen und habe
sehen der Schule als auch innerhalb der Gesellschaft sie zu machen. Wenn ich gar von „Kulturpolitik im
dem „kleinen Botschafter Deutschlands" zugute. Im Ausland" reden höre, da steigen vor mir so Gespen-
übrigen wäre hier eine echte Gelegenheit für Bund ster auf, die mit dem Finger nach außen zeigen und
und Länder, dem bei der Behandlung der L-Besol- verkünden: Wir müssen doch denen draußen unsere
dung viel beklagten Mangel an Beförderungsstellen Kultur bringen; denn „Am deutschen Wesen soll
für Lehrer ein ganz klein wenig abzuhelfen. einmal die Welt genesen". Es ist gar nicht lange
her, daß diese Gespenster noch recht lebendige
Ich möchte meine Ausführungen dahin zusammen- Menschen gewesen sind. — Sie lächeln mir zu, Herr
fassen: Kollege Friedensburg, Sie scheinen meine Meinun-
Erstens. Die kulturelle Wirksamkeit der deutschen gen, meine Befürchtungen und meine Gespenster-
Auslandsschulen ist so groß, daß sie mit allen Mit angst zu teilen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4735
Dr. Schmid (Frankfurt)
Ich weiß, daß in diesem Saal niemand so denkt, tun, zu formen, zu bilden vermögen. Das Wort
und ich sage das wirklich, wie ich es meine. Aber Rankes vom Primat der Außenpolitik hat nur diesen
vielleicht ist es nicht schlecht, sich zu erinnern, daß einen Sinn.
die Zeiten nicht sehr fern sind, in denen in Deutsch- So kann in der Tat auch der Stand der Kultur in
land viele so gedacht haben, in denen es geradezu einem Volk ein außenpolitischer Faktor sein, ein
als ein Schibboleth für gutes Deutschtum galt, so zu Potential, wie man so gerne sagt, wobei ich unter
denken und so zu sprechen. Was uns das gekostet „Kultur" ganz schlicht verstehe: In welchen Formen,
hat, im Innern und außen, ich glaube, das wissen mit der Verkörperung welcher Werte, mit welchem
wir heute alle. Denn sehr vieles von dem, was in Grad der Fruchtbarkeit für uns selber und für an-
dieser Welt an Schrecklichem in unserem Namen dere verwirklichen wir, vergegenwärtigen wir un-
geschehen ist und geschehen konnte, ist mit durch sere schöpferischen Kräfte? Dabei meine ich das
diese Art des Verabsolutierens des Staates und Wort „vergegenwärtigen" in dem Sinne, in dem
gerade des Staates in bezug auf Geistiges möglich man oft das Fremdwort gebraucht: ver-repräsentie-
geworden, nicht geschehen, aber möglich geworden. ren wir uns in unseren schöpferischen Kräften? Der
Der Staat kann keine Kultur machen. Er kann Grad einer solchen Kultur kann recht bestimmend
bestimmte Lagen auf dem Felde der Kunst, der sein für die Reichweite des politischen Armes eines
Wissenschaft als politische Potentiale in Ansatz Staates.
bringen, wenn ich so sagen darf. Aber Kultur wird Was der Stand einer Kultur, ihre spezifische Art,
gelebt, wird nicht gemacht. Sie wird im Mutterschoß in anderen für Gefühle weckt, Sympathien, Anti-
des Volkes gelebt von vielen einzelnen, die sich pathien, kann positive oder negative Dispositionen
in dem Wissen zur Gemeinschaft verbunden fühlen, oder Trends schaffen, die so mächtig wirken kön-
daß sie identische Menschheitswerte auf gleiche nen wie das, was man gelegentlich die materiellen
Weise, auf gemeinsame Weise lieben und entschlos- Interessen der Staaten nennt. Denn eines ist nicht
sen sind, sie auf dem ihnen zugeordneten Boden zu zu vergessen: daß, was wir für unser Interesse hal-
verwirklichen. ten, glauben ansehen zu müssen, uns sehr häufig
Wenn Fichte recht hatte, wird aus. diesem Willen im Lichte unserer Sympathien oder Antipathien be-
heraus ein Volk zur Nation und damit geschichts- wußt wird oder überhaupt erst in diesem Lichte Ge-
mächtig und, ich glaube, damit auch etwas, das eine stalt gewinnt.
lebendige Kultur hervorzubringen vermag, die nie- Beispiel: Was bedeutet es für die Reichweite, die
mand zu machen braucht und die niemand machen politische Reichweite Großbritanniens, daß die Welt
kann. gefunden hat, daß das, was sie „british way of life"
Wenn ich das Wort Politik so häufig in Verbin- nennt, eine Sache ist, die den Menschen zu steigern
dung mit anderen Worten höre — Kulturpolitik, vermag! Was bedeutet es für die Reichweite Frank-
Sozialpolitik, Außenpolitik —, dann habe ich gele- reichs, die politische Reichweite Frankreichs, daß
gentlich die Sorge, daß man aus diesen Wortverbin- Frankreichs Hauptstadt Paris heißt, in der ganzen
dungen heraus eines vergessen könnte, nämlich: Welt geliebt, auch dort, wo man weiß, wie hart
daß all diese Dinge nicht besondere Arten der Poli- diese Stadt sein kann, wie grausam sie sein kann,
tik sind, sondern einfach Modalitäten des einen als die Stadt der Künste, als die Stadt des guten
Wortes, des einen Begriffes, den man Politik heißt. Geschmacks, die Stadt des „savoir vivre", der
Politik ist nichts anderes als die Bestimmung der Lebensart, und auch der „douceur de vivre", der
Lebensordnungen des Volkes im Staate und die Süßigkeit des Lebens! Denken wir an Rom, die Be-
Bestimmung der Stellung des Volkes im Koordi- deutung Roms für Italien! Ich will niemanden krän-
natensystem, in dem alle Staaten dieser Welt ver- ken und werde sicher niemanden kränken, wenn ich
flochten sind. sage, daß der Grund, weswegen vor dem ersten
Innen- und Außenpolitik, Kulturpolitik, Sozial- Weltkrieg Italien mit seinen relativ schwachen mili-
politik, alle diese Wortverbindungen bedingen sich, tärischen Kräften — die zählten doch damals be-
der Substanz nach, gegenseitig. Das Innere des Staa- sonders viel — in den Kreis der Großmächte auf-
tes bestimmt die Möglichkeiten des Staates, nach genommen wurde, dem Respekt zu verdanken ist,
außen zu wirken. Sie kennen vielleicht alle — um den man glaubte einem Volke nicht verwehren zu
von den Finanzen zu sprechen, von denen heute können, das der Welt so unendlich viel gegeben hat
erfreulicherweise wenig gesprochen worden ist — im Felde von Kunst und Wissenschaft. Ein großer
das Wort eines bekannten und berühmten fran- englischer Historiker hat vor dem ersten Weltkrieg
zösischen Außenministers: Macht mir gute Finan- Italien einmal eine „Respektsgroßmacht" genannt,
zen, und ich mache euch eine gute Außenpolitik. und ich glaube, dieses Wort ist gut und ehrenvoll
Oder das Wort, das unsere Schulmeister mit Recht für Italien.
