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Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
66. Sitzung
Inhalt:
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Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5643
66. Sitzung
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Vaterland stets dienende Poli tiker seinem Land, ja
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Sit- uns allen hinterlassen. Menschen, die sich seit Jahr-
zung ist eröffnet. zehnten gegenseitig weitgehend als Gegner und
Feinde wahrgenommen haben, müssen von der Not-
Ich darf Sie bitten, sich zunächst von Ihren Plätzen wendigkeit, der Richtigkeit und der Unumkehrbar-
zu erheben, damit wir des ermordeten Ministerpräsi- keit des eingeschlagenen Weges überzeugt und zu
denten Yitzhak Rabin gedenken können. einer nachhaltigen Friedenspartnerschaft zusam-
Gestern wurde der am Samstag abend ermordete mengeführt werden.
israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin unter Die gestern in Jerusalem vertretene politische
großer Anteilnahme der Weltöffentlichkeit in Jerusa- Weltöffentlichkeit, die Poli tiker aus der Region, den
lem beigesetzt. Wir, die wir aus Deutschland bei den USA, Europa und vielen übrigen Erdteilen, sie alle
Trauerfeierlichkeiten auf dem Herzlberg in Jerusa- haben nicht nur gemeinsam ge trauert und die bishe-
lem gewesen sind, haben der Familie des Ermorde- rigen großen Leistungen im Friedensprozeß aner-
ten, den Verantwortlichen des Staates Israel und dem kannt, sondern auch die gemeinsame Verpflichtung
Volk der Israelis unsere tiefe Anteilnahme und unse- zur Fortsetzung des Friedensprozesses unterstri-
ren Beistand bekundet. Wir waren Zeugen einer Be- chen. Die Gegner dürfen nicht recht bekommen. Der
völkerung in tiefster Trauer, auch in Verwundung. Friedensprozeß darf nicht ins Stocken geraten. Der
Yitzhak Rabin wurde Opfer eines fanatischen, haß- mutig beschrittene Weg muß mit Entschiedenheit zu
erfüllten Gegners des Friedensprozesses, der Tat Ende geführt werden. Wir Europäer und wir Deut-
eines jungen Radikalen. Dies geschah in einem Au- sche wollen und müssen diesen Weg konstruktiv und
genblick, wo Rabin wie nie zuvor in einer großen öf- nachhaltig begleiten, wo immer wir es können.
fentlichen Friedenskundgebung in Tel Aviv unter In diesen Tagen der weltweiten Trauer um Mi-
dem Motto „Für den Frieden, gegen Gewalt" die Un- nisterpräsident Rabin fühlt sich der Deutsche Bun-
terstützung von mehr als Hunderttausend Israelis, destag der Knesseth und dem israelischen Volk tief
auch und vor allem junger Menschen, für seine Frie- verbunden. Wir fühlen uns auch weiterhin zur Unter-
denspolitik erfuhr. stützung des Friedensprozesses verpflichtet. Unser
Es war erschütternd und ermutigend, am Sarge aller Mitgefühl gilt der Witwe, den Kindern und der
Yitzhak Rabins immer wieder den Aufruf zur F ried- Familie des Verstorbenen.
fertigkeit und Gewaltlosigkeit zu hören. Das Frie- Sie haben sich zu Ehren des ermordeten Minister-
denslied, das Rabin bei der Kundgebung in Tel Aviv präsidenten, des Friedensnobelpreisträgers Yitzhak
selbst mitgesungen hatte, war noch nicht verklun- Rabin, von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
gen, als er voller Haß ermordet wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die
Ministerpräsident Rabin hat für die Existenz seines Tagesordnung eintreten, lassen Sie mich zunächst
Landes als Soldat, Diplomat und Poli tiker gekämpft. Amtliches und Nichtamtliches miteinander verbin-
Er war ein Soldat für den Frieden. Nichts hat ihn in den:
den letzten Jahren seines Wirkens so bestimmt wie
die Überzeugung, daß es zum Frieden keine Alte rna- Als erstes möchte ich dem Kollegen Meinolf Mi-
tive gibt. Ihm war ebenso wie seinem Partner, dem chels, der am 2. November seinen 60. Geburtstag
israelischen Außenminister Shimon Peres, stets be- feierte, im Namen des Hauses nachträglich auf das
wußt, wie schwierig dieser Friedensweg sein würde. herzlichste gratulieren.
Er hat immer um Risiken, Gefährdungen und Rück- (Beifall)
schläge gewußt. Aber noch am Abend des 4. No-
vember hat er den Menschen zugerufen: Es gibt Ferner möchte ich Ihnen folgendes mitteilen: Die
keine Alternative zum Frieden. Es gibt nur diese eine Einzelpläne 09 - Geschäftsbereich des Bundesmini-
Chance. - Diese Botschaft hat dieser mutige, seinem steriums für Wirtschaft - und 11 - Geschäftsbereich
5644 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine - Drucksachen 13/2601, 13/2626 -
Damen und Herren! Wer schwache Argumente hat, Berichterstattung:
muß starke Worte finden. Abgeordnete Helmut Wieczorek (Duisburg)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
ten der CDU/CSU - Unruhe bei der SPD) Antje Hermenau
Dr. Wolfgang Weng (Geringen)
Das haben wir gerade wieder bei den Vertretern von
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuß-
PDS, SPD und Grünen erlebt. Wir sehen das ganz an-
ders. fassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 01 ist bei einigen Enthaltungen der PDS
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ angenommen.
DIE GRÜNEN]: Was sagt Weng? Oder las
sen Sie doch mal den Grafen Lambsdorff re Ich rufe auf:
den! Lassen Sie den Marktgrafen reden!)
Einzelplan 02
Hier wird ein solider Haushalt vorgelegt. Wir sind
Deutscher Bundestag
der Meinung, daß ganz selbstverständlich beraten
werden kann. - Drucksachen 13/2602, 13/2626 -
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Berichterstattung:
DIE GRÜNEN]: Wir würden gern Herrn Abgeordnete Adolf Roth (Gießen)
Lambsdorff hören!) Ina Albowitz
Rudolf Purps
Im Gegensatz zur PDS sind wir auch der Auffassung, Antje Hermenau
daß es ein sehr vernünftiger Vorschlag ist, die Woh-
nungen z. B. der Eisenbahn zu privatisieren. Wir wer- Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion
den also aus guten Gründen all diesen Anträgen Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS
nicht zustimmen. vor. -
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Als Berichterstatter hat sich zunächst der Kollege
Purps zu Wort gemeldet.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir kommen zur
Abstimmung über den ersten Antrag. Wer stimmt für Rudolf Purps (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr
den Absetzungsantrag der PDS? - Wer stimmt dage- verehrten Damen und Herren Kollegen! Bei seinen
gen? - Enthaltungen? - Damit ist der Absetzungsan- Beratungen zum Bundeshaushalt 1996 hat sich der
trag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. Haushaltsausschuß mit den Änderungen des Abge-
bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. ordnetengesetzes ausführlich beschäftigt. Er hat da-
bei Mittel eingesetzt, die sich aus dem am
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag auf 17. September dieses Jahres vom Deutschen Bundes-
Zurücküberweisung des Haushalts an den Haus- tag beschlossenen Achtzehnten Gesetz zur Ände-
haltsausschuß. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer rung des Abgeordnetengesetzes ergeben würden. Er
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch hat in seinem Be ri cht an den Deutschen Bundestag
dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und folgendes sinngemäß ausgeführt: Nachdem die vom
der F.D.P. abgelehnt worden, und zwar gegen die Deutschen Bundestag beschlossene Änderung von
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS. Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes mangels Zustim-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5647
Rudolf Purps
mung des Bundesrates nicht in Kraft getreten ist, Ich finde es insgesamt außerordentlich unklug,
wurde im Ältestenrat festgestellt, daß das beschlos- diese Entscheidung zu treffen. Daß das Abgeordne-
sene Achtzehnte Gesetz zur Änderung des Abgeord- tengesetz in diesem Haus neu diskutiert werden
netengesetzes erneut zu beraten ist. Die Inanspruch- muß, ist keine Frage. Aber so kann man angesichts
nahme der gegenüber dem Regierungsentwurf zusätz- der öffentlichen Reaktion und angesichts dessen, wie
lich veranschlagten Haushaltsmittel bestimmt sich so- man mit dem öffentlich bediensteten Personal durch
mit nach den Ergebnissen dieser erneuten Beratung. die Änderung bei den Personalverstärkungsmitteln
umgeht, nicht h andeln.
Als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion
stelle ich fest, daß eine reine Neuauflage des bisheri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gen Achtzehnten Änderungsgesetzes nicht in Frage und bei der PDS)
kommt. Da allerdings die großen Fraktionen durch
ihre Sprecher dargelegt haben, daß eine Neurege- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zum Antrag der
lung der Abgeordnetenbezüge in der alleinigen Ver- PDS spricht die Abgeordnete Frau Professor Luft.
antwortung des Deutschen Bundestages erfolgen
wird, sind die Mitglieder des Haushaltsausschusses
durch das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Bun- Dr. Christa Luft (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol-
deshaushaltsordnung verpflichtet, die dafür notwen- leginnen und Kollegen! Die Gruppe der PDS hat ei-
dige finanzielle Vorsorge zu schaffen und die ent- nen ähnlich lautenden Änderungsantrag einge-
sprechenden Mittel bereitzustellen. In welcher Höhe bracht, wie der Kollege Metzger ihn eben für seine
dann diese Mittel in Anspruch genommen werden, Fraktion erläutert hat. Wir halten es - abgesehen von
ergibt sich folgerichtig aus der noch zu verabschie- der politischen Instinktlosigkeit, von der schon die
denden Neuregelung der Abgeordnetenbezüge. Die Rede war - auch für nicht in Ordnung, sozusagen
Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und PDS leh- nach dem Motto „Der brave Mann denkt an sich
nen die Berichterstatter von CDU/CSU, F.D.P. und selbst zuerst" eine Diätenerhöhung, für die es noch
SPD daher ab. keine gesetzliche Grundlage gibt, einzustellen. Aber
zum Beispiel für das, was auch die CDU/CSU-Frak-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so tion inzwischen für notwendig hält, nämlich eine
wie bei Abgeordneten der F.D.P.) Korrektur des Rentenüberleitungskorrekturgesetzes
vorzunehmen, sind noch keine Mittel vorgesehen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zur Be- Auch diese Rela tion ist also unverhältnismäßig. Die
gründung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Personalverstärkungsmittel, die schon angemahnt
Grünen hat jetzt der Kollege Metzger. worden sind, muß man in der gleichen Richtung se-
hen, und daher unser Änderungsantrag.
Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön.
Meine Damen und Herren! So einfach kann man mit (Beifall bei der PDS)
dieser Stellungnahme des Berichterstatters nicht um-
gehen. Deshalb hat unsere Fraktion einen Ände-
rungsantrag gestellt, um diese vorsorgliche Erhö- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zur Berichterstat-
hung - um nichts anderes geht es natürlich; das wis- tung Frau Ina Albowitz.
sen auch wir - auf null zurückzufahren, und zwar aus
einem einfachen Grund: Es ist politisch instinktlos, Ina Albowitz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr
zu einer Zeit, da der Haushaltsausschuß, in dem Fall verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
die Koalitionsfraktionen, in der abschließenden Bera- und Kollegen! Ich denke, Sie werden nachvollziehen
tung die Personalverstärkungsmittel im Einzelplan 60 können, daß ich mir das hier aus Sicht meiner Frak-
von nahezu 1 Milliarde DM auf null zurückgestellt tion ziemlich einfach machen könnte. Wir haben sei-
hat - genau die Personalverstärkungsmittel, die vor- nerzeit bei der Debatte am 21. September 1995 der
sorglich dazu dienen, die Tariferhöhungen des Jah- Diätenerhöhung nicht zugestimmt. Ich hätte mir bei
res 1996 im öffentlichen Dienst zu finanzieren -, die der Berichterstattung im Haushaltsausschuß durch--
Eigenvorsorge für die Parlamentarier, also für uns aus ein anderes Verfahren vorstellen können.
selber, um sage und schreibe 14 % zu erhöhen. Das
ist politisch instinktlos. Nur, ich glaube, so einfach kann sich das keiner
machen, Herr Kollege Metzger, wie Sie das gerade in
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Phase der Abschlußberatungen zu machen ver-
sowie bei Abgeordneten der PDS) sucht haben, nämlich mit ein bißchen Populismus un-
ter dem Motto „Das tut ja ganz gut nach außen" . Ich
Wenn der Ältestenrat verabredet hat, den SPD-
denke, so können Sie die Bundeshaushaltsordnung
Bundesparteitag abzuwarten, um do rt die Basis nicht
und das Haushaltsgrundsätzegesetz hier nicht dar-
so zu mobilisieren, daß sie entsprechende Erhö-
stellen.
hungsanträge per Parteitagsbeschluß ablehnt, ist es
doch ein Treppenwitz, wenn die gleichen SPD-Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
gen dann gemeinsam mit der Union im Haushaltsent-
wurf des Jahres 1996 Fakten schaffen und hier die Nach der Bundeshaushaltsordnung ist der Gesetz-
Erhöhung vorsehen, die m an der Basis vorenthält. geber verpflichtet - und das wissen Sie ganz genau -,
unabweisbare und vorhersehbare Kosten in den Etat
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Ihre Fraktion hat dem einzustellen. Der Bundestag hat am 21. September
zugestimmt, Herr Kollege!) 1995 mit großer Mehrheit ein Gesetz beschlossen,
5648 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Ina Albowitz
welches der Bundesrat hat passieren lassen. Von da- Ich rufe auf:
her sind wir als Haushaltsausschuß verpflichtet ge-
wesen, die Mittel einzustellen. Einzelplan 03
Einzelplan 08
Präsidentin Dr.. Rita Süssmuth: Wir kommen zu Bundesministerium der Finanzen
den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstim-
mung über den Änderungsantrag der Fraktion Bünd- - Drucksachen 13/2608, 13/2626 -
nis 90/Die Grünen. Berichterstattung:
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Abgeordnete Karl Diller
che 13/2864? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- Jürgen Koppelin
gen? - Susanne Jaffke
Oswald Metzger
(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir
haben etwas gegen Verlogenheit!) Einzelplan 32
Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von Bundesschuld
CDU/CSU, F.D.P. und SPD abgelehnt.
- Drucksache 13/2623 -
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Berichterstattung:
der PDS auf Drucksache 13/2862? - Abgeordnete Oswald Metzger
(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Der Michael von Schmude
Fischer stimmt mit allen! - Joseph Fischer Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
[Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Karl Diller
Nein, nicht mit allen!)
Einzelplan 60
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser
Änderungsantag mit den Stimmen von CDU/CSU, Allgemeine Finanzverwaltung
F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von PDS und - Drucksache 13/2625 -
Bündnis 90/Die Grünen bei einer Enthaltung abge-
lehnt. Berichterstattung:
Abgeordnete Dankwart Buwitt
Abschließende Abstimmung: Wer stimmt für den Arnulf Kriedner
Einzelplan 02 in der Ausschußfassung? - Gegen- Wilfri ed Seibel
probe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 02 Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD ge- Karl Di ll er
gen die Stimmen der PDS und bei Enthaltung der Oswald Metzger
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie des Abgeord-
neten Gansel angenommen. *) Anlage 2
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5649
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Einzelplan 20 Ihre Politik führte innerhalb eines halben Jahres,
zwischen Mai und Oktober, zu einem in diesem Aus-
Bundesrechnungshof maß beispiellosen Absturz der für 1995 und 1996 ge-
- Drucksachen 13/2619, 13/2626 - schätzten Steuereinnahmen von 55 Mil liarden DM.
Tatsache ist, daß Minister Waigel die dramatische Heute weiß man: Die SPD sprach die Wahrheit aus,
Verschlechterung der Bundesfinanzen monatelang Waigel aber nicht.
verschleiert und geleugnet hat,
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD:
(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) Zuhören, Herr Minister!)
daß er schließlich ein 20-Millfarden-Loch im Haus- Deswegen, meine Damen und Herren, mißbilligen
halt 1996 eingestehen mußte und daß er nicht in der wir auf das schärfste die Mißachtung des obersten
Lage war, glaubwürdige Deckungsvorschläge vorzu- Grundsatzes von Haushaltsklarheit und Haushalts--
legen. wahrheit durch Bundesfinanzminister Dr. Waigel. ,
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald
Dieser Finanzminister erfüllt damit nicht die Anfor- Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
derungen, die an dieses Amt gestellt werden.
Vor zwei Monaten hat er - ausgerechnet er! - von
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dieser Stelle aus gesagt: „Auch die Politik muß ehr-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - lich arbeiten. "
Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)
Der Kanzler, der zu alledem schweigt und diese
Alarmzeichen nicht zur Kenntnis nehmen wi ll, Hätte die Regierung Kohl ehrlich gearbeitet, dann
wäre dem Haushaltsausschuß eine vom Kabinett or-
(Uta Titze-Stecher [SPD]: Und lacht!) dentlich beratene und beschlossene Ergänzungsvor-
muß sich die gleichen Vorwürfe gefallen lassen. lage zugeleitet worden. Sie, Herr Waigel, haben sich
davor gedrückt, weil innerhalb der Koalition keine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Einigkeit darüber besteht, wie das strukturelle Defi-
ten der PDS) zit im Bundeshaushalt dauerhaft zu schließen ist.
5650 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Karl Diller
Einen Finanzminister, der kneift, kann sich dieses Wie sagte Staatssekretär Dr. Laufs 1994 im Finanz-
Land aber nicht erlauben. ausschuß - ich zitiere -:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne In den Erörterungen mit dem Bundesfinanzmi-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nisterium ist deutlich geworden, daß dieses Ver-
und der PDS) mögen zur Abdeckung der Pensionsverpflichtun-
Mit dem berüchtigten Waigel-Wisch wollte der Fi- gen eingebracht werden muß, so daß dem Bun-
nanzminister schließlich ein 20-Mi lliarden-Loch im deshaushalt keine Gewinne zufließen.
Bundeshaushalt verkleistern. Dieser Wisch war fi- Heute wollen Sie etwas ganz anderes versuchen.
nanzpolitisch unsolide, handwerklich eine Blamage
und parlamentarisch eine Mißachtung des Deut- (Beifall bei der SPD)
schen Bundestages. Nicht etatreif sind die 4 Milliarden DM, die Sie aus
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dem Verkauf zweier Wohnungsbaugesellschaften
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mit 48 000 Wohnungen erzielen wollen.
Ihre sogenannten Deckungsvorschläge stammen (Zuruf von der SPD: Unglaublich!)
entweder aus der Trickkiste - wie die Vorverlegung
des Mineralölsteuertermins; sie bringt kein zusätzli- Das ist eine Luftbuchung, weil dieser Verkauf weder
ches Geld, sondern zieht lediglich 2,6 Mil liarden DM durchdacht noch mit den Mitgesellschaftern beraten
aus dem Jahr 1997 in das Jahr 1996 vor; ist.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Da Wir sind nicht nur empört über die A rt und Weise,
haben Sie letztes Jahr zugestimmt!) wie hier mit den Haushaltsgrundsätzen umgegangen
wird. Wir sind auch empört über die Bedenkenlosig-
wer künstlich die Bilanz schönt, Herr Waigel, der hat keit, mit der CDU, CSU und F.D.P. dieses hochsensi-
es nötig -, oder sie stammen aus Luftbuchungen, die ble Thema Wohnen behandeln.
Sie einstellen, wie bei den Privatisierungseinnahmen
von 9 Mi lliarden DM. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: und der PDS)
Die Lufthansa ist doch nicht Luft!)
Innerhalb von 24 Stunden stellt diese Koalition
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die we- 48 000 Wohnungen zur Disposition, in denen über-
sentlichen Vorhaben sind nicht etatfähig. Nicht etat- wiegend die Meinen Leute wohnen: von den Postlern
reif sind die 1,7 Mil liarden DM für die Deutsche Luft- über die Eisenbahner bis zu den Bundeswehrange-
hansa, weil der Gang an die Börse zur Zeit versperrt hörigen.
und eine rechtlich einwandfreie Lösung für den Ver-
kauf nicht gefunden ist. Nicht etatreif ist der Verkauf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
der Deutschen Bundesbank, nein: der Postbank für ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
über 3 Mi lliarden DM.
Nach dem schrittweisen Rückzug des Bundes aus
(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND dem sozialen Wohnungsbau, bei dem Sie in diesem
NIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der Haushalt wieder 600 Millionen DM kürzten, ist jetzt
CDU/CSU und der F.D.P.) wohl der Rückzug aus der Wohnungsfürsorge an der
Reihe. Die Politik der sozialen Kälte ist das Marken-
- Das wäre was! Das wäre Ihnen auch noch zuzu-
zeichen der Damen und Herren auf der rechten
trauen.
Hälfte dieses Hauses.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist das nächste,
was der Waigel verkauft! - Bundesminister (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Dr. Theodor Waigel: Was würden Sie alles ten der PDS - Dr. Wolfgang Weng [Gerlin
verkaufen!) gen] [F.D.P.]: Böse und unwahre Worte!)-
Herr Waigel, Sie selbst stellen fest: Die Koalition handelt im Haushaitsausschuß nach
der Devise: Augen zu und durch.
Der voraussichtliche Zeitpunkt eines Erlöses läßt
sich erst nach einer Prüfung aller in Frage kom- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Ich habe die Augen
menden Verkaufsmodelle festlegen. auf!)
Im Klartext heißt das: Die Etatisierung verstößt gegen - Wer wie die Kollegin Albowitz Waigels unseriöse
Haushaltsrecht. Vorlagen in einer Sonntagszeitung vor acht Tagen öf-
fentlich deutlich kritisierte, der wird binnen weniger
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Tage zum Umfallen gezwungen. Ich zitiere Sie, Frau
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Albowitz:
und der PDS)
Vorschläge wie der Verkauf der Postbank oder
Weder liegt der Wert des Unternehmens fest, noch der Lufthansa sind für mich nicht seriös, weil für
besteht in der Koalition Einigung über die Zielrich- diese Verkäufe keine konkreten Zahlen vorlie-
tung des Verkaufs. Dreist ist die Ungeniertheit, mit gen.
der Sie die Verkaufserlöse zum Stopfen von Haus-
haltslöchern zweckentfremden wollen. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das war am Freitag!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5651
Karl Diller
Umfallen war aber schon immer das Kennzeichen so daß die Begrenzung der Bundesausgaben im Er-
der F.D.P. gebnis auch auf Kosten der neuen Länder erfolgt. So
kürzen Sie zum Beispiel die Mittel für die regionale
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wirtschaftsstruktur um eine halbe Milliarde DM und
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN strecken Verkehrsprojekte der deutschen Einheit.
und der PDS)
Die Forderungen der ostdeutschen CDU-Abgeord-
Im Haushaltsentwurf für 1996 wurden von neten haben Sie im Haushaltsausschuß einfach in
452 Milliarden DM ganze 700 Millionen DM - das den Papierkorb geworfen. Ich bin gespannt, ob sich
sind 0,15 Prozent des Haushaltsvolumens - „ein- die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion diesen
gespart". Das Wort „eingespart" setze ich in Anfüh- Affront gefallen lassen.
rungszeichen, weil selbst das nicht durch politische
Gestaltung, sondern durch Absenkung von Schätz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ansätzen erfolgt. ten der PDS)
Der Bundesfinanzminister hat kürzlich im Finanz- Die Leistungen des Bundes im Rahmen des Föde-
planungsrat die tatsächlichen Bundesausgaben in ralen Konsolidierungsprogramms bleiben um über
diesem Jahr einschließlich Kindergeld auf 10 Milliarden DM hinter der 1993 gegebenen Zusage
468 Milliarden DM beziffert. Das heißt, in vergleich- zurück. Das mit diesem Programm verfolgte Ziel, die
barer Rechnung, also einschließlich der Systemum- Finanzen der neuen Länder und Gemeinden auf eine
stellungen beim Familienleistungsausgleich und bei krisenfeste Grundlage zu stellen, wird brüchig. Das
der Finanzierung des Schienenpersonennahver- muß uns über Fraktionsgrenzen hinweg in der näch-
kehrs, steigt der Bundeshaushalt 1996 um 2,4 Prozent sten Zeit intensiv beschäftigen.
an. Kommen Sie uns ja nicht wieder mit angeblichen
Minusraten, Herr Waigel! Es ist schon ein starkes Stück, Herr Waigel, wenn
Sie in diesen Tagen einen Stabilitätspakt zwischen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Bund und Ländern anmahnen und gleichzeitig mas-
ten der PDS) siv finanzielle Lasten vom Bund auf die Länder und
die Gemeinden abschieben wollen:
Was Sie als Sparhaushalt bezeichnen, ist in Wahr-
heit das Eingeständnis, einen immer geringer wer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
denden Beitrag zur Bewältigung notwendiger Struk- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
turveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft für und der PDS)
die Zukunft unseres Landes zu leisten.
beispielsweise beim Aufbau Ost, bei der Arbeitslo-
Ihr Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau ist senhilfe und bei der kostenlosen Beförderung der
verantwortungslos. Schwerbehinderten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Zum wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland
ten der PDS) mit Hilfe massiver staatlicher Unterstützung gibt es
keine Alternative. Die Förderung darf deshalb nicht
Ihre Handlungsblockaden in der Umweltpolitik sind
zurückgefahren werden, sondern ihre Zielgenauig-
ein Armutszeugnis.
keit muß verbessert und effektiver gestaltet werden.
(Beifall bei der SPD) Dieser Aufgabe haben Sie sich bisher völlig unzurei-
chend gestellt. Es besteht dort ein Förderwirrwarr.
Ihr Stillstand in der Bildungs- und Forschungspolitik Die über 500 Programme mit über 700 Einzel-
ist für den Standort Deutschland bedrückend. maßnahmen müssen konzeptionell überarbeitet und
(Beifall bei der SPD) gebündelt werden, damit die Mittel auch dorthin
kommen, wo sie wirklich gebraucht werden.
Ihre Kürzungen der Investitionen sind ein arbeits-
marktpolitischer Skandal. (Beifall bei der SPD)
Karl Diller
des Rechnungshofs wirklich auseinanderzusetzen, Deshalb haben wir unsere Alternativen zu Ihrer Poli-
anstatt sie als lästig beiseite zu schieben. tik in einem Entschließungsantrag zur dritten Lesung
zusammengefaßt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten der PDS) Am 14. Dezember dieses Jahres schlägt dem Bun-
desfinanzminister eine historische Stunde. Der Bund
Wie unkritisch der Bundesfinanzminister mit den der Steuerzahler hat vor seinem Eingang eine Schul-
Verteidigungsausgaben umgeht, ist ein starkes
denuhr angebracht. Die wird an diesem Tag um
Stück. Obwohl Sie am 17. Oktober dieses Jahres eine 15.30 Uhr auf 2 000 Milliarden DM Schulden sprin-
Haushaltssperre verfügten, genehmigen Sie Be-
gen. Innerhalb Theo Waigels Amtszeit haben sich
schaffungen durch den Verteidigungsminister, die
Schulden und Zinslast mehr als verdoppelt. Er und
noch nicht einmal im Haushalt eingeplant waren, sein Kanzler Kohl sind damit die größten Schulden-
zum Beispiel den Kauf von gebrauchten Flugzeugen, macher aller Zeiten.
als wäre das Geld in Hülle und Fülle vorhanden.
(Beifall bei der SPD und der PDS)
Sie lassen es zu, daß sich der Verteidigungsmi-
nister durch künstlich überhöhte Veranschlagungen 1996 werden die Zinszahlungen des Staates
für 1996 eine schwarze Kasse von über 400 Millionen 145 Milliarden DM ausmachen, davon allein
DM zulegt. Der Verteidigungshaushalt ist für Sozial- 92 Milliarden DM beim Bund. Die Zinsen für das
demokraten kein Steinbruch der Haushaltspolitik, Waigelsche Bundesschuldenmassiv - „Schulden-
aber wir haben den Eindruck, unter Minister Rühe berg" wäre Verniedlichung - fressen die Steuerein-
wird einfach nicht sparsam genug mit dem Geld des nahmen förmlich auf. 1991 waren es noch rund
Steuerzahlers umgegangen. 13 Prozent der Einnahmen oder jede achte Mark, die
für Zinszahlungen draufging. Im nächsten Jahr wer-
(Beifall bei der SPD) den es über 26 Prozent sein. Das heißt, jede vie rte
Unsere Kürzungsvorschläge in diesem Bereich Steuermark geht ausschließlich für Zinszahlungen
lehnten Sie im ersten Durchgang ab, um sie im zwei- drauf. Das ist eine Umverteilungspolitik. Was Sie
ten da wieder aufzugreifen, wo es Ihnen paßt. Dort dem Bürger an Arbeitsmarktpolitik, an einem bes-
aber, wo dem Bürger signalisiert würde, daß auch die seren Verkehrssystem, an besserer Ausbildung oder
Regierung Kohl bei sich selbst bereit ist, massiv zu an mehr Wohnungen verweigern, fließt als Ver-
sparen, kneift sie. Warum gibt diese Regierung mögensbildung in die Taschen der Kapitalanleger.
450 Millionen DM nur für Propaganda aus? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS)
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Mehr denn je ist richtig: Sie regieren zu Lasten der
und der PDS) Zukunft unserer Kinder.
Ihre falsche Politik wird doch nicht dadurch besser, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
daß Sie sie in Hochglanzbroschüren millionenfach ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
unter die Leute bringen wollen. und der PDS)
(Uta Titze-Stecher [SPD]: Die haben sie nö Der Finanzminister versucht, diese deprimierende
tig! - Beifall des Abg. Dr. Peter Struck Bilanz mit dem Hinweis zu beschönigen, daß er - ich
[SPD]) zitiere - in den letzten beiden Jahren, also 1993 und
Leider verbietet mir die Verschwiegenheitspflicht 1994, 40 Milliarden DM weniger Schulden gemacht
nach dem Aktiengesetz und nach dem Kreditwesen- habe, als im Finanzplan vorgesehen. Herr Waigel, da
gesetz, Ihnen darüber ausführlich und konkret zu be- haben Sie wohl in den falschen Finanzplan geschaut,
richten, was der Rechnungshof zusammengetragen denn im Finanzplan 1992 veranschlagten Sie für
hat. Wenn die Bevölkerung wüßte, was der Bundes- 1993 und 1994 eine Neuverschuldung von zusam-
rechnungshof auf diesen 48 Seiten alles an milliar- men 68 Milliarden DM. Im Ergebnis waren es aber
denschweren Verschwendungen in der politischen nicht 68 Milliarden, sondern 116 Milliarden DM neue
-
Verantwortung von Minister Waigel kritisiert, dann Schulden, und das sind immer noch 48 Milliarden
würde sie ihn aus dem Amt jagen. DM mehr, als ursprünglich eingeplant, und nicht,
wie Sie behaupten, 40 Milliarden DM weniger.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten der PDS) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie ma-
chen Finanzpläne wohl in Anlehnung an Brechts
Die SPD hat auf Umschichtungsanträge zur zwei- „Dreigroschenoper" . Da heißt es nämlich:
ten Lesung des Bundeshaushalts verzichtet, um da-
mit klarzustellen, daß es an diesem völlig verfahre- Ja, mach nur einen Plan,
Sei nur ein großes Licht!
nen Haushalt nichts mehr zu reparieren gibt. Sie ha-
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan,
ben den Haushalt wie ein Auto gegen die Wand ge-
Gehn tun sie beide nicht.
fahren, und der Rahmen ist total verzogen. Wenn der
Rahmen total verzogen ist, dann genügt es nicht (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der
mehr, nur die Blechschäden zu reparieren. Da kommt PDS)
am besten ein neues Auto in Frage.
Auch die Beurteilungen aus dem Ausland werden
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: kritischer. Die OECD hat Ihnen vorgehalten, daß Sie
Ein neuer Fahrer!) falsch rechnen. Nach den OECD-Zahlen steht
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5653
Karl Diller
Deutschland bei der Nettoverschuldung, das heißt gierung Kohl ist damit der größte Steuer- und Abga-
unter Berücksichtigung der riesigen Überschüsse, benerhöher aller Zeiten.
die Sozialversicherungen in anderen Ländern haben,
schlechter da als USA, Japan, Frankreich oder die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
skandinavischen Länder. Mit seinem Anteil der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt steht Ihre Steuerpolitik hat zu einer vollkommenen Un-
Deutschland danach sogar schlechter da als der übersichtlichkeit des Steuerrechts und zu einer tota-
Durchschnitt der sieben wichtigsten Industrieländer. len Überforderung der Finanzverwaltung geführt. Er-
Herr Waigel, der Lack ist ab, der Glanz bei Ihnen ist gebnis ist ein immer stärkeres Auseinanderfallen der
hin. Spitzensteuersätze einerseits und der tatsächlichen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Steuerbelastung andererseits. Ihre Politik hat das Tor
ten der PDS - Dr. Peter Struck [SPD]: Den zur legalen Steuerverkürzung, aber auch zur illega-
Glanz hat er doch noch gar nicht gehabt!) len Steuervermeidung weit geöffnet. Der Steuerehrli-
che ist durch Ihre Politik der Dumme. Das ist das
Das 20 Milliarden DM Loch im Bundeshaushalt
- - - Schlimme daran.
zeigt nur die Spitze des strukturellen Haushaltsdefi-
(Beifall bei der SPD)
zits, das Sie mittelfristig weder mit höheren Steuern
noch mit immer neuen Schuldenrekorden, noch mit Der Überbelastung des Normalverdieners steht die
einem ungezügelten Verhökern von staatlichen Ver- Übersubventionierung unproduktiver Kapitalanla-
mögenswerten werden schließen können. gen gegenüber. Diese Bundesregierung hilft denen,
die sich selber helfen können. Diese Bundesregie-
(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das
rung fördert die Vermögensbildung bei denen, die
Wort „ungezügelt" nehmen Sie zurück!)
bereits Vermögen haben. Die Gerechtigkeitslücke ist
Ihre angeblich symmetrische Finanzpolitik von weiter aufgerissen denn je.
Schuldenabbau und Steuersenkung ist ein Flop. Sie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
stecken dauerhaft in der Schuldenfalle und haben in
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahrheit kein Geld für Steuersenkungen. und der PDS)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Der Staat verfügt über keine verläßlichen Schätz-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) grundlagen mehr für seine Steuereinnahmen. Der
Die SPD-Fraktion zieht aus dem Steuereinbruch dramatische Steuereinbruch von 55 Milliarden DM
von 55 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Ge- geht zu einem hohen Anteil darauf zurück, daß Steu-
meinden drei Schlußfolgerungen: ersubventionen von Kapitalanlegern in einem we-
sentlich höheren Ausmaß als erwartet in Anspruch
Erstens. Mit Ihrer Steuerpolitik haben Sie die Axt genommen werden.
an die finanziellen Grundlagen unseres Staates ge-
legt. Ihre Steuerpolitik ist zusammengebrochen. Wie Diese Milliardenausfälle müssen Anlaß zu einer
urteilte der Präsident des Deutschen Steuerberater Durchforstung, Herr Waigel, und Korrektur ganz of-
verbandes: fensichtlicher Fehlsubventionierungen sein. Es geht
nicht an, daß uns die Vermögenden und die Speku-
Das System ist konzeptlos, die Steuersätze sind lanten mit überzogenen Steuerabschreibungen rie-
maßlos, und die Bürger sind fassungslos. sige Haushaltslöcher reißen und Sie dann die staatli-
chen Investitionen in Bildung, in Forschung, in Ar-
Recht hat er! beit und Wohnen dafür kürzen wollen. Das geht
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nicht an.
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD)
und der PDS)
Dazu dürfen Sie als Bundesfinanzminister nicht
Viermal mußte das Bundesverfassungsgericht die länger schweigen. Hier haben Sie nicht nur einen-
Regierung Kohl zur Ordnung rufen: beim Familien- Handlungsbedarf, hier besteht Handlungszwang.
leistungsausgleich, beim steuerfreien Existenzmini- (Beifall bei der SPD)
mum, bei der Zinsbesteuerung und jüngst bei den
Einheitswerten. In allen Fällen hatten Sozialdemo- Die zweite Schlußfolgerung aus dem 55-Milliar-
kraten tragfähige verfassungskonforme Konzepte den-Loch heißt: Die Regierung Kohl ist nicht in der
vorgelegt, denen Sie sich über lange Zeit verweiger- Lage, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so
ten. zu verbessern, daß von ihnen ein durchgreifender
Impuls auf die Beschäftigung ausgeht. Wie Sie, Herr
Beim Familienleistungsausgleich und beim steuer- Waigel, noch erwarten können - ich zitiere Sie -,
lichen Grundfreibetrag und jetzt bei der Wohnungs- „daß die p ri vate Nachfrage als wichtigste Konjunk-
bauförderung haben wir Sozialdemokraten die Bun- tur- und Wachstumsstütze kräftig anzieht", das bleibt
desregierung und die Koalition im Ergebnis dazu ge- Ihr Geheimnis.
bracht, unsere Vorstellungen zu übernehmen. Aber
die Reparatur der Grundübel Ihrer Steuerpolitik in Durch Ihre verfehlte Politik steigen nämlich 1996
den letzten zwölf Jahren steht noch aus. Sie haben die Beiträge zur Rentenversicherung und zur Kran-
die Belastung des Durchschnittsverdieners mit Steu- kenversicherung. Einschließlich der Pflegeversiche-
ern und Abgaben auf 48 Prozent geschraubt. Die Re rung gehen im nächsten Jahr rund 30 Milliarden DM
5654 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Karl Diller
an Abgabenerhöhungen zu Lasten der Arbeitnehmer gen auf Pump sind wir Sozialdemokraten nicht zu ha-
und ihrer Betriebe. ben.
(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sind Sie dage (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
gen?) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Regierung Kohl/Waigel versucht immer noch,
Sie machen damit weitgehend kaputt, was wir So- sich um die Wahrheit herumzumogeln, daß die öf-
zialdemokraten Ihnen mühsam zur finanziellen Ent- fentlichen Haushalte nur zu sanieren sind, wenn die
lastung der Bürger und der Familien mit Kindern ab- gewaltigen Kosten der Arbeitslosigkeit - man sagt:
gerungen haben. 140 Milliarden DM jährlich - deutlich gesenkt wer-
(Beifall bei der SPD) den. Das darf aber nicht durch Sozialabbau wie mit
der von Ihnen vorgesehenen Kürzung der Arbeitslo-
Die Regierung Kohl dreht sich auf einem Steuer- und senhilfe um 3,4 Milliarden DM geschehen, sondern
Abgabenkarussell ohne Ende. das muß durch eine Politik erfolgen, die wettbe-
werbsfähige neue Arbeitsplätze schafft.
Die dritte Schlußfolgerung aus dem 55-Milliarden- (Beifall bei der SPD)
Loch heißt: Die Grundlagen Ihrer mittelfristigen Fi-
nanzplanung sind zusammengebrochen. Während diese Bundesregierung den Sozialstaat
vor allem als Kostenfaktor sieht, ist die soziale Si-
(Dr. Peter Struck [SPD]: Makulatur!) cherheit für Sozialdemokraten ein wesentlicher
Wettbewerbsvorteil des Standortes Deutschland. Die
Kennzeichnend dafür ist bereits die Art und Weise, Politik der Regierung Kohl reduziert sich auf fortwäh-
wie Sie mit dem konjunkturell bedingten Steueraus- rende Angriffe gegen den Sozialstaat, auf Angriffe
fall umgehen. Noch beim Konjunktureinbruch 1993 gegen die Tarifautonomie, auf Angriffe gegen die
waren Sie der Meinung: Konjunkturell bedingte Mitbestimmungsrechte,
Steuermindereinnahmen sind durch eine Erhöhung
der Neuverschuldung auszugleichen. Sie nannten (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
dies - ich zitiere Sie -: die antizyklischen Stabilisato- Sie haben Herrn Zwickel nicht gehört!)
ren wirken lassen. Jetzt aber müssen Sie diesen Weg auf Angriffe gegen die paritätische Finanzierung der
scheuen, weil Sie damit eine Lawine lostreten wür- Krankenversicherung und gegen die Lohnfortzah-
den. Jeder weitere Anstieg über die sprunghaft auf lung im Krankheitsfall.
60 Milliarden DM gestiegene Neuverschuldung hin-
aus käme nämlich Ihrem öffentlichen Eingeständnis Ihre Antwort auf den rasanten ökonomischen
gleich, daß Ihre Politik gescheitert ist, daß Steuersen- Strukturwankel, auf die Internationalisierung der
kung und Abbau der Staatsquote in weite Ferne ge- Produktions- und Kapitalmärkte ist die Teilnahme
rückt sind. am weltweiten Kostensenkungswettlauf. Wenn Sie
Kostensenkung zur Steigerung der Wettbewerbsfä-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne higkeit nur auf der Personalseite und durch Entlas-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sungen suchen, geben Sie einen unverzichtbaren
Standortvorteil dieses Landes auf. Sie entwe rten un-
Ihre Finanzplanung sieht für 1997 bisher eine Neu- ser Kapital an hervorragend ausgebildeten Wissen-
verschuldung von 50 Milliarden DM vor. Das wäre schaftlern, Ingenieuren und Arbeitnehmerinnen und
kein Abbau, sondern so hoch wie dieses Jahr. Dazu Arbeitnehmern.
kommen aber der Basiseffekt des jetzigen Einbruchs
bei den Steuereinnahmen - er ist noch nicht berück- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
sichtigt - sowie ein weiterer Bedarf in Milliarden- ten der PDS)
höhe bei der Bundesanstalt für Arbeit, für den Sie Von Ludwig Erhard bis Helmut Schmidt galt: Mo-
auch nicht vorgesorgt haben. derne Wirtschaftspolitik ist gleichzeitig auch fort-
schrittliche Gesellschaftspolitik. -
Schließlich stehen Sie immer noch bei Leistungs-
verbesserungen, zum Beispiel beim Wohngeld, im (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das war 1982 beson
Wo rt . ders gut!)
Wenn man das zusammenrechnet, kommt man in Es war das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft,
die Größenordnung eines zweistelligen Milliarden- das diesem Land einen beispielhaften Wohlstand er-
risikos für 1997. Das heißt, der von Minister Rexrodt möglichte. Wir Sozialdemokraten wollen deshalb
vor wenigen Monaten errechnete Steuersenkungs- eine neue, auf enge Zusammenarbeit von Wi rtschaft
spielraum von 50 Milliarden DM bis 1998 ist dahinge- und Gewerkschaften, Staat und Bundesbank ausge-
schmolzen wie Schnee in der Sonne, der angekün- richtete Strategie von Angebots- und Nachfragepoli-
digte Spielraum für Senkungen des Solidarzuschlags tik, die die Umgestaltung der industriellen Produk-
genauso. tion vorantreibt. Mit einer ökologischen Modernisie-
rung der Wirtschaft wollen wir Zukunftsmärkte er-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die können schließen und neue Arbeitsplätze schaffen. Während
beide nicht rechnen!) sich Ihre Koalition über eine ökologische Steuerre-
form zerstreitet und mit der Einführung einer CO2-/
Ob Unternehmensteuerreform oder Solidarzuschlag, EnergistuboSchfrelidtwm
lassen Sie sich eines gesagt sein: Für Steuersenkun der Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralöl-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5655
Karl Diller
steuer, haben wir Sozialdemokraten ein Konzept vor- ermöglicht, trotz zunehmender persönlicher Risiken
gelegt, das die Kräfte des Marktes für den Umwelt- den Strukturwandel engagiert und motiviert mitzu-
schutz nutzbar macht. Die Leitidee unserer Steuerre- tragen, wird die Modernisierung Deutschlands gelin-
form heißt: Runter mit den Lohnnebenkosten bei gen. Deshalb erteilen wir Ihren erneuten Angriffen
gleichzeitigen Anreizen für mehr Umweltschutz und auf die Arbeitslosenhilfe eine deutliche Absage.
