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D eutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
57. Sitzung
Inhalt:
Tagesordnungspunkt 1: Tagesordnungspunkt 2:
Befragung der Bundesregierung (Be- Fragestunde
richt der Bundesregierung Aufbau Ost - - Drucksache 13/2407 vom 22. Sep-
Die zweite Hälfte des Weges: Stand und tember 1995 -
Perspektiven)
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4783 B Bessere soziale Absicherung der Pflege-
personen; Anzahl der nicht versicherungs-
Rolf Schwanitz SPD 4784 B pflichtigen Arbeitsplätze professioneller
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4784 B Pfleger im Vergleich zur Zahl der versiche-
rungspflichtigen pflegenden Angehörigen
Dr. Uwe Küster SPD 4785 A Pfleger
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4785 B MdlAnfr 3, 4
Dr. Wolfgang Wodarg SPD
Jürgen Türk F.D.P. 4785 D
Antw StSekr Karl Jung BMA 4790 C, 4791 B
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4785 D
ZusFr Dr. Wolfgang Wodarg SPD 4791 B
Christian Müller (Zittau) SPD 4786 A ZusFr Monika Ganseforth SPD 4791 D
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4786A
Manfred Hampel SPD 4787 A Unterbringung der Teilnehmer und Kosten
der Umbaumaßnahmen anläßlich des Ge-
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4787 B löbnisses in Neustadt am Rübenberge,
Jürgen Türk F.D.P. 4787 D Ortsteil Bordenau
MdlAnfr 5, 6
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4788A Monika Ganseforth SPD
Dr. Dietrich Sperling SPD 4788 B Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 4792 A, D
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4788 C ZusFr Monika Gansefort SPD 4792 B, 4793 A
Stephan Hilsberg SPD 4788 C
Äußerungen eines Bundesministers zur
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4788D Lira mit der Folge von Währungsturbulen-
Wolfgang Ilte SPD 4789 B zen; Schaffung stabiler Kursrelationen
zwischen den dominierenden Wirtschafts-
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4789 C nationen USA, Japan und Deutschland
Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 4789 C MdlAnfr 22, 23
Hans Büttner (Ingolstadt) SPD
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 4789 D
Antw PStSekr Dr. Kurt Faltlhauser
Wieland Sorge SPD 4790 A BMF 4793 D, 4795 C
4790 ADr.GünteRxod,BusmiterMW ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 4794 C
II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Uwe Hiksch SPD 4809 B SchrAntw PStSekr Bernd Neumann BMBF 4815* C
Hans Michelbach CDU/CSU 4810 B
Anlage 7
Nächste Sitzung 4811 C
Finanzielle Förderung des Besuchs von
Kollegs und vergleichbaren Schulen
Berichtigung 4811
MdlAnfr 14, 15 - Drs 13/2407 -
- Hanna Wolf (München) SPD
Anlage 1
SchrAntw PStSekr Bernd Neumann BMBF 4816* A
Liste der entschuldigten Abgeordneten 4813* A
Anlage 8
Anlage 2
Jährliche Mindereinnahmen der öffent-
Einführung von Personalinformationssy- lichen Kassen durch indirekte Transfers an
stemen in den Bundesministe rien und Not- Familien mit studierenden Kindern in
wendigkeit einer monatlichen Übermitt- Form von Kinder- und Ausbildungsfreibe-
lung personenbezogener Daten auch von trägen
nachgeordneten Bundesämte rn
MdlAnfr 21- Drs 13/2407 -
MdlAnfr 1 - Drs 13/2407 -
Stephan Hilsberg SPD
Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN SchrAntw PStSekr Dr. Kurt Faltlhauser
SchrAntw PStSekr Dr. Horst Waffen- BMF 4816* B
schmidt BMI 4813* D
Anlage 9
Anlage 3 Ausbau der Güterverkehrszentren; An-
Wirksamkeit der Werbemaßnahmen der schluß des Bahnterminals im Gütere
vr-
Centralen Marketinggesellschaft der deut- kehrszentrum Erfurt-Vieselbach
schen Agrarwirtschaft mbH MdlAnfr 24, 25 - Drs 13/2407 -
MdlAnfr 2 - Drs 13/2407 - Norbert Otto (Erfu rt ) CDU/CSU
Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Manfred Carstens
SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 4814* B BMV 4816* C
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 III
Anlage 10 Anlage 11
Kostenträger für den Bau von Liegeplät- Auswirkungen der Kürzungen im Ver-
zen für Fahrgastschiffe am Main-Donau- kehrshaushalt 1996 auf den Ausbau der
Kanal; Verpflichtung zum Ausbau von ICE-Strecke Pa ris-Metz-Saarbrücken-
Straßen auf Grund des in der neueren Kaiserslautern; Baubeginn der Teilstrecke
Rechtslehre gesehenen „Grundrechts auf Saarbrücken- Mannheim
Mobilität"
MdlAnfr 26, 27 - Drs 13/2407 - MdlAnfr 28, 29 - Drs 13/2407 -
Horst Kubatschka SPD Dr. Hansjörg Schäfer SPD
57. Sitzung
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Marktwirtschaft in den neuen Ländern große Fo rt
und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. -schritebmAufaOnürsehbid.A
das ist nur die erste Hälfte des Weges. Es wird deut-
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, lich gesagt: Es gibt noch eine zweite Hälfte des We-
teile ich Ihnen mit, daß für die Fragestunde nur noch ges, und das wird ebenfalls eine schwierige Weg-
wenige Fragen zur mündlichen Beantwortung vorlie- strecke sein. Wir dürfen die Augen nicht davor ver-
gen. Ich gehe davon aus, daß die Fragestunde nur schließen, daß noch viel zu tun ist.
etwa 30 Minuten dauern wird. Um ohne Unterbre-
chung mit der Aktuellen Stunde beginnen zu kön- Ziel bleibt, eine Wi rtschaft zu entwickeln, die aus
nen, bitte ich die Parlamentarischen Geschäftsführer, eigener Kraft wettbewerbsfähig ist. Ziel bleibt vor al-
dafür Sorge zu tragen, daß die vorgesehenen Redner lem, die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Die Förde-
rechtzeitig anwesend sind. Gerade wird mir gesagt, rung und der Aufbau der neuen Länder müssen zen-
die Aktuelle Stunde werde gegen 14 Uhr beginnen. trale Anliegen deutscher Politik bleiben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Wir sagen dann in der Bilanz etwas, was weitge-
hend bekannt ist, nämlich daß der Aufbau bisher in
Befragung der Bundesregierung vielen Bereichen eine Erfolgsstory war, daß ein Enga-
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen gement der ostdeutschen Bevölkerung und deren
Kabinettsitzung mitgeteilt: Be ri cht zum Aufbau Ost - Veränderungsbereitschaft wichtigste Grundlage für
den bisherigen Aufbau war, daß daneben natürlich
die zweite Hälfte des Weges: Stand und Perspekti-
ven; Be ri cht über Vorsorgemaßnahmen für den auch viele private und unternehmerische Hilfen aus
Hochwasserschutz. Westdeutschland hinzukamen und daß auch die öf-
fentlichen Finanzierungen der Infrastruktur nicht zu
Das Wort für den einleitenden Be richt hat der Bun- vergessen sind.
desminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
Wir glauben, daß eine gute Bilanz mit vielen positi-
ven Beispielen gezogen werden kann; aber es gibt
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: auch viele Probleme. Von den positiven Beispielen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nenne ich hier nur eine Auswahl, nämlich das kräf-
Herren! Der Bericht zum Aufbau Ost wird nicht nur tige Wachstum von 20 % in 1994 und insbesondere
aus Anlaß des fünften Jahrestages der Vereinigung die Erholung der Industrie - auf niedrigem Niveau,
vorgelegt; wir halten es auch für notwendig, den das muß einschränkend gesagt werden. Die Privati-
Standpunkt der Bundesregierung in der oft kontro- sierung ist weitgehend abgeschlossen. Wir haben in
versen Diskussion über die Förderung der neuen Ostdeutschland einen Existenzgründungsboom. Der
Bundesländer und ihre Erfolge klarzumachen. Infrastrukturausbau ist erstaunlich vorangekommen.
Dieser Bericht enthält eine kurze Bilanz der letzten Die persönlichen Lebensverhältnisse haben sich ver-
fünf Jahre, vor allem aber Vorstellungen über die bessert. Auch die Lage am Arbeitsmarkt ist bei ins-
Entwicklung in den neuen Ländern in den nächsten gesamt unbef ri edigender Situation besser geworden.
Jahren. Ich möchte in diesem Zusammenhang be-
kanntgeben, daß wir einen parteiübergreifenden Ge- Probleme bleiben: Die Eigenleistungsfähigkeit der
sprächskreis von Persönlichkeiten aus Ost- und ostdeutschen Wirt schaft ist sehr gering. Wir haben
ein Defizit in Lieferungen und Leistungen von sage
Westdeutschland berufen haben, um die Politik für
und schreibe 220 Milliarden DM. Es gehen also, in
die neuen Länder in den nächsten Jahren auch auf
der Größenordnung von 220 Milliarden DM mehr
diese Weise mit Sachverstand begleiten zu lassen.
Waren und Dienstleistungen in die neuen Länder
Der Inhalt des Berichts ist wie folgt: Wir können sa- hinein, als aus ihnen herauskommen. Produktivität
gen, daß fünf Jahre nach der Wiedervereinigung und Einkommen klaffen auseinander. Die Lohn-
Deutschlands und der Einführung der Sozialen stückkosten sind erheblich höher. Die indust ri elle Ba-
4784 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft: Rolf Schwanitz (SPD): Ich möchte noch eine Zu-
Herr Abgeordneter, das paßt insofern zusammen, als satzfrage stellen. Herr Minister, nachdem Sie uns
ich gesagt habe, wir haben nicht nur Probleme, son- jetzt dargestellt haben, daß es gerade bei der Fra-
dern auch riesige Erfolge. Es ist auch fast überein- ge der Gemeinschaftsaufgabe offensichtlich unter-
stimmend Auffassung in den neuen Ländern, daß be- schiedliche Intentionen zwischen dem Bundesmini-
stimmte Bereiche der Wirtschaftsförderung, bei- ster der Finanzen und Ihnen gegeben hat, möchte
spielsweise der Bau von Bürohäusern ich Sie fragen, welche Intentionen denn nun für die-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Leerstand!) sen konkreten Haushaltsansatz die entscheidenden
waren. Was war denn maßgeblich auch vor dem Hin-
oder von Einkaufszentren oder auch von Hotels, der tergrund des Berichtes, den Sie vorgelegt haben?
steuerlichen und sonstigen Förderung nicht mehr
wie in der Vergangenheit bedürfen.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft:
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!) Herr Abgeordneter, das ist - wie so häufig - ein Kom-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4785
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
promiß; in diesem Fall, wie ich meine, ein guter Kom- heute darin, daß ihr Exportanteil so gering ist. Er ist
promiß, mit dem wir leben können, mit dem auch in viel, viel geringer und macht nur einen Bruchteil
Ostdeutschland weiterhin gute Politik gemacht wer- der Exportleistung der westdeutschen Wi rtschaft, der
den kann, und zwar in dem Sinne, daß alle anfinan- westdeutschen Indust rie aus.
zierten Projekte weiterfinanziert werden können und
daß ein erheblicher Bewilligungsrahmen für neue Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage, Herr
Projekte zur Verfügung steht. Wir können niemals Küster.
ein Maximum realisieren. Das geht nicht. Ich gab Ih-
nen zu verstehen, daß auch ich mir einen höheren
Ansatz gewünscht hätte. Wir können nicht alles reali- Dr. Uwe Küster (SPD): Das würde doch bedeuten,
sieren, was wir für wünschenswert halten. Aber der daß Sie gerade dem Bereich der Markteinführung
Kompromiß, wie er gefunden ist - dabei reflektiere von Industrieprodukten und der Exporthilfen beson-
ich auch das, was aus dem Osten kommt -, ist ein dere Aufmerksamkeit zuwenden und dementspre-
Kompromiß, mit dem wir leben können. chend auch Haushaltsmittel bereitstellen müßten.
Das ist eigentlich eine Aufgabe, die man in den letz-
ten Jahren kaum entwickelt hat. Hier müßte man
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Danke. - Bitte, Kol- doch gezielt Mittel zur Verfügung stellen.
lege Küster.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
Dr. Uwe Küster (SPD): Herr Bundesminister, ich Ich muß dazu sagen, daß wir in dieser Beziehung viel
freue mich, daß Sie gesagt haben, wir brauchen Soli- machen und daß die diesbezüglichen Etatansätze,
darität. Ich würde mich noch mehr freuen, wenn Sie soweit ich das in den Details in Erinnerung habe,
sagten, wir brauchen den Solidaritätszuschlag ein auch nicht gesenkt worden sind. Wir tun unheim lich
bißchen länger, als Sie bisher behauptet haben, um viel, um die Absatzförderung aufrechtzuerhalten
einfach auch Herrn Waigel zu helfen, die Kasse wie- und erfolgreich zu gestalten, beispielsweise durch
der in Ordnung zu bringen. die Finanzierung der Teilnahme an Inlands- oder
Auslandsmessen. Wir haben in den Auslandshan-
Nun aber zu der Frage. Sie haben eine Reihe von delskammern überall in der Welt Beschäftigte einge-
Defizitbereichen aufgezählt. Ich finde es gut, daß Sie stellt, die sich nur darum kümmern, daß Ost-Pro-
sehr genau wissen, wo eigentlich Bedarf besteht. Ich dukte in den jeweiligen Märkten eingeführt werden.
möchte auf folgenden Punkt hinaus: 220 Milliarden Wir machen Absatzberatung in größerem Umfang.
DM Defizit pro anno. Können Sie differenzieren, wel- Bitte legen Sie mich jetzt nicht genau fest - ich habe
che Bereiche besonders defizitär sind, welche beson- nicht jede Etatposition im Kopf -: Meines Erachtens
ders entwickelt werden müßten und auf welche Sie ist der Ansatz in den Jahren 1994, 1995 und 1996 mit
Ihre besondere Aufmerksamkeit verwenden sollten? jeweils 65 Millionen DM konstant geblieben.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Danke.
