Sie sind auf Seite 1von 128

Plenarprotokoll 17/57

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

57. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5932 D


neten Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Herbert
Frankenhauser, Ernst-Reinhard Beck (Reut- Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 5934 C
lingen), Klaus Breil, Josef Göppel und Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5935 D
Manfred Zöllmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5907 A
Begrüßung des neuen Abgeordneten Bernd
Einzelplan 30
Siebert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5907 B
Bundesministerium für Bildung und For-
schung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5938 A
Tagesordnungspunkt 1:
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5938 A
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5940 B
für das Haushaltsjahr 2011 (Haushalts-
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5941 C
gesetz 2011)
(Drucksache 17/2500) . . . . . . . . . . . . . . . . 5907 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 5943 B
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5944 D
(Drucksache 17/2501) . . . . . . . . . . . . . . . . 5907 B
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5945 C
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5907 D Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5946 B
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 5917 A Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5948 A
Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5920 B Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 5950 A
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5923 B Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5951 A
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5925 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5952 B
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . 5926 A
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 5953 D
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5927 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 5955 C
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5928 D Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5957 B
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . . 5930 C Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5958 D
Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5932 A Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5959 B
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Einzelplan 15 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5996 C
Bundesministerium für Gesundheit . . . 5959 A
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 5997 A
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5959 A Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . 5997 C
Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5961 B Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 5998 B
Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . . 5962 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5999 C
Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5963 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6000 A
Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 5963 D
Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6001 A
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 5965 D
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6001 C
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5966 D Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6002 A
Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5968 C
Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6002 D
Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . 5970 B
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . 6003 B
Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5971 C
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 6004 D
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5973 B
Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5974 C Einzelplan 10
Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5976 A Bundesministerium für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz . . . . 6006 C
Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5977 A
Ilse Aigner, Bundesministerin
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5978 C BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6006 D
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 6009 A
Einzelplan 16
Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . 6010 C
Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit . . . . . . . . 5979 A Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6011 B

Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/


BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5979 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6012 C

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Peter Bleser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 6014 B


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5980 D Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6016 B
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 6017 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5983 A
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6019 A
Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5983 D
Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 6019 B
Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 5985 C
Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 6019 C
Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5986 C
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6021 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5988 A Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6021 D
Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5989 A Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6023 B
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 5990 A Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . 6023 D
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5991 C Rainer Erdel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6025 B
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5993 A Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6026 A
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5993 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6027 D
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5995 B
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5995 C Anlage
Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 5995 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6029 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5907

(A) (C)

Redetext

57. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Beginn: 10.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im


Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aus-
begrüße Sie alle herzlich zur Haushaltswoche im Deut- sprache im Anschluss an die einstündige Einbringung
schen Bundestag. Die Sitzung ist eröffnet. des Haushalts siebeneinhalb Stunden, für Mittwoch
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich da- achteinhalb Stunden, für Donnerstag wieder siebenein-
rauf hinweisen, dass der Kollege Dr. Koppelin heute halb Stunden und für Freitag dreieinhalb Stunden vorge-
seinen 65. Geburtstag feiert, sehen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir jedenfalls
(Beifall) das Zeitbudget einvernehmlich beschlossen. Über den
wozu ich ihm offensichtlich im Namen des ganzen Hau- Rest wird es möglicherweise die eine oder andere kon-
ses unsere guten Wünsche übermittele. troverse Urteilsbildung geben; jedenfalls entspricht das
den Erfahrungen früherer Haushaltsberatungen.
Während der parlamentarischen Sommerpause gab es
(B) eine Reihe weiterer runder Geburtstage. Ebenfalls ihren Wie Sie sehen, wurden in der Sommerpause nach ei- (D)
65. Geburtstag begingen die Kollegen Herbert ner damaligen Erprobung und nach Beratung und Be-
Frankenhauser, Ernst-Reinhard Beck und Klaus schlussfassung in Präsidium und Ältestenrat die LCD-
Breil. Den 60. Geburtstag feierten die Kollegen Josef Großbildwände fest installiert, die in Zukunft alle Teil-
Göppel und Manfred Zöllmer. Auch Ihnen übermittele nehmer an den Plenarsitzungen des Deutschen Bundes-
ich auf diesem Wege alle guten Wünsche. tages noch präziser und zeitnäher über den Tagesord-
nungspunkt, die Abfolge der Rednerinnen und Redner,
(Beifall)
deren voraussichtliche Redezeit und damit verbundene
Die Kollegin Lucia Puttrich hat Anfang des Monats Abstimmungen in Kenntnis setzen. Beim ersten Redner
auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ver- der Haushaltsdebatte wäre das vermutlich auch ohne An-
zichtet. Als ihren Nachfolger begrüße ich den Kollegen zeige hinreichend identifizierbar.
Bernd Siebert wieder hier im Hause. Herzlich willkom-
men, lieber Kollege Siebert! Ich erteile nun zur Einbringung des Haushalts dem
Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
(Beifall) das Wort.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das zen:
Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem
– Drucksache 17/2500 – Entwurf des Bundeshaushalts 2011, auch mit der Fort-
Überweisungsvorschlag:
schreibung der mittelfristigen Finanzplanung, setzen wir
Haushaltsausschuss den Ausweg aus dem durch die Finanzkrise verursachten
schwersten Einbruch in der Geschichte der Bundesrepu-
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- blik Deutschland konsequent fort.
gierung
Man muss daran erinnern: Wir hatten im vergangenen
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014 Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um
– Drucksache 17/2501 – 4,7 Prozent. Das haben wir in der Geschichte der Bun-
Überweisungsvorschlag: desrepublik Deutschland so nicht gekannt. Wir haben bei
Haushaltsausschuss der Einbringung des Haushalts 2010 im Januar noch mit
5908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) einer Neuverschuldung von annähernd 86 Milliarden kritisch beleuchtet – das wird in der Debatte in dieser (C)
Euro rechnen müssen. Ich habe damals gesagt: Die Woche geschehen –, darf das nicht aus dem Blick verlie-
Rückgewinnung verloren gegangenen Vertrauens ist die ren.
wichtigste Aufgabe, wenn wir politisch die Rahmenbe-
dingungen für eine positive wirtschaftliche und soziale Im internationalen und im europäischen Vergleich lie-
Entwicklung gestalten wollen. gen wir übrigens nicht schlecht: In der Europäischen
Union rechnet man in diesem Jahr mit einer durch-
Die tatsächliche Neuverschuldung in diesem Jahr schnittlichen Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. Wir lie-
liegt nicht mehr bei 86 Milliarden Euro, sondern zwi- gen bei 6,9 Prozent und damit weit unter dem EU-
schen 50 und 60 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen Durchschnitt. Nur zum Vergleich: Die Erwerbslosen-
für Bund, Länder und Gemeinden haben sich besser bzw. quote in den USA lag im Juni bei 9,5 Prozent. Unsere
weniger schlecht entwickelt, als wir es am Anfang des Politik wirkt sich also positiv für die Menschen aus, und
Jahres noch einplanen mussten. Unsere wirtschaftliche das ist die beste Sozialpolitik.
Entwicklung ist sehr viel besser, als man Anfang des
Jahres hoffen konnte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die EU-Kommission hat gestern ihre Frühjahrspro- Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir behaupten ja
gnose vorgelegt. Bisher hat sie uns, der Bundesrepublik nicht, dass alles durch die Finanzpolitik oder überhaupt
Deutschland, für dieses Jahr ein reales Wachstum in durch die Politik beeinflusst und gestaltet wird – das
Höhe von 1,2 Prozent prognostiziert. Gestern hat sie ihre wäre der Beleg für ein falsches Verständnis von sozialer
Prognose auf 3,4 Prozent angehoben. Der IWF prognos- Marktwirtschaft –; aber offensichtlich setzt die Politik
tiziert für dieses Jahr ähnlich. Das heißt, wir sind auf ei- den richtigen Rahmen für eine positive Entwicklung,
nem guten wirtschaftlichen Weg. und das ist schon eine ganze Menge. Weil wir auf dem
richtigen Weg sind, wäre es töricht, diesen Weg nun
Ich will hinzufügen: Niemand kann erwarten, dass schon wieder zu verlassen. Deswegen sind wir, die Bun-
sich die Wachstumszahlen für das Jahr 2010 angesichts desregierung, die Koalition und CDU/CSU, entschlos-
der Ausgangsbasis des Jahres 2009 im Jahr 2011 so fort- sen, Kurs zu halten. Wir sind entschlossen, diesen Weg,
setzen werden. Manche titeln schon: Wenn das Wachs- dessen erste Erfolge wir deutlich spüren, fortzusetzen.
tum in diesem Jahr über alle Erwartungen hoch sein Das ist wichtig; denn wenn wir Vertrauen zurückgewin-
wird, dann werden wir im nächsten Jahr einen Einbruch nen wollen, brauchen wir Stetigkeit, Nachhaltigkeit und
des Wachstums zu verzeichnen haben. Das ist sachlich Verlässlichkeit.
nicht ganz richtig. Auch die Prognosen für das Jahr 2011
werden von allen nationalen und internationalen Institu- Im Übrigen beurteilen uns unsere Partner in Europa
(B) tionen eher angehoben. Wahr ist aber: Wir werden die und in der Welt inzwischen mit weniger Kritik. Noch vor (D)
Wachstumszahl von über 3 Prozent – wenn sie sich in einigen Monaten hat man uns nicht zugetraut, dass wir
diesem Jahr verwirklicht – im nächsten Jahr zwar nicht die Anforderungen des europäischen Stabilitäts- und
erreichen, aber wir haben alle Chancen auf eine stetige, Wachstumspaktes erfüllen können. Wir selbst haben uns
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Das ist nichts in den Bundestagsdebatten im Januar und im März kri-
Abstraktes, sondern es wirkt sich auf die Bürgerinnen tisch gefragt – jeder wird sich erinnern –, ob wir die
und Bürger in unserem Land konkret und positiv aus. Schuldenbremse des Grundgesetzes, die gut ist, die eine
balancierte, nachhaltige Exit-Strategie aus der zu hohen
Ich will daran erinnern: Die Arbeitslosigkeit ist das Verschuldung vorsieht, einhalten können.
größte soziale Problem. Wer Arbeitslosigkeit abbaut,
leistet den wichtigsten Beitrag zu nachhaltiger sozialer Die Kritik und die Zweifel sind inzwischen gewichen.
Gerechtigkeit und zur Gewährleistung sozialer Leistun- Stattdessen gab es im internationalen Bereich zuneh-
gen. Das kann man nicht voneinander trennen. mend eine andere Kritik: Wir sparten die Weltwirtschaft
kaputt; wir müssten unsere Verantwortung in Europa
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ganz anders wahrnehmen. Doch auch diesbezüglich hat
Im August dieses Jahres wurden 3,188 Millionen Ar- sich unsere Politik als richtig erwiesen und durchgesetzt.
beitslose registriert. Damit liegen wir unter dem Niveau, Ich will daran erinnern, dass man sich beim Treffen der
das wir vor der Krise hatten. Wir haben übrigens einen Staats- und Regierungschefs im Rahmen des G-20-Gip-
stärkeren Rückgang der Arbeitslosigkeit in den neuen fels in Toronto am Ende gemeinsam verpflichtet hat, die
Bundesländern zu verzeichnen; dort sind es 10 Prozent. jeweiligen Budgetdefizite bis 2013 zu halbieren. Man
In den alten Bundesländern sind es 7 Prozent. Das heißt, hat festgestellt, dass es richtig ist, dass man eine maß-
die derzeitige Entwicklung hat die positive Wirkung, volle, aber nachhaltige Reduzierung der zu hohen öffent-
dass der Abstand zwischen neuen und alten Bundeslän- lichen Defizite, die ja eine Hauptursache der Krise sind,
dern nicht größer, sondern kleiner wird. so ausgestalten kann, dass sie wachstumsfreundlich ist,
dass sie die wirtschaftliche Entwicklung nicht behindert,
Bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Be- sondern fördert. Im Übrigen hat man festgestellt, dass
schäftigten liegen wir um 93 000 über dem Vorkrisenni- das auch dem Arbeitsmarkt und den Menschen zugute
veau. Der Bestand an gemeldeten offenen Arbeitsstellen kommt.
belief sich im August auf 396 000. Das ist gegenüber
dem Vorjahresmonat ein Anstieg um 32 Prozent. Das Es ist ein wichtiger Punkt, dass das gelungen ist; denn
heißt, unsere Politik wirkt sich konkret auf die Men- die Zweifel daran waren weit verbreitet. Deswegen muss
schen aus. Wer die sozialen Wirkungen dieser Politik daran festgehalten werden. Wir sind auf einem richtigen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5909
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) Weg. Wir gelten inzwischen als Wachstumslokomotive (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
in Europa. Angesichts unserer Wachstumszahlen in die- NEN]: Sie streichen doch! – Renate Künast
sem Jahr und angesichts der Tatsache, dass wir im Juni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welchem
die höchsten Importzahlen in der Geschichte der Bun- Haushalt denn?)
desrepublik Deutschland hatten, ist die Kritik, wir näh-
– Wenn Sie sich die praktische Umsetzung in der Fami-
men unsere Verantwortung für Europa und für die globa-
lienpolitik anschauen, können Sie nicht bestreiten, dass
lisierte Welt nicht wahr, in sich zusammengebrochen.
wir die Mittel erhöht haben; dies ist übrigens schon zum
Auch das Vertrauen unserer Partner und deren Beurtei-
1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten.
lung zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wenn Sie sich anschauen, wie der Anteil der Sozial-
Im Übrigen zeigen alle Meinungsumfragen, dass die
ausgaben im Bundeshaushalt kontinuierlich in den letzten
Bürgerinnen und Bürger sehr wohl verstanden haben
Jahren gestiegen ist und auch im Haushalt 2011 steigt,
– sie empfinden eine entsprechende Sorge –, dass eine
dann erkennen Sie, dass wir das sehr wohl bedacht haben.
zu hohe, nicht mehr beherrschbare Neuverschuldung des
Ich füge jetzt hinzu: Wir machen mit der Wende bei den
Staates eines unserer größten Probleme ist. Wenn wir sie
Ausgaben zum ersten Mal Ernst. Wir haben im Bundes-
zurückführen, entsprechen wir dem dringenden Bedürf-
haushalt 2010 noch 319,5 Milliarden Euro Ausgaben. In
nis unserer Bürgerinnen und Bürger. Auch das ist wich-
2011 – nach dem Entwurf des Haushalts, den ich Ihnen
tig.
heute vorlege – reduzieren sich die Ausgaben im Bundes-
In den Debatten über die Frage, ob wir mit unserer haushalt auf 307 Milliarden Euro. Ab 2012 wollen wir bei
Defizitreduzierung unsere internationale Verantwor- 301 Milliarden Euro landen. Damit schaffen wir erstens
tung vielleicht nicht richtig wahrnehmen, habe ich unse- die Voraussetzungen dafür, dass wir das Wachstum der
ren Kollegen übrigens immer gesagt – ich bin nicht der- Ausgaben unter dem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes
jenige, der anderen viele Ratschläge erteilt; ich halten – das ist die entscheidende Größenordnung, um die
konzentriere mich eher darauf, die Ratschläge, die wir zu hohe Verschuldung dauerhaft zurückzuführen –, und
anderen geben könnten, bei uns selbst zu verwirklichen –: zweitens dafür, dass wir die Neuverschuldung zurückfüh-
In Deutschland ist die Rückgewinnung von Vertrauen, ren.
die Bekämpfung von Verunsicherung wegen der zu ho- Wir haben im Übrigen in unserem Zukunftspaket
hen Defizite, eine der wichtigsten Voraussetzungen da- – auch das muss man wieder und wieder in Erinnerung
für, dass wir nachhaltiges Wachstum und eine ausgewo- rufen – eine ausgewogene Struktur. Wir sparen – das
gene, stabile Entwicklung am Arbeitsmarkt haben. wird in den öffentlichen Debatten gelegentlich ein biss-
(B) (D)
Meine Damen und Herren, wir führen die Neuver- chen unterschätzt – in dem Bereich, den die Regierung
schuldung zurück; das zeigen die Zahlen der mittelfris- ohne gesetzliche Änderungen selbst gestalten kann: bei
tigen Finanzplanung. Die Ausgangsmarge für 2010 den Ausgaben für Personal, bei den Stellen und bei den
habe ich genannt. Noch einmal: Bei der Verabschiedung sachlichen Verwaltungsausgaben.
des Haushaltsentwurfs lagen wir noch bei rund (Zuruf des Abg. Alexander Bonde [BÜND-
80 Milliarden Euro, bei der Einbringung bei annähernd NIS 90/DIE GRÜNEN])
86 Milliarden Euro. Im tatsächlichen Verlauf liegen wir
irgendwo unterhalb von 60 Milliarden Euro. Wir führen – Ach, Herr Bonde, die Haushaltsberatung im Einzelnen
die Neuverschuldung des Bundes in den Jahren 2011 bis läuft, und Sie werden, wie alle anderen im Haushaltsaus-
2014 konsequent von 57,5 Milliarden Euro – das ist die schuss, daran mitwirken.
Zahl im Haushalt 2011 – über 40 Milliarden Euro im
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Jahr 2012 auf 31,6 Milliarden Euro in 2013 und
NEN]: 2,4 Milliarden Euro nicht etatisiert im
24,1 Milliarden Euro in 2014 zurück. Das ist konkret die
Verwaltungsbereich!)
Umsetzung der im Grundgesetz vorgesehenen Schulden-
bremse, und vor allen Dingen ist das eine nachhaltige, – Ja, wir haben insgesamt – ich kann Ihnen die Zahlen
wachstumsfreundliche Defizitreduzierung. gerne noch einmal vortragen –
Unsere Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung ist richtig. Nichts Konkretes!)
Das zeigt sich auch darin, dass wir unser Zukunftskon-
im Verwaltungsbereich im kommenden Jahr bei den dis-
zept zur Rückgewinnung von mehr Handlungsfähigkeit
poniblen Mitteln eine Reduzierung um 2,3 Milliarden
genau danach ausgerichtet haben. Wir haben die Investi-
Euro vorgesehen.
tionen im Bundeshaushalt nicht verringert. Wir haben
die Investitionen für Bildung und Forschung erhöht, und An der Gesamtsumme der mittelfristigen Finanzpla-
es bleibt dabei. Wir haben im Übrigen vor dem Hinter- nung der nächsten vier Jahre, in denen wir insgesamt et-
grund unserer demografischen Entwicklung – eines un- was über 80 Milliarden Euro konsolidieren, ist der Ver-
serer größeren gesellschaftlichen wie ökonomischen waltungsbereich mit über 14 Milliarden Euro beteiligt.
Probleme – einen klaren Schwerpunkt gesetzt, indem Wir planen weitere Maßnahmen, die auch im Regie-
wir die Leistungen für Familien und Integration nicht rungsbereich liegen. Wenn Sie das zusammenrechnen,
verringern, sondern verstärken. Das alles ist der richtige stellen Sie fest: Wir liegen bei etwa 20 Milliarden Euro
Weg. weniger.
5910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Wir haben im Bereich der Neujustierung von gesetz- – Ja, klar. Herr Kollege Schneider, Sie sind zu sachkun- (C)
lichen Leistungen – hier achten wir im Übrigen sehr ge- dig, um nicht zu wissen, dass ein Subventionsabbau – dazu
nau darauf, dass wir Anreize für Beschäftigung verbes- haben Sie 100 Prozent Zustimmung – im Ergebnis fast
sern, und wir berücksichtigen das Lohnabstandsgebot als immer höhere Steuern nach sich zieht. Daran führt kein
einen der wichtigen Schlüssel für nachhaltig positive Ent- Weg vorbei. Es ist wichtig, dass wir das gelegentlich sa-
wicklung am Arbeitsmarkt – für die nächsten vier Jahre gen.
insgesamt einen Betrag von etwa 30 Milliarden Euro – im
Jahr 2011 3 Milliarden Euro – vorgesehen. Wir haben (Joachim Poß [SPD]: Das wird nie so deutlich
darüber hinaus in dem Bereich, den man Subventionsab- gesagt!)
bau nennen kann – ökologische Neujustierung, Beteili- – Herr Kollege, ich sage es immer. Es ist so.
gung von Unternehmen oder Einnahmeverbesserungen –,
eine Größenordnung von zusammengerechnet ebenfalls (Joachim Poß [SPD]: Von allen in Ihrer Koali-
etwa 30 Milliarden Euro. Das heißt, das Zukunftspaket tion!)
der Bundesregierung hat eine ausgewogene Struktur. Das – Von Ihnen auch. Das muss auch gesagt werden.
ist ein zentraler Punkt.
Jetzt will ich die Luftverkehrsabgabe erläutern. Wir
Ich will im Übrigen daran erinnern, dass wir uns bei hätten eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und
den Kürzungen im sozialen Bereich ganz gezielt da- auch im Parlament, wenn wir die Ausnahme beseitigen
rauf konzentrieren, die Möglichkeiten zur Arbeitsauf- könnten, dass der Luftverkehr – im Gegensatz zu den
nahme zu verbessern. Verkehrsträgern Schiene und Straße – von der Mineral-
(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- ölbesteuerung ausgenommen ist. Aufgrund der interna-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) tionalen und der europäischen Rechtslage können wir
diese Ausnahme aber nicht beseitigen. Das mag man be-
– Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an, die die dauern; aber das ist so. Also wollen wir anstelle dessen
Situation auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Ich weiß eine Luftverkehrsabgabe einführen. Das ist ein Ersatz
nicht, warum Sie darüber lachen. für eine nicht national einzuführende Besteuerung von
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Flugbenzin. Das ist Subventionsabbau. Ich glaube, diese
Maßnahme ist richtig dosiert, abgewogen und sie ist gut
Herr Kollege Trittin, wenn Sie sich den Haushalt des zu begründen.
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und den
Haushalt der Bundesagentur für Arbeit anschauen und Das ist übrigens bei der Kernbrennstoffsteuer ganz
wenn Sie darüber hinaus die bessere Entwicklung auf ähnlich. Wir wissen, dass von der Kernenergie im Gegen-
(B) dem Arbeitsmarkt berücksichtigen, dann sehen Sie, satz zu anderen Energieträgern keine als Belastung emp- (D)
fundenen Emissionen ausgehen. Deswegen beseitigen
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir mit der Kernbrennstoffsteuer – das sehen die Betrof-
NEN]: Dass es nicht reicht!) fenen natürlich nicht ganz so; daher muss man darüber in-
tensiv diskutieren – im Wesentlichen die Privilegierung
dass wir mit reduzierten Ansätzen die Effizienz der Leis- eines bestimmten Energieträgers. Angesichts dessen kann
tungen verbessern können. Das ist die Politik der Bun- man auch diese Maßnahme gut rechtfertigen.
desregierung.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warum ist es
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dann befristet?)
Wir haben darüber hinaus die Einnahmen verbessert. – Weil auch die Laufzeit der Kernkraftwerke befristet
Meine Damen und Herren, ich habe wieder und wieder ist.
gesagt – das wissen wir alle –: Aufgrund der Struktur des
Bundeshaushalts kann die Erwartung nicht erfüllt wer- (Joachim Poß [SPD]: Die ist doch nur bis 2016
den, dass sich die Haushaltskonsolidierung ausschließlich befristet!)
auf der Ausgabenseite vollzieht. Dafür ist die Struktur des
Bundeshaushalts zu spezifisch. Weit über 50 Prozent der – Herr Kollege Poß, wir werden in den nächsten Tagen
Mittel des Bundeshaushalts fließen in Sozial- und Fami- und Wochen das Energiekonzept der Bundesregierung
lienleistungen. Einen Großteil der Investitionen müssen und der Koalition insgesamt mit großer Intensität disku-
wir im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung von tieren. Sie werden dann ziemlich viel Mühe haben, Ar-
Wirtschaft und Beschäftigung schonen, da zusätzliche gumente zu finden, die dagegensprechen, dass dieses
Impulse davon ausgehen können. Energiekonzept das wahrscheinlich ehrgeizigste und ef-
fizienteste beim Umstieg auf regenerative Energien ist.
Vor diesem Hintergrund sind Einnahmeverbesserun-
gen zur Haushaltskonsolidierung bzw. Defizitreduzie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
rung unvermeidlich. In der Bundesregierung haben wir chen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN
intensiv darüber diskutiert und uns bewusst dafür ent- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
schieden, zugleich Anreize für mehr Energieeffizienz Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
und zur Energieeinsparung zu setzen. Deswegen schla- Ach was! Das ist doch kein ehrgeiziges Kon-
gen wir die Einführung einer Luftverkehrsabgabe vor. zept! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Herr Schäuble, dieser Satz wird
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Steuer!) der Renner bei YouTube!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5911
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) – Ich hoffe, dass der Bundeshaushalt 2011 und die Poli- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
tik der Bundesregierung, der christlich-liberalen Koali- NEN]: So ein Unsinn! Sicherheitsauflagen ste-
tion insgesamt zum Renner werden, nicht nur bei You- hen doch gar nicht in dem Vertrag!)
Tube.
– Es waren doch Sie, die Sie in Ihrer Ausstiegsvereinba-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – rung auf jede zusätzliche Sicherheitsmaßnahme für
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kernkraftwerke verzichtet haben!
NEN]: Blabla! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
DIE GRÜNEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt,
derspruch bei Abgeordneten der SPD und des
Herr Finanzminister!)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hin-
Wir haben sehr darauf gedrängt – wir sind froh, dass es
weisen, dass ich es trotz der öffentlichen Diffamierung,
uns gelungen ist, dies auch zu erreichen –, die Vereinba-
die in dieser Frage betrieben worden ist, für richtig halte,
rung zu erzielen, dass die Energieversorgungsunterneh-
dass wir mit den Betreibern von Kernkraftwerken, mit
men im Zusammenhang mit der Verlängerung der Lauf-
den Energieversorgungsunternehmen – –
zeit von Kernkraftwerken im Hinblick auf den Übergang
(Bettina Hagedorn [SPD]: Einen Deal gemacht zu regenerativen Energien einen zusätzlichen Beitrag
haben!) leisten. Das ist ein großer Erfolg. Es gibt überhaupt
nichts, was daran zu diffamieren ist. Ganz im Gegenteil,
– Ach, „Deal“ klingt so negativ. das ist der richtige Weg, und es ist das beste, ehrgeizigste
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der und effizienteste Programm für den Umstieg in der Ener-
LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE giepolitik.
GRÜNEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
LINKE]: Das ist es ja auch! – Jürgen Trittin
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! Sie Aber dafür brauchen wir Zeit. Das kann man nicht in-
hatten ja gar nichts zu verhandeln! Sie haben nerhalb eines Jahres verändern, sondern dafür braucht
das alles ja einfach übernommen!) man einen langen Atem. Insofern bildet die Kernenergie
eine Brücke, um den Umstieg in der Energiepolitik in
– Herr Kollege Trittin, wenn ich mich richtig erinnere, den nächsten Jahrzehnten gesamtwirtschaftlich zu schaf-
haben auch Sie einmal einer Bundesregierung angehört. fen. Das ist die Politik der Bundesregierung.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ja! – Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm ge- Bettina Hagedorn [SPD]: So ein Quatsch! –
(B) nug!) (D)
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/
Ich erinnere mich dunkel, dass Sie mit der Energiewirt- DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unverschämt-
schaft damals eine vertragliche Vereinbarung getroffen heit, so etwas zu behaupten!)
haben. – Schauen Sie: Das Prinzip der freien Rede gilt sogar für
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – den Bundesfinanzminister bei der Einbringung des Bun-
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: deshaushalts.
Ja, genau! Aber im Gegensatz zu Ihnen haben (Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Friedrich
wir uns von denen nichts diktieren lassen! [Hof] [CDU/CSU])
Zum Beispiel von Herrn Großmann!)
Regen Sie sich nicht auf! Die Herausforderung, die wir
– Ich reagiere ja gern auf Ihre Einwände, aber nicht, gesamtwirtschaftlich zu bewältigen haben, ist so groß,
wenn das zu einer Dauereinrichtung wird. dass wir alle Kräfte brauchen, um auf diesem guten Weg
(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin nachhaltig und konsequent voranzuschreiten.
[FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich muss auch noch die Chance haben, Ihnen den Haus- Wenn wir auf dem Weg der Reduzierung der zu hohen
halt darzulegen. Staatsverschuldung, so wie ich ihn beschrieben habe und
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wie er in der mittelfristigen Finanzplanung angelegt ist,
der FDP) konsequent voranschreiten, dann, liebe Kolleginnen und
Kollegen, gewinnen wir auch zusätzliche Handlungs-
Ich will in großer Ruhe und mit großer Klarheit sa- spielräume für die Politik; darum geht es. Bei der Redu-
gen: Über die Kernbrennstoffsteuer, die Sache des Ge- zierung der zu hohen Defizite nehmen wir unsere Ver-
setzgebers ist, wird nicht verhandelt. antwortung für unsere Kinder und Enkel wahr. Denn
(Peter Altmaier [CDU/CSU]: So ist es!) nachhaltige Politik heißt: Man darf nicht immer höhere
Schulden auf die kommenden Generationen abwälzen.
Über zusätzliche Sicherheitsauflagen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Welche denn?)
Wir nehmen außerdem unsere Verantwortung für die
die Sache der Politik sind und die nicht vorhanden wa- künftige Handlungsfähigkeit von Politik und Staat auf
ren – – allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – wahr.
5912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Wenn Sie erst einmal in der Lage wie andere Länder Im Übrigen nutzen wir den Spielraum auch und vor- (C)
– auch in Europa – sind, dass Sie zu ganz anderen Ein- rangig, um die Lage der Kommunalfinanzen zu verbes-
schnitten in die Finanzpolitik kommen müssen, dann ist sern. Ich habe das wieder und wieder gesagt: Das ist die
das der Beweis dafür, dass Sie den Handlungsspielraum dringendste Aufgabe, die wir in dem gesamtstaatlichen
für politische Gestaltung in den zurückliegenden Jahren Verbund von Bund, Ländern und Kommunen leisten
verspielt haben. In diese Situation wollen wir in müssen. Wir brauchen eine Verbesserung der Kommu-
Deutschland nicht kommen, und in diese Situation wer- nalfinanzen, um die kommunale Selbstverwaltung nicht
den wir auch nicht kommen, wenn wir die Politik der weiter erodieren zu lassen. Auch daran arbeiten wir in-
Bundesregierung und der christlich-liberalen Koalition tensiv. Wir werden die Vorschläge dafür gemeinsam mit
konsequent weiterführen. den Ländern und den Vertretern der kommunalen Ebene,
den kommunalen Spitzenverbänden, noch in diesem
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herbst vorlegen. So nutzen wir Schritt für Schritt die
Diesen Spielraum erweitern wir und nutzen wir auch. Spielräume, die wir mit unserer konsequenten Haus-
Wir nutzen ihn nicht nur für das modernste Energiekon- haltspolitik gewinnen.
zept, sondern wir nutzen ihn auch für Steuervereinfa-
chungen. Dafür haben wir in den ersten Jahren nur einen Mit dieser Haushaltspolitik nehmen wir übrigens
begrenzten Spielraum. Hier arbeiten wir übrigens inten- auch unsere Verantwortung in und für Europa wahr. Wer
siv mit den 16 Finanzministern aller 16 Bundesländer sich noch daran erinnert, dass wir in den ersten Monaten
zusammen. Es besteht die grundsätzliche Übereinstim- dieses Jahres in einer so nicht vorhergesehenen und
mung, dass wir uns in den ersten Jahren bei steuerverein- wahrscheinlich so auch nicht für möglich gehaltenen
fachenden Maßnahmen auf solche Bereiche konzentrie- Weise darum ringen mussten, die Stabilität unserer ge-
ren müssen, in denen wir mit geringen Ausfällen für meinsamen Währung in Europa zu verteidigen, weil die
Bund, Länder und Kommunen rechnen. Verhältnisse sich durch die globale Verflechtung der Fi-
nanzmärkte anders entwickelt haben, als das bei der
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie ha- Gründung der Europäischen Währungsunion und der
ben Ausnahmen eingeführt! Es wurde alles Schaffung des europäischen Stabilitäts- und Wachstums-
komplizierter! Lesen Sie die Gesetze!) paktes vorhergesehen werden konnte, der weiß: Wir ha-
ben eine hohe Verantwortung für unsere gemeinsame
– Sie wirken mir ein bisschen wie der Autofahrer auf der
Währung. Wir müssen diese Verantwortung in Europa
Autobahn, der die Meldung hört, es sei ein Geisterfahrer
und in der Euro-Zone wahrnehmen, und wir nehmen sie
unterwegs, und dann sagt: Was, einer? Hunderte!
wahr.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(B) Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir nehmen sie am besten dadurch wahr, dass wir zu- (D)
NEN]: Der Witz ist alt! Er hat einen sehr lan- nächst einmal uns selber an die gemeinsam vereinbarten
gen Bart!) Regelungen im Stabilitäts- und Wachstumspakt halten.
Das ist das beste Argument dafür, andere von der Rich-
Wenn Sie bei dem Thema Steuervereinfachung gegen tigkeit dieser Politik und von der Notwendigkeit einer
16 Finanzminister von 16 Bundesländern argumentieren, wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung zu überzeu-
die ja die Verantwortung für die Steuerverwaltung haben gen. Diese Verantwortung nehmen wir wahr, und wir
und die Steuergesetze vollziehen müssen, dann müssen kommen auch damit voran.
Sie sich schon überlegen, ob Sie nicht irgendwo eine fal-
sche Position haben. Wir setzen die Maßnahmen zur Es wird international teilweise schon wieder bestrit-
Steuervereinfachung gemeinsam mit den Bundeslän- ten, aber es bleibt dabei: Die zu hohen Staatsdefizite in
dern Schritt für Schritt um. vielen Ländern, insbesondere Industrieländern, sind eine
der Hauptursachen der Krisen, die wir an den Finanz-
(Joachim Poß [SPD]: Und wir sind im Prinzip märkten und am Schluss auch in der Euro-Zone in die-
nicht dagegen, damit das klar ist! Wir schauen sem Jahr hatten. Wer uns krisenfester für die Zukunft
uns das an! Es wird sich im Herbst herausstel- machen will, der muss diese zu hohen Defizite zurück-
len, ob Sie der Geisterfahrer an einigen Stellen führen. Daran führt kein Weg vorbei, in Deutschland
sind! – Gegenruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch nicht und auch in Europa nicht.
[DIE LINKE]: Lassen Sie lieber Herrn
Schäuble was sagen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
– Herr Kollege Poß, wenn Sie Ihren Kollegen sagen, Darüber haben wir – ich habe es erwähnt – inzwi-
dass Sie gar nicht dagegen sind, dann haben wir ja schon schen sogar in der G 20 einen Konsens; das zeigt sich an
wieder ein hohes Maß an Übereinstimmung und dann der gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungs-
hoffe ich auf Ihre kooperative Mitwirkung. chefs von Toronto, die beinhaltet, dass sich alle Indus-
triestaaten dazu verpflichten, ihre Defizite bis 2013 zu
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) halbieren.
Prinzipiell sind wir alle für Defizitreduzierung; aber
Wir müssen den europäischen Stabilitäts- und
wenn es konkret wird, sind Sie dagegen. – So geht es
Wachstumspakt stärken; denn seine Instrumente haben
nicht. Diese Arbeitsteilung funktioniert nicht.
nicht ausgereicht, die Krise des Euro, ausgehend von
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Griechenland, zu verhindern. Eine der unabweisbaren
der FDP) Konsequenzen aus diesen Erfahrungen ist, dass die Bun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5913
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) deskanzlerin am 25. März dieses Jahres im Europäischen eine zusätzliche Maßnahme, um den europäischen Stabi- (C)
Rat durchgesetzt hat, dass wir konsequent daran arbei- litäts- und Wachstumspakt zu stärken.
ten, die Instrumente des Stabilitäts- und Wachstumspak-
tes effizienter zu gestalten. Dazu gehört, dass wir bessere Wir in Deutschland sind uns auch darüber einig – da-
Kriterien für die Beurteilung entwickeln, ob europäische ran muss in Europa noch intensiv gearbeitet werden –,
Volkswirtschaften, insbesondere solche in der Euro- dass zur Vermeidung künftiger Krisen des Euro Maßnah-
Zone, diesen Anforderungen gerecht werden oder nicht. men erforderlich sind, um die Moral-Hazard-Problema-
Daran arbeiten wir in der Taskforce – so ist das genannt tik besser lösen zu können. Das heißt auf Deutsch: Es
worden –, die unter dem Vorsitz des europäischen Rats- kann nicht sein, dass wir Krisen, die im Finanzsektor in
präsidenten den Auftrag hat, zunächst einmal bis Okto- Euro-Staaten oder wo auch immer entstehen, auf Dauer
ber die Schritte zu definieren und vorzuschlagen, die wir zulasten der Gemeinschaft der Steuerzahler abwenden.
ohne Änderung der europäischen Verträge zustande brin- Das war 2008 bei der Bankenkrise nicht anders möglich,
gen können. Danach reden wir in der zweiten Etappe und es war auch 2010 in der Euro-Krise vorübergehend
über diejenigen Schritte, die eine Veränderung in den nicht anders möglich. Aber für die Zukunft ist eine Be-
europäischen Verträgen notwendig machen. teiligung der Gläubiger notwendig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dazu verbessern wir die Transparenz in der Abstim-
mung der Haushaltsverfahren innerhalb Europas; das Wenn höhere Zinsen innerhalb der Euro-Zone ein An-
nennt man Europäisches Semester. Es ist wichtig, dass reiz sind – bzw. der negative Anreiz, sich stabilitätsge-
alle frühzeitig Kenntnis von den Verfahren der anderen recht zu verhalten –, dann müssen diejenigen, die als
erhalten und dass wir als nationale Haushaltsgesetzgeber Gläubiger höhere Zinsen bekommen, auch angemessen
uns unserer Verantwortung für das Ganze in Europa be- am höheren Risiko beteiligt werden. Dafür brauchen wir
wusst sind. Dadurch wird die Souveränität des Bundes- einen Mechanismus, den wir in Europa nicht haben; aber
tages in Haushaltsfragen nicht beeinträchtigt. Aber mehr wir arbeiten daran. Dabei werden wir noch viel Überzeu-
Transparenz und frühere Abstimmung sind ein Beitrag gungskraft brauchen. Da sollten wir Schritt für Schritt
dazu, dass alle ihre Verantwortung besser wahrnehmen. vorangehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das im kom-
menden Jahr in Europa erreichen werden.
Dazu gehört, dass wir die Kriterien verschärfen, dass
wir insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der europäi- Ich will daran erinnern, dass dies von Anfang an die
schen Volkswirtschaften als ein wichtiges Element der Position der Bundesregierung war; wir haben unsere
Beurteilung frühzeitig mit einbeziehen, dass wir Instru- Vorschläge schon im Mai in die Van-Rompuy-Gruppe
mente schaffen, mit denen früher gegen sich abzeich- eingebracht und entsprechende Punkte formuliert. Ich
(B) nende Fehlentwicklungen eingeschritten werden kann finde es auch wichtig, dass Frankreich und Deutschland (D)
– „Early Warnings“ nennt man das –, und dass wir im – keine unwichtigen Mitgliedsländer in der Euro-Zone
Übrigen auch das Instrumentarium der europäischen und in der Europäischen Union – diese Position gemein-
Strukturfonds dazu nutzen, um die Anreize für stabili- sam formuliert haben, zuletzt in einem gemeinsamen
tätsgerechtes Verhalten zu verstärken und um notfalls Schreiben der französischen und deutschen Finanzminis-
durch zeitige erste sanktionsähnliche Eingriffe früher zu ter auf der Grundlage einer Entscheidung, die im franzö-
Korrekturen zu kommen als erst dann, wenn das Kind sischen Kabinett am 22. Juli getroffen worden ist, in ei-
gewissermaßen schon im Brunnen liegt. Auch da sind ner Sitzung, bei der ich die Ehre hatte anwesend zu sein.
wir auf einem guten Weg. Der Europäische Rat wird
nach meiner festen Überzeugung entsprechende Vor- Auf diesem Weg kommen wir in der engen deutsch-
schläge nach den Vorarbeiten in der Van-Rompuy- französischen Zusammenarbeit gut voran. Das stärkt un-
Gruppe und durch die Finanzminister im Oktober be- sere Chancen, in Europa die notwendigen Entscheidun-
schließen. gen zustande zu bringen. Der Weg wird noch schwierig
sein. Aber wir gehen ihn konsequent, und wir kommen
Wir werden – ich sagte es schon – auch europäische auch voran. Diejenigen, die sagen, wir hätten das noch
Strukturfonds in den Katalog möglicher Sanktionen mit nicht erreicht, übersehen, dass wir verabredet haben, uns
einbeziehen müssen. Zudem brauchen wir in einem zunächst einmal bis zum Europäischen Rat im Oktober
zweiten Schritt – darüber gibt es in Europa noch keinen auf die Dinge zu konzentrieren, die ohne Vertragsände-
völligen Konsens, aber wir müssen Schritt für Schritt vo- rung möglich sind; denn wir wollen nicht mit allem war-
rangehen – Maßnahmen, die nicht ohne eine Änderung ten, bis wir zu Vertragsänderungen kommen – das
der europäischen Verträge zu erreichen sind. Wer bei- braucht Zeit –, sondern das, was möglich ist, schon jetzt
spielsweise nichtökonomische Sanktionen, also etwa tun.
den Ausschluss von Stimmrechten, vorübergehend ein-
Es gehört übrigens zu den Lehren, die wir aus der Krise
führen will, braucht dazu eine Vertragsänderung.
ziehen müssen, wenn sie sich so nicht wiederholen soll,
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass wir strengere Regulierungen der Finanzmärkte er-
NEN]: Die wird nicht kommen!) reichen müssen. Wie notwendig das ist, sehen wir übri-
gens in diesen Tagen, in denen verständlicherweise viele
Wir alle sind uns einig: Wir brauchen solche morali- Menschen in unserem Lande Schwierigkeiten haben,
schen Sanktionen, weil die ökonomischen Sanktionen wenn sie hören, dass die HRE eine zusätzliche Liquidi-
zum Teil nicht mehr richtig wirken, wenn das Defizit ei- tätsgarantie durch die Finanzmarktstabilisierungsanstalt
nes Landes schon sehr weit fortgeschritten ist. Das ist braucht. Sie fragen sich: Wieso ist das notwendig?
5914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Meine Damen und Herren, das ist notwendig, weil ser eingreifen. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass wir die (C)
wir längst die Entscheidung getroffen haben – die umge- Finanzaufsicht in Europa insgesamt handlungsfähiger
setzt werden muss und Ende des Monats auch umgesetzt machen, damit sie früher krisenhaften Entwicklungen
wird –, dass Bilanzvolumen in einer Größenordnung von entgegenwirken kann. Das machen wir mit Nachdruck.
über 200 Milliarden Euro aus der HRE in eine Anstalt Auch da kommen wir voran.
innerhalb der Finanzmarktstabilisierungsanstalt ausgela-
gert wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Schon länger!)
Das bedeutet im Übrigen im nächsten Schritt, dass
– Ja, das wird jetzt vollzogen. – Um diesen Prozess ab- wir unsere nationale Finanzaufsicht an die neuen Anfor-
zusichern, ist es unvermeidlich, dass die HRE in der derungen anpassen müssen. Ich hatte immer gesagt – nur
Übergangszeit über zusätzliche Liquidität verfügt. Dazu zur Erinnerung –: Wir brauchen zuerst die Entscheidung
braucht sie die zeitlich begrenzten zusätzlichen Liquidi- über die europäischen Strukturen – diese werden wir
tätsgarantien, die wir am Freitagabend im Lenkungsaus- jetzt haben; das Europäische Parlament wird sich bald
schuss beschlossen haben. Das war übrigens mit allen damit befassen; der Finanzministerrat hat dem schon zu-
Ressorts, die in diesem Lenkungsausschuss vertreten gestimmt –; dann können wir gemeinsam prüfen, welche
sind, abgestimmt; es war eine gemeinsame Position. richtigen Konsequenzen für unsere nationale Finanzauf-
sichtsstruktur wir ziehen müssen. Auch das wird im
Die Maßnahmen sind aber bis Ende September befris- Laufe dieses Jahres zum Abschluss gebracht werden.
tet; denn sie sind nur zur Abstützung des Prozesses, die
HRE nachhaltig zu sanieren, notwendig. Das ist erfor- Wir brauchen dann – das ist der nächste wichtige Be-
derlich, weil sonst diese Instrumente nicht bei der Zen- reich; man kann ihn gar nicht hoch genug einschätzen –
tralbank refinanzierungsfähig wären. Aber es ist völlig im Bereich der Eigenkapital- und Liquiditätsvorsorge
klar: Was wir bei der HRE beschließen mussten, gilt vo- bei den Finanzinstituten bessere Konsequenzen. Auch
rübergehend und ist zeitlich eng befristet. Es ist eine hier sind wir mit dem Ergebnis, das die Notenbank-
Maßnahme, um die Sanierung der HRE so, wie gemein- gouverneure und die Finanzaufseher am Sonntag in Ba-
sam verabredet, voranzubringen, nicht mehr und nicht sel erzielt haben – der sogenannte Basel-III-Prozess –,
weniger. einen großen Schritt vorangekommen. Dabei ist es ge-
lungen, die richtige Balance zu finden zwischen der Not-
Aber das zeigt, dass wir in Bezug auf die bessere Re- wendigkeit einer besseren Eigenkapital- und Liquiditäts-
gulierung unseres Finanzsektors nicht am Ende sind und vorsorge und der Notwendigkeit, zu vermeiden, dass der
dass wir in unserem Elan nicht nachlassen dürfen. Die Finanzsektor nicht mehr in der Lage ist, die stattfindende
(B) Gefahr besteht immer – das gilt in der Haushaltspolitik wirtschaftliche Erholung mit genügend Liquidität und (D)
wie bei zusätzlichen Regulierungen –, dass man, sobald entsprechenden Kreditmöglichkeiten abzusichern. Es ist
die Krise ein bisschen überwunden scheint, in den An- wichtig, dass es im Rahmen von Basel III gelungen ist,
strengungen nachlässt, weil man meint, jetzt seien sie die Besonderheiten des deutschen Finanzwesens mit den
nicht mehr so notwendig. Das wäre falsch. Gerade weil drei Sektoren – Sparkassenwesen, Kreditgenossenschaf-
wir auf dem richtigen Weg sind, muss er konsequent ten und Privatbanken – zu berücksichtigen. Das ist in
fortgesetzt werden. den Besitzstandswahrungsvorschriften des in Basel er-
Wir haben im Übrigen mehr erreicht, als viele in der öf- zielten Ergebnisses gesichert.
fentlichen Debatte wahrnehmen wollen. Wir haben die An- Ich halte Folgendes für ganz wichtig – das sage ich
reizsysteme in der Bezahlung und Vergütung von Bankma- immer unseren Kollegen –: Dass Deutschland zurzeit
nagern international wie national – auf dem G-20-Gipfel eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hat, und zwar
verabredet und dann in Europa und jetzt in nationale nachhaltig, hat neben anderem mit unserer ausgewoge-
Gesetzgebung umgesetzt – deutlich stärker auf den lang- nen Struktur aus Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben zu
fristigen Erfolg der Institute begrenzt. Denn solange es tun. Die mittelständisch orientierte Wirtschaftsstruktur
Anreize gab, die sich am kurzfristigen Erfolg der Unter- in unserem Land ist einer unserer großen Vorteile.
nehmen ausrichten, hat man die Verantwortlichen in die
nicht beherrschbare Versuchung geführt, den kurzfristi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gen Erfolg ohne Rücksicht auf die langfristige Tragfä- Diese Struktur erfordert einen entsprechend gegliederten
higkeit zu maximieren. Deshalb ist eine Korrektur bei Finanzsektor. Diesen Zusammenhang zwischen der mit-
den Vergütungs- und Anreizsystemen eine notwendige telständischen Struktur unserer Wirtschaft und der ge-
Konsequenz. gliederten Struktur unseres Finanzsektors sollte man
Der zweite, genauso notwendige Bereich ist, dass wir nicht übersehen.
die aufsichtsrechtlichen und die tatsächlichen Möglich- (Joachim Poß [SPD]: Richtig! Und einem gu-
keiten verbessern. Deswegen ist es ein großer Schritt, ten Sozialstaat!)
dass es in Europa gelungen ist, sich auf eine europäi-
sche Finanzaufsichtsstruktur zu verständigen. Das hat Das heißt im Übrigen nicht, dass wir nicht auch Konse-
viele Anstrengungen erfordert. Aber wir haben es ge- quenzen im deutschen Finanzsektor ziehen müssen. Die
schafft. Damit kann die nationale Finanzaufsicht, die erheblichen Anforderungen auf der Eigenkapitalseite
nicht ersetzt werden soll, in Krisensituationen von und an die Liquiditätsvorsorge im Rahmen von Basel III
grenzüberschreitenden, europäischen Dimensionen bes- werden alle betreffen. Aber diese Anforderungen sind
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5915
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) zumutbar und zu bewältigen. Sie werden den Prozess ei- ger Punkt. Daran arbeitet die EU mit Nachdruck; wir (C)
ner Neustrukturierung innerhalb des Finanzsektors eher kommen hier voran. Wir müssen uns bei den alternativen
befördern. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihren Produkten im Finanzsektor ganz genau anschauen, wo
Beitrag im Rahmen unserer föderalen Ordnung – bis hin die Missbrauchsmöglichkeiten größer sind als die die-
zum besonders schwierigen Bereich der Landesbanken – nende Funktion für die Erfüllung der Aufgaben des Fi-
zu leisten und den Prozess voranzubringen. nanzsektors.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Und die HRE!)
Meine Damen und Herren, deshalb haben wir in der
– Die HRE ist immer dabei, Herr Kuhn. Darum brauchen Frage der ungedeckten Leerverkäufe die Entscheidung
Sie sich keine Sorgen zu machen. Das kommt gut voran. getroffen, national voranzugehen. Wir haben dies nicht
getan, um Europa zu spalten, sondern um eine europäi-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sche Lösung zustande zu bringen. Wir wollen die Maß-
NEN]: Den Eindruck haben wir auch!) nahmen international so gut wie möglich abstimmen,
– Das mag sein. Vielleicht befassen Sie sich, Herr weil das immer die bessere Lösung ist; aber die interna-
Trittin, noch ein bisschen damit. Dann haben Sie einen tionale Abstimmung darf am Ende nicht zu einer Aus-
durch Faktenkenntnis begründeten Eindruck. Dann wer- rede dafür mutieren, dass gar nichts geschieht. Wenn wir
den Sie ganz unbesorgt sein. Lösungen nicht global zustande bringen, dann müssen
wir sie in Europa zustande bringen, und damit es in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Europa vorangeht, müssen wir gelegentlich auch ein
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stück auf nationaler Ebene vorangehen.
NEN]: Wollen Sie mal alles offenlegen?)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Wir müssen auch den Schutz des Steuerzahlers, der
sich in der Krise als der letzte Anker herausgestellt hat, An den Bemühungen, ungedeckte Leerverkäufe oder
ausbauen und seine hohen Belastungen zurückführen. Kreditversicherungen, CDS, die nicht der Absicherung
Deswegen ist die Umsetzung der Restrukturierung für realer Geschäfte dienen, stärker aus dem Instrumentari-
die Finanzinstitute ein zentraler Punkt. umkasten herauszunehmen, sehen Sie, dass wir mit
diesem Weg vorankommen und dass wir die richtigen
Das ist uns durch die G-20-Beschlüsse vorgegeben. Entscheidungen getroffen haben. Es zeigt, dass die Bun-
Wir haben sie durch den Gesetzentwurf zur Restruktu- desregierung konsequent ihrer Verpflichtung nach-
rierung der Banken umgesetzt. Der Bundestag muss sich kommt, wo immer möglich Konsequenzen aus der Fi-
noch intensiv damit befassen. Das sind die Konsequen- nanzkrise zu ziehen, damit sie sich nicht wiederholen (D)
(B) zen aus der nicht gegebenen Möglichkeit 2008, systemi-
kann. Hier sind wir auf einem richtigen Weg.
sche Risiken bei der Bankenrestrukturierung zu vermei-
den. Deswegen haben wir damals andere Lösungen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gewählt. Jetzt leisten wir Vorsorge für ein geordnetes Ich will die Gelegenheit nutzen, noch einmal an un-
Restrukturierungsverfahren, das systemische Risiken im sere vielen Debatten über die Frage einer zusätzlichen
Finanzsektor vermeidet. Dazu gehört im Übrigen auch, Besteuerung des Finanzsektors zu erinnern; sei es nun
dass wir einen Restrukturierungsfonds schaffen, der eine Finanzaktivitätsteuer oder sei es eine Finanztrans-
teilweise durch eine maßvolle, aber systemische Risiken aktionsteuer. Es ist klar: Global werden wir diese nicht
berücksichtigende Bankenabgabe gespeist werden soll. zustande bringen. In Toronto hat sich gezeigt: Wer sagt,
Das ist ein wichtiger Schritt, und wir liegen mit dieser er sei für eine solche Steuer, jedoch unter der Vorausset-
Gesetzgebung genau in der Linie, die durch G 20 vorge- zung, dass sie global eingeführt wird, muss auf nicht ab-
geben ist und die jetzt auch in eine europäische Struktur sehbare Zeit davon Abstand nehmen. Das geht nicht.
eingebettet wird. Deshalb hatten wir früh einen großen Konsens, und zwar
Es ist gelegentlich kritisiert worden, dass wir als Bun- weitgehend auch mit der Opposition und innerhalb der
desrepublik Deutschland in Europa gewissermaßen vor- Regierung: Wenn wir das global nicht hinbekommen,
gegangen wären. Ich sage Ihnen: Wir haben damals dann werden wir eine europäische Lösung suchen.
schon in enger Abstimmung mit Frankreich gesagt, dass (Joachim Poß [SPD]: Das ist schwer mit der
wir eine europäische Regelung wollen. Aber so eine Re- Regierung!)
gelung kommt eher zustande, wenn einige der größeren
Mitgliedsländer vorangehen, als wenn jeder sich hinter – Herr Kollege Poß, das ist in Europa schwer; denn die
der Aussage versteckt: Sobald es alle machen, machen Bereitschaft, das zu unterstützen – –
wir auch mit. Am Ende geschieht dann nichts. Das ist
ein Punkt, den wir sehr im Blick haben müssen. (Joachim Poß [SPD]: Für Ihre Koalition war es
schwer, zu einem Ergebnis zu kommen!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP) – Hier sind wir gut vorangekommen. Wissen Sie, das
schadet auch nichts. Es tut einer Regierung und übrigens
Dazu kommt im Übrigen, was ich an dieser Stelle jeder politischen Partei gut, wenn sie politische Ent-
schon einige Male gesagt habe: Wir müssen auch die al- scheidungen erst kritisch diskutiert, bevor sie sie trifft,
ternativen Marktteilnehmer im Finanzsektor der Regu- wenn sie nicht sagt: Wir entscheiden das erst einmal und
lierung und der Aufsicht unterwerfen. Das ist ein wichti- sehen dann, ob es richtig ist.
5916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir haben in über 60 Jahren Nachkriegszeit vieles er- (C)
der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ reicht, worüber wir glücklich sein können. In diesen Ta-
DIE GRÜNEN]: Nur die Bürger merken, der gen und Wochen erinnern wir uns an den größten
Kaiser ist nackt!) Glücksfall der deutschen Geschichte. Wir leben seit
20 Jahren nicht mehr in der alten Bundesrepublik, son-
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir zulas- dern im vereinten Deutschland. Wir haben die Einheit in
sen, dass öffentliche Debatten vor Entscheidungen im- Frieden und Freiheit erreicht. Uns wurde die Richtigkeit
mer als Streit diffamiert werden, dann schwächen wir die unserer grundsätzlichen ordnungspolitischen Vorstellun-
Mechanismen der parlamentarischen Demokratie. Das gen wieder und wieder bestätigt. Wenn wir nun diesen
wird diese Regierung nicht tun. Weg konsequent fortsetzen, auch indem wir uns etwa bei
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Energiewende auf neue Entwicklungen einstellen,
dann sind wir auf einem guten Weg in die Zukunft. Mir
Wir haben nun – auch dazu gibt es einen deutsch- ist vor der Zukunft nicht bange. Die Politik allein kann
französischen Vorschlag – im Finanzministerrat Anfang die Zukunft nicht gestalten; aber sie muss die Bedingun-
dieses Monats zum ersten Mal eine Vorlage der Kom- gen so setzen, dass wir einen stabilen Rahmen für Frei-
mission – die hat das Initiativrecht – für eine solche heit, aber auch für Gerechtigkeit in unserer demokrati-
Steuer in Europa bekommen. Deswegen hatten wir im schen Gesellschaft haben. Das ist die Politik der
Ecofin im September die erste Debatte über die Initia- Bundesregierung.
tive der Bundesregierung und der französischen Regie-
rung. Natürlich haben wir in der ersten Debatte keine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
einstimmige Zustimmung für diesen Vorschlag bekom- Dazu gehört: Wer die Freiheit – auch die des Marktes
men. Wer das erwartet hat, hat keinen Bezug zur Wirk- und des Wettbewerbs – durch mehr staatliche Bürokratie
lichkeit. Aber die Diskussion im Finanzministerrat, im ersetzen will, wird am Ende wieder die Erfahrung ma-
Ecofin, war sehr viel offener, als man nach den öffentli- chen, die wir in 40 Jahren Nachkriegsgeschichte ge-
chen Erklärungen hätte vermuten können. Deswegen macht haben. Bürokratische staatliche Systeme sind we-
werden wir an unserem Vorschlag weiterarbeiten. Ich niger effizient und weniger in der Lage, die Menschen
habe nie behauptet, dass wir sicher sind, dass wir unser zu motivieren. Sie sind noch weniger in der Lage, rich-
Ziel erreichen werden. Wir sind nicht allein in Europa. tige und nachhaltige ökonomische Entscheidungen zu
Sie können aber sicher sein – das haben wir auch hier im treffen. Deswegen setzen wir auf Freiheit. Aber damit
Bundestag versprochen, und das ist die Politik der Bun- die Freiheit sich nicht selbst zerstört, brauchen wir einen
desregierung –, dass wir alles daransetzen und alle Rahmen. Diesen Rahmen setzt die soziale Marktwirt-
Bemühungen unternehmen werden, um das zustande zu schaft. Sie setzt Regeln, die eingehalten, und Grenzen, (D)
(B) bringen. Sie können darauf vertrauen. Wir sind in dieser
die nicht überschritten werden. Diese Regeln müssen
Frage nicht isoliert, aber wir müssen noch sehr viel da- immer wieder angepasst werden. Sie sorgen im Übrigen
ran arbeiten. für den sozialen Ausgleich. Deswegen ist es so wichtig,
Wenn wir die Konsequenzen aus der Krise ziehen, dass unsere Politik durch die Verbesserung der Lage auf
dann ist folgender Punkt entscheidend – ich will ihn uns dem Arbeitsmarkt und der Beschäftigungschancen den
noch einmal ins Gedächtnis rufen –: Wir leben in einer Menschen konkret zugutekommt. Diesen Weg werden
Zeit dramatisch schneller und dramatisch tiefgehender wir fortsetzen.
Veränderungen wirtschaftlicher, ökologischer, politi- Im Prinzip ist es klar: Es geht darum, in einer Zeit
scher und sozialer Art. Das ist das Kennzeichen der mo- schneller Veränderungen, in einer Zeit, in der die Gefahr
dernen Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung. In der Verunsicherung als Folge dieser Veränderungen groß
einer solchen Zeit ist es wichtig, dass wir das Vertrauen ist, zu handeln. Dies ist die Situation überall in der west-
unserer Bürger in die Nachhaltigkeit unserer Politik be- lichen Welt. Schauen Sie sich andere Länder an, ehe Sie
wahren. Eine Gesellschaft, die sich ohnmächtig und den vorschnell diskutieren oder kritisieren. Schauen Sie sich
Veränderungen ausgeliefert fühlt, wird eher regressiv re- die Schwierigkeiten anderer Länder an, die Bevölkerung
agieren. Wir müssen die Zukunftsfähigkeit unseres Lan- davon zu überzeugen, dass Anpassungen in der Gesell-
des bewahren und die notwendigen Entscheidungen, schaft notwendig sind. Wir kommen um Konsequenzen
über die man im Einzelnen streiten kann, treffen. Wir aus der demografischen Entwicklung so wenig herum
müssen unser Land immer wieder infrastrukturell wei- wie um Konsequenzen aus der Veränderung der weltwei-
terentwickeln und uns auf veränderte weltwirtschaftliche ten wirtschaftlichen Bedingungen durch die Globalisie-
Rahmenbedingungen einstellen. Das kann nicht bestrit- rung.
ten werden. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung genü-
gend Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer Politik Wenn wir Zukunft gestalten wollen, brauchen wir
hat, damit wir die notwendigen Veränderungen in unse- Vertrauen, brauchen wir eine verlässliche Basis. Die
rer offenen Gesellschaft konsensfähig gestalten können. Grundwerte, die Grundstrukturen in unserem Land ver-
Wenn kein Vertrauen vorhanden ist, werden wir das Ge- ändern sich nicht. Aber die Antworten, die wir aus
genteil von dem, was wir wollen, erzielen. Die Rückge- Grundwerten und Grundstrukturen ableiten müssen, um
winnung von Vertrauen durch Nachhaltigkeit und Be- für das Jahr 2010 und die folgenden Jahre die richtigen
ständigkeit unserer Politik ist ein zentrales Element, Entscheidungen zu treffen, setzen voraus, dass wir die
wenn wir in einer Zeit aufregender Veränderungen Kurs Realität zur Kenntnis nehmen. Es gilt, auf fester Basis
halten wollen. zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5917
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) Das, meine Damen und Herren, ist das Leitmotiv der ten Regierung und dem alten Finanzminister in die (C)
Bundesregierung: Veränderung gestalten – auf der Basis Schuhe schieben. Dann gab es einen Aufschrei der Öf-
fester Werte, aber unter Würdigung dessen, was in der fentlichkeit, und Sie haben das schnell wieder einge-
Welt stattfindet. Die Verweigerung der Realität durch packt. Aber das zeigt, wes Geistes Kind Sie an dieser
ideologisch begründete Vorstellungen ist der falsche Stelle waren.
Weg.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
In vollkommener Verkennung der Tatsachen, in voll-
Unser Weg ist, auf fester Basis einen Rahmen für Verän- kommener Negation der hohen Kredite und der Schul-
derung zu geben, die Rahmenbedingungen durch die denlast, die wir in Deutschland haben, haben Sie zum
Politik so zu gestalten, dass Freiheit, Gerechtigkeit und 1. Januar 2010 Steuergeschenke von über 10 Milliarden
sozialer Ausgleich in unserem Land auch in der Zukunft Euro an Hoteliers, an Erben und an Unternehmen ge-
möglich bleiben. Das ist eine große Aufgabe. Der macht. Das war Ihre Politik in diesem Jahr.
Haushalt 2011, den wir jetzt zu beraten beginnen, leistet
seinen Beitrag dazu. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

(Bettina Hagedorn [SPD]: Zu sozialem Aus- Dann haben Sie vor der nordrhein-westfälischen
gleich mit Sicherheit nicht!) Landtagswahl bis zur Mai-Steuerschätzung die Fata
Morgana aufrechterhalten, man könne in dieser Situation
Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung. noch Steuersenkungen vollziehen. Ich erinnere mich an
Herzlichen Dank. eine Debatte am Tag der Steuerschätzung, in der die FDP
hier aufgetreten ist und gesagt hat: Wir haben Mehrein-
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und nahmen, und diese nutzen wir, um Steuern zu senken. –
der FDP) Das war Ihre Aussage.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Da tun Sie dem
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Finanzminister aber unrecht!)
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. Jetzt frage ich mich: Bringt das der uns vorliegende
Haushaltsentwurf zum Ausdruck?
(Beifall bei der SPD)
Ich zeige das nur einmal an einem Punkt: Sie spre-
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): chen von einer ökologischen Luftverkehrsabgabe. Das
(B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist jedoch ein Euphemismus. In Wirklichkeit ist das ganz (D)
Herr Bundesfinanzminister, wenn man die letzten zehn klar eine Steuer, die neu eingeführt wird. Ich finde, wenn
Minuten Ihrer Rede verfolgt hat, das so ist, dann soll man dieses Instrument auch so be-
zeichnen und dazu stehen. Allein das schafft Vertrauen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja,
wenn man nicht eingeschlafen ist!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dann kann man der Financial Times aus der letzten Wo-
che nur recht geben: Wolfgang Schäuble wird gern Über das Für und Wider dieser Steuer will ich gar nichts
grundsätzlich, wenn er im mühsamen politischen All- sagen. Aber dass Sie jetzt einen anderen Kurs einge-
tagsgeschäft mal wieder an seine Grenzen gestoßen ist. schlagen haben, dass Sie etwas vollkommen anderes tun,
als Sie bisher behauptet haben, wird daran deutlich.
(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der
CDU/CSU) Zum Gesamthaushalt kann man insbesondere zwei
Urteile fällen:
Übersetzt heißt das: Sie, Herr Bundesfinanzminister,
philosophieren lieber über Gott und die Welt, als sich Erstens. Dieser Haushalt weist eine soziale Schief-
den harten Auseinandersetzungen hier und jetzt zu stel- lage auf, die die soziale Spaltung in Deutschland weiter
len. vertiefen wird.
Wer Ihre Rede und Ihre philosophischen Ausführun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
gen über Vertrauen, Solidität etc. verfolgt hat, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Da muss man sich schon fragen: Wer hat denn die Krise
Das ist Ihnen völlig fremd, das ist klar!) in Deutschland verursacht? Waren das die Arbeitslosen?
Waren das die Rentner, sodass Sie sich nun herausneh-
der muss sich doch fragen: Reden Sie eigentlich über
men können, die Rentenversicherungskasse zu plün-
den Finanzbereich, den Sie in dieser Regierung seit zehn
dern? Waren das die Arbeitnehmer, die Sie nun durch
Monaten vertreten? – Ich habe einen ganz anderen Ein-
höhere Abgaben im Gesundheitsbereich und einen Ver-
druck.
zicht auf die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags
Begonnen haben Sie im September/Oktober letzten belasten? Ihre Politik führt ja dazu, dass all die Genann-
Jahres mit einer Diskussion mit der FDP darüber, ob Sie ten heute nun die Zeche für die Krise zahlen, die maß-
die Schulden, die Sie in diesem Jahr und in der ganzen lose Bankiers, Investmentbanker und andere Spekulan-
Legislaturperiode machen werden, noch schnell der al- ten angerichtet haben.
5918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) (Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg. Ulrike (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C)
Flach [FDP] und des Abg. Norbert Barthle
[CDU/CSU]) Wir freuen uns, dass die Auftragsbücher im verarbeiten-
den Gewerbe voll sind. Wir freuen uns, dass die Kurz-
Mit den Maßnahmen, die Sie heute hier einbringen, wer- arbeiterregelung gegriffen hat. Wenn Sie dann aber so
den nun all die oben Genannten die Zeche dafür bezah- tun, als wäre das Ihr Verdienst, meine Damen und Her-
len. Ich werde auch noch im Einzelnen darauf eingehen. ren, entgegne ich Ihnen: Das ist einfach dreist.
Ein weiteres Beispiel zur sozialen Schieflage: Sie, (Beifall bei der SPD)
Herr Minister, haben hier vorgetragen, die Wirtschaft
werde stark belastet, der Sozialbereich dagegen nur un- Der Bundesgesundheitsminister hat ja in seiner kaba-
terproportional in Bezug auf den Anteil, den er am Ge- rettreifen Rede auf dem Gillamoos einiges zum Zustand
samthaushalt hat. Dazu muss man ganz klar sagen: Die der Koalition gesagt. Er hat auch Dinge wie zum Bei-
Belastung der Wirtschaft hält sich in mageren bzw. sehr spiel zur Kleiderordnung gesagt, die ich eher nebensäch-
überschaubaren Grenzen. Was haben wir da? lich finde. Aber einen konkreten Punkt hat er doch ge-
nannt, nämlich dass diese Regierung zehn Monate nichts
Ein Punkt ist die Luftverkehrsteuer. Wer zahlt die? getan hat. Genau diese zehn Monate hat die Wirtschaft
Zahlen diese die Unternehmen, oder werden diese die gebraucht, um sich zu erholen, meine Damen und Her-
Familien zahlen, die in Urlaub fliegen? ren! Ihr Anteil an der wirtschaftlichen Erholung ist damit
gleich null.
(Nicolette Kressl [SPD]: Ja!)
(Beifall bei der SPD)
Die Belastungen hierdurch werden natürlich weitergege-
ben. Damit werden die Kunden belastet und nicht die Viel ehrlicher wäre es zu sagen: Höchstwahrscheinlich
Wirtschaft. geht diese auf die Strukturreformen der vergangenen
(Beifall bei der SPD) zehn Jahre zurück. Es sind die maßvollen, aber klugen
Investitionen im Rahmen der Konjunkturprogramme ge-
Ein weiterer Punkt ist der in der Sache schon skanda- wesen, die dazu geführt haben, dass wir in 2010 eine ex-
löse Atomdeal. Hierdurch sollen 2,3 Milliarden Euro trem gute Wachstumssituation haben.
zusätzliche Einnahmen erzielt werden. Dies gilt dann als
Belastung der Wirtschaft. Dazu ist zu sagen, dass es sich, (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt verstehe
nachdem Sie sich das auch wieder aus der Hand haben ich: Der Aufschwung gehört Schröder!)
nehmen lassen, Herr Finanzminister, nicht mehr um Herr Barthle, Sie können es doch ruhig sagen: Wir ha-
(B) 2,3 Milliarden Euro, sondern nach derzeitigem Stand um ben damals die meisten Vorhaben durchgesetzt, aber Sie (D)
1,6 Milliarden Euro handelt. Wahrscheinlich werden es haben zugestimmt.
noch weniger.
(Joachim Poß [SPD]: Das hat er vergessen!
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Völlig falsche Das ist schon zehn Jahre her!)
Zahlen!)
Deswegen spreche ich Ihnen einen Anteil am Erfolg zu.
So zerbröselt das Sparpaket immer weiter, und die Lü- Der Vorschlag der FDP war damals, nichts zu tun und al-
cke, die Sie in den nächsten Jahren schließen müssen, les laufen zu lassen. Wenn wir so gehandelt hätten, wä-
wird immer größer. Letztendlich handelt es sich noch ren wir jetzt in dem Strudel, in dem viele andere Länder
nicht einmal um eine Belastung der Wirtschaft; denn weltweit sind.
man muss ja auch sehen, was die Atomkonzerne dafür
bekommen: Sie bekommen eine Laufzeitverlängerung, Der Haushalt 2011 ist eigentlich der erste Haushalt,
sie bekommen die Lizenz zum Gelddrucken. Von diesen den Sie vorlegen; denn der letzte war noch von der Gro-
Gewinnen sollen sie nun einen kleinen Betrag abgeben. ßen Koalition maßgeblich bestimmt.
Das ist für die Wirtschaft ein Zugewinngeschäft, aber
(Otto Fricke [FDP]: Ja, was denn nun? Ist es einer
keine Belastung.
der alten oder der neuen Regierung?)
(Beifall bei der SPD)
– Sie haben den Haushalt mit der Rekordverschuldung
Die einzigen Maßnahmen, bei denen Sie konkret sind beschlossen, Herr Fricke. – Wenn man sich den Haushalt
und auf die Sie sich als christlich-liberale Koalition ein- 2011 ansieht, dann kann man zu einem ganz klaren Ur-
vernehmlich verständigen konnten, sind die Kürzungen teil kommen: Dieser Haushalt wird der Scheidepunkt
bei den Schwächsten der Gesellschaft wie den Arbeitslo- sein, was die wirtschaftliche Entwicklung und den sozia-
sen. Das ist Fakt. Nichts anderes liegt heute hier auf dem len Zusammenhang in Deutschland in den nächsten Jah-
Tisch. ren angeht. Er ist nichts anderes als ein Handbuch für die
soziale Spaltung in Deutschland. Einen solchen Haushalt
(Beifall bei der SPD) haben Sie hier vorgelegt.
Zweitens ist zum Gesamthaushalt zu sagen: Sie profi- (Beifall bei der SPD – Stefan Müller [Erlan-
tieren von der Konjunktur, der positiven wirtschaftli- gen] [CDU/CSU]: Quatsch!)
chen Gesamtentwicklung. Ich sage ganz klar: Über
diese freuen wir Sozialdemokraten uns auch. Wir freuen Ich sage Ihnen klipp und klar: Wir werden diesem
uns über jeden Arbeitslosen weniger. Entwurf nicht zustimmen. Wir stimmen zwar der grund-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5919
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) sätzlichen Linie zu, dass wir die hohe Neuverschuldung und zum Beispiel Auswirkungen auf die Mietnebenkos- (C)
zurückführen müssen, ten haben. Da ist zunächst einmal das CO2-Gebäude-
sanierungsprogramm. Dieses Programm rasieren Sie.
(Otto Fricke [FDP]: Aber nicht bei euch!)
weil sie eine Gefahr für die Stabilität unseres Landes ist. (Otto Fricke [FDP]: Wollen Sie mehr
Das ist gar keine Frage. ausgeben?)