Energieeinsparung! Und dieses Konzept wird st rikt
aufkommensneutral sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der SPD) und der PDS)
Wir wollen eine Technologie- und Strukturpolitik, Wir Sozialdemokraten halten am Ziel einer Euro-
die die Herstellung innovativer und international päischen Wirtschafts- und Währungsunion fest; sie
wettbewerbsfähiger Produkte vorantreibt. Nur auf muß kommen. Aber sie darf nur kommen als Stabili-
diesem Wege kann der internationale Wettbewerb tätsgemeinschaft. Deshalb müssen die Stabilitätskri-
gewonnen werden. Erforderlich ist industrielle Zu- terien des Maastricht-Vertrages st rikt eingehalten
sammenarbeit in Forschung, Ausbildung, Produktion und durch eine bessere Abstimmung der Wirtschafts-
und Vertrieb, um die in Deutschland vorhandenen und Finanzpolitik der Teilnehmerstaaten auf Dauer
Spitzentechnologien zur Entwicklung neuer Pro- gesichert werden.
dukte zu verknüpfen. Dafür muß die Wirtschaft fle-
xibler werden. Die Politik kann fehlende Innova- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald
tionskraft bei den Unternehmen nicht ersetzen. Aber Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) -
wir können durch die Modernisierung des Staates Zuruf von der CDU/CSU: Das habt ihr vom
unseren Beitrag dazu leisten, meine Damen und Her- CDU-Parteitag abgeschrieben!)
ren.
(Beifall bei der SPD) Wenn die Feststellung des Finanzministers zu den
Chancen eines Mitgliedstaates, 1997 die Maast richt
Investitionen in Bildung, Ausbildung, Forschung Kriterien zu erfüllen, zum Absturz der dortigen Wäh-
und Wissenschaft sind Investitionen für die Zukunft. rung, der Lira, und zu Wettbewerbsnachteilen für
Deshalb brauchen wir eine Qualifikationsoffensive deutsche Unternehmen führt, dann ist das ein Alarm-
und eine Reform des dualen Ausbildungssystems. zeichen. Anscheinend gibt es in Europa eben doch
Damit meinen wir keine kurzatmigen Sonderpro- die Meinung, daß im Zweifel die Stabilitätskriterien
gramme und auch keine rückwärtsgewandten politisch aufgeweicht werden, um einer größeren
BAföG-Verschlechterungen à la Rüttgers. Sie wollen Zahl von Mitgliedsländern den Eintritt in die Wäh-
damit doch nur fähige junge Leute aus einfachen rungsunion zu ermöglichen.
Verhältnissen vom Studium abschrecken.
Gemeinsames Geld ist gemeinsames Schicksal,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne meine Damen und Herren. Deshalb wird die Fraktion
ten der PDS - Widerspruch bei der CDU/ der SPD einer gemeinsamen europäischen Währung
CSU) nur zustimmen, wenn sichergestellt ist, daß dieses
Dieses Land braucht aber keine Abschreckung, son- Geld auf Dauer so stabil ist wie die Deutsche Mark.
dern eine Strategie zur Ausschöpfung der im Volk (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
vorhandenen Bildungspotentiale, meine Damen und
Herren. Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, die
(Beifall bei der SPD) vielfach geäußerten Befürchtungen und Ängste der
Bürgerinnen und Bürger wirklich ernst zu nehmen.
Mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik wollen wir Sie sind mit Ihrer Politik den überzeugenden Beweis
dafür sorgen, daß die Mittel, die jetzt vor allem für schuldig geblieben, Herr Kohl, daß die Wirtschafts-
die Bezahlung der Arbeitslosigkeit ausgegeben wer- und Währungsunion zu mehr Wachstum und zu
den, künftig verstärkt für die Finanzierung von Ar- mehr Arbeitsplätzen führen wird. Bereits bei der Er-
beit eingesetzt werden. Unser Konzept zur Moderni- richtung des Binnenmarktes 1992 haben Sie, Herr -
sierung und Verzahnung der Arbeitsmarkt- und der Bundeskanzler, den Menschen mehr Arbeit verspro-
regionalen Strukturpolitik und für eine bessere Ver- chen. Aber Sie haben die zunehmende Verflechtung
teilung der Arbeit liegt dem Bundestag vor. Weil dies innerhalb Europas nicht zu einer europäisch abge-
angesichts von 3,5 Millionen Arbeitslosen vordringli- stimmten Wachstumsinitiative für mehr Arbeitsplätze
cher ist als alles andere, fordern wir Sie erneut auf: genutzt. Statt eines europäischen Beschäftigungs-
Verweigern Sie sich nicht weiter, sondern beschrei- paktes ist der Verlust von Millionen von Arbeitsplät-
ten Sie mit uns neue Wege in der Arbeitsmarktpoli- zen EU-weit eingetreten.
tik, die zu mehr Beschäftigung führen!
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit einer solchen Politik können Sie aber keine Zu-
stimmung der Bevölkerung erwarten.
Der Sozialstaat muß finanzierbar bleiben,
(Zuruf von der F.D.P.: Sehr wahr!) Die Bürger meines Wahlkreises - er liegt an der lu-
xemburgischen Grenze, wie Sie wissen - erleben täg-
aber nicht durch Sozialabbau, sondern durch eine lich, wie die Vermögenden aus der ganzen Repub lik
Politik des sozialen Umbaus. Nur wenn die Politik ihr Geld auf der A 48 über die Grenze schaffen und
den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften dabei bei den Filialen deutscher Bankhäuser in Luxemburg .
5656 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Karl Diller
mutmaßlich auch Beihilfe zur Steuerhinterziehung Die SPD ist als Pa rt ei und als Fraktion schon lange
erwarten. gänzlich von der Rolle. Aus den Chaostagen im Som-
mer sind Wochen und sogar Monate geworden. Vor
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Waigel
diesem Hintergrund ist es natürlich verständlich, daß
läßt das zu!) Sie nach einem politischen Szenenwechsel geradezu
Ein Bundesfinanzminister, der durch eine verfas- süchtig sind. Sie haben aber scheinbar nicht ge-
sungswidrige Besteuerung der Kapitalerträge diese merkt, daß Sie zu diesem Anlaß das absolut falsche
Zustände selbst mit herbeigeführt hat und eine euro- Thema und auch die falsche Zielscheibe gewählt ha-
päische Regelung der Kapitalbesteuerung nicht ben.
durchsetzen kann, bringt Europa in Verruf und
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
braucht sich nicht über die Kritik der Menschen zu
Karl Diller [SPD]: „Zielscheibe" sagt er zu
wundern.
Theo Waigel! Das müssen Sie zurückwei-
(Beifall bei der SPD) sen, Herr Waigel!)
In der Amtszeit unseres ehemaligen Haushaltsaus-
Eines garantiere ich Ihnen: Der Arbeitsplatz von
schußkollegen, des jetzigen Ministers für Agrar, lie-
Theo Waigel ist garantiert sicherer als der Arbeits-
ber Kollege Jochen Borchert, ist der europäische platz von Rudolf Scharping.
Agrarmarkt keinen Deut effizienter geworden. Wenn
der Europäische Rechnungshof Maßmanagement, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
Betrug und Verschwendung in einer Größenordnung und der F.D.P. - Ingrid Matthäus-Maier
bis zu 4 Prozent des EU-Haushalts feststellt, dann ist [SPD]: Abwarten! - Weiterer Zuruf von der
Theo Waigel persönlich gefordert, hier einzuschrei- SPD: Der Waigel hat doch nur eine ABM-
ten, meine Damen und Herren. Wenn in den Augen Stelle!)
der Bürger nationale Gesetzgebung, angefangen
vom Kartellrecht, über Umwelt- und Sozialstandards Ein Weiteres müssen Sie ertragen: Dem Bundes-
bis hin zur Frauenförderung, durch europäisches kanzler Helmut Kohl fällt nach 13 erfolgreichen
Recht ausgehöhlt wird, dann trägt die Bundesregie- Amtsjahren das Regieren allemal leichter als der SPD
rung Mitverantwortung, weil sie in Brüssel mitbe- die Rolle der Opposition unter ihrem mittlerweile
schließt. sechsten Gegenkandidaten.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Es ist eine Schande, daß die Regierung Kohl den Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Peinlich! -
4. Rahmenplan zur Förderung der Frau in der Euro- Detlev von Larcher [SPD): Sagen Sie mal et-
päischen Union bis jetzt blockiert. was zum Haushalt! - Joseph Fischer
[Frankfurt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Es ist höchste Zeit, daß die Bundesregierung ihre Da fallen einem ja die letzten Haare aus!)
europäischen Hausaufgaben macht, damit die Bür-
ger von der Notwendigkeit, der Machbarkeit und Es trifft sich gut, daß der Finanzminister Theo Wai-
den Vorteilen einer Europäischen Wirtschafts- und gel inzwischen genauso lange im Amt ist
Währungsunion überzeugt sein können.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Viel zu lange, Herr
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Roth! Jetzt reicht es wirklich!)
ersten Lesung des Bundeshaushaltes vor zwei Mona-
ten haben wir unsere Kritik in den Worten zusam- wie der zweite Finanzminister, den die Regierung
mengefaßt, daß das Motto dieses Haushaltes nicht Helmut Kohl gestellt hat, Gerhard Stoltenberg.
„Sparen und Gestalten" ist, wie Theo Waigel be- (Zuruf von der SPD: Schlimm genug!)
hauptete, sondern „Verschieben und Spalten" . Die-
ses Urteil über den Haushalt 1996 ist durch die Haus- Wir sind auf beide Finanzminister stolz. Sie haben
haltsberatungen noch verstärkt worden. Die Haus- beide unsere Anerkennung; sie haben beide Großes
halts- und Finanzpolitik der Bundesregierung legt geleistet. Beide haben immer unser Vertrauen ge--
die Axt an die finanziellen Grundlagen unseres Staa- habt.
tes.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
(Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Weng [Ger Deshalb lautet die ruhige Botschaft dieser Haus-
lingen] [F.D.P.]: Bei diesem Horrorgemälde haltswoche:
müßtet ihr jetzt nach Hause gehen!) (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN - Ing ri d Matthäus-Maier
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster [SPD]: Die „frohe"!)
spricht der Kollege Adolf Roth.
Die Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und F.D.P., wer-
den den Bundeshaushalt 1996 in der zweiten und in
Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! der dritten Lesung mit ihrer stabilen Mehrheit so ver-
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege abschieden, wie wir ihn in arbeitsreichen Wochen im
Dill er, ich kann Sie irgendwie ganz gut verstehen. Haushaltsausschuß fertiggestellt haben.
(Zurufe von der CDU/CSU: Nel) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5657
Adolf Roth (Gießen)
Dieser Bundeshaushalt ist ein klassischer Spar- mit hätten Sie vielleicht mehr Aufmerksamkeit erzie-
haushalt. len können als mit Ihrem verunglückten Auszugsma-
növer bei der Haushaltsschlußberatung. Budenzau-
(Lachen und Widerspruch bei der SPD und
ber, Ramba-Zamba - das alles war für die Öffentlich-
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Joseph
keit sehr eindrucksvoll. Es ist aber kein Ersatz für
Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ eine anständige und seriöse Politik. Sie haben sich
NEN]: So kann man das auch nennen, Herr
damit eher blamiert.
Roth!)
- Herr Kollege Fischer, an Ihrer Stelle wäre ich etwas (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
zurückhaltender. Ihr etwas verwahrloster hessischer Da wir als Haushaltspolitiker unsere eigenen Tra-
Landesverband diskutiert jetzt auf Landesdelegier- ditionen haben, möchte ich an dieser Stelle innehal-
tentagungen, ob Ihre Partei eine normale oder mitt- ten und es trotz aller Kritik nicht versäumen, mich
lerweile eine stinknormale Partei geworden ist, wo- nach diesen Wochen der Arbeit bei allen Haushalts-
bei darüber gestritten wird, auf welcher Silbe die ei- kollegen zu bedanken. Das gilt für die Haushälter
gentliche Betonung liegt. der SPD wie auch für die der CDU/CSU und der
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Es F.D.P., vor allem für meinen Kollegen Dr. Wolfgang
stinkt jedenfalls sehr!) Weng. Ich möchte meinen Dank aussprechen für
eine bis zur Schlußwoche durchaus zügige und
Die Konsolidierungsziele und Eckwerte, die wir im ergebnisorientierte Arbeit am Bundeshaushalt 1996.
Sommer im Regierungsentwurf aufgestellt haben, Einschließen möchte ich auch alle Mitarbeiter der
sind ebenso wie die Stabilitäts- und Haushaltskrite- verschiedenen Ebenen und die Ressorts. Besonders
rien der Europäischen Union, also die niedrige Infla- danke ich dem Vorsitzenden des Haushaltsausschus-
tion, das begrenzte öffentliche Defizit und die be- ses, Helmut Wieczorek, für seine in allen Situationen
schränkte Gesamtschuldenaufnahme der öffentli- souveräne Handhabung seines Amtes.
chen Hand, eingehalten worden.
(Beifall im ganzen Hause)
Kollege Diller, die Flucht in höhere Steuern oder
zusätzliche Schulden findet nicht statt. Erstmals seit 1953 werden wir 1996 - also nach vier
Jahrzehnten - die Ausgaben des Bundes deutlich
(Zuruf von der PDS: Natürlich!)
senken. Mit 451 Milliarden DM sind sie um
Das ist Ihr Pech - denn Sie haben das seit Monaten 26 Milliarden DM unter dem Soll des laufenden
angekündigt -, aber es ist gut für die deutschen Steu- Haushaltsjahres veranschlagt und liegen trotz der er-
erzahler, die Verbraucher und die Wirtschaft. Dieser kennbaren Mehrbelastungen, trotz der zusätzlich
Haushalt ist ausgeglichen. Er paßt in die konjunktur- eingestellten Arbeitsmarkt-Milliarden um 700 Millio-
politische Landschaft, ist stabilitätsgerecht, vertrau- nen DM unter dem Ansatz des Regierungsentwurfs.
ensbildend
Die investiven Ausgaben - Sie haben das als Skan-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das glauben dal hinstellen wollen - erreichen mit über 66 Mil-
Sie ja selber nicht!) liarden DM ein deutlich über dem Durchschnitt der
letzten Jahre liegendes, konjunkturpolitisch sehr er-
und widerlegt Punkt für Punkt das Katastrophenge-
freuliches Niveau. Mit 59,9 Milliarden DM liegt die
schwätz, mit dem die Opposition das Fehlen einer ei-
Nettokreditaufnahme finanzplangerecht und ent-
genen Alternative in diesem Haus überdecken will.
spricht dem von der Koalition gesetzten Rahmen.
Ich habe mir wirklich ernsthaft vorgenommen, Kol- Meine Damen und Herren, dies ist ein sauberes und
lege Diller, der Sie jetzt telefonieren, gutes Ergebnis. Sie sollten es neidlos anerkennen.
(Karl Diller [SPD]: Ja, Entschuldigung!) Für Theo Waigel und die Bundesregierung bedeu-
tet das enge Korsett dieser Haushaltsbewilligung
mir zu notieren, was Sie in Ihrem Beitrag an haus-
aber auch - wie in den zurückliegenden Jahren -
haltspolitischen Alternativen vorgebracht haben. -
einen beträchtlichen Härtetest in der Haushaltsfüh-
(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Da war rung. Denn Haushaltspolitik spielt sich ja nicht an ei-
nichts! - Eduard Oswald [CDU/CSU]: Im nigen wenigen Tagen ab, sondern muß auf die Dauer
mer das gleiche: ein leeres Blatt!) der zwölfmonatigen Geltungszeit der Veranschla-
gung tragfähig sein. Der Kredit- und der Ausgaben-
Ich habe auch das Alternativkonzept des SPD-Frakti-
rahmen müssen eingehalten werden. Das, was der
onsvorsitzenden Scharping mitgebracht, um beides Bundesfinanzminister in diesem Jahr trotz der Min-
zusammenschreiben zu können. Hier ist das Kon- dereinnahmen, die zu verkraften waren, geschafft
zept: Hinten nichts, vorne nichts! Leeres Blatt, leeres hat, wird er mit unserer Unterstützung auch im kom-
Gerede! Von einer Regierungsfähigkeit sind Sie Wel- menden Jahr erreichen. Dessen bin ich ganz zuver-
ten entfernt. Ich sage Ihnen: Das wird auch so blei- sichtlich.
ben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Es stimmt, daß die Finanzierung dieses Haushalts
Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]) wegen der um 13 Milliarden DM niedrigeren Steuer-
einnahmen ohne zusätzliche Einnahmen aus Priva-
Wenn Sie nämlich über ein schlüssiges Haushalts tisierungen und Beteiligungsverkäufen dieses Mal
konzept verfügten, dann hätten Sie das hier vorgetra nicht erreichbar gewesen wäre. Kollege Diller, Sie
gen und nicht auf die dritte Lesung verschoben. Da haben etwas anderes erhofft und sind jetzt zornig,
5658 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer - Wenn Sie jetzt ans Bereinigen gehen, können Sie
Kurzintervention hat die Kollegin Ing ri d Matthäus- die Umstellung beim Kindergeld als eine gedank-
Maier. liche Komponente einführen. Ich verwehre Ihnen das
nicht. Sie können auch die 8 Milliarden DM zusätz-
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Roth, ich habe lich als Ersatz für den Kohlepfennig einbeziehen.
mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil ich Auch das wäre zulässig.
meine, daß wir bei den Zahlen ehrlich miteinander (Ing ri d Matthäus-Maier [SPD]: Das nehme
umgehen sollten. ich Ihnen nicht ab!)
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie können viele andere Rechnungen aufmachen,
Oje, ausgerechnet Sie! Sie Verdreherin!) aber an einem werden Sie nichts ändern: Diese Ko-
- Hören Sie es sich ruhig an! Sie haben gesagt, es alition aus CDU/CSU und F.D.P. hat in diesem Jahr
handele sich beim Haushalt 1996 um einen Spar- jedem Ausgabenzuwachs ein deutliches Njet entge-
haushalt, denn die Ausgaben würden in 1996 gerin- gengestellt,
ger sein als in 1995. Ich möchte Ihnen folgendes ent-
(Beifall bei der CDU/CSU - Ing ri d Mat
gegenhalten. Ihr Haushalt 1995 sieht nach dem bis-
thäus-Maier [SPD]: Die Ausgaben steigen!)
herigen Plan 477 Milliarden DM Ausgaben vor. Der
Haushaltsentwurf 1996 sieht 451 Milliarden DM vor. weil wir gesagt haben, daß wir sparen und mit einer
Das wäre in der Tat sehr viel weniger. Politik des Sparens die Standortbedingungen in
Gleichzeitig hat Herr Dr. Waigel gesagt - und da Deutschland verbessern wollen. Das ist uns 1995 ge-
sind wir uns alle einig -: 20 Milliarden DM geringere lungen - warten Sie bitte auf das Schlußergebnis, be-
Ausgaben ergeben sich 1996 dadurch, daß wir das vor Sie Ihre Rechenvergleiche anstellen -, und dies
Kindergeld umstellen, was wir gemeinsam gewollt wird uns auch 1996 genauso gelingen.
haben. Das heißt, wenn Sie vergleichen wollen, müs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
sen Sie 457 Milliarden DM im Jahr 1995 und Zuruf von der SPD: Sie müßten es besser
451 Mill iarden DM im Jahr 1996 vergleichen. wissen!)
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
Außerdem hat Herr Dr. Waigel in der letzten Wo- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt
che im Finanzplanungsrat und auch öffentlich ge- der Kollege Oswald Metzger.
sagt, er wolle 1995 10 Milliarden DM „wegdrücken".
Das heißt also: Ende des Jahres werden die Ausga-
Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ben für 1995 um 10 Milliarden DM geringer sein, als
veranschlagt: bei 447 Milliarden DM. Alles Aussage Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer
Waigel. den Auszug der Opposition aus der Sitzung des
Haushaltsausschusses in der letzten Sitzungswoche
Können Sie mir einmal erklären, wieso Sie sagen erlebt hat, mußte heute - nach dem, wie die Koalition
können, daß die Ausgaben sinken, wenn Sie in 1995 in der Aktuellen Stunde am 25. Oktober 1995 getönt
447 Milliarden DM ausgeben und 1996 451 Mil- hatte - damit rechnen, daß jetzt die Häme über uns
liarden DM? Ich finde, wir sollten uns hier um die gegossen wird nach dem Motto: Wer auszieht,
besseren Alternativen streiten. Aber Sie sollten end- kommt auch wieder herein. Diese Häme mußten Sie
lich aufhören, mit Zahlen zu tricksen. Ihr Haushalt heute unterlassen, weil Sie durch die Kommentare in
steigt, er sinkt nicht. Sagen Sie den Bürgern endlich den Medien - in der „FAZ", auch in der Wirtschafts-
die Wahrheit! presse, beispielsweise dem „Handelsblatt" - ge-
merkt haben, daß das politische Signal des Auszugs
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne der Opposition richtig war. Man kann es einem Fi-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nanzminister nicht durchgehen lassen, daß er eine
und der PDS) 20-Milliarden-Lücke durch die Vorlage eines Wi--
sches an einem Tag geklärt haben will.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zur Ent-
gegnung hat der Kollege Roth. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und der SPD sowie bei Abgeordneten der
PDS)
Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Frau Kollegin
Matthäus-Maier, mit Zahlenrechnungen haben Sie Herr Finanzminister Waigel, ich komme aus dem
sich ja immer reichlich schwergetan. Deshalb sind Wahlkreis Biberach. Ihr Wahlkreis Neu-Ulm ist der
Sie auch so verwirrt. Nachbarwahlkreis. Der Gemeinderat in Neu-Ulm
hätte es Ihrer Oberbürgermeisterin mit Sicherheit
(Ing ri d Matthäus-Maier [SPD]: Wieso?)
nicht durchgehen lassen, eine derartig dramatische
Tatsache ist, daß der Bundeshaushalt 1996 um Veränderung des Haushalts binnen eines Tages zu
26 Milliarden DM niedriger im Haushaltssoll ab- beraten. Die CSU-Fraktion hätte mit Sicherheit einen
schneidet als der Bundeshaushalt 1995. Das sind mi- Antrag auf Nichtbefassung gestellt, und Ihre Partei-
nus 5,5 Prozent. freunde hätten recht gehabt.
(Ing ri d Matthäus-Maier [SPD]: Was sagen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie zur Kindergeldumstellung?) sowie bei Abgeordneten der SPD)
5662 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Oswald Metzger
Insofern ist der Auszug aus dem Haushaltsaus- fentlichen Hände insgesamt ein Stück weit zurück-
schuß vor allem dem formellen Vorgehen geschuldet. fahren müssen.
Angesichts der - prozentual und absolut - größten
Veränderung zwischen erstem Regierungsentwurf (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.:
und der Vorlage in abschließender Beratung im Sehr gut! - Dr. Be rnd Protzner [CDU/CSU]:
Haushaltsausschuß, die in der Regierungsära Kohl Oho!)
bisher vorgekommen ist, wäre eine Ergänzungsvor- Wir sind - dies führt bei einer Oppositionsfraktion
lage das einzig Richtige gewesen. natürlich zu erheblichen Diskussionen - mit unserem
Entschließungsantrag in der Lage, Korrekturen am
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Bundeshaushalt vorzuschlagen, so daß das Defizit
Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Rich des jetzigen Regierungsentwurfs unter dem Strich
tig! - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜND um etwa 6 Mi lliarden DM unterschritten wird,
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Weng, jetzt
klatschen Sie doch einmal!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Aha!)
Auch aus anderen Gründen hat der Finanzminister obwohl wir die Weichen in Richtung einer wirksa
enge Hosen an - wenn er die Hose nicht gar herun- men Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellen wollen.
tergelassen hat -: Er hat das Parlament in der De-
batte über die Regierungserklärung zum IWF am Wir werden die Kostenverlagerung, die diese Ko-
12. Oktober 1995 trotz entsprechender Vorhaltungen alition schon im Kabinett beschlossen hat, nicht mit-
unserer Fraktion nicht darüber aufgeklärt, daß er machen. In deren Zuge soll die Arbeitslosenhilfe mit
praktisch schon eine Haushaltssperre verfügt hatte. 3,4 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt heraus-
Das Ganze hat er am Parlament vorbei am gedrückt werden. Sie soll über die Sozialhilfe den
14. Oktober, einem Samstag, verlautbaren lassen. Kommunen auferlegt werden. Diese aber können die
Wer als Finanzminister so mit dem Parlament um- Last nicht mehr schultern, weil sie Aufgaben in Höhe
geht, mißachtet das Budgetrecht dieses Parlaments von fast 50 Milliarden DM zu finanzieren haben, die
außerordentlich. in Teilbereichen auf jeden Fall Bundesaufgaben sind.
Die Kommunalpoli ti ker der Unionsfraktion laufen ge-
gen diese Regierungspolitik genauso Sturm wie die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
der SPD oder die von uns.
und der SPD sowie bei Abgeordneten der
PDS) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Die CSU muß gegen die
Kollege Roth, es ist in der Tat richtig, daß man im Bundesregierung klagen!)
Haushaltsausschuß normalerweise kooperativ arbei-
tet. Diese Auffassung teile auch ich. Ich teile auch Diese 3,4 Milliarden DM wollen wir mit einer Erhö-
den Dank, den Sie an Ihre Kollegen ausgesprochen hung des entsprechenden Titels - so unser Antrag -
finanzieren.
haben, obwohl Sie eine Fraktion, nämlich uns, und
eine Gruppe, nämlich die PDS, vergessen haben, die Wir wollen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
genauso mitberaten haben. Ich teile auch Ihren Dank 3,5 Milliarden DM für arbeitsmarktpolitische Maß-
an den Haushaltsausschußvorsitzenden Wieczorek. nahmen zusätzlich ausgeben. Die Bundesanstalt für
Aber wenn Sie als Koalition dieses Spiel mitmachen, Arbeit muß auf Grund der hohen strukturellen Ar-
das heißt eine Vorlage praktisch durchwirken und beitslosigkeit nächstes Jahr tätig werden; das ist ein-
bei der abschließenden Beratung nur Jasager sind - deutig.
dies gilt vor allem für die F.D.P.; Graf Lambsdorff, Ina
Albowitz und Wolfgang Weng haben noch vier oder Wir werden mit diesem politischen Schwerpunkt
fünf Tage vorher von einem Haushaltssicherungsge- unserer Fraktion der Tatsache Rechnung tragen, die
setz geredet und dann den Schwanz eingezogen -, selbst Kollege Roth gerade eingeräumt hat: Arbeits-
dann haben Sie das Recht verwirkt, die Opposi tion losigkeit kostet diese Gesellschaft nach Ihrer Rech-
zu kritisieren. nung rund 40 Milliarden bis 50 Milliarden DM pro-
Jahr, nach Rechnung der SPD rund 100 Mil li arden
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DM. Weil die Finanzierung von Arbeitslosigkeit teu-
und der PDS sowie bei Abgeordneten der rer ist, wollen wir für ihre Bekämpfung einen
SPD - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] Schwerpunkt setzen.
[F.D.P.]: Ungeheuerlicher Vorwurf! - Wei Als Gegenfinanzierung -das werden Sie dann
tere Zurufe von der CDU/CSU und der nachlesen können; wir haben Änderungsanträge zu
F.D.P.) den Einzelplänen - dient eine Streichung, die im
Saldo 4,5 Milliarden DM be trägt. Wir entdecken den
Jetzt aber zur Sache. Wir vom Bündnis 90/Die Grü- Verteidigungshaushalt nicht mehr als Steinbruch,
nen müssen als Oppositionsfraktion eines akzeptie- sondern stellen reguläre Kürzungsanträge, die wirk-
ren: Wir haben eine strukturelle Finanzkrise der öf- lich seriös sind, wenn man es politisch will. Wir sehen
fentlichen Haushalte. Deshalb müssen wir uns auf nämlich nicht ein, daß ein Finanzminister plötzlich
den Standpunkt stellen - auch Bündnisgrüne, auch Investitionen in technische Hochrüstung als Arbeits-
Sozialdemokraten sind auf Landesebene Regierungs- platzförderungsprogramm verkauft, weil unter dem
fraktionen -, der da lautet: Wir kommen an der Tatsa- Druck des „Dolores " -Programms der DASA und dem
che nicht vorbei, daß wir die Ansprüche an die öf Protest der Betriebsräte plötzlich alle Welt einknickt,
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5663
Oswald Metzger
auch die SPD plötzlich bereit ist, dem Eurofighter zu- jetzt strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, die
zustimmen. Wir werden im Atombereich eine Kür- uns in die Lage versetzen, dann nicht komplett hand-
zung von einer halben Milliarde DM vorschlagen. lungsunfähig zu sein. Das ist vorausschauende Poli-
Wir werden im Verkehrsbereich Umschichtungen tik einer Oppositionsfraktion.
vorschlagen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Soweit die Tableaus, die Sie von uns zu erwarten
haben. Noch ein Wort zum Thema Eurogeld. Die Diskus-
sion um die Währungsunion, die in den letzten Tagen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stattgefunden hat, war etwas merkwürdig. Man hat
Wir werden in unserem Entschließungsantrag vor- gemerkt, daß auch die Sozialdemokraten den Ham-
schlagen, in einem Haushaltsbegleitgesetz die Sten- mer, den sie hier herausgezogen haben, relativ
ervergünstigungen in der Größenordnung von ins- schnell wieder eingezogen haben.
gesamt 5 Milliarden DM zu reduzieren. Wir werden Eines ist aus unserer Sicht auf jeden Fall zu sagen
Subventionsabbau bei der Dieselbesteuerung in der - das merken Sie ja, wenn wir einer Nettoneuver-
Größenordnung von 3,4 Milliarden DM vorschlagen. schuldung nicht das Wort reden -: Wir wollen die
Einschnitte in staatliche Leistungen wird es also ge- 60 Prozent Gesamtverschuldungsanteil am Bruttoin-
ben, aber nicht so, wie diese Regierung das im Mo- landsprodukt auch nicht überschreiten. Wir wollen
ment macht: Sie macht die Opfer zu Tätern, indem das Konvergenzkriterium von Maastricht einhalten,
sie mit dem Rasenmäher durch die Arbeitslosenhilfe genau so wie bei der 3-Prozent-Quote bei der Neu-
haushalte fährt und die Leute, die wegen Arbeitslo verschuldung. Das heißt auch, daß wir der Wäh-
sigkeit ausgemustert werden, bestraft. Wir wollen, rungsunion das Wort reden, aber die Stabilitätsga-
daß die Bevölkerung insgesamt - reiche wie arme rantie einbauen wollen. Da muß Deutschland seine
Leute - ihr Scherflein dazu beiträgt. eigenen Hausaufgaben machen; sonst können wir
Man darf sich nicht in die Neuverschuldung flüch- das anderen nicht abverlangen.
ten; denn Neuverschuldung ist das Gegenteil von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
nachhaltiger Finanzpolitik. Nachhaltigkeit kennen
Sie als Begriff aus der Ökologiebewegung. Für uns Lieber verschieben wir den Termin der Einführung
heißt nachhaltige Finanzpolitik, daß m an sich nicht der Währungsunion, als daß wir die Stabilität des
auf den bequemen Pfad der Erhöhung der Verschul- Geldes auf dem Altar von Maastricht opfern.
dung begibt; denn mit einer höheren Verschuldung In diese Richtung muß es gehen. Wir brauchen
schränkt man die Investitionsspielräume künftiger auch flankierende Maßnahmen im Bereich der Wi rt
Haushalte ein. Das können wir angesichts der Tatsa- -schaftundSozilpk,mabuscherndßi
che, daß im Haushalt 1996 bereits jede vie rte Steuer- Währungsunion tatsächlich eine politisch handhab-
mark für Zinsaufwand ausgegeben wird, überhaupt bare Größe ist, die zu einem politischen System in
nicht hinnehmen. Europa führt, dem wir durchaus zustimmen.
Sie wissen, Herr Finanzminister, daß die Finanz-
Wir lassen es aber auf der anderen Seite dem sel-
planung, die Bestandteil der Beratungen zum Haus-
ben Finanzminister nicht durchgehen, wenn er her-
halt 1996 ist, Makulatur ist. Das schreibt Ihnen die
ummogelt und im nächsten Jahr extrem knapp an
Wirtschaftspresse ins Stammbuch. Sie können nicht
der Maastricht-Quote der Gesamtverschuldung vor-
davon ausgehen, daß Sie 1999 mit einer Nettoneu- beischrammt.
verschuldung von 29 Milliarden DM auskommen -
wie es in Ihrer Finanzplanung steht -, wenn Sie auf Obwohl ich weiß, daß es im parlamentarischen Be-
Grund der geringeren Steuereinnahmen pro Jahr für reich gefährlich ist, Prognosen aufzustellen - Kollege
die Folgejahre bereits eine Vorbelastung von rund Roth hat am Beispiel der SPD darauf hingewiesen -,
10 Milliarden DM haben. Das funktioniert nicht. tue ich es jetzt. Sie können nachlesen, daß wir im
März dieses Jahres bei der abschließenden Beratung
Sie haben keine Vorsorge zur Abschaffung des So-
des Haushalts 1995 die Nettoneuverschuldung des-
lidarzuschlags ge troffen - in keiner Weise. Der wird
Jahres 1996 mit 60 bis 65 Mi lliarden DM beziffert ha-
1999 auf der Einnahmeseite aber fast 40 Mil li arden
ben. Die Regierung selber räumt 60 Mil li arden DM
DM ausmachen.
ein. Wir als Oppositi on glauben, daß von den jetzi-
Wie soll diese Finanzpolitik, die Sie als symmetri- gen 60 Milliarden etwa 8 Milliarden DM unse riös
sche Finanzpolitik verkaufen, die sowohl Steuer- als finanziert sind, weil sich die Privatisierungserlöse in
auch Schuldenabbau beinhaltet, umgesetzt werden? dieser Form nicht einstellen werden.
Diese Rechnung geht nicht auf. Man kann sich dann
aber als Opposi ti on - das sage ich auch an die Sie treibt das Prinzip Hoffnung um, daß Sie beim
Steuereingang etwas besser fahren, als die jetzige
Adresse unserer Fraktion, aber auch an die anderen
Steuerschätzung das vermuten läßt. Dann hätten Sie
Oppositionsparteien - nicht nur hinstellen und sa-
das Problem nicht, daß Sie die Privatisierungserlöse,
gen: Wir beklagen das, aber schuld ist natürlich der-
wie im Haushaltsplan eingestellt, auch tatsächlich
jenige, der in der Regierungsbank sitzt. Das stimmt:
Die Oppositi on hat keine Verantwortungskompe- auf Mark und Pfennig brauchen. Das ist meine Pro-
gnose für das nächste Jahr bereits im März abgege-
tenz. Aber wir haben Verantwortungskompetenz für
ben; ich halte sie aufrecht.
die Zeit, in der wir regierungsfähig sein wollen, wo
wir das ausbaden müssen, was Sie zur Zeit anrichten. Die Prognose für diesen Haushalt ist folgende: Wir
Deshalb nehmen wir ein Stück weit in Anspruch, werden die 50-Milliarden-DM-Verschuldung in 1995
5664 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Oswald Metzger
überschreiten. Sie sagen: nicht signifikant. Ich sage, sind trotzdem noch sinnvoller und angenehmer als
wir werden sie auf jeden Fall mit 2 bis 3 Mil liarden das Horrorbild, das der Kollege Di ller vorhin gemalt
DM überschreiten. Diesen Be trag werden Sie auch hat und angesichts dessen er selber erschrocken war
als Vorbelastung in den Haushalt 1996 schleppen. und blaß geworden ist.
Wenn Sie den neuen Solidarpakt anmahnen, wer- Herr Kollege Diller, wir lassen uns durch Ihr Hor-
den wir, die Länderfinanzminister der SPD und die rorbild nicht miesmachen, was in der Bundesrepu-
Regierungsfraktionen der Bündnisgrünen in den blik Deutschland in den letzten Jahren entstanden
Bundesländern, in denen sie mitregieren, alle Mühe ist, was hier geleistet worden ist, was durch gute Poli-
haben, der Bevölkerung klarzumachen, daß der tik, was aber vor allem durch den Fleiß, den Einsatz
Streit künftig nur noch um die Verteilung der gekürz- und den Aufbauwillen der Bürger in der Bundesre-
ten Mittel und um die politische Schwerpunktset- publik geleistet worden ist. Das ist eine gute Lei-
zung unter dieser Prämisse und nicht mehr um die stung, auf die wir stolz sind und hinter der wir ste-
Verteilung von Ausgabenzuwächsen geht. hen.
Die Konjunktur kann florieren, wie sie wi ll : Die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Arbeitsmarktsituation bleibt dramatisch. Das Ins titut Die Bundestagsfraktion der F.D.P. bewe rtet das Er-
für Wirtschaft und Gesellschaft hat heute morgen in gebnis der Beratungen des Haushaltsausschusses,
einer Pressekonferenz ein Zehnjahresgutachten vor- die wir ohne die Opposition abgeschlossen haben,
gestellt, in dem auf Grund der demographischen die die Beratungen in einer unwürdigen Weise ver-
und weltwirtschaftlichen Entwicklung davon aus- lassen hat,
gegangen wird, daß die durchschnittliche Wachs-
tumsrate in den nächsten zehn Jahren 2 Prozent (Widerspruch bei der SPD)
beträgt. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit wird
als positiv.
.
bilität der neuen Währung genauso groß ist wie die, ist bedrückend.
die unsere Bürger von der Deutschen Mark gewöhnt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
sind.
(Beifall bei der F.D.P.) Sie werden, meine Damen und Herren von der
SPD, in diesem Bemühen scheitern, und Sie schaden
Auch hier können wir belegen: In jahrelanger parla- mit Ihrer Haltung einer guten Sache. Kehren Sie um!
mentarischer Arbeit, in enger Kooperation mit der -
Deutschen Bundesbank ist die Stabilität der Deut- (Eckart Kuhlwein [SPD]: Was sagen Sie zu
schen Mark nicht vom Himmel herabgefallen, son- Herrn Stahl und Herrn Röhl, Ihren neuen
dem durch die Politik der Koalition gesichert wor- Freunden?)
den. Zurück zum Haushalt. Der uneingeschränkte Ju-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) bel, in den wir bei der ersten Beratung einstimmen
konnten, ist verklungen. Die Steuerschätzung im Ok-
Da es, meine Damen und Herren, durch die An- tober hat uns einen Strich durch die Rechnung ge-
strengung unserer Regierung gelungen ist, eine ver- macht. Ebenso ist die Entwicklung auf dem Arbeits-
gleichbare Notenbank auf europäischer Ebene ein- markt trotz guter wirtschaftlicher Bedingungen lei-
zurichten, die symbolhaft in Frankfurt ihren Standort der hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Wir
haben wird, sage ich Ihnen voraus, daß gleiche Stabi- mußten in der letzten Phase unserer Beratungen in
lität für unsere Bürger gesichert wird. großem Umfang Einnahmeausfälle und zusätzliche
nicht erwartete Ausgaben berücksichtigen.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Ach, Herr Weng, das glau In diesem Zusammenhang will ich auch darauf
ben Sie doch nur zur Hälfte, was Sie jetzt hinweisen, daß das Verfahren der Steuerschätzung
erzählen!) unsicherer geworden ist. In der Vergangenheit ha-
5666 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - So, wie der Herr Bundeskanzler seit Jahren blü-
Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wo haben Sie hende Landschaften sieht, wo andere stillgelegte Be-
den Lambsdorff gelassen? Haben Sie ihn triebe und brachliegende Felder erblicken, hat auch
ins Klo gesperrt, damit er hier nicht redet?) Herr Waigel die Wirtschaftsentwicklung ständig
durch eine rosarote Brille gesehen. Ihrer Finanzpla-
nung, Herr Waigel, lagen stets zweckoptimistische,-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die gesamtwirtschaftliche Anlagen zugrunde, die später
Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS. von der Realität widerlegt wurden.
Ihr finanztechnischer Taschenspielertrick, die Neu-
Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da- verschuldung gegenüber der früheren Finanzpla-
men und Herren! Herr Kollege Weng, nitschewo ne nung bedeutend höher zu veranschlagen und zu be-
panimali. Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit haupten, die Nettokreditaufnahme werde irgend-
als Grundprinzipien seriöser Haushaltspolitik wer- wann in späteren Jahren auf Rekordtiefe sinken, ist
den mit dem heutigen Eintritt in die zweite Lesung doch längst bekannt. Vergleichen wir einmal die Fi-
des Haushaltsentwurfs 1996 von der CDU/CSU- und nanzplanung des Jahres 1993 für das Haushaltsjahr
F.D.P.-Fraktion und der von ihnen gestellten Regie- 1996, so zeigt sich, daß die erwartete Nettokreditauf-
rung für jeden Bürger und jede Bürgerin offenkun- nahme im nächsten Jahr eben nicht, wie damals ge-
dig über Bord geworfen. Obwohl sich die Bundes- sagt wurde, 22 Milliarden DM, sondern 60 Mil li arden
regierung gegenüber dem vom Finanzminister DM betragen wird.
Waigel initiierten haushaltspolitischen Chaos-Herbst
mit künstlerischer Gelassenheit, finanzpolitischen Dem Haushaltsentwurf 1996 hat Herr Waigel nun
Durchhalteparolen und mit der Ul tima ra tio jedes die Prognose zugrunde gelegt, das Bruttoinlandspro-
Staatsbankrotteurs, mit einer Haushaltssperre, wapp dukt werde im nächsten Jahr real um 2,7 Prozent
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5669
Dr. Barbara H811
wachsen und beim Bund zu Steuermehreinnahmen nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, daß die
von 3 Mil li arden DM führen. Im Frühjahr hatte die realisierten Geschäfte unter diesen Konditionen ge-
Bundesregierung sogar noch 3 Prozent reales Wachs wiß so käuferfreundlich wie weiland bei der Treu-
tum prognostizie rt . Das Herbstgutachten des Deut- hand aussehen werden. Die sozialen Belange wer-
schen Wi rt schaftsins tituts geht nun von 2,25 Prozent den Sie wahrscheinlich hinten herunterfallen lassen.
für 1996 aus und bestätigt damit die weitere Wachs-
(Beifall bei der PDS)
tumsverlangsamung.
