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Plenarprotokoll 13/57

D eutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

57. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Tagesordnungspunkt 2:
Befragung der Bundesregierung (Be- Fragestunde
richt der Bundesregierung Aufbau Ost - - Drucksache 13/2407 vom 22. Sep-
Die zweite Hälfte des Weges: Stand und tember 1995 -
Perspektiven)
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4783 B Bessere soziale Absicherung der Pflege-
personen; Anzahl der nicht versicherungs-
Rolf Schwanitz SPD 4784 B pflichtigen Arbeitsplätze professioneller
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4784 B Pfleger im Vergleich zur Zahl der versiche-
rungspflichtigen pflegenden Angehörigen
Dr. Uwe Küster SPD 4785 A Pfleger
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4785 B MdlAnfr 3, 4
Dr. Wolfgang Wodarg SPD
Jürgen Türk F.D.P. 4785 D
Antw StSekr Karl Jung BMA 4790 C, 4791 B
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4785 D
ZusFr Dr. Wolfgang Wodarg SPD 4791 B
Christian Müller (Zittau) SPD 4786 A ZusFr Monika Ganseforth SPD 4791 D
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4786A
Manfred Hampel SPD 4787 A Unterbringung der Teilnehmer und Kosten
der Umbaumaßnahmen anläßlich des Ge-
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4787 B löbnisses in Neustadt am Rübenberge,
Jürgen Türk F.D.P. 4787 D Ortsteil Bordenau
MdlAnfr 5, 6
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4788A Monika Ganseforth SPD
Dr. Dietrich Sperling SPD 4788 B Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 4792 A, D
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4788 C ZusFr Monika Gansefort SPD 4792 B, 4793 A
Stephan Hilsberg SPD 4788 C
Äußerungen eines Bundesministers zur
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4788D Lira mit der Folge von Währungsturbulen-
Wolfgang Ilte SPD 4789 B zen; Schaffung stabiler Kursrelationen
zwischen den dominierenden Wirtschafts-
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4789 C nationen USA, Japan und Deutschland
Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 4789 C MdlAnfr 22, 23
Hans Büttner (Ingolstadt) SPD
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4789 D
Antw PStSekr Dr. Kurt Faltlhauser
Wieland Sorge SPD 4790 A BMF 4793 D, 4795 C
4790 ADr.GünteRxod,BusmiterMW ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 4794 C
II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

ZusFr Joseph Fischer (Frankfurt) BÜND Anlage 4


NIS 90/DIE GRÜNEN 4795 A
Haltung der Bundesregierung zum Richt-
ZusFr Dr. Barbara Höll PDS 4795 B linienvorschlag der EG-Kommission über
die Tabakwerbung
Zusatztagesordnungspunkt 1:
MdlAnfr 7, 8 - Drs 13/2407 -
Aktuelle Stunde betr. aktuelle Schwie- Friedrich Merz CDU/CSU
rigkeiten des europäischen Einigungs- SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg-
prozesses und die Haltung der Bundes- mann-Pohl BMG 4814* D
regierung
Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 4796 B Anlage 5
F ri ed ri ch Merz CDU/CSU 4797 B Zukunft des Bundesamtes für Zulassun-
gen im Telekommunikationsbereich in
Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 4798 A
Saarbrücken
Dr. Helmut Haussmann F.D.P 4799 A
MdlAnfr 11, 12 - Drs 13/2407 -
Manfred Müller (Berlin) PDS 4800 A Elke Ferner SPD
Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ SchrAntw PStSekr Dr. Paul Laufs BMPT 4815* A
DIE GRÜNEN 4800 D
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 4801 D
Anlage 6
Peter Altmaier CDU/CSU 4803 D
Summe der an Eltern von Studierenden
Dr. Norbe rt Wieczorek SPD 4805 A aus öffentlichen Mitteln gezahlten jähr-
Dr. Ma rt in Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ lichen Aufwendungen (BAföG, Kindergeld
CSU 4806 C usw.)
Jörg-Otto Spiller SPD 4807 C MdlAnfr 13 - Drs 13/2407 -
Michael Stübgen CDU/CSU 4808 B Stephan Hilsberg SPD

Uwe Hiksch SPD 4809 B SchrAntw PStSekr Bernd Neumann BMBF 4815* C
Hans Michelbach CDU/CSU 4810 B
Anlage 7
Nächste Sitzung 4811 C
Finanzielle Förderung des Besuchs von
Kollegs und vergleichbaren Schulen
Berichtigung 4811
MdlAnfr 14, 15 - Drs 13/2407 -
- Hanna Wolf (München) SPD
Anlage 1
SchrAntw PStSekr Bernd Neumann BMBF 4816* A
Liste der entschuldigten Abgeordneten 4813* A

Anlage 8
Anlage 2
Jährliche Mindereinnahmen der öffent-
Einführung von Personalinformationssy- lichen Kassen durch indirekte Transfers an
stemen in den Bundesministe rien und Not- Familien mit studierenden Kindern in
wendigkeit einer monatlichen Übermitt- Form von Kinder- und Ausbildungsfreibe-
lung personenbezogener Daten auch von trägen
nachgeordneten Bundesämte rn
MdlAnfr 21- Drs 13/2407 -
MdlAnfr 1 - Drs 13/2407 -
Stephan Hilsberg SPD
Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN SchrAntw PStSekr Dr. Kurt Faltlhauser
SchrAntw PStSekr Dr. Horst Waffen- BMF 4816* B
schmidt BMI 4813* D
Anlage 9
Anlage 3 Ausbau der Güterverkehrszentren; An-
Wirksamkeit der Werbemaßnahmen der schluß des Bahnterminals im Gütere
vr-
Centralen Marketinggesellschaft der deut- kehrszentrum Erfurt-Vieselbach
schen Agrarwirtschaft mbH MdlAnfr 24, 25 - Drs 13/2407 -
MdlAnfr 2 - Drs 13/2407 - Norbert Otto (Erfu rt ) CDU/CSU
Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Manfred Carstens
SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 4814* B BMV 4816* C
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 III

Anlage 10 Anlage 11
Kostenträger für den Bau von Liegeplät- Auswirkungen der Kürzungen im Ver-
zen für Fahrgastschiffe am Main-Donau- kehrshaushalt 1996 auf den Ausbau der
Kanal; Verpflichtung zum Ausbau von ICE-Strecke Pa ris-Metz-Saarbrücken-
Straßen auf Grund des in der neueren Kaiserslautern; Baubeginn der Teilstrecke
Rechtslehre gesehenen „Grundrechts auf Saarbrücken- Mannheim
Mobilität"
MdlAnfr 26, 27 - Drs 13/2407 - MdlAnfr 28, 29 - Drs 13/2407 -
Horst Kubatschka SPD Dr. Hansjörg Schäfer SPD

SchrAntw PStSekr Manfred Carstens SchrAntw PStSekr Manfred Carstens


BMV 4816* D BMV 4817* C
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4783

57. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Beginn: 13.03 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Marktwirtschaft in den neuen Ländern große Fo rt
und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. -schritebmAufaOnürsehbid.A
das ist nur die erste Hälfte des Weges. Es wird deut-
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, lich gesagt: Es gibt noch eine zweite Hälfte des We-
teile ich Ihnen mit, daß für die Fragestunde nur noch ges, und das wird ebenfalls eine schwierige Weg-
wenige Fragen zur mündlichen Beantwortung vorlie- strecke sein. Wir dürfen die Augen nicht davor ver-
gen. Ich gehe davon aus, daß die Fragestunde nur schließen, daß noch viel zu tun ist.
etwa 30 Minuten dauern wird. Um ohne Unterbre-
chung mit der Aktuellen Stunde beginnen zu kön- Ziel bleibt, eine Wi rtschaft zu entwickeln, die aus
nen, bitte ich die Parlamentarischen Geschäftsführer, eigener Kraft wettbewerbsfähig ist. Ziel bleibt vor al-
dafür Sorge zu tragen, daß die vorgesehenen Redner lem, die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Die Förde-
rechtzeitig anwesend sind. Gerade wird mir gesagt, rung und der Aufbau der neuen Länder müssen zen-
die Aktuelle Stunde werde gegen 14 Uhr beginnen. trale Anliegen deutscher Politik bleiben.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Wir sagen dann in der Bilanz etwas, was weitge-
hend bekannt ist, nämlich daß der Aufbau bisher in
Befragung der Bundesregierung vielen Bereichen eine Erfolgsstory war, daß ein Enga-
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen gement der ostdeutschen Bevölkerung und deren
Kabinettsitzung mitgeteilt: Be ri cht zum Aufbau Ost - Veränderungsbereitschaft wichtigste Grundlage für
den bisherigen Aufbau war, daß daneben natürlich
die zweite Hälfte des Weges: Stand und Perspekti-
ven; Be ri cht über Vorsorgemaßnahmen für den auch viele private und unternehmerische Hilfen aus
Hochwasserschutz. Westdeutschland hinzukamen und daß auch die öf-
fentlichen Finanzierungen der Infrastruktur nicht zu
Das Wort für den einleitenden Be richt hat der Bun- vergessen sind.
desminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
Wir glauben, daß eine gute Bilanz mit vielen positi-
ven Beispielen gezogen werden kann; aber es gibt
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: auch viele Probleme. Von den positiven Beispielen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nenne ich hier nur eine Auswahl, nämlich das kräf-
Herren! Der Bericht zum Aufbau Ost wird nicht nur tige Wachstum von 20 % in 1994 und insbesondere
aus Anlaß des fünften Jahrestages der Vereinigung die Erholung der Industrie - auf niedrigem Niveau,
vorgelegt; wir halten es auch für notwendig, den das muß einschränkend gesagt werden. Die Privati-
Standpunkt der Bundesregierung in der oft kontro- sierung ist weitgehend abgeschlossen. Wir haben in
versen Diskussion über die Förderung der neuen Ostdeutschland einen Existenzgründungsboom. Der
Bundesländer und ihre Erfolge klarzumachen. Infrastrukturausbau ist erstaunlich vorangekommen.
Dieser Bericht enthält eine kurze Bilanz der letzten Die persönlichen Lebensverhältnisse haben sich ver-
fünf Jahre, vor allem aber Vorstellungen über die bessert. Auch die Lage am Arbeitsmarkt ist bei ins-
Entwicklung in den neuen Ländern in den nächsten gesamt unbef ri edigender Situation besser geworden.
Jahren. Ich möchte in diesem Zusammenhang be-
kanntgeben, daß wir einen parteiübergreifenden Ge- Probleme bleiben: Die Eigenleistungsfähigkeit der
sprächskreis von Persönlichkeiten aus Ost- und ostdeutschen Wirt schaft ist sehr gering. Wir haben
ein Defizit in Lieferungen und Leistungen von sage
Westdeutschland berufen haben, um die Politik für
und schreibe 220 Milliarden DM. Es gehen also, in
die neuen Länder in den nächsten Jahren auch auf
der Größenordnung von 220 Milliarden DM mehr
diese Weise mit Sachverstand begleiten zu lassen.
Waren und Dienstleistungen in die neuen Länder
Der Inhalt des Berichts ist wie folgt: Wir können sa- hinein, als aus ihnen herauskommen. Produktivität
gen, daß fünf Jahre nach der Wiedervereinigung und Einkommen klaffen auseinander. Die Lohn-
Deutschlands und der Einführung der Sozialen stückkosten sind erheblich höher. Die indust ri elle Ba-
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodt


sis ist nach wie vor zu schmal. In vielen Bereichen Deshalb ist es - wenn ich mir erlauben darf, das zu
fehlt Eigenkapital. Die Forschungslandschaft ist sagen - aus Ihrer Partei heraus immer wieder als An-
nicht so, wie wir uns das wünschen. Auch bei der In- regung zu hören gewesen, diese A rt der Förderung
frastruktur ist noch viel zu tun. herunterzufahren, und das tun wir denn auch.
Aus diesen Tatsachen heraus, aus den Problemen, (Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine gute Erkennt
aber auch aus den Erfolgen, wollen wir die Konse- nis!)
quenz ziehen: Die wachstumsorientierte Politik im
Osten Deutschlands muß fortgesetzt werden. Wir Rolf Schwanitz (SPD): Herr Bundesminister, wird
wollen und werden die Wi rt schaftsförderung auf das denn der Bericht, über den Sie uns heute informiert
verarbeitende Gewerbe konzentrieren. Wir wollen haben, insofern Konsequenzen haben, als einige
sie für den Zeitraum 1997/98 um 15 Milliarden DM Kürzungen, die wir momentan im Bundeshaushalts-
im Volumen herunterfahren, was aber immer noch entwurf für 1996 diskutieren und die Ostdeutschland
hohe Beträge bedeutet. Wir wollen die Rahmenbe- betreffen, so nicht in Kraft treten werden?
dingungen für die Investoren durch ein übersichtli-
ches Fördersystem berechenbar halten bzw. kalku-
lierbar machen. Wir wollen vor allen Dingen dafür Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft:
sorgen, daß in Bereichen, in denen noch aufzuholen Herr Abgeordneter, da müßten Sie mir bitte einmal
ist, z. B. im Bereich Eigenkapitalausstattung der Un- helfen. Welche Kürzungen meinen Sie, die mit Blick
ternehmen, entsprechende Förderprogramme auf ge- auf Ostdeutschland nicht in Kraft treten sollen?
legt werden. - Ich werde diese in wenigen Tagen vor-
stellen. - Der Ausbau der Infrastruktur muß voran- Rolf Schwanitz (SPD): Ich meine z. B. das Kürzen
kommen. Im Umweltbereich ist unermeßlich viel ge- der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
leistet worden. regionalen Wirtschaftsstruktur" um 500 Millionen
DM.
Dennoch sind die Aufgaben, die vor uns liegen,
riesig. Vor allem steht an, daß die weitgehend zusam-
mengebrochene Forschungslandschaft in Ost- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
deutschland eine neue Befruchtung erfährt, sowohl Die Gemeinschaftsaufgabe sollte - das kann man ja
in den Unternehmen als auch in den Instituten, in ruhig sagen - nach den ursprünglichen Vorstellun-
den Forschungs-GmbHs, in den Universitäten und gen des Kollegen Waigel und einiger anderer um ei-
sonstigen Einrichtungen. Dafür sind die Weichen nen sehr viel höheren Betrag gekürzt werden, eben
richtig gestellt. Mittel stehen zur Verfügung. Wir aus den Gründen, die ich Ihnen genannt habe. Die
brauchen weiterhin Akzeptanz und Solidarität im Gemeinschaftsaufgabe finanziert auch Gewerbe-
Westen. Wir vertrauen auf die Kreativität und die Lei- parks, bestimmte Infrastrukturmaßnahmen, von de-
stungsbereitschaft der Menschen im Osten. nen man zu Recht annehmen kann, daß sie weit ge-
nug vorangekommen sind. Es ist in der Koalition ge-
lungen, Übereinstimmung darüber zu erzielen, daß
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Danke, Herr Mi-
der ursprüngliche Kürzungsansatz ganz erheblich re-
nister.
duziert wird und daß wir es bei einer Kürzung um
-
Zur ersten Fragestellung hat der Kollege Schwa- nur 500 Millionen DM belassen. Wenn ich „nur"
nitz das Wo rt . sage, dann muß man sich die Dimensionen der Ge-
meinschaftsaufgabe vor Augen halten. Es sind im-
merhin 7 Milliarden DM, die do rt zur Verfügung ge-
Rolf Schwanitz (SPD): Herr Bundesminister, ich
stellt werden - bei einem Ansatz der Gemeinschafts-
möchte Sie fragen: Wie paßt es denn zusammen, daß
aufgabe für Westdeutschland, d. h. für die alten Län-
Sie auf der einen Seite heute in Ihrem Be richt konsta-
der, von 700 Millionen DM. Daß dabei Akzeptanzpro-
tieren, es gebe eine zweite Hälfte des Weges, und
bleme entstehen und Diskussionsbedarf entsteht,
auf der anderen Seite gleichzeitig ausführen, daß Sie
muß bitte auch gesehen werden. 90 % oder sogar
die Wirtschaftsförderung für den Osten weiterhin
mehr als 90 % der Mittel, die über die Gemein-
herunterfahren wollen, so wie es im Jahressteuer-
schaftsaufgabe vergeben werden, gehen in die
gesetz passiert ist? neuen Bundesländer.

Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft: Rolf Schwanitz (SPD): Ich möchte noch eine Zu-
Herr Abgeordneter, das paßt insofern zusammen, als satzfrage stellen. Herr Minister, nachdem Sie uns
ich gesagt habe, wir haben nicht nur Probleme, son- jetzt dargestellt haben, daß es gerade bei der Fra-
dern auch riesige Erfolge. Es ist auch fast überein- ge der Gemeinschaftsaufgabe offensichtlich unter-
stimmend Auffassung in den neuen Ländern, daß be- schiedliche Intentionen zwischen dem Bundesmini-
stimmte Bereiche der Wirtschaftsförderung, bei- ster der Finanzen und Ihnen gegeben hat, möchte
spielsweise der Bau von Bürohäusern ich Sie fragen, welche Intentionen denn nun für die-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Leerstand!) sen konkreten Haushaltsansatz die entscheidenden
waren. Was war denn maßgeblich auch vor dem Hin-
oder von Einkaufszentren oder auch von Hotels, der tergrund des Berichtes, den Sie vorgelegt haben?
steuerlichen und sonstigen Förderung nicht mehr
wie in der Vergangenheit bedürfen.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft:
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!) Herr Abgeordneter, das ist - wie so häufig - ein Kom-
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
promiß; in diesem Fall, wie ich meine, ein guter Kom- heute darin, daß ihr Exportanteil so gering ist. Er ist
promiß, mit dem wir leben können, mit dem auch in viel, viel geringer und macht nur einen Bruchteil
Ostdeutschland weiterhin gute Politik gemacht wer- der Exportleistung der westdeutschen Wi rtschaft, der
den kann, und zwar in dem Sinne, daß alle anfinan- westdeutschen Indust rie aus.
zierten Projekte weiterfinanziert werden können und
daß ein erheblicher Bewilligungsrahmen für neue Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage, Herr
Projekte zur Verfügung steht. Wir können niemals Küster.
ein Maximum realisieren. Das geht nicht. Ich gab Ih-
nen zu verstehen, daß auch ich mir einen höheren
Ansatz gewünscht hätte. Wir können nicht alles reali- Dr. Uwe Küster (SPD): Das würde doch bedeuten,
sieren, was wir für wünschenswert halten. Aber der daß Sie gerade dem Bereich der Markteinführung
Kompromiß, wie er gefunden ist - dabei reflektiere von Industrieprodukten und der Exporthilfen beson-
ich auch das, was aus dem Osten kommt -, ist ein dere Aufmerksamkeit zuwenden und dementspre-
Kompromiß, mit dem wir leben können. chend auch Haushaltsmittel bereitstellen müßten.
Das ist eigentlich eine Aufgabe, die man in den letz-
ten Jahren kaum entwickelt hat. Hier müßte man
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Danke. - Bitte, Kol- doch gezielt Mittel zur Verfügung stellen.
lege Küster.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
Dr. Uwe Küster (SPD): Herr Bundesminister, ich Ich muß dazu sagen, daß wir in dieser Beziehung viel
freue mich, daß Sie gesagt haben, wir brauchen Soli- machen und daß die diesbezüglichen Etatansätze,
darität. Ich würde mich noch mehr freuen, wenn Sie soweit ich das in den Details in Erinnerung habe,
sagten, wir brauchen den Solidaritätszuschlag ein auch nicht gesenkt worden sind. Wir tun unheim lich
bißchen länger, als Sie bisher behauptet haben, um viel, um die Absatzförderung aufrechtzuerhalten
einfach auch Herrn Waigel zu helfen, die Kasse wie- und erfolgreich zu gestalten, beispielsweise durch
der in Ordnung zu bringen. die Finanzierung der Teilnahme an Inlands- oder
Auslandsmessen. Wir haben in den Auslandshan-
Nun aber zu der Frage. Sie haben eine Reihe von delskammern überall in der Welt Beschäftigte einge-
Defizitbereichen aufgezählt. Ich finde es gut, daß Sie stellt, die sich nur darum kümmern, daß Ost-Pro-
sehr genau wissen, wo eigentlich Bedarf besteht. Ich dukte in den jeweiligen Märkten eingeführt werden.
möchte auf folgenden Punkt hinaus: 220 Milliarden Wir machen Absatzberatung in größerem Umfang.
DM Defizit pro anno. Können Sie differenzieren, wel- Bitte legen Sie mich jetzt nicht genau fest - ich habe
che Bereiche besonders defizitär sind, welche beson- nicht jede Etatposition im Kopf -: Meines Erachtens
ders entwickelt werden müßten und auf welche Sie ist der Ansatz in den Jahren 1994, 1995 und 1996 mit
Ihre besondere Aufmerksamkeit verwenden sollten? jeweils 65 Millionen DM konstant geblieben.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Danke.

- Kollege Türk.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
Sehr gern, Herr Abgeordneter. Die Defizite bestehen Jürgen Türk (F.D.P.): Herr Minister, wir sind uns ja
insbesondere bei industriellen Erzeugnissen und bei darin einig, daß die Industrieforschung in Ost-
Dienstleistungen, die üblicherweise überregional er- deutschland eine wichtige Sache ist. Wie sonst soll
bracht werden. Es ist ja gelungen, den örtlichen Be- der Absatz gesteigert werden, wenn nicht über neue
darf durch insgesamt 500 000 neue mittelständische Produkte? Sehen Sie in der Haushaltsbereinigung ei-
Existenzen weitgehend vor Ort zu decken. Auch in nen Spielraum für eine Erhöhung des diesbezügli-
der Bauwirtschaft ist ein hohes Maß an Eigenversor- chen Etatpostens, zumal wir wissen, daß Ostdeutsch-
gung erreicht. Ich schränke das wie folgt ein: Es gibt land bisher nur mit einem Anteil von 2,5 % an den
natürlich auch sehr viele Töchter von westdeutschen gesamten Ausgaben für ganz Deutschland bedacht
Großunternehmen, die dort tätig sind. Aber das wird ist?
ja mit Arbeitskräften und Arbeitsmaterial aus der Ge-
gend gemacht.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
Es ist ebenfalls gelungen, im Bereich von Nah Herr Türk, Sie sprechen mir aus der Seele, wenn Sie
rungs- und Genußmitteln den Eigenbedarf in den auf die ostdeutsche Forschungslandschaft abstellen,
Städten und auf dem Lande weitgehend durch ei- die in der Tat noch lange nicht so sein wird, wie wir
gene Produkte zu decken. Es verhält sich also nicht uns das wünschen. Zwar sind die Etatansätze, die wir
mehr so wie unmittelbar nach der Wende, als selbst haben, gut und wichtig, aber ich mache keinen Hehl
Fleisch und Milch oder Milchprodukte wie Joghurt daraus - wenn Sie mich schon einmal fragen -, daß
aus Westdeutschland angefahren wurden. Aber in ich mir wünsche, daß sich das Parlament in der einen
der industriellen Produktion und bei wichtigen oder anderen Richtung bei den entsprechenden För-
Ingenieurleistungen, etwa beim Anlagebau und bei derprogrammen zu einer Aufstockung entschließt,
Engineering-Leistungen, erfolgt eben eine weitge- insbesondere in den Bereichen, wo wir die Einstel-
hende Zulieferung aus Westdeutschland oder dem lung von Forschungspersonal bei kleinen und mittle-
Ausland. Auf der anderen Seite besteht eine ganz ren Unternehmen fördern. Hier haben wir ja Kür-
große Schwäche der ostdeutschen Wirtschaft bis zungen hinnehmen müssen, die nicht gravierend
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodt


sind, von denen ich aber sagen muß, daß es schön weise differenzieren. Es gibt auch in diesem Bereich
wäre, wenn es sie nicht gäbe. solche und solche, und es gehört einfach zu einer fai-
ren Berichterstattung, daß Banken bei ihren Engage-
ments auch viel Geld verloren haben.
Jürgen Türk (F.D.P.): Vielen Dank.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber unter dem
Strich sind die Zahlen immer noch
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster der schwarz! )
Kollege Müller aus Zittau.
- Ja, sie haben auch viel gewonnen - viel verloren
und viel gewonnen. Das muß man sehen. Ich sage
Christian Müller (Zittau) (SPD): Herr Bundesmi- das ganz differenziert.
nister, wir stimmen in der Beurteilung der Situation
sehr überein, daß es in der nächsten Zeit darauf an- Wir würden uns dennoch wünschen, daß die Kapi-
kommt, eine zweite Phase, die ich für mich „Verste- talfonds der Banken und die Banken selbst mit mehr
tigung gegründeter Existenzen" nennen möchte, in Risikofreude an die Finanzierung herangingen. Wir
Ostdeutschland zu ermöglichen. Sie erwähnten zu haben in den Runden beim Bundeskanzler immer ge-
Recht die mangelnde Kapitalausstattung als eines worben. In x anderen Runden hat die Politik darauf
der Hauptprobleme. Wenn man einmal von dem vor- hingewirkt. Anweisen können wir Banken nicht. Wir
gesehenen Kapitalsammelfonds absieht, möchte ich können auch Staatsbanken nicht anweisen. Die
gerne von Ihnen wissen, welche Wege Sie einschla- Staatsbank oder welche Bank auch immer sagt dann:
gen würden, um den Existenzgründern und denen, Wir übernehmen den Kredit, aber das Ausfallrisiko
die bereits Existenzen aufgebaut haben, den Weg zu übernimmst du als der Staat. Dann können wir gleich
Banken zu erleichtern. Könnten Sie sich auch einen eine Staatsfinanzierung machen. Wir haben auch Ga-
Weg vorstellen, der dahin führte, die staatlichen Ban- rantiefonds. Es gibt, wie Sie wissen, auch Staatsban-
ken, die Landesbanken, auf direkterem Wege in die ken und Garantiebanken des Bundes und der Län-
Geschäftsbeziehungen zu solchen Existenzgründern der. Sie alle sind involvie rt .
einzubeziehen, da sich die regionalen Geschäftsban-
Herr Abgeordneter Müller, alles in allem sind do rt
ken in Ostdeutschland bekanntlich sehr schwer tun, Defiztvorhand.Bu ieLändr-
überhaupt unter zumutbaren Konditionen Kunden
abhängig von der Couleur; es hat gar nichts mit poli-
anzunehmen?
tischer Couleur zu tun - versuchen da ihr Bestes. Wir
können die Banken nicht anweisen. Wir können im-
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: mer nur darum werben, daß sie ihr Engagement und
Herr Abgeordneter Müller, in der Analyse stimme ich ihre Risikofreude verbessern.
mit Ihnen weitgehend überein. Ich wi ll hierzu zu-
nächst sagen: Wir dürfen nicht Fremdkapital und Ei- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage, Herr
genkapital durcheinander bringen. Eigenkapital ent- Müller.
steht durch nicht ausgeschüttete Gewinne und damit
letztlich durch eine günstige Ertragssituation. Daß so
wenig Eigenkapital zur Verfügung steht - was im Christian Müller (Zittau) (SPD): Herr Minister, Sie
übrigen statistisch angreifbar, faktisch aber schon so erwähnten, daß Sie in den nächsten Tagen Ihre
ist -, hängt damit zusammen, daß die Unternehmen neuen Vorschläge hinsichtlich der Eigenkapitalförde-
jung sind, keine hohen Gewinne machen und damit rung vorzustellen gedenken. Könnten Sie uns ein
keine innere Finanzkraft entwickeln und keine Re- paar Impressionen davon geben, in welche Richtung
serven bilden konnten. Eigenkapitalbildung wird da- dies zielt?
durch am besten befördert, daß man die Ertragssitua-
tion der Unternehmen verbessert, daß sich also die Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
Märkte entsprechend entwickeln und daß die Steu- Das kann ich sehr gerne, Herr Abgeordneter Müller.
ergesetzgebung entsprechend angelegt ist. Es wird ein Fonds sein, der dadurch gebildet wird,
daß Unternehmen oder natürliche Personen, die
Aber wir stellen darüber hinaus - Sie haben das Geld in diesen Fonds einzahlen, einen steuerlichen
schon angedeutet - eigenkapitalähnliche Mittel von Anreiz erhalten, also eine bestimmte Summe steuer-
außen zur Verfügung. Es kann nicht Eigenkapital mindernd geltend machen können, und daß dieser
sein, da es immer Kapital von außen ist, das aber ei- Fonds, der wahrscheinlich bei der Kreditanstalt für
genkapitalähnlichen Charakter hat. Das macht die Wiederaufbau angesiedelt sein wird, seinerseits ei-
Treuhandanstalt, das machen bestimmte Fonds aus genkapitalähnliche Darlehen für solche Unterneh-
Privatmitteln und das soll jetzt noch einmal über ei- men zur Verfügung stellt, die dieses Eigenkapital
nen 500-Millionen-Fonds, der durch steuerliche An- brauchen, und zwar zu einem günstigen Zinssatz,
reize gebildet wird, vorgenommen werden. mit einer tilgungsfreien Zeit und unter Risikoge-
Sie sprechen dann das Problem der Bankenfinan- sichtspunkten, die besser sind als das, was wir jetzt
zierung an. Das ist in aller Regel Fremdfinanzierung. üblicherweise am Markt finden.
Hier kann ich Ihnen in der Einschätzung nur folgen.
Wir alle würden uns wünschen, daß die Banken beim Christian Müller (Zittau) (SPD): Herr Minister, Sie
Herangehen an Finanzierungsfälle im Osten risiko- haben in einer vorherigen Antwort Ihre Übereinstim-
freudiger wären als bisher. Aber wenn man hier „die mung auch damit bekundet, daß es sehr darauf an-
Banken" und „risikofreudiger" sagt, muß man fairer- kommt, den ostdeutschen Unternehmen den überre-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4787
Christian Müller (Zittau)
gionalen Absatz zu erleichtern, weil sie in der Regel der richtigen Weise unbürokratisch und risikofreudig
zu wenig Kräfte im finanziellen wie auch im perso- über diejenigen, die sie anzulegen haben, verteilt
nellen Bereich besitzen, um in fremde Märkte einzu- werden und in die Unternehmen kommen. Da habe
dringen. Warum, Herr Minister, wurde dann eigent- ich das Meine schon auf die Frage des Abgeordneten
lich im Haushaltsansatz die Absatzförderung der Müller gesagt. Der Geldmangel ist, was die öffentli-
Ostprodukte um 20 Millionen DM gekürzt? chen Programme angeht, nicht das Entscheidende.
Das Entscheidende ist die richtige, unbürokratische
und risikofreudige Plazierung.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft:
Das ist ein Abwägungsprozeß, Herr Abgeordneter Dieser Fonds wird 500 Millionen DM zusätzlich
Müller. Jetzt müßte ich letztlich wieder auf die Krite- bringen. Herr Kollege, das ist eine Menge Geld. Dies
rien von Maast ri cht abstellen, die es unmöglich ma- in einer Art und Weise unterzubringen, daß es greift,
chen, die Nettoneuverschuldung über 60 Milliarden wird zunächst eine große Anstrengung sein. Da
DM hinaus zu erhöhen. Da müssen alle Ministe ri en braucht nicht aufgestockt zu werden. Nun wollen wir
Opfer bringen. Wir haben an anderer Stelle große erst einmal sehen, wie es läuft. Die Hauptsache ist, es
Opfer gebracht. Hier war es ein kleines Opfer. Ich läuft unbürokratisch. Das ist das Entscheidende.
möchte Ihnen aber gar nicht widersprechen, wenn
Sie sagen: Es ist ein Opfer.
Manfred Hampel (SPD): Herr Minister, gestatten
Sie mir noch eine weitere Frage? - Ich möchte noch
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter einmal auf die Gemeinschaftsaufgabe Aufschwung
Hampel. Ost zu sprechen kommen. Verschiedene Informatio-
nen, die an mich seitens der Länder herangetragen
wurden, sprechen vehement dagegen, diese Kür-
Manfred Hampel (SPD): Herr Minister, ich komme
zung von 500 Millionen DM im Vergleich zum Vor-
noch einmal auf das Eigenkapitalhilfeprogramm zu-
jahr vorzunehmen. Eine Reihe von Ländern haben
rück, das Sie angekündigt haben. Ich halte es für
angeblich in ihren Haushalt Mittel eingestellt, die
richtig und gut, daß etwas Derartiges auf den Weg
ungefähr der Höhe der Ausgaben des Jahres 1995
gebracht wird. Wir haben schon lange darauf ge-
entsprechen - in der Erwartung, daß diese Mittel,
drängt. Meine Frage ist: Wann wird es greifen? Sie
weil der Bedarf nun einmal da ist, auch in 1996 ein-
sagten: Es wird steuerliche Vergünstigungen geben.
gestellt werden würden. Treten die Länder in dieser
Wenn man sich den Gesetzgebungsprozeß ansieht,
Hinsicht an Ihr Haus heran, um diesen Etat in ent-
dann dauert es eine geraume Zeit. Wenn man ande-
sprechender Weise aufzustocken?
rerseits bedenkt, daß sich die Zahl der Insolvenzen
im letzten Jahr im Vergleich zum Vorjahr mehr als
verdoppelt hat, und das in Bereichen, die eigentlich Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft:
in der Vergangenheit als Wachstumsträger anzuse- Diese Regelung stellt ja auf eine 50/50-Finanzierung
hen waren - im Baugewerbe, im Hotel- und Gaststät- ab. Es gibt den Wunsch einiger Länder, den Etatan-
tengewerbe und auch im Handel -, dann wäre es satz insgesamt nicht zu senken, ihn auf der alten
doch notwendig, ein solches Eigenkapitalhilfepro- Höhe zu lassen. Das aber ist aus fiskalischen Grün-
gramm schnell auf die Beine zu stellen. Das ist das den nicht möglich gewesen. Das mag bedauerlich er-
eine. scheinen, aber ich sage noch einmal: Es werden
7 Milliarden DM - 7 000 Millionen DM! - zur Verfü-
(Vo rs i t z: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) gung gestellt. Das ist in der gegenwärtigen Haus-
Das andere ist: Sicherlich sind auch Zinsverbilli- haltssituation viel Geld. Man kann sich die Bereitstel-
gungen, Zinszuschüsse vorgesehen. Heute Nachmit- lung weiterer 500 Millionen DM wünschen - mach-
tag beraten wir im Ausschuß den Einzelplan 09. Da bar war es nicht.
ist es gar nicht mehr möglich, in den Haushalt 1996 Bei allem Bedauern, das ich als Wi rt schaftsminister
noch irgendwelche Mittel einzustellen. Wie sehen ob dieser Kürzung empfinde: Daraus werden keine
Sie das? nachhaltigen Nachteile für ostdeutsche Unterneh-
men oder für Projekte, die auf dem Tisch liegen oder
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft: angedacht sind, entstehen.
Herr Kollege, zunächst zu dem, was die Schnellig-
keit, die Geschwindigkeit der Verabschiedung an- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt hat der Kol-
geht: Wir haben diesen Eigenkapitalfonds im Jahres- lege Türk das Wo rt .
steuergesetz beschlossen. Die gesetzgeberischen
Vorarbeiten sind abgeschlossen. Am 10. Oktober
1995 werde ich diesen Fonds gemeinsam mit dem Jürgen Türk (F.D.P.): Herr Minister, es ist ja unbe-
Vorstandsvorsitzenden der KfW in Berlin vorstellen. streitbar ein Erfolg, daß ab 1996 die Mehrwertsteuer
Ab dann läuft dieser Fonds. für einen Auftrag erst abgeführt werden muß, wenn
die Rechnungen bezahlt worden sind. Gibt es eine
Herr Kollege, ich darf noch einmal darauf aufmerk- Chance, diese Regelung dergestalt zu ändern, daß
sam machen: Es mangelt, was die Ausstattung der sie auch für Unternehmen mit mehr als 1 Million DM
ostdeutschen Wi rt schaft mit Innovationskrediten, In- Jahresumsatz gilt? Diese Regelung hilft natürlich vie-
vestitionskrediten, Existenzgründungsdarlehen und len, aber ein Bauunternehmer kann mit der Grenze
auch eigenkapitalähnlichen Beträgen angeht, nicht von 1 Million DM nicht viel anfangen. Gibt es diesbe-
an Geld. Worauf es ankommt, ist, daß diese Mittel in züglich eine Chance?
4788 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt Wirtschaftsministers jemandem überlassen, der diese
-schaft:HerAbgodnTük,esiChanc Risikofreude, die Sie dann zeigen würden, besser un-
gibt, ist eine Frage, die an die Parlamentarier zu terstützt als nur durch werbende Sprüche, die Sie
richten ist. Sicherlich gibt es eine Chance, aber sie den Banken zukommen lassen?
ist nicht allzu groß. Denn wir haben ja die Umsatz-
grenze, unterhalb der die Abführung erst bei Vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
lage der Rechnung erfolgen muß, von 250 000 DM BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
auf 1 Million DM erhöht. Das war ein großer
Kampf. Ich bedanke mich gerade auch in Ihre Rich- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
tung für die Unterstützung, die wir in dieser Frage Herr Abgeordneter Sperling, diesem Vorschlag
erhalten haben. würde ich sehr gern nachkommen. Ich sehe mich für
die neue Aufgabe aber nur dann richtig gerüstet und
Mich haben viele Unternehmen wissen lassen,
gewappnet, wenn ich vorher einen mehrere Monate
daß sie in dieser Vervierfachung der Umsatzgrenze
umfassenden Kursus über Risikofreude, den Sie ge-
eine große Hilfe sehen. Nun wollen wir erst einmal
ben, absolvieren könnte.
die fruchtbaren Wirkungen dieser Erhöhung abwar-
ten. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Dr. Dietrich Sperling [SPD]: Ich gehe mit Ih
nen! Das machen wir gemeinsam!)
Jürgen Türk (F.D.P.): Eine Zusatzfrage. Es ist un-
bestritten, daß die Existenz neuer Unternehmen - Aber Sie werden doch hier gebraucht, Herr Abge-
auch davon abhängig ist, ob die erbrachte Leistung ordneter Sperling.
sofort bezahlt wird. Das verstehe ich unter Lei-
stungsprinzip. Aber Sie wissen, daß die Schwierig- (Dr. Diet rich Sperling [SPD]: Darüber könn
keiten mit diesem Problem wachsen. Sind Sie mit ten wir reden!)
mir der Meinung, daß wir ernsthafte Schritte gegen
diese wachsende Zahlungsunmoral unternehmen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
müssen? jetzt der Kollege Hilsberg.

Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Stephan Hilsberg (SPD): Herr Minister Rexrodt,
Ich teile Ihre Auffassung, Herr Abgeordneter Türk. wir hören mit Freude, daß Sie sich inzwischen auch
Die Bundesbehörden sind angewiesen, fällige Rech- der ostdeutschen Forschungslandschaft widmen
nungen unverzüglich zu bezahlen. Die Beschwerden wollen. Sie gehören einer Regierung an, die über
gehen auch nicht in Richtung der Zahlungsmoral des weite Strecken mitverantwortlich dafür ist, daß der
Bundes, sondern in Richtung der Zahlungsmoral der Anteil der ostdeutschen Forschungslandschaft im au-
Länder und der Kommunen. Aber man muß leider ßeruniversitären Bereich auf einige wenige Prozente
feststellen, daß auch die Zahlungsmoral der P rivaten zusammengebrochen ist. Bekanntlich lassen sich zu-
in den neuen Bundesländern außerordentlich sammengebrochene Strukturen kaum oder gar nicht
schlecht ist. Das entbindet die öffentliche Seite nicht, - reaktivieren, d. h., man muß von vorne anfangen. Mit
Vorbild zu sein und die Rechnungen so zu bezahlen, welchen Methoden wollen Sie zu einer überpropor-
wie sich das gehört. Da muß allgemein eine Kampa- tionalen Ausdehnung der ostdeutschen außeruniver-
gne gefahren werden. sitären Forschungslandschaft kommen?

Viele Handwerker klagen darüber, daß es in den


neuen Bundesländern eingerissen sei, Rechnungen Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
erst mit sehr großer Verzögerung zu bezahlen. Dann Herr Abgeordneter, der erste Teil Ihrer Ausführun-
gibt es - wenn man so will - Liquiditätsprobleme; gen war keine Frage, sondern eine Feststellung, die
dann gibt es Kapitalprobleme. Das haben wir vorhin ich bitte zurückweisen darf.
diskutiert.
Daß die ostdeutsche Forschungslandschaft in wei-
ten Bereichen zusammengebrochen ist, liegt einfach
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der daran, daß sie in ihrer gesamten Organisation und
Kollege Sperling. auch in ihren Inhalten nicht mit dem zusammen-
paßte, was marktwirtschaftliche Strukturen verlan-
gen. Das war eine auf eine in weiten Bereichen ma-
Dr. Dietrich Sperling (SPD): Herr Minister, wenn rode Kombinatswirtschaft zugeschnittene For-
ich Sie so höre, habe ich den Eindruck: Woran es be- schungslandschaft, die in der Marktwirtschaft umge-
sonders fehlt, ist die Risikobereitschaft der Banken. staltet werden mußte. Dabei sind Hunderte von Mil-
lionen DM in die verschiedensten Bereiche, in Insti-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Und der Bundesre -tute und auch in die neu gegründeten Forschungs
gierung!) GmbHs, geflossen, um wenigstens einen Ke rn der
Forschungslandschaft zu erhalten. Ich glaube, das ist
Wäre es für die ostdeutsche Kreditwirtschaft deshalb gelungen. Ich bin nicht ganz sicher, ob diese Zahl die
nicht sehr viel besser, Sie würden in das Bankwesen -allerneueste ist: Aber von zunächst 130 Forschungs
zurückkehren und die Risikofreude, die Sie anderen GmbHs haben 70 den Durchbruch geschafft und sind
predigen, do rt selber darstellen und das Amt des auf marktwirtschaftliche Strukturen eingestellt.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4789
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Was jetzt im Osten Deutschlands anliegt - abgese- chung von 20 Millionen DM für die Absatzförderung
hen von der Institutslandschaft, wo öffentliche Mittel für Ostprodukte deshalb erfolgt ist, um 1999 die
in großem Umfang zur Verfügung stehen -, ist, daß in Maastricht-Kriterien zu erfüllen, und wenn dem so
die bestehenden und neu entstandenen Unterneh- ist, teilt Ihre Auffassung auch der Finanzminister?
men Forschungsabteilungen integrie rt werden, daß
sie do rt aufgebaut werden oder aber auch von West-
deutschland nach Ostdeutschland verlagert werden. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
Wir brauchen in den Unternehmen Forschungsein- Herr Abgeordneter, das ist nun eine sehr verkürzte
richtungen, Forscher und Entwickler. Davon gibt es Interpretation. Die Kürzung ist vorgenommen wor-
noch zuwenig. Das hat es in vielen ostdeutschen den, weil wir an vielen Stellen des Haushalts kürzen
Kombinaten in dieser Form nicht gegeben. Das war mußten, u. a. um die Kriterien von Maast ri cht zu er-
separiert; das war in großen Forschungseinrichtun- füllen, Punkt.
gen zusammengefaßt, die beim Auseinanderbrechen
der Kombinate einfach nicht mehr lebensfähig wa- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt hat Kollege
ren. Pohler das Wo rt .
Wir müssen im Osten einen marktwirtschaftlichen
Prozeß - natürlich durch eine öffentliche Forschungs- Dr. Hermann Pohler (CDU/CSU): Herr Minister,
landschaft flankie rt - anstreben. Da sind wir trotz al- wir beklagen immer - auch heute war davon die
ler noch unbefriedigenden Ergebnisse auf einem gu- Rede - die geringe Risikobereitschaft der Banken bei
ten Weg. der Kapitalvergabe. Wenn man mit den Banken
(Stephan Hilsberg [SPD]: Zusatzfrage?) spricht, beklagen diese wiederum fehlendes Ma-
nagement und anderes, was sie abhält, Kapital zu ge-
ben. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ja, bitte. das Pilotprojekt des sogenannten Runden Tisches,
das in Leipzig unter Beteiligung der Banken, der IHK
Stephan Hilsberg (SPD): Herr Minister, sind Sie und auch von Betrieben durchgeführt wird, um die-
der Meinung, daß die von Ihnen visierte Aufgabe ses bestehende Manko auszugleichen und dann
erreichbar ist, ohne zusätzliche finanzielle Mittel auch zu vernünftigen Kriterien zu kommen und das
zur Verfügung zu stellen? Wenn nein, möchte ich Risiko durch eine gute Beratung der Bet riebe zu ver-
fragen: Wie erklären Sie es sich, daß die Koaliti- mindern? Ist das ein gangbarer Weg, und wenn ja,
onsfraktionen es im Ausschuß für Bildung und For- welche Möglichkeit sieht die Regierung, diese Initia-
schung abgelehnt haben, den Forschungshaushalt tive zu unterstützen, um ähnliches an anderen Orten
aufzustocken? und in anderen Ländern zu fördern?

Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt
Ich halte diesen Weg, Herr Abgeordneter, ohnehin -schaft:HerKolg,diAusanerBk,
für einen Weg, den wir mit Erfolg gehen können; das aber nicht nur der Banken, daß viele Schwierigkei-
ist nur eine Frage der Zeit. Ich sage Ihnen noch ein- - ten ostdeutscher mittelständischer und auch ande-
mal: Was für Forschung und Entwicklung gerade für rer Unternehmen auf mangelnde Erfahrung und
diese Institute zur Verfügung steht, ist ausreichend. mangelndes Managementwissen zurückzuführen
Das kann und muß man nicht aufstocken. Aufstok- sind, sind sicherlich nicht falsch. Man muß aber dif-
ken müssen wir bei dem Bereich, den ich eben ange- ferenzieren. Viele - auch ich - kennen ungeheuer
sprochen habe: der Förderung von Forschung und viele engagierte, mittlerweile auch erfahrene Unter-
Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen. nehmer aus den neuen Bundesländern. Aber was
Da würde ich mir eine Aufstockung wünschen und Managementwissen angeht, kann und muß man
dankbar entgegennehmen. Ansonsten kommt es dar- viel tun. Da gibt es Beratungsprogramme, die öf-
auf an, daß entweder die noch vorhandenen oder fentlich gefördert werden, da gibt es Patenschaften
neu entstandenen größeren Industriebetriebe von westdeutscher Unternehmen mit ostdeutschen Un-
sich aus, aus eigenem Wachstum, aus eigener Kraft ternehmen, da gibt es Verbandsaktivitäten, IHK-
Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aufbauen Aktivitäten und vieles andere mehr. Da müssen
oder daß die überwiegend westdeutschen Zentralen viele Blumen blühen. Der Weg, den Sie beschrie-
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in den ben haben, daß man sich mit Verbänden, den Insti-
Osten verlagern. tutionen und den Banken an einen Tisch setzt,
kann ein Weg unter vielen sein. Öffentliche Förde-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Zeit für die rung solcher Aktivitäten ist meistens über Länder-
Regierungsbefragung ist abgelaufen. Ich habe aber programme möglich. Ich finde das gut, und das soll
noch drei Wortmeldungen. Deshalb werde ich die so gemacht werden. Wie das am besten organisiert
Befragung um maximal 10 Minuten verlängern. Jetzt wird, sollte, glaube ich, nicht die Bundesregierung
hat Kollege Ilte das Wo rt . entscheiden, sondern sollten diejenigen vor Ort ent-
scheiden, die ihre aktuellen und regionalen Pro-
bleme viel besser als wir hier in Bonn kennen.
Wolfgang Ilte (SPD): Herr Minister, ich komme auf
Ihre Antwort auf die Frage des Abgeordneten Müller
zurück. Habe ich Sie richtig verstanden, daß es die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt noch Kol-
Auffassung der Bundesregierung ist, daß die Strei lege Sorge.
4790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Wieland Sorge (SPD): Herr Minister, ist Ihnen be- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Damit sind wir
kannt, daß in vielen Teilen der neuen Bundesländer am Schluß angelangt. Das zweite Thema kann ich
die Kosten für Energie, für Abwasser und Wasser, nicht mehr aufrufen. Die Regierungsbefragung ist
aber auch die Gebühren wesentlich höher sind als in beendet.
den alten Bundesländern? Befürchten Sie nicht, daß
es dadurch zu einer Verzerrung des Wettbewerbs
kommt und daß die mittelständischen Unternehmen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
denen Sie bescheinigt haben, daß sie ein geringes Ei- Fragestunde
genkapital haben, dadurch überhaupt keine Chance
haben, und ist Ihnen bekannt, daß sich dadurch auch - Drucksache 13/2407 -
Unternehmen aus den alten Bundesländern scheuen,
in die neuen Bundesländer zu gehen? Die Frage 1 zu dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern wird schriftlich beantwortet.
Das gleiche gilt für die Frage 2 zum Geschäftsbereich
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirt-
Mir sind diese Probleme sehr wohl bekannt. Wir ver- schaft und Forsten. Die Antworten werden als Anla-
suchen, unseren Teil dazu beizutragen, sie zu lin- gen abgedruckt.
dern. Nur ist das schwierig. Denn die meisten Ge-
bühren werden von den Kommunen erhoben, einige Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
auch von den Ländern und über den Bund so gut wie riums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beant-
gar keine. Diese Frage müßte eigentlich, wenn ich wortung steht Herr Staatssekretär Jung bereit.
mir erlauben darf, das zu sagen, Herr Kollege, an die Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Wodarg,
Kommunen gerichtet werden. Es liegt im Ermessen SPD, auf:
und an der Wirtschaftsfreundlichkeit der Kommunen,
wie sie die Gebühren für Wasser, Abwasser, Re- Auf welche Weise kontrolliert die Bundesregierung, ob und in
cyclingaufgaben, Transportaufgaben, Umweltschutz- welchem Umfang eines der wichtigsten Ziele der Pflegeversi-
maßnahmen und anderes mehr ansetzen. cherung, die bessere soziale Absicherung der Pflegepersonen,
per Saldo erreicht wird?
Ein Problem gibt es - die diesbezügliche Kritik ist
nicht immer bei den Kommunen abzugeben, aber Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
auch -, das ist die Energieversorgung. Wir wissen für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! Herr
sehr wohl, daß es Unterschiede gibt, die zwar nicht Abgeordneter Wodarg, die Bundesregierung teilt
übermäßig gravierend sind, die aber ins Gewicht fal- Ihre Einschätzung, daß die Beiträge zur Rentenversi-
len und eine abschreckende Wirkung haben. Das cherung für Personen, die zu Hause betreuen, ein
sind die Stromkosten des großen Verbundunterneh- Kernstück und damit auch ein wichtiges Ziel der
mens. Diese höheren Kosten sind erklärbar. Die neuen Pflegeversicherung darstellen. Wir sehen
Energieversorgung in Westdeutschland erfolgt zu darin neben dem Pflegegeld in erster Linie einen
weiten Teilen über bereits abgeschriebene Anlagen, wirksamen Beitrag für die Motivation zur häuslichen
während im Osten die Neuinvestitionen in sehr viel Pflege, zur Stärkung der Bereitschaft zur häuslichen
höherem Maße in den Strompreis eingehen. Das ist Pflege und damit auch zur Durchsetzung des Grund-
die Ursache. satzes des Vorrangs der häuslichen Pflege vor statio-
närer Versorgung. Der Grundsatz vom Vorrang der
Wir wirken mit allergrößtem Nachdruck auf die häuslichen Pflege entspricht auch den Wünschen der
westdeutschen Verbundunternehmen, die Eigen- Pflegebedürftigen und der Wirklichkeit; denn 75 %
tümer der ostdeutschen Unternehmen sind, ein, alle der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt,
Chancen auszunutzen, um die Strompreise im Osten
nur 25 % müssen stationär im Pflegeheim versorgt
so niedrig wie möglich zu halten. Das ist zu einem
werden.
gewissen Teil gelungen; aber es bleibt an dieser
Stelle noch einiges nachzuholen. Die Ausgestaltung der neuen Beitragsleistungen
sind im Pflegegesetz detailliert geregelt. Die Beiträge
sind von der Stufe der Pflegebedürftigkeit und vom
Wieland Sorge (SPD): Herr Minister, Sie sprachen Umfang der wöchentlichen Pflegeleistungen - wö-
vorhin von der Förderung im Bereich der Forschung. chentlich wenigstens 14 Stunden, höchstens
Gibt es bereits Beispiele dafür, daß es bei den vor- 28 Stunden - abhängig. Wir gehen davon aus, daß
handenen industriellen Forschungseinrichtungen auf Grund dieser exakten gesetzlichen Vorgaben die
der alten Bundesländer zu einer Verlagerung in die Pflegekassen in der Lage sind, mit diesem neuen In-
neuen Bundesländer gekommen ist? strument sachgerecht umzugehen. Zumindest gibt es
keine gegenteiligen Feststellungen, keine Klagen
und keine Schwierigkeiten.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
Ja, Beispiele gibt es. Wenn Sie mich jetzt fragen, ob Was die zahlenmäßigen Auswirkungen der Neu-
ich sie Ihnen aufzählen kann, dann muß ich Ihnen sa- regelung angeht, so ist folgendes zu sagen: Die Lei-
gen, daß ich passen muß. Aber ich kann das gerne stungen zur häuslichen Pflege werden seit dem
schriftlich nachholen. 1. April, also seit gut fünf Monaten, gewährt. Bisher
haben wir etwa eine Million Leistungsempfänger nach
(Wieland Sorge [SPD]: Danke!) dem neuen Pflegeversicherungsgesetz. Allerdings
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4791
Staatssekretär Karl Jung
liegen exakte Statistiken noch nicht vor. Deshalb nen positiven Effekt, auf der anderen Seite haben wir
kann im einzelnen nichts zu der A rt und Weise der zunehmend Menschen, die in der Pflege tätig sind,
gewährten Leistungen und zu der Zahl der Lei- die nicht sozial abgesichert sind.
stungsempfänger gesagt werden. Ist es möglich, daß Sie, wenn Sie Ihren ersten Be-
Wir werden erst im nächsten Jahr eine exakte richt in Kürze vorlegen, auch zu diesem Saldo etwas
Stichtagserhebung haben, die dann über die Zahl sagen, daß Sie beide Dinge gegenüberstellen? Wel-
derjenigen Auskunft gibt, die Pflegegeld und Sach- che Maßnahmen gedenken Sie zu ergreifen, um ne-
leistungen in Anspruch nehmen, und auch über die gative Effekte zu minimieren?
Zahl derjenigen, denen diese Rentenleistungen ge-
zahlt werden. Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
Aus der Vierteljahresausgaben- und -einnahmesta- für Arbeit und Sozialordnung: Zur Frage, was die
tistik der Pflegekassen, die zum Juni dieses Jahres Bundesregierung konkret tun kann: Sie haben in Ih-
für die ersten drei Monate vorliegt, ist zu entnehmen, rer ersten Frage davon gesprochen, welche Kontroll-
daß für den Bereich der Rentenversicherungsbei- möglichkeiten die Bundesregierung hat. Das Pflege-
träge im ersten Quartal 76 Millionen DM ausgege- gesetz wird von den Pflegekassen durchgeführt. Das
ben worden sind. Das sind etwa 25 Millionen DM für sind selbständige Selbstverwaltungskörperschaften.
einen Monat. Bei einer durchschnittlichen Beitrags- Sie unterstehen zwar der Rechtsaufsicht - zum Teil
höhe von 400 DM, die sich aus den verschiedenen der Länder, zum Teil des Bundesversicherungsamtes.
Beitragsklassen errechnen läßt, kann man von 62 500 Aber die Bundesregierung hat keinen unmittelbaren
Leistungsberechtigten ausgehen. Einfluß auf die konkrete Leistungsgewährung.
Wir stehen allerdings im Kontakt mit den Spitzen-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage? verbänden der Pflegekassen. Do rt wirkt man darauf
hin, daß bei den Pflegediensten tunlichst nicht in die
(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Zur nächsten nicht versicherungspflichtigen Beschäftigungsver-
Frage!) hältnisse ausgewichen wird. Vielmehr sollte man
- Dann rufe ich die Frage 4 auf: schon bei der Zulassung im Versorgungsvertrag zur
Leistungserbringung für die Pflegeversicherung dar-
Wie verhält sich die Zahl der durch die Pflegeversicherung auf Wert legen, daß ordentliche, d. h. versicherungs-
neu sozialversicherten pflegenden Angehörigen zur Zahl der
durch die Pflegeversicherung neu entstandenen nicht versiche-
pflichtige Arbeitsverhältnisse abgeschlossen werden.
rungspflichtigen Arbeitsplätze bei professionellen Anbietern Das ist eine Empfehlung der Spitzenverbände. Sie
von Pflegeleistungen? kann allerdings mit rechtlichem Zwang nicht durch-
gesetzt werden.
Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung: Zu der zweiten Frage, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter, können wir das Verhältnis leider
nicht angeben, weil uns die Zahl derjenigen, die bei
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Können Sie sich vor-
den ambulanten Pflegediensten beschäftigt sind, -
stellen, daß es Auflagen, daß es Regelungen gibt, die
nicht bekannt ist. Wir haben bei diesen Pflegedien-
diesen negativen Effekt, nämlich zunehmend Nicht-
sten einen großen Zugang. Es gibt insgesamt 7 000
versicherte im Bereich der professionellen Pflege,
Pflegedienste.
auffangen, und wie stehen Sie dazu?
Aber die Zahl der dort Beschäftigten und auch die
Art und Weise ihrer Arbeitsverhältnisse - Sie haben Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
ja nach den do rt nicht versicherungspflichtigen Be- für Arbeit und Sozialordnung: Herr Abgeordneter
schäftigten gefragt - sind leider nicht bekannt. Da Wodarg, solange wir die Zulässigkeit der versiche-
müssen wir die Pflegestatistik abwarten. Sie ist im rungsfreien Beschäftigung, die sogenannten 580-
Gesetz vorgesehen, aber deren Aufbau wird noch ei- DM-Verhältnisse, haben und solange aus der Be-
nige Zeit dauern. schäftigung dera rtiger Mitarbeiterinnen und Mitar-
Deshalb kann ich zum Verhältnis derjenigen, die beiter keine negativen Folgen auf die Qualität der
häusliche Pflegeleistungen erbringen, dafür renten- Pflege ausgehen, kann man die Beschäftigung derar-
versichert werden, zu denjenigen, die draußen bei tiger Mitarbeiter zwangsweise nicht verhindern. Wie
den ambulanten Diensten beschäftigt sind, nichts gesagt, die Pflegekassen wirken darauf hin und ha-
sagen. ben auch Empfehlungen abgegeben. Aber rechtlich
durchsetzbar ist dies nicht, weil es sich um eine er-
laubte Art der Beschäftigung handelt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Bei meiner Frage dazu, Frau Ganseforth, bitte.
ging es mir hauptsächlich darum, den Saldo zu erfah-
ren. Wir haben zwar sehr viele Pflegepersonen, die
sozial abgesichert sind. Wir beobachten aber auch, Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär,
daß im Bereich der ambulanten Pflegedienste zuneh- werden Sie bei Ihren Daten auch ermitteln, ob und
mend nicht versicherungspflichtige Pflegende tätig wie viele Personen bei der von Ihnen angesproche-
werden. Das heißt, auf der einen Seite haben wir ei nen gewünschten Motivation in die häusliche Pflege
4792 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Monika Ganseforth
hinein damit ihre Erwerbstätigkeit aufgeben? Wird Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
dieser Switch, diese Zahl, auch ermittelt? desminister der Verteidigung: Die Detailplanung
wurde vorgestern, am 25., mit der Gemeinde und der
Bundeswehr besprochen. Ich bin davon überzeugt,
Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium daß das so wie überall geregelt wird: Die Bevölke-
für Arbeit und Sozialordnung: Soweit ich den Aufbau rung kann selbstverständlich dazustoßen. Im allge-
der Statistik kenne, ist die Frage nach der Aufgabe meinen kommt die Bevölkerung gerne und empfin-
einer bisherigen Erwerbstätigkeit nicht vorgesehen. det das nicht als Belästigung, ganz im Gegenteil. Ich
Allerdings setzt ja die Leistungsgewährung voraus, hoffe, daß es auch in diesem Ort keine größeren Be-
daß eine Erwerbstätigkeit neben dieser häuslichen anstandungen geben wird.
Pflege, die mit den Beiträgen honoriert wird,
30 Wochenstunden nicht übersteigen darf. Insofern
haben wir eine gewisse Beschränkung für die Voller- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.
werbstätigkeit. Aber wir wissen im Augenblick nicht,
ob da Erwerbstätigkeit aufgegeben worden ist oder
Teilzeitarbeit nebenher weiter geleistet wird. Das ist Monika Ganseforth (SPD): Ich wüßte dann noch
bisher in den statistischen Fragen nicht enthalten. gerne folgendes. Da wird ja eine sehr große Zahl von
Personen anwesend sein, mehrere tausend, wie ich
es gehört habe. Es werden also keine Personen im
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz- Ort in Zelten untergebracht, sondern ich habe Sie so
frage. - Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. verstanden, daß sie in den Kasernen wohnen oder
wieder nach Hause fahren werden. Wie wird die Be-
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- köstigung, die Verpflegung stattfinden?
riums der Verteidigung auf. Wir kommen zur Frage 5
der Kollegin Monika Ganseforth: (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser:
Gutes Essen!)
Wie viele Gäste und Soldaten werden jeweils anläßlich des
Gelöbnisses von Heer, Luftwaffe und Ma ri ne in Neustadt am Rü-
benberge, Ortsteil Bordenau, erwartet, und wo werden die Sol- Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
daten untergebracht?
desminister der Verteidigung: Das ist alles bei der
Besprechung am 25. September mit der Gemeinde
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- genau erörtert worden. Ich kann Ihnen sagen, wel-
desminister der Verteidigung: Frau Kollegin Ganse- che Orte die Bundeswehr in Betracht zieht. Das ist
forth, am Gelöbnis nehmen voraussichtlich die Sporthalle der Scharnhorst-Schule in Bordenau,
282 Rekruten der drei Teilstreitkräfte, eine Ehren- die Pausenhalle und der Schulhof dieser Schule, der
kompanie des Wachbataillons in Stärke von Sportplatz Bordenau und der Festplatz Bordenau, au-
97 Soldaten und das Stabsmusikkorps der Bundes- ßerdem das Erdgeschoß des Geburtshauses Scham-
wehr mit 85 Soldaten teil. Neben dem benötigten Or- horsts und ein Teil des Gartens - letzteres natürlich
ganisationspersonal des Wehrbereichskommandos II mit Einverständnis der Eigentümer -, die Anmietung
1. Panzerdivision werden weitere 200 Soldaten als von Parkflächen bei p rivaten Grundeigentümern und
Gäste und Zuschauer erwartet. Insgesamt werden die Sondernutzung an der Straße Am Dorfteich zwi-
also zirka tausend Soldaten anwesend sein. schen der Bordenauer Straße und der Straße Alte
Mühle. Aber, wie gesagt, das wurde alles ganz ge-
An zivilen geladenen Gästen rechnen wir derzeit nau mit der Gemeinde besprochen. Man ist im be-
mit rund tausend Personen. In dieser Zahl sind auch sten Einvernehmen, und man wird sich sicherlich gut
die etwa 600 Angehörigen der am Gelöbnis teilneh- einigen.
menden Rekruten enthalten. Dazu kommen natürlich
noch Zuschauer; vielleicht sind es 1 500 bis 2 000.
Man kann also mit 3 500 bis 4 000 Teilnehmern rech- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz-
nen. Das ist allerdings eine Schätzung. frage. Dann rufe ich die Frage 6 der Kollegin Ganse-
forth auf:
Die auswärtigen Soldaten, die im Rahmen der Vor-
Welche Kosten entstehen durch die Umbaumaßnahmen an-
bereitung und Durchführung der Veranstaltung läßlich des feierlichen Gelöbnisses, und wie wird gewährleistet,
übernachten müssen, werden in Luttmersen beim daß die betroffenen Vereine ihre Aktivitäten, z. B. Punktspiele,
Panzerbataillon 33 untergebracht. Die übrigen Solda- durchführen können?
ten übernachten an ihren Standorten.
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. desminister der Verteidigung: Umbaumaßnahmen im
Sinne fester Umbauten werden nicht vorgenommen.
Im Rahmen der zeitlich begrenzten Maßnahmen zur
Monika Ganseforth (SPD): Frau Staatssekretärin, Vorbereitung und Durchführung des Gelöbnisses ist
Sie haben es schon angedeutet. Ich möchte noch ein- geplant, Zelte und zerlegbare Tribünen für Besucher
mal präzise fragen, wie der örtlichen Bevölkerung und Presse aufzubauen. Ferner sollen Flaggenma-
der Zugang dazu ermöglicht wird; denn sie wird ja sten aufgestellt sowie der Sportplatz für die Veran-
durch diese Maßnahmen erheblich beeinträchtigt. staltung z. B. durch den Abbau von Zäunen herge-
Ich halte es für sinnvoll, daß sie zugelassen wird. Wie richtet werden. Diese Maßnahmen werden auf das
ist das gedacht? unbedingt Notwendige beschränkt.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4793
Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger
Die Bundeswehr hat sich verpflichtet, die Anlage der Repräsentanten der Kommune eingeholt. Es gab
wieder so herzurichten, wie sie sie übernommen hat. dann im Laufe der Zeit weitere Abstimmungen; wie
Eventuelle Schäden werden von der Bundeswehr gesagt, die letzte fand am 25. August statt. Es er-
selbstverständlich beseitigt. folgte also alles in enger Abstimmung mit der Ge-
meinde und damit natürlich auch der Vereine. Es ist
Die Kosten für die Bewirtung der Gäste, Versiche- ja ganz klar, daß sie nicht gegeneinander arbeiten.
rungen, Wasser, Strom, Klein- und Verbrauchsmate- Wir waren uns auch immer der Unterstützung der
rial sowie Anmietungen, z. B. der Sanitäreinrichtun- Kommune und der Repräsentanten der Kommune si-
gen, werden derzeit auf knapp 40 000 DM geschätzt. cher. Ich hoffe, es wird eine harmonische Veranstal-
Sie werden aber verstehen, Frau Kollegin, daß eine tung.
umfassende Kostenaufstellung erst nach der Veran-
staltung möglich sein wird.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz-
Damit die Vereine ihre Aktivitäten, z. B. Punkt- frage. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
spiele, durchführen können, hat der Vorbereitungs-
stab dem TSV Bordenau über den Ortsgemeinderat Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
Bordenau angeboten, die Sportanlagen der umlie- desministeriums für Gesundheit. Die Fragen 7 und 8
genden Bundeswehrliegenschaften zu nutzen. Dies werden schriftlich beantwortet. Die Antworten wer-
haben die Vertreter des TSV Bordenau allerdings bis- den als Anlagen abgedruckt.
her abgelehnt. Die Bundeswehr konzentriert sich
deshalb jetzt darauf, die für die Vorbereitung, Durch- Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesmi-
führung und Nachbereitung der Veranstaltung not- nisteriums für Post und Telekommunikation auf. Die
wendigen Nutzungszeiten für die Anlagen so kurz Fragen 9 und 10 wurden zurückgezogen; die Fragen 11
wie möglich zu halten, um so die Belange der betrof- und 12 werden schriftlich beantwortet. Die Antwor-
fenen Vereine zu berücksichtigen. ten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine Zusatz- desministeriums für Bildung, Wissenschaft, For-
frage. schung und Technologie. Die Fragen 13 bis 15 wer-
den schriftlich beantwortet. Die Antworten werden
Monika Ganseforth (SPD): Frau Staatssekretärin, als Anlagen abgedruckt.
ich wüßte gerne, ob nicht auch Sie es so sehen, daß Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Auswärti-
es ziemlich schwierig ist, z. B. Rasenflächen, die im gen Amtes auf. Die Fragen 16 bis 20 werden schrift-
November in Mitleidenschaft gezogen werden, rela- lich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen
tiv schnell für Sportveranstaltungen wieder herzu- abgedruckt.
richten. Wie soll das gewährleistet werden? Im Dorf
wird darüber geredet, daß dann ein Ersatzrasen auf- Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
gelegt wird. Ist an so etwas gedacht? desministeriums der Finanzen. Die Frage 21 wird
schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage
abgedruckt.
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
desminister der Verteidigung: Die Details dazu kann Ich begrüße den Parlamentarischen Staatssekretär
ich Ihnen nicht schildern. Andererseits kennen Sie ja Herrn Dr. Faltlhauser und rufe die Frage 22 des Kol-
den Grund: Der 12. November 1995 gilt als der legen Hans Büttner, SPD, auf:
40. Geburtstag der Bundeswehr; außerdem ist der
12. November der Geburtstag von Scharnhorst. Diese Hält die Bundesregierung einen Bundesminister, der mit sei-
nem Amtseid geschworen hat, Schaden vom deutschen Volk ab-
beiden Ereignisse haben zu der Entscheidung ge- zuwenden, länger für tragbar, der durch seine Äußerungen zur
führt, das Gelöbnis in Bordenau durchzuführen. Ich Lira und dem belgischen Franc eine Spekulation in die Deutsche
glaube, das ist ein gutes Ereignis, ein gutes Datum. Mark und damit deren weitere Aufwertung ausgelöst hat, mit
Wir werden versuchen, die Schäden so gering wie der Folge, daß Exporteure deutscher Produkte aus Mittelstand,
Industrie und Landwirtschaft dadurch Verluste erleiden, die sich
möglich zu halten. Da es eine einmalige Veranstal- im Rahmen bestehender Kursabsicherungsmöglichkeiten nicht
tung ist, hoffe ich auch, daß wir das Verständnis der voraussehen lassen und dadurch eine weitere Gefährdung für
Bordenauer haben. Arbeitsplätze am Produktionsstandort Deutschland ausgelöst
wurde?

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.


Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, Sie
Monika Ganseforth (SPD): Ich wüßte gern noch, ob erlauben mir, daß ich die polemische Einleitung Ihrer
und in welcher Form die Vereine, aber auch vor allen
Frage unbeachtet lasse und auf den Inhalt Ihrer
Dingen der Orts- und der Stadtrat in die Vorberei- Frage eingehe, der darauf abzielt, ob die angebli-
tung mit einbezogen wurden und inwieweit sie über chen Äußerungen des Bundesfinanzministers in ei-
das informiert wurden, was ansteht. ner nichtöffentlichen Sitzung des Finanzausschusses
und des Europaausschusses dieses Bundestages
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Schaden, und zwar nicht nur internationalen, son-
desminister der Verteidigung: Soweit ich informiert dern auch auf Deutschland rückwirkenden Schaden
bin, hat die erste Information schon am 4. Mai 1995 für die Arbeitsplätze, ange richtet haben. Lassen Sie
stattgefunden. Dabei wurde auch die Zustimmung mich dies in drei Teilen beantworten.
4794 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser


Erstens eine Anmerkung zu dem Umstand der Ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.
öffentlichung: Es handelte sich um eine inte rne Sit-
zung des Finanzausschusses gemeinsam mit dem
Europaausschuß über die sehr ernste Frage der Erfül- Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Staatssekre-
lung der Konvergenzkriterien nicht nur bei uns, son- tär, Ihre Äußerung, daß solche Einflüsse angesichts
dern auch in anderen Ländern. Der Bundesminister der Situa tion auf den Währungsmärkten ohne Wir-
der Finanzen hat dort einen sehr umfassenden Be- kung blieben, geht an der Tatsache vorbei, daß sich
richt vorgetragen, in dem er in keiner Weise irgend- Firmen zwar gegen langfristige Entwicklungen
ein Land apostrophiert oder irgendwelche Benotun- durch Derivate und andere Geschäfte absichern kön-
gen abgegeben hat. In der darauf folgenden Diskus- nen, nicht aber dagegen, daß durch solche Äußerun-
sion, die nicht zuletzt auch von den Kollegen Ihrer gen auf Grund der Finanzmarktsituation schnelle
Fraktion angestoßen worden war, hat er auf konkrete Änderungen eintreten.
Fragen in bezug auf Länder wie Italien und Belgien (Zuruf von der CDU/CSU: Frage!)
in vorsichtiger Weise, soweit es die Zahlen zuließen,
geantwortet. Deshalb meine Frage: Sehen Sie nicht die Problema-
tik, die dadurch entsteht, gegen die sich Firmen nicht
Ich halte eine derar tige Diskussion in Fachgremien absichern können und die zu erheblichen Verlusten
wie dem Finanzausschuß und dem Europaausschuß bei deutschen Unternehmen führt? Ich erinnere
angesichts der Tatsache, daß wir vor konkreten Ent- daran, daß die Spekulation Soros' vor zwei Jahren al-
scheidungen stehen, für dringend erforderlich. Daß lein der deutschen Automobilindustrie 4 Milliarden
in diesem Raum ein Mitarbeiter des Bundestages DM Verluste eingebracht hat.
saB, um eine Pressemeldung zu erstellen, hat nicht
nur mich, sondern a lle, insbesondere auch den Vor-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
sitzenden des Finanzausschusses, überrascht. Ich
desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, ich
hoffe - das sage ich als Mitglied dieses Hauses -, daß
wiederhole das, was ich bereits gesagt habe. Die
daraus Konsequenzen gezogen werden. Es kann na-
Währungsrelationen fußen auf den wirtschaft lichen
türlich nicht sein, daß der Charakter von internen Sit-
Bedingungen in den verschiedenen Ländern. Es
zungen gewissermaßen offiziell vom Bundestag auf-
kann ein, zwei Tage auf Grund aller möglichen, von
gehoben wird.
uns nicht vorausberechenbaren Gegebenheiten, Äu-
Über die Art der Berichterstattung und über das ßerungen oder Aufgeregtheiten irgendwelche Aus-
schläge geben, aber die Fundamente werden da-
Mißverständnis, das durch diese Art der Berichter-
stattung aus dem Bundestag ausgelöst wurde, will durch sicherlich nicht beeinträchtigt. So ist es wohl
ich mich nicht weiter äußern. auch in diesem Fall.