(Ulrike Flach [FDP]: Das wäre schön gewe- Ich nenne ferner die Städtebauförderung, die einen gro-
sen, wenn ihr da mit angepackt hättet!) ßen Hebeleffekt für privatwirtschaftliche Investitionen
hat. Dieses Programm wird ebenfalls rasiert. Was Sie
Man muss aber auch ganz klar sagen, dass das, was Sie hier vorlegen, wird im Endeffekt dazu führen, dass wir
hier vorgelegt haben, nicht dazu führen wird, dass die weniger Wachstum und einen geringeren Beitrag zu um-
Binnenkonjunktur in Deutschland gestärkt wird. weltpolitischen Belangen wie zum Beispiel einen gerin-
(Ulrike Flach [FDP]: Was haben wir eigentlich geren CO2-Ausstoß haben.
von euch bekommen?) (Ulrike Flach [FDP]: Das heißt, Sie wollen
Was machen Sie? Sie haben in den vorherigen Debat- mehr Verschuldung!)
ten immer gesagt, Sie wollen die Sozialabgaben nicht er- Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der die Unso-
höhen. Was ist denn nun tatsächlich passiert? lidität Ihres Sparpakets deutlich macht. Sie reden immer
(Otto Fricke [FDP]: Haben wir eine schlechte von 80 Milliarden Euro. Real durch Gesetze untersetzt
Binnenkonjunktur?) sind 40 Milliarden Euro. Die anderen 40 Milliarden Euro
sind Luftbuchungen. Sie haben in der Finanzplanung
Sie machen eine eindeutige Klientel- und Lobbypolitik. Einsparungen bei der Bundeswehr in Höhe von 8 Mil-
Respekt an Sie von der FDP dafür, wie Sie mithilfe einer liarden Euro aufgeführt. Bisher kann ich nur feststellen:
christlichen Partei die Interessen der Pharmakonzerne Jedes Beschaffungsvorhaben ist teurer geworden. Auch
und der privaten Krankenversicherung in Deutschland die Auslandseinsätze der Bundeswehr stellen Sie nicht
schamlos durchsetzen. Das spottet jeder Beschreibung. infrage. Was Sie aber infrage stellen, ist das Konzept der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wehrpflicht und des Zivildienstes. Das tun Sie allerdings
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einzig und allein unter Spargesichtspunkten. Das wird
diesem wichtigen Thema nicht gerecht – inhaltlich und
Die gesetzliche Krankenversicherung bekommt 2 Mil- finanziell ebenfalls nicht, weil Sie dadurch die von Ihnen
liarden Euro zusätzlich aus dem Steuerhaushalt. Es sind angestrebten Einsparungen niemals erreichen werden.
(B) mittlerweile insgesamt 15 Milliarden Euro. (D)
(Beifall bei der SPD)
(Otto Fricke [FDP]: Aha!)
Dann wollen Sie bei der aktiven Arbeitsmarktpoli-
Aber 1 Milliarde Euro ziehen Sie der gesetzlichen Kran-
tik so richtig zuschlagen. Sie sprechen davon, dass Sie
kenversicherung aus der Tasche, um sie der privaten
dort Effizienzreserven heben wollen. Worum geht es? Es
Krankenversicherung zuzuführen.
geht um aktive Arbeitsmarktpolitik, um den Eingliede-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rungstitel. Da sind Arbeitslose, die eine berufliche Reha-
NEN]: Da sind doch die FDPler alle versi- bilitation, eine Weiterbildung oder einen Lohnkostenzu-
chert! – Gegenruf der Abg. Ulrike Flach schuss erhalten. Diese Leistungen halbieren Sie nahezu.
[FDP]: Sie glauben doch wohl selbst nicht, Das wird dazu führen, dass die Chance für Arbeitslose in
was Sie da sagen!) Deutschland, wieder in Arbeit zu kommen, geringer
wird. Dementsprechend wird auch die wirtschaftliche
– So ist es aber. Ich empfehle dazu die Lektüre der ges- Entwicklung in Deutschland darunter leiden.
trigen Ausgabe der Berliner Zeitung. Sie sollten sich da
einmal schlaumachen. Wir werden diese Debatte sicher- (Zuruf von der CDU/CSU: Das Gegenteil ist
lich auch noch in der Zukunft führen. der Fall!)
Dass Sie die Interessen der privaten Krankenversiche- Ich gebe zu: Das haben Sie vorher wenigstens gesagt.
rung vertreten, ist doch offensichtlich. Das weiß doch je- Dass Sie diesen Kahlschlag mit der Union durchsetzen
der. Leugnen Sie es also nicht. Sie bekommen, so glaube können, hätte ich allerdings nicht für möglich gehalten.
ich, Vorzugsprämien. Das ist alles in Ordnung. Aber Sie Das zeigt nur, dass wir früher das Schlimmste haben ver-
sollten es nicht leugnen. hindern können.
Man muss noch einen zweiten Punkt beleuchten. Ne- (Beifall bei der SPD)
ben der sozialen Ausgewogenheit ist auch die Frage
wichtig, welche Zukunftsakzente Sie setzen. Herr Bun- Ich habe zu Beginn gefragt: Sind die Arbeitslosen
desfinanzminister, Sie haben gesagt, Sie würden die diejenigen, die die Zeche zahlen? Ja, sie müssen sie zah-
Ausgaben für Investitionen steigern. Ausweislich des- len. Sind es diejenigen, die die Krise verursacht haben?
sen, was Sie uns vorgelegt haben, muss man sagen, dass Ich meine, nein. Die Frage ist: Leisten diejenigen, die
die Ausgaben für Investitionen in diesem Haushalt sin- die Krise zu einem Großteil mit verursacht haben, indem
ken. Ich will nur die erfolgreichen Programme erwäh- sie über Jahre extreme Gewinne gemacht haben, bei de-
nen, die die Bereiche Umweltpolitik und Bau verbinden nen moralisches Verhalten keine Rolle mehr gespielt hat,
5920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) irgendeinen Beitrag? Ich kann da nichts finden, keinen in die Verantwortung nehmen, die in den Finanzmärkten (C)
höheren Spitzensteuersatz, tätig sind. Das ist unsere Aufgabe.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
habt ihr doch heruntergesetzt!) Joachim Poß [SPD]: Aber vier Jahre von den
zehn Jahren haben wir mit Ihnen gemeinsam
keine Vermögensbesteuerung, keine wirklich solide Durch-
regiert!)
setzung einer Finanztransaktionsteuer auf europäischer
Ebene, nichts. Hier gibt es ganz klar eine soziale Schief- Zum Zweiten, lieber Herr Poß, will ich einmal fragen:
lage und Klientelpolitik. Dies ist für Deutschland kein gu- Wollen wir als Bundesrepublik Deutschland, was die So-
ter Haushalt. zialpolitik angeht, in dieselbe Lage wie Griechenland
(Beifall bei der SPD) kommen? Griechenland ist nicht mehr in der Lage, die
notwendigen Leistungen für die Schwächsten und Ärms-
Diese Koalition ist sich nur einig – da geht sie sonn- ten im Lande zu erbringen. Ich sage Nein.
tags sogar arbeiten –, wenn sie für die Atomkonzerne
Milliarden herausholen kann, um sie montags bis frei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tags bei den normalen Arbeitnehmern wieder einzusam- Deshalb müssen wir den Sozialstaat nachhaltig hand-
meln. Das ist die Wahrheit in diesem Land. lungsfähig halten. Dies bedeutet, dass wir zur rechten
(Beifall bei der SPD) Zeit Konsolidierung betreiben, damit der Staat in der
Not den Ärmsten helfen kann. Das ist verantwortliche
Wir werden Änderungsvorschläge einbringen, wie zum Sozialpolitik. Was Sie an dieser Stelle tun, ist unverant-
Beispiel die Einführung eines gesetzlichen Mindestloh- wortlicher Populismus.
nes, der Mehreinnahmen von mindestens 5 Milliarden
Euro bringt, wie die Vermögens- und Kapitalbesteuerung, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
die ebenfalls zu Mehreinnahmen führt. Wir werden Ihnen Wir geben in diesem Jahr etwa 170 Milliarden Euro
zeigen, dass man solide Haushaltsführung und soziale – das sind mehr als 50 Prozent des Haushalts – für so-
Gerechtigkeit in Deutschland miteinander verbinden und ziale Dinge in diesem Lande aus. Das ist relativ, prozen-
gleichzeitig wirtschaftliches Wachstum generieren kann. tual und absolut der höchste Betrag, der jemals in dieser
Meine Damen und Herren, ich bin gespannt auf die Bera- Republik für Soziales aufgewendet worden ist.
tungen.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Aber
NEN]: Weil ihr die Sozialversicherungssys-
Sie hatten doch zwölf Jahre Zeit dafür!)
(B) teme teuer gemacht habt! Euer Gesundheits- (D)
fonds!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister Wer dann die These aufstellt, wir würden Sozialabbau
für die CDU/CSU-Fraktion. betreiben, der hat die Realität nicht wahrgenommen und
betreibt Populismus. Er ist aber nicht an Lösungen und
(Beifall bei der CDU/CSU) Antworten für die Zukunft dieses Landes interessiert.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Ich will eine weitere Bemerkung machen. Sie haben
Herren! Es ist bemerkenswert, in welcher Weise sich die die Arbeitslosen angesprochen. Ja, die Arbeitslosigkeit
Sozialdemokratie in Deutschland von ihrer eigenen Poli- bereitet uns die größte Sorge in diesem Land. Wir müs-
tik distanziert. Wir haben eben gehört, was für Fehlent- sen mehr Menschen in Arbeit bringen. Aber das ist die
wicklungen wir in der Finanzwelt haben. Wir sind uns Antwort: Wir wollen nicht Arbeitslosigkeit verwalten
darüber einig, dass diese stattgefunden haben. Wir sind und die Menschen in dieser Situation pflegen, sondern
uns auch darüber einig, dass diese korrigiert werden ihnen Perspektiven eröffnen, sie aktivieren, damit sie aus
müssen. Aber wir dürfen doch auch einmal die Frage der Arbeitslosigkeit herausfinden. Ich glaube, das, was
stellen, wer mehr als ein Jahrzehnt die Finanzmarktpoli- wir in der Krise gesehen haben, ist ein gutes Beispiel da-
tik in diesem Lande gestaltet hat. für, dass es gelingt. Wir haben nämlich in der Krise eine
deutliche Verbesserung der Arbeitsmarktzahlen erreicht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Daran wollen wir weiterarbeiten, nicht an der Verwah-
Herr Schneider, warum haben Sie die Erkenntnisse, rung von Arbeitslosen in der Arbeitslosigkeit.
die Sie hier vortragen, nicht umgesetzt? Wir tun es jetzt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Joachim Poß [SPD]: Ich dachte, wir hätten
vier Jahre von den zehn Jahren mit Ihnen re- Jetzt kann man sagen: Das ist eine tolle Politik. – Das
giert! Dass der auch so ein kurzes Gedächtnis tue ich nicht. Ich sage hier ausdrücklich: Das ist eine
hat!) tolle Leistung der Arbeitnehmer. Sie haben nämlich im
letzten Jahrzehnt einen wesentlichen Beitrag dazu ge-
Der Bundesfinanzminister hat die Maßnahmen sehr kon- leistet, dass Arbeit in Deutschland wieder wettbewerbs-
kret benannt und damit deutlich gemacht, wie wir zu einer fähiger ist. Es ist eine tolle Leistung der Unternehmer,
neuen Verantwortungskultur kommen und diejenigen die in der Krise nicht wie in anderen Ländern einfach
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5921
Dr. Michael Meister
(A) zum Mittel der Entlassung gegriffen haben, sondern ver- Zukunftsfähigkeit unseres Landes, indem wir Bildung, (C)
sucht haben, ihre Belegschaften zu halten. Forschung und Innovation gezielt nach vorne führen.
(Zuruf von der SPD: Ja, woran lag das denn?) Wir stärken Familien. Wir haben zum 1. Januar dieses
Jahres die Leistungen für Familien massiv ausgeweitet,
Ich sage aber auch einmal: Wir haben gemeinsam – da- und zwar – ich sage das hier einmal sehr deutlich – ge-
mit meine ich durchaus auch die Sozialdemokraten – die gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und gegen
Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass diese Ent- die Stimmen der SPD, die sich den Familien in diesem
wicklung möglich war. Herr Schneider, Herr Poß, des- Lande verweigert haben.
halb verstehe ich nicht, dass Sie sich von dem distanzie-
ren, was Sie im Wesentlichen mit beschlossen und auf (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
den Weg gebracht haben. NEN]: Und das Elterngeld?)
(Nicolette Kressl [SPD]: Was meinen Sie denn Wir werden diese Politik weiterführen.
da? – Joachim Poß [SPD]: Sie haben sich doch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
distanziert!) Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Sie sollten eigentlich sagen: Das war eine gute Politik; NEN]: Die Familienhotels? Familie Möven-
diese gute Politik muss weitergeführt werden. pick oder wer?)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir haben die automatischen Stabilisatoren wirken
der FDP) lassen. Jawohl, Herr Schneider, das war richtig; das ha-
ben wir gemeinsam getan. Es ist aber genauso richtig, zu
Wir freuen uns über die tolle Konjunktur in diesem sagen: Wenn der Aufschwung wieder da ist, dann müs-
Land. Wir haben in den vergangenen Jahren immer die sen die Programme auslaufen; dann muss natürlich auch
Behauptung gehört, das sei im Wesentlichen unserer tol- im Bereich der Sozialsysteme und der öffentlichen
len Position als Exportland zu verdanken. Ich will an die- Haushalte konsolidiert werden.
ser Stelle ansprechen: Wir leben nicht nur von den Expor-
ten, sondern haben es geschafft, dass dieser Aufschwung (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist das!)
ein breites Fundament hat, dass er eben auch von der Bin- Da muss ich sagen: Sie haben heute Morgen einen Of-
nenkonjunktur, von der Inlandsnachfrage, getragen fenbarungseid geleistet. Sie haben sich zwar allgemein
wird. Daran müssen wir festhalten. Herr Schneider, wenn dazu bekannt, dass es richtig sei, zu konsolidieren; aber
wir einen Aufschwung haben wollen, der nicht nur ex- ich habe jeden konkreten Vorschlag von Ihnen vermisst.
portorientiert ist, sondern ein breites Fundament behält, Sie haben keinen eigenen Vorschlag gemacht. Sie haben
(B) müssen wir zwei Dinge tun: auch nicht gesagt, dass die Regierung bei der Konsoli- (D)
Erstens – ich habe es eben angesprochen –: Perspekti- dierung an dieser oder jener Stelle einen richtigen An-
ven am Arbeitsmarkt schaffen. Wir müssen den Men- satz verfolgt. Ein allgemeiner Glaubenssatz „Wir müs-
schen deutlich machen, dass sie eine Chance haben, ihre sen konsolidieren“ reicht aber nicht; man muss dann
eigene Existenz in Deutschland zu verdienen. schon konkret werden.

Zweitens. Wir müssen den Menschen klarmachen, (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dass der Erwartungswert für künftige Steuer- und Abga- NEN]: Das ist aber gemein gegenüber dem Fi-
benzahlungen nicht höher ist als die heutigen Zahlungen; nanzminister, was Sie da sagen!)
denn wenn sie das befürchten müssen, dann konsumie- Hier hat die SPD jeglichen Vorschlag unterlassen. Ich
ren sie nicht, sondern sparen ihr Geld. hoffe, dass die Kollegen der anderen Oppositionsfraktio-
nen das noch leisten. Herr Schneider, in solch einer
Deshalb ist eine Politik der Konsolidierung ein we-
schwierigen Lage des Landes kann man es sich auch in
sentlicher Teil, wenn es darum geht, das Vertrauen der
der Opposition nicht so einfach machen.
Menschen in den Staat, in die Sozialsysteme zu erhalten.
Damit erreichen wir, dass wir nicht nur exportorientiert (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sind, sondern auch in Zukunft eine gute Inlandsnach-
frage haben. Deshalb ist der Haushaltsentwurf richtig; er Ich habe eben die Zukunftsfähigkeit des Landes ange-
leistet einen Beitrag dazu, das Vertrauen der Menschen sprochen. Wir werden die Investitionshaushalte nicht re-
im Inland zu stärken, um damit zu erreichen, dass die In- duzieren. Wir werden sehr genau darauf achten, dass wir
landsnachfrage erhalten bleibt. die Ausgabenreduzierung, die notwendig ist, so aussteu-
ern, dass sie im Wesentlichen im konsumptiven Bereich
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ansetzt und eben nicht bei den Investitionshaushalten.
der FDP) Auch das ist aus meiner Sicht ein Beitrag zum Erhalt der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Wir stehen in Deutschland nach der Krise – der Bun-
desfinanzminister hat es benannt; ich muss es hier nicht Wir freuen uns über die Entwicklung, Herr Schäuble,
wiederholen – bei Wachstums- und Arbeitsmarktzahlen die der Haushalt im Jahre 2010 nimmt. Das hat im We-
besser da als vor der Krise. Unser Haushaltsansatz ver- sentlichen drei Gründe: Zum einen wurde das Wachs-
sucht, auch hier Impulse für die Zukunft zu setzen. Wir tum, zum anderen wurde die Arbeitsmarktentwicklung
führen eben nicht nur eine Konsolidierung durch, son- angesprochen. Der dritte Grund ist, dass wir trotz anstei-
dern setzen in diesem Haushalt Schwerpunkte bei der gender Staatsverschuldung geringere Aufwendungen
5922 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Michael Meister


(A) für die Staatsverschuldung haben, also geringere Zinsen bilitäts- und Wachstumspakt sind kein Selbstzweck. Es (C)
zahlen müssen. Das hat etwas damit zu tun, dass man geht nicht darum, einen Selbstzweck zu erfüllen, son-
uns auf den Kapitalmärkten der Welt glaubt, dass wir ein dern dahinter steht das Ziel einer nachhaltigen Finanzpo-
verlässlicher Schuldner sind, dass man von uns erwarten litik, die sowohl im nationalen wie im internationalen
kann, dass wir unsere Schulden mit Zins und Tilgung je- Recht kodifiziert worden ist. Darum muss es uns gehen,
derzeit ordentlich bedienen. Unsere Diskussion über die und zwar nicht nur, um Gesetze einzuhalten, vielmehr
Finanzplanung 2011 sowie die mittelfristige Finanzpla- unterziehen wir uns diesen Anstrengungen, um das Ziel
nung wird von den Kapitalmärkten sehr genau beobach- einer nachhaltigen Finanzpolitik zu erreichen. Wir schla-
tet. Sie werden uns nur so lange die günstige Refinanzie- gen einen Mix aus wachstumsfördernden Maßnahmen
rung gewähren und uns dadurch in unseren Bemühungen und Ausgabenkonsolidierung vor. Wir verzichten des-
Entlastung verschaffen, solange wir glaubwürdig dar- halb konsequent auf die Erhöhung von Ertragsteuern;
stellen, dass wir die Konsolidierungsanstrengungen voll- denn eine Erhöhung von Ertragsteuern würde dazu füh-
bringen. In der Sekunde, in der von uns das Signal aus- ren, dass wir die wirtschaftliche Belebung zerstören. Da-
gesendet wird, dass wir in unseren Anstrengungen mit wäre die von uns für die Konsolidierung benötigte
nachlassen, werden wir in eine Spirale der Verteuerung Einnahmebasis nicht mehr vorhanden. Deshalb ist die
unserer Staatsschulden geraten, die kein Parlament auf- Forderung der SPD, das Problem über eine Ertragsteuer-
fangen kann. erhöhung zu lösen, ein Signal, das in die Irre führt. Sie
ist kein Beitrag zur Lösung des Problems, sondern sie
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: geht am Thema vorbei.
So ist es!)
Wir müssen klare Signale setzen und dürfen keine Irrita- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tionen aussenden. Ich glaube nicht, dass wir eine soziale Schieflage ha-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben. Ich habe eingangs erwähnt, wie hoch die Aufwen-
dungen für den sozialen Bereich sind, die wir derzeit
Ich will darauf aufmerksam machen, dass wir neben nicht nur im Bundeshaushalt, sondern auch auf anderen
der Zinsentwicklung ein weiteres hohes Risiko haben, Ebenen beispielsweise bei den Kommunen haben. Das
nämlich die demografische Entwicklung in unserem ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Me-
Land. Sie wird dazu führen, dass das Konsolidieren des daille ist, dass man immer überlegen muss, wer diese So-
Haushaltes schwieriger wird. Da ist es sehr einfach, dass zialaufwendungen zahlt. Dazu möchte ich zwei Hin-
sich Herr Schneider einen schlanken Fuß macht. Er hat weise geben.
das Thema nicht angesprochen. Die Sozialdemokraten
(B) schließen die Augen vor der Frage, wie unser Land mit Erstens. Ob der Demografie wird die Zahl der Bei- (D)
der demografischen Entwicklung umgehen soll. tragszahler in Deutschland zukünftig zurückgehen, das
heißt, weniger Menschen werden mehr Leistungen schul-
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das stimmt tern müssen. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen:
doch gar nicht!) Wie können wir Strukturen schaffen, damit die notwendi-
Sie haben damals in der Regierung mit entschieden – Ihr gen Aufgaben erledigt werden können? Das ist die erste
damaliger Arbeitsminister hat das vorschlagen –, ob der Aufgabe, die vor uns liegt.
demografischen Entwicklung bis 2029 ein Rentenein-
trittsalter von 69, Entschuldigung, 67 Jahren, zu be- Die zweite Aufgabe: Wir dürfen die Leistungsfähigs-
schließen. ten nicht überfordern. Wir müssen einfach sehen, dass
die oberen 10 Prozent der Steuerzahler die Hälfte der
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Steuern in diesem Land zahlen.
Versprecher war verräterisch!)
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das
– Ja, weil ich 2029 gesagt habe. Regen Sie sich ruhig da- stimmt doch gar nicht!)
rüber auf. – Sie machen sich einen schlanken Fuß, indem
Sie sagen: Die demografische Entwicklung findet zwar Natürlich klingt es toll, wenn man sagt: Man muss die
statt, aber unsere populistische Antwort lautet: Das, was Belastung hochfahren. – Das kann man locker fordern,
beschlossen wurde, ist nicht notwendig. Das ist keine aber man muss sich auch die Frage stellen, wie die Re-
verantwortungsbewusste Antwort auf die Fragen der Zu- aktionen darauf ausfallen. Wird das tatsächlich dazu füh-
kunft, sondern das ist purer Populismus und Opportunis- ren, dass unser Staat in seiner Gesamtheit leistungsfähig
mus. Dafür werden Sie in Deutschland keine Zustim- bleibt?
mung bekommen.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die meis-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten Steuern kommen aus der Umsatzsteuer!
Ihre Rechnung stimmt doch nicht!)
Mit unserem Ansatz liegen wir richtig, um auch inter-
national deutlich zu machen – Herr Schäuble hat es ge- Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass das zu Reaktionen
sagt: Man soll nicht nur anderen kluge Ratschläge ge- führt, die den Armen und Ärmsten in unserem Land
ben, sondern man sollte selbst mit gutem Beispiel nicht helfen.
vorangehen, sowohl was den Stabilitäts- und Wachstums-
pakt als auch die Einhaltung der selbst gesetzten Schul- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
denbremse betrifft –: Die Schuldenbremse und der Sta- der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5923
Dr. Michael Meister
(A) Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wir (Beifall bei der LINKEN) (C)
alle wollen Klimaschutz. Darüber sind wir uns einig;
Einzig und allein der Vertreter der Linken im Finanz-
darüber gibt es in diesem Haus keinen Streit. Man muss
marktgremium, Roland Claus, hat im Sommer immer
sich überlegen, wie man das so umsetzt, dass es wirt-
wieder Sitzungen des Gremiums gefordert. Dreimal
schaftspolitisch vernünftig ist, dass wir wettbewerbsfä-
wurde abgesagt, und zwar mit der Begründung – die
hig bleiben und im Bereich Klimaschutz in Zukunft
sollte man sich gut merken –: … da die erforderliche
möglicherweise Exporterfolge erzielen können. Auf der
Mindestzahl von drei Mitgliedern, die eine Sitzung wün-
anderen Seite muss man sich die Frage stellen: Wie kann
schen, nicht erreicht wurde. Das heißt, weder Vertreter
die Wirtschaft die Auswirkungen verkraften, und wie
der Regierungsfraktionen noch der beiden anderen Op-
können die Energiepreise – das ist die soziale Dimension –
positionsfraktionen hatten Zeit und Lust, sich im
für die Menschen bezahlbar bleiben? Ich glaube, dass
Sommer über die skandalösen Vorgänge bei der HRE zu
die Bundesregierung ein wegweisendes Konzept vorge-
informieren.
legt hat, das die Punkte Klimaschutz, soziale Energie-
preise, wirtschaftspolitisch vertretbare Energiepreise und (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Versorgungssicherheit in vernünftiger Weise zusammen- NEN]: Das ist Unfug, und das wissen Sie!
bringt. Deshalb ist das nicht nur eine Veränderung unse- Nehmen Sie es zurück, Kollegin!)
rer energiepolitischen Ausrichtung; es geht nicht nur um
das Erreichen von Klimaschutzzielen. Vielmehr ist es Darum fordern wir als Linke: Endlich ein Ende der Ge-
auch ein Beitrag zur Sozialpolitik und zur Arbeitsmarkt- heimpolitik dieser Bundesregierung! Denn diese Ge-
politik in diesem Land. Auch das steckt in diesem Kon- heimpolitik widerspricht den Grundregeln der Demokra-
zept. tie.
(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bonde
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie
Deshalb bitte ich Sie, sich nicht zu verweigern, son- nicht mit Unwahrheiten eingeleitet hätten,
dern mitzumachen. Das ist notwendig, wenn Sie Ihre wäre es gut gewesen!)
Aussagen zu einer wirklich sozialen Politik für die Men- Es ist doch absurd, dass die Koalition hier in größter
schen in diesem Land selbst ernst nehmen. Ich glaube, Selbstzufriedenheit auf die Konjunktur schaut und die
wir sollten uns in aller Ruhe und Gelassenheit den Bera- FDP schon wieder Steuersenkungen verspricht. Die
tungen des Haushalts zuwenden. Wir sind offen für alle Wirtschafts- und Finanzkrise hat riesige Löcher in die
inhaltlichen Anregungen, die uns auf dem Weg aus der Haushalte des Bundes und der Länder gerissen, sodass
Krise weiterbringen, die dazu beitragen, Deutschland Schulen nicht saniert, Kitas nicht gebaut, Straßen nicht
(B) besser zu positionieren. Die Kollegen aus der Koalition repariert und Bibliotheken geschlossen werden. Das ist (D)
sind sehr aufgeschlossen. das Gegenteil von Generationengerechtigkeit und Nach-
Dem Bundesfinanzminister will ich für die Vorberei- haltigkeit.
tungen danken. Das, was uns vorliegt, ist aus meiner (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle
Sicht eine sehr gute Grundlage, auf der wir unsere Auf- [CDU/CSU]: Das ist nur da so, wo Die Linke
gabe in 2011 und den Folgejahren angehen können. regiert!)
Vielen Dank. Ich freue mich auf die Haushaltsbera- Der größte Skandal ist allerdings, dass diese Regie-
tungen. rung die Haushaltslöcher wieder nicht mit dem Geld der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Banker und Spekulanten stopfen will, sondern mit dem
Geld der normalen Steuerzahler. Ich kann Ihnen das
ganz einfach erklären: Schaut man sich den Haushalt an,
Präsident Dr. Norbert Lammert: stellt man fest, dass er in zwei Teile zerfällt, in einen
Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Red- Lobbyteil und in einen Kürzungsteil. Wenn Sie, Herr
nerin für die Fraktion Die Linke. Schäuble, hier die Einschnitte für Empfänger von Ar-
beitslosengeld mit dem Lohnabstandsgebot begründen
(Beifall bei der LINKEN)
wollen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt ein ande-
res, viel besseres Mittel: Führen Sie endlich den gesetzli-
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): chen Mindestlohn in Deutschland ein! Dann haben wir
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten auch keine Diskussionen mehr über das sogenannte
Damen und Herren! Sie, die Mitglieder der Bundesregie- Lohnabstandsgebot.
rung, haben in Ihrem Amtseid geschworen, dem Land zu
(Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle
dienen und Schaden von ihm abzuwenden. Aber genau
[CDU/CSU]: Das löst Grundproblem nicht,
das Gegenteil geschieht. Jüngstes Beispiel: Im Wind-
Frau Kollegin, das wissen auch Sie!)
schatten der Sarrazin-Debatte werden der Hypo Real Es-
tate 40 Milliarden Euro neue Bürgschaften in die Hand Ich werde Ihnen einige Beispiele zu den Kürzungen
gedrückt. Dass die Bundesregierung kein Interesse daran nennen, damit Sie in aller Deutlichkeit hören, was Sie in
hat, die Finanzkrise aufzuarbeiten, ist inzwischen allge- den Haushalt geschrieben haben. Nach Ihren Planungen
mein bekannt. Aber dass auch die zuständigen Abgeord- muss zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit ei-
neten ihre Kontrollaufgaben nicht wahrnehmen, das ist nem Kind mit Einkommenseinbußen von bis zu
mehr als erklärungsbedürftig. 32 Prozent rechnen. Stellen Sie sich einmal vor, Herr
5924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Gesine Lötzsch


(A) Ackermann müsste auf 32 Prozent seines Einkommens Eindruck, er hat nicht einmal wirklich gekämpft. In die- (C)
verzichten. Jede Regierung, die das vorschlagen würde, sem Land regiert die Lobby; nicht die Regierung oder
würde mit Großanzeigen aus dem Amt gefegt werden. das Parlament bestimmen. Diesen Zustand müssen wir
Wir sind ja in unseren Forderungen bescheidener. Wir im Sinne der Demokratie endlich beenden.
fordern nur eine fünfprozentige Vermögensabgabe für
Millionäre, und zur Finanzierung der Krisenkosten for- (Beifall bei der LINKEN)
dern wir außerdem eine Finanztransaktionsteuer und
Doch darüber wollen Sie von der Regierung nicht
eine Bankenabgabe. Die Bundesregierung hat es zwei
gerne diskutieren. Sie palavern lieber über die Entmün-
Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise immer noch
digung armer Kinder und ihrer Eltern. Ich finde, die Dis-
nicht geschafft, die Banken und Spekulanten zur Kasse
kussion über die Chipkarten ist mehr als zynisch. Ich
zu bitten. Ich denke, eigentlich wollen Sie das nicht. Wir
sage Ihnen: Alle Kinder in diesem Land könnten ein Mu-
haben da eine andere Auffassung: Die Verursacher der
sikinstrument lernen, in einem Sportverein Flickflack
Krise müssen zur Kasse gebeten werden und nicht die
lernen oder Wasserball spielen, wenn die Bundesregie-
normalen Menschen.
rung die Kommunen nicht systematisch aushungern las-
(Beifall bei der LINKEN) sen würde. Wenn wir eine Bankenabgabe nach dem
Obama-Modell in Deutschland einführen würden, hätten
Wir sehen ja, dass diejenigen die Krise bezahlen sol- wir jährlich 12 Milliarden Euro mehr in der Kasse, die
len und müssen, die noch nie am Tisch der Bundeskanz- wir den Kommunen zur Verfügung stellen könnten. Das
lerin gesessen haben und dort auch nie sitzen werden. wäre doch ein guter Vorschlag. Viele, die hier gern für
Das Elterngeld für Arbeitslose soll ersatzlos gestrichen die Kommunen sprechen, könnten dem doch sofort zu-
werden. Der befristete Zuschlag für Arbeitslosengeld-II- stimmen.
Empfänger soll genauso ersatzlos wegfallen wie die
Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose. (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/
Die Forderung, den Heizkostenzuschuss für Wohngeld- CSU]: Das war jetzt ein Flickflack!)
empfänger auf die Streichliste zu setzen, ist nach dem
letzten langen, harten Winter besonders zynisch und Das Haushaltsprinzip dieser Regierung lautet: Vor
zeigt Ihre Politik in aller Deutlichkeit. Dieser stellen wir den Lobbys einknicken, nach oben katzbuckeln und
uns entgegen. nach unten treten. Für diese Politik sind Sie nicht beauf-
tragt. Wir als Linke werden dieses Prinzip niemals ak-
(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding zeptieren.
[Heidelberg] [SPD]: Christlich!)
(Beifall bei der LINKEN)
(B) Um die Zahlen einmal ein bisschen ins Verhältnis zu (D)
setzen: In der Summe sind das knapp 2,6 Milliarden Die Linke will aber nicht nur die Krisenverursacher
Euro, die die sogenannte christlich-liberale Koalition zur Kasse bitten, sondern wir sehen auch große Einspar-
den Menschen nimmt, die nun wirklich keine Schuld an potenziale im Haushaltsentwurf der Bundesregierung.
der Finanzkrise tragen. Ich setze eine andere Zahl dage-
gen: Allein die Commerzbank bekam von der Bundesre- Ich komme zu einem Beispiel. Der Verteidigungsmi-
gierung in Form von verschiedenen Unterstützungsmaß- nister hat eine Bundeswehrreform vorgeschlagen, die
nahmen das Zehnfache der genannten Kürzungssumme. nachweislich kein Geld spart, dafür aber – das bitte ich
Das ist eine Schieflage, die wir nicht lange hinnehmen genauer zu beachten – klar regelt, wer in Zukunft auf
können. Darum fordern wir als Linke die Rücknahme den Schlachtfeldern sterben soll. Herr zu Guttenberg
aller Sozialkürzungen und endlich eine Aufstockung will aus der Bundeswehr eine Freiwilligenarmee ma-
des Arbeitslosengeld-II-Satzes, zuallererst für Kinder, so chen, um angeblich die Wehrungerechtigkeit zu beseiti-
wie es das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben gen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr
hat. wird zu einer Hartz-IV-Armee umgebaut. Wer sich Stu-
diengebühren leisten kann, der darf studieren. Wer ar-
(Beifall bei der LINKEN) beitslos ist, darf weltweit sein Leben aufs Spiel setzen.
Ich komme jetzt zum Lobbyteil des Haushaltes. Das ist ein Verständnis von Wehrgerechtigkeit, das wir
nicht teilen, meine Damen und Herren.
(Lachen bei Abgeordneten der FDP –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
werden Sie munter, ja?) CDU/CSU: Das ist ungeheuerlich! – Thomas
Oppermann [SPD]: Schlichter geht es nun
Dieser Lobbyteil des Haushaltes besteht aus Luftbu- wirklich nicht! Sieht Herr Ernst das auch so?)
chungen. Eingeplant ist eine Summe in Höhe von
2,3 Milliarden Euro für die Kernbrennstoffsteuer. Ich Richtig Geld sparen kann man nur, wenn man die gro-
sage Ihnen: Das ist eine Luftbuchung. Eingeplant haben ßen Rüstungsprojekte streicht. Beispiele haben wir im-
Sie eine Energiesteuer für stromfressende Industrie. mer wieder vorgetragen, und immer mehr Menschen
Auch das ist eine Luftbuchung. Sie haben eine Finanz- stimmen dem auch zu. Ich denke an den Eurofighter, den
transaktionsteuer eingeplant. Auch diese wird nicht um- Transporter A400M und an das völlig überalterte und
gesetzt werden. Das ist nach einem Jahr so gut wie ge- nicht funktionierende Raketensystem MEADS. Außer-
wiss. Das alles sind Luftbuchungen. Der Finanzminister dem denken wir natürlich auch an den milliardenschwe-
hat gegen die Lobby verloren. Ich habe allerdings den ren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5925
Dr. Gesine Lötzsch
(A) Meine Damen und Herren, dieses Geld wäre als Ent- sein. Lieber keine Rente mit 67; lieber dafür mehr Geld (C)
wicklungshilfe besser angelegt. Doch genau da wollen und lieber für andere Dinge mehr Geld.
Sie merkwürdigerweise streichen. Sie wollen Geld zur
Ich sage Ihnen eines: Mit Sparen macht man sich
Bekämpfung von HIV/Aids und Malaria streichen. Das
nicht beliebt.
ist zynisch. Das ist keine Hilfe. Das ist eine Beleidigung
der Menschen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: 200 Mil-
liarden neue Schulden!)
(Beifall bei der LINKEN)
Mit dem Reduzieren von Ausgaben macht man sich
Fazit. Diese Regierung wird immer mehr von mächti- nicht beliebt. Mit dem aber, was Sie machen, macht man
gen Lobbyisten der Atom-, Rüstungs- und Pharmaindus- sich auch nicht beliebt, sondern nur beliebig.
trie gesteuert. Augenscheinlich sind Sie auch noch stolz
darauf. Sie haben jedes Gefühl für die Menschen und die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Beziehungen zu ihnen verloren. Diese Regierung setzt
Meine Damen und Herren, wenn der Bürger uns fragt,
nicht darauf, gemeinsam mit dem Großteil der Bevölke-
was wir im Haushalt vorhaben, dann geht es doch da-
rung etwas zu erreichen und zu verbessern, sondern sie
rum, dass wir für zukünftige Jahre eine klare Planungssi-
setzt auf Ausgrenzung und auf die Privilegierung einer
cherheit haben, damit die Leute wissen, wohin es geht.
Handvoll von Superreichen. Das – damit komme ich
Es geht uns darum – das ist uns allen ja passiert; davon
zum Anfang zurück – widerspricht eklatant dem Amts-
kann sich keiner freisprechen –, dass eine Finanz- und
eid, den Sie alle vor dem deutschen Parlament geschwo-
Wirtschaftskrise nicht noch einmal so erhebliche Aus-
ren haben. Erfüllen Sie Ihren Eid, und brechen Sie ihn
wirkungen auf den Haushalt hat.
nicht, meine Damen und Herren!
Auf Folgendes sollten wir noch am meisten stolz sein:
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Zuruf
Hat die Finanz- und Wirtschaftskrise in dem Maße
von der FDP: Bei der Linken ist wieder Karne-
Auswirkungen auf unsere Bürger, auf unsere Rentner
val!)
und unsere Arbeitslosen gehabt, wie dies in anderen
Ländern der Fall gewesen ist? Schauen wir uns das doch
Präsident Dr. Norbert Lammert: einmal an. Haben wir die Renten gekürzt, wie dies in an-
Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die deren Ländern der Fall war? Nein. Ist in unserem Spar-
FDP-Fraktion. paket eine Kürzung der Renten vorgesehen? Nein. Ha-
ben wir bei der Arbeitslosenversicherung gekürzt? Nein,
(Beifall bei der FDP)
wir haben es nicht gemacht. Haben wir die Hartz-IV-
Sätze gekürzt? Nein, wir haben es nicht gemacht. Wer (D)
(B) Otto Fricke (FDP): sind diejenigen, die die Krise in den vergangenen Jahren
Geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Her- finanziell getragen haben und in zukünftigen Jahren tra-
ren! Eine alte Weisheit lautet: Spare in der Zeit, dann gen müssen? Diejenigen, die dafür sorgen, dass der Staat
hast du in der Not. Wenn wir uns klarmachen, was die Einnahmen hat: Unsere Steuerzahler, die wir dringend
Aufgabe in diesem Jahr und in den nächsten Jahren ist, brauchen, haben die Kosten dieser Krise zu tragen.
dann heißt es: Spare in der Zeit! Denn keiner von uns
weiß, wie sich das alles in den nächsten Jahren weiter- Weil Sie immer davon reden, dass die Unternehmer
entwickelt. Das ist eine Verantwortung, die wir wahrneh- nichts damit zu tun haben, sage ich Ihnen: Wenn wir
men. Es mag Kritik daran geben – manche eher pole- jetzt die Neuverschuldung abbauen, Stück für Stück und
misch vorgetragen –, aber an den Zahlen orientiert ist Schritt für Schritt, mit einer klaren Perspektive und auf
doch das, was wir machen, für zukünftige Generationen Grundlage dessen, was uns die Verfassung vorgibt,
notwendig. meine Damen und Herren, dann trägt der Steuerzahler
einen wesentlichen Teil dazu bei. Der Unternehmer, der
Diese Koalition spart. Sie spart auf eine Art und in der Finanzkrise keine Einnahmen hatte und darum
Weise, wie es Vorgängerregierungen fast nie gelungen bangen musste, dass sein Unternehmen diese Krise über-
ist. Sie stabilisiert, und nur daran kann man Sparen er- lebt, ist derjenige, der durch seine Steuerzahlungen jetzt
kennen. Für Sie von der Opposition bedeutet Sparen grö- mit dafür sorgt, dass für zukünftige Generationen ausrei-
ßere Einnahmen und in der Folge ein geringeres Defizit. chend Geld da ist. Das haben Sie aber völlig aus den Au-
Für uns bedeutet Sparen einen Verzicht auf Ausgaben. gen verloren. Das sehen Sie nicht. Das wollen Sie auch
Das ist der Unterschied zwischen einer christlich-libera- nicht wahrhaben. Sie wollen den Menschen noch mehr
len Koalition und Ihrer Auffassung. Geld wegnehmen. Das, was Sie an dieser Stelle tun, ist
nicht verantwortbar.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wie war es denn in der Vergangenheit? Sie haben
der CDU/CSU – Petra Merkel [Berlin] [SPD]:
doch immer wieder gesagt: Dafür müssen wir mehr Geld
Wie bitte? Die Mitarbeiter bezahlen das doch!
haben, dafür müssen wir mehr Geld haben, und dafür
Sie haben das Kurzarbeitergeld gekürzt! Das
müssen wir mehr Geld haben. – Was haben Sie am Ende
stimmt doch gar nicht, was Sie da sagen!)
machen müssen? Steuern erhöhen, Abgaben erhöhen,
Beiträge erhöhen. Das war am Ende immer Ihr Ergebnis. Warum machen wir das? Der Bürger fragt sich doch:
Sie machen eine Politik – und schlagen diese leider auch Müssen die das denn gerade jetzt so machen? Da muss
heute wieder vor –, die besagt: Wir wollen lieber beliebt man ganz klar sagen: Wir müssen die Verfassung einhal-
5926 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Otto Fricke
(A) ten. Ich frage einmal in Richtung der Opposition: Wollen Otto Fricke (FDP): (C)
Sie die Schuldenbremse einhalten oder nicht? Wollen Für Sie wäre also der November maßgeblich. – Dann
Sie das? Sind Sie wirklich fest dazu entschlossen? haben Sie nur ein Problem, lieber Kollege Schneider
– jetzt gehe ich sehr stark in technische Details –: Wenn
Präsident Dr. Norbert Lammert: man Verschuldung abbaut, dann ist das Ziel aufgrund der
Herr Kollege Fricke, da sich der Kollege Carsten Schuldenbremse, wie ich glaube, klar; darüber sind wir
Schneider ohnehin zu einer Zwischenfrage gemeldet hat, uns alle einig. Es geht jetzt darum, in welchen Schritten
wäre das ja vielleicht eine schöne Gelegenheit, auch Ihre wir die Neuverschuldung in den nächsten Jahren gleich-
Frage gleich mitzubeantworten. mäßig abbauen, übrigens sowohl der Bund als auch die
Länder; darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Otto Fricke (FDP): Ich kann Ihnen nur sagen: Maßgeblich muss der Fi-
Ja, das wäre schön. nanzplan sein; darüber sind wir uns, wie ich glaube, ei-
nig. Oder sehen Sie das anders? Ich jedenfalls sehe es so,
dass der Finanzplan die Basis dafür ist, wie man in den
Präsident Dr. Norbert Lammert: nächsten Jahren vorgeht. Er steht jetzt so, wie er steht;
Bitte schön, Herr Kollege Schneider. das wissen Sie. Ich gehe, wie gesagt, davon aus, dass der
Finanzplan für uns maßgeblich ist.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Aber eines, Kollege Schneider, haben Sie vergessen
Herr Kollege Fricke, Sie sind eben auf die Problema- zu fragen: Sagen wir etwa – das steckt ja hinter Ihrem
tik der Schuldenbremse eingegangen und haben gesagt, Denken –: „Wir geben so viel aus, wie uns die Schulden-
dass Sie sie einhalten wollen. Wir wollen das natürlich bremse vorgibt“? – Nein, das ist nämlich der Unter-
auch. schied zwischen Ihnen und der Koalition: Wir wollen
unterhalb dieser Grenze bleiben. Daran arbeiten wir. Für
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und
uns ist diese Grenze nicht das, was wir ausgeben dürfen,
der FDP)
sondern für uns ist das eine Linie, die auf keinen Fall zu
überschreiten ist.
Otto Fricke (FDP):
Ach, wirklich? (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Genau! Eine
Obergrenze!)
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Wir versuchen, unterhalb dieser Linie zu bleiben. Des-
(B) Ich frage Sie nur – das ist eine wichtige Frage –, was wegen kommt es auf eine einzige Frage an: Sind Sie be- (D)
für Sie die maßgebliche Bezugsgröße ist. Wie wir wis- reit, eigene konkrete Vorschlägen zu unterbreiten, wie
sen, haben Sie, Herr Bundesfinanzminister Schäuble, wir es schaffen können, unterhalb dieser Grenze zu blei-
den Ausgangspunkt für den Abbaupfad der Kreditauf- ben?
nahme zu Beginn auf das Haushaltssoll 2010 festgelegt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!
Sie haben das dann geändert – ich unterstütze das –, Das sind sie nicht!)
Ich sage Ihnen: In Ihrer Rede habe ich das nicht gehört.
Otto Fricke (FDP):
Aha. (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU –
Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir spre-
chen uns wieder!)
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
– und zwar auf den Juni 2010, auf das voraussichtli- Die nächste Frage lautet: Für wen machen wir das ei-
che Ist vom Juni 2010. Jetzt sehen wir, dass sich die kon- gentlich? Wir machen das für diejenigen, die Sozialleis-
junkturelle Lage deutlich verbessert. Gegen Ende dieses tungen beziehen und einen Anspruch darauf haben, so-
Jahres werden wir wahrscheinlich bei einer Nettokredit- zial abgesichert zu sein. Aber wir machen es auch für
aufnahme von circa 50 Milliarden Euro landen. Weil wir zukünftige Generationen.
das erste Mal in diesem Parlament mit der Schulden- Heute hat in Bayern die Schule angefangen. Den
bremse umgehen und dies für die nächsten Jahre stil-
Schülern, die heute eingeschult werden, muss man sa-
bildend sein wird, stellt sich mir die Frage: Welchen
gen: Wir arbeiten mit einem Instrument, das unange-
Ausgangspunkt wird uns die Koalition im November nehm sein mag, daran, dass sie dieselben Zukunftschan-
vorlegen, die voraussichtliche Entwicklung im Novem-
cen haben, wie sie der Kollege Schneider, meine
ber oder die im Juni? Das ist für die Abbauschritte in den
Generation und schon die Generation vor mir in diesem
nächsten Jahren nämlich maßgeblich. Lande hatten. Das ist nicht immer einfach. Sparen ist wie
eine bittere Medizin. Sie schmeckt bitter; man muss sie
Otto Fricke (FDP): regelmäßig nehmen; aber am Ende ist man geheilt und
Welche ist für Sie maßgeblich? vergisst sogar, woher die Heilung kam.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ja, ja! Die
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Frage ist nur: Wer kriegt wie viel von dieser
Die im November. Medizin?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5927
Otto Fricke
(A) Zwischen Ihren Worten nach dem Motto „Wir wollen Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
alle sparen“ auf der einen Seite und Ihren Taten auf der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
anderen Seite gibt es aber einen Unterschied. Das, was Haushalt 2011 ist ein wichtiger Haushalt, weil mit ihm
Sie wollen, ist keine bittere Medizin. Nehmen Sie die einige langfristige Prozesse eingeleitet werden müssen.
Rücknahme der Rente mit 67, die Erhöhung von Hartz- Es ist der erste Haushalt, der unter den Regeln der Schul-
IV-Sätzen und alle anderen möglichen Geschenke, die denbremse aufzustellen ist. Das heißt, sowohl Sie als Re-
kurzfristig nett sind: Das, was Sie machen, ist das süße gierung als auch wir als Opposition müssen mit diesem
Gift der Verschuldung, das Sie weiter verabreichen wol- Haushalt nicht nur einen Blick auf dieses oder das
len, und keine Medizin. nächste Jahr, sondern auch auf die Jahre bis 2016 wer-
fen. Es geht darum, mit einem politischen Entwurf für
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ich glaube, es gibt
diesen Weg die Gesellschaft als Ganzes mitzunehmen,
ein Verfassungsgerichtsurteil dazu!)
um die schwierige Aufgabe zu lösen, die Schulden-
Das ist der ganz wesentliche Unterschied. bremse einzuhalten und eine nachhaltige Konsolidie-
rung zu erreichen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Es gibt in dieser schwierigen Zeit, in der wir uns nach
Sollen wir das Verfassungsgerichtsurteil nicht wie vor befinden, auch die Aufgaben, den sozialen Zu-
beachten?) sammenhalt in diesem Land zu erhalten und die auch
durch die Wirtschaftskrise offengelegten Modernisie-
Das, was Sie hier sagen, hört sich für den Bürger auf rungsdefizite in unserer Volkswirtschaft – vor allem hin-
den ersten Blick so an wie: Oh, die wollen auch sparen. sichtlich der ökologischen Modernisierung – endlich
anzugehen, um unseren Wohlstand nachhaltig und ver-
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wollen Sie
träglich zu sichern.
die Regelsätze senken?)
Das ist der Anspruch, an dem man Ihren Haushaltent-
Liebe Bürger: Achtet nicht nur auf das, was die SPD hier
wurf messen muss. Dann ist es vorbei mit den schönen
sagt, sondern schaut, was die SPD mit den Grünen
Reden, die wir gerade gehört haben. Den Weg bis 2016
macht.
bekommen Sie mit Ihren Maßnahmen gar nicht beschrie-
(Ulrike Flach [FDP]: Richtig!) ben.

Schauen wir uns einfach einmal die beiden Länder an, Überall dort, wo es um die ökologische Modernisie-
in denen diese beiden glorreichen Parteien regieren. Sie rung und um die Fragen geht, wie wir den Zusammen-
(B) bauen die Neuverschuldung in diesem Jahr nicht ab, wie halt stärken und es schaffen, die Konsolidierungsaufgabe (D)
wir das tun, sondern im Gegenteil: In beiden Ländern der nächsten Jahre wirklich als breite, von der ganzen
bauen sie die Neuverschuldung auf. Um es einmal kon- Gesellschaft getragene Aufgabe zu verstehen, versagen
kret zu machen: In Nordrhein-Westfalen wird die Neu- Sie mit diesem Haushaltsentwurf grandios.
verschuldung in diesem Jahr um 35 Prozent erhöht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Joachim Poß [SPD]: Weil Sie die Risiken im sowie bei Abgeordneten der SPD)
Etat verschleiert haben! – Stefan Müller [Er-
langen] [CDU/CSU]: Unglaublich!) Neben der fiskalischen Verschuldung gibt es ja auch
eine ökologische und eine soziale Verschuldung: Genau
Das würde bei uns bedeuten, dass wir die Neuverschul- diese verschärfen Sie mit dem, was Sie hier als Haushalt
dung gegenüber der Planung auf über 100 Milliarden 2011 vorlegen.
Euro steigern würden.
Sie nutzen nicht die Chance zum Subventionsabbau.
(Joachim Poß [SPD]: WestLB!) In einer Zeit, in der es eine Klimakrise und eine Haus-
haltskrise gibt, ist es absurd, jedes Jahr weiterhin
Das ist der Unterschied: Sie reden vom Sparen, aber Sie 48 Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen
meinen Geldausgeben, im Bundeshaushalt auszuweisen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie nutzen ausschließlich bestimmte Teile des Haus-
Sie reden von zukünftigen Generationen, aber die Schul- haltes zu Einsparungen und nehmen andere nicht in den
denberge, auf denen unsere Kinder nicht spielen können, Blick. Ich frage Sie: Was ist das eigentlich für ein Wirt-
machen Sie immer höher. schaftsetat, der ein Bauchladen mit Subventionstöpfchen
für alle und jeden ist? Was ist das eigentlich für ein
Herzlichen Dank. Landwirtschaftsetat, in dem in Zeiten knapper Kassen
der Export von deutschen Schweinen ins Ausland zum
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Hauptziel von neuen Investitionen gemacht wird?
Poß [SPD]: Das ist Ihre Erbschaft!)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist eine Schweinerei!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Alexander Bonde von der Fraktion Mit diesem schwarz-gelben Entwurf werden Sie keinem
Bündnis 90/Die Grünen ist der nächste Redner. der wirklich wichtigen Bereiche gerecht.
5928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Alexander Bonde
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verstehe ich das: Sie glauben nicht mehr, den Haushalt (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD) 2014 selbst aufstellen zu müssen. Das wird nämlich eine
neue Regierung machen müssen, die Ende 2013 gewählt
Sie haben ja im Sommer angekündigt, Sie wollten
wird.
jetzt mal anfangen, zu regieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
NEN]: Oh!)
Man kann sagen: Spät, aber Sie haben es immerhin ge- Schauen Sie einmal, was Sie im Finanzplan vorlegen: Im
merkt. – Das Einzige, was Sie in der CDU im Moment Jahr 2014 werden die Zinszahlungen nach den Kalkula-
aber machen, ist, eine sehr komische, konservative tionen von Herrn Schäuble von heute 40 Milliarden Euro
Selbstfindungsdebatte zu führen. auf dann 50 Milliarden Euro pro Jahr angestiegen sein.
Das heißt, da werden schon einmal 10 Milliarden Euro
Ich finde, Sie haben wirklich Grund zur Selbstfin- im Bundeshaushalt fehlen.
dung. Gucken Sie nur einmal in diesen Haushalt! Ich
frage mich schon: Was ist eigentlich konservativ daran, Jetzt gucken wir einmal, wie Sie das in Ihrem Finanz-
immer nur bei den kleinen Leuten zu sparen? plan für das Jahr 2014 bewältigt haben: Es gibt eine glo-
bale Minderausgabe von über 5 Milliarden Euro, also
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angekündigte Einsparungen, bei denen keine Idee dahin-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ter steckt. Sie versprechen, Verwaltungsausgaben von
3,9 Milliarden Euro einzusparen und auf dem Weg dort-
Ich frage mich schon: Was ist eigentlich christlich daran,
hin einmal zu überlegen, wie das gehen könnte. Bis da-
wenn es immer auf die Schwächsten geht und wenn die
hin soll die Bundeswehrreform von Herrn Guttenberg
starken Schultern nichts zur gesellschaftlichen Verant-
4,5 Milliarden Euro jährliche Einsparungen bringen,
wortung beitragen sollen?
eine Zahl, die er selbst mit seinem optimistischsten Mo-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dell heute nicht unterlegen kann.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])
Das haben Sie als vermeintlich konservative oder christ-
liche Partei wirklich mal zu klären, liebe Union. Wenn Sie heute auf NRW zeigen, dann sage ich Ih-
nen, Herr Fricke: Sie machen doch das Gleiche hier, in-
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Reden Sie dem Sie der nächsten Bundesregierung schon jetzt einen
doch nicht von Dingen, von denen Sie keine Schuldenberg von 11 Milliarden Euro auf den Tisch le-
Ahnung haben!) gen und das noch als eine Einhaltung der Schulden-
(B) bremse verkaufen wollen. (D)
Auch in der FDP gibt es jetzt Selbstfindung. Wir kön-
nen auch das gut nachvollziehen. Die Fünfprozenthürde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
lässt immer die eine oder andere Frage aufkommen. Ich sowie bei Abgeordneten der SPD)
finde, es gibt richtig harte Fragen an Sie: Was ist eigent-
lich aus dem Liberalismus in Deutschland geworden, Mit Verlaub: Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie
wenn die Politik immer nur nach der Pfeife von ein paar wissen nämlich selbst, welche Lasten Sie in die Zukunft
Monopolisten tanzt? schummeln.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Norbert Lammert:
und bei der SPD)
Der Kollege Fricke möchte und darf offenkundig eine
Das ist eine Frage, die die FDP einmal klären muss. In Zwischenfrage stellen. – Bitte schön.
diesem Haushalt tun Sie es nicht.
Ich will von Ihnen schon wissen: Was ist eigentlich li- Otto Fricke (FDP):
beral daran, die Stadtwerke plattzumachen, damit den Kollege Bonde, es ist ein sehr schöner rhetorischer
Wettbewerb auf dem Energiemarkt wieder völlig auszu- Trick, auf das Jahr 2014 hinzuweisen, für das eine Pla-
höhlen und den Oligarchen aus RWE, EnBW, Eon und nung besteht, bei der selbst Sie noch nicht genau wissen,
Vattenfall die goldenen Löffel hinterherzuwerfen? was im Jahr 2014 passiert, aber dabei zu verschweigen,
dass das, was in Nordrhein-Westfalen stattfindet, nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
erst im nächsten Jahr sein wird. Vielmehr hat die rot-
und bei der SPD)
grüne Regierung, die dort erst angefangen hat, mit der
Das sind Fragen, die eine liberale Partei, die wieder libe- Tolerierung der Linken zu regieren, bereits im ersten
ral werden will, wirklich klären muss. Jahr die Verschuldung um 35 Prozent erhöht.
Kommen wir zum Finanzplan. Da machen Sie inte- Würden Sie mir nicht zustimmen, dass zu sagen: „Wir
ressante Operationen. Der Kollege Fricke hat sich hier verzichten auf Studiengebühren und machen das über
bemüßigt gefühlt, über Nordrhein-Westfalen zu reden, Verschuldung. Wir geben den Kommunen mehr Geld
wo die schwarz-gelbe Koalition einen richtig schönen und machen das über Verschuldung. Wir geben mehr für
getarnten Schuldenberg hinterlassen hat. Wenn man Ih- neue Behörden aus und machen das über Verschuldung.
ren Haushaltsplan anschaut, dann stellt man fest, dass Wir geben noch mehr für Förder- und sonstige Maßnah-
Sie für das Jahr 2014 genau das Gleiche machen. Jetzt men aus und machen das über Verschuldung“,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5929
Otto Fricke
(A) (Bettina Hagedorn [SPD]: Besser als den Ho- kutieren. Ich hoffe, dass der Finanzminister anwesend (C)
teliers!) sein und erklären wird, was er damit meint, dass nicht
das Parlament, aber alle relevanten Personen informiert
ein Unterschied gegenüber dem ist, was in diesem Jahr worden seien. Ich möchte wissen, welches Demokratie-
an konkreten Einsparungen vorliegt? Würden Sie mir verständnis sich hinter dieser Aussage verbirgt, Kollege
zustimmen, dass, wenn Sie die beiden Haushalte – Bund
Schäuble.
dieses Jahr und Land NRW dieses Jahr – vergleichen,
Sie zu dem Ergebnis kommen, dass der eine die Neuver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
schuldung abbaut und Rot-Grün die Neuverschuldung Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
aufbaut? NEN]: Diese Variante gibt es im Grundgesetz
gar nicht!)
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war die eine nächtliche Mauschelei der Bundesre-
Lieber Kollege Fricke, als Nordrhein-Westfale wissen gierung. Eine andere haben wir in Sachen Atomenergie
Sie genau, mit welcher Art von Buchführung da operiert erlebt. Sie haben bei Nacht und Nebel der Atomenergie-
wurde. Ich halte es für richtig, dass die Koalition in wirtschaft Zusatzgewinne garantiert. In der ersten Fas-
NRW zu Beginn ihrer Amtszeit Kassensturz gemacht sung des Haushaltsbegleitgesetzes und Ihrer Einnah-
hat. Dies hat Schwarz-Gelb in ihrem Wahn, Ihre Steuer- meerwartung für diesen Haushalt, die darauf beruht, sind
senkungsforderung bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen Sie davon ausgegangen, dass die Besteuerung von Brenn-
über die Zeit zu retten, fahrlässigerweise nicht gemacht. elementen in Höhe von 220 Euro pro Gramm Uran
Das ist genau der Unterschied, und es stellt sich die 2,3 Milliarden Euro für den Haushalt einbringen würde.
Frage: Mache ich mich als neue Regierung glaubwür- Das hat man auf 145 Euro pro Gramm herunterverhan-
dig? delt, was angeblich auch 2,3 Milliarden Euro einbringen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) würde. Dann haben Sie in dem Geheimvertrag nachver-
handelt, dass sichergestellt sein muss, dass diese Steuer
Lege ich die Fakten auf den Tisch, oder glaube ich, dass nicht erhöht werden darf. Das bringt bestimmt auch
ich den Menschen mit geschönten Zahlen, Tricks, mit 2,3 Milliarden Euro ein. Diese Abfolge lässt langsam den
Schattenhaushalten und Ähnlichem die Realität auf Verdacht aufkommen, dass Sie zum Schluss noch dafür
Dauer verstellen kann? Da müssen Sie sich entscheiden, bezahlen, dass die Atomkonzerne durch die Laufzeitver-
Kollege Fricke. Es ändert nichts daran, dass Sie mit dem längerung 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen erwirt-
Finanzplan, den wir heute beraten, die Operation fortset- schaften.
zen, die Sie in NRW begonnen haben. Dies müssen Sie
sich vor Augen führen, auch wenn das weh tut. So viel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Ehrlichkeit haben die Menschen verdient, Herr Kollege. sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate (D)
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwar 2,3 Milliarden Euro!)
und bei der SPD)
Langsam glaubt Ihnen niemand mehr in dieser Frage,
Der nächste Punkt, Kollege Fricke: Ihr Wirtschafts- Herr Schäuble, dass ein relevanter Beitrag der Konzerne
minister hat zu der beschriebenen Situation im Jahr 2014 zur Haushaltskonsolidierung erfolgen soll.
gleich angekündigt, dass noch ein paar Schulden dazu-
kommen; denn Sie sind wieder in Sachen Steuersen- Die FDP muss man auch an dieser Stelle fragen: Was
kungslüge unterwegs. Insofern rate ich zur Vorsicht bei ist aus den Liberalen geworden, wenn so drastisch Mo-
der FDP. Ich glaube, eine liberale Selbstfindungsdebatte nopole fettgefüttert werden und wie die fette Henne alles
steht Ihnen besser an, als mit dem Finger auf andere zu verdrängen, was in ihre Nähe kommt? Da müssen Sie
zeigen. noch einmal in sich gehen. So absurd wurde Wirtschafts-
politik in Deutschland noch nie gemacht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir sehen daran, wie Haushaltspolitik gemacht wurde.
Das, was wir heute diskutieren, erinnert ein bisschen
Wo große Konzerne und Baugesellschaften dahinterste-
an die Nacht-und-Nebel-Aktion, die wir im Zusammen-
cken und 40 Unternehmensvorstände millionenschwere
hang mit der Hypo Real Estate erlebt haben. Da hat die
Anzeigenkampagnen schalten, gerät bei jedem einzelnen
Vorstandschefin der HRE an einem Mittwochnachmittag
Husten eines Konzernchefs die schwarz-gelbe Konsoli-
verkündet, sie sehe schon 2011 den Gewinnkorridor
diererfront ins Wanken. Millionen von Schwachen in die-
kommen, und nachmittags den Finanzminister aufge-
sem Land sind Ihnen aber egal. Genau dort schlagen Sie
sucht, um 40 Milliarden Euro an Liquiditätsgarantien ab-
dann bei den Kürzungen zu. Für Sie gilt die Leitregel:
zuholen. Ich glaube, wir müssen mit dieser Art von Poli-
Wer es sich nicht leisten kann, in eine gut gedämmte
tik aufhören, bei der man vermeintliche Erfolge ins
Wohnung zu ziehen, dem streichen Sie den Heizkosten-
Fenster stellt, um dann den Menschen hintenherum deut-
zuschuss. Die Programme, um diese Dämmungen durch-
lich zu machen, dass das Risiko doch bei ihnen gelandet
zuführen, streichen Sie ebenfalls. Aber wenn es darum
ist.
geht, üppige Energiesteuervergünstigungen für Unter-
Es ist auch absurd, in welcher Art und Weise hier mit nehmen moderat anzugehen, kneifen Sie vor den Lobbys.
dem Parlament umgegangen wurde. Aber das werden Ihre Prioritätensetzung in diesem Haushalt ist ein peinli-
wir später in der extra anberaumten Sondersitzung dis- ches Schauspiel.
5930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Alexander Bonde
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das wird bei den Sozialmaßnahmen deutlich, zum Bei- Herr Kollege Bonde, Sie haben gerade angekündigt,
spiel beim Elterngeld. Einsparungen in Höhe von konstruktive Vorschläge einzubringen. Ich hoffe, dass
400 Millionen Euro sollen von den Schwächsten dieser ich Sie richtig verstanden habe. Sie haben hier über zehn
Gesellschaft aufgebracht werden, 200 Millionen Euro Minuten viele Punkte vorgetragen, die aus Ihrer Sicht
von den Normalverdienern und -verdienerinnen, aber kritikwürdig sind; das ist Ihr gutes Recht. Sie haben uns
null Euro von den Reichen. Von ihnen wird nicht ein aber alles vorenthalten, was Sie anders machen würden.
Cent zu der Konsolidierungsleistung beigetragen. Das ist Ich finde, es ist die Pflicht einer Opposition, zu sagen,
symptomatisch für die Schieflage, die Sie schaffen. was man selber besser machen würde, wenn man die an-
deren kritisiert. Ich hoffe sehr, dass Sie die nächsten Wo-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen der Haushaltsberatungen dazu nutzen, das zu tun,
sowie bei Abgeordneten der SPD) werter Kollege Bonde.
Der Bundesagentur für Arbeit schieben Sie jetzt die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Schulden zu. Es wird Beitragserhöhungen geben. Auch der FDP)
hier ist wieder die Frage: Wer zahlt das denn? Wir alle
wissen genau, welche Auswirkungen das hat. Der Bundeshaushalt für 2011 stellt ein bislang einma-
liges Konsolidierungsvorhaben dar.
Im ökologischen Bereich rasieren Sie alles, was wich-
tig ist. Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Ener- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Na ja!)
gien, eine wesentliche Stütze unseres Handwerks, gehen
Sie massiv an. Die Ausgaben für die Nationale Klima- Wir beenden damit die haushaltspolitische Unvernunft
schutzinitiative werden radikal gekürzt, und die Mittel für der vergangenen Jahrzehnte. Es ist unstrittig: Wenn man
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm kürzen Sie um sich die Schuldenentwicklung der vergangenen Jahr-
die Hälfte. zehnte anschaut, dann stellt man fest, dass in diesem
Land permanent mehr ausgegeben wurde, als man vorher
Dieser Haushalt ist kein Aufbruch hin zur Bewältigung eingenommen hatte. Übrigens hat die SPD das in der
der zentralen Aufgaben, die vor uns stehen. Sie haben die Großen Koalition noch nicht einmal bestritten. Aber viel-
Beantwortung der Frage nach einer ökologischen Moder- leicht haben Sie auch hier Ihre Meinung geändert. Jeden-
nisierung der Gesellschaft aufgegeben und den Atomkon- falls sind die Mehrausgaben in der Vergangenheit immer
zernen übertragen. Dieser Haushalt ist kein Auftakt dafür, durch neue Schulden finanziert worden. Wir haben nun
den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu stärken. mit der Schuldenbremse endlich ein Instrument, dem (D)
(B)
Einhalt zu gebieten. Letztlich ist die Schuldenbremse
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nichts anderes als die verfassungsrechtlich verankerte
Herr Kollege! Pflicht zu einer soliden Finanzpolitik und zu einer nach-
haltigen Haushaltspolitik. Letztlich ist die Schulden-
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bremse damit auch die grundgesetzliche Verankerung für
Generationengerechtigkeit. Aber selbst wenn es rechtlich
Auch hier haben Sie den Schlüssel zum Kanzleramt
nicht bindend wäre, wäre es politisch notwendig, diesen
an die Konzernleitungen und die Bestverdienenden wei-
Kurs einzuschlagen und von dem abzukehren, was in den
tergegeben. Das ist die Aufgabe, der Sie sich stellen
vergangenen Jahrzehnten in Deutschland stattgefunden
müssen: Wir werden belegen, dass man die Vorgaben der
hat. Allein die Zinsausgaben im Bundeshaushalt machen
Schuldenbremse ökologisch und sozialverträglich ein-
über 40 Milliarden Euro aus und schränken schon heute
halten kann –
die politische Handlungsfähigkeit massiv ein. Das gilt
selbstverständlich auch für die Zukunft. So kann es nicht
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: weitergehen. Wir sind gerade nachfolgenden Generatio-
Herr Kollege! nen schuldig, an dieser Stelle umzusteuern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
– und dass die Schuldenbremse kein Alibi für So- Mit dem, was wir vorschlagen und auf den Weg brin-
zialabbau ist, den Sie betreiben wollen. gen, legen wir die Messlatte für andere Länder. Ich
Herzlichen Dank. möchte in Erinnerung rufen, dass wir in diesem Frühjahr
sehr intensiv um die Stabilität des Euro gerungen ha-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben. Das Problem war nicht nur, dass es eine ganze
und bei der SPD) Reihe von Finanzmarktakteuren und Spekulanten gege-
ben hat, die gegen den Euro gewettet haben. Sie haben
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: letztlich das Problem nur verschärft. Sie waren gewisser-
Der Kollege Stefan Müller hat das Wort für die CDU/ maßen die Brandbeschleuniger. Das eigentliche Problem
CSU-Fraktion. in der Euro-Zone ist ein ganz anderes. Der eigentliche
Brandherd ist die immense Verschuldung der Euro-Län-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der. Deswegen gilt: Wer die Stabilität des Euro, wer
neten der FDP) Währungsstabilität haben möchte, muss auch dafür sor-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5931
Stefan Müller (Erlangen)
(A) gen, dass die öffentlichen Finanzen der Euro-Länder in ropa zweifelsfrei Anführer in Sachen Stabilität. Deshalb: (C)
Ordnung gebracht werden. Das erfolgreiche Krisenmanagement der vergangenen
Jahre gibt uns heute die Spielräume für die Haushalts-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- konsolidierung, und diese werden wir konsequent nut-
neten der FDP) zen.
Deutschland hat als größte Volkswirtschaft in Europa Konsolidieren heißt zunächst einmal sparen. Wer auf
eine ganz besondere Verantwortung. Wir tun gut daran, einer Veranstaltung über das Sparen redet, wird sofort
mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir dürfen nicht nur Beifall dafür bekommen, weil jeder sagt: Natürlich muss
mit dem Finger auf die anderen zeigen, sondern müssen auch dort gespart werden. Letztlich muss auch für den
selber unsere Hausaufgaben machen. Deswegen ist es Staat gelten, was für jeden von uns im privaten Bereich
gut, wenn sich andere Länder in der Euro-Zone bzw. in gilt. Wenn es dann aber konkret wird, findet jeder eine
der EU an dem orientieren, was wir hier auf den Weg Begründung dafür, warum ausgerechnet hier nicht ge-
bringen; denn wir machen mit der Haushaltskonsolidie- spart werden soll. Trotzdem nehmen wir uns dieser Auf-
rung Ernst. Dabei wäre es gut, wenn sich nicht nur an- gabe an.
dere Länder in Europa daran orientierten. Es wäre hilf-
reich, wenn sich auch Bundesländer wie Berlin oder Bis 2014 werden über 80 Milliarden Euro in allen Be-
Rheinland-Pfalz an dem orientierten, was wir hier in reichen eingespart. Ich halte das für verantwortbar. Ich
Berlin machen. Ich finde es unmöglich, dass man sich halte das auch im Sozialbereich für verantwortbar. Das,
gerade in diesen Bundesländern mit dem Geld aus ande- was wir hier an Einsparungen vornehmen, macht gerade
ren Bundesländern Dinge leistet, die sich diejenigen, die einmal 3 Prozent des gesamten Sozialhaushaltes aus.
in den Finanzausgleich einzahlen, nicht leisten können. Das heißt, auch in Zukunft wird mehr als die Hälfte des
Bundeshaushalts auf die Sozialleistungen, auf die So-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – zialausgaben entfallen. Das macht deutlich: Es gibt mit
Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was denn zum dem, was wir hier vornehmen, keinen Sozialabbau. Ich
Beispiel? Sagen Sie mal ein Beispiel!) halte es für unverantwortlich, wenn Sie sich hier hinstel-
Richtig ist auch, dass wir heute schon sehr viel weiter len und genau das Gegenteil behaupten.
sein könnten. An und für sich war bereits für 2011 ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ausgeglichener Haushalt vorgesehen. Die Finanzmarkt- neten der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]:
krise und die Wirtschaftskrise haben uns einen Strich Sehr richtig! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/
durch die Rechnung gemacht. Die Konjunkturpakete, die DIE GRÜNEN]: Unverantwortlich sind die
wir in der letzten Wahlperiode auf den Weg gebracht ha- Kürzungen!)
(B) ben, haben viel Geld gekostet, Geld, das im Bundeshaus- (D)
halt nicht vorhanden war, weshalb wir neue Schulden Nun reicht Sparen allein aber nicht aus. Das Ziel ist
aufnehmen mussten. Wir haben viel Geld in die Hand nicht nur, weniger Schulden zu machen. Das Ziel ist, ir-
genommen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, und wir gendwann gar keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu
haben viel Geld in die Hand genommen, um Arbeits- müssen.
plätze zu sichern. 2009 lag die Neuverschuldung bei (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)
34 Milliarden Euro; 2010 haben wir eine Neuverschul-
dung von 65 Milliarden Euro. Die guten Nachrichten aus Das Ziel ist, irgendwann einmal von den Schulden, die
der Wirtschaft und die positiven Arbeitsmarktzahlen zei- wir haben, etwas zurückzuzahlen. Dass das geht, dafür
gen aber, dass dies richtig war, auch um den Preis einer gibt es auf dieser Welt etliche Beispiele.
höheren Verschuldung. Das heißt, der Erfolg gibt uns an (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Bayern und
dieser Stelle recht. Kein anderes Land in Europa hat die Baden-Württemberg! Sachsen!)
Wirtschafts- und Finanzkrise so gut überstanden wie die
Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein Grund zur – Bayern ist ein Beispiel; es gibt aber auch andere Bei-
Freude. Ich finde, wir können uns mit allen freuen, die spiele auf dieser Erde. – Überall dort hat das funktioniert,
im letzten Jahr noch von Arbeitslosigkeit bedroht waren weil es über einen verhältnismäßig langen Zeitraum wirt-
und heute wieder einen verlässlichen Arbeitsplatz haben. schaftliches Wachstum, niedrige Arbeitslosigkeit und ei-
Linke Miesmacherei hilft uns an dieser Stelle nicht wei- nen hohen Beschäftigungsstand gab.
ter. Wenn wir in Deutschland in Zukunft eine hohe wirt-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schaftliche Dynamik und einen hohen Beschäftigungs-
Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Was meint er da- stand haben wollen, dann muss es uns gelingen, dass die-
mit?) ses Land Industrieland bleibt. Dafür ist entscheidend
– wir werden im Anschluss über den Haushalt des Bun-
Gut und bemerkenswert ist, dass die Situation, wie wir desbildungsministeriums diskutieren –, dass wir in der
sie in Deutschland haben, mittlerweile auch internatio- Lage sind, hier neue Technologien zu entwickeln und sie
nale Beachtung findet. Führende US-Manager blicken in marktfähige Produkte umzusetzen, die in Deutschland
seit Neuestem mit Neid auf Deutschland. Herr Immelt, produziert werden und international verkauft werden
der Chef von GE, sagt: Deutschland ist das Vorbild. – können. Das heißt, wir brauchen starke Impulse für wirt-
US-Medien sagen, es sei höchste Zeit, dass man der deut- schaftliches Wachstum in der Zukunft. Die besten Inves-
schen Wirtschaft einigen Respekt einräume. Selbst der titionen dafür sind weitere Ausgaben für Bildung und
russische Ministerpräsident sagt, Deutschland sei in Eu- Forschung in den nächsten Jahren. Das ist der einzige
5932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Stefan Müller (Erlangen)