Daß die Verscherbelung von Bundesanteilen mit-
Dem Haushalt 1995, dessen Haushaltslöcher im-
tel- und langfristig zu Mindereinnahmen des Staates
mer größer werden, lag die Erwartung zugrunde, das
und damit zur Verschärfung der Finanzsituation
Bruttoinlandsprodukt werde real um 3 Prozent stet-
führt, dämmert sicher auch schon dem Herrn Finanz-
gen. Dabei wurde von Wirtschaftsinstituten bereits
minister. Dabei wird er vielleicht mit freudigem Inter-
Ende Ju li gesagt, daß eine spürbare Wachstumsver- esse die bereits zaghaft und scheinbar ganz unauffäl-
langsamung sichtbar ist und wahrscheinlich nur eine
lig oder auch auffällig an ihn gerichteten Forderun-
reale Steigerung in Höhe von 2 Prozent herauskom-
gen über die Notwendigkeit eines Haushaltssiche-
men wird. Das all es aber hat Herrn Waigel nicht rungsgesetzes registriert haben.
daran gehindert, uns mit optimistischen Prognosen
zu beglücken. Ich meine: Dies ist nicht Ergebnis mi- Damit wäre er dann nämlich in der Lage, in gesetz-
nisterieller Rechenfehler, sondern eiskalt kalkuliert, liche Leistungen einzugreifen. So wie wir ihn kennen
wie übrigens auch die Steuermindereinnahmen. - das hat er in den letzten Jahren immer wieder de-
monstriert -, wird er seine langen Finger besonders
Die nunmehr offen zutage ge tretenen riesigen
in die Taschen der Ärmsten stecken.
Haushaltslöcher sind von Herrn Waigel von Anfang
an billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar Meine Damen und Herren, jenseits der flotten Hin-
bewußt initiiert worden, um gegenüber der Öffent- und Herschieberei von Ausgaben und Einnahmen,
lichkeit und dem Parlament ein Druckmittel in die hinter dem hektischen Verkauf von Bundeseigentum
Hand zu bekommen, die Privatisierung weiterhin for- lugt an allen Ecken und Enden das grundsätzliche
cieren und den weiteren Sozialabbau scheinbar plau- Elend der konservativen Wirtschaftspolitik he rvor.
sibel legitimieren zu können. Die Bundesregierung weige rt sich beharrlich, energi-
sche Beschäftigungspolitik zu be tr eiben und flüchtet
(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Unsinn! -
sich statt dessen Jahr für Jahr erneut in marktradi-
Beifall bei der PDS)
kale Dogmen und angebliche Weltmarktzwänge.
Vor diesem Hintergrund, Herr Waigel, offenbart Ihre
Die Folge: Die Massenarbeitslosigkeit nimmt auch
Bemerkung im Haushaltsausschuß am 25. Oktober,
in Zeiten konjunktureller Erholung nicht ab. Wenn
daß auch arbeitsmarktpolitische Leistungen kein
sich aber die Arbeitsmarktlage nicht entspannt, ent-
Tabu bilden dürfen, finanzpolitischen Zynismus der steht eine Haushaltslücke: weniger Steuereinnah-
übelsten Art. men und mehr Ausgaben bei den Sozialversicherun-
In der politischen Diskussion wird zum Beispiel gen. Wenn hier wiederum nur mit Sozialabbau und
schamhaft verschwiegen, was das „H an delsblatt" am Einschränkung der staatlichen Nachfrage reagiert
30. Oktober wohlwollend mit der immer schwerer wird, sackt die Beschäftigung weiter ab und produ-
werdenden Abschätzung der Einnahmenausfälle auf ziert neue Haushaltslücken.
Grund von Steuerrechtsänderungen umschreibt.
Das Dogma hat Folgen: Es führt in eine wirtschaft-
Nun frage ich aber: Wer, wenn nicht die Bundesre-
liche Abwärtsspirale, die nur durch eine neue Be-
gierung und Ihre Regierungskoalition, hat denn die
schäftigungspolitik gestoppt werden kann. Aus die-
enormen Steuererleichterungen für Unternehmen
sem Grunde werden wir als PDS in diesen Haushalts-
und Großverdiener durchgesetzt? Nun zeigen Sie
beratungen Antrage einbringen: zur Sozialpolitik,
sich überrascht, daß im Haushaltsjahr 1995 statt der
zur Arbeitsmarktpolitik - wir sind für eine Aufstok-
insgesamt erwarteten 27 Mil li arden DM aus der ver-
kung - und zur Wohnungspolitik bei geschätzten
anlagten Einkommensteuer und der Körperschaft- -
800 000 bis 900 000 Obdachlosen in Deutschland in
steuer Ende September nur 2,4 Mil li arden DM einge- diesem Jahr. Finanzierungsvorschläge werden wir
nommen wurden. vorlegen, u. a. weitreichende Vorschläge, die den
Herr Waigel, die nun offen zutage ge tr etenen Verteidigungshaushalt be tr effen, die auch seriös
Haushaltslöcher waren genausowenig unvorherseh- sind, weil sie sich hauptsächlich auf die Neuinvesti-
bar oder zufällig, wie Ihre mittelfristige Finanzpla- tionen konzentrieren.
nung von Solidität ist. Mit den am 25. Oktober vorge-
Wenn man eine Rückkehr zu gesunden Staatsfi-
legten Vorschlägen zur Deckung des Defizits des
nanzen erreichen will, führt aber letztendlich kein
Haushalts 1996 haben Sie der Öffentlichkeit nur klar-
Weg an der Umverteilung von Einkommen und Ver-
gemacht, daß Sie nur ein „Weiter so" kennen.
mögen und an der Veränderung der Steuerbelastung
Außer Sparen und Privatisieren fällt dem Finanz- vorbei. Das Aufkommen aus den einzelnen Steuerar-
minister nichts ein. Aber selbst in seinem ureigen- ten gibt aufschlußreiche Anhaltspunkte dafür, inwie-
sten Me ti er wirkt Herr Waigel etwas unbeholfen, ich weit die Steuerpolitik der letzten Jahre die Einnah-
möchte sagen: schon fast stümperhaft. Gleich einem meausfälle hervorgerufen hat. Es ist eben nicht so,
kurz vor der Pleite stehenden Marktschreier bietet er als wären die Steuern immer für alle erhöht worden.
aus dem Tafelsilber des Bundes 44 000 Wohnungen Zwischen 1984 und 1994 ist nach Angaben des Insti-
und den Teilverkauf der Postbank an. Man braucht tuts für Finanzen und Steuern das Aufkommen aus
5670 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Dr. Barbara Höll
der Lohnsteuer um 136,4 Prozent gestiegen, das aus einander vergleichen. Man kann das Soll 1996 nicht
der Umsatzsteuer um 113,3 Prozent, das aus der Ge- mit dem Ist vergleichen. Man muß jeweils Soll und
werbesteuer nur um 55,87 Prozent und das aus der Soll und Ist und Ist miteinander vergleichen.
Vermögensteuer um 46,7 Prozent. Die Einnahmen
aus der Körperschaftsteuer gingen dagegen um (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
25,5 Prozent zurück, und die Einnahmen aus der ver- Wer das nicht einmal kann und wer mit diesem unzu-
anlagten Einkommensteuer waren mit minus 3,4 Pro- lässigen Trick versucht, Stimmung zu machen, dis-
zent ebenfalls rückläufig. qualifiziert sich selbst.
Diese Zahlen belegen eindeutig, daß unter der Re- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P)
gierung Kohl erstens eine drastische Umverteilung
des Volkseinkommens zu Lasten der Löhne und Ge- Herr Diller, Sie haben sich mächtig aufge - -
hälter und zweitens eine ebenso drastische Verschie- (Zurufe von der CDU/CSU:... blasen!)
bung bei der Besteuerung der Gewinne und Löhne
stattgefunden hat. Beide Umverteilungen, an denen Sie haben mehr versucht, als Sie eigentlich tun woll-
sich bei Bedarf auch die SPD beteiligt, führen nicht ten. Bei dem Präsidenten hätte ich eigentlich schon
zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern zu de- Humor vermutet. Trotzdem spreche ich es nicht aus.
ren Verdoppelung. Das ist verständlich, weil die Un-
ternehmen angesichts der schwachen Konsumnach- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
frage ihre Kapazitäten eben nicht auslasten, sondern Sie wissen ganz genau, daß der Haushalt um
bei den bestehenden rationalisieren. Das wiederum 1,4 Prozent sinkt. Dabei ist die Systemumstellung
führt zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und mas- beim Kindergeld schon berücksichtigt. Wie Sie auf
senhafter Anlage von Gewinnen als Geld- und Spe- die Idee kommen, das mit den Ausgaben für den
kulationskapital. Schienenpersonennahverkehr zu verknüpfen, ist mir
unerfindlich, denn im Haushalt 1996 entfallen die
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, Ausgaben für den Schienenpersonennahverkehr, die
denken Sie an Ihre Redezeit. 1995 7,8 Milliarden DM betragen werden. Zusätzlich
werden aber bei Beendigung der Kreditaufnahme
des Bundeseisenbahnvermögens bis Ende 1995 im
Dr. Barbara Höll (PDS): Ja, danke, Herr Präsident. - kommenden Jahr dem Bundeseisenbahnvermögen
Ich möchte deshalb mit einem kurzen Fazit schlie- rund 9,5 Milliarden DM an Zuschüssen gezahlt. Das
ßen. Herr Ministerpräsident Eichel hat gesagt: Die sind 7,8 Milliarden DM mehr als 1995.
Finanzsituation war in der Geschichte der Bundes-
republik noch nie so schlecht wie jetzt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Betrachtet m an dann, wie Sie zwischen Ost und Sie können angreifen, Sie können kritisieren, aber
West verteilen, damit die Ausfälle verkraftet werden, Sie müssen wenigstens bei den Fakten ordentlich
stellt man fest, daß wesentlich mehr auf die neuen rechnen können. Wer dies bei einem solchen Punkt
Bundesländer zukommt, wenn die neuen Bundeslän- nicht kann, disqualifiziert sich haushaltspolitisch.
der zwei Drittel des sinkenden Ausgabenniveaus
auffangen müssen. Das zeigt, daß sich die Kluft zwi- (Beifall bei . der CDU/CSU und der F.D.P. -
schen Arm und Reich, zwischen Ost und West durch Karl Diller [SPD]: Ausgerechnet Waigel sagt
Ihre Haushalts- und Finanzpolitik weiter verschärft. das! - Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind der
Obertrickser! )
Herr Präsident, lassen Sie mich mit einem letzten
Satz schließen: Mir erscheint es fast so, als hätte der - Ausgerechnet. Ihre Art, sich darzustellen, hat mich
Finanzminister das Motto des Satiremagazins „Tita- an den Karneval erinnert, wo immer das gleiche Auf-
nic" - „Die endgültige Teilung Deutschlands, das ist plustern mit den gleichen Wortkaskaden stattfindet.
unser Auftrag" - insgeheim zur Richtschnur seines Ernst nimmt dies, Herr Dill er, aber niemand. Sie kön-
Handelns gemacht. nen eigentlich mehr. Sie haben das gar nicht nötig.
-
Ich danke Ihnen. (Zuruf des Abg. Peter Hintze [CDU/CSU])
(Beifall bei der PDS) - Vielleicht haben Sie, Herr Hintze, recht, daß ich
jetzt übertrieben habe. Ich nehme das wieder zurück.
Herr Diller, Sie haben wohl gemeint, Sie müßten sich
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort für die heute ein besonderes Lob holen.
Bundesregierung hat Herr Bundesminister
Dr. Waigel. Wie hat Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender ge-
sagt: Wenn er Ministerpräsident wäre, würde er mich
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge als Finanzminister entlassen. Glauben Sie, ich käme
ordneten der F.D.P. - Dr. Dagmar Enkel auf die Idee, unter Scharping Finanzminister zu blei-
mann [PDS]: Er hat ja noch gar nichts ge ben?
sagt!)
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
und der F.D.P.)
Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Einer meiner Vorgänger, Fritz Schäffer, hat anläß-
Matthäus-Maier, Sie haben vorhin etwas schlichtweg lich der Haushaltsberatungen 1950 folgendes be-
Unzulässiges getan. M an kann nicht Soll und Ist mit- merkt:
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5671
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Auf dem Gebiet der Finanzpolitik ist dieser Ge- wichtiges na ti onales Thema. Aber es taugt nicht für
setzentwurf der ganz bewußte Schritt, der neuen billige Wahlkampftaktik.
Zeit mit neuen Gedankengängen entgegenzutre- Als ich in der nichtöffentlichen Sitzung eines Bun-
ten und den Notwendigkeiten des Tages zu be- destagsausschusses auf Fragen von Abgeordneten -
gegnen. auch der SPD - die strikte Einhaltung der Konver-
Dieser Satz kann auch 45 Jahre später ein Leitspruch genzkriterien unterstrichen habe, hat mir Herr
für den Bundeshaushalt 1996 sein. Gestern war für Scharping vorgeworfen, ich hätte damit volkswirt-
mich der Tag, an dem ich wie der Kollege Stolten- schaftlichen Schaden angerichtet, und ich glaube,
berg mehr als sechseinhalb Jahre Finanzminister Herr Struck hat diesen Unsinn heute nochmals wie-
war. Ich möchte diese Gelegenheit benützen, um derholt. Vielleicht war es auch Herr Di ller.
dem Kollegen Stoltenberg für seine Finanzpolitik von (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
1982 bis 1989 zu danken, weil wir nur durch diese Fi- Unglaublich!)
nanzpolitik in der Lage waren, 1990 auch die Wie-
dervereinigungskosten so zu bewäl tigen, wie wir das Ich habe mich für die Stabilität der Währungsunion
getan haben. eingesetzt, und ich brauche von dem, was ich do rt
rt zurückzunehmen. Sie gesathb,nicWo
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und hingegen zünden eine gefährliche Lunte an.
der F.D.P.)
Da tönt der Ministerpräsident des Saarlandes, der
Um den richtigen Weg in die Zukunft zu finden, Maastricht-Vertrag sei schlampig ausgehandelt, und
die Weichen für das nächste Jahrtausend zu stellen, man benötige im übrigen zunächst eine Harmonisie-
müssen wir zusammenarbeiten: in der Regierung, im rung vieler Politikbereiche in der Europäischen
Parlament und im Bundesrat. Dabei hat die Opposi- Union.
tion in einer Demokratie eine wich tige und verant-
wortungsvolle Rolle zu übernehmen. Wir wissen, wie (Zuruf von der SPD: Recht hat er!)
das ist. Wir haben es l an ge genug selber getan. Was Meine Damen und Herren, in der Stellungnahme des
die Oppositi on allerdings in den letzten Tagen in die- Bundesrates zum Vertrag findet sich nicht ein Wo rt
ser Hinsicht geboten hat, wird dieser Aufgabe nicht überMänglidKozeptrWischaf-und
annähernd gerecht. Währungsunion. Wo waren denn Ihre Wünsche? Sie
(Dr. Wolfgan g Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: hätten sie doch zum Ausdruck bringen können.
Leider wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ihnen ist offenbar inzwischen jedes Mittel zur ver- Zur Harmonisierung aller möglichen Politikberei-
meintlichen Profilierung recht, ohne Rücksicht auf che: Wir wollen keine Eurokratie. In einem föderalen
die gemeinsame Verantwortung für unser Land. Europa soll nur das wirklich Notwendige gemeinsam
Jetzt, meine Damen und Herren, greifen Sie über geregelt werden. Dazu gehört die Währungsunion,
Ihre Kritik an der Währungsunion die europäische nicht aber alle möglichen Elemente der Sozial-, Wi rt
Einheit an, eine Idee, für die es seit Jahrzehnten in li en- oder Lohnpolitik. Wer etwas ande--schafts-,Fami
diesem Haus unter allen Parteien einen Konsens gab. res als Vorleistung für eine Wirtschafts- und Wäh-
Herr Scharping spricht von Europa als „irgendeiner rungsunion fordert, ist gegen ein föderales Europa.
Idee". Zugleich verschiebt er die für die globalen Heraus-
forderungen des nächsten Jahrtausends ökonomisch
(Dr. Wolfgan g Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: und politisch notwendige Wirtschafts- und Wäh-
Unglaublich!) rungsunion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Das ist nicht mehr die SPD der Europäer Wi lly Brandt Zu dem gleichen Ergebnis führt die irrige Meinung
und Helmut Schmidt. Wer die Europäische Wäh- von Ministerpräsident Schröder, fast alle Länder der
rungsunion mit leichtfertigen Argumenten einer EU müßten von Beginn an bei der dritten Stufe der
durchsichtigen Taktik opfert, erweist Deutschland Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen. So
und Europa einen schlimmen Dienst. könnten einzelne Länder die Wirtschafts- und Wäh-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - rungsunion verhindern. Das kann nicht sein. Nur ein-
Eckart Kuhlwein [SPD]: Sagen Sie das doch deutige Aufnahmekriterien sichern den in jedem
Herrn Stoiber direkt!) Land notwendigen Konsolidierungsdruck.
- Schreien Sie doch auf Ihrem Parteitag! Herr Kuhl- Ihr gutes Recht und Ihre na ti onale Pflicht ist es,
wein, da können Sie es in der nächsten Woche klä- sich bei der strikten Einhaltung der Maastricht-Krite-
ren. Schreien Sie dann do rt , damit man Sie endlich rien zu Wort zu melden. Es wäre ein Zeichen, daß Sie
einmal vernünftig hört. Do rt können Sie es tun. aus den finanzpolitischen Fehlern Ihrer Regierungs-
zeit der 70er Jahre etwas gelernt hätten; denn da-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mals hatten wir andere Finanzkennziffern, als wir sie
jetzt trotz der Lasten und Aufwendungen für die
Die Gestaltung eines föderalen, ökonomisch er- deutsche Einheit erreicht haben. In puncto Stabilität
folgreichen und politisch stabilen und einigen Euro- und Solidität werden Sie uns ganz bestimmt nicht
pas ist nach zwei Weltkriegen eine Jahrhundertauf- überholen.
gabe - gerade für Deutschland, das nach über
40 Jahren Teilung seine Einheit wiedergewann. Mi- Ich erinnere mich gut an so manche abwertende
nisterpräsident Schröder hat recht: Europa ist ein Äußerung von Ihnen über die konsequent stabilitäts-
5672 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Die Privatisierung der Postbank ist nicht durch
sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) den Bund, sondern durch die Entwicklung in den
Postunternehmen beschleunigt worden. Die Priva-
Mit diesen Tatsachen und Urteilen zur Fin anz- und tisierungsmöglichkeiten werden jetzt durch einen in-
Haushaltspolitik und zu meiner Person kann ich gut ternational erfahrenen und professionellen Berater
leben. geprüft. Auch in diesem Fall gibt es keinen Zweifel:
Meine Damen und Herren, mir soll die „Mißbilli- Die Privatisierung wird 1996 über die Bühne gehen.
gung" ausgesprochen werden. Ich bin wirk lich ent- Wie immer wir uns entscheiden: Die Angebote wer-
täuscht; nicht einmal die Rücktrittsforderung wird er- den jedenfalls über dem liegen, was wir bisher dazu
hoben. Gerade jetzt, nachdem ich sechseinhalb angesetzt haben.
Jahre Finanzminister bin, hätte ich das schon einmal Zur Privatisierung der Wohnungsunternehmen
erwartet, damit etwas Spannung in das Ganze hat uns der Bauminister schon vor einigen Wochen
kommt. mitgeteilt, daß von seiner Seite her gegen die Privat--
(Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Abwarten!) isierung nichts mehr einzuwenden sei. Damit war es
möglich, diese seit langem anstehende Privatisierung
Aber mit der Mißbilligung von Ihnen kann ich gut le- noch im Haushalt 1996 unterzubringen.
ben. Das ist eher eine Ehrenbezeugung für die Zu-
kunft. Dieses Privatisierungsvorhaben - darauf hat der
Kollege Roth hingewiesen - taugt im übrigen nicht
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge für eine Angstkampagne bei den Mietern. Wenn Sie
ordneten der F.D.P.) schon zu diesem Mittel greifen müssen, sind Sie mit
Ihren Argumenten ganz schnell am Ende. Wenn man
Meine Damen und Herren, ich danke den Mitglie-
bedenkt, wie der Leitantrag der SPD zur Wirtschafts-
dern des Haushaltsausschusses
politik auf dem Parteitag aussieht und was Sie die
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Aber nicht allen!) letzten zehn Jahre hier von sich gegeben haben,
dann meint man, daß Sie vor Scham erröten müßten -
- ein paar Tage nehme ich aus -, die durch ihre kon- wenn das überhaupt möglich ist.
zentrierte, sachbezogene Beratung die Einhaltung
des Zeitplanes ermöglicht haben. In erster Linie gilt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
das für die Kollegen der Koalition. Dem Kollegen Karl Diller [SPD]: Die F.D.P. fördert den Ver
Wieczorek hätte ich, wenn er dagewesen wäre, auch kauf der Wohnungen!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5675
Bundesminister Dr. Theodor Walgel
Es werden Anteile an Gesellschaften verkauft. Die gen, ein zunehmendes Maß an Deregu lierung und
Mietverträge bleiben von dieser Privatisierung unbe- Flexibilisierung auf den Arbeitsmärkten. Wir müssen
rührt, und die Belegungsrechte sind gesichert. die Produktivität weiter steigern und die Lohnstück-
kosten senken.
Wir hatten bisher noch nie einen Flop bei Priva-
tisierungen des Bundes. Das wird auch so bleiben. Das wäre ein wich tiger Beitrag für das zukünftige
Die Privatisierungen sind ordnungspolitisch richtig Wachstum in Deutschland und ein wichtiger Impuls
und legitim, seriös vorbereitet, und sie werden die für den Abbau der immer noch zu hohen Arbeitslo-
angesetzten Haushaltsbeträge erbringen. sigkeit. Ich finde, die Anregungen der IG Metall sind
ein guter Ansatz. Eine Lohnpolitik, die sich stärker
Der Haushalt 1996 setzt zugleich ein deutliches
um die Arbeitslosen kümmert, ist ein Gebot der
Zeichen für die Rückführung der Steuer- und Abga-
Stunde.
benbelastung. Die Bürger werden 1996 um rund
27 Milliarden DM netto entlastet. Rund 20 Milliarden Die Bundesregierung hat mit der Fortführung des
DM davon entfallen auf den Bundeshaushalt. Die ge- erfolgreichen Langzeitarbeitslosenprogramms einen
genüber dem Regierungsentwurf höheren Arbeits- wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosig-
marktausgaben von über 6 Milliarden DM werden keit geleistet. Wer allerdings Lohnnebenkosten
durch Einsparungen auf der Ausgabenseite des durch geringere Arbeitslosenversicherungsbeiträge
Haushalts ausgeglichen. Die Ausgaben des Bundes oder Rentenversicherungsbeiträge senken wi ll, muß
bleiben 1996 im Vergleich zum Vorjahr - ich wieder- auch sagen, welche Steuern er erhöhen will, wenn
hole das -, bereinigt um die Systemumstellung beim sogenannte versicherungsfremde Leistungen im
Kindergeld, rückläufig. Trotz der zusätzlichen Ar- Steuersystem finanziert werden sollen.
beitsmarktaufwendungen sinken sie gegenüber
1995. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutschland wird auch 1996 die Maastricht-Krite- Eine Scheinkonsolidierung auf Kosten der Steuer-
rien zur Nettoneuverschuldung und zum Schulden- zahler kann nicht die Lösung sein. Richtig ist es, die
stand nicht überschreiten. Die Konjunkturaussichten Reformen im Sozialsystem selbst vorzunehmen. Nur
sind nach wie vor gut. Deutschland bleibt ein Motor auf diesem Weg können wir zu einer Senkung der
der Weltwirtschaft. Dies gilt trotz der für 1995 leicht Lohnnebenkosten kommen, ohne gleichzeitig die
nach unten korrigierten Wachstumsprognose von Steuerquote weiter zu erhöhen.
2,5 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Auch 1996 bleibt das Wachstum dynamisch. Nach Die vorgesehenen Einsparungen durch die Reform
der Steigerung des Exports und der Investitionstätig- des Arbeitsförderungsgesetzes sind daher nicht nur
keit können wir - auch dank der vorgesehenen für den Bundeshaushalt wich tig, sondern dienen zu-
Steuer- und Abgabenentlastungen - im nächsten gleich der dringend notwendigen Stärkung der An-
Jahr mit einer deutlichen Zunahme des p rivaten Ver- reizstrukturen des Arbeitsmarktes.
brauchs rechnen.
Die Leistungen des Bundes für die neuen Lander
Der Preisauftrieb liegt derzeit anhaltend unter
bleiben auch 1996 hoch. Mehr als jede fünfte Mark
2 Prozent. 1996 ist mit einer weiterhin günstigen Ent- der Ausgaben gehen als Transferleistung in die
wicklung der Preise zu rechnen. Dies ist erfreulich -
neuen Länder. Hinzu kommen seit 1995 die hohen
auch wenn der moderate Preisanstieg eine der Ursa-
Leistungen des Bundes im Rahmen des neu geregel-
chen für die hohen Steuerausfälle ist, die wir im
ten Finanzausgleichs und die Übernahme der finan-
Haushalt zu verkraften haben.
ziellen Erblasten der DDR im Erblastentilgungsfonds.
(Zustimmung bei der CDU/CSU)
Wenn 1996 ein Rückgang der Transferleistungen
Die günstige Preisentwicklung wird durch eine auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts im Ver-
günstige Zinsentwicklung ergänzt. Die seit Jahres- gleich zum Vorjahr zu verzeichnen ist, dann ist das
anfang deutlich gesunkenen Zinsen tragen zur Ver- neben der Umstellung beim Familienleistungsaus--
besserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gleich im wesentlichen auf die positive wirtschaftli-
bei. Sie unterstreichen das inte rnationale Vertrauen che Entwicklung in den neuen Ländern zurückzu-
in die Deutsche Mark. Die D-Mark bleibt auch in Zu- führen. Das ist erfreulich und kein Grund zur Klage.
kunft stabil und ein verläßlicher Anker des Europä-
Mit dem Jahressteuergesetz wird die Wirtschafts-
ischen Währungssystems.
förderung in den neuen Ländern in gestraffter und
Sinkende Zinsen führen nicht nur zu einer Entla- konzentrierter Form fortgesetzt. Eine Reihe von be-
stung der p rivaten Häuslebauer; sie sind der beste währten Fördermaßnahmen, Sonderabschreibungen,
Motor für Investitionen. Jeder Punkt bei sinkenden die Investitionszulage und die Aussetzung der Ver-
Zinsen und jeder Punkt weniger In flation stützen die mögensteuer, sind bis 1998 verlängert worden. Wir
Konjunktur. haben darüber hinaus Maßnahmen zur Stärkung der
nach wie vor zu dünnen Eigenkapitaldecke von klei-
Neben den Kapitalkosten bestimmen die Lohn-
nen und mittleren Unternehmen aus den neuen Län-
und Lohnnebenkosten ganz wesentlich die Rentabi-
dern ergriffen.
lität von Investitionen und entscheiden damit über
die Attraktivität des Standorts Deutschland. Hier Ab sofort werden wir für diese Unternehmen zins-
sind insbesondere die Tarifpartner gefordert. Wir günstige Darlehen zur Verfügung stellen. Aus dem
brauchen auch in Zukunft moderate Lohnsteigerun Eigenkapitalfonds Ost sollen bis 1998 Fördermittel in
5676 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Im Mittelpunkt der Fortsetzung der Unternehmen- Beim selbstgenutzten Wohneigentum fördern wir
steuerreform steht nach wie vor die Abschaffung der zum Beispiel energiesparende Investitionen. So gibt
Gewerbekapitalsteuer, die zu Recht als Arbeitsplatz- es eine erhöhte Zulage von maximal 500 DM für
vernichtungssteuer bezeichnet wird. Diese Steuer ist heizenergiesparende Maßnahmen - Solaranlagen,
ein Fossil, eine internationale Sonderbelastung unse- Wärmepumpen, Anlagen zur Wärmerückgewin-
rer Unternehmen, die das Kapital als Voraussetzung nung - und zusätzlich eine erhöhte Zulage für Neu-
für Investitionen und Arbeitsplätze noch besteuert bauten von Niedrigenergiehäusern in Höhe von
und sogar Schulden belastet. Darüber hinaus wollen 400 DM.
wir den Mittelstand bei der Gewerbeertragsteuer (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Pro
gezielt entlasten. Das Ausmaß ist allerdings davon Jahr!)
abhängig, in welchem Umfang wir zur notwendigen -
Gegenfinanzierung auf eine Absenkung der degres- - Pro Jahr! Danke, Kollege Kansy.
siven Abschreibung auf bewegliche Wirtschaftsgüter
Auch beim Verkehr arbeiten wir an diesen Ansät-
zurückgreifen können.
zen.
Meine Damen und Herren, es wäre bei gutem Wil- Bei der Wohnungsbauförderung haben wir inzwi-
len sehr wohl möglich gewesen, noch zum 1. Januar schen den Beschluß zur Ablösung des komplizierten
1996 dieses wichtige positive Signal für die Konjunk- § 10e EStG gefaßt. Die neue Wohnungsbauförde-
tur und für die Wirtschaft zu erreichen. rung konzentriert sich auf eine progressionsunab-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hängige Förderung und wird vor allem den Familien
mit kleinen und mittleren Einkommen die Wohn-
Ich bedaure, daß dies nicht möglich war, obwohl es eigentumsbildung erheblich erleichtern.
doch in Ihren Reihen zwischenzeitlich niemanden
mehr gibt, der die Gewerbekapitalsteuer wirklich Die Erbschaftsteuer und die Vermögensteuer müs-
verteidigt. sen nach dem Beschluß des Bundesverfassungsge-
richts neu geregelt werden. Zwar hat der Gesetzge-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist nicht ber für Neuregelungen bis zum 31. Dezember 1996
das Thema!) Zeit. Die Neuregelungen im Bereich der Erbschaft-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5677
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
steuer müssen aber rückwirkend zum 1. Januar 1996 ben Sie einige alte Zöpfe abgeschnitten. Die Aussa-
Anwendung finden. Für das nächste Jahr schlagen gen zur Tarifpolitik, zur Reform des Sozialversiche-
wir zur Vermeidung von Unsicherheiten eine „Ver- rungssystems, zur Haushaltspolitik lauten: „Nicht al-
trauenserklärung" vor: Niemand zahlt im Erbfall hö- les, was wünschbar ist, ist auch finanzierbar." Nur,
here Steuern als 1995. In diesem Sinn haben wir an wie paßt es dann zusammen, wenn Herr Diller in ei-
die Länderfinanzminister geschrieben, und in diesem nem einzigen Katalog alles, was schön und wün-
Sinn wollen wir diese Woche noch mit den Länderfi- schenswert wäre, zusammenstellt und uns vorwirft,
nanzministern sprechen. daß dies im Haushalt nicht enthalten ist? Meine Da-
men und Herren, Herr Diller, lesen Sie endlich die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
eigenen Anträge, zu denen Sie vielleicht ja, mögli-
Wir nehmen damit den Druck und die Unsicherheit cherweise nein sagen. Nach dem, was Sie heute von
bei vielen Menschen weg, die glauben oder Angst sich gegeben haben, müssen Sie diesen Leitantrag
haben, vielleicht noch in den wenigen Wochen die- ablehnen. Das wäre jedenfalls konsequent.
ses Jahres bestimmte Regelungen vornehmen zu
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
müssen. Ich würde mich sehr freuen, wenn es ge-
länge, zwischen Bund und Ländern zu einer überein- Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal Fritz
stimmenden Meinung in dieser Frage zu kommen. Schäffer aus dem Jahr 1950 zitieren:
Meine Damen und Herren, kein Zweifel: Die fi- Wir haben uns in diesem Jahr bemüht,
nanzpolitischen Handlungsspielräume sind enger
geworden. Das Wachstum der Ausgaben im Finanz- - das gilt auch für uns -
planungszeitraum wird deutlich unter dem progno- die Finanzen und das Haus des deutschen Volkes
stizierten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts lie- in Ordnung zu halten. Wir haben uns gerade des-
gen. Das Haushaltsmoratorium wird strikt eingehal- halb darum bemüht, um uns eine feste Grundlage
ten. Neue Maßnahmen ohne vollständige Gegenfi- aufzubauen, auf der wir auch die Lasten einer Zu-
nanzierung wird es nicht geben. Das Ziel der Redu- kunft werden tragen können. Wir haben uns dar-
zierung der Staatsquote, der Defizite und der Steuer- um nicht um irgendwelcher schönen Theo rien
quote bleibt die wichtigste Handlungsmaxime. willen bemüht, sondern wir haben uns darum be-
Konsolidierung und Steuersenkung werden wir müht, weil es eine Pflicht war aus dem Gedan-
genau aufeinander abstimmen. Eine einseitige Kon- kengang heraus, daß wir alle zusammen nur ei-
zentration allein auf den Abbau der Defizite kann es nem dienen, der Gesamtheit des ... deutschen
nicht geben. Aber auch umgekehrt gilt: Steuersen- Volkes.
kungen auf Pump kann es gleichfalls nicht geben. Ich habe die Hoffnung, daß alle Seiten dieses Hau-
Wir werden durch eine konsequente Sparpolitik oder ses und die Mitglieder des Bundesrates in diesem
eine Rückgabe von Umsatzsteuerpunkten durch die Geiste konstruktiv an der Gestaltung der Zukunft zu-
Länder den damit freiwerdenden Spielraum unmit- sammenwirken und mitarbeiten werden.
telbar nutzen, um die Steuerlast zu senken. Das gilt
insbesondere für den Solidaritätszuschlag. Vielen Dank.
Wir müssen, meine Damen und Herren, die Zu- (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU
kunft gemeinsam gestalten. Weiterer Konsolidie- und der F.D.P.)
rungsbedarf kommt auf uns zu. Bund, Länder und
Kommunen sind gleichermaßen in der Pflicht, finanz-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei-
politische Verantwortung für die Zukunft Deutsch-
ner Kurzintervention hat die Kollegin Ing rid Mat-
lands zu übernehmen: für eine niedrige Staatsquote,
thäus-Maier.
solide Staatsfinanzen, niedrige Defizite, eine lei-
stungs- und wettbewerbsfreundliche Steuerlast. Es
gibt bei Bund und Ländern keine Alternative zur Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege Waigel,
Konsolidierung, zur Beschränkung auf das Wesentli- ich hatte soeben vorgerechnet, daß nach Ihren eige--
che. Wir können nicht über unsere Verhältnisse le- nen Aussagen die Ausgaben 1996 höher sein werden
ben. als 1995, nämlich etwa 3 Milliarden DM höher, wäh-
rend Sie und Ihre Kollegen immer behaupten, sie
Wir müssen auch gemeinsam Verantwortung für würden sinken. Sie haben daraufhin in Ihrer Rede
Europa übernehmen. Es ist nicht allein die Aufgabe
gesagt, dieser Vergleich von mir sei unseriös; denn
des Bundes, die Maastricht-Kriterien zu garantieren. man dürfe nie Ist-Zahlen mit Soll-Zahlen verglei-
Der Stabilitätspakt für Europa muß durch einen chen.
nationalen Stabilitätspakt ergänzt werden. Die Auf-
Dazu habe ich zwei Bemerkungen:
gabe ist groß; ich werde daher die Länderfinanzmi-
nister in Kürze zu Beratungen über einen solchen Erstens. Aus der Tatsache, daß Sie einen anderen
Stabilitätspakt einladen. Wir sollten über die im Vergleich wählen, ist ganz klar abzuleiten, daß Sie
gemeinsamen Interesse liegenden finanzpolitischen meine Zahlen überhaupt nicht bestreiten. Ende die-
Notwendigkeiten Einigung erzielen. ses Jahres 1995 werden nach Ihren eigenen Aussa-
gen die Ausgaben deutlich geringer sein als die Aus-
Auch bei der SPD gibt es erfreuliche Zeichen für gaben 1996. Also steigen die Ausgaben.
ein Umdenken in der Finanzpolitik. Im finanzpoliti-
schen Leitantrag für Ihren Mannheimer Parteitag ha (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
5678 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Ingrid Matthäus-Maier
Zweitens. Herr Waigel, mir liegt Ihr Finanzplan Die Parlamentarische Staatssekretärin im Finanz-
1995 bis 1999 vor. Siehe da: In diesem Finanzplan ministerium hat es am 25. Oktober 1995 in der Frage-
vergleichen Sie die Ist-Zahl 1994 mit der Soll-Zahl stunde im Bundestag selbst eingestanden. Antwort
1995. Nicht ich war unseriös, sondern Sie haben un- von Frau Karwatzki auf die Frage, ob es ein solches
seriös geantwortet, weil Sie zu Recht Ist- und Soll Hauruck-Verfahren schon einmal gegeben habe: Ich
Zahlen vergleichen, wie auch ich es heute abend ge- glaube, das ist erstmalig. - Das war kurz und tref-
tan habe. fend.
(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng Uns liegt ein Finanzplan vor, der nach der neue-
[Gerlingen] [F.D.P.]: Nichts stimmt bei der sten Steuerschätzung das Papier, auf dem er ge-
Frau!) druckt wurde, nicht mehr wert ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Gegenüber der letzten Steuerschätzung vom Mai
Waigel, wollen Sie antworten? - Nein. 1995 fehlen dem Bund im Jahr 1995 über 10 Mil-
Dann hat jetzt der Kollege Joachim Poß, SPD, das liarden DM Steuereinnahmen, 1996 fast 12 Milliarden
Wo rt . DM, in zwei Jahren also rund 22 Milliarden DM.
Aber damit noch nicht genug. Diese Steuerausfälle
haben Basiseffekte für die Jahre 1997 bis 1999. In
Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen welcher Größenordnung wirkt sich dieser Basiseffekt
und Herren! Wir haben heute die Waigel-Methode in aus? Es kann sein, daß sich der Effekt abschwächt.
Perfektion erlebt. Herr Bundesfinanzminister, für al- Es kann aber auch sein, daß die Steuerausfälle mit-
les, was gut ist, sind Sie verantwortlich; für alles, was telfristig noch deutlich höher liegen als 1995 und
schlecht läuft, sind es die anderen. Selbst die Verbes- 1996.
serung beim Kindergeld, selbst die Umstellung bei
der steuerlichen Wohneigentumsförderung ziehen Nun komme ich zum Ifo-Institut, das Sie zitiert ha-
Sie sich sozusagen auf Ihren Hut. Dabei haben Sie ben. Sie haben gesagt, Ifo spreche von Rese rven von
konzeptionell mit diesen Verbesserungen überhaupt 25 Milliarden DM. Sie müssen genau lesen, Herr
nichts zu tun. Bundesfinanzminister. Ifo schreibt, daher enthielten
die jetzt geschätzten Steuerausfälle für das Jahr 1996
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ von 29,5 Milliarden DM eher Reserven in Richtung
CSU: Das nehmen Sie sofort zurück!) von 25 Milliarden DM. Ifo schreibt also nicht, daß Re-
serven von 25 Milliarden DM vorhanden sind, son-
Hemmungslos sind Sie auch im Selbstlob. Der Ver-
dern daß es eine Tendenz beim Steuerausfall von ge-
gleich mit Fritz Schäffer spottet nun wirklich jeder
samtstaatlich 29,5 Milliarden DM auf 25 Milliarden
Beschreibung, mit Ausnahme der Tatsache, daß Sie
DM geben sollte.
landsmannschaftlich verbunden sind. Herr Schäffer
konnte den Juliusturm schaffen. Sie schaffen Billio- Ich rate Ihnen dringend, Herr Finanzminister: Kor-
nen Schulden. rigieren Sie das Protokoll! Sonst ist das ein weiterer
Beleg für Ihre Unfähigkeit, mit Zahlen umzugehen.
(Karl Diller [SPD]: Milliarden!)
(Beifall bei der SPD)
- Billionen, Herr Kollege, habe ich gesagt. Eine Bil-
lion hat er bisher in seiner Amtszeit gemacht. Sich da Für 1996 wollen Sie diese Löcher im übrigen not-
mit dem Kollegen Schäffer zu vergleichen, zeigt dürftig durch den Verkauf des Tafelsilbers decken.
doch, wie realitätsfremd dieser Herr Waigel inzwi- Dies ist aber keine dauerhafte Lösung. Sie bringt für
schen geworden ist, wie er sich die eigene Welt 1997 keine müde Mark mehr.
schönmalt, um seinem Amt besser nachgehen zu
Herr Waigel, mit Ihren Haushaltslöchern gefähr-
können.
den Sie die Erfüllung der Konvergenzkriterien von
(Beifall bei der SPD) Maastricht. -
Ich glaube also, Herr Dr. Waigel, Sie müssen sich (Beifall bei der SPD)
doch einmal stärker mit den Fakten auseinanderset- Wir sind uns einig, daß diese Kriterien auf alle Staa-
zen. Zu den Fakten zählt, daß Sie mit Ihren Gesetz- ten strikt angewandt werden müssen, also auch auf
entwürfen in diesem Jahr ein Desaster wie noch nie uns. Deshalb, Herr Waigel: Wenn Deutschland die
erlebt haben, daß Ihre Finanzpolitik eine Mischung Konvergenzkriterien nicht einhalten kann, dann
aus Fehlern, Chaos und Unvermögen ist. Sie ist das müssen Sie die Verantwortung übernehmen. Sie tra-
genaue Gegenteil von solide, berechenbar und klar. gen nicht nur Verantwortung für den Bundeshaus-
Zwei Anläufe haben Sie beim Jahressteuergesetz halt. Der Bundesfinanzminister trägt auch gesamt-
1996 unternommen, um einen Einkommensteuertarif staatliche Verantwortung. Dieser gesamtstaatlichen
vorzulegen. Beide Male sind Sie zu kurz gesprungen Verantwortung werden Sie auch beim Thema Euro-
und im Wassergraben gelandet. Der von Ihnen vor- päische Wirtschafts- und Währungsunion nach Ihren
gelegte Buckeltarif war ein Stück aus dem steuer- vorherigen Ausführungen nicht gerecht.
politischen Gruselkabinett. Erst im Rahmen der
steuerpolitischen Beratungen wurde dann ein Tarif Meine Damen und Herren, das Verhalten der Re-
entwickelt, der letztlich akzeptabel war. Nun haben gierungskoalition in der aktuellen Diskussion zur
wir dieses Chaos mit dem Haushalt 1996 und mit Wirtschafts- und Währungsunion ist heuchlerisch.
dem Finanzplan bis 1999. Gerade von einem Vertreter der CSU, bei der es nur
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5679
Joachim Poß
so stoibert und gauweilert, brauchen wir Sozialdemo- Der Anteil der Körperschaftsteuer und der veran-
kraten uns hier im Bundestag nichts erzählen zu las- lagten Einkommensteuer am Gesamtsteueraufkom-
sen. men ist stark zurückgegangen. Der Anteil der Kör-
(Beifall bei der SPD) perschaftsteuer betrug 1983 noch 6 Prozent, 1994
aber nur noch 2,5 Prozent. Das muß man sich doch
Wir Sozialdemokraten bejahen die Wirtschafts- und einmal vor Augen führen, meine Damen und Herren,
Währungsunion. Dabei ist die Einhaltung der Kon- daß die deutschen Aktiengesellschaften und GmbHs
vergenzkriterien aber wichtiger als die Einhaltung nur noch mit 2,5 Prozent zu den Steuereinnahmen
eines starren Zeitplans. Hier fordern wir das gleiche von knapp 790 Milliarden DM beitragen! Der öffent-
wie Sie. liche Eindruck ist doch ein ganz anderer, und Sie
(Zuruf von der CDU/CSU) erwecken hier doch auch einen ganz anderen Ein-
druck.