- Kollege Türk.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
Sehr gern, Herr Abgeordneter. Die Defizite bestehen Jürgen Türk (F.D.P.): Herr Minister, wir sind uns ja
insbesondere bei industriellen Erzeugnissen und bei darin einig, daß die Industrieforschung in Ost-
Dienstleistungen, die üblicherweise überregional er- deutschland eine wichtige Sache ist. Wie sonst soll
bracht werden. Es ist ja gelungen, den örtlichen Be- der Absatz gesteigert werden, wenn nicht über neue
darf durch insgesamt 500 000 neue mittelständische Produkte? Sehen Sie in der Haushaltsbereinigung ei-
Existenzen weitgehend vor Ort zu decken. Auch in nen Spielraum für eine Erhöhung des diesbezügli-
der Bauwirtschaft ist ein hohes Maß an Eigenversor- chen Etatpostens, zumal wir wissen, daß Ostdeutsch-
gung erreicht. Ich schränke das wie folgt ein: Es gibt land bisher nur mit einem Anteil von 2,5 % an den
natürlich auch sehr viele Töchter von westdeutschen gesamten Ausgaben für ganz Deutschland bedacht
Großunternehmen, die dort tätig sind. Aber das wird ist?
ja mit Arbeitskräften und Arbeitsmaterial aus der Ge-
gend gemacht.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
Es ist ebenfalls gelungen, im Bereich von Nah Herr Türk, Sie sprechen mir aus der Seele, wenn Sie
rungs- und Genußmitteln den Eigenbedarf in den auf die ostdeutsche Forschungslandschaft abstellen,
Städten und auf dem Lande weitgehend durch ei- die in der Tat noch lange nicht so sein wird, wie wir
gene Produkte zu decken. Es verhält sich also nicht uns das wünschen. Zwar sind die Etatansätze, die wir
mehr so wie unmittelbar nach der Wende, als selbst haben, gut und wichtig, aber ich mache keinen Hehl
Fleisch und Milch oder Milchprodukte wie Joghurt daraus - wenn Sie mich schon einmal fragen -, daß
aus Westdeutschland angefahren wurden. Aber in ich mir wünsche, daß sich das Parlament in der einen
der industriellen Produktion und bei wichtigen oder anderen Richtung bei den entsprechenden För-
Ingenieurleistungen, etwa beim Anlagebau und bei derprogrammen zu einer Aufstockung entschließt,
Engineering-Leistungen, erfolgt eben eine weitge- insbesondere in den Bereichen, wo wir die Einstel-
hende Zulieferung aus Westdeutschland oder dem lung von Forschungspersonal bei kleinen und mittle-
Ausland. Auf der anderen Seite besteht eine ganz ren Unternehmen fördern. Hier haben wir ja Kür-
große Schwäche der ostdeutschen Wirtschaft bis zungen hinnehmen müssen, die nicht gravierend
4786 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt Wirtschaftsministers jemandem überlassen, der diese
-schaft:HerAbgodnTük,esiChanc Risikofreude, die Sie dann zeigen würden, besser un-
gibt, ist eine Frage, die an die Parlamentarier zu terstützt als nur durch werbende Sprüche, die Sie
richten ist. Sicherlich gibt es eine Chance, aber sie den Banken zukommen lassen?
ist nicht allzu groß. Denn wir haben ja die Umsatz-
grenze, unterhalb der die Abführung erst bei Vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
lage der Rechnung erfolgen muß, von 250 000 DM BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
auf 1 Million DM erhöht. Das war ein großer
Kampf. Ich bedanke mich gerade auch in Ihre Rich- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
tung für die Unterstützung, die wir in dieser Frage Herr Abgeordneter Sperling, diesem Vorschlag
erhalten haben. würde ich sehr gern nachkommen. Ich sehe mich für
die neue Aufgabe aber nur dann richtig gerüstet und
Mich haben viele Unternehmen wissen lassen,
gewappnet, wenn ich vorher einen mehrere Monate
daß sie in dieser Vervierfachung der Umsatzgrenze
umfassenden Kursus über Risikofreude, den Sie ge-
eine große Hilfe sehen. Nun wollen wir erst einmal
ben, absolvieren könnte.
die fruchtbaren Wirkungen dieser Erhöhung abwar-
ten. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Dr. Dietrich Sperling [SPD]: Ich gehe mit Ih
nen! Das machen wir gemeinsam!)
Jürgen Türk (F.D.P.): Eine Zusatzfrage. Es ist un-
bestritten, daß die Existenz neuer Unternehmen - Aber Sie werden doch hier gebraucht, Herr Abge-
auch davon abhängig ist, ob die erbrachte Leistung ordneter Sperling.
sofort bezahlt wird. Das verstehe ich unter Lei-
stungsprinzip. Aber Sie wissen, daß die Schwierig- (Dr. Diet rich Sperling [SPD]: Darüber könn
keiten mit diesem Problem wachsen. Sind Sie mit ten wir reden!)
mir der Meinung, daß wir ernsthafte Schritte gegen
diese wachsende Zahlungsunmoral unternehmen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
müssen? jetzt der Kollege Hilsberg.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Stephan Hilsberg (SPD): Herr Minister Rexrodt,
Ich teile Ihre Auffassung, Herr Abgeordneter Türk. wir hören mit Freude, daß Sie sich inzwischen auch
Die Bundesbehörden sind angewiesen, fällige Rech- der ostdeutschen Forschungslandschaft widmen
nungen unverzüglich zu bezahlen. Die Beschwerden wollen. Sie gehören einer Regierung an, die über
gehen auch nicht in Richtung der Zahlungsmoral des weite Strecken mitverantwortlich dafür ist, daß der
Bundes, sondern in Richtung der Zahlungsmoral der Anteil der ostdeutschen Forschungslandschaft im au-
Länder und der Kommunen. Aber man muß leider ßeruniversitären Bereich auf einige wenige Prozente
feststellen, daß auch die Zahlungsmoral der P rivaten zusammengebrochen ist. Bekanntlich lassen sich zu-
in den neuen Bundesländern außerordentlich sammengebrochene Strukturen kaum oder gar nicht
schlecht ist. Das entbindet die öffentliche Seite nicht, - reaktivieren, d. h., man muß von vorne anfangen. Mit
Vorbild zu sein und die Rechnungen so zu bezahlen, welchen Methoden wollen Sie zu einer überpropor-
wie sich das gehört. Da muß allgemein eine Kampa- tionalen Ausdehnung der ostdeutschen außeruniver-
gne gefahren werden. sitären Forschungslandschaft kommen?
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt
Ich halte diesen Weg, Herr Abgeordneter, ohnehin -schaft:HerKolg,diAusanerBk,
für einen Weg, den wir mit Erfolg gehen können; das aber nicht nur der Banken, daß viele Schwierigkei-
ist nur eine Frage der Zeit. Ich sage Ihnen noch ein- - ten ostdeutscher mittelständischer und auch ande-
mal: Was für Forschung und Entwicklung gerade für rer Unternehmen auf mangelnde Erfahrung und
diese Institute zur Verfügung steht, ist ausreichend. mangelndes Managementwissen zurückzuführen
Das kann und muß man nicht aufstocken. Aufstok- sind, sind sicherlich nicht falsch. Man muß aber dif-
ken müssen wir bei dem Bereich, den ich eben ange- ferenzieren. Viele - auch ich - kennen ungeheuer
sprochen habe: der Förderung von Forschung und viele engagierte, mittlerweile auch erfahrene Unter-
Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen. nehmer aus den neuen Bundesländern. Aber was
Da würde ich mir eine Aufstockung wünschen und Managementwissen angeht, kann und muß man
dankbar entgegennehmen. Ansonsten kommt es dar- viel tun. Da gibt es Beratungsprogramme, die öf-
auf an, daß entweder die noch vorhandenen oder fentlich gefördert werden, da gibt es Patenschaften
neu entstandenen größeren Industriebetriebe von westdeutscher Unternehmen mit ostdeutschen Un-
sich aus, aus eigenem Wachstum, aus eigener Kraft ternehmen, da gibt es Verbandsaktivitäten, IHK-
Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aufbauen Aktivitäten und vieles andere mehr. Da müssen
oder daß die überwiegend westdeutschen Zentralen viele Blumen blühen. Der Weg, den Sie beschrie-
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in den ben haben, daß man sich mit Verbänden, den Insti-
Osten verlagern. tutionen und den Banken an einen Tisch setzt,
kann ein Weg unter vielen sein. Öffentliche Förde-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Zeit für die rung solcher Aktivitäten ist meistens über Länder-
Regierungsbefragung ist abgelaufen. Ich habe aber programme möglich. Ich finde das gut, und das soll
noch drei Wortmeldungen. Deshalb werde ich die so gemacht werden. Wie das am besten organisiert
Befragung um maximal 10 Minuten verlängern. Jetzt wird, sollte, glaube ich, nicht die Bundesregierung
hat Kollege Ilte das Wo rt . entscheiden, sondern sollten diejenigen vor Ort ent-
scheiden, die ihre aktuellen und regionalen Pro-
bleme viel besser als wir hier in Bonn kennen.
Wolfgang Ilte (SPD): Herr Minister, ich komme auf
Ihre Antwort auf die Frage des Abgeordneten Müller
zurück. Habe ich Sie richtig verstanden, daß es die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt noch Kol-
Auffassung der Bundesregierung ist, daß die Strei lege Sorge.
4790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Wieland Sorge (SPD): Herr Minister, ist Ihnen be- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Damit sind wir
kannt, daß in vielen Teilen der neuen Bundesländer am Schluß angelangt. Das zweite Thema kann ich
die Kosten für Energie, für Abwasser und Wasser, nicht mehr aufrufen. Die Regierungsbefragung ist
aber auch die Gebühren wesentlich höher sind als in beendet.
den alten Bundesländern? Befürchten Sie nicht, daß
es dadurch zu einer Verzerrung des Wettbewerbs
kommt und daß die mittelständischen Unternehmen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
denen Sie bescheinigt haben, daß sie ein geringes Ei- Fragestunde
genkapital haben, dadurch überhaupt keine Chance
haben, und ist Ihnen bekannt, daß sich dadurch auch - Drucksache 13/2407 -
Unternehmen aus den alten Bundesländern scheuen,
in die neuen Bundesländer zu gehen? Die Frage 1 zu dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern wird schriftlich beantwortet.
Das gleiche gilt für die Frage 2 zum Geschäftsbereich
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirt-
Mir sind diese Probleme sehr wohl bekannt. Wir ver- schaft und Forsten. Die Antworten werden als Anla-
suchen, unseren Teil dazu beizutragen, sie zu lin- gen abgedruckt.
dern. Nur ist das schwierig. Denn die meisten Ge-
bühren werden von den Kommunen erhoben, einige Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
auch von den Ländern und über den Bund so gut wie riums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beant-
gar keine. Diese Frage müßte eigentlich, wenn ich wortung steht Herr Staatssekretär Jung bereit.
mir erlauben darf, das zu sagen, Herr Kollege, an die Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Wodarg,
Kommunen gerichtet werden. Es liegt im Ermessen SPD, auf:
und an der Wirtschaftsfreundlichkeit der Kommunen,
wie sie die Gebühren für Wasser, Abwasser, Re- Auf welche Weise kontrolliert die Bundesregierung, ob und in
cyclingaufgaben, Transportaufgaben, Umweltschutz- welchem Umfang eines der wichtigsten Ziele der Pflegeversi-
maßnahmen und anderes mehr ansetzen. cherung, die bessere soziale Absicherung der Pflegepersonen,
per Saldo erreicht wird?
Ein Problem gibt es - die diesbezügliche Kritik ist
nicht immer bei den Kommunen abzugeben, aber Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
auch -, das ist die Energieversorgung. Wir wissen für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! Herr
sehr wohl, daß es Unterschiede gibt, die zwar nicht Abgeordneter Wodarg, die Bundesregierung teilt
übermäßig gravierend sind, die aber ins Gewicht fal- Ihre Einschätzung, daß die Beiträge zur Rentenversi-
len und eine abschreckende Wirkung haben. Das cherung für Personen, die zu Hause betreuen, ein
sind die Stromkosten des großen Verbundunterneh- Kernstück und damit auch ein wichtiges Ziel der
mens. Diese höheren Kosten sind erklärbar. Die neuen Pflegeversicherung darstellen. Wir sehen
Energieversorgung in Westdeutschland erfolgt zu darin neben dem Pflegegeld in erster Linie einen
weiten Teilen über bereits abgeschriebene Anlagen, wirksamen Beitrag für die Motivation zur häuslichen
während im Osten die Neuinvestitionen in sehr viel Pflege, zur Stärkung der Bereitschaft zur häuslichen
höherem Maße in den Strompreis eingehen. Das ist Pflege und damit auch zur Durchsetzung des Grund-
die Ursache. satzes des Vorrangs der häuslichen Pflege vor statio-
närer Versorgung. Der Grundsatz vom Vorrang der
Wir wirken mit allergrößtem Nachdruck auf die häuslichen Pflege entspricht auch den Wünschen der
westdeutschen Verbundunternehmen, die Eigen- Pflegebedürftigen und der Wirklichkeit; denn 75 %
tümer der ostdeutschen Unternehmen sind, ein, alle der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt,
Chancen auszunutzen, um die Strompreise im Osten
nur 25 % müssen stationär im Pflegeheim versorgt
so niedrig wie möglich zu halten. Das ist zu einem
werden.
gewissen Teil gelungen; aber es bleibt an dieser
Stelle noch einiges nachzuholen. Die Ausgestaltung der neuen Beitragsleistungen
sind im Pflegegesetz detailliert geregelt. Die Beiträge
sind von der Stufe der Pflegebedürftigkeit und vom
Wieland Sorge (SPD): Herr Minister, Sie sprachen Umfang der wöchentlichen Pflegeleistungen - wö-
vorhin von der Förderung im Bereich der Forschung. chentlich wenigstens 14 Stunden, höchstens
Gibt es bereits Beispiele dafür, daß es bei den vor- 28 Stunden - abhängig. Wir gehen davon aus, daß
handenen industriellen Forschungseinrichtungen auf Grund dieser exakten gesetzlichen Vorgaben die
der alten Bundesländer zu einer Verlagerung in die Pflegekassen in der Lage sind, mit diesem neuen In-
neuen Bundesländer gekommen ist? strument sachgerecht umzugehen. Zumindest gibt es
keine gegenteiligen Feststellungen, keine Klagen
und keine Schwierigkeiten.
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
Ja, Beispiele gibt es. Wenn Sie mich jetzt fragen, ob Was die zahlenmäßigen Auswirkungen der Neu-
ich sie Ihnen aufzählen kann, dann muß ich Ihnen sa- regelung angeht, so ist folgendes zu sagen: Die Lei-
gen, daß ich passen muß. Aber ich kann das gerne stungen zur häuslichen Pflege werden seit dem
schriftlich nachholen. 1. April, also seit gut fünf Monaten, gewährt. Bisher
haben wir etwa eine Million Leistungsempfänger nach
(Wieland Sorge [SPD]: Danke!) dem neuen Pflegeversicherungsgesetz. Allerdings
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4791
Staatssekretär Karl Jung
liegen exakte Statistiken noch nicht vor. Deshalb nen positiven Effekt, auf der anderen Seite haben wir
kann im einzelnen nichts zu der A rt und Weise der zunehmend Menschen, die in der Pflege tätig sind,
gewährten Leistungen und zu der Zahl der Lei- die nicht sozial abgesichert sind.
stungsempfänger gesagt werden. Ist es möglich, daß Sie, wenn Sie Ihren ersten Be-
Wir werden erst im nächsten Jahr eine exakte richt in Kürze vorlegen, auch zu diesem Saldo etwas
Stichtagserhebung haben, die dann über die Zahl sagen, daß Sie beide Dinge gegenüberstellen? Wel-
derjenigen Auskunft gibt, die Pflegegeld und Sach- che Maßnahmen gedenken Sie zu ergreifen, um ne-
leistungen in Anspruch nehmen, und auch über die gative Effekte zu minimieren?
