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D eutscher Bundestag

16. Sitzung

Bonn, den 22. Februar 1962

Inhalt:

Sturmflutkatastrophe an der Nordseeküste Frage des Abg. Lohmar:


Vizepräsident Dr. Schmid . . . . 463 A Besetzung von Lehrstühlen an Univer-
sitäten
Nachruf auf den Abg. Ludwig 464 A
Höcherl, Bundesminister . 468 D, 469 A
Abg. Ruland tritt in den Bundestag ein . 464 B Lohmar (SPD) 468 D, 469 A

Erweiterung der Tagesordnung 464 C Frage des Abg. Jahn:


Bundesgesetzliche Regelung des Straf-
Erklärung der Bundesregierung zur Sturm-
vollzuges
flutkatastrophe an der Nordsee
Dr. Stammberger, Bundesminister 469 B, C
Dr. Dr. h. c. Erhard, Stellvertreter
des Bundeskanzlers 464 D Jahn (SPD) 469 B
Vizepräsident Dr. Schmid . . . . 466 D Memmel (CDU/CSU) 469 C

Fragestunde (Drucksachen IV/199, IV/202) Frage des Abg. Drachsler:


Fragen der Abg. Sänger und Günther: Aufkommen an Mineralölsteuer und
Kraftfahrzeugsteuer
Fernsehsendung über Kongo
Dr. Hettlage, Staatssekretär 469 D, 470 A
Dr. Carstens, Staatssekretär 467 A, B, C, D,
468 A Drachsler (CDU/CSU) 469 D
Sänger (SPD) . . . . . . . . 467 B, C
Fragen des Abg. Dr. Arndt (Berlin) :
Kahn-Ackermann (SPD) 467 C
Telefongespräch des Bundesverteidi-
Jahn (SPD) 467 C gungsministers mit Oberstaatsanwalt
Günther (CDU/CSU) . . . 467 D, 468 A Sauter
Strauß, Bundesminister . . . . . 470 B
Frage des Abg. Bauer (Würzburg)::
Drohender Konkurs der Versicherungs- Frage des Abg. Dr. Arndt (Berlin) :
gesellschaft BRANDARIS Parteivorsitzender — Mitglied der
Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 468 B, D Bundesregierung
Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 468 C Dr. Krone, Bundesminister . . . . 470 B
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Frage des Abg. Hörmann (Freiburg) : Frage des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) :
Schiffahrtsschleuse Breisach Italienische Frachtsubventionen bei
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 470 C Obst und Gemüse

Hörmann (Freiburg) (SPD) . . . . 470 C Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister


434 B, C, D, 475 A
Bading (SPD) 474 C
Frage des Abg. Hörmann (Freiburg) : Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . . 474 D
Eisenbahnverbindung mit Colmar
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 470 D, Frage des Abg. Dr. Arndt (Berlin) :
471 B, C, D Neubau des Postscheckamtes Berlin
Hörmann (Freiburg) (SPD) . . . 471 A, B Stücklen, Bundesminister . . . 475 A, B, C
Dr. Schäfer (SPD) .471 C, D Jahn (SPD) ......... 475 B, C
Neumann (SPD) 475 C
Frage des Abg. Josten:
Umgehungsstraße von Sinzig Frage des Abg. Atzenroth:
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 471 D, Porto im Briefverkehr mit den EWG-
472 A Staaten
Josten (CDU/CSU) 472 A Stücklen, Bundesminister 475 C

Frage des Abg. Dr. Brecht:


Frage des Abg. Börner: Wohnungsbau für Bundeswehrange-
Fährbetrieb bei Wilhelmshausen hörige
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 472 A, B Lücke, Bundesminister 475 D,
476 A, B
Börner (SPD) 472 B
Dr. Brecht (SPD) 476 A, B

Frage des Abg. Drachsler: Fragen des Abg. Leicht:


Verteilung des Aufkommens aus dem Rechtsverordnung gemäß § 35 des
Gemeindepfennig Arzneimittelgesetzes
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 472 C Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister 476 B, C

Frage des Abg. Drachsler: Frage des Abg. Leicht:


Richtlinien über die Verteilung der Verschreibungspflicht bei neu ent-
Mittel aus dem Gemeindepfennig wickelten Arzneistoffen
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 472 D, Frau Dr. Schwarzhaupt,
473 A Bundesminister 476 C, D,
Drachsler (CDU/CSU) 473 A 477 A, B, C
Frau Dr. Hubert (SPD) . 476 D, 477 A
Dr. Mommer (SPD) 477 A, B
Frage des Abg. Bauer (Würzburg) :
Vogt (CDU/CSU) .477 C
Richtlinien zur Erhaltung der Binnen-
fischerei an den Bundeswasserstraßen
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . Frage des Abg. Bauer (Würzburg) :
473 B, C, D Hybridenweine
Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . 473 B, D Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister . . . . . . . 477 C,
478 A, B, C
Frage des Abg. Vogt: Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 478 A
Aufbau des Bahnhofsgebäudes Kahn-Ackermann (SPD) . . . . 478 B, C
Aschaffenburg-Süd
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 473 D, Sammelübersicht 3 des Petitionsausschusses
474 A über Anträge zu Petitionen (Drucksache
Vogt (CDU/CSU) . . . 473 D, 474 A IV/187) 478 C
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Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Herold (SPD) 512 B
Krankenversicherung, Lohnfortzahlung
Eschmann (SPD) 513 D
und Kindergeld (Drucksache IV/153)
Dr. Mommer (SPD) (zur GO) . . 478 D Bericht der Bundesregierung über die Lage
Rohde (SPD) 479 A der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des
Landwirtschaftsgesetzes (Drucksachen
Erler (SPD) (zur GO) 483 D IV/180, zu IV/180)
Blank, Bundesminister . . 483 D, 487 A Bauknecht (CDU/CSU) . . . . . 515 A
Dr. Schellenberg (SPD) . . 484 A, 490 A Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . . 521 B
Schütz (München) (CDU/CSU) . . 488 A Dr. Effertz (FDP) . . . . . . . . 527 A
Spitzmüller (FDP) 488 B Wacher (CDU/CSU) . . . . . 534 A
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ä nde Frehsee (SPD) 539 C
rung des Wehrpflichtgesetzes (Druck- Logemann (FDP) 545 B
sache IV/92) ; Berichte des Haushalts- und Dr. Reinhard (CDU/CSU) . . . 548 C
des Verteidigungsausschusses (Druck-
sachen IV/194, IV/193, zu IV/193) — Bading (SPD) . . . . . . . . 552 A
Zweite und dritte Beratung — Walter (FDP) 553 D
Merten (SPD) . 491 B, 497 B, D, 499 D Frau Dr. Pannhoff (CDU/CSU) . . 555 B
Schultz (FDP) . . 491 D, 497 C, 512 A Dröscher (SPD) 555 D
Dr. Seffrin (CDU/CSU) . . 493 B, 513 B Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . 557 C
Bausch (CDU/CSU) . . . . . . . 493 D Marquardt (SPD) 558 A
Erler (SPD) . . 494 B, 507 A, 508 A Lücker (München) (CDU/CSU) . . 559 A
Pöhler (SPD) . . . . . . . . . 495 A Schwarz, Bundesminister . . . . 563 A
Benda (CDU/CSU) . . . . . . . 496 B
Antrag betr. Bericht über die Lage der
Leicht (CDU/CSU) . . . . 498 D, 502 A
deutschen Hochseefischerei (Gewandt,
Berkhan (SPD) . 500 A, 503 C, 509 B Müller-Hermann, Blumenfeld, Rollmann,
Schmitt-Vockenhausen (SPD) 501 B, 514 C Dr. Conring, Kuntscher, Dr. Pflaumbaum,
Dr. Siemer, Glüsing [Dithmarschen], Ras--
Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 502 D ner, Dr. Stoltenberg, Struve und Fraktion.
Kreitmeyer (FDP) . . . . . . . 503 A der CDU/CSU, Dr. Löbe, Dr. Mende und
Fraktion der FDP) (Drucksache IV/133
Schmücker (CDU/CSU) . . . . . 504 A
[neu]) 565 A
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) 505 A,
511 C
Nächste Sitzung 565 C
Strauß, Bundesminister 507 A
Döring (Düsseldorf) (FDP) . . . 507 B Anlagen 567
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16. Sitzung

Bonn, den 22. Februar 1962

Stenographischer Bericht Sturm endlose Stunden auf den Dächern aushalten


mußten und den Hunger ihrer Kinder nicht stillen
konnten, bis die Helfer kamen.
Beginn: 9.03 Uhr
Die Helfer sind gekommen. Vom ersten Augen-
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Sitzung ist er- blick der Katastrophe an strömten sie zusammen:
öffnet. die Männer und Frauen vom Roten Kreuz, vom
Arbeitersamariterbund, der zivilen Hilfsverbände,
Meine Damen und Herren, freiwillige Helfer von überall her, die Männer des
Technischen Hilfswerks, des Bundesluftschutzver-
(die Abgeordneten erheben sich)
bandes, der Polizei, der Feuerwehr, des Bundes-
über Deutschland ist eine neue Heimsuchung herein- grenzschutzes, der Bundeswehr und der Truppen
gebrochen: die Toten von Völkingen lagen kaum unserer Verbündeten, Soldaten aus Belgien, Däne-
unter der Erde, da zerbrach die Nordsee die Deiche, mark, Großbritannien, den Niederlanden und den
die das Land hegen sollten, überflutete die Fluren Vereinigten Staaten. Sie alle haben Übermensch-
im Küstenland, verheerte dort unzählige Siedlungen liches geleistet. Keiner hat sich geschont. Keiner hat
und begrub ganze Ortsteile Hamburgs — Harburg an sich gedacht, jeder nur an die Unglücklichen in
und Wilhelmsburg insbesondere — in den Wassern. Todesnot, die es zu retten galt. So groß war die
Dort hat das Unheil am grausamsten gewütet; doch Opferbereitschaft dieser Männer, daß sechs Soldaten
auch im Marschland Schleswig-Holsteins ist der der Bundeswehr und ein Obermeister der Polizei
Schaden unermeßlich, und in den Bezirken Stade aus Stade ihr Leben gaben, damit andere nicht zu
und Cuxhaven starrt das Land von Trümmern. Weit- sterben brauchten. .
hin liegen die Äcker und Weiden unter salzigem
Schlamm begraben. Unter den Opfern und Ge- Dieser Männer wollen wir besonders gedenken.
schädigten befinden sich zahlreiche Familien, die Ich nenne ihre Namen:
nach den Bombennächten des Krieges oder nach der Gefreiter Manfred Bahstan,
Flucht aus der sowjetisch besetzten Zone ihre ge-
Gefreiter Udo Bartling,
samte Habe nun zum zweiten Male verloren haben.
Unteroffizier Gerhard Gowitzke,
Diese Katastrophe hat nicht einzelne Ortschaften
und Bundesländer für sich allein geschlagen, sie Panzer-Pionier Wilhelm Hermanns,
traf das ganze deutsche Volk. Darum steht das ganze Gefreiter Klaus Hinz,
Volk für alle einzelnen ein, in deren Person es von
dem Unheil geschlagen worden ist. Bundesrepublik, Gefreiter Jost Andreas Sommermeyer,
Länder, Gemeinden, Wirtschaft und Gesellschaft der 52jährige Polizeiobermeister Kersenbrock.
Deutschlands sind in unlösbarer Notgemeinschaft
aufgerufen zu handeln und vorzusorgen. Sie und ihre Kameraden, die um der Behütung des
Friedens willen einberufen waren, das bittere Hand-
Bisher konnten 281 Tote geborgen werden. Viele werk des Krieges zu lernen, haben ihre erste Be-
Personen sind noch vermißt. Es ist zu fürchten, daß währungsprobe als Beschützer des Volkes im Dienst
die Zahl der Todesopfer größer ist, als wir heute spontaner Nächstenliebe abgelegt, in selbstlosem
wissen. Wir verneigen uns vor ihren Gräbern und Opfermut, nur um Brudersinn zu üben.
noch unbekannten Liegestätten. Wir trauern mit den
Eltern, Kindern, Geschwistern, Gatten, Verwandten Von allen Seiten, von außerhalb und innerhalb
und Freunden, die um sie klagen. Wir wissen, daß unserer Grenzen, ist der Bundesrepublik, ist den be-
wir ihnen keine Tröstung, sondern nur Hilfe bringen troffenen Länder, ist den Opfern von Regierungen
können. Der Bundestag weiß, was die Forderung der und Bürgern die Anteilnahme ausgesprochen und
Stunde ist, und wird seine Pflicht tun. Dies mag tätige Hilfe angeboten und geleistet worden. Diese
manches lindern, aber die Hilfe, die wir leisten Zeichen gemeinschaftlicher Solidarität über die
werden, wird den Hinterbliebenen den Schmerz Grenzen hinweg bewegen uns tief und begründen
nicht von der Seele nehmen. in uns eine Ehrenschuld des Dankes.
Unsere Anteilnahme gilt auch denen, die aus der Wir wollen auch der vielen, vielen Namenlosen
Wassersnot heil hervorgegangen sind — den vielen gedenken, die in spontaner Aufwallung des Herzens
Tausenden, die in Todesangst, in Nässe, Kälte und persönlichste Hilfe gespendet haben und noch spen-
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Vizepräsident Dr. Schmid
den: aller jener, die Kleider, Wohnraum, Geld her- wohlbekannte neue Mitglied und wünsche ihm eine
gaben — nicht von ihrem Überfluß, sondern von gute Zusammenarbeit.
ihrem Notwendigen. Lassen Sie mich auch der Ein- (Beifall.)
heiten der Bundeswehr gedenken, die spontan ihre
Betten den Geretteten gaben und durchnäßt die we- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird
nigen freien Stunden, darin sie neue Kräfte schöp- die heutige Tagesordnung um folgende Punkte er-
fen mußten, in den kalten Geräteschuppen verbrach- weitert:
ten. Beratung des Mündlichen Berichts des Außenhan-
In jenen Tagen hat sich gezeigt, daß selbst in die- delsausschusses über den von der Bundesregierung
ser von ,der Herzlosigkeit der Maschine geprägten eingebrachten Entwurf einer Zehnten Verordnung
Zeit das Menschliche im Menschen nicht verschüttet zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (nicht-
werden kann. Es hat sich in diesen Tagen großartig liberalisierte Waren der Agrarwirtschaft) (Druck-
erhoben —, ein wunderbares Geschenk für alle, in sachen IV/170, IV/205);
denen dieser Aufbruch geschah, und für jene, die Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/
dieses Aufbruchs innewerden. CSU eingebrachten Entwurfs eines Bundesurlaubs-
gesetzes (Drucksache IV/207).
Dies beschert uns eine Hoffnung für die Zukunft.
Was in diesen Tagen geschah, zeigt, daß das Herz Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne
den Menschen am stärksten zu bewegen vermag; Verlesung in den stenographischen Bericht aufge-
zeigt, daß wir imstande sind, einer des anderen nommen:
Last zu tragen, in Nüchternheit, ohne weinerliches Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 17. Fe-
bruar 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Ent-
Klagen, mit herzhafter Tat. Mögen diese Kräfte wei- wicklung der Baukosten und der Baupreise — Drucksache IV/155
— beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/201
ter in uns wirken! verteilt.
Meine Damen und Herren, ich habe eines Ver- Die Frau Bundesministerin für Gesundheitswesen hat unter
dem 19. Februar 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.
lustes zu gedenken, der unser Haus getroffen hat. Schmidt (Wuppertal), Bading, Margulies und Genossen betr.
Verschmutzung des Wassers durch 131 — Drucksachen IV/86 —
Am 18. Februar verstarb plötzlich unser Kollege beantwortet. Ihr Schreiben wird als Drucksache IV/209 verteilt.
Adolf Ludwig an einem Herzinfarkt. Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem
20. Februar 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr.
Er wurde am 27. Juni 1892 in Pirmasens geboren. NATO-Flugplatz Nörvenich — Drucksache IV/156 — beantwortet.
Sein Schreiben wird als Drucksache IV/210 verteilt.
Als junger Schuhfabrikarbeiter schloß er sich 1910
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem
der Gewerkschaftsbewegung und der Sozialdemo- 20. Februar 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Günther,
kratischen Partei an. Von 1920 bis 1930 war er Bür- Even (Köln), Müller (Aachen-Land) und Genossen betr. Gefah-
ren und Lärmbelästigung in Oberbolheim durch den Flugbetrieb
germeister in Pirmasens und im Jahre 1932 Mitglied des Flugplatzes Nörvenich — Drucksache IV/161 — beantwortet.
des Bayerischen Landtages. Das Jahr 1933 unter- Sein Schreiben wird als Drucksache IV/211 verteilt.

brach seine politische Arbeit. Er wurde verfolgt, in Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums des Innern
hat unter dem 12. Februar 1962 unter Bezug auf den Beschluß
Schutzhaft genommen und mußte ins Elend gehen. des Bundestages vom 29. Juni 1961 — Drucksache 2870 der
3. Wahlperiode lfd. Nr. 108 — über die Petition der Sektion
Nach dem Zusammenbruch von 1945 stellte sich Ravensburg des Deutschen Alpenvereins vom 30. Juli 1959 be-
richtet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/206 verteilt.
Adolf Ludwig sofort in den Dienst des politischen
Wiederaufbaus. Noch im Jahre 1945 wurde er Be- Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung
zirksvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei hat Bundesminister Dr. Erhard.
Pfalz und Vorsitzender des allgemeinen Gewerk-
schaftsbundes von Hessen-Pfalz. Dr. Dr. h. c. Erhard, Stellvertreter des Bundes-
kanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Er war Mitglied der Beratenden Landesversamm- Die Bundesregierung hat sich selbstverständlich mit
lung und bis 1949 Mitglied des Landtages von Rhein- den Folgen der Sturmflutkatastrophe befaßt. Sie
land-Pfalz. Er war Mitglied des Deutschen Rates der wird bei der Beratung dessen, was zu tun ist, in
Europäischen Bewegung. dauernder Fühlungnahme mit den Ländern und mit
der Wirtschaft stehen. Es ist zu früh, schon konkrete
Dem Bundestag gehörte der Verstorbene über die
Pläne vorzulegen. Denn trotz ständiger Verbindung
Landesliste Rheinland-Pfalz seit 1949 an. Er war
mit den beteiligten Stellen und trotz eifrigen Bemü-
Mitglied des Ausschuses für Arbeit.
hens, einen Überblick über das Ausmaß der Kata-
Ich spreche den Hinterbliebenen und der Fraktion strophe, über die materiellen Folgewirkungen und
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die die finanziellen Notwendigkeiten, die sich daraus
herzlichste Anteilnahme des Hauses aus. ergeben, zu erhalten, waren bis jetzt genauere Un-
terlagen darüber nicht zu gewinnen.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich zum
Gedenken der Opfer der Hochwasserkatastrophe und Sie wissen, daß mehrere Mitglieder der Bundes-
des verstorbenen Mitgliedes unseres Hauses von regierung versucht haben, sich an Ort und Stelle zu
Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen. orientieren und auch im einzelnen Klarheit zu ge-
winnen. Aber das Problem ist so vielschichtig, daß
Ich habe zunächst eine Reihe amtlicher Mitteilun- die Lösung nicht allein aus einer Wurzel heraus
gen zu verlesen. erfolgen kann.
Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Huth- Wir haben es zunächst einmal mit dem mensch-
macher ist mit Wirkung vom 19. Februar 1962 der lichen Problem zu tun, d. h. mit der Frage der Ver-
Abgeordnete Ruland in den Bundestag eingetreten. sorgung, der Fürsorge, der Hilfe für die Opfer der
Ich begrüße das uns aus der vorigen Wahlperiode Katastrophe und für die Hinterbliebenen. Anders
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
als bei dem Bergwerksunglück an der Saar haben Menschen in diese Gebiete zu bringen, um so schnell
wir es hier nicht mit einer Schicht zu tun, die Hilfe, wie möglich den Aufbau besorgen zu können.
Sicherheit und Fürsorge aus einer bestimmten Ein- Wirtschaftliche Schäden bedeuten zugleich soziale
richtung — wie dort aus der Knappschaftsversiche- Notstände, und beides ist darum nur gemeinsam zu
rung — erhält. Vielmehr ist in den hier betroffenen heilen. Wir werden also auch aus diesem Grunde
Gebieten die Situation hinsichtlich der Opfer sehr bestrebt sein müssen, die mittelständische Wirt-
differenziert. Es muß erst Klarheit gewonnen wer- schaft so schnell wie möglich wieder zum Anlaufen
den, in welcher Form und in welchem Ausmaß Hilfe zu bringen.
erforderlich sein wird. Es sind ja noch nicht einmal
alle Opfer identifiziert, so daß bis jetzt ein Über- Gestern ist im Wirtschaftsministerium ein
blick auch über die soziale Struktur des Kreises Aktionsausschuß „Sturmflutkatastrophe" ins Leben
der Opfer nicht möglich ist. gerufen worden. An ihm sind die deutsche Industrie
unter dem Vorsitz von Präsident Berg, Groß- und
Wir haben es weiter mit den wirtschaftlichen Einzelhandel, Handwerk, Banken und Gewerkschaf
Schäden zu tun. Es besteht bereits Klarheit darüber, ten beteiligt. Dieser Aktionsausschuß wird in Ham-
ohne daß man jedoch schon Zahlen oder Größen- burg ein besonderes Büro errichten, um von dort aus
ordnungen angeben könnte, daß die materielle Last auch in Fühlungnahme mit Schleswig-Holstein, Nie-
im wesentlichen bei den mittelständischen Schichten dersachsen und Bremen die erforderlichen Einblicke
des Handwerks, des Gewerbes und der kleineren zu gewinnen, um tätig werden und ehestens über
Industrie liegt. alle Fährnisse und Notstände hinwegfinden zu kön-
nen. Auch technische Sachverständige werden an
Ich muß bemerken, daß auch noch kein sicherer Ort und Stelle um die Erstellung einer Art Grund-
Überblick über die Zahl derjenigen Personen und und später Schlußbilanz bemüht sein.
Familien gewonnen werden kann, die als obdachlos
gelten müssen, das heißt so lange, bis neuer Wohn- Es wird darauf ankommen, soweit die Beseitigung
raum beschafft ist. In den abgeschnittenen Stadttei- von Schäden über Reparaturen hinausgeht, die dor-
len zwischen Hamburg und Harburg wohnen noch tige Wirtschaft mit Vorrang mit dem technischen
Menschen, die bisher nur aus der Luft versorgt Rüstzeug, mit Maschinen, mit Gerät zu versorgen.
werden konnten. Wir haben, abgesehen von der Bereitschaft der
Wirtschaft selbst, in dem Wirtschaftssicherungs-
Wie viele Menschen umgesiedelt werden müssen, gesetz ein Instrument an der Hand, mit dem es
ist also noch nicht klar abzuschätzen. Es ist indessen möglich sein wird, auch gewisse Leistungsver-
ziemlich sicher, daß das bisherige Gebiet von Wil- pflichtungen für die deutsche Wirtschaft auszuspre-
helmsburg kaum mehr für neue Siedlungen geeignet chen, sei es hinsichtlich der Versorgung, sei es aber
erscheint; man wird da andere Pläne in Betracht zie- auch in bezug auf den Wiederaufbau selbst. Zudem
hen müssen. Der Senat von Hamburg befaßt sich mit haben wir vorsorglich in Brüssel ein Kontingent
-
der Frage der Neusiedlung. von Fertighäusern zur zollfreien Einfuhr beantragt.
Wie groß die Schäden an persönlichem Hab und Wir haben das nicht nur wegen der Anspannung auf
Gut sein werden, ist bis heute ebenfalls noch nicht dem Baumarkt, sondern vor allen Dingen auch des-
zu ermitteln. Es geht hier um Hausrat, Kleidung und wegen getan, um gegebenenfalls die zerstörten
anderes mehr. Aber auch diese Dinge werden fest- Heime vor allem im Gebiet zwischen Hamburg und
gestellt werden. Es ist selbstverständlich, daß auch Harburg durch die Aufstellung von Fertighäusern
hier Unterstützung, Hilfe und Ersatz geboten wer- aus dem skandinavischen Raum rasch wiederauf-
den müssen. bauen zu können.
(Beifall.)
Der Schwerpunkt der Schäden im Bereich der mit-
Eine endgültige Entscheidung ist darüber noch nicht
telständischen Wirtschaft liegt beim Einzelhandel,
gefallen. Es spielen dabei auch räumliche Fragen
beim Handwerk und bei der kleineren Industrie.
eine Rolle, die mit den beteiligten Instanzen, vor
Zwar sind auch große Industriebetriebe wie Werf-
allem in Hamburg, zu erörtern sein werden. Ich
ten und Mineralölraffinerien betroffen; aber hier ist
glaube also, daß die mittelständische Wirtschaft dort
die Arbeit schon wieder in Gang gekommen, und
in aller Kürze wieder zu arbeiten beginnen kann.
hier brauchen, wie ich glaube, der Staat, sei es der
Bund, seien es die Länder und Gemeinden, primär Die Schäden im Sektor der Landwirtschaft sind
nicht einzugreifen, um den Wiederaufbau zu för- noch schwerer abzuschätzen, aber selbstverständ-
dern. Dagegen ist es unbedingt notwendig, daß wir lich sind sie in die Hilfe einzubeziehen.
den mittelständischen Kreisen möglichst schnell Der nächste wesentliche Einsatz wird der Sorge
eine materielle und finanzielle Hilfe bieten. gelten müssen, in rein baulicher Hinsicht das Not-
Die Menschen, die arbeitslos geworden sind, sei wendige zu tun; d. h. die beschädigten Häuser zu
es vorübergehend oder auf etwas längere Zeit, ha- reparieren, Werkstätten wieder betriebsfähig zu
ben durch den Entschluß der Bundesanstalt für machen und auch neuen Wohnraum und neue Unter-
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, künfte zu schaffen. Einen erheblichen Schaden wer-
sofort einzutreten, Hilfe bekommen. Im übrigen den auch alle diejenigen erlitten haben, die durch
wird das aber nicht das Problem sein. Ich bin viel- Vernichtung von Rohstoffen, von Material aller Art
mehr davon überzeugt, daß es in kurzer Frist in den und anderem mehr betroffen worden sind, ohne daß
betroffenen Gebieten nicht mehr darum geht, für es zu einer Zerstörung ihrer Anlagen selbst gekom-
die arbeitslos gewordenen Menschen zu sorgen, men wäre. All das läßt sich noch nicht überblicken,
sondern daß umgekehrt alles darauf ankommt, und es ist fast unmöglich — ich wäre ein Scharlatan,
466 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
wenn ich es trotz eifeigen Bemühens, den Dingen auf jahr wie üblich wieder eine größere oder geringere
den Grund zu kommen, und trotz ständiger Verbin- Flut eintritt, für die dann die Deiche wieder gerüstet
dung mit allen Instanzen auch nur wagen würde —, sein müssen. Es sind noch sehr erhebliche Ausbes-
eine Zahl zu nennen, d. h. die Katastrophe irgend- serungsarbeiten erforderlich, die sofort in Angriff
wie im Materiellen, im Finanziellen zu quantifizie- genommen werden müssen. Aus diesem Grunde hat
ren. Das ist nicht möglich; aber es ist ja bereits be- die Bundesrepublik die Voraussetzungen dafür zu
schlossen worden, in Zusammenarbeit mit allen schaffen, daß über den jetzigen Einsatz der Bundes-
Fraktionen und der Regierung den Versuch zu un- wehr hinaus nunmehr zivile Kräfte in diesem Raum
ternehmen, größere Klarheit über das Ausmaß der tätig werden. Wir erwarten, daß neben dem Bund
Katastrophe und damit mehr Sicherheit über das zu auch von den Ländern und von den Gemeinden
gewinnen, was zu tun notwendig ist. das eine oder andere öffentliche Vorhaben zurück-
Meine Damen und Herren, daß diese Katastrophe gestellt wird,
in ihrem Ausmaß über die Leistungskraft eines ein- (Beifall)
zelnen Landes oder einer Stadt hinausgeht, ist um Arbeitskräfte, Material und auch Mittel für
selbstverständlich. Auch die Bundesregierung ist diese von der Not betroffenen Gebiete freizube-
sich darüber klar, daß neben anderen Lasten, so wie kommen. Auch damit wird sich der Aktionsausschuß
der Herr Präsident sagte, das ganze deutsche Volk zu befassen haben. Im übrigen wird auch die Bun-
eine Verpflichtung hat, hier mitzuhelfen und mitzu- desregierung mit den Länderregierungen in dieser
heilen. Dazu aber müssen wir in Verbindung mit Frage in Fühlung bleiben bzw. engere Verbindun-
den Ländern Klarheit über das notwendige Ausmaß gen aufnehmen.
der Schäden und das Verfahren der Hilfeleistung
selbst gewinnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn
wir alle zusammenstehen, weil dieses Unglück das
Sicher ist, daß die Auseinandersetzung zwischen ganze deutsche Volk angeht, bin ich überzeugt, daß
dem Bund und den Ländern hinsichtlich der finan- wir das Unheil und die Not schnell überwinden
ziellen Fragen das Problem, das hier ansteht, keines- können und daß die betroffenen Menschen zu einem
' falls auch nur am Rande berühren darf. wieder geordneten Leben zurückfinden. Ein solches
(Beifall.) Geschehen ist geeignet, uns deutlich zu machen, daß
wir über alle Parteistandpunkte und über alle
Meine Damen und Herren, ich glaube, es wird Gruppeninteressen hinweg unser Leben an anderen
notwendig sein, nicht mit einer einmaligen Erklä- und höheren Werten ausrichten sollten, als das ge-
rung den Willen der Regierung kundzutun, sondern meinhin im Alltag in Erscheinung tritt.
des öfteren, und zwar je nach der Erarbeitung des
Grundmaterials, diesem Hohen Hause über die Lage (Beifall.)
und den Fortschritt zu berichten.
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich eröffne die all-
Im Augenblick ist alles getan worden, nicht nur
gemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht?
von Anfang an in der Beseitigung und Überwindung
— Das ist nicht der Fall.
der menschlichen Nöte, die aus dem über so viele
Menschen hereingebrochenen Unheil entstanden Meine Damen und Herren, es ist Sache der voll-
sind, sondern auch in der Einleitung der Hilfsmaß- ziehenden Gewalt in Bund und Ländern, zu handeln;
nahmen materieller und finanzieller Art. Auch sind es ist Sache des Parlaments, der Bundesregierung
die Schritte eingeleitet, um Handel und Wandel die Mittel dafür zu bewilligen. Noch haben keine
möglichst schnell wieder in Gang zu bringen. Ich Beratungen stattfinden können, aber ich weiß mich
habe den Eindruck, daß sich dieser Prozeß zum Bes- mit dem ganzen Hause einig, wenn ich von dieser
seren rascher vollziehen wird, als vielleicht nach Stelle aus sage: der Bundestag wird alles tun, um
dem ersten Schock anzunehmen war. Die größeren das Notwendige möglich zu machen. Die Last des
Betriebe sind, wie gesagt, allenthalben wieder ange- Unglücks, das die Nordseeküste geschlagen hat, darf
laufen. Auch die öffentliche Versorgung verbessert nicht auf den Schultern der Betroffenen allein liegen
sich rasch. Nach dem gestrigen Stand sind bereits bleiben. Das ganze Volk, in Nord und Süd, in Ost
wieder 90 0/o der Stromversorgung und 60 0/o der und West, muß diese Last auf seine Schultern neh-
Gasversorgung gesichert. Auch Wasser ist wieder men, und es wird diese Last auf seine Schultern
vorhanden, wenn auch noch unter unzureichendem nehmen!
Druck. Wie erheblich die Schäden im öffentlichen (Allgemeiner Beifall.)
Sektor, also etwa auf dem Gebiet der Kanalisation,
im Rohrsystem usw. sein werden, läßt sich auch noch Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
nicht endgültig feststellen; das gleiche gilt für die Fragestunde (Drucksachen IV/199, IV/202).
Schäden, was Brücken, Bahnen, Straßen, Verkehr
und Transport anbelangt. Es ist vereinbart worden, daß die Frage I nach
Beantwortung der Fragen zu VII aufgerufen werden
Eine der wesentlichsten Aufgaben nach der Be- soll.
seitigung der menschlichen Not, nach der Schaffung
Ich rufe auf Frage II/1 — des Abgeordneten
der Unterkünfte, nach der Wiederingangsetzung der
Sänger:
Betriebe ist die neuerliche Sicherung, Ausbesserung
Trifft es zu, daß der Herr Bundesaußenminister auf einen
und Verbesserung der Deiche. Denn, meine Damen Protest des Königlich Belgischen Botschafters in Bonn hin, der
und Herren, es ist ja immerhin möglich — jeden- gegen eine Reportage des Deutschen Fernsehens über den
Kongo gerichtet war, eine genaue Prüfung des Vorfalles zu-
falls muß damit gerechnet werden —, daß im Früh- gesagt hat?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 467

Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Sänger (SPD) : Sind Sie sich klar darüber, Herr
Amts: Herr Präsident, ich wollte vorschlagen, die Staatssekretär, daß hier Bedenken oder sogar Wider-
drei Fragen, die in einem unmittelbaren Zusammen- sprüche im Blick auf Artikel 5 des Grundgesetzes
hang stehen, zusammen zu beantworten. entstehen?

Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Sänger und Herr Abgeordneter Günther, erheben Amts: Die Tätigkeit des Bundesministers des Aus-
Sie Einspruch dagegen, daß die drei Fragen zusam- wärtigen und des Auswärtigen Amts in dieser Frage
men beantwortet werden? — Das ist nicht der Fall. beeinträchtigt die Meinungsfreiheit und die Presse-
Ich rufe daher auch auf die Frage II/2 — des Herrn freiheit in keiner Weise. Sie bezweckt allerdings zu
Abgeordneten Günther — : erreichen, daß die Organe der öffentlichen Mei-
Ist der Bundesregierung bekannt, welches Echo die Sendung nungsbildung auch die Verantwortung für die
„Der Tod kam wie bestellt" am 6. Februar 1962 im Ersten Pro- außenpolitische Situation erkennen, die sie zu tra-
gramm des Deutschen Fernsehens, in der in unrichtiger und
tendenziöser Weise über die belgische Kongopolitik berichtet gen haben.
wurde, im befreundeten Nachbarland Belgien auslöste?
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich rufe weiterhin auf die Frage II/3 — des Herrn
Abgeordneten Günther —:
Welche Maßnahmen kann die Bundesregierung einleiten, um
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zu-
zu verhüten, daß durch Fernsehsendungen wie die Sendung satzfrage, Herr Kahn-Ackermann.
„Der Tod kam wie bestellt" das gute Verhältnis zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und befreundeten Staaten getrübt
und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland geschadet
wird?
Kahn-Ackermann (SPD) : Herr Staatssekretär,
darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundes-
regierung der Auffassung ist, in dieser Fernseh-
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Im Benehmen mit dem Bundesministerium des sendung seien die Maßstäbe der Objektivität ver-
Innern beantworte ich die drei Fragen wie folgt: letzt worden?

Es trifft zu, daß ich dem Königlich Belgischen Bot- (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zurufe
schafter, der bei mir wegen der Fernsehsendung von der CDU/CSU: Grenzenlos! — Propa
vom 6. Februar 1962 „Der Tod kam wie bestellt" ganda!)
eine Demarche unternommen hatte, die sofortige
Prüfung des Falles zugesagt habe. Der Bundes- Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
regierung ist bekannt, daß die Kongosendung in Amts: Dieser Auffassung ist die Bundesregierung
Belgien, wo sie besonders von der Grenzbevölke- in der Tat.
rung gesehen worden war, eine Welle der Empö- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
rung ausgelöst hat. Aus der legitimen Sorge um die -
Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter
allein zu den europäischen Völkern, sondern ebenso Jahn.
zu anderen Staaten in Asien und Afrika hat das
Auswärtige Amt bereits in früheren Fällen mit den Jahn (SPD) : Herr Staatssekretär, Sie vertreten
zuständigen Stellen und Gremien des Deutschen hier die Meinung, daß eine Beeinträchtigung des
Fernsehens Beratungen aufgenommen, um nach Grundrechts aus Artikel 5 nicht in Frage kommt.
Möglichkeit sicherzustellen, daß ohne Verzicht auf Welche Zielrichtung hat dann die durch Ihr Amt
Kritik, sachkundig, leidenschaftslos und frei von zugesagte Überprüfung?
einseitigen Maßstäben berichtet wird. Die Bundes-
regierung beabsichtigt, ihre Bemühungen in dieser Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Richtung fortzusetzen. Sie ist der Auffassung, daß Amts: Die Überprüfung hat die Zielrichtung, zu
alle Organe der öffentlichen Meinungsbildung eine erreichen, daß die für die Fernsehsendung verant-
außenpolitische Mitverantwortung haben. Das gilt wortlichen Stellen erkennen, daß es eine außenpoli-
im besonderen Maße für das Fernsehen, das wegen tische Verantwortung gibt und daß sie an ihr teil-
seiner monopolartigen Stellung bei Sendungen, von haben müssen.
denen außenpolitische Wirkungen ausgehen kön-
nen, auf Exaktheit und Objektivität bedacht sein (Erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/
muß. CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Günther.
Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage?
Günther (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, isst
Sänger (SPD) : Auf welcher institutionell recht- Ihnen die Stellungnahme der zuständigen Gremien,
lichen Grundlage kann der Herr Minister diesen die für das Fernsehen verantwortlich sind, bekannt,
Vorgang nachprüfen? und können Sie uns diese Stellungnahme mitteilen?

Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Auf Grund der allgemeinen Verantwortung, Amts: Mir ist eine Stellungnahme dieser Gremien
die der Bundesminister des Auswärtigen für die aus- bisher nicht bekannt. Aber ich möchte sagen, daß
wärtigen Beziehungen der Bundesrepublik hat. sich die in Frage kommenden Gremien dem Auswär-
468 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Staatssekretär Dr. Carstens
tigen Amt gegenüber sehr kooperativ gezeigt haben. worden sein. Das Auswärtige Amt ist daher zur
Sie haben den Film über diese Sendung dem Aus- Vermeidung von Nachteilen für deutsche Staatsan-
wärtigen Amt zur Verfügung gestellt, so daß die gehörige, die eine rechtzeitige Anmeldung ver-
Möglichkeit bestand, ihn sich nachträglich anzu- säumt haben, an die Botschaft der Vereinigten
sehen. Auf der Kenntnis dieser Tatsache beruht das Staaten von Amerika wie auch vorsorglich an die
Urteil, das ich soeben abgegeben habe. Botschaften des Vereinigten Königreichs und der
Französischen Republik mit dem Vorschlag heran-
Vizepräsident Dr. Schmid: Noch eine Zusatz- getreten, die bei der „Brandaris" anhängigen Scha-
frage. densfälle, soweit sie Angehörige der Streitkräfte
betreffen, ohne vorherige formelle Anmeldung als
rechtzeitig geltend gemacht anzusehen und diese
Günther (CDU/CSU) : Es ist bereits die vierte Ansprüche nach den Bestimmungen des Finanzver-
Sendung, die beim belgischen Botschafter in der trages abzuwickeln. Eine Antwort der betreffenden
Bundesrepublik Anstoß erregt hat. Können Sie auf Botschaften steht noch aus.
das Fernsehen einwirken oder den Versuch machen,
darauf einzuwirken, Soweit die „Brandaris" sich im Bundesgebiet nicht
im Truppengeschäft, sondern im Privatgeschäft be-
(Widerspruch bei der SPD) tätigt hat, unterliegt sie der Aufsicht des Bundes-
daß eine Serie von Sendungen ausgestrahlt wird, aufsichtsamts für das Versicherungs- und Bauspar-
die die gutnachbarschaftlichen und freundschaft- wesen. Nach Auskunft dieses Amtes sind insoweit
lichen Beziehungen zu Belgien wieder in Ordnung genügend Kautionen hinterlegt worden. Damit kön-
bringen? nen alle aus dem Privatgeschäft der „Brandaris" be-
gründeten Verpflichtungen als gedeckt angesehen
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Anstoß er- werden.
regen!)
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage!
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt
wird sich bemühen, in den Gesprächen mit den zu- Bauer (Würzburg) (SPD) : Kann ich von Ihnen,
ständigen Gremien und Stellen des deutschen Fern- Herr Staatssekretär, die Zusicherung bekommen,
sehens zu erreichen, daß die außenpolitischen Ge- daß man sich bemühen wird, beim US-Hauptquartier
sichtspunkte, von denen ich gesprochen habe, bei der Streitkräfte in Heidelberg mit Nachdruck auch
die Rechte derjenigen Geschädigten zu vertreten,
den Sendungen des deutschen Fernsehens mit in
die durch Angehörige der US-Streitkräfte schuldhaft
Betracht gezogen werden.
geschädigt worden sind?
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be-
antwortet. — Ich rufe nunmehr auf die Frage II/4 —
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Diese Erklärung kann ich abgeben. Die Bun-
des Herrn Abgeordneten Bauer (Würzburg) — :
desregierung steht aus diesem Anlaß bereits mit
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Hilfe-
leistung zugunsten des Personenkreises, der durch den drohen- der amerikanischen Botschaft in Verbindung und
den Konkurs der amerikanisch-holländischen Versicherungs- wird ihre Bemühungen bei der amerikanischen Bot-
gesellschaft „BRANDABIS" in Mitleidenschaft gezogen wird
und durch amerikanische Angehörige des militärischen wie zivi- schaft in diesem Sinne fortsetzen.
len Bereichs schuldhaft ,geschädigt worden ist?

Bitte, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be-
antwortet.
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
Amts: Über das Vermögen der niederländischen ministers des Innern, zur Frage III — des Herrn Ab-
Versicherungsgesellschaft „Brandaris" ist vor dem geordneten Lohmar — :

Landgericht Amsterdam das Vergleichsverfahren Wie stellt sich die Bundesregierung zu den Tendenzen einer
eröffnet worden. Forderungen gegen die genannte „Konfessionalisierung" bei der Besetzung von Lehrstühlen an
einigen Universitäten?
Gesellschaft müssen bis zum 2. April 1962 angemel-
det werden. Die Gläubigerversammlung findet am
5. Juni 1962 statt. Höcherl, Bundesminister des Innern: Die Bundes-
regierung glaubt nicht an solche Tendenzen. Aber
Deutsche Staatsangehörige, die weder von dem
selbst wenn solche Tendenzen gegen Art. 3 des
zum Schadenersatz verpflichteten Mitglied der
Grundgesetzes existierten, hätte die Bundesregie-
Streitkräfte noch von dessen Haftpflichtversicherern
rung keine Möglichkeit, darauf einzuwirken, weil
voll oder teilweise Ersatz erhalten, können durch
es sich um eine ausschließliche Ländersache handelt.
sogenannte Ex-gratia-Zahlungen gemäß Artikel 8
Absatz 16 des Finanzvertrages entschädigt werden.
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage!
Die Zahlung einer derartigen Entschädigung,
deren Gewährung in der Zuständigkeit der Behör-
den der Streitkräfte liegt, setzt jedoch voraus, daß Lohmar (SPD) : Ist der Bundesregierung nicht be-
der Anspruch innerhalb einer bestimmten Frist, kannt, Herr Minister, daß an einer Reihe von deut-
nämlich innerhalb von 90 Tagen nach Kenntnis des schen Hochschulen eine Doppelbesetzung von nicht
Schadensfalles, angemeldet wird. Diese Frist dürfte theologischen Lehrstühlen, etwa für Philosophie,
von den meisten Geschädigten nicht eingehalten Pädagogik, Psychologie und Soziologie, angestrebt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 469
Lohmar
und zum Teil verwirklicht ist, und sieht sich die Bun- Regelung haben, nämlich durch die jeweiligen Län-
desregierung nicht in der Lage, trotz ihrer verfas- derverordnungen vom 1. Dezember 1961, die unter
sungsrechtlichen Unzuständigkeit dazu ein politi- erheblicher Mitwirkung des Bundesjustizministe-
sches Urteil abzugeben? rium entstanden sind.

Höcherl, Bundesminister des Innern: Die Bundes- Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage
regierung wäre sehr dankbar, wenn dafür einwand- des Herrn Abgeordneten Memmel.
freie Beweise vorgelegt würden. Es ist bisher nur
eine Behauptung.
Memmel (CDU/CSU) : Könnte, Herr Bundesjustiz-
minister, bei dieser Gelegenheit auch die Bestim-
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zu- mung über den Jugendarrestvollzug einheitlich
satzfrage! geregelt und etwas verbessert werden?
Lohmar (SPD) : Herr Minister, halten Sie es für
eine übertriebene Erwartung, wenn man davon aus- Dr. Stammberger, Bundesminister der Justiz:
geht, daß der Bundesregierung Erlasse, die in ein- Herr Kollege, ich muß natürlich zunächst auf die ganz
zelnen Ländern der Bundesrepublik beschlossen neuen und erst vor kurzer Zeit verabschiedeten An-
worden und die rechtskräftig sind, bekannt sein ordnungen der Länder verweisen. Aber selbstver-
sollten? ständlich wird diese Frage ebenfalls in der bundes-
gesetzlichen Regelung, wie sie uns vorschwebt, be-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich kann rücksichtigt werden.
mir nicht vorstellen, daß es einen Erlaß im Bereich
der Länder gibt, der die Konfessionalisierung der Memmel (CDU/CSU) ; Ich danke.
Besetzung von Lehrstühlen vorsähe.
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be-
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be- antwortet.
antwortet.
Frage V — des Herrn Abgeordneten Drachsler —:
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Ist der Herr Bundesfinanzminister in der Lage, jetzt schon
ministers der Justiz, Frage IV — des Herrn Abge- Auskunft zu geben, ob das Aufkommen aus der Mineralöl-
steuer und das gesamte Verkehrsaufkommen ü ber die Schät-
ordneten Jahn —: zungen hinausgehen, die dem Parlament bei der Beratung des
Straßenbaufinanzierungsgesetzes vorlagen?
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Bundestag eine bun-
desgesetzliche Regelung des Strafvollzuges vorzulegen?
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesministe-
Dr. Stammberger, Bundesminister der Justiz: riums der Finanzen: Herr Abgeordneter Drachsler
Die Bundesregierung hat die Absicht. fragt nach dem Aufkommen der wesentlichen Be-
lastungen des Verkehrs.
Jahn (SPD) : Herr Minister, können Sie schon Herr Abgeordneter, bei der Verabschiedung des
sagen, wann die Bundesregierung beabsichtigt, ihre ersten Vierjahresplans für den Ausbau des deut-
Absicht zu verwirklichen? schen Straßennetzes wurde ein Zeitraum vom
(Heiterkeit.) 1. April 1959 bis zum 31. Dezember 1962 zugrunde
gelegt. Für diesen Zeitraum wurde das Aufkom-
men an Mineralölsteuer mit 10 130 Millionen DM
Dr. Stammberger, Bundesminister der Justiz: geschätzt. Nach dem Ist-Aufkommen bis 1961 und
Das kann die Bundesregierung erst tun, wenn wir
nach den Vorschätzungen für 1962 wird das tat-
wissen, inwieweit der Bundestag der Grundkonzep-
sächliche Aufkommen an Mineralölsteuer in dieser
tion des Regierungsentwurfs zur Strafrechtsreform,
Zeit etwa 10 547 Millionen DM erreichen; das sind
insbesondere zum System der Maßregeln und Stra-
417 Millionen DM oder rund 4 v. H. mehr, als 1959
fen, folgt. Erst dann können wir die bereits begon-
geschätzt worden ist.
nenen Vorarbeiten vervollständigen und zur Reife
eines Entwurfs bringen. Das liegt also nicht bei uns, Das Aufkommen an Kraftfahrzeugsteuer, die den
sondern liegt beim Parlament. Ländern zufließt, wurde für den gleichen Zeitraum
— also für diesen ersten Vierjahresplan — ge-
schätzt. Im Jahre 1959 wurden für diesen Zeitraum
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine zweite Zusatz- 5650 Millionen DM erwartet. Tatsächlich werden bis
frage! zum zum Ende dieses Jahres voraussichtlich 5900
Millionen DM eingehen; das sind 250 Millionen DM
Jahn (SPD) : Sind Sie nicht der Auffassung, Herr oder 4,8 °/o mehr, als seinerzeit geschätzt worden ist.
Minister, daß angesichts der teilweise erschrecken-
den Zustände im Strafvollzug alsbaldige gesetzliche
Maßnahmen ohne Rücksicht auf die Reform des Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage.
Strafgesetzbuches erforderlich sind?
Drachsler (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, kön-
Dr. Stammberger, Bundesminister der Justiz: nen Sie sagen, ob dieses Mehraufkommen auch eine
Herr Kollege Jahn, ich darf Sie da de lege lata dar- zweckgebundene Verwendung gefunden hat und ob
auf hinweisen, daß wir zwar noch keine bundesge- es im Rechnungsjahr 1961 zweckgebunden verbaut
setzliche, aber eine ganz neue bundeseinheitliche wurde?
470 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesministe- Vizepräsident Dr. Schmid: Keine Zusatzfrage.
riums der Finanzen: Herr Abgeordneter, das Mehr- Frage VIII/1 — des Herrn Abgeordneten Hörmann
aufkommen aus der Mineralölsteuer, die allein dem (Freiburg) —:
Bund zufließt, ist entsprechend den gesetzlichen Ist die Bundesregierung bereit, sich mit einem angemessenen
Betrag am Einbau einer ausreichenden Schiffahrtsschleuse 1m
Bestimmungen in voller Höhe zur Förderung des Kulturwehr Breisack zu beteiligen?
Straßenbaues verwendet worden. Abgesetzt werden
vom Gesamtaufkommen der Mineralölsteuer nur Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
die Teilbeträge, die durch Gesetz für andere Zwecke, Die Bundesregierung hat vorgesehen, in das bereits
insbesondere auch die Betriebsbeihilfen für die im Bau befindliche Landeskulturwehr eine Betriebs-
Landwirtschaft oder die Zuschüsse an Bundesbahn schleuse einzubauen, damit die zur Unterhaltung
und nicht bundeseigene Eisenbahnen, vorgesehen der Staustrecke notwendigen schwimmenden Geräte
sind. in diese Strecke gelangen können. Sie hat sich aber
auch der Landesregierung Baden-Württemberg
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be- gegenüber bereit erklärt, an Stelle dieser Betriebs-
antwortet. schleuse eine größere Schleuse einzubauen, falls die
Landesregierung die Mehrkosten dafür und für
Die Frage VI soll einer Vereinbarung der Frak- weitere mit der Aufnahme einer Schiffahrt oberhalb
tionen gemäß morgen aufgerufen werden. des Wehres zusammenhängende Verpflichtungen
Fragen VII/1 und 2 — des Herrn Abgeordneten übernimmt. Den Entwurf einer entsprechenden Ver-
Jahn, für Herrn Abgeordneten Arndt —: waltungsvereinbarung haben wir der Landesregie-
rung zur Prüfung zugeleitet.
Hat Herr Bundesminister Strauß, als er Oberstaatsanwalt
Sauter, Nürnberg, in der Strafsache Hackel anrief und nach der
,,Einstellung" der Staatsanwälte sowie nach der eigenen „Ein- Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage!
stellung" des Oberstaatsanwalts fragte, vorn Bundesministe-
rium der Verteidigung aus telefoniert und durch die Vermitt-
lungsstelle seines Amtes sich mit Oberstaatsanwalt Sauter als
Bundesminister der Verteidigung verbinden lassen? Hörmann (Freiburg) (SPD) : Herr Bundesminister,
Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister nicht bekannt, daß darf ich fragen, ob die Bundesregierung auf Grund
über sein Telefongespräch mit Oberstaatsanwalt Sauter im Er- Ihrer Ausführungen nicht bereit ist, sich an den
mittlungsverfahren Hackel kein Wort in dem von einem SPD-
Blatt veröffentlichten Rundschreiben des Nürnberger Richter- Mehrkosten für eine größere Schleuse zu beteiligen,
vereins steht, aber in der Süddeutschen Zeitung" vom und ob die gesamten Mehrkosten das Land tragen
30. Januar 1962 deren Redaktionsmitglied Riedmiller bisher
unwidersprochen berichtet hat: „Strauß verhört den Staats- soll?
anwalt. Sauter traf überdies die Ungnade des CSU-Vorsit
zenden Strauß, weil er sich geweigert hatte, Strauß wegen der
Durchsuchung der CSU-Geschäftsstelle anzurufen. Als Strauß Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
sich dann bei Sauter mit unwirscher Stimme meldete, begehrte
er u. a. zu wissen, welcher Partei die durchsuchenden Staats- Nein, wir sind nicht bereit, über die Kosten hinaus,
anwälte angehören"? die wir für die Betriebsschleuse tragen, diese Mehr-
kosten zu übernehmen, weil die Kosten - für die
Strauß, Bundesminister der Verteidigung: Zu Betriebsschleuse schon einen erheblichen Teil der
beiden Fragen darf ich auf folgendes hinweisen: Gesamtschleusenkosten ausmachen.
Mein Anruf bei Oberstaatsanwalt Sauter erfolgte
nach Durchführung der richterlich angeordneten Vizepräsident Dr. Schmid: Frage VIII/2 — des
Aktion, und zwar auf Grund der mir darüber ge- Abgeordneten Hörmann (Freiburg) —:
machten Mitteilungen, so daß von einem Versuch, Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um
Eisenbahnverbindung und Verkehr mit der französischen Stadt
der Durchführung dieser Anordnung entgegenzu- Colmar wiederherzustellen?
treten, nicht gesprochen werden kann. Ich stehe nicht
an zu erklären, daß mir infolge der Aufregung über Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
diesen Vorgang ein Formfehler unterlaufen ist, den Ich darf den Herrn Kollegen zunächst auf den An-
ich persönlich selbstverständlich bedauere. trag Drucksache 1389 vom 12. November 1959 und
auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in
Vizepräsident Dr. Schmid: Frage I — des seiner 108. Sitzung vom 6. April 1960 verweisen,
Herrn Abgeordneten Dr. Arndt (Berlin) —: wonach die Bundesregierung ersucht wurde, mit
Frankreich mit dem Ziel zu verhandeln, die Eisen-
Ist die Bundesregierung damit einverstanden, daß ein Partei-
vorsitzender auf sein Amt als Mitglied der Bundesregierung bahnbrücke über den Rhein zwischen Breisach und
keine Rücksicht nimmt, sondern in dem Bewußtsein, daß sein
Gesprächspartner in ihm einen Bundesminister sieht, durch
Neubreisach wiederherzustellen und den Eisenbahn-
Telefonanruf bei dem zuständigen Oberstaatsanwalt versucht, verkehr zwischen Breisach und Colmar wiederauf-
durch die falsche Behauptung, eine Maßnahme der Staats-
anwaltschaft richte sich gegen zwei Landtagsabgeordnete unter zunehmen.
Verletzung ihrer Immunität, die Ausführung eines richterlichen
Durchsuchungsbefehls zu verhindern, hierbei nach der „Einstel- Die Bundesregierung hat den Wunsch des Hohen
lung" der ihres Amtes waltenden Staatsanwälte fragt und
äußert, er kenne ja auch nicht die „Einstellung" des zuständigen
Hauses durch Verbalnote des Auswärtigen Amtes
Oberstaatsanwalts? vom 2. Februar 1961 der französischen Regierung
Herr Minister Krone! vorgetragen und unter Hinweis auf das Bestreben,
die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen
zwischen der Republik Frankreich und der Bundes-
Dr. Krone, Bundesminister für besondere Auf- republik Deutschland zu fördern, ihre Bereitschaft
gaben: Die Bundesregierung begrüßt diese Erklärung erklärt, sich an Vorarbeiten für dieses Projekt zu
des Bundesministers Strauß. Ich nehme an, daß beteiligen und die Kosten zur Wiederherstellung
damit das Anliegen der Frage des Kollegen Arndt der Eisenbahnbrücke bis zur Brückenmitte zu über-
gegenstandslos geworden ist. nehmen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 471
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
Die französische Regierung hat diese Frage sehr französischer Seite ein neuer Anstoß kommt. Es
eingehend geprüft und durch Verbalnote vom bleibt der Industrie- und Handelskammer Colmar
12. Juli 1961 mitgeteilt, daß sie — sosehr sie unbenommen, ihrerseits über ihre Abgeordneten im
auch wünsche, die Verkehrsverbindungen zwischen französischen Parlament gegenüber der fran-
Deutschland und Frankreich bestmöglich zu ver- zösischen Regierung dieses Petitum erneut vorzu-
vollkommnen — auf Grund dieser Prüfung genötigt bringen.
sei, die Auffassung zu vertreten, daß die Wieder-
herstellung der Eisenbahnverbindung zwischen Col- Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage?
mar und Freiburg die aufzuwendenden hohen — Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Kosten nicht rechtfertigen würde. Bekanntlich muß
auf französischer Seite außer der Brücke über den
Rhein auch noch eine Brücke über den Rheinseiten- Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, teilen Sie nicht
kanal erstellt werden, deren Baulast ausschließlich unsere Bedenken, daß durch den Nichtwiederaufbau
auf Frankreich fällt. dieser Brücke das Auseinanderleben in der ober-
rheinischen Ebene noch verstärkt und verschlimmert
Nach dieser Antwort der französischen Regierung wird?
bedauert die Bundesregierung, weitere Maßnahmen
zur Wiederherstellung des Eisenbahnverkehrs Frei- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
burg—Colmar nicht ergreifen zu können. Nein, Herr Kollege Schäfer. Diese Bedenken teile
ich deswegen nicht, weil es in gemeinsamem Bemü-
Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage! hen mit der französischen Regierung möglich war,
eine ganze Reihe von Straßenübergängen in diesem
Hörmann (Freiburg) (SPD) : Herr Bundesminister, Raum herzustellen. Ich darf Sie daran erinnern, daß
ist Ihnen bekannt, daß auch von seiten der Indu- wir die Straßen- und Eisenbahnbrücke bei Neuen-
strie- und Handelskammer Colmar Bestrebungen im burg-Chalampé bauen, daß wir bei Breisach eine
Gange sind, bei der französischen Regierung even- Straßenbrücke bauen, daß wir an verschiedenen
tuell doch zu erreichen, daß man in dieser Frage Stellen unterhalb neue Fähren und Schiffbrücken
weiterkommt, und wären Sie bereit, von der Bun- eingerichtet und die Europabrücke in Straßburg ha-
desregierung aus weiterhin die Angelegenheit zu ben. Es sind also erfreulicherweise in den letzten
verfolgen, damit ein entsprechender Beschluß gefaßt Jahren eine ganze Reihe von Übergängen wieder-
wird? hergestellt worden, und es ist natürlich so, daß der
Straßenverkehr heute eine wesentlich größere Rolle
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: spielt, so daß, da wir Eisenbahnverkehrsmöglich-
Dies ist mir sehr gut bekannt. Ich habe im vorigen keiten zwischen Kehl und Straßburg und zwischen
Jahr im Anschluß an die Einweihung der Europa- Neuenburg und Chalampé haben, es nicht unbedingt
brücke in Straßburg beim Präfekten in Colmar zu- notwendig erscheint, an der Stelle Breisach, wo eine
sammen mit meinem französischen Kollegen Buron Straßenbrücke vorhanden ist, auch noch eine Eisen-
und den Herren der Industrie- und Handelskammern bahnbrücke zu bauen.
Colmar und Freiburg einige Stunden verbracht, um
über dieses Problem zu sprechen. Die Strecke zwi- Vizepräsident Dr. Schmid: Eine zweite Zusatz-
schen dem Rhein und Neubreisach ist aber, wie man frage.
in Frankreich sagt, „abgewertet", und allein zustän-
dig für die Aufbringung der Baukosten ist die fran- Dr. Schäfer (SPD) : Heißt das, Herr Minister, daß
zösische Eisenbahngesellschaft, die jedoch die Über- Sie die Auffassung der französischen Regierung ver-
nahme dieses Kosten ablehnt. Die Regierung — das treten, daß der Bau nicht mehr nötig ist, und daß
hat mir Herr Kollege Buron gesagt — ist auch nicht Sie von sich aus nicht mehr tätig werden wollen
bereit, diese Kosten zu übernehmen. Ich habe mich, und die französische Antwort als endgültig betrach-
soweit ich konnte, im Interesse der Wiederherstel- ten?
lung dieser Eisenbahnverbindung eingesetzt.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Vizepräsident Dr. Schmid: Zweite Zusatz- Ich muß selbstverständlich, Herr Kollege Schäfer,
frage! eine solche Antwort als endgültig betrachten. Ich
bin seit Jahren in der Sache initiativ gewesen und
Hörmann (Freiburg) (SPD) : Herr Bundesminister, habe am Schluß meiner Bemühungen das endgültige
darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß also die Bun- Nein empfangen. Ich kann dazu nichts anderes
desregierung in dieser Angelegenheit nichts mehr sagen.
weiter unternehmen wird?
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be-
antwortet. Frage VIII/3 — des Herrn Abgeordneten
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Josten —:
Wir können gar nichts weiter unternehmen. Wenn Wann ist mit Beginn und Fertigstellung der Umgehungsstraße
von Sinzig (Abschnitt der B 9) zu rechnen?
Sie eine solche Antwort erhalten haben, wie sie in
der Verbalnote enthalten ist, und wenn auch die
mündlichen Bemühungen nicht zu einer Änderung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
des Standpunktes der anderen Seite führen können, Mit dem Bau der Umgehungsstraße Sinzig wird in
dann bleibt uns ja nichts anderes übrig, als die diesem Jahr begonnen. Voraussetzung ist allerdings,
Sache auf sich beruhen zu lassen, bis vielleicht von daß das Planfeststellungsverfahren durch die Behör-
472 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
den des Landes Rheinland-Pfalz spätestens im April Vizepräsident Dr. Schmid: Ich rufe auf die
abgeschlossen wird. Die Fertigstellung dieser Maß- Frage VIII/5 — des Abgeordneten Drachsler —:
nahme, deren Baukosten 30 Millionen DM betragen, Kann der Herr Bundesverkehrsminister Auskunft darüber
wird voraussichtlich innerhalb drei Jahren möglich geben, welche Erfahrungen das Bundesverkehrsministerium bis-
her bei der Verteilung des Aufkommens aus dem Gemeinde-
sein. pfennig auf die Länder ,gemacht hat?

Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage, Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Abgeordneter Josten. Die Mittel des Gemeindepfennigs, Herr Kollege,
verteilen sich im Einvernehmen mit den Ländern zu
Josten (CDU/CSU) : Herr Minister, Ihre Antwort etwa 50 % auf die Städte über 50 000 Einwohner —
befriedigt. Darf ich trotzdem fragen, ob bei den früher 9000 Einwohner — für den Bau und Ausbau
vorgesehenen Arbeiten die Abzweigung der Ahrtal- der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen und zu
straße, also der Bundesstraße 266, gleichzeitig eine etwa 50 % auf die Gemeinden unter 50 000 Einwoh-
bessere Lösung erfahren wird? nern — früher 9000 Einwohner — und die Kreise
für den Bau und Ausbau von Zubringerstraßen zu
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Bundesstraßen in der Baulast des Bundes. Der hier-
Ja, diese Lösung wird angestrebt. Zunächst aber nach auf die Städte entfallende Anteil des Gemein-
wollen wir die Umgehungsstraße fertigstellen und depfennigs wird den Ländern nach dem Längenver-
nochmals überlegen, ob es zweckmäßig ist, den hältnis der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen in
Knotenpunkt beim Abzweig der Umgehungsstraße Städten über 50 000 Einwohner — früher 9000 Ein-
zu bilden oder die Ahrtalstraße bis an die Umge- wohner — zugewiesen, während der Anteil des Ge-
hungsstraße heranzuziehen. Diese Frage ist noch meindepfennigs für die Gemeinden und Kreise
nicht endgültig geklärt. ungefähr nach dem Längenverhältnis der Land-
straßen II. Ordnung ermittelt wird. Die Längen der
Vizepräsident Dr. Schmid: Frage VIII/4 — des Gemeindestraßen konnten in diese Rechnung nicht
Herrn Abgeordneten Börner —: einbezogen werden, weil in den einzelnen Ländern
Ist der Bundesregiereng bekannt, daß der Deutschen Bundes-
bahn auf der Strecke Kassel—Hann. Münden erhebliche Ein-
hierüber noch keine eindeutigen vergleichbaren
nahmeausfälle entstehen, weil der Bahnhof Wilhelmshausen in- Unterlagen vorliegen.
folge einer ungenügend besetzten Fähre-Verbindung über die
Fulda von der Bevölkerung der Gemeinde Wilhelmshausen zu Gegen dieses Verteilungsverfahren wurden bis-
vielen Zeiten nicht erreicht werden kann?
her keine nennenswerten Einwände erhoben. Im
übrigen können die Länder hiervon auch abweichen,
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: wenn dadurch die insgesamt zugeteilten Zuschüsse
Fährangelegenheiten fallen nach dem Grundgesetz nicht überschritten werden und es sich im Bedarfs-
unter die Zuständigkeit der Länder. Der Bundes- fall als zweckmäßig und notwendig erweist. Da-
regierung steht daher nicht das Recht zu, in dieser gegen hat die bisherige Verausgabung der Mittel
Angelegenheit tätig zu werden. Wie sich aus Nach- des Gemeindepfennigs erhebliche Schwierigkeiten
fragen ergeben hat, wird nach Verhandlungen mit bereitet. Das lag in erster Linie an den fehlenden
dem Land Hessen eine den Wünschen der Gemeinde Planungen der Gemeinden und Kreise, an Grund-
Wilhelmshausen angemessene Lösung für den Fähr- erwerbsschwierigkeiten und vor allem an der rein
betrieb angestrebt. Im übrigen dürften der Bundes- verwaltungsmäßigen Abwicklung in einigen Län-
bahn Einnahmeausfälle infolge unzureichender
dern, die jedoch auf Grund der Novelle zum Bundes-
Fährverbindung kaum erwachsen. Der Personen-
fernstraßengesetz seit dem 1. Januar 1962 erheblich
verkehr mit der Eisenbahn auf dem der Gemeinde
vereinfacht werden konnte. Es bleibt abzuwarten,
gegenüberliegenden Fulda-Ufer hat sich weitgehend
wie sich diese Maßnahmen im Jahre 1962 auswirken
auf die den Ort Wilhelmshausen unmittelbar be-
werden. Sollte es sich als zweckmäßig erweisen,
dienenden Bahnbuslinien verlagert.
werden die Richtlinien erneut angepaßt werden.

Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage, Vizepräsident Dr. Schmid: Keine Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter Börner.
Ich rufe auf die Frage VIII/6 — des Abgeordneten
Börner (SPD) : Herr Minister, sind Sie bereit, die Drachsler — :

von Ihnen zitierten Bahnbuslinien so auszubauen, Trifft es zu, daß die Richtlinien über die Verteilung der Mit-
tel aus dem Gemeindepfennig schon mehrfach geändert wurden,
daß sie über den jetzigen Zeitraum der Verkehrs- weil sie von den Ländern für nicht praktikabel gehalten wur-
den?
bedienung hinaus auch für die berufstätigen Men-
schen der Gemeinde Wilhelmshausen zur Verfü-
gung stehen, die in Schichtarbeit in Kasseler Betrie- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
ben arbeiten müssen und nach der jetzigen Rege- Besondere Richtlinien über die Verteilung der Mit-
lung keine Möglichkeit haben, abends nach 20 Uhr tel aus dem Gemeindepfennig sind nicht erlassen.
in ihre Gemeinde zurückzukehren? Für die Gewährung von Zuschüssen aus dem Ge-
meindepfennig gelten vielmehr die Vorläufigen
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Richtlinien für die Gewährung von Bundeszuwen-
Das ist eine Angelegenheit, die die Bundesbahn- dungen zu Straßenbaumaßnahmen von Gemeinden
direktion Kassel entscheiden muß. Ich bitte, die An- und Gemeindeverbänden vom 13. Dezember 1961,
träge dort zu stellen. Das erfolgt von der Bundes- die im Einvernehmen mit den Ländern erlassen
bahn in eigener Zuständigkeit. Ich habe darauf kei- worden sind. Diese Richtlinien ersetzen die früheren,
nen direkten Einfluß. ebenfalls als vorläufig gekennzeichneten Richtlinien
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 473
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
vom 11. April 1960. In diesen Gesamtrichtlinien für Ausbaus des Mains durch die Rhein-Main-Donau
alle Bundeszuwendungen sind auch die Bestimmun- AG bei der Errichtung von vier Staustufen in Unter-
gen über die Verteilung der Mittel aus dem Ge- franken überhaupt nicht gehört worden, obwohl die
meindepfennig enthalten. Die Änderung Ende 1961 Richtlinien eindeutig die Zusammenarbeit der be-
war notwendig geworden wegen der neuen Zu- teiligten Behörden zur Pflicht machen und ausdrück-
schußbestimmung des § 5 a der Novelle zum Bun- lich gesagt wird, daß zwecks Beschaffung der erfor-
desfernstraßengesetz, die das Hohe Haus im ver- derlichen Unterlagen die Vorarbeiten rechtzeitig
gangenenJahr verabschiedet hat. Die ursprünglichen vor Beginn der baulichen Maßnahme einzusetzen
Richtlinien, die weder die Länder noch die Gemein- haben und überdies eine Muß-Bestimmung in den
den noch mich befriedigten, haben bei ihrer Richtlinien steht, daß grundsätzlich der zuständige
Anwendung ihre dringende Reformbedürftigkeit Landesfischereisachverständige u n d die beteiligten
bewiesen. Auch die Richtlinien von 1961 dürften auf Fischerei-Organisationen zu hören sind?
Grund zu sammelnder Erfahrungen zu überarbeiten
sein. Sie haben jedoch bereits zur Vereinfachung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
der Abwicklung den Ländern vermehrte Zuständig- Die Behörden wissen ganz genau, wann diese Bau-
keiten zugebilligt. vorhaben vor sich gehen. Es finden ja auch Plan-
feststellungsverfahren statt. Sie haben also zumin-
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage! dest im Planfeststellungsverfahren die Möglichkeit
— falls sie vorher etwa nicht befragt worden sein
sollten —, ihre Auffassung vorzutragen. Das gilt
Drachsler (CDU/CSU) : Kann der Herr Bundes-
insbesondere für die staatlich eingesetzten Stellen.
minister sagen, um wieviel höher das Mehrauf-
Der zuständige Fischereisachverständige des Landes
kommen aus dem Gemeindepfennig — analog zu
ist verpflichtet, die entsprechenden privaten Organi-
dem Mehraufkommen aus der Mineralölsteuer —
sationen mit heranzuziehen. Ich würde mich wun-
im Jahre 1961 war?
dern, wenn er versäumt hätte, sich rechtzeitig ein-
zuschalten. Ich kenne ihn persönlich und habe auch
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: selbst wiederholt mit ihm über diese Fragen ge-
Ich kann Ihnen keine exakte Zahl nennen. Aber das sprochen.
Gesamtaufkommen aus dem Gemeindepfennig ist
ja gebunden und kann nur für diesen Zweck ver- Vizepräsident Dr. Schmid: Zweite Zusatz-
wendet werden. frage.

Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be- Bauer (Würzburg) (SPD) : Darf ich von Ihnen die
antwortet. Zusicherung bekommen, Herr Bundesminister, daß
Wir kommen zur Frage VIII/7 — des Herrn Ab- Sie noch einmal besonders darauf hinweisen werden
geordneten Bauer (Würzburg) —. — in diesem Fall wahrscheinlich bei den Wasser-
und Schiffahrtsdirektionen —, damit die Zusammen-
Wie wird seitens der Bundesregierung die Einhaltung der
„Richrtlinien zur Erhaltung der Binnenfischerei an den Bundes- arbeit im Sinne der Richtlinien nachdrücklich ge-
wasserstraßen" von 1955 auch bei nicht direkt ihrer Beaufsich-
tigung unterstehenden öffentlich-rechtlichen Körperschaften ge-
währleistet wird?
währleistet?
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Das will ich gern tun, Herr Kollege Bauer, da ich
Die Richtlinien zur Erhaltung der Binnenfischerei selber daran interessiert bin. Ich wäre Ihnen aber
an den Bundeswasserstraßen aus dem Jahre 1955 dankbar, wenn Sie mir Ihnen persönlich bekannt-
sind eine Verwaltungsanordnung; das Bundesver- werdende Fälle, in denen eine Nichtbeachtung der
kehrsministerium führt diese Richtlinien in vollem Richtlinien vermutet werden kann, mitteilten, damit
Umfang im Rahmen der ihm bereitstehenden Mittel ich sie überprüfen kann.
durch. Auch an den Flußstrecken, die von Wasser-
baugesellschaften des Bundes und der Länder ausge- Vizepräsident Dr. Schmid: Frage VIII/8 — Ab-
baut werden, wie z. B. an den Strecken der Rhein- geordneter Vogt —:
Main-Donau AG, der Neckar AG, der Mittelweser
Wann erfolgt der weitere Auf- und Aasbau des Bahnhofs-
AG, der Staustufe Geesthacht GmbH, ist die Erfül- gebäudes Aschaffenburg-Süd?
lung der Richtlinien gesichert; denn der Bund besitzt
in diesen Gesellschaften in der Regel zwei Drittel Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
des haftenden Vermögens und ist in den Aufsichts- Der Deutschen Bundesbahn ist es noch nicht mög-
räten, zum Teil auch in den Vorständen, ent- lich, einen genauen Zeitpunkt für den weiteren Auf-
sprechend vertreten. Daher ist er auch in fischerei- bau und Ausbau des Bahnhofsgebäudes Aschaffen-
rechtlicher Hinsicht in der Lage, seinen Einfluß zur burg-Süd anzugeben. Es wird angestrebt, den Aus-
Erfüllung der Richtlinien auszuüben. bau im Jahre 1963 zu ermöglichen.

Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage! Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage.

Bauer (Würzburg) (SPD) : Wie 'erklären Sie es, Vogt (CDU/CSU) : Ist es richtig, Herr Minister,
Herr Bundesminister, daß eine Fischereiorganisation daß Pläne für den weiteren Aus- und Aufbau seit
Beschwerde darüber führt, sie sei im Zuge des dem Jahre 1957 bestehen?
474 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: ten des Marktablaufs in der Bundesrepublik sein
Das ist wahrscheinlich richtig. Denn damals ist eine könnten. Aus den im „Protokoll betreffend Italien"
Gesamtplanung für den Wiederaufbau gemacht wor- anerkannten Gründen konnte aber die Bundesregie-
den. Man hat sich zunächst darauf beschränkt, das rung schließlich den italienischen Eisenbahntarif-
unbedingt Notwendige zu erstellen, und das ist maßnahmen gegenüber ihren Widerspruch nicht auf-
seinerzeit auch so mit der Bayerischen Staatsregie- rechterhalten. Sie hat aber den Vorbehalt gemacht,
rung abgesprochen worden. daß die Tarife aufzuheben seien, sobald sich die
wirtschaftliche Lage der begünstigten Gebiete ge-
Vizepräsident Dr. Schmid: Zweite Zusatz- bessert habe.
frage. Die Frage von Frachtvergünstigungen für die Aus-
und Einfuhr innerhalb der Europäischen Wirtschafts-
Vogt (CDU/CSU) : Erkennen Sie an, Herr Mini- gemeinschaft wird von der Europäischen Kommis-
ster, daß der Aus- und Aufbau dieser für Aschaffen- sion zur Zeit noch in grundsätzlicher Hinsicht ge-
burg wichtigen Station dringend notwendig ist? prüft. Sie soll demnächst mit allen Mitgliedstaaten
gemeinsam behandelt werden. Dann werden diese
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Fragen wahrscheinlich erneut diskutiert.
Wenn Sie mich danach fragen, so muß ich Ihnen
sagen: wir haben sehr viele Dinge, deren drin- Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage?
gende Notwendigkeit ich anerkenne, ohne daß sie
durchgeführt werden können. Die Bundesbahn Bading (SPD) : Herr Minister ist Ihnen bekannt,
muß in ihrer Zuständigkeit ja auch wissen, wie sie daß auch in Frankreich eine Reihe von neuen Tarif-
sich verhalten muß und was sie für dringend not- positionen eingeführt worden ist, die den Export
wendig hält. Auch meine Wünsche werden von der begünstigen, und haben Sie in dieser Angelegenheit
Bundesbahn keineswegs immer erfüllt. schon einmal mit Ihrem französischen Kollegen ver-
handelt?
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich rufe die Frage
des Abgeordneten Dr. Schmidt (Gellersen) auf Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Drucksache IV/202 —: Diese Angelegenheit ist mir bekannt. Verhandlun-
Hatte die Bundesregierung vor Abschluß der Brüsseler Ver- gen darüber stehen uns nicht zu. Diese neuen Tarif-
handlungen am 14. Januar d. J. davon Kenntnis, daß die italieni-
sche Regierung einen Antrag nach Artikel 80 des EWG-Ver- positionen müssen ja der EWG-Kommission gemel-
trages auf Genehmigung der Frachtsubventionen bei Obst und det werden und sind von ihr zu überprüfen. Die
Gemüse gestellt hatte?
Zuständigkeit dafür liegt vollkommen bei der Brüs-
seler Kommission. -
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, Herr Kol- Vizepräsident Dr. Schmid: Zu einer weiteren
lege, ob die italienische Regierung einen förmlichen Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt!
Antrag nach Art. 80 des EWG-Vertrages auf Ge-
nehmigung von Frachtermäßigungen der italienischen
Staatsbahnen für Obst und Gemüse aus dem süd- Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Herr Minister, trifft
lichen Italien gestellt hat. Die Brüsseler EWG-Kom- es zu, daß die von Ihnen angezogenen italienischen
mission hat jedoch von sich aus über derartige Subventionstarife saisonal noch gestaffelt sind und
Eisenbahntarife Untersuchungen angestellt, ob sie zur Haupterntezeit bis auf eine Anerkennungs-
wohl „unterstützungsverdächtig" im Sinne des Ver- gebühr ermäßigt werden?
trages anzusehen seien, und hat darüber am 13. No-
vember 1961 alle Regierungen der Mitgliedstaaten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
gehört. Ja, diese Tarife sind gestaffelt. Daß man in der Be-
Die Vertreter der italienischen Regierung haben trachtung der Dinge so weit gehen könnte, wie Sie
in den Verhandlungen den Unterstützungscharakter es sagen, möchte ich nicht annehmen. Aber ich darf
der Frachtermäßigungen nicht bestritten, jedoch dar- daran erinnern, daß wir in bestimmten Gebieten
gelegt, daß es sich dabei um Maßnahmen zur Ver- ähnliche Tarife haben — zwar nicht für Obst und
wirklichung der italienischen Pläne zu wirtschaft- Gemüse, aber für andere Güter — und daß infolge-
dessen im Zuge der Entwicklung der allgemeinen
lichen Förderung der weniger entwickelten Gebiete
Italiens handele. Diese Ziele haben die Signatar- Verkehrspolitik hier noch eine Harmonisierung der
Tarife erfolgen muß. Das kann aber nicht von uns
mächte in dem „Protokoll betreffend Italien" zu den
aus geschehen. Wenn wir sagten, wir erkennten
Römischen Verträgen anerkannt, das durch die Rati-
diese italienischen Tarife nicht an, so würde man
fikation auch Bestandteil dieser Verträge und der
uns sofort das Protokoll entgegenhalten, das Be-
darüber bestehenden Gesetze geworden ist.
standteil des Vertrages ist. Außerdem würde man
Die Vertreter der Bundesregierung haben in der uns entgegenhalten, daß man sich dann auch bei der
Sitzung am 13. November 1961 auf die vorangegan- Prüfung unserer Anliegen entsprechend verhalten
genen Erörterungen in der Arbeitsgruppe der Euro- werde.
päischen Wirtschaftsgemeinschaft „Direkte oder in-
direkte Hilfen auf dem Obst- und Gemüsesektor" Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Herr Minister, gilt
am 18. März 1961 hingewiesen, wonach die Frarht- diese Subvention für ganz Italien und für alle
begünstigungen Anlaß zu erheblichen Schwierigkei Transportmittel?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 475

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Jahn (SPD) : Herr Minister! Sind Sie nicht der
Das weiß ich nicht. Darüber haben wir auch keine Auffassung, daß die öffentliche Hand unter anderem
Unterlagen. die Aufgabe hat, jede Möglichkeit zu nützen, um
den Architekten die Möglichkeit zu geben, an der
Vizepräsident Dr. Schmid: Wir kommen zum Entwicklung der Baukunst auch auf dem Sektor des
Geschäftsbereich des Bundesministers für Post- und öffentlichen Bauens mitzuwirken?
Fernmeldewesen. Die Fragen 1 und 2 sind zurück-
gezogen. Die Frage des Abgeordneten Dr. A rndt Stücklen, Bundesmninister für das Post- und Fern-
unter Ziffer 3 ist vom Abgeordneten Jahn auf- meldewesen: Soweit das möglich ist, Herr Kollege
genommen worden: Jahn, tun wir das. Bei diesem Bau ist es nicht
Warum wird der Neubau des Postscheckamtes in Berlin von möglich.
der Postbehörde entworfen und errichtet, nicht aber auf geeig-
nete Weise — z. B. durch Ausschreiben eines Wettbewerbs —
den freischaffenden Architekten eine Möglichkeit zur Entwicklung
der Baukunst geboten?
Vizepräsident Dr. Schmid: Noch eine Zusatz-
frage? — Herr Abgeordneter Neumann.
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
meldewesen: Die Vorbereitung und Planung von Neumann (SPD) : Herr Minister, das vorgesehene
Gebäuden für den Post- und Fernmeldebetrieb setzt Baugelände ist in den Jahren 1959 und 1960 durch
genaue Kenntnisse der betrieblichen Vorgänge und Enttrümmerung baureif gemacht worden. Können
Zusammenhänge voraus. Aus diesem Grunde hat Sie mir bitte sagen, wann mit dem Beginn des
die Deutsche Bundespost bereits vor mehr als Baues des Postscheckamtes zu rechnen ist?
80 Jahren eigene Bauabteilungen bei den Oberpost-
direktionen eingerichtet und seitdem ihre Dienst- Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
gebäude selbst geplant und gebaut, gebaut in dein meldewesen: Voraussichtlich im Sommer 1963.
Sinne, daß sie die Bauten von Privatfirmen ausfüh-
ren ließ. Die in diesen Abteilungen tätigen Fach-
kräfte des Hochbaues haben in ihrer meist langjäh- Vizepräsident Dr. Schmid: Frage Dr. Atzen-
rigen Arbeit für die Deutsche Bundespost reiche Er- roth — Drucksache IV/202 —:
fahrungen über die Anforderungen gesammelt, die Aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung dem
belgischen Vorbild nicht angeschlossen, im Briefverkehr mit den
in betriebs- und verwaltungstechnischer Hinsicht ge- EWG-Staaten nur Inlandsporto zu erheben?
stellt werden, und sind deshalb am besten in der
Lage, die Neubauten den betrieblichen Bedürfnissen Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
entsprechend zu planen und auszuführen. Das gilt meldewesen: Die Frage der Einführung einer euro-
insbesondere auch für die Planung eines neuen Post- päischen Gebühr wird zur Zeit innerhalb der Euro-
scheckamtes, weil hier einer großen Zahl betrieb- päischen Konferenz der Post- und Fernmeldeverwal-
licher Besonderheiten und den Auswirkungen der tungen geprüft. In der für diese Frage zuständigen
im Gang befindlichen Automatisierungsmaßnahmen Unterkommission für Gebührenfragen hat die Bun-
Rechnung zu tragen ist. Die Einschaltung von desrepublik Deutschland den Vorsitz. Die Bestre-
Privatarchitekten würde mit Sicherheit eine mühe- bungen gehen dahin, innerhalb der Postverwaltun-
volle laufende Einweisung der postfremden Kräfte gen der Konferenz eine einheitliche Gebühr zur
nötig machen und mit einem großen Zeitverlust so- Anwendung zu bringen. Bei dieser Sachlage würde
wie einem finanziellen Mehraufwand verbunden ein einseitiges Vorgehen der deutschen Postverwal-
sein. tung in der Gebührenfrage von den anderen Post-
verwaltungen nicht nur nicht verstanden, sondern
Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage? mißbilligt werden.

Jahn (SPD) : Wollen Sie damit zum Ausdruck Vizepräsident Dr. Schmid: Keine Zusatzfrage.
bringen, Herr Minister, daß ein freischaffender Frage X — Drucksache IV/199 — des Abgeordneten
Architekt nicht in der Lage wäre, den besonderen Dr. Brecht.
Bedürfnissen der Post gerecht zu werden, wenn er Ist es bei der Förderung des Wohnungsbaues für Bundeswehr-
angehörige allgemein üblich, daß die öffentlichen Mittel pri-
auf die entscheidenden Erfordernisse, auf die es vaten Bauherren gegen 3 v. H. Zins oder weniger und bis zu
ankommt, hingewiesen wird? vollen 80 v. H. der Gesamtkosten gegeben werden und außer-
dem auch noch eine Mietzusage oder eine Anmietung übernom-
men wird?

Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-


meldewesen: Herr Kollege Jahn, das kann man Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
nicht generell verneinen und auch nicht generell Städtebau und Raumordnung: Private Bauherren er-
bejahen. Wir haben ausnahmsweise auch Privat- halten ebenso wie gemeinnützige und freie Woh-
architekten eingeschaltet. Aber bei einem Gebäude nungsunternehmen im Wohnungsbau für die Bun-
mit einem so weitgehend technischem Charakter, deswehr Bundesdarlehen zu einem vertraglichen
wie es das Postscheckamt in Berlin ist, ist die Zinssatz von 4 0/o. Wie im öffentlich geförderten
Einschaltung von Privatarchitekten von unserer sozialen Wohnungsbau wird der Zinssatz für diese
Seite aus im Augenblick nicht möglich. nachstelligen Finanzierungsmittel in der Regel er-
heblich gesenkt, um tragbare Mieten zu erzielen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine zweite Zusatz- Während die Förderung im öffentlich geförderten
frage! sozialen Wohnungsbau sich aus mehreren Finan-
476 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Bundesminister Lücke
zierungsquellen zusammensetzt — Landesmittel, Vizepräsident Dr. Schmid: Keine Zusatzfrage!
LAG-Mittel, Sonderdarlehen usw. und Arbeitgeber- Es folgt die Frage XI/2 — des Abgeordneten
darlehen —, wird bei der Bundeswehr neben einer Leicht —:
ersten Hypothek und Eigenkapital nur ein Bundes- Wann ist mit der Verkündung der Rechtsverordnung gemäß
darlehen gewährt. Soweit die Wohnungen für so- § 35 des Arzneimittelgesetzes zu rechnen?
zial Schwache — Soldaten mit geringem Einkommen
— bestimmt sind, ist der Anteil des Bundesdar- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
lehens an der Finanzierung zwangsläufig höher und Gesundheitswesen: Ich werde bemüht sein, den Ver-
kann bei Bauvorhaben mit hohem Erschließungs- ordnungsentwurf noch im Laufe dieses Jahres dem
aufwand in abgelegenen Gebieten auch 80 41/4 der Bundesrat zuzuleiten.
Gesamtkosten erreichen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Keine Zusatzfrage.
Der Darlehensvertrag — das ist die weitere
Frage — sieht keine Mietzusage an den Darlehens- Frage XI/3 — des Abgeordneten Leicht — :

nehmer, auch keine Anmietung durch den Bund Beabsichtigt die Bundesregierung, das Arzneimittelgestz dahin
zu novellieren, daß neu entwickelte Arzneistoffe beim Inver-
vor. Der Bund läßt sich jedoch ein Besetzungsrecht kehrbringen ohne besondere Anordnung der Verschreibungs-
pflicht unterliegen und erst dann für den allgemeinen Verkauf
einräumen. durch Apotheken freigegeben werden, wenn schädliche Neben-
wirkungen nicht beobachtet sind?

Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage?


Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Gesundheitswesen: Es ist nicht beabsichtigt, das
Dr. Brecht (SPD) : Herr Minister! Können Sie Arzneimittelgesetz dahingehend zu ändern, daß neu
sagen, ob dann der Vorgang, der in einigen Nach- entwickelte Arzneistoffe beim Inverkehrbringen zu-
richtenmagazinen von Kötzting in Bayern berichtet nächst einmal ohne besondere Anordnung der Ver-
worden ist, tatsächlich nicht zutrifft, daß also die schreibungspflicht unterliegen. Bei einer solchen
Darlehen, die auch dort gegeben wurden, nach den Regelung würden neben den stark wirkenden auch
gleichen Grundsätzen gegeben worden sind, wie Sie alle die Stoffe der sofortigen Verschreibungspflicht
sie hier dargelegt haben? unterworfen werden, die ohne ärztliche Verschrei-
bung abgegeben werden können. Ihre spätere Ent-
Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen, lassung aus der Rezeptpflicht würde einer amtlichen
Städtebau und Raumordnung: Herr Kollege Brecht, Feststellung ihrer Unschädlichkeit gleichkommen.
bei meiner derzeitigen Beanspruchung bin ich leider Das aber wiederum könnte in vielen Fällen erst
nicht in der Lage, alle Nachrichtenmagazine zu nach einer Spanne von fünf Jahren und auch selbst
lesen. dann nicht mit absoluter Sicherheit getan werden.
In dem Arzneimittelgesetz ist vorgesehen, daß in
dringenden Fällen ein Arzneimittel ohne Zustim-
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine zweite Zusatz- mung des Bundesrates und ohne Anhörung des Bei-
frage. rats, also sehr schnell rezeptpflichtig gemacht wer-
den kann. Dies scheint uns auch ausreichend zu sein,
um einer Gefährdung durch einen stark wirkenden
Dr. Brecht (SPD) : Würden Sie es nicht für ge-
Stoff — soweit dies auf dem Wege der Rezeptpflicht
boten halten, Herr Minister, diesen Fall noch ein-
möglich ist — zu begegnen.
mal nachzuprüfen, und dann vielleicht eine schrift-
liche Auskunft geben?
Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage? —
Frau Dr. Hubert!
Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
Städtebau und Raumordnung: Wenn Sie die Freund- Frau Dr. Hubert (SPD) : Sind Sie nicht der An-
lichkeit haben, mir das Material zuzustellen, werde sicht, daß genauso schnell, wie ein Arzneimittel mit
ich Ihnen gern eine schriftliche Anwort darauf er- neuen Wirkstoffen in die Rezeptpflicht einbezogen
teilen. werden kann — wie Sie soeben sagten —, auch un-
schädliche Mittel sofort freigegeben werden können?
Vizepräsident Dr. Schmid: Frage XI/1, Druck- Sie müssen ja sowieso angemeldet werden. Und sind
sache IV/199 — des Abgeordneten Leicht —: Sie nicht der Meinung, Frau Ministerin, daß dadurch
solche Fälle, wie wir sie z. B. mit dem Contergan
Wie weit sind die Vorarbeiten für eine Rechtsverordnung ge- erlebt haben, wenn auch nicht ganz ausgeschaltet,
mäß § 35 des Arzneimittelgesetzes bezüglich Verschreibungs-
pflicht von Arzneimitteln von seiten der Bundesregierung ge- so doch sehr stark vermindert würden, wenn diese
diehen? Mittel zunächst einmal unter Kontrolle von Ärzten
ausgegeben würden?
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Gesundheitswesen: Die Vorarbeiten zu der Rechts- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
verordnung gemäß § 35 des Arzneimittelgesetzes Gesundheitswesen: Frau Hubert, es tut mir leid,
sind im Gange. Die Stellungnahme des Bundesge- aber in diesem Punkt bin ich anderer Meinung als
sundheitsamtes liegt vor. Es folgen nun Verhand- Sie. Ich glaube nicht, daß die unglückseligen Fälle,
lungen mit den beteiligten Berufsverbänden und die sich an das Mittel Contergan knüpften, verhin-
Wirtschaftskreisen. Dann ist noch der Beirat nach dert worden wären, wenn das Contergan rezept-
§ 45 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes zu hören. pflichtig gewesen wäre; denn wir wissen, daß ein
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 477
Bundesminister Frau Dr. Schwarzhaupt
ganz großer Teil — wohl der überwiegende Teil Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage,
— der Schäden dadurch entstanden ist, daß Conter- Herr Abgeordneter Vogt!
gan auf Grund von Rezepten eingenommen worden
ist. Vogt (CDU/CSU) : Darf ich, Frau Minister, aus
Ihrer vorletzten Antwort entnehmen, daß es noch
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine zweite Zusatz- nicht erwiesen ist, ob die Schädigungen oder Ge-
frage! sundheitsstörungen infolge der Einnahme von Con-
tergan aufgetreten sind?
Frau Dr. Hubert (SPD) : Frau Ministerin, Mittel,
die zwar beim erstenmal durch Rezept gegeben wer- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
den, werden nachher aber sehr oft von den Patien- Gesundheitswesen: Genau dies habe ich gesagt. Die
ten frei gekauft, wenn sie rezeptfrei sind. Glauben Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen.
Sie nicht, daß eben dadurch dieses Überhandnehmen
des Gebrauchs von Contergan erfolgt ist? Denn es Vizepräsident Dr. Schmid: Die Frage ist be
ist wohl kaum so häufig verschrieben worden, wie -antworet.
es frei gekauft worden ist.
Ich rufe auf die Frage XI/4 — des Abgeordneten
Bauer (Würzburg) —:
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Wie gedenkt die Bundesregierung den deutschen Verbraucher
Gesundheitswesen: Ich glaube nicht, daß die Dinge gegen die im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu erwarten-
mit Rezeptpflicht sehr viel anders verlaufen wären. den Importe von Weinen aus sogenannten Hybridenreben zu
schützen, deren besonders erhebliche Leber-Schädlichkeit un-
längst durch die Wissenschaft eindeutig festgestellt worden ist?
Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage, Herr
Dr. Mommer! Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Gesundheitswesen: Der Verbraucher wird durch die
Dr. Mommer (SPD): Frau Ministerin, wer haftet Einfuhr von Hybridenweinen im Rahmen des Ge-
für die materiellen Schäden, die in den Familien meinsamen Marktes nicht gefährdet. § 13 Abs. 1 und
entstanden sind, in denen durch Gebrauch von § 14 Abs. 1 des Weingesetzes verbieten die Einfuhr
Contergan jetzt Kinder mit Mißbildungen zur Welt und das Inverkehrbringen von Hybridenweinen. Da
gekommen sind? diese Verbote wegen der gegen Hybridenweine be-
stehenden gesundheitlichen Bedenken ausgespro-
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für chen worden sind, kann sich die Bundesrepublik zur
1 Gesundheitswesen: Herr Abgeordneter Mommer, Aufrechterhaltung dieser Verbote jederzeit auf
über diese Fragen laufen ja noch Untersuchungen. Art. 36 des EWG-Vertrages berufen. Nach Art. 36
Ich glaube, wir können heute noch nicht mit Sicher- sind — sonst unzulässige — Verbote und Beschrän-
heit sagen, daß hier ein Kausalzusammenhang be- kungen der Einfuhr dann gestattet, wenn sie zum
steht. Wenn er bestehen sollte, haften alle die- Schutze der Gesundheit und des Lebens von Men-
jenigen, die ein Verschulden daran trifft. Es ist schen gerechtfertigt sind.
also zu untersuchen, inwieweit die Firma, die das Auch aus Art. 100 des EWG-Vertrages droht dem
Mittel herstellt, dieses schuldhaft nicht genügend Verbraucher keine Gefahr. Art. 100 ermächtigt zwar
geprüft oder es zu lange im Verkehr gelassen hat. den Rat, durch Erlaß von Richtlinien eine Rechtsan-
Sie können versichert sein, daß diese Dinge mit gleichung vorzuschreiben. Es kann aber keinem
allem Ernst und in aller Strenge nachgeprüft werden. Zweifel unterliegen, daß jede Regelung nach Arti-
kel 100 der Römischen Verträge auf den Schutz
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Frage! der öffentlichen Gesundheit, aber auch auf den
Schutz des Verbrauchers vor einer Täuschung be-
Dr. Mommer (SPD) : Frau Ministerin, sind Sie dacht sein muß. Die Interessen der Wirtschaft müs-
mit mir der Meinung, daß bei der Suche nach den sen diesem notwendigen Verbraucherschutz unter-
Verantwortlichen auf keinen Fall herauskommen geordnet werden.
darf, daß die materiellen Schäden bei den Familien Im übrigen kann der Rat eine Richtlinie zur
verbleiben, die schon die furchtbare moralische Last Rechtsangleichung nur einstimmig erlassen. Die Bun-
zu tragen haben, die für sie das Zurweltkommen desrepublik hat daher jederzeit die Möglichkeit, das
von mißgebildeten Kindern bedeutet. Zustandekommen einer ihr bedenklich erscheinen-
den Richtlinie zu verhindern.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Ob und inwieweit Hybridenweine tatsächlich eine
Gesundheitswesen: Herr Dr. Mommer, wenn sich
spezifische gesundheitliche Bedenklichkeit aufwei-
ergeben sollte, daß nach dem geltenden bürgerlichen
sen, ist von der Wissenschaft noch nicht abschlie-
Recht keine Schadensersatzpflicht eines leistungs-
ßend geklärt. Solange aber gegen Hybridenweine
fähigen Verpflichteten feststellbar ist, müßten wir
gesundheitliche Bedenken bestehen, wie dies nach
uns gemeinsam überlegen, in welcher Weise wir
dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen
hier vielleicht noch über die Bestimmungen des
Erkenntnis der Fall ist, wird die Bundesrepublik das
Bundessozialhilfegesetzes hinaus helfen können.
Verbot, Hybridenweine einzuführen und in den Ver-
kehr zu bringen, ohne Einschränkung aufrechterhal-
Dr. Mommer (SPD) : Danke sehr! ten.
478 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage! Kahn-Ackermann (SPD) : Frau Minister, ist Ih-
nen bekannt, daß auf Grund der von mir geschilderten
Tatsache gewisse Weine in einzelnen Teilen Deutsch-
Bauer (Würzburg) (SPD) : Sind Sie in der Lage,
lands als verkehrsfähig zugelassen und eingeführt
Frau Ministerin, mir Auskunft zu geben, ob und
werden und in anderen Teilen nicht? Darf ich in
inwieweit die klare Feststellung, daß es sich um
diesem Zusammenhang .fragen, ob Ihr Ministerium
Hybridenweine handelt, angesichts des zu erwarten-
beabsichtigt, bei der Herausgabe der nächsten Vor-
den zunehmenden Exports aus Frankreich und viel-
schnift zur Vereinheitlichung der Analysen darauf
leicht auch demnächst aus Spanien im Rahmen der
Rücksicht zu nehmen und sicherzustellen, daß im ge-
EWG gewährleistet ist?
samten Bundesgebiet endlich einmal einheitlich ver-
fahren wird? Sonst nützt das nämlich alles nichts,
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für weil offensichtlich in einem Teil Deutschlands die
Gesundheitswesen: Wir haben ja Untersuchungs- Weine zugelassen werden, in einem anderen nicht.
methoden, durch die wir dies sicherstellen können.
Insbesondere bei der amtlichen Weinkontrolle kann Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter,
beim Rotwein mit verhältnismäßig einfachen Metho- keine Ausführungen, sondern Fragen.
den, bei weißem Wein mit komplizierteren Metho-
den festgestellt werden, ob Hybridenweine vorlie- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
gen oder beigemischt sind. Die Feststellung wird Gesundheitswesen: Jawohl, Herr Kollege Kahn-
Sache der Durchführung des Gesetzes und der Wein- Ackermann. Das war eigentlich der Sinn meiner vor-
kontrolle sein. hin gegebenen Antwort. Wir haben ein bestimmtes
analytisches Verfahren vorgeschlagen und werden
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine zweite Zusatz- darauf dringen, daß dies den Untersuchungen all-
frage! gemein zugrunde gelegt wird.

Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und


Bauer (Würzburg) (SPD) : Haben Sie in Ihrer Ant- Herren, damit ist die Fragestunde zu Ende. Die
wort, Frau Ministerin, berücksichtigt, daß die jüng-
Frage XII ist vom Antragsteller zurückgezogen, die
sten Forschungsergebnisse des Instituts für Züch-
Frage XIII +ist zurückgestellt worden.
tungsforschung der bayerischen Landesanstalt für
Wein-, Obst- und Gartenbau in Würzburg und eines Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Mainzer Hygienikers die Leberschädlichkeit der Hy-
bridenweine ausdrücklich bestätigt haben? Beratung der Sammelübersicht 3 des Aus-
schusses für Petitionen (2. Ausschuß) über
Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bun-
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für destages zu Petitionen (Drucksache IV/187).
Gesundheitswesen: Ich sagte Ihnen ja, daß wir nach
dem jetzigen Stand der Wissenschaft davon aus- Ein Mündlicher Bericht wird vom Hause nicht ge-
gehen, daß Hybridenweine gesundheitsgefährdend wünscht; eine Aussprache soll nicht stattfinden. Der
sind und daß wir sie auszuschalten haben. Ausschuß schlägt vor, die in der Sammelübersicht
enthaltenen Anträge von Ausschüssen des Deut-
schen Bundestages zu Petitionen anzunehmen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Kahn-Acker-
mann noch zu einer Zusatzfrage. Ist das Haus einverstanden? — Ich höre keinen
Widerspruch; es ist so beschlossen.
Kahn-Ackermann (SPD) : Frau Minister, ist Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung.
Ihnen bekannt, daß sich die Untersuchungsanstalten (Abg. Dr. Mommer: Zur Geschäftsordnung!)
im Bundesgebiet über das anzuwendende Verfahren
bei der Feststellung von Hybriden offensichtlich — Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Mom-
nicht ganz einig sind? Es wird beispielsweise in mer.
Speyer und in München ein anderes Verfahren an-
gewandt als in Münster und an anderen Orten, und Dr. Mommer (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-
auch die Ergebnisse sind unterschiedlich. men und Herren! Durch die Große Anfrage der SPD-
Fraktion soll hier eine Debatte über Grundfragen
der Sozialpolitik hervorgerufen werden. Wir ver-
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für missen auf der Regierungsbank den Herrn Bundes-
Gesundheitswesen: Herr Kollege Kahn-Ackermann, minister für Arbeit und Sozialordnung. Ich bean-
daß sich Wissenschaftler über bestimmte Methoden trage gemäß § 46 der Geschäftsordnung im Namen
nicht ganz einig sind, kommt natürlich öfter vor. meiner Fraktion die Herbeirufung des Herrn Bun-
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) desministers.
(Beifall bei der SPD.)
Wenn wir eine völlige Einigkeit als Voraussetzung
für unsere Praxis annehmen wollten, würden wir Vizepräsident Dr. Schmid: Wird das Wort da-
vielleicht in gewissem Maße gelähmt sein. zu gewünscht? — Der Herr Minister ist im Hause;
er wird soeben geholt.
Vizepräsident Dr. Schmid: Nächste Zusatz- (Abg. Dr. Mommer: Ich bitte, die Sitzung
frage. bis dahin zu unterbrechen, Herr Präsident!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 479
Vizepräsident Dr. Schmid
— Ich sehe seinen Schatten auf dem Fenster der dem Leistungsrecht für die Krankenversicherung,
Wandelhalle. für die Lohnfortzahlung und die Neuordnung des
Kindergeldrechts zu. Niemand kann von uns erwar-
(Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Wird ten, daß wir dieses Schweigen der Bundesregierung
allmählich Zeit!)
für einen Ausdruck besonderer Aktivität und Weis-
— Ich sehe, daß das Haus den Herrn Minister mit heit halten. Die Gründe für ihre außerordentliche
Beifall begrüßt. Zurückhaltung sind in Wahrheit anderer Natur. Sie
sind nicht sozialpolitisch, sondern koalitionspolitisch
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: bedingt.
Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. (Abg. Börner: Sehr richtig!)
Krankenversicherung, Lohnfortzahlung und Mit dem Eindruck, den der Sozialteil der Regie-
Kindergeld (Drucksache IV/153). rungserklärung hinterlassen hat, stehen wir Sozial-
Wer begründet die Anfrage? — Das Wort hat der demokráten nicht allein. Das öffentliche Echo be-
Abgeordnete Rohde. weist das. Im übrigen habe ich auch nicht den Ein-
druck gewinnen können, daß beispielsweise die Re-
Rohde (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und gierungserklärung auf den Kreis der Arbeitnehmer
Herren! Die Große Anfrage, die von der SPD-Frak- in der CDU besonders beruhigend gewirkt hat.
tion zur Sozialpolitik eingereicht worden ist, nimmt (Beifall 'bei der SPD. — Zuruf von der CDU/
Bezug auf die Regierungserklärung vom November CSU: Woher wissen Sie das?)
vergangenen Jahres. Ich darf daran erinnern, daß
die amtierende Bundesregierung in dieser Erklä- — Das weiß ich aus dem Studium der „Sozialen
rung den weiten Bereich der sozialen Leistungen an Ordnung", des Blattes der Arbeitnehmer der CDU.
einer bemerkenswerten Stelle eingeordnet hat. Sie Dieser Kreis weiß sicherlich aus interner Kenntnis
finden die Sozialpolitik darin hinter dem Post- und noch konkreter als wir, i n welchem Ausmaß die Be-
Fernmeldewesen als letzte Position im inn enpoliti- handlung der Sozialpolitik in der Regierungserklä-
schen Aufgabenkatalog. rung das Ergebnis der Regierungsbildung selbst ist,
hei der die Frage, was sozialpolitisch zu tun oder
Die Regierung kann von uns nicht erwarten, daß zu unterlassen ist, eine erhebliche Rolle gespielt
wir in dieser Rangordnung nur eine Art von redak- hat.
tionellem Zufall sehen. Dazu war allein schon die
Redaktionsführung, wie sie sich seinerzeit zwischen Was wir nun seit November vergangenen Jahres
Bonn und Rhöndorf bei der Ausarbeitung der Regie- aus dem Lager der heutigen Regierungsmehrheit zur
rungserklärung entwickelt hatte, viel zu prominent sozialen Gesetzgebung und zur Gestaltung unserer
und, wenn ich das hinzufügen darf, auch viel zu sozialen Ordnung gehört haben, ist in der Summe
finessenreich. höchst widerspruchsvoll und läßt überhaupt keine
Konzeption erkennen. Bisher ist beispielsweise jede
Mit unserer Großen Anfrage wollen wir über die noch so zaghafte Andeutung sozialpolitischer Vor-
Einzelfragen hinaus die Regierung gleich zu Beginn haben aus dem Kreise der Arbeitnehmer der CDU
der Legislaturperiode mit allem Nachdruck darauf von dem anderen Koalitionspartner mit heftigen
aufmerksam machen, daß die Rangordnung, die sie Reaktionen bedacht worden.
in ihrer Erklärung für die Sozialpolitik gefunden hat,
auf keinen Fall der politischen Entwicklung und der Soweit es die Auffassungen der FDP angeht, kann
Arbeit in diesem Hause den Stempel aufdrücken man sie sicherlich, ohne ungerecht zu sein, dahin
darf. Wir wollen dafür sorgen, daß die Aufgaben zusammenfassen, daß sie ihren Anhängern und För-
der ,sozialen Sicherheit in den Arbeiten und Erörte- derern draußen im Lande sagt: Wenn wir auch in
rungen dieses Hauses jenen Platz einnehmen, den der Kanzlerfrage und in mancher anderer Hinsicht
sie im Hinblick auf die Menschen, für die sie wahr- zurückstecken mußten, so werden wir doch auf die
genommen werden, verdienen. Sozialpolitik 'ein wachsames Auge richten. Auf wel-
chen Gruppen und auf welchen Interessen dieses
(Beifall bei der SPD.) wachsame Auge der FDP mit besonderem Wohl-
Über die Form der Regierungserklärung hinaus wollen ruht, braucht in diesem Hause nicht erläutert
ist zu ihrem sozialpolitischen Inhalt zu sagen, daß zu werden.
dieser nach einmütiger Auffassung — auch der fach- (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)
lich und sachlich besonders interessierten Offent-
lichkeit — so unverbindlich und so wenig aufschluß- Meine Damen und Herren! Ich sage das alles, weil
reich war, daß sich das Parlament damit auf Grund die Gefahr sichtbar geworden ist, daß ausgerechnet
seiner Verantwortung und Mitgestaltung der Ge- die Sozialpolitik zum Kompensationsmittel der heu-
setzgebung nicht zufriedengeben kann. Wir müssen tigen Regierungspartner in ihren inneren Ausein-
diese Feststellung um so mehr unterstreichen, als andersetzungen wird
die Regierung in den vergangenen Wochen nicht (Beifall bei der SPD)
einen überzeugenden Versuch unternommen hat,
die allgemeinen Darlegungen in der Regierungs- mit allen negativen Auswirkungen, die das für die
erklärung näher zu erläutern und Aufschluß über Stabilität unserer inneren Ordnung haben muß. Man
ihre Absichten zu geben. Vage Andeutungen in könnte sich damit begnügen, diese Streitereien in
Presseberichten können kein Ersatz für die Informa- der Regierungskoalition mit Interesse zur Kenntnis
tion des Parlaments sein. Das trifft insbesondere für zu nehmen, wenn nicht die Sozialpolitik das Streit-
die in der SPD-Vorlage behandelten Fragen nach objekt und die Wirkung dieser Streiterei eine sicht-
480 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Rohde
bare Verschlechterung des sozialen Klimas in unse- sierender, ein ordnender und ein ausgleichender
rem Lande wäre. Faktor zu sein und auf diese Weise von innen her
Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit und dem Ganzen jene Sicherheit zu geben, die mit zur
gehört zur sozialpolitischen Verantwortung der Re- Selbstbehauptung nach außen gehört.
gierung, daß sie angesichts dieses Tauziehens end- (Beifall bei der SPD.)
lich zu konkreten Fragen Stellung nimmt und zur
Sache ein klärendes Wort sagt. Ich bitte das Hohe Haus darum, unsere Große
Anfrage in allem Ernst als den Versuch zu würdigen,
(Beifall bei der SPD.) in dem bedeutsamen Bereich der Sozialpolitik das
Die Große Anfrage der SPD gibt ihr die Chance Gespräch über diese innenpolitischen Verpflichtun-
dazu. Schließlich handelt es sich dabei um entschei- gen zu konkretisieren.
dende Fragen der sozialen Sicherheit, die weithin
die Lebensbedingungen der Menschen in unserem Wenn wir heute den Stand der Sozialpolitik über-
Lande beeinflussen. denken, stehen wir vor dem Sachverhalt, daß dieser
Bundestag einen wesentlichen Abschnitt der Sozial-
Dieses klärende Gespräch zwischen Regierung und reform zu bewältigen hat, vor allem im Bereiche
Parlament, das wir mit unserer Großen Anfrage der Krankenversicherung. In der Presse ist sogar
heute in Gang bringen wollen, ist auch darum not- geschrieben worden, eine neue Runde der Sozial-
wendig geworden, weil die ersten sozialpolitischen reform stehe bevor. Es wird mit Recht darauf auf-
Debatten in diesem Hause erhebliche Befürchtungen merksam gemacht, daß eine Hypothek abzutragen
hinterlassen haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß ist, die die vergangene Bundesregierung in den von
sich vor kurzem ein Sprecher der Regierungspar- uns in den Abschnitten I und II der Großen Anfrage
teien beispielsweise zu der Behauptung ermuntert angeschnittenen Problemen hinterlassen hat. Die
fühlte, die von uns vor einigen Wochen beantragte Bilanz der vergangenen Jahre ist eindeutig. Ich will
Verbesserung der Renten unterminiere die Vertei- sie hier ohne Kommentar anführen: Die Kranken-
digungsbereitschaft. versicherungsreform ist in einer Sackgasse gelandet,
(Hört! Hört! bei der SPD.) und für die Lohnfortzahlung und die Kindergeld-
gewährung sind Regelungen erlassen worden, die
In diese Tonart haben sich auch andere inzwischen ausdrücklich mit dem Stempel des Provisoriums und
verirrt. Ich weiß nicht, ob Ihnen inzwischen bewußt des Uberganges versehen worden sind. Es wurde in
geworden ist, daß Sie auf dem Wege waren, den all diesen Fällen gesagt, daß der neue — also unser
großen und bewegenden Gedanken des Zusammen- jetziger — Bundestag aus den gescheiterten Ver-
haltes in schwerer Zeit dadurch schon wieder im suchen und aus den Provisorien dauerhafte Reform-
Ansatze zu verderben, daß Sie mit dem Verlangen werke machen soll. Das ist die Ausgangslage, vor
nach Opfern in unserem Lande wieder am verkehr- der wir heute stehen.
ten Ende anfangen wollen.
Von da her ergibt sich doch nun ganz selbstver-
(Beifall bei der SPD.)
ständlich die Frage, in welcher Weise, mit welchen
Wenn ich zu diesem konkreten Beispiel, das in grundlegenden Zielen und — angesichts des Um-
vieler Beziehung Schule gemacht hat, noch eins fanges dieser Arbeit — auch mit welchem Zeitplan
anfügen darf, dann dies: Nach dem materiellen Auf- die Bundesregierung diese Aufgabe zu bewältigen
wand zum vergangenen Weihnachtsfest kann doch gedenkt. Vor uns liegen Gesetzentwürfe, die sozial-
wohl heute niemand mehr in diesem Hause sagen, politisch und auch hinsichtlich ihrer finanziellen
es hätte gegen die allgemeine Ordnung und Ge- Fundierung in vielfältigen Beziehungen zueinander
sinnung verstoßen, wenn auch den Rentnern eine stehen. Es entspricht daher dem Rang und der
zusätzliche Verbesserung ihrer Bezüge gegeben wor- politischen Verantwortung des Parlaments, wenn es
den wäre. heute hier durch uns und unsere Große Anfrage den
Lassen Sie mich in der Begründung des politischen Anspruch anmeldet, von der Regierung über ihre
Gehaltes und des Warum unserer Großen Anfrage Haltung und Arbeitsweise zusammenhängend infor-
gerade an einem solchem Tage wie diesem, an dem miert zu werden.
wir Sozialpolitik und militärpolitische Entscheidun- Wie soll angesichts des Umfanges der Arbeiten
gen zu besprechen haben, sagen, daß für uns die eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Regierung
Aufgaben der inneren und der äußeren Sicherheit und Parlament zustandekommen, wenn die Regie-
nicht in einem Gegensatze zueinander stehen. Es ist rung nicht gleich zu Beginn der Legislaturperiode
sicher unbestritten, daß in Zeiten wie den unsrigen den Versuch unternimmt, ihr Gesamtkonzept hier
die politische Arbeit und das Denken der Menschen zu erläutern? Wenn das von dem Kollegen Arndgen
weithin von den außenpolitischen Belastungen be- kürzlich von dieser Stelle aus gesprochene Wort
einflußt werden. Aber es wäre kurzsichtig und von der „Gesamtschau" und der Gesamtkonzeption
töricht, davon ableiten zu wollen, daß man den einen Sinn haben soll, dann muß das auch in der Art
Rang der innenpolitischen Verpflichtungen abbauen der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parla-
könnte. Für unser Empfinden hat die Innenpolitik ment zum Ausdruck kommen. Wir werden uns jeden-
im weitesten Sinne dieses Wortes gerade in Zeiten falls nicht damit begnügen, in diesem Hause ergeben
außenpolitischer Belastungen, Prüfungen und Be- darauf zu warten, ob die Regierung zu diesem oder
währungen ihre eigentliche große Stunde, nämlich jenem der in den Abschnitten I und II der Anfrage
im Hintergrund des weltweiten Geschehens und genannten Sozialgesetze einen Entwurf vorlegt oder
seiner Wirkungen auf das eigene Volk ein stabili- nicht. In dieser Hinsicht waren die Erfahrungen, die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 481
Rohde
wir im letzten Bundestag mit der Schritt-für-Schritt- Regierung der Meinung ist oder nicht, daß neben
Methode und mit dem dauernden Wechsel der der Behandlung von Krankheit die Erhaltung der
Rangfolge in der Behandlung der Sozialgesetze ge- Gesundheit der Versicherten, z. B. durch effektive
macht haben, zu schlecht. Ich darf Sie daran erinnern, Vorsorgeuntersuchungen, zu einem entscheidenden
daß Wir damals immer wieder von neuem vor Ausgangspunkt der Reform werden soll.
Änderungen des Arbeitsplanes gestanden haben.
Das ist eine der wesentlichen Ursachen dafür, daß Wir stehen bei der heutigen Reform in mancher
in der Summe gesehen am Ende der vergangenen Hinsicht vor anderen Aufgaben und Voraussetzun-
Legislaturperiode Provisorien, Übergangsregelun- gen als in der Zeit der Gründung der Krankenver-
gen, und nicht dauerhafte Reformgesetze gestanden sicherung. In den letzten Jahrzehnten hat sich nicht
haben. nur die Struktur der Gesellschaft geändert, auch der
Gesundheitszustand ist anders geworden. Die In-
Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß wir es fektionskrankheiten und andere schwere Krank-
immer für richtig und notwendig gehalten haben, heitsarten, die früher weithin das Krankengesche-
daß sich das Parlament rechtzeitig in die Vorarbeiten hen bestimmten, sind durch die Fortschritte der
zur Sozialreform einschaltet. Es ist heute fast auf Medizin und durch die Änderung der Lebensver-
den Tag genau zehn Jahre her, daß die sozialdemo- hältnisse zurückgedämmt worden. Heute stehen die
kratische Bundestagsfraktion beantragt hat, eine sogenannten Verschleißkrankheiten der Zivilisation,
Soziale Studienkommission von unabhängigen Sach- wie Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen, weit
verständigen und Wissenschaftlern einzusetzen, um im Vordergrund des Krankengeschehens. Von da
auf diese Weise einen Beitrag dazu zu leisten, daß her ergeben sich konkrete medizinische und sozial-
die Neuordnung der sozialen Leistungen nach einem politische Aufgabenstellungen, die nach unserer Mei-
Gesamtkonzept vorgenommen wird. Dem lag damals nung nicht Neben-, sondern Hauptfragen der Kran-
der Gedanke zugrunde, die Sozialleistungen zeitge- kenversicherungsreform sein müssen. Diese Fragen
recht zu ordnen, das Neben- und Durcheinander von werden heute in der Öffentlichkeit mit aller Deut-
sozialrechtlichen Bestimmungen zu beseitigen, die lichkeit und Schärfe gestellt. Wer eine Reform der
Verwaltung zu vereinfachen und im ganzen ein Krankenversicherung vorbereitet, wie die Bundes-
Sozialleistungssystem zu schaffen, das für den Bür- regierung es angibt, muß sich ihnen ebenfalls stel-
ger durchschaubar ist und in dem er sich zurecht- len.
findet. Dieser Antrag der SPD ist am 21. Februar 1952
— wie gesagt, vor fast genau zehn Jahren — ab- Können wir, so wird gefragt, in einer Industrie-
gelehnt worden, und niemand kann doch nach den gesellschaft bei der Behandlung von Krankheit
bisherigen Erfahrungen sagen, daß diese Ablehnung stehenbleiben, oder müssen wir nicht alle Anstren-
eine großartige Leistung gewesen ist. gungen unternehmen, um Gesundheit zu wollen, zu
erhalten und zu fördern? Ist der von uns angespro-
Seit langem haben wir zu beklagen, daß es bisher chene Ausbau der Gesundheitsvorsorge nicht die
das Bestreben der Bundesregierung war, möglichst entscheidende Voraussetzung dafür, die Verschleiß-
keine Bilanz aufzumachen, sondern sich in der So- krankheiten unter Kontrolle zu kriegen? Müssen
zialpolitik die Hände freizuhalten zu einem Manöv- wir nicht eine Antwort auf die Zivilisationserkran-
rieren nach tagespolitischen Gesichtspunkten. Das kungen dadurch versuchen, daß wir ausreichende
hat sich für die Ordnung unserer Sozialleistungen und konkrete Leistungen zur Erhaltung der Gesund-
nicht günstig ausgewirkt. Die 3. Legigslaturperiode heit, wo immer das in des Menschen Hand gegeben
des Bundestages ist in dieser Hinsicht ein war- ist, in das Reformwerk aufnehmen? Kann die Ver-
nendes Beispiel. Das mindeste, was wir jetzt am sicherung gegen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit,
Beginn eines weiteren Abschnitts der Sozialpolitik so wird schließlich gefragt, allein den Hauptinhalt
von der Regierung erwarten können, ist eine Auf- des Reformwerks ausmachen?
klärung darüber, mit welchen Vorstellungen und Damit, meine Damen und Herren, steht auch die
Absichten sie nunmehr die in den Abschnitten I Ziffer 2 des ersten Teils unserer Großen Anfrage im
und II der Anfrage genannten Aufgaben, die uns Zusammenhang, in der die Regierung um Auskunft
aus der 3. Legislaturperiode überkommen sind, be- darüber ersucht wird, ob im Krankheitsfall von den
wältigen will. Versicherten, den Familienangehörigen, den Rent-
In Ziffer 1 des ersten Abschnitts fragen wir nach nern usw. eine Kostenbeteiligung verlangt werden
den Plänen der Bundesregierung für einen Ausbau soll oder nicht. Wenn es richtig ist, daß sich heute
der Gesundheitsvorsorge, nach Vorsorgekuren und ein Zwischenreich zwischen Krankheit und Gesund-
freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen. Ich möchte heit als gravierender Zug im Krankheitsgeschehen
darauf aufmerksam machen, daß es sich dabei nicht unserer Zeit aufgetan hat, dann muß es widersin-
um eine Einzelfrage handelt, die sich unter vielen nig erscheinen, durch derartige Kostenregelungen
anderen bei der Reform der Krankenversicherung gerade jene Gesundheitsminderungen im Frühsta-
ergibt. Mit dieser Ziffer 1 ersucht die SPD-Fraktion dium vom Arzt fernzuhalten. Früherscheinungen und
die Regierung um Auskunft darüber, ob sie wieder Symptome der Verschleißkrankheiten können nicht
einen Gesetzentwurf vorbereitet und vorlegen will, als Bagatellfälle abqualifiziert werden, und es führt
in dem das Wort „Gesundheit" nicht einmal vor- in die Irre, von dieser Bagatellfall-Theorie ein Ko-
kommt, und ob sie sich wie in der 3. Legislatur- stenbeteiligungssystem abzuleiten.
periode in ihrem angekündigten Reformgesetz allein Wir möchten von der Regierung hören, ob sie
auf die Begriffe „Krankheit" und „Arbeitsunfähig- jetzt wieder bei der Vorbereitung der Krankenver-
keit" beschränken will. Wir möchten wissen, ob die sicherungsreform die Einführung einer Kostenbetei-
482 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Rohde
ligung bei ärztlicher Behandlung, bei Arzneimitteln Gerüchten und Ansichten stellt, daß sich die Regie-
und Krankenhausaufenthalt vorsieht, ob sie der rung mit der Absicht trage, vor den Landtagswah-
Meinung ist, daß die zusätzliche finanzielle Bela- len in Nordrhein-Westfalen eine Lohnfortzahlung
stung des Menschen, wenn er krank ist, ein unver- anzukündigen und nach den Wahlen dann die
zichtbares Prinzip der Krankenversicherungsreform Kostenbeteiligung und andere Belastungen nachzu-
sein soll. reichen.
Wir möchten wissen, ob es stimmt oder nicht, daß (Sehr gut! bei der SPD.)
die Bundesregierung jetzt dabei ist, ein drastisches Von dem bisherigen Hin und Her über den Zeitplan
System der Kostenerstattung für den Versicherten abgesehen will ich hier in aller Deutlichkeit unter-
im Krankheitsfall vorzubereiten, jenes Kostenerstat- streichen, daß die SPD-Fraktion in der Lohnfortzah-
tungssystem also einzuführen, dessen Wirkungen lung nicht nur ein arbeits- und sozialrechtliches Pro-
wir aus anderen Ländern kennen, beispielsweise blem, sondern auch und besonders eine gesell-
aus Frankreich, wo nach Departements unterschied- schaftspolitische Aufgabe sieht, nämlich die soziale
lich der Versicherte im Krankheitsfall 40 bis 60 % Position des Arbeiters unter dem Gesichtspunkt der
der Behandlungskosten zuzahlen muß. Gerechtigkeit im Krankheitsfall zu ordnen. Mit der
Lohnfortzahlung steht auch die Würde und das
Unter der Ziffer 3 des ersten Teils unserer Gro-
Selbstbewußtsein des arbeitenden Menschen mit zur
ßen Anfrage fragen wir, ob die Bundesregierung die
Entscheidung.
wirtschaftliche Sicherung der Arbeiter und bestimm-
(Beifall bei der SPD.)
ter Gruppen von Angestellten im Krankheitsfall im
Sinne einer vollen Lohnfortzahlung zu regeln ge- Ich muß daher die Frage wiederholen, die ich
denkt. Was wir darüber bisher aus dem Lager der dem Herrn Bundesarbeitsminister schon vor eini-
Regierung gehört haben, war .außerordentlich ver- gen Jahren von dieser Stelle aus gestellt habe:
wirrend. Ein Teil kündigte an, e s werde ein Lohn- Welche Voraussetzungen muß der deutsche Arbei-
fortzahlungsgesetz vorgelegt; ein anderer Teil sagte, ter nach Auffassung der amtierenden Bundesregie-
diese Lohnfortzahlung könne nur im Zusammenhang rung noch erfüllen, bis ihm die volle soziale Gleich-
mit der Krankenversicherungsreform behandelt wer- stellung im Krankheitsfall gewährt wird?
den, und der dritte Teil scheint schließlich der Mei- (Sehr gut! bei der SPD.)
nung zu sein, diese Frage regele sich dadurch am
besten, daß man sie überhaupt nicht regele. Die Wir verkennen nicht und haben immer gesagt,
daß die Lohnfortzahlung für den Bereich der mittel-
Bundesregierung wird sich sicherlich nicht dem Ein-
ständischen Wirtschaft besondere Probleme auf-
druck entziehen können, daß sie in dieser Sache
wirft. Deshalb fragen wir unter Ziffer 3 b des
endlich ein Wort der Klarstellung über ihre Hal-
I. Abschnitts die Bundesregierung, ob sie die An-
tung sagen muß.
sicht teilt, daß für Betriebe mit weniger als 50 Be-
(Zustimmung bei der SPD.) schäftigten ein besonderer Ausgleich geschaffen
Eine Äußerung der Regierung erscheint um so not- werden muß, der durch Bereitstellung öffentlicher
wendiger, als die gegenwärtige Krankengeldrege- Mittel gefördert wird.
lung, die der letzte Bundestag beschlossen hat, Der II. Abschnitt der Großen Anfrage beschäftigt
außerordentlich kompliziert ist, zu einer Fülle von sich mit der Neuordnung des Kindergeldrechts. Sie
Streitereien geführt hat und die Verwaltung mit wissen, heute besteht der kuriose Zustand, daß Kin-
erheblichem zusätzlichem Aufwand, nicht nur bei dergeld von zwei Sozialleistungsträgern ausgezahlt
den Krankenkassen, sondern auch in den Betrieben, wird: beim zweiten Kind von der Arbeitsverwal-
belastet. Die Regierung weiß das. Schon von da her tung und beim dritten Kind und mehr Kindern von
gibt .es ein berechtigtes Interesse des Hauses und der Unfallversicherung. Dieser Zustand ist auf die
der Öffentlichkeit, über den weiteren Gang der Dauer nicht zu halten. Davon war das Parlament
Lohnfortzahlungs-Gesetzgebung informiert zu wer- auch in der letzten Legislaturperiode überzeugt.
den.
Ein anderer gravierender Tatbestand, der ebenfalls
Unter Ziffer 4 des I. Abschnitts fragen wir die zu öffentlichen Diskussionen geführt hat, ist, daß die
Bundesregierung, wann etwa mit der Vorlage eines Kindergeldzahlung an Zweitkinder von einer Ein-
Gesetzentwurfs zur Neuregelung der sozialen Kran- kommensprüfung abhängig gemacht wird. Damit
kenversicherung und zur Lohnfortzahlung zu rech- wurde von der Regierungsmehrheit im vergangenen
nen ist. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Bun- Bundestag ein völlig neues Element in unsere Kin-
desregierung in der 3. Legislaturperiode von dieser dergeldgesetzgebung eingeführt.
Stelle erklärt hat, daß es sich bei der Lohnfortzah-
Der dritte Punkt, von dem unsere Große Anfrage
lung im wesentlichen um ein arbeitsrechtliches Pro-
ausgeht, ist der Umstand, daß durch die gegenwärtige
blem handele, das gesondert von der Krankenver-
Mittelaufbringung für das Kindergeld vor allem die
sicherungsreform erörtert werden müsse und könne.
mittelständische Wirtschaft außerordentlich belastet
Ich frage die Bundesregierung, ob sie weiterhin auf
wird. Der Herr Bundesfamilienminister hat sich vor
diesem Standpunkt steht oder ob sie ihn inzwischen
einiger Zeit zu den Fragen der Verwaltungsverein-
revidiert hat, ob sie etwa ein Junktim in der Be-
fachung, Mittelaufbringung und Einkommensgrenze
handlung von Krankenversicherungsreform, Kosten-
geäußert. Aber ich bitte die Regierung um Ver-
beteiligung und Lohnfortzahlung vornehmen will ständnis dafür, daß wir uns mit dieser Äußerung
und ob sie danach auch ihren Zeitplan ausrichtet. des Herrn Familienministers nicht zufriedengeben
Schließlich muß der Bundesarbeitsminister auch können. Das hängt einfach damit zusammen, daß es
gefragt werden, wie er sich zu jenen Äußerungen, nach unseren bisherigen Erfahrungen immer einen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 483
Rohde
großen Unterschied gegeben hat zwischen den fa- bringen, die Sie wollen. Aber Sie können einen
milienpolitischen Ankündigungen des Herrn Mini- Präsidenten nicht verantwortlich machen für die
sters Wuermeling und den späteren familienpoliti- Bundesregierung und nicht dafür, wie die Geschäfts-
schen Entscheidungen der Regierung im ganzen. lage in dem Augenblick ist, in dem er sein Amt
Wir bitten deshalb die Bundesregierung, sich heute hier antritt.
vor dem Parlament dazu zu äußern, was sie zu tun (Abg. Erler: Nein, nein! — Abg. Dr. Mom
gedenkt, um die Einkommensgrenze bei der Gewäh- mer: Wenn Sie den Brief suchen, Herr Prä-
rung von Kindergeld für Zweitkinder zu beseitigen, sident, — —)
die sozial ungerecht ist und zu erheblichem Verwal-
tungsaufwand sowie zu den kuriosesten Ergebnis- — Es soll ein Brief der Bundesregierung da sein,
sen in Einzelfällen geführt hat. der mir nicht übergeben worden ist.
Wir fragen unter Ziffer 2 des Abschnitts II, welche (Abg. Dr. Mommer überreicht dem Präsi
Pläne für die künftige finanzielle Fundierung der denten Durchschrift des Briefes. — Heiter
Kindergeldgesetzgebung bestehen und ob dabei die keit und Beifall bei der SPD.)
Betriebe finanziell entlastet werden sollen. — Also, noch liebenswürdiger als der Fraktions-
Unter Ziffer 3 fragen wir die Bundesregierung, geschäftsführer der SPD kann man gar nicht sein.
wie sie sich zu dem weiteren Ausbau der Kinder- — Er lautet:
geldgesetzgebung überhaupt stellt, die immer noch Der Bundesminister
hinter den Leistungen der übrigen EWG-Partner für Arbeit und Sozialordnung
und anderer Länder herhinkt. Schließlich möchten
wir wissen, welchen Zeitplan die Regierung ihren An den Herrn Präsidenten
Arbeiten zugrunde legt. des Deutschen Bundestages
Die Bundesregierung beabsichtigt, Gesetzent-
(V o r sitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.) würfe zur Neuregelung der gesetzlichen Kran-
kenversicherung, zur Lohnfortzahlung im Krank-
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische heitsfalle und zur Neuregelung des Kinder-
Bundestagsfraktion hat mit ihrer Großen Anfrage geldrechts einzubringen.
das Gespräch über die weitere Gestaltung der so-
zialen Gesetzgebung eröffnet. Es liegt jetzt an der (Zurufe von der SPD: Langsam!)
Bundesregierung, dieses Gespräch mit dem Parla- Die Arbeiten an diesen Gesetzentwürfen sind
ment aufzunehmen, eine nüchterne Bilanz aufzu- jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, daß
machen, ihre Gesamtkonzeption bekanntzugeben über die Regierungserklärung vom 29. Novem-
und auf diese Art und Weise in den angeschnittenen ber 1961 hinaus jetzt schon Vorschläge bekannt-
Fragen die Zusammenarbeit mit dem Parlament zu gegehen werden können. -
eröffnen.
(Beifall bei der SPD.) Die Bundesregierung ist daher im gegenwär-
tigen Zeitpunkt nicht in der Lage, die in der
Großen Anfrage gestellten Einzelfragen zu be-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
antworten, die zudem nicht für sich allein be-
Abgeordnete Dr. Schellenberg.
trachtet, sondern nur im Zusammenhang der
(Abg. Dr. Mommer: Herr Präsident, die Gesetzentwürfe erörtert werden könnten.
Bundesregierung zur Beantwortung!)
Die Bundesregierung bittet, sich dieser Auffas-
— Moment, ich bitte um Entschuldigung; ich habe sung anzuschließen.
dieses Amt in diesem Augenblick übernommen. Auf
(Abg. Erler: Zur Geschäftsordnung!)
der Rednerliste steht als erster der Name Schellen-
berg. Darum habe ich ihn zuerst aufgerufen. Ich — Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Erler!
dachte, wir wären schon in der Diskussion.
Wer spricht für die Bundesregierung? Erler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Ich möchte zur Geschäfts-
(Unruhe bei der SPD. — Bundesminister ordnung nur feststellen, daß es wohl ein Akt der
Blank begibt sich zum Präsidium und spricht Höflichkeit dem Hohen Hause gegenüber gewesen
mit dem Präsidenten. — Lachen und Zu wäre, wenn der Herr Bundesarbeitsminister diese
rufe von der SPD. — Zuruf von der SPD: seine Auffassung hier persönlich vorgetragen hätte.
Was sind das für Verhandlungen?! — Abg. Er ist ja im Hause.
Erler: Das Haus muß Antwort auf die
Große Anfrage haben! — Abg. Wittrock: (Beifall bei der SPD.)
Ein bißchen lauter! Wir wollen mithören!
— Zuruf von der SPD: Herr Präsident, Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
man kann Sie nicht hören! — Abg. Witt Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
rock: Nanu! Nanu! — Abg. Erler: Am Volk (Zuruf von der SPD: Er muß wohl erst ein
liegt's nicht, es liegt an der Leitung! — geladen werden!)
Abg. Frau Döhring [Stuttgart] : Ein neuer
Stil!)
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozil-
— Meine Damen und Herren, Sie können ja Ihre ordnug: Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Kritik an der Bundesregierung in jeder Form an- Ich möchte zu den Ausführungen des Herrn Erler
484 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bundesminister Blank
nur sagen: die Bundesregierung hat sich streng an wörtlich den Inhalt unserer Großen Anfrage vom
die Geschäftsordnung gehalten. Sie hat, wie sie nach 20. Oktober 1959 übernommen. Damals beantwor-
der Geschäftsordnung verpflichtet ist, dem Herrn tete der Herr Bundesarbeitsminister die gleichen
Präsidenten des Deutschen Bundestages schriftlich Fragen sehr detailliert. Noch mehr, diese Große An-
eine Antwort erteilt, die sie zu geben verpflichtet frage nahm die Bundesregierung zum Anlaß, den
ist. Diese ist den Damen und Herren im Ältestenrat Gesetzentwurf zur Neuregelung der gesetzlichen
bekanntgegeben worden. Es war auch schon in allen Krankenversicherung vorzulegen, zu dem der Herr
Zeitungen zu lesen, daß die Bundesregierung die Bundesarbeitsminister sich — wie er wörtlich sagte
Große Anfrage — wie es nach der Geschäftsordnung — mit großer Freude bekannt hatte.
ihr Recht ist — nicht beantworten werde. (Heiterkeit bei der SPD.)
(Abg. Frau Döhring [Stuttgart] : Der neue Deshalb ist es doch wohl bemerkenswert, daß der
Stil! — Weitere Zurufe von der SPD: Küm gleiche Herr Bundesarbeitsminister auf die gleichen
merlich! — Das ist eine Blamage!) Fragen heute keine Antwort geben kann oder geben
darf.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und (Erneute Heiterkeit bei der SPD.)
Herren, angesichts der Tatsache, daß die Bundes- Zweitens. In unserer Großen Anfrage wird das
regierung die Anfrage nicht beantwortet, stelle ich Problem der Gesundheitsvorsorge aufgeworfen.
die Frage, ob die Angelegenheit nunmehr als erle- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf
digt zu betrachten ist oder ob eine Aussprache ge- Sie daran erinnern, daß einmal — es ist schon lange
wünscht wird. Wer wünscht eine Aussprache? — her — die Gesundheitsvorsorge das zentrale Pro-
Gut!
blem einer Sozialreform werden sollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg. (Beifall bei der SPD.)
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Ich muß heute leider feststellen, daß die Bundes-
Damen und Herren! Zu dem, ich darf wohl sagen, regierung offenbar über die Lösung des Problems
bemerkenswerten Verhalten der Gesundheitsvorsorge keine Vorstellungen hat.
Jedenfalls sah sie sich nicht in der Lage, auch nur
(Abg. Dr. Mommer: Erstmaligen!) einen Satz zur Gesundheitsvorsorge, zu diesem
der Bundesregierung im allgemeinen und des Herrn wichtigen gesundheitspolitischen Anliegen hier zu
Bundesarbeitsministers im besonderen möchte ich sagen.
namens meiner Fraktion einige Feststellungen tref- Drittens. In unserer Großen Anfrage richten wir
fen.
an die Bundesregierung die Frage, ob sie wiederum
Erstens. In dem Brief an den Herrn Bundestags- beabsichtigt, Kostenbeteiligungen vorzuschlagen.
-
präsidenten, den der Herr Präsident soeben verlesen Meine Damen und Herren, wir haben nicht nach
hat, versucht die Bundesregierung den Eindruck zu Einzelheiten gefragt, etwa nach der Höhe und nach
erwecken, als ob in der Großen Anfrage meiner dem System von etwa beabsichtigten Kostenbeteili-
Fraktion nach Einzelheiten gefragt werde, die nur gungen, sondern wir haben nach der grundsätzlichen
im Zusammenhang mit einer Gesamtkonzeption be- Auffassung der Bundesregierung zum Problem der
antwortet werden könnten. Seit dem Jahre 1952 Kostenbeteiligung bei ärztlicher Behandlung, bei
bemühen wir uns darum — das hat soeben mein Krankenhausbehandlung gefragt. Dies deshalb, well
Kollege Rohde dargelegt —, die Mehrheit für eine die Kostenbeteiligung nach unserer Auffassung —
sozialpolitische Gesamtkonzeption zu gewinnen, und mit dieser Auffassung stehen wir doch wohl
leider bisher vergeblich. Zudem wird aber in der nicht allein — weittragende Auswirkungen für die
Großen Anfrage nicht nach Einzelheiten, sondern Volksgesundheit hat.
nach Grundproblemen unserer Sozialpolitik gefragt: (Beifall bei der SPD.)
nach der gesundheitlichen Vorsorge, nach der
Kostenbeteiligung, nach der Lohnfortzahlung im Die Bundesregierung schweigt heute dazu, offen-
Krankheitsfalle sichtlich aus taktischen Erwägungen, um die Bevöl-
(Zuruf von der CDU/CSU) kerung nicht frühzeitig, vielleicht vor einem be-
stimmten Termin — dem Wahltermin in Nordrhein-
— Sie haben die Große Anfrage wahrscheinlich nicht Westfalen — zu 'beunruhigen. Aber, meine Damen
genau gelesen, ich werde Ihnen die Probleme noch und Herren, diese Praktik der Bundesregierung
im einzelnen erläutern —, nach einem familienge- dürfte nicht ganz in Einklang mit den Erkenntnis-
rechten Kindergeld und nach den Beziehungen zwi- sen des Herrn Bundeskanzlers stehen, der die Richt-
schen Sozialpolitik und Mittelstandspolitik. linien der Politik zu bestimmen hat; denn der Herr
Diese Probleme sind seit langem Gegenstand der Bundeskanzler erklärte im Fernsehen am 12. No-
öffentlichen Diskussion, und die Bundesregierung vember 1961 „daß alle unangenehmen Gesetze sofort
konnte deshalb von unseren Fragen doch gar nicht im ersten Jahr über den Bundestag gehen".
überrascht sein. Viertens. Wir fragen in dieser Großen Anfrage —
(Zuruf von der SPD: Sehr gut!) wie schon so oft — nach der Beseitigung der Benach-
teiligungen der Arbeiter im Krankheitsfalle und nach
Ein ersten Teil unserer heute zur Aussprache ste der Stellung der Bundesregierung zu einer echten
henden Großen Anfrage — Herr Kollege von der Lohnfortzahlung. Aus der schriftlichen Mitteilung
CDU/CSU, jetzt lesen Sie bitte nach — haben wir der Bundesregierung konnten wir entnehmen, daß
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 485
Dr. Schellenberg
die Bundesregierung beabsichtigt, einen Gesetzent- Das politische Kräfteverhältnis hat sich seit der
wurf zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle einzu- letzten Auseinandersetzung, die wir hier über das
bringen. Diese Mitteilung ist in zweifacher Hinsicht Kindergeldkassengesetz geführt haben, gewandelt.
interessant. Einmal deshalb, weil die Frage der Jetzt sind die Vertreter der Kindergeldideologie auf
Lohnfortzahlung in der Regierungserklärung, auf berufsständischer Grundlage, Herr Kollege Winkel-
die sich das vorgelesene Schreiben an den Herrn heide,
Präsidenten bezieht, mit keinem Wort erwähnt wor- (Lachen bei der SPD)
den ist. Die Mitteilung der Bundesregierung' ist zum in diesem Hause in der Minderheit.
anderen deshalb interessant, weil die Mehrheits-
parteien noch vor neun Monaten — es sind noch (Zustimmung bei der SPD.)
nicht ganz neun Monate her —, als wir das zweite Daraus müssen idoch — und ich hoffe, darin werden
Krankengeldzuschußgesetz hier berieten, auch einen uns die Kollegen der einen Regierungspartei zu-
schrittweisen Übergang zur echten Lohnfortzahlung stimmen — politische Konsequenzen gezogen wer-
strikt abgelehnt haben. den. Diese vermissen wir bis jetzt. In der schrift-
(Abg. Börner: Hört! Hört!) lichen Antwort der Bundesregierung wird nur eine
Überschrift genannt, die Überschrift: „Entwurf eines
Das waren die Tatsachen bei der letzten Ausein- Gesetzes zur Neuregelung des Kindergeldrechts".
andersetzung über die Probleme der Lohnfortzah- Diese Überschrift kennen wir bereits seit der zwei-
lung in diesem Hause. ten Legislaturperiode.
Eigentlich sollten wir heute Anlaß zu besonde- (Zustimmung bei der SPD)
rer Freude über die nun offenbar gewandelten Auf-
fassungen der Bundesregierung zur Lohnfortzah- Die Nennung eines solchen Arbeitstitels ist für uns
lung haben, auch wenn uns in der schriftlichen um so weniger eine Antwort auf unsere Große An-
Mitteilung der Bundesregierung lediglich eine Über- frage, als der Bundestag die Bundesregierung be-
schrift für ein neues Gesetz genannt und kein Wort reits am 26. Februar 1959 beauftragt hatte, einen
über den Inhalt gesagt wird, der außerordentlich Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kindergeld-
vielgestaltig sein könnte. Pressemitteilungen, auf rechts, also einen Gesetzentwurf mit der gleichen
die wir uns allein stützen können, weil die Bundes- Überschrift vorzulegen. Das hat die Bundesregie-
regierung bis jetzt geschwiegen hat, müssen wir rung bisher nicht getan.
entnehmen — mein Kollege Rohde hat es kurz an- Familienpolitisch ist außer den organisatorischen
gedeutet —, daß die Bundesregierung beabsichtigt, und finanziellen Fragen, die gewiß wichtig sind, der
die Lohnfortzahlung mit der Einführung von Leistungsinhalt von besonderer Bedeutung. Vom
) Kostenbeteiligungen zu koppeln. Deshalb möchte Herrn Kollegen Rohde wurde vorhin schon der
ich namens meiner Fraktion schon heute deutlich Herr Bundesfamilienminister erwähnt. Ich möchte
erklären, daß wir allen Versuchen, die Kostenbe- den Herrn Bundesfamilienminister — ich sehe ihn
teiligung im Zusammenhang mit dem arbeitsrecht- leider nicht im Hause — mit Ausführungen zitieren,
lichen Problem einer Gleichstellung der Arbeiter
die er im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen
durchsetzen zu wollen, sehr energischen Wider-
gemacht hat. Ich lese vor:
stand entgegenbringen.
Als Leistungsverbesserung steht immer stärker
(Beifall bei der SPD.)
im Raum
Dies deshalb, weil derartige Absichten nicht nur — so erklärte der Herr Bundesfamilienminister —
den gesundheitlichen Bedürfnissen der Arbeiter
widersprechen, sondern auch denen der Angestell- erstens Beseitigung der Einkommensgrenze
ten und Rentner, deren sozialer Status im übrigen beim Zweitkindergeld,
durch eine solche Koppelung auch erheblich ver- — Gegenstand unserer Anfrage! —
schlechtert werden würde.
zweitens Anhebung des Kindergeldbetrages für
Fünftens. Bei dem Teil der Großen Anfrage, der Dritt- und weitere Kinder von 40 auf 50 DM,
sich auf die Neuregelung des Kindergeldrechts be- drittens Anhebung des Zweitkindergeldes auf
zieht, geht es, abgesehen von der Frage der Ein- 30 DM monatlich.
kommensgrenze von 600 DM monatlich für Zweit-
kinder, um Probleme, mit denen sich der Bundestag Offenbar ist die Bundesregierung — da sie außer
seit dem Ersten Kindergeldgesetz des Jahres 1954 dem Titel eines Gesetzentwurfs nichts Konkretes
beschäftigt. über seinen Inhalt gesagt hat —, um die Worte des
Herrn Bundesfamilienministers zu benutzen, der
(Zuruf des Abg. Weber [Georgenau].)
Auffassung, man sollte die Leistungsfragen weiter-
— Sie stimmen mir zu, Herr Kollege Weber! Ich hin „immer stärker im Raume stehen" lassen. Denn
darf Sie, meine Damen und Herren von den Freien eine Antwort auf die familienpolitischen Fragen
Demokraten, in diesem Zusammenhang jedoch wurde uns ungeachtet der Erörterungen, die bei-
freundlich idaran erinnern, daß wir — jedenfalls bis spielsweise heute über die Erhöhung des Milch-
zu Ihrem Eintritt in diese Regierung — hinsichtlich preises zu führen sind, nicht gegeben.
der prinzipiellen Probleme des Kindergeldrechts, ins-
Sechstens. In unserer Großen Anfrage werfen wir
besondere hinsichtlich der Finanzierung, stets die
Grundsatzprobleme der Beziehungen zwischen So-
gleichen Auffassungen vertreten haben.
zialpolitik und Mittelstandspolitik auf, nämlich in
(Zustimmung bei der SPD.) Richtung auf eine Entlastung der lohnintensiven
486 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Schellenberg
Betriebe. Sie alle wissen, meine Damen und Herren, neuregelungsgesetz angekündigt, von dessen Über-
daß diese Probleme seit Jahren ungelöst sind. Es schrift wir heute auch gehört haben, sondern - der
wird in der Antwort der Bundesregierung kein Wort Minister hat weiter erklärt, daß auf. Grund dieses
über eine Entlastung der lohnintensiven Betriebe Gesetzes das Kindergeld auch für das dritte und
hinsichtlich der Aufbringung der Mittel für Kinder- weitere Kind in gleicher Weise wie für das zweite
geld für drei und mehr Kinder gesagt. Kind aus Steuermitteln und nicht aus Beiträgen der
Der Gesetzentwurf, dessen Überschrift in dem Wirtschaft finanziert werden soll. Diese konkrete
Schreiben der Bundesregierung genannt wurde — Äußerung des Herrn Bundesarbeitsministers ist des-
„Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle" —, über des- halb besonders bemerkenswert, weil sie in einem
sen finanziellen und sozialpolitischen Inhalt sich die Zeitpunkt abgegeben wurde, als das Bundeskabinett
Bundesregierung aber ausschweigt, wirft doch wohl den vorliegenden Haushaltsplan, in dem keine Mark
— darüber dürfte im Hause Einmütigkeit bestehen zur Übernahme des Kindergeldes für das dritte und
— hinsichtlich des Ausgleichs für lohnintensive Be- weitere Kind eingesetzt ist, bereits verabschiedet
triebe eine Reihe wichtiger Fragen auf. Wir haben hatte.
diese Fragen gestellt, aber die Bundesregierung hat (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Börner:
sie nicht beantwortet. Das ist die Wahrhaftigkeit in der Politik!)
(Zustimmung bei der SPD.) Meine Damen und Herren, das sind doch interessante
Tatsachen.
Siebentens. Die von uns in unserer Großen An-
frage angesprochenen sozialpolitischen Probleme Damit komme ich zum Schluß. Wir Sozialdemokra-
beziehen sich natürlich auch auf finanzwirtschaft- ten halten es für einen unerträglichen Zustand, daß
liche Fragen. Sie sollen und müssen erörtert wer- uns in diesem Hause konkrete Antworten auf un-
den. Auch deshalb bedauern wir, daß sich die Bun- sere Fragen zur weiteren Gestaltung der Sozialpoli-
desregierung heute nicht einer Aussprache stellt. tik verweigert werden, während der federführende
Minister im Lande herumreist und sich zu den glei-
(Beifall bei der SPD.)
chen Fragen sehr präzise äußert.
Achtens — und damit komme ich bald zum
(Beifall bei der SPD. — Abg. Büttner: Das
Schluß — muß ich noch einen sehr bemerkenswerten
ist die Achtung vor dem Parlament!)
Tatbestand erwähnen. Der Herr Bundesarbeits-
minister, der als Repräsentant der Bundesregierung Das scheint uns kein guter Stil der parlamentari-
— vielleicht gegen seinen persönlichen Willen; das schen Arbeit und der Zusammenarbeit mit diesem
vermag ich nicht zu beurteilen — heute nicht zu den Hause zu sein. Für die Verweigerung einer Antwort
grundsätzlichen Problemen einer weiteren Gestal- auf unsere Große Anfrage gibt es nur eine Erklä-
tung der Sozialpolitik Stellung genommen hat und rung, nämlich die Meinungsverschiedenheiten inner-
auf unsere Fragen nicht antwortete, hat aber zu den halb der Bundesregierung und der sie tragenden
gleichen Fragen, die heute unbeantwortet blieben, Parteien über die Grundlagen unserer Sozialpolitik.
anderenorts Stellung genommen hat, und zwar Wir Sozialdemokraten sind jedoch der Auffassung,
durchaus konkret. daß die weitere Gestaltung unserer Sozialpolitik, die
(Hört! Hört! bei der SPD.) das Schicksal von Millionen Menschen angeht, unter
diesen Meinungsverschiedenheiten nicht leiden darf.
Ich möchte Ihnen einige dieser Äußerungen des
Herrn Bundesarbeitsministers vorlesen. Der Herr (Beifall bei der SPD.)
Bundesarbeitsminister hat auf dem Kreisparteitag Wir dürfen es deshalb nicht zulassen, daß sich die
der CDU des Kreises Wiedenbrück in Avenwedde Bundesregierung einer klaren Antwort auf klare
— ich hoffe, daß ich den Namen richtig ausgespro- Fragen entzieht. Es ist im allgemeinen Interesse
chen habe; denn ich habe nicht die Ehre, diesen Ort notwendig, daß zu Beginn der Legislaturperiode
zu kennen — am 3. Dezember 1961 folgendes ausge- wenigstens 'die Grundlinien unserer Sozialpolitik
führt:
— Es müsse erwartet werden, daß jeder abgesteckt werden.
— jeder! — in Bagatellfällen den Aufwand selbst
bestreitet ... Es müsse in dem Arbeiter noch mehr Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung
als bisher das Gefühl der Verantwortung entwickelt hat sich heute einer Beantwortung unserer Fragen
werden. Aus diesem Gedanken heraus werde das zu den Grundlagen unserer Sozialpolitik entzogen.
Gesetz zur Krankenversicherungsreform nun erneut Deshalb überreiche ich namens meiner Fraktion dem
dem Bundestag vorgelegt. Das sind doch immerhin Herrn Präsidenten erneut die Große Anfrage der
bemerkenswerte Erklärungen des Herrn Bundes- Sozialdemokratischen Partei zu diesen Grundpro-
arbeitsministers, die in erstaunlichem Widerspruch blemen unserer Sozialpolitik.
zu der Zurückhaltung stehen, die er sich heute auf- (Beifall bei der SPD.)
erlegt oder auferlegen muß.
Herr Kollege Schütz, Sie schütteln den Kopf.
Auch nach Einbringung unserer Großen Anfrage
vom 30. Januar ließ es sich der Herr Bundesarbeits- (Abg. Ruf: Neuer Stil!)
minister nicht nehmen, zu konkreten Fragen unserer
Großen Anfrage öffentlich Stellung zu nehmen. Am Ich hoffe, 'daß unser Schritt die Meinungsbildung in
1. Februar hat der Herr Bundesarbeitsminister in Ihrer eigenen Fraktion und zwischen den Fraktionen
Wanne-Eickel — ich stütze mich wieder auf eine der Regierungsparteien fördern wird.
eine Pressemitteilung — nicht nur ein Kindergeld- (Sehr gut! 'bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 487
Dr. Schellenberg
Meine Damen und Herren, es ist doch — ich darf dann — das darf ich den Herren sagen — ist sie
das ganz freimütig sagen — eine Tatsache, daß Sie uns noch viel angenehmer.
sich in , der Regel erst unter ,dem Druck von Initia- (Beifall bei den Regierungsparteien — La
tiven der Sozialdemokraten zu Ihren sozialpoliti- chen und Unruhe bei der SPD — Zuruf von
schen Auffassungen und dann vielleicht sogar Ini- der SPD: Wir führen doch keine Koalitions
tiativen durchzuringen pflegen. verhandlungen mehr, Herr Minister! —
Sehr gut! bei der SPD — Abg. Ruf: Da bil Glocke des Präsidenten.)
den Sie sich etwas Falsches ein!)
Wir geben bei unserer erneuten großen Anfrage Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damien und
über die in der Geschäftsordnung vorgesehene Frist Herren, nun geben Sie dem Herrn Bundesminister
von vierzehn Tagen hinaus der Bundesregierung die Gelegenheit, zu sprechen, worauf das Haus doch
eine weitere Frist von vier Wochen, damit sie ihre wartet.
Antwort sehr gründlich vorbereiten und dann dem (Abg. Erler [SPD] meldet sich zu einer Zwi
Hause Antwort über ihre Auffassung zu den Grund- schenfrage.)
problemen unserer Sozialpolitik geben kann. Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwi-
(Beifall bei der SPD.) schenfrage des Abgeordneten Erler?

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. ordnung: Bitte!

Erler (SPD) : Herr Bundesminister, darf ich den


Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- Ausspruch, den Sie soeben getan haben, auch als
ordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! eine indirekte Antwort an Ihren Parteifreund Kat-
Daß Herr Schellenberg darauf kommen würde, dar- zer betrachten?
zutun, 'ich könnte oder wollte mich zu den Proble-
men hier nicht äußern, weil — — Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
(Unruhe und Zurufe von ,der SPD) ordnung: Mein Parteifreund Katzer ist erstens groß-
jährig, zweitens erfahren genug, um von diesem
— Ach, Sie waren doch bereit, mit dem gleichen Platze für sich selbst zu sprechen; ich bin nicht sein
Partner, von dem Sie heute — sehr zu Unrecht —, Vormund.
annehmen, er hemme unser sozialpolitisches Wollen, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
eine Koalition einzugehen. Das hat doch Ihr Freund
Ollenhauer hier an dieser Stelle gesagt. Und nun, meine sehr verehrten Damen- und Her-
ren, möchte ich einen kleinen Irrtum richtigstellen,
(Beifall bei .der CDU — Zuruf von der SPD: der dem Herrn Schellenberg wie so oft auch heute
Sie sind aber schlecht unterrichtet, Herr wieder unterlaufen ist. Herr Schellenberg beklagt
Arbeitsminister!) sich, daß die Bundesregierung auf die gestellte
Große Anfrage mit den vielen Detailfragen nicht
— Soll ich es Ihnen aus dem Protokoll zitieren?
antworte, während der gleiche Minister das doch
(Zurufe von der SPD: Ja bitte! — Was soll damals getan habe. Hat er nicht! Sie haben am
das?) 20. Oktober 1959 ebenfalls eine Große Anfrage ein-
Herr Präsident, ist es gestattet, daß ich das zitiere, gebracht und wollten ins Detail gehend wissen, was
weil es angezweifelt wird? bezüglich der Neuregelung der sozialen Kranken-
versicherung seitens der Regierung geplant sei.
Auch damals hat die Bundesregierung, wie es ihre
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ritte sehr! Pflicht ist, form- und fristgerecht dem Herrn Präsi-
denten des Deutschen Bundestages mitgeteilt, daß
sie den Entwurf eines solchen Gesetzes einbringen
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- würde und daß dann bei diesem Anlaß die gestell-
ordnung: Dann darf ich es tun: ten Fragen beantwortet würden, und sie bäte —
Aber wir wollen hier nicht so tun, als ob reine ich gebe sinngemäß wieder —, von einer münd-
andere Lösung nicht möglich gewesen wäre. lichen Beantwortung abzusehen. Sie wollte also
Wenn es in diesem Lande normale demokra- nicht antworten. Damals hat allerdings die SPD-
tische Grundsätze gegeben hätte, wäre die Ant- Fraktion — aber das ist ihre Sache, nicht meine —
wort auf das Wahlresultat gewesen, daß die auf eine Debatte verzichtet. Als dann das Gesetz
beiden bisherigen Oppositionsparteien, die eingebracht wurde, habe ich allerdings bei der Ein-
jetzt zusammen 'die Mehrheit hätten, den Ver- bringungsrede gesagt — das war etliche Monate
such gemacht hätten, eine Regierung zu bilden. später —: „Ich begründe jetzt das Gesetz, und da-
mit behandle ich zugleich auch die damals gestellten
(Lachen und Zurufe bei ,der SPD.) Fragen."
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Sehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Her-
Sozialdemokratie die FDP nicht sozial verdächtig ren: jetzt liegt wieder eine Große Anfrage vor, und
war, sondern wenn für die Sozialdemokratie die wir haben sinngemäß wieder so geantwortet, wir
FDP ein genehmer Koalitionspartner gewesen wäre, würden solche Gesetze einbringen. Und bei dieser
488 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bundesminister Blank
Gelegenheit, Herr Kollege Schellenberg, werden Die Betroffenen erwarten eine solide Gesetzesarbeit
wir uns über alle diese gestellten Fragen unter- und nicht vorweg nur 'blendende Rhetorik.
halten, so wie es parlamentarischer Brauch ist. (Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Der liebe Gott sieht den Menschen ins Herz und
nicht nur in den Kopf und aufs Maul.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs-
Abgeordnete Schütz. parteien. — Lachen bei der SPD.)
— Gott sei Dank, sonst wären wir bitter dran.
Schütz (München) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren, das gebrannte Kind
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeits- scheut nämlich das Feuer.
minister hat in seinem Schreiben an den Herrin Bun-
destagspräsidenten erklärt, daß es der Regierung (Lachen bei der SPD.)
zur Zeit nicht möglich sei, auf die Große Anfrage Sie haben uns davon überzeugt, daß wir uns hüten
der SPD-Fraktion zu antworten. müssen und hüten sollen, anders zu verfahren, als
wir heute verfahren. Daran sind Sie im letzten vor
Der Herr Kollege Schellenberg hat nun von sich
allem selber schuld.
aus zu den einzelnen Fragen der Großen Anfrage
Stellung genommen. Meine Damen und Herren, ich (Beifall bei der CDU/CSU. — Anhaltende
werde das für meine Fraktion heute nicht tun. Meine Zurufe von der SPD.)
Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung die Zur Kindergeldgesetzgebung bedarf es zunächst
notwendigen Regierungsvorlagen zur Änderung und keines neuen Auftrages. Durch § 8 Abs. 3 des Kin-
zur Fortentwicklung des geltenden Rechts in den dergeldkassengesetzes ist die Regierung beauftragt,
angesprochenen Bereichen im Laufe der ersten einen Vorschlag über die technische Vereinheit-
Hälfte dieser Legislaturperiode vorlegt. Wir neh- lichung vorzulegen. Wir erwarten und wünschen,
men zur Kenntnis, daß die SPD-Fraktion in diesen daß die Vorlage auch Vorschläge über die Über-
und in anderen Fragen ihre eigenen Vorstellungen nahme der Kosten durch Iden Bund enthalten wird.
hat. Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß
diese Ihre Vorstellungen es uns ermöglichen, eine Damit sind Finanzfragen angesprochen. Das ist
Verständigung zu finden. Aber wir bitten auch zur nicht der einzige 'Grund dafür, wohl aber ein sehr
Kenntnis zu nehmen. daß wir selber auch unsere gewichtiger, der meine Fraktion veranlaßt, zumal
eigenen Vorstellungen und Leitbilder haben, die die in der sehr differenzierten Großen Anfrage an-
gesprochenen Probleme als ein Ganzes zu sehen.
wir niemandem zuliebe in diesem Hause verbren-
nen werden. (Zuruf von der SPD: Lassen Sie Ihr Herz
(Beifall bei der CDU/CSU.) sprechen!)
Meine Damen und Herren, das Soll und Haben, wie
Es muß doch wohl einen tieferen Sinn haben, daß es in den drei Gesetzesmaterien steckt, muß sinn-
Sie, meine Damen und Herren, dort drüben sitzen voll aufeinander abgestimmt werden. Die Gesamt-
und daß wir hier in der Mitte Platz genommen situation des Bundeshaushalts und der Gesamtwirt-
haben. schaft und nicht nur die Situation in einigen Zwei-
(Lachen bei der SPD.) gen dieser Wirtschaft müssen dabei berücksichtigt
Das kommt doch wohl u. a. daher, daß wir zwar alle, werden.
wo immer wir in diesem Hause sitzen mögen, den Ich würde es sehr bedauern, wenn Sie jetzt der
gleichen guten Willen haben, Meinung wären, idas sei eine Ablenkung von der
Sache. Nein, das ist nur ein Argument für das von
(Sehr gut! bei der SPD) uns für erforderlich gehaltene Verfahren. Bei der
auf die an uns alle gestellten sozialpolitischen Fra- Erstellung der Einzelvorlagen darf die Zusammen-
gen eine gute Antwort zu geben; daß sich aber diese schau nicht ignoriert werden. Herr Kollege Schel-
verschiedenen Antworten nicht in allen Fällen dek- lenberg hat gemeint, er verlange ja nicht, daß die
ken, hängt doch wohl damit zusammen, daß das Regierung auf Einzelheiten eingehe. Herr Kollege
letzte Ziel, das die oder die oder die Gruppe in Schellenberg, das ist schon wieder so eine Mei-
der Sozial- und Gesellschaftspolitik in vielen Einzel- nungsverschiedenheit: Wo beginnen die Grund-
entscheidungen hat, sich eben nicht deckt. sätze, die Sie verlangen, Einzelheiten zu werden?
(Sehr richtig bei der CDU/CSU.)
Die Diskussion dieses Tagesordnungspunktes
kann kein Anlaß zu einer grundsätzlichen sozial- Aus diesen Erwägungen schließen wir uns der
politischen Auseinandersetzung sein. Wir werden von der Regierung vorgetragenen Auffassung an.
dieser Auseinandersetzung keineswegs ausweichen, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
selbstverständlich auch nicht der Auseinanderset-
zung über die Neuregelung der gesetzlichen Kran-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Noch eine Wort-
kenversicherung, der Lohnfortzahlung und des Kin-
meldung? — Herr Abgeordneter Spitzmüller.
dergeldes. Diese Neuregelung muß zuerst erarbei-
tet und darf nicht schon zuvor zerredet werden.
Spitzmüller (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr
(Beifall bei den Regierungsparteien.) verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 489
Spitzmüller
einmal, weil wir heute mittag noch über den Grünen ich darf feststellen, daß jener Entschließungsantrag
Bericht sprechen werden, ein Beispiel aus der Land- der Freien Demokratischen Partei vom 29. Juni 1961
wirtschaft bringen. Bekanntlich gackern die Hennen, nicht die Zustimmung der sozialdemokratischen
wenn sie ,das Ei gelegt haben. Herr Schellenberg Fraktion gefunden hat. Ich habe aber nach allen
und die Sozialdemokratische Partei verlangen aber, Gesprächen den Eindruck, daß sehr wohl im Sinne
daß die Regierung sich äußert, bevor das Ei in voll- jenes Entschließungsantrags in der neuen Bundes-
endetem Zustand vorgelegt werden kann. regierung verfahren werden wird. Insofern muß ich
(Beifall bei den Regierungsparteien und die Unterstellung — die in Ihren Ausführungen
Heiterkeit.) irgendwo mitgeschwungen haben könnte —, die
FDP habe in der nun veränderten Situation etwas
Sehr geehrter Herr Kollege Rohde, wenn Sie da- zurückzustecken gegenüber diem, was sie im letzten
von gesprochen haben, daß die Sozialpolitik ein Bundestag in der Frage der Kindergeldneuregelung
Streitobjekt der Koalition sei, so muß ich das ein- vertreten habe, sehr weit von mir weisen.
deutig zurückweisen. Wir sitzen als Sozialpolitiker
der Koalition sehr oft zusammen und wir bespre- Herr Kollege Rohde, Sie haben davon gesprochen,
chen die Dinge. Wir haben durchaus die Überzeu- daß wir s o schnell wie möglich etwas vorlegen soll-
gung, daß diese Bundesregierung zu den von Ihnen ten und daß Sie sich wunderten, daß die Konzeption
angeschnittenen Gesetzeskomplexen etwas vorlegen noch nicht veröffentlicht werden könne und der Herr
wird, was Bestand haben wird. Bundesarbeitsminister sich nicht dazu äußere. Lieber
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Herr Kollege Rohde, ich glaube, es ist nach allem,
was in den letzten vier oder acht Jahren in diesem
Auf einen Nenner, meine sehr geehrten Damen Hause verabschiedet wurde, einmal notwendig, die
und Herren von der SPD, können wir uns doch ganz Dinge zu überdenken, eine Bestandsaufnahme zu
allgemein einigen, nämlich auf den Nenner, daß machen und sich zu fragen, welches Porzellan im
das, was zu den erwähnten Gesetzesmaterien ver- letzten Bundestag zu Recht und welches Porzellan
langt wird, sozialpolitisch gerecht sein muß, gesund- mutwillig zerschlagen worden ist. Gegen das Wort
heitspolitisch fortschrittlich, aber wirtschaftspolitisch „Bestandsaufnahme" sollten doch eigentlich von der
auch vernünftig. Wenn man diese drei Maximen SPD keine Einwendungen erhoben werden, nachdem
aufstellt, dann braucht man eben Zeit, nicht nur, es einmal in ihrem Sprachschatz eine außerordent-
um sich über 'die Grundsätze zu einigen, sondern lich große Rolle gespielt hat.
auch, um die tausend Teufeleien, die in vielen Ein-
zelheiten stecken, zu erkennen, um dem Parlament (Beifall bei der CDU/CSU.)
dann etwas vorzulegen, von dem die Regierung Gerade bei dieser Bestandsaufnahme sind nun die
weiß, daß die Koalition dahintersteht, und um es Regierung und ihre Koalitionspartner. Sie, meine
nicht wie im letzten Bundestag kommen zu lassen, Kollegen von der SPD, haben den — fehlgeschla-
-
wo infolge der Einwirkungen von außen und inner- genen — Versuch gemacht, diese Bestandsaufnahme
halb des Parlamentes am Ende im Grunde genom- zu stören in der Hoffnung, daß da oder dort von
men im wesentlichen Flickwerk anzubieten gewesen dem einen oder anderen Koalitionspartner vielleicht
ist, Übergangswerk, Dinge, von denen die Mehrheit andere Töne auftauchen könnten. Ich kann nur
damals selbst gesagt hat, daß sie nur als Proviso- sagen: wir Freien Demokraten haben es dankbar
rium und Übergang anzusehen sind. Wir Freien aufgenommen, mit welchem Elan der Herr Kollege
Demokraten sind der Meinung, wir sollten uns lie- Winkelheide am Ende des letzten Jahres hier eine
ber etwas mehr Zeit lassen, aber dann dafür sorgen, ganz klare, dezidierte Stellungnahme bezüglich der
daß Gesetze gemacht werden, von denen man sagen Arbeitnehmervertreter in der CDU abgegeben hat.
kann, es sind keine Treibhauspflanzen, sondern es Die Art und Weise, in der Sie, Herr Kollege Schel
sind Gesetze, die sich in der rauhen Wirklichkeit lenberg, hier die Fragen behandelt haben, mußte
des Ackerbodens auch bewähren, d. h. in der rauhen doch irgendwie den Eindruck erwecken, als wollten
-
Wirklichkeit unserer vielschichtigen Gesellschafts Sie einmal auf die Arbeitnehmer der CDU, das
und Wirtschaftsstruktur. andere Mal auf die der FDP einschlagen. Geschäfts-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — ordnungsmäßig haben wir zwar eine Große Anfrage
Zuruf von der SPD: Gebt mir vier Jahre Zeit!) der SPD vorliegen, aber nach all den Argumenten,
die Sie vorgebracht haben, hat sich bei mir doch der
Wenn Sie, Herr Kollege Schellenberg, gesagt
Eindruck verdichtet, als handle es sich tatsächlich
haben, daß die Freien Demokraten beim Kindergeld
um ein Konditionstraining für die erste Lesung noch
immer eine andere Meinung als die Christlich De-
ausstehender Gesetzesmaterien,
mokratische Union vertreten haben, so darf ich das
nur bestätigend unterstreichen. Aber selbst im letz- (Beifall bei den Regierungsparteien)
ten Bundestag, als wir in Opposition waren, haben
wir zum letztenmal am 29. Juni über das Kinder- sozusagen um die Lesung vor der ersten Lesung,
geldkassengesetz und damit über die Kindergeld- was geschäftsordnungsmäßig sicherlich als ein
regelung ganz allgemein gesprochen. Damals haben Novum bezeichnet werden kann.
wir in der Hoffnung und in dem Bewußtsein, daß Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir brau-
wir nach dem Wahltermin als Koalitionspartner chen in der Sozialpolitik ein gesundes Wachstum.
gebraucht werden könnten und müßten, einen An- Die SPD bet re ibt draußen sehr viel Verbraucherauf-
trag vorgelegt, der wohlabgewogen die Dinge ent- klärung: Der Käufer lasse sich manchmal bei seinen
hielt, die man in der Regierung ohne eine zu starke Einkäufen durch das Aussehen der Ware täuschen;
Belastung des Haushalts übernehmen könnte, und wenn er aber mit der Zeit lerne, wo und wie diese
490 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Spitzmüller
) oder jene Ware hergestellt, wie sie vertrieben und Ich möchte noch ein letztes Wort, auch zu Ihnen,
mit welchen Schönheitsmitteln sie gefärbt werde, Herr Kollege Spitzmüller, sagen. Der Sinn dieser
so komme er auch wieder zu gewissen Bedenken Debatte sollte und mußte sein, dem Hause und da-
und kehre zu soliden Erzeugnissen zurück. Wir mit der Offentlichkeit die Probleme darzulegen, um
brauchen zu soliden Erzeugnissen nicht zurückzu- die es nach unserer Auffassung bei der Kranken-
kehren. versicherungsreform, der Lohnfortzahlung, des Kin-
Wir sind dabei, etwas auszuarbeiten und Ihnen dergeldes usw. geht. Herr Kollege Spitzmüller, Sie
vorzulegen, von dem wir die Überzeugung haben, haben von „Bestandsaufnahme" gesprochen. Meine
daß wir vor den deutschen Verbrauchern, vor der Damen und Herren, wir möchten nicht nur in der
gesamten deutschen Öffentlichkeit als eine sozial- Zeitung lesen, daß 30 führende — „führende" ! —
politisch fortschrittliche Koalition bestehen können. Sozialpolitiker der CDU/CSU und FDP vom Herrn
Bundesarbeitsminister über die sozialpolitische
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Marschroute unterrichtet wurden. Wir möchten nicht
Zurufe von der SPD.) nur über einen sogenannten Sozialplan aus dieser
oder jener Pressenachricht etwas entnehmen. Viel-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der mehr haben wir die Dinge mit zu gestalten, und
Abgeordnete Dr. Schellenberg. möchten deshalb möglichst frühzeitig an den Pro-
(Unruhe in der Mitte.) blemen der zukünftigen Sozialpolitik beteiligt wer-
der. Deshalb, meine Damen und Herren, unsere
Große Anfrage. Im übrigen — —
Dr. Schellenberg (SPD) : Sie müssen in der Ge-
schäftsordnung nachlesen: Zum Schluß der Großen (Abg. Spitzmüller meldet sich zu einer
Anfrage haben die Antragsteller das Schlußwort. Zwischenfrage.)
— Bitte schön!
(Heiterkeit.)
Meine Damen und Herren, nur wenige Bemerkun- Spitzmüller (FDP) : Herr Kollege Professor Dr.
gen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat — das war Schellenberg, darf ich Ihre Worte so auslegen, daß
für jeden offensichtlich — das Thema verwechselt. Sie als Vorsitzender des Sozialpolitischen Aus-
Wir führen heute kein öffentliches Koalitions- schusses des Deutschen Bundestages bereit sind, das
gespräch post festum, sondern auf der Tagesord- in Ihren Kräften Stehende zu tun, damit die Bera-
nung steht: Große Anfrage der Fraktion der SPD tung der Unfallversicherungs-Neiuregelungsgesetze
zur Sozialpolitik. Ich stelle fest, daß der Herr Bun- so schnell wie möglich zu Ende gebracht wird?
desarbeitsminister auch in seinen Ausführungen zur
Sache kein Wort gesagt hat. Der Bundesarbeitsmini- (Beifall bei den Regierungsparteien. — La
ster hat auf Grund seiner Unterlagen erklärt, die chen bei der SPD. — Abg. Ruf: Eine -berech
Beantwortung der Großen Anfrage der Sozialdemo- tigte Frage!)
kraten vom Oktober 1959, zu der ich gesagt hatte,
der Bundesarbeitsminister habe seinerzeit die glei- Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Spitz-
chen Fragen ausführlich beantwortet, sei seinerzeit müller, ich glaube, die Mitglieder des Sozialpoli-
auch mit unserem Einverständnis für eine lange Zeit tischen Ausschusses werden mir bestätigen, daß ich
zurückgestellt worden, was wir heute verweigert die Geschäfte im Ausschuß zügig zu handhaben
hätten. pflege. Die Entscheidungen des Ausschusses werden
von der Sache her getroffen. Die Unfallversicherung
Nun, meine Damen und Herren, der Herr Bundes- wird, soweit ich dazu beitragen kann, so beraten,
arbeitsminister täuscht sich. Er kennt seiner Unter- daß ein Gesetz entsteht, das den Problemen ent-
lagen nicht genau. Ich kenne sie besser, Herr Bun- spricht, die es zu meistern gilt. Ich hoffe, darin sind
desarbeitsminister. wir einig.
(Heiterkeit.) (Beifall bei der SPD.)
Unsere Große Anfrage wurde am 20. Oktober 1959 Herr Kollege Spitzmüller, das möchte ich Ihnen in
eingebracht. Am 20. November 1959, also einen aller Freundschaft sagen: — —
Monat später, hat das Bundeskabinett die Gesetzes-
vorlage zur Neuregelung der gesetzlichen Kranken- (Heiterkeit)
versicherung verabschiedet und sie am 27. Novem- — Warum nicht in Freundschaft? Sie sind der neue
ber dem Bundesrat zugeleitet. Nur deshalb, weil da- Sprecher Ihrer Fraktion im Sozialpolitischen Aus-
mals unmittelbar nach Einbringung der Großen schuß. — Es ist ein unmögliches Verfahren, daß Sie
Anfrage die Gesetzesvorlage in den Gang der Ge- durch Ihre Zwischenfrage versuchen wollen, uns auf
setzgebung gegeben wurde, wurde die Beantwor- Termine festzulegen, bevor — —
tung jener Großen Anfrage zurückgestellt.
(Lebhafte Zurufe von den Regierungspar
Aber heute liegt ein völlig anderer Tatbestand teien: Aha!)
vor. Es wurde heute seitens der Regierung nicht ein — Aber meine Damen und Hennen!
Wort über einen Zeitplan gesagt. Herr Kollege
Schütz sprach von der ersten Hälfte der Legislatur- (Anhaltende Zurufe von den Regierungs
periode. Da könnten wir also unter Umständen noch parteien.)
anderthalb Jahre warten, bis unsere Große Anfrage — Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen eine
beantwortet wird. Meine Damen und Herren, das Antwort! — Es ist unmöglich, uns auf Termine fest-
ist uns etwas zu lange. legen zu wollen, bevor wir im Ausschuß mit der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 491
Dr. Schellenberg
sachlichen Beratung begonnen haben. Darin sind wir Prüfungsausschüssen und -kammern für Kriegs
uns doch wohl einig. dienstverweigerer oder einem Verwaltungsgericht
(Zurufe von den Regierungsparteien.) unentgeltlich „verpflegt" werden. Das entspricht aber
nicht der Absicht, die der Ausschuß hatte. Der Ausschuß
— Meine Damen und Herren, Sie haben die Große wollte, daß die Wehrpflichtigen, die dort Anträge
Anfrage der Sozialdemokraten offenbar nicht genau zu vertreten haben, von Beauftragten einer Kirche
gelesen. oder Religionsgemeinschaft „vertreten", aber nicht
(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) „verpflegt" werden können.
— Nein! Wir haben gefragt — das war sorgfältig (Heiterkeit.)
überlegt —: „Wann ist etwa mit der Vorlage eines
Entwurfes zu rechnen"? „Etwa"! Wir haben also Ich bitte Sie also, in der Zeile 3 des genannten Ab-
vorsichtig formuliert, um der Bundesregierung ei- satzes das Wort „Verpflegung" durch „Vertretung"
nen Spielraum zu geben. Wir haben nicht gesagt, zu ersetzen.
die Regierung solle dann und dann einen Entwurf In der nächsten Zeile muß es statt „Prüfungsaus-
vorlegen, sondern wir haben gefragt, wann sie etwa schüssen und Kammern" heißen: „Prüfungsausschüs-
vorzulegen beabsichtige. Eine Große Anfrage ist sen und -kammern".
noch kein Antrag. Auf Anfragen pflegte das Haus
bisher eine Antwort zu erhalten. Es ist bedauerlich, Schließlich ist auf Seite 3, linke Spalte. in der
daß — meines Wissens zum enstenmal — eine ersten Zeile des dritten Absatzes richtig zu schrei-
Große Anfrage hier im Hause nicht beantwortet ben „Höchstdauer".
wurde. Dieses Verfahren ist einmalig, und des-
wegen haben wir auch einen besonderen Weg ge- Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem
wählt, um die Angelegenheit wieder auf die Tages- Herrn Berichterstatter. Die Berichtigungen werden
ordnung zu bringen. Meine Damen und Herren, wir zur Grundlage der Beratung des Hauses gemacht.
sprechen uns, so hoffe ich, in der Sache vor Ostern
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung der
wieder!
zweiten Lesung. Ich rufe auf Artikel I § 1 Nr. „vor 1"
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) und komme zum Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Umdruck 22. Ich nehme an, daß
Vizepräsident Dr. Jaeger: Unabhängig davon, das Haus damit einverstanden ist, daß die Abstim-
wann sich die Mitglieder des Hohen Hauses wieder müng über Ziffer 1 des Antrages, die wir an dieser
sprechen, ist dieser Punkt der Tagèsordnung für Stelle vornehmen, zugleich die Abstimmung über
heute erledigt. die Ziffern 2 und 3 des Antrages darstellt, die ja
nur eine Konsequenz aus der ersten Abstimmung 1
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: - ist.Egehdarum,ßWot„swieafn"
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- gestrichen werden.
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Wird das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehr- Schultz!
pflichtgesetzes (Drucksache IV/92)
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Aus- Schultz (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien
(Drucksache IV/194), Demokraten hat diesen Änderungsantrag der Frak-
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für tionen der CDU/CSU und SPD nicht mit unterschrie-
Verteidigung (5. Ausschuß) (Drucksachen ben. Deswegen bitte ich Sie, mir zu gestatten, Ihnen
IV/193, zu IV/193); kurz die Gründe darzulegen, warum wir diesem
(Erste Beratung 11. Sitzung). Antrag nicht beigetreten sind, der, wie in der Presse
zu lesen war, an sich als interfraktioneller Antrag
Wünscht der Berichterstatter des Haushaltsaus-
des ganzen Hauses gedacht gewesen ist.
schusses, Abgeordneter Leicht, das Wort? — Das ist
nicht notwendig. Das Haus dankt ihm. Wünscht der Es dreht sich bei dieser Sache, um landläufig zu
Berichterstatter des Verteidigungsausschusses das sprechen, darum, das Gewehr wieder aus dem
Wort? — Bitte, Herr Abgeordneter Merten! Schrank zu nehmen oder die „Braut des Soldaten"
wieder aus idem Schrank zu tun. Mit diesem Antrag
Merten (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und der beiden Fraktionen dieses Hohen Hauses wird
Herren! Ich will den Schriftlichen Bericht nicht durch ein Beschluß des Verteidigungsausschusses umge-
einen mündlichen Bericht ergänzen. Ich möchte Sie stoßen, zumindest ein wesentlicher Teil dieses Be-
lediglich auf Druckfehler in der Drucksache zu IV/193 schlusses. Man könnte dafür Verständnis haben,
aufmerksam machen und Sie bitten, sie zu berich- wenn es sich bei der Diskussion, die im Verteidi-
tigen. gungsausschuß darüber geführt worden ist, um eine
oberflächliche und leichthin geführte Diskussion und
Auf Seite 1, rechte Spalte, muß im letzten Absatz es sich bei der Abstimmung über diesen Zusatz-
das Wort „Reserve" ersetzt werden durch „Reser- antrag — über diese Einfügung in das Wehrpflicht-
visten". gesetz — um eine Abstimmung mit zufälligen Mehr-
Auf Seite 2, rechte Spalte, ist im letzten Absatz heiten gehandelt hätte. Das ist aber nicht der Fall.
des Abschnitts I nach dem Willen des Setzers vor- Wir haben uns im Verteidigungsausschuß sehr ein-
gesehen, daß die Kriegsdienstverweigerer vor den gehend mit dieser Frage befaßt, und wir können
492 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Schultz
hier nicht feststellen, daß ein Abstimmungserfolg Muß. Es muß nicht jedem Reservisten das Gewehr
einer Gruppe da ist, sondern müssen sagen, daß oder die Pistole oder die Maschinenpistole mitge-
sich hier eine große Mehrheit so entschieden hat. geben werden, sondern es kann geschehen; das ist
sehr wesentlich. Wir kennen diese Möglichkeit von
Es ist also, entgegen ,den Zeitungsberichten, nicht anderen Ländern her, insbesondere darf ich auf das
von einer knappen Mehrheit zu reden, sondern es Beispiel der Schweiz verweisen.
muß heißen, es war eine große Mehrheit für diese
Bestimmung, nämlich sie in das Gesetz aufzuneh- Es ist weiter gesagt worden, diese Waffen würden
men. ohne Munition mitgegeben werden, die Munition
Es ist auch nicht richtig, wenn draußen nun be- solle also besonders aufbewahrt werden, und es be-
hauptet wird, daß das Verteidigungsministerium steht ja auch kein Zweifel darüber, daß den Solda-
ten weder Handgranaten noch Tellerminen mitgege-
mit den im Ausschuß vertretenen Beamten und Offi-
zieren sich in dieser Frage besonders engagiert ben werden sollen. In jeder Fraktion wird über
hätte, sondern ich muß sagen, das Verteidigungs- diese Frage und über den Beschluß des Verteidi-
ministerium und die abgeordneten Beamten haben gungsausschusses eine langwierige Diskussion statt-
sich indieser Frage außerordentlich zurückgehalten. gefunden haben, so war es selbstverständlich auch
bei uns Freien Demokraten. Bei uns war es nun so,
Es war also tatsächlich ein politischer Entschluß. Es
war ein Beschluß des Ausschusses, eines Ausschus- daß sich die große Mehrheit entschlossen hat, die-
ses, der letzten Endes, glaube ich, doch sehr wesent- sen Beschluß des Verteidigungsausschusses zu sank-
tionieren. Selbstverständlich wurde auch über miß-
lich für , die Verteidigungspolitik der Bundesregie-
rung und für die Herstellung der Verteidigungsbe- bräuchliche Benutzung gesprochen. Es ist aber wohl
reitschaft als solcher verantwortlich ist. Der Bericht, kaum damit zu rechnen, daß familieninterne Strei-
den der Herr Kollege Merten hier vorgelegt hat, tigkeiten in Zukunft mit den mitgegebenen Waffen
unterstreicht vollinhaltlich das, was ich gesagt habe. der Bundeswehr ausgetragen werden oder daß bei
Ich möchte noch in umgekehrtem Maße sagen, dieser einem Schützenverein ein Festschießen stattfindet,
Bericht gibt 'die Stimmung und die Erörterungen im bei dem dann der Soldat, der eine Waffe zu Hause
Ausschuß völlig richtig wieder. Im allgemeinen wird hat, kommt und sagt: Nun wollen wir mal meine
in diesem Hohen Hause ja den Beschlüssen der Ex- Flinte nehmen, die ist wesentlich besser als eure,
perten gefolgt. Insbesondere werden es sich, wenn ich will euch mal zeigen, was wir alles können. Auf
man an das Gebiet der Sozialpolitik denkt, sehr der andern Seite kann von diesem Beschluß in
wenige, 'die nicht mit sozialpolitischen Fragen dau- psychologischer Hinsicht auf die Herstellung der
ernd beschäftigt sind, erlauben, in die Beschlüsse Verteidigungsbereitschaft der Allgemeinheit ein
der Männer und Frauen des DeutschenBundestages außerordentlich heilsamer Einfluß ausgehen. Heute
einzugreifen, , die uns hier als Ergebnis von Dis- früh ist das Hohe Lied vom braven Mann, von der
kussionen im Sozialpolitischen Ausschuß vorgelegt Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bei der Flut-
werden. katastrophe in Norddeutschland gesungen worden.
Hier haben die Soldaten aller Dienstgrade gezeigt,
Es wird vielfach geklagt, unser heutiges Leben daß sie wissen, wofür sie dienen und was sie zu tun
sei so kompliziert geworden, daß allein die Exper- haben. Ich glaube, wenn eine solche Möglichkeit im
ten regierten. Man muß aber auch sagen, daß die Gesetz eröffnet wird, kann dies ausgezeichnete Aus-
Verteidigungspolitik ein außerordentlich kompli- wirkungen hinsichtlich der Einstellung des Staats-
ziertes Gebiet ist und daß deswegen dem Votum bürgers zur Demokratie haben. Mit einer solchen
des dafür zuständigen Ausschusses ein besonderer Möglichkeit kann die Anerkennung des Staates als
Wert zuzumessen ist. In den Grundbegriffen der Herberge der Bürger durchaus gut weiter fundiert
Verteidigung findet sich jeder hier in dem Hohen werden. Das paßt genau in den Rahmen dessen, was
Hause zurecht, und jeder kann dazu von seinem die Bundeswehr tun soll: auf Grund der Verpflich-
Standpunkt auch etwas beitragen. Wenn es aber tung gegenüber dem Gemeinwohl die Risikogemein-
dann in die einzelnen Sachfragen geht, wird sich schaft, in der wir leben, vor Schaden zu schützen.
mancher — ohne daß ich irgend jemandem zu nahe
treten will — etwas schwerer tun. Ich glaube, daß Es muß doch darauf hingewiesen werden, daß
sich dann der einzelne, der nicht immer mit diesen nicht jeder diese Waffe mitbekommen soll. Das ist
Fragen beschäftigt ist, wieder von den sogenannten im Ausschuß ganz klar besprochen worden, und es
Experten — an sich ein schreckliches Wort — oder ist wohl auch in den Fraktionen so berichtet wor-
denjenigen beraten lassen muß, die etwas mehr den. Vielmehr ist hier eine entsprechende Über-
Sachkenntnis zu haben glauben. wachung in Aussicht genommen, und das soll sich
auch nur auf zuverlässige Leute, vermutlich zunächst
Worum handelt es sich denn bei diesem Beschluß,
überhaupt nur auf Dienstgrade, beziehen.
der vom Verteidigungsausschuß mit großer Mehr-
heit gefaßt worden ist? Es handelt sich darum — Wenn man die verschiedenen Debatten über Ver-
wie im Bericht steht —, daß in bestimmten Fällen teidigungspolitik in der Erinnerung an sich vorüber-
die Reservisten verpflichtet sind, auch Handfeuer- ziehen läßt, kann man doch wohl feststellen, daß in
waffen ohne Munition zu übernehmen, aufzubewah- diesem Hohen Hause Übereinstimmung darin be-
ren, vor Mißbrauch zu schützen und in gebrauchsfä- steht, daß zur Verteidigung im ganzen neben den
higem Zustand zu halten. Das Wesentliche dieser der NATO unterstellten Streitkräften und dem zivi-
gesetzlichen Regelung, die in das Wehrpflichtgesetz len Bevölkerungsschutz auch die territoriale Landes-
eingefügt wurde, ist die Feststellung, daß es sich um verteidigung als Element dazugehört. Wir sind der
eine Kann-Bestimmung handelt; es ist also kein Auffassung, daß die territoriale Landesverteidigung
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 493
Schultz
nicht nur Aufgaben polizeilicher Art hat, daß sie gut war, wie es bei einer ernsten Prüfung hätte sein
nicht nur sicherstellen soll, daß die Truppen im können. Allein der Begriff „Waffen" — was sind
Ernstfall noch beweglich sind, sondern daß ihr auch Waffen? — müßte genauer definiert werden. Wenn
die Aufgabe des Objektschutzes, also des Schutzes auch im Protokoll darüber gewisse Äußerungen ent-
von Brücken, wichtigen Versorgungsbetrieben usw., halten sind, so glaube ich nicht, daß das ausreicht.
sowie örtliche Sperraufgaben zufallen. Man sollte jedoch keine allzu langen Ausführun-
Diese Kann-Bestimmung hat in diese Richtung ge- gen machen.
zielt, und ich finde es eigentlich etwas schade, daß
man nun, so möchte ich fast sagen, inzwischen Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Dr. 'Seffrin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Denn ich bin der Meinung, daß eine solche Bestim- Abgeordneten Berkhan?
mung auch eine Abschreckungswirkung hat. Das ist
in der Vergangenheit etwas zuwenig gesehen wor-
den. Berkhan (SPD) : Herr Kollege Dr. Seffrin, würden
Sie mit mir übereinstimmen, daß die gleiche Be-
Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die Ent- gründung auch für Ausrüstungsgegenstände gege-
scheidung, die wir im Ausschuß getroffen haben, ben werden könnte?
unsere Verbündeten innerhalb der NATO schok-
kieren kann. Es kommt doch wohl darauf an, das
NATO-Verteidigungsbündnis in unser aller Inter- Dr. Seffrin (CDU/CSU) : Das mag zutreffen, nur
esse möglichst effektiv zu machen. Dazu habe ich glaube ich, daß der Begriff „Ausrüstungsgegen-
schon bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs stände" ohne Zweifel in einer einfacheren Erklä-
etwas gesagt. Ich bin der Meinung, daß wir bei rung zu deuten wäre als der Begriff „Waffen", der
unseren Verbündeten durchaus Verständnis für eine ja wesentlich weiter zu fassen wäre.
solche Maßnahme finden können, wenn wir mit Wir sind der Meinung, daß der Verteidigungs-
ihnen sprechen und ihnen diese Maßnahme ent- wert der vorgesehenen Maßnahme — nämlich dem
sprechend erläutern. Es wäre falsch, den Eindruck Reservisten Waffen mit nach Hause zu geben —
entstehen zu lassen, als werde durch eine solche zweifelhaft und daß diese Maßnahme im gegen-
Maßnahme wieder das Gespenst des deutschen Mili- wärtigen Zeitpunkt auch verfrüht ist. Wir sind wei-
tarismus an die Wand gemalt. Wir wissen doch alle, terhin der Auffassung, daß Waffen zu militärischen
daß wir uns angesichts der Bedrohung aus dem Zwecken zunächst nur in die Hände von im Wehr-
Osten zusammenschließen müssen. Dazu gehört dienst stehenden Angehörigen der Bundeswehr so-
eben auch die Effektuierung des Verteidigungs- wie in die Hände der Polizei gegeben werden soll-
bündnisses. ten. Auch müßten noch genaue Überlegungen dar-
-
über angestellt werden, wieweit die entsprechen-
Wir würden es bedauern, wenn der Antrag der
den rechtlichen Voraussetzungen für den Bundes-
CDU/CSU- und der SPD-Fraktion hier im Hohen verteidigungsminister geschaffen werden könnten.
Hause angenommen würde. Wir meinen, daß viel-
leicht einmal ein Zeitpunkt kommen kann, zu dem Im Namen der CDU/CSU bitte ich deshalb, der
man eine solche Bestimmung für außerordentlich Streichung der Worte „sowie Waffen" gemäß An-
zweckmäßig hält, zu dem man sie aber nicht in das trag Umdruck 22 zuzustimmen.
Wehrpflichtgesetz einfügen kann, weil durch deren
Beratung die Spannung noch mehr erhöht würde. Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Ich bitte Sie, Ihre persönliche Abstimmung, in der Abgeordnete Bausch.
Sie ja Ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich
sind, angesichts der von mir genannten Argumente Bausch (CDU/CSU) : Meine sehr verehrten Da-
noch einmal einer Prüfung zu unterziehen und so men und Herren! Ich bin sehr glücklich, einer Frak-
zu votieren, daß der Antrag des Verteidigungs- tion angehören zu dürfen, die keinen Fraktions-
ausschusses bestehen bleibt. Ich würde Sie deshalb zwang kennt.
bitten, den Antrag der CDU/CSU und SPD abzuleh (Lachen bei der SPD.)
nen.
(Beifall bei der FDP.) Ich bin sehr froh und sehr dankbar, meine Damen
und Herren, daß wir in diesem Hohen Hause die
Freiheit haben, nicht nur nach unserer Überzeugung
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der reden, sondern auch abstimmen zu dürfen. Ich
Abgeordnete Dr. Seffrin. meine, daß es gut wäre, wenn ich gerade in diesem
Fall, über den wir uns jetzt unterhalten, von dieser
Dr. Seffrin (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine unserer Freiheit auch einen herzhaften Gebrauch
Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat machte.
die Streichung der beiden Wörter „sowie Waffen" Ich lege Wert darauf zu sagen, daß ich mich in
beantragt. Ich darf zu dem, was hier ausgeführt dieser Sache zu meinem Bedauern — ich bin sonst
wurde, sagen, , daß der Antrag im Verteidigungs- ein Mann, der wirklich aus innerster Überzeugung
ausschuß, die beiden Wörter „sowie Waffen" einzu- zu seiner Partei und auch zu seiner Fraktion steht
fügen, doch überraschend gekommen ist. Wir haben — nicht in der Lage sehe, diesem Antrag, Um-
uns zwar im Ausschuß ausgiebig über diese Frage druck 22, der von der Mehrheit meiner Fraktion
unterhalten, ich glaube aber nicht, daß das schon so beschlossen worden ist, meine Zustimmung zu ge-
494 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Bausch
b en. Ich werde diesen Antrag ablehnen. Ich bitte und keine Fraktion einen Gesinnungszwang gegen-
Sie, 'dasselbe zu tun. über ihren Mitgliedern ausübt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
und bei der FDP.) der CDU/CSU.)