(A) Bereich, in dem mehr Geld ausgegeben werden kann. In Wo bleibt eigentlich die Beteiligung der Verursacher der (C)
den Jahren 2010 bis 2013 werden die Ausgaben für Bil- Krise an den Kosten der Krise?
dung und Forschung um 12 Milliarden Euro erhöht wer-
den. Damit ist der Bereich „Bildung und Forschung“ der (Beifall bei der SPD)
einzige Bereich, in dem künftig mehr Geld zur Verfü- Sie können sich nicht mit der Bankenabgabe herausre-
gung steht; denn dort entscheidet sich die Zukunftsfähig- den. Das wissen Sie doch. Durch die Bankenabgabe wer-
keit unseres Landes. Wir sparen nicht auf Kosten der Zu- den die Verursacher mit keinem einzigen Cent an den
kunft, sondern wir sparen für die Zukunft. Kosten der Krise beteiligt. Es handelt sich dabei viel-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mehr um einen Topf, in den für die Zukunft eingezahlt
wird. Möglicherweise muss 100 Jahre in diesen Topf
eingezahlt werden, um die Kosten der nächsten Krise be-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wältigen zu können. Aber lassen wir das einmal dahin-
Die Kollegin Nicolette Kressl hat das Wort für die gestellt sein. Sie haben kein Konzept, um die Verursa-
SPD-Fraktion. cher an den Kosten der Krise zu beteiligen, um es ganz
(Beifall bei der SPD) deutlich zu sagen.
(Beifall bei der SPD)
Nicolette Kressl (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als SPD haben gesagt: Wir wollen dafür die
Die bisherige Debatte – das gilt ganz besonders für die Finanztransaktionsteuer. Sie sagen, dass Sie diese ein-
Beiträge der Redner der Koalitionsfraktionen – hat deut- fordern, wissen aber, dass es darüber extrem divergie-
lich gemacht: Zu den wirklich entscheidenden Fragen rende Meinungen in der Bundesregierung gab. Vorhin
sagen Sie außer Allgemeinplätzen heute nichts. sagten Sie, man könne sich darüber streiten, und wenn
man sich hinterher einige, sei es gut. So ist es aber nicht.
Ich will kurz die Frage der sozialen Gerechtigkeit an- Ich habe von keinem einzigen FDP-Vertreter ein klares
sprechen. Sie, Herr Müller, haben gerade gesagt, es wür- Bekenntnis zur Finanztransaktionsteuer gehört, kein ein-
den im Sozialhaushalt nur 3 Prozent eingespart. Ich sage ziges Wort. Herr Wissing hat gleich anschließend Gele-
Ihnen: Die alleinerziehende Frau, die Arbeit hat, die als genheit, sein Bekenntnis dazu deutlich zu machen.
Aufstockerin Hartz IV bezieht und der Sie jetzt das El-
terngeld streichen, kann mit Ihrem Argument, es würden (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nur 3 Prozent gestrichen, nichts anfangen. Diese Strei-
Das führt dazu, dass die Durchsetzungsfähigkeit der
chung ist ungerecht, und sie bleibt ungerecht.
Bundesregierung bei Verhandlungen auf internationaler
(B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ebene massiv geschwächt wird. Bei einem Scheitern der (D)
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Finanztransaktionsteuer wird dann nachher als Alibi an-
GRÜNEN) gegeben, der Vorstoß sei wegen des Widerstands auf eu-
ropäischer und internationaler Ebene gescheitert. Das ist
Herr Minister Schäuble, Sie haben die Streichung mit nun wirklich nicht das, was wir wollen.
dem Lohnabstandsgebot begründet und dabei den Be-
griff der Leistung gebraucht. Dass der Aufstockerin, die
arbeitet, das Elterngeld gestrichen wird, hat mit der An- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
erkennung von Leistung nichts zu tun. Sie sind die Ant- Frau Kollegin Kressl, gestatten Sie eine Zwischen-
worten auf viele Fragen schuldig geblieben. frage des Kollegen Barthle?
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Lassen Sie
doch die Aufstocker einmal außen vor!) Nicolette Kressl (SPD):
Gern.
Sie gehen den falschen Weg. Ihre Allgemeinplätze ma-
chen deutlich, dass Sie sich selber nicht im Klaren da-
rüber sind, wohin der Weg eigentlich führen soll. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN)
Norbert Barthle (CDU/CSU):
Lassen Sie mich auf die zwei Bereiche eingehen, die Frau Kollegin Kressl, das ist nun schon die zweite
für die allgemeine Finanzdebatte wichtig sind. Die erste Rede aus den Reihen der SPD-Fraktion, in der immer
Anmerkung betrifft Basel III. Wir haben uns fraktions- wieder darauf hingewiesen wird, wir müssten doch end-
übergreifend – das ist auch gut – zu einer stärkeren Regu- lich auch die Verursacher der Krise zur Kasse bitten. Ich
lierung bekannt. Wir haben gemeinsam über alle Fraktio- möchte Sie gern fragen, ob Sie mir hier und heute sagen
nen hinweg einen entsprechenden Antrag verabschiedet. können, wer alles aus Deutschland Verursacher der Krise
Ich glaube, wir sind auf einem richtigen Weg. Es wird war, in welchem Ausmaß und wie wir alle diese dann zur
aber darauf ankommen, darauf zu achten, dass die Regu- Kasse bitten.
lierung in Europa und in den USA gleichermaßen erfolgt.
Wir wissen, dass wir da genau hinschauen müssen. Das
ist ganz wichtig in diesem Bereich. Aber auch in dieser Nicolette Kressl (SPD):
Frage bleiben Sie die entscheidende Antwort schuldig: Lieber Herr Kollege Barthle, ich weiß:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5933
Nicolette Kressl
(A) (Dr. Volker Wissing [FDP]: Bitte konkret wer- erklären. Wenn Sie hier wörtlich sagen: „Wir kennen die (C)
den!) Verursacher nicht; wir beteiligen sie nicht an den Kos-
ten, weil wir die Kosten nicht genau definieren können“,
Der Hintergrund Ihrer Frage ist der, dass Sie immer wie-
dann ist das, finde ich, mehr als entlarvend.
der erzählen, man könnte die Kosten der Krise nicht ge-
nau definieren und deswegen bräuchte man gar nicht zu (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wir wollen es
versuchen, die Verursacher daran zu beteiligen. von Ihnen wissen!)
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Namen! – Manfred Gehen wir weiter zu einem zweiten Bereich, zur Steu-
Grund [CDU/CSU]: Kontonummern!) erpolitik. Dazu ist ganz aktuell zu lesen: Die Zerstritten-
– Damit es alle mitbekommen: Herr Barthle ruft: Na- heit in der Bundesregierung führt dazu, dass sie im Fall
men! – Dann wollen wir einmal Ihre Reden zum Thema von Singapur den Kampf gegen die Steuerhinterzie-
Bankenkrise lesen. hung nicht aufnehmen kann. – Das ist heute Morgen
nachzulesen gewesen. Das Wirtschaftsministerium hat
(Zurufe von der CDU/CSU: Sie behaupten et- eine andere Position als das Finanzministerium. Ich zi-
was! – Antworten!) tiere:
Diejenigen, die über alle Maßen und völlig losgelöst von Klar ist aber auch: Solange die Bundesregierung
der Kreditversorgung der Realwirtschaft im Bereich der hier keine Lösung findet, bleibt der Kampf gegen
Spekulation unterwegs waren, die bei den Banken ihre Steuerhinterziehung blockiert.
Hauptgewinne inzwischen nicht mehr mit realwirtschaft-
lichen Geschäften, sondern mit Spekulationen gemacht (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD] – Otto
haben, Fricke [FDP]: Was hat denn Singapur mit dem
Haushalt 2011 zu tun?)
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Eigenhan-
del!) – Herr Fricke fragt, was das mit dem Haushalt zu tun
hat. Ich habe immer gedacht: Wenn man Steuerhinterzie-
sind auch Verursacher der Krise.
hung bekämpft, hat man mehr Steuereinnahmen, und das
(Otto Fricke [FDP]: Auch!) wirkt sich auf den Haushalt aus.
Dass Sie hier jetzt ernsthaft sagen, das seien sie nicht (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Da-
und das könne man nicht benennen, rum geht es in Singapur gar nicht! – Gegenruf
des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das ist die
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer? Sagen Sie
Schutztruppe!)
(B) es! – Zurufe von der FDP: Sagen!) (D)
ist wirklich das Lächerlichste, was ich hier im Plenum Aber offensichtlich hapert es bei der Koalition inzwi-
seit langem gehört habe. schen schon beim kleinen Einmaleins.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: In den letzten Tagen ist eine Debatte um die Umsatz-
Keine Ausweichbewegung! – Wer war es denn steuer erkennbar. Hier stimmt der altbekannte Spruch:
jetzt?) Im Vergleich zu Ihnen ist ein Hühnerhaufen eine geord-
nete Formation. – Die FDP gibt in dieser Frage ihre
Es gib im Übrigen auch Redner aus der Regierung, Klientelpolitik auf; die CDU hat das schon seit längerem
Herr Barthle, die sagen: Wir müssen die Verursacher mit getan. Die Einzige, die sich jetzt noch als Hüterin des
zur Verantwortung ziehen. – Da sind immer auch die un- „1-Milliarde-Euro-pro-Jahr“-Klientelgeschenks aufspielt,
verantwortlich schnellen Spekulationen mit genannt ist die CSU. Gleichzeitig wird gesagt: Wir machen ganz
worden. schnell, noch bis Ende des Jahres – das würde ich gern
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ich weiß immer sehen –, eine Mehrwertsteuerreform. – Das habe ich in
noch nicht, wer! – Otto Fricke [FDP]: Wer den Zeitungen gelesen. Herr Schäuble – das war nicht
denn?) das Ministerium, sondern die Koalition, aber Sie gehö-
ren ja irgendwie dazu –, das macht deutlich, finde ich,
Aus Ihrer seltsamen Frage muss ich schließen, dass Ih- wie chaotisch das Ganze ist.
nen nicht einmal das mehr klar ist.
(Ulrike Flach [FDP]: Wo haben Sie das denn
Das will ich zu dieser Frage noch ergänzen: Sie zie- gelesen? – Otto Fricke [FDP]: Die nächste Be-
hen das jetzt ins Lächerliche, hauptung!)
(Zurufe von der FDP: Nein!) Sie bekommen doch nie im Leben eine sozial verant-
weil Sie nicht in der Lage sind, die Verursacher durch wortbare Mehrwertsteuerreform noch in diesem Jahr auf
eine Finanztransaktionsteuer heranzuziehen. den Weg.
(Beifall bei der SPD – Dr. Volker Wissing (Birgit Homburger [FDP]: Von diesem Jahr hat
[FDP]: Sie sind auch nicht in der Lage, es zu doch keiner geredet!)
benennen!)
Wir von der SPD haben immer gesagt – wir waren
Kurzum: Sie wollen das nicht. Wir nehmen das zur Mitinitiatoren dieses Gutachtens –: Darauf muss man
Kenntnis und werden das allen Menschen entsprechend mal schauen.
5934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Nicolette Kressl
(A) (Zuruf der Abg. Birgit Homburger [FDP]: In (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C)
20 Jahren!) der CDU/CSU)
– Frau Homburger, es war die SPD, die dieses Gutachten
initiiert hat. Dr. Volker Wissing (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Joachim Poß [SPD]: 2002, wer hat denn da Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einer
blockiert?) Aufwärtsbewegung. Die Konjunktur hat sich stabilisiert,
Ich darf daran erinnern, wer bei der Mehrwertsteuerre- die Wirtschaft wächst, und die Arbeitslosenzahlen gehen
form 2002 über den Bundesrat blockiert hat. Das waren zurück. Das zeigt, dass diese christlich-liberale Regie-
nicht die Sozialdemokraten. rung,

(Joachim Poß [SPD]: Wer war denn das? Wer (Zuruf von der SPD: Schwarz-Gelb meinen
hat denn da blockiert?) Sie doch!)
diese christlich-liberale Koalition mit ihrer wachstums-
Das waren Sie. Sie sollten bei dem Punkt ganz vorsichtig
orientierten Politik genau auf dem richtigen Weg ist. Wir
sein.
haben Erfolge vorzuweisen.
(Ulrike Flach [FDP]: Sie haben es doch nie ge-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
macht!)
der CDU/CSU)
Auf jeden Fall: Das Bild vom Hühnerhaufen, was die
Wir haben in einer weiß Gott nicht einfachen Situa-
Frage Mehrwertsteuer angeht, gilt weiter.
tion Verantwortung übernommen: Es gab die schwerste
(Ulrike Flach [FDP]: Wer war denn zwölf Finanzmarktkrise, die das Land je getroffen hat, und eine
Jahre dafür zuständig?) enorme Wirtschaftskrise. In Wahrheit haben wir nicht
nur eine Finanzmarktkrise, sondern auch eine Staatsver-
Kommen wir zum nächsten spannenden Teil. Nie- schuldungskrise. Trotz dieser schwierigen Situation ha-
mand kann uns ernsthaft und seriös sagen, wie Sie im ben wir im Bereich der Finanzpolitik einen guten Weg
Rahmen der Brennelementesteuer wirklich auf 2,3 Mil- eingeschlagen und können bereits die ersten Früchte ern-
liarden Euro kommen wollen. ten. Darüber sollten wir uns in diesem Hause auch ge-
(Otto Fricke [FDP]: Kernbrennstoffsteuer!) meinsam freuen, meine Damen und Herren!

Da ist doch nachträglich, als klar war, dass für den Ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(B) samthaushalt weniger herauskommt, mit Müh und Not der CDU/CSU) (D)
etwas gedreht worden. Ich sage Ihnen: Die Sozialdemo- Sie, Frau Kressl, haben mehr Steuergerechtigkeit und
kraten werden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die Bekämpfung von Steuerbetrug angesprochen. Auch
darauf drängen, zu erfahren, wie sich dieser Deal tat- in diesem Bereich hat die Bundesregierung etwas er-
sächlich auswirkt. reicht, was Sie nicht geschafft haben. Ihr Bundesfinanz-
Ein letzter Punkt: Herr Schäuble, Sie haben gesagt, minister hat mit seinen peinlichen Drohungen gegenüber
zusammen mit den Ländern und Kommunen werden Sie der Schweiz diplomatisches Chaos angerichtet; der der-
deren Finanzierungsgrundlage stabilisieren. „Zusam- zeitige Bundesfinanzminister hat die Problematik der
men“ entspricht aber nicht dem, was wir zum Beispiel Doppelbesteuerung mit der Schweiz gelöst. Es geht, wenn
im Zwischenbericht der Gemeindefinanzkommission le- man es kann.
sen. Da ist ausschließlich von einem Gegeneinander die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Rede, da, wie Sie wissen, die Kommunen die Gewerbe- der CDU/CSU)
steuer, die Sie abschaffen wollen, erhalten wollen.
Kurzum: Sie verwenden eine plakative Überschrift, die Das gilt auch in anderen Bereichen. Sie fordern ja im-
mit der Realität, was in der Politik tatsächlich passiert, mer, endlich etwas bei der Finanzmarktregulierung zu
nichts zu tun hat. tun. Wir haben schon viel getan. Wir sind damit noch
nicht fertig, aber wir haben schon viel auf den Weg ge-
Ich fasse zusammen: Sie sind chaotisch in die Som- bracht: Wir haben die Vergütungs- und Anreizsysteme in
merpause gegangen – Sie sind chaotisch herausgekom- Ordnung gebracht. Wir haben für Bankenrestrukturie-
men. Im Interesse des Landes hoffen wir, dass Sie end- rung gesorgt und eine Bankenabgabe auf den Weg ge-
lich einmal zu einer klaren Linie finden. bracht, damit diese Bankenrestrukturierung nicht vom
Steuerzahler finanziert werden muss, sondern von den
Danke.
Unternehmen selbst. Es gibt nun höhere Eigenkapitalan-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. forderungen – Stichwort: Basel III –; es gilt ein erhöhter
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Selbstbehalt bei Verbriefungen. Leerverkäufe wurden
NEN]) strenger reguliert. – All das sind Erfolge dieser christ-
lich-liberalen Koalition. Diese lassen wir uns von der
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Opposition nicht kleinreden.
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
FDP-Fraktion. der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5935
Dr. Volker Wissing
(A) Nun können Sie sich hier hinstellen und noch mehr behaupten, dass starke Schultern in diesem Land keinen (C)
fordern. großen Beitrag leisten. Man muss auch einmal den Mut
haben, in diesem Haus den enormen Beitrag der Steuer-
(Nicolette Kressl [SPD]: Was ist mit der Fi-
zahlerinnen und Steuerzahler zu würdigen. Das tut die
nanztransaktionsteuer?)
christlich-liberale Koalition.
Das ist Ihr Recht als Opposition, und so werden Sie sich
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
auch immer verhalten. Aber Sie können eines damit
nicht aus der Welt schaffen: Was Schwarz-Gelb in den Wir werden uns von Ihnen nicht beirren lassen. Ein
letzten Monaten an Regulierung auf den Weg gebracht Sozialstaat ist nämlich ein Solidarstaat und keine Bring-
hat, ist viel mehr als das, was Rot-Grün hinterlassen hat. schuld einer Minderheit. Solidarität muss gegenüber
den Empfängern von Sozialleistungen genauso gelten
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wie gegenüber denjenigen, die arbeiten und Steuern zah-
der CDU/CSU)
len. Darauf werden wir in dieser Koalition achten.
Wir werden diesen Weg der Ordnung der Finanz-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
märkte in den nächsten Monaten weitergehen. Als nächs-
ten Schritt werden wir die Reform der Finanzmarkt- und Deshalb bleibt es in der Finanzpolitik dabei: Wir wer-
damit auch der Bankenaufsicht in Deutschland in Angriff den den öffentlichen Haushalt auf der Ausgabenseite
nehmen. Der Bundesfinanzminister hat das hier angekün- sanieren. Wir werden die Menschen vor höherer Steuer-
digt. Nachdem wir auf europäischer Ebene die Weichen belastung schützen. Wir werden unser Steuersystem ver-
gestellt haben, werden wir das jetzt umsetzen. Wir wer- einfachen; das werden wir jetzt angehen in Abstimmung
den damit am Ende ein entscheidendes Stück weiter sein: mit den Ländern. Wir werden die Kommunalfinanzen
Wir werden eine bessere Bankenaufsicht haben, die un- sanieren. Wir werden bei unserem Ziel bleiben, die Steu-
sere Bürgerinnen und Bürger davor schützt, dass sich das erlast in Deutschland gerechter zu verteilen und diejeni-
wiederholt, was unter der Bankenaufsicht möglich war, gen zu entlasten, die heute über Gebühr und ungerecht
die von Rot-Grün gestaltet worden ist. Auch das muss belastet sind. Der Mittelstandsbauch bleibt auf der
heute hier gesagt werden. Agenda und ebenso die kalte Progression. Sobald wir die
Haushaltskonsolidierung geleistet haben und sich die
Weil wir gegenwärtig eben nicht nur eine Finanz-
Früchte unseres Wachstums zeigen,
marktkrise, sondern auch eine Staatsverschuldungskrise
haben, müssen wir neben der Ordnung der Märkte auch (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das klang
die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen. Das ge- vor zwei Monaten noch anders!)
schieht mit diesem Bundeshaushalt. Die hohe Staatsver-
(B) schuldung stellt deshalb für die Bürgerinnen und Bürger werden wir diese Gerechtigkeitslücke in Deutschland (D)
eine gefährliche Situation dar, weil dann, wenn der schließen. Das ist eine stringente Politik.
Druck auf der Politik so stark wie heute lastet, die Ge- Es gibt die ersten Früchte mit dem Rückgang der Ar-
fahr von Steuererhöhungen enorm hoch ist. Man sieht es beitslosigkeit. Diese Erfolge werden sich fortsetzen.
in anderen Ländern: Schnell wird zum Instrument der
Steuererhöhung gegriffen. Auch Sie fordern das. Die Vielen Dank.
SPD hat ein Steuererhöhungskonzept vorgelegt. Die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Grünen sagen: Die Steuern müssen erhöht werden. – Wir
werden das aus mehreren Gründen nicht tun: Zum einen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ist die Steuerlast für viele in Deutschland schon zu hoch.
Zum anderen haben Sie mit Ihren Steuererhöhungen in Der Kollege Norbert Barthle hat das Wort für die
der Vergangenheit das Ziel der Haushaltskonsolidierung CDU/CSU-Fraktion.
deutlich verfehlt. Deswegen sagt diese christlich-liberale (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Koalition: Jetzt ist Schluss mit dieser verfehlten Politik; der FDP)
jetzt wird der Haushalt auf der Ausgabenseite konsoli-
diert und nicht auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Norbert Barthle (CDU/CSU):
Steuerzahler. Das ist die entscheidende Wende in der Fi-
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
nanzpolitik.
men und Herren! Der Haushalt 2011 ist tatsächlich – das
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wurde schon gesagt – der erste Haushalt, der eine ein-
deutige Sprache spricht, nämlich die Sprache der christ-
Der Staat muss nicht nur in seinen Leistungen sozial lich-liberalen Koalition.
sein, sondern auch die Höhe der Steuerbelastung des
Einzelnen ist eine soziale Frage. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das
finde ich auch!)
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Deswegen
erhöhen Sie die Abgaben! Die Gesundheitsab- Der Vorgängerhaushalt 2010 war noch von der Vergan-
gaben steigen doch!) genheit geprägt und von Krisenbewältigung. An dem
Haushaltsentwurf 2011 können wir erstmals die positi-
Wenn heute nur noch 30 Prozent der Bevölkerung Ein-
ven Ergebnisse der von der Koalition ergriffenen Maß-
kommensteuer zahlen und von diesen rund ein Viertel
nahmen zur Krisenbewältigung ablesen.
80 Prozent des Einkommensteueraufkommens erwirt-
schaften, dann ist es unverfroren, dass Sie immer wieder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
5936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Norbert Barthle
(A) Es ist an dieser Stelle schon darüber diskutiert wor- noch keiner davon geträumt, was uns jetzt die Wirt- (C)
den, wer dafür verantwortlich ist. Wir sind nicht so ver- schaftsforschungsinstitute voraussagen. So prognosti-
messen, zu sagen: „Das ist unser Aufschwung!“ Es gab ziert das Institut für Weltwirtschaft in Kiel für dieses
einmal einen sozialdemokratischen Bundeskanzler, der, Jahr ein Wachstum von 3,4 Prozent. Ich mache mir das
kaum dass er im Amt war, diesen Satz gesagt hat. Wir nicht zu eigen. Aber das sind Prognosen, von denen noch
sagen vielmehr: Die Tatsache, dass wir so gut durch die vor wenigen Monaten niemand zu träumen gewagt hat.
Krise gekommen sind, hat viel damit zu tun, dass die
Die Arbeitslosenzahlen sehen ausgesprochen freund-
Unternehmerinnen und Unternehmer und auch die Ar-
lich aus. Wir werden bei der Zahl von 3,2 Millionen nicht
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland viel
stehen bleiben; vielmehr deuten alle Prognosen darauf
dazu beigetragen haben. Ich will auch ganz bewusst die
hin, dass wir im Jahre 2011 vielleicht unter die 3-Millio-
Gewerkschaften loben, die in dieser Zeit eine kluge Poli-
nen-Grenze kommen könnten. Das sind Zahlen, von de-
tik gemacht haben.
nen eine rot-grüne Regierung nur geträumt hat. Auch da
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sehe ich positive Entwicklungen. Das ist für uns ausge-
der SPD) sprochen erfreulich; denn das sind Anzeichen dafür, dass
die Krise zumindest derzeit überwunden ist. Wie nach-
Aber auch wir waren daran nicht ganz unbeteiligt.
haltig diese Situation ist, weiß noch niemand. Wir setzen
Was wir auf den Weg gebracht haben, war ein wichtiger
darauf und tun alles dafür, diese Entwicklung entspre-
Bestandteil dafür, dass wir jetzt besser dastehen als jeder
chend zu stärken, zu unterfüttern und nicht zu beschädi-
andere. Auch das muss man einmal sagen.
gen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die derzeitige Situation wird auch international sehr
Wenn wir uns vergegenwärtigen, woher wir kommen, anerkannt. Lassen Sie mich kurz einige wenige Presse-
und auf den Haushalt 2010 blicken, dann dürfen wir da- stimmen oder auch den EZB-Chef Jean-Claude Trichet
bei nicht vergessen, dass wir noch im Frühjahr in diesem zitieren, der uns lobt und sagt, Deutschland ist derzeit
Hause mit 80,2 Milliarden Euro neuen Schulden für wirtschaftlich mustergültig. Die New York Times sagt,
2010 gerechnet haben. Mitte des Jahres hat der Finanz- Deutschland hat es fertig gebracht, Wirtschaftswachstum
minister diese Zahl nach unten korrigiert auf 65,2 Mil- und sinkende Arbeitslosigkeit zu vereinen und gleichzei-
liarden Euro. Zwischenzeitlich hören wir vom Finanz- tig einen Plan für einen nahezu ausgeglichenen Haushalt
minister, dass die Aussicht besteht, am Ende des Jahres binnen sechs Jahren zu erarbeiten. Die Wochenzeit-
deutlich darunter zu liegen, wenn die Entwicklung so schrift Economist sagt, die deutsche Wirtschaftspolitik
weiter verläuft. könnte zum begehrtesten Exportgut dieses Landes wer-
den. Die Financial Times begrüßt, dass Deutschland zur
(B) Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Ich bin sowohl (D)
Ordnungspolitik erhardscher Prägung zurückkehrt. Ich
der Bundeskanzlerin als auch dem Finanzminister ausge-
könnte weiter zitieren. Rund um uns herum, in Europa,
sprochen dankbar, dass sie an dieser Stelle konsequent
in der Welt wird allenthalben anerkannt, dass wir in der
Linie halten und sagen: Wir wollen diese positive Ent-
Krise antizyklisch reagiert haben und eine Politik ge-
wicklung ausnutzen, um die Nettokreditaufnahme zu
macht haben, die darauf setzt, mit zunächst konjunktur-
senken und die Schulden zurückzufahren. Auch das ist
fördernden Maßnahmen die Krise zu überwinden,
eine politische Leistung, die so mancher in diesem
gleichzeitig aber auch den Haushalt zu konsolidieren.
Hause – da schaue ich nach links – wahrscheinlich nicht
Dieser Mix aus Wachstum befördern und konsolidieren
hinkriegen würde.
wird weltweit anerkannt. Das sollten wir auch in diesem
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hause einmal zur Kenntnis nehmen und die Situation
Joachim Poß [SPD]: Er hat gar nicht nach nicht immer schlechtreden.
links geschaut, sondern nur nach unten!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Im Haushaltsentwurf für das Jahr 2011 ist eine Neu-
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf einige Reden zu-
verschuldung von 57,5 Milliarden Euro vorgesehen. Ich
rückkommen, die wir bereits von der Opposition gehört
habe die Hoffnung, dass wir während des parlamentari-
haben. Ich würde den Kollegen, insbesondere aus der
schen Verfahrens der Haushaltsberatungen – wir werden
Sozialdemokratie, einmal empfehlen, ihre Reden aus der
dies ja erst im November abschließen – vielleicht an der
Debatte zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz nachzu-
einen oder anderen Stelle noch etwas ändern können.
lesen. Damals gab es einen massiven oppositionellen
Vielleicht können wir die Neuverschuldung sogar sen-
Theaterdonner. Da wurde von Nullwachstum geredet.
ken, wenn die Entwicklung gut verläuft. Aber wir wer-
Der Kollege Steinmeier, dem ich von hieraus gute Bes-
den mit Sicherheit alle Ausgabepositionen kritisch auf
serung wünsche, titulierte das Wachstumsbeschleuni-
weitere Einsparpotenziale hin überprüfen. Sollten wir
gungsgesetz als Zukunftsverhinderungsgesetz. Der Kol-
weitere Einsparpotenziale entdecken, dann werden wir
lege Poß sprach von Wachstumsverhinderung. Der
auch diese zur Senkung der Nettokreditaufnahme nut-
Kollege Schneider sprach von Voodoo-Ökonomie. Wenn
zen.
sich etwas als Voodoo erwiesen hat, dann allenfalls Ihre
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) apokalyptischen Horrorszenarien.
Ich habe gerade erläutert, dass wir so, wie sich die Si- An dieser Stelle will ich klipp und klar sagen: Das,
tuation derzeit darstellt, tatsächlich besser dastehen, als was hier vonseiten der Opposition vorgetragen wurde,
man je erwarten konnte. Auch zu Anfang des Jahres hat etwa, dass die soziale Spaltung in diesem Land vorange-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5937
Norbert Barthle
(A) trieben werde, ist an den Haaren herbeigezogen. dieser nachwachsenden Generation, die in den sozialen (C)
Schauen Sie sich die Entwicklung der Sozialausgaben Sicherungssystemen ohnehin schon viele Lasten zu tra-
im Bundeshaushalt an. Als Rot-Grün noch an der Regie- gen hat, nicht auch noch Schuldenberge hinterlassen.
rung war, betrugen sie 43 Prozent. Heute sind es Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen Trend umkehren
54 Prozent. und zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückkehren,
der für uns noch immer das Ziel ist.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: BA-Zuschuss!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich will nun nicht behaupten, dass der Anteil der Sozial- Die Bundesregierung hat nun ein großes Zukunftspa-
ausgaben im Haushalt ein Maßstab für soziale Gerech- ket beschlossen, mit einem Einsparvolumen von 80 Mil-
tigkeit ist. Aber er weist immerhin darauf hin, dass wir liarden Euro innerhalb von vier Jahren. Wir unterstützen
mehr für die sozialen Sicherungssysteme, für die sozial dieses Paket. Teile davon werden wir mit dem Haus-
Schwachen in diesem Land tun, als es Rot-Grün jemals haltsbegleitgesetz realisieren. Wir gehen aber auch da
getan hat. Das ist auch wahr. mit Augenmaß vor: Es gibt keine Vollbremsung; wir
wollen nichts zu Tode sparen. Vielmehr sparen wir mit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Augenmaß. Wichtige Zukunftsbereiche sind von allen
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sparauflagen ausgenommen. Im Gegenteil: Für Bildung
NEN]: Ein bisschen mehr als eine Milchmäd- und Forschung geben wir nochmals zusätzlich Geld aus.
chenrechnung!)
Wir wollen diese auf vier Jahre angelegte Strategie
Lassen Sie mich auf die Gesamtsituation zurückkom- der Konsolidierung in jedem Fall einhalten. Deshalb
men. Wir haben einen Schuldenberg, der uns allen Sor- führen wir die Ausgaben ganz gezielt langfristig zurück:
gen bereitet. Die Verschuldungsquote beträgt nahezu Der Haushaltsentwurf für 2011 sieht vor, die Ausgaben
80 Prozent. 12 Prozent des Bundeshaushalts müssen al- auf 307 Milliarden Euro zurückzuführen; danach sollen
lein für die Zinsen aufgebracht werden. Rund gerechnet, die Ausgaben weiter sinken, und zwar auf 301 Milliar-
ist jeder fünfte Euro, den wir in diesem Jahr in diesem den Euro. Vielleicht gelingt es sogar, die Ausgaben noch
Land ausgeben, schuldenfinanziert. Das ist eine Ent- weiter zurückzuführen. Die Strategie besteht also darin,
wicklung, die wir umkehren müssen. Deshalb bin ich bei einer besseren Einnahmsituation die Ausgaben zu-
froh und dankbar, dass die Schuldenbremse in unserem rückzuführen und zu deckeln. Damit sind wir in der
Grundgesetz steht. Die Abbaupfade wurden bereits vom Lage, die Ziele, die wir uns gesetzt haben, in realisti-
Finanzminister erläutert. Wir sind fest entschlossen, die schen Zeiträumen zu erreichen.
Grenzen der Schuldenbremse in jedem Fall einzuhalten,
(B) sie im besten Fall zu unterschreiten; das ist unsere Ziel- (Beifall bei der CDU/CSU) (D)
setzung.
Wir steigen jetzt in die parlamentarischen Beratungen
Ich sage deshalb klipp und klar: Solide Haushaltspoli- des Haushalts ein. Ich bin gespannt, wie diese verlaufen
tik ist für uns kein Selbstzweck, sondern eine Herausfor- werden. Ich fordere die Opposition auf: Tragen Sie mit
derung, die wir als Daueraufgabe verstehen. Politik auf konstruktiven Beiträgen dazu bei! Wir brauchen keine
Pump führt zu Entwicklungen, wie wir sie in Griechen- Vorschläge, wie wir die Einnahmen erhöhen können; da
land bei der Euro-Krise beobachten konnten. Das hat würde auch uns, wenn wir das wollten, genug einfallen.
zwischenzeitlich – auch dafür bin ich dankbar – zu ei- Wir brauchen Vorschläge, wie man Ausgaben senken
nem deutlichen Umkehrprozess bei der Betrachtungs- kann. Da warte ich noch auf sinnvolle Vorschläge.
weise der Bevölkerung geführt. Die jüngsten Umfragen
Ich fürchte, dass der eine oder andere wieder von sei-
zeigen uns klar und deutlich, dass die Stabilität der
nen Positionen abrücken wird. Wenn ich in diesen Tagen
Staatsfinanzen für eine Mehrheit der Bevölkerung eine
vernehme, dass die SPD-Bundestagsfraktion vorhat, ei-
unabdingbare Voraussetzung für das Vertrauen in die
nen Baustopp für Stuttgart 21 zu fordern,
politische Führung in diesem Land ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
NEN]: Die gleiche Mehrheit, die Sie in diesem
Land abwählen will!) dann kann ich nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, noch vor 15 Monaten waren Sie mit dabei, als wir
Deshalb tun wir alles dafür, so schnell wie möglich zu dieses Projekt hier beraten und beschlossen haben. Sie
ausgeglichenen Haushalten zurückzukehren, den Haus- haben es mit beschlossen.
halt auf solide Beine zu stellen und damit dem Vertrauen
der Menschen gerecht zu werden. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Solche Halb-
wertszeiten habt ihr!)
Wir tun das auch aus Gründen der Generationen-
gerechtigkeit; sie ist heute schon das eine oder andere Die Fraktion hat sich seitdem zwar etwas verkleinert;
Mal angesprochen worden. Als ich geboren wurde, ha- aber es sind immer noch viele dabei, die das Projekt im
ben acht sozialversicherungspflichtig Beschäftigte die Haushalts- und im Verkehrsausschuss mittragen. Wenn
Rente für einen Rentner erarbeitet; heute sind es vier; Sie da jetzt umfallen, dann verlieren sie jegliche Glaub-
wenn ich 80 bin, sind es noch zwei. Diese demografische würdigkeit; dann traut Ihnen niemand mehr zu, dass Sie
Entwicklung, die wir zur Kenntnis nehmen, wird von irgendwo noch standhaft sind, dass Ihre Werte wirklich
Teilen dieses Hauses völlig ausgeblendet. Wir dürfen nicht wanken, wenn es zu öffentlichem Wiederstand
5938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Norbert Barthle
(A) kommt. Da riskieren sie jegliches Vertrauen in Ihre Poli- Forschung, von gezielter Innovationsförderung für die (C)
tik. Davon rate ich Ihnen ab. Stehen Sie zu den Be- Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren war. Deshalb
schlüssen, die Sie gefasst haben, stehen Sie zu der Ziel- sage ich den Ländern in Ostdeutschland ausdrücklich
setzung, unsere Haushalte nachhaltig zu konsolidieren, Dank für das, was in dieser Zeit – davon sind viele Re-
helfen Sie uns dabei, dann hören wir auf Ihre Vorschläge gierungen betroffen – geleistet worden ist, was möglich
und bringen sie entsprechend ein. geworden ist, wodurch Arbeitsplätze entstanden sind. In-
novative Unternehmen wurden gegründet, und die
Herzlichen Dank. Standorte, die ich genannt habe, sind heute mit attrakti-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ven Hochschulen und durch eine attraktive Zusammen-
arbeit zwischen Hochschulen und außeruniversitären
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Forschungseinrichtungen verbunden. Wir haben in den
vergangenen Jahren durch gezielte Programme Erhebli-
Damit sind wir am Ende der allgemeinen Finanz-
ches beitragen können. Ich nenne nur das Programm
debatte und kommen jetzt zum ersten Einzelplan, näm-
„Unternehmen Region“. Wir werden in 14 Tagen Bilanz
lich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
über 20 Jahre Aufbau Ost ziehen. Ich sage hier aus-
für Bildung und Forschung, Einzelplan 30. Ich gebe
drücklich – das gilt für den Haushalt 2011 und für die
das Wort der Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
Haushalte der nächsten Jahre –: Wir werden die Innova-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tionsförderung in Ostdeutschland konsequent weiterent-
wickeln.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dung und Forschung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Regierungsentwurf zum Haushalt 2011 le-
Meine Damen und Herren! Lernen und Forschen gehö- gen wir einen Haushalt vor, der gegenüber dem Haushalt
ren zu den besten Seiten des Menschen. Bildung und 2010 um 7,2 Prozent gestiegen ist. Da kann man immer
Forschung gehören zu den Kraftquellen unserer Gesell- fragen: Ist das viel oder wenig? Ich finde es aber bemer-
schaft. Sie tragen zu Integration in einem umfassenden kenswert – das zeigt, was seit 2005 entstanden ist –, dass
Sinne bei, sehr viel umfassender, sehr viel differenzierter der Haushalt 2011 einen Umfang von 11,6 Milliarden
als manche Diskussion, die öffentlich geführt wird, und Euro hat. Das entspricht gegenüber dem Haushalt von
Bildung und Forschung sind die Quellen künftigen 2005 – das war das letzte Jahr der rot-grünen Bundesre-
Wohlstands. Das gehört zu den Grundüberzeugungen der gierung – einer Steigerung um 54 Prozent.
christlich-liberalen Koalition, und deshalb setzen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(B) fort, was in den letzten Jahren sowohl in der Großen Ulrike Flach [FDP]: Hört! Hört!) (D)
Koalition als auch in der jetzigen Koalition
Ich nenne diese längeren Zeiträume – Herr Hagemann,
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch Sie wissen das, weil Sie sich schon lange mit diesem
schon vorher!) Haushalt beschäftigen –, weil es für Bildungs- und For-
schungspolitik zentral ist, dass nicht Strohfeuer entfacht
und auch in diesem Parlament – wie ich finde, bei man-
werden, sondern eine verlässliche, langfristige Entwick-
chem Punkt mit bemerkenswerter Übereinstimmung;
lung betrieben wird. Das erwarten unsere Partner. Das ist
zum Streiten haben wir dann immer noch genug Mög-
notwendig, damit sich wirklich etwas entwickeln kann
lichkeiten – erreicht werden konnte: neue Konzepte,
und unsere Investitionen und Konzepte auch tatsächlich
hohe Investitionen, weitere Internationalisierung. Davon
zu nachhaltigen Entwicklungen führen.
ist auch der Haushalt 2011 des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung geprägt. Wir bleiben verlässli- Wir haben ein Plus von 54 Prozent. Wenn wir auch
che Partner für gute Bildung und starke Forschung. Wir die mittelfristige Finanzplanung berücksichtigen, also
setzen die Internationalisierung fort, und wir stehen das Plus von 12 Milliarden Euro hinzunehmen, dann
dazu: Wir stellen in dieser Legislaturperiode 12 Milliar- werden wir am Ende der Legislaturperiode, gemessen an
den Euro mehr für Bildung und Forschung zur Verfü- 2005, bei einer Steigerung von 74 Prozent angekommen
gung, das bedeutet einen deutlichen Anstieg im Blick sein. Das ist gemeint, wenn wir sagen: Priorität für Bil-
auf die finanziellen Investitionen in diesem Haushalt. dung und Forschung.
Ich sage ausdrücklich: Herzlichen Dank dafür, dass die-
ser Konsens so tragfähig ist, dass auch bei den Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
haltsberatungen in dieser Woche an vielen Stellen deut- Das, was investiert und an neuen Konzepten möglich
lich werden wird: Bildung und Forschung haben absolut gemacht wird, spricht sich herum. Deutschland ist nach
Vorrang in dieser Regierung. den USA und Großbritannien gemeinsam mit Frankreich
international auf dem dritten Platz bei den beliebtesten
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zielländern für ausländische Studierende.
Wir gehen auf den 3. Oktober zu. 20 Jahre deutsche
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war
Einheit bedeuten auch 20 Jahre Innovationsförderung
schon immer so!)
in Ostdeutschland. Wer heute an Standorte wie Pots-
dam, Dresden, Jena, Rostock, Greifswald, Leipzig oder Das ist wichtig, weil der Fachkräftemangel in den nächs-
Halle kommt, um nur einige herausragende Beispiele zu ten Jahren natürlich dazu führen wird, dass wir sagen
nennen, der spürt, wie groß der Beitrag von Bildung und werden: Es ist wichtig, dass viele junge Leute aus allen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5939
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) Teilen der Welt nach Deutschland kommen, hier studie- hinaus, dass lokale Bildungsbündnisse, so wie im Koali- (C)
ren und hier eine attraktive Möglichkeit finden, um als tionsvertrag vereinbart, im Laufe dieser Legislatur-
Ingenieure, als Physiker oder als Biologen in den Ar- periode entstehen. Wir wollen, dass Kinder, egal aus
beitsmarkt einzusteigen. Deshalb ist es wichtig, dass un- welchen Gründen sie benachteiligt sind, bessere Teil-
sere Hochschulen für junge Leute aus aller Welt attraktiv habe an Bildung bekommen. Dazu bedarf es einer sozia-
sind. len Bewegung in unserer Gesellschaft. Dazu bedarf es
vieler Akteure, die bereit sind, die Chancen, die es in den
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Städten und Gemeinden gibt, den Kindern, um die es
Die Studienanfängerquote lag noch 2005 bei rund geht, besser zu vermitteln. Das steht im Mittelpunkt un-
37 Prozent. Wir haben immer von 40 Prozent gespro- serer Bildungspolitik: Benachteiligung abbauen, Zugang
chen. Im Studienjahr 2009 liegen wir bei 43,3 Prozent. verbessern, mehr Aufmerksamkeit für Kinder und Ju-
Wir wollen sie weiter erhöhen. Deshalb gibt es eine gendliche, die sich schwertun.
dritte Säule, den Hochschulpakt, die Stärkung der Lehre.
Es darf nicht sein, dass nur die Forschung gestärkt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir wollen in den nächsten Jahren 2 Milliarden Euro zur Dazu zähle ich als zentrales Projekt der Bundesregie-
Stärkung der Lehre, zur Entwicklung berufsbegleitenden rung die Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss.
Studierens und in neue Entwicklungen im Wissen- Wir werden in den nächsten Jahren erleben – das sage ich
schaftssystem investieren, damit es immer attraktiver sehr überzeugt nach den Erfahrungen mit den Modellver-
wird. suchen –, wie es möglich wird, die Schulabbrecherquote
Die Studienanfängerquote von 43 Prozent ist eine gute zu reduzieren. Weil immer schlimme Beispiele genannt
Grundlage. Der internationale Vergleich zeigt, dass wir werden, nenne ich einmal ein sehr beeindruckendes Bei-
noch mehr Hochqualifizierte brauchen. Es ist wichtig, das spiel hier mitten aus Berlin. Die Rütli-Schule, die viel-
wachsende Interesse junger Leute weiter zu steigern. Des- fach besprochen worden ist, hatte 2006 noch eine Schul-
halb brauchen wir Anreize: eine bessere Studienfinanzie- abbrecherquote von 18 Prozent und all die Probleme, die
rung. Deshalb gibt es das Deutschlandstipendium, mit wir nachlesen konnten oder uns vor Ort angeschaut ha-
dem nach über 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland ben. Die Rütli-Schule hat im Jahr 2010 eine Schulabbre-
erstmals unabhängig vom Einkommen der Eltern finan- cherquote von noch 1,8 Prozent,
zielle Unterstützung gegeben wird. Das ist eine ganz
neue Entwicklung. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Damit haben Sie nichts zu tun! –
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da hat der
Senat ja gut gearbeitet!) (D)
(B) Deshalb wollen wir eine weitere Entwicklung und
Modernisierung des BAföG, eine Erhöhung der Förder- und 30 Prozent der Schüler bekommen eine Empfehlung
sätze und der Freibeträge. Ich sage das ausdrücklich, für eine weiterführende Schule. Ich sage das,
weil heute Nachmittag der Vermittlungsausschuss zu-
sammenkommen wird. Ich appelliere an die Länder, die (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Als Aner-
Studenten nicht sitzen zu lassen. kennung für Berlin!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weil ich finde, dass wir in der Bildungspolitik mehr da-
Der Bund steht zu seinen Zusagen. Herr Matschie macht rüber sprechen müssen, wo Maßnahmen gut greifen.
es sich zu einfach, Denn wenn sich Dinge gut entwickeln, können sie auch
anderswo eingesetzt werden. Ob das dann in Berlin, in
(Patrick Meinhardt [FDP]: Oh ja!) Stuttgart oder Dresden ist, da bin ich nicht so kleinherzig
wenn er wie heute Morgen im Deutschlandfunk sagt: Na wie Sie.
ja, wir wollen BAföG, aber wir wollen eigentlich noch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
viel mehr. Wir wollen, dass das BAföG zu 100 Prozent Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber eben war
vom Bund übernommen wird. – Das ist ganz einfach es nur Herr Matschie! Ach, Frau Schavan!)
Flucht aus der politischen Verantwortung.
Pakt für Innovation, Hochschulpakt und Exzellenz-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
initiative sind Beispiele für Verlässlichkeit in der Politik.
ruf von der SPD: Sagen Sie das Ihren Minis-
Die Steigerung um 5 Prozent jährlich ist wichtig für
terpräsidenten!)
überzeugende Arbeit unserer Forschungsorganisationen.
Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems heißt Die Projektförderung in der Forschung, die 2005 noch
auch, Weiterbildung im Kontext unserer großen Institu- bei 1,2 Milliarden Euro lag, liegt jetzt bei 2,1 Milliarden
tionen, der Hochschulen zu fördern. Wir haben entspre- Euro; das ist eine Steigerung um 70 Prozent. Die High-
chende Entwicklungen auf den Weg gebracht. Wir ma- tech-Strategie gilt international als überzeugende Inno-
chen Bildungspolitik mit den Akzenten, die der Bund vationsstrategie in Deutschland. Es ist uns auch mithilfe
setzen kann. Wir in der Bundesregierung sind dabei, eine der Hightech-Strategie gelungen, deutlich höhere Inves-
überzeugende Antwort auf die Frage zu finden, wie Kin- titionen der Unternehmen zu ermöglichen. Wir haben in
der aus Hartz-IV-Familien besser an Bildung beteiligt dieser Legislaturperiode zentrale Schwerpunkte – Ener-
werden können. Das ist eine komplizierte Aufgabe; aber gie und Klimaschutz, Gesundheitsforschung – in die
es wird ein gutes Konzept entstehen. Wir wollen darüber Hightech-Strategie eingebracht.
5940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) Das wird sich schon jetzt als positiv erweisen. Denn chenen Verdoppelung beim Einzelplan 30 ist nichts ge- (C)
das Energiekonzept der Bundesregierung ist ein Kon- worden. Vom 10-Prozent-Ziel sind Sie himmelweit ent-
zept, fernt. Mit Ihnen am Steuerrad und Bundeskanzlerin
Merkel auf der Kommandobrücke ist das Flaggschiff
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
„Bildung“ zu einer ziellos vor sich hin dümpelnden Jolle
Der Lobby!)
verkümmert.
das wesentlich darauf basiert, dass wir in Deutschland
(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wahr! – Zuruf von
erhebliches exzellentes Potenzial in den vielen Berei-
der CDU/CSU: Oje, oje!)
chen der Energieforschung haben. Dabei wird die For-
schung mit Blick auf neue effiziente Erzeugungsstruktu- Was haben Sie nicht alles im Koalitionsvertrag
ren, die Forschung im Bereich von Energieeffizienz bei – Nachlesen hilft – versprochen? Lokale Bildungsbünd-
Gebäuden, Materialien und Produkten und die For- nisse sollte es geben.
schung für Infrastruktur, insbesondere zur Verknüpfung
von erneuerbaren und konventionellen Energieträgern (Patrick Meinhardt [FDP]: Machen wir!)
durch neue Netze und Speicher, im Vordergrund stehen. Davon ist kaum noch etwas übrig. Ein Zukunftskonto
Dazu werden wir in den nächsten Wochen und Monaten Bildung wurde in Aussicht gestellt.
entsprechende Konzepte vorlegen.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Wir sind auf dem
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Weg!)
Gute Bildung, mehr Bildungsbeteiligung sowie starke Dafür sind keine Mittel im Haushalt eingestellt. Beerdi-
Forschung und Entwicklung als Grundlage für die Inno- gung erster Klasse!
vationskraft in unserem Land stehen im Mittelpunkt der
Bildungs- und Forschungspolitik. Das wird mit dem (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Haushalt 2011 durch erhebliche zusätzliche Investitio- Außerdem ist ein groß angekündigtes nationales Sti-
nen gestützt. pendienprogramm bis zur Unkenntlichkeit zusammen-
Vielen Dank. geschmolzen worden. Von 160 000 angekündigten Stu-
dierenden, die gefördert werden sollten, werden es
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vielleicht maximal 10 000 werden. Aber selbst um diese
Mittel ist es zu schade; denn das nationale Stipendien-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: programm, das Sie groß und vollmundig umbenannt ha-
Die Kollegin Dagmar Ziegler hat das Wort für die ben in Deutschlandstipendium – eine Nummer kleiner
(B) SPD-Fraktion. wäre auch angemessen –, ist völlig untauglich. Gleiches (D)
(Beifall bei der SPD) gilt für das Zukunftskonto. Unsere Probleme werden da-
mit nicht gelöst. Beides sind Angebote für diejenigen,
die ohnehin gute Chancen in Deutschland haben. Sie
Dagmar Ziegler (SPD): stellen kein Angebot für all die benachteiligten jungen
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Kolle- Menschen dar, für viele mit türkischen oder arabischen
ginnen und Kollegen! Beim Zuhören der Rede unserer Wurzeln, aber auch für viele mit deutschen Eltern.
Bundesministerin habe ich gedacht: Welch eigenartige
Selbstwahrnehmung eine Bundesministerin doch haben Ein junger Mensch, der Sorge hat, im Studium zu
kann. scheitern und auf einem dicken Darlehensbetrag sitzen
zu bleiben, wird sich nicht mit der vagen Aussicht auf
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ein Stipendium zum Studium bewegen lassen. Helfen
Bildung sollte das Flaggschiff würden aber deutliche Verbesserungen beim BAföG.
Dazu haben Sie sich aber nicht durchringen können.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Ist das Flaggschiff!
Ist!) (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das
liegt an den SPD-Ländern! Das können wir
dieser Bundesregierung werden. Vollmundig haben Sie heute beschließen!)
mit Bundeskanzlerin Merkel die „Bildungsrepublik“
ausgerufen. Frage: Was ist daraus geworden? Antwort: – Reden Sie doch einmal von Ihren B-Ländern.
Der heute zu debattierende Haushaltsentwurf ist ein Do- Selbst Ihre kleine BAföG-Novelle haben Sie im Bun-
kument Ihres Scheiterns. desrat scheitern lassen. Hunderttausende von Studenten
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen warten deshalb auf diese dringend notwendige BAföG-
bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Erhöhung. Wir werden im Vermittlungsausschuss alles
FDP) dafür tun, dass wenigstens diese marginale Verbesserung
endlich auf den Weg gebracht wird.
– Hören Sie noch bis zum Ende zu. Dann vergeht Ihnen
das Lachen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Albert
Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Ist das eine
Ihrem Schiff „Bildungspolitik“ fehlen der Kompass Zusage?)
und auch das Ziel. Ein Prestigeprojekt nach dem anderen
haben Sie bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen Wir müssen aber noch weit früher ansetzen. Integra-
oder gleich ganz über Bord geworfen. Aus der verspro- tion gelingt nämlich nur dann, wenn wir auch diesen jun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5941
Dagmar Ziegler
(A) gen Menschen von Anfang an Teilhabe und Aufstiegs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
chancen ermöglichen. Dabei hilft nur Bildung, Bildung, der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Wenn
Bildung. Die zentralen Stichworte sind Ganztagsange- man sich in Brandenburg umschaut, sieht man,
bote in Kitas und Schulen. worauf das, was Sie wollen, hinausläuft!)
Ein Kind mit Migrationshintergrund, das frühzeitig
eine Kita besucht, verbessert seine Chancen auf den Be- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
such eines Gymnasiums und die Erlangung des Abiturs Ulrike Flach hat das Wort für die FDP-Fraktion.
deutlich, nämlich um rund 50 Prozent. Wo bleibt Ihre (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Antwort, um für benachteiligte Kinder und Jugendliche
bessere Bildungschancen zu schaffen? Wo ist die Initia-
tive der Bundesregierung, um den ins Stocken geratenen Ulrike Flach (FDP):
Kitaausbau mit Nachdruck voranzutreiben? Wo bleibt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ihr Ansatz, um für mehr Ganztagsschulen zu sorgen? Die beste Antwort auf die Thesen von Thilo Sarrazin ist
Das Mindeste, was Sie tun könnten, wäre, ein Programm dieser Haushalt, der Bildung und Forschung in den Mit-
für Schulsozialarbeiter und -sozialarbeiterinnen aufzule- telpunkt stellt.
gen. Bei all dem Fehlanzeige, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu-
(Beifall bei der SPD) rufe von der SPD: Oh! Oh!)
Frau Schavan – jetzt werden Sie nicht wieder auf die Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Bildung ist der
A-Länder Bezug nehmen können –, Ihr Kardinalfehler Schlüssel zum Aufstieg in unserer Gesellschaft. Bildung
war, dass Sie den Bildungsgipfel im Juni dieses Jahres ist die Chance für jeden Jugendlichen, unabhängig von
haben scheitern lassen. Ohne eine nationale Bildungs- Herkunft, von Religion und vom Geldbeutel.
offensive, in der sich Bund, Länder und Kommunen auf Diese Koalition will eine Bildungsrepublik, in der
einen massiven – ich sage ausdrücklich: massiven – jeder die Chance hat, nach vorn zu kommen, auch wenn
Ausbau von Kitas, Ganztagsschulen und Hochschulen er nicht von der Poleposition an den Start geht. Union
einigen, bleibt Ihre Politik bestenfalls Stückwerk. und FDP haben sich im Koalitionsvertrag klar zur Bil-
Es kommt sogar noch schlimmer. Sie haben nicht nur dungsrepublik Deutschland bekannt, und die Förderung
nichts getan, um Ländern und Kommunen mehr Geld für von Bildung und Forschung ist eines der zentralen Pro-
Bildung zukommen zu lassen, sondern durch Ihre Ge- jekte dieser Regierung. Um welche Größenordnung es
schenke an Hoteliers und Erben haben Sie den Ländern geht, hat die Ministerin gerade deutlich gemacht: 54 Pro-
und Kommunen auch Steuerausfälle in Milliardenhöhe zent mehr im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit, 11,6 Mil-
(B) liarden Euro im Haushalt, (D)
beschert. Jetzt steht den Ländern und Kommunen das
Wasser bis zum Hals. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Frau Schavan, wir fordern Sie auf: Machen Sie end- zusätzlich 12 Milliarden Euro bis zum Ende dieser Le-
lich Ihre Hausaufgaben! Sorgen Sie dafür, dass Länder gislaturperiode.
und Kommunen in der Lage sind, für bessere Bildung zu
sorgen! Dabei haben wir übrigens etwas getan, worüber in
dieser Runde immer wieder diskutiert worden ist. Wir
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) haben endlich auch die anderen Häuser beteiligt. Wir ha-
Sorgen Sie dafür, dass Barrieren beim Zugang zu Bil- ben endlich dafür gesorgt, dass auch die anderen Minis-
dung abgebaut werden! Sorgen Sie dafür, dass jungen terien insgesamt 2 Milliarden Euro für Bildung und For-
Menschen durch beste Bildung der Ausbruch aus unver- schung bereitstellen. Das heißt, wir erfassen die
schuldeter Perspektivlosigkeit ermöglicht wird! Gesamtausgaben, wir wissen, dass die Mittel zielgerich-
tet eingesetzt werden, und wir wollen eine Bildungsre-
Meine Fraktion ist sehr gern bereit, Ihnen für eine Bil- publik schaffen, wie sie sich diese Koalition vorstellt.
dungspartnerschaft von Bund und Ländern die Hand
zu reichen. Denn wir wissen, dass wir nur mit mehr und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
besseren Kitas, mit mehr und besseren Ganztagsschulen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine andere Bun-
mit mehr und besser ausgestatteten Hochschulen für bes- desregierung hat Bildung und Forschung einen so hohen
sere Bildungschancen sorgen können. Hier teile ich aus- Stellenwert eingeräumt,
drücklich die Haltung Ihres Koalitionspartners in Person
von Herrn Lindner: Dazu gehören von der Gesellschaft (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
besser anerkannte Pädagoginnen und Pädagogen: Erzie- Ja, ja! Und was bringt das, was Sie machen,
herinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer. den Kindern und Jugendlichen?)
Dazu gehört auch eine qualitativ andere Ausbildung die- übrigens bei gleichzeitigem Sparkurs.
ser Berufsgruppen, damit sie überhaupt in die Lage ver-
setzt werden, den höheren Anforderungen gerecht zu (Klaus Hagemann [SPD]: Welcher Sparkurs,
werden. Sorgen Sie für bessere Chancen für alle! Dann Frau Flach?)
werden Sie auch uns an Ihrer Seite haben. Die Menschen
Ich möchte diejenigen, die mit mir gemeinsam Anfang
in unserem Land jedenfalls warten darauf.
dieses Jahrzehnts Herrn Eichel erlebt haben, und die
Vielen Dank. Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die damals vol-
5942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Ulrike Flach
(A) ler Verzweiflung dem Wirken von Frau Bulmahn zu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erhöhen das (C)
schauten, BAföG mit einem Mittelansatz von über 1,5 Milliarden
Euro.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Damals
gab es übrigens auch solche Zuwächse! – Iris (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wie bitte?)
Gleicke [SPD]: Ach Gott!)
Ich kann mich hier der Bundesbildungs- und For-
daran erinnern: Wer hat denn damals auf das Drei- schungsministerin nur anschließen: Es liegt jetzt doch in
Körbe-Modell beim BAföG verzichten müssen, weil Ihrer Verantwortung.
Herr Eichel die Sparbremse anzog? (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was mei-
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE nen Sie mit 1,5 Milliarden Euro, Frau Kolle-
GRÜNEN]: Wer hat denn das Ganztagspro- gin?)
gramm auf den Weg gebracht? – Willi Brase Sie sind immer so gerne bereit, uns zu sagen, wir täten
[SPD]: Reden Sie doch nicht immer von frü- all das nicht, was wir versprochen haben.
her! Heute leben wir!)
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sollen die
Das ist der entscheidende Unterschied: Der Finanzminis- 1,5 Milliarden Euro obendrauf kommen?)
ter dieser Koalition spart, und gleichzeitig setzen wir auf
Bildung und Forschung, und das in einem Ausmaß, wie Sie stehen in der Verantwortung dafür, das BAföG so
es das in Deutschland noch nie gegeben hat. umzusetzen, wie es eigentlich erforderlich ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kai (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Alle Länder!)
Bei der Kohl-Regierung lag das BAföG doch Das wird sich am heutigen Nachmittag natürlich zeigen.
im Koma!)
Ich finde es schon merkwürdig, dass Sie die Gelegen-
Übrigens unterscheiden wir uns an dieser Stelle auch heit nutzen, um die begabten und leistungsstarken Kin-
von dem Land Nordrhein-Westfalen. Es ist ja im Augen- der aus geringverdienenden Familien gegen die zu set-
blick ganz nett, dass man das parallel beobachten kann. zen, die aus normalverdienenden Familien kommen.
Damit in NRW etwas für Bildung ausgegeben werden
könne, sagt die dortige Ministerpräsidentin, sei sie be- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Um die
reit, einen nicht verfassungskonformen Haushalt auf den geht es Ihnen doch gar nicht! Es geht Ihnen
(B) Weg zu bringen. doch um die Apothekerkinder und die Steuer- (D)
beraterkinder!)
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das haben Sie jahrelang gemacht!) Sie versuchen, einen Zwist zwischen Leistung und Her-
kunft heraufzubeschwören. Das ist eine Sache, die ein-
Das ist genau der Gegensatz zu uns. fach nicht klappen kann.
(Florian Pronold [SPD]: Die FDP macht Schulden, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
und wir müssen es ausbaden!)
Übrigens: Auch an dieser Stelle kann ich Nordrhein-
Wir leben mit der Verfassung, wir beachten die Schul- Westfalen nur lobend erwähnen. Wir haben dort ja ge-
denbremse, und wir tun etwas für unsere Kinder und Ju- zeigt, dass gerade die Kinder aus den einkommens-
gendlichen. schwächeren Familien durch unser Stipendium gefördert
werden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das haben
Wenn Sie sich den Haushalt anschauen, dann sehen Sie gezeigt?)
Sie: Wir fördern die erfolgreichen Pakte natürlich wei-
Wir haben doch erlebt, was zum Beispiel an der Uni
terhin verlässlich und in nie gekannter Höhe: 910 Millio-
Duisburg-Essen gelaufen ist, und wir sehen, wie es posi-
nen Euro für den Hochschulpakt, 326 Millionen Euro für
tiv läuft.
die Exzellenzinitiative, deutlich mehr Mittel für die
Deutsche Forschungsgemeinschaft, die HGF und die (Zuruf von der SPD: Nichts läuft dort! – Ge-
Max-Planck-Institute. Ich sage an dieser Stelle auch als genruf des Abg. Patrick Meinhardt [FDP]: Es
Haushälterin für den Einzelplan des Wirtschaftsministe- läuft spitze!)
riums: Es wird Zeit, dass wir das auch bei der Ressort-
forschung tun – es kann nämlich nicht sein, dass durch – Liebe Frau Kollegin, es empfiehlt sich immer, einfach
eine 5-prozentige Erhöhung im normalen Forschungsbe- einmal hinzugehen und zu schauen. – Wir haben genau
reich die verdienstvollen Forscher im Bereich der Res- die Familien gefördert, die Ihrer Meinung nach angeb-
sortforschung hintenangestellt werden –, das ist ein Ziel; lich immer rechts und links des Weges liegen bleiben.
das sollten wir uns setzen. Wir sollten gemeinsam über- Das Stipendium für leistungsstarke Schüler und Studen-
legen, wie wir das auf den Weg bringen. ten wird wirklich dazu dienen, den Leistungsstärkeren
aus einkommensschwächeren Regionen dieses Landes
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zu helfen. Das ist doch der Punkt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5943
Ulrike Flach
(A) (Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist doch Quark! – und habe nachgefragt, wie die Programme der Bundes- (C)
Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: regierung in der Praxis ankommen und was man sich da-
Das geben die Zahlen nicht her!) von verspricht. So habe ich nach den angekündigten Bil-
dungsbündnissen gefragt. Dann sah ich in ungläubig
Ich möchte Sie an dieser Stelle übrigens einfach auch
fragende Gesichter: Davon habe man noch nie etwas ge-
einmal an Ihre Verantwortung erinnern. Wir haben da-
hört.
mals bei der Föderalismusreform gemeinsam dafür ge-
stritten, dass das Kooperationsverbot nicht in die Verfas- Das brachte mich darauf, nachzuschauen, was aus den
sungsänderung eingetragen wurde. vielen vollmundigen Ankündigungen der Bundesbil-
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da können Sie dungsministerin geworden ist. Frau Ziegler hat schon ein
der Regierung ja einen Vorschlag machen!) paar Dinge genannt. Ich möchte noch ein paar dazuset-
zen; hier also die besten acht:
Sie haben das Ganze mitgetragen. Sie haben diese Föde-
ralismusreform sozusagen verbockt, und jetzt setzen Sie (Heiterkeit bei der SPD)
sich hin und lassen Ihre Länder gegen die jeweilige Bun- Von den Zukunftskonten, dem Bausparen in der Bildung,
desregierung anlaufen, um zu versuchen, etwas zu blo- ist nichts mehr zu hören. Die Weiterbildungsallianz ist
ckieren, was hier in Berlin passiert. im Haushalt 2011 nicht mehr erwähnt, möglicherweise
Das geschieht auf dem Rücken der Kinder. Sie sollten gescheitert. Das BAföG-Gesetz – Sie haben gerade da-
sich endlich Ihrer Verantwortung bewusst sein. Die Län- rüber gesprochen – ist mit seiner bescheidenen Erhö-
der wollten die Bildungshoheit, sie haben sie bekommen hung – nicht mit seiner starken Erhöhung – im Moment
– übrigens gegen die Stimmen von Frau Pieper und mir; noch im Vermittlungsausschuss gefangen.
wir waren immer anderer Meinung –, und jetzt erfüllen (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aber nicht
Sie sie bitte schön. Setzen Sie das Geld für diejenigen wegen der Koalition, sondern wegen der
ein, die gerne ein höheres BAföG haben wollen, ver- SPD!)
kämpfen Sie sich nicht in dem Bereich, indem Sie sagen,
Stipendien seien etwas Schreckliches, und prügeln Sie Wir wissen nicht, ob es da wieder herauskommt. Das na-
nicht auf die Leistungsstarken dieser Gesellschaft ein! tionale Stipendienprogramm, das jetzt „Deutschlandsti-
pendium“ heißen soll, war mit 280 Millionen Euro dotiert;
(Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist doch unver-
das haben Sie auf 26 Millionen Euro zusammenge-
schämt!)
schrumpft. Die vorgesehenen Mittel für die Bildungsket-
Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir ten wurden nur zur Hälfte abgerufen. Wie denn auch,
(B) Leistung in diesem Lande fördern wollen. Das werden wenn man sie nicht kennt? Für die lokalen Bildungs- (D)
wir tun. bündnisse gibt es noch heute kein Konzept; sie tauchen
im Haushalt inzwischen nicht mehr auf. Das Programm
(Dagmar Ziegler [SPD]: Dann fangen Sie doch zur Sicherung von Ausbildungsplätzen in strukturschwa-
einmal an!) chen Regionen, von der Koalition im vergangenen Jahr
Dafür nehmen wir das Geld in die Hand, und wir werden eingefordert, ist ganz verschwunden. Auch das Gesetz
dafür sorgen, dass jeder unabhängig von seiner Herkunft über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist noch
auch das tun kann, was er sollte. nicht in Sicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ist in
Arbeit!)
Wir werden Ihnen im Laufe der kommenden Beratungen
zeigen, wie wir das Titel für Titel weiter fortführen wer- In aller Munde ist allerdings jetzt die Bildungschip-
den. karte, das Sommerlochmärchen der Bundesarbeitsminis-
(Beifall bei der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: terin.
Das Märchen hat ein Ende! – Kai Gehring (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Plus für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
die Stromindustrie!)
Sie hat immerhin schon Eingang in Satiresendungen des
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Fernsehens gefunden.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein für die Insgesamt ist das Fazit des Haushaltsjahres 2010 eine
Fraktion Die Linke. ziemlich große bildungspolitische Pleite.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Der Haushalt 2011 lässt nicht hoffen, dass es besser
wird. So finden sich an vielen wichtigen Stellen mehr
Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine verehrten
oder weniger massive Kürzungen, etwa bei der Berufs-
Kolleginnen und Kollegen! Während der Sommertour
orientierung, bei der Förderung überbetrieblicher Aus-
bin ich durch meinen Wahlkreis Magdeburg und den
bildungsstätten – zwei Ihrer Flaggschiffe –, bei der Stär-
Bördekreis gefahren
kung der Leistungsfähigkeit im Bildungswesen, bei der
(Zuruf von der CDU/CSU: Nur im Sommer?) Weiterbildung. Ja, selbst noch bei vergleichbar kleinen
5944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Rosemarie Hein


(A) Summen wie der kulturellen Bildung wird gekürzt, und von? Können Sie mir sagen, wie viele Wochen Musikun- (C)
das in Relation ganz schön kräftig. terricht man sich mit der Bildungskarte kaufen kann? Ich
fürchte, Sie haben von den realen Lebensumständen von
Insgesamt werden bei allgemeiner und beruflicher
Kindern und Jugendlichen in diesem Lande, vor allen
Bildung gegenüber dem Haushalt 2010 27 Prozent ein-
Dingen aus benachteiligten Familien, keine blasse Ah-
gespart. Meine Damen und Herren, das ist mehr als ein
nung mehr.
Viertel. Das müssen Sie den Leuten einmal erklären.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der LINKEN)
neten der SPD)
Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass die Mit-
tel für die berufliche Qualifizierung, die über die Bun- Die Chipkarte soll durch die Jobcenter ausgegeben
desagentur für Arbeit ausgereicht werden, mit dem be- werden. Sind künftig die Jobcenter auch für die Bildung
schlossenen Sparpaket ebenfalls gekürzt werden, dann von Kindern und Jugendlichen zuständig? Die Rede von
verschärft das die Situation bei der Weiterbildung einmal Frau Flach lässt darauf schließen. Dann frage ich ganz
mehr. Das retten Sie weder mit Bildungslotsen noch mit bestürzt: Wollen Sie das Bildungsministerium irgend-
der Chipkarte. wann ganz schließen?