Zahl derjenigen, denen diese Rentenleistungen ge-
zahlt werden. Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
Aus der Vierteljahresausgaben- und -einnahmesta- für Arbeit und Sozialordnung: Zur Frage, was die
tistik der Pflegekassen, die zum Juni dieses Jahres Bundesregierung konkret tun kann: Sie haben in Ih-
für die ersten drei Monate vorliegt, ist zu entnehmen, rer ersten Frage davon gesprochen, welche Kontroll-
daß für den Bereich der Rentenversicherungsbei- möglichkeiten die Bundesregierung hat. Das Pflege-
träge im ersten Quartal 76 Millionen DM ausgege- gesetz wird von den Pflegekassen durchgeführt. Das
ben worden sind. Das sind etwa 25 Millionen DM für sind selbständige Selbstverwaltungskörperschaften.
einen Monat. Bei einer durchschnittlichen Beitrags- Sie unterstehen zwar der Rechtsaufsicht - zum Teil
höhe von 400 DM, die sich aus den verschiedenen der Länder, zum Teil des Bundesversicherungsamtes.
Beitragsklassen errechnen läßt, kann man von 62 500 Aber die Bundesregierung hat keinen unmittelbaren
Leistungsberechtigten ausgehen. Einfluß auf die konkrete Leistungsgewährung.
Wir stehen allerdings im Kontakt mit den Spitzen-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage? verbänden der Pflegekassen. Do rt wirkt man darauf
hin, daß bei den Pflegediensten tunlichst nicht in die
(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Zur nächsten nicht versicherungspflichtigen Beschäftigungsver-
Frage!) hältnisse ausgewichen wird. Vielmehr sollte man
- Dann rufe ich die Frage 4 auf: schon bei der Zulassung im Versorgungsvertrag zur
Leistungserbringung für die Pflegeversicherung dar-
Wie verhält sich die Zahl der durch die Pflegeversicherung auf Wert legen, daß ordentliche, d. h. versicherungs-
neu sozialversicherten pflegenden Angehörigen zur Zahl der
durch die Pflegeversicherung neu entstandenen nicht versiche-
pflichtige Arbeitsverhältnisse abgeschlossen werden.
rungspflichtigen Arbeitsplätze bei professionellen Anbietern Das ist eine Empfehlung der Spitzenverbände. Sie
von Pflegeleistungen? kann allerdings mit rechtlichem Zwang nicht durch-
gesetzt werden.
Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung: Zu der zweiten Frage, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter, können wir das Verhältnis leider
nicht angeben, weil uns die Zahl derjenigen, die bei
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Können Sie sich vor-
den ambulanten Pflegediensten beschäftigt sind, -
stellen, daß es Auflagen, daß es Regelungen gibt, die
nicht bekannt ist. Wir haben bei diesen Pflegedien-
diesen negativen Effekt, nämlich zunehmend Nicht-
sten einen großen Zugang. Es gibt insgesamt 7 000
versicherte im Bereich der professionellen Pflege,
Pflegedienste.
auffangen, und wie stehen Sie dazu?
Aber die Zahl der dort Beschäftigten und auch die
Art und Weise ihrer Arbeitsverhältnisse - Sie haben Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium
ja nach den do rt nicht versicherungspflichtigen Be- für Arbeit und Sozialordnung: Herr Abgeordneter
schäftigten gefragt - sind leider nicht bekannt. Da Wodarg, solange wir die Zulässigkeit der versiche-
müssen wir die Pflegestatistik abwarten. Sie ist im rungsfreien Beschäftigung, die sogenannten 580-
Gesetz vorgesehen, aber deren Aufbau wird noch ei- DM-Verhältnisse, haben und solange aus der Be-
nige Zeit dauern. schäftigung dera rtiger Mitarbeiterinnen und Mitar-
Deshalb kann ich zum Verhältnis derjenigen, die beiter keine negativen Folgen auf die Qualität der
häusliche Pflegeleistungen erbringen, dafür renten- Pflege ausgehen, kann man die Beschäftigung derar-
versichert werden, zu denjenigen, die draußen bei tiger Mitarbeiter zwangsweise nicht verhindern. Wie
den ambulanten Diensten beschäftigt sind, nichts gesagt, die Pflegekassen wirken darauf hin und ha-
sagen. ben auch Empfehlungen abgegeben. Aber rechtlich
durchsetzbar ist dies nicht, weil es sich um eine er-
laubte Art der Beschäftigung handelt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.
Monika Ganseforth
hinein damit ihre Erwerbstätigkeit aufgeben? Wird Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
dieser Switch, diese Zahl, auch ermittelt? desminister der Verteidigung: Die Detailplanung
wurde vorgestern, am 25., mit der Gemeinde und der
Bundeswehr besprochen. Ich bin davon überzeugt,
Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium daß das so wie überall geregelt wird: Die Bevölke-
für Arbeit und Sozialordnung: Soweit ich den Aufbau rung kann selbstverständlich dazustoßen. Im allge-
der Statistik kenne, ist die Frage nach der Aufgabe meinen kommt die Bevölkerung gerne und empfin-
einer bisherigen Erwerbstätigkeit nicht vorgesehen. det das nicht als Belästigung, ganz im Gegenteil. Ich
Allerdings setzt ja die Leistungsgewährung voraus, hoffe, daß es auch in diesem Ort keine größeren Be-
daß eine Erwerbstätigkeit neben dieser häuslichen anstandungen geben wird.
Pflege, die mit den Beiträgen honoriert wird,
30 Wochenstunden nicht übersteigen darf. Insofern
haben wir eine gewisse Beschränkung für die Voller- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.
werbstätigkeit. Aber wir wissen im Augenblick nicht,
ob da Erwerbstätigkeit aufgegeben worden ist oder
Teilzeitarbeit nebenher weiter geleistet wird. Das ist Monika Ganseforth (SPD): Ich wüßte dann noch
bisher in den statistischen Fragen nicht enthalten. gerne folgendes. Da wird ja eine sehr große Zahl von
Personen anwesend sein, mehrere tausend, wie ich
es gehört habe. Es werden also keine Personen im
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz- Ort in Zelten untergebracht, sondern ich habe Sie so
frage. - Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. verstanden, daß sie in den Kasernen wohnen oder
wieder nach Hause fahren werden. Wie wird die Be-
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- köstigung, die Verpflegung stattfinden?
riums der Verteidigung auf. Wir kommen zur Frage 5
der Kollegin Monika Ganseforth: (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser:
Gutes Essen!)
Wie viele Gäste und Soldaten werden jeweils anläßlich des
Gelöbnisses von Heer, Luftwaffe und Ma ri ne in Neustadt am Rü-
benberge, Ortsteil Bordenau, erwartet, und wo werden die Sol- Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
daten untergebracht?
desminister der Verteidigung: Das ist alles bei der
Besprechung am 25. September mit der Gemeinde
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- genau erörtert worden. Ich kann Ihnen sagen, wel-
desminister der Verteidigung: Frau Kollegin Ganse- che Orte die Bundeswehr in Betracht zieht. Das ist
forth, am Gelöbnis nehmen voraussichtlich die Sporthalle der Scharnhorst-Schule in Bordenau,
282 Rekruten der drei Teilstreitkräfte, eine Ehren- die Pausenhalle und der Schulhof dieser Schule, der
kompanie des Wachbataillons in Stärke von Sportplatz Bordenau und der Festplatz Bordenau, au-
97 Soldaten und das Stabsmusikkorps der Bundes- ßerdem das Erdgeschoß des Geburtshauses Scham-
wehr mit 85 Soldaten teil. Neben dem benötigten Or- horsts und ein Teil des Gartens - letzteres natürlich
ganisationspersonal des Wehrbereichskommandos II mit Einverständnis der Eigentümer -, die Anmietung
1. Panzerdivision werden weitere 200 Soldaten als von Parkflächen bei p rivaten Grundeigentümern und
Gäste und Zuschauer erwartet. Insgesamt werden die Sondernutzung an der Straße Am Dorfteich zwi-
also zirka tausend Soldaten anwesend sein. schen der Bordenauer Straße und der Straße Alte
Mühle. Aber, wie gesagt, das wurde alles ganz ge-
An zivilen geladenen Gästen rechnen wir derzeit nau mit der Gemeinde besprochen. Man ist im be-
mit rund tausend Personen. In dieser Zahl sind auch sten Einvernehmen, und man wird sich sicherlich gut
die etwa 600 Angehörigen der am Gelöbnis teilneh- einigen.
menden Rekruten enthalten. Dazu kommen natürlich
noch Zuschauer; vielleicht sind es 1 500 bis 2 000.
Man kann also mit 3 500 bis 4 000 Teilnehmern rech- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz-
nen. Das ist allerdings eine Schätzung. frage. Dann rufe ich die Frage 6 der Kollegin Ganse-
forth auf:
Die auswärtigen Soldaten, die im Rahmen der Vor-
Welche Kosten entstehen durch die Umbaumaßnahmen an-
bereitung und Durchführung der Veranstaltung läßlich des feierlichen Gelöbnisses, und wie wird gewährleistet,
übernachten müssen, werden in Luttmersen beim daß die betroffenen Vereine ihre Aktivitäten, z. B. Punktspiele,
Panzerbataillon 33 untergebracht. Die übrigen Solda- durchführen können?
ten übernachten an ihren Standorten.
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. desminister der Verteidigung: Umbaumaßnahmen im
Sinne fester Umbauten werden nicht vorgenommen.
Im Rahmen der zeitlich begrenzten Maßnahmen zur
Monika Ganseforth (SPD): Frau Staatssekretärin, Vorbereitung und Durchführung des Gelöbnisses ist
Sie haben es schon angedeutet. Ich möchte noch ein- geplant, Zelte und zerlegbare Tribünen für Besucher
mal präzise fragen, wie der örtlichen Bevölkerung und Presse aufzubauen. Ferner sollen Flaggenma-
der Zugang dazu ermöglicht wird; denn sie wird ja sten aufgestellt sowie der Sportplatz für die Veran-
durch diese Maßnahmen erheblich beeinträchtigt. staltung z. B. durch den Abbau von Zäunen herge-
Ich halte es für sinnvoll, daß sie zugelassen wird. Wie richtet werden. Diese Maßnahmen werden auf das
ist das gedacht? unbedingt Notwendige beschränkt.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4793
Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger
Die Bundeswehr hat sich verpflichtet, die Anlage der Repräsentanten der Kommune eingeholt. Es gab
wieder so herzurichten, wie sie sie übernommen hat. dann im Laufe der Zeit weitere Abstimmungen; wie
Eventuelle Schäden werden von der Bundeswehr gesagt, die letzte fand am 25. August statt. Es er-
selbstverständlich beseitigt. folgte also alles in enger Abstimmung mit der Ge-
meinde und damit natürlich auch der Vereine. Es ist
Die Kosten für die Bewirtung der Gäste, Versiche- ja ganz klar, daß sie nicht gegeneinander arbeiten.
rungen, Wasser, Strom, Klein- und Verbrauchsmate- Wir waren uns auch immer der Unterstützung der
rial sowie Anmietungen, z. B. der Sanitäreinrichtun- Kommune und der Repräsentanten der Kommune si-
gen, werden derzeit auf knapp 40 000 DM geschätzt. cher. Ich hoffe, es wird eine harmonische Veranstal-
Sie werden aber verstehen, Frau Kollegin, daß eine tung.
umfassende Kostenaufstellung erst nach der Veran-
staltung möglich sein wird.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz-
Damit die Vereine ihre Aktivitäten, z. B. Punkt- frage. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
spiele, durchführen können, hat der Vorbereitungs-
stab dem TSV Bordenau über den Ortsgemeinderat Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
Bordenau angeboten, die Sportanlagen der umlie- desministeriums für Gesundheit. Die Fragen 7 und 8
genden Bundeswehrliegenschaften zu nutzen. Dies werden schriftlich beantwortet. Die Antworten wer-
haben die Vertreter des TSV Bordenau allerdings bis- den als Anlagen abgedruckt.
her abgelehnt. Die Bundeswehr konzentriert sich
deshalb jetzt darauf, die für die Vorbereitung, Durch- Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesmi-
führung und Nachbereitung der Veranstaltung not- nisteriums für Post und Telekommunikation auf. Die
wendigen Nutzungszeiten für die Anlagen so kurz Fragen 9 und 10 wurden zurückgezogen; die Fragen 11
wie möglich zu halten, um so die Belange der betrof- und 12 werden schriftlich beantwortet. Die Antwor-
fenen Vereine zu berücksichtigen. ten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine Zusatz- desministeriums für Bildung, Wissenschaft, For-
frage. schung und Technologie. Die Fragen 13 bis 15 wer-
den schriftlich beantwortet. Die Antworten werden
Monika Ganseforth (SPD): Frau Staatssekretärin, als Anlagen abgedruckt.
ich wüßte gerne, ob nicht auch Sie es so sehen, daß Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Auswärti-
es ziemlich schwierig ist, z. B. Rasenflächen, die im gen Amtes auf. Die Fragen 16 bis 20 werden schrift-
November in Mitleidenschaft gezogen werden, rela- lich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen
tiv schnell für Sportveranstaltungen wieder herzu- abgedruckt.
richten. Wie soll das gewährleistet werden? Im Dorf
wird darüber geredet, daß dann ein Ersatzrasen auf- Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
gelegt wird. Ist an so etwas gedacht? desministeriums der Finanzen. Die Frage 21 wird
schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage
abgedruckt.
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
desminister der Verteidigung: Die Details dazu kann Ich begrüße den Parlamentarischen Staatssekretär
ich Ihnen nicht schildern. Andererseits kennen Sie ja Herrn Dr. Faltlhauser und rufe die Frage 22 des Kol-
den Grund: Der 12. November 1995 gilt als der legen Hans Büttner, SPD, auf:
40. Geburtstag der Bundeswehr; außerdem ist der
12. November der Geburtstag von Scharnhorst. Diese Hält die Bundesregierung einen Bundesminister, der mit sei-
nem Amtseid geschworen hat, Schaden vom deutschen Volk ab-
beiden Ereignisse haben zu der Entscheidung ge- zuwenden, länger für tragbar, der durch seine Äußerungen zur
führt, das Gelöbnis in Bordenau durchzuführen. Ich Lira und dem belgischen Franc eine Spekulation in die Deutsche
glaube, das ist ein gutes Ereignis, ein gutes Datum. Mark und damit deren weitere Aufwertung ausgelöst hat, mit
Wir werden versuchen, die Schäden so gering wie der Folge, daß Exporteure deutscher Produkte aus Mittelstand,
Industrie und Landwirtschaft dadurch Verluste erleiden, die sich
möglich zu halten. Da es eine einmalige Veranstal- im Rahmen bestehender Kursabsicherungsmöglichkeiten nicht
tung ist, hoffe ich auch, daß wir das Verständnis der voraussehen lassen und dadurch eine weitere Gefährdung für
Bordenauer haben. Arbeitsplätze am Produktionsstandort Deutschland ausgelöst
wurde?