gern im Munde führten: daß Königgrätz gewonnen Ich spreche von Deutschland. Was hat es alles für
worden sei durch die deutschen Schulmeister. Da die Möglichkeiten, hinauszuwirken über unsere
haben Sie beides, nicht wahr: daß das Innere die Grenzen hinaus, in der Zeit, als wir noch kein Deut-
Möglichkeit, nach außen und außen zu wirken, be- sches Reich waren, bedeutet, daß uns die Welt sah
dingt. nach dem, was das Buch der Madame de Staël, das
Umgekehrt schafft die Außenpolitik, das, was Buch über Deutschland, von uns gezeichnet hat! Wir
man dort erreicht, um die Stellung seines Staates waren damals vielleicht einer echten Großmacht
zu begründen im Kontext der Weltpolitik, den näher als später in der Zeit, wo man glaubte, Blut
Raum für das, was wir im Inneren zu leisten, zu und Eisen seien die hauptsächlichsten Beweger der
4736 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmid (Frankfurt)
Geschichte. Ich weiß durchaus, was in der Geschichte Eines sollten wir von vornherein ausschließen,
dieses Volkes notwendig war und nicht zu umgehen wenn wir an Kulturpolitik im Ausland denken,
war. Aber vielleicht haben wir in den Zeiten vor- etwas, von dem manche früher geglaubt haben,
her, als wir noch das Deutschland der Madame de das sei ihr Hauptzweck: den Versuch, eine Irre -
Staël waren und von der Welt so gesehen wurden, denta zu schaffen oder Irredenta zu organisieren
was kulturelle Wirkung anbetrifft und über diese oder von außen her eine Irredenta halten zu wollen.
hinaus Erhöhung unseres Ansehens in der Welt, Und das zweite: Wir sollten alles vermeiden, was
mehr gehabt als nachher. Nun, das nur nebenbei. da aussehen könnte, als wollten wir eine Art von
Bindestrich-Politik betreiben, Bindestrich-Amerika-
Wenn dem aber so ist, brauchte man eigentlich,
ner, Bindestrich-Italiener, Bindestrich-undsoweiter-
so glaube ich, Kultur nicht nach außen zu tragen,
Leute schaffen. Wir dürfen durch unsere kulturpoliti-
brauchte man sie nicht nach außen vorzuführen,
schen Bemühungen keine Deutsche schaffen wollen.
sicher nicht. Ihre Wirkung auch für die Außen-
politik beginnt zu Hause. Abgesehen davon: Außen Wer an dem teilnimmt, was wir zu bieten im-
vorführen kann man nur, was man hat und was stande sind, soll dadurch ein besserer Bürger seines
man ist. Trotzdem, ein Volk hat sich auch im Aus- Landes werden können. Und was haben wir denn zu
land darzustellen. Es kann nicht mehr damit rech- bieten? Wir haben sehr viel zu bieten. Freilich wer-
nen, daß man es nur bei sich selber anschauen den viele von uns der Meinung sein, daß das, was
will. Es wird auch, von außen betrachtet, sehr häu- andere von uns glauben mit Vorzug bieten zu sol-
fig nicht so richtig gesehen, wie es gesehen werden len, nicht das Richtige ist. Jeder von uns hat seine
müßte, um richtig beurteilt zu werden; denn zwi- Vorlieben, jeder von uns hat seine Kriterien, seine
schen diesem Innen und Außen stehen eben seit Kategorien. Das ist gut so. Aber wir sollten viel-
einigen Dingen, . die auf unser Schuldkonto zu leicht an ein Wort denken, das ein großer Franzose,
schreiben sind, einige verzerrende Glaswände, die Jean Jaurès, um die Jahrhundertwende ausgespro-
das Bild trüben, das man von uns haben sollte. chen hat. Als in der französischen Linken Stimmen
Und da ist es schon gut, wenn wir nach außen gehen laut wurden, es ginge doch nicht an, daß man Ver-
und zeigen, wie wir sind. Die Regierung hat die sailles feiere, das doch von dem Tyrannen Ludwig
Aufgabe, dies möglich zu machen, dem einen Rah- XIV. unter Ausbeutung von Hunderttausenden bra-
men zu geben, auch einen institutionellen Rahmen ver Menschen erbaut worden sei, sagte er: „Tout ce
zu geben, Ort und Zeit zu bestimmen, Mittel zur qui est national, est nôtre". Alles, was zur Bildung
Verfügung zu stellen, Prioritäten aufzustellen, zu unserer Nation geführt hat, gehört uns allen ge-
lenken und auszuwählen. Diese Dinge würde ich meinsam und allen zusammen.
Kulturpolitik im Ausland nennen und nicht sehr
viel mehr als das. Daran sollten wir denken, wenn wir uns fragen:
Wie soll denn dieses Deutschland nach außen hin
Jener Talleyrand, den man so gern zitiert,
vergegenwärtigt werden? Und da meine ich, daß es
pflegte seinen Botschaftern eine einzige Instruktion
für einen Sozialdemokraten durchaus wohlgetan ist,
mitzugeben: „Faites aimer la France." — „Eure
etwa Friedrich den Großen zu rühmen, wie es Ihnen
Aufgabe besteht darin, in eurer Person und durch
(nach rechts) gut anstände, etwa einige der großen
eure Tätigkeit Frankreich liebenswert zu machen."
