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D eutscher Bundestag
96. Sitzung

Bonn, den 14. November 1963

Inhalt:

Abg. Mischnick — stellvertretendes Mit Frage des Abg. Dr. Eppler:


glied des Wahlprüfungsausschusses . . 4367 A
Aktion Deutsch-Französische Freund-
Fragestunde (Drucksache IV/1614 [neu]) schaft
Frage des Abg. Seuffert: von Hase, Staatssekretär . . , 4372 B, C, D
Lärmbelästigung beim Flugplatz 4373 A
Schleißheim Dr. Eppler (SPD) 4372 B
Hopf, Staatssekretär 4367 B, D, 4368 A, B Dr. Schäfer (SPD) 4372 C
Seuffert (SPD) 4367 D
Dr. Mommer (SPD) 4372 C, D
Ertl (FDP) 4368 A
Frau Meermann (SPD) 4373 A
Mertes (FDP) . . . . . . . . 4368 A, B

Frage des Abg. Dr. Steinmetz:


Rechtsunwirksame Beförderungen in Frage des Abg. Kaffka:
der früheren deutschen Wehrmacht
Mit Moslems verheiratete deutsche
Hopf, Staatssekretär 4368 C, D Frauen
Dr. Steinmetz (CDU/CSU) . . . 4368 D Dr. Carstens, Staatssekretär . , 4373 B, C, D,
4374 A, B
Frage des Abg. Dr. Kohut: Kaffka (SPD) 4373 C
Unbewohnte Einfamilienhäuser in
Wahn Dr. Schäfer (SPD) 4373 C
Dr. Dollinger, Bundesminister . 4369 A, B, C Jahn (SPD) 4373 D
Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . 4369 B, C Dr. Rinderspacher (SPD) . . . . 4374 A, B

Fragen des Abg. Dr. Aigner:


Luitpold-Hütte in Amberg
Frage des Abg. Welslau:
Dr. Dollinger, Bundesminister . . . 4369 C,
4370 B, C, D, 4331 A, C, D, 4372 A Einkommen einer Arbeitnehmerfamilie
mit drei Kindern
Dr. Aigner (CDU/CSU) . . . . 4370 A, B,
4371 A, B, 4372 A Blank, Bundesminister 4374 C
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Frage des Abg. Welslau: Entwurf eines Sechsten Gesetzes über die
Eigenheimerwerb einer Arbeitnehmer- Anpassung der Renten aus den gesetz--
familie mit drei Kindern bei 700 DM lichen Rentenversicherungen sowie über
Einkommen die Anpassung der Geldleistungen aus
der gesetzlichen Unfallversicherung (Sech-
Lücke, Bundesminister . 4374 D, 4375 A, C stes Rentenanpassungsgesetz 6. RAG)

Welslau (SPD) 4375 A (Drucksache IV/1584) — Erste Beratung ; —

in Verbindung mit dem


Dr. Schäfer (SPD) 4375 B, C
Dr. Aigner (CDU/CSU) . . . . 4375 D Bericht der Bundesregierung über die Ent-
wicklung der wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit und der Produktivität sowie die
Frage der Abg. Frau Meermann: Veränderungen des Volkseinkommens je
Erwerbstätigen und über die Finanzlage
Verteilung der Mappe „Schwarz auf der gesetzlichen Rentenversicherungen
Weiß" (Sozialbericht 1963) (Drucksache IV/1486)
Lücke, Bundesminister . . 4375 D, 4376 A Blank, Bundesminister 4379 D
Frau Meermann (SPD) . . 4375 D, 4376 A Dr. Franz (CDU/CSU) 4381 D
Dr. Schellenberg (SPD) 4384 B
Frage des Abg. Dröscher: Spitzmüller (FDP) 4387 A
Uranerz Verarbeitung im Steinautal
-

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des


Lenz, Bundesminister 4376 B, C Einkommensteuergesetzes (Abg. Dr. Burg-
Dröscher (SPD) 4376 B, C bacher, Scheppmann, Arendt [Watten-
scheid], Dr. Aschoff u. Gen.) (Drucksache
IV/1555) — Erste Beratung — 4390 A
Frage des Abg. Dröscher:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Verfälschtes Eigelb Einkommensteuergesetzes (SPD) (Druck-
Frau Dr. Schwarzhaupt, sache IV/1567) — Erste Beratung —; in
Bundesminister . 4376 D, 4377 A, B, C Verbindung mit dem
Dröscher (SPD) . . . . 4376 D, 4377 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Dr. Roesch (SPD) 4377 A, B Einkommensteuergesetzes (SPD) (Druck-
Frau Dr. Kiep-Altenloh (FDP) . 4377 B, C sache IV/1568) — Erste Beratung und—

dem

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des


Frage des Abg. Folger: Körperschaftsteuergesetzes (SPD) (Druck-
Bittere Mandeln sache IV/1569) — Erste Beratung —
Frau Dr. Schwarzhaupt, Seuffert (SPD) 4390 B
Bundesminister . . . 4377 C, 4378 A Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 4394 B
Folger (SPD) . . . . . . . . . 4378 A Dr. Artzinger (CDU/CSU) . . . 4397 A
Dr. h. c. Dr.-Ing. Möller (SPD) . . 4400 D

Frage des Abg. Dröscher: Dr. Imle (FDP) . . . . . . . 4403 D

Signalanlagen innerhalb von Ortsdurch- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
fahrten rung des Bundesentschädigungsgesetzes
Dr. Dahlgrün, Bundesminister 4378 B, C, D, (2. ÄndG - BEG) (Drucksache IV/1550)
4379 A — Erste Beratung ; in Verbindung mit

dem
Dröscher (SPD) 4378 C, D
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesrückerstattungsgesetzes
Fragen des Abg. Seidel (Fürth):: (Drucksache IV/1549) — Erste Beratung —
Verlegung amerikanischer Anlagen aus Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 4406 B,
dem Langwassergebiet der Stadt Nürn 4423 A
berg Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU) . 4411 C
Dr. Dahlgrün, Bundesminister . 4379 A, C Hirsch (SPD) 4418 A
Seidel (Fürth) (SPD) 4379 B, C Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . 4424 C
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 III

Entwurf eines Gesetzes über Umstellung Entwurf eines Gesetzes über den Übergang
der Abgaben auf Mineralöl (Drucksache des zur Bundeswasserstraße Elbe gehöri-
IV/1473); Schriftlicher Bericht des Finanz- gen Nebenarms „Alte Süderelbe" auf die
ausschusses (Drucksachen IV/1613, zu IV/ Freie und Hansestadt Hamburg (Druck-
1613) — Zweite und dritte Beratung — sache IV/1593) — Erste Beratung —. . 4449 A
Dr. Bleiß (SPD) . . . . 4427 A, 4433 B
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Drachsler (CDU/CSU) . . . . . . 4429 C Rennwett und Lotteriegesetzes (Druck-
-

Dr. Imle (FDP) . . . . . . . . 4431 D sache IV/1587) — Erste Ber atung . . 4449 A

Dr. Eppler (SPD) . . . . 4434 A, 4435 B


Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Dr. Stecker (CDU/CSU) . . . . . 4434 D Offshore-Steuergesetzes (Drucksache IV/
Mertes (FDP) . . . . . . . . . 4435 C 1589) — Erste Beratung — 4449 A

Antrag betr. Vorlage des Entwurfs eines Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Gesetzes zur Förderung der wissenschaft- wirtschaftlichen Besitz des Bundes über
lichen Forschung (SPD) (Drucksache IV/ den Antrag des Bundesministers der Finan-
1494) zen betr. Zustimmung zur Überlassung
junger Anteile an wirtschaftlichen Unter-
Dr. Lohmar (SPD) . . . 4436 A, 4447 D nehmungen an andere Bezieher als den
Dr. Hahn (Heidelberg) (CDU/CSU) . 4439 A Bund; hier: Kapitalbeteiligung des Lan-
Dr. Hellige (FDP) . . . . . . . 4442 A des Nordrhein-Westfalen und des Ver-
eins für die bergbaulichen Interessen an
Lenz, Bundesminister . . . . . . 4444 B der Treuhandstelle für Bergmannswohn-
stätten im rheinisch-westfälischen Stein-
Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag kohlenbezirk mbH in Essen (Drucksachen
vom 16. Mai 1961 mit der Republik Togo IV/1389, IV/1610) 4449 A
über die Förderung der Anlage von Kapi-
tal (Drucksache IV/592) ; Schriftlicher Be- Schriftlicher Bericht des Ernährungsaus-
richt des Wirtschaftsausschusses (Druck- schusses über den Antrag der Abg. Loge-
sache IV/884) — Zweite und dritte Be- mann, Sander, Wächter u. Gen. betr.
ratung — 4448 C EWG Agrarpreispolitik (Drucksachen IV/
-

1258, IV/1611) 4449 C


Neunundzwanzigste Verordnung zur Ände-
rung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zoll- Nächste Sitzung 4449 D
kontingent für feste Brennstoffe) (Druck-
sache IV/1612) 4448 D Anlagen 4451
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96. Sitzung

Bonn, den 14. November 1963

Stenographischer Bericht Einwohner der in den letzten Jahren erbauten Groß


siedlung, auf die sich die Anfrage wohl bezieht,
Beginn: 9.00 Uhr durch den Lärm der Hubschrauber gestört werden.
Bei der hier entstehenden Lärmbelästigung ist
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich eröffne die Sit- jedoch zu berücksichtigen, daß der Flugplatz seit
zung. vielen Jahren besteht und deshalb bei der Planung
der in der Nähe errichteten Großsiedlung mit ge-
Zunächst eine amtliche Mitteilung: Für den aus wissen Lärmstörungen von vornherein zu rechnen
dem Wahlprüfungsausschuß ausgeschiedenen Abge- war. Diese neu entstandene Siedlung liegt nämlich
ordneten Dürr hat die Fraktion der FDP mit Schrei- nur etwa 1,5 km vom Rand des Flugplatzes und noch
ben vom 6. November 1963 den Abgeordneten weniger weit von den Flugzeughallen entfernt.
Mischnick als stellvertretendes Mitglied des Wahl-
prüfungsausschusses vorgeschlagen. Ich nehme an, Im Zusammenwirken mit der amerikanischen
daß das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden Armee wird das zur Zeit geprüft und nach Möglich-
ist. — Damit ist der Abgeordnete Mischnick als stell- keiten gesucht, die eine Entlastung für die Bevölke-
vertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschuß rung bringen würden. Ich darf mir erlauben, Sie,
gewählt. Herr Abgeordneter, später über das Ergebnis der
Prüfung zu benachrichtigen.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verle-
sung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 7. No-
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz-
vember 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kreyssig, frage, Herr Abgeordneter Seuffert.
Arendt (Wattenscheid), Bergmann, Birkelbach, Frau Dr. Elsner,
Faller, Kriedemann, Seifriz, Frau Strobel und Fraktion der SPD
betr. Haushalt des Europäischen Parlaments — Drucksache IV/
1572 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1615 Seuffert (SPD) : Herr Staatssekretär, ist es denn
verteilt.
wirklich nicht möglich, wenigstens die Einflugschnei-
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe se für Hubschrauber, die ja nicht seit 50 Jahren,
Punkt 1 auf: sondern mit ihren Lärmstörungen erst seit einigen
Jahren existieren, von diesem Wohngebiet, das
Fragestunde (Drucksachen IV/1614 [neu], IV/ ebenfalls erst seit einigen Jahren besteht, wegzu-
1618). verlegen?

Zunächst kommen wir zu den Fragen aus dem Ge-


schäftsbereich des Bundesministers der Verteidi-
Hop i, Staatssekretär im Bundesministerium der
gung. Verteidigung: Herr Abgeordneter, ich werde auch
das prüfen lassen. Ich bitte nur, zu berücksichtigen,
Ich rufe die Frage I/1 — des Herrn Abgeordneten daß das etwas schwierig insofern ist, als dort sowohl
Seuffert — auf: Propellerflugzeuge als auch Hubschrauber fliegen.
Ist es nicht möglich, die Lärmbelästigung des Münchner Woh- Sie müssen wegen 'der Lebensgefährdung ausein-
nungsgebietes am Hasenbergl durch die Übungsflüge der Hub-
schrauber des Flughafens Ober-Schleißheim abzustellen oder ein- andergehalten werden. Diese Frage wird mit geprüft
zuschränken und das Wohngebiet als Sperrzone für derartige
Übungsflüezrkä?
werden. Ich darf Ihnen auch 'darüber berichten.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Seuffert (SPD) : Bis wann, Herr Staatssekretär,
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der kann ich eine Nachricht erhalten?
Verteidigung: Der seit rund 50 Jahren bestehende
Flugplatz Schleißheim ist zur Zeit Flugplatz für Ein- Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der
heiten der Amerikaner und der deutschen Bundes- Verteidigung: Herr Abgeordneter, wenn es sich nur
wehr. Er wird mit Hubschraubern und Propellerflug- um nachgeordnete Dienststellen des Verteidigungs-
zeugen beflogen. Je nachdem, ob Propellerflugzeuge ministers handelte, könnte ich Ihnen einen Termin
und Hubschrauber gleichzeitig üben, und je nach nennen. Es ist aber auch eine amerikanische Einheit
Wetterlage müssen die Hubschrauber verschiedene auf diesem Flugplatz, und darauf habe ich natürlich
Platzrunden fliegen. Beim Fliegen der südlichen keinen Einfluß. Ich werde aber bemüht sein, auch
Platzrunde ist es leider nicht vermeidbar, daß die auf 'diese Frage 'beschleunigt eine Antwort zu geben.
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Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- Durchbrechen der Schallmauer zu verhindern. Der
frage Herr Abgeordneter Ertl. Motorenlärm kann dadurch etwas vermindert wer-
den, daß man die Auspuffrohre usw. etwas gegen
Ertl (FDP) : Herr Staatssekretär, sind Ihnen die den Lärmdurchlaß verbarrikadiert. Beim Durchbre-
Pläne bezüglich einer Trabantenstadt auf dem Flug- chen der Schallmauer tritt aber eine knallartige
platz Schleißheim bekannt? Wird der Platz in Zu- Kompression der Luft ein, für deren Verhinderung
kunft als Flugplatz dennoch aufrechterhalten? es keine technische Möglichkeit gibt. Die Frage
wird noch sehr viel akuter werden, wenn riesen-
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der große Verkehrsflugzeuge mit Überschallgeschwin-
Verteidigung: Es besteht nicht die Absicht, den Flug- digkeit die Bundesrepublik überfliegen.
platz aufzulösen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die von
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- Herrn Abgeordneten Dr. Steinmetz gestellte Frage
frage Herr Abgeordneter Mertes. I/2 auf:
Trifft es zu, daß Beförderungen in der früheren deutschen
Wehrmacht, die mit Namensliste vom 21. April 1945 durch Erlaß
Mertes (FDP) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen be- vom 30. April 1945 ausgesprochen, aber den Beförderten nicht
bekanntgegeben wurden, rechtsunwirksam sind?
kannt, daß allein am vergangenen Wochenende über
dem Stadtgebiet Stuttgart dreimal die Schallmauer Bitte, Herr Staatssekretär!
durchbrochen wurde? Und sehen Sie Möglichkeiten
einer besseren Identifizierung der Flugzeuge? Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der
Verteidigung: Nach einem allgemeinen Grundsatz
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der des öffentlichen Rechts bedurfte auch im Wehrrecht
Verteidigung: Herr Abgeordneter, zur ersten Frage bis 1945 eine Beförderung zu ihrem Wirksamwerden
darf ich sagen, daß Sie vielleicht verstehen werden, der Bekanntgabe an den zu befördernden Soldaten.
daß es mir nicht bekannt ist. Sie sind der erste, der Abweichend hiervon wurden die Beförderungen
mich darauf anspricht. Eine Identifizierung der Flug- während des Krieges gefallener, verstorbener und
zeuge mit dem Auge ist wohl unmöglich, da die vermißter Soldaten in dem Zeitpunkt wirksam, in
Schallmauer grundsätzlich nur in mindestens dem sie vollzogen wurden. Die Anwendung dieser
10 000 m Höhe durchbrochen werden darf. Eine Iden- Vorschrift war allerdings seit dem 23. November
tifizierung mit Hilfe der Flugzeugerfassung durch 1944 ausgesetzt.
Radar geschieht laufend. Wir bemühen uns, festzu-
Eine Beförderung in der ehemaligen Wehrmacht,
stellen, von welcher Nation die Flugzeuge sind.
die im April 1945 zwar verfügt, dem Soldaten aber
Aber ich möchte nicht ohne weiteres behaupten, daß
nicht mehr dienstlich bekanntgegeben wurde, ist da-
die Schallmauer direkt über der Stadt durchbrochen her nicht wirksam.
wurde. Der Schall geht beim Durchbrechen der
Schallmauer nach vorn und in einem Winkel von
etwa 45 Grad nach beiden Seiten. Man kann also Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage!
aus dem furchtbaren Knall und dem Klirren der Fen-
sterscheiben nicht ohne weiteres schließen, daß es Dr. Steinmetz (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
über der Stadt war. halten Sie es nicht auch für sehr ungerecht, daß
Die Schwierigkeiten sind bei uns ungeheuer groß. durch diese Rechtslage für ehemalige Wehrmachts-
Bei der engen Besiedlung der Bundesrepublik ist angehörige, die im Frontdienst waren, die Beförde-
fast jeder Durchbruch durch die Schallmauer mit rung nicht wirksam wurde, während für ihre Kame-
einer starken Belästigung verbunden. Deshalb be- raden, denen die Beförderung durch glückliche Um-
mühen wir uns sehr darum, die Ausbildung unserer stände vorschriftmäßig übergeben werden konnte,
Flugzeugführer in ausländischen Staaten vornehmen der volle Genuß dieser Beförderung eintrat?
zu können, und zwar in Gebieten mit möglichst dün-
ner Besiedlung. Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der
Verteidigung: Herr Abgeordneter, ,ich bin zwar Ihrer
Ansicht. Aber gewisse Ungleichheiten und Ungerech-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
tigkeiten werden sich niemals vermeiden lassen.
satzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Dais Bundesministerium der Verteidigung ist im
übrigen für die Problematik einer etwaigen nach-
Mertes (FDP) : Herr Staatssekretär, gibt es eine träglichen Änderung dieser Gesetzgebung nicht zu-
Stelle in der Bundesrepublik, die versucht, alle Be- ständig.
schwerden dieser Art zentral zu erfassen und die
Meldungen auszuwerten, um zu einem Ergebnis zu
kommen, das Besserung verspricht? Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär.
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der Die Fragen aus dem Geschäftsbereich der Herrn
Verteidigung: Diese Stelle gibt es, und zwar im Bun- Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
desverteidigungsministerium. Ich darf Ihnen aber werden ,am Freitag beantwortet.
ganz offen sagen: Es gibt keine Möglichkeit, die sehr Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
starke und unangenehme Lärmbelästigung beim bereich des Bundesschatzministers. Ich rufe die von
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14, November 1963 4369
Vizepräsident Dr. Dehler
dem Herrn Albgeordneten Dr. Kohut gestellte Frage Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage!
III/1 auf:
Trifft es zu, daß in Wahn bei Köln etwa 70 bundeseigene Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, kann man nicht
Einfamilienhäuser seit mindestens sieben Monaten unbewohnt
sind? eine Zwischenlösung zur Finanzierung solcher Repa-
raturen finden? Schließlich weiß man ja, daß man
Bitte, Herr Minister!
das Geld bekommt. Es ist doch kein Zustand, daß
die Häuser solange leerstehen, weil kein Geld für
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich darf die Reparaturen vorhanden ist.
die Frage .des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut wie
folgt beantworten.
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Es ist ohne
Die britischen Stationierungsstreitkräfte haben 68 Zweifel kein angenehmer Zustand. Ich hoffe, daß
bundeseigene Einfamilienhäuser in Wahn Heide im - es uns in Zukunft gelingen wird, Derartiges zu ver-
März 1963 freigegeben. Die Häuser mußten vor der meiden, und daß wir, wie ich in meiner Antwort auf
Vermietung an Angehörige der Bundeswehr mit Ge- Ihre Frage ausführte, die Mittel in Zukunft schnel-
samtkosten von 340 000 DM instandgesetzt werden. ler vergeben können.
Die Mittel konnten aber zunächst nicht in ihrer ge-
samten Höhe bereitgestellt werden, weil durch § 8 Vizepräsident Dr. Dehler: Die Frage ist beant-
des Haushaltsgesetzes 1963 20 v. H. der Bauunter- wortet. Ich rufe dann auf die Frage III/2 — des
haltungsmittel einer Sperre unterlagen, die nur vom Herrn Abgeordneten Dr. Aigner — :

Herrn Bundesminister der Finanzen im Benehmen mit Treffen Zeitungsmeldungen zu, daß der Herr Bundesschatz-
dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft aufgeho- minister in Erlangen davon gesprochen hat, die Bundesregierung
beabsichtige, den Anteil des Bundes an der Luitpold-Hütte in
ben werden konnte. Unter Zurückstellung anderer Amberg zu verkaufen, oder hat er entsprechende Schritte gegen
dringender Bauunterhaltungsarbeiten war es nach diese eventuelle Falschmeldung unternommen?

Freigabe der Wohnungen zunächst möglich, einen Bitte, Herr Minister!


Betrag von 130 000 DM zur Verfügung zu stellen.
Auf diese Weise konnten 20 Einfamilienhäuser bis Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich darf
zum 31. Juli 1963 hergerichtet und bezogen werden. die erste Frage des Kollegen Dr. Aigner wie folgt
Vom Februar 1963 ab bemühte sich mein Haus um beantworten.
die Aufhebung der Sperre. Diese Verhandlungen mit Die wirtschaftliche Entwicklung der Luitpoldhütte
dem Herrn Bundesminister der Finanzen führten am AG, Amberg, an der der Bund über die Salzgitter
13. August 1963 zum Erfolg. Die Oberfinanzdirektion AG mit 75,25 % und der Freistaat Bayern mit
Köln leitete auf meine Veranlassung noch am glei- 24,75 % beteiligt sind, war in den letzten Jahren
chen Tage die Instandsetzung der restlichen 48 rückläufig. Der Umsatz des Unternehmens ist in den
Wohnungseinheiten ein. Inzwischen sind weitere 11 beiden letzten Jahren um 20 % zurückgegangen. Die
Einfamilienhäuser bezogen worden. Die restlichen Belegschaft hat sich im vergangenen Jahr um etwa
37 Wohnungen sind innerhalb von vier Wochen be- 10 % auf rund 2300 Personen verringert. Das Unter-
zugsfertig. nehmen wird beeinträchtigt durch die allgemeine
Zur Vermeidung von Wiederholungsfällen werde Entwicklung auf dem Eisen- und Stahlmarkt sowie
ich mich bei den Haushaltsberatungen 1964 dafür durch seinen für den Bezug der benötigten Kohle
einsetzen, ,daß die Bauunterhaltungsmittel bei Kap. und für den Absatz der Produkte ungünstigen
24 03 Tit. 400 in Zukunft nicht mehr einer Sperre Standort. Es kommt hinzu, daß die eigene Erzgrund-
im Rahmen der Baukonjunkturdämpfung unterlie- lage des Unternehmens in absehbarer Zeit erschöpft
gen. Einen entsprechenden, jedoch erfolglosen Vor- ist. Eine Stillegung von Bergbau und Hütte würde
schlag hat der Herr Kollege Windelen als Bericht- ca. 800 bis 1000 Arbeitsplätze beseitigen. Ferner
erstatter für den Einzelplan 24 bereits bei den Haus- wird der Absatz der von dem Unternehmen her-
haltsberatungen 1963 im Haushaltsausschuß ge- gestellten Gußrohre durch den steigenden Wett-
macht. bewerb auf dem Gebiete der Kunststoffrohre beein-
trächtigt.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, Seit meinem Amtsantritt als Bundesschatzminister
Herr Dr. Kohut! habe ich diese unbefriedigende Entwicklung der
Luitpoldhütte aufmerksam beobachtet. Bei einer Be-
Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, sollte man nicht sichtigung des Werkes im Juni dieses Jahres habe
angesichts des grotesken Zustandes, daß der Bund ich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens
seine eigenen Häuser nicht reparieren lassen kann, mit dem Vorstand eingehend erörtert. Ich bin der
weil er keine Mittel hat, diese Häuser lieber priva- Auffassung, daß im Hinblick auf die Bedeutung der
tisieren? Luitpoldhütte für Amberg und den dortigen Wirt-
schaftsraum alle Möglichkeiten, die Wirtschaftskraft
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich darf des Unternehmens wieder herzustellen und damit
bemerken, daß immerhin der Standort eines solchen die Arbeitsplätze zu sichern, sorgfältig geprüft wer-
Hauses sehr wichtig ist. Es handelt sich hier um den müssen. Eine der hierfür bestehenden Möglich-
Häuser auf einem Flugplatz. Wir haben Schwierig- keiten könnte in der Umstellung des Produktions-
keiten mit der Unterbringung von Familien der Bun- programms liegen, wie sie vom Vorstand mit der
deswehr. Es wäre deshalb wohl falsch, solche Häu- Aufnahme der Produktion von Kunststoffrohren
ser zu privatisieren. vorgeschlagen ist. Als eine andere Möglichkeit
4370 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Dr. Dollinger
könnte auch die Veräußerung des Unternehmens Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Diese Auf-
an ein leistungsfähiges, an der Betätigung im baye- -
fassung ist theoretisch, möchte ich einmal sagen,
rischen Raum interessiertes Unternehmen in Be- und zwar deshalb, weil ich als aus Bayern stammen-
tracht kommen. Daher habe ich bisher zwei Unter- der Abgeordneter, wenn auch 'in Franken lebend,
nehmen auf die Möglichkeit des Erwerbs der Luit-
poldhütte hingewiesen, wobei ich einmal einem (Heiterkeit bei der CSU)
Vorstandsmitglied des Volkswagenwerkes die Luit- selbstverständlich mit der bayerischen Staatsregie-
poldhütte angeboten habe. Einzelheiten können im rung über diese Dinge gesprochen habe. Ich darf
Augenblick — ich bitte, dies zu verstehen — nicht hier feststellen, daß mein erstes Gespräch in dieser
bekanntgegeben werden. Frage am 24. September. mit dem Herrn bayerischen
In einer Presseerklärung am 8. November 1963 Wirtschaftsminister Schedl stattgefunden hat und
habe ich zu dem Fragenkomplex Stellung genom- daß ein weiteres Gespräch mit den Herren Ministern
men. Die Teilnehmer an meinem Pressegespräch in Schedl und Eberhard am 28. September stattgefun-
Erlangen am 31. Oktober 1963 haben in ihren Be- den hat. Wir haben — das stelle ich mit großer Be-
richten, soweit sie mir bekannt sind, meine Aus- friedigung fest — in unserer Beurteilung der Situa-
führungen weder falsch dargestellt noch falsch inter- tion der Luitpold-Hütte völlig übereingestimmt, und
pretiert. die Herren der bayerischen - Staatsregierung sind mit
mir der Meinung, daß alles getan werden muß, um
die Arbeitsplätze in der Luitpold-Hütte und damit
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, die Arbeitsplätze im Amberger Raum für die Zu-
Herr Dr. Aigner. kunft zu sichern.

Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ist Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
Ihnen bekannt, daß die defizitäre Lage der Luitpold Fragen III/3 und III/4 — des Abgeordneten Dr.
Hütte sich nur auf den Teil der Grundstoffindustrie Aigner —.
bezieht, also auf den Teil der Roheisenherstellung,
aber nicht auf den Teil der Schleudergußherstellung Ist die Bundesregierung bereit, trotz der Attacken von Kon-
kurrenzfirmen gegen die beabsichtigte Erweiterung des Ver-
und -verarbeitung? arbeitungsbereichs der Luitpold-Hütte auf Herstellung von Kunst-
stoffrohren — auch unter Berücksichtigung der sozialen Aspekte
— diesen notwendigen Marktumstellungsprozeß zu erlauben?

Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Herr Kol- Bejaht die Bundesregierung eine Verpflichtung, auch für die
Bundesbetriebe in Sanierungs- und EWG-marktfernen Gebieten
lege Aigner, selbstverständlich 'ist mir die Ertrags- notwendige Investitionen zur Arbeitsplatzsicherung vorzunehmen?
lage der Luitpold-Hütte bekannt, und ich darf dazu
folgendes feststellen: Im Grundstoffbereich war im
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Der Vor-
Jahre 1959/60 ein Umsatz von 44,9 Millionen DM
stand der Luitpold-Hütte hat bekanntlich den Plan
vorhanden, der bis zum Geschäftsjahr 1962/63 auf
entwickelt, mit der Aufnahme der Produktion von
34,6 Millionen DM zurückgegangen ist. Die Ertrags-
Kunststoffrohren die rückläufige Entwicklung auf
verhältnisse: Im Jahre 1959/60 ein Verlust von 2,76
den bisherigen Tätigkeitsgebieten des Unterneh-
Millionen DM, im Jahre 1962/63 ein Verlust von
mens auszugleichen. In der Öffentlichkeit, insbeson-
4 Millionen DM, also bei 10 Millionen DM Umsatz-
dere auch von seiten der in dieser Branche bereits
rückgang eine Steigerung des Verlustes um 1,4 Mil-
tätigen Privatunternehmen, ist vor einer solchen Be-
lionen DM. Es ist nicht zu erwarten, daß sich in die-
triebsumstellung der Luitpold-Hütte gewarnt und
sem Sektor des Unternehmens Besserungen ergeben
darauf hingewiesen worden, daß bereits heute auf
können.
diesem Gebiet eine Überkapazität besteht.
Auf der anderen Seite ist im Verarbeitungsbereich
eine Steigerung der Umsatzentwicklung von 41,6 Es läßt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob
Millionen DM im Jahre 1959/60 auf 46 Millionen DM die Aufnahme dieses neuen Produktionszweigs
im Jahre 1962/63 zu verzeichnen, und die Erträg- durch die Luitpold-Hütte wirtschaftlich verantwortet
nisse haben sich von 1,3 Millionen DM auf 3 Mil- werden kann. Ich habe dieser Maßnahme daher bis
lionen DM erhöht. Wenn der Hüttenbetrieb stillge- jetzt nicht zustimmen können, jedoch veranlaßt, daß
legt werden müßte, dann wäre natürlich infolge des die wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Pro-
hohen Anteils der fixen Kosten für das gesamte Un- jekt eingehend geprüft werden. Ich möchte hier aus-
ternehmen mit weiteren Verlusten aus dem stillge- drücklich feststellen, daß Meinung und Entscheidung
legten Hüttenbetrieb zu rechnen, so daß unter Um- der Bundesregierung in derartigen Fragen niemals
ständen die Gefahr bestünde, daß die Erträgnisse von der Auffassung von Konkurrenzunternehmen
aus der Verarbeitung wiederum aufgezehrt werden bestimmt werden können. Das Bundesministerium
bzw. neue Verluste entstehen könnten. prüft vielmehr das Für und Wider solcher Projekte
in eigener Verantwortung.

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, Dem Vorschlag des Vorstandes der Luitpold-Hütte
Herr Abgeordneter Dr. Aigner. wird nur zugestimmt werden können, wenn nach
dem Ergebnis der Prüfung feststeht, daß mit der
Aufnahme der Produktion von Kunststoffrohren die
Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ist damit beabsichtigte Konsolidierung des Unterneh-
meine Auffassung richtig, daß Sie nur dann verkau- mens nach menschlichem Ermessen erreicht werden
fen können, wenn auch Bayern zustimmt? kann.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4371
Bundesminister Dr. Dollinger
Zu bedenken ist dabei ferner, daß die Herstellung Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Selbstver-
von Kunststoffrohren verhältnismäßig wenig ar- ständlich kenne ich die Konzeption von Aufsichts-
beitsintensiv ist. Der Personalbedarf beträgt bei rat und Vorstand. Das, was am 1. April 1963 be-
einer Produktion von 1000 Jahrestonnen, wie sie zu- schlossen worden ist, wurde in einer späteren Sit-
nächst von der Verwaltung der Luitpold-Hütte vor- zung hinsichtlich der Gesamtausführung noch einmal
gesehen ist, 30 Personen. zurückgestellt.
Ich b itte zu verstehen, daß ich als der dem Par-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, lament verantwortliche Bundesschatzminister zu prü-
Herr Abgeordneter Dr. Aigner! fen habe, ob Investitionen sinnvoll sind oder nicht.
Ich möchte nämlich nicht erleben, daß Investitionen
durchgeführt werden, die erstens nicht voll finan-
Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ist ziert wären und sich zweitens als Fehlinvestitionen
Ihnen bekannt, daß bei der Druckrohrherstellung in erweisen könnten.
den einzelnen Jahren zwischen 1957 und 1963 fol-
Richtig ist, daß der Anteil der Kunststoffrohre
gende Zuwachsraten zu verzeichnen sind: 100 %,
steigt. Ich bitte, aber auch zu sehen, daß, wenn der
87 %, 42 %, 22 %, 44 % und 49 % — die letzte greif-
bare Zahl — im ersten Halbjahr 1963? Demgegen- Anteil der Kunststoffrohre steigt, zu befürchten ist,
über befinden sich Produktionsfirmen auf diesem daß der Verbrauch von Gußrohren zurückgeht. So
Sektor in einer erheblichen Expansion. So beabsich- wird also durch die Aufnahme der Kunststoffabrika-
tigt z. B. die Firma Rohau, die gegen die Auswei- tion unter Umständen nichts anderes als eine Stabi-
tung der Luitpold-Hütte Stellung genommen hat, in lisierung des bisherigen Umsatzes erzielt. Höhere
Bracke ein Zweigwerk zu errichten und dafür 3,6 Investitionsmittel würden dann im Grunde genom-
Millionen DM zu investieren. Ist Ihnen das bekannt, men den gleichen Umsatz wie bisher erzielen.
Herr Minister? Die Luitpold-Hütte vertritt den Standpunkt, daß
sie, wenn sie keine Kunststoffrohre erzeugte, beim
Absatz der Gußrohre weitere Einbußen hinnehmen
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich habe müßte. Das muß geprüft werden. Die Verwaltung der
selbstverständlich die Entwicklungen am Kunststof f-
Luitpold-Hütte macht sich auch Gedanken, ob sie
markt wegen der Absichten der Luitpold-Hütte sehr
nicht in der Eisengießerei — also in der Bearbeitung
genau überprüfen lassen. Die Überprüfung ist, wie
— weitere Schritte unternehmen soll, um Verbesse-
ich schon sagte, noch nicht abgeschlossen. Es ist rich-
tig, daß eine sehr starke Produktionssteigerung vor- rungen zu erzielen.
handen ist. 1957 waren es 5000 t, und jetzt liegen Ich darf noch einmal sagen: Wenn die Hütte in
wir bei 27 000 t. Ich muß aber darauf hinweisen, daß ihrer Gesamtheit verschwinden würde, würden 800
sich in diesen Jahren die Verkaufserlöse aus der bis 1000 Arbeitsplätze verlorengehen. Der Ausbau
Produktion von Kunststoffrohren wesentlich verrin- der Kunststoffabrikation bis zur vorgesehenen End-
gert haben. Für die Volkswirtschaft bedeutet das stufe wird höchstens 100 Arbeitsplätze bringen. Des-
natürlich eine Verbilligung. Es stellt sich aber die halb muß etwas geschehen, um die gefährdeten
Frage, ob für solche Unternehmungen die Gründer- Arbeitsplätze zu sichern.
zeit nicht schon abgeschlossen ist. Ohne Zweifel gibt
es gewisse Zeiträume, in denen für die Errichtung Vizepräsident Dr. Dehler: Nun die Antwort
von Unternehmen in neuen Industriezweigen gute auf die letzte Frage des Herrn Abgeordneten Dr.
Startmöglichkeiten gegeben sind. Wenn aber nach Aigner!
der Sättigung des Marktes noch neue Kapazitäten
geschaffen werden, ist es sehr schwer, ihre Produk-
tion abzusetzen. Es finden dann Preiskämpfe statt,
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Die Frage,
ob die Bundesregierung eine Verpflichtung für die
die die Gefahr mit sich bringen, daß sich die Investi-
tionen nicht rentieren. Diese Sorge müssen wir in Bundesbetriebe bejaht, in Sanierungs- und EWG-
einem gewissen Umfang im Augenblick auf dem marktfernen Gebieten notwendige Investitionen zur
Kunststoffsektor haben. Nach meinen Informationen Arbeitsplatzsicherung vorzunehmen, läßt sich in die-
möchte ich sagen, daß auf diesem Gebiet nicht alles ser allgemeinen Form nicht ganz leicht beantworten.
Gold ist, was glänzt. Die Bundesregierung nimmt jedoch die Frage der
Erhaltung der Arbeitsplätze bei Bundesunternehmen
in derartigen Gebieten sehr ernst; das hat auch die
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine zweite Zusatz- Debatte schon gezeigt. Sie wird in jedem Falle
frage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner! prüfen, welche Maßnahmen gegebenenfalls zu tref-
fen sind, um einer 'Gefährdung von Arbeitsplätzen
Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, zu begegnen. Wie ernst die Bundesregierung diese
kennen Sie die Konzeption des Aufsichtsrats der Verpflichtung nimmt, zeigt gerade die Tatsache, daß
Luitpold-Hütte, der am 1. April 1963 in einem ein- sie in diesem Falle nicht ohne weiteres die Vor-
stimmigen Beschluß — also auch mit der Stimme des schläge des Vorstandes übernommen hat, sondern
Vertreters Ihres Hauses — den Gedanken entwickelt die Angelegenheit sehr eingehend prüft und dabei
hat, daß der Marktanteil der Gußeisenrohre nur auch etwa bestehende Alternativen in ihre Über-
durch eine gleichzeitige Ausweitung auf dem Kunst- legungen einbezieht. Das Ziel der hierüber mit den
stoffsektor erhalten werden kann, wie das alle an- VorständegfühBpcuneistr
deren Gußeisenrohrhersteller bereits getan haben? Linie die Erhaltung der bestehenden und gegebenen-
4372 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Dr. Dollinger
falls sogar die Schaffung weiterer und besserer von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Das
Arbeitsplätze und damit eine Strukturverbesserung -
bedeutet es nicht. Es steht mit dieser Mittelzuwei-
des Amberger Raumes. sung in keinerlei Zusammenhang.

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
sind Sie bereit, die Bundesregierung zu veranlassen, Dr. Schäfer (SPD) : Herr Staatssekretär, darf ich
wenn Investitionen für die Umstellung der Luit- Sie — nachdem Sie sagten, daß Sie über Veranstal-
pold-Hütte — ob im Verkauf oder im Teilverkauf tungen internationalen Ranges im Bulletin berichten
— notwendig sind, bei der Hohen Behörde einen — fragen, ob Sie über die sehr beachtliche Ver-
Antrag auf Umfinanzierungs-Hilfe zu stellen? anstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin
auch in diesem Sinne berichtet haben?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Selbstver- von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Ich
ständlich werden wir bei Umstellungen alle Mög- weiß im Augenblick nicht, in welchem Umfange im
lichkeiten ausnutzen, die sich aus dem Montan-Ver- Bulletin des Presse- und Informationsamtes berichtet
trag ergeben. worden ist. In anderen Publikationen meines Hauses
ist mit Sicherheit auch auf diese Tagung eingegan-
Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, gen worden.
darf ich Ihnen für Ihre Bemühungen auch von dieser
Ich darf hier darauf hinweisen, daß die Friedrich-
Stelle aus danken? Ebert-Stiftung auch aus Mitteln meines Hauses
(Heiterkeit und Zurufe.) unterstützt wird.

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
Herr Minister. des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
Frage IV aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
kanzlers und des Bundeskanzlersamtes — des Ab- Dr. Mommer (SPD) : Herr Staatssekretär, können
geordneten Dr. Eppler — :
Sie uns sagen, welche Persönlichkeiten von Rang
an jener Veranstaltung in Schwäbisch-Gmünd teil-
Wurde der Bericht über die Gründung der Aktion Deutsch
Französische Freundschaft im Bulletin Nr. 160 des Presse- und genommen haben?
Informationsamtes der Bundesregierung vom 10. September 1963
S. 1396 im Einverständnis mit dem Bundesfamilienminister ver-
öffentlicht? von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Nach
den mir vorliegenden Informationen — die ich im
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Der einzelnen nicht überprüfen konnte — gehören dem
Bericht über die Gründung der „Aktion Deutsch- Kuratorium folgende Persönlichkeiten an: der Präsi-
Französische Freundschaft" im Bulletin vom 10. Sep- dent des Deutschen Bundestages, Staatsminister a. D.
tember 1963 wurde ohne Beteiligung des Bundes- Dufhues, der Innenminister von Baden-Württem-
ministers für Familie und Jugend veröffentlicht. berg, der Arbeitsminister von Baden-Württemberg,
der Oberbürgermeister von Schlettstadt im Elsaß,
Das Bulletin des Presse- und Informationsamtes
der Oberbürgermeister von Nancy.
berichtet seit Jahren über alle Veranstaltungen von
Bedeutung auf den Gebieten europäischer Verstän-
digung und der deutsch-französischen Freundschaft. Viezpräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage!
Die Gründung des genannten Aktionskomitees
schien eine solche Veranstaltung von Bedeutung zu Dr. Mommer (SPD) : Herr Staatssekretär, haben
sein. Maßgebende Persönlichkeiten auf Bundes- und diese Persönlichkeiten zugesagt, dem Kuratorium
Länderebene hatten ihr Erscheinen und ihre Betei- angehören zu wollen, und waren sie bei der Veran-
ligung an diesem Aktionskomitee zugesagt. Ent- staltung anwesend?
gegen diesem ersten Anschein und in gewissem
Widerspruch zu einer sicherlich gut gemeinten Pub- von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Sie
lizitätskampagne der Veranstalter hat sich dann sind, wie ich schon angedeutet habe, bei der Veran-
herausgestellt, daß die Gründung dieses Aktions- staltung nicht anwesend gewesen. Die Veranstalter
komitees nur ein Vorgang von örtlicher Bedeutung haben eine sehr rührige Publizitätskampagne ent-
gewesen ist. wickelt.
(Abg. Dr. Mommer: Schaumschlägerei war
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage. das!)
Ich glaube, ich habe klargemacht, daß die Erwartun-
Dr. Eppler (SPD) : Herr Staatssekretär, dann be- gen dem nachher nicht ganz entsprochen haben.
deutet also die Veröffentlichung im Bulletin nicht,
daß die Bundesregierung beabsichtigt, ihre Ver-
treter im Kuratorium des Deutsch-Französischen Dr. Mommer (SPD). : Danke sehr.
Jugendwerks anzuweisen, für eine Bewilligung von (Abg. Wehner: Außer Spesen nichts ge
Mitteln an diese Aktion einzutreten? wesen!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4373

Vizepräsident Dr. Dehler: Frau Abgeordnete die Staatsangehörigkeit des Vaters besitzen, ist es
Meermann zu einer Zusatzfrage! -
hierbei leider nur selten möglich, eine Trennung
von Mutter und Kind zu vermeiden, wenn der Vater
Frau Meermann (SPD) : Herr Staatssekretär, darf die Herausgabe der Kinder verweigert.
ich aus Ihren vorherigen Äußerungen schließen, daß
Sie sich die Feststellung im Bulletin, es handle sich Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
um eine überparteiliche Vereinigung, nicht zu eigen des Herrn Abgeordneten Kaffka!
machen?
Kaffka (SPD) : Herr Staatssekretär, warum ver-
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Dem leiht man den betreffenden Frauen nicht größere
Bulletin war von den Veranstaltern ein Vorausbe- Sicherheit dadurch, daß man ihnen die Staatsange-
richt zur Verfügung gestellt worden. Ich habe die hörigkeit bei der Eheschließung beläßt und daß
Parteizugehörigkeit — auch der französischen Be- auch die Kinder aus dieser Ehe sie erhalten, wie es
teiligten — nicht überprüft. Nach dem ganzen Ab- ja nach dem Grundgesetz eigentlich sein müßte?
lauf der Veranstaltung kann man nicht sagen, daß
sie parteipolitischen Charakter gehabt hat. Sie hat Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
aber zweifellos nicht einen Rahmen und eine Grö- Amts: Herr Abgeordneter, die Frage, ob Ehefrauen
ßenordnung gehabt, die es gerechtfertigt hätten, durch ihre Eheschließung die deutsche Staatsangehö-
hierüber einen Bericht ins Bulletin zu nehmen. rigkeit verlieren und welche Staatsangehörigkeit
ihre Kinder haben, richtet sich nach dem Staatsan-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage gehörigkeitsgesetz. Gegebenenfalls müßte geprüft
der Abgeordneten Frau Meermann. werden, ob im Hinblick auf diese Fälle eine Ände
rung des Staatsangehörigkeitsgesetzes ins Auge ge-
Frau Meermann (SPD) : Herr Staatssekretär, ist faßt werden könnte. Das ist aber eine Frage, zu der
denn vor der Veröffentlichung wenigstens geprüft ich mich nicht ohne Vorbereitung äußern möchte.
worden, welche Organisationen sich zur Zusammen-
arbeit bereit erklärt haben? Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Die
Prüfungspflicht und das Bemühen um Aktualität Dr. Schäfer (SPD) : Herr Staatssekretär, wurde
stehen oft — wie Ihnen auch sicher bekannt ist — schon in Erwägung gezogen, Beratungsstellen ein-
in einem gewissen Wettstreit miteinander. Wären zurichten, damit diejenigen Frauen, die solche Ehen
wir hier in eine sorgfältige Prüfung eingetreten, eingehen wollen, erfahren, in welche rechtlichen
wäre der Artikel nichterschienen. Verhältnisse sie sich begeben?
(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. Mom
mer: Das wollten wir hören!) Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Herr Abgeordneter, solche Erwägungen sind
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weiteren Fra- angestellt worden, und derartige Stellen bestehen
gen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. in großem Umfang. Mir liegt hier ein Merkblatt für
Auslandstätige und Auswanderer vor, wo in einem
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbe- besonderen Abschnitt unter der Überschrift „Frauen-
reich des Auswärtigen Amts. Ich rufe auf die Frage auswanderung, islamische Eheverträge" im einzel-
V/1 — des Herrn Abgeordneten Kaffka — :
nen dargestellt wird, welche Rechte die Frauen nach
Sind der Bundesregierung die Schwierigkeiten bekannt, die sich islamischem Recht haben.
für die mit Moslems verheirateten und in arabischen Ländern
lebenden deutschen Frauen ergeben, wenn die Ehen getrennt
bzw. die Frauen verstoßen werden und die Kinder beim Vater
Hinzu kommt, daß auch die Standesämter ange-
verbleiben müssen? wiesen sind, im Falle einer Eheschließung einer
deutschen Frau mit einem Moslem Belehrungen der
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Art zu geben, wie ich sie soeben dargelegt habe.
Amts: Die Problematik von Ehen deutscher Frauen
mit Angehörigen islamischen Glaubens ist der Bun-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
desregierung seit langem bekannt. Alle mit diesem
Jahn zu einer Zusatzfrage!
Fragenkomplex befaßten deutschen Stellen, so das
Bundesamt für Auswanderung, die Auswanderungs-
beratungsstellen und die Standesämter, belehren die Jahn (SPD) : Herr Staatssekretär, ist die Bundes-
deutschen Verlobten über die Rechtslage der Frauen regierung bereit, die Voraussetzungen und Möglich-
im Orient und weisen sie insbesondere auf die Not- keiten zu prüfen, durch Gesetzesänderung die Rechts-
wendigkeit hin, vor der Eheschließung ihre Rechts- stellung der betroffenen Frauen zu verbessern und
stellung und die ihrer zukünftigen Kinder in einem darüber gegebenenfalls hier zu berichten?
nach islamischem Recht wirksamen Ehevertrag fest-
zulegen. Die deutschen Auslandsvertretungen ge- Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
währen den deutschen Ehefrauen im Rahmen des Amts: Herr Abgeordneter, ich habe die Problematik
Möglichen Rat und Beistand und helfen ihnen vor bereits in der Antwort auf die vorletzte Frage kurz
allem, im Falle des Scheiterns ihrer Ehe in die Hei- umrissen. Ich darf das wiederholen, was ich dabei
mat zurückzukehren. Da die Kinder fast immer nur gesagt habe: Ohne nähere Prüfung möchte ich da-
4374 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Staatssekretär Dr. Carstens
zu keine Antwort geben. Zu einer Überprüfung die- ordnung. Ich rufe auf die Frage VIII — des Herrn
ser Frage ist die Bundesregierung selbstverständ- Abgeordneten Welslau —:
lich bereit. Um wieviel Prozent ist seit dem 1. Juli 1961 auf Grund der
gestiegenen Lebenshaltungskosten das reale Einkommen einer
Arbeitnehmerfamilie mit 3 Kindern unter 14 Jahren bei einem
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter monatlichen Durchschnittseinkommen von 700 DM gesunken?
Dr. Rinderspacher zu einer Zusatzfrage! Bitte, Herr Minister!

Dr. Rinderspacher (SPD) : Herr Staatssekretär,


ist Ihnen bekannt, daß unzählige solcher Frauen, die Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
Ehen mit Moslems eingegangen sind, nicht die Mög- nung: Herr Kollege, ich darf Ihre Frage wie folgt
lichkeit haben, später mit deutschen Stellen und kon- beantworten: Von Mitte Juli 1961 bis Mitte Okto-
sularischen Vertretungen Verbindung aufzunehmen ber 1963 sind die Lebenshaltungskosten einer
und daß dadurch sehr große Schwierigkeiten in der Arbeitnehmerfamilie mit drei Kindern unter 14 Jah-
deutschen Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt ren bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen
werden und die Frauen in einem Zustand bleiben von 700 DM um etwa 6 bis 7 °/o gestiegen. Das reale
müssen, der nach unseren Verhältnissen und nach Einkommen dieser Familie wäre um diesen Prozent-
den bei uns herrschenden Auffassungen einfach nicht satz gesunken, wenn nicht gleichzeitig erheblich
vertretbar ist? stärker als die Preise die Arbeitsverdienste gestie-
gen wären. Nach der amtlichen Lohnstatistik er-
höhte sich der durchschnittliche Bruttomonatsver-
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen dienst eines männlichen Industriearbeiters von Mai
Amts: Herr Abgeordneter, soweit eine Möglichkeit 1961 bis Mai 1963, also im gleichen Zeitraum, um
besteht, treten diese Frauen mit den konsularischen 19 %. Berücksichtigt man sowohl die Preis- als auch
Dienststellen der Bundesrepublik Deutschland im die Lohnerhöhungen in diesem Zeitraum, so ergibt
Ausland in Verbindung, und das geschieht in gro- sich tatsächlich eine Verbesserung des realen Ein-
ßem Umfang. Ich halte es nicht für unmöglich, daß kommens um ungefähr 10 %.
es darüber hinaus einzelne Fälle gibt, in denen das
nicht gelingt. Nach meiner Überzeugung handelt es (Abg. Dr. Schäfer: Das ist doch eine falsche
sich dabei aber um Einzelfälle. Rechnung! Es sind doch vier Esser da und
nicht bloß einer!)
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher! Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere Zu-
satzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Dr. Rinderspacher (SPD) : Sieht die Bundes-
regierung keine Möglichkeit, in dauerndem Kontakt Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
mit solchen Frauen zu bleiben, damit die von Ihnen bereich des Bundesministers für Wohnungswesen,
zugegebenen Einzelfälle nach Möglichkeit ausge- Städtebau und Raumordnung. Ich rufe auf die Frage
schlossen werden? IX/1 — des Herrn Abgeordneten Welslau —:
Welche realen Möglichkeiten hat eine Arbeitnehmerfamilie mit
3 Kindern unter 14 Jahren bei einem monatlichen Durchschnitts-
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen einkommen von 700 DM, ein Eigenheim zu erwerben?
Amts: Soweit rechtliche Grundlagen dafür vorhan-
den sind, Herr Abgeordneter, besteht eine solche Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
Möglichkeit und geschieht dies auch in der Praxis. Städtebau und Raumordnung: Die von dem Bund,
Es kommt in der Tat entscheidend darauf an, ob die den Ländern und den Gemeinden getroffenen Maß-
Frau durch die Eheschließung die deutsche Staats- nahmen machen es auch Angehörigen minder-
angehörigkeit verloren hat oder nicht. Behält sie bemittelter Schichten durchaus möglich, den Bau
die deutsche Staatsangehörigkeit, ist es für die deut- eines Familienheims zu finanzieren. Die Finanzie-
schen Auslandsvertretungen selbstverständlich mög- rung ist im einzelnen Falle unterschiedlich, und
lich, mit ihr den Kontakt aufrechtzuerhalten. Verliert zwar so sehr unterschiedlich, daß ich keine Einzel-
sie dagegen die deutsche Staatsangehörigkeit, wird heiten dazu bekanntgeben kann. Sie hängt ab von
das sehr viel schwieriger. den konkreten Umständen, dem Bauplatz, dem Bau-
ort und den Verhältnissen des Bauherrn, von der
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Höhe seines Eigenkapitals, von der Möglichkeit,
Herr Staatssekretär. Eigenleistungen zu erbringen usw. Es läßt sich des-
Die Frage V/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. halb nicht ein für alle Fälle geltendes Finanzie-
Mommer — ist zurückgestellt. rungsschema aufstellen. Es ist danach möglich, daß
ein Arbeitnehmer mit einem durchschnittlichen
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundes- Monatseinkommen von 700 DM bei drei Kindern
ministers des Innern wird am Freitag aufgerufen. unter 14 Jahren den Bau eines solchen Familien-
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundes- heimes finanzieren und auch die Lasten tragen
ministers für Ernährung, Landwirtschaft und For- kann.
sten ist zurückgestellt.
Wir kommen zu der Frage aus dein Geschäfts- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage?
bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozial- — Herr Abgeordneter Welslau!
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4375

tungskosten seien —
Welslau (SPD) : Herr Bundesminister. haltenauf
Sie eine Person gerechnet —
es also für möglich, daß eine Familie mit drei Kin um 6% gestiegen, aber das sei ja dadurch - ausge-
glichen, daß der Vater als Verdienender 19-dernbimEkovn70DMeiEg- % mehr
leistung von ca. 12 000 DM erbringen kann? verdiene?

Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen, Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,


Städtebau und Raumordnung: Ich sagte, daß die Städtebau und Raumordnung: Herr Abgeordneter
Eigenleistung sehr unterschiedlich ist. Es kommt Dr. Schäfer, ich habe wahre Wunder erlebt, was
darauf an, wo, in welchem Land das Haus ge- unsere Familien fertigbringen, wenn sie daran gehen
baut wind. Sodann hängt pes davon ab, ob der können, ein Eigenheim zu bauen. Wir sollten den
einzelne Bauherr in der Lage ist, seine Eigenleistung Willen, zu Eigentum zu kommen, weiterhin fördern,
aufzubringen. Man kann hier — auch vor dem Par- und ich werde es tun.
lament — kein Schema bekanntgeben; aber ich will
(Beifall in der Mitte.)
Ihnen gern ein Beispiel mitteilen. Nach den Er-
fahrungen des Jahres 1962 — das ist eines der
jüngsten Beispiele - kann man z. B. in Nordrhein Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
Westfalen etwa davon ausgehen, daß für die Finan- des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
zierung des Baues eines Familienheimes im Durch-
schnitt Kapitalmarktmittel in Höhe von etwa 43,7 Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, soll ich meine
.

v. H., öffentliche Mittel 23,8 v. H. und Festfinanzie- Frage wiederholen oder soll ich es so auffassen, daß
rungsmittel 32,5 v. H. eingesetzt worden sind. In Sie die Frage nicht beantworten?
dem 'der Anfrage zugrunde gelegten Beispiel erfüllt (Abg. Wehner: An Wunder glauben!)
der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Ge-
währung öffentlicher Mittel und wird, da er zu dem Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
Kreis der unter § 27 des Zweiten Wohnungsbau- Städtebau und Raumordnung: Es ist wahr, Herr Kol-
gesetzes fallenden Bewohner gehört, an erster Rang- lege Wehner: nicht Wunder, sondern der Sparwille
stelle berücksichtigt. Er erhält im übrigen mit Rück- und die Selbsthilfe der Familien! Es sind zwei Mil-
sicht auf seine Kinderzahl außerdem 4000 DM Fami- lionen Familien zu einem Eigenheim gekommen, da-
lienzusatzdarlehen. Die Restfinanzierungsmittel hat von überwiegend Arbeiter aus diesen Einkommens-
der Bauherr aufzubringen. Er wird dafür sein Eigen- kreisen; sie vollbringen tatsächlich wahre Wunder
kapital einsetzen und kann dieses ergänzen durch an Sparleistungen, Eigenleistung und Nachbarhilfe,
Lastenausgleichsmittel, Arbeitgeberdarlehen, Kapi- und wir sollten das weiter fördern.
talisierung bestimmter Renten, z. B. der Kriegsbe-
(Beifall in der Mitte.)
schädigtenrente, sowie durch Inanspruchnahme der
Aktionen „Junge Ehepaare" und „Junge Familie".
Wenn die daraus sich ergebende laufende Belastung Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Frage des
für den Arbeitnehmer zu hoch wird — und hier ist Herrn Abgeordneten Dr. Aigner.
eine wichtige Frage angesprochen —, hat er im
öffentlich geförderten Wohnungsbau einen Rechts- Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
anspruch auf die Gewährung einer Lastenbeihilfe sind Sie bereit, Herrn Schäfer zu bitten, daß er seine
nach § 73 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes. Die Ansichten über Familienlastenausgleich bei den Ge-
b e-HöheistglcdrDfnzwisheu werkschaften in den nächsten Tarifverhandlungen
rücksichtigenden und der tragbaren Belastung. Die vorbringt?
tragbeBlsunwüdichmvorlegn (Heiterkeit und Zustimmung in der
Falle auf etwa 16 % des bereinigten Familienein- Mitte. — Zurufe von der SPD.)
kommens belaufen.
Das Land Nordrhein-Westfalen, das bereits jetzt Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur
vom 5. Kinde ab eine Erhöhung des Familienzusatz- Frage IX/2 — der Frau Abgeordneten Meermann —:
darlehens gewährt, beabsichtigt, in Kürze noch wei- An welchen Empfängerkreis geht die Mappe „Schwarz auf
Weiß?
tere Vergünstigungen einzuführen, und zwar dem
Vernehmen nach voraussichtlich bereits vom 3. Kin-
de ab. Ich wende selbst dem Hohen Hause Vorschlä- Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
ge machen, wie in Zukunft auch der Bund seiner- Städtebau und Raumordnung: Die Verteilung der
seits auf diesem Gebiet weiterhelfen kann. Mappe „Schwarz auf Weiß" erfolgt an alle Damen
des Bundestages, an die Fraktionen der Landtage
auf Anforderung, an Presse, Rundfunk, Fernsehen
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
sowie an sonstige interessierte Einzelpersonen, Be-
des Abgeordneten Dr. Schäfer.
hörden und Gruppen.
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, da die vor-
herige und diese Frage miteinander in unmittel- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
barem Zusammenhang stehen, darf ich Sie fragen: Frau Abgeordnete Meermann!
Entspricht die Darstellung, die der Herr Minister für
Arbeit und Sozialordnung vorhin gegeben hat, der Frau Meermann (SPD) : Haben Sie gesehen,
Auffassung der Bundesregierung, die Lebenshal- Herr Minister, daß in der zweiten Folge der Mappe
4376 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Frau Meermann
„Schwarz auf Weiß" nur fünf Seiten der sachlichen zu einer Schwierigkeit führen, bei einer dort mög-
Aufklärung gewidmet sind, nämlich der Artikel von lichen Förderung die einmal ausgebildeten- und jetzt
Herrn Dr. Schornstein, dagegen außer einem Arti- entlassenen Arbeiter wieder zurückzubekommen?
kel von Heddy Neumeister ganze 10 Seiten mit lo-
benden Äußerungen über die Politik des Bundes- Lenz, Bundesminister für wissenschaftliche For-
wohnungsbauministers gefüllt sind? schung: Sie haben völlig recht: Herr Abgeordneter.
(Zurufe und Beifall in der Mitte.) Wir sind durch die Angelegenheit „Menzenschwand"
in eine sehr schwierige Situation gekommen; die
Halten Sie unter diesen Umständen das angegebene Dinge stehen nicht gut. Wir haben uns deshalb ent-
Ziel der objektiven Unterrichtung für erreicht? schlossen, an Stelle der Zuschüsse in den Haushalt
1964 einen Betrag einzusetzen, der uns den Ankauf
Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen, von bereits gefördertem verarbeiteten Urankonzen-
Städtebau und Raumordnung: Es kommt auf den trat ermöglicht.
Standort an, von dem aus man zu dieser Frage Stel-
lung nimmt. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
(Zustimmung in der Mitte.) des Herrn Abgeordneten Dröscher!

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, Dröscher (SPD) : Würden Sie es nicht für richtig
Frau Abgeordnete Meermann! halten, Herr Minister, eine Übergangslösung für das
ausgeschiedene Drittel der Arbeitskräfte solange zu
Frau Meermann (SPD) : Herr Minister, muß ich schaffen, bis der doch einmal eingerichtete und offen-
denn daraus schließen, daß Sie es im Hinblick auf bar gut funktionierende Betrieb wiederum voll an-
den Empfängerkreis, der ja aus zeitungslesenden laufen könnte?
Menschen besteht, für nötig gehalten haben, zum
Beispiel ganze sechs Seiten mit Ihrer Mietwucher Lenz, Bundesminister für wissenschaftliche For-
anzeige im Falle Andresen zu füllen, die ja in allen schung: Ich will diese Angelegenheit sehr gern
Tageszeitungen gebührend verbreitet worden ist? intensiv prüfen, denn mir liegt daran, daß die An-
lage in Ellweiler voll arbeitsfähig bleibt.
Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
Städtebau und Raumordnung: Ich hielt gerade die- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
sen Fall für so bemerkenswert, daß er nicht breit Herr Minister.
genug veröffentlicht werden konnte.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
(Beifall in der Mitte.) ministers für Gesundheitswesen, zunächst zur Frage
XI/1 — des Abgeordneten Dröscher — :

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Sind der Bundesregierung die Maßnahmen bekannt, die die
Herr Minister. holländische Regierung getroffen hat, um weiterhin Exporte von
verfälschtem Eigelb nach der Bundesrepublik zu verhindern?
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Bitte, Frau Ministerin!
ministers für wissenschaftliche Forschung, und zwar
zur Frage X —des Abgeordneten Dröscher —:
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die mit er- sundheitswesen: Die holländischen Behörden be-
heblichem Einsatz öffentlicher Mittel geschaffenen Arbeitsplätze
bei der Versuchsanlage für Uran-Erz-Verarbeitung im Steinautal reiten eine Verordnung vor, durch die ein De-
bei Birkenfeld und deren Arbeitsergebnisse der deutschen Wirt-
schaft und Forschung weiterhin zu erhalten? klarationszwang für Zusätze von Eiprodukten vor-
Bitte, Herr Minister! geschrieben werden soll. Der Wortlaut der Ver-
ordnung und der Termin ihres Inkrafttretens sind
uns noch nicht bekannt.
Lenz, Bundesminister für wissenschaftliche For-
schung: Herr Abgeordneter, die Arbeitsergebnisse Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
und Arbeitsplätze in der Uranerz-Verarbeitungsan- Dröscher!
lage im Steinautal bei Birkenfeld können nur dann
erhalten und gesichert werden, wenn der Bund
öffentliche Mittel zur Verfügung stellt, entweder Dröscher (SPD) : Frau Ministerin, nachdem Ihnen
nur im Jahre 1962 Betriebszuschüsse zu den Investi- sicher bekannt ist, daß das Landwirtschaftsministe-
tionskosten oder durch den Ankauf einer jährlichen rium auf eine dementsprechende Anfrage im Som-
Mindestmenge von Urankonzentrat. mer dieses Jahres dem Verband der Teigwaren
industrie gesagt hat, daß der Klageweg, also offen-
bar der zivile Klageweg gegen die Lieferanten von
Vizepräsident Dr. Dehler: Bitte, Herr Abge- gefälschtem Eigelb offenstehe, möchte ich mir die
ordneter Dröscher! Frage erlauben, wie Sie zu einem solchen Rat
stehen?
Dröscher (SPD) : Wenn, Herr Bundesminister, wie
an örtlicher Stelle behauptet wird, die Entlassung Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
eines Drittels der Arbeitskräfte im Zusammenhang sundheitswesen: Es ist wohl kein Rat, sondern eine
mit der nicht genehmigten Uran-Metallförderung im Auskunft über die Rechtslage, und über die ver-
Raum Menzenschwand stehen würde, wird es nicht fügen wir nicht.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4377

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage? Importeurs und des Einzelhändlers, unser Recht zu
— Bitte, Herr Abgeordneter Dröscher. befolgen.

Dröscher (SPD) : Halten Sie die Ihnen offenbar Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
bereits bekannten Vorstellungen der holländischen Frau Dr. Kiep-Altenloh.
Regierung für ausreichend, um den Bezug der
immerhin großen benötigten Mengen an einwand- Frau Dr. Kiep-Altenloh (FDP) : Besteht eine
freiem Eigelb für unsere Teigwarenfabriken zu Möglichkeit, Frau Ministerin, diese Eigelbpräparate
sichern? darauf prüfen zu lassen, ob sie unserem Recht ent-
sprechen, oder ist dies schon geschehen?
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Auf diese Frage muß ich mit zwei Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Hinweisen antworten. Erstens. Solange ich den sundheitswesen: Diese Möglichkeit besteht, und es
Wortlaut der holländischen Verordnung nicht kenne, ist auch in Einzelfällen schon festgestellt worden,
kann ich mich über ihren Inhalt nicht äußern. Zwei- daß sie unserem Recht nicht entsprechen. Ich darf
tens. Solange das Recht zum Schutz des Verbrau- hinzufügen, daß wir uns an die Länder mit der Bitte
chers in unserem Land anders ist als in Ländern, aus um einen Bericht über die einzelnen Fälle und über
denen wir bestimmte Waren importieren, können wir die Beobachtungen gewandt haben, die bei der
ganz generell den inländischen Händler und Impor- Überwachung, die in den Händen der Länder liegt,
teur nicht davon befreien, seinerseits Prüfungen auf gemacht worden sind. Die Länder sind gerade dabei,
Grund der deutschen Rechtslage vorzunehmen. zu berichten. In einigen Wochen kann ich Ihnen
vielleicht schriftlich eine genauere Auskunft darüber
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, geben.
Herr Abgeordneter Dr. Roesch.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf Frage
Dr. Roesch (SPD) : Frau Ministerin, darf ich wis- XI/2 — des Herrn Abgeordneten Folger —:

sen, wann Sie ungefähr den Text dieser holländi- Ist die Bundesregierung bereit, geeignete Maßnahmen zu tref-
fen, um den Verkauf von Blausäure enthaltenden, Leben und
schen Verordnung bekommen werden? Gesundheit gefährdenden bitteren Mandeln zu unterbinden oder
einzuschränken?

Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Herr Abgeordneter, ich bin natür- sundheitswesen: Das Bundesministerium für Ge-
lich kein Prophet. Wir hoffen, daß wir sie am
sundheitswesen hat am 29. Oktober 1963 nach Be-
1. Januar in den Händen haben.
kanntwerden eines allerdings leichteren Vergif-
tungsfalles die beteiligten Stellen davon unterrich-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage. tet, daß bittere Mandeln in größeren Packungen
ohne warnenden Hinweis auf den Gehalt an Blau-
Dr. Roesch (SPD) : Wenn es vielleicht noch ein säure in den Verkehr gebracht worden sind. Insbe-
Jahr dauert, bis wir den Inhalt dieser Verordnung sondere hat sie sich wegen dieser Sache an die
kennen, dann werden wir weitere 4500 t verfälschtes obersten Gesundheitsbehörden der Länder, an den
Eigelb und Eidotter bekommen. Man sollte doch die Einzelhandelsverband, an den Hamburger Waren-
Bemühungen beschleunigen, den Inhalt zu erfahren. verein — dem die Importeure für Trockenfrüchte an-
gehören — gewandt, außerdem an den Bund für
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, der die
sundheitswesen: Herr Kollege, wir haben keinen maßgebenden Interessenverbände der Lebensmittel-
Einfluß auf den Weg der holländischen Gesetz- wirtschaft umfaßt.
gebung. Aber es ist, wie gesagt, mit großer Wahr- Zur Abwendung einer akuten Gefahr haben wir
scheinlichkeit zu erwarten, daß wir am 1. Januar empfohlen, bittere Mandeln vorerst. nur mit der
1964 den Text haben. Warnung in den Verkehr zu bringen: „Vorsicht!
Mandeln enthalten Blausäure. Verzehr in größeren
Vizepräsident Dr. Dehler: Noch eine Zusatz- Mengen lebensgefährlich."
frage zur Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher? (Abg. Wehner: Wo beginnt die „größere
— Frau Abgeordnete Dr. Kiep-Altenloh. Menge"? — Unruhe und Lachen bei der
SPD.)
Frau Dr. Kiep-Altenloh (FDP) : Frau Ministerin, Ich habe ferner die obersten Gesundheitsbehörden
besteht auf Grund unseres Lebensmittelgesetzes die der Länder und die angeschriebenen Wirtschafts-
Möglichkeit, die Einfuhr solchen Eigelbs zu ver- verbände um Stellungnahmen gebeten, welche legis-
bieten? lativen Maßnahmen sie für zweckmäßig halten, um
im Rahmen des Lebensmittelgesetzes einen wir-
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- kungsvollen Verbraucherschutz zu gewährleisten,
sundheitswesen: Es ist verboten, Eiprodukte in Ver- ohne daß die seit Jahrhunderten als Gewürz für Süß-
kehr zu bringen, die unserem Recht nicht entspre- waren, Pfefferkuchen und Weihnachtsgebäck üb-
chen, z. B. Fremdstoffe enthalten, die nicht gekenn- licherweise verwendeten bitteren Mandeln ganz aus
zeichnet sind. Es liegt in der Verantwortung des dem Verkehr gezogen werden.
4378 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Frau Dr. Schwarzhaupt
Auch an das Bundesgesundheitsamt haben wir Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
sofort eine Anfrage gerichtet. Ich will diese Äuße- Herr Abgeordneter Dröscher.
rungen abwarten, ehe ich entscheide, wie der Ver-
kauf von bitteren Mandeln, die Blausäure enthalten, Dröscher (SPD) : Herr Minister, nachdem doch
weiterhin geregelt werden kann. Eine Gefahr für offenbar durch den früher geltenden Erlaß des Bun-
das Leben und die Gesundheit der Verbraucher
desverkehrsministeriums vom 10. August 1960 die
muß, soweit dies möglich ist, abgewandt werden. aus solchen Einrichtungen kommende Belastung den
Gemeinden abgenommen war und vom Bund getra-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, gen wurde, entsteht durch den Richtungswechsel,
Herr Abgeordneter Folger. der durch den Rechnungshof und Ihr Ministerium
veranlaßt wurde, jetzt eine für viele Gemeinden
Folger (SPD) : Frau Bundesministerin, halten Sie sehr unerfreuliche Situation. Sie haben geglaubt, sich
es nicht für notwendig, aus der Empfehlung, von der .darauf verlassen zu. können, daß der Bund zahlt, und
Sie gerade gesprochen haben, möglichst rasch eine müssen erhebliche Kosten selbst aufbringen. Wie
Verpflichtung zu machen? wollen Sie diesen Gemeinden, die unter den alten
Rechtsvoraussetzungen Verpflichtungen eingegan-
gen sind, die sie jetzt unvorhergesehenerweise sel-
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- ber erfüllen müssen, helfen?
sundheitswesen: Herr Kollege, Sie werden ver-
stehen, daß wir mit gesetzlichen Verboten nicht gar
so schnell bei der Hand sein wollen, mit Verboten, Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
die sich auf Dinge beziehen, die seit Jahrhunderten Herr Abgeordneter Dröscher, ich sehe die Lage in
Übung sind. Aber ich habe Ihnen ja berichtet, daß diesen Gemeinden genauso wie Sie. Die Zuständig-
wir uns an alle zuständigen Stellen der Praxis ge- keit für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben
wandt haben, um deren Meinung erst zu hören. und die Finanzverantwortlichkeit von Bund, Län-
Wenn wir diese gehört haben, werden wir entschei- dern und Gemeinden ergibt sich aber aus dem
den, ob hier wirklich ein gesetzliches Verbot nötig Grundgesetz. Sie ist durch Verwaltungsentscheidun-
ist. Zunächst glaube ich, daß die Warnung und die gen nicht zu ändern. Wir haben uns bei der Beurtei-
Empfehlung, nur mit einer solchen Warnung zu ver- lung der Lage seinerzeit geirrt und haben Mittel
kaufen, wirksam sein werden. aufgewendet, die wir nach den bestehenden Geset-
zen eigentlich nicht aufwenden durften. Nachdem
der Bundesrechnungshof das beanstandet hatte, blieb
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, mir wirklich nichts anderes übrig, als nunmehr nach
Frau Ministerin. den bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu ver-
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Ge- fahren. Ich weiß, daß das in einzelnen Gemeinden
schäftsbereich des Herrn Bundesministers der Finan- sehr schwierige Lagen verursacht hat:
zen. Frage XII/1 — des Herrn Abgeordneten
Dröscher —:
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer weiteren
Welche Gründe haben den Herrn Bundesfinanzminister und
den Bundesrechnungshof bewogen, die vom Bundesverkehrs-
Frage Herr Abgeordneter Dröscher.
ministerium vertretene Auffassung, daß die Kosten für Signal-
anlagen innerhalb von Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen,
deren Baulast der Bund trägt, zu Lasten des Bundes zu über-
nehmen sind, nicht zu teilen und demzufolge zu veranlassen,
Dröscher (SPD) : Nachdem ich Ihrer Antwort ent-
daß der Erlaß des Bundesministers für Verkehr vom 18. März nehmen kann, daß die Rechtslage auf Grund- des
1963 aufgehoben wurde?
Polizeikostengesetzes beurteilt wird — das im we-
Bitte, Herr Minister. sentlichen ja in einer Zeit entstanden ist, als die
Probleme moderner Ortsdurchfahrten, etwa durch
Bundesstraßen, für kleinere Gemeinden noch nicht so
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: anstanden —, frage ich Sie: Wären Sie bereit, Herr
Herr Kollege Dröscher, gemäß Art. 14 Abs. 5 der
Minister, dafür zu sorgen, daß mindestens eine Über-
Verordnung zur Durchführung des Reichspolizei- gangsregelung getroffen wird, die die Verpflichtung
kostengesetzes von 1940, der heute noch gültiges
dieser Gemeinden für einen begrenzten Zeitraum
Recht ist, gelten als Träger der Straßenbaulast hin-
noch abwendet?
sichtlich der Kosten für Verkehrseinrichtungen und
Anlagen, insbesondere von Signalanlagen innerhalb
der geschlossenen Ortslage, die Gemeinden. Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
Herr Abgeordneter, ich bin bereit, Ihrer Anregung zu
Nachdem mein Haus im Dezember 1961 durch eine folgen und die Lage mit den Herren Finanzministern
Erinnerung des Bundesrechnungshofes davon unter- der Länder bei allernächster Gelegenheit zu erörtern.
richtet wurde, daß Kosten für Signalanlagen aus
Bundesmitteln bestritten werden, habe ich den Herrn
Bundesminister für Verkehr gebeten, zu veranlassen, Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die Frage
daß künftig die Belastung des Bundeshaushalts mit XII/2 — des Herrn Abgeordneten Seidel (Fürth) —
diesen Ausgaben gemäß der bestehenden gesetz- auf :
lichen Regelung unterbleibt. Die entsprechende An- Welche Schwierigkeiten liegen noch vor, daß die bereits drei
Jahre andauernden Verhandlungen über die Verlegung der
weisung an die obersten Straßenbaubehörden der amerikanischen Anlagen aus dem Langwassergebiet der Stadt
Nürnberg nicht abgeschlossen werden können?
Länder ist mit Erlaß des Herrn Bundesministers für
Verkehr vom 18. März 1963 ergangen. Bitte, Herr Minister.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4379

Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: kehrswert — den Sie ja bisher schon beanstandet
Herr Präsident, ich möchte die Fragen 2 und 3 zu- haben — dem Bund anzurechnen, abzuwehren ?
sammen beantworten.
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auch die Herr Abgeordneter, ich muß mit dem Land Bayern
Frage XII/3 — des Herrn Abgeordneten Seidel über dessen Grundbesitz Ankaufsverhandlungen
(Fürth) — auf: führen. Es war bisher nicht nötig zu prüfen, ob recht-
Ist der Abschluß der Verhandlungen über die Verlegung der lich die Möglichkeit besteht, sich nach dem Land-
amerikanischen Anlagen aus dem Langwassergebiet der Stadt beschaffungsgesetz in den Besitz dieses Geländes zu
Nürnberg noch im Jahr 1963 zu erwarten?
setzen. Ich glaube, daß durch den Vorschlag, den ich
nach Bayern gegeben habe — Vorauszahlung auf
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: den Kaufpreis, Verzinsung ab Besitzeinweisung, die
Das deutsch-amerikanische Abkommen vom 16. Juli/ absolut üblich sind —, das Problem schnell zur Er-
15. August 1962 sieht die Verlegung eines Muni- ledigung kommt.
tionslagers, eines Treibstofflagers und eines Luft-
landeplatzes aus dem Langwassergebiet der Stadt
Nürnberg vor. Für die Verlegung des Mun itions- Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer weiteren
lagers und des Treibstofflagers steht bundeseigenes Frage Herr Abgeordneter Seidel!
Gelände zur Verfügung, auf dem die erforderlichen
Ersatzbauten errichtet werden können. Die Abhol- Seidel (Fürth) (SPD) : Sind Sie mit mir der Mei-
zungsarbeiten sind durchgeführt. Mit den Tiefbau- nung, daß der Streit innerhalb der öffentlichen Hand
arbeiten ist im Monat Oktober 1963 begonnen wor- um den Grundstückspreis in diesem Falle der Be-
den. völkerung unverständlich bleiben muß?
Der Luftlandeplatz soll im Einvernehmen mit dem
Lande Bayern und den amerikanischen Streitkräften Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
auf ein Gelände verlegt werden, das sich zur Zeit Wenn ich vom Bund einen unangemessenen Kauf-
noch im Eigentum der Bayerischen Staatsforstver- preis bezahlte, würde das der Bevölkerung auch un-
waltung befindet. Das Bayerische Staatsministerium verständlich sein. Wir tun alles, um eine schnelle
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat die Erledigung zu erreichen. Soweit bundeseigenes Ge-
Überlassung des Geländes davon abhängig gemacht, lände für die Läger zur Verfügung gestellt werden
daß zunächst Einigung über den Kaufpreis erzielt konnte, ist alles bereits sehr weit gediehen. Aber
wird. Die Kaufpreisforderung des Bayerischen Staa- die Streitkräfte werden diese Läger nicht in An-
tes ist in meinem Hause und von der zuständigen spruch nehmen, ehe nicht der Luftlandeplatz vorhan-
Oberfinanzdirektion Nürnberg überprüft worden. den ist. Deshalb habe ich ein eminentes Interesse
Als Ergebnis bleibt festzustellen, daß die Sachver- daran, auch die Frage des Luftlandeplatzes schnell-
ständigen des Bundes einen wesentlich niedrigeren stens in Ordnung zu bringen.
Verkehrswert ermittelt haben. Das Bundesministe-
rium der Finanzen hat dem Lande Bayern ein ent- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
sprechendes Kaufpreisangebot übermittelt. Herr Minister.
Unabhängig davon habe ich in einem persönlichen Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die
Brief an den Herrn Staatsminister Dr. Hundhammer weiteren Fragen werden am Freitag beantwortet.
gebeten, dem Bund sofort den Besitz an den benö-
tigten Forstflächen zu übertragen. Gleichzeitig habe Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
ich dem Land Bayern eine Abschlagszahlung in Höhe a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
von 1 Million DM und die Verzinsung des darüber eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Geset-
hinausgehenden Kaufpreises vom Tage der Besitz- zes über die Anpassung der Renten aus den
einweisung an zugesagt. gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über
Ich hoffe, daß das Land Bayern meinem Vor- die Anpassung der Geldleistungen aus der
schlage entsprechend dem Bund den Besitz an dem gesetzlichen Unfallversicherung (Sechstes Ren-
Ersatzgelände in Feucht nunmehr sofort überträgt. tenanpassungsgesetz — 6. RAG) (Drucksache
Damit wären alle Schwierigkeiten behoben, die der IV/1584)
Freimachung des Langwassergeländes noch ent- b) Beratung des Berichts der Bundesregierung
gegenstehen. Ob es allerdings möglich sein wird, über die Entwicklung der wirtschaftlichen
auch den Kaufvertrag über das Gelände bis zum Leistungsfähigkeit und der Produktivität so-
Ende dieses Jahres abzuschließen, vermag ich noch wie die Veränderungen des Volkseinkom-
nicht zu übersehen. mens je Erwerbstätigen und über die Finanz-
lage der gesetzlichen Rentenversicherungen
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter (Sozialbericht 1963) (Drucksache IV/1486).
Seidel zu einer Zusatzfrage. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung.
Seidel (Fürth) (SPD) : Herr Minister, welche recht-
lichen Mittel stehen der Bundesregierung zur Ver- Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
fügung, um den Anspruch der Bayerischen Staats- nung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
regierung, den Grundstückspreis nach dem Ver- Die Bundesregierung legt Ihnen den Sozialbericht
4380 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Blank
1963 vor über die Entwicklung der wirtschaftlichen passungen im laufenden Deckungsabschnitt ein
Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Rückgriff auf die Reserven nicht notwendig sein
Veränderung des Volkseinkommens je Erwerbs- wird und daß die gegenwärtige und in naher Zu-
tätigen in dem vorausgegangenen Kalenderjahr und kunft zu erwartende Finanzlage der Rentenversiche-
über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenver- rungen eine Beitragserhöhung — im jetzigen
sicherung und zugleich damit den Entwurf eines Augenblick jedenfalls - nicht erforderlich macht.
Sechsten Rentenanpassungsgesetzes, der nicht nur
Ich bin mir indessen darüber im klaren, daß die
eine Anpassung der Renten in den gesetzlichen
zu erwartenden Verschiebungen im Bevölkerungs-
Rentenversicherungen, sondern auch eine Anpas-
aufbau unseres Landes zu einem späteren Zeitpunkt
sung der vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen
Überlegungen erfordern, auf welchem Wege das
Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversiche-
finanzielle Gleichgewicht aufrechterhalten werden
rung vorsieht. Ich möchte Ihnen nicht die einzelnen
kann. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es
Daten des Sozialberichts vortragen, sondern nur die
zweckmäßig, die weitere finanzielle Entwicklung
für die Rentenanpassung entscheidenden Gesichts-
abzuwarten. Von ihr wird es abhängen, ob, in wel-
punkte.
chem Ausmaße und mit welchen Mitteln eine Ver-
Zunächst zur Finanzlage der Versicherungsträger! stärkung des Finanzierungssystems erforderlich
Im vergangenen Jahr habe ich zur Begründung des wird.
Fünften Rentenanpassungsgesetzes vorgetragen,
daß die finanzielle Situation der Rentenversicherun- Die weitere Frage, die sich bei dem Vorschlag
gen sowohl die fünfte als auch die sechste Renten- einer sechsten Rentenanpassung ergibt, ist, wie sich
anpassung erlaube, ohne die gesetzlich vorgeschrie- die erneute Rentenanpassung in den Rahmen der
bene Rücklage zu unterschreiten. Auch in diesem gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einfügt. Nach
Jahr kann ich mit Genugtuung feststellen, daß die Vorausberechnungen des Bundesarbeitsministeriums
Entwicklung der Beitragseinnahmen wiederum gün- verursacht die Anpassung der Renten aus den ge-
stiger verlaufen ist, als in den Vorausschätzungen setzlichen Rentenversicherungen und der Geld-
angenommen wurde. Die Einnahmensteigerung hat leistungen aus der Unfallversicherung Mehrausga-
den sehr beträchtlichen Ausgabenzuwachs über- ben von mehr als 1,5 Milliarden DM im kommenden
troffen. In erster Linie ist dies auf die Erhöhung Jahr. Angesichts dieser nicht unbeträchtlichen Ver-
der beitragspflichtigen Löhne und Gehälter zurück- mehrung der Konsumentenkaufkraft hat sich der So-
zuführen. Die Mehreinnahmen erlauben es, die Vor- zialbeirat mit der Frage auseinandergesetzt, ob nicht
ausschätzungen über die finanzielle Lage der auch aus konjunkturpolitischen Erwägungen die An-
Rentenversicherungsträger weiter zu verbessern, so passung auf ein geringeres Ausmaß als den Anstieg
daß die Folgerungen, die im vergangenen Jahr der allgemeinen Bemessensgrundlage beschränkt
gezogen werden konnten, in diesem Jahr mit noch werden sollte. Die Mehrheit der Beiratsmitglieder
größerer Sicherheit gezogen werden können und gab jedoch den sozialpolitischen Überlegungen den
auch noch weitergehende Aussagen über die künf- Vorrang und setzte sich für eine Anpassung der
tigen Rentenanpassungen erlauben. Der Sozial- Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen
bericht 1963 kommt zu der gesicherten Aussage, daß um 8,2 v. H. ein.
sowohl in der Rentenversicherung der Arbeiter als Auch für die Bundesregierung waren es die sozial-
auch in der Angestelltenversicherung die sechste politischen Gründe, die für den Vorschlag einer er-
und siebente Rentenanpassung durchgeführt werden neuten vollen Rentenanpassung den Ausschlag gege-
können, ohne daß die gesetzlich vorgeschriebene ben haben, zumal im Zeitpunkt der sechsten Renten-
Rücklage unterschritten wird. Auch die achte Ren- anpassung konjunkturpolitische Bedenken weniger
tenanpassung wird nicht zu einer Unterschreitung stark in den Vordergrund treten als in dem einen
des Rücklagesolls führen, die zu gesetzgeberischen oder anderen voraufgegangenen Jahr. Ferner ent-
Maßnahmen Anlaß geben könnte. schärfen sich etwaige konjunkturpolitische Beden-
Die uns heute vorliegenden Zahlen über die ken vor allem auch dadurch, daß die Mehraufwen-
finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenver- dungen von 1,5 Milliarden DM nicht schlagartig kon-
sicherungen rechtfertigen die Annahme, daß im sumwirksam werden, sondern, bedingt durch die
ganzen ersten Deckungsabschnitt das vom Gesetz- Technik der Anpassung und den monatlichen Zah-
geber verlangte finanzielle Gleichgewicht gesichert lungsrhythmus der Renten,
ist. Der rechnerische Überschuß zwischen den Ein- (Abg. Stingl: Sehr richtig!)
nahmen und Ausgaben in den Rentenversiche-
rungen der Arbeiter und der Angestellten ist von sich in gleichmäßige Beträge auf das ganze kom-
1,4 Milliarden DM im Jahre 1960 auf 1,8 Milliarden mende Jahr verteilen werden. Die Bundesregierung
DM im Jahre 1961 und auf mehr als 2 Milliarden vertritt daher die Auffassung, daß die im Rahmen
DM im Jahre 1962 gestiegen. Auch für das laufende des Sechsten Rentenanpassungsgesetzes vorgeschla-
Geschäftsjahr ist mit einem Überschuß von mehr genen Rentenerhöhungen auch mit der gesamtwirt-
als 2 Milliarden DM zu rechnen. Damit wird das schaftlichen Entwicklung vereinbar sind. Der vorge-
gesamte Bar und Anlagevermögen dieser beiden
- legte Entwurf eines Sechsten Rentenanpassungs-
Rentenversicherungen am Ende des Jahres 1963 gesetzes folgt den gleichen Grundsätzen, auf denen
mehr als 22 Milliarden DM betragen. Angesichts die vorausgegangenen fünf Rentenanpassungs-
dieses Vermögens der Versicherungen, das als gesetze beruhen. Er sieht für die Renten aus den
Rücklage gesetzlich vorgeschrieben ist, empfinde gesetzlichen Rentenversicherungen, die auf Versiche-
ich es als Beruhigung, daß auch bei weiteren An- rungsfällen beruhen, die im Jahre 1962 und früher
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4381
Bundesminister Blank
eingetreten sind, eine Erhöhung um 8,2 v. H. vor. nungsweise erklärt sich die unterschiedliche Höhe
Damit sollen die Bestandsrenten um denselben Pro- der Anpassungssätze. Im Endergebnis wird die An-
zentsatz erhöht werden, um den die Neurenten des passung in der Unfallversicherung grundsätzlich zu
Jahres 1963 gegenüber denen des Jahres 1962 gestie- der gleichen Anhebung der Renten führen wie die
gen sind. Mit der grundsätzlich gleichmäßigen Be- Anpassung in den Rentenversicherungen.
handlung von Bestands- und Neurenten will der Ent- Nach dem Entwurf sollen für Versicherungsfälle
wurf dem entscheidenden Grundgedanken der Ren- aus den Jahren 1961 und früher die vom Jahres-
tenreform, die Rentner im Ausmaß des Wachstums
arbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen um den
der Löhne und Gehälter an der wirtschaftlichen Ent-
Prozentsatz, der der Lohnentwicklung von 1961 auf
wicklung zu beteiligen, erneut Wirkung verschaffen. 1962 entspricht, erhöht werden. Da sowohl die Ren-
Der zeitliche Abstand, der zwischen der Lohnent-
ten aus der Rentenversicherung als auch die Unfall-
wicklung und der Entwicklung der Renten in den
renten zum gleichen Zeitpunkt angehoben werden,
Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen festge- wirkt sich die Anpassung für Rentner, die Renten
legt ist, hat allerdings zur Folge, daß sich die Renten
aus beiden Versicherungszweigen beziehen, günsti-
in ihrer Höhe nach der Lohnentwicklung vergange-
ger aus als bisher.
ner Jahre richten. Für das Sechste Rentenanpas-
sungsgesetz ist die Lohnentwicklung in den Jahren Hinsichtlich des technischen Ablaufs der Renten-
1959 bis 1961 maßgebend. In diesen drei Jahren sind anpassung sind keine von den Vorjahren ab-
die Löhne im Durchschnitt um 8,2 v. H. gestiegen. weichende Regelungen vorgesehen. Die Masse der
Um diesen Vom-Hundert-Satz sind jetzt auch die Be- anzupassenden Renten wird daher von den Renten-
standsrenten zu erhöhen, wenn die Rentner prozen- rechnungsstellen der Bundespost ohne Beteiligung
tual im gleichen Maße wie die Lohn- und Gehalts- der Versicherungsträger mit Hilfe elektronischer
empfänger an dem Produktivitätsfortschritt beteiligt Rechengeräte umgerechnet werden können. Jeder
sein sollen. Rentenempfänger erhält eine schriftliche Mitteilung
über die Höhe seiner Rente. Die Post wird bestrebt
Daß die Löhne im laufenden Jahr nicht in diesem sein, die angepaßte Rente vom 1. März 1964 an zu
Ausmaß steigen werden, darf nicht zu der Auffas- zahlen. Die Nachzahlungen für die Monate Januar
sung verleiten, die Renten würden den Löhnen vor- und Februar 1964 sollen mit der Rente für März 1964
auseilen. Sie folgen diesen vielmehr nach. Es han- ausgezahlt werden.
delt sich um eine mit zeitlichem Abstand parallele
Entwicklung. Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, an
dieser Stelle einmal ein Wort des Dankes an die
Da sich die Beitragsbemessungsgrenze und damit Deutsche Bundespost zu sagen
die Höchstgrenze in allen drei Rentenversicherungen (Beifall)
erhöht haben, ändern sich auch in diesem Jahr die
nachderVsiug tafelnidvu- und an die mit dieser Arbeit befaßten Bediensteten,
ellen Rentenhöchstbeträge. Das bedeutet, daß z. B. die so prompt Jahr für Jahr unser politisches Wollen
durch eine rechtzeitige Auszahlung an die Rentner
die Bestandsrenten, die in den Rentenversicherun-
in die Tat- umgesetzt haben.
gen der Arbeiter und ;der Angestellten im Jahre
1957 noch auf 562,50 DM monatlich begrenzt waren, (Erneuter Beifall.)
nunmehr vorn 1. Januar 1964 an auf 750 DM monat- Nun bleibt mir noch, wie alljährlich, so auch in
lich ansteigen werden. diesem Jahr, dem Sozialbeirat den Dank der Bun-
desregierung
Erstmalig sieht das Sechste Rentenanpassungs-
(Abg. Stingl: Und des Parlaments!)
gesetz auch eine Anpassung der vom Jahresarbeits-
verdienst abhängigen Geldleistungen in der Unfall- — zum Sprecher des Parlaments darf ich mich hier
versicherung vor. Ausgehend von der Überlegung, nicht selbst ernennen; ich überlasse das Ihnen, den
daß der Verletzte ohne den Unfall in aller Regel an Herren Abgeordneten — für sein nach eingehender
der weiterhin sich vollziehenden allgemeinen Lohn- und sorgfältigen Beratung erstattetes Gutachten aus-
entwicklung teilgenommen hätte, hat der Gesetz- zusprechen.
geber im Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz Die Bundesregierung bittet Sie, dem vorgelegten
vorgeschrieben, daß bei Veränderungen der durch- Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
schnittlichen Bruttolohn- und -gehaltssumme die vom (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleitungen
durch Gesetz angepaßt werden. Damit ist eine Be-
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir treten in die
rücksichtigung der jeweiligen Lohnverhältnisse
Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete
während der Dauer des Rentenbezuges vorgeschrie- Dr. Franz.
ben. Im Prinzip unterscheidet sich somit die Anpas-
sung in der Unfallversicherung nicht von der in den
Rentenversicherungen. Zu beachten ist jedoch, daß Dr. Franz (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
die Anpassung in der Unfallversiche rung der jähr- sehr verehrten Damen und Herren! Das Sechste
lichen Lohnentwicklung mit einem zweijährigen Ab- Rentenanpassungsgesetz ist in Verbindung mit dem
stand folgt. Für die Anpassung der Renten in der Sozialbericht 1963 ein glänzendes Zeugnis für die
Rentenversicherung ist dagegen die durchschnitt- großen sozialpolitischen Möglichkeiten, die in dem
liche Entwicklung in einem dreijährigen Zeitraum System der sozialen Marktwirtschaft liegen.
maßgebend. Aus dieser verschiedenartigen Berech- (Abg. Stingl: Jawohl!)
4382 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Franz
1,5 Milliarden DM mehr als bisher werden im Rah- die in den Tresoren der Rentenversicherung liegen,
men dieses Gesetzes unseren Rentnern zufließen. natürlich eine faszinierende Wirkung auf jene aus-
Es ist kein Geheimnis, daß es i m. Sozialbeirat eine üben, die auf dem Gebiet der verteilenden Gerech-
lebhafte Diskussion um eine eventuelle Beitrags- tigkeit das Hauptanliegen unserer Sozialpolitik
erhöhung in der Rentenversicherung um 1 % ge- sehen.
geben hat. Sie wissen, daß die Bundesregierung die- (Beifall bei der CDU/CSU.)
ser Anregung nicht gefolgt ist. Es ging dabei nicht Ich darf Ihnen aber ganz ehrlich sagen, daß der Aus-
um eine Stärkung der finanziellen Grundlage der fall der Anpassung und die Tatsache, daß wir sie
Rentenversicherung, sondern um den Gedanken, zu- nicht nachgeholt haben, nichts zu tun haben mit
gunsten der Rentner bei den aktiven Versicherten unserer Angst vor dem Kaufkraftstoß, sondern nur
eine Kaufkraftabschöpfung vorzunehmen. Sie alle mit unserer Sorge um das Schicksal der Rentenver-
kennen das böse Wort, daß immer dann die Wäh- sicherung überhaupt.
rung in Gefahr ist, wenn es um Renten und um
Löhne geht. Was steckt hinter dieser hart umstritte- (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)
nen Behauptung? Die Zahlenunterlagen, die im Sozialbericht enthal-
Dahinter steckt, daß Löhne und Sozialleistungen ten sind, zeigen uns, daß wir bis zum Ende des
von Jahr zu Jahr ein immer größerer Faktor im ersten Deckungsabschnitts 1966 die große Chance
Rahmen des gesamten Volkseinkommens werden. haben, die vorgeschriebenen Rücklagen in der Ar-
Ich erinnere daran, daß der frühere Bundeswirt- beiterversicherung zu fast 90 %, in der Angestellten-
schaftsminister und heutige Bundeskanzler Dr. Er- versicherung zu fast 100 % zu erreichen.
hard schon vor Jahren vorausgesagt hat, daß dieses
Moment des sozialen Ausgleichs in seinem System Eines ist ja typisch für die gesamte Rentenver-
liege. Löhne und Sozialleistungen werden von Jahr sicherung: daß im Laufe der letzten Jahre der Kreis
zu Jahr ein immer bedeutenderer Faktor im Rahmen der Beitragszahler sich erheblich ausgeweitet hat
und infolge der Steigerung der Nominallöhne eine
des gesamten Volkseinkommens.
indirekte Beitragserhöhung stattgefunden hat. Die
Ein zweiter Gesichtspunkt ist der, daß Löhne und Nachholung der Anpassung würde statt .der 1,5 Mil-
Sozialleistungen weit überwiegend konsumtiv ver- liarden DM, die in diesem Gesetz stehen, allein für
wendet werden. Das hängt nicht nur mit der zum das Jahr 1964 3,25 Milliarden DM bedeuten. Allein
Teil noch geringen Sparfähigkeit der Empfänger von für das Jahr 1964 — ich betone extra, daß diese
Sozialleistungen und Löhnen zusammen. Wir wis- Größenordnung nicht weitergerechnet worden ist —
sen, daß ein sozialer Aufstieg auf gesunder Grund- eine Verdoppelung! Was das bedeutet, wissen wir
lage immer noch ein Erziehungsproblem ist. Das alle.
Stichwort „Konsumgeld durch Renten" war schon
1956 im Rahmen der Rentenreformdiskussion ein Wir stellen fest, daß sich im Laufe dieses Jahres
wesentlicher Streitpunkt. Die Rentner selber haben vor allem die Entwicklung der Löhne sichtbar abge-
darauf im Jahre 1957 eine sehr ehrenhafte Antwort flacht hat. Die Auseinandersetzungen, die im Früh-
gegeben. Sie haben zumindest einen ganz großen jahr dieses Jahres im Südwesten Deutschlands mit
Teil der Nachzahlungen damals gespart. Metallarbeiterstreik und Aussperrung stattgefunden
haben, haben ganz deutlich die Fragwürdigkeit ein-
Wenn es heute heißt, daß die 1,5 Milliarden DM, gebildeter Machtpositionen gezeigt. Auf der anderen
die im Rahmen der neuen Gesetze auf die Rentner Seite ist das wichtigste Element überhaupt die deut-
zukommen, nicht kaufkraftneutral sind, dann darf lich sichtbare Erschöpfung des deutschen Arbeits-
ich sagen, daß wir die Pflicht haben, genau zu unter- marktes und in etwa auch des Arbeitsmarktes der
suchen, auf welche Sektoren der Nachfrage diese Länder, die uns bisher Arbeitskraftreserven geliefert
Gelder im wesentlichen wohl gelangen. haben.
(Abg. Stingl: Sehr gut!) Man darf behaupten, daß die Rentenverläufe, die
Da stelle ich fest, daß diese Gelder nicht dort auf- jetzt auf die Rentenversicherung zukommen, deut-
treten, wo wir seit Jahren die größte Konjunktur- liche Spiegelbilder des deutschen Schicksals der
überhitzung haben, nicht bei den Investitionen, nicht letzten fünfzig Jahre sind. Die Auswirkungen zweier
auf dem Baumarkt, sondern einesteils auf Märkten, Kriege, einer Weltwirtschaftskrise, zweier Inflatio-
die bisher noch keine Hochkonjunktur gekannt nen und des Lohnstopps während der Hitlerzeit
haben, oder dort — ich erwähne nur die Nahrungs- gehen aus jedem einzelnen Rentenverlauf hervor.
mittel —, wo das Angebot jederzeit fast beliebig Dagegen steht, daß künftig von Jahr zu Jahr immer
vermehrbar ist. glattere Rentenverläufe mit gleichmäßig hohen An-
sprüchen auf die Rentenversicherung zukommen
Ich gebe ehrlich-zu, daß diese sechste Rentenan-
werden, während die Einnahmesteigerung ihren
passung auch bedeutende Schönheitsfehler hat. Der
Kulminationspunkt deutlich überschritten hat.
bedeutendste Schönheitsfehler ist für mich der, daß
das sozialpolitisch wünschenswerte Ziel, die ausge- Hinzu kommt noch, daß uns im nächsten Jahrzehnt
fallene Anpassung nachzuholen, auch diesmal nicht die Auswirkungen der ungünstigen deutschen
erreicht worden ist. Ich sage: Es wäre ein sozial- Alterspyramide in vollem Umfang treffen werden.
politisch wünschenswertes Ziel. Auf der anderen Wir geben zu, daß die Rentenanpassung so etwas
Seite kann ich mir sehr gut vorstellen, daß — und wie ein Gewohnheitsrecht geworden ist. Der Herr
dafür werden wir heute in diesem Hause sicher Minister hat schon darauf hingewiesen, daß das Zu-
noch Beispiele bekommen — die 20 Milliarden DM, rücksinken der Renten um die berühmten drei Jahre
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4383
Dr. Franz
sich in Zeiten einer abflachenden Lohnkurve so aus- Geheimnis, daß von der CDU-Fraktion schon sehr
wirkt, daß die Renten gegenüber den Löhnen auf- weitgehende Vorarbeiten zu diesem Zweck geleistet
holen. Das ist bei der heutigen Rentenanpassung worden sind.
der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Abg. Stingl:... und gewünscht!) Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf das
— Und gewünscht. — Diese drei Jahre sollten eigent- Kernproblem eingehen. 1957 sind wir davon aus-
lich ein retardierendes Element sein. Sie sind jetzt gegangen, daß Beitragshöhe und Beitragszeit zwei
ein korrigierendes Element geworden, im besten gleichberechtigte Elemente bei der Berechnung der
sozialpolitischen Sinne. Wir sind sehr glücklich dar- Altersrente sein sollten. Heute hat es sich heraus-
über, daß wir heute mit bestem Gewissen sagen gestellt, daß der Gesichtspunkt der Beitragszeit
können, daß wir bis zum Ende des ersten Deckungs- unter besonders gelagerten Umständen unter-
abschnitts eine alljährliche Anpassung vorzuneh- bewertet sein kann, nämlich dort, wo langjährige
men in der Lage sein werden. Versicherte aus dem Dienstleistungsbereich der
Dann aber müssen die Voraussetzungen neu ge- Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Hauswirtschaft
prüft werden. Wir alle haben schon in der Fach- trotz langjähriger Beitragszeit sehr niedrige Renten
presse und in hochinteressanten Vorträgen von erhalten, weil die Entlohnung niedrig war und die
Fachleuten gehört, daß möglicherweise — genau Sachbezüge beitragsmäßig zu gering in Ansatz ge-
kann das niemand übersehen — im zweiten bracht wurden. Wir sind der Auffassung, daß die-
Deckungsabschnitt angesichts der ungünstigen Al- sem Punkt bei der Überarbeitung der Rentengesetze
terspyramide eine Beitragserhöhung in der Größen- — wobei ich ganz sicher bin, daß wir in diesem
ordnung von 14 bis 19 oder gar 20 % nötig sein Hause eine einstimmige Entscheidung erreichen
könnte. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß eine werden — allergrößte Sorgfalt gewidmet werden
solche Notwendigkeit weitgehend unabhängig von muß.
parteipolitischer Einstellung ist. Wenn das Geld ein- (Beifall in der Mitte.)
mal gebraucht werden sollte, um die Renten- Wir sind aber nicht gewillt, diejenigen, die nur
ansprüche zu erfüllen, muß es eingehoben werden, sechs oder acht Beitragsjahre aufzuweisen haben,
ganz gleich wer die politische Verantwortung dafür in diesem Rahmen zu berücksichtigen. Wir dürfen
zu tragen hat. nämlich die braven Beitragszahler, von denen wir
Ich möchte nicht verschweigen, daß uns ein Ele- die allermeisten in die Versicherungspflicht ein-
ment besonders große Sorgen bereitet. Es gibt gar bezogen haben, nicht dadurch strafen, daß wir hin-
keinen Zweifel darüber, daß wir in der Rentenhöhe terher die anderen durch einen Gnadenakt des Staa-
im Vergleich zum Durchschnittsverdienst der heuti- tes gleichstellen.
gen aktiven Versicherten ein leichtes Absinken fest- (Beifall in der Mitte.)
zustellen haben. Das braucht nicht verschwiegen zu Wir dürfen auch nicht durch einen Akt der Gesetz-
werden und bedeutet, daß wir zu dieser Stunde gebung die von bestimmten Interessentengruppen
sozialpolitisch an einem Scheideweg stehen. Wir betriebene planmäßige Politik niedriger Beiträge
sind nicht damit zufrieden, daß die Masse unserer mit einer Sockelrente belohnen. Ich möchte es ein-
Versicherten heute eine verhältnismäßig große mal überspitzt ausdrücken. Wenn wir das täten,
Möglichkeit hat, am allgemeinen Konsum teilzu- wenn wir am Ende eines Arbeitslebens den Mann,
nehmen, und darüber hinaus keine andere Chance, der 40 Jahre lang gezahlt hat, und die Frau, die
als die sehr hoch gewordenen Beitragsverpflichtun- vielleicht nur sechs oder acht Jahre lang gezahlt
gen in den gesetzlichen Versicherungszweigen zu hat, gleichstellten, gäbe es, überspitzt ausgedrückt,
erfüllen. Das entspricht nicht unseren sozialpoliti- nur eine logische Alternative: die gesamte soziale
schen Vorstellungen. Wir wollen Spielraum haben. Rentenversicherung auf freiwilliger Basis durchzu-
Nach unseren sozialpolitischen Vorstellungen soll führen, so daß jeder wählen könnte, ob er sich
zwischen dem Konsum und der Beitragsverpflich- einen erdienten oder einen gesetzlich verankerten
tung noch ein Spielraum für eine individuelle Ge- Anspruch sichern will.
staltung des einzelnen Schicksals bestehenbleiben.
Zum erstenmal wird in diesem Jahre die Unfall-
(Beifall bei der CDU/CSU.) versicherung angepaßt. Sie alle wissen, daß diese
In diesem Sinne ist der Streit um die nachgeholte Maßnahme sehr, sehr umstritten gewesen ist. Auf
Anpassung, die etwa 2 Milliarden DM mehr kosten der einen Seite war sich jeder darüber klar, daß
würde als das, was die Bundesregierung in dem die in dem Gesetz von 1957 vorgesehene Dynami-
sechsten Anpassungsgesetz vorschlägt, nur ein sierung der Rente so etwas wie eine normative
Symptom für sehr tiefgreifende sozialpolitische Ent- Wirkung auf andere Zweige der Sozialversicherung
scheidungen. haben würde. Auf der anderen Seite kann ich mir
einfach nicht vorstellen, daß in einem Wirtschafts-
Wir schlagen ein anderes Verfahren vor. Wir sind system, dessen Kern eine unvorstellbare Dynamik
der Meinung, daß die Rentengesetze von 1957 nun- ist, Renten auf dem Stand irgendeines früheren
mehr eine ausreichende Laufzeit und Bewährungs-
Jahres eingefroren werden könnten. Das ist sozial-
zeit gehabt haben. Wir stellen fest, daß jenes Werk
politisch undenkbar und auch wirtschaftspolitisch
manche soziale Härten, manche verfahrensrechtliche
nicht sinnvoll.
Schwierigkeiten aufweist. Wir sollten noch in dieser
Legislaturperiode gemeinsam eine Überarbeitung Ich habe schon gesagt: die Anpassung der Unfall-
der Rentengesetze von 1957 vornehmen. Es ist kein versicherung ist ein Schritt in sozialpolitisches Neu-
4384 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Franz
land. Das bedeutet, daß wir bei den Ausschußbera- Selbstverständlich lassen sich für diese Abwei-
tungen über eine Reihe von Problemen, die in die- -
chung Gründe anführen. Politisch ist aber entschei-
sem Entwurf stecken, mit größter Unvoreingenom- dend, daß es offenbar an der notwendigen Koordi-
menheit werden reden müssen. Ich darf in diesem nierung gefehlt hat; sonst hätte die Bundesregie-
Zusammenhang nur sagen, daß über die 8,7 % noch rung nicht den gesetzgebenden Körperschaften im
gesprochen werden wird. Sozialbericht Zahlenmaterial vorlegen können, das
Auch das sozialpolitisch so bedrängende Problem sich von dem des Statistischen Bundesamtes unter-
der Ortslöhne kann möglicherweise dadurch einer scheidet.
Lösung nahegebracht werden, daß der Bundesge- (Abg. Wehner: Hört! Hört!)
setzgeber die Länder anweist, die Ortslöhne her- Die Bundesregierung kann sich nicht damit entschul-
aufzusetzen. Dann stünde auch ihrer Anpassung digen, daß der Sozialbericht das Datum vom 28. Sep-
nichts mehr im Wege. tember 1963 trägt, daß aber die Berechnungen des
(Abg. Stingl: Hoffentlich funktioniert das Statistischen Bundesamtes erst im Oktoberheft von
bei den Ländern von allein!) „Wirtschaft und Statistik" veröffentlicht wurden.
Das Rentenanpassungsgesetz, in dem der unter-
— Herr Kollege Stingl, bringen Sie mich als Bayern schiedliche Anpassungssatz festgelegt ist, ist dem
nicht in Verlegenheit!
Bundestag nämlich unter dem 30. Oktober vorgelegt
(Heiterkeit in der Mitte.) worden, also zu einem Zeitpunkt, in dem die neuen
Ich gebe ehrlich zu, es kann sein, daß wir in der Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bereits
Vergangenheit auf diesem oder jenem Teilgebiet vorlagen.
durch Unterlassung gesündigt haben, daß die letzten Wenn sich die Bundesregierung zu einer Sozial-
Möglichkeiten, die in den Gesetzen lagen, vielleicht gesetzgebung aus einem Guß bekennt, dann muß sie
nicht hundertprozentig ausgeschöpft worden sind. erst einmal dafür sorgen, daß dem Hause über die
Aber das Wort ist nicht ganz unberechtigt, daß fast gleichen sozialen Tatbestände auch das gleiche Mate-
alle Leistungen, die wir hier gesetzlich konzipiert rial vorgelegt wird.
haben, gewissermaßen auf die Hochkonjunktur zu- Die Anpassung der Renten der Unfallversicherung
geschnitten sind — das ist leider kein leeres Schlag- richtet sich — Herr Kollege Franz hat es verdeut-
wort — und daß die Bewährungsprobe all dieser licht — nach der Entwicklung der durchschnittlichen
Gesetze erst kommen wird; davon bin ich felsenfest Lohnsumme von 1961 zu 1962. Nach dem Zahlen-
überzeugt. Eines aber möchte ich verhindert wissen, material des Sozialberichts, auf dem das Renten-
nämlich das Unsozialste, was überhaupt denkbar anpassungsgesetz basiert, beträgt dieser Steige-
wäre: daß irgendein sozialer Anspruch nur noch auf rungssatz für die Unfallversicherung 8,7 v. H., nach
dem Papier steht und nicht erfüllt werden kann. dem Zahlenmaterial des Statistischen Bundesamtes
(Beifall bei der CDU/CSU.) aber 9 v. H.
Das ist unsere größte Sorge. (Abg. Stingl: Deshalb hat Herr Kollege
Ich beantrage, den Gesetzentwurf dem Ausschuß Franz gesagt: Wir müssen über die Zah
für Sozialpolitik zu überweisen. len reden!)
(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.) — Ja, wir müssen noch über sehr viel reden; aber
ich hätte gewünscht, Herr Kollege Stingl, daß die
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Bundesregierung die Erkenntnisse des Statistischen
Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg. Bundesamtes mindestens mit einem Satz erwähnt
hätte, und das ist nicht geschehen.
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Diese Unterschiedlichkeit in dem Steigerungssatz
Damen und Herren! Der Entwurf des Sechsten Ren- von einerseits 8,7 % und andererseits 9 % wirkt
tenanpassungsgesetzes ist der erste Gesetzentwurf sich auf rund 700 000 Unfallrenten aus.
der neuen Bundesregierung. Es 'ist deshalb das Ge- Ein zweiter Tatbestand steht im Widerspruch zu
gebene, diesen Gesetzentwurf mit den Maßstäben der von der Bundesregierung verkündeten „Sozial
zu messen, die sich diese Bundesregierung selbst gesetzgebung aus einem Guß". Nach dem Sechsten
gesetzt hat; damit meine ich die Maßstäbe in der Rentenanpassungsgesetz soll die Anpassung der
Erklärung der Bundesregierung über eine Sozial- Renten der Rentenversicherung 8,2 v. H. betragen,
gesetzgebung aus einem Guß. die Anpassung der Renten der Unfallversicherung
Der Entwurf des Sechsten Rentenanpassungsgeset- 8,7 bzw. — nach Angaben des Statistischen Bundes-
zes stützt sich auf den Sozialbericht. Das Material amtes — 9 v. H. Natürlich kenne ich die Gründe für
dieses Sozialberichts ist in seinem ersten Abschnitt diese unterschiedlichen Anpassungssätze. Sozial-
— Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähig- politisch ist es aber nicht sinnvoll, wegen dieser
keit und der Produktivität sowie die Veränderungen unterschiedlichen Anpassungssätze für 200 000 Rent-
des Volkseinkommens — wie immer sehr instruk- ner, nämlich jene Rentner, bei denen Unfallrenten
tiv. Es fällt aber erstens auf, daß die Berechnungen mit Renten der Rentenversicherung zusammentref-
des Sozialberichts über die durchschnittliche Ein- fen, eine erneute Anwendung der Anrechnungs- und
kommensentwicklung, die besonders für die Anpas- Ruhensvorschriften vorzunehmen. Das macht einen
sung der Unfallrenten von Bedeutung ist, von dem zusätzlichen Verwaltungsaufwand erforderlich und
Zahlenmaterial, das das Statistische Bundesamt neu- läßt sich eben nicht mit dem so 'schönen Grundsatz
erdings veröffentlicht hat, abweichen. „Sozialpolitik aus einem Guß" vereinbaren.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4385
Dr. Schellenberg
Wir Sozialdemokraten werden deshalb bei den scheiden. Aber wenn sie bei jedem der sechs Ren-
Ausschußberatungen Vorschläge zur Änderung des tenanpassungsgesetze in so großem Umfange
- erfor-
Regierungsentwurfs vorlegen, damit eine erneute derlich sind, dann mußte man eben die Lehren aus
Anwendung von komplizierten Anrechnungsvor- der Entwicklung ziehen, und das vermissen wir.
schriften, die sich aus diesen unterschiedlichen An- (Abg. Stingl: Und inflationäre Tendenzen
passungssätzen ergeben, vermieden wird, im Inter- einkalkulieren!)
esse einer verwaltungstechnischen Vereinfachung
und im Interesse der Menschen, um die es geht. Zu einer dieser Berichtigungen ist die Bundes-
regierung auch jetzt beim Sechsten Rentenanpas-
(Abg. Dr. Franz: Aber Sie sind doch nicht sungsgesetz, zum sechsten Male, genötigt. Sie be-
gegen jede Anrechnung!) stätigt damit die Richtigkeit der sozialdemokrati-
— Herr Kollege Franz, es muß jedenfalls unseres schen Beurteilung der Finanzlage.
Erachtens eine Änderung des Entwurfs des Sechsten (Beifall bei der SPD.)
Anpassungsgesetzes erfolgen. Das habe ich ange-
kündigt, und wir werden im Ausschuß im einzelnen Wir sprechen für die Zukunft die Erwartung aus —
die entsprechenden Anträge vorlegen; darauf kön- und haben die Hoffnung, daß Sie dem zustimmen —,
nen Sie sich verlassen. daß die Vorausschau, die sich die Bundesregierung
für die Sozialpolitik im allgemeinen vorgenommen
(Abg. Dr. Franz: Es ist nett, daß Sie dasein hat, auch zu genaueren Vorausberechnungen in der
werden! — Heiterkeit.) Rentenversicherung führt.
— Ja, wenn produktiv gearbeitet wird, sind wir (Abg. Ruf: Und heute?)
immer dabei.
(Beifall bei der SPD.) Auf Grund der günstigen Finanzentwicklung, die
sich seit der Rentenreform vollzogen hat,
Nun zu einem anderen Problem. In der Regie-
rungserklärung heißt es — das ist eine bedeutsame (Abg. Stingl: Und die worauf beruht?)
Verpflichtung — unter anderem, daß die Fortent- ist es durchaus möglich, das Sechste Rentenanpas-
wicklung der Sozialpolitik vorausschauend bedacht sungsgesetz ohne irgendwelche finanzwirtschaft-
werden soll. Diese Auffassung wird von uns um so lichen Bedenken zu verabschieden. Dabei sollte —
mehr geteilt, als es bisher mit der Vorausschau der darin stimme ich Herrn Kollegen Dr. Franz voll und
Bundesregierung auf dem Gebiete der Rentenver- ganz zu — in den Ausschußberatungen geprüft wer-
sicherung nicht immer gut bestellt war. Ich will den, inwieweit Härten und Ungerechtigkeiten bei
Ihnen das beweisen. Bei jedem Sozialbericht, den dieser Anpassung beseitigt werden können. Sie
wir bisher behandelt haben, mußte nämlich festge- haben dafür ein Beispiel genannt, die Ortslöhne. Es
stellt werden, daß die Finanzlage der Rentenver- gibt noch weitere. Diese Dinge müssen wir nach
sicherung weit günstiger war, als die Bundesregie- unserer Auffassung jetzt bei der sechsten Anpassung
rung sie vorausberechnet hatte. sinnvoller regeln.
(Abg. Stingl: Sie kennen aber auch die Aber über die Beratung und Verabschiedung des
Gründe!) vorliegenden Gesetzentwurfs hinaus hat das Haus
— Herr Kollege Stingl, die SPD hat bei jeder Dis- die politische Verpflichtung, auch die finanzwirt-
kussion über Finanzfragen diese günstigere Ent- schaftliche Entwicklung der Rentenversicherung für
wicklung vorausgesagt. Das kann man in jedem die weitere Zukunft mit großer Sorgfalt zu beob-
Protokoll nachlesen. achten.
(Abg. Dr. Franz: Sehr richtig!)
(Sehr wahr! bei der SPD.)
Es ist ein Alarmzeichen, daß der Sozialbeirat in
Wir haben also die Entwicklung vorausgesehen, seinem Gutachten unter anderem folgendes ausführt
aber die Bundesregierung hat — darauf muß ich hin- — ich zitiere —:
weisen — in dem ersten Sozialbericht - ich nenne
Der Sozialbeirat hat sich mit qualifizierter Mehr-
den ersten Sozialbericht, weil er der eingehendste
heit für eine baldige Erhöhung des Beitrags-
war — für dieses Jahr 1963 einen Fehlbetrag für
satzes ausgesprochen.
die Rentenversicherung von insgesamt 590 Millio-
nen DM errechnet. Nach dem jetzt vorgelegten So- Der Bundesarbeitsminister hat hier den Dank an
zialbericht 1963 wird sich jedoch für dieses Jahr ein den Sozialbeirat für seine Arbeit ausgesprochen.
Überschuß von über 2 Milliarden DM ergeben. Das Dem können wir zustimmen. Aber zu diesem wich-
sind doch erstaunliche Differenzen. Bisher mußte die tigen Beschluß des Beirats hat der Bundesarbeits-
Bundesregierung — meine Damen und Herren, das minister kein Wort gesagt. Wenn wir Sozialdemo-
kann niemand bestreiten — bei jedem Sozialbericht kraten auch die pessimistische Auffassung der Mehr-
ihre frühere Vorausberechnung korrigieren und zu- heit des Beirates nicht teilen, weil unseres Erachtens
geben, daß entgegen der Schätzung des Vorjahres in diesem Beschluß die negativen Faktoren zu stark
doch noch weitere Anpassungen möglich seien. und günstige Momente zu gering bewertet wurden,
so muß uns doch — das möchte ich ausdrücklich im
(Abg. Ruf: Das liegt doch in der Natur Namen meiner Fraktion erklären — dieser Beschluß
der Sache!) des Beirates zu besonderen Überlegungen veran-
— Herr Kollege Ruf, das liegt nicht unbedingt in der lassen.
Natur der Sache. Man kann einige Korrekturen (Abg. Dr. Franz: Eine Mahnung zur Spar
selbstverständlich nicht immer mit Sicherheit aus samkeit auf alle Fälle!)
4386 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Schellenberg
— Ich werde Ihnen sagen, in welcher Hinsicht Er- von ständigen Berichtigungen auf ein Minimum be-
mahnungen nötig sind. Darauf komme ich noch zu schränkt wird.
sprechen, selbstverständlich.
2. Im Ausschuß muß unverzüglich auf Grund der
Bei der weittragenden Bedeutung, die diese finan- bereits vorliegenden Unterlagen — nämlich Sozial-
ziellen Probleme unserer Rentenversicherung für die bericht 1962 und jetzt Sozialbericht 1963, erste ver-
Beitragszahler und für die Rentner von heute, mor- sicherungstechnische Bilanz — mit den Beratungen
gen und übermorgen haben, müssen nach Auffas- über die Finanzsituation unserer Rentenversiche-
sung meiner Fraktion alle Argumente geprüft, alle rung begonnen werden.
Fakten zusammengetragen und jeder Sachverstand
genutzt werden, Wir können es deshalb nicht zu- 3. Die Bundesregierung hat die zweite versiche-
lassen, daß die Bundesregierung diesen schwerwie- rungstechnische Bilanz beschleunigt vorzulegen.
genden Beschluß des von uns eingesetzten Sozial- 4. Der Auftrag des Bundesrates auf weitere
beirates, wonach eine Erhöhung der Beiträge erfor- finanzwirtschaftliche Untersuchungen sollte mög-
derlich sei, mit ganz wenigen Sätzen abtut. lichst bald erfüllt werden.
Schon vor einem Jahr hatten wir hier bei Vorlage Herr Kollege Franz, Sie haben — dankenswerter-
der versicherungstechnischen Bilanz eine gründliche weise, muß ich sagen — davon gesprochen, daß im
Erörterung aller Finanzfragen der Rentenversiche- Laufe dieser Legislaturperiode auch Härten und Un-
rung in dem zuständigen Ausschuß gefordert. Dazu gerechtigkeiten der Rentenversicherung beseitigt
ist es leider bisher nicht gekommen, meine Damen werden sollten. Da sagen Sie uns nichts Neues. Wir
und Herren von den Regierungsparteien, und zwar haben in dieser Hinsicht in diesem Hause schon
deshalb nicht, weil die Mehrheit Beratungen über Anträge gestellt, die leider abgelehnt worden sind.
das Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz — Aber gerade wegen dieser Härten ist es besonders
jene „ersprießlichen" Beratungen — für sinnvoller dringlich, alle finanzwirtschaftlichen Zusammen-
und dringlicher hielt als eine Auseinandersetzung hänge sorgfältig zu prüfen.
mit den grundlegenden Finanzproblemen unserer
Rentenversicherung. Das ist der Tatbestand. (Beifall bei der SPD. — Abg. Stingl: Selbst-
verständlich, damit stimmen wir überein.)
(Beifall bei der SPD.)
— Das muß etwaigen Änderungen vorangehen,
Infolgedessen konnte bis jetzt weder der Sozialbe- dann sind wir einig.
richt des Jahres 1961 noch die erste versicherungs-
technische Bilanz im Ausschuß beraten werden. Wir Zum Schluß möchte ich, damit keinerlei Mißver-
sind der Auffassung, daß das im Hinblick auf den ständnisse irgendwo aufkommen, folgendes sagen:
von mir zitierten Beschluß des Sozialbeirats nicht so Wenn wir Sozialdemokraten eine gründliche Erörte-
weitergehen kann. Die Erörterung auch schwieriger rung von Finanzfragen der Rentenversicherung for-
Finanzfragen der Rentenversicherung darf nicht län- dern, so stellen wir damit nicht im mindestens den
ger hinausgeschoben werden. Grundsatz der weiteren laufenden Anpassungen in
In diesem Zusammenhang muß ich daran erinnern, Frage. Im Gegenteil, gerade weil wir das Prinzip
daß die zweite versicherungstechnische Bilanz, die der dynamischen Rente voll bejahen, wünschen wir
nach den gesetzlichen Vorschriften für den Stichtag zur unbedingten Gewährleistung der späteren Ren-
1. Januar 1961 zu erstellen ist, noch aussteht. Im tenleistung, daß alle finanziellen Zusammenhänge
Hinblick auf die erheblichen Finanzprobleme, die ge- frühzeitig in gründlicher Weise geprüft werden, und
löst werden müssen, fordern wir deshalb, daß die zwar sowohl die positiven als auch die negativen
Bundesregierung nunmehr die zweite versicherungs- Entwicklungstendenzen.
technische Bilanz — per 1. Januar 1961 — den ge- Solche finanzwirtschaftlichen Überlegungen soll-
setzgebenden Körperschaften vorlegt. ten zu einer Zeit angestellt werden, in der auf
Ferner ist darauf hinzuweisen, daß der Bundesrat Grund der günstigen Finanzlage — über 20 Milliar-
bei Kenntnisnahme dieses Sozialberichts die Bun- den DM Vermögen! — kein unmittelbarer Anlaß
desregierung gebeten hat, so bald wie möglich zur zu Sorgen besteht, in einer Zeit also, in der man
Klärung der voraussichtlichen längerfristigen Ent- nicht dem Druck von Zwangsläufigkeiten ausgesetzt
wicklung der Rentenversicherung eine Reihe von ist. Aber, meine Damen und Herren, wer den rech-
Untersuchungen durchzuführen, beispielsweise über ten Zeitpunkt für solche sinnvollen Überlegungen
die durch die Kriegsfolgen bewirkte Beziehung zwi- verstreichen und die Dinge treiben läßt, handelt
schen der Zahl der Beitragszahler und der Zahl der kurzsichtig, und das sollte im Bereich der Renten-
Rentner. Die sozialdemokratische Fraktion wird versicherung doch nicht geschehen. Im übrigen
diese Entschließung des Bundesrates aufnehmen, würde das auch schlecht zu den vorausschauenden
und wir werden auch vom Ausschuß aus darum bit- Überlegungen passen, von denen in der Regie-
ten, daß diese Unterlagen baldmöglichst vorgelegt rungserklärung gesprochen worden ist. Wir Sozial-
werden. demokraten jedenfalls — das möchte ich auch an
dieser Stelle betonen — lassen uns in der Verant-
Ich fasse zusammen. Vier Dinge müssen auf dem wortung für die finanzielle Sicherheit der deutschen
Gebiete der Rentenversicherung in finanzwirtschaft- Rentenversicherung von niemandem übertreffen.
licher Hinsicht geschehen:
1. Die Zahlen der zukünftigen Sozialberichte sind (Beifall bei der SPD. — Abg. Ruf: Ich
so gründlich zu berechnen, daß die leidige Praxis werde Sie daran erinnern!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4387

Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der heute, sondern auch für die Rentner vor morgen,
Abgeordnete Spitzmüller. d. h. für die Arbeiter von heute, zu sorgen,
(Widerspruch bei der SPD)
Spitzmüller (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen! Meine Herren! Im Laufe der heu- und ich mich gegen Ihre Vorstellungen wandte, daß
tigen Debatte ist schon darauf hingewiesen worden, wir unbesehen, ohne in die tieferen finanzpolitischen
daß es doch eine gewaltige Leistung darstellt, wenn und finanzwirtschaftlichen Probleme einzusteigen,
auch in diesem Jahr wieder die Renten angepaßt, Ihren Vorschlägen über eine Rentenerhöhung folgen
d. h. erhöht werden können. Aber ich glaube, wir sollten.
müssen zu dem, was Herr Kollege Dr. Franz dazu
ausgeführt hat, noch unterstreichen: nicht nur die Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine
soziale Marktwirtschaft hat dies möglich gemacht, Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
sondern außer der sozialen Marktwirtschaft — die
natürlich die Grundvoraussetzung war — auch die
Bereitschaft der Arbeitnehmer, es ohne Proteste hin- Spitzmüller (FDP) : Bitte schön!
zunehmen, daß sie 7 % statt 2,8 % Beitrag vom
Lohn abgezogen bekommen, und auch die Tatsache, Dr. Schellenberg (SPD) : Können Sie mir mit-
daß die Wirtschaft, große wie kleine Unternehmer, teilen, wann wir uns einmal einer Diskussion über
fähig war, konkurrenzfähig auch gegenüber dem finanzwirtschaftliche Zusammenhänge entzogen
Ausland zu bleiben, obwohl in der Bundesrepublik haben?
die größte Steuer- und Abgabenbelastung der
freien Welt besteht.
Beim Vergleich der Ubersicht 15 in der Drucksache Spitzmüller (FDP) : Herr Kollege Schellenberg,
IV/1486 mit dem Gutachten des Sozialbeirats, Seiten wir wissen, daß Sie im Sozialpolitischen Ausschuß
33 und 34, stellt man einen scheinbaren Widerspruch den Antrag gestellt haben, die versicherungstech-
fest. Herr Kollege Schellenberg hat schon erwähnt, nische Bilanz zunächst einmal nacht zu behandeln.
daß sich die finanzielle Situation etwas anders dar- Das war Ihr Vorschlag als Vorsitzender. Dem haben
stelle als vor einem oder zwei Jahren. Der Sozial- Wir zugestimmt, weil wir !andere Gesetze als wichtig
bericht weist in der Rechnung A auch aus, daß das angesehen haben. Und dann haben Sie in einer
Rücklagesoll der Arbeiterrentenversicherung bis zum Sitzung, als wir gerade bei der Behandlung des
31. Dezember 1966 nach den neuesten Vorausberech- Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes waren,
nungen 89 % betragen wird, während nach den Er- verlangt, nicht etwa daß !die Fraktionen sich über-
fahrungen, die man bis 1960 gesammelt hatte, ledig- legen sollten, wann einmal ein Termin freizumachen
lich mit einem Betrag von 74 % zu rechnen war. Ent- ist, um die versicherungstechnische Bilanz zu be-
sprechendes gilt für die Angestelltenversicherung handeln, sondern daß idas Krankenversicherungs-
mit 96 bzw. 85 %. Neuregelungsgesetz sofort abgesetzt und die ver-
sicherungstechnische Bilanz auf die Tagesordnung
Diese kurzfristige Betrachtung dieser drei Jahre,
gesetzt ward.
bezogen auf 1966, scheint denjenigen recht zu geben,
die seit Jahren behaupten, angesichts der absoluten (Abg. Stingl: Da paßte es in die politische
und prozentualen Beträge der Rücklagen bei den Linie!)
Rentenversicherungsträgern sei mit finanziellen Ich bin überzeugt, Herr Kollege Schellenberg, daß
Schwierigkeiten nicht zu rechnen. Ja, es gibt oder es Sie, wenn Sie ihren Antrag dahin formuliert hätten
gab Leute in diesem Haus — und es gibt sie sicher- — oder, wenn Sie demnächst wieder im Ausschuß
lich auch draußen —, die meinen, daß die bisherigen erscheinen, einen diesbezüglichen Antrag stellen —,
fünf Rentenanpassungen in ihrem Gesamtvolumen einen Termin auszumachen, zu dem sinnvollerweise
als unzureichend zu bezeichnen seien. Aber bei den zwischen die Beratungen des Krankenversicherungs-
Rentenversicherungen, wo es um Millionen von Neuregelungsgesetzes die Beratung der versiche-
Menschen geht, für deren Alterssicherung wir zu rungstechnischen Bilanz eingeschoben werden kann,
sorgen haben, und um Menschen geht, die auch in bei !den beiden Fraktionen, die die Mehrheit bilden,
dreißig und vierzig Jahren noch einen Rentenan- durchaus auf Verständnis gestoßen wären bzw. sto-
spruch erfüllt haben wollen, verlangt die politische ßen würden. Aber man kann doch nicht in den
Verantwortung mehr als nur eine Betrachtung der Ausschuß kommen und sagen: das, was angesetzt
gegenwärtigen Situation und der Möglichkeiten, die ist, wird abgesetzt, und das andere wird 'aufgesetzt!
für das nächste oder übernächste Jahr noch gegeben Es muß ja auch eine Arbeitsweise des
sind. Ausschusses sichergestellt sein.
Ich bin dem Kollegen Schellenberg sehr dankbar (Beifall bei der FDP rund Abgeordneten in
für seinen Hinweis darauf, daß diese finanzpoli- der Mitte.)
tischen Situationen für die Rentner von heute, mor-
gen und übermorgen wichtig sind. Ich habe mich sehr
gut erinnert: Als ich in meiner neuen Aufgabe als Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine
Sprecher der FDP im Jahre 1961 zum erstenmal hier weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schellen-
heraufmußte, um zu einer Rentenanpassung zu spre- berg?
chen, stimmte mir die SPD gar nicht zu, als ich er-
klärte, wir hätten nicht nur für die Rentner von Spitzmüller (FDP) : Bitte!
4388 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Spitz- Gott sei Dank. Aber wir übertragen die Dynamik
-
müller, halten Sie das, was der Ausschuß hinsicht- der Wirtschaft — das ist unsere Meinung — ein
lich der Krankenversicherungsneuregelung prakti- bißchen zu automatisch in zu viele Lebensbereiche,
ziert, für sinnvoll? wodurch die Wirtschaft plötzlich überfordert wird
und in sich selbst keine Dynamik mehr entfalten
(Abg. 'Stingl: Ja!)
kann, und damit alles gefährdet wird. Es sind bei
uns dieselben Sorgen, die Sie drücken, die Sie aber
Spitzmüller (FDP) : Aber sicher, Herr Kollege jetzt zum ersten Male so deutlich ausgesprochen
Schellenberg. Es wäre nur noch sinnvoller, wenn haben.
wir auf den Rat und die Beiträge der sozialdemo-
kratischen Opposition nicht verzichten müßten. Herr Kollege Schellenberg, es war für uns immer-
hin beachtenswert, daß Sie erklärten, es sei ein
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Alarmzeichen, wenn der Sozialbeirat — da haben
Abg. Killat: Dann müßten wir wissen, was Sie sogar ein wenig verschwiegen — mit acht gegen
Sie tatsächlich wollen!) zwei Stimmen für eine baldige Erhöhung des Bei-
Herr Kollege Schellenberg, selbst wenn ich mich in trages eintritt. Wenn wir genau nachlesen, stellen
Ihre Gedankenwelt versetzte und sagte, aus dieser wir fest, daß der Sozialbeirat an einer Stelle sogar
Krankenversicherungsneuordnung wird in diesem erklärt hat: 8,2 % Erhöhung der Renten ja, aber
Bundestag nichts, dann bin ich doch der Überzeu- gleichzeitig eine Erhöhung der Beiträge bis zu 1 %.
gung, daß Sie, wenn Sie so denken, doch nicht ab- Herr Kollege Schellenberg, für uns Freie Demokra-
streiten können, daß in der Krankenversicherung ten ist das kein Alarmzeichen. Wir wußten, daß
eine ganze Reihe von Problemen gelöst werden diese Erhöhungen kommen werden. Wir hatten bei
kann und hier Änderungen vorgenommen werden der Behandlung der Neuregelungsgesetze im Bun-
können und daß es nicht sinnlos sein kann, wenn destag auch schon darauf hingewiesen, daß eines
sich die verantwortlichen Parlamentarier in einem Tages aus diesem System gewisse schwerwiegende
Ausschuß um die jetzigen Gegebenheiten bemühen Entscheidungen auf das Parlament zukommen wer-
und sich Gedanken über eine sinnvollere Gestal- den, denen wir uns nicht entziehen können.
tung machen, selbst wenn man wie Sie der Meinung Die Rentenanpassungen, die wir vorgenommen
ist, daß in diesem Bundestag die Beratungen nicht haben, werden von vielen in der Bevölkerung nicht
mehr zu einem ordentlichen Abschluß kommen wer- als das angesehen, als was sie im Gesetz gedacht
den. sind und wie es dort geschrieben steht. Sie sind nur
(Beifall bei den Regierungsparteien und Zu so gedacht, daß derjenige, der nicht mehr im
rufe bei der SPD.) Arbeitsleben steht, mit an dem wachsenden Wohl-
Wir haben hier aber über die erste Lesung des stand teilhaben soll. Leider ist es so, daß bei den
Sechsten Rentenanpassungsgesetzes zu sprechen. Beziehern von kleinen und kleinsten Renten immer
Ich will deshalb wieder auf das Thema zurückkom- mehr der Eindruck vorherrschend ist, daß es sich
men. Ich darf nur noch einmal sagen, wir Freien um eine Erhöhung handelt, die den notwendigen,
Demokraten haben es mit Freude vernommen, daß aber oft unzureichenden Kaufkraftausgleich brin-
Sie, Herr Kollege Schellenberg, für die Sozialdemo- gen soll. Auch hier müssen wir ganz klar erkennen,
kratische Partei klargelegt haben, daß Sie in finanz- daß der tiefere Sinn, den die Former der Renten-
wirtschaftliche Überlegungen über die ganzen Zu- gesetzgebung dem Gesetz geben wollten, noch nicht
sammenhänge der Rentenversicheurng und der Er- in die Erkenntnis der Allgemeinheit eingedrungen
gebnisse der Rentenreform des Jahres 1957 ein- ist, weil auch hier eine ganze Menge von Mängeln
treten wollen. Wir wissen, daß Sie andere Vor- und Härten, die beseitigt werden können, so Gott es
stellungen haben als wir. Aber wir wollen mit will und wir alle zusammenarbeiten, das noch nicht
unserem Vorschlag nichts anderes, als eine Diskus- erlauben. Aber, meine sehr verehrten Damen und
sion in der Öffentlichkeit herbeiführen, wie die Herren, wir wissen auch alle miteinander, daß echte
Rentenversicherung so geregelt und gesichert wer- Zuwachsraten in den Höhen, wie wir sie in der hin-
den kann, daß sie den heute 20- und 30jährigen ter uns liegenden Zeit hatten, in den nächsten Jah-
auch eine ausreichende Rente im Alter sichert, ren einfach nicht zu erwarten sind.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU) Herr Kollege Schellenberg, Sie haben darauf hin-
gewiesen, daß Sie mit Ihrer optimistischen Betrach-
ohne daß die dann 20- und 30jährigen in die Gefahr
tungsweise der Entwicklung in der Rentenversiche-
kommen, daß sie 25% oder 30 % ihres Arbeits-
rung in etwa recht behalten hätten. Das kann ich
lohnes abgeben müssen, um überhaupt noch die
nur unterstreichen. Sie haben immer darauf hinge-
Renten in der Höhe, wie sie sich aus den Renten-
wiesen, daß die Zahlen des Arbeitsministeriums
versicherungsneuregelungsgesetzen ergeben, sichern
zu können. von außerordentlichen Unwägbarkeiten ausgingen
und daß sie einfach nicht optimistisch genug seien,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) daß vielmehr mehr Beiträge hereinkommen würden.
Das ist unser Anliegen, Herr Professor Schellenberg. Wir erleben, daß die Bundesregierung nun im
Sozialbericht zum drittenmal eine Berichtigung,
(Vorsitz: Präsident D. Dr. Gersten eine positive Berichtigung, ihrer Zahlen vornehmen
maier.) muß. Aber, Herr Kollege Schellenberg, ist es nicht
Wir glauben, daß in der Dynamik eine riesige die Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, daß
Gefahr liegt. Die Wirtschaft ist zwar dynamisch, keine negativen Berichtigungen durchgeführt wer-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4389
Spitzmüller
den müssen? Stellen Sie sich einmal das Erschrek- wird, uns möglichst schnell und unverzüglich die
ken in der Bevölkerung vor, wenn man umgekehrt zweite versicherungstechnische Bilanz zuzuweisen.
hätte verfahren müssen: von 89 % geschätzt auf Ich glaube, auch Sie würden es begrüßen, wenn wir
74 % tatsächlich herunter. Das wäre eine sozialpoli- beide versicherungstechnischen Bilanzen miteinan-
tisch außerordentlich gefährliche Bewegung gewe- der beraten könnten, wenn die Dinge so schnell
sen. gedeihen würden.
Herr Kollege Schellenberg, Ihre Worte waren für
uns auch insofern etwas Erfreuliches, als sie bestä- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der
tigt haben, daß CDU und FDP, die ja gegen den Sozialpolitische Ausschuß des Deutschen Bundes-
harten Widerstand der Sozialdemokraten der Sozia- tages wird bei der Beratung der Anträge Druck-
len Marktwirtschaft zum Durchbruch verholfen sachen IV/1486 und IV/1584 nicht daran vorbeikom-
haben, in der Betrachtung der Erfolge dieser Sozia- men — genausowenig wie der Sozialbeirat —, dar-
len Marktwirtschaft etwas vorsichtiger waren als auf zu achten, daß nicht nur das geschieht, was vom
diejenige Partei, die diese Soziale Marktwirtschaft sozialpolitischen Standpunkt aus notwendig ist oder
als Ursache für den zukünftigen Untergang der Bun- gar als wünschenswert erscheint, sondern er muß als
desrepublik Deutschland dargestellt wissen wollte. Teil des Parlaments auch den gesamtwirtschaft-
lichen Zusammenhängen seine besondere Beachtung
(Beifall bei den Regierungsparteien. — schenken. Er darf — das ist ein wesentlicher Teil
Zurufe von der SPD.) — dabei auch die konjunkturpolitischen Überlegun-
Ich muß schon sagen, es ist eigentlich ein erfreu- gen, die vom Sozialbeirat angesprochen wurden,
liches Zeichen, meine Damen und Herren von der nicht unbeachtet lassen.
Koalition, daß hier durch die Sprecher der Oppo-
sition klargelegt wurde, daß sie im Grunde der Die Freien Demokraten haben im Jahre 1957 bei
Sozialen Marktwirtschaft mehr zugetraut haben als der Schaffung der Systematik dieser Gesetze auf die
die diese Systematik enthält. Gefahrnigws,
diejenigen, die sich dafür eingesetzt haben und die
dafür in den ersten Jahren sehr stark geprügelt Auch der Sozialbeirat ist der Auffassung, daß auf
worden sind. längere Sicht gesehen das Parlament vor große Ent-
scheidungen gestellt sein wird. Er spricht davon,
(Beifall bei der FDP.)
daß im Endeffekt eines Tages vielleicht eine mehr-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen prozentige Erhöhung des Beitrages notwendig sein
Sie mich noch auf das Gutachten des Sozialbeirats wird.
eingehen. Hier kommt der Sozialbeirat zu dem Vor-
schlag, eine Erhöhung des Beitrags gegebenenfalls Schließlich gibt es nur zwei Alternativen, wenn
bis zu 1 % vorzunehmen. Die Bundesregierung läßt auch der Sozialbeirat drei aufgezählt hat: Entweder
diese Frage in ihrem Gesetzentwurf außer acht. Wir kann man die Belastung des Lohnes durch Sozialab-
sind auch der Meinung, daß nunmehr die optimisti- gaben weitertreiben oder man muß den Haushalt
sche Beurteilung der Bundesregierung zu prüfen durch erhöhte Zuschüsse für die Rentenversicherung
sein wird. Wieso kommt die Bundesregierung zu derartig belasten, daß der andere sozialpolitische
einem etwas abweichenden Ergebnis gegenüber Bereich an die Wand gedrückt wird. Das müssen
dem Sozialbeirat? Sind vielleicht der Bundesregie- wir sehen. Ich bin sehr dankbar, Herr Kollege Schel-
rung schon Zahlen zugänglich, die dem Sozialbeirat lenberg, daß Sie mit dieser Intensität darauf hinge-
nicht zugegangen waren? Oder liegt es vielleicht wiesen haben, daß alle Fraktionen dieses Hauses
daran, daß der Sozialbeirat von der ersten versiche- daran interessiert sein sollten, diese Zusammen-
rungstechnischen Bilanz und den dazu neu gewon- hänge einmal durchzudiskutieren.
nenen Erkennntnissen ausgehen mußte und der
Ich darf für die Freien Demokraten erklären:
Bundesregierung oder Teilen der Bundesregierung
nachdem die Mehrheit dieses Hauses im Jahre 1957
bereits die zweite versicherungstechnische Bilanz
diese Systematik mit der ihr innewohnenden Proble-
oder wenigstens in etwa die Ergebnisse oder mög- matik geschaffen hat, wollen wir Freien Demokra-
lichen Ergebnisse bekannt sind? Auch wir Freien ten nicht einseitig einen Teil der Rentner, nämlich
Demokraten wollen, sehr geehrter Herr Bundes- die Neurentner, in den Genuß des Vorteils gelan-
arbeitsminister, die dringende Bitte aussprechen, gen lassen und den anderen Teil, nämlich die Alt-
daß diese überfällige zweite versicherungstech- rentner, weiter benachteiligen. Aus diesem Grunde
nische Bilanz nun unverzüglich dem Parlament zu- werden wir der Regierungsvorlage zustimmen. Da-
geleitet wird. bei sind wir uns bewußt, daß im Ausschuß die eine
Sehen Sie, Herr Kollege Schellenberg, vielleicht oder andere Schönheitsoperation, insbesondere bei
ist die kurze Verschnaufpause zwischen Ihrem An- der Anpassung der Unfallrenten, noch vorgenom-
trag im Sozialpolitischen Ausschuß und der tat- men werden kann.
sächlichen Behandlung der ersten versicherungstech-
nischen Bilanz dazu gut, daß wir nicht nur die erste, Bevor wir den Arbeitern und Angestellten wie
sondern auch die zweite haben und daß wir dann der Wirtschaft weitere Beitragserhöhungen zumu-
feststellen können, ob die Maßstäbe, die in der ten, wird eine grundsätzliche Aussprache über das
ersten gesetzt waren, in der zweiten ihre Bestäti- System sowie über die gesamtfinanzwirtschaftliche
gung finden. Also auch insofern kann eine gewisse Situation der Rentenvericherungsträger und des
zeitliche Verzögerung Ihres Wunsches durchaus Bundes — auf lange Sicht gesehen — notwendig
noch zu einem sehr sinnvollen Endeffekt führen, sein. Wir müssen nämlich immer die Zusammen-
wenn der Herr Arbeitsminister in der Lage sein hänge zwischen diesen beiden Komponenten sehen.
4390 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Spitzmüller
Am Ende meiner Ausführungen möchte ich nicht ausgabenpauschale für Arbeitnehmer — Drucksache
versäumen, dem Sozialbeirat Dank und Anerken- IV/721 —, über die Anrechnung der Ausbildungs-
nung für seine Arbeit zu zollen. Wer diesen Sozial- kosten bei Arbeitseinkommen — Drucksache IV/1347
bericht gelesen hat, muß erkennen, daß der Sozial- — und dem Antrag auf Verzinsung der Steuerkredite
beirat sich sein Votum wahrhaftig nicht leicht ge- für bereits fällige und verdiente, aber noch nicht
macht hat. Seine Mitglieder sind in die Materie ein- veranlagte Steuern sind die heute zu begründenden
gestiegen und sind auch vor nicht ganz populären Anträge Teile eines Gesamtprogramms, einer Ge-
Äußerungen nicht zurückgeschreckt. Den Kollegen samtkonzeption, die hervorgeht aus unserem Grund-
dieses Hauses, die sich gemeinhin mit sozialpoliti- satzprogramm und aus dem Regierungsprogramm,
schen Fragen nicht zu befassen pflegen, darf ich den das wir im Jahre 1961 beschlossen und veröffent-
freundlichen Hinweis geben, daß es sich bei dem licht haben. Ich glaube nicht, daß ich Ihnen diese
Gutachten des Sozialbeirates nicht um ein „sozial- Programme zur aufmerksamen Lektüre besonders
chinesisches" Wörterbuch handelt, sondern um ein empfehlen muß; ich nehme an, daß Sie sie alle
Dokument, das durchaus verständlich und lesens- kennen; soweit Sie sie nicht zur Kenntnis genom-
wert ist. men haben, werden Sie sie bestimmt noch kennen-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) lernen, entweder nach und nach oder auch einmal
auf einmal und im ganzen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine weite- Die Teile aus dem Gesamtprogramm, die wir jetzt
ren Wortmeldungen. Die Vorlagen unter Punkt 3 a vorlegen, sind erstens ausgewählt deswegen, weil
und 3 b der Tagesordnung sollen an den Ausschuß wir im Augenblick für diese Anträge in der Öffent-
für Sozialpolitik — federführend — und an den lichkeit und auch bei Ihnen, meine Damen und Her-
Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen ren von der Mehrheit, die entsprechende Resonanz
werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein erhoffen dürfen, und zweitens sind sie ausgewählt
Widerspruch; es ist so beschlossen. danach, was uns im Augenblick bei verantwortlicher
Prüfung durchführbar und finanzierbar und auch vor-
Punkt 4 a der Tagesordnung:
dringlich erscheint. Wenn wir mit diesen Anträgen
Erste Beratung des von den Abgeordneten eine gewisse Geburtshilfe für das Steueränderungs-
Dr. Burgbacher, Scheppmann, Arendt (Wat- gesetz, mit dem die Bundesregierung mehr oder
tenscheid), Dr. Aschoff und Genossen einge- weniger schwanger geht, geleistet haben sollten, so
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- sind wir sehr zufrieden.
rung des Einkommensteuergesetzes (Druck-
sache IV/1555). Was die Resonanz in der Öffentlichkeit anbe-
langt, so haben wir mit großem Interesse z. B. die
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht Stellungnahme der Sozialausschüsse der CDU ver-
wird. — Keine Wortmeldungen. Ich eröffne die Aus- folgt, eines Zusammenschlusses, der ja, wie man
sprache. — Keine Wortmeldungen. Überweisung hört, bei Ihnen, meine Damen und Herren von der
ist vorgesehen an den Finanzausschuß — federfüh- Mehrheitspartei, einigen und nicht geringen Ein-
rend —, den Wirtschaftsausschuß und den Haus- fluß haben dürfte, wenn auch vielleicht nicht ganz
haltsausschuß — mitberatend —. — Kein Wider- so viel Einfluß, wie er haben möchte, und auch nicht
spruch; es ist so beschlossen. ganz so viel Einfluß, wie er eigentlich haben sollte.
Wir halten diese Stellungnahme der Sozialaus-
Ich rufe die Punkte 4 b, c und d auf:
schüsse trotz des Widerspruchs, den sie bei Herrn
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD Kollegen Etzel gefunden hat — der eine Schrift ver-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur öffentlicht hat, in der er zwar von uns gesprochen,
Änderung des Einkommensteuergesetzes aber eher die Sozialausschüsse seiner eigenen Par-
(Drucksache IV/1567), tei gemeint hat —, für sehr beachtlich, und es hat
Erste Beratung des von der Fraktion der uns da nicht die Frage des Urheberrechtes interes-
SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes siert — auch die Damen und Herren, die da Stel-
zur Änderung des Einkommensteuergesetzes lung genommen haben, haben natürlich unsere Pro-
(Drucksache IV/1568), gramme gelesen —, sondern es hat uns die Gemein-
samkeit der Auffassungen interessiert, zu der man
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD gekommen ist. Wir glauben deswegen eine nicht un-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur berechtigte Hoffnung haben zu dürfen, daß man
Änderung des Körperschaftsteuergesetzes auch über unsere Anträge zu einer breiten Ge-
(Drucksache IV/1569). meinsamkeit der Auffassungen hier im Hause ge-
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht langen könnte.
wird. — Herr Abgeordneter Seuffert! Um es ganz klarzustellen und damit sich jeder
auskennt, darf ich also sagen, daß wir aus der Ent-
Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen schließung zur Finanz- und Steuerreform der
und Herren! Die Anträge der sozialdemokratischen 10. Bundestagung der Sozialausschüsse der Christ-
Fraktion, die ich die Ehre habe Ihnen jetzt zu be- lich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft in Ober-
gründen, sind Teile einer zusammengefaßten Kon- hausen 1963 mit den jetzt vorgelegten Anträgen
zeption über Veränderungen im Steuerrecht, über und mit den Anträgen, die dem Hause bereits vor-
Steuerreformen. Zusammen mit den bereits einge- gelegt worden sind, nunmehr folgende Punkte auf-
brachten Anträgen über die Erhöhung der Sonder- gegriffen haben: Aus III: „Steigerung der Tarifpro-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4391
Seuffert
gression der Einkommensteuer für Großeinkom- Einkommen im negativen Sinne, zu beseitigen. Es ist
men anstatt der bisherigen abflachenden Progres- nicht mehr erträglich, daß derjenige mit hohem
- Ein-
sion", weiter: „Einschränkung der Begünstigung von kommen und dann naturgemäß höherem Steuer-
Gewinnausschüttungen der Körperschaften" und satz weniger Vermögensteuer auf das gleiche Ver-
„Beschränkung der Abzugsfähigkeit der Vermögen- mögen als derjenige zahlt, der ein viel niedrigeres
steuer bei der Einkommensteuer"; aus IV: „Erhö- Einkommen hat. Hier handelt es sich um einen not-
-
hung des Tariffreibetrages bei der Einkommen wendigen Schritt vor allen sonst möglichen und zur
bzw. Lohnsteuer", „Abzugsfähigkeit der Berufsaus- Debatte stehenden Maßnahmen auf dem Gebiet der
bildungskosten" und „Erhöhung der Sonderausga- Vermögensbesteuerung, auch der Bewertung und
benpauschale für Lohnsteuerpflichtige". der damit etwa zusammenhängenden Steuern. Er ist
einfach unerläßlich. Wir sehen das nicht nur als eine
Wir haben das dann noch etwas ergänzt. Wir ha-
Deckungsmaßnahme für diejenigen Steuersenkun-
ben solche begrüßenswerten allgemeinen Forderun-
gen an, die wir für notwendig halten — offenbar im
gen wie „Steuererleichterung für die Bezieher klei-
Einverständnis mit Ihnen —, sondern es geht ein-
ner Einkommen" oder — wie es in der Grundsatz-
fach um die Beseitigung einer ganz ungerechten
entschließung heißt — „Sozialgerechte Besteuerung
Systemwidrigkeit. Sie wissen ganz genau, daß man
durch Änderung der Verteilung der steuerlichen
bei hohem Einkommen 50 % seiner Vermögensteuer
Lasten zugunsten der wirtschaftlich Schwächeren"
von der Einkommensteuer zurückbekommt, bei
konkretisiert und ergänzt durch einen Frontalan-
einem Normaleinkommen aber höchstens 20%. Das
griff auf den berühmten Mittelstandsbauch, eine geht nicht mehr so weiter. Jedenfalls ist es dann
Maßnahme, die ja nun auch von anderer Seite, au- unerträglich, wenn diese Abzugsfähigkeit unbe-
ßerhalb der Sozialausschüsse, in sehr energischen, schränkt für die höchsten Vermögen und die höch-
optimistischen und volltönenden Verlautbarungen sten Beträge beibehalten wird, wie sie jetzt im Ge-
anderer Sprecher Ihrer Fraktion mehrfach gefordert setz steht.
und betont worden ist, bisher allerdings im wesent-
lichen außerhalb des Parlaments. Wir glauben das Wir haben deswegen vorgeschlagen, die Abzugs-
einmal ganz ernsthaft im Parlament selbst durch fähigkeit zu beschränken. Naheliegende Erwägun-
konkrete Anträge nunmehr zur Debatte stellen zu gen über die Vermögensbildung bei kleinen Ein-
können. — Herr Kollege Dresbach? kommen sprechen selbstverständlich dagegen, die
Belastung der Bezieher von kleinen Einkommen auf
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge- das Vermögen, das sie sich gebildet haben, zu er-
ordneter Dresbach zu einer Zwischenfrage! höhen. Wir schlagen deshalb vor, daß ein Betrag
von 200 DM pro Steuerpflichtigen, pro Ehefrau und
pro Kind, also pro Haushaltsangehörigen, weiterhin
Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Etwas Phi- abzugsfähig bleibt. Das ist der Betrag, der einem
lologisches:: Finden Sie nicht, daß das Bild von dem Vermögen von 20 000 DM entspricht. Mit anderen
Frontalangriff auf einen Bauch geradezu unanstän- Worten: über die im Vermögensteuergesetz vorge-
dig ist? sehenen Freibeträge hinaus soll noch einmal der
(Heiterkeit.) gleiche Betrag, wie bisher, durch die Abzugsfähig-
keit der Vermögensteuer begünstigt bleiben. Dar-
Seuffert (SPD) : Offen gestanden, ich finde es über hinaus aber soll die Begünstigung wegfallen.
nicht so schrecklich unanständig. Ich glaube, das ist ein klares und vertretbares
Prinzip.
Im übrigen: wenn ich auch noch nicht in der Lage
bin, heute ein gemeinsames Programm mit den So- Was die Körperschaftsteuer anlangt, so schlagen
zialausschüssen der CDU seitens meiner Fraktion wir vor, den derzeitigen Ausschüttungssatz der
zu verkünden, so darf ich doch sagen, daß auch die Körperschaftsteuer von 15 % auf 30 % zu erhöhen.
übrigen — fast alle — Forderungen, die in der Stel- Das ist die Erhöhung, die die abnorm niedrige Be-
lungnahme der Sozialausschüsse enthalten sind, un- lastung unserer großen Kapitalgesellschaften —
sere Unterstützung finden. Sie werden damit rech- denn nur für diese ist der Ausschüttungssatz von Be-
nen müssen, daß wir diese Forderungen zu geeig- deutung, das möchte ich immer wieder festhalten —
neten Zeitpunkten — wir sind ja in unseren Ent- im internationalen Vergleich wieder etwas vertret-
schließungen immerhin doch wohl noch etwas freier barer machen wird. Es ist genau das, was ange-
als die Sozialausschüsse der CDU — oder vielleicht sichts der Rechtslage hinsichtlich der bestehenden
auch zu einem vereinbarten Zeitpunkt dem Hause Doppelbesteuerungsabkommen durchführbar ist. Ich
hier unterbreiten. brauche zu dieser Forderung deswegen eigentlich
Nachdem wir also danach mit einer breiteren Zu- nicht viel zu sagen. Auch sie will nicht nur eine
stimmung und Resonanz für unsere Anträge rechnen, reine Deckungsmaßnahme herbeiführen, es ist viel-
möchte ich auf die Anträge im einzelnen näher ein- mehr eine Forderung, die aus wirtschaftlichen und
gehen. Ich darf mir wohl erlauben, sie zusammen zu steuersystematischen Gründen unausweichlich ist.
begründen. Ich möchte sogar sagen, daß unsere eigene Indu-
Da ist zunächst einmal der Antrag auf Beseitigung strie, unsere eigenen 'Gesellschaften diese Ände
der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer. Meine rung brauchen, um die Nachteile abzufangen unid
Damen und Herren, es ist sehr an der Zeit, dieses zu vermindern, die ihnen dm Verhältnis zu Unter-
Unikum, diesen Widersinn der degressiven Erhe- nehmen, welche ausländische Mutter- unid Holding-
bung der Vermögensteuer, der Abhängigkeit vom gesellschaften haben, erwachsen, und um dem Trend
4392 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Seuffert
entgegenzutreten, daß sich deutsche Obergesell- Wirtschaft würde es sich gefallen lassen, daß die
schaften, Muttergesellschaften, Holdinggesellschaf- Steuerbelastung, und zwar die automatisch an das
ten in ausländische verwandeln. Einkommen geknüpfte Steuerbelastung, in einem
Es ist nun einmal so, daß wir bei zunehmender derartig hohen, verhältnismäßig höheren Maße an-
internationaler Verflechtung auf die beim Unter- steigt als die Erhöhung des Einkommens selbst?
nehmen selbst anfallende Körperschaftsteuer ange- (Abg. Dr. Artzinger: Die Veranlagten
wiesen sind, um unseren angemessenen Anteil an müssen es sich genauso gefallen lassen!)
den Steuern des Unternehmens zu bekommen; Die
— Verzeihen Sie, das ist nicht so automatisch! Ich
Besteuerung der ins Ausland gehenden Gewinne
spreche es auch ganz unbedenklich aus, daß wir
und Dividenden im Abzugswege reicht dazu nicht
derartige Entwicklungen bei dem Lohn- und Ge-
mehr ,aus angesichts der Lage, die sich durch die
haltseinkommen, das immer noch nicht das Niveau
Doppelbesteuerungsabkommen ergibt. Wenn die
erreicht hat, das es in seiner Belastbarkeit dem Ver-
EWG einmal weit genug ist und ihre internen
anlagteneinkommen gleichsetzen würde, milt we-
Steurgnzbsihaewrdun si
sentlich größerer Sorge betrachten.
stark genug i st, in den Doppelbesteuerungsverträ-
gen andere Abzugssätze durchzusetzen, wird eine Wir wollen also mit unseren Anträgen ganz be-
andere Lage entstanden sein. In der heutigen Lage wußt gerade dieser Entwicklung in den niederen
müssen wir uns auf die Körperschaftsteuer und Einkommensschichten entgegentreten, und ich greife
nicht auf die Abzugssteuern verlassen. Wir müssen gleich auf die Gesichtspunkte vor, die für unsere
deswegen den Ausschüttungssatz heraufsetzen. weiteren Tarifvorschläge maßgebend gewesen sind.
Wir haben einen neuen Formeltarif im Anschluß
Meine Damen und Herren, nun zum Einkommen- an die Erhöhung des Freibetrages, die wir beantra-
steuertarif selbst, der natürlich das breiteste Inter-
gen, vorgelegt; nicht deshalb, weil die Formel-
esse in der Öffentlichkeit finden wird. Was wir
tarife bei uns so schrecklich beliebt sind! Wenn
vorschlagen, ist erstens eine Erhöhung des Frei-
man wieder eine übersichtlichere und klarere For-
betrags und zweitens eine Tarifverbesserung in den
mulierung der Tarife fände, wäre uns das durchaus
mittleren Einkommensschichten zwischen dem Ende erwünscht.
des Proportionalsatzes, also 8000 bis 16 000 DM,
und 100 000 DM Jahreseinkommen. Wir schlagen Wir haben Ihnen auch in Pressemitteilungen ge-
dagegen eine Tariferhöhung bei den sechsstelligen wisse Beispielzahlen gegeben, die als solche ge-
Einkommen vor. wertet werden sollten. Das sind Beispielzahlen, die
Daß sich die sehr mäßige Erhöhung des Freibe- für gewisse Fälle ermittelt worden sind; Sie wissen
trags zusammen mit dem dem Hause bereits vor- ja auch, daß wir zwei Tarife haben, in der Proges-
liegenden Antrag auf Erhöhung der Sonderausga- sionskurve jedenfalls sehr verschieden liegende
benpauschale fier Arbeitnehmer in erster Linie bei Tarife, den normalen Tarif für Ledige und den Split-
ting-Tarif. Wir haben Beispielzahlen gegeben, um
der Lohnsteuer auswirken wird, weil sich ja immer
die Tendenz klarzumachen, und aus diesen Zahlen
noch die Arbeitnehmereinkommen zu einem ganz
ersehen Sie, daß der Schwerpunkt in der Einkom-
überwiegenden Teil, nämlich bis zu 98%, in den
mensschicht von 12 000 bis 20 000 DM jährlich liegt,
Bereichen bewegen, in denen die Erhöhung eines
das entspricht bei Verheirateten der Einkommens-
Freibetrags die wirksamste Maßnahme für eine
schicht von 24 000 bis 40 000 DM im Jahr. Wenn Sie
Steuersenkung ist, wissen wir und wollen wir. sich daran erinnern, daß wir mit der Einkommens-
Die Entwicklung der Lohnsteuer wird von uns schicht bis 24 000 DM 98 % aller Arbeitnehmer und
schon seit längerer Zeit — wir haben das mehrfach immerhin 81 % aller Veranlagten bereits erfaßt
zum Ausdruck gebracht — mit einiger Sorge be- haben, wenn Sie sich weiter daran erinnern, daß die
trachtet. Seit .der Einkommensteuerreform 1958 sind Einkommen bis 50 000 DM bereits. 92 % aller Ver-
bereits 5 Millionen aus den unteren Einkommens- anlagten umfassen, so glaube ich, sagen zu dürfen,
schichten wieder steuerpflichtig geworden, und das daß der von uns angesetzte Schwerpunkt richtig ge-
sind hauptsächlich Arbeitnehmer. Ich habe dein wählt ist.
Hause schon am 14. Manz 1962 vorgetragen, daß Dazu kommt, daß gerade in den Bereichen, die wir
sich nach den damals vorliegenden Zahlen die Lohn- hier als Schwerpunkt angesetzt haben — das brauche
summe von 1958 bis 1962 um 54 %, die Lohnsteuer ich für die Kenner der Tarifformeln gar nicht auszu-
aber um 102 %, d. h . rund um das Doppelte, erhöht führen —, diejenigen Progessionsverzerrungen vor-
halt. Das hat dazu geführt, daß der Durchschnitt der handen sind, die in den Bereichen dieser Einkommen
Lohnsteuerbelastung auf ,das Lohn- und Gehalts- angesichts ihrer geringen Belastbarkeit besonders
einkommen bereits 1962 auf 7,7 % angestiegen war. schmerzlich sind und die den berühmten Mittel-
Aus dem Finanzbericht 1963 stelle ich nunmehr fest, standsbauch — um dieses von Herrn Kollegen Dres-
daß er für dieses Jahr auf 8,4 % angesetzt wind. bach kritisierte Bild doch noch einmal zu gebrau-
Ich stelle soeben aus den neuen Zahlen und aus dem chen — darstellen.
Finanzbericht 1963 fest, daß die Lohnsumme von
1962 auf 1963 wieder um 5 %, die Lohnsteuer aber Ich meine also, daß der Schwerpunkt so richtig
gewählt wird, und auf dieses Ergebnis kommt es
um 11,1 %, d. h. um das Doppelte, im Zuwachs an-
uns an. Es kommt uns natürlich auf das Ergebnis an
gesetzt worden ist. Das ist einfach die Entwicklung.
und nicht auf irgendein System. Wenn Sie Gegen-
Ich habe bereits im März 1962 das Hauls gefragt: vorschläge zu machen haben, die etwa durch Sen-
welcher Erwerbszweig, welche sonstige Gruppe der kung des Proportionalsatzes oder Ausdehnung
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4393
Seuffert
der Proportionalzone oder durch Kombination zwi- Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik.
schen Senkung des Freibetrages und Änderungen in Daraus geht hervor, daß in den Jahren von 1950 bis
der Proportionalzone und Tarifänderungen dasselbe 1960 — und das sind die Jahre, in denen nicht nur
Ergebnis etwa noch besser erreichen, werden wir gewisse Lohnbewegungen stattgefunden haben, son-
uns sehr gern darüber unterhalten. dern in denen auch die großen Rentenverbesserun-
gen durchgeführt worden sind, in denen also tatsäch-
Nun haben wir aber auch Tariferhöhungen vorge- lich Verbesserungen im Masseneinkommen erzielt
schlagen, und zwar sehr mäßige Tariferhöhungen, wurden — das oberste Fünftel der Einkommen un-
die die Einkommen über 100 000 DM jährlich, also gefähr in demselben Maße gestiegen ist wie das
die sechsstelligen Einkommen, bis auf einen Spitzen- Einkommen des untersten Fünftels. Das Einkommen
satz — natürlich nicht Durchschnittssatz, nicht ein- des untersten Fünftels hat sich auf das 2,3fache er-
mal beim höchsten Einkommen — von 58 % — statt höht, das Einkommen des obersten Fünftels auf das
bisher 53 % — heranführen sollen. Wir bleiben da- 2,1 fache. Daß es natürlich sozial eine ganz verschie-
mit immer noch sehr wesentlich unter den Spitzen- dene Bedeutung hat, ob sich das oberste Fünftel —
sätzen, die in den Vereinigten Staaten, die in Groß- etwa von 50 000 DM aufwärts — oder das unterste
britannien und in anderen Ländern gelten und dort Fünftel, das unter 10 000 DM im Jahr liegt, auf das
ohne Schaden für die Wirtschaft vertragen werden. 2,3fache erhöht, brauche ich hier nicht auszuführen.
Es ist hier nur angestrebt, daß die Bundesrepublik Ich glaube, der Hinweis genügt, um darzutun, daß
etwas weniger Steuerparadies im internationalen die Einkommensentwicklung in diesem Zeitraum und
Vergleich gerade für diese sehr hohen Einkommen natürlich auch in den darauf folgenden Jahren in
wird; denn die berühmte These, daß die höchste
der Bundesrepublik die obersten Einkommen durch-
Steuerbelastung — meistens sagt man sogar: der
aus nicht vernachlässigt hat.
Welt — in der Bundesrepublik zu finden sei, gilt
ja nun — man kann es nicht oft genug feststellen — Bei Anwendung gleicher Berechnungsmethoden
ganz und gar nicht für die großen Gesellschaften ergibt sich — eine weitere Feststellung aus diesem
und ganz und gar nicht für diese hohen Einkommen Referat —, daß in dem gleichen Zeitraum die Einkom-
in der Bundesrepublik. Sie gilt in einigen Punkten mensentwicklung in den Vereinigten Staaten von
durchaus für das normale Arbeitseinkommen; aber Amerika egalitärer, ausgeglichener und ausgleichen-
hier oben gilt sie nun einmal wirklich nicht. der gewesen ist als in der Bundesrepublik. Dabei
sind die Vereinigten Staaten das Land, das einigen
Da werden — ich sehe es voraus — natürlich die geradezu als das Musterbild der Konzeption des
Einwände kommen — sie sind in der Presse bereits free enterprise, des „Es helfe sich jeder selbst" und
angekündigt worden —, daß nun gerade diese einer sehr geringen Rücksichtnahme auf soziale Aus-
Steuererhöhungen untragbar seien und zu unerträg- gleichsmaßnahmen vorschwebt. — So viel also zur
lichen wirtschaftlichen Auswirkungen führten. Ich Begründung unseres Vorschlages auf Steuererhöhun-
möchte einmal feststellen, daß es sich um 70 000 Ein- gen bei diesen 70 000 Einkommen.
kommen handelt, die davon betroffen sind, 70 000
Einkommen von insgesamt 23 Millionen Einkommen, Wenn hier die Frage aufgeworfen werden sollte,
die wir in der Bundesrepublik besteuern. Das sind ob durch diese Tarifveränderung etwa neue Fragen
rund 3 pro mille. Das heißt, von tausend Einkom- in der Steuerbelastung zwischen Personal und Kapi-
-

men, die wir in der Bundesrepublik besteuern, sind talgesellschaften, also im Verhältnis zwischen Kör-
etwa drei von diesen Steuererhöhungen betroffen. perschaftsteuer und Einkommensteuer aufträten, so
Ich weigere mich einfach, zu akzeptieren, daß das möchte ich dazu folgendes sagen. Erstens: e s ist
Wohl und Wehe einer Volkswirtschaft davon ab- kaum anzunehmen, daß, wenn ich auf der einen
hängig ist, daß diese 70 00 Einkommen, 3 vom Tau- Seite den Spitzensatz der Einkommensteuer erhöhe
send der Einkommen, etwas mehr an Steuern zahlen und auf der anderen Seite die Belastung der Körper-
sollen. Eine Wirtschaftskonzeption und eine Gesell- schaften durch Erhöhung des Ausschüttungssteuer-
schaftskonzeption, die davon ausginge, daß von die- satzes vermehre, durch diese auf beiden Seiten
sen obersten 3 vom Tausend aller Einkommen das wirksamen Maßnahmen eine wesentliche Verschie-
Wohl und Wehe der Wirtschaft abhängt, kann ein- bung in dem bisher bereits bestehenden Verhält-
fach nicht stimmen, mit der muß es schlimm bestellt nis der Besteuerung zwischen Personal- und Kapi-
sein. talgesellschaften eintritt. Zweitens: wenn im An-
(Beifall bei der SPD.) schluß an diese notwendigen Maßnahmen die Dis-
kussion über eine gleichmäßige Unternehmensbe-
Ich darf bei dieser Gelegenheit etwas zur Einkom- steuerung — sprich: Betriebssteuer — wieder auf-
mensentwicklung im ganzen sagen. Es wird in der gegriffen würde, könnten wir das nur begrüßen
Öffentlichkeit und manchmal auch in diesem Hause und wären jederzeit dazu bereit. Dieses Problem,
sehr viel von der großen Entwicklung geredet, die das tatsächlich immer besteht und vielleicht dem-
die unteren Einkommen, die Masseneinkommen, ge- nächst auf EWG-Ebene bestehen wird, kann eine
nommen haben. Es entsteht manchmal der Eindruck, Zeitlang durch legere Steuertarife in den Hinter-
daß die Lohneinkommen, die breiten Masseneinkom- grund gedrückt werden; auf ,die Dauer kann es nicht
men, ganz unverhältnismäßig stark gewachsen seien. ganz verschwinden, und wir haben gar nichts da-
Ich darf Sie auf das sehr aufschlußreiche Referat ver- gegen, wenn man es neu diskutiert.
weisen, das Herr Klaus-Dieter Arndt auf unserer
wirtschaftspolitischen Tagung in Essen kürzlich ge- Meine Damen und Herren, unsere Vorschläge dür-
halten hat. In diesem Referat finden Sie mit den fen nicht nur, wie ich dargetan habe, bei einem doch
Quellen, die dazu gehören, einige Tatsachen zur sicherlich großen Teil der Mehrheitsparteien auf Re-
4394 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Seuffert
sonanz hoffen, sondern sie sind auch sorgfältig ab- Kollege Seuffert hat zu Eingang seiner Ausführun-
gewogen. Sie sind abgewogen in bezug auf das gen erklärt, daß seinem Wissen nach die Bundes-
Verhältnis zwischen Bund und Ländern insofern, regierung mehr oder weniger mit einem Steuer-
als sie nur gemeinsame Steuern des Bundes und des änderungsgesetz schwanger gehe. Herr Kollege
Landes betreffen und deswegen die Auswirkungen Seuffert, ich glaube, das Bild ist, biologisch gesehen,
beim Bund und bei den Ländern genau nach dem reichlich schief. In diesem Falle geht es ja um die
noch festzusetzenden Anteil an diesen gemein- Sache: Man ist, oder man ist nicht.
samen Steuern auftreten. Wir brauchen uns also (Abg. Seuffert: Auf Jungfräulichkeit kommt
mit dem Steuerstreit zwischen Bund und Ländern, es ja gar nicht an!)
dieser ärgerlichen Veranstaltung, durch die wegen
Ihrer, meine Damen und Herren von der Mehrheit In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern,
und der Regierung, illusionistischen Behandlung die daß Herr Kollege Dr. Dresbach — ich weiß, daß er
Frage des Steueranteils immer noch nicht geklärt ein empfindsames Herz in einer rauhen Schale hat
ist, und mit Ihrer Weigerung, die Finanzreform — an dem Begriff „Mittelstandsbauch" Anstoß
ernsthaft anzupacken, in diesem Zusammenhang gar genommen hat. Ich greife das auf und darf Ihnen
nicht zu beschäftigen. vorschlagen, meine Damen und Herren, daß wir
nicht mehr vom „Mittelstandsbauch" — das ist
Unsere Vorschläge sind auch finanziell abgewo- wirklich nicht sehr schön —, sondern vom „Mittel-
gen. Sie stellen das dar, was wir im Jahre 1964 standsbogen" sprechen; ich glaube, das ist netter.
für durchführbar und für tragbar halten. Wir ha-
ben uns natürlich im Rahmen unserer Möglichkeiten Im übrigen, meine Damen und Herren, hat Herr
ein Bild über die Auswirkungen zu machen versucht. Kollege Seuffert durchaus recht. Wie bereits in der
Wir haben uns sehr eingehende Untersuchungen Regierungserklärung angedeutet, beabsichtigt die
darüber verschafft. Wir haben nicht alle Möglich- Bundesregierung tatsächlich, dem Hohen Hause in
keiten eines Regierungsapparates; da ist vielleicht aller Kürze den Entwurf eines Steueränderungs-
noch einiges zu klären, aber ich. will das Haus mit gesetzes 1964 vorzulegen, in dem auch eine Reform
den Einzelheiten auch nicht befassen. Ich glaube des derzeitigen Einkommensteuertarifs vorgesehen
nach diesen verantwortlichen Untersuchungen sagen ist. Die notwendigen Abstimmungen auf allen Ebe-
zu können: wenn sich die Gesamtheit unserer Vor- nen, insbesondere mit den Ländern, sind in vollem
schläge — Steuerausfälle und Steuererhöhungen, Gange. Das Ziel dieser Tarifreform wird sein, neben
die wir vorsehen — nicht bei etwa 1,5 Milliarden der Korrektur von Unebenheiten im Tarifverlauf die
DM jährlich oder etwas darunter gegenseitig voll- unteren und mittleren Einkommen fühlbar zu ent-
ständig ausgleichen, so wird die Differenz doch lasten. Eine Entlastung der unteren und mittleren
etwas sein, was im Rahmen der Gesamtmasse durch- Einkommen erscheint vordringlich, weil gerade
aus zumutbar ist, was dreimal und fünfmal zumut- diese Einkommen in besonderem Maße von den in
bar ist, wenn man, wie der Herr Bundesfinanzmini- den letzten Jahren eingetretenen „heimlichen
ster laut Presse gesagt hat, bereit ist, seitens des Steuererhöhungen", wie das überproportionale
Bundes und der Länder auf den Steuerzuwachs der Wachstum der Steuereinnahmen im Vergleich zu
nächsten Jahre zugunsten von Steuersenkungen zu den Einkommenszunahmen gelegentlich bezeichnet
verzichten. wird, getroffen sind.
Deswegen sind wir auch der Ansicht, daß diese Die Bundesregierung ist jedoch im Gegensatz zur
Steuersenkungen im Rahmen des Gesamtprogramms Opposition der Auffassung, daß sich das auch ohne
im Jahre 1964 durchführbar sind, und wir beantragen Steuererhöhungen bei den höheren Einkommen
das; wir sehen keinen Grund, auf 1965 zu verschie- und der Körperschaftsteuer verwirklichen läßt,
ben. Wir werden über weitergehende Möglichkei- wenn man eine solche Maßnahme als vordringlich
ten, wie vorhin schon gesagt, sehr gerne sprechen. einstuft und von dem erhofften Zuwachs späterer
Aber das, was wir beantragen, kann man jetzt ma- Jahre einen entsprechenden Anteil einsetzt.
chen. Ich glaube, e s ist besser zu verantworten, Ich werde demnächst ausführlich zu all diesen
es jetzt und in diesem Ausmaß zu tun, als Projekte Fragen vor dem Hohen Hause Stellung zu nehmen
zu entwickeln, mit denen erst 1965 so ungefähr haben und will mich deshalb heute darauf beschrän-
3 Milliarden DM rund um den Schlitz der Wahlurne ken, zu den Anträgen der Fraktion der Sozialdemo-
drapiert werden. Solche Projekte bestehen doch, kratischen Partei im einzelnen nur einige kurze
Herr Bundesfinanzminister? Anmerkungen zu machen.
Das ist unsere Konzeption. Wir sind, wie gesagt,
Herr Kollege Seuffert! Erhöhung des Einkom-
durchaus bereit, im Ausschuß über Einzelheiten zu
mensteuertarifs: Die SPD schlägt vor, bei Einkom-
diskutieren. Wir hoffen auf Ihre Zustimmung, meine
men von über 100 000 DM, bei Ehegatten von über
Damen und Herren. Vielen Dank.
200 000 DM, eine Erhöhung der Steuersätze vorzu-
(Beifall bei der SPD.) nehmen. Ich sage Ihnen ganz offen, daß ich eine
solche Maßnahme für bedenklich halte. Nach unse-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat rem Steuersystem treten nämlich zur Einkommen-
der Herr Bundesfinanzminister. steuerbelastung weitere Belastungen hinzu: Kir-
chensteuer, Vermögensteuer, Gewerbesteuer und
gegebenenfalls Lastenausgleichsabgabe. Durch das
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: Zusammentreffen aller dieser Steuern werden z. B.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr höhere gewerbliche Einkünfte mit einer Gesamt-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4395
Bundesminister Dr. Dahlgrün
belastung bis zu 65, 70 % getroffen. Damit ist mei- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Dialoge gehen
ner Ansicht nach eine Belastungsgrenze erreicht, die nur hierher! -
nicht überschritten werden sollte. Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Ich darf in diesem Zusammenhang aber noch ein-
mal darauf hinweisen, daß es unzulässig ist, ein- Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
fach Tarifsatz mit Tarifsatz zu vergleichen. Ich muß, Bitte schön, Herr Kollege!
wenn ich schon das falsche Wort von dem „Steuer-
paradies Bundesrepublik" in den Mund nehme, mir
auch einmal bis auf den Grund ansehen, daß z. B. Seuffert (SPD) : Herr Minister, wollen Sie wirk-
in den Vereinigten Staaten Abschreibungen, Steuer- lich sagen, daß in den 70 000 höchsten Einkommen
freiheiten, Sonderbestimmungen für Forschung und der Bundesrepublik ausgerechnet die Mittelindustrie
Entwicklungsinvestitionen, Sonderausgaben usw. repräsentiert ist?
für den Steuerpflichtigen viel günstiger geregelt
sind als bei uns. Sie müssen davon ausgehen, daß Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
für die tatsächliche Steuerlast nicht allein der Tarif- Herr Kollege Seuffert, ich darf das, was ich am
satz von Bedeutung ist, sondern daß auch solche Schluß sagen wollte, als Antwort auf Ihre Frage vor-
abweichenden Regelungen anderer Steuersysteme ziehen. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn die
von ausschlaggebender Bedeutung sind. Bundesregierung das Steueränderungsgesetz 1964,
dessen Bearbeitung fast abgeschlossen hat, vorge-
(Sehr richtig! rechts.) legt hat, Ihre Anregung aufgreifen und sine ira et
studio die Lage prüfen sollten. Die Frage, wo die
Eine noch stärkere Anspannung der Steuer ist
mittelständische Industrie aufhört und die Groß-
geeignet, die für das Wachstum und die Rationali-
industrie anfängt, ist ja auch nicht so leicht zu lösen.
sierung der Wirtschaft entscheidenden Investitionen
Auch darüber bestehen Differenzen. Es kann aber
erheblich zu beeinträchtigen und damit die Wett-
gar keinem Zweifel unterliegen, Herr Kollege Seuf-
bewerbslage der Wirtschaft auf den internationalen
fert, daß auch eine ganze Reihe von mittelständi-
Märkten wesentlich zu verschlechtern.
schen Betrieben in dieser Vermögensgröße liegt,
(Sehr richtig! in der Mitte.) wenn Sie nämlich — ich komme darauf nachher noch
zu sprechen — echte Sätze annehmen, die wir heute
Durch derartige Maßnahmen können außerdem in vielen Fällen noch gar nicht haben. Ich möchte
Preissteigerungstendenzen ausgelöst werden. Es an dieser Stelle nur sagen: die Bundesregierung ist
sind sich wohl alle Steuerexperten in diesem Hause der Meinung, daß wir gerade diese Dinge sorgfältig
darüber einig, daß bei Überschreiten gewisser zu prüfen haben, um Investitionen, um die Rationali-
Steuersätze Verzerrungen in der Ausgabengestal- sierung und Automatisierung der kleinen und mitt-
tung hervorgerufen werden und daß die Überschrei- leren Industrie zu fördern, damit wir das Wirt-
tung gewisser Steuersätze zu Steuerverlagerungen, schaftswachstum möglichst groß halten. Herr Kollege
ja zur Steuerflucht anreizt. Ich möchte mit Nach- Seuffert, Sie wissen ja auch, daß das Schwergewicht
druck darauf hinweisen, daß solche zu befürchten- der Wirtschaft nicht bei der Großindustrie liegt, ob
den Auswirkungen gerade die Mittelindustrie und Sie nun die Zahlen der Betriebe, ob Sie die Beleg-
die mittlere Wirtschaft treffen werden, bei der die schaften nehmen.
Investitionen zur Rationalisierung und Automatisie-
rung — das müssen wir zugeben — am weitesten (Abg. Seuffert: Eben!)
zurückliegen. Das Hauptgewicht liegt in der Mitte. Ich finde, das
ist auch ein durchaus gesunder Zustand.
Nach meiner Überzeugung verkennen die Steuer-
experten der SPD, daß ein Zusammenhang zwischen Ich möchte aber noch eines sagen: Die Besteu-
Vollbeschäftigung, guter Konjunktur, Ausfuhr, erung der höheren Einkommen, die von der SPD
Wirtschaftswachstum und Steuersystem besteht. in der Spitze bis 58 % vorgeschlagen worden ist, be-
seitigt auch das heute einigermaßen bestehende
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr Gleichgewicht zwischen Körperschaftsteuerbelastung
richtig! Siehe Amerika!) und Einkommensteuerbelastung. Die Bundesregie-
— Ich wollte Idas gerade sagen, Herr Kollege Dr. rung ist der Meinung, daß die von ihr für notwen-
Schmidt. Die USA, die Briten sind dabei, bedeutende dig gehaltene Gleichstellung in der Besteuerung der
Steuerermäßigungen vorzuschlagen, weil die Sorge nicht ausgeschütteten Gewinne von Kapitalgesell
für das Wohlergehen ihrer Völker sie dazu zwingt, schaften mit der entsprechenden Einkommensteuer-
auf ,ein höheres wirtschaftliches Wachstum bedacht belastung von Personenunternehmen durch das
zu sein. Steueränderungsgesetz 1958, das wir ja damals ge-
meinsam im Finanzausschuß bearbeitet haben, im
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Trotz aller großen und ganzen erreicht worden ist. Bei Verwirk-
Anpassung hat die SPD das immer noch lichung der Anträge der SPD würde eine große An-
nicht begriffen! — Gegenruf des Abg. zahl von Personengesellschaften mit mittelständi-
Wehner: Seien Sie doch nicht so hoffärtig! schem Charakter wegen der auf der unterschied-
Sie müssen auch noch diese Parole geben! lichen Besteuerung beruhenden Wettbewerbsverzer-
Bleiben Sie doch in der Sache! — rungen, den Anreiz erhalten, in die Form der Kapi-
Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Einmal muß talgesellschaft umzuwandeln. Eine solche Entwick-
man es Ihnen auch sagen, Herr Wehner!) lung vom Personalunternehmen zur Kapitalgesell-
4396 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Dr. Dahlgrün
schaft gehört nun einmal nicht zum politischen Pro- winne bei der Körperschaftsteuer vor. Dabei will sie
gramm meiner politischen Freunde und zum politi- den bisherigen Körperschaftsteuertarif insofern än-
schen Programm, wie ich es mir vorstelle. dern, als die Steuersätze für die ausgeschütteten Ge-
Im übrigen würde eine Erhöhung des Spitzen- winne erhöht werden. Nach dem Antrag soll der
steuersatzes bei der Einkommensteuer von 53 % auf Ausschüttungssteuersatz bei den sogenannten Pu-
58 %, wie sie in dem Antrag der SPD vorgesehen blikumskapitalgesellschaften von jetzt 15 auf 30%
ist, Mehreinnahmen von nur etwa 150 Millionen DM heraufgesetzt und bei den personenbezogenen Kapi-
erbringen. Es zeigt sich, daß 1 % hier nicht viel be- talgesellschaften von 26,5 auf 35 % erhöht werden.
deutet, daß durch eine Erhöhung des Spitzensteuer- Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, sich
satzes bei der Einkommensteuer Gewichtsverlage- einmal zu erinnern: Für die Ausgestaltung des Kör-
rungen im Sinne einer Umschichtung der Steuerbe- perschaftsteuertarifs in seiner jetzigen Form waren
lastung von den unteren und mittleren Einkommen seinerzeit im wesentlichen vier Gesichtspunkte maß-
auf die höheren Einkommen wirksam überhaupt gebend: 1. Förderung des Kapitalmarktes, 2. Ein-
nicht vorgenommen werden können. Aus all diesen schränkung der Selbstfinanzierung, 3. Förderung der
Gründen sollte man also von der Anhebung des Eigentumsbildung und 4. Milderung der sogenannten
höchsten Steuersatzes bei der Einkommensteuer ab- Doppelbelastung. Alle diese Gesichtspunkte haben
sehen. seit der Einführung des gespaltenen Körperschaft-
steuersatzes nichts von ihrer Bedeutung verloren.
Nun beinhaltet ein Antrag der sozialdemokrati-
Ich glaube, das ist außerhalb jeder Auseinanderset-
schen Fraktion eine außerordentlich wichtige Frage:
Soll die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer ge- zung. Ich möchte sogar sagen, sie sind heute eher
noch dringlicher geworden. Insbesondere ist es nach
strichen werden? Die SPD möchte den Abzug der
wie vor erwünscht, daß die Kapitalgesellschaften
Vermögensteuer dahin einschränken, daß die Ver-
ihre Investitionen nicht ausschließlich über den Weg
mögensteuer für den Steuerpflichtigen, seinen Ehe-
der Selbstfinanzierung vornehmen, sondern mög-
gatten und jedes Kind nur bis zu je 200 DM
lichst weitgehend die hierfür erforderlichen Mittel
von den Einkünften abgezogen werden kann.
auf dem Kapitalmarkt suchen. Damit wird auch den
Ich möchte dazu folgendes anmerken. Der Abzug breiteren Schichten unserer Bevölkerung die Chance
der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer ist gegeben, Anteilseigner am Produktivvermögen zu
wegen seiner regressiven Wirkung höchst problema- werden, was im Interesse einer gesunden Eigentums-
tisch. Eine zufriedenstellende Lösung des Problems politik liegt.
ist meiner Ansicht nach überhaupt erst möglich, Herr
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auch
Kollege Seuffert, wenn die derzeitigen Unebenheiten
an die Auseinandersetzungen erinnern, die wir
auf dem Gebiete der Vermögensbesteuerung be-
in diesem Hohen Hause wegen des Anleihebedarfs
reinigt sind, die darin bestehen, daß für die Bewer-
des Bundes gehabt haben. Ich habe immer wieder
tung des Grundbesitzes die Werte des Jahres 1935
darauf hingewiesen, daß die Höhe der Ansätze für
zugrunde gelegt werden, während die übrigen Ver-
Anleihen im Haushaltsplan des Bundes so zu wäh-
mögensgegenstände mit zeitnahen Werten zu be-
len ist, daß auch. andere Institutionen und Organi-
werten sind. Vor der neuen Einheitsbewertung —
sationen an den Kapitalmarkt gehen können, daß
daß ist meine Meinung —, sollte deswegen an den
aber insbesondere auch ein Spielraum für die An-
gegenwärtigen Vorschriften nichts geändert werden,
leihepolitik der privaten Wirtschaft erhalten bleibt.
zumal bei einer Gesamtregelung der Vermögens-
besteuerung einschließlich der Frage der Abzugs- Nun will ich folgendes nicht verschweigen, wozu
fähigkeit bei der Einkommensteuer die Bundesregie- auch der Herr Kollege Seuffert bereits Ausführun-
rung dafür sorgen muß, daß das mittelständische gen gemacht hat: Es ist richtig, daß die vorgeschla-
Einkommen und Vermögen keine höhere Belastung gene Erhöhung des Steuersatzes für die Ausschüt-
erfährt. Das ist erst einmal der Grundsatz. Gerade tung den Vorteil der Beseitigung des sogenannten
bei dem Vorschlag der SPD ist das nicht der Fall. Ausländereffektes mit sich brächte. Dieser Auslän-
Unter den gegenwärtigen Umständen würde meiner dereffekt besteht kurz gesagt dauin, daß auslän-
Rechnung nach der Antrag der SPD für weite Kreise dische Muttergesellschaften nicht zu der Nachsteuer
der Steuerpflichtigen besonders im gewerblichen von 36 % herangezogen werden können, wenn sie
Mittelstand trotz der Senkung des Einkommen- ihre Dividendengewinne in Unternehmen reinve-
steuertarifs zu einer höheren Belastung mit Einkom- stieren, statt sie auszuschütten. Herr Kollege Seuf-
men- und Vermögensteuer führen. Wir haben das fert, es wäre sicher erwünscht, diesen Vorteil für
sehr genau ausgerechnet, weil auch wir, Herr Kol- ausländische Muttergesellschaften, der sich vor al-
lege Seuffert, bei der Vorbereitung des Steuerände- lem bei der Finanzierung der Unternehmen als
rungsgesetzes 1964 selbstverständlich diese Frage Wettbewerbsvorteil auswirken kann, abzubauen
der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer geprüft und nach Möglichkeit ganz zu beseitigen.
haben. Eine solche Auswirkung, daß ich dem Mittel-
stand, dem wir gerade helfen wollen, mit der einen Gleichwohl hält die Bundesregierung den von der
Hand etwas gebe und mit der anderen Hand wieder SPD vorgeschlagenen Weg im Hinblick auf die Ver-
etwas wegnehme, kann von uns und von mir poli- hältnisse am Kapitalmarkt, die ich dargelegt habe,
tisch nicht vertreten werden. und im Hinblick auf die mit dem gespaltenen Kör-
perschaftssteuersatz in seiner jetzigen Ausgestal-
(Beifall bei der FDP.)
tung verbundenen Vorteile nicht für gangbar. Man
Die SPD schlägt in einem weiteren Antrag die sollte vielmehr darauf bedacht sein — und der Bun-
Erhöhung des Steuersatzes für ausgeschüttete Ge- desminister der Finanzen tut in diesem Bereich, was
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4397
Bundesminister Dr. Dahlgrün
er kann —, Wettbewerbsvorteile ausländischer nicht darin, daß wir 1964 durchführbare und finan-
Muttergesellschaften durch Anpassung der Abkom- zierbare Steuersenkungen vorschlagen, während
-
men zur Vermeidung der Doppelbesteuerung aus- Sie für 1965 praktisch etwas unter der Vorausset-
zugleichen. zung versprechen wollen, daß die Länder es dann
Das als kurze Anmerkungen zu den Anträgen der übernehmen? Denn daß Sie den Länderanteil für
SPD, die uns bei der Bearbeitung des demnächst 1965 weitgehend erhöhen wollen und daß das die
kommenden Steueränderungsgesetzes 1964 der Bun- Voraussetzung Ihrer Steuersenkungen sein wird,
desregierung in den Ausschüssen sicher eine wert- das ist doch klar, Herr Kollege.
volle Arbeitsgrundlage abgeben werden, wie das
auch Herr Kollege Seuffert liebenswürdigerweise Dr. Artzinger (CDU/CSU) : Ja, Sie wissen doch
angeboten hat. auch, daß diese Vorlage ein Zustimmungsgesetz sein
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wird, so daß wir also die Stellungnahme der Länder
beim Durchlauf durch den Bundesrat ja bekommen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort werden.
hat der Herr Abgeordnete Dr. Artzinger. (Zuruf von der SPD.)
Ich nehme an, daß die Regierung auf diesen Ge-
Dr. Artzinger (CDU/CSU) : Herr Präsident! sichtspunkt selbstverständlich schon abgehoben hat
Meine Damen und Herren! Seit Jahren ist die Be- und in Verhandlungen mit den Ländern darüber
seitigung des Mittelstandsbauchs steht.
(Zurufe: Bogen!) Im Grunde, meine Damen und Herren, nehmen
oder — ich nehme dankbar Ihren Vorschlag an — diese Vorlagen alte Vorstellungen der sozialdemo-
des Mittelstandsbogens im Gespräch, und seit kratischen Opposition auf. In dem Regierungspro-
Wochen, nämlich seit der Rede von Staatssekretär gramm der Opposition vom Jahre 1961, jenem Pro-
Grund vor den Steuerberatern, ist bekannt, daß gramm, das dann mangels Wählermasse nicht zum
der Regierungsentwurf in Kürze reif sein wird. In Tragen gekommen ist,
diesem Augenblick legt die Opposition Steuervor- (Abg. Wehner: Kann noch kommen!)
lagen auf den Tisch und dringt auf die Behandlung
im Plenum mit dem Ziel, noch im Jahre 1964, mög- heißt es wörtlich:
lichst ab 1. Januar 1964, Die derzeitige außergewöhnliche Begünstigung
(Abg. Wehner: Sie merken aber auch alles!)
diese Gesetze in Kraft zu setzen. Aus der Wahl (Zuruf des Abg. Wehner)
dieses Zeitpunktes ergibt sich unabweislich der Ein- — Herr Wehner?
druck: es soll in der Öffentlichkeit klargemacht wer-
den, daß die Steuersenkungen auf eine Initiative (Abg. Wehner: Ich wollte nur sagen: von
der SPD zurückgehen. Ihrem „Bogen" ist Ihnen damals einiges
abgegangen!)
(Zuruf von der SPD: Und das zu Recht!)
Nach den Verlautbarungen der Regierung, insbe- — Freilich; aber immerhin hat es noch zur Regie-
sondere seit der Regierungserklärung vom 18. Ok- rung gereicht.
tober, kann nicht mehr der mindeste Zweifel dar- (Heiterkeit. — Abg. Wehner: Mit einem
über bestehen, daß das ein alter Vorsatz der Re- Hilfsbogen nach hinten! — Heiterkeit bei
gierung und der Koalition ist. der SPD.)
(Zurufe von der SPD.) — Ja; aber immerhin — Sie wären ja dankbar,
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn es bei Ihnen so weit gereicht hätte!
wenn der „Vorwärts" triumphiert: „SPD schritt zur (Abg. Wehner: Natürlich; es kommt dar
Tat gegen Mittelstandsbauch", dann versichere ich auf an, wo man steht!)
Sie, daß diese Vorlag en die Abschaffung des Mittel-
standsbauches nicht um einen Tag beschleunigen Ich zitiere also aus dem Regierungsprogramm der
werden. Der Zeitpunkt richtet sich eindeutig nach SPD:
haushaltspolitischen Notwendigkeiten. Die derzeitige außergewöhnliche Begünstigung
großer anonymer Gesellschaften bei der Kör-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gestatten Sie perschaftsteuer wird abgeschafft, und bei der
eine Zwischenfrage? Einkommensteuer ist für Großeinkommen über
100 000 DM eine stärkere Progression einzu-
Dr. Artzinger (CDU/CSU) : Bitte! führen.
Just das erleben wir jetzt mit den Vorlagen der
Seuffert (SPD) : Herr Kollege Artzinger, besteht SPD.
der Unterschied — abgesehen davon, daß wir auch (Abg. Seuffert: Wie überraschend!)
Initiativen Ihrer Sozialausschüsse aufgegriffen ha- — Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren von
ben — der Opposition: wir hatten angenommen, daß sich
(Dr. Artzinger: Darauf komme ich noch!) nach Essen bei Ihnen etwas geändert hätte. Wir
4398 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Artzinger
haben Herrn Senator Schiller aus Berlin so verstan- nicht so, daß die veranlagten Einkommen nur die
den, daß er die Marktverteilung der Einkommen be- -
großen Einkommen und die Lohnsteuerpflichtigen
jaht. nur die kleinen Steuerzahler sind.
(Abg. Seuffert: Und?) (Abg. Seuffert: Es ist nur die Frage, wo
Hier fallen Sie wieder in Ihre alten Vorstellungen man die Progression für erträglich hält! Daß
der Umverteilung der Einkommen zurück. wir sie in gewissen Bereichen nicht für er
(Abg. Wehner: Lesen Sie mal Schiller!) träglich halten, haben wir ja alle durch den
Proportionalsatz dokumentiert!)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gestatten — Gut, aber wir sind uns wohl darüber einig, daß
Sie eine Zwischenfrage? die von Ihnen geschilderte Situation nicht nur den
Lohnsteuerzahler trifft, sondern auch den Veran-
Dr. Artzinger (CDU/CSU) : Bitte sehr! lagten, und zwar ganz genauso.
Ich darf kurz die Merkmale des Einkommensteuer-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge- tarifs 1958 noch einmal aufzählen: Freibetrag von
ordneter Eppler hat das Wort. 1680 DM, dann eine 20%ige Proportionalzone bis
8000 DM, von 8000 bis 110 000 DM Einkommen eine
Dr. Eppler (SPD) : Herr Kollege, kennen Sie die Progressionszone von 27,2 bis 51,9 %, schließlich
Ausführungen in der Denkschrift der Evangelischen eine weitere Proportionalzone mit dem Spitzen-
Kirche in Deutschland zum Thema Steuerpolitik nach steuersatz von 53 %.
dem Krieg, und würden Sie vielleicht auch dazu hier Der Sprung von der Proportionalzone von 20 %
Stellung nehmen? bis zum Beginn der Progressionszone mit 27,2 %
ist immer als ein bedenklicher Schönheitsfehler die-
Dr. Artzinger (CDU/CSU) : Nein, im Augenblick ses Tarifs empfunden worden. Er leitet nämlich
nicht, denn das ist nicht mein Thema. Ich nehme den Progressionsbereich auf einem zu hohen Niveau
hier zu den Vorlagen der Opposition Stellung und ein und begründet die Steilheit der Progression im
nicht zur Denkschrift der Evangelischen Kirche. ganzen. So haben wir nach diesen Tarif bereits
bei 30 000 DM Einkommen eine Spitzenbelastung
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
von 40 %.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gestatten Sie Wir dürfen nicht vergessen — und ich bin dem
eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Herrn Ministerdankbar, daß er darauf so nach-
Seuffert? drücklich hingewiesen hat —, daß die Einkommen-
(Abg. Dr. Artzinger: Bitte sehr!) steuerbelastung nicht die einzige Steuerbelalstung
ist;
(Zustimmung in der Mitte)
Seuffert (SPD) : Herr Kollege Artzinger, darf ich
darauf aufmerksam machen, daß die Frage der Be- wir müssen vielmehr die Dinge im Zusammenhang
steuerung der Einnahmen und ihrer Steuerfähigkeit sehen.
etwas ganz anderes besagt als die Frage der Um- (Abg. Seuffert- Auch mit der Verbrauch-
verteilung von Einkommen, nämlich ungefähr das steuerbelastung der unteren Einkommen!)
Gegenteil?
— Freilich; nur ist sie leider nicht so ganz einfach
zu berechnen.
Dr. Artzinger (CDU/CSU) : Das versuchen Sie
doch hier mit Ihren Vorlagen. (Ahg. Seuffert: Aber sie ist fühlbar!)