Ich will auf Einzelheiten gar nicht eingehen. Sie Das wird der Kollege Bausch gleich merken. Es wird
sind von dem Herrn Kollegen Schultz, der mit uns verschiedene Bestimmungen dieses Gesetzes geben,
im Verteidigungsausschuß zusammenarbeitet, schon bei denen die Meinungsverschiedenheiten quer
geschildert worden. Es handelt sich um eine ausge- durch die Fraktion gehen. Auch in dieser Frage ist
sprochene Kannbestimmung. Niemand im Verteidi- das der Fall. Das ist gar kein Geheimnis.
gungsministerium ist verpflichtet, so zu verfahren, Ich möchte von mir aus sagen, daß ich mit der
wie es der Verteidigungsausschuß beschlossen hat. Regelung, die der Verteidigungsausschuß ins Auge
Dem Verteidigungsminister sollte lediglich eine gefaßt hatte, inhaltlich sehr weitgehend sympathi-
Vollmacht gegeben werden, in den Fällen und an siere. Ich bin allerdings der Meinung, man hat die
den Plätzen, an denen er es aus wohlerwogenen falsche Stelle für die Regelung gewählt. Bevor man
Gründen für nötig hält, den Soldaten die Aus- dem Reservisten die Pflicht auferlegen kann, der
rüstung und auch die Handfeuerwaffen mitzugeben. Waffe gegenüber, die ihm mitgegeben wird, be-
Ich täusche mich wohl nicht, wenn ich sage, daß die stimmte Pflichten zu erfüllen, muß man doch wohl
Anregung zu dieser Bestimmung vom Verteidi- erst einmal rechtlich festlegen, unter welchen Vor-
gungsminister ausgegangen ist. Jene Gründe, die aussetzungen der Verteidigungsminister das Recht
dafür sprechen, dem Soldaten an diesen oder jenen hat, Zivilisten bewaffnen zu können. Wir haben ein
Orten Kleidung und Ausrüstung mitzugeben, sind Schußwaffengesetz. Der Umgang mit Waffen ist
sehr gewichtig und sprechen genauso dafür, ihm auch sonst sehr weitgehenden gesetzlichen Rege-
in diesem Falle auch die Handfeuerwaffen mitzu- lungen unterworfen. Das muß man sich doch erst
geben. einmal genauer ansehen. Dann gilt es, die Voraus-
setzungen festzulegen, die hier in Form einer Ab-
Wir können uns jetzt, wie schon gesagt, nicht sprache im Verteidigungsausschuß ungefähr umris-
über die Einzelheiten unterhalten. Mir ist ein Aus- sen worden sind. Das muß in anständige rechtliche
spruch eines sehr bedeutenden Mannes eingefallen, Formen gegossen werden, wenn man da heran will.
der irgendwie mit dem zusammenhängt, worüber Es brennt nicht, es läuft uns nicht weg. Aber die
wir uns jetzt unterhalten. Es geht darum, ob wir Regelung hier schien mir etwas schnell getroffen zu
den Soldaten, die — ich sage das genauso wie der sein, weil die entscheidende rechtliche Grundlage
Herr Kollege Schultz — heute früh schon so hoch dafür nicht vorhanden ist. Deswegen soll man sich
gerühmt worden sind, Vertrauen entgegenbringen das Problem daraufhin noch einmal genauer an-
wollen oder nicht. Der von mir erwähnte Mann hat sehen. Aus diesem Grunde habe ich mich dem Vor-
einmal gesagt: „Was du im Nächsten siehst, das schlage der Fraktion angeschlossen und werde für
entzündest du in ihm." Er wollte damit sagen: die Streichung stimmen, wohl wissend, daß ein Teil
Wenn du im Nächsten nur das Negative, nur das meiner Freunde anders stimmen wird, weil er die
Schlechte und nur das, was sich irgendwie schief Entscheidung des Verteidigungsausschusses für rich-
auswirken könnte, siehst, wenn du ihn nur darauf- tig hält.
hin ansprichst, dann entzündet und vervollständigt (Beifall bei der SPD.)
sich in ihm dieses Negative; wenn du aber ver-
suchst, das Gute in ihm anzusprechen, wenn du ver-
suchst, ihm Vertrauen entgegenzubringen, dann ent- Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
zündet sich in ihm das Gute, dann wächst das Posi- Herren! Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
tive. Ich meine, wir täten gut daran, unseren Solda- Wir können zur Abstimmung kommen.
ten das Vertrauen entgegenzubringen, das die aller- Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der
meisten ganz sicher verdienen. Ich glaube, daß wir CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 22 Ziffern 1, 2
der Bundeswehr damit einen vortrefflichen Dienst und 3, also insgesamt, zustimmen, d. h. an den ent-
leisten könnten. sprechenden Stellen die Worte „sowie Waffen" ge-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU strichen haben will, den bitte ich um das Hand-
und der FDP.) zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ent-
haltungen? — Das erste war die Mehrheit; der An-
trag ist angenommen. Zahlreiche Gegenstimmen in
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der allen Parteien, ebenso einige Enthaltungen!
Abgeordnete Erler. Wer nunmehr der Bestimmung „Vor 1" mit der
beschlossenen Änderung sowie den Nummern 1, 2,
2 a, 3, 4 und 4 a, ebenfalls mit der soeben beschlos-
Erler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten senen Änderung, zuzustimmen wünscht, den bitte
Damen und Herren! Mich hat eigentlich nur eine ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
Bemerkung des Herrn Kollegen Bausch ans Redner- probe. — Es ist so beschlossen.
pult gerufen, die Bemerkung nämlich, daß er stolz
darauf sei, einer Fraktion anzugehören, die keinen Ich komme nunmehr zu dem Antrag auf Um-
Fraktionszwang kenne. Wir sind alle stolz darauf, druck 36, eine neue Nummer 4 b einzufügen. — Das
einem Bundestag anzugehören, in dem keine Partei Wort wird nicht gewünscht.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 495
Vizepräsident Dr. Jaeger
Wer dem Änderungsantrag aller Fraktionen auf Wir sollten das gerade bei der Bundeswehr nicht
Umdruck 36, eine Nummer 4 b einzufügen, zuzu- auf die leichte Schulter nehmen.
stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Es wird ohnehin in der Truppe von den Wehr-
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — pflichtigen sehr lebhaft die Tatsache kritisiert und
Wenige Gegenstimmen, wenige Enthaltungen! Der beklagt, daß sie selbst das Opfer des Wehrdienstes
Antrag ist angenommen. auf sich nehmen, während zahlreiche andere, eben-
Wer nunmehr den Nummern 5, 6, 7, 8 mit der vor- falls taugliche Altersgefährten bei der Auslosung
hin beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, auf den Wehrersatzämtern die Niete zogen und da-
den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um mit von der Ableistung des vollen Grundwehrdien-
die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen. stes entbunden sind. Dieser Auffassung wird man
die Berechtigung nicht ganz absprechen können; und
Damit kommen wir zu dem § 2 und dem Änderungs- da wird dann argumentiert, man möge gefälligst
antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 21. Wird erst diesen Kreis holen, ehe die eigene, bereits
das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Pöhler! laufende Dienstzeit verlängert wird.
Nun geht diese Argumentation in der Sache ge-
Pöhler (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und wiß am Kern der Dinge vorbei; denn die Auslosung
Herren! Ich darf den Antrag der sozialdemokra- ist gegenwärtig auch keine ideale, aber doch eine
tischen Fraktion begründen, der dem Hohen Hause einigermaßen gerechte Methode, und außerdem
auf Umdruck 21 vorliegt. Der Antrag behandelt eine wäre die praktische Konsequenz einer solchen Auf-
Frage, über die sowohl der Herr Bundesverteidi- fassung, wie wir alle wissen, auch technisch unge-
gungsminister als auch mein Freund Fritz Erler be- eignet, das Ziel des vorliegenden Gesetzes zu er-
reits in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetz- reichen: die Kampfkraftstärkung der Bundeswehr.
entwurfes gesprochen haben. Er betrifft jene Wehr- Aber diese häufig geäußerte Meinung der Wehr-
pflichtigen, die nach den bisherigen gesetzlichen pflichtigen zeigt doch sehr deutlich, wie sehr wir
Vorschriften im Regelfalle bis zum 30. Juni 1962 bei diesen Fragen auf eine möglichst gleiche und ge-
nach Ableistung eines zwölf- oder sechsmonatigen rechte Behandlung bedacht sein müssen.
Grundwehrdienstes entlassen werden müßten, und
er sieht vor, daß der Grundwehrdienst für diese Der jungen Generation in unserer Zeit wird ja
Soldaten nur um drei Monate verlängert wird. Nach gern nachgesagt, daß sie desillusioniert sei, daß die
der vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs könnte jungen Menschen sehr nüchtern und realistisch den-
ihre Entlassung aus der Bundeswehr erst Ende ken, handeln und planen. Manche mögen das be-
Dezember 1962 erfolgen. Sie würden also von der klagen, aber es ist so, und ich möchte es nicht ein-
vollen Auswirkung der Verlängerung auf achtzehn mal als einen Mangel ansehen. Es gilt aber auch -
Monate betroffen, obwohl sie beim Einrücken nur oder gerade — für die dienenden Wehrpflichtigen.
mit einer Dienstzeit von zwölf Monaten rechnen Sie pflegen im Hinblick auf den vorgesehenen Ent-
konnten oder mußten. lassungstermin nicht nur während der Dienstzeit,
sondern oft schon vor der Einberufung Pläne zu
Meine Damen und Herren! Wir sind uns natürlich machen und Vorsorge zu treffen. Es ist gar kein
darüber klar, daß jede Übergangsregelung bei einer Zweifel, daß zahlreiche Wehrpflichtsoldaten für den
Dienstzeitverlängerung schwierig sein wird und Beginn oder die Fortsetzung ihres wissenschaft-
auch Härten mit sich bringt. Der Herr Bundesver- lichen Studiums, hinsichtlich der weiteren Berufs-
teidigungsminister hat das wohl ebenfalls empfun- ausbildung oder des Arbeitsplatzwechsels oder auch
den; denn er hat in seiner Begründung zu diesem des Starts in Schulen des zweiten Bildungsweges be-
Gesetz ausgeführt, daß er die vorgesehene Über- reits zeitlich disponiert haben und disponieren muß-
gangsregelung selbst nicht als ideal betrachte; es ten, und zwar auf den ursprünglichen zu erwarten-
gebe in diesem Falle keine ideale Regelung. Dem den Entlassungstermin hin. Teilweise sind sie be-
ist ohne Zweifel zuzustimmen. Aber ich finde, es reits erhebliche Verpflichtungen eingegangen, oft
geht gar nicht so sehr darum, eine ideale, als viel- genug auch schon finanzieller Art. Manche haben
mehr darum, eine gerechte Regelung des Übergan- sich in der Frage der Wohnungsbeschaffung festge-
ges zu finden; und wir glauben, daß dieser unser legt oder sogar die Eheschließung terminlich vorge-
Antrag hierfür einen gangbaren Weg aufzeigt. sehen und Entsprechendes veranlaßt.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch Meine Damen und Herren, es ist gar keine
einmal in die Lage jener Soldaten versetzen, die Frage, daß die Dienstzeitverlängerung auf volle
gegenwärtig die bisher geforderte Dienstzeit von sechs Monate für diese betroffenen Soldaten eine
nur 12 Monaten ableisten. Als sie einrückten, konn- sehr große Härte bedeuten würde. In den Ausschuß-
ten sie von einer Verlängerung gewiß noch nichts beratungen ist durch das Bundesverteidigungsmini-
ahnen. Erst nach den Ereignissen des 13. August, sterium unter Bezugnahme auf einen Erlaß vom
genauer gesagt: nach dem 18. September, einen Tag 21. Oktober 1961 zwar versichert worden, daß man
nach der Bundestagswahl, mußten sie damit rechnen, gewisse Härten mildern wolle. Das gelte insbeson-
noch eine anschließende Wehrübung von drei Mona- dere für Soldaten, die durch die Verlängerung der
ten zu absolvieren. Sie finden es deshalb einfach Dienstzeit ein volles Jahr ihres Studiums verlieren
ungerecht, daß der Gesetzgeber gegen Ende ihrer würden. Wir meinen aber, daß es sich hier nur um
bisherigen Dienstzeit weitere volle sechs Monate wenige Einzelfälle in einem sehr begrenzten Sektor
fordert, und mir scheint, daß hier in der Tat der handeln kann, denen mit diesem Erlaß geholfen
Grundsatz von Treu und Glauben tangiert wird. wird. Wir, die sozialdemokratische Fraktion, mach-
496 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Pöhler
ten aber dem ganzen dienenden Jahrgang die ent- tanten und völligen Widerspruch zu dem, was im
stehenden unbilligen Härten durch unseren Antrag Verteidigungsausschuß — und zwar übereinstim-
wenigstens teilweise ersparen. mend — von der Bundesregierung und den Vertre-
Unter Bezugnahme auf eine Bemerkung des Herrn tern aller Fraktionen bei Schluß der Beratung fest-
Bundesverteidigungsministers während der ersten gestellt worden ist. Ich glaube, daß man das Er-
Lesung darf ich auch darauf verweisen, daß der mit gebnis einer sehr eingehenden und sorgfältigen
unserem Antrag gemachte Vorschlag den gegebenen Diskussion gar nicht anders zusammenfassen kann,
Verhältnissen und nach dem gegenwärtigen Stand als es damals geschah. Es war das Ergebnis, das
weder ein Absinken der Qualität und des Niveaus auf Grund sehr nüchterner Mitteilungen erzielt
noch der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zur wurde, die uns dort gemacht worden sind.
Folge haben wird. Sie haben, Herr Kollege Pöhler, die juristischen
Schließlich und letztlich möchte ich noch zu beden- Fragen nicht in den Vordergrund gerückt, und ich
ken geben, wie sich die jetzt vorgesehene harte glaube auch darüber gar nichts sagen zu sollen.
Übergangsregelung des sofortigen Anschließens der Die Frage ist einmal angeklungen; aber ernsthaft
vollen sechs Monate für die Betroffenen auf die wird, glaube ich, wohl nicht behauptet werden kön-
Stimmung und damit auf das Betriebsklima der nen, daß das, was im Regierungsentwurf und in der
Truppe auswirken muß. Ich bin nicht sicher, daß da- Ausschußfassung vorgeschlagen wird, gegen irgend-
mit wirklich eine Stärkung der Kampfkraft der Bun- welche rechtlichen Grundsätze verstößt. Sie haben
deswehr erreicht wird. aber den Gesichtspunkt von Treu und Glauben
hervorgehoben und haben ihn in einem vielleicht
Ich darf zum Schluß kommen, meine Damen und nicht nur moralischen, sondern auch in einem ge-
Herren. Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, wissen juristischen Sinn betont. Ich möchte Ihnen
daß wir mit diesem Gesetz, mit der Verlängerung nicht mit juristischen Argumenten begegnen; sie
der Wehrpflicht von 12 auf 18 Monate der jungen sind im Ausschuß schon eingehend dargelegt wor-
Mannschaft unseres Landes ganz allgemein ein ver- den, und ich glaube, daß man darüber wohl nichts
mehrtes und großes Opfer abverlangen. Das tun wir weiter sagen kann. Ich habe jedenfalls keine Argu-
gewiß nicht leichtfertig, sondern dazu zwingt uns mente, die dagegenstehen, gehört. Ich möchte aber
diese gefahrvolle Zeit. Aber gerade deshalb müß- das aufgreifen, was sich aus einer an sich juri-
ten wir es vermeiden, den jungen Soldaten, die stischen Überlegung ergeben hat. Es ist dort aus
ganz gewiß guten Willens sind, unnötige Härten einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
aufzuerlegen und unbillige Belastungen zuzumuten. zitiert worden, daß das Interesse des einzelnen, in
Ich darf Sie bitten, dem Antrag der SPD-Fraktion seinen Erwartungen nicht getäuscht zu werden,
auf Umdruck 21 Ihre Zustimmung zu geben. dann zurückzutreten habe, wenn zwingende Gründe
(Beifall bei der SPD.) des Allgemeinwohls eine andere Regelung erfor-
dern.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Meine Damen und Herren, ob das hier nun juri-
Abgeordnete Benda. stisch anwendbar ist oder nicht, wir brauchen dieses
juristische Argument gar nicht. Aber von der mora-
lischen und der politischen Seite her, glaube ich,
Benda (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- kommt dieser Gesichtspunkt über die juristischen
men und Herren! Herr Kollege Erler, ich weiß es Argumente hinaus in vollem Umfang hier zur Gel-
nicht, aber ich möchte meinen, daß auch dieser tung. Ich verweise wiederum auf das, was hinsicht-
Antrag zu denjenigen gehört, von denen Sie vorhin lich der militärischen und verteidigungspolitischen
gesagt haben, daß die Meinungen darüber in Ihrer Gesichtspunkte im Ausschuß , gesagt worden ist, was
Fraktion geteilt sind. Ich kann mir nach den sehr ich hier nicht zu wiederholen brauche. Wir wissen
eingehenden Beratungen gerade dieser Frage im sehr wohl, Herr Kollege Pöhler — darüber besteht
Verteidigungsausschuß eigentlich kaum vorstellen, volle Einigkeit, und auch der Herr Bundesminister
daß diejenigen Kollegen der sozialdemokratischen für Verteidigung hat es in der ersten Lesung bereits
Fraktion, die an diesen Beratungen im Ausschuß gesagt, wie Sie mit Recht zitiert haben —, daß hier
teilgenommen haben, diesem Antrag ihrer Frak- ein besonderes Opfer zugemutet wird. Das wissen
tionzustimmen können. wir, und das sehen wir. Wir wissen auf der anderen
Ich möchte es mir versagen, auf die militärischen Seite — und in dieser Hinsicht sind im Ausschuß
und verteidigungspolitischen 'Gesichtspunkte, die völlig befriedigende Erklärungen abgegeben wor-
die Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß den —, daß bei dem Personenkreis, bei dem über
vorgetragen haben, hier im einzelnen einzugehen, dieses allgemeine Opfer hinaus ein Sonderopfer
weil ich nicht zu übersehen vermag, inwieweit diese gefordert wird, auch eine besondere Regelung ge-
Dinge sich für eine öffentliche Diskussion eignen. troffen werden wird. Das erstreckt sich nicht nur auf
Ich möchte es dem Herrn Bundesminister für Ver- die Studienbewerber nach dem Erlaß vom Jahre 1961,
teidigung überlassen, zu diesem Punkt noch etwas sondern der § 29 des Wehrpflichtgesetzes schafft
zu sagen, falls das notwendig sein sollte. diese Möglichkeit: eine Bestimmung, die vorsieht,
daß ein Wehrpflichtiger auf seinen Antrag entlassen
Herr Kollege Pöhler hat aber eben gesagt, daß weder werden kann, wenn dies aus häuslichen, beruflichen
das Niveau noch die Einsatzbereitschaft der Truppe oder persönlichen Gründen erforderlich scheint. Ich
im Fall der Annahme des SPD-Antrags gefährdet möchte meinen — und in dieser Hinsicht sind Erklä-
sein würden. Diese Darlegung steht in einem ekla- rungen von der Bundesregierung im Ausschuß abge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 497
Benda
geben worden —, daß von dieser gesetzlichen Mög- Wehrpflichtigen zu nehmen hat und gegen den
lichkeit in geeigneten Fällen Gebrauch gemacht Grundsatz von Treu und Glauben — ich darf ihn
werden wird. Ich würde allerdings sagen, daß aus hier einmal nicht rechtlich, sondern moralisch auf-
dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nur der- fassen — nicht verstoßen soll.
jenige von dieser Möglichkeit Gebrauch machen Hier ist bereits ausgeführt worden, daß die rück-
kann, bei dem eben ein zusätzliches besonderes wirkende Kraft des Gesetzes rechtlich geprüft und
Opfer da ist, damit wir nämlich nicht das Ergebnis klar ist. Ich habe auch in meinem Bericht sehr ein-
haben, daß nicht derjenige nachher besser gestellt gehend dargelegt, daß in dieser Beziehung keine
wird, der willig das Opfer auf sich nimmt, das einem Bedenken bestehen. Aber wir können hier nicht nur
ganz großen Personenkreis zugemutet wird, son-
nach rechtlichen Gesichtspunkten verfahren. Wir
dern derjenige, der sich dagegen beschwert und pro-
dürfen bei den jungen Leuten, die dem Staat, dem
testiert. Das ist nicht der Sinn der gesetzlichen sie dienen, Opfer bringen, nicht das Gefühl aufkom-
Regelung, und das sollte auch nicht der Sinn eines men lassen, daß mit ihnen in irgendeiner Form ge-
praktischen Verfahrens sein. spielt und ihren berechtigten Anliegen nicht Rech-
Ich kann nur abschließen, meine Damen und Her- nung getragen wird.
ren, mit dem, was Ihr Kollege Merten im Ausschuß
Aus den Gründen, die mein Kollege Pöhler und
nach einer eingehenden Beratung bereits gesagt hat,
ich dargelegt haben, möchte ich Sie noch einmal
daß .es — ich zitiere den Kollegen Merten — nach bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
den sehr befriedigenden Erklärungen, die die Ver-
treter des Verteidigungsministeriums in bezug auf (Beifall bei der SPD.)
das Entgegenkommen in besonderen Fällen für die
fragliche Gruppe abgegeben haben, ihm fraglich Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
erscheine, ob eine weitere Diskussion über diesen Abgeordnete Schultz.
Punkt sinnvoll sei. Ich möchte meinen, eine weitere
Diskussion über diesen Punkt ist nicht sinnvoll, und Schultz (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
ich möchte Sie bitten, den Antrag der SPD abzuleh- Herren! Man sollte hier nicht den Eindruck auf-
nen. kommen lassen, als ob wir in den Beratungen leicht-
(Beifall in der Mitte.) fertig über die persönlichen Nöte und Schwierig-
keiten einzelner Wehrpflichtiger hätten hinweg-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der gehen wollen. Aber , das war wohl auch nicht die
Abgeordnete Merten. Absicht des Herrn Kollegen Merten.
Es muß jedoch entscheidender Wert auf die ver-
Merten (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Wir hatten diesen Antrag bereits im Aus-
teidigungspolitischen Aspekte und auf die Gewähr-
leistung der Einsatzfälligkeit der Bundeswehr ge-
schuß gestellt und haben ihn im Ausschuß zurück-
legt werden. Dieser Gesichtspunkt ist wesentlich
stellen lassen unter dem Vorbehalt, ihn hier zu
bestimmend für die Regelung gewesen, zu der wir
wiederholen. Wir haben dann, genauso wie Sie das
im Ausschuß gekommen sind. Die Personaldecke
auch gemacht haben, in den dafür zuständigen Gre-
der Bundeswehr ist so knapp, daß die weiteren
mien der Fraktion über die Dinge gesprochen. Dort
Aufstellungen, zu denen wir auf Grund des NATO-
sind Gesichtspunkte zur Geltung gekommen, die im
Bündnisses verpflichtet sind, in Frage gestellt wer-
Ausschuß gar nicht erwähnt worden sind. Es ist
den. Deshalb werden wir nicht darum herumkom-
bei uns nicht so, Herr Kollege Benda, daß man,
men, die vielleicht unangenehme, aber immerhin
wenn man nun einmal im Ausschuß abgestimmt hat,
notwendige Maßnahme zu treffen. Die verteidi-
,dann bis an sein Lebensende an diese Geschichte
gungspolitischen Aspekte erscheinen mir noch wich-
gebunden wäre, sondern es kann ja auch hinterher
tiger als die juristischen, von denen Kollege Benda
einer kommen, der einen von anderen Gesichtspunk-
gesprochen hat. Zumindest sind sie gleichgewichtig.
ten her eines Besseren belehrt, und dann muß man
Aus diesem Grunde muß ich namens meiner Freunde
bereit sein, das zuzugeben.
erklären, daß wir dem Antrag nicht zustimmen kön-
Es ist kein Rechtsproblem, worum es hier geht, nen.
sondern ein moralisches Problem gegenüber den (Beifall bei der FDP.)
Wehrpflichtigen, die zu einer Zeit eingezogen wor-
den sind, als weder von 15 noch von 18 Monaten Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird das Wort ge-
die Rede war, und 'die sich entsprechend eingerich- wünscht? — Das ist nicht der Fall. Meine Damen
tet haben. Wir sind der Meinung, daß es bei und Herren, es ist 'bereits nach 13 Uhr; wir müssen
denjenigen, die zu einer Zeit eingezogen worden also die Entscheidung über den Antrag zurückstel-
sind, in der man das schon übersehen konnte, bei len.
,der Regelung des Gesetzes bleiben soll. Es geht um
eine Differenz von drei Monaten, bei der wir ver- Wir kommen zu Art. 2 § 1. Dazu liegt ein Ände-
schiedener Auffassung sind; mehr sind es nicht. rungsantrag der SPD Umdruck 23 vor. — Zur Be-
Diese drei Monate sind für die Einsatzfähigkeit und gründung der Abgeordnete Merten!
die Schlagkraft der Bundeswehr nicht von ausschlag-
gebender Bedeutung. Sie sind auch nicht von aus- Merten (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
schlaggebender Bedeutung für unsere Glaubwürdig- Herren! In der Frage der Änderung der Wehrsold-
keit gegenüber den Verbündeten. Auch sie 'müssen tabelle möchte ich zunächst einmal auf das verwei-
einsehen, daß man gewisse Rücksichten auf die sen, was mein Kollege Pöhler soeben gesagt hat.
498 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Merten
Diese Begründung gilt zum großen Teil auch bei 25 %. Das bedeutet, daß die hier in Frage kommen-
dem Problem, mit dem wir es jetzt zu tun haben. den Dienstgrade — es sind ja nur die ersten drei —
statt bisher 2,30 bis 3,20 DM in Zukunft 2,50 bis
Durch das Gesetz, das .die Grundwehrpflicht auf 3,50 DM täglich erhalten sollen. Das sind monatliche
18 Monate verlängert, wird ein Zustand verschlim- Mehrbeträge von 6 bis 9 DM.
mert, den wir schon in der Vergangenheit haben
beklagen müssen. Nur ein Teil der gemusterten Man wird mir vielleicht entgegenhalten, daß das
und als tauglich befundenen Wehrpflichtigen konnte eine verhältnismäßig geringer Betrag sei. Aber Sie
eingezogen werden, weil die Bundeswehr aus vie- müssen diese Maßnahme im Zusammenhang mit
len Gründen — der Minister hat sie in seiner der ebenfalls von uns beantragten Erhöhung des
Rede anläßlich der ersten Lesung dargelegt — im Entlassungsgeldes sehen. Beides zusammen gibt erst
Rahmen der NATO eine bestimmte Stärke haben das richtige Bild.
soll. Das ergibt sich aus , den Bündnisverpflichtungen Der Haushalt wird durch die Annahme dieses An-
und hängt mit der Unterkunft, der Ausbildung, den trags mit etwa 13 Millionen DM belastet. Die Be-
Waffen und vielen anderen Dingen zusammen. Es ratung des Haushalts liegt ja noch vor uns. Er wird
ergibt sich zwingend, daß wir eine gewisse Stärke erst in den nächsten Wochen beraten. Es dürfte
nicht überschreiten können. Der Prozentsatz derer, sicher nicht schwerfallen — wenn man den Haus-
die dann eingezogen werden, schwankt. Er beträgt, halt kennt —, diesen Mehrbetrag unterzubringen.
soweit ich das übersehe, in diesem Jahr rund 60 bis
65 0/o. Diese werden eingezogen, die anderen wer- Ich glaube, man sollte nicht mit dem Argument
den nicht eingezogen. kommen, daß hier eine Neuregelung der Beamten-
besoldung oder ähnliches vorweggenommen werde
Nun haben diese jungen Männer, die durch Aus- oder daß diese geringfügige Mehrbelastung in den
losung oder wegen ihrer Berufszugehörigkeit ein- Haushalt nicht eingeplant werden könne. Ich halte
gezogen werden, doch zum Teil das Gefühl, daß sie beide Argumente für sachlich einfach nicht richtig.
gegenüber den nichteingezogenen Kameraden in Wir müssen uns bemühen, in der Gesetzgebung ge-
ganz besonderer Weise belastet werden und daß recht zu sein. Wir müssen uns bemühen, für die
sie Opfer an Zeit, Ausbildungsmöglichkeit und Geld Menschen, die uns anvertraut sind, so gerecht wie
bringen müssen, die die anderen nicht zu bringen nur irgend möglich zu sorgen.
brauchen. Ganz gewiß gilt das Wehrpflichtgesetz für
alle, aber es wirkt sich nur bei den Eingezogenen Diese beiden Gesichtspunkte sollten uns zwin-
aus, von denen Opfer verlangt werden, während die gen, hier zu handeln. Ich bitte Sie, unserem Antrag
anderen eben nicht betroffen werden. zuzustimmen.
(Beifall bei der SPD.)
Nach der Verlängerung des Grundwehrdienstes
von 12 auf 18 Monate wird nun der Unterschied -
noch krasser, als das bisher der Fall war. Die Zahl Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
der Einberufenen wird etwas kleiner, aber das zu- Abgeordnete Leicht.
gemutete Opfer wird größer.
Wir haben sehr viele Eingaben zu diesem Gesetz Leicht (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
bekommen, sowohl die einzelnen Abgeordneten als men und Herren! Herr Kollege Merten, ich darf vor-
auch das Parlament als solches. Aus dem aller- aussetzen, daß wir alle gerecht handeln wollen.
größten Teil der Eingaben weiß ich, daß gerade hier Sie haben von zwei Möglichkeiten gesprochen. Sie
der Kernpunkt der Kritik an diesem Gesetz gelegen sprachen von der Erhöhung des Wehrsoldes und
hat und auch heute noch liegt. Ich halte diese Kri- haben gleich angedeutet, daß ein zweiter Antrag
tik für vollauf berechtigt, und es ist die Pflicht des von Ihnen kommen wird: Erhöhung des Entlas-
Gesetzgebers, hier nach Möglichkeit einen Aus- sungsgeldes. Man muß grundsätzlich etwas voraus
gleich zu schaffen. schicken, und zwar gilt das für beide Anträge, so
daß man es sich nachher ersparen kann, es noch-
Hinsichtlich des Opfers an Zeit oder Ausbildungs- mals zu wiederholen: Der aus der Wehrpflicht fol-
möglichkeit oder der Verzögerung des beruflichen gende Wehrdienst ist seiner Natur nach eine Be-
Fortkommens werden wir kaum sehr viel helfen lastung des Staatsbürgers in Erfüllung seiner staats-
können. Aber im Falle der finanziellen Einbußen bürgerlichen Pflichten, die wie jeder Ehrendienst
besteht durchaus , die Möglichkeit, einen Ausgleich grundsätzlich nicht durch Geld ausgeglichen werden
zu gewähren. Hier also muß zum Ausdruck kom- kann. Es ist zuzugeben, was von Ihnen und vom
men, daß der Gesetzgeber das Problem in seiner Kollegen Pöhler gesagt worden ist: durch die nicht
ganzen Größe erkannt hat und gewillt ist, aus volle Ausschöpfung der wehrpflichtigen Jahrgänge
der berechtigten Kritik die Folgerungen zu ziehen wird eine ungleichmäßige Behandlung der zum
und dieser Kritik Rechnung zu tragen. Wehrdienst an sich Heranstehenden verursacht. Da-
Wir haben zwei 'Möglichkeiten, hier zu helfen. mit verbunden ist auch eine gewisse materielle Un-
Ich meine, daß man beide ausnutzen sollte. Ich will gerechtigkeit, die nicht zu bestreiten ist. Wir ken-
hier von der ersten Möglichkeit sprechen, nämlich nen diese Tatbestände. Aber die ungleiche Behand-
der Anhebung des Wehrsoldes. Wir beantragen, lung kann, wie alle bisherigen Erfahrungen gezeigt
den Wehrsold linear um weitere 10 % gegenüber haben, nicht durch Geld ausgeglichen werden, we-
dem Stand vom Jahre 1957 zu erhöhen. Wir haben der dergestalt, daß die nicht zur Erfüllung der Wehr-
ihn im dritten Bundestag bereits einmal um 15 % pflicht Herangezogenen einen Ausgleich in Form
erhöht, und wir kämen damit zusammen jetzt auf einer Wehrsteuer oder Wehrabgabe zahlen, noch
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 499
Leicht
dadurch, daß den Dienenden ein Entgelt gezahlt 13 Millionen DM ergeben, Beim Entlassungsgeld
wird, das den wirtschaftlichen Nachteil voll aus- würde es etwa eine Summe von 30 Millionen DM
gleicht. Durch beides kann der durch die Ableistung ausmachen. Ich habe schon auf die Auswirkungen,
des Wehrdienstes entstehende wirtschaftliche Nach- die diese Tatsache im Haushalt nicht nur im Augen-
teil nicht voll ausgeglichen werden. Wir wissen blick, sondern insgesamt gesehen, haben kann, hin-
auch, daß zur Zeit die geburtenstarken Jahrgänge gewiesen. Man muß auch darauf hinweisen, daß
zum Wehrdienst heranstehen — darüber ist ja auch über die Erhöhung des Wehrsoldes um 15 % im ver-
in dem zuständigen Ausschuß lange gesprochen gangenen Jahr hinaus auch noch andere Verbesse-
worden —, so daß nur ein Teil der erfaßten und rungen vorgenommen worden sind. Ich erinnere
tauglichen Wehrpflichtigen einberufen wird. Die z. B. an das Unterhaltssicherungsgesetz, das sicher-
Situation wird sich aber von 1965 ab ändern. lich eine bessere Regelung gebracht hat. Die Ent-
scheidung über die Höhe des Wehrsoldes ist über
Nun zu der haushaltsmäßigen Seite der beiden den Bereich der Bundeswehr hinaus — und diesen
Anträge! Herr Kollege Merten, ich würde es mir Gesichtspunkt sollte man nicht ganz vergessen —
nicht so einfach machen wie Sie. Selbstverständlich von erheblicher Bedeutung oder kann es zumindest
kann man sagen, daß die zusätzlichen 12,5 oder werden. Nach dem Wehrsoldgesetz soll nämlich
13 Millionen DM, die durch die von Ihnen vorge- insbesondere auch abgefunden werden, wer nach
schlagene Erhöhung des Wehrsoldes auf den Haus- dem Notdienstgesetz zu einem langfristigen Hilfs-
halt zukommen würden, keine Rolle spielten. Sie dienst herangezogen wird. Soweit beabsichtigt ist —
müssen aber berücksichtigen, daß durch Ihren zwei- das ergeben auch die Entschließungsanträge; ich
ten Antrag weitere 25 bis 30 Millionen DM hinzu- habe es zumindest aus dem Entschließungsantrag
kommen und daß unter Umständen noch ,weitere der SPD auf Umdruck 28 herausgelesen —, die nicht
Anträge gestellt werden, wenn auch nicht heute, so zur Bundeswehr einberufenen Wehrpflichtigen für
doch im Laufe der Zeit. Die Beträge summieren sich Aufgaben der zivilen Landesverteidigung heranzu-
also, und aus den 12,5 und 13 Millionen DM wer- ziehen, würde sich ein Ausgleich ergeben einmal in
den 40 und mehr Millionen DM. der Richtung — von der vorhin gesprochen worden
Zu bedenken ist auch, daß der Verteidigungshaus- ist — der Ungerechtigkeit im Einberufungsverfah-
halt — davon sind Sie unterrichtet — schon im Zuge ren; darüber hinaus würde die Frage des Soldes zu
der Verhandlungen bei der Etataufstellung um 600 berücksichtigen sein. Wenn nämlich jetzt der Sold
Millionen DM gekürzt worden ist. Wenn man dann erhöht wird, müssen unter Berücksichtigung dieses
noch berücksichtigt, daß sich der Anteil der festlie- Gedankenganges — den ich mir erlaubt habe anzu-
genden fortlaufenden Ausgaben von rund 31 % im sprechen — auch die Zahlungen für die im zivilen
Jahre 1958 bis jetzt auf 44,6 % erhöht hat, dann Bevölkerungsschutz, in der zivilen Verteidigung
erkennt man, daß der Spielraum Hit die Erfüllung Verpflichteten entsprechend angesetzt werden, was
der eigentlichen Aufgabe, nämlich eine schlagkräf- dann allerdings eine erhebliche Ausweitung des
tige modern ausgerüstete Bundeswehr zu haben, Bundeshaushaltes bedeuten würde. Ich meine also,
sehr eng geworden ist. Man sollte also nicht sagen, meine Damen und Herren, man sollte aus allen
daß die Summe von 13 Millionen DM für den Haus- diesen Gründen den Antrag der Fraktion der SPD
halt keine Rolle spielen würde. ablehnen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Nun zu dem Antrag selber! Herr Kollege Merten,
die Erhöhung ist nach der Meinung der Kollegen
meiner Fraktion im Augenblick nicht gerechtfertigt. Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Wie Sie selbst gesagt haben, ist der Wehrsold Abgeordnete Merten.
zuletzt mit Wirkung vom 1. September 1961 um
15 % angehoben worden. Zu einer erneuten Erhö-
hung besteht, da sich die für die Bemessung maß- Merten (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
gebenden Verhältnisse in der Zeit seit dem 1. Sep- Herren! Ich möchte nur eine kurze Bemerkung ma-
tember nicht geändert haben, keine Veranlassung. chen. Herr Kollege Leicht, Sie wissen genauso gut
wie ich, daß der Wehrsold nicht das geringste mit
Im übrigen ist noch ein Argument anzuführen, einer Neufestsetzung der Bezüge im öffentlichen
von dem Sie allerdings im vorhinein gesagt haben, Dienst zu tun hat. Das ist ein völlig anderes Gesetz
es bestehe kein Grund, deswegen die Wehrsold- und nicht vergleichbar. Ich habe Sie vorhin schon
erhöhung zu verschieben. Es ist doch zu erwarten gewarnt: Kommen Sie nicht damit, denn das hat
— ich drücke mich sehr vorsichtig aus —, daß allge- mit der Sache nichts zu tun. Was die von uns ge-
mein bei den Dienstkräften im öffentlichen Bereich stellten Anträge über den Bundesgrenzschutz, die
unter Umständen eine Neufestsetzung der Bezüge Polizei und den zivilen Bevölkerungsschutz anbe-
erfolgt. Will man dann in diesem Zusammenhang trifft, so wird das zum Teil auf den Bundeshaushalt zu-
auch die Abfindung der Wehrsoldempfänger unter kommen, zum Teil aber auch auf die Haushalte der
janz gewissen Vorschlägen und Erwägungen ver- Länder. Auf jeden Fall ist es ganz klar: wen auch
bessern, so kann ich für meine Fraktion erklären, immer wir dort einziehen, für den gilt das gleiche,
faß man sich diesen Gedankengängen nicht ver- was ich vorhin für die Wehrpflichtigen ausgeführt
schließen, zumindest aber die Sache eingehend prü- habe. Aber all das wäre mir gar nicht so wichtig,
fen wird. Bei einer Erhöhung des Wehrsoldes, wie wenn ich nicht das Gefühl hätte, daß hier mit zweier-
sie von Ihnen beantragt ist, würden sich gegenüber lei Maß gemessen wird. Herr Kollege Leicht, wenn
der Regierungsvorlage — dies hat der Herr Kollege Sie die Rede, die Sie soeben wegen der 40 Millionen
Mertens schon gesagt — Erhöhungen von etwa gehalten haben, gehalten hätten, als der Leertitel
500 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Merten
für die Unkosten des verunglückten Fernsehexperi- den. Verfallen Sie aber bitte nicht in den entgegen-
ments eingeführt wurde, würde ich sagen: Herr gesetzten Fehler, anzunehmen, Ehrendienst sei eine
Kollege, wir müssen über die Dinge reden. Aber da Sache, die überhaupt nichts mit Geld zu tun habe;
ging es sehr schnell, und es wurde nicht gefragt, ob denn in der Zeit, in der unsere Soldaten Ehrendienst
es 40, 80 oder 120 Millionen kostet. Jetzt aber, wo leisten, verdienen die andern gar nicht so schlecht.
es darum geht, Hunderttausenden von Menschen Wir sind glücklich darüber, daß es Leute gibt, die
ein gewisses Gefühl dafür zu geben, daß der Staat nicht so schlecht verdienen. Diese können sich nun
daran denkt, daß sie ein besonderes Opfer zu brin- Monat für Monat, wenn sie fleißig und sparsam sind
gen haben, wird wegen dieses Betrages der Bundes- und wenn sie haushalten können, etwas zurück-
haushalt „aus den Angeln gehoben." Man darf legen.
hier nicht einmal so und einmal so reden. Wenn
Nehmen Sie nun einmal den Umdruck 24 zur
im Falle des Fernsehens Geld in einer Höhe,
Hand. Sie werden feststellen, welches die Vorstel-
die wir noch gar nicht übersehen können, übrig ist,
lungen der Sozialdemokraten sind. Meine Vorstel-
sollten wir es erst recht in den Haushalt einsetzen,
wenn es um die Wehrpflichtigen geht. lungen bewegten sich in einer ganz anderen Größen-
ordnung als das, was wir hier beantragt haben;
(Beifall bei der SPD.) aber, Herr Benda — Sie gucken mich so fragend
an —, in der Fraktion muß man ja auch miteinander
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort wird reden, da muß man auch mal etwas zurückstellen
nicht mehr begehrt. Ich stelle den Antrag zurück. können. Wenn man die Größenordnungen der Re-
gierungsvorlage mit der Summe vergleicht, die viel-
Ich rufe Ziffern 1 und 2 auf. — Das Wort wird
leicht ein junger Facharbeiter oder ein junger Ange-
nicht begehrt; die Abstimmung wird zurückgestellt.
stellter in den 18 Monaten spart, so erkennt man:
Ich rufe Ziffer 3 und den Umdruck 24 auf und er- das ist nicht gerecht.
teile dem Abgeordneten Berkhan das Wort.
Ich darf nur ein Beispiel herausgreifen. Ein Grena-
dier soll nach einem 18monatigen Wehrdienst ein
Berkhan (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge- Entlassungsgeld von 360 DM erhalten. Ich meine
ehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen einen Grenadier, der nicht den § 5 des Unterhalts-
des Kollegen Leicht habe ich wenig Hoffnung, daß sicherungsgesetzes in Anspruch genommen hat. Die-
ich bei Ihnen mit dem Antrag, den ich hier für meine ser Mann bekäme also nach 18 Monaten — habe
Fraktion zu vertreten habe, auf Gegenliebe stoßen ich richtig gerechnet? — so viel, als wenn er pro
werde; es handelt sich um das Entlassungsgeld. Monat 20 DM gespart hätte. Nun, 20 Mark sind eine
) Vielleicht darf ich Ihnen aber, Herr Leicht, vorweg Summe, die mancher junge Mann heute im Monat
auf eine Bemerkung antworten, die Sie gemacht erübrigen kann.
haben. Sie sprachen von dem Vorschlag, eventuell Was hat das Entlassungsgeld denn eigentlich für
diejenigen, die bei dieser Lotterie entweder eine einen Sinn? Das Entlassungsgeld soll dem Soldaten
Niete oder einen Gewinn gezogen haben, ich meine, den Übergang in den zivilen Sektor, in das bürger-
die bei dieser Lotterie nicht zum Wehrdienst heran- liche, in das berufliche Leben erleichtern. Die Regie-
gezogen werden, mit einer Wehrsteuer zu belasten. rung, meine Damen und Herren, will dem entlasse-
Ich habe das auch in der Zeitung gelesen; aber ich nen Grenadier nur 180 DM an die Hand geben. Für
möchte hier, um keine falsche Meinung aufkommen 180 DM kann sich ein junger Mann heute nicht ein-
zu lassen, feststellen, daß die Sozialdemokraten die- mal mehr voll einkleiden. Er kann dafür nicht einen
sen Vorschlag nie gemacht haben und daß er auch Satz Unterwäsche, ein Oberhemd, einen Schlips,
nicht unserer Auffassung entspricht. Unsere Auffas- einen Anzug, ein Paar Schuhe und ein Paar Socken
sung war hingegen — und meine ist es heute kaufen. Das kann er noch nicht einmal mit der
noch —, daß eine Wehrsteuer alle Menschen unse- Summe von 360 DM, die wir hier angegeben haben.
res Volkes nach ihrem Vermögen und Einkommen
heranzieht zu den Kosten, die die Landesverteidi- Ich weiß natürlich, daß das Geld kostet, Herr
gung nun einmal verursacht, daß wir die Kosten Leicht. Aber Landesverteidigung kostet halt Geld.
also nicht aus dem allgemeinen Haushalt decken, Als wir über ein ganz anderes Programm sprachen
sondern daß wir eine Wehrsteuer nach Leistungen und als ich im Ausschuß einmal sagte: Ich möchte
einführen müssen. Das wäre keine schlechte Sache, ganz gerne einmal wissen, was das kostet, sagte
und vielleicht können wir einmal bei anderer Gele- man: Das können wir noch nicht feststellen; wir
genheit darüber sprechen, Herr Dr. Leicht. müssen nach anderen Gesichtspunkten rechnen. Da
ging es gleich um eine Größenordnung von Mil-
(Abg. Leicht: Ohne Doktor!) liarden. Ich habe daraufhin sogar zugestimmt. Ich
bitte Sie recht herzlich, auch hier einmal zu über-
— Entschuldigen Sie, aber in diesem Hause sind die
legen, ob es nicht gerechtfertigt ist, daß wir der
Kollegen ohne Doktor so knapp — ich gehöre auch
jungen Mannschaft, die den Ehrendienst geleistet
zu ihnen —, daß man vorsichtshalber jeden mit und die die Verlängerung so gutwillig hingenom-
„Herr Doktor" anredet; ich bitte also um Entschuldi- men hat, ich will nicht sagen, ein entsprechendes
gung, die Sache mit dem Doktor war nicht bös ge- Entgelt, aber ein anständiges Entlassungsgeld in die
meint. — Hand geben. Man müßte dafür Verfahren wählen,
Ehrendienst, Herr Kollege, kann sicher nicht mit durch die die Verwaltung möglichst wenig belastet
Geld abgefunden werden, und ungleiche Behandlung wird, und eine bargeldlose Auszahlung auf ein
kann sicher auch nicht mit Geld ausgeglichen wer- Heimatkonto vornehmen; das ist für mich ganz
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 501
Berkhan
selbstverständilch. Das ist eine Frage der Verwal- solche Abstimmungen im Bundestag sind, dann
tung. Dabei darf ich vielleicht bemerken, daß es in macht der lieber Reisen im Land und redet draußen
dem einen oder anderen Einzelfall vielleicht auch über Familienpolitik, statt hier etwas zu tun. Dar-
ganz gut ist, wenn der Betrag bargeldlos zu Hause aufhin habe ich also auch diese Hoffnung aufgege-
gezahlt wird. Zu Hause gibt es noch Eltern, da gibt ben.
es die Braut oder die Freundin, die auf dieses Geld
aufpassen, und es wird dann in einer vernünftigen Wenn es darum geht, daß jemand Sachen für die
Weise verwendet. Verteidigung zur Verfügung stellen soll, strapazie-
ren Sie, meine Damen und Herren, den Art. 14 des
Ich sage Ihnen also ganz offen: ich wäre für die Grundgesetzes sehr. Ich will gar nicht darüber
Festsetzung eines höheren Betrages gewesen. Ich reden, wie sehr dann, wenn es um die Entschädi-
habe mich jedoch davon überzeugen lassen, daß wir gung von Sachleistungen geht, gerade aus Ihrer
dann — etwa bei 1000 DM — bei Ihnen auf gar Fraktion bis in Extreme darauf geachtet wird, daß
keine Gegenliebe gestoßen wären. Nunmehr haben um Gottes willen niemand auch nur einen Pfennig
wir eine Größenordnung gewählt, die Mehrausgaben zuviel opfert. Diese jungen Leute opfern etwas, was
von etwa 25 bis 30 Millionen DM im Jahr verur- für sie das Wichtigste ist; denn es ist doch so, daß
sacht. Sie haben diese Zahl vorhin selbst genannt. die Lohn- und Gehaltsempfänger am schwersten
Das hört sich sehr gewaltig an, ist aber nicht so viel, betroffen sind und nicht die Vermögensbesitzer.
als daß wir es nicht aufbringen könnten. Ich kann Daran besteht doch gar kein Zweifel. Die Lohn- und
Sie also nur mit den Worten meines Kollegen im Gehaltsempfänger müssen hier nämlich ein ent-
Verteidigungsausschuß und hier im Hause, mit den scheidendes Opfer leisten. Einer der jungen Leute
Worten des Herrn Kollegen Bausch, die dieser hier hat gesagt: Na, da gilt derselbe Satz, den die Sol-
ins Mikrophon gesprochen hat, ermahnen oder bit- daten schon im letzten Weltkrieg gebraucht haben:
ten: Machen Sie herzhaften Gebrauch von der Frei- „Der D an k des Vaterlandes läuft uns nach, er wird
heit in der Abstimmung und stimmen Sie der Erhö- uns nie erreichen". Ich habe gesagt: ich werde das
hung des Entlassungsgeldes zu! hier vortragen und hoffe, daß die CDU/CSU etwas
Einsicht hat und daß sie wenigstens unserem Mini-
(Beifall bei der SPD.) malantrag zustimmt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie des-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der halb bitten, wenigstens diesen Minimalantrag anzu-
Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen. nehmen und sich vielleicht doch noch einmal in
Ihrer Fraktion in Ruhe darüber zu unterhalten, wie
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident! man diesen jungen Menschen, die nachher vor der
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich ge- Familiengründung stehen, in bezug auf ihren Ver
höre zu den Kollegen meiner Fraktion, die unzu- dienstausfall mehr entgegenkommen kann.-
frieden mit dem Vorschlag waren, den der Herr
Kollege Berkhan soeben, nach meiner Meinung Vergessen Sie dabei eines nicht: in der Großstadt
außerordentlich — auch für einen weit höheren Be- ist das oft noch nicht so schlimm, wohl aber auf dem
trag — überzeugend begründet hat. Aber die Kol- Lande, wo die Leute sich alle kennen und wo der
legen haben den anderen Mitgliedern unserer Frak- einzelne weiß, welche Nachteile er hat und daß der
tion, die der gleichen Meinung waren wie ich, und andere besser wegkommt. Das sollte man alles
mir gesagt: Wir fürchten, daß wir selbst mit diesem überlegen. Man sollte den Menschen die Erfüllung
Antrag bei der CDU/CSU noch nicht einmal auf staatsbürgerlicher Pflichten auch nicht zu schwer
Gegenliebe stoßen; die Herren sind sehr hartleibig, machen.
wenn es um die Wehrpflichtigen, wenn es um den
Wehrsold und das Entlassungsgeld für die Wehr- Herr Kollege Berkhan hat schon über die Frage
pflichtigen geht. Ich hatte im letzten Jahr ja selbst der Deckung gesprochen. Machen wir uns doch
Gelegenheit, Ihre Hartleibigkeit kennenzulernen. nichts vor: wenn man etwas politisch will, ist man
Wir hatten uns damals im Innenausschuß auf eine auch in der Lage, die notwendige Deckung zu schaf-
Erhöhung des Wehrsoldes auf 2,50 DM geeinigt, fen. Das haben Sie bei anderen Gelegenheiten auch
und Sie haben diesen Betrag doch wirklich noch um bewiesen. Ob das der Moselkanal war oder die
20 Pf heruntergehandelt. Aufstockung des Grünen Plans oder zahlreiche an-
dere Maßnahmen, Ihr Finanzminister hat das mit
Ich habe nun mit vielen Leuten gesprochen. Ich Ihrer Hilfe immer geschafft. Meinen Sie wirklich,
habe mich mit den jungen Menschen draußen unter- bei den 25 Millionen würden Sie es nicht schaffen?
halten und mit ihnen auch über ihren Verdienstaus- Meine Damen und Herren, glauben Sie mir, das
fall gesprochen. Ich habe hier aus der Gemeinde nimmt Ihnen draußen so leicht niemand ab.
Büttelbau in meinem Wahlkreis Lohn- und Gehalts-
abrechnungen eines Maurers, eines Werkzeug- Nachdem wir uns hier entschlossen haben — ich
machers, eines Betriebsschlossers und eines kauf- habe mich schweren Herzens dazu entschlossen —,
männischen Angestellten. Das muß man sich einmal keinen weitergehenden Antrag einzubringen,
durchsehen. Was die Einberufung für 18 Monate möchte ich Sie herzlich bitten, daß Sie dafür sorgen,
für Menschen, die nach Ableistung dieser Wehr- daß wir nach Hause gehen und sagen können: das
pflicht sehr oft heiraten, bedeutet, brauche ich Ihnen Minimum, was hier beantragt worden ist, ist von
nicht zu sagen. In der Fraktion habe ich gemeint, Ihnen bewilligt worden. Ich danke Ihnen schon jetzt
wir könnten vielleicht den Herrn Familienminister dafür.
gewinnen. Aber da ist mir gesagt worden: Wenn (Beifall bei .der SPD.)
502 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der weise. Eben unter dem Gesichtspunkt der Wehr-
Abgeordnete Leicht. pflicht kann schließlich das Entlassungsgeld nicht —
das ist noch nicht angeklungen, davon sollte aber
Leicht (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- ruhig einmal gesprochen werden — mit den wesent-
men und Herren! Herr Kollege Schmitt, ich be- lich höheren Beträgen verglichen werden, die jene
dauere, daß dieser Dank Soldaten bei ihrem Ausscheiden erhalten, die sich
freiwillig für eine längere Dienstzeit, also von zwei
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Zu früh Jahren und mehr, verpflichtet haben. Damals sind —
kommt!) das wissen wir, und das ist im Verteidigungsaus-
zu früh gekommen ist. schuß bewußt dann auch in dieser Richtung ausge-
baut worden — gewisse Gesichtspunkte der Wer-
Ich darf nur der Klarheit halber, Herr Kollege
bung maßgebend dafür gewesen, hier erheblich hö-
Berkhan, etwas feststellen. Sie haben die Frage der
here Beträge festzusetzen. Auch im Interesse der
Wehrsteuer angesprochen. Auch ich will diese Wehr-
vor allen Dingen von Ihnen, meine Damen und
steuer nicht. Ich habe mir nur erlaubt, darauf hin-
Herren von der Sozialdemokratie, angestrebten Ge-
zuweisen, daß wir vom Wehrpflichtgedanken aus-
winnung von längerdienenden Soldaten erscheint es
gehen müssen und daß es dann nicht möglich ist, es
geboten, das Entlassungsgeld erheblich niedriger zu
sei denn, man tut das, um gewisse Ausgleiche zu
halten als die Abfindungen, die für die freiwillig
schaffen. Ich wollte also so verstanden werden. Sie
längerdienenden Soldaten gewährt werden.
sagten, daß wir Ihrem Antrag etwas Liebe entgegen-
bringen sollten. Ich glaube, wir dürfen sagen, wir Ich sage noch einmal: wir sind gern bereit, die
bringen Ihrem Antrag Verständnis entgegen. Fragen, die Sie bewegen, zu überprüfen. Auf Grund
der Tatsachen, die wir vor uns sehen, können wir uns
Wir alle legen in diesem Hause großen Wert
aber heute nicht dazu entschließen, Ihrem Antrag
darauf, daß diese Wehrpflichtnovelle heute verab-
zuzustimmen. Wir meinen, daß das, was in der
schiedet wird. Die vielen Fragen und Probleme, die
Regierungsvorlage vorgesehen ist, ausreichend ist.
in den beiden sozialdemokratischen Anträgen stek-
Ich muß deshalb das Hohe Haus bitten, Ihren An-
ken, machen es uns nicht möglich, heute eine Ent-
scheidung zu treffen. Man sollte das also offen- trag abzulehnen.
lassen. Wir wollen — ich glaube, ich bin befugt, das (Beifall bei der CDU/CSU.)
im Namen meiner Freunde zu sagen — über alle
Ihre Anliegen sprechen und nach genauer Abwä- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
gung vielleicht auch dahin kommen, unter Umstän- Abgeordnete Dr. Schäfer.
den anders zu entscheiden.
Herr Kollege Schäfer, ich sehe, Sie melden sich zu Dr. Schäfer (SPD) : Herr Präsident! Meine
- Damen
Wort. Ich muß noch sagen, wir müßten uns nach und Herren! Nur einige Bemerkungen zur haus-
§ 96 der Geschäftsordnung des Bundestages — ob- haltsmäßigen Behandlung. Wir haben noch keinen
wohl ich das nicht allzu tragisch nehme, das sage ich Haushalt 1962. Dieses Haus kennt noch nicht einmal
gleich vorweg — über die finanziellen Auswirkun- den Entwurf des Haushaltsplans für 1962. Herr Kol-
gen im Haushaltsausschuß nochmals unterhalten. lege Leicht, Sie werden mit mir übereinstimmen,
daß die Frage der Deckung nach § 96 nicht aufzu-
Nun speziell zur Frage des Entlassungsgeldes. Ich
werfen ist, weil gar kein Haushalt verabschiedet
bin dankbar, Herr Kollege Berkhan, daß Sie an-
ist. Hier wird kein Gesetz mit höheren Ausgaben
klingen ließen, das Entlassungsgeld könne nicht den
Charakter einer Abfindung haben, sondern solle oder mit Mindereinnahmen verabschiedet. Deshalb
eine zeitliche Lücke schließen zwischen dem Zah- braucht nicht nach § 96 geprüft zu werden, ob seine
lungstermin des im voraus gewährten Wehrsoldes Deckung dafür vorhanden ist. Das Haus war nie so
und dem des Arbeitsentgeldes, dem Zeitpunkt also, frei, über die haushaltsmäßige Behandlung zu ent-
in dem der Mann seine Arbeit im Zivilleben wieder scheiden, wie es heute ist.
übernommen hat. Wir sind im Augenblick mit der (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ausge
Bundesregierung der Meinung, daß die festgelegten schlossen!)
Sätze für das Entlassungsgeld ausreichend sind. Das
Herr Kollege Leicht, der Betrag hält sich in der
Entlassungsgeld soll, wie Sie richtig sagten, die Größenordnung von 26 Millionen DM. Auch von
Möglichkeit geben, daß nach der Entlassung das
Ihnen ist sicher nicht zu bestreiten, daß bei einer
Notwendige geschehen kann. In der Regel ist die
Annahme unseres Antrages in diesem Haushalts-
Übergangsfrist, wenigstens bei der heutigen wirt-
jahr nur Mehraufwendungen von 6 Millionen DM
schaftlichen Situation, nicht allzulange.
entständen, weil sich die Erhöhungen erst im näch-
Man sollte auch berücksichtigen — ich muß das sten Jahr in vollem Umfang auswirken würden.
nochmals erwähnen —, daß das Unterhaltssiche-
(Abg. Mommer: Hört! Hört!)
rungsgesetz im Sommer vergangenen Jahres erheb-
lich verbessert worden ist, so daß auch unter diesem 6 Millionen DM in diesem Jahr für diese Maß-
Gesichtspunkt eine Erhöhung über das im Augen- nahme! Sie werden selbst sagen müssen, daß Sie
blick vorgesehene Maß hinaus nicht unbedingt er- die Ausführungen meines Freundes Schmitt-Vocken-
folgen müßte. Bei der Bemessung ist auch zu berück- hausen nicht kurzerhand wegwischen können. Sie
sichtigen, daß die Zahlungen an die Soldaten auf müßten sich wirklich sehr überlegen, ob Sie wegen
Grund der Wehrpflicht geleistet werden. Es ist wohl dieser 6 Millionen DM mehr den Antrag ablehnen
wesentlich, daß ich auch darauf noch einmal hin- wollen. Niemand in diesem Hause wird den Mut
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 503
Dr. Schäfer
haben, bei einem 15-Milliarden-Haushalt zu sagen, Berkhan (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
daß die 6 Millionen DM nicht zu verkraften seien. ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kreit-
Ich darf nur an die wieder neu entstehenden Reste meyer, daß die Schonzeit vorbei ist, bedeutet doch
im Bausektor bei Kap. 1412 erinnern. Die 6 Millio- hoffentlich nicht, daß zur wehrpolitischen Jagd ge-
nen DM sind in diesen 15 Milliarden darin! blasen werden soll.
Eine Zurücküberweisung an den Haushaltsaus- (Sehr gut! und Heiterkeit bei der SPD.)
schuß ist auch dann nicht notwendig, wenn Sie Ihre Sie sagen, Herr Kollege Kreitmeyer, wir müssen
Auffassung aufrechterhalten, daß § 96 anzuwenden schneller reagieren. Das ist auch die Auffassung der
sei; denn das Haus ist souverän und kann an Stelle deutschen Sozialdemokratie — aber bitte politisch
des Haushaltsausschusses unmittelbar beschließen. schneller reagieren!
Deshalb meine ich, daß auch von diesem Gesichts-
punkt aus keine Hinderungsgründe bestehen dürf- (Beifall bei der SPD.)
ten, unserem Antrag zuzustimmen. Wir waren immer mit unserer Auffassung der FDP
(Beifall bei der SPD.) sehr nahe. Die Bundeswehr und das Westbündnis
sollen uns ja die Möglichkeiten geben, überhaupt
noch politisch zu reagieren.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat des
Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen. Aber, verehrter Herr Kollege Leicht, darf ich doch
noch einmal das aufnehmen, was ich erst bewußt
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ich verzichte verschwiegen habe! Sie haben ,darauf angespielt,
zunächst!) daß es doch auch Soldaten gibt, die wir Z-2-Solda-
Dann hat das Wort der Abgeordnete Kreitmeyer. ten — Soldaten auf Zeit, zwei Jahredienende Sol-
daten — nennen. Wenn man die Wehrpflicht von
12 Monaten auf 18 Monate verlängert, dann ist man
Kreitmeyer (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr auch verpflichtet, diese Relation einmal zu betrach-
verehrten Damen und Herren! Zu den Bemerkungen
ten und zu bewerten. Ich darf Ihnen sagen, daß z. B.
des Kollegen Schäfer möchte ich nur folgendes zu
ein Unteroffizier, der sich für 24 Monate verpflichtet
bedenken geben. Herr Kollege Schäfer, wir sind
hat, ein Z-2-Soldat, schon einen Anspruch auf Über-
eben leider nicht so frei in der Haushaltsgestaltung.
gangsgebührnisse von neun mal die halben Monats-
Denn Sie wissen selbst, daß die Deckung der 1,7 Mil-
bezüge hat, das sind rund gerechnet neun mal
liarden DM von Länderseite dubios ist.
160 DM. Das soll ihm den Übergang ins zivile Leben
(Abg. Dr. Schäfer: Das ist eine ganz andere erleichtern — nach 24 Monaten! Sehen wir den
Frage!) Übergang ins zivile Leben als so schwierig an, daß
wir dafür so viel Geld ausgeben müssen? Das sind
Zweitens aber — und das ist das Entschei- ja nicht allein Werbungskosten, die wir da bezahlt
dende —: die wehrpolitische Schonzeit, die wir bis- haben, sondern das sind ja Hilfen für den Soldaten,
her gehabt haben, ist vorbei. Wenn Sie sich die wieder in seinen Beruf und sein ziviles Leben zu-
Entschließungsanträge sowohl Ihrer Fraktion wie rückzufinden.
der Koalitionsfraktionen durchlesen, dann sehen
Sie, daß wir Wert darauf legen, daß der Nachhol- (Zuruf von der CDU.)
bedarf für die territoriale Verteidigung, für den zi- Wenn Sie den Gedanken der Werbung so hoch
vilen Bevölkerungsschutz, für die betreffenden un- honorieren, dann sollten Sie den freiwillig erfüllten
mittelbaren Einsatzorganisationen dieselbe Behand- Ehrendienst — denn die meisten Leute kommen
lung in genau derselben Wertigkeit erfahren soll ja doch recht freiwillig, um ihre Dienstpflicht abzu-
wie der aktive Dienst in der Bundeswehr. Daraus leisten — auch etwas honorieren. Herr Leicht, wir
ergeben sich die erheblichen finanziellen Weiterun- geben aber den Z-2-Soldaten eine Übergangsbei-
gen in Verbindung mit den Vorschlägen, die Sie hilfe von 320 DM, und das ist schon genau 100 DM
jetzt hier machen. mehr, als wir den 18 Monate dienenden Soldaten zu
geben bereit sind.
Erlauben Sie uns deshalb, daß wir jetzt den Zu-
sammenhang wiederherstellen und sagen: solange Ich habe das alles einmal durchgerechnet. Ein
wir nicht übersehen, wie viel das im ganzen aus- Soldat, der sechs Monate länger dient, der sich
machen wird — ich kann nicht prophezeien, Herr also von sich aus verpflichtet, 24 Monate freiwillig
Kollege Schäfer; aber ich glaube nicht, daß die Per- zu dienen, erhält, wenn ich seine Besoldung und den
sonalstärken, die wir augenblicklich haben, das Wehrsold der ersten 12 Monate mitrechne, rund
ganze Jahr über unverändert bleiben werden. Sie 4000 DM mehr als derjenige, der der Dienstpflicht
werden, glaube ich, mit uns darin übereinstimmen, nachkommt. Und da meine ich, Herr Leicht, ist die
daß wir ad hoc etwas schneller reagieren müssen, Differenz zu hoch.
als es in der Vergangenheit auf den 13. August ge- Ich will mich ein den Streit der Haushalts-
schehen ist —, sehen wir uns nicht in der Lage, experten — mein Kollege Schäfer und Herr Leicht
Ihren Wunsch, dessen grundsätzliche Berechtigung und Herr Kreitmeyer sind ja im Haushaltsaus-
wir gar nicht in Abrede stellen wollen, jetzt zu er- schuß — nicht einmischen; ich möchte nur sagen:
füllen. wenn wir nicht in der Lage sind, die Soldaten an-
ständig zu besolden und ihnen nach Ableistung
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der ihrer Wehrpflicht ein ordentliches Entlassungsgeld
Abgeordnete Berkhan. in die Hand zu geben, dann, muß ich sagen, sollten
504 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Berkhan
wir uns überlegen, ob wir überhaupt die Bundes- abgestimmt werden kann, unterbreche ich die Sit
wehr weiterhin in verteidigungsfähigem Stand hal- zung. Sie wird um 14.30 Uhr wieder aufgenommen.
ten können.
(Beifall bei der SPD.) (Unterbrechung von 13.49 Uhr bis 14.32 Uhr.)