Männer der deutschen Arbeiterbewegung zu rüh-
Das ist nicht nur ein Bonmot gewesen; das war,
men. Denn wenn dieses Deutschland das ist, was es
glaube ich, eine vortreffliche politische Instruktion
heute ist, ist es auch diesen Menschen zu verdan-
an Diplomaten, die ins Ausland geschickt werden.
ken, daß es so ist, wie es ist. Ich glaube, wenn wir
Insoweit ist es eine Aufgabe von uns allen, wenn
so denken, dann wird manches nicht mehr passieren,
wir ins Ausland gehen, uns so aufzuführen, so zu
was früher häufig passiert ist und was heute leider
sprechen und so darzustellen, daß in unserer Person
Gottes manchmal noch passiert ist.
und durch uns das Volk, das Land, dem wir an-
gehören, liebenswert erscheint. Aber trotzdem gibt Ich sagte, wir haben viel zu bieten. Was sollen
es hier einige besondere Fachprobleme, möchte ich wir bieten? In was sollen wir uns darstellen? Nun,
sagen, eine Spezialisierung des Problems; das be- ein Volk ist etwas sehr Komplexes, ich möchte sa-
trifft eben die Außenpolitik als solche. gen, in all dem, in dem wir schöpferisch geworden
Wie kann man und mit welchen Mitteln die Men- sind. Das ist zunächst einmal die Kunst. Warum
schen draußen immer wieder davon überzeugen, daß wollen wir nicht das schöpferische Vermögen un-
Deutschland ein Land ist, das liebenswert ist, mit seres Volkes zeigen — wir können das und können
dem auch in andere als kommerzielle Beziehungen, dabei manchen Wettbewerb bestehen —, die Wis-
als Beziehungen der Techniker untereinander zu senschaft zeigen, was darin an geistiger Disziplin
treten einen Sinn haben könnte, ein Land, durch steckt, nicht nur an sogenannten Leistungen und Er-
dessen Kontakt man vielleicht selber eine Steige- folgen — das ist vielleicht nicht einmal so sehr das
rung erfahren könnte, so wie sehr viele glauben, es Entscheidende —, die Bildung, die Weite, die Tiefe,
zu erleben, wenn sie eben an Frankreich denken? den Reichtum dessen, was wir Deutschen — muß ich
Ich denke an das Wort eines großen Amerikaners, sagen: einst? — an Bildung hatten, an Bildung zu
eines der Stifter Amerikas: „Jeder hat zwei Vater- verkörpern imstande waren, auch an Universalität,
länder, seines und Frankreich." Auch das ist nicht an Weltläufigkeit und an Weltgehalt? Ich glaube,
einfach als Bonmot abzutun. Dieses Wort bringt daß es draußen manche gibt, die gern daran teilneh-
wirklich einiges, recht vieles, zum Ausdruck, das men würden.
sich in dieser Welt politisch recht real und recht Wir haben auf einem ganz anderen Gebiet Zeug-
konkret ausgewirkt hat. nisse der Gediegenheit und der Redlichkeit unseres
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4737
Dr. Schmid (Frankfurt)
Arbeitens vom kleinen Werkstück bis zum größten Wir können unsere deutschen Maler, unsere deut-
hin zu bieten. Auch das ist etwas, in dem ein Volk schen Bildhauer getrost draußen ausstellen. Wir soll-
sich darstellt. ten es vielleicht häufiger tun, als wir es machen. Ich
Und last not least der Sport. Ich meine das wirk- habe es selbst erlebt, wie 'das in Paris gewirkt hat,
lich so: der Sport, der vielverlästerte. Ich sage das als man als eine der ersten deutschen Ausstellungen
trotz der Sportbeilagen mancher Zeitungen, die zu eine große Ausstellung der sogenannten deutschen
lesen nicht immer Freude bereitet. Aber ich sehe im Primitiven gemacht hat, also der Künstler vor der
Sport auch einen Ort, an dem ein Volk sich verge- Renaissance. Das war eine Offenbarung für die
genwärtigt, an dem ein Volk sein schöpferisches Franzosen. Sie hatten nicht gedacht, daß so etwas
Vermögen darzustellen vermag. Ich werde darüber im finsteren Deutschland jenseits der Wälder mög-
noch einiges zu sagen haben. lich gewesen sein könnte. Und die Ausstellung der
deutschen Expressionisten, die jüngst in Paris ge-
Gehen wir zurück zur Kunst, zur Musik. Wo nach wesen ist, hat genauso gewirkt. Es schlägt für uns
diesem zweiten Krieg, nach all dem Schrecklichen, zu Buche, wenn ein so begabtes und im Felde der
was damals geschehen ist, wir unsere Musik nach Kunst so schöpferisches, so reiches Volk wie die
außen getragen haben, da schien auf einmal verges- Franzosen sagt: Auch die Deutschen sind keine Bet-
sen zu sein, was an Bösem an unserem Namen hing, telmänner auf diesem Feld, auch die Deutschen
da wurden die Leute aufgeschlossen, da konnte man haben aus eigenem etwas gebracht und nicht nur als
wieder mit ihnen sprechen, wenn man den Versuch unsere Schüler und gar als unsere Kopisten.
dazu in der gebotenen Bescheidenheit und Scham
machte. Da ist es nicht bloß die große symphonische Aber 'bei allen diesen Dingen gebe man immer
Musik und die Kammermusik; auch die moderne nur die erste Qualität nach draußen! Non multa, sed
Musik sollten wir draußen hören lassen. Denn auch multum, lieber einige Dinge weniger, einige Auf-
hier haben wir Deutsche, glaube ich, besondere führungen weniger, kleinere Ausstellungen, weni-
Schöpferkraft bewiesen, die draußen anerkannt ger, aber dafür wirklich das Beste, Dinge, die sich
wird. Und wenn ich von uns Deutschen spreche, mö- mit dem Besten draußen vergleichen lassen.
gen mir das unsere österreichischen Freunde nicht Es wurde von meinem Freund Kahn-Ackermann
verübeln: in diesen kulturellen Dingen sind wir von den Gesprächen mit Dichtern aus der Sowjet-
doch immer noch etwas, das zusammengehört. zone gesprochen, die stattgefunden haben, von de-
Denken wir, wenn wir von der Musik sprechen, nen, wie er meinte, nicht genug Notiz genommen
auch an das deutsche Lied, nicht bloß an die großen worden sei. Ich glaube, er hat recht. Wir sollten
Opern. Vergessen wir nicht, daß die Franzosen dar- auch solche Dinge tun, hier und draußen. Ich glaube,
aus ein französisches Wort gemacht haben — le wir sollten den Dialog ruhig wagen. Denn es gibt
lied —; damit bezeichnen sie gerade diese spezifi- eine Reihe von Ländern — Italien, Frankreich —, in
sche Art von Musik, die von uns in Deutschland, denen — leider Gottes, wenn Sie wollen — ein
sagen wir von Beethoven über Schubert, Wolf und großer Teil der Intelligenzia der Meinung ist, man
Brahms, der Welt geschenkt worden ist. müsse nach Osten schauen, wenn man zeitgenös-
sisch, lebendig kulturell schöpferisch werden wolle.