Wie sind nun die alten Vorstellungen, die die Im Normalfall wird idas hohe Einkommen aus den
SPD in ihrem Regierungsprogramm entwickelt hat, gewrblichnEküftged.Diwrblchn
hier im einzelnen entfaltet? Ich beginne mit der Einkünfte sind aber zusätzlich mit Gewerbesteuer,
meines Erachtens bedeutungsvollsten Vorlage zur Vermögensteuer, Kirchensteuer und Lastenausgleich
Änderung des Einkommensteuertarifs. Es besteht belastet. Wir dürfen daher die Einkommensteuer
Einigkeit darüber, daß der jetzt noch gültige Tarif nicht nur unter verteilungspolitischen Gesichtspunk-
des Jahres 1958 reformbedürftig ist. ten sehen, sondern müssen ,darauf achten, daß die
Quellen für ein weiteres Wachstum unserer Wirt-
Ich darf das an einigen Zahlen deutlich machen.
Für das Jahr 1963 werden die Masseneinkommen, schaft nicht verstopft werden
also Löhne, Gehälter, Renten, auf rund 173 Milliar- (Beifall bei der CDU/CSU)
den DM geschätzt. Das bedeutet einen Zuwachs von unid daß genügend Eigenmittel nach der Besteuerung
62% gegenüber dem Jahre 1958. Herr Kollege Seuf- verbleiben, um Investitionen vornehmen zu können.
fert hat bereits darauf hingewiesen, daß überpropor-
tional zu diesem Ansteigen der Masseneinkommen Die heutige Belastung durch die Einkommen-
das Lohnsteueraufkommen um 134 % gewachsen ist. steuer sieht folgendermaßen aus. Heute sind noch
Sie haben aber unterlassen, Herr Kollege Seuffert, 22 % der Steuerpflichtigen — 6 Millionen — völlig
darauf hinzuweisen, daß die veranlagten Einkom- steuerfrei, wenn man von den indirekten Steuern
men von 1958 bis 1963 um 60 % gestiegen sind und absieht. Im Durchschnitt beträgt die Lohnsteuer-
die Steuerbelastung um 145 % gestiegen ist. Das belastung 8 %. — Gut, Sie sagten 8,4 %, Herr
muß man gerechterweise dazu sagen; denn es ist ja Seuffert.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4399
Dr. Artzinger
Unter 6000 DM Einkommen werden insgesamt daß hier wieder einmal aus weltanschaulichen Grün-
aufgebracht 1500 Millionen DM; von 6000 bis 12 000 den etwas geleistet wurde, was wir nicht mitmachen
-
DM Einkommen werden aufgebracht 8,7 Milliarden können; denn diese egalitäre Tendenz hat nach un-
DM, von 12 000 Ibis 25 000 DM Einkommen 5,6 Mil- serer Meinung mit dem Ruf nach mehr Steuerge-
liarden DM und bei mehr als 25 000 DM Einkommen rechtigkeit nur sehr wenig zu tun. Sie machen sich
11,4 Milliarden DM. Da liegt also der Schwerpunkt. die austeilende Gerechtigkeit verdammt leicht.
Wenn die Römer den Satz geprägt haben: „Jedem
Nun sind für die Umstellung des Einkommen- das Seine!". dann machen Sie daraus: „Jedem das
steuertarifs 1958 seit geraumer Zeit Vorschläge im Gleiche!", wenn auch mit Variationen.
Gespräch. Ich erinnere nur an den Bund der Steuer-
(Abg. Seuffert: Sprechen Sie doch mit Ihren
zahler, an das Institut Finanzen und Steuern und
Sozialausschüssen, Herr Artzinger!)
den vom Mittelstandskreis der CDU/CSU aufgegrif-
fenen Vorschlag C dieses Instituts Finanzen und — Darauf komme ich noch.
Steuern. Vor diesem Hintergrund muß man die Re- Die austeilende Gerechtigkeit ist besonders
formvorlage der SPD als eine von mehreren Mög- schwierig in einem Progressionstarif zu verwirk-
lichkeiten sehen. lichen. Ich darf Ihnen dazu mit freundlicher Geneh-
Der von den Sozialdemokraten vorgeschlagene migung des Präsidenten aus dem Aufsatz von Ger-
Tarif sieht eine Erhöhung des Freibetrags urn 240 loff im „Handbuch der Finanzwissenschaft" vor-
DM vor. Das allein würde einen Verzicht auf Steu- lesen. Es heißt wörtlich
ern in Höhe von 800 Millionen DM jährlich be- Die progressive Besteuerung läßt sich nicht ein-
deuten. Dann kommt wie bisher eine Proportional- wandfrei begründen, geschweige denn ein-
zone bis 8000 DM. Es folgt eine gegenüber dem wandfrei durchführen. Nur soviel wissen wir,
heutigen Tarif mildere Progression, die be zirka daß die proportionale Besteuerung den heute
100 000 DM die heutige Belastung erreicht und dann geltenden Gerechtigkeitsvorstellungen nicht
scharf weitergeht bis zu dem Spitzensteuersatz von entspricht, daß sie als Maßstab für die Besteue-
58 %. Bei einem Einkommen von 200 000 DM bei- rung nicht gerecht ist; aber es kann nicht be-
spielsweise — immer für Ledige gerechnet — liegt wiesen werden, weiches Maß nun gerecht ist.
dieser Tarif schon um 5000 DM höher als der Tarif Eine exakte Formel für eine nach Höhe und
1958. Wir sind der Meinung, daß dieser Tarif, ge- Verlauf objektiv richtige Progression gibt es
dacht als Entlastung mittelständischer Einkommen, nicht und kann es nicht geben.
nicht das gewünschte Bild bietet. Sie werden mir daher erlauben, daß ich Ihren
Progressionsverlauf, den Sie unter den Schlachtruf
Wir halten eis auch für völlig unmöglich, den „mehr Steuergerechtigkeit!" stellen, als eine durch
Spitzensteuersatz zu erhöhen. Auch für uns, meine die Parteibrille gesehene Gerechtigkeit qualifiziere.
Damen und Herren von der Opposition, ist der
Spitzensuravo53%kiGlubensart. Selbstverständlich durfte auch der Hinweis auf
Auch wir können uns Situationen vorstellen, in die hohen Steuersätze der Vereinigten Staaten nicht
denen eine Erhöhung dieses Satzes notwendig ist. fehlen. Auch dazu zitiere ich einen Klassiker der
Wir halten es aber für völlig unmöglich, in einem Finanzwissenschaft, Professor Neumark in Frank-
Gesetz, das Steuerermäßigungen bringt, der großen furt:
Masse Ermäßigungen zu geben und die berühmten Eine schematische Gegenüberstellung von Ein-
70 000 Einkommen, von denen Herr Seuffert sprach, kommensteuersätzen verschiedener Länder hat
zusätzlich zu belasten. keinen Erkenntniswert. Sie läßt nicht erkennen,
wie die Effektivbelastung durch den Tarif im
(Abg. Seuffert: Warum. denn?!) -
Hinblick auf das Splitting, die Abschreibungs
— Herr Seuffert, das ist keine Frage der kleinen und Bewertungspraxis gestaltet und wie sie sich
Zahl, sondern eine Frage der Gerechtigkeit und des mit der aus Ertrags-, Vermögensteuer und an-
Prinzips. deren Abgaben kombiniert. Gewiß ist der
Marginalsatz und der formale Progressionsver-
(Abg. Seuffert: Genau wie unten! Ich bin lauf nicht ohne optisch-psychologische Bedeu-
genau der gleichen Meinung! Weitere Zu tung. Aber für die Beurteilung der realen Be-
rufe von der SPD.) lastungswirkung des Spitzensatzes ist es ent-
Die SPD kennt die Gefahren, die mit einer Erhö- scheidend zu wissen, in welchem Maße jene
hung des Spitzensteuersatzes eingegangen werden Wirkung durch Begünstigungen ausgehöhlt
müssen, genau. wird — wie durch den in den USA üblichen
(Abg. Seuffert: Wir sind ja auch sehr vor Proportionalsatz für capital gains —, die bei
sichtig!) den höheren Einkommen selbstverständlich eine
ganz erhebliche Rolle spielen.
Herr Kollege Dr. Möller hat sie in Essen klar ange-
Nun haben Sie, Herr Seuffert, — und den Fisch
sprochen. Das ist zunächst die Gefahr der weiteren
hätte ich mir auch nicht entgehen lassen! — auf die
Entfernung von den Regelungen der EWG-Länder,
Entschließung unserer Sozialausschüsse verwiesen.
die wir zweifellos herbeiführen würden. Herr Dr.
Möller hat auch klar die Gefahr der Kapitalflucht Es heißt da wörtlich:
angesprochen, die wir jetzt in Italien angesichts des Steigerung der Tarifprogression der Einkom-
drohenden Eintritts der Nenni-Sozialisten in die Re- mensteuer für Großeinkommen anstatt der bis-
gierung bestätigt sehen. Wir haben den Eindruck, herigen abflachenden Progression.
4400 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Artzinger
Wenn Sie diesen Satz für eine Erhöhung des Spit- würde. Auch wir halten es für schlechterdings
zensatzes in Anspruch nehmen, dann haben Sie ihn unmöglich, daß man mit der rechten Hand gibt, was
entweder nicht richtig gelesen oder falsch verstan- man mit der linken zugleich wieder wegnimmt.
den. Da ist von einer Erhöhung des Spitzensatzes
Deshalb sind auch wir der Meinung, daß es not-
keine Rede, sondern von der Steigerung der Pro-
wendig ist, abzuwarten — wie Herr Staatssekretär
gression bei den Einkommen, die in der Spitze die-
Grund das vor den Steuerberatern ausgeführt
sem Satz unterliegen. Das kann u. U. eine Plafond-
hat —, wie sich die Vermögensteuer nach der Neu-
bestimmung sein.
bewertung von Grund und Boden gestaltet. Im
(Zuruf von der SPD.) Grundsatz wissen wir genauso wie Sie, daß der
— Bitte, das ist eine rein technische Frage. unbegrenzte und unmodifizierte Abzug bei Einkom-
men aller Größenordnungen regressiv wirkt und
(Abg. Seuffert: Wie verstehen denn Sie die daß man sich da gescheiterweise etwas anderes ein-
Bestimmung?) fallen lassen sollte.
— So nicht.
Zur Änderung der Körperschaftsteuer nur so viel.
(Abg. Seuffert: Ja, wie denn?) Wir sind der Meinung, daß der gespaltene Steuer-
— Ja, so, wie ich Ihnen das ausgelegt habe, nicht satz auch heute noch seine Berechtigung hat. Er ist
anders. Nach Wortlaut und Sinn zielen diese Aus- damals — darüber kann kein Zweifel bestehen -
führungen nicht auf eine Erhöhung des Spitzensat- zur Förderung des Kapitalmarktes eingeführt wor-
zes. Schließlich haben wir ja die Damen und Herren den, und wir meinen, daß dieses Motiv nach wie vor
unter uns, die diese Empfehlung beschlossen haben. besteht.
(Zurufe der Abg. Seuffert und Wehner.) (Abg. Seuffert: Aber so weit gespalten?!)
Der Eindruck, daß es sich bei den Vorlagen, spe- — Ja nun, so weit! 15 % Belastung der ausgeschüt-
ziell bei der Einkommensteuervorlage, der SPD um teten Gewinne bedeutet 23,5 % Effektivbelastung,
eine sehr parteipolitisch gefärbte Steuergerechtig- und wenn Sie jetzt auf 30 % anheben, bedeutet das
keit handele, verstärkt sich bei näherem Zusehen. praktisch eine Belastung mit 47 %. Dann haben Sie
Die stärksten Verbesserungen sind da angelegt, überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen nicht
wo die meisten Stimmen zu holen sind. entnommenen oder nicht ausgeschütteten Gewinnen
und den Ausschüttungen. So kann man es nicht
(Abg. Seuffert: Beim Masseneinkommen, machen, und im übrigen treffen Sie die personen-
natürlich!) bezogenen Kapitalgesellschaften genauso hart wie
— Ja freilich, natürlich; auf die 70 000 Bezieher die Publikumsgesellschaften.
hoher Einkommen kann man getrost verzichten. (Widerspruch bei der SPD.)
(Zuruf des Abg. Wehner.) — Doch; aber darüber können wir uns im einzelnen
— Nein, nein. im Ausschuß unterhalten.
(Abg. Wehner: Natürlich, Sie werfen mit Lassen Sie mich zusammenfassen. Wir sehen in
Begriffen um, wie es Ihnen gerade paßt!) den Vorlagen nur sehr bedingt konstruktive Vor-
schläge für die auch nach unserer Meinung erforder-
Sie haben dann den sogenannten Mittelstands- liche Änderung des Einkommensteuerrechts. Mit
bogen nur sehr vorsichtig angekratzt. Wir sind der großen Erwartungen sehen wir nun der Regierungs-
Meinung, daß die wünschenswerten Steuerermäßi- vorlage, dem Steueränderungsgesetz 1964, entgegen,
gungen nicht nur bis zu einem Einkommen von aber auch, Herr Minister, mit sehr konkreten und
24 000 DM reichen dürfen. Darüber hinaus bestimmten eigenen Vorstellungen. Nach allem, was
(Zuruf von der SPD) wir bisher über den Entwurf gehört haben, kommt
er unseren Vorstellungen weit entgegen, so daß
— ja, ich weiß, ich habe den Tarif durchgerechnet — wir für den Augenblick nur den Wunsch haben, der
bleibt noch etwas übrig. Aber wir sind der Mei- Regierungsentwurf möge schnell vorgelegt werden.
nung, daß da doch etwas mehr getan werden muß,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
als Sie vorgesehen haben.
(Abg. Wehner: Aber gleich!) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat
Wir sind der Meinung, daß wir, gerade was den der Herr Abgeordnete Möller.
Einkommensteuertarif angeht, nun die Regierungs-
vorlage in Gottes Namen abwarten sollten und daß
Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller (SPD) : Herr
wir dann im Ausschuß natürlich über die Einzel-
Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir
heiten der Tarifgestaltung diskutieren müssen.
völlig unverständlich, daß von meinem Herrn Vor-
Ich will es mit der Stellungnahme zu den übrigen redner der Versuch gemacht worden ist, unsere
Vorlagen der sozialdemokratischen Fraktion kurz Steuervorlage mit weltanschaulichen Prinzipien in
machen. Was die Beseitigung des Vermögensteuer- Übereinstimmung zu bringen. Ich kann mir wirk-
abzugs bei der Einkommensteuer betrifft, so hat der lich nicht vorstellen, daß man eine Weltanschau-
Herr Minister bereits darauf hingewiesen, daß das ung von so kleinem Format hat, das dazu führt,
auch schon für mittlere Vermögen die. Folge hätte, mit unseren Steueranträgen derartige Kombina-
daß die Einkommensteuerentlastung, die Sie nach tionen vorzunehmen. Wir wollen die Realitäten
Ihrem Tarif zubilligen, weitgehend aufgezehrt einmal festhalten. Es kann doch für die sozialdemo-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4401
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
kratische Bundestagsfraktion nicht maßgebend sein, lich von Ihnen immer wieder in der Öffentlichkeit
wann und wie oft die Bundesregierung erklärt hat, gefordert worden ist.
ein Steueränderungsgesetz vorlegen zu wollen, das Auf Grund unserer Anträge haben Sie dann an-
unseren Vorstellungen entspreche. Wenn wir aus gekündigt, nun komme die Steuervorlage. Dazu
den Erfahrungen der Vergangenheit sagen könnten, empfehle ich Ihnen: Nehmen Sie mal die Donners-
daß für die Bundesregierung der Satz gilt: ein tagsausgaben der großen Zeitungen! Da werden Sie
Mann, ein Wort!, dann könnte man abwarten und im Wirtschaftsteil lesen, was das doch für eine aus-
über einen solchen Ausgangspunkt durchaus dis- gezeichnete Sache sei, daß ,die Bundesregierung nun
kutieren. mit dem Steueränderungsgesetz den Mittelstands-
(Abg. Wehner: Sehr gut!) bogen beseitigen und steuerliche Vergünstigungen
Aber wenn wir uns mit der Finanz- und Steuer- für die unteren und mittleren Einkommen bringen
politik beschäftigen, dann muß ich feststellen, daß werde, und auf der ersten, der politischen Seite
wir schon seit der Regierungserklärung des Jahres werden Sie eine Meldung des Sprechers der Bun-
1953 auf die Finanz- und Steuerreform warten, die desregierung lesen, in der angekündigt wird, es sei
uns jede Regierungserklärung angekündigt hat. nicht damit zu rechnen, daß schon für das Jahr 1964
solche Steuerwünsche realisiert werden könnten;
(Sehr wahr! bei der SPD.) wenn überhaupt, dann erst im Jahre 1965.
Sie können doch angesichts solcher Tatsachen nicht Bei soviel Zwiespältigkeit müssen wir den Ver-
einfach darauf vertrauen, daß die Glaubhaftigkeit such unternehmen, der ganzen Sache einen realisti-
von Regierungserklärungen über jeden Zweifel er- schen Hintergrund zu geben.
haben sei; was die sozialdemokratische Bundestags-
(Sehr gut! bei der SPD.)
fraktion zu einem Stillhalteabkommen veranlassen
müßte, das so lange dauern sollte, bis Sie im Jahre Nun, wir müssen uns an Regierungserklärungen
1965 dann endlich den Zeitpunkt für gekommen er- und an dem Bulletin der Bundesregierung orien-
achten, Steuervorlagen und andere Vorlagen im tieren, das beispielsweise für mich, Herr Dr. Schmidt,
Zeichen einer Neuwahl des Bundestages zu machen. anscheinend ein besserer Lesestoff ist als für Sie.
Da habe ich im Bulletin vom 10. April ein Interview
(Beifall bei der SPD.) mit dem Herrn Staatssekretär im Bundesfinanzmini-
Meine Damen und Herren, Sie haben schon des sterium zur Kenntnis nehmen müssen. Nun könnte
öfteren auf das Regierungsprogramm der SPD Be- man sagen: Es ist nicht unbedingt wichtig, was für
zug genommen, so daß ich wenigstens von einem ein Interview ein Staatssekretär gibt. Aber wenn
Teil der Vertreter der Mehrheitsparteien anneh- die Bundesregierung es im Bulletin veröffentlicht,
men muß, daß sie dieses Programm kennen und es dann müßte nach meiner Meinung auch die Oppo-
gelesen haben. Dann haben sie auch gewußt, daß sition davon Kenntnis nehmen. Und was sagt Herr
wir i n diesem Programm klar zum Ausdruck ge- Staatssekretär Grund, Herr Bundesfinanzminister?
bracht haben, daß wir uns im Bundestag bemühen Er sagt:
werden, Steuernovellierungen mit dem Ziel größe- Da aber nun die Haushaltslage zur Zeit außer-
rer Steuergerechtigkeit durchzusetzen. Nachdem ordentlich schwierig ist, sind allgemeine Steuer-
nun von Ihrer Seite laufend solche Diskussionen ge- senkungen wohl kaum vertretbar. Infolgedes-
führt werden, allerdings mit zwei Zungen, sehen sen wird sich das Schwergewicht der Steuer-
wir uns veranlaßt, hier im Deutschen Bundestag zu politik, jegliche Reformarbeiten auf einen
fragen: Wer hat denn nun beispielsweise in der Steuerumbau, das heißt also, auf eine Vertei-
CDU/CSU-Fraktion zu bestimmen, nach welcher lung, eine anderweitige Verteilung der Steuer-
Richtung Steuerpolitik gemacht wird, Sie, der Sie lasten verlagern müssen.
hier sprechen, oder Vertreter der Sozialausschüsse, Meine Damen und Herren, das war am 10. April
die sich selbst melden können, um klarzustellen, 1963. Wenn Sie von dieser Erklärung ausgehen,
wie ihre Beschlüsse aufgefaßt werden müssen? Auch fällt Ihre ganze Argumentation gegen unsere Steuer-
ich habe beispielsweise aus dem Spiegel-Interview anträge zusammen wie ein Kartenhaus.
wirklich nicht entnehmen können, welche Auslegung
man den Beschlüssen zu geben hat. (Beifall bei der SPD.)

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal]: Die müssen Der Herr Bundesfinanzminister hat nun erklärt, es
Sie besser lesen!) sei gar nicht nötig, Steuernovellierungen zu bringen,
die auch zu Steuermehrerträgen führten. Gut, ich
— Ach, Herr Dr. Schmidt, Sie dürfen sicher sein, nehme das zur Kenntnis, Herr Bundesfinanzminister.
daß ich ganz gut lesen kann. Ich will mich da nicht Dann ist aber für Sie die Steuerlage und die Haus-
in einen Streit mit Ihnen einlassen. haltslage nicht mehr so, wie es Ihr Staatssekretär
Ich würde überhaupt empfehlen, daß Sie einen im April dieses Jahres in diesem Interview zum
Unterschied zwischen unseren Steuervorlagen ma- Ausdruck gebracht hat, und Sie glauben, daß Bund
chen. Von der einen Steuervorlage sagen Sie, sie und Länder die Steuerausfälle, die entstehen, wenn
gehe Ihnen nicht weit genug 'hinsichtlich der Besei- wir den Mittelstandsbogen beseitigen, zu tragen
vermögen.
tigung des Mittelstandsbogens und der Verbesse-
rung der Steuerlage bei den unteren und mittleren Herr Artzinger, Sie haben erklärt — das haben Sie
Einkommen, die sehr nachdrücklich vom Bundes- in einem Artikel sehr viel aggressiver gesagt, und
finanzminister hier vorgetragen und sehr nachdrück- ich freue mich, daß Sie hier wenigstens einen etwas
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


vornehmeren Ton in die Diskussion hineingebracht DM, und wegen dieser 150 Millionen DM sollen nun
haben —, das reiche ja alles nicht. Wir betrachten diese 70 000 Kapitalflucht in einem größeren Maß
solche Anträge nicht als einen Vorgang, den man unternehmen, als das vielleicht jetzt schon der Fall
mit einer Auktion vergleichen könnte. Wir müssen gewesen ist? Ich muß sagen, ich kann da nicht mit
vielmehr aus der gesamten Finanzsituation heraus und glaube es auch nicht, zumal ich der Meinung
versuchen, Finanz- und Steuerpolitik zu machen. Da bin, daß die Bundesregierung mit dem Außenwirt-
sind wir eben zu dem Ergebnis gekommen, daß schaftsgesetz vom 28. April 1961 die Möglichkeit
unsere Steueranträge zu einem Weniger an Steuer- hat, auf dem Wege über eine Rechtsverordnung
einnahmen in Höhe von rund 1,4 Milliarden DM volkswirtschaftlich schädlichen Kapitaltransfer abzu-
führen würden. Das ist die Mindestsumme; sie wehren. Also das, meine Damen und Herren, ist
könnte also eher höher sein. Ich nehme die Min- ganz sicher nicht in Ordnung, was Sie hier an Be-
destsumme wegen Ihrer Argumentation. Das reicht hauptungen aufstellen.
Ihnen also nicht, nun schön. Wenn wir darüber hin-
aus auch den Versuch unternommen hätten, die Pro- Ich darf daher folgendes sagen. Soweit unsere
portionalzone noch zu verändern mit etwa 1 Mil- Anträge, die eine Steuerentlastung bezwecken, hier
liarde DM, dann hätte ich nicht hören wollen, was besprochen worden sind, ist festzustellen: Sie haben
Sie von den Regierungsparteien dann in Ihren Zei- uns zwei Vorwürfe gemacht. Erster Vorwurf: daß
tungen, in der Öffentlichkeit und hier über diese wir nicht warten, ibis eine Vorlage der Bundes-
Haltung der sozialdemokratischen Opposition zum regierung kommt oder ein Gesetzentwurf aus der
Ausdruck gebracht hätten. Koalition.
(Beifall bei der SPD.) (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das ist Ihr
Nun gut, bringen Sie solche Anträge, Herr Artzin- gutes Recht!)
ger, und ich garantiere Ihnen, daß sie sich über die — Dann besteht der Vorwurf nicht mehr, schön.
Mehrheitsbildung in diesem Hause wundern wer- Er wurde in der Debatte erhoben. Wenn Sie sich
den. eines Besseren besinnen, in Ordnung; dieser Vor-
Nun sagen Sie, Sie hätten die Erhöhung der Frei- wurf besteht also nicht mehr.
beträge von 1680 auf 1920 DM nicht vorgenommen. Zweiter Vorwurf! Sie sagen: Was die SPD mit
Das entspricht gar nicht dem Vorwurf, den Sie an dieser Entlastung von 1,4 Milliarden DM machen
uns richten, daß wir aus weltanschaulichen Gründen will, reicht nicht. Wir müssen noch eine wesentliche
Steuerpolitik machten und Steueranträge vorlegten. Ausdehnung der Proportionalzone durchsetzen, was
Denn die Steuerermäßigung, die dadurch eintritt, insbesondere in den mittleren Bereichen des Ein-
trifft doch alle. Das haben Sie anscheinend noch kommensteuertarifs eine wirkliche Entlastung bringt.
nicht gemerkt. Sie wollen es nicht, Sie wollen es Schön, darüber lassen wir mit uns reden. Aber
nach Ihren Vorschlägen nicht machen. dann setzen Sie sich doch bitte einmal in das be-
(Unruhe bei der CDU/CSU.) rühmte stille Kämmerlein und entwerfen Sie einen
Zusatzantrag zu unserer Gesetzesvorlage, der sich
— Bitte, nach den Meldungen vom Juli 1963 über mit der Ausdehnung der Proportionalzone beschäf-
das Ergebnis der Beratungen Ihres Arbeitskreises tigt!
„Haushalt und Finanzwirtschaft" mit Ihrem Arbeits- (Beifall bei der SPD.)
kreis „Mittelstand", den Sie ja auch wohl kennen,
ist ausdrücklich festgehalten: Erhöhung der Freibe- Ich kann Ihnen versichern, daß Sie wohlwollendere,
träge nicht. Und Sie sagen, als wenn Sie es nicht weil objektivere Kritik bei einem solchen Vor-
wüßten, auch in Ihrem Artikel, der über den Deutsch- schlag finden, als wir sie mit unseren gutgemeinten
land-Union-Dienst verbreitet worden ist — den müs- Vorschlägen bei Ihnen finden können.
sen Sie ja kennen, gucken Sie nach, ich habe ihn
gerade nicht bei mir —, daß Sie das nicht wün- Nun, meine Damen und Herren, noch ein kurzes
schen. — Das ist also ein Betrag von rund einer Wort zu den anderen Anträgen, den Anträgen, die
halben Milliarde DM, der durchgehend allen denen sich mit der Änderung im gespaltenen Körperschaft-
gegeben wird, die steuerpflichtig sind, womit auch steuensatz beschäftigen, und dem Antrag auf Be-
insoweit Ihre Argumentation nicht mehr stichhaltig seitigung der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer.
ist. Die Verringerung der Spaltung zwischen Normal-
Nun, Herr Bundesfinanzminister, möchte ich die satz und Vorzugssatz durch Erhöhung des Vorzugs-
70 000, von denen hier so oft die Rede ist, in Schutz satzes von 15 auf 30 v. H. hat — ich meine, auch
nehmen, und zwar gegen die Unterstellung, daß die das sollte der Herr Finanzminister bei seiner Stel-
Erhöhung, wie sie in unseren Anträgen vorgesehen lungnahme beachten — eine Herabsetzung der
ist, zur Steuer und Kapitalflucht führen würde.
- Nachversteuerung bei Schachtelgesellschaften zur
(Abg. Wehner: Sehr wahr!) Folge. Nach unseren Errechnungen — wir gehen da-
bei von Ausschüttungen in Höhe von 5 Milliarden
Ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn ich nach DM im Jahre 1963 aus — würde ohne diese Nach-
Ihren Berechnungen gehe, nämlich den Berechnun- versteuerung die Mehrbelastung 750 Millionen DM
gen, die der Herr Staatssekretär auf der Tagung betragen. Wenn Sie diese Nachversteuerung nun
des Bundes der Steuerberater vorgetragen hat, mit berücksichtigen, müssen Sie noch einmal etwa
macht die Erhöhung in der Spitze um 1 % 30 Milli- 250 Millionen DM absetzen. Dann bleibt als ein Be-
onen DM. Fünf mal 30 Millionen sind 150 Millionen trag von 1/2 Milliarde DM.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4403
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Wir haben uns mit diesem unserem Vorschlag, — saldiert — 500 Millionen DM, Änderung bei der
der in den Mittelstandskreisen der CDU/CSU und Vermögensteuer 250 Millionen DM, zusammen also
in den Mittelstandskreisen der FDP oft erörtert 900 Millionen DM. Dieser Betrag könnte sich noch
worden ist, unter anderem auf den Neumark-Be- erhöhen bis zu einer Summe von 1,050 Milliarden
richt der EWG-Kommission — damit Sie es leichter DM. Wir wollen auch einmal festhalten, daß nach
haben, verweise ich auf Seite 66 — gestützt. Meinung der Koalitionsparteien ein solcher Betrag
Im übrigen hat Herr Kollege Seuffert schon her- von der Bundesregierung nicht benötigt wird, es sei
vorgehoben, daß mit dem jetzigen sogenannten ge- auch unzweckmäßig, so zu verfahren. Wir wollen
spaltenen Körperschaftsteuersatz die Besteuerung das auch im Hinblick auf andere Diskussionen fest-
der Kapitalgesellschaften bei uns so niedrig ist wie halten, beispielsweise im Hinblick auf die Diskussion
in keinem anderen Staat. Sie, Herr Bundesfinanz- zur Kriegsopferversorgung.
minister, sind dann auch darauf eingegangen, daß (Beifall bei der SPD.)
unser Vorschlag die Steuernachteile inländischer
Und dann wollen wir Ihnen noch einmal die Zah-
Gesellschaften gegenüber Konzernen, die von aus-
len über Investitionen und Selbstfinanzierung der
ländischen Mutter- und Holdinggesellschaften ge-
Unternehmen nennen, wobei ich hinzufüge, daß diese
führt werden, verringert.
Zahlen das Wohnungswesen nicht enthalten. Die
Von allen Rednern ist zum Ausdruck gebracht Zahlen für 1963 sind geschätzt. Die Zahlen lauten
worden: Was die SPD will, ist eine Umverteilung, also: Investitionen 1961 57,7, 1962 61,9, 1963 62,9
ist Sozialisierung des Eigentums, des Geldvermö- Milliarden DM; Eigenmittel 1961 38,7, 1962 40, 1963
gens usw. usf. Ich möchte dazu etwas sagen, wenn 42 Milliarden DM. Wenn Sie nur die Differenz von
ich noch eine Bemerkung hinsichtlich der Vermögen- 1962 zu 1963 betrachten, dann können Sie nicht
steuer machen darf. Sehen Sie einmal, Staatssekre- sagen, daß die von uns vorgelegten Anträge, mit
tär Grund hat auf dem eben erwähnten 15. Fach- denen eine größere Steuergerechtigkeit erreicht wer-
kongreß der Steuerberater in Köln am 21. Oktober den soll, zu einer Umverteilung des Vermögens
hierzu gesagt — das schreibt der Industriekurier, führen würden, daß sie die Selbstfinanzierung be-
ich kann mich auf diese Zeitung Ihnen gegenüber einträchtigen könnten, daß durch sie die Investitions-
ja wohl berufen —: tätigkeit mit allen Wirkungen für die Inlandsproduk-
Interessant war noch der vorsichtige Hinweis, tion und für den Außenhandel in Mitleidenschaft
daß unter Umständen auch Überlegungen an- gezogen wird.
gestellt werden könnten, ob etwa der Vermö- Das alles stimmt nicht, meine Damen und Herren.
gensteuertarif im Sinne einer progressiven Um- Es paßt Ihnen nicht, daß die sozialdemokratische
gestaltung geändert werden sollte, aber nicht, Fraktion Sie nun zwingt, in den nächsten Wochen
wie Grund betont, um eine höhere Einnahme und Monaten zu diesen Anträgen Stellung zu neh-
zu erzielen, sondern in erster Linie, um eine men und zu sagen: wo wird Politik gemacht, außer-
gerechtere Heranziehung der Vermögen zu er- halb des Bundestages auf Konferenzen und Tagun-
reichen. gen oder hier im Deutschen Bundestag?!
Sehen Sie, das ist ein Punkt, den wir in unseren (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
bisherigen Diskussionen mit Nachdruck herausge-
stellt haben. Wir meinen, daß ohne eine Änderung
in der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich unter-
breche die Sitzung bis 15 Uhr. Der erste Redner nach
Einkommensteuer jede Verschärfung des Vermö-
gensteuertarifs sich nur zugunsten der höheren und Wiederaufnahme der Sitzung wird Dr. Imle sein.
höchsten Einkommen auswirken kann. Das ist doch (Unterbrechung der Sitzung von 13.08 bis
sicherlich von niemandem gewollt. Deswegen unser 15.01 Uhr.)
Vorschlag, die Abzugsfähigkeit bezahlter Vermö-
gensteuer bei der Einkommensteuer zu limitieren
bei unveränderten Vermögensteuerfreibeträgen. Vizepräsident Dr. Jaeger: Die unterbrochene
Dadurch würde sich ein besseres Verhältnis von Sitzung wird wiederaufgenommen.
der nominellen zur effektiven Vermögensteuer er- Wir sind bei Punkt 4 b), c) und d) der Tagesord-
geben. Das müßten eigentlich auch Sie, meine Da- nung. In der fortgesetzten Beratung hat das Wort
men und Herren, begrüßen, zumal diese gestaffel- der Abgeordnete Dr. Imle.
ten Pauschbeträge insbesondere die kleinen und
mittleren Vermögen begünstigen.
Dr. Imle (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ge-
Nun zum Schluß zu Ihrer Behauptung bezüglich ehrten Damen und Herren! Als Fazit der Aussprache
der Investitionen und Selbstfinanzierung der Unter- von heute morgen kann man feststellen, daß sich
nehmen und was da sonst noch in Frage kommt! Hal- doch im ganzen Hause anscheinend das Bemühen
ten wir noch einmal die Steuerzahlen fest: Steuer- bemerkbar macht, das abzubauen, was man bisher
minderung nach unseren Anträgen mindestens Mittelstandsbauch genannt hat, was der Bundes-
1,4 Millionen DM, Steuermehreinnahmen — die wir finanzminister Mittelstandsbogen nennen möchte.
aber nur zum Zwecke einer besseren Steuergerech- Allerdings muß ich sagen, das, was heute morgen
tigkeit anstreben — nach den Berechnungen des Bun- der Kollege Seuffert als einen Frontal-, man könnte
desfinanzministeriums beim Spitzensteuersatz 150 fast sagen, einen brachialen Angriff auf den Mittel-
Millionen DM, gespaltener Körperschaftsteuersatz standsbauch bezeichnete, zeigt sich bei genauer
4404 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Dr. Imle
Überprüfung doch nur als der Versuch zu einer tiger und auch für die Unternehmen gerechter. Die
-
kleinen Abmagerung. Ungerechtigkeit der vergangenen Jahre auch gegen-
(Zustimmung bei der FDP.) über diesen Mittelstandsschichten muß jetzt einmal
völlig beseitigt werden. Es genügt nicht, wieder nur
So allerdings kann man es nicht machen, daß man einen Ansatz zu machen. Das würde nur dazu füh-
plötzlich einen Antrag in die Welt setzt und meint, ren, daß wir uns in absehbarer Zeit mit diesem Pro-
man würde, dann gerade für die Mittelschichten, blem erneut befassen müssen.
wie die SPD den Mittelstand nennt, immense Ent-
lastungen herbeiführen. Das ist aber in Wirklichkeit (Zuruf von der SPD: Es ist allmählich Zeit!)
nicht der Fall. — Es ist allmählich Zeit, da haben Sie völlig recht.
Man muß dann auch einmal die Formeln, die hier Längst wäre es so weit gewesen, wenn sich diese
vorgelegt werden, darauf prüfen, was tatsächlich Meinung allgemein mehr durchgesetzt hätte.
dahinter steckt. Man muß also rechnen, muß unseren (Zurufe von der SPD.)
heutigen Steuertarif mit den Vorschlägen der SPD
— Ich kann Ihnen das gleich sagen. Ich habe mir
vergleichen. Das Ergebnis dieses Vergleiches muß
soeben noch die Protokolle vom 19. Juni 1958 ange-
man doch wohl einmal öffentlich festhalten, damit
sehen und habe darin auch die Erklärungen gefun-
man versteht, daß es mit der plötzlichen Aufge-
den, die Sie abgegeben haben. Damals haben Sie
schlossenheit, über die wir von den Kongressen in gesagt, eine Einkommensteuerermäßigung für Ein-
Essen und Stuttgart gehört haben, in Wirklichkeit
kommen über 110 000 DM sei völlig fehl am Platze.
nicht weit her ist.
Das wollen wir doch hier gleich festhalten.
Nehmen wir einmal einen Arbeitnehmer mit
(Zurufe von der SPD: Jawohl!)
5000 DM Brutto-Einkommen im Jahr. Wenn wir
davon die Werbungskosten und Sonderausgaben — Da sind wir anderer Meinung. Warum, das will
abziehen, bezahlt er nach dem bisherigen Tarif 360 ich Ihnen gleich vorrechnen. Nehmen Sie ein Ein-
DM im Jahr, nach dem Entwurf der SPD 316 DM: kommen von 100 000 DM. Das liegt in der Ein-
die ganze Ersparnis beträgt also 44 DM, im Monat kommensteuer bei 53 %.
nicht einmal 4 DM. Bei einem Einkommen von (Widerspruch bei der SPD.)
7000 DM sind das im Jahr 46 DM, also im Monat
auch noch nicht einmal 4 DM. Bei 8000 DM sind es — Natürlich, das erreichen Sie dabei. Nehmen Sie
ebenfalls nur 44 DM, und wenn jemand 11 000 DM dazu noch Vermögensteuer, Gewerbesteuer und Kir
verdient, 120 DM. chensteuer, dann kommen Sie beim Ledigen zu einer
Gesamtbelastung von 65 %. Beim Verheirateten ist
Nehmen wir nun die Teile der Bevölkerung, für es anders, damit wir uns richtig verstehen. Wenn Sie
die doch der bisherige Einkommensteuertarif die aber den Ledigen nehmen, dann bleiben von 100 000
große Belastung ist, nämlich die Selbständigen, die DM im Endergebnis 33 000 DM. Das heißt mit ande-
ja aus dem Einkommen ihr Kapital holen und es ren Worten: Von diesem Betrag soll er a) leben und
dann auch wieder investieren müssen, so ergibt sich b) Vermögen bilden und noch für die Zukunft in-
folgende nette Gegenüberstellung. Bei einem Ein- vestieren. Das ist doch nicht die richtige Relation.
kommensteuerpflichtigen mit einem Jahreseinkom-
men von 30 000 DM ergibt sich eine monatliche Wir werden uns daher zu wesentlich anderen Ge-
Ersparnis von 43 DM gegenüber dem heutigen sichtspunkten durchringen müssen. Dabei erlaube ich
Tarif. Bei 60 000 DM sind es monatlich nur 41 DM; mir den Hinweis, daß es wohl nicht richtig ist, die
da ist es also schon wieder etwas weniger. Bei Lösung lediglich am Steuerfreibetrag aufzuhängen,
80 000 DM sind es ganze 25 DM, während bei den Sie auf 1920 DM anheben wollen. Man sollte
100 000 DM der jetzige Tarif gegenüber dem vor- ruhig einen etwas niedrigeren Betrag nehmen, da-
geschlagenen Tarif um 15 DM höher liegt. Wenn für aber bei der Gesamtbesteuerung den Plafond von
gerade in den Einkommensgruppen zwischen 30 000 20 auf 19 % senken. Dann käme man wahrschein-
DM und 100 000 DM die Entlastung monatlich nur lich zu einem besseren Ergebnis. Aber darüber wer-
zwischen 25 DM und 40 DM beträgt, kann man den den wir uns ja demnächst unterhalten.
Tarif für diese Gruppen gleich so belassen. Der Nun zur Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer.
neue Tarif würde in Wirklichkeit keine Entlastung Dazu muß ich Ihnen allerdings sagen, daß Sie damit
bringen, diese 25 DM gehen einfach unter. bei uns keineswegs auf freudiges Entgegenkommen
Insofern stimmt das, was uns heute morgen er- stoßen.
zählt worden ist, keineswegs: daß hier eine fühlbare (Zurufe von der SPD: Das haben wir auch
Entlastung für den Mittelstand — für die Mittel- nicht erwartet!)
schichten, wie Sie es nennen — gebracht würde. Man
— Es freut mich, daß Sie so prophetisch veranlagt
kann auch nicht damit argumentieren, wie es heute
sind, daß Sie sich in unsere Gedanken einfühlen
morgen geschehen ist, daß auf diese Weise 1,4 Mil-
können. Aber man weiß ja noch nicht, wie sich das
liarden DM Steuerersparnis herbeigeführt würden, bei Ihnen im Laufe der nächsten Zeit noch alles wan-
denn in diesem Umfange bringen Sie den einzelnen
delt.
in Wirklichkeit keine Entlastung! Wir befürworten
daher eine Abmagerungskur nicht nur bei diesem (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Der Anpas
Mittelstandsbogen oder -bauch, wie Sie es vorschla- sungsvorgang ist schon da!)
gen, sondern verlangen eine völlige Angleichung — Der Anpassungsvorgang ist schon da. Wenn
an eine gleichmäßige Progression. Das ist viel rich- heute morgen z. B. Herr Möller den „Industrie-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4405
Dr. Imle
kurier" für sich in Anspruch nahm und uns meinte die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer ganz be-
einwerfen zu können, das sei ja unverdächtig, kann seitigt wird, dann wird sozusagen die Axt - an die
ich Ihnen die Ausgabe desselben „Industriekurier" Wurzel gelegt, nämlich die Möglichkeit beseitigt, für
vom 14. November vorhalten, wo er sich mit Ihrer die Zukunft überhaupt weiter Vermögen bilden zu
Tagung in Stuttgart befaßt, ich darf es Ihnen viel- können.
leicht einmal vorlesen: (Zurufe von der SPD: Im Gegenteil! —
Leider stehen aber die Deklamationen von Fragt sich nur wo!)
Stuttgart nicht in Einklang mit der Praxis von — Es fragt sich nur wo? Gerade bei den Kreisen,
Bonn, sondern zeigen wieder einmal, daß Reden bei denen es darauf ankommt, Vermögen zu bilden,
und Handeln zweierlei ist. So haben denn auch damit sie auch im starken Wettbewerb, im Konkur-
die Handwerksmeister und Gewerbetreibenden renzkampf und in Zeiten bestehen können, wo es
auf diesem „Mittelstandstag" vergeblich darauf sich darum handelt, einer abflauenden Konjunktur
warten müssen, daß einer der redefreudigen mit Eigenkapitalmitteln zu begegnen.
Prominenten etwas zu dem Thema sagt, das
dem Mittelstand auf den Nägeln brennt: Sozial- Sie haben auch ganz außer acht gelassen — das
paket und Lohnfortzahlung. klang auch beim Finanzminister schon ran —, daß
eine jetzt vorgenommene Änderung der Vermögen-
(Lachen bei der SPD. — Zuruf von der steuer sich später bei einer Änderung der Einheits-
SPD: Möller hat gesagt: für Sie unver werte einmal ganz erheblich auswirken kann. Sie
dächtig, nicht für uns unverdächtig!) haben auch an die Landwirtschaft nicht mehr ge-
— Na eben! Aber wenn Sie das auf uns anwenden, dacht, denn für sie würden sich ganz erhebliche Be-
dann müssen Sie dasselbe auch auf sich anwenden lastungen ergeben, wenn nun plötzlich die Ver-
lassen. Sie können sich nicht nur die Bonbons her- mögensteuer bei der Einkommensteuer nicht mehr
aussuchen und sagen: Damit wollen wir nichts zu abzugsfähig wäre. Ich glaube also, daß diese Frage
tun haben; so geht es ja nicht. sehr eingehend geprüft werden muß. Ich möchte
(Abg. Seuffert: Wir stimmen mit dem hier nur sagen, daß wir Ihnen in diesem Punkt kei-
Industriekurier nicht immer überein!) nen Erfolg wünschen.
— Nein, nein; aber Sie sind auch schon wieder im (Abg. Dr. Eppler meldet sich zu einer
Anpassungsprozeß. Zwischenfrage.)
(Weitere Zurufe von der SPD.) — Ja, bitte, Herr Eppler!
— Ich weiß nicht, ob Sie mit Ihren Zwischenrufen
verhindern wollen, daß ich Ihnen auch noch den Rest Dr. Eppler (SPD) : Herr Kollege, sind Sie allen
vorlese, der bei mir unterstrichen ist; er scheint mir Ernstes der Meinung, daß unsere Landwirtschaft im
nämlich das Wesentliche zu sein. Es heißt hier: Augenblick soviel Einkommensteuer bezahlt, daß
die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer ins Ge-
Die sozialdemokratischen Sprecher verstanden wicht fällt?
es großartig, ihrem Publikum in Stuttgart die
Mittelstandsfreundlichkeit der SPD zu offerie- Dr. Imle (FDP) : Ich möchte der Landwirtschaft
ren und gleichzeitig den Mantel des Schweigens jedenfalls soviel Vermögen und Einkommen wün-
darüber zu breiten, daß sie in Bonn eine Gesetz-
schen, daß sie diese Steuer zahlen kann.
gebung für richtig halten, die den mittelständi-
schen Arbeitgebern den Garaus machen kann. (Beifall bei der FDP.)
(Zurufe von der SPD.) Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen.
Bei Ihnen wird die Auffassung vertreten — sie ist
Damit will ich einmal abschließen.
meines Erachtens falsch —, daß die größeren Ein-
(Zurufe von der SPD: Bitte Beispiele! — kommen für die Lebenshaltung verbraucht werden.
Was meinen Sie damit?) Das ist eben nicht der Fall, sondern die höheren
— Was ich damit meine? Die Art und Weise, wie Einkommen werden im Rahmen der Betriebe zur
Sie sich jetzt bei dieser Sozialpaketsgeschichte ge- Betriebserhaltung und für Investitionen benötigt. —
rieren; damit fallen Sie wieder i n diese andere Ten- Wir werden uns deswegen, wenn uns die Gesetz-
denz hinein. entwürfe der Regierung, hoffentlich in absehbarer
Zeit, vorliegen werden, mit diesen einzelnen Pro-
Lassen Sie mich jetzt noch etwas zur Vermögen- blemen sehr befassen.
steuer sagen. Hierzu haben Sie uns eben schon
testiert, daß Sie da mit uns keineswegs konform Sollten wir bei Verwirklichung Ihrer Vorschläge
gehen. Wir jedenfalls sehen das, was Sie jetzt beab- zu wesentlichen Erhöhungen der Steuer kommen,
sichtigen, nicht nur als einen Ansatz, sondern be- so würden wir auch bei uns eine Kapitalflucht her-
reits als den völligen Einbruch in das Kapitel Ab- vorrufen, und die ist jedenfalls für uns völlig un-
zugsfähigkeit der Vermögensteuer an. Beträge von erwünscht. Wir erleben es ja zur Zeit in den USA,
200 DM für den Ledigen oder von 400 DM für Ver- daß das Kapital nach draußen geht, um den hohen
heiratete und 200 DM pro Kind Steuern zu entgehen. Um das abzudrehen, hat man
sich dort zu ganz wesentlichen Steuersenkungen
(Abg. Seuffert: Sind für Sie nicht interessant!) entschlossen.
treffen nicht einen solchen Kreis, daß sie noch Wir glauben also, daß Ihre Anträge keineswegs
irgendwie von erheblicher Bedeutung wären. Wenn das erreichen können, was für den Mittelstand als
4406 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Imle
solchen unbedingt erforderlich ist. Wir werden im Hätte man damals die Frage gestellt, wie alle Schul-
Ausschuß sehr eingehend darüber reden; nur wer- den und Schäden der NS-Zeit abgegolten werden
den wir uns dann wahrscheinlich auf einer anderen sollten, dann hätte kein Mensch daran gezweifelt,
Basis bewegen müssen, als die von Ihnen vorgeleg- daß von einer neuen deutschen Regierung nur eine
ten Anträge sie uns bieten. faire Abwicklung des Hitler-Bankrotts nach kon-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) kursrechtlichen und sozialen Maßstäben hätte ver-
langt werden können. Was ist aus diesen Gedan-
ken im Verlaufe von 18 langen Jahren geworden?
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wünscht zu den Die neue Regierung, der neue demokratische Staat
Punkten 4 b), c) und d) noch jemand das Wort? — sind unversehens für alle Dinge und Taten verant-
Das ist nicht der Fall. wortlich gemacht worden, .die sich im „Dritten Reich"
Ich schlage Ihnen vor, den unter b) aufgeführten oder im Zusammenhang mit der Katastrophe ereig-
Gesetzentwurf — Drucksache IV/1567 — an den net haben. Auf allen Gebieten werden Ansprüche,
Finanzausschuß — federführend — und an den Haus- Rechtsansprüche, ohne Rücksicht auf den NS-Zusam-
haltsausschuß und den Ausschuß für Mittelstands- menbruch erhoben.
fragen — mitberatend — zu überweisen. — Wider- Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das
spruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. wiederholen, was Herr Kollege Seuffert in diesem
Das gleiche schlage ich vor für den unter c) auf- Hohen Hause während der Beratungen zum Kriegs-
geführten Gesetzentwurf — Drucksache IV/1568 —. folgengesetz zum Ausdruck gebracht hat. Herr Kol-
— Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. lege Seuffert hat gesagt: „Wer in dieser Weise die
Dann schlage ich Ihnen vor, den unter d) auf- Bundesrepublik verantwortlich machen will, wer da
geführten Gesetzentwurf — Drucksache IV/1569 — sagt, Bonn sei an alledem schuld, hat einfach ver-
zu überweisen an den Finanzausschuß — federfüh- gessen, daß es einen Adolf Hitler gegeben hat."
rend — und an den Wirtschaftsausschuß, den Haus- (Sehr gut! bei der SPD.)
haltsausschuß und den Ausschuß für Mittelstands-
Eine allgemeine Haftpflicht der Bundesrepublik
fragen — mitberatend —. — Widerspruch erfolgt
kann im übrigen auch keinesfalls aus dem Gedan-
nicht; es ist so beschlossen.
ken einer Identität von Reich und Bundesrepublik
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: hergeleitet werden. Das Bundesverfassungsgericht
hat ausdrücklich festgestellt, daß der Bund auch auf
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Grund der Identitätslehre nicht als Schuldner .der
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- Reichsverbindlichkeiten angesprochen werden kann,
zes zur Änderung des Bundesentschädigungs- daß es vielmehr dem Bundesgesetzgeber überlassen
gesetzes (2. ÄndG-BEG) (Drucksache IV/1550), bleibt, entsprechend dem territorial geminderten
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung Einflußbereich und der dadurch bedingten geringe-
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- ren Finanzkraft über das Ausmaß solcher Leistun-
zes zur Änderung des Bundesrückerstattungs- gen zu entscheiden und dafür in einem angemesse-
gesetzes (Drucksache IV/1549). nen Umfang öffentliche Mittel bereitzustellen.
Zur Begründung hat das Wort der Herr Bundes- Die allgemeine Erörterung unseres Problems ver-
minister der Finanzen. langt darüber hinaus eine zweite grundsätzliche
Feststellung. Auch die Durchführung der NS-Liqui-
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: dation muß sich dem Grundziel jeder staatlichen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens Tätigkeit einordnen: der Sicherung und Erhaltung
der Bundesregierung lege ich dem Hohen Hause von Gegenwart und Zukunft unseres Volkes. Wir
zwei Gesetzentwürfe vor, die das Gebiet der Wie- würden diesem Volk, ja der ganzen Welt gegen-
dergutmachung nationalsozialistischen Unrechts be- über verantwortungslos 'handeln, wollten wir um
treffen. Ich darf zuerst das Bundesentschädigungs- der Ordnung der Vergangenheit willen Aufgaben
gesetz und anschließend das Bundesrückerstattungs- und Pflichten der Gegenwart vernachlässigen, die
gesetz behandeln. sich unabweisbar stellen.
Die Wiedergutmachung ist nur ein Teilgebiet der Nach den Feststellungen des Bundesfinanzmini-
Regelung von Schäden, die das nationalsozialistische steriums hat die gesamte deutsche öffentliche Hand
Regime verursacht hat. Da mit den heute zu be- — also Bund, Länder, Gemeinden, Lastenausgleichs-
handelnden Entwürfen und dem Entwurf eines Ge- fonds — zur Beseitigung von Folgen des verlorenen
setzes zur Abgeltung von Reparations-, Restitu- Krieges und des NS Regimes seit der Währungs-
-

tions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden, reform rund 290 Milliarden DM aufgebracht.