Eine der wenigen Positionen, die tatsächlich wächst, (Beifall bei der LINKEN)
ist der Posten der Erstattung von Kreditausfällen bei der Einer der erschreckendsten Befunde der im Sommer
KfW-Bank. Hier erwartet man gegenüber dem Jahr 2009 veröffentlichten OECD-Studie zur beruflichen Bildung,
mehr als eine Verdoppelung. Hat sich eigentlich einmal bei der die Bundesrepublik ansonsten recht gut weg-
jemand gefragt, warum das so ist? kommt, ist die Tatsache, dass ein Drittel der Jugendli-
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist aber chen, die keinen gymnasialen Bildungsweg eingeschla-
nicht im Einzelplan 30!) gen haben, im Berufsübergangssystem landet, also
keinen regulären dualen Ausbildungsplatz erhält. Wie,
Kann es nicht sein, dass Ausbildung und Studium meine Damen und Herren von der Koalition, wollen Sie
extrem unterfinanziert sind? Wäre es nicht gescheiter, das ändern? Mit diesem Haushalt leisten Sie jedenfalls
die verschwundenen circa 250 Millionen Euro aus dem keinen Beitrag dazu.
Stipendienprogramm, die Sie dafür eingeplant hatten, für
eine vernünftige Ausfinanzierung des BAföG zu ver- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
wenden? Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Dagegen wäre einiges anders und besser zu finanzie-
(B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren, gäbe es nicht das unsägliche Kooperationsverbot (D)
zwischen Bund und Ländern in der Bildung. Darum blei-
„Bei der Bildung wird nicht gekürzt“ – das haben Sie ben wir dabei und fordern immer wieder: Das Koopera-
noch beim Sparpaket gesagt. Wir haben Ihnen das schon tionsverbot muss weg. Fangen Sie endlich an und legen
damals nicht geglaubt. Es wird aber noch schlimmer: Sie Sie eine vernünftige Initiative dazu vor!
kürzen nicht nur heute, Sie legen auch später nichts
drauf. Danke schön.
Schon für die Stärkung der Leistungsfähigkeit im Bil- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
dungswesen planen Sie 23 Millionen Euro weniger als neten der SPD)
im vergangenen Jahr ein. Aber Sie planen auch weniger
für die kommenden Jahre. Die Verpflichtungsermächti- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gungen im Haushalt 2010 betrugen noch 1,6 Milliarden Für Bündnis 90/Die Grünen hat Priska Hinz das Wort.
Euro. Jetzt stehen da noch 205 Millionen Euro. Das ist
schon ein gewaltiger Unterschied.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Alles in allem ist Ihr Haushalt kein geeignetes Mittel, NEN):
die wichtigsten Defizite im Bildungssystem in irgendei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
ner Weise zu beheben, auch dort nicht, wo Sie handeln richtig, mehr Geld in Bildung und Forschung zu inves-
dürften. tieren. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Aber
So steht zu befürchten, dass einige der geschröpften noch wichtiger wäre es, mit diesem Geld auch die richti-
Vorhaben zur Finanzierung der Bildungschipkarte die- gen Schwerpunkte zu finanzieren. Mehr Geld allein
nen. Diese soll nun zum Instrument des notwendigen reicht nämlich noch lange nicht.
Nachteilsausgleichs in der Bildung werden: Nachhilfe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
durch private Anbieter statt mehr Geld für bessere Schu- und bei der SPD)
len. Sollen immer mehr private Bildungsträger retten,
was eigentlich die öffentliche Aufgabe im Rahmen der Es gibt drei Aufgaben, die die Bildungsministerin
Schulpflicht wäre? Sollen Eltern und Kinder künftig ent- hätte, nämlich Bildungsgerechtigkeit zu fördern, gegen
scheiden, was ihnen wichtiger ist: das Mittagessen, der den Fachkräftemangel anzukämpfen sowie Forschung
Nachhilfeunterricht, das Erlernen eines Musikinstru- und Entwicklung so zu unterstützen, dass sich auch
mentes oder das Schwimmbad? Wissen Sie eigentlich, kleine und mittlere Betriebe auf Energieeffizienz und
was Musikunterricht kostet? Haben Sie eine Ahnung da- ressourcenschonendes Wirtschaften umstellen können.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5945
Priska Hinz (Herborn)
(A) Aber hier ist auf der ganzen Linie Fehlanzeige zu ver- kürzt. Damit nehmen Sie ein Programm, für das Sie seit (C)
melden. Wochen landauf, landab werben, selbst nicht ernst. Das
ist wirklich kein Ausweis guter Regierungsfähigkeit.
Frau Ministerin Schavan, Sie haben auch im letzten
Jahr nichts anderes getan, als einen Haufen Ankündi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gungen in die Welt zu setzen. Aber jedes Programm, das und bei der SPD)
Sie aufs Gleis gesetzt haben, ist Ihnen entgleist. Das ist
Ihr Problem. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach
sowie bei Abgeordneten der SPD) zulassen?
Lokale Bildungsbündnisse zum Beispiel finden nicht
mehr statt. Sie haben sie groß angekündigt, inzwischen Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
aber versenkt. Das Zukunftskonto wurde wegen rechtli- NEN):
cher Fragen eingestampft. Die Weiterbildungsallianz, Ja, bitte.
die Sie schon seit drei Jahren im Munde führen, ist im
Haushalt nicht mehr vorgesehen. Für das Technikum- Ulrike Flach (FDP):
Programm haben Sie in den letzten drei Jahren 4 Millio- Liebe Frau Hinz, ich will Ihnen zur Kenntnis bringen,
nen Euro für 31 Praktikanten ausgegeben. Das ist mit welch durchschlagende Bombe dieses Programm zur
120 000 Euro pro Praktikant das teuerste Praktikumspro- Verbesserung der Berufsorientierung ist, wie Sie es
gramm der Welt, das jetzt Gott sei Dank ebenfalls einge- gerade dargelegt haben.
stampft wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sowie bei Abgeordneten der SPD) NEN):
Sie verbrennen also Geld, mit dem Sie zum Beispiel Ja, gerne.
400 Studienplätze finanzieren könnten.
Jetzt kommt es aber in Sachen Bildungsgerechtigkeit Ulrike Flach (FDP):
noch toller. Seit Wochen wird über Bildung als Mittel Der Titel ist zu Recht heruntergefahren worden. Wir
zur Integration und Instrument gegen soziale Armut dis- beide sollten als Haushälter eigentlich wissen, dass man
kutiert. Während die Sozialministerin noch mit ihrer so- etwas herunterfährt, das nicht so läuft, wie man es voll-
genannten Bildungschipkarte durchs Land zieht, die mundig versprochen hat. Das muss man nüchtern sehen.
(B) (D)
mehr Fragen aufwirft, als sie Probleme löst, hat die Bun- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Dann kön-
desbildungsministerin zu diesem Thema überhaupt kei- nen Sie es ja streichen!)
nen Plan.
Gerade in SPD-regierten Ländern wie Berlin hat kein
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir haben einziger Schüler an diesem Programm teilgenommen. In
die Antworten!) meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen waren es ge-
Sie haben keine Idee, wie Sie die Bildungsinfrastruktur rade 3 700. Also scheint die Nachfrage nicht so riesig zu
in diesem Land stärken können, damit alle Kinder die sein. Ich finde, wir beide sollten seriös mit dem Haushalt
Möglichkeit zur Teilhabe an Bildung, am sozialen Auf- umgehen. Wenn es Länder gibt, die das nicht annehmen
stieg und am Bildungsaufstieg haben. Das ist Ihr Ver- – mir sind allein drei bekannt –, dann muss man das Mo-
säumnis, Frau Schavan. dell neu überdenken und einfach anders an die Sache he-
rangehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, aber nicht
kürzen!)
Es ist klar, dass das zum Teil am Kooperationsverbot
liegt, das Sie mit unterstützt haben. Ich bin gespannt, ob – Kürzen setzt das voraus. Oder wollen Sie das Geld hin-
sich die FDP jetzt ein Herz fasst und endlich mit uns das terherschmeißen?
Ganze umkehrt. Dann könnten wir auch auf der Bundes-
seite besser in die gesamte Bildungsinfrastruktur inves- Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tieren. NEN):
Aber selbst da, wo es originäre Bundeskompetenzen Frau Flach, dank einer Anfrage des Kollegen Rehberg
wie in der beruflichen Bildung und der Weiterbildung wissen wir schon jetzt, dass das Programm für die Bil-
gibt, ist die Bildungsministerin nicht in der Lage, ihre dungslotsen im nächsten Jahr überbelegt ist und dass be-
Konzepte so umzusetzen, dass etwas Sinnvolles dabei reits in diesem Jahr mehr Geld für das Programm zur
herauskommt. Die Bildungsketten wurden mit Aplomb Berufsorientierung verausgabt wurde, als im nächsten
angekündigt. Aber was finden wir im Haushalt für das Jahr zur Verfügung steht. Das heißt, wir werden im
nächste Jahr? 20 Millionen Euro weniger für den gesam- nächsten Jahr de facto weniger Programme umsetzen
ten Titel, aus dem die Bildungsketten finanziert werden können als in diesem Jahr, obwohl sie erst jetzt richtig
sollen! Das heißt, die Mittel für das Programm zur Be- anlaufen. Das ist ein Versäumnis Ihrer Bildungsministe-
rufsorientierung, das gut angenommen wird, werden ge- rin. Sie kommen nicht umhin, das zuzugestehen.
5946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Priska Hinz (Herborn)


(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halts ist wirklich gelungen und führt uns in eine gute Zu- (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrike kunft.
Flach [FDP]: Nein, das ist ein haushalterischer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Akt!)
Die frühere Bildungs- und Forschungsministerin
Im Bereich der Weiterbildung haben wir Ähnliches Edelgard Bulmahn hat 2005 gesagt, man solle sich an ih-
zu verzeichnen. Dort steht im nächsten Jahr eine 20-pro- rem Haushalt messen lassen. Vor allen Dingen sollten
zentige Kürzung an, obwohl wir eigentlich ein Erwach- sich CDU, CSU und FDP daran messen lassen.
senen-BAföG und eine bessere Weiterbildungsberatung
brauchten. Natürlich wäre es auch sinnvoll, eine Weiter- (Ulla Burchardt [SPD]: Alle guten Projekte
bildungsallianz auf den Weg zu bringen. Aber Sie schaf- stammen von Frau Bulmahn!)
fen es nicht, das zu tun, was notwendig wäre, nämlich Das tun wir gern, denn damals umfasste der Haushalt
mit aller Kraft gegen den Fachkräftemangel mit einem 7,5 Milliarden Euro. Wenige Jahre danach, heute, im
guten Konzept anzukämpfen. Jahr 2010, reden wir über rund 4 Milliarden Euro mehr,
Der letzte Punkt, den Sie immer angekündigt haben nämlich über 11,7 Milliarden Euro. Das ist eine klare
und der nun auch versenkt wurde, ist das Programm zur Ansage, und es ist etwas, auf das wir gemeinsam stolz
steuerlichen Forschungsförderung. Anstatt die Hotels zu sein können.
beschenken, wäre es notwendig gewesen, ein Programm (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe auf den
Weg zu bringen. Auch hier Versagen auf der ganzen Li- Der aktuelle Haushalt ist – was den Aufwuchs der
nie! Nach einem Jahr Gestolpere von Schwarz-Gelb Mittel für Bildung und Forschung angeht – in eine Zu-
kann man nur sagen: Regierungsfähigkeit sieht anders sage der Koalitionsfraktionen für die kommenden Jahre
aus. Bislang ist sie auch für das nächste Jahr nicht zu er- eingebaut. Wir werden insgesamt 12 Milliarden Euro zu-
kennen. sätzlich in Bildung und Forschung investieren. Das ist
wichtig, weil damit klar wird, dass es kein Stop-and-go,
Danke schön. sondern dass es eine kontinuierliche Entwicklung gibt.
Nichts ist für Forschung und auch für Bildung wichtiger
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
als Verlässlichkeit. Wir können heute sagen: Wir werden
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
in den nächsten Jahren bei den deutschen Forschungsor-
LINKEN)
ganisationen einen jährlichen Aufwuchs von fünf Pro-
zent haben. Wir werden den Hochschulpakt absichern,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wir werden mit der dritten Säule 1 Milliarde Euro zu-
(B) (D)
Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer von sätzlich in die Lehre investieren. Das sind große Sachen.
der CDU/CSU-Fraktion. Zum Thema Lehre möchte ich noch einmal ganz
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- deutlich sagen: Wir haben gleichzeitig den Wettbewerb
neten der FDP) Exzellenzinitiative in Deutschland. Unsere Erwartung ist
ganz klar: Keine Hochschule, die am Ende eine Exzel-
lenzhochschule werden soll, kann in der Lehre schlecht
Michael Kretschmer (CDU/CSU): sein. Nein, eine Exzellenzhochschule muss auch in der
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Lehre Exzellenz nachweisen. Dies zu berücksichtigen,
Bundeshaushalt ist ein Bauplan, an dem man sehen erwarten wir auch von der Jury, und wir bitten, darauf zu
kann, wie wir die Zukunft unseres Landes im kommen- achten.
den Jahr, aber auch in den nächsten Jahren gestalten wol-
len, und zwar unter dem Motto: Investieren in die Zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
kunft und gleichzeitig den Haushalt so sanieren, dass wir Unser Forschungspakt umfasst die großen Fragen, die
aus der Verschuldungsfalle herauskommen. Das ist die Menschen in Deutschland bewegen und die wichtig
wichtig. Anhand des Zukunftsministeriums, des Ministe- für die Zukunft sind; sei es die Gesundheit, sei es die
riums für Bildung und Forschung, über das wir gerade Energieversorgung mit erneuerbaren Energien oder die
sprechen, wird ganz besonders deutlich, was diese bür- Nutzung konventioneller Energien, seien es der Klima-
gerliche Regierung vorhat, nämlich den Wohlstand die- schutz, die Sicherheit, die Demografie oder auch die
ses Landes auch in Zukunft zu erhalten, und zwar so- Produktionstechnik. Wichtig ist eines – daran erkennt
wohl auf qualitativer als auch auf quantitativer Ebene. man ein bürgerliches Politikverständnis –: Wir wollen
(Zuruf von der SPD) Dinge ermöglichen, und wir machen Schluss mit dem,
was uns unter Rot-Grün und auch noch in Teilen der
Wir wissen, dass wir im Wettbewerb mit den Regio- Großen Koalition aufgezwungen wurde, nämlich dass
nen in der Welt nur bestehen können, wenn wir besser aus ideologischen Gründen Forschungen behindert wur-
sind; wenn wir vor allem technologisch besser sind als den.
andere Länder. Gleichzeitig wollen wir aber auch ein
(Klaus Hagemann [SPD]: Was denn?)
qualitatives Wachstum im Bereich der Gesundheit, der
Bildungsgerechtigkeit und natürlich im Hinblick auf die – Sie haben gefragt, welche das sind. Das sind nicht nur,
demografische Entwicklung ermöglichen. Ich finde, Ein- aber vor allen Dingen die Kernfusion, die Sicherheitsfor-
zelplan 30 – Bildung und Forschung – des Bundeshaus- schung, die stoffliche Nutzung von beispielsweise Kohle
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5947
Michael Kretschmer
(A) oder andere Dinge. Das sind Felder, die auch für die Zu- Sie, Frau Bundesministerin, haben 20 Jahre deutsche (C)
kunft wichtig sind. Für uns ist der Ausspruch von Max Einheit angesprochen. Das sind 20 Jahre erfolgreiche
Planck prägend: „Dem Anwenden muss das Erkennen Wissenschaftspolitik, die über die Parteigrenzen hinaus
vorausgehen.“ gemacht worden ist. Wir haben eine Wissenschafts-
landschaft geschaffen, die international anerkannt ist.
Wir wollen, dass die Forschung überall möglich ist. Es gab über die Parteigrenzen hinweg einen Konsens,
Wir wollen, dass Forschung frei erfolgen kann, und wir diese Wissenschaftslandschaft weiterzuentwickeln. Von
haben Schluss gemacht mit den ideologischen Eingriffen Anfang an wurde nicht von einer Position der Schwäche
in die Forschungspolitik. aus gearbeitet, sondern man hat auf Exzellenz Wert ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla legt. Wir geben über 100 Millionen Euro jährlich für die
Burchardt [SPD]: Was macht denn die steuerli- Forschung in den neuen Bundesländern aus, und zwar
che Forschungsförderung?) für exzellente Projekte, in deren Rahmen sich Wissen-
schaft und Wirtschaft vernetzen können. Vielen Dank
Meine Damen und Herren, das eine sind nüchterne dafür. Wir wollen das auch in Zukunft weiter so handha-
Zahlen von Prozentsätzen von Aufwüchsen. Das andere ben.
sind die konkreten Projekte, die dahinterstehen, und die
sind im Detail – im Großen wie im Kleinen – bewegend (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und beeindruckend. Wir haben heute den Grundstein für
Wir haben über das BAföG gesprochen und hoffen,
weitere vier Deutsche Zentren der Gesundheitsfor-
dass heute Abend der Durchbruch erfolgt. Die Unions-
schung zu legen. Krebserkrankungen, Infektionskrank-
fraktion und die Fraktion der FDP sind sich einig. Die
heiten, Lungen- und Herzkreislauferkrankungen sind
BAföG-Erhöhung wird in den nächsten Jahren 1 Milliar-
Volkskrankheiten, die die große Masse der Bevölkerung
de Euro mehr kosten. Jeder, der sagt, das sei nur eine
betreffen. Die Bevölkerung wünscht sich, dass sich hier
kleine Erhöhung, hat keine Ahnung, oder meint es nicht
etwas tut.
gut mit den Leuten in diesem Land. Das ist eine große
Ich glaube, wir können stolz darauf sein, dass wir es BAföG-Erhöhung, die vielen Personen zugutekommt.
schaffen, heute und in den folgenden Jahren pro Zen-
trum bis zu 35 Millionen Euro zu investieren und ein ko- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ich bitte
operatives Bündnis zwischen den Universitäten, der au- Sie!)
ßeruniversitären Forschung und den Medizinern vor Ort Ich nenne in diesem Zusammenhang Studierende mit
zu fördern, das sich in kurzer Zeit mit Blick auf die Be- Kind, Studierende, die den Master-Abschluss machen,
kämpfung dieser Volkskrankheiten auszahlen wird. Ich und die Erhöhung der Bedarfssätze. Wir erwarten von
(B) bin froh darüber, dass wir es schaffen, die deutschen den Bundesländern, dass sie sich der Verantwortung stel- (D)
Zentren auf den richtigen Weg zu bringen. len und sich daran beteiligen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es gibt darüber hinaus viele weitere große Projekte. In der Debatte über den Wissenschaftsstandort Deutsch-
Ich habe die Produktionstechnik, den Klimaschutz und land ist viel Kleinteiliges, von manchen Rednern auch
Ähnliches angesprochen. In diesem Zusammenhang ist recht Kleinliches – angesprochen worden. Jede der Par-
auch die demografische Entwicklung zu erwähnen. Ich teien des linken Spektrums sollte froh über die Erhöhun-
glaube, das ist ein ausgewogener Mix, der Experten, die gen sein, die wir als bürgerliche Parteien durchgesetzt ha-
uns beraten, auf welchen Forschungsfeldern wir arbeiten ben. Das ist Ihnen zu der Zeit, als Sie regierten, nicht
sollen, zu verdanken ist. gelungen. Der Blick ins Ausland zeigt, wie gut wir hier in
Es gibt aber auch viele kleinere Projekte. Ich möchte Deutschland mittlerweile sind. Vor wenigen Tagen hat in
– ich bin der Bundesministerin sehr dankbar, dass sie das Boston die große GAIN-Jahrestagung stattgefunden.
Projekt im Haushalt verstetigen konnte – den Krebsin- 400 deutsche Nachwuchswissenschaftler, die in Ame-
formationsdienst nennen. Jeder, der persönlich von rika leben, haben sich in Boston getroffen. Die Resonanz
Krebs betroffen ist oder jemanden kennt, der daran lei- ist gewaltig. Das, was hier in Deutschland geleistet wird,
det, kennt die existenziellen Sorgen der Patienten und ih- wird vom Ausland als großartig empfunden. 90 Prozent
rer Angehörigen. Dass wir vor Jahren diesen Krebsinfor- derer, die jetzt noch im Ausland arbeiten, wollen nach
mationsdienst eingerichtet haben, ist eine tolle Sache. Deutschland zurückkommen. Wenn das kein Erfolg unse-
Man kann das der Wissenschaftskommunikation zurech- rer Wissenschaftspolitik ist, dann weiß ich es nicht. Sie
nen und dies positiv bewerten, man kann aber auch da- sollten das mehr würdigen.
rauf hinweisen, dass es einfach ein großes menschliches (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Angebot ist, das wir schaffen. Es sind in aller Regel Me- Willi Brase [SPD]: Wenn sie zurückkommen,
diziner, die am Telefon oder am Computer sitzen und Pa- ist es ein Erfolg!)
tienten, die in einer wirklichen Notlage sind, Zuspruch
geben und Hilfestellung leisten. Ich freue mich darüber,
Frau Bundesministerin, dass wir dieses Projekt in den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Haushalt aufgenommen haben und dieses Angebot jetzt Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Hagemann von
in ganz Deutschland zur Verfügung steht. der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD)
5948 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

(A) Klaus Hagemann (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike (C)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Flach [FDP]: Wer soll das denn bezahlen?)
Herren! Wenn man den Rednerinnen und Rednern der
damit die Kinder die Sprache lernen, damit sie ihr Um-
Koalition zuhört, dann hat man den Eindruck, in der Bil-
feld kennenlernen, damit sie ein warmes Essen bekom-
dungs- und Forschungspolitik sei alles eitel Sonnen-
men und überhaupt gefördert werden können.
schein und es laufe nichts schief. Die Bildungsrepublik
sei auf der Überholspur, hat Frau Schavan kürzlich ge- (Ulrike Flach [FDP]: Dann hätten Sie Ober-
sagt. Ich frage mich nur, warum die Forschungs- und bürgermeister in Worms bleiben müssen!)
Bildungspolitik im Ranking der Bevölkerung nicht hö-
her steht; denn die spielt, wenn man die Umfragen be- Was haben Sie zu rot-grünen Zeiten gegen das Pro-
trachtet, bei der Beurteilung der Politik der Regierung gramm von Frau Bulmahn gesprochen! Auch das woll-
keine Rolle. Das muss man einmal feststellen. ten wir hier noch einmal erwähnt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Im Koalitionsvertrag waren für überbetriebliche Lehr-
Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/ werkstätten die modernsten Technologien vorgesehen.
DIE GRÜNEN]) Kürzung um ein Drittel! Um fast 33 Prozent soll gekürzt
werden! Die Handwerkskammern schreiben Brandbriefe.
Ich habe mir die Presse angesehen, die es in diesem
Sommer gegeben hat. Da schrieb die Financial Times Auch zu den Bildungsketten möchte ich etwas sagen.
Deutschland: Untergang der Bildungsrepublik. – Jetzt Sie geben dafür für vier Jahre 360 Millionen Euro an die
hätte ich bald gesagt: Untergang der Bundesrepublik. – Bundesagentur für Arbeit. Darüber kann man diskutie-
Von teuren Tricks war die Rede. Die Süddeutsche schrieb: ren. Das ist sicherlich nicht schlecht. Aber schauen Sie
„Voller Mund und leere Hände“. Von Bildungslüge war sich einmal an, wie es im Einzelplan 11 – Arbeit und So-
die Rede. – Ich habe nur zitiert, meine sehr verehrten Da- ziales – aussieht! Da wird gekürzt. Da werden die Zu-
men und Herren. schüsse für diese Maßnahmen deutlich heruntergefahren.
Das ist „linke Tasche/rechte Tasche“, wie wir im Haus-
Im Koalitionsvertrag und in der Öffentlichkeitsarbeit haltsausschuss sagen.
haben Sie große Ankündigungen gemacht. Große Sum-
men werden immer wieder genannt. Aber in der Realität (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Priska
sieht es doch oft anders aus. Da wird gekürzt, da wird Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
verschoben, oder da werden Projekte ganz beerdigt, die NEN])
vorher groß angekündigt worden waren. Mein Büro hat Für den einzelnen Menschen bringt das, was hier mehr
(B) einmal zusammengestellt, was alles versprochen, dann gegeben wird, überhaupt nichts. (D)
aber gekürzt, verschoben oder beerdigt worden ist. Fünf
Seiten haben wir zusammenbekommen. Universitäten und Hochschulen möchte ich erwäh-
nen; „BAföG“ ist das Stichwort. Frau Flach, Sie haben
Die frühkindliche Bildung ist schon genannt worden. bei Ihrer Prozentzahlenauflistung öfter die Zeit der Gro-
Auf die Zukunftskonten brauche ich nicht näher einzu- ßen Koalition für sich vereinnahmt, obwohl Sie als FDP
gehen: verschoben auf unbestimmte Zeit. Die lokalen immer gegen die Haushalte gestimmt haben.
Bildungsbündnisse – auch sie sind schon erwähnt wor-
den –: verschoben auf unbestimmte Zeit, in der mittel- (Ulrike Flach [FDP]: Aber wir waren immer
fristigen Finanzplanung für 2013. Damit erledigt sich für BAföG-Erhöhung!)
natürlich auch die Freigabe der Verpflichtungsermächti-
gungen. Das ist logisch. Es ist nichts da, was freigegeben Auch daran sei einmal erinnert: Wir haben BAföG-Erhö-
werden kann, weil kein Konzept vorliegt. hungen von 8 Prozent und 10 Prozent durchgesetzt, Sie
haben solche von 2 Prozent und 3 Prozent vorgesehen.
Das freiwillige technische Jahr wurde schon erwähnt.
Das war der Gipfel. 4 Millionen Euro waren vorgesehen. (Ulrike Flach [FDP]: Wir haben immer mitge-
Nach einem Jahr war ein Teilnehmer da. Jetzt sind wir stimmt!)
bei 31. Auch dieses Projekt wurde beerdigt. Das sollten Ob Sie es durchsetzen, werden wir heute sehen. Wenn
wir uns noch einmal in Erinnerung rufen. Sie die Länder hier nur beschimpfen, so wie ich es erlebt
Ich frage mich, wie es zu der Ankündigung kommt, habe, dann können Sie natürlich nicht erwarten, dass
die der Presse zu entnehmen war: In den nächsten Jahren heute Abend beim Vermittlungsausschuss ein vernünfti-
sollen 5 000 Lehrer mit Migrationshintergrund be- ges Ergebnis zustande kommt.
zahlt werden, die Unterricht erteilen sollen. – Ich bin ge- (Ulrike Flach [FDP]: Ach du liebe Güte!)
spannt, wie Sie es als Bund umsetzen wollen, dass 5 000
Lehrer bezahlt werden, wenn sich die Länder wieder da- Arbeiten Sie mit den Ländern zusammen! Ziehen Sie an
gegen sperren. einem Strang!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Rupprecht, es ist auch nicht so, dass es nur an
der LINKEN) den A-Ländern, also den SPD-geführten Ländern, liegt.
Viel besser wäre es, wir würden ein zweites Ganztags- (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]:
schulprogramm auflegen, Aber sie haben die Mehrheit!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5949
Klaus Hagemann
(A) Der Beschluss zum BAföG ist 16 : 0 gefallen. Er wurde mit der FDP, sondern in der Großen Koalition durchge- (C)
also von allen Ländern getragen, auch von Bayern, wo- setzt.
her Sie ja kommen.
(Ulrike Flach [FDP]: Aber ist das deshalb
(Beifall bei der SPD) schlecht?)
Zu Ihrem großspurigen nationalen Stipendienpro- – Nein. Aber weil Sie das herausgestellt und verein-
gramm, das auch noch sozial ungerecht ist. 10 Millio- nahmt haben, Frau Flach, und so getan haben, als ob Sie
nen Euro sind in diesem Jahr vorgesehen. Die Zustim- jetzt die größten Leistungen vollbringen – –
mung der Länder wurde erkauft, indem der Bund bereit
war, die Finanzierung zu 100 Prozent zu übernehmen. (Ulrike Flach [FDP]: Wir machen es!)
Sonst hätten Sie es bei den Ländern gar nicht durchbe- – Nein, das ist nicht so. Wir haben das in der Großen Ko-
kommen; auch das soll hier noch einmal erwähnt wer- alition auf den Weg gebracht, Sie haben dagegenge-
den. stimmt.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
(Ulrike Flach [FDP]: Nein! – Patrick
[SPD])
Meinhardt [FDP]: Nein!)
Frau Schavan hat die Internationalisierung ange-
Weiterhin sind der Cluster-Wettbewerb und das Ganz-
sprochen. Richtig, wir müssen wesentlich mehr interna-
tagsschulprogramm zu erwähnen. Was wurde dagegen
tional zusammenarbeiten. Schauen wir einmal auf den
polemisiert! Ich könnte noch viele weitere Programme
Titel für den Deutschen Akademischen Austauschdienst!
erwähnen.
Da ist ein Minus vorgesehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum
(Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/
Schluss darauf hinweisen: In Ihren Reden haben Sie,
DIE GRÜNEN])
liebe Frau Flach und hochverehrte Frau Ministerin, zum
Sie fahren die Mittel, die im Einzelplan 30 dafür vorge- Schluss immer wieder herausgestellt, dass Sie eine steu-
sehen sind, auswärtige Studenten einzuladen, hier zu stu- erliche Förderung von Unternehmen haben wollten, die
dieren, herunter. In diesem Jahr haben Sie entsprechende Forschung und Innovation betreiben. Heute war davon
Mittel schon im Einzelplan 05, dem des Auswärtigen nichts mehr zu hören, weder von Frau Flach noch von
Amtes, heruntergefahren. Es ist doch ein Widerspruch, Frau Schavan.
einerseits groß zu loben, wie toll das sei, aber anderer-
seits die Mittel nach unten zu fahren. Ankündigungen (Ulrike Flach [FDP]: Das ist der falsche Haus-
(B) und Wirklichkeit liegen bei Ihnen weit auseinander. halt!) (D)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich hatte Herrn Kampeter, den Staatssekretär im Finanz-
DIE GRÜNEN) ministerium, gefragt, wie weit man hierbei sei. Dieses
Vorhaben steht ja auch groß im Koalitionsvertrag. Er
In den Zeiten der Großen Koalition haben wir festge- sagte: Es liegt keine abgestimmte Vorlage vor. Ich muss
stellt, dass 18 000 Studienplätze Jahr für Jahr nicht besetzt Ihnen leider melden, dass das in nächster Zeit nicht ge-
werden. Deshalb sollte ein elektronisches Einschreibe- schehen kann.
bzw. Zulassungsverfahren eingeführt werden. Sie, Frau
Ministerin, haben versprochen – ich werde Sie noch häu- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
figer daran erinnern –, im Frühjahr 2011 solle das laufen.
Ich höre ganz andere Signale, nämlich dass es technisch Herr Kollege Hagemann.
wahrscheinlich nicht klappen werde. Auch die Universi-
täten winken ab. Das sei noch einmal erwähnt. Klaus Hagemann (SPD):
Kollege Kretschmer, Sie haben die nationalen Ge- Ich komme zum Schluss. – Als Tiger groß gestartet,
sundheitszentren angesprochen. Das ist eine positive noch nicht einmal als Bettvorleger gelandet. Das ist das
Sache, die wir in der Großen Koalition wie auch anderes Ergebnis Ihrer falschen Politik.
durchgesetzt haben. Aber keine Stellen für Führungspo- Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.
sitionen zu bewilligen, ist schon ein seltsamer Vorgang,
der hier erwähnt werden muss. Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schluss noch darauf hinweisen: Alle großen Projekte, die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie, Frau Flach, kurzerhand in Ihrer prozentualen Dar-
stellung vereinnahmt haben, wurden zu Zeiten durchge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
setzt, als die FDP nicht an der Regierung beteiligt war:
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Meinhardt von
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP-Fraktion.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Pakt für Forschung und Innovation – nicht von der FDP, Florian Pronold [SPD]: Jetzt sagen Sie einmal
sondern von Rot-Grün; Hochschulpakte I und II – nicht etwas zum Föderalismus!)
5950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

(A) Patrick Meinhardt (FDP): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (C)
Zum Föderalismus werde ich Ihnen gleich etwas er-
zählen. In diesem Zusammenhang ist natürlich das Thema
BAföG anzusprechen, das heute im Vermittlungsaus-
(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Priska schuss behandelt wird. Herr Hagemann, Sie haben vor-
Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hin pauschal die Finanzminister erwähnt. Ich erinnere
NEN]: Das war eher eine Drohung!) mich noch sehr genau an die Diskussion auf dem Bil-
dungsgipfel. Ich habe mir genau angehört, was von den
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehr-
sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gesagt wor-
ter Herr Präsident! Wenn man hier gerade zugehört hat,
den ist. Ich sage Ihnen: Die Äußerungen, die da gefallen
glaubt man wirklich, auf der falschen Veranstaltung zu
sind, hatten mehr mit Bildungsblockadepolitik zu tun als
sein. Ich möchte es noch einmal auf den Punkt bringen:
mit dem Willen, aufeinander zuzugehen. Diesen Punkt
7,2 Prozent Wachstum in diesem Haushalt. Gegenüber
muss man bei der Debatte über das BAföG ehrlicher-
2009 werden wir 20 Prozent bzw. über 2,1 Milliarden
weise erwähnen.
Euro mehr haben, die in Forschung und Bildung inves-
tiert werden. Wir werden in den nächsten vier Jahren in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
der Summe 12 Milliarden Euro mehr in Forschung in-
vestieren. Das ist die höchste Steigerungsrate, die es je in Herr Matschie hat heute Morgen in einem Interview
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gege- sehr dreist gefordert, dass der Bund heute Nachmittag
ben hat. Das lassen wir uns nicht kleinreden. anbieten solle, die Finanzierung des BAföG zu
100 Prozent zu übernehmen. In diesem Fall sei eine so-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) fortige Einigung möglich. Ich sage Ihnen dazu ganz klar:
Das ist nämlich eine grandiose Leistung dieses Hauses, So läuft das nicht. Ein Landesminister muss deutlich zei-
so etwas auf den Weg zu bringen. gen, dass ihm die Studierenden in seinem Land etwas
wert sind.
(Klaus Hagemann [SPD]: Auf dem Papier!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Bildungs- und Forschungspolitik ist unser Flagg-
schiff. Nehmen wir einmal die gesamten Ausgabepro- Wer sich vollständig in die Büsche schlägt, geht nicht in
gramme aus dem Bereich der Forschung: Die Hightech- Richtung einer Bildungspartnerschaft. Wir wollen solche
Strategie mit einem Volumen von 131 Millionen Euro im Bildungspartnerschaften bundesweit durchsetzen, in de-
Bereich der Förderinstrumente wird fortgesetzt; hierzu nen Bund, Länder und Kommunen die wichtigen Pro-
zählen der Spitzencluster-Wettbewerb – zentral wichtig –, jekte gemeinsam besprechen können.
(B) der Industrie-Forschungs-Campus und die Validierungs- Ich möchte in diesem Zusammenhang sehr bewusst (D)
forschung. Für Energieforschung und Gesundheitsfor-
schung sind im Rahmen der Forschungsförderung von die berufliche Bildung ansprechen. Wir wollen, dass
neuen Technologien 700 Millionen Euro vorgesehen. Deutschland ein Land der exzellenten Fachkräfte und ei-
Ebenfalls werden die Exzellenzinitiative, der Hoch- ner exzellenten beruflichen Bildung ist. Manch einer hat
schulpakt sowie der Pakt für Forschung und Innovation heute schon die OECD-Studie in einem Nebensatz ange-
bestens finanziell ausgestattet, und es wird ein Qualitäts- sprochen. Ich will es einmal auf den Punkt bringen: In
pakt „Lehre“ aufgelegt. Das ist eine dynamische Politik der letzten Woche hat die OECD-Studie bestätigt, dass
für einen modernen Forschungsstandort Bundesrepublik wir bei der beruflichen Bildung weltweit eine Führungs-
Deutschland, die die Koalition in diesem Haus vertritt. position einnehmen. Dies ist die Botschaft der OECD.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wider-
spruch des Abg. Willi Brase [SPD])
Dies wurde schon im Rahmen der Debatte über das
nationale Stipendienprogramm angesprochen: Wir Im Bereich der beruflichen Bildung werden wir weiter
wollen, dass Deutschland ein Land der Stifter und Sti- Akzente setzen: Aufstiegsstipendien, Bildungslotsen,
pendiaten wird. Dafür müssen wir aber noch einiges tun; Bildungsketten und lokale Bildungsbündnisse sind
denn alle Studien zeigen, dass die Stipendienkultur in Punkte, die von uns vorangebracht werden und die Sie
Deutschland noch unzureichend ist. Wir müssen hier während Ihrer Regierungszeit noch nicht einmal ansatz-
neue Impulse setzen. Deswegen ist es richtig, dass wir weise angepackt haben.
zusätzliche Aufstiegsstipendien im Bereich der berufli-
Wir wollen, dass Deutschland ein Land wird, in dem
chen Bildung ermöglichen.
die vorhandenen Initiativen auf vielfältige Weise voran-
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebracht werden. Ich zitiere aus der OECD-Studie „Bil-
NEN]: Das tun Sie doch gar nicht!) dung auf einen Blick“:
Deswegen ist es richtig, dass wir im Bereich der Begab- Die geplanten Maßnahmen, die zu jeweils unter-
tenförderungswerke vorangehen. Deswegen ist es rich- schiedlichen Zeitpunkten im Lebenslauf greifen
tig, dass wir ein nationales Stipendienprogramm aufle- sollen (also z. B. lokale Bildungsbündnisse zur Un-
gen, mit dem wir endlich erreichen, dass die Hoch- terstützung von Kindern und Jugendlichen in Risi-
schulen vor Ort darüber entscheiden können, wer eine kolagen), die Bildungsketten für den Übergang von
Förderung bekommt. Das ist ein durch und durch bil- der Hauptschule in den Beruf, aber auch das Natio-
dungssoziales Projekt dieser Bundesregierung. nale Stipendienprogramm … sind bestens geeignet,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5951
Patrick Meinhardt
(A) mehr Menschen Zugang zu höheren Bildungsab- des jüngsten Atomkompromisses, werden weitere Bun- (C)
schlüssen zu eröffnen. desländer folgen.
Das ist das Urteil der OECD über unsere Initiativen. Fazit: Trotz Aufwuches der Mittel verschärfen sich die
Grundprobleme des Wissenschaftssystems. Ein eindring-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) liches Beispiel dafür ist für mich folgendes Paradoxon:
Diese Koalition der Mitte macht Deutschland wirk- Trotz Exzellenzinitiative, Professorinnenprogramm und
lich fit für die Herausforderungen der Zukunft. Wir wol- Nachwuchsförderung im Rahmen der Exzellenzinitiative
len Bildungsgerechtigkeit in diesem Land schaffen und verschlechtern sich die Beschäftigungsbedingungen von
weiter ausbauen sowie Zukunftschancen ermöglichen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, insbeson-
Deswegen schließe ich meine Rede mit den Worten von dere des Nachwuchses, Jahr für Jahr.
Benjamin Franklin: (Beifall bei der LINKEN)
Eine Investition in Wissen bringt noch immer die Auf ihre Unterfinanzierung reagieren die Einrichtun-
besten Zinsen. gen nämlich, indem sie immer mehr befristete Verträge
Dafür steht diese Bundesregierung der Mitte. ausschreiben. 87 Prozent – wohlgemerkt, 87 Prozent –
der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Vielen Dank. in den Einrichtungen arbeiten heute auf der Grundlage
von Zeitverträgen. Tausende sitzen zu zweit auf einer
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Stelle; das wissen Sie alle. Eine Mehrheit wird schon gar
nicht mehr aus den Haushalten der Einrichtungen be-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zahlt, sondern aus eingeworbenen Mitteln, den soge-
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Petra Sitte von der nannten Drittmitteln. Das zwingt wissenschaftlichen
Fraktion Die Linke. Nachwuchs insgesamt natürlich in prekäre oder auch
unsichere Arbeitsverhältnisse. Sie haben praktisch per-
(Beifall bei der LINKEN) manent den Abbruch ihrer Berufslaufbahn vor Augen.
Jene, die sich über Stipendien finanzieren, fallen sofort
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): in Arbeitslosengeld-II-Bezug, wenn sie keine Weiterbe-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schäftigung finden. Ich frage Sie: Wie verlässlich ist
es bemerkt: Die Koalition versucht, aus einer großen denn das?
Zahl eine gute Nachricht zu machen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das neten der SPD und der Abg. Krista Sager
(B) (D)
ist es auch!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Bekanntermaßen bestehen aber die größten Haufen nicht Letztlich spitzen sich durch die Exzellenzinitiative
immer aus reiner Muttererde. die strukturellen Probleme der Nachwuchsförderung so-
gar noch zu. Sie haben jetzt 4 000 hochspezialisierte
(Beifall bei der LINKEN) Projektstellen geschaffen. Damit holen Sie 4 000 Men-
schen als zusätzliches Personal an die Hochschulen. Die-
Wenn nun trotz schwarz-gelber Sparpakete der Etat
ses und das bereits vorhandene Personal steuern aber auf
für Bildung und Forschung um mehr als 750 Millionen
ein Nadelöhr zu. Das sind die späteren Dauerstellen, die
Euro wächst, muss man ganz klar sagen: Das ist eine Re-
an den Hochschulen vorhanden bzw. nicht vorhanden
aktion auf angestaute Probleme. Vor dieser Kulisse er-
sind. Da gibt es keinen Aufwuchs. Deshalb werden viele
fahren viele auch, dass das wunderschöne Geld zu einem
von diesen zusätzlich Geförderten am Ende keine Be-
großen Teil nicht dort ankommt, wo es am dringendsten
schäftigung finden. Eine akademische Laufbahn bleibt
benötigt wird. Zu einem Großteil werden nämlich ein-
für diese hochqualifizierten Leute eben nicht planbar.
fach Programme fortgesetzt, die Bund und Länder ge-
Auch das widerspricht Ihrer Ansage. Auch das ist nicht
meinsam finanzieren, so etwa BAföG – das wurde schon
verlässlich.
erwähnt –, Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und ur-
sprünglich auch Ihr schönes nationales Stipendienpro- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
gramm für Leistungseliten. Den Hochschulpakt bei- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
spielsweise werden die Länder kaum weiter finanzieren GRÜNEN)
bzw. stärken können. So können am Ende zwar mehr
Studierende kommen, insgesamt aber verschlechtern Diese Sackgassen schrecken bekanntermaßen beson-
sich die Studienbedingungen. ders Frauen ab. Seit Amtsantritt der Bundesministerin
im Jahre 2005 wuchs der Frauenanteil bei Professuren
Letztlich verschiebt die Exzellenzinitiative grundsätz- jedes Jahr lediglich um ein mageres Prozentpünktchen.
liche und notwendige hochschulpolitische Entscheidun- 2009 lag er bei durchschnittlich 18,3 Prozent. Aber bei
gen erneut; denn an der Unterfinanzierung des Gesamt- den besserbezahlten W-3-Professuren liegt der Anteil
systems Wissenschaft ändert sich nichts. Stattdessen der Frauen nur bei 12 Prozent. Nun kann man sich aus-
haben jetzt schon drei Länder, nämlich Hessen, Schles- rechnen, wann in etwa wir damit im System Gerechtig-
wig-Holstein und Sachsen, Kürzungen angekündigt. keit für Frauen erreichen. Wir haben das einmal getan;
Konfrontiert mit Schuldenbremse und massiven Einnah- das Ergebnis ist: im Jahr 2042. So lange will ich gar
meausfällen infolge Ihrer Steuerpolitik, übrigens auch nicht leben. Wahrscheinlich werde ich es also nicht ein-
5952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Petra Sitte


(A) mal mehr erleben. Insofern ist die Situation völlig inak- für Zukunftsinvestitionen nach wie vor nicht genug Geld (C)
zeptabel. vorhanden ist.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – sowie bei Abgeordneten der SPD)
Patrick Meinhardt [FDP]: Sie wollen nicht bis
Die Menschen haben zu Recht dieses Gefühl: Den
2042 leben?)
Schülern fehlen Lehrer und individuelle Förderung. Die
Jetzt kommt die Krönung des Ganzen: Trotz dieser Eltern pochen auf bessere Lernbedingungen. Die Auszu-
gravierenden Defizite kürzen Sie den Titel „Strategien bildenden werden in Warteschleifen geparkt. Studie-
zur Durchsetzung von Chancengerechtigkeit für Frauen rende warten vergeblich auf zusätzliche Studienplätze
in Bildung und Forschung“ in diesem Haushalt radikal und auf Korrekturen beim Bologna-Prozess. Bei der
um über 20 Prozent. Ich muss Ihnen schon sagen: Dazu Weiterbildung bleiben wir bildungspolitisches Entwick-
fällt mir nichts mehr ein; es empört mich einfach nur lungsland. – Das ist die reale Mangelsituation in der ver-
noch. meintlichen, immer wieder vollmundig angekündigten
„Bildungsrepublik Deutschland“.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Welche Alternative besteht am Ende? Die Alternative Man kann sagen, dass jeder zusätzliche Cent für die
ist ein Wechsel ins Ausland; viele tun das schon heute. Bildung gut angelegt ist, wenn die Strukturen, die Quali-
Gerade jetzt ist wieder eine Debatte darüber entbrannt, tät und die Priorität stimmen. Schwarz-Gelb setzt aber
was Deutschland für einen Fachkräftemangel hat. Wir die falschen Prioritäten: Die starken Schultern werden
haben es auch hier mit einer absurden und konzeptions- gestärkt, die schwachen Schultern werden geschwächt.
losen Ausgabe von Steuergeldern zu tun. Das Symbol schlechthin für diese verfehlte Bildungs-
politik ist das Deutschlandstipendium, das nationale
Fazit. Die Linke fordert: Stipendienprogramm: in Zahlen gegossene Klientelpoli-
Erstens: eine klare Orientierung Ihrer Ausgabenpoli- tik à la FDP und CDU/CSU. Das muss man so deutlich
tik an den drängendsten Problemen der Wissenschafts- sagen. Auch wenn das Deutschlandstipendium über die
einrichtungen. Sommerpause offensichtlich zum Gartenzwergpro-
gramm geschrumpft ist, privilegieren Sie damit die Pri-
Zweitens: Der Bund muss den Ländern über höhere vilegierten in diesem Land.
Steueranteile die Sicherung der Grundausstattung ihrer
(B) (Patrick Meinhardt [FDP]: Ein soziales Finan- (D)
Hochschulen ermöglichen.
zierungssystem!)
Drittens – meine Kollegin hat damit geschlossen; Wir werden in ein paar Jahren hier diskutieren und er-
auch ich will es gerne tun –: Das Kooperationsverbot kennen: Es ist leider nicht gelungen, das, was die OECD
muss fallen, damit im Rahmen des Hochschulpaktes von uns erwartet, umzusetzen: Mit dem Programm wer-
zwischen Bund und Ländern endlich verlässliche Per- den nicht reihenweise Bildungstalente aus bildungsfer-
spektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs verein- nen Schichten gewonnen; es wird keine gerechtere Teil-
bart werden können. habe organisiert.
Danke schön. (Patrick Meinhardt [FDP]: Miesepetrige Argu-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mentationen!)
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Worin besteht eigentlich der volkswirtschaftliche Nutzen
GRÜNEN) – er ist Ihnen von der FDP immer besonders wichtig –,
wenn Sie diejenigen fördern, die sowieso studieren wür-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: den? Das bringt jedenfalls keine höheren Akademiker-
Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bünd- quoten.
nis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meinhardt [FDP]: Deutschland schlechtreden!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Studierende schlechtreden!)
Wer heute nur halbherzig in bessere Bildung investiert,
Die mickrige BAföG-Erhöhung hängt dagegen in
wird morgen Fachkräfte- und Akademikermangel sowie
der Warteschleife. Hier geht es um die bedürftigen Stu-
soziale Folgekosten ernten. Ich glaube, da sind wir Bil-
dierenden, um Bildungsaufsteiger gerade auch aus Ar-
dungspolitiker uns einig. Obwohl Ministerin Schavan
beiter- und aus Migrantenfamilien, die oftmals die ersten
bei diesem Haushalt und beim unsozialen schwarz-gel-
in ihrer Familie sind, denen der Zugang zur Hochschule
ben Spardiktat trotz Blessuren einigermaßen ungescho-
gelingt. Sie gehen möglicherweise leer aus.
ren davonkommt, haben die Leute in diesem Land das
Gefühl, dass viele Milliarden Euro für starke Lobby- Wir Grüne wollen nicht, dass am Ende die Botschaft
gruppen fließen – von den AKW-Betreibern bis hin zur ist: Mittel für Elitestipendien abgesegnet; BAföG auf Eis
Pharmaindustrie –, aber für Bildung und Hochschulen, gelegt. Das wäre unerträglich. Dass heute Abend im Ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5953
Kai Gehring
(A) mittlungsausschuss überhaupt dieses BAföG-Gefeilsche fen durch kluge Maßnahmen wie Mittagessen für alle. (C)
stattfindet, ist doch – das muss man ganz klar sagen – Darum sollten Sie sich kümmern und nicht um Chipkar-
eine Folge des monatelangen Missmanagements von ten, die wohl sowieso nicht funktionieren.
Frau Schavan,
Es muss einen wirksamen Hochschulpakt geben, der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutlich mehr Studienplätze schafft und die Lehr- und
und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Martina Studienbedingungen verbessert. Es muss Korrekturen
Bunge [DIE LINKE]) der Bologna-Reform geben, um ein gutes Studium für
alle zu ermöglichen.
die auf mehreren Bildungsgipfeln die Chance gehabt
hätte, zwischen Bund und Ländern zu verabreden: Ja, die (Patrick Meinhardt [FDP]: Das sieht man an
BAföG-Erhöhung kommt. Sie hätte gewaltiger ausfallen der verkorksten Bildungspolitik in Nordrhein-
können, wenn man den Quatsch mit dem nationalen Sti- Westfalen!)
pendienprogramm gelassen hätte,
Wir brauchen keine Deutschlandstipendien, wir brau-
(Patrick Meinhardt [FDP]: Linke Blockade- chen keine Studiengebühren, sondern wir brauchen die
politik!) überfällige BAföG-Erhöhung und eine insgesamt bes-
sere Studienfinanzierung. Dann können wir ernst damit
aber diese Bildungsgipfel sind sowieso eine Serie des
machen, dass eine Chance auf Bildungsaufstieg für alle
Scheiterns gewesen und keine Serie des beherzten Han-
ein zentrales Anliegen in unserem Land ist. Das ist eine
delns oder Lösens der Bildungsmisere in unserem Land;
Frage der Gerechtigkeit und der Integration. Das ist der
deshalb diese schlechte Bilanz.
beste Weg im Umgang mit dem Fachkräfte- und Akade-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mikermangel. Darum muss es jetzt gehen.
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn man den Haushalt von Schwarz-Gelb für den
Wer Arbeiter- und Migrantenkinder wirklich zu Bil- Bildungsbereich näher betrachtet, stellt man fest, dass er
dungsaufsteigern machen will, der muss die Hörsaaltü- eine traurige Leistung ist. Man sieht nämlich, dass Sie
ren weit öffnen, der muss junge Menschen einladen, der die Zukunftsfragen wieder einmal verschlafen und das
muss alle Hürden vor diesen Türen entfernen, statt diese Gemeinwohl ignorieren. Mit dem vorliegenden Haushalt
Türen zuzuschlagen. setzt Schwarz-Geld wieder einmal die falschen Prioritä-
ten.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Wir laden das Ar-
beiterkind zum Stipendium ein! Das ist das, Vielen Dank.
was Sie nie geschafft haben!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) (D)
Die Zahl der Studienanfänger ist gestiegen. Darüber und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
können wir uns gemeinsam freuen; aber das reicht nicht. LINKEN)
Die Absolventinnen- und Absolventenzahlen sind nach
wie vor zu gering, um die künftig freiwerdenden Stellen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
für Hochqualifizierte zu besetzen. Das Wort hat nun Albert Rupprecht für die CDU/
(Zuruf von der CDU/CDU: Ich denke, es gibt CSU-Fraktion.
keine Stellen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das ist das Problem. In den letzten zehn Jahren ist die
Zahl um bescheidene 0,9 Prozent pro Jahr gestiegen, im Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
OECD-Durchschnitt waren es 4,6 Prozent. Das heißt, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
wir sind bei weitem nicht schnell genug, und wir brau- Man kann über jede Einzelmaßnahme trefflich streiten.
chen dringend mehr Dynamik und höhere soziale Mobi- In der Tat erleben wir als Parlamentarier der Regierungs-
lität in unserem Bildungs- und Hochschulsystem. Darum fraktion, dass wir im Bereich der Forschung schlagkräf-
muss es jetzt gehen, weil der Bildungsaufstieg kein Hür- tig sind, dass wir Beschlüsse fassen können, dass es eine
denlauf, kein Durchqueren eines Nadelöhrs bleiben darf. Aufbruchstimmung in den Forschungsinstitutionen und
den Universitäten gibt und dass wir durchregieren kön-
Das heißt für uns, dass wir in unserem Land eben
nen. Wir erleben auch – das zu erwähnen, gehört zur
keine Bildungschipkarte für Nachhilfeinstitute und Co
Fairness dazu –, dass es im Bereich der Bildung länger
aus dem Hause von Frau von der Leyen brauchen,
dauert, manche Einzelmaßnahme zu beschließen, weil
(Zuruf von der SPD: Ja!) sie schlichtweg der Zustimmung der Länder bedarf.
sondern wir brauchen die besten Bildungsinstitutionen Herr Hagemann, Herr Rossmann – Herr Rossmann,
und Infrastrukturen, von der Kita über die Schule bis Sie sprechen im Anschluss an meine Rede –, ich möchte
zum dualen Ausbildungsbereich, der Hochschule und eine Frage an Sie richten.
der Weiterbildung.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ich wollte
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schon sagen: Ich habe noch gar nicht geredet!)
bei der SPD und der LINKEN)
Sie haben inzwischen die Mehrheit im Bundesrat. Sie
Mit einer Verbesserung der Bildungsinstitutionen und -in- haben die Möglichkeit, das Inkrafttreten zahlreicher Ge-
frastruktur lässt sich Bildungsarmut zielgenau bekämp- setzentwürfe zu verhindern. Werden die SPD-geführten
5954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Albert Rupprecht (Weiden)


(A) Länder das BAföG-Gesetz, das wir im Bundestag be- Verfügung gestellt wurden –, oder die Mittel für die Res- (C)
schlossen haben und das eine Erhöhung der BAföG- sortforschung, dann kommen wir bei den Forschungs-
Sätze vorsieht, mittragen? Werden Sie organisieren, dass und Bildungsausgaben auf eine Steigerung um 2,3 Mil-
die SPD-geführten Länder das heute beschließen wer- liarden Euro gegenüber dem Vorjahr. Ich sage es noch
den? einmal: Rot-Grün hat in sieben Jahren 1 Milliarde Euro
mehr zur Verfügung gestellt, wir stellen dagegen in ei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nem Jahr 2,3 Milliarden Euro mehr bereit.
Patrick Meinhardt [FDP]: Blockierer!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Man kann über jede Einzelmaßnahme trefflich strei-
ten. Aber Sie müssen der Fairness halber auch zugeste- Das ist Fakt. Ich behaupte: Sie reden viel, Sie fordern
hen, viel, aber wir handeln.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ein albernes (Lachen bei Abgeordneten der SPD)
Spiel! Immer über den anderen her!) Schauen wir uns die Studierenden an: Diesbezüglich
dass der Haushalt ein historisches Spitzenniveau erreicht haben Sie während Ihrer Regierungszeit kaum etwas zu-
hat. Zum Vergleich: In der Regierungszeit von Rot-Grün stande gebracht. 2005, unter Rot-Grün, wurden für die
unter Kanzler Schröder haben Sie in sieben Jahren den Studienfinanzierung im Haushalt 1,1 Milliarden Euro
Etat lediglich um 1 Milliarde Euro erhöht. zur Verfügung gestellt. Wir haben die Mittel für die Stu-
dienfinanzierung unter Kanzlerin Merkel seit 2005 um
(Ulla Burchardt [SPD]: Weil Sie das sage und schreibe 53 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro er-
verhindert haben!) höht. Das ist der substanzielle, der wesentliche Unter-
schied.
Wir erhöhen unter Kanzlerin Merkel selbigen Etat in nur
fünf Jahren um über 4 Milliarden Euro. Ihr damaliger (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
Kanzler Schröder hat Bildungspolitik als Gedöns be- ruf der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf]
zeichnet. [SPD])
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist – Das sind Fakten, Kollegin Schieder. – Unter Ministerin
einfach falsch!) Schavan haben wir Aufstiegsstipendien eingeführt, das
BAföG massiv erhöht und anderes mehr.
Er hat Lehrer – was vollkommen inakzeptabel ist – als
faule Säcke beschimpft. Herr Rossmann, ich bitte Sie noch einmal, im An-
schluss an meine Rede zu sagen, was die Position der
(Zurufe von der SPD) SPD-geführten Länder ist. Gibt es eine Mehrheit für die
(B) (D)
BAföG-Erhöhung? Die Studenten in diesem Land war-
– Das ist Fakt. Die Richtlinien der Politik bestimmen die ten darauf. Wir von der Bundesregierung und der Regie-
Kanzler. Unter Kanzlerin Merkel haben wir erreicht, rungskoalition stehen dazu.
dass Bildung und Forschung absolute Priorität genießen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ähnlich verlief es beim Bologna-Prozess. Sie haben
Frau Flach hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die- unter Rot-Grün die Bologna-Reform beschlossen, für die
ser Bereich höchste Priorität genießt und höchste Zu- Umsetzung im Jahr 2005 aber nur magere 9 Millionen
wächse verzeichnet – das Niveau ist historisch –, und Euro im Haushalt vorgesehen.
das in Zeiten, in denen auch das Sparen eine historische
Dimension erreicht hat. Wir müssen 80 Milliarden Euro (Ulla Burchardt [SPD]: Das ist doch Quatsch! Frau
einsparen. Das gab es im Nachkriegsdeutschland noch Schavan hat die Mittel alle einkassiert!)
nie. Das ist ein Kraftakt. Das ist es, was wir im Augen- Wir haben das Bologna-Hochschulgesamtpaket inzwi-
blick schultern. schen auf sage und schreibe 780 Millionen Euro erhöht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist nach Adam Riese eine Steigerung um 8 500 Pro-
zent. Das ist eine ganz andere Dimension als das, was
Das zeigt auch der Haushalt 2010. Ich sage es noch ein- Sie bis 2005 zustande gebracht haben.
mal: Wir können gerne über jede Einzelmaßnahme strei-
ten; aber es gehört zur Fairness dazu, dass Sie diese his- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
torische Dimension und diese Priorität akzeptieren. Geld allein garantiert aber noch keine gute Bildungs-
politik.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das
muss auch einmal gesagt werden!) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ach! Guck mal da! Guten Mor-
Wir steigern das Volumen des Haushalts der Ministe- gen!)
rin Schavan gegenüber dem Vorjahr um 7,2 Prozent. Das
ist ein Riesenanstieg. Rechnen wir die Bildungs- und Man muss Bildungspolitik auch inhaltlich gut machen.
Forschungsausgaben, die in anderen Ressorts stecken, Auch hier sprechen die Fakten Bände: In den Bundeslän-
hinzu, zum Beispiel das Bildungspaket für Kinder, deren dern, in denen CSU und CDU seit langem regieren, ha-
Eltern Hartz IV beziehen – in den nächsten Wochen kön- ben wir ausgezeichnete Ergebnisse: in Bayern, in Baden-
nen wir gerne über die konkrete Umsetzung streiten; zu- Württemberg und in den neuen Bundesländern Sachsen
nächst einmal ist aber festzustellen, dass die Beträge zur und Thüringen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5955
Albert Rupprecht (Weiden)
(A) (Willi Brase [SPD]: Warum habt ihr denn dann Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
in Bayern verloren?) Das Wort hat nun Ernst Dieter Rossmann für die
Dort, wo SPD, Grüne und Linke seit langem das Sagen SPD-Fraktion.
haben, sind die Ergebnisse schlichtweg katastrophal: in (Beifall bei der SPD)
Bremen, in Brandenburg und in anderen Ländern. Den
Schaden haben die Kinder.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
GRÜNEN]: Das ist selbst aus Sicht der CSU Rupprecht, bei Ihnen ist mir zu viel Selbstgerechtigkeit
sehr einfach gestrickt!) im Spiel.