Ich fasse zusammen: Das, was der Minister vorsich- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zweite Zusatz-
tig und klug abgewogen berichtet und dargelegt hat, frage.
fand den Beifall des gesamten Ausschusses, insbe-
sondere auch Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion.
Ich hätte es für klug gehalten, daß Sie sich, bevor Sie Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Wenn ich Ihre
diese Frage gestellt haben, mit Ihren SPD-Kollegen, Antwort und auch die Äußerungen von Herrn Fi-
die dabei waren, abgestimmt hätten. nanzminister Waigel richtig verstanden habe, war
das - um es vorsichtig auszudrücken - ein verklausu-
Zweitens. Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß liertes „Nein" oder „Jetzt noch nicht", was die Lira
diese Veröffentlichung in Italien, aber auch an- und den belgischen Franc angeht. Der Bundeskanz-
derswo gewisse Aufregungen verursacht hat. Ob ler hat auf Mallorca - auch das vorsichtig interpre-
dies Aufgeregtheiten waren, die im Grunde nicht tiert - zumindest wieder ein verklausuliertes „Ja,
notwendig waren, will ich hier nicht werten. Nur aber" ausgedrückt. Was gilt nun eigentlich?
müssen wir alle in Europa uns daran gewöhnen, daß
wir über die Konvergenzkriterien und ihre Einhal- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
tung offener und ehrlicher auch in der Öffentlichkeit desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, wir
diskutieren. Das, was jetzt an Reaktionen auf die sollten nicht von diesem Ort aus für weitere Mißver-
Pressemeldung geschehen ist, ist nicht unbedingt ein ständnisse und Aufgeregtheiten Anlaß geben. Für die
gutes Anzeichen für eine derar tige offene, klare und Beurteilung der Kriterien und ihrer Einhaltung und in-
sachorientierte Diskussion. sofern für die Voraussetzungen zum Eintritt in die dritte
Stufe der Währungsunion gibt es nach dem Maastrich-
Drittens. Die Rückwirkung auf die Bundesrepublik ter Vertrag eine präzise Vorgabe in Zahlen, die unge-
Deutschland, die Sie in Ihrer Frage unterstellen, war wöhnlich detailliert in den Anlagen dieses Vertrages
ein kleiner Ausschlag des Kurses der Lira. Mit dem niedergelegt ist. Es gibt auch eine ganz präzise Vor-
Kurs der Lira haben wir ohnehin schon große Pro- gabe, welche Institutionen diese Kriterienprüfen.
bleme gehabt. Grundlage der entsprechenden Kurs-
entwicklung sind immer - das ist eine uralte Erkennt- Wir als Bundestag - ich erinnere daran - haben
nis - die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenhei- dies damals ausdrücklich durch die Aussage ergänzt,
ten und nicht minimale Schwankungen durch Äuße- daß der Bundestag in eine eigenständige Prüfung
rungen oder Aufgeregtheiten an dem einen oder an- eintritt. Vorfestlegungen gibt es mit Sicherheit nicht.
deren Tag. Kein Mitglied dieser Bundesregierung wird seiner-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4795
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es gibt keine Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Darf ich daraus
weitere Zusatzfrage. schließen, daß die Bundesregierung kein Interesse
daran hat, wenigstens bei den wichtigsten Währun-
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Büttner auf: gen zu stabileren Kursverhältnissen zu kommen?
Ist die Bundesregierung bereit, nach dieser jüngsten, weitge-
hend nicht von Wirtschaftsdaten verursachten Währungsturbu- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
lenz, endlich Schritte zu ergreifen, um wenigstens zwischen den
Währungen der dominierenden Wirtschaftsnationen USA, Ja- desminister der Finanzen: Das ist eine ganz andere
pan und Deutschland zu stabileren Kursrelationen zu kommen? Frage, Herr Kollege. Um die Währungsrelationen
4796 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
(Zuruf von der CDU/CSU: War er auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
eine Fortsetzung der Kamingespräche in Essen. PDS)
Der erste Be richt der Reflexionsgruppe liegt vor. Aber die Aktuelle Stunde ist ja für uns eine Möglich-
Über eine Bestandsaufnahme geht er nicht hinaus. keit, Sie zu veranlassen, sich hier zu äußern.
Weisungen, zumindest aber eine Meinungsbildung
im Rahmen der Regierungschefs waren sehr gefragt, Wir hätten gern folgende Frage diskutiert: Verbirgt
statt dessen nun eine massive Krise der EU, sich eigentlich hinter den starken Worten unseres Fi-
nanzministers und hinter der Antwort, wie der fran-
(Lachen bei der CDU/CSU) zösische Ministerpräsident Juppé sie mit dem Hin-
weis gibt, daß, wer die Währungsunion nicht wolle,
ausgelöst durch Ihren Finanzminister, der so eben nur solche starken Worte gebrauchen müsse, wie der
mal die Währungskurse purzeln ließ, ausgelöst durch Finanzminister sie gebraucht habe, nicht längst
den französischen Präsidenten, der der Welt nu- schon der Ausstieg aus den Illusionen der Währungs-
kleare Stärke vorführt, obwohl diese davon längst union? Soll es denn nun etwa eine luxemburgisch
nichts mehr wissen wi ll , der kurz einmal aus dem deutsche Währungsunion werden? Wenn es mehr
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4797
Dr. Helmut Lippelt
werden soll, frage ich: Warum gibt es dann nicht par- cher Sitzung gesprochen wird. Ich sage Ihnen: Es
allelgeschaltete Wirtschaftspolitiken, die doch die muß doch im Interesse der Opposition sein, daß in
Voraussetzung dafür sein müssen, um überhaupt in nichtöffentlichen Sitzungen des Deutschen Bundes-
die Nähe der Erfüllung dieser Kriterien zu kommen? tages der Finanzminister der Bundesrepublik
Deutschland auf deren Befragen hin - es waren Fra-
Ist nicht richtig, was die „Herald Tribune" ge- gen aus den Reihen der SPD und der Grünen -
schrieben hat, wenn sie heute einen Brüsseler Spit- Antworten gibt, wie er die Lage in anderen Ländern
zenbeamten mit den Worten zitiert: „Wenn die der Europäischen Union einschätzt. Dies muß doch
deutsch-französische Zusammenarbeit nicht mehr noch möglich sein in Deutschland, ohne, daß an
länger funktioniert, dann ist, ob wir es wollen oder an die Wand-schließndg EuropaieKs
nicht, die Europäische Union gefährdet"? Wir brau- gemalt wird.
chen nur den Artikel in der „Herald Tribune" nach-
zulesen, um in die Tiefen der Zerwürfnisse hineinzu- Nein, wir haben keine Krise, sondern es gibt Fort-
blicken, die im Moment bestehen. schritte bei der sehr ernsthaften Entwicklung in der
Europäischen Union hin zur Vertiefung und, Herr
Wird es deshalb nicht Zeit, einmal grundsätzlich
Lippelt, zur Erweiterung.
die Frage zu diskutieren, Herr Lamers, ob denn das
hochgehaltene Prinzip „Vertiefung vor Erweite- Meine Damen und Herren, für die Bundesrepub lik
rung" noch richtig ist oder ob wir nicht in lange Ver- Deutschland und auch für die Koalitionsfraktionen ist
schiebungsprozesse hineinkommen, die die assozi- nie streitig gewesen, daß es einen klaren Zeitplan
ierten Staaten lange, lange im Regen stehen lassen? gibt. Aber es gibt auch die klare Priorität: Stabilität
Wer die polnischen Reaktionen auf den Besuch San- vor Zeitplan.
ters in Warschau studiert, wird erneut auf die immer
wieder von Polen, Ungarn und Tschechien vorgetra- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
gene Forderung stoßen, daß die assoziierten Länder DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist aber eine klare
schon jetzt an der Debatte über die zukünftige Ge- Abkehr von Maastricht, mein Lieber!)
staltung der Union als Beobachter oder Berater teil-
nehmen möchten. Aber sie müssen in der Lage sein, Dieses ist nie bestritten worden.
ihre Probleme und ihre Vorstellungen einzubringen.
Im übrigen hat das der Bundeskanzler mehrfach
Gerade im Moment der Krise in der EU, gerade in
von dieser Stelle aus gesagt, und so hat es der Bun-
dem Moment, da den EU-Regierungen doch nun
desfinanzminister letzte Woche im Finanzausschuß
endgültig bewußt werden muß, daß ihre Zeitpläne
gesagt. Wir befinden uns, wenn wir dies aus den Rei-
und deren voraussehbare Verzögerung auch Ge-
hen der Koalitionsfraktionen heraus so sehen, in gu-
samteuropa gefährden, sollten wir den Weg nach
ter Gesellschaft. Denn, meine Damen und Herren,
vorn suchen. Das aber bedeutet: Es wird höchste
auch der Präsident des Europäischen Währungsinsti-
Zeit, die bequeme Illusion zugunsten eines vielleicht
tutes Herr Lamfalussy, mit Sitz in Frankfurt stellt klar
noch möglichen Gesamteuropas aufzugeben. Denn
die Priorität fest: Stabilität vor Zeitplan. Deshalb weiß
die zentrale Frage lautet nicht: Währungsreform
ich nicht, wo die Krise liegt.
sofort oder später. Die zentrale Frage lautet, ob wir
das noch mögliche Gesamteuropa herbeiführen oder- Im übrigen ist die Aufgabenverteilung nach dem
nicht. EG-Vertrag in der Gemeinschaft klar. Jedes Land in
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dieser Gemeinschaft muß seine Hausaufgaben ma-
chen, jedes Land für sich allein. Die Bundesrepublik
Deutschland erfüllt seit einigen Monaten die Konver-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der genzkriterien. Wir können stolz darauf sein, daß das
Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion. so ist. Es wird auch in der Zukunft Anstrengungen
erfordern, die Konvergenzkriterien weiterhin zu er-
Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine füllen. Diese Anstrengungen wollen wir unterneh-
Damen und Herren! Herr Kollege Lippelt, lassen Sie men. Jedes andere Land muß dies nach dem Vertrag
mich mit dem Letzten beginnen, was Sie gesagt ha- auch so tun. Darauf hinzuweisen, Herr Kollege Lip-
ben. Ich unterstelle, es war ein Versprecher, aber wir pelt, kann doch keine Krise in der Europäischen
sollten auch solche Versprecher vermeiden. Das Ziel Union auslösen.
lautet nicht: europäische Währungsreform, sondern
Für uns ist klar, daß am Ende des Prozesses, und
Europäische Währungsunion.
zwar nach dem Zeitplan, wie er im Vertrag vorgese-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hen ist, diejenigen Institutionen die Beurteilung ab-
geben, die dazu aufgerufen sind. Das sind die EG-
Es ist für den Sprachgebrauch außerordentlich wich- Kommission, das Europäische Währungsinstitut und
tig, daß wir uns daran halten. der Rat der Finanzminister in der Europäischen
Sie haben fünf Minuten Zell gehabt, die „massive Union. Dieses sind die Gremien, in denen die Beur-
Krise" der Europäischen Union zu begründen. Ich teilungen stattzufinden haben.
frage mich: Was hat er eigentlich gesagt, und wo
liegt die Krise, meine Damen und Herren? Ich sage Ihnen: Wir wollen die Europäische Wäh-
rungsunion spätestens im Jahr 1999, zum Jahres-
Passiert ist in der letzten Woche etwas, was sich in wechsel 2000, verwirklichen. Wir wollen dies nicht
allen Ländern der Europäischen Union tagtäglich er- nur, um die Einigung Europas voranzubringen. Wir
eignet, nämlich daß über die anderen in nichtöffentli wollen dies nicht nur, weil wir aus ökonomischen
4798 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Friedrich Merz
Gründen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wenn man dann sieht, daß die Bundesregierung
Volkswirtschaften stärken wollen, z. B. gegenüber mit einem trampeligen Verhalten vor dem Gipfel und
dem Dollarraum oder auch gegenüber der asiati- nach dem Gipfel die Schwierigkeiten sozusagen
schen Konkurrenz. noch erhöht, dann muß man sagen: Es muß einem
wirklich angst um die weitere europäische Entwick-
Wir wollen dies auch, weil wir wissen, daß die Bun- lung sein. Ich möchte heute hier von der Bundesre-
desrepublik Deutschland überfordert wäre, mit einer gierung, auch vom Bundeskanzler, wissen: Welche
D-Mark als de facto europäischer Währung Wäh- konkreten Festlegungen für die Überprüfungskonfe-
rungspolitik für die gesamte Europäische Union zu renz sind getroffen worden? In einem Vierteljahr soll
machen. Damit wären wir überfordert, und damit es losgehen. Auf welches Ziel hin wird verhandelt?
wäre auch die Deutsche Bundesbank überfordert. Wie wird die Bevölkerung einbezogen? Will die Bun-
desregierung denn die Stabilitätskriterien aus politi-
Deswegen wollen wir in Europa eine Stabilitätsge- schen Rücksichtnahmen aufweichen? Dann soll sie
meinschaft errichten, eine Europäische Wirtschafts- es hier sagen, vor den Deutschen Bundestag treten
und Währungsunion, an der alle teilnehmen können, und in dieser Frage Posi ti on beziehen.
die die s trengen Kriterien des Maastricht-Vertrages
erfüllen. Wir sind stolz darauf, daß wir es heute tun. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer sagt denn so
Wir freuen uns über jeden, der auf diesem Weg mit- etwas? - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU:
macht. Das ist nur ein Popanz!)
Herzlichen Dank. Was soll gemacht werden, um die Rechte des Europä-
ischen Parlaments zu stärken? Wie soll denn die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) große Frage der Erweiterung der Europäischen
Union vorbereitet werden und vor allen Dingen die
Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Län-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die der finanziert werden? Kohl sagt: Für die EU steht
Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD-Fraktion. nicht mehr an Finanzmitteln zur Verfügung. Bitte -
so sagen wir -, dann muß aber auch gesagt werden,
daß der Agrarhaushalt, der 49 % ausmacht, um die
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kollegin- Hälfte reduziert werden muß, damit die Vorbereitung
nen und Kollegen! Auf dem außerordentlichen EU- der Aufnahme mittel- und osteuropäischer Länder
Gipfel von Mallorca war es symptomatisch und sym- aus den Mitteln der Europäischen Union finanziert
bolisch, daß die Regierungschefs anschließend sehr werden kann. Ich bitte jetzt endlich einmal um kon-
individuell informiert haben, sehr individuell im Hin- krete Antworten auf Finanzfragen, die die Menschen
blick auf die jewei lige na ti onale Situation in ihren in der Bundesrepublik und in Europa wirklich inter-
Ländern. Es sind, wie alle Bewertungen zeigen, of- essieren. Was schlägt eigentlich die Bundesregie-
fene Fragen übrig geblieben. Auf dem Gipfel sind rung vor, damit die Stagnation im deutsch-französi-
keine Fragen beantwortet worden, um nun wissen zu schen Verhältnis tatsächlich überwunden wird?
können, auf welcher Basis die weitere europäische
(F ri edrich Merz [CDU/CSU]: Boykottaufrufe
Integration im Vorfeld der Überprüfungskonferenz
gehören z. B. dazu!)
voranschreitet.