dessen erste Lesung, soweit ich unterrichtet bin, für (Hört! Hört! in der Mitte.)
eine der nächsten Plenarsitzungen vorgesehen ist, Hiervon entfallen auf das Gebiet der Wiedergut-
nach der Absicht der Bundesregierung die Liquida-
machung nationalsozialistischen Unrechts rund
tion des nationalsozialistischen Regimes abschlie- 23 Milliarden DM. Im Jahre 1952 sind dagegen die
ßend geregelt werden soll, erlauben Sie mir zu- gesamten Leistungen für die Wiedergutmachung
nächst einige allgemeine Betrachtungen.
zugunsten aller Geschädigten, nicht nur zugunsten
Als 1945 die Tragödie jener zwölf Jahre des der jüdischen, auf etwa 10 Milliarden DM geschätzt
Naziregimes ihr katastrophales Ende gefunden worden, wovon ein Globalbetrag von 3 Milliarden
hatte, war Deutschland ein einziger Trümmerhaufen. DM auf das Abkommen mit Israel und ein Betrag
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4407
Bundesminister Dr. Dahlgrün
von 3 bis 4 Milliarden DM auf die Durchführung öffentlichen Dienstes wiederholt erweitert worden
der Entschädigungsgesetzgebung entfallen sollten. ist. Dasselbe gilt für die Wiedergutmachungsgesetze
Es ist allgemein anerkannt, daß die Bundesrepu- in der Kriegsopferversorgung. Zwar fehlen uns für
blik das Abkommen mit dem Staat Israel vereinba- diese Rechtsgebiete exakte Zahlen, doch wird man
rungsgemäß in loyaler Weise abgewickelt hat. Auf auchinsowetvGmlungiHöhevo
dem Gebiet des Entschädigungsrechts hatte sich die etwa 2 Milliarden DM ausgehen können.
Bundesregierung verpflichtet, das in der amerika- Rechnet man diese Zahlen zusammen, so kommt
nischen Zone geltende Entschädigungsrecht auf das man bis heute auf den von mir bereits genannten
gesamte Bundesgebiet zu erstrecken, in einzelnen Gesamtbetrag von rund 23 Milliarden DM, den die
konkreten Punkten zu erweitern und bestimmte Bundesrepublik nach geltendem Recht für die Wie-
überregionale Verfolgtengruppen einzubeziehen. dergutmachung ausgegeben hat. Ich meine, dieser
Dieser Verpflichtung sind wir bereits durch das Betrag dokumentiert eine sehr eindrucksvolle Lei-
Bundesergänzungsgesetz vom 18. September 1953 stung der Bundesrepublik, und sie wird auch im
voll nachgekommen. Zur Abgeltung von rücker-
Ausland von maßgebenden Persönlichkeiten unein-
stattungsrechtlichen Ersatzansprüchen war im Bun- geschränkt anerkannt.
desrückerstattungsgesetz in Ergänzung der alliier-
ten Rückerstattungsgesetze eine auf 1,5 Milliarden Leider wird trotzdem versucht, diese Leistungen
DM ausdrücklich begrenzte Leistungspflicht der der Bundesrepublik auf dem Gebiete der Wieder-
Bundesrepublik vorgesehen. gutmachung zu verkleinern oder zu zerpflücken. Die
Kritik geht zunächst an die Richtung, daß die ge-
Was ist nun aus diesem Wiedergutmachungspro-
leisteten Wiedergutmachungszahlungen nur einen
gramm und dem damals geschätzten finanziellen
Bruchteil der gesamten Schäden berücksichtigten.
Aufwand von 10 Milliarden DM tatsächlich gewor-
Wie hoch der gesamte Verlust ist, den das NS-Re-
den? Zu dem Globalvertrag mit Israel kamen Glo-
gime den Verfolgten in aller Welt zugefügt hat,
balverträge mit zehn anderen europäischen Staaten
und eine Globalvereinbarung mit dem Hohen Kom- läßt sich angesichts des Umfangs und der Vielge-
missar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Für staltigkeit dieser Schäden gar nicht angeben. Daß
den Abschluß dieser Verträge bestand keine recht- aber die Bundesrepublik alles Menschenmögliche
liche Verpflichtung seitens der Bundesrepublik. Die getan hat und tut, um diese Schuld des Hitler-Re-
Bundesregierung glaubte jedoch, auch im Verhält- gimes abzutragen, daran kann ein ernsthafter Zwei-
nis zu diesen europäischen Staaten, die unter der fel nicht aufkommen. Leider hat sich der sowjetisch
NS-Gewaltherrschaft schwer gelitten hatten, ihrem besetzte Teil Deutschlands, der sich so gern als
guten Willen zur Wiedergutmachung Ausdruck ge- Nachfolgestaat des Deutschen Reiches ausgibt, an
ben zu sollen. Etwa 1 Milliarde DM zahlt die Bun- dieser Last der Vergangenheit nicht beteiligt.
desrepublik auf Grund dieser Verträge. (Zurufe von der Mitte: Hört! Hört! —
Das Bundesergänzungsgesetz von 1953 wurde be- Leider!)
reits im Jahre 1956 grundlegend novelliert und ganz Von den betroffenen Kreisen im Ausland wird
erheblich ausgebaut. Das finanzielle Gesamtvolu- ferner teilweise erklärt: Was von der Bundesrepu-
men des Gesetzes wurde dabei auf 7 bis 8 Milliar- blik in der Vergangenheit geleistet worden sei,
den DM geschätzt. Heute, zehn Jahre nach Erlaß des werde zwar durchaus anerkannt, doch bedürfe es
Bundesergänzungsgesetzes, sind von Bund und Län- noch erheblicher zusätzlicher und neuer Opfer, um
dern an Entschädigungsleistungen bereits 15 1/2 Mil- das Werk der Wiedergutmachung in den Augen der
liarden DM erbracht worden. Wir rechnen damit, Welt zu einem guten Abschluß zu bringen. Bei die-
daß für die Abwicklung der letzten 15% der einge- ser Argumentation klingt der Gedanke an, daß ohne
reichten Entschädigungsanträge und für die Zahlung diese zusätzlichen und neuen Opfer Zweifel an dem
der laufenden Renten — ausgehend von den jetzi- wahren Wiedergutmachungswillen des deutschen
gen Jahresbeträgen in Höhe von 700 bis 800 Mil- Volkes aufkommen könnten.
lionen DM — insgesamt nochmals 10 Milliarden DM
gezahlt werden müssen. Insgesamt würde sich da- Eine solche Argumentation, meine Damen und
mit allein für das Bundesentschädigungsgesetz die Herren, lehne ich grundsätzlich ab. Die Wiedergut-
gewaltige Summe von 26 Milliarden DM errechnen. machung ist uns ein großes menschliches Anliegen,
Das ist etwa das Siebenfache dessen, was man im das wir aus eigenem Antrieb durchführen und zum
Jahre 1952 als Schätzung zugrunde gelegt hatte. Abschluß bringen wollen. Wir lassen uns dabei auch
nicht davon leiten, inwieweit uns das Ausland diese
Nach dem Bundesrückerstattungsgesetz, auf das Leistungen außenpolitisch honoriert. Aber selbst
ichbemzwtnTlirAusfühgenoc
wenn ich mich einmal auf den Boden einer so mer-
etwas eingehender zu sprechen komme, sind bisher kantilen Betrachtung stellen wollte, für die mir
1,8 Milliarden DM gezahlt worden. Nach dem gel- jedes Verständnis fehlt, habe ich erheblichen Zwei-
tenden Recht werden noch etwa 750 Millionen DM
fel, ob diese Auffassung überhaupt der wahren
zu zahlen sein. Sachlage entspricht. Die westliche Welt erwartet
Auch auf den Sondergebieten der Wiedergut- von uns in zunehmendem Maße harte Opfer für die
machung hat die Bundesrepublik in den vergange- Aufrechterhaltung von Freiheit und Sicherheit. Ich
nen Jahren erheblich mehr getan, als ursprünglich erwähne hier die Aufwendungen für die Verteidi-
vorgesehen war. Ich darf nur daran erinnern, daß gung und die Entwicklungshilfe. Dabei wird gerade
das Wiedergutmachungsgesetz für Angehörige des im Ausland als selbstverständlich vorausgesetzt, daß
4408 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Dr. Dahlgrün
die Ausgaben für die Liquidation des NS-Regimes Gesetzgebers entsprechende Auslegung — sei es in
einschließlich der Leistungen für die Wiedergut- ausdehnendem, sei es in einschränkendem Sinne —
machung in den nächsten Jahren auslaufen. gegeben wurde. Daraus folgt, daß die Novellen
keine Grundsatzänderungen der bisherigen Rechts-
Ich möchte hier noch kurz auf die Vergleiche ein-
lage enthalten, daß insbesondere die bisher gelten-
gehen, die immer wieder zwischen Wiedergut-
den Grundsätze unberührt bestehenbleiben mußten.
machungsrecht und Regelungen auf anderen Gebie-
Gegen diese Konzeption richteten sich in den ver-
ten gezogen werden. Wir haben diese Vergleiche
gangenen Monaten die Hauptbedenken einzelner
nicht zu scheuen, meine Damen und Herren. Stellt
Verfolgtenorganisationen. Ich muß daher namens
man z. B. die Personenzahl der Wiedergutmachungs-
der Bundesregierung noch einmal die Grenzen auf-
berechtigten derjenigen der Lastenausgleichsberech-
zeigen, die uns für die Schlußgesetzgebung auf dem
tigten gegenüber, so ergibt sich klar, daß die Durch- Gebiete der Wiedergutmachung gezogen sind.
schnittsleistungen an die Wiedergutmachungsberech-
tigten — und ich meine, mit vollem Recht — ganz Ich kann insbesondere nicht eindringlich genug
erheblich höher liegen. Dasselbe trifft im Verhältnis davor warnen, die finanzielle Problematik der Wie-
zur Kriegsopferversorgung zu. dergutmachung zu bagatellisieren. Die finanziellen
Auswirkungen müssen vielmehr von Anfang an mit
Ich bin gerne bereit, auch auf das in diesem Zu- in die Überlegungen einbezogen werden. Darin bin
sammenhang am häufigsten genannte Gesetz zu ich mit den Ministerpräsidenten, den Finanzmini-
Artikel 131 einzugehen, falls dies in der späteren stern und den Wiedergutmachungsministern aller
Diskussion gewünscht wird, und die zwingenden Länder ohne Ausnahme einig.
Gründe vorzutragen, die zu einer solchen Regelung
geführt haben. Gerade hier werden aus einigen Vor kurzem las ich eine Betrachtung, die offen-
wenigen Fällen, meine Damen und Herren, verall- sichtlich darauf abgestimmt war, jeden, der die
gemeinernde Schlußfolgerungen gezogen, die nicht finanzpolitischen Aspekte der Wiedergutmachung
haltbar sind und vor denen wir uns hüten sollten. anzurühren wagt, als einen unverbesserlich Gestri-
gen hinzustellen. Ich glaube, man sollte auf solche
Die Kritik richtet sich auch gegen die Durchfüh- Erklärungen eine deutliche Antwort geben. Wenn
rung der Wiedergutmachungsgesetze. Es wird be- wir uns tagtäglich und jahraus, jahrein Sorgen um
hauptet, daß nach dem Bundesentschädigungsgesetz die Erhaltung der finanziellen Stabilität unseres
eine Vielzahl von Ansprüchen abgelehnt worden Staates machen, so tun wir das aus der Verantwor-
sei. Das trifft in dieser Form nicht zu. Aus der Bun- tung heraus, die wir insoweit auch vor unserem
desstatistik ergibt sich, daß etwa 650 000 Ansprüche Volk und vor der freien Welt überhaupt zu tragen
abgelehnt wurden. Weit über 1,2 Millionen An- haben. Eine finanziell kranke Bundesrepublik wäre
sprüche sind dagegen heute bereits positiv entschie- ein schlechter Partner der Geschädigten und der
den worden. westlichen Welt überhaupt.
Zu noch etwas anderem möchte ich sprechen und (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)
ganz entschieden vor der Beurteilung der Wieder- Die Kritiker, die der Meinung sind, daß die Kosten
gutmachung von ausgesuchten Einzelfällen her war- aller Wiedergutmachungsschlußgesetzgebung nicht
nen. Millionen von Wiedergutmachungsanträgen für die Frage entscheidend sein dürften, wie eine
sind zur vollsten Zufriedenheit der Beteiligten er- solche Gesetzgebung auszusehen hat, mögen inso-
ledigt worden. Davon spricht niemand. Aber die ge- weit gerade auf die Stimmen hören, die hierzu
ringe Zahl zweifelhafter Fälle wird herausgegriffen ständig aus vielen vorurteilsfreien Kreisen des Aus-
und häufig genug sogar entstellt groß herausge- lands zu uns dringen. Von dort würden sie darüber
bracht. Selbst die Gerichte werden von einer unbe- belehrt werden, daß es keine Regierung in der gan-
rechtigten Kritik nicht ausgenommen. Ich stehe gar zen Welt geben wird, die in der Lage wäre, solche
nicht an zu erklären, daß sich in manchen Einzel- Dinge anders zu beurteilen oder anders zu behan-
fällen tatsächlich menschliche Unzuträglichkeiten ge- deln.
zeigt haben; aber ich wende mich mit aller Ent-
schiedenheit dagegen, solche Fälle zu verallgemei- In der letzten Zeit kann man auch des öfteren
nern oder ein Kollektivurteil zu fällen. Tausende etwa folgende Wendungen hören und lesen: es
von Beamten, Richtern, Angestellten und Ärzten, werde zwar anerkannt, daß die Wiedergutmachung
die sich auch für andere Aufgabenbereiche melden der Bundesrepublik eine großartige und einmalige
könnten und dort vielleicht bessere berufliche Chan- Leistung darstelle; man solle aber doch den Wert
cen antreffen würden, tun seit Jahren ihr Bestes, dieser Leistung nicht dadurch gefährden, daß man
um zur guten und schnellen Durchführung der Wie- bei der Schlußgesetzgebung finanzielle Erwägungen
dergutmachung beizutragen. Ihnen allen sollte unser in den Vordergrund stelle und zu engherzig sei.
Dank gehören. Was steckt hinter solchen Formulierungen?: Wenn
(Beifall in der Mitte.) nicht alle unsere Forderungen erfüllt werden, dann,
lassen wir keinen guten Faden an dem, was wir
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt eben noch als hoch anerkennenswert gekennzeich-
etwas näher auf die beiden Gesetzentwürfe selbst net haben. — Ich glaube, zu einer solchen Haltung
eingehen, die Ihnen zur Änderung des Bundesent- erübrigt sich jeder weitere Kommentar.
schädigungsgesetzes und des Bundesrückerstattungs-
gesetzes vorliegen. Ausgangspunkt für die Novellie- (Sehr richtig! in der Mitte.)
rung war, den gesetzgeberischen Willen klarzustel- Zu den Aufgaben der Beseitigung der Folgen aus
len, wo den Gesetzen eine nicht dem Willen des der Zeit des Dritten Reiches sind in den letzten
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4409
Bundesminister Dr. Dahlgrün
Jahren in immer größer werdendem Umfang Auf- ten und der Einführung einiger für notwendig ge-
gaben hinzugetreten, die nicht vernachlässigt wer- haltener sachlicher Verbesserungen. Ich möchte hier
den können, will die Bundesrepublik ihren Platz in insbesondere die Anpassung aller Renten und An-
der Gemeinschaft der freien Völker nicht gefährden. rechnungsfreibeträge an künftige Erhöhungen der
Die Erfüllung aller Aufgaben im Rahmen des deut- Beamtenbesoldung erwähnen, ferner die Einfüh-
schen Verteidigungsbeitrages, des Bevölkerungs- rung einer Vermutung für die Verfolgungsbedingt-
schutzes, der Entwicklungshilfe und der Euro- heit von Gesundheitsschäden bei mindestens ein-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft kostet sehr viel jähriger KZ-Haft, die Erhöhung der Entschädigung
Geld, und der Bundesfinanzminister muß dieses für Ausbildungsschäden von 5000 DM auf 10 000 DM,
Geld aufbringen. Bevor er es ausgibt, muß er es die Gewährung einer Krankenversorgung für Ren-
den Bürgern dieses Staates vorher weggenommen tenempfänger und Rückwanderer, die teilweise Ver-
haben. Aus dieser Sicht war bei der Schlußgesetz- besserungen der Bestimmungen über die Wohnsitz-
gebung auf dem Gebiet der Wiedergutmachung lei- voraussetzungen, die Erweiterung des allgemeinen
der von vornherein eine Beschränkung auf die wich- Härteausgleichs sowie eine beschränkte Angleichung
tigsten und dringlichsten Reformwünsche notwen- früherer Entscheidungen an die geänderte Praxis und
dig. Rechtsprechung.
In den Haushalten von Bund und Ländern werden Für Verfolgtengruppen, die die Wohnsitz- und
seit Jahren für die Wiedergutmachung jährlich Aus- Stichtagsvoraussetzungen des bisherigen Gesetzes
gaben in Höhe von insgesamt rund 3 Milliarden DM nicht erfüllt haben, ist die Errichtung eines Sonder-
angesetzt. Es ist weder für den Bund noch für die fonds von 600 Millionen DM vorgesehen. Dieser
Länder möglich, die bisherigen Haushaltsansätze zu Sonderfonds soll in erster Linie die Gewährung
erhöhen. Die neuen Änderungsgesetze können viel- von Beihilfen an Verfolgte ermöglichen, die als poli-
mehr nur dadurch finanziert werden, daß diese hohen tische Flüchtlinge ihren Heimatstaat im Osten oder
Ansätze über die bisher vorgesehene Zeit hinaus Südosten Europas erst nach dem Inkrafttreten des
beibehalten werden. Aber ich muß hier mit allem bisherigen Gesetzes, also nach dem 1. Oktober
Nachdruck betonen, daß es die ständig steigenden 1953, verlassen haben. Die vielfach gestellte Forde-
Lasten auf allen Gebieten unmöglich machen, diese rung, diesen Personenkreis in vollem Umfang in
Methode für längere Zeit fortzusetzen. Die Finanz- die Entschädigungsregelung des Gesetzes einzube-
experten von Bund und Ländern schätzen den finan- ziehen, konnte schon aus finanziellen Gründen
ziellen Mehraufwand der Novelle zum Bundesent- nicht erfüllt werden, weil durch diese Maßnahme
schädigungsgesetz auf etwa 3 Milliarden DM, den zusätzliche Aufwendungen von vielen Milliarden
der Novelle zum Bundesrückerstattungsgesetz auf D-Mark entstehen würden.
etwa 1,5 Milliarden DM. Damit wird die deutsche
Wiedergutmachung voraussichtlich einen Gesamt- Auch zahlreichen anderen Wünschen, die an der
leistungsbetrag von 40 Milliarden DM erreichen. Die Grundstruktur des Gesetzes rühren würden, konnte
Bundesregierung ist damit bis an die äußerste die Bundesregierung nicht entsprechen, wie z. B.
Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit von Bund dem Wunsch auf Änderung der bisherigen Kausali-
und Ländern gegangen. tätsbegriffe oder auf eine generelle Beweiserleich-
terung. Gerade die letzte Frage haben wir sehr ein-
Die Bundesregierung mußte deshalb bereits bei gehend mit den Sachverständigen der Länder ge-
der Aufstellung der Gesetzentwürfe zahlreiche Er- prüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß
weiterungswünsche auf den beiden Rechtsgebieten eine Verwirklichung dieser Vorschläge praktisch
ablehnen. Die Bundesregierung müßte auch — ich darauf hinauslaufen würde, daß überhaupt nichts
erkläre das mit ausdrücklich für diesen Fall erteilter Konkretes mehr zu beweisen wäre. Ich bin fest
Ermächtigung des Bundeskabinetts — etwaigen Er- überzeugt, daß sich bei Berücksichtigung dieser Vor-
weiterungen, die den vorgesehenen finanziellen schläge Mißbräuche ergeben würden, vor deren
Rahmen sprengen, in aller Form widersprechen. Ge- höchst unerwünschten Folgen man nur sehr ein-
rade deshalb möchte ich alle Fraktionen des Hohen dringlich warnen kann. Daher haben gerade auch
Hauses eindringlich bitten, weitblickende Verfolgte und auch Vertreter ihrer
(Zuruf des Abg. Jahn) Organisation dringend davon abgeraten, die Be-
weiserfordernisse weiter aufzuweichen.
die Vorlagen in diesem Sinne zu würdigen, aber
auch die aufgezeigten Grenzen zu beachten, Herr Von seiten einzelner Verfolgtenorganisationen
Kollege Jahn. wirft man der Bundesregierung zu der Novelle zum
Bundesentschädigungsgesetz vor, sie habe in zahl-
Lassen Sie mich zum Schluß meine Damen und reichen Punkten die bisherige Rechtslage zum Nach-
Herren, noch einige konkrete Angaben zu der No- teil der Verfolgten verschlechtert. Zunächst möchte
velle zum Bundesentschädigungsgesetz machen, ich klarstellen, daß die Novelle keine echten ma-
denen ich dann einige Ausführungen zu der anderen teriellen Verschlechterungen enthält, sondern nur in
Novelle, der zum Bundesrückerstattungsgesetz, an- einzelnen Punkten, und zwar nach beiden Richtun-
schließen möchte. gen hin, Klarstellungen dessen, was nach Auffas-
Wie ich bereits betont habe, hält die Novelle an sung der Bundesregierung und der Länder vom Ge-
der bisherigen Grundstruktur des Gesetzes, insbe- setzgeber 1956 gewollt war. Ich darf darauf hinwei-
sondere an dem Kreis der Anspruchsberechtigten und sen, daß das Bundesverfassungsgericht in ständiger
an den Schadenstatbeständen, fest. Sie dient im Rechtsprechung die Auffassung vertreten hat, daß
wesentlichen der Beseitigung ganz konkreter Här- der Gesetzgeber auch zu einschränkenden Klarstel-
4410 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Dr. Dahlgrün
Lungen, ja sogar zu echten materiellen Verschlechte- Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des
rungen der Rechtslage berechtigt sei, vorausgesetzt Bundesrückerstattungsgesetzes vor. Dieser Entwurf
daß der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt werde. soll nach dem Willen der Bundesregierung auch auf
Das sei aber nur dann der Fall, wenn die Mehrzahl diesem Teilgebiet der Wiedergutmachung eine ab-
der Fälle nach dem günstigeren Recht bereits positiv schließende Regelung bringen.
entschieden sei und nur die kleinere Zahl der noch
offenen Fälle unter die ungünstigere Regelung fal- Der Regierungsentwurf sieht eine volle Befriedi-
len würde. Man wird daher schon rechtlich gegen gung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbind-
die einschränkenden Klarstellungen der Novelle lichkeiten des Deutschen Reiches und der dem Deut-
nichts einwenden können. Ich halte aber auch sach- schen Reich gleichgestellten Rechtsträger durch die
lich ,diese Klarstellungen der Novelle für geboten. Bundesrepublik Deutschland vor. Die Gesamtsumme
dieser Verbindlichkeiten wird zur Zeit auf 3,2 Mil-
(Abg. Jahn: Und politisch?) liarden DM geschätzt. Es ist aber durchaus möglich,
daß sich diese Gesamtsumme bei der weiteren
Auch durch die Ihnen vorgelegte Novelle zum Durchführung des Gesetzes noch wesentlich erhöht.
Bundesentschädigungsgesetz werden nicht alle be-
stehenden Härten .auf diesem Gebiet beseitigt wer- Die Bundesrepublik zahlt also freiwillig minde-
den können. Das ist aber auch auf keinem anderen stens 1,7 Milliarden DM mehr, als sie nach dem
Rechtsgebiet möglich. Jede tatbestandsmäßige Ab- Überleitungsvertrag zum Deutschlandabkommen
grenzung, jeder Stichtag, überhaupt jede Normie- und nach der Vereinbarung der Bundesregierung
rung muß zwangsläufig eine scharfe Grenze zwi- mit der Claims-Konferenz im Haager Protokoll zu
schen Berechtigten und Nichtberechtigten ziehen und zahlen verpflichtet ist.
führt damit in Einzelfällen zu Härten. Es gibt Gren- Mit dieser vorgesehenen Regelung wird zugleich
zen für die allgemeine Normierung, es gibt finan- der oft erhobene Einwand hinfällig, daß durch § 5
zielle Grenzen und es gibt Grenzen für die ver- des Bundesrückerstattungsgesetzes die ursprünglich
waltungsmäßige Durchführung, wenn wir nicht das vorgesehene Summe von 1,5 Milliarden DM aus-
Werk der Wiedergutmachung neu beginnen wollen, gehöhlt worden sei. Diese Vorschrift war nicht im
wozu sich auch die Länder, die für die Durchführung Regierungsentwurf zum Bundesrückerstattungsge-
verantwortlich sind, die finanziell stark beteiligt setz enthalten. Sie ist vielmehr erst auf Anregung
sind, niemals verstehen würden. Die Bundesregie- des Wiedergutmachungsausschusses des Bundes-
rung glaubt aber, mit den vorgelegten Gesetzent- tages in den Gesetzentwurf aufgenommen worden.
würfen im Rahmen des Möglichen das Äußerste ge- Es kann nicht verkannt werden, daß ohne § 5 des
tan und damit einen guten Abschluß der Wiedergut- Bundesrückerstattungsgesetzes die Gesamtleistun-
machung ermöglicht zu haben. gen, die nach diesem Gesetz zu erbringen sind, we-
Ich möchte zum Abschluß meiner Ausführungen sentlich geringer wären.
zum Bundesentschädigungsgesetz nicht verfehlen, Die volle Befriedigung aller rechtzeitig angemel-
nochmals die Worte in Erinnerung zu bringen, die deten Ansprüche beseitigt nunmehr auch jeden
Herr Bundeskanzler Professor Dr. Erhard in seiner letzten Zweifel daran, daß die Leistungen an die
Regierungserklärung gesagt hat: über § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes Berech-
Wir haben die Schuld, die während jener tragi- tigten nicht zu einer Schmälerung der Leistungen
schen zwölf Jahre der Gewaltherrschaft im Na- der übrigen Berechtigten führen. Ich glaube, meine
men Deutschlands allen Deutschen aufgebürdet Damen und Herren, Sie alle werden anerkennen,
wurde, schonungslos offenbart. Wir werden daß die Bundesregierung hiermit unter Zurückstel-
diese Schuld vollends abtragen, soweit Men- lung finanzieller Bedenken bis an die äußerste
schen dazu in der Lage sind. Darum betrachten Grenze des Möglichen gegangen ist.
wir die Wiedergutmachung als eine bindende Wie zum Bundesentschädigungsgesetz ist auch
Verpflichtung. Wir wissen es zu würdigen, zum Bundesrückerstattungsgesetz von den Verfolg-
wenn Menschen aus eigenem Erleben heraus tenverbänden der Wunsch vorgetragen worden, die
noch nicht bereit sind, sich mit dem neuen Anmeldefristen sollten neu eröffnet werden. Ich
Deutschland 'zu versöhnen. Aber wir haben darf hierzu darauf hinweisen, daß der Bundestags-
keinen Sinn für jene Bestrebungen, die aus ver- ausschuß für Wiedergutmachung zu dieser Frage in
gangener Barbarei für alle Zeit eine deutsche seinem Schriftlichen Bericht über den Entwurf eines
Erbsünde herleiten und als politisches Mittel zweiten Änderungsgesetzes, der eine nochmalige
konservieren möchten. Verlängerung der Anmeldefristen bis zum 1. April
Unser Tun dient nicht nur der Stunde, dem Tag 1959 vorsah, wie folgt Stellung genommen hat:
oder diesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in „Der Ausschuß hält im übrigen die vorgesehene
Generationen zu denken und unseren Kindern Verlängerung der Anmeldefristen für zweck-
und Kindeskindern ein festes Fundament für mäßig und ausreichend, weist dafür gleichzeitig
eine glückliche Zukunft zu bauen. darauf hin, daß eine weitere Verlängerung
Kurz einige Bemerkungen zum Bundesrückerstat- nicht möglich und erforderlich ist."
tungsgesetz. Wie ich schon eingangs meiner Aus- Der Wunsch auf Neueröffnung der Anmelde-
führungen zu der Novelle zum Bundesentschädi- fristen wird nun insbesondere damit begründet, daß
gungsgesetz erwähnt habe, lege ich mit diesem Ge- die über § 5 des Rückerstattungsgesetzes Berechtig-
setzentwurf auf dem Gebiet der Wiedergutmachung ten vielfach von einer Meldung ihrer Ansprüche
nationalsozialistischen Unrechts gleichzeitig den abgesehen hätten, weil sie glaubten, den nach § 5
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4411
Bundesminister Dr. Dahlgrün
verlangten Nachweis der Verbringung ihrer außer- die Bundesregierung im Rahmen des Möglichen das
halb des Geltungsbereichs entzogenen Vermögens- Äußerste getan zu haben. Ich darf Sie nochmals
- bit-
gegenstände in den Geltungsbereich des Gesetzes ten, sich auch bei Behandlung dieses Gesetzent-
nicht führen zu können. — Hierauf darf ich er- wurfs der Grenzen bewußt zu bleiben, die jeder mit
widern, daß schon geraume Zeit vor Ablauf der finanziellen Leistungen verbundenen gesetzlichen
Anmeldefristen in der in- und ausländischen Presse, Regelung — leider auch auf dem Gebiet der Wie-
in den maßgebenden Kommentaren zum Rückerstat- dergutmachung — gesetzt sind.
tungsgesetz und insbesondere auch im Bericht des (Beifall bei ,den Regierungsparteien.)
Wiedergutmachungsauschusses vom 5. April 1957
darauf hingewiesen worden ist, .daß an den Verbrin-
gungsnachweis keine allzu strengen Anforderungen Vizepräsident Dr. Jaeger: Die beiden Vor-
zu stellen und allgemeine Erfahrungstatsachen hier- lagen sind begründet. Liegen Wortmeldungen zur
bei zu berücksichtigen seien. Aussprache vor? — Herr Abgeordneter Dr. Böhm!
Daß die Mehrzahl der Geschädigten von der Mög-
lichkeit, einen Anspruch über § 5 durchzusetzen, Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU) : Herr Präsi-
Gebrauch gemacht hat, geht aus der Zahl der An- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
meldungen, die sich auf Entziehungen außerhalb des Der Herr Bundesfinanzminister hat dem Hause einen
Geltungsbereichs beziehen, eindeutig hervor. Allein Überblick über die bisherigen Wiedergutmachungs-
beim Haupttreuhänder für Rückerstattungsvermö- leistungen der Bundesrepublik gegeben. Er hat Zah-
gen in Berlin sind mehr als 300 000 solcher Ansprü- len genannt, die sehr eindrucksvoll sind.
che angemeldet worden. Man könnte den Ü berblick durch einen Hinweis
Die Bundesregierung verneint daher jede recht auf die bedeutenderen Gesetze, die es auf diesem
liche Verpflichtung, die Anmeldefristen neu zu er Gebiete gibt, und die bedeutenderen Verträge, die
öffnen. Sie hat aber ein Übriges getan, indem sie hier abgeschlossen worden sind, vervollständigen. Da
in § 44 a die Bildung eines Fonds in Höhe von 400 ist allen voran das Bundesentschädigungsgesetz zu
Millionen DM vorgesehen hat, aus dem diejenigen nennen, ursprünglich unter dem Namen „Bundeser-
Berechtigten, denen in den besetzten Westgebieten gänzungsgesetz" 1953 in Kraft getreten, sehr umfas-
Hausrat oder 'denen in den gesamten besetzten Ge- send im Jahre 1956 novelliert. Da ist das Bundesrück-
bieten Schmuck und Edelmetallgegenstände ent- erstattungsgesetz aus dem Jahre 1957. Da ist das
zogen worden sind, Leistungen erhalten können. Bundesgesetz zur Regelung der Wiedergutmachung
Die Härteleistungen sind auf diese beiden Fälle nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des
beschränkt worden, weil hier generell feststeht, daß öffentlichen Dienstes aus dem Jahre 1951 und ein
diese entzogenen Gegenstände überwiegend in den anderes Gesetz zur Regelung 'der Wiedergutma-
Geltungsbereich des Rückerstattungsgesetzes ge- chung nationalsozialistischen Unrechts für die im
langt sind. Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen
Nun ein Wort zu einem weiteren Wunsch der Dienstes aus dem Jahre 1952. Da ist ein Gesetz,
Verfolgtenverbände. Es ist angeregt worden, den das noch aus dem Jahre 1949 stammt und wenige
Nachweis der Verbringung in § 5 des Bundesrück- Tage nach Errichtung 'der Bundesrepublik noch vom
erstattungsgesetzes 'durch eine Vermutung, daß die Wirtschaftsrat erlassen worden ist, über die Behand-
im Ausland entzogenen Gegenstände in den Gel- lung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der
tungsbereich des Bundesrückerstattungsgesetzes das Gesetz Sozialverschung.Dtdo
verbracht sind, zu ersetzen. Die Verwirklichung aus dem Jahre 1953 zur Wiedergutmachung natio-
eines solchen Vorschlages würde gegen ein Grund- nalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferver-
prinzip des schon von den alliierten Militärregie- sorgung für Berechtigte im Ausland. Dazu kommen
rungen geschaffenen Rückerstattungsrechts versto- noch vier alliierte Rückerstattungsrechte der ameri-
ßen. Diese Gesetze finden bekanntlich nur Anwen- kanischen, britischen und französischen Zone und
dung auf Gegenstände, die im Geltungsbereich des der Kommandantur Berlin. Das wären die wesent-
Gesetzes entzogen worden sind oder die nach der lichsten Gesetze.
Entziehung außerhalb des Geltungsbereichs in den An bedeutenden Verträgen wären zu erwähnen
Geltungsbereich gelangt sind. Dieses objektive Ter- der Israel-Vertrag vom 10. September 1952 und der
ritorialitätsprinzip würde durch eine solche Vermu- Vertrag — offiziell durch zwei Protokolle bezeichnet
tung entscheidend durchbrochen werden. Der An- — mit der Conference on Jewish Material Claims
tragsgegner, das Deutsche Reich, kann praktisch in against Germany, also der Konferenz der Weltver-
keinem einzigen Fall den Gegenbeweis führen, daß einigungen der jüdischen Verfolgtenverbände, eben-
die entzogenen Gegenstände nicht in den Geltungs- falls vom 10. September 1952. Einige Monate früher
bereich verbracht worden sind, obwohl sich bei der wurde der Überleitungsvertrag zum Deutschland
Durchführung des Bundesrückerstattungsgesetzes Vertrag vom 26. Mai 1952 abgeschlossen. In den
ergeben hat, daß etwa Warenvorräte oder Maschi- Verträgen mit der Claims Conference, an dem
nen größtenteils in den besetzten Gebieten verblie- Protokoll Nr. 1 und im Überleitungsvertrag zum
ben sind. Auch hier würden also bei einer Umkeh-
Deutschland-Vertrag hat die Bundesregierung Ver-
rung der Beweislast viele Milliarden zu zahlen sein.
pflichtungen in bezug auf den Mindestinhalt der
Auch auf diesem Teilgebiet der Wiedergutma- Gesetzesvorschläge zur Wiedergutmachung übernom-
chung werden mit der Ihnen vorgelegten Novelle men, die sie dem Bundestag einzureichen gedachte.
nicht alle Härten beseitigt. Aber auch hier glaubt Diese Vertragsverpflichtungen binden ausschließlich
4412 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Böhm (Frankfurt)
die Bundesregierung in bezug auf die Gesetzent- reich haben wir uns zu gewissen Beitragszahlungen
würfe, die sie dem Bundestag einreicht. Sie binden -
zur internen österreichischen Wiedergutmachung
nicht den Bundesgesetzgeber. verpflichtet.
(Zuruf von der Mitte: Sehr richtig!) Die Zahlen brauche ich Ihnen nicht zu wiederho-
len. Ich will nur eine nennen, die auch der Herr
Dazu kommen zehn Verträge mit europäischen Bundesfinanzminister genannt hat: die Zahlungen,
Staaten, auf Grund deren Globalsummen an diese die sich pauschal aus all dem ergeben werden, wenn
Staaten bezahlt wunden, die sie in den Stand setzen die beiden Novellen, die dem Hohen Hause vor-
sollten, ihrerseits die Verfolgten zu entschädigen, liegen, unverändert angenommen werden. Für die-
die als Angehörige ihres Staates in diesen Staaten sen Fall ist ein Gesamtbetrag von etwa 40 Milliar-
leben. Unsere Wiedergutmachungsgesetze sehen den DM geschätzt und errechnet worden, eine ge-
nämlich individuelle , Entschädigungen nur für solche waltige Summe.
Opfer des Nationalsozialismus vor, die irgendeine Es kommt noch der recht erhebliche Verwaltungs-
territoriale Beziehung zur Bundesrepublik haben. aufwand für die Durchführung des Bundesentschä-
Es ist keine Entschädigung für Bürger anderer Staa- digungsgesetzes hinzu, der in erster Linie von den
t en vorgesehen, , die früher in den anderen Staaten Ländern getragen wird. Ich nenne hier die Entschä-
gewohnt haben und heute dort noch wohnen. Aller- digungsämter. Dann ist auch eine außerordentliche
dings ist dieser Personenkreis erweitert worden, Mühe zu berücksichtigen, die für die Materialsamm-
nametlichbwußzgsnjüdicherVfolt, lung aufgewendet worden ist. Selbstverständlich
die sich in den DP-Lagern auf dem Gebiete der Bun- dürfen auch die hierfür notwendigen Mittel nicht
desrepublik am 1. Januar 1947 befunden haben und vergessen werden. Denken Sie doch bitte einmal
von dort aus nach Israel oder in die ganze Welt daran, wie wir mit unserer Wiedergutmachung an-
weitergewandert sind. Auch sie erhalten Entschä- gefangen haben: die Angestellten und Beamten der
digung. Entschädigungsämter haben damals im Durchschnitt
Ferner ist eine individuelle Entschädigung für nur eine sehr blasse Vorstellung von der Verfol-
gungswirklichkeit im Dritten Reich gehabt. Heute
solche Ausländer vorgesehen worden, die im mit-
telbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit dagegen sind allein in den Archiven und Akten der
Außenstelle des Entschädigungsamtes Rheinland
der Verfolgung irgendwann einmal vor Inkrafttre-
Pfalz in Berlin Materialien über die Verfolgungs-
ten des Gesetzes staatenlos geworden sind, zum
wirklichkeit in Rumänien und verschiedenen ande-
Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes im Jahre
ren Staaten des damals von Hitler besetzten öst-
1953 Staatenlose oder Flüchtlinge waren und nun im
lichen Bereichs zusammengetragen, die einen un-
Ausland leben. Denn diese Personen haben ja auch
heimlichen Überblick und eine Kenntnis von der
keinerlei Aussicht, aus etwaigen Reparationszah-
Wirklichkeit und den geschichtlichen Vorgängen in
lungen oder Globalzahlungen Deutschlands, wie wir
diesen Bereichen vermitteln. Wir haben die Wie-
sie z. B. mit den zehn Ländern vereinbart haben,
dergutmachungsgerichte; bei den Gerichten sind
entschädigt zu werden. Sie haben keinen Schutz-
Wiedergutmachungskammern und Wiedergutma-
staat. Wir haben auch eine beschränkte individuelle
chungssenate eingerichtet worden. Bei den ent-
Entschädigung dieser Personengruppe übernommen.
scheidenden Bundesministerien und den Ministe-
Aber z. B. Holländer, die während der Besetzung
rien der Länder sind Wiedergutmachungsreferate
Hollands durch deutsche Truppen ins Konzentra-
errichtet worden. Es besteht also ein außerordent-
tionslager verbracht worden sind und heute wieder
lich umfassender Verwaltungsapparat zur Durch-
als holländische Staatsbürger in Holland leben, er-
führung der Wiedergutmachung.
halten keine Entschädigung aus unseren Individual-
gesetzen. Die Grundvorstellung war, daß alle die- Erst die Abwicklung der praktischen Wiedergut-
jenigen Personen, die während des Krieges in den machung hat uns überhaupt eine Kenntnis von dem
besetzten Gebieten geschädigt worden sind, nicht schauderhaften Umfang der Verfolgung und des in
individuell als Personen entschädigt werden sol- der Hitler-Zeit begangenen Unrechts und der Summe
len, sondern daß es den Regierungen dieser Länder der Leiden verschafft.
vorbehalten bleiben muß, im Friedensvertrag mit Übrigens haben unsere Bundesgesetze auch eine
Deutschland Reparationszahlungen oder Globalzah- Vorgeschichte. Ich glaube, es ist heute, da diese so-
lungen zu erwirken. genannten Schlußgesetze vorliegen, auch ein Anlaß,
Nun hat sich, wie Sie alle mit Kummer und Sorge einen historischen Rückblick auf die Entstehung der
miterlebt haben, die Herstellung eines allseitigen Wiedergutmachung zu werfen. Von diesem Rückblick
Friedenszustandes bis zum heutigen Tage verzö- kann nämlich auch ein sehr schlüssiger Rückschluß
gert, und noch heute ist kein Ende abzusehen. Das auf ihren Sinn und ihren Erklärungswert gezogen
hat in den mit uns befreundeten Nationen des werden.
Westens die Aussichten für die dort lebenden Ver- (Sehr richtig! bei der SPD.)
folgten, noch zu ihren Lebzeiten eine Entschädigung So hatten wir, bevor es eine Bundesrepublik gab,
zu bekommen, in die Ferne gerückt. Aus diesem Wiedergutmachungsgesetze der Länder. Um 1947
Grunde hat die Bundesregierung mit diesen Staaten herum sind die ersten entstanden, und zwar ver-
die Globalbeträge vereinbart. Dazu kommen noch schieden in den vier Zonen. Diese Ländergesetze
die Verträge, die der Bundesfinanzminister erwähnt waren die einzige Grundlage für die Entschädigungs-
hat: ein Vertrag mit dem Hohen Kommissar für ansprüche bis zum Erlaß des Bundesergänzungsge-
Flüchtlinge; durch einen anderen Vertrag mit Oster- setzes im Jahre 1953.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4413
Dr. Böhm (Frankfurt)
Aber nicht nur vor der Errichtung der Bundesrepu- einzeln vorgehen mußten. Wir haben heute einen
blik hat es Wiedergutmachungsgesetze gegeben. Es Bundesstaat, bei dem nicht nur die Wiedergutma-
hat schon vor dem Zusammenbruch des Dritten Rei- chungsgesetzgebung, sondern auch der Vollzug der
ches, also im Dritten Reich selber, Widerstandsbe- Wiedergutmachung im Verhältnis zu zentral orga-
wegungen gegeben, die — darunter die wichtigsten nisierten Staaten kompliziert ist. Der Gesetzgeber
und bedeutendsten Widerstandsbewegungen — die ist ferner abhängig von der Rechtsprechung unab-
Wiedergutmachung zu einem Programmpunkt für die hängiger Gerichte, von den Entscheidungen zahlrei-
Wiederaufrichtung des Rechts und eines neuen cher Entschädigungsämter und von den verwal-
Deutschland gemacht haben. Ich wäre in der Lage, tungs-organisatorischen Schwierigkeiten, die sich
Ihnen näheres über diese Zeit zu sagen; aber viele hier ergeben. Die ganze Verwaltung, die ganze
von Ihnen wissen das schon selber. Das Programm Ausübung der Wiedergutmachung ist fast vollstän-
dieser Widerstandskreise im Dritten Reich ging da- dig in die Regie der Länder gegeben. Auch hier ist
hin, daß eine neue deutsche Regierung das Steuer eine gewaltige organisatorische Leistung von jenen
vom Unrecht, Terror und von der Gewalt auf die vollbracht worden, die diese Verwaltungsapparate
Wiederaufrichtung des Rechts herumwerfen müsse aufgebaut haben, aber auch durch die Treue und
und daß hier sozusagen als Nagelprobe die Über- Gewissenhaftigkeit, mit der die Leiter der Entschä-
nahme einer Haftung für den Schadensersatz für zu- digungsämter zusammen mit ihren Angestellten im
gefügtes Unrecht im Vordergrund stehen sollte. Laufe der Zeit bei ihrer Aufgabe zu Werk gegan-
gen sind. Es ist erstaunlich, wie sich die berufliche
Schon damals waren sich die betreffenden Kreise
Qualität, die Kenntnisse und die Einsichten im
darüber einig, daß es sich bei der Entschädigung
Laufe der Jahre verbessert haben. Am Anfang
der Opfer der Verbrechen nicht etwa um einen Sa-
waren wir zeitweise in Verzweiflung und glaubten,
mariterdienst handelt wie beim Roten Kreuz, son-
das würde nicht gehen. Aber da ist doch sehr viel
dern um eine Rechtspflicht zum Ersatz von Unrechts-
geschehen. Wir haben deshalb heute auch Anlaß,
schaden, Schaden, der zugefügt worden ist von einer
dankend all der unzähligen Namenlosen zu geden-
Unrechtsregierung des Reiches und für den die nach-
ken, die zu dem Vollzug der Wiedergutmachung
folgende, auf das Recht verpflichtete und eingestellte
nach besten Kräften und zum Teil mit einem
Regierung, gerade um diesen Wandel nicht nur zu
bemerkenswerten Geschick, mit einem warmen Her-
dokumentieren, sondern auch durch die Tat zu be-
zen und einem scharfen Verstand beigetragen
währen, die Haftung übernehmen sollte. Statt Tö-
haben.
tung, Beraubung, Entwürdigung, Qual, Gesundheits-
(Allgemeiner Beifall.)
zerrüttung sollten treten die Sorge für die Hinter-
bliebenen der Opfer, die Rückerstattung des Raubes, Historisch könnte man vielleicht die Frage stel-
die Wiederherstellung des sozialen, beruflichen und len: warum kam eigentlich die Wiedergutmachung
moralischen Status der Opfer, insbesondere auch der nach 1945 nur so langsam in Gang? Wieso hat sich
Juden und des Judentums im ganzen, Wiederein- bei vielen, auch bei vielen unserer Landsleute der
gliederung der Opfer in die Gesellschaft, Sorge für Eindruck bilden können, als sei die Wiedergutma-
Alter und für Invalidität. chung gar kein deutsches Anliegen, sondern ein
Anliegen der Alliierten gewesen? Nun, dafür gibt
Der Gedanke war auch der, daß durch das Inden-
es sehr durchschlagende Gründe. Insbesondere gab
vordergrundstellen einer solchen Entschädigung von
es für den Anfang der Wiedergutmachung zwei
Gewaltopfern einer eigenen Regierung ein ganz
Hemmnisse. Wir hatten in den Jahren nach dem
anderes Ausleseprinzip innerhalb des Staates und
Zusammenbruch nur die Länder, keinen Bund, keine
der Gesellschaft gewährleistet werden sollte. Ein
Zentralgewalt, nicht einmal eine partielle Zentral-
Staat, der die Parole ausgibt: „Juda verrecke!" er-
gewalt. Natürlich kann jedes Land Gesetze erlassen
zielt eine andere Auslese — in seinen Schlägergar-
für die Entschädigung derjenigen Opfer des Natio-
den und seinen Funktionärskorps — als ein Staal,
nalsozialismus, die in seinem Gebiete wohnen. Aber
der die Parole der Wiedergutmachung ausgibt. Im
wie sollte Bayern oder Hessen oder Schleswig-Hol-
einen Staat werden sich alle Menschen mit Gewalt-
stein dazu kommen, etwa diejenigen, die innerhalb
instinkten, Roheitsinstinkten und Unterwerfungs-
der besetzten Gebiete während der Hitler-Zeit
instinkten an die Spitze drängen; im anderen Fall
geschädigt worden sind — ich denke insbesondere
werden den Ton in der Gesellschaft die Menschen
an die ungeheuren Massaker und die Verfolgung
des Rechts und der Menschlichkeit angeben. Das ist
der Juden außerhalb des Reichsgebiets —, in ihre
ein ganz entscheidender politischer, ich möchte sa-
Entschädigung einzubeziehen? Hier mußte erst die
gen, verfassungspolitischer Programmsatz schon im
Bildung einer zentraleren Gewalt, die Errichtung
Widerstand gewesen.
der Bundesrepublik abgewartet werden, ehe sich
Die Erfolgsbilanz, die aus der Wiedergutma- die Wiedergutmachung auf diese Geschädigten
chungsgesetzgebung gezogen werden kann, wird erstrecken konnte. An sich wäre die deutsche Ini-
wohl dahin gehen: Es ist kein Werk aus einem tiative auf keinem Gebiet so aussichtsreich gewe-
Guß entstanden und konnte kein Werk aus einem sen wie auf diesem, und bei keinem Gebiet hätten
Guß entstehen. Wir haben uns auf Neuland bewegt, die Alliierten es so verstanden, wenn die Initiative
wir haben improvisieren müssen. Geschichtliche von uns ausgegangen wäre. Man muß sagen, daß
Zufälligkeiten waren maßgebend für die Auswahl die Länder, nachdem die Sache begonnen hatte,
der Personengruppen, für die Auswahl der Tat- doch zum Teil vorbildliche und wegweisende Arbeit
bestände. Wir haben Lehrgeld bezahlt. Bevor es in der damaligen Zeit geleistet haben. Das gilt auch
eine Bundesrepublik gab, gab es nur Länder, die für den süddeutschen Länderrat. Nach der Errich-
4414 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Dr. Böhm (Frankfurt)