Kinder in Brandenburg sind nicht dümmer als Kinder (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
in Bayern oder Sachsen. Schuld an den schlechten Er- LINKEN)
gebnissen ist ausschließlich die miserable Bildungspoli-
tik der SPD-Ministerpräsidenten und der roten bzw. grü- Das können wir aufzeigen, wenn wir darauf hinweisen
nen Bildungsminister in den letzten 20 Jahren. – wir erinnern nicht immer wieder daran; aber Sie pro-
vozieren es ja –, wo wir 1998 nach Kohl/Rüttgers stan-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den. Edelgard Bulmahn hat zusammen mit Gerhard
Schröder unter Rot-Grün das Wachstum in Bezug auf
Auch die jüngsten Studien bestätigen diese These. Es Bildung und Forschung eingeleitet. Dann ist es unter
gibt einen Riesenunterschied zwischen unionsgeführten Schwarz-Rot weitergegangen, und es geht auch bei Ih-
Ländern und SPD-geführten Ländern. Schüler in SPD-
nen unter Schwarz-Gelb weiter. Das sollte man anerken-
geführten Ländern sind auf dem Bildungsniveau italieni-
scher Schüler, während Schüler in Sachsen, Bayern und nen. Aber auch Sie sollten anerkennen, was unter Rot-
Baden-Württemberg auf Augenhöhe mit den Spitzenrei- Grün eingeleitet worden ist und dass wir insgesamt in ei-
tern Finnland und Kanada sind. Auch das ist Fakt. ner positiven Entwicklung sind. Solange Sie diese
Selbstgerechtigkeit immer wieder ausstrahlen, wird es
Von wegen Ihre Schulpolitik helfe den Schwachen in nichts mit der gemeinsamen „Bildungsrepublik Deutsch-
der Gesellschaft: Das ist wohl eine Mär. Der jüngste land“.
Ländervergleich zeigt das Gegenteil. Auch Migranten-
kinder und Arbeiterkinder schneiden in Bayern und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sachsen wesentlich besser ab als in Bremen und in Bran- DIE GRÜNEN)
(B) denburg. (D)
In Bezug auf die Länder könnte man auch fragen:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was ist denn in Hamburg? Wir mögen es ja bedauern,
dass die CDU jetzt schon ziemlich lange in Hamburg re-
Linke Bildungsideologien, antiautoritäre Erziehung, giert. Weshalb sparen Sie Hamburg aus? Weil die Ham-
Gesamtschule und anderes mehr haben auf ganzer Breite burger und auch die Bayern wissen, dass dort Größen
versagt. Das zeigt auch die aktuelle Integrationsde- wie Arbeitslosigkeit und Einwanderungsanteil sowie die
batte. Vor zehn Jahren haben Sie von Rot und Grün
Struktur der Großstadt und die anderen Voraussetzungen
Edmund Stoiber als ausländerfeindlichen Rassisten be-
in ländlichen Räumen eine Rolle spielen. Sie praktizie-
schimpft, weil er gefordert hat, dass jedes Kind, das eine
deutsche Schule besucht, die deutsche Sprache beherr- ren hier eine zu billige Selbstgerechtigkeit, womit Sie
schen muss. Inzwischen, im Jahr 2010, ist diese Forde- unter Ihrem Niveau bleiben.
rung Allgemeingut und wird von allen geteilt. Aber wir (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
haben wertvolle Jahre verloren. Sie haben mit ihrer lin- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ken Multikulti-Ideologie den Kindern in unserem Lande
geschadet. Weil ich nicht in den gleichen Duktus verfallen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- möchte, unternehme ich an dieser Stelle den Versuch, bei
neten der FDP) Ihnen Nachdenklichkeit an zwei Punkten jenseits der Fi-
nanzdebatte zu erzeugen. Frau Schavan, wir hatten das
gemeinsame Ziel „Bildungsrepublik Deutschland“, wo-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bei 3 Prozent für die Forschung und 7 Prozent für die
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Bildung bereitgestellt werden sollten. Mir ist aufgefal-
len, dass diese beiden Zahlen hier heute keine Rolle
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): mehr spielen. Das liegt wohl daran, dass im OECD-Be-
richt, den Sie so positiv angesprochen haben, in Bezug
Letzter Satz. – Sehr geehrte Damen und Herren, die
auf Bildung steht, dass wir bei 4,7 Prozent sind. Der
jahrzehntelangen Experimente linker Bildungsideolo-
Durchschnitt liegt deutlich höher. Das wollen wir ge-
gen sind gescheitert. Das zeigen die Ländervergleiche in
Deutschland ganz klar. meinsam ändern. Aber mit dieser Beschimpfung von
Ministerpräsidenten und Ländern ändern Sie es nicht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) DIE GRÜNEN)
5956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) Sie brauchen einen neuen Geist, sodass sich Bund, Län- den. Das verträgt sich auch nicht damit, dass in anderen (C)
der und Kommunen in der Bildungsrepublik gemeinsam Ressorts dieser Regierung die Wartefristen für Altbewer-
engagieren. ber, die Sprachkurse belegen wollen, mittlerweile auf ein
halbes Jahr anwachsen sind und dass 20 000 Personen
(Patrick Meinhardt [FDP]: Wenn es einer auf entsprechende Angebote warten. Sie haben auch die
schafft, dann diese Koalition!) Aufgabe, dem Anspruch des Anerkennungsgesetzes ge-
Natürlich gehört zu diesem gemeinsamen Geist, dass recht zu werden, für eine bessere Förderung von Integra-
Sie die Finanzierungsprobleme am Ende nicht bei Kom- tion, für die Grundbildung und für die Förderung von
munen und Ländern abladen, die dann nur noch in einer Hochqualifizierten zu sorgen. Diesem Anspruch wird die
Notwehrreaktion das aufkündigen können, worüber ei- Bundesregierung mit diesem Haushalt aber nicht ge-
gentlich Konsens bestand. Wir beobachten leider – das recht.
wird auch auf Ihrer Seite nicht mit Freude verfolgt –,
Sie haben in Bezug auf die Umsetzung des Verfas-
dass der Finanzierungskonsens jetzt nicht mehr überall
sungsgerichtsurteils hinsichtlich der Teilhabe von Bil-
besteht, sondern dass die Länder sagen: Bund, dann fi-
dungsärmeren eine lange Linie zu verfolgen. Sie können
nanzierst du alleine Stipendien und Hochschullehre.
beispielsweise bedenkenlos ein Schulsozialarbeitspro-
Herr Rehberg, ich glaube, auch Sie finden es nicht gut,
gramm auf den Weg bringen, weil wir zum Glück das
dass die Länder auf einmal sagen: Bund, finanziere al-
Bundesjugendhilferecht haben. Sie haben auch die Auf-
leine.
gabe, so etwas wie das Schüler-BAföG nicht zu ignorie-
Wie kommen wir wieder zu dem Konsens, dass es ren; denn das Schüler-BAföG ist eine gezielte Förderung
eine gemeinsame Aufgabe, eine gemeinsame Verantwor- der Aufstiegswilligen, die aus materiellen Gründen nicht
tung und auch eine gemeinsame Finanzierung gibt? Weil so leicht wie andere zum Abitur gelangen können.
Sie das einfordern, sage ich: Wir von der SPD-Fraktion
erwarten und hoffen, dass das Vermittlungsverfahren zu (Beifall bei der SPD)
dieser kleinen BAföG-Erhöhung führt. Ich will das an einem weiteren Feld, am Fachkräfte-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ mangel, verdeutlichen. In diesem Bereich haben wir
CSU und der FDP) zwei Probleme. Wir haben das ganz große Problem der
1,5 Millionen beruflich nicht Qualifizierten unter 30 Jah-
Wir werden dann hinterher darüber streiten dürfen, ob ren. Das verträgt sich nicht damit, dass der mühsam
alle beteiligten Seiten, der Ministerpräsident von Bayern durchgesetzte Rechtsanspruch auf das Nachholen eines
wie alle anderen, dazu beigetragen haben; aber wir be- Schulabschlusses von dieser Regierung zu einer Ermes-
treiben keine Vorverurteilung. Und dies sollte ein erster sensleistung herabgesetzt worden ist. Sie als Bildungs-
(B) Beitrag zur neuen Konsensbildung sein. ministerin müssten vielmehr für den Bestand eines (D)
Rechtsanspruchs werben.
Ich möchte ein Zweites in die Debatte einbringen.
Wir stellen fest, dass sich in den parteiübergreifend ge- (Beifall bei der SPD)
wachsenen Initiativen in Bezug auf die Forschungsorga-
nisationen und die Forschungsförderung, die in der Um noch einen draufzusetzen: Sie müssen dafür wer-
Summe quasi 4 Milliarden Euro blank zugeschrieben be- ben, dass es diesen Rechtsanspruch auch in Bezug auf
kommen, eine Stimmung aufbaut, Frau Schavan, durch eine Ausbildung gibt, damit nicht 1,5 Millionen Men-
die infrage gestellt wird, ob der eingeschlagene Weg schen in ein Berufssystem gelangen, in dem sie ohne Be-
vom Stil her immer kooperativ ist. rufsausbildung keine Chance haben. Das ist Ihre Auf-
gabe.
Als Schleswig-Holsteiner weiß ich, dass die Notret-
tung der Medizinischen Fakultät der Universität zu Nun zum nächsten Punkt, zur Hochschule. Hoch-
Lübeck okay war. Was das aber bei der Leibniz-Gemein- schulpakt und Exzellenzinitiative erkennen wir an. Wie
schaft an Verbitterung und bei der Max-Planck-Gesell- ist es aber mit den Rechnungen? Herr Kretschmer, Frau
schaft an Alarmierung ausgelöst hat, das müssen Sie Schavan, Ihnen wird das aufgefallen sein: Frau Schavan
wieder einfangen. Es geht nicht, dass sozusagen par sprach von 2 Milliarden Euro in Bezug auf den Pakt für
ordre du mufti in einer souveränen Wissenschaftsorgani- eine gute Lehre. Herr Kretschmer, Sie sprachen von
sation die Anteile hin- und hergeschoben werden. Auch 1 Milliarde Euro. Wir sollten so ehrlich sein und sagen:
das muss wieder ins Lot gebracht werden, dies gilt auch Es sind 200 Millionen Euro im Jahr, und das ist zu we-
für andere Themen und zwar in der Sache und in der nig.
Konzeption. Dies will ich an mehreren Beispielen ver-
deutlichen, bei denen es um lange Linien geht. Natürlich Wir müssen an das anknüpfen, was uns der Wissen-
sind wir der Meinung, dass sich Anspruch und Wirklich- schaftsrat ins Stammbuch geschrieben hat. Wenn wir die
keit an den aktuellen und zukünftigen Bildungsaufgaben Hochschulen in die Lage versetzen wollen, mehr Men-
bewahrheiten müssen. schen zu einem erfolgreichen Studienabschluss zu füh-
ren, dann müssen wir die Chance nutzen und dort nach-
Wenn wir für Grundbildung und Integration sind, legen. Dann müssen wir darüber diskutieren, wie wir den
dann verträgt sich das nicht damit, dass gleichzeitig die Bund und die Länder mit Blick auf die Einnahmeseite in
Mittel für die nachträgliche Qualifizierung von zuge- die Lage versetzen, einen entsprechenden Ausbau vorzu-
wanderten Hochqualifizierten im Haushalt des Bundes- nehmen und garantieren zu können, dass man nicht beim
ministeriums für Bildung und Forschung gekürzt wer- Bachelor hängen bleibt, sondern dass sich die Master-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5957
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(A) Perspektive eröffnet. Auch dies wollen wir Ihnen als Die Gerechtigkeit für nachfolgende Generationen ist (C)
langfristige Linie mit ans Herz legen. sichergestellt, wenn wir vom Verschuldungspfad weg-
kommen. Allerdings, Kollege Rossmann, kann ich mich
Eine abschließende Bemerkung: Herr Meinhardt, noch gut der Debatte vor der Sommerpause entsinnen.
Frau Flach, Sie haben sich ziemlich lautstark über das Damals gab es ein Papier der A-Länder und ein Papier
neue Stipendiensystem echauffiert. Das hat mich ein biss- der B-Länder, und letztlich sind die B-Länder auf das
chen gewundert, weil ich immer dachte, dass Sie aus so- Papier der A-Länder „aufgesprungen“. Aber dass es nur
zialliberaler Zeit den Grundkonsens kennen, den wir in um A- und B-Länder geht, so einfach ist es nicht. Es gibt
Deutschland in Bezug auf die Bildungsförderung hatten. Schwarz, Rot, Gelb und Grün.
Dieser Grundkonsens war: Wir wollen Chancengleich-
heit; deshalb müssen die Fördermittel dahin fließen, wo (Zuruf von der SPD: Ach! Echt?)
die Voraussetzungen nicht gegeben sind.
– Ja. – Die Entscheidung ist damals 16 : 0 ausgegangen.
(Patrick Meinhardt [FDP]: So ist es!) Ich wiederhole: 16 : 0. Ich sage das an dieser Stelle aus
folgendem Grund – ich habe ihn der Kollegin Hinz
Das hatten wir als Grundkonsens beim BAföG, beim schon zugerufen –: Ich habe vielleicht ein wenig Ver-
Meister-BAföG und in der gesamten Bildungsförderung. ständnis dafür, dass die Länder, als es um das nationale
In Bezug auf die Stipendien wird dieser Grundkonsens Stipendienprogramm ging, aus politischen Gründen eine
nun aufgekündigt, Blockadehaltung eingenommen haben.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist eine blanke (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
Lüge!) [SPD])
indem Sie lauthals dafür kämpfen, dass auch diejenigen, Wenn man aber beim Thema BAföG anfängt, um Um-
die es nicht nötig haben, im Sinne von Chancengleich- satzsteuerpunkte zu feilschen,
heit gefördert zu werden, zusätzliche Mittel bekommen,
obwohl dies weder sachgerecht noch sozial notwendig (Ulrike Flach [FDP]: Oh ja! – Iris Gleicke
ist. [SPD]: Das ist den unionsregierten Ländern ja
vollkommen fremd, nicht wahr?)
Die Kollegen von den Grünen haben Ihr Stipendien-
programm als „Gartenzwergförderung“ bezeichnet. Frau und wenn man den seit Jahrzehnten bestehenden Grund-
Schavan hat dieses Stipendienprogramm einmal als „Re- konsens – 65 Prozent Bund, 35 Prozent Länder – auf-
volution“ bezeichnet. Dazu kann ich nur feststellen: Es gibt, dann muss ich Ihnen sagen: Hier machen alle
ist die Revolution der Gartenzwerge, die an dieser Stelle 16 Bundesländer eine Politik auf dem Rücken der Stu-
(B) in der „Bildungsrepublik Deutschland“ stattfindet. dierenden. Ich glaube, ein solches Vorgehen darf dieses (D)
Haus insgesamt nicht tolerieren.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der SPD)
Angesichts dessen, was der eine oder andere Redner
gesagt hat, sehe ich eine weitere Gefahr.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Eckhardt Rehberg für die (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch!)
CDU/CSU-Fraktion.
Ihrer Rede, Kollege Rossmann, stimme ich in vielen Tei-
(Beifall bei der CDU/CSU) len zu, in einem Teil allerdings nicht, nämlich was den
Qualitätspakt Lehre betrifft. Wir müssen an dieser
Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Stelle aufpassen und sehr wohl auch deutlich machen:
Was ist Aufgabe der Gebietskörperschaften, der Kom-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
munen,
Herren! Kollege Rossmann, sicher kann man Selbstge-
rechtigkeit verbal darstellen. Nur, Fakten sind Fakten. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja, genau!)
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na!) was ist Aufgabe der Länder und wofür ist der Bund zu-
ständig? Sie wissen genauso gut wie ich: Bei der Vertei-
Die Fakten sind nun einmal so, dass bei PISA und im lung – 90 Prozent Bund, 10 Prozent Länder – gab es
Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirt- aufseiten der Länder großes Potenzial.
schaft
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein! Es
(Zurufe von der SPD: Oh! – Ui!) sind 100 Prozent!)
überraschenderweise die gleichen vier Länder vorne lie- – Ja, Sie haben recht: Letztendlich sind es 100 Prozent.
gen. Das hat Ursachen, und die muss man nennen.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!)
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja! Das hat
aber nichts mit dem Haushalt zu tun! – Priska Nur, eines darf in dieser Republik nicht geschehen:
Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass sich die Länder bei der Bildungspolitik in die Bü-
NEN]: Aber zehn Jahre CDU und FDP sind sche schlagen, und das in weiten Teilen auf Kosten und
auch nicht gut!) zulasten des Bundes. Dem sollten wir fraktionsübergrei-
5958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Eckhardt Rehberg
(A) fend entschieden entgegentreten, meine sehr verehrten lagenforschung und auf der anderen Seite nur die anwen- (C)
Damen und Herren. dungsorientierte Forschung. Es gibt bei den einzelnen
Schritten immer wieder Überlappungen. Deswegen glaube
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ich, dass wir an dieser Stelle auch deshalb, damit wir in die-
Da wir über Bildungs- und Forschungspolitik reden, sem Bereich weiter vorankommen, neue Schritte und neue
sage ich Ihnen: Ich glaube, dass Bundesmittel dort, wo Wege gehen müssen.
es möglich ist, eingesetzt werden sollten – das Koopera- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tionsverbot ist, wie es ist –, zum Beispiel für die berufli-
che Bildung. Im Bildungsbericht der OECD wurde fest- Das DIW sagt, Deutschland sei Weltspitze bei for-
gestellt, dass 80 Prozent der Schüler ohne Schulab- schungsintensiven Industrien. Die Evaluierung zeigt – ich
schluss in Übergangssystemen landen. glaube, das ist das Entscheidende; hierauf müssen wir
viel mehr Wert legen, und hierum müssen wir uns viel
Herr Rossmann, zu dem Gedanken, den Sie im Zu- mehr kümmern –, was mit dem einen Euro passiert, den
sammenhang mit dem Hauptschulabschluss geäußert wir als Bund in Forschung und Bildung investieren. Wenn
haben, sage ich Ihnen: Es muss nicht etwa ein Rechtsan- ich mir den Bereich der Forschung anschaue, dann muss
spruch her, sondern man braucht intelligente Systeme für ich als Haushälter Ihnen sagen: Im Bereich der Forschung
Jugendliche, die keinen Schulabschluss erwerben, aus sind wir sehr erfolgreich. Bei KMU-innovativ – Quelle ist
welchem Grund auch immer. In meinem Heimatland Frau Hinz mit ihrer Berichtsanforderung – haben wir ei-
sind es leider 13,7 Prozent der Jugendlichen; wir sind da nen Mittelaufwuchs von 9 Prozent in sieben Technologie-
Spitzenreiter. Man braucht Systeme, die relativ geringe feldern zu verzeichnen. Die Evaluierung hat gezeigt, dass
Kosten verursachen, aber 80 Prozent der Jugendlichen in es hier eine Hebelwirkung gibt: Pro Projekt werden fünf
einem Jahr zum Hauptschulabschluss führen. Ein Bei- neue Arbeitsplätze geschaffen. Ähnlich ist es bei dem
spiel hierfür sind Produktionsschulen, Träger: CJD. sehr erfolgreichen Programm ZIM. Oder nehmen Sie da-
(Beifall des Abg. Uwe Schummer [CDU/ neben die Hebelwirkung bei den Innovationsallianzen:
CSU]) Auch hier bedeutet 1 Euro vom Bund 5 Euro von der
Wirtschaft.
In diesen Schulen werden, wie gesagt, 80 Prozent der Ju-
gendlichen in zwölf Monaten zum Hauptschulabschluss Kollege Rossmann, Sie heben darauf ab, wie wir die
geführt. Von diesen Jugendlichen wiederum wird mehr Prozentziele erfüllen wollen. Der Bund steht – das scheint
als jeder Zweite in eine betriebliche Ausbildung vermit- mir an dem einen oder anderen von der linken Seite voll-
telt. kommen vorbeizugehen – zu seinen Zusagen. Die mittel-
fristige Finanzplanung macht es deutlich: 12 Milliarden
(B) Mein Appell, auch als Haushälter, ist: Wir müssen die Euro mehr für Bildung und für Forschung. Jetzt sind Län- (D)
Effizienz kontrollieren. Wir müssen evaluieren und der, Kommunen und Wirtschaft, die ganze Gesellschaft,
überlegen: Wo erreichen wir mit dem geringsten Mittel- gefordert, damit wir das 10-Prozent-Ziel erfüllen. Das ist
einsatz die besten Effekte? Kollege Schummer und ich nicht nur Bundessache, das ist gesamtdeutsche Sache.
haben uns ein solches System angesehen. In ganz
Deutschland gibt es übrigens etwa 40 solcher Produk- Danke schön.
tionsschulen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur Forschung sa-
gen. Ich verstehe überhaupt nicht, was man gegen Dritt- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
mittel haben kann. Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-
(Klaus Hagemann [SPD]: Wieso?) gin Petra Sitte.

– Kollege Hagemann, Frau Kollegin Sitte hat doch ein


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Plädoyer gegen Drittmittel gehalten.
Das darf nicht unwidersprochen im Raum bleiben. Ich
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Das habe habe nicht gegen Drittmittel gesprochen. Ich habe ver-
ich nicht!) sucht, aufzuzeigen, dass Drittmittel an den Hochschulen
in den letzten Jahren in drei Bereichen tendenziell dazu
Drittmittel sind eine Möglichkeit, eine Anregung und beigetragen haben, dass Kernaufgaben der Hochschulen
natürlich auch ein Stück weit ein Zwang, dass sich Wis- nicht mehr aus deren Haushalten finanziert werden.
senschaft und Wirtschaft zusammentun, gemeinsam for-
schen, gemeinsam arbeiten und dass die Ergebnisse ho- Erstens werden Drittmittel, also eingeworbene Mittel,
noriert werden, damit sie sozusagen on top sind. Dass immer mehr dazu genutzt, vorherige Kürzungen an den
dann mehr Wissenschaftler eingestellt werden können, Hochschulen bzw. Wissenschaftseinrichtungen zu kom-
ist doch eine vernünftige Sache. pensieren, oder die Finanzminister reagieren in den Län-
dern auf zusätzlich eingenommene Drittmittel, indem sie
Ich bitte auch darum, dass wir die Korridorförderung die Mittel in den Haushalten der Hochschulen reduzie-
bzw. – neudeutsch – die Validierungsförderung im ren.
Haushaltsausschuss noch einmal sehr intensiv diskutie-
ren. Es ist heute nicht mehr klassisch zwischen dem For- Zweitens. Ich habe den wissenschaftlichen Mittelbau
schungsministerium und dem Wirtschaftsministerium zu angesprochen, der vor allem aus wissenschaftlichem
trennen. Es gibt nicht auf der einen Seite nur die Grund- Nachwuchs besteht. Da mittlerweile 57 Prozent dieses
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5959
Dr. Petra Sitte
(A) Mittelbaus nicht mehr aus den Haushalten der Hoch- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
schulen finanziert werden, läuft eine Kernaufgabe der Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
Hochschulen, nämlich die Nachwuchsförderung, Gefahr, nicht vor.
verloren zu gehen.
Wir kommen damit zu dem Geschäftsbereich des
Drittens will ich auf ein grundsätzliches Problem hin- Bundesministeriums für Gesundheit.
weisen: Mit der Drittmittelforschung verschiebt sich im-
Das Wort hat der Bundesminister für Gesundheit,
mer mehr der Akzent von der Grundlagenforschung zur
Philipp Rösler.
anwendungsorientierten Forschung und hin zur Anwen-
dungsforschung.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
Das ist das dreigefächerte Problem, das wir mit den Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Drittmitteln haben. Prinzipiell ist gegen Drittmittel gar Damen und Herren! Der Einzelplan 15 umfasst einen
nichts einzuwenden; aber die gegenwärtige Tendenz ist Gesamtetat von 15,8 Milliarden Euro. Dabei ist der
so, dass hochschulpolitische Entscheidungen immer mehr größte Anteil der steuerliche Bundeszuschuss zur gesetz-
durch das Bemühen überlagert werden, an Drittmittel he- lichen Krankenversicherung in Höhe von 15,3 Milliar-
ranzukommen, und die eigentlichen wissenschaftsimma- den Euro. Deswegen ist es notwendig, bei der Haushalts-
nenten, wissenschaftsgetriebenen Entwicklungen nicht beratung zum Einzelplan 15 auch auf die Finanzlage der
mehr Grundlage einer Entscheidung sind. Das ist das Pro- gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt zu blicken.
blem, das ich damit verbinde und das man einfach einmal
benennen und zur Kenntnis nehmen muss. Wir müssen Man kann zunächst einmal feststellen, dass die gesetz-
einmal schauen, welche Tendenz das in der Perspektive liche Krankenversicherung gut durch die Krisenjahre ge-
für die Hochschulen, für deren Profilierung und für den kommen ist, jedenfalls vergleichsweise gut. Das ist – zu-
Nachwuchs bedeutet. gegebenermaßen – ein Stück weit eine Leistung der alten
Bundesregierung, aber auch eine Leistung der neuen Bun-
(Beifall bei der LINKEN) desregierung. „Vergleichsweise“ heißt, dass wir, wenn wir
so weitermachen würden wie bisher, im nächsten Jahr ein
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Milliardendefizit zu erwarten hätten. Ein solches Defizit
würde die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt
Kollege Rehberg, Sie haben Gelegenheit zur Re- gefährden.
aktion.
Deswegen zwei Dinge zu dem Defizit selbst: Zum ei-
nen kommt dieses Defizit aufgrund der schlechteren
Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
(B) Jahre 2008 und 2009 zustande, ist also krisenbedingt. (D)
Frau Kollegin Sitte, wenn ich mir anschaue, was der Zum anderen ist dieses Defizit aber auch durch fehlende
Bund den Forschungseinrichtungen an Verlässlichkeit bie- strukturelle Veränderungen in den letzten neun Jahren
tet – einen jährlichen Aufwuchs von 5 Prozent für die begründet. Ein Teil des Defizits ist also immer auch Er-
Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft usw. –, gebnis neunjähriger verfehlter sozialdemokratischer Ge-
dann kann ich Ihre Argumentation überhaupt nicht ver- sundheitspolitik.
stehen. Die Kritik, die die Länderministerien betrifft,
bringen Sie bitte dort an, wo sie angebracht ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/
Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen, bei dem DIE GRÜNEN]: Aber Sie machen es noch
das BMBF Grundlagenforschung und anwendungsorien- schlimmer!)
tierte Forschung verbunden hat: Das BMBF fördert mit
dem Projekt POLAR gemeinsam mit der Universität Ich komme gleich noch zu den Zahlen.
Rostock und mit 14 kleinen und mittelständischen Un- Die gute Nachricht des Tages ist: Die christlich-libe-
ternehmen Werften in Mecklenburg-Vorpommern. Es rale Koalition ist angetreten, um dieses Defizit gar nicht
geht um LNG-Tanker, um Module in der Arktis. Das ist erst entstehen zu lassen, also für das kommende Jahr
eigentlich Validierungsförderung, das ist Korridorförde- auszugleichen. Dabei werden alle Beteiligten gleicher-
rung. Wenn das BMBF nicht gesagt hätte, es würde das maßen in Anspruch genommen: Arbeitgeber, Arbeitneh-
Projekt unterstützen, hätte es den Verbund von KMU mer, und zwar durch die Rückführung des Krankenversi-
und Wissenschaft nicht gegeben. cherungsbeitrages auf das Niveau von vor der Krise, die
Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe überhaupt nicht die Leistungserbringer im System, Ärzte, Zahnärzte, Apo-
Gefahr, dass Forschung und Wissenschaft zu anwen- theker, Krankenhäuser, die Krankenkassen und natürlich
dungsorientiert werden. Nein, ganz im Gegenteil: Als In- auch die Pharmaindustrie.
genieur, als Techniker freue ich mich darüber, dass wir Aber eine Gruppe wird nicht zum Ausgleich des Defi-
viel stärker von der reinen Grundlagenforschung sowie zits herangezogen. Das sind die Patientinnen und Patien-
der reinen Anwendungsforschung wegkommen und dass ten, die eben nicht durch höhere Zuzahlungen wie Pra-
hier mehr Synergieeffekte entstehen. Aus meiner Sicht xisgebühr oder weitere Zusatzbeiträge in Verantwortung
sind Drittmittel als Projektförderung genau der richtige genommen werden.
Weg.
(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Es gibt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) doch höhere Zusatzbeiträge!)
5960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) Das zeigt, dass dieses System funktioniert, dass die Star- wie die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversi- (C)
ken, nämlich die Gesunden, durch ihre Beiträge sicher- cherung.
stellen können, dass die Schwächeren, nämlich die Kran-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ken, immer und zu jeder Zeit die notwendigen Leistungen
erhalten. Das zeigt nicht nur die Solidarität des Systems, Alle Maßnahmen, die wir auf den Weg bringen, sollen
sondern auch die Ausgewogenheit unseres Sparpaketes ihren Beitrag zum Defizitausgleich für die Jahre 2011 und
für das Jahr 2011 und auch für das Jahr 2012. 2012 leisten. Vor allem aber geben sie uns Zeit für struk-
turelle Änderungen im Gesundheitssystem, um langfris-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tig die Finanzierung stabilisieren zu können. Das ist Ih-
Ihre Kritik gerade an den Sparmaßnahmen zum nen in den letzten Jahren eben nicht gelungen. Denn zu
Thema Arzneimittelpreise finde ich bemerkenswert. Ich Recht fordern die Menschen eine Entkopplung der
meine, wenn jemand keine Kritik üben dürfte, dann wä- Krankenversicherungskosten von den Lohnzusatzkosten
ren das die Vertreter von SPD und Grünen. (Elke Ferner [SPD]: Die Menschen fordern
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das nicht! Die Arbeitgeber fordern das!)
DIE GRÜNEN – Maria Anna Klein-Schmeink und damit die Aufhebung der Konjunkturanfälligkeit,
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wie wir sie in den Jahren 2008 und 2009 erleben muss-
wohl unverschämt!) ten, sowie gleichzeitig den Einstieg in ein wettbewerbli-
Die Linken haben nie regiert, und sie werden auch nie cheres System durch einkommensunabhängige Beiträge
regieren. und mehr Solidarität durch einen steuerfinanzierten So-
zialausgleich.
(Lachen bei der LINKEN) Dass wir dazu bereit sind, erkennen Sie auch im
Man kann den Kollegen also keinen Vorwurf machen, Einzelplan 15 schon bei den Haushaltsberatungen zum
wenn sie nicht versucht haben, die Pharmaindustrie in Haushalt 2011. Denn anders als in der mittelfristigen Fi-
den Griff zu bekommen. Aber Sie haben eine Zeit lang re- nanzplanung ausgewiesen, steigt der steuerliche Bundes-
giert, und Sie haben rein gar nichts erreicht, wenn es da- zuschuss von 13,3 Milliarden Euro um 2 Milliarden Euro
rum geht, die Pharmapreise in irgendeiner Form in den auf 15,3 Milliarden Euro. Das ist zum einen für den Aus-
Griff zu bekommen. Erinnern wir uns nur daran, wie Frau gleich gedacht, zum anderen ist es aber auch für den
Fischer als grüne Gesundheitsministerin einmal versucht steuerfinanzierten Sozialausgleich vorgesehen. Das zeigt,
hat, an die Pharmaindustrie heranzugehen. Herr Schröder dass die Menschen zu Recht fordern, dass wir das Sys-
hat dann zu einer weinseligen Runde im Kanzleramt ein- tem der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisieren.
(B) geladen, und herausgekommen sind 400 Millionen Euro. Genau das wird diese Regierungskoalition für das Jahr (D)
Netto waren es 200 Millionen Euro. Selbst wenn Sie es in 2011, aber auch für die Folgejahre auf den Weg bringen,
D-Mark umrechnen würden, würden Sie nicht in Ansät- und zwar nicht nur für diese Legislaturperiode, sondern
zen an die 2 Milliarden herankommen, die diese Regie- weit darüber hinaus.
rungskoalition allein in diesem und im nächsten Jahr der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Pharmaindustrie nimmt, um sie für die gesetzlich Versi-
cherten zu sichern. Auch wenn die Zahlen im System, die den eigentli-
chen Haushalt des Einzelplans 15 betreffen, nicht an die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Größenordnung von 15,3 Milliarden Euro herankom-
Mechthild Rawert [SPD]: Noch haben sie men, lohnt es sich, finde ich, sie in den Blick zu nehmen.
nichts!) Obwohl wir die Sparvorgaben des Finanzministeriums
Wenn wir die Maßnahmen loben würden, dann wäre nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt haben – Sie kennen
das nicht überraschend; wir haben sie schließlich auf den den Begriff „Plan übererfüllt“ –,
Weg gebracht. Aber dass sie offenbar wirken, erkennen (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das haben Sie ja
Sie daran, dass die private Krankenversicherung nicht meistens nicht!)
nur die gleichen, sondern dieselben Instrumente fordert,
die die gesetzliche Krankenversicherung hat, um die haben wir auch Ausgabensteigerungen in für uns we-
Arzneimittelpreise zu kontrollieren. Ich halte es aus- sentlichen und wichtigen Bereichen durchgesetzt, zum
drücklich für gerechtfertigt, diese Instrumente auf die Beispiel bei der Bekämpfung von Krebs. Auch bei der
private Krankenversicherung zu übertragen. Man muss Einführung der Versorgungsforschung – das ist, glaube
sich schon sehr über Ihre Lesart der deutschen Gesund- ich, ein wichtiges Thema – kennen wir uns zwar bei den
heitspolitik wundern. Einzeltherapien gut aus; aber beim Ineinandergreifen der
unterschiedlichen Therapien und Sektoren gibt es noch
Wir sagen zu Recht: Wir sind für mehr als 80 Millio- einiges zu erforschen, wie auch in dem wichtigen Be-
nen Versicherte in Deutschland verantwortlich und zu- reich Krankenhaushygiene. Hier geht es insbesondere
ständig. Dazu gehören die 70 Millionen gesetzlich Versi- um die Frage der Bekämpfung von Arzneimittelresisten-
cherten, aber auch die über 8 Millionen privat versicher- zen. Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass man tragi-
ten Menschen. Auch das sind ganz normale Menschen, sche Ereignisse, die sich aktuell abgespielt haben, nicht
zum Beispiel Beamte des einfachen und mittleren Diens- nur kurzfristig in der Öffentlichkeit bedauert, sondern
tes. Es ist gerechtfertigt, dass diese Menschen genau die- langfristig Maßnahmen zur Verbesserung der Kranken-
selben Möglichkeiten der Kostenkontrolle bekommen haushygiene ergreift.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5961
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
(A) Ich will mich ausdrücklich bei den Regierungsfraktio- turpolitik und die Reformen der letzten Jahre gespro- (C)
nen bedanken, die nicht nur die Mittel dazu zur Verfü- chen. Ich war überrascht, zu sehen, dass die Union die
gung stellen, sondern gleichzeitig bei dem wichtigen Kritik an den eigenen Gesetzen beklatscht hat. Zum
Ziel, Resistenzen bundesweit und weltweit zu bekämp- Schluss ist das Ihre Entscheidung. Aber ich glaube, dass
fen, auch Initiativen auf den Weg bringen, um die Län- alles, was wir – auch in der Großen Koalition – gemacht
der mit ins Boot zu holen. haben, im Vergleich zu dem, was wir heute beobachten,
noch feines Handwerk gewesen ist.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Abschließend möchte ich noch eine Ausgabe hervor- (Beifall bei der SPD – Jens Spahn [CDU/
heben, die zwar nur einen kleinen Etatansatz ausmacht, aber CSU]: Bis jetzt wollen Sie es doch immer
politisch ungemein wichtig ist, und zwar 400 000 Euro rückgängig machen!)
für die Verbesserung der Organspendebereitschaft in Ich will versuchen, das zu begründen und darzulegen.
Deutschland. Ich will nicht nur die Leistung von Frank- Was beobachten wir derzeit? Wir sehen eine breite Kritik
Walter Steinmeier, sondern auch die Vorbildfunktion, die an der Art und Weise, wie Politik funktioniert: Stutt-
er dadurch für Deutschland hat, persönlich ausdrücklich gart 21 und die Atommauscheleien der Bundeskanzlerin.
anerkennen und mich an dieser Stelle bei ihm dafür be- Die Bürger sind der Meinung, dass die Politik das, was
danken, sie wünschen, nicht komplett umsetzt. Wir sehen das
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten derzeit nirgendwo klarer als in der Gesundheitspolitik.
der CDU/CSU und der SPD) Was will der Bürger beispielsweise in der Arzneimittel-
politik? Der Bürger will sichere und preiswertere Arz-
dass dadurch das Thema Organspende auf die Tagesord- neimittel. Er hat auch recht. Wir lesen im Arzneiverord-
nung gesetzt wurde. Dabei spielen nicht nur die von uns nungs-Report erneut, dass mehr als 9 Milliarden Euro
finanzierten Kampagnen eine Rolle; vielmehr ist es in pro Jahr bei gleichwertiger Versorgung gespart werden
der Gesundheitspolitik, die sich nicht nur mit Finanzie- könnten, wenn die Preise in Deutschland genauso nied-
rungsfragen beschäftigen darf, unsere gemeinsame Auf- rig wären wie in Schweden. Aber die Preise in Deutsch-
gabe, dafür zu sorgen, dass das wichtige Thema Organ- land sind höher. Was legt denn der Minister vor, um die
spende ernst genommen und ernsthaft diskutiert wird Preise zu senken? Wir sehen erst einmal Ausnahmerege-
und die Menschen in Deutschland entsprechend versorgt lungen. Bei seltenen Arzneimitteln und seltenen Krank-
werden. Auch das gehört zur Haushaltsberatung dazu; heiten soll die Kosten-Nutzen-Relation überhaupt nicht
denn es heißt nicht umsonst, dass Haushaltsberatungen geprüft werden, egal wie teuer die Medikamente sind. Es
in Zahlen gegossene Politik sind. Politik heißt Stabilisie- soll zahlreiche Ausnahmen für kleine Bereiche geben.
rung der Systeme, aber auch Erfolge für die Menschen in Wer definiert, was ein kleiner Bereich ist? Die Kosten- (D)
(B) diesen Systemen.
Nutzen-Prüfung soll nach einer Rechtsverordnung
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. durchgeführt werden, die vom Ministerium selbst
kommt. Hier ist die Staatsmedizin vom Ministerium vor-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) geschlagen, um der Arzneimittelindustrie einen Gefallen
tun zu können.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Beifall bei der SPD)
Das Wort hat nun Kollege Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion. Ich bitte Sie: Machen wir uns nichts vor! Worauf wird
das hinauslaufen? Das wird darauf hinauslaufen, dass
(Beifall bei der SPD)
die Preise weiter steigen und nicht sinken.
Dr. Karl Lauterbach (SPD): (Jens Spahn [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herr Singhammer hat bereits in einem Interview in einer
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst Offenheit, für die man schon fast danken muss, gesagt,
möchte ich im Namen meiner Fraktion darauf hinwei- dass andere Aspekte wie Erfahrungen mit der Anwen-
sen: Wir werden uns gegenüber allen parteiübergreifen- dung von Arzneimitteln berücksichtigt werden sollen.
den Initiativen offen zeigen, die zum Ziel haben, bei der Genau das sind die Vorschläge des VFA; das sind die
Organspende die bestehenden Verfahren zu verbessern. Vorschläge der Lobbygruppen im System. Daher hat es
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. mich gar nicht überrascht, dass hier vom Verband For-
Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]) schender Arzneimittelhersteller abgeschrieben wurde.
Wir werden auf Gruppenanträge hinarbeiten. Hier darf (Jens Spahn [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)
Parteipolitik keinen Platz haben. Hier müssen die Effi-
Das ist eine neue Qualität der Lobbypolitik. Die Vor-
zienz und die Qualität im System verbessert werden. Wir
schläge werden nicht übernommen, sondern abgeschrie-
werden unseren Beitrag dazu leisten. Auch bei der
ben. Der Staatssekretär Bahr, dem man das wirklich
Krankenhaushygiene müssen wir zu übergreifenden
nicht gönnt, musste vor der Presse und in der Öffentlich-
Lösungen kommen. Bund und Länder müssen zusam-
keit argumentieren, die Lobbygruppe habe beim Minis-
menarbeiten.
ter abgeschrieben und habe ihm einen Formulierungs-
Ich komme zum eigentlichen Thema. Der Minister vorschlag vorgelegt, den man zuvor beim Minister
hat die Haushaltsdebatte verbreitert und über die Struk- abgeschrieben habe. Aber weshalb legt man dem Minis-
5962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Karl Lauterbach


(A) ter vor, was man bei ihm selber abgeschrieben hat? Kein sind die Vorschläge der privaten Assekuranz, die Sie hier (C)
Schüler lügt so plump. umsetzen.
(Heiterkeit bei der SPD) Wir sehen Rosinenpickerei: Schon nach einem Jahr
mit einem besseren Verdienst kann der junge Gesunde
Das ist so ähnlich, wie wenn der Schüler sagt, der Lehrer das System und die gesetzliche Krankenversicherung
habe bei ihm abgeschrieben. verlassen. Das ist der Vorschlag der privaten Kranken-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der versicherung, den Sie zum Gesetz machen. Die Versi-
LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- cherungspflichtgrenze wird herabgesetzt, sodass der
NISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn Wechsel schneller vonstatten geht, und alle Zusatzversi-
[CDU/CSU]: Sie beleidigen den eigenen Intel- cherungen können nur noch durch die privaten Kranken-
lekt!) versicherungen selbst angeboten werden. Der Wettbe-
werb wird eingeschränkt. Das ist Lobbypolitik pur. Das
Angesichts dessen muss man sich Sorgen um die Quali- sind genau die Vorschläge der privaten Assekuranz. Da-
tät der Pressearbeit im Haus machen. Man muss tatsäch- her muss man sich nicht wundern, wenn man als das ge-
lich darüber nachdenken, ob die Pressestelle der sehen wird, was man ist: eine kleine Klientelpartei, die
Aufgabe noch gewachsen ist oder eher zur Politikver- nicht die Interessen der Bürger vertritt.
drossenheit beiträgt. Wenigstens die Art und Weise, wie
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
der Bürger an der Nase herumgeführt wird, sollte eine
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
gewisse Qualität haben, wenn schon die Gesetze keine
GRÜNEN)
haben; das ist die Wahrheit.
Ehrlich gesagt, ist das auch kein großer Wurf für die
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiter- CDU/CSU, denn der CDU/CSU wird dies mittelfristig
keit bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ mehr schaden als der FDP. Von der FDP wird eine Poli-
CSU]: Der Professor verkündet die Wahrheit!) tik zugunsten der Privatversicherten erwartet, aber von
Herr Spahn, die Wahrheit ist die folgende: Es sind die Ihnen nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Vorschläge, die der Verband Forschender Arzneimittel- Sie treten als Volkspartei auf, vertreten aber die Interes-
hersteller schon vor Jahren auch uns vorgetragen hat, als sen einer kleinen privilegierten Gruppe und wollen das
wir in der Großen Koalition waren. Es sind die alten als Politik fürs Volk verkaufen. Damit kommen Sie nicht
Vorschläge. Es ist alter Wein in neuen Schläuchen. durch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Erklären Sie uns (Beifall bei der SPD)
(B) doch mal Ihren Antrag!) Ich will dazu ein Beispiel bringen: Wenn (D)
Es ist Klientelpolitik pur, ohne Ausnahme. Es ist für den 100 000 junge Menschen zusätzlich in das private Sys-
Verbraucher kein Gewinn, wenn er erfährt: Ich konnte tem wechseln, dann werden der gesetzlichen Kranken-
zwar den Nutzen des Medikaments nicht für Sie prüfen, versicherung pro Jahr 600 Millionen Euro fehlen. Mehr
aber es ist immerhin eine seltene Krankheit. – Was hat als eine halbe Milliarde Euro wird fehlen. Dieses feh-
der Bürger davon? lende Geld wird in Beitragssatzerhöhungen und in Zu-
satzbeiträgen münden, die Sie vornehm „einkommens-
(Heiterkeit bei der SPD) unabhängige Zusatzprämie“ nennen. Dieses Geld wird
im System fehlen; das ist das Resultat der Klientelpoli-
Überlegen Sie sich: Mit welcher Begründung werden die tik. Die Klientelpolitik geht zulasten von 90 Prozent der
Kosten-Nutzen-Prüfung und die Nutzenprüfung ausge- Beschäftigten, von 90 Prozent der Versicherten.
setzt, wenn die Krankheit selten ist? Wer definiert, was
eine Ausnahme ist? – Wir brauchen eine ehrliche und (Jens Spahn [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)
transparente Kosten-Nutzen-Bewertung, ohne Ausnah- Dafür werden diese bürgerliche Koalition und die Regie-
men, ohne Wenn und Aber, von Wissenschaftlern vorge- rung die Quittung bekommen.
nommen, und nicht eine gesundheitspolitische Bewer-
tung von Minister Rösler oder seinen Mannen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz
Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
GRÜNEN])
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich komme zum Bereich der privaten Krankenver-
sicherung. Hier muss man sagen, dass die Entbürokrati- Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
sierung und die Herstellung von Transparenz bei der Kollegen Daniel Bahr.
Lobbypolitik tatsächlich stattgefunden haben. Da wurde
das Ganze zusammengebracht. Es wird nicht von den Daniel Bahr (Münster) (FDP):
Lobbyisten abgeschrieben; der Lobbyist arbeitet im Lieber Herr Kollege Lauterbach, Sie haben in Ihrer
Ministerium. Herr Weber von der privaten Assekuranz Rede kurz zu dem Vorwurf in der Frage Stellung bezo-
ist im Haus auf Staatskosten eingestellt; daher muss gen, ob das Ministerium vom Verband Forschender Arz-
nicht abgeschrieben werden, und die Vorschläge sind neimittelhersteller abgeschrieben habe oder nicht. Man
entsprechend. Das hören Sie ungern, aber es ist so. Das muss sich vielleicht die Zeit nehmen, die beiden Papiere
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5963
Daniel Bahr (Münster)
(A) nebeneinander zu legen. Man wird dann sehr genau Dr. Karl Lauterbach (SPD): (C)
sehen, dass der Vorwurf nicht zutrifft. Der Verband For- Mit der Kritik an den Journalisten wäre ich sehr vor-
schender Arzneimittelhersteller hat in der Tat einen For- sichtig. Ich glaube nicht, dass ein Journalist zwei Texte,
mulierungsvorschlag vorgelegt, und zwar für eine Ver- die nebeneinander liegen und deren Wortlaut er verglei-
ordnung, die im Bundesgesundheitsministerium noch chen kann, missversteht. So dumm ist kein Journalist.
gar nicht erarbeitet wurde. Hier gibt es noch gar keinen
Entwurf, also konnten wir auch nirgendwo anders ab- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Aber Sie
schreiben. anscheinend!)
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) Sie, Herr Bahr, führen aus, dass Sie Geld sparen wol-
len. Wir lesen aber nur von Ausnahmeregelungen. Es
In diesem Vorschlag wird aber auf die Formulierung gibt Ausnahmeregelungen für seltene Erkrankungen, de-
Bezug genommen, die schon im Gesetzentwurf vom ren Behandlung sehr teuer sein kann. Ich nenne Ihnen
Juni stand. Hier haben die Journalisten in der Tat vergli- ein Beispiel. Die rheumatischen Erkrankungen sind rela-
chen. Sie dachten, der eine hätte vom anderen abge- tiv seltene Erkrankungen. Lupus ist zum Beispiel eine
schrieben. Es ist vielleicht so, dass andere Journalisten seltene Erkrankung. Das Medikament zur Behandlung
gern von einer Falschmeldung abschreiben. dieser Krankheit kostet aber fast 100 000 Euro pro Jahr.
Ich will Ihnen aber auch in der Sache begründen, wa- Die Vorschläge der Pharmaindustrie gehen in diese
rum das völliger Unsinn ist. Wir machen ein Arznei- Richtung. Sie können doch den Vorwurf nicht ausräu-
paket, dessen Ziel es ist, dass die Ausgaben sinken. men, dass die Vorschläge der Pharmaindustrie, die sich
Glauben Sie ernsthaft, dass wir bei einem solchen Paket in Ihrem Gesetzentwurf wiederfinden, letztendlich das
mit diesem Ziel ein Interesse daran haben könnten, dass Sparpaket belasten werden.
nachher ein pharmafreundlicher Weg eingeschlagen Ich habe vorhin Herrn Singhammer zitiert. Herr
wird, auf dem den Pharmaunternehmen Gewinne er- Singhammer selbst sagt, dass die Anwendungserfahrun-
leichtert werden? gen mit dem Medikament berücksichtigt werden sollen.
(Widerspruch bei der SPD) Das ist genau das, was die Pharmaindustrie wünscht. Es
soll nicht streng geprüft werden, ob ein Medikament
Zweitens. Was haben wir konkret vorgesehen? Sie ha- wirkt, sondern festgestellt werden, welche Erfahrung der
ben das kritisiert. Wir sehen vor, dass diese Verordnung Arzt mit der Anwendung hat. Darauf läuft Ihr Vorschlag
vom Bundesministerium für Gesundheit erarbeitet wird. hinaus.
Das ist übrigens ein Verfahren, das auch in unseren
Nachbarländern üblich ist; denken Sie an Großbritannien Daher sage ich voraus – ich würde mich freuen, wenn
(B) und Frankreich. Die SPD hat, als wir über die Kosten- es anders käme –, dass das keine Einsparungen bringen (D)
Nutzen-Bewertung und die Nutzenbewertung diskutiert wird. Sie können nicht davon ausgehen, dass Sie Einspa-
haben, was sehr lange gedauert hat – Sie werden sich da- rungen erzielen, wenn Sie die Wünsche der Pharma-
ran erinnern; denn Sie haben das kritisiert –, gesagt, dass industrie zum Gesetz machen.
es besser sei, wenn das Bundesministerium für Gesund-
heit die Kriterien vorgebe, damit der Prozess schnell in (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was machen Sie
Gang komme. Weil genau das unser Interesse ist – wir denn für die Importeure? Ihre Anträge für die
haben aus den Erfahrungen anderer Länder gelernt –, ha- Importeure sind Lobbypolitik pur! Es ist ein
ben wir es für besser gehalten, dass das Bundesministe- Skandal, was Sie da vorlegen! Für das Saar-
rium für Gesundheit diese Verordnung formuliert. Diese land ein Sondergesetz!)
wird in den nächsten Monaten erarbeitet. Sie können
dann vergleichen, wer von wem abgeschrieben hat. Sie Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
können die Verordnung danach beurteilen, ob sie gut ist Das Wort hat nun Kollege Johannes Singhammer für
oder nicht. die CDU/CSU-Fraktion.
Wir haben überhaupt kein Interesse daran, mit diesen
Maßnahmen die Arzneimittelausgaben steigen zu lassen Johannes Singhammer (CDU/CSU):
und etwas vermeintlich Pharmafreundliches zu tun. Wir Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
haben einen Herstellerrabatt in einer ungewöhnlichen ren! Wir in der christlich-liberalen Koalition haben die
Höhe vorgesehen, was Sie sich damals nicht getraut ha- Versorgung von 70 Millionen gesetzlich Krankenversi-
ben. Wir sorgen dafür, dass das einseitige Preisdiktat der cherten und fast 10 Millionen privat Versicherten wieder
Pharmaindustrie der Vergangenheit angehört und wir ei- auf eine sichere, feste und nachhaltige finanzielle
nen wirklichen Preiswettbewerb bekommen. Setzen Sie Grundlage gestellt.
also nicht solche unglaublichen Behauptungen in die
Welt, die den Tatsachen nicht entsprechen! (Lachen bei der SPD – Mechthild Rawert
[SPD]: Das ist ein Wunschtraum!)
Danke für die Aufmerksamkeit.
Wir haben mit den massivsten Einsparungen bei den
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ausgaben für Arzneimittel seit Bestehen der Bundes-
republik Deutschland erstmals einen Gesamtsparbetrag
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: von 2 Milliarden Euro erzielt. Gleichzeitig haben wir si-
Das Wort zur Reaktion hat Kollege Lauterbach. chergestellt, dass die Patientinnen und Patienten in
5964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Johannes Singhammer
(A) Deutschland mit den besten und nicht mit den zweitbes- desministerium vorzusehen. Die Grundsätze des Bewer- (C)
ten Arzneimitteln und Therapien versorgt werden. tungsverfahrens sollen darin geregelt werden; sie sind es
noch nicht, aber sie werden es. Auf der Grundlage von
Vor vier Monaten – vielleicht erinnert sich der eine Transparenz werden Fristen, Übergangsregelungen, al-
oder andere daran – gab es eine große öffentliche Dis- les, was man in diesem Zusammenhang braucht, darin
kussion über ein abgrundtiefes Finanzloch in der gesetz- geregelt.
lichen Krankenversicherung. Man sprach von einem
Schlund geradezu apokalyptischen Ausmaßes, der die Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Lauterbach.
gesetzliche Krankenversicherung zu verschlingen Wider besseres Wissen haben Sie hier wiederum den
drohte. Heute wissen wir, dass die gesetzliche Kranken- Eindruck zu erwecken versucht, als sei das ein besonde-
versicherung auf einem sicheren Fundament steht und res Einknicken vor der Pharmalobby.
die Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht sind.
Wir haben das mit einer gerechten, durchdachten und zu- (Elke Ferner [SPD]: Er wusste, was er tat! –
kunftsweisenden Neuausrichtung des Gesundheitswe- Gegenruf der Abg. Ulrike Flach [FDP]: Das
sens, mit effizienten Sparmaßnahmen, aber auch mit bezweifle ich!)
einer ausgewogenen Beteiligung aller Partner an den Herr Kollege Lauterbach, glauben Sie wirklich, dass
Kosten erreicht. eine Koalition, die wie keine andere Zwangsrabatte,
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz wird Preismoratorien erlassen hat – keineswegs zum allge-
allein jedes versicherte Mitglied in der gesetzlichen meinen Beifall dieser Industriebranche; keiner hätte das
Krankenversicherung im kommenden Jahr, 2011, um in dieser Höhe erwartet –, weich wie eine Mittelmeer-
40 Euro entlastet. Dazu kommt eine Reihe weiterer qualle auf die Pharmalobby reagiert? Doch bestimmt
Sparmaßnahmen, deren Wirkungen in diesem Betrag nicht! Wir tun nicht der Pharmalobby einen Gefallen,
noch gar nicht eingerechnet sind, zum Beispiel 300 Mil- sondern es sind die Patientinnen und Patienten, denen
lionen Euro durch günstigere Impfstoffe, 400 Millionen wir einen Gefallen tun wollen.
Euro durch günstigere Bedingungen im Pharmagroß- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
handel. Zu nennen sind auch andere Bereiche, etwa
300 Millionen Euro durch geringere Verwaltungskosten Wie soll das Verfahren denn anders ablaufen? Auch
bei den Krankenkassen. Das heißt, es ist nicht nur über das muss man einmal feststellen: Die Alternative ist,
Sparen geredet worden, sondern nachprüfbar kommen dass der Gemeinsame Bundesausschuss sich eine Ver-
bei jedem versicherten Mitglied in der gesetzlichen fahrensordnung gibt, die später durch das Ministerium
Krankenversicherung die Einsparungen im kommenden genehmigt wird. Das dauert. Das wird dadurch nicht bes-
ser. Besser, schneller, berechenbarer ist eine Verordnung
(B) Jahr an. durch das Ministerium. Wir wollen erreichen, dass eine
(D)
(Beifall bei der CDU/CSU) solche Verordnung zeitgleich mit dem Arzneimittel-
Aber wir bleiben nicht beim Sparen stehen. Wir wol- marktneuordnungsgesetz zum 1. Januar in Kraft tritt; da-
len, dass diese Diskussion einmal im Jahr über eine Welle bei ist nichts Anstößiges.
von Steigerungen und Preiserhöhungen nicht mehr in die- (Beifall des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP])
ser Regelmäßigkeit stattfindet. Deshalb muss künftig der
zusätzliche Nutzen von neuen Medikamenten nachge- Darüber begrenzen wir aber auch die vorhergesagten
wiesen werden. Deshalb verändern wir die Grundstruk- Ausgabensteigerungen in den anderen Bereichen im Ge-
tur, sodass für neue Arzneimittel nur dann ein höherer sundheitswesen. Lassen Sie mich jetzt ganz klar sagen:
Preis gezahlt werden kann, wenn auch ein tatsächlicher, Anders als bei den Arzneimitteln, wo wirklich Ein-
nachgewiesener zusätzlicher Nutzen für den Patienten schnitte und Einsparmaßnahmen verfügt werden, wo es
besteht. Ein gleicher Nutzen im Medikamentenbereich Rückgänge gibt, wird den Ärzten und Krankenhäusern
reicht nicht, sondern das Medikament muss besser wir- nichts weggenommen.
ken, schneller wirken, hilfreicher sein. Die Zuwächse können nicht so fortgesetzt werden,
Früher – das darf ich hier auch einmal sagen – galt wie es in den vergangenen Jahren war, aber es gibt keine
Deutschland als die Apotheke für die Welt. Wir wollen, Einschnitte, keine Nullrunden, keine Rückgänge. Das ist
dass zu Medikamenten, vor allem den neuesten, den in- auch richtig und notwendig; denn bei den Krankenhäu-
novativsten, den besten, auch denjenigen, die am teuers- sern liegt der Personalkostenanteil beispielsweise bei
ten zu entwickeln sind, Forschung und Produktion wie- über 60 Prozent. Wir wollen den Krankenschwestern,
der vermehrt in Deutschland stattfinden. Wer das nicht die die Patienten gut und aufopferungsvoll versorgen,
will, wer etwas dagegen hat, soll sich hier melden. Wir nicht den Lohn kürzen.
wollen, dass die Arbeitsplätze in Deutschland bleiben (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/
und teure Medikamente nicht importiert werden müssen. DIE GRÜNEN]: Doch genau das tun Sie!)
Im Mittelpunkt der Neuregelung des Arzneimittel- Deshalb gibt es hier Zuwächse. Zu denen stehen wir
markts steht deshalb eine faire, verlässliche und wettbe- auch.
werbliche Verhandlungslösung über Arzneimittelpreise.
Die Abläufe zur Nutzenbewertung müssen transparent (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
sein. Deshalb haben wir uns in der Koalition darauf ver- Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/
ständigt, eine Verordnungsermächtigung für das Bun- DIE GRÜNEN]: Hungerlöhne!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5965
Johannes Singhammer
(A) Ein weiteres unserer Ziele ist eine gerechte Honorar- Wir wollen durch diese Neuregelungen möglichst we- (C)
verteilung bei den Ärzten. Dazu sind Summen von bis zu nig zusätzlichen Bürokratismus erzeugen. Ich bin mir si-
1 Milliarde Euro vorgesehen. Wir werden – das sage ich cher, dass wir das erreichen werden.
zu – auf gerechte Verteilung dieser Zuwächse achten, da- Abgerundet wird die Einnahmeseite durch den Steu-
mit nicht der Fall eintritt, dass einige Länder völlig leer erzahler: Die Solidargemeinschaft der Steuerzahler trägt
ausgehen. 15,4 Milliarden Euro bei. Das ist ein beträchtlicher soli-
Wir wollen auch einen Vertrauensschutz für Haus- darischer Beitrag für die Säule der gesetzlichen Kran-
arztverträge. Wir haben erst vor zwei Jahren die heute kenversicherung.
geltende Regelung zur hausarztzentrierten Versorgung Dank dieses Dreiklangs aus Sparen, Verbesserung der
beschlossen. Damit haben wir den Vertragspartnern, Einnahmeseite und Solidarausgleich sind wir wieder auf
Krankenkassen und Hausärzten, Möglichkeiten eröff- einem sicheren Weg; wir müssen nicht mehr ständig
net, die noch nicht vollständig ausgeschöpft sind. Ver- bangen, wie sich die Lage der gesetzlichen Krankenver-
trauensschutz heißt, der Gesetzgeber darf nicht eine ge- sicherung in Deutschland in den nächsten Monaten ent-
rade eingeführte Neuregelung, die mit Freiheiten für die wickelt.
Vertragspartner verbunden ist, wieder abschaffen, ohne
Deshalb können wir – das ist die entscheidende, wich-
dass deren Effekte und Ergebnisse genau bewertbar sind. tige Botschaft an die Versicherten und Patienten – Fol-
Wir haben uns damals bei der Einführung der gesetzli- gendes feststellen: Unser Gesundheitswesen hat keine
chen Regelung zur hausarztzentrierten Versorgung vor- finanzielle Schräglage, sondern ein sicheres Fundament.
genommen, drei Jahre abzuwarten, um den Hausarztver- Wir ermöglichen den Menschen einen direkten Zugang
trägen die Möglichkeit zu geben, sich zu bewähren und zu den Gesundheitsleistungen, und zwar auf einem Spitzen-
ihre Vorteile auszuspielen. Diese Zeit sollten wir auch niveau, wie es nur wenige Länder in der Welt aufweisen.
tatsächlich abwarten. Mit dieser Politik erreichen wir auch eine Nachhaltigkeit.
Wir verbessern auch die Einnahmeseite. Das heißt, Wir werden der Verantwortung für künftige Generatio-
nen gerecht und hinterlassen keinen Schuldenberg.
der Beitragssatz wird das Niveau erreichen, das er be-
reits am 1. Januar 2009 erreicht hatte. Die anteilig von Danke schön.
Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu zahlende Beitrags-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
erhöhung um 0,3 Prozentpunkte entspricht also exakt der
Differenz zwischen dem heutigen Beitragssatz und dem
Beitragssatz, der vor der Wirtschaftskrise erhoben wurde. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Durch den Einsatz von Steuermilliarden haben wir da- Das Wort hat nun Martina Bunge für die Fraktion Die
(B) Linke. (D)
mals den Beitragssatz verringert.
(Beifall bei der LINKEN)
(Zurufe von der SPD)
Dieser Einsatz von Steuermitteln kann aber nicht unbe- Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
grenzt fortgesetzt werden. Deshalb kehren wir wieder zu Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
dem ursprünglichen Beitragssatz zurück. Das ist auch Wir merken es an der Debatte: Die Musik im Gesund-
sinnvoll, weil wir damit einen dauerhaften Plafond bil- heitssystem spielt nicht im Bundeshaushalt bzw. im Ein-
den, mit dem alle planen können. zelplan Gesundheit mit seinen rund 15,5 Milliarden Euro.
Die Musik spielt mit rund 150 Milliarden Euro in der Bei-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in tragsgestaltung für die Krankenkassen. Das sieht man
den Gesetzen, die wir noch in diesem Jahr verabschieden heute hier deutlich. Die Klaviatur für diese Musik nutzen
werden, auch neue Weichenstellungen vorgesehen, Sie weidlich, Herr Minister. Sie nutzen Sie für Ihre Inte-
durch die unser Gesundheitssystem dauerhaft gesichert ressen und für die Interessen Ihrer Klientel. Am liebsten
wird. Dazu zählt beispielsweise die Einführung eines würden Sie das Parlament ganz außen vorlassen.
Zusatzbeitrages. Diesem Zusatzbeitrag kommt insbeson-
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
dere eine Wettbewerbsfunktion zu: Die festen Beitrags-
sätze, die in der Vergangenheit politisch festgelegt wur- Zu Beginn der Legislaturperiode wurde eine im Ge-
den, können jetzt nämlich durch Zusatzbeiträge von den heimen tagende Reformkommission ausgerufen.
Krankenkassen individuell variiert werden; das heißt, (Jens Spahn [CDU/CSU]: Wie man das Parla-
Kassen, die gut wirtschaften, werden keinen Zusatzbei- ment auslässt, wissen Sie ja!)
trag erheben müssen, während Kassen, die weniger gut
wirtschaften, diesen erheben können. Sie müssen sich al- Wo ist eigentlich Ihre Reformkommission? Komischer-
lerdings angesichts der Wechselbereitschaft der Patien- weise war diese nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl im
tinnen und Patienten gut überlegen, ob sie tatsächlich ei- Mai wie vom Erdboden verschluckt.
nen solchen Weg einschlagen wollen. (Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/
Zu den Neuerungen zählt auch die Einführung eines CSU]: Nein, sie hat gute Ergebnisse gebracht!)
Sozialausgleichs. Bei Versicherten mit geringen Ein- Ach ja! Sie hatte ihre Verschleierungsrolle gespielt. Dann
kommen wird der Zusatzbeitrag durch eine Absenkung gab es Diskussionspapiere, die Sie Ihnen nahestehenden
des Arbeitnehmerbeitrags ausgeglichen. Pressevertretern zugespielt haben, damit diese wohlwol-
5966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Martina Bunge