Ich fasse zusammen: Das, was der Minister vorsich- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zweite Zusatz-
tig und klug abgewogen berichtet und dargelegt hat, frage.
fand den Beifall des gesamten Ausschusses, insbe-
sondere auch Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion.
Ich hätte es für klug gehalten, daß Sie sich, bevor Sie Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Wenn ich Ihre
diese Frage gestellt haben, mit Ihren SPD-Kollegen, Antwort und auch die Äußerungen von Herrn Fi-
die dabei waren, abgestimmt hätten. nanzminister Waigel richtig verstanden habe, war
das - um es vorsichtig auszudrücken - ein verklausu-
Zweitens. Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß liertes „Nein" oder „Jetzt noch nicht", was die Lira
diese Veröffentlichung in Italien, aber auch an- und den belgischen Franc angeht. Der Bundeskanz-
derswo gewisse Aufregungen verursacht hat. Ob ler hat auf Mallorca - auch das vorsichtig interpre-
dies Aufgeregtheiten waren, die im Grunde nicht tiert - zumindest wieder ein verklausuliertes „Ja,
notwendig waren, will ich hier nicht werten. Nur aber" ausgedrückt. Was gilt nun eigentlich?
müssen wir alle in Europa uns daran gewöhnen, daß
wir über die Konvergenzkriterien und ihre Einhal- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
tung offener und ehrlicher auch in der Öffentlichkeit desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, wir
diskutieren. Das, was jetzt an Reaktionen auf die sollten nicht von diesem Ort aus für weitere Mißver-
Pressemeldung geschehen ist, ist nicht unbedingt ein ständnisse und Aufgeregtheiten Anlaß geben. Für die
gutes Anzeichen für eine derar tige offene, klare und Beurteilung der Kriterien und ihrer Einhaltung und in-
sachorientierte Diskussion. sofern für die Voraussetzungen zum Eintritt in die dritte
Stufe der Währungsunion gibt es nach dem Maastrich-
Drittens. Die Rückwirkung auf die Bundesrepublik ter Vertrag eine präzise Vorgabe in Zahlen, die unge-
Deutschland, die Sie in Ihrer Frage unterstellen, war wöhnlich detailliert in den Anlagen dieses Vertrages
ein kleiner Ausschlag des Kurses der Lira. Mit dem niedergelegt ist. Es gibt auch eine ganz präzise Vor-
Kurs der Lira haben wir ohnehin schon große Pro- gabe, welche Institutionen diese Kriterienprüfen.
bleme gehabt. Grundlage der entsprechenden Kurs-
entwicklung sind immer - das ist eine uralte Erkennt- Wir als Bundestag - ich erinnere daran - haben
nis - die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenhei- dies damals ausdrücklich durch die Aussage ergänzt,
ten und nicht minimale Schwankungen durch Äuße- daß der Bundestag in eine eigenständige Prüfung
rungen oder Aufgeregtheiten an dem einen oder an- eintritt. Vorfestlegungen gibt es mit Sicherheit nicht.
deren Tag. Kein Mitglied dieser Bundesregierung wird seiner-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4795

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser


seits von Deutschland aus sagen: Dieser darf, jener Bitte, Herr Staatssekretär.
darf nicht. Das ist eine Gemeinschaftsaktion auf der
Basis objektiver Kriterien. Dr. Ku rt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, Sie
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, zielen in Ihrer Frage auf die Währungsrelationen zwi-
Herr Kollege Fischer. schen Deutschland, Japan und den USA ab. A ll das,
was wir hier besprochen haben, hat mit diesen Din-
gen sicherlich nichts zu tun. Die Währungsrelation
Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
des Dollars ist - jetzt muß ich vorsichtig sein, damit
GRÜNEN): Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir
das nicht wieder etwas auslöst - durch größere Dis-
dennoch die Frage, ob Sie denn die von Ihrem Mini-
kussionen über die Glaubwürdigkeit des Konsolidie-
ster im Finanzausschuß in nichtöffentlicher Sitzung -
rungsprozesses im Zusammenhang mit dem ameri-
die nun aus den genannten Gründen öffentlich ge-
kanischen Haushalt beeinflußt worden. Die Yen-Ent-
worden ist - geäußerte Meinung heute noch teilen?
wicklung ist - das ist für jeden Experten erkennbar -
sehr stark von den negativeren Konjunkturauspizien
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- in Japan beeinflußt gewesen. Gegen derar ti ge große
desminister der Finanzen: Ich darf erstens darauf hin- Grundwogen können auch wir bei aller Aufgeregt-
weisen, Herr Kollege Fischer, daß ich nicht bestätigt heit nicht ankommen.
habe, daß das, was vom Bundestag veröffentlicht
wurde, so vom Minister gesagt wurde. Zweitens ist Ih- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.
nen anheimgestellt, sich die gegenwärtige Konver-
genzlage in Italien anzuschauen und dann Spekulatio-
nen darüber anzustellen, welche Chancen dieses Land Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Entgegen Ihrer
hat, bis 1997 oder 1999 die entsprechenden Kriterien Auffassung gibt es sehr wohl ernstzunehmende Wis-
zu erfüllen. Das überlasse ich Ihrer persönlichen Inter- senschaftler und auch Politiker, die gerade die
preta ti on. Aber vor allem überlasse ich das - wie ich ge- Schwankungen zwischen den großen Währungen als
rade schon dargelegt habe - der Interpretation der da- wesentliche Ursache für Währungsturbulenzen anse-
für genannten Institutionen zum richtigen Zeitpunkt. hen, die nachteilige Auswirkungen auf die wirt-
schaftliche Entwicklung haben.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, Meine Frage dazu: Wie steht die Bundesregierung
Frau Kollegin Dr. Höll. zu dem Vorschlag des Professors der Stanford-Uni-
versität, Ronald McKinnon, gerade die drei Anker-
währungen D-Mark, Yen und US-Dollar künftig auf
Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Staatssekretär, Sie ha-
der Ebene der Preissteigerungsraten für handelbare
ben in Ihrer Antwort angesprochen, daß sich aus der
Güter festzuzurren, damit sie nicht mehr diesen
letzten Sitzung des Finanzausschusses Konsequen-
Schwankungen unterliegen, so daß weltweit der
zen ergeben müssen. Heißt das auch, daß der betref-
Wirtschaft eine größere Stabilität gegeben wird?
fende Mitarbeiter entlassen wird, wie es Gerüchte
besagen, oder können Sie das dementieren?
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, dies
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
öffnet die Türe zu einer uralten Grundsatzdiskussion:
desminister der Finanzen: Das ist ein Mißverständ-
feste Wechselkurse, freie Wechselkurse, Wechsel-
nis. Es ist gut, daß Sie mich fragen. Ich habe hier
kurse innerhalb von Korridoren, angebundene
nicht als Vertreter des Finanzministers über Positio-
Wechselkurse. Wenn Sie mich persönlich fragen: Ich
nen innerhalb des Bundestages zu urteilen. Das ist
halte von dem abenteuerlichen Versuch, die Wech-
Sache des Haushaltsausschusses und des Bundesta-
selkurse der USA, Japans und der Bundesrepublik
ges insgesamt. Ich meine nur, daß ein derartiges Mit-
Deutschland gewissermaßen festzuzurren - an wel-
schreiben in nichtöffentlichen Sitzungen so nicht
chem Indikator auch immer -, überhaupt nichts, weil
fortgeführt werden kann. Ich werde als Vertreter des
dies der wirtschaftlichen Leistungskraft und der Ent-
Finanzministeriums im Finanzausschuß, soweit die
wicklung der Länder abträglich wäre. Dieser Ver-
Sitzung geschlossen ist - wir haben ja jetzt neue Be-
such - auch wenn er von einem hochwohllöblichen
dingungen -, immer fragen, ob einer da ist, der pro-
Professor der USA vorgeschlagen wurde - würde si-
fessionell mitschreibt. Wenn einer professionell mit-
cherlich scheitern.
schreibt, werde ich mich anders einlassen als in einer
geschlossenen Sitzung. Das ist eine der konkreten
Konsequenzen, die ich daraus ziehen werde. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es gibt keine Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Darf ich daraus
weitere Zusatzfrage. schließen, daß die Bundesregierung kein Interesse
daran hat, wenigstens bei den wichtigsten Währun-
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Büttner auf: gen zu stabileren Kursverhältnissen zu kommen?
Ist die Bundesregierung bereit, nach dieser jüngsten, weitge-
hend nicht von Wirtschaftsdaten verursachten Währungsturbu- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
lenz, endlich Schritte zu ergreifen, um wenigstens zwischen den
Währungen der dominierenden Wirtschaftsnationen USA, Ja- desminister der Finanzen: Das ist eine ganz andere
pan und Deutschland zu stabileren Kursrelationen zu kommen? Frage, Herr Kollege. Um die Währungsrelationen
4796 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser


zwischen den Ländern zu stabilisieren, gibt es ein Schengener Abkommen aussteigt und sich über dä-
klassisches Schulbeispiel innerhalb dieses über- nische und österreichische Einwände lustig macht.
schaubaren Bereichs Europa, nämlich den Versuch
einer Währungsunion, indem man stufenweise zu- (Zuruf von der CDU/CSU: Lippelt übertreibt
nächst wirtschaft li che Konvergenz mit allen mögli- schon wieder!)
chen Kriterien herstellt, die Sie alle genau kennen, - Ja, das ist nun einmal meine Sache; Sie werden
und dann versucht, eine Währungsunion zu bilden, sehr schnell da nachkommen.
die selbstverständlich als Grundvoraussetzung eine
Wechselkursunion hat, also irreversibel festgezurrte (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Wechselkurse. Das ist das Schulbeispiel, wie man es DIE GRÜNEN], zur CDU/CSU gewandt: Sa
eigentlich machen muß. Entsprechend müßten die gen Sie doch mal was zu Schengen!)
Konvergenzkriterien zwischen Japan, den USA und
Europa oder Deutschland zunächst einmal abgegli- Herr Bundeskanzler, Sie haben als Resultat ver-
chen werden. kündet: 1996 werden wir Maastricht II machen, im
Frühjahr 1997 ist der Revisionsprozeß abgeschlossen.
Sie sehen die Schwierigkeiten, die wir in Europa
haben, die wir überwinden wollen und werden. Um (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
so schwieriger werden sie zwischen den USA, Japan Das ist keine Neuigkeit; als wenn wir diese frommen
und Deutschland zu überwinden sein. Dies wird ein Sprüche nicht schon lange kennten. So hat dieses
langer und weiter Weg. denn auch mehr den Charakter einer Beschwörung,
mehr den Charakter einer Schönfärberei, die über
die real existierende Krise hinwegtäuscht. Weil das
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatzfra-
so ist, hätten wir heute ganz gern auch Sie, Herr Bun-
gen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
deskanzler, hier gehört, nicht nur Herrn Hoyer, der
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundes- schon bereitsitzt.
ministeriums für Verkehr - das sind die Fragen 24 bis (Zuruf von der CDU/CSU: Hoyer ist gut!)
29 - werden schriftlich beantwortet. Die Antworten
werden als Anlagen abgedruckt. - Natürlich ist Herr Hoyer gut; aber was Herr Hoyer
meint, wissen wir aus dem Be richt der Reflexions-
gruppe.
Damit ist die Fragestunde beendet. Ich rufe den
Zusatzpunkt 1 auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD - Joseph
Aktuelle Stunde Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE NEN], zur CDU/CSU gewandt: Wann habt
GRÜNEN ihr das denn entdeckt, daß er ein guter
Mann ist?)
Aktuelle Schwierigkeiten des europäischen
Herr Bundeskanzler, da die beruhigenden Sprüche
Einigungsprozesses und die Haltung der Bun-
- von Ihnen kommen, hätten wir gern von Ihnen ge-
desregierung
hört, wie Sie mit dieser Krise umgehen, wie Sie sich
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- den Fortgang der Europapolitik vorstellen. Denn wir
lege Lippelt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. müssen uns nun angesichts solcher Schönfärberei
wirk li ch fragen, ob nicht die Parlamente in die inter-
gouvernementalen Gespräche eingreifen sollten.
Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Fami- Eigentlich wäre es Ihre Sache gewesen, von vornher-
lientreffen sollte der Gipfel auf -Mallorca wohl wer- ein eine Regierungserklärung anzukündigen, was
den, Sie nicht getan haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: War er auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
eine Fortsetzung der Kamingespräche in Essen. PDS)

Der erste Be richt der Reflexionsgruppe liegt vor. Aber die Aktuelle Stunde ist ja für uns eine Möglich-
Über eine Bestandsaufnahme geht er nicht hinaus. keit, Sie zu veranlassen, sich hier zu äußern.
Weisungen, zumindest aber eine Meinungsbildung
im Rahmen der Regierungschefs waren sehr gefragt, Wir hätten gern folgende Frage diskutiert: Verbirgt
statt dessen nun eine massive Krise der EU, sich eigentlich hinter den starken Worten unseres Fi-
nanzministers und hinter der Antwort, wie der fran-
(Lachen bei der CDU/CSU) zösische Ministerpräsident Juppé sie mit dem Hin-
weis gibt, daß, wer die Währungsunion nicht wolle,
ausgelöst durch Ihren Finanzminister, der so eben nur solche starken Worte gebrauchen müsse, wie der
mal die Währungskurse purzeln ließ, ausgelöst durch Finanzminister sie gebraucht habe, nicht längst
den französischen Präsidenten, der der Welt nu- schon der Ausstieg aus den Illusionen der Währungs-
kleare Stärke vorführt, obwohl diese davon längst union? Soll es denn nun etwa eine luxemburgisch
nichts mehr wissen wi ll , der kurz einmal aus dem deutsche Währungsunion werden? Wenn es mehr
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4797
Dr. Helmut Lippelt
werden soll, frage ich: Warum gibt es dann nicht par- cher Sitzung gesprochen wird. Ich sage Ihnen: Es
allelgeschaltete Wirtschaftspolitiken, die doch die muß doch im Interesse der Opposition sein, daß in
Voraussetzung dafür sein müssen, um überhaupt in nichtöffentlichen Sitzungen des Deutschen Bundes-
die Nähe der Erfüllung dieser Kriterien zu kommen? tages der Finanzminister der Bundesrepublik
Deutschland auf deren Befragen hin - es waren Fra-
Ist nicht richtig, was die „Herald Tribune" ge- gen aus den Reihen der SPD und der Grünen -
schrieben hat, wenn sie heute einen Brüsseler Spit- Antworten gibt, wie er die Lage in anderen Ländern
zenbeamten mit den Worten zitiert: „Wenn die der Europäischen Union einschätzt. Dies muß doch
deutsch-französische Zusammenarbeit nicht mehr noch möglich sein in Deutschland, ohne, daß an
länger funktioniert, dann ist, ob wir es wollen oder an die Wand-schließndg EuropaieKs
nicht, die Europäische Union gefährdet"? Wir brau- gemalt wird.
chen nur den Artikel in der „Herald Tribune" nach-
zulesen, um in die Tiefen der Zerwürfnisse hineinzu- Nein, wir haben keine Krise, sondern es gibt Fort-
blicken, die im Moment bestehen. schritte bei der sehr ernsthaften Entwicklung in der
Europäischen Union hin zur Vertiefung und, Herr
Wird es deshalb nicht Zeit, einmal grundsätzlich
Lippelt, zur Erweiterung.
die Frage zu diskutieren, Herr Lamers, ob denn das
hochgehaltene Prinzip „Vertiefung vor Erweite- Meine Damen und Herren, für die Bundesrepub lik
rung" noch richtig ist oder ob wir nicht in lange Ver- Deutschland und auch für die Koalitionsfraktionen ist
schiebungsprozesse hineinkommen, die die assozi- nie streitig gewesen, daß es einen klaren Zeitplan
ierten Staaten lange, lange im Regen stehen lassen? gibt. Aber es gibt auch die klare Priorität: Stabilität
Wer die polnischen Reaktionen auf den Besuch San- vor Zeitplan.
ters in Warschau studiert, wird erneut auf die immer
wieder von Polen, Ungarn und Tschechien vorgetra- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
gene Forderung stoßen, daß die assoziierten Länder DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist aber eine klare
schon jetzt an der Debatte über die zukünftige Ge- Abkehr von Maastricht, mein Lieber!)
staltung der Union als Beobachter oder Berater teil-
nehmen möchten. Aber sie müssen in der Lage sein, Dieses ist nie bestritten worden.
ihre Probleme und ihre Vorstellungen einzubringen.
Im übrigen hat das der Bundeskanzler mehrfach
Gerade im Moment der Krise in der EU, gerade in
von dieser Stelle aus gesagt, und so hat es der Bun-
dem Moment, da den EU-Regierungen doch nun
desfinanzminister letzte Woche im Finanzausschuß
endgültig bewußt werden muß, daß ihre Zeitpläne
gesagt. Wir befinden uns, wenn wir dies aus den Rei-
und deren voraussehbare Verzögerung auch Ge-
hen der Koalitionsfraktionen heraus so sehen, in gu-
samteuropa gefährden, sollten wir den Weg nach
ter Gesellschaft. Denn, meine Damen und Herren,
vorn suchen. Das aber bedeutet: Es wird höchste
auch der Präsident des Europäischen Währungsinsti-
Zeit, die bequeme Illusion zugunsten eines vielleicht
tutes Herr Lamfalussy, mit Sitz in Frankfurt stellt klar
noch möglichen Gesamteuropas aufzugeben. Denn
die Priorität fest: Stabilität vor Zeitplan. Deshalb weiß
die zentrale Frage lautet nicht: Währungsreform
ich nicht, wo die Krise liegt.
sofort oder später. Die zentrale Frage lautet, ob wir
das noch mögliche Gesamteuropa herbeiführen oder- Im übrigen ist die Aufgabenverteilung nach dem
nicht. EG-Vertrag in der Gemeinschaft klar. Jedes Land in
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dieser Gemeinschaft muß seine Hausaufgaben ma-
chen, jedes Land für sich allein. Die Bundesrepublik
Deutschland erfüllt seit einigen Monaten die Konver-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der genzkriterien. Wir können stolz darauf sein, daß das
Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion. so ist. Es wird auch in der Zukunft Anstrengungen
erfordern, die Konvergenzkriterien weiterhin zu er-
Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine füllen. Diese Anstrengungen wollen wir unterneh-
Damen und Herren! Herr Kollege Lippelt, lassen Sie men. Jedes andere Land muß dies nach dem Vertrag
mich mit dem Letzten beginnen, was Sie gesagt ha- auch so tun. Darauf hinzuweisen, Herr Kollege Lip-
ben. Ich unterstelle, es war ein Versprecher, aber wir pelt, kann doch keine Krise in der Europäischen
sollten auch solche Versprecher vermeiden. Das Ziel Union auslösen.
lautet nicht: europäische Währungsreform, sondern
Für uns ist klar, daß am Ende des Prozesses, und
Europäische Währungsunion.
zwar nach dem Zeitplan, wie er im Vertrag vorgese-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hen ist, diejenigen Institutionen die Beurteilung ab-
geben, die dazu aufgerufen sind. Das sind die EG-
Es ist für den Sprachgebrauch außerordentlich wich- Kommission, das Europäische Währungsinstitut und
tig, daß wir uns daran halten. der Rat der Finanzminister in der Europäischen
Sie haben fünf Minuten Zell gehabt, die „massive Union. Dieses sind die Gremien, in denen die Beur-
Krise" der Europäischen Union zu begründen. Ich teilungen stattzufinden haben.
frage mich: Was hat er eigentlich gesagt, und wo
liegt die Krise, meine Damen und Herren? Ich sage Ihnen: Wir wollen die Europäische Wäh-
rungsunion spätestens im Jahr 1999, zum Jahres-
Passiert ist in der letzten Woche etwas, was sich in wechsel 2000, verwirklichen. Wir wollen dies nicht
allen Ländern der Europäischen Union tagtäglich er- nur, um die Einigung Europas voranzubringen. Wir
eignet, nämlich daß über die anderen in nichtöffentli wollen dies nicht nur, weil wir aus ökonomischen
4798 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Friedrich Merz
Gründen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wenn man dann sieht, daß die Bundesregierung
Volkswirtschaften stärken wollen, z. B. gegenüber mit einem trampeligen Verhalten vor dem Gipfel und
dem Dollarraum oder auch gegenüber der asiati- nach dem Gipfel die Schwierigkeiten sozusagen
schen Konkurrenz. noch erhöht, dann muß man sagen: Es muß einem
wirklich angst um die weitere europäische Entwick-
Wir wollen dies auch, weil wir wissen, daß die Bun- lung sein. Ich möchte heute hier von der Bundesre-
desrepublik Deutschland überfordert wäre, mit einer gierung, auch vom Bundeskanzler, wissen: Welche
D-Mark als de facto europäischer Währung Wäh- konkreten Festlegungen für die Überprüfungskonfe-
rungspolitik für die gesamte Europäische Union zu renz sind getroffen worden? In einem Vierteljahr soll
machen. Damit wären wir überfordert, und damit es losgehen. Auf welches Ziel hin wird verhandelt?
wäre auch die Deutsche Bundesbank überfordert. Wie wird die Bevölkerung einbezogen? Will die Bun-
desregierung denn die Stabilitätskriterien aus politi-
Deswegen wollen wir in Europa eine Stabilitätsge- schen Rücksichtnahmen aufweichen? Dann soll sie
meinschaft errichten, eine Europäische Wirtschafts- es hier sagen, vor den Deutschen Bundestag treten
und Währungsunion, an der alle teilnehmen können, und in dieser Frage Posi ti on beziehen.
die die s trengen Kriterien des Maastricht-Vertrages
erfüllen. Wir sind stolz darauf, daß wir es heute tun. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer sagt denn so
Wir freuen uns über jeden, der auf diesem Weg mit- etwas? - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU:
macht. Das ist nur ein Popanz!)