tung der Bundesrepublik ist in den ersten Jahren Grunde eine Rechtspflicht war, die zwar aus ver-
der Bundesrat der Hauptträger auch der gesetz- schiedenen Gründen formell durch Gesetze noch be-
geberischen Vorarbeiten jener Zeit gewesen. sonders übernommen werden mußte, aber nicht erst
Der entscheidende Durchbruch der deutschen durch diese Gesetze geschaffen worden ist, vor allen
Initiative erfolgte aber — man kann es auf den Dingen nicht erst durch die Verträge. Nicht durch
Tag genau angeben — am 27. September 1951. die Verträge mit der Claims Conference und durch
Damals hat Bundeskanzler Dr. Adenauer im Namen die Verträge mit den Alliierten ist die Wiedergut-
der Bundesregierung vor dem Bundestag eine Erklä- machungspflicht des Bundes völkerrechtlich-vertrag-
rung abgegeben, die so bedeutsam ist, daß ich -- lich statuiert worden. In diesen Verträgen ist viel-
zumal das Bewußtsein von der ursprünglichen Kon- mehr lediglich der Mindestinhalt der von der Bun-
zeption zuweilen in der öffentlichen Diskussion ver- desregierung vorzulegenden Gesetze zum Gegen-
lorenzugehen droht — einige der wichtigsten und stand einer Verpflichtung gemacht, aber nicht die
entscheidensten Sätze mit Genehmigung des Herrn Wiedergutmachungspflicht als solche geschaffen
Präsidenten im Wortlaut verlesen möchte. In der worden.
Erklärung bekundete die Bundesregierung ihre Es hat zuweilen den Anschein, daß neuerdings
Bereitschaft, eine Tendenz besteht, unsere Wiedergutmachungs-
gemeinsam mit Vertretern des Judentums und pflicht aus diesen Verträgen abzuleiten, um dann mit
des Staates Israel, der so viele heimatlose ... besonderem Nachdruck hervorzuheben, daß wir ja
Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des über den Mindestinhalt dieser Verträge hinausge-
materiellen Wiedergutmachungsproblems her- gangen sind. Das gibt doch eine etwas falsche Dar-
beizuführen, um damit den Weg zur seelischen stellung der historischen und politischen Bedeutung
Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern. der Wiedergutmachung.
Sie ist tief davon durchdrungen, daß der Geist
wahrer Menschlichkeit wieder lebendig und (Zurufe von der SPD: Allerdings! Sehr wahr!)
fruchtbar werden muß. Diesem Geist mit aller
Nun haben sich an diese entscheidende Erklärung
Kraft zu dienen, betrachtet die Bundesregierung
der Bundesregierung damals sofort Schlag auf Schlag
als die vornehmste Pflicht des deutschen Volkes.
wichtige Akte angeschlossen. Da waren zunächst die
Ferner wird gesagt: Kontakte mit dem Staat Israel und mit der Claims
Conference. Es hat Anfang Dezember 1947 ein Tref-
Die Bundesregierung und mit ihr die große
fen zwischen Bundeskanzler Adenauer und Dr. Na-
Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des
hum Goldmann in London stattgefunden. Bei diesen
unermeßlichen Leides bewußt, das in der Zeit
Gesprächen erbot sich Dr. Nahum Goldmann auch,
des Nationalsozialismus über die Juden in
bei der israelischen Regierung zu sondieren sowie
Deutschland und in den besetzten Gebieten ge-
eine Konferenz der großen Weltverbände vorzube-
bracht wurde. Das deutsche Volk hat in seiner
reiten. Die Verhandlungen mit Israel ebenso wie mit
überwiegenden Mehrheit die an den Juden be-
der Claims Conference haben dann im März 1952
gangenen Verbrechen verabscheut und hat sich
angefangen; die Verhandlungen mit den westlichen
an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des
Besatzungsmächten über den Deutschlandvertrag
Nationalsozialismus im deutschen Volke viele
hatten schon etwas früher begonnen. Die Verhand-
gegeben, die mit eigener Gefährdung aus reli-
lungen haben dann in Verträgen einen Abschluß im
giösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham
Jahre 1952 gefunden.
über die Schändung des deutschen Namens ihren
jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt Im Sommer 1953 hat die Bundesregierung das
haben. Im Namen des deutschen Volkes Bundesergänzungsgesetz im Bundestag eingebracht.
— das ist ein entscheidender Satz — Die Bundesregierung hat sich darin ziemlich streng
an den in dem Vertrag mit der Claims Conference
sind aber unsagbare Verbrechen begangen wor- und in dem Überleitungsvertrag festgelegten Min-
den, die zur moralischen und materiellen Wie- destinhalt gehalten und ist kaum darüber hinaus
dergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich gegangen. Der Deutsche Bundestag war damals —
der individuellen Schäden, die Juden erlitten es war in den letzten Monaten oder Wochen der
haben, als auch des jüdischen Eigentums, ... Wahlperiode des 1. Deutschen Bundestages — un-
glücklich darüber, daß er keine Gelegenheit mehr
Dieses Wort von der moralischen und materiellen
hatte, Kritik an diesem nach seiner Meinung viel
Wiedergutmachung will nicht besagen, daß die Bun-
zu bescheidenen Gesetz zu üben, wollte aber die
desregierung di e" Pflicht zur Wiedergutmachung nur
Legislaturperiode nicht vorübergehen lassen, ohne
für eine moralische Pflicht gehalten hätte. Vielmehr ein Gesetz anzunehmen. So ist ohne wesentliche
ist der Ausdruck „moralische Wiedergutmachung"
Aussprache das Bundesergänzungsgesetz von 1953
dem Ausdruck „materielle Wiedergutmachung" ent- angenommen worden.
gegengestellt, und man verstand unter der mora-
lischen Wiedergutmachung die Herstellung der Ehre Das bitte ich jetzt auch zu berücksichtigen: die
und die Wiedergutmachung der Entwürdigung ge- Sprecher aller Fraktionen dieses Hauses — und es
schändeter Menschen, insbesondere auch mit den waren damals noch mehr Fraktionen da — haben
Mitteln der Erziehung, des Geschichtsunterrichts. Da- ohne Ausnahme das Bundesergänzungsgesetz von
gegen war sich die Regierung von vornherein dar- 1953 als unzureichend bezeichnet und haben bemän-
über im klaren, daß die Wiedergutmachung im gelt, daß sich die Bundesregierung so eng an die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4415
Dr. Böhm (Frankfurt)
Mindesterfordernisse in den beiden Verträgen ge- gemacht werden konnte, da sich kein Gericht ge-
halten hat. funden hätte, das ihn angenommen hätte. Aber die-
(Abg. Jahn: Der Bundesfinanzminister ser Anspruch war auf damaliges Recht gegründet,
weiß das nur nicht mehr!) und es handelte sich nun darum, diese Schuld eines
dahingegangenen Reiches zu übernehmen, und zwar
Der 2. Bundestag, der dann zusammentrat, hat dadurch, daß die- Haftung für die Bewirkung dieser
alsbald die Initiative ergriffen. Er hat sogar in Be- Schuld übernommen wurde. Gleichzeitig ist die
tracht gezogen, ein Bundesentschädigungsgesetz in Schuld selber aus einer privatrechtlichen Schuld in
eigener Regie, also durch sämtliche damaligen Frak- eine öffentliche-rechtliche Entschädigungsverpflich-
tionen, einzubringen. Aber Herr Bundesfinanzmini- tung verwandelt worden.
ster Schäffer hat die Einrichtung einer gemischten
Kommission zur Anfertigung einer die bloße tech- Diese Verwandlung in eine öffentlich-rechtliche
nische Novelle weit überschreitenden neuen No- Entschädigungsverpflichtung hat zwei bedeutsame
velle zu diesem Gesetz angeboten. Damit ist zum Wirkungen gehabt; die eine hat sich hauptsächlich
erstenmal und ich glaube, auch zum einzigen Male zugunsten der Verfolgten, die andere zuungunsten
in diesem Hause eine Regierungsvorlage von einer — aber mit Absicht zuungunsten — der Verfolgten
Kommission bearbeitet worden, der Abgeordnete ausgewirkt. Zugunsten der Verfolgten hat sich aus-
aller Fraktionen des Bundestages, die Ressorts der gewirkt, daß dadurch, daß die Entschädigungspflicht
Bundesregierung und außerdem fünf Länder ein- zu einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung gemacht
schließlich Berlins angehört haben. worden ist, der Schuldner, also der Bund und die
Länder, oder die Haftenden, die Zahlungsverpflich-
Diese Kommission hat 9 Monate getagt und die teten ihrerseits den Verfolgten, ihren Gläubigern
ganze Zeit nichts anderes getrieben, als dieses ganze eine Verwaltungsapparatur zur Verfügung gestellt
Gesetz zu novellieren. Dieser Entwurf ist dann von haben, die den Verfolgten die in vielen Fällen
der Bundesregierung im Bundestag eingebracht wor- äußerst schwierige Beschaffung der Beweise ex
den, der am Tage der Einbringung dieses Gesetz- officio erleichtern sollte. Ganz zweifellos wäre,
entwurfs einen eigenen Ausschuß, den Wiedergut- wenn wir die Sache im bürgerlichen Recht gelassen
machungsausschuß, eingesetzt hat. hätten, der überwältigende Teil der Ansprüche ganz
einfach an der Beweisfrage gescheitert. Die Beweis-
Die Novelle selbst ist dann am 20. Juni 1956 mit
regelung und das Beweisverfahren bei unseren
sehr starken Erweiterungen verabschiedet worden.
Entschädigungsämtern hat dies weitgehend besei-
Nunmehr war klar, daß Bundesregierung und Bun-
tigt. Es ist auch eine sehr merkwürdige Konstruk-
destag eindeutig die Initiative für die Wiedergut-
tion, daß der Schuldner, der daran interessiert ist,
machung als eine deutsche Frage in ihre Hand ge-
wenig oder nichts zu zahlen, seinem Gläubiger da-
nommen hatten und sich von der Anlehnung an
bei helfen soll, diese Schuld zu beweisen, und
alliierte Vorschläge und von der Bindung an
unsere Rechnungshöfe haben Mühe gehabt, diese
alliierte Aktivität vollständig emanzipiert hatten.
Quadratur des Zirkels zu begreifen. Es handelte
Die Annahme der Novelle vom Jahre 1956 war ein
sich also um eine Anerkennung der Haftung für
wiedergutmachungsgeschichtlich und nicht nur wie-
diese Schuldverpflichtungen des Dritten Reichs.
dergutmachungsgeschichtlich bedeutsames Ereignis;
es war ein bedeutendes Ereignis in unserer Ge- Zum Nachteil des Verfolgten hat sich ausgewirkt,
schichte. daß sich die Bundeserpublik vorbehalten hat und
(Sehr gut! bei der SPD.) vorbehalten mußte, wie schon in der Regierungs-
An diesem Geist muß festgehalten werden — das erklärung stand, den Umfang ihrer Entschädigungs-
war von vornherein die Idee -, und er muß zu verpflichtung aus dem Gesichtspunkt der Begren-
einer festen, nicht mehr zu verlassenden Tradition zung der Leistungsfähigkeit zu limitieren. Das be-
unserer Politik werden. deutet aber, daß alles Unrecht, das durch die Ver-
folgung begangen worden ist, wieder gutgemacht
Wichtig war nach der Auffassung, die sich damals werden muß, bis die Grenze der Leistungsfähigkeit
in der Kommission, die den Gesetzentwurf erstellen erreicht wird, daß auch eine sorgfältige Abstimmung
sollte, im Wiedergutmachungsausschuß und in die- der Wiedergutmachungsverpflichtungen mit den an-
sem Hohen Hause bei der Konzeption unseres Bun- deren Verpflichtungen und lebendigen Aufgaben
desentschädigungsgesetzes durchgesetzt hat, die unseres Staates vorgenommen wird.
Vorstellung, daß die Rechtsgrundlage der Wieder-
gutmachungspflicht die Vorschriften der §§ 823 ff. Der Herr Bundesfinanzminister hat schon mit
unseres Bürgerlichen Gesetzbuches waren, die vor- Recht darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik
sehen, daß sich an die Verübung von Unrechtshand- die einzige politische Gewalt auf dem Gebiete des
lungen eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht, ehemaligen großdeutschen Reichs Adolf Hitlers ist,
und zwar eine Verpflichtung auf Ersetzung des vol- die diese Übernahme der Haftung vollzogen hat.
len Schadens, anknüpft, und es war die Rechtsauf- Die Sowjetzone gewährt zwar ihren in ihrem Gebiet
fassung von uns allen, daß jeder, der im Dritten sitzenden Verfolgten eine gewisse Entschädigung,
Reich verfolgt worden ist, am Tage, an dem ihm das aber, wie gesagt, nur an Einwohner und nicht als
Unrecht zugefügt worden ist, einen zivilrechtlichen Schadensersatz, sondern als eine Art von öffent-
Anspruch gegen die Hitlerregierung und gegen das licher Verfolgtenzulage, eine Art von politischer
Hitlerreich auf Grund des damals ohne Einschrän- Auszeichnung, einen Zuschlag zu einer prinzipiell
kung gültigen Bürgerlichen Gesetzbuches erworben ganz anderen Einkommensverteilung, als wir bei
hatte, einen Anspruch, der allerdings nicht geltend uns haben. Keinen Pfennig leistet die Sowjetzone an
4416 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Böhm (Frankfurt)
auswärts lebende Verfolgte, auch nicht an solche im stünden. Hinter diesem Anspruch steht die Wieder-
Ausland lebende Verfolgte, die auf ihrem Gebiet ge- gutmachung.
schädigt worden sind, keinen Pfennig an Staaten- (Sehr gut! bei der SPD.)
lose, Flüchtlinge und DPs. Die Entschädigung für das
an den Juden verübte Unrecht hat fast ausschließlich Der Herr Bundesfinanzminister hat uns schon
die Bundesrepublik auf ihre Schultern genommen. Auskunft gegeben über den Grund der Änderungs-
Die Sowjetzone lehnt jede Verantwortlichkeit für bedürftigkeit des Bundesentschädigungsgesetzes
irgend etwas ab, was sich vor ihrer glorreichen Ur- und des Bundesrückerstattungsgesetzes; ich brauche
zeugung in der Geschichte zugetragen hat. Sie be- nicht mehr viel auf die Details einzugehen. Die
nimmt sich wie eine geschichtslose Gralstaube, voll- Hauptpunkte sind, daß sich nach 1953 noch ganz un-
kommen neugeboren im Geiste Lenins, gereinigt erwartete Wanderbewegungen von Juden in Ru-
vom Erdenrest, heißt Hase und weiß von nichts, be- mänien, in Ungarn, in Bulgarien vollzogen haben,
sonders nichts von den Schulden vorheriger Regie- die nach der Befreiung aus dem Konzentrationsla-
rungen. ger erst nach 1953 aus ihrer alten Heimat, in die sie
zurückgekehrt waren, entweder nach Israel oder
Der Staat Österreich hat sich als ein selbst ver-
sonstwohin in die Welt ausgewandert sind, — aus
folgter Staat etabliert, mit dem Verfolgerstaat weder
keinem anderen Grund als dem, daß sie vorher von
verwandt noch verschwägert, auf dem Gebiet der den kommunistischen Regierungen nicht herausge-
Wiedergutmachung allenfalls Gläubiger, nicht
lassen worden sind.
Schuldner, leistet eine gewisse Wiedergutmachung
an im Lande lebende österreichische Juden, nicht Es war ganz unerwartet, daß Rumänien plötzlich
aber an die österreichischen Juden, die heute in die Genehmigung für die Auswanderung — vor-
Israel oder sonst in anderen Ländern leben. An der übergehend — gegeben hat. Und es war ganz un-
innerösterreichischen Wiedergutmachung beteiligt erwartet, daß in Ungarn die Revolution ausbrach
sich auch die Bundesrepublik. Die in Israel und im und für ein paar Tage die Grenze geöffnet war.
sonstigen Ausland lebenden österreichischen Juden Durch diese Lücke sind sehr erhebliche Mengen von
und Verfolgungsopfer aber stehen vor der Situation: ehemaligen Hitlerverfolgten teils nach Israel, teils
entweder gar nichts oder Entschädigung von der nach Amerika, teils in andere Staaten ausgewan-
Bundesrepublik, die dann in diesem Fall ihre einzige dert. Sie können nach unserem Gesetz keine Ent-
Hoffnung ist. schädigung bekommen, weil unser Gesetz verlangt,
daß sie schon im Jahre 1953 Staatenlose oder
Die Welt hat sich überhaupt so sehr an die bewußt Flüchtlinge gewesen sind.
übernommene Verantwortung der Bundesrepublik
gewöhnt — das hat der Bundesfinanzminister schon So treffen sich also heute in israelischen Dörfern
mit Recht erwähnt —, daß sich der Tadel wegen Un- Verfolgte, die schon zusammen das gleiche Schick-
vollkommenheiten und Mißständen der Wiedergut- sal in einem Konzentrationslager erlebt haben. Der
machung nur an die Bundesrepublik richtet, nicht an eine von ihnen war zufällig am 1. Januar 1947 in
diejenigen politischen Erben hitlerischer Aktiven, einem deutschen DP-Lager — der wird am besten
die keine Wiedergutmachung leisten, von denen entschädigt —, der andere war vor 1953 Staaten-
man vielmehr weiß, daß es ganz zwecklos ist, sie loser oder Flüchtling geworden; der wird am zweit-
überhaupt auf Wiedergutmachung anzusprechen. Ja, besten und, wenn er in Israel sitzt, am drittbesten
die Sowjetzone und Sowjetrußland haben sogar entschädigt. Dann kommen diejenigen, die erst nach
versucht, uns — der Bundesrepublik — aus der Be- 1953 die Möglichkeit hatten auszuwandern, diese
reitschaft zur Wiedergutmachung politisch und mo- bekommen überhaupt nichts.
ralisch einen Strick zu drehen. Sie haben behaup- Früher, auch zur Zeit der Verfolgung, hieß es: Ein
tet, darin liege eine Identifikation mit dem Hitler- Reich, ein Volk, ein Führer, eine Verfolgung. Heute
staat; deshalb bewirkten wir die Zahlung von Hit- ist der Wiedergutmachungsanspruch vielfach von
lerschulden. Als ob jemals in der Weltgeschichte Zufälligkeiten des positiven Rechts, an die wir auch
ein Verbrecherregime seine Opfer entschädigt hätte! nicht gedacht haben, abhängig, so daß neue Unge-
Die Schulden von Unrechtsregimen werden immer rechtigkeiten entstanden sind. Für die große Gruppe
nur von Regimen des Rechts bezahlt. der hiervon betroffenen Menschen sieht der Regie-
(Abg. Jahn: Leider ja!) rungsentwurf einen Härtefonds in Höhe von 600 Mil-
lionen DM vor. Härtefonds bringen große Schwierig-
An nichts anderem kann man einen Rechtsstaat in keiten für die Verwaltung, die Verteilung und die
solchen Fällen wirklich erkennen praktische Handhabung mit sich. Sie haben aber den
(Abg. Jahn: Sehr wahr!) sehr großen Vorteil für den Wiedergutmachungs-
schuldner, daß sie eine fest begrenzte Summe dar-
als daran, daß er das tut. stellen, mit der der Bundesfinanzminister, mit der
der Haushalt rechnen kann und von der man weiß,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und daß sie nicht überschritten wird. Wenn wir dem-
der FDP.) gegenüber lediglich den Gesetzestext ändern, kann
Das ist ein glaubwürdiger Test; 40 Milliarden DM die Gesamtbelastung nicht zuverlässig geschätzt wer-
zahlt kein Volk aus der Westentasche. Wenn die den, weil wir nicht wissen, wie viele Verfolgte die-
Bundesrepublik ihren Anspruch, Gesamtdeutschland ser Kategorien es gibt, wie viele von ihnen den An-
zu vertreten und zu repräsentieren, erhebt, dann ist trag stellen und wie viele die Beweise erbringen
das keine leere Behauptung, hinter der keine Taten können. oder nicht.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4417
Dr. Böhm (Frankfurt)
Unserer Fraktion leuchtet die Lösung, wie sie hier Der Abstrich aus dem Gesichtspunkt der begrenz-
vorgesehen ist, ein. Unsere Fraktion begrüßt auch ten Leistungsfähigkeit darf aber nur innerhalb die-
die sonstigen Verbesserungen. Es sind zum Teil ent- ser Grenze ernsthaft geprüft werden. Das gleiche
scheidende Verbesserungen und Erweiterungen, die gilt für die Frage, wo, bei welchen Vorhaben Ab-
der Regierungsentwurf vorsieht. Sie begrüßt auch striche im Hinblick auf die Dringlichkeit vorgenom-
— das möchte ich besonders hervorheben — die Ten- men werden sollen. Im übrigen muß es dabei blei-
denz, die Grenzen der Leistungsfähigkeit mit Ernst ben: es darf nicht so sein, daß unsere Wiedergut-
und Gewissenhaftigkeit zu beobachten, nicht nur bei machungspflicht nur so weit reicht, wie unser Ge-
der Wiedergutmachung, sondern schlechterdings bei setz reicht, auch wenn neue Tatbestände oder
allen mit Haushaltsbelastungen verbundenen Geset- neue Gruppen auftauchen, sondern unsere Wieder-
zen. Diese Tendenz, die insbesondere in der Regie- gutmachungspflicht reicht so weit, wie sie von uns
rungserklärung zum Ausdruck kommt, wird von un- nicht ausdrücklich, und zwar nur mit dem Hinweis
serer Fraktion mit einhelliger Zustimmung aufge- auf die begrenzte Leistungsfähigkeit, eingeschränkt
nommen. ist. Beim Auftauchen neuer Tatbestände muß also
immer geprüft werden: Wie groß ist der Personen-
Schon in der 1951 von Dr. Adenauer verlesenen kreis, welchen Umfang haben die noch nicht ent-
Erklärung wurde der Vorbehalt der Leistungsfähig- schädigten Schadenstatbestände, in welcher Höhe
keit gemacht. Es wurde von Belastungen der Lei- würde das insgesamt den Haushalt belasten, und
stungsfähigkeit durch andere Verpflichtungen ge- überschreitet diese Belastung zusammen mit den
sprochen. Unter diesen anderen Verpflichtungen sind anderen Belastungen die Leistungsfähigkeit des
schon damals zwei ausdrücklich erwähnt worden, Bundes? Wir werden diese Sorgfalt, da ja die Frage
nämlich die Leistungen der Kriegsopferversorgung noch offen ist, wie im einzelnen die Verbesserun-
und an die Flüchtlinge. gen dosiert werden müssen, in den Ausschüssen
Bei beiden Schlußgesetzen wird diese Frage mit anwenden müssen. Bevor das geschehen ist, läßt
der größten Akribie geprüft werden müssen, mit sich hier noch kein deutliches Bild gewinnen.
größerer Akribie als zuvor, auch in einer engeren Ich habe mich hier nur bemüht, die Prinzipien
Kooperation mit dem Haushaltsausschuß, als es aufzuzeigen, nach denen wir verfahren müssen. Wir
früher geschehen ist. dürfen in unserer Wiedergutmachungsseriosität
Wir haben nämlich, wie der Herr Bundesfinanz- nicht erlahmen. Es darf nicht eine Stimmung auf-
minister ebenfalls ausgeführt hat, inzwischen die kommen, als gelte es, jetzt noch ein lästiges Pen-
Grenze erreicht, wo eine empfindliche Vermehrung sum zu absolvieren, sondern es muß bis zur letzten
der Haushaltsbelastung durch eine, wie die Erfah- Entscheidung mit größtem Ernst verfahren werden.
rung lehrt, leider sehr verführerische, aber schlech- Es darf auch keine allgemeine Stimmung aufkom-
terdings nicht zu verantwortende Vernachlässigung men, die etwa auf Wiedergutmachungsbehörden,
der Geldwertstabilität erkauft werden müßte. Wir auf Rechnungshöfe oder auf Wiedergutmachungs-
würden dann statt echter Leistungen Schwundlei- gerichte lähmend einwirken könnte. Die Wieder-
stungen darbieten, was auch keine redliche Wieder- gutmachung ist nichts, was von selbst zustande
gutmachungspolitik sein würde. kommt; , die Wiedergutmachung stellt hohe sittliche
Ansprüche an ein Volk, das es mit der Umkehr,
In diesem Zusammenhang wird auch immer dar- mit der Rückkehr und mit der Aufpflanzung des
auf aufmerksam gemacht, wie stark wir im Jahre Rechtsgdankrmi.Mußschder
1956 die Belastung durch die damalige Novelle Pflicht bis zum letzten Tage mit voller Hingabe und
unterschätzt haben. Aber ganz abgesehen davon, mit vollem Ernst widmen. Tun wir das nicht, so
daß uns die gleiche Unterschätzung auch beim La- bringen wir Leistungen, die wir schwer genug auf-
stenausgleichsgesetz und bei anderen Gesetzen gebracht haben, nachträglich um einen Teil ihres
unterlaufen ist, ist das bei der Wiedergutmachung Segens. Nicht etwa, weil heute das Gesetz nicht zur
besonders zu erklären. Das plötzliche Anschwellen vollen Befriedigung ausfällt — es kann nicht zur
der Anträge war eine Folge der Seriosität unseres vollen Befriedigung ausfallen —, sondern weil ein
Wiedergutmachungswillens in jenen Jahren. Vor- unguter Eindruck über zunehmende, wollen wir ein-
her hieß es im Ausland vielfach, hinter der Wie- mal sagen, Wiedergutmachungsverdrossenheit ent-
dergutmachung stünden nur die Alliierten, und steht.
wenn die Alliierten abrückten, werde keine Wieder-
gutmachung mehr geleistet. Die eindrucksvolle Aus- (Beifall im ganzen Hause.)
weitung unseres Entschädigungsgesetzes im Jahre
Das darf nicht erfolgen. Wir würden eine der wich-
1956 hat schlagartig das Vertrauen in die wieder-
tigsten Entscheidungen, die wir getroffen haben,
gutmachungsrechtliche Seriosität der Bundesrepu-
seitdem es eine Bundesrepublik Deutschland gibt,
blik in der ganzen Welt erhöht. Die Wirkung war,
wir würden eine wichtige Weichenstellung ohne
daß viele Personen, die vorher, um nicht Enttäu-
jede Not und leichtfertig ändern, wenn wir uns nicht
schungen zu erleben, keine Anträge geschickt hat-
von diesen Prinzipien leiten ließen.
ten, ihre Anträge einreichten. Heute sind wir in
einer besseren Lage. Heute haben wir ein viel (Beifall im ganzen Hause.)
übersehbareres Feld, wir haben mehr Anhaltspunkte
für den Umfang der einzelnen Kategorien und für
die Beurteilung der finanziellen Auswirkungen ein- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
zelner Bestimmungen. Abgeordnete Hirsch.
4418 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Hirsch (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver- in diesem Hause sollten stolz darauf sein, daß es
ehrten Damen und Herren! Man soll sich in der Po- so ist, daß es Leute im Dritten Reich gegeben hat,
litik keine Illusionen machen. Ich habe gewußt, die dem Teufel widerstanden haben.
welche Mißverständnisse und Irrtümer in der deut-
schen Bevölkerung über das bestehen, was wir Wie- (Beifall bei der SPD und in der Mitte.)
dergutmachung nennen. Ich habe gewußt, daß man
glaubt, nur Juden bekämen Wiedergutmachungs- Ein anderes, Herr Minister! Sie haben sehr ein-
leistungen. Ich habe gewußt, daß man glaubt, das gehend ausgeführt — Herr Professor Böhm hat
sei mehr oder weniger freiwillig an die Juden hin- Ihnen schon widersprochen, und er muß es weiß Gott
ausgeworfenes Geld; und ich habe gewußt, daß das wissen, denn er war dabei —: Die Verhandlungen
keine sehr populäre Sache ist. Aber ich bin in der mit Israel und mit der Claims Conference haben zu
Meinung hierher gekommen, daß der federführende einem Programm geführt — so heißt es wörtlich im
Minister für Wiedergutmachung, nämlich der Herr englischen und deutschen Text —, nachdem die
Bundesfinanzminister, wenigstens über die Rechts- Bundesrepublik gesagt hat, daß sie Wiedergutma-
chungsgesetze machen würde. Daß das ein Mindest-
grundlagen der Wiedergutmachung Bescheid wüßte
programm war, hat Herr Professor Böhm schon
und über Idas, worum es dabei geht und welche
gesagt. Es konnte nur ein Mindestprogramm sein.
Verpflichtungen wir als Deutsche haben. Herr Mi-
Ich wundere mich. Herr Professor Böhm hat nämlich
nister, meine persönliche Wertschätzung für Sie
schon im Jahre 1956 in seiner Rede zu dem dama-
läßt mich annehmen, daß Sie falsch unterrichtet sind.
ligen BEG sehr eindeutig dem Finanzministerium
- Herr Professor Böhm hat Ihnen in der ihm eige-
erklärt, warum man nicht irgendwelche Dinge hin-
nen, sehr ruhigen Art einiges gesagt. Ich muß im
sichtlich einer Begrenzung der Wiedergutmachungs-
Gegensatz zu meiner Absicht das noch etwas unter-
leistung mit dem Israel-Vertrag und mit dem Ver-
streichen, was er gesagt hait.
trag mit der Claims Conference begründe könne.
(Abg. Jahn: Sehr gut!) Das war 1956, Herr Finanzminister. Inzwischen sind
sieben Jahre vergangen, und gerade in diesen sie-
Herr Minister, Sie gehen davon aus, wir Deutsche,
ben Jahren hat es sich leider herausgestellt — ich
die Bundesrepublik Deutschland, hätten keine Ver-
darf nur den Eichmann-Prozeß erwähnen —, daß
pflichitung gegenüber den Naziopfern. Dabei ver-
der Umfang der Verbrechen in den Jahren zwischen
gessen Sie zunächst einmal ganz offensichtlich, weil 1933 und 1945 sehr, sehr viel größer gewesen ist,
Sie bei dieser Ihrer Auffassung auf die Auswirkung als das der schlimmste Pessimist hätte annehmen
der Verträge mit der Claims Conference und mit können.
Israel abstellen, 'daß es in Deutschland nicht nur
jüdische Verfolgte gegeben hat. Herr Minister, in (Sehr richtig! bei der SPD.)
Deutschland sind nicht nur Juden verfolgt worden,
Hätten wir das nämlich damals 1945 gewußt, Herr
sondern Geistliche aller Konfessionen, Zentrums-
Minister, wäre es schlimm um uns bestellt gewe-
leute, Leute von der Bayerischen Volkspartei, So-
sen. Ein Trost oder eine Entschuldigung für uns
zialdemokraten, Kommunisten, Leute der konserva-
Deutsche konnte immer nur sein, daß die meisten
tiven Richtung — Graf Stauffenberg und andere! oder viele von uns nicht gewußt haben, was gesche-
(Abg. Jahn: Sehr wahr!) hen ist.
Nicht nur Herr Dr. Hundhammer und Herr Bre it- Nun meinen Sie außerdem, abgesehen von Ihrer
scheid, sondern auch Herr Dr. Adenauer und Graf Argumentation aus den Verträgen: Wo sei über-
Stauffenberg und Herr Ulrich von Hassel und nicht haupt ein Rechtsgrund für die Leistungen? Das
zuletzt Dr. Kurt Schumacher. In Deutschland sind Deutsche Reich sei untergegangen und habe Ban-
durch die Nazis verfolgt worden der Präsident die- krott gemacht, und die Bundesrepublik habe ledig-
ses Hauses und einige der Vizepräsidenten dieses lich eine moralische Pflicht, etwas zu geben. Es
Hauses und sehr viele Mitglieder dieses Hauses, mag sein, das Deutsche Reich hat Bankrott gemacht.
auf die wir stolz sind. Aber wer Konkurs macht, muß seine Verpflichtun-
gen immerhin im Rahmen der Konkursordnung, im
(Sehr wahr! bei der SPD.)
Rahmen einer Konkursquote erledigen. Die Bundes-
Man kann unmöglich damit argumentieren, daß republik ist im Begriffe, das zu tun. Sie kann selbst-
diese Gruppe der deutschen Verfolgten, die prak- verständlich nicht für all das bezahlen, was Hitler
tisch für uns das Kapital 'dargestellt haben, mit dem uns an Schuld hinterlassen hat, sie kann nicht be-
wir nach 1945 personell wieder halben aufbauen zahlen, was er uns durch vorsätzliche Verbrechen
können, hinterlassen hat, und sie kann auch nicht bezahlen,
(Zustimmung bei der SPD) was er fahrlässig verschuldet hat an den Kriegs-
opfern, Heimatvertriebenen und all den anderen.
irgendwelche Verzichterklärungen über die Claims
Aber die Bundesrepublik muß sich überlegen, was
Conference abgegeben hätten. ihre Verpflichtungen sind. Sie muß sich überlegen,
In unserer Öffentlichkeit denkt man immer „Mil- welche Verpflichtungen vorrangig sind. Sie ist als
liarden für die Juden" und vergißt dabei, daß ein ehrlicher Schuldner, der Konkurs gemacht hat, ver-
Viertel der Wiedergutmachungsanträge von deut- pflichtet, so ehrlich wie nur möglich in dem größt-
schen Verfolgten stammt und daß ein Viertel der möglichen Umfang diese Verpflichtungen zu erfül-
Geldleistungen nicht an Juden geht, sondern an len.
deutsche Verfolgte. Man sollte meinen, gerade wir (Abg. Jahn: Ehrenschuld!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4419
Hirsch
Ich würde mich nicht wohlfühlen in einem Staate, Ein weiterer Irrtum bei Ihnen, Herr Minister! Ihre
der versuchen würde, wie ein „krummer" Konkurs- Referenten haben Sie nicht gut informiert. Sie
- haben
schuldner, wie ein schlechter Konkursschuldner mit immer nur davon gesprochen, in dem BEG und im
Tricks seinen Verpflichtungen zu entgehen. Meine Rückerstattungsgesetz gebe es Härten. Da gibt es
Damen und Herren, wenn eine Aktiengesellschaft sicherlich auch viele Härten. Aber es gibt noch viel
Pleite gemacht hat, dann muß sie erst ihre Schulden Schlimmeres. Es gibt in unseren geltenden Gesetzen,
bezahlen, bevor sie an ihre Aktionäre etwas zah- insbesondere im Bundesentschädigungsgesetz, wirk-
len kann. liche Lücken und wirkliche Fehler. Herr Minister,
(Zuruf von der CDU/CSU: So kann man was ist es anders als wirklich ein Fehler, was ich
doch nicht argumentieren!) Ihnen an folgendem Beispiel vorführen möchte? Sie
— Das mag überspitzt klingen, aber im Kern ist es haben sich zwar gegen Beispiele gewehrt. Das ist
richtig, Herr Kollege. Wenn es ein göttliches oder aber kein Einzelbeispiel, sondern ein charakteristi-
menschliches Recht auf dieser Erde gibt, meine sches Beispiel für unser geltendes Gesetz. Halten
Damen und Herren, dann ist jemand, ob eine Per- Sie folgendes für eine Härte oder für einen Fehler:
Zwei Brüder sind im Sudetenland verfolgt worden.
son oder ein Staat, der vorsätzlich gemordet hat,
der gestohlen hat, der geraubt hat, der geschändet Dem einen ist es gelungen, aus dem KZ zu fliehen;
er lebte in England. Sein Bruder ist erst 1945, nach-
hat, der die Menschenwürde mit Füßen getreten
dem er fünf Jahre im KZ war, nach England gekom-
hat, verpflichtet, mindestens den daraus entstan-
men. Beide leben sie in England. Halten Sie es für
denen materiellen Schaden wieder gutzumachen.
richtig, daß derjenige, der weniger erlebt hat, der
Das ist eine Verpflichtung, die es in jedem Recht
nämlich hat fliehen können und schon 1938 nach
dieser Welt gibt. Bei primitivsten Negervölkern
England gekommen ist, höhere Ansprüche hat als
gibt es diese Verpflichtung, und selbstverständlich
sein Bruder, der die ganze Zeit in der CSR war?
gibt es diese Verpflichtung auch für uns.
Unser Gesetz, für das Sie nicht verantwortlich sind,
Hätte es nicht diesen Staatskonkurs gegeben, so sagt nämlich, man muß, um Ansprüche nach § 150
hätte das Deutsche Reich und hätte die Bundesrepu- wegen Berufsschadens zu haben, vor der allgemei-
blik diese Verpflichtung aus dem Gesichtspunkt der nen Vertreibung ins Ausland gegangen sein. Der-
unerlaubten Handlung — §§ 823 ff., 839 in Verbin- jenige, der im KZ war, weil er von Hitler gehindert
dung mit der Weimarer Verfassung und dem Bon- wurde, ins Ausland zu gehen, erhält jetzt eine ge-
ner Grundgesetz — im Rahmen des echten Scha- ringere Entschädigung als derjenige, dem es besser
densersatzes bezahlen müssen. gegangen ist. Das ist keine Härte, sondern ein Feh-
(Abg. Jahn: Sehr wahr!) ler des Gesetzes.
Es ist gut und richtig, Herr Professor Böhm, daß Sie (Zuruf von der SPD: Eine echte Ungerech
herausgestellt haben, daß die Entschädigungsge- tigkeit!)
setze, ob Bundesentschädigungsgesetz oder Bundes-
rückerstattungsgesetz, den Verfolgten nicht etwas — Eine echte Ungerechtigkeit! Solche Ungerechtig-
gegeben haben, sondern daß sie genau genommen keiten enthält aber unser geltendes Recht in großer
in Erschöpfung der Möglichkeiten des Art. 135 a des Menge.
Bonner Grundgesetzes eingeschränkt hat, was die Das ist kein Vorwurf, insbesondere nicht gegen
Betroffenen sonst hätten beanspruchen können. diejenigen, die im Jahre 1953 und 1956 die beiden
(Sehr wahr! bei der SPD.) Gesetze gemacht haben. Hier war eine völlig neue
Ein Drittes, Herr Minister. Sie sind davon ausge- Aufgabe gestellt, für die es keinen Vorgang gab.
gangen — zwar nicht direkt, aber indirekt —, die Wenn wir heute ein neues Strafgesetzbuch machen,
Wiedergutmachung an den Nazi-Opfern sei auch dann kann man die Erfahrungen aller Strafgesetz-
so etwas wie eine Erledigung der Kriegsfolgen. Sie bücher der Welt nutzen und versuchen, ein gutes
haben es sogar für richtig gehalten, zu sagen — ich Strafgesetzbuch zu machen; das gleiche ist beim
glaube, das war ein falscher Zungenschlag, ich Bürgerlichen Gesetzbuch der Fall. Verbrechen die-
möchte es hoffen! —, man dürfe doch bei diesen ser Art sind glücklicherweise in den mehr als tau-
Forderungen, auch bei den Wiedergutmachungsge- send Jahren unserer Geschichte nicht passiert. Es
setzen nicht vergessen, daß Hitler gelebt habe. hat kein Volk gegeben, das in der Neuzeit mit
einer solchen Schuld behaftet war. Wenn nun das
(Abg. Jahn: Was soll das heißen?) deutsche Volk versuchen wollte, diese Schuld ma
Nun, Herr Seuffert hat das in einem ganz anderen teriell wiedergutzumachen, mußte es völlig neue
Zusammenhang gesagt, nämlich als er darüber Wege gehen. Keiner von uns, keiner von denen,
sprach, daß die Gruppen, die zum Teil wie das ganze die daran mitgearbeitet haben, konnte wissen, wel-
deutsche Volk in einem Boot mit Hitler und den cher Art die Verbrechen im einzelnen waren.. Kei-
Führern gesessen haben — sie waren das Volk, und ner konnte wissen, welche Folgen sich daraus er-
der Führer hat sie geführt —, nicht vergessen soll- geben. Insbesondere konnte keiner übersehen, wie
ten, daß es Hitler gegeben habe. Aber man kann groß das Ausmaß des Schadens ist. Welche Fehler
wirklich nicht gut, wenn man nicht sehr taktlos wer- bei der Gesetzgebung passieren könnten und
den will, ausgerechnet den Nazi-Opfern sagen: Ver- welche Lücken sich ergeben würden, das wußte
geßt nicht, daß Hitler gelebt hat! keiner. Unsere Aufgabe ist es, endlich diese Lücken,
(Beifall bei der SPD.) soweit das menschenmöglich ist, zu schließen.
Ihnen nun aber wirklich nicht! Ich könnte Ihnen, Herr Minister, Hunderte solcher
(Abg. Jahn: Ein Skandal!) krassen Fälle wie den der beiden Brüder vorführen.
4420 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Hirsch
Es würde zu weit führen, und ich möchte Sie nicht Meine Damen und Herren, mit Gerechtigkeit, wie
ermüden. Die Krux unseres geltenden Bundesent- ich sie verstehe, hat das aber nicht mehr das Aller-
schädigungsgesetzes ist, um es ganz grob zu sagen, geringste zu tun.
folgende: es gibt Gruppen, die genau genommen (Zustimmung bei der SPD.)
eigentlich zuviel bekommen, und andere Gruppen,
die zu wenig bekommen. Und es gibt leider Gottes In einem Staat, der die Familie schützt, müßte es
schwer verfolgte Menschen auf dieser Welt und in selbstverständlich sein, daß die mitverfolgte Frau
Deutschland, die überhaupt nichts bekommen. Das genauso Entschädigung bekommt — soweit es über-
ist keine Härte mehr. haupt eine Entschädigung dieses Unrechts gibt —
wie der Mann, wenn sie treu zu ihm gestanden hat.
Hier hat ein Staat Menschen verfolgt und gequält, Es gäbe, wie gesagt, der Fälle viele. Ich will
Eltern und Kinder ermordet. Er sagt nun denjeni- Sie damit verschonen. Aber glauben Sie mir bitte:
gen, die Ansprüche stellen: Du kannst nichts be- wie mir geht es allen Mitgliedern des Wiedergut-
kommen, weil du zu spät in den freien Westen ge- machungsausschusses. Wir stehen in diesen Din-
kommen bist. So ist das doch bei unserem gelten- gen an der Front. Wir bekommen die Briefe aus der
den Recht. Wer das Pech hatte, nach 1945 noch von Bundesrepublik, aus allen Teilen dieser Welt, und
den Sowjets zurückgehalten zu werden und erst wir müssen sie beantworten. Und wenn Sie, meine
nach 1953 in den freien Westen kam, dem sagt man Damen und Herren, solche Briefe bekommen, dann
bei uns: Es tut uns schrecklich leid, du hast den schicken Sie sie meistens an uns und schreiben:
Stichtag versäumt, du bekommst nichts. — Wie soll „Lieber Kollege Soundso, ich verstehe das nicht;
das jemand, dem das passiert ist, verstehen? Bei bitte kümmere dich darum! Das kann ja nicht rich-
diesen Leuten ist es so wie bei den beiden Brüdern: tig sein!" — So lese ich das und höre ich das immer
wer Schlimmeres erlebt hat, wird in unserem Recht wieder. Dann lesen wir diese Briefe und müssen
benachteiligt. Das ist keine bloße Härte, sondern feststellen — Querulanten gibt es überall —: er-
etwas, was man bereinigen muß. Es gibt viele sol- staunlich viele dieser Briefe geben ein Schicksal
cher Beispiele. Ich bin bereit, Ihnen, Herr Minister wieder, geben einen traurigen Fall wieder, und man
— so wenig Zeit Sie haben, so wenig Zeit ich braucht kein Jurist zu sein, um sagen zu müssen:
habe —, wenn Sie wollen, tagelang ununterbrochen Diesem Menschen ist Böses geschehen, dieser
solche Fälle vorzutragen. Ich bin überzeugt, Sie Mensch verdient eine Entschädigung, aber er be-
wären der letzte, der nicht einsehen würde, wie kommt keine. Und nun antworten Sie einmal dem
recht ich habe. Ich will Sie aber hier mit solchen Betreffenden! Stellen Sie sich einmal vor: was
Beispielen verschonen. schreiben Sie den Betreffenden in einer solchen Situ-
ation? Man versucht es. Man versucht zu 'schreiben:
„Das , deutsche Gesetz sieht es nicht vor." Man
Einen ganz charakteristischen Fall, der uns alle
sagt: „Stichtag 1953." Man versucht zu erklä-
interessieren sollte, möchte ich aber doch noch vor-
ren, warum die Bundesrepublik ein sehr ehren-
tragen. Es ist nicht ein Einzelfall, sondern ein typi-
werter Staat ist und viel besser als die Ostzone.
scher Fall. Es gab im ersten Weltkrieg eine Schwe-
din: Elsa Brandström, der Engel von Sibirien. Den All das schreiben wir ununterbrochen. Aber dann
kriegen wir normalerweise einen Brief zurück, in
meisten wird der Name geläufig sein. Sie hat sich
dem steht: „Das ist ja alles gut und schön; aber
um die Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen
müssen Sie nicht zugeben, daß mir Unrecht ge-
in Sibirien im ersten Weltkrieg verdient gemacht.
schehen ist, und müssen Sie nicht zugeben, daß ich
Diese Frau hat später einen Deutschen geheiratet,
dafür eine Entschädigung verdiene?" Und in dem
der Jude und Sozialdemokrat war. Das war ja 1933
zweiten Brief kann ich dann nur schreiben: „Ja!"
etwas happig! Er mußte daher sofort fliehen, sonst
Sie alle würden genauso schreiben, meine Damen
würde er wahrscheinlich gleich eingesperrt worden
und Herren.
sein. Seine Frau mußte von Goebbels hören — die
Dokumente liegen alle vor —: „Bleib du ruhig hier; Wenn dem aber so ist, müssen wir uns bemühen,
du bist ja sehr verdient um das deutsche Volk. ob es uns gefällt oder nicht, diese Dinge in Ord-
Laß dich scheiden von diesem Juden, laß dich schei- nung zu bringen. Ein Gesetz ist nämlich nicht ge-
den von diesem Sozialdemokraten, dann wirst du recht, wenn es einigen etwas gibt und gleichzeitig
hier sehr geehrt sein." Als anständige Frau hat sie anderen, die es genauso verdienen, das, was ihnen
sich geweigert, das zu tun. Sie mußte befürchten, gebührt, vorenthält. Ich fühle mich nicht wohl, so-
deswegen zur Verantwortung gezogen zu werden, lange diese Dinge nicht einigermaßen, soweit es
und ist bei Nacht und Nebel ins Ausland gegangen, menschenmöglich ist, bereinigt sind.
nach Amerika zu ihrem Mann. Inzwischen ist sie (Beifall bei der SPD.)
gestorben. Ihre Erben haben Ansprüche auf das
Hab und Gut geltend gemacht, das sie, in Leipzig, Herr Minister, ich möchte wieder stolz sein, mich
glaube ich, zurücklassen mußte. Ihre Ansprüche hat einen Deutschen nennen zu dürfen. Solange wir diese
man abgelehnt, und zwar nach unserem geltenden materielle Schuld haben und nicht bereit sind, so zu
Gesetz durchaus zu Recht — wenn man das wörtlich bezahlen, wie sich das gehört, kann ich nicht, so
auffaßt —, mit der Begründung: „Du, Elsa Brand- gern ich es möchte, stolz sein. Ich fühle mich wie ein
ström, bist ja gar nicht verfolgt worden, und wenn Schuldner, der sich um die Verbindlichkeiten, die er
du freiwillig deinem Mann nachgefolgt bist, so war zu bezahlen hat, drückt. Da helfen finanzielle Argu-
das zwar sehr anständig, aber einen Verfolgungs- mente allein nicht.
tatbestand stellt das nicht dar." (Zuruf: Das sind die schwächsten dabei!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4421
Hirsch
Finanzielle Argumente sind wichtig, und niemand Gebiet gefallen ist, müssen Sie ihn auf den anderen
verlangt von Ihnen, Herr Minister, daß Sie Ihren Gebieten ganz genauso fallenlassen. Ihr Haus- hat
Haushalt überziehen, daß Sie die Währung gefähr- das gewußt und hat trotzdem gegen die 16. Novelle
den. Sie werden uns immer an Ihrer Seite finden bei keine Einwände erhoben, obgleich damals ausdrück-
allen Bemühungen, die Währung zu sichern. Ganz lich auf die finanziellen Konsequenzen hingewiesen
sicher! Aber es geht um die Akzente, und es geht worden ist und obgleich Ihr Haus damals einen Ka-
darum, daß man das tut, was man nur irgendwie talog darüber ausgearbeitet hatte, wie sich die Auf-
kann. hebung dieses einen Stichtages auf andere Gesetze
Es hat mir daher wehgetan, daß Sie uns hier ge- auswirken würde.
sagt haben, Sie erklärten jetzt schon mit ausdrück- Die Idee, die Schwierigkeiten beim BRüG mit dem
licher Ermächtigung der gesamten Bundesregierung, Fonds zu meistern, bedarf also gründlicher Über-
daß Sie jeder Erweiterung der von Ihnen vorgeleg- legung. Ich würde mich wohler fühlen, wenn man
ten Regierungsvorlage in aller Form widersprechen dieses Problem anders löste, zumal es ja — auch
würden. Ich glaube, das ist nicht nur kein guter Stil, darauf darf ich hinweisen — noch verfassungsrecht-
sondern entspricht nicht dem demokratischen Leben liche Fragen gibt. Es liegt ein Gutachten des immer-
in unserer Bundesrepublik. hin nicht ganz unbekannten Professors Zweigert aus
(Zustimmung bei der SPD.) Hamburg vor, der in einer für mich sehr überzeugen-
den Art und Weise zu dem Ergebnis kommt, daß die
Der Bundestag ist nicht der Notar der Bundesregie- Frist eröffnet werden muß. Wir werden uns mit die-
rung. sem Gutachten auseinanderzusetzen haben. Ich weiß
(Sehr gut! bei der SPD.)
noch nicht, welches Ergebnis dabei herauskommt.
Sie können nicht heute schon sagen, daß Sie all das, Aber wie gesagt: Bedenken gegen den Fonds habe
was wir im Wiedergutmachungsausschuß, im Haus ich grundsätzlich.
haltsausschuß oder in diesem Parlament erarbeiten,
Im BRüG gibt es noch einige Kleinigkeiten, die
ablehnen, ohne überhaupt zu wissen, was heraus
anzuführen wären, auf die ich aber nicht eingehen
kommt. Es könnte ja immerhin sein, Herr Minister
möchte. Wir werden darüber im Ausschuß zu spre-
— und ich hoffe es —, daß einiges von dem, was bei
chen haben.
uns erarbeitet wird, auch Ihre Billigung findet. Man
sollte solche Grundsatzerklärungen nicht abgeben, Die Skala der Fragen, die im Bundesentschädi-
man sollte nicht von vornherein sagen: „Ich lehne gungsgesetz zu regeln sind, ist natürlich viel um-
es ab", ohne zu wissen, was man überhaupt ablehnt. fangreicher. Es geht um zwei sehr wichtige Grund-
satzfragen.
(Sehr gut! bei der SPD.)
Einmal das Problem: Wie regelt man vernünftig
Ein paar Worte zu den Gesetzen im einzelnen. die Gesundheitsschäden? Praktisch ist es dasselbe
Beide Novellen bringen Verbesserungen. Das sei Problem, das sich auch bei den Kriegsopfern stellt.
dankbar anerkannt. Es ist besonders zu begrüßen, Es geht nämlich um die Frage, ob eine bestimmte
daß das Bundesrückerstattungsgesetz eine hundert- Krankheit schicksals- oder anlagebedingt oder eine
prozentige Befriedigung aller Gläubiger bringt. Das Folge der Verfolgung — bei den Kriegsopfern eine
war unumgänglich nach dem absoluten Mißerfolg Folge des Krieges — ist. Meine Damen und Herren,
mit dem „Fonds", den man nach dem alten BRüG ein Arzt, der das heute, im Jahre 1963, entscheiden
mit der 1,5-Milliarden-Begrenzung geschaffen hatte. soll, ist fürwahr überfordert.
In dem Zusammenhang darf ich sagen: so gut ge-
(Abg. Jahn: Oder ein medizinischer Beck
meint Ihre Fondsideen — BRüG und BEG — viel-
messer!)
leicht sein dürften, so sehr fürchte ich, daß sie genau-
so schiefgehen wie die Fondsidee mit den 1,5 Mil- — Wir wollen das dahingestellt sein lassen. Er ist
liarden beim BRüG. Mit solchen Fonds haben wir überfordert. Trotzdem soll er ein Gutachten machen.
alle schlechten Erfahrungen gemacht. Wiederum ist es für den Verfolgten Glückssache,
Sosehr ich begreife, daß Sie gewisse Forderungen wie das Gutachten ausgeht. Gerade ein sehr korrek-
begrenzen wollen, sosehr muß ich darauf hinweisen, ter Arzt wird sich sagen: kann sein, kann auch nicht
daß der Grundsatzstichtag 1953, auf den Sie und Ihre sein; 50 : 50. Er wird erklären: Ich kann nicht sagen,
Vorgänger sich immer berufen, längst kein Grund- daß es wahrscheinlich ist, und damit ist der Verfolgte
satzstichtag mehr ist. schon um seinen Anspruch gebracht. Ein unkorrek-
ter, böswilliger Arzt — auch solche soll es gehen;
(Abg. Jahn: Sehr richtig!)
nicht alle Ärzte sind unbedingt Freunde der Ver-
Er ist durch die 16. Novelle zum Lastenausgleichs- folgten — wird von vornherein sagen: nicht wahr-
gesetz in voller Kenntnis der Konsequenzen zum scheinlich. In Wirklichkeit muß sich der Arzt bei
Glück für die Sowjetzonenflüchtlinge gestrichen wor- einer Herzkrankheit oder einer Magenkrankheit
den. eines 65jährigen Menschen schon einen Ruck geben,
(Abg. Jahn: Gott sei Dank! — Beifall bei um zu bestätigen: Das liegt wahrscheinlich an der
der SPD.) Verfolgung, zumal alle Brücken-Symptome und so
Herr Minister, was den Sowjetzonenflüchtlingen etwas meistens fehlen.
recht ist, ist den politisch und rassisch Verfolgten Es ist gut, Herr Minister, daß Ihr Haus einen Vor-
billig. schlag gemacht hat, der immerhin in die Richtung
(Erneuter Beifall bei der SPD.)
weist, wie man diese leidigen Dinge in der Praxis
Es gibt kein Argument mehr gegen die Aufhebung vereinfachen und zu einem vernünftigen Ergebnis
dieses unheilvollen Stichtages. Wenn er auf einem führen kann. Ich meine den Vorschlag mit der Ver-
4422 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Hirsch
mutung: ein Jahr KZ gleich 25%ige Gesundheits- nach strebt, daß möglichst viele weiteren Leute aus
schädigung. Das ist ein sehr positiver Gedanke. Ich den Ostblockländern nach Israel auswandern - kön-
habe nur Bedenken, daß sich Ihr Haus darauf ver- nen, daß Sie diese Sorge haben, verstehe ich. Natür-
steift, daß das nur für KZ-Häftlinge eigentlicher Art lich wollen Sie abgrenzen können. Natürlich ist es
gelten dürfe. Ich vermag nicht recht zu verstehen, Ihnen lieber, wenn Sie sagen können: Na gut, in
warum ein Zuchthausaufenthalt aus politischen Gottes Namen gebe ich für den Zweck noch soundso
Gründen von gleicher Dauer, warum ein Arbeits- viele hundert Millionen, aber keinen Pfennig mehr.
lageraufenthalt von gleicher Dauer und warum ein Aber ob Sie das können, ob das bei — sagen
illegales Leben unter menschenunwürdigen Bedin- wir einmal ruhig — unjuristischer Auslegung des
gungen von gleicher Dauer den Menschen nicht ge- Gleichheitsgrundsatzes möglich ist, das wage ich zu
nauso mitgenommen haben soll. bezweifeln.
(Zustimmung bei der SPD.) Die Verbrechen sind nun einmal so ungeheuer-
Auch darüber werden wir uns noch unterhalten lich und so umfangreich, daß wir das, was daraus
müssen. an finanzieller Not entstanden ist, irgendwie fressen
müssen. Wir werden , es uns auch später nicht leisten
Erfreulich ist, daß Sie endlich die Witwen der vor können, daß irgendwo in der Welt jemand im Elend
1953 verstorbenen Verfolgten zu ihrem Recht kom- lebt und sagt: Das haben Hitler und seine Schergen
men lassen. Auch das war nämlich ein typischer Fall verschuldet, aber ich kriege nichts; andere kriegen
dieser Ungerechtigkeiten unseres geltenden Rechts. etwas; ich verstehe nicht, warum ich nichts bekom-
(Sehr wahr! bei der SPD.) me; ich kann doch nichts dafür, daß ich erst dann
und dann aus Polen herauskonnte; die Sowjets ha-
Man hat den Witwen, deren Männer vor 1953 ver- ben es mir ja nicht erlaubt. — Wir werden uns das
storbenen sind, keine Rente auf Grund des Berufs- sehr, sehr eingehend überlegen müssen, selbstver-
schadens ihres Mannes gegeben, wohl aber jenen ständlich unter Prüfung aller nur irgendwie einschlä-
Witwen, deren Männer nach 1953 verstorben sind. gigen finanziellen Fragen, aber wir können uns
Wenn man , es umgekehrt gemacht hätte, hätte das nicht von vornherein auf eine Konzeption festlegen.
noch einen Grund haben können. Dann hätte man Das kann niemand von uns verlangen, das kann man
nämlich sagen können: Nun ja, nach 1953 hattest du auch dann nicht verlangen, wenn man an sich das
dir wieder etwas erarbeitet und konntest für deine Bestreben hat — und wir haben es fürwahr, meine
Witwe sorgen. Aber ausgerechnet der Witwe, deren Damen und Herren —, diese Sache wiederum so aus-
Mann schon 1938 oder noch früher verstorben ist, zutragen wie 1952/53 und 1956, nämlich möglichst
nun zu sagen: Du bekommst keine Berufsschaden durch einen einstimmigen Beschluß dieses ganzen
rente!, das war nicht nur eine Ungerechtigkeit, son- Hauses.
dern ein Unsinn. Diesen Unsinn bereinigt der Ent-
Ich habe mir die Protokolle von damals sehr ge-
wurf, aber wiederum nur in dieser sehr zaghaften
nau durchgelesen, und ich muß sagen, Worte, wie
Art und Weise, daß Sie etwas geben und gleich-
Sie, Herr Minister, sie heute gesagt haben, sind da-
zeitig etwas nehmen, nämlich in der Form, daß man
mals nicht gesagt worden, von niemandem in die-
den Witwen nicht ihr volles Recht gibt, sondern daß
sem Hause. Im empfehle Ihnen, einmal das nachzu-
man es ihnen beschränkt gibt ab 1962 und sagt:
lesen, was Ihr Parteifreund Herr Dr. Reif damals in
dann wird die Kapitalentschädigung angerechnet.
diesem Hause gesagt hat. Auch das wird Sie, glaube
Bei den meisten Witwen führt das dazu, daß sie
ich, nachdenklich stimmen,
lange Jahre wiederum keinen Pfennig bekommen.
Im übrigen wird e s darum gehen, sehr sorgfältig
Wenn man das schon macht — und man muß es
und unter Aufwendung aller Möglichkeiten, die
machen —, muß man es so machen, als wenn die
wir haben, zu überprüfen, was wir noch tun müssen,
Witwe von vornherein richtig behandelt worden
und anschließend zu klären, ob wir es tun können
wäre. Dann gehört einfach in das Gesetz hinein:
und wie wir es tun können.
Diese Witwe bekommt ihre Rente wie alle anderen
Witwen der nach 1953 Gestorbenen. Es gibt, Herr Minister, andere Möglichkeiten als
Es gibt weitere Fragen, und es gibt eben — das die laufenden Haushaltsausgaben, um unter Um-
haben Sie mit Recht gesagt — die ganz entschei- ständen Schulden, 'die überhaupt nur auf längere
dende Frage: post 53, also derjenigen, die erst nach Sicht bezahlt werden können, auch auf breitere
1953 in den Westen auswandern konnten. Daß diese Schultern zu legen. Warum soll man nicht Schuld-
Frage schwer zu lösen ist, daß sie ungeahnte finan- verschreibungen ausgeben? Lassen Sie mich das als
zielle Probleme aufwirft, das weiß jeder Mensch, der Laie einmal sagen. Warum soll man nicht eine An-
sichmtdenDgbäfi. leihe aufnehmen? Warum soll man nicht dafür sor-
gen, daß nicht all das in dieser kurzen Zeit von
Ich habe schon von dem Stichtag gesprochen. 15 oder 20 Jahren von uns allein bezahlt wird?
Wenn er bei der 16. Novelle gefallen ist, wird es Warum nicht? Man kann aber mit dem finanziellen
Ihnen schwerfallen, den Stichtag ausgerechnet ge- Argument den Notwendigkeiten bestimmt nicht be-
genüber den Nazi-Opfern zu verteidigen. Ich weiß gegnen.
nicht, ob Sie das schaffen werden, in dem Fall auch
gegenüber der Weltöffentlichkeit. Daß Sie Angst da- Der Herr Bundeskanzler Adenauer hat in seiner
vor haben, daß aus dem Problem der Nachdreiund- Regierungserklärung 1961 davon gesprochen, die
fünfziger eines Tages das Problem der Nachdreiund- Wiedergutmachung sei eine Ehrenschuld des deut-
sechziger werden könnte, nachdem gerade Israel da- schen Volkes. Wir haben alle Beifall gezollt. Aber
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4423
Hirsch
wenige Tage später habe ich einen Brief von einer Hirsch, ja genauso wie Sie. Aber ich möchte noch
Dame aus Chikago bekommen, die in Berlin gebo- einmal wiederholen, was der Kern meiner - Rede
ren war. Sie schrieb mir: Sehr geehrter Herr Hirsch, vorhin war: wenn ich von den Einzelfällen aus-
ich habe zunächst mit Freude gelesen, was Ihr Bun- gehe, wenn ich auf Individualentschädigung los-
deskanzler gesagt hat, und ich habe mir das dann gehe, dann löse ich alle Begriffe auf; dann ist über-
überlegt und mich gefragt: Was versteht man haupt niemand mehr in der Lage, auch nur zu
eigentlich in Deutschland unter einer Ehrenschuld? schätzen, was danach zu leisten wäre. Das ist eben
Da ist mir eingefallen, Herr Hirsch — schreibt sie das Schreckliche bei dieser Geschichte, daß ich durch
mir —: eine Ehrenschuld bezahlt man doch eigent- Normierung Grenzfälle schaffen muß, die entsetz-
lich in 24 Stunden; und ich, Herr Hirsch, warte jetzt lich sind. Die Festlegung von Stichtagen, die erfolgt,
schon über 24 Jahre. um einzugrenzen, muß zu solchen Fällen führen.
Meine Damen und Herren, an das, was diese Frau Ich freue mich, daß Herr Kollege Hirsch unsere
geschrieben hat, sollten wir, glaube ich, alle den- Idee anerkannt hat, durch Globalfonds in Höhe von
ken, wenn wir im Ausschuß an die Beratung dieser immerhin eine Milliarde DM — 600 Millionen DM
Gesetze herangehen. in dem einen, 400 Millionen DM in dem anderen
(Beifall bei der SPD.) Gesetz — den Versuch zu machen, wenigstens das
Schlimmste zu bereinigen. Ich freue mich, daß Herr
Kollege Hirsch diesen Versuch 'anerkannt hat. Ich
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der stimme aber Herrn Kollegen Hirsch vollinhaltlich
Bundesminister der Finanzen. zu, daß die Erfahrungen mit solchen Fonds schlecht
gewesen Sind. Ich habe mich gegen diese Fonds
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: gewehrt; ich habe gefragt: Ist denn nicht die Mög-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe lichkeit gegeben, einen anderen Weg zu öffnen oder
mir die Rede des Herrn Kollegen Hirsch mit großer zu suchen? Es war nicht möglich, ich mußte diesen
Aufmerksamkeit angehört und muß sagen, daß ich Weg gehen. Ich bin dabei — wie gesagt — mit
ihm in wesentlichen Punkten — ich möchte eigent- Herrn Hirsch einer Meinung, es wird ein schwerer,
lich sagen, in allen wesentlichen Punkten, insbe- schwieriger, steiniger Weg werden, und wir wer-
sondere nach der menschlichen Seite hin — in vol- den manche Enttäuschung erleben. Aber tun Sie
lem Umfang zustimme. mir doch den Gefallen und zeigen Sie mir eine
(Abg. Jahn: Eine erfreulich schnelle Besse andere Möglichkeit; machen Sie andere Vorschläge!
rung!) Herr Hirsch hat hier so getan oder es so darge-
Ich möchte, nachdem von Herrn Hirsch eine ganze stellt, als ob der Stichtag der 16. Novelle mit diesem
Reihe von persönlichen Bemerkungen gemacht wur- Stichtag etwas zu tun hätte. Es gibt 'darüber Streit;
de, ruhig einmal ganz offen sagen, daß die Bear- ich könnte hier Ausführungen dazu machen, daß
beitung dieser Dinge für mich eine drückende Last man die Stichtage nicht vergleichen kann, daß an-
ist, weil ich sehe, daß sich hier ein Berg von Unge- dere Verhältnisse vorliegen. Aber bitte, meine Da-
rechtigkeit vor uns auftürmt, zu dessen Abtragung men und Herren, die Stichtagsfrage kostet schlicht
wir alle nicht in der Lage sind. und einfach 6 Milliarden DM.
Nun hat Herr Hirsch, ich möchte nicht sagen, (Abg. Hirsch: Wieso?)
mir zum Vorwurf gemacht, aber doch die Vermu-
tung geäußert, ich sei nicht in vollem Umfang unter- — Nun, ich rechne das nachher im Ausschuß vor.
richtet worden. Ich könnte replizieren, indem ich die
Vermutung äußerte, daß Herr Hirsch meine Aus- (Abg. Hirsch: Das müssen Sie hier erst
führungen vorhin, die ja recht lang waren, mög- einmal vorrechnen!)
licherweise nicht ganz genau verfolgt oder das eine — Ich kann es hier letzten Endes nicht vorrechnen;
oder andere nicht verstanden habe. Ich habe mit das würde zu weit gehen.
keinem Wort erklärt, daß es hier auf einen Ver-
zicht einer Organisation für andere ankomme. Die Ich möchte Sie nur an eines erinnern, Herr Kol-
Claims Conference kann gar nicht für andere ver- lege. Im Jahre 1957 muß es — wenn ich mich recht
zichten; es gibt über 200 jüdische Organisationen. erinnere — gewesen sein, da hat Herr Bundes-
finanzminister Schäffer von einem Volumen von 27
Noch eine Bemerkung von Herrn Hirsch möchte
bis 29 Milliarden DM gesprochen. Das war in einer
ich aufgreifen. Ich habe keineswegs nur von jü-
Rede in Plattling. Da ist man über den Herrn Kolle-
dischen Verfolgten gesprochen, sondern habe an
gen Schäffer hergefallen und hat ihm gesagt, das
den verschiedensten Stellen meiner Ausführungen
seien ja völlig utopische, verrückte Zahlen, mit
sehr deutlich zu erkennen gegeben oder ausdrück-
denen er jongliere; die könnten in der Wirklichkeit
lich erwähnt, daß es leider Gottes eben eine Viel-
überhaupt nicht bestehen, hat damals der SPD-
zahl von Verfolgtengruppen gibt. Pressedienst gesagt. Eine süddeutsche Tageszeitung
Ich kenne ebenso wie Herr Hirsch die Einzelbei- hat erklärt: „Unverantwortliche Phantasiesummen",
spiele, die er hier, ich möchte sagen, dankenswerter- und eine jüdische Zeitung in Amerika, die heute
weise einmal in aller Öffentlichkeit vor Augen ge- erhebliche Erweiterungswünsche auf dem Gebiete
führt hat. Ich habe mit ihm über solche Fälle ge- der Wiedergutmachung vertritt, erklärte damals,
sprochen, und ich sehe das ja selbst in meinem man hoffe nur, daß am Ende des Entschädigungspro-
Hause. Ich bekomme diese Briefe, Herr Kollege gramms überhaupt 10 bis 11 Miliarden DM heraus-
4424 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Dr. Dahlgrün
kommen würden. Nun, den Betrag hat man im Jahre Ansprüche summiert solche Größenordnungen erge-
1959 oder 1960 längst erreicht. ben. -
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Zuruf des Abg. Hirsch.)
— Herr Hirsch, ich sage Ihnen ja: Helfen Sie mir,
Wege zu finden, um die Forderungen und Wünsche Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
zu befriedigen. Herr Kollege Hirsch, Sie wissen das Abgeordnete Dr. Kohut.
ja selber; Sie sind ein hervorragender Fachmann auf
diesem Gebiet. Ich weiß genau, daß Sie dieselben Dr. Kohut (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
Zahlen wie ich haben, wenn Sie nachrechnen. Wir und Herren! Wem das nicht an die Nieren geht, was
sind in den Finanzministerien von Bund und Län- er als Mitglied des Wiedergutmachungsausschusses
dern wirklich nicht daran interessiert, die Schät- immer wieder erfährt, der hat kein Herz. Deswegen
zungszahlen bewußt hochzutreiben. Das wäre für habe ich volles Verständnis für den emotionellen
Finanzminister ein sehr gefährliches Spiel; denn Ausbruch des Kollegen Hirsch, den ich bis jetzt nur
wenn sie das tun, kriegt man sie darauf zu fassen. als sachlichen und fähigen Leiter des Ausschusses
Aber wenn ich die ernsthaften Wünsche und Hoff- kennengelernt habe. Aber ich fand die Attacke, die
nungen über die Entwürfe der Bundesregierung hin- er gegen den Bundesfinanzminister richtete, allzu
aus zusammenzähle, dann komme ich auf Mehrauf-
hart. Das war die falsche Stoßrichtung.
wendungen von mindestens 20 Milliarden DM. Neh-
men Sie es mir doch bitte nicht übel, letzten Endes (Abg. Jahn: Er hat aber auch einen komi
stehe ich hier auch für die Länder der Bundesrepu- schen Zungenschlag!)
blik, mit denen ich diese Gesetzentwürfe, die ich
heute eingebracht habe — Herr Hirsch weiß genau, — Nein, das hat er nicht. Aber ich brauche den
was ich damit sagen will —, vorher erarbeitet und Minister nicht zu verteidigen. Er hat es selbst
abgesprochen habe. Man hätte auch Verzögerungs- getan. Er hat sich sofort gestellt und gesagt, was zu
taktik betreiben können. sagen notwendig war.
Ich möchte lieber noch einmal auf das zurück-
(Abg. Jahn: Wie lange hat es gedauert?)
kommen, was von dem Herrn Bundesfinanzminister
Das haben wir nicht getan, weil ich der Meinung bin, anfangs gesagt worden ist. Er hat festgestellt —
daß diese Dinge in die Diskussion, in das Parlament und das hat auch jeder von uns einmal aus dem
gebracht werden müssen, damit man sich über die Ausland gehört —, daß die Wiedergutmachungs-
Größenordnungen, über das, was hier geschieht, klar gesetzgebung in aller Welt anerkannt wird und als
wird. Da muß ich Sie fragen, Herr Kollege Jahn: eine große Leistung des deutschen Volkes ange-
Wie wollen Sie die Mehraufwendungen in dieser sehen wird. Gewiß, dahinter steht die moralische
Höhe bezahlen? Welche anderen Vorhaben soll ich Verpflichtung. Aber es steht mehr dahinter. Es steht
kürzen, wo soll ich das Geld herholen, ohne daß dahinter — auch das ist erwähnt worden — auch
ich die Steuern erhöhe und ohne daß ich den Lebens- die menschliche Anteilnahme an dem Schicksal der
standard senke? Denn ich kann auch nicht, wie Herr Verfolgtn,diM aerPtndis
Hirsch vorgeschlagen hat, auf dem Anleihewege Hauses immer wieder veranlaßt hat, die Mittel für
solche Dinge finanzieren, weil auch da Grenzen ge- die Wiedergutmachung aufzustocken.
setzt sind, die ich einhalten muß. Es ist überhaupt Auch der historische Ablauf ist sowohl von dem
in der letzten Zeit bei allen möglichen Vorhaben,. Herrn Bundesfinanzminister als auch von Professor
die viel Geld kosten, gesagt worden: Hol dir doch Böhm schon erwähnt worden. Im Jahre 1952 hielt
das Geld auf dem Anleihemarkt! Meine Damen und man 10 Milliarden DM für eine gewaltige Summe
Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat im lau- für die Wiedergutmachung. Aber mit dem Aufstieg
fenden Jahr 1963 zum erstenmal die im Haushalts- der Bundesrepublik aus Ruinen in ein gefestigtes
plan eingesetzten Anleihemittel auch tatsächlich in Staatswesen war immer wieder die Bereitschaft
voller Höhe hereinholen müssen. — Herr Kollege vorhanden, weitere Milliarden in die Wiedergut-
Jahn, bitte! machung zu stecken.
Der Finanzminister sagte, bisher seien 23 Mil-
Jahn (SPD) : Herr Minister, aus welcher Bemer- liarden DM ausgegeben worden. Herr Professor
kung des Kollegen Hirsch entnehmen Sie, daß er Böhm meinte, daß es bis zu 40 Milliarden DM sein
die Forderung aufstellt, daß jetzt noch einmal zu- würden, wenn die Gesetze durchgeführt sein würden.
sätzliche Ansprüche mit einem Gesamtbetrag von Aber wenn wir hier überhaupt über Milliardenbe-
20 Milliarden DM in das Gesetz aufgenommen träge dieses Ausmaßes sprechen können, dann ist
werden sollen? das — man sollte es immer wieder sagen — doch
nur der Tatkraft und dem Leistungswillen des ge-
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: samten deutschen Volkes zuzuschreiben. Es sollte
Herr Kollege Jahn, Sie haben mich falsch verstan- auch nicht vergessen werden, daß die Vorausset-
den. Ich habe nicht die von Herrn Kollegen Hirsch zungen hierfür geschaffen wurden, weil liberale
geltend gemachten Ansprüche gemeint, sondern ich Wirtschaftsvorstellungen in die Tat umgesetzt wor-
den sind.
habe gesagt: Ebenso wie ich kann sich auch Herr
Kollege Hirsch als Experte ausrechnen, daß die von (Zustimmung des Abg. Dr. Böhm
allen Seiten aus aller Welt auf uns zukommenden [Frankfurt] .)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4425
Dr. Kohut
Die Verfolgtenorganisationen behaupten, daß durch der Wiedergutmachung: weil sie es nicht können
die Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz nur und weil sie es nicht dürfen.
ein Bruchteil des entstandenen Schadens ersetzt Auch die Republik Osterreich — das hat Herr
werde. Ich bin überzeugt, daß das stimmt. Denn das,
Professor Böhm schon angedeutet — vermeidet ganz
was ein verbrecherisches Regime angerichtet hat,
peinlich das Wort „Wiedergutmachung", trotz der
ist einfach in vollem Umfang nicht wiedergutzuma- Verpflichtungen des österreichischen Staatsvertrages
chen. Ich bedauere das tief und aufrichtig. Aber es
vom 15. Mai 1955, eine Wiedergutmachung durchzu-
muß für uns alle — darin pflichte ich der Regie-
führen. Warum so peinlich? Man entsinnt sich nicht,
rung bei — eine obere Grenze der Wiedergutma-
daß zumindest die große Masse des österreichischen
chung geben, ich möchte sagen: leider Gottes; und
Volkes prozentual genauso nationalsozialistisch war
sie besteht einfach darin, daß unsere Währung er-
wie das Volk im Reich. Man spricht deshalb nicht von
halten bleiben muß.
Wiedergutmachung, sondern fein säuberlich von
Dieser Verpflichtung sind sich Bundeskanzler und „Hilfsfonds", von „Abgeltungsfonds". Diese betru-
Bundesfinanzminister bewußt. Sie haben eindeutig gen bisher insgesamt, sage und schreibe, 59 Mil-
ihren Willen zur Stabilisierung des Bundeshaushalts lionen Schilling für über 50 000 im Ausland lebende
bekundet. Diese Tatsache, daß man den Bundes- österreichische Juden.
haushalt in Zukunft stabilisieren will, ist in unserer
Bundesrepublik neu, und sie ist auch ein entschei- Man muß wissen — das ist auch schon gesagt wor-
dendes Merkmal gegenüber bisherigen Gepflogen- den —, nur die Bundesrepublik hat alles getan, was
heiten. Ich drücke nur den Daumen, daß die Ver- in ihrer Macht stand. Eine volle Wiedergutmachung
antwortlichen auch im Jahre der Bundestagswahl aller Verfolgungsschäden würde — auch das muß
fest bleiben und nicht der Versuchung unterliegen, deutlich gesagt werden — die finanzielle Leistungs-
die sonst üblichen Wahlgeschenke zu verteilen oder fähigkeit der Bundesrepublik um ein Vielfaches
zu fordern. übersteigen.

(Abg. Dr. Mommer: Das zielt auf uns!) Bei aller Vorrangigkeit des Bundesentschädigungs-
gesetzes und des Bundesrückerstattungsgesetzes darf
— Ich glaube, man kann das immer an die Partei man die Lasten nicht vergessen, die uns aus der
richten, die die Mehrheit oder den größten Einfluß Liquidation der Kriegsschäden erwachsen sind. Es ist
in diesem Hause hat. Aber ich hoffe, daß sich das unsere Pflicht, für eine wirklich angemessene Ver-
in Zukunft ändert; so viel Vertrauen habe ich zum sorgung der Kriegsopfer zu sorgen. Auch die Kriegs-
neuen Kanzler, zum „Jungkanzler", wie auch zum opfer sind Opfer der Hitler-Politik. Hierin sind wir
Bundesfinanzminister. uns im Grunde alle einig. Wir werden in ganz kur-
Die Erhaltung unseres Wohlstandes liegt auch im zer Zeit zu entscheiden haben, was hier möglich ist
wohlverstandenen Interesse aller Anspruchsberech- und was hier nicht möglich ist. Wir müssen die
tigten. Dennoch hört man von den Organisationen Reparations- und Restitutionsschäden abgelten, und
immer wieder die Auffassung, daß bei allem Ver- wir haben den Lastenausgleich durchzuführen.
ständnis für eine vernünftige Haushaltswirtschaft
Außer den Kriegsfolgen gibt es noch in anderen
fiskalische Gesichtspunkte gegenüber rechtlichen
Bereichen einen kostspieligen Nachholbedarf. Ich
Erwägungen zurücktreten müßten. So wie die Dinge
weise nur auf die katastrophalen Zustände auf unse-
jetzt bei uns liegen, muß man dieser Auffassung
ren Straßen und darauf hin, wie weit wir hinter
doch entgegentreten. der Entwicklung des Verkehrs zurückgeblieben sind.
Vielleicht wären wir zu höheren Leistungen Wir sind weiter genötigt, Milliarden in die soge-
durchaus imstande, wenn wir nicht die Bedrohung nannte Entwicklungshilfe zu stecken. Wie gut wäre
aus dem Osten hätten. Gerade sie zwingt uns, un- es, wir hätten auch diese Mittel für die Wiedergut-
gewöhnlich hohe Milliardenbeträge in das unpro- machung und die Kriegsopfer übrig!
duktivste Geschäft zu stecken, daß es überhaupt
gibt, aber das leider notwendig ist, nämlich in die Schließlich gebührt unsere Aufmerksamkeit auch
Rüstung, wenigstens solange von einer Entspan- noch der Wissenschaft und Forschung. Unsere Rück-
nung nicht die Rede sein kann. Und von einer Ent- ständigkeit auf diesen Gebieten ist offensichtlich.
spannung ist nichts zu spüren. Ich will hier nicht Daß es so weit gekommen ist, liegt meines Erach-
erörtern, ob dies allein die Schuld der Sowjetunion tens auch an dem unseligen Föderalismus, den uns
ist oder ob nicht auch politische Versäumnisse in die Besatzungsmächte aufgezwungen haben und den
der Bundesrepublik vorliegen. Das spielt hier keine wir mit loyalem Perfektionismus pflegen.
Rolle. Jedenfalls kostet uns dieser Sachverhalt Mil- Wenn man all dies bedenkt, wird verständlich,
liarden, die einer besseren Sache hätten zugeführt warum die Bundesregierung darangehen muß, in
werden können. einer abschließenden Gesetzgebung einen Rahmen
Ohne Zweifel könnten auch unsere Wiedergut- abzustecken, der für uns tragbar ist. Dabei hat sie
machungsleistungen höher sein, wenn Deutschland die Unterstützung der Fraktion der Freien Demo-
eine Einheit wäre und wenn wir auch mit dem Wirt- kratischen Partei.
schaftspotential jenseits der Elbe arbeiten könnten. Allerdings ist es eine merkwürdige Feststellung,
Die Deutschen jenseits der Elbe sind weder besser daß der positive Widerhall, den unsere Wiedergut-
noch schlechter als die Bundesrepublikaner. Sie sind machungsgesetzgebung anfangs gefunden hat, im-
nur so schlecht regiert, daß sie sich wirtschaftlich mer mehr verlorengeht, je mehr Mittel wir hierfür
nicht entfalten können. Sie tragen keinen Anteil an zur Verfügung gestellt haben. Woran liegt das? Sind
4426 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Kohut
das etwa die Anwälte im Ausland, die ganz schöne Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Es ist
Erfolgshonorare — wie man mir sagt, bis zu 50 % -
vorgeschlagen, die beiden Vorlagen dem Ausschuß
— bekommen sollen? Sind es die, die Stimmung für Wiedergutmachung und dem Haushaltsausschuß
machen? Oder woran liegt das wohl? Ist es das zu überweisen, wobei die Federführung beim erst-
Bild, das die Bundesrepublik bietet? Natürlich ist genannten Ausschuß liegen soll. Ist das Haus ein-
es in den Augen vieler Geschädigter ein Ärgernis, verstanden? — Kein Widerspruch. Es ist so be-
wenn wir einem gewissen Personenkreis, der für schlossen.
die Verbrechen der Vergangenheit die Mitverant- Meine Damen und Herren, jetzt komme ich in eine
wortung trägt, heute hohe Pensionen zahlen. Ich Verlegenheit. Nunmehr sollte Punkt 6 behandelt
brauche hier keine Namen zu nennen. Daß wir auf werden. Aber der Herr Bundesminister für wissen-
der anderen Seite zahllose Rentner haben, die von schaftliche Forschung, der gern zu Punkt 11 der
jammervollen Beträgen leben müssen, darüber Tagesordnung sprechen möchte, muß gleich nach
spricht niemand. Vielleicht werden die Anspruchs- 19 Uhr das Haus verlassen. Andererseits wurde mir
berechtigten aber von der Praxis der Wiedergut- gesagt, daß auch bei Punkt 6 ein Terminproblem be-
machung vergrämt. Hierzu gehören unterschiedliche steht, so daß ich wirklich nicht recht weiß, wie zu
Auslegungen der gesetzlichen Vorschriften. prozedieren ist. Das beste wird wohl sein, daß wir
Oft leiden die Anspruchsberechtigten unter einer so verfahren, wie es in der vorgedruckten Tages-
umständlichen und zeitraubenden Bearbeitung ihrer ordnung steht, und jetzt mit Punkt 6 fortfahren. —
Fälle. Da man nicht alles in Paragraphen regeln Soeben höre ich, daß auch die Herren Minister da-
kann, muß der Gesetzgeber den Sachbearbeitern mit einverstanden sind.
einen weiten Ermessensspielraum lassen. Die Art (Abg. Dr. Mommer: Darf ich etwas zur Ta
der Schädigung bringt es mit sich, daß es den Ge- gesordnung sagen!)
schädigten oft kaum oder gar nicht möglich ist, ge- — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Mommer zur Tages-
naue Nachweise zu erbringen. ordnung!
Diese Schwierigkeiten sind genauso die Schwie-
rigkeiten auch für die Sachbearbeiter. Das müssen Dr. Mommer (SPD) : Herr Präsident, es war in
wir bei den zahlreichen Klagen über die schleppende der Tat so abgesprochen, daß wir heute den Punkt 11
Behandlung mancher Schadensfestsetzungen berück- behandeln. Ich bitte nur, Herr Präsident, diesen
sichtigen. Es kommt hinzu, daß ein großer Teil der Punkt nicht gleich aufzurufen, weil unser Redner
Sachbearbeiter seinerzeit die Verhältnisse gar nicht im Augenblick nicht im Saal ist. Wir könnten viel-
bewußt miterlebt hat und es ihnen infolgedessen am leicht zunächst die auf Punkt 11 folgenden Punkte,
notwendigen Verständnis für das Ausmaß der Lei für die eine Debatte nicht vorgesehen ist, erledigen.
den und Demütigungen derer, die jetzt Anträge
stellen, und der Dinge, die sie jetzt zu bearbeiten Vizepräsident Dr. Schmid: Wird dazu das
haben, fehlt. Deswegen sollte man darauf hinwirken, Wort gewünscht? — Das Haus ist mit diesem Vor-
daß jeder Sachbearbeiter ständig die Präambel vor
schlag einverstanden. Das würde bedeuten, daß
Augen hat, in der der Gesetzgeber ausdrücklich klar-
Punkt 6, Mineralölabgaben, heute vielleicht nicht
gestellt hat, in welchem Geist er die Bestimmungen mehr drankommt.
angewandt wissen will. Ich glaube — und ich möchte
das hier in Form einer Bitte vortragen —, hier (Zuruf des Bundesministers Lenz.)
könnte man noch auf Vereinfachung und Beschleu- — Sie möchten Ihrem Kollegen den Vortritt lassen?
nigung hinwirken, etwa in der Form von Pauschal- Dann werden wir so verfahren. Ich rufe also auf
regelungen oder dergleichen, nach dem schönen Punkt 6:
Satz: Doppelt hilft, wer rasch hilft.
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Der letzte Satz gilt auch für die Neuregelung der regierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
Rückerstattungsverbindlichkeiten. Durch die vorge- setzes über Umstellung der Abgaben auf
sehene Ausdehnung der Zahlungstermine verpufft Mineralöl (Drucksache IV/1473);
eigentlich ein Teil der Wirkung. Das Gros der Ver-
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
folgten ist alt an Jahren. Die Zusicherung einer Wie-
(14. Ausschuß) (Drucksachen IV/1613, zu
dergutmachung nach dem Tode wirkt immer pein-
lich. IV/1613).
(Erste Beratung 84. Sitzung)
Vielleicht kann man durch geeignete Maßnahmen
doch noch manches tun, was dazu beiträgt, unserer Berichterstatter ist Abgeordneter Dr. Stecker.
Gesetzgebung den guten Ruf zu erhalten, den sie (Abg. Dr. Stecker: Ich verweise auf den
im Anfangsstadium besessen hat. Schriftlichen Bericht!)
Die Freien Demokraten werden sich im Rahmen — Sie verweisen auf den Schriftlichen Bericht zu
des in den Regierungsentwürfen vorgesehenen Lei- Drucksache IV/1613. Ist das Haus einverstanden? —
stungsvolumen für eine gerechte Regelung ein- Das Haus verzichtet auf die Entgegennahme eines
setzen. Mündlichen Berichts.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Dann rufe ich auf in zweiter Lesung 1. Abschnitt
Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Art. 4, — 2. Abschnitt
Vizepräsident Dr. Schmid: Wird das Wort Art. 5, — Art. 6, — Art. 7, — Art. 7 a, — Art. 7 b. Bis
noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. dahin sind keine Änderungsanträge angekündigt.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4427
Vizepräsident Dr. Schmid
Für Art. 8 gibt es Änderungsanträge. Ich lasse ab- zweite Vierjahresplan in seiner jetzigen Größen-
stimmen über die von mir aufgerufenen Artikel 1 ordnung von 13 Milliarden DM durch das Tempo
bis 7 b. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen! der Motorisierung in den letzten Jahren völlig über-
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige holt ist.
Annahme!
Die Bundesrepublik ist heute zweifellos das Land
Zu Art. 8 gibt es einen Änderungsantrag auf Um- mit der größten Verkehrsdichte. Unsere Straßen-
druck 359.*) Wer begründet ihn? — Das Wort hat decken sind der stärksten Belastung ausgesetzt.
der Abgeordnete Bleiß zur Begründung des An- Allein von unserem Paradestück — dem Autobahn-
trags auf Umdruck 359. netz — isst nahezu ein Drittel der Straßen dringend
reparaturbedürftig. Auch von den neugebauten
Dr. Bleiß (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge- Autobahnen — und das wird Sie interessieren —
ehrten Damen und Herren! Die Beratungen über sind heute schon große Strecken wieder reparatur-
Art. 8 des Mineralölsteuergesetzes, d . h. über die bedürftig. Der Bundesverkehrsminister hat kürz-
Zweckbindung des Mineralölsteueraufkommens für lich vor dem Verkehrsausschuß erklären müssen,
den Straßenbau, haben in den mitberatenden Aus- daß er einfach nicht in der Lage sei, Mittel für diese
schüssen zu erheblich voneinander abweichenden dringenden Reparaturen aufzubringen. Einer Bela-
Ergebnissen geführt. Der Verkehrsausschuß hat nach stung durch eine 13-t-Achse schwerer Lastwagen isst
einer sehr eingehenden Beratung einstimmig eine nur etwa ein Drittel unseres Autobahnnetzes ge-
Zweckbindung von 55 % .des Aufkommens vorge- wachsen.
schlagen. Er ist davon ausgegangen, daß die Finan- Aber nicht der Achsdruck der Schwerlastzüge ist für
zierung des vorliegenden zweiten Straßenbauvier- unsere Straßen entscheidend, wichtiger ist die Zahl
jahresplans aus Mitteln des ordentlichen Haushalts der Kraftfahrzeuge insgesamt, die auf unseren Stra-
erfolgen sollte. ßen fahren wollen. Dabei scheint es mir nützlich zu
Der Haushaltsausschuß als zweiter mitberatender sein, bei unserer heutigen Entscheidung davon aus-
Ausschuß hat mit Mehrheit gegen die Stimmen der zugehen, daß im nächsten Jahr die Zahl der Pkws
SPD eine gestaffelte Zweckbindung von 46 % bis auf unseren Straßen sich um 1 Million erhöht haben
50 % vorgeschlagen. Der federführende Finanzaus- wird. Neben dieser stark erhöhten Zahl der Pkw
schuß hat sich für das Votum des Haushaltsaus- wird auch die Zahl der Lastzüge in der nächsten
schusses entschieden. Das bedeutet, daß nach den Zeit erheblich zunehmen. Meine Damen und Herren
vorliegenden Berechnungen der zweite Vierjahres- von der CDU und von der FDP, Sie selbst haben
plan eine Finanzierungslücke von etwa 1,3 Mil- beantragt, die Kontingente im Güterfernverkehr
liarden DM ausweist, die durch Kredite geschlossen aufzustocken, den Nahverkehrsbereich zu erweitern
werden soll. und die Beförderungsteuer im Werkfernverkehr zu
senken. Alle diese Maßnahmen müssen zu der Kon-
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu-
sequenz führen, daß sich die Zahl der Lastzüge auf
nächst die Anmerkung machen, daß aufgenommene
unseren Straßen vielleicht um einige Tausend erhö-
Kredite verzinst und amortisiert werden müssen.
hen wird, daß also die Belastung des Straßennetzes
Die Zins und Tilgungsraten gehen zu Lasten des
durch neue schwere Fahrzeuge wesentlich zuneh-
-

Straßenbauvolumens. Wenn die Finanzierung des


men wird. Das gleiche gilt für die Omnibusse, das
zweiten Vierjahresplans in der verbleibenden Rest-
gleiche gilt auch für den grenzüberschreitenden
summe von 1,3 Milliarden DM durch diese Kredite
Güterkraftverkehr.
erfolgen soll, dann bitte ich zu beachten, daß schon
bis 1966 etwa 150 bis 160 Millionen DM Zinsen fäl- Ich erwähne diese Zahlen, weil es falsch und
lig werden. Um diesen Betrag von 150 bis 160 Mil- kurzsichtig wäre, von dem Status quo auf unseren
lionen DM verringert sich das Straßenbauvolumen. Straßen auszugehen und darauf straßenbauliche
Denn nach Art. 2 in Art. 8 des 3. Abschnitts des Maßnahmen abzustellen. Das Tempo der Motorisie-
Gesetzentwurfes sind die Kreditkosten und die rung hat sich in einem sehr viel stärkeren Maße
Kredittilgungsraten aus dem zweckgebundenen Teil beschleunigt, als es bei der Aufstellung des zweiten
der Mineralölsteuer zu decken. Vierjahresplans vorauszusehen war. Deswegen
Wenn Sie also Kredite als Finanzierungsmethode scheint es uns dringend notwendig zu sein, den
heranziehen, dann müssen Sie auch den zusätz- zweiten Vierjahresplan für den Straßenbau zu mo-
lichen Aufwand für die Verzinsung und Amortisa- difizieren und den Erfordernissen des heutigen
tion in Rechnung stellen. Alles andere wäre eine Standes der Motorisierung und der heutigen Ent-
Milchmädchenrechnung. Sie ist bequem, aber trüge- wicklung der Motorisierung anzupassen. Vor län-
risch. gerer Zeit schon hat der Herr Bundesverkehrsmini-
ster selbst darauf hingewiesen, daß es notwendig
Das gleiche, was ich eben hinsichtlich der Kredit- sei, den zur Zeit laufenden Vierjahresplan von 13
finanzierung ausführen durfte, gilt für die Aus- auf 16 Milliarden DM aufzustocken, um insbeson-
gabenreste. dere den Gemeinden wesentlich wirksamer als bis-
Wir Sozialdemokraten halten die Finanzierungs- her in der Bewältigung ihrer Straßenbauprobleme
vorschläge, wie sie im Mehrheitsbeschluß des Finanz- zu helfen. Wir pflichten dieser Auffassung des
ausschusses ihren Niederschlag gefunden haben, für Herrn Bundesverkehrsministers bei. Nur sind wir
unzureichend, weil wir der Meinung sind, daß der der Meinung, daß auch die Bedarfsschätzung von
16 Milliarden DM in der Zwischenzeit überholt ist.
*) Siehe Anlage 2 Der laufende Vierteljahresplan bemißt die Zu-
4428 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Dr. Bleiß
schösse und Darlehen an fremde Baulastträger auf lose Autokette auf uns zukommt. Wir werden diese
170 Millionen DM jährlich. Das ist, wie die Dinge Entwicklung nicht dadurch meistern, daß- wir ver-
heute liegen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein suchen, die Schulferien etwas auseinzuziehen, oder
der Verkehrsnöte in unseren Städten und Gemein- den Verkehr auf Parallelstraßen umlenken. Das
den. Wenn hier das Notwendigste getan werden kann vielleicht die Entwicklung aufhalten. Damit
sollte, dann müßten diese Ansätze, die heute im werden wir aber das Auftreten verkehrschaotischer
Haushalt stehen, mindestens auf das Dreifache Zustände auf unseren Bundesstraßen nicht verhüten.
erhöht werden. Eine nahezu endlose Autokette muß zum Zusam-
Es ist unsere große Sorge, und wir teilen diese menbruch des Verkehrs auf den großen Verbin-
Sorge mit der großen Zahl der Kraftfahrer, daß, dungsstraßen führen. Wenn ein solcher Zustand ein-
wenn wir uns jetzt nicht entschließen, den Straßen- treten sollte, werden automatisch auch alle Auto-
bau unter Ausschöpfung aller technischen Reserven bahnzubringer blockiert werden, und wir könnten
zu forcieren, wir uns mit einiger Sicherheit den uns vor Probleme gestellt sehen, die möglicherweise
Tag ausrechnen können, an dem aus den heute tief in die persönliche Sphäre des Bundesbürgers
schon bis 30 km langen Autoschlangen die nahezu eingreifen und die die freie Wahl der Verkehrs-
endlose Autokette auf den großen Nord-Süd- und mittel beeinträchtigen können.
Ost-West-Verbindungen Wirklichkeit wird. Diesen Gefahren können wir heute noch entgegen-
wirken, wenn wir uns entschließen, neben den 13
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordne- Miliarden DM für den zweiten Vierjahresplan, die
ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? im ordentlichen Haushalt finanziert werden müs-
sen, durch Kredite und durch Anleihen zusätzliche
Dr. Bleiß (SPD) : Bitte! Mittel aufzubringen, um alle straßenbautechnischen
Reserven zu mobilisieren. Unser Straßenbau ver-
Lemmrich (CDU/CSU) : Herr Kollege Bleiß, Sie fügt zur Zeit, das ist von den Experten wiederholt
sprachen von den Gemeinden. Ist Ihnen bekannt, bestätigt worden, noch über eine Kapazitätsreserve
daß im vergangenen Jahr nur 72 % der den Ge- von 30 bis 40 %. Es ist also eine wesentlich höhere
meinden zur Verfügung gestellten Bundesmittel Straßenbauleistung ohne zusätzliche Investitionen
verbaut worden sind und daß wir heuer vielleicht möglich. Wir sind der Meinung, daß bei einer vollen
auf 80 °/o kommen? Auslastung der Kapazität auch eine Senkung der
Straßenbaukosten durchaus möglich ist.
Dr. Bleiß (SPD) : Ja, Herr Kollege Lemmrich, Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich
das ist mir bekannt. Aber mir ist auch bekannt, daß einige Bemerkungen zum finanziell-fiskalischen Pro-
das Verfahren derartig umständlich ist, daß die blem machen.
Gemeinden überhaupt nicht in der Lage sind, ihre
Mittel vernünftig anzufordern. Nach vorsichtigen Schätzungen ist für die kom-
menden drei Jahre ein Mineralölsteueraufkommen
(Beifall bei der SPD.) von 19,2 Milliarden DM zu erwarten. Hiervon brin-
gen die Kraftfahrer allein 18 Milliarden DM auf,
Lemmrich (CDU/CSU) : Herr Dr. Bleiß, sind Sie
der Meinung, daß der Bund das zu vertreten hat? Wenn der Vorschlag des Finanzausschusses Ge-
setzt werden sollte, fließen von diesen 18 Milliarden
nur rund 9,2 Milliarden in den Straßenbau, rund 8,8
Dr. Bleiß (SPD) : Der Bund kann viel durch eine Milliarden würden den allgemeinen Deckungsmit-
Vereinfachung des Verfahrens dazu beitragen. Wir teln zugeführt werden. Darin, meine Damen und
werden uns im Ausschuß darüber unterhalten, wie Herren, liegt die Crux unseres Straßenbaues; denn
endlich das Verfahren so vereinfacht werden kann, diese Zahlen zeigen deutlich den großen Unterschied
daß die Mittel auch wirklich ausgegeben werden zwischen den Leistungen, die der Kraftfahrer er-
können. Diese Dinge dürfen nicht mehr auf dem bringt und in diesem Ausmaß viel zu bescheidenen
Verordnungswege steckenbleiben. Haushaltsansätzen für den Straßenbau.