- In der Beziehung bin ich wirklich die falsche
Ich denke, es stellt sich immer wieder eine Frage, Adresse.
die ich schon mehrfach gestellt habe. Seit es die neue
französische Regierung gibt, gibt es auch eine Ver- (Heiterkeit bei der CDU/CSU - F ri edri ch
änderung ihrer Europapolitik. Ich nenne nur die Merz [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn
Stichworte „nationalistische Rücksicht auf Le Pen 14 Tage lang?)
und seine Leute oder Partnerländer vor vollendete Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage jedem ein-
Tatsachen stellen - Stichwort: Atomwaffentests. An
zelnen von Ihnen: Ich freue mich, daß ich Sie lebend
der Stelle noch einmal - wir werden am Freitag noch
wiedersehen kann, und ich hätte mich gefreut, wenn
einmal eine Debatte darüber haben -: Ich finde, daß der eine oder andere von Ihnen in dieser Form auf
es ein Armutszeugnis ist, daß, wenn aus Frankreich
mich zugekommen wäre und nicht die Häme in einer
angekündigt ist, daß ein solcher Test in dieser oder
solchen Situa ti on auch noch den zwischenmensch-
der nächsten Woche stattfindet, es die Regierungs-
lichen Umgang prägte.
chefs nicht schaffen, gemeinsam die französische Re-
gierung aufzufordern, solche Tests zu unterlassen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) Aber zur Sache selbst: Wir meinen, daß es darum
geht, jetzt vor allen Dingen einen europäischen
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Verände- beschäftigungspolitischen Pakt zu schließen, ihn
rungen gehört auch, daß z. B. die zugesagte Verän- na ti onal zu untermauern, ihn durch die eigene
derung an den Grenzen, nämlich keine Grenzkon- praktische Politik zu untermauern und damit die
trollen von Frankreich aus mehr durchzuführen, für Punkte aufzugreifen, die Jacques Delors in seinen
das nächste Jahr nicht vollzogen wird. Das heißt, Initiativen angesprochen hat. Eines der Probleme
auch in diesem Bereich wird eine Linie durchbro- des Rückfalls in Nationalismus ist doch, wie es
chen, deren Einhaltung bisher zugesagt worden war. auch schon in den zwanziger und dreißiger Jahren
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4799
Heidemarie Wieczorek-Zeul
war, die dramatisch anwachsende Arbeitslosigkeit weise ich die Aussagen aus Brüssel zurück, wonach
und die Tatsache, daß in dieser Situation alle Länder der Zeitplan Vorrang vor der Einhaltung der Krite-
auf Nationalismus, auf das Exportieren von Arbeitslo- rien hat. Weder werden die Kriterien verwässert,
sigkeit zurückgreifen. Der Kern der Krise in der Euro- noch wird der Zeitplan nicht eingehalten. Der Zeit-
päischen Union ist, daß in diesem Bereich keine ge- plan ist Vertragsbestandteil, meine Damen und Her-
meinsame Politik betrieben wird, um Arbeitslosigkeit ren.
zu bekämpfen: Wenn man im Kern anfangen will,
muß man deshalb in dieser Richtung Schwerpunkte (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
setzen. Ich warte auf die Vorschläge, die von seiten Wir wollen Stabilität jetzt und nicht erst im Jahr
der Bundesregierung kommen. 2002. Wer 1995 den Zeitplan für 1999 in Frage stellt,
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen. nimmt den innenpolitischen Druck in allen EU-Staa-
ten weg,
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) (Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Herr Dini!)
sorgt dafür, daß in Frankreich und anderen Ländern
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat der die Kriterien nicht eingehalten werden und macht
Kollege Helmut Haussmann, F.D.P.-Fraktion. damit die Währungsunion mangels Teilnehmern tot,
mit allen Folgen für die Politische Union. Das ist der
Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Herr Präsident! Zusammenhang.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Klar ist (F ri edrich Merz [CDU/CSU]: Genauso ist
aus Sicht der F.D.P.: Es muß möglich sein, daß der je-
es!)
weilige Ressortminister in den Fachausschüssen eine
Auskunft über den Vertrag gibt. Herr Waigel hat ge- Der wirk li che Wahrer der D-Mark ist derjenige, der
sagt: Beim jetzigen Stand in bezug auf Erfüllung der nicht nur die Stabilitätskriterien verteidigt, sondern
Konvergenzkriterien gibt es einzelne Mitgliedstaa- auch alles tut, damit der Zeitplan 1999 eingehalten
ten, die an der Währungsunion nicht teilnehmen werden kann.
könnten.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Wer denn?) Nun höre ich eben über die Medien, daß Herr
Schröder dem ganzen einen neuen Touch gegeben
Es war ja keine diplomatische Meisterleistung nach hat, indem er gesagt hat: Eine europäische Währung
außen gefordert; er will ja auch nicht Außenminister kann und darf es nur geben, wenn Rom und London
werden. teilnehmen. Das ist völlig außerhalb des Vertrags von
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Maast ri cht. Das ist die neue europäische Währung
DIE GRÜNEN]: Oh! - Werner Schulz [Ber aus niedersächsischer Sicht.
lin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
man aber schon anders gehört!) DIE GRÜNEN]: Das ist die sogenannte
-
Das war eine klare, verläßliche Auskunft des Finanz- Heidschnucken-Klausel! - Heiterkeit bei
ministers. Wir setzen uns dafür ein, daß das auch in der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE
Zukunft so bleibt. GRÜNEN)
Zur Sache selbst: Es herrscht aus Sicht der F.D.P. Ich nehme an, daß sich die Finanzmärkte auf Grund
überhaupt kein Zweifel, daß es einen sehr engen Zu- dieser Äußerung von Herrn Schröder nicht beunruhi-
sammenhang zwischen Währungsunion und Politi- gen lassen. Wir können das nur hoffen.
scher Union gibt.
Ich möchte also für die F.D.P. zusammenfassen:
(Horst F ri ed ri ch [F.D.P.]: Sehr wahr!) Währungsunion führt zur Politischen Union. Beides
ist wichtig, beides ist erreichbar. Es ist auch nicht so,
Schon deshalb ist der Zeitpunkt 1999 so wichtig. Wer
wie es heute in einer führenden Tageszeitung in
1999 in Frage stellt, stellt natürlich auch die nächsten
Deutschland dargestellt wird, wonach 1999 kein Fix-
Fortschritte bei der Politischen Union in Frage. Ich
punkt ist. Die Festlegung auf 1999 ist Vertragsbe-
wehre mich gegen Aussagen von Sprechern der
standteil. Wer den Zeitpunkt 1999 ändern will, der
deutschen Indust ri e und der Opposition, die ihr
braucht eine einstimmige Vertragsänderung. Die
schlechtes Gewissen - sie haben bisher zuwenig für
F.D.P. bleibt vertragstreu und wird dafür sorgen, daß
die Aufklärung der Bevölkerung, für die Werbung
nicht nur die Konvergenzkriterien eingehalten wer-
für eine europäische Währung getan - beruhigen, in-
den, sondern auch baldmöglichst die Voraussetzun-
dem sie dafür eintreten, das Projekt zu gegebener
gen geschaffen werden, damit der Zeitplan 1999 ein-
Zeit zu verschieben.
gehalten wird.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Aber das Esperanto ist doch Die gesamte Welt globalisiert und internationali-
nicht von der Opposi ti on erfunden worden!) siert sich. Es wäre ein Witz, wenn Europa auf dem
Weg zur Renationalisierung wäre. Das Gegenteil der
Der Bundeskanzler hat klar gesagt: Stabilitätskrite- Währungsunion sind nämlich ein Abwertungswett-
rien und Zeitplan gehören zusammen. Herr Merz, lauf und neue Massenarbeitslosigkeit in Europa.
ich sehe keine Vorrangstellung des einen. Genauso Wenn in Deutschland der Zusammenhang zwischen
4800 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Sie dürfen in der zweiten Reihe Platz nehmen. Sie Wenn dér Gipfel ein Erfolg gewesen wäre, säße
können sehen, wo sie bleiben. Da kann es auch Herr Kohl hier und würde vermutlich morgen, am
schon einmal Staaten wie Italien und Belgien treffen, Donnerstag, zur besten Fernsehzeit eine Regierungs-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4801
Joseph Fischer (Frankfurt )
erklärung abgeben. Heute nimmt er mit den Hinter- Ich möchte von Ihnen, Herr Kollege Kohl, Herr
bänken vorlieb. Bundeskanzler, folgendes wissen. Es ist Herr Dini ge-
wesen, der sogar in Ihrer Anwesenheit den Termin
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1999 in Frage gestellt hat. Es ist auch nicht die Oppo-
sowie bei Abgeordneten der SPD) sition, die mit einer solchen Aussage durch die Lande
Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Sie werden die zieht. Es ist doch Herr Stoiber, der hier zunehmend
Presse gelesen haben. Ich nehme an, Sie teilen die Fragezeichen setzt, und die CSU, die in Sachen Sta-
dort geäußerten Sorgen viel mehr, als Ihr freundli- bilität den Termin 1999 in Frage stellt. Darauf möch-
ches Lächeln auf der Hinterbank das klarmacht. Uns ten wir hier und heute eine Antwort des Bundeskanz-
geht es auch nicht darum, Sie vorzuführen, sondern lers. Dieses Parlament - dies richte ich einmal an Sie,
darum, Sie dazu zu bringen, daß die Bundesregie- meine Damen und Herren von der Regierungsmehr-
rung, der Bundeskanzler den Weg zur europäischen heit - kann sich doch alles schöne Reden über Parla-
Integration verdeutlicht. Es geht nicht nur um das mentsreform abschminken, wenn es nach einem
Ziel, das wir im wesentlichen gemeinsam anstreben, solch bedeutenden Tag wie dem des Treffens in Mal-
sondern auch darum, daß unter dem Gesichtspunkt lorca nicht das Recht hat und sich die Regierung
der Konkretisierung des Weges endlich Butter bei die nicht verpflichtet fühlt, hier seitens dessen, der sein
Fische kommt. politisches Schicksal und nicht nur das irgendeines
Staatssekretärs daran gebunden hat - im Fernsehen
Ich lese Ihnen einmal etwas aus Ihrem Leib-und- war zu hören, daß Helmut Kohl mit der Herstellung
Magen-Blatt „FAZ" vor. Günther Nonnenmacher der Währungsunion sein eigenes politisches Schick-
schreibt auf Seite 1: sal verbindet; eine schlechte Nachricht für den Kolle-
gen Schäuble, denn dann wird es für ihn vermutlich
Auf dem Weg nach nirgendwo länger dauern -,
Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
EU-Mitgliedsländer in Ma llorca lieferte ein akku- NEN und bei der SPD)
rates Bild vom gegenwärtigen Zustand Europas:
Selbst die Hoffnung, es könne nur besser werden, Auskünfte zu all diesen Punkten zu verlangen bzw.
ist Zweckoptimismus. zu geben. Wir möchten gern wissen, was wirk lich Sa-
che ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir können al
Ich fordere Sie auf, Herr Bundeskanzler, vor dem
lein lesen!)
Deutschen Bundestag Ihre Posi tion klipp und klar
Die in Maastricht zur Union umgetaufte Gemein- darzustellen.
schaft befindet sich in einem Prozeß der Zerrüt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
tung. bei der SPD und der PDS)
Herr Bundeskanzler, da erwarten wir hier natür-
lich, daß Sie vor dem Bundestag einmal Stellung be- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
ziehen, wie es denn tatsächlich aussieht. Wenn hier Herr Staatsminister Hoyer.
verkündet wird, Stabilität habe die oberste Priorität, -
dann müssen Sie aber hinzufügen, daß die Wahr- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Fra
scheinlichkeit, daß es dann zu einer Währungsunion gen Sie einmal den Fischer, was er will!)
1999 kommen kann, täglich geringer und nicht täg-
lich größer wird. Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Amt: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Herren! Ich habe den Eindruck, daß ich den Kol-
legen Fischer hinsichtlich seiner Bewertung über die
Das wissen Sie doch fast noch besser als unsereins.
angeblich fehlende Substanz, die die Bundesregie-
Zweitens ist die Frage, die zu entscheiden ist, eine rung in diese Aktuelle Stunde einzubringen ge-
strategische Grundsatzfrage. Vertiefung vor Erwei- denke, enttäuschen muß. Ich freue mich über jede
terung, das ist die große Frage. Geht die Erweiterung Gelegenheit, als für Europa zuständiger Staatsmi-
mit dem bestehenden EG-Agrarmarktsystem über- nister zu diesem Thema sprechen zu können. Wir
haupt? Da werden Sie sofort sagen: Nein, geht nicht. müssen das viel öfter tun. Aber ich habe überhaupt
Wie sieht dann eine solche Reform aus? Wie soll das kein Verständnis dafür, daß Sie hier eine Krise der
funktionieren? Wie sieht das bezogen auf das Ver- Europäischen Union herbeireden und das zum Ge-
hältnis Bundesrepublik Deutschland zu Frankreich genstand einer Aktuellen Stunde machen, wenn es
aus? Das ist die entscheidende Frage vor allen Din- diese Krise nicht gibt, es sei denn, Sie wollen sie her-
gen für die Franzosen. beireden.
Zu all diesen Dingen, über die in Mallorca u. a. ge- In der Tat können wir gar nicht genug über Europa
sprochen wurde, hätten wir gern ein Wort des Bun- reden, denn natürlich haben wir aus der Erfahrung
deskanzlers und nicht des ansonsten sehr geehrten mit der Maastricht-Diskussion gelernt. Damals wur-
Parlamentarischen Staatssekretärs gehört, der uns - den die Menschen erst sehr spät auf das aufmerk-
davon gehe ich fest aus - in diplomatisch geschliffe- sam, was an gravierenden Veränderungen auf sie zu-
nen Worten gleich wieder nichts sagen wird. kommen würde. Auf die nächste Stufe des Eini-
gungsprozesses müssen wir die Menschen frühzeitig
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vorbereiten, sie nach Europa mitnehmen. Das heißt
4802 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
Peter Altmaier
Meine Damen und Herren, das ist natürlich Ihr gu- Wir wollen den Erfolg der Wirtschafts- und Wäh-
tes Recht, daß Sie diesen Versuch hier machen. Nur rungsunion, und wir wollen den Erfolg der Regierungs-
steht dieser Versuch leider Gottes in krassem Gegen- konferenz im Jahre 1996. Die Gipfelkonferenz, von der
satz zur Realität und zu allem, was Sie erfahren kön- wir sprechen, war keine Gipfelkonferenz zur Entschei-
nen, wenn Sie die Zeitungen lesen, von Finnland bis dung all der Fragen, die gelöst werden müssen, son-
nach Sizilien, und wenn Sie mit Ihren Parteikollegen dern das war ein informeller Gipfel, der zu einem Ge-
von den Sozialdemokraten und von den Grünen in danken- und Meinungsaustausch bestimmt war,
den europäischen Partnerländern reden.