Das Theater! Wo wir mit Theater hingekommen
Wenn wir den Leuten zeigen, daß man gar nicht so
sind, war es genauso. Auch dort wurde neidlos an-
weit dort hinüberzuschauen braucht, sondern daß
erkannt, daß wir Deutsche hier etwas zu bieten
man auch im Gespräch mit uns auf Dinge stoßen
haben, etwas, das das Urteil über uns vielleicht ver-
kann, die ganz und gar aus dieser Zeit sind und viel-
ändern müßte. Ich habe jüngst in einer großen Pari-
leicht sogar in die Zukunft weisen, könnte das,
ser Zeitung gelesen, in der von einer deutschen
meine ich, auch politisch zu Buche schlagen. Es gibt
Theateraufführung die Rede war und wo der Schluß-
in Rom eine Institution der Zonenregierung, das
satz war: Vielleicht sollten wir doch über die Deut-
Centro Thomas Mann — Zentrum Thomas Mann —,
schen anders denken, als man das bisher landauf,
von dem nun wirklich wie von einem Magneten
landab glaubte tun zu sollen.
diese ganze Intelligenzia Roms angezogen wird. Die
Auch da möchte ich etwas sagen, was wohl nicht Leute — ich habe mit ihnen gesprochen — sind tat-
jedem gefallen wird: man soll nicht gleich laut auf- sächlich der Meinung, daß von den Deutschen nur
schreien, wenn ein deutsches Theater 'im Ausland von dort her, von Pankow her irgend etwas Neues,
Bert Brecht spielt. Sehen Sie, dieser Bert Brecht ist etwas nach Gerhardt Hauptmann, wenn nicht gar
ein großer deutscher 'Dichter, ein Mann mit einer nach Goethe, zu erwarten sei.
sehr verhängnisvollen politischen Leidenschaft —
Ich meine, wir sollten diesen Dialog ruhig wagen,
sicher, war er! Aber es war ein wirklicher Dichter,
sollten dieses Gespräch führen. Ich hoffe, daß wir
einer der wenigen echten Dichter, die wir in den
uns behaupten können. Sollten wir uns dabei nicht
letzten Jahrzehnten gehabt haben. Und so sieht
behaupten können, werden wir vielleicht auch dar-
man ihn auch draußen. Man schreibt diesen Mann
aus etwas lernen, nämlich lernen, daß es so mit un-
nicht auf das Konto Kommunismus, sondern auf das
seren Bemühungen um uns selbst nicht weitergehen
Konto deutsche Leistung. Ich glaube, wir sollten den
kann.
Mut haben, das als eine solche Leistung gelten zu
lassen. Ich möchte sagen, auch in diesen Dingen gibt Nun, die Wissenschaft! In der Wissenschaft bleibt
es weder ein ideologisch gespaltenes noch ein poli- man zu Hause. Aber man sollte doch die Möglich-
tisch gespaltenes Deutschland, sondern da gibt es keit schaffen, daß man unser deutsches wissenschaft-
eben Deutschland. liches Bemühen von draußen her kennenlernt, bes-
(Beifall.) ser kennenlernt, als es heute der Fall ist. Wir dürfen
4738 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmid (Frankfurt)
doch nicht vergessen, welches politische Potential, und Außenpolitik gehört zur Kompetenz des Bun-
welcher Sympathiekredit uns durch die großartigen des; ganz schlicht!
Leistungen der deutschen Wissenschaft im 19. Jahr- (Abg. Dr. Martin: Das ist aber sehr um
hundert und im ersten Drittel dieses Jahrhunderts stritten!)
zugewachsen ist. Es hat etwas für uns bedeutet —
auch politisch —, was das Urteil der französischen — Ich weiß es, und ich erlaube mir, meine Meinung
Oberschicht z. B. über die Deutschen anbetrifft, daß dazu zu sagen. Oder glauben Sie wirklich, daß die
die französischen Universitäten am Ende des Frage, wie eine deutsche Schule in Mexiko oder in
19. Jahrhunderts glaubten, sich , auf dem Modell der Bangkok aussehen soll, etwas ist, was die Kultur-
Deutschen — gerade auf dem Gebiet der Natur- hoheit Hamburgs oder Hessens oder Bayerns inter-
wissenschaften und auch gewisser Geisteswissen- essieren könnte, wenn man nicht nur an Ämter-
schaften — reformieren zu sollen. Man studierte patronage denkt?
früher in Deutschland, wenn man glaubte, die Wis- (Zuruf von der Mitte: Aber die kümmern
senschaft ernst nehmen zu sollen. Wie ist es heute? sich darum!)
Heute studiert man in den Vereinigten Staaten von
Amerika, in Großbritannien, in Frankreich, in Ruß- — Haben sie schon gefragt, wenn sie das tun, wie
land! Man studiert auch in Deutschland, aber längst sie es können? Ich glaube, das sind Dinge, die in der
nicht mehr mit diesem absoluten Wertakzent, den Bundeskompetenz liegen, und hier sollte der Bund
man früher diesem Studium gegeben hat. seine Kompetenz in Anspruch nehmen.
Ich glaube, wir sollten hier einiges tun, um abzu- (Beifall im ganzen Hause.)
helfen; nicht um Kultur zu machen, wie gesagt, aber Er kann es auf den verschiedensten Gebieten, auf
um Raum zu schaffen, um Mittel zu geben. die verschiedenste Weise. Ich sprach schon von den
Stiftungen könnten hier viel helfen; Stipendien Stiftungen; es wären auch noch andere Dinge zu
könnten viel helfen, nach innen und nach außen. nennen. Sie haben schon viele Details gehört, und
Wir könnten mit diesen Stipendien Ausländer zu ich will nicht weiter bei diesen Details verweilen.
uns bekommen, und vielleicht würden wir bessere Nur soviel möchte ich hier sagen: Warum soll der
bekommen, und vielleicht würden wir sie leichter Bund nicht eine Bundeslaufbahn für Lehrer an deut-
bekommen, wenn diese Dinge nicht unmittelbar vom schen Auslandsschulen und für Leiter deutscher
Staat in die Hand genommen würden. Es müßte so Kulturinstitute im Ausland schaffen,
sein wie in Amerika; ich denke an die Ford Foun- (Beifall)
dation. Die Thyssenstiftung, die Duisbergstiftung
sind solche Stiftungen. Aber ich glaube, es sollten eine Bundeslaufbahn, wie die Franzosen eine natio-
mehr sein und sie sollten mehr Mittel haben. nale Laufbahn für diese Zwecke geschaffen haben?