Lemmrich (CDU/CSU) : Herr Kollege Dr. Bleiß Wir Sozialdemokraten machen der Bundesregie-
Sie wissen, daß es an der Planung und nicht am rung den Vorwurf, daß sie die Infrastruktur in einer
Verfahren liegt. Das dürfte Ihnen doch auch bekannt bedenklichen Weise vernachlässigt hat und leider
sein. auch weiterhin vernachlässigt. Ich glaube, es gibt im
Streit um die Unterlassungssünden keinen besseren
Dr. Bleiß (SPD) : Es liegt nicht an der Planung. Zeugen als den Herrn Bundesverkehrsminister, der
Das ist der alte Ausweg, den Sie suchen. Sie sagen: in der vorletzten Sitzung des Verkehrsausschusses
die Gemeinden sind schuld, und ich anworte darauf: laut Protokoll z. B. über die Binnenwasserstraßen
der Bund ist schuld. Der Bund sollte dafür sorgen, sagte, die Kürzung der Mittel bedeute, daß die jetzi-
daß die Gemeinden in die Lage versetzt werden, gen Kapazitäten in Zukunft nicht mehr vorgehalten
werden könnten. Sie — die Kürzung — sei entschei-
ihren dringenden Straßenbaubedarf endlich zu
dend für die Verkehrsinfrastruktur und für das
decken.
Schicksal der Bundesrepublik im Gemeinsamen
(Beifall bei der SPD.)
Markt nach 1970. Sie — die Kürzung — werde eine
Lassen Sie mich wiederholen, daß, wenn wir nicht Verlagerung der Indstrie und schwere wirtschaft
mehr und schneller bauen, dann die nahezu end- liche Rückschläge nach sich ziehen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4429
Dr. Bleiß
Diese Feststellungen des Herrn Bundesverkehrs- baufinanzierung, auch nach außen hin, bezieht. Um
ministers waren für viele Mitglieder des Ausschus- das auch für spätere Diskussionen klarzustellen,
-
ses überraschend und erschütternd. Auf den Binnen- beantragen wir, über unseren Antrag namentlich ab-
wasserstraßen täuscht heute, wie der Minister im zustimmen.
Ausschuß meinte, die glatte Wasseroberfläche über (Beifall bei der SPD.)
den gefährlichen Zustand der Kanal und Flußbetten
-

hinweg. Auf den Straßen aber, auf denen wir ähn-


liche Verhältnisse zu beklagen haben, sind wir täg- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
lich und allesamt Zeugen der wachsenden katastro- Abgeordnete Drachsler.
phalen Verhältnisse.
Mit unserem Antrag auf Umdruck 359 machen wir Drachsler (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
einen ersten und bescheidenen Schritt auf dem Wege sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kol-
zu einer Verbesserung der straßenbaulichen Lei- lege Bleiß hat soeben einen Änderungsantrag sei-
stung. Wir sind uns darüber im klaren, daß diese ner Fraktion begründet. Grundlage dieses Antrags
Mittel keineswegs ausreichen werden, um den effek- ist der seinerzeitige einstimmige Beschluß des Ver-
tiven Straßenbaubedarf auch nur einigermaßen zu kehrsausschusses betreffend eine 55%ige Zweck-
decken. Unser Antrag soll auch nur dazu dienen, bindung für den Straßenbau.
einen nach unserer Auffassung überholten und völ-
lig unzureichend gewordenen Vierjahresplan in Vom verkehrspolitischen Standpunkt aus ist sehr
seiner Finanzierung durch Mittel des ordentlichen vieles zu unterstreichen, was der Kollege Bleiß in
Haushalts zu sichern, um dadurch die Möglichkeit seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verkehrs-
zusätzlicher Finanzierung des effektiven Straßen- ausschusses gesagt hat. Im Interesse des Ganzen
baus zu haben. aber und im Hinblick auf die Verantwortung für
den Gesamthaushalt muß manches richtiggestellt
Wir wissen, daß sich die Bundesregierung in einer
werden. Auch der Herr Kollege Hirsch hat vorhin
schwierigen Haushaltslage befindet, und wir werden
in der Debatte über eine andere Materie zuerkannt,
uns mit dieser Situation bei der Haushaltsberatung
daß die Opposition jederzeit auf seiten der Regie-
eingehend auseinandersetzen. Nach unserer Meinung
rung steht, wenn es darum geht, den Haushalt aus-
gehören aber — und das möchte ich hier mit aller
zugleichen. Bevor ich jedoch auf die jetzige Fas-
Dringlichkeit betonen — die Verkehrsprobleme zu
sung des umstrittenen Art. 8 näher eingehe, möchte
den heißesten Eisen unserer Gesamtwirtschaft. Wir
ich eine allgemeine Bemerkung machen.
müssen sie endlich und in letzter Konsequenz an-
packen. Es könnte für die Arbeit in diesem Hause von
Der Verkehrshaushalt und insbesondere der großem Nutzen sein, wenn auch dem Verkehrsaus-
Straßenbau waren bisher immer eine Manövrier schuß auf seinem Fachgebiet von seiten aller Frak-
masse im Haushaltsausgleich. Wohin dieser Weg tionen zuerkannt werden könnte, daß seine Be-
geführt hat, das haben wir täglich vor Augen. Wenn schlüsse von der gleichen Verantwortung getragen
Sie diesen Sommer mit Ihrem Kraftwagen unterwegs sind, welche auch Kollegen anderer Ausschüsse für
waren, werden Sie selbst gemerkt haben, wieviel sich in Anspruch nehmen. Es wäre vielleicht auch
Unmut, wieviel Ärger und teilweise auch wieviel gut, wenn man diesem Ausschuß etwas mehr Über-
Empörung sich mitunter bei denen ansammelt, die blick über das Fachgebiet des Verkehrs zuerkennen
stundenlang in 30 km langen Schlangen warten müs- wollte, und es wäre sicherlich gut, wenn man in
sen, bis sie endlich eine Baustelle passiert haben. diesem Hause etwas mehr Interesse und Verständ-
nis vor allem für die kommende Entwicklung auf
(Zuruf rechts: Es gibt ja noch die Bundesbahn!) dem Gebiete des Straßenverkehrs wollte.
— Dieser Einwand ist ein bißchen töricht. Ich möchte
Ihnen vorschlagen auf die großen Bahnhöfe zu (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
gehen, insbesondere wenn der Reiseverkehr zur Unsere Stellungnahme zu dem vorliegenden Ent-
Weihnachtszeit einsetzt. Sie werden dann erleben, wurf im Verkehrsausschuß war von dem Streben
daß auch die Bundesbahn dann Schwierigkeiten hat, getragen, die durch das Straßenbaufinanzierungs-
den Verkehr zu bewältigen. Auch die Bundesbahn gesetz mühevoll erarbeitete langfristige Straßen-
ist ja leider so knapp mit Mitteln ausgestattet, daß baupolitik nicht stören zu lassen und somit die
sie gar nicht in der Lage ist, ihren Fahrzeugpark Grundlage, nämlich die volle Erfüllung der Vier-
so auszuweiten, daß sie eine wesentliche Mehrbe- jahrespläne durch den Grundsatz der Zweckbindung
lastung auf sich nehmen könnte. zu erhalten. Nach den dem Ausschuß damals vor-
Ich komme zum Schluß. Der Straßenbau hat nach liegenden Schätzzahlen über das Aufkommen aus
unserer Auffassung längst aufgehört, eine Ange- der Mineralölsteuer war eine sichere, lückenlose
legenheit der Spezialisten, der Experten zu sein. Finanzierung des zweiten Vierjahresplanes nur
Wir alle werden täglich auf allen Ebenen der Selbst- durch eine 55%ige Zweckbindung möglich. Die Mit-
verwaltung mit dem Straßenbau konfrontiert. Des- glieder des Verkehrsausschusses waren sich sämt-
halb halten wir es bei der heutigen Beratung, in lich in dem Bestreben einig, dem federführenden
der die Weichen für eine sehr langfristige, viel zu Finanzausschuß einen möglichst einstimmigen Be-
bescheidene Finanzierung des Straßenbaus gestellt schluß vorzulegen. Wir gaben uns damals der Hoff-
werden sollen, für notwendig, daß jeder von uns nung hin, daß ein einstimmiges Votum des Fach-
eine klare Haltung zum Straßenbau und zur Straßen- ausschusses, sagen wir einmal, wenigstens erziehe-
4430 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Drachsler
risch auf unsere Kollegen im Finanz- und im Haus- Keine Generation hat jemals, dazu noch unter sol-
haltsausschuß wirken könnte. chen Umständen, so viel gebaut wie die jetzige
(Zustimmung in der Mitte.) Kriegsgeneration — das sollte einmal Anerkennung
finden —, auch auf dem Gebiete des Straßenbaues.
Diese Hoffnung ist zum Teil erfüllt worden; denn
der Regierungsentwurf wurde, wenn auch nicht ganz (Beifall bei den Regierungsparteien.)
unseren Vorstellungen entsprechend, vor allem in Das schließt natürlich nicht aus, daß immer wieder
der Richtung unserer verkehrspolitischen Über- kritisiert wird, und jede Kritik an den sogenannten
legungen geändert. Ich darf weiter sagen, daß alle Mißständen der Motorisierung und des Straßenver-
Kollegen von der CDU/CSU sowie der FDP im Ver- kehrs kommt überall groß an. Es ist ja auch kein
kehrsausschuß für eine 55 % ige Zweckbindung ein- Wunder! Denn alle Staatsbürger, wir selbst, die
getreten sind, daß aber auch alle Kollegen genauso Mitglieder dieses Hauses begegnen täglich mehr-
heftig, wie sie dafür eingetreten sind, jetzt von den mals dem Ärgernis Straße. Sind das aber Mißstände?
Argumenten unserer Freunde aus dem Haushalts- Sind es nicht mehr oder weniger Erscheinungen des
und dem Finanzausschuß überzeugt, für die vorlie- Wohlstandes, mit denen wir schwerer fertigwerden
gende Fassung des Entwurfs eintreten. als mit der Not der Nachkriegszeit?
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] Als (Beifall in der Mitte.)
Kompromiß!)
Heute ist es doch bald so, daß jeder oder wenigstens
— Es ist ein Kompromiß. Aber bei den laufenden mancher Autofahrer, wenn er sich ein Auto an-
Beratungen wurden auch andere Zahlen und Finan- schafft, automatisch im stillen denkt, er könne vom
zierungspläne vorgelegt, die uns überzeugt haben. Staat auch einige Kilometer ausgebauter und schon
Wir beugen uns also der höheren Verantwortung bezahlter Autobahn mit dazugeliefert bekommen.
für den Haushalt, zumal uns verbindlich zugesichert
wurde, daß die langfristigen Vierjahrespläne voll er- Auch das hört einmal auf; denn den Wettlauf mit
dem Fließband der Motorisierung kann der Straßen-
füllt werden. Von einer verlorenen Schlacht für die
Anliegen des Straßenbaus kann also nicht die Rede bau nie gewinnen. Auch uns sind die „Mißstände"
sein. bekannt, auch wir wissen, was in den nächsten Jah-
ren auf uns zukommt. Wir wissen, daß gerade auf
Die Sorgen, die bei der Vorlage des Entwurfs dem Gebiete des innerstädtischen Verkehrs, des
schon im Juni dieses Jahres geäußert wurden, sind Orts- und Nachbarortsverkehrs die größten Eng-
zerstreut. Man befürchtete eine Beseitigung der pässe entstehen werden.
Zweckbindung und sprach von zusätzlichen Abgaben
der Verkehrsnutzer sowie von der Nichterfüllung (Sehr richtig! in der Mitte.)
der Straßenbauplanung. Das alles ist durch die Ä n- Aber ist die Verhütung dieser Engpässe vielleicht
derung des Entwurfs verhindert worden. Dieser Ent- nur eine Geldfrage? Heute wurde schon angeführt,
wurf weist in seiner jetzigen Fassung tatsächlich daß es auch eine Frage des Verbauens, des Verpla-
positive Tatbestände auf, die auch von der Oppo- nens und der Administrative ist. Hier gibt es einen
sition anerkannt werden. Der Grundsatz der Zweck- wahren Engpaß, eine wahre Verkehrsnot. Wir wer-
bindung und damit das Wegekostenprinzip sind bei- den in den kommenden Jahren hier noch viel mehr
behalten worden. Das ist das Wesentlichste. Ein Schwierigkeiten haben. Über 80 % des gesamten
weiteres Positivum ist, daß die langfristigen Vier- Verkehrs wickeln sich im Orts- und Nachbarorts-
jahrespläne finanziell gesichert sind. Sicherlich verkehr ab. Wer in den Stoßzeiten des Verkehrs
bleibt auch hier die Frage offen — da gebe ich Herrn durch unsere Städte fährt, wird sagen, daß hier von
Kollegen Bleiß durchaus recht —, ob nicht durch die Bund, Ländern und Gemeinden alle Anstrengungen
kommende Entwicklung diese Dinge überholt wer- gemacht werden müssen, um dieser wachsenden Not
den, so daß wir uns rechtzeitig darum kümmern Herr zu werden.
müssen, eventuell eine Korrektur vorzunehmen. Die Bundesregierung und dieses Haus haben mit
Der Herr Finanzminister hat den Änderungen der Einsetzung der Enquete-Kommission unterstri-
schweren Herzens zugestimmt. Wir fordern ihn chen, daß der Bund bereit ist, eine Mitverantwor-
heute auf, sein Versprechen einzulösen, die An- tung für die Verkehrsanliegen der Kommunen zu
leihen für den Straßenbau mit Vorrang unterzu- tragen. Wir werden im kommenden Jahre die ge-
bringen. Für das Jahr 1964, so sagte er uns, sei das meinsame Aufgabe haben, das Ergebnis dieser Kom-
bereits geschehen. Der Weg der Anleihen, mag er mission zu debattieren und gesetzliche Maßnahmen
auch keine Finanzierungsgarantie darstellen, ist zur Behebung der Verkehrsnot zu treffen.
keineswegs abwegig. Ausgaben für den Straßenbau Betrachten wir einmal die Kritik von seiten der
sind langfristige Investitionen; sie bieten sich nahezu kommunalen Spitzenverbände, deren Anregungen
als klassische Investitionen an. Warum soll auch — uns immer sehr angenehm sind und die wir auch
darüber sollte man auch einmal sprechen — die befolgen, wo es nur irgend möglich ist, gerade zu-
gegenwärtige Generation denn alles auf einmal neu sammen mit den Leistungszahlen der Gegenwart.
machen und auch aus den laufenden Mitteln bezah-
Hier muß einmal eine Rechnung aufgemacht wer-
len? Warum sollte man nicht auf kommende Gene- den, um der Gerechtigkeit Raum zu geben. Diese
rationen einige Lasten abwälzen, zumal doch im-
Rechnung sieht wesentlich anders aus als die Zah-
mer wieder zu sagen ist, daß diese Generation wirk-
lenangaben, die uns bei aktuellen Anlässen immer
lich Großes in den letzten 14 Jahren geleistet hat.
auf den Tisch flattern: Die Finanzmittel, die der
(Zustimmung in der Mitte.) Bund für die Verkehrsausgaben insgesamt im ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4431
Drachsler
meindlichen Bereich zur Verfügung stellt, beanspru- rade zu jenen Jahreszeiten häufen, da es dem Ende
chen nahezu 50 % der Gesamtinvestitionen des zugeht und die Summen meist nicht mehr verbaut
zweiten Vierjahresplanes; werden können. Viele Landräte und Bürgermeister
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Hört! Hört!) greifen daher zur Selbsthilfe und nehmen das Risiko
auf sich, selbst gegen die Bestimmungen mit dem
das sind 4,580 Milliarden DM im zweiten Vierjahres- Bau einer Straße einfach zu beginnen, und es sind
plan. — Der Zuruf des Kollegen Schmidt „Hört! nicht die schlechtesten Landräte und Bürgermeister.
Hört!" ist durchaus berechtigt. Man sollte da zu- Natürlich wollen wir die personellen Schwierig-
hören. Ich muß gestehen, daß ich als Verkehrsfach- keiten in den Planungsabteilungen der Straßenbau-
mann diese Zahlen selber nicht so genau zur Ver- verwaltungen nicht verkennen. Hier gibt es eine
fügung hatte; ich habe sie so genau erst jetzt be- echte Konjunkturüberhitzung. Die Regierungen des
kommen. Davon entfallen 680 Millionen DM auf Zu- Bundes und der Länder sollten daher dafür sorgen,
schüsse an fremde Baulastträger. Von diesen 680 daß diese personellen Schwierigkeiten überwunden
Millionen DM werden 450 Millionen DM nach den werden, denn gerade hier gäbe es viele Möglich-
Richtlinien des Gemeindepfennigs ausgegeben. Sie keiten, mit dem zur Verfügung stehenden Geld
werden den Ländern ohne Auflage, nur mit dem wirklich Großes zu leisten.
Wunsch oder mit dem Vorschlag gegeben, die Hälfte
davon den kleinsten und kleinen Gemeinden und Ich hielt es für angebracht, bei der Debatte ge-
die andere Hälfte den Städten zu geben. rade über diesen Regierungsentwurf auch auf diese
Dinge hinzuweisen und die Leistungen des Bundes
An Aufwendungen als Folge des erst vor kurzem entsprechend zu würdigen. Die der CDU/CSU und
verabschiedeten Eisenbahnkreuzungsgesetzes wer- auch der FDP angehörenden Kollegen des Verkehrs-
den in den nächsten drei Jahren allein 180 Millionen ausschusses und die gesamte Fraktion stimmen da-
DM für die Beseitigung schienengleicher Übergänge her diesem Entwurf zu, weil wir uns überzeugen
an Gemeindestraßen ausgegeben, also auch für die ließen und weil wir wissen, daß dadurch das Haupt-
Kommunen. Für Ortsumgehungen gibt der Bund im ziel, nämlich die volle Finanzierung unserer lang-
zweiten Vierjahresplan 1,15 Milliarden DM aus, für fristigen und leistungsfähigen Straßenbaupolitik,
Ortsdurchfahrten in Sädten unter 50 000 Einwoh- garantiert ist. Wir beugen uns aber auch der hö-
nern 370 Millionen DM. Den größten Posten neh- heren Notwendigkeit, um dem Ganzen zu nutzen
men die Verkehrsausbauten im Vorfeld unserer und die Stabilität unserer Währung zu erhalten.
Großstädte ein, vor allem für die verlängerten Orts- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
durchfahrten. Dieser Posten verschlingt die Summe
von 2,2 Milliarden DM. Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Angesichts dieser Zahlen muß einmal die Frage Abgeordnete Imle.
gestellt werden, ob man gewillt ist, das auch ein-
mal anzuerkennen. Dr. Imle (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) und Herren! Befürchten Sie nicht, daß auch ich Ihnen
noch lang und breit über dieses Problem vortragen
4,5 Milliarden DM von den vorgesehenen 13 Mil- werde.
liarden DM für den Verkehrsausbau in vier Jahren (Beifall.)
kommen also in den gemeindlichen Bereich, und
— Sie klatschen zu früh, meine Damen und Herren
da wirft man dem Bund noch vor, er tue zuwenig
von links; Sie werden noch früh genug zu Ihrer
dafür.
Niederlage kommen.
Wir wissen, daß das alles noch nicht ausreicht, Ich darf für die Freien Demokraten folgendes
um die Verkehrsschwierigkeiten mit einem Schlag darlegen. Nachdem der Haushaltsausschuß für die
zu überwinden. Das ist aber nicht nur eine Frage Jahre 1964, 1965 und 1966 eine Zweckbindung in
des Geldes, sondern vor allem auch eine Frage Höhe von 46 bzw. 48 und 50 % vorgeschlagen hat
der Planung und der administrativen Abwicklung. und damit die Durchführung des zweiten Vierjah-
Es wird heute schon davon gesprochen, daß sich zur resplanes sichergestellt ist, werden die Freien
beschleunigten Erfüllung dieser Anliegen vor allem Demokraten dem Haushaltsausschuß und dem
die Exekutive etwas einfallen lassen müßte. Hier Finanzausschuß folgen und dementsprechend den
gehen durch die allzu bürokratische Behandlung Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ableh-
der Mittelzuweisungen viel Zeit, viel Kapazität und nen.
Energie verloren. Von seiten der Gemeinden, der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Städte und auch von uns, den Mitgliedern dieses
Hauses, wird daher mit Recht kritisiert, daß viel Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel-
zu unwirtschaftlich und bürokratisch verfahren dungen zu dem Antrag Umdruck 359? - Nicht.
wird. Da werden in den Amtszimmern die Merk-
male der Merkmale studiert und zeitraubend ge- Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstel-
prüft, ob die vom Bundestag bewilligten Geldmittel lende Fraktion hat insgesamt namentliche Abstim-
denn auch ausgegeben werden dürften. Auch hier mung beantragt. Der Antrag ist genügend unter-
würde das Motto „wer schnell gibt, gibt doppelt" stützt. Wir stimmen ab über den Antrag Umdruck
größere Erfolge zeitigen. Es ist auf die Dauer nicht 359. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimm-
hinzunehmen, daß die Bearbeitungsfristen der An- karten einzusammeln.
träge zum Teil bis zu zwei Jahren laufen. Auffal- Meine Damen und Herren, hat jedermann, der
lend ist, daß die Bewilligungsbescheide sich ge- sich an der Abstimmung beteiligen will, seine
4432 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Vizepräsident Dr. Schmid
Stimmkarte abgegeben? — Dann bitte ich das zu Nellen Frau Dr. Bleyler
tun. Peiter Blöcker
Peters (Norden) Blumenfeld
Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte, mit der Dr. Pohlenz von Bodelschwingh
Auszählung zu beginnen. Priebe Dr. Böhm (Frankfurt)
Ravens Böhme (Hildesheim)
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläu- Regling Brand
fige Ergebnis der namentlichen Abstimmung be- Rehs Frau Brauksiepe
Dr. Reischl Dr. Brenck
kannt. An der Abstimmung haben sich 355 stimm- Brück
Reitz
berechtigte Mitglieder des Hauses und 15 nicht Riegel (Göppingen) Bühler
stimmberechtigte Berliner Abgeordnete beteiligt. Dr. Rinderspacher Dr. Conring
Mit Ja haben 156 stimmberechtigte Abgeordnete Ritzel Dr. Czaja
Dr. Roesch van Delden
und 11 nicht stimmberechtigte Abgeordnete Rohde Diebäcker
gestimmt, mit Nein 198 stimmberechtigte und 4 Frau Rudoll Dr. Dittrich
nicht stimmberechtigte Abgeordnete. Enthalten hat Sänger Drachsler
sich ein Mitglied des Hauses. Der Antrag ist damit Saxowski Draeger
Dr. Schäfer Dr. Dr. h.c. Dresbach
abgelehnt. Ehnes
Frau Schanzenbach
Endgültiges Ergebnis: Scheuren Eichelbaum
Dr. Schmid (Frankfurt) Dr. Elbrächter
Ja: 156 und 11 Berliner Abgeordnete Frau Engländer
Schmidt (Braunschweig)
Nein: 197 und 4 Berliner Abgeordnete Dr. Schmidt (Gellersen) Falke
Enthalten: 1 Dr. Schmidt (Offenbach) Dr. Franz
Schmidt (Würgendorf) Franzen
Ja Herold Schmitt-Vockenhausen Dr. Fritz (Ludwigshafen)
Hirsch Schröder (Osterode) Gaßmann
SPD Schwabe Gedat
Höhmann
Frau Albertz (Hessisch Lichtenau) Seidel (Fürth) Frau Geisendörfer
Anders Höhne Seither Dr. Gerlich
Auge Hörauf Frau Seppi D. Dr. Gerstenmaier
Dr. Dr. h. c. Baade Hörmann (Freiburg) Seuffert Gewandt
Bading Frau Dr. Hubert Steinhoff Gibbert
Bäuerle Hufnagel Stephan Giencke
Bäumer Hussong Striebeck Dr. Gleissner
Bals Iven (Düren) Strohmayr Glüsing (Dithmarschen)
Bauer (Würzburg) Jacobi (Köln) Dr. Tamblé Dr. Götz
Behrendt Jacobs Theis Gottesleben
Berkhan Jahn Wegener Dr. h. c. Güde
Beuster Dr. h. c. Jaksch Wehner Günther
Frau Beyer (Frankfurt) Jürgensen Welke Frau Haas
Biegler Junghans Welslau Haase (Kassel)
Biermann Junker Weltner (Rintelen) Härzschel
Blachstein Kaffka Frau Wessel Dr. Hahn (Heidelberg)
Dr. Bleiß Kahn-Ackermann Wilhelm Dr. von Haniel-Niethammer
Dr. h. c. Brauer Frau Kettig Frau Zimmermann Harnischfeger
Brünen Killat (Brackwede) Dr. Hauser
Bruse Dr. Koch Zühlke Hesemann
Büttner Könen (Düsseldorf) Hilbert
Busch Koenen (Lippstadt) Berliner Abgeordnete Dr. Höchst
Corterier Kohlberger Hörnemann (Gescher)
Diekmann Frau Korspeter Bartsch Hösl
Frau Döhring Kraus Frau Berger-Heise Hoogen
Dröscher Braun Dr. Huys
Dr. Kreyssig
Frau Krappe Frau Jacobi (Marl)
Frau Eilers Dr. Kübler
Dr. Eppler Kulawig Liehr (Berlin) Dr. Jaeger
Erler Kurlbaum Frau Lösche Josten
Eschmann Lange (Essen) Mattick Dr. Jungmann
Neumann (Berlin) Frau Kalinke
Faller Langebeck
Dr. Schellenberg Dr. Kanka
Felder Lautenschlager
Figgen Lemper Dr. Seume Katzer
Lenz (Bremerhaven) Urban Dr. Kempfler
Flämig
Folger Dr. Lohmar Frau Klee
Franke Lücke (Osnabrück) Nein Klein (Saarbrücken)
Frehsee Maibaum Dr. Knorr
Frau Freyh (Frankfurt) Marquardt Dr. Kopf
CDU/CSU
Geiger Marx Krug
Gerlach Matthöfer Dr. Adenauer Frau Dr. Kuchtner
Glombig Matzner Adorno Kühn (Hildesheim)
Gscheidle Frau Meermann Dr. Althammer Kuntscher
Haage (München) Metter Arndgen Lang (München)
Haase (Kellinghusen) Dr. Meyer (Frankfurt) Dr. Artzinger Leicht
Hamacher Meyer (Wanne-Eickel) Baier (Mosbach) Lemmrich
Hansing Michels Baldauf Lenze (Attendorn)
Dr. Harm (Hamburg) Dr. Mommer Balkenhol Leonhard
Heide Dr. Morgenstern Dr. Barzel Lermer
Heiland Müller (Erbendorf) Bauer (Wasserburg) Leukert
Dr. Dr. Heinemann Müller (Nordenham) Becker Dr. Luda
Hellenbrock Müller (Ravensburg) Dr. Besold Maier (Mannheim)
Frau Herklotz Müller (Worms) Bewerunge Majonica
Hermsdorf Dr. Müller-Emmert Dr. Bieringer Dr. Martin
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4433

Maucher Wullenhaupt ist der von uns gestellte Antrag zur Verstärkung
Meis Ziegler der Straßenbaumittel in namentlicher Abstimmung
Memmel Dr. Zimmer abgelehnt worden. Die nunmehr zur Schlußabstim-
Mengelkamp Dr. Zimmermann
Menke (München) mung anstehende Neufassung des Straßenbaufinan-
Mick zierungsgesetzes bedeutet eine wesentliche Ver-
Müser Berliner Abgeordnete schlechterung des geltenden Rechts. Wir halten es
Nieberg für geradezu absurd, angesichts der zunehmenden
Dr. Dr. Oberländer Hübner
Oetzel Frau Dr. Maxsein Verkehrsnot auf unseren Straßen die Klammer zwi-
Frau Dr. Pannhoff Müller (Berlin) schen Straßenbau und Motorisierung weiter zu
Dr. Pflaumbaum Stingl schwächen. Mit der Einengung der Straßenbaumittel
Dr.-Ing. Philipp im ordentlichen Haushalt werden die öffentlichen
Frau Pitz-Savelsberg
Dr. Poepke FDP Investitionen an der empfindlichsten Stelle getroffen.
Frau Dr. Probst Dr. Achenbach Mit der Beschränkung der Zweckbindung auf maxi-
Dr. Ramminger Busse mal 50% wird gleichzeitig der Versuch unternom-
Rasner Dr. Dahlgrün men, den Kurs in der Straßenbaufinanzierung für
Rauhaus Dr. Dehler
Dr. Reinhard einen längeren Zeitraum auf unzureichendem Niveau
Deneke
Riedel (Frankfurt) Frau Dr. Diemer-Nicolaus festzulegen.
Ruf Dr. Dörinkel
Ruland Dürr
Meine Damen und Herren, wir werden uns mit
Scheppmann Dr. Effertz dieser Entscheidung nicht zufrieden geben und bei
Schlick Dr. Emde jeder Beratung einer einschlägigen Materie die Ver-
Dr. Schmidt (Wuppertal) Ertl besserung der Zweckbindung zur Sicherung des
Schneider (Hamburg) Frau Dr. Flitz
Dr. Schwörer Straßenbaues beantragen. Ich darf noch einmal fest-
(Wilhelmshaven)
Dr. Seffrin Hammersen stellen: Eine Zweckbindung von 46 bis maximal
Dr. Serres Dr. Hellige 50 % des Steueraufkommens ist absolut unzurei-
Dr. Sinn Frau Dr. Heuser chend. Sie wird die teilweise katastrophalen Ver-
Spies Dr. Kohut
Stauch hältnisse auf den Bundesfernstraßen nicht bessern,
Kubitza
Dr. Stecker Lenz (Trossingen) sondern verschärfen und die Verkehrsnot in den
Dr. Steinmetz Margulies Städten und Gemeinden weiter vergrößern. Das
Stiller Dr. Mende müssen wir klar sehen, und deshalb lehnen wir die
Dr. Stoltenberg Mertes
Storm von Ihnen vorgeschlagene Regelung der Zweckbin-
Dr. Miessner
Strauß Mischnick dung nachdrücklich ab.
Sühler Murr
Dr. Süsterhenn In dem Gesetzentwurf werden leider zwei völlig
Ollesch
Tobaben Opitz voneinander verschiedene Materien behandelt: Stra-
Unertl Peters (Poppenbüll) ßenbaufinanzierung und Anpassungshilfen für die
Varelmann Reichmann Erdölgewinnungsindustrie.
Verhoeven Dr. Rutschke
Dr. Vogel Sander Den Anpassungshilfen stimmen wir zu, weil wir
Vogt Schultz die im Gesetzentwurf vorgesehene Übergangsrege-
Wagner Spitzmüller lung zur Erhaltung einer wichtigen heimischen
Dr. Wahl Dr. Stammberger
Dr. Weber (Koblenz) Wächter Energiequelle für unumgänglich und für dringend
Wehking Walter notwendig halten. Nur die Sorge um die Erhaltung
Weigl Weber (Georgenau) und den Ausbau unserer Energiequellen wird uns
Weinzierl Zoglmann veranlassen, dem Gesetzentwurf in seiner Gesamt-
Werner
Wieninger heit trotz unserer schweren Bedenken gegen die un-
Dr. Willeke Enthalten zureichende Finanzierung des Straßenbaus zuzu-
Windelen stimmen.
Winkelheide FDP
Dr. Winter Aber die Debatte um einen verbesserten Ausbau
Wittmer-Eigenbrodt Ramms unserer Straßen und der gesamten Infrastruktur
werden wir weiter führen, und schon die Beratung
Ich rufe nunmehr in zweiter Beratung Art. 8, 9, des Haushalts 1964 wird uns dazu Gelegenheit bie-
10, 11, 12 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer ten.
zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegen- (Beifall bei der SPD.)
probe! — Enthaltungen? — Bei einigen wenigen
Enthaltungen ohne Gegenstimmen angenommen. Vizepräsident Dr. Schmid: Wird das Wort in
Die zweite Beratung ist damit abgeschlossen. der allgemeinen Aussprache weiter verlangt? — Das
ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aus-
Ich rufe zur sprache.
dritten Beratung
Anträge sind nicht angekündigt. Wir kommen zur
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zu-
Das Wort in der allgemeinen Aussprache in drit- stimmen will, der möge sich erheben. — Gegen-
ter Beratung hat der Abgeordnete Dr. Bleiß. probe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen
angenommen.
Dr. Bleiß (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge- Wir haben nunmehr über die Entschließungsan-
ehrten Damen und Herren! In der zweiten Lesung träge abzustimmen, und zwar zwei Entschließungs-
4434 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Vizepräsident Dr. Schmid
antrage des Ausschuses und einen der SPD-Fraktion. Satz unter den Tisch. Das wäre schade. Bei diesem
Zu den Anträgen des Ausschusses liegen Ände- letzten Satz der ursprünglichen Fassung geht es
rungsanträge auf Umdruck 357 (neu) *) und Umdruck darum, daß die Rohölverarbeiter, also die großen
360 *) vor. Das Wort zur Begründung des Antrags 357 Gesellschaften, nach geltendem Recht ihren Energie-
(neu) hat der Abgeordnete Dr. Eppler. bedarf an Heizöl steuerfrei decken können, wäh-
rend die Zweitverarbeiter von Mineralölerzeug-
Dr. Eppler (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen nissen, deren Produkte mit denen der großen Ge-
und Herren! Der Finanzausschuß hat Ihnen mit sellschaften in Konkurrenz stehen, für jede Tonne
Drucksache IV/1613 einen Entschließungsantrag vor- Heizöl 25 DM bezahlen müssen. Wir waren uns im
gelegt, dem die sozialdemokratische Fraktion mit Ausschuß ausnahmslos darüber einig, daß hier eine
Ausnahme der Nr. 2 b zustimmt. Zu Nr. 2 b haben Wettbewerbsverzerrung vorliegt und Abhilfe nötig
wir einen Änderungsantrag zuerst auf Umdruck ist. Deshalb haben wir diesen Satz in Nr. 2 c unse-
357 vorgelegt und haben ihn dann, um auch der res Antrages auf Umdruck 357 (neu) aufgegriffen.
CDU die Zustimmung zu erleichtern, geändert. Ich darf noch ein Wort sagen zu dem weiteren
Es liegt Ihnen nun vor der Änderungsantrag auf Änderungsantrag zu dem Entschließungsantrag des
Umdruck 357 (neu). Ziel dieses Antrages ist es, Ausschusses, der von den Abgeordneten Dr. Imle
Nr. 2 b im Antrag des Ausschusses aufzugliedern, und Genossen auf Umdruck 360 gestellt worden ist.
damit über zwei verschiedene Dinge getrennt ab- Dieser Antrag Dr. Imle und Genossen stimmt mit
gestimmt werden kann. Der erste Teil der Nr. 2 b dem unseren in zwei Punkten überein, erstens in
enthält die Frage an die Bundesregierung, ob sie der Trennung der beiden Ersuchen und zweitens
beabsichtige, irgend etwas in Richtung auf die Be- darin, daß auch hier die Wettbewerbsverzerrungen
steuerung von Raffineriegas zu unternehmen. Das beseitigt werden sollen. Der Unterschied besteht
ist der Rest — man könnte auch sagen: der trau- darin — und darüber werden Sie abzustimmen ha-
rige Rest — einer Entschließung, in der ursprüng- ben, meine Damen und Herren —, daß unsere Fas-
lich gefragt wurde, welche Maßnahmen die Bun- sung zwar nicht verlangt, daß das Eigenverbrauchs-
desregierung in dieser Richtung vorschlage. Gegen privileg der großen Mineralölgesellschaften abge-
eine solche Frage, o b die Bundesregierung etwas schafft wird, daß wir aber der Regierung auch diese
vorhabe, ist natürlich von der Sache her nichts ein- Möglichkeit offenlassen wollen, falls sie eine an-
zuwenden. Wir Sozialdemokraten freuen uns immer, dere nicht findet, während, wenn ich das richtig
wenn die Bundesregierung in irgendeinem Punkt verstehe, der Antrag der Freien Demokraten oder
präzise sagt, was sie vorhat. Wir freuen uns um jedenfalls der Abgeordneten Dr. Imle und Genossen
so mehr, als wir in diesem Punkt gerade in letzter diese Möglichkeit nicht einkalkulieren möchte. So
Zeit nicht verwöhnt worden sind. Die Frage ist nur, habe ich das begriffen.
ob es nötig ist, diese präzise Äußerung jedesmal Wir möchten unseren Antrag deshalb aufrechter-
durch eine besondere Entschließung des Parlaments halten, weil wir glauben, daß auch eine andere Lö-
zu verlangen. Ich glaube, in diesem Punkt trauen sung als die Aufhebung des Privilegs dann eher
wir der Bundesregierung etwas mehr Pflichteifer zu. zu erreichen sein wird, wenn diese Möglichkeit der
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Deher.) Aufhebung immer noch im Raum steht. Das kann
manchmal sehr heilsam sein. Deshalb darf ich Sie
Der Hauptgrund aber, warum wir die Trennung bitten, meine Damen und Herren, unserem Antrag
beantragen, ist, daß wir, die sozialdemokratische zuzustimmen. Ich darf gleichzeitig den Herrn Prä-
Fraktion, völlig klarlegen wollen, daß wir für eine sidenten bitten, nachher über die Buchstaben a
Besteuerung von Raffineriegas nicht zu haben sind, und b auf alle Fälle getrennt abstimmen zu lassen.
und zwar unabhängig davon, was die Regierung (Beifall bei der SPD.)
plant oder auch nicht plant. Es ist hier natürlich
nicht der Ort, das Pro und Kontra der Raffinerie-
gasbesteuerung abzuhandeln. Nur eine Bemerkung: Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Der Landtag des Landes Baden-Württemberg hat Abgeordnete Dr. Stecker.
am 26. Juni dieses Jahres einen Antrag angenom-
men, in dem die Landesregierung unter anderem Dr. Stecker (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
ersucht wird, für den Bau einer Ferngasleitung aus Damen und Herren! Wir haben keine Bedenken ge-
dem Rheintal in die Gegend des mittleren Schwarz- gen die Auftrennung der Entschließung zu b in dem
waldes — Schwenningen, Villingen — Staatsmittel ursprünglichen Antrag und die Formulierung des
zur Verfügung zu stellen, und zwar in Form von sozialdemokratischen Antrags Umdruck 357 (neu).
Staatsbürgschaften und Zinszuschüssen. Der Stutt- Wir sind für die beiden Teile der Entschließung
garter Landtag will also diese neue Energiequelle unter Buchstabe b, weil wir einmal der Meinung
sogar durch den Griff in die Staatskasse fördern. sind, daß sich die Bundesregierung über das Pro-
Das fällt in Stuttgart vielleicht noch schwerer als blem des Raffineriegases, insbesondere die Einord-
anderswo. Es wäre deshalb weder logisch noch nung in die übrigen Energieträger, möglichst schnell
freundlich, wenn der Bund diese neue Energiequelle Gedanken machen soll, damit keine Fehlleitungen
mit einer Sondersteuer belegen wollte. erfolgen. Wir sind aber auch durchaus der Ansicht,
Bei einer Ablehnung von Nr. 2 b des Ausschuß- daß die Besteuerung des Raffineriegases mit dieser
antrages in der vorliegenden Form fiele der letzte Fassung der Entschließung weder angeregt noch ab-
gelehnt ist, daß die Regierung vielmehr angehalten
*) Siehe Anlagen 3 und 4 ist, zu prüfen. Ebenso ist es mit der Frage des
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4435

Dr. Stecker
Eigenverbrauchsprivilegs. Auch hier wollen wir Vizepräsident Dr. Dehler: Der Herr Abgeord
eine objektive Prüfung der Wettbewerbslage nach nete Mertes hat das Wort. -
allen Seiten. Wir würden also diesen beiden Ent-
schließungen zustimmen. Mertes (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich weiß nicht, ob es viel Wert hat,
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir stimmen dann wenn ich jetzt noch kurz meine Ausführungen mache.
ab über den Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Ich bin dem Kollegen Eppler dankbar, daß er ver-
357 (neu). Wer zustimmt, gebe bitte Handzeichen. sucht hat, die Unterschiede herauszuarbeiten, die
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist zwischen dem Antrag Umdruck 360 und dem Antrag
mit großer Mehrheit angenommen. Umdruck 357 (neu) der SPD-Fraktion bestehen.
Ist damit der Antrag der Abgeordneten Dr. Imle Ich habe dazu nur folgende Erklärung abzugeben:
und Genossen auf Umdruck 360 gegenstandslos? Die deutsche Wirtschaft steht in einem sehr schar-
fen internationalen Wettbewerb. Daraus ergibt sich,
(Zustimmung. — Abg. Mertes meldet sich daß wir mit dem Abbau von Privilegien äußerst vor-
zum Wort.) sichtig sein sollten, zumal die deutsche Wirtschaft
— Wird der Antrag aufrechterhalten? Wollen Sie über Privilegien dieser Art nicht in dem Ausmaße
ihn begründen, Herr Abgeordneter Mertes? wie die Wirtschaft anderer Länder verfügt. Deshalb
möchten wir nicht, daß die Weiche von vornherein
(Abg. Mertes: Ich hätte vorher noch spre in Richtung auf einen Abbau dieser Privilegien ge-
chen müssen, Herr Präsident, wenn über stellt wird. Aus diesem Grunde haben wir die For-
beide Anträge zusammen abgestimmt mulierung auf dem Antrag Umdruck 360 gewählt.
wird!) Um die Zustimmung dazu wollten wir Sie bitten.
— Sie haben sich nicht gemeldet, es tut mir leid. (Zuruf: Das ist aber doch erledigt!)
Der Antrag Umdruck 360 ist durch die Annahme des
Antrags Umdruck 357 (neu) gegenstandslos.
Vizepräsident Dr. Dehler: Sie ziehen also den
Ich rufe Ziffer 2 Buchstabe a des Antrags des Aus- Antrag Umdruck 360 nicht zurück? Im Augenblick ist
schusses zur Abstimmung auf. Wer zustimmt, gebe doch der letzte Satz unter Buchstabe b) schon ge-
bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — strichen. Die Fassung von Buchstabe c) ist nach dem
Mit großer Mehrheit angenommen. Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 357
Ich stelle Buchstabe b zur Abstimmung. Wer zu- (neu) angenommen. Sie können also Ihren Ände-
) stimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Ich rungsantrag zu Buchstabe c) nicht mehr aufrechter-
bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer dem halten.
Antrag des Ausschusses zu Ziffer 2 Buchstabe b zu-
stimmt, erhebe sich vom Platz. Mertes (FDP) : Wir gingen davon aus, daß wir
(Zurufe: In der so geänderten Fassung!) bei der Entschließung unter b) eine Alternative
zwischen den beiden letzten Sätzen hätten.
— Natürlich, wie es nach dem Antrag Umdruck 357
(neu) beschlossen ist, in der Fassung nach dem
Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Um- Vizepräsident Dr. Dehler: Aber es ist durch
druck 357 (neu). Wer zustimmt, erhebe sich vom die Abstimmung über den Änderungsantrag Um-
Platze. — druck 357 (neu) entschieden.
(Unruhe.) Wir stimmen also jetzt ab über Buchstabe b), wo-
— Es wird abgestimmt über Ziffer 2 Buchstabe b bei der letzte Satz gestrichen wird. Wer dem Buch-
mit der Änderung nach dem Antrag Umdruck 357 staben b) unter dieser Voraussetzung zustimmt,
(neu). — Besteht irgendeine Unklarheit? Dann bitte gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal-
ich, sich zu äußern. — Herr Abgeordneter Dr. Epp- tungen? — Besteht Uneinigkeit? Dann müssen wir
ler! die Abstimmung wiederholen. Wer dem Buchstaben
b) zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegen-
probe! — Das Präsidium ist nicht einig; wir müssen
Dr. Eppler (SPD) : Wir haben die Trennung von auszählen.
Buchstabe b und c — —
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt.
Mit Ja haben gestimmt 132, mit Nein 145; enthal-
Vizepräsident Dr. Dehler: Buchstabe a und b ten haben sich 3. Insgesamt sind also 280 Stimmen
meinen Sie! abgegeben worden. Der Antrag unter Ziffer 2 b der
Entschließung des Ausschusses ist damit abgelehnt.
Dr. Eppler (SPD) : — nein, von b und c — vor Der schon angenommene Buchstabe c wird damit
allem deshalb beantragt, weil wir die Hauptsache Buchstabe b. In dieser Form ist der Antrag des Aus-
des bisherigen Antrags unter Ziffer 2 b abzulehnen schusses angenommen.
geneigt sind, während wir den letzten Satz, den wir Ferner liegt noch der Entschließungsantrag der
jetzt nach c genommen haben, anzunehmen beab- Fraktion der SPD Umdruck 358 (neu) *) vor. Es ist
sichtigen. Deshalb habe ich gebeten, daß über a beantragt, diesen Entschließungsantrag dem Ver-
und b getrennt abgestimmt wird, nachdem Buch-
stabe c durch den Antrag bereits erledigt ist. *) Siehe Anlage 5
4436 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Vizepräsident Dr. Dehler
kehrsausschuß zu überweisen. Bestehen dagegen Wissenschaftspolitik auf dem Altar eines allgemei-
Bedenken? — Das ist nicht der Fall; dann ist so nen Friedensschlusses mit den Ländern zu- opfern.
beschlossen. Der Herr Bundeskanzler, der neue Bundeskanzler,
Entsprechend einer interfraktionellen Vereinba- hat in seiner Regierungserklärung in einigen allge-
rung rufe ich Punkt 11 auf: meinen Bemerkungen immerhin den Eindruck
erweckt, ihm liege an einer Mitverantwortlichkeit
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD des Bundes in der Wissenschaftspolitik. Der Herr
betreffend Vorlage des Entwurfs eines Ge- Wissenschaftsminister schließlich hat zu keiner Zeit
setzes zur Förderung der wissenschaftlichen — wir freuen uns darüber — einen Zweifel daran
Forschung (Drucksache IV/1494). gelassen, daß nach seiner Auffassung — wie sollte
Wird der Antrag begründet? — Herr Abgeordneter er sonst auch sein Amt ausüben?! — eine konti-
Dr. Lohmar! nuierliche Beteiligung des Bundes in der Sache und
in der Finanzierung nicht in Frage gestellt werden
Dr. Lohmar (SPD) : Herr Präsident! Meine Da- kann.
men und Herren! Die Problematik eines Forschungs- Aber das Ergebnis dieser vielen Verhandlungen,
gesetzes beschäftigt den Bundestag nicht zum ersten- Veröffentlichungen, Stellungnahmen im letzten hal-
mal. Am 15. Mai dieses Jahres hat der Bundestag ben Jahr ist einfach dies: Wir können heute kon-
einstimmig die Bundesregierung aufgefordert, dem statieren, worüber sich die Bundesländer und die
Hohen Hause ein solches Gesetz vorzulegen. Dieser Bundesregierung nicht einig sind; aber niemand
Aufforderung ist die Bundesregierung bisher nicht ist in der Lage, zu sagen, in welcher Weise sie sich
nachgekommen. Sie wird dafür ihre Gründe haben, einigen wollen, konkret gesprochen, ob, unter wel-
und Herr Minister Lenz wird sie wahrscheinlich chen Voraussetzungen und mit welchem Inhalt Ver-
nachher darlegen. waltungsabkommen einmal zustande kommen könn-
Aber meiner Fraktion lag daran, dem Bundestag ten.
erneut zu empfehlen, die Vorlage eines solchen Nun, diese Situation hätte uns veranlassen kön-
Gesetzes zu verlangen. Wir glauben, daß die Ent- nen, zu sagen: Schön, wir wollen die Regierung
wicklung der Wissenschaftspolitik im letzten halben bitten, sich um den Abschluß eines solchen Verwal-
Jahr ein Gesetz zur Förderung der wissenschaft- tungsabkommens vielleicht nachdrücklicher als bis-
lichen Forschung noch dringlicher gemacht hat, als her zu bemühen. — Wir möchten uns jedoch dar-
es vor einem halben Jahr schon war. auf nicht beschränken, weil wir glauben, daß dies
Die Wissenschaftsförderung hat sich in den letz- ein Versuch wäre, mit der berühmten weißen Salbe
ten Monaten so entwickelt, daß statt der Finanzie- einer Wunde beizukommen, die damit nicht geheilt
rung nach dem zwischen Bund und Ländern werden kann. Wir meinen, daß die Vorlage und
ursprünglich vorgesehenen Schlüssel von 50 : 50 Verabschiedung eines Forschungsförderungsgeset-
jetzt die Lasten im Verhältnis 2: 1 den Ländern zes eine unerläßliche Voraussetzung dafür ist, die
aufgebürdet werden. Der Bund ist relativ in einem Beziehung zwischen Bund und Ländern in der Wis-
zunehmend geringeren Ausmaß an der Wissen- senschaftspolitik auf eine klare Rechtsgrundlage zu
schaftsfinanzierung beteiligt. Das ist kein Zufall stellen, soweit der Bund in Betracht kommt, und
und hängt auch nicht nur mit der Tatsache zusam- dann auf dieser Grundlage eine kontinuierliche Zu-
men, daß Sie dieses Verwaltungsabkommen zwischen zammenarbeit zu entwickeln.
Bund und Ländern bisher noch nicht haben zustande
bringen können. Es hängt auch nicht nur damit Wir befanden uns dabei in dieser unserer Ab-
zusammen, daß einige Bundesländer in den Ver- sicht vor einem halben Jahr — ich erwähnte es
handlungen der letzten Monate ein Junktim her- bereits — in Übereinstimmung mit dem gesamten
gestellt haben, indem sie sagten, die Klärung des Hause und auch im Einklang mit dem Sprecher der
Beteiligungsverhältnisses an der Einkommen- und Ministerpräsidentenkonferenz, dem Bayerischen
Körperschaftsteuer sei untrennbar mit der Frage Ministerpräsidenten Goppel, der in der Kultur-
der Wissenschaftsfinanzierung verbunden, und debatte am 13. Februar dieses Jahres ausdrücklich
außerdem — so sagten einige Bundesländer — habe erklärt hat, er wünsche eine Fortsetzung der Zu-
sich der Bund hier auf Grund einer einmal günstiger sammenarbeit von Bund und Ländern in der Wis-
gewesenen finanziellen Situation in ein Aufgaben- senschaftspolitik.
gebiet gedrängt, in dem er eigentlich nichts zu Das war — Sie wissen es — vor der Ministerprä-
suchen habe. sidentenkonferenz in Saarbrücken. In Saarbrücken
Die Debatte im Bundestag über diese Meinung ist die Front der Ministerpräsidenten auseinander-
einiger Bundesländer wäre leichter, wenn nicht auch gebrochen. Wir haben einen Vortrag zur Kenntnis
die Bundesregierung ihrerseits mehrfach Anlaß nehmen müssen, den Herr Meyers, der „Landes-
gegeben hätte, an ihrer Auffassung zur Wissen- vater" von Nordrhein-Westfalen, in Saarbrücken
schaftspolitik und speziell zu ihrer Finanzierung gehalten und in dem er sich dafür ausgesprochen
erhebliche Zweifel zu hegen. So hat beispielsweise hat, die Finanzierung wenigstens der neuen Univer-
der Herr Bundesfinanzminister zu Zeiten der Regie sitäten ausschließlich den Ländern zu überlassen. Er
rung Adenauer und zu Zeiten der Regierung Erhard hat in dieser Rede in Saarbrücken die Frage offen
verschiedentlich öffentlich — und noch öfter offen, gelassen, ob sich der Bund an der Finanzierung
wenn auch nicht öffentlich — durchblicken lassen, der bestehenden Universitäten weiter beteiligen
daß er bereit sei, die Beteiligung des Bundes in der solle.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4437
Dr. Lohmar
Seither haben sich die Ministerpräsidenten der bei gegebener Sachlage abgebaut werden könnten
Bundesländer wechselseitig interpretiert und demen- und müßten.
tiert. Herr Kiesinger beispielsweise hat vor einigen Wir haben weiter in den letzten Jahren immer
Wochen Gelegenheit genommen, zu sagen, in Saar- wieder eine dreifache Kürzung der für die Wissen-
brücken sei keineswegs einmütig von den Länder- schaftsförderung an sich notwendigen Mittel erlebt.
chefs die Auffassung vertreten worden, daß man Die erste Kürzung wurde den Wissenschaftlern in
den Bund aus einer gemeinsamen Wissenschafts- den Verhandlungen im Wissenschaftsrat abgehan-
finanzierung ausschließen wolle. Herr Kiesinger delt, bevor der Vorschlag des Wissenschaftsrates
konnte leider nicht hinzufügen, daß man umgekehrt überhaupt verabschiedet wurde, und zwar durch die
darüber einig gewesen sei, es so zu belassen, wie ermahnenden Hinweise meist des Vertreters des
es sich im Wissenschaftsrat seither herausgebildet Herrn Bundesfinanzministers auf die angespannte
hat. Kurz gesagt, einen eindeutigen Standort der Finanzlage des Bundes.
Ministerpräsidenten in dieser Frage der Zusammen-
arbeit heute auszumachen, ist schlechterdings un- Die zweite Kürzung kam dann im Zuge der allge-
möglich. meinen Abstriche zustande, und die dritte Kürzung
bei den Baumaßnahmen, so daß in keinem der ver-
Ich hielte es für die Entwicklung der Wissen- gangenen Jahre die sachlich an sich notwendigen
schaftspolitik für mehr als hinderlich, wenn sich der Mittel bereitgestellt werden konnten. Wir möchten
Bundestag mit einer solchen Situation einfach ab- den Bundesfinanzminister vor der Versuchung be-
fände. Deshalb bitten wir zu überlegen, ob ein For- wahren helfen, mit unsachgemäßen Argumenten
schungsförderungsgesetz uns nicht auf einen feste- hier Jahr für Jahr bei den Beratungen des Haus-
ren Boden stellen kann. halts Abstriche auf einem Gebiet vornehmen zu kön-
Lassen Sie mich eins klarstellen! Wir versprechen nen, das auch nach der Erklärung des neuen Bundes-
uns von einem solchen Forschungsförderungsgesetz kanzlers einen hohen Rang im Rahmen der Ziele der
keine bessere Qualität der Forschung in Deutsch- Bundesregierung haben soll.
land. Wir möchten damit keine sachlichen, inhalt- Aus beiden Gründen glauben wir, daß ein For-
lichen Eingriffe des Staates in die freie Forschung schungsgesetz notwendig ist. Man mag sagen, diese
außerhalb der staatlichen Auftragsforschung in die Argumente reichten nicht aus, um gegenüber den
Wege leiten oder für die fernere Zukunft ins Auge Ländern den Entschluß zu begründen, ein solches
fassen. Worum es geht, ist die, Bereitstellung von Gesetz vorzulegen. Aber abgesehen davon, daß
Bundesmitteln für nicht zur Bundesverwaltung ge- auch den Ländern an einer klaren Rechtsgrundlage
hörende Forschungseinrichtungen, um es eingren- auf seiten des Bundes gelegen sein sollte, deutet
zend zu sagen. die zunehmende internationale Verflechtung der
Meine Damen und Herren, das zu tun, lag schon in Forschung in ihrer Fragestellung, in ihrer Proble-
der Absicht des Parlamentarischen Rates. Sie kön- matik, in ihrer Methodik und in den Organisatio-
nen die Stellungnahmen der Sprecher der CDU oder nen, die dafür geschaffen worden sind, darauf hin,
der SPD im Parlamentarischen Rat nachlesen. Alle daß eine Vertretung der Bundesrepublik Deutsch-
waren sie einer Meinung darüber, daß die Mitver- land in internationalen Gremien und internationa-
antwortlichkeit des Bundes in der Wissenschafts- len Verhandlungen nur von der Bundesseite her
förderung im Grundgesetz verankert werden müsse. wahrgenommen werden kann und daß man auch
Strittig war allein die Frage, ob eine Finanzierungs- aus diesem Grunde eine Fixierung des Rahmens
kompetenz des Bundes ohne eine Gesetzgebungs- braucht, in dessen Grenzen sich der Bund bewegen
kompetenz gegeben sei oder nicht. Einige Abgeord- kann.
nete des Parlamentarischen Rates haben diese Frage Schließlich hat die unterschiedliche finanzielle
verneint und sich aus diesem Grunde mit allen an- Stärke der Bundesländer dazu geführt, daß der Ein-
deren dafür entschieden, ausdrücklich auch eine heitlichkeit der Wissenschaft nicht mehr entspro-
Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 Ziff. 13 vorzu-
chen wird. Der Kultusminister von Nordrhein-West-
sehen, um damit zugleich eine Finanzierungskompe-
falen erklärt selbstbewußt, selbstverständlich werde
tenz des Bundes zu begründen.
sich sein Land der Forderung, eine weitere Univer-
Nun könnte man sagen: Bisher ist es ja auch mit sität zu bauen, dann nicht entziehen, wenn der Wis-
den Haushaltsgesetzen mehr oder minder gut gegan- senschaftsrat eine solche weitere Universität für
gen. Aber die haushaltsgesetzliche Grundlage für die notwendig halte. Er hat aber kein Wort darüber
Wissenschaftsfinanzierung ist nach unserer Auffas- verloren, wie wir denn nun endlich zu einer Finan-
sung aus zwei Gründen nicht ausreichend. Der erste zierung der für Bremen, für Regensburg und für
Grund ist uns vom Kollegen Dr. Stoltenberg ge- Konstanz — wo es etwas besser aussieht — vorge-
liefert worden, der wiederholt darauf hingewiesen sehenen Universitäten kommen wollen. Die Mini-
hat, daß nach seiner Meinung die Bereitstellung von sterpräsidenten der Länder haben zwar in Saar-
Bundesmitteln für die Wissenschaftsfinanzierung in brücken beschlossen, ihre Finanzminister zu bitten,
keiner Weise eine sachliche Mitverantwortlichkeit sich einmal zu überlegen, ob man hier nicht durch
des Bundes in diesem Bereich auf die Dauer präju- einen horizontalen Finanzausgleich unter den Bun-
diziere, sondern daß es sich — so wurde uns in den desländern sich gegenseitig helfen könne. Aber bis-
Haushaltsberatungen der letzten Jahre wiederholt her haben wir keinen konkreten Hinweis gehört,
von Herrn Stoltenberg als dem Sprecher seiner wie denn eine solche wechselseitige Länderhilfe
Fraktion versichert — hier um zeitlich begrenzte praktisch aussehen soll und was sie in harten Zif-
Dotationen des Bundes an die Länder handle, die fern bedeutet.
4438 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Lohmar
Überdies fragt man sich, warum man das Modell der Lage der Bildungsinstitutionen und -möglich-
der sachlichen und finanziellen Zusammenarbeit -
keiten in Großbritannien und in der Entwicklung von
zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich, aus- Vorschlägen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen
gehend vom Wissenschaftsrat und den guten Erfah- seien, über das hinaus, was in Deutschland bisher
rungen, die wir dort gesammelt haben, aus prinzi- erarbeitet werden konnte, auch über die Planungen
piellen Gründen durch das Land-Länder-Modell er- des Wissenschaftsrates, auch über die Bedarfsfest-
setzen soll. Das ist eine wenig pragmatische Ab- stellung der Kultusministerkonferenz, die wir beide
sicht. Es liegt näher, dieses Bund-Länder-Modell, in ihrem Wert nicht unterschätzen wollen. Ein Ver-
fußend auf der Zusammenarbeit im Wissenschafts- gleich der deutschen Planungsunterlagen macht
rat, so zu festigen und zu fundieren, daß es zu einer eben sichtbar, daß in der Bundesrepublik eine Ver-
ausreichenden und kontinuierlichen Wissenschafts- zahnung in der Betrachtung der Wissenschaft einer-
politik und -förderung beitragen kann. seits und des allgemeinen Bildungswesens anderer-
Wir haben mit unserem Antrag — lassen Sie mich seits bisher fehlt, weil wir keine institutionellen
darauf noch einige wenige Sätze verwenden — nicht Möglichkeiten geschaffen haben, beides zusammen
den Eindruck erwecken wollen, daß ein Forschungs- zu sehen.
förderungsgesetz ein ausführliches Kataloggesetz Lesen Sie den Aufsatz von Herrn Picht nach, in
sein sollte. Wir möchten ein Rahmengesetz vorschla- dem auf den Zusammenhang dieser Bereiche in
gen, das allerdings präzise absteckt, was vom Bund, einer wirklich alarmierenden Weise hingewiesen
von den Ländern oder von beiden gemeinsam in wird. Es ist deutlich, worum es uns dabei geht, wenn
der Wissenschaftspolitik erwartet wird. wir hier sowohl institutionelle Möglichkeiten inner-
halb der Bundesregierung als auch neue Formen
(Abg. Wehner: Sehr gut!) der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
Ich will zu den Punkten 1 bis 3 unserer Vorlage schaffen wollen.
nichts mehr sagen. Sie sind aus dem, was ich ange- Lassen Sie mich abschließend Ihnen sagen, was
merkt habe, klargeworden. Nur soviel noch: Koordi- uns mit unserem Antrag, ein Forschungsgesetz zu
niert werden muß nicht nur die Zusammenarbeit von verlangen, in den letzten Wochen widerfahren ist.
Bund und Ländern. Auch die Bundesregierung in sich Mich haben einige Landesminister und manche Kol-
hat bisher den Weg zur Koordinierung leider noch legen aus dem Bundestag gefragt: „Sagen Sie mal,
nicht beschritten. was wollen Sie eigentlich mit dem Antrag? Gegen
(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!) wen richtet sich der Antrag?" Ich glaube, daß diese
Frage „Gegen wen richtet sich der Antrag?" kenn-
Herr Minister Lenz hat immer noch nicht die Zustän- zeichnend ist für die politisch und psychologisch
digkeiten, die er eigentlich brauchte. Wir haben verfahrene Situation, in der wir uns befinden. Ich
sozusagen drei Kultusminister innerhalb der Bun- möchte deshalb deutlich sagen: unser Antrag richtet
desregierung, alle drei in einem embryonalen Zu- sich gegen niemanden. Aber er hat einige, sagen
stand, der eine etwas weiter entwickelt als die an- wir, bevorzugte Adressaten. Wenn ich sie auf der
deren, aber die beiden kleineren um so mehr be- Bundesebene und auf der Länderebene personifizie-
strebt, sich auszuwachsen; Herr Kollege Dresbach, ren darf, dann möchte ich sagen: es handelt sich um
ich meine Herrn Heck und Herrn Höcherl. Das sollte einen Antrag, der speziell an die Herren Dahlgrün
die Bundesregierung bald ändern. und Meyers gerichtet ist.
Wir haben weiter einen regelmäßigen Lagebericht (Abg. Dr. Martin: Und an Herrn Conrad
über die Situation der Wissenschaft vorgeschlagen, in Wiesbaden!)
der von den zuständigen Organen des Bundes und — Nun ja, Sie werden mir erlauben, Herr Kollege
der Länder gemeinsam erarbeitet werden soll und Martin, daß ich mich an die Kleiderordnung halte
der etwa nach dem Beispiel des Grünen Berichts oder und die Ministerpräsidenten vor den Landesmini-
des Straßenbauplans dem Parlament regelmäßig stern erwähne.
einen Einblick in die Situation der Wissenschaft und
(Abg. Dr. Martin: Aber die Finanzminister
in die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten der
haben doch das Abkommen zu Fall ge
Wissenschaftspolitik geben soll. Das ist in der bis-
bracht! Das ist die Kleiderordnung!)
herigen Planung der Bundesregierung institutionell
noch nicht sichtbar geworden. Uns bereitet Sorge — wenn ich das in einer etwas
persönlichen Weise sagen darf —, daß sich der
Herr Erler hat sich in seiner Antwort auf die Re-
Wissenschaftsminister in seinem Bemühen, Ordnung
gierungserklärung des Bundeskanzlers schon den
in die Dinge zu bringen, allzu sehr auf die schwä-
Vorschlag erlaubt, einmal zu erwägen, Herr Mini-
bische Courtoisie verläßt. Wir haben jetzt bald
ster, ob man nicht eine Abteilung kür Bildungspla-
nung in Ihrem Hause einrichten sollte, die für eine Nikolaus, Herr Minister, und deshalb erlauben Sie
mir, in einem Bild zu sprechen: Wenn Sie durch die
solche Berichterstattung über das, was ist, und für die
Lande ziehen, auf der Bundes- und auf der Länder
Entwicklung langfristiger Pläne für das, was werden
ebene, ist es gut, als freundlicher Nikolaus eine
soll, die notwendigen Arbeiten leisten könnte.
Reihe von schönen Sachen in seinem Sack zu ha-
Wir haben in England nicht nur bei den Sozia- ben. Aber manchmal ist es auch nützlich, einen
listen, sondern erfreulicherweise auch bei den Kon- Knüppel in diesem Sack bereitzuhalten. Die tat-
servativen gerade in diesen Wochen zwei sehr sächlichen Front- und Fragestellungen verlaufen ja
interessante Berichte bekommen, den Taylor-Report heute quer durch eine in sich uneinige Bundesregie-
und den Robbins-Report. Beide gehen in der Analyse rung und quer durch die untereinander uneinigen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4439
Dr. Lohmar
Bundesländer. Wenn wir uns im Bundestag, meine sind uns darüber klar, daß das noch keineswegs
Damen und Herren, auf eine sachlich vernünftige dem entspricht, was in Zukunft jährlich wird auf-
Arbeitsgrundlage einigen, müßte es möglich sein, gebracht werden müssen. Für den Ausbau der be-
ein Forschungsförderungsgesetz zu verabschieden stehenden Hochschulen wurde statt der vom Wis-
und auf dieser Basis eine Wissenschaftspolitik zu senschaftsrat angeforderten 265 Millionen DM nur
entwickeln, die ihren Namen verdient. ein Betrag von 220 Milionen DM bewilligt. Dieser
(Beifall bei der SPD und in der Mitte.) wurde noch durch zwei Sperren verringert, zunächst
durch eine von 10 % für alle Ersteinrichtungen und
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der dann durch eine von 20 % für alle Baumittel. Erst
Abgeordnete Dr. Hahn. in letzter Stunde wurde die zweite Sperre aufge-
hoben. Aber wir befinden uns in großen Schwierig-
keiten, das Geld in diesem Jahr nun noch so schnell
Dr. Hahn (Heidelberg) (CDU/CSU) : Herr Präsi- auszugeben.
dent! Meine Damen und Herren! Zwischen allen
Fraktionen dieses Hauses besteht volle Einigkeit, Für 1964 sind vom Wissenschaftsrat 275 Millio-
daß wir eine ganz große Anstrengung machen müs- nen DM für den Ausbau der bestehenden Hochschu-
sen, die Wissenschaft zu fördern. Wir stehen an len angefordert worden, und es sollen dem Verneh-
einem Punkt, an dem die Wissenschaftsförderung men nach 250 Millionen DM bewilligt werden, was
einen ganz neuen Stellenwert in der deutschen Po- auch tatsächlich den Ausgaben, die auf uns als
litik gewinnen muß. Denn wenn auch die Öffent- Bund nach idem Verwaltungsabkommen zukommen
lichkeit in den vergangenen Jahren aufgeweckt würden, entsprechen würde. Wir sind aber besorgt
worden ist und insbesondere die Presse in dankens- dadurch, daß für die Neugründung der Universi-
werter Weise immer von neuem auf die Nöte und täten bisher noch kein Pfennig vorgesehen ist und
den höchst unbefriedigenden Zustand von For- daß auch kein Leertitel im Haushaltsplan erscheint,
schung, wissenschaftlicher Lehre und allgemeinem der später einmal aufgefüllt werden könnte. Ebenso
Bildungswesen hingewiesen hat, so ist doch vielen bleiben die Ansätze für die Deutsche Forschungs-
politisch Verantwortlichen noch nicht klar gewor- gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft hin-
den, daß dies sehr harte Konsequenzen haben muß. ter den Wünschen zurück. Das entspricht auch unse-
ren Vorstellungen in keiner Weise. Wir erkennen
Wir begrüßen deshalb diese Debatte im Deut- allerdings auch die Schwierigkeiten an, in denen
schen Bundestag, und wir sind auch erfreut darüber, sich die Bundesregierung in diesem Augenblick bei
daß Herr Lohmar soeben zugegeben hat, daß hier
dem Ausgleich des Haushalts befindet.
nicht eine Gegnerschaft !zwischen den einzelnen
Parteien besteht; denn es handelt sich hierbei um Wir wünschen sehr, daß all das, was in den letz-
eine wahrhaft nationale Frage. Sie kann nur vom ten Wochen auf diesem Gebiet gesprochen worden
ganzen deutschen Volk und deshalb auch nur von ist, nicht nur Deklamationen für die Öffentlichkeit
allen Parteien gemeinsam gelöst werden. Der deut- sind, sondern daß e s zu Taten kommt. Dazu ist
schen Wissenschaft wäre nicht gedient, ja, ihr würde besonders notwendig, daß auch all die Abgeordne-
Schaden zugefügt, wenn sie sich in die Auseinan- ten, die keine Kulturpolitiker sind, die erhöhte Be-
dersetzung der Parteien oder gar der Interessen- deutung der Wissenschaftsförderung erkennen und
gruppen hineingerissen sähe. Wir müssen gerade bereit sind, daraus Konsequenzen zu ziehen,
gegenüber den Ansprüchen der Interessengruppen (Zustimmung in der Mitte)
hervorheben, daß die deutsche Wissenschaft und
das deutsche Bildungswesen keine Interessengrup- die sich auch in einer veränderten Bewertung der
pen darstellen. Denn vom Rang der deutschen Wis- Wissenschaft im Haushalt auswirkt.
senschaft hängt die Wettbewerbsfähigkeit unseres Der Satz ist richtig, daß dem Aufbau der Ver-
Staates mit seiner Wirtschaft in der Welt ab. Durch teidigung unserer Freiheit in der Bundeswehr der
unser Bildungswesen muß jedes deutsche Kind hin- Aufbau unserer Wissenschaft und unseres Bildungs-
durch. Das Bildungswesen stellt die Leiter dar, auf wesens entsprechen muß. Beides ist für unsere Zu-
dem es zur Leistung seines Lebens emporsteigt. kunft gleich wichtig. Dabei ist noch nichts darüber
Dieser Erkenntnis hat auch die Regierungserklä- gesagt, wer für einen solchen Ausbau unserer Wis-
rung von Bundeskanzler Erhard Rechnung getra- senschaft und unseres Bildungswesens zuständig ist.
gen, wenn er feststellt, daß der Bildungspolitik im Es handelt sich in jedem Fall um eine notwendige
20. Jahrhundert die gleiche Bedeutung zukommt wie Leistung unseres ganzen Volkes in allen seinen
der Sozialpolitik im 19. Jahrhundert. Die Bildungs- Gliedern.
politik wird weithin über Zukunft und dais Schick- Wie stellt sich nun die Fraktion der CDU/CSU
sal unseres Volkes entscheiden. Die Sprecher aller zur Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur För-
drei Fraktionen haben sich in eindrucksvollen Aus- derung der wissenschaftlichen Forschung? Es ist
führungen gerade zu diesem Teil der Regierungs- schon von meinem Vorredner ausgeführt worden,
erklärung bekannt und sie unterstrichen. daß am 3. April dieses Jahres durch die Abgeord-
Auch wir geben zu, die bisherige Situation ist neten Holkenbrink, Dr. Huys und Dr. Kübler ein
höchst unbefriedigend. Auch wir wissen, daß 1963 gemeinsamer Bericht vorgelegt worden ist, in dem
unsere Wünsche nicht erfüllt worden sind. Der Bun- ein solches Gesetz gefordert wurde, und wenn heute
deshaushalt enthielt zwar die an sich eindrucksvoll die SPD den Antrag auf Vorlage eines solchen
erscheinende Zahl von 1,168 Milliarden DM; das Entwurfs stellt, so nimmt sie nur den Antrag des
sind etwa 2 % unseres Gesamthaushalts. Aber wir Kulturpolitischen Ausschusses unseres ganzen Hau-
4440 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Hahn (Heidelberg)
ses auf. Dein hat schon unser Haus einstimmig seine setzentwurf zur Verwendung der Überschüsse des
Zustimmung gegeben. Es ist also im Grunde nichts Volkswagenwerkes für die wissenschaftliche For-
Neues, worüber wir verhandeln. Wir alle stimmen schung und für Institutionen des Bildungswesens hat
unserem eigenen Beschluß vom Mai und damit na- der Bundesrat Einspruch erhoben und den Vermitt-
türlich auch dem Antrag der SPD im Prinzip zu. lungsausschuß angerufen.
Denn auch uns erscheint es als wünschenswert, ja Sprechen wir es klar aus: ein Gesetz zur Förde-
als notwendig, daß die stetige und großzügige För- rung der wissenschaftlichen Forschung, durch den
derung der Wissenschaft durch ein solches Gesetz Bund erlassen, würde zu diesem Zeitpunkt die Span-
sichergestellt wird.
nungen zwischen Bund und Ländern nur verschärfen.
Trotzdem glauben wir in diesem Augenblick, um (Abg. Dr. Schäfer: Oder klären!)
der Sache und das heißt um der Förderung der
deutschen Wissenschaft willen die Vorlage eines Es würde gewiß nicht den Bundesrat passieren. Das
solchen Gesetzentwurfs zurückstellen zu müssen. hätte zur Folge, daß wir nicht nur unübersehbar viel
Zeit verlieren würden, sondern dadurch auch der
(Hört! Hört! bei der SPD.) Wissenschaft nicht genützt würde.
Wir hatten auch den Eindruck, daß der Antrag der Der Streit um das Honnefer Modell und seine Re-
SPD hier nur mit sehr großer Vorsicht und mit viel form warnt uns weiter. Es scheint mir hier jetzt
Vorbehalten begründet worden ist. Wir meinen, daß nicht der Ort zu sein, um auf diese Materie im ein-
diese Zurückstellung notwendig ist, nicht deshalb, zelnen einzugehen. Aber soviel ist sichtbar: durch
weil es uns mit der Förderung der deutschen Wis- die gegenteiligen Entscheidungen, die der Haus-
senschaft nicht wirklich ernst wäre. Wenn ich als haltsausschuß des Bundestages und das Innenmini-
Professor, und zwar als einer, der doch jahrelang sterium auf der einen Seite und die Kultusminister
verantwortlich die älteste deutsche Universität ge- der Länder auf der anderen Seite getroffen haben,
leitet hat, dieses ausspreche, so wird man mir das ist die Regelung bereits um zwei Semester verzögert
gewiß glauben. Wir befinden uns mit unserem worden. Es ist noch nicht abzusehen, wann das
Wunsch, dieses Gesetz zunächst zurückzustellen, in Problem wirklich gelöst werden wird.
vollem Einvernehmen etwa mit dem VDS, aber auch Nun muß man sich aber auch darüber klar sein,
mit den leitenden Gremien der deutschen Wissen- daß die schweren Rückstände in der deutschen Wis-
schaftsorganisationen, die sich auch ihrerseits nichts senschaft, und zwar sowohl in der eigentlichen For-
davon versprechen können, daß in diesem Augen-
schung als auch in ihren Institutionen, ihren Grund
blick dieses Gesetz durchgebracht wird. Wir haben
nicht im Fehlen eines solchen Forschungsgesetzes
nämlich allen Grund anzunehmen, daß zu diesem
haben, so gewiß ein solches Gesetz ihre Förderung
Zeitpunkt die Vorlage eines solchen Gesetzes die
sichern könnte. Hier tragen wir vielmehr an dem
Förderung der deutschen Wissenschaft eher behin-
bösen Erbe der Vergangenheit. Der Wissenschafts-
dern, ja blockieren könnte. Es liegt uns aber nur an
rat hat dies in seinen Empfehlungen vom Jahre 1960
einem: daß der Wissenschaft wirksam und das heißt
dargestellt. Ich will Bekanntes nicht lange wieder-
auf die beste Weise und so schnell wie möglich ge-
holen und stelle deshalb nur ganz kurz fest: Wir
holfen wird.
tragen in der deutschen Wissenschaft schwer an den
(Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch, wie!) Folgen der Wissenschaftsfeindlichkeit des National-
sozialismus, der die Bedeutung der Wissenschaft
— Ich werde gleich noch darauf kommen.
und des Bildungswesens völlig verkannte, weite
(Abg. Wehner: Das ist ein Eiertanz!) Wissenschaftsgebiete, beonders in der Naturwissen-
schaft, bewußt verkümmern ließ und die besten Ge-
Das heißt, daß die jetzt aufgetretenen Hemmnisse lehrten aus Deutschland heraustrieb. Wir tragen
nach Möglichkeit beseitigt werden und sich die Lage weiter an den vielfältigen Folgen des Krieges, wo-
nicht noch weiter versteift und verfestigt. Letzteres bei wir an die Menschenverluste denken können, an
könnte in der Tat durch die Vorlage eines solchen
die Zerstörung wissenschaftlicher Einrichtungen und
Gesetzes geschehen,
die Isolierung vom internationalen Austausch.
Was ist die Begründung für diesen Standpunkt? Schließlich denken wir an die anfänglichen Be-
Seit wir jenen Beschluß zur Vorlage eines Gesetz- schränkungen der Forschung auf verschiedenen Ge-
entwurfes gemeinsam im Bundestag faßten, ist es bieten. Wir zahlen aber auch dafür, daß man im
über die Kompetenzen von Bund und Ländern — Sie ganzen Westen erst Ende der 50er Jahre zur Er-
sind ja darauf eingegangen —, und zwar gerade auf kenntnis der politischen, ja militärischen und wirt-
dem Gebiete der Wissenschaftsförderung und des schaftlichen Bedeutung von Forschung und Bildungs-
Bildungswesens, zu vielfachen Spannungen gekom- wesen kam. Das gilt erst recht für uns, die wir zu-
men. Der noch nicht beigelegte sogenannte Steuer- nächst mit der Sicherung des elementaren Lebens
streit hat ja einen kulturpolitischen Hintergrund. Die beschäftigt waren. Schließlich sei noch an den Ver-
Einstellung der einzelnen Länder in diesem Streit lust aller ost- und mitteldeutschen Universitäten
ist zwar unterschiedlich, aber sie haben doch eine und Forschungsstätten erinnert. Und wenn es seit
geschlossene Front gegenüber dem Bund gebildet, 1958 durch die Bildung des Deutschen Wissenschafts-
und im Vermittlungsausschuß sind sie dabei durch rates und seit seinen Empfehlungen im Jahre 1960
die Bundestagsmitglieder der SPD unterstützt wor- zu einem wirklichen Neuansatz und zu einem er-
den. Das Fernsehurteil, gegen das Sie sich nicht ge- freulichen Schritt vorwärts im Ausbau unserer wis-
wandt haben, warnt uns außerdem. Auch gegen den senschaftlichen Hochschulen gekommen ist, so ge-
von Bundesschatzminister Dollinger vorgelegten Ge- schah das nicht durch ein Forschungsgesetz, sondern
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4441
Dr. Hahn (Heidelberg)
durch das Verwaltungsabkommen vom 5. Septem- Um dieses alles leisten zu können, scheint es uns
ber 1957, das zwischen Bund und Ländern abge- nun allerdings doch gerechtfertigt, auch einige Vor-
schlossen wurde. Dieses führte zu der erfreulichen schläge aus dem Antrag, den die SPD gestellt hat,
Förderung unserer Wissenschaft. aufzunehmen und zu unterstützen.
Wir halten es deshalb für geboten, daß der zweite Erstens. Wir werden nicht — da stimmen wir völ-
Schritt nicht vor dem ersten gemacht wird. Mit an- lig mit Ihnen überein — ohne eine große Planung
deren Worten: zuerst muß das Verhältnis zwischen auskommen, die versucht, die künftige Entwicklung
Bund und Ländern in dieser Frage geklärt werden. einzufangen. Wir wollen durch eine solche Planung
Es müssen die Gespräche auf höchster Ebene geführt keine Bevormundung der Forschung, sondern wir
werden, die der Bundeskanzler angekündigt hat. wollen lediglich das Bett schaffen, in dem der Strom
Diese Gespräche haben das Nahziel nicht nur des der freien Forschung sich voll entfalten kann. Da
Finanzausgleichs, sondern auch der Inkraftsetzung aber die Planung die Interdependenz zwischen Wis-
des Verwaltungsabkommens zwischen Bund und senschaft und Schulwesen berücksichtigen muß,
Ländern. Dies hat die anteilige Beteiligung , des Bun- sollte sie gemeinsam von Bund und Ländern durch-
des am Ausbau bestehender Hochschulen und an der geführt werden. Die Bedarfsfeststellung 1961 bis
Finanzierung der großen wissenschaftlichen Organi- 1970 der Kultusministerkonferenz gibt hierfür be-
sationen zum Inhalt. Es müßte aber darüber hinaus reits die Basis ab. Gewiß ist das noch nicht das
auch zu einem Abkommen über die Beteiligung des Ganze. Sie haben mit Recht auf den großzügigen
Bundes an der Finanzierung der Neugründung von Plan der konservativen Partei und Regierung in
Universitäten kommen. England hingewiesen. Wir galuben, daß die Kultus-
Erst als nächster Schritt ist dann ein Gesetz zur ministerkonferenz und das Bundesforschungsmini-
Förderung der wissenschaftlichen Forschung über- sterium hier eine große gemeinsame Aufgabe ha-
ben.
haupt sinnvoll. Dieses Gesetz muß gemeinsam von
Bund und Ländern erarbeitet werden. Nur s o wird Zweitens. Als erster Schritt sollte der im Antrag
der verfassungsrechtlichen Situation Rechnung ge- angeregte Bericht über die Lage der wissenschaft-
tragen, und nur so kann etwas entstehen, bei dem lichen Forschungseinrichtungen regelmäßig erstattet
alle Verantwortlichen willig und energisch zusam- werden, vielleicht nicht gerade jährlich, aber wenig-
menwirken. stens alle zwei Jahre.
Wir wollen den leidigen Streit um die Kompeten- Drittens. Besonderes Augenmerk ist in der Tat der
zen nicht verschärfen,. sondern überwinden. Der Bun- Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu
deskanzler hat richtig festgestellt, daß das deutsche widmen. Da sich das Honnefer Modell auf das
Volk für einen solchen Kompetenzstreit kein Ver- eigentliche Studium bezieht, hört die Förderung
ständnis hat, am wenigstens, wenn er auf Kosten der insbesondere der Hochbegabten zu früh auf. Dem ist
Wissenschaft geht. Wir vertrauen darauf, daß die allein mit Habilitandenstipendien nicht beizukom-
Länder sich nicht querlegen werden, wenn sie sehen, men. Allerdings ist durch die erhebliche Vermeh-
daß wir den Föderalismus nicht antasten, wohl aber rung der wissenschaftlichen Assistentenstellen schon
ihn zu einer überzeugenden Wirkung bringen wol- eine große Erleichterung auf diesem Gebiet einge-
len. Erst unter diesen Voraussetzungen wird auch treten, und man sollte diesen Weg weiter beschrei-
ein solches Gesetz die Gestalt erhalten können, die ten.
der auf uns zukommenden Situation in Forschung
und Bildungswesen gerecht wird. Viertens. Schließlich wäre es ein erster Anfang,
wenn wir in den Haushaltsplan 1964 im Blick auf die
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ein solches zu errichtenden neuen Hochschulen wenigstens den
Gesetz nur den derzeitigen unbefriedigenden Zu- Leertitel „Bundesanteil zur Förderung von Univer-
stand wiedergeben. Es wird einen minimalen Cha- sitätsneugründungen in den Ländern" aufnehmen
rakter tragen müssen, um nirgends auch nur den könnten. Es ist ein Ruhmestitel für Länder wie Nord-
Verdacht aufkommen zu lassen, der Bund wolle rhein-Westfalen oder Baden-Württemberg — ich
irgend etwas, was ihm nicht zusteht, usurpieren. möchte aber auch Bayern nennen —, daß sie das
Dies würde aber einen entscheidenden Gesichts- Wagnis der Neugründung von Universitäten unter-
punkt nicht zur Geltung kommen lassen, der sich nommen haben, auch wenn noch nicht geklärt ist, ob
erst allmählich durchzusetzen beginnt, nämlich die der Bund dabei helfen wird. Wir vermissen dagegen,
Interdependenz zwischen wissenschaftlicher For- daß man in Bremen einen solchen Beschluß bis zum
schung auf höchster Ebene und dem gesamten Bil- heutigen Tage nicht zu fassen gewagt hat. Wir wür-
dungs- und Schulwesen. Letztlich müssen der Univer- den wünschen, daß auch andere Bundesländer diese
sitätsaufbau und der Ausbau der Forschung auf der Initiative entwickeln und nicht vor der eigenen
einen Seite und beispielsweise der Ausbau des Courage Angst bekommen. Wir könnten ihnen viel-
Landschulwesens und auch des höheren Schulwesens leicht schon durch einen solchen Leertitel, den wir
auf der anderen Seite aufeinander abgestimmt wer- in unseren Haushaltsplan aufnehmen, etwas Mut
den. Alles ist auf das engste miteinander verzahnt. machen und zugleich dem eigenen Hause klar-
machen, was auf uns alle hier zukommt.
So bedarf es eines großen Wurfes, um den Anfor-
derungen der Zukunft gerecht zu werden. Es kann Das alles, was ich ausgesprochen habe, ist nur von
nur Bund und Ländern gemeinsam gelingen. In je- dem einen Motiv diktiert: keine Deklamationen nach
dem Falle werden ja die Länder doch die schwerste außen, keine Maßnahmen, die letztlich der Wissen-
Last dabei zu tragen haben. schaft doch nicht weiterhelfen und politisch nicht
4442 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Dr. Hahn (Heidelberg)