(A) lend berichten konnten, und zwar bevor ein im Parlament Das berechtigt Sie noch lange nicht, die Liquiditätsre- (C)
Tätiger je kritisch darauf hätte gucken und sich dazu hätte serve zu plündern. Sie suchen sich diesen Weg bloß, weil
äußern können. Dann folgten Referentenentwürfe unter Sie Ihre Wünsche beim Finanzminister nicht durchbe-
Aussparung des Parlaments. Ich darf Sie erinnern: Das kommen.
Parlament ist der Gesetzgeber.
(Ulrike Flach [FDP]: Der muss aber ganz
(Beifall bei der LINKEN – Ulrike Flach schön bluten, der Finanzminister!)
[FDP]: Ehrlich gesagt haben wir hier oft genug
diskutiert!) Mit der verdeckten Kopfpauschale bauen Sie eine
Zeitbombe. Im Jahr 2011 wird es noch nicht so schlimm
In dem Zeitplan, den wir gestern zugespielt bekom- werden; denn da haben Sie erst einmal die Beiträge er-
men haben, geben Sie uns gönnerhaft ganze acht Wo- höht. Sie bauen aber eine Zeitbombe, die in den nächsten
chen, um das gesamte Verfahren bis zum Herbst zu re- Jahren richtig explodieren wird. Allerdings sagen Sie
geln. den Menschen nicht die Wahrheit. Sie wollen Ihr Gesicht
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir haben andere als Koalitionäre wahren. Sie haben nicht den Mut, es of-
Gesetze in einer Woche gemacht! – Ulrike fen zu sagen. Sie gehen durch die Hintertür.
Flach [FDP]: Zugespielt haben wir Ihnen gar Die Arbeitgeber werden mit fadenscheinigen Argu-
nichts!) menten von den Belastungen ausgespart. Ihre Begrün-
Diese Regierung übt sich in Demokratielosigkeit ohne- dungen für die Reformideen beruhen alle auf halbwahren
gleichen, und ungeprüften Aussagen. Sie behaupten, die steigenden
Beiträge für die Arbeitgeber kosten Arbeitsplätze. Sie
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei verschweigen aber, dass die sinkende Kaufkraft im Land,
der CDU/CSU und der FDP) die durch die einseitige Belastung der Versicherten verur-
und zwar aus Mutlosigkeit, sich dieser unsozialen Politik sacht wird, erst recht Arbeitsplätze kostet. Das ist unse-
auf demokratische Weise zu stellen und sich mit ihr aus- riös.
einanderzusetzen. (Beifall bei der LINKEN)
(Ulrike Flach [FDP]: Damit haben Sie ja Er- Sie behaupten, dass die Beiträge wegen des medizini-
fahrung!) schen Fortschritts und der Alterung der Gesellschaft stei-
Zutiefst unsozial ist das Machwerk, das Sie im Ge- gen. Sie verschweigen aber, dass die Beiträge vor allem
setzentwurf, den wir offensichtlich noch nicht kennen, wegen der seit Jahren sinkenden Arbeitseinkommen und
festschreiben. der Ausweitung des Niedriglohnsektors steigen. Höhere
(B) Löhne und Mindestlöhne oder die Einbeziehung aller (D)
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was denn jetzt? Zu- Einkommen durch eine solidarische Versicherung müss-
gespielt, oder nicht?) ten Ihre Forderung sein. Unsere Vorschläge für eine soli-
Sie schreiben fest, alle künftigen Kostensteigerungen al- darische Bürgerinnen-und-Bürger-Versicherung liegen
lein die Versicherten tragen zu lassen. Mit 8,2 Prozent vor. Da könnten Sie einmal hineingucken.
schaffen Sie nicht den alten Beitrag, Kollege Singhammer; (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Es gibt doch
denn man kann 2 Prozent dazurechnen. Das ist der gar keinen Gesetzentwurf!)
höchste Beitrag aller Zeiten. Durch die höheren Belastun-
gen haben die Versicherten weniger statt mehr Netto vom Sie verschweigen, dass man durch eine richtig gute
Brutto. Gesundheitsförderung den durch die älter werdende Be-
völkerung verursachten Kostensteigerungen entgegen-
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) wirken kann. Dadurch wird quasi gratis eine bessere Le-
Es handelt sich hier wirklich um Wahlbetrug. Denn bensqualität geschaffen. Dazu finden sich weder Ansätze
Sie haben gesagt: Eigentlich sollte es mehr Netto wer- im vorliegenden Bundeshaushalt noch Aussagen in Ih-
den. Außerdem konstruieren Sie eine Belastungsschief- rem Reformmachwerk. Diese Regierung hat keine Idee,
lage hin zu den kleinen Einkommen. Diese werden am kein Konzept, das wirklich zukunftsfähig ist. Das Herz
meisten geschröpft. Das alles ist zutiefst unsozial. Sie von Schwarz-Gelb schlägt eindeutig für die Privatversi-
aber setzen dem Ganzen noch einen drauf, indem Sie cherungen und die Privatversicherten. Das wird mit uns
den sogenannten Sozialausgleich nicht über den Bundes- nicht zu machen sein.
haushalt decken. Ewig haben Sie gepredigt, dass er aus Danke schön.
Steuermitteln gedeckt werden soll. Sie decken ihn aber
mit der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Ich (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
möchte Sie nur daran erinnern, dass Reserve im Volks- FDP: Beruhigend!)
mund bedeutet, etwas zurückzulegen, um für die Unbil-
den des Lebens gewappnet zu sein. Die Einführung der Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kopfpauschale durch die Hintertür ist aber in der Tat Das Wort hat nun Birgitt Bender für die Fraktion
eine Unbilde für die Zukunft der solidarischen Versiche- Bündnis 90/Die Grünen.
rung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
neten der SPD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5967
Birgitt Bender
(A) Die neue Regierung ist angetreten, damit im deut- mufti festlegt. Auch damit schaffen Sie mehr Bürokratie, (C)
schen Gesundheitssystem endlich etwas passiert mehr Zentralismus.
und es endlich sozial gerecht wird. Das werden wir
auch einhalten. Ich erinnere mich an die letzte Legislaturperiode, als
Ihr heutiger Staatssekretär, der damalige gesundheitspo-
Dieses Zitat stammt von Ihnen, Herr Minister. Ver- litische Sprecher der FDP, Kollege Daniel Bahr,
sprochen haben Sie, Politik für 80 Millionen Versicherte
zu machen und die gesetzliche Krankenversicherung zu (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/
stärken. Sie wollten das Krankenversicherungssystem DIE GRÜNEN]: Der muss mal zuhören!)
gerechter machen. Mehr Steuern ins System sollte das die Ministerin Ulla Schmidt immer mit dem Vorwurf der
Mittel dazu sein. Schließlich haben Sie uns angekündigt, Staatsfixierung und der Staatsmedizin attackiert hat.
Sie wollten das Preismonopol der Pharmaindustrie bre-
chen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Da hatte er völlig
recht!)
Was ist geschehen? Ist das System gerechter gewor-
den? Nein, Sie frieren den Arbeitgeberbeitrag ein. Hätte Herr Staatssekretär, da kann ich nur sagen: Staatsmedi-
man das bereits im Jahr 2007 gemacht, dann würde der zin kann der gelbe Minister besser.
Zusatzbeitrag für die Versicherten heute bereits bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
33 Euro im Monat oder 400 Euro im Jahr liegen. Daran
kann man sehen, welche Kostensteigerung auf die Versi- Weiter zum Thema Gerechtigkeit. Ihr politisches
cherten zukommt. Das ist eben nicht sozial gerecht, son- Sponsorship für die private Krankenversicherung ver-
dern das Gegenteil. trägt sich nicht mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit. Es
wäre gerecht, wenn man die PKV am Finanzausgleich
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beteiligen und das Zusammenwachsen der Systeme or-
und bei der SPD) ganisieren würde. Stattdessen gibt es für die Besserver-
Sie führen die Zusatzbeiträge ein und haben einen So- dienenden einen Freifahrtschein für die Flucht aus der
zialausgleich versprochen. Aber bereits bei einem Ein- gesetzlichen Krankenversicherung. Nach einem Jahr
kommen von 1 000 Euro erhält derjenige, der 20 Euro dürfen sie die Versicherung wieder wechseln, und das
Zusatzbeitrag zu zahlen hat, keinen Sozialausgleich. obwohl die Versicherungspflichtgrenze im nächsten Jahr
Herr Minister, was soll denn daran gerecht sein? Mehr auch noch sinken wird. Das kostet die GKV 500 Millio-
Netto vom Brutto gibt es bei der FDP nur für die Hote- nen Euro.
liers. Für die gesetzlich Versicherten heißt es immer: (Ulrike Flach [FDP]: Also hat jeder eine an-
(B) draufzahlen. dere Zahl! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Die (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grenze sinkt aber nicht! Ist das so schwer?)
und bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ Im Übrigen wollen Sie der PKV das Monopol für die Zu-
CSU]: Jäger 90! – Zuruf von der FDP: Sie satzversicherungen zuschanzen. Damit verliert die GKV
kennen das Gesetz nicht!) auch wieder Geld; sie rechnet mit 250 Millionen Euro
Es gab auch das Versprechen, mehr Steuern ins Sys- weniger. Schließlich kriegt die PKV die neue Preisregu-
tem zu bringen. Mehr Steuern im nächsten Jahr für den lierung für Arzneimittel einfach geschenkt, ohne dass sie
Gesundheitsfonds? Dass ich nicht lache. Zwar steigt etwas dafür tut.
der reguläre Bundeszuschuss. Aber da der einmalige Zu- (Ulrike Flach [FDP]: Das stimmt doch über-
schuss aus dem Jahre 2010 im kommenden Jahr nicht haupt nicht!)
mehr 3,9 Milliarden Euro, sondern nur noch 2 Milliar-
den beträgt, gibt es netto – so viel können Sie auch rech- Jetzt sagen Sie mir bloß nicht, das sei eine Systeman-
nen, Frau Flach – 400 Millionen Euro weniger an Steu- gleichung! Eine Systemangleichung ist notwendig, aber
ern in den Gesundheitsfonds. Das ist nicht mehr, sondern sie fängt bei den Finanzen an. Die PKV muss dann auch
weniger. Kranke aufnehmen und versorgen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch kri- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das gibt es übri-
senbedingt!) gens: Kranke in der PKV!)
Dementsprechend wird der mickrige Sozialausgleich Sie muss sich dann auch an der Finanzierung der
auch nicht aus Steuermitteln bezahlt, sondern direkt aus Qualitätssicherung und der Selbsthilfe beteiligen. Sie
der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Das heißt kann sich dann nicht nur die Rosinen herauspicken.
nichts anderes als: aus den Beiträgen der Versicherten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das widerspricht Ihrem Versprechen und ist in gar keiner und bei der SPD)
Weise gerecht.
Herr Minister, Sie haben ein weiteres Versprechen ge-
Der Sozialausgleich sollte im Übrigen auch automati- macht: Sie wollten das Preismonopol der Pharma-
siert sein. Wie sieht es aus? Nein, die Arbeitgeber müs- industrie brechen.
sen rechnen und ihn durchführen. Schließlich ist dazu
aus Ihrer Sicht auch noch notwendig, dass das Ministe- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das tut er
rium den durchschnittlichen Zusatzbeitrag par ordre du auch!)
5968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Birgitt Bender
(A) Wir stellen fest, dass nach Ihrem Gesetzentwurf im ers- bei der PKV, den Fachärzten und der Pharmaindustrie (C)
ten Jahr immer noch freie Preisbildung herrscht und die fort.
Kassen erst einmal die Behandlung finanzieren müssen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ich sage nur: Solar-
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Dafür gibt es ja ei- industrie!)
nen Zwangsrabatt!)
Die gesetzlich Versicherten zahlen die Zeche; denn die
Das gibt der Pharmaindustrie Zeit, durch Festlegung des gesetzliche Krankenversicherung wird teurer, unattrakti-
Einstiegspreises und durch ein Jahr ordentlicher Marke- ver und unsolidarischer.
tingmaßnahmen ihre Verhandlungsposition zu stärken.
Ob das zu niedrigeren Arzneimittelpreisen führt, ist Herr Minister, nun haben Sie angekündigt, dass es im
höchst fraglich. Jahre 2015 noch einmal etwas Neues geben soll; hier ist
die Rede von Steuermitteln in der GKV, die es dann doch
Jetzt wollen Sie auch noch, wie wir schon gehört ha- geben soll. Da kann ich nur sagen: Im Jahre 2015 wer-
ben, per Verordnung aus dem Ministerium Vorgaben für den Sie vielleicht – das kann ich nicht beurteilen – ein
die Kosten-Nutzen-Bewertung machen. Ich habe jetzt glücklicher Mensch sein, aber Bundesgesundheitsminis-
nicht vor, in eine Beweisaufnahme einzutreten, wer da ter werden Sie dann ganz bestimmt nicht mehr sein, und
von wem abgeschrieben hat. das ist gut so.
(Otto Fricke [FDP]: Doch! Das wollen Sie!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aber es ist einfach so: Man sieht Herrn Singhammer im und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Fernsehen, wo er sagt, man müsse schließlich auch die LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sondern
Standortinteressen der Pharmaindustrie berücksichtigen. Biggi Bender?)
Herr Singhammer, da sage ich Ihnen: Wenn man die
Standortinteressen der Pharmaindustrie berücksichtigen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
will, dann muss man für Rahmenbedingungen eintreten, Das Wort hat nun Kollege Jens Spahn für die CDU/
die tatsächlich zu echten Innovationen bei fairen Preisen CSU-Fraktion.
führen. Auch das ist nämlich im Standortinteresse der
Pharmaindustrie. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau
das tun wir! – Ulrike Flach [FDP]: Da sind Sie Jens Spahn (CDU/CSU):
doch bei uns!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(B) Man darf aber nicht in die fachliche Bewertung des Zu- Herr Kollege Lauterbach, wenn das feines Handwerk (D)
satznutzens hineinpfuschen. war, was wir in der Großen Koalition gemeinsam auf
den Weg gebracht haben, dann frage ich mich, warum
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie fast alles von dem, was wir gemeinsam beschlossen
Herr Minister, es ist schon interessant, dass Sie den haben, zurückdrehen wollen: die Einführung der Ent-
Krankenkassen wieder einmal nicht die Aufgabe der koppelung der Arbeitskosten von den Gesundheitskos-
Selbstverwaltung zutrauen, sondern auch hier zum Re- ten, die Einführung der Zusatzbeiträge, die Aufgabe der
gulierungsinstrument einer Verordnung greifen. Parität, die von Ulla Schmidt im Jahre 2009 zu Recht bei
der Diskussion über die Ausgrenzung von Krankengeld
(Ulrike Flach [FDP]: Weil die so schnell wirkt, und Zahnersatz heftigst verteidigt wurde. Selbst die Be-
Frau Bender!) zahlung der Apotheker, auf die wir uns gemeinsam geei-
Wir zählen zusammen: Unter einem FDP-Minister nigt haben, wollen Sie zurückdrehen. Wenn das feines
gibt es einen staatlich festgelegten Beitragssatz, Handwerk war, dann sollten Sie nicht ständig versuchen,
alles das, was Ulla Schmidt richtigerweise gemacht hat,
(Ulrike Flach [FDP]: Aber den gab es doch wieder zurückdrehen zu wollen, nur weil Sie auf Wäh-
schon zu Ihren Zeiten!) lerstimmen hoffen.
einen staatlich festgelegten durchschnittlichen Zusatz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
beitrag und eine staatlich festgelegte Kosten-Nutzen-Be- Mechthild Rawert [SPD]: Sie auch, Herr
wertung. Das ist doch Staatsfixierung pur. Staatsfixie- Spahn!)
rung war aber immer der Vorwurf an Ulla Schmidt. Herr
Minister, da kann ich nur sagen: Ihre eigene Fraktion Mit Blick auf die grundsätzliche Debatte der Finanz-
müsste Ihnen eigentlich den Ulla-Schmidt-Verdienstor- reform: Es ist schon spannend, wie Sie sich in dieser De-
den in Gold verleihen. Das würde passen. batte und überhaupt in den letzten Wochen mit Kritik
zurückgehalten haben.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Ulrike Flach [FDP]: Weil sie nichts zu sagen
haben!)
Wir haben dank Ihrer Politik mehr Zentralismus und
weniger Wettbewerb. Hinzu kommt aber – das unter- Das wird wahrscheinlich daran liegen, dass Sie nicht viel
scheidet Sie von Ulla Schmidt – diese gnadenlose Klien- gefunden haben, was Sie an dem, was wir vorgelegt ha-
telpflege. Das, was mit der Subventionierung der Hote- ben, kritisieren könnten. Wir kommen mit dem, was wir
liers angefangen hat, setzen Sie mit der Klientelpflege in den nächsten Wochen beraten werden und zum
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5969
Jens Spahn
(A) 1. Januar in Kraft setzen wollen, dem Ziel, das wir, wie Wer in diesem Land Beamter oder Pensionär ist, kann je- (C)
gesagt, in der Großen Koalition gemeinsam hatten, nä- denfalls nicht mehr SPD wählen, das ist heute wieder
her, in einer älter werdenden Gesellschaft, die medizini- deutlich geworden.
sche Fortschritte will, die steigenden Gesundheitskosten
von den Arbeitskosten loszukoppeln. Diesem Ziel kom- (Elke Ferner [SPD]: Da werden Sie sich noch
men wir näher und verbinden es mit einem Sozialaus- wundern, Herr Spahn!)
gleich, der steuerfinanziert und damit gerechter ist als Darüber hinaus werden wir die Regeln für die Arznei-
das, was wir heute haben; denn breitere Schultern wer- mittelpreisfindung, die wir im gesetzlichen System ha-
den mittragen: durch die Berücksichtigung von Kapi- ben, auf die privaten Kassen übertragen, und die privaten
taleinkünften, Mieteinkünften und Einkünften über der Versicherungen werden sich natürlich an den Kosten be-
Versicherungspflichtgrenze. Außerdem funktioniert das teiligen.
Ganze praktisch ohne größere Probleme, weil wir es
über EDV-basierte Lösungen relativ einfach regeln kön- (Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])
nen, und das ohne Antragstellung. Sie sind perplex, weil
wir einen guten Vorschlag auf den Tisch gelegt haben. Im Übrigen wäre es spannend, zu beobachten, wie die
Sie beschäftigen sich nicht damit; denn Sie hätten nichts Debatte über diese Frage abläuft. Wenn wir es für die
zu kritisieren. Das macht diese Debatte deutlich. Privatversicherten regeln, heißt es: Klientelpolitik. Hät-
ten wir es nicht gemacht und die Pharmaindustrie an der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stelle geschont, hieße es: Klientelpolitik.
Sie beschäftigen sich mit Nebenkriegsschauplätzen, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!) Egal wie wir es machen, es ist immer Klientelpolitik.
Das macht die Durchsichtigkeit Ihres Vorwurfs deutlich.
die immer wieder mit der Phrase „Klientelpolitik“ über-
schrieben werden. Das ist ein gern gemachter Vorwurf, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der von allen Beteiligten gerne aufgegriffen wird. Leider
ist das, was Sie bisher vorgetragen haben, nicht beson- Ich komme zum Pharmasparpaket selbst. Wir
ders substanziell. Wir machen – dazu stehen wir, und der schnüren das härteste Sparpaket im Arzneimittelbereich
Herr Minister hat es deutlich gemacht – Politik für in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir schaffen den
80 Millionen Versicherte. Wir machen nicht nur Politik Spagat: Wir halten den Zugang zu Innovationen aufrecht
für 72 Millionen gesetzlich Krankenversicherte, wir ma- – das ist ein hohes Gut für die Menschen in diesem Land –
chen auch nicht nur Politik für 8 Millionen Privatversi- und verhindern, dass es weiterhin Mondpreise in
(B) cherte, sondern wir nehmen beide Systeme in den Blick Deutschland gibt. Es wird an dieser Stelle eine faire (D)
und überlegen, was die Menschen brauchen, die in bei- Preisbildung geben. Frau Kollegin Bender, darin stimme
den Systemen versichert sind. Wir machen Politik für die ich Ihnen zu: Natürlich dauert es eine Zeit, bis das Sys-
80 Millionen Menschen in unserem Land; denn alle ha- tem implementiert ist. Aus genau diesem Grund haben
ben einen Anspruch darauf, dass wir uns um Sie küm- wir gesetzlich bis Ende 2013 einen Herstellerrabatt von
mern. 10 Prozent vorgesehen. Für einen so langen Zeitraum
und in dieser Höhe gab es das noch nie in der Geschichte
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Bundesrepublik. Das in dieser Debatte mit zumin-
der FDP) dest einem Satz anerkannt zu haben, wäre auch etwas
wert gewesen.
Wir sagen es Ihnen immer wieder, aber Sie scheinen
es nicht verstehen zu wollen: In der privaten Kranken- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
versicherung sind 5 Millionen Beamte und Pensionäre
Eigentlich beißen Sie doch nur vor Wut in den Tisch,
und bis zu 2 Millionen Selbstständige, die nicht alle eine
dicke S-Klasse fahren oder in Villen leben, sondern es (Lachen bei Abgeordneten der SPD)
sind auch der Dönerunternehmer aus Kreuzberg und
viele kleine Handwerker dabei, die keine großen Ein- und zwar vor Wut darüber, dass es, nachdem Sie jahr-
künfte haben. zehntelang gesagt haben: „Im Arzneimittelbereich muss
endlich etwas passieren“, ausgerechnet eine christlich-li-
(Ulrike Flach [FDP]: Und jede Menge berale Koalition ist, die diese Frage dauerhaft löst. Das
Beamte!) ist es doch, was Sie ärgert, und nichts anderes, und das
versuchen Sie hinter fadenscheinigen Vorwürfen zu ver-
Es sind Pensionäre, kleine Beamte und Polizisten, die ei- stecken.
nen schweren Dienst tun. Sie als Sozialdemokraten soll-
ten sich schon die Frage stellen, ob es richtig ist, einem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Pensionär, der nicht mehr in der Lage ist, seine steigen-
den Privatversicherungsbeiträge zu bezahlen, zu sagen, Zum Thema Rechtsverordnung für die Nutzenbe-
er hätte sich aus der Solidarität verabschiedet und freige- wertung. Bis jetzt ist es im Gesetz so geregelt, dass die
kauft. Ist das sozialdemokratische Politik, wie Sie sie Verfahrensordnung vom Bundesministerium für Gesund-
verstehen? heit genehmigt werden muss. Sie steht also schon heute
unter der Fachaufsicht des Ministeriums. Faktisch ändert
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sich nicht besonders viel.
5970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Jens Spahn
(A) (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jens Spahn (CDU/CSU): (C)
NEN]: Aufsicht und Selbermachen ist aber Zum Ersten, lieber Herr Kollege Lauterbach, wird die
was anderes!) ärztliche Vergütung nicht im Gemeinsamen Bundesaus-
schuss, sondern im Bewertungsausschuss geregelt.
Auch Frau Schmidt und Herr Staatssekretär Schröder
haben da früher ganz genau hingeschaut. Zum Zweiten (Heinz Lanfermann [FDP]: Grundkurs!)
– auch darüber kann man übrigens eine Debatte führen – Der Unterschied ist: Im Bewertungsausschuss regeln
sitzen im Gemeinsamen Bundesausschuss, der sie erar- Ärzte als Betroffene und Krankenkassen als Kostenträ-
beiten soll, Krankenkassenvertreter, Ärztevertreter und ger die Bezahlung zwischen den beiden. Bei der Bewer-
Krankenhausvertreter. Diese haben jeweils ihre ganz ei- tung von Arzneimitteln gibt es eine Drittwirkung auf
genen Interessen. Die Frage, wie der Nutzen eines Arz- die betroffenen Patienten, was ganz andere gesellschaft-
neimittels bewertet wird, ist eine Werteentscheidung, liche Dimensionen beinhaltet; darauf komme ich gleich
auch eine Werteentscheidung der Gesellschaft, und diese noch zu sprechen. Insofern ist das etwas Grundverschie-
sollten wir uns als Politik zumindest im Grundsatz nicht denes, und das wissen Sie auch, lieber Herr Kollege
völlig aus der Hand nehmen lassen. Das wäre apolitisch. Lauterbach.
Deswegen ist es richtig, das über eine Rechtsverordnung
zu regeln. Zum Zweiten. Das ist schon wieder dieser alberne
Klientelvorwurf. Das, was Sie hier vorhin erzählt haben
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – – so einfach muss man es sagen –, beleidigt Ihren eige-
Mechthild Rawert [SPD]: Trauen Sie der nen Intellekt, Herr Professor. Es ist billig, diese Vor-
Selbstverwaltung nicht mehr?) würfe so zu konstruieren, ohne nach links und rechts zu
Im Übrigen geht es um die Rahmenbedingungen für schauen, ohne darauf zu achten, was eigentlich Sache ist.
die wissenschaftliche Bewertung. Sie tun ja so, als wür- (Beifall bei der CDU/CSU – Christine
den wir die Bewertung zukünftig politisch vornehmen. Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das war eine
schöne Fortbildung!)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich mache jetzt mit meiner Rede weiter. Insofern kön-
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen nen Sie sich, wenn Sie mögen, gerne wieder setzen. An
Lauterbach? Ihrem Eingangsstatement zur Arzneimittelbewertung hat
mich Folgendes sehr gestört – das passt zum Thema –:
Jens Spahn (CDU/CSU): Sie haben gesagt, dass die Bürger eine sichere und preis-
werte Arzneimittelversorgung wünschen. Ohne Frage ist
Jederzeit.
(B) das so. Aber, glauben Sie mir, die Menschen in diesem (D)
Land wollen auch Innovationen. Sie wollen am medizi-
Dr. Karl Lauterbach (SPD): nischen Fortschritt teilhaben können. Sie wollen, insbe-
Herr Spahn, wenn es wirklich so wäre, dass das Werte- sondere wenn es um neue Krebsmedikamente, um neue
entscheidungen sind, die die Politik zu bestimmen hat, Medikamente gegen HIV, gegen Hepatitis und andere
dann müsste das doch für alles andere auch gelten. Dann Erkrankungen wie Multiple Sklerose geht, an diesem
müsste beispielsweise nicht der Gemeinsame Bundes- Fortschritt teilhaben. Es ist doch ein Schlag ins Gesicht
ausschuss die Bewertung festlegen, in welcher Art und der Menschen, wenn Sie sagen: Das darf bei der Bewer-
Weise Ärzte bezahlt werden, sondern die Politik. Die tung dessen, was wir bezahlen oder nicht, keine Rolle
Honorarordnung müsste auch so beschlossen werden, spielen.
wenn wirklich alles gleichbehandelt werden soll. Seien (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wir doch ehrlich miteinander: Sie wollen, dass die Arz-
neimittel für privat und gesetzlich Versicherte gleich Dem Ganzen legen Sie dann noch einen drauf. Sie sa-
teuer sind, weil der Verband Forschender Arzneimittel- gen, wir würden bei Orphan Drugs, bei Arzneimitteln
hersteller das wünscht. Aber Sie wollen das Gleiche für seltene Erkrankungen – laut Definition haben maxi-
nicht in Bezug auf die Behandlung durch die Ärzte. mal 5 von 10 000 Menschen solch eine Erkrankung –, zu
denen bei den Arzneimittelherstellern heute oft keine
(Heinz Lanfermann [FDP]: Was? Völlig falsch Forschung stattfindet, weil es bei einer so kleinen Pati-
dargestellt!) entengruppe nur schwer möglich ist, diese Forschung
Wenn Sie konsequent wären, dann würden Sie sagen: betriebswirtschaftlich darzustellen, nichts tun. Es gibt
Für Arzneimittel gelten die gleichen Preise, das gilt aber eine EU-Richtlinie, die genau diese Arzneimittel fördern
auch für die ärztliche Versorgung. – Doch genau das will, weil man auch den Menschen, die ganz seltene Er-
wollen Sie nicht. Die Zweiklassenmedizin soll bestehen krankungen haben, von denen es zum Teil nur zwei
bleiben. Aus meiner Sicht wird das alles aus der Per- Handvoll in Deutschland gibt, eine Chance auf neue
spektive der Lobbygruppen vorgebracht. Sie werden die Arzneimittel geben möchte. Wir haben gesagt: Wenn die
Bürger nicht täuschen können. Das, was Sie wollen, ist EU, übrigens die Europäische Arzneimittel-Agentur
das, was der VFA und die PKV wünschen und nicht der – das fällt nicht vom Himmel –, feststellt, ein Medika-
Bürger. ment sei ein Orphan Drug, ein Arzneimittel für Men-
schen mit seltenen Erkrankungen, sollte es nicht die ein-
(Otto Fricke [FDP]: Ist das eine Frage, oder was? schlägigen Verfahren in Deutschland durchlaufen
Das ist eine Kurzintervention!) müssen; denn die EU hat das bereits festgestellt. Wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5971
Jens Spahn
(A) wollen diesen Menschen helfen. Wenn es sozialdemo- ist, muss man das korrigieren. Das ist überhaupt keine (C)
kratische Politik sein soll, das nicht zu berücksichtigen, Frage. Aber differenzierungslose Kritik in platten Über-
dann sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, Herr schriften, die nur irgendwelche Mentalitäten bedient, ist
Kollege Lauterbach, was Sie hier eigentlich erzählen. unter Ihrem Niveau. Das sollten Sie sich in der Zukunft
verkneifen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das hat doch da- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
mit nichts zu tun! Es geht um Zulassungen!)
Das Ganze können wir im Übrigen auch in Bezug auf Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
die Zusatztarife der gesetzlichen Krankenversicherun- Das Wort hat nun Ewald Schurer für die SPD-Frak-
gen deutlich machen. Dabei geht es um Chefarztarife, tion.
um Einbettzimmer und Auslandsversicherungen. Wenn (Beifall bei der SPD)
Sie die Menschen auf der Straße fragen, ob sie glauben,
dass in die Grundversorgung der gesetzlichen Kranken-
Ewald Schurer (SPD):
versicherung, Sozialgesetzbuch V, eine Chefarztbehand-
lung gehört, dann, glaube ich, werden Sie etwas anderes Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
hören als das, was Sie und die Krankenkassenfunktio- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal
näre dauernd erzählen. Vielleicht sollten wir eine ehrli- kommt pflichtbewusst der Dank des Haushälters an das
che Debatte auch darüber führen, wie sozialdemokrati- Ministerium für die Bereitstellung der Berichterstatter-
sche Positionen in diesem Land mittlerweile aussehen. unterlagen. Sie kamen zwar spät, aber sie kamen und
waren zumindest zum Teil für die Vorbereitung hilfreich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich füge hinzu: Dieser Haushalt 2011 steht unter dem
der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Wie ist Vorbehalt, dass die Gesundheitsreform, die Sie von
denn darauf die Antwort?) Schwarz und Gelb Mitte August dieses Jahres angekün-
digt haben, umgesetzt wird. Darunter leidet dieser Haus-
Was passiert denn da? Mit diesen Tarifen versuchen
halt; denn wir können die monetären und politischen
die Krankenkassen, die Gutverdiener zu locken und an
Auswirkungen nur erahnen.
sich zu binden, weil man sich für drei Jahre an die Kran-
kenkasse binden muss. Diese Tarife werden, weil es von Sie sind immer noch in dem großen Reich des Unbe-
der Aufsicht kaum nachvollziehbar ist, von den Kranken stimmten. Wenn ich mir anschaue, was der Kollege
und Schwachen in den gesetzlichen Krankenkassen Spahn hier gebracht hat, meine ich: Höflich gesagt, ha-
quersubventioniert, und Sie verteidigen das auch noch. ben Sie zugespitzt. Unhöflich gesagt, waren Sie eine
Stellen Sie sich einmal die Frage, was daran noch sozial- Rumbling Gun, also eine freischießende Bordkanone, (D)
(B)
demokratisch ist, die Quersubventionierung in gesetzli- die nach Belieben in alle Richtungen zielt, um irgend-
chen Krankenversicherungen zugunsten von Gutverdie- wen zu treffen.
nern zu verteidigen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Wenn irgendwer in diesem Hause den alten Kurs der
der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Wir wol-
Großen Koalition verlässt, dann sind Sie es. Sie sind ein
len immer das Beste!)
ausgewiesener Protagonist für die Vorteile der PKV.
Insofern kann man hier feststellen, dass wir in der Ferner sind Sie sehr FDP-affin. In der jetzigen Situation
christlich-liberalen Koalition soziale Verantwortung dürfen Sie das auch durchaus sein. Das schadet Ihnen
nicht in Überschriften festmachen, sondern in konkretem nicht. Für die CDU/CSU ist das aber kein Wertgewinn,
Handeln. Wir schaffen eine Finanzierungsgrundlage für weil Sie niemand sind, der die großen solidarischen
die gesetzliche Krankenversicherung – diese steht auf- Werte der GKV jemals verstanden hat oder sie hochhält.
grund der demografischen Entwicklung und beim medi-
(Zuruf von der FDP: Das entscheidet jetzt die
zinischen Fortschritt vor großen Herausforderungen –,
SPD?)
die dauerhaft hält und gerechter ist als das, was wir heute
haben, weil es im Ausgleich steuerfinanziert ist. Wir Ich nenne ein aktuelles Beispiel dazu. Es gibt eine
schauen genau, was 80 Millionen Menschen in diesem Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemei-
Land brauchen. Wir nehmen uns nicht eine Gruppe he- nen Ortskrankenkassen, die in diesen Tagen veröffent-
raus, die uns vielleicht besonders nahesteht, sondern wir licht worden ist. Lesen Sie darin doch einmal nach, was
schauen auf die Bedürfnisse der Versicherten in der ge- die Bürgerinnen und Bürger – auch die Beamten im öf-
setzlichen und in der privaten Krankenversicherung und fentlichen Dienst und die Selbstständigen, die in der
fragen: Was ist richtig, um sie vor Überforderung zu PKV versichert sind – sagen: Die großen Werte für die
schützen und ihnen gleichzeitig den Zugang zu Innova- Zukunft, an die sie glauben, sind einkommensabhän-
tionen möglich zu machen? Wir bringen das größte Arz- gige Beitragssysteme die die Leistungen der Gesund-
neimittelsparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik heitswirtschaft ermöglichen. Hierzu gehören für sie auch
Deutschland auf den Weg. Ein kleines Wort der Aner- die Elemente des Solidarprinzips. – Gegen all das ver-
kennung wäre eine ganze Menge wert. stoßen Sie.
Abschließend kann ich Ihnen eines sagen: Wir akzep- Der Herr Minister hat mir heute gefallen. Er war ein-
tieren konstruktive Kritik. Auch wir sind nicht unfehlbar mal richtig frech, wie auf dem Gillamoos-Volksfest. In-
und natürlich der Kritik zugänglich. Wenn etwas falsch haltlich hat er heute zwar nicht sehr viel gesagt, aber er
5972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Ewald Schurer
(A) war wenigstens in der Offensive. Es gefällt mir, dass der Sie kürzen unter anderen bei den Präventionskam- (C)
Minister einmal aus sich herausgeht. Ich bezweifle aber pagnen. Warum tun Sie das? Diese sind wichtig für die
sehr, dass Sie verstanden haben, was die Sozialdemokra- Bewusstseinsbildung der Menschen. Sie kürzen zum
tie in den vergangenen zehn Jahren im Gesundheitssys- Beispiel die Mittel für den Aktionsplan „Gesundheitli-
tem an Wertschöpfung politisch unterstützt hat. che Prävention durch ausreichende Bewegung und aus-
gewogene Ernährung“ um 3,6 Millionen Euro. Das ist
Herr Singhammer hat vorhin immerhin bestätigt, dass verdammt viel, auch wenn Sie das vielleicht nicht auf
Deutschland in Bezug auf die Leistungserbringung den ersten Blick verstehen wollen, Frau Flach. Sie kür-
Weltspitze sei. Das ist kein Wunder nach zehn Jahren so- zen die Mittel für Maßnahmen im Kampf gegen HIV/
zialdemokratischer Gesundheitspolitik, obwohl wir mit Aids trotz nach wie vor gefährlich hoher Infektionsraten.
Ihnen schwere Kompromisse aushandeln mussten. Und Sie kürzen erneut bei der so wichtigen Bekämpfung
(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP!) des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs. Auch das ist
für die Menschen ein todernstes Thema, weil es hier um
Wo der Kollege Spahn ebenfalls fundamental irrt: Die Maßnahmen gegen Nikotin- und Alkoholmissbrauch
SPD wollte niemals eine im Kern an den Arbeitskosten geht.
orientierte Gesundheitspolitik verlassen. Wir wollten
Wenn man sich vor Augen hält, wie Sie die Mittel für
schon immer eine paritätische Finanzierung durch Ar-
diese präventiven Bereiche und den materiellen Kern des
beitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge, die ergänzt wer-
Haushalts, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach um
den muss, um die finanziellen Prozesse entsprechend
ein paar Millionen Euro kürzen, drängt sich der Verdacht
darstellen zu können.
auf: So wie Sie es hier machen, so machen Sie auch jen-
Herr Spahn, Sie haben mich nicht überzeugt. Hin- seits dieses Haushalts Gesundheitspolitik. Die Gesund-
sichtlich des Medikamentenzulassungsverfahrens muss heitspolitik ist für die Menschen im Lande allerdings
ich Ihnen als Haushälter ins Lehrbuch schreiben, dass von größter Bedeutung. Sie nehmen dem Haushalt ein
Sie das Zulassungsverfahren mit der Bewertung und der Stück weit sein programmatisches, sprich inhaltliches,
Kosten-Nutzen-Analyse völlig durcheinandergebracht Gesicht.
haben. Noch nicht einmal fachlich hat das gestimmt. Ich (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
als Haushälter muss Ihnen sagen, dass Sie die Dinge ge-
waltig durcheinandergebracht haben. Die Rumbling Gun Das überzeugt mich in keiner Art und Weise, auch nicht
der Union hat ganz schön geschossen. Fachlich war das als Haushälter, als der ich ja versuchen muss, Gesund-
nicht wirklich gut. heitspolitik mit effizienten ökonomischen Lösungen zu
verbinden.
(B) Der Haushalt weist ein Volumen von 15,8 Milliarden (D)
Euro auf. Wesentlich bestimmt wird dieser durch den Meine Damen und Herren, man redet sich ja gelegent-
GKV-Zuschuss in Höhe von 15,3 Milliarden Euro: lich – das kennt man aus dem Leben – in Situationen hi-
13,3 Milliarden Euro als regulärer GKV-Zuschuss, wie nein. Man versucht auch einmal, sich zu verteidigen.
dies der Gesetzgeber unter sozialdemokratischer Füh-
rung beschlossen hat – dieser Teil ist aufwachsend –, (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja! Das erleben wir
und einmalig 2 Milliarden Euro zur Stabilisierung der gerade!)
GKV-Beiträge. Das hat auch Daniel Bahr als Reaktion auf die zutreffen-
Trotz des erfreulichen wirtschaftlichen Wachstums den Äußerungen des Kollegen Lauterbach getan. Er ist,
stellt sich natürlich für diesen und für den nächsten Bun- wie von der Wespe gestochen, sofort aufgestanden, um
deshaushalt die Frage, wie wir mit öffentlichen Zuschüs- zu versuchen, die PKV-Vorwürfe materiell zu entkräften –
sen aus Steuermitteln umgehen, um das GKV-System allerdings ohne Chance.
angesichts der steigenden Kosten zu stabilisieren. (Ulrike Flach [FDP]: Na ja! Die Wespe war ei-
gentlich mehr auf Ihrer Seite!)
Was Sie gegenüber der Pharmaindustrie vorhaben,
wäre ehrenhaft, wenn Sie sich nicht die Drehbücher von Im Handelsblatt von gestern – Herr Präsident, ich
der Pharmaindustrie schreiben lassen würden. Ob es Ih- würde mit Ihrer Genehmigung gerne daraus zitieren –
nen wirklich gelingt, eine Kostenregulierung, abgesehen steht:
vielleicht von Rabattregelungen, hinzubekommen, das
werden wir in einem Jahr evaluieren. Ich bin da sehr „Ich bin der Minister für 80 Millionen Versicherte“,
skeptisch, weil Ihre bisherige handwerkliche Arbeits- sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler am
weise so grobmotorig, so ungenau und so fachfremd aus- Freitag im Interview mit der „Süddeutschen Zei-
sieht, dass man sich wirklich wundert und fragt, wer ver- tung“.
sucht, dieses Gesundheitsministerium zu führen. (Beifall des Abg. Jens Spahn (CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, schauen wir uns einmal Das Handelsblatt schreibt weiter – jetzt kommt das,
den materiellen Teil dieses Haushalts an. Dieser Haus- was alle Medien in Deutschland, von Osnabrück bis
halt verfügt über einen materiellen Teil mit einem Volu- München und von Leipzig bis Köln, schreiben –:
men von knapp 500 Millionen Euro. Dabei fällt auf, dass
Sie bei den Dingen, die den materiellen Kern dieses Doch in Wahrheit bittet er die Versicherten zur
Haushalts ausmachen, auch nicht sehr gut aussehen. Kasse. Dagegen verschont der FDP-Politiker die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5973
Ewald Schurer
(A) Ärzte, die private Krankenversicherung und die die Leute lesen keine Zeitungen? Sie lesen sie deutlich (C)
Pharmabranche. besser als Sie.
(Beifall bei der SPD) In den letzten Wochen mussten wir uns ständig den
Vorwürfen derjenigen stellen, bei denen wir sparen. Das,
Das ist die Aussage des Handelsblattes von gestern zu was Sie eben zitiert haben – dass angeblich keiner spart –,
Herrn Philipp Rösler, dem derzeitigen Gesundheitsmi- stand offensichtlich jeden Tag in der Zeitung und führte
nister in Deutschland. Das sind knallharte Aussagen. zu wilden Angriffen auf diese Koalition. Bei Frau Yzer
(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Sie sind trotzdem vom VFA brauche ich im Augenblick eigentlich nicht
falsch! Verkehrt und falsch!) mehr aufzutauchen.
Sie spiegeln das Bild in den Medien wider, und sie spie- (Ewald Schurer [SPD]: Nein! Das ist aber
geln den Eindruck der Menschen wider. auch kein Wunder! – Volker Beck [Köln]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer will mit
(Otto Fricke [FDP]: Aber nicht die Wirklich- Ihnen schon sprechen, Frau Flach?)
keit!)
Wenn Sie sich zum Beispiel anhören, wie sich der Haus-
Zum Schluss komme ich zum Wissenschaftlichen In- ärzteverband äußert, und wenn Sie sich vor Augen hal-
stitut der AOK zurück. ten, was Herr Lotter mit Herrn Hoppenthaller in Bayern
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist doch bestimmt erlebt, muss ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht, ob das alles
ein völlig unabhängiges Institut, oder?) so ist, weil wir nicht sparen.

Es ist nach der Bewertung des Gesundheitssystems ge- Wir haben zum ersten Mal den Versuch unternom-
fragt worden. Darin heißt es: Es gibt eine große Zufrie- men, durchgehend bei allen Leistungserbringern im
denheit – gerade im letzten Jahr ist sie erneut gestiegen – Gesundheitssystem zu sparen, und zwar nicht, weil es
mit den Leistungserbringern im System, also mit Ärzten, uns Freude macht, sondern weil Sie als Hypothek ein
den Angehörigen der Pflegeberufe, denjenigen, die die Riesenloch hinterlassen haben und wir verhindern wol-
Menschen versorgen. Rapide angestiegen ist jedoch, ge- len, dass die Menschen höhere Beiträge zahlen müssen.
rade im letzten Jahr, die Unzufriedenheit mit der Politik, Das ist doch der Punkt.
die desorientierend und nicht in der Lage ist, zu sagen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
wohin es künftig geht. Das ist im Augenblick unser gro- Ewald Schurer [SPD], zur CDU/CSU und FDP
ßes Problem. gewandt: Dafür seid ihr doch verantwortlich!)
(B) (Jens Spahn [CDU/CSU]: „Desorientierung“ Das ist nicht ungerecht, sondern das ist sachgerecht. (D)
ist bei Ihnen ein gutes Stichwort!) Auch die Kassen müssen sich beteiligen, Stichwort: Ver-
Von diesem Problem ist der Haushalt 2011 überschattet. waltungskosten. Ich frage mich an dieser Stelle übrigens,
Ich kann Ihnen nur gute Genesung und eine Rückbesin- wann die Kassen, die uns jeden Tag durch die Medien
nung – gerade Sie, Herr Spahn, hätten sie notwendig – treiben, einmal über die Gehälter ihrer Vorstandsvorsit-
auf die sozialdemokratischen Grundwerte wünschen, die zenden nachdenken.
Sie in diesem Saal brüllend zurückgewiesen haben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
Danke schön. CDU/CSU – Willi Zylajew [CDU/CSU]:
Richtig!)
(Beifall bei der SPD)
Es wäre auch einmal hilfreich, wenn nicht nur der Bun-
desrechnungshof darüber nachdenken würde. Das alles
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
ist übrigens zu Ihren Zeiten gelaufen.
Das Wort hat nun Ulrike Flach für die FDP-Fraktion.
Die Pharmaindustrie wird 2011 mit einer Zuwachs-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten begrenzung von 3,5 Milliarden Euro zur Kasse gebeten,
der CDU/CSU) und 2012 ist sie mit 4 Milliarden Euro dabei. Das heißt:
Wo ist denn hier das Lobbytum, wenn zum ersten Mal in
Ulrike Flach (FDP): Deutschland viele Milliarden Euro – 4 Milliarden Euro
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr im Jahr 2012 und 3,5 Milliarden in 2011 – von Big
Schurer, als Haushälter hat man ja sehr oft eine andere Pharma gefordert werden? Sie können doch nicht erzäh-
Wahrnehmung. Aber das, was Sie uns gerade erzählt ha- len, wir versuchen, die Leute hinter die Fichte zu führen.
ben, ist schon erstaunlich. Vielmehr wird das dazu führen, dass die Menschen end-
lich preiswerte Medikamente haben.
(Ewald Schurer [SPD]: Das finde ich auch!)
(Jens Ackermann [FDP]: So ist es!)
Die „Wertschöpfung“ von mehr als zehn Jahren SPD-
Gesundheitspolitik besteht darin, dass wir im Augen- Das betrifft übrigens auch die Ärzte, die Krankenhäu-
blick ein Defizit von 11 Milliarden Euro zu verzeichnen ser, die Apotheken und den Großhandel. Ich kann Ihnen
haben, das wir decken müssen. Das ist Ihre Wertschöp- eine lange Liste mit Institutionen vorlegen, die im Au-
fung. Ich muss Sie wirklich fragen, wie Sie es überhaupt genblick schwer daran zu knacken haben, dass der Ge-
schaffen, den Leuten so etwas zu erzählen. Glauben Sie, sundheitsfonds von Ihnen bewusst unterfinanziert war
5974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Ulrike Flach
(A) und wir seit dem letzten Herbst versuchen müssen, die- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Karl (C)
ses Defizit zu decken. Lauterbach [SPD]: Keine Sorge!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Harald Weinberg für die Fraktion
Lassen Sie mich auch noch einmal etwas zu den Kas- Die Linke.
sen sagen – ich finde das schon erstaunlich –: Wir sind
hier ja tätig, damit die Kassen auf einem einigermaßen (Beifall bei der LINKEN)
gesunden, soliden Fundament stehen können und die Pa-
tienten weiter eine ordentliche Versorgung haben. Das Harald Weinberg (DIE LINKE):
ist unser Antrieb. Ich lese jeden Tag in der Zeitung – das Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
muss ich an dieser Stelle auch einmal sehr deutlich sagen – Kollegen! Ich muss doch noch einmal darauf zurück-
von wechselnden Wasserständen in Bezug auf das, was kommen: Es geht mir hier und heute um einen Posten,
alles angeblich passieren würde, wenn wir unsere Geset- der nicht im Haushalt zu finden ist, für die Glaubwürdig-
zesvorhaben durchführen würden. Ich frage mich hier keit von Politik aber das A und O ist, nämlich das Ver-
erst einmal: Woher wissen die Herrschaften das? – Sie trauenskapital. Das hat diese Bundesregierung in der Ge-
haben das Gesetz wahrscheinlich genauso wenig gelesen sundheitspolitik deutlich verspielt; denn Gesetze werden
wie Sie, Frau Bender. offenkundig nicht von den zuständigen Ministerien al-
leine geschrieben, sondern in wesentlichen Teilen von
(Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/
Lobbyisten.
DIE GRÜNEN]: Das ist das Erste, was wir ge-
tan haben!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Jetzt fängt der auch noch
an! Wie oft muss man es Ihnen erklären?)
Das scheint dann hier die Folge zu sein.
– Ich komme gleich noch einmal dazu. Sie brauchen es
Denken Sie doch einmal alleine an den Vorwurf der mir nicht zu erklären; ich weiß es schon. – Es entsteht
AOK, das würde zu millionenfachen Einschränkungen der Eindruck, dass diese Koalition Politik macht, die
in der GKV führen. Das wird von einer AOK Bayern ge- man mit Einfluss kaufen kann.
sagt, die mit den Hausarztverträgen dafür gesorgt hat,
dass zusätzliche Belastungen auf die Krankenkassen zu- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Oh!)
kommen. Allein daran sehen Sie doch, wie unsolide sol-
Damit wird die Demokratie entwertet, und das ist ge-
che Vorwürfe sind und mit welcher ausgesprochen ge-
fährlich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
(B) spaltenen Gesellschaft wir es hier zu tun haben. (D)
(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/
Liebe Kollegen und Kolleginnen, der zweite Baustein CSU]: Das erzählen uns die Kommunisten!)
unseres Gesetzes neben den Sparanstrengungen ist na-
türlich immer im strukturellen Bereich zu finden. Ich bin Wir sprechen hier wieder über das Thema Pharma-
sehr froh, dass Herr Rösler das eben noch einmal auf den industrie. Die Bundesregierung lässt sich öffentlich da-
Punkt gebracht hat. Wir machen die Beiträge ein Stück für feiern, dass sie eine Nutzenbewertung für neue Arz-
konjunkturunabhängiger. Wir geben den Kassen über die neimittel eingeführt hat. Wir haben das in einer Rede
Zusatzbeiträge endlich wieder ein Stück ihrer Beitrags- – ich kann mich noch daran erinnern; Kathrin Vogler hat
autonomie zurück, die ihnen von der SPD ja genommen die Rede gehalten – ausdrücklich gelobt.
wurde, und wir führen endlich einen Sozialausgleich ein,
den Ulla Schmidt den Menschen draußen immer verwei- Sie wollen ja zwischendurch immer gerne Lob. Wir
gert hat. Darum geht es doch. haben das ausdrücklich gelobt. Zu diesem Lob gäbe es
auch allen Grund, würde die Regierung es ernst damit
Wenn wir an dieser Stelle über das Aushandeln von meinen. Dann nämlich müssten die Pharmakonzerne
Preisen hochpreisiger Arzneimittel sprechen, was wir erstmals den Nutzen ihrer Produkte nachweisen, bevor
mit unserem Gesetz ja einführen werden, dann denken sie sie zulasten der Beitragszahler abrechnen dürfen. Wir
Sie doch einmal daran, dass Sie diesen Mut nie gehabt wollen das. Wir wollen Transparenz statt Mauschelei.
haben. Ich bin hier völlig beim Kollegen Spahn. Sie,
Nun ist die Bundesregierung dabei ertappt worden,
Herr Lauterbach, haben sechs Wochen lang in der Fur-
dass sie einen Änderungsantrag von der Pharmalobby
che gelegen, weil Sie genau wussten, dass hier ein Ge-
abgeschrieben oder aber von den Augen der Pharma-
setz auf den Weg gebracht wird, durch das die Menschen
lobby abgelesen hat, wie es Herr Bahr gerade gesagt hat.
preiswerte Medikamente erhalten, sie also Zugang zu
diesen Medikamenten bekommen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)
Es wäre gerechter und vor allen Dingen sachgerechter Fakt ist demnach: Diese Nutzenbewertung soll verwäs-
gewesen, wenn Sie sich in den Sommerferien an den sert werden. Nicht mehr ein unabhängiges Institut, son-
normalen, kompetenten Diskussionen beteiligt hätten. dern das Bundesministerium soll künftig per Rechtsver-
Wir hören auch gerne einmal die Vorschläge der Opposi- ordnung festlegen können, wie geprüft wird. Bitte,
tion. Das, was Sie jetzt bringen, ist einfach nur ein Fi- denken Sie einmal darüber nach: Lobbyarbeit besteht
asko und sonst nichts – vielleicht noch ein bisschen Neid nicht nur darin, alles abzuwenden, sondern eventuell ei-
auf ein gutes Gesetz. nen großen Schaden abzuwenden und einen kleinen hin-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5975
Harald Weinberg
(A) zunehmen. Ich denke, das ist die Lobbyarbeit, die hier CSU, CDU und FDP hier die Entscheidungsfindung et- (C)
dahintersteckt. was erleichtert hätten, oder?
Die Pharmalobby hat noch eines draufgesetzt: Sie hat (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
bei der weltweit umsatzstärksten Anwaltskanzlei gleich neten der SPD)
einen Vorschlag für diese Rechtsverordnung in Auftrag
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas sagen,
gegeben. weil Sie immer die Beamten ansprechen: Ich habe noch
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wen interessiert keinen Beamten getroffen, der unter vernünftigen Bedin-
denn das?) gungen nicht viel lieber in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung als in der privaten Krankenversicherung wäre.
Da darf man doch wirklich gespannt sein, ob diese Bun-
desregierung auch diese Vorarbeit dankbar eins zu eins (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
übernehmen wird. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger neten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das
in diesem Land fragen sich: Wer macht hier eigentlich hilft ihnen aber nicht!)
die Gesetze? Das Parlament? Wer macht die Verordnun- Ähnlich sieht es bei der dritten Klientelgruppe von
gen? Die Bundesregierung? Schwarz-Gelb aus, nämlich bei den Arbeitgebern. Zwar
Der Eindruck ist auch durch die aktuellen Dementis werden Sie von der Koalition nun sagen, dass auch die
der Bundesregierung nicht vom Tisch, dass hier einiges Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung um
outgesourct und vom Verband Forschender Arzneimit- 0,3 Prozentpunkte angehoben worden sind. Jedoch wol-
telhersteller und von der Londoner Rechtsanwaltskanzlei len Sie diesen Beitragssatz von dann 7,3 Prozent für die
Clifford Chance übernommen wird. Ich bin sicher: Das Arbeitgeber für alle Zeiten festschreiben. Alle künftigen
ist kein Einzelfall. Es ist nur so, dass es in diesem kon- Kostensteigerungen werden alleine von den Versicherten
kreten Fall öffentlich geworden ist. getragen. So merken auch die Arbeitgeber, dass ihre Par-
teispenden bei den Schwarzen und den Gelben gut ange-
Aber nicht nur die Pharmaindustrie wird hofiert. Glei- legtes Geld sind.
ches gilt auch für die privaten Krankenversicherungen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Weil Ihnen keiner
(Otto Fricke [FDP]: Welcher Lobbyist hat Ih- was spendet!)
nen diese Rede geschrieben?)
Für die gesetzlich Versicherten hingegen wird es bit-
An dieser Stelle muss ich allerdings eines sagen: Mit ter. Ihnen werden die künftigen Kosten aufgebürdet, ins-
Herrn Spahn verbindet mich selten etwas, aber in der besondere durch die kleinen Kopfpauschalen, also die
neuen Zusatzbeiträge.
(B) Frage der Zusatztarife sind wir sogar einer Meinung; (D)
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wow!) Im nächsten Jahr werden die Einnahmen und Ausga-
ben in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die
denn ich bin schon der Auffassung, dass die Zusatztarife, Beitragserhöhung aller Voraussicht nach ausgeglichen
die Sie angesprochen haben, eigentlich das Kerngeschäft sein. Das stimmt, Herr Rösler. Im Jahr darauf wird es
der privaten Krankenversicherung darstellen. Aber ich vermutlich Zusatzbeiträge in ähnlichem Umfang geben
bin gleichzeitig der Meinung, dass die private Kranken- wie bereits in diesem Jahr, nämlich 8 bis 10 Euro. 2013
versicherung eben keine Krankenvollversicherung an- werden die Zusatzbeiträge schon durchschnittlich über
bieten soll. Da unterscheiden wir uns dann wieder deut- 20 Euro monatlich betragen, vorausgesetzt, die Ausga-
lich. ben- und Einnahmeentwicklung geht so weiter wie bis-
(Beifall bei der LINKEN) her. Wenn man dies hochrechnet, kommt man im Jahr
2020 auf einen Betrag von über 100 Euro pro Monat und
Ich frage auch: Wer hat eigentlich die Wahltarife mit pro gesetzlich Versicherten. Dann wäre – auch für die
eingeführt? gut verdiendenden gesetzlich Versicherten – die Belas-
tungsgrenze von 2 Prozent überschritten, und alle müss-
Die Große Koalition hat 2007 beschlossen, dass man
ten einen Sozialausgleich erhalten. Das bedeutet, dass
als Angestellter erst dann in eine private Krankenver-
die Arbeitgeber weiterhin 7,3 Prozent zahlen, die Arbeit-
sicherung wechseln kann, wenn man mindestens drei
nehmer aber 7,3 Prozent plus 2 Prozent Zusatzbeiträge
Jahre und nicht nur ein Jahr lang ein entsprechendes Ein-
plus 0,9 Prozent Sonderbeitrag, also insgesamt 10,2 Pro-
kommen hat. Dadurch blieben mehr Menschen mit gu-
zent. Zuzahlungen und Gebühren sind noch nicht einge-
tem Einkommen in der gesetzlichen Krankenversiche-
rechnet. Eine paritätische Finanzierung sieht anders aus.
rung. Das hat die Beiträge stabilisiert.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Privatversicherer klagten seitdem über einen
„dramatischen Mitgliederschwund und den Wegfall be- Tückisch an dieser Finanzreform des Gesundheitswe-
sonders lukrativer Versicherungsnehmer“, so der Chef sens sind also nicht die sofortigen Auswirkungen, son-
der Deutschen Krankenversicherung, Günter Dibbern. dern die Auswirkungen in einigen Jahren. Damit wird
Seine Klagen wurden erhört: Schwarz-Gelb will diese deutlich, dass diese Bundesregierung nicht das Wohl der
Regelung nun rückgängig machen. Die private Kranken- 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten, sondern
versicherung regt sich auf, die Bundesregierung springt. die Erfüllung ihrer Klientelaufgaben im Blick hat. Das
Ein Schelm, wer dabei denkt, dass die Spenden der ist eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit. Das kostet
Allianz-Versicherung von je 60 000 Euro im Jahr an Vertrauenskapital. Das gefährdet unsere Demokratie.
5976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Harald Weinberg
(A) Wir fordern Sie auf: Kehren Sie um! Verlassen Sie die- Ein Weiteres: Vor einem Jahr gab es Wahlen. Die Bür- (C)
sen Irrweg! gerinnen und Bürger haben die CDU/CSU und die FDP
– auch mit unseren Konzepten des Sparens – zu Regie-
Danke. rungsparteien und Sie zur Opposition gemacht,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das be-
neten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: reuen sie schon! – Mechthild Rawert [SPD]:
Geht es auch eine Nummer kleiner?) Das ändert sich noch!)
Wir werden uns an unsere Konzepte halten. Wir haben
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: die Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro, die Kol-
Nächster Redner ist der Kollege Alois Karl für die lege Steinbrück vor einem Jahr auf den Weg gebracht
CDU/CSU-Fraktion. hat, für dieses Jahr auf 80 Milliarden Euro minimiert.
Herr Schäuble hat heute Vormittag gesagt, dass wir in
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diesem Jahr eine Reduzierung der Neuverschuldung auf
65 Milliarden Euro erreichen werden und damit die Zahl
Alois Karl (CDU/CSU): erreichen, die wir uns erst für 2011 vorgenommen hat-
ten. Es ist eine starke Leistung, die Neuverschuldung in
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
einem einzigen Jahr um 20 Milliarden Euro zu senken.
und Herren des Bundestages! Kaum ist der Haushalt
2010 vor einem halben Jahr hier verabschiedet worden, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
treffen wir uns schon wieder, um den Haushalt 2011 auf
Dies ist ein Anlass zur Freude. Daran sollten Sie sich be-
den Weg zu bringen. Die Kassen sind nicht voll. Wir
teiligen, statt sich auf Ihre miesepeterigen Ausführungen
müssen auch heute unter dem Diktat der knappen Kassen
zu beschränken, wie es heute der Fall war. Die Lage ist
regieren. Aber so ist das Wirtschaften und Haushalten.
tatsächlich besser als die Stimmung.
Das erfordert die Kunst, mit knappen Ressourcen or-
dentlich umzugehen. Um den Sozialstaat mit den hohen Ansprüchen im
Gesundheitswesen zu erhalten, müssen wir auch Verän-
Unsere Haushaltsaufstellung steht bei Ihrem Haus- derungen herbeiführen. Das ist in einem Land, das in
halt, Herr Bundesgesundheitsminister, wie bei allen an- großem Wohlstand lebt, nicht ganz einfach.
deren unter dem großen übergeordneten Leitbild, dass
wir konsolidieren wollen. Das heißt, wir wollen die Wer in großem Wohlstand lebt, ist nicht geneigt, Ver-
Haushalte auch für die nächsten Generationen in Ord- änderungen auf sich zukommen zu lassen. Dennoch
müssen wir für Veränderungen sorgen. Der Weg, den Sie (D)
(B) nung bringen. Konsolidierungspolitik ist nichts anderes
als gut verstandene Zukunftspolitik. Die Kollegen im eingeschlagen haben, Herr Bundesminister, ist in der Tat
Haushaltsausschuss und ich werden in den nächsten Wo- richtig. Wir freuen uns, dass wir ein dichtes Netz aus
chen sehr darauf achten, dass wir die Maßgaben, auf die niedergelassenen Ärzten sowie hervorragenden medizi-
wir uns in der Großen Koalition geeinigt haben – ich nischen Fortschritt in unserem Land haben. Dass das in
glaube, Herr Kollege Schurer, es war eine der großen zehn Jahren SPD-Regierung zustande gekommen sei,
Leistungen der Großen Koalition, ins Grundgesetz auf- Herr Schurer, ist vielleicht nicht ganz richtig.
zunehmen, dass wir auf mittlere Sicht zu ausgeglichenen (Ewald Schurer [SPD]: Die guten Dinge kom-
Haushalten kommen müssen, und zwar mithilfe der men von den Sozialdemokraten! Herr
Schuldenbremse –, auch umsetzen. Wir haben das ge- Singhammer weiß das!)
meinschaftlich beschlossen und müssen es jetzt ausfüh-
ren. Wir haben die Freude, das mit der FDP tun zu kön- Das liegt am Rande der Wahrheit. Aber es ist in der Tat
nen. richtig, dass wir in einem hervorragend entwickelten,
medizinisch hochstehenden Land leben. Das möchten
Was hatten wir vor nur zwölf Monaten für eine Situa- wir halten. Unser Haushalt trägt dazu bei.
tion? Die Auguren hatten nichts Gutes vorhergesagt. Die
Menschen haben um den Wert ihres angelegten Geldes Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gesagt, dass der
gefürchtet. Sie waren um die Stabilität ihres Geldes be- Haushalt in hohem Maß durch den Gesundheitsfonds vor-
sorgt. Die Menschen waren von Arbeitslosigkeit bedroht. belastet ist, dass wir aber auch große Investitionen täti-
gen. Das Robert-Koch-Institut zum Beispiel bekommt
Heute haben wir im Durchschnitt 3,2 Millionen Ar- endlich ein Hochsicherheitslabor. Wir statten es mit mehr
beitslose. Im Herbst wird die Zahl der Arbeitslosen ei- als 42 Millionen Euro aus, um die Forschung in unserem
nen so niedrigen Stand wie seit 20 Jahren nicht mehr er- Land – Herr Lauterbach, Sie haben das moniert – auf ho-
reichen; sie wird auf unter 3 Millionen sinken. Die Zahl hem Niveau voranzubringen. Wir werden die Forschung
der Arbeitsplätze hat einen historischen Höchststand er- und die Bildung in Ihrem Ministerium, Herr Rösler, wei-
reicht. Die Zahl der Kurzarbeiter ist innerhalb eines Jah- terhin stark unterstützen. In den nächsten vier Jahren, bis
res um 75 Prozent gesunken. Jeder junge Mann und jede 2014, werden die Forschungsmittel um 33 Prozent an-
junge Frau, die ausgebildet werden wollen, können einen wachsen. Ich freue mich auch darüber, dass wir die Stif-
Ausbildungsplatz erhalten. Eine solche Situation hatten tung für diejenigen, die sich ohne Eigenverschulden mit
wir schon viele Jahrzehnte nicht mehr. In dieser Situa- HIV infiziert haben, weil sie verunreinigte Blutpräparate
tion einen Haushalt aufzustellen, ist für uns eine Freude erhalten haben, mit 25 Millionen Euro ausstatten. Wir tun
gegenüber dem, was wir vor einem Jahr erlebt haben. alles – genauso wie Sie es gesagt haben, Frau Flach –, um
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5977
Alois Karl
(A) den Aktionismus, den wir bei Ulla Schmidt kennenge- (Heinz Lanfermann [FDP]: Nächste Woche! (C)
lernt haben, zu unterbinden. Wir werden die Ausgaben für Der Kabinettsbeschluss erfolgt am 22. Sep-
die Aids-Bekämpfung in Osteuropa, insbesondere in der tember, Frau Kollegin!)
Ukraine, um 80 Prozent minimieren, genauso wie die
– Wir schauen einmal, ob das zeitlich so ambitioniert
Mittel für die Gesundheitsprävention. Wir werden für
funktioniert, wie Sie sich das vorstellen. Das sind nur
entsprechende Ansätze im Haushalt sorgen.
Ankündigungen.
Ich freue mich auf unsere Beratungen mit Ihnen, sehr Geplant ist eine Beitragserhöhung um 0,6 Prozent-
geehrter Herr Bundesgesundheitsminister, aber auch mit punkte. Diese ist durchaus notwendig, um einen kleinen
Ihnen, liebe Frau Flach, und den anderen Kollegen in Teil des Lochs zu stopfen. Aber Sie haben im Bundes-
den nächsten Wochen. Ich bin sicher, dass wir einen haushalt noch nicht kalkuliert, dass die steigenden Bei-
Haushalt auf den Weg bringen, der effektiv ist, der sich träge zur Krankenversicherung steuerlich absetzbar sind.
am Wohl und an der Gesundheit der Bevölkerung orien-
tiert und der sparsam ist. Ich habe im Juli einmal nachgefragt, was die Beitrags-
erhöhung angesichts der steuerlichen Entlastung der Bei-
Vielen herzlichen Dank. tragszahler bedeutet. Ich weiß gar nicht, ob der Herr
Finanzminister das schon berechnet hat. Das wird noch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einmal ein Loch in den Bundeshaushalt reißen. Deshalb
muss man sich die Zahlen genau angucken.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Es gibt auch ein Geschenk für die Arbeitgeber; denn
Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Bas für die Sie sagen: Wir beteiligen euch im Jahr 2011 noch an den
SPD-Fraktion. Beitragserhöhungen, aber 2012 seid ihr nicht mehr da-
bei. Dann werden die zukünftigen Ausgabensteigerun-
(Beifall bei der SPD) gen nur noch die Versicherten bezahlen. – Deshalb wun-
dert es mich nicht, dass die Versicherten Ihre Politik
Bärbel Bas (SPD): nicht verstehen und sagen: Bei uns kommen keine Er-
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! sparnisse an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Spahn hat gerade Sie brüsten sich damit, dass Sie zusätzlich 2 Milliar-
so schön gesagt, dass wir eigentlich vor Wut in den den Euro an Steuergeldern in den Gesundheitsfonds ste-
Tisch beißen müssten. Das ist in der Tat so, aber nicht cken. Schwierig ist nur, dass diese 2 Milliarden Euro für
wegen unserer Politik in der Vergangenheit. Das, was Sie so ziemlich alle Probleme auf einmal lösen sollen:
(B) Sie heute abgeliefert haben, ist schon abenteuerlich. Das Das Defizit soll ausgeglichen werden. Es soll eine (D)
muss man Ihnen lassen. Schwankungsreserve aufgebaut werden, und ein Sozial-
ausgleich soll damit finanziert werden. – Apropos Sozial-
(Beifall bei der SPD) ausgleich: Erst ab 2015 sollen zusätzliche Steuermittel
Sie stellen sich hier wirklich hin und sagen: Die Ver- für den Sozialausgleich in den Gesundheitsfonds fließen.
sicherten werden nicht belastet. – Diesen Satz muss man Wo bleiben Ihre vollmundigen Versprechungen von einer
sich auf der Zunge zergehen lassen. Es verwundert mich gerechten Finanzierung? Wo beteiligen Sie die Gutver-
aber, dass das die Versicherten nicht merken und Sie da- dienenden an der solidarischen Finanzierung der gesetz-
für keinen Beifall bekommen. Ich kann Ihnen das gleich lichen Krankenversicherung?
erklären. Noch schlimmer ist, was Herr Singhammer ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Steuerzahler!)
sagt hat – das reimt sich fast –: Die Ersparnisse kommen
im nächsten Jahr bei den Versicherten an. – Auch das Nach meiner Auffassung müssen die gesetzlich Kran-
halte ich für eine abenteuerliche Behauptung. Wie soll kenversicherten im nächsten Jahr nicht nur eine unsoziale
das funktionieren? Der Bundeszuschuss beträgt schon Kopfpauschale finanzieren, sondern auch noch ihren ei-
im nächsten Jahr 15,3 Milliarden Euro. Trotzdem wer- genen Sozialausgleich. Das finde ich sehr merkwürdig.
den dem Gesundheitsfonds im Jahr 2011 vermutlich (Beifall bei der SPD)
11 Milliarden Euro fehlen. Sie behaupten, das mit Ein-
sparungen – diese gelten für alle – in Höhe von circa Es kommt noch schlimmer: 2011 soll die Beitragsbe-
3,5 Milliarden Euro auszugleichen. Wir bezweifeln, dass messungsgrenze gesenkt werden. Dadurch kann ich
Sie überhaupt diese 3,5 Milliarden Euro einsparen, wenn keine Mehreinnahmen für die gesetzliche Krankenversi-
wir sehen, welche Änderungsvorschläge zum vorliegen- cherung erkennen. Im Gegenteil, dies schont die Bezieher
den Gesetzentwurf gemacht werden, um der Pharma- höherer Einkommen; die Bezieher kleiner und mittlerer
industrie ein Stück entgegenzukommen. Einkommen werden mehr bezahlen müssen. Das nenne ich
weder gerecht noch sozial. Wenn es nicht so ungerecht
Einen anderen Gesetzentwurf gibt es noch gar nicht. wäre, dann müsste ich mich bei Ihnen dafür bedanken; denn
Sie werfen Diskussions- und Referentenentwürfe in die ich bin eine von den Gutverdienenden, die in der gesetzli-
Medien. Über den Entwurf eines Gesetzes zur Finanzie- chen Krankenversicherung an der Beitragsbemessungs-
rung der gesetzlichen Krankenkasse reden Sie zwar grenze liegen. Ich bekomme eine schöne Kompensation
viel. Aber darüber haben wir noch nichts gelesen. Des- für die Beitragssteigerung, wenn die Beitragsbemes-
halb muss man sich leider mit Ihren Diskussionsbeiträ- sungsgrenze gesenkt wird. Herzlichen Glückwunsch, das
gen auseinandersetzen. finde ich sehr gut. Das nützt aber denjenigen, die gerin-
5978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bärbel Bas
(A) gere Einkommen haben, überhaupt nichts. Damit haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C)
Sie wieder Klientelpolitik für die Gutverdienenden be- neten der FDP)
trieben. Das ist nicht gerecht. Darüber sollten Sie nach-
denken. Stefanie Vogelsang (CDU/CSU):
(Beifall bei der SPD) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kollegen! Ich möchte in den letzten Minuten, die
Hinzu kommen noch nicht bezifferte Bürokratiekos- wir noch haben, nicht über das Arzneimittelmarktneu-
ten für Ihren sogenannten Sozialausgleich. Kassen und ordnungsgesetz oder über das GKV-Finanzierungsgesetz
Arbeitgeber müssen bei den Versicherten Informationen sprechen, sondern ich möchte versuchen, einen Bogen
sammeln und austauschen, die sie bisher nichts angingen vom Einzelplan 15, vom Haushalt des Gesundheitsmi-
und die sie auch nicht haben wollen. Sie müssen den nisteriums, zum Haushalt des Bundesministeriums für
Aufwand betreiben, weil Sie das so wollen und weil es Forschung, dem vorherigen Tagesordnungspunkt, zu
völlig unproblematisch sein soll, für jeden Einzelnen schlagen. Schauen wir uns einmal an, in welchen Berei-
Konten für Zusatzbeiträge einzurichten. Wenn das nichts chen der Gesundheitsforschung Schwerpunkte gesetzt
kostet, dann möchte ich wissen, durch welche haushalts- und Veränderungen vorgenommen worden sind. Ich
politischen Einsparvorschläge Sie das ausgleichen wol- finde, dass Entwicklungen stattgefunden haben, die zwar
len. nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen, einen aber sehr
Auf die Versicherten kommen massive Zusatzbelas- froh und optimistisch stimmen können.
tungen zu; das verschweigen Sie hier. Die Zusatzbeiträge, Wir haben auf der einen Seite das Wirtschaftsminis-
die Sie einfordern, werden noch durch das verschärft, was terium, das stark auf Forschung setzt, um Unternehmen
Sie jetzt in der privaten Krankenversicherung beabsichti- zu fördern. Auf der anderen Seite steht das Forschungs-
gen. Herr Spahn hat sich eben so schön für die kleinen Be- ministerium, vertreten durch Frau Ministerin Schavan.
amtinnen und Beamten in die Bresche geworfen. Ich sage Frau Schavan hat hervorgehoben, dass die Forschungs-
Ihnen voraus: Sie werden sehr wohl die SPD wählen, weil förderung für den Bildungsstandort Deutschland eine
sie nicht wollen, dass ein völlig abgewirtschaftetes Versi- große Bedeutung hat. Schließlich gibt es die Ressortfor-
cherungsmodell subventioniert wird. Sie wollen endlich schung des Bundesministeriums für Gesundheit. Ich
Zugang zu einer gesetzlichen Krankenversicherung ha- stelle fest, dass es eine Übereinkunft zwischen den drei
ben. Sie haben scheinbar vergessen, dass viele Beamte Ministerien gibt, zunehmend Titel gemeinsam zu bewirt-
gern in die gesetzliche Krankenversicherung möchten, es schaften, zunehmend gemeinsam Ziele zu definieren und
im Moment aber nicht dürfen. Konsequenterweise sollten zunehmend gemeinsam Verantwortung für die Haus-
Sie das Gesetz an dieser Stelle ändern, damit sich die Be- haltsmittel zu übernehmen, um speziell für die Bundes- (D)
(B) amtinnen und Beamten in der gesetzlichen Krankenversi-
republik Deutschland definierte Ziele zu erreichen. Das
cherung versichern können; dann wären Sie auf der siche- ist, so finde ich, der richtige Weg. Das Ganze steckt noch
ren Seite. in den Kinderschuhen, und man könnte sich noch mehr
(Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) anstrengen. Aber bis 2014, dem Zeitpunkt, bis zu dem
die mittelfristige Finanzplanung reicht, ist noch etwas
Die Beamtinnen und Beamten, für die Sie sich so in die Zeit, diesen guten Ansatz zu verstärken.
Bresche geschlagen haben, werden uns Sozialdemokra-
ten wählen, weil wir das mit der Bürgerversicherung än- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dern wollen. Der Kollege Schurer hat eben gesagt, es würden An-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Na, da warten sätze, zum Beispiel im Bereich der Präventionsausga-
wir mal ab!) ben, reduziert. Wir sollten uns aber auf der anderen Seite
die Ansätze für die Versorgungsforschung anschauen.
Sie setzen die Solidarität innerhalb der Krankenversi- Absicht der Ministerien ist es, nach der Zielgenauigkeit
cherung leichtfertig und auch bewusst aufs Spiel, indem von Ausgaben für Präventionsmaßnahmen zu fragen.
Sie eine Klientelpolitik zur Stärkung der privaten Das ist der richtige Weg.
Krankenversicherung machen. Sie haben es selbst ge-
sagt: Sie setzen sich massiv für 10 Prozent der Bevölke- Wir haben intensiv über die Organspende diskutiert.
rung ein, die privat versichert sind. – Dafür lassen Sie Wir müssen sinnvolle Maßnahmen ergreifen, um die Be-
90 Prozent der Bevölkerung zu Verlierern werden; das reitschaft der Bevölkerung zu erhöhen, in stärkerem
ist keine Nebensächlichkeit. Das ist eine ungerechte und Maße Organe zu spenden. Dies wurde in der Vergangen-
keine nachhaltige Politik. Wir werden das zu verhindern heit durch Plakatwände und Schalten von ganzseitigen
wissen. Letztlich ist das, was Sie ankündigen, Herr Anzeigen in Zeitungen zu erreichen versucht. Diese
Rösler, weder nachhaltig noch solidarisch, geschweige Maßnahmen waren gut gemeint – ich werfe das nieman-
denn gerecht. dem vor –, aber sie haben die Bereitschaft zur Organ-
spende nicht nennenswert erhöht. Deswegen müssen wir
(Beifall bei der SPD) uns jetzt darum kümmern, wie wir dieses Ziel in Zukunft
erreichen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die am meisten verbreiteten Krankheiten in Deutsch-
Die Kollegin Stefanie Vogelsang ist nun die nächste land sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein Viertel
Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. aller Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5979
Stefanie Vogelsang
(A) entfällt auf die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkran- dann braucht man natürlich ein Zukunftsbild; sonst weiß (C)
kungen. Es ist nachhaltige Haushaltspolitik – schauen man nicht, wie man die Zukunft bauen soll, wie die Ge-
wir uns doch die Entwicklung des Haushalts, des Sozial- sellschaft aussehen soll. Darum möchte ich das Bild, das
ausgleichs oder der Zuschüsse für die GKV in den wir von der Koalition mit diesem Energiekonzept erstre-
nächsten Jahren an –, wichtig und notwendig, dass wir ben, vorstellen.
uns bei der Forschungsförderung im Bereich der Herz-
Kreislauf-Erkrankungen ein Ziel setzen. Herr Bundes- Wir wollen, dass unser Land, dass Deutschland eine
minister, ich möchte Sie herzlich bitten, darüber nachzu- der effizientesten und klimafreundlichsten Volkswirt-
denken, ob wir nicht das nationale Ziel formulieren schaften der Welt wird – und das bei Steigerung der
könnten, zunächst einmal die Rate der Reinfarkte zu sen- Wettbewerbsfähigkeit und Erhaltung eines hohen und
ken. Unsere Anstrengungen im Bereich der Forschung, breiten Wohlstands. Das wollen wir auch durch Energie-
der Vorsorge und der Präventionsmaßnahmen sollten politik erreichen. Wir glauben, dass wir damit einen kon-
sich darauf konzentrieren, die Reinfarktquote in der zeptionellen Wurf gemacht haben.
Bundesrepublik Deutschland um 50 Prozent zu senken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wir sollten einen Zeitraum von fünf Jahren anvisieren neten der FDP)
und nach fünf Jahren überprüfen, was wir erreicht haben.
Das wäre nachhaltige Haushaltspolitik, nachhaltige Ge- Um das zu erreichen – Energieeffizienz, eine der effi-
sundheitspolitik und im Interesse von uns allen. zientesten und klimafreundlichsten Gesellschaften und
Volkswirtschaften weltweit –, braucht man ein langfristi-
Ich danke Ihnen. ges Konzept;
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Zuruf von der LINKEN: Eine Revolution!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: denn Technologien entwickeln sich nur, wenn man einen
Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmel- verlässlichen Rahmen setzt.
dungen mehr vor. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Damit kommen wir zu dem Geschäftsbereich des NEN]: Für die Atomwirtschaft! Für die Nu-
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und klearindustrie!)
Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn wir auch-
Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundes- Märkte in Deutschland entwickeln. Wir brauchen Tech-
minister Dr. Norbert Röttgen. nologieentwicklung und Marktentwicklung in Deutsch-
(B) land; ansonsten werden sich weder Technologien ent- (D)
(Unruhe)
wickeln, noch werden Investitionen, die notwendig sind,
Jetzt dürfte die Aufmerksamkeit gesichert sein. Herr in unserem Land getätigt werden.
Minister, Sie haben das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Sven-Christian Kindler
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden
Naturschutz und Reaktorsicherheit: verhindert! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
Besten Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch die Investi-
und Kollegen! Ich habe an dieser Stelle bereits häufiger tionen abwürgen, Herr Röttgen!)
gesagt: Diese Legislaturperiode ist eine Legislaturpe-
riode von energiepolitischen Grundsatzdebatten und Mit diesem langfristigen Konzept erfüllen wir einen An-
auch energiepolitischen Grundsatzentscheidungen. Das spruch, den sich meine beiden Amtsvorgänger noch
ist gut und richtig so; denn die Energieversorgung ist nicht einmal gestellt haben, geschweige denn, dass sie so
eine Lebensader moderner Gesellschaften. Energiever- etwas erreicht haben.
sorgung, Energiepolitik, das zählt zu den echten Anfor-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
derungen an Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung.
Weil das so ist, brauchen wir ein langfristiges Konzept Was macht dieses Energiekonzept aus?
für Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung. Ein sol-
ches haben wir in der Koalition beschlossen und vorge- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
legt. NEN]: Das kann ich Ihnen sagen! Das ist von
Herrn Großmann diktiert, von RWE!)
Ich möchte die Gelegenheit der Haushaltsdebatte nut-
zen, um zu dieser zentralen Frage von Zukunft und Zu- Dieses Energiekonzept ist deshalb glaubwürdig, weil es
kunftssicherung durch langfristige Energiepolitik Stel- drei Elemente hat: Es ist erstens langfristig, weil es einen
lung zu nehmen. Wenn man Energiepolitik als wichtigen Zeithorizont bis 2050 beschreibt und konkrete Zeitetap-
Bereich von Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung pen, in denen wir bestimmte Ziele erreichen wollen und
versteht, werden. Es ist zweitens handfest mit ganz konkreten
Maßnahmen ausgefüllt.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dann haben Sie eine schwere Nieder- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
lage erlitten! Das heißt, sich auch in der eige- NEN]: Wo ist denn eigentlich Fuchs? Das ist
nen Fraktion durchzusetzen!) doch Ihr Energiepolitiker!)
5980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Norbert Röttgen