Herzlichen Dank. Was soll gemacht werden, um die Rechte des Europä-
ischen Parlaments zu stärken? Wie soll denn die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) große Frage der Erweiterung der Europäischen
Union vorbereitet werden und vor allen Dingen die
Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Län-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die der finanziert werden? Kohl sagt: Für die EU steht
Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD-Fraktion. nicht mehr an Finanzmitteln zur Verfügung. Bitte -
so sagen wir -, dann muß aber auch gesagt werden,
daß der Agrarhaushalt, der 49 % ausmacht, um die
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kollegin- Hälfte reduziert werden muß, damit die Vorbereitung
nen und Kollegen! Auf dem außerordentlichen EU- der Aufnahme mittel- und osteuropäischer Länder
Gipfel von Mallorca war es symptomatisch und sym- aus den Mitteln der Europäischen Union finanziert
bolisch, daß die Regierungschefs anschließend sehr werden kann. Ich bitte jetzt endlich einmal um kon-
individuell informiert haben, sehr individuell im Hin- krete Antworten auf Finanzfragen, die die Menschen
blick auf die jewei lige na ti onale Situation in ihren in der Bundesrepublik und in Europa wirklich inter-
Ländern. Es sind, wie alle Bewertungen zeigen, of- essieren. Was schlägt eigentlich die Bundesregie-
fene Fragen übrig geblieben. Auf dem Gipfel sind rung vor, damit die Stagnation im deutsch-französi-
keine Fragen beantwortet worden, um nun wissen zu schen Verhältnis tatsächlich überwunden wird?
können, auf welcher Basis die weitere europäische
(F ri edrich Merz [CDU/CSU]: Boykottaufrufe
Integration im Vorfeld der Überprüfungskonferenz
gehören z. B. dazu!)
voranschreitet.
- In der Beziehung bin ich wirklich die falsche
Ich denke, es stellt sich immer wieder eine Frage, Adresse.
die ich schon mehrfach gestellt habe. Seit es die neue
französische Regierung gibt, gibt es auch eine Ver- (Heiterkeit bei der CDU/CSU - F ri edri ch
änderung ihrer Europapolitik. Ich nenne nur die Merz [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn
Stichworte „nationalistische Rücksicht auf Le Pen 14 Tage lang?)
und seine Leute oder Partnerländer vor vollendete Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage jedem ein-
Tatsachen stellen - Stichwort: Atomwaffentests. An
zelnen von Ihnen: Ich freue mich, daß ich Sie lebend
der Stelle noch einmal - wir werden am Freitag noch
wiedersehen kann, und ich hätte mich gefreut, wenn
einmal eine Debatte darüber haben -: Ich finde, daß der eine oder andere von Ihnen in dieser Form auf
es ein Armutszeugnis ist, daß, wenn aus Frankreich
mich zugekommen wäre und nicht die Häme in einer
angekündigt ist, daß ein solcher Test in dieser oder
solchen Situa ti on auch noch den zwischenmensch-
der nächsten Woche stattfindet, es die Regierungs-
lichen Umgang prägte.
chefs nicht schaffen, gemeinsam die französische Re-
gierung aufzufordern, solche Tests zu unterlassen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) Aber zur Sache selbst: Wir meinen, daß es darum
geht, jetzt vor allen Dingen einen europäischen
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Verände- beschäftigungspolitischen Pakt zu schließen, ihn
rungen gehört auch, daß z. B. die zugesagte Verän- na ti onal zu untermauern, ihn durch die eigene
derung an den Grenzen, nämlich keine Grenzkon- praktische Politik zu untermauern und damit die
trollen von Frankreich aus mehr durchzuführen, für Punkte aufzugreifen, die Jacques Delors in seinen
das nächste Jahr nicht vollzogen wird. Das heißt, Initiativen angesprochen hat. Eines der Probleme
auch in diesem Bereich wird eine Linie durchbro- des Rückfalls in Nationalismus ist doch, wie es
chen, deren Einhaltung bisher zugesagt worden war. auch schon in den zwanziger und dreißiger Jahren
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4799
Heidemarie Wieczorek-Zeul
war, die dramatisch anwachsende Arbeitslosigkeit weise ich die Aussagen aus Brüssel zurück, wonach
und die Tatsache, daß in dieser Situation alle Länder der Zeitplan Vorrang vor der Einhaltung der Krite-
auf Nationalismus, auf das Exportieren von Arbeitslo- rien hat. Weder werden die Kriterien verwässert,
sigkeit zurückgreifen. Der Kern der Krise in der Euro- noch wird der Zeitplan nicht eingehalten. Der Zeit-
päischen Union ist, daß in diesem Bereich keine ge- plan ist Vertragsbestandteil, meine Damen und Her-
meinsame Politik betrieben wird, um Arbeitslosigkeit ren.
zu bekämpfen: Wenn man im Kern anfangen will,
muß man deshalb in dieser Richtung Schwerpunkte (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
setzen. Ich warte auf die Vorschläge, die von seiten Wir wollen Stabilität jetzt und nicht erst im Jahr
der Bundesregierung kommen. 2002. Wer 1995 den Zeitplan für 1999 in Frage stellt,
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen. nimmt den innenpolitischen Druck in allen EU-Staa-
ten weg,
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) (Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Herr Dini!)
sorgt dafür, daß in Frankreich und anderen Ländern
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat der die Kriterien nicht eingehalten werden und macht
Kollege Helmut Haussmann, F.D.P.-Fraktion. damit die Währungsunion mangels Teilnehmern tot,
mit allen Folgen für die Politische Union. Das ist der
Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Herr Präsident! Zusammenhang.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Klar ist (F ri edrich Merz [CDU/CSU]: Genauso ist
aus Sicht der F.D.P.: Es muß möglich sein, daß der je-
es!)
weilige Ressortminister in den Fachausschüssen eine
Auskunft über den Vertrag gibt. Herr Waigel hat ge- Der wirk li che Wahrer der D-Mark ist derjenige, der
sagt: Beim jetzigen Stand in bezug auf Erfüllung der nicht nur die Stabilitätskriterien verteidigt, sondern
Konvergenzkriterien gibt es einzelne Mitgliedstaa- auch alles tut, damit der Zeitplan 1999 eingehalten
ten, die an der Währungsunion nicht teilnehmen werden kann.
könnten.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Wer denn?) Nun höre ich eben über die Medien, daß Herr
Schröder dem ganzen einen neuen Touch gegeben
Es war ja keine diplomatische Meisterleistung nach hat, indem er gesagt hat: Eine europäische Währung
außen gefordert; er will ja auch nicht Außenminister kann und darf es nur geben, wenn Rom und London
werden. teilnehmen. Das ist völlig außerhalb des Vertrags von
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Maast ri cht. Das ist die neue europäische Währung
DIE GRÜNEN]: Oh! - Werner Schulz [Ber aus niedersächsischer Sicht.
lin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
man aber schon anders gehört!) DIE GRÜNEN]: Das ist die sogenannte
-
Das war eine klare, verläßliche Auskunft des Finanz- Heidschnucken-Klausel! - Heiterkeit bei
ministers. Wir setzen uns dafür ein, daß das auch in der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE
Zukunft so bleibt. GRÜNEN)
Zur Sache selbst: Es herrscht aus Sicht der F.D.P. Ich nehme an, daß sich die Finanzmärkte auf Grund
überhaupt kein Zweifel, daß es einen sehr engen Zu- dieser Äußerung von Herrn Schröder nicht beunruhi-
sammenhang zwischen Währungsunion und Politi- gen lassen. Wir können das nur hoffen.
scher Union gibt.
Ich möchte also für die F.D.P. zusammenfassen:
(Horst F ri ed ri ch [F.D.P.]: Sehr wahr!) Währungsunion führt zur Politischen Union. Beides
ist wichtig, beides ist erreichbar. Es ist auch nicht so,
Schon deshalb ist der Zeitpunkt 1999 so wichtig. Wer
wie es heute in einer führenden Tageszeitung in
1999 in Frage stellt, stellt natürlich auch die nächsten
Deutschland dargestellt wird, wonach 1999 kein Fix-
Fortschritte bei der Politischen Union in Frage. Ich
punkt ist. Die Festlegung auf 1999 ist Vertragsbe-
wehre mich gegen Aussagen von Sprechern der
standteil. Wer den Zeitpunkt 1999 ändern will, der
deutschen Indust ri e und der Opposition, die ihr
braucht eine einstimmige Vertragsänderung. Die
schlechtes Gewissen - sie haben bisher zuwenig für
F.D.P. bleibt vertragstreu und wird dafür sorgen, daß
die Aufklärung der Bevölkerung, für die Werbung
nicht nur die Konvergenzkriterien eingehalten wer-
für eine europäische Währung getan - beruhigen, in-
den, sondern auch baldmöglichst die Voraussetzun-
dem sie dafür eintreten, das Projekt zu gegebener
gen geschaffen werden, damit der Zeitplan 1999 ein-
Zeit zu verschieben.
gehalten wird.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Aber das Esperanto ist doch Die gesamte Welt globalisiert und internationali-
nicht von der Opposi ti on erfunden worden!) siert sich. Es wäre ein Witz, wenn Europa auf dem
Weg zur Renationalisierung wäre. Das Gegenteil der
Der Bundeskanzler hat klar gesagt: Stabilitätskrite- Währungsunion sind nämlich ein Abwertungswett-
rien und Zeitplan gehören zusammen. Herr Merz, lauf und neue Massenarbeitslosigkeit in Europa.
ich sehe keine Vorrangstellung des einen. Genauso Wenn in Deutschland der Zusammenhang zwischen
4800 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Dr. Helmut Haussmann


Währungsunion und Beschäftigungspolitik nicht wenn sie nicht so spuren, wie der deutsche Kanzler
stärker herausgestellt wird, werden wir die Bevölke- und sein Finanzminister es wollen. Die Erweiterung
rung für dieses schwierige Unternehmen nicht über- der Union hat bei dieser Politik gar keinen Platz oder
zeugen können. nur den dritten.
Ich bedanke mich für Ihr Interesse. Ja, der Kanzler will die Union, und er setzt sich da-
für ein. Das will ich nicht bestreiten. Aber er wi ll eine
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
andere Union als die meisten an ihr interessierten
Staaten.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
Kollege Müller, PDS. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der
F.D.P.)
Manfred Müller (Berlin) (PDS): Herr Präsident! Er will eine Union der zwei oder drei Klassen, eine
Meine Damen und Herren! Was der Kollege Waigel Union, in der die erste Klasse bestimmt, was gemacht
gar nicht gesagt haben wi ll oder doch zumindest wird.
nicht so gesagt haben will, jedenfalls nicht so ge-
meint haben will, also das, was er auf keinen Fa ll ver- (Fried rich Merz [CDU/CSU]: Jetzt müssen
öffentlicht sehen wollte, hatte ein Nachspiel weni- Sie nur noch das Wo rt „Herrenmensch" be
ger für ihn selbst. Nicht er mußte seinen Kopf hinhal- nutzen!)
ten, sondern, wenn meine Informationen zutreffen,
bezeichnenderweise zunächst einmal ein Mitarbeiter Das hat zwar wenig mit der Idee eines gesamteuro-
des Bundestagspressezentrums, der wohl am aller- päischen Einigungsprozesses zu tun, dafür aber um
wenigsten etwas für den Inhalt des Waigelschen so mehr mit der Durchsetzung machtpolitischer In-
Fehltritts kann. teressen. Da nimmt es kaum Wunder, daß der infor-
melle Gipfel auf Ma llorca „reich an Fragen und arm
Ein Nachspiel hatte es natürlich auch für Sie, Herr an Antworten" war, wie die „Frankfurter Rund-
Bundeskanzler; denn Sie mußten Schadensbegren- schau" titelte.
zung betreiben. Entsprechend wenig scheint das
Meeting insgesamt gebracht zu haben. Wenn diese Politik fortgesetzt wird - leider sieht al-
les danach aus -, könnte sie der Anfang vom Ende
Aber war das wirk lich ein Fehltritt, ein Fauxpas, der europäischen Integra tion sein. Eine Union der
eine unglückliche, falsch oder unvollständig zitierte zwei oder noch mehr Kl assen ist keine Union. Euro-
Äußerung des Finanzministers? Das mag alles sein. päische Integration kann nur gleichberech tigt, sozial
Dennoch bringt diese Äußerung genau das zum Aus- und demokratisch sein, oder sie wird nur auf dem Pa-
druck, was den Kern der Europapolitik der Bundesre- pier stehen.
gierung ausmacht: die Herausbildung Kerneuropas,
die Herausbildung eines neuen, exklusiven Macht- Um diesen Anspruch der Menschen in Europa zu
zentrums innerhalb der Europäischen Union. erfüllen, hat die Bundestagsgruppe der PDS heute
einen Antrag eingereicht, mit dem die Bundesregie-
Wer die europäische Integra tion vor allem unter rung aufgefordert wird, einen Grundrechtekatalog
dem Gesichtspunkt betreibt, die Wirtschafts-, die- auf die Tagesordnung der Regierungskonferenz 1996
Außen-, die Sicherheits- und die Innenpolitik zu ver- zu setzen.
einheitlichen, wer die Währungsunion auf einen
möglichst kleinen Kreis beschränken will - wenn er (Beifall bei der PDS)
sie überhaupt will - und wer vor allem kein Interesse
an der Sozialunion, an Vollbeschäftigung und erst
recht an der Demokratisierung der Entscheidungs- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
prozesse innerhalb der Union hat, wen die Rechte Kollege Fischer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
der innerhalb der Union lebenden Menschen weni-
ger interessieren als die Außenhandelsbilanz, der
muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er selbst Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
es ist, der nicht nur die Erweiterung, sondern auch GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her-
die Vertiefung der Union entscheidend blockiert. ren! Uns geht es nicht hauptsächlich um die Äuße-
rung des Kollegen Waigel. Das ist eine Frage, die
Die Bundesregierung betreibt Europapolitik vor al- hier schon ausführlich beantwortet wurde.
lem mit dem Ziel der wirtschaft lichen Konkurrenzfä-
higkeit gegenüber den USA sowie gegenüber Japan Uns geht es um die Ergebnisse des Mallorca-Gip-
und der Bildung eines neuen politischen und militäri- fels und den Zustand Europas, der dort auf deprimie-
schen Machtblocks in der Welt. Diejenigen Staaten, rende Art und Weise - ich füge hinzu: zu unserem
die dabei - d. h. nach den Bedingungen und Krite- Bedauern auf deprimierende Art und Weise - offen-
rien, die vor allem die Bundesregierung aufstellen sichtlich wurde. Uns geht es natürlich auch um ent-
möchte - nicht mithalten können oder wollen, wer- sprechende Fragen an die Bundesregierung. Unser-
den folglich lediglich als Ba llast begriffen und letzt- eins kennt die regierenden Pappenheimer. Im Laufe
lich auch so behandelt. der Jahre hat man so manches mitbekommen.

Sie dürfen in der zweiten Reihe Platz nehmen. Sie Wenn dér Gipfel ein Erfolg gewesen wäre, säße
können sehen, wo sie bleiben. Da kann es auch Herr Kohl hier und würde vermutlich morgen, am
schon einmal Staaten wie Italien und Belgien treffen, Donnerstag, zur besten Fernsehzeit eine Regierungs-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4801
Joseph Fischer (Frankfurt )
erklärung abgeben. Heute nimmt er mit den Hinter- Ich möchte von Ihnen, Herr Kollege Kohl, Herr
bänken vorlieb. Bundeskanzler, folgendes wissen. Es ist Herr Dini ge-
wesen, der sogar in Ihrer Anwesenheit den Termin
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1999 in Frage gestellt hat. Es ist auch nicht die Oppo-
sowie bei Abgeordneten der SPD) sition, die mit einer solchen Aussage durch die Lande
Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Sie werden die zieht. Es ist doch Herr Stoiber, der hier zunehmend
Presse gelesen haben. Ich nehme an, Sie teilen die Fragezeichen setzt, und die CSU, die in Sachen Sta-
dort geäußerten Sorgen viel mehr, als Ihr freundli- bilität den Termin 1999 in Frage stellt. Darauf möch-
ches Lächeln auf der Hinterbank das klarmacht. Uns ten wir hier und heute eine Antwort des Bundeskanz-
geht es auch nicht darum, Sie vorzuführen, sondern lers. Dieses Parlament - dies richte ich einmal an Sie,
darum, Sie dazu zu bringen, daß die Bundesregie- meine Damen und Herren von der Regierungsmehr-
rung, der Bundeskanzler den Weg zur europäischen heit - kann sich doch alles schöne Reden über Parla-
Integration verdeutlicht. Es geht nicht nur um das mentsreform abschminken, wenn es nach einem
Ziel, das wir im wesentlichen gemeinsam anstreben, solch bedeutenden Tag wie dem des Treffens in Mal-
sondern auch darum, daß unter dem Gesichtspunkt lorca nicht das Recht hat und sich die Regierung
der Konkretisierung des Weges endlich Butter bei die nicht verpflichtet fühlt, hier seitens dessen, der sein
Fische kommt. politisches Schicksal und nicht nur das irgendeines
Staatssekretärs daran gebunden hat - im Fernsehen
Ich lese Ihnen einmal etwas aus Ihrem Leib-und- war zu hören, daß Helmut Kohl mit der Herstellung
Magen-Blatt „FAZ" vor. Günther Nonnenmacher der Währungsunion sein eigenes politisches Schick-
schreibt auf Seite 1: sal verbindet; eine schlechte Nachricht für den Kolle-
gen Schäuble, denn dann wird es für ihn vermutlich
Auf dem Weg nach nirgendwo länger dauern -,
Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
EU-Mitgliedsländer in Ma llorca lieferte ein akku- NEN und bei der SPD)
rates Bild vom gegenwärtigen Zustand Europas:
Selbst die Hoffnung, es könne nur besser werden, Auskünfte zu all diesen Punkten zu verlangen bzw.
ist Zweckoptimismus. zu geben. Wir möchten gern wissen, was wirk lich Sa-
che ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir können al
Ich fordere Sie auf, Herr Bundeskanzler, vor dem
lein lesen!)
Deutschen Bundestag Ihre Posi tion klipp und klar
Die in Maastricht zur Union umgetaufte Gemein- darzustellen.
schaft befindet sich in einem Prozeß der Zerrüt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
tung. bei der SPD und der PDS)
Herr Bundeskanzler, da erwarten wir hier natür-
lich, daß Sie vor dem Bundestag einmal Stellung be- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
ziehen, wie es denn tatsächlich aussieht. Wenn hier Herr Staatsminister Hoyer.
verkündet wird, Stabilität habe die oberste Priorität, -
dann müssen Sie aber hinzufügen, daß die Wahr- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Fra
scheinlichkeit, daß es dann zu einer Währungsunion gen Sie einmal den Fischer, was er will!)
1999 kommen kann, täglich geringer und nicht täg-
lich größer wird. Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Amt: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Herren! Ich habe den Eindruck, daß ich den Kol-
legen Fischer hinsichtlich seiner Bewertung über die
Das wissen Sie doch fast noch besser als unsereins.
angeblich fehlende Substanz, die die Bundesregie-
Zweitens ist die Frage, die zu entscheiden ist, eine rung in diese Aktuelle Stunde einzubringen ge-
strategische Grundsatzfrage. Vertiefung vor Erwei- denke, enttäuschen muß. Ich freue mich über jede
terung, das ist die große Frage. Geht die Erweiterung Gelegenheit, als für Europa zuständiger Staatsmi-
mit dem bestehenden EG-Agrarmarktsystem über- nister zu diesem Thema sprechen zu können. Wir
haupt? Da werden Sie sofort sagen: Nein, geht nicht. müssen das viel öfter tun. Aber ich habe überhaupt
Wie sieht dann eine solche Reform aus? Wie soll das kein Verständnis dafür, daß Sie hier eine Krise der
funktionieren? Wie sieht das bezogen auf das Ver- Europäischen Union herbeireden und das zum Ge-
hältnis Bundesrepublik Deutschland zu Frankreich genstand einer Aktuellen Stunde machen, wenn es
aus? Das ist die entscheidende Frage vor allen Din- diese Krise nicht gibt, es sei denn, Sie wollen sie her-
gen für die Franzosen. beireden.

Zu all diesen Dingen, über die in Mallorca u. a. ge- In der Tat können wir gar nicht genug über Europa
sprochen wurde, hätten wir gern ein Wort des Bun- reden, denn natürlich haben wir aus der Erfahrung
deskanzlers und nicht des ansonsten sehr geehrten mit der Maastricht-Diskussion gelernt. Damals wur-
Parlamentarischen Staatssekretärs gehört, der uns - den die Menschen erst sehr spät auf das aufmerk-
davon gehe ich fest aus - in diplomatisch geschliffe- sam, was an gravierenden Veränderungen auf sie zu-
nen Worten gleich wieder nichts sagen wird. kommen würde. Auf die nächste Stufe des Eini-
gungsprozesses müssen wir die Menschen frühzeitig
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vorbereiten, sie nach Europa mitnehmen. Das heißt
4802 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Staatsminister Dr. We rner Hoyer