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Und
Wenn es in der Europäischen Gemeinschaft eine der Grundorientierung für die Regierungs
Persönlichkeit gibt, der in den Nachbarstaaten zuge- konferenz schaffen sollte! - Joseph Fischer
traut wird, daß sie die schwierigen Fragen der Regie- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
rungskonferenz zusammenbinden und einer Lösung Das war also kein Gipfel, sondern ein Zip
zuführen kann, dann ist das nicht Joschka Fischer fel!)
und nicht Heidemarie Wieczorek-Zeul, sondern der ein Familientreffen, wie es beschrieben war, nicht
deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. mehr und nicht weniger.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soviel Weih Trotzdem, meine Damen und Herren, kann sich die
wasser gibt es gar nicht, wie man hier über Bilanz dieses informellen Gipfeltreffens sehen lassen.
den Kanzler sprengt! - Zuruf von der SPD: Auf diesem Gipfeltreffen ist deutlich geworden, daß
Der Kanzler wird es Ihnen danken! - Wei wir an den Stabilitäts- und Konvergenzkriterien so-
tere Zurufe von der SPD und dem BÜND wie am Zeitplan festhalten werden und daß sich eine
NIS 90/DIE GRÜNEN) Agenda für die Lösung der anstehenden Fragen über
die Regierungskonferenz 1996/97, über die Frage
der Beitrittsverhandlungen mit den osteuropäischen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich freue mich und mitteleuropäischen Staaten und über die schwie-
über Lebhaftigkeit, aber bitte etwas ruhiger. rigen Fragen abzeichnet, die sich im Hinblick auf die
europäischen Strukturfonds und die notwendigen
Reformen der europäischen Finanzierung anschlie-
Peter Altmaier (CDU/CSU): Herr Präsident, ich
ßen.
kann das verstehen. Die Opposition hat sonst sehr
wenig zu lachen, und das versucht sie jetzt halt nach- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
zuholen. DIE GRÜNEN]: Ja, darüber würden wir
gerne mal von der Regierung etwas hören,
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat sehr genau darüber!)
schwierig, 15 Mitgliedstaaten mit sehr unterschiedli-
chen Interessen, die zum Teil intern Probleme haben, Wir wollen in diesem Zusammenhang, daß ohne
ihre Position zu bestimmen, in diesem Prozeß der Re- - Hektik, entschlossen - -
gierungskonferenz 1996 zusammenzuführen und ei-
(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
nen Konsens zu finden, der für alle Mitgliedstaaten
GRÜNEN]: Für Ihre Rede hätten wir nicht
einstimmig tragbar ist. Wie schwierig das ist, sehen
zu reden brauchen! Das konnten Sie auch
Sie doch am Beispiel der SPD, einer inzwischen recht
vorher schon erzählen!)
überschaubar gewordenen Oppositionspartei, die es
noch nicht einmal in zentralen Fragen der deutschen - Herr Lippelt, ich kann ja verstehen, daß Sie man-
Politik mit Mehrheit schafft, zu einer einigermaßen gels Argumenten versuchen, mit Polemik Stimmung
klaren und erkennbaren Meinung zu kommen. zu erzeugen. Aber Sie werden sehen, daß wir auf
dem Weg zur Regierungskonferenz unbeirrt weiter-
Meine Damen und Herren, der europäische Inte- gehen. Wir tun dies nicht, weil wir der Reihe der Re-
grationsprozeß hat von jeher nach dem Muster der gierungskonferenzen eine weitere hinzufügen wol-
Echternacher Springprozession Fortschritte und len, sondern wir tun dies, weil wir glauben, daß es
Rückschläge gekannt. Es gab Unkenrufe im Vorfeld wichtige Probleme gibt, die gelöst werden müssen.
der Europäischen Einheitlichen Akte, es gab Unken- Ich möchte drei Probleme nennen: Die Bürger erwar-
rufe im Vorfeld der Regierungskonferenz von Maas- ten von uns, daß wir in absehbarer Zeit eine europä-
tricht, und Sie können auch jetzt der Versuchung ische Antwort geben - -
nicht widerstehen, in den Chor derer einzustimmen,
die bereits wieder von einem Scheitern und von Er-
folglosigkeit sprechen. Nur, werden Sie sehen, Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zeit, Zeit!
werden sich auch diesmal ganz genauso täuschen
und irren, wie Sie sich 1987 und wie Sie sich bei Peter Altmaier (CDU/CSU): Die Redezeit ist zu
Maastricht geirrt haben. Ende. Wir werden trotzdem die Antwort auf die Fra-
gen geben,
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Mein Lieber, davon hat kei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
ner geredet! Der erste, der das macht, sind Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie!) DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4805
Peter Altmaier
denen wir uns auf der Regierungskonferenz gegen- nachteile gegenüber den anderen Welthandelsregio-
übersehen. Wir laden Sie ein, dabei mitzumachen. nen und auf den Kapitalmärkten weltweit bescheren.
Wir werden noch oft Gelegenheit haben, diese Dis- Sie würde ferner das viel größere Risiko in sich ber-
kussion in diesem Haus zu führen. gen, daß die EU wieder auseinanderbricht und damit
insgesamt kaputtgeht.
Vielen Dank.
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Sagen wir ja!)
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der - Das ist genau das Problem, Herr Haussmann. Sie
Kollege Norbert Wieczorek, SPD. können nicht einerseits fordern, die Kriterien müßten
erfüllt sein, und andererseits sagen: A lles muß 1999
laufen. Das ist genau das Problem, vor dem wir ste-
Dr. Norbe rt Wieczorek (SPD): Herr Präsident! hen.
Meine Damen und Herren! Ich hoffe ja, daß wir noch
einmal Antworten bekommen; von Mallorca haben (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das weiß
wir leider keine bekommen. Was wir von Mallorca ich doch auch! Wir wollen beides!)
bekommen haben, ist eindeutig Unsicherheit in der
Fortentwicklung der politischen Union, es sei denn, Das ganze Vertragswerk ist auf eine Spaltung zwi-
Sie beziehen sich auf Ihr Minimalkonzept. Das kann schen Mitgliedern und Nichtmitgliedern eingerich-
wohl nicht langen. Ich darf daran erinnern - der Herr tet. Herr Dini hat dies ja jetzt artikuliert, indem er
Bundeskanzler ist ja da -, daß es vor Maastricht auch sagt: Dann brauchen wir eine Verschiebung. Ich
immer aus seinem Munde hieß: Die Währungsunion warne aber davor, daß die deutsche Politik, wenn sie
und die Politische Union müssen parallel gestaltet diese Diskussion mit be treibt, den Verdacht erweckt,
werden. Davon kann ich im Moment sehr wenig er- sie wolle aus der Wirtschafts- und Währungsunion
kennen. ausbüchsen.
Das führt mich zu dem, was mich an den Stellung- In diesem Zusammenhang will ich einmal sehr
nahmen des Kollegen Waigel eigentlich überrascht deutlich auch etwas zum Bundeskanzler sagen - er
hat. Wie sie an die Öffentlichkeit gelangt sind, ist sitzt ja zum Glück da oben -: Dieser Zeitplan ist da-
eine zweite Frage. Inhaltlich hat er das gesagt, was mals in den Vertrag von Maastri cht von Bundeskanz-
das Haus hier beschlossen hat: Es gibt keinen Rabatt ler Kohl und Präsident Mitterrand hineingeschrieben
bei den Kriterien. Man hat Bewertungen vorgenom- worden. Wenn jetzt vom Bundeskanzler gesagt wird,
men, die jeder auf den Zeitungsseiten nachlesen dann müsse er eben 1996 im Trockenlaufverfahren
kann. Das Überraschende ist doch, wie die Reaktio- überprüft werden, ist natürlich der Verdacht sehr
nen darauf waren; das zeigt aber, wie brüchig das Eis groß, daß er vor den Folgen des eigenen Handelns
ist, auf dem wir sind. Das macht mir viel mehr Sor- durch die Hintertür weglaufen wi ll.
gen, und darüber sollten Sie nachdenken.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ F.D.P.)
DIE GRÜNEN) -
Die Verabredung mit Präsident Mitterrand in der al-
Deswegen sage ich hier noch einmal in a ller Deut- lerletzten Phase, im Vertrag den Zeitrahmen vorzuse-
lichkeit für die SPD: Wir wollen diese Währungs- hen, rächt sich eben jetzt, weil sich, ganz simpel,
union erfüllen, wenn die Kriterien erfüllt sind. Daran Herr Kollege Haussmann, ökonomische Prozesse
kann es kein Rütteln geben. nicht nach dem Willen von Politikern richten; das
sollten auch Sie erfahren haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Dem Norbe rt
Wieczorkglaubnwds!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN - Dr. Helmut Haussmann
Aber das ist die deutsche Position. Natürlich wün-
[F.D.P.]: Das sagt die F.D.P. schon lange! Da
schen wir uns - ich habe den Eindruck, auch andere -,
für werden wir ja kritisiert!)
daß wir, wenn wir die Währungsunion haben wer-
den, eine bessere Zusammenarbeit bei Haushalts-, Das Dilemma der Zweiteilung ist doch real. Der
bei Fiskalpolitik und - ich füge hinzu - bei Wi rt Vertrag sieht das vor. Alle haben zugestimmt. Es
-schaftpolikundSz beomnwrd; zeichnet sich ab, daß es möglicherweise eine immer
denn dies ist notwendig. kleinere Gruppe von Ländern sein wird, die den Zeit-
Aber das führt uns genau zu dem Problem, das wir plan erfüllen kann. Dann stehen wir aber vor der
haben: Der Maastricht-Vertrag bezieht sich in seinen Frage: Kann man sich eine Währungsunion vorstel-
Kriterien auf realwirtschaftliche Entwicklungen. len, in der nur ein großes Land ist, und hat das inte-
Diese kann man nicht mit schierem politischen Wil- grationspolitische Wirkungen oder nicht? Ich fürchte,
len beeinflussen. Das ist das eigentliche Problem. es würde fatale Wirkungen haben.
Realwirtschaftliche Konvergenz ist allerdings - da (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das kann
hoffe ich, daß wir uns einig sind - Voraussetzung für man heute noch nicht beurteilen!)
einen dauerhaften Erfolg der Währungsunion. Eine
weiche Währungsunion würde nicht nur in der Bun- - Aber, Herr Kollege Haussmann, ich gebe Ihnen ei
desrepublik nicht akzeptiert; sie würde vielmehr den nen kleinen Hinweis: Warten Sie mal ab, was in den
Teilnehmerländern entscheidende Wettbewerbs nächsten zwei Monaten in einem sehr großen Land -
4806 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wir haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Vertrauen zu Herrn Juppé!) DIE GRÜNEN)
- Sie mögen gern Vertrauen in Juppé haben. Die Denn wenn das so weitergeht, dann helfen wir nicht
Frage ist, wie das in Frankreich mit der Bevölkerung nur der Währungsunion nicht und der politischen In-
und Juppé ist. Aber das wird sich ja herausstellen. tegra tion nicht, sondern dann schaden wir vielmehr
Ich will hier jetzt nicht den gleichen Fehler machen Europa und der Bundesrepublik, auch den Ländern,
wie andere. Nur würde ich an Ihrer Stelle nicht vor- die noch Mitgliedsländer werden wollen, nicht nur
laut sein wollen. den Ländern, die heute schon Mitglied sind.
Das Entscheidende ist doch, daß natürlich jedes (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Land die Kriterien selbst erfüllen muß. Aber was bis- GRÜNEN und der PDS - Dr. Helmut Hauss
her nicht geschieht - das ist meine Kritik an dieser mann [F.D.P.]: Vorsicht! Es ist genau wieder
Bundesregierung -, ist, daß sich die Bundesregie- falsch gegangen: Klein-Europa!)
rung nicht bemüht, die realwirtschaftlichen Bedin-
gungen in diesen Ländern mit zu verbessern. Es ist Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
für mich zentral, daß es end lich einen gemeinsamen Kollege Martin Mayer, CDU/CSU-Fraktion.
Ansatz für eine Beschäftigungspolitik geben muß.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Dr. Ma rt in Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Herr
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schwer
nachvollziehbar, warum die Grünen diese Aktuelle
Es ist doch gerade die Arbeitslosigkeit, die etwa ei- Stunde beantragt haben, mit Ausnahme der Absicht,
nem Land wie Frankreich solche Schwierigkeiten ungerechtfertigte Vorwürfe gegen die Bundesregie-
macht, die Budgetkriterien zu erfüllen. Deswegen rung zu erheben.
müssen wir in bezug auf die Beschäftigungspolitik
endlich etwas machen. Es ist die Arbeitslosigkeit, die (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ging
nationalistisches Denken fördert; es ist die Arbeitslo- schief!)
sigkeit, die in den reichen Nationen die Spaltung der
Auf Mallorca wurden wichtige Ziele erreicht. Do rt
Gesellschaft bewirkt, zunehmend auch bei uns.
gabesprönlichBuge.IrnWtka
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das haben man nicht in Punkt und Komma ausdrücken.
die Sozialisten immer verhindert!) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung hier, den Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
einheitlichen Markt zu verwirklichen; er ist ja noch DIE GRÜNEN]: Da sollte der Bundeskanzler
gar nicht endgültig verwirklicht. Ich fordere zu- einmal erzählen, was man bei persönlichen
gleich, daß die Bundesregierung darangeht, sich zu
- Begegnungen nicht in Punkt und Komma
überlegen und mit Vorschläge zu machen, wie wir ausdrücken kann!)
das EWS, das ja praktisch mo ribund ist, wiederbele- Der Zeitplan für die Regierungskonferenz ist festge-
ben können. Gerade dann, wenn das passiert, was legt worden. Für diese Konferenz kann man natürlich
Dini jetzt in Gang gesetzt hat - der Zug hält noch zum jetzigen Zeitpunkt keine Details festlegen; die
nicht; ich fürchte, er wird noch stärker laufen -, brau- Grundzüge wurden von der Bundesregierung jedoch
chen wir das, um keine Wettbewerbsverzerrung aus bereits mehrmals dargelegt. Die Fragen, die der Herr
Auf- und Abwertungen zu bekommen. Da ist die Kollege Fischer vorhin gestellt hat, sind von der Bun-
Bundesregierung gefordert. Dazu habe ich aber hier desregierung mehrfach beantwortet worden.
und heute überhaupt nichts gehört. Ich meine, wir
sollten dieses machen. (Lachen der Abg. Heidemarie Wieczorek
Zeul [SPD])
Jörg-Otto Spiller
Im übrigen steht uns auch Hochmut nicht an . Vor sei denn - jetzt muß ich es doch noch einmal sagen,
einem Jahr mußte sich der Bundesfinanzminister gemäß einem alten pädagogischen Grundsatz, daß
noch große Sorgen machen, ob Deutschl and über- häufiges Wiederholen den Lernprozeß fördert -, man
haupt den Kriterien des Maastricht-Vertrages ge- hat immer noch nicht verstanden, was ein informeller
recht wird. Das ist noch immer relativ knapp. Deswe- Gipfel soll und was er bestenfalls leisten kann. In
gen sollte man keine großen Anklagen oder recht- Mallorca fand ein informeller Gipfel statt. Wer erwar-
haberische Vorwürfe an andere Mitgliedsländer der tet hat, daß es do rt Beschlüsse zur Europäischen
Europäischen Union richten. Union, zur europäischen Einigung, zu 1996 gab, Be-
schlüsse, die der Ratsgipfel in Madrid am Ende die-
Wir haben im Deutschen Bundestag bisher einen ses Jahres zu fassen hat, der liegt einfach völlig
Konsens darüber, daß die Kriterien von Maastricht falsch. Ein informeller Gipfel - dieses Ins titut ist un-
strikt auszulegen sind. Ich bedaure, daß es leider aus ter der deutschen Ratspräsidentschaft in Essen ein-
den Reihen der Koalition neuerdings auch Äußerun- gerichtet worden - dient dazu, ohne Termin- und
gen gegeben hat, die Zweifel daran nähren. Ich weiß Entscheidungsdruck innerhalb weniger Stunden
nicht, ob das ein korrektes Zitat ist; aber das „Han- eine Vielzahl von wichtigen Entscheidungen fällen
delsblatt" hat am 25. September gemeldet, der CDU- zu müssen, debattieren und gemeinsame wie diffe-
Politiker Karl Lamers habe am Gardasee erklärt, rierende Standpunkte feststellen zu können.
wenn sich die politische Lage in Ita lien festige, sei
die Einhaltung der Konvergenzkriterien bis aufs Ich halte die Einrichtung dieses Ins tituts für gut
Komma nicht mehr maßgebend. und hoffe, daß es weitergefüh rt wird. Denn wir brau-
chen in der europäischen Politik beides, einerseits
(Lachen bei der CDU/CSU) den konkreten Entscheidungsdruck für europäische
Ich meine, es kommt darauf an , daß wir Verläßlich- Gremien, ebenso den Ratsgipfel. Ohne diesen pas-
keit und Stetigkeit in der deutschen Politik, speziell siert nichts. Das wissen wir. Andererseits brauchen
in der Währungspolitik, nicht in Zweifel ziehen. Die wir aber auch die informellen Gespräche, wie es sie
Maßstäbe dürfen nicht zum Gummiband werden. am Wochenende gab.