- Ihr eigener Bundeskanzler hat das erklärt.
(Beifall bei der SPD und der PDS)
Wir fordern zweitens ein zusätzliches Stabilitätsab-
kommen, um für die Zeit nach Beginn der dritten Der Anteil der veranlagten Einkommensteuer be-
Stufe der Währungsunion dauerhaft Stabilität zu er- trug 1983 noch 7,1 Prozent, 1994 mit 3,2 Prozent we-
reichen. Auch hier fordern Sie das gleiche wie wir. niger als die Hälfte davon. Auch dies ist ein Sachver-
Sie brüsten sich geradezu mit diesem Vorhaben. Also halt, Herr Kollege Waigel, zu dem Sie bisher hier
wozu die ganze Aufregung? noch keine wertende Erklärung abgegeben haben.
Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen Seit 1983 hat es eine gewaltige Umschichtung in
Ihnen und uns, Herr Waigel: Wir fragen, welche Kon- der steuerlichen Belastung gegeben. Unternehmen
sequenzen mit diesen Forderungen verbunden sind. wurden entlastet, Arbeitnehmer und Verbraucher
Sie dagegen drücken sich um eine Aussage. Was massiv zusätzlich belastet. Auch die nach der neue-
heißt es denn, wenn die Einhaltung der Konvergenz- sten Steuerschätzung festgestellten Steuerausfälle
kriterien wichtiger ist als der Zeitplan? Was heißt das zeigen wiederum fast ausschließlich eine Verminde-
für Sie? Was heißt es für Sie, wenn 1997 nur ein oder rung bei der veranlagten Einkommensteuer und der
zwei Länder die Konvergenzkriterien erfüllen? Wol- Körperschaftsteuer. Was heißt das? Das heißt: Die Ar-
len Sie dann von den Kriterien Abstand nehmen, nur beitnehmer, denen die Lohnsteuer direkt vom Ar-
um den Zeitplan einzuhalten, oder wird dann nur ein beitslohn einbehalten wird, und die Verbraucher, die
Land in die Währungsunion eintreten? Wenn es in bei jedem Einkauf Umsatzsteuer zahlen müssen, sind
der Bevölkerung noch große Vorbehalte gegen eine immer mehr zum Hauptfinanzier des Staates gewor-
einheitliche Währung gibt, dann ist das doch Ihr den. Wenn unter Ihrer Verantwortung, Herr Waigel,
Versagen. Sie reden um den heißen Brei herum, statt die Steuer- und Abgabenlast ein Rekordniveau er-
klare Antworten zu geben. reicht hat, dann sind es insbesondere die Arbeitneh-
mer und die Verbraucher, die darunter zu leiden ha-
(Beifall bei der SPD) ben.
(Beifall bei der SPD)
In diesem Zusammenhang muß ich ganz deutlich
sagen: Wir von der SPD haben dafür gesorgt, daß Dagegen geht der Beitrag der Unternehmer, der
sich der Deutsche Bundestag noch einmal mit der Selbständigen und der Vermögensbesitzer immer
Entscheidung über den Eintritt in die dritte Stufe der weiter zurück. Und das hat nichts damit zu tun, daß
Währungsunion befaßt. Das muß im Bundestag von wir beide alles tun wollen - das ist auch Ziel des
den Volksvertretern erörtert und entschieden wer- neuen Antrags der SPD, der so neu gar nicht ist, son-
den. Das darf nicht allein der Regierung überlassen dern das fortschreibt, was wir in den letzten Jahren
bleiben. Das muß in der Öffentlichkeit entschieden dazu aufgeschrieben haben -, damit mehr Arbeits-
werden. plätze entstehen. Aber wir dürfen nicht den falschen
(Beifall bei der SPD) Eindruck aufkommen lassen, als wäre die zu hohe
Steuerbelastung der Unternehmen der Schlüsselfak-
Die jetzt aufgetretenen Haushaltslöcher bringen tor für unterbliebene Investitionen und für die unter-
nicht nur mit Blick auf Europa Probleme mit sich, also bliebene Schaffung von Arbeitsplätzen.
sozusagen in der Darstellung nach außen. Auch hier
bei uns werden die Mißstände auf Grund Ihrer fal- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
schen Politik mehr und mehr sichtbar. Die globale ten der PDS)
Betrachtung der Steuereinnahmen verdeckt, daß in-
nerhalb des Steueraufkommens enorme Strukturver- Die Zahlen, die ich vorgetragen habe, zeigen ei-
schiebungen eingetreten sind. 80 Prozent des gesam- nes: Es wird eklatant gegen das Prinzip der Steuer-
ten Zuwachses beim Steueraufkommen zwischen gerechtigkeit und der Leistungsfähigkeit verstoßen.
1983 und 1994 entfallen auf Lohnsteuer, Umsatz- Die Zahl dieser Verstöße hat unter Ihrer Verantwor-
steuer und Mineralölsteuer. Während sich das Auf- tung ständig zugenommen. Sie stellen eine schwere
kommen bei der Lohnsteuer zwischen 1983 und 1994 Belastung für den gesellschaftlichen Zusammenhang
mehr als verdoppelt hat, sind die Einnahmen des dar. Ich spreche - und das ist kein Schlagwort - von
Staates aus der Körperschaftsteuer um 17 Prozent der Umverteilung von unten nach oben. Seit Jahren
zurückgegangen. Bei der veranlagten Einkommen- weisen wir darauf hin. Herr Waigel, Ihr Haus mußte
steuer ist das Aufkommen um knapp 10 Prozent ge- uns das jetzt auf unsere parlamentarischen Anfragen
sunken. mit den Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, be-
5680 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Joachim Poß
stätigen. Also von wegen Propagandaformel oder es sich zu einfach, wenn Sie sagen, die Länder soll-
Propagandafloskel! Ihr Haus hat uns das bestätigt. ten auf diese 9 Mi lliarden DM verzichten - ich
möchte es nach gestern abend etwas vorsichtiger for-
(Beifall bei der SPD) mulieren: oder wenn Sie es ihnen zumindest nahele-
Die zunehmende Schieflage bei der Verteilung der gen - und damit einen wichtigen Beitrag zur Steuer-
Steuerlasten hat mehrere Ursachen. Zum einen ist sie senkung leisten.
Folge der Unternehmensteuersenkungen. Die Kör- Nein, Herr Waigel, Sie sind gefordert. Sie müssen
perschaftsteuer hatte 1989 ein Aufkommen von über die Konsequenzen für die Länderhaushalte
34 Milliarden DM. Dann wurden die Steuersätze ge- nachdenken. Statt dessen fordern Sie zusätzlich eine
senkt. Ergebnis: 1994 betrug das Aufkommen noch Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkom-
20 Milli arden DM und lag damit um 14 Milliarden mensteuer von 53 Prozent auf 50 Prozent, so im „Fo-
DM unter dem Aufkommen des Jahres 1989. cus "-Interview vom 11. September. Das bedeutete ei-
Offensichtlich nutzen auch immer mehr Unterneh- nen Steuerausfall von 5 Mil li arden DM im Jahr für
men die bestehenden Möglichkeiten zur Verlage- Bund, Länder und Kommunen. Darüber hinaus soll
rung von Gewinnen; außerdem nutzen Sie Steuer- der Solidaritätszuschlag in Schritten abgebaut wer-
schlupflöcher aus. Erst kürzlich wurden bei einem den; das haben Sie gerade noch bekräftigt. Sosehr
großen Unternehmen Gestaltungen bekannt, durch wir auch eine Rückführung des Solidaritätszuschla-
die in einem Einzelfall Verlustvorträge bei Tochter- ges begrüßen würden: Sie müssen aber schon sagen,
gesellschaften in Höhe von 3 Milliarden DM ausge- wie Sie dies finanzieren wollen, Herr Waigel.
nutzt werden sollen. (Beifall bei der SPD)
(Zurufe von der SPD: Ja! - Unglaublich!) Allein die von Ihnen versprochenen Steuersenkun-
Das zeigt, daß eine hohe Steuerbelastung von Unter- gen bei der Gewerbesteuer, der Vermögensteuer und
nehmen in Deutschland allenfalls noch auf dem Pa der Einkommensteuer machen rund 20 Milliarden
pier steht. Die Praxis sieht längst anders aus. DM pro Jahr aus. Wie soll das verkraftet werden? Zu-
dem sollte man sich dann noch vor Augen führen,
(Beifall bei der SPD und der PDS) wie der Kreis derjenigen aussieht, die von diesen
Daß Sie angesichts dieser Tatsachen immer noch 20 Milliarden DM profitieren. Wer zahlt denn den
über eine zu hohe Unternehmensteuerbelastung kla- Spitzensteuersatz von 53 Prozent bei der Einkom-
gen, zeigt, daß Sie die Realität offensichtlich nicht mensteuer? Wer zahlt denn Vermögensteuer? Wer
zur Kenntnis nehmen wollen. zahlt denn Gewerbekapitalsteuer? - Wie weit wollen
Sie Ihre Umverteilungspolitik eigentlich noch trei-
Zu der Schieflage der Steuerlastverteilung trägt ben, Herr Waigel?
auch bei, daß das Aufkommen aus der Zinsabschlag
steuer weit zurückbleibt. Sie, Herr Waigel, haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
1989 eine gleichmäßige Besteuerung der Kapitalein- ten der PDS)
künfte in Europa verhindert. Das rächt sich nun auch Es paßt einfach nicht zusammen: Riesige Haus-
bei den Einnahmen. haltslöcher auf der einen Seite, Steuergeschenke für
Auf der einen Seite stehen hohe Defizite im Bun- einen ganz bestimmten Kreis auf der anderen Seite.
Das ist sozial unerträglich. Das ist keine gerechte,
deshaushalt und in der Finanzplanung, die durch
die Steuerausfälle jetzt sogar noch brisanter werden. keine solide Finanzpolitik.
Auf der anderen Seite ziehen Vertreter dieser Re- (Beifall bei der SPD)
gierungskoalition, auch der Bundesfinanzminister,
durch die Lande und versprechen weitere Steuersen- Auch deswegen wäre es gut gewesen, Sie hätten Ih-
kungen. Die daraus resultierenden Steuerausfälle ren Haushaltsentwurf und Ihren Finanzplan zurück-
sind aber nicht auf den Bundeshaushalt beschränkt. gezogen.
Sie wollen Länder und Kommunen mit in Ihr Finanz- Wir haben in diesem Jahr im Bundestag schon
chaos reißen, um von Ihren eigenen Fehlern abzulen- wichtige Reformen beschlossen: Steuerfreistellung-
ken, Herr Waigel. des Existenzminimums, Neuregelung des Familien-
(Beifall bei der SPD) leistungsausgleichs, Neuregelung der steuerlichen
Wohneigentumsförderung. Wir haben diese Refor-
Wie soll das denn angesichts der Haushaltslöcher men mit großen Mehrheiten beschließen können,
eigentlich alles finanziert werden: der Ausfall von weil Sie von der Regierungskoalition endlich lang-
3,4 Milliarden DM durch den Wegfall der Gewerbe- jährige SPD-Forderungen übernommen und sie nicht
kapitalsteuer, der Ausfall von 2,5 Mi lliarden DM mehr, wie es bis dahin der Fall war, nur abgelehnt
durch die Absenkung der Gewerbeertragsteuer? haben.
Wollen Sie etwa daran festhalten, die Abschrei- (Beifall bei der SPD)
bungsbedingungen zu verschlechtern? Das kann an-
gesichts der konjunkturellen Lage und der hohen Ar- Sowohl beim Familienleistungsausgleich als auch bei
beitslosigkeit doch wohl nicht Ihr Ernst sein. der Wohneigentumsförderung konnte die Besteue-
rung durch Übernahme unserer Positionen gerechter
Wie sollen die Länder den Ausfall von 9 Mi lliarden und einfacher gemacht werden, und vor allem für
DM durch den von Ihnen vorgesehenen Wegfall der jene Bevölkerungsgruppen, die auf staatliche Hilfe
Vermögensteuer verkraften? Sie gehen verantwor- besonders angewiesen sind, konnte die steuerliche
tungslos mit den Steuern der Länder um. Sie machen Förderung verbessert werden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5681
Joachim Poß
Ab Herbst dieses Jahres stehen weitere wichtige Wir werden uns auch mit der Zinsbesteuerung er-
Neuregelungen bei der Vermögensbesteuerung und neut auseinandersetzen müssen, die ja nach Mei-
der Erbschaftsbesteuerung an. Wir fordern Sie auf: nung des Präsidenten des Bundesfinanzhofs verfas-
Legen Sie Ihre Eckpunkte dafür vor! Unsere Position sungswidrig ist. Wir haben damals unsere Vorstel-
ist, daß sich aus den Neuregelungen insgesamt keine lungen entwickelt. Es wäre um die Staatseinnahmen
Erhöhung des Steueraufkommens ergeben darf. Al- besser bestellt, wenn Sie damals unseren Vorschlä-
lerdings lehnen wir Ihren Vorschlag ab, die Vermö- gen gefolgt wären.
gensteuer ersatzlos abzuschaffen. Wir müssen aus
verteilungspolitischen Gründen an einer Besteue- (Beifall bei der SPD)
rung der hohen Vermögen festhalten. Wir müssen Es sähe mit der Steuergerechtigkeit besser aus, wenn
auch die Finanzsituation der Länder im Auge behal- Sie unseren Vorschlägen gefolgt wären. Immer muß-
ten. ten Sie vom Bundesverfassungsgericht gezwungen
werden, ob beim Kindergeld, beim Existenzmini-
Das zweite wichtige Thema ist die ökologische
mum, bei der Zinsbesteuerung oder der Einheitsbe-
Steuerreform. Ich weiß, daß es auch in Kreisen der
wertung. Warten Sie diesmal nicht erneut ab! Legen
Regierungskoalition Unterstützung für dieses Anlie-
Sie eine Lösung vor, die für eine gleichmäßige und
gen gibt. Leider konnte do rt bisher keine Einigung
verfassungskonforme Besteuerung der Kapitalein-
erzielt werden. Eine solche Reform ist gerade auch
künfte sorgt! Machen Sie in Brüssel wirklich Druck!
im Interesse der Unternehmen und der Arbeitnehmer
Der zuständige Kommissar Monti hat uns im Septem-
richtig; denn sie bringt durch eine Senkung der
ber gesagt: Es wird kein Druck gemacht, von keinem
Lohnnebenkosten eine Entlastung bei den Arbeits-
Mitgliedstaat.
kosten. Das ist viel interessanter als die von Ihnen
vorgeschlagene Abschaffung der Gewerbekapital- Beim Abbau steuerlicher Vergünstigungen haben
steuer, Sie, Herr Waigel und die gesamte Koalition, ein kläg-
(Beifall bei der SPD) liches Bild abgegeben. Gerade einmal 100 Millionen
DM hatten Sie zusammengekratzt und waren froh
die ohnehin eine spürbare Entlastung nur für Groß- darüber, daß wir gemeinschaftlich durch die Strei-
betriebe bringt. chung von Steuervergünstigungen etwas mehr als
Da ich schon einmal beim Thema „Gewerbe- 4 Milliarden DM haben zusammenbekommen kön-
steuer" bin: Sagen Sie den Gemeinden endlich, was nen. Durch eine Verbreiterung der Bemessungs-
Sie wirklich wollen. In der Koalitionsvereinbarung grundlage, also einen weiteren Abbau von Steuer-
steht, daß Sie die Gewerbesteuer ganz abschaffen vergünstigungen, wollten Sie einen Teil der Opera-
wollen. Auf der anderen Seite haben Sie sich in ei- tion 1996 finanzieren. Das hatten Sie angekündigt.
nem Schreiben an die Kommunalen Spitzenverbände Auch dabei haben Sie versagt, ebenso wie bei der
bereit erklärt, die Gewerbeertragsteuer verfassungs- Steuervereinfachung, bei der alle Ihre Vorschläge
rechtlich abzusichern. von den Experten auseinandergenommen worden
sind.
(Eckart Kuhlwein [SPD]: Er sollte wenig-
stens zuhören!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Deswegen
hört er auch nicht zu!)
Was wollen Sie wirklich? Machen Sie Schluß mit dem
Herr Waigel, angesichts Ihrer selbstlobenden Rede
Verwirrspiel! Schenken Sie den Kommunen endlich
muß ich Ihnen entgegenhalten: Das Jahr 1995 ist für
reinen Wein ein!
Ihre hausgemachte Finanz- und Steuerpolitik in der
(Beifall bei der SPD) Bilanz niederschmetternd.
In Ihrer Koalitionsvereinbarung steht, daß Sie die (Beifall bei der SPD)
Fragen der Gewerbesteuer im Einvernehmen mit Das, was aus Ihrem Haus an guten Vorschlägen kam,
den Ländern und Kommunen regeln wollen. Wir be- waren Vorstellungen, die Sie von uns übernommen
grüßen dies ausdrücklich. Nur, warum handeln Sie haben: Kindergeld, progressionsunabhängige Wohn--
nicht danach? Lesen Sie einmal, was heute der Deut- eigentumsförderung! Das aber, was Sie selbst zusam-
sche Städtetag in Freiburg als Voraussetzung be- mengezimmert haben, ging den Bach runter.
schließen wird, um zum Beispiel über die Abschaf-
fung der Gewerbekapitalsteuer zu reden. Offenbar
ist der Kommunikationsfluß nicht so, wie er sein Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege,
müßte. denken Sie an Ihre Redezeit!
Wir sagen also: Eine Gemeindefinanzreform kann
Joachim Poß (SPD): Herr Waigel, Sie haben vor ei-
nur im Konsens mit Ländern und Gemeinden erfol
nem Jahr die Quadratur des Kreises angekündigt.
gen. Zudem kann man das nicht im Schweinsgalopp
Geschafft aber haben Sie etwas ganz anderes: Durch
machen, indem man sie am 22. November durch den
Sie ist die Steuer- und Finanzpolitik zu einem An-
Finanzausschuß jagt, mal eben das Grundgesetz än-
wendungsfall für die Chaos-Theorie geworden.
dert und dann sagt: Jetzt haben wir das im Kasten,
was wir schon immer im Kasten haben wollten. - So (Beifall bei der SPD - Ing rid Matthäus-
können Sie mit der parlamentarischen Opposition Maier [SPD]: Sehr gut!)
nicht umgehen!
Angesichts der großen vor uns liegenden nationa-
(Beifall bei der SPD) len und internationalen Herausforderungen kann
5682 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Joachim Poß
sich die Bundesrepublik eine Politik, wie sie von die- ich mich an dieses junge Mädchen erinnert. Man
sem Finanzminister betrieben wird, nicht leisten. wird einen Detektiv beauftragen müssen - -
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wenn der
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Großvater heute sähe, was der Waigel an-
und der PDS) stellt, würde er sich im Grabe umdrehen!)
- Früher hat es sogar noch Leute gegeben, die die
SPD gerne gewählt haben, Frau Matthäus-Maier.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Das ist auch schlechter geworden! - Man wird also
Kollege Dankward Buwitt von der CDU/CSU-Frak- einen Detektiv beauftragen müssen, um den Wahr-
tion. heitsgehalt der Rede von Herrn Di ll er irgendwo zu
finden.
Dankward Buwitt (CDU/CSU): Herr Präsident! Wir erleben jedes Jahr das gleiche Szenario: Der
Meine Damen und Herren! Es muß doch einen Haushalt ist nicht ausgeglichen, es sind riesige Lük-
Grund geben, warum gerade die SPD-Beiträge so ag- ken darin. Man wendet sich dann schnell dem näch-
gressiv sind. Bei Herrn Di ller fallen sie eher karneva- sten Haushalt zu, weil im Rückblick die ganze Ge-
listisch aus. Bei ihm hat man ja immer Angst, daß die schichte völlig anders aussieht.
ganze Luft entweicht, und daß eine leere Hülle zu-
Daß die Länder in der Vergangenheit ein schlech-
rückbleibt, wenn man ihm mit einer Stecknadel nä-
tes Geschäft gemacht haben, kann man wirklich
herkommt.
nicht unterstreichen. Von uns sind - sicherlich mit
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Hilfe des Bundesrates - eine ganze Reihe von Geset-
Karl Dill er [SPD]: Ein Berliner Scherz! Ha! zen und auch die Frage der Umverteilung der Steuer-
Ha! Ha!) aufkommen zugunsten der Länder entschieden wor-
den. Herr Minister Waigel hat es erwähnt: Es steht
Wir sollten uns erst einmal darauf besinnen, daß eigentlich an, daß die Länder einen Teil dieser Steu-
das Haushaltsrecht beim Parlament liegt. Das ist eraufkommen zurückgeben. Man wird bei der Ab-
nämlich heute immer wieder in Frage gestellt wor- schaffung der Gewerbesteuer natürlich einen Aus-
den: Ist das Parlament überhaupt berechtigt, den gleich schaffen müssen, aber man wird aufpassen
Haushalt zu verändern? - Wir sind dazu genauso be- müssen, daß nicht nur die Länder bedient werden,
rechtigt, wie der Vollzug des Haushalts bei der Ver- sondern daß die Gemeinden ihren gerechten Anteil
waltung liegt. Viele Abgeordnete würden sich sicher daran bekommen.
wünschen, daß sie in den Vollzug einbezogen wer- Herr Diller hat dann gesagt: Was wir mühsam auf-
den. Aber das ist nun einmal nicht so. Erst die Kon- gebaut haben ... Er meinte wohl die Sozialdemokra-
trolle unterliegt dann wieder dem Rechnungshof in ten in deren Regierungszeit. 1981 und 1982 hatten
Zusammenarbeit mit dem Parlament - oder umge- Sie eine Steuerlast aufgebaut - ohne Wiedervereini-
kehrt. Daß wir mit dem Finanzministerium zusam- gung -, die ihresgleichen in der Bundesrepub lik ge-
menarbeiten, kann man doch nicht beklagen. Das ist sucht hat.
doch sehr vernünftig. Alles andere wäre kritikwür-
dig. (Zustimmung bei der CDU/CSU)
Herr Poß, mir ist aufgefallen, daß Sie beklagen, Ich erinnere daran, daß wir 1986, 1988 und 1990 die
daß die Spitzensteuerzahler keine Steuern mehr be- Steuerzahler in drei großen Stufen um je 20 Mil-
zahlen. Gleichzeitig aber errechnen Sie, daß sich ein liarden DM - ich rechne Ihnen das schnell vor, damit
Ausfall von 5 Milliarden DM einstellen würde, wenn Sie keine Schwierigkeiten haben, im ganzen
der Spitzensteuersatz abgesenkt würde. 60 Milli arden DM - im Jahr entlastet haben.
(Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)
(Joachim Poß [SPD]: Sie haben mir nicht zu
gehört!) - Ja, das mag für Sie Quatsch sein. Ich könnte Ihnen-
die Zusammenhänge gerne erklären, warum dies
Ist Ihnen zufälligerweise aufgefallen, daß dies ein kein Quatsch ist, aber so kleine Vorurteile wi ll ich
Widerspruch ist? gerne bei Ihnen bestehen lassen.
(Joachim Poß [SPD]: Nein, das ist keiner!) Diese „Umverteilung von unten nach oben" ist
ebenfalls eine Sache, die Sie immer wieder erwäh-
Meine Damen und Herren, mir fällt dazu ein: Bei nen. Da sagen Sie: Na ja, die Neugestaltung der
der 50-Jahr-Feier der CDU war ein junges Mädchen, Zinsbesteuerung ... Es ist aber mit Sicherheit so ge-
das darstellte, warum es in die CDU eingetreten ist. wesen, daß die Schwächerverdienenden mit hohen
Sie sagte: „... und außerdem hat mein Großvater ge- Freibeträgen von der Steuer völlig freigeste llt wor-
sagt, die Sozen können mit dem Geld nicht umge den sind. Durch die Freistellung des Existenzmini-
hen. " mums ab 1. Januar 1996 werden die kleineren Ver-
diener außerdem um 15,5 Mi lliarden DM entlastet.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Zurufe von
der SPD) Auch die Weiterentwicklung des Familienlei-
stungsausgleichs verbessert die finanzielle Situation
Sie können sich vorstellen, daß es damals großen der Familien schon im kommenden Jahr mit rund
Beifall gab. Angesichts Ihrer Rede, Herr Diller, habe 7 Milli arden DM, ab 1997 noch einmal zusätzlich mit
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5683
Dankward Buwitt
4 Milliarden DM. Hier wird nichts von unten nach nicht nur Mindereinnahmen, sondern auf Grund der
oben umverteilt, sondern hier wird unten konsequent soliden Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung
entlastet. auch erhebliche Minderausgaben in Milliardenhöhe
zu verzeichnen sind. Sie können das hin- und her-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rechnen, wie Sie wollen: Es sind nun einmal
Es kommt immer wieder das Gerede über die Steu- 40 Milliarden DM weniger Schulden gemacht wor-
erschätzung auf; Frau Höll ist allerdings nicht mehr den, was uns jetzt zugute kommt. Außerdem sind die
im Saal. Es ist gesagt worden, daß der Herr Minister Zinssätze sehr niedrig. Das ist auch nicht vom Him-
dies alles manipuliert hat. Ich brauche nicht noch mel gefallen, sondern nur durch die Stabilität er-
einmal zu erklären, daß da auch die SPD-Länder sit- reicht worden, die wir hier haben halten können.
zen und dies alles mit errechnet und beschlossen ha-
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger
ben. Allerdings frage ich mich: Werden Sie Ihren Ab-
lingen] [F.D.P.])
geordneten in den Haupt- oder Haushaltsausschüs-
sen der SPD-regierten Länder auch empfehlen, aus Ich erinnere mich noch gut der Überschriften, die
dem Haushaltsausschuß und den Haushaltsberatun- besagten, daß die D-Mark kaputtgemacht werde.
gen auszuziehen, oder haben Sie nur ein schlechtes Wir leben heute in einer Zeit der Wertstabilität der
Beispiel gegeben, das in den Ländern nicht nachge- D Mark, die wir in dieser Form überhaupt noch nicht
-
ahmt werden sollte? erlebt haben. Damit ist verbunden, daß der Wert der
(Beifall bei CDU/CSU - Zuruf von der SPD) D-Mark gegenüber fast allen anderen Währungen
gegenwärtig stärker wird.
- Ich kann mir das nicht vorstellen, falls Sie darauf
eine Antwort haben wollen. Meine Damen und Herren, durch das Jahressteu-
ergesetz 1996 richtiger müßte man ja sagen: Jahres-
-
(Karl Diller [SPD]: Sie wissen doch ganz ge- steuersenkungsgesetz - haben wir einen weiteren
nau, daß Brandenburg, Hessen und das Anstoß für konjunkturelle Entwicklungen und damit
Saarland eine Ergänzungsvorlage machen! auch für Wachstum und Beschäftigung gegeben. Ei-
Bleiben Sie doch endlich bei der Wahrheit!) nes ist völlig klar: Thema Nr. 1 bleiben die günstigen
- Herr Diller, das Wort Wahrheit klingt bei Ihnen sehr Rahmenbedingungen für die Schaffung neuer Ar-
merkwürdig. Sie haben sich vorhin köstlich amüsiert, beitsplätze, weil wir erreichen müssen, daß mög-
als Sie die Niederschrift Ihrer Rede durchgelesen ha- lichst viele Menschen Arbeit bekommen, und zwar
ben. Die war auch amüsant, hatte aber mit der Wahr- im ersten Arbeitsmarkt und nicht in Ersatzarbeits-
heit wirklich nichts zu tun. plätzen, wie es die SPD gerne mit irgendwelchen
Programmen plant, in denen die Leute dann irgend-
Auch die Analyse der Steuerschätzung ist meiner wie aus Steuergeldern bezahlt werden.
Meinung nach bei Ihnen zu kurzsichtig. Völlig richtig
ist, daß wir hier im Hause Gesetze verabschiedet ha- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist ja
ben, die zu Steuererleichterungen geführt haben. nicht wahr!)
Diese Steuererleichterungen haben dazu beigetra- - Frau Matthäus-Maier, Sie werden es mir nicht übel-
gen, daß neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, nehmen, daß ich ganz hellhörig werde, wenn Sie sa-
daß neue Wohnungen geschaffen worden sind, und gen: „Das ist nicht wahr", weil ich oft von Ihnen ei-
sie waren gewollt, denn wenn wir hier Gesetze ver- nes anderen belehrt worden bin.
abschieden, wollen wir auch, daß diese greifen. Ich
denke, man muß dabei auch betrachten, daß bei ei- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wo denn?
ner Vielzahl dieser Beschlüsse keine Steuerausfälle Bei mir?)
beschlossen worden sind, sondern letztendlich nur
Steuerverschiebungen. Dies werden wir auch an den Über die Privatisierung brauche ich wohl nicht viel
Steuerzahlungen der nächsten Jahre in erheblichem zu sagen. Nur eines: Ich finde, es ist unerhört, wie
Umfange erkennen können. Mit einem Mal wird Sie mit diesem Thema umgehen. Gerade in der
nämlich die 50prozentige Sonderabschreibung plus Frage der Veräußerung von Anteilen an zwei Woh-
2 Prozent lineare Abschreibung in Anspruch genom- nungsbaugesellschaften versuchen Sie, das Geschäft-
men, und nach dem Auslaufen der besonderen För- mit der Angst zu machen, daß hier Wohnungen ver-
derung darf dann nur noch linear auf die Rest- scherbelt werden.
abschreibung abgeschrieben werden. Das heißt, die (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Abschreibungen gehen dann wesentlich unter den Üble Machart! - Gegenruf von der SPD: So
normalen Bereich herunter. Das sind keine Steuer- ist es doch!)
schlupflöcher, sondern das haben wir gewollt, um in
den neuen Bundesländern Investitionen möglichst Aber Angstmacherei ist Ihr Geschäft ja schon immer
schnell anzustoßen. gewesen.
(Zustimmung bei der CDU/CSU) (Widerspruch des Abg. Karl Diller [SPD])
Meine Damen und Herren, wir haben keine Veran- Vielmehr muß den Leuten gesagt werden, daß An-
lassung, die solide Arbeit des Finanzministers zu kri- teile verkauft werden, daß die Gesellschaften weiter-
tisieren. Dort, wo neue Erkenntnisse punktuelle geführt werden, daß die Belegungsrechte gesichert
Nachbesserungen des Regierungsentwurfes erf or- sind, daß die Mieter in ihren Wohnungen sicher sind,
derlich gemacht haben, haben wir das Notwendige und zwar zu den Mieten, die sie heute bezahlen und
getan. Es ist hier ja bereits ausgeführt worden, daß die nicht verändert werden, ob nun der Bund oder
5684 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Dankward Buwitt
ein anderer dort Teilhaber ist. Es ist eine konse- nahmeregelungen und ähnlichem gibt und daß dies
quente Fortsetzung der Privatisierungspolitik. dazu führt, daß fast die Hälfte des Volkseinkommens
entweder legal von den Besteuerungsgrundlagen her
(Zurufe von der SPD: Nehmen Sie doch den
wegfällt und gar nicht einbezogen wird oder auch
Mund nicht so voll! - Sie haben doch wirk
kriminell hinterzogen wird.
lich keine Ahnung! - Das stimmt doch hin
ten und vorne nicht!) Aus diesem Grunde - um das Gesamtdesaster ein-
- Ich weiß, daß Sie es schlecht ertragen können, mal zu beschreiben, Herr Waigel - brauchen wir lei-
der diese hohen Steuersätze, mit denen wir ein rela-
wenn man über diese Themen sachlich redet. Ich
habe gerade Sie vorhin gesehen, wie Sie bei der tiv niedriges Aufkommen erzielen. Aber dies ist ein
tödlicher Kreislauf; denn hohe Steuersätze verhin-
Rede von Herrn Diller groß Beifall geklatscht haben.
Vielleicht gehen Sie einmal etwas in sich, bevor Sie dern wirtschaftliche Aktivitäten - das ist vollkommen
hier Zwischenrufe machen. klar - und lenken das Kapital in Steuersparmodelle
statt in Investitionen und in Arbeitsplätze, die wir
Wir werden diesem Haushalt zustimmen, weil er dringend bräuchten. Es gibt Anreize zur Schatten-
ein Beitrag zur Stabilität sein wird. wirtschaft und zur Steuerhinterziehung, die ver-
stärkt werden, Dies führt dann letztendlich zu der
(Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch Konsequenz, daß Sie Ihre öffentlichen Haushalte fi-
selber nicht!)
nanztechnisch auch nicht mehr auf die Reihe bekom-
Recht herzlichen Dank. men.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Klientelpolitik und ein beliebiges Sammelsurium
von Einzelmaßnahmen, das in den letzten Wochen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die vorgeschlagen worden ist, ein immer hektischer wer-
Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen. dender Steuergesetzgebungsprozeß, den keiner
mehr durchschauen kann - wir haben das jetzt bei
der Steuerschätzung ja gesehen - sind die Konse-
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): quenz; es blickt kaum jemand mehr durch. Die Ver-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schuldung der öffentlichen Haushalte explodiert. Es
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: kann auch nicht angehen, daß 25 Prozent aller
Nun übertreiben Sie nicht!) Steuereinnahmen letztendlich für Zinsen aufgewen-
det werden müssen. Dies, Herr Waigel, ist eine nicht
- Ich übertreibe, solange ich will. Das haben Sie mir tragbare Hypothek für die Zukunft.
überhaupt nicht zu sagen, schon gar nicht von seiten
der F.D.P. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Molière hat schon vor sehr langer Zeit gesagt, daß
wir nicht nur für das verantwortlich sind, was wir tun, Ich habe mir schon überlegt, warum Herr Faltlhau-
sondern auch für das, war wir nicht tun. Das trifft ser eigentlich nach Bayern geflüchtet ist. Vielleicht
auch sehr gut auf diese Haushaltsdebatte zu; denn hängt das damit zusammen. Ich habe ja nichts gegen
wir wissen sehr genau, daß das Desaster der letzten den Kollegen Hauser, der jetzt nachrückt. Aber wir
Wochen nicht vom Himmel gefallen ist und auch fragen uns dann schon, wieviel Staatssekretäre Sie in
nicht überraschend kommt, sondern die vorläufige dieser Legislaturperiode eigentlich noch verschlei-
Quittung für das Chaosmanagement ist, das Herr ßen wollen.
Waigel in den letzten Jahren hier in diesem Hause
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Die Halb
vorgeführt hat.
wertzeit von Staatssekretären entspricht der
Wir wissen auch, daß Deutschland, gemessen an Halbwertzeit der steuerpolitischen Vor
den Steuer- und Abgabesätzen, ein Hochsteuerland schläge!)
ist und daß vor allem die mittleren Einkommen die
Hauptlast zu tragen haben. Wir stimmen auch dem - Das ist richtig. -
Vorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft, Das einzige, was Ihnen einfällt, ist: Man sucht ja
Herrn Geyer, ausdrücklich zu, daß es nicht länger zu immer nach einem Schuldigen, und so wird die So-
verantworten ist, daß der Staat nahezu 50 Prozent - zialausgabenlast als verantwortlich ausgemacht.
so ist es ja mittlerweile leider Gottes - des Einkom- Aber statt daß die Bundesregierung - das verstehen
mens der gesamten Bevölkerung konfisziert. wir dann überhaupt nicht mehr - ihre volle Kraft auf
Wenn wir nun den Zusammenhang zwischen der eine aktive Arbeitsmarktpolitik und auf ein auf zu-
allgemeinen Finanzpolitik und der Haushaltspolitik kunftsfähiges und nachhaltiges Wi rtschaften gerich-
herstellen und uns den Grundsatz „Was man nicht tetes Steuerkonzept setzt, kürzen Sie auch noch die
einnimmt, kann man auch nicht ausgeben" vor Au- Hilfe für Arbeitslose. Dies ist eine vollkommen fal-
gen halten, bleibt die Frage bestehen: Warum klappt sche Schwerpunktsetzung in diesem Haushalt von
es eigentlich nicht? - Wir meinen, es klappt deswe- Ihrer Seite.
gen nicht, weil die Bemessungsgrundlage so löchrig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wie ein Schweizer Käse ist. Wir haben das immer sowie bei Abgeordneten der SPD)
wieder in den verschiedenen Situationen gesagt. Wir
wissen, daß es eine Flut von Steuervergünstigungen Die Folge ist eine Kostenexplosion bei den Kom-
und Abschreibungskonditionen, eine Flut von Aus munen, und bereits jetzt - das ist ja das Schlimme
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5685
Christine Scheel
daran - beträgt der Anteil der Sozialhilfeempfänger Was wir dringend brauchen, ist ein finanzpoliti-
und Sozialhilfeempfängerinnen wegen Arbeitslosig- sches Handlungskonzept. Es ist höchste Zeit für eine
keit 34 Prozent; das ist nicht mehr zu tragen. Radikalkur des Steuersystems, und zwar nicht nur
für die Bürger und Bürgerinnen, sondern insgesamt
Wir begrüßen im Zusammenhang mit Herrn Zwik- auch für die Haushaltslage.
kels Ausführungen von der letzten Woche seine ganz
klare Aussage, daß nur mit mehr Arbeitsplätzen die Wir haben das Konzept einer ökologischen Steuer-
öffentliche Finanzkrise in den Griff zu bekommen ist. reform vorgelegt.
Auch Sie müssen zugestehen, daß diese Aussage
stimmt und daß man dementsprechend auch steuer- (Zuruf von der CDU/CSU: Ha! Ha!)
politisch, finanzpolitisch handeln muß.
Es bietet die besten Voraussetzungen: Nachhaltiges
(Zuruf von der F.D.P.: Das war nie strittig!) Wirtschaften soll sich lohnen, neue Arbeitsplätze
müssen entstehen - das ist vollkommen klar -, be-
Es ist auch kein Geheimnis mehr - das dürfte mitt-
stehende Belastungen von Arbeitsplätzen, sei es
lerweile auch bei Ihnen angekommen sein -, daß
durch Steuern oder Sozialabgaben, müssen gesenkt
Steuererleichterungen und Subventionen, also die
werden.
sogenannten klassischen Konjunkturinstrumente,
nicht mehr greifen. Es ist eine ganz klare Position von unserer Seite,
(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll daß im Zusammenhang mit der Finanzierung ökolo-
mer) gisch schädliche Subventionen endlich abgebaut
werden müssen. Sie sollten nicht mit Ihrer Klientel-
Wir sagen allerdings: Der Vorschlag, den Zwickel ge politik immer schrittweise etwas ankratzen und es
bracht hat, ist nur ein Anfang. Er muß ergänzt wer dann, bevor der Kratzer tief genug ist, wieder zu-
den durch eine umfassende ökologische und soziale rücknehmen.
Steuerreform. Den Anfang haben wir ja bereits vor
einem halben Jahr hier gemacht, und wir werden das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
fortführen.
Wir werden unser ökologisches Steuerkonzept
(Zuruf von der CDU/CSU: O Gott!) durch einen umfassenden Vorschlag zur Reform der
Einkommensteuer, zu Vermögen- und Erbschaft-
Ein weiteres Problem ist, daß noch ein Haufen un-
steuerfragen und auch zur Körperschaftbesteuerung
gedeckte Schecks vorliegen. Das Bundesverfas-
ergänzen. Das sind die Punkte, die für die Zukunft
sungsgericht hat mit den Beschlüssen zu den Ein-
anstehen. Wir werden einen Antrag vorlegen, der
heitswerten für die Bundesregierung neue Vorgaben
dem entspricht, was wir unter sozialökologischem
gemacht. Es hat Ihnen einmal wieder an diesem
Umbau und Umschichtung des Steuersystems ins-
Punkt aufgezeigt, wo Sie Ihre Hausaufgaben nicht
gesamt meinen.
gemacht haben. Es geht nicht an, daß man das so
handhabt wie von seiten der F.D.P. und - Herr Waigel Auch zur Gemeindefinanzreform wird ein tragfä-
hat es ebenfalls gesagt - die ersatzlose Abschaffung higes Konzept von unserer Seite vorgelegt.
der Vermögensteuer und am besten auch noch der
Erbschaftsteuer fordert, allerdings nur auf die Unter- Das erste Leitziel wird sein, die Steuer- und Abga-
nehmen bezogen. benlast auf eine breitere Basis zu stellen, die Subven-
tionen und Steuervergünstigungen in großem Um-
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Je weniger Steuern, fang abzubauen. Das zweite Leitziel - es ist kompati-
um so besser!) bel - ist, die Steuersätze insgesamt zu senken.
Ausgerechnet Ihr Graf Lambsdorff ist dann der
Meinung, daß auf Grund der Aussage des Bundes- Es wird allerdings mit uns keinesfalls eine ersatz-
verfassungsgerichts, die steuerliche Gesamtbela- lose Abschaffung der Vermögensteuer geben, son-
stung dürfe nicht mehr als die Hälfte des Einkom- dern wir wollen, daß die Besteuerung von Gewinnen
mens insgesamt betragen, die Millionäre in diesem und Wertzuwächsen im Rahmen der Einkommen--
Land, die den Spitzensteuersatz von 53 % haben, steuer und der Körperschaftsteuer verbessert wird.
keine Vermögensteuer mehr bezahlen dürften. So Der Grundsatz, daß man sich um so mehr der Steuer
geht es wirklich nicht: Alles abschaffen bei bestimm- entziehen kann, je höher das Einkommen ist, kann
ten Steuerbereichen und keine Gegenfinanzierung nicht mehr gelten. Wir brauchen eine gleichmäßige
vorlegen, das ist absolut unsolide. Sie können nicht und gerechte Besteuerungsgrundlage. Dann können
draußen den Leuten vorgaukeln, Sie seien als F.D.P. wir insgesamt die Steuersätze senken.
die große Steuersenkungspartei und auch noch öko- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
logisch angehaucht. Denn in Wirklichkeit verlangen Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Bravo!)
Sie in bestimmten Kreisen eine Steuerbefreiung und
Steuerabschaffung auf Kosten der Kleinen. Abschließend: Die Erbschaftsteuer muß komplett
umgebaut werden. Die Beschlüsse des Bundesverfas-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sungsgerichts dürfen nicht dazu führen - Herr
und bei der SPD - Widerspruch bei der
Dr. Waigel, da stimmen Sie mir sicher zu -, daß wir
F.D.P.)
demnächst eine Erbengeneration erster Klasse ha-
Ich dachte, daß Sie in Ihrem Programm auch ein- ben, die sich auf Inseln im Südpazifik ausruht und
mal „Soziale Marktwirtschaft" stehen hatten, aber nichts mehr zur wirtschaftlichen Produktivität hier in
davon hört man leider nichts mehr. diesem Lande beiträgt.