vor allen Dingen, wir dürfen uns nicht in institutio- handlungsprozesses an einem anderen Tisch haben.
nellen, strukturellen und prozeduralen Details verlie- Deshalb steht im Vordergrund der Beratungen der
ren, sondern müssen die Themen anpacken, die für Europastrategie das Management der Agenda bis
die Völker Europas wirklich von Interesse sind und zum Jahr 2000.
die Menschen bewegen.
Das bedeutet, daß der Zusammenhang der ver-
Im übrigen scheint der Sinn eines informellen Tref- schiedenen Tische, an denen in den nächsten vier
fens und der dortigen Abläufe vom Oppositionsfüh- Jahren zu verhandeln sein wird, die entscheidende
rer überhaupt nicht beg ri ffen worden zu sein. Wenn s tr ategische Frage ist. Die Bundesregierung hat klipp
ich nach dem informellen Treffen der Staats- und Re- und klar festgestellt, daß sie ihre Verhandlungsziele
gierungschefs am Wochenende auf Mallorca, das der und ihre Verhandlungsstrategie für die Regierungs-
Bundeskanzler zu Recht als erfolgreich bezeichnet konferenz, diesen ersten großen Schritt, nach Ab-
hat, eine Krise schlicht bestreite, dann heißt das na- schluß der Arbeiten der Reflexionsgruppe, d. h. nach
türlich nicht, daß ich um die Probleme, Schwierigkei- dem Europäischen Rat in Madrid, festlegen und im
ten und Herausforderungen, denen wir uns stellen Deutschen Bundestag selbstverständlich debattieren
müssen, herumreden möchte. wird.
In der Tat, Europa steht vor schwerwiegenden Ent- Aber vergessen wir vor lauter Problemdruck und
scheidungen. Wir werden zu wählen haben und da- angesichts vermeintlich kaum zu bewältigender
bei sicherlich auch feststellen, daß die Vision Europa Schwierigkeiten doch nicht, die Aufgaben der näch-
in den verschiedenen Ländern unterschiedlich aus- sten Zeit in einen größeren Zusammenhang einzu-
sieht. Trotzdem müssen wir den Integrationsprozeß ordnen.
vorantreiben, denn er ist ein Friedensprozeß. Still-
stand bedeutet Rückschritt. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Die Regierungskonferenz wird dabei der erste, bei DIE GRÜNEN]: Wie will die Regierung
weitem aber nicht der einzige Schritt sein. denn diese Probleme lösen, Herr Staatsmi
nister?)
(Dr. Wolfg an g Wodarg [SPD]: Floskel! - Hei
demarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Konkret! Die Europapolitik war 1945 und danach in allerer-
Gehen Sie doch einmal auf die Frage ein!) ster Linie eine gigantische Friedensaufgabe. Sie hat
dem westlichen Teil unseres Kontinents ein unge-
- Ich gehe darauf noch direkt ein, Frau Kollegin. Ich kanntes Maß an politischer und wi rt schaft li cher Sta-
freue mich sehr, daß ich Sie heute hier gesund wie- bilität, an f ri edlichen Beziehungen untereinander
dersehe. und mit der übrigen Welt und nicht zuletzt die
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Zumal Chance zu einem Wiederaufbau ohne Beispiel nach
wir uns schon einmal gesehen haben!) der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges gebracht.
Schließlich hat uns Europa und unsere Integration in
- Ich hätte Sie ja nicht direkt hören müssen; das ist die EU und NATO die Chance zur Wiedergewinnung
ein anderes Thema. der Einheit gebracht. Daß unsere europäischen Pa rt
Bald nach dem absehbaren Abschluß der Regie-- -nerdiMschaufüernDRvod-
rungskonferenz werden die letzten Entscheidungen sten Minute an ohne Wenn und Aber als Bürgerin-
für den Übergang in die dritte Stufe der Wirtschafts- nen und Bürger der Europäischen Union akzeptiert
und Währungsunion zu treffen sein. Hinsichtlich der haben, zeigt doch die Tragfähigkeit des europä-
Erweiterung der Union, sozusagen der Öffnung der ischen Prozesses.
Union, vor allem in Richtung der neuen Demokratien (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
in Mittel- und Osteuropa muß in den nächsten Jah-
ren Klarheit geschaffen werden, urn eine historische Meine Damen und Herren, es waren nicht die
Chance nicht zu verpassen. Die Finanzregelung der Kleinmütigen und Verzagten, es waren nicht die
Europäischen Union in der Nachfolge von Delors-II Ängstlichen und erst recht nicht die griesgrämigen
muß rechtzeitig vor dem Ende des Jahrzehnts stehen. Bedenkenträger, die in den 50er und 60er Jahren das
Schließlich ist zu Recht auf die notwendigen weite- europäische Einigungswerk auf den Weg gebracht
ren Reformen im Bereich Agrarstruktur und Regio- haben. Es bedurfte schon einer gewaltigen Portion
nalpolitik hingewiesen worden. Mut und Entschlossenheit, um damals Gräben zu
Über alle diese Themen ist getrennt zu verhan- überwinden und aus Erbfeinden Freunde zu ma-
deln, anders als übrigens bei der Frage der Zukunft chen,
der Westeuropäischen Union. Diese Themen stehen (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
nicht auf der Tagesordnung der Regierungskonfe- GRÜNEN]: Historische Reminiszenzen! -
renz 1996, und doch sind sie alle miteinander verwo- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
ben. DIE GRÜNEN]: Zukunft! Wechsel im
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Tempo!)
DIE GRÜNEN]: Alles ist vernetzt in diesem
die, wie z. B. Deutsche und Franzosen, auch bei gra-
Universum!)
vierenden Meinungsverschiedenheiten, wie wir sie
Leichtfertige Entscheidungen oder gar Fehlentschei beispielsweise in der Frage der Atomtests gehabt ha-
dungen an einem Verhandlungstisch können nach ben, ohne Wenn und Aber an ihrem Kurs von Zusam-
haltige Auswirkungen auf das Gelingen des Ver menarbeit und Freundschaft festhalten. Dies erfor-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4803
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
derte die Bereitschaft und die Fähigkeit, über Schat- Deshalb ist es für uns, die wir die gemeinsame
ten zu springen, über die riesigen Schatten der Ver- Währung aus wirtschaftlicher und politischer Über-
gangenheit, aber bisweilen eben auch über die eige- zeugung wollen, selbstverständlich und unverzicht-
nen Schatten. bar, daß die gemeinsame europäische Währung der
deutschen Währung in Stabilität, Sicherheit und
(Margareta Wolf [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ weltweiter Geltung in nichts nachsteht.
DIE GRÜNEN]: Und über den der Zukunft
gleich mit!) (Zustimmung bei der F.D.P.)
Wer das Europa der Bürgerinnen und Bürger will, Deshalb unterstütze ich mit allem Nachdruck das,
muß auf ihre Sorgen und Nöte eingehen. Sie sind was von mehreren Kollegen gesagt worden ist, daß
verunsichert. Sie sind verunsichert hinsichtlich der ein ganz wesentlicher Verhandlungserfolg von Maas-
wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigung. tricht zu dieser Frage, nämlich die Stabilitätskrite-
Sie sind verunsichert hinsichtlich der Tragfähigkeit rien und der Zeitplan, überhaupt nicht zur Debatte
der sozialen Sicherungssysteme. Sie sind verunsi- stehen.
chert hinsichtlich der Kriminalitätsentwicklung. Sie
sind verunsichert, wenn sie sehen, daß es in Europa (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!)
wieder Krieg und Nationalismus gibt. Das heißt, die Das heißt, daß der Druck, der durch diese Stabilitäts-
Europäische Union, die in Maast ri cht einen großen kriterien und den Zeitplan erzeugt worden ist und
Fortschritt gemacht hat, muß die Defizite insbeson- der sich sehr segensreich und erfolgreich in allen
dere im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik
Mitgliedstaaten der Union ausgewirkt hat, aufrecht-
sowie im Bereich der Innen- und Rechtspolitik aus- erhalten bleiben muß.
gleichen. Darum geht es auf der Regierungskonfe-
renz 1996/97.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsmini-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ster, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen; ich
ten der CDU/CSU) habe auch die Uhr angehalten: Ich weise Sie nur vor-
Das wird alles nicht von jetzt auf nun zu schaffen sorglich darauf hin, daß Sie im Beg riff sind, die Zehn-
sein. Man muß sich gerade bei der Außen- und Si- minutengrenze zu überschreiten. Sie wissen, was die
cherheitspolitik einmal vergegenwärtigen, was für Geschäftsordnung dann vorsieht.
einen gewaltigen Weg insbesondere einige der
neuen Partner in den letzten Jahren haben zurückle-
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
gen müssen. Deswegen sollten wir es hier an Geduld Amt: Herr Präsident, ich habe in keiner Weise die
und Rücksichtnahme nicht fehlen lassen. Aber es ist Absicht, die Zehnminutengrenze zu überschreiten.
klar, daß die Politische Union der Europäer unvoll-
ständig wäre, wenn wir die Solidarität auf die wirt- Ich möchte zum Abschluß meiner Rede noch
schaftliche und soziale Sphäre begrenzen würden. darauf hinweisen, daß die enge und erfolgreiche
Was ist das für eine Politische Union, in der der soli- deutsch-französische Zusammenarbeit, die sich ge-
darische Ausgleich über Kohäsionsfonds funktio- genwärtig in allen europäischen Gremien immer wie-
niert, aber nicht dann, wenn ein Mitgliedstaat einer - der zeigt, auch von den anderen Partne rn in der Eu-
äußeren Bedrohung zum Opfer fällt? ropäischen Union als Voraussetzung wahrgenommen
wird, um diesen europäischen Integrationsprozeß
Schließlich muß ich, wenn ich nicht neue Verun-
vorantreiben zu können.
sicherung schaffen, sondern Sicherheit geben will,
dafür sorgen, daß die Menschen das bewahren und Herzlichen Dank.
ausbauen können, was für ihre Identität und Selbst-
vergewisserung gerade im Zeichen von weithin emp- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
fundener Unsicherheit bedeutsam ist.
Wir wollen nicht das Europa des Schmelztiegels, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
das hier ständig als Monstrum an die Wand gemalt Kollege Altmaier, CDU/CSU-Fraktion.
wird. Wir müssen den Menschen die Ch an ce geben,
sich auf ihre na ti onale, ethnische, religiöse, kultu-
Peter Altmaier (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
relle Identität zu stützen, und hierzu eine europä-
Damen und Herren! Nach den Beiträgen der Kolle-
ische Identitätsfacette hinzufügen.
gen Wieczorek-Zeul und Fischer habe ich den Ein-
Selbstverständlich ist es dann auch unsere Pflicht, druck, daß Sie mangels vorzeigbarer Erfolge in der
dafür zu sorgen, daß die Menschen nicht befürchten Innenpolitik der Versuchung nicht widerstehen
müssen, etwas zu verlieren, was ihnen nach zwei Hy- konnten, in Ihrer Not künstlich eine Krise der euro-
perinflationen in diesem Jahrhundert ein besonders päischen Einigung zu konstruieren und die Schuld
hohes Sicherheitsgefühl vermittelt hat. Die Deutsche an dieser Krise dann der Bundesregierung zuzu-
Mark und die Währungsverfassung der Bundesrepu- schieben.
blik Deutschland sind nicht ein ökonomisch-politi-
sches Konstrukt. Sie sind Kernelement politischer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
wie ökonomischer Psychologie. Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN - Joseph Fischer
(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist nackte Pole [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
mik!) Wie heißt denn dieser Enkel? Altmaier?)
4804 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Peter Altmaier
Meine Damen und Herren, das ist natürlich Ihr gu- Wir wollen den Erfolg der Wirtschafts- und Wäh-
tes Recht, daß Sie diesen Versuch hier machen. Nur rungsunion, und wir wollen den Erfolg der Regierungs-
steht dieser Versuch leider Gottes in krassem Gegen- konferenz im Jahre 1996. Die Gipfelkonferenz, von der
satz zur Realität und zu allem, was Sie erfahren kön- wir sprechen, war keine Gipfelkonferenz zur Entschei-
nen, wenn Sie die Zeitungen lesen, von Finnland bis dung all der Fragen, die gelöst werden müssen, son-
nach Sizilien, und wenn Sie mit Ihren Parteikollegen dern das war ein informeller Gipfel, der zu einem Ge-
von den Sozialdemokraten und von den Grünen in danken- und Meinungsaustausch bestimmt war,
den europäischen Partnerländern reden.
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Und
Wenn es in der Europäischen Gemeinschaft eine der Grundorientierung für die Regierungs
Persönlichkeit gibt, der in den Nachbarstaaten zuge- konferenz schaffen sollte! - Joseph Fischer
traut wird, daß sie die schwierigen Fragen der Regie- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
rungskonferenz zusammenbinden und einer Lösung Das war also kein Gipfel, sondern ein Zip
zuführen kann, dann ist das nicht Joschka Fischer fel!)
und nicht Heidemarie Wieczorek-Zeul, sondern der ein Familientreffen, wie es beschrieben war, nicht
deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. mehr und nicht weniger.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soviel Weih Trotzdem, meine Damen und Herren, kann sich die
wasser gibt es gar nicht, wie man hier über Bilanz dieses informellen Gipfeltreffens sehen lassen.
den Kanzler sprengt! - Zuruf von der SPD: Auf diesem Gipfeltreffen ist deutlich geworden, daß
Der Kanzler wird es Ihnen danken! - Wei wir an den Stabilitäts- und Konvergenzkriterien so-
tere Zurufe von der SPD und dem BÜND wie am Zeitplan festhalten werden und daß sich eine
NIS 90/DIE GRÜNEN) Agenda für die Lösung der anstehenden Fragen über
die Regierungskonferenz 1996/97, über die Frage
der Beitrittsverhandlungen mit den osteuropäischen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich freue mich und mitteleuropäischen Staaten und über die schwie-
über Lebhaftigkeit, aber bitte etwas ruhiger. rigen Fragen abzeichnet, die sich im Hinblick auf die
europäischen Strukturfonds und die notwendigen
Reformen der europäischen Finanzierung anschlie-
Peter Altmaier (CDU/CSU): Herr Präsident, ich
ßen.
kann das verstehen. Die Opposition hat sonst sehr
wenig zu lachen, und das versucht sie jetzt halt nach- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
zuholen. DIE GRÜNEN]: Ja, darüber würden wir
gerne mal von der Regierung etwas hören,
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat sehr genau darüber!)
schwierig, 15 Mitgliedstaaten mit sehr unterschiedli-
chen Interessen, die zum Teil intern Probleme haben, Wir wollen in diesem Zusammenhang, daß ohne
ihre Position zu bestimmen, in diesem Prozeß der Re- - Hektik, entschlossen - -
gierungskonferenz 1996 zusammenzuführen und ei-
(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
nen Konsens zu finden, der für alle Mitgliedstaaten
GRÜNEN]: Für Ihre Rede hätten wir nicht
einstimmig tragbar ist. Wie schwierig das ist, sehen
zu reden brauchen! Das konnten Sie auch
Sie doch am Beispiel der SPD, einer inzwischen recht
vorher schon erzählen!)
überschaubar gewordenen Oppositionspartei, die es
noch nicht einmal in zentralen Fragen der deutschen - Herr Lippelt, ich kann ja verstehen, daß Sie man-
Politik mit Mehrheit schafft, zu einer einigermaßen gels Argumenten versuchen, mit Polemik Stimmung
klaren und erkennbaren Meinung zu kommen. zu erzeugen. Aber Sie werden sehen, daß wir auf
dem Weg zur Regierungskonferenz unbeirrt weiter-
Meine Damen und Herren, der europäische Inte- gehen. Wir tun dies nicht, weil wir der Reihe der Re-
grationsprozeß hat von jeher nach dem Muster der gierungskonferenzen eine weitere hinzufügen wol-
Echternacher Springprozession Fortschritte und len, sondern wir tun dies, weil wir glauben, daß es
Rückschläge gekannt. Es gab Unkenrufe im Vorfeld wichtige Probleme gibt, die gelöst werden müssen.
der Europäischen Einheitlichen Akte, es gab Unken- Ich möchte drei Probleme nennen: Die Bürger erwar-
rufe im Vorfeld der Regierungskonferenz von Maas- ten von uns, daß wir in absehbarer Zeit eine europä-
tricht, und Sie können auch jetzt der Versuchung ische Antwort geben - -
nicht widerstehen, in den Chor derer einzustimmen,
die bereits wieder von einem Scheitern und von Er-
folglosigkeit sprechen. Nur, werden Sie sehen, Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zeit, Zeit!
werden sich auch diesmal ganz genauso täuschen
und irren, wie Sie sich 1987 und wie Sie sich bei Peter Altmaier (CDU/CSU): Die Redezeit ist zu
Maastricht geirrt haben. Ende. Wir werden trotzdem die Antwort auf die Fra-
gen geben,
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Mein Lieber, davon hat kei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
ner geredet! Der erste, der das macht, sind Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie!) DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4805
Peter Altmaier
denen wir uns auf der Regierungskonferenz gegen- nachteile gegenüber den anderen Welthandelsregio-
übersehen. Wir laden Sie ein, dabei mitzumachen. nen und auf den Kapitalmärkten weltweit bescheren.
Wir werden noch oft Gelegenheit haben, diese Dis- Sie würde ferner das viel größere Risiko in sich ber-
kussion in diesem Haus zu führen. gen, daß die EU wieder auseinanderbricht und damit
insgesamt kaputtgeht.
Vielen Dank.
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Sagen wir ja!)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der - Das ist genau das Problem, Herr Haussmann. Sie
Kollege Norbert Wieczorek, SPD. können nicht einerseits fordern, die Kriterien müßten
erfüllt sein, und andererseits sagen: A lles muß 1999
laufen. Das ist genau das Problem, vor dem wir ste-
Dr. Norbe rt Wieczorek (SPD): Herr Präsident! hen.
Meine Damen und Herren! Ich hoffe ja, daß wir noch
einmal Antworten bekommen; von Mallorca haben (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das weiß
wir leider keine bekommen. Was wir von Mallorca ich doch auch! Wir wollen beides!)
bekommen haben, ist eindeutig Unsicherheit in der
Fortentwicklung der politischen Union, es sei denn, Das ganze Vertragswerk ist auf eine Spaltung zwi-
Sie beziehen sich auf Ihr Minimalkonzept. Das kann schen Mitgliedern und Nichtmitgliedern eingerich-
wohl nicht langen. Ich darf daran erinnern - der Herr tet. Herr Dini hat dies ja jetzt artikuliert, indem er
Bundeskanzler ist ja da -, daß es vor Maastricht auch sagt: Dann brauchen wir eine Verschiebung. Ich
immer aus seinem Munde hieß: Die Währungsunion warne aber davor, daß die deutsche Politik, wenn sie
und die Politische Union müssen parallel gestaltet diese Diskussion mit be treibt, den Verdacht erweckt,
werden. Davon kann ich im Moment sehr wenig er- sie wolle aus der Wirtschafts- und Währungsunion
kennen. ausbüchsen.

Das führt mich zu dem, was mich an den Stellung- In diesem Zusammenhang will ich einmal sehr
nahmen des Kollegen Waigel eigentlich überrascht deutlich auch etwas zum Bundeskanzler sagen - er
hat. Wie sie an die Öffentlichkeit gelangt sind, ist sitzt ja zum Glück da oben -: Dieser Zeitplan ist da-
eine zweite Frage. Inhaltlich hat er das gesagt, was mals in den Vertrag von Maastri cht von Bundeskanz-
das Haus hier beschlossen hat: Es gibt keinen Rabatt ler Kohl und Präsident Mitterrand hineingeschrieben
bei den Kriterien. Man hat Bewertungen vorgenom- worden. Wenn jetzt vom Bundeskanzler gesagt wird,
men, die jeder auf den Zeitungsseiten nachlesen dann müsse er eben 1996 im Trockenlaufverfahren
kann. Das Überraschende ist doch, wie die Reaktio- überprüft werden, ist natürlich der Verdacht sehr
nen darauf waren; das zeigt aber, wie brüchig das Eis groß, daß er vor den Folgen des eigenen Handelns
ist, auf dem wir sind. Das macht mir viel mehr Sor- durch die Hintertür weglaufen wi ll.
gen, und darüber sollten Sie nachdenken.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ F.D.P.)
DIE GRÜNEN) -
Die Verabredung mit Präsident Mitterrand in der al-
Deswegen sage ich hier noch einmal in a ller Deut- lerletzten Phase, im Vertrag den Zeitrahmen vorzuse-
lichkeit für die SPD: Wir wollen diese Währungs- hen, rächt sich eben jetzt, weil sich, ganz simpel,
union erfüllen, wenn die Kriterien erfüllt sind. Daran Herr Kollege Haussmann, ökonomische Prozesse
kann es kein Rütteln geben. nicht nach dem Willen von Politikern richten; das
sollten auch Sie erfahren haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Dem Norbe rt
Wieczorkglaubnwds!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN - Dr. Helmut Haussmann
Aber das ist die deutsche Position. Natürlich wün-
[F.D.P.]: Das sagt die F.D.P. schon lange! Da
schen wir uns - ich habe den Eindruck, auch andere -,
für werden wir ja kritisiert!)
daß wir, wenn wir die Währungsunion haben wer-
den, eine bessere Zusammenarbeit bei Haushalts-, Das Dilemma der Zweiteilung ist doch real. Der
bei Fiskalpolitik und - ich füge hinzu - bei Wi rt Vertrag sieht das vor. Alle haben zugestimmt. Es
-schaftpolikundSz beomnwrd; zeichnet sich ab, daß es möglicherweise eine immer
denn dies ist notwendig. kleinere Gruppe von Ländern sein wird, die den Zeit-
Aber das führt uns genau zu dem Problem, das wir plan erfüllen kann. Dann stehen wir aber vor der
haben: Der Maastricht-Vertrag bezieht sich in seinen Frage: Kann man sich eine Währungsunion vorstel-
Kriterien auf realwirtschaftliche Entwicklungen. len, in der nur ein großes Land ist, und hat das inte-
Diese kann man nicht mit schierem politischen Wil- grationspolitische Wirkungen oder nicht? Ich fürchte,
len beeinflussen. Das ist das eigentliche Problem. es würde fatale Wirkungen haben.
Realwirtschaftliche Konvergenz ist allerdings - da (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das kann
hoffe ich, daß wir uns einig sind - Voraussetzung für man heute noch nicht beurteilen!)
einen dauerhaften Erfolg der Währungsunion. Eine
weiche Währungsunion würde nicht nur in der Bun- - Aber, Herr Kollege Haussmann, ich gebe Ihnen ei
desrepublik nicht akzeptiert; sie würde vielmehr den nen kleinen Hinweis: Warten Sie mal ab, was in den
Teilnehmerländern entscheidende Wettbewerbs nächsten zwei Monaten in einem sehr großen Land -
4806 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Dr. Norbert Wieczorek


außer unserem - passiert. Ich nehme das sehr ernst, aber im einheitlichen Markt endlich geschehen, da-
was da jetzt passiert. mit wir mehr Beschäftigung bekommen.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wir haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Vertrauen zu Herrn Juppé!) DIE GRÜNEN)

- Sie mögen gern Vertrauen in Juppé haben. Die Denn wenn das so weitergeht, dann helfen wir nicht
Frage ist, wie das in Frankreich mit der Bevölkerung nur der Währungsunion nicht und der politischen In-
und Juppé ist. Aber das wird sich ja herausstellen. tegra tion nicht, sondern dann schaden wir vielmehr
Ich will hier jetzt nicht den gleichen Fehler machen Europa und der Bundesrepublik, auch den Ländern,
wie andere. Nur würde ich an Ihrer Stelle nicht vor- die noch Mitgliedsländer werden wollen, nicht nur
laut sein wollen. den Ländern, die heute schon Mitglied sind.

Das Entscheidende ist doch, daß natürlich jedes (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Land die Kriterien selbst erfüllen muß. Aber was bis- GRÜNEN und der PDS - Dr. Helmut Hauss
her nicht geschieht - das ist meine Kritik an dieser mann [F.D.P.]: Vorsicht! Es ist genau wieder
Bundesregierung -, ist, daß sich die Bundesregie- falsch gegangen: Klein-Europa!)
rung nicht bemüht, die realwirtschaftlichen Bedin-
gungen in diesen Ländern mit zu verbessern. Es ist Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
für mich zentral, daß es end lich einen gemeinsamen Kollege Martin Mayer, CDU/CSU-Fraktion.
Ansatz für eine Beschäftigungspolitik geben muß.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Dr. Ma rt in Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Herr
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schwer
nachvollziehbar, warum die Grünen diese Aktuelle
Es ist doch gerade die Arbeitslosigkeit, die etwa ei- Stunde beantragt haben, mit Ausnahme der Absicht,
nem Land wie Frankreich solche Schwierigkeiten ungerechtfertigte Vorwürfe gegen die Bundesregie-
macht, die Budgetkriterien zu erfüllen. Deswegen rung zu erheben.
müssen wir in bezug auf die Beschäftigungspolitik
endlich etwas machen. Es ist die Arbeitslosigkeit, die (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ging
nationalistisches Denken fördert; es ist die Arbeitslo- schief!)
sigkeit, die in den reichen Nationen die Spaltung der
Auf Mallorca wurden wichtige Ziele erreicht. Do rt
Gesellschaft bewirkt, zunehmend auch bei uns.
gabesprönlichBuge.IrnWtka
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das haben man nicht in Punkt und Komma ausdrücken.
die Sozialisten immer verhindert!) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung hier, den Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
einheitlichen Markt zu verwirklichen; er ist ja noch DIE GRÜNEN]: Da sollte der Bundeskanzler
gar nicht endgültig verwirklicht. Ich fordere zu- einmal erzählen, was man bei persönlichen
gleich, daß die Bundesregierung darangeht, sich zu
- Begegnungen nicht in Punkt und Komma
überlegen und mit Vorschläge zu machen, wie wir ausdrücken kann!)
das EWS, das ja praktisch mo ribund ist, wiederbele- Der Zeitplan für die Regierungskonferenz ist festge-
ben können. Gerade dann, wenn das passiert, was legt worden. Für diese Konferenz kann man natürlich
Dini jetzt in Gang gesetzt hat - der Zug hält noch zum jetzigen Zeitpunkt keine Details festlegen; die
nicht; ich fürchte, er wird noch stärker laufen -, brau- Grundzüge wurden von der Bundesregierung jedoch
chen wir das, um keine Wettbewerbsverzerrung aus bereits mehrmals dargelegt. Die Fragen, die der Herr
Auf- und Abwertungen zu bekommen. Da ist die Kollege Fischer vorhin gestellt hat, sind von der Bun-
Bundesregierung gefordert. Dazu habe ich aber hier desregierung mehrfach beantwortet worden.
und heute überhaupt nichts gehört. Ich meine, wir
sollten dieses machen. (Lachen der Abg. Heidemarie Wieczorek
Zeul [SPD])