(Beifall bei der SPD) Der Erfolg, den ich aus dem informellen Gipfel
vom vergangenen Wochenende herauslese, ist der,
Wir haben nicht nur gegenüber den Bürgerinnen daß in wich tigen Punkten gemeinsame Interessen
und Bürgern unseres Landes, sondern auch gegen- und Gemeinsamkeiten festgestellt werden konnten.
über unseren Partnern in Europa darauf zu achten Die Probleme der Ausführung liegen natürlich wei-
und wir haben die Verpflichtung, daß Währungspoli- terhin im Detail und werden uns und die europäische
tik in Deutschland mit Stetigkeit und Verläßlichkeit Politik in den nächsten Jahren beschäftigen.
betrieben wird.
Aber ich möchte darauf hinweisen: Es besteht un-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ter den europäischen Regierungschefs offensichtlich
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weitestgehend Einvernehmen über die Schwer-
punkte der zu beratenden und zu lösenden Themen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der-
bei der Regierungskonferenz 1996. Es geht um Fort
-führungdeGmisaAßn-udScherits
Kollege Michael Stübgen, CDU/CSU-Fraktion.
politik, d. h. um eine Gestaltung, bei der die Gemein-
same Außen- und Sicherheitspolitik der Europä-
Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr ischen Union auch so genannt werden kann und
verehrte Damen und Herren! Ich stelle fast am Ende wirklich in der Tat eine gemeinsame Außen- und
dieser Debatte fest: Der europäische Motor stottert Sicherheitspolitik wird; Weiterführung der Zusam-
nicht, er ist auch nicht ausgefallen. Das europäische menarbeit im Innen- und im Justizbereich. Es ist
Schiff treibt auch nicht manövrierunfähig auf hoher wichtig, dort festzustellen, daß man erst einmal an
See. Das europäische Schiff bewegt sich vorwärts, in diesem Punkt arbeiten will. Der nächste Punkt wäre,
der Tat zu langsam. Es muß seine Geschwindigkeit Effizienz und Handlungsfähigkeit der Europäischen
noch deutlich beschleunigen, um die notwendigen Union zu stärken und außerdem die Transparenz der
Ziele in den nächsten Jahren zu erreichen. Ich europäischen Entscheidungsprozesse zu verbessern.
glaube, darüber sind wir uns im wesentlichen einig.
In diesem Bereich herrscht zunächst einmal Einig-
Allerdings bin ich auch fast am Ende dieser De- keit, daß das die Schwerpunkte für 1996 sind. Wenn
batte in einer Frage noch nicht wesentlich klüger als hierüber Einigkeit besteht, dann ergibt sich daraus
am Anfang dieser Debatte: wo denn nun ganz kon- zwangsläufig auch die Übereinstimmung über die
kret nach diesem Wochenende oder nach der letzten Folgen, die nämlich unmittelbar im Anschluß daran
Woche die ganz besonderen Probleme und die soge- kommen. Das heißt, im unmittelbaren Anschluß an
nannte Krise der Europäischen Union liegen. die Konferenz von 1996, die möglicherweise bis
Mitte 1997 dauern wird, folgen die notwendigen Ent-
Es gibt sehr viele Bereiche, die defizitär sind. Wir scheidungen zur Wirtschafts- und Währungsunion.
sprechen, Herr Wieczorek, permanent im Europa
usschuß darüber und versuchen, darüber zu debat- -A Daß wir hier darüber debattieren, ist richtig, aber
tieren, wie wir diese Defizite reduzieren oder sogar das ist erst der nächste Schritt. Die Konferenz von
beseitigen können. Aber ich kann nicht sehen, daß 1996 ist der erste Schritt. Der nächste Schritt sind die
ausgerechnet nach dem Gipfel eine besondere Krise notwendigen Entscheidungen für die Wirtschafts-
in der Europäischen Union ausgebrochen wäre, es und Währungsunion, die Reform der Systeme der Ei-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4809
Michael Stübgen
genmittel der Agrar- und Strukturpolitik, die Frage ministers Hoyer, den ich übrigens persönlich sehr
der Erweiterung der Europäischen Union um Malta schätze,
und Zypern sowie Beginn und Vorbereitung der Bei-
trittsverhandlungen für Mittel- und Osteuropa. (Zuruf von der SPD: Keine Liebeserklärun
gen!)
Nach diesem Gespräch in Mallorca ist es mitnich-
ten so, daß diese Probleme alle gelöst sind. Aber ich ist ein beredtes Beispiel dafür, wie sich die Konzep-
halte es für einen Erfolg, daß erstens weitestgehend tionslosigkeit der Bundesregierung in Sachen Euro-
klar ist: Was muß 1996 beraten werden? Zweitens ist papolitik in Worte fassen läßt. Das Plauderstünd-
klar: Was muß danach beraten werden? Es ist auch chen, so wie es Herr Hoyer in seinen acht Minuten
offensichtlich allgemein bekannt, unter welchem geliefert hat, ist ein typisches Beispiel dafür, daß mit
Zeitdruck diese Entscheidungen der Europäischen so wenig Inhalt Europapolitik nicht fortschrittlich ge-
Union in den nächsten Jahren erfolgen müssen und staltet werden kann.
daß eine Verzögerung bei einem dieser Schritte im
Prinzip den gesamten Einigungsprozeß gefährden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
würde. ten der PDS)
Aber in einem, Herr Hoyer, möchte ich Ihnen recht
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, geben, nämlich darin, daß sich Europa nicht in der
Ihre Zeit! Krise befindet, daß auch das Gerede davon, daß
Europa in der Krise sei, falsch ist. In der Krise befin-
det sich vielmehr die neokonservative Wirtschafts-
Michael Stübgen (CDU/CSU): Darf ich dann noch und Sozialpolitik, in der Krise befindet sich die
einen Satz anfügen? Finanzpolitik.
Meine Damen und Herren von der Regierungs- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
koalition, wo sind denn Ihre Konzepte, wie Sie die GRÜNEN]: Haben Sie überhaupt die Zei
mittel- und osteuropäische Einigung vorantreiben tung gelesen?)
wollen? Wo sind denn Ihre Konzepte, wie Wirt-
schaftspolitik gestaltet werden soll, bei gleichzei tiger Wesentlich ist doch, meine Damen und Herren,
Erhaltung der Arbeitsplätze in unserem Land, inner- daß der Bundesfinanzminister für unsere Stabilität
halb der Europäischen Union und in den mittel- und ganz klare Prioritäten gesetzt hat. „Die Erfüllung der
osteuropäischen Ländern? Wo sind denn Ihre Vor- Stabilitätskriterien ist wichtiger", so seine Aussage,
schläge, wie die Wirtschafts- und Währungsunion „als der Termin für den Beginn der dritten Stufe der
vernünftig gestaltet werden kann? A ll das ist bei Währungsunion. "
Ihnen Fehlanzeige.
(Zuruf von der F.D.P.: Sind gleich wich tig,
Lassen Sie mich zum Schluß noch kurz etwas sa- verehrter Kollege!)
gen: Wenn es uns nicht gelingt, diese Lethargie der
- Es ist längst bekannt, daß zur Zeit nur Deutschland
konservativ-liberalen Politik zu durchbrechen,
und Luxemburg die Konvergenzkriterien erfüllen.
(Lachen bei der CDU/CSU) Dies ist nichts Sensationelles. Nicht ohne Grund hat
die Europäische Kommission kürzlich blaue B riefe an
wenn es uns nicht gelingt, diese Lethargie der fal- zwölf Mitgliedstaaten wegen übermäßiger Haus-
schen ökonomischen, der fehlenden ökologischen haltsdefizite geschickt.
und der aufgegebenen sozialpolitischen Ansätze zu
überwinden und Europa end lich wieder zu verbin- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
den mit einer europäischen demokratischen Reform- GRÜNEN]: Hört! Hört!)
perspektive, dann ist der europäische Einigungspro-
zeß gefährdet, aber nicht, weil Europa in der Krise Wir kümmern uns um die Stabilität der Mark. An-
ist, sondern Ihre Politik. dere Länder müssen das gleiche für ihre stabile
Währung tun. Es geht dabei nicht um Notengebung
Danke schön. oder Besserwisserei, sondern um eine offene und
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ehrliche Analyse des europäischen Status quo.
GRÜNEN und der PDS) Ich möchte noch einmal deutlich hervorheben: Die
Wirtschafts- und Währungsunion steht selbstver-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der ständlich allen EU-Mitgliedstaaten offen, aber die
Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU. Konvergenzkriterien müssen in jedem Fall erfüllt
sein. Dies ist im Vertrag von Maastricht deutlich fest-
geschrieben. Nur dann ist die Stabilität der Währung
Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! gesichert. Nur dann ist die Währungsunion unseren
Meine Damen! Meine Herren! Heute ist der Popanz Bürgern vermittelbar.
in die Welt gesetzt worden, es gebe eine europäische
massive Krise. Ich meine, für diesen Ausdruck, für Natürlich werden wir nicht so lange warten kön-
diesen Eindruck, meine Damen und Herren von der nen, bis die Schuldenpräsidenten der SPD, Lafon-
Opposition, sollten Sie sich schämen. taine und Schröder, diese Konvergenzkriterien erfül-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4811
Hans Michelbach
len. Da würden wir lange warten. Die werden sie Schon heute hängt jeder dritte Arbeitsplatz vom
wohl nie erfüllen, auch nicht mit einer sogenannten europäischen Binnenmarkt und der europäischen
Heidschnuckenklausel. Für Niedersachsen werden Wirtschafts- und Währungsunion ab. Somit ist für die
wir die sicher nie erreichen können. Zukunft unserer Arbeitsplätze und für den Standort
Deutschland das gemeinsame Europa unerläßlich.
Gestatten Sie mir noch einmal eine deutliche Fest- Deswegen sollte man nicht falsches Zeug reden, son-
stellung. Die Europäische Wirtschafts- und Wäh- dern dieses anerkennen, meine Damen und Herren.
rungsunion ist für uns von existentieller Bedeutung.
Deswegen sollten Sie diese Bedeutung hier nicht be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
schädigen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolle-
ginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist been-
Für die deutsche und europäische Wi rt schaft und det. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Ta-
für unsere Arbeitsplätze bedeutet die Währungs- gesordnung.
union: Wirtschaftsförderung für mehr Wachstum,
Währungsstärkung für vermehrten Expo rt und Un- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
ternehmensförderung für mehr Beschäftigung gefor- destages auf Donnerstag, den 28. September 1995,
dert. Das sind hohe Ziele, meine Damen und Herren. 9.00 Uhr ein.
Deshalb können wir diese Dinge dann doch nicht Die Sitzung ist geschlossen.
einfach mit einer Aktuellen Stunde so beschädigen,
wie Sie dies heute versucht haben. (Schluß der Sitzung 15.35 Uhr)
Berichtigung
54. Sitzung, Seite III, linke Spalte: Die bei Anlage 7
ab der dritten Zeile aufgeführte Inhaltsangabe „Be-
teiligung eines saarländischen Unternehmens am
Waffenschmuggel" gehört zu der mündlichen An-
frage Nr. 29 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard
(SPD) und ist nicht eine Frage des Abgeordneten
Reiner Krziskewitz (CDU/CSU).