5686 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Christine Scheel
In Bayern sagt man: Ex nihilo nihil; auf deutsch: F.D.P. sollten auch diese Wohnungen an die Mieter
Aus nix wird nix. veräußert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der F.D.P.)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dies wäre aus der Sicht der F.D.P. ein wünschenswer-
ter Schritt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin. Daß die Sozialdemokraten gerade beim Bereich
Privatisierung von Wohnungen aufschrecken, kann
ich verstehen. Sie haben ja selber schlechte Erfah-
Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe rungen gemacht. Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns im Haus- und Kollegen der Sozialdemokraten, nur sagen: Wir
haltsausschuß die schwierige Aufgabe gestellt, einen haben nicht vor - wie Sie das bei der Neuen Heimat
Haushalt vorzulegen, der nicht mit vielen globalen gemacht haben -, diese Wohnungen für eine Mark
Minderausgaben arbeitet und der auch nicht über an einen Bäckermeister zu verkaufen. Wir wollen da-
die vorgegebene Neuverschuldung hinausgeht. Das mit durchaus einiges einnehmen.
haben wir geschafft. Ich meine, allein das ist eine
große Leistung unserer Arbeit im Haushaltsausschuß (Beifall bei der F.D.P. - Joachim Poß [SPD]:
gewesen. Was habt ihr denn da gemacht bei der
Neuen Heimat?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Meine Damen und Herren, noch einige Worte zum
Mit dem Haushalt 1996 geben wir die richtigen Auszug der SPD aus der Sitzung des Haushaltsaus-
Signale: weniger Ausgaben, und der Staat muß künf- schusses: Seit Bestehen des Haushaltsausschusses
tig noch mehr sparen. Eines macht der Haushalt 1996 hat es ein solches Verhalten nicht gegeben. Aber ist
auch deutlich: Die zusätzlichen Belastungen durch es nicht so, daß die SPD in Wirklichkeit wegen Kon-
Steuermindereinnahmen und durch die zusätzlichen zeptlosigkeit die Beratungen des Haushaltsausschus-
Ausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit und den ses verlassen hat? Das, so glaube ich, war das Ent-
Arbeitsmarkt in Höhe von zusammen 20 Milliarden scheidende. Sie haben im Haushaltsausschuß An-
DM sind durch uns vollständig ausgeglichen worden. träge in Millionenhöhe präsentiert. Und wo war die
Die Kritik der Sozialdemokraten, heute vor allem Deckung?
vom Kollegen Diller, an den Einnahmeverbesserun- Die SPD fordert hier im Plenum, die Mittel für den
gen durch Privatisierungen kann, so meine ich, nicht Transrapid zu streichen. Im Haushaltsausschuß stim-
ernstgenommen werden. Nicht einmal die, die den men jedoch viele Kolleginnen und Kollegen der So-
Sozialdemokraten nahestehen, nehmen diese Kritik zialdemokraten - das ist ja zu begrüßen - für den
ernst. So schreibt zum Beispiel der „ Spiegel": Transrapid. Übrigens hat dies auch die rot-grüne hes-
Die von der SPD am heftigsten kritisierte größte sische Landesregierung im Bundesrat getan. Das ist
Einnahmeverbesserung von 9 Milliarden Mark Doppelzüngigkeit der Sozialdemokraten.
durch „Privatisierung" ist keineswegs eine Sie wollen die Mittel für den Eurofighter streichen;
„Luftnummer" . draußen bei den Betriebsversammlungen der DASA
erklären Herr Spöri und Herr Schröder, daß der Euro-
So hat Kollege Diller das vorhin ja noch bezeichnet.
fighter endlich kommen müsse. Das ist die Doppel-
Der Finanzminister hat gute Chancen, seine züngigkeit der Sozialdemokraten.
58 Prozent an der „Deutschbau" und die 72-Pro-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
zent-Mehrheit an der „Frankfu rter Siedlungsge-
ten der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Weng
sellschaft" für mehr als vier Milliarden Mark los-
[Gerlingen] [F.D.P.]: Jetzt, wo er entlarvt ist,
zuwerden. Auch 3,1 Milliarden Mark für die Post-
meldet sich Herr Kuhlwein!)
bank sind nicht utopisch.
-
Man kann dem „Spiegel" ausnahmsweise einmal Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
recht geben. eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
(Beifall bei der F.D.P.)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Privatisierung Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ja, bitte schön.
staatlicher Beteiligungen ist Daueraufgabe der Poli-
tik. Wir Freien Demokraten wollen sie intensiv fort- Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Koppelin, zu
setzen. Durch Veräußerung von Wohnungen kann dem Eurofighter und Ihrem Verhältnis dazu habe ich
eine breite Eigentumsbildung angestoßen werden. ja vorhin schon etwas gesagt. Aber können Sie dem
Wie wollen nicht in die jetzt bestehenden Mietver- staunenden Publikum einmal mitteilen, wie Sie die
träge eingreifen, sondern wir wollen vorrangig den Baukosten für den Transrapid, die auf 5,5 bis
jetzigen Mietern ihre Wohnungen zum Erwerb an- 10 Milliarden DM geschätzt werden und die der
bieten. Bund zu tragen hat, in den nächsten Jahren finanzie-
(Beifall bei der F.D.P.) ren wollen?
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit sagen: Auch
beim Bundeseisenbahnvermögen besitzen wir noch Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Kuhlwein,
zirka 132 000 Wohnungen. Nach . Auffassung der ich bin etwas erstaunt, daß Sie eine solche Frage stel-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5687
Jürgen Koppeln
len. Das ist ganz einfach zu erklären. Schauen Sie in Wo sind die konkreten Vorschläge der Sozialde-
den Haushaltsplan - Sie sind Mitglied des Haushalts- mokraten, um sicherzustellen, daß sich ehrliche
ausschusses -, dann wüßten Sie die Antwort. Arbeit auf Lohnsteuerkarte und mit vollen Sozial-
abgaben wieder lohnt?
Aber da Sie den Eurofighter angesprochen haben,
noch einmal den Standpunkt der Freien Demokra- - So Hans Apel.
ten: Wir sagen ja zu einem Jagdflugzeug, aber nicht (Beifall bei der F.D.P.)
um jeden Preis. Darüber werden wir sprechen, wenn
uns das entsprechende Angebot auf dem Tisch liegt. weiter Hans Apel:
(Beifall bei der F.D.P.) Wie will die SPD sicherstellen, daß der Standort
Deutschland im weltweiten Wettbewerb nicht an
Was allerdings Ihre Ministerpräsidentin aus seinen Lohnnebenkosten und seiner hohen Steu-
Schleswig-Holstein in diesen Tagen gemacht hat, erlast erstickt?
zeigt Ihre tolle Wirtschaftspolitik. Sie hat mit Blick Die SPD hat sich in diesen 13 Jahren selbst poli-
auf den Bundeskanzler gesagt - ich darf das zitieren -: tisch impotent gemacht. Inhaltsleere Kompro-
Wenn ich mir dann zu fein bin, nach New York zu misse sind an der Tagesordnung. Viele können
fahren und dort für mich und mein Land zu wer- ihr kleines Hobby pflegen und darauf lospolemi-
ben, wie das der Bundeskanzler macht, dann darf sieren, auch wenn daraus ein Erscheinungsbild
man sich nicht wundern, daß DASA auswandert. der SPD wird, das schwammig und widersprüch-
lich wirkt und die Wähler abschreckt.
Das scheint das Niveau Ihrer neuen Wirtschaftspoli- Sb Hans Apel. Dem ist nichts hinzuzufügen.
tik zu sein. Dazu kann ich nur sagen: Herzliche An-
teilnahme. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU) Nun hat die Kollegin Matthäus-Maier die Gelegen-
heit zu einer Zwischenfrage.
Ich möchte noch einmal auf die Doppelzüngigkei-
ten der Sozialdemokraten zu sprechen kommen. Sie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin
wollen bei der Bundeswehr erhebliche Mittel strei- Matthäus-Maier, bitte.
chen, und draußen im Lande kämpfen die SPD-Ver-
treter für jeden Standort. Das ist Doppelzüngigkeit
der Sozialdemokraten. Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Ich möchte Sie fra-
gen, was Sie zur folgenden Passage unseres Leitan-
Jahrelang hat Frau Matthäus-Maier gegen das trages sagen:
„Dienstmädchenprivileg" gewettert. Jetzt, so lese Es sind Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß
ich in der Presse, fordern die Sozialdemokraten Ar- bei Dienstleistung für private Haushalte gutbe-
beitsplätze in privaten Haushalten. Das ist die Dop- zahlte und sozial abgesicherte Arbeitsplätze ent-
pelzüngigkeit der Sozialdemokraten. stehen. Dabei sind die Ungerechtigkeiten zu ver-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne meiden, die mit der jetzigen steuerlichen Förde-
ten der CDU/CSU - Dr. Theodor Waigel rung der Beschäftigung von Haushaltshilfen ver-
[CDU/CSU]: Ja, so ändert sich die Zeit!) bunden sind.
(Widerspruch bei der F.D.P. - Zuruf von der
In der kurzen Redezeit, die ich habe, kann ich nur CDU/CSU: Welche denn?)
sagen: Zur Politik der Bundesregierung und der
Koalitionsparteien gibt es keine Alternative. Sind Sie nicht mit mir einer Ansicht, daß wir das
sogenannte Dienstmädchenprivileg, das progressi-
(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bön onsabhängig diejenigen mit den höchsten Einkom--
strup] [CDU/CSU]) men sehr viel stärker entlastet als die kleinen Leute,
dadurch gerade ausschließen wollen?
Ich habe dafür einen guten Zeugen. Jetzt sollte mir
auch die Kollegin Matthäus-Maier zuhören. Frau (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Lachen
Kollegin Matthäus-Maier, der frühere Bundesfinanz- bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
minister Hans Apel hat im „Hamburger Abendblatt"
vor wenigen Tagen geschrieben - Frau Präsidentin, Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Kollegin Matthäus-
ich darf zitieren -: Maier, früher haben Sie das, was wir wollten, näm-
lich in einem Haushalt Arbeitsplätze zu schaffen,
Die Finanzpolitiker der SPD beklagen mit starken pauschal abgelehnt. Jetzt machen Sie zumindest
Worten die unerträgliche Steuer- und Abgaben- schon mal den ersten Schritt. Der nächste wird noch
last der deutschen Arbeitnehmer. Doch wenn die kommen.
Regierung Vorschläge macht, die Ausgabenflut
bei der Sozialhilfe oder bei den Arbeitslosen zu Ich bin Ihnen sehr dankrar, daß Sie sich gemeldet
begrenzen, prangern die Sozialpolitiker der SPD haben. Hier ist vorhin von einem jungen Mädchen
das als „brutal", „herzlos", als „soziale Demonta- gesprochen worden, das irgendwo aufgetreten sei
ge" an. und etwas gesagt habe. Ich erinnere mich noch an
5688 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Jürgen Koppelin
eine junge Dame, die auf der anderen Seite des Hau- daß Hauhaltsberatungen aus der Sicht der Regieren-
ses gestanden hat. - Ich sage das auch zu Ihren Bei- den unwahrscheinlich schnell waren und sehr leicht
trägen, die Sie hier heute gebracht haben; nicht nur vonstatten gingen. Ich habe erlebt, wie das früher die
zu dem Beitrag des Kollegen Diller. - Diese Dame SED gemacht hat, die sich 1968 in ihrer Verfassung
sagte damals zur Opposition - das war allerdings die den Führungsanspruch festgeschrieben hat, keinen
CDU -: Widerspruch geduldet hat und eigentlich so ganz al-
lein vor sich hin regiert hat; die Opposition wurde
Wer derart übertreibt, wer dera rt überzieht, kann sang- und klanglos ausgeschaltet.
nicht damit rechnen, daß ihm draußen geglaubt
wird. Irgendwann einmal haben Sie keine Steige- (Joachim Poß [SPD]: Wen vergleichen Sie
rungsform mehr. Wenn etwas immer das Schlech- denn mit der SED?)
teste war, kann ja etwas Schlechteres nicht mehr
kommen. Dann merken die Bürger, daß etwas Das hat zum Bankrott geführt.
nicht stimmt. Ich möchte für mich sagen: Ich wünsche mir das
Das war die Abgeordnete Matthäus-Maier am nicht noch einmal.
20. Januar 1982. Sie sprach damals als Abgeordnete (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir auch
der Freien Demokraten. nicht!)
(Lachen und Beifall bei der F.D.P. und der - Das finde ich toll. - Ich wünsche mir das auch im
CDU/CSU) Interesse aller Kollegen der SPD, die in den Bericht-
Dem ist voll zuzustimmen. erstattergesprächen eine sehr gute Sach- und Fach-
arbeit machen - es waren vor allen Dingen die Kolle-
Frau Kollegin, ersparen Sie mir weitere Zitate zu gin Dr. Wegner und mein Kollege Manfred Hampel
Ihrer Person. Ich empfehle Ihnen, die Haushaltsrede, betroffen - und die nun ihre Vorschläge, die im Bun-
die Sie am 20. Januar 1982 gehalten haben, nachzu- deshaushalt durchaus enthalten sind, nicht wieder
lesen. finden können. Das finde ich ein wenig schade.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir sind sehr (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die können
in Kontinuität - im Unterschied zu Ihnen!) Sie doch übernehmen!)
Wir haben im Haushaltsausschuß eine vernünftige - Frau Matthäus-Maier, es ist vollkommen richtig,
Arbeit geleistet. Deswegen werden wir Freien Demo- was meinen Part angeht. Ich bin immer bemüht und
kraten dem Haushalt in zweiter Lesung zustimmen. bestrebt, gute und sachliche Vorschläge der SPD auf-
zugreifen und sie einzuarbeiten. Es ist schade, daß
Vielen Dank für Ihre Geduld.
nur noch wenige Besucher auf der Besuchertribüne
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne sitzen; denn man sollte für die Öffentlichkeit sagen,
ten der CDU/CSU) daß die Opposition eine gute Sacharbeit leistet und
viele Vorschläge der Opposition einfließen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nun hat die Ab-
geordnete Susanne Jaffke das Wort. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Hermenau?
Susanne Jaffke (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, heute
ist schon sehr viel zu den Fakten gesagt worden, so Susanne Jaffke (CDU/CSU): Ja, gerne.
daß ich mich nicht zu wiederholen brauche. Meine
Mitarbeiter haben mir allerdings eine tolle Rede zu- Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
sammengestellt. Das, glaube ich, machen alle Mitar-
Frau Kollegin Jaffke, nach Ihrem Beitrag zur Rolle
beiter; das muß man auch mal lobend erwähnen. der Opposition in diesem Bundestag und im Haus-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es gibt haltsauschuß möchte ich Sie fragen: Wie bewerten-
Leute, die machen das selbst!) Sie die Arbeit, die die Kolleginnen und Kollegen der
Oppositionsfraktionen in den Haushaltsberatungen
Sie tragen die Fakten gebündelt zusammen und ar- bis zu diesem denkwürdigen Tag vor zwei Wochen,
beiten uns allen zu. Das sollte man auch mal würdi- an dem wir uns - die Empörung war doch wohl echt,
gen. das haben auch Sie gespürt - getäuscht sahen, gelei-
Im übrigen hat unser Bundesfinanzminister heute stet haben? Wir haben innerhalb der letzten zweiein-
wieder ein exzellentes Beispiel für Fachargumenta- halb Monate hart, vielleicht sogar sehr hart gearbei-
tion geliefert, so daß man ihm da nur ein Kompliment tet - das überlasse ich Ihrem Urteil -, und wir wurden
machen kann. Lieber Theodor Waigel, Ihre Rede war dann in einer Art und Weise abgespeist, daß es nicht
wirklich à la bonne heure. mehr möglich war, mit Ihnen weiter zusammenzuar-
beiten. Wie bewerten Sie das?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
Widerspruch bei der SPD)
Susanne Jaffke (CDU/CSU): Ich weiß nicht, ob ich
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Die irgend etwas bewerten soll. Ich habe deutlich ge-
letzte Woche in der Haushaltsberatung war eine macht, daß ich die Arbeit der Opposition schätze. Ich
nicht so glückliche. Ich habe das erste Mal erlebt, glaube, wir beide wissen aus den Berichterstatterge-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5689
Susanne Jaffke
sprächen sehr gut, daß viele Vorschläge, die sachlich Susanne Jaffke (CDU/CSU): Herr Kollege Kalb,
begründet sind und vor allen Dingen unseren Pa rt ich kann das ausdrücklich bestätigen. Ich bitte um
betrfn-AuadeBnslär-,gut Entschuldigung, daß mir das in der Kürze der Zeit
eingearbeitet wurden. gar nicht so schnell eingefallen ist. Aber ich finde es
toll , daß dies nun im Protokoll erscheint. Der Minister
Daß es natürlich in der Beurteilung der politischen hat sich in diesem Jahr wirklich ganz intensiv um uns
Entscheidungen Unterschiede gibt, betrachte ich als gekümmert. Es waren zwei Haushalte, und bei bei-
normal und selbstverständlich. So sollte es auch sein. den hat er sich ganz intensiv um uns gekümmert.
Ich mache mir nichts vor. Ich denke, es kann jeder- Herr Minister, wie immer mein Kompliment.
zeit wieder umgekehrt sein. Zumindest sollte es ein
erstrebenswertes Ziel einer Opposition sein, die Re- Vielleicht lassen Sie mich daran anknüpfen, wie in
gierung ein wenig zu fordern. Eine Bemerkung von der Demokratie Opposi tion stattfinden sollte, und
mir dazu: Davon merke ich nicht viel. daran, daß die Kollegen - ich nannte bereits die Kol-
legin Dr. Wegner und auch den Kollegen Hampel -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, nicht mehr in den Genuß kamen, in Rede und Ge-
genrede zwischen Opposition und Regierung be-
es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage
stimmte Standpunkte auszutauschen.
vom Abgeordneten Kuhlwein. Lassen Sie diese zu?
Der Kollege Hampel weiß sehr genau, daß im Ein-
Susanne Jaffke (CDU/CSU): Ja, gern. zelplan 08 erhebliche Mittel vor allen Dingen zur
Entwicklung der neuen Bundesländer vorhanden
sind. Das Kapitel Nachfolge Treuhand ist abzuarbei-
Eckart Kuhlwein (SPD): Frau Kollegin Jaffke, wie ten. Ich möchte an dieser Stelle sagen, daß wir uns
können Sie als Haushälterin mit Ihrem Arbeitsethos über die Parteigrenzen hinweg in einer sachlichen
vereinbaren, daß Sie binnen 24 Stunden Umschich- Arbeit auf den Weg machen und daß viele Vor-
tungen im Haushaltsentwurf in einer Größenord- schläge des Kollegen Hampel in den Haushalt einge-
nung von 20 Milliarden DM kritisch, sachkundig und arbeitet wurden.
gründlich prüfen und anschließend darüber entschei-
den sollen? Zwei Dinge - man muß sie nennen - waren strittig.
Es ging um die Deckungsfähigkeit von Maßnahmen
zur Sanierung der ökologischen Altlasten und von
Susanne Jaffke (CDU/CSU): Herr Kollege Kuhl- Maßnahmen nach § 249h AFG. Soweit ich erfahren
wein, ich glaube, wir brauchen keine Show zu ma- habe, Kollege Hampel, wi ll das Land Sachsen-Anhalt
chen, indem wir sagen, daß wir innerhalb von jetzt die einmal gegebene Zusage zur Aufstockung
24 Stunden irgendwelche Entscheidungen treffen der Mittel für Maßnahmen nach § 249h AFG, die wir
mußten. Der Finanzminister hatte 14 Tage vorher in um 100 Millionen DM erhöht haben, einseitig zu-
der CDU-Fraktion eine entsprechende Stellung- rücknehmen und die Komplementärfinanzierung
nahme dazu abgegeben. Deshalb waren alle, die doch nicht zur Verfügung stellen. Wir hatten mit der
daran interessiert waren - ich gehe davon aus, daß es Erhöhung dieser Mittel die Möglichkeiten, die der
auch dem Kollegen Diller bekannt war -, vorher über zweite Arbeitsmarkt bietet, im doch arg gebeutelten
die Situa ti on informiert. Chemiedreieck, verbessern wollen. Ich halte die Ent-
Ich verschweige die Schwierigkeit der Lage nicht; scheidung des Landes Sachsen-Anhalt für nicht so
ich möchte in meinem Statement später noch darauf glücklich. Vielleicht können Sie noch dafür sorgen,
zurückkommen. Ich habe mich nicht überfordert ge- daß auch in diesem Bereich eine vernünftige Arbeit
erfolgt.
sehen, innerhalb von 24 Stunden Entscheidungen zu
treffen; denn die Entscheidungen, die mir abverlangt Eine Bemerkung möchte ich zum Kollegen Metz-
wurden, waren keine neuen Entscheidungen. Ich ger machen. Lieber Oswald, du hast wie immer eine
kannte sie halt vorher. bri ll ante Rede gehalten.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt möchte F.D.P.)
noch der Abgeordnete Kalb eine Zwischenfrage stel-
len. Würden Sie auch die noch zulassen? - Doch, das macht er immer. Er ist eigentlich der-
jenige, der bei uns Opposition betreibt, und zwar in
einer sachlichen Form.
Susanne Jaffke (CDU/CSU): Ja.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Besser als die SPD, aber gut?)
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Frau Kollegin
Jaffke, würden Sie bestätigen, daß der Finanzmini- Lieber Oswald, wie würden die Landwirte reagie-
ster schon am 11. Oktober den Haushaltsausschuß ren, wenn wir, wie du es vorgeschlagen hast, das
über die sich abzeichnenden Veränderungen infor- Gasöl nicht mehr so verbilligen würden? Sie würden
miert hat, zu einem Zeitpunkt, als er gerade von der den Acker noch weniger mechanisch bearbeiten und
Tagung der Weltbank und des IWF zurückkam und unter Umständen mehr Chemie einsetzen, um auf
an sich Zeit genug war, Überlegungen anzustellen, ihre Erträge zu kommen. Das kann doch wohl nicht
tun auf die veränderte Situa tion zu reagieren, daß im Sinne der Sparmaßnahmen sein. Ich denke, daß
von seiten der SPD aber bedauerlicherweise keine sich gerade auch die Grünen auf den Weg machen
Alternativvorschläge gekommen sind? sollten, die Landwirtschaft so umzugestalten, daß der
5690 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Susanne Jaffke
technische Aufwand zwar hoch bleibt, aber die Auf- werden könne: Nun kann man die Förderkulisse
wendungen für chemische Mittel zurückgeführt wer- massiv zurückfahren.
den können. Wenn wir uns die Zahlen von 1993, 1994 und 1995
(Beifall des Abg. Reiner Krziskewitz [CDU/ ansehen, dann erweist sich: Das sind erschreckende
CSU]) Zahlen. Die Transferleistungen von 1993 zu 1994
sind um 200 Millionen DM zurückgegangen. Die
In diesem Zusammenhang ist mir keine Mark zu Transferleistungen von 1994 zu 1995 sind schon um
schade, die wir für die Erhaltung unserer Kulturland- 3,2 Milliarden DM zurückgegangen, und die Trans-
schaft im ländlichen Raum zur Verfügung stellen. ferleistungen von 1995 zu 1996 - da gibt es unter-
schiedliche Berechnungen, aber ich stütze mich auf
Zum Schluß möchte ich eine Bemerkung zu mei-
nem Freund Karl Diller loswerden. Karlchen hat eine Berechnung des Kollegen Kolbe - um
heute wieder eine „tolle" Rede gehalten. Lieber Karl, 21,7 Milliarden DM.
wenn du wirk lich all es glaubst, was du gesagt hast, (Karl Di ll er [SPD]: Wo ist der denn über-
haupt?)
(Karl Di ller [SPD]: Ja!)
Das sind erschreckende Zahlen. Denn letztlich wird
dann mußt du dir sofort die Kugel geben. eine Stabilisierung des wirtschaftlichen Aufbaupro-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der zesses mit solchen Rückführungsraten mit Sicherheit
F.D.P.) nicht erreicht werden.
(Beifall bei der SPD)
Ich sage dir ganz ehrlich: Leider Gottes war es mir
nicht möglich, in der Ladenzeile eine Kugel zu be- Wir haben 1990 schon einmal Illusionen geweckt.
schaffen. Aber ich gebe dir einen kleinen Frischma- Ich glaube, es ist nicht redlich, zum jetzigen Zeit-
cher. Er ist vielleicht ganz wichtig für die nächsten punkt, 1995, schon wieder von illusionären Vorstel-
Anläufe, die zu nehmen sind. Denn auch eine Regie- lungen auszugehen, die letztlich nicht haltbar sind.
rung kann nur gut sein, wenn die Opposition gut ist. Ich möchte einen Absatz aus einem Papier zitieren:
Als alter Spo rt smann will ich dir sagen: Man läuft nur
selbst zu Höchstleistungen auf, wenn man den Geg- Osten trägt Konsolidierungslast des Bundeshaus-
ner im Rücken hat. Dann kann man viel Adrenalin halts 1996. Die östlichen Bundesländer tragen die
ausschütten. Im Moment spüren wir leider noch nicht Hauptlast der Konsolidierung des Haushaltes
so viel davon. Vielleicht nehmt ihr doch einmal die 1996. 12 Milli arden DM Steuerentlastung beim
Worte eurer Heide Simonis ernst und jagt uns ein biß- Bund, 8 Milliarden DM Aufwand für die Stein-
chen. Wir sind zu sportlichen Höchstleistungen fähig. kohlenverstromung nach dem Wegfall des Kohle-
pfennigs und 6 Milliarden DM für die zweite Stu-
Danke schön. fe der Bahnreform werden im wesentlichen durch
Einsparungen in den östlichen Bundesländern in
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Höhe von 21,7 Milliarden DM finanziert. Nach-
Abg. Susanne Jaffke [CDU/CSU] überreicht dem Bundesfinanzminister Theo Waigel jahre-
Abg. Karl Diller [SPD] ein Erfrischungsbon lang die Transferleistungen des Bundes übertrie-
bon) ben dargestellt hat, wäre es ein Gebot der Red-
lichkeit, jetzt auch einmal diesen Konsolidie-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat rungsbeitrag des Ostens wenigstens zu erwäh-
jetzt der Abgeordnete Manfred Hampel. nen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Manfred Hampel (SPD): Frau Präsidentin! Meine DIE GRÜNEN)
Damen und Herren! Ich glaube, Frau Jaffke, Sie Damit könnten auch einige Gräben wieder zuge-
haben der Koalition mit der Rede, die Sie gerade ge- schüttet werden, die die bösartige Verschwen-
halten haben, keinen sehr großen Gefallen getan. -
dungskampagne zu Jahresanfang 1995 in
Bei aller Kollegialität, die im Haushaltsausschuß Deutschland aufgerissen hat.
herrscht, denke ich: Wir sind nun einmal Opposition.
Das war keine sozialdemokratische Presseerklärung,
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Dagegen haben sondern ein Papier vom Kollegen Kolbe.
wir nichts! - Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist
nun einmal so!) Wenn man sich einmal diese Zahlen und dann die
Bemühungen der Al geordneten aus dem Osten in
- Noch! Vielleicht ändert sich das einmal. der Regierungskoalition ansieht, dann stellt man fest:
Fernwärmesanierung - ausgelaufén. Bei der Innova-
Herr Waigel, Sie haben in Ihrer Rede die positive tionsförderung sind wenigstens noch mal 60 Mil-
wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundes- lionen DM draufgelegt worden, aber zu Lasten der
ländern als Grundlage für die Entscheidung ange- GA Ost. Also, was die eine Hand gegeben hat, hat
führt, daß die Förderkulisse zurückgefahren werden die andere genommen. 500 Mil li onen DM - jetzt
kann. Wenn man sich einmal das Herbstgutachten 550 Millionen DM - beträgt die Rückführung der GA
der wirtschaftswissenschaftlichen Institute ansieht, Ost.
dann stellt man fest: Sie warnen davor, daß allein aus
der Tatsache, daß die wi rt schaftliche Entwicklung All diese am Anfang des Bundeshaushalts einge-
auf die Schiene gesetzt ist, der Trugschluß abgeleitet brachten Positionen konnten Sie nicht durchsetzen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5691
Manfred Hampel
Wenn die Interessen des Ostens in diesem Maße ne- hig wären. Herr Waigel, ich fordere Sie auf, diese Po-
giert und nicht beachtet werden, dann sollten Sie so sition in Ihrem Hause zu korrigieren!
viel Mut haben, diesem Bundeshaushalt einfach
nicht zuzustimmen. Beweisen Sie doch einmal Ihren (Beifall bei der SPD)
Wählern vor O rt, daß Sie für ihre Interessen eintre- Ein Wort zur Treuhandnachfolge: Wir waren uns in
ten, aber nicht nur dadurch, daß Sie in Wahlkampf- der letzten Legislaturperiode über alle Fraktionen
veranstaltungen oder in Versammlungen zu Hause hinweg einig, daß die Treuhandnachfolge einer par-
im Wahlkreis reden, sondern dadurch daß Sie die Er- lamentarischen Begleitung in der 13. Legislatur-
klärungen, die Sie dort abgeben, hier im Bundestag periode bedarf. Wir waren uns einig, daß das im Rah-
durchsetzen und umsetzen. men eines Unterausschusses des Haushaltsausschus-
ses geschehen sollte. Nach der Wahl stand die Koali-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord tion nicht mehr dazu, sondern hat uns die Hilfskon-
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN struktion einer Arbeitsgruppe im Haushaltsausschuß
und der PDS) aufgenötigt, so möchte ich sagen, weil wir als Min-
derheit nicht das Recht haben, einen Ausschuß
Eine weitere Bemerkung zu dem Kapitel 0820, durchzusetzen. Aber seitdem ist so viel Entwicklung
Treuhandnachfolge. Es ist richtig: Wir haben uns ins Land gegangen, daß man diese Position noch ein-
sehr intensiv für die Aufstockung der Maßnahmen mal überdenken muß.
nach § 249h MG eingesetzt, leider erfolglos. Denn
die jetzt zugesagten 100 Millionen DM von der BVS Ich weise beispielsweise nur darauf hin, daß die
sind lediglich ein Vorziehen aus dem Jahr 1997 in Treuhandnachfolge BVS an ihrem Konzept, das ur-
das Jahr 1996. Das wird den Arbeitsmarkt zwar kurz- sprünglich vorgelegt wurde, deutliche Abstriche ge-
fristig entlasten, aber nicht in dem Maß, in dem es macht hat, daß sie den Zeitrahmen erheblich auswei-
notwendig wäre. Maßnahmen nach § 249h AfG wur- ten und den Personalbestand zumindest nicht in dem
den im vergangenen Jahr, also in diesem Jahr, in ei- Maße abbauen möchte, in dem wir alle das damals
ner Größenordnung von über 30 000 in den neuen für notwendig gehalten haben. - Ich sehe ein und
Bundesländern durchgeführt. Durch die Rückfüh- halte es auch für richtig, daß der zügigen Aufgaben-
rung der Mittel bleiben, wenn es hoch kommt, noch erledigung Vorrang vor einem schnellen Personalab-
11 000 bis 14 000 übrig. Das ist eine dramatische Ent- bau eingeräumt werden muß; denn auch wir wollen,
wicklung, vor allem eine dramatische Entwicklung in daß die Arbeit sehr schnell beendet wird. - Als Be-
einem Land wie Sachsen-Anhalt, das in einem be- gründung dafür hat die BVS angeführt, die Komple-
sonders hohem Maße von Arbeitslosigkeit gebeutelt xität der Aufgaben sei gestiegen, das Vertragsvolu-
ist. men habe deutlich zugenommen; man habe nicht da-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der mit gerechnet, daß so viele neue Verträge abge-
PDS) schlossen werden müßten. Ursprünglich sollten die
hoheitlichen Aufgaben der BVS 1996 auslaufen und
Ein anderer Punkt im Zusammenhang mit den Be- dann einer anderen Bundesbehörde - OFD oder Ver-
ratungen des Haushaltes, Kapitel 0820: Es gibt eine mögensverwaltung, das sei dahingestellt - übertra-
Beschlußvorlage, die in der Arbeitsgruppe Aufbau gen werden.
Ost im Zusammenhang mit der BVS erarbeitet wor- Es gibt, wie uns dargelegt wurde, erhebliche Infor-
den ist und der wir auch zugestimmt haben. In dieser mationsverluste.
Beschlußvorlage wird davon gesprochen, daß die
BVS im Bereich der Restchemie keine neuen Priva-
tisierungsbemühungen bzw. -projekte durchführt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord-
So weit, so gut, auf die BVS bezogen; denn nicht die neter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
BVS, sondern die BMGB ist der eigentliche Nachfol-
ger für den industriellen Bereich. Wenn es Privatisie- Manfred Hampel (SPD): Dann will ich das ganz
rungsbemühungen gibt, dann müssen sie im Ge- schnell abschließen. -
schäftsbereich dieser Einrichtung durchgeführt wer-
den. Unsere Forderung ist, noch einmal gemeinsam zu
überdenken, inwieweit es notwendig ist, die Treu-
Was mich erschreckt hat, war, daß ich auf Anfrage handnachfolge in verstärktem Maße parlamentarisch
zu dieser Position vom Bundesministerium der Finan- zu begleiten, nicht nur mit der Hilfskonstruktion
zen die Antwort bekommen habe, daß Privatisierun- „Arbeitsgruppe im Haushaltsausschuß", sondern
gen, auch wenn sie wirtschaftlich tragfähig sind, durch einen Ausschuß, wobei wir möglicherweise
nicht mehr begonnen werden, weil die Verlustzuwei- auch mit einem Unterausschuß einverstanden sind,
sungen dann länger getragen werden müssen. wie es ursprünglich vorgesehen war. So wie wir bis-
Meine Damen und Herren, das ist doch ein unerträg- her gearbeitet haben, wird die Aufgabe, die Treu-
licher Zustand, handnachfolge zu einem Instrument zur Entwicklung
der Wirtschaft in den neuen Bundesländern zu ge-
(Beifall bei der SPD) stalten, nicht gelingen.
bei der jetzigen industriellen Grundlage, die wir im (Beifall bei der SPD)
Osten haben, auch noch bewußt Betriebe kaputtge-
hen zu lassen, die eine reale Chance zur Privatisie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
rung haben und die dann auch wirtschaftlich tragfä jetzt der Abgeordnete Uwe-Jens Rössel.
5692 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Frau Präsidentin! Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungs- tion, sagen Sie das den Menschen zwischen Saßnitz
koalition unternimmt mit dem nicht beratungsreifen und Fichtelberg offen, verschweigen Sie es nicht!
Haushalt 1996 einen unheilvollen Schritt, unge-
Ganz hart betroffen von dera rtigen Ausgabenkür-
deckte Schecks des Bundeshaushaltes zunehmend
zungen werden die 89 Landkreise sowie die nach
den sozial Schwachen sowie den Kommunen aufzu- Gebietsreformen derzeit noch etwa 6 200 Städte und
bürden. Die größten Risikofälle des Arbeitsmarktes -
Gemeinden in Ostdeutschland sein. Bereits jetzt, so
so der Wi ll e der Koalition - sollen aus dem System eine Studie des Hallenser Instituts für Wirtschaftsfor-
der Arbeitslosenversicherung ausgeklinkt und in die
schung, befinden sich die Gemeindefinanzen in Ost-
bereits übervollen Korridore der städtischen Sozial-
deutschland in einer „Schieflage". Immerhin beträgt
ämter abgeschoben werden. Die Kommunalisierung die Pro-Kopf-Neuverschuldung im Jahre 1994
der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit ist ein sozial- 400 DM und liegt damit 3,5mal höher als die in den
politischer Skandal. Sie ist ein Schlag ins Gesicht der alten Bundesländern. Wird die Nettokreditaufnahme
finanziell arg gebeutelten Städte, Gemeinden und
ostdeutscher Kommunen künftig nicht deutlich ver-
Landkreise, deren Finanzierungsdefizit - ohne Stadt- ringert - ganz gewiß tragen hierfür auch die Länder
staaten - im 1. Halbjahr 1995 ca. 9,6 Milliarden DM eine nicht geringe Verantwortung -, übersteigt der
betragen hat. Allein durch die Streichung der ori- zu leistende Schuldendienst deren finanzielle Lei-
ginären Arbeitslosenhilfe im Jahre 1996 würden von stungsfähigkeit erheblich. So die Schlußfolgerung
einem Tag zum anderen 38 000 betroffene Men-
des Hallenser Instituts.
schen, darunter viele Jugendliche, zu Sozialhilfe-
empfängerinnen und Sozialhilfeempfängern ge- Der Gang der ersten ostdeutschen Kommunen zum
macht. Die Kommunen würden zugleich mit Konkursrichter, wie in Brandenburg geschehen,
600 Millionen DM zusätzlich belastet.
(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Da wun-
Die von der Bundesregierung beschlossene Sen- dert es mich nicht!)
kung des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosen- und der Einsatz von Staatskommissaren an Stelle de-
hilfe um jährlich 5 Prozent ist in der Tat eine Flick- mokratisch legitimierter Gemeinderäte sind doch be-
schusterei zu Lasten der Kommunen. Die unmittelbar reits ein Alarmsignal. Kommunale Selbstverwaltung,
daraus resultierenden Mehrbelastungen für die kom- dieses durch Bund und Länder so schützenswerte
munalen Sozialhilfeetats bezifferte Saarbrückens Gut, das es leider in der DDR nicht gegeben hat - das
Oberbürgermeister Hoffmann bundesweit auf sage wird nicht verschwiegen -, darf nicht zur Farce ver-
und schreibe 2,5 Mil liarden DM pro Jahr und eben kommen. Die Finanzautonomie der Kommunen muß
nicht auf 500 Millionen DM, wie Minister Blüm unbedingt als gemeinsame Aufgabe von Bund und
vergangene Woche angegeben hat. Immer mehr Ländern im Stabilitätspakt garantiert werden. Die-
von den Kommunen betri ebene Einrichtungen sem Anliegen stimme ich in jedem Fall zu.
wie Kindertagesstätten, Jugendfreizeiteinrichtun-
gen, Theater und ähnliches müssen auf Grund der Die ostdeutschen Kommunen brauchen mehr kon-
desolaten kommunalen Finanzlage geschlossen wer- krete Hilfe und weniger Sonntagsreden. Der Bund
den oder ihren Betrieb zumindestens stark redu- darf angesichts des Finanznotstandes der ostdeut-
zieren. Das ist für die Bürgerinnen und Bürger ein schen Kommunen nicht so tun, als ob ihn diese Ange-
unvertretbarer Zustand, der nicht hingenommen legenheit nicht viel angehe. Um den im Vergleich
werden darf. von 1995 zu 1994 bereits eingetretenen erheblichen
Rückgang kommunaler Investitionen in Ostdeutsch-
Selbstverständlich beurteilt meine Gruppe auch land zu stoppen, schlagen wir vor, für das Jahr 1996
die drastischen Kürzungen im Bundeshaushalt 1996 eine Investitionspauschale des Bundes in einem Um-
für Ostdeutschland als außerordentlich kritisch und fang von 1,5 Milliarden DM aufzulegen und dafür
bedenklich. einen entsprechenden Titel in den Einzelplan 60 ein-
zustellen. Unser Antrag, der Ihnen auf Drucksache
Die Fakten: Für 1995 stehen den Bruttoausgaben 13/2860 vorliegt, wäre ein Schritt in diese Richtung.
des Bundes in Höhe von 110 Milliarden DM Steuer- Er könnte zudem auch dem vielerorts angeschlage-
und Verwaltungseinnahmen in den neuen Bundes- nen Bauhandwerk helfen, wieder auf die Beine zu
ländern in Höhe von rund 46 Milliarden DM gegen- kommen. Der Antrag ist kommunal- und mittel-
über, so daß der Bund in diesem Jahr 64,3 Milliarden standsfreundlich und sollte durchaus Ihre Zustim-
DM netto für die neuen Länder ausgibt. Das ist eine mung finden können.
in der Tat gewaltige Größe.
(Beifall bei der PDS)
1996 werden vor dem Hintergrund der auf
88,6 Milliarden DM gekürzten Bruttozahlungen Selbstverständlich, meine lieben Kolleginnen und
Steuer- und Verwaltungseinnahmen in Ostdeutsch- Kollegen, haben wir auch einen Finanzierungsvor-
land in Höhe von rund 52 Mi lliarden DM erwartet. schlag gemacht. Unser Finanzierungsvorschlag ist im
Das heißt, der Bund wird Ostdeutschland im kom- Antrag enthalten und besteht, kurz gesagt, in der
menden Jahr mit 36,6 Milliarden DM netto unterstüt- Mobilisierung zusätzlicher Einnahmen des Bundes in
zen. Das sind 27,7 Milliarden DM netto weniger als Höhe dieser 1,5 Mi ll iarden DM aus der Rückholung
1995. Das hat nun wohl nicht mehr viel mit Auf- der im Zusammenhang mit der Privatisierung von
schwung Ost zu tun. DDR-Kreditinstituten an verschiedene bundesdeut-
sche Banken übergebenen Kreditforderungen. Der
(Beifall bei der PDS) Bundestag sollte Dr. Waigel beim Wo rt nehmen, der
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5693
Dr. Uwe-Jens Rössel
in dieser Angelegenheit heute eine umfassende Auf- immer der Bundesregierung etwas anlasten, was ihr
klärung angekündigt hat. damals verbockt habt!
Bekanntlich hat der Bundesrechnungshof jüngst (Zuruf von der PDS)
den Bund gerügt, daß diesem bei dem Verkauf von
DDR-Banken sowie bei der Abwicklung von Altkre- - Er war Mitarbeiter des ZK und des Ministerrats. Da-
diten Einnahmeverluste von bis zu 20 Milliarden DM mit hat er im Wahlkampf geworben. Das muß doch
entgangen sein sollen. Würden von diesen 20 Mil- einmal auf den Tisch kommen!
liarden DM lediglich 1,5 Milliarden DM zurückge-
(Zurufe von der PDS)
holt, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnte das für
die finanzschwachen ostdeutschen Kommunen und - Ihr Argument von dahinten wird durch Lautstärke
ihre Einwohnerinnen und Einwohner eine wich tige auch nicht besser. Sagen Sie doch bitte einmal kon-
Hilfe sein. kret, warum die Schwerpunktsetzung bei den Lan-
Wie gesagt: Die ostdeutschen Kommunen erwarten desaufgaben in der Wirtschaftsförderung in Sach-
von der Bundesregierung wie auch von ihren Lan- sen-Anhalt nicht klappt. Da seid ihr doch mit in der
desregierungen konkrete Hilfe und keine weitere Regierung. Ihr habt doch dort konkrete Möglichkei-
Bedrohung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit, wie ten der Mithilfe. Tut doch endlich einmal etwas, statt
es durch die Eintreibung sogenannter Altschulden hier mit Polemik zu arbeiten!
auf kommunale gesellschaftliche Einrichtungen zu-
mindest gegenüber 1 400 ostdeutschen Städten und Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Lieber Kollege
Gemeinden geschieht. Die PDS hat als erste der im Schulze, zur ersten Angelegenheit empfehle ich Ih-
Bundestag vertretenen Frak tionen/Gruppen einen nen, unseren Antrag nachzulesen. Dort haben wir zu
Antrag eingereicht, dieses Schmierentheater end lich dem Entstehen der Altschulden sehr ausführlich Stel-
zu beenden; denn es ist nicht einzusehen, daß Ost- lung genommen.
Berlin keine Altschulden haben soll, Halle aber fast
400 Millionen DM - und das bei weit geringerer Aus- Meine politische Biographie habe ich nie ver-
stattung mit gesellschaftlichen Einrichtungen. schwiegen. Sie ist übrigens im Handbuch des Bun-
destages sehr ausführlich abgedruckt.