(A) Es sind über 60 konkrete Maßnahmen, um die Ziele zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C)
erreichen. Nicht nur große Ziele, sondern auch die Maß-
Ich will konkret sagen, was wir in unserem Konzept
nahmen, die dazu gehören, sind in diesem Konzept ent-
beschlossen haben.
halten. Drittens ist dieses Konzept verlässlich langfristig
finanziert. Sie mögen Wolkenschiebereien und Träume- Erstens. Wir haben uns konkrete Ziele gesetzt, die wir
reien machen; wir machen erstens ein langfristiges Kon- in Etappen fortschreiben, verbunden mit einem Überprü-
zept, wir machen zweitens ein konkretes Konzept, wir fungsmechanismus: bei den Treibhausgasemissionen bis
machen drittens ein seriös langfristig finanziertes Kon- 2020 eine Reduzierung um 40 Prozent bis hin zu einer
zept. Reduzierung um 80 Prozent bis 2050.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
NEN]: Aber nur, soweit Herr Brüderle es zu- DIE GRÜNEN])
lässt!)
Bei der Stromproduktion soll der Anteil erneuerbarer
– Einen Moment könnten Sie vielleicht mal zuhören. Energien 2030 bei 50 Prozent liegen und 2050 bei 80 Pro-
zent.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das soll ambitioniert sein?)
Darum sage ich: Dieses Energiekonzept ist das an-
spruchsvollste, konsequenteste, umfassendste Energie- Wir haben langfristige Ziele. Ihr Erreichen werden wir in
und Umweltkonzept, was es in Deutschland je gegeben Etappen immer wieder überprüfen. Wir setzen uns Ziele,
hat, und es ist weltweit einmalig. überwachen aber auch deren Einhaltung. Darum ist es
glaubwürdig, was wir machen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es ist verfassungswidrig!) Zweitens: erneuerbare Energien. Unser Konzept sieht
– Herr Trittin, ich weiß gar nicht, warum Sie so herum- für alle Sektoren konkrete Instrumente vor. Ich nenne ein
schreien. Beispiel zum Ausbau der erneuerbaren Energien: Die
Offshore-Windenergie, bei der man während der rot-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- grünen Regierungszeit nicht vorangekommen ist, wer-
NEN]: Ich habe hier einen schönen Nachmit- den wir voranbringen. Mit einem KfW-Sonderprogramm
tag! Ich habe mich auf Sie gefreut!) in Höhe von 5 Milliarden Euro werden wir die ersten
zehn Windparks auf hoher See realisieren. Eine solche
(B) Beteiligen Sie sich doch an der Debatte! Vielleicht liegt (D)
der Grund darin, Herr Trittin: Sie haben versucht, den Kapitalmobilisierung haben Sie nicht geschafft. Wir ma-
Ausstieg aus der Kernenergie zu machen; wir machen chen das, weil wir der Offshore-Windenergie zum Durch-
den Einstieg bruch verhelfen wollen, und wir werden dieses Ziel auch
erreichen.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
in erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Das ist
unser Ziel. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Minister, darf ich Sie unterbrechen? Der Kollege
Fell möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Sie wollen ein Ausstiegskonzept machen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
NEN]: Genau! Das ist es! Sie machen den Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Wiedereinstieg!) Ja, bitte.
Wir machen ein energiepolitisches Einstiegskonzept in
erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Das ist der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Unterschied. Bitte sehr.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Aussteigen ist einfach. Einsteigen ist schon etwas an- Herr Minister Röttgen, Sie haben gerade gesagt, dass
spruchsvoller. die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien vorantreiben will. Ich frage Sie: Legt die Bundesre-
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gierung die Daten zugrunde, die im Gutachten von
NEN]: Das glaubt Ihnen niemand!)
EWI und Prognos dargestellt wurden, nämlich dass bei-
– Wir zeigen es Ihnen. Wir machen das auch, Frau Kol- spielsweise der Ausbau der Fotovoltaik in den kommen-
legin. Sie mögen davon reden, wir setzen ein entspre- den zehn Jahren auf nur noch ein Viertel des Ausbau-
chendes Konzept um. Noch einmal: Wir machen etwas, stands von 2010 sinken wird und sich ab 2020 noch
was Sie für sich noch nicht einmal in Anspruch genom- weiter reduzieren wird, dass bei der Windkraft an Land
men haben. der Ausbau auf ein Drittel des derzeitigen Ausbaustands
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5981
Hans-Josef Fell
(A) sinken wird? Das wird nach unserer Meinung zu hohen Das ist marktwirtschaftliche Förderung, die Erfolge auch (C)
Arbeitsplatzverlusten in den betroffenen Branchen und auf den Märkten zeigt.
zu Konkursen führen. Können Sie bestätigen, dass die
Bundesregierung in ihrem Energieszenario die gleichen Wenn man erneuerbare Energien so fördert, wie wir
Zahlen zugrunde legen wird wie das Gutachten, das von das zum Beispiel bei der Windenergie tun, dann muss
Ihnen als Grundlage für Ihre Maßnahmen in Auftrag ge- man sich auch einer Frage zuwenden, die in den letzten
geben wurde? acht Jahren völlig vernachlässigt worden ist, nämlich
dem Netzausbau. Es nützt nichts, Offshore-Windener-
giekapazitäten aufzubauen, wenn man keine Anbindung
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, für diesen Strom an Fernnetze schafft, die ihn in die
Naturschutz und Reaktorsicherheit: westlichen und südlichen Bereiche unseres Landes trans-
Herr Kollege Fell, ich danke Ihnen für diese Frage, portieren können, wo die Nachfrage besteht.
weil mir das die Gelegenheit gibt, ein bei Ihnen und viel- Darum machen wir den Netzausbau zu einem kon-
leicht auch bei anderen bestehendes grundlegendes kreten Schwerpunkt unserer Politik der Förderung von
Missverständnis auszuräumen. Den Energieszenarien erneuerbaren Energien. Die Verzögerung, die es beim
sind bestimmte Annahmen zugrunde gelegt worden. Auf Netzausbau gegeben hat, ist eine der Achillesfersen bei
der Basis dieser Annahmen sind dann Berechnungen an- der Förderung der erneuerbaren Energien. Daher handelt
gestellt worden. Beim energiepolitischen Konzept der es sich hierbei um einen echten Kurswechsel in der För-
Bundesregierung handelt es sich nicht um eine Berech- derung erneuerbarer Energien, den wir gegenüber der
nung, sondern um eine Bekundung dessen, was wir poli- Untätigkeitspolitik, die in der Vergangenheit geherrscht
tisch erreichen wollen. Darauf abgestimmt werden dann hat, jetzt durchführen.
Maßnahmen und Finanzierung. Das ist etwas grundle-
gend anderes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir – nicht Sie – werden jetzt erstmalig eine Cluster-
Deshalb verlängern Sie die Laufzeiten! Toll!) Anbindung für Offshore-Windenergien schaffen. Wir
werden eine Nord-Süd-Fernnetztrasse bauen, weil wir
Darum sage ich Ihnen: Bei dem, was ich eben referiert die brauchen. Wir werden die Smart Grids, die intelli-
habe, habe ich die Ziele formuliert, die unsere Koalition genten Verteilnetze, errichten. Wir werden flächende-
mit bestimmten Maßnahmen erreichen will und mit die- ckend intelligente Stromzähler einrichten. Das alles be-
sen Maßnahmen auch erreichen kann. trifft Versäumnisse alter Zeiten, die wir mit diesem
Konzept jetzt abarbeiten.
(B) (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben sich bei Ihren (D)
Maßnahmen doch auf die Gutachten berufen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das auch Sie ange- Gleiches gilt für die Energieeffizienz. Wir hatten bis-
sprochen haben, nämlich die Fotovoltaik. Wir haben lang eine Steigerung der Energieeffizienz im Bereich
hier ja eine Debatte über die Kürzung der Fotovoltaik- von 1,7 bis 1,8 Prozent pro Jahr. Energieeffizienz ist der
vergütungen geführt. Ich habe gesagt, dass weder die Schlüssel zum Erfolg. Ohne Steigerung der Energieeffi-
Photovoltaik noch andere im Erneuerbare-Energien-Ge- zienz durch moderne Technologien werden wir unsere
setz genannte Energieformen zu einem Dauersubven- Ziele nicht erreichen. Darum werden wir mithilfe einer
tionsgegenstand werden dürfen, sondern es hierbei um klaren Zielmarke eine Steigerung der Energieproduktivi-
eine Hilfe zu deren Markteinführung geht. Wenn sich die tät von 2,5 Prozent pro Jahr erreichen und damit in zehn
Marktposition dann erfolgreich entwickelt, muss der Jahren einen um 20 Prozent geringeren und im Jahr 2050
Staat seine Förderung zurücknehmen. Es wurde hier kri- einen um 50 Prozent geringeren Energieverbrauch ha-
tisiert, das werde zum Untergang führen. Ich nenne Ih- ben. Energieeffizienz und -produktivität sind eine der in-
nen die für 2010 prognostizierten Zahlen, nachdem wir telligentesten Formen der Energiepolitik. Darum wählen
erst dieses Jahr die Kürzung beschlossen haben: Bis wir sie, und darum ist das ein Beitrag dazu, nach vorne
2009 einschließlich wurde eine Kapazität von 9 800 Me- zu kommen.
gawatt Photovoltaikstrom in Deutschland aufgebaut. In Wir werden dabei die Bürger mitnehmen. Wir kom-
diesem Jahr wird die Kapazität in Deutschland noch ein- men nicht als Klimapolizei in die Häuser, sondern wol-
mal um mehr als zwei Drittel gesteigert – allein in einem len die Bereitschaft der Bürger anreizen. Wir wollen sie
Jahr! Auch nach der Kürzung der Förderung werden wir honorieren. Darum werden wir unter anderem einen Ef-
weiterhin 4 000 bis 5 000 Megawatt Aufwuchs haben. fizienzfonds im Umfang von 500 Millionen Euro aufle-
Das heißt, unsere marktorientierte Politik zur Förderung gen. Dieser richtet sich an die Bürgerinnen und Bürger,
erneuerbarer Energien ist erfolgreich. Wir werden sie an die kleineren und mittleren Unternehmen und an die
konsequent in der Form fortsetzen, wie wir es auch an Kommunen in diesem Land. Wir machen Ernst mit
dieser Stelle gemacht haben. Energieeffizienz in Deutschland. Das fängt jetzt erst
richtig an.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Kaputtgemacht! – Bärbel Höhn [BÜND- Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das ka- Fragen Sie mal die Stadtwerke, was die davon
putt!) halten!)
5982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesminister Dr. Norbert Röttgen


(A) Das beschreibt unsere Ziele. Ich habe nicht alle bislang unter beiden Vorgängern der Fall war. Ich will es (C)
60 Maßnahmen vorgetragen, die dazu gehören, sondern ganz ruhig sagen. Ich möchte es in den verbleibenden
habe konkret einige Beispiele genannt. gut anderthalb Minuten in aller Ruhe ausführen.
Ich möchte noch auf zwei weitere Punkte eingehen: (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
die Finanzierung und die Sicherheit. All jene, denen et- NEN]: Überzeugen Sie sich nur selbst!)
was an Energieeffizienz, erneuerbaren Energien, Ener-
Bei der Atomgesetznovelle, die ich einbringen werde,
gieforschung und übrigens nationalem und internationa-
wird selbstverständlich der bisherige technische und
lem Klimaschutz liegt und die nicht parteiisch denken,
rechtliche Stand der Anforderungen an die Sicherheit
müssten sich freuen, dass es uns, die wir dieses Ziel er-
von Kernkraftwerken uneingeschränkt erhalten bleiben.
reichen wollen, gelungen ist, eine verlässliche und seri-
öse Finanzierung für die Zukunft zu erreichen. Das ist (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
absoluter Fortschritt. Altes oder neues technisches Regelwerk, Herr
Minister?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Selbstverständlich bleibt es uneingeschränkt bei der Er-
GRÜNEN]: Absurd!) haltung des gegenwärtigen Sicherheitsstandes.
– Wir können über alles streiten, aber wenn wir für die (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
gemeinsame Sache Erfolg haben, dann können wir uns Altes oder neues kerntechnisches Regelwerk,
alle darüber freuen. – Ich möchte einmal etwas darstel- Herr Minister?)
len, worüber wir uns alle freuen können, weil es ein Er-
Aber wir werden uns damit nicht begnügen, sondern wir
folg in der Sache ist: Wir haben mit dem Bundesfinanz-
werden technisch – das haben wir schon – in konkreten
minister in dieser Koalition verabredet, dass 100 Prozent
Verabredungen mit den Ländern zusätzliche Maßnah-
der zu erwartenden Zusatzerlöse aus dem CO2-Zertifi-
men durchsetzen. Wir werden weiter eine ganz neue zu-
katehandel für internationalen und nationalen Klima-
sätzliche Sicherheitsstufe in das Atomgesetz aufnehmen,
schutz, für erneuerbare Energien und für Energieeffi-
durch die endlich Konsequenzen gezogen werden: Dann,
zienz verwendet werden. Es handelt sich dabei im
wenn sich der Stand von Wissenschaft und Technik wei-
Vergleich zu den bisherigen Erlösen um Zusatzerlöse im
terentwickelt, muss sich das auch in neuen zusätzlichen
Umfang von 2,5 Milliarden Euro. Selbst wenn es sehr
inhaltlichen Anforderungen an die Sicherheit von Kern-
konservativ beim bisherigen Preis pro Tonne bleibt – er
kraftwerken niederschlagen. Das muss dann auch im
könnte sich durchaus noch erhöhen –, sind es 100 Pro-
Einzelfall konkret durch die Aufsicht durchsetzbar sein.
zent. Das hat es überhaupt noch nie gegeben, dass diese
(B) Bereiche auf Jahre und darüber hinaus verlässlich finan- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D)
ziert sind. Damit können wir jetzt Klimaschutzpolitik NEN]: Wann?)
und Energiepolitik machen und sind nicht mehr in der
Das ist eine neue zusätzliche Stufe in der Sicherheit, auf
Defensive. Wir müssen nicht mehr sagen: Wir können
die wir stolz sind; denn das, was technisch an Sicherheit
viel beschließen, aber wir haben das Geld nicht. Das ist
möglich ist, muss auch rechtlich umgesetzt werden. Das
ein Riesenfortschritt, der hier erreicht worden ist. Das
ist unsere Philosophie.
möchte ich gerade in der Haushaltsberatung betonen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE
Nun komme ich zu einem weiteren Aspekt der Finan- GRÜNEN])
zierung. Zusätzlich gibt es noch die Beiträge der Kern-
Das ist eine komplett andere Philosophie – jetzt soll-
energiewirtschaft, die insgesamt einen zweistelligen
ten Sie einmal einen Moment zuhören, Herr Trittin –
Milliardenbetrag ausmachen. Wir werden ab 2013 für
den Bereich Klima- und Energiepolitik rund 3 Milliar- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
den Euro pro Jahr zur Verfügung haben. Das war noch Ich höre immer zu! Ich kann beides, zuhören
nie da und ist ein Erfolg, von dem alle profitieren wer- und dazwischenrufen!)
den.
als die, zu der Sie sich, Herr Trittin, in der rot-grünen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000“
Besonders RWE und Eon!) bekannt haben. Dort ist nämlich damals von Ihnen – an-
ders als jetzt – Sicherheit verhandelt worden. Ich habe
Ich komme zu einem letzten Punkt: zur Sicherheit.
nicht über Sicherheit verhandelt.
Ich schlage vor, dass wir auch mit diesem Thema sehr
sachlich und seriös umgehen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein, Sie machen gar keine!)
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Da warten wir schon lange drauf!) Sicherheit ist die Vorbedingung für den wirtschaftlichen
Betrieb eines Kernkraftwerkes. Sicherheit ist unverhan-
Auch hier gibt es Veränderungen gegenüber der bis-
delbar. Das ist die Bedingung, das hat Priorität und ist
herigen Politik. Ich betone an dieser Stelle: Es ist ein an-
nicht verhandelbar. Anders bei Herrn Trittin.
derer, ein besserer Kurs für mehr erneuerbare Energien
und für mehr Sicherheit bei den Kernkraftwerken, als es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5983

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und (C)
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter
Frau Kollegin Kotting-Uhl? gewährleistet;
– er sichert zu; jetzt zitiere ich wieder –
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit: die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen,
um diesen Sicherheitsstandard … zu ändern.
Ja.
Sie haben vertraglich garantiert, den Sicherheitsstan-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dard 20 Jahre lang nicht zu verändern. Das haben Sie ge-
macht. Darum brauchen wir von Ihnen und von Rot und
Bitte sehr.
Grün beim Thema Sicherheit keine Belehrung.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herr Minister, um das einmal konkret werden zu las- Es hat überhaupt nur einen Umweltminister gegeben,
sen. der die Chuzpe hatte, Sicherheit in einem Vertrag zu ver-
handeln, der im Jahre 2000 für Kernkraftwerke, die noch
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, 20 Jahre lang laufen, zugesagt hat: Es wird keine Initia-
Naturschutz und Reaktorsicherheit: tive der Bundesregierung geben, sondern wir konservie-
Ja, genau, ich werde jetzt konkret. ren den einmal erreichten Sicherheitsstandard, den wir
haben.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Was planen Sie konkret an Maßnahmen, an Sicher- Nach Recht und Gesetz, mein lieber Kollege!)
heitsauflagen gegen Flugzeugabstürze auf Atomkraft- Das ist ein grundsätzlicher Unterschied im Staatsver-
werke? ständnis und im Verständnis von Sicherheit; das unter-
scheidet uns. Wir sagen, wenn sich die Möglichkeiten
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, von Sicherheit erweitern, dann werden wir sie auch
Naturschutz und Reaktorsicherheit: durchsetzen.
Ich werde das gerne ausführen. Wir haben im Kon- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
kreten neue technische Maßnahmen zur Sicherheit ver- NEN]: Perfide!)
(B) abredet, Sie haben über Sicherheit verhandelt, und Sie haben zu- (D)
(Zuruf von der SPD: Nebelwerfer!) gesichert, dass bei der Sicherheit nichts passiert. Darum
ist das, was die Konkretheit der erneuerbaren Energien,
und wir werden das Atomgesetz so verändern, dass dy-
der Energieeffizienz, der Finanzierung und der Sicher-
namische Sicherheitsanforderungen im Gesetz abgebil-
heit angeht, ein grundlegender Unterschied, ein richtiger
det werden.
Fortschritt, den diese Koalition macht.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das ist schon heute die Rechtslage, und Sie ha- Sie haben doch das neue technische Regel-
ben verhindert, sie umzusetzen!) werk, das von mir in Auftrag gegeben worden
Das heißt, dass, so wie sich Wissenschaft und Technik ist, nicht in Kraft gesetzt!)
weiterentwickeln, diese Weiterentwicklung eine inhaltli- Dass Ihnen der parteipolitisch nicht gefällt, kann ich ver-
che Anforderung an die Sicherheit von Kernkraftwerken stehen. Aber in der Sache sollten Sie sich darüber sehr
ist und damit auch rechtlich durchgesetzt werden kann. freuen.
(Ulrich Kelber [SPD]: In welcher Frist?) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
Das ist ein Unterschied – ich möchte die Frage beant- der FDP)
worten – zu dem, was Herr Trittin, als er Umweltminis-
ter war, verabredet hat. Herr Trittin hat im Unterschied Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
zu uns eine Verabredung über Sicherheit getroffen. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Matthias Miersch
für die SPD-Fraktion.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Lesen Sie doch einmal vor!) (Beifall bei der SPD)
Er hat auch einen konkreten Inhalt vereinbart. Er hat
Dr. Matthias Miersch (SPD):
nämlich im Jahre 2000 Folgendes verabredet – wenn ich
Ihnen das noch zu Gehör bringen darf; ich zitiere aus Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
dem Vertrag –: Sehr verehrter Herr Bundesminister Röttgen, ich kann
mir vorstellen, es ist für Sie in diesen Wochen nicht ein-
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fach. Insofern nehme ich Ihnen ab, dass Sie hier sicher-
NEN]: Ich habe nicht nach Herrn Trittin ge- lich erregt sind. Ich finde es aber schon spannend, wie
fragt!) Sie es hinbekommen, über 2050 und 2040 zu reden,
5984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Matthias Miersch


(A) ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass im aktuellen wurde, ohne wissenschaftliche Grundlage? Das müssen (C)
Haushaltsentwurf genau das Gegenteil von dem passiert, Sie hier beantworten.
was Sie hier proklamieren:
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es geht weiter. Im Spiegel vom 23. August führen Sie
nichts an Gebäudesanierung, Kürzung beim Marktan- aus:
reizprogramm, Streichung von Mitteln für den interna- Die Politik muss mächtige Unternehmen gerade
tionalen Klimaschutz. Nichts von dem, was Sie hier ge-
auch im Steuerrecht so wie die normalen Bürger be-
sagt haben, haben Sie tatsächlich umgesetzt. Das müssen handeln. …
die Menschen draußen im Lande einmal wissen.
(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN) Deshalb darf der Staat grundsätzlich nicht mit ein-
zelnen Unternehmen einen Deal machen.
Wenn Sie sagen, es gehe um Grundsatzentscheidun-
gen und um Glaubwürdigkeit, so will ich diese Situation (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem
nutzen, um nun Ihre eigenen Ansagen, die Sie vor weni- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gen Wochen gemacht haben, an Ihren Taten zu messen.
Was haben Sie vor gut zwei Wochen am Wochenende
Fangen wir einfach damit an, dass Sie den hohen An-
gemacht? Jetzt ist mir klar, warum Sie in keiner Weise
spruch hatten, die Verlängerung der Laufzeiten der Kern-
diesen Geheimvertrag erwähnt haben, als Sie mit Herrn
kraftwerke an wissenschaftliche Studien zu koppeln.
Brüderle in die Kameras lächelten. Das hat nämlich fun-
Ich zitiere aus Ihrem Interview mit dem Spiegel:
damental gegen Ihre Grundsätze verstoßen, Herr Bun-
In wenigen Tagen liegt uns der wissenschaftliche desminister.
Rat vor, um zu entscheiden, auf welchem Weg wir (Ulrich Kelber [SPD]: Angebliche Grund-
bis 2050 zur Versorgung mit erneuerbaren Energien sätze!)
kommen.
Aber es gehört zu einer glaubwürdigen Politik, dazu
Nun lag der „wissenschaftliche Rat“ vor; wir wollen Stellung zu nehmen, warum dieser Vertrag mit Ihrer Zu-
an dieser Stelle nicht fragen, inwieweit das Gutachten stimmung geschlossen worden ist.
unabhängig war. Nachdem es aber vorlag, gab Ihr eige-
(B) nes Haus Stellungnahmen heraus, in denen es zum einen (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (D)
heißt: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Gutachter betrachten nicht ausreichend die tat- Herr Minister, auch Sie sind Jurist. Insofern freue ich
sächlichen Kosten für die Verbraucher und ignorie- mich, in den nächsten Wochen und Monaten mit Ihnen
ren … den Nutzen einer ambitionierten Klimapoli- über die juristische Grundkonzeption des Geheimver-
tik und der Entwicklung von zukunftsorientierten trags zu streiten. Was ist das eigentlich? Es ist ein Quasi-
Energierversorgungsstrukturen. Kaufvertrag für längere Laufzeiten, mit der maximalen
Gewährleistung für vier große Konzerne, nichts anderes.
Zum anderen heißt es: Wenn ich mir die einzelnen Bestimmungen ansehe, frage
Das Gutachten zu den Energieszenarien bedarf da- ich mich: Mit welchen Einnahmen rechnen Sie? Durch
her aus den o. g. Gründen noch einer Reihe von den Energiefonds, den Sie mit den ganzen Kreuz-und-
Nachberechnungen und der Berücksichtigung feh- quer-Regelungen aufgenommen haben, wird es zu nichts,
lender zentraler Aspekte, die auch Teil des Auftrags zu gar nichts kommen. Im Gegenteil: Sie verbinden aus
waren. meiner Sicht verfassungsrechtswidrig Sicherheitsinteres-
sen mit Vorauszahlungen, lieber Herr Bundesminister.
Herr Minister, was haben Sie getan, um diesen Emp- Ihre verfassungsrechtlichen Zweifel konnten wir, zumin-
fehlungen Ihres Hauses gerecht zu werden? Sie haben dest in Ansätzen, zur Kenntnis nehmen.
nichts getan. Ich fordere Sie auf, morgen in der Sonder-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sitzung des Umweltausschusses Stellung zu nehmen:
NEN]: Das hat er laut gesagt!)
Welche wissenschaftliche Fundierung hat Ihr Vorschlag,
eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke Es geht noch weiter. Sie greifen aus meiner Sicht in un-
von zwölf Jahren festzulegen? Ich behaupte: keine. zulässiger Art und Weise in das Budgetrecht künftiger
Parlamente und Regierungen ein. Auch damit werden
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
wir uns auseinandersetzen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich zitiere aus Ihrer Rede vom 19. Mai:
Sie setzen sich mit keinem Wort mit den Stellungnah-
men des Gutachtens Ihres eigenen Sachverständigenra- Unser Selbstverständnis als Gesetzgeber muss sein,
tes auseinander, mit keinem Wort mit dem Gutachten des verfassungskonforme Gesetzgebung zu machen,
Umweltbundesamtes. Herr Minister, warum verlassen nicht aber, Risiken einzugehen und dann zu warten,
Sie den gesellschaftlichen Konsens, der 2000 gefunden ob man von Karlsruhe korrigiert wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5985
Dr. Matthias Miersch
(A) Herr Bundesminister, was machen Sie hier? Es ist span- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
nend – man liest es in den Medien –, dass Sie manchem Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Heinz-
Abgeordneten in NRW einen Maulkorb verpasst haben Peter Haustein.
sollen. Nun berufen Sie sich auf das Innenministerium,
auf das Innenressort. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ben den Eid auf die deutsche Verfassung geschworen.
Wenn Sie davon überzeugt sind, dass das verfassungs- Heinz-Peter Haustein (FDP):
widrig ist, was hier passiert, dann müssen Sie deutlich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
dazu Stellung nehmen. Dazu haben Sie heute nichts ge- Damen und Herren!
sagt. Ich hätte das aber von Ihnen erwartet.
Wer hat dich, du schöner Wald,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aufgebaut so hoch da droben?
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Wohl den Meister will ich loben …
LINKEN) Mit diesen Versen von Joseph von Eichendorff stimme
Sie gerieren sich als jemand, der endlich Verantwor- ich auf den Einzelplan des BMU, des Ministeriums für
tung übernimmt, was Ihre Vorgänger alle nicht gemacht Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, ein.
haben, Stichwort Endlagersuche. (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist ja auch Ich tue das deshalb, weil ich auch andere Zeiten kenne.
so!) In der damaligen DDR war das Waldsterben in den Ge-
birgskämmen so extrem, dass dort keine Fichten stan-
Wenn sich das im Jahr 2015 entscheiden wird, sind Sie den, sondern nur noch Geisterbäume ohne Nadeln und
wahrscheinlich Oppositionsführer in NRW, sodass das ohne Rinde. Deshalb bin ich froh, dass wir heute ein
für Sie überhaupt kein Problem mehr ist. Ministerium haben, ausgestattet mit viel Geld, mit kom-
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des petenten Menschen, unter einer christlich-liberalen Re-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gierung, das etwas dafür tut, dass Umwelt Herzenssache
ist.
Aber eines ist doch wohl richtig: Wer heute auf Gorleben
setzt, der riskiert, dass wir im Jahr 2015 mit nichts daste- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hen. Vielleicht glauben Sie nicht mir, aber selbst Ihr ei- Den Menschen auf der Besuchertribüne und vor den
gener CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen fordert Fernsehgeräten sei gesagt: Ich bin der Berichterstatter,
(B) von Ihnen, dass Sie alternative Standorte in Deutschland der Haushälter, der gemeinsam mit meinen verehrten (D)
suchen. Hören Sie bitte auf ihn, weil die Endlagerfrage Kollegen, besonders mit Herrn Bernhard Schulte-
– das zeigt der Haushalt – diesen Haushalt zu einem Drüggelte, diesen Haushalt zahlenmäßig zusammenbas-
Atomhaushalt macht. Er katapultiert die Kosten nach telt.
oben, die Sie mit Ihrer Brennelementesteuer – abzüglich
dessen, was an Körperschaftsteuer fehlt – abdecken wol- (Dorothée Menzner [DIE LINKE]: Das ist der
len, die aber für die Asse-Sanierung und Morsleben etc. richtige Ausdruck!)
draufgehen wird. Dann haben Sie nichts mehr für Ihren Zu den Zahlen. Es heißt, 1,64 Milliarden Euro stehen
Fonds, Herr Kollege Röttgen. Insofern glaube ich, das in diesem Haushalt als Soll. Das sind ja nur 0,5 Prozent,
Ganze ist eine Totgeburt. werden einige sagen. Von diesen 1,64 Milliarden Euro
Den Konzernen, die auf die Absprachen, die getroffen entfallen auf den Endlagerbereich rund 500 Millionen
worden sind, setzen, sage ich knallhart: Es bleibt beim Euro und auf den Stammhaushalt 1,14 Milliarden Euro.
Atomausstieg. Wenn es einen Regierungswechsel gibt, Das untergliedert sich wiederum in den Verwaltungsbe-
können sich diese Konzerne nicht auf Vertrauensschutz reich mit 273 Millionen Euro und in den Programmhaus-
berufen. Ich sage es abschließend mit Ihren Worten aus halt mit 884 Millionen Euro.
der Süddeutschen Zeitung vom 29. Juli: (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Der wird ge-
kürzt!)
Dabei sollte Energiepolitik zu den Bereichen gehö-
ren, über die ein breiter ökonomischer, politischer Das sind 9,6 Prozent weniger als im letzten Haushalt.
und gesellschaftlicher Konsens herrscht. Das ist Doch das ist nicht alles; denn das ist kein Einzelhaushalt,
kein Thema, wo sich bei jeder Bundestagswahl der sondern es handelt sich um eine Querschnittsaufgabe.
Kurs um 180 Grad drehen sollte. Daher werde ich noch einige Positionen aus anderen
Ministerien nennen, die diesem Haushalt zuzurechnen
Ja, Herr Bundesminister, wir sollten die nächsten Wo- sind.
chen dafür nutzen, das zu verhindern; denn Sie haben
vor, den Kurs zu drehen. Wir werden das durch Proteste Da sind zunächst aus dem Haushalt des Wirtschafts-
auf der Straße, aber auch hier im Parlament verhindern. ministeriums fast 450 Millionen Euro, die zum Beispiel
zur Förderung der rationellen und sparsamen Energie-
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. nutzung
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Ulrich Kelber [SPD]: Ist das mehr oder weni-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ger als im Vorjahr? Weniger!)
5986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Heinz-Peter Haustein
(A) oder für neue Technologien zur Konsolidierung der Koh- Euro. Davon entfallen 312 Millionen Euro auf den Be- (C)
lendioxidspeicherung eingestellt werden. reich der erneuerbaren Energien.
Im Haushalt des BMZ, dem Ministerium für wirt- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, werden NEN]: Ordentlich zusammengestrichen!)
1,3 Milliarden Euro für Umweltschutz eingestellt. Auch
viele Projekte im Ausland müssen gefördert werden; Das ist okay. Das ist ausreichend. Wir sagen: Auch dort
denn es gibt nur eine Welt, nur eine Erde. Auch dort wer- müssen Innovationen weiterentwickelt werden. Es bringt
den wir unsere Prämissen setzen: nichts, den Status quo zu halten und immer das gleiche
Geld einzubringen. Man muss leicht herunterdrehen und
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – sagen: Kommt, lasst euch etwas Neues einfallen. Daher
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE sagen wir, dass diese 380 Millionen Euro in diesem ei-
GRÜNEN]: 70 Millionen Streichung!) nen Programm ausreichend und genug sind.
Der Waldschutz gehört dazu, ebenso der Wasser- und Zum Schluss: Wir machen eine solide Haushaltspoli-
Gewässerschutz. Beim Ministerium für Verkehr, Bau tik und eine solide Finanzpolitik. Das, was Rot-Grün in
und Stadtentwicklung steht das CO2-Gebäudesanie- NRW macht, nämlich 9 Milliarden Euro neue Schulden
rungsprogramm im Haushalt, und zwar nach wie vor mit aufnehmen, das ist unverantwortlich. Liebe Freunde, bei
einem sehr hohen Betrag. Die Elektromobilität gehört uns ist Umweltpolitik Herzenssache. In diesem Sinne ein
ebenfalls zu diesem Haushalt. Wir haben das BMF, das herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
Finanzministerium. Da gibt es noch die Sanierung der
alten Braunkohlestandorte im ehemaligen DDR-Gebiet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Auch das muss zu Ende gebracht werden. Dafür werden Ulrich Kelber [SPD]: Das sieht mir eher nach
immerhin 259 Millionen Euro eingestellt. Nicht zu ver- Herzinfarkt aus!)
gessen ist der Bereich Forschung und Bildung. Alles in
allem sind 827 Millionen Euro für Grundlagenforschung
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
im Umweltbereich vorgesehen. Dazu kommen noch
Kredite aus KfW- oder ERP-Programmen in Höhe von Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für
ungefähr 2,5 Milliarden Euro. die Fraktion Die Linke.

Alles in allem sind das 6,5 Milliarden Euro. Das sind (Beifall bei der LINKEN)
200 Millionen Euro mehr für den Umweltbereich als im
letzten Haushaltsjahr. Michael Leutert (DIE LINKE):
(B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D)
Herr Minister, vor einem Jahr, während der Haushaltsbe-
Deshalb stimmt es nicht, wenn Sie sagen, wir würden im ratungen 2010, haben Sie uns die Grundzüge Ihrer Ener-
Umweltbereich nichts tun und kein Geld ausgeben. Das giepolitik hier schmackhaft machen wollen. Sie haben
ist fundiert und solide. Das ist Herzenssache unserer Ko- damals den Papst bemüht und ihn zitiert. Ich möchte Ih-
alition. nen heute einmal ein Zitat aus der Berliner Zeitung vor-
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der lesen:
LINKEN) Wenn nichts mehr hilft, dann vielleicht die Bibel.
Liebe Freunde, dieses Jahr gibt es eine Wende in un- „An ihren Taten, nicht an ihren Worten sollte ihr sie
serer Politik in Deutschland. Es wird gespart, der Haus- erkennen“, empfiehlt sie – das fällt angesichts der
halt wird konsolidiert, und es wird nach vorne geschaut. schwarz-gelben Umweltpolitik selbst dem tapfers-
Schulden machen auf Kosten unserer Kinder, das ist vor- ten Atheisten ein.
bei.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]:
Leider ist das in der Vergangenheit so gewesen. Über Das war aber eine Enzyklika, nicht die Bibel!
300 Milliarden Euro sind allein von Rot-Grün aufge- Caritas in veritate war das!)
nommen worden. Das geht zulasten unserer Kinder. Wir
machen das nicht. Auch wenn wir dafür angegriffen Herr Minister, in Ihrer Rede vor einem halben Jahr
werden, dass manche Subventionen hier und da zurück- haben Sie hier von entschlossenem Klimaschutz gespro-
geführt werden, sagen wir: Subventionen auf Kosten un- chen. Sie haben mit Blick auf den erfolglosen Klima-
serer Kinder sind nicht zu verantworten. schutzgipfel in Kopenhagen gesagt: Jetzt erst recht. Sie
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – haben auch davon gesprochen, in die Offensive gehen zu
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE wollen und nicht unbedingt alte Strukturen zu erhalten.
GRÜNEN]: Die Kinder spielen dann eben auf Das waren zumindest Ihre Worte. Nun, im September,
Atommüllkippen!) beraten wir den Haushalt 2011 und müssen feststellen,
dass Sie von Ihren Ministerkollegen und von der Atom-
Ich komme noch einmal kurz zum Marktanreizpro- lobby, insbesondere von Herrn Brüderle – er ist jetzt
gramm. 448 Millionen Euro waren es für dieses Jahr. Im weg; er hat aufgepasst, dass Sie hier alles richtig sagen;
Ansatz für das nächste Jahr befinden sich 380 Millionen Aufgabe erfüllt –,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5987
Michael Leutert
(A) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN Kern Ihrer Politik, die Sie hier betreiben. Dieser Vertrag (C)
und der SPD) sichert in erster Linie den Energiekonzernen kräftige Ex-
traprofite, geschätzt zwischen 5 und 10 Milliarden Euro
an der Nase herumgeführt wurden, dass Sie in der Öf- im Jahr, eventuell mehr. Dafür sollen sie wiederum pro
fentlichkeit vorgeführt wurden. Nicht Ihr Energiekon- Jahr eine Brennelementesteuer zahlen und einen soge-
zept ist in Deutschland einmalig, sondern dass ein Um- nannten Förderbeitrag von lächerlichen 300 Millionen
weltminister von seinen eigenen Kollegen so vorgeführt Euro in den Anfangsjahren. In dem Vertrag sind aller-
worden ist. dings x Schlupflöcher, wie dieser Betrag gemindert wer-
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem den kann. So können – das ist festgeschrieben – alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zukünftigen Steuern, Abgaben und Beiträge für Kern-
energie und sogar notwendige Investitionskosten, also
Ein Blick in die Zahlen zeigt das ganz klar und deut- Nachrüstung in Sicherheitstechnik, die 500 Millionen
lich. Seit Ihrem Amtsantritt wurden in Ihrem Ministe- Euro überschreiten, davon abgezogen werden. All diese
rium die Gelder für erneuerbare Energien um 124 Mil- Abgaben plus Kernbrennstoffsteuer sollen, wie es heißt,
lionen Euro – das sind minus 25 Prozent – gekürzt. unbeschränkt steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben
Allerdings wurden in Ihrem Ministerium die Gelder für sein; wenn nicht, mindert sich wiederum der Förderbei-
Kernenergie seit Ihrem Amtsantritt um 236 Millionen trag. Nicht zuletzt kündigen die Energieunternehmen
aufgestockt; das ist ein Plus von 77 Prozent. schriftlich fixiert in diesem sogenannten Geheimvertrag
(Michael Kauch [FDP]: Die sind aber refinan- an, dass sie, wenn die Kernbrennstoffsteuer kommt, ge-
ziert!) richtlich dagegen vorgehen wollen. Das heißt, man kann
das Papier folgendermaßen zusammenfassen: Es ist das
Wenn man sich die Ausgaben für Reaktorsicherheit, Papier nicht wert, auf dem es steht, abgesehen natürlich
Strahlenschutz und Kernenergie im Gesamthaushalt an- von der Verlängerung der Laufzeiten. Das ist letztend-
schaut, dann sieht man, dass man mittlerweile fast an der lich absurd.
Grenze von 1 Milliarde Euro angekommen ist. Das kos-
tet uns die Kernenergie. Darin sind noch nicht einmal die Herr Minister Röttgen, ich denke, wenn dieser Haus-
derzeit noch nicht abschätzbaren Folgekosten – Asse ist halt so beschlossen wird, dann sind Sie nicht mehr Chef
schon erwähnt worden – enthalten. Das hat sich im des Umweltministeriums. Wenn dieser Haushalt so be-
Haushalt noch nicht niedergeschlagen. Uns ereilen im- schlossen wird, dann sind Sie Chef des Ministeriums für
mer wieder neue Hiobsbotschaften. Wir wissen mittler- Kernenergie.
weile, dass zehnmal mehr Atommüll in der Asse abge- (Ulrich Kelber [SPD]: Nachfolger von Franz
kippt worden ist als bisher bekannt. Bisher nicht bekannt Josef Strauß! – Zuruf von der FDP: Schwarzer
(B) sind Pläne, wie die Probleme gelöst werden sollen. Auch (D)
Humor!)
nicht bekannt – Sie sprachen von seriöser Ausfinanzie-
rung dieser Energiepolitik – ist, wie zum Beispiel das – Das ist kein schwarzer Humor. Das ist die Aufzählung
Problem Asse gelöst werden soll. Das sind – im Gegen- der Fakten.
satz zu Ihren schönen Worten – die Taten, die Ergebnisse
Das Ergebnis der von Ihnen mitgetragenen Politik ist,
Ihrer Politik, an denen wir Sie messen müssen.
dass die Gewinner die Atomkonzerne sind, die zusätzli-
Im Energiekonzept finden Sie ebenfalls schöne che Profite abschöpfen. Die Verlierer dieser Politik sind
Worte. Davon in die Tat umgesetzt sind bisher zwei Sa- die Bürgerinnen und Bürger, die zum einen die Kosten
chen: erstens die radikale Kürzung der Solarförderung, über ihre Steuergelder zu tragen haben und zum anderen
zweitens die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraft- auch noch die Gefahren tragen müssen.
werke. Sie haben einen Deal mit der Atomlobby ge-
(Beifall bei der LINKEN)
schlossen – das ist hier schon angesprochen worden –,
einen Vertrag, der im Übrigen nur bekannt geworden Ich habe in einer Rede gesagt, dass Sie die Kosten
ist, weil sich ein Vertreter von RWE gegenüber Presse- und Konsequenzen Ihrer Politik nicht im Griff haben.
vertretern versprochen hat. Das zeigt im Übrigen das Ich hätte nicht gedacht, dass dies so schnell bestätigt
Demokratieverständnis dieser Regierung. wird.
(Michael Kauch [FDP]: Unsinn!) Ich kann Sie heute nur noch einmal auffordern: Be-
freien Sie sich von der Atomlobby, und kehren Sie
Sie wissen ganz genau, dass die Mehrheit der Bevölke-
zurück zu einer Politik der Vernunft! Lassen Sie Ihren
rung gegen die Nutzung der Atomenergie ist, und weil
vollmundigen Ankündigungen endlich Taten folgen, und
Sie das wissen, machen Sie die Deals abseits des Parla-
kümmern Sie sich tatsächlich um den Klimaschutz!
ments hinter verschlossenen Türen, um die Öffentlich-
keit in die Irre zu führen. Danke.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neten der SPD)
Dieser Vertrag zeigt vor allem eines: Die Bezeich-
nung, die Sie Anfang des Jahres für die Kernkrafttechnik Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
eingeführt haben, nämlich „Brückentechnologie“, ist Das Wort hat nun der Kollege Sven-Christian Kindler
eine Irreführung. In Wahrheit ist die Kernenergie der für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
5988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

(A) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Konterrevolution im Dienste des Atomkapitals eingelei- (C)
NEN): tet hat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Diese Atomlobbypolitik zeigt sich auch deutlich im
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ange- Umwelthaushalt. Das Haushaltsvolumen wächst. Das ist
sichts der Entwicklungen der vergangenen Wochen auf den ersten Blick sehr erfreulich. Es wird aber vor al-
stelle ich mir zunehmend die Frage: Wer regiert eigent- len Dingen gekürzt, und zwar im Umweltschutzbereich,
lich in diesem Land, bzw. für wen wird hier regiert? im Klimaschutzbereich und im Naturschutzbereich. Hier
Schwarz-Gelb kürzt brutal bei Arbeitslosen und armen wird um 10 Prozent gekürzt.
Familien. Das ist auch klar; denn diese Menschen haben
keine finanzstarke Lobby und finden deshalb bei dieser Besonders drastisch ist die brutale Kürzung beim
Regierung kein Gehör. Marktanreizprogramm für erneuerbare Wärme. Das
ist ein besonders gutes Programm, mit dem nicht nur das
Stattdessen können die Atomkonzerne millionen- Klima geschützt wird, sondern das auch für Kleinunter-
schwere Anzeigenkampagnen auflegen. 40 ältere Män- nehmen und Handwerksbetriebe besonders wichtig ist
ner stehen mit ihrem Namen hierfür bereit. Großmann und konjunkturelle Entwicklungen fördert, weil jeder
und Co. gehen ein und aus im Kanzleramt, und die Re- Förder-Euro 7 bis 8 Euro privates Kapital mobilisiert.
gierung springt nachts aus dem Bett, wenn um 5.23 Uhr Das bedeutet vielfache Gewinne für das Klima, für die
die Atomlobby in Geheimverträgen ihre Bedingungen Gesellschaft und für die Ökonomie. Bei dieser brutalen
diktieren will. Kürzung zeigt sich ganz klar: Statt mehr erneuerbarer
Wärme gibt es bei Norbert Röttgen wie so oft vor allen
(Lachen bei der FDP – Michael Kauch [FDP]:
Dingen heiße Luft.
Unglaublich!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Die Frage ist also: Wer regiert in diesem Land? Ange- bei der SPD und der LINKEN – Ulrich Kelber
sichts dieser skandalösen Vorgänge ist doch offensicht- [SPD]: Bei den Erneuerbaren ist das eisiger
lich, dass Merkel, Westerwelle und Röttgen nur die Wind!)
Profitinteressen der Atomkonzerne durchsetzen. Diese
Regierung ist nicht mehr als ein Marionettenkabinett im Stattdessen wächst im Umwelthaushalt vor allen Din-
Dienste der Atomkonzerne. gen der Atomendlagerbereich an. Dieser wächst um
mehr als 35 Prozent an. Mit knapp 500 Millionen Euro
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist dies fast ein Drittel des gesamten Umweltetats. Die
bei der SPD und der LINKEN) Gelder zum Beispiel für den Schwarzbau in Gorleben
werden sogar verdoppelt. Parallel dazu ist jetzt geplant,
(B) Herr Röttgen hat betont, sein Energiekonzept und (D)
in Gorleben atomkritische Landwirte und Eigentümer zu
diese Vereinbarungen seien eine grandiose Förderung enteignen. Dies halte ich für besonders bemerkenswert,
erneuerbarer Energien. Wenn man aber die Betreiber er- da diese Maßnahme von einer angeblich bürgerlichen
neuerbarer Energien befragt, dann sagen diese: Das ist Regierung geplant wird. Das alles nur, weil Sie, Herr
eine Katastrophe für den Weiterbetrieb und für den Aus- Röttgen, sich nicht trauen, in anderen Regionen nach al-
bau erneuerbarer Energien. Auch die Stadtwerke haben ternativen Standorten und Endlagermedien zu suchen,
das scharf kritisiert. Die Betreiber erneuerbarer Energien weil Sie sich nicht trauen, sich mit Herrn Mappus und
haben diesen Ablassfonds als ein vergiftetes Geschenk Herrn Seehofer anzulegen.
bezeichnet, weil damit Milliardeninvestitionen in er-
neuerbare Energien verhindert werden. Zudem wird die (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Marktmacht der vier großen Energiekonzerne zementiert NEN]: Der hat ja schon vor Herrn Brüderle
und Wettbewerb verhindert. Für die Betreiber erneuerba- Angst!)
rer Energien ist langfristige Investitionssicherheit extrem
– Vor Herrn Brüderle hat er natürlich auch Angst; da
wichtig, die jetzt aber massiv gefährdet ist, weil der
kann er sich auch nicht durchsetzen.
hochsubventionierte Atomstrom die Netze vollstopft.
Stattdessen wollen Sie den ungeeigneten und unsiche-
So wird die Energiewende von Schwarz-Gelb verhin- ren Standort in Gorleben gegen den Willen der Bevölke-
dert. Wir haben damals unter Rot-Grün die Energierevo- rung und gegen die Expertise der wissenschaftlichen
lution für erneuerbare Energien eingeleitet, und zwar mit Gutachten durchboxen. Das zeigt deutlich: Herr Röttgen,
dem Atomkonsens und mit dem EEG. Jetzt geht es aber Sie sind ein eiskalter Atompolitiker und bauen diesen
zurück, zurück in die nuklearen 80er-Jahre, zurück zu Umwelthaushalt schleichend zum Atometat um.
Kohl. Was wir derzeit erleben, ist eine Konterrevolution
im Dienste des Atomkapitals und gegen die erneuerba- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
ren Energien. bei der SPD und der LINKEN)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Doch das lassen wir uns nicht gefallen. Das lassen
bei der SPD und der LINKEN – Michael sich die Stadtwerke nicht gefallen, das lassen sich die
Kauch [FDP]: Sie haben zu viel Ché Guevara Betreiber erneuerbarer Energien nicht gefallen, und das
gelesen!) lässt sich vor allen Dingen die sehr große Mehrheit der
Bevölkerung nicht gefallen. Deswegen werden wir das
– Das Wort „Revolution“, Herr Kauch, habe nicht ich Regierungsviertel am nächsten Samstag umzingeln und
benutzt, sondern hat die Kanzlerin benutzt, die diese Ihnen mit Zehntausenden Menschen klarmachen, dass
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5989
Sven-Christian Kindler
(A) wir diesen Atomwahnsinn ablehnen. Deswegen werden die wir nutzen. Sicherheit hat höchste Priorität. Die Ge- (C)
wir auch im November wieder auf die Straße gehen und winne kommen allen zugute.
uns gegen ein Atomklo in Gorleben querstellen. Wir
wollen so schnell wie möglich eine erneuerbare Zukunft (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Ja, ja! „Sie kommen
und keine strahlende Zukunft. 100 Prozent erneuerbare allen zugute“, ist richtig! Die Frage ist nur:
Energien sind möglich, und das geht ohne Kohle und Wem genau? Wer ist „alle“? – Sven-Christian
Atom. Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den
Konzernen!)
Vielen Dank.
Wir setzen auf Forschung und Technologieoffenheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marie-Luise Dött verstehe Ihre Aufgeregtheit und Ihre zum Teil unrichtige
für die CDU/CSU-Fraktion. bis unsachliche Diskussion. Es ist natürlich ein harter
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schlag,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): GRÜNEN]: Ja, für die Erneuerbaren!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ge-
samtvolumen des Haushaltsansatzes des BMU ist um dass diese Bundesregierung ein klima-, wirtschafts- und
3,1 Prozent höher als im Jahr 2010. Richtig ist, dass der sozialverträgliches Energiekonzept vorlegt. Das ist Ih-
Programmhaushalt des BMU um 9,6 Prozent gesunken nen nie gelungen.
ist; Herr Haustein hat schon darauf hingewiesen. Das ist Das ist und bleibt der Unterschied zwischen unseren
unserem zentralen Ziel, der Haushaltskonsolidierung, Politikansätzen: Sie wissen vor allen Dingen, was Sie
geschuldet. Hierzu müssen alle Ministerien ihren Beitrag nicht wollen. Sie drücken sich vor Antworten auf
leisten, auch das BMU. schwierige Fragen. Sie haben nie Antworten gegeben
Richtig ist aber auch, dass zusätzliche Mittel in den auf die wichtigen Fragen der Energie- und Klimapolitik,
Endlagerbereich fließen. Nach Aufhebung des Erkun- nicht auf die Herausforderungen der Entwicklung der
dungsmoratoriums setzen wir die Erkundungsarbeiten Energieeffizienz, nicht auf die Erfordernisse des Netz-
am potenziellen Endlager Gorleben fort. Die Zeit des ausbaus, nicht auf die Frage der Endlagerung radioakti-
(B) verantwortungslosen rot-grünen Aussitzens eines drän- ver Abfälle, nicht auf die erforderliche Entwicklung von (D)
genden Problems ist vorbei. Wir übernehmen Verant- Speicherkapazitäten und nicht auf die komplexen He-
wortung und stellen uns dieser Aufgabe. Wir überlassen rausforderungen zur Sicherung des Erreichens unserer
sie nicht kommenden Generationen. Klimaziele.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf von der CDU/CSU: Was haben die
überhaupt gemacht?)
Meine Damen und Herren, wir übernehmen Verant-
wortung für unser Land, wir übernehmen Verantwortung Sie versuchen, den Bürgern weiszumachen, dass er-
für Klimaschutz, für eine sichere, bezahlbare Energie- neuerbare Energien umsonst zu haben sind und dass der
versorgung, für Arbeitsplätze und Wohlstand. Wir haben Umstieg auf erneuerbare Energien von heute auf morgen
im Koalitionsvertrag eindeutige und sehr konkrete Aus- ohne Probleme machbar ist. Das ist keine Realpolitik,
sagen zur Klima- und Energiepolitik gemacht. Klima- das ist eine Mischung aus Wunschdenken, Opportunis-
schutz, Energiemix, erneuerbare Energien, Energieeffi- mus und Klientelpolitik.
zienz, Gebäudesanierung, Kohle und CCS, Kernenergie,
Es ist Wunschdenken, weil Sie weder Lösungen für
Energieinfrastruktur und Energieforschung sind die
die Netzanbindung noch für die Speicherung des fluk-
Handlungsfelder, die im Koalitionsvertrag erwähnt sind.
tuierenden Stroms aus Erneuerbaren haben.
Genau diese Themen sind, untersetzt mit über 60 Einzel-
maßnahmen, im Energiekonzept der Bundesregierung (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben den Speicher-
enthalten. Diese Maßnahmen werden wir Schritt für bonus abgelehnt! Sie persönlich haben das Ge-
Schritt umsetzen. Das Konzept sichert das Erreichen un- setz verhindert, Frau Dött!)
serer sehr ambitionierten Klimaziele. Das Konzept be-
rücksichtigt aber auch, dass Energieversorgung mehr ist Es ist Opportunismus mit Blick auf die potenziellen
als Klimapolitik. Es geht auch um den Wirtschaftsstand- Wähler in den Bürgerbewegungen vor Ort, wenn es um
ort und um Arbeitsplätze. die Verhinderung des Netzausbaus zum Anschluss der
erneuerbaren Energien geht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Wir wollen den Umbau unserer Energieversorgung Ulrich Kelber [SPD]: Es gibt niemanden, der
möglichst wirtschaftlich erreichen, gerade um bezahlba- mehr Schuld hat als Sie!)
ren Strom für alle sicherzustellen. Energieeffizienz ist
ein zentraler Ansatz unserer Politik. Wir stärken die er- Last, but not least ist es Klientelpolitik für die gutverdie-
neuerbaren Energien. Die Kernenergie ist eine Brücke, nende Lobby der erneuerbaren Energien in Ihren eigenen
5990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Marie-Luise Dött
(A) Reihen, wenn es um möglichst hohe Vergütungen für Lobbyistenpolitik machen! – Christian Lange (C)
den Solarstrom geht, die die Bürger zu bezahlen haben. [Backnang] [SPD]: Sie können die Lobbyisten
besser bedienen!)
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie helfen den Atom-
konzernen!) Meine Damen und Herren Oppositionspolitiker, ich
fahre fort. Ich finde es absolut unakzeptabel, dass Ihr
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frust über Ihr eigenes politisches Versagen jetzt darin
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der mündet, dass Sie die Bürger gegen das Energiekonzept
Kollegin Bulling-Schröter? der Bundesregierung und gegen eine rationale Klima-
und Energiepolitik förmlich aufhetzen.
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
Jederzeit. GRÜNEN]: Das müssen wir gar nicht ma-
chen! Das machen Sie schon selber!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Durch eine Rhetorik mit Begriffen wie „heißer Herbst“
Bitte sehr. und „schmutziger Deal“
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): GRÜNEN]: Das stimmt doch alles! –
Vielen Dank, Frau Dött. – Ich habe jetzt die Anschul- Christian Lange [Backnang] [SPD]: Was wahr
digungen gehört und so aufgefasst, dass Sie die ganze ist, muss auch wahr bleiben!)
Opposition damit meinten. Jetzt frage ich Sie – Sie wa-
ren ja in der letzten Legislatur gemeinsam mit der SPD zeigen Sie, wo Sie geistig angekommen sind. Hier findet
an der Regierung –: Konnten Sie sich hier denn nicht eine verbale Hetze statt, die abstoßend ist.
durchsetzen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Eine politische Auseinandersetzung wollen Sie gar
LINKEN und der SPD) nicht. Sie wollen die Politik vom Parlament auf die
Waren die so schlecht, oder haben Sie sich von uns nicht Straße tragen. Passen Sie auf, wen Sie dort treffen und
unterstützt gefühlt? Ich für meine Fraktion kann sagen, wer plötzlich Ihre Verbündeten sind!
dass wir uns wirklich sehr darum bemüht haben, die (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
CO2-Reduzierung um 40 Prozent bis 2020 und um GRÜNEN]: Zur Demokratie gehört auch die
90 Prozent bis 2040 durchzusetzen. Ich denke, auch Bürgergesellschaft!)
(B) beim Verkauf der CO2-Klimazertifikate ist uns gemein- (D)
sam etwas gelungen. Noch eines, Herr Trittin – dort hinten sitzen Sie –:
Ihre Meinungswandlung ist ja schon sagenhaft. Im Jahr
Ich verstehe jetzt diese Anschuldigungen nicht; denn 2001 haben Sie als Bundesumweltminister Ihre eigenen
Sie waren ja wirklich gemeinsam in der Regierung. Parteimitglieder schriftlich dazu aufgerufen, sich nicht
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- an Protesten gegen Castortransporte zu beteiligen. Heute
SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ gehören Sie erneut zu den Scharfmachern, die die Ener-
CSU: Frau Dött wollte mehr Klimaschutz! – giepolitik auf die Straße bringen wollen.
Gegenruf aus der SPD: Sie wollten mehr, und (Zurufe von der CDU/CSU: Schau einer an! –
wir haben das verhindert?) So ist er!)

Marie-Luise Dött (CDU/CSU):