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung wird
Abgeordnete Schmücker. fortgesetzt.
Wir sind bei der zweiten Lesung des von der
Schmücker (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Damen und Herren! Ich verhehle nicht, daß die Aus- Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes.
führungen der Herren von der SPD einen gewissen Wir holen die zurückgestellten Abstimmungen nach.
Eindruck .auf uns gemacht haben. Wir versuchen nur,
nach einer gründlichen Prüfung eine Regelung zu Ich rufe auf in Art. I Nr. 8 den § 2 mit dem Ände-
finden. Darf ich Ihnen den Vorschlag machen, daß rungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 21.
Sie diesen Antrag, den Sie als Änderungsantrag ein- Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag
gebracht haben, als selbständigen Antrag einbrin- der Fraktion der SPD auf Umdruck 21 ab. Wer
gen damit er dem Verteidigungsausschuß über- zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. —
wiesen und dort beraten werden kann? Ich darf Sie Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist
daran erinnern, daß wir ja einen Entschließungsan- abgelehnt.
trag eingebracht haben, in dem auch weitere Punkte
angesprochen werden. Ist es nicht zweckmäßig, daß Wir stimmen dann über § 2 in der Fassung der
wir die in unserem Entschließungsantrag angespro- Vorlage ab. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen.
chenen Punkte in der Beratung auch mit Ihren An- — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 2 ist ange-
regungen verbinden? nommen.
(Zuruf von der SPD: Beiden!) Ich rufe auf Art. II. Hierzu sind auf den Um-
drucken 23 und 24 zwei Anträge der SPD gestellt.
Vielleicht ist es möglich, daß wir auf diese Art und Beide Anträge sind bereits begründet. Es ist Eini-
Weise aus den Schwierigkeiten jetzt herauskommen. gung erzielt, daß beide Anträge der SPD auf den
(Abg. Erler: Beide! Auch Wehrsold!) Umdrucken 23 und 24 als selbständige Anträge, in
der Drucksache IV/216 zusammengefaßt, behandelt
werden.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Sowohl den Um-
druck 23 wie den Umdruck 24? Ich rufe deswegen zunächst den Antrag auf Um-
druck 23 — Drucksache IV/216 Art. I Nr.- 1 — auf.
Es ist beantragt, ihn dem Verteidigungsausschuß
Schmücker (CDU/CSU) : Ich habe Sie leider hier
als federführenden Ausschuß zu überweisen. Mit
oben nicht zur Hand.
beratender Ausschuß ist der Ausschuß für Inneres.
— Sie sind mit der Überweisung einverstanden.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Der eine betrifft
den Wehrsold, der andere das Entlassungsgeld. Dann Umdruck 24 — Drucksache IV/216 Art. I
Nr. 2 —, der ebenfalls zu einem selbständigen An-
trag gemacht worden ist. Auch hier handelt es sich
Schmücker (CDU/CSU) : Einverstanden. Können um einen Antrag der Fraktion der SPD. Hier tritt
wir uns dahin verständigen? — Ich danke schön! nun folgende Frage auf: Nach der Vorlage der Re-
(Beifall.) gierung und dem Beschluß des Ausschusses würde
Abs. 2 des § 8 geändert werden. Die Folge wäre
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und dann, daß ein nochmaliges Änderungsgesetz auf
Herren, ich darf dann feststellen, daß die beiden Grund des als selbständigen Antrag überwiesenen
Anträge — Umdruck 23, ,der ,den Wehrsold betrifft, Umdrucks 24 verabschiedet werden müßte. Darf ich
und Umdruck 24, der das Entlassungsgeld betrifft Ihr Einverständnis annehmen, daß die Nr. 3 des-
— selbständige Anträge — zusammengefaßt in der wegen insgesamt zurückgestellt wird, daß wir heute
Drucksache IV/216 —, eingebracht von der Fraktion über § 8 überhaupt nicht abstimmen? — Sie stim-
der SPD, sind. Damit ist es möglich, sie anschlie- men zu.
ßend, wie das gewünscht ist, zu überweisen. Wir stimmen dann über § 1 Nrn. 1 und 2 ab. Wer
Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! —
nicht vor. Die Abstimmung muß ich zurückstellen. Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf den § 2. Das Wort wird nicht ge- Sind wir darüber einig, daß die Abstimmung über
wünscht. Die Abstimmung wird zurückgestellt. Nr. 3 mit der Änderung des § 8 heute entfällt und
mit dem Umdruck 24 mitbehandelt wird? Bestehen
Ich rufe auf die Artikel III, IV, V, V a, VI, Einlei- keine Bedenken? — Ich rufe auf den Umdruck 24,
tung und Überschrift. Das Wort wird nicht ge- der also als selbständiger Antrag behandelt wird.
wünscht. Die Abstimmungen werden zurückgestellt. Es besteht Einverständnis, daß auch dieser Antrag
Meine Damen und Herren, da man sinnvoller- — federführend — dem Verteidigungsausschuß und
weise eine dritte Beratung erst durchführen kann, — mitberatend — dem Innenausschuß überwiesen
wenn die zweite beendet ist, vor 1 /23 Uhr aber nicht wird. Ich darf das feststellen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 505
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe auf den § 2 des Art. II, — Art. III, — deutschen Verteidigungsleistung zum Inhalt hat,
Art. IV, — Art. V, — V a — Art. VI, — Einlei- nur im engsten Zusammenhang mit der integrieren-
tung und Überschrift. Wer zustimmt, gebe Zeichen. den Wirkung des NATO-Bündnisses gesehen wer-
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so an- den kann und darf. Wir sind auch der Auffassung,
genommen. daß eine Fortsetzung des politischen und militä-
,

Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Wer rischen Integrationsprozesses innerhalb der NATO
dem Gesetz mit den Änderungen der zweiten Le- eine wesentliche Voraussetzung für die Verstär-
sung zuzustimmen wünscht, möge sich vom Platze kung des deutschen Verteidigungsbeitrages inner-
halb der NATO ist, und wenden uns daher konse-
erheben. —
quenterweise gegen alle Tendenzen, die geeignet
Ich habe unterstellt, daß keine Aussprache bei wären, diesen Integrationsprozeß zu hemmen oder
der dritten Lesung gewünscht wird. gar zu verhindern. In irgendwelcher Blockbildung
(Zuruf von der Mitte: Doch!) innerhalb der NATO würden wir eine Gefährdung
des Bündnischarakters und damit eine Gefährdung
Dann bitte ich zurückzukehren. Ich eröffne die unserer eigenen Sicherheit erblicken. Wir sind
bereit, alle Maßnahmen der Bundesregierung, die
dritte Beratung.
der Förderung der Integration innerhalb der NATO
dienen könen, wie bisher so auch weiterhin zu
Bisher liegen keine Wortmeldungen vor. — Bitte,
unterstützen.
Kollege Dr. Kliesing.
(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Herr Präsi- Die Gesetzesvorlage erfordert zusätzliche Opfer
dent! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der von einem großen Teil der jungen Generation. Das
CDU/CSU wird dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre sollte hier heute offen ausgesprochen werden. Zu-
Zustimmung geben. Wir tun das aus der Überzeu- gleich sollte damit auch klargemacht werden, daß
gung, daß wir damit einen wichtigen Beitrag für die nur die gefahrvolle Situation, in der wir leben müssen,
Erhaltung der Freiheit unseres Volkes leisten. Außer- uns erlaubt, ein solches Opfer zu verlangen. Wir sind
dem betrachten wir unsere Zustimmung zu diesem daher sehr dankbar dafür, daß die Diskussion in der
Gesetz als eine konsequente Fortsetzung der Vertei- Öffentlichkeit, insbesondere auch innerhalb der
digungspolitik, die wir seit langen Jahren, d. h. seit- jungen Generation, in überwiegendem Maße in sehr
dem verteidigungspolitische Themen in diesem sachlicher Form ausgetragen wurde und wird. Wir
Hause zur Erörterung anstanden, betrieben haben. sind uns durchaus bewußt, daß das Generations-
) Vor allem aber stellt sich uns der Inhalt dieser problem in der heutigen Zeit in besonders scharfer
Wehrpflichtnovelle als eine notwendige Folgerung Weise gestellt ist, und wissen, daß diese Tatsache
dar, die wir aus der Entwicklung der weltpoliti- ihre Ursache in der Vergangenheit hat. Um so mehr
schen Situation, besonders im Herzen Europas zu verdient die Sachlichkeit, mit der die junge Gene-
ziehen haben. ration in unserem Lande an die Aufgaben heran-
geht, vor die sie durch die weltpolitische Situation
Mit großer Befriedigung stellen wir dabei fest, gestellt wird, unseren besonderen Dank und unsere
daß der bisherige Verlauf der Beratungen uns hof- Anerkennung.
fen läßt, daß dieses Wehrgesetz im Gegensatz zu
anderen verteidigungspolitischen Gesetzen in den (Beifall bei der CDU/CSU.)
früheren Jahren in diesem Hohen Hause eine sehr Weil dem so ist, müssen wir auch Verständnis
breite Mehrheit finden wird. Wir begrüßen das, dafür haben, daß sich eine Unvollkommenheit
weil wir darin einen Faktor sehen, der geeignet ist, der Gesetzgebung, die auch durch diese Vorlage
in der gegenwärtigen weltpolitischen Situation und nicht ausgeräumt wird, besonders deutlich in das
Diskussion stabilisierend zu wirken. Außerdem Bewußtsein unserer Jugend einprägt. Ich spreche
scheint sich in der Tatsache, daß die Vorlage vor- damit die Tatsache an, daß wir aus politischen,
aussichtlich eine so breite Mehrheit in diesem militärischen und sonstigen wichtigen Gründen
Hohen Hause finden wird, zu offenbaren, daß eine weder gewillt sind noch in der Lage wären, das zur
der Konsequenzen, zu denen die bisherige sowje- Verfügung stehende Potential an Wehrpflichtigen
tische Politik geführt hat, darin besteht, daß sie den in einem Grundwehrdienst von 18 Monaten voll und
demokratischen Kräften in unserem Lande, die nicht ganz auszuschöpfen. Hierbei drängt sich — das müs-
bereit sind, vor dem kommunistischen System zu sen wir anerkennen; dafür müssen wir Verständnis
kapitulieren, in diesen und anderen wichtigen Fra- haben — in das Bewußtsein vieler junger Menschen
gen keine echte Alternative zu der Politik der Bun- die Frage, ob das noch mit den Grundsätzen der
desregierung offenläßt. Wir begrüßen daher das Er- Gleichheit zu vereinbaren sei. Ich will mich in dieser
gebnis der Beratungen auch als ein Zeichen Stunde nicht im einzelnen mit dieser Frage ausein-
wachsender Geschlossenheit in der Auffassung des andersetzen. Darüber ist bereits sehr viel gesagt
Hohen Hauses. und geschrieben worden.
Selbstverständlich sehen wir in der Verwirk- Wir sollten aber doch unser Möglichstes tun,
lichung der Gesetzesvorlage keineswegs einen Vor- hier einen Ausgleich zu schaffen oder zumindest
gang, der von irgendwelchen nationalen Ambitio- den Gegensatz zwischen Eingezogenen und Nicht-
nen bewirkt wird oder solche auslösen wird. Im eingezogenen, der ja durch die Verlängerung des
Gegenteil, wir sind der festen Überzeugung, daß Grundwehrdienstes noch verschärft wird, weit-
dieses Gesetz, das eine effektive Steigerung der gehend zu mildern.
506 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Dr. Kliesing (Honnef)


Diese Absicht verfolgt auch der Entschließungs- gungsfall, aber auch schon für die Erhaltung und
antrag der Fraktionen der Regierungskoalition Sicherung des Friedens von ganz entscheidender Be-
Umdruck 37, zu dem ich mit Erlaubnis des Herrn deutung.
Präsidenten der Einfachheit halber gleich einiges Wir wissen, daß sich die Bundesregierung auf die-
bemerken möchte. Ich bitte Sie, diesen Antrag dem sem Gebiet während der letzten Jahre im Rahmen
Verteidigungsausschuß zu überweisen. Er sieht vor, der NATO außerordentliche Mühe gegeben hat, und
daß vor allen Dingen die Wehrpflichtigen, die bis- unterstützen auch ferner gern diese Bemühungen.
her nicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes Wir wissen aber auch, daß es im Gesamtbereich der
einberufen werden konnten, in größerer Zahl zum NATO in dieser Hinsicht sicherlich noch manche
Aufbau der territorialen Verteidigung und zur Aus- sehr bedenkliche Erscheinung gibt und daß zum min-
bildung im Sanitätsdienst heranzuziehen sind. Ich desten hinsichtlich der notwendigen Standardisie-
bin der Auffassung: je mehr wir uns dem Zeitpunkt rung und der notwendigen Integration der Logistik
nähern, wo die Aufstellung der 12 Divisionen voll- noch manches unbefriedigend ist.
endet sein wird, die wir der NATO zur Verfügung
stellen, desto mehr müssen wir auf den Aufbau Weil wir heute ein Gesetz verabschieden, das sich
einer territorialen Verteidigung Wert legen. ausschließlich mit der Personallage der Bundeswehr
befaßt, ist jetzt wohl nicht der geeignete Zeitpunkt,
Das zweite, was wir vorsehen, ist, daß die Wehr- auf diese Probleme näher einzugehen. Aber ich
pflichtigen, deren Verwendung bei der Bundeswehr würde es sehr begrüßen, wenn das Hohe Haus in
nicht geplant ist, für den Bedarf der zivilen Landes- absehbarer Zeit einmal Gelegenheit nähme, dieses
verteidigung heranzuziehen sind. Wir schlagen vor, so wichtige Problem in der ihm gebührenden Aus-
die Bundesregierung zu ersuchen, die notwendigen führlichkeit zu diskutieren, insbesondere da die
Gesetzentwürfe bis zum 1. Oktober dieses Jahres öffentliche Meinung in der Bundesrepublik bisher
vorzulegen. diesen Fragen leider nicht immer das notwendige
Interesse entgegenbringt. Für heute möge der Hin-
Im dritten Abschnitt ersuchen wir um eine Milde-
weis genügen, daß Personalfragen und Sachfragen
rung der Übergangsbestimmungen in der Praxis.
in dem angedeuteten Sinne unbedingt eng zusam-
Wir glauben, daß auch das Verteidigungsministe-
mengehören, wenn es um die Erhaltung von Frieden
rium bereits in den Ausschußberatungen hierfür
und Freiheit in unserem Lande geht.
sehr viel Verständnis gezeigt hat. .
Lassen Sie mich abschließend noch eine Frage
Schließlich bitten wir die Bundesregierung — und kurz berühren, die immer dann — und zwar mit
wir richten diese Bitte gleichzeitig an die Ständige Recht — im Vordergrund der Erörterungen gestan-
Konferenz der Kultusminister —, noch einmal zu den hat, wenn es um den personellen Aufbau und
prüfen, welche Maßnahmen getroffen werden kön- Ausbau der Bundeswehr ging. Es ist die oft gestellte
nen, um angesichts des verlängerten Grundwehr- Frage nach dem Geist der Bundeswehr. Wir wissen,
dienstes eine unnötige Verzögerung des Studien- daß diese Frage schon Jahre hindurch sehr großes
beginns zu verhindern, und vor allen Dingen auch Interesse fand, ehe überhaupt der erste Soldat der
dafür zu sorgen, daß sachdienliche Ausbildungen, Bundeswehr existierte. Wir wissen weiterhin, daß
die es in einer modernen technisierten Armee in die Erfahrungen, die wir seither auf diesem Gebiet
Hülle und Fülle gibt, späterhin auf erforderliche sammeln konnten, zumeist sehr positiv waren, daß
Praktikantenzeiten angerechnet werden. die pessimistischen Stimmen allmählich verstumm-
ten und daß auch eine hier und da noch vorhandene
Meine Damen und Herren, die Durchführung des
Skepsis mehr und mehr zurückging. Ich glaube aber
vorliegenden Gesetzentwurfs bedeutet zweifellos
doch feststellen zu dürfen, daß nunmehr der Zeit-
eine Erhöhung des Ausbildungsstandes der Bundes-
punkt gekommen ist, wo wir diese Diskussion ab-
wehr und damit eine Verstärkung unseres NATO-
schließen könnten. Denn wenn jemand heute noch
Verteidigungsbeitrages. Wir erachten das als not-
nach dem Geist der Bundeswehr skeptisch fragen
wendig und begrüßen diese Maßnahmen.
sollte, dann sollten wir ihn auf Hamburg und die
Damit sich keine falschen Vorstellungen hieran anderen Katastrophengebiete der letzten schweren
anknüpfen, halte ich es für meine Pflicht, darauf Tage hinweisen. In der bewundernswürdigen Hal-
hinzuweisen, daß damit nicht alle wichtigen Pro- tung, welche die Bundeswehr dort an den Tag gelegt
bleme, welche die notwendige Verstärkung der kon- hat — es wurde heute morgen schon davon gespro-
ventionellen Verteidigungskraft der NATO aufwirft, chen —, insbesondere in dem hohen, ja höchsten
gelöst sind; denn zu dem Personalproblem tritt das persönlichen Opfer, das dort von Soldaten der Bun-
Sachproblem hinzu. Ich will damit folgendes sagen: deswehr gebracht wurde, ist die Antwort auf die
auch der beste Ausbildungsstand einer Truppe er- Frage nach dem Geist der Bundeswehr in deutlich-
zielt im Verteidigungsfall nicht die angestrebte Wir- ster und glänzendster Weise gegeben.
kung, wenn nicht dem Soldaten in genügender Menge
(Beifall auf allen Seiten des Hauses.)
und bester Qualität Waffen und Gerät zur Verfü-
gung stehen und der Nachschub entsprechend ge- Dies hier in dankbarer Anerkennung festzustellen,
sichert ist. Das stellt die Verantwortlichen vor hohe ist nicht allein der Wunsch meiner Freunde, sondern
Aufgaben auf dem Gebiet der Infrastruktur, der entspricht wohl der Auffassung des ganzen deut-
Logistik und nicht zuletzt der Standardisierung von schen Volkes.
Waffen und Gerät. Auch diese Fragen sind für das
Leben und Überleben unseres Volkes im Verteidi- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 507

Vizepräsident Dr. Dehler: Noch ein Wort zur Ich glaube, die mit der Sache befaßten Kollegen I
Klarstellung der Behandlung des § 8! Das Haus und hiermHauswncberitvodWahl,
die Bundesregierung sind einverstanden, daß der dem 17. September, einig in der Erkenntnis, daß der
§ 8 in der Fassung des Gesetzes in Kraft bleibt, daß hohe Grad der Technisierung in modernen Streit-
also der Antrag der Bundesregierung auf Änderung kräften zwangsläufig eine Verlängerung der Wehr-
des § 8 zunächst zurückgestellt wird und daß er in dienstzeit erforderlich macht. Die Sachwalter für
Zusammenhang mit dem Antrag der SPD behandelt militärische Fragen in allen Fraktionen haben ihren
wird, den wir schon dem Ausschuß überwiesen ha- Beitrag dazu geleistet, daß dieses Gesetz ohne, ich
ben. Sind wir darin einig? — Bitte, Herr Minister! möchte beinahe sagen, hektische Begleiterscheinun-
gen, wie es bei derart schwierigen Gesetzen manch-
mal der Fall ist, behandelt werden konnte. Ich
Strauß, Bundesminister für Verteidigung: Herr glaube aber, wir sind uns auch alle im Verlaufe der
Präsident! Meine Damen und Herren! Die geschäfts-
Beratungen im Ausschuß klar geworden, daß mit
ordnungsmäßigen Schwierigkeiten lassen sich nach
diesem Gesetz über die Wehrdienstverlängerung
den mir gemachten tiefschürfenden Ausführungen
nicht alle Probleme gelöst worden sind. Der Ent-
wohl nur dadurch beseitigen, daß die Bundesregie-
schließungsantrag der Koalitionsfraktionen auf dem
rung formell die Nr. 3 des Art. II § 1 hiermit zu-
Umdruck Nr. 37 zu diesem Tagesordnungspunkt
rückzieht. Die Folge ist dann, daß bei Verabschie-
spricht einige der verbleibenden Probleme an, über
dung des Gesetzes der § 8 des Wehrsoldgesetzes
die wir uns im Verteidigungsausschuß sicher noch
in der bisher geltenden Fassungerhalten bleibt,
sehr eingehend werden unterhalten müssen.
bis durch die Ausschußbeschlüsse und Parlaments-
beschlüsse eine Neufassung des § 8 in dem heute Ich möchte mich nur auf wenige Feststellungen
diskutierten Sinne möglich wird. beschränken. Wir sind uns bewußt, daß wir den
jungen Männern in unserem Volke eine zusätzliche
Belastung auferlegen. Wir sind uns auch bewußt,
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter daß wir nicht jubelnde Zustimmung zu einer derar-
Erler! tigen Dienstzeitverlängerung erwarten können.
Vielleicht sollten wir sie auch gar nicht wünschen.
Erler (SPD) : Herr Präsident! Herr Minister, es Etwas Ähnliches wie „Wehrbegeisterung" kann sich
bedarf keiner ausdrücklichen Zurückziehung durch in kritischen Zeiten auch sehr negativ auswirken,
die Regierung, sondern die Regierungsvorlage zu wie wir ja aus bitteren Erfahrungen haben lernen
§ 8 ist an den Ausschuß zurückverwiesen. Solange müssen. Wenn wir deutlich zum Ausdruck bringen,
vom Ausschuß nicht eine Vorlage zu einer neuen daß wir uns dieser Belastung für unsere jungen
Beschlußfassung an das Hohe Haus kommt — das Männer durchaus bewußt sind, wenn wir ihnen aber
wird hoffentlich sehr rasch geschehen —, bleibt der ebenso deutlich sageu, daß wir gemeinsam von die-
ser bitteren Notwendigkeit überzeugt sind,- dann
bislang geltende § 8 in Kraft. In der Sache ist das
Ergebnis das gleiche. Aber wenn Sie Ihre Vorlage werden wir die entsprechende, nüchterne, positive
zurückziehen, müßte dem Ausschuß eine neue Vor- Aufnahme in unserer Bevölkerung und bei den Be-
lage überwiesen werden. Die Regierungsvorlage troffenen finden.
ist also noch d m Ausschuß, und wir erwarten, daß Lassen Sie mich noch ein Wort des Bedauerns
sie von dort in der vom Ausschuß zu erarbeitenden darüber sagen, daß Sie heute morgen den Beschluß
Fassung wieder zum Vorschein kommt. des Verteidigungsausschusses, der hier zur Debatte
stand unter dem Stichwort „das Gewehr im
Schrank", abgelehnt haben. Ich glaube, wenn alle,
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Kollege Erler, die diesen Beschluß des Ausschusses abgelehnt
an den Ausschuß zurückverwiesen haben wir den haben, einmal in sich gehen, dann werden sie fest-
Änderungsantrag der SPD auf' Umdruck 24, der zu stellen müssen, daß sie im Grunde genommen einer
einem selbständigen Antrag gemacht worden ist. An sehr ironisierenden Berichterstattung über dieses
sich wäre also immer noch der Antrag der Regie- Problem in der Presse erlegen sind, bevor die jewei-
rung hier im Raum, und darum ist die Erklärung ligen Mitglieder der Fraktionen im Verteidigungs-
des Herrn Ministers richtig. Der Antrag der Regie- ausschuß eigentlich Gelegenheit bekommen haben,
rung wird dann gegenstandslos, wenn man sich über über das sachliche Problem einmal sehr ausführlich
den Antrag der SPD einigt. zu sprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Döring. (Sehr gut! bei der FDP.)
(Abg. Dr. Mommer: Herr Präsident, zur Wir alle werden gelegentlich das Opfer derartiger
Geschäftsordnung! — Abg. Döring [Düssel Stimmungen, die in der Öffentlichkeit erzeugt wer-
dorf] : Bitte! — Heiterkeit. — Zuruf: Soviel den. Die Bitte, die heute morgen schon von den Für-
Courtoisie heute!) sprechern für den Vorschlag des Verteidigungsaus-
schusses vorgetragen wurde, möchte ich wieder-
— Das Wort hat der Abgeordnete Döring. holen: Haben Sie in der Zukunft, wenn ein ähnlicher
Fall noch einmal auftauchen sollte, das gleiche Ver-
Döring (Düsseldorf) (FDP) : Herr Präsident! trauen zu Ihren Sachwaltern im militärischen
Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Bereich, wie Sie e s zu Ihren Sachwaltern in ande-
Freien Demokratischen Partei möchte ich hier zur ren politischen Bereichen haben.
dritten Lesung des Gesetzes unsere Zustimmung Meine Damen und Herren, die Verantwortung für
zum Ausdruck bringen. die .Durchführung dieses Gesetzes obliegt dem Mini-
508 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Döring (Düsseldorf)
sterium und unseren Streitkräften. Wir sind über- Lösung wäre die Umstellung unserer der NATO un-
zeugt, daß dieses Gesetz dazu beitragen wird, die terstellten mobilen Feldverbände ausschließlich auf
Qualität und die Schlagkraft unserer Streitkräfte länger dienende Freiwillige und Berufssoldaten.
zu erhöhen. Wir wissen, welche Aufbauleistung in Erst dann bliebe der Aufwand an Zeit und Kosten
der Vergangenheit unter schwierigsten Umständen für die Ausbildung auf längere Zeit der Truppe er-
in unseren Streitkräften vollbracht werden mußte, halten. Es ist aber nicht zu bestreiten, daß eine
und wir sind überzeugt, daß diese Gesetzesentschei- solche Umstellung unter den derzeitigen Umständen
dung dazu genutzt werden wird, im Sinne dieses nicht durchführbar ist. Dennoch sollten größere An-
Hauses zu wirken mit dem Ziel, unsere Verteidi- strengungen unternommen werden, um den Anteil
gungsbereitschaft zu erhöhen und zu verbessern. an Freiwilligen in den Divisionen der Bundeswehr
möglichst zu erhöhen und so der militärisch wirk-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) samsten Lösung allmählich näherzukommen.
(Sehr gut! bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Abgeordnete Erler. Die Länge des Grundwehrdienstes bringt für
einen großen Teil unserer männlichen Jugend er-
hebliche Härten mit sich. Unser ganzes Volk muß
Erler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver- die Bereitschaft unserer jungen Staatsbürger aus-
ehrten Damen und Herren! Im Namen der sozial-
drücklich anerkennen, ihre Pflicht für die Sicherung
demokratischen Bundestagsfraktion habe ich fol-
unseres Landes und die Freiheit seiner Bewohner
gende Erklärung abzugeben: Der Bundestag hat
unter schwierigen Umständen und großen Anstren-
heute zu einer leider notwendigen militärischen Ein-
gungen zu erfüllen. Dann muß es aber auch unsere
zelmaßnahme Stellung zu nehmen. Bei der Beurtei-
Aufgabe sein, die dabei auftretenden Härten nach
lung muß er auch die Ereignisse berücksichtigen, die
besten Kräften zu mildern.
mit der Errichtung der Schandmauer in Berlin am
13. August des vergangenen Jahres zusammenhän- (Beifall bei der SPD.)
gen. Sowjetische Gewaltpolitik hat unsere Haupt- Eine vollständige Beseitigung der Härten ist nicht
stadt gespalten und versucht weiterhin, durch Dro- möglich. Die sozialdemokratischen Anträge dienten
hungen aller Art die übrige Welt einzuschüchtern dem Zweck, sie so weit wie nur möglich zu mildern.
und jede Hoffnung auf eine freiheitlichere Entwick- Wir bedauern, daß diesen Anträgen nur teilweise
lung für unsere Landsleute in Mitteldeutschland zu ein Erfolg beschieden gewesen ist. Wir hätten es
ersticken. vor allem begrüßt, wenn man schon heute beschlos-
In dieser Lage muß sich die Bundesrepublik sen hätte, den jungen Wehrpflichtigen durch eine
Deutschland ihrer Verpflichtungen im westlichen beträchtliche Erhöhung des Entlassungsgeldes we-
Bündnis bewußt sein und die feste Verbundenheit nigstens teilweise einen Ausgleich gegenüber den-
ihrer Partner mit den Lebensinteressen des deut- jenigen jungen Staatsbürgern zu geben, die sich
schen Volkes sichern. Dazu gehört die präzise Er- ohne Ableistung des Heeresdienstes in der gleichen
füllung eingegangener vertraglicher Verpflichtun- Zeit im Berufsleben befinden und Ersparnisse zur
gen. Ohne die heute erörterte Verlängerung des Familiengründung machen können. Wir hoffen, daß
Grundwehrdienstes ist die Bundesrepublik Deutsch- die Beratung unserer dem Verteidigungsausschuß
land derzeit nicht imstande, den von ihr zugesagten nochmals überwiesenen Anträge bald zu einem posi-
Beitrag zum atlantischen Bündnis in dem vereinbar- tiven Beschluß führt.
ten Umfang und dem vorgesehenen Ausbildungs- Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt,
und Bereitschaftsstand zu leisten. obwohl manche Wünsche offengeblieben sind, aus
Die für die Sicherheit auch unseres Landes und Gründen politischer Notwendigkeit und militärischer
unserer Hauptstadt im vergangenen Jahr zusätzlich Zweckmäßigkeit der Verlängerung des Grundwehr-
von unseren Verbündeten, insbesondere von den dienstes zu. Darin ist aber keine Billigung der Ge-
Vereinigten Staaten von Amerika, auf sich genom- samtpolitik der Bundesregierung auf dem Gebiet der
menen höheren Anstrengungen müssen von uns da- Landesverteidigung enthalten.
durch anerkannt werden, daß wir das mögliche tun, (Beifall bei der SPD.)
um die Vertragspflichten der Bundesrepublik
Deutschland getreulich zu erfüllen. Die dadurch und Wir beklagen, daß die Bundesregierung dem Hohen
durch die Bemühungen unserer Verbündeten er- Hause immer noch kein umfassendes Gesamtkonzept
ihrer Vorstellungen auf dem Gebiete der Vertei-
reichte Stärkung der herkömmlichen Streitkräfte des
westlichen Bündnisses ist um so notwendiger, als digung vorgelegt hat, das insbesondere auch eine
nur eine solche Stärkung der herkömmlichen Kampf- angemessene Berücksichtigung des Schutzes der zivi-
len Bevölkerung und des Aufbaus der Territorial-
kraft imstande ist, den Westen von der furchtbaren
Alternative zu erlösen, in jedem Konfliktfall nur verteidigung zu enthalten hätte.
zwischen Kapitulation und atomarem Selbstmord (Beifall bei der SPD.)
wählen zu können. Die Abwehrbereitschaft des Wir sind auch davon überzeugt, daß die militä-
Westens wird erst dann für einen Gegner wieder rischen Anstrengungen nur eine Seite der Frie-
voll glaubwürdig, wenn wir über eine breitere denssicherung sind und daß ihnen ein ernsthaftes
Skala von Abwehrmöglichkeiten verfügen. Ringen um jeden möglichen Schritt zur kontrollier-
In diesem Sinne ist die vorgesehene Maßnahme ten Begrenzung der Rüstungen auf der anderen Seite
militärisch zweckmäßig. Eine noch zweckmäßigere entsprechen muß. Die Politik der Bundesregierung
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 509
Erler
ist bisher noch nicht auf die Erkenntnis dieses Zu- liegt, möchten wir Ihre Zustimmung dazu erbitten,
sammenhanges eingestellt. daß die Bundesregierung beauftragt wird, im Ver-
Die Bundesrepublik Deutschland muß einen fairen teidigungsausschuß darüber zu berichten, wie sie
Anteil an den Lasten der gemeinsamen Verteidigung sich insbesondere bei der Gestaltung des staats-
im westlichen Bündnissystem auf sich nehmen. An- bürgerlichen Unterrichts die Mitwirkung aller der-
ders ist das Vertrauen ihrer Partner und damit jenigen unseren Staat mittragenden Kräfte denkt,
deren Unterstützung für die Lebensfragen des deut- die der derzeitigen Regierungskoalition nicht an-
,

schen Volkes nicht zu bewahren. Die Bundesrepublik gehören.


Deutschland muß dabei eine natürliche Grenze Der Bundesminister der Verteidigung, Herr
sehen. Sie darf sich nicht ehrgeizig in den Vorder- Strauß, hat bei der ersten Lesung des Gesetzent-
grund drängen und damit das Gleichgewicht inner- wurfs, den wir soeben in der dritten Lesung mit
halb des Bündnisses gefährden. Es gibt im Bündnis so großer Mehrheit verabschiedet haben, zu dieser
aus den verschiedensten Ursachen und bei den ver- Frage einige Ausführungen gemacht, wenn er auch
schiedensten Anlässen leider allzuviel an Spannun- nicht auf die Mitwirkung derjenigen demokrati-
gen und gegenseitigem Mißtrauen. Die deutsche schen Kräfte eingegangen ist, die zur Zeit nicht der
Politik darf diesem Mißtrauen keine Nahrung geben Regierungskoalition angehören. Ich darf vielleicht
und damit auch keine Vorwände für die Mißdeutung noch einmal den entscheidenden Satz in Ihre Erin-
ihrer Absichten durch andere schaffen. nerung rufen und mit Genehmigung des Präsidenten
aus dem Protokoll zitieren.
Vorstöße des Verteidigungsministers im Allein-
gang wie im letzten Dezember in Paris, mit atoma- Herr Strauß führte aus:
ren Forderungen, welche die Verbündeten dort über- In diesem Zusammenhang
raschten, dienen nach unserer Überzeugung weder
den Interessen der Bundesrepublik noch denen des — also im Zusammenhang mit der Einführung der
westlichen Bündnisses. 18 Monate Grundwehrdienst —
(Beifall bei der SPD.) wird auch mehr Zeit für die geistige Rüstung
der Soldaten, auch für die staatspolitische Bil-
Wir richten noch einmal eine Mahnung an die dung und für die Vermittlung der Grundsätze
Bundesregierung: In einer Zeit, in der neue Ministe der inneren Führung und ihrer erlernbaren
Praxis — nicht alles auf diesem Gebiet -rientsh,mdeuStlnafor- ist er-
gen verbunden sind, und in der der Verteidigungs- lernbar — verwendet werden können.
aufwand nicht unerheblich steigt, sollte man endlich
innerhalb der Bundesregierung Vorkehrungen dafür So weist es das Protokoll der 11. Sitzung auf Seite
treffen, daß eine ausreichend besetzte Einrichtung 265 aus. Ich bin dankbar, Herr Minister Strauß, für
vorhanden ist, welche die Abrüstungsdiskussion in den Hinweis, daß die Grundsätze der inneren Füh-
der Welt ernsthaft verfolgen und einen deutschen rung beibehalten werden. Das deutet nämlich dar-
geistigen und politischen Beitrag dazu vorbereiten auf hin, daß auch Sie der Überzeugung sind, die
kann. Sicherheitsvorkehrungen allein sind kein innere Führung habe sich bewährt. Ich will darauf
Ersatz für Politik. Abrüstungsdiskussionen dürfen verzichten, auf gehässige Kommentare aus Zeitun-
aber auch kein Vorwand dafür sein, das Notwendige gen und dergleichen einzugehen — darüber besteht
an militärischen Anstrengungen zu unterlassen, so- ja Einmütigkeit —, doch leider hängt die Möglich-
lange keine wirksam kontrollierten Vereinbarungen keit eines besseren staatsbürgerlichen Wissens
zustande gekommen sind. nicht ausschließlich von der Dienstzeit ab.

Wir sehen beide Seiten des Gesamtproblems. Wir Ich will zum Beweis dafür, daß das nicht von der
fordern deshalb vermehrte Anstrengungen für den Dienstzeit abhängt, eine Zeitung zitieren, die über
notwendigen politischen Beitrag und stimmen der einen Besuch von Eltern und Bundestagsabgeord-
neten bei der Truppe in Koblenz berichtet. Bei die-
militärisch notwendigen Einzelmaßnahme des heu-
sem Besuch wurde auch ein Kompagniechef-Unter-
tigen Tages zu.
richt vorgeführt mit dem Thema: „Wofür dienen
(Beifall bei der SPD.)
wir?" Der Bericht stammt aus dem „Mannheimer
Morgen" vom Sonnabend, dem 15. Oktober 1960.
Vizepräsident Dr. Dehler: Änderungsanträge Das ist ein relativ alter Bericht, aber dieses Pro-
liegen nicht vor. blem ist ohnehin schon älter und wird uns immer
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer der wieder beschäftigen, so daß es nicht so sehr darauf
Vorlage in der Fassung der Beschlüsse in zweiter ankommt, welches Datum die Zeitung trägt. Dort
Lesung zustimmt, möge sich erheben. — Gegen- heißt es wörtlich:
probe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit gro- Auf das gegebene Stichwort
ßer Mehrheit bei Gegenstimmen angenommen.
— nämlich Idas Stichwort: „Wofür dienen wir?" —
Ich rufe auf den Entschließungsantrag der Frak-
tion der SPD auf Umdruck 25. Der Antrag wird be- folgt wie aus dem MG 42 geschossen die Ant-
gründet durch den Herrn Abgeordneten Berkhan. wort: Wir dienen, um das Vaterland zu ver-
Ich gebe ihm das Wort. teidigen.
Militärisch knapp — stark vereinfachender Kurz-
Berkhan (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge- kurs im staatsbürgerlichen Bewußtsein! Nun, Herr
ehrten Damen! Meine Herren! Mit unserem Ent- Bundesminister, ich halte nichts von knapper mili-
schließungsantrag, der Ihnen auf Umdruck 25 vor- tärischer Form bei der Erziehung und Heranbildung
510 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Berkhan
staatsbürgerlichen Bewußtseins. Ich würde befürch- Sie sollten vor Damen und Herren dieses Hauses
ten, daß eines Tages diese Nervensäge MG 42 fol- Respekt haben, die sich ihre Haltung sehr ernst-
genden Satz herausschießt: Sozialdemokraten gleich haft überlegt haben und nun einmal aus politischer
Sozialismus, Sozialismus gleich Bolschewismus — ab- Erwägung und nicht aus irgendwelcher Ablehnung
zulehnen! Ich halte also nichts von solcher Kurz- der Landesverteidigung schlechthin eine andere Auf-
form, und ich muß sagen, mit pädagogischen Grund- fassung haben als die Mehrheit dieses Hauses. Sie
sätzen hat das sehr wenig zu tun. sollten bei Zwischenrufen etwas vorsichtiger sein,
Es wäre auch nicht so schlimm, weil man nie Herr Majonica. Ich kenne in meiner Fraktion eine
genau weiß, was die Journalisten aus so einer Zu- ganze Menge Freunde, die aus sehr wahlüberlegten,
sammenkunft berichten. sachlichen Gründen einer Verlängerung des Grund-
wehrdienstes nicht zustimmen konnten. Ich weiß
sogar, daß einige Argumente, die diese Damen und
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordne- Herren mir gegenüber vorgebracht haben, nicht von
ter Berkhan, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ihnen selbst stammen, sondern daß sie diese Argu-
Herrn Abgeordneten Dr. Seffrin? mente bei Freunden und Kollegen Ihrer 'Fraktion
gehört und zur Kenntnis genommen haben.
Berkhan (SPD) : Aber selbstverständlich, Herr
Präsident. Ich darf mein Thema wieder aufnehmen. Man
muß Demokraten ständig und wieder und wieder
erziehen. Ein Mittel dieser Erziehung ist der staats-
Dr. Seffrin (CDU/CSU) : Lieber Kollege Berkhan, bürgerliche Unterricht, ist die Unterweisung nicht
haben Sie die Richtigkeit dieser Zeitungsmeldung nur in 'der Schule, in der Jugendvereinigung, son-
so nachgeprüft, daß Sie Ihre Ausführungen im Bun- dern eben auch in der Bundeswehr. Der Bundes-
destag darauf aufbauen können? minister hat gesagt, was die Regierung darüber
denkt. 'Mein Freund Fritz Erler nahm in der gleichen
Berkhan (SPD) : Herr Kollege Dr. Seffrin, ich Sitzung den Gedanken auf und stellte dabei die
wünschte mir, daß bei anderen Zitaten aus Zeitun- Frage nach der Gestaltung des Unterrichts. Er stellte
gen dieser Grundsatz auch immer berücksichtigt die Frage, ob nicht alle demokratischen Kräfte mit-
würde. wirken sollten.
(Zurufe von der CDU/CSU: Ach! — Ja, ja!) Warum sollen alle demokratischen Kräfte mitwir-
ken?
Ich habe hier in dieserBeziehung einige Male Ge-
wisses erlebt. Aber Sie haben meinen letzten Satz (Zuruf.)
nicht zu Ende gehört, Sie haben mich unterbrochen. — Das mit dem Prost ist ein alter Witz, Sie müssen
Gerade war ich dabei zu sagen, ich würde dieser sich schon einmal etwas Neues einfallen - lassen.
Sache nicht allzu viel Bedeutung beimessen, weil Aber immerhin, wenn Sie so freundlich sind, sage
ich nicht weiß, ob der Journalist, der diesen Artikel ich wieder „Prost". — Mein Freund Fritz Erler sagte,
verfaßt hat, nun auch wirklich so korrekt und sauber alle demokratischen Kräfte sollten mitwirken, damit
berichtet, wie es eigentlich der Sache angemessen die Bundeswehr immer weiß, daß sie zu den demo-
wäre. Aber die Zeitung zitiert dann den Presse- kratischen Teilen unseres Volkes ein gutes Verhält-
offizier der Einheit wörtlich. Ich babe mich dessen nis haben muß. Dem dient unser Antrag.
vergewissert, daß der Presseoffizier bei dieser Zei-
tung niemals Einspruch dagegen erhoben hat. Es Solche Bemühungen sind bei uns nicht neu. Be-
heißt dort: reits im Dezember des Jahres 1960 ist ein Brief an
den Minister gerichtet worden, in dem der Vor-
Der Presseoffizier wünscht sich: Wir sind nicht schlag enthalten war, in den „Informationen für die
dazu da, Demokraten zu erziehen. Wir wollen Truppe", den Heften, die monatlich für die Hand
Demokraten geliefert haben und sie dann zu des Kompaniechefs und der Kommandeure erschei-
Verteidigern der 'Demokratie machen. nen, eine Beilage unterzubringen, in der die Par-
Herr Dr. Seffrin, Sie sind wie ich Lehrer. Sie wissen teien sich selbst darstellen. Hier könnten die Par-
ganz genau, Demokraten kann man nun einmal teien z. B. zu irgendeiner kontroversen Frage, die
nicht wie Stiefel auf der Kammer empfangen. Die gerade im Parlament behandelt wird, von sich aus
werden nicht geliefert. Demokraten zu erziehen und Stellung nehmen. Die Verantwortung für den Inhalt
ständig bei der Stange zu halten, ist vielmehr ein dieser Beiträge läge natürlich nicht beim Bundes-
sehr mühseliges und sehr schwieriges pädago- ministerium der Verteidigung, sondern selbstver-
gisches Unternehmen; es ist eine Daueraufgabe. ständlich bei den Parteien. Herr Strauß hat sowohl
vor als auch nach dem Brief mit Fritz Erler über
(Abg. Majonica: Das haben wir soeben bei diese Frage gesprochen, und er hat darauf hinge-
der Abstimmung gesehen, daß das schwie wiesen, daß die Entscheidung beim Kabinett liege,
rig ist!) daß er sie nicht allein treffen könne. Meine Damen
— Sicher, Herr Kollege Majonica, aber die Freiheit und Herren, wir schreiben das Jahr 1962, und noch
der Abstimmung gilt eben nicht nur für den Kolle- immer liegt keine Entscheidung in dieser Frage vor.
gen Bausch und seine Freunde, sondern sie gilt Wir Sozialdemokraten sind nun einmal der Mei-
auch für meine Freunde in der deutschen Sozial- nung, daß alle Parteien, auch die CDU/CSU und die
demokratischen Partei. FDP, sich selber besser darstellen können, als es
(Beifall bei der SPD.) durch andere geschehen könnte. Die Gewichtigkeit
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 511
Berkhan
der Argumente und die Auswahl des gedruckten einer etwas Besonderes unternimmt. Wie spielt 1
oder gesprochenen Wortes muß man schon den mandieW?Mholtsiezur-
Parteien selbst überlassen; man kann sie nicht über- arbeit heran!
tragen auf Beamte, Offiziere oder Angestellte, die Ich spreche hier für eine Fraktion, die über die
von sich aus im Ministerium die Auswahl vor- ernsten Fragen der staatsbürgerlichen Unterwei-
nehmen. sung und Unterrichtung keine Witze macht und die
Ob die Auswahl immer glücklich ist, sei dahin- auch nicht abseits stehen will, sondern die sich an-
gestellt. Die „Information für die Truppe" ist ja bietet, mitzuhelfen, unsere Soldaten zu guten demo-
kürzlich im Westdeutschen Rundfunk einer sehr kratischen Staatsbürgern zu machen. Aber der
harten Kritik unterzogen worden. Ich will meine Grundsatz, alle zu beteiligen, alle heranzuziehen,
Redezeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. alle teilhaben zu lassen an dieser wichtigen Auf-
Daher möchte ich nur auf diese Sendung verwei- gabe, gilt hier noch mehr als bei 'der Informations-
sen. Ich würde mich freuen, wenn wir im Ausschuß ecke. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, unserem
einmal eine Stellungnahme des Ministeriums zu Entschließungsantrag zuzustimmen.
dieser Sendung bekommen könnten. (Beifall bei der SPD.)
Ich will Sie aber doch mit der „Information für
die Truppe" Nr. 12/61 — also einer verhältnismäßig Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
neuen Nummer — bekanntmachen. In dieser Schrift Abgeordnete D r. Kliesing.
wird unter der Überschrift „Alle Kräfte zusammen-
fassen" der Teil aus der Regierungserklärung der Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Herr Präsi-
Bundesregierung vom 29. November 1961 abge- d ent! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ver-
druckt, der sich mit den Fragen der Landesverteidi- teidigungsausschuß häufiger die Gelegenheit gehabt,
gung befaßt. Dem Heft ist gleichzeitig „Der Weg in uns über die Fragen des staatsbürgerlichen Unter-
die Zukunft" — das war die Rede des Verteidi- richts in der Bundeswehr und über die staatsbürger-
gungsministers Strauß vor der Georgetown Univer- liche Unterrichtung der Bundeswehr zu unterhalten.
sity in den USA vom 27. November 1961 — bei- Deshalb steht ,dem nichts im Wege, daß wir diese
gelegt. Ohne Frage ist die Regierungserklärung Unterhaltung im Verteidigungsausschuß fortsetzen,
und ist der Teil, der sich mit der Landesverteidi- und ich könnte mir vorstellen, daß ein Bericht der
gung befaßt, eine sehr wichtige Sache, wert, in die- Bundesregierung eine recht brauchbare Diskussions-
ser Schrift abgedruckt zu werden und zur Kenntnis grundlage abgeben würde. Soweit haben wir nichts
der Soldaten zu kommen. Aber, meine Damen und gegen die Überweisung an den Ausschuß. Damit
Herren, wenn ich dann das Heft weiter durchblät- aber keine Mißverständnisse entstehen, möchte ich
tere, finde ich kein Wort darüber, was die anderen doch folgendes zur Klarstellung sagen.
Parteien oder was gar die Opposition zu dieser Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat in
Frage gesagt hat. Das ist doch eine Schlagseite, die der Vergangenheit und auch in der Gegenwart in
— so meine ich jedenfalls mit meinen Freunden — sehr großzügiger Weise den Parteien gestattet, daß
nicht dazu beitragen kann, eine ordnungsgemäße ihre Abgeordneten in Stadt und Land und Bund in
staatsbürgerliche Unterrichtung, viel weniger eine die Kasernen gingen, dort ihr politisches An-
ordnungsgemäße staatsbürgerliche Bildung zu ge- liegen vertraten und mit den Soldaten diskutierten.
währleisten. In der gleichen großzügigen Weise hat die Sozial-
Ich weiß, es sind nicht die Parteien allein, die demokratische Partei bis zum heutigen Tage davon
diese Demokratie gestalten. Sie wirken auch nur an Gebrauch gemacht. Ich glaube also, insofern ist es
der politischen Meinungsbildung mit. So will es das völlig unberechtigt, hier von einer Einseitigkeit oder
Grundgesetz. Aber sie wirken eben überall an der von einem Trend zur Einseitigkeit zu sprechen.
politischen Meinungsbildung mit, und aus diesem Ich möchte aber noch auf ein anderes hinaus, da-
Grunde sollte man sich überlegen, ob es nicht für mit, wenn wir dem Überweisungsantrag zustimmen,
alle Teile, für die Regierungsmehrheit, für die daraus keine falschen Schlüsse gezogen werden. Ich
Opposition, aber auch für die Bundeswehr, für die möchte sagen, daß das Beispiel vom „Mannheimer
Soldaten, besser ist, wenn innerhalb dieses staats- Morgen", das hier vorgetragen wurde, vielleicht
bürgerlichen Unterrichts wirklich alle Kräfte dieses in Ordnung und richtig sein mag; das will ich nicht
Staates zum Tragen kommen. bestreiten. Ich habe aber selbst wiederholt nament-
lich junge Offiziere im staatsbürgerlichen Unterricht
Wenn Sie über unseren Entschließungsantrag ab- der Truppe erlebt, die einen derart qualifizierten
zustimmen haben, dann würde ich Sie bitten, den Unterricht erteilt haben und so sehr mit dem Herzen
Grundsatz zu beherzigen, den die „Information für dabei waren, daß man sie gern anderen Trägern
die Truppe" selbst zu einer solchen Frage aufge- staatsbürgerlicher Erziehung als Musterbeispiel vor-
stellt hat. In dem Heft Nr. 6/61 beschäftigt sich ein geführt hätte.
Hauptmann Schulz mit der Frage der Informations-
ecke. Am Schlusse gibt er dann einen sehr netten (Beifall bei der CDU/CSU.)
Hinweis für diejenigen, die abseits stehen, die gar Man soll also aus einem Einzelfall, der in einem
hämische Bemerkungen machen, und er erklärt Zeitungsbericht enthalten ist, nicht verallgemeinern.
dann: Aber das Prinzipielle, um das es hier geht, ist
Und hier noch ein bewährter Trick: Es gibt doch wohl dies: daß der Bundesminister für Vertei-
immer ein paar, die zuerst Witze machen, wenn digung auf dem Dienstwege bestimmt hat, welche
512 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Kliesing (Honnef)
Truppenführer für die staatsbürgerliche Unterrich- gründen. Wir wollen mit diesem Antrag die Bundes-
tung verantwortlich sind. Wir möchten es unter regierung, also das Verteidigungsministerium,
gar keinen Umständen sehen, daß daran etwas ge- beauftragen, umgehend zu prüfen, ob der Verpfle-
ändert wird in idem Sinne, daß der staatsbürgerliche gungssatz von 2,75 DM täglich für die Wehrpflichti-
Unterricht in der Truppe, der ein Teil des Dienst- gen in den Ausbildungseinheiten der Grundausbil-
planes ist, aus der Hand der dazu bestellten Trup- dung ausreichend ist. Es soll auch überprüft werden,
penführergenommen und in die Hand von irgend- wie und auf welche Weise in den Einheiten der Bun-
welchen Parteipolitikern außerhalb der Kasernen deswehr bei Einkauf, Zubereitung und Ausgabe der
gelegt ,würde, ganz gleich, woher sie kommen. Verpflegung gewonnene gute Erfahrungen allen
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) Truppenteilen zugänglich gemacht werden können.
Das möchte ich zur Klarstellung hier sagen, damit Bei unseren Truppenbesuchen konnten wir fest-
unsere Zustimmung nicht mißverstanden wird. stellen, daß die Meinungen in den einzelnen Einhei-
ten über die Verpflegung hinsichtlich der Qualität,
(Beifall bei der CDU/CSU.) Menge und Geschmack sehr unterschiedlich sind. In
einzelnen Standorten sind die Urteile darüber sogar
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der sehr ungünstig, und vor allen Dingen dort, wo es
Abgeordnete Schultz. sich um junge Wehrpflichtige handelt, die darüber
sehr klagen; denn die Umstellung vom Zivilleben
Schultz (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ver- auf die militärische Ausbildung verlangt von den
ehrten Damen und Herren! Dieses Thema ist, glaube Rekruten große körperliche Anstrengungen, vor
ich, außerordentlich diffizil; man kann sehr viel allen Dingen, wenn sie aus Berufen kommen, die
darüber sagen, auch über das, was Herr Kollege keine so großen körperlichen Strapazen erfordert
Berkhan soeben zur Begründung gesagt hat. Des- haben. Wir wissen alle, die Grundausbildung ist
wegen meine ich, daß wir diese Diskussion hier eine harte Zeit. Die jungen Wehrpflichtigen müssen
nicht ausweiten können, sondern sie im Ausschuß vielen Belastungen ausgesetzt werden. Das erfordert
fortsetzen sollten. Das ist wohl auch Ihre Meinung. nicht nur Nerven, sondern auch gute und ausrei-
chende Verpflegung. Wir würden es am liebsten
Nur eine Bemerkung zu dem, was Sie aus dem
sehen, wenn man für die Ausbildungseinheiten
„Mannheimer Morgen" zitiert haben. Lieber Kol-
eigene Küchen einrichtete und den besonderen Um-
lege Berkhan, ich kann den Presseoffizier wehr gut
verstehen. Er hat — nach dem, was Sie berichte- ständen angepaßte Speisepläne erstellte. Das ist aus
ten — gesagt: „Ich will die Demokraten geliefert den verschiedensten Gründen jetzt nicht möglich.
bekommen und habe sie praktisch nur im Dienst Wir erkennen das auch an. Aber es muß geprüft
auszubilden." Ich kann mir gut vorstellen, warum werden, ob nicht eine tägliche Zusatzverpflegung,
er das gesagt hat. Er hat das deswegen gesagt, weil die vor allen Dingen aus Obst, Milch und anderen
er nicht in den Verdacht geraten will, daß er viel- vitaminreichen Nahrungsmitteln besteht, ausgege-
leicht einer von diesen schrecklichen Menschen sei, ben werden kann. Sollte dabei der Tagesverpfle-
die die Bundeswehr noch als „Schule der Nation" gungssatz nicht ausreichen, müßten wir sobald wie
betrachteten., nur möglich diesen Satz erhöhen.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) Es gibt aber in der Bundeswehr auch sehr findige
Küchenleiter, die mit Hilfe des Küchenausschusses,
Gegen diesen Vorwurf, der da vielleicht gemacht der Standortkommandanturen auf dem Gebiete des
werden könnte, wollte er sich wohl abschirmen. Ich Einkaufes Hervorragendes leisten. Bei ihnen spielt
glaube, wenn man mit dem Mann persönlich spricht neben dem Geld auch das Organisationstalent eine
und nicht über einen Journalisten und nicht über große Rolle. Sie verpflegen ihre Einheit ausgezeich-
den „Mannheimer Morgen", wird man wahrschein- net. Wir sind der Meinung, daß die preiswerten
leich auch mit ihm klarkommen. Vielleicht wird im Einkaufsquellen viel besser genutzt werden müssen.
Verteidigungsausschuß unter uns zu besprechen Natürlich gibt es nicht überall einen Großmarkt für
sein, wie man das machen kann. Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst, aber die Wehr-
(Beifall bei der FDP und in der Mitte.) bereichsverpflegungsämter und die Standortkom-
mandanturen sollten in diesen Fragen den Einhei-
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir stimmen dann ten, die weit von großen Einkaufszentren entfernt
ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der sind, mehr Unterstützung zukommen lassen, damit
SPD, in diesen Einheiten der Speiseplan abwechslungsrei-
(Zurufe: Überweisung an den Ausschuß!) cher gestaltet werden kann. Wir halten es für erfor-
derlich, daß ein besserer — und zwar regelmäßi-
— Der Antrag soll an den Ausschuß für Verteidi- ger — Erfahrungsaustausch zwischen Truppe und
gung überwiesen werden. — Einverständnis; es ist Verwaltung in den Verpflegungsfragen eingeleitet
s o beschlossen. wird. Dieser Vorschlag würde viel dazu beitragen,
Dann rufe ich den Entschließungsantrag der Frak- die gute Stimmung in mancher Einheit zu erhöhen.
tion der SPD Umdruck 26 auf und erteile dem Herrn Das Ministerium sollte auf höchster Ebene viel mehr
Abgeordneten Herold das Wort zur Begründung. als bisher diese Ergebnisse zusammenfassen, aus-
werten und den Verantwortlichen in der Truppe
Herold (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und und der Verwaltung zur Kenntnis bringen.
Herren! Ich darf den Entschließungsantrag der so- Einige meiner Kollegen aus dem Verteidigungs-
zialdemokratischen Fraktion auf Umdruck 26 be- ausschuß werden mir entgegenhalten, daß die Fra-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 513
Herold
gen der Verpflegung doch gar nicht so wichtig sind. 2,75 DM ausreichend ist, auch ausreichend dafür,
Ihre Erfahrungen werden vielleicht in eine andere den sogenannten Rekrutenhunger zu stillen. Sie er-
Richtung gehen, wahrscheinlich in Richtung der ge- innern sich, daß der Verteidigungsausschuß vor
füllten Abfalltonnen in einzelnen Kasernen. Aber, einiger Zeit eigens eine Kommission im ganzen
meine Herren Kollegen, ich bin der Meinung, nicht Bundesgebiet herumgeschickt hat mit dem Auftrag,
immer sind die Lebensmittel in der Abfalltonne eine sich mit der Verpflegung der Truppe zu beschäfti-
Anklage gegen die Teilnehmer an der Gemein- gen. Ich glaube, die Feststellungen, die damals ge-
schaftsverpflegung. Es kommt hier sehr auf die Qua- troffen worden sind, sind auch heute noch gültig.
lität der ausgegebenen Speisen an. Aber auch die Wir kennen die Schmerzen hinsichtlich des Man-
Geschmacksrichtungen sind ja landsmannschaftlich gels an ausgebildeten Köchen und sollten sie ruhig
sehr verschieden. Das sollte bei der Beurteilung die- auch im Ausschuß noch einmal besprechen. Ich
ser Mißstände berücksichtigt werden. glaube ; in diesem Punkte — das werden wir im Aus-
Noch ein anderer Punkt erscheint mir in diesem schuß sehen — müßten wir wohl gewisse Änderun-
Zusammenhang wichtig. Bei den Streitkräften an- gen treffen. Auf der anderen Seite glauben wir aber
derer Länder wird die Essenausgabe grundsätzlich nicht, daß die Abfälle, die so in die Tonne wandern,
anders vorgenommen. Jeder Soldat kann sich seine nur deshalb dorthin wandern, weil man dem indivi-
Speisen selbst nehmen; Fleisch-, Wurst- und Butter- duellen Geschmack nicht immer Rechnung trägt, son-
portionen und einiges andere sind davon selbstver- dern daß da auch noch andere Gründe vorhanden
ständlich ausgenommen. Aber alle anderen Speisen sind.
kann er in der Menge nehmen, die er für sich für Kurzum, dieser Antrag gibt uns Anlaß, im Ver-
ausreichend hält, und er kann jederzeit nachfassen. teidigungsausschuß die Dinge wiederum zu bespre-
Das scheint uns eine sehr gute Lösung zu sein, die chen, zu sehen, ob sich seit der ersten Jahreshälfte
andererseits zur Sparsamkeit beiträgt. Wir sind 1960 etwas verschlechtert hat, ob inzwischen ge-
überzeugt, daß dadurch nicht so viel in die Abfall- wisse Dinge, die wir damals auf Grund der Reise in
tonne wandert wie bisher. Wir bitten das Ministe- die einzelnen Standorte angeregt haben, durchge-
rium, einmal in dieser Richtung Versuche einzu- führt worden sind, ob sich dieses und jenes gebes-
leiten. sert hat. Die CDU stimmt deshalb der Überweisung
Im Zusammenhang mit der Verpflegungsfrage Ihres Entschließungsantrages an den Verteidigungs-
darf ich noch auf einen, wie mir scheint, wichtigen ausschuß zu.
Punkt hinweisen. Uns ist bekannt, daß ein großer
Mangel an zivilem und militärischem Küchenperso- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich darf das Ein-
nal besteht; ich meine damit nicht in erster Linie verständnis ,des Hauses damit feststellen, daß der
die Hilfskräfte. Das Ministerium sollte bei den Teil- Entschließungsantrag der SPD auf Umdruck 26 dem
streitkräften darauf hinwirken, daß die Ausbildung Ausschuß für Verteidigung überwiesen wird.
von Feldköchen beschleunigt wird und umfassender
geschieht. Denn dadurch wird auch eine Lücke in Ich rufe den Entschließungsantrag der SPD auf
der Versorgung der Soldaten geschlossen. Umdruck 27 auf. Er wird begründet vom Abgeord-
neten Eschmann.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren,
waren einige Gedanken zu unserem Antrag. Ich Eschmann (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie unserem Antrag zu- und Herren! Der von mir zu begründende Entschlie-
stimmten und ihn an den Verteidigungsausschuß ßungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 27 hat
überwiesen. folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung wird beauftragt,
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
zu prüfen, für welche Einheiten der Bundes-
Abgeordnete Dr. Seffrin.
wehr, insbesondere der territorialen Verteidi-
gung, ein verkürzter Grundwehrdienst bis zu
Dr. Seffrin (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine 12 Monaten zureichend und zweckmäßig ist,
Damen und Herren! Wir haben bestimmt genauso und hierüber dem Verteidigungsausschuß zu
viel Interesse daran wie die Kollegen von der So- berichten.
zialdemokratischen Partei, daß unsere Soldaten gu-
tes und ausreichendes Essen bekommen. Wir sind Die Begründung des Antrags wird demnach weni-
auch damit einverstanden, daß dieser Antrag dem ger politischer, als vielmehr militärtechnischer Natur
Ausschuß zur weiteren Bearbeitung überwiesen sein. Ich beziehe mich bei dieser Begründung auf
wird. Praktisch aber rennen Sie mit Ihrem Antrag die Rede meines Fraktionskollegen Fritz Erler an-
offene Türen ein, denn auch Ihnen dürfte bekannt läßlich der ersten Lesung des Gesetzes. Ich beziehe
sein, daß im Verteidigungsministerium die Verpfle- mich aber auch kurz ,auf die Rede des Herrn Vertei-
gung in der Truppe sowie die Höhe des Verpfle- digungsministers bei der Einbringung des Gesetzes
gungssatzes ständig überprüft wird, und zwar auf und auf die bisherigen Verhandlungen und Bera-
Grund laufender Meldungen aus den Wehrberei- tungen in dieser Sache im Ausschuß für Verteidi-
chen. Die Überprüfungen haben bis jetzt ergeben, gung.
und ich habe durch meine Besuche in der Bundes- Herr Erler sprach in seiner Rede seinerzeit von
wehr, bei denen ich immer wieder auch auf diese den Einheiten in der Bundeswehr, die nach den
Fragen zu sprechen komme, auch festgestellt, daß Aufgaben, die sie zu erfüllen hätten, besser in die
zum mindesten zur Zeit der Verpflegungssatz von territoriale Verteidigung hineinpaßten und dorthin
514 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Eschmann
überführt werden sollten. Dort seien sie am rich- ich, weil bei diesem Antrag Geld keine Rolle spielt,
tigen Platz und würden dazu beitragen, die territo- sondern nur technische Dinge vorherrschen, diesem
riale Verteidigung endlich richtig auf die Beine zu Antrag doch sicher einmal ohne Einschränkungen
stellen. Die in diesen Einheiten zu erledigenden Auf- Ihre Zustimmung geben. Ich bitte Sie darum.
gaben könnten unter dem Aspekt des verkürzten (Beifall bei der SPD.)
Grundwehrdienstes gesehen werden. Für sie reiche
eine verkürzte Grundwehrdienstzeit durchaus aus.
Soweit die Auffassung Fritz Erlers.
Vizepräsident Dr. Dehler: Darf ich das Ein-
verständnis des Hauses damit feststellen, daß der
Bei diesen Einheiten handelt es sich z. B. um Luft Antrag Umdruck 27 dem Ausschuß für Verteidigung
beobachtungs-, Krankentransport-, ABC-Schutz-Ein- überwiesen wird?
heiten, Depottrupps und später eventuell auch. um (Zustimmung.)
Einheiten für Brücken- und Objektschutz oder
Grenzsicherungsbrigaden. Daraus kann man schon — Das ist der Fall.
erkennen, wo unter Umständen Ansatzpunkte für Ich rufe dann den Entschließungsantrag der Frak-
einen verkürzten Grundwehrdienst vorhanden sind. tion der SPD Umdruck 28 auf und erteile zur Begrün-
dung dem Herrn Abgeordneten Schmitt-Vocken-
Aber auch der Herr Verteidigungsminister wid- hausen das Wort.
mete in seiner Rede dem verkürzten Wehrdienst
einige Sätze. Er ist z. B. mit uns der Meinung, daß
für die territoriale Verteidigung der verkürzte Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!
Grundwehrdienst möglich ist. Allerdings schränkte Meine Damen und Herren! Wir wissen alle, daß die
der Herr Minister ein: es sei noch nicht zu über- bisherigen Planungen für den zivilen Bevölkerungs-
sehen, in welchem Umfang vom verkürzten Grund- schutz weit zurück sind, und wir wissen, daß die
wehrdienst Gebrauch gemacht werden könne. bisherigen Bemühungen, auch personell zu gewissen
Ergebnissen zu kommen, praktisch gescheitert sind.
Um in dieser Sache weiterzukommen und Klarheit
zu schaffen, stellen wir unseren Antrag. § 13 a des Wehrpflichtgesetzes bietet auch auf
lange Sicht keine genügende Grundlage. § 42 hat
Unser Antrag hebt ebenfalls die territoriale Ver- jetzt für die Polizei eine Regelung getroffen, die
teidigung besonders hervor. Wir sind der Meinung, zweifellos in weiteren Beratungen auch für den
daß man die gesamte territoriale Verteidigung ohne zivilen Bevölkerungsschutz richtunggebend sein
große Schwierigkeiten in die Überlegungen über kann. Es gilt also, jetzt Konsequenzen zu ziehen,
den verkürzten Grundwehrdienst einbeziehen kann. wie wir für den zivilen Bevölkerungsschutz aus-
Inwieweit das auch bei den der NATO zu unter- reichend Personal zur Verfügung bekommen, das
stellenden Einheiten möglich ist, sollte ernsthaft - Lage ist,
auch altersmäßig und gesundheitlich in der
vom Verteidigungsausschuß geprüft werden. Jeden- einen wirksamen Zivilschutz aufzubauen.
falls sollten aber schon jetzt für die TV mit ihren
Kollege Erler hat gerade die bisherigen mangel-
zukünftigen wertvollen, auf vielen Gebieten vor-
haften Vorbereitungen der Regierung auf diesem
gebildeten Kräften die Weichen richtig gestellt wer-
Gebiet kritisiert. Unser Entschließungsantrag soll
den, und zwar so, daß nur eine sinnvolle und dem
dazu dienen, ausreichende personelle Voraussetzun-
Zweck entsprechende Ausbildung betrieben wird
gen für den zivilen Bevölkerungsschutz zu schaffen.
und der berüchtigte Gammeldienst oder, wie es auch
Ich bitte, den Antrag, wenn er hier nicht angenom-
heißt, die üble Beschäftigungstheorie ein für allemal
men wird, dem Verteidigungsausschuß und zur Mit-
gebannt bleibt. Die zweckmäßigste Anwendung
beratung dem Ausschuß für Inneres zu überweisen.
der Vorbildung der Soldaten, die praktischste Aus-
bildung für ihre Aufgaben müßten den Vorrang Ich will mich auf diesen kurzen Hinweis über die
haben vor Grußübungen oderformalem Exerzieren. Gründe unseres Antrags beschränken; denn ich weiß,
Das erscheint schon im Hinblick auf die hohen daß die Kollegen Bauknecht, Struve und Schmidt
Kosten geboten. (Gellersen) und andere schon darauf warten, daß
die Landwirtschaftsdebatte beginnt.
Damit nun unser Antrag nicht für lange Zeit zu-
rückgestellt wird, ehe er seine Behandlung und Be- (Beifall bei der SPD und Heiterkeit.)
antwortung durch das Verteidigungsministerium
findet, bitte ich Sie, mit der Festlegung einverstan- Vizepräsident Dr. Dehler: Besteht Einver-
den zu sein, daß der Antrag noch bis zum Beginn ständnis darüber, daß dem Antrag der antragstel-
der diesjährigen Sommerferien erledigt werdenmuß. lenden Fraktion entsprochen wird? — Ich höre
Die Planungen und Kaderbildungen in der territo- keine Einwendungen; dann ist Überweisung an den
rialen Verteidigung sind längst im Gange. Der Ter- Ausschuß für Verteidigung — federführend — und
min bis zum Beginn. der Sommerferien ist ange- an den Ausschuß' für Inneres zur Mitberatung be-
messen. Die Regierung sollte bis dahin in der Lage schlossen.
sein, unserem Antrage zu entsprechen und ihre Vor-
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen
stellungen darzulegen.
der CDU/CSU und der FDP Umdruck 37 auf. Er ist
Meine Begründung sollte und konnte nur kurz schon von dem Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing
sein. Alles weitere wird sich bei den Beratungen begründet worden. Weitere Wortmeldungen liegen
im Ausschuß ergeben. Im besonderen bietet sich nicht vor. Der Antrag soll ebenfalls dem Ausschuß
Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU für Verteidigung überwiesen werden. — Ich darf
und der FDP, eine gute Chance. Sie könnten, glaube feststellen, daß so beschlossen ist.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 515
Vizepräsident Dr. Dehler
Wir haben dann noch über die Punkte 2 und 3 Umstandes, daß die Zurückgebliebenen dennoch
des Antrags des Ausschusses zu befinden. Punkt 2 nicht den Anschluß gefunden haben.
ist durch die Annahme des Antrags Umdruck 36 Die Landwirtschaft hat sich bemüht, diesen Ver-
erledigt. — Es besteht Einverständnis. lust an Arbeitskräften durch verstärkten Kapital-
Zu Punkt 3 des Antrags, die zu dem Gesetzent- einsatz wettzumachen. So haben die Investitionen
wurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu er- für die Rationalisierung der Landwirtschaft in den
klären, darf ich die einmütige Zustimmung des letzten zehn Jahren eine Summe von 22 Milliarden
Hauses feststellen. DM erreicht, davon allein 16 Milliarden DM an
Neuinvestitionen für die Anschaffung von Maschi-
Damit ist der Tagesordnungspunkt 4 erledigt. nen. Dadurch ist der Fremdkapitaleinsatz um eine
weitere Milliarde auf 13 Milliarden DM gestiegen,
Ich rufe Punkt 5 auf: die natürlich verzinst werden müssen. Wenn wir
Beratung des Berichts der Bundesregierung daran denken, daß wir beim Inkrafttreten des Land-
über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 wirtschaftsgesetzes im Jahre 1955 eine Verschul-
und 5 des Landwirtschaftsgesetzes (Druck- dung von 6 Milliarden DM hatten und nun die Ver-
sachen IV/180, zu IV/180). schuldung 13 Milliarden DM beträgt, 'daß sie sich
also mehr als verdoppelt hat, können wir uns ein
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bauknecht. Bild von der derzeitigen Lage machen.
Die Folgen für die Menschen selber, die noch in
Bauknecht (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine der Landwirtschaft tätig sind, sind bitter. Es wäre
Damen und Herren! Wenn wir ein Urteil über den ein Fehler, anzunehmen, daß ,sich durch die Mecha-
Wert des vorliegenden 7. Grünen Berichts fällen nisierung die Arbeitszeit in der Landwirtschaft ver-
wollen, der uns die Lage der Landwirtschaft im ab- kürzt hätte. Es ist für die in der Landwirtschaft
gelaufenen Wirtschaftsjahr 1960/61 darstellt, so Verbliebenen keinerlei Erleichterung eingetreten.
müssen wir zunächst sagen, daß es sich hier um' Die Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden hat sich
einen Bericht handelt, der auf unanfechtbaren, ein- bei den Familienarbeitskräften leider nicht verrin-
wandfreien Grundlagen aufgebaut ist und der viel- gert. Während wir in der gewerblichen Wirtschaft
leicht noch mehr als die bisherigen Berichte auf allmählich der Vierzigstundenwoche zustreben,
Grund der Erfahrungen nach sorgfältiger Arbeit er- müssen wir auf Grund von exakten Erhebungen
stellt ist und ein klares Bild über die Lage der deut- feststellen, daß die tatsächliche Arbeitszeit in der
schen Landwirtschaft in der Bundesrepublik und Woche unter Einrechnung des Sonntages bei den
über ,die Entwicklung im letzten Jahr gibt. Ich Familienkräften heute noch zwischen 70 und 80
spreche im Namen meiner Fraktion all den Männern Stunden liegt.
Dank aus, die an der Erstellung dieses Werkes be-
teiligt waren. Meine Damen und Herren, man fragt sich: woher
kommt das? Es ist für uns alle eine ganz klare Sache:
Es ist aber eine ganz andere Frage, ob wir mit wir haben zwar eine gewisse Besserung erreicht —
den Ergebnissen zufrieden sind. Wir müssen be- die ich vorhin angedeutet habe — im Vergleich zu
denken, daß es sich bei dem Jahr, auf das sich die- dem schlechten Jahr 1959 auf 1960, in dem sich der
ser Bericht bezieht, um ein Jahr mit überdurch- Jahreslohn je Arbeitskraft auch in der Landwirt-
schnittlichen Ernteergebnissen handelt. Trotzdem schaft um 388 DM erhöht hat, in der gleichen Zeit
müssen wir feststellen, daß ein größerer Teil der ist aber der Vergleichslohn in der gewerblichen
Betriebe im Vergleich zu Bereichen der gewerb- Wirtschaft um 493 DM gestiegen. So hat sich also
lichen Wirtschaft eine Verschlechterung erfahren die Disparität erweitert. Wenn wir diese Kräfte
hat. Man ist also dem Ziel des Landwirtschaftsge-
umrechnen auf volle Arbeitskräfte, so ergibt sich ein
setzes nicht nähergekommen. Nicht einmal auf 7 O/o
Lohn in der Landwirtschaft im abgelaufenen Jahr
der Fläche ist der Vergleichslohn und eine angemes- von 4009 DM und in der gewerblichen Wirtschaft
sene Kapitalverzinsung erzielt worden, wie es vom
von 5441 DM, trotz des Einsatzes der Grünen Pläne.
Landwirtschaftsgesetz angestrebt wird.
Nun ist der relative Einkommensabstand unge-
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Hört! Hört!) fähr der gleiche geblieben wie im letzten und im
Wohl haben in der mittleren Gruppe wenige Pro- vorletzten Jahr. Ich habe darauf hingedeutet, der
zent der Betriebe mehr — eben dank des guten tiefere Grund ist die rasante Aufwärtsentwicklung
Jahres — den Vergleichslohn, doch keine angemes- der Einkommensmöglichkeiten in der gewerblichen
sene Kapitalverzinsung erzielt. Die Lage der Be- Wirtschaft. Sie haben das während der letzten Jahre
triebe in dieser Gruppe zwischen 80 und 90 % hat in steigendem Ausmaß erleben können. Es ist dort
sich etwas gebessert. Aber der prozentuale Anteil gelungen, dauernd die Löhne zu erhöhen, die Ar-
der anschließenden Gruppe, also der Betriebe unter beitszeit zu verkürzen, den Urlaub zu verlängern
80 %, hat sich verdoppelt. Während es im vorvori- und seitens der Betriebe noch zusätzliche soziale
gen Bericht 5,8 % waren, sind es im letzten Bericht Leistungen zu ermöglichen. Leider zeigt die jüngste
12,1 %, die unter 80 % liegen. Entwicklung an, daß wir aufsehbare Zeit wohl nicht
mit einer Änderung dieses Trends rechnen können,
Dabei muß noch in Betracht gezogen werden, daß
sondern daß diese Entwicklung weitergeht.
diese Entwicklung sich in einem Zeitabschnitt voll-
zogen hat, in dem 150 000 Vollarbeitskräfte der Wir haben gerade vor wenigen Wochen bei der
Landwirtschaft den Rücken gekehrt haben. Erst aus IG-Metall gesehen, daß die Arbeitszeit dort ver-
dieser Tatsache ergibt sich die volle Bedeutung des kürzt und der Lohn erhöht werden konnten. Wir
516 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Bauknecht
hören, daß ab 1. April die Löhne bei den Bauarbei- 67 000, als Vollarbeitskraft gerechnet, beträgt, dann
tern steigern werden, und wir wissen, daß für die kommen wir auf 376 000 Fremdarbeitskräfte. Eine
öffentlichen Angestellten und 'Beamten neue Lohn- Anhebung des 'Stundenlohns um 52 Pf würde bei
erhöhungen beantragt sind. 2500 Arbeitsstunden im Jahr in der Landwirtschaft
eine Mehrausgabe von 488 Millionen DM bedeuten.
Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft
Wenn Sie dann noch verlangen, daß auch .die Fa-
hat ihrerseits in den abgelaufenen Jahren versucht, milienkräfte nicht schlechter bezahlt werden — ich
den Ausgleich dadurch zu schaffen, daß sie die will zugestehen, daß wir nicht 1300 DM, sondern
Löhne ebenfalls erhöht hat. Ich will es mir ersparen, 1000 DM mehr verlangen — und dabei bedenken,
das im einzelnen aufzuzeigen, aber immerhin ist daß 2 Millionen Familienkräfte in der Landwirtschaft
bemerkenswert, daß im Vergleich zur Vorkriegszeit tätig sind, würde das einen Mehraufwand von 2 Mil-
in der Landwirtschaft die Löhne im August 1961, liarden an echtem Lohnanspruch ausmachen, den
also am Ende des zur Beratung stehenden Wirt- niemand zurückweisen kann. Diese 2 Milliarden plus
schaftsjahres, bei einem Stand angelangt sind, der den anderen 488 Millionen ergäbe eine Zahl von
ungefähr den Index von 400 beinhaltet. Meine Da- 21/2 Milliarden. Wenn Sie nun noch für die Familien-
men und Herren, wenn wir allein für sich die Bar- kräfte den gleichen Lohnanspruch erheben, wären
monatslöhne des sogenannten Gesindes betrachten, es 600 Millionen DM mehr, und Sie wären damit
so sind wir bei einem Index, der ungefähr bei 'tatsächlich bei einem Unterschied von 3 Milliarden
580 liegt. DM angelangt.
(Abg. Frehsee: Nur leben die Landarbeiter
Meine Damen und Herren, warum sage ich das?
nicht vom Index, Herr Bauknecht!)
Ich will damit die Dinge nicht irgendwie auf die
— Natürlich nicht, das wollte ich auch, Herr Spitzerbn,amußdvosprechn,wil
Frehsee, in keiner Weise gesagt haben: ich wollte es sehr viele Leute gibt, , die glauben, die Dinge
nur aufgezeigt haben, daß sich die Landwirtschaft seien heute weitgehend in Ordnung, weil der Land-
bemüht hat, diese Angleichung zu vollziehen und wirtschaft im Grünen Plan so viel gewährt werde.
daß es trotz dieser Steigerung nicht gelungen ist, Dabei wird immer der Vorwurf erhoben, daß die
weil die anderen eben immer weitermarschiert sind. Landwirtschaft nur von öffentlichen Mitteln lebe.
So entnehmen Sie den Zahlen des Grünen Be- Wie liegen denn die Dinge in Wirklichheit? Hat die
richts, daß wir heute zwischen den Landarbeiter- Landwirtschaft nicht auch ihre Arbeitsproduktivität
löhnen und denen vergleichbarer Berufsgruppen — was man von ihr verlangen kann — in einem
einen Unterscheid haben: hier 1,75 DM in der großen Ausmaß erhöht? Ich möchte — wieder laut
Stunde und dort 2,67 DM, und zwar bei den ver- Grünem Bericht — feststellen, daß die Leistung je
Arbeitskraft, je Vollarbeitskraft, im Jahre 1950/51
gleichbaren Gruppen; denn es gibt in der Industrie
noch andere Löhne, die zum Teil weit höher liegen, etwa 88 'Doppelzentner Getreideeinheiten betragen
auf die wir hier bei der Betrachtung verzichten wol- hat,imJre1960/dgn24Dopelztr.
len. Wir müssen aber feststellen, daß bei den Sie sehen, daß das eine exorbitante Leistung ist.
Fremdkräften der Lohnabstand sich in den letzten Schließlich sind auch der Anwendbarkeit von Ma-
Jahren immer weiter vergrößert hat. Noch im Jahre schinen in der Landwirtschaft im Vergleich zur ge-
1956/57 war er bei 68 Pf, heute ist er bei 92. werblichen Wirtschaft immer gewisse Grenzen ge-
setzt. Wenn man dies berücksichtigt, kann man nur
Wenn wir aber einen Vergleich zu den mitarbeiten-
sagen: Hut ab vor einem solchen Erfolg! Wie aber
den Familienkräften — diese machen heute in der
Landwirtschaft 85' 0/o aller Beschäftigten aus — an- hat sich dieser 'Erfolg ausgewirkt? Sie haben es aus
den Zahlen, die ich Ihnen vorhin genannt habe, ent-
stellen, so ist der Abstand noch größer. Der effektiv
nehmen können.
errechnete Lohn für die Familienkräfte beträgt
1,32 DM in der Stunde, und damit liegt der Abstand Diese Dinge sind natürlich nicht für Deutschland
zu den vergleichbaren Berufsgruppen bei 1,35 DM. allein typisch, sondern hier handelt es sich um eine
Also haben die Familienkräfte nur die Hälfte des Entwicklung, die sich in allen Industrieländern der
Lohnes erzielen können, den die Industriearbeiter Welt angebahnt hat. Das ist bedauerlich. Infolge-
beziehen, die Tür an Tür mit den Bauern wohnen. dessen mußten diese Länder Maßnahmen treffen,
Das laufende Jahr wird uns in der Ertragslage um ihrer Landwirtschaft unter die Arme zu greifen.
einen schweren Rückschlag bringen; man rechnet Also diese Staatshilfen zur Abmilderung dieses
jetzt schon mit einem Mindereinkommen von etwa schlechten Zustandes werden nicht nur in der Bun-
800 Millionen DM. Auf der anderen Seite hat Ihre desrepublik gegeben.
Landarbeitergewerkschaft, Herr Frehsee, wie man Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen. Aus einer
gestern in der Presse lesen konnte, die Forderung Veröffentlichung, die kürzlich herausgekommen ist,
erhoben, daß die Löhne im 'Durchschnitt um 52 Pf geht hervor, daß das Arbeitseinkommen eines Men-
angehoben werden sollen. schen, der in unserem Nachbarstaat Dänemark in
(Abg. Frehsee: Bloß um den Abstand zu der Landwirtschaft tätig ist — Dänemark hat unter
halten!) ganz anderen Voraussetzungen gewirtschaftet; denn
Daraus kann sich jeder einen Vers machen, welche es war praktisch der Weltwirtschaft angeschlos-
Auswirkungen das auf die Landwirtschaft selber sen —, im Jahre 1950 23 % höher als das Einkom-
hat. Wenn man zu den Fremdarbeitskräften, deren men bei vergleichbaren Gruppen der gewerblichen
Zahl im Grünen Bericht mit 309 000 angegeben wird, Wirtschaft lag. Im Jahre 1960, nach zehn Jahren,
die teilweise Beschäftigten hinzurechnet, deren Zahl lag es 22 % niedriger. Die Dänen haben nach den
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 517
Bauknecht
Bauernunruhen im April des vergangenen Jahres zu verbessern. Die Strukturverbesserung war, wie
abrupt die Konsequenz daraus ziehen müssen. Sie gesagt, schon vorher in Angriff genommen worden.
mußten einen ähnlichen Grünen Plan einführen, wie
Das Landwirtschaftsgesetz sieht also nicht allein
wir ihn in der Bundesrepublik haben.
die Möglichkeit vor, die Lage der Landwirtschaft
Es ist auch weitgehend bekannt, daß, in der Me- durch Subventionen oder Strukturhilfen zu. verbes-
thode variiert, überall entsprechende Hilfen Platz sern. Ich darf daran erinnern, daß man in sämtlichen
greifen mußten, ob es sich nun um Staaten, die sel- Entschließungen — ich habe sie kürzlich nachge-
ber Überschüsse in der Agrarproduktion haben, schaut —, die in den vergangenen Jahren bei der
oder um Importländer handelt. Ich darf als die bei- Debatte über den Grünen Plan verabschiedet wur-
den gegensätzlichen Pole nur die Vereinigten Staa- den, immer darauf hingewiesen hat, man möge die
ten von Amerika und Großbritannien nennen. Lage etwas mehr mit Hilfe des § 1 des Landwirt-
schaftsgesetzes verbessern und nicht nur über § 5.
In diesem Zusammenhang darf ich noch auf eine In § 5 sind die direkten Hilfen des Staates ange-
andere bedauerliche Tatsache hinweisen. Ich habe sprochen. Offenbar war das nicht in dem Umfang
wirklich an die Offentlichkeit und namentlich auch möglich, vielleicht hat man sich auch gescheut; ich
an sämtliche Publikationsorgane — ob es das Bun- weiß das nicht. Man hätte aber hier vielleicht noch
desernährungsministerium, die Presse oder der manches besser machen können, entweder durch
Rundfunk ist — die Bitte, in den Veröffentlichungen Verbesserung der Markterlöse oder durch Un-
mit den Zahlen, die man hinsichtlich der der Land- kostensenkung und nicht allein durch direkte
wirtschaft gewährten Hilfen nennt, etwas vorsich- Einkommenszuschüsse. Man müßte auch in Zukunft
tiger zu sein. Es hat mich erschreckt, als ich vor untersuchen, ob man auf diesem Gebiet nicht noch
wenigen Wochen in der Zeitung las — wahrschein- mehr erreichen kann, obwohl ich mir darüber klar
lich haben Sie es auch gelesen —: Hilfe für die bin, daß das durch den Eintritt in die Europäische
Landwirtschaft 3,6 Milliarden. Das ist der Gesamt- Wirtschaftsgemeinschaft nicht leichter geworden ist.
etat des Einzelplans 10 für das Bundesernährungs-
ministerium. Warum hat man nicht gleichzeitig da- Meine Damen und Herren, diese öffentlichen Hil-
zugeschrieben, daß darin inbegriffen sind die all- fen, die wir als globale Subventionen bezeichnen,
gemeinen Verwaltungskosten des Ministeriums, die sind nur ein geringer Teil. Sie werden rund 700 bis
Kosten für sämtliche Anstalten und Institute, die 800 Millionen betragen gegenüber 2060 Millionen
der Bund betreibt, die Kosten für die allgemeine insgesamt, die drinstecken.
Vorratshaltung und auch — was sicherlich niemand Ich darf Ihnen sagen, daß andere Staaten zum Teil
etwa ablehnen wird — die Mittel für die gesamte weit mehr geben, sowohl je Kopf ihrer Bevölkerung
strategische Reserve für Berlin. Das alles knallt als auch je Kopf der in der Landwirtschaft Beschäf-
man dann der Landwirtschaft auf die Badehose. tigten. So wendet allein Großbritannien je Kopf der
(Heiterkeit.) in der Landwirtschaft Beschäftigten 2955 DM auf,
die Bundesrepublik 751 DM. Auch darüber sollte
Meine Damen und Herren, das Klima zwischen man in der Offentlichkeit mehr reden. In Groß-
Verbraucher und Erzeuger könnte sehr viel besser britannien betragen die Aufwendungen für die Land-
werden, wenn man in diesen Dingen wirklich die wirtschaft je Kopf der Bevölkerung 58 DM und in
nackte Wahrheit sagte. der Bundesrepublik 51 DM. Hier nähern sich die
Zahlen also an. Die Vereinigten Staaten von Nord-
(Heiterkeit und Zurufe. — Abg. Dr. Schmidt amerika wenden je Kopf der in der Landwirtschaft
[Gellersten] : Das steht aber alles im Grünen Beschäftigten 2055 DM auf und je Kopf der Bevölke-
Plan auf den Seiten 27, 28 und 29!) rung etwa das Vierfache wie in der Bundesrepublik,
— Im Grünen Plan, Herr Kollege Schmidt, steht es, hier nämlich 751 DM.
aber in den Publikationen ist es anders. Diesen Meine Damen und Herren, in der Öffentlichkeit
Wunsch darf ich hier zum Ausdruck bringen. Ich wird immer wieder die Meinung vertreten, wir woll-
glaube, daß ich hier auch in Ihrem Sinne rede. ten die Strukturverbesserungen zweitrangig behan-
(Beifall bei der CDU/CSU.) deln und nur unmittelbare Hilfen haben. Dem ist in
keiner Weise so. Aber es geht einfach nicht ohne
Wenn man die Aufwendungen für den. Grünen diese globalen Hilfen.
Plan für sich betrachtet, muß man den Plan in meh- In diesem Zusammenhang wollen wir auch einmal
rere Teile zerlegen. Ein wesentlicher Posten sind — der Herr Bundesminister hat es bei sein -er Rede
ohne Zweifel diejenigen Ausgaben und Kosten, die in der letzten Woche angezogen — einen Blick auf
für die strukturellen Verbesserungen entstehen. Sie die Hilfen für andere Berufe werfen, die ja in der
haben bekanntlich schon ihren Anfang genommen, Regel schamhaft verschwiegen werden. Wir finden
bevor es ein Landwirtschaftsgesetz gab. Sie sind be- auch dort horrende Beträge. Sie sind den meisten
kannt unter dem Namen ,,Lübke-Plan". Aber auch von Ihnen bekannt. Sie wissen das. Wer sich die
diese Kosten werden fälschlicherweise immer als Mühe machen will, das in der betreffenden Bundes-
Subventionen angesprochen, obwohl sie keine sind. tagsdrucksache nachzuschlagen, der findet, daß für
Diejenigen unserer Kolleginnen und Kollegen, die die gewerbliche Wirtschaft an direkten Hilfen etwa
schon im Bundestag waren, als wir das Landwirt- das Zweieinhalbfache aufgewendet wird und daß
schaftsgesetz schufen, wissen genau, daß man es in der sozialen Wirtschaft — zu Recht, sage ich —
vornehmlich wegen der wirtschaftlichen Hilfen und an direkten Zuschüssen für die Rentenversicherung
nicht allein deshalb geschaffen hat, um die Struktur in diesem Jahre 6,2 Milliarden DM gegeben werden,
518 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Bauknecht
weil diese Leute ihre Einkommensmöglichkeiten desrepublik. Der Trinkmilchpreis ist seit dein Jahre
eben von sich aus nicht so gestalten können, daß 1956 fest geblieben, obwohl sich in der gleichen
sie diese Beträge selber aufbringen könnten. Das Zeit die Kosten in der Produktion um 2 1/2 Pfennig
gleiche gilt aber auch für die Landwirtschaft. und bei der Bearbeitung um 1 1/2 Pfennig gesteigert
haben. Ich habe diese Zahlen vor einiger Zeit der
Man erhebt immer wieder den
Öffentlichkeit Vorwurf, durch
übergeben. Auf Grund meiner Fest-
diese globalen Hilfen würden Zustände konserviert, stellung sind während dieser Zeit beispielsweise bei
die heute nicht mehr vertreten werden könnten. Es den Bearbeitungskosten die Gehälter bei den Ange-
wird gesagt, die Landwirtschaft werde verleitet, am stellten in den Molkereien um 38 1/2 % und bei den
Markte vorbei zu produzieren. Man komme zu un- Molkereiarbeitern um 62 1/2 % gestiegen. Alle diese
heilvollen Überschüssen, die man dann auf Kosten Mehrkosten sind dem Erzeuger angelastet worden,
des Staates wieder in andere Länder geben müsse. weil die Molkereien nicht noch mehr rationalisiert
Es komme außerdem zu Differentialrenten. werden konnten. Sie haben schon den Höchststand
Ich darf zunächst auf den letzten Gesichtspunkt der Rationalisierung erreicht.
eingehen. Sie sehen aus dem Grünen Bericht mit Daher sind wir der Auffassung, daß eine Anhe-
aller Deutlichkeit, wie es sich mit den Differential- bung der Trinkmilchpreise zu erfolgen hat, auch
renten verhält. Sie sehen, daß nicht einmal 7 % den schon im Hinblick darauf, daß es sich hier um eine
vollen Vergleichslohn und die Kapitalverzinsung der ganz wenigen möglichen Wege handelt, um die
erreicht haben. Ebenfalls muß gesagt werden, daß Markterlöse zu verbessern. Zugleich wird der
es in der Bundesrepublik noch auf keinem Gebiet zu Trinkmilchpreis auch auf ,den Stand in den
wirklichen Überschüssen gekommen ist. Wenn in anderen Staaten der EWG und den Ländern der
der EWG Überschüsse entstehen, so in den anderen EFTA angehoben. Von den Ländern Europas hat nur
Ländern. Dänemark einen niedrigeren Trinkmilchpreis als die
Zu der Frage der Rückständigkeit darf ich sagen, Bundesrepublik.
wir sind in einem Prozeß der Strukturumwandlung
begriffen, der soweit geführt hat, daß in den letzten Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
zwölf Jahren, also seit 1949, 400 000 Betriebe abge- Bauknecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
geben worden sind, die man als Kümmerbetriebe Herrn Abgeordneten Frehsee?
bezeichnen kann. Dieser Prozeß setzt sich fort. Man
konserviert also keineswegs etwas Überlebtes. Bauknecht (CDU/CSU) : Bitte.
Sie finden dann über den Grünen Plan hinaus
noch Anträge zum Teil meiner Fraktion, zum Teil Frehsee (SPD): Haben Sie keine Sorgen, Herr
der Koalition, die sich mit der Qualitätsprämie für Kollege Bauknecht, daß der Absatz der Milch
die Milch beschäftigen. Wir sind der Überzeugung, beeinträchtigt wird, wenn Sie den Trinkmilchpreis
daß die Qualitätsprämie in der letzten Zeit ausge- anheben? Haben Sie keine Sorge, daß dann der
zeichnet gewirkt hat. Sie war vor allen Dingen eine Gesamterlös aus dem Verkauf von Trinkmilch unter
sehr gute Hilfe für die Betriebe, die wir als förde- Umständen sinken könnte?
rungsfähig bezeichnen und deren Erhaltung wir uns (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! — Gar
als Ziel in der EWG vorgestellt haben, nämlich die nicht!)
bäuerlichen Familienbetriebe. Man gibt keineswegs
denen Geldbeträge, die es nicht verdienen. Sie wer- Bauknecht (CDU/CSU) : Herr Frehsee, diese
den vielleicht sagen, daß auch ganz kleine Betriebe Sorge ist aus folgenden Gründen unberechtigt. Seit-
davon etwas erhalten, was ihnen aber nicht sehr dem der Milchpreis der gleiche geblieben ist, haben
viel nützen würde; auf diese Weise würde vielleicht sich dankenswerterweise die Einkommen aller, die
die Kuhhaltung dort konserviert. Darauf möchte ich Milch trinken, sehr gesteigert. Und wenn man etwa
erwidern: Schauen Sie sich einmal die Ergebnisse glauben würde, daß die Familien mit vielen Kindern
der Viehzählungen an. Dann sehen Sie, daß die dadurch in Not kämen, dann ist das eine Frage der
Kuhhaltung in den ganz kleinen Betrieben richtiger- Sozialpolitik, dann muß das Kindergeld erhöht wer-
weise sehr stark im Abnehmen begriffen ist und sich den.
auf die mittelbäuerlichen Betriebe verlagert. Daher (Beifall bei der CDU/CSU.)
kann man die Milchsubventionen oder die Qualitäts-
prämie als gezielte Hilfe für ,die bäuerlichen Fami- Herr Frehsee, Sie kämpfen ja auch für den Land-
lienbetriebe ansehen. arbeiter und den kleinen Bauern, und da gibt es
Bäuerinnen, deren Einkommen, wie ich vorhin ge-
Sie finden in unserem Antrag die Forderung nach schildert habe, etwa die Hälfte der anderen beträgt.
der Wiederherstellung des sogenannten vierten Auch daran müssen wir denken, daß wir hier Ver-
Milchpfennigs, den wir in den vergangenen Jahren besserungen erzielen.
hatten. Das ist zu verantworten. Das ist eine Not-
wendigkeit, um die große Disparität wenigstens in (Abg. Frehsee: Weil ich für sie kämpfe,
etwa zu mildern. Das ist auch insofern berechtigt, deshalb habe ich diese Sorge!)
als die Produktionskosten in der abgelaufenen Zeit Dann möchte ich die Dinge noch von einer ande-
sehr stark gestiegen sind. ren Seite beleuchten: Ein Grund für einen Rückgang
Ich komme hiermit zu etwas anderem, das von des Verzehrs kann darin liegen, daß wir heute keine
meiner Fraktion gutgeheißen wurde, nämlich zur Hauszustellung mehr haben und daß die Hausfrau
Anhebung des Trinkmilchpreises auch in der Bun- in weitem Maße zur Kondensmilch übergegangen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 519
Bauknecht
ist, weil sie nicht einen halben Kilometer weit ein wird. In anderen Zweigen der Wirtschaft wird es
paar Glasflaschen mit Milch schleppen kann. Wenn schamhaft nicht als Preissteigerung bezeichnet.
wir einmal so weit sein werden, daß wir, wie in Wenn Sie am Montag in die Zeitungen hineinge-
London, morgens vor Tagesanbruch der Hausfrau sehen haben, konnten Sie in den Berichten über die
mit dem Elektrokarren die Milch vor die Haustür Eröffnung der Kölner Messe lesen, daß es sich dort
stellen können, dann wird sich, glaube ich, auch bei um „Preiskorrekturen" handele, und solche Preis-
uns der Absatz wieder heben. korrekturen kommen immer wieder, weil dort die
Produktionskosten, falls man es nicht durch die Ar-
Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sei eine beitsproduktivität auffangen kann, eben auf den
Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Bauknecht? Preis geschlagen werden. Ich habe dieser Tage bei
den Händlern und den Genossenschaften eine Rück-
frage wegen der Landmaschinen gehalten. Man hat
Bauknecht (CDU/CSU) : Bitte sehr! dort bereits im Herbst einige Preiskorrekturen vor-
genommen, und man rechnet mit weiteren Preis-
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Isst das die Mei- korrekturen, weil offenbar die Lohnerhöhungen und
nung Ihrer ganzen Fraktion? die Arbeitszeitverkürzungen nicht verkraftet wer-
den können. Aber wenn ich Ihnen geschildert habe,
Bauknecht (CDU/CSU) : Die Meinung meiner wie bei uns das Einkommen ist — bei den Fami-
Fraktion, jawohl! Wir haben diese Dinge einmütig lienkräften nicht einmal die Hälfte des Einkommens
beschlossen. — Herr Kollege Dröscher, Sie wollten derjenigen, die in der gewerblichen Wirtschaft tätig
auch noch etwas fragen. Ich will Ihnen nicht das sind —, und wenn man auf der anderen Seite nicht
Wort abschneiden. gewillt ist, alles über Subventionen zu machen, was
Sie ja auch verurteilen, dann muß man eben den
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zwischen- anderen, einzig möglichen Weg einschlagen.
frage Herr Abgeordneter Dröscher!
Und, meine Damen und Herren, einiges Eigen-
kapital braucht man auch, wenn man Investitionen
Dröscher (SPD) : Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie macht. Sosehr wir es begrüßen, daß es jetzt mög-
mit mir darin übereinstimmen, daß der Trinkmilch lich geworden ist, für alle Kredite, die der Betriebs-
verbrauch pro Kopf der Bevölkerung im letzten Jahr umstellung und Betriebsanpassung dienen, den
schon zurückgegangen ist. Zinssatz auf 3 % zu senken, müssen wir doch beto-
nen, daß es auch hier nicht ohne Eigenkapital geht,
Bauknecht (CDU/CSU) : Aber nicht aus preis- und bisher haben die bäuerlichen Familienbetriebe
lichen Gründen, Herrn Abgeordneter Dröscher, son- eben ihr Eigenkapital weitgehend aus den Erlösen
dern aus den anderen Gründen, die ich Ihnen so- der Milch genommen. -
eben geschildert habe!
Zu der Frage der Verzinsung möchte ich sagen,
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU und der daß wir diese Maßnahme sehr begrüßen. Ich darf
FDP. — Abg. Dr. Mommer: Wollen Sie den feststellen: ich habe mit dem Wirtschaftsminister
Rückgang mit höheren Preisen bremsen?) über diese Frage gesprochen und habe gesagt, diese
— Er wird dadurch nicht abgebremst. Das ist eine 3 % sollten ein erster Anfang sein; und die Bundes-
Frage der Verzehrgewohnheiten. Das zeigt sich regierung ist hier dankenswerterweise gefolgt.
auch bei anderen Produkten, daß der Preis nicht die
wesentliche Rolle spielt. Sie finden aber nun noch einen Antrag der Koali-
tion, in dem weitere Zinsverbilligungen gefordert
werden. In dem neuen Programm ist ja für die be-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter reits bestehenden Investitionsschulden eine Zins-
Bauknecht, der Herr Abgeordnete Dr. Schmidt (Gel- konvertierung nur dort vorgesehen, wo bisher
lersen) möchte eine Zwischenfrage stellen. schon Zinsverbilligungen Platz gegriffen haben. Da-
gegen ist in dem neuen Programm — also: Hof-
Bauknecht (CDU/CSU) : Bitte sehr! kredite — nicht vorgesehen, die Zinsen für bereits
bestehende Schulden herabzusetzen. Ich glaube,
man muß das tun, aus Gründen der Gerechtigkeit,
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Stimmen Sie denn diejenigen, die unseren Parolen gefolgt und
nicht mit uns darin überein, .daß Ihr Minister, Herr als Pioniere bei der Rationalisierung und Mechani-
Schwarz, die gleichen Sorgen hatte wie wir? sierung vorangegangen sind, stecken zum Teil in so
hohen Schulden, daß sie, wenn sie 7 und 8 und noch
Bauknecht (CDU/CSU) : Er hat sie nur ganz am mehr Prozent Zinsen für diese Schulden zahlen müs-
Rande erwähnt. sen, nicht mehr liquide sind. Meine Damen und
!Lachen bei der SPD.) Herren, ich glaube, wir sollten in vorsichtiger Weise
diese Dinge in Angriff nehmen; man sollte die
— Nun ja, er wollte Ihnen entgegenkommen, weil Richtlinien — und das ist in dem Antrag aufgenom-
er ein feiner Mann ist. Aber ich glaube nicht, daß men — so ausbauen, daß die Altschulden mit ein-
er, wenn man ihn auf Herz und Nieren prüft, eine bezogen werden. Selbstverständlich nach sorgfälti-
andere Auffassung in diesen Dingen hat als wir. ger Prüfung; aber wir dürfen denen, die als Pioniere
Meine Damen und Herren! Man dramatisiert nur, vorangegangen sind, nicht vorenthalten, was jetzt
wenn in der Landwirtschaft ein Produkt verteuert — nun, ich möchte nicht sagen: die Saumseligen,
520 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bauknecht
aber: die, die sich heute erst entschließen können, Unterbrechung erfährt. Daher bitte ich Sie, darauf
in Anspruch nehmen können. Rücksicht zu nehmen.
Ich bitte daher, diesem Antrag stattzugeben. Es wäre noch notwendig, die 100 Millionen DM
für die Altershilfe der Landwirtschaft mindestens
In der Zinsverbilligung ist auch noch eine neue
vom nächsten Grünen Plan an in den Etat des
Sache aufgenommen. Der Minister hat in seiner
Arbeits- und Sozialministeriums zu übernehmen.
Rede darauf hingewiesen: man denkt daran, auch
Diese Mittel sind jetzt im Grünen Plan eingesetzt;
die Absatzform zu modernisieren, andere, neue Ver-
sie gehören aber in den Etat des Arbeits- und
marktungseinrichtungen zu schaffen. Wenn Sie in
Sozialministeriums.
der Presse in der Vergangenheit gelesen haben,
daß heftigste Diskussionen darum entstanden sind, Die Sozialdemokratie hat in der Frage der Sub-
und man jetzt glaubt, man könne einen Keil zwi- ventionierung des Wirtschaftsdüngers eine andere
schen die Selbsthilfeorganisationen der Bauern — Auffassung als ich. 'Sie sieht vor, die dafür ein-
landwirtschaftliche Genossenschaften genannt — und gesetzten 185 Millionen DM zu streichen und sie
den be -. und verarbeitenden Mittelstand treiben, anderen Zwecken zuzuführen. Auch das Bundes-
dem ist nicht so. Was ist hier vorgesehen? Vorge- ministerium war dieser Auffassung; es ist aber zu
sehen ist, daß der Kredit für den Bauern verbilligt begrüßen, daß auf Grund der schlechten Wirt-
wird, sofern er sich an einer zu bildenden AG oder schaftsentwicklung dieses Jahres, der schlechten
GmbH oder wie man das Ding heißen will — nicht Ernte diese Düngerprämie noch einmal eingesetzt
von vornherein neue Einrichtungen, sondern beste- wurde. Ich bitte Sie dringend, sie stehenzulassen;
hende Einrichtungen mittelständischer und genos- sie kommt wirklich allen zu Hilfe. Die Ernteergeb-
senschaftlicher Natur — beteiligen will, wobei aller- nisse werden ja in diesem Jahr schlecht sein.
dings vorausgesetzt ist, daß die Bauern einen maß-
Am Rande noch etwas, was ich bisher vermißt
gebenden Einfluß dabei haben, und das wären 51 %
habe: Man hat offenbar die Absicht, die Schafzucht
der Anteile, daß er dann vom Bund das Geld, das
zu übergehen. Ich möchte, daß die Wollprämie in
er hierfür aufwenden muß — mit einer oberen Be-
Höhe von 5 Millionen DM wiedereingeführt wird.
grenzung selbstverständlich — verbilligt bekommt.
Wenn Sie daran denken, daß die Wollpreise heute
Das, glaube ich, ist ein fairer Wettbewerb. Diese im Vergleich zum Jahre 1938 einen Index von 75
Dinge müssen forciert werden. Das ist eine der haben, kann sich jeder vorstellen, wie die Schaf-
wichtigsten Aufgaben. Denn auf der anderen Seite zucht zu kämpfen hat. Wenn Sie weiter wissen, daß
bilden sich im Einkauf moderne Ketten, die kon- wir heute so viel Brachland haben, das nur von
tinuierlich mit standardisierten Produkten von bester Schafen beweidet werden kann, muß man die Frage
Qualität beliefert werden sollen. Das Ausland bie- erheben, ob man so reich ist, daß man darauf ver-
tet sie vielfach an. Wenn wir das nicht mitmachen, zichten will.
ziehen wir den kürzeren.
Wir stehen vor dem Eingang in die EWG. Was
Ich glaube aber, es ist notwendig, vorzusehen, im jetzigen Grünen Plan vorgesehen ist, hat mit
daß dieser Kredit nur dann gegeben wird, wenn dem Eintritt in die zweite Phase absolut nichts zu
auch bestimmte Verträge zwischen diesen Unter- tun. Wenn sich daraus Folgen ergeben würden, die
nehmen und den Bauern geschlosesn werden. Das Schäden für die Landwirtschaft bringen, so darf ich
ist an und für sich nichts Neues. In der Milchwirt- die Bundesregierung daran erinnern, daß sie ver-
schaft, sowohl bei den privaten wie bei den genos- sprochen hat, diese Schäden aufzufangen. Wenn das
senschaftlichen Betrieben, haben wir praktisch diese im zweiten Halbjahr notwendig werden sollte, wird
Abkommen schon. Es wird sich im wesentlichen es eben ohne einen Nachtragshaushalt nicht gehen.
darum drehen, sie auch auf andere Gebiete auszu- Noch ein Wort zum Schluß. Wir reden von den
dehnen. Globalhilfen, wir reden von den Einsätzen, und wir
Das wäre eine sinnvolle Sache, die gleichermaßen haben bei der EWG-Debatte davon geredet, ob es
beiden zugute käme. Der Mittelstand würde erhal- möglich ist, das gesamte Agrarpreisniveau zu erhal-
ten, und die Landwirtschaft hätte hier eine Einfluß- ten. Meine Damen und Herren, ich habe die drin-
möglichkeit. gende Bitte — die ich auch im Auftrage meiner
Freunde ausspreche —, und ich mache der Regie-
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein
rung die Auflage, sie sollte hier keine Konzessio-
paar kurze Hinweise. Auf die anderen Teile des
nen machen. Wir haben am 14. Januar gegenüber
Grünen Plans will ich mich jetzt nicht einlassen; sie
unseren Handelspartnern in Brüssel all die Konzes-
werden von den nach mir sprechenden Rednern
sionen gemacht, die möglich waren. Aber das Agrar-
noch behandelt werden.
preisniveau angesichts der Ergebnisse dieses Grü-
Sie finden einen Antrag vor, der darauf hinaus- nen Berichts und angesichts der Ernteergebnisse,
läuft, die Strukturverbesserungsmittel in dem Fonds, die in diesem Jahre zu erwarten sind, zu senken,
der mit der Bindungsermächtigung von 50 Millionen wäre doch das Verkehrteste, was wir machen kön-
gebildet wird, auf 150 Millionen DM zu erhöhen, nen. Was hätten die anderen Landwirte in der
und zwar aus dem Grunde, weil für die Aussied- EWG für Hoffnungen, wenn wir unser Preisniveau
lung und die Flurbereinigung bereits im letzten senken würden! Ich warne davor, zu glauben, daß
Jahr ein Vorgriff auf den neuen Etat in Höhe von man, wenn man niedrigere Getreidepreise hätte, mit
90 Millionen DM erfolgte. Es muß sichergestellt Hilfe der tierischen Veredelungsproduktion den
werden, daß das Programm, das heute läuft, keine Ausgleich schaffen könnte. Sie wissen, daß wir ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 521
Bauknecht
rade bei tierischen Veredelungsprodukten heute Wir haben heute vormittag der Katastrophe von
schon in der EWG an der Decke sind. Die Marktver- Hamburg und der Küste gedacht. Diese beklagens-
hältnisse zeigen es, beispielsweise auf dem Ge- werte Katastrophe hat gezeigt, 'daß es keine Unter-
flügel- und Eiermarkt. Ich bitte daher, hier größte schiede gibt. Alle sind davon betroffen, ob reich
Vorsicht walten zu lassen. oder arm, ob Bauer, Arbeiter oder Angestellter, und
es ist für mich ein Zeichen dafür, daß wir, mehr als
Wenn wir alle der Auffassung sind, den bäuer- manche es wahrhaben mögen, aufeinander ange-
lichen Familienbetrieben helfen zu sollen, dann wiesen sind.
müssen wir uns jetzt etwas einfallen lassen, z. B.
(Sehr gut! in , der Mitte.)
Präferenzen schaffen für die tierische Veredelungs-
produktion, die sonst rein industriell getätigt wer- Das gilt auch für das wirtschaftliche Leben. Auch
den kann, also bei Schweinen, Legehennen und da gibt es Starke, sehr Starke, und auch Schwache
Masthühnern. Ich will Ihnen jetzt nicht sagen, wie und sehr Schwache. Ich glaube, es 'würde zu einem
es werden würde, wenn wir etwa Dänemark und Freistilringen kommen und werden, wenn nicht der
Holland folgten. Aber vielleicht eine Zahl: Wir Staat für einen Ausgleich der Interessen sorgte.
haben etwas mehr Hühner als Einwohner in der
Die Entwicklung nach 1945 hat uns gezeigt, nach-
Bundesrepublik,
dem alle ziemlich hart getroffen worden sind, daß
(Heiterkeit) die Landwirtschaft wirtschaftlich wie sozial 'das
die Dänen das Siebenfache. Viel dümmer sind wir schwächste Glied in unserer Wirtschaft ist. Das ist
auch nicht als die da drüben, und wenn wir nie- sie nicht aus eigener Schuld. Die Landwirtschaft hat
drige Getreidepreise hätten, würden wir genauso in dieser Aufbauzeit Leistungen vollbracht, die ohne
lustig produzieren wie die. Was am Ende stehen Beispiel in der ganzen Welt sind. Aber in diesem
würde, das kann sich dann jeder selber ausmalen. allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß
Deshalb warne ich vor ,einem solchen Anstieg. hatte sie einfach nichts Gleichwertiges entgegenzu-
setzen wie die Industrie, und dieser Prozeß ist durch
Meine Damen und Herren, wir, die Regierung und die Bundesregierung in den letzten 12 Jahren ge-
das Parlament, haben die Verantwortung in diesem stützt worden. Das Ergebnis ist für mich und meine
Hause, einen Weg zu finden, wie wir die Landwirt- Freunde, daß es nicht zu dem gewünschten Ausgleich
schaft in die moderne Industriegesellschaft einglie- der Interessen gekommen ist. Vielmehr mußte man
dern können, ohne daß sie Schaden nimmt; sie muß manchmal den Eindruck haben, daß die Interessen
vielmehr als gleichberechtigtes Glied mit gleichen gegeneinander ausgespielt werden.
Erfolgschancen ihren Verpflichtungen nachkommen
können. Der Grüne Bericht über ,das Berichtsjahr 1960/61
enthält das Ergebnis dieser Politik. Er ist, gemessen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) an den Zielen und am Auftrag des Landwirtschafts-
-
gesetzes, wahrlich nicht mit großem Vergnügen zu
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und lesen.
Herren! Ich unterbreche kurz die Beratung des Punk- Wir erkennen an, daß der Aussagewert des
tes, der aufgerufen ist, um zu Punkt 4 zurückzu- 7. Grünen Berichts besser ist als früher. Dem Hause,
kehren, wo etwas versäumt wurde. Da die Zahl der der Landwirtschaft und der Offentlichkeit sind
Redner beträchtlich ist, fürchte ich, daß wir heute brauchbare Zahlen vorgelegt worden. Dennoch ha-
mit der „grünen" Diskussion nicht zu Ende kommen, ben wir darin einiges vermißt, nachdem in dem
und die Korrektur, von der ich sprach, muß alsbald Koalitionsabkommen — gestatten Sie, daß ich dar-
vorgenommen werden, wiel die Sache in Druck ge- auf hinweise — davon die Rede gewesen ist, daß
hen soll. die Lage der Landwirtschaft durch eine neue Be-
Es handelt sich darum, daß bei Punkt 4 Wehr- standsaufnahme dargestellt werden sollte. Herr
pflichtgesetz die Umdrucke 23 und 24 statt an den Bundesminister Schwarz hat in seiner Erklärung
Innenausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung an schon darauf hingewiesen, daß er einem solchen
den Haushaltsausschuß überwiesen werden sollen. Verlangen nicht nachkommen könne. Ich möchte das
Ist das Haus einverstanden? — Dann ist so beschlos- nur feststellen.
sen. Trotzdem könnte es nicht schaden, wenn wir zu
Ich kehre nunmehr zur Beratung des Grünen Plans weiteren Verbesserungen im Grünen Bericht kämen.
zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt
(Gellersen). Meine Anregung geht dahin, Herr Bundesminister,
im kommenden Jahr vielleicht auch einmal die
MarktsiuondemBchzalysirn.D
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Meine sehr gibt es eine Menge darzustellen. Das fehlt bisher.
verehrten 'Damen und Herren! Kollege Bauknecht
war so liebenswürdig, Noch eine weitere Anregung: Es wäre gut, wenn
wir etwas über die Kosten- und Ertragslage in den
(Zuruf von der Mitte: Der ist immer lie übrigen Ländern der EWG erfahren könnten. Ich
benswürdig!) denke z. B. daran, daß in dem holländischen Lage-
dem Hause eine Einführung in .das Zahlenmaterial bericht etwas über die Kostenrechnung ausgesagt
wird. Wir sollten uns daran ein Beispiel nehmen.
des Grünen Berichts zu geben. Er hat mir damit viel
Arbeit abgenommen, und dafür bin ich ihm recht Lassen Sie mich nun mit einigen Strichen den
dankbar. Lagebericht zeichnen, ohne auf die vielen Einzel-
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Dr. Schmidt (Gellersen)