(Beifall bei der PDS)
Lieber Kollege Schulze, wir sind, wie Sie wissen,
Die Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtun- nicht in die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt
gen in den neuen Bundesländern sind keine kommu- eingetreten. Das war offenbar noch nicht Wähler-
nalen Schulden. Sie sind, wenn überhaupt Schulden, wille. Ich gehe davon aus, daß diese Möglichkeit bei
dann Staatsschulden der DDR, die konsequenter- der nächsten Wahl gegeben sein wird. Die Berliner
weise vom Bund übernommen und getragen werden Ergebnisse weisen in diese Richtung. Wenn der Wäh-
müßten. Eine Möglichkeit dafür ist die Übernahme in ler oder die Wählerin es wünscht, werden wir uns ei-
den Erblastentilgungsfonds. Dann würde die Bun- nem solchen Wunsch nicht verschließen. Aber jetzt
desregierung in dieser Hinsicht endlich Flagge zei- ist es noch nicht so. Ich glaube im übrigen schon, daß
gen, die Tatsachen anerkennen und den ostdeut- in der Tolerierungsfunktion in Sachsen-Anhalt eini-
schen Kommunen den Weg in die kommunale Selbst- ges auf den Weg gebracht worden ist. Ich erinnere
verwaltung erleichtern. beispielsweise nur einmal an die Eigenkapitalaus-
Ich danke für die Aufmerksamkeit. stattung für kleine Unternehmen, die sich wohltuend
von der in manch anderen Bundesländern unter-
(Beifall bei der PDS) scheidet, und ich erinnere auch an die Finanzausstat-
tung der Kommunen, Kollege Schulze. Das Finanz-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, ausgleichsgesetz in Sachsen-Anhalt ist - bei aller
gestatten Sie eine Zwischenfrage? Problema tik, die auch dort noch besteht - immerhin
das beste, das für dieses Jahr von einem Landtag ver-
abschiedet worden ist.
Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Kann ich das jetzt
noch? Ich meine, die Landesregierung ist auf dem richti-
gen Weg. Die Wählerinnen und Wähler werden bei
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ja. der nächsten Wahl entscheiden, wie es weitergeht.
Ich bin ganz guter Hoffnung, mit einer Realpoli tik,
wie wir sie vertreten, viele Wählerinnen und Wähler
Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Ja, bitte. begeistern zu können.
Wir sind auch deshalb starke Verfechter der kom-
Frederick Schulze (CDU/CSU): Herr Kollege Rös- munalen Selbstverwaltung, weil wir in der DDR auf
sel, auf Grund unserer gemeinsamen Erfahrungen im diesem Gebiet nicht entsprechend gewirkt haben.
letzten Wahlkampf habe ich Ihren Ausführungen Das ist auch eine Art der Aufarbeitung der Ge-
sehr aufmerksam gelauscht. Wenn Sie die Frage der schichte der DDR.
Altschulden hier so diskutieren, wollen Sie dann
bitte zur Kenntnis nehmen: Sie waren Mitarbeiter (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/
des ZK! Sie waren Mitarbeiter des Ministerrats! Wes- CSU: Das ist ja wirklich nicht zu fassen! Ein
halb haben Sie nicht dafür gesorgt, daß diese Altla- ZK-Mann erdreistet sich noch, solche Worte
sten gerecht verteilt wurden? Sie können doch nicht zu schwingen!)
5694 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Wilfried Seibel (CDU/CSU): Nein, wir sind mit der
jetzt der Abgeordnete W ilfried Seibel. Zeit schon im Rückstand. Ich möchte gerne weiter-
machen. Herzlichen Dank.
Wilfried Seibel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr Die Finanzpolitik unseres Landes ist auf allen Ebe-
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wirtschafts-, So- nen - Bund, Länder und Gemeinden - dadurch ge-
zial- und Finanzpolitik stehen im Brennpunkt der ge- kennzeichnet, daß die Finanzierungsdefizite der öf-
sellschaftlichen Diskussion dieses Jahres und ver- fentlichen Haushalte immer noch steigen. Waren es
schärft in den nächsten Jahren. Wir sind verpflichtet, im Jahre 1990 94,4 Milliarden DM, so sind es für das
den Standort Deutschland zu erhalten und ausrei- Jahr 1996 115,5 Milliarden DM. Diese Beträge wer-
chend Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung zu den durch eine hohe - von vielen als zu hoch emp-
schaffen. fundene - Steuerquote erbracht, und die Steuerein-
Ein großes deutsches Elektronikunternehmen pro- nahmen reichen nicht aus, um alle getätigten Ausga-
duziert seine Halbleiter in einem Werk in Malakka in ben zu decken. Die Haushalte auf allen Ebenen müs-
Malaysia. Dort wird an 24 Stunden des Tages in drei sen Schulden aufnehmen, um die Ausgaben zu dek-
Schichten gearbeitet, und das an 362 Tagen im Jahr. ken.
Die Belegschaft wird deutlich über dem Landes-
durchschnitt bezahlt, die sozialen Leistungen sind im Eine Erhöhung von Steuern würde die Wirtschafts-
Vergleich höher, Urlaubs- und Feiertagsregeln wer- kraft unseres Landes deutlich schwächen. Die sehr
den eingehalten. Das Unternehmen hat einen Kapi- hohe Verschuldung der öffentlichen Hände weiter
talanteil von 57 % und einen Lohnanteil von 17 %. voranzutreiben hätte Rückwirkungen auf die Zinsen.
Dies ist fokussiert die Herausforderung, der sich un- Es bleibt nur der Weg, die öffentlichen Haushalte zu
sere Wirtschaft zu stellen hat. konsolidieren und die Staatsausgaben einzuschrän-
ken. Dieser Einsicht kann sich auch in den nächsten
Unsere Sozialpolitik hat soziale Standards für na- Jahren niemand entziehen. Alles Gejammere hilft
hezu alle Problemlagen in dieser Gesellschaft schaf- nicht.
fen können, Standards, die einmalig in der Welt sind.
Für diese Tatsache muß der Staat große Be träge aus- Die Finanzpolitik des Bundes trägt den Erforder-
geben. Aus diesem Grund ist der Etat des Arbeitsmi- nissen der aktuellen politischen Problemlagen Rech-
nisters der größte Etat im Bundeshaushalt. nung. Unser Haushalt für 1996 ist erstmals niedriger
als sein Vorgänger. Zwar ist das Volumen „nur" um
Ein Bauunternehmer in Niedersachsen muß auf 1,4 Prozent abgesenkt, aber immerhin abgesenkt. Es
der Basis seiner Kalkulationen beim Kunden 86,50 ist deutlich gespart worden, und das soll auch her-
DM pro Stunde berechnen, um kostendeckend zu ar- ausgestellt werden.
beiten. Der Maurergeselle erhält davon allerdings
nur 18,50 DM. Die Differenz sind die sozialen Kosten Aber - und das bleibt anzumerken - viel schlim-
mit allen gesetzlichen und freiwilligen sozialen Lei- mer ist die Tatsache, daß sich nahezu alle Länder und
stungen in dieser Branche. viele Gemeinden dieser Konsolidierungspolitik
kaum oder überhaupt nicht unterwerfen. Was hilft
Mich beunruhigt in der Tat, daß der Preis für die
es, wenn die Sparanstrengungen des Bundes dazu
Stunde des Unternehmers von vielen Kunden kaum
führen, daß wir den geänderten Verhältnissen Rech-
noch aufgebracht werden kann. Und mich beunru-
nung tragen, wenn gleichzeitig die Länder und Ge-
higt es auch, daß der Geselle zuwenig bekommt, so
meinden so tun, als ob die gesamtwirtschaftliche Ent-
daß er mit seinem Nettoeinkommen oftmals Schwie-
wicklung sie nichts angehe und sich, aus welchen
rigkeiten hat, seine Familie angemessen zu versor-
Gründen auch immer, vor notwendigen Konsolidie-
gen. Den Ausweg aus dieser Situation suchen Unter-
rungen drücken?
nehmer und auch Arbeitnehmer viel zu oft mit der
Flucht in die Schwarzarbeit, die der Versteuerung Insgesamt ist aber die gesamte finanzpolitische Si-
und den Sozialbeiträgen entzogen wird. tuation unseres Landes so, daß Bund und Länder zu-
Wir müssen über den Umbau des Sozialstaates sammen soeben die Kriterien des Maastricht-Vertra-
ernsthafter diskutieren und dann auch handeln. ges erfüllen. Die Aussichten für das nächste Jahr las-
sen das Erreichen dieser Zielmarke aber schon als
(Beifall bei der CDU/CSU) problematisch erscheinen. Insofern ist es zu begrü-
Der Haushaltsplan enthält bereits eine deutliche Ab- ßen, Herr Finanzminister, daß Sie Länder und Ge-
senkung bei der Arbeitslosenhilfe, obwohl die dafür meinden zu Gesprächen und Vereinbarungen über
notwendige Gesetzgebung noch nicht abgeschlossen einen Stabilitätspakt aufgerufen haben.
ist. Es wird ein Testfall für alle Fraktionen in diesem Nun ist es allerdings erstaunlich, daß gerade dieje-
Haus sein, ob wir mit dem notwendigen - und nach nigen Länder, die sich den Konsolidierungsnotwen-
meinem Dafürhalten unaufschiebbaren - Umbau des digkeiten in ihrer Haushalts- und Finanzpolitik am
Sozialwesens ernsthaft beginnen wollen oder ob es wenigsten stellen, mit erstaunlichen Forderungen an
bei den pauschalen Vorwürfen oder Lippenbekennt- die Öffentlichkeit treten. Der niedersächsische Mini-
nissen der bisherigen Diskussion bleibt. sterpräsident Schröder und sein Kollege Lafontaine
haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, daß
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, sie die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten mit den Stabilitätskriterien, die bekannt sind, nicht
Köhne? wollen, weil sie Nachteile für Deutschland fürchten.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5695
Wilfried Seibel
Sie präsentieren sich nun als Wahrer und Hüter der vor die Öffentlichkeit tritt, erklärt er dann, diese
Stabilität. Da kommt wahrhaft Freude auf! seine Bräune, die er auf Pump erworben hat, sei Aus-
druck der gesunden Lebensweise, die er praktiziere
Dem Vergessen soll entrissen werden, daß der und die er nunmehr zum Regierungsmaßstab ma-
Bund das Saarland mit 11 Milliarden DM vor dem chen wolle.
Konkurs bewahrt hat. Es soll der Öffentlichkeit nicht
vorenthalten werden, daß der Länderanteil an der Meine Damen und Herren, die europäische Dis-
Kokskohleförderung vom Saarland nicht aufgebracht kussion verlangt Ernsthaftigkeit und Seriosität. Wir
werden kann. Den Eigenanteil haben die Saar-Berg- haben vor wenigen Wochen erlebt, daß eine Bemer
werke erbracht, die bekanntlich zu 75 Prozent dem kung aus unserem Land erhebliche Auswirkungen
Bund gehören. Also, auf versteckten Wegen ist es auf den Wert der italienischen Lira gehabt hat. Das,
dem Saarland erneut gelungen, eine große Bundes- was die Herren Lafontaine, Schröder und auch
hilfe zu kassieren. Was den Herrn Ministerpräsiden- Scharping im Moment an Währungs- und Wirt-
ten Lafontaine angeht, so ist sein Verhalten, öffent- schaftsdiskussion anzetteln, ist geeignet, die Wäh-
lich etwas einzufordern, was er selbst nicht leisten rungsverhältnisse im restlichen Europa in erhebliche
kann, ja schon notorisch. Unordnung zu bringen und Aggressionen auf
Deutschland zu lenken.
Ganz besonders pikant wird es, wenn sich Mini-
sterpräsident Schröder, der wirtschaftspolitische (Beifall bei der CDU/CSU)
Shooting-Star der SPD, - mit wechselnden Abberu-
fungen und Neuberufungen durch seinen Parteivor- Hier machen sich Politiker auf, um ihres eigenen -
sitzenden Scharping - plötzlich zum Hüter der Stabi- vermeintlichen, nicht einmal sicheren - Vorteils wil-
lität aufschwingt. Das, was Niedersachsen finanzpo- len mit anderen Völkern und deren Währungen
litisch vorführt, ist in der Tat schlimm. Die Neuver- Schicksal zu spielen. Ich denke, es ist an der Zeit,
schuldung des Landes hat eine Größenordnung er- daß sich die SPD aufrafft, um diesem Irrsinn ein
reicht, die die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts schnelles Ende zu bereiten.
von Niedersachsen vor dem Staatsgerichtshof in Bük-
keburg überprüfen lassen muß. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger
lingen] [F.D.P.])
Es ist ein Glück, daß Europas Staats- und Macht-
strukturen das Mittelalter überwunden haben. Wür-
Auch dazu sollte unsere Haushaltsdebatte dienen,
den diese Machtstrukturen noch gelten und säße
und ich hoffe, daß diese Aufforderung, der sich si-
Kaiser Karl in Brüssel und hätte als Regierungsmaß-
cherlich viele Kollegen hier im Hause, auch in den
stab die Stabilitätskriterien von Maastricht verkün-
Reihen der SPD, anschließen können, nicht ungehört
det, so würde er das Land Niedersachsen und auch
verstreicht.
das Saarland aus dem Staatenverbund seines Kaiser-
reichs Europa entfernen lassen, und der Papst würde
Ich erinnere daran, daß der Kollege Norbe rt
noch obendrein den Bann für Herrn Schröder aus-
WieczorknSdsitugeFnaz-d
sprechen.
des Europaausschusses vor wenigen Wochen ange-
(Beifall bei der CDU/CSU) boten hat, für die Folgekonferenz des Jahres 1996
- wie auch schon bei der Wirtschafts- und Währungs-
Derjenige macht glaubwürdig Politik, der zuerst zu union im Maastricht-I-Vertrag - eine gemeinsame
Hause beginnt, seine Verhältnisse in Ordnung zu Entschließung aller Parteien im Bundestag zu erar-
bringen, und sich nicht zum nationalen Retter für beiten. Ich hoffe, die Vernunft des Norbert Wieczorek
Stabilität der Geldwährung anbietet, wenn er dafür und anderer Kolleginnen und Kollegen in der SPD
nicht einmal im eigenen Land die Voraussetzungen setzt sich durch, um auch dem unverantwortlichen
schaffen kann. Gerede des sonnenbankgebräunten Gerhard Schrö-
der ein Ende zu bereiten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
-
Die Aktionen der beiden Herren Schröder und La- Zusammengefaßt läßt sich folgendes sagen: Der
fontaine und auch der nacheilende Gehorsam des Bundeshaushalt marschiert in die richtige Richtung.
Herrn Kollegen Scharping haben nichts anderes zum Er wird den Notwendigkeiten der aktuellen Situation
Inhalt, als mit einer großangelegten Heuchelei gerecht. Aber - das bleibt ebenso deutlich anzumer-
Ängste und Unsicherheiten bei der Bevölkerung zu ken - es ist nur das Beschreiten des richtigen Weges.
schüren, um von den eigenen Unzulänglichkeiten Wir werden in den nächsten Jahren viel deutlicher,
abzulenken. als es der Bundeshaushalt 1996 tut, über aktuelle
Probleme der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik
(Beifall bei der CDU/CSU) Beschlüsse fassen müssen, die zu deutlicheren Kon-
solidierungen und zu deutlicheren Einsparungen im
Man stelle sich einmal vor, an einem trüben No- Haushalt führen. Die Förderung der Wi rtschaft muß
vembertag wie dem heutigen trifft Gerhard Schröder geändert werden, der Umbau des Sozialstaats muß
Theo Waigel und bittet ihn, mit ihm gemeinsam in vorangehen, und alledem muß Finanzpolitik in den
ein Sonnenstudio zu gehen. Dann müßte der Theo nächsten Jahren durch verstärkte Konsolidierungs-
Waigel dem Herrn Schröder 10 DM leihen, damit er anstrengungen Rechnung tragen.
sich turbobräunen lassen kann. Nachdem dies erfolgt
ist und Gerhard Schröder im schönsten Sonnenbraun (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
5696 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zu ei- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es liegt ein Än-
ner Kurzintervention erhält jetzt der Abgeordnete derungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache
Köhne. 13/2863 vor, über den wir jetzt abstimmen. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe!
(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
[CDU/CSU]: Der Kommunist aus Hanno Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der
ver!) Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
nun zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum che 13/2865? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen. Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Gemäß § 31 der Geschäftsordnung liegt eine Erklä- Grünen und der PDS bei Enthaltung der Fraktion der
rung zur Abstimmung der Abgeordneten Antje Voll- SPD abgelehnt worden.
mer vor, die zu Protokoll gegeben wird.* )
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
Ebenfalls gemäß § 31 der Geschäftsordnung erhält che 13/2866? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
der Abgeordnete Diller das Wort, der gleichzeitig als Änderungsantrag ist mit dem selben Mehrheitsver-
Berichterstatter eine Korrektur bekanntgeben wird. hältnis abgelehnt worden.
Ich rufe ihn jetzt zu beidem zusammen auf: erst zu
der Korrektur und dann zur Erklärung zur Abstim- Wer stimmt für den Einzelplan 32 in der Ausschuß-
mung. fassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ein-
zelplan 32 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Opposi tion angenom-
Karl Diller (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver- men worden.
ehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Drucksache
13/2623, Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- Wir kommen zum Einzelplan 60, Allgemeine
schusses zum Entwurf eines Gesetzes über die Fest- Finanzverwaltung. Dazu liegen zwei Änderungs-
stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus- anträge vor.
haltsjahr 1996, hier: Einzelplan 32, Bundesschuld, ist
in Kapitel 3205, Verzinsung, eine Korrektur bei dem Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Titel 575 04, Zinsen für Schuldscheindarlehen, vorzu- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2867? -
nehmen. Da ist ein Be trag von 1 244 534 000 DM aus- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungs-
gedruckt. Es muß korrekt heißen: 1 247 534 000. Der antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
Betrag ist also um 3 Millionen zu verändern. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und der PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt wor-
Ich bedanke mich für die Gelegenheit, persönlich
den.
etwas zu den vorliegenden Änderungsanträgen zu
sagen. Ich habe vorhin in meiner Rede begründet, -
warum die SPD aus prinzipiellen Gründen darauf Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe
der PDS auf Drucksache 13/2860? - Gegenprobe! -
verzichtet, zur zweiten Lesung Änderungsanträge zu
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
stellen. Das bedeutet, daß ich mich bei Änderungs-
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der
anträgen, die wir sehr sympathisch finden, beispiels-
Gruppe der PDS abgelehnt worden.
weise beim Änderungsantrag auf der Drucksache 13/
2866, der den Schuldenerlaß für Entwicklungshilfe-
Wer stimmt für den Einzelplan 60 in der Ausschuß-
länder betrifft - das ist von mir auch exakt so im Be-
fassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ein-
richterstattergespräch angesprochen worden; es ist
zelplan 60 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
im Haushaltsausschuß, es ist in Hintergrundgesprä-
nen gegen die Stimmen der Opposition angenom-
chen mit den Mitberichterstattern angesprochen
men worden.
worden -, aus prinzipiellen Gründen der Stimme ent-
halten werde. Ich denke, meine Fraktion folgt mir da-
Wir kommen zum Einzelplan 20, Bundesrech-
bei.
nungshof. Wer stimmt für den Einzelplan 20 in der
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Der Einzelplan 20 ist mit den Stimmen des gesamten
*) Anlage 3 Hauses angenommen worden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5697
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich rufe auf: Darüber hinaus ist es nach Auffassung der Sozial-
demokraten richtig, wenn das DIW bedauert, daß
Einzelplan 10 nicht auch gleichzeitig ein Konzept realisiert worden
Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- ist, das die Agrarpolitik noch mehr mit Umwelt- und
schaft und Forsten Naturschutz verbindet.
Ilse Janz (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- (Beifall bei der SPD)
nen und Kollegen! Der Bundeshaushalt für Ernäh- Leider gibt es Themen, die wir immer, auch in die-
rung, Landwirtschaft und Forsten scheint in diesem sem Herbst, wiederholen müssen. Ich nenne das
Hause, jedenfalls auf seiten der Regierungskoalition, Stichwort Währungsausgleich. Was ist Ihnen da
kein besonders großes Interesse zu finden. nicht alles an erstaunlichen Bemerkungen zu den
(Zurufe von der CDU/CSU: Na! Na!) Vorhaltungen von unserer Seite eingefallen! Fakt
bleibt: Wir hatten recht. Jetzt gibt es die Währungs-
- Sie verlassen ja alle den Saal. änderung. Sicher, wir haben nun wieder verläßliche
Planungsunterlagen, und zwar bis zur Installierung
Der Etat für Ernährung, Landwirtschaft und For- fester Wechselkurse. Die DM-Auszahlung ist auch
sten sinkt 1996 um 433 Millionen DM auf als Erfolg für Sie zu we rten, Herr Minister. Sie wis-
12,13 Milliarden DM. Das macht ein erneutes Minus sen, in jeder meiner Reden muß ich Sie an irgendei-
von 3,4 Prozent aus und stellt die deutsche Landwirt- ner Stelle einmal loben.
schaft vor weitere Probleme. Daß diese Probleme
nicht nur von uns so gesehen werden, macht der (Karl Diller [SPD]: Nicht zuviel!)
Brief des Deutschen Bauernverbandes an den Bun-
deskanzler im Vorfeld der Haushaltsberatungen Aber Sie müssen in Brüssel weiter über den Aus-
deutlich. gleich verhandeln. Die Summen, die gezahlt werden
müssen, liegen jetzt fest. 820 Millionen DM können
Ich will auch in dieser Haushaltsrede noch einmal insgesamt an die be troffenen Landwirte ausgezahlt
auf eine Reform der EU-Agrarpolitik eingehen. werden. Dieser Be trag ist zu halbieren. Denn die EU
Denn für uns Sozialdemokraten ist dies der Dreh- trägt lediglich eine Summe von 410 Millionen DM.
und Angelpunkt für jede zukünftige Landwirt- Die andere Hälfte kann oder muß na ti onal ausgegli-
schaftspolitik in der Gemeinschaft. chen werden. Das sind für 1995 207 Millionen DM,
ein Betrag, Herr Minister, den Sie den Landwirten ja
(Beifall bei der SPD) auch bereits auf ihrem Bauerntag im Juli dieses Jah-
Es gab im August dieses Jahres eine kurze Ausein- res versprochen haben. Dazu kommt noch ein Aus-
andersetzung zwischen dem Deutschen Ins ti tut für gleich für 1996 in Höhe von zirka 135 Millionen DM,
Wirtschaftsforschung und dem Deutschen Bauern- also insgesamt 342 Millionen DM, für die Sie bisher-
verband über die Auswirkungen der Reform von keine Finanzierungsmöglichkeit aus dem Haushalt
1992. Ich bin zwar der Ansicht, daß es verfrüht ist, haben. Woher wollen Sie diese Mittel nehmen, Herr
vor Ablauf der dritten Phase bereits über die dann Minister? Der so abgespeckte Einzelplan 10 gibt
vorliegenden Ergebnisse zu diskutieren. Doch einige nach Auffassung der Sozialdemokraten nichts mehr
Bemerkungen des DIW sind für uns Sozialdemokra- her.
ten nicht von der Hand zu weisen. Die Bauerndemonstration in der letzten Woche hier
Ziel der Politik muß es doch sein, auf absehbare in Bonn muß doch auch Ihnen klargemacht haben,
Zeit eine Kostensenkung im gemeinsamen Agrarbe- wie ernst es diesen Be troffenen ist. Denn die Land-
reich zu bekommen. wirte und ihr Verband beklagen ja nicht nur diese
Beträge, sie haben Verluste in Höhe von 1,8 Mil-
(Beifall bei der SPD) liarden DM errechnet. Ich bin sicher: In dieser Frage
wird Ihnen und den Koalitionsfraktionen noch, wie
Davon sind wir allerdings weit entfernt. Zwar wird wir an der Küste sagen, ein scharfer Wind ins Gesicht
immer wieder über den hohen Subventionsbedarf in wehen.
der Landwirtschaft diskutiert. Aber Lamentieren al-
lein nützt nichts. Es müssen hier auch Änderungen in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
der EU-Konzeption her. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN )
5698 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Ilse Janz
Die Forderung, die Beihilfen über die unbürokrati- Nun wollen wir aber auch feststellen, daß die An-
sche Vorsteuerpauschale zu regeln, wurde abge- meldefrist erst zum 31. Dezember 1996 ausläuft. Da
lehnt. Sie, Herr Minister Borchert, haben angekün- sind wir doch alle sehr gespannt, was uns wohl der
digt, weitere Versuche in Brüssel zu unternehmen. Haushalt 1997 bescheren wird. Ordnungsgemäße
Ich rate: Sichern Sie erst einmal eine Möglichkeit für Haushaltsaufstellung kann ich dies nicht nennen.
die Zahlung an die be troffenen Landwirte jetzt! Die Haushaltsklarheit, Haushaltswahrheit - wo denn?
Möglichkeit, daß eine Vorsteuerlösung in Brüssel
weiterhin abgelehnt wird, ist doch sehr groß. (Beifall bei der SPD - Karl Diller [SPD]: Der
bringt Schimpf und Schande über die ganze
Natürlich haben Sie die Pflicht, weiter zu verhan- Zunft!)
deln. Wir erwarten auch von Ihnen, daß Sie sich
durchsetzen. Aber um den Landwirten schnelle Hil- Nun zu einem anderen Punkt, der auch die neuen
fen gewährleisten zu können, sind im Ablehnungs- Bundesländer betrifft, den Altschulden in der Land-
fall auch Alternativen nötig, die Sie jetzt erarbeiten wirtschaft. Hierzu hat es eine Anhörung im Ausschuß
müssen. Wir wollen von Ihnen wissen, woher Sie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gegeben.
dann das Geld nehmen. Bereits im Juni dieses Jahres haben wir als Sozialde-
mokraten festgestellt, daß eine Verlängerung des
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Veräußerungstermins von nicht betriebsnotwendigen
DIE GRÜNEN) Vermögenswerten dringend erforderlich ist.
Es erstaunt uns Sozialdemokraten auch immer wie- (Siegf ri ed Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht
der, daß Punkte, die in erkennbarer Weise anders ge- generell!)
regelt werden könnten, von Ihnen bzw. Ihrem Mi-
nisterium oder der Regierungskoalition abgelehnt Nur durch eine Verlängerung des Termins, der zum
werden. Es hat den Anschein, daß Sie später auf 31. Dezember 1995 ausläuft, ist eine Verschleude-
diese Ideen kommen. Aber wenn wir diese schon rung des noch vorhandenen betrieblichen Vermö-
vorher haben, scheint allein diese Tatsache ein gens zu verhindern. Sie, die Koalitionsfraktionen und
Grund für die Ablehnung zu sein. Ich empfinde das die Bundesregierung, haben dazu allerdings bei der
wirklich nicht als eine politische Ablehnung. Auch Beratung im Haushaltsausschuß festgestellt: Die Alt-
da sollten Sie langsam einmal umdenken. schuldenregelung ist äußerst günstig und hat ihr Ziel
erreicht.
Ich will ein Stichwort nennen, bei dem Sie schon
längst hätten umdenken müssen: FELEG, Gesetz zur (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Ihr wa rt doch gar
Förderung der Einstellung landwirtschaftlicher Er- nicht da!)
werbstätigkeit. Für uns ist es schon fast ein Stück aus
dem Tollhaus, wie das Ministe rium hier geschätzt - Wir waren da. Du mußt nicht immer zwischendurch
hat. Erst hieß es, für 1995 seien zirka 2 000 Fälle zu schlafen.
erwarten. Daß diese Zahl wesentlich zu niedrig ange-
(Beifall der Abg. Ing ri d Matthäus-Maier
nommen war, ließ sich sofort erkennen.
[SPD])
Auf meinen Einwand im Berichterstattergespräch
für den Haushalt 1995, daß das Jahr schließlich noch Agrarpolitisch ist die bestehende Altschuldenrege-
nicht zu Ende sei und Anträge noch gestellt werden lung zur Stabilisierung der finanzwirtschaftlichen
könnten und würden, erhielt ich - um es einmal so Verhältnisse der Unternehmen ausreichend. Eine
auszudrücken - ein mildes Lächeln. Die Koalitions- Verbesserung würde eine Wettbewerbsverzerrung
fraktionen lehnten natürlich auch unseren Antrag im zuungunsten der Landwirte bedeuten, die Zins- und
Haushaltsausschuß ab. Im Berichterstattergespräch Kapitaldienst laufend aus ihren Einnahmen leisten.
für den Haushalt 1996 wurde dieser Punkt erneut Was hat denn aber diese Expertenanhörung, die es
von mir angesprochen, da inzwischen bekannt war, gegeben hat, dazu erbracht? Altschulden aus DDR
daß mehr als 7 000 Anträge vorlagen. Allerdings war Zeiten sind nie vergleichbar mit denen in einer freien
das Ergebnis wiederum ein mildes Lächeln. Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Wohl wahr! -
Nur, meine Damen und Herren aus der Regie-
(Peter Harry Carstensen [Nords trand]
rungskoalition, dieses Lächeln ist Ihnen dann irgend-
[CDU/CSU]: Das haben nicht alle Experten
wann vergangen. Denn vor der Bereinigungssitzung
gesagt!)
fiel jemandem im Ministe rium, der Regierungskoali-
tion oder wem auch immer ein, daß das mit den Zah- Die Experten appellierten an die Bundesregierung
len im Haushaltsentwurf nicht ganz stimmen kann. und an das Parlament, eine Überprüfung der Alt-
(Ing ri d Matthäus-Maier [SPD]: Jawohl!) schulden in der Landwirtschaft der neuen Länder
vorzunehmen. Und sie stellten fest, daß viele Be-
Ergebnis: Es wurde schnell ein Antrag vorgelegt. triebe bei der jetzigen Altschuldenregelung nicht in
Statt der im Entwurf vorgesehenen 221 Millionen der Lage seien, die Schuldenlast zu tilgen. Denn
DM waren es nun auf einmal 120 Millionen DM gleichzeitig wachsen die Schulden durch die Verzin-
mehr; das ist eine Aufstockung von mehr als sung mit dem Fibor-Satz immer weiter.
50 Prozent.
Wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der
(Karl Diller [SPD]: Das ist ja ein Durchein CDU/CSU und F.D.P., nicht endlich in die richtige
ander!) Richtung bewegen, werden erneut Arbeitsplätze in
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5699
Ilse Janz
der Landwirtschaft gefährdet, ist der Abbau von Tier- Landwirtschaft bei. Deshalb muß in diesem Bericht
beständen vorprogrammiert. besonders sorgfältig und sensibel geprüft werden. Es
ist mir zu schlicht, lediglich festzustellen: Von
(Beifall bei der SPD swie bei Abgeordneten 55 Instituten bleiben 23 übrig; die anderen werden
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geschlossen, und zirka 1 100 Stellen müssen abge-
Also verlängern Sie zum Beispiel die bisherige Frist baut werden.
für den Termin der Veräußerung der nicht betriebs-
notwendigen Vermögenswerte! Denn die Beibehal- Allein diese Zahlen machen doch deutlich, wie
tung der Verpflichtung zum Verkauf bis zum Ende massiv der Einschnitt sein soll. Deshalb kann es nur
des Jahres und im übrigen die Sanktionsregelungen dann zu vernünftigen Ergebnissen, die in die Zu-
ab 1996 würden sich für viele Betriebe verhängnis- kunft gerichtet sind und keinen Scherbenhaufen hin-
voll auswirken. Experten und Bauernverband teilen terlassen, kommen, wenn die einzelnen Institute ge-
diese Auffassung. Sie folgen doch sonst immer dem nau durchleuchtet werden und wenn die Bundesre-
Bauernverband. Tun Sie das auch in dieser Frage! gierung bzw. das Ministerium für sich feststellt, auf
welche Forschungsbereiche es verzichten will und
(Beifall bei der SPD) wo Prioritäten gesetzt werden. Dazu bedarf es dann
genauer Begründungen. Ich bin zur Zeit dabei, diese
Außerdem sollten Sie auch unserem Antrag auf
Einrichtungen zu besuchen, um mir vor Ort ein kon-
eine weitergehende Regelung bezüglich nicht ren-
kretes Bild zu machen. Nur so, scheint mir, ist eine
tierlicher Altschulden folgen. Ich finde, es kann ein-
Entscheidung zu verantworten.
fach nicht angehen, daß Sie, wie das Kaninchen auf
die Schlange, auf das Bundesverfassungsgericht star- Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie in
ren und abwarten, wie die do rt anhängigen Verfah- ihre Beratungen auch die veränderten agrar und er-
-
Weshalb bekamen denn zuerst die Haushälter dieses Ich kann mir im übrigen kein Konzept vorstellen,
Papier mit dem Hinweis auf die Haushaltsberatun- nach dem an einem Standort alles plattgemacht wird
gen 1996? und dafür an einem anderen Standort mit hohen Ko-
sten neu aufgebaut wird.
(Günther Bredehorn [F.D.P.]: Das war
falsch!) (Beifall bei der SPD - Zuruf von der F.D.P.:
Nein! Falsch!)
Die Mitglieder des zuständigen Ausschusses erhiel-
ten dieses Papier jedenfalls erst einige Zeit später. Aber das ist in dem Papier schon enthalten. Eine ent-
sprechende Wirtschaftlichkeitsberechnung gehört-
(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]:
ebenso dazu wie eine personalwirtschaftliche Kon-
Ihre Rede wird durch Unwahrheiten auch
zeption.
nicht besser!)
Dieser Entwurf sieht einen erheblichen Stellenab- Warum lassen Sie nicht einmal neue Ideen erfor-
bau vor. Aber der Personalrat wurde nicht beteiligt - schen, zum Beispiel Rapsdiesel für die Binnenschiff-
für uns Sozialdemokraten eine unmögliche Vorge- fahrt? Das wäre ein Weg in die Zukunft.
hensweise. Ich denke, Herr Minister, ich habe Ihnen jetzt gute
(Beifall bei der SPD) Vorschläge von unserer Seite gemacht. Ich bin ge-
Es ist mir immer noch unverständlich, wie so gearbei- spannt, ob Sie diese beherzigen. Allerdings habe ich
tet werden konnte. nicht die Hoffnung, daß Sie vernünftige Vorschläge
mit in Ihre Planungen aufnehmen. Aber ich sage Ih-
Es ist uns Sozialdemokraten schon klar, daß es bei nen jetzt schon: Wenn Sie kein vernünftiges Konzept
der Überprüfung der Ausgaben aller Bereiche des vorlegen, wird es keine Zustimmung von seiten der
Bundes keine Tabus geben darf. Auch die Ressortfor- SPD geben.
schung des BML darf davon nicht ausgenommen
werden. Aber gerade die Forschung trägt doch zur (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/
Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen CSU)
5700 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Ilse Janz
- Es irritiert mich nicht, wenn Sie dauernd dazwi- Ich meine, wir haben aber in der Ausschußberatung
schenreden. Machen Sie ruhig weiter! die notwendige Vorsorge ge troffen, so daß der Vorsit-
zende des Agrarausschusses und der Präsident des
Zum Schluß ein Thema, das die F.D.P. mit Vehe-
Deutschen Fischereiverbandes zufrieden sein kann.
menz be treibt: die private Bereederung des Fische-
reiforschungsschiffes Walther Herwig. Ein alter (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Zopf. Angeblich - so der F.D.P.-Sprecher im Haus- Auch die Bodenseeangler!)
haltsausschuß - sind sich die Regierungskoalitionen
nun einig. Möglicherweise ruft die Beratung des Agraretats
zu dieser abendlichen Stunde nicht mehr das kon-
(Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Das wäre ja et zentrierte Interesse der gesamten Nation he rvor. Für
was ganz Neues!) die rund 578 000 landwirtschaftlichen Bet riebe, de-
ren Inhaber, Familien und Mitarbeiter ist der Agrar-
Das werden wir noch feststellen. etat gleichwohl von großer und zum Teil existentiel-
Wie ist der Fakt? Der Bundesrechnungshof hat ler Bedeutung. Viele Bet riebe wären zum Beispiel
festgestellt, daß das BML bei der Bewertung der im nicht in der Lage, die Lasten für die soziale Absiche-
Jahr 1994 durchgeführten Ausschreibung korrekt rung alleine zu tragen.
vorgegangen ist. Aus dieser Ausschreibung war kein Die Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozial-
Kostenvorteil bei einer p rivaten Bereederung er- politik stellen mit rund 7,5 Milliarden DM mit Ab-
kennbar. Ich kann nach genauer Durchsicht der Un- stand den größten Ausgabenblock in diesem Einzel-
terlagen auch keinen Vorteil feststellen. plan dar. Mit dieser enormen Leistung des Bundes
Statt Lobbyismus zu be treiben, liebe F.D.P., ge- wird zum einen den landwirtschaftlichen Betrieben
hören Fakten auf den Tisch. Die nationale Aufgabe ermöglicht, Vorsorge für eine ausreichende soziale
der Forschung und der Kostenvorteil für das BML las- Sicherheit für sich selbst und ihre Familien zu treffen.
sen für uns einen anderen Weg nicht erkennen. Wir Zum anderen fängt der Bund, insbesondere bei der
werden jedenfalls der F.D.P. in diesem Punkt nicht Altershilfe für Landwirte, Belastungen auf, die sich
folgen. Wenn Privatisierung unsinnig ist, bleibt sie auf Grund des rasanten Strukturwandels in der
unsinnig. Sie wird auch durch politische Rechtha- Landwirtschaft ergeben; denn den Leistungsempfän-
berei der F.D.P. nicht besser. gern stehen immer weniger Beitragszahler gegen-
über.
(Beifall bei der SPD) (Zustimmung bei der CDU/CSU)
Einige Punkte sind von mir nicht angesprochen Insofern kommen die Zuschüsse zur Alterssiche-
worden, zum Beispiel das Problem der Milchquote rung der Landwirte nicht nur der Landwirtschaft zu-
oder die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und gute, sondern auch den übrigen Rentenversiche--
Küstenschutz", bei der erneut um 40 Millionen DM rungsträgern, die entlastet werden.
gekürzt wurde. Dafür ist, meine ich, die Beratungs-
zeit im Plenum auch viel zu kurz. Wir haben aber in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
den Ausschüssen ausführlich beraten. Denn ohne diese Zuschüsse müßte es zwangsläufig
Die Schlußfolgerung, die wir aus einem Haushalt zu einem Finanzausgleich zwischen den verschiede-
ziehen, der so viele Unwägbarkeiten enthält wie die- nen Rentenversicherungsträgern und den landwirt-
ser, ist natürlich völlig klar: Ihm ist nicht zuzustim- schaftlichen Alterskassen kommen.
men. Das wird Sie hoffentlich nicht wundern. Wir (Beifall bei der CDU/CSU)
lehnen den Einzelplan 10 ab.
Obwohl die eingeleitete Korrektur der Agrarsozial-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne reform nicht zu Einsparungen, sondern zu Mehrko-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - sten führen wird, halte ich sie für dringend geboten,
Zurufe von der F.D.P.: Kein Wort zum um Ungereimtheiten, sogar Ungerechtigkeiten, die
Fisch!) zunächst nicht vorhersehbar waren, zu beseitigen.
- Zum Fisch habt ihr einen Experten. Der ist ja Aus- Auch wenn jetzt Nachbesserungen notwendig sind,
schußvorsitzender. sollte die Bedeutung und der Fortschritt dieser Agrar-
sozialreform, so wie sie dieser Bundestag gemeinsam
getragen hat, grundsätzlich nicht in Frage gestellt
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat und gemindert werden.
jetzt der Abgeordnete Bartholomäus Kalb.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Frau Kollegin Janz, Sie haben eben über das Pro-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! blem der Finanzausstattung für das FELEG gespro-
(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] chen. Mich wundert, daß Sie so breit ausgeführt ha-
[CDU/CSU]: Ein Wort zum Fisch!) ben, was Sie a ll es wollten. Sie waren bei der Bereini-
gungssitzung nicht dabei. Es ist wiederum ein Be-
- Man müßte nach dem Wunsch des Ausschußvorsit- weis erbracht worden, daß wir seriös und solide ar-
zenden wirklich ein bißchen mehr über Fisch, Küste beiten; denn wir haben genau in diesem Bereich die
und Meer sprechen. notwendigen Korrekturen vorgenommen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ich gebe zu, daß ich durchaus etwas widerwillig
und der F.D.P.) der Erhöhung um 120 Mi ll ionen DM für dieses Pro-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5701
Bartholomäus Kalb
gramm zugestimmt habe. Die Mehrausgaben wer- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Wenn sich die
den im wesentlichen durch die unerwartet hohe In- Kolleginnen und Kollegen dann nicht über mich är-
anspruchnahme durch ehemalige Beschäftigte in der gern, ja.
Landwirtschaft, insbesondere in den neuen Ländern
verursacht. Ich sage das nicht, weil ich nach dem Marianne Klappert (SPD): Herr Kollege Kalb, darf
Schema Ost-West Leistungen auf- oder abrechnen ich Sie daran erinnern, daß unser Antrag mit der Be-
will, sondern weil in diesen Tagen manchmal der gründung abgelehnt wurde, dies sei ein Rechtsan-
Eindruck erweckt wurde, als würde bei den Leistun- spruch und deswegen bräuchte der erkennbare
gen für die neuen Länder in ungerechtfertigter Weise Mehrbedarf nicht in den Haushalt 1995 eingestellt
gekürzt oder umgeschichtet.
werden?
Bartholomäus Kalb
GATT bzw. der WTO nicht erleichtern werden, eine Landwirtschaft noch unsere Verbraucher können
gesamtstaatliche Agrarpolitik zu be treiben. Das und dürfen den Wirrnissen und Turbulenzen des
Leitbild des bäuerlich geführten Familienbetriebs Weltmarktes schutzlos ausgesetzt werden.
und damit auch ein wesentlicher Orientierungspunkt
bisheriger Agrarförderung scheint in Gefahr zu gera- (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der
ten. PDS: Hört! Hört!)
Nun ließe es sich leichter zur Tagesordnung über- Das würde auch volkswirtschaftlich ein unkalkulier-
gehen, wenn es sich bei der Landwirtschaft nur um bares Risiko darstellen. Im übrigen sind die meisten
einen Wirtschaftszweig wie jeden anderen handeln und größten Teile der Agrarmärkte nach wie vor re-
würde. Unsere gesamte Gesellschaft muß aber Inter- guliert, so daß im wesentlichen nur die Überschüsse
esse daran haben, daß die Landwirtschaft auch in Zu- auf den sogenannten Weltmarkt gelangen, der aber
kunft ihre vielfältigen Leistungen zum Wohle und im in Wirklichkeit eher einem Spotmarkt gleicht. Ich
Interesse a ller bringen kann. glaube, wir tun gut daran, wenn wir und auch unsere
Verbraucher und Steuerzahler diesen Aspekt bei der
(Beifall bei der CDU/CSU) Beurteilung der nationalen und europäischen Auf-
wendungen für die Agrarpolitik berücksichtigen.