Dort riskiert eine Schule nicht, daß man nach drei
Noch wichtiger wäre, daß deutsche Gelehrte an Jahren den Lehrer abberuft, weil es an der Zeit ist,
ausländische Forschungsanstalten oder an Univer- daß er wieder nach Hause kommt; dort kommt der
sitäten gehen, nicht nur um Entwicklungshilfe zu Mann von Stockholm nach Kopenhagen, und dann
leisten — natürlich ist das wichtig, vordringlich wird er vielleicht nach Warschau versetzt. Kurz und
wichtig; ich brauche darüber kein Wort zu verlieren, gut, dort können Erfahrungen weiter verwertet
daß das meine Meinung ist —, sondern man sollte werden, und es kann etwas wie ein Korpsgeist ge-
diesen Menschen die Möglichkeit geben, langfristig- schaffen werden, was der Sache nicht schadet. Ich
ins Ausland zu gehen, nicht als „verlorener Haufen", meine, wir sollten das wagen. Wer macht mit von
der vergessen wird, wenn er ein paar Jahre draußen denen, die Beifall geklatscht haben, falls man im
war; sie sollen mit einer Equipe, mit einer Mann- Bundestag einen entsprechenden Antrag für ein
schaft hingehen, damit sie über das hinaus wirken solches Gesetz einbringt? Ich frage: wer von Ihnen
können, was sie als einzelne gerade noch tun könn- macht mit?
ten.
(Abg. Dr. Martin: Ich mache mit!)
Wir sollten dabei nicht nur an die Naturwissen-
schaften und an die Medizin denken; wir sollten — Ausgezeichnet! Wir sprechen uns wieder.
auch z. B. an die Philosophie denken. Vergessen wir (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Martin:
doch nicht, daß wir Deutschen in der Welt doch Herr Professor, es ist im Grundgesetz leider
schlechthin als das Volk der Philosophie der Mo- nicht drin!)
derne galten. Auch das hat uns einen Sympathie-
kredit gegeben, den wir nicht geringschätzen kön- — Das Grundgesetz ist interpretationsfähig. Darf ich
nen. Ich glaube wirklich, wir sollten auch daran Ihnen ein kleines Beispiel erzählen, wie man inter-
denken. pretieren kann, wenn man es mit seinem Staat ernst
meint: In der Verfassung der Vereinigten Staaten
Nun kommen manche, heben den Finger und
steht kein Wort, daß die Union berechtigt sei,
sagen: Aber, wir sind doch ein föderalistischer Staat,
direkte Steuern zu erheben. Aber es steht darin, daß
all diese Dinge, die Du da präkonisierst, stören
unsere föderalistische Struktur und passen nicht. die Union verpflichtet ist, eine Flotte zu bauen. Nun,
was sie an Einnahmen bekam, das reichte nicht aus.
Ich will dazu ein ganz freies und offenes Wort sa-
gen. Diese Dinge — Kulturpolitik im Ausland — (Zuruf rechts: Stiftung Flotte! — Heiterkeit.)
haben nichts mit der inneren Kulturhoheit der — Da würde ich widerraten. Aber ein großartiger
Länder zu tun, das ist deutsche Außenpolitik, Richter, der Richter Marshall vom obersten Bundes-
(Zustimmung des Abg. Dr. Martin) gericht, hat vor rund 120 Jahren ein Urteil gefällt,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4739
Dr. Schmid (Frankfurt)
das dahingeht: Wenn die Verfassung der Union die ten dabei nicht nur Starleistungen vorführen, son-
Verpflichtung auferlegt, eine Flotte zu unterhalten, dern wir sollten Mannschaftsleistungen vorführen.
dann muß die Union auch die Möglichkeit haben, Wie haben die Russen davon profitiert, daß sie mit
sich das Geld dazu zu verschaffen, diese Flotte zu ihren Mannschaften bei fast allen großen inter-
bezahlen; also kann sie direkte Steuern erheben, nationalen sportlichen Wettbewerben immer mehr
wenn sie auf andere Weise nicht zu Geld kommt. an die Spitze gekommen sind!
— Das ist, glaube ich, schöpferische Jurisprudenz,
durch die die Verfassung nicht verdreht und ver- (Abg. Dr. Friedensburg: Weil sie nicht an
die Amateurregeln gebunden sind!)
kehrt wird, sondern durch die die Verfassung im
Sinne ihrer Schöpfer interpretiert wird. — Ja, ich weiß es. Nun, da gab es früher schon
Ein Weiteres — ich habe auch davon schon ge- Kontroversen. Wenn man etwa sagte: „Die Kaval-
sprochen —, mit dem wir uns im Ausland darstel- lerieoffiziere sind doch keine Amateure, wenn die
len können, ist unser technisches Können. Deutsch- bei den Olympischen Spielen mitreiten; das ist ihr
land als das Land des Made in Germany von einst Beruf, dafür werden sie bezahlt", hat man trotzdem
ist etwas, das sich, glaube ich, draußen vorstellen mit Recht gesagt: „Es sind Amateure." Was Sie
kann, und das ist etwas, das auf die Vorstellungen hier gegen den Postangestellten oder Eisenbahner
rückwirkt, die man von Deutschen überhaupt hat: einwenden, der viel frei bekommt, um trainieren
Deutschland als das Land der Qualität. Nur sollten zu können, das konnte man auch von anderen sa-
wir um Gottes willen nicht glauben, wir seien die gen. — Ich brauche hier nicht zu sagen, daß mir
einzigen, die technisch etwas können und die Quali- der reine Amateur der liebste Sportler ist.
tät zu schaffen vermögen. Wir sind durchaus nicht Wie gesagt: nicht in erster Linie mit jedem Mit-
die einzigen; bei weitem nicht! Aber wir gehören tel siegen wollen, sondern zeigen, wie man auch.
auch zu denen, die das können, und wir sollten auf dem grünen Rasen das Humane zu verwirk-
das zeigen. Wir sollten Ausstellungen, technische lichen vermag. Ich glaube, das kann man zeigen,
Leistungen zeigen; wir sollten das vielleicht mehr und das hat man schon gezeigt.
als heute draußen zeigen. Wir sollten es nicht nur
auf Messen zeigen, wo wir hoffen können, daß uns Meine Damen und Herren, ich habe Sie wohl
etwas abgekauft wird; wir sollten es auch so zei- schon zu lange aufgehalten. Ich weiß, das alles
gen, ohne Hoffnung, daß es gekauft wird. Ich habe kostet Geld, sicher viel Geld, wahrscheinlich mehr
in Island erlebt, daß mir Isländer sagten: „Die So- Geld, als wir heute dafür ausgeben können. Aber
wjetzone bringt dauernd Ausstellungen technischer ich glaube, das zahlt sich aus, diese Investitionen
Art." Die glauben allmählich, die sind die einzigen, lohnen sich. Vielleicht können wir eines Tages das
die so etwas können. „Ihr tut das nicht, weil es Geld, das wir für bestimmte Dinge heute aufwen-
etwa 80 000 Mark kostet. Das Geld bringt man nicht den und aufwenden müssen, nur noch aufwenden,
auf." Ich habe an das Auswärtige Amt berichtet; weil uns der Ruf, den wir uns im Ausland zu ver-
mir wurde gesagt: „Leider ist es so; aber das Geld schaffen vermocht haben, uns eine Stellung gegeben
ist eben nicht aufzubringen." Ich glaube, daß Geld, hat, die uns diese Möglichkeiten erlaubt. Umge-
das auf diese Weise ausgegeben würde, gut ange- kehrtes könnte bedeuten, daß wir das eines Tages
legtes Geld wäre. nicht mehr könnten.