heiten einzugehen; das hat Kollege Bauknecht schon Die Ertragslage hat sich gebessert, ein wenig gebes-
getan. sert. Das hat der Kollege Bauknecht schon betont.
Das Endergebnis darf ich genauso wie Sie, Herr Aber sie wird — ich will es nach den Ausführungen
Kollege Bauknecht, zusammenfassen: Es ist, ver- dies Ministers und auch nach der Darlegung des uns
glichen mit der Entwicklung der übrigen Wirtschaft, vorgelegten Berichts und Planes wiederholen — im
enttäuschend, wenn nicht sogar ein bißchen jammer- kommenden Berichtsjahr, 1961/62, 'schlechter sein, als
voll, obwohl die Landwirtschaft sehr große Leistun- sie im Augenblick ist. Wir entnehmen aus dein jetzt
gen vollbracht hat. Aber dieses Ergebnis hat natür- vorgelegten Bericht auch, daß die Verbesserungen in
lich seine Gründe, und diese Gründe sind in der erster Linie über die Einnahmen aus der Veredelung
Politkzuschen. kommen. Wir stellen trotz der Verbesserungen fest,
daß der Differenzbetrag zwischen dem Vergleichs-
Ich möchte jetzt hier nicht all die Leistungen dar- lohn und dem erzielten Lohn größer und nicht klei-
stellen, sondern nur auf die menschlichen Leistungen ner geworden ist, obwohl wir ein Landwirtschafts-
zu sprechen kommen. Sie müssen nämlich 'besonders gesetz haben.
hervorgehoben werden. Im letzten Berichtsjahr ha-
ben wir wiederum 150 000 Vollarbeitskräfte, sei es Ich will auf die Unterschiede der Entwicklung in
als Landarbeiter, sei es als Familienangehörige der der Landwirtschaft selber nicht weiter hinweisen;
Bauern, abgeben müssen. In .den letzten zehn Jahren das werden einige Kollegen meiner Fraktion nach-
waren es 1,5 Millionen. Der Durchschnittsbesatz der her tun. Aber ich frage mich: welchen Sinn haben
bäuerlichen Betriebe an Arbeitskräften hat sich in solche Berichte und solche amtlichen Feststellungen,
den letzten zehn Jahren um ein Drittel verringert. wenn idaraus nicht irgendwie Konsequenzen gezo-
Trotz dieser Verringerung von Arbeitskräften sind gen werden? Diese Frage war uns gestellt, und ich
die Leistungen verdoppelt worden. Das muß Aner- frage die Bundesregierung.
kennung finden. Man muß dem Landvolk dafür Die Bundesregierung hat in der Regierungserklä-
danken. Das ist auch ein Zeichen dafür, daß die rung folgendes gesagt: Die derzeitige Wirtschafts-
Tüchtigkeit und Anpassungsfähigkeit unserer Land- und Ertragslage der deutschen Landwirtschaft darf
wirtschaft nach wie vor gegeben ist. Herr Kollege nicht verschlechtert werden, sie muß, wo sie unzu-
Struve hat schon in der Europadebatte darauf auf- reichend ist, verbessert werden, Bei der Ankündi-
merksam gemacht, daß weitere Kräfte der Land- gung, daß das nächste Jahr schlechter sein wird als
wirtschaft abwandern werden. Wissenschaftler das jetzige, ergibt sich doch ganz konkret die Frage:
gehen sogar so weit, zu behaupten, daß in dem Sagen Sie, Herr Bundesminister, wie wollen Sie
nächsten Jahrzehnt eine weitere Million aus der diese Einkommenslage bei den schlechteren Aussich-
Landwirtschaft ausscheiden müssen. Ich hoffe, daß ten verbessern? Reicht es aus, was Sie im Grünen
es nie zu einem solchen Ausmaß kommt, denn wenn Plan hierzu 'vorschlagen? Ich könnte mir -vorstellen,
es dazu käme, würde die bäuerliche Substanz un- .daß sich, nachdem ja so viele neue Kräfte in die
mittelbar angegriffen werden, und ,daran können wir Bundesregierung eingetreten sind, diese bemerkbar
nicht interessiert sein. machen. Sie stellen auch den Finanzminister, so
(Allseitiger Beifall.) daß es bei der Bewilligung der Mittel dann nicht
mehr so schlecht bestellt sein dürfte.
Selbst wenn der Prozeß langsamer vor sich geht,
wird er sehr schmerzhaft sein, schmerzhafter als in (Zuruf rechts: Das hat sich bereits bemerk
den letzten Jahren. Wir wissen doch schon heute, bar gemacht!)
daß es in vielen Betriebsbereichen der Landwirt-
schaft — wer sie genau kennt, der weiß das — — Wir sind uns darin jedenfalls alle e inig, die hier
eine Schufterei und Schinderei gibt. Ich empfinde es noch im Hause sitzen; es sind zwar nicht sehr viel,
immer als eine gewisse Ironie des Schicksals, daß aber es ist noch eine genügende Zahl. — Das hat
die Industrie der Landwirtschaft die Kräfte absaugt, ja auch Herr Bauknecht gesagt, und ich wiederhole
während dieselbe Industrie der Landwirtschaft Be- seine Worte: So kann es nicht weitergehen. Wir
triebsmittel zu angemessenen Preisen verweigert, werden uns auch darin einig sein, daß wir eine
gesunde Landwirtschaft und gutverdienende Bauern
(Zustimmung bei der SPD und der FDP) und Landarbeiter brauchen, allein schon der großen
Kaufkraft wegen.
die Ersatz für die weggehenden Menschen sind.
Aber anscheinend geht es in der Wirtschaft eben Nun, was können wir konkret dazu tun, nachdem
nicht edel zu, da wird mit rauhen Mitteln gearbeitet. wir bisher dabei nicht weitergekommen sind? Wah-
rend meiner Studienzeit habe ich einmal etwas von
Ich sagte schon: bisher ist ,das noch verhältnis- einem volkswirtschaftlichen Lehrsatz gehört, daß
mäßig glatt gegangen. Aber dabei wird einmal ein man zuerst an die Kostensenkung denken müsse.
außerordentlich kritischer Zeitpunkt eintreten. Ich Wir wissen, daß die verwöhnten Industrien zur
habe die Frage an die Bundesregierung, ob sie Vor- Verbilligung der Betriebsmittel nicht bereit sind,
stellungen darüber 'hat — nachdem der Bundemini- sondern zusätzliche Gewinne daraus ziehen.
ster selbst hier im Hause davon gesprochen hat —,
wie sie dieser Entwicklung Rechnung tragen will. (Zuruf rechts: Wie ist es mit den Lohn-
Schließlich ist die Erhaltung der Menschen auf dem kosten?)
Lande doch eine sehr ehrenwerte Sache.
— Darauf wird mein Kollege Frehsee eingehen. Er
Lassen Sie mich auch einige Bemerkungen allge- wird sich mit dieser Frage auseinandersetzen, keine
meiner Art zur Einkommens und Ertragslage sagen.
- Sorge! Er sagt es Ihnen besser, als ich es kann.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 523

Dr. Schmidt (Gellersen)


Der Vizepräsident der EWG-Kommission, Herr der EWG — ich freue mich, daß der Europäer Lücker
Mansholt, hat vor einigen Tagen auf einer Presse- wieder anwesend ist —
konferenz in Brüssel auf die Frage eines Journa- (Heiterkeit)
listen, ob in Zukunft mit der Senkung von Ver-
braucherpreisen zu rechnen sei, geantwortet, die strukturiert sein? Die Entwicklung in der Bundes-
Vorbedingung für die Senkung der Verbraucher- republik in den letzten Jahrzehnten zwischen der
preise in der EWG sei die Senkung der Betriebs- Industrie und der Landwirtschaft ist nicht gleich-
mittelpreise für die Landwirtschaft, und er fügte mäßig verlaufen. Es gab verschiedene Perioden mit
hinzu, daß infolge der Marktexpansion und der Vor- verschiedenen Tendenzen. Und es gab eine Zeit —
teile im Gemeinsamen Markt die Industrie bereits es ist noch gar nicht lange her —, da wurde die
in der Lage sei, ihre Preise zu senken. Das ist fast Industrialisierung als eine Gefahr für die Landwirt-
zu schön, um wahr zu werden. Aber wenn dem so schaft bezeichnet. Aber was ist Industrialisierung?
sein sollte, dann hätten wir hier wenigstens einige Industrialisierung ist nach unserer Auffassung nicht
Sorgen weniger. Bei einem Neuanschaffungswert eine Gefährdung der Landwirtschaft, sondern eine
der Maschinen von 2,65 Milliarden DM würde eine weitere Voraussetzung für die Wohlstandsentwick-
Senkung der Preise um nur 20 % eine Kostenerspar- lung in der Landwirtschaft. Wer weiß, was sich da
nis von einer halben Milliarde DM bedeuten. Das im Zuge der Steigerung von Kaufkraft, Nachfrage
wäre ein ganz schöner Schluck aus der Pulle, und und Bedürfnissen vollziehen kann, der erkennt auch
alle Bauern würden sich darüber freuen. darin eine große Chance.
Aber statt Preissenkung oder auch nur -stillstand Ich glaube, daß gerade in der Zukunft die unter-
erleben wir von Jahr zu Jahr einen Preisanstieg. nehmerische Initiative in einer Vielfalt mit den
Wir werden also neue Wege gehen müssen, die an komplizierten Problemen der Zukunft besser fertig
sich keine neuen Wege sind. Es kommt doch darauf werden wird, als man dies in Großbetrieben in jeder
an, das Einkommen der Bauern indirekt dadurch zu Form tun kann. Alle grundsätzlichen europäischen
erhöhen, daß ihre Ausgaben für Masichnen gesenkt Debatten haben sich um diese Erkenntnis herumge-
werden. Dafür gibt es den einfachen Weg der Ge- rankt. Wir sind uns einig in dem Bekenntnis zum
meinschaftsmaschine. bäuerlichen Familienbetrieb. Ich hätte das in diesem
Zusammenhang nicht gesagt, wenn nicht Herr Kol-
(Abg. Brese: Industrie und Gewerkschaf lege Struve und auch wiederum Herr Kollege Bau-
ten müssen beide auf Preis- bzw. Lohnerhö knecht dazu einiges gesagt hätten. Es könnte, wenn
hungen verzichten!) wir nichts dazu sagen, vielleicht den Eindruck er-
— Herr Kollege Brese, ich habe mit den Gewerk- wecken, wir wollten gar nicht so. Wir benutzen den
schaften genausowenig zu tun wie Sie. Wozu sagen Begriff Familienbetrieb nicht so oft wie Sie, aber
Sie mir das? ich mache Sie darauf aufmerksam, daß in unseren
(Zuruf des Abg. Brese.) Parteiprogrammen seit 1946 immer das -Wort „Fa-
milienbetrieb" und dessen Förderung zu lesen ist.
— Jetzt rede ich hier; wenn Sie reden wollen, kön-
nen Sie nachher hier heraufkommen. — Wir werden Wir haben also die Überzeugung, daß dieser Be-
also durch Erhöhung der Mittel für Gemeinschafts- triebstyp in seinen tausendfältigen Förmen sich
maschinen etwas tun können. Ich gebe zu, das ist durchsetzen wird. Ich habe bereits in einem anderen
ein abgedroschenes Thema. Trotzdem ist es richtig, Zusammenhang über die gesellschaftliche Stellung
daß die Mittel dafür stärker erhöht werden müssen des Familienbetriebes und des Bauern in der Indu-
als bisher. Die bisherige Methode, kleckerweise Be- striegesellschaft gesprochen. Nun ist mir eines auf-
träge zu bewilligen, ist einfach nicht mehr zu ver- gefallen. In einer Presseerklärung der Freien Demo-
treten. Es ist eine unwürdige Methode, jeweils ein kraten vom 1. Februar dieses Jahres ist folgender
oder zwei Millionen DM mehr zu bewilligen, ob- Satz zu lesen:
wohl die Regierung wissen müßte, daß hier einer Und es muß Einigkeit darüber bestehen, daß
der wesentlichsten Beiträge zur Senkung der Be- nicht der industrialisierte Bauernhof, der Fami-
triebskosten der bäuerlichen Landwirtschaft gelei- lienbetrieb das erwünschte Ziel darstellt, son-
stet werden kann. dern der gesunde bäuerliche Familienbetrieb.
(Beifall bei der SPD.)
(Sehr richtig! bei der SPD.)
Wenn die Entwicklung der Aufwendungen und
'Erträge und ihres Verhältnisses zueinander so wei- Meine Kollegen von der FDP, da ist mir wahrhaftig
terläuft, dann gibt es überhaupt nur zwei Wege. zuviel Schwamm drin. Modernität und Familienbe-
Der eine Weg wäre die Anpassung des landwirt- trieb sind doch keine Widersprüche; das ergänzt
schaftlichen Preisniveaus an das industrielle; die sich doch.
Möglichkeiten hierzu sind begrenzt, weil Sie die Wenn man von einer Stärkung der Leistungskraft
Dinge auf Grund der europäischen Entwicklung gar unserer Familienbetriebe spricht, von Hilfen usw.,
nicht mehr in der Hand haben. Der andere Weg dann ist das doch eine Zwangsläufigkeit aus der
würde bedeuten, daß Sie bereit sein müßten, eine Entwicklung heraus. Sie waren doch das Objekt der
erhöhte Einkommensübertragung durch Subventio- Politik in mehreren Jahrzehnten. Sie haben sich
nen zu vollziehen. Keiner wird an dieser Entschei- gegen diese Politik nicht wehren können. Sie waren
dung vorbeikommen. eingeengt. Aus diesem Grunde geben wir die Hilfe
Eine andere allgemeine Frage, die hier behandelt für diese bäuerliche Familienwirtschaft. Jedenfalls
werden muß, ist: Wie wird unsere Landwirtschaft in in der jetzigen, sehr harten materialistischen Zeit
524 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Schmidt (Gellersen)
werden wir die Bauern nicht im Stich lassen, auch neuen Finanzminister für seine große Agrarfreund-
nicht durch Verschweigen oder Tottrampeln von lichkeit waren also zu früh, und diese Erkenntnis
Problemen und Tatbeständen. ist auch inzwischen bei den Bauern angekommen.
Nun hat Herr Bauknecht — ich darf mich wieder (Zuruf von der FDP: Woher wissen Sie das?)
auf ihn beziehen — bereits in seiner Rede von dem
rasanten Konzentrationsprozeß in der Landwirtschaft — Ich habe das inzwischen schon erfahren, weil ich
gesprochen, einem Konzentrationsprozeß zur Mitte. nämlich draußen war. Man hat bereits gemerkt, daß
Auch im letzten Jahr hat sich dieser vollzogen. Er nicht von 2 1/2 Milliarden, sondern nur von rund
wird sich wahrscheinlich in derselben Weise weiter 2 Milliarden die Rede ist, und in diesen 2 Milliar-
vollziehen. Aber was uns dabei erforderlich scheint den ist auch noch einiges drin, was nicht ganz in
— das darf ich ausdrücklich hier sagen — ist fol- Ordnung ist. Ich komme sofort darauf, und zwar auf
gendes: Es wäre wünschenswert, wenn wir diesen die 12 % ige Kürzung, die fast 1/4 Milliarde des gan-
Prozeß der Konzentration zur Mitte in den bäuer- zen Betrages bedeutet. Gewiß, der Herr Bundes-
lichen Betrieben mehr steuerten als bisher. Die minister hat hier im Hause erklärt, der Finanzmini-
„Wanderung des Bodens zum besten Wirt" ist ein ster habe ihm eine wohlwollende Behandlung in
wunderbarer Begriff, ein wunderbares Wort; nur dieser Frage zugesagt. Das aber kann uns bei
die „Wanderung des Bodens zum dicksten Geld- Finanzfragen überhaupt nicht interessieren; hier
beutel" ist eine unerträgliche Angelegenheit. zählen doch nur Fakten. Ich wäre dankbar, wenn
der Bundesfinanzminister uns an dieser Stelle eine
(Abg. Bauknecht: Das wollen wir verhin Erklärung darüber abgeben würde, daß die 12 %ige
dern!)
Kürzung für diesen Plan eben nicht gültig ist.
Ich darf aus der Erfahrung sprechen und sagen, daß
das Grundstücksverkehrsgesetz in dieser Hinsicht Wir sind mit der Verteilung dieser Mittel nicht
nicht ausreichend ist. einverstanden; meine politischen Freunde werden
dazu noch Stellung nehmen. Lassen Sie mich ledig-
(Abg. Bauknecht: Doch!) lich eine Bemerkung zu unserem Milchantrag ma-
Lassen Sie mich zum Grünen Plan zurückkehren. chen, und zwar deshalb, weil wir anders verfahren
Herr Bundesminister Schwarz hat vor einer Woche wollen als Sie. Sie wissen, daß wir unsere zusätz-
in überzeugender Weise diesen Plan verkündet und liche Milchprämie gestaffelt sehen wollen. Ich gebe
über den Bericht gesprochen. Ich stelle mit größter zu, daß das unsere eigene Erfindung ist; aber wir
Befriedigung fest, Herr Bundesminister, daß Sie bei wären in diesem Jahr nicht wieder auf dieses
dieser Erklärung schon auf einige meiner Fragen, Thema gekommen, wenn uns nicht Ihr Land und Ihr
die ich in der europäischen Debatte gestellt habe, Landtag, Herr Kollege Bauknecht, nämlich Baden-
eingegangen sind. Ich habe aus diesem Grunde auch Württemberg, so hoffnungsvoll unterstützt hätten.
-
die wohlberechtigte Hoffnung, daß Sie die übrigen In Ihrem Landtag wurde nämlich die Staffelung, wie
Fragen, die ich damals gestellt habe, nicht ganz wir sie dem Bundestag vorgeschlagen haben, ein-
vergessen werden und daß Sie auch vielleicht von stimmig
den Anregungen Gebrauch machen werden, die wir (Abg. Bauknecht: In der Hoffnung, daß wir
damals gegeben haben. es ablehnen! — Lachen in der Mitte)
Wir haben schon — ich darf es wiederholen — angenommen. — Das wäre ja für Ihre Partei-
festgestellt, daß der Grüne Plan nicht die Forde- freunde und für Ihren eigenen Landwirtschaftsmini-
rungen des Landwirtschaftsgesetzes erfüllt. In diesen ster eine schiefe Sache. Sie stammen jedenfalls sel-
Grünen Plan haben Sie früher — das ist Ihre Sache ber aus diesem Lande, haben dort einen Wahlkreis
— alles hineingestopft. Dadurch entstand oft ein — auch Herr Mauk, den ich im Augenblick nicht
schiefes Bild, wie es Herr Kollege Bauknecht ja sehe — und sind selber ein großer Führer in der
heute angeprangert hat. Auch in dem jetzigen Grü- Bauernorganisation dieses Landes.
nen Plan geht es mit den Bindungsermächtigungen
hin und her; Sie schieben diese vor sich her, ohne (Abg. Bauknecht: Wir haben unsere Mei
das ganze Feld zu bereinigen und indem Sie bei- nung zum Ausdruck gebracht!)
spielsweise Umbuchungen vornehmen. Gewiß, wir Ich hoffe nur, daß Sie sich hier unserem Anliegen
haben gefordert, daß da einiges umgestellt wird; anschließen.
aber die Ubersicht und die Klarheit ist dadurch
Im Zusammenhang mit den Brüsseler Beschlüssen
erschwert worden. Es wäre vielleicht gut, Herr Bun-
und der Debatte darüber sind hier im Hause einige
desminister — und Sie haben es ja selbst ange-
Themen behandelt, aber nicht ausdiskutiert wor-
regt —, diese Frage im kommenden Jahr von Grund
den. Ich habe dem Minister einen Katalog von An-
auf neu zu überprüfen, damit man mit dieser
regungen und Fragen vorgelegt. Ich will diese
Scheibchenmethode einmal aufhört. Im übrigen wird
Punkte nicht vertiefen, aber dazu doch einiges er-
die EWG-Politik — das wird Herr Kollege Lücker
gänzen. Ein gewisser Gradmesser in der Beurtei-
bestätigen müssen — doch auch einiges an unseren
lung und in der Einschätzung der Agrarpolitik ist
Grünen Plänen ändern. Darauf müssen wir uns schon
der Getreidepreis. In der europäischen Debatte ging
heute vorbereiten.
der Streit darum, ob es d e r Eckpreis oder, wie ich
Es hat mich ein bißchen unangenehm berührt, daß es gesagt habe, nur ein Eckpreis der Landwirtschaft
die Vorhersagen, die vor wenigen Wochen über das sein solle. Herr Lücker hat in seiner Schlußrede —
Ausmaß des Grünen Plans gemacht wurden, nicht wir konnten darauf nicht mehr antworten; darum
erfüllt worden sind. Die Vorschlußlorbeeren für den muß ich es heute tun — gesagt, daß 80 % und mehr
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 525
Dr. Schmidt (Gellersen)
aller Einnahmen mittelbar oder indirekt vom Ge- men. Aus diesem Grunde habe ich damals auch dem
treidepreis abhängen. Das, Herr Kollege Lücker, Vorschlag des Kollegen Charpentier zugestimmt.
trifft nicht ganz zu. (Abg. Lücker [München]: Herr Präsident,
darf ich noch eine Frage stellen?)
(Abg. Lücker [München] : 75 bis 80 %!)
— Auch das nicht! Sie werden sich wundern. Ich Vizepräsident Dr. Schmid: Bitte!
habe eine Statistik des Ihnen doch sicher bekannten
Ifo-Instituts über den Anteil der landwirtschaft- Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege
lichen Erzeugnisse an den Verkaufserlösen im Jahre Schmidt, können Sie sich nicht daran erinnern, daß
1958/59, es in der agrarpolitischen Auseinandersetzung im
(Abg. Lücker [München]: Das ist ja etwas Europäischen Parlament zunächst um die Frage
anderes!) ging, ob in allen Mitgliedsländern unserer Euro-
aufgeteilt auf die einzelnen Betriebsgrößengruppen. päischen Wirtschaftsgemeinschaft gleichmäßig für
An Hand dieser Statistik werden Sie erkennen, daß alle beteiligten Länder eine einheitliche Relation
.die Einnahmen aus Getreide und von Getreide ab- zwischen dem Weizenpreis und dem Futtergetreide-
hängigen Produkten bei den bäuerlichen Betrieben preis hergestellt werden sollte, und zwar in dem
höchstens ein Drittel aller Einnahmen sind. Selbst Wissen, daß diese Relation in den einzelnen Län-
bei den Großbetrieben sind es gerade nur die dern zwischen 100 : 68 und 100 : 93 schwankt? Ist
Hälfte aller Einnahmen. Also von 80 % kann gar Ihnen nicht bekannt, daß es darum ging, in allen
keine Rede sein. Ländern eine einheitliche Relation zwischen Wei-
zenpreis und Futtergetreidepreis herzustellen?
(Abg. Lücker [München] : Darf ich eine Zwi
schenfrage stellen?) Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Gewiß, Herr Kol-
— Bitte sehr! lege Lücker, darum ging es. — Haben Sie eine
zweite Frage?
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zwischen-
frage, Herr Abgeordneter Lücker! Lücker (München) (CDU/CSU) : Das ist die Frage,
die in der Ziffer 30 der berühmten Entschließung
des Europäischen Parlaments festgehalten ist. Ich
Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege möchte Sie bitten, noch einmal nachzudenken, ob
Schmidt, ich nehme an, daß Sie die Möglichkeit hat- Ihnen diese Ziffer 30 nicht geläufig ist.
ten, festzustellen, was ich seinerzeit in meiner Rede
hier gesagt habe. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß
ich davon gesprochen habe, daß vom Getreidepreis Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Herr Kollege
75 bis 80 % aller landwirtschaftlichen Einnahmen Lücker, ich brauche nicht nachzudenken.- Ich habe
direkt oder indirekt beeinflußt werden? Ich habe sie heute vormittag gelesen und ich habe auch die
nicht davon gesprochen, daß die Verkaufserlöse Protokolle genau gelesen. Daraus habe ich entnom-
oder die Einnahmen aus dem Getreideverkauf etwa men, was ich soeben sagte, daß der Streit darum
75 oder 80 % der Gesamteinnahmen wären. Ist ging. Sie hätten die Entschließung in dieser Form
Ihnen dieser Unterschied nicht zum Bewußtsein ge- nicht durchbekommen, wenn nicht der Kollege
kommen? Charpentier diesen Änderungsvorschlag mit dem
ausgewogenen Verhältnis gebracht hätte, der eben
den deutschen Verhältnissen nicht entspricht.
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Das ist Jacke wie
Hose.
(Heiterkeit.) Lücker (München) (CDU/CSU) : Können Sie sich
erinnern, Herr Kollege Schmidt, daß ich dem Vor-
Im übrigen habe ich Ihre Rede nicht gehört, ich schlag Charpentier zugestimmt habe, nachdem
habe sie gelesen. Und was man schwarz auf weiß durchgesetzt war, daß die einheitliche Relation für
besitzt, ist etwas wert. alle sechs Länder durchgezogen wird?
(Abg. Lücker [München] : Ich bitte Sie, das
noch einmal nachzulesen!) Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Nun, Herr Kol-
lege Lücker, da sind wir ja gar nicht so weit ausein-
— Ich habe es sehr genau gelesen. Was Sie in der ander.
Debatte über die europäische Diskussion zum Ge-
treidepreis gesagt haben, trifft nicht ganz zu. Sie Ich darf noch eines sagen, weil in den letzten Sit-
wissen doch, daß der Ausschuß eine Resolution vor- zungen und auch heute wieder davon gesprochen
gelegt hat — ich muß das in diesem Hause korrigie- worden ist. Es gibt zwei Schlagworte in der deut-
ren; das kann nicht unwidersprochen bleiben —, in schen Agrarpoliitk, die, wie ich meine, die Diskus-
der praktisch vom deutschen Getreidepreisniveau sion über die Agrarpolitik ein bißchen vernebeln.
die Rede war, also auch von den Relationen der Da ist die eine Front, die nur von der Bodenproduk-
Preise für Futter- und Brotgetreide zueinander. Sie tion spricht, und da ist die andere Front, die nur
wissen auch, daß der französische Kollege Charpen- von der Veredelungsproduktion spricht. Ich meine,
tier einen Änderungsantrag gestellt hat, um das ab- in den letzten Jahren hat das zur Verhärtung, ja
zuwandeln, und zwar einfach deshalb, weil die an- fast zur Verkrampfung geführt. Es ist selbstver-
deren Kollegen bereit waren, das deutsche Verhält- ständlich, daß die deutsche 'Bodenproduktion gesund
nis von Brot- und Futtergetreidepreis zu überneh sein muß; das wird von niemandem bestritten. Es
526 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Dr. Schmidt (Gellersen)


ist auch von niemandem bestritten, auch nicht von aufnehmen müssen —, wenn Sie bis heute noch kei-
meiner Partei, daß die deutsche Bodenproduktion nen Vertreter haben? Zumindest ist er für uns noch
die 'Grundlage unserer Landwirtschaft und die nicht in Sicht. Ein solches Entwicklungs und Kredit-
-

Grundlage der deutschen Veredelungswirtschaft ist. programm kann nicht von heute auf morgen ent-
wickelt werden. Es ist keine Kleinigkeit, Umfang
(Abg. Lücker [München]: Bravo!) und Kosten eines derartigen Programmes festzustel-
Sie wissen aber genau so wie wir, daß diese Grund- len und dafür einen Zeitplan aufzustellen. Aber Herr
lage nicht ausreicht und daß es besser ist, Rohstoffe Minister, das haben nicht wir, das haben Sie in der
zur Veredelung einzuführen als die veredelten Pro- Hand.
dukte selbst. Das ist ein alter nationalwirtschaft- Eine zweite Bemerkung. Herr Struve, wir sind
licher Grundsatz. Der wachsende Anteil der Verede- uns einig darin, daß wir den Wettbewerb in der
lungsprodukte an den Gesamterlösen der Landwirt- EWG bald spüren werden. Die Grüne Woche hat
schaft zeigt doch den Weg, den wir angedeutet gezeigt, mit welcher Konkurrenz wir in Zukunft
haben. Er zeigt auch, daß die Verwertung der eige- rechnen müssen. Ich finde die Anregung, die eine
nen Bodenproduktion zum besten Nutzeffekt über Zeitung — es war wohl die „Welt" — neulich gege-
das Tier geht. ben hat, ausgezeichnet, daß man unsere Bauern zur
Auch in der europäischen Konzeption wird sich Grünen Woche nach Berlin fahren lassen sollte, da-
diese These und dieser Blickwinkel mehr als je mit sie davon einen Eindruck bekommen. Man
durchsetzen, mehr als je Gültigkeit haben. Ich hätte müßte das bei der nächsten Grünen Woche prakti-
es gern gesehen, wenn auch der Bundesernährungs- zieren.
minister — er hat sehr ausführlich über allies mög- Wenn wir das Ziel erreichen wollen, unserer
liche gesprochen ein bißchen mehr über dieses eigenen Landwirtschaft den Löwenanteil am deut-
Verhältnis gesagt hätte. Ich habe den Wunsch, daß schen Verbrauch zu erhalten, ja vielleicht den An-
wir aus den alten Vorstellungen, nur das eine oder teil noch zu steigern, dann — darin bin ich mit
das andere, herauskommen und uns davon lösen. Ihnen, Herr Bauknecht, einig — müssen wir uns da-
Haben Sie keine Sorge, ich will Ihnen nicht das für noch einiges einfallen lassen, und es muß noch
holländische Rezept verkaufen. Ich weiß, daß das einiges getan werden. Die Anfänge in der rationel-
gegenwärtige holländische Rezept genau so zur len Vermarktung müssen weiter entwickelt werden.
Katastrophe führen würde wie das Rezept der ein- Schlagworte helfen uns dabei nichts. Ich gebe zu,
seitigen Getreideproduktion. Das wird es in der daß es dabei unsere wichtigste Aufgabe sein wird,
EWG gar nicht geben. Wir werden also die goldene das Marktbewußtsein bei unseren Bauern voll zu
Mitte, den Ausgleich finden müssen, und das habe entwickeln. Aber dieses Marktbewußtsein ist für
ich anzudeuten versucht. den „echten" bäuerlichen Betrieb keine Gefahr, son-
Auf die anderen Schwerpunkte, die ich in der dern eine Lebensnotwendigkeit.
europäischen Debatte angesprochen habe, will ich Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Was ich
nicht weiter zurückkommen. Ich will weder etwas gesagt habe, habe ich mit meinem bäuerlichen Her-
zum Sozialplan sagen — das wird mein Kollege zen gesagt. Die Bauern sind bekanntlich keine Ro-
Frehsee tun — noch zu den Regionalplänen; das mantiker. Sie sind realistisch, realistischer, als sich
müssen wir an anderer Stelle vertiefen. Ich möchte das die meisten vorstellen. Sie haben heute gar
meinen damaligen Bemerkungen nur zwei Gesichts- keine Zeit mehr, Romane zu lesen oder schöne Re-
punkte hinzufügen. den und Phrasen zu hören. Die junge Generation,
Im Zusammenhang mit dem Neuordnungsprozeß, Herr Kollege, ist außerordentlich nüchtern. Sie blickt
innerbetrieblich und außerbetrieblich, und im Zu- gar nicht traurig in die Vergangenheit zurück. Die
sammenhang mit der Herstellung der Wettbewerbs- junge Generation sieht zunehmend in der Zusam-
fähigkeit in der Landwirtschaft werden wir ein um- menarbeit ihre große Chance. Der Lebenswille ist
fassendes Investitions- und Kreditplanprogramm ungebrochen. Der Bundestag hat an sich nur die
brauchen. Aufgabe, diesen Lebens- und Selbstbehauptungs-
willen der deutschen Bauern nicht zu entmutigen,
Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, daß 'sondern im Gegenteil die Lebenskräfte zu stärken.
auch der Herr Bundesminister ausdrücklich gesagt Unsere Aufgabe als Politiker und Mitglieder des
hat, es müsse dem ganzen natürlich eine Bestands- Bundestages ist es, den Bauern die Zeichen der Zeit
aufnahme vorangehen. Ich darf das noch einmal verständlich zu machen, diesen Entwicklungsprozeß
zitieren; es darf eben nicht untergehen, es muß in vernünftige Bahnen zu lenken und, wie gesagt,
auch in dieser Debatte erhalten bleiben. Er hat die Agrarpolitik von den bekannten Schlagwor-
gesagt: ten zu befreien. Wir haben also den Landwirten in
Je härter und klarer — mag es auch vielleicht diesem großen Entwicklungsprozeß zu helfen. Die
schmerzhaft sein — wir unseren Standort analy- Zeit drängt, meine Damen und Herren. Es liegt nur
sieren, desto richtiger werden wir handeln. bei der Regierung, die nötigen Schritte einzuleiten.
Ich bin sehr dankbar für diese Erklärung. Ich will Herr Bundesminister, ein Wort an Sie. Sie haben
das Programm nicht vertiefen; das ist Aufgabe der für diese große Aufgabe die Unterstützung der Op-
Regierung. Ich möchte jedoch fragen, wie all das be- position. Es liegt in Ihrer Hand, ob das so bleibt
wältigt werden soll. Herr Minister, wie wollen Sie oder ob Ihnen eines schönen Tages ein rauher Wind
all das bewältigen — Sie werden in den nächsten entgegenwehen wird.
Wochen und Monaten das Rennen in Brüssel wieder (Beifall bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 527

Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr eigenen Standpunkte der Parteien und in manchen
Dr. Effertz. Fragen auch noch abweichende Meinungen zutage
treten, ist selbstverständlich.
Dr. Effertz (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen Wenn Sie uns, Herr Kollege Schmidt, in diesem
und Herren! Am 31. Januar hat der Deutsche Bun- Zusamemnhang wegen einer Veröffentlichung in
destag im Zusammenhang mit der Debatte über die der „Freien Demokratischen Korrespondenz" kriti-
Brüsseler Beschlüsse zur EWG eine Entschließung siert haben wegen einer Bemerkung, die Sie als zu
verabschiedet mit (der Feststellung und der Bereit- weich bezeichneten, und dann unser Streben gegen-
schaft aller Parteien, eine gemeinsame agrarpoli- übergestellt haben, den bäuerlichen Familienbetrieb
tische Konzeption zum entwickeln. Wir haben dabei zu bejahen und die Farm abzulehnen, dann müssen
festgestellt, daß hierfür Eile geboten ist und daß Sie eine solche Feststellung doch auch Ihrerseits
bereits bei der heutigen Debatte die Umrisse dieser bejahen. Denn Sie haben das Oder dazwischen über-
agrarpolitischen Konzeption erkennbar sein müßten. sehen. Wir wollen den bäuerlichen Familienbetrieb
Diese Feststellung hat die deutsche Landwirtschaft als die Grundlage; wir wollen genauso wenig wie
dankbar begrüßt. Dieser befristete Zwang sollte Sie die Farm.
uns nun allerdings veranlassen, diesen Versuch auch
Meine Damen und Herren! Im weiteren Rückblick
heute und in nächster Zeit zu machen.
muß ich nun feststellen — das dürfen mir vor allem
Lassen Sie mich an dieser Stelle allen Parteien die Kollegen aus der CDU nicht übelnehmen —, daß
dieses Hohen Hauses, auch der SPD, Mr ihre Bereit- wir oder daß sie dreimal in der Vergangenheit die
schaft, hier mitzutun, danken. Ich bin Ihnen gegen- Weichen nicht richtig gestellt haben. Schon im
über, Herr Kollege Schmidt, etwas freundlicher, Jahre 1949, bei Beginn der freien Marktwirtschaft,
als Sie uns gegenüber soeben waren. Ich möchte wurden meines Erachtens die ersten entscheiden-
Ihnen sogar für Ihre damalige Rede und Ihre heu- den Fehler gemacht, als man im Gegensatz zu den
tige Rede danken. Ich bin sogar bereit — im Gegen- Preisen der übrigen Wirtschaft die Erzeugerpreise
satz zu den Reden, die Ihr Kollege Kriedemann frü- der Landwirtschaft aus politischen Gründen fest-
her hier gehalten hat —, das meiste von 'dem, was hielt. Das soll keine nachträgliche billige Kritik
Sie gesagt haben, zu unterschreiben. Über einige sein, wenn ich daran erinnere, sondern nur eine
Konsequenzen könnte man noch etwas streiten. Ich notwendige Feststellung, weil nämlich die Agrar-
bin also herzlich dankbar, daß auch (die SPD durch politik bereits damals in eine falsche Richtung ge-
ihre Reden und durch ihre Bereitschaft zu dieser drängt wurde.
gemeinsamen Entschließung an der neuen Konzep-
Wenn das aber im Anfang aus politischen Grün-
tion mitarbeiten will. Ich muß aber auch Ihrer Kol-
den und vielleicht zur Ankurbelung der Wirtschaft
legin Strobel dafür danken, (daß sie aus der Sicht
und eines notwendigen Exports erforderlich schien,
der Verbraucher hier nicht nur einseitig Verbrau-
dann hätte man das später, als die Konjunktur zu
cherinteressen vorgetragen hat, sondern sie in Ver-
blühen begann, ändern und die landwirtschaftlichen
bindung mit den berechtigten Anliegen der land-
Preise an die Kosten angleichen müssen. Vieles
wirtschaftlichen Erzeuger, der Bauern, gebracht hat.
hätte dann schon, durch die Selbsthilfe der Land-
Meine Damen und Herren! Wir haben uns bei wirtschaft unterstützt, geschehen können, was wir
dieser gemeinsamen Entschließung drei Leitziele für heute noch als Nachholbedarf bei der Rationalisie-
die künftige Agrarpolitik gesetzt: erstens, die rung vor uns sehen.
Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft auch Der zweite Fehler der Vergangenheit war der,
im Europäischen Markt zu gewährleisten, zweitens, daß man im Zuge des allgemeinen wirtschaftlichen
die Interessen der Verbraucher zu wahren, und drit- Aufstiegs die Agrarpolitik aus der allgemeinen
tens, Lösungen zu finden, die auch finanzpolitisch Wirtschaftspolitik ausklammerte und ihr einen poli-
tragbar sind. Ich darf im Namen meiner Fraktion tischen Sonderstatus gab. Damit wurde unausge-
an diese Entschließung, wie wir es ja sollen, an- sprochen, aber de facto die Agrarpolitik als Berufs-
knüpfen. Damit möchte ich zugleich auch die Über- standspolitik, als sogenannte Grüne-Front-Politik,
leitung zu den Ausführungen meiner Fraktionskol- deklariert. Das führte dazu, daß man auf Grund des
legen Logemann und Walter, zu ihrer kritischen leider erst 1955 verabschiedeten Landwirtschafts-
Wertung des Grünen Berichts und des Grünen Pla- gesetzes die Situation in der deutschen Landwirt-
nes geben. schaft in Sonderberichten, den „Grünen Berichten",
Wenn wir jetzt von einer gemeinsamen Konzep- analysierte und daraus folgernd staatliche Maßnah-
tion für die Zukunft sprechen, dann heißt 'das, eine men in Form von „Grünen Plänen" entwickelte. Ich
neue Entwicklung, also eine neue Agrarkonzeption bedauere aus dieser Rückschau, daß es einen Gril-
zu bejahen. Wenn man aber von einer neuen Agrar- nen Plan überhaupt gibt. Es wäre mir lieber, es
konzeption für die Zukunft sprechen will, dann gäbe keine Grünen Pläne, denn dann wäre die
bleibt es nicht aus, daß man auch eine gewisse Landwirtschaft nicht durch die Grünen Pläne ein-
Rückschau vornehmen und von einer gewissen seitige Zielscheibe der Kritik, und man würde nicht
Bestandsaufnahme ausgehen muß. Wir sollten daher einseitig der Landwirtschaft vorwerfen, sie allein
den Mut haben, ganz unabhängig von dem, was erhielte Subventionen, und dabei übersehen, daß
war, was geschah oder was nicht geschah, gewisser- die gesamte Wirtschaft versteckt oder offen im ge-
maßen in Fortsetzung unserer EWG-Debatte sorg- samten Bundeshaushalt fast 11 Milliarden DM oder
fältig rückschauend und vorausschauend eine noch mehr an Subventionen erhält, ohne daß man
Bestandsaufnahme vorzunehmen. Daß dabei die darüber redet. Daß ein solcher Sonderplan dann
528 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Effertz
allmählich zur Voreingenommenheit in der öffent- rufsstands- oder Grüne-Front-Politik? Ich bin der
lichen Meinung führt — das wird zum Teil auch Meinung, die Agrarpolitik kann nur Bestandteil der
noch künstlich gefördert —, daß man dann zu einer allgemeinen Wirtschaftspolitik sein und sollte auch
Fehlbeurteilung der Landwirtschaft schlechthin so und genauso wie die anderen Bereiche der Wirt-
kommt, daß man von den „ewig klagenden Bauern" schaftspolitik behandelt werden.
spricht, von der „ewig rückständigen Landwirt-
schaft", die sich mit Staatshilfen ihre Rückständig- Die Frage nach dem Standort, die ich soeben an-
keit honorieren lassen wolle — das ist dann die sprach, darf man aber nicht nur wirtschaftspolitisch
Folge, die wir alle sehr bedauern. Das ist aber auch und nicht nur rein ökonomisch sehen, sondern muß
die Ursache für das leider seit Jahren festzustel- sie auch staatspolitisch und gesellschaftspolitisch
lende Mißverständnis zwischen der Landwirtschaft sehen; denn nach unserer Auffassung gehört zur
einerseits und der öffentlichen Meinung im allge- Gesunderhaltung eines Volkes auch ein gesundes
meinen. Bauerntum. Leitbild, Herr Kollege Schmidt, ist der
Familienbetrieb. Diese Auffassung gilt im übrigen
Ich bin der Meinung — das möchte ich hier ein- in allen westlichen Ländern, und daß die Landwirt-
blenden —: entweder bejahen wir alle miteinander, schaft auch in hochindustrialisierten Ländern bejaht
so wie wir das in der gemeinsamen Entschließung wird, sehen Sie am Beispiel Amerikas, das sich die
getan haben, quer durch alle Parteien, auch die Ver- eigene Landwirtschaft viel mehr Subventionen
braucher, auch die öffentliche Meinung, eine weit- kosten läßt, als es bei uns der Fall ist.
gehende eigene landwirtschaftliche Produktion, oder
wir verneinen sie. Die landwirtschaftliche Produk- Die zweite Grundsatzfrage, die damals beantwor-
tion und die Existenz einer landwirtschaftlichen Er- tet werden mußte oder heute zu stellen ist: Wel-
zeugung aber von der allgemeinen wirtschaftlichen chen Umfang einer Eigenproduktion an Nahrungs-
Politik zu trennen, halte ich für falsch. mitteln bejahen wir aus politischen Gründen? Ich
bin der Meinung, wir müssen wie in allen Ländern,
Der dritte Fehler der Vergangenheit war nach wie auch in hochindustrialisierten Ländern eine
meiner Auffassung bei der Aufstellung der Grünen
möglichst große Eigenerzeugung bejahen. Dabei
Pläne die Überbetonung des landwirtschaftlichen
stellt sich aber gleich die Unterfrage: was soll oder
Strukturwandels. Dadurch wurde nämlich der Ein-
darf dann das im Landwirtschaftsgesetz gesteckte
druck erweckt, als ob der Strukturwandel allgemein
Ziel des Ausgleichs zwischen den zumeist politisch
gesehen die Voraussetzung für die Erreichung des
manipulierten und möglichst nach unten fixierten
Kostenausgleichs in der Landwirtschaft wäre. Sosehr
Agrarpreisen und den sich frei marktwirtschaftlich
wir auch den Strukturwandel alle miteinander be-
leider immer nach oben entwickelnden Kosten für
jahen, er ist doch nur ein Hilfsmittel der Agrar-
Produktionsmittel an finanziellen Mitteln aus dem
politik, er spricht nur einen Teil der landwirtschaft-
Bundesetat erfordern?
lichen Betriebe an und hat direkt mit den Einkom-
mensverhältnissen in der Landwirtschaft nur mittel- In diesem Zusammenhang darf ich darauf hin-
bar etwas zu tun. weisen, daß die Bejahung einer weitgehenden
Die Sonderexistenz eines Wirtschaftsplans — Eigenerzeugung, d. h. aber auch die Bejahung einer
sprich: Grüner Plan — außerhalb des allgemeinen möglichst großen Zahl landwirtschaftlicher Betriebe
Haushalts lenkt also — ich möchte es noch einmal auch für die deutsche Industrie interessant sein
betonen — die öffentliche Kritik unangebracht auf dürfte oder interessant werden könnte; denn der
die Landwirtschaft und ist schuld daran, daß auch Nachholbedarf für die Erstellung einer durchratio-
im Zusammenhang mit den „Grünen Debatten" hier nalisierten modernen Landwirtschaft würde der In-
in diesem Bundestag in den vergangenen Jahren in dustrie die Möglichkeit — wenn man eine gewisse
der Öffentlichkeit und in der Presse manchmal sehr Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe politisch bejaht
unsachlich und manchmal auch nicht immer wohl- — eines innerdeutschen Absatzes in der Landwirt-
wollend berichtet wird. schaft für ihre Industrieerzeugnisse in Höhe von
40 bis 50 Milliarden etwa für einen Zeitraum von
Meine Damen und Herren! Sehr wahrscheinlich 15 Jahren geben. Das könnte für die deutsche Indu-
hätte die Agrarpolitik mindestens seit dem Zustande- strie durchaus ein interessantes Geschäft werden,
kommen des Landwirtschaftsgesetzes einen anderen wenn einmal auf der Welt unser Export infolge der
Verlauf genommen, wenn man damals bei den Be- Konkurrenz zurückgehen sollte.
ratungen zu diesem Gesetz die politischen Grund-
satzfragen als Voraussetzung diskutiert und beant- Wie gesagt, die Voraussetzung dafür ist aller-
wortet hätte. Das Ergebnis einer solchen Unter- dings die politische Bejahung einer gewissen Min-
suchung wäre nämlich dann die Voraussetzung für destsubstanz an Betrieben. Dann wäre dieses Ge-
eine andere Formulierung des Gesetzes gewesen. schäft für die Industrie auf die Dauer sinnvoll.
Ich meine hier vier politische Grundsatzfragen, die Die Frage, die ich zuletzt anschnitt und zu beant-
gestellt und beantwortet werden müssen. Wenn man worten versucht habe, hängt zusammen mit der drit-
es damals nicht tat, müssen wir es nachholen. Es
ten Grundsatzfrage, und das ist die kritischste: was
ist nie zu spät, politisch zu diskutieren, wenn man
ist der Begriff „Familienbetrieb"? Wir wollen ja die
wirtschaftspolitische Gesetze machen will. Agrarpolitik auf Familienbetrieben basieren lassen;
Die erste politische Grundsatzfrage — ich habe sie der Familienbetrieb soll das Leitbild sein. Sowohl
bereits angedeutet — ist die: soll die Agrarpolitik im Landwirtschaftsgesetz wie auch im EWG-Vertrag
Teil der Wirtschaftspolitik sein oder, wie oft gesagt ist vom Familienbetrieb als Leitbild der Agrarpoli-
worden ist, eine Minderheitenpolitik, also eine Be- tik die Rede. Aber die Frage, was man darunter zu
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 529
Dr. Effertz
verstehen hat, ist bis heute leider noch nicht beant- verpflichtet sind, auch nach dem Landwirtschafts-
wortet. Man kann diese Frage allerdings auch nicht gesetz und dem EWG-Vertrag, beim Familienbetrieb
rein wirtschaftspolitisch oder betriebswirtschaftlich Aufwand und Ertrag auszugleichen, weil der Bauer
beantworten. Die Antwort ist nach meiner Auffas- nicht kalkulieren kann, weil die Preise politisch, die
sung eine politische Aussage und muß dementspre- Kosten dagegen sich frei marktwirtschaftlich ent-
chend auch von politischen Grundkonzeptionen aus- wickeln, dann müssen wir allerdings auch und müs-
gehend gefunden werden. sen wir im Bundestag ganz besonders den Mut haben,
die entsprechenden Wege zu gehen, sich auf be-
Diese politische Antwort auf die Frage, was ein stimmte Wege zu einigen; und dafür gibt es ver-
Familienbetrieb ist, ist für die Existenz und das schiedene Wege. Man kann einseitig die landwirt-
Schicksal von Hunderttausenden bäuerlicher Be- schaftliche Produktion subventionieren. Man kann
triebe entscheidend. Diese Antwort enthält letztlich die Verbraucherpreise heruntersubventionieren. Man
,

auch die Antwort auf die Frage, wieviele selbstän- kann aber auch ein Mischsystem zwischen Subven-
dige Existenzen aus politischen Gründen als not- tion ' beim 'Erzeuger und beim Verbraucher und der
wendig anerkannt werden sollen. Ich glaube, meine Bejahung einer gewissen Preisteigerung für be-
Damen und Herren, wir sind alle darin einig, daß stimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse finden.
wir eine möglichst breite Schicht von mittelständi- Welchen Weg wir gehen, das, hoffe ich, werden wir
schen selbständigen Existenzen erhalten sollten. Es demnächst in aller Ruhe im Ernährungsausschuß be-
wäre geradezu paradox, wollte man auf der einen raten, aber vielleicht auch im Plenum in der weite-
Seite die Neubildung von Eigentum, insbesondere ren Diskussion noch einmal abhandeln. Zu irgend-
von Kleineigentum, fördern, während man auf der einem System müssen wir uns bekennen.
anderen Seite dafür — und gerade bei den selbstän-
digen bäuerlichen Existenzen — altes Eigentum in Ich will nicht sagen, daß wir uneingeschränkt das
Gefahr bringen oder es sogar bewußt zerschlagen englische System übernehmen sollten. Vielleicht
wollte. paßt es heute, nach den Brüsseler Beschlüssen, nicht
mehr uneingeschränkt auf deutsche Verhältnisse.
Wenn ich sagte, daß man diese Fragen politisch Aber das Prinzip der englischen Agrarpolitik: auf
beantworten muß, so muß ich auch versuchen, von Grund der Errechnung der Kostenbasis den kosten-
mir aus nun eine politische Antwort auf die Frage, deckenden Preis zu geben und, darauf aufbauend,
was ein Familienbetrieb ist, zu geben. Ich weiß, daß staatliche Förderungsmaßnahmen auszurichten, das
das ein heißes Eisen ist, und ich weiß auch, daß man scheinen wir doch bejahen zu müssen.
darüber streiten kann. Aber mir geht es nur darum,
einmal eine Diskussionsgrundlage für weitere Bera- (Abg. Niederalt: Da würden Sie aber den
tungen zu geben, um die Basis zu finden, nach der Bauern eine Freude machen!)
man die unterste Grenze eines selbständigen Fami- — .Ja, nicht ich allein; ich hoffe, wir machen das
lienbetriebes beurteilen kann, für den man dann alle miteinander.
nach dem Landwirtschaftsgesetz staatlicherseits, weil
sich die Preise politisch, die Kosten dagegen nach Man spricht manchmal in der Bundesrepublik von
oben frei marktwirtschaftlich entwickeln, den Aus- der rückständigen Landwirtschaft; ich sagte es eben
gleich zwischen Aufwand und Ertrag deben müßte. schon. Man sagt, nur ein Berufsstand werde sub-
ventioniert, das seien die Bauern. Man verweist
Ich bin der Meinung, nicht die Betriebsgröße ist auf den Grünen Plan. Für den Fall, daß man ein
entscheidend. Dafür ist der Boden zu unterschiedlich, gewisses Produktionsvolumen und eine gewisse
das Klima zu unterschiedlich, die Lage zum Markt Mindestanzahl von Betrieben aus politischen Grün-
zu verschieden. Auch nicht das investierte Kapital den bejaht, möchte ich ein Parallelbeispiel aus den
ist entscheidend. Vielmehr muß die Frage, weil sie übrigen Bereichen der Wirtschaft anführen, wo
politisch ist, so gestellt werden: wieviele Arbeits- diese Auffassung ebenfalls aus politischen Gründen
tage will ich bei voller Auslastung — vielleicht mit selbstverständlich ist. Ich denke an den Stein-
8 oder 10 Arbeitsstunden je Arbeitsstag — bei einem kohlenbergbau. Er wird mit Recht aus Gründen der
noch zu findenden Marktleistungsvolumen — beides Energiesicherung bejaht. Da wird aus volkswirt-
in Relation gestellt — als 'Grundlage für die Beant- schaftlichen und sozialpolitischen Gründen mit Sub-
wortung des Begriffs „Familienbetrieb" geben? Ich ventionen gearbeitet. Der Unterschied besteht nur
könnte mir z. B. vorstellen, daß man sagte: Wenn darin, daß diese Zuschüsse im normalen Haushalt
300 Arbeitstage im Jahr 'bei einem noch zu fixie- des Bundes ohne Kennzeichnung als Sonderplan er-
renden Marktleistungsvolumen einschließlich der scheinen und darum der öffentlichen Kritik weitge-
Selbstversorgung gegeben sind, dann müßte der hend entzogen sind, ganz anders als bei der Sub-
Begriff „Familienbetrieb" gelten, und dann müßte ventionierung 'der Landwirtschaft. Es wird also die
unsere ganze Politik auch für die Zukunft darauf Notwendigkeit der Eigenerzeugung zur Sicherung
aufbauen, daß hier Aufwand und Ertrag, an der der Energieversorgung bejaht. Das tue ich auch;
Vielfalt verschiedener Modellbetriebe errechnet, aber warum nicht das gleiche bei der Landwirt-
im Mittel ausgeglichen werden. So müßten dann schaft?
allerdings auch die Förderungsmaßnahmen .des Grü-
nen Plans aussehen. Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Wenn wir, die Freie Demokratische Partei, immer
wieder von dem kostendeckenden Preis sprechen,
den wir fordern, und wenn ich gesagt habe, daß wir Dr. Effertz (FDP) : Bitte!
530 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Darf ich Sie den Strukturwandel am Leben halten wollte, obwohl
einmal fragen: ist es ein Versteckspielen, wenn auf man wissen müßte, daß ein Teil dieser Betriebe auf
der Ausgabenseite des Haushalts Subventionen die Dauer nicht zu halten ist, wenn man bei der
offen ausgewiesen werden? Sind Sie nicht vielmehr bisherigen Auffassung bleibt.
mit mir der Meinung, daß es ein Versteckspiel ist,
Wir sollten uns einmal ruhig darüber unterhalten,
wenn ganz bestimmte Steuerarten zweckgebunden
wo. wir die unterste Grenze finden, um dann den-
sind, wie das z. B. bei der Heizölsteuer geschehen
jenigen, die nicht unter den Begriff ,,Familienbe-
ist?
trieb" fallen, die also dann Nebenerwerbsbetriebe
werden, das so rechtzeitig zu sagen, daß sie wenig-
Dr. Effertz (FDP) : Ich bin völlig Ihrer Meinung.
stens einen Teil ihrer Vermögenssubstanz in einen
Wir widersprechen uns gar nicht. Ich habe gesagt:
im Gesamthaushalt (versteckt oder offen). anderen Beruf hinüberretten und mit dieser Sub-
stanz ihren Kindern eine andere Berufsgrundlage
verschaffen können.
Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Sind Sie
nicht mit mir der Meinung, daß die Subvention
doch die offenste und ehrlichste Form ist?
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Dr. Effertz (FDP) : Ich verneine das nicht. Dr. Effertz (FDP) : Bitte!
Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Ich meine: Dröscher (SPD) : Herr Kollege Effertz, sind Sie
im Prinzip. Ich lege Wert darauf, daß wir im Prin- der Meinung, daß es eine solche Grenze gibt? Ist
zip einig bleiben. sie überhaupt annähernd genau festzulegen?

Dr. Effertz (FDP) : Im Prinzip ja. Ich sage nur: Dr. Effertz (FDP) : Ich habe vorgeschlagen, daß
was beim Steinkohlenbergbau recht ist, muß bei der wir uns darüber unterhalten, von welcher Fixierung
Landwirtschaft billig sein. Kein Mensch beklagt sich wir ausgehen wollen. Man kann darüber streiten.
darüber, daß in der Vergangenheit z. B. die Knapp- Heute finden wir die Basis nicht. Bei Annahme einer
schaft im Steinkohlenbergbau mit fast der gleichen gewissen Anzahl von Arbeitsstunden, etwa 8 bis 10
Subventionssumme bedacht worden ist — sprich: pro Tag, in Verbindung mit einem noch zu fixieren-
1,6 Milliarden — wie der Grüne Plan im vorigen den Produktionsvolumen — sprich: Marktanteil —,
Jahr. Das kritisiere ich nicht. Das nehme ich nicht umgesetzt dann auf die Arbeitskraft — wobei es mir
übel. Aber was man da tut, muß man auch hier tun. gleichgültig ist, ob das eine familieneigene Arbeits-
(Zuruf von der Mitte: Hat man doch getan!) kraft oder eine fremde Arbeitskraft ist —, könnte
man den untersten Begriff dafür, was als Familien-
— Nein. Sie haben doch den Kollegen Bau- betrieb zu gelten hätte, finden.
knecht gehört. Sie haben den Kollegen Schmidt
gehört, und jetzt hören Sie mich. Sie haben den Ich wollte heute, wie gesagt, nur Diskussionsbei-
Bundesernährungsminister Schwarz bei der Einbrin- träge liefern, weil wir durch unsere eigene Entschlie-
gung des Grünen Berichts und des Grünen Plans ßung aufgefordert sind, uns Umrisse einer neuen
gehört. Wir haben alle miteinander festgestellt, daß Agrarkonzeption zu überlegen und zu geben. Ich
wir das Ziel der Klasse, das Ziel des Landwirt- meine, sich auf der Basis, auf der man eine solche
schaftsgesetzes, noch nicht erreicht haben, sondern Konzeption zu finden hat, zu einigen, wäre eigent-
mehr tun müssen, um Aufwand und Ertrag auszu- lich der Ausgangspunkt.
gleichen. Ich fasse noch einmal die vier Fragen zusammen,
(Zurufe von der Mitte: Das ist ganz etwas die ich heute gestellt habe und die wir mit der Zeit
anderes! — Das ist im Bergbau genauso!) eingehend — meinetwegen auch mit Meinungsver-
schiedenheit, aber leidenschaftslos — beantworten
— Ich sage gar nichts gegen den Bergbau. Im Ge- müssen. Sie lauten:
genteil, ich bejahe das alles. Ich möchte nur dasselbe
für die Landwirtschaft haben. Sind wir uns da 1. Ist die Landwirtschaft Teil der Wirtschaft und
einig? — der Wirtschaftspolitik, oder soll sie weiterhin Ge-
genstand einer Berufsstandspolitik mit all ihren Be-
Ich komme nun zur letzten politischen Grundsatz- engungen und Belastungen auch in der öffentlichen
frage, die auch noch beantwortet werden muß, wenn Meinung bleiben?
man eine Konzeption für die Zukunft entwickeln
will: die Frage nach dem Ziel des Strukturwandels. 2. In welchem Umfang bejahen wir eine Eigenpro-
Wenn man die Frage, was ein Familienbetrieb ist, duktion der Nahrungsmittel unter Berücksichtigung
nicht beantwortet und wenn man die Landwirt- der Zielsetzung des Landwirtschaftsgesetzes und
schaft als Gegenstand der Wirtschaftspolitik nicht allerdings auch der finanziellen Folgen?
genauso bejaht wie andere Bereiche, dann kennt 3. Was ist ein Familienbetrieb, der ja Leitbild
man das Ziel des Strukturwandels nicht. Ich halte und Grundlage der Agrarpolitik sein soll?
es nicht für gut, wenn man im Zuge der jetzigen
Agrarpolitik, gleich aus welchen Gründen, so tut, 4. Was ist demnach das Ziel des Strukturwandels?
als ob man die in Gegenden mit kleinstbäuerlicher Die Beantwortung einer jeden dieser Fragen er-
Struktur, in Gebirgslagen, noch vorhandenen Fami- gibt sich in dieser Reihenfolge aus der Beantwor-
lienbetriebe oder bäuerlichen Kleinbetriebe über tung der jeweils vorhergehenden.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 531
Dr. Effertz
Lassen Sie mich nun gleich eine weitere grund- — Einen Augenblick, ich komme darauf. — Denn
sätzliche Erklärung, wenigstens aus meiner Sicht, auf die Dauer wird die französische Regierung dem
hier einblenden. Ich bin der Meinung, daß die französischen Bauern nur durch eine Preisanhebung,
Agrarpolitik, wenn sie nicht nur Berufsstandspolitik d. h. durch die Annäherung an die deutschen Preise
sein soll, auch nicht mehr parteipolitisch gesehen helfen können, nicht mehr nur über Subventionen.
werden darf. Deshalb freue ich mich — das sage ich Denn der Abstand zwischen Erzeugerpreis und Kon-
hier mit aller Betonung —, daß wir uns bei der sumentenpreis ist in Frankreich weitaus größer als
EWG-Debatte einstimmig — quer durch den ganzen in der Bundesrepublik. Hier eine gewisse Marge
Bundestag, also einschließlich der Opposition — da- für die landwirtschaftlichen Erzeuger in Frankreich
zu bekannt haben, eine gemeinsame Konzeption für abzuzweigen könnte — neben einer Anhebung des
die künftige Agrarpolitik gemeinsam zu finden, Erzeugerpreises z. B. bei Getreide an unser jetziges
nicht zuletzt ausgelöst durch die Brüsseler Be- Niveau — durchaus den Staatshaushalt Frankreichs
schlüsse. Nach meiner Meinung eignet sich die entlasten. Eine andere Frage ist allerdings, ob das.
Agrarpolitik nicht für parteipolitische Auseinander- einigen Leuten in Paris, die ein gewisses Handels-
setzungen. Entweder bejahen wir sie alle und damit monopol in Frankreich haben, in den Kram paßt.
auch die ganze Offentlichkeit, oder wir verneinen
sie schlechthin. Leider hat man nun in Brüssel vier wichtige Fra-
gen, und zwar die schwierigsten, noch ausgeklam-
Meine Damen und Herren, ich möchte im An- mert. Sie hätten eigentlich zuerst entschieden wer-
schluß an die damalige EWG-Debatte noch einiges den müssen. Es sind die Frage nach dem gemein-
zur EWG sagen. Die zweite Phase auf dem Weg samen Preis, die Frage nach den gemeinsamen
zum Gemeinsamen Markt hat nunmehr begonnen. Richtlinien über den Ausgleich von Aufwand und
Einige wichtige Beschlüsse sind gefaßt, die für uns Ertrag, die Frage nach dem gemeinsamen Vorgehen
als Bundestag neues Recht setzen. Die Kompetenz beim künftigen Strukturwandel — denn wir wollen
des Deutschen Bundestages wird — ich sage: leider ja in allen sechs Ländern ein einheitliches Bild
— weitgehend aufgehoben. Wir sind gezwungen, haben — und das Problem einer einheitlichen Vor-
die bisherige deutsche Gesetzgebung durch Be- stellung über die Beantwortung der Frage, was in
schlüsse der EWG-Exekutive ersetzen zu lassen. der EWG ein Familienbetrieb sein soll. Man ver-
Die Verhandlungen in Brüssel gehen aber weiter. gegenwärtige sich den Unterschied der Verhältnisse
Noch viel wichtigere und entscheidendere Be- in Süditalien und bei uns. Wir in der Bundesrepu-
schlüsse stehen uns bevor. Dabei denke ich insbe- blik denken an die Unterschiede der Situation z. B.
sondere an den Getreidepreis. Hierbei bin ich hof- — um von meiner engeren Heimat zu sprechen —
fentlich mit Ihnen allen der Meinung, daß unser in der Kölner Bucht einerseits, in der Eifel, auf dem
jetziges Getreidepreisniveau nicht gesenkt werden Vogelsberg oder im Bayerischen Wald andererseits.
darf, weil sonst alles ins Wanken gerät. Die Betriebe in den letztgenannten Gebieten gelten
für uns bereits weitgehend als strukturell ungesund
Jetzt darf ich auf die Bemerkung von Herrn Kol- und zu klein. Ein Vergleich mit dem, was heute in
legen Schmidt — und hier gebe ich ihm recht — Süditalien vorhanden ist und dort strukturell geän-
einblenden: so falsch nach unserer Auffassung die dert werden soll, sollte aber Veranlassung geben
einseitige Agrarpolitik der Holländer ist — die ein- — wir haben ja nur noch siebeneinhalb Jahre Zeit,
seitig auf der Veredelungswirtschaft aufbaut —, ge- in denen alles angeglichen werden soll, auch beim
nauso falsch wäre es, wollte man in der Bundes- Strukturwandel —, diese Frage in Brüssel noch
republik eine Agrarpolitik einseitig auf der Säule etwas gründlicher unter die Lupe zu nehmen. Das
des Getreidepreises aufbauen. Ich bin der Meinung, gilt insbesondere für die Frage, wer, wenn man
die Agrarpolitik wäre fester im Fundament, wenn trotzdem in Zukunft in Süditalien angleichen will,
sie auf beiden Säulen stünde. Was wir tun müssen, bezahlen soll; hoffentlich nicht nur die Bundesrepu-
ist nur, uns darüber zu unterhalten, in welchem ab- blik.
gewogenen Verhältnis wir das eine mit dem ande-
Nach dem Abschluß 'der Brüsseler Verhandlungen
ren bejahen und wie dann auch der Brotgetreide-
stand überall in der Presse — hier muß ich etwas
preis im Verhältnis zum Futtergetreidepreis ausge-
wiederholen, was schon gesagt worden ist —, daß
wogen für uns aussehen wird. Aber solange wir ge-
der Herr Bundesernährungsminister sich in Brüssel
gensätzliche Zielsetzungen der Agrarpolitik unserer
weiß Gott tapfer geschlagen habe; es hätte viel
Partnerländer in der EWG haben, sollten wir am
schlimmer kommen können. Aber es war falsch, in
jetzigen Getreidepreisniveau nichts ändern, es sei
der Presse von einem Kompromiß zu sprechen. Denn
denn, daß man uns, wenn es einmal sein soll —
die anderen hatten von uns etwas gefordert, wir
dann aber auch auf anderen Gebieten, insbesondere haben nachgegeben, und ein solches einseitiges
bei den Kosten und im Zusammenhang damit bei Nachgeben des einen Partners nennt man doch nicht
den Preisen —, die gleichen Chancen einräumt, wie Kompromiß! Die anderen haben etwas vorweg-
sie die anderen für sich beanspruchen. Ich gehe so- genommen, was erst in acht Jahren sein sollte.
gar so weit, zu sagen, es wäre auch mit Rücksicht Unsere Verpflichtungen aus der ersten Phase waren
auf Frankreich nicht gut, unser jetziges Getreide- erfüllt. Mehr hätte also nach dem Wortlaut des
preisniveau zu senken. Denn ich bin der Auffassung, EWG-Vertrages gerechterweise von uns nicht ver-
daß die französische Agrarpolitik ebenfalls das jet- langt werden können. Die Auflagen der ersten
zige deutsche Getreidepreisniveau bejahen müßte. Phase waren alle erfüllt, und ,das wäre die Voraus-
(Zuruf von der SPD: Müßte, weil sie es setzung für den Beginn der zweiten Phase gewesen.
gern wollen!) Alles, was man auf dem agrarpolitischen Sektor
532 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Effertz
noch zusätzlich 'gefordert hat, ist eine Benachteili- Dr. Effertz (FDP) : Vielen Dank! Ich wollte heute
gung der deutschen Landwirtschaft. die Probleme, die unter dem Schlagwort „Überpro-
Ich will bei dieser Kritik nicht auf die staatsrecht- duktion" zusammengefaßt werden, nicht anschnei-
liche Frage eingehen, ob es möglich war oder ist, den. Ich bin persönlich der Meinung, daß es zur
den Inhalt des Art. 44, sprich Mindestpreise, durch Zeit auf der Welt im Grunde keine landwirtschaft-
einen anderen Inhalt, sprich Abschöpfungen und liche Überproduktion gibt. Wir haben jetzt, im
Schutzklauseln, zu ersetzen. Das wäre eine Frage Jahre 1962, 2,6 Milliarden Menschen auf der Welt,
von denen heute beretits zwei Drittel schlechter
für Juristen. Ich als Nichtjurist bin der Meinung,
ernährt sind als wir und ein Drittel unterernährt
daß die Ersetzung des Inhalts eines Artikels durch
,

sind. In 40 Jahren haben wir 6,7 Milliarden Men-


einen anderen Inhalt einer Änderung gleichkommt
schen auf der Welt. Die Frage nach der Überpro-
und eigentlich dem Bundestag ebenso wie den Parla-
duktion ist nur eine Frage des guten oder schiech-
menten der anderen fünf Länder zur Beschlußfassung
ten politischen Willens; es geht nur darum, die Le-
vorgelegt werden müßte.
bensmittel auf der Welt so zu verteilen, daß sie da
Ein anderes Bedenken, das nach den Beschlüssen ankommen, wo sie gebraucht werden.
von Brüssel aufgekommen ist, möchte ich auch nicht (Beifall bei der FDP.)
unerwähnt lassen: die Frage, ob der Ersatz, mit
Abschöpfungsbeträgen und Schutzklauseln zu arbei- Lassen Sie mich eine andere Bemerkung zu den
ten, realisiert werden kann, wenn die notwendigen USA machen. Noch nie in der Geschichte war die
Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Statistische landwirtschaftliche Produktion ein ökonomisches
Unterlagen, mit denen man die notwendigen Berech- Geschäft, es war immer ein Opfer für jedes Land
nungen vornehmen könnte, sind in den meisten der und für jeden Staat. Wenn heute Amerika seine
sechs Länder nicht vorhanden. Ich habe einer Unter- Agrarsubvention bei der Bodenproduktion einstel-
suchung des Ifo-Instituts in München entnommen; len würde, dann wäre die Landwirtschaft in den
daß z. B. die Statistik Frankreichs absolut unvoll- USA trotz Farmen in zwei Jahren wahrscheinlich so
kommen und unzureichend sei; auch die Statistik unrentabel, daß selbst die USA Getreide importie-
in Italien und selbst die in der Bundesrepublik sei ren müßten. Vergessen Sie bitte nicht, daß die USA
noch nicht ausreichend, um mit dem Instrument der für jede Tonne ausgeführten Weizen nach unserer
Schutzklauseln und der Abschöpfungsbeträge — als Währung 110 DM Subvention geben. Das Stillegen
Ersatz für das System der Mindestpreise in Art. 44 von Flächen in Amerika, um die Produktion in der
— arbeiten zu können. Menge einzuschränken, ist auch eine Subvention.
Ich bin der Meinung, wenn man die Verteilung der
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler.) regional, national und saisonbedingten Über-
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal schüsse nicht wirtschaftspolitisch und nicht nur öko-
auf den kostendeckenden Preis zurück. Man hat oft nomisch, sondern politisch sähe, dann wäre das
gehört, diese Forderung sei eine Utopie, eine Illu- Problem kein agrarpolitisches, sondern ein rein
sion. Unsere Agrarwissenschaftler sagen uns, man politisches.
könne in der landwirtschaftlichen Erzeugung die (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)
Kosten einzelner Produkte nicht berechnen. Ich bin
der Meinung, daß das falsch ist; denn wenn das in Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun
Holland und in England, selbst in den USA für die aus dem, was ich gesagt habe — damit möchte ich
Bodenproduktion geht, wenn das dort die Grundlage zum Schluß kommen — einige Folgerungen ziehen;
für die Agrarpolitik ist und wenn man dort den denn wir sollen ja die Umrisse der neuen Agrar-
kostendeckenden Preis gibt, dann müßte das auch politik erkennbar werden lassen. Das möchte ich zu
in der Bundesrepublik möglich sein, wobei mich tun versuchen. Ich bin der Meinung, aus dem bisher
allerdings eine so weitgehende wissenschaftliche Gesagten lassen sich folgende Folgerungen ableiten.
Gründlichkeit, den Betrag bis zur vierten Stelle 1. Die Forderung nach einer Darstellung der Ein-
hinter dem Komma zu berechnen, nicht interessiert, kommensentwicklung seit der Währungsreform
sondern hier bin ich durchaus bereit, etwas groß- auch im Verhältnis zu 'den anderen Wirtschaftsbe-
zügiger die Kosten zu „peilen", wie das in der reichen, insbesondere der Einkommensvergleich
Industrie auch geschieht. Man braucht z. B. nur an auf der Basis des Aufwands-Ertrags-Vergleiches 'ein-
die chemische Industrie zu denken, die vielleicht schließlich des Stundenlohnes unter Berücksichti-
10 000 Einzelfabrikate herstellt und für jedes Einzel- gung der Gesamtdisparität im Grünen Bericht, die
fabrikat die Kosten berechnet. Untersuchung nach dem Stand der Ursachen für die
Verschuldung und eine Mitheranziehung des Preis-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zwischenfrage. indexvergleiches bei der Gegenkontrolle des Auf-
wand-Ertrags-Vergleichs im Grünen Bericht.