Auf Seite 4525 C, Anlage 7, ist die zweite abge-
druckte Frage nicht die Frage des Abgeordneten
Reiner Krziskewitz sondern die Frage der Abgeord-
neten Dr. Elke Leonhard. Die auf Seite 4526 A abge-
druckte Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Norbe rt
rt ist die Beantwortung der Frage 29 der Ab- Lame
geordneten Dr. Elke Leonhard.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4813'
Anlage 1
entschuldigt bis
Abgeordnete(r)
einschließlich
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Schluckebier, Günther SPD 27.9. 95 *'
entschuldigt bis Schmidt (Aachen), Ulla SPD 27.9. 95
Abgeordnete(r)
einschließlich
Steindor, Marina BÜNDNIS 27. 9. 95
Adler, Brigitte SPD 27. 9. 95 90/DIE
GRÜNEN
Antretter, Robert SPD 27. 9. 95 *
Sterzing, Christian BÜNDNIS 27. 9. 95
Behrendt, Wolfgang SPD 27. 9. 95 * 90/DIE
GRÜNEN
Berger, Hans SPD 27. 9. 95
Stiegler, Ludwig SPD 27. 9. 95
Bindig, Rudolf SPD 27. 9. 95 *
Terborg, Margitta SPD 27. 9. 95
Blunck, Lilo SPD 27. 9. 95 *
Tippach, Steffen PDS 27. 9. 95
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 27. 9. 95 *
Vosen, Josef SPD 27. 9. 95
Catenhusen, SPD 27.9.95
Wolf-Michael Weisskirchen (Wiesloch), SPD 27.9. 95
Gert
Dr. Däubler-Gmelin, SPD 27. 9. 95
Herta Welt, Jochen SPD 27. 9. 95
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 27. 9. 95 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 27. 9. 95
90/DIE Zierer, Benno CDU/CSU 27. 9. 95 *
GRÜNEN
Erler, Gernot SPD 27. 9. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 27. 9. 95 * sammlung des Europarates
Bei der Konzeption und Realisierung von Personal- reichbare Schlagkraft im Wettbewerb mit ebenfa lls
informationssystemen befürwortet die Bundesregie- zentral organisierten Absatzförderungseinrichtungen
rung auch, Personalvertretungen und Datenschutz- des Auslands.
beauftragte frühzeitig zu beteiligen und die Maßnah-
Mit der Realisierung des Neukonzepts der CMA
menempfehlungen des IT-Grundschutzhandbuchs,
für die 90er Jahre hat auch ein zentralregionales
z. B. einer Verschlüsselungssoftware, zu berücksich-
Marketingprogramm seinen Anfang genommen. Da-
tigen.
mit wurde die Notwendigkeit anerkannt, regional-
Wie in der Drucksache 12/544 (Seite 14) dargelegt, spezifische Besonderheiten zu berücksichtigen, die
trägt die Bundesregierung dafür Sorge, daß - inner- regionalen Spezialitäten und die damit verbundenen
halb der Bundesverwaltung - entsprechend dem regionalen Absatzmärkte systema tisch zu fördern.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - personenbezo-
Oberstes Ziel des Zentral-regionalen Marke ting ist
gene Daten nicht länger verarbeitet werden, als es
die Nutzenstiftung für die landwirtschaftliche Erzeu-
für den Zweck für den sie erhoben worden sind, er-
gerstufe, also Erzeugerzusammenschlüsse, Erzeuger-
forderlich ist und daß Personalverwaltungssysteme
gemeinschaften und Vermarktungsorganisationen.
hinreichend abgeschottet werden, um bei einer Ver-
Die Zusammenarbeit im Zentral-regionalen Marke-
bindung mit anderen IT-Systemen einen Mißbrauch
ting mit den Absatz-, Markt- oder Marketingabtei-
personenbezogener Daten ausschließen zu können.
lungen der Ministe rien in den Bundesländern, den
Die Absicht des Bundesministeriums für Umwelt, regionalen Marketinggesellschaften und den Land-
Naturschutz und Reaktorsicherheit die für Zwecke wirtschaftskammern hat sich bewährt.
der Personalbearbeitung und Organisation sowie der
Die gemeinsame Finanzierung der Kooperations-
Dienst- und Fachaufsicht erforderlichen, im Umfang
projekte ist Grundprinzip des Zentral-regionalen
reduzierten Daten regelmäßig aus den Personal- und
Marketing. Der Regelfall ist die anteilige Finanzie-
Stellenverwaltungssystemen (PSV) der nachgeord-
rung durch die CMA, die Region und die Wi rtschaft
neten Bundesämter in das PSV des zuständigen Bun-
zu je einem Drittel.
desministeriums zu übertragen, steht nicht im Wider-
spruch zu den Ausführungen in der Drucksache 12/ Das Zentral-regionale Marketing der CMA stellt
544, insbesondere nicht zu § 90d BBG. § 90d BBG er- ein gelungenes Konzept dar, um regionale Spezialitä-
möglicht ausdrücklich dieses Verfahren. ten in die zentrale Absatzförderung mit einzubezie-
hen. Auf diese Weise profitieren regionale Spezialitä-
Ermöglicht werden soll ein aktueller Überblick ten von der zentralen Absatzförderung.
über die Personalsituation im Geschäftsbereich.
Bei der Konzeption des PSV des Bundesministe-
riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit wurde der Bundesbeauftragte für Datenschutz
beteiligt. Der Hauptpersonalrat und das BU haben Anlage 4
eine Dienstvereinbarung zum Bet rieb des PSV im Mi-
nisterium und im Geschäftsbereich abgeschlossen. Antwort
-
der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
auf die Fragen des Abgeordneten Friedrich Merz
(CDU/CSU) (Drucksache 13/2407 Fragen 7 und 8):
Anlage 3 Wie ist der aktuelle Stand der Beratungen im Ministerrat über
den Richtlinienvorschlag der EG-Kommission ü ber die Tabak-
werbung (Kom-Dok. 92/196 endg.)?
Antwort
Bleibt die Bundesregierung auch in Zukunft bei ihrer ableh-
des Parl. Staatssekretärs Wolfg ang Gröbl auf die nenden Haltung?
Frage des Abgeordneten Simon Wittmann (Tännes-
berg) (CDU/CSU) (Drucksache 13/2407 Frage 2): Zu Frage 7:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der Werbe- Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kom-
maßnahmen der Centralen Marketing-Gesellschaft der deut- mission über die Werbung für Tabakerzeugnisse vom
schen Agrarwirtschaft (CMA), und wäre es nicht effektiver,
wenn ein Teil der zur Verfügung stehenden Werbemittel der re- 30. April 1992 hat bislang nicht die erforderliche qua-
gionalen Werbung für landwirtschaftliche Produkte zur Verfü- lifizierte Mehrheit im Rat gefunden.
gung gestellt würde?
Die Bundesregierung hat unter deutschem Rats-
vorsitz dem Gesundheitsrat am 22. Dezember 1994
Die Aufgabenstellung der CMA basiert auf dem
einen Kompromißvorschlag unterbreitet. Nach die-
Absatzfondsgesetz mit der Zielsetzung, den Absatz
sem Vorschlag wird der Anwendungsbereich der
und die Verwertung von Erzeugnissen der deutschen
Richtlinie auf grenzüberschreitende Werbung - z. B.
Land- und Ernährungswirtschaft durch Erschließung
in Zeitungen und Zeitschriften - beschränkt; für
und Pflege von Märkten im In- und Ausland mit mo-
diese Werbung werden Mindestanforderungen fest-
dernen Mitteln und Methoden zentral zu fördern.
gelegt; Erzeugnisse, die diesen Anforderungen ent-
Für die zentrale Durchführung von Marktfor- sprechen, sind frei verkehrsfähig. Im übrigen sind
schung, Qualitätsprofilierung, Werbung, Verkaufs- die Mitgliedstaaten frei, die Werbung für Tabaker-
förderung und Öffentlichkeitsarbeit sprechen die da- zeugnisse in eigener Verantwortung na tional zu re-
mit verbundenen Kostenvorteile und die dadurch er geln.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4815*
Die Ausgaben des Bundes für Wohngeld an Stu- des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die
dentenhaushalte betrugen nach Angaben des Fragen des Abgeordneten Norbe rt Otto (Erfurt)
BMBau im Jahre 1994 rd. 45 Millionen DM. Für das (CDU/CSU) (Drucksache 13/2407 Fragen 24 und 25):
Jahr 1995 stehen noch keine Daten zur Verfügung. Wie beurteilt die Bundesregierung die Realisierung der Ziel-
stellung des Bundesverkehrswegeplans in bezug auf den Aus-
bau des Netzes von 29 Güterverkehrszentren in Deutschland zur
Umsetzung des verkehrspolitischen Grundsatzes "Verlagerung
des Verkehrsaufkommens von der Straße auf die Schiene"?
Wird die angestrebte Zielvorgabe des Bundesministeriums für
Anlage 7 Verkehr eingehalten, die Betriebsbereitschaft des Bahntermi-
nals im Güterverkehrszentrum in Erfurt-Vieselbach bis späte-
Antwort stens 1996 herzustellen und damit das Güterverkehrszentrum an
das Bahnnetz anzuschließen?
des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die Fra-
gen der Abgeordneten Hanna Wolf (München) (SPD) Zu Frage 24:
(Drucksache 13/2407 Fragen 14 und 15):
Güterverkehrszentren spielen eine wichtige Rolle
Hat die Bundesregierung ihre in Drucksache 13/735 vom bei der Verlagerung von Straßengüterverkehr in den
9. März 1995 und zuletzt in den Antworten auf meine Fragen 119, Kombinierten Verkehr. Zu jedem Güterverkehrszen-
120 in Drucksache 13/1999 bekräftigte Absicht aufgegeben, die
elternunabhängige Förderung des Besuchs von Kollegs und ver- trum gehört daher ein Umschlagbahnhof des Kombi-
gleichbaren Schulen einzuschränken? nierten Verkehrs. Aus diesem Grund sind Güterver-
kehrszentren nachträglich in den Bundesverkehrs-
Beabsichtigt die Bundesregierung auch weiterhin, die Förde-
rung des Besuchs von Kollegs und vergleichbaren Schulen von
wegeplan aufgenommen worden.
Zuschüssen zu gewähren? Wieviel Güterverkehrszentren in der Bundesrepu-
blik realisie rt werden, liegt in der Entscheidung der
Zu Frage 14: Länder und kann jetzt noch nicht abgeschätzt wer-
den. Derzeit gibt es nur ein Güterverkehrszentrum
Die Bundesregierung hat nach dem derzeitigen im Betrieb, in Bremen. Die Planung an anderen
Stand der Gespräche und ihrer Überlegungen zur Standorten sind unterschiedlich fortgeschritten. Das
Vorbereitung eines 18. BAföG-Änderungsgesetzes Güterverkehrszentrum Erfu rt ist bereits im Realisie-
eine Einschränkung der elternunabhängigen Förde- rungsstadium.
rung des Besuchs von Abendgymnasien und Kollegs
nicht vorgesehen.
Zu Frage 25:
Zu Frage 15: Der Baubeginn für den Terminal des Kombinierten
Verkehrs in Erfurt hängt von der Vorlage eines ent-
Ja. scheidungsreifen Antrags der Deutschen Bahn AG
auf Abschluß einer Finanzierungsvereinbarung ab,
der für das Vorhaben in Erfurt bislang nicht vorliegt.
Anlage 8
Antwort Anlage 10
des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die Antwort
Frage des Abgeordneten Stephan Hilsberg (SPD)
(Drucksache 13/2407 Frage 21): des Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Fragen
des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Druck-
Wie hoch sind im einzelnen aufgeschlüsselt die jährlichen sache 13/2407 Fragen 26 und 27):
Mindereinnahmen der öffentlichen Kassen durch indirekte
Transfers an Familien mit studierenden Kindern in der Form von Trifft es zu, daß der Bau von Liegeplätzen für Fahrgastschiffe
Kinder- und Ausbildungsfreibeträgen usw., und wie berechnet am Main-Donau-Kanal als „Begleiteinrichtung" ebenso wie
die Bundesregierung die angegebene Summe? beim Bundesfernstraßenbau grundsätzlich in der finanziellen
Verpflichtung und Trägerschaft des Bundes steht, bzw. wer hätte
die Kosten für die Einrichtung neuer Liegestellen zu tragen?
Die Steuermindereinnahmen durch die Inan-
spruchnahme von Kinder- und Ausbildungsfreibeträ- Wie beurteilt die Bundesregierung Versuche in der Rechts-
lehre, aus der Verfassung ein eigenständiges, vornehmlich auf
gen für studierende Kinder sind für 1995 wie folgt ge- den Kfz-Individualverkehr bezogenes „Grundrecht auf Mobili-
schätzt worden: 1 100 Millionen DM durch Kinder- tät" herzuleiten und daraus konkrete verfassungsrechtliche Ver-
freibeträge, 850 Millionen DM durch Ausbildungs- pflichtungen etwa für den Ausbau von Straßen zu folgern?
freibeträge.
Zu Frage 26:
Die mit dem Bildungsministerium abgestimmte
Schätzung beruht auf Ergebnissen der Steuer- und Ja, denn Anlagen für den ruhenden Verkehr im
Studentenstatistiken. Bereich der Bundeswasserstraßen, wie Liege- und
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1995 4817*
Ankerplätze, liegen als Teil der Bundeswasserstra- spruch darauf, daß, wie und wann Verkehrswege,
ßen in der Zuständigkeit des Bundes. insbesondere Straßen gebaut werden.
Zu Frage 27:
Anlage 11
Der Bundesregierung sind die seit Jahren in dei
Literatur vereinzelt vorgenommenen Versuche, aus Antwort
dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlich-
keit (A rt. 2 Abs. 1 GG) auch ein Grundrecht auf Mo- des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die
bilität mit dem Auto herzuleiten, bekannt. Sie beob- Fragen des Abgeordneten Dr. Hansjörg Schäfer
achtet diese schöpferische Findung von Grundrech- (SPD) (Drucksache 13/2407 Fragen 28 und 29):
ten, die in der Regel immer neue Ansprüche gegen Nachdem im Haushalt des Bundesministers für Verkehr
den Staat begründen sollen, im Hinblick auf die un- 2,8 Milliarden DM bei den Schieneninvestitionen gestrichen
absehbaren Folgen mit Sorge. werden sollen, muß die Frage gestellt werden, welche Priorität
die Bundesregierung der ICE-Strecke Paris-Metz-Saarbrük-
Zur Abwehr unverhältnismäßiger staatlicher Ein- ken-Kaiserslautern-Mannheim zuordnet?
griffe ist der Gesichtspunkt der Gewährleistung der Wann wird unter Berücksichtigung der derzeitigen Finanzie-
individuellen Mobilität als Abwägungskriterium si- rungslinie der Bau der Strecke Saarbrücken-Mannheim im Rah-
cherlich zu berücksichtigen, aber nur als eines von men der Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland-Strecke
(POS) begonnen und fertiggestellt?
mehreren, zu denen u. a. auch das Recht auf körper-
liche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) gehört.
Zu Frage 28:
Keinesfalls kann auf solche Weise eine verfas-
Die Schnellbahnverbindung Paris-Ostfrankreich-
sungsrechtliche Verpflichtung des Staates etwa zum
Südwestdeutschland hat mit den beiden deutschen
Aus- oder Neubau von Straßen begründet werden.
Dies ist vielmehr eine Aufgabe der Daseinsvorsorge Ästen Saarbrücken-Mannheim und Kehl-Appen-
weier (-Karlsruhe) für die Bundesregierung nach wie
des Staates, die sich ausschließlich am Interesse der
vor einen sehr hohen Stellenwert.
Allgemeinheit orientiert. Es besteht kein Zweifel, daß
Verkehrswege für die Mobilität der Bürger unerläß-
lich sind, zu den vom Grundgesetz geforderten Zu Frage 29:
gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Regio- Zur Zeit werden die erforderlichen Planfeststel-
nen (Art . 91a Abs. 1 GG) beitragen und auch Grund- lungsverfahren von der Deutschen Bahn AG vorbe-
lage für die Leistungskraft und Flexibilität von Indu- reitet mit dem Ziel, im nächsten Jahr mit dem Bau zu
strie, Handel und Gewerbe sind. beginnen. Damit befindet sich die Bundesregierung
Leistungsfähige Ost-West-Verkehrsadern fördern im Einklang mit der französischen Regierung, die
das Zusammenwachsen des vereinten Deutschlands ebenfalls für nächstes Jahr den Baubeginn vorgese-
hen hat.
und die europäische Integra tion. Dies ist wesentliche
Grundlage und Richtschnur der Verkehrspolitik der Es soll sichergestellt werden, daß auch die Fertig-
Bundesregierung. Niemand hat aber einen indivi- stellung der Strecke zeitgleich mit den Bauplanun-
duellen, aus der Verfassung ableitbaren Rechtsan- gen auf französischer Seite erfolgt.