Nun, Deutschland, das Land der guten Leistung, Das alles stellt Fragen nach der Organisation. Die
sollte nicht selbstgefällig werden auf Grund dieses - will ich hier nicht erörtern. Das alles erfordert Phan-
Wissens um seine Leistungsfähigkeit, man sollte
tasie, Mut zu Neuerungen. Wir brauchen nicht im-
das nicht dazu benutzen, auch dem Ausland gegen- mer in den alten Formen zu handeln, so sehr sie
über seine Schätzung der Technik zu überwerten.
sich auch bewährt haben mögen. Es gibt andere
Es ist nicht gut, wenn man glaubt, am Deutschen
Formen, die der Zeit angepaßter sein mögen. Mir
die Fähigkeit zum Roboterdasein nach außen hin
schwebt immer etwas vor wie das British Council,
anpreisen zu sollen; auch das geschieht ja manch-
diese großartige Organisation, die praktisch all das
mal.
in Händen hat, was man Kulturpolitik im Ausland
Ich sprach vom Sport. Auch dieser schafft unter nennt, oder gewisse Stiftungen, wie die Ford Foun-
Umständen politische Geltung. Denken Sie daran, dation und anderes. Und wenn hier unsere Landes-
welchen Zuwachs an politischem Kredit und Poten- regierungen sagen sollten, daß man damit den Föde-
tial das kleine Finnland erhalten hat, als seine ralismus aushöhle, — nun, die Max-Planck-Gesell-
Läufer auf Olympischen Spielen Sieg um Sieg nach schaft z. B. hat doch den Föderalismus nicht ausge-
Hause brachten. Wir haben in Amerika zum ersten- höhlt, obwohl sie ihn auf manchen Gebieten völlig
mal wieder in breiten Massen Resonanz gefunden überflüssig gemacht hat. Man sollte diese Dinge
als Germans, als die Boxweltmeisterschaft an einen einmal in allgemeinerem Zusammenhang und ex
Deutschen fiel, an jenen Schmeling. Nun, denken professo erörtern. Ich bin für die Zusage des Herrn
Sie von mir, wie Sie wollen, nachdem ich das ge- Außenministers dankbar, daß er dies besorgen will.
sagt habe. Ich sage das, weil es meine Meinung Der Auswärtige Ausschuß ist sicher der rechte Ort
ist, daß ein Volk sich auch auf diese Weise nicht dafür.
nur in Erinnerung bringen kann, sondern etwas
auszumachen vermag. Man soll dabei nicht nur Aber man sollte diese Dinge vielleicht noch in
zeigen, daß man im Wettkampf siegen kann, man einem anderen Zusammenhang erörtern; denn hier
soll dabei zeigen, w i e man siegen kann — das geht es doch um recht Diffiziles, um recht Komple-
scheint mir das Wichtige zu sein —, und wir soll xes. Wir können uns das ein anderes Mal über-
4740 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Staatssekretär Lahr
glaube, auch hierauf kann ich jetzt im einzelnen nicht an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik
eingehen. Das sollte in dem zuständigen Ausschuß — mitberatend —. — Es ist so beschlossen.
und in einer systematischen Weise geschehen. Ich
meine, wir sollten alle Gedanken, die heute abend Ich rufe den Punkt 27 auf:
geäußert worden sind, dort in aller Ruhe durch- Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
gehen; dann wird diese Aussprache ihre nachhaltige schusses für Gesundheitswesen (11. Ausschuß)
Wirkung haben. über den Antrag der Abgeordneten Struve,
Dasselbe gilt für die Fragen, die einige Herren Glüsing (Dithmarschen), Tobaben, Kuntscher,
Abgeordnete an mich gerichtet haben. In einem Hermsdorf, Dr. Schmidt (Gellersen), Dr. Tamblé,
Punkte, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann, muß Peters (Poppenbüll), Dr. Miessner und Ge-
ich Ihnen entschieden widersprechen, nämlich Ihrer nossen betreffend Konservierungsmittel für
Bemerkung, daß die Kulturpolitik im Auswärtigen Fischwaren (Drucksachen IV/1622, IV/1730).
Amt nicht richtig bewertet würde, daß sie dort so Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Pannhoff
etwas wie ein Stiefkind sei. Das ist einfach nicht als Berichterstatterin.
richtig. Es mag sein, daß unter Angehörigen des
Auswärtigen Amtes der älteren Generation hie und Frau Dr. Pannhoff (CDU/CSU) : Herr Präsident!
da eine solche Ansicht vertreten worden ist; aber Meine Damen und Herren! Zur Klarstellung und
das zu verallgemeinern, ist nicht berechtigt. um Mißverständnisse zu verhindern, halte ich es für
Wir sehen ganz klar, daß sich in der Wirkungs- notwendig, einen Satz meines Schriftlichen Berichtes
weise des auswärtigen Dienstes in den letzten anders zu formulieren. Es handelt sich um den Satz
Jahren — man kann auch sagen, Jahrzehnten — auf der Rückseite des Berichts in der linken Seite,
Veränderungen ergeben haben. Während früher, viertletzte Zeile, der mit den Worten beginnt: „Auf
sagen wir, die reine Politik im Vordergrund stand, ausdrückliche Befragung . . .". Diesen Satz möchte
sind heute andere Gebiete dazugekommen und ich folgendermaßen umformulieren:
haben sich sehr stark in den Vordergrund gerückt; Auf ausdrückliche Befragung antworteten die
das ist die Handelspolitik, das ist die Entwicklungs- Sachverständigen, die sich experimentell mit
politik, und das ist auch die Kulturpolitik. In einem Hexamethylentetramin befaßt hatten, daß sie
jungen Entwicklungsland ist die Tätigkeit des deut- keine ernstlichen Bedenken gegen die Zu-
schen Missionschefs im wesentlichen nicht die, sich lassung von Hexamethylentetramin für die
mit bilateralen politischen Fragen — sie existieren Dauer von zwei Jahren hätten.
meist gar nicht — oder mit den Fragen der großen Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrag des Aus-
Weltpolitik zu befassen; daran sind diese Länder schusses zuzustimmen.