Bading (SPD): Herr Dr. Effertz, ist Ihnen nicht 2. Eine bereinigte Darstellung der Einkommens-
bekannt, daß sich in Amerika durch die dort betrie- hilfen aus der Bundeskasse — darauf wird nachher
bene Preispolitik ungeheure Vorräte ansammeln, der Kollege Walter von unserer Partei noch ein-
von denen die Amerikaner herzlich gern herunter- gehen —.
kommen möchten, und daß man auch in England 3. Die Offenlegung der Einkommenshilfen aus der
sich jetzt schwere Gedanken macht: wie kommen Bundeskasse für die übrige Wirtschaft, soweit sie
wir wieder von diesem System ab, mit dem wir ein- im Haushalt nicht immer als solche und direkt zu
fach nicht mehr Fertig werden? erkennen waren.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 533
Dr. Effertz
4. Ein vollständiger Katalog der landwirtschaft- Verbindung mit dem durch dieses Haus noch zu
lichen Einkommenshilfen .der anderen Länder, ins- verabschiedenden Notstandsgesetz.
besondere unserer Partner in der EWG.
11. Förderung der Selbsthilfe der Landwirtschaft
5. Der Umbau der Förderung des Strukturwandels bei der Erfassung und Vermarktung größerer, qua-
im Rahmen von Mehrjahresplänen und in Anpas- litativ guter Warenmengen, ohne dabei allerdings
sung an die jetzt in einigen Ländern entwickelten einer Gruppe — nämlich Genossenschaften — ein
großräumigen Strukturpläne. Monopol einzuräumen;
Ergänzend dazu ergeben sich noch einige weitere 12. Ausbau einer wirksamen Werbung, wie sie
Forderungen, z. B. eine zwingendere Fassung und auch in anderen Ländern seit eh und je als selbst-
Änderung dés Landwirtschaftsgesetzes mit dem verständlich und jetzt bei der Grünen Woche in
Ziel der Anpassung an das, was auf Grund der Berlin besonders deutlich demonstriert worden ist.
EWG und der Brüsseler Beschlüsse auf uns zu- 13. Förderung eines Agrarexports im Rahmen der
kommt: Entwicklungshilfe — und hier hätte ich eigentlich
1. Die Erwähnung der Vorrangigkeit der Eigen- das Problem der sogenannten Überproduktion an-
erzeugung, die Klärung des Begriffs bäuerlicher Fa- sprechen sollen, was ich aber vorhin schon getan
milienbetrieb und eine Verpflichtung für die Re- habe.
gierung, bestimmte Dinge zu tun. Meine Damen und Herren, damit komme ich zum
2. In Ergänzung dazu brauchen wir einen ehr- Schluß. Ich habe Sie mit meiner Rückschau hoffent-
lichen Einkommensvergleich im Grünen Bericht lich nicht allzusehr schockiert.
unter Berücksichtigung der geleisteten Arbeitsstun-
(Heiterkeit.)
den — auf der Basis Stundenlohn verglichen mit
vergleichbaren Berufen —. Ich habe ja gesagt: wir wollen durchaus gegenseitig
3. Die Heranziehung des Indexvergleichs zur lau- anerkennen, daß jede Partei auch in der Koalition
fenden Kontrolle der Agrarpolitik und als Grund- ihr eigenes Gesicht behält.
lage für Sofortmaßnahmen. Ich hoffe, daß Sie mit mir bereit sind, über _die
4. Die Erweiterung der Befugnisse des Wissen- vorgeschlagenen Maßnahmen oder die Wünsche
schaftlichen Beirats bei der Erstellung des Grünen meiner Fraktion und gewisse Forderungen hinsicht-
Berichts und eine entsprechende Erweiterung durch lich des Auffindens einer neuen agrarpolitischen
Hinzuziehung von Praktikern, aber auch gleichzei- Konzeption demnächst im Ernährungsausschuß mit
tig die Bitte, daß der Bericht des Wissenschaftlichen uns zu diskutieren. Ich hoffe, daß Sie — hoffentlich
Beirats in Verbindung mit dem Grünen Bericht dem aber auch die Regierung — mit uns, mit mir ein-
Hohen Haus auch als Diskussionsgrundlage zuge- sehen, daß der nächste Grüne Plan ein anderes Ge-
leitet wird. sicht haben muß. Wahrscheinlich wird er wesent-
lich teurer werden, wenn die Belastungen aus Brüs-
5. Die Bereitschaft zu einem Investitionshilfe- sel auf uns zukommen und wir — unabhängig von
gesetz zur Zusammenfassung der gesamten Kredit- der Frage, ob wir bisher zufrieden waren oder nicht
politik. — keine weitere Einkommensminderung für die
6. Der weitere Ausbau und die Konsolidierung Landwirtschaft hinnehmen wollen.
der bereits laufenden kurz- und langfristigen Ratio- Dabei müssen wir uns auch über das Problem
nalisierungskredite zu gleichen Bedingungen, die im langfristiger Maßnahmen im Rahmen unseres deut-
neuen Investitionsplan vorzusehen wären. schen Strukturplanes unterhalten; denn man muß
7. Die Zurückstellung der Revision der Einheits- säuberlich zwischen den Maßnahmen, die die Er-
werte, bis nachhaltige Rentabilitätsaussichten — tragslage direkt berühren, und denen trennen, die
insbesondere in der EWG — geklärt sind, oder zu- erst auf lange Sicht eine Verbesserung der land-
mindest die Zurückstellung der Heranziehung neuer wirtschaftlichen Produktion bewirken.
Einheitswerte für eine neue steuerliche Belastung, Wir müssen miteinander bereit sein, auch in der
bis auch der Finanzausgleich zwischen Bund, Län- Offentlichkeit dafür zu plädieren, daß man die
dern und Gemeinden gleichzeitig oder vorher vor- Agrarpolitik, die uns nach der gemeinsamen Ent-
gelegt und verabschiedet ist. schließung ja alle angeht, nicht mehr wie bisher
8. Wegfall des Lastenausgleichs, insbesondere in einseitig als Berufsstands- und Grüne-Front-Politik
den wirtschaftlich benachteiligten und in den Mit- attackiert oder diskriminiert. Wir müssen alle mit-
telgebirgslagen; das trifft wiederum insbesondere einander die Agrarpolitik ebenso wie die anderen
mittel- und kleinbäuerliche Betriebe. Bereiche der Wirtschaftspolitik bejahen. Dann wird,
glaube ich, auch das Klima in Zukunft besser, dann
9. Gründliche Verbesserung des ländlichen Bil- wird die Einstellung in der Offentlichkeit positiver.
dungswesens und Angleichung der Lebensverhält-
nisse im ländlichen Raum an den kulturellen und Wenn wir dazu bereit wären, würden die Ver-
zivilisatorischen Fortschritt in der Stadt. braucher uns auch nicht einseitig aus der Sicht der
Schaufensterpreise beurteilen und kritisieren, son-
10. Vorratspolitik für die Ernährungssicherung dern einmal mit uns überlegen, was von dem, was
mit ausreichenden Beständen an Grundnahrungs- der Verbraucher letzten Endes zahlt, der Bauer be-
mitteln — ich verweise auf das Beispiel in der kommt und ob nicht vielleicht hier und da auch im
schweiz, obwohl auch das nur ein Anfang ist — in Interesse der Verbraucher Änderungen vorgenom-
534 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Effertz
men werden müssen, entweder durch Subventionen Sehr geehrter Herr Kollege Schmidt, Sie müssen
oder durch teilweise Preisanhebungen, oder aber mir jetzt zwei Bemerkungen gestatten. Wenn ich
auch durch die Abzweigung eines Teils, der zwi- den Charme hätte, den Sie haben, würde ich das so
schen den Erzeugerpreisen und den Verbraucher- freundlich machen können, wie Sie das getan haben.
preisen liegt, über die Selbsthilfe der Landwirt- Ich habe also zwei Bemerkungen zu machen, die mir
schaft. am Herzen liegen.
Ich glaube, dann wird die Debatte über den näch- (Zuruf von der SPD: Holzhammer!)
sten Grünen Bericht, der schon deshalb ein anderes
Gesicht haben wird, weil wir auf die künftige EWG — Nein, das will ich gar nicht. Die erste Bemerkung
Rücksicht nehmen müssen, anders geführt werden. betrifft die haushaltsmäßigen Aspekte Ihrer An-
Auch über den Grünen Plan, der ganz anders aufge- träge, und zum zweiten darf ich den Versuch ma-
baut und mit einem größeren Finanzvolumen ausge- chen, in der mir höchstmöglichen Form an Höflich-
stattet sein muß, wird sich eine andere Diskussion keit den Zusammenhang zwischen der allgemeinen
ergeben. Ich nehme an, daß uns dann auch der Äl- politischen Haltung Ihrer politischen Freunde und
testenrat nicht mehr nur einmal im Jahr nachmittags ihrer speziellen Landwirtschaftspolitik aufzuzeigen.
nach 4 Uhr diese Fragen behandeln lassen wird, Wenn ich „ihrer" sage, Herr Kollege Schmidt, so soll
sondern daß er bereit sein wird, uns einmal einen dieses „ihrer" klein geschrieben sein.
ganzen Tag zu geben, aber nicht den Freitag, son-
dern vielleicht einmal den Mittwoch oder den Don- Ihre Anträge, meine sehr geehrten Herren von
nerstag. der Sozialdemokratie, kosten, wenn ich richtig
(Beifall bei der FDP.) gerechnet habe, 345 Millionen DM, die Beträge, die
Sie statt der Verbilligung des Handelsdüngers, die
Sie nicht mehr haben wollen, in Ansatz bringen,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der nicht mitgerechnet. Wir haben uns in unserer Frak-
Abgeordnete Wacher. tion auch in offiziellen Stellungnahmen zum Haus-
halt geäußert und wir haben — das muß in einer
Wacher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- Landwirtschaftsdebatte auch gesagt werden — auch
men und Herren! Es ist das Schicksal des Redners einem anderen Punkt als dem der äußeren und inne-
in der zweiten Runde, daß er den Versuch machen ren Sicherheit der Landwirtschaft in diesem Haus-
muß, irgendwie Bilanz aus der ersten Runde zu zie- haltsjahr ausdrücklich den Vorrang eingeräumt.
hen und vielleicht dies und jenes zu ergänzen, was Wie könnte das auch anders sein nach den Ereignis-
übersehen wurde oder nicht so ganz deutlich zum sen des ,13. August! Wer könnte es verantworten —
Ausdruck gekommen ist. auch bei einer Landwirtschaftsdebatte —, der Ver-
teidigung nicht das Primat zuzuerkennen.- Aber ich
Zur Bilanz! Auch nach der Rede des Herrn Kolle- glaube, wir sind uns im ganzen Hause ebenso dar-
gen Effertz sieht es, meine ich, zumindest auf den über einig, daß der zweite Kernpunkt dieses Jah-
ersten Blick doch so aus, als gingen die Fraktionen res die Brüsseler Beschlüsse sind.
in der Landwirtschaftspolitik recht uniform vor. Es
sieht sogar fast so aus, als ob nur ein edler Wett- Diese Brüsseler Beschlüsse — es ist oft genug ge-
streit darüber bestünde, wie man am meisten für die sagt worden — haben den toten Punkt in der euro-
Landwirtschaft, für die arme Landwirtschaft tun päischen Einigung überwunden und einem weite-
kann. ren Zusammenschluß gegenüber der nach wie vor
Ich hatte Gelegenheit, mir auch die Anträge der bestehenden östlichen Bedrohung den Weg geeb-
sozialdemokratischen Fraktion anzusehen, und ich net. Wir wie alle Fraktionen haben ja gesagt, ob-
sage Ihnen: ich halte sehr viel von diesen Anträgen wohl wir wußten, daß die Probleme, die Brüssel
für vernünftig, sehr viel für gut. Sie werden Ver- für die deutsche LandwIrtschaft aufwirft, schwer
ständnis dafür haben, wenn ich sage, daß ich einige sind. Die Brüsseler Beschlüsse waren aber aus poli-
liebe alte Bekannte wiedergesehen habe, Anträge, tischen Gründen notwendig. Daher müssen wir auch
die im Ernährungsausschuß des Bundesrates von zusätzliche Ausgaben und Aufgaben, die sich für
Bayern, von Schleswig-Holstein und von Nieder- die Landwirtschaft ergeben, unter politischen
sachsen gestellt waren. Aspekten betrachten. Deshalb der Vorrang für diese
Aufgaben.
(Abg. Bading: Muß das immer sein?!)
— Sie sind z. B. auch von Regierungen gestellt wor- Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
den, die Sie nicht tragen. Ich habe mich also gefreut, Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt (Geller
diese alten Bekannten wiederzufinden. Wir haben sen)?
uns auch in der CDU/CSU mit diesen Dingen be-
schäftigt, wie Sie wissen; wir haben sie längst publi- Wacher (CDU/CSU) : Bitte sehr!
ziert. Aber es kommt uns wirklich nicht darauf an,
festzustellen, wer zuerst auf einen guten Gedanken
gekommen ist und wer sich angeschlossen hat. Wir Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Herr Kollege
werden im Ausschuß zu untersuchen haben, ob und Wacher, ist Ihnen nicht bewußt, daß der Haushalts-
wie die Anträge verwirklicht werden können und plan der Bundesregierung dem Bundestag noch gar
ob wir auf dem richtigen Wege sind, auch gemein- nicht überwiesen worden ist und daß wir über Dek-
same Ziele zu realisieren. kungsvorschläge noch gar nicht reden konnten?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 535

Wacher (CDU/CSU) : Herr Kollege, Sie haben, das geht eben schlecht. Sehe ich mir die Gesamtpoli-
glaube ich, wie wir im Bundesrat einige politische tik der Sozialdemokratischen Partei an, so muß ich
Freunde. Wenn Sie das gleiche Interesse an diesen sagen, daß sie wohl in den Verdacht kommt, allen
Dingen — und das setze ich voraus — gehabt haben, Seiten zuviel zu versprechen.
haben Sie sich selbstverständlich über die Zahlen
Herr Schmidt, Sie haben die Frage der Disparität
informiert, genauso wie wir das getan haben. Wenn
expressis verbis aufgeworfen. Lassen Sie mich diese
Sie auch die Presse gelesen haben, haben Sie fest-
Frage aufgreifen. Wenn ich Sie recht verstanden
gestellt, daß immerhin eine Haushaltslücke in Höhe
habe, haben Sie die Disparität damit erklärt, daß
von 1,7 Milliarden DM besteht, die noch nicht
geschlossen ist. die Industrie der Landwirtschaft Betriebsmittel zu
angemessenen Preisen verweigere. Lassen Sie uns
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Wir sind be- einmal untersuchen, wodurch denn diese nicht ange-
reit, Ihnen später auch Vorschläge zu messenen Preise bedingt sind. Sie kennen die Index-
machen!) zahlen: Kosten 211, Einnahmen 269. Das ist die
Herr Kollege Schmidt, ich bin der Meinung, man Schere, die uns die Schwierigkeiten macht. Sie wis-
sollte es sich nicht gar zu einfach machen und hätte sen aber auf der anderen Seite, daß der Lohnindex
vielleicht auch mehr die Aufbringung der 350 Mil- bei 357 liegt. Herr Kollege Frehsee wird uns dar-
lionen DM ansprechen müssen. über sicher noch näher unterrichten.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen]: Das ist doch Es steht fest, daß durch das ständige Ansteigen
noch gar nicht begründet; das werden wir von Löhnen und Preisen auf dem gewerblichen Sek-
tun!) tor der Landwirtschaft zusätzliche Schwierigkeiten
entstehen. Ich bin der Meinung, die Wirtschaft und
— Darüber bin ich sehr froh. Sie werden mir aber
die Gewerkschaften sind bei diesem Spiel der Preis-
gestatten, daß ich aus der Erfahrung noch einige und Lohnsteigerungen in der letzten Zeit nicht zu
Bemerkungen mache. kurz gekommen.
Ich habe mir die Anträge, die Ihre politischen
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Freunde während dieser Legislaturperiode in den
letzten Monaten gestellt haben, gerade für diese Aber der Landwirtschaft wird zugemutet, bei diesem
Debatte einmal angesehen. Sie wissen, es handelt Spiel die Zeche zu bezahlen.
sich um Anträge auf dem Gebiete des Beamten-
rechts, der Sozialpolitik und ides Steuerrechts. Ich Preiserhöhungen auf landwirtschaftlichem Gebiet
gebe zu, es sind einige recht populäre Anträge da- werden manchmal — lassen Sie es mich bitte etwas
bei. kraß ausdrücken — geradezu als Verbrechen an der
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Auch gute!) Allgemeinheit hingestellt. Hinzu kommt,- daß, wenn
der Staat Geld zur Verfügung stellt, weil man ganz
Sie wissen, daß die Verwirklichung dieser Anträge einfach Preiserhöhungen sonst gar nicht ausgleichen
einige hundert Millionen gekostet hätte. Ich bin in könnte, durch einen Großteil der deutschen Offent-
meinen Schätzungen sehr vorsichtig. Herr Kollege lichkeit der entrüstete Ruf geht: Wieder neue Sub-
Schmidt, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die ventionen für die Bauern! Herr Schmidt, Sie müssen
vollständige oder auch nur teilweise Verwirklichung es mich bitte aussprechen lassen: man muß, wenn
dieser Anträge die Ansätze in dem Grünen Plan, man den guten Willen hat, den Sie an den Tag ge-
der uns vorliegt, sehr, sehr gefährdet hätte? Ich legt haben und den ich Ihnen nicht abspreche, auch
meine — ich bitte, mir das nicht übelzunehmen —: bereit sein, soweit man dazu in der Lage ist, gegen
wer zusätzliche Mittel für die Landwirtschaft fordert, die Lohn- und Preisspirale anzugehen und sie abzu-
muß auf anderen Gebieten eine gewisse Enthaltsam- bremsen. Herr Kollege Schmidt, Sie haben in Ihrer
keit üben. Fraktion Gelegenheit, mit maßgeblichen Herren der
(Abg. Lücker [München] : Sehr gut!) Gewerkschaft zu sprechen, um überhöhten Lohn-
Sonst kommt er mit seinen Forderungen nicht durch, forderungen entgegenzutreten und hier etwas zu
und, was er sagt, klingt nicht so ganz glaubwürdig. bremsen.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sie doch
(Beifall bei der CDU/CSU.)
auch!)
Herr Kollege Schmidt, ich darf Sie ansprechen,
— Sie haben mehr, viel mehr Gelegenheit, diese
weil Sie davon gesprochen haben, Sie brauchen sich
Entwicklung etwas zu stoppen.
aber nicht allein angesprochen zu fühlen. Lassen Sie
mich einige allgemeine Bemerkungen zur politi- (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen]: Sie in der
schen Haltung im allgemeinen und zur Einstellung Industrie!)
zur Landwirtschaft im besonderen sagen. Heute ist
Denn Sie wissen, daß Lohnerhöhungen automatisch
für uns alle, die wir mit der Landwirtschaft be-
Preise erhöhen.
schäftigt sind, ein Tag der Landwirtschaft. Man hat
so manchmal den Eindruck, daß man sagt: Man muß (Zurufe von der SPD: Sie sollten dann ein
diesen Tag feiern. Ja, meine Freunde, heute bei der mal mit den Unternehmerverbänden spre
Debatte über den Grünen Plan den Bauern viel zu- chen! — Wieso automatisch? Dias ist doch
zusagen, heute vormittag bei einer Sozialdebatte Quatsch! — Glocke des Präsidenten.)
sehr stark in sozialpolitische Vorstellungen und For-
derungen einzusteigen, übermorgen vielleicht in Vizepräsident Dr. Jaeger: Der Zuruf „Quatsch"
einer Mittelstandsdebatte möglichst viel zuzusagen, ist unparlamentarisch. Ich weise ihn zurück.
536 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Wacher (CDU/CSU) : Mir sind schon selbst ähn- geschehen ist. Aber wir unterscheiden uns doch in
liche Dinge unterlaufen, so daß ich Verständnis einer Frage sehr grundsätzlich von Ihnen: wir sehen
dafür habe. — Herr Kollege Schmidt, erst am Diens- uns nicht in der Lage, Sozialpolitik losgelöst von
tag dieser Woche hat doch die Gewerkschaft Gar- der anderen Politik zu treiben. Wir denken bei al-
tenbau, Land- und Forstwirtschaft die Erhöhung der len sozialpolitischen Maßnahmen an die anderen
Ecklöhne, ich glaube, um 28 % gefordert. Ich bin gar Bevölkerungsteile. Herr Schmidt, wir haben hier
nicht der Meinung, daß .die Landarbeiter nicht auch doch einige Erfahrungen und brauchen uns nichts
in den Löhnen den anderen Arbeitern folgen dürf- vorzumachen. Wenn mich mein Erinnerungsver-
ten. Aber zum mindesten wir beide, Herr Schmidt, mögen nicht ganz verläßt, war doch Ihre Haltung
sind uns doch darüber einig, daß es der Landwirt- bei dem Jugendarbeitsschutzgesetz, was die Land-
schaft unmöglich ist, diese 28 % oder eine annä- wirtschaft betraf, bed weitem nicht so aufgeschlossen
hernd hohe Lohnerhöhung zu tragen, und wenn man und freundlich, wie Sie sie heute an den Tag ge-
wirklich — ich betone noch einmal, Herr Schmidt; legt haben. Ich habe zum mindesten nicht den Ein-
ich nehme Ihnen das ab, ich glaube Ihnen das — ein druck, daß Sie damals das gleiche Verständnis ge-
Herz für die Landwirtschaft hat, dann sollte man zeigt haben, wie es heute aus ihren Anträgen her-
auch, wo sich die Möglichkeit bietet, hier zum Maß- vorzugehen scheint.
halten aufrufen. Darf ich als Abschluß dazu — ich möchte Sie nicht
Meine Damen und Herren! Wir werden ja auch ärgern, aber es ist mir vorhin gerade eingefallen —
oft geprügelt. Meine Fraktion hat noch vor kurzem ein Bild gebrauchen, um Ihre Politik vielleicht etwas
eine Erhöhung des Trinkmilchpreises angeregt. Wir darzustellen: Ihre Agrarpolitik scheint mir doch
glauben, gute Gründe dafür zu haben. Immerhin einem Bauern zu gleichen, der glaubt, daß es damit
würde diese Erhöhung des Trinkmilchpreises für die getan sei, einmal im Jahr zentnerweise Kopfdünger
Landwirtschaft 140 bis 160 Millionen DM erbringen. auf das Feld zu streuen, der aber die notwendigen
Gelder für den Grunddünger anderweitig verwen-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter det. Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Schmidt,
Wacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- nach dem, was Sie heute gesagt haben, wird ja im
ordneten Dröscher? nächsten Jahr alles anders und, wie wir hoffen, alles
besser.
Wacher (CDU/CSU): Bitte sehr! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich jetzt
ganz kurz auf einige Schlagworte eingehen, die im
Dröscher (SPD) : Herr Kollege Wacher, kennen Zusammenhang mit der Landwirtschaft und dem
Sie die Ausführungen, die Herr Staatsminister Dr. Grünen Plan !in der Öffentlichkeit herumgeistern.
Dr. Hundhammer in diesem Zusammenhang am Da begegnet man immer wieder dem lieben alten
7. Februar 1962 im Bayerischen Landtag gemacht Lied von der rückständigen Landwirtschaft, die nicht
hat? oder nicht so in unsere Zeit passe. Meine Freunde,
ich kann es ganz kurz machen, weil diese Dinge
Wacher (CDU/CSU): Ja! So rege ist die Dis- heute auch schon angesprochen wurden. Diese
kussion in unserer Partei, daß es uns gar nicht stört, Landwirtschaft hatte immerhin im Jahre 1961 eine
daß der Herr Kollege Hundhammer, der ja auch Wertschöpfung von 15 Milliarden DM gegen 8,1
gleichzeitig Ernährungsminister ist, die Dinge auch Milliarden DM im Jahre 1950, und das bei Voll-
von der anderen Seite sieht. arbeitskräften, die im Prozentsatz von 20 auf 10
(Beifall bei der CDU/CSU.) zurückgegangen sind. Die Hälfte der Beschäftigten,
85 % Steigerung der Wertschöpfung: das ist eine
Herr Dröscher, ich bin Ihnen ja dankbar, wenn Sie Leistung, auf die wir alle, auf die dieses ganze
mich über das, was Herr Hundhammer sagt, auf- Parlament, das an den Dingen gearbeitet hat, stolz
klären; aber im großen und ganzen bin ich schon sein kann,
recht gut darüber informiert. (Beifall bei der CDU/CSU)
Lassen Sie mich aber bitte noch einmal zu der und, meine Freunde, es ist auch eine Leistung, die
Erhöhung des Trinkmilchpreises zurückkommen. sich auf europäischer Ebene sehen lassen kann. Was
Herr Kollege Schmidt, es waren doch Ihre politischen soll eigentlich das Gerede von der sogenannten
Freunde, die sofort in den Chor derer einstimmten, leistungsschwachen Landwirtschaft! Immerhin kom-
die gegen diese Preiserhöhung — und das ist ja men 75 % des Verbrauchs an Nahrungsmitteln heute
auch heute zum Ausdruck gekommen — Zeter und aus der Inlandserzeugung. Und ich meine, 75 %
Mordio schrien. — Ich weiß nicht, ob dies ein par- sollten den Verbrauchern, die ihr Erinnerungsver-
lamentarischer Ausdruck ist. mögen nicht ganz im Stich läßt und die sich noch
(Heiterkeit.) etwas an die Mangelzeiten erinnern, doch eine ge-
wisse Beruhigung sein.
Meine Freunde! Ich habe heute vormittag einen
Teil der Reden auf sozialpolitischem Gebiet gehört. Ich weiß natürlich — und wir wissen das alle —,
Ich konnte mir leider nicht alle Reden anhören, so- daß diese Produktion durch erhöhten Einsatz ver-
sehr sie mich interessiert hätten. Sie haben da doch schiedenster Betriebsmittel, aber, ich meine, auch
Ihre sozialpolitischen Anliegen sehr ausführlich vor- durch den größeren Einsatz landwirtschaftlicher
getragen. Sie wissen, auch wir wollen keinen Still- Kenntnisse möglich geworden ist. Ich erinnere mich
stand auf dem Gebiet der Sozialpolitik, wir sind noch sehr genau, daß in den Jahren 1948 bis 1950,
wirklich recht stolz auf das, was in den zwölf Jahren als ich als Landwirtschaftsberater in Versammlungen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 537
Wacher
) die Forderung erhob: „Wir müssen erreichen, die oberen Zehntausend zugute gekommen ist. Ich
Durchschnittsleistung pro Kuh auf 3000 kg zu brin- frage mich aber: warum soll eigentlich ein quali-
gen", mir sehr viel Skepsis begegnet ist. Nun, die tativ besseres, ein hochwertiges Essen nicht auch
heutige Leistung pro Kuh beträgt 3406 Liter. Ich mehr kosten 'dürfen? Haben Sie eigentlich schon
meine, die Kühe von heute geben nicht nur mehr einmal erlebt, daß sich jemand darüber aufregt, daß
Milch, weil sie mehr fressen, sie geben auch deshalb ein Mercedes mehr kostet als ein Volkswagen? Ich
mehr Milch, wiel sie vernünftiger gefüttert werden. habe das noch nicht erlebt.
Die Landwirtschaft hat in den letzten Jahren nicht (Heiterkeit.)
nur Kapital — viel Kapital —, sondern auch viel
Ausbildung und Kenntnis investiert. Daran sollten Eines der verführerischsten, aber unklugsten
wir auch bei einer solchen Debatte nicht vorüber- Schlagworte ist ohne Zweifel das der völlig neuen
gehen. Agrarpolitik, die nunmehr notwendig ist. Ich habe
mir die 14 Punkte heute erstmalig angesehen.
Ich bin aber auch der Meinung, daß nicht nur der
Bauer, sondern auch der Landarbeiter unserer Tage (Abg. Dr. Effertz: Dreizehn! — Zuruf links:
wahrlich ein mehrfacher Facharbeiter sein muß. Ich Unglückszahl!)
glaube, er kann an Kenntnissen hinter dem Indu- — 13 hätte ich nicht aufgestellt; ich wäre bei 14 ge-
striearbeiter nicht zurückstehen. blieben. Ich bin aber überzeugt, daß diese Punkte
Nun will ich ein weiteres Schlagwort aufgreifen. so revolutionierend neu nicht sind. Darin stecken
Es heißt: „Die Landwirtschaft ist überaltert, sie ist einige Dinge, die bereits laufen, und es stecken
unmodern, sie ist investitionsfaul"; wie ich das vor einige sehr interessante neue Vorstellungen drin,
kurzem mal irgendwo gelesen habe. Einige wenige über die man diskutieren wird.
Zahlen dazu! Bruttoinvestitionen 1960/61 3,87 Mil- (Abg. Dr. Effertz: Sie müssen sie insgesamt
liarden DM. Meine Damen und Herren, das sind sehen!)
23 % mehr gegenüber 1959/60. Natürlich wissen wir
alle, daß ,das nicht so ganz freiwillig erfolgt ist, daß Ja, insgesamt sind sie in einer Rede schwer zu über-
schon der Zwang der Verhältnisse vom Arbeits- sehen,
markt her hier mitgewirkt hat. Aber 3,87 Milliarden (Heiterkeit)
DM ist eine stolze Summe im Vergleich zur Wert- vor allem, Herr Effertz, sind sie schwer auf einen
schöpfung. Wenn heute die Landwirtschaft 24,4 % Nenner zu bringen. Aber das wird uns auf Koali-
des Bruttoinlandsprodukts investiert und die übrige tionsebene schon noch gelingen.
Wirtschaft auch nur 26,1 % aufwendet, dann ist da- (Beifall und Heiterkeit in der Mitte.)
mit der Vorwurf der Investitionsmüdigkeit ganz
einfach widerlegt. Aber ich darf vielleicht folgendes sagen. Ich bin der
Meinung — Herr Effertz, ich unterscheide mich darin
Es gibt noch weitere beliebte, oft wiederholte, etwas von Ihnen —, daß die bisherige Landwirt-
aber darum noch lange nicht richtige Behauptungen schaftspolitik, die wir in der Bundesrepublik getrie-
über die Landwirtschaft: die Agrarpreise stiegen ben haben, gar nicht so schlecht ist.
von Jahr zu Jahr, die Lebensmittelpreise stiegen
und verteuerten die Lebenshaltung. Nun, lassen Sie (Beifall in der Mitte.)
mich in aller Kürze feststellen, daß der Preisindex
— Wenn sie anders und schlechter gewesen wäre
für landwirtschaftliche Erzeugnisse in diesem Be-
und wenn sie zu weniger Erfolgen geführt hätte,
richtsjahr von 221 auf 211 zurückgegangen, also um
dann wäre die Einigung in Brüssel viel leichter zu
5 % gesunken ist. Das gleiche können wir leider,
erreichen gewesen, als es jetzt der Fall gewesen ist.
das ist heute schon von Herrn Kollegen Schmidt
sehr eingehend dargelegt worden, für die Betriebs- (Abg. Dr. Effertz: So kann man es auch
ausgaben nicht sagen. Meine Freunde, man sollte sagen!)
aber dann, wenn man das weiß, den Vorwand der — So muß man es sagen, wenn man die Dinge ohne
Preissteigerungen für Nahrungsmittel nicht ver- jede Propaganda sieht.
wenden, um Preissteigerungen und Lohnerhöhun-
gen auf anderen Gebieten zu begründen. Ich bin wirklich der Meinung, daß die bisherige
Landwirtschaftspolitik richtig war. Das heißt aber
Ich möchte in ein oder zwei Sätzen noch auf den noch lange nicht, daß ich der Meinung bin, daß sie
Nahrungsmittelverbrauch eingehen, der sich auch exakt so wie in den letzten Jahren auch in den
im letzten Jahr wieder sehr verschoben hat. Aber nächsten Jahren fortgeführt werden muß. Aber wenn
lassen Sie mich vielleicht der Deutlichkeit halber ich auch zugebe, daß die Ziele des Landwirtschafts-
den Vergleich zu den Vorkriegsjahren ziehen. Es gesetzes nicht erfüllt sind — natürlich muß man das
sollte uns doch auch zu denken geben, daß z. B. zugebn—,mßadochfrgenbswikl
der Rindfleischverbrauch in diesem Jahr um mehr einen Phantasten geben konnte, der sich einbildete,
als 17 % höher liegt als 1935/39. Der Verbrauch an innerhalb von fünf Jahren könne jede Disparität aus
Geflügelfleisch ist um 159 % gestiegen, und Süd- 'der Landwirtschaft ausgeräumt werden. Ich habe
früchte werden um 284 % mehr gegessen. Auf der nie zu diesen Phantasten gehört; aber es hat viele
anderen Seite aber ist ein Minderverbrauch an Rog- Leute gegeben, die uns schnell wirkende Allheil-
genmehl von 54 % festzustellen, und Kartoffeln mittel angepriesen haben. Sie haben sich aber in
werden um 25 % weniger gegessen. der Vergangenheit regelmäßig als landwirtschaft-
Ich halte das für ein erfreuliches Zeichen eines liche Kurpfuscher erwiesen.
gehobenen Lebensstandards, der ja nicht nur den (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)
538 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Wacher
Für mich selbst gipfelt der Grüne Bericht — und paar Sätzen zum Ausdruck gebracht. Das würde ja
ich lese in sehr aufmerksam — immer in der Berech- bedeuten, bei den acht Kühen eine Bremse anzule-
nung der unterschiedlichen Deckung ides Vergleichs- gen, und das, Herr Schmidt, werden Sie, der Sie die
lohns durch das Betriebseinkommen mit Verzinsung Dinge ja auch weitgehend aus europäischer Sicht
des Aktivkapitals. Es ist sicher sehr erfreulich, Herr sehen, sicher nicht wollen. Deshalb wird man sich
Effertz — darin sind wir uns einig, und Sie haben diesen Antrag nochmals genau ansehen müssen.
diese Tatsache auch zum Ausdruck gebracht —, daß (Abg. Schmidt [Gellersen] : Darüber reden
ab 1960/61, von diesem Berichtsjahr ab wieder 7 % wir im Ausschuß!)
mehr, nämlich 34,7 % der Betriebe nach 'dem Land-
wirtschaftsgesetz in Ordnung oder fast in Ordnung Ich habe mich im vorigen Jahr an dieser Stelle
sind. Wenn wir uns gemeinsam daran erinnern, daß auch über die benachteiligten Gebiete etwas ausge-
wir nach dem ersten Grünen Plan mit 18 % ange- sprochen. Wir hatten in den letzten Grünen Plan
fangen haben, ist das ein sehr erfreulicher Fort- 70 Millionen für diese Zwecke eingesetzt. Ich, der
schritt. Ich gebe zu, mich interessieren die 63 %, von ich aus diesem Gebiet komme, möchte heute fest-
denen wir noch nicht sagen können, daß sie ganz in stellen, daß diese 70 Millionen eine wirklich wert-
Ordnung sind, zumindest ebenso, und zwar deshalb, volle Hilfe für diese Gebiete gewesen sind. Ich be-
weil wir hier mit unserer Arbeit für das nächste grüße es sehr, daß Sie, Herr Minister Schwarz, in
Jahr wieder ansetzen müssen. Ich sehe natürlich diesem Jahr diese Mittel um 20 auf 90 Millionen
die großen Unterschiede zwischen den Ertragsver- aufgestockt haben. Ich möchte aber auch den Kolle-
hältnissen der verschiedenen landwirtschaftlichen gen aus allen Fraktionen, die damit einverstanden
Gebiete. Ich möchte Sie nicht langweilen mit den waren und die dem zugestimmt haben, danken, daß
Zahlen über den Betriebsertrag, die immerhin zwi- es zu dieser Maßnahme gekommen ist. Ich weiß sehr
schen 3100 und 1200 DM schwanken. Sie haben sich genau, daß man einige Mühe hat, in Gebieten, die
die Zahlen auch angesehen. Bitte, die Betriebsein- nicht zu diesen benachteiligten Gebieten gehören,
kommen gehen von 10 000 bis zu 4000 DM! Über Verständnis für diese zusätzlichen Maßnahmen zu
eins bin ich mir klar: den Ertragsunterschied von wecken.
guten zu schlechten Böden, von optimalen zu mini-
malen klimatischen Bedingungen wird niemand ni- Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
vellieren können, auch der Bundestag nicht, wenn Zwischenfrage des Abgeordneten Dröscher?
er sich auch noch so anstrengt. Aber wir sind be-
müht, haben es gemeinsam in den letzten Jahren
getan und sind mit idem Grünen Plan ides letzten Wacher (CDU/CSU) : Bitte sehr!
Jahres und der letzten Jahre Schritte weitergekom-
men für die besondere Hilfe in den schlechter ge- Dröscher (SPD) : Herr Kollege, Sie haben - vorhin
stellten Gebieten. Aber, meine Freunde, um nicht diesen Antrag mitbegründet. Darf ich fragen, wie-
mißverstanden zu werden: wir erklären zum wie- viel zusätzliche Haushaltsmittel Sie für Ihren An-
derholten Male, daß es d i e Landwirtschaft, daß es trag errechnen? Das ist in Ihrem Antrag nicht ge-
die einheitliche Landwirtschaft nicht gibt, und das sagt. Es heißt darin nur: Es 'sind zusätzliche Haus-
war immer für uns der Grund, eine Berechnung der haltsmittel zur Verfügung zu stellen.
Gesamtdisparität abzulehnen. Denn diese Gesamt-
(Zuruf: Woher?)
disparität ist eine Zahl ohne Aussagewert. Wenn
Sie sie nämlich auf die verschiedenen Betriebe Vielleicht sagen Sie auch etwas über den Deckungs-
übersetzen, wird es immer ein Betrug nach oben vorschlag.
oder nach unten sein.

Sie haben, meine Damen und Herren, wenn ich Wacher (CDU/CSU) : Der steht in dem Antrag.
jetzt etwas auf die Landesgruppe der CSU Bezug (Abg. Dröscher: Nein, für die zusätzlichen
nehmen darf, immer beobachtet, daß wir den Mittel steht es nicht drin!)
Schwerpunkt auf den Ausbau gezielter Maßnahmen
— Herr Kollege, Sie wissen, daß der Werkmilch
legen und daß wir auch auf die Auswahl globaler
pfennig rund 120 Millionen kostet. In diesem Jahr
Maßnahmen für die bedürftigen landwirtschaftlichen
ist der Ansatz nicht insgesamt ausgegeben worden.
Gebiete besonders Wert legen. Wir sind sehr froh
Im Augenblick liegt der Betrag bei 105 Millionen
darüber, daß wir uns in unserer Fraktion sehr schnell
und dürfte auf 110 Millionen bis 120 Millionen kom-
darüber einigen konnten, daß der vierte Werk-
milchpfennig notwendig ist. Ich brauche eine Be- men. Sie wissen, daß der Ansatz — ich habe den
Titel nicht im Kopf — Geflügel- und Eierwirtschaft
gründung, nachdem Herr Bauknecht sie mir liebens-
für Geflügelsubventionen ab. 1. Juli nicht mehr
würdigerweise abgenommen hat, nicht mehr im ein-
voll notwendig ist. Da fällt ein maßgeblicher Betrag
zelnen zu geben. Aber, Herr Schmidt, um auf Ihren
an. Sie haben auch die Eierwirtschaft erwähnt. Es
Antrag, der sich auch mit der Frage befaßt, zurück-
läßt sich heute nicht übersehen, ob die Notwendig-
zukommen: wir sind nicht der Meinung, daß der
keit bestehen wird — und damit wird sich das Ka-
Bauer bis zu zehn Kühen — acht bis zehn Kühe
binett zu befassen haben —, ab Juli die Eier in
kommen ja bei Ihrem Ansatz in Frage — anders
voller Höhe zu subventionieren. Die Möglichkeit
behandelt werden soll als z. B. der mit 15 Kühen.
besteht bis zum 31. 12. 1962. — Wenn ich antworten
Ich bin der Meinung, Sie sind auch nicht ganz kon-
sequent. Sie selbst bemühen sich doch auch um soll, Herr Schmidt — —
einen Strukturwandel. Sie haben das heute in ein (Dr. Schmidt [Gellersen] : Eine Frage!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 539
Wacher
— Frage in die Antwort hinein? Herr Dröscher Ich möchte mir erlauben, mit einem Appell an die
würde böse sein, wenn ich ihm nicht genau antwor- Regierung, aber auch an uns alle zu schließen: die
tete. — Wir haben also die Deckung — — Landwirtschaftspolitik wird nicht nur im Landwirt-
schaftsministerium, nicht nur im Ernährungsaus-
(Zurufe von der SPD: Sie sind so nervös!)
schuß des Deutschen Bundestages und bei Grünen
— Sie sind so freundlich zu mir, daß Sie mich nicht Debatten im Plenum gemacht. Unsere gesamte Wirt-
nervös machen. schaftspolitik und Sozialpolitik muß im Blickpunkt
auf die Landwirtschaft betrieben werden, von der
Wir haben also die Deckung aus den nicht ver-
wir fordern, daß sie sich in die Wirtschaft einordnet.
wendeten Mitteln. Bei Geflügel vermag ich das
Aber das gilt, wie gesagt, auch umgekehrt: die ge-
heute zu übersehen. Bei den Eiern haben wir zu-
samte Wirtschafts- und Sozialpolitik hat sich auf
sätzliche Mittel, soweit sie notwendig sind, um die
diese Landwirtschaft einzustellen und auf sie Rück-
120 Millionen voll decken zu können.
sicht zu nehmen.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Aus dem
allgemeinen Haushalt? — Abg. Dröscher: (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ohne Deckungsvorschlag?)
— Da wir in den Haushaltsberatungen sind, werde Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
ich dann den Deckungsvorschlag bringen. Abgeordnete Frehsee.