Dabei geht es nicht nur um die Bereitstellung hoch-
wertiger Nahrungsmitttel. Nachwachsende Rohstoffe So wie Agrarpolitik eine Politik nicht nur zugun-
- ich bin erstaunt darüber, daß jetzt auch die SPD sten der Landwirtschaft, sondern eine Politik für die
dieses Thema entdeckt - und Energien und vor allem ländlichen Räume insgesamt ist, so wirken auch an-
die Erhaltung einer intakten Kulturlandschaft gewin- dere Politikbereiche unmittelbar oder zumindest mit-
nen immer mehr an Bedeutung. Die Sicherstellung telbar auf die Landwirtschaft. Umweltpolitik und
einer flächendeckenden Landbewirtschaftung auch Baurecht zum Beispiel haben meines Erachtens eine
und insbesondere in ertragsschwächeren und agrar- mindestens ebenso starke Wirkung auf die Landwirt-
strukturell benachteiligten Gebieten wird in Zukunft schaft wie Agrarpolitik im engeren Sinne. Eine sehr
eine besondere Herausforderung für alle Ebenen der positive Auswirkung auf die Landwirtschaft ergibt
Agrarpolitik darstellen. sich aus der Steuerpolitik, was nicht, unbedingt so
üblich ist.
Meine Damen und Herren, in der vorigen Woche
wurde an der Warenterminbörse in Chicago Weizen Das Jahressteuergesetz sieht eine Erhöhung des
mit umgerechnet 25,40 DM je Dezitonne notiert. Freibetrages bei der Veräußerung oder Aufgabe klei-
Diese Notierung liegt erheblich höher als der Inter- nerer landwirtschaftlicher Betriebe von 90 000 auf
ventionspreis für Getreide in der Europäischen 150 000 DM vor. Die Freibeträge bei Grundstücks-
Union. verkäufen zur Abfindung weichender Erben in Höhe
von 120 000 DM und zur Tilgung von Altschulden in
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das muß
Höhe von 90 000 DM bleiben weiter erhalten. Zudem
man einmal wissen!)
wurden die Einkommensgrenzen für die Inanspruch-
In Großbritannien wird eiweißreicher amerikanischer nahme dieser Freibeträge erheblich erhöht bzw. ver-
Weizen derzeit mit Preisen bis zu 37,50 DM je Dezi- doppelt.
tonne gekauft.
Diese Regelungen nehmen, wie ich meine, in be-
Weltweit gestiegene Nachfrage und weiter stei- sonderer Weise Rücksicht auf die vom Strukturwan-
gender Bedarf, schlechtere Ernten und Mißwirtschaft del unausweichlich und besonders hart ge troffenen
in verschiedenen Regionen der Erde sowie nicht zu- kleineren landwirtschaftlichen Betriebe und auf die
letzt die Politik des Überschußabbaus in der Europäi- besonders schwierige soziale Lage dieser Fami li en.
schen Union sind ganz offensichtlich die Gründe für Es ist oft der größte Wunsch der Eltern, nach einem
die Preisentwicklung auf dem sogenannten Welt- entbehrungsreichen Berufs- und Arbeitsleben den
markt. Aus der Sicht der Land- und Agrarwirtschaft Kindern etwas geben zu können und nicht Schulden
insgesamt handelt es sich hier sicherlich um eine hinterlassen zu müssen.
sehr begrüßenswerte Tendenz. Ob diese allerdings
Ich danke hier den Verhandlungsführern der Ko-
anhalten wird, ist natürlich sehr fraglich.
alition und insbesondere Bundesfinanzminister
Diese Entwicklung zeigt aber auch etwas völlig an- Dr. Waigel und Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser,
deres. Seit vielen Jahren hat sich in unserer Gesell- der uns leider in wenigen Tagen verlassen wird, daß
schaft bei unseren Verbrauchern der Glaube verfe- dieser Punkt sicher über alle Verhandlungsrunden
stigt, Nahrungsmittel würden stets in ausreichendem zum Jahressteuergesetz gebracht werden konnte.
Maße, ja sogar im Überfluß zu immer weiter sinken- Ebenso Dank an Hansgeorg Hauser, dem ich zu sei-
den Preisen zur Verfügung stehen. Eine Trendum- ner neuen Aufgabe herzlich gratuliere. Ich bin sicher,
kehr ist und war für viele völlig unvorstellbar. daß wir mit ihm auch in dieser neuen Aufgabe eine
ausgezeichnete Zusammenarbeit haben werden.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Kollege Rind hat das aber gesagt!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
ordneten der F.D.P.)
Die aktuelle Entwicklung auf dem Weltmarkt zeigt
aber auch, daß es durchaus keine so absolute Selbst- Einen Punkt, der sich nicht im Zahlenwerk des
verständlichkeit ist, stets ausreichend mit hochwerti- Agraretats wiederfindet, will ich noch kurz anspre-
gen und preisgünstigen Nahrungsmitteln versorgt chen, nämlich den Währungsausgleich. Zunächst ist
zu werden. Und es zeigt einmal mehr: Weder unsere Agrarminister Jochen Borche rt besonders dafür zu
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5703
Bartholomäus Kalb
danken, daß es ihm gelungen ist, entgegen den ur- Janz, Frau Heine und dem Kollegen Koppelin, für die
sprünglichen Brüsseler Plänen die Aufwertungsfe- gute und konstruktive Zusammenarbeit.
stigkeit der Ausgleichsbeträge zu sichern und die
Möglichkeit von Ausgleichszahlungen durchzuset- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
zen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
(Peter H. Carstensen [Nords trand] [CDU/
jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.
CSU]: Sehr richtig!)
Dabei geht es nicht, wie fälschlicherweise oftmals
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
behauptet wird, um den Ausgleich von Folgen allge- möchte erst einmal etwas richtigstellen. Die Kollegin
meiner Währungsverschiebungen, obwohl die Land-
Jaffke hatte eben den Diesel und die Erhöhung der
wirtschaft in den süddeutschen Regionen, insbeson-
Mineralölsteuer angesprochen.
dere Milch- und Rindfleischerzeuger, besonders ha rt
troffen wurde, sondern um den Ausgleich der Ver- ge (Zuruf von der SPD)
änderungen im agrarmonetären System. Im übrigen
kann man es der Landwirtschaft nicht übelnehmen, - Sie meine ich doch überhaupt gar nicht. - Die Kol-
einen Ausgleich für wechselkursbedingte Nachteile legin von der CDU, die gemeint hat, wir würden an
zu fordern, wenn dies zeitweise hochgebildete Natio- die Gasölbeihilfe gehen, hatte natürlich völlig un-
nalökonomen auf den Chefsesseln nicht unbedeu- recht. Das würden die Grünen nie tun. Sie sind ja
tender deutscher Unternehmen ebenso getan haben. eine grüne Partei, nicht wahr?
Es besteht für mich kein Zweifel, daß die Gewäh- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Seit warm das
rung des Ausgleichs mittels Erhöhung der Vorsteuer denn?)
pauschale die vernünftigste Lösung wäre. Es gibt Ich will mit den Themen Währungsunion und Wäh-
kaum ein anderes Instrument, das geeignet wäre, mit
rungsdisparitäten anfangen. Zugleich mit dem CDU-
vertretbarem Aufwand die Ausgleichsbeträge zielge- Parteitag hat die Bauerndemonstration stattgefun-
richtet einzusetzen. den. Sie fiel - so wie uns das der Kollege Kalb eben
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vorgemacht hat - als eine Huldigung an Minister
Borchert und an Frau Keppelhoff-Wiechert für die Er-
Ich weiß, daß die Bundesminister Borchert und folge im Bereich der Landwirtschaft in Brüssel aus.
Waigel bei den europäischen Kollegen mit allem Ich meine, wir gönnen unseren italienischen und bri-
Nachdruck um eine Zustimmung zur Vorsteuerrege- tischen Kollegen mit Sicherheit und aus vollem Her-
lung werben, wobei hier der Finanzminister ganz of- zen die Erfolge bei der Erzielung und bei einer Stei--
fensichtlich den schwierigsten Part zu spielen hat. Es gerung ihres landwirtschaftlichen Einkommens um
ist sicher nicht zu verkennen, daß schwierige Sitzun- etwa 80 Prozent. Keine Frage. Aber ein bißchen hätte
gen und Beratungen bevorstehen und noch nicht auch für die deutsche Landwirtschaft dabei heraus-
endgültig entschieden ist. kommen können. Dabei war die Abfuhr in Brüssel
zum Thema Ausgleich für die Währungsdisparitäten,
(Horst Sielaff [SPD]: Sie jubilieren schon!) Ausgleich in Sachen Vorsteuerpauschale mehr als
Für diesen außerordentlichen Einsatz möchte ich je- deutlich. Nur zwei Länder haben tatsächlich dem
denfalls Theo Waigel und Jochen Borche rt im Namen deutschen Vorschlag zugestimmt. Das „Landwirt-
unserer Fraktion sehr herzlich danken. schaftliche Wochenblatt" spricht inzwischen sogar
von einer , einkalkulierten Abfuhr".
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Das ist jetzt schon zum drittenmal!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
- Ja, lieber Kollege Weng, nachdem sogar Frau Kolle- Der Ablauf um das Wie dieses ohnehin nur Teil-
gin Janz festgestellt hat, daß sie den Minister zumin- ausgleichs läßt den Verdacht aufkommen, daß die
dest einmal in ihrer Rede loben müßte, muß ich das Bundesregierung es durchaus überhaupt nicht eilig
zumindest zwei- bis dreimal tun; denn sonst würden hat, den Bauern in Deutschland diesen Ausgleich zu-
hier ja Fragen zu meiner Regierungstreue laut. kommen zu lassen. Dabei hatte doch Kohl diese
ganze Sache zur Chefsache erklärt, was allerdings
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zur Zeit gar nicht mehr zu spüren ist.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt ist Ihre Re- Was wollen Sie denn?)
dezeit wirklich vorbei.
Ein Alternativkonzept hat Herr Minister Borche rt
bisherüauptncvogle,bwhdrV-
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Ich bin mit mei- schlag zur Vorsteuerpauschalregelung mehr als in
ner Rede sofort am Ende, Frau Präsidentin. Frage gestellt wird. Das ist eine haushaltspolitische
Fahrlässigkeit. Das ist auch gegenüber den Bauern,
Zum Abschluß wünsche ich dem Agrarminister, aber auch gegenüber den Verbrauchern und den
seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Inter- Steuerzahlern nicht redlich.
esse der Bäuerinnen und Bauern in unserem Lande
bei der Umsetzung dieses Haushalts viel Erfolg. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bedanke mich bei meinen Mitberichterstattern, Frau und bei der SPD)
5704 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Ulrike Höfken
Herr Minister Waigel hat wieder einmal gesagt, Bundesrechnungshof hat zu Recht auf die „Unre-
daß er Ausgaben über eine Million DM gesperrt hat. gelmäßigkeiten" hingewiesen, die bei der Über-
Wir wüßten gerne - das wird uns Minister Borchert nahme der DDR-Banken durch die DG-Bank zu ver-
bestimmt gleich sagen -, wie nun der Umgang mit zeichnen waren. Auch hierzu keinerlei Stellung-
den auch von Frau Janz erwähnten Notwendigkeiten nahme, obwohl das Mittel sind, die die Bilanzlücken
der Ausgleichszahlungen dann auch erfolgen soll. im Bundeshaushalt locker übertreffen.
Ansonsten ist im Agrarhaushalt wieder einmal nichts
Neues: Kürzungen um 470 Millionen DM, aber es In der Debatte fehlt - damit will ich schließen - der
gibt keine Umorientierung, die bei diesem Einsatz ganze Bereich einer Neuausrichtung der Landwirt-
der knappen Mittel doch notwendig wäre. schaftspolitik, „der Weg ins 21. Jahrhundert", wie
Agrarkommissar Fischler es ausgedrückt hat. Aber
Es liegt uns bis heute auch keine Konzeption vor, was er dargestellt hat, nämlich die Entkopplung von
was die Bundesforschungsanstalten angeht. Bei den Einkommenspolitik und Preispolitik, ganz konkret
knappen Mitteln wäre eine Effektivierung mehr als den Vorschlag, Landwirtschaft auf ein paar Agrarin-
nötig. Es wäre aus unserer Sicht durchaus ange- seln in der Bundesrepublik zu betreiben und den
bracht, endlich die Förderung des integrierten Pflan- Rest als Landschaftspflege zu bezahlen, ist nicht in
zenschutzes zu streichen, die nichts anderes als den unserem Sinne. Recht hat er allerdings bei den Ex-
Standard mehr darstellt, der sowieso erreicht ist, und portsubventionen; die würden wir auch sparen.
ebenso eine Effektivierung im Rahmen der nach-
wachsenden Rohstoffe. Auch hier wurde von Frau Danke.
Janz schon ein Vorschlag erwähnt, den auch wir ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
macht haben, eine Umorientierung auf die umwelt-
sensiblen Bereiche, z. B. im Bereich der Treibstoffe
und der Schmieröle. Das wäre etwas Sinnvolles; Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
ebenso in der Land- und Forstwirtschaft, aber nicht der Abgeordnete Heinrich.
diese Ausrichtung auf den Individualverkehr, die
zum Scheitern verurteilt ist. Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen!
Wir sehen, was in Brüssel passiert ist und was hier
passiert ist. Wir haben eine Kürzung der Flächenstil- (Karl Diller [SPD]: Herr Heinrich, was sagen
legung. Wir haben eine noch unklare Situation in der Sie denn zum roten Brenner?)
Besteuerung der Treibstoffe aus nachwachsenden
Rohstoffen. Das ist doch keine Situation, in der man Der Einzelplan 10 birgt eigentlich wenig Sensationel-
noch auf den Rapsanbau setzen kann. Gleichzeitig les. Den größten Anteil daran hat der Sozialbereich,
haben wir einen Aufbau von ungeheuren Vereste- und dies zu Recht.
rungskapazitäten. Das heißt, die Bauern auf Kosten (Weitere Zurufe des Abg. Karl Diller [SPD])
der Steuerzahler wieder in die falsche Richtung zu
jagen. - Herr Diller, wenn Sie so weiterreden, machen Sie
mich total nervös. Das ist wahrscheinlich auch Ihre
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Absicht!
und bei der SPD) (Lachen bei der SPD)
Ich denke, die Diskussion um die Düngeverord- Denn der Strukturwandel muß sozial abgefedert
nung kommt noch. Ich kann sie mir an dieser Stelle werden. Da ist es nicht mehr als recht und billig, daß
sparen. Sparen könnte man aber in ganz anderen Be- die Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Des-
reichen, und zwar jetzt nicht so sehr im Bundeshaus- halb ist das eine richtige Schwerpunktbildung.
halt, sondern zugunsten der Bauern. Wir haben im-
mer noch diese schöne Einrichtung der CMA, Herr Der zweitwichtigste Bereich ist die Gemeinschafts-
Minister Borchert. Mit diesem Zwangsbeitrag der aufgabe mit etwa 2,4 Milliarden DM. Hier müssen
Bauern, etwa 4 Prozent der Erlöse, finanzieren Sie wir schon fragen, weil auf der einen Seite das Geld
die Werbekosten für die Handelskonzerne und nichts für die soziale Abfederung des Strukturwandels zur
anderes. Diese ganze pauschale Werbung bringt für Verfügung gestellt werden soll, auf der anderen Seite
die Landwirtschaft konkret gar nichts, die im Falle aber Geld fehlt, um denjenigen Bet rieben zu helfen,
der jetzigen Entwicklung, beispielsweise im Falle die wir auch in Zukunft noch brauchen, um Land-
des Fleisches, der Sorgen der Verbraucher um BSE, wirtschaft betreiben zu können.
eine klare herkunfts- und regionsbezogene Werbung Aus dem Grunde ist die Situation für die praktizie-
nötig hätte, für die Sie diese Gelder sinnvoll einset- rende Landwirtschaft alles andere als gut. Wir haben
zen könnten statt dieser ewigen Verschwendung und heute leere Lagerhallen und ein verringertes Ange-
dann auch noch in einer sexistischen Werbekam- bot bei den wichtigsten Produkten wie Getreide,
pagne, die wirklich etwas für alte Opas ist, aber doch Milch und Rindfleisch. Hat das tatsächlich auch die
nicht für ein junges Publikum. versprochenen höheren Preise gebracht? Haben wir
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - die höhere Nachfrage nach Nahrungsmitteln, die zur
Zurufe von der CDU/CSU) Zeit auf den Weltmärkten angeboten werden, aus
deutscher bzw. europäischer Sicht genausogut zur
Erwähnen will ich auch den Bereich der Altschul- Absatzsteigerung genutzt wie unsere nordamerikani-
den. Auch hier kein Konzept, ein riesiges Loch, das schen Kollegen? Die Antwort muß eindeutig auch
uns droht, und Untätigkeit der Bundesregierung. Der hier nein lauten.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5705
Ulrich Heinrich
Ich möchte hier schon ausdrücklich herausstellen, deutlicher herausgearbeitet werden, als das in der
daß dies natürlich zwangsläufig zur Frage nach der Vergangenheit der Fall war.
Verwendung der finanziellen Mittel führt. Es ist eine
Binsenweisheit, daß es bei knappen staatlichen Mit- (Beifall bei der F.D.P.)
teln darauf ankommt, die Mittel möglichst sinnge- Meine lieben Kolleginnen und Ko ll egen, es gibt -
recht und möglichst effektiv einzusetzen. das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin - viele Be-
(Beifall bei der F.D.P.) reiche, in denen wir benachteiligt werden und im
Wettbewerb in der Bundesrepublik schlechter ge-
Wenn der Löwenanteil mit der Gießkanne verteilt stellt sind als andere europäische Staaten.
wird, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß die Si-
tuation für die praktizierenden Landwirte ständig Ich fordere die Bundesregierung einerseits auf,
schlechter wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zu dieser Tatsache kommt darüber hinaus, daß die endlich einmal dazu zu kommen, daß das Bundes-
währungspolitischen Turbulenzen der vergangenen Immissionsschutzgesetz in der Form harmonisiert
Monate die heimische Landwirtschaft hart getroffen wird, wie wir dem in Brüssel zugestimmt haben.
haben. Liebe Kollegen von der SPD, gerade die deut-
sche Landwirtschaft braucht dringend eine Wäh- (Beifall bei der F.D.P. - Zuruf von der SPD:
rungsunion, damit währungsbedingte Einkommens- Ja, hauen Sie einmal richtig drauf!)
verluste zukünftig nicht einseitig zu Lasten deut-
Ich fordere sie andererseits auf, daß die Düngever-
scher Bauern gehen.
ordnung nicht weiterhin einseitig zu Lasten der deut-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schen Landwirte ausgelegt wird. Das ist ein Trauer-
spiel, was die SPD im Bundesrat vorführt.
Für uns ist dies bei weitem nicht nur irgendeine Idee,
wie es von Ihrer Seite in den letzten Tagen so bedeu- (Beifall bei der F.D.P.)
tungsvoll in die Medien gebracht worden ist. Für uns
Sie sind die entscheidenden Hindernisse, um die
ist die Währungsunion eine wichtige Sache, die kei-
Düngeverordnung über die Runden zu bringen.
nen Aufschub duldet, sondern für die alle Anstren-
gungen unternommen werden müssen, um sie mög- Zum Schluß möchte ich noch einmal ganz deutlich
lichst schnell zu erreichen. herausstellen: Wenn wir uns nicht in allen Bereichen
anstrengen, die strukturelle Entwicklung der deut-
(Beifall bei der F.D.P.)
schen Landwirtschaft voranzubringen und flankie-
Kein anderer Wirtschaftsfaktor ist so standortge- rend zu begleiten, wird die deutsche Landwirtschaft-
bunden wie die Landwirtschaft. Es ist für sie nicht in der Zukunft keine Chance haben.
möglich, ihre Produktionsstätten nach außen hin zu
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
verlegen. Sie kann auch keine Mischkalkulation ein-
setzen, wie es bei der deutschen Indust rie vorge- ten der CDU/CSU)
macht wird. Deshalb bedarf es eines schnellen, un-
bürokratischen und fairen Ausgleichs für die schwer- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
wiegenden Einkommenseinbußen der vergangenen der Abgeordnete Günther Maleuda.
Monate.
Die F.D.P. ist der Überzeugung, daß eine moderate Dr. Günther Maleuda (PDS): Frau Präsidentin!
Erhöhung der Vorsteuerpauschale der einzige Weg Meine Damen und Herren! Neun Wochen sind seit
dazu ist. Wir unterstützen die Bundesregierung wei- der ersten Lesung des Agrarhaushalts vergangen. In
terhin bei ihren Bemühungen, in Brüssel die Erhö- dieser Zeit wurde, wie wir in unserem heutigen GO-
hung der Vorsteuerpauschalen zu erreichen. Antrag deutlich gemacht haben, keine ernsthafte
Haushaltsdiskussion weitergeführt .
Jetzt kommt ein Gedanke, bei dem ich Sie bitten
möchte, mit mir zusammen darüber hinausgehend (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein)
nachzudenken, und zwar über die Verwendung der
Mittel. Sollen wir sie alle ausschließlich über die Vor Im Verlaufe der Debatte wurde offensichtlich: Das
steuerpauschale verwenden? Ist das sinnvoll, oder Löcherstopfen wurde fortgesetzt. Im Agrarausschuß
sollten wir nicht einen Teil ganz gezielt den Betrie- lagen nur Anträge der Gruppe der PDS zur Haus-
ben zur Verfügung stellen, die in der Zukunft noch haltsänderung vor. Mit unseren Anträgen forderten
produzieren sollen, und den Vermarktungsstruktu- wir keine Ausgabenerhöhungen, sondern Umschich-
ren eine entsprechende strukturelle Hilfe zuteil wer- tungen bzw. die Beibehaltung wesentlicher Positio-
den lassen? nen zum Beispiel bei der Gemeinschaftsaufgabe und
der Agrarforschung in der Höhe, wie sie schon im ge-
(Horst Sielaff [SPD]: Sagen Sie einmal, was kürzten Haushalt für 1995 enthalten waren. Aber alle
Sie darunter verstehen!) Anträge sind bekanntlich von der Koalitionsmehrheit
abgelehnt.
Ich glaube, die Wettbewerbsfähigkeit unserer
Landwirtschaft ist auf diese strukturellen Hilfen drin- Interessant ist allerdings, daß nun doch einige un-
gend angewiesen. Ich unterstreiche noch einmal: serer Vorstellungen im vorliegenden Entwurf aufge-
Wenn Landwirtschaft in Zukunft in Deutschland griffen wurden, wie zum Beispiel bei der Umschich-
noch möglich sein soll, muß die strukturelle Hilfe tung von Forschungsmitteln und den Zuschüssen für
5706 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Wir vom Ausschuß sind im Mai nach Brüssel gefah- Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Kurzinterven-
ren und haben bezüglich der agrarmonetären Pro- tion gebe ich dem Kollegen Dr. Gerald Thalheim das
bleme mit einer Stimme gesprochen. Wäre es nicht Wort.
eine gute Sache des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten, heute einen einheitli-
chen Standpunkt betreffend die Aufnahme dieser Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Präsident! In der
Mittel in den Agrarhaushalt 1996 zu beschließen, un- bisherigen Debatte ist meines Erachtens - das hat vor
abhängig von den möglichen Diskussionen, aber lei- allen Dingen der Kollege Kalb getan - der Bundesmi-
der sicher nicht zu erwartenden Veränderungen, die nister viel zu sehr gelobt worden, speziell im Zusam-
heute noch in Brüssel angestrebt werden? menhang mit den agrarmonetären Regelungen.
(Beifall bei der PDS) Herr Kollege Kalb, auch Sie haben versucht, die Il-
lusion weiter zu nähren, als würde es dazu tatsäch-
Entscheidungen über den Währungsausgleich sind lich eine Regelung geben. Im „Bayerischen Wochen-
beim jetzigen Stand nicht in Brüssel, sondern unserer blatt" war am 4. November zu lesen, Borchert werde
Auffassung nach durch die Bundesregierung zu tref- alles versuchen. Ich bin versucht hinzuzufügen: und
fen. nichts erreichen.
Die PDS hatte im Agrarausschuß beantragt, die Offensichtlich gehen zumindest die Mitglieder im
Kürzung der Mittel für die Agrarforschung auszuset- agrarmonetären Ausschuß der EU-Kommission da-
zen und Mittel für Forschungs- und Erprobungsauf- von aus, daß es diese Regelung nicht geben wird. Of-
träge außerhalb der Bundesverwaltung umzuschich- fensichtlich geht auch der Minister selbst davon aus.
ten. Warum also erst diese Ablehnung? Das erfolgte Die Spatzen in Bonn pfeifen es von den Dächern, daß
doch nur aus Prinzip; denn das ist im nachhinein Be- ein Brief des Bundesministers an Präsident Heere-
standteil des Haushaltsentwurfes geworden. man existiert, in dem eingeräumt wird, daß das ver-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5707
Dr. Gerald Thalheim
mutlich a ll es nichts wird und man neue Vorschläge Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem
erwartet. Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, Jochen Borchert.
Nur weiß ich nicht, wie lange das mit den neuen
Vorschlägen dauert. Aber für einen Haushälter, wie
Sie es sind, Kollege Kalb, wäre es ein Gebot der Red- Jochen Borche rt , Bundesminister für Ernährung,
lichkeit gewesen, hier in der Haushaltsdebatte zu Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Sehr ge-
verlangen, daß endlich realis tische Vorschläge, die ehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich in die
umsetzbar sind, auf den Tisch gelegt werden und of- agrarpolitische Debatte einsteige, möchte ich mich
fengelegt wird, woher das Geld dafür kommen soll. zunächst bei den Berichterstattern zum Einzelplan 10,
dem Haushaltsausschuß und auch dem Ernährungs-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ausschuß für die gute Zusammenarbeit bedanken.
ten der PDS) Die Beratungen waren sehr viel einvernehmlicher,
als das die Debatte heute hier vermuten läßt.
Vizepräsident Hans Klein: Kollege Kalb zur Replik. Mit dem heute zur Abstimmung vorliegenden
Haushaltsentwurf werden die Gemeinschaftsaufgabe
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Kollege Thal- mit der einzelbetrieblichen Förderung, der Förde-
heim, zufällig liegt hier noch das „Landwirtschaftli- rung des ländlichen Raumes und die Agrarsozialpoli-
che Wochenblatt" vom 28. Oktober. Unter der Über- tik und damit ein Schwerpunkt der Politik der Bun-
schrift „Vorsteuerlösung noch nicht durch" wird dort desregierung fortgesetzt.
sehr ausführlich informiert. Also ist niemand im un- Die Befürchtungen, die der Kollege Sielaff noch
klaren darüber gelassen worden, daß es sich hierbei bei der Haushaltsdebatte am 7. September hier äu-
um einen sehr schwierigen Abstimmungsprozeß in- ßerte, daß - ich zitiere - die Gemeinschaftsaufgabe
nerhalb der Europäischen Gemeinschaft handelt. zur Manövriermasse gehöre, um Löcher an anderen
Auch in meiner Rede habe ich auf den Bereich, der in Stellen zu stopfen, bleiben unbegründet, soweit es
die Zuständigkeit der Agrarminister fällt, hingewie- den Bundeshaushalt bet rifft.
sen und auch darauf, daß die EG-Finanzminister
noch zu beraten haben. Sie wissen, daß das Ende (Horst Sielaff [SPD]: Sie kürzen doch!)
dieses Monats der Fall sein wird.
Daß die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Wir wissen auch um die Schwierigkeiten. Der Bun- Agrarstruktur und des Küstenschutzes" zur Manö-
desfinanzminister bemüht sich sehr intensiv in Ein- vriermasse bei der Haushaltssanierung in einzelnen
zelkontakten mit den Finanzministerkollegen der Eu- von der SPD geführten Bundesländern wird, darauf
ropäischen Gemeinschaft, von denen bisher noch komme ich gleich noch zu sprechen. -
eher Ablehnung signalisiert worden ist.
Der Agrarhaushalt der Bundesregierung mit einem
Ich habe auch darauf hingewiesen, daß die Ent- Mittelansatz von 12,1 Milliarden DM und einem Mit-
scheidung noch nicht ge troffen worden ist und sehr teleinsatz von rund 2,4 Mil li arden DM für die Ge-
offen ist, wie die Frage ausgeht. meinschaftsaufgabe und dem Mittelansatz von über
7,5 Milliarden DM für die Agrarsozialpolitik steht für
Aber dann und erst dann können wir Konsequen- eine zukunftsorientierte, investitionsstärkende und
zen ziehen. Denn zunächst einmal - darin besteht ja sozial flankierende Agrarpolitik für die Landwirt-
wohl Einigkeit - wäre die sinnvollste Regelung und schaft und die ländlichen Räume. Diese Politik wird
die verwaltungsmäßig einfachste, günstigste und be- ergänzt durch die europäische Agrarpolitik und vor
ste Lösung, wenn wir zur Vorsteuerregelung kom- allen Dingen durch die europäische Währungspoli-
men könnten. Dann brauchten wir auch nicht im Ein- tik.
zelplan 10 zu etatisieren, weil sich das dann auf der
Einnahmeseite - sprich: bei den Mehrwertsteuerein- Die Währungsturbulenzen dieses Halbjahres sind
nahmen - auswirkte. Dann müssen wir mit den Län- das zentrale Problem der europäischen Agrarpolitik
dern zurechtkommen. und das Problem, das uns, den Politikern und den
Bauern, auf den Nägeln brennt. Sie alle wissen, daß
Ich denke, diese hätten allen Anlaß, dabei mitzu- die Europäische Kommission die Aufwertungsfestig-
machen. Auf Grund der Begrenztheit meiner Rede- keit der Prämien der Agrarreform aufheben wollte.
zeit konnte ich es nicht mehr weiter ausführen: Sie Wir haben im Juni 1995 nach schwierigen Verhand-
wissen auch - das will ich nicht verschweigen -, daß lungen erreicht, daß die Ausgleichszahlungen der
es ansonsten sehr schwierig würde, geeignete Instru- Argrarreform aufwertungsfest bleiben, das heißt bei
mente und Möglichkeiten zu finden, dieses Geld in einer Aufwertung nicht gekürzt werden, und daß die
Richtung der Landwirte zu bringen, die von der Wäh- Europäische Union einen Ausgleich für Einkom-
rungsveränderung am meisten betroffen sind. Wir mensverluste infolge von Aufwertung gewährt. Für
müßten uns sehr anstrengen. die deutsche Landwirtschaft stehen Mittel aus dem
Dazu gibt es ein paar Gedanken, die aber alle europäischen Haushalt von insgesamt rund
nicht befriedigend sind. Das gebe ich ganz offen zu. 400 Milli onen DM zur Verfügung. Die Bundesregie-
Darum wiederhole ich das, was ich in meiner Rede rung stockt diese Mittel um den gleichen Be trag aus
schon ausgeführt habe: Die beste und einfachste Lö- nationalen Mitteln auf. Damit ist Deutschland neben
sung wäre die Vorsteuerregelung. Luxemburg das einzige Aufwertungsland, das die
europäischnWglfemitaonM
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) aufstockt.
5708 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
wie ich im Etat eine Posi tion einstellen soll, von der
Weg Einstimmigkeit im ECOFIN-Rat erfordert und
ich noch nicht weiß, ob sie auf der Einnahmenseite
daß dieser Weg in Europa sehr schwer durchzusetzen
zu Mindereinnahmen oder auf der Ausgabenseite zu
ist. Bartholomäus Kalb hat hier noch einmal auf diese
Ausgaben führt. Das heißt doch, hier liegt eindeutig
Schwierigkeiten hingewiesen.
ein Fall vor, wo mögliche Haushaltsbelastungen
Wir werden alles versuchen, um diese Lösung in überhaupt noch nicht etatreif sind und deshalb noch
Europa durchzusetzen. Wenn diese Lösung in Eu- nicht eingestellt werden können. Ich kann doch nicht
ropa nicht durchsetzbar ist, Herr Kollege Diller, dann gleichzeitig auf der Einnahmenseite wie auf der Aus-
werden wir die 400 Millionen DM an Mitteln aus gabenseite den möglichen Mitteleinsatz berücksich-
dem europäischen Haushalt, aufgestockt um tigen.
400 Millionen DM aus nationalen Mitteln, direkt an (Zurufe von der SPD)
die Bauern auszahlen.
Deswegen werden wir rechtzeitig, sobald feststeht,
(Karl Diller [SPD]: Woher nehmen Sie das?) welcher Weg beschritten wird, den Mitteleinsatz
etatisieren.
- Augenblick, ich komme noch dazu, Herr Kollege.
Ich dachte, als Haushälter wäre Ihnen das klar. Der Hier wäre es sicherlich hilfreich, wenn Sie dies
Kollege Heinrich hat hier bereits Anregungen für dem Kollegen Thalheim noch einmal erläuterten. Ich
eine mögliche Verwendung gegeben, die er sicher habe dies schon intensiv im Ernährungsausschuß ge-
noch weiter konkretisieren wird. Die Bundesregie- macht. Aber offensichtlich sind immer noch Fragen
rung steht zu ihrer Aussage, daß sie aufwertungsbe- offengeblieben, und ich wäre dankbar, wenn die
dingte Einkommensverluste ausgleicht. Haushälter ihm das noch einmal ausführlich erläuter-
ten. -
Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
gestatten Sie eine Zwischenfrage? und der F.D.P.)
Meine Damen und Herren, der Haushalt 1996 ist so
Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, gestaltet, daß keine Kürzungen bei investiven Maß-
Landwirtschaft und Forsten: Aber sicher. nahmen und bei den direkt einkommenswirksamen
Maßnahmen vorgenommen werden müssen. Wenn
hier von seiten der Opposi tion kritisiert wird, daß das
Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin. Volumen des Einzelplans 10 um 3,4 Prozent sinkt,
dann ist dies der Beitrag, den auch wir natürlich zur
Konsolidierung des Haushaltes leisten müssen. Mir
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich ist nicht bekannt, daß die Opposi tion in den Beratun-
wüßte gerne, wie die Konkretisierung in bezug auf gen Aufstockungsvorschläge und gleichzeitig dafür
diese nationalen Mittel aussieht. Deckungsvorschläge gemacht hätte. Es ist nicht kor-
rekt, hier dies zu kritisieren, zugleich aber keine Vor-
Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, schläge zu machen.
Landwirtschaft und Forsten: Frau Kollegin, ich habe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
bereits in den Ausschüssen darauf hingewiesen, daß und der F.D.P.)
es im Augenblick unsere Aufgabe ist, für die Mehr-
wertsteuerlösung auf der europäischen Ebene zu 1995 hat die Opposi tion kritisiert, daß die Aufstok-
kämpfen, daß wir alternativ dazu natürlich Vor- kung der Mittel für die einzelbetriebliche Förderung
schläge vorbereiten und ich deshalb den Bauernver- um 100 Millionen DM nicht zu einem zusätzlichen
band aufgefordert habe, dazu Vorschläge zu ma- Mittelabfluß und nicht zu zusätzlichen Investitionen
chen. Ich freue mich, daß der Kollege Thalheim be- führe. Wir können heute feststellen, daß diese Auf-
reits im Besitz dieser Informationen durch den Bau- stockung voll in zusätzliche Investitionen umgesetzt
ernverband ist. Ich halte es für einen notwendigen wird. Heute zeigt sich aber auch, daß dies nicht in
Weg, den Berufsstand aufzufordern bzw. zu bitten, allen Bundesländern gleichermaßen der Fa ll ist.
sich an der Entwicklung von Alternativvorschlägen (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)
zu beteiligen; denn das, was Frau Janz für den Perso-
nalrat angemahnt hat, gilt in gleicher Weise für den Hier überrascht es, daß gerade Brandenburg - dies
Berufsstand, daß wir ihn möglichst frühzeitig in die überrascht, weil m an den zuständigen Landwirt-
Beratung einbeziehen. Ich werde natürlich die Aus schaftsminister, Herrn Zimmermann, in der Vergan-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5709
Bundesminister Jochen Borche rt
genheit lautstark tönen hörte, es müsse mehr für die abgeschlossen haben, mit weniger Mitteln auskom-
Landwirtschaft getan werden - die bereitgestellten men. So werden in Hessen Löcher gestopft,
Mittel nicht abruft.
(Zuruf von der F.D.P.: Rot-Grün!)
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist uner wird Haushaltssanierung auf dem Rücken der Bau-
hört! - Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Unglaub ern bet rieben. Dies ist Sanierung des Landeshaushal-
lich!) tes auf dem Rücken der Bauern. Hier gehen Finanz-
mittel aus Brüssel verloren, für die wir hart gekämpft
In Brandenburg werden 30 Mil li onen DM nicht abge- haben. Dies ist ein Vertrauensbruch gegenüber den
rufen, weil die komplementären Mittel fehlen. Mir ist betroffenen Landwirten.
natürlich klar, warum die komplementären Mittel
fehlen; in Brandenburg werden diese Mittel benötigt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
um die Verluste etwa bei Tierkörperbeseitigungsan- Günther Bredehorn [F.D.P.]: In Niedersach-
stalten oder bei der Landgesellschaft zu decken. Sie sen ist es genauso!)
stehen damit nicht mehr für die Landwirtschaft zur Unter solchen Umständen können Betriebe natürlich
Verfügung. Hier wird eine Konsolidierung auf dem nicht auf dem europäischen Binnenmarkt wettbe-
Rücken der Bauern ausgetragen. Hier werden Mittel werbsfähig sein.
gekürzt, um damit andere Löcher zu stopfen. Das,
was Herr Sielaff im Blick auf den Bundeshaushalt kri- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Typisch Rot
tisiert hat, geschieht nicht im Bundeshaushalt, son- Grün!)
dern in Brandenburg.
Ich will noch kurz auf die Überlegungen in bezug
Bei den Beratungen im Haushaltsausschuß gab es auf den Forschungsbereich eingehen. Frau Janz, ich
eine intensive Diskussion darüber, ob die Mittel für dachte, wir kommen Ihnen entgegen, wenn wir die
den Küstenschutz ausreichen. Wir haben in den ver- Vorlage möglichst früh den Berichterstattern zulei-
gangenen drei Jahren die Mittel von 134 Millionen ten. Ich habe heute zur Kenntnis genommen, daß Sie
DM auf 148 Millionen DM aufgestockt. Mich über- dies kritisiert haben. Wir werden deswegen gemein-
rascht jetzt, daß das Land Niedersachsen für 1996 ei- sam mit Ihnen überlegen müssen, ob wir in Zukunft
nen um 7 Millionen DM geringeren Bedarf angemel- später informieren. Wir wollten möglichst frühzeitig
det hat. Ganz offensichtlich führen die Haushaltspro- informieren.
bleme Niedersachsens dazu, daß in dem sensiblen (Ilse Janz [SPD]: Ihren Weg haben wir kriti-
Bereich des Küstenschutzes gespart wird, weil die siert! Sie müssen immer richtig zuhören,
Mittel benötigt werden, um Löcher an anderen Stel- Herr Minister! - Weiterer Zuruf von der
len zu stopfen. Ehe wir also für diesen Bereich die SPD: Das war ein Versuchsballon!) -
Mittel im Bundeshaushalt aufstocken, müßten erst
einmal die Länder Komplementärmittel zur Verfü- Wir wollen mit der Neukonzeption die Rahmenbe-
gung stellen. dingungen für eine schlagkräftige Ressortforschung
für morgen gestalten. Wir wollen damit Doppelfor-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schung weitgehend vermeiden. Es sollen mit größe-
ren Arbeitseinheiten eine größere Schlagkraft und
Frau Janz hat dann auch kritisiert, wir müßten ge- ein effizienter Einsatz der Mittel erreicht werden.
rade im Bereich der Agrarreform mehr für den Natur- Hier ist die Entscheidung über das Rahmenkonzept
schutz tun und Agrarpolitik mehr mit Naturschutz noch offen. Wir brauchen eine intensive Diskussion
verzahnen. Einer der entscheidenden Punkte der mit den Be troffenen. Bei den Diskussionen wird
Agrarreform sind die sogenannten flankierenden deutlich, daß die Notwendigkeit, bei der Ressortfor-
Maßnahmen, mit denen die Länder gezielt Natur- schung einzusparen, auf Zustimmung, auch partei-
schutzmaßnahmen finanzieren können. Hier ist im- übergreifend, trifft. Natürlich gibt es unterschiedli-
mer wieder gerade von der SPD Planungssicherheit che Vorstellungen, an welcher Stelle und in welchem
für die Landwirtschaft gefordert worden. Umfang gespart werden soll; deswegen müssen wir
darüber weiter diskutieren.
Deswegen möchte ich in diesem Zusammenhang
auf das Kulturlandschaftsprogramm in Hessen ein- Wenn Sie fordern, wir müßten einen Forschungs-
gehen. Wir haben bei der Festschreibung der Auf- auftrag zum Einsatz von Bio-Diesel in der Binnen-
wertungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen vehe- schiffahrt vergeben, dann muß ich darauf hinweisen,
ment dafür gekämpft, daß dies auch für die flankie- daß in Bayern von 48 Polizeibooten 14 mit Bio-Diesel
renden Maßnahmen gilt, und in intensiven Verhand- betrieben werden, daß auf dem Müritzsee ein Groß-
lungen Mittel für die Bundesländer durchgesetzt. versuch für den Einsatz von Bio-Diesel läuft und daß
Diese Planungssicherheit haben wir auf der europä- auf dem Tegernsee ein Passagierschiff mit Bio-Diesel
ischen Ebene geschaffen. betrieben wird. Das heißt: Wir sind längst über die
Frage der Studie hinweg und sind bereits in der Er-
Das Land Hessen hat dann ein Kulturlandschafts- probung der Anwendung.
programm angemeldet und in Brüssel notifiziert be- (Ilse Janz [SPD]: Dann fangen Sie einmal
kommen. Die Bauern haben Anträge gestellt und an! Machen Sie weiter!)
sich auf die Zusage des Landes Hessen verlassen.
Jetzt wird bekannt, daß das Land keine ausreichen- Ich will auch gern noch etwas, Frau Höfken, zu
den Finanzmittel hat und mit einem Federstrich Mit- Fragen der Grünen und des Umweltschutzes sagen.
tel kürzt. Damit müssen die Landwirte, die Verträge Wir wollen Umweltschutz mit der Landwirtschaft.
5710 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Deutschland erhalten. Wichtig ist für uns Betriebe zu (Zuruf von der CDU/CSU: Da kommt aber
erhalten, die nach bäuerlichen Prinzipien wirtschaf- nichts raus!)
ten, die das Eigentum für die nächste Genera tion si-
chern. Bäuerliche Prinzipien sind für uns: Bodenbin- Die Politik muß aber unabhängig bleiben, sie muß
dung in der Tierhaltung, eine auf Nachhaltigkeit aus- über den Tag hinaus schauen. Sie muß längerfristige
gerichtete Wirtschaftsweise, der verantwortungsvolle Entwicklungen abschätzen und entsprechend han-
Umgang mit den landwirtschaftlichen Nutztieren deln.
und ein breit gestreutes Eigentum an Grund und Bo- (Zuruf von der CDU/CSU: Das tun wir
den. Diese Prinzipien haben sich über Jahrhunderte doch!)
bewährt; sie werden sich auch in Zukunft bewähren
bei der Aufgabe der Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Unter dieser Voraussetzung komme ich jetzt auf
nachwachsende Rohstoffe zu produzieren und die einige Stichworte zu sprechen, die Sie genannt ha-
ländlichen Räume zu erhalten. Damit bewährt sich ben. Sie wollten den Schulterschluß zwischen Berufs-
die Landwirtschaft gleichzeitig auch als Träger der stand und Politik in den Fragen des währungspoli-
Kultur im ländlichen Raum. tischen Ausgleiches haben.