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zeit! Es geht darum, die europäischen Institutionen


schlanker und effizienter zu machen und damit die
Voraussetzungen für eine Erweiterung zu schaffen.
Dr. Norbe rt Wieczorek (SPD): Ich möchte zum Es geht darum, die politische Union zu vertiefen. Es
Schluß kommen. Ich möchte nur noch eines sagen: geht darum, den Zeitplan für die Wirtschafts- und
Die Krise im Integrationsprozeß werden wir nicht Währungsunion einzuhalten.
durch Aussitzen, sondern nur durch entschlossenes
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehr gut!)
Handeln bewältigen.
Wenn es aber zum Konflikt zwischen Terminen und
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das kann der Geldwertstabilität kommt, dann hat für uns die
man ja wirklich niemandem vorwerfen!) Geldwertstabilität Vorrang.
- Dies habe ich gerade vorgeworfen, weil es in bezug (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Beides!)
auf die Besei tigung der Arbeitslosigkeit und die Sta
bilisierung des EWS eben nicht geschieht. Das muß Auch das ist bereits mehrfach gesagt worden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4807
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Die Grünen wollen mit dieser Aktuellen Stunde Ich möchte an die Adresse der Grünen sagen: Be-
wohl davon ablenken, daß sie selbst in grundlegen- vor Sie kleinkariert an den Leistungen der Bundesre-
den europäischen Fragen heillos zerstritten sind. gierung herumkritisieren, sollten Sie in Klausur ge-
hen und Ihre unausgegorenen, weltfremden und vor
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!)
pubertären Vorstellungen von Europa über Bord wer-
Sie reden von einer Krise der Europäischen Gemein- fen und durch bessere ersetzen.
schaft. In Wirklichkeit wollen sie von der Krise der
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Grünen in grundlegenden politischen Fragen ablen-
ken.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat der
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Kollege Spiller, SPD.
Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Nehmen Sie doch das Thema Bosnien-Herzego- Jörg-Otto Spiller (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
-wina, nehmen Sie das Thema Gemeinsame Außen men und Herren! Stabiles Geld gibt es nicht ohne
und Sicherheitspolitik! Hier wird doch deutlich - das breites Vertrauen. Dieses Vertrauen darf nicht auf
bewegt die Menschen in unserem Land -, daß be- bloßen Hoffnungen, sondern muß auf einer soliden
stimmte Leute nur mit militärischen Mitteln zur Ver- Grundlage beruhen. Die Europäische Wirtschafts-
nunft gezwungen werden können. Es wird deutlich, und Währungsunion muß eine Stabilitätsgemein-
daß sie nur durch den Einsatz der NATO, die Sie ab- schaft sein.
schaffen wollen, gemeinsam mit den USA an den
Verhandlungstisch gezwungen werden konnten. An (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehr gut!)
diesem Beispiel wird deutlich, daß mehr Gemeinsam-
keit in der europäischen Außen- und Sicherheitspoli- An der Entschließung, die der Deutsche Bundestag
tik denn je notwendig ist. Das ist ein Ziel, für das die am 2. Dezember 1992 auf Antrag der Fraktionen der
Bundesregierung wirbt. CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. verabschiedet hat,
gibt es keine Abstriche zu machen. Die Vorgänge der
Die Grünen wollen auch davon ablenken, daß ihre letzten sieben Tage waren allerdings leider eher ein
Vorstellung von der Europäischen Union wirklich- Zeichen von Unsicherheit. Ich nehme es dem Bun-
keits- und weltfremd ist. Ich wi ll aus dem Bundes- desfinanzminister ab, daß er nicht davon ausgegan-
tagswahlprogramm Ihrer Partei zitieren. Sie schrei- gen ist, daß seine Äußerungen vor dem Finanzaus-
ben da von einem „Dreiklang der Reformen der Eu- schuß in vergröberter und verkürzter Form der Öf-
ropäischen Union". Eine Reform aus diesem „Drei- fentlichkeit zugänglich gemacht werden. Aber ich
klang" heißt „radikale gesamteuropäische Öffnung". meine, daß das, was der Herr Bundesfinanzminister
Ich kann Ihnen nur sagen: Dann würde es nicht nur im Anschluß getan hat, verfehlt war. Das Inte rview in
einen Chaos-Tag in Hannover geben; der „Bild"-Zeitung an diesem Montag beispielsweise
war überflüssig. Das kraftmeierische Nachhaken war
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
überflüssig.
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Dann sind wir für ein weite (Beifall bei der SPD)
res Kruzifix-Urteil, damit die Revolu tion in -
Bayern tobt!) Nachdem Herr Waigel am Montag sein Inte rview
gegeben hatte, erschien einen Tag später, gestern,
es würde Chaosjahre in Europa geben, wenn wir ver- „Le Monde" mit einem großen Artikel, in dem stand,
wirklichen wollten, was Sie in Ihrem Programm for- Deutschland gebärde sich als Gendarm. Daß wir Hü-
dern - abgesehen davon, daß solch eine Öffnung nie- ter der Stabilität sein wollen ist eine gute Rolle. Aber
mand in Europa mitmacht. schulmeisterischer Besserwisser für ganz Europa sein
Ich will Ihnen auch sagen: Die Grünen geben in ih- zu wollen, wird uns nicht guttun.
rem Programm und in ihren Aussagen keine einzige (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/
Antwort auf die Frage, wie wir der großen Herausfor- CSU: Da sitzen sie doch, die Schulmeister! -
derung der organisierten Kriminalität in Europa be- Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Helmut
gegnen sollten. Darüber müssen Sie sich doch einmal Schmidt war der größte von ihnen!)
Gedanken machen!
Wenn in der letzten Woche eines deutlich gewor-
(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ den ist, dann war das: Die Nervosität der Devisen-
DIE GRÜNEN]: Wir lassen die ganze CSU- märkte ist ein Faktor, den man berücksichtigen muß.
Stadtratsfraktion in München festnehmen!) Ich erinnere daran, daß auch die Stabilität von
Wir können feststellen: Die Zusammenkunft der Wechselkursen ein Kriterium für Maastricht, die
Regierungschefs war nützlich. Bundeskanzler Kohl Wirtschafts- und Währungsunion, ist.
hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, Europa (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Unstrittig!)
auf dem richtigen Weg vorwärtszubringen. Auch
wenn es nur ein kleiner Schritt war: In solch schwie- Wir haben kein Interesse daran, solche Nervosität
rigen Situationen sind auch kleine Schritte ein Er- durch unbedachte Äußerungen noch zu erhöhen. Wir
folg. haben ein Interesse daran, daß der Konsens in Eu-
ropa über diese Stabilitätsgemeinschaft nicht gefähr-
Die Leistungen des Bundeskanzlers und des Fi- det wird.
nanzministers werden mittlerweile in ganz Europa
und in der Welt anerkannt. (Zuruf von der CDU/CSU: Ist er doch nicht!)
4808 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Jörg-Otto Spiller
Im übrigen steht uns auch Hochmut nicht an . Vor sei denn - jetzt muß ich es doch noch einmal sagen,
einem Jahr mußte sich der Bundesfinanzminister gemäß einem alten pädagogischen Grundsatz, daß
noch große Sorgen machen, ob Deutschl and über- häufiges Wiederholen den Lernprozeß fördert -, man
haupt den Kriterien des Maastricht-Vertrages ge- hat immer noch nicht verstanden, was ein informeller
recht wird. Das ist noch immer relativ knapp. Deswe- Gipfel soll und was er bestenfalls leisten kann. In
gen sollte man keine großen Anklagen oder recht- Mallorca fand ein informeller Gipfel statt. Wer erwar-
haberische Vorwürfe an andere Mitgliedsländer der tet hat, daß es do rt Beschlüsse zur Europäischen
Europäischen Union richten. Union, zur europäischen Einigung, zu 1996 gab, Be-
schlüsse, die der Ratsgipfel in Madrid am Ende die-
Wir haben im Deutschen Bundestag bisher einen ses Jahres zu fassen hat, der liegt einfach völlig
Konsens darüber, daß die Kriterien von Maastricht falsch. Ein informeller Gipfel - dieses Ins titut ist un-
strikt auszulegen sind. Ich bedaure, daß es leider aus ter der deutschen Ratspräsidentschaft in Essen ein-
den Reihen der Koalition neuerdings auch Äußerun- gerichtet worden - dient dazu, ohne Termin- und
gen gegeben hat, die Zweifel daran nähren. Ich weiß Entscheidungsdruck innerhalb weniger Stunden
nicht, ob das ein korrektes Zitat ist; aber das „Han- eine Vielzahl von wichtigen Entscheidungen fällen
delsblatt" hat am 25. September gemeldet, der CDU- zu müssen, debattieren und gemeinsame wie diffe-
Politiker Karl Lamers habe am Gardasee erklärt, rierende Standpunkte feststellen zu können.
wenn sich die politische Lage in Ita lien festige, sei
die Einhaltung der Konvergenzkriterien bis aufs Ich halte die Einrichtung dieses Ins tituts für gut
Komma nicht mehr maßgebend. und hoffe, daß es weitergefüh rt wird. Denn wir brau-
chen in der europäischen Politik beides, einerseits
(Lachen bei der CDU/CSU) den konkreten Entscheidungsdruck für europäische
Ich meine, es kommt darauf an , daß wir Verläßlich- Gremien, ebenso den Ratsgipfel. Ohne diesen pas-
keit und Stetigkeit in der deutschen Politik, speziell siert nichts. Das wissen wir. Andererseits brauchen
in der Währungspolitik, nicht in Zweifel ziehen. Die wir aber auch die informellen Gespräche, wie es sie
Maßstäbe dürfen nicht zum Gummiband werden. am Wochenende gab.

(Beifall bei der SPD) Der Erfolg, den ich aus dem informellen Gipfel
vom vergangenen Wochenende herauslese, ist der,
Wir haben nicht nur gegenüber den Bürgerinnen daß in wich tigen Punkten gemeinsame Interessen
und Bürgern unseres Landes, sondern auch gegen- und Gemeinsamkeiten festgestellt werden konnten.
über unseren Partnern in Europa darauf zu achten Die Probleme der Ausführung liegen natürlich wei-
und wir haben die Verpflichtung, daß Währungspoli- terhin im Detail und werden uns und die europäische
tik in Deutschland mit Stetigkeit und Verläßlichkeit Politik in den nächsten Jahren beschäftigen.
betrieben wird.
Aber ich möchte darauf hinweisen: Es besteht un-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ter den europäischen Regierungschefs offensichtlich
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weitestgehend Einvernehmen über die Schwer-
punkte der zu beratenden und zu lösenden Themen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der-
bei der Regierungskonferenz 1996. Es geht um Fort
-führungdeGmisaAßn-udScherits
Kollege Michael Stübgen, CDU/CSU-Fraktion.
politik, d. h. um eine Gestaltung, bei der die Gemein-
same Außen- und Sicherheitspolitik der Europä-
Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr ischen Union auch so genannt werden kann und
verehrte Damen und Herren! Ich stelle fast am Ende wirklich in der Tat eine gemeinsame Außen- und
dieser Debatte fest: Der europäische Motor stottert Sicherheitspolitik wird; Weiterführung der Zusam-
nicht, er ist auch nicht ausgefallen. Das europäische menarbeit im Innen- und im Justizbereich. Es ist
Schiff treibt auch nicht manövrierunfähig auf hoher wichtig, dort festzustellen, daß man erst einmal an
See. Das europäische Schiff bewegt sich vorwärts, in diesem Punkt arbeiten will. Der nächste Punkt wäre,
der Tat zu langsam. Es muß seine Geschwindigkeit Effizienz und Handlungsfähigkeit der Europäischen
noch deutlich beschleunigen, um die notwendigen Union zu stärken und außerdem die Transparenz der
Ziele in den nächsten Jahren zu erreichen. Ich europäischen Entscheidungsprozesse zu verbessern.
glaube, darüber sind wir uns im wesentlichen einig.
In diesem Bereich herrscht zunächst einmal Einig-
Allerdings bin ich auch fast am Ende dieser De- keit, daß das die Schwerpunkte für 1996 sind. Wenn
batte in einer Frage noch nicht wesentlich klüger als hierüber Einigkeit besteht, dann ergibt sich daraus
am Anfang dieser Debatte: wo denn nun ganz kon- zwangsläufig auch die Übereinstimmung über die
kret nach diesem Wochenende oder nach der letzten Folgen, die nämlich unmittelbar im Anschluß daran
Woche die ganz besonderen Probleme und die soge- kommen. Das heißt, im unmittelbaren Anschluß an
nannte Krise der Europäischen Union liegen. die Konferenz von 1996, die möglicherweise bis
Mitte 1997 dauern wird, folgen die notwendigen Ent-
Es gibt sehr viele Bereiche, die defizitär sind. Wir scheidungen zur Wirtschafts- und Währungsunion.
sprechen, Herr Wieczorek, permanent im Europa
usschuß darüber und versuchen, darüber zu debat- -A Daß wir hier darüber debattieren, ist richtig, aber
tieren, wie wir diese Defizite reduzieren oder sogar das ist erst der nächste Schritt. Die Konferenz von
beseitigen können. Aber ich kann nicht sehen, daß 1996 ist der erste Schritt. Der nächste Schritt sind die
ausgerechnet nach dem Gipfel eine besondere Krise notwendigen Entscheidungen für die Wirtschafts-
in der Europäischen Union ausgebrochen wäre, es und Währungsunion, die Reform der Systeme der Ei-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4809
Michael Stübgen
genmittel der Agrar- und Strukturpolitik, die Frage ministers Hoyer, den ich übrigens persönlich sehr
der Erweiterung der Europäischen Union um Malta schätze,
und Zypern sowie Beginn und Vorbereitung der Bei-
trittsverhandlungen für Mittel- und Osteuropa. (Zuruf von der SPD: Keine Liebeserklärun
gen!)
Nach diesem Gespräch in Mallorca ist es mitnich-
ten so, daß diese Probleme alle gelöst sind. Aber ich ist ein beredtes Beispiel dafür, wie sich die Konzep-
halte es für einen Erfolg, daß erstens weitestgehend tionslosigkeit der Bundesregierung in Sachen Euro-
klar ist: Was muß 1996 beraten werden? Zweitens ist papolitik in Worte fassen läßt. Das Plauderstünd-
klar: Was muß danach beraten werden? Es ist auch chen, so wie es Herr Hoyer in seinen acht Minuten
offensichtlich allgemein bekannt, unter welchem geliefert hat, ist ein typisches Beispiel dafür, daß mit
Zeitdruck diese Entscheidungen der Europäischen so wenig Inhalt Europapolitik nicht fortschrittlich ge-
Union in den nächsten Jahren erfolgen müssen und staltet werden kann.
daß eine Verzögerung bei einem dieser Schritte im
Prinzip den gesamten Einigungsprozeß gefährden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
würde. ten der PDS)
Aber in einem, Herr Hoyer, möchte ich Ihnen recht
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, geben, nämlich darin, daß sich Europa nicht in der
Ihre Zeit! Krise befindet, daß auch das Gerede davon, daß
Europa in der Krise sei, falsch ist. In der Krise befin-
det sich vielmehr die neokonservative Wirtschafts-
Michael Stübgen (CDU/CSU): Darf ich dann noch und Sozialpolitik, in der Krise befindet sich die
einen Satz anfügen? Finanzpolitik.

(Oh-Rufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Einen Satz, okay.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der
Regierungskoalition, glauben Sie denn, daß, wenn
Michael Stübgen (CDU/CSU): Es handelt sich um Sie eine Politik betreiben, die die Reichen immer rei-
ein Entgegenkommen den Antragstellern gegen- cher und die Armen immer ärmer werden läßt, wenn
über. Ich gehe davon aus, daß es keine besondere Sie davon reden, daß Sie durchsetzen wollen, daß
Krise der Europäischen Union gibt, die eine Aktuelle eine Wirtschafts- und Sozialpolitik gemacht wird,
Stunde rechtfertigt. Sollten Sie aber der Meinung die diesen Namen nicht mehr verdient, und wenn Sie
sein, daß die Zeit, in der die Europapolitik im Deut- dann gleichzeitig sagen - das ist eine Drohung -, Sie
schen Bundestag beraten wird, angesichts der funda- wollen dies auf die europäische Ebene übertragen,
mentalen Bedeutung dieses Prozesses für die Bun- die Menschen begeiste rt sind, wenn von Europa die
desrepublik Deutschland und jeden ihrer Bürger Rede ist?
nicht angemessen, d. h. nicht ausreichend ist, dann
teile ich Ihre Überzeugung. Aber dann sollten wir (Zuruf von der CDU/CSU: Deutschland ein
-
nicht versuchen, mit herbeigeredeten Krisen und Jammertal!)
Aktuellen Stunden hier im Bundestag mehr über
Europapolitik, ihre Probleme, die Herausforderungen Ihre falschen Politikansätze tragen dazu bei, daß
und Lösungswege zu debattieren, - die europäische Einigung in der Bevölkerung immer
schlechter dasteht. Die Aufbruchstimmung, die es
noch vor wenigen Jahren gegeben hat, ist durch die
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ein ziemlich lan- verfehlte Wi rtschaftspolitik einer einseitigen Beto-
ger Satz, Herr Kollege. nung des wirtschaftlichen Interesses von Europa zer-
stört worden. Die Menschen sind enttäuscht von der
Regierungspolitik. Die Regierungspolitik schafft es
Michael Stübgen (CDU/CSU): - sondern wir sollten immer wieder, durch Ablenken von den Tatsachen,
gemeinsam überlegen, wie wir, ausgehend von einer durch ein einseitiges Lenken von Problemen auf die
positiven Posi ti on, über Europapolitik debattieren europäische Dimension, von den eigenen Problemen
können. abzulenken. Lesen Sie doch in Ihren Presseerklärun-
gen nach, in denen Sie immer wieder Europa als Vor-
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
wand genommen haben, als Vorwand für den Abbau
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) des Sozialstaates, als Vorwand für den Abbau der
demokratischen Rechte von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern und als Vorwand dafür, in der innen-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der politischen Diskussion auf Europa abzulenken und
Kollege Uwe Hiksch, SPD. dies alles mit Sachzwängen zu begründen.
(Zuruf von der SPD: Jetzt wird es wieder (Zuruf von der F.D.P.: O Gott!)
einmal gut!)
Innerhalb der CDU/CSU-Fraktion hat sich eine
konservative Offensive gesammelt, eine Offensive,
Uwe Hiksch (SPD): Herr Präsident! Meine sehr die sich vorgenommen hat, neue Nationalismen in
geehrten Damen und Herren! Die Rede des Staats- die eigene Politik einzubringen und mit diesen
4810 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Uwe Hiksch
neuen Nationalismen europäische Dimensionen zu Ich habe den Eindruck, die Grünen müssen heute
zerstören. scheinbar den Umfaller der letzten Woche wieder-
gutmachen. Sie mußten eingestehen, daß man völlig
(Zuruf von der CDU/CSU: Sprechblasen!) auf dem Holzweg war, gestern auf dem falschen
Nicht der europäische Bundesstaat, dieses große, Asylweg und heute auf dem europäischen Holzweg.
Sie sind sich wirklich, meine Damen und Herren von
hehre Ziel, ist heute noch das perspektivische Ziel ei-
nes immer größer werdenden Teils Ihrer Regierungs- der Opposition, für nichts zu schade.
koalition, nein, von „Kerneuropa", von einem „Boll- (Vera Wollenberger [BÜNDNIS 90/DIE
werk der Reichen gegen die Armen", von einem GRÜNEN]: Wissen Sie, was Sie gesagt ha
„Bollwerk derjenigen, die stark sind, gegen diejeni- ben?)
gen, die schwach sind", wird immer mehr geredet.
Ein politisches Geschäft mit der Angst unserer Bür-
Mit dem sogenannten Schäuble/Lamers-Papier
ger wird hier probiert, nichts anderes.
wurde der europäischen Einigung geschadet. Neue
Vorurteile, neue Ängste wurden geweckt und gaben (Beifall bei der CDU/CSU)
Euro-Skeptikern bei uns im Lande, aber auch in den
anderen Ländern neue Argumente. Europa braucht keine Ängste, keine Unruhen und
auch keine Spekulationen. Es braucht auch nicht
(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!)
diese Ideologie, die mein Vorredner hier vorgetragen
Solche Papiere und solche Diskussionen, wie sie mit hat. Wir brauchen keine Dauerbedenkenträger
dem Schäuble/Lamers-Papier losgetreten wurden, namens Fischer. Wir brauchen für unsere Bürger in
sind der eigentliche Grund für das, was heute als Europa stabile Finanzen, eine stabile Währung, eine
Krise der europäischen Einigung und der europä- gerechtere Lastenverteilung und gleiche Wettbe-
ischen Politik bezeichnet werden kann. werbsbedingungen für mehr Arbeitsplätze.

Meine Damen und Herren von der Regierungs- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
koalition, wo sind denn Ihre Konzepte, wie Sie die GRÜNEN]: Haben Sie überhaupt die Zei
mittel- und osteuropäische Einigung vorantreiben tung gelesen?)
wollen? Wo sind denn Ihre Konzepte, wie Wirt-
schaftspolitik gestaltet werden soll, bei gleichzei tiger Wesentlich ist doch, meine Damen und Herren,
Erhaltung der Arbeitsplätze in unserem Land, inner- daß der Bundesfinanzminister für unsere Stabilität
halb der Europäischen Union und in den mittel- und ganz klare Prioritäten gesetzt hat. „Die Erfüllung der
osteuropäischen Ländern? Wo sind denn Ihre Vor- Stabilitätskriterien ist wichtiger", so seine Aussage,
schläge, wie die Wirtschafts- und Währungsunion „als der Termin für den Beginn der dritten Stufe der
vernünftig gestaltet werden kann? A ll das ist bei Währungsunion. "
Ihnen Fehlanzeige.
(Zuruf von der F.D.P.: Sind gleich wich tig,
Lassen Sie mich zum Schluß noch kurz etwas sa- verehrter Kollege!)
gen: Wenn es uns nicht gelingt, diese Lethargie der
- Es ist längst bekannt, daß zur Zeit nur Deutschland
konservativ-liberalen Politik zu durchbrechen,
und Luxemburg die Konvergenzkriterien erfüllen.
(Lachen bei der CDU/CSU) Dies ist nichts Sensationelles. Nicht ohne Grund hat
die Europäische Kommission kürzlich blaue B riefe an
wenn es uns nicht gelingt, diese Lethargie der fal- zwölf Mitgliedstaaten wegen übermäßiger Haus-
schen ökonomischen, der fehlenden ökologischen haltsdefizite geschickt.
und der aufgegebenen sozialpolitischen Ansätze zu
überwinden und Europa end lich wieder zu verbin- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
den mit einer europäischen demokratischen Reform- GRÜNEN]: Hört! Hört!)
perspektive, dann ist der europäische Einigungspro-
zeß gefährdet, aber nicht, weil Europa in der Krise Wir kümmern uns um die Stabilität der Mark. An-
ist, sondern Ihre Politik. dere Länder müssen das gleiche für ihre stabile
Währung tun. Es geht dabei nicht um Notengebung
Danke schön. oder Besserwisserei, sondern um eine offene und
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ehrliche Analyse des europäischen Status quo.
GRÜNEN und der PDS) Ich möchte noch einmal deutlich hervorheben: Die
Wirtschafts- und Währungsunion steht selbstver-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der ständlich allen EU-Mitgliedstaaten offen, aber die
Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU. Konvergenzkriterien müssen in jedem Fall erfüllt
sein. Dies ist im Vertrag von Maastricht deutlich fest-
geschrieben. Nur dann ist die Stabilität der Währung
Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! gesichert. Nur dann ist die Währungsunion unseren
Meine Damen! Meine Herren! Heute ist der Popanz Bürgern vermittelbar.
in die Welt gesetzt worden, es gebe eine europäische
massive Krise. Ich meine, für diesen Ausdruck, für Natürlich werden wir nicht so lange warten kön-
diesen Eindruck, meine Damen und Herren von der nen, bis die Schuldenpräsidenten der SPD, Lafon-
Opposition, sollten Sie sich schämen. taine und Schröder, diese Konvergenzkriterien erfül-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4811
Hans Michelbach
len. Da würden wir lange warten. Die werden sie Schon heute hängt jeder dritte Arbeitsplatz vom
wohl nie erfüllen, auch nicht mit einer sogenannten europäischen Binnenmarkt und der europäischen
Heidschnuckenklausel. Für Niedersachsen werden Wirtschafts- und Währungsunion ab. Somit ist für die
wir die sicher nie erreichen können. Zukunft unserer Arbeitsplätze und für den Standort
Deutschland das gemeinsame Europa unerläßlich.
Gestatten Sie mir noch einmal eine deutliche Fest- Deswegen sollte man nicht falsches Zeug reden, son-
stellung. Die Europäische Wirtschafts- und Wäh- dern dieses anerkennen, meine Damen und Herren.
rungsunion ist für uns von existentieller Bedeutung.
Deswegen sollten Sie diese Bedeutung hier nicht be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
schädigen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolle-
ginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist been-
Für die deutsche und europäische Wi rt schaft und det. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Ta-
für unsere Arbeitsplätze bedeutet die Währungs- gesordnung.
union: Wirtschaftsförderung für mehr Wachstum,
Währungsstärkung für vermehrten Expo rt und Un- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
ternehmensförderung für mehr Beschäftigung gefor- destages auf Donnerstag, den 28. September 1995,
dert. Das sind hohe Ziele, meine Damen und Herren. 9.00 Uhr ein.
Deshalb können wir diese Dinge dann doch nicht Die Sitzung ist geschlossen.
einfach mit einer Aktuellen Stunde so beschädigen,
wie Sie dies heute versucht haben. (Schluß der Sitzung 15.35 Uhr)

Berichtigung
54. Sitzung, Seite III, linke Spalte: Die bei Anlage 7
ab der dritten Zeile aufgeführte Inhaltsangabe „Be-
teiligung eines saarländischen Unternehmens am
Waffenschmuggel" gehört zu der mündlichen An-
frage Nr. 29 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard
(SPD) und ist nicht eine Frage des Abgeordneten
Reiner Krziskewitz (CDU/CSU).
Auf Seite 4525 C, Anlage 7, ist die zweite abge-
druckte Frage nicht die Frage des Abgeordneten
Reiner Krziskewitz sondern die Frage der Abgeord-
neten Dr. Elke Leonhard. Die auf Seite 4526 A abge-
druckte Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Norbe rt
rt ist die Beantwortung der Frage 29 der Ab- Lame
geordneten Dr. Elke Leonhard.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4813'

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1
entschuldigt bis
Abgeordnete(r)
einschließlich
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Schluckebier, Günther SPD 27.9. 95 *'
entschuldigt bis Schmidt (Aachen), Ulla SPD 27.9. 95
Abgeordnete(r)
einschließlich
Steindor, Marina BÜNDNIS 27. 9. 95
Adler, Brigitte SPD 27. 9. 95 90/DIE
GRÜNEN
Antretter, Robert SPD 27. 9. 95 *
Sterzing, Christian BÜNDNIS 27. 9. 95
Behrendt, Wolfgang SPD 27. 9. 95 * 90/DIE
GRÜNEN
Berger, Hans SPD 27. 9. 95
Stiegler, Ludwig SPD 27. 9. 95
Bindig, Rudolf SPD 27. 9. 95 *
Terborg, Margitta SPD 27. 9. 95
Blunck, Lilo SPD 27. 9. 95 *
Tippach, Steffen PDS 27. 9. 95
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 27. 9. 95 *
Vosen, Josef SPD 27. 9. 95
Catenhusen, SPD 27.9.95
Wolf-Michael Weisskirchen (Wiesloch), SPD 27.9. 95
Gert
Dr. Däubler-Gmelin, SPD 27. 9. 95
Herta Welt, Jochen SPD 27. 9. 95
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 27. 9. 95 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 27. 9. 95
90/DIE Zierer, Benno CDU/CSU 27. 9. 95 *
GRÜNEN
Erler, Gernot SPD 27. 9. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 27. 9. 95 * sammlung des Europarates