Dr. Schmidt , (Gellersen) (SPD) : Herr Kollege Frehsee (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
Wacher, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Herr Mi- und Herren! Bevor ich mit dem beginne, was ich
nister Schwarz in Brüssel um die Erhaltung dieser mir hier vorzutragen vorgenommen habe, erlauben
Eierprämie gekämpft hat, und zwar mit Erfolg? Sie mir einige kurze Bemerkungen zu den Ausfüh-
rungen des Herrn Kollegen Wacher. Er ist mit uns
ein wenig aggressiv verfahren. Nicht, daß ich ihm
Wacher (CDU/CSU) : Der Herr Minister Schwarz deswegen böse wäre; denn es ist schon ganz gut,
hat sich sehr zu Recht die Möglichkeit der Gewäh-
Herr Kollege Wacher, wenn einmal der Unterschied
rung einer Eierprämie für ein weiteres halbes Jahr
zwischen den Auffassungen der politischen Parteien
offengehalten. Ich begrüße das. Aber es läßt sich
zu Sachfragen herausgearbeitet wird. Niemand wird
heute nicht übersehen, wie die Situation im Juli
es auch übelnehmen, wenn das ein wenig aggres-
sein wird. Die anderen Mittel aus der Geflügelwirt-
schaft werden sicher ab Juli frei, und auf die haben siv geschieht.
wir hier jetzt schon zurückgegriffen, wobei ich Ihr Doch ist es vielleicht ganz zweckmäßig, bei einer
Einverständnis voraussetze, Herr Schmidt. Gelegenheit wie der heutigen einmal zu- erfahren,
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Und den Herr Kollege Wacher, daß die Christlich-Soziale
Rest?) Union, für die Sie ja wohl sprechen, und die Sozial-
demokratische Partei, für die ich jetzt zu sprechen
— Ich sagte Ihnen schon: den Rest aus allgemeinen die Ehre habe, in der Frage des Jugendarbeits-
Haushaltsmitteln. Das ist ein bescheidener Rest schutzes verschiedener Meinung sind. Wenn Sie
gegenüber Ihren Anträgen. Das sind, wenn Sie hoch meinen, Herr Kollege Wacher, die Probleme der
rechnen, keine 50 Millionen, wahrscheinlich sind es Landwirtschaft mit Kinderarbeit in der Landwirt-
30 Millionen. Ihre Anträge machen ein Vielfaches schaft lösen zu können,
davon aus.
(Oh-Rufe von der Mitte)
Ich habe im Verlauf meiner Ausführungen schon
auf die Beschlüsse von Brüssel und auf die Konse- dann ist das die Auffassung Ihrer politischen
quenzen für die Landwirtschaft hingewiesen. Ich Freunde, nicht aber die Auffassung meiner poli-
sagte, daß dafür zusätzliche Mittel — nicht im tischen Freunde.
Grünen Plan — deshalb aufzuwenden sind, weil es (Anhaltende Unruhe.)
sich um politische Ausgaben handelt. Wir alle, die
wir uns mit den Fragen beschäftigen und beschäf- Es ist auch nicht meine Auffassung, denn ich habe
tigen mußten, wissen, daß die marktfernen Gebiete ja bei der Beratung des Jugendarbeitsschutzgeset-
der Bundesrepublik im Norden und im Süden eine zes zu diesem Problem besonders nachdrücklich ge-
zusätzliche Belastung zu tragen haben werden. Wir sprochen und bin deshalb auch in der Lage, aus der
glauben, daß die vorgesehene Frachthilfe nicht aus- geschichtlichen Entwicklung heraus diese 'Dinge zu
reicht, um diese Schäden abzufangen. Wir haben beurteilen.
deshalb angeregt, einen Betrag — seinerzeit war (Abg. Ertl meldet sich zu einer Zwischen
an 100 Millionen DM gedacht — vorzusehen, der frage.)
gestaffelt von Duisburg aus bis zu den Grenzen
verwendet werden soll, um die Schädigungen abzu- — Herr Kollege Ertl, bitte sehr.
fangen. Wir stellen uns die Verwendung in der
Form vor, in der sie z. B. in dem Programm für die Ertl (FDP) : Herr Kollege Frehsee, was halten Sie
benachteiligten Gebiete gehandhabt wird. Die ein- von meiner Konstitution?
zelnen Maßnahmen wird man im Landwirtschafts-
ausschuß mit der Regierung eingehend zu besprechen
haben. Frehsee (SPD) : Sie ist sicherlich prächtig.
540 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Ertl (FDP) : Danke schön. Ich habe seit meinem schon so oft hier vorgetragen worden, und dem ist
6. Lebensjahr im elterlichen Betrieb mitarbeiten so oft widersprochen worden! Wenn Sie es heute
müssen. Dafür möchte ich Ihnen Garantie geben. noch einmal behauptet haben, wird es dadurch nicht
(Heiterkeit und Beifall in der Mitte und wahrer.
rechts.) (Beifall bei der SPD.)
Wir Sozialdemokraten sind auch in dieser Bezie-
Frehsee (SPD) : Herr Kollege Ertl, seien Sie vor- hung anderer Meinung. Die Gewerkschaften sind
sichtig! nicht unbedingt an sich ständig füllenden Lohn-
(Sehr gut! bei der SPD.) tüten und an ständig mehr Geld interessiert,
Schließen Sie nicht von sich auf andere, und machen (Zurufe von der Mitte)
Sie das nicht zu einer allgemeingültigen Regel! Sie sondern sie sind daran interessiert — und das ist
haben Glück gehabt, Herr Kollege Ertl. heute so richtig, wie es immer war —, daß sich die
Was ich sagte, ist damals bei der Beratung des Arbeitnehmer für den Inhalt der Lohntüten mehr
Jugendarbeitsschutzgesetzes wissenschatflich erhär- kaufen können, daß sie teilhaben dürfen am wach-
tete worden. Im Ausschuß für Arbeit, der sich mit senden Lebensstandard. Mit anderen Worten: sie
dieser Frage befaßt hat, sind Zahlen vorgelegt wor- sind interessiert an Reallohnerhöhungen und nicht
den, aus denen hervorging, welche körperlichen an Nominallohnerhöhungen. Hier sollten Sie, die
Schäden die in der Landwirtschaft Tätigen haben, Vertreter der Landwirtschaft und alle, die sich der
weil sie Kinderarbeit, und zwar sehr harte Kinder- Landwirtschaft verbunden fühlen und für die Land-
arbeit, verrichten mußten. Ich, Herr Kollege Ertl, bin wirtschaft sprechen, das gleiche Interesse haben. Ich
der Auffassung, daß wir uns um eine Lösung der werde darauf noch zu sprechen kommen, meine Da-
landwirtschaftlichen Probleme bemühen müßten und men und Herren.
eigentlich gemeinsam bemühen müßten. Das wird Ich glaube, mit den hier vorgeschlagenen Mitteln
am Ende dazu führen, daß die Landwirtschaft keine und mit den Methoden, von denen hier bisher
Kinderarbeit mehr nötig hat so wie. die übrige Wirt- gesprochen worden ist, werden wir die Probleme,
schaft. die wieder in ihrer ganzen Breite vor uns liegen,
(Beifall bei der SPD.) nicht lösen können. Ich glaube, daß die ständigen
Preiserhöhungen, die niemand will, aber doch eine
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Folge der Wirtschaftspolitik sind, die Sie, die Regie-
Frehsee, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage rungsmehrheit in diesem Hause, zu verantworten
des Herrn Abgeordneten Ertl? haben,
(Beifall bei der SPD — Zuruf von der
Frehsee (SPD) : Bitte. Mitte: Ihr Freund Brenner! — Weitere Zu-
rufe von der Mitte)
Ertl (FDP) : Herr Kollege Frehsee, Sie haben im der Landwirtschaft genausoviel schaden, wie sie
Jugendausschuß sicher auch die Berichte über Ju- allgemein unerwünscht sind. Wenn Sie mich fragen,
gendkriminalität studiert. Glauben Sie nicht, daß warum diese ständigen Preissteigerungen zu ver-
eine vorsichtige Beschäftigung im elterlichen Be- zeichnen sind, dann sage ich Ihnen als unsere sozial-
thieb sich auch oft nützlich für die gesamte Beschäfti- demokratische Auffassung — —
gung und für die Gemeinschaft auswirken wird? (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)
(Beifall rechts und in der Mitte. — Lachen — Aber meine Damen und Herren, wundern Sie sich
und Zurufe von der SPD. — Abg. Schmidt nicht, daß ich jetzt so reagiere! Ich reagiere nur auf
[Gellersen] : Der Bogen ist zu weit! — Sie die Art und Weise der Darstellung durch Herrn Kol-
blamieren sich doch!) legen Wacher. Wie man in den Wald hineinruft,
so schallt es heraus. — Es ist die Auffassung der
Frehsee (SPD) : Sie haben hier ein Problem der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses, daß
Erziehung angesprochen. Ich möchte darauf aus ganz die Preiserhöhungen von der Bundesregierung und
bestimmten Gründen nicht näher eingehen. Es würde von der Mehrheit des Bundestages zu verantworten
sonst auch einiges Mißliche gesagt werden müssen sind, weil Bundesregierung und Bundestagsmehrheit
und einiges, was vielleicht auch Ihnen nicht gefällt, sich nicht zu einer aktiven Außenwirtschaftspolitik
genauso wenig gefällt wie das, was ich eben zum aufraffen können, die die ständig steigenden Aus-
fuhrüberschüsse durch Erhöhung der Einfuhren auf
Jugendarbeitsschutz gesagt habe. Das war die eine
ein angemessenes Ausmaß zurückführt, weil sie
Bemerkung.
nicht den Mut haben, in Zeiten eines Investitions-
Herr Kollege Wacher, jene Behauptung, daß die booms wie 1960 durch eine schärfere Gewinnbe-
Haltung der Industriearbeiter und ihrer Gewerk- steuerung zu einer Dämpfung der Konjunktur bei-
schaften an allem Elend im allgemeinen und am zutragen und dadurch dem Preisanstieg entgegen-
Elend der Landwirtschaft im speziellen schuld sei, zutreten. Das sind alles Dinge, die hier wiederholt
ist so oft aufgestellt worden! Es wurde gesagt, daß vorgetragen worden sind, speziell von meinem
die Löhne die Preise trieben, und letztens, im Jahre Freunde Deist. Die Bundesregierung und die Mehr-
1961 wurde gesagt, daß wegen der Lohn- und Ge- heit dieses Hauses hatten bisher auch nicht die
haltssteigerungen die Arbeitseinkommen über die Kraft, durch eine wirksame Kartell- und Preispolitik
Arbeitsproduktivität hinaus gestiegen seien. Das ist zu erzwingen, daß Kostensenkungen der Großwirt-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 541
Frehsee
Schaft rechtzeitig in Form von Preissenkungen an Jahren, seitdem wir Grüne Pläne haben, um 73 %
den Verbraucher weitergegeben werden, und zwar gleich 1691 DM angestiegen sei, aber auf der ande-
auch an den Verbraucher landwirtschaftlicher Ma- ren Seite beklagt worden, daß der Vergleichslohn
schinen, der Handelsdünger, Pflanzenschutzmittel zwar nur um 55 %, aber um 1941 DM, also erheb-
und all der anderen landwirtschaftlichen Betriebs- lich stärker, anstieg. Von diesem Betrag von 4009 DM
mittel. Da liegt der Hase begraben! Wenn die Ge- sind 669 DM aus diesem Grünen Plan, aus den soge-
werkschaften sich angesichts dieser Politik ihrer nannten Soforthilfen; sie haben im ersten Jahr 1954/
Haut wehren und mit den Mitteln, die ihnen zur 55 10 DM pro Vollarbeitskraft betragen. Jetzt sind
Verfügung stehen, den Anschluß zu halten versu- sie auf 669 DM pro Vollarbeitskraft gestiegen. In
chen, dann liegt das in diesem System begründet. Wirklichkeit, ohne diese Förderungsmittel des
Grünen Planes, beträgt also der sogenannte erzielte
Aber es bleibt nach wie vor jener Tatbestand
bestehen — und niemand wird mir da widerspre- Lohn je volle Arbeitskraft nur 3340 DM gegenüber
chen —, daß die Gewerkschaften nicht an nominalen 2308 DM im Jahre 1954/55. So ist auch das erfreuliche
Lohnerhöhungen interessiert sind, sondern nur an Moment darin enthalten, daß also das Einkommen
Reallohnerhöhungen, und die kann man über eine pro Kopf der in der Landwirtschaft tätigen Voll-
solche Wirtschaftspolitik erreichen, wie ich sie anzu- arbeitskräfte um rund 1000 DM in diesen rund
sieben bzw. reichlich sechs Jahren angestiegen ist.
deuten versucht habe.
Um 1000 DM und um etwa 45 % ist es angestiegen,
(Beifall bei der SPD.) und die 4000 DM kommen erst zustande, wenn man
Sie sagten zum Schluß, Herr Kollege Wacher, die 669 DM aus den sogenannten Soforthilfen des
unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik müsse mit Grünen Planes in diese Rechnung einbezieht.
Blickpunkt auf die Landwirtschaft und ihre Probleme Meine Damen und Herren, ich habe hier die Be-
betrieben werden. Das ist genau das, was ich soeben träge der einzelnen Jahre von 1954/55 bis 1960/61
ausgeführt habe, und die Kritik, die ich hier übe, aufgeschrieben. Aber Sie, die Sie mit diesen Dingen
ist eben, daß die Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun haben, kennen sie aus dem Grünen Bericht.
nicht mit dem Blickpunkt auf die Landwirtschaft Es muß einen mit Unbehagen erfüllen, daß bei all
betrieben wurde. Soll ich Kronzeugen anrufen, z. B. diesen Anstrengungen, ständig steigenden Zuwen-
den Präsidenten des Bauernverbandes? Seine dungen aus dem Grünen Plan und angesichts der
Hauptdevise war, daß man der Landwirtschaft auf wirklich beachtlichen Steigerung der Arbeitsproduk-
der Kostenseite helfen müsse: Weitergabe der tivität, die um 132 % seit 1950/51 angestiegen ist,
Rationalisierungsgewinne im Preis, also in Form also bei gewaltigen Leistungen der Landwirtschaft
von Preissenkungen. Sie können mir doch nicht auf der einen Seite, die nicht bestritten werden kön-
widersprechen, daß das eines seiner Hauptargu- nen, und ganz erheblichen Anstrengungen des Staa-
mente war
t es und dei Allgemeinheit, der Steuerzahler, auf der
Aber nun zu dem, was ich mir vorgenommen habe. anderen Seite das Ergebnis so unbefriedigend ist.
Nachdem ich die heutige siebente grüne Debatte an-
Meine Damen und Herren, der Rückgang an Voll-
gehört habe und auch in der Lage war, die sechs
arbeitskräften hat 1,5 Millionen betragen. Gegen-
vergangenen grünen Debatten mitzuerleben, muß ich
über 1954 — damals waren es 28 — haben wir jetzt
sagen, daß eine gewisse Akzentverschiebung auf die-
auf 100 ha nur 18,4 Vollarbeitskräfte. Der Gesamtbe-
ser Seite des Hauses festzustellen ist. In den Reden
stand der Lohn-Arbeitskräfte hat sogar um 68 %
der Sprecher dieser Seite des Hauses klang heute doch
abgenommen. Es gibt nur 309 000 Landarbeiter
auch ein recht beachtliches Unbehagen mit ob der
gegenüber fast I. Million im Jahre 1950/51. Und
Machtlosigkeit, zu der wir in der Agrarpolitik ver-
trotzdem dieses Ergebnis dieser mit 26 % bezifferten
urteilt sind, ob der Resignation, die in weiten Be-
Differenz zwischen den Einkommen der Vollarbeits-
reichen der Landwirtschaft festzustellen ist, ob eben
kräfte, also nicht aller vorhandenen, sondern der
der Erfolglosigkeit dieser Politik, wie wir das auch
Vollarbeitskräfte! — die Gesamtzahl der in der
in unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck
Landwirtschaft vorhandenen Arbeitskräfte wird auf
bringen. Es sind sehr gemischte Gefühle ange-
volle Arbeitskräfte umgerechnet — diese erhebliche
klungen, und es hat gar keinen Sinn, wenn wir es
Differenz von 1234 DM.
mit der Lösung der Probleme der Landwirtschaft
ernst meinen, hier in Schönfärberei zu tun oder über Meine Damen und Herren, wie soll es weiter-
die Probleme hinwegzugehen. Wir können der Sache gehen? Nach der landwirtschaftlichen Betriebszäh-
der in der Landwirtschaft Tätigen nur dienen, wenn lung 1960 haben wir nur noch in jedem sechsten
wir dieses Problem schonungslos anpacken und Betrieb von 10 bis 20 ha einen Landarbeiter. In den
wenn wir uns nicht genieren, auch den Finger in die Betrieben von 20 bis 50 ha ist nach der LBZ 1960 nur
Wunde zu legen. Und es gibt wahrhaftig eine ganze in zweien von drei noch ein Landarbeiter.
Anzahl von Wunden.
Wie soll das weitergehen? frage ich. In den Zeit-
Es ist hier gerühmt worden, daß der erzielte Lohn schriften wird die rhetorische Frage gestellt, ob
— das ist das Arbeitseinkommen nach Abzug von denn nun nicht die Grenze des Erträglichen erreicht
Betriebsleiterzuschlag und Arbeitgeberanteil zur sei, ob nicht das Ausmaß der Abwanderung der Ar-
Sozialversicherung — auf genau 4009 DM gestiegen beitskräfte aus den bäuerlichen Mittel- und den
sei. Der Vergleichslohn liegt bei 5441 DM. Diese Großbetrieben die Grenze des Tragbaren erreicht
Differenz von 1432 DM ist es, die hier so vielfach habe. Diese Frage müssen wir jetzt beantworten; ob
beklagt wird. Es ist begrüßt und hier positiv beur- heute oder im weiteren Verlauf der Diskussion, die
teilt worden, daß der erzielte Lohn in den sieben heute begonnen wurde, das mag dahingestellt sein;
542 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Frehsee
aber wir müssen sie beantworten, sonst werden das ist auch der gegenwärtige Stand — 1,82 DM, der
demnächst nie wieder zu \schließende Lücken ent- Bruttostundenverdienst im September 1961 — das
stehen, es sei denn, daß es mit der gewerblichen steht im Grünen Bericht — 1,95 DM, der durch-
Wirtschaft eines schönen Tages bergab ginge. Dann schnittliche Stundenverdienst der Landarbeiter in
kämen sie alle wieder zurück; darüber besteht gar der Leistungsgruppe II im Jahre 1960/61, also im
kein Zweifel. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen Berichtsjahr, 1,75 DM. Der Vergleichslohn betrug
gemeinsam alles nur mögliche tun, um das zu ver- im Durchschnitt dieses Wirtschaftsjahres 2,67 DM.
hindern. Unter der Voraussetzung also, daß es so Er lag um 53 % über dem durchschnittlichen Land-
weitergeht wie bisher und daß nichts Durchgreifen- arbeiter-Stundenverdienst, wenn man die Pendel-
des geschieht, wird es zu einer gefährlichen Ent- zeiten nicht berücksichtigt, und um 35 % über dem
wicklung, zu einer völligen Entblößung der Land- Landarbeiter-Stundenverdienst, wenn man die Pen-
wirtschaft von Lohnarbeitskräften kommen. delzeiten berücksichtigt. Der Unterschied ist ohne
(Sehr richtig! bei der SPD.) Pendelzeiten von 54 auf 61 Pf und mit Pendelzeiten
von 83 auf 92 Pf gestiegen. Der Abstand zwischen
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es den Landarbeiterlöhnen und den Löhnen der ge-
für die Landarbeiter und insbesondere für die ge- werblichen Arbeiter, die auf dem Lande Haus an
werkschaftlich organisierten Landarbeiter nur zwei Haus mit dem Landarbeiter wohnen, hat sich erheb-
Möglichkeiten gibt. Die eine ist, zu bleiben, und lich erhöht.
zwar unter der Bedingung, daß ihre Löhne und ihre Es ist davon gesprochen worden, daß eine Lohn-
Arbeitsverhältnisse an die der gewerblichen Wirt- erhöhung von 28 % gefordert werde. Das ist richtig.
schaft angeglichen werden, oder die andere, aus der Diese Lohnerhöhung, meine Damen und Herren,
Landwirtschaft wegzugehen. Wer wollte es ihnen würde nichts anderes bewerkstelligen, als lediglich
verargen? Die gewerbliche Wirtschaft, die Industrie, den Anschluß wiederherstellen und eine Vergrö-
die Dienstleistungsbetriebe bieten ja heute Möglich- ßerung des Abstandes verhindern. Herr Bauknecht
keiten in Hülle und Fülle. Für die Landarbeiter gibt hat vorgetragen, daß diese Lohnerhöhung 488 Mil-
es also nur diese zwei Möglichkeiten. In dem Be-
lionen DM kosten würde. Auch das ist wie in all
richtsjahr 1960/61 sind 50 000 ständige Landarbeiter
den vergangenen Jahren, Herr Kollege Bauknecht,
abgewandert, und 60 000 unständig beschäftigte
eine ziemlich theoretische Zahl; denn es findet auch
Arbeitskräfte kommen nicht mehr zu den landwirt-
zur Zeit eine erhebliche Abwanderung statt, und
schaftlichen Betrieben. Wenn sich diese Entwick-
schon aus diesem Grunde wird die Summe niedriger
lung nun 1961/62 — in dem jetzigen Wirtschaftsjahr
sein. Außerdem ist die Summe deshalb rein theo-
— fortsetzt und wenn sie sich auch in Zukunft wei-
retisch, weil das Lohnkonto der Landwirtschaft we-
ter fortsetzt, dann können sich alle ausrechnen, wie
lange das noch gehen wird, bis es aus ist. Es muß gen der Fehler in der Feststellung des Arbeitskräfte-
bestandes in der Vergangenheit in allen Grünen Be-
also etwas geschehen.
richten bis zu dem jetzt vorliegenden falsch, näm-
(Sehr richtig! bei der SPD.) lich zu hoch, angegeben war. Im Jahre 1959/60 war
Der soziale Strukturwandel muß ins Auge gefaßt es um 567 Millionen DM zu hoch angegeben. Selbst
werden. Er muß durch Maßnahmen einer konstruk- wenn Sie mit Ihrer Zahl recht hätten, würde das
tiven Landarbeiterpolitik, wie ich sie in den ver- also noch in diesem Betrag aufgehen, der schon in
gangenen Jahren immer wieder gefordert habe, der Landwirtschaft steckt.
unterstützt werden; sonst bleiben nur diese zwei Sie haben sicherlich die Ubersicht über die Be-
Möglichkeiten. triebsausgaben studiert und selber festgestellt, daß
Die Sozialpartner der Landwirtschaft waren vor das Lohnkonto und das Konto Sozialversicherungs-
wenigen Tagen beim Herrn Minister und haben ihm abgaben bis 1954/55 rückwärts um rund 600 Millio-
diese Dinge vorgetragen, und zwar Arbeitgeber und nen DM im Jahr revidiert werden mußten. Ich habe
Arbeitnehmer, Vertreter der Spitzenorgane der in den vergangenen Debatten immer wieder darauf
Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaft Garten- hingewiesen, daß die Rechnungsunterlagen für das
bau, Land- und Forstwirtschaft. Nun, es ist nichts Lohnkonto nach meiner Auffassung unrichtig sind,
dabei herausgekommen, aber es muß eine Lösung und es ist dann und wann schon zwischendurch eine
gefunden werden; welcher Art, darüber will ich Korrektur erfolgt und nun auf Grund der Arbeits-
mich jetzt nicht auslassen. Aber schnelle Hilfe tut kräfteerhebung von 1961 eine sehr gründliche.
not. Man soll jetzt keine Grundsatzdiskussionen
mehr führen; dazu hatten wir in der Vergangenheit Diese 567 Millionen DM, die also statistisch und
genügend Zeit. Man soll in diesem Zusammenhang rechnerisch und was den Grünen Bericht betrifft
beispielsweise auch nicht eine Grundsatzdiskussion schon ausgegeben waren, meine Damen und Herren,
darüber führen, ob die Tarifautonomie durch ein würden bei weitem ausreichen, um die Lohnforde-
solches Mittel, wie es etwa die Anwendung der rung der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forst-
Bergmannsprämie in der Landwirtschaft bedeuten wirtschaft, also die Forderung einer Lohnerhöhung
würde, dadurch gefährdet oder beeinträchtigt würde. um 28 %, zu erfüllen.
Aber man muß etwas tun. Es ist gefährlich für alle, Die Lohnquote betrug 1950/51 noch 21 %. 1954/55
für diesen Beruf und für diesen Wirtschaftszweig, sank sie auf 18,6 und 1960/61 auf 12 %. Auch wenn
wenn nichts geschieht. es in diesem Jahr nur eine Lohnerhöhung im Aus-
Herr Kollege Bauknecht war so freundlich, den maß der vorjährigen geben sollte, wird der Anteil
gegenwärtigen Stand der Landarbeiterlöhne darzu- der Lohnausgaben an den Betriebsausgaben insge-
stellen. Der Tariflohn betrug im Juni 1961 — und samt im jetzt laufenden Wirtschaftsjahr 1961/62 nur
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Frehsee
etwa 101 /2 %, genau die Hälfte dessen betragen, Der zweite Punkt ist folgender. Wir sind nach wie
was relativ, an den Betriebsausgaben gemessen, ins- vor der Überzeugung, daß die Direkthilfen eine
gesamt im Jahre 1950/51 für Landarbeiterlöhne von größere Wirkung hätten, wenn sie gezielt gegeben
der Landwirtschaft des Bundesgebietes ausgegeben würden und nicht pauschal und global, wie Sie das
worden ist. hier immer beschließen. Wir sind der Meinung, daß
ein großer Teil dieser Maßnahmen verpufft, weil
Ich habe vorhin an den Staat appelliert, einiges sie nicht gezielt durchgeführt werden.
im Sinne einer konstruktiven Landarbeiterpolitik zu
tun. Ich möchte auch von dieser Stelle aus den Das dritte, dem wir uns in Zukunft verstärkt zu-
Appell an die Landwirtschaft selber richten, wirklich wenden müssen, ist eine umfangreiche Investitions-
das, was in ihren Kräften steht, im Interesse der hilfe. Das ist hier schon angeklungen, und Ansätze
Abwendung der Gefahr zu tun, von der ich gespro- sind sicherlich auch vorhanden; das soll anerkannt
chen habe. werden, und dieses Bemühen soll auch nicht ver-
kleinert werden. Wir sind der Auffassung — lassen
In Norddeutschland ist der erzielte Lohn je Voll- Sie mich das kurz sagen —, daß über ein sehr um-
arbeitskraft im Wirtschaftsjahr 1960/61 ausweislich fassendes und umfangreiches Investitionshilfepro-
des Grünen Berichts um 674 DM gestiegen. Der gramm den landwirtschaftlichen Betrieben die Mög-
Lohn der Lohnarbeitskräfte ist in dem gleichen Zeit- lichkeit gegeben werden muß, sich zu modernisieren
raum im Durchschnitt um 375 gestiegen. Die Ein-. und zu rationalisieren, eine Möglichkeit, die die
kommen der Vollarbeitskräfte in der Landwirtschaft gewerblichen und industriellen Betriebe durch die
haben sich im Durchschnitt also stärker erhöht als Selbstfinanzierung über den Preis der von ihnen
die Einkommen der Landarbeiter. Das sollte für Sie, produzierten Waren gehabt haben. Diese Möglich-
die Sie die Arbeitgeberseite der Landwirtschaft ver- keit haben die landwirtschaftlichen Betriebe nicht
treten, ein Grund mehr sein, jetzt einiges nicht nur gehabt. Die Investitionshilfe soll die Selbstfinanzie-
im Interesse der Landarbeiter, sondern auch für die rung über den Preis ersetzen. Es wird darüber zu
Aufrechterhaltung einer vernünftigen landwirt- reden sein, um welche Beträge es sich handeln
schaftlichen Arbeitskräftestruktur und die Erhaltung muß, wenn das eine durchgreifende Hilfe werden
des notwendigen landwirtschaftlichen Arbeitskräfte- soll. Es wird auch darüber zu reden sein, ob der
potentials zu tun. Zinssatz von 3 % der endgültige, richtige und aus-
reichende ist.
Meine Damen und Herren, ich habe heute abend
schon zweimal die rhetorische Frage gestellt: Was Viertens müssen wir uns in Zukunft mit mehr
soll werden? So wie es bis jetzt gegangen ist, kann Entschlossenheit und größerem Ernst als bisher
es nicht weitergehen. Die bisherige Agrarpolitik sozialpolitischen Mitteln zuwenden. Denen, die im
und alle bisherigen Bemühungen haben zur Lösung Europäischen Parlament oder im Wirtschafts- und
Sozialausschuß der EWG mit den Vertretern der
der Probleme nicht geführt.
anderen Mitgliedstaaten der EWG und den Land-
Ich möchte Ihnen fünf Stichworte für das nennen, wirtschaftsvertretern dieser Staaten zusammen-
was nach meiner Auffassung in Zukunft zu ge- gekommen sind, ist bekanntgeworden, welch ein
schehen hat, um eine durchgreifende Änderung der ausgebautes System des Kindergeldes und der
Verhältnisse zu bewerkstelligen. Familienbeihilfe, der Alters-, Hinterbliebenen- und
Krankenunterstützung es in Frankreich für die dort
Über den ersten Punkt will ich nicht viel sagen, in der Landwirtschaft Tätigen gibt. Wir sollten diese
weil er schon angesprochen wurde und weil mein Dinge studieren und einiges von dem, was die an-
Kollege Bading sich dazu noch im einzelnen aus- deren haben, übernehmen, natürlich auf unsere Ver-
lassen wird. Es handelt sich um die Frage der hältnisse zugeschnitten.
Strukturverbesserung. Ich möchte Sie sehr bitten, Wir sollten die Altershilfe, die zweifellos den
über dieses Kapitel nicht so mit einem Achselzucken Strukturwandel unterstützt hat, ausweiten. Ich
hinwegzugehen, wie das von einem oder von zweien meine damit nicht nur die längst überfällige Er-
der Redner heute abend geschehen ist. Denn wenn höhung des Altersgeldes.
ohne die Hilfen aus dem Grünen Plan das Arbeits-
einkommen in den vergangenen sechs Jahren von (Beifall bei der SPD.)
2308 auf 3340 DM je Vollarbeitskraft gestiegen ist, Sie wurde schon in der vergangenen Legislatur-
so ist das natürlich auf den Strukturwandel zurück- periode im Sozialpolitischen Ausschuß beschlossen,
zuführen. Ich bin wirklich der Überzeugung, daß es ist dann aber von [der Mehrheit dieses Hauses im
hier eine Wechselwirkung gibt. Der Rückgang der Plenum niedergestimmt worden. Ich meine also
Zahl der Arbeitskräfte zwingt natürlich zu einer nicht nur die Erhöhung des Altersgeldes, sondern
stärkeren Mechanisierung. Umgekehrt muß aber den Ausbau einer Regelung der Altershilfe viel-
alles in einem wohlausgewogenen Verhältnis blei- leicht in der Richtung, daß man jenen hilft, die ihre
ben. Nach meiner Auffassung ist nicht ausgewogen Betriebe trotz der Altershilfe nicht abgeben, weil
das Verhältnis der Ausgaben für landwirtschaftliche sie sie eben doch noch als Existenzgrundlage behal-
Maschinen — diese Summe beträgt ja 2,8 Milliarden ten wollen. Das sind jene, die vielleicht keine An-
DM im abgelaufenen Wirtschaftsjahr — und den gehörigen haben. Es gibt solche Fälle in großer Zahl.
Ausgaben für die landwirtschaftlichen Löhne. Ich Man könnte das freiwerdende Land zur Struktur-
habe auch auf diesen Punkt in den vergangenen wandlung, zur Strukturverbesserung, zur Aufstok-
landwirtschaftlichen Debatten immer wieder hinge- kung bestehenbleibender Betriebe benutzen. Viele
wiesen. alte Landwirte geben aber ihre Betriebe nicht ab,
544 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
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weil sie keine Alterssicherung haben. Sollten wir Hilfe für die Landwirtschaft liegt aber bei der Wirt-
nicht einmal ernsthaft überlegen, ob wir nicht sol- schaftspolitik und bei der Frage der Kostensenkung.
chen Landwirten, die willens wären — wir wollen Sie sind sicherlich alle meiner Meinung, auch wenn
niemanden zwingen —, ihren landwirtschaftlichen Sie es nicht zugeben wollen oder nicht zugeben
Betrieb aufzugeben, in bezug auf die Alterssiche- können.
rung eine Stütze, eine Hilfe geben sollten, vielleicht (Abg. Memmel: Kein Vorwurf!)
durch Einkauf in die Rentenversicherung der Arbei-
ter mit Mitteln aus ,dem Grünen Plan. Das wäre eine
Maßnahme. Natürlichgibt es viele solcher Maßnah-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Memmel?
men, deren wir uns annehmen müssen.
Wir müssen auch an die Förderung der beruf- Frehsee (SPD) : Ja, bitte!
lichen Umstrukturierung denken, die jetzt in zuneh-
mendem Maße diskutiert wird. Wir müssen über-
Memmel (CDU/CSU) : Herr Kollege Frehsee,
legen, ob wir nicht Hilfen beispielsweise für die
glauben Sie nicht, daß es ein offensichtliches Ver-
Einrichtung eines Fremdenverkehrsgewerbebetrie-
sehen war, die Landwirtschaft nicht zu erwähnen?
bes geben können. Ich drücke mich kompliziert und
Wenn ich als Wirtschaftsminister nach Hamburg ge-
fachlich-technisch aus, aber Sie wissen, was ich
meine. Das gilt insbesondere für jene Gebiete, die fahren bin, nur Hamburg gesehen habe, zurück-
komme, dann hier nur von Hamburg spreche und
im Bayerischen Wald, in der Rhön oder in der Eifel
dabei die Landwirtschaft übersehe — in freier Rede,
in landschaftlich sehr reizvollen Gegenden wegen
aus übervollem Herzen heraus, beeidruckt von der
der Bodenverhältnisse dringend einen Zuerwerb be-
nötigen, den man ihnen vielleicht auf einem solchen Not und dem Elend, das der Wirtschaftsminister
gerade in Hamburg soeben gesehen hatte; er war
Wege und unter Umständen durch raumordnerische
doch nicht in Schleswig-Holstein —, dann muß man
Maßnahmen verschaffen kann. Wir haben deswegen
die raumordnerischen Mittel auch in der Entschlie- das, meine ich, doch nicht zu einer solchen Unter-
ßung aufgeführt, die wir Ihnen vorlegen. stellung benutzen. Glauben Sie nicht, daß das ein
offensichtliches Versehen war?
An fünfter Stelle möchte ich das anführen, was
ich eingangs schon in Erwiderung auf die Ausfüh- Frehsee (SPD) : Ich will Herrn Erhard an dieser
rungen des Kollegen Wacher erwähnt habe. Ich Beziehung gar nichts unterstellen. Er stand unter
halte es einfach 'für eine Utopie — meine Damen dem Eindruck dessen, was er dort gesehen hatte.
und Herren, wenn Sie ehrlich sind, geben Sie mir Ich habe ja auch schon angedeutet, daß ich das nicht
das alle zu —, ich halte es für eine Illusion, anzu- als Vorwurf sage, sondern deshalb, weil es so oft
nehmen, daß man die Differenz zwischen dem Ver- geschieht. Ich sagte, das sei typisch. Es gibt viele
gleichslohn und dem erzielten Lohn durch Preiserhö-
andere Beispiele. Dies bot sich nur an, weil es ge-
hungen ausgleichen könne. Dabei habe ich nicht rade heute passiert ist. Ich muß Ihnen sagen, ich
allein etwa die deutschen Verbraucher und ihre Ein- war ein wenig nicht nur schockiert, sondern betrübt
stellung im Auge, sondern ich habe beispielsweise
darüber, daß es so ist, weil ich mir auch Sorgen
das europäische Preisniveau im Auge. Auf diesem
um diese agrarpolitischen Probleme mache. Für mich
Wege wird es nicht gelingen. Wir müssen das ein-
war es — um das noch einmal zu sagen — typisch.
sehen und nach anderen Wegen Ausschau halten.
Bei dieser Einstellung ist eine Lösung der landwirt-
Vielleicht geht es auf der anderen, auf der Kosten-
schaftlichen Probleme furchtbar schwer, weil es nicht
seite. Wir müßten uns gemeinsam anstrengen, dort
möglich ist, den Hebel dort anzusetzen, wo er allein
zu Ergebnissen zu kommen.
etwas bewirken könnte: bei der Wirtschaftspolitik
Damit ist natürlich die allgemeine Wirtschafts- und bei der Kostensenkung.
politik angesprochen. Ich hatte gerade in dieser Be-
Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß.
ziehung heute morgen kein gutes Gefühl, als der
Eins wollte ich gern noch zu dem Grünen Plan, der
Wirtschaftsminister die Regierungserklärung abgab
uns vorgelegt worden ist, sagen, und zwar zu dem
und von der notwendigen Hilfe für die gewerblichen
Teil, der sich mit der Siedlung und der Eingliede-
und industriellen Mittel- und auch Großbetriebe
rung von Vertriebenen und Flüchtlingen befaßt. In
sprach und nicht ein Wort über die notwendige Hilfe
diesem Teil des Grünen Plans, und zwar im ersten
für die landwirtschaftlichen Betriebe in den Über-
Teil dieser Darstellung, ist auf das Siedlungspro-
schwemmungsgebieten sagte.
gramm 1961 hingewiesen worden, das nach § 46 des
(Beifall bei der SPD.) Bundesvertriebenengesetzes von der Bundesregie-
Ich wollte das eigentlich nicht im Sinne eines Vor- rung aufgestellt worden ist. Ich will auf die Einzel-
wurfs anbringen. heiten nicht eingehen. Der Vertriebenenausschuß
des Bundestages hat sich ja vor wenigen Tagen, am
(Zurufe von der CDU/CSU: Ja! Ja!) 14. Februar, eingehend mit der Frage der Eingliede-
Das ist aber typisch für die Einstellung der Regie- rung der ost- und mitteldeutschen Bauern und be-
rung zu diesen wirtschaftspolitischen Fragen. sonders auch mit einer Verstärkung der Eingliede-
rung befaßt, und den zuständigen Ministerien sind
(Unruhe bei der CDU/CSU.)
vom Ausschuß eine Reihe sehr eingehender Fragen
Die Landwirtschaft kommt unter „ferner liefen". Da vorgelegt worden, deren Beantwortung nur zum Teil
gibt man hier einmal die eine Subvention und dort erfolgte. Zum anderen Teil steht die Beantwortung
die andere Hilfe. Der entscheidende Punkt einer noch aus.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 545
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Wenn ich auch verstehe, meine Damen und Her- anerkennen. Ich bin auch der Meinung, daß die Lei
ren, daß heute, am 22. Februar, noch kein Bericht stungen der Landwirtschaft klar und deutlich darge-
über die Gesamtdurchführung dieses Siedlungspro- stellt sind.
gramms im ganzen Jahre 1961 vorgelegt werden Das, meine Damen und Herren, ist eine positive
kann, so haben wir doch einen Überblick über das Beurteilung, die ich hier vorwegschicken möchte.
erste Halbjahr 1961 nach der Flüchtlingssiedlungs- Die positive Seite ist durchaus wert, gewürdigt zu
statistik. Daraus ergibt sich, daß vom 1. Januar bis werden, und sie ist auch schon heute nachmittag
zum 30. Juni vorigen Jahres für vertriebene und hier gewürdigt worden.
geflüchtete Bauern 3656 Stellen, und zwar im Wege
der Neusiedlung, des Kaufs und der Pacht, geschaf- Aber was gut ist, kann durchaus noch verbessert
fen worden sind. Selbst unter Berücksichtigung der werden; und der Grüne Bericht, Herr Minister
Erfahrung, daß jeweils im zweiten Halbjahr etwas Schwarz, muß nach meiner Auffassung in Zukunft
mehr Stellen erstellt werden, wird der gesamte Er- noch verbessert werden.
folg dieses auf 11 800 Stellen bezifferten Programms Bitte gestatten Sie mir, daß ich auch hier heute
bei 7500 Stellen liegen: ein Beweis, meine Damen aus der Verantwortung heraus ganz deutlich meinen
und Herren, daß Programme kein Pfand für die Einspruch anmelde, wo ich zu den Berechnungen
wirkliche Durchführung sind. des Grünen Berichts wirklich anderer Auffassung
Ich habe es als mißlich empfunden, daß hier ge- bin als die, die anscheinend die offizielle Auffassung
wissermaßen im Rahmen des Leistungsberichts des der Bundesregierung ist. Ich habe sogar die Hoff-
Grünen Plans dargestellt wurde, daß im Programm nung, Herr Minister, daß Sie vielleicht aus der Mit-
10 640 Neusiedlerstellen und 2873 zu fördernde verantwortung heraus die Vorschläge, die ich
Eingliederungsstellen vorgesehen sind, während machen werde, und eine gewisse Kritik, die ich
das, was wirklich erreicht worden ist, weit hinter üben werde, deshalb besonders ernst nehmen wer-
diesen Zahlen zurückbleibt. Auch das ist etwas, was den.
man schlicht als Schönfärberei bezeichnet, und das Ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Ich
sollten wir uns sparen. Wir sollten uns bei den halte es nicht für einen guten Stil, daß man all-
ernsthaften Überlegungen, die heute hier angestellt jährlich — wir haben es auch im letzten Jahr erlebt,
werden und bei den Grünen Debatten immer ange- es war aber auch schon so zu Zeiten des Amts-
stellt werden sollten, wenn auch manchmal ein we- vorgängers des Herrn Ministers Schwarz, des dama-
nig aggressiv — in der Sache aggressiv zu sein, ist ligen Ministers Lübke — in Pressekonferenzen vor
sicherlich nützlich —, stets von dem Ernst der Situa- der Vorlage des Grünen Berichts im Parlament schon
tion, der gegeben ist, bewegen lassen. eine gewisse Schau der agrarpolitischen Debatte
(Beifall bei der SPD.) -
vorwegnimmt. Herr Minister, ich bin der Meinung, I
der Bundestag hat eigentlich ein Recht, zuerst durch
Sie informiert zu werden.
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Abgeordnete Logemann. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
Ich sage das einmal ganz deutlich, weil gerade auch
in diesem Jahre wieder festzustellen war, daß die
Lugemann (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen Reaktion in den Schlagzeilen am Tage nach Ihrer
und Herren! Ich werde mich bemühen, Ihre Zeit
Pressekonferenz — am 12. Februar war sie wohl —
nicht sehr lange in Anspruch zu nehmen, sondern
durchaus beachtlich, aber für die Landwirtschatf in
meine Ausführungen wirklich sehr zu straffen; ich
vielen Dingen sehr bedenklich war. Ein Blatt, das
glaube, die vorgeschrittene Zeit verlangt das.
in Millionenauflage erscheint — nur dieses eine
Ich habe von meiner Fraktion den Auftrag bekom- möchte ich zitieren —, berichtete am Tage nach der
men, über den Grünen Bericht zu sprechen. Ich Pressekonferenz unter der Überschrift: „Minister
muß mich also als Sprecher 'der FDP jetzt mit den Schwarz: Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Be-
Problemen der alten Agrarpolitik befassen. Es sind, triebe unrentabel — Täglich 11 Millionen für unsere
möchte ich vorweg sagen, sogar einige sehr alte Bauern". Schon diese Tatsache erweist, daß doch
Rechnungen, die ich heute, Herr Minister Schwarz, auch der Grüne Bericht 1962 nicht zu einer klaren
hier vorlegen werde. Aber, Herr Minister Schwarz, Bestandsaufnahme für die Offentlichkeit geworden
Sie brauchen zum Bezahlen dieser Rechnungen kein ist und daß immer wieder, nach jedem Grünen
Geld; sie zu erfüllen, dazu gehört nur guter Wille. Bericht, in den Verbraucherkreisen die Meinung
aufkommen kann und aufkommen muß : „Nun kom-
Nun zum Grünen Bericht dieses Jahres. Ich men wieder neue ,grüne Milliarden' für die Land-
möchte feststellen, was auch vorhin schon in ande- wirtschaft", daß in der Offentlichkeit immer mehr
ren Reden angeklungen ist, 'daß dieser Grüne Be- der Eindruck entsteht, als ob die Landwirtschaft im
richt gegenüber seinen Vorgängern doch sehr ver- Begriff sei, mehr und mehr Subventionsempfänger
bessert worden ist. Er enthält diesmal weniger Ta-
zu werden.
bellen; ich finde, dadurch ist er übersichtlicher ge-
worden. Ich habe auch den Eindruck bekommen, daß Das muß vom Landvolk aus zurückgewiesen wer-
die Auswertung der Ergebnisse der 8000 Test- den. Es ist doch für uns geradezu beleidigend, wenn
betriebe besser geworden ist. Vielleicht wirkt sich man uns diese „täglich 11 Millionen" vorhält; be-
hier die Schulung der Betriebsleiter der Testbetriebe leidigend deshalb, weil wir doch nachweislich die
aus. Ich möchte also feststellen, daß der 7. Grüne längste Arbeitszeit von allen Berufen haben; be-
Bericht verbesserte Unterlagen bringt. Das soll man leidigend deshalb, weil wir auf der untersten Lohn-
546 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Logemann
stufe stehen — auch darüber brauchen wir nicht hat diese .Forderung vorhin schon freundlich abge-
zu streiten —; beleidigend auch deshalb, weil wir lehnt. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß es
uns bemüht haben, trotz längster Arbeitszeit, trotz innerhalb der CDU-Fraktion auch Jasager gibt. Wir
niedrigster Lohnstufe die Produktivität in der Land- sollten sehen, daß, solange die Bundesregierung
wirtschaft — das ist soeben noch einmal von dem alljährlich versucht, die finanziellen Leistungen des
Kollegen Frehsee bestätigt worden — in den letzten Bundes für die Landwirtschaft in einer Gesamt-
Jahren ganz gewaltig zu steigern. summe zusammenzuzählen, es notwendig ist, auch
umgekehrt zu verlangen, daß die verschiedenen
Wir haben also eine gerechte Beurteilung der
Lage der Landwirtschaft zu verlangen. Es ist auch Disparitäten innerhalb der Landwirtschaft auch zu
einer Gesamtsumme zusammengefaßt werden. Hier
notwendig, daß wir uns durch einen noch besseren
braucht man doch in der Offentlichkeit eine Ver-
Grünen Bericht bemühen, zu einer Klimaverbesse-
gleichszahl, und ich finde, diese Vergleichszahl ist
rung zwischen Stadt und Land beizutragen. Da er-
sehr, sehr notwendig.
scheint es jetzt im Hinblick auf die EWG notwen-
diger denn je, daß Stadt und Land zu einem Ich darf auch auf in diesem Jahr wieder erschie-
Miteinander kommen und daß gerade dieses Mit- nene Pressemeldungen verweisen, die ich soeben
einander gesucht werden muß. schon andeutete. Es hieß in einer Pressemeldung:
11 Millionen täglich für die Bauern. Das ist so aus-
Nun, wo liegen die Ursachen dieser Unklarheit?
gerechnet worden, daß man die finanziellen Leistun-
Wo liegen die Ursachen für diese Irrtümer in der
gen für die Landwirtschaft in den letzten fünf Jahren
Öffentlichkeit? Herr Minister Schwarz, ich bin der
zusammengerechnet hat. Das ergibt rund 20 Milliar-
Auffassung, daß die Bundesregierung das ihr zur
den DM oder täglich 11 Millionen für die Bauern.
Verfügung stehende gute Material nicht ausreichend
zur Unterrichtung der Öffentlichkeit nutzte. Viel- Dazu ist zunächst zu sagen, daß in diesen 20 Mil-
leicht liegt ein Grund darin — auch das möchte liarden DM viele Beträge stecken, die nicht der Land-
ich ganz offen ansprechen —, daß vielleicht jede wirtschaft zugute kommen, sondern die in völlig
Regierung bemüht ist, irgendwelche Erfolge zu andere Kanäle gehen. Aber ich meine, ein solcher
melden, darum bemüht ist, eine erfolgreiche Agrar- Hinweis ist nur möglich, weil zusammengefaßt wird,
politik aufzuzeigen, daß sie nachweisen will, daß und deshalb halten wir es für notwendig, daß hier
man auf dem richtigen Wege ist. Alles zugegeben, in der Öffentlichkeit auch die andere Vergleichszahl
aber, meine Damen und Herren, wir als Bauern genannt wird.
können doch dafür kein Verständnis haben, sondern
ich betone vielmehr, daß gerade eine solche Bilanz Nochmals zu den 11 Millionen! Diese Zahl ist sehr
der Begünstigung zu Irrtümern in Verbraucherkrei- leicht zu widerlegen, wenn man ihr den täglichen
sen führt, daß aber auch eine solche Bilanz, Herr Lohnverzicht der Landwirtschaft gegenüberstellt. Ich
Minister Schwarz, mit der rauhen Wirklichkeit will heute keine Disparitätsrechnung aufmachen; Sie
draußen auf dem Lande durchaus nicht mehr im können es selbst nachrechnen. Hier wurde vorhin
Einklang steht. von einem Lohnabstand von 1,35 DM bei den
familieneigenen Arbeitskräften gesprochen. Rechne
Nun ist schon seit Jahren versucht worden — ich ich bescheiden, ergibt sich bei 2 Millionen familien-
denke dabei an die alten Rechnungen —, den eigenen Arbeitskräften und bei einer täglichen Ar-
Grünen Bericht zu verbessern. Bisher sind alle Be- beitsleistung von 10 Stunden schon täglich ein Lohn-
mühungen gescheitert. Die FDP-Fraktion legte im verzicht von 10 DM mal 2 Millionen DM. Diese
dritten Bundestag einen Gesetzentwurf zur Errich- Dinge sind doch zu widerlegen, und es muß hier
tung einer Anstalt für Agrarwerbung vor. Man hatte etwas geschehen. Wir sollten uns bemühen, in der
damals die Hoffnung, durch die Errichtung einer öffentlichen Diskussion zu einer Klarstellung zu
solchen Anstalt zu einer besseren Aufklärung auch kommen und diese Klarstellung schnellstens herbei-
über die Situation in der Landwirtschaft zu kommen. zuführen. Denn die Entwicklung in die EWG hinein
Das Parlament machte noch im Juli 1960 einen ganz zeigt schon jetzt wieder völlig neue Subventions-
besonderen Vorstoß in der Richtung eines Stunden- wege, wenn ich an die Getreidepreisentwicklung
lohnvergleichs, auf den ich noch komme. Aber das denke.
alles blieb von der Regierung unbeachtet. Ich be-
daure sehr, Herr Minister Schwarz, daß hier wirk- Eine zweite alte Forderung, die ich auch wieder
lich alles beim alten blieb. neu aufnehmen möchte, ist .der Stundenlohnver-
gleich. In jedem Jahr ist ja bei der Grünen. Debatte
Welche Möglichkeiten gibt es nun zur Verbesse-
die Vergleichsrechnung ein gewisses Kriterium. Ich
rung des Grünen Berichts? Vielleicht sind einige
bedaure, daß das Bundesernährungsministerium 1962
Damen und Herren der Meinung, daß ich hier Pro-
in dem Grünen Bericht wiederum nicht einen Stun-
bleme anspreche, die angesichts der Situation in der denlohnvergleich bringt. Ich glaube, daß an sich ge-
EWG eigentlich gar nicht mehr so gründlich erörtert rade diese Forderung, die wir hier erheben, gut ge-
werden sollten. Nach unserer Auffassung sind aber
rüstet dasteht. Denn der Deutsche Bundestag hat
die Dinge, die ich mir vorgenommen habe anzu- schon am 1. Juli 1960 den Beschluß gefaßt, daß die
sprechen, auch für die europäische Situation sehr Bundesregierung ersucht werden sollte, neben dem
wichtig. Jafhreslohnvergleich auch einen Stundenlohnver-
Nun komme ich gleich mit einer ersten Forderung gleich zu bringen. Wie gesagt, es geschah nicht im
zu einer Verbesserung des Grünen Berichts, einer Vorjahr, und wir haben auch in diesem Jahr aus der
alten Forderung: Gesamtdisparität. Da gibt es natür- Pressekonferenz gehört, daß Herr Minister Schwarz
lich sofort Nein- und Jasager. Herr Kollege Wacher einen solchen Stundenlohnvergleich ablehnt.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 547
Logemann
Sicherlich mag es Schwierigkeiten bei der Berech- Betrag von 1238 DM landwirtschaftlichen Lohneis.
nung eines Stundenlohns geben; ich gebe das zu, Wenn Sie das mit der Zahl der in der Landwirtschaft
will aber nicht in Einzelheiten einsteigen, sondern tätigen Vollarbeitskräfte multiplizieren, ergibt sich
nur eines feststellen. Wer den Jahreslohn berechnen praktisch ein Lohnbetrag in einer Größenordnung
kann, kann auch den Stundenlohn berechnen. Man von 2,6 Milliarden DM, der nicht berücksichtigt wird,
könnte dazu auch noch sagen, daß praktisch die Ein- der einfach unter den Tisch fällt.
wände, die man gegen , den Stundenlohnvergleich Hinzu kommt — auch das wird nicht berücksich-
erhebt, gleichzeitig gegen den Jahreslohnvergleich tigt —, daß die Landwirtschaft gezwungen ist, Sonn-
genauso gegeben sind. tagsarbeit zu leisten, Überstunden zu machen. Hin-
Ein gewisses Kriterium waren auch z. B. immer zu kommt ferner, daß es dm bäuerlichen Betrieb in
noch die Pendlerzeiten. Die Entwicklung ist• doch der Regel keine Urlaubszeiten gibt. Aber all diese
heute so, daß auch diese Pendlerzeiten mehr und Dinge möchte ich dabei jetzt nicht ansprechen.
mehr bezahlt werden. Herr Minister Schwarz, könn- Gerade das von mir angeführte Beispiel sollte
ten wir die Pendlerzeiten nicht überhaupt auslassen? eigentlich die große Bedeutung eines gerechten
Können Sie sich nicht bemühen, künftig Betriebe zu Lohnvergleiches aufzeigen. Wir sind der Meinung,
vergleichen, bei denen praktisch kaum nennens- daß ein solcher gerechter Lohnvergleich dringend
werte Wege bestehen? Das wäre doch eine Möglich- notwendig ist. Es geht uns durchaus nicht darum,
keit, aus der Schwierigkeit mit den Pendlerzeiten eine Riesendisparität auszurechnen, sondern, Herr
herauszukommen. Die Anrechnung der Pendler- Minister, wir wollen nur endlich zu einer gerechten
zeiten ist für die Landwirtschaft kein echter Aus- Disparität kommen. Ich bin der Meinung, daß hier
gleich. das Parlament die Regierung nicht aus ihrer Verant-
Worum geht es überhaupt 'bei diesem Stunden- wortung entlassen sollte.
lohnvergleich? Uns geht es darum, festzustellen, daß Damit bin ich eigentlich am Ende
die Ja'hreslohnvergleiche nicht die Arbeitszeit der
(vereinzelter Beifall)
in der Landwirtschaft tätigen Menschen berücksich-
tigen. Die Entwicklung ist ja so — Herr Minister meiner Ausführungen über den Jahreslohnvergleich.
Schwarz, Sie haben es neulich richtig hervorgehoben Ich möchte aber noch eines hinzufügen — Sie haben
daß durch den Mangel an landwirtschaftlichen zu früh geklatscht —,
Arbeitskräften die Arbeitszeit in der Landwirtschaft (Heiterkeit)
im Gegensatz zu vergleichbaren Berufen, im Gegen-
nämlich, daß dieser Jahreslohnvergleich — auch das
satz zur industriellen gewerblichen Wirtschaft nicht
sollten wir erkennen — tatsächlich die Betriebe sehr
kürzer, sondern länger wird. In der industriellen ge-
stark benachteiligt, die — das können Sie fast auf
werblichen Wirtschaft läuft die Entwicklung jetzt
jeder Seite des Grünen Berichts lesen — besonders
so, daß wir bezüglich der Arbeitszeiten schon die gefördert werden sollen: die bäuerlichen Familien-
Spitze innerhalb der EWG-Länder erreicht haben.
betriebe. Beim Jahreslohnvergleich sind die Arbeits-
Nach neuesten Unterlagen sind wir in der industriel-
kräfte in den bäuerlichen Familenbetrieben be-
len Wirtschaft 'bei 2135 Stunden angekommen. In
troffen.
der Landwirtschaft ist es gerade umgekehrt. Jeder
Mensch, der 'bei uns vom Hofe geht, verlängert Ich möchte nicht in den Fehler verfallen, jetzt noch
zwangsläufig die Arbeitszeit für die auf den Höfen eine Definition des bäuerlichen Familienbetriebes
verbleibenden Menschen. Herr Minister Schwarz, zu geben, bin aber der Meinung — das darf ich viel-
Sie haben in Ihrer Rede neulich richtig gesagt, in leicht doch einschalten —, daß diese Betriebe, .bei
der Landwirtschaft werde heute zwischen 2800 und denen der Boden im Minimum ist, die Rentabilität
3200 Stunden gearbeitet. Ich möchte hinzufügen, die allein über die Bodenproduktion also nicht erreich-
Landfrauen arbeiten noch sehr viel länger; sie wer- bar ist, gezwungen sind, sich über die Veredelung
den wohl 4000 Stunden erreichen. Wir sollten unse- zusätzlich eine Rentabilität zu verschaffen. Wir soll-
ren Landfrauen dafür ein ganz besonderes Lob aus- ten uns den großen Auftrag geben, dafür zu sorgen,
sprechen. Aber, Herr Minister, ich kritisiere, daß daß gerade den bäuerlichen Familienbetrieben die
Sie aus der richtigen Erkenntnis dieser Dinge keine Chance einer zusätzlichen Veredelung 'erhalten
Folgerungen in dem jetzigen Grünen Bericht gezogen bleibt.
haben und nicht neben dem Jahreslohnvergleich den Meine Damen und Herren, es geht nicht darum,
Stundenlohnvergleich anführen. daß wir jetzt hier noch Sprüche machen, sondern
wir sollten uns ehrlich zu dem agrarpolitischen Auf-
Noch ein Beispiel zu den Unterschieden der bei-
trag bekennen, die bäuerlichen Familienbetriebe zu
den Vergleichssysteme. Beim Jahreslohnvergleich
stärken. Der jetzige Lohnvergleich — das darf ich
haben wir im Grünen Bericht die Feststellung, daß
noch einmal sagen — führt zu einem großen Unrecht
für den Jahreslohn in vergleichbaren Berufen im
gegenüber diesen Betrieben. Und hier ist meine
Durchschnitt rund 2236 Stunden gearbeitet wird. In
Frage, Herr Minister: Will man wirklich die Strapa-
der Landwirtschaft unterstellt man aber für den
zierfähigkeit dieser Betriebe, die ja bekanntlich groß
Jahreslohnvergleich nicht 2236, sondern 2700 Stun- ist, mit einem solchen Lohnvergleich ausnützen?
den oder, wie Sie, Herr Minister, in Ihrer Rede sag-
Wenn man das vorhätte, dann wäre der bäuerliche
ten, sogar 2800 bis 3200 Stunden, an denen ja auch
Familienbetrieb allerdings ein durchaus gefährliches
in der Tat gearbeitet wird. Die Landwirtschaft ver-
Leitbild der Agrarpolitik!
liert also beim Jahreslohnvergleich, wenn statt der
2236 nun 2700 Stunden genommen werden, 464 Stun- Nun noch ein anderer Vorschlag zum Grünen Be-
den je Arbeitskraft. In Geld umgerechnet ist das ein richt, der vorhin auch schon von dem Kollegen
548 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Logemann
Schmidt gemacht worden ist. Wir sind der Auffas- haben. Wenn wir solche Forderungen hören, dann
sung, daß es wichtig ist, schon den nächsten Grünen können wir auch erwarten, daß diese Kreise einmal
Bericht auf die EWG - Entwicklung abzustimmen. Es auf der Preisseite der Landwirtschaft mitkämpfen,
ist wichtig, daß wir jetzt in der Landwirtschaft Ver- damit die Landwirtschaft in die Lage versetzt wird,
gleichszahlen nicht nur aus unseren Partnerländern, nun auch höhere Löhne zahlen zu können.
sondern auch aus Drittländern bekommen. Wichtig Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
ist, daß wir Zahlenmaterial über Kostenvergleiche Schluß kommen! Wir vertreten die Auffassung, daß
erhalten. Aber genauso wichtig für die Zukunft, wir uns bemühen sollten, den Grünen Bericht zu
Herr Minister, ist es, daß uns mit dem Grünen Be- einer echten Bestandsaufnahme zu entwickeln. Ich
richt immer der neueste Subventionskatalog vor- habe die Hoffnung, daß es uns gelingt, in gemein-
gelegt wird. Bei der Entwicklung der Subventionen samer Arbeit zu einer gesunden Synthese zwischen
in unseren Nachbarländern ist das eine besonders alter und neuer Agrarpolitik zu kommen.
vordringliche Aufgabe. Ich habe heute noch neue
Zahlen bekommen. Dänemark subventioniert seine (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Landwirtschaft seit wenigen Jahren. Die Entwick-
lung in Dänemark ist heute so, daß in der dänischen Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Landwirtschaft auf jeden Erwerbstätigen an einkom- Abgeordnete Dr. Reinhard.
menverbessernden Maßnahmen eine Subvention
in einer Größenordnung von 1080 DM gewährt
wird. In Frankreich ist man in den letzten Jahren
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
ohne Familienhilfe schon auf 1400 DM gestiegen. Damen und Herren! Es war erfreulich, daß wir von
Die Bundesrepublik zahlt 670 DM. Deshalb ist es der linken Seite des Hauses, von Herrn Kollegen
wichtig, mit dem nächsten Grünen Bericht Material Dr. Schmidt, Worte hörten, die wir sonst nicht von
über diese Zahlen zu bekommen. Wir brauchen dort zu hören gewohnt sind. Er hat sich ausdrück-
solche Zahlen, um zu erkennen, wo die Chancen lich dafür ausgesprochen, daß es nicht zu einer Ab-
und Möglichkeiten unserer Produktion liegen. wanderung der Landwirte vom Lande kommen
dürfe, da dies an das Mark des Bauerntums gehen
Abschließend noch eine kurze Betrachtung der würde. Darin 'stimme ich vollkommen zu.
agrarpolitischen Entwicklung. Ich verzichte wegen Ich möchte mir erlauben, einige Probleme der
der vorgeschrittenen Zeit auf längere Ausführungen. kleineren Landwirtschaft anzusprechen. Wenn ich
Es ist besorgniserregend, wenn man den Grünen diese Probleme anspreche, soll damit keineswegs ein
Bericht einmal genauer studiert. Man kommt dann Keil zwischen „klein" und „groß" getrieben werden.
zu der erschreckenden Feststellung, daß der Anteil Auch der größere Betrieb hat seine Sorgen, mehr
der Landwirtschaft an der Wertschöpfung von noch, als das aus den Grünen Berichten hervorgeht.
10,9 % im Jahre 1950 auf etwa 6,2 % abgesunken -
ist. Das ist ein Absinken von fast 50 %. Herr Frehsee sprach den Abstand der Landarbei-
terlöhne von den gewerblichen Löhnen an. Sicher,
Die Vorschau auf das im Grünen Bericht erwähnte das ist ein Krebsschaden, und ich bin mit Herrn
laufende Wirtschaftsjahr muß uns ebenfalls mit Logemann der Meinung, daß man zu einem paritäti-
Sorge erfüllen. Der Differenzbetrag zwischen Ver- schen Landarbeiterlohn kommen müßte. Aber wie
kaufserlösen und Barausgaben wird mit etwa 800 kommt es denn, daß wir ihn noch nicht haben? Es
Millionen bis 900 Millionen DM schon jetzt nied- ist bei_ der derzeitigen Lage einfach nicht möglich,
riger eingeschätzt. Dazu kommt seit gestern eine diesen Sprung zu tun. Herr Kollege Frehsee, ich
neue Lohnforderung der Gewerkschaften. Die Ge- schätze Ihre Objektivität sehr hoch; aber Ihr Hin-
werkschaften verlangen, daß die Landwirtschaft weis, daß die Lohnquote innerhalb der Betriebsaus-
noch zusätzlich 500 Millionen DM für Lohnerhöhun- gaben von 20 % auf 10 % gesunken sei, rechtfertigt
gen verkraften soll. Das ergibt schon zusammen nicht Ihre Forderung. Denn auf der anderen Seite
eine Verringerung des Differenzbetrages um weit sind die Aufwendungen für Maschinen und tech-
über 1 Milliarde DM. Ich bin zwar durchaus der nische Investitionen erheblich gestiegen.
Auffassung, daß wir eine Agrarpolitik ansteuern
(Abg. Frehsee: Ein Mißverhältnis ist ge
sollten, bei der auch der landwirtschaftliche Fremd-
arbeiter zu dem Vergleichslohn vorstoßen kann; schaffen worden!)
aber ich halte es nicht für richtig, was gestern von — Jawohl. Aber so einfach, wie Sie es darzustellen
der Gewerkschaft „Gartenbau, Land- und Forstwirt- versuchten, ist die Sache nicht. Ich glaube, wir sind
schaft" verlangt wurde. Es wurde z. B. darauf hin- da auch ziemlich einer Meinung.
gewiesen, daß Fremdarbeiter nur noch in den Be- Die Krisenfestigkeit und die Liquidität der größe-
trieben beschäftigt würden, bei denen schon der
ren Betriebe, der Lohnarbeitsbetriebe ist wegen des
Vergleichslohn erreicht sei. Das bedeutet meiner
erhöhten Lohnaufwandes und der notwendigen In-
Meinung nach eine sehr allgemeine Vergröberung
vestitionen sehr viel schlechter geworden. Der
der Tatsachen. Es ist vielmehr so, daß diese Kräfte
bäuerliche Familienbetrieb kommt eher über die
noch in allen Betrieben vorhanden sind. Ich ver-
Runden, weil er eben die mithelfenden Familien-
stehe auch nicht, warum sich die Gewerkschaften
mitglieder kürzer treten läßt. Sie alle müssen auf
plötzlich von allen anderen Betrieben absetzen und
ihren Lohnanspruch verzichten.
sich anscheinend nur noch mit der lohnpolitischen
Situation bei den 6,9 % der landwirtschaftlichen Das Problem der Kleinbauern ist anderer Art. Im
Betriebe auseinandersetzen, die bisher allein das letzten Jahr hat die Zahl der landwirtschaftlichen
Klassenziel des Landwirtschaftsgesetzes erreicht Betriebe um 37 000 abgenommen. Seit 1949 ist eine
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 549
Dr. Reinhard
Abnahme von mehr als 400 000 zu verzeichnen. Da- dem wird den kritischen landwirtschaftlichen Be
von entfällt die Mehrzahl auf Betriebsgrößen bis triebsgrößen durch die Ermöglichung eines Neben
5 ha. Aber auch die Klasse von 5 bis 10 ha hat erwerbs eine bessere Existenzgrundlage geschaffen.
67 000 Betriebe verloren. Es steht außer Zweifel,
daß diese Entwicklung durch das hohe außerland- 2. Die Vermehrung der Mittel zur Verbesserung
der Agrarstruktur, insbesondere die Erhöhung der
wirtschaftliche Einkommen der Nebenerwerbsland-
wirte bedingt ist. Die gutverdienenden Arbeiter- Mittel für die Aufstockung und Aussiedlung, ist zu
bauern haben den landwirtschaftlichen Erwerb nicht begrüßen. Durch die Kostensteigerung und aus an-
mehr nötig, oder er erscheint ihnen nicht mehr loh- deren Gründen ist allerdings die Höhe der Vor-
nend genug. Die Entwicklung ist also eine Auswir- griffe von Jahr zu Jahr gestiegen. Im abgelaufenen
kung der guten Konjunktur in der Bundesrepublik. Jahr sind insgesamt 315 Millionen DM zur Auf-
stockung und Aussiedlung aufgewandt worden, also
Trotzdem müssen wir diese Entwicklung mit ebensoviel, wie der diesjährige Ansatz beträgt. Es
Trauer sehen. Denn die Nebenerwerbslandwirte ge- kontesgarAfduniHöhevo20Ml-
hören an sich zu den krisenfestesten Existenzen, die lionen DM im abgelaufenen Jahr nicht bedient wer-
bisher jede konjunkturelle Abschwächung, ja sogar den.
ernste Krisen überstanden haben. Die Aufgabe der Es ist also wiederum eine ganz erhebliche Bin-
Landwirtschaft bedeutet für sie einen Verzicht auf dungsermächtigung nötig, wenn nur die vorjährigen
wirtschaftliche Sicherheit. Dem wollen sie dadurch Ergebnisse erreicht werden sollen. Deshalb hat
entgehen, 'daß sie ihre Grundstücke nicht veräußern, meine Fraktion auch eine Erhöhung der Bindungser-
sondern ungenutzt liegen lassen, um sie im Notfall mächtigung von 100 Millionen beantragt. Ich möchte
wieder nutzen zu können. aber anregen, daß künftig anfallendes Land mehr als
Wir können diese Entwicklung nicht aufhalten. bisher zur Aufstockung und damit zur Bildung zahl-
Denn weder vom Preise her noch von der Produk- reicher lebensfähiger Familienbetriebe verwendet
tionskostenseite her können agrarpolitische Maß- werden sollte.
nahmen diese Grundeigentümer zur Aufrechterhal- 3. Man sollte auch überlegen, wie die landwirt-
tung ihres Nebenerwerbsbetriebes anreizen. schaftliche Nutzfläche stillgelegter oder stillzulegen-
der Betriebe, die als sogenannte soziale Frage immer
Herr Kollege Effertz hat mit tiefschürfenden Über- mehr in Erscheinung treten, nutzbringend zur Auf-
legungen eine Definition für den bäuerlichen Fami- stockung landwirtschaftlicher Betriebe zu mobilisie-
lienbetrieb zu bekommen versucht. Man muß sie ja ren ist. Sicherlich könnte man in dieser Richtung
schließlich auch einmal finden; leider haben wir sie etwas erreichen, wenn man Landwirte, die die Be
noch nicht. Aber es ist sehr schwer, eine Grenze zu wirtschaftung ihres landwirtschaftlichen -Besitzes
ziehen. Herr Dröscher, Sie haben das gesagt, und aufgegeben haben oder aufgeben wollen und die
ich bin mit Ihnen einer Meinung. bereit sind, diese zur Aufstockung anderen landwirt-
Wir müssen uns um diejenigen Landwirte beson- schaftlichen Betrieben zur Verfügung zu stellen,
ders kümmern, deren Betriebe einerseits zu klein mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus ausstatten
sind, um in Zukunft ein auskömmliches Einkommen, würde. Es müßten damit nicht nur neue Eigenheime
geschweige einen Vergleichslohn abzuwerfen, und erstellt werden, sondern auch die alten Wohnräume
andererseits zu groß sind, um ihren Besitzer einem modernisiert und renoviert werden können.
Nebenerwerb nachgehen lassen zu können. Das sind (Beifall bei der CDU/CSU.)
auch Familienbetriebe. Hierher gehören auch die
kleinen Bauern, die wegen der Verkehrsferne ihrer Auch in der Flurbereinigung bzw. bei der Aufstel-
Betriebe keine Möglichkeit zur Aufnahme eines lung der Bauleitpläne sollten Ansprüche auf Bauland
Nebenerwerbs haben. solcher Landwirte, die Land zur Aufstockung zur
Verfügung stellen, bevorzugt berücksichtigt werden.
Wenn auch im Zuge der Umstellungsmaßnahmen
4. Nun muß ich noch einmal zu einem „abge-
der Landwirtschaft ein Trend zur größeren Einheit
droschenen Thema" zurückkommen: die Förderung
nicht zu verkennen ist, so muß doch aus soziolo-
der gemeinschaftlichen Maschinenbenutzung. In die-
gischen Gründen auf die Erhaltung — ich will hier
ein Wort der Regierungserklärung gebrauchen — sem Grünen Plan sind 15 Millionen DM vorgesehen.
„möglichst vieler selbständiger kleiner und mittlerer Das ist gegenüber dem vorjährigen Grünen Plan
Existenzen" auch in der Landwirtschaft Wert gelegt eine Erhöhung um 5 Millionen DM. Doch waren in
werden. dem 300-Millionen-Nachtrag des vergangenen Jahres
weitere 10 Millionen vorgesehen, so daß tatsächlich
1. Wir sollten daher die Schaffung einer besonde- in diesem Jahr eine Verringerung des Ansatzes um
ren Abteilung für Raumordnung im Bundesministe- 5 Millionen DM vorgenommen worden ist. Diese
rium für Wohnungswesen, Städtebau und Raumord- Kürzung ist um so bedauerlicher, als sich allmählich
nung begrüßen. Wir erwarten von Herrn Bundes- Formen der gemeinschaftlichen Maschinenbenutzung
minister Lücke, daß er sich besonders der Aufschlie- herausgebildet haben, die vorzüglich funktionieren.
ßung der Gebiete mit vorwiegend landwirtschaft- Ich denke hier nicht nur an die Maschinengenossen-
lichem Kleinbesitz und der Ansiedlung kleiner und schaften und Anteilsgenossenschaften, sondern auch
mittlerer ,gewerblicher Betriebe in diesen Gebieten an die Maschinenbanken, die sich in Süddeutschland
annimmt. Damit wird den Ballungstendenzen und entwickelt und bewährt haben. Diese Formen der
der Abwanderung der landwirtschaftlichen Bevöl- gemeinschaftlichen Maschinenbenutzung stellen für
kerung in die Großstädte entgegengewirkt. Außer- den bäuerlichen Betrieb eine sehr wichtige Rationali-
550 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Dr. Reinhard
sierungsmöglichkeit im Sinne der Produktionskosten- Pfennig genügt auch dann nur, wenn eine Erhöhung
senkung dar. Es ist deshalb unverständlich, daß des Trinkmilchpreises alsbald erfolgt. Die Notwen-
gerade diese Förderungsmittel in diesem Jahr ge- digkeit des vierten Milchpfennigs haben meine Vor-
kürzt worden sind. Diese Mittel sollten im Gegenteil redner bereits dargelegt. Ich möchte zur Begründung
erhöht werden. Das ist auch, da es sich um relativ meiner Forderung und gleichzeitig auch zur Ab-
kleine Beträge handelt, im Rahmen des Grünen lehnung des Antrags der SPD,eine gestaffelte Milch-
Planes durchaus möglich. prämie einzuführen, sagen, daß 90 % der Kühe in
Beständen bis zu 10 Kühen stehen, fast 50 % — fast
5. Der Herr Bundespräsident hat als Landwirt-
die Hälfte des Milchkuhbestandes — stehen in Be-
schaftsminister mehrfach auf die Möglichkeit der
trieben unter 10 ha, und über 70 % der Kühe stehen
inneren Betriebsaufstockung landwirtschaftlicher
in Betrieben unter 20 ha. Ich glaube, das zeigt deut-
Klein- und Mittelbetriebe durch eine rationelle lich, daß die Milchförderung durch die Prämie eine
Geflügelhaltung hingewiesen. In der Tat besteht die Maßnahme für den bäuerlichen Betrieb ist.
Möglichkeit, die deutsche Eiererzeugung noch zu er-
weitern, da nur knapp 60 % des Bedarfs an Eiern Ich muß zugeben, daß die Mittel für den vierten
im Inland erzeugt werden. Deshalb stellt die Förde- Milchpfennig nur schwer aufzubringen sind. Ich
rung der bäuerlichen Hühnerhaltung, insbesondere habe keinen Deckungsvorschlag. Aber bei der Vor-
der Stallbauten, eine sehr vernünftige Förderung liebe, die der Herr Finanzminister Starke der Land-
dar. Im Jahre 1959 standen für Stallbauten 0,45 wirtschaft gegenüber immer bekundet hat — ich
Millionen DM, im Jahre 1960 dagegen keine Mittel, hätte ihm dieses Kompliment hier gern gemacht —,
im Jahre 1961 0,8 Millionen DM zur Verfügung. dürfte ihm das nicht unmöglich sein. — Er ist hier;
Für die Jahre bis einschließlich 1959 sahen die Ver- ich tue das also.
wendungsrichtlinien die Bezuschussung von Ställen Mit all diesen Maßnahmen allein wird man aber
für 200 bis 600 Hennen vor. Für 1961 wurde diese auch den Landwirten an der unteren Grenze der
Bestimmung dahingehend geändert, daß Ställe für Familienbetriebe nicht helfen können. Die Probleme
200 bis 800 Hennen oder 1500 bis 2500 Masthähnchen dieser Betriebe sind auch soziale Probleme. Der
gefördert werden sollten. Bauernstand ist heute in der sozialen Sicherung —
Die zur Verfügung stehende Gesamtsumme wird das haben Sie, Herr Frehsee, treffend gesagt — der
vom Bundesministerium für Ernährung und Land- am schlechtesten gestellte Beruf. Die Bauern, vor
wirtschaft nach dem Hühnerbestand auf die Länder allem die kleinen und mittleren Bauern, sind in die-
aufgeteilt. Dabei ergeben sich aber für einzelne Län- sem Sinne nicht als selbständige Unternehmer zu
der zu kleine Beträge, um diese wichtige und wert- werten; denn die kleineren Landwirte verfügen —
volle Maßnahme wirksam werden zu lassen. So ent- das hatte der vorliegende Grüne Bericht gezeigt,
fällt z. B. in Bayern, um den krassesten Fall anzu- und das wird das laufende Wirtschaftsjahr noch
führen, auf jeden zweitem Landkreis ein geförderter deutlicher zeigen — nicht über die Einnahmen und
Hühnerstall. Berücksichtigt man außer der Lege- die entsprechende soziale Sicherung vieler indu-
haltung auch noch die Masthähnchenproduktion, so strieller Facharbeiter.
isst mit den in den vergangenen Jahren zugeteilten Unter diesem Gesichtspunkt muß man auch die
Mitteln auch bei Schwerpunktbildung kaum noch künftigeSozalrmsh.Mnußbeird
etwas zu erreichen. Verhältnisse in der Landwirtschaft berücksichtigen.
Die Stallbauhilfen sollten trotzdem beibehalten Während ein den letzten Jahren für die landwirt-
werden. Der Gesamtbetrag müßte aber vermehrt schaftlichen Arbeitnehmer ein gleicher sozialer
werden, damit er wirksam wird. Die unterste Grenze Schutz wie für die Arbeitnehmer in der gewerb-
sollte bei 5 Millionen DM liegen; auch das sollte im lichen Wirtschaft geschaffen wurde, entbehren der
Rahmen der Mittel des Grünen Plans noch möglich selbständige Bauer und seine mithelfenden Fami-
sein. Ein solcher Betrag würde unter Beibehaltung lienangehörigen noch dieser Sicherheit. In manchen
der bisherigen Richtlinien zur Förderung von ca. 1200 EWG-Ländern — Herr Frehsee, Sie wiesen darauf
Hühnerhaltungen mit durchschnittlich 500 Hennen hin — ist die soziale Sicherheit des Bauern bereits
ausreichen. erheblich weiter entwickelt.
Man sollte aber — das möchte ich betonen — Die Sicherheit im Krankheitsfalle fehlt für den
-
nicht zu engherzig auf der Beibehaltung der 800 selbständigen Bauern und seine Familie noch völlig,
Hennen-Grenze bestehen. Die Färderungsmaßnah- wenn er sich nicht freiwillig versichert. Auch der
men sollten auf die bäuerlichen Betriebe, und zwar Unfallschutz der Selbständigen ist — ich komme
auf die an der unteren Grenze der Familienbetriebe, darauf noch einmal zurück — wesentlich schlechter
beschränkt bleiben, damit tatsächlich eine innere als der der Arbeitnehmer. Und der durch Krankheit
Aufstockung erreicht wird. Das hatten auch Sie, früh erwerbsunfähig gewordene Bauer hat noch gar
HerLogman,spchwle. keinen Schutz. Besonders wenn die Kinder noch
6. Schließlich muß ich in diesem Zusammenhang klein sind, treten im landwirtschaftlichen Betrieb bei
nochmals eine Erhöhung des Ansatzes zur Förde- vorzeitiger Invalidität oder Tod des Bauern nicht
rung der Qualitätsmilch fordern. Die Preise entspre- wiedergutzumachende Notstände auf.
chen bei weitem nicht mehr den Produktionskosten. Das ist fürwahr ein mageres Ergebnis unserer
Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, daß bisherigen landwirtschaftlichen Sozialpolitik. Es ist
sich eine Erhöhung der Milchprämie um einen Pfen- um so beängstigender, als sich der Gesundheitszu-
nig auf die gesamte angelieferte Milch erstrecken stand auf dem Lande erschreckend ungünstig ent-
müßte. Die Erhöhung der Milchprämie um einen wickelt hat.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 551
Dr. Reinhard
Auf der anderen Seite bedeutet die Schaffung dieser Erhebung von 2,94 RM im Jahre 1938 über
eines Gesetzes für die Altershilfe in der Landwirt- 4,84 DM im Jahre 1949 auf 30 DM im Geschäftsjahr
schaft einen sozialen Fortschritt. Allerdings ist nicht 1959 und auf zur Zeit rund 35 DM im Jahr ange-
einzusehen, weshalb nach Schaffung einer gesetz- stiegen. Das bedeutet eine Erhöhung von rund
lichen Regelung die Deckung des Defizits wiederum 1200 % gegenüber 1938. In dieser Steigerung sind
aus dem Grünen Plan finanziert werden soll, zumal zwar die Beiträge zur landwirtschaftlichen Alters-
Zuschüsse zu Sozialversicherungen in Höhe von kasse und zur landwirtschaftlichen Familienaus-
weit über 4 1/2 Milliarden DM im Etat des Bundes- gleichskasse enthalten; für die landwirtschaftliche
ministers für Arbeit und Sozialordnung vorgesehen Unfallversicherung allein bleibt aber immer noch
sind. eine Steigerung von sage und schreibe 780 % ge-
Würden diese Zuschüsse für die landwirtschaft- genüber 1938.
liche Altershilfe in den Etat des Bundesministeriums Die neuen Belastungen durch das Neuregelungs-
für Arbeit und Sozialordnung übernommen werden, gesetz betragen ohne Berücksichtigung der Abfin-
so daß die 100 Millionen DM im Grünen Plan frei dung für Renten unter 25 % allein schon 25 bis
würden, ergäbe sich eine Möglichkeit der teilweisen 30 Millionen DM. Das bedeutet neue Beitragser-
Finanzierung des vierten Milchpfennigs. höhungen. Es wird gerade deshalb nicht einmal
möglich sein, die Jahresarbeitsverdienste der selb-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter ständigen Bauern den tatsächlichen Verhältnissen
Dr. Reinhard, gestatten Sie eine Frage des Herrn entsprechend festzusetzen, um tragbare Renten zu
Abgeordneten Dröscher? gewähren.
Im Grünen Plan sind zahlreiche Maßnahmen für
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Bitte! die bäuerlichen Familienbetriebe vorgesehen. Da-
für sollten wir der Bundesregierung danken. Aber
auf einzelne weitere Notwendigkeiten glaubte ich
Dröscher (SPD) : Darf ich die Ausführungen, die noch einmal deutlich hinweisen zu müssen.
Siebnmacht,sovredßSinmA-
trag, die 100 Millionen DM aus dem Grünen Plan Besonders lag es mir am Herzen, das Ministerium
herauszunehmen, zustimmen würden? Lücke auf die diringende Notwendigkeit der Be-
rücksichtigung landwirtschaftlicher Probleme bei der
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Herr Dröscher, diesem Raumordnung hinzuweisen.
Antrag werde ich zustimmen, wenn die Mittel in Schließlich kam es mir darauf an, die Forderung
dieser Weise verwandt werden sollten. zu erheben, daß die soziale Sicherheit der Bauern
(Abg. Dröscher: Sehr interessant! Danke!) weiter gebessert wird und daß auf der anderen Seite
bei der bevorstehenden Sozialreform die Landwirt-
Wie wird sich nun die bevorstehende Sozialreform schaft ihren besonderen Verhältnissen entsprechend
auf die Landwirtschaft auswirken? Ich denke hier berücksichtigt wird.
an das Bundesurlaubsgesetz, an das Gesetz zur
Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Ich habe diese Ausführungen nicht gemacht, um
an das Gesetz zur Neuregelung der Unfallversiche- ein hoffnungsloses Bild der Landwirtschaft zu zeich-
rung. nen, sondern um auf die besonderen Verhältnisse
Sicherlich wird der bäuerliche Familienbetrieb von der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe hinzuweisen
dem Urlaubs und dem Lohnfortzahlungsgesetz nicht
-
und die Mitglieder des Hohen Hauses um Verständ-
so stark betroffen wie der landwirtschaftliche Lohn- nis für deren Belange zu bitten. Wenn diese Men-
arbeitsbetrieb. Der Lohnarbeitsbetrieb wird durch schen nur rationell handelten, würden sie ihre Höfe
diese beiden Gesetze ganz gewaltigen Mehrbelastun- schon morgen an den Meistbietenden verkaufen;
gen unterworfen, die auch durch Erleichterungen bei denn das Optimum an Rationalisierung ist in die-
der Erhebung der Beiträge zur Arbeitslosenver- sen Betriebsgrößen kaum jemals zu erreichen. Es
wäre aber sehr kurzsichtig, bei unserem Streben
sicherung nicht ausgeglichen werden können.
nach einem möglichst breitgestreuten Eigentum und
Dagegen bringt die Neuregelung der Unfallver- der Erhaltung einer möglichst breiten Schicht klei-
sicherung gerade der bäuerlichen Landwirtschaft ner und mittlerer Existenzen Hunderttausende so-
erhebliche Belastungen. Das Zweite Leistungsver- ziologisch wertvoller bäuerlicher Existenzen unter-
besserungsgesetz brachte eine Angleichung der gehen zu lassen. Darin bin ich mit Ihnen, meine
Renten der Lohnempfänger und der mithelfenden Damen und Herren, sicher einer Meinung.
Angehörigen an die Renten der Arbeitnehmer der
gewerblichen Wirtschaft. Das war notwendig. Da- Darum sehe ich gar nicht so hoffnungslos in die
mit war aber eine mehrfache Erhöhung der Beiträge Zukunft. Der Bauer gibt so leicht nicht auf. Er war-
zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft ver- tet allerdings auch darauf, daß ihm die Allgemein-
bunden. heit Verständnis entgegenbringt. Er erwartet Ver-
ständnis und entsprechende Förderung auch von
In welchem Ausmaß die Belastung der Beitrags- seiner Regierung.
pflichtigen in der landwirtschaftlichen Unfallver-
sicherung bereits gestiegen ist, zeigt eine Erhebung, (Beifall bei der CDU/CSU.)
die der Bundesverband der landwirtschaftlichen Be-
rufsgenossenschaften angestellt hat. Die Hektar-Be- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
lastung der Landwirtschaft durch Beiträge ist nach Abgeordnete Bading.
552 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Bading (SPD) : Herr Präsident! Meine Da mi en und muß man aber feststellen, daß von den 315 Mil-
Herren! Ich möchte hier keinen Abriß der Agrar- lionen DM bereits 95 Millionen DM durch etat-
politik geben, sondern mich nur zu einigen speziel- mäßige Bindungsermächtigungen in Anspruch 'ge-
len Fragen äußern, insbesondere zu den Fragen der nommen worden sind. Auch hier ist also wieder eine
Agrarstruktur. Der Herr Minister hat diese Fragen unklare Darstellung 'der Lage im Grünen Bericht
in seinem Bericht auch gestreift. Er hat zum Aus- festzustellen. Deswegen hat wohl auch die Fraktion
druck gebracht, er sei sehr froh darüber, daß die der CDU/CSU einen Antrag vorgelegt, daß neue
Förderung der Verbesserung der Agrarstruktur mit Bindungsermächtigungen gegeben werden sollen. Ich
Hilfe seines Kollegen Starke keinen Rückschlag er- halte das Verfahren, mit Bindungsermächtigungen
fährt. Ich finde das reichlich bescheiden, Herr Mini- zu arbeiten, für nicht gut. Wir möchten, daß im
ster. Ich halte es für notwendig, daß die Mittel er- Interesse einer Kontinuität der Finanzierung echte
höht werden, aber man sollte nicht froh sein, daß Etatmittel zur Verfügung gestellt werden. Man
sie nun gerade so bleiben. kann das Instrument der Bindungsermächtigung ein-
mal vorübergehend ein Jahr lang gebrauchen, es
Wenn man die Beträge für agrarstrukturför-
darf aber nicht zu einer Dauereinrichtung werden.
dernde und einkommensteigernde Maßnahmen ver-
Deshalb haben wir uns entschlossen, zu beantragen,
gleicht, sieht man, daß sie zwar absolut erhöht wor-
die Mittel für die Aufstockung und Aussiedlung um
den sind, aber die Mittel für die einkommenför- 105 Millionen DM zu erhöhen.
dernden Maßnahmen sind stärker angestiegen,
nämlich von 850 auf 1200 Millionen DM, während Ferner wollen wir, daß die Mittel für die regio-
die Mittel für die strukturellen Maßnahmen nur von nalen Strukturmaßnahmen — wenn auch nur um
750 auf 860 Millionen DM erhöht worden sind, so einen geringen Betrag — uni 20 Millionen DM er-
daß sich das gegenseitige Verhältnis zuungunsten höht werden.
der agrarstrukturellen Maßnahmen gewandelt hat. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit ein paar
Wir haben uns in der sozialdemokratischen Frak- Sätze zu der Agrarstrukturverbesserung sagen.
tion entschlossen, einen Antrag vorzulegen, nach Auch hier haben sich gewisse, ich möchte einmal
dem eine ganze Reihe von Maßnahmen auf dem Ge- sagen, Veränderungen ergeben. Es gab immer zwei
biete der Agrarstruktur verstärkt werden soll. Ich Richtungen in der Agrarstrukturverbesserungspoli-
will darauf nicht im einzelnen eingehen. Ich möchte tik. Die eine zielte auf ein Zusammenwirken der
nur kurz sagen: wir wollen die Mittel für die Flur- individuellen bäuerlichen Selbsthilfe und der Staats-
bereinigung in Höhe von 195 Millionen um 30 Mil- förderung hin, während die andere Richtung mehr
lionen DM erhöht wissen, und zwar aus einem ganz Wert auf ein Zusammenwirken aller Kräfte legte.
bestimmten Grund. Ihr Ziel war nicht die Förderung des einzelnen Be-
Um die Flurbereinigung so zügig wie möglich triebes, sondern die Förderung der Dorfgemein-
vorantreiben zu können, ist es notwendig, ein etwas schaft oder sogar des noch etwas größeren Raumes.
anderes Verfahren zu wählen als bisher.. Der Be- Ich freue mich darüber, daß das Bundesernährungs-
troffene soll nämlich, solange die Flurbereinigung ministerium jetzt allen Ländern agrarstrukturelle
läuft, nichts zahlen. Sie soll vielmehr vorfinanziert Rahmenpläne übersandt hat. Vor jeder Einzelmaß-
werden, und erst wenn der Landwirt sozusagen in nahme soll eine Darstellung der anzustrebenden
den Genuß der Flubereinigung gekommen ist, soll Entwicklung des ländlichen Raumes stehen. Die
er die Schuld mit längeren Annuitäten abtragen. Richtung, die sozusagen mehr auf die Ordnung des
Dazu ist natürlich etwas Geld notwendig. Dieses Ganzen eingestellt ist, hat sich also durchgesetzt.
Verfahren hat sich bereits in Nordrhein-Westfalen Das ist erfreulich, denn wir haben es zweifelsohne
und Hessen gut bewährt. Es liegt nicht der gering- nötig, gerade in den kleinbäuerlichen Gebieten, die
ste Grund vor, es nicht auch in den anderen Län- ja meistens nicht auf 'besonders ertragreichen Böden
der einzuführen. Der Bund sollte hier mit gutem liegen, ein Zusammenwirken aller Kräfte zur Ver-
Beispiel einer Finanzierungshilfe vorangehen. besserung der Struktur herbeizuführen. Es geht
nicht mehr allein uni agrarpolitische Maßnahmen,
Bei der gestrigen Ausschußsitzung ist uns von obwohl sie natürlich auch notwendig sind. Ich will
einem Vertreter des Bundesernährungsministeriums ihre Bedeutung in keiner Weise mindern. Aber es
erklärt worden, daß neben den vorgesehenen 195 ist auch notwendig, daß die Maßnahmen auf wirt-
Millionen DM im Etat noch 40 Millionen DM ein schaftspolitischem Gebiet, auf dem Gebiete der Ver-
bißchen versteckt zur Zinsverbilligung für Kapital- kehrspolitik, der Kulturpolitik — Schulbau und an-
marktmittel vorhanden seien. Ich freue mich dar- dere kulturelle Maßnahmen — zusammenwirken,
über, daß die 40 Millionen DM dafür da sind. Ich um die Lebensverhältnisse in diesen Räumen zu
nehme das aber zum Anlaß, Sie, Herr Minister, zu heben, und die Agrarpolitik kann nur ihren Teil
bitten, dafür zu sorgen, daß in künftigen Grünen dazu tun. Diese Auffassung ist bisher keineswegs
Plänen mehr Klarheit herrscht, damit man nicht allgemein gewesen. Ich erinnere mich noch an Äuße-
immer erst herumsuchen muß und auf die Hilfe der rungen, die dahin gingen, das sei doch ein reiner
Herren vom Ministerium angewiesen ist, um die Dirigismus, der Bauer werde in die Rolle des von
richtigen Beträge 'zu erfahren. Es wäre viel besser, der Obrigkeit gelenkten Untertanen zurückgeführt,
wenn man das gleich im Grünen Bericht ablesen und was sonst noch gesagt wurde. Das ist nunmehr
könnte. vorbei. Es besteht Einmütigkeit darüber, das zu tun,
was notwendig ist.
Die Mittel für die Aussiedlung und Aufstockung
sind beträchtlich, von 190 Millionen DM auf 315 Mil- Ich möchte mich noch einer anderen Sache zuwen-
lionen DM erhöht worden. Bei näherem Hinsehen den, die auch mit der Agrarstruktur in enger Ver-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 553

Bading
bindung steht. Sie ist eigentlich mit ein Grund, wes- die Düngemittelsubvention, darüber sind wir uns
halb wir Agrarstrukturpolitik treiben müssen. Das beide einig" — der Herr Minister hört leider nicht
ist die Disparität innerhalb der Landwirtschaft zu —
selbst. Hier ist immer sehr viel von Disparität der (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Minister!
Landwirtschaft zur übrigen Wirtschaft oder zur In- Zuhören!)
dustrie gesprochen worden. Wir müssen uns aber „darüber sind wir uns einig: die Düngemittelsubven-
auch darüber klar sein, daß innerhalb der Landwirt- tion wird abgebaut", hat Herr Bauknecht heute ver-
schaft sehr unterschiedliche Einkommensverhältnisse kündet, daß Sie Ihre Meinung darüber geändert
vorliegen. Herr Kollege Reinhard — oder war es hätten. Ich habe schon gesagt: ich bin zutiefst er-
ein anderer Kollege? — hat ja schon gesagt, daß schüttert, daß Sie von Ihrem guten Standpunkt, den
man selbstverständlich in Betrieben auf besseren Sie vor zwei Jahren hatten, abgegangen sind.
Böden und in besserer Strukturlage bessere Erträge Zum Schluß noch eine Bemerkung zu einem An-
erzielen kann als in Betrieben auf sehr kargen Bö- trag, den wir gestellt haben — Herr Dr. Reinhard
den. Nun, das ist eine alte Weisheit. Ein alter kur- hat auch schon für ihn gesprochen —, dem Antrag,
ländischer Bauer sagte mir immer, wenn ich mit ihm den Ansatz für Gemeinschaftsmaschinen zu erhöhen.
über Agrarpolitik sprach: Was wollen Sie — ich Hier ist ein Mittel, tatsächlich den bäuerlichen Be-
kann es nicht so schön in seiner Tonart sagen —, trieben zu helfen. Es ist, da die Wirtschaftspolitik
es gibt halt Schmandhöfe und es gibt Grützehöfe, der Bundesregierung nicht in der Lage ist, die über-
und damit muß man sich abfinden. höhten Preise der Industrie abzubauen, das ein-
Selbstverständlich gibt es diese Unterschiede, die zige Mittel, den viel zu hohen Maschinenkapitalan-
wir nicht ändern können. Aber wir dürfen diese Un- teil am gesamten Betriebskapital in den bäuerlichen
terschiede nicht noch durch agrarpolitische Maßnah- Betrieben herunterzudrücken. Ich möchte Sie drin-
men vergrößern. Darauf kommt es doch an. Wir gend bitten, diesem Antrage Ihre Zustimmung zu
können nicht dem lieben Gott ins Handwerk pfu- geben.
schen; aber wir können es so einrichten, daß die (Beifall bei der SPD.)
Unterschiede nicht größer werden, wir können es
sogar so einrichten, daß sie kleiner werden. Denn Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat Herr
darüber wollen wir uns doch klar sein, daß die Abgeordneter Walter.
Bauern auf kargen Böden und bei schlechten Klima-
verhältnissen zum mindesten ebenso arbeiten wie
die Bauern auf besseren Böden. Darüber besteht Walter (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
wohl keine Meinungsverschiedenheit. Herren! Wir wollen gemeinsam eine agrarpolitische
Konzeption entwickeln, die die Lebensfähigkeit
- der
Für mich war eine Seite in dem Grünen Bericht deutschen Landwirtschaft gewährleistet. So haben
außerordentlich instruktiv. Es handelt sich da um wir es am 31. Januar hier in diesem Hohen Hause
einige Schaubilder, in denen dargelegt ist, wie sich einstimmig beschlossen. Wir haben auch der Erwar-
das effektive Einkommen zum Vergleichslohn ver- tung Ausdruck gegeben, daß spätestens bei der
hält, und zwar über eine Reihe von Jahren und ge- Diskussion über den neuen Grünen Plan die Umrisse
trennt für verschiedene Betriebsgrößen und Gegen- dieser agrarpolitischen Konzeption sichtbar werden.
den. Daraus ersehen Sie ganz deutlich — Sie finden
es auf Seite 69 des Grünen Berichts —, daß bei den Wenn wir nun diese einstimmige Entschließung
größeren Betrieben der effektiv erzielte Lohn sich des Deutschen Bundestages als Maßstab nehmen für
immer in der Nähe der Kurve des Vergleichslohns die Bewertung des Grünen Planes 1962, dann muß
befindet, diesen mal unterschreitet, mal über- ich sagen, daß hier eine neue agrarpolitische Kon-
schreitet. Bei der nächstniedrigen Betriebsgrößen zeption nur in ersten Ansätzen sichtbar wird. Es
klasse geht das auch noch einigermaßen. Bei den fehlen vor allem die Maßnahmen, die die Bundes-
Betrieben von 10 bis 20 ha und unter 10 ha aber regierung als Ausgleich dafür zugesagt hat, daß der
liegt die Kurve des effektiven Einkommens hoff- deutschen Landwirtschaft aus den Brüsseler Be-
nungslos unter der Kurve des Vergleichslohns. schlüssen für eine gemeinsame Agrar-Marktordnung
in der EWG größere Einkommenseinbußen drohen.
Ich meine — jetzt komme ich wieder auf unseren
Antrag zurück —, wir können keine Maßnahmen Der Grüne Plan für 1962 enthält eine Gesamt-
verantworten, die diese Entwicklung und diese Tat- summe von 2,06 Milliarden DM. Da weite Schichten
sache noch unterstützen. Infolgedessen haben wir der Bevölkerung über die wirkliche Situation der
uns entschlossen, zur Deckung der Erhöhung der Landwirtschaft nicht — oder falsch — orientiert sind,
Ausgaben auf dem Gebiet der Agrarstrukturverbes- wird besonders dieser Grüne Plan wieder dazu bei-
serung eine Streichung der Düngemittelsubventio- tragen, die schon seit Jahren vorhandene negative
nen vorzuschlagen. Ich brauche hier nicht zu begrün- Optik über die Landwirtschaft zu verschärfen.
den, warum die Handelsdüngersubvention eine so
Um das zu verhindern oder abzuschwächen, scheint
ungerechte Angelegenheit ist; das ist schon in den
es uns notwendig zu sein, daß aus dem Grünen
vergangenen Jahren geschehen. Plan die Summen herausgenommen werden, die nicht
Einen großen Schmerz hat mir Herr Bauknecht be- als echte Zuschüsse zum Aufwands-Ertrags-Ausgleich
reitet, indem er mitgeteilt hat, daß Herr Minister in der deutschen Landwirtschaft wirken, also auch
Schwarz inzwischen seine Meinung geändert hat. nicht zur Milderung der im Grünen Bericht nachge-
Während der Minister mir noch vor zwei Jahren wiesenen Unterbezahlung der bäuerlichen Arbeit
hier in diesem Saal versprochen hat: „Herr Bading, beitragen. Es sind auch Mittel im Grünen Plan auf-
554 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Walter
geführt, die mit einer Hilfe für die Landwirtschaft Wirtschaft ist weder verwaltungsmäßig rationell
nichts oder sehr wenig zu tun haben. noch ist sie einer umfassenden Rationalisierung der
Betriebe förderlich.
Schon im vorigen Jahr bei der Grünen Debatte
haben wir auf diese Dinge aufmerksam gemacht und Die Investitionskredite müssen der Landwirtschaft
eine Bereinigung des Grünen Planes gefordert. Mein mit einem Zinssatz zugänglich sein, der der tatsäch-
Kollege Mauk hatte damals darauf hingewiesen. Er lichen Ertragslage entspricht. Ich bringe in Erinne-
hatte auch gefordert, vor der breiten Öffentlichkeit rung den von meiner Fraktion vor 2 1/2 Jahren ein-
die Subventionen aller Art der übrigen Bereiche der gebrachten Entwurf eines Investitionshilfegesetzes.
Wirtschaft bekanntzugeben. Dadurch würde der Auf dieser Grundlage könnten wir gemeinsam eine
Öffentlichkeit kundgetan, daß es neben der Land- Neuordnung für den Agrarkredit erarbeiten.
wirtschaft noch andere Gruppen in der Wirtschaft Besonders notwendig aber erscheint mir dabei die
gibt, die noch größere Zuwendungen aus öffentlichen Konsolidierung der sogenannten Altschulden zu
Mitteln genießen, obwohl ihnen wesentlich bessere einem Zinssatz, der nicht mehr als 3 % beträgt. Von
Einnahmen zur Verfügung stehen. Wenn dies ein- den mehr als 14 Milliarden Gesamtschulden ist ein
mal ganz offengelegt würde, würde jene falsche erheblicher Prozentsatz hochverzinslich. Mit solchen
landläufige Vorstellung, daß die Landwirtschaft mit hohen Zinsverpflichtungen im Schlepptau ist eine
Subventionen geradezu verwöhnt werde, endlich Gesundung unserer bäuerlichen Betriebe nicht mög-
verschwinden. lich. Die Erhöhung der Summe für Zinsverbilligung in
dem neuen Grünen Plan wird anerkannt; sie reicht
Aus diesen Gründen schlagen wir vor, aus dem
aber nicht aus, eine für viele Betriebe spürbare Er-
Grünen Plan 1962 folgende Positionen herauszuneh-
leichterung zu bringen.
men und in die Ressorts zu verlagern, in die sie ge-
hören: Ich darf übrigens darauf aufmerksam machen, daß
auch die Aufstockung der . Zinsverbilligungszu-
1. die Leistungen, die nicht nur der Landwirt- schüsse falsche Optik ist; das Mehr ist zu einem
schaft, sondern auch der übrigen Bevölkerung die- erheblichen Teil dadurch entstanden, daß man rund
nen, wie z. B. Strom- und Wasserversorgung, Schul- 83 Millionen DM aus dem allgemeinen Haushalt auf
speisung; den Grünen Plan umgebucht hat; in Wirklichkeit
2. alle wasserwirtschaftlichen Maßnahmen; sie ge- sind also nicht 170 Millionen, sondern nur 87 Millio-
hören in einen Sonderplan, der angesichts der jetzt nen mehr eingesetzt.
erlebten Katastrophe besonders dringlich ist; Wir sind der Meinung, daß von der vorgesehenen
Maßnahme der globalen 12 % igen Kürzung des
3. Übertragung des Zuschusses für die landwirt-
Haushalts beim Grünen Plan Abstand genommen
schaftliche Alterskasse auf den Haushalt des Bun-
werden sollte. Abschneiden soll man nur- dort, wo
desarbeitsministeriums, d. h. auf den Sozialetat;
es mehr abzuschneiden gibt; der Agrarhaushalt ist
4. Flurbereinigung und Strukturverbesserung. dafür zu mager.

Staatsausgaben z. B. für Forschung, Beratung, Titel 963 — Erlaß der Lastenausgleichsabgabe für
Ausbildung oder für die Tierseuchenbekämpfung die Marschgebiete —, der unverändert mit 14 Mil-
und ähnliche allgemeine Staatsaufgaben werden in lionen DM dotiert ist, wird — das ist die Meinung
keinem anderen Lande als Sonderhilfen für die meiner Fraktion — angesichts der entsetzlichen
Landwirtschaft angesehen; sie haben mit dem im Katastrophe, die über die Nordsee-Küstengebiete
Landwirtschaftsgesetz geforderten Aufwands-Er- hereinbrach, in eine großzügige Schadens- und Ent-
trags-Ausgleich kaum etwas zu tun; sie gehören zu lastungshilfe einzubeziehen sein, die dann jedoch
den normalen Funktionen der Agrarverwaltung. als allgemeiner Katastrophenausgleich nicht im
Grünen Plan, sondern im allgemeinen Bundeshaus-
Außer der Bereinigung des Grünen Planes halten halt unterzubringen sein wird.
wir es für dringend notwendig, die Landwirtschaft,
die an der Schwelle der zweiten Stufe der EWG Die Aufbesserung der Dieselölverbilligung er-
steht, in der noch verhältnismäßig kurzen Über- kennen wir dankbar an; man sollte jedoch jetzt nicht
gangszeit so vorzubereiten, daß sie am Ende dieser mehr zögern, den Wünschen nach einem einfacheren
Übergangszeit hinreichend gerüstet ist, um die Kon- Verfahren mit sofortiger Anrechnung der Verbilli-
kurrenz im Gemeinsamen Markt bestehen zu kön- gung, wie z. B. beim Heizöl, stattzugeben.
nen. Alles in allem anerkennen wir in dem Grünen
Plan 1962 die Ansätze zu einer Verstärkung der
Dazu gehört vor allem beim Agrarkredit eine
Maßnahmen, die der Milderung der auch in diesem
Flurbereinigung und Verbesserung. Das Kästchen
Grünen Bericht wieder nachgewiesenen und nach wie
Denken, die Aufspaltung nach dem vorbestimmten
vor großen Kluft zwischen Aufwand und Ertrag
Verwendungszweck mit sehr unterschiedlichen
dienen sollen. Ich spreche bewußt von Ansätzen
Richtlinien und Bedingungen muß überwunden wer-
zu einer Verbesserung. Wir müssen uns darüber
den. Man kann am grünen Tisch gewissermaßen im
klar sein, daß wir auch mit dem Grünen Plan die
Wettbewerb der einzelnen Referate im Bundesland-
Landwirtschaft dem Ziele des Landwirtschaftsgeset-
wirtschaftsministerium um möglichst große Kontin- zes noch nicht viel näherbringen.
gente nicht die betriebswirtschaftlich nichtige Kre-
ditverwendung finden; das muß vom Hof her, aus Ja, die bereits klar zu erkennende erhebliche Ver
der Praxis geschehen. Die bisher übliche Töpfchen schlechterung der Ertragslage unserer bäuerlichen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 555
Walter
Betriebe im laufenden Wirtschaftsjahr ist dabei noch daß, wenn Menschen mit Tieren so umgingen, wie
in keiner Weise berücksichtigt. Wir hoffen, daß wir es mit Abgeordneten machen, Dinge passiert
unser Finanzminister, dem wir für seine Stand- wären, über die wir uns nicht wundern würden.
festigkeit gegenüber weniger dringenden Maßnah- (Zuruf: Tierschutzgesetz!)
men jeden Beifall zollen, sich durch beweiskräftige
Zahlen überzeugen lassen wird, daß z. B. der Werk- — Jawohl, Tierschutzgesetz! Ich bin dafür, daß wir
milchpreis noch einer Aufbesserung bedarf und daß bald ein Gesetz zum Schutz der Abgeordneten
auch die Kreditverbilligung noch besser bedacht schaffen.
werden muß. (Beifall und Heiterkeit.)
Ob es auf längere Sicht möglich sein wird, nur Aus diesem Grunde möchte ich Ihnen vorschlagen,
mit Subventionen jene Einkommenseinbussen aus- daß ich meine Sache zu Protokoll gebe, obwohl ich
zugleichen, die die Landwirtschaft nicht zu vertreten sie Ihnen sehr gerne vorgetragen hätte, natürlich
hat, die ihr von der Wirtschafts- und Außenpolitik etwas zum Programm der Bäuerin. Dann wäre ich
aufgezwungen werden, das steht auf einem anderen nach Ausführungen über die hygienischen Zustände
Blatt, das wir aber sehr bald aufschlagen müssen. in den Dörfern idazu übergegangen, im Zusammen-
Der künftige Bundeshaushalt wird uns dazu zwin- hang mit der Strukturverbesserung von der Dorf-
gen; wir werden gemeinsam nach anderen Lösungen sanierung als einer sozialen und kulturellen Auf-
zu suchen haben, die zwar nicht populär erscheinen gabe zu sprechen.
mögen, die wir aber — sofern wir uns gemeinsam Aber Schluß, ich gebe meine Sache — mit Geneh-
ehrlich darum bemühen — dem Verbraucher in migung des Herrn Präsidenten — zu Protokoll *).
seiner Eigenschaft als Steuerzahler doch wohl ver- Mir liegt daran, Ihnen ein längeres Leben zu ver-
ständlich machen könnten. schaffen.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zur Fach- (Heiterkeit und Beifall.)
ausbildung in unserer Landwirtschaft sagen. Die
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir sind dankbar
zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
für die charmante Art, mit der Sie Ihre Menschen-
Landwirtschaft innerhalb der EWG wird ein Quali-
freundlichkeit hier gezeigt haben.
tätsproblem sein, und zwar nicht nur hinsichtlich
der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, sondern in Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
erster Linie hinsichtlich des Leistungsvermögens des neten Frehsee?
Betriebsleiters und seiner Mitarbeiter. Die auf einer
guten Grundausbildung beruhende landwirtschaft- Frehsee (SPD) : Verehrte Frau Kollegin, haben
liche Fachausbildung und die persönlichkeitsfor- Sie nur ein Programm für die Bäuerin und keines
mende Weiterbildung des Nachwuchses werden für für die Landarbeiterin zu Protokoll zu geben?
die Hebung der Leistungskraft der Landwirtschaft
und damit für den Bestand des Bauerntums in Zu- Frau Dr. Pannhoff (CDU/CSU) : Ich glaube,
kunft von entscheidender Bedeutung sein. Fast alle heute abend genügt es.
Mitgliedsländer der EWG haben das deutlich er- Vizepräsident Dr. Dehler: Dann darf ich dem
kannt und das landwirtschaftliche Ausbildungswesen
Herrn Abgeordneten Dröscher das Wort geben.
organisatorisch unter dem Landwirtschaftsressort
straff zusammengefaßt. Dröscher (SPD) : Herr Präsident! Ich würde ange-
Demgegenüber ist in der Bundesrepublik das sichts der vorgerückten Stunde auch liebend gern
landwirtschaftliche Ausbildungswesen auf die Kul- meine Ausführungen zu Protokoll geben; aber ich
tus- und Landwirtschaftsverwaltungen der Länder habe kein Konzept und muß das, was ich zur Be-
verteilt. Erhebliche Unterschiede im Ausbildungs- gründung unseres Antrags auf zusätzliche Bereit-
gang, bei den Unterrichtsplänen und den Prüfungen stellung von 315 Millionen DM — Umdruck 31 —
sind die unausbleibliche Folge der föderativen Ge- zu sagen habe, doch noch mündlich vortragen. Sie
staltung. Gegenüber den anderen Mitgliedstaaten würden mir mit Recht vorwerfen, daß man keinen
der EWG ist die Bundesrepublik daher in einer Antrag in dieser Höhe stellen kann, ohne ihn we-
schwierigen Lage. Sie wird erhebliche Anstrengun- nigstens kurz zu begründen.
gen machen müssen, wenn sie das bestehende Aus- Daß die Diskussion so lange gedauert hat, meine
bildungsniveau halten oder erhöhen will, das not- Damen und Herren — lassen Sie mich das doch
wendig wäre. Dies gilt ganz besonders für alle Ge- auch einmal sagen —, ist im Grunde kein Fehler.
biete mit vorherrschend kleinbäuerlichen Betriebs- Fünf Stunden Diskussion um den Grünen Bericht und
verhältnissen und agrarstrukturellen Notständen. den Grünen Plan — es ist doch ein Problem, das die
(Beifall bei der FDP.) deutsche Landwirtschaft wie kein anderes betrifft —
ist doch wirklich nicht zuviel verlangt. Daß wir da-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat Frau bei so spät in den Abend gekommen sind, hängt
Abgeordnete Dr. Pannhoff. . damit zusammen, daß andere vor uns ihre Redezeit
auch weidlich ausgenützt haben.
Frau Dr. Pannhoff (CDU/CSU) : Herr Präsident, (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Wo
liebe Frau Weber und liebe Frau Rehling — als sind denn die Abgeordneten?)
letzte der weiblichen Abgeordneten — und meine — Richtig, sehr richtig, gnädige Frau.
Herren! Ich bin nicht zufällig Ärztin gewesen und
bin auch heute noch eine. Ich bin der Auffassung, *) siehe Anlage 2
556 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Dröscher
Nun also zu dem Problem. Ich habe es natürlich preis von 6 Pf ausmacht. Ich will hier keine lange
etwas schwerer mit diesem Antrag, als wenn ich Aussprache über dieses Problem beginnen. Ich
hier nur ein allgemeines agrarpolitisches Glaubens- könnte den Herrn Bundesminister selbst zitieren, ich
bekenntnis ablegte. Ich muß einen ganz konkreten könnte den Herrn Minister Dr. Hundhammer zitie-
Antrag, den wir gestellt haben, begründen. Etwas ren und eine Reihe anderer Leute. Sie alle sind der
fällt mir bei diesem Antrag allerdings leicht, näm- Meinung, daß die Milchpreiserhöhung zumindest
lich die Feststellung, daß es im Grunde genommen problematisch ist und daß sie auf der anderen Seite
heute keine Meinungsverschiedenheit darüber ge- keine echte Hilfe für die milcherzeugende Landwirt-
geben hat, daß wir den Menschen, der in der Land- schaft darstellt. Deshalb waren wir der Ansicht, daß
wirtschaft lebt — auch unter dem Druck der ökono- man sich etwas anderes einfallen lassen sollte,
mischen Notwendigkeiten —, nicht im Stiche lassen etwas Besseres, was den Hunderttausenden von
dürfen. mittleren Betrieben hilft, die diese Hilfe wirklich
Weil wir uns über diese grundsätzliche Auf- brauchen. Aus diesem Grunde haben wir uns etwas
fasssung einig sind, sind wir uns auch einig darüber, einfallen lassen, was wir im letzten Jahr schon an-
daß eine große Zahl von landwirtschaftlichen Be- gedeutet halben, nämlich eine gezielte Hilfe für die
trieben trotz der unglaublich großen Etappe der überwiegende Zahl der tatsächlich notleidenden Be-
Anpassung, die die Landwirtschaft in den letzten triebe, eine Hilfe für die Menschen, die wegen der
Jahren zurückgelegt hat, Hilfe braucht. Es ist Umstrukturierung jetzt eine direkte finanzielle Ver-
menschlich einfach nicht zu verantworten, daß die besserung der Einkommenslage brauchen. Das kann
jetzt auch durch die EWG bedingte überstürzte man natürlich pauschal machen. Man kann den Pfen-
agrarpolitische Entwicklung auf den Schultern der nig geben, wie Sie es mit einem Teilantrag vor-
rund 2 Millionen Arbeitskräfte in unseren deutschen geschlagen haben, dem wir selbstverständlich zu-
Familienbetrieben ausgetragen wird, insbesondere stimmen werden.
dann nicht, wenn man die Struktur dieser Betriebe, Es ist klar, daß dieser eine Pfennig tatsächlich
ihre Lage und ihre Massierung in bestimmten Ge- einen Anfang darstellt. Andererseits geht diese
bieten sieht. Hilfe aber auch wieder an alle Betriebe. Wenn vor-
Wir sind uns alle miteinander darüber einig, daß hin Herr Kollege Dr. Reinhard sich bemühte, nach-
die Hunderte von Millionen, die für die Struktur- zuweisen, daß es gar nicht so schlimm sei mit dem
verbesserung gegeben werden, zwar eine Initial- Geld, das man mit dieser Pauschale ausgebe, so darf
zündung bedeuten, daß aber doch eine enorme ich Ihnen sagen, daß allein ein Drittel der Milch-
Anlaufzeit nötig ist, bis sie in der Einkommens- subvention an die Betriebe mit über 10 Kühen gehen
verbesserung dieser Menschen wirksam werden. würde.
WirmüsendhalbMtuc,mdieEnko- (Zuruf des Abg. Bauknecht.)
mensverbesserung zu erreichen. — Doch natürlich, wir wollen es ihnen- ja weiter
Gerade darin ist sich dieser Bundestag einig, wie lassen. Aber lassen Sie mich deutlich sagen: es ha-
auch Herr Wacher vorhin sagte. Er sagte „Freunde", ben über 1 Million Betriebe zwei Drittel der Sub-
und ich nehme an, daß er uns auch mit eingeschlos- ventionen bekommen und 76 000 Betriebe mit über
sen hat; ,er hat wohl die agrarpolitisch Interessierten 10 Kühen das dritte Drittel. Von daher — ich will
mehrmals mit dem Worte „Freunde" angesprochen. hier keine Zahlen nennen — können Sie sich aus-
Aber darin sind wir uns nicht ganz einig, was die rechnen, was bei einer bisherigen Pro-Kuh-Subven-
Frage betrifft, wohin die Hilfe und ob sie überhaupt tion von 120 DM bei 4000 kg Ablieferung und 3 Pf
gezielt gegeben werden soll. größere Betriebe bekommen haben. Sie werden
dann sehen, daß es sich hier um Subventionssum-
Deshalb meinen wir — und sich habe die Ehre, men handelt, die nicht mehr so leicht verständlich
diesen Antrag hier zu vertreten —, daß wir uns sind.
darüber klar sein sollten, daß die Mittel zur Ein-
(Zuruf aus der Mitte: „So leicht" kann man
kommensverbesserung vor allen Dingen sauber und
nicht sagen! Das schließt nicht aus, daß die
klar gezielt eingesetzt werden müssen, um einen
großen Betriebe die Milchwirtschaft auf
möglichst hohen Effekt zu erreichen. Wie mein
geben und die Melker immer weniger
Freund Dr. Schmidt sagte, sollen diese Mittel dazu
werden!)
dienen, den Menschen zu helfen, die noch in der
Landwirtschaft leben. Dann ist das vielleicht ein Betätigungsgebiet für die
mittelbäuerlichen Familienbetriebe, denen wir hel-
(Zuruf aus der Mitte: Aber nicht nur den
fen wollen.
schwarzen!)
Die Subventionen, die wir ihnen jetzt zusätzlich
— Nein, nicht nur den „schwarzen Gebieten", son- vorschlagen — zur Abwendung der Milchpreis-
dern auch anderen Gebieten. Da muß man dann ab- erhöhung, weil wir glauben, daß diese der Land-
wägen, was sinnvoll ist. wirtschaft und dem Verbraucher schlecht bekommt—,
In der Öffentlichkeit steht zur Zeit das Problem bestehen darin, daß wir rund 300 Millionen DM —
einer Erhöhung des Milchpreises zur Diskussion, es sind genau 315 Millionen DM — verwenden
das auch schon mehrfach hier angesprochen wurde. wollen, um zu den bisherigen 3 Pf einen gestaffelten
Wir sind nicht die einzigen, die sagen, daß die Zuschlag hinzuzufügen, und zwar bis zu einer Ab-
Milchpreiserhöhung an sich der Landwirtschaft, d. h. lieferung von 24 000 kg pro Jahr für alle Betriebe,
dem Erzeuger, nur eine ganz bescheidene Hilfe ge- auch für die großen; für die Normalbetriebe 2 Pf,
ben kann, selbst wenn diese Erhöhung den Mehr- das macht bei 24 000 kg 480 DM aus; für die Futter-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 557
Dröscher
Baubetriebe, die Grünlandbetriebe, je 3 Pf pro Kilo- einig zu sein darüber, wieviel Löffel aus dem gro-
gramm, das macht für diese Betriebe 720 DM aus. ßen Topf des Sozialprodukts die Landwirtschaft
bekommt. Wenn wir das heute festgelegt haben, dann
Das ist dann eine echte zusätzliche Hilfe, die Sie
können wir uns darum bemühen, daß das, was not-
sich leicht ausrechnen können. Die Begrenzung auf
wendig ist, auch gegeben wird. Der von uns vorge-
24 000 kg bietet gleichzeitig die Gewähr, daß mehr
legte Vorschlag, der zwar unbequem gegenüber
den Betrieben geholfen wird, die, wie ich sagen
dem Finanzminister ist — das ist uns klar —, der
möchte, diese Hilfe in erster Linie brauchen. Da läge
aber letztlich eine vernünftige und den Menschen
ein Absatzpunkt, über den man zumindest ins Ge-
auf dem Lande helfende Lösung enthält, sollte von
spräch kommen sollte. Sie werden nicht alles gleich
Ihnen allen angenommen werden.
in diesem Jahr zubilligen; aber man muß sich ein-
mal darüber unterhalten, daß es so nicht weiter- (Beifall bei der SPD.)
gehen kann. Durch die ständige Erhöhung der Sub-
ventionen entsteht unter Umständen ein Anreiz zur Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Produktion ins Uferlose, wodurch der Milchpreis Abgeordnete Schmidt (Würgendorf).
wieder gefährdet wird. Gerade das wollen wir mit
unserer Begrenzung auf 24 000 kg abwenden. Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Verbesserung der
Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine Agrarstruktur und der landwirtschaftlichen Arbeits-
Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl? und Lebensverhältnisse ist ein Anliegen, das schon
mein Freund Bading angesprochen hat. Wir meinen,
Dröscher (SPD) : Selbstverständlich, bitte! daß vor allen Dingen auch der Bau von Wirtschafts-
wegen besonders wichtig ist. Wir haben Ihnen dazu
auf Umdruck 29 Ziffer A 4 und Uundruck 32 An-
Ertl (FDP): Herr Kollege, Sie sprechen von Fut-
träge vorgelegt.
terbaubetrieben. Wieviel Kühe soll nach Ihrer An-
sicht dieser Futterbaubetrieb mit 24 000 kg im Durch- Bis jetzt sind 30 000 km Wirtschaftswege gebaut.
schnitt halten? Etwa 100 000 km warten noch auf den Ausbau. Die
Technisierung der Landwirtschaft und der dadurch
Dröscher (SPD) : Wir sind davon ausgegangen, bedingte erhöhte Verschleiß von landwirtschaft-
daß etwa 28 % der Fläche von Futterbaubetrieben lichen Fahrzeugen und Geräten auf schlechten We-
genutzt wird. Wir wollen in diesen dritten Pfennig, gen machen es erforderlich, daß die Wirtschaftswege
den wir den Futterbaubetrieben geben wollen, etwa besonders gut ausgebaut werden, auch wenn es so
40 % der abgelieferten Milch einpacken. Wir wür- ist, wie vor kurzem jemand ironisch sagte, daß sie
den also 53 Millionen DM zusätzlich den Futterbau- dann besser als viele Dorfstraßen sind.
betrieben im Gebiet der Bundesrepublik geben. Wir haben eine Erhöhung des Zuschusses von 80
Diese Subvention mit der Grenze von 24 000 kg, die auf 100 Millionen DM beantragt. Wir glauben, daß
also auf die ersten acht Kühe voll bezahlt wird, diese Erhöhung auch im Hinblick auf die gestiege-
wirkt sich auch auf die Betriebe aus, die 20 und 25 nen Ausbaukosten notwendig ist. Aber wir wollen
Kühe haben, allerdings verringert bei jeder Spanne, durch eine Änderung der Richtlinien auch erreichen,
die sie mehr abgeben. Das ist eine ganz einfache daß Zuschüsse bis zu 90 % der Ausbaukosten ge-
Rechnung. Es ist ja nicht so, daß die Betriebe, die geben werden können. Das ist eine der von uns ge-
über acht Kühe haben, nichts bekommen, sondern forderten gezielten Maßnahmen, die dazu führen
sie bekommen eben nur etwas für die Ablieferung wird, daß vor allen Dingen auch in steuerschwachen
der ersten 24 000 kg. Gemeinden endlich daran gegangen werden kann,
Wirtschaftswege auszubauen.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß ich Ihnen
das genügend klarmachen konnte. Ich will noch Bisher war die geforderte Eigenleistung zu hoch;
einmal zusammenfassen: die von uns vorgeschla- so hoch jedenfalls, daß in der Praxis viele arme
gene Maßnahme ist einfach durchzuführen; sie bietet Gemeinden einfach vom Wirtschaftswegebau ausge-
einen denkbar geringen Anreiz zu einer Über- schlossen waren. Ihnen aber ist genauso notwendig
produktion; sie ist von der Molkerei technisch leicht zu helfen wie den Gemeinden, die von sich aus
zu bearbeiten! ohne weiteres jede Eigenleistung aufbringen und
dadurch eine volle Finanzierung möglich machen.
Was im zweiten Teil unseres Antrags steht, eine Um ein größtmögliches Maß an Gerechtigkeit mit
Gesetzesvorlage zur Änderung des Milch und Fett-
-
einzubauen — und das ist zum Schluß unseres An-
gesetzes vorzulegen, ist etwas, was im Zusammen- trages auf Umdruck 32 auch gesagt —, wollen wir
hang mit einer solchen erhöhten Subvention auch neben der Steuerkraft auch die zumutbare Inan-
für die Werkmilchgebiete, die Ihnen ebenfalls am spruchnahme des vorhandenen Gemeindevermö-
Herzen liegen, wirksam würde. gens, etwa von Waldbesitz, mit berücksichtigt ha-
Sie werden, bevor ich aufhöre, fragen, wer das ben. Ich bitte Sie sehr, unserem Vorschlag zuzustim-
bezahlen soll. Das ist ein entscheidender Punkt, der men.
heute in der Debatte nicht endgültig geklärt wer- Wir erreichen dabei zwei Ziele, und damit bin
den kann. Das ist vielmehr eine Frage der Haus- ich schon am Schluß. Erstens helfen wir den Gemein-
haltsberatung, wie das auch für Ihren eigenen den, die bisher mangels eigener Mittel nicht in der
Milch-Antrag gilt, der ja ebenfalls zusätzliche Haus- Lage waren, Wirtschaftswege auszubauen, obwohl
haltsmittel vorsieht. Heute kommt es darauf an, ihre Bewohner genauso Anspruch haben, zum Zuge
558 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode -- 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Schmidt (Würgendorf)
zu kommen. Zweitens wird durch die von uns vor- wasserwirtschaftliche Baumaßnahmen Binnenland.
geschlagene Regelung unter Einbeziehung der noch Nach menschlichem Ermessen werden diese Sanie-
in Aussicht gestellten 45 weiteren Millionen zins- rungsmaßnahmen in ihrem Fortschreiten die in die-
vergünstigter Darlehen das Bauvolumen nicht aus- sem Gebiet liegenden Betriebe wieder lebens- und
geweitet. Wir glauben sogar, daß durch die gestaf- wettbewerbsfähig machen.
felte Erhöhung der Zuschüsse eine Verringerung der
absolut zu bauenden Kilometer erfolgt und wir da- Die Sorge der in diesem Gebiet lebenden Men-
mit nicht zur Überhitzung des Baumarktes anreizen. schen und der landwirtschaftlichen Verwaltungen
ist die, ob man für die Restzeit bis zum Wirksam-
(Beifall bei der SPD.) werden dieser Generalmaßnahmen die Betriebe auf-
rechterhalten kann. Es steht nach gewissenhaftester
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Prüfung fest, daß das ohne weitere und zusätzliche
Abgeordnete Marquardt. Hilfe der öffentlichen Hand bei der natürlicherweise
eingetretenen großen Verschuldung dieser Betriebe
infolge der dauernden Minderernten nicht möglich
Marquardt (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen sein wird. Wir halten es deshalb rin Übereinstim-
und Herren! Ich habe die Uhr vor Augen und werde mung mitt der Ansicht aller Fachleute für unbedingt
mich sehr kurz fassen. Ich verbinde das mit der notwendig, daß man den wesentlichen Teil dieser
Hoffnung, daß Sie dem Antrag auf Umdruck 30, den aus verschiedenen Quellen stammenden und mit
ich zu begründen habe, über die ihm innewohnende unterschiedlichsten Kapitaldienstleistungen belaste-
Sachberechtigung hinaus ein besonderes Wohl- ten Kredite auf tragbare Belastungen — Faustregel:
wollen entgegenbringen. 3 0 /o Zinslast — umschuldet. Wir haben weiter eine
Ich hatte vor, einige weitere Ausführungen grund- Tilgung mit ebenfalls 3 % im Auge, wobei dm be-
sätzlicher Natur zu machen über Agrarkreditwesen stimmten Gebieten tilgungsfreie Jahre eingeschaltet
und Investitionshilfeprogramme. Ich will das alles werden sollten. Nichts anderes haben wir mit unse-
heute sein lassen. Es ist ja angesprochen, und ich rem Antrag beabsichtigt.
meine, alle Seiten dieses Hausfes sind sich darüber
einig, daß solche umfassenden, in sich geschlosse- Ich möchte dabei eines betonen. Wir wollen keine
nen Generalmaßnahmen dringend notwendig sind. generelle Umschuldung anstreben; wir unterschei-
Es ist nur die Feststellung erforderlich, die wir zu den uns nsofern vielleicht von der FDP. Für eine
unserem Bedauern treffen müssen, daß die Bundes- solche allgemeine Umschuldung besteht unseres Er-
regierung sich zu einer Aktion bisher nicht aufge- achtens keine zwingende Notwendigkeit. Wir wollen
rafft hat, daß sie zwar m anches vereinfacht hat, aber vielmehr nur solche Betriebe einbeziehen, die in
<sonst eine abwartende Haltung an den Tag legt. noch festzulegenden Schadens- und Notstandsgebie-
Inzwischen ist ein Bundesland mit einem großen ten liegen, und diese auch nur dann, wenn sie nach
ihrer Art und nach ihrer Struktur für die Zukunft
Modellversuch hervorgetreten. Wir haben den
lebensfähig werden.
Wunsch, daß die Bundesregierung dieses Vorhaben
interessiert verfolgt und daraus Nutzanwendungen Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu der
für die Zukunft zieht. Ansicht des Herrn Ministers Schwarz einfügen, solche
Damit komme ich zu dem Antrag auf Umdruck 30, Regionalmaßnahmen seien Ländersache. Man kann
der vorsieht, die Bundesnegierung möge 30 Mil- darüber streiten, das gebe ich zu. Aber hier tut
lionen DM zur Verfügung stellen, und zwar Mr die echte und schnelle Hilfe not, und ich meine, man
Krediten zur TeilumschuldungVerbilgunvo sollte solche Probleme nicht auf dem Rücken der
hochverschuldeter Betriebe in bestimmten Gebieten, Betroffenen austragen.
die ich noch näher umreißen werde. Der Kollege Nun eine Schlußbemerkung. Meine politischen
Wacher hat anklingen lassen, daß ihm in einrigen Freunde sind weiterhin der Auffassung, daß die
unserer Anträge einiges sympathisch sei. Ich hoffe, Vergabe der Umschuldungsmittel nach volkswirt-
daß er diesen Antrag damit gerneiint hat. Wenn ja, schaftlich vernünftigen Grundsätzen und Gesichts-
so begrüßen wir das. Wenn nein, so muß ich das mit punkten erfolgen muß. Wir haben deshalb bestimmte
der Feststellung begleiten, daß er dann vorgegan- Kriterien genannt, die Voraussetzung zur Vergabe
gen ist nach der Maxime: Ich kenne die Gründe der der Mittel sein sollen. Wir wollen nur echt förde-
Opposition nicht, aber ich mißbillige sie. rungswürdige und nach ihrer Struktur entwick-
Über Ursachen, Grund und Ziel unseres Antrages lungsfähige Betriebe in die Vergabe der Mittel ein-
nur soviel: Sie kennen die Probleme wie wir. Wir bezogen sehen. Wir verlangen, daß die Fähigkeit
hochverschuldeter Betriebe in bestimmten Gebieten, der Betriebsführer zum rentablen Arbeiten erwiesen
in denen die landwirtschaftlichen Produktionsver- ist. Wir verlangen weiter, daß ausreichende Auf-
hältnisse von Natur aus oder durch besondere Um- zeichnungen über die Ertragslage der Betriebe vor-
stände besonders ungünstig gelagert sind. Ich denke handen sind oder geschaffen werden. Schließlich
dabei beispielsweise an die tidebeeinflußten Küsten- sind wir der Auffassung, daß sich die Betriebe einer
gebiete und im besonderen an die Flußgebirete mit Wirtschaftsberatung anschließen müssen, um ein
häufigenÜbrscwm ,alojenGbit rentables und marktgerechtes Arbeiten zu sichern
die seit 1954 fortlaufend Mißernten hinnehmen und um Fehlinvestitionen auszuschließen.
mußten. Man hat in diesen Gebieten die Beseitigung
der Grundmängel in großem Umfange in Angriff Wir sind überzeugt, daß wir unter diesen Vor-
genommen. Man hat sehr erhebliche Mittel von aussetzungen und mit den vorgeschlagenen Maß-
Bund und Ländern dafür eingesetzt, insbesondere für nahmen den Fortbestand vieler im Grunde echt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 559
Marquardt
lebensfähiger Betriebe sichern und mit relativ ge- Ich sage noch einmal, meine sehr verehrten Da-
ringfügigen Mitteln am Ende einen erheblichen men und Herren, ich will das durchaus nicht stra-
Nutzeffekt erreichen. pazieren. Aber ich frage mich: Was schwebt uns
denn heute vor? Haben wir etwa einen Anlaß, zu
(Beifall bei der SPD.)
sagen, daß die Ziele, die wir uns in der Agrar-
politik in den letzten Jahren gesetzt haben, heute
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der auf einmal falsch sind? Wir haben es erlebt, daß
Herr Abgeordnete Lücker. die Ziele des deutschen Landwirtschaftsgesetzes
nicht aus Zufall weitgehend auch in die Konzeption
der europäischen Agrarpolitik aufgenommen wor-
Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Präsident! den sind. Sicherlich doch nicht deswegen, weil un-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sere Zielsetzung so falsch war! Das hätten sicherlich
möchte mich wie meine letzten Vorredner in Anbe- wenigstens einige vernünftige Männer und Frauen
tracht der vorgeschrittenen Zeit und um die ver- aus den anderen europäischen Ländern gemerkt.
ehrten Kolleginnen und Kollegen hier nicht über (Beifall bei der CDU/CSU.)
Gebühr zu strapazieren, ebenfalls sehr disziplinie-
Sind denn die eingeschlagenen Wege in unserer
ren, obwohl es mich tatsächlich sehr gereizt hätte,
Agrarpolitik so falsch, daß es notwendig wäre, das
mich mit einigen Diskussionsbeiträgen noch aus-
alles zum alten Eisen, zum alten Gerümpel zu wer-
führlicher auseinanderzusetzen. Eines sollte man
fen, nur auf Grund einer Einstellung, die uns, wenn
aber doch zum Schluß dieser Debatte sagen. Wir
ich es aus meiner Schulzeit noch richtig in Erinne-
alle wissen, daß die deutsche Landwirtschaft von
rung habe, schon Gaius Julius Caesar in seinem
einer tiefen und zum großen Teil auch berechtigten
„Bellum Gallicum" nachgesagt hat, als er schrieb,
Unruhe ergriffen ist. Wir sollten es jedoch nach
daß wir immer „cupidi rerum novarum" seien? Soll-
meiner Auffassung vermeiden, zu dieser Unruhe
ten wir das also tun, nur um wieder etwas Neues
noch eine durchaus überflüssige Verwirrung hinzu-
zu tun? Es gibt doch keinen Beweis dafür, daß das
zufügen.
Neue besser ist als das, was sich in der Vergangen-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
heit durchaus bewährt hat.
Dazu möchte ich ein Wort sagen. Nach meinem Ich sage noch einmal: wenn man von einer neuen
Geschmack ist hier heute reichlich und sehr viel agrarpolitischen Konzeption spricht, muß man sich
davon gesprochen worden, daß jetzt endlich eine darüber klar sein, daß das ein sehr bedeutungs-
neue agrarpolitische Konzeption erdacht und in die volles Wort ist, das man damit in die öffentliche
Praxis umgesetzt werden müsse. Es sind uns — und Diskussion hineinträgt.
sehr viele Damen und Herren sitzen ja schon sehr
lange hie r in diesem Haus — recht massive Fehler Welches sind die vier Wege, die vier Säulen, auf
in der Vergangenheit vorgehalten worden. Nach denen unsere Agrarpolitik beruht? Ich will das
der Betrachtung dieser Fehler hat man dann Grund- hier nur sehr kurz und stichwortartig ansprechen.
satzforderungen erhoben und zum Schluß ein Pro- Erstens müssen wir uns bemühen, der deutschen
gramm verkündet. Landwirtschaft über den Markt und über die Preise
das an Einnahmen zuzuführen, was drin ist. Heute
Ich will das hier nicht dramatisieren, auch nicht wird nun gesagt, das sei nicht zu allen Zeiten genug
soweit es die Kollegen der FDP betrifft. Es mag sein, gewesen. Darüber kann man streiten. Jedenfalls hat
daß der Herr Kollege Effertz deswegen, weil er Herr Bundesminister Schwarz in einigen Veröffent-
noch sehr neu in diesem Hause ist, die agrarpoli- lichungen der letzten Zeit und auch in diesem Grü-
tischen Debatten und Überlegungen in den vergan- nen Bericht unterstrichen, daß die Regierung und
genen Legislaturperioden nicht so eingehend ver- wir alle nicht nur den guten Willen gehabt haben,
folgt hat. Vielleicht sind auch die Entfernung und sondern dabei auch nicht ganz ohne Erfolg gewesen
das Gefälle von Bonn nach Düsseldorf etwas zu sind. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß uns
groß, um feststellen zu können, mit welchem Ernst das auf diesem Wege Erreichte nicht immer zu-
und mit weichen redlichen Motiven sowohl die friedengestellt hat. Aber das steht dann bereits auf
Regierung — wenn ich das sagen darf — als auch einem anderen Blatt.
insbesondere die Fraktionen dieses Hohen Hauses Die zweite Säule unserer Agrarpolitik ist und
miteinander in den vergangenen Jahren um die bleibt der Grüne Plan. Wenn heute die europäischen
Entwicklung einer agrarpolitischen Konzeption ge- Bauernverbände zusammen mit dem Europäischen
rungen haben, die nach meiner und meiner Freunde Parlament für die EWG einen Grünen Bericht und
Auffassung im Grundsatz auch heute noch völlig natürlich ein Instrument wie den Grünen Plan er-
Bestand hat. wägen und darüber bereits in der Diskussion ste-
(Beifall bei der CDU/CSU.) hen, dann wollen wir doch nicht sagen, daß dieses
Worum geht es? Man sagt uns heute: Ihr habt Instrument falsch wäre. Ich möchte zur Ehre des
den Fehler gemacht, statt Preisen Subventionen zu Herrn Kollegen Effertz feststellen: in seinen späte-
geben. Zweitens sagte der Kollege Effertz — ich ren Ausführungen hat er immer wieder betont, daß
habe mir das notiert; ich habe das sehr ungern ge- wir auch im nächsten Jahr einen Grünen Plan ma-
hört —: Ich wollte, es gäbe keinen Grünen Plan. chen müssen.
Drittens hat man uns dann vorgehalten: Mit der Die dritte Säule ist unsere Kreditpolitik. Gerade
Strukturpolitik könnt ihr doch in der Landwirtschaft in diesem Jahr schicken wir uns an, einen ganz ent-
nichts erreichen. scheidenden Schritt zu tun. Es gibt viele Kollegen,
560 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Lücker (München)
d i e genauso denken wie ich persönlich, daß es näm- wir uns einig, aus dieser Entschließung das Wört-
lich wünschenswert gewesen wäre, in der Kredit- chen „neu" herauszustreichen, um nicht draußen
politik der Form nach vielleicht noch einen Schritt Verwirrung zu stiften. Ich bestreite nicht, daß uns in
weiterzugehen. Aber es ist ja nicht ausgeschlossen, der Vergangenheit Fehler unterlaufen sind. Das
daß wir den heutigen Schritt nicht morgen um einen mag sein. Aber das berechtigt uns noch nicht, von
weiteren Schritt ergänzen. der Tribüne dieses Hauses heute zu sagen: Wir
müssen eine neue Agrarpolitik entwickeln, so unge-
Die vierte Säule unserer Agrarpolitk bleibt nun
fähr unter der Überschrift: Was bisher gemacht wor-
einmal die regionale Wirtschaftspolitik, im Zusam-
den ist, das war falsch oder unzureichend, und das
menhang mit einer Gesamtstrukturpolitik unserer
müssen wir wegwerfen.
Wirtschaft, um die gewerblichen und die agrari-
schen Produktionskapazitäten und wirtschaftlichen (Beifall bei der CDU/CSU.)
Aktivitäten in eine raumordnerische Harmonie hin- Das möchte ich — —
einzubringen. Auch dazu sind die Ansätze da.
(Abg. Dr. Effertz: Darf ich noch eine Frage
Ich frage Sie, welche anderen grundsätzlichen stellen?)
Säulen und Möglichkeiten der Agrarpolitik bieten
sich da noch an? Wenn wir aber daran festhalten,
Dr. Effertz (FDP) : Herr Kollege Lücker, ich ver-
ist doch wohl die Frage berechtigt: sollen wir bei
mute, es hat Ihnen nicht gefallen, daß ich die Fas-
diesen bewährten Methoden nicht bleiben? Es ist
sung in der gemeinsamen Entschließung in dieser
richtig, wir haben in der Entschließung vom 31. Ja-
Form zitiert habe.
nuar in diesem Haus einstimmig — mit meiner
Stimme, mit meiner Mitarbeit — beschlossen, daß (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)
wir auch im Hinblick auf die EWG eine agrarpoli- — Ich komme ja auf die Frage. — Gut, Herr Kollege
tische Konzeption entwickeln wollen, die die Le- Lücker, dann bitte ich Sie nur, die Rede, die Herr
bensfähigkeit der 'deutschen Landwirtschaft auch Kollege Bauknecht heute gehalten hat, mit dem zu
im Gemeinsamen Markt gewährleistet. Das heißt vergleichen, was ich gesagt habe und was Sie jetzt
aber doch, eine Konzeption entwickeln, anpassen an sagen. Sie 'werden dann feststellen, daß Herr Kol-
neue Ideen, an neue Probleme, die sich stellen. Das lege Bauknecht und ich übereinstimmen. Verglei-
ist aber etwas ganz anderes, als etwa den Verdacht chen Sie das bitte, und dann darf ich die Frage stel-
zu erwecken — — len, ob Sie sich da nicht revidieren müssen.
(Abg. Mauk: Genau das ist gemeint!)
— Nein, Herr Kollege Mauk. Ich beziehe mich nicht Lücker (München) (CDU/CSU) : Nein, Herr Kollege
nur auf das, was der Kollege Effertz gesagt hat, Effertz, dazu möchte ich ganz eindeutig sagen: Sie
sondern ich lese sogar sehr intensiv Ihren Agrar- haben vielleicht bemerkt, daß ich während der gan-
politischen Informationsdienst. zen Agrardebatte stillschweigend zugehört habe.
Ich habe mir keine Rede entgehen lassen. Ich hatte
(Abg. Mauk: Das ist sehr gut!) aber gar nicht vor, hier zu sprechen, ich wollte heute
— Ja, den lese ich jedesmal, davon dürfen Sie über- nur zuhören, und das habe ich intensiv besorgt.
zeugt sein. Dort steht bereits drin: Da sind die Feh- Was der Herr Kollege Bauknecht gesagt hat, deckt
ler der vergangenen Legislaturperiode mit den poli- sich mit meiner Auffassung zu der Weiterentwick-
tischen Mehrheiten im Bundestag, wie sie bisher lung unserer Agrarpolitik.
waren. Was in den Versammlungen draußen gesagt Sie haben von der Formel einer neuen Agrar-
wird, geht vielleicht noch einen Schritt weiter. Des- konzeption gesprochen. Was Sie dazu gesagt haben,
wegen möchte ich sagen: wir haben unsere Agrar- war dem Inhalt nach ein Scherbengericht über die
politik niemals vertreten als ein Dogma, das abge- bisherige Agrarpolitik mit dem Anspruch, jetzt end-
schlossen und das nicht entwicklungsfähig wäre. lich müsse eine vernünftige Agrarpolitik gemacht
Wir wissen, daß wir die Agrarpolitik, auf sicheren werden,
Grundlagen aufgebaut, auch an neuen Erfordernis-
sen weiter entwickeln sollen und weiter entwickeln
müssen. Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sander?
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- Lücker (München) .(CDU/CSU) : Bitte sehr.
ordneten Mauk?
Sander (FDP) : Herr Kollege Lücker, ich bedauere
Mauk , (FDP) : Herr Kollege Lücker, Sie sind sicher außerordentlich, daß Sie empfindlich sind. Ich darf
mit mir einer Meinung, wenn ich Sie frage, ob nicht Sie fragen: sind Sie wirklich der Ansicht, daß die
auch in der Vergangenheit Fehler gemacht worden hohe Verschuldung der Landwirtschaft bei der über-
sind und ob wir nicht aus diesen Fehlern lernen hitzten Konjunktur, die wir gehabt haben, notwen-
müssen. dig gewesen ist?

Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege, ich
Mauk, ich möchte Ihnen dazu sagen: Sie waren ja bin gar nicht empfindlich. Ich bin sehr harte Dis-
dabei, als wir drüben in der Wandelhalle die Ent- kussionen gewöhnt. Ich liebe auch substantiierte Dis-
schließung vom 31. Januar gefaßt haben. Da waren kussionen. Das wissen Sie. ihre Frage hat mit dem
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 561
Lücker (München)
Problem, das ich hier behandele, zunächst nicht un- Ich bin ganz sicher, daß Sie haarscharf erkannt
mittelbar etwas zu tun. haben, worum es geht. Es geht um das, was ich hier
gesagt habe: Ist es wirklich von der Zielsetzung
(Abg. Sander: Das sind die Folgen! Ursache
und den angewandten Instrumenten her berechtigt,
und Wirkung!)
von der Notwendigkeit einer neuen Agrarpolitik
Es geht hier darum, Herr Kollege — ich habe das zu sprechen, die unter der Überschrift steht „Alles,
soeben bereits festgestellt —, daß Sie eine Formel was bisher gemacht worden ist, kann ruhig auf das
vortragen, wonach es jetzt notwendig sei, eine neue Scherbengericht gehen"?
Agrarpolitik ins Leben zu rufen und zu betreiben
mit dem Tenor, auch wenn er nicht expressis verbis Ich will mich heute nicht auf die Zahlen des
ausgesprochen wurde, zumindest auf das 13-Punkte- Grünen Berichts stützen. Es gibt seit einigen Tagen
Programm hin, zu dem ich wenigstens noch einen eine Entwicklungsuntersuchung über die Resultate
Satz sagen will. Jedem nicht eingeweihten Zuhörer der deutschen Landwirtschaft, die vom Münchener
mußte doch der Eindruck vermittelt werden — dar- Ifo-Institut angestellt worden ist. Die Untersuchung
auf war es offensichtlich angelegt —, als ob hier ist noch keine 10 Tage alt. Ich habe zufällig die
ein Scherbengericht über unsere bisherige Agrar- Zahlen in die Hand bekommen. Hält man sich
politik stattfinde. Herr Kollege Sander, Sie sitzen einmal die langfristigen Daten aus dem Entwick-
doch lange genug in diesem Hause und haben mit lungsergebnis der deutschen Landwirtschaft für das
den Kollegen Ihrer Fraktion auch Anteil an der Jahrzehnt 1950/1960 vor Augen, dann ist das gerade-
Agrarpolitik gehabt, die hier gemacht worden ist. zu eine überwältigende Demonstration dafür, daß
Es liegt wohl im Interesse aller der Kolleginnen und sowohl die Zielsetzung unserer Agrarpolitik als
Kollegen, die sich in den letzten Jahren wirklich auch der eingeschlagene Weg bis heute richtig ge-
persönlich und mit einem hohen Idealismus für die wesen ist. Das berechtigt uns dazu, daran festzu-
Sache der deutschen Agrarpolitik in diesem Hause halten, auch wenn wir natürlich in der Anpassung
eingesetzt haben, daß wir Ihnen das eigentlich nicht an bestimmte Gegebenheiten die Akzente etwas
antun sollten. gegeneinander verschieben können. Darüber kann
man jederzeit im einzelnen reden. Aber ich frage
Vizepräsident Dr. Dehler : Herr Kollege Lücker, mich: Berechtigt das alles dazu, heute vor die
gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn deutsche Öffentlichkeit zu treten und zu sagen, von
Abgeordneten Bading? nun an müsse eine neue agrarpolitische Konzeption
hinein? Ich will Ihnen nur ein paar Zahlen aus
Lücker (München) (CDU/CSU) : Bitte sehr. diesem Untersuchungsergebnis nennen.

Bading (SPD) : Herr Kollege Lücker, ich möchte Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Si e dem
mich nicht in den „Bruderzwist im Hause Habs- Abgeordneten Bading, eine Frage zu stellen?
burg" einmischen.
' (Heiterkeit.) Lücker (München) (CDU/CSU) : Bitte sehr!
Aber ich möchte Sie doch fragen: Sind Sie der An-
sicht, daß Ihre Agrarpolitik wirklich so schön war?
Dann lesen Sie doch einmal die Bauernverbands- Bading (SPD) : Herr Lücker, ich bin mit Ihnen
blätter, die alle sehr unzufrieden mit der Agrar- einer Meinung, daß keine neue Agrarpolitik not-
politik sind. wendig ist. Wie erklären Sie sich aber diese stän-
dige Unzufriedenheit des Berufsstandes mit der
Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege Agrarpolitik der Bundesregierung? Darauf geben
Bading, zunächst zu dem Bruderzwist im eigenen Sie mir doch bitte einmal eine Antwort.
Hause. Ich darf an die Feststellung erinnern, die
Herr Kollege Effertz hier freundlicherweise getrof- Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege
fen hat: wir wollen unser parteieigenes Gesicht auch Bading, auch dazu will ich etwas sagen. Wir stehen
in der Koalition wahren. Er hat geradezu dazu her- in den unterschiedlichen Auswirkungen des unter-
ausgefordert, etwas zu seinen Feststellungen zu schiedlichen Wachstumsprozesses in der gewerb-
sagen. Wir tun das in aller Freundschaft. lichen Wirtschaft einerseits und der Agrarwirtschaft
(Zuruf von der SPD: Wir auch!) andererseits vor einem Phänomen, das auch in der
deutschen Wirtschaftspolitik noch relativ jung ist.
Wir werfen uns deswegen keine Blumentöpfe an Mit diesem Phänomen sind auch wir genauso wie
den Kopf, sondern setzen uns i n aller Freundschaft andere Industrieländer noch nicht fertig geworden.
darüber auseinander. Aber wir haben einiges get an , und ich möchte sagen,
Zu Ihrer Sachfrage, Herr Kollege Bading, möchte das Landwirtschaftsgesetz und die darauf basieren-
ich folgendes sagen. Ich bin mit dem Ergebnis un- den Grünen Pläne sind bereits ein gesunder und
serer bisherigen Agrarpolitik auch nicht zufrieden. vernünftiger Ansatz. Und was haben wir damit er-
(Abg. Sander: Jetzt sind wir uns einig, reicht? Ich will nur fünf Zahlen nennen, um deutlich
Herr Kollege!) zu machen, was aus diesem Untersuchungsergebnis
hervorgeht. Es ist zwar ein schmerzhafter Anpas-
— Nein, Herr Kollege Sander, hier geht es um etwas sungsprozeß. Ich habe das schon häufig auf dieser
ganz anderes. Kanzel gesagt.
(Abg. Sander: Ich bin gespannt!) (Zuruf des Abg. Dr. Schmidt [Gellersen].)
562 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Lücker (München)
— Gut, ich will es sein lassen. Aber ich möchte nur Da isind Dinge darin, die für jeden, der in der Ver-
allen Damen und Herren empfehlen, sich mit diesem gangenheit hier Agrarpolitik gemacht hat, nichts
Untersuchungsergebnis einmal zu befassen. Dann Neues bedeuten. Da sind Dinge darin, über die wir
werden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß die- in Zukunft sprechen können. Aber — —
ses Untersuchungsergebnis sehr wohl nicht nur für
die Leistungen der deutschen Landwirtschaft spricht, (Zuruf des Abg. Dr. Effertz)
sondern auch demonstriert, daß unsere Agrarpolitik — Ja, und in der Gesamtheit kann ich Ihnen leider
in der Zielsetzung, in der Anlage und in den ange- nicht darin zustimmen, Herr Kallege Effertz, daß
wandten Methoden und Instrumenten durchaus als es berechtigt oder notwendig sei, heute in einer Art
vernünftig anerkannt werden kann. und Weise, die nach meinem Empfinden draußen
Verwirrung anrichten muß, eine neue Agrarpolitik
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter zu fordern.
Lücker, der Abgeordnete Ertl möchte eine Frage
stellen. (Abg. Dr. Effertz: Das ist meine Meinung!)
— Sicherlich! Sie haben ja provoziert, Sie wollten
Lücker (München) (CDU/CSU) : Bitte sehr! ja ein Echo darauf haben, und ich wollte Ihnen we-
nigstens aus dem Wald entgegenrufen, in den Sie
Ertl (FDP) : Herr Kollege Lücker, wie gedenken hineingerufen haben. Ich will es hier nicht weiter
Sie die Disparität in Zukunft zu beseitigen, nach- ausdehnen; aber es wird sicherlich notwendig sein,
dem die Kostendeckung von Kapital und Arbeit darüber im Ausschuß noch weiter zu debattieren.
nach Ausweis des Grünen Berichts nur 6,9 % er- (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen]: Wir gehen
reicht hat, — im Hinblick auf die Zielsetzung? schönen Zeiten entgegen!)

Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege Ertl, Darauf, meine Damen und Herren, will ich diese
ich könnte es mir sehr einfach machen und Ihre Ausführungen beschränken. Ich glaube aber, daß es
Frage mit einem Satz beantworten: indem wir die am Schluß einer solchen Debatte schicklich ist —
bisher bereits entwickelten und im Ansatz vorhan- wenn ich das sagen darf, Herr Präsident —, auch
denen Methoden verstärkt und differenziert in Zu- unserem Bundeslandwirtschaftsminister Schwarz und
kunft weiter ansetzen. auch unserem Bundesfinanzminister Starke für die
Regierung ein Wort des Dankes zu sagen für die
(Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Differen Anstrengungen und Mühen, die sie mit der Vorlage
ziert!) dieses Grünen Plans gehabt haben. Wir wissen, daß
Das ist der Witz, und darüber werden wir uns im damit nicht alle unsere Wünsche erfüllt sind, Herr
einzelnen unterhalten können. Minister; aber ich bin sicher, Sie und Ihr
- Kollege
Starke insonderheit wissen genauso, daß damit nicht
(Abg. Ertl: Darf ich fragen, um welche Me alle Wünsche erfüllt sind. Wir müssen schauen, wie
thoden es sich hier handelt — global oder wir auch auf dieser Basis weiter in diesem vor uns
differenziert?) liegenden Jahre die Landwirtschaftspolitik steuern
— Ich habe zunächst gesagt, die vier agrarpoliti- können.
schen Grundinstrumente, die wir haben, müssen Und nun, Herr Präsident, darf ich zum Abschluß
wir differenziert anwenden. Ihre Frage scheint dar- im Namen meiner Fraktion bzw. der Antragsteller
auf zu gehen, ob wir im Grünen Plan globale oder — es ist mir übertragen worden, das hier noch offi-
differenzierte Mittel anwenden. Wir tun beides, und ziell bekanntzugeben — beantragen, daß die An-
wir werden immer prüfen müssen — davon wird träge der SPD auf den Umdrucken 29, 30, 31 und 32
uns die Zukunft nicht freisprechen können —, ob an den Haushaltsausschuß — federführend — und
wir in der Anwendung dieser Maßnahmen, auch an den Ernährungsausschuß — zur Mitberatung —
des Grünen Planes, der ja nur ein Instrument der überwiesen werden und der Entschließungsantrag
Agrarpolitik ist, nicht von Jahr zu Jahr oder im auf Umdruck 34 ebenfalls an den Haushaltsausschuß
Laufe bestimmter Fristen das eine oder andere stär- und den Ernährungsausschuß überwiesen wird. Das
ker tun und etwas anderes dafür zurückstellen sol- gleiche gilt für die Anträge Umdrucke 38, 40, 41 der
len. beiden Koalitionsfraktionen.
Ich möchte aber doch abschließend noch eins sa- Des weiteren darf ich beantragen, Herr Präsident,
gen: Herr Kollege Effertz, zu einer Zeit, als Sie daß der SPD-Antrag Umdruck 33 und der Antrag der
noch nicht unser geschätzter und verehrter Kollege CDU/CSU und der FDP Umdruck 42 — das sind die
in diesem Hause waren, haben wir schon einmal beiden Entschließungsanträge — zur Abstimmung
darüber gesprochen, und da haben Sie auch gesagt, gestellt werden.
wir brauchten etwas Neues. Sie haben es heute
noch einmal mit dem englischen System angedeutet. (Zuruf: Ist doch geändert!)
Ich habe damals gesagt: Das ist ein Luftballon. Es — Das wird noch bekanntgegeben. Die nachträg-
gibt bei dem englischen System einiges, was man lichen Änderungen liegen mir nicht vor. Ich nehme
überlegen könnte. Aber ich will die Sachdebatte an, Herr Präsident, daß sie Ihnen mittlerweile
hier nicht vertiefen; sie würde sonst zu lang wer- schriftlich heraufgegeben worden sind.
den. Was Sie uns heute geboten haben, das scheint
mir nicht nur ein Luftballon, sondern das scheint
mir eine ganze Traube von schönen Ballons zu sein. Vizepräsident Dr. Dehler: Ja.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 563

Lücker (München) (CDU/CSU) : Ich danke Ihnen. schaft nicht ausdrücklich genannt hat. Es wurde auch
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gesagt, er hätte, wie sonst schon bewiesen, nichts
für die Landwirtschaft übrig. Wer Herrn Professor
Erhard näher kennt, wer gerade in diesen Fragen
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der mit ihm zu tun hatte, wird wissen, daß man ihm
Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft damit sehr Unrecht getan hat, und das möchte ich
und Forsten. hier richtigstellen.
(Beifall in der Mitte.)
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land- Zum anderen ist gerade auch in diesem Zusam-
wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Da- menhang etwas gesagt worden, was ich nicht gern
men und Herren! Der heutige Tag war ein anstren- so stehenlassen möchte: Wir hätten eine schlechte
gender Tag für das Plenum. Über 12 Stunden sind Wirtschaftspolitik geführt, und die Preiserhöhungen
Sie hier beschäftigt. Ich darf das gute Beispiel un- wären der Ausdruck dieser schlechten Wirtschafts-
serer Frau Kollegin Pannhoff nachahmen, mich so politik.
kurz zu fassen, daß wir nicht in ,den Geruch kom- (Abg. Frehsee: Die hohen Kosten der Land-
men, als Männer schlechte Kavaliere zu sein und wirtschaft!)
uns durch das Beispiel unserer Damen hier vielleicht
— Meine Herren von der Sozialdemokratie, wenn
in die zweite Front drängen zu lassen.
jemand einen nicht unerheblichen Vorteil aus der
Wenn ich die Agrardebatte des heutigen Tages Wirtschaftspolitik unseres Professors Erhard gezo-
betrachte, so darf ich feststellen, daß sie sehr viel gen hat, so waren das — und ich sage: Gott sei
realer, sehr viel nüchterner war als in den vergan- Dank -- unsere Arbeitnehmer.
genen Jahren — vor allem wenn ich daran denke,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
'daß wir uns vor vier, fünf, sechs Jahren hier doch
erheblich gestritten haben —, und ich frage mich: Ich möchte feststellen, daß dies gleichzeitig eine
Woher kommt das wohl? sehr gute Agrarpolitik war; denn nach meiner Über-
zeugung ist genau die gefüllte Lohntüte unserer
Es scheint mir, daß der Ernst der Situation in un- Arbeitnehmer der Ausgangspunkt überhaupt für
serer Landwirtschaft der Grund dafür ist, daß wir eine Agrarpolitik, die sich sehen lassen kann.
uns alle enger zusammenscharen und uns über die
Dinge ganz nüchtern unter Berücksichtigung der Re- (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)
alitäten unterhalten und daß wir uns auf diese Art Deswegen meine ich, daß diese Wechselwirkung
und Weise sehr viel näher kommen. Darüber bin ich zwischen Wirtschaftspolitik und Agrarpolitik in den
außerordentlich glücklich und ich darf hoffen, daß vergangenen Jahren schlechthin die Grundlage war,
die vielen Anregungen und Gedanken, die hier auf der wir überhaupt diese gewaltige Vermehrung
heute wieder geäußert worden sind, in den entspre- unserer Veredelungserzeugnisse absetzen und un-
chenden Ausschüssen ihre Würdigung und ihre Er- terbringen konnten. Insoweit können wir unserer
ledigung finden. Wirtschaftspolitik gegenüber nur voller Lob sein.
Meine Damen und Herren, Sie haben selbstver- Wenn nun Preissteigerungen, die weder Ihnen
ständlich, wie es Ihr Recht ist — ich möchte beinahe noch der anderen Seite dieses Hauses Freude ma-
sagen: wie es Ihre Pflicht ist —, an vielen Maßnah- chen, zu verzeichnen sind, so darf ich dazu das eine
men Kritik geübt, auch — um etwas herauszugrei- feststellen: In allen Industriestaaten, überall, wo
fen — an dem Grünen Bericht. Sie haben aber ein derartiges Wachstum der Wirtschaft zu ver-
gleichzeitig anerkannt, daß wir doch auf viele der zeichnen ist, mußte man leider einen Tribut in
Dinge eingegangen sind, die Sie bei der Diskussion Form von Preiserhöhungen zahlen. Glücklicherweise
über den Grünen Plan 1961 hier äußerten. Sie sehen aber ist der Tribut, den die Einwohner der Bundes-
daraus, daß die Verwaltung natürlich bei der Fülle republik zu zahlen hatten, der geringste Zuwachs
Ihrer Ideen nun nicht so schnell mitkommt — teils an Preissteigerung im Vergleich mit anderen Län-
der Umständlichkeit wegen, die nun einmal mit dern.
einer Verwaltung verknüpft ist, teils, weil zweifel- (Beifall bei der CDU/CSU.)
los der Höhenflug Ihrer Gedanken ein anderes Maß In diesem Zusammenhang kam die Rede auf
hat als das unserer Herren, die diese Gedanken in unsere Landarbeiter. Ich muß wirklich sagen, die
nüchterne Paragraphen einfangen sollen; Sie sehen Worte waren durchaus richtig, und wir sollten sie
aber den guten Willen, und das scheint mir das We- auch ernst nehmen. Die Situation ist ja für unsere
sentliche zu sein. Landarbeiter in jeder Beziehung unerfreulich. Diese
Meine Damen und Herren, aber eines hat mir treuen, braven Helfer, die wir draußen haben, soll-
heute nicht gefallen, und ich darf es hier sehr offen ten durchaus auch hinsichtlich ihrer Lohntüte so
aussprechen. Es war die Kritik, die, wenn auch nur behandelt werden wie die adäquaten Berufe, deren
in einer Form, die man symptomatisch nannte, an Angehörige mit höherem Lohn nach Hause kommen.
meinem Kollegen Professor Erhard geübt wurde. Ich Ich weiß aus den verschiedensten Ursachen um
möchte hier in aller Deutlichkeit feststellen, daß diese Dinge, nicht zuletzt aus den Gesprächen —
Herr Professor Erhard stets ein sehr warmes Herz sie wurden auch angedeutet —, die ich kürzlich mit
für landwirtschaftliche Belange gezeigt hat und daß den Arbeitnehmern und Arbeitgebern führte.
er es nicht verdient, einen Tadel zu empfangen, Aber ich darf Ihnen sagen: Bei den Ausgaben,
weil er in einer Regierungserklärung die Landwirt- die heute vom Bund aus zu leisten sind, ist es nach
564 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bundesminister Schwarz
meiner Auffasssung nicht möglich, hier mit Prämien neben den vier Säulen Markt, Grüner Plan, Kredit-
weiterzukommen. Fine solche Regelung würde sich programm, Strukturprogramm noch eine fünfte Säule.
über den Kreis der Landarbeiter hinaus bis auf die Und diese fünfte Säule ist der Fleiß, die Tüchtigkeit,
familieneigenen Arbeitskräfte ausweiten, und wir die Initiative unserer Bauern, denn ohne sie, ohne
kommen in die größten Schwierigkeiten. Wir sollen ihre Arbeitskraft wäre e s nicht möglich gewesen,
das Problem aber sehen, und ich bin der letzte, der daß wir in den letzten 10 Jahren die doppelte Lei-
sich nicht auch Methoden gegenüber zugänglich stung hätten erzielen können.
zeigt, die bisher ungewöhnlich waren. (Beifall in der Mitte.)
Dann ist noch etwas gesagt worden, was mir auch Diese fünfte Säule, meine Damen und Herren,
nicht richtig scheint und was ich auch noch mit eini- wollen wir hoch in unsere Rechnung einsetzen, denn
gen Sätzen behandeln darf. Ich meine die Frage der alle anderen vier Säulen wären nichts, wenn wir
Staffelung der Milchprämie. Es ist nicht so, daß die nicht das Vertrauen hätten, daß unsere Bauern mit
Großbetriebe — man kann übrigens zweierlei Mei- den Schwierigkeiten fertig würden, die zweifellos
nung darüber haben, von welcher Betriebsgröße an heute auf ihrem Wege liegen.
ein Großbetrieb anfängt — mit großen Beträgen
nach Hause gehen. Das stellt sich sofort hieraus, Der Weg ist voller Steine und voller Geröll. Es ist
wenn Sie sich einmal sehr nüchtern und klar die ein harter Weg, den unsere Bauern draußen zu
Zahlen vor Augen halten. 73 v. H. aller Kuhhalter gehen haben. Lassen Sie uns alle gemeinsam helfen,
besitzen 1 bis 5 Kühe, 20,1 v. H. 6 bis 10 Kühe, die Steine mit aus dem Weg zu räumen!
5,3 v. H. aller Kuhhalter 11 bis 20 Kühe, wobei ich (Beifall bei den Regierungsparteien.)
doch immerhin feststellen muß, daß das auch noch
keine gewaltige Zahl ist. Nur 0,9 v. H. aller kuh- Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur
haltenden Betriebe haben mehr als 20 Kühe. Sollen Abstimmung über die vorliegenden Anträge. Es ist
wir denn nun dienerhalb in eine Staffelung ein- vorgeschlagen, die Anträge der Fraktion der SPD
treten? Sollten wir wegen dieser 0,9 v. H. nun reine auf den Umdrucken 29, 30, 31 und 32 und den
Ausnahme machen, um so mehr, als genau das An- Entschließungsantrag der SPD auf Umdruck 34, fer-
liegen, das hier auch geäußert wurde, nämlich den ner die Anträge der CDU/CSU, FDP auf den Um-
Stallhelfern, den Melkern einen entsprechenden
drucken 38 und 41 und den Antrag der Fraktion der
Lohn zu geben, miteinkalkuliert werden muß? Ich
CDU/CSU auf Umdruck 40 dem Haushaltsausschuß
mache hier nicht gern einen Unterschied. Man
federführend und dem Ausschuß für Ernährung,
könnte sonst auf die Idee kommen, daß diejenigen,
Landwirtschaft und Forsten mitberatend zu über-
die 1 bis 3 Kühe haben, weil sie in. anderen Berufen
weisen. — Es besteht Einverständnis; es ist so
tätig sind, den Milchpfennig nicht brauchen. Das sei
beschlossen.
fern von uns. Sie haben es genauso verdient, und
wir möchten gern auch hier, gerade hier, Gerechtig- Es liegt dann der Entschließungsantrag der Frak-
keit walten lassen. Lassen Sie uns also an diesen tion der SPD auf Umdruck 33 vor. Er ist in Absatz 3
Dingen nicht rütteln. Lassen wir überhaupt insge- wie folgt geändert.
samt den Blick auf die Landwirtschaft in der großen
Breite schweifen, um gerecht zu sein und gerecht zu Der Absatz 3 soll lauten:
bleiben, und fangen wir nicht an zu staffeln. Trotz der beachtlichen Steigerung der land-
(Abg. Dröscher: In dieser Frage sind wir wirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, der von
nicht einig!) Jahr zu Jahr größeren Zuwendungen im Grü-
nen Plan ist es der bisherigen Agrarpolitik
— Nein, Herr Kollege; wir werden uns 'sicher — und kaum gelungen, der Erfüllung des Auftrages
ich finde das auch gut so; denn das ist der Zweck des Landwirtschaftsgesetzes gerecht zu werden.
unseres Hierseins — aus einer verschiedenen Mei-
nung irgendwie zusammenraufen, oder aber: keiner Außerdem ist Absatz 4 im letzten Satz wie folgt
sollte glauben, daß seine Meinung allein richtig geändert:
wäre. Und so kommen wir zu einem Kompromiß,
wie sich das in einer Demokratie gehört. Ich glaube, Förderungsmittel sind mehr als bisher möglichst
es ist wohl das Richtige, daß wir so verfahren. gezielt zu gewähren.

Damit möchte ich abschließen. Ich darf Ihnen Absatz 5 ist wie folgt geändert:
danken für Ihre sachliche Mitarbeit in diesen Punk- Der Bundestag stimmt mit der Bundesregierung
ten und darf Sie bitten, die Ausschußarbeit im sel- darin überein, daß auf Grund des Grünen Be-
ben. Geist zu leisten. richts 1962 Maßnahmen gemäß § 5 des Land-
Ich darf zum Schluß noch eines sagen. Herr wirtschaftsgesetzes mindestens in der vorge-
Kollege Lücker hat von den vier Säulen gesprochen, schlagenen Höhe erforderlich sind.
die die Grundlage unserer Agrarpolitik seien, einer Der Antrag steht also jetzt in dieser Fassung zur
Agrarpolitik, die immer wieder lernt aus dem Ver- Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte
gangenen, es besser zu machen, die aber wahrhaftig ich, Zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltun-
nicht von heute auf morgen nun Wunder verrichten gen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
kann. Schließlich geht es uns bei diesen Fragen nicht
anders als in allen andern hochindustrialisierten Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen
Ländern, die genau dieselben Sorgen haben wie der CDU/CSU, FDP — Umdruck 42 — auf. Er steht
dieses Parlament, wie wir alle. Aber es existiert zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe bitte
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 565
Vizepräsident Dr. Dehler
Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Es ist eine begründende Erklärung des Herrn Abge-
Entschließungsantrag ist ebenfalls einstimmig an- ordneten Gewandt zu Protokoll gegeben *). Ausspra-
genommen. che ist nicht vorgesehen. Vorgeschlagen ist die
Damit ist der Punkt 5 der Tagesordnung erledigt. Überweisung an den Ausschuß für Landwirtschaft
und Forsten — federführend —, an den Haushalts-
Ich rufe noch den Punkt 6 der Tagesordnung auf: ausschuß — miberatend —. — Es besteht Einver-
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ge- ständnis; es ist so beschlossen.
wandt, Müller-Hermann, Blumenfeld, Roll- Wir sind am Ende dieser Sitzung.
mann, Dr. Conring, Kuntscher, Dr. Pflaum- Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Frei-
baum, Dr. Siemer, Glüsing (Dithmarschen), tag, den 23. Februar, vormittags 9 Uhr.
Rasner, Dr. Stoltenberg, Struve und Fraktion
der CDU/CSU, Dr. Löbe, Dr. Mende und Frak- Die Sitzung ist geschlossen.
tion der FDP betr. Bericht über die Lage der (Schluß der Sitzung: 21.42 Uhr.)
deutschen Hochseefischerei (Drucksache
IV/133 [neu]. *) Siehe Anlage 3.
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 567

Anlagen zum Stenographischen Bericht


Anlage 1 Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich

Liste der beurlaubten Abgeordneten Schoettle 23. 2.


Seifriz * 23. 2.
Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Soetebier 23. 2.
Stein 23. 2.
a) Beurlaubungen Storch* 23. 2.
Dr. Aigner* 23. 2. Striebeck 23. 2.
Altmaier 23. 2. Frau Strobel* 23. 2.
Arendt (Wattenscheid)* 23.2. Wehner 23. 2.
Dr. Aschoff* 23. 2. Weinkamm* 23. 2.
Bauer (Wasserburg) 22. 2. Wischnewski* 23. 2.
Bergmann* 23. 2. Wullenhaupt 23. 2.
23.2. Zoglmann 27. 2.
Berlin
Birkelbach* 23. 2. b) Urlaubsanträge
Frau Blohm 23.2.
Dr. Bucerius 23. 2. Brünen 5. 3.
Dr. Burgbacher* 23. 2. Glombig 14. 3.
Cramer 23. 2. Dr. Menzel 31. 3.
Dr. Dahlgrün B. 3. Dr. Rieger 10. 3.
Dr. Deist* 23. 2. Dr. Schneider 10. 3.
Deringer* 23. 2. Theis 7. 3.
Dr. Dichgans* 23. 2.
Eisenmann 23. 2.
Frau Dr. Elsner* 23. 2. Anlage 2
Engelbnecht-Greve* 23. 2.
Etzel 23. 2. Schriftliche Ausführungen
Even (Köln) 22. 2.
Faller* 23. 2. der Abgeordneten Frau Dr. Pannhoff zu dem Bericht
Dr. Dr. h. c. Friedensburg* 23. 2. der Bundesregierung über die Lage der Landwirt-
Dr. Furler 23. 2. schaft (Drucksachen IV/180, zu IV/180).
D. Dr. Gerstenmaier 28. 2. Die bäuerlichen Familienbetriebe bilden in ganz
Goldhagen 23. 2. Europa, soweit es seine Freiheit bewahrt hat, den
Dr. Gradl 23. 2. Kern der Landwirtschaft. Bäuerliche Familienbe-
Hahn (Bielefeld)* 23. 2. triebe zu erhalten, zu fördern - und zu schaffen -,
Dr. Heck 22. 2. ist Zielsetzung des Landwirtschaftsgesetzes und der
Dr. Hesberg 22. 2. Grünen Pläne.
Horn 23. 2.
Dr. Hoven 22. 2. Der Grüne Bericht 1962 weist den Zug zum Fa-
Illerhaus* 23. 2. milienbetrieb sehr einleuchtend auf. Aber der
Jaksch 23. 2. Grüne Bericht sagt auch, daß die Belastung der auf
Kalbitzer* 23. 2. den bäuerlichen Betrieben zurückbleibenden Ar-
Frau Kalinke 23. 2. beitskräfte, vor allem die Belastung der Frauen,
Dr. Kohut 23. 2. weiter angestiegen ist.
Dr. Kneyssig* 23. 2. Im Grünen Bericht 1962 heißt es auf Seite 26:
Kriedemann* 23..2. Die statistische Erfassung der Arbeitszeiten .
Lenz (Brühl)* 23. 2. ergibt für die Bäuerinnen einschließlich ihrer
Lücker (München)* 23. 2. Haushaltstätigkeit im Durchschnitt 67 bis 75
Dr. Baron Manteuffel-Szoege 23. 2. Stunden je Woche, während die mithelfenden
Margulies* 23. 2. weiblichen Arbeitskräfte eine durchschnittliche
Mauk* 23. 2. Arbeitszeit von 54 bis 59 Stunden erreichen. In
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 23. 2. der Gruppe der Familienarbeitskräfte arbeiten
Metzger* 23. 2. die Frauen länger als die Männer und die
Michels* 23. 2. Betribslhpaängediübr
Müller (Remscheid) 27. 2. Familienangehörigen. Die Arbeitszeiten sind
Müller-Hermann* 23. 2. am höchsten in den Betrieben zwischen 10 bis
Oetzel 7. 4. 20 ha LN und nehmen mit steigender Betriebs-
011enhauer 22. 2. größe ab.
Dr.-Ing. Philipp* 23.2.
Frau Pitz-Savelsberg 22. 2. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Ver-
Frau Dr. Probst* 23. 2. öffentlichung des Bundesarbeitsministeriums von
Rademacher* 23. 2. 1961 mit dem Titel: „Die Frauenerwerbsarbeit in
Reitzner 28. 2. * Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen
Richarts* 23. 2. Parlaments.
568 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

der Bundesrepublik" erwähnen. Sie wurde veröf- bunden würde. Denn bekanntlich wohnen 40 % der
fentlicht von Frau Regierungsdirektorin Maria Tritz. Bevölkerung in unseren Dörfern, die nicht ganz zu
In dieser sehr aufschlußreichen Untersuchung wird Unrecht echte „Entwicklungsgebiete" der Bundes-
nachgewiesen, daß sich in der Bundesrepublik in republik genannt werden. Wir stehen ja auch nicht
den letzten vier Jahren die weiblichen Dienstlei- mehr allein mit unserem Verlangen nach einer gut-
stungsberufe um 22,8 % = 155 000 verringert ha- durchdachten Dorfsanierung. Wir haben gute Bun-
ben und im gleichen Zeitraum 980 000 Arbeitneh- desgenossen.
merinnen in die übrigen Wirtschaftsabteilungen ein- In einer Presseverlautbarung des Herrn Bundes-
gezogen sind. Die Landwirtschaft verlor in diesem ministers für Wohnungswesen, Städtebau und
Zeitraum 42 % = 138 000 weibliche Arbeitneh- Raumordnung vom 1. Dezember 1961 heißt es:
merinnen. Diese Zahlen illustrierten die Not der
Bäuerinnen, die keine Haushaltshilfen haben, die „Eine Dorfsanierung ist dringend erforderlich, da
notwendiger noch als die Modernisierung ihres sich viele Wohnungen in einem sehr schlechten Zu-
eigenen Arbeitsbereichs, des Haushalts, wären. stand befinden und vor allem moderner hygieni-
Aber sie sind nicht — oder nur in ganz seltenen scher Einrichtungen entbehren. Es bedarf besonders
Fällen — zú haben. Darum muß ich an dieser Stelle einer Auflockerung der beengten Dorflagen und
wieder auf diesen echten Notstand der Bäuerinnen einer Sanierung der oft überbauten Grundstücke so-
hinweisen und dafür plädieren, daß wir alle ge- wie der Bereinigung der Verkehrsverhältnisse, ins-
meinsam nach Wegen Ausschau halten, um den besondere des Ausbaus der vielfach unzulänglichen
neuen sozialen Beruf der Dorfhelferin zu fördern. Führung der Ortsdurchfahrten. Die Dorferneuerung
Obwohl die Bundesregierung nicht im Unrecht ist, wird durch die Aussiedlung von bäuerlichen Betrie-
wenn sie erklärt, daß sie nicht „zuständig" sei, bin ben und ihre Seßhaftmachung in selbständigen
ich nicht überzeugt davon, daß wir nicht bei ehr- Weilern im Interesse einer rationalen Bewirtschaf-
lichem gemeinsamem Wollen doch noch einen Weg tung der weitab von der Dorflage gelegenen Flur-
der Hilfe auch in dieser Hinsicht finden werden. teile gefördert. Die durch die Aussiedlung freiwer-
denden Flächen können für die Dorferneuerung, be-
Die Bäuerinnen sind gesundheitlich überfordert! sonders für den Wohnungsbau und die Schaffung
Wir brauchen den Beweis für die Diagnose der ge- zusätzlicher gewerblicher Arbeitsplätze herange-
sundheitlichen Überforderung hier nicht mehr zu zogen werden.
erbringen. An anderen Stellen und auch in diesem
Hohen Hause habe ich den Gesundheitszustand der Da die ländlichen Gemeinden nur eine geringe
Bäuerinnen ausführlich dargestellt. Wir sind bereits Steuerkraft besitzen und auf dem Gebiete des
zur Therapie übergegangen: Um der gesundheit- Schul- und Bildungswesens, des Gesundheitsdien-
lichen Gefährdung der Bäuerinnen und ihrer Ar- stes, der Verkehrseinrichtungen, des Feuer- und
beitsüberlastung zu steuern, hat die Bundesregie- Polizeischutzes ihre kommunalen Aufgaben nur in
rung im Grünen Plan 1961 „Einmalige Sondermaß- bescheidenem Umfang erfüllen können, muß eine
nahmen zur Verbesserung der Lage der bäuerlichen Stärkung der Finanzkraft der ländlichen Gemeinden
Familienbetriebe" vorgesehen. Unter diesen Son- auf dem Wege des Finanzausgleichs herbeigeführt
dermaßnahmen befanden sich 30 Millionen DM als werden. Eigentum an Haus und Haus und Boden ist
Zuschüsse für die bäuerliche Hauswirtschaft. Diese und bleibt die ursprünglichste und beste Eigentums-
wurden nach Richtlinien der Bundesregierung für form überhaupt!"
zentrale Warmwasseranlagen und Beheizungsan- Soweit der Herr Bundesminister für Wohnungs-
lagen verwandt. Diese Sondermaßnahme der Regie- wesen und Raumplanung.
rung im Grünen Plan 1961 ist so gut angekommen,
daß sie in den Grünen Plan des Jahres 1962 als Wir sollten uns einschalten und mithelfen, die
feste Position eingebaut und um 20 Millionen DM Dörfer attraktiv zu gestalten!
erhöht wurde, also jetzt 50 Millionen DM beträgt. Seit längerer Zeit sind Agrarexperten, Sozio-
Für diese Berücksichtigung unserer deutschen logen, Volkswirte und Verwaltungsfachleute mit
Bäuerinnen möchte ich an dieser Stelle dem Herrn vorbereitenden Arbeiten befaßt. Der Investitions-
Bundeslandwirtschaftsminister von ganzem Herzen bedarf ist auf 100 Milliarden geschätzt worden. Es
Dank sagen! Nun können mit den für 1962 zur geht um die „soziale Aufrüstung des Dorfes", von
Verfügung gestellten Mitteln weiteren bäuerlichen der man schon lange spricht, die aber nun Wirklich-
Familien spürbare Hilfen zur Selbsthilfe gebracht keit werden muß! Es handelt sich letztlich um eine
und viele Bäuerinnen von dem schweren Schleppen kulturelle Aufgabe an einem großen Teil unseres
von Wasser und Heizmaterial befreit werden. deutschen Volkes. Wir sollten, nachdem schon gute
Vorarbeit geleistet ist, gemeinsam ans Werk gehen!
Die Warmwasseranlagen im bäuerlichen Haushalt
sind kein Luxus, sondern gehören zum täglichen
Arbeitsbedarf und sind notwendige hygienische
Einrichtungien, über die sich insgesamt an dieser Anlage 3
Stelle in bezug auf unsere Dörfer vom ärztlichen Schriftliche Erklärung
Standpunkt vieles sagen ließe. des Abgeordneten Gewandt zu dem Antrag der Ab-
Es wäre dringend notwendig, daß im Interesse geordneten Gewandt, Müller-Hermann, Blumenfeld,
unserer Bäuerinnen und der bäuerlichen Familien, Rollmann, Dr. Conring, Kuntscher, Dr. Pflaumbaum,
aber auch all der vielen anderen Menschen, die in Dr. Siemer, Glüsing (Dithmarschen), Rasner, Dr. Stol-
den Dörfern wohnen, mit der Strukturbereinigung tenberg, Struve und Fraktion der CDU/CSU, Dr. Löbe,
der bäuerlichen Betriebe eine Dorfsanierung ver- Dr. Mende und Fraktion der FDP betreffend Bericht
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 569

über die Lage der deutschen Hochseefischerei (Druck- aufgenommen wurde. Diesem Gesetz ist es zu dan-
sache IV/133 [neu]). ken, daß die deutsche Handelsschiffahrt nicht nur
wiederaufgebaut wurde, sondern daß sie vor schwe-
Als meine Fraktion am 17. März letzten Jahres ren Zusammenbrüchen ihrer Reedereien bewahrt
den Entschließungsantrag bezüglich der Lage der wurde. Die Hochseefischerei hat demgegenüber seit
Seefischerei einbrachte, standen wir unter dem Ein- dem genannten Jahr 1950 die Hälfte ihrer Reede-
druck, daß dieser Wirtschaftszweig einer schweren reien verloren, und die Zahl der Kutter ist im glei-
Krise entgegengehe. Diese unsere Sorge hat sich chen Zeitraum etwa um den gleichen Prozentsatz
leider im weiteren Verlauf des letzten Jahres als zurückgegangen.
voll begründet herausgestellt. Und nicht nur das, es
steht vielmehr für uns jetzt fest, daß die Dinge in Ist nun die Seefischerei unserer Bundesrepublik
allen drei Sparten der Seefischerei einer wirtschaft- ein Wirtschaftszweig von solcher Bedeutung, daß
lichen Katastrophe entgegentreiben, wenn nicht ein- man darum so viele Worte verlieren muß? Es wird
gegriffen wird. Deswegen unser Antrag, die Bundes- Erstaunen hervorrufen, folgende Zahlen zu hören:
regierung möge den noch fehlenden Berichtsteil V In 20 000 Betrieben stehen rund 110 000 Arbeitneh-
mit den erforderlichen Vorschlägen über Hilfsmaß- mer unmittelbar im Dienst der Fischwirtschaft, ab-
nahmen nunmehr unverzüglich vorlegen. gesehen von der großen Zahl der mittelbar in
Wenn man fragt, wie es bei der Seefischerei wirk- Werften, Maschinenfabriken usw. Beschäftigten. Das
lich aussieht und ob die Fischer bzw. Fischereigesell- investierte Kapital beträgt erheblich mehr als eine
schaften nicht vielleicht selber schuld haben, daß es Milliarde, und der Umsatz aller Zweige der deut-
ihnen so schlecht geht, so isst folgendes festzu- schen Fischwirtschaft beträgt alles in allem an-
stellen: Die Abschlußzahlen für 1961 liegen nunmehr nähernd vier Milliarden. Das Land an der Küste,
denken Sie auch an die vielen Fischerorte, ist weit-
vor. Danach sind die Anlandungen aller drei Fische-
reisparten, der Kutter-, Logger- und Hochsee- gehend von der Seefischerei geprägt. Bei ihrem
fischerei, in der Bundesrepublik von 1955 mit rund Charakter als Schlüsselgewerbe befruchtet die See-
750 000 auf fast 500 000 t im Jahre 1961 zurück- fischerei nicht nur den über die ganze Bundesrepu-
blik verteilten Fischhandel und die Fischindustrie,
gegangen! Die Verluste sind dementsprechend, sie
gehen in die zig-Millionen, und die Verschuldung sondern auch alle Nebenbetriebe, Hilfsindustrien
hat ein Ausmaß angenommen, das eine Wieder- und Lieferanten, wie die Schiffswerften, die Kisten-,
herstellung der Rentabilität als ausgeschlossen er- Faß-, Dosen- und Korbfabriken, die Lieferanten von
scheinen läßt, wenn nicht Hilfsmaßnahmen beson- Bunkerkohlen und Bunkeröl, von Salz und Papier,
derer Art getroffen werden. dieHrstlvonauchAprte,dsBau-
gewerbe, die Schiffszimmereien, die Maschinenfabri-
Es fist nicht etwa s o, daß unsere Seefischerei ver ken usw. Viele dieser Betriebe aber sitzen
- nicht an
sagt hätte und an dieser Entwicklung schuld hätte. der Küste, sondern im Binnenland, in Rheinland-
Wir müssen ihr im Gegenteil attestieren, daß sie im Westfalen, Bayern und anderswo, so daß die See-
Wege der Selbsthilfe, insbesondere durch Rationali- fischerei die ganze Volkswirtschaft unserer Bundes-
sierungsmalinahmen, alles getan hat, um zu einem republik befruchtet. Man kann deshalb auf eine
wirtschaftlichen Erfolg zu kommen. Unsere Trawler- deutsche Seefischerei nicht verzichten, wenn nicht
flotte gehört zu den modernsten Nordwesteuropas, unsere ganze nationale Wirtschaft erheblichen Scha-
und in der Produktivität isteht sie mit an der Spitze den erleiden soll.
aller beteiligten europäischen Fischereinationen.
Schließlich noch 'ein Wort zu dem Einwand: Brau-
Die Ursachen für die kritische Lage unserer See- chen wir denn im Zeichen der europäischen Wirt-
fischerei liegen vielmehr außerhalb ihres Einfluß- schaftsintegration überhaupt eine eigene Seefische-
bereichs. Sie sind im wesentlichen politischer Natur. rei? Kann uns das Ausland, das zum Teil den
Ich nenne nur die Erweiterung der Hoheitsgrenzen Fangplätzen näher ist, nicht mit Seefischen und
auf unseren historischen Fanggründen unter Island, Fischwaren aller Art beliefern? Diese Frage kann ich
Norwegen und anderswo, die einseitige Liberalisie- nur mit einem runden Nein beantworten. Immerhin
rung unserer Einfuhr, die Subventionierung der aus- betrug unsere Produktion in den letzten Jahren
ländischen Seefischerei und den Umstand, daß See- zwischen 500 000 und 750 000 t. Wir waren die dritt-
fische dm Wettbewerb gegen billige subventionierte größte europäische Fischereination, und eine solche
Lebensmittel auf dem deutschen Markt naturgemäß Menge von Seefischen List nicht von heute auf mor-
nicht immer konkurrenzfähig sind. Nicht unerwähnt gen und auch nicht in absehbarer Zeit aus dem
lassen darf ich in diesem Zusammenhang die Tat- Boden zu stampfen bzw. aus dem Meere zu schöpfen.
sache, daß die deutsche Hochseefischerei, die mehr Zudem würde eine regelmäßige Belieferung des
als 80 °/o ihrer Tonnage im letzten Krieg verloren deutschen Marktes, die der Verbraucher mit Recht
hatte, ebenso wie die Logger- und Kutterfischerei verlangt, keineswegs garantiert sein, zumal die
den Aufbau ihrer Flotte ohne wesentliche staat- Fischerei großer Nationen, wie beispielsweise Nor-
liche Hilfe aus eigener Kraft, d. h. unter weitgehen- wegens, saisonbedingt eist. Auch die Frage der Fisch-
der Verwendung privater Kredite, bewerkstelligen arten und Fischsorten wäre vom Ausland schwer zu
mußte. Hier liegt ein wesentlicher Teil der Ursachen läsen, während sich die deutsche Seefischerei mit
für die hohe Verschuldung, die ihr heute so (schwer ihren verschiedenen Fahrzeugtypien und mit dem
zu schaffen macht. Rückschauend betrachtet kann es Fischfang auf den differenziertesten Fanggebieten
nur als ein schwerer wirtschaftspolitischer Fehler naturgemäß auf die Bedürfnisse des deutschen
bezeichnet werden, daß unsere Seefischerei nicht in Marktes und seiner Konsumenten eingestellt hat.
das Schiffsbaufinanzierungsgesetz des Jahres 1950 Vor allem aber würde unsere Bevölkerung völlig
570 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

dem Preisdiktat des Auslandes ausgeliefert sein. Es durch erhalten werden, daß diese Prämie nach der
fehlte das Preisregulativ der verhältnismäßig billig Qualität der angelandeten Fänge bemessen werden
produzierenden deutschen Seefischerei. soll.
Alle diese Grande sprechen dafür, daß wir uns Es geht um 1348 Kutter, 1661 Küstenfischer, 104
diesen Produktionszweig erhalten müssen, ganz ab- Logger und 194 Hochseefischereifahrzeuge ; es geht
gesehen von der Notwendigkeit der Sicherstellung weiter um 20 Unternehmungen der Hochseefischerei
unserer Ernährung in Krisenzeiten. und um 5 Unternehmungen der Loggerfischerei. Es
Man wird darin einig sein, daß ein Wirtschafts- geht schließlich um 11 500 Seeleute und viele Tau-
zweig von solcher Bedeutung nicht untergehen darf. send Beschäftigte der Fischindustrie und der Neben-
Der Bundesernährungsminister hat auch auf dem betrilebe.
„Tag des Hochseefischers" in Bremerhaven im Juni
Es wird dringend darum gebeten, die Fangprämie
letzten Jahres eine entsprechende Erklärung abge-
noch in den Haushalt einzusetzen an Stelle der be-
geben. Der uns etwa zur gleichen Zeit vom Bundes-
stehenden Fußnote.
ernährungsminister namens der Bundesregierung
vorgelegte gedruckte Lagebericht (Tieiil I—IV) stützt Es wird weiter dringend darum gebeten, auf der
ebenfalls meine Auffassung, daß die Seefischwirt- Ebene der EWG dafür einzutreten, daß in Verhand-
schaft ein (integrierender Bestandteil unserer Volks- lungen mit den übrigen Fischereiländern endlich
wirtschaft ist. Deswegen liegt uns so viel daran, daß wieder echte Wettbewerbsgleichheit herbeigeführt
die Bundesregierung nun unverzüglich den Teil V wird.
ihres Berichts vorlegt. Wir erwarten dabei Vor-
schläge, die nicht nur die weitere Existenz unserer
Seefischerei sicherstellen, die vielmehr darüber hin-
aus die Gewähr geben, daß das in den letzten
Jahren verlorengegangene Terrain allmählich zu- Anlage 5 Umdruck 21
rückgewonnen wird.
Dieses Ziel würde bald erreicht sein, wenn man Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
der deutschen Seefischerei neben den geplanten Ab zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein-
wrack- und Neubauhilfen Fangprämien zugesteht, gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
die die wichtigsten Fischereinationen Europas ihrer Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen
Fischerei gewähren. IV/92, IV/193).

Der Bundestag wolle beschließen:


Artikel I § 2 Abs. 1 erhält folgende Fassung:
Anlage 4 -
„(1) Bei den Wehrpflichtigen, die im Regelfalle
Schriftliche Erklärung bis zum 30. Juni 1962 nach Ableistung eines zwölf-
oder sechsmonatigen Grundwehrdienstes entlassen
des Abgeordneten Dr. Löbe für die Fraktion der FDP werden müßten, verlängert sich der Grundwehr-
zu dem Bericht über die Lage der deutschen Hoch- dienst nur um drei Monate."
seefischerei (Drucksache IV/133 [neu]).*)
Die deutsche Seefischerei zusammen mit der mit Bonn, den 21. Februar 1962
ihr eng verbundenen Fischindustrie und den Neben-
Ollenhauer und Fraktion
gewerken bildet einen wesentlichen Teil der Küsten-
wirtschaft. In Städten wie Bremerhaven und Cux-
haven ist dieser Wirtschaftszweig das Rückgrat der
Wirtschaft schlechthin. Die deutsche Seefischerei hat
die Schäden des Krieges und die Behinderungen der Anlage 6
Nachkriegszeit allein überwunden. Jetzt aber bedarf
Umdruck 22
sie die Hilfe, weil sie einem verfälschten Wett- Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU,
bewerb aller konkurrierenden Fischereiländer ge- SPD zur zweiten Beratung des von der Bundesregie-
genübersteht, wo die Fischerei staatlich weitgehend rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
gefördert wird. Es wird dankbar anerkannt, daß die zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen
Bundesrepublik auf dem Wege über Neubauhilfen, IV/92, IV/193).
Abwrackprämien und andere Maßnahmen Hilfe
leistet. Jetzt aber kann der erdrückende unechte Der Bundestag wolle beschließen:
Wettbewerb des Auslandes nur noch bestanden 1. In Artikel I § 1 Nr. vor 1,
werden; wenn in Form einer Fangprämie eine vor-
übergehende Aufbesserung des Fangerlöses ge- 2. in Artikel I § 1 Nr. 4 a,
währt wird, wie es mehrere andere Länder längst 3. in Artikel I § 1 Nr. 8
tun. Es geht also nicht um die Subvention eines
nicht mehr wettbewerbsfähigen Gewerbes, sondern werden die Worte „sowie Waffen" gestrichen.
es geht um die vorübergehende Starthilfe eines
Bonn, dein 21. Februar 1962
durchaus Gesunden, der sich möglichst bald selbst
weiterhelfen möchte. Der Wettbewerb soll auch da- Dr. von Brentano und Fraktion
*) Siehe Seite 565. Ollenhauer und Fraktion
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 571

Anlage 7 Umdruck 23 achtzehnmonatigem Wehrdienst


für den Grenadier 480 Deutsche Mark
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur für den Gefreiten und
zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein-
Obergefreiten 540 Deutsche Mark
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen für den Unteroffizier 600 Deutsche Mark."
IV/92, IV/193).
Bonn, den 21. Februar 1962
Der Bundestag wolle beschließen:
Ollenhauer und Fraktion
In Artikel II § 1 wird folgende Nr. vor 1 eingefügt:
,vor 1. Die Anlage I (Wehrsoldtabelle) zu § 2 Abs. 1
Satz 1 erhält folgende Fassung: Anlage 9 Umdruck 25
„Wehrsold
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
Wehr Wehrsold- zur dritten Beratung des von der Bundesregierung
sold Dienstgrad tagessatz
gruppe DM eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen
1 Grenadier 2,50 IV/92, IV/193).
2 Gefreiter, Obergefreiter, Der Bundestag wolle beschließen:
Hauptgefreiter 3,10
3 Unteroffizier, Stabsunteroffizier 3,50 Die Bundesregierung wird beauftragt,
4 Feldwebel, Oberfeldwebel 3,75 dem Verteidigungsausschuß zu berichten, wie die
5 Stabsfeldwebel, Leutnant 4,40 Bundesregierung im Hinblick auf die Verlängerung
des Grundwehrdienstes die staatsbürgerliche Unter-
6 Oberstabsfeldwebel, Oberleutnant 5,- richtung der Soldaten und dabei die Mitwirkung
7 Hauptmann 6,25 derjenigen unseren Staat mittragenden, demokra-
8 Major, Stabsarzt, Stabsingenieur 7,50 tischen Kräfte, die nicht der derzeitigen Regierungs-
9 Oberstleutnant, Oberstabsarzt, koalition angehören, zu gestalten gedenkt.
Oberfeldarzt 8,75
Bonn, den 21. Februar 1962
10 Oberst, Oberstarzt 10,-
11 General 12,50" ' Ollenhauer und Fraktion
-
Bonn, den 21. Februar 1962

Ollenhauer und Fraktion Anlage 10 Umdruck 26


Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
Anlage 8 Umdruck 24 zur dritten Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen
zweiten Beratung des von der Bundesregierung IV/92, IV/193).
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen Der Bundestag wolle beschließen:
IV/92, IV/193). Die Bundesregierung wird ersucht,
Der Bundestag wolle beschließen: zu prüfen, ob der Verpflegungssatz von 2,75 DM
In Artikel II § 1 Nr. 3 erhält § 8 Abs. 2 und 3 fol- täglich ,für die Wehrpflichtigen in den Ausbildungs-
gende Fassung: einheiten der Grundausbildung ausreicht und auf
welche Weise die in zahlreichen Einheiten der Bun-
„ (2) Das Entlassungsgeld beträgt nach deswehr bei Einkauf, Zubereitung und Ausgabe der
sechsmonatigem Wehrdienst 45 Deutsche Mark Verpflegung gewonnenen guten Erfahrungen allen
zwölfmonatigem Wehrdienst 180 Deutsche Mark Truppenteilen zugänglich gemacht werden können,
sowie hierüber dem Verteidigungsausschuß zu
achtzehnmonatigem Wehrdienst berichten.
für den Grenadier 360 Deutsche Mark
für den Gefreiten und Bonn, den 21. Februar 1962
Obergefreiten 420 Deutsche Mark
Ollenhauer und Fraktion
für den Unteroffizier 480 Deutsche Mark
(3) Haben Familienangehörige des Soldaten all-
gemeine Leistungen nach § 5 des Unterhaltssiche-
rungsgesetzes erhalten, beträgt das Entlassungsgeld Anlage 11 Umdruck 27
nach
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
sechsmonatigem Wehrdienst 75 Deutsche Mark zur dritten Beratung des von der Bundesregierung
zwölfmonatigem Wehrdienst 240 Deutsche Mark eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
572 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen 1. Die Mittel für die Flurbereinigung werden
IV/92, IV/193). von 195 Mio DM um 30 Mio DM auf 225 Mio
DM erhöht.
Der Bundestag wolle beschließen:
2. Die Mittel für die Aufstockung und Aussied-
Die Bundesregierung wird beauftragt, lung werden von 315 Mio DM um 105 Mio
zu prüfen, für welche Einheiten der Bundeswehr, DM auf 240 Mio DM erhöht.
insbesondere der territorialen Verteidigung, ein 2a. Die Mittel für regionale Strukturmaßnahmen
verkürzter Grundwehrdienst bis zu 12 Monaten (besondere Maßnahmen in benachteiligten
zureichend und zweckmäßig ist, und hierüber dem Gebieten) werden von 90 Mio DM um 20 Mio
Verteidigungsausschuß zu berichten. DM auf 110 Mio DM erhöht.
Bonn, den 21. Februar 1962 2b. Der Ansatz für die Altershilfe in Höhe von
100 Mio DM im Grünen Plan wird gestrichen;
Ollenhauer und Fraktion der Betrag ist im Einzelplan 11 — Geschäfts-
bereich des Bundesministers für Arbeit und
Sozialordnung — zu veranschlagen.
4. Der Ansatz für Wirtschaftswege wird von
Anlage 12 Umdruck 28 80 Mio DM um 20 Mio DM auf Mio DM er-
höht.
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
zur dritten Beratung des von der Bundesregierung B. Die im Grünen Plan 1962 unter II. Verbesserung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur der Einkommenslage der landwirtschaftlichen Be-
Änderung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksachen völkerung angeführten Nr. 1. b) und 1. e) werden
IV/92, IV/193). wie folgt geändert:
1. b) Handelsdünger:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Ansatz von 185 Mio DM wird gestri-
Die Bundesregierung wird ersucht, chen.
dem Bundestag baldmöglichst einen Entwurf von 1. e) Gmeinschaftsmaschinen:
Regelungen vorzulegen, die vorsehen, daß
Der Ansatz von 15 Mio wird um 10 Mio DM
1. Dienstleistungen im zivilen Bevölkerungsschutz, auf 25 Mio DM erhöht.
in der Polizei und im Bundesgrenzschutz so ge-
staltet werden können, daß sie der Erfüllung der Bonn, den 21. Februar 1962
Wehrpflicht gleichgestellt werden;
Ollenhauer und Fraktion
2. die Ausbildung für einen der in Nr. 1 genannten
Zwecke nicht durch nachträgliche Heranziehung
zu einer anderen Verteidigungsleistung über-
flüssig wird;
3. die Staatsbürger, die die in Nr. 1 genannten Anlage 14 Umdruck 30
Dienstleistungen vollbringen, von der Wehr- Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung des
überwachung ausgenommen werden; Berichts der Bundesregierung über die Lage der
4. diese Staatsbürger sozialrechtlich denjenigen Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirt-
Wehrpflichtigen gleichgestellt werden, die schaftsgesetzes (Drucksachen IV/180, zu IV/180).
Grundwehrdienst leisten oder zu Wehrübungen
herangezogen werden. Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht,
Bonn, den 21. Februar 1962
im Grünen Plan 1962 für die Zinsverbilligung von
Ollenhauer und Fraktion Krediten 30 000 000 DM zur Teilumschuldung hoch
verschuldeter, entwicklungsfähiger landwirtschaft-
licher Betriebe in besonders festzulegenden Scha-
dens- und Notstandsgebieten bereitszustellen.
Anlage 13 Umdruck 29
Bonn, den 21. Februar 1962
Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung des Ollenhauer und Fraktion
Berichts der Bundesregierung über die Lage der
Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirt-
schaftsgesetzes (Drucksachen IV/180, zu IV/180).
Der Bundestag wolle beschließen:
Anlage 15 Umdruck 31
A. Die im Grünen Plan 1962 — zu Drucksache IV/
180 S. 24 — unter I. Verbesserung der Agrar- Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung des
struktur und der landwirtschaftlichen Arbeits- Berichts der Bundesregierung über die Lage der
und Lebensverhältnisse angeführten Nummern Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirt-
werden wie folgt geändert: schaftsgesetzes (Drucksachen IV/180, zu IV/180).
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 573

Der Bundestag wolle beschließen: Anlage 17 Umdruck 33


Die Bundesregierung wird ersucht, Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
zur Beratung des Berichts der Bundesregierung
1. zur gezielten Verbesserung der Einkommenslage
in den Betrieben mit ungünstigen Ertragsvor- über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5
des Landwirtschaftsgesetzes (Drucksachen IV/180,
aussetzungen die für die Zahlung einer Quali-
tätsprämie für Milch bereitgestellten Mittel um zu IV/180).
315 000 000 DM zu erhöhen. Der Bundestag wolle beschließen:
Aus diesen Mitteln sind zusätzlich zur bisherigen Der Bundestag hat den Grünen Bericht 1962 sowie
Qualitätsprämie zu zahlen: die Erklärung der Bundesregierung über die von ihr
vorgeschlagenen Maßnahmen zur Kenntnis genom-
a) 3 Pf je kg für die ersten 24 000 kg aus aner-
kannten Futterbaubetrieben im Jahr abge- men.
lieferter Milch, Wenngleich im Wirtschaftsjahr 1960/61 keine Ver-
schlechterung des Wirtschaftsergebnisses der land-
b) 2 Pf je kg für die ersten 24 000 kg aus den wirtschaftlichen Betriebe eingetreten ist, so erwei-
übrigen Betrieben im Jahr abgelieferter Milch; terte sich jedoch wieder der Einkommensabstand
2. eine Gesetzesvorlage zur Änderung des Milch- zur gewerblichen Wirtschaft. Wegen der schlechten
und Fettgesetzes (§ 12 Ausgleich) vorzulegen, um Ernteverhältnisse 1961 ist für das laufende Wirt-
die gesetzlich vorgeschriebene Annäherung der schaftsjahr (1961/62) mit seiner weiteren Vergröße-
Trink- und Werksmilchverwertung baldmöglichst rung zu rechnen.
sicherzustellen. Trotz der beachtlichen Steigerung der landwirtschaft-
lichen Arbeitsproduktivität und von Jahr zu Jahr
Bonn, den 21. Februar 1962 größeren Zuwendungen im Grünen Plan ist es der
bisherigen Agrarpolitik nicht gelungen, der Er-
Ollenhauer und Fraktion füllung des Auftrages des Landwirtschaftsgesetzes
näherzukommen.
Angesichts der Brtisseler Beschlüsse über die Ein-
Anlage 16 Umdruck 32 beziehung der Landwirtschaft in den Gemeinsamen
Markt hält der Bundestag erhöhte Anstrengungen
Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung des zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der l and-
Berichts der Bundesregierung über die Lage der wirtschaftlichen Betriebe der Bundesrepublik für er-
Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirt- forderlich. Dabei soll sich die Bundesregierung
schaftsgesetzes (Drucksachen IV/180, zu IV/180). neben agrarpolitischen und insbesondere agrar-
strukturverbessernden Maßnahmen verstärkt wirt-
Der Bundestag wolle beschließen: schafts- und kreditpolitischer Mittel mit dem Ziel
der Kostensenkung, ferner sozialpolitischer und
Die Bundesregierung wird ersucht, raumordnerischer Mittel bedienen. Direkte Förde-
die Mittel zum Wirtschaftswegebau in der Form be- rungsmittel sind mehr als bisher gezielt zu ge-
reitzustellen, daß die bisher vernachlässigten finanz- währen.
schwachen Gemeinden mehr als bisher berücksich- Der Bundestag stimmt mit der Bundesregierung dar-
tigt werden. in überein, daß aufgrund des Grünen Berichts 1962
Die Richtlinien sollen vorsehen, daß Maßnahmen gemäß § 5 des Landwirtschaftsgesetzes
in der vorgeschlagenen Höhe lerforderlich. sind.
a) die ersten 2 km pro 100 ha Wirtschaftsfläche in
einer Gemarkung bis zu 90 v. H. der Ausbau- Bonn, den 21. Februar 1962
kosten,
Ollenhauer und Fraktion
b) für die nächsten 2 km (also den 3. und 4. km) pro
100 ha bis zu 60 v. H. der Ausbaukosten,
c) für weitere Ausbaustrecken bis zu 50 v. H. der Anlage 18 Umdruck 34
Ausbaukosten
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
als Bundes- und Landesbeihilfe gewährt werden zur Beratung des Berichts der Bundesregierung über
können. die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des
Voraussetzung für Zuschüsse, die über 50 v. H. hin- Landwirtschaftsgesetzes (Drucksachen IV/180, zu
ausgehen, soll die Ausschöpfung der gemeindlichen IV/180).
Steuerkraft nach den Normalsätzen des Landes und
Der Bundestag wolle beschließen:
eine zumutbare Inanspruchnahme des vorhandenen
Gemeindevermögens sein. Die Bundesregierung hat im Grünen Plan 1962 und
im Einzelplan 10 des Bundeshaushalts 1962 be-
Bonn, den 21. Februar 1962 stimmte Umgruppierungen bei der Mittelveranschla-
gung vorgenommen. Der Bundestag begrüßt diese
Ollenhauer und Fraktion Maßnahmen und empfiehlt der Bundesregierung
574 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962

einen weiteren Ausbau in der eingeschlagenen Rich- werden konnten, in größerer Zahl zum verkürz-
tung. ten Grundwehrdienst und zu Kurzübungen oder
zur Ausbildung im Sanitätsdienst heranzuziehen
Der Normalhaushalt sollte die klassischen und der und zu diesem Zweck die Ubungsorganisation
Allgemeinheit dienenden Einnahmen und Ausgaben, der Bundeswehr auszubauen;
der Grüne Plan als ein besonderer Teil des Einzel-
planes 10 die speziellen und nur der Landwirtschaft 2. diejenigen Wehrpflichtigen, für die eine Ver-
und den in ihr Tätigen dienenden Aufwendungen wendung bei der Bundeswehr nicht vorgesehen
enthalten. Zu den letzteren gehören auch die spezi- ist, im Rahmen einer zivilen Dienstpflicht für
fischen Mittel zur Verbesserung der Agrarstruktur, den Bedarf der zivilen Landesverteidigung her-
jedoch nicht Mittel für Trinkwasserversorgung und anzuziehen und die dafür erforderlichen Gesetz-
Elektrifizierung. entwürfe bis zum 1. Oktober 1962 dem Bundes-
tag vorzulegen;
Maßnahmen zum Ausgleich von Einkommensein-
bußen infolge der Einleitung einer gemeinsamen 3. bei den von der Übergangsregelung der 2. Wehr-
Agrarpolitik in der EWG sind gesondert,. zweck- pflichtnovelle betroffenen Wehrpflichtigen einen
mäßigerweise in einem 3. Teil des Einzelplanes 10, Verlust der Ausbildungszeit nach Möglichkeit
auszuweisen. .abzuwenden;

Bonn, den 21. Februar 1962 4. durch Fortführung der Verhandlungen mit der
Ständigen Konferenz der Kultusminister sicher-
Ollenhauer und Fraktion zustellen, daß für diejenigen Wehrpflichtigen,
die den verlängerten Grundwehrdienst ableisten,
a) Maßnahmen getroffen werden, die eine un-
nötige Verzögerung des Studienbeginns ver-
Anlage 19 Umdruck 36 hindern,
b) die Anrechnung von sachdienlichen Ausbil-
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU,
dungen bei der Bundeswehr auf erforderliche
SPD, FDP zur zweiten Beratung des von der Bun-
Praktikantenzeiten erfolgt.
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes Bonn, den 21. Februar 1962
(Drucksachen IV/92, IV/193).
Dr. Jaeger
Der Bundestag wolle beschließen:
Dr. von Brentano und Fraktion
In Artikel I § 1 wird folgende Nr. 4 b eingefügt:
Dr. Mende und Fraktion
,4 b. Dem § 26 wird folgender Absatz 8 angefügt:
„ (8) Zur unentgeltlichen Vertretung von
Wehrpflichtigen vor den Prüfungsausschüssen
und Kammern für Kriegsdienstverweigerer Anlage 21 Umdruck 38
oder einem Verwaltungsgericht sind auch die
von den Kirchen und Religionsgemeinschaften, Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur
soweit sie Körperschaften des öffentlichen Beratung des Berichts der Bundesregierung über die
Rechts sind, beauftragten Personen zuge- Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Land-
lassen."' wirtschaftsgesetzes (Drucksachen IV/180, zu IV/180).

Bonn, den 21. Februar 1962 Der Bundestag wolle beschließen:


Die Bundesregierung wird ersucht,
Dr. von Brentano und Fraktion
über die vorgesehenen drei Pfennig Qualiitäts-
Ollenhauer und Fraktion
prämie für Milch einen weiteren Pfennig je kg für
Dr. Mende und Fraktion die Milch, die zu Butter, Hartschnitt- und Weichkäse,
Vollmilchpulver und Kondensmilch verarbeitet wird,
bereitzustellen.
Zur Deckung sollen die Mehreinnahmen und Min-
Anlage 20 Umdruck 37 derausgaben aus dem Gesetz zur Förderung der
deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft, soweit sie
Entschließungsantrag der Fraktionen der
durch die Verordnung des Ministerrates der EWG
CDU/CSU, FDP zur dritten Beratung des von der
für einen gemeinsamen Agrarmarkt bedingt sind,
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflicht- herangezogen werden. Für einen darüber hinaus-
gesetzes (Drucksachen IV/92, IV 193). gehenden Fehlbetrag sind zusätzliche Haushalts-
mittel zur Verfügung zu stellen.
Der Bundestag wolle beschließen:
Bonn, den 22. Februar 1962
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. diejenigen Wehrpflichtigen, die bisher nicht zur Dr. Dollinger und Fraktion
Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen Dr. Mende und Fraktion
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 575

Anlage 22 Umdruck 40 regierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß


§§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes (Druck-
Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung sachen IV/180, zu IV/180).
des Berichts der Bundesregierung über die Lage der
Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschafts- Der Bundestag wolle beschließen:
gesetzes (Drucksachen IV/180, zu IV/180).
Der Bundestag nimmt die Erklärung der Bundes-
Der Bundestag wolle beschließen: regierung sowie ihren Bericht über die Lage der
Die Bundesregierung wird ersucht, Landwirtschaft gemäß den §§ 4 und 5 des Land-
wirtschaftsgesetzes zur Kenntnis.
die im Grünen Plan 1962 unter Nr. I Verbesserung der
Agrarstruktur und der landwirtschaftlichen Arbeits- Dem Grünen Bericht ist zu entnehmen, daß die
und Lebensverhältnisse (in Fußnote 1) vorgesehene Ertragslage der Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr
Bindungsermächtigung für die Aufstockung und Aus- 1960/61 eine gewisse Besserung zeigt. Indessen ist
siedlung um 100 Mio DM auf 150 Mio DM zu er- der Abstand zum Einkommen vergleichbarer Berufs-
höhen. gruppen kaum geringer geworden. Bereits heute ist
erkennbar, daß im laufenden Wirtschaftsjahr die
Bonn, den 22. Februar 1962 Ertragslage der Landwirtschaft eine wesentliche Ver-
minderung infolge der schlechten Ernte 1961 und
Struve und Fraktion damit auch der Abstand zum Vergleichseinkommen
eine Verschlechterung erfahren wird. Dieser Sach-
lage versucht der von der Bundesregierung aufge-
Anlage 23 Umdruck 41 stellte Grüne Plan Rechnung zu tragen. Der Bundes-
tag stimmt daher den vorgesehenen Maßnahmen im
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur Grundsatz zu, jedoch mit der Maßgabe, daß neben
Beratung dies Berichts der Bundesregierung über die
anderen notwendigen Hilfen zu den vorgesehenen
Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Land-
drei Pfennig Qualitätsprämie für Milch ein weiterer
wirtschaftsgesetzes (Drucksachen IV/180, zu IV/180).
Pfennig je kg für Werkmilch bereitgestellt wird.
Der Bundestag wolle beischließen: Der Grüne Bericht läßt zwar die Anstrengung der
Die Bundesregierung wird ersucht, Landwirtschaft auf dem Wege der Selbsthilfe klar
erkennen, es werden sich aber far die Landwirtschaft
in die Richtlinien für die Gewährung von Zinsver- in Auswirkung der Brüsseler-Ministerrats-Beschlüsse
billigung für Hofkredite auch die Zinsverbilligung weitere zusätzliche Anforderungen ergeben. Der
für bereits aufgenommene, noch nicht verbilligte Bundestag erinnert in diesem Zusammenhang an
Kredite für betriebsnotwendige Investitionen ein- den von allen Fraktionen am 31. Januar 1962 im
zubeziehen. Dadurch soll die Liquidität ordnungs- Anschluß an die Regierungserklärung zu den Brüs-
gemäß geführter Betriebe sichergestellt werden. seler Beschlüssen angenommenen Entschließungs-
Bonn, den 22. Februar 1962 antrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert
wird, eine agrarpolitische Konzeption zu entwickeln,
Struve und Fraktion die die Lebensfähigkeit der deutschen Landwirt-
schaft auch im gemeinsamen ¡europäischen Markt
Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion gewährleistet.

Bonn, den 22. Februar 1962


Anlage 24 Umdruck 42
Struve und Fraktion
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/
CSU, FDP zur Beratung des Berichts der Bundes- Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion

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