Vielen Dank. Sie haben, Herr Borchert, im Agrarrat zunächst mit
Erfolg verhandelt. Ich bin schon überrascht, mit wel-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - chen voreiligen Jubelrufen oder mit welchen Jubelzi-
Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Eine sehr gute taten Funktionäre des Bauernverbandes diesen vor-
Rede, aber nichts zum Fisch!) läufigen Erfolg feierten.
Dann scheitert der Finanzminister Waigel eindeu-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Horst Sie- tig am ECOFIN-Rat in Brüssel mit Pauken und Trom-
laff, Sie haben das Wort. peten. Sie wissen genau, daß Sie dort nicht mehr alle
(Ilse Janz [SPD]: Ihr müßt euch beschweren; Länder umstimmen werden.
er hat nichts zum Fisch gesagt!) (Zuruf von der SPD: So ist es!)
Dann muß man sich schon fragen, welche Alter-
Horst Sielaff (SPD): Herr Präsident! Meine Damen nativen Sie haben. Sie können doch nicht im Aus-
und Herren! Dies war in der Tat eine enttäuschende schuß auftreten und sagen, das könnten Sie jetzt
Rede, Herr Bundesminister. nicht sagen, Sie müßten erst abwarten, wie das
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU Ergebnis am Ende wirklich aussieht.
und der F.D.P.)
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Sielaff, ge-
Sie geben keine Antworten auf drängende Fragen, statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
auch nicht auf die Fragen der F.D.P. Sie lenken ab
von eigenen Fehlern und schieben die Schuld wie- (Zuruf von der SPD: Der hat immer gute
derum den Ländern zu. Fragen!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5711
Horst Sielaff (SPD): Wenn das nicht angerechnet Damit es klar ist: Wir Sozialdemokraten unterstüt-
wird, gerne. zen grundsätzlich die Forderung der Bäuerinnen und
Bauern nach einem angemessenen Ausgleich für die
Vizepräsident Hans Klein: Nein, ich halte die Uhr währungsbedingten Verluste.
an. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen
zweiten Punkt, die Agrarsozialreform, die hier schon
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Kollege Sie- angesprochen wurde, kurz aufgreifen. Man fragt
laff, ich habe doch vorhin von den Schwierigkeiten, sich: Was hat denn die Regierungskoalition bisher
die sich im ECOFIN-Rat ergeben können, berichtet. getan? Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, Fehler
Halten Sie unter diesem Gesichtspunkt Ihren Bei- zu korrigieren, die Durchlässigkeit zu garan tieren
trag, den Sie soeben zu diesem Thema geliefert ha- und Fristen zu verlängern. Aber Sie in der Regie-
ben, im Interesse der deutschen Landwirtschaft für rungskoalition sind nicht zu Potte gekommen. Herr
besonders hilfreich? Heinrich hat doch geblockt, und Sie wußten nicht,
was Sie machen sollten.
Horst Sielaff (SPD): Lieber Herr Kalb, ich glaube, (Beifall bei der SPD)
daß der Landwirtschaftsminister verpflichtet ist - es
gibt ja unterschiedliche Wege -, frühzeitig zu infor- Jetzt versuchen Sie, den Schwarzen Peter der Oppo-
mieren und Alternativen aufzuzeigen, wenn er die sition zu geben, obwohl die Schuld eindeutig bei
Oppositionspartei mit im Boot haben will und muß. Ihnen liegt.
Das hat er nicht getan. Er verweigert die Antwort.
Ein letztes: die Gemeinschaftsaufgabe, die Sie,
Außerdem scheint die ganze Verhandlungsstrate- Herr Borchert, angesprochen haben. Die Aufgaben
gie der Bundesregierung falsch zu sein. werden erweitert. Trotzdem werden die Finanzmittel
(Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Sie ist falsch, um 4,4 Prozent gekürzt. Es ist unred lich, hier so zu
das scheint nicht nur so!) tun, als hätte der ländliche Raum mehr Mittel zur
Verfügung, wenn der Aufgabenkatalog erweitert
Entweder war sie blauäugig, oder aber der Bun- wird und die Mittel weiter gekürzt werden.
desminister Borchert hat sich verrechnet. Denn ein-
deutig scheint doch zu sein, daß es über den Mehr- Meine Damen und Herren, in der Tat ist viel zu
wertsteuerweg nicht gehen wird. Hier sind falsche lösen. Wir sind enttäuscht, daß dieser Minister
Erwartungen geweckt worden. Sie werden selbst er- Borchert, obwohl er viel ankündigt, Rückzüge ein-
leben, wie Ihre Bäuerinnen und Bauern jetzt darauf leitet und am Ende noch so tut, als wären das Erfolge
warten, daß sie den notwendigen Ausgleich erhalten. für die Bauern. Das ist keine konkrete Politik.
(B ri gitte Baumeister [CDU/CSU]: Das war's?
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Sielaff, der - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die
Kollege Borchert würde Ihnen auch gern eine Zwi- SPD hat vergessen zu klatschen! - Beifall
schenfrage stellen. bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Drucksachen 13/2615, 13/2626 -
- warten Sie ab, ich wußte, daß Sie Beifall klatschen - Berichterstattung:
im Verdrängen eigener Probleme und im Verschie- Abgeordnete Kris tin Heyne
ben der Probleme auf andere Ebenen. Das ist Ihre Roland Sauer (Stuttgart)
Strategie, die Sie hier fahren. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
Gerhard Rübenkönig
(Beifall bei der SPD)
Das ist die Strategie, die Sie hier fahren: immer die Es liegt ein Änderungsantrag der PDS vor. Nach
Schuld bei den anderen suchen. einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aus-
sprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt
(Beifall bei der SPD) sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
5712 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
denn er will die paritätische Aufteilung der Beitrags- Herr Minister Seehofer, nachdem die Kritik an Ih-
last auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer beseitigen. rer Politik bisher schon so negativ ausgefallen ist,
komme ich jetzt zu einem Thema, bei dem die SPD
Die SPD wird dafür kämpfen, daß das materielle wahrhaftig nicht alleinsteht, sondern sich mit über
Interesse der Arbeitgeber an der Schaffung gesund- hundert Organisationen unseres gesellschaftlichen
heitsverträglicher Arbeitsbedingungen durch die Lebens einig weiß. Es geht um die Sozialhilfereform.
50prozentige Beteiligung an den Krankenversiche-
rungsbeiträgen erhalten bleibt. Hier haben Sie, Herr Seehofer, das Reformziel
deutlich verfehlt. Schon im Ansatz war klar, daß Sie
(Beifall bei der SPD) die Verantwortung des Bundes auf die Kommunen
abschieben, die städtischen Finanzen in unerträgli-
Spätestens wenn - wie bei vielen anderen wich tigen
cher Weise belasten und den be troffenen Menschen
Themen - in der Koalition zum Nachteil der Betroffe-
bedarfsgerechte Leistungen verweigern.
nen streitige Entscheidungen dazu getroffen werden,
ist es an der Zeit, meine Damen und Herren von der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
F.D.P., daß einer Partei, der alle Wähler davonlaufen, ten der PDS)
das Mandat für diese Regierung entzogen wird.
Mehr als hundert Organisationen von paritätischen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wohlfahrtsverbänden über kirchliche Verbände bis
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - hin zum Deutschen Gewerkschaftsbund haben die
Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Alter Witz! Ich Bundesregierung in dieser Sache über die Presse auf-
würde nicht so weit spucken!) gefordert, Ihren Entwurf zur Sozialhilfereform zu-
Herr Minister Seehofer, wenn Sie Vorschläge ma- rückzuziehen. Eine tiefe Enttäuschung hat sich jetzt
chen, die eine solidarische Finanzierung der Kran- bei allen Be troffenen eingestellt.
kenversicherung beseitigen, die zu weiteren einseiti- Die Vorlage wird weder dem Problem der überla-
gen Belastungen der Versicherten führen, die das steten Sozialhilfe noch den Menschen in der Sozial-
Sachleistungsprinzip beeinträchtigen, die Teile des hilfe mit ihren Nöten gerecht und trägt zur weiteren
Leistungskatalogs in die p rivate Finanzierungslast Verarmung in Deutschland bei.
überführen sollen, die eine Aufteilung zwischen
Wahl- und Regelleistungen vorsehen sollen, dann (Beifall bei der SPD)
5714 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Gerhard Rübenkönig
Die Ursachen, Herr Minister, sind eben nicht im stungen noch als Ausfallbürge unzureichender Lei-
System der Sozialhilfe selbst zu suchen, sondern stungssysteme.
außerhalb. Hier führe ich die Massenarbeitslosigkeit
und zu hohe Mieten an . Diese Reform übertrifft die Drittens. Die Kommunen und Landkreise als
schlimmsten Erwartungen. Mit diesem Gesetzent- Träger der Sozialhilfe dürfen durch systemfremde
wurf verabschiedet sich die Bundesregierung vom Leistungen finanziell nicht länger überfordert wer-
Bedarfsdeckungsprinzip. Gegen ihr Versprechen den.
wird die Deckung der Regelsätze der letzten drei (Beifall bei der SPD)
Jahre bis 1999 fortgesetzt.
(Bundesminister Horst Seehofer: Mit Ihrer Die der Sozialhilfe vorgelagerten Sozialleistungen
Zustimmung!) müssen so ausgebaut und ergänzt werden, daß der
Nachrang der Sozialhilfe wiederhergestellt wird.
Die Kommunen werden als Ersatzarbeitsämter
mißbraucht und mit zusätzlichen Kosten belastet. Die Viertens. Aufgabe der Sozialhilfe bleibt die Siche-
Wohlfahrtsverbände fürchten zu Recht, durch starre rung des Existenzminimums. Dazu ist die Erfüllung
und unsensible Regelungen in ihrer Leistungsfähig- des Bedarfsdeckungsprinzips unverzichtbar.
keit zum Nachteil der Menschen in ihren Einrichtun-
gen eingeschränkt zu werden. Darüber hinaus brau- (Beifall bei der SPD)
chen Behinderte ein eigenes Leistungsgesetz. Für
Bürgerkriegsflüchtlinge können die Kommunen Ein weiterer Punkt, Herr Minister Seehofer, ist das
nicht allein aufkommen. unsoziale neue Asylbewerberleistungsgesetz,
(Beifall bei der SPD) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
Herr Minister Seehofer, Sie bleiben da untätig, wo CSU]: Das ist genau das richtige!)
Sie eigentlich handeln müßten, nämlich bei der Be-
kämpfung und Beseitigung der Ursachen für die So- mit der Absicht, daß Asylbewerber, die bisher nur ein
zialhilfebedürftigkeit. Jahr eingeschränkte Leistungen bezogen, künftig
„bis zum Abschluß ihres Verfahrens" um bis zu
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wolf 20 Prozent gekürzte Sozialhilfeleistungen erhalten.
gang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben noch Sie verstoßen wieder gegen die gemeinsame Verein-
nie zugehört!) barung im Asylkompromiß, wenn Sie in das Asylbe-
werberleistungsgesetz auch die Bürgerkriegsflücht-
Von den Beziehern der Hilfe zum Lebensunterhalt linge einbeziehen und die zeitliche Begrenzung der
sind ein Drittel arbeitslos, rund 30 Prozent Familien eingeschränkten Leistung auf maximal zwölf Monate-
und Alleinerziehende und 37 Prozent Kinder und Ju- aufheben. Diese Politik aber zeigt, was Arbeitslose
gendliche bis 18 Jahre. Ich hoffe und denke, das ist und Bedürftige von dieser Regierungskoalition zu er-
eine Aussage, die allen Kolleginnen und Kollegen warten haben.
und auch Ihnen, Herr Minister, zu denken geben
muß. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
Wenn Sie vor diesem Hintergrund eine isolierte Re- CSU]: Das merken Sie ja bei jeder Wahl!)
form des Sozialhilfegesetzes anstreben, Herr Mini-
ster, dann verfolgen Sie meines Erachtens ein völlig Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß Men-
anderes politisches Ziel. schen in diesem Land unter unseren Lebensbedin-
gungen mit Leistungen unterhalb des Existenzmini-
(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!) mums nur kurze Zeit menschenwürdig leben kön-
nen.
Es geht Ihnen nicht um die Armutsbekämpfung, son-
dem um eine würdelose, unsoziale Haushaltssanie- Herr Minister Seehofer, meine Damen und Herren,
rung. Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß stelle ich fest:
(Beifall bei der SPD - Wolfgang Lohmann Der mangelnde Wille zur Umsetzung des Gesund-
[Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist eine heitsstrukturgesetzes hat eine Lage heraufbeschwo-
dumme Behauptung, pure Polemik!) ren, in der die Gesundheitspolitik unseres L andes an
Vertrauen und Ansehen verloren hat.
Dagegen, meine Damen und Herren, hält die SPD
fest: (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!)
Erstens. Das Bundessozialhilfegesetz steht in sei- Übernehmen Sie, Herr Minister, hier die Verantwor-
ner Funktion als letztes Instrument zur Verhinderung tung! Sie betreiben eine Gesundheits- und Sozial-
von Armut und Ausgrenzung nicht zur Disposi tion. politik auf dem Rücken der Pa tienten, Versicherten,
Es ist für den Sozialstaat unverzichtbar. der Arbeitslosen und Bedürftigen in unserem L ande.
(Beifall bei der SPD) Die angebliche Sozialhilfereform und die Neufas-
sung des Asylbewerberleistungsgesetzes zeigen, daß
Zweitens. Das Bundessozialhilfegesetz ist auf Ein- ihre Politik das Elend der Armut in Deutschland wei-
zelfallhilfe auf akute, vorübergehende Notlagen an- ter vorantreibt.
gelegt. Es eignet sich deshalb weder als Finanzie-
rungsinstrument für auf Dauer zu gewährende Lei (Rolf Köhne [PDS]: Buh!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5715
Gerhard Rübenkönig
Herr Minister Seehofer, eine würdelose Haushalts strebt. Ich glaube, dies ist ein Ergebnis, mit dem wir
Sanierung bei kalkuliertem Sozialabbau ist mit uns und auch das Haus zufrieden sein können.
Sozialdemokraten nicht zu machen.
Um dies klar zu sagen: Die Sorgen um Einbußen in
(Beifall bei der SPD und der PDS - der Qualität der Gesundheitsversorgung sind ge-
Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Antrag Lafon genstandslos. Das deutsche Gesundheitswesen
taine!) bleibt trotz der knappen Haushaltslage nach wie vor
an der Spitze in der gesamten Welt. Viele Staaten be-
Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Gesundheits- neiden uns um das Gesundheitswesen in Deutsch-
haushalt ab. land.
Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es ein biß- Die wichtigsten Ausgabenschwerpunkte sind wie
chen unruhig war, bedanke ich mich sehr herzlich 1995 die Maßnahmen gegen Drogen und Sucht, die
für die Aufmerksamkeit. Bekämpfung von Krebs und von Aids. Neu sind die
(Beifall bei der SPD und der PDS) Mittel für die aus dem Einzelplan 17 übernommene
Sozialhilfe.
Vizepräsident Hans Klein: Besonders unruhig war Die CDU/CSU-Fraktion sieht in einer konsequen-
es nicht, Herr Kollege. Aber da hinten gab es einen ten Antidrogenpolitik weiterhin einen wichtigen Teil
Kollegen, den ich leider nicht erkennen konnte, weil der Gesundheitspolitik. Der Bund stellt 1996
er die Zeitung so vor sich hielt, daß sein Gesicht nicht 46,5 Millionen DM für die Bekämpfung des Drogen-
zu sehen war. Als er aufgehört hat zu lesen, ist er hin- und Suchtmittelmißbrauchs zur Verfügung. Davon
ausgegangen, und von hinten konnte ich ihn wieder werden allein 21,7 Millionen DM für Aufklärungs-
nicht erkennen. maßnahmen verwandt. Der Gesamtansatz bleibt so-
(Heiterkeit) mit knapp 1 Million DM unter dem Vorjahresniveau;
aber wir werden alle Modellprojekte, die vorgesehen
Das Wort hat Kollege Roland Sauer. sind, fortführen können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Roland Sauer (Stuttgart ) (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Rü- Die Mittel für die Krebsbekämpfung belaufen sich
benkönig, Ihre Rede war eine polemische Pflicht- auf 22,2 Millionen DM. Der Aufbau der Einrichtun-
übung, die wir von Ihnen im Haushaltsausschuß gen für die Krebsmedizin in den neuen Ländern ist
nicht gewöhnt sind. Aber offensichtlich muß man erfreulicherweise stark fortgeschritten. Der Finanz-
hier diese Pflichtübung absolvieren. ansatz kann etwas zurückgenommen werden, weil
die Medizin hier sehr gut ausgebaut worden ist. -
Lassen Sie mich nur ganz kurz zur Sozialhilfere-
form und zu Ihren Krokodilstränen wegen der Kom- 23 Millionen DM sind für die Bekämpfung von
munen sagen: Stimmen Sie doch dem Asylbewerber- Aids vorgesehen. Von diesen werden 18 Millionen
leistungsgesetz zu. Dann werden wir erreichen, daß DM in die Aufklärung und 5 Millionen DM in die
940 Millionen DM zugunsten der Kommunen ange- Forschung gegeben. Die Ausgaben für den HIV-
setzt werden können. Fonds fallen 1996 weg, da der Bund im Jahre 1995
seine Leistungen vollständig erbracht hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Nun hätten - Sie haben das angeführt - die Kolle-
Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß der gen von der Opposition und auch der Bundesrat lie-
Bund bei der Sozialhilfereform überhaupt nicht profi- ber eine um 2 Millionen DM höhere Summe bei der
tiert. Die Nutznießer der Sozialhilfereform werden Aidsaufklärung gesehen. Ihr Vorschlag, dazu 2 Mil-
die Länder und die Kommunen sein. Das müssen Sie lionen DM beim Bundespresseamt einzusparen, wo
zur Kenntnis nehmen, und Sie müssen zu einer sach- wir schon sehr eingespart haben, ist reine Polemik
lichen Diskussion zurückfinden. und trägt nicht zu einer sachdienlichen Erörterung
(Beifall bei der CDU/CSU) bei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Poli- Für die Aidsaufklärung waren - das haben Sie of-
tik der Haushaltskonsolidierung und der Senkung fensichtlich vergessen - in der mittelfristigen Finanz-
der Neuverschuldung geht weiter. Dies muß auch für planung ursprünglich weit niedrigere Ansätze vorge-
den Einzelplan 15 gelten. Wie in allen anderen Res- sehen. Die Verstetigung des Ansatzes auf 18 Mil-
sorts, Herr Kollege Rübenkönig, herrscht auch hier lionen DM, die für den gesamten Finanzplan gelten
das Diktat des strikten Sparzwangs. wird, ist ein großer Erfolg. Insgesamt werden bis zum
Jahre 1999 somit 74 Millionen DM für die Aidsaufklä-
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!) rung aufgewendet werden gegenüber in der Finanz-
planung ursprünglich einmal vorgesehen gewesenen
In schwierigen Verhandlungen wurde der Etat ge-
30 Millionen DM. Ich glaube, dies kann sich sehen
genüber dem Regierungsentwurf insgesamt um noch lassen.
einmal 5,3 Millionen DM reduziert, so daß dem Bun- (Beifall bei der CDU/CSU)
desgesundheitsministerium im Haushalt 1996 rund
799 Millionen DM zur Verfügung stehen. Damit sind Ein weiterer wichtiger Ausgabeposten ist die ge-
die Ausgaben insgesamt um etwa 12 Millionen DM sundheitliche Aufklärung der Bevölkerung. Die
reduziert worden. Das sind rund 1,5 Prozent weniger Bundeszentrale wird 1996 13,6 Millionen DM erhal-
als 1995. Diese Marschrichtung haben wir ange ten. Dies sind in etwa 3 Millionen DM mehr als 1995.
5716 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Lassen Sie mich ein letztes Wort zur Drogenpolitik (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
sagen. Die CDU-Bundespartei und die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion erteilen allen Bestrebungen, so- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Kristin
genannte weiche Drogen zu legalisieren oder gar Heyne, Sie haben das Wort.
harte Drogen wie Heroin abzugeben, eine klare Ab-
sage. Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
(Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Und was ist mit Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer
dem Alkohol?) das Dilemma, daß wir als kleine Fraktion viel kürzer
reden. Drogenpolitik und Sozialhilfe, ich lasse dies
Mit uns wird es diesen falsch verstandenen Liberalis- alles heute einmal beiseite und beschränke mich auf
mus in der Drogenpolitik nicht geben. den Haushalt,
(Beifall bei der CDU/CSU) Der Grundtenor dieser Haushaltsdebatte ist zu
Recht das Sparen. Eine weitere Verschuldung ist
Wir wissen uns dabei im Einklang mit der übergro-
nicht mehr verantwortbar. Aber Sparen erfordert na-
ßen Mehrheit unserer Bürger.
türlich eine um so präzisere Schwerpunktsetzung. Ei-
Eine verantwortungsvolle Drogenpolitik besteht ner der Schwerpunkte, über den wir uns noch in den
für uns auch weiterhin aus den drei Säulen Präven- letzten Haushaltsberatungen parteiübergreifend ei-
tion, drogenfreie Therapie mit Nachsorge und Rein- nig waren, ist die Aidshilfe, ist die Aufklärung über
tegration sowie konsequente Repression gegen die die Aidsgefahren.
5718 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Kristin Heyne
Sie sind bei diesem Schwerpunkt nicht geblieben. finanzpolitische Reformen. Das ist Ihnen möglicher-
Sie haben die Mittel entgegen Ihren Ankündigungen weise bisher entgangen.
weiter heruntergefahren und damit die Möglichkei-
Den 800 Millionen Ausgaben stehen über
ten geschmälert.
70 Millionen Einnahmen gegenüber. Das ist, im Ver-
(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht auf Dauer!) hältnis gesehen, ein relativ hoher Anteil. Insofern
macht es durchaus Sinn, in Teilbereichen eine Soll-
Eine erwiesenermaßen erfolgreiche Maßnahme wird und Haben-Rechnung durchzuführen. Ich hoffe, daß
auf niedrigerem Niveau gefahren. Gleichzeitig ge- die Ausschußentscheidung zum Paul-Ehrlich-Institut
ben Sie in die Gentechnologie ein Vielfaches der Be- ein erster Schritt in die richtige Richtung war.
träge für die leeren und weitgehend nicht erfüllten
Versprechungen. Zur Soll-und-Haben-Rechnung im Bereich der Ge-
sundheitsreform möchte ich auch noch eine Anmer-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kung machen. Seit der Wadenbisse des gesundheits-
sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS]) politischen Sprechers der kleinen Koalitionspartei,
Die PDS hat noch einmal einen Antrag zur Aufstok- der heute wieder nicht hier sein darf, profilieren Sie
kung der Mittel für die Aidshilfe gestellt. Dies ist ein sich, Herr Minister Seehofer, mit dem Anspruch auf
inhaltlich richtiger Antrag. Leider haben Sie sich ein solidarisches Gesundheitswesen, das aber
nicht die Mühe gemacht, eine Gegendeckung zu ge- gleichzeitig bezahlbar sein soll. Kostendämpfung mit
ben, die im Einzelplan 15 im Bereich der Gentechnik- Hilfe einer Positivliste und strukturelle Veränderun-
forschung leicht zu machen gewesen wäre. Wir hal- gen sind das eine; sie sind auch nötig. Die Wurzel
ten das für unsolide. Deswegen werden wir uns bei des Übels aber scheint mir darin zu liegen, daß wir
diesem Antrag enthalten, auch wenn wir ihn inhalt- eine solidarische Gesundheitsversorgung überhaupt
lich unterstützen. noch nicht haben.
Ein zweiter sensibler Bereich dieses Haushaltes, Unser Kassensystem sieht vor, daß sich Menschen
bei dem meiner Meinung nach nicht mit Augenmaß mit mittlerem Einkommen gegenüber Menschen mit
gespart worden ist, ist eben schon angesprochen geringem oder gar keinem Einkommen solidarisch
worden. Es ist die Überwachung der Blutprodukte. verhalten müssen. Die Menschen mit dem höheren
Herr Kollege Sauer, Sie haben das eben so stolz an- Einkommen und die beamteten Staatsdiener aber
gesprochen. Der Haushaltsplanentwurf sah in die- werden merkwürdigerweise bei der Pflicht zur Soli-
sem Bereich keinerlei Aufstockung des Personals vor. darität ausgenommen.
Es hat extra eine Anhörung des Gesundheitsaus- Nun haben wir die Situation, daß die Arbeitslosig-
schusses und eine lange Diskussion unter den Be- keit in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen
richterstattern gegeben, in der deutlich geworden ist, ist und daß auch die Zahl der Menschen ohne Ein-
daß eine zeitnahe und sichere Überwachung bei den kommen oder mit sehr geringem Einkommen immer
Blutprodukten absolut noch nicht gewährleistet ist. weiter zunimmt. Damit gelangt die Solidarität der
(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das Menschen mit mittlerem Einkommen allmählich an
habe ich doch gesagt!) den Rand des Tragbaren. Was liegt jetzt eigentlich
näher, als zu sagen: Die Menschen mit höherem Ein-
Dann hat es in den Haushaltsberatungen für die kommen und der Staat als Arbeitgeber samt seiner
Haushälter eine Änderung gegeben. Gerade als Beamten werden endlich in diese Solidaritätspflicht
Haushälter der Opposition hat man ja nicht so sehr einbezogen?
viel Handlungsspielraum und auch nicht so sehr
viele Erfolge. Es hat in dem Sinne eine Änderung ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
geben, daß mehr Personal eingestellt werden darf in bei der SPD und der PDS)
der Höhe, in der auch höhere Einnahmen zu erwar- Herr Minister Seehofer, ich erkenne an, daß Sie
ten sind. sich in den letzten Jahren mit gewichtigen Gruppen
(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das auseinandergesetzt haben, auch mit einem gewissen
haben wir doch gemeinsam gemacht!) Erfolg. Daß Sie bezüglich der Positivliste eingeknickt
sind, ist sehr bedauerlich,
- Na ja, man mußte Sie ein bißchen zum Jagen tra-
gen, wenn man das einmal so sagen darf. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das waren
fachliche Gründe!)
(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Sonst
wäre es doch nicht durchgegangen!) läßt sich aber vielleicht noch korrigieren.
(Klaus Kirschner [SPD]: Dafür sorgen wir
Ich denke aber, daß dies ein wichtiger Erfolg ist,
noch!)
weil hier die Einnahmeseite mit der Ausgabenseite
verknüpft worden ist. Das allerdings halte ich für ei- Wenn Sie aber die Trennung zwischen Privatversi-
nen wichtigen Schritt heraus aus einer engen Haus- cherung und Beihilfe auf der einen Seite und gesetz-
haltslogik hin zu einer bezahlten Dienstleistung. licher Versicherung auf der anderen Seite nicht an-
gehen, dann wird es zu einer Lösung der jetzt anste-
Eigentlich hätte diese Konstruktion von Ihnen,
henden Probleme nicht kommen können.
Herr Minister Seehofer, kommen können; denn Sie
sind doch eigentlich der Zaubermeister für rationales Es ist klar, daß man nicht von heute auf morgen al-
Wirtschaften im Gesundheitswesen. Der Haushalt Ih- les auf den Kopf stellen kann. Als einen ersten mögli-
res Ministeriums ist durchaus ein lohnendes Feld für chen Schritt aber sehen wir die Anhebung der
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5719
Kristin Heyne
Pflichtversicherungsgrenze und mittel- bis langfristig Ich bin sicher, daß wir dann Kosten in nennenswer-
eine Angleichung der Privatversicherung an die ge- ter Höhe sparen, zumal wir sicherlich die Liegezeiten
setzliche Versicherung. verkürzen werden. Hier werden alle vor der Frage
stehen: Was machen wir mit den Überkapazitäten im
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Krankenhaus? Wandeln wir die Betten um? Müssen-
Eine Forderung nach Solidarleistungen, die Gut- wir Krankenhäuser schließen?
verdienende, den Staat und seine Beamten außen Meine Damen und Herren, das ist ein sehr sensi-
vor läßt, kann auf Dauer nicht glaubwürdig sein. Sie bles Thema. Das wissen wir alle, aber wir werden
wird ein verläßliches Gesundheitswesen, das wirk- dem politisch nicht entkommen, wenn wir im Kran-
lich alle absichert, nicht gewährleisten können. kenhausbereich wirklich sparen und diese Sparmaß-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nahmen nutzen wollen, um die ambulante Versor-
und bei der PDS sowie bei Abgeordneten gung erheblich zu verbessern. Wir müssen sie auch
der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie verbessern, den wir erwarten von der Ärzteschaft,
haben Pflichtversicherung und Beitragsbe- die im ambulanten Sektor tätig ist, daß sie verstärkt
messungsgrenze durcheinandergeworfen!) Nacht- und Wochenenddienste übernimmt und daß
es sich lohnt, do rt verfügbar zu sein, damit wir die
Einweisungen, die im Krankenhaus gerade am Wo-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Dieter chenende passieren, vermindern können. Wir wissen
Thomae, Sie haben das Wort. nämlich: Es gibt am Wochenende Einweisungen ins
Krankenhaus, die medizinisch nicht notwendig sind,
Fälle also, die ambulant behandelt werden könnten.
Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Vor 14 Tagen habe ich hier ge- (Klaus Kirschner [SPD]: Dann, macht doch
sagt: Die Koalition wird handlungsfähig sein und ein die Reform der ambulanten Versorgung
Konzept für die Krankenhausreform auf den Tisch gleich mit!)
legen. Heute liegt es auf dem Tisch.
Dort liegt für die Koalition der Ansatzpunkt, Ko-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne sten zu senken, Ausgaben umzuschichten. Wir sind
ten der CDU/CSU - Zuruf von der PDS: sicher, daß wir diesen Weg erfolgreich gehen wer-
Aber wie!) den.
Ich habe Ihnen zudem versprochen, daß ich mich da-
Ich darf Ihnen versichern: So wie diese Koalition
für vehement einsetzen werde. das Krankenhauspaket geschnürt hat, wird sie bis
Meine Damen und Herren, diese Krankenhausre- Weihnachten ein Konzept auf den Tisch legen, das
form geht von zwei Säulen aus. Erstens wird eindeu- die ambulante Versorgung vernünftig, ausgewogen
tig festgehalten: ambulant vor stationär. Warum? Mit und unter sozialen Aspekten organisiert.
einem solchen Konzept können wir preisgünstiger
und sinnvoller arbeiten und sind näher an den Pa- (Beifall bei der F.D.P. - Klaus Kirschner
[SPD]: Sehr gut! Wir warten darauf!)
tienten.
Der zweite Schwerpunkt unserer Koalitionsarbeit Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir mit
war, die Selbstverwaltung zu stärken. Dies haben der Koalition auch hier ein Beispiel geben werden,
wir geschafft. Wir haben auf der einen Seite die mit dem wir Ihren Vorstellungen begegnen werden.
Krankenkassen des Landes, auf der anderen Seite Ihr Sprecher hat heute der Koalition vorgeworfen,
eine Organisation der Krankenhausgesellschaft. die Gesundheitspolitik der F.D.P. und der Koalition
Diese beiden verhandeln in Zukunft über die Ge- insgesamt sei gescheitert. Da kann ich, wenn ich den
samtausgaben in einem Land; der Staat zieht sich zu- Antrag für Ihren nächsten Bundesparteitag lese, nur
rück. staunen. Dort wird genau darauf hingewiesen: Wir
Ich halte das für eine sehr gute Entscheidung. Der wollen die Lohnnebenkosten senken, damit Arbeits-
Staat zieht sich aus der Gesundheitspolitik zurück plätze gesichert werden! - Was denken Sie eigent-
und überläßt in Zukunft den Verantwortlichen das lich, worüber die Koalition seit einem Jahr redet? Wir
Gesamtvolumen der Ausgaben in einem Land. Hier, reden seit einem Jahr davon, daß die Lohnnebenko-
meine Damen und Herren, ist in Zukunft Kreativität sten gesenkt werden müssen.
gefragt.
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist wohl wahr! -
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Klaus Kirschner [SPD]: Wer ist denn in der
CDU/CSU) Regierung?)
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir haben ganz ent- Und wo können wir Lohnnebenkosten senken?
schieden das mit Ihnen entwickelte Reformkonzept Gerade im sozialpolitischen Bereich. Dort müssen wir
der Bundespflegesatzverordnung übernommen und vernünftige und ausgewogene Konzepte auf den
wollen dies weiterentwickeln. Wir sind heute bei Tisch legen. Ich bin froh, daß einige Ihrer Politiker
20 Prozent und nehmen uns fest vor, dies noch nen- den Mut haben, mittlerweile auch zu sagen, daß die
nenswert zu erweitern, damit wir in diesem Bereich Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen, weil an-
mehr Wettbewerb und mehr Transparenz bekom- dernfalls in Deutschland mehr Arbeitsplätze gefähr-
men. det wären, als wir uns heute vorstellen können.
5720 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995
Das ist der Weg in die Zukunft, nicht aber eine Bud- Dabei ist völlig klar, daß jedes Nachlassen bei der
getierung, wie Sie sie sehen. Aufklärung, aber auch jede Reduzierung bei den Un-
terstützungsangeboten für die an Aids Erkrankten
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - beziehungsweise von HIV-Infektionen Betroffenen
Klaus Kirschner [SPD]: Was ist denn mit ei die bisher erzielten Ergebnisse gefährden, ja, mehr
ner Budgetierung?) noch, zwangsläufig auf Kosten von Leben und Ge-
sundheit vieler Menschen gehen muß.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Dr. Ruth
Fuchs, Sie haben das Wort. Es bleibt noch festzustellen: Der Haushalt leistet
wiederum keinen Beitrag zur notwendigen Erneue-
rung im Gesundheitswesen. Eine aktive Förderung
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Herr Präsident! Meine Da- zweckmäßiger Entwicklungen, Strukturen oder mo-
men und Herren! Nach der Jubelrede nun wieder ein derner Forschungsfelder tendiert praktisch gegen
kleiner Dämpfer: Wir beraten heute den wohl unsoli- Null. Neue Aufgaben werden so gut wie nicht mehr
desten Bundeshaushalt, der je in diesem Parlament aufgenommen. Ich erinnere nur an solche Bereiche
vorgelegt wurde. Wiederum sind es soziale Bereiche, wie Umweltmedizin oder Kindergesundheit.
in denen durch Streichung die massiven Deckungs-
lücken geschlossen werden sollen. Das betrifft auch In diesem Kontext ist wohl auch zu sehen, wie mit
den Einzelplan des Bundesgesundheitsministers. den Ende dieses Jahres auslaufenden Personalstellen
im Robert Koch Institut umgegangen wurde. Auch
- -
Bereits mit dem Ansatz der Regierung ist er gegen- zeitlich befristete Arbeitsmöglichkeiten auf der Basis
über dem Vorjahr erneut empfindlich gekürzt wor- von Forschungsprojekten oder durch Drittmittel fi-
den. Dabei gilt nach wie vor: Da der Etat des Ge- nanzierten Vorhaben für einige der betroffenen Mit-
sundheitsministers vergleichsweise klein ist, kann arbeiter bedeuten letztlich die Nichtanerkennung ih-
mit Streichungen für den Gesamthaushalt zwar nicht rer Tätigkeit als Daueraufgabe und die Entlassung
viel gewonnen, dafür aber in hochsensiblen Berei- aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis. Was bleibt,
chen der Gesundheitspolitik um so größerer Schaden sind erneut enttäuschte und frustrierte Fachleute und
angerichtet werden. verschenkte Möglichkeiten, die Arbeit auf zukunfts-
Dessenungeachtet hat die bekannte Mehrheit im trächtigen und bisher relativ schwach entwickelten
Haushaltsausschuß mehr oder weniger nach der Ra- Gebieten zu verstärken.
senmähermethode weitere unverantwortliche Kür-
Meine Damen und Herren, ob die Haushaltsziele
zungen vorgenommen, bemerkenswerterweise übri-
des Bundes 1996 erreicht werden, hängt, so scheint
gens, ohne daß der zuständige Fachausschuß in an-
es jedenfalls, auch davon ab, ob es dem Gesundheits-
gemessener Form dazu Stellung nehmen konnte. Ei-
minister gelingt, die Krankenversorgung von über
nige Beispiele für die Auswirkungen: Chronische
260 000 ausländischen Bürgerinnen und Bürgern
Krankheiten stehen heute bekanntlich im Vorder-
auf eine minimale Akutversorgung zu reduzieren
grund der Gesundheitsprobleme der Bevölkerung.
und die Leistungen für Asylbewerber und Flücht-
Ihre adäquate medizinische Versorgung und soziale
linge für mehrere Jahre unter das soziokulturelle Exi-
Bewältigung ist auch in Deutschland eine der drän-
stenzminimum der Sozialhilfe zu drücken. Die hier
gendsten, über weite Strecken aber noch nicht genü-
geplanten Einsparungen sollen den Ländern und Ge-
gend gelöste Aufgabe der Medizin.
meinden offensichtlich die Streichung der originären
Um so wichtiger ist es natürlich, entsprechende Arbeitslosenhilfe und den damit verbundenen An-
Modellvorhaben zu fördern. Bundesministerium und stieg der Zahl der Sozialhilfeempfänger gegenfinan-
Gesundheitsausschuß waren in den letzten Jahren zieren und damit schmackhaft machen. Zugleich
durchaus bemüht, dieser Notwendigkeit Rechnung wird ihnen mit der in diesem Haus bereits scharf kri-
zu tragen. Nicht so das vorliegende Ergebnis des tisierten Novelle des Bundessozialhilfegesetzes eine
Haushaltsausschusses. Die dringend benötigten Mit- weitere Kostendeckelung durch Leistungseinschrän-
tel sind wieder auf einen Stand gekürzt worden, der kung in Aussicht gestellt.
einem Rückfall um mehrere Jahre gleichkommt.
Ähnliches gilt leider für die Aufklärungsmaßnahmen Was wir hier erleben, ist das zynische und kalt-
auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmiß- schnäuzige Prinzip eines Verschiebebahnhofes, bei
brauchs. dem die Lebensmöglichkeiten von Menschen nur
noch als Kostenstellen behandelt werden und auf
Der Titel „Kosten für den Betrieb nationaler Refe- dem Rücken der schwächsten Mitglieder der Gesell-
renzzentren auf dem Gebiet der Verhütung und Be schaft Haushaltsgeschäfte abgewickelt werden.
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(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist der ben wollen, dann begehen Sie eine schwere Sünde
Unterschied zwischen reden und handeln!) an den Grundüberzeugungen der Grünen; denn
dann würden Sie über 30 000 sanfte Arzneimittel und
Meine Damen und Herren, das ist das Erbärmliche, Naturheilmittel aus dem Leistungskatalog der ge-
daß sich Politiker hier herstellen, im Deutschen Bun- setzlichen Krankenversicherungen ausschließen.
destag mehr fordern, und ihre eigene Partei lehnt es
im Bundesrat ab, eine Mark mehr zu bezahlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sagen Sie endlich einmal der Öffentlichkeit, ob Sie
das wollen oder ob Sie das nicht wollen. Wenn Sie
Dann, Herr Kollege Rübenkönig, haben Sie sich das nicht wollen, dann sind Sie genau wieder da, wo
mit einem Phantom in der Gesundheitspolitik be- wir heute sind. Wir haben die Erkenntnis schon we-
schäftigt. Ich kenne die gesundheitspolitischen Vor- sentlich früher gewonnen, daß dies der Bevölkerung
stellungen und 'Ziele in der Koalition nicht, die Sie nicht zumutbar ist.
hier beschrieben haben. Das ist ein Phantom. Das
gibt es nicht, Herr Kollege Rübenkönig, hinsichtlich der Sozial-
hilfe gibt es ja eine eigenartige Auffassung. Ich frage
(Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Noch nicht!)
mich, ob Sie als alte Arbeitnehmerpartei in Deutsch-
weder bei dem, was wir heute vorgelegt haben, noch land wirklich noch das Ohr bei den Arbeitnehmern
bei dem, was wir in diesem Jahr innerhalb der Koali- haben, die tagtäglich ihre Leistung erbringen und
tion noch vereinbaren werden. ihre Steuern und Abgaben bezahlen, und ob Sie
wirklich diesen Arbeitnehmern sagen wollen, daß
Der große Erfolg - das ist Ihr Mißvergnügen - un- die Sozialhilfe, also die Transferleistungen, die an Be-
serer Übereinkunft ist, daß wir in voller Eintracht dürftige ohne Arbeit gezahlt werden, in den näch-
zwischen F.D.P., CDU und CSU eine Krankenhausre- sten Jahren stärker als die Nettolöhne der Arbeitneh-
form vereinbart haben, die in erster Linie diejenigen mer steigen sollen. Das erzählen Sie einmal den Ar-
in Verantwortung nimmt, die wirklich Kosten steuern beitnehmern.
können, nämlich die Krankenkassen und Kranken-
häuser. Sie ist aber keine Reform zu Lasten der Pa- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
tienten. Das ist sozial, und deshalb haben wir recht
mit unserem Ziel, die soziale Krankenversicherung in Die IG Metall schlägt aus ihrer Verantwortung
eine Nullrunde vor. Der Kollege Dreßler hat vor weni-
Deutschland beizubehalten.
gen Monaten noch gesagt, die Sozialhilfe müsse im
(Beifall bei der CDU/CSU) nächsten Jahr, weil wir nach dem Bedarfsdeckungs-
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Karl Diller
hingewiesen, daß wir in der zweiten Lesung keine Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst
Änderungsanträge zum Haushalt stellen, über den Änderungsantrag der Gruppe PDS auf
Drucksache 13/2861. Wer stimmt für den Änderungs-
(Uta Titze-Stecher [SPD]: Das verdient die
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich -
ser Haushalt auch nicht!)
der Stimme? -
weil man einen Haushalt, dessen Rahmen gründlich
verzogen ist, nicht korrigieren kann, indem man (Zuruf von der CDU/CSU: So weit seid ihr
durch Änderungsanträge Blechschäden beseitigt. schon gekommen!)
Aber es gibt Änderungsanträge kleinerer Fraktio- Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der
nen, die wir auch in den Haushaltsausschußberatun- PDS bei Enthaltung von SPD und Grünen mit der
gen gestellt haben. Ein solcher Änderungsantrag Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
liegt jetzt vor. Deswegen werden wir uns wegen die-
ser Übereinstimmung in der Sache in dieser Frage Wer stimmt für den Einzelplan 15 in der Ausschuß-
enthalten. fassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ein-
zelplan 15 ist angenommen.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sit-
wollen Sie replizieren? zung nicht vor.
Dr. Horst Seehofer, Bundesminister für Gesund- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
heit: Nein. destages auf morgen, Mittwoch, 8. November 1995,
9 Uhr ein.
Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- Die Sitzung ist geschlossen.
sprache.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Schluß der Sitzung: 21.45 Uhr)
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