durchführbar sind, kein neuer Streit zwischen Bund Beschluß dieses Hauses vom 1. Juli 1960 auf
und Ländern. Dafür wollen wir die stärkste Be- Abgrenzung der Aufgaben im kulturellen-Bereich
mühung wagen, daß Bund und Länder zusammen- mit den Ländern noch nicht ausgeführt sei. Der Herr
finden und dann mit vereinten Kräften an das große Innenminister verwies auf Verhandlungen, die zu
Werk gehen. Wir sind überzeugt, damit am besten einem Verwaltungsabkommen über die Wissen-
sowohl der deutschen Wissenschaft, der kommen- schaftsförderung führen würden. Das Abkommen
den Generation, aber auch einem gesunden und liegt nun vor. Es regelt die Zusammenarbeit beider
lebensfähigen Föderalismus zu dienen. Verfassungsebenen im Ausbau der bestehenden
Wir bitten daher, den Entwurf eines Gesetzes zur Hochschulen, in der Finanzierung der Max-Planck-
Förderung der wissenschaftlichen Forschung zurück- Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft
zustellen und der Studentenförderung. Es liegt vor, aber
einige Länder haben es noch nicht unterzeichnet; sie
(Zuruf von der CDU/CSU: Überweisen!) wollen erst das Ergebnis des Streites um den Bun-
und an den Ausschuß zu überweisen und zunächst desanteil an der Einkommen- und Körperschaft-
die anderen Schritte, die ich empfohlen habe, zu steuer abwarten. Hier wird also die Förderung der
gehen. Wissenschaft und damit unser Anteil an der Bewäl-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) tigung der Zukunft abhängig gemacht von den
Finanzquerelen des Bundes und der Länder. Man
könnte bittere Worte finden. Aber wir wollen nicht
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der dramatisieren: diese Länder zahlen, auch ohne
Abgeordnete Dr. Hellige. unterzeichnet zu haben.

Dr. Hellige (FDP) : Herr Präsident! Meine Da- Es gibt ein zweites Abkommen zur Errichtung
men und Herren! Am 15. März des vergangenen neuer Hochschulen, den Mikat-Plan. Soviel ich weiß,
Jahres — das war genau vierzehn Monate, bevor in soll er die Billigung der Kultusminister gefunden
schöner Einigkeit alle Fraktionen die Vorlage eines haben, aber noch nicht die der Finanzminister. Da-
Forschungsförderungsgesetzes beschlossen haben — her, Herr Kollege Hahn, kann der Bund auch noch
hat der Bundesminister des Innern dem Hohen keine Mittel dafür vorsehen.
Hause mitgeteilt, er habe soeben den Auftrag gege- Kultusministerkonferenz, Finanzministerkonfe
ben, ein Gesetz zur Wissenschaftsförderung auszu- renz, Ministerpräsidentenkonferenz — alle diese
arbeiten. staatenbündlerischen Elemente in unserem Bundes-
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Er ist oft in staat, die das Grundgesetz nicht kennt — sie alle
Terminverzug!) machen Kulturpolitik. Mit viel gutem Willen und
mit starkem Reibungsverlust. Der Präsident der
Inzwischen ist die Wissenschaftsförderung zu unse- Westdeutschen Rektorenkonferenz wird auch wei-
rer Genugtuung in die Hand eines Ministers gekom- terhin darüber zu klagen haben, „daß die Koordi-
men, der ihr seine volle Arbeitskraft widmen kann nationsnotwendigkeiten des föderalistischen Staa-
und daher in der Lage ist, diese überaus delikate tes nicht selten die Regelung regelungsbedürftiger
Aufgabe in Abstimmung mit den zahlreichen und Fragen behindern", vor allem wenn — ich zitiere
sehr gewichtigen Gesprächspartnern zu fördern. ihn weiter — „zu dieser Kooperation der Kultus-
Im allgemeinen sieht die Öffentlichkeit das Ent- minister eine Kooperation der Landesfinanzminister
stehen eines neuen Ministeriums nicht gern. Die hinzukommt und die Zuständigkeiten zwischen den
Schaffung dieses Ministeriums ist aber einhellig Kultusministern und den Finanzministern laufend
begrüßt worden. Es entsprach der Würde der Wis- hin- und hergeschoben werden und man manchmal
senschaft nicht, in der Bundesspitze nur in einer nicht weiß, an wen man sich überhaupt zu halten
Abteilung des mit ganz anderen Aufgaben betrauten hat und von wem man eine verbindliche Zusage
Innenministeriums und in einem Ministerium für oder Auskunft bekommen kann."
zwei naturwissenschaftliche Einzelgebiete vertreten Die Väter des Grundgesetzes und seine heute fast
zu sein. Die Einheit der Wissenschaft, so proble- vergessenen Stiefväter, die Militärgouverneure, ha-
matisch sie sein mag, verlangt nach der Betreuung ben dem Bund nur wenig Spielraum auf dem kultu-
durch einen Minister, der auch die Koordinierung rellen Sektor gegeben. Wir sollten bestrebt sein,
der ressorteigenen Forschung sicherstellen wird. ihn zu erweitern. Der Gedanke einer Grundgesetz-
Herr Lohmar, das ist meines Wissens jetzt bereits änderung sollte erwogen werden. Solange sie nicht
geregelt. möglich ist, sollten wir uns bemühen, die Bundes-
In diesem Ministerium wird ein Verwaltungskör- kompetenz in unserem Verfassungsprovisorium aus-
per entstehen, eine Beamtenschaft, die mit den zuschöpfen.
Fragen der Wissenschaftspolitik aufs beste vertraut Wir begrüßen daher die Initiative der SPD, die
ist. In ihrer Heranbildung sehen wir eine wesent- die Vorlage eines Wissenschaftsförderungsgesetzes
liche Voraussetzung für eine fruchtbare Tätigkeit fordert. Auch wir haben bei der Begründung unse-
des Bundes in der Kulturpolitik. rer Großen Anfrage am 15. März 1962 diese Forde-
Die Bundesregierung hat das im Vorjahr in Aus- rung gestellt. Dies, meine Damen und Herren, wird
sicht gestellte Forschungsförderungsgesetz noch ja nicht bedeuten, daß der Herr Minister verpflich-
nicht vorgelegt. Wir würdigen die Schwierigkeiten, tet würde, morgen ein solches Gesetz einzubringen.
denen sie sich gegenübersieht. Vor zwanzig Mona- Wir können das Resultat seiner Verhandlungen mit
ten haben wir sie gefragt, warum der einstimmige den Ländern, Herr Kollege Hahn, ruhig abwarten.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4443
Dr. Hellige
Das Timing liegt beim Minister, und ich glaube, da Die Voraussetzung für das Tätigwerden des Bun-
werden Sie gleicher Meinung sein, Herr Kollege des regelt der Art. 72 des Grundgesetzes.- Das Er-
Lohmar. gebnis der Prüfung dieser Voraussetzung steht außer
Für uns ist der Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes Zweifel. Die Angelegenheit kann durch die Gesetz-
ein Auftrag an den Bund, sich an der Forschungs- gebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt
förderung zu beteiligen und die organisatorischen werden. Die Wahrung der Rechtseinheit und der
Voraussetzungen für diese Aufgabe zu schaffen. So Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse verlangt die
wollte es auch der Hauptausschuß des Parlamenta- Initiative des Bundes.
rischen Rates in seiner Sitzung vom 8. Januar 1949 Nun hat Herr Hahn schon darauf hingewiesen:
verstanden wissen. Ich bin daher mit Ihnen, Herr Wer heute ein Bundesgesetz zur Kulturpolitik for-
Lohmar, der Meinung, daß der Bund sich aus der dert, der greift mit Sorgen zum Kommentar des
Wissenschaftsförderung gar nicht zurückziehen darf, renommierten Gelehrten. Mich hat Herr Professor
auch wenn ihn seine Finanzlage dazu verlocken Maunz getröstet. Er hält das Vorliegen der Voraus-
wollte. Die Regierungserklärung gibt auch keinen setzungen nach Art. 7.2 Nr. 2 auf Grund zweier von
Anlaß, das zu vermuten. ihm angezogener Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts nicht für einen Gegenstand richter-
Aus der Wissenschaft kam die Anregung zur Auf- licher Beurteilung, sondern des gesetzgeberischen
nahme der Wissenschaftsförderung in den Katalog Ermessens des Bundes. Innerhalb dieses Ermessens-
des Art. 74. Der Brief vom 18. April 1948, der sie spielraums sei eine Nachprüfung nicht möglich.
enthielt, trägt die Unterschrift der Professoren Hoffentlich ist der Herr bayerische Kultusminister
Heisenberg, Regener, Rein und Zennek, gewichtige der gleichen Meinung wie Herr Professor Maunz.
Namen, zur Mehrheit aus der Georgia Augusta.
Zahlreiche Stimmen aus der Forschung, der Wirt- (Heiterkeit.)
schaft, der Publizistik, ja aus weitesten Kreisen der Wir können dem Gesetz also beruhigt zustimmen,
Öffentlichkeit haben vor allem in den letzten Jahren Herr Kollege Hahn, wenn es vorgelegt wird.
den Bund zur Übernahme vermehrter Verantwor-
Übrigens: Wem tut es weh? Für die Länder bleibt
tung aufgefordert. Nur vereinzelt, Herr Kollege
alles beim alten. Auch weiterhin wird die gemein-
Hahn, wurden Befürchtungen vor engem staatlichem
same Förderung der Forschung durch Verwaltungs-
Dirigismus laut, den gewiß niemand ausüben will.
abkommen geregelt werden müssen. Uns ist bei sol-
Nun hätte ich gerne gewußt, woher Sie die ableh- chen Abkommen nicht recht wohl. Es sind Abspra-
nende Haltung der Wissenschaftsgremien gegenüber chen von Verwaltungen, Mittel für bestimmte
diesem Forschungsgesetz kennen. Ich habe schon ein Zwecke in bestimmter Höhe anzufordern. Sie schaf-
mal aus dem Bericht des Präsidenten auf der 50. fen aber keine rechtliche Basis. Sie binden nicht die
Plenarversammlung der Westdeutschen Rektoren- Volksvertretung. Jeder Beschluß eines der beteilig-
konferenz in München vom 10. bis zum 12. Juli 1963 ten Parlamente kann sie umstoßen. Das ist eine un-
zitiert. Da finden Sie zunächst bittere Worte über die sichere Grundlage für eine so wichtige Aufgabe.
Auswirkung des Föderalismus. Da werden Namen Über die Materien, die das Gesetz enthalten soll,
wie Hundhammer und Teusch genannt, und dann ist wohl weitgehende Übereinstimmung festzustel-
geht es weiter: „Ich weiß nicht, ob man es heute nicht len. Es dürfte auch dem Referentenentwurf des Bun-
bedauern sollte", sagte Magnifizenz Speer, „daß die desministeriums des Innern nicht sehr fernstehen.
Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max- Wir möchten den Katalog durch die Studentenförde-
Planck-Gesellschaft 1961 nicht dem damaligen Vor- rung nach dem Honnefer Modell ergänzt sehen.
schlag der Westdeutschen Rektorenkonferenz gefolgt Nach unserer Meinung wie nach Meinung der Spre-
sind, nämlich ein Forschungsförderungsgesetz im cher der Wissenschaft ist sie ein unabtrennbarer
Parlament durchzusetzen. Sie wollten dieses For- Bestandteil der Wissenschaftsförderung.
schungsförderungsgesetz nicht und heute fehlt uns
dieses Gesetz." Das ist also die Rektorenkonferenz. Ein regelmäßiger Bericht über die Lage der Wis-
senschaft wird dem Parlament, der Fachwelt und
(Abg. Dr. Martin: Sie wollte es nicht!) der Öffentlichkeit Gelegenheit geben, Fortschritte
— Sie will es, sie fordert es. und Stand der Förderungsmaßnahmen zu überden-
ken und zu erörtern. Die Notwendigkeit langfristi-
(Abg. Dr. Martin: 1961!) ger Planung möchten auch wir unterstreichen. Von
— Aber pardon; leider haben Sie nicht zugehört: Bindungsermächtigungen sollte man in ausreichen-
10. bis 12. Juli 1963! dem Maße Gebrauch machen. Für die Länder wird
das Gesetz nur die Fixierung der bisherigen Praxis
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ein ganz bringen. Für den Bund kommt ein wesentliches hin-
neuer Film, Herr Kollege Martin!) zu: Der heute schon mehrfach zitierte Präsident der
— Leider. Westdeutschen Rektorenkonferenz hat mit Recht
darüber geklagt, daß Ansprüche der Wissenschaft
Nun, wenn damals im Jahre 1961 die Max-Planck- an den Bund nicht gesetzlich begründet werden
Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemein- können. Das trifft bislang zu. Überdies ist die Be-
schaft Bedenken hatten, so beruhten sie eben auf teiligung des Bundes an den Förderungsmaßnahmen,
Befürchtungen vor engem staatlichem Dirigismus. die in dem genannten Verwaltungsabkommen auf
Den will niemand üben, wohl am allerwenigsten 50 % festgelegt war, auf 30 % der geplanten ge-
unser liberaler Forschungsminister. meinsamen Leistung gesunken. Für uns liegt die
4444 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Dr. Hellige
Bedeutung eines Förderungsgesetzes vor allem in Committees und den Taylor-Report. Herr Kollege
der Selbstverpflichtung des Bundes zur Erfüllung Lohmar, ich habe bis jetzt nur den Bericht - des
der Aufgaben, die ihm das Grundgesetz zuweist. Robbins-Committees erhalten. Der Taylor-Report
Wir entziehen damit zugleich den Wissenschaftsetat scheint nicht veröffentlicht zu sein. Ich will gerne
der Gefahr, von der Finanzlage des Bundes allzu ab- dafür Sorge tragen, daß er Ihnen zugänglich ge-
hängig zu werden und wie bisher in die Haus- macht wird.
haltsmanipulationen einbezogen zu werden. Die Erörterungen in den großen internationalen
Sie sprachen vom Fernsehurteil, Herr Kollege Gremien zeigen eben, daß hier ein weltweites Pro-
Hahn. Wir glauben, daß der Juckepunkt Kultur- blem vorliegt. Bildungsfragen sind nun einmal in
hoheit von diesem Gesetz gar nicht berührt wird. der Tat unser Schicksal. Das gilt im nationalen wie
Kulturarbeit ist nach unserer Meinung nicht das im internationalen Verstande. Die großen Mächte
Reservat einer bestimmten Ebene unserer Staatlich- haben sich die Möglichkeit geschaffen, etwa bei
keit. Alle sind — darin stimme ich Ihnen zu — zur der Nutzung der Nuklear-Energie, der Raketentech-
Mitarbeit aufgerufen: der Bürger, die Gemeinden, nik, der Entwicklungshilfe wirksam miteinander zu
die Gebietskörperschaften, die Länder und auch der konkurrieren. Ihre wirtschaftliche und militärische
Bund. Die Förderung der Wissenschaft ist eins der Konkurrenzfähigkeit beruht auf der Leistungsfähig-
wesentlichen Teilgebiete der Kulturarbeit. Hier keit ihres wissenschaftlichen Potentials.
müssen Bund und Länder vertrauensvoll zusammen-
Wenn man die Bedeutung und die Reichweite der
arbeiten. Hier kommt es weniger darauf an, wer Bildungsfragen in diesem Sinne akzeptiert, ergeben
etwas leistet, als darauf, daß etwas geleistet wird.
sich daraus einige unausweichliche Konsequenzen:
Es kommt darauf an, daß die Aufbauarbeit nicht
durch Kompetenzstreitigkeiten behindert oder ge- Erstens: Alle Bildungseinrichtungen — von den
bremst wird. Nicht aus der Staatsphilosophie, nur Schulen bis zur Forschung — müssen in allen ihren
aus dem harmonischen Zusammenwirken aller zum verschiedenen Ausprägungen nachdrücklich geför-
allgemeinen Besten läßt sich die Existenzberechti- dert werden, selbstverständlich unter Wahrung der
gung eines sinnvollen Föderalismus ableiten. im Grundgesetz enthaltenen Freiheitsrechte —
heute vielfach angesprochen — für die Schule und
(Allseitiger Beifall.)
die Forschung: Artikel 5 und 7. Die dafür notwen-
digen staatlichen Aufwendungen beim Bund, bei
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der den Ländern und bei den Gemeinden werden ganz
Herr Bundesminister für wissenschaftliche For- außerordentlich sein. Es muß jedoch dafür gesorgt
schung. werden, daß wir dies schaffen, daß die Mittel bereit-
gestellt werden und daß ihre notwendige Priorität
Lenz, Bundesminister für wissenschaftliche For- gesichert ist.
schung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie diese Mittel aufgebracht werden, ist leider
Natürlich hätte auch ich meine Ausführungen gern noch nicht ganz klar. Es wird darauf ankommen, daß
mit einem Zitat aus der Regierungserklärung des man alle Notwendigkeiten des Staatshaushalts in
Herrn Bundeskanzlers begonnen. Nun haben Sie, ein gewisses Gleichgewicht bringt. Es mag sein, daß
Herr Kollege Hahn, mir das schöne und eindrucks- man in diesen Ausgleich nicht nur die Ausgaben für
volle Zitat von dem Rang der Bildungsfrage im Agrar- und Sozialpolitik, sondern auch die Aus-
20. Jahrhundert gegenüber der sozialen Frage im gaben für die Rüstung einbeziehen muß. Eine sol-
19. Jahrhundert vorweggenommen. Ich muß also che finanzielle „Verbund-Wirtschaft" ist unerläß-
nach einem anderen suchen. Es ist ja nicht so, Herr lich. Denn ohne die Wissenschaft und ihre Förde-
Lohmar, daß die Regierungserklärung bar jeglichen rung kann auch etwa die Rüstung nicht auf dem
Gehalts auf diesem Gebiet wäre. Es sind doch Höchststand bleiben. Wenn eines Tages die Wis-
außerordentlich erfreuliche Dinge darin. Der Herr senschaft in Deutschland auf der Stelle treten sollte,
Bundeskanzler hat z. B. auch gesagt, daß die Bun- würden wir uns geistig und politisch zurückent-
desregierung die Pflicht habe, die Lebensbedingun- wickeln. Darüber 'sind sich alle Verantwortlichen
gen eines modernen Staates vorausschauend zu ga- in diesem Hause klar, und keiner von ihnen will
rantieren. Das geschieht weitgehend durch die För- das.
derung der Wissenschaft.
Ich möchte dieses Thema nicht weiter vertiefen;
Mir scheint, daß auch die heutige Debatte, wenn es gehört ja nur am Rande zur heutigen Debatte.
auch nur unter Zuhörenden und Beflissenen in
einem kleinen Kreise, für die Richtigkeit der For- Die zweite notwendige Konsequenz, die aus der
derung des Bundeskanzlers spricht. Nun können wir überragenden Bedeutung der Bildungsfragen folgt,
feststellen, daß weit über diese Diskussion hinaus ist etwa folgende. Zur Bewältigung der großen vor
in der Öffentlichkeit über Bildungsfragen im allge- uns liegenden Aufgaben im Bereich der Bildung
meinen und über Schul- und Hochschulfragen im müssen alle Beteiligten — und das sind auf staat-
besonderen eine Diskussion in Gang gekommen ist, licher Seite vornehmlich Bund und Länder — ein
die nicht mehr — und das empfinde ich als sehr System wirksamer Zusammenarbeit finden.
erfreulich — nur von den Fachleuten geführt wird, Ich sprach schon davon, daß das Bildungswesen
sondern viele sehr besorgte und interessierte Mit- sich in die Hauptgebiete der Schulen aller Stufen
bürger umfaßt. Die gleiche Debatte über Bildungs- einschließlich Hochschulen einerseits und der For-
probleme findet im Auslande statt, in England z. B. schung, die in Deutschland zu 60 bis 80 % — man
über den vorzüglichen Bericht des Robbins streitet darüber — an Hochschulen betrieben wird,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4445
Bundesminister Lenz
andererseits gliedert. Für ,den gesamten Ausbil- „Forschungsförderungsgesetz" und „Verwaltungs-
dungsbereich von den Schulen bis hin zu den Hoch- abkommen" bezeichnen lassen. -
schulen sind die Länder zuständig. Für die Förde- Darf ich ein paar Worte zum Forschungsförde-
rung der wissenschaftlichen Forschung dagegen liegt rungsgesetz sagen. Für ein solches Gesetz ist bereits
eindeutig eine Kompetenz sowohl bei den Ländern — es ist auch schon angedeutet worden — ein
als auch 'beim Bund vor. Im Bereich dieser doppelten Referentenentwurf ausgearbeitet worden, der im
Zuständigkeit für die Forschungsförderung muß nun Interministeriellen Ausschuß für Wissenschaft und
eine Form der Zusammenarbeit von Bund und Län- Forschung mit den anderen Bundesressorts abge-
dern gefunden werden; und das scheint mir das stimmt wurde und inhaltlich etwa den Forderungen
eigentliche Thema der heutigen Debatte zu sein. des heute debattierten SPD-Antrages entspricht.
Der Grundsatz dieser Zusammenarbeit — ich habe
das schon 'bei vielen Gelegenheiten gesagt und Aber, Herr Kollege Lohmar, natürlich mußte sich
werde nicht müde, es zu wiederholen — muß sein: dieser Referentenentwurf auf die Dauer ganz streng
Die Förderung der Wissenschaft ist eine gemein- an Art. 74 Ziffer 13 des Grundgesetzes halten, wo-
same Aufgabe von Bund und Ländern. Die verfas- nach wir eben leider nur eine konkurrierende
sungsmäßigen Positionen von Bund und Ländern Gesetzgebung haben. Wir haben eben nicht nach
sind etwa folgende. Den Ländern steht grundsätz- Art. 75 eine Rahmengesetzgebung. Sie mögen das
bedauern oder nicht; aber praktisch können wir —
lich die Kulturhoheit zu. Der Begriff hat sich einge-
bürgert. Ich weiß, er steht nicht im Grundgesetz; das ist auch schon gesagt worden — in einem sol-
aber es ist ein Arbeitsbegriff geworden, und wir chen Gesetz nur unsere eigenen Leistungen präzi-
können ihn im Moment nicht mehr entbehren. Das sieren. Deshalb stellt der Entwurf eine Förderung
Grundgesetz spricht dem Bund aber die konkurrie- der Wissenschaft als gemeinsame Aufgabe von
rende Gesetzgebung für die Förderung der wissen- Bund und Ländern dar und definiert in diesem Rah-
schaftlichen Forschung nach Art. 74 Ziffer 13 zu. Der men die Zuständigkeiten des Bundes für die För-
Bund kann also die wissenschaftliche Forschung derung von Forschungseinrichtungen, der Max-
ganz allgemein auch dort fördern, wo er sich ihrer Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungs-
nicht bedienen muß, um die ihm durch das Grund- gemeinschaft, der wissenschaftlichen Hochschulen,
gesetz Übertragenen Aufgaben zu erledigen, etwa des wissenschaftlichen Nachwuchses, von wissen-
in der sogenannten Ressortforschung. Der Bund hat saftlichen Kongressen. Das ist in diesem Referen-
über die eigene Ressortforschung hinaus die Auf- tenentwurf drin, Herr Dr. Hellige!
gabe und das Recht, wissenschaftliche Projekte und (Abg. Dr. Hellige: Aber nicht in dem von
Einrichtungen von nationaler Bedeutung nach eige- der SPD! Die SPD hat eine andere Auffas
nem Ermessen, wenn auch im engen Zusammenwir- sung; sie sieht das als eine Sozialaufgabe!)
ken mit den Ländern, zu fördern und für den über-
regionalen Ausgleich bei der Förderung der Wis- — Ja, ich meine, es liegt hier ein Fall politischer
senschaft und Forschung Sorge zu tragen. Hellseherei vor, weil dieser Antrag der SPD beinahe
genau mit dem Referentenentwurf übereinstimmt.
Wenn ich diese Positionen bezeichne, möchte ich
damit die in der Öffentlichkeit bereits erörterten (Abg. Dr. Lohmar: Er ist sehr viel kürzer,
Erwägungen, Herr Hellige, einer Grundgesetzände- Herr Minister! — Weitere Zurufe von der
rung zugunsten des Bundes außer Betracht lassen, FDP und SPD.)
und zwar sowohl aus politischen Gründen wie auch Im Referentenentwurf steht die Förderung des
wegen der gemeinsamen Aufgabe von Bund und wissenschaftlichen Nachwuchses, weiter die Förde-
Ländern, aus der man nicht ohne Not eine einseitige rung von wissenschaftlichen Kongressen, des Aus-
Aufgabe des Bundes allein machen sollte. Wenn tausches von Wissenchaftlern, von deutschen For-
wir es lernen würden, den Föderalismus sinnvoll schungseinrichtungen im Ausland. Mit diesen
zu handhaben, würden die Stimmen derer, die ihn Bestimmungen wird die derzeitige Förderungspra-
einschränken oder gar abschaffen wollen, wahr- xis des Bundes fixiert, ohne daß der Versuch unter-
scheinlich sehr bald schweigen. nommen wird, die Zuständigkeit des Bundes aus-
Bleibt es bei den derzeitigen Zuständigkeiten von zuweiten. Es wäre ganz unmöglich, Herr Kollege
Bund und Ländern, so muß aus dem bisherigen Lohmar — darüber sind wir uns sicher im klaren —,
Gegenüber von Bund und Ländern in viel stärke- daß etwa ein solcher Gesetzentwurf Zahlen enthal-
rem Umfang ein Miteinander der beiden werden. ten könnte. Das Budgetrecht des Hauses bleibt
Was mir vorschwebt ist eine partnerschaftliche Zu- unbestritten. Es ist also nicht gesagt, daß wir da-
sammenarbeit, bei der jede Seite das ihr Mögliche durch mehr Geld bekämen, wenn wir ein solches
leistet, aber die Anstrengungen beider zum glei- Gesetz hätten.
chen Ziel verbunden werden. Bund und Länder sind
Sachlich neu sind lediglich die Bestimmungen über
auf diesem Gebiet natürliche Verbündete von der
einen alle zwei Jahre vorzulegenden „Bericht der
Aufgabe her.
Bundesregierung über die Lage der wissenschaft-
Selbstverständlich bedeutet Zusammenarbeit lichen Forschung". In diesem Bericht müßte die Bun-
keine unklare Vermischung oder Verwischung von desregierung dem Bundestag Auskunft darüber ge-
Zuständigkeiten. Diese Zuständigkeiten und damit ben, was auf dem Gebiet der Forschungsförderung
die Verantwortlichen sollten klar zu erkennen sein. in dem jeweils zurückliegenden Zeitraum getan wor-
Dafür gibt es zwei Überlegungen, die uns heute den ist und welche Förderungsmaßnahmen in Zu-
abend beschäftigen, die sich mit den Stichworten kunft vorgesehen sind. Eine solche Übersicht ist un-
4446 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963
Bundesminister Lenz
erläßlich, weil einerseits die Forschungsvorhaben — Ich will mich als Nichtjurist gern belehren lassen.
praktisch unbegrenzt, andererseits die staatlichen Aber es ist gar keine Frage, Herr Kollege Schäfer:
-
Förderungsmittel aber nur begrenzt sind. Auf der hätten wir das Abkommen, dann wären die Vor-
Grundlage laufender Berichte könnte die Bundes- würfe, die erhoben werden — wahrscheinlich zu
regierung eine Konzeption für eine angemessene Recht erhoben werden — wahrscheinlich nicht ge-
Forschungsförderung über einen größeren Zeitraum kommen.
von Jahren entwickeln. Dadurch könnte die Wissen- (Abg. Dr. Schäfer: Einverstanden!)
schaftspolitik des Bundes einen festen Rahmen er-
Der Entwurf dieses Verwaltungsabkommens be-
halten. Ich lege ganz großen Wert und Nachdruck
faßt sich in erster Linie mit dem Ausbau der be-
auf die Erstellung dieses Berichts, der uns wahr-
stehenden wissenschaftlichen Hochschulen. Danach
scheinlich die Grundlage geben wird, so etwas wie
sollen sich Bund und Länder je zur Hälfte an der
Bildungsplanung zu betreiben. Herr Kollege Lohmar,
Finanzierung des weiteren Ausbaues der wissen-
dafür eine Abteilung einzurichten, wird kaum mög-
schaftlichen Hochschulen nach den Empfehlungen
lich sein; denn die dafür nötigen Kräfte wird mir
des Wissenschaftsrates beteiligen. Der Entwurf sieht
der Haushaltsausschuß nicht geben. Ich bin bereits
weiter vor, daß Bund und Länder den jährlichen Zu-
froh, daß wir ein Referat für dieses Thema haben.
schußbedarf der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Zum Erlaß eines Gesetzes könnte noch angeführt und der Max-Planck-Gesellschaft einschließlich der
werden, daß das schließlich bedeuten würde, daß erforderlichen Baumaßnahmen je zur Hälfte tragen.
die Länder der Forschungsförderung durch den Bund Außerdem sollen auch die Mittel für die Durchfüh-
nicht mehr mit dem Argument begegnen könnten, rung der Studentenförderung nach dem Honnefer
der Bund finanziere Länderaufgaben. Modell von beiden Partnern zu gleichen Teilen auf-
Nun lassen Sie mich bitte ein paar Worte zu der gebracht werden.
anderen Möglichkeit — Verwaltungsabkommen — Da das erwähnte Verwaltungsabkommen noch
sagen. In Verhandlungen zwischen Bund und Län- keine Vereinbarung über die Beteiligung des Bun-
dern ist, wie Sie wissen, der Entwurf eines „Verwal- des an den Baukosten für Hochschulneugründungen
tungsabkommens zur Förderung kulturpolitischer vorsieht — erlassen Sie mir bitte, Herr Kollege Loh-
Aufgaben" ausgearbeitet worden. Ich muß sagen, mar, jetzt in eine authentische Interpretation der
daß sich der Herr Kollege Höcherl in seiner Eigen- Saarbrücker Beschlüsse einzutreten; das könnten wir
schaft als Innenminster damals große Mühe gegeben auch durch ein Gesetz nicht machen; denn man weiß
hat, auf dem sehr schwierigen Terrain zwischen nicht, ob Neugründungen und Mitbeteiligung an der
Bund und Ländern dieses Verwaltungsabkommen Finanzierung nicht verschiedene Dinge sind —, hat
zustande zu bringen. Er hat es der Bundesregierung der Wissenschaftsrat ein Finanzierungsmodell für
am 17. Oktober des letzten Jahres zugeleitet, und neuzugründende Hochschulen entwickelt, das eben-
die Bundesregierung hat diesem Abkommen zuge- falls Gegenstand eines Verwaltungsabkommens zwi-
stimmt. Leider ist die Zustimmung einiger Länder schen Bund und Ländern sein sollte. Nach diesem
bisher ausgeblieben, und das Abkommen ist nicht Plan soll der Bund auch an der Finanzierung von
in Kraft getreten. Hochschulneugründungen beteiligt sein, weil jede
Es muß aber der Fairneß wegen gesagt werden, Neugründung zur Entlastung der wissenschaftlichen
daß die Länder dieses Abkommen materiell voll Hochschulen nicht nur eines Bundeslandes, sondern
erfüllt haben. Beide Teile arbeiten so, als ob es aller Länder beiträgt und die wissenschaftliche For-
bestünde. Herr Kollege Hellige, es muß nicht unbe- schung und Lehre in der Bundesrepublik dadurch
dingt ein Gesetz sein. Wäre dieses Verwaltungs- insgesamt verbessert werden.
abkommen zustande gekommen, hätten die Länder
zugestimmt, dann bestünde hinsichtlich dieses Be- Die Finanzierung soll so geschehen, daß ein Ge-
meinschaftsfonds als Sondervermögen gebildet wird,
trages von 250 Millionen DM auch für den Bund
eine Rechtsverpflichtung. Deswegen bedeutet natür- aus dem die Gesamtkosten für den Bau und die Erst-
lich auch das Abkommen eine Verpflichtung. Sie einrichtung dieser neuen Hochschule bestritten wer-
haben dann Magnifizenz Speer zitiert. Nun, wir den. Die Mittel dieses Fonds sollen zur Hälfte vom
haben keine gesetzliche Handhabe. Wir sind nicht Bund, zur anderen Hälfte von allen Ländern aufge-
schuld, daß das Abkommen nicht zustande gekom- bracht werden. Herr Kollege Hahn, ich habe Ihre
men ist. Dadurch ist die sicher nicht sehr schöne Anregung mit dem Leertitel sehr gern gehört, und
dreimalige Kürzung des Ansatzes zustande gekom- es sind auch in unserem Hause Bestrebungen im
men. Aber hätten wir das Abkommen, hätten die Gange, das Haus zu bitten, diesen Leertitel einzu-
Länder zugestimmt, wäre es auch für den Bund eine setzen.
Verpflichtung gewesen. Der durchgehende Grundgedanke in beiden Ver-
(Zuruf: Eine moralische!) waltungsabkommensentwürfen ist die gemeinsame
politische und finanzielle Verantwortung von Bund
— Nein, keine moralische, eine Rechtsverpflichtung. und Ländern für die Förderung der deutschen Wis-
(Abg. Dr. Schäfer: Nein, ein Verwaltungs senschaft.
abkommen begründet nie eine rechtliche Die beiden aufgezeigten Möglichkeiten — Bun-
Verpflichtung! Das Budgetrecht des Hauses desforschungsgesetz, Verwaltungsabkommen —
wird dadurch nicht berührt! Nur in einem schließen sich gegenseitig nicht aus. Beides ist viel-
Gesetz oder in einem Staatsvertrag ist das mehr nebeneinander möglich, da sie in verschie-
festzulegen!) dene Richtungen zielen: das Forschungsgesetz be-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4447
Bundesminister Lenz
faßt sich, abgesehen von dem Grundsatz der Ge- doch weitgehend eine möglichst tolerante Linie ver
meinsamkeit von Bund und Ländern, nicht mit dem treten. -
Bund-Länder-Verhältnis, sondern umreißt allein die Ich habe den Eindruck, daß die Kulturpolitik —
Zuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Ziffer 13 des und ich bin froh darüber — heute in Deutschland
Grundgesetzes in den einzelnen Möglichkeiten ihrer nicht mehr ein Kampf um weltanschauliche Posi-
Realisierung und regelt das Verhältnis der Bundes- tionen ist. Die Probleme, die heute vor uns stehen
regierung zum Bundestag, nicht zuletzt auch durch — sie sind groß und sie sind schwierig genug —,
den periodischen „Bericht zur Lage der Wissen- sind im wesentlichen solche der Reformen, der Or-
schaft". Die beiden Verwaltungsabkommen würden ganisation und der Finanzierung. Bund und Länder
dagegen die Zusammenarbeit des Bundes mit den sollten sich deswegen mit stärkerem Nachdruck als
Ländern bei der gemeinsamen Förderung der Wis- bisher daranmachen, ihre beiderseitigen Kräfte in
senschaft regeln. Danach könnten beide Maßnah- einem sachlichen und partnerschaftlichen Zusammen-
men, Verwaltungsabkommen und Forschungsgesetz, spiel zusammenzufassen. Wir haben im Wissen-
nebeneinander hergehen. schaftsrat, der auf einem bereits zweimal verlänger-
Wenn nun Verwaltungsabkommen und For- ten Verwaltungsabkommen beruht, ein gutes Bei-
schungsförderungsgesetz sich gegenseitig nicht aus- spiel für das Funktionieren solcher Abreden zwi-
schließen, so bleibt doch die Frage, ob man sie schen Bund und Ländern. Die ausgleichende und an-
gleichzeitig einleiten soll; das ist auch schon zur treibende Wirkung des Wissenschaftsrats wird auch
Sprache gekommen. Die Bundesregierung ist dazu von uns allen sehr geschätzt. Ich möchte daher wün-
folgender Auffassung. Ein Forschungsförderungs- schen, daß auch auf weiteren Gebieten der Wissen-
gesetz kann sich als notwendig erweisen. Ein sol- schaftspolitik solche gemeinsamen Absprachen zu-
ches Gesetz ist aber gesetzgeberisch nur durchzu- stande kommen und sich die Länder bald zur Unter-
bringen und wird nach Inkrafttreten nur funktionie- schrift wenigstens unter das erste der beiden Ver-
ren, wenn eine Atmosphäre des gegenseitigen Ein- waltungsabkommen entschließen. Danach sollte man
verständnisses zwischen Bund und Ländern herrscht. das zweite Verwaltungsabkommen in Angriff neh-
Deshalb sollte ein solches Einverständnis vor Ein- men, und dann erst sollten wir, wenn notwendig,
bringung des Forschungsgesetzes durch den Ab- die Verhandlungen über das Forschungsförderungs-
schluß wenigstens eines der beiden Verwaltungs- programm fortsetzen, wobei wir dann hoffentlich
abkommen hergestellt werden. auf die Mithilfe der Länder rechnen können. Auf
diese Weise würden wir die organisatorischen und
Die Bundesregierung wird sich daher zunächst finanziellen Abreden schaffen, die als Fundament für
um den Abschluß der Verwaltungsabkommen be unsere gemeinsamen Anstrengungen auf diesem für
mühen. Nachdem die Meinungsverschiedenheiten unser Schicksal bestimmenden Gebiet unerläßlich
zwischen Bund und Ländern anscheinend sich zu ent- sind.
schärfen beginnen, besteht nunmehr eine größere (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Aussicht, daß die Ministerpräsidenten einem oder
vielleicht sogar beiden Verwaltungsabkommen zu-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
stimmen.
Herr Abgeordnete Dr. Lohmar.
Für die Verhandlung mit den Ländern über die
Verwaltungsabkommen ist von der Bundesregie- Dr. Lohmar (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-
rung eine Kommission gebildet worden, der der men und Herren! Ich will zu dieser späten Stunde
Bundesminister für wissenschaftliche Forschung so- die Beratungen nicht unnötig ausdehnen. Aber es
wie die Bundesminister der Finanzen und des In- ist geboten, ein kurzes Resümee dieser Aussprache
nern, der Bundesratsminister und der Staatssekre- zu ziehen.
tär des Bundeskanzleramtes angehören.
Ich freue mich darüber, daß wir im Grundsatz
Abschließend darf ich vielleicht noch folgende Be- in der Einschätzung der Zweckmäßigkeit und Not-
merkung machen. Ich bin ein Politiker, der — Sie wendigkeit eines Forschungsförderungsgesetzes
haben davon schon gesprochen — aus der liberalen übereinstimmen. Ich freue mich insbesondere dar-
Tradition kommt. Herr Kollege Lohmar, verzeihen über, daß der Herr Bundesminister für wissenschaft-
Sie, wenn ich den Vorwurf der schwäbischen Cour- liche Forschung seine Vorbehalte gegenüber unse-
toisie nicht als Vorwurf empfinde. Es haben doch rem Antrag lediglich auf die zeitliche Folge eines
auch Männer wie Georg von Frundsberg, Götz von wenigstens ersten Verwaltungsabkommens und
Berlichingen eines dann auch nach seiner Auffassung wünschens-
(Heiterkeit) werten Forschungsförderungsgesetzes bezogen hat,
und mein leider viel zu früh verstorbener Partei- nicht aber auf die Sache, in der wir weitgehend
freund Ulrich von Hutten gelebt. einig zu sein scheinen.
Nur, meine Damen und Herren, frage ich mich —
(Erneute Heiterkeit.)
darauf hat der Bundesminister für wissenschaftliche
Ich möchte alles in allem folgendes sagen, obwohl Forschung keine Antwort geben mögen oder kön-
Sie wissen, wie es mit dem „Knüppel aus dem Sack" nen —: Bis wann können wir denn mit dem Ab-
ist: er ist immer eine Maßnahme, mit der man im schluß eines solchen Verwaltungsabkommens rech-
allgemeinen doch nicht weit kommt. Die Kinder sind nen? Die Situation, in der wir uns verfangen haben,
nie besser geworden durch den Knüppel, vielleicht ist so, 'daß wir Ihrer Zuversicht mit großer Skepsis
viel eher durch die Geschenke. Ich möchte hier eben begegnen, Herr Minister. Und wir haben ein klären-
4448 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Dr. Lohmar
des Wort zu den Ungereimtheiten in den Äußerun anders. Wir haben dem Parlament immer noch
gen von Mitgliedern der Bundesregierung vermißt! eine originäre Führungsaufgabe zugedacht.-
Was ist denn mit dem Herrn Finanzminister? Wie (Abg. Dr. Martin: Das ist doch nicht origi
sollen wir die Regierungserklärung in bezug auf nell, das ist eine Plattheit! — Abg. Weh
das, was der Bundeskanzler zur Wissenschaftspoli- ner: Was können Sie abends um neun
tik gesagt hat, verstehen? Sie haben 'hier namens noch anderes verlangen! — Heiterkeit. —
der Bundesregierung eine Erklärung zu unserer Vor- Abg. Dr. Martin: Das sind doch Unterstel
lage abgegeben. Aber wir fürchten, daß dadurch lungen, Herr Lohmar!)
eine vielleicht ganz anders akzentuierte Erklärung
des Herrn Bundesfinanzministers 'in den nächsten Wir möchten es dabei belassen, daß unser An-
Tagen oder Wochen nicht ausgeschlossen ist. Wir trag an den Kulturausschuß — federführend —
möchten gerne einander widersprechende Stellung- überwiesen wird. Der Bundestag sollte die Bundes-
nahmen der Bundesregierung aus der Welt schaf- regierung dann unverzüglich auffordern, ein Ver-
fen helfen. waltungsabkommen mit den Ländern und ein For-
schungsgesetz rasch zustande bringen zu helfen.
Sie haben recht mit Ihrer Feststellung, daß ein
Forschungsförderungsgesetz nicht die Beziehungen (Beifall bei der SPD.)
zwischen Bund und Ländern in allen diesen Fragen
ordnen kann, sondern zunächst zu einer Präzisie- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich schließe die
rung der Möglichkeiten 'auf der Bundesebene bei- Beratung.
tragen kann und soll. Dafür ist das Gesetz gedacht.
Aber mir scheint, daß in der Bundesregierung zu- Es ist beantragt, die Vorlage an den Ausschuß für
nächst Klarheit geschaffen werden muß. Kulturpolitik und Publizistik — federführend — und
an den Ausschuß für Atomkernenergie und Wasser-
Unser Vorschlag zu einem Gesetzentwurf richtet
wirtschaft — mitberatend — zu überweisen. — Ich
sich nicht gegen die Länder. Ich nehme den Hin-
höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
weis von Herrn Minister Lenz auf, daß man die Be-
ratungen eines solchen Gesetzes möglichst gemein- Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
sam mit den Ländern in Angriff nehmen sollte.
Die Länder haben ja durch ihre Zustimmung zu Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
dem Abkommen über den Wissenschaftsrat klar zu desregierung eingebrachten Entwurfs eines
erkennen gegeben, daß sie in diesem Bereich mit Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. Mai 1961
dem Bund zu kooperieren bereit sind; sonst hätten zwischen der Bundesrepublik Deutschland
sie diesem Abkommen bzw. seiner Verlängerung und der Republik Togo über die Förderung
nicht zustimmen können. Nehmen wir also die Bun- der Anlage von Kapital (Drucksache IV/592);
desländer bei diesem guten Wort und sagen wir: Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschus-
Wir wollen die Länder durch ein Bundesforschungs- ses (16. Ausschuß) (Drucksache IV/884).
gesetz keinen Pressionen aussetzen, sondern wir (Erste Beratung 44. Sitzung)
wollen die Voraussetzungen für die Zusammenar-
beit auf der Bundesseite in einer vernünftigen Berichterstatter ist der Abgeordnete Matthöfer.
Weise klären. Das müßte doch den Ministerpräsi- Ich danke ihm für seinen schriftlichen Bericht.
denten klarzumachen sein, ohne ein neues Miß- Der Ausschuß beantragt, den Gesetzentwurf un-
trauen gegenüber dem Bund zu erzeugen! Jeden- verändert anzunehmen.
falls werden wir von uns aus alles tun, um das Auf-
Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Ein-
kommen eines solchen Mißtrauens zu verhindern.
leitung und Überschrift. — Wer zustimmen will,
Enttäuscht bin ich über die sehr unverbindlichen gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Ent-
Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Hahn. Herr haltungen? — Einstimmig angenommen. Ich
Kollege Hahn, ich will Sie nicht kränken: Aber was schließe die zweite Beratung und eröffne die
von Ihren Vorschlägen übrig bleibt, war im Grunde
genommen — beinahe symbolisch — die Anregung, dritte Beratung.
einen Leertitel im Haushalt einzurichten. Das bringt Wer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustim-
uns nicht weiter in dem gemeinsamen Bemühen, men will, erhebe sich vom Platz. — Gegenprobe! —
Boden unter die Füße zu bekommen. So sehr meine Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme
Freunde und ich gewillt sind, den Bundestag in der fest.
Wissenschaftspolitik nicht in die gleiche Führungs-
losigkeit abgleiten zu lassen, von der bisher die Ich rufe auf den Punkt 9 der Tagesordnung:
Bundesregierung gekennzeichnet war, so sind wir
doch damit einverstanden, daß wir es für heute bei Beratung der von der Bundesregierung vor-
gelegten Neunundzwanzigsten Verordnung
der im Ältestenrat getroffenen Verabredung belas-
zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963
sen sollten — —
(Zollkontingent für feste Brennstoffe) (Druck-
(Abg. Dr. Martin: Was meinen Sie mit sache IV/1612).
Führungslosigkeit?)
Es ist vorgesehen Überweisung an den Außen-
— Pardon, Herr Kollege Martin! Ich weiß, daß Sie handelsausschuß — federführend — und an den
sich als parlamentarische Exekutive der Bundesre Wirtschaftsausschuß — mitberatend —. Keine Erin-
gierung betrachten. Wir sehen das Parlament etwas nerungen! Es ist so beschlossen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4449
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung: h d e r : Kapitalbeteiligung des Landes Nord-
rhein-Westfalen und des Vereins für
Erste Beratung des von der Bundesregierung
die bergbaulichen Interessen an der
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Treuhandstelle für Bergmannswohn-
den Übergang des zur Bundeswasserstraße
stätten im rheinisch-westfälischen
Elbe gehörigen Nebenarms „Alte Süderelbe"
SteinkohlbzrmHEsen
auf die Freie und Hansestadt Hamburg
(Drucksachen IV/1389, IV/1610).
(Drucksache IV/1593).
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten
Der Entwurf soll an den Ausschuß für wirtschaft-
Mick. Der Bericht wird nicht ergänzt. Ich danke dem
lichen Besitz des Bundes überwiesen werden. — Es
Herrn Berichterstatter. Aussprache wird nicht ge-
ist so beschlossen.
wünscht.
Punkt 13 der Tagesordnung: Ich stelle den Antrag des Ausschusses auf Druck-
Erste Beratung des von der Bundesregierung sache IV/1610 zur Abstimmung. Wer dem Antrag
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zustimmt, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegen-
Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes probe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme!
(Drucksache IV/1587). Zum Schluß rufe ich den Punkt 17 der Tagesord-
Der Entwurf soll ohne Beratung an den Finanz- nung auf:
ausschuß überwiesen werden. — Es ist .so beschlos- Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
sen. schusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten (19. Ausschuß) über den Antrag der
Punkt 14 der Tagesordnung: Abgeordneten Logemann, Sander, Wächter
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- und Genossen
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betr. EWG-Agrarpreispolitik (Drucksachen
des Offshore-Steuergesetzes (Drucksache IV/1589). IV/1258, IV/1611) .
Der Gesetzentwurf soll — ebenfalls ohne Aus- Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten
sprache — an den Finanzausschuß — federführend Bewerunge, dem ich danke. Wir haben abzustim-
— und an den Außenhandelsausschuß — mitbe- men aber den Antrag des Ausschusses auf Druck-
ratend — überwiesen werden. — Es ist so be- sache IV/1611 unter B. Wer dem Antrag des Aus-
schlossen. schusses zustimmt, gebe bitte ein Handzeichen. —
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist
einstimmig angenommen.
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
schusses für wirtschaftlichen Besitz des Bun- Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung.
des (28. Ausschuß) über den Antrag des Bun- Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Freitag, den
desministers der Finanzen 15. November, 9 Uhr.

betr. Zustimmung zur Überlassung junger Die Sitzung ist geschlossen.


Anteile an wirtschaftlichen Unternehmungen
an andere Bezieher als den Bund; (Schluß der 'Sitzung: 21.04 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4451

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich


Liste der beurlaubten Abgeordneten Metzger 21. 11.
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 14. 11.
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich
Freiherr von Mühlen 24. 11.
a) Beurlaubungen 16. 11.
Müller (Aachen-Land)
Arendt (Wattenscheid) * 15. 11. Müller (Remscheid) 15. 11.
Dr. Arndt (Berlin) 31. 12. Neumann (Allensbach) 16. 11.
Dr. Arnold 15. 11. Ollenhauer 31. 12.
Dr. Atzenroth 15. 11. Pöhler 15. 11.
Bading 15. 11. Porten 15. 11.
Benda 14. 11. Porzner 15. 11.
Bergmann * 14. 11. Rademacher * 15. 11.
Berlin 20. 11. Frau Renger 15. 11.
Birkelbach * 14. 11. Richarts * 15. 11.
Fürst von Bismarck 15. 11. Dr. Schneider (Saarbrücken) 15. 11.
Börner 15. 11. Schoettle 31. 12.
Dr. von Brentano 15. 11. Dr. Seffrin 16.11 .

Brese 16. 11. Seifriz 15. 12.


Burckardt 15. 11. Storch* 15. 11.
Burgemeister 16. 11. Frau Strobel * 15. 11.
Cramer 15. 11. Dr. Supf 15. 11.
Dr. Deist * 15. 11. Dr. Freiherr von Vittinghoff-
Deringer 14. 11. Schell 15. 12.
Dr. Dichgans * 15. 11. Walter 14. 11.
Dopatka 18. 11. Weber (Georgenau) 15. 11.
Dorn 14. 11. Weinkamm 15. 11.
Frau Dr. Elsner * 15. 11. Wellmann 16. 11.
Etzel 15. 11. Wendelborn 15. 11.
Fritsch 30. 11. Dr. Wilhelmi 16. 11.
Dr. Furler * 14. 11. Wischnewski * 15. 11.
Goldhagen 16. 11.
b) Urlaubsanträge
Freiherr zu Guttenberg 15. 12.
Hahn (Bielefeld) 15. 11. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 11.
Hauffe 15. 11. Dr. Müller-Hermann 15. 12.
Dr. Hesberg 14. 11. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Par-
Holkenbrink 15. 11. laments
Dr. Hoven 30. 11.
Illerhaus * 14. 11.
Kahn-Ackermann
Anlage 2 Umdruck 359
15. 11.
Kalbitzer 15. 11.
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
Frau Kipp-Kaule 15. 11. zweiten Beratung des von der Bundesregierung
Dr. Kliesing (Honnef) 14. 11. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Um-
Knobloch 15. 11. stellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksachen
Kreitmeyer 16. 11. IV/1473, IV/1613, zu IV/1613).
Kriedemann * 16. 11. Der Bundestag wolle beschließen:
Dr. Krümmer 14. 11.
In Artikel 8 erhält Artikel 1 des Straßenbaufinan-
Leber 15. 11. zierungsgesetzes folgende Fassung:
Lenz (Brühl) * 15. 11.
Dr. Löbe 15. 11. „Artikel 1
Dr. Löhr 15. 11. Zweckbindung des Aufkommens der
Lücker (München) * 15. 11. Mineralölsteuer
Mauk * 15. 11. Das Aufkommen an Mineralölsteuer, , ausgenom-
Merten 16. 11. men das Aufkommen aus der Besteuerung der
4452 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963

Schweröle und Reinigungsextrakte nach § 8 Abs. 2 gesonderter Entschließungsantrag als Buchstabe c


des Mineralölsteuergesetzes, ist in Höhe von 55 von wie folgt gefaßt:
Hundert für Zwecke ides Straßenwesens zu verwen- „c) Die Bundesregierung wird ersucht,
den."
Vorschläge zu unterbreiten, wie eine Wettbe-
Bonn, den 14. November 1963 werbsgleichheit mittelständischer Unternehmen
gegenüber dem Eigenverbrauchsprivileg der
Ollenhauer unid Fraktion Raffinerien sichergestellt werden kann."

Bonn, den 14. November 1963


Anlage 3 Umdruck 357 (neu)
Dr. Imle Dr. Kohut
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Mertes Logemann
Nummer 2 des Antrages des Finanzausschusses zu Dr. Danz Dr. Mälzig
dem von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Deneke Margulies
wurf eines Gesetzes über Umstellung der Abgaben
Dr. Emde Murr
auf Mineralöl (Drucksachen IV/1473, IV/1613,
zu IV/1613). Ertl Peters (Poppenbüll)
Frau Dr. Flitz Dr. Rieger (Köln)
Der Bundestag wolle beschließen:
(Wilhelmshaven) Dr. Rutschke
In Nr. 2 b) des Ausschußantrags - Drucksache Dr. Hamm Soetebier
IV/1613 — wird der letzte Satzgestrichen und als
(Kaiserslautern) Zoglmann
gesonderter Entschließungsantrag als Buchstabe c
wie folgt gefaßt:
„c) Die Bundesregierung wird ersucht,
alsbald Vorschläge zu unterbreiten, die die Anlage 5 Umdruck 358 (neu)
Wiettbewerbsverzerrungen durch das Eigenver-
brauchsprivileg der Raffinerien zu Lasten kon- Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
kurrierender mittelständischer Betriebe besei- zur dritten Beratung des von .der Bundesregierung
tigen." eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Um-
stellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksachen
Bonn, Iden 14. November 1963 IV/1473, IV/1613, zu IV/1613).

Ollenhauer und Fraktion Der Bundestag wolle beschließen:


Die Bundesregierung wird ersucht,
1. zu prüfen, ob der 2. Vierjahresplan für den Aus-
Anlage 4 Umdruck 360 bau der Bundesfernstraßen durch die starke Ent-
wicklung der Motorisierung überholt und
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Imle, 2. gegebenenfalls bis zum 31. März 1964 einen modi-
Mertes und Genossen zu Nummer 2 des Antrages
fizierten 2. Vierjahresplan vorzulegen, der es er-
des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über möglicht, unter voller Ausschöpfung der Straßen-
Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Druck- baukapazität den Ausbau des Bundesfernstraßen-
sachen IV/1473, IV/1613, zu IV/1613). netzes an die Motorisierung anzupassen.

Der Bundestag wolle beschließen: Bonn, den 13. November 1963


In Nr. 2 b) des Ausschußantrages — Drucksache
IV/1613 — wird der letzte Satz gestrichen und als Ollenhauer und Fraktion

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