meist gar nicht interessiert, denn sie sind mit ihren
eigenen Dingen befaßt. Dort muß sich der Missions-
chef auf das konzentrieren, was die Leute interes- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke der Frau
siert: Fragen der Entwicklungshilfe, der Handels- Berichterstatterin.
politik und in zunehmendem Maße auch der Kulur- Wir stimmen ab über den Antrag des Ausschusses
politik. Bei alten Ländern wie in Südamerika kann auf Drucksache IV/1730. Wer zustimmt, gebe bitte
man sagen, daß das Hauptarbeitsgebiet die Handels- ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
politik und die Kulturpolitik ist. Auf dem Gebiet der- ich bitte, die Abstimmung durch Erheben zu wieder-
Kulturpolitik haben wir vieles zu bieten, anderes holen. Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! —
als die Engländer oder Franzosen; aber ich möchte Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist ange-
sagen: doch Gleichwertiges. Es gehört zu den er- nommen.
freulichen Feststellungen bei der Betätigung auf
diesem Gebiet, wenn man im Gespräch mit den Ich rufe den Punkt 28 auf:
Ausländern in den Ländern, in denen wir Kultur- Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
politik betreiben, das Echo erfährt. Es gibt hier schusses für Verkehr, Post- und Fernmelde-
wirklich eine Welle der Sympathie, der Anerken- wesen (23. Ausschuß) über den von der Bun-
nung, ich kann auch sagen: der Bewunderung, die desregierung zur Unterrichtung vorgelegten
uns da entgegenschlägt. Entwurf einer Entscheidung über die vor-
Ich darf schließen, indem ich die verschiedenen herige Prüfung und Beratung von Rechts- und
Tätigkeitsgebiete des Auswärtigen Amtes und ihre Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten
Wirkungsweise auf eine kurze Formel bringe: mit der EWG auf dem Gebiet des Verkehrs
der Bündnispolitik schafft man sich Bundesgenossen, (Drucksachen IV/34, zu IV/34, IV/1668).
mit der Handelspolitik Geschäftspartner und mit der Ich danke dem Herrn Berichterstatter, Herrn Ab-
Kulturpolitik Freunde; so sehen wir die Kultur- geordneten Haage, für seinen Schriftlichen Bericht.
politik, und so handhaben wir sie.
Wir stimmen über den Antrag des Ausschusses
(Beifall bei den Regierungsparteien.) auf Drucksache 1668 ab. Ich nehme an, daß gegen
den Antrag keine Bedenken bestehen. — Der
Antrag ist angenommen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Es liegt vor der
Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 370. Vorge- Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:
sehen ist die Überweisung an den Ausschuß für Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus
auswärtige Angelegenheiten — federführend — und schusses für Arbeit (21. Ausschuß) über den
4748 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Beratung findet nicht statt. Es ist vorgesehen Über- Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Birrenbach.
weisung an den Außenhandelsausschuß — feder- Ich danke ihm für seinen Bericht. — Das Haus soll
führend — und an den Ausschuß für Ernährung, von dem Bericht Kenntnis nehmen. - Das ist ge-
landwirtschaft und Forsten — mitberatend —. — Ich schehen.
stelle Einverständnis fest.
Punkt 35 der Tagesordnung:
Ich rufe Punkt 32 der Tagesordnung auf: Beratung der Übersicht 18 des Rechtsaus-
a) Beratung des Schriftlichen Berichts des schusses (12. Ausschuß) über die dem Deut-
schen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor
Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß)
dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache
über die von der Bundesregierung vor-
gelegte Dreiundzwanzigste, Vierundzwan- IV/1686).
zigste und Fünfundzwanzigste Verordnung Ich nehme an, daß dem Antrag des Ausschusses,
zur Änderung des Deutschen Zolltarifs von einer Äußerung zu diesen Streitsachen abzu-
1963 (Drucksachen IV/1600, IV/ 1635, IV/ sehen, zugestimmt wird. — Ich stelle das fest; der
1636, IV/1719), Antrag ist angenommen.
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des-
Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) Punkt 36 der Tagesordnung:
über die von der Bundesregierung vorge- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
legte Sechsundzwanzigste, Siebenund- Schmidt (Gellersen), Frehsee, Seither, Saxow-
zwanzigste und Dreißigste Verordnung zur ski und Genossen
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963
betr. Sonderregelung für die Zulassung von
(Drucksachen IV/1637, IV/1638, IV/1662,
IV/1718).
Mähdreschern im Straßenverkehr (Drucksache
IV/1701).
Es liegen vor die Berichte der Herren Kollegen
Margulies und Müller (Erbendorf). Ich danke den Der Antrag soll dem Ausschuß für Verkehr, Post-
Berichterstattern. Auf das Wort wird verzichtet. und Fernmeldewesen überwiesen werden. — Es ist
Eine Aussprache wird nicht gewünscht. so beschlossen.
Der Ausschuß schlägt I nen vor, den aufgerufenen
h
Die Punkte 29 und 39 sollen am Freitag behandelt
Verordnungen unverändert zuzustimmen. Wer das
werden.
tun will, den bitte ich um das Handzeichen. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegen- Damit sind wir für heute am Ende. Ich danke
stimmen. Keine Enthaltungen; ich stelle die einstim- Ihnen für Ihre Geduld.
mige Annahme fest.
Unter der Voraussetzung, daß keine Debatte ge- Ich berufe die nächste Sitzung ein auf morgen,
wünscht wird; rufe ich auf Punkt 33: Donnerstag, den 12. Dezember, 14 Uhr.
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außen- Ich schließe die heutige Sitzung.
handelsausschusses (17. Ausschuß) über die
von der Bundesregierung vorgelegte Ver-
ordnung über die Senkung von Abschöpfungs (Schluß der Sitzung: 21.11 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4749
Der Deutsche Bundestag erwartet von der Bundes- 2. In Artikel I erhält Nummer 7 folgende Fassung:
regierung, daß sie dieser Feststellung bei allen Wirt- ,7. § 54 Nr. 1 erhält folgende Fassung:
schafts- und Kreditverhandlungen mit Entwicklungs-
ländern Rechnung trägt und sich in noch stärkerem „1. Die in § 1 Abs. 1 festgelegte Abgeord-
Maße als bisher in diesem Rahmen um den Ab- netenzahl verringert sich auf 498, die
schluß von Vereinbarungen über die Vermeidung Zahl der nach § 1 Abs. 2 nach Kreis-
der Doppelbesteuerung bemüht. wahlvorschlägen zu wählenden Abge-
ordneten auf 249."'
Bonn, den 10. Dezember 1963 Im Lande Niedersachsen erhöht sich die Zahl der
Wahlkreise von 30 auf 31.