Formanski, Norbert SPD 27. 9. 95


Fuchs (Verl), Katrin SPD 27. 9. 95
Haack (Extertal), SPD 27. 9. 95 * Anlage 2
Karl-Hermann
Heym, Stefan PDS 27. 9. 95 Antwort
Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 27. 9. 95 des Parl. Staatssekretärs Dr. Horst Waffenschmidt auf
Horn, Erwin SPD 27. 9. 95 * die Frage des Abgeordneten Manfred Such (BÜND
Hornung, Siegfried CDU/CSU 27. 9. 95 * NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/2407 Frage 1):
-
Welche Auskünfte kann die Bundesregierung über den Reali-
Keller, Peter CDU/CSU 27. 9. 95 * sierungsstand sowie die weiteren Perspektiven bei der Einfüh-
Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 27. 9. 95 rung von Personalinformationssystemen in den Bundesministe-
rien und deren nachgeordnetem Bereich erteilen, und welche
Leidinger, Robert SPD 27. 9. 95 dienstlichen Notwendigkeiten im Sinne des § 90d BBG erfor-
dern nach den diesbezüglichen Planungen des Bundesministeri-
Dr. Leonhard, Elke SPD 27. 9. 95 ums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - anders als
Löwisch, Sigrun CDU/CSU 27. 9. 95 etwa im Bundesministerium der Justiz entsprechend vorgese-
hen - offenbar eine monatliche Übermittlung sämtlicher Perso-
Dr. Lucyga, Christine SPD 27. 9. 95 * naldaten auch der nachgeordneten Bundesämter für Umwelt,
Naturschutz und Strahlenschutz, obwohl die Bundesregierung
Lüth, Heidemarie PDS 27. 9. 95 noch 1991 nach „dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ... ge-
Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 27. 9. 95 nerell dafür Sorge tragen (wollte), daß die Personalverwaltungs-
Erich systeme hinreichend abgeschottet werden" (Drucksache 12/544
S. 14)?
Marten, Günter CDU/CSU 27. 9. 95 *
Meckel, Markus SPD 27. 9. 95 Seit längerem werden mit fortschreitender Ent-
Michels, Meinolf CDU/CSU 27. 9. 95 * wicklung der Informationstechnik in der Bundesver-
waltung verstärkt auch Personaldaten automatisiert
Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 27. 9. 95 verarbeitet. Dabei hängt der Umfang der Automati-
Nolte, Claudia CDU/CSU 27. 9.95 sierung wesentlich vom Zeitpunkt der Einführung
Dr. Probst, Albert CDU/CSU 27. 9. 95 * entsprechender IT Systeme ab. Derzeit findet bei vie-
len Bundesministerien und -behörden die Umstel-
Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 27. 9. 95 lung auf moderne dezentrale IT-Systeme statt. Nach
Hermann dem IT-Bestandsverzeichnis (Stand: 31. Dezember
Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 27. 9. 95 1994) werden in ca. 70 Stellen der Bundesverwaltung
Schaich-Walch, Gudrun SPD 27. 9. 95 Personal-/Stelleninformationssysteme eingesetzt. Es
ist davon auszugehen, daß die meisten Behörden mit-
Dr. Scheer, Hermann SPD 27. 9. 95 *
telfristig Personalinformationssysteme einsetzen wer-
Schloten, Dieter SPD 27. 9. 95 * den.
4814* Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe ri ode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

Bei der Konzeption und Realisierung von Personal- reichbare Schlagkraft im Wettbewerb mit ebenfa lls
informationssystemen befürwortet die Bundesregie- zentral organisierten Absatzförderungseinrichtungen
rung auch, Personalvertretungen und Datenschutz- des Auslands.
beauftragte frühzeitig zu beteiligen und die Maßnah-
Mit der Realisierung des Neukonzepts der CMA
menempfehlungen des IT-Grundschutzhandbuchs,
für die 90er Jahre hat auch ein zentralregionales
z. B. einer Verschlüsselungssoftware, zu berücksich-
Marketingprogramm seinen Anfang genommen. Da-
tigen.
mit wurde die Notwendigkeit anerkannt, regional-
Wie in der Drucksache 12/544 (Seite 14) dargelegt, spezifische Besonderheiten zu berücksichtigen, die
trägt die Bundesregierung dafür Sorge, daß - inner- regionalen Spezialitäten und die damit verbundenen
halb der Bundesverwaltung - entsprechend dem regionalen Absatzmärkte systema tisch zu fördern.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - personenbezo-
Oberstes Ziel des Zentral-regionalen Marke ting ist
gene Daten nicht länger verarbeitet werden, als es
die Nutzenstiftung für die landwirtschaftliche Erzeu-
für den Zweck für den sie erhoben worden sind, er-
gerstufe, also Erzeugerzusammenschlüsse, Erzeuger-
forderlich ist und daß Personalverwaltungssysteme
gemeinschaften und Vermarktungsorganisationen.
hinreichend abgeschottet werden, um bei einer Ver-
Die Zusammenarbeit im Zentral-regionalen Marke-
bindung mit anderen IT-Systemen einen Mißbrauch
ting mit den Absatz-, Markt- oder Marketingabtei-
personenbezogener Daten ausschließen zu können.
lungen der Ministe rien in den Bundesländern, den
Die Absicht des Bundesministeriums für Umwelt, regionalen Marketinggesellschaften und den Land-
Naturschutz und Reaktorsicherheit die für Zwecke wirtschaftskammern hat sich bewährt.
der Personalbearbeitung und Organisation sowie der
Die gemeinsame Finanzierung der Kooperations-
Dienst- und Fachaufsicht erforderlichen, im Umfang
projekte ist Grundprinzip des Zentral-regionalen
reduzierten Daten regelmäßig aus den Personal- und
Marketing. Der Regelfall ist die anteilige Finanzie-
Stellenverwaltungssystemen (PSV) der nachgeord-
rung durch die CMA, die Region und die Wi rtschaft
neten Bundesämter in das PSV des zuständigen Bun-
zu je einem Drittel.
desministeriums zu übertragen, steht nicht im Wider-
spruch zu den Ausführungen in der Drucksache 12/ Das Zentral-regionale Marketing der CMA stellt
544, insbesondere nicht zu § 90d BBG. § 90d BBG er- ein gelungenes Konzept dar, um regionale Spezialitä-
möglicht ausdrücklich dieses Verfahren. ten in die zentrale Absatzförderung mit einzubezie-
hen. Auf diese Weise profitieren regionale Spezialitä-
Ermöglicht werden soll ein aktueller Überblick ten von der zentralen Absatzförderung.
über die Personalsituation im Geschäftsbereich.
Bei der Konzeption des PSV des Bundesministe-
riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit wurde der Bundesbeauftragte für Datenschutz
beteiligt. Der Hauptpersonalrat und das BU haben Anlage 4
eine Dienstvereinbarung zum Bet rieb des PSV im Mi-
nisterium und im Geschäftsbereich abgeschlossen. Antwort
-
der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
auf die Fragen des Abgeordneten Friedrich Merz
(CDU/CSU) (Drucksache 13/2407 Fragen 7 und 8):
Anlage 3 Wie ist der aktuelle Stand der Beratungen im Ministerrat über
den Richtlinienvorschlag der EG-Kommission ü ber die Tabak-
werbung (Kom-Dok. 92/196 endg.)?
Antwort
Bleibt die Bundesregierung auch in Zukunft bei ihrer ableh-
des Parl. Staatssekretärs Wolfg ang Gröbl auf die nenden Haltung?
Frage des Abgeordneten Simon Wittmann (Tännes-
berg) (CDU/CSU) (Drucksache 13/2407 Frage 2): Zu Frage 7:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der Werbe- Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kom-
maßnahmen der Centralen Marketing-Gesellschaft der deut- mission über die Werbung für Tabakerzeugnisse vom
schen Agrarwirtschaft (CMA), und wäre es nicht effektiver,
wenn ein Teil der zur Verfügung stehenden Werbemittel der re- 30. April 1992 hat bislang nicht die erforderliche qua-
gionalen Werbung für landwirtschaftliche Produkte zur Verfü- lifizierte Mehrheit im Rat gefunden.
gung gestellt würde?
Die Bundesregierung hat unter deutschem Rats-
vorsitz dem Gesundheitsrat am 22. Dezember 1994
Die Aufgabenstellung der CMA basiert auf dem
einen Kompromißvorschlag unterbreitet. Nach die-
Absatzfondsgesetz mit der Zielsetzung, den Absatz
sem Vorschlag wird der Anwendungsbereich der
und die Verwertung von Erzeugnissen der deutschen
Richtlinie auf grenzüberschreitende Werbung - z. B.
Land- und Ernährungswirtschaft durch Erschließung
in Zeitungen und Zeitschriften - beschränkt; für
und Pflege von Märkten im In- und Ausland mit mo-
diese Werbung werden Mindestanforderungen fest-
dernen Mitteln und Methoden zentral zu fördern.
gelegt; Erzeugnisse, die diesen Anforderungen ent-
Für die zentrale Durchführung von Marktfor- sprechen, sind frei verkehrsfähig. Im übrigen sind
schung, Qualitätsprofilierung, Werbung, Verkaufs- die Mitgliedstaaten frei, die Werbung für Tabaker-
förderung und Öffentlichkeitsarbeit sprechen die da- zeugnisse in eigener Verantwortung na tional zu re-
mit verbundenen Kostenvorteile und die dadurch er geln.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4815*

Die - der deutschen - nachfolgende französische Zu Frage 12:


Präsidentschaft hat das Vorhaben nicht behandelt.
Die derzeitige spanische Präsidentschaft wird die Be- Die Bundesregierung mißt dem Standort Saarbrük-
ratungen fortsetzen und zwar auf der Grundlage bei- ken auch weiterhin eine hohe Bedeutung zu. Das
der Vorschläge, d. h. des Kommissionsvorschlages über Jahre erworbene Know-how sowie der gute Ruf
und des von Deutschland eingebrachten Kompromis- des Bundesamtes für Zulassungen in der Telekom-
ses. Die vom Vorsitz angekündigte Konkretisierung munikation sollen erhalten werden. Die vorhande-
ist jedoch noch nicht erfolgt. nen Ressourcen sollen auch weiterhin genutzt wer-
den. Auch der Sicherung der Arbeitsplätze in Saar-
brücken wird von der Bundesregierung eine sehr
Zu Frage 8:
große Bedeutung beigemessen.
Die Haltung der Bundesregierung ist unverändert.
Sie hält den vorliegenden Richtlinienvorschlag -
nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt der Sub-
sidiarität - für nicht erforderlich. Eine Gemein-
schaftsregelung ist allenfalls vertretbar, wenn sie sich Anlage 6
- wie im deutschen Kompromiß vorgesehen - auf die
Regelung grenzüberschreitender Tatbestände be- Antwort
schränkt. Gegenüber einem unveränderten Kommis-
sionsvorschlag wird die Bundesregierung deshalb des Parl. Staatssekretärs Be rnd Neumann auf die
auch in Zukunft bei ihrer ablehenden Haltung blei- Frage des Abgeordneten Stephan Hilsberg (SPD)
ben. (Drucksache 13/2407 Frage 13):
Wie hoch sind - aufgeschlüsselt nach Zahlungsgründen - die
jährlichen Aufwendungen, die den Eltern von Studierenden und
den Studierenden aus öffentlichen Mitteln in der Form von Zah-
lungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, Kinder-
geld, Kindergeldzuschlägen und anderen direkten Transfers ge-
Anlage 5 zahlt werden, und wie berechnet die Bundesregierung die ange-
gebene Summe?
Antwort
Nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
des Parl. Staatssekretärs Dr. Paul Laufs auf die Fra- wurden für das Jahr 1994 für Studierende an Hoch-
gen der Abgeordneten Elke Ferner (SPD) (Drucksa- schulen und Fachhochschulen insgesamt 1 578 Mil-
che 13/2407 Fragen 11 und 12): lionen DM (Bundesmittel) aufgewendet. Die Höhe
der Gesamtausgaben wird nach Übermittlung der
Treffen Meldungen zu, nach denen der Bundesrechnungshof
in einem Be ri cht die Aufgabe des Bundesamtes für Zulassungen
Daten durch die Länder von der Bundeshauptkasse
im Telekommunikationsbereich (BZT) in Saarbrücken erwägt, im Bundesministerium der Finanzen ermittelt.
und wie steht die Bundesregierung zu derartigen Erwägungen,
das BZT in Saarbrücken zu schließen? Für 1995 liegt eine entsprechende Zahl noch nicht
vor. Nach dem Mittelabfluß bis einschließlich August
Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung dem Standort 1995, der vom BMBF überwacht wird, werden jedoch
Saarbrücken für das BZT mit seinen hochwertigen Arbeitsplät-
zen im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfas- Gesamtausgaben in Höhe von insgesamt 1 485 Mil-
sungsgerichts zur Teilentschuldung von Bremen und dem Saar- lionen DM erwartet.
land bei, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für
den Erhalt des BZT in Saarbrücken? Neben den Ausgaben nach dem BAföG stellt das
BMBF den Begabtenförderungswerken zur Förde-
Zu Frage 11: rung von Studierenden in Form von Stipendien für
das Jahr 1995 Zuwendungen in Höhe von insgesamt
Der Bundesrechnungshof hat die Haushalts- und 75,8 Millionen DM zur Verfügung.
Wirtschaftsführung des Bundesamtes für Zulassun-
gen in der Telekommunikation überprüft und dem Aus der Kindergeldstatistik des Bundesministe-
Bundesministerium für Post und Telekommunikation riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend läßt
eine Mitteilung über die Prüfung überreicht. Der sich die Zahl der Studierenden und der für sie aufge-
Bundesrechnungshof hat insgesamt einen unbefrie- wendete Kindergeldbetrag nicht entnehmen. Eine
digenden Kostendeckungsgrad festgestellt und ver- Unterscheidung nach Ausbildungsart ist nicht vorge-
schiedene Möglichkeiten zur Verbesserung der Wirt- sehen. Nach einer Untersuchung der Gesellschaft für
schaftlichkeit untersucht. Dabei hat er sich aber nicht Mathematik und Datenverarbeitung im Rahmen des
auf eine bestimmte Lösung festgelegt. Analyse- und Planungsinstrumentariums für den Fa-
milienlastenausgleich (APF) ist für 1995 von ca.
Im Bundesministerium für Post und Telekommuni- 1 156 000 bei der Zahlung von Kindergeld berück-
kation wird das Gutachten des Bundesrechnungsho- sichtigten Kindern in Hochschulausbildung auszuge-
fes derzeit ausgewertet. Hierzu wurde eine Arbeits- hen, Weder die Höhe der Einzelansprüche noch der
gruppe eingerichtet, die unter Abwägung aller Vor- Kindergeldzuschlagzahlungen für Studierende läßt
und Nachteile mehrere Alternativen untersuchen sich exakt feststellen. Legt man den Durchschnitts-
soll. Derzeit kann aber noch keine Aussage über die satz von ca. 1 300 DM für Kindergeld und Kinder-
künftige Organisati on des Bundesamtes für Zulas- geldzuschlag zugrunde, liegen die Ausgaben bei rd.
sungen in der Telekommunikation ge troffen werden. 1,5 Milliarden DM im Jahre 1995. 1996 wird sich die-
4816* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995

ser Be tr ag infolge der Anhebung der Kindergeld- Anlage 9


sätze und der Einkommensgrenze beim Kindesein-
kommen mindestens verdoppeln. Antwort

Die Ausgaben des Bundes für Wohngeld an Stu- des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die
dentenhaushalte betrugen nach Angaben des Fragen des Abgeordneten Norbe rt Otto (Erfurt)
BMBau im Jahre 1994 rd. 45 Millionen DM. Für das (CDU/CSU) (Drucksache 13/2407 Fragen 24 und 25):
Jahr 1995 stehen noch keine Daten zur Verfügung. Wie beurteilt die Bundesregierung die Realisierung der Ziel-
stellung des Bundesverkehrswegeplans in bezug auf den Aus-
bau des Netzes von 29 Güterverkehrszentren in Deutschland zur
Umsetzung des verkehrspolitischen Grundsatzes "Verlagerung
des Verkehrsaufkommens von der Straße auf die Schiene"?
Wird die angestrebte Zielvorgabe des Bundesministeriums für
Anlage 7 Verkehr eingehalten, die Betriebsbereitschaft des Bahntermi-
nals im Güterverkehrszentrum in Erfurt-Vieselbach bis späte-
Antwort stens 1996 herzustellen und damit das Güterverkehrszentrum an
das Bahnnetz anzuschließen?
des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die Fra-
gen der Abgeordneten Hanna Wolf (München) (SPD) Zu Frage 24:
(Drucksache 13/2407 Fragen 14 und 15):
Güterverkehrszentren spielen eine wichtige Rolle
Hat die Bundesregierung ihre in Drucksache 13/735 vom bei der Verlagerung von Straßengüterverkehr in den
9. März 1995 und zuletzt in den Antworten auf meine Fragen 119, Kombinierten Verkehr. Zu jedem Güterverkehrszen-
120 in Drucksache 13/1999 bekräftigte Absicht aufgegeben, die
elternunabhängige Förderung des Besuchs von Kollegs und ver- trum gehört daher ein Umschlagbahnhof des Kombi-
gleichbaren Schulen einzuschränken? nierten Verkehrs. Aus diesem Grund sind Güterver-
kehrszentren nachträglich in den Bundesverkehrs-
Beabsichtigt die Bundesregierung auch weiterhin, die Förde-
rung des Besuchs von Kollegs und vergleichbaren Schulen von
wegeplan aufgenommen worden.
Zuschüssen zu gewähren? Wieviel Güterverkehrszentren in der Bundesrepu-
blik realisie rt werden, liegt in der Entscheidung der
Zu Frage 14: Länder und kann jetzt noch nicht abgeschätzt wer-
den. Derzeit gibt es nur ein Güterverkehrszentrum
Die Bundesregierung hat nach dem derzeitigen im Betrieb, in Bremen. Die Planung an anderen
Stand der Gespräche und ihrer Überlegungen zur Standorten sind unterschiedlich fortgeschritten. Das
Vorbereitung eines 18. BAföG-Änderungsgesetzes Güterverkehrszentrum Erfu rt ist bereits im Realisie-
eine Einschränkung der elternunabhängigen Förde- rungsstadium.
rung des Besuchs von Abendgymnasien und Kollegs
nicht vorgesehen.
Zu Frage 25:
Zu Frage 15: Der Baubeginn für den Terminal des Kombinierten
Verkehrs in Erfurt hängt von der Vorlage eines ent-
Ja. scheidungsreifen Antrags der Deutschen Bahn AG
auf Abschluß einer Finanzierungsvereinbarung ab,
der für das Vorhaben in Erfurt bislang nicht vorliegt.

Anlage 8

Antwort Anlage 10
des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die Antwort
Frage des Abgeordneten Stephan Hilsberg (SPD)
(Drucksache 13/2407 Frage 21): des Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Fragen
des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Druck-
Wie hoch sind im einzelnen aufgeschlüsselt die jährlichen sache 13/2407 Fragen 26 und 27):
Mindereinnahmen der öffentlichen Kassen durch indirekte
Transfers an Familien mit studierenden Kindern in der Form von Trifft es zu, daß der Bau von Liegeplätzen für Fahrgastschiffe
Kinder- und Ausbildungsfreibeträgen usw., und wie berechnet am Main-Donau-Kanal als „Begleiteinrichtung" ebenso wie
die Bundesregierung die angegebene Summe? beim Bundesfernstraßenbau grundsätzlich in der finanziellen
Verpflichtung und Trägerschaft des Bundes steht, bzw. wer hätte
die Kosten für die Einrichtung neuer Liegestellen zu tragen?
Die Steuermindereinnahmen durch die Inan-
spruchnahme von Kinder- und Ausbildungsfreibeträ- Wie beurteilt die Bundesregierung Versuche in der Rechts-
lehre, aus der Verfassung ein eigenständiges, vornehmlich auf
gen für studierende Kinder sind für 1995 wie folgt ge- den Kfz-Individualverkehr bezogenes „Grundrecht auf Mobili-
schätzt worden: 1 100 Millionen DM durch Kinder- tät" herzuleiten und daraus konkrete verfassungsrechtliche Ver-
freibeträge, 850 Millionen DM durch Ausbildungs- pflichtungen etwa für den Ausbau von Straßen zu folgern?
freibeträge.
Zu Frage 26:
Die mit dem Bildungsministerium abgestimmte
Schätzung beruht auf Ergebnissen der Steuer- und Ja, denn Anlagen für den ruhenden Verkehr im
Studentenstatistiken. Bereich der Bundeswasserstraßen, wie Liege- und
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4817*

Ankerplätze, liegen als Teil der Bundeswasserstra- spruch darauf, daß, wie und wann Verkehrswege,
ßen in der Zuständigkeit des Bundes. insbesondere Straßen gebaut werden.

Zu Frage 27:
Anlage 11
Der Bundesregierung sind die seit Jahren in dei
Literatur vereinzelt vorgenommenen Versuche, aus Antwort
dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlich-
keit (A rt. 2 Abs. 1 GG) auch ein Grundrecht auf Mo- des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die
bilität mit dem Auto herzuleiten, bekannt. Sie beob- Fragen des Abgeordneten Dr. Hansjörg Schäfer
achtet diese schöpferische Findung von Grundrech- (SPD) (Drucksache 13/2407 Fragen 28 und 29):
ten, die in der Regel immer neue Ansprüche gegen Nachdem im Haushalt des Bundesministers für Verkehr
den Staat begründen sollen, im Hinblick auf die un- 2,8 Milliarden DM bei den Schieneninvestitionen gestrichen
absehbaren Folgen mit Sorge. werden sollen, muß die Frage gestellt werden, welche Priorität
die Bundesregierung der ICE-Strecke Paris-Metz-Saarbrük-
Zur Abwehr unverhältnismäßiger staatlicher Ein- ken-Kaiserslautern-Mannheim zuordnet?
griffe ist der Gesichtspunkt der Gewährleistung der Wann wird unter Berücksichtigung der derzeitigen Finanzie-
individuellen Mobilität als Abwägungskriterium si- rungslinie der Bau der Strecke Saarbrücken-Mannheim im Rah-
cherlich zu berücksichtigen, aber nur als eines von men der Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland-Strecke
(POS) begonnen und fertiggestellt?
mehreren, zu denen u. a. auch das Recht auf körper-
liche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) gehört.
Zu Frage 28:
Keinesfalls kann auf solche Weise eine verfas-
Die Schnellbahnverbindung Paris-Ostfrankreich-
sungsrechtliche Verpflichtung des Staates etwa zum
Südwestdeutschland hat mit den beiden deutschen
Aus- oder Neubau von Straßen begründet werden.
Dies ist vielmehr eine Aufgabe der Daseinsvorsorge Ästen Saarbrücken-Mannheim und Kehl-Appen-
weier (-Karlsruhe) für die Bundesregierung nach wie
des Staates, die sich ausschließlich am Interesse der
vor einen sehr hohen Stellenwert.
Allgemeinheit orientiert. Es besteht kein Zweifel, daß
Verkehrswege für die Mobilität der Bürger unerläß-
lich sind, zu den vom Grundgesetz geforderten Zu Frage 29:
gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Regio- Zur Zeit werden die erforderlichen Planfeststel-
nen (Art . 91a Abs. 1 GG) beitragen und auch Grund- lungsverfahren von der Deutschen Bahn AG vorbe-
lage für die Leistungskraft und Flexibilität von Indu- reitet mit dem Ziel, im nächsten Jahr mit dem Bau zu
strie, Handel und Gewerbe sind. beginnen. Damit befindet sich die Bundesregierung
Leistungsfähige Ost-West-Verkehrsadern fördern im Einklang mit der französischen Regierung, die
das Zusammenwachsen des vereinten Deutschlands ebenfalls für nächstes Jahr den Baubeginn vorgese-
hen hat.
und die europäische Integra tion. Dies ist wesentliche
Grundlage und Richtschnur der Verkehrspolitik der Es soll sichergestellt werden, daß auch die Fertig-
Bundesregierung. Niemand hat aber einen indivi- stellung der Strecke zeitgleich mit den Bauplanun-
duellen, aus der Verfassung ableitbaren Rechtsan- gen auf französischer Seite erfolgt.

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