Dr. Löbe 3. Artikel 1 Nr. 8 wird die Anlage wie folgt ge-
Dr. Imle ändert:
Dr. Atzenroth
Deneke Nr. des
Wahl Name des Wahl Gebiet des Wahl
Dorn kreises kreises kreises
Dr. Effertz
Ertl
Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) 20 Aurich-Emden Kreisfreie Stadt
Frau Funcke (Hagen) Emden
Dr. Hoven Landkreise
Frau Dr. Kiep-Altenloh Aurich und
Kreitmeyer Emden
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 21 Leer-Wittmund umfassend Land-
Mertes kreise Leer und
Murr Wittmund
Opitz
22 Wilhelmshaven umfassend kreis-
Peters (Poppenbüll)
Ramms Friesland freie Stadt Wil-
Reichmann helmshaven und
Soetebier Landkreis Fries-
Dr. Supf land
Wächter Folgende Nummern rücken nach.
Walter
Bonn, den 10. Dezember 1963
„Artikel i
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein- Das Spar-Prämiengesetz in der Fassung vom
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung 16. Februar 1963 (Bundesgesetzbl. I S. 92) wird wie
des Spar-Prämiengesetzes (Drucksachen IV/1654, folgt geändert:
IV/1712).
1. § 1 wird wie folgt geändert:
Der Bundestag wolle beschließen: a) In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die fol-
1. In Artikel 1 Nr. i erhält Buchstabe a folgende gende Nummer 4 angefügt:
Fassung: „4. Grundbeträge des Anspruchs auf Haupt-
,a) In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die fol- entschädigung, in deren Höhe nach § 252
gende Nummer 4 angefügt: Abs. 3 des Lastenausgleichsgesetzes
Schuldbuchforderungen oder Schuldver-
„4. Grundbeträge des Anspruchs auf Haupt- schreibungen erworben werden."
entschädigung, in deren Höhe nach § 252
Abs. 3 des Lastenausgleichsgesetzes b) Absatz 3 erhält die folgende Fassung:
-
Schuldbuchforderungen oder Schuldver- „(3) Als Wertpapiere im Sinne des Absat-
schreibungen erworben werden." zes 2 gelten auch Schuldbucheintragungen, bei
denen der Gläubiger verlangen kann, daß ihm
2. Artikel 1 Nr. 3 erhält folgende Fassung: an Stelle seiner Schuldbuchforderung eine
„3. In § 8 Abs. i wird der zweite Satz gestri- Schuldverschreibung erteilt wird."
chen."
c) Die bisherigen Absätze 3 und 4 werden Ab-
Bonn, den 10. Dezember 1963 sätze 4 und 5.
Partnerländern und insbesondere die angemes- Die Standardmaße für Briefsendungen (Länge zwi-
sene Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse in schen 14 und 23,5 cm. Breite zwischen 9 und 12 cm)
einem vielsprachigen Europa zu intensivieren; bilden einen Rahmen, der die deutschen Industrie-
sich um 'bessere organisatorische und personelle normen A 6, C 6 und DL mit umfaßt. Innerhalb
Voraussetzungen für die deutsche Kulturarbeit dieses Rahmens ist es — wie jahrelange technische
und , das deutsche Schulwesen im Ausland zu be- Vorarbeiten ergeben haben — möglich, Briefsendun-
mühen und bei den Ministerpräsidenten der Bun- gen maschinell und automatisch zu behandeln.
desländer darauf hinzuwirken, daß genügend
Dieses Ergebnis ist mit Vertretern des Deutschen
sprach- und sachkundige Beamte aus den Bun- Industrie- und Handelstages und des Deutschen
desländern für ¡die kulturelle Auslandsarbeit zur Normenausschusses sorgfältig erarbeitet worden.
Verfügung stehen; Die von der Deutschen Bundespost vorgesehenen
4. im Einvernehmen mit den Bundesländern auf die Standardmaße wurden von den Mitgliedern der
gegenseitige Anerkennung von Abschlußprüfun- europäischen Postkonferenz und von den zustän-
gen, Reifezeugnissen, Hochschulprüfungen und digen Ausschüssen des Weltpostvereins als Emp-
Semestern in , den Mitgliedsländern des Europa- fehlungen übernommen.
rates hinzuwirken und die Kultusverwaltungen- Soweit Fotos der Presseagenturen den Standard-
der Bundesländer aufzufordern, hier voranzu- maßen nicht entsprechen, sind sie keineswegs von
gehen; der Postbeförderung ausgeschlossen; sie müssen
5. zu prüfen, ob sich die bisherige Form der Träger- aber, da sie wegen ihrer Größe nicht maschinell
schaft der deutschen Auslandsschulen bewährt behandelt werden können, mit der entsprechend
hat, und ob neue Schulen im Ausland gemeinsam höheren Gebühr für größere Briefsendungen freige-
mit anderen Ländern errichtet werden können, macht werden. Die Gebührendifferenz beträgt im
dem Bundestag bis zum 1. April 1964 über die übrigen bei Drucksachen bis 20 g nur 5 Pf.
Lage der deutschen Auslandsschulen, den Stand
ihres Ausbaues, die in ihnen jeweils angestrebten
Bildungsziele — auch im Hinblick auf die Schul-
gesetze des Gastlandes — zu berichten;
Anlage 18
dafür zu sorgen, daß Absolventen deutscher Aus
landsschulen bei Vergabe von Stipendien aus Schriftliche Antwort
Bundesmitteln angemessen berücksichtigt werden;
des Herrn Staatssekretärs Bornemann vom 9. De-
6. das Goethe-Institut zu veranlassen, jährlich einen zember 1963 auf die Mündlichen Anfragen des Ab-
Erfahrungs- und Arbeitsbericht vorzulegen und geordneten Schmidt (Würgendorf) (Drucksache
¡die kontinuierliche Betreuung erfolgreicher Kurs- IV/1665 Frage XV/10 und XV/11).
teilnehmer sicherzustellen;
Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß der Landkreis
7. dem Bundestag bis zum 1. März 1964 zu berichten, Wittgenstein in Nordrhein-Westfalen am 13. und 14. November
1963 durch einen Schaden am Hauptkabel ohne Fernsprech- und
inwieweit die zwischen der Bundesrepublik und Fernschreibverbindung zur Außenwelt war?
anderen Staaten abgeschlossenen Kulturabkom- Welche Maßnahmen wird die Deutsche Bundespost treffen, um
men in den Bundesländern verwirklicht wurden die in Frage XV/10 geschilderte, von der Bevölkerung und
Wirtschaft dieses Raumes mit Sorge und Empörung registrierte
und in welcher Weise die in den Abkommen vor Panne für die Zukunft auszuschalten?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4755