Herr Trittin, vor der Regierungsverantwortung rauf auf
die Straße gegen Atom, als Umweltminister runter von
Vielen Dank für diese Frage, Frau Bulling-Schröter,
der Straße und jetzt wieder rauf auf die Straße.
weil ich jetzt auch der Öffentlichkeit erklären kann, dass
man Regierungspolitik in einer Koalition nur gemeinsam (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
machen kann. In unserer Großen Koalition waren die In- GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Billige
teressen genau in diesem Bereich sehr, sehr unterschied- Polemik!)
lich, sodass wir alles nur auf dem kleinsten gemeinsa-
Als Mitglied Ihrer Partei muss man da wirklich höllisch
men Nenner verwirklichen konnten.
aufpassen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie als Person haben
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den Speicherbonus abgelehnt! – Marco Bülow
[SPD]: Lesen Sie vor, welche Gesetze Sie ver- Meine Damen und Herren, für eine Reihe der Maß-
hindert haben und welche an uns gescheitert nahmen gemäß dem Energiekonzept braucht man Zeit
sind!) für die Umsetzung, wie etwa für das EEG, dessen No-
velle erst im nächsten Jahr ansteht. Auch die Maßnah-
Ich bin sehr froh, dass wir jetzt eine Koalition mit der
men zur Entwicklung der Netzinfrastruktur und -spei-
FDP haben; denn in dieser christlich-liberalen Koalition
cher brauchen sicher noch einen Vorlauf. Umso
können wir unsere Ziele verwirklichen.
wichtiger ist es, dass wir dort, wo es möglich ist, schnell
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – mit konkreten Initiativen und Gesetzesvorhaben starten.
Ulrich Kelber [SPD]: Da können Sie besser Beispielsweise sollte eine Aufstockung der Mittel für
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5991
Marie-Luise Dött
(A) das Gebäudesanierungsprogramm, die nationale Klima- Ulrich Kelber (SPD): (C)
schutzinitiative, mit dem Marktanreizprogramm erfol- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
gen. Das ist nicht nur sachlich geboten. Die Bürger er- Herren!
warten zu Recht, dass Teile der Gewinne aus der
Das ökonomische Konzept der konventionellen Ener-
Laufzeitverlängerung für solche Maßnahmen eingesetzt
gieerzeugung, insbesondere durch Kernenergie, ist
werden.
ökonomisch nur schwer mit dem Ausbau der erneu-
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE erbaren Energien vereinbar.
GRÜNEN]: Was Sie jetzt gerade zusammen-
Dieser Satz bekam im Februar 2010 in der Humboldt-
kürzen!)
Universität massiv Beifall, wie das Protokoll vermerkt,
Meine Damen und Herren, auch im Bereich der Ener- als ihn Bundesumweltminister Norbert Röttgen aus-
gieeffizienz bei Unternehmen können wir schnell han- sprach.
deln. Die aufgrund von Haushaltskonsolidierungsmaß- (Frank Schwabe [SPD]: Philosoph!)
nahmen vorgesehenen Kürzungen der Energie- und
Stromsteuerausnahmen für die energieintensiven Unter- Es ist auch kein Wunder, für diese Aussage Beifall in
nehmen sind, so wie sie jetzt konzipiert sind, allerdings einer Bevölkerung zu bekommen, die nach den neuesten
nicht der richtige Weg. Umfragen – ZDF-Politbarometer – zu zwei Dritteln ge-
gen längere Laufzeiten ist. Herr Röttgen, können Sie
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sich eigentlich vorstellen, dass sich die Menschen, die
Es ist richtig, sogenannte Schein-Contracting-Lösun- im letzten Jahr solche Reden von Ihnen gehört haben,
gen nicht mehr zu belohnen. Es ist auch richtig, unge- persönlich durch Sie getäuscht fühlen, durch einen
rechtfertigte Steuernachlässe für Unternehmen abzustel- Minister, der wider besseres Wissen ein sogenanntes
len. Es ist aber auch zu prüfen – das werden wir tun –, Energiekonzept unterstützt, das inhaltlich falsch und ver-
welche Wirkungen die Kürzungen auf das wichtige In- fassungswidrig ist? Sie schaden damit der Glaubwürdig-
strument des Energiespar-Contracting, auch im Wärme- keit der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.
bereich, haben. Eine undifferenzierte Kürzung der Steu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ernachlässe ist nicht nur angesichts der Bedeutung DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
energieintensiver Unternehmen für Wachstum und Be- LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU
schäftigung in Deutschland sehr genau zu prüfen, sondern und der FDP)
auch hinsichtlich der Wirkungen für Klima und Umwelt.
Das gleiche ZDF-Politbarometer hat ergeben, dass
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 65 Prozent der deutschen Bevölkerung das Energiekon-
(B) (D)
Recycling von Abfällen ist eine wichtige Rohstoff- zept für eine einseitige Bevorzugung der Atomkonzerne
quelle für unsere Volkswirtschaft, und es ist umweltpoli- halten, übrigens auch die Mehrheit der Anhängerinnen
tisch höchst sinnvoll. Um das Recycling weiter zu stärken, und Anhänger von Schwarz-Gelb. Die Menschen spüren
werden wir das Kreislaufwirtschaftsgesetz novellieren. doch, dass das eine Reihe darstellt: Mit den Hotelsteuer-
Wir müssen aber auch sicherstellen, dass wir die Recyc- ermäßigungen hat es angefangen. Jetzt kommt die Be-
lingunternehmen zum Beispiel bei der Rückgewinnung dienung der Atomlobby. Die ersten Menschen haben
von Metallen durch den Wegfall der Strom- und Energie- mitbekommen, dass in dem Windschatten der Atomlob-
steuerausnahmen nicht in wettbewerbliche Schwierigkei- bybedienung jetzt auch versucht werden soll, die Phar-
ten bringen. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu Pro- makonzerne und die Versicherungskonzerne durch Herrn
duktionsverlagerungen ins Ausland kommt, wo bei sehr Rösler zu bedienen.
viel niedrigeren Umweltstandards Anlagen betrieben (Michael Kauch [FDP]: Wir kürzen die Phar-
werden müssen. makosten!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was für ein Verständnis parlamentarischer Demokra-
Meine Damen und Herren, wir wollen auch, dass das tie hat eine Regierung, bei der zwei Beamte unter Mit-
CCS-Gesetz schnell kommt. Hier geht es nicht nur um wirkung von vier Konzernen, unter Ausschaltung ihrer
die Kohleverstromung, sondern vor allem auch um die Fachabteilungen, unter Ausschaltung der Zivilgesellschaft,
Nutzung von CCS für die energieintensive Industrie. Es unter Ausschaltung selbst der Abgeordneten der eigenen
gibt also eine Reihe von Maßnahmen aus dem Energie- Koalition, zementiert durch eine Geheimvereinbarung,
konzept, die schnell angegangen werden können und ein Energiekonzept festschreiben sollen, von dem einmal
müssen. vollmundig versprochen wurde, es solle bis zum Jahr
2050 halten?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Michael Kauch [FDP]: Waren Sie im
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kanzleramt dabei?)
Schwarz-Gelb treibt damit immer mehr Bürgerinnen und
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bürger in Demokratiemüdigkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die
SPD-Fraktion. Vorhin hat der Kollege der Grünen gesagt, das sei
keine Revolution, sondern eine Konterrevolution gewe-
(Beifall bei der SPD) sen. Falsch, das war ein Putsch. Es war ein Putsch gegen
5992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Ulrich Kelber
(A) Wettbewerb, indem die vier großen Energiekonzerne Schmitz von RWE verplappert. Frau Homburger hat (C)
ihre Monopole zementiert bekommen, obwohl wir ei- dann gesagt: Wir legen alles offen, was nicht die Be-
gentlich Stadtwerke und neue Wettbewerber fördern triebsgeheimnisse der Atomkonzerne betrifft. Haben Sie
müssten. jetzt alles offengelegt, oder gibt es noch etwas, das Sie
nicht offengelegt haben? Auch das wäre interessant
Es ist ein Putsch gegen den Ausbau der erneuerba-
heute zu hören.
ren Energien. Herr Fell hat das vorhin schon angespro-
chen. Aber du hättest noch die nächste Stufe nennen sol- Sie bereiten eine Atomgesetznovelle vor, die eine
len, Hans-Josef. Denn in den Gutachten, die Sie selber Klagerechtseinschränkung, die Verlängerung der Nach-
als wissenschaftliche Grundlage für Ihr Energiekonzept rüstfristen, weniger Möglichkeiten an verschiedenen
ausgewiesen haben – man muss schließlich zu dem ste- Stellen für die Anliegerinnen und Anlieger und mehr
hen, was man sagt –, wird für das Jahr 2020 ein Rück- Möglichkeiten für die Atomkonzerne enthalten soll. Le-
gang des Ausbaus der Windenergie gegenüber heute von gen Sie auch das bereits jetzt offen!
98 Prozent und der Fotovoltaik von 94 Prozent als Folge
der Maßnahmen vorausgesagt, die Sie im Energiekon- An die Abgeordneten der Koalition habe ich eine
zept ergreifen wollen. Sie wollen also den Ausbau der Bitte. Auch wir haben eine Regierung gestellt, die ver-
erneuerbaren Energie deutlich verlangsamen. Auch das sucht hat, selbst etwas auf den Weg zu bringen. Aber wir
kann man in Ihren eigenen Unterlagen nachlesen. haben ab und zu den Stopper gespielt und gesagt: Das
Parlament hat Rechte; hier endet das, was die Regierung
Es ist ein Putsch gegen die Sicherheit in der Atom- tun darf. Das erwarte ich jetzt auch von den Abgeordne-
energie. Wie kann man alte Atomkraftwerke mit ihren ten aus CDU/CSU und FDP.
Sicherheitsdefiziten noch jahrelang weiterlaufen lassen?
Wir sind gespannt auf den Inhalt der Atomgesetznovelle, Schauen Sie doch in die Vereinbarung hinein! Man
wenn wir hören, dass darin Atomkraftwerken, die nur hat das Gefühl, dass nicht die Regierung, sondern die
noch acht Jahre länger laufen sollen, eine Nachrüstfrist Atomkonzerne am längeren Hebel gesessen haben, ob-
von zehn Jahren eingeräumt werden soll. wohl sie die Verlängerung wollten. Was haben sie sich al-
les gesichert: Gerichtsvorbehalt, Klagevorbehalt, Kos-
Es ist zuletzt ein Putsch gegen den gesellschaftlichen
tenvorbehalt, Inflationsvorbehalt, Wettbewerbsvorbehalt,
Konsens. Wenn Sie nicht auf die Opposition hören, dann
und 2019 – wenn der Fördertopf zwei Jahre besteht – wird
hören Sie doch zum Beispiel auf die Kritik der Gewerk-
wieder verhandelt, und zwar unter Berücksichtigung aller
schaft der Polizei, die sich in den letzten Tagen dazu ge-
Kosten der Atomkraftwerke. Für zwei Jahre Sicherheit in
äußert hat.
der Finanzierung haben Sie das alles nach außen an die
Herr Röttgen – Frau Dött, Sie haben es wiederholt –, Atomkonzerne übergeben. Das haben wir als Verscher-
(B) beln bezeichnet. (D)
Sie haben gefragt: Warum sind die anderen nie mit ei-
nem solchen Energiekonzept gekommen? Wir hätten uns
nicht getraut, mit so etwas, das Sie gemeinsam mit den Bei der Sicherheit gibt es – das muss man in der Tat
Energiekonzernen entwickelt haben, vor die Öffentlich- ansprechen – keine Obergrenze von 500 Millionen Euro
keit zu treten. Das ist der Grund, warum wir so etwas nie für die Sicherheitsnachrüstung. Wenn das jemand öffent-
vorgelegt haben. lich sagt, dann ist das falsch. Aber ab einer Höhe von
500 Millionen Euro kommt das Geld nicht mehr von den
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Konzernen, sondern aus einem öffentlichen Topf, näm-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der lich aus dem Förderfonds für erneuerbare Energien. Die
LINKEN) Bundesregierung wird versuchen, Finanzzusagen aus
Zum Atomdeal selbst: Sie versuchen, den Bundesrat diesem Topf zu machen. Alle Nachrüstkosten über
zu umgehen. Darum ging es bei der gesamten Operation: 500 Millionen Euro können von den Zahlungen in den
Was kann man maximal versuchen, um den Bundesrat Förderfonds abgezogen werden. Das heißt, hinter dem
nicht beteiligen zu müssen? Sicherheitsingenieur wird demnächst der Finanzminister
stehen und ihm sagen: Schau nicht so genau hin! Das
(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Sie haben den kostet mein Geld; das zahlen nicht mehr die Konzerne.
Bundesrat dazu befragt!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wie kann eine Bundesregierung erwarten, dass sich die der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Bürgerinnen und Bürger im Land gesetzestreu verhalten, GRÜNEN)
wenn sie selber versucht, die Gesetze zu umgehen?
Wer gefährliche Kraftwerke betreibt, muss alleine für die
Wenn der ehemalige Präsident des Bundesverfas- Sicherheit zahlen, nicht die Öffentlichkeit.
sungsgerichtes Herr Papier, CSU-Mitglied, sagt: „Das ist
verfassungswidrig“, dann greift ihn der CDU/CSU-Frak- Die Gutachten wurden verschleppt und manipuliert.
tionsvorsitzende Kauder in unerträglicher Weise persön- Die Gutachter wurden selektiert und am Ende missinter-
lich an, weil hier einer offengelegt hat, wie Sie handeln. pretiert. Das steht selbst in den Vermerken des Umwelt-
ministeriums. Sie lassen sehr viele Menschen desillusio-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
niert über die parlamentarische Demokratie zurück.
DIE GRÜNEN)
Unsere Aufgabe wird nicht nur sein, uns politisch gegen
Die Geheimniskrämerei war eindeutig. Sie wollten Ihre Ziele zu stellen; die Aufgabe der Opposition ist auch,
das Ganze nicht veröffentlichen. Dann hat sich Herr möglichst viele dieser Menschen wieder für die parla-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5993
Ulrich Kelber
(A) mentarische Demokratie zurückzugewinnen. Das gibt (Ulrich Kelber [SPD]: Auf welcher Basis?) (C)
uns Kraft für die nächsten Monate.
Die CDU/FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen hatte
Vielen Dank. eine Reduzierung um 33 Prozent bis 2020 als Ziel.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Ulrich Kelber [SPD]: Aber nichts gemacht!)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber Sie haben die Klimaschutzziele in Nordrhein-
Westfalen auf 25 Prozent gesenkt. Die grüne Partei sollte
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sich schämen, wenn sie sich den dortigen Koalitionsver-
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege trag anschaut.
Michael Kauch.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Frank
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Schwabe [SPD]: Das ist Unsinn!)
der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das alles ist aber kein
Wunder; denn wenn man gegen jeden Kraftwerksneubau
Michael Kauch (FDP): ist, dann werden die Dreckschleudern in Nordrhein-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Westfalen weiter betrieben. Das bedeutet doch nichts an-
Bundeshaushalt stellt neben der viel diskutierten Ener- deres, als dass Sie sich einen schlanken Fuß machen.
giepolitik einen großen Fortschritt dar, der hier erwähnt Eine Reduzierung um nur 25 Prozent in Nordrhein-
werden sollte; denn Umweltpolitik ist mehr als nur Ener- Westfalen bedeutet, dass die anderen Bundesländer etwa
giepolitik. Wir haben als christlich-liberale Koalition ein 50 Prozent erreichen müssen. Das ist zutiefst unsolida-
Anliegen im Bereich des Naturschutzes. Wir haben im risch. Ich schäme mich, dass die Regierung meines Bun-
Verkehrshaushalt Mittel zur Wiedervernetzung von Bio- deslandes so mit dem Bund und den anderen Ländern
topen bereitgestellt. Wir haben im Umwelthaushalt 15 Mil- umgeht.
lionen Euro zusätzlich für das Bundesprogramm für die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
biologische Vielfalt und den Naturschutz im nächsten
Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine solche Un-
Jahr eingestellt. Wir geben insgesamt 14 Milliarden Euro
verschämtheit!)
für Naturschutzgroßprojekte aus. Das heißt, wir verdop-
peln die Projektmittel für den Naturschutz. Unsere Poli-
tik dient der biologischen Vielfalt. Wir haben die Haus- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
aufgaben für die Konferenz für biologische Vielfalt Herr Kollege Kauch, gestatten Sie eine Zwischen-
gemacht und setzen das nun um. frage der Kollegin Höhn?
(B) (D)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Michael Kauch (FDP):
Wenn wir über das Energiekonzept sprechen, dann Gerne.
dürfen wir nicht vergessen, dass es gleichzeitig um eine
Festlegung der Klimapolitik in Deutschland geht. Mit Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU):
unserer Klimapolitik sind wir vorbildlich für die interna- Bitte sehr, Frau Höhn.
tionalen Verhandlungen. Erstmals besagt das Energie-
konzept – damit setzen wir die Koalitionsvereinbarung
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
um –, auf welchen Zwischenstufen wir bis 2050 Stück
für Stück zu einer Einsparung bei den klimaschädlichen Herr Kollege Kauch, können Sie bestätigen, dass ein
Gasen um mindestens 80 Prozent kommen wollen. Im Unterschied zwischen Zielen und Taten besteht und dass
Jahr 2020 sollen es bereits 40 Prozent sein. Das Ziel Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen zwar hohe Klima-
wird mit planbaren und nachprüfbaren Schritten erreicht. schutzziele gesetzt hat, aber gleichzeitig eine Politik ge-
Darauf kann sich jeder einstellen: die Industrie, die Ver- macht hat, die zur Genehmigung neuer Kohlekraftwerke
braucher und die Hausbesitzer. Niemand kann mehr sa- führte – das reichte bis zur Änderung des Landespla-
gen, er wusste nicht, was wir wollen. Wir machen eine nungsrechts, damit in Datteln gebaut werden konnte –,
klare Politik für das Klima, planbar für alle Beteiligten. was zur Folge hat, dass mehr CO2 ausgestoßen wird als
zuvor? Die Taten bedeuten also mehr CO2, egal welche
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Frank Ziele Sie sich setzen; denn diese können Sie nie und nim-
Schwabe [SPD]: Wo steht das denn?) mer erreichen. Können Sie bestätigen, dass das Landes-
planungsrecht geändert worden ist, damit weiterhin Koh-
Wir haben das alles durchgerechnet und zeigen: Das ist lekraftwerke in Nordrhein-Westfalen gebaut werden
kein Wunschdenken irgendwelcher Grünen. Vielmehr können?
werden Maßnahmen beschlossen.
(Michael Leutert [DIE LINKE]: Hört! Hört!)
Das Kontrastprogramm ist das, was die rot-grüne
Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen macht.
Michael Kauch (FDP):
(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ Liebe Frau Kollegin Höhn, Sie haben es offensicht-
CSU]) lich bis heute nicht verstanden.
Wir haben im Bund eine Minderung der CO2-Emissio- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
nen um 40 Prozent bis 2020 beschlossen. Sie haben es nicht verstanden!)
5994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Michael Kauch
(A) Herr Gabriel, der nun SPD-Vorsitzender ist, hat Ihnen als [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beruhigen (C)
Umweltminister auf die gleichen Einwürfe immer wie- Sie sich!)
der erklärt, wie der Emissionshandel in Europa funktio-
niert. Wir haben bis 2020 ein festgelegtes Emissionsbud- Meine Damen und Herren, wir werden in die Spei-
get. Das heißt, ein neues Kohlekraftwerk erhöht die chertechnologien investieren, und wir werden die Ge-
CO2-Emissionen nicht. bäudesanierung vorantreiben. Das sind nicht nur schöne
Worte, sondern die Maßnahmen, die der Herr Umwelt-
Im Übrigen sage ich Ihnen ganz klar: Mir ist ein minister eben vorgetragen hat, sind auch seriös finan-
hocheffizientes Kohlekraftwerk in Datteln lieber als eine ziert. Das ist das, was Ihnen immer gefehlt hat. Sie
Dreckschleuder wie die Braunkohlekraftwerke von vor- mussten immer beim Finanzminister betteln gehen. Der
gestern. Sie sorgen dafür, dass diese Dreckschleudern Umweltminister muss das künftig nicht mehr tun,
weiterlaufen werden.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jetzt müssen wir um Sicherheit betteln!)
Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: denn wir werden ein Sondervermögen schaffen, durch
Das ist Ihre Politik!) das das Wirtschafts- und das Umweltministerium ihre
Projekte entsprechend durchführen können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Wir belasten die Konzerne.
Herr Kollege Kauch, nun möchte der Herr Kelber
auch eine Zwischenfrage stellen. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Oh! – Christian Lange [Back-
Michael Kauch (FDP): nang] [SPD]: Deswegen haben sie sich alle bei
Ihnen bedankt!)
Ich möchte mich jetzt nicht mehr mit der Vergangen-
heit beschäftigen, sondern in die Zukunft schauen. Das rot-grüne Atomgesetz sieht in § 18 vor, dass die
Nachrüstung von Sicherheitstechnik nur gegen Ent-
(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem schädigung möglich ist. Das bedeutet, dass wir dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Steuerzahler aufgrund der 500-Millionen-Euro-Grenze,
Leutert [DIE LINKE]: Ein bisschen Vergan- bis zu der die Konzerne keinen Abzug bei der Gewinn-
genheitsaufarbeitung würde guttun!) abschöpfung geltend machen können, 8,5 Milliarden
Deshalb schauen wir jetzt in das Zeitalter der erneuer- Euro ersparen. Wir schöpfen zusätzlich etwa 16 Milliar-
baren Energien, denn dorthin gehen wir als christlich- den Euro an Gewinnen ab. Zusätzlich dazu schöpfen wir
(B) liberale Koalition. Noch nie hat eine Bundesregierung in etwa 15 Milliarden Euro durch die Brennstoffsteuer ab. (D)
diesem Land so hohe Erneuerbare-Energien-Ziele be- Sie können noch so sehr behaupten, wir würden denen
schlossen, und zwar verbindlich und mit Perspektiven: Geschenke machen: Wir kassieren die mehr ab, als Sie
Beim Strom sind es 80 Prozent, bei der Primärenergie sich das jemals getraut haben.
sind es 50 Prozent. Das sind keine Wolkenkuckucks- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-
heime, sondern wir haben das durchgerechnet. chen bei der SPD)
(Ulrich Kelber [SPD]: Wer? Wo?) Das, was Sie auch hier wieder vorgetragen haben, ist
Das geht ohne unangemessene Belastungen der Verbrau- nichts anderes als Verhetzung. Herr Kelber, wenn Sie sa-
cher. Es geht ohne Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt, gen, das sei ein Putsch, dann sage ich Ihnen, dass das an-
aber eben nur dann, wenn man es klug macht und nicht tidemokratische Rhetorik ist.
Ihren ideologischen Wegen folgt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die Opfer von Putschen in Griechenland, in Argentinien
Ulrich Kelber [SPD]: Nun berufen Sie sich und in Chile werden sich angesichts der Rhetorik, die
doch auf das EEG!) Sie gegen eine demokratisch gewählte Regierung fahren,
im Grabe umdrehen. Wir haben vor der Wahl gesagt,
Meine Damen und Herren, Sie reden, wir handeln. was wir nach der Wahl tun; denn wir setzen unser Wahl-
Wir gehen den notwendigen Umbau im Energiebereich programm um. Das wusste jeder, wir haben das vorher
an. Wir gehen den Netzausbau innerhalb unseres Landes auf jedem Marktplatz gesagt.
und an den Kuppelstellen zu den anderen Ländern an.
Frau Höhn, ich sehe schon, Sie werden die Erste sein, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu-
die die Bürgerinitiativen gegen den Bau der Netze für rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
die Weiterleitung von Strom aus erneuerbaren Energien GRÜNEN)
unterstützt. Sie sind bei jeder Bürgerinitiative: gegen
Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor, dass
Kernkraft, gegen Kohle, gegen Biogasanlagen und jetzt
wir einen Deal machen.
wahrscheinlich auch gegen die Netze. Das ist Ihre Poli-
tik: Immer das Kirchturmdenken vorantreiben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Genau, 5 Prozent!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Rot-Grün hat einen Vertrag mit den Energiekonzernen
GRÜNEN]: Billige Polemik! – Bärbel Höhn geschlossen. War das kein Deal? Sie sagen, wir dealen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5995
Michael Kauch
(A) Sicherheit weg. Ich sage, wir erhöhen mit unserem Ver- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
trag und mit gesetzlichen Maßnahmen die Sicherheit. Herr Kollege Kauch, bitte sehr.
Wir machen es per Gesetz erforderlich, Nachrüsttechnik
einzusetzen, und wir begrenzen das nicht auf irgendeine
Summe, während Sie zur Durchsetzung Ihres Atomkom- Michael Kauch (FDP):
promisses dafür gesorgt haben, dass es keine Steuern für Lieber Herr Kelber, Sie zitieren einen Bericht, den ich
die Konzerne, keine Steuern auf die Brennstoffe und hier nicht verifizieren kann. Ich kann Ihnen nur sagen:
keine zusätzliche Sicherheit sowie Nachrüsttechnik nur Die schwarz-gelbe Landesregierung hat ein Kraftwerk-
gegen Entschädigung gibt. Sie hätten sich für den Ver- erneuerungsprogramm auf den Weg gebracht, mit dem
trag schämen sollen und nicht wir. wir bis 2020 die Klimaschutzziele, die wir uns gesetzt
haben, erreicht hätten. Sie werden das Programm jetzt
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich stoppen. Die Investitionen, die wir anstoßen, können
Kelber [SPD]: Aber dafür Ausstieg!) nicht von heute auf morgen wirken. Deshalb legen wir
langfristige Klimaprogramme auf. Wir schauen nicht da-
Meine Damen und Herren, ich sage ganz klar: Wir rauf, wie sich die Konjunktur in einem Industrieland wie
sorgen für ein Endlager. Nordrhein-Westfalen entwickelt, wo die Emissionen
ausgesprochen konjunkturabhängig sind.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo denn? – Weitere Zurufe von der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
SPD: Wo denn?) Ulrich Kelber [SPD]: Die Antwort war: Ihnen
ist die Zahl nicht bekannt! Gut zu wissen!)
Als Sie für die Atomaufsicht verantwortlich waren, ha-
ben Sie die Betreiber der Asse zehn Jahre lang gewähren
lassen und geschlampt. Sie haben zehn Jahre die Hände Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
in den Schoß gelegt und in Gorleben nichts gemacht, Nun hat die Kollegin Dorothée Menzner für die Frak-
weil Sie Angst vor Ihrer Klientel hatten. Sie haben tion Die Linke das Wort.
Klientelpolitik betrieben, weil Sie Angst vor der nächs-
ten Wahl hatten. (Beifall bei der LINKEN)

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dorothée Menzner (DIE LINKE):


NEN]: Sie haben Angst vor der nächsten
Wahl! Da gehen Sie nämlich unter!) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Seit rund einem Jahr wird uns das Energiekonzept ange-
(B) Wir betreiben verantwortliche Politik für künftige Gene- priesen, aber bisher wurden wir vertröstet. Jetzt liegt es (D)
rationen, weil wir endlich eine Lösung für die Atom- vor. Je genauer man es sich anschaut, desto mehr ent-
brennstäbe finden, die längst schon in Deutschland pro- puppt es sich als Scheinriese. Je näher man hinschaut,
duziert worden sind. desto mickriger stellt es sich dar. Es ist unambitioniert in
Bezug auf die CO2-Reduktion. Sie bleiben weit hinter
Vielen Dank. dem zurück, was Ihre eigenen Wissenschaftler für mög-
lich halten. Es gibt keinen Fahrplan, keine Zwischen-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – ziele, keine Richtlinienvorschläge, keine Ansätze für ein
Frank Schwabe [SPD]: Das glaubt Ihnen bloß Monitoring und keine konkreten Gesetzesvorschläge.
keiner!) Das Konzept ist eine Aneinanderreihung von Floskeln,
und Sie erzählen hier wieder das Märchen von der
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Selbstverpflichtung.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kol- Den Geist, den dieses Konzept ausatmet, erkennt
lege Kelber. man, wenn man das Konzept nach sprachlichen Krite-
rien untersucht. Ich habe mir die Mühe gemacht und die
Ulrich Kelber (SPD): Wörter gezählt. Der Wortstamm „Markt“ kommt 80-mal
vor, der Wortstamm „Klima“ noch 30-mal und der Wort-
Herr Kollege Kauch, Sie haben die neue nordrhein- stamm „Umwelt“ nur noch 20-mal. Daran wird deutlich,
westfälische Landesregierung angegriffen und auf die dass das ganze Papier offensichtlich nur die Petersilie für
Nachfrage nicht reagiert. Sie haben gesagt, die alte die Laufzeitverlängerung sein soll.
schwarz-gelbe Landesregierung habe weitreichende Kli-
maschutzplanungen für NRW gehabt und den CO2-Aus- Bleiben wir beim Stichwort Brennelementesteuer.
stoß um 33 Prozent verringern wollen. Die Quelle für Es sollen zukünftig 145 Euro je Gramm Plutonium oder
folgende Zahl ist übrigens die Westdeutsche Allgemeine Uran befristet auf sechs Jahre gezahlt werden. Die Zah-
Zeitung, die sich wiederum auf den Umweltbericht der lungen sind als Betriebsausgabe abzugsfähig, was be-
schwarz-gelben Landesregierung bezieht: Der CO2-Aus- deutet, dass das zulasten der Länder und der Kommunen
stoß in der Zeit der schwarz-gelben Landesregierung ist geht. In einem Geheimvertrag wird den Energieversor-
in NRW von 280 Millionen Tonnen auf 290 Millionen gern ausdrücklich die Klagemöglichkeit zugestanden.
Tonnen gestiegen. – Ist Ihnen die Zahl bekannt? Wie Letztendlich werden die Konzerne höchstwahrscheinlich
wollten Sie die nächsten 150 Millionen Tonnen einspa- klagen und längere Laufzeiten realisieren können – und
ren? das Ganze zum Nulltarif.
5996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dorothée Menzner
(A) Stichwort Energiefonds, für den ab 2017 Zahlungen machen. Wir müssen raus aus der Atomenergie, und (C)
zu leisten sind. Es sind 9 Euro je Megawattstunde vorge- zwar unverzüglich und unumkehrbar.
sehen. Gekoppelt ist das an den Index der allgemeinen
Verbraucherpreise. Was ist das denn für ein Bezug? Es Ich danke.
tut mir herzlich leid, aber das erschließt sich mir über- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
haupt nicht. Dieser Fonds soll helfen, Maßnahmen zur neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
Förderung erneuerbarer Energien zu finanzieren. Son- GRÜNEN)
derprogramm Offshore-Windenergie. Was wird da ge-
fördert? Da werden nicht dezentrale erneuerbare Ener-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gien gefördert, sondern wieder Großprojekte. Die
Konzerne, die jetzt Atomkraftwerke betreiben, haben Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Höhn für
sich die Baugenehmigung für genau diese Offshore- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Windparks gesichert. Sie sponsern oder unterstützen da
sozusagen sich selber. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Stichwort Nachrüstung der AKWs. In einem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sonderparagrafen 7 d des Atomgesetzes senken Sie die Wir haben von Herrn Kauch heute ein seltsames Schau-
Sicherheitsanforderungen deutlich. Für wesentliche si- spiel erlebt. Er hat Lautstärke statt Argumente vorgetra-
cherheitsrelevante Bereiche werden demnach keine gen.
Nachrüstungen mehr gefordert, die dem Stand von Wis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
senschaft und Technik genügen. Sie führen das Wort der und bei der SPD)
Sorgepflicht ein. „Sorgepflicht“ ist aber sehr viel weni-
ger als das, was bisher Stand der Gesetze ist. Vom Umweltminister haben wir ein trauriges Schauspiel
erlebt. Wir haben die Rede eines Umweltministers ge-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hört, der vor der Atomlobby eingeknickt ist und jetzt
NEN]: So ist es!) hier wider besseres Wissen einen schmutzigen Deal ver-
Anträge zur Wiederaufnahme des Betriebs der Pan- tritt und schönredet.
nenreaktoren Krümmel und Brunsbüttel sind angekün- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
digt. Da bleibt abzuwarten, was passiert. Ich ahne und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Schlimmes. LINKEN – Frank Schwabe [SPD]: Das weiß
Sie haben mehrfach davon gesprochen, es sei doch so er auch!)
toll, dass Sie endlich in Netzausbau investieren würden
(B) Herr Röttgen, ich schätze Sie persönlich, aber einen (D)
und da vorankämen. Zu welchem Preis denn bitte schön?
Vorwurf muss ich Ihnen nach diesem Geheimdeal leider
Sie wollen die Beteiligungsrechte der Bürger einschrän-
machen, und der Vorwurf lautet: Sie haben die Sicher-
ken. Sie wollen Planungsverfahren beschränken. Sie be-
heit der Bevölkerung verraten und verkauft.
schränken Möglichkeiten, die in Ländergesetzen gege-
ben sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Es ist insgesamt ein abenteuerliches Konzept, dessen bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der
Details sich auch im Haushalt ablesen lassen. Ein Drittel CDU/CSU: Das ist unter Ihrem Niveau, Frau
des Umweltetats von 1,6 Milliarden Euro sind Kosten Höhn!)
für Atomkraftnutzung. Eine weitere Milliarde findet sich Das ist ein harter Vorwurf, und deshalb will ich ihn gern
noch in anderen Haushalten. Für Natur-, Umwelt- und belegen.
Klimaschutz: minus ein Zehntel. 2009 haben Sie in Ko-
penhagen Mittel für den globalen Klimaschutz zugesagt. Sie haben in der Süddeutschen Zeitung vom
Im neuen Haushalt findet sich nicht eine Rate davon. 6. Februar gesagt:
Sie führen das Parlament und die Öffentlichkeit an Der Wunsch, staatliche Einnahmen zu erzielen,
der Nase herum. kann kein tragender Gedanke eines energiepoliti-
schen Konzeptes sein. Das wäre eine Form von
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Deal-Politik, die ich ablehne.
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) Was haben Sie gemacht? Genau diesen Deal, einen
schmutzigen Deal, einen heimlichen Deal, einen gefähr-
Ungeniert schanzen Sie den Atomkonzernen Milliarden- lichen Deal, tragen Sie mit und verteidigen Sie hier im
gewinne zu. Damit nicht genug: Sie lassen sich von de- Parlament. Das ist die Politik, die Sie hier machen, Herr
nen auch noch die Verträge und die Gesetze schreiben – Röttgen.
unter Umgehung des Parlaments, unter Umgehung der
Öffentlichkeit, ohne demokratisch legitimierte Entschei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dung und Transparenz, die die Bürger aber mit Fug und sowie bei Abgeordneten der SPD)
Recht erwarten können.
Ich sage mit vielen Tausenden am kommenden Sams- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
tag: „Atomkraft: Schluss jetzt!“ Ich bin sehr sicher, dass Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
das nicht die letzte Aktion sein wird, wenn Sie so weiter- Kollegen Kauch?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5997

(A) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Geheimdeal ist nicht nur dieser Verdacht aufge- (C)
Aber gern, sicher. kommen, sondern Sie kommen tatsächlich in einen rea-
len Interessenkonflikt. Exakt dann, wenn die Sicherheit
Michael Kauch (FDP): mehr als diese 500 Millionen Euro kostet, entsteht dieser
Interessenkonflikt; denn dann müssen Sie zum Finanz-
Der Minister hat sich gerade auf einen Abgeordneten-
minister gehen und ihn um Gelder für die Sicherheit der
platz gesetzt. Da hätte ich mich gar nicht zu einer Zwi-
Atomkraftwerke anbetteln. So etwas haben Sie mitgetra-
schenfrage melden müssen. Aber ich stelle die Frage
gen, Herr Röttgen. Damit habe ich ein Problem.
jetzt trotzdem: Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu neh-
men, was beispielsweise der Kollege Kelber richtiger- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
weise dargestellt hat, dass es nämlich keine Begrenzung bei der SPD und der LINKEN)
zur Höhe der Nachrüstung pro Kernkraftwerk durch ir-
gendwelche vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gibt, Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
(Ulrich Kelber [SPD]: Bitte vollständig zitie- Kollegen Röttgen?
ren!)
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
dass nach dem Entwurf des Vertrages ausschließlich die
Gewinnabschöpfung reduziert wird, wenn eine be- Ja, bitte.
stimmte Schwelle überschritten wird?
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Im Atomgesetz werden wir eine unlimitierte Risiko- Wir haben ja bei einer solchen Frage auch eine Ver-
vorsorge vorsehen, und ich weise nochmals darauf hin, pflichtung, hier sachlich und seriös zu debattieren und
dass nach dem geltenden § 18 des Atomgesetzes, den Klarheit über den Sachverhalt zu erreichen.
Rot-Grün zu verantworten hat, jede nachträgliche Auf-
lage eine Pflicht zur Entschädigung durch das Bundes- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
land auslöst, das diese Auflage erlässt. Deshalb ist es in Genau!)
dieser Republik noch nie dazu gekommen, dass einem Bewerten können wir ihn dann unterschiedlich. Wenn es
Kernkraftwerk eine technische Nachrüstung auferlegt aber um Sicherheit geht, stehen wir alle in der Verpflich-
wurde. Sind Sie bereit, diese Fakten aus dem Atomrecht tung, nicht für Verwirrung, sondern für Klarheit zu sor-
zur Kenntnis zu nehmen? gen.

(B) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In diesem Sinne möchte ich an Sie die Frage stellen, (D)
ob Sie meiner Behauptung zustimmen, dass in der rot-
Herr Kauch, ich bin bereit, die Zahlen, die der Minis-
grünen Vereinbarung vom Jahre 2000 die Zusage, dass
ter selbst genannt hat, zur Kenntnis zu nehmen. Der
die Sicherheitsanforderungen nicht erhöht werden, di-
Minister sagte vor den Verhandlungen mit den Atom-
rekt im Vertrag mit der Kernenergiewirtschaft geregelt
konzernen, dass eine zwölfjährige Laufzeitverlängerung
wurde, und dass das in der Vereinbarung, die jetzt vorab
– das war ja seine Vorgabe an die Studien – Nachrüs-
geschlossen wurde, nicht der Fall ist – das ist eine reine
tungskosten in Höhe von 20 Milliarden Euro nach sich
Regelung zur Gewinnabschöpfung. Stimmen Sie mir
zieht. Der geheime Deal, der jetzt vereinbart wurde, hat
auch zu, dass sich die Notwendigkeit der Erfüllung zu-
zur Folge, dass bei Kosten für Nachrüstungen, die über
sätzlicher Sicherheitsanforderungen alleine aus dem Ge-
500 Millionen Euro pro Kraftwerk hinausgehen – bei
setz ergibt und diese nicht limitiert sind? Wenn aber Si-
17 Kraftwerken macht das 8,5 Milliarden Euro –,
cherheit mehr Geld kostet, und zwar mehr Geld, als
(Ulrich Kelber [SPD]: Maximal!) kalkuliert worden ist, dann mindert das den Gewinn und
reduziert auch die Gewinnabschöpfung. Das ist ein kla-
der Minister bei seinem Finanzminister betteln gehen rer Mechanismus, der immer dann greift, wenn von Ge-
muss, um für die Sicherheit weitere Millionen, die an- winnabschöpfung ausgegangen wird. Aber all das drückt
sonsten für andere Dinge vorgesehen werden könnten, geradezu aus, dass es einen Vorrang, und zwar einen rein
zu bekommen. Das ist die Folge der Vereinbarung mit gesetzlichen, für Sicherheit gibt, anders als in dem Ver-
den Atomkonzernen. Das ist nichts anderes als ein Deal trag von Rot-Grün. Können Sie es also bestätigen, dass
„Sicherheit gegen Geld“ bzw. ein Verkauf von Sicher- es jetzt einen im Gesetz verankerten Vorrang von Sicher-
heit. heit gegenüber vertraglich geregelten Gewinnabschöp-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, fungen gibt?
bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich will noch ein Zitat des Ministers anführen. Gegen-
über dem Kölner Stadt-Anzeiger hat er am 20. Februar Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
dieses Jahres gesagt: Herr Kollege – das muss ich ja in diesem Fall sagen –
Röttgen, vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit ge-
Es darf nicht einmal der Verdacht aufkommen, dass
ben, genau aus diesem Vertrag noch einmal zu zitieren.
der Staat in einen Konflikt geraten könnte zwischen
dem Interesse, Gewinne zu erzielen, und jenem, Si- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie können
cherheit zu gewährleisten. Ja oder Nein sagen!)
5998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bärbel Höhn
(A) – Nein, nein, wenn Sie zitieren – das haben Sie ja vorhin Stand von Technik und Wissenschaft weiterzuentwi- (C)
gemacht –, dann zitieren Sie bitte alles. Das, was Sie zi- ckeln. Das haben Sie in Ihrem Atomgesetz beibehalten,
tiert haben, war der Satz: und das werden auch wir in unserem Atomgesetz beibe-
halten.
die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen,
um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zu- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
grunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. NEN]: Das tun Sie gerade nicht!)
Genau diesen Satz haben Sie zitiert. Nun müssen Sie mir – Herr Trittin, Sie müssten es eigentlich besser wissen.
aber einmal sagen: Was ist der Sicherheitsstandard?
Dieser wird danach definiert. Dieser ist keineswegs so (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
statisch, wie Sie ihn darzustellen versucht haben. Viel- NEN]: Ich weiß es besser!)
mehr steht im Vertrag auch drin, dass Sicherheitsüber- Die Volksverdummung, die Sie hier betreiben, ist wirk-
prüfungen stattfinden. Da wird aufgelistet, dass alle zehn lich unerträglich.
Jahre Sicherheitsüberprüfungen gemacht werden müs-
sen. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN und bei der SPD)
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
Was das Atomgesetz heute nicht regelt, ist beispiels-
Und außerdem wird ein neues technisches Regelwerk weise die Frage des Vorgehens in einzelnen Kraftwer-
entwickelt. Dieses neue technische Regelwerk, das ken. Wenn Block I drei Kühlsysteme und Block II vier
Jürgen Trittin auf den Weg gebracht hat, könnten Sie mit Kühlsysteme als Redundanz hat, dann fällt die Anord-
einem Federstrich in Kraft setzen. Dann hätten wir mehr nung des vierten Kühlsystems auch für den ersten Block
Sicherheit. Aber Sie tun es nicht. Deshalb sage ich: Sie unter Nachrüsttechnik. Das können Sie heute nur gegen
bieten weniger Sicherheit. Entschädigung durch die Bundesländer anordnen. Das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist der Punkt, über den wir hier reden. Eine weitere Ver-
bei der SPD und der LINKEN) ringerung der Wahrscheinlichkeit von irgendwelchen
Störfällen bedeutet zusätzliche Sicherheit.
Im Übrigen, Herr Minister Röttgen: Die beste Sicher-
heit für alte Pannenreaktoren ist, sie abzuschalten. Ich muss Ihnen schon sagen: Wenn Sie von Pannen-
reaktoren sprechen, die abgeschaltet werden müssen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dann frage ich mich, warum die rot-grüne Regierung un-
bei der SPD und der LINKEN) ter einem Umweltminister Trittin sie nicht von heute auf
morgen abgeschaltet hat, wenn sie sie doch für so ge-
(B) Einige der problematischsten AKW würden abgeschal- (D)
tet, wenn Sie ihnen nicht acht Jahre mehr Laufzeit geben fährlich hielt. Ich frage mich, warum zum Beispiel der
würden. Sie machen die Sicherheit gerade kaputt. Atomreaktor Krümmel, der mittlerweile seit zwei Jahren
stillsteht, nach Ihren Plänen ohne jede weitere Sicher-
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist heitsmaßnahme noch bis 2018 hätte laufen dürfen.
Sicherheit! Abschalten!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin Höhn, der Kollege Kauch möchte noch Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
einmal fragen. Herr Kauch, ich habe hier einige Teile aus der Verein-
barung der rot-grünen Regierung zitiert. Dahinter kom-
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): men weitere Passagen. Da geht es zum Beispiel um
Bitte. Biblis A. Da wird genau festgelegt, wie ein Nachrüstpro-
gramm für Biblis A aussehen soll. Interessanterweise
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: steht darin, dass es natürlich zum Verhältnis der Restnut-
Aber nicht wieder so eine Frage, die nach hin- zung angemessen sein muss. Sie aber packen noch acht
ten losgeht!) Jahre drauf. Damals waren es zehn Jahre. Die sind jetzt
abgelaufen.
Michael Kauch (FDP): (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Frau Kollegin Höhn, hier geht es um Fragen, die für NEN]: Das sind mehr als acht Jahre!)
die Bürgerinnen und Bürger wirklich von existenzieller
Bedeutung sind. Damals – vor dem 11. September – wusste man aber
noch gar nichts von der Gefahr gezielter Flugzeugab-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: stürze durch Terroristen. Selbst atompolitische Hardliner
Genau! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE in der CDU wie Koch und Oettinger haben nach der
GRÜNEN]: Gut, dass Sie das merken, Herr
Bundestagswahl von der Kanzlerin eine bauliche Nach-
Kauch!)
rüstung gefordert, um die Reaktoren vor Terrorangrif-
Die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass man fen zu schützen. Was aber machen Sie? Diese Forderun-
hier nicht bewusst Dinge miteinander vermengt. Es ist gen sind in der Vereinbarung nicht zu finden. Frau
so, dass das geltende Atomgesetz den Kraftwerksbetrei- Kotting-Uhl hat doch gefragt: Was machen Sie denn,
bern auferlegt, ihre genehmigten Systeme nach dem Herr Umweltminister? Was machen Sie mit Biblis A?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 5999
Bärbel Höhn
(A) Was machen Sie mit den anderen Reaktoren? Schützen tisch, dass wir diesen schmutzigen Atomdeal noch stop- (C)
Sie sie gegen Terrorangriffe aus der Luft? Ja oder Nein? pen können. Wir werden alles tun, um das hinzubekom-
Das wollen wir heute hier wissen. Die Bevölkerung hat men.
das Recht, noch heute zu erfahren, wann und mit wel-
Danke schön.
chen Methoden dies geschehen soll.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der LINKEN)
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Wir haben eben über die Sicherheit geredet. Es gibt Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein
aber noch andere Sachen, die hier unter die Räder kom- für die CDU/CSU-Fraktion.
men. Dazu gehört zum Beispiel das Ziel des Wettbe-
werbs. Auch hierzu zitiere ich den Bundesumweltminis- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ter. Im Handelsblatt vom 16. März 2010 hat er von der
„Dominanz der Großen“ gesprochen. Er sagte, dass das Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
ein Grund dafür ist, warum wir so hohe Preise haben. Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir
Die Dominanz der Großen ist gegen den Wettbewerb ge- sind mit der klaren Aussage in den Bundestagswahl-
richtet, und das führt zu überhöhten Strompreisen. Ge- kampf gezogen, dass wir die Laufzeiten der Kernkraft-
nau diese Dominanz der Großen ist aber in Ihrer Verein- werke verlängern müssen, um die Wende in der Energie-
barung festgelegt und zementiert worden. Das heißt: Der politik gegenfinanzieren zu können, um die Nutzung
Bundesumweltminister macht jetzt genau das, was er vor erneuerbarer Energien, deren Ausbau teuer ist, ausbauen
der Vereinbarung beklagt hat. Genau dem stimmt er zu. zu können. Genau das setzen wir jetzt um. Geschätzter
Am Ende werden es die Verbraucher sein, die dafür die Kollege Kelber, da kommt es nicht auf die Umfragen an,
Zeche zu zahlen haben. Das wollen wir nicht. Deshalb
werden wir gegen die Vereinbarung, die Sie gemacht ha- (Ulrich Kelber [SPD]: Sondern darauf, wie
ben, ankämpfen. man es macht! Ganz genau!)

Ein drittes Opfer dieser Atompolitik ist das Grundge- sondern auf das, was von den Bürgerinnen und Bürgern
setz. Herr Röttgen, ich will gar nicht darüber spekulie- in Wahlen entschieden wird. Ich würde mir nur wün-
ren, was Sie da in Nordrhein-Westfalen gesagt haben. Es schen, dass diejenigen, die hier mit uns diskutieren, we-
ist ja schon genug darüber geredet worden. Ich will gar nigstens bei der Wahrheit bleiben.
nicht fragen: Was haben Sie Ihren Kollegen da wirklich (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) gesagt? Gibt es da wirklich einen Maulkorb? Was war (D)
NEN]: Das wünschen wir uns auch!)
das für eine Rechtsauffassung?
Liebe Frau Höhn, Sie haben von einem geheimen
Ich will hier nur zwei Gutachter zitieren, die Ihr Deal gesprochen.
Ministerium beauftragt hat, die Frage einer Beteiligung
des Bundesrates zu untersuchen. Professor Papier (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
kommt zu dem Ergebnis, dass man den Bundesrat nicht Was war das anderes?)
nur beteiligen muss, sondern dass Laufzeitverlängerun- Das wird schon dadurch widerlegt, dass wir hier darüber
gen zustimmungspflichtig sind. Macht man das nicht, ist diskutieren. Dadurch wird klar, dass das nicht geheim
es verfassungswidrig. Professor Wieland kommt zu ge- sein kann.
nau derselben Position. Professor Wieland sagt heute so-
gar in der Zeitung, es wäre ein fahrlässiger Umgang mit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dem Grundgesetz, würde man Laufzeitverlängerungen Es steht ja auch im Internet, was da vereinbart worden
am Bundesrat vorbei beschließen. Das sind zwei Profes- ist. Das widerspricht dem komplett.
soren, zwei Gutachter, die von Ihnen, von Ihrem Haus,
beauftragt worden sind. Das interessiert Sie jedoch über- Andererseits entspricht es komplett der Absicht, die
haupt nicht. Das heißt, Sie begehen sehenden Auges ei- wir vorher hatten, nämlich zu sagen: Wir schöpfen die
nen Verfassungsbruch. Das werfen wir Ihnen vor. Hälfte der durch die Laufzeitverlängerung erzielten Zu-
satzgewinne im Sinne einer Ökodividende ab. Jetzt kom-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men welche, die sagen, es sei ganz ungewöhnlich, dass
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der es da eine Anrechnung gibt. Ja, Entschuldigung, diese
LINKEN) Gewinne muss man doch berechnen. Auch die vielge-
Aber, meine Damen und Herren, Sie werden damit scholtenen Versorger können einen Euro nur einmal aus-
nicht durchkommen; denn die Mehrheit der Bevölkerung geben. Wenn an der Steuerschraube gedreht wird und die
teilt Ihre Position nicht. Die Opposition ist geschlossen Brennelementesteuer von einer Nachfolgeregierung er-
dagegen, und auch das Grundgesetz haben Sie gegen höht wird, dann muss das, was anschließend in den
sich. Deshalb werden wir hier im Parlament und auf der Fonds eingezahlt wird, auch angerechnet werden.
Straße, auch am 18. September, also am kommenden
Samstag, Widerstand leisten. Wir werden vor das Bun- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
desverfassungsgericht ziehen, wenn Sie den Bundesrat Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
nicht beteiligen. Wir sind sehr sicher und sehr optimis- Kollegin Höhn?
6000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

(A) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): im Vertrag markiert habe; denn wenn der Minister es (C)
Ja, gern. nicht gemacht hätte, hätte ich sie Ihnen vorgetragen.
(Frank Schwabe [SPD]: Das glaubt Ihnen doch
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): keiner!)
Herr Kollege Nüßlein, können Sie bestätigen, dass
dieser Vertrag, bevor er ins Internet gestellt wurde, über- Das ist nämlich spannend, insbesondere weil Sie vor der
haupt nicht bekannt war, damaligen Bundestagswahl durch die Lande gezogen
sind und gesagt haben, Kernenergie sei unverantwort-
(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Im lich, die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden.
Koalitionsvertrag angekündigt!) Dann gehen Sie her, schreiben eine Vereinbarung auf Pa-
sondern dass er erst bekannt geworden ist, weil ein Vor- pier, paraphieren das Ganze und sprechen von den hohen
standsmitglied von RWE auf einer Veranstaltung in internationalen Sicherheitsstandards der deutschen Kern-
München auf die Frage von Herrn Münchmeyer von energie. Das ist doch ein Widerspruch. Sie hätten da-
Greenpeace gesagt hat: Im Übrigen haben wir um mals, nachdem Sie bis 1998 vom sofortigen Ausstieg aus
5.28 Uhr oder 5.23 Uhr noch einen Vertrag paraphiert, dieser nicht zu verantwortenden Technologie gesprochen
und der Staatsminister des Umweltministeriums musste hatten, in der Tat sofort aussteigen können. Da waren Ih-
dafür noch aus dem Bett geholt werden? Erst danach ha- nen offenbar der Dienstwagen und das Amt wichtiger als
ben wir angefragt, was das für ein Vertrag ist. Erst da- diese existenzielle Frage.
nach haben wir die Kanzlerin und die Bundesregierung
gebeten, uns diesen Vertrag zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
Erst danach haben wir diesen Vertrag erhalten. Erst jetzt chen bei Abgeordneten der SPD und des
steht der Vertrag in der Tat im Internet, nachdem wir auf- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN))
grund der Frage von Herrn Münchmeyer von Green- Technologien, die angeblich so unverantwortlich sind,
peace diesen angefordert haben. Was ist das anderes als muss man aufgeben. Man kann doch nicht sagen: Na ja,
geheim? es ist nicht zu verantworten; aber die nächsten 20 Jahre
können wir das in Kauf nehmen. Ich sage Ihnen ganz of-
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): fen: Wer wie Sie im Glashaus sitzt, sollte mit etwas klei-
Liebe Frau Höhn, Sie bestätigen damit doch nur, dass neren Steinen werfen. Seien Sie an dieser Stelle vorsich-
Sie die Energiepolitik dieser Regierung nicht mitverfolgt tig. Wir werden Ihnen das immer wieder vorhalten, weil
haben. ein unglaublich großer Widerspruch zwischen dem be-
steht, was Sie damals, als Sie in die Wahlen gezogen
(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist sehr schwach, sind, behauptet haben, und dem, was Sie am Ende des (D)
(B)
was Sie jetzt versuchen!) Tages realisiert haben.
Wir haben im Vorfeld und auch bei den Verhandlungen
Ich will noch auf ein paar andere Verlogenheiten ein-
klipp und klar gesagt,
gehen, die in dieser Debatte immer wieder auftauchen.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Dass Sie Geheimverträge ma- Erstens. Herr Kindler weiß jetzt schon, dass Gorleben
chen!) als Endlager nicht geeignet ist. Ich empfehle ihm, sich
einmal mit den Experten auseinanderzusetzen, die etwas
dass wir im Sinne dessen, was auch Sie unter Rot-Grün anderes sagen.
gemacht haben, eine Vereinbarung mit den Versorgern
schließen wollen, in der steht, dass wir mindestens die Zweitens. Es kommt dann immer der Hinweis, die
Hälfte der Zusatzgewinne abschöpfen werden. Was soll Kostenbeteiligung der Konzerne sei nicht gegeben. Ich
denn an diesem Vertrag geheim sein? Er musste natür- möchte an der Stelle deutlich sagen, dass sich die Ver-
lich erst einmal erstellt werden und auf den Tisch kom- sorger am Schacht Konrad mit 64,4 Prozent und in Gor-
men; dann kann man darüber diskutieren. Das ist doch leben mit 96,5 Prozent beteiligen. Auch das muss man
ganz klar. einmal ehrlich feststellen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- (Zuruf von der SPD: Und was ist mit der
chen bei Abgeordneten der SPD und des Asse?)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Kollege Kelber hat heute wieder einmal die
Letztendlich haben wir damit auf Punkt und Komma das Mär vorgetragen, die Kernenergie blockiere die erneuer-
eingehalten, wovon wir vorher gesagt haben, dass wir es baren Energien.
tun wollen. Mir erschließt sich überhaupt nicht, warum
das verwerflich sein soll. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Ulrich Kelber [SPD]: Er wird nicht einmal rot Herr Kollege Nüßlein, der Kollege Lenkert würde Ih-
dabei!) nen gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie einver-
standen?
Ich weiß natürlich, dass Sie ein Interesse daran haben,
von dem abzulenken, was Sie seinerzeit vereinbart ha-
ben; der Minister hat Ihnen das heute eindrucksvoll vor- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
geführt. Ich sage ganz offen, dass ich mir dieselbe Stelle Ja, gern.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6001

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: halt hat 3,82 Euro pro Monat oder 45,84 Euro pro Jahr (C)
Bitte schön. für die Markteinführung und den Ausbau erneuerbarer
Energien aufgewendet. Daran wird sich in dem Sinne et-
Ralph Lenkert (DIE LINKE): was ändern, dass die Belastung von Jahr zu Jahr zuneh-
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade die Frage der men wird. Wir werden darüber diskutieren, wie weit wir
Endlager angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass 3 Kilo- die Haushalte belasten können.
meter nördlich von dem Salzstock, der das Endlager in
Gorleben beherbergen soll, Erdgas gefunden worden ist, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
das explodiert ist, was bei einem Atommüllendlager ge- Herr Kollege Nüßlein, jetzt würde gerne Herr Kelber
wisse Risiken hervorrufen könnte? eine Zwischenfrage stellen.
Des Weiteren ist die Entsorgungsfrage an die Be-
triebserlaubnis der Kernkraftwerke gekoppelt. Würden Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass die Bundeslän- Von mir aus.
der, die Verlängerungen der Laufzeiten von Kernkraft-
werken wünschen, in ihrem Territorium Endlagerkapazi- Ulrich Kelber (SPD):
täten zur Verfügung stellen sollten? Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben gerade ge-
sagt, ich hätte von einer Blockade der erneuerbaren
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Die wollen doch Energien durch die Atomindustrie gesprochen. Das ist in
Geld haben!) der Tat meine Meinung. Sind Sie bereit, zu akzeptieren,
dass ich dies in meiner Rede vorhin anhand von zwei Zi-
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): taten deutlich gemacht habe? Zum einen habe ich die Er-
Ich möchte an der Stelle feststellen, dass eine Vorgän- gebnisse der Gutachten und Prognosen herangezogen,
gerregierung dafür verantwortlich war, dass die Erfor- von denen Sie und Herr Kauch gesagt haben, sie seien
schung in Gorleben zehn Jahre lang nicht weiterging. die durchgerechnete Grundlage Ihrer Politik. Es handelt
Das ist kein Beitrag zur Lösung einer politischen Auf- sich, wie Sie sehen, um Balkendiagramme, die den
gabe, die wir unabhängig von der Frage, ob man für oder Rückgang des Zubaus bei erneuerbaren Energien auf-
gegen Kernenergie ist, national lösen müssen. grund der Laufzeitverlängerung belegen. Zum anderen
habe ich ein Zitat aus einer Rede von Herrn Röttgen vom
Ich unterstreiche aber auch, dass ich mir im Unter-
Februar 2010 herangezogen, in der er über die schwie-
schied zu etlichen Kolleginnen und Kollegen hier nicht
rige Vereinbarkeit der beiden Energien gesprochen hat.
anmaße – ich habe das vorhin gesagt –, ein Experten-
Haben Sie das mitbekommen?
(B) urteil über die Frage der Geeignetheit abzugeben. (D)
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Dann gehen Sie Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
doch mal nach Bayern!) Das habe ich selbstverständlich mitbekommen.
Ich würde Sie bitten, das der Erforschung zu überlassen. (Frank Schwabe [SPD]: Er hat doch eh nichts
So viel Mut muss man an dieser Stelle haben. gesagt!)
Sie haben offenkundig die Sorge, dass der von Ihnen Sie sprechen so nett vom Rückgang des Zubaus. Im
viel gescholtene Flieger ohne Landebahn irgendwann Grunde sagen Sie: Das Wachstum, das wir zu Beginn
eine Landebahn bekommt und dass dieses Thema wei- hatten und das in der Tat sehr steil war, wird flacher wer-
terhin auf der Tagesordnung steht. Ich kann Ihnen offen den. Das ist nichts, was unmittelbar mit der Politik zu
sagen: Das wird nicht der Fall sein. Uns geht es wirklich tun hat. Vielmehr hat bereits in den letzten Jahren der
darum, eine Brückentechnologie zu nutzen, um den Aus- Zubau bei der Windkraft standortbedingt nicht in sol-
bau der erneuerbaren Energien voranzubringen. chem Umfang zugenommen, wie das der eine oder an-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – dere erwartet hat. Diese Kurve wird nun einmal flacher,
Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weil wir bei den erneuerbaren Energien bestimmte Vo-
NEN]: Ja, ja!) raussetzungen zu erfüllen haben: Man braucht windrei-
che Standorte. Bei der Wasserkraft – sie ist ein gutes
Zur Thematik Blockade der erneuerbaren Energien: Beispiel – braucht man die Möglichkeit, in die Wasser-
Ich bin ein glühender Verfechter der erneuerbaren Ener- läufe bzw. das Gefälle einzugreifen. Bei der Solarenergie
gien; das wissen Sie. Ich würde Sie bitten, mit ein biss- stehen Sie vor der Problematik, dass man an verschiede-
chen mehr Mut und Zuversicht an dieses Thema heran- nen Stellen allmählich Akzeptanzprobleme bekommt.
zugehen und nicht so zu argumentieren, dass man die Ich erhalte im Übrigen vielfach Post von grüner Seite.
Atomkraftwerke abschalten muss, weil der Strompreis Darin steht: Man verschandelt mir meine Gemeinde mit
höher werden muss, mit der Folge, dass die erneuerbaren Flächen aus Fotovoltaik usw. All das sind hochspan-
Energien konkurrenzfähig sind. Das ist eigentlich der nende Themen. Es geht auch darum, die Vorhaben all-
Kern Ihrer Argumentation. mählich umzusetzen.
Von einer Blockade kann nicht die Rede sein. Wir för- Was das Zitat von Herrn Röttgen angeht, so kann ich
dern in dieser Republik nichts so sehr wie die erneuerba- dazu unmittelbar nur so viel sagen: Es muss unsere Auf-
ren Energien. Im Jahr 2009 betrugen die Differenzkosten gabe sein, die beiden Energiearten ökonomisch mitei-
5,3 Milliarden Euro. Das heißt, jeder Durchschnittshaus- nander zu vereinen. Lieber Herr Kollege Kelber, wir
6002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Georg Nüßlein


(A) bringen an dieser Stelle den Beweis, dass die Nutzung Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): (C)
der Kernenergie uns in die Lage versetzt, die erneuerba- Lieber Kollege, mit Verlaub: Sie verknüpfen hier
ren Energien doppelt gegenzufinanzieren, nämlich zum Dinge, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu
einen durch die preisdämpfenden Effekte am Markt und tun haben.
zum anderen dadurch, dass wir einen Fonds auflegen,
durch den in Forschung und Entwicklung erneuerbarer Eines ist doch entscheidend – nehmen wir einmal das
Energien und Speichertechnologien investiert wird. Da- Beispiel Windkraft, das Sie herausgegriffen haben –: Die
mit leisten wir zu dem eigentlichen Thema – Engpass Große Koalition hat damals im Rahmen der Verhandlun-
beim Ausbau der Netze und bei der Speicherung – einen gen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz bei der Ver-
Beitrag. gütung deutlich aufgesattelt.
(Ulrich Kelber [SPD]: Ja, auf unseren
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vorschlag hin!)
Herr Kollege Nüßlein, nun möchte gerne auch der Daran können Sie sich vermutlich noch erinnern. Wenn
Kollege Fell eine Zwischenfrage stellen. Erstens ist das unter dem Umstand höherer Vergütungssätze der jährli-
die letzte Zwischenfrage bei Ihrer Rede, und zweitens ist che Ausbau und Zuwachs im Bereich der Windkraft
Ihre Redezeit schon abgelaufen. Sie könnten also gleich schon jetzt zurückgeht, wie Sie es gerade beschrieben
zum Ende kommen. haben, dann kann das weder an der Laufzeitverlänge-
rung liegen – die kommt erst 2017 – noch an irgendwel-
chen Veränderungen, die wir am EEG vorgenommen ha-
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): ben.
Wunderbar. Dann lasse ich die Zwischenfrage des
Kollegen Fell noch zu. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das steht im Gutachten! Ich zitiere aus
Ihrem Gutachten, Herr Nüßlein!)
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das ist ein Beleg dafür, dass es auf die Standorte ankom-
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade behauptet, men wird und dass die Potenziale, von denen hier ge-
dass der Ausbau erneuerbarer Energien geringfügig ver- sprochen wird, in der Realität nicht in der Form existie-
ändert auf hohem Niveau weitergeht. So habe ich Ihre ren, wie Sie es sich in Ihrem Wolkenkuckucksheim
Aussage interpretiert. Ich möchte Ihnen anhand der Zah- immer wieder einbilden. Das muss ich an dieser Stelle
len aus dem Gutachten, das Ihrem Energiekonzept zu- klipp und klar sagen. Der Vorrang der erneuerbaren
grunde liegt, deutlich machen, dass es sich nicht um eine Energien bleibt so, wie wir ihn gemeinsam im EEG defi-
(B) geringfügige Veränderung, sondern um einen drasti- niert und beschlossen haben, erhalten. Deshalb gibt es (D)
schen Einbruch der Neuinvestition in erneuerbare Ener- keinen Grund, die Dinge in unzulässiger Weise zu ver-
gien handelt. 2009 wurden in Deutschland gut 1,8 Giga- knüpfen.
watt Windkraft installiert. Nach EWI sollen in den
kommenden Jahren nur noch 0,6 Gigawatt Windkraft in- Vielen herzlichen Dank.
stalliert werden. Das ist nur ein Drittel des heutigen Aus-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
baus. Das heißt, allein in der Windenergiebranche und
bei den Zuliefererbetrieben wird es massive Arbeits-
platzverluste und Konkurse geben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Bärbel Kofler von
Bei der Fotovoltaik sieht es noch viel schlimmer aus. der SPD-Fraktion.
Wir werden in diesem Jahr im Bereich Fotovoltaik einen
Zuwachs von 6 bis 7 Gigawatt haben. Laut EWI sollen (Beifall bei der SPD)
es im nächsten Jahr und in den Folgejahren nur noch
1,6 Gigawatt sein. Wie können Sie angesichts dessen Dr. Bärbel Kofler (SPD):
von einem geringfügigen Rückgang reden? Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe geglaubt, ich müsste die E-Mail, die ich heute
Ich war am letzten Dienstag auf der Konferenz des von einem Bürger bekommen habe, nicht mehr vorlesen.
VKU, des Verbandes kommunaler Unternehmen. Dort Es geht um die Frage radioaktiver Abfälle. Ich habe ge-
hat man das bestätigt und ganz klar gesagt, dass sie die dacht: Ich bin die vorletzte Rednerin, irgendeine ge-
Investitionen mit einem Volumen von 10 Milliarden schätzte Kollegin oder irgendein geschätzter Kollege,
Euro, die sie für die nächsten Jahre in den Bereichen er- vielleicht sogar der Umweltminister wird diese einfache
neuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung geplant Frage in ihrem oder seinem Beitrag beantworten.
haben, bei dieser Laufzeitverlängerung nicht tätigen
können. Wie können Sie behaupten, dass es nur einen Nach dem Beitrag des Kollegen Nüßlein, der auf eine
marginalen Einschnitt gäbe? Sie sorgen für einen drama- konkrete Nachfrage zu dem Thema Endlager ebenfalls
tischen Einbruch zum Schaden dieser Branche. Sie wer- nichts gesagt hat – übrigens auch nicht zu einem Endla-
den diesen großen Erfolg in der Wirtschaftsgeschichte ger in Bayern; unter uns Bayern wollen wir doch ehrlich
Deutschlands mit der Laufzeitverlängerung beenden. diskutieren –, möchte ich diese Frage doch einmal vorle-
sen. Vielleicht kann der Kollege von der Union, der als
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das stimmt letzter Redner spricht, eine Antwort darauf geben. Ein
doch gar nicht!) Bürger aus meinem Wahlkreis schrieb mir: Mit jedem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6003
Dr. Bärbel Kofler
(A) Tag Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken Könnten Sie mir dann bitte auch noch sagen, ob die (C)
vergrößert sich die Menge der radioaktiven Abfälle. Fra- niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder,
gen Sie doch bitte die CDU/CSU und die FDP im Bun- Glogowski und Gabriel jemals den Versuch unternommen
destag, wo es ein sicheres Endlager gibt. Ab wann und haben, der Bundesregierung einen alternativen Standort
wo werden welche Mengen strahlendes Material sicher zur Erkundung vorzuschlagen, alldieweil Niedersachsen
eingelagert? – Dann möchte der Bürger noch gerne wis- geschlagen oder gesegnet ist – man kann das so oder so
sen, wie und von wem die Kosten für diese Endlager sehen – mit den entsprechenden geologischen Struktu-
übernommen werden. ren? Wenn das denn alles so ist, muss man doch tatsäch-
lich sagen – ich hoffe, Sie können mir zustimmen –, dass
(Michael Kauch [FDP]: Antwort: Die SPD hat
diese Debatte in hohem Maße scheinheilige Züge trägt.
es versemmelt!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich würde diese einfache Frage eines Bürgers hier
gerne einmal beantwortet haben. Wir wollen keine Lauf-
zeitverlängerung für die Atomkraftwerke. Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Wissen Sie, bezüglich der Scheinheiligkeit in der De-
(Horst Meierhofer [FDP]: Ihr wollt auch kein batte kann ich Ihnen zustimmen. Da gibt es eine ganze
Endlager! – Christoph Poland [CDU/CSU]: Menge Scheinheiligkeit. Der Untersuchungsausschuss
Deshalb haben wir ja auch kein Endlager ge- zum Thema Gorleben wird noch viel Klarheit in die De-
funden!) batte bringen.
Sie wollen das. Sie machen das. Sie haben das in den
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
letzten Tagen in einem Deal eingefädelt. Beantworten
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Sie bitte auch die Fragen der Bürger zu diesem Thema.
LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]:
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph Frau Flachsbarth ist die Vorsitzende!)
Lenkert [DIE LINKE])
– Ja, das ist mir schon klar. – Ich glaube, zum Thema
Heute führen wir eine Haushaltsdebatte. Wenn man Scheinheiligkeit kann man auch aus bayerischer Sicht an
die blumigen Ausführungen über die vielen Ausgaben, der Stelle einiges sagen. Wenn die CSU in Bayern durch
die man in Zukunft im Bereich erneuerbarer Energien tä- die Lande zieht, für die Verlängerung der Laufzeiten der
tigen möchte, und die vielen tollen Programme zur CO2- Atomkraftwerke wirbt und gleichzeitig sagt: „Heiliger
Einsparung, die man in Zukunft umsetzen möchte, hört, Sankt Florian, verschon‘ mein Haus, zünd‘ andre an“,
dann stellt man fest: Es lohnt sich, den Haushaltsentwurf dann nenne ich das scheinheilig.
(B) für 2011, über den wir heute beraten, anzuschauen. Einer (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (D)
der Kollegen hat es gesagt: An ihren Taten sollt ihr sie
erkennen. Ja, das ist wohl wahr: An ihren Taten sollt ihr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
sie erkennen. Die Folgekosten der Atomenergie – Stich- Ich wollte aber auch etwas zu diesem Haushaltsent-
wort „Atommüll“ – steigen um 35 Prozent – dabei ist die wurf sagen. Wir befinden uns ja in der Haushaltsdebatte;
Laufzeitverlängerung noch nicht eingerechnet –, und das der Haushalt wird eingebracht. Ich habe einige Kollegen
Erneuerbare-Energien-Programm wird um knapp 10 Pro- gehört, die zum Thema „erneuerbare Energien“, die sie
zent gekürzt. Das soll mit diesem Haushalt beschlossen voranbringen wollen, etwas gesagt haben, die die Herzen
werden. der Menschen mit diesem Haushalt erreichen wollten,
(Beifall bei der SPD) (Heinz-Peter Haustein [FDP]: So sind wir!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:


die aber suggerieren, es gehe leider nicht mehr, sie hät-
ten so gern mehr in erneuerbare Energien investiert, aber
Frau Kollegin Kofler, erlauben Sie eine Zwischen-
die böse Wirtschaftskrise verhindere das. Wenn man sich
frage der Kollegin Flachsbarth?
nicht ernsthaft damit auseinandersetzt, wie man zu Ein-
nahmeverbesserungen in diesem Haushalt insgesamt,
Dr. Bärbel Kofler (SPD): aber auch für den Umwelthaushalt kommt, wenn man
Ja, gerne. sich nicht ernsthaft damit auseinandersetzt, wie man
über Investitionen in ökologisch sinnvolle Maßnahmen
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): zu mehr Beschäftigung, mehr Steuereinnahmen und we-
Frau Kollegin, könnten Sie mir bitte zustimmen, dass niger Sozialversicherungsausfällen kommt, dann, finde
die Debatte, die wir hier über Endlager führen, eine ge- ich, hat man das Recht verwirkt, über die angeblich so
wisse Scheinheiligkeit in sich trägt? Könnten Sie mir zu- schwierigen wirtschaftlichen Zeiten zu jammern.
stimmen, dass die Suche nach einem Endlager in der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Realität betrieben werden muss, wenn man denn eines des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
finden will? Könnten Sie mir zustimmen, dass das Mora-
torium allerspätestens 2005 hätte ausgelaufen sein kön- Wenn Frau Dött insbesondere beklagt, dass der Pro-
nen, als der Synthesebericht des BfS vorgelegt worden grammhaushalt um 94 Millionen Euro – die zitierten
ist? Könnten Sie mir zustimmen, dass die Union in der 10 Prozent – sinkt, aber leider nicht mehr drin gewesen
Großen Koalition alles, aber auch alles – leider vergeb- sei, das müsse doch auch die Opposition kapieren, dann
lich – unternommen hat, dieses Moratorium zu beenden? muss ich schon sagen: Wenn über Nacht über Verrech-
6004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Bärbel Kofler


(A) nungen von Steuermöglichkeiten, zum Beispiel im Zu- Sie sprachen außerdem von internationaler Glaub- (C)
sammenhang mit der Gewerbesteuer, Pi mal Daumen würdigkeit. Ich glaube, Herr Kauch hat in der heutigen
800 Millionen Euro dem Haushalt einfach entzogen wer- Diskussion irgendetwas von der Vorbildlichkeit für in-
den, dann frage ich mich, warum ein Zehntel dieser ternationale Verhandlungen gesagt. Es ist schön, wenn
Summe ein großes Problem für diesen Bundeshaushalt man hier über zukünftige Ziele spekuliert. Ganz kon-
darstellt. Das ist mir völlig schleierhaft. krete Zusagen dieser Bundesregierung von Dezember
2009 bzw. Januar 2010 – sie wurden also auch in Kopen-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hagen gegeben – wurden mit dem vergangenen Haushalt
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gebrochen und werden mit diesem Haushalt völlig elimi-
Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das zum niert.
Thema nächste Generation!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie haben in diesem Haushalt wesentliche Pro- DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Eine
gramme, die einen Beitrag zum Klimaschutz auf natio- schwere Hypothek für Cancún!)
naler und internationaler Ebene leisten, gekürzt. Alles,
was wir heute über die hehren Einsparziele gehört ha- Wer in der Welt 1,2 Milliarden Euro zusagt, um die
ben, findet sich in diesem Haushalt nicht wieder. Ich Folgen des Klimawandels für die ärmsten Länder abmil-
nenne das Marktanreizprogramm. Ich glaube, das ist dern zu können, wer in drei Haushalten jeweils 420 Mil-
heute zu Unrecht etwas zu kurz gekommen. Dies ist ein lionen Euro jährlich verspricht, wer 70 Millionen Euro
Programm, das wirklich in Effizienz investiert, das in in den Haushalt 2010 einstellt, diese Mittel für den
Energieeinsparung investiert, das im Bereich der Haushalt 2011 streicht und dann irgendwelche zinsver-
Wärme, in dem wir großen Nachholbedarf für die Zu- günstigten Darlehen, die auf dieser Welt herumschwir-
kunft haben, wichtige Anreize setzt. Da sind wir noch ren, als die Rettung des Weltklimas bezeichnet, der ist
nicht weit. Was höre ich dann bei den Klimazielen? nicht von dieser Welt und hat Vertrauen auf internationa-
Schöne Worte! Aber genau hier werden in diesem Haus- ler Ebene völlig verspielt.
halt 68 Millionen Euro gekürzt. Das ist völlig unver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ständlich. Es ist ökologisch unverständlich und – ich DIE GRÜNEN)
sage es noch einmal – ökonomisch unverständlich.
Ich habe am 1. Juli dieses Jahres in der Fragestunde Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
der Bundesregierung die Frage gestellt, was volkswirt- Kommen Sie bitte zum Schluss.
schaftlich damit erreicht werden soll, wie denn die volks-
wirtschaftlichen Wirkungen dieser Kürzungen sind. Wir Dr. Bärbel Kofler (SPD):
(B) alle kennen die Proteste aus dem Handwerk, aus den Re- (D)
Ich komme zum Schluss.
gionen, der Verbände, der Bürger und der Kirchen.
Zusammenfassend kann man sagen: Dieser Haushalt
Es gibt ein Schreiben der evangelischen Kirchen, die hat Vertrauen bei den Bürgern verspielt, die in erneuer-
händeringend um den Erhalt dieses Programms auf bare Energien investieren wollten. Er hat Vertrauen bei
entsprechendem Niveau bitten. Die Antwort von Staats- den Handwerkern verspielt, die ihre Kalkulationen und
sekretärin Reiche war, Zahlen über volkswirtschaftliche Angebote in diesem Bereich im Vertrauen auf die Zusa-
Zusammenhänge lägen ihr nicht vor. Sie sagte, die Be- gen dieser Regierung ausgerichtet haben. Er hat Ver-
rechnungen des Ifo-Instituts, wonach der Einsatz von trauen bei internationalen Partnern verspielt, die sich
1 Euro zu 8 Euro Umsatz führe, seien ihr nicht bekannt. bisher auf die Zusagen der Regierung verlassen konnten.
Ich sage es noch einmal: Das war am 1. Juli. Meines Er hat Vertrauen bei allen verspielt, nur nicht bei denen,
Wissens wurde am 8. Juli der Haushalt ins Kabinett ein- die am vergangenen Sonntag den schönen Deal mit Ih-
gebracht. Auf welcher Basis wurde dieser Haushalt in nen ausgemacht haben. Die Energiekonzerne konnten
das Kabinett eingebracht? Diese Frage möchte ich an sich auf Ihre Milliardengeschenke verlassen.
dieser Stelle einmal beantwortet haben. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Ähnliches gilt für den Bereich der CO2-Gebäudesa-
nierung. Ich weiß, das betrifft ein anderes Ressort. Ich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
weiß, hierfür ist das Verkehrsministerium zuständig. Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kol-
Beim Kürzen sind sich die verschiedenen Ressorts in lege Bernhard Schulte-Drüggelte von der CDU/CSU-
diesem Kabinett offensichtlich einig, auch wenn sie sich Fraktion das Wort.
ansonsten weniger einig sind. (Beifall bei der CDU/CSU)
Heute habe ich mit großer Freude gehört, diese Kür-
zungen würden eventuell zurückgenommen. Noch steht Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU):
für mich die Hälfte der CO2-Gebäudesanierungspro- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gramme zur Kürzung an. Dies ist genauso wie bei den gen! Vorab möchte ich sagen, dass es sich hierbei um ein
Marktanreizprogrammen ökologisch und ökonomisch emotionales Thema handelt. Man kann sich wunderbar
sinnlos. darüber aufregen. Es ist schön, dass Sie am Schluss noch
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6005
Bernhard Schulte-Drüggelte
(A) einmal den Begriff „Haushalt“ eingeführt und darauf – Ja, ich erzähle es gerade. – Das wird gemacht, damit (C)
hingewiesen haben, dass wir eine Haushaltsdebatte füh- festgestellt werden kann, ob dieser Salzstock als Endla-
ren. Ich würde mich freuen, wenn es möglich wäre, die ger geeignet ist.
Auseinandersetzung einigermaßen sachlich zu führen.
(Frank Schwabe [SPD]: Und wenn er nicht ge-
Den ersten Vertrag hat Rot-Grün geschlossen. Zum eignet ist?)
zweiten Vertrag muss man sagen, dass die Sicherheit an Meine Antwort auf die zweite Frage, die der Absen-
allererster Stelle steht, und zwar ohne Kompromisse. der der E-Mail gestellt hat, lautet: Das wird genauso re-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) finanziert wie der Schacht Konrad.
Das waren meine Antworten auf die beiden Fragen.
Zudem ist zu sagen, dass die Sicherheitskonzeption Ich habe mich bemüht, sie einigermaßen sachlich zu be-
dynamisch ist, angepasst an künftige technische Ent- antworten.
wicklungen. Ich finde, das ist der höchste Standard, den
man erreichen kann. Das ist etwas, was ich persönlich (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Was ist mit
für richtig halte. Wenn ein fachlich begründeter Zweifel Morsleben?)
– Frau Höhn hat auch sonst Zweifel – an der Sicherheit
eines Kernkraftwerkes besteht, dann gibt es doch nur ei- Was steckt dahinter? Dahinter steckt doch, dass diese
nen Weg: Dann wird dieses Kraftwerk abgeschaltet, und Regierung entschlossen ist, das Problem der Endlage-
zwar sofort. rung, auch der hochradioaktiven Stoffe, zu lösen und die
Lösung dieses Problems nicht auf die nächste Genera-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – tion zu verlagern. Ich meine, das ist eine wirklich verant-
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE wortungsvolle Maßnahme und Zielsetzung dieser Regie-
GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch!) rung.

Ich habe gesagt: Wenn ein sachlich begründeter Zwei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
fel besteht. Das ist ein kleiner Unterschied, auch nach Frank Schwabe [SPD]: Was ist denn daran ver-
der emotionalen Debatte, die hier gerade stattgefunden antwortungsvoll? Sie produzieren den Müll für
hat. die nachfolgenden Generationen! – Dr. Matthias
Miersch [SPD]: Verantwortungslos ist das!)
Als Mitglied des Haushaltsausschusses möchte ich Der Kollege Kauch hat vorhin angesprochen, dass
auch etwas zum Haushalt sagen. Erst einmal freue ich auch im Naturschutz besondere Maßnahmen gefördert
mich darüber, dass die Mittel dieses Haushalts auf werden. Dabei geht es insbesondere um das Bundespro-
(B) 1,6 Milliarden Euro steigen. Das zeigt, dass die Regie- (D)
gramm Biologische Vielfalt; auch dies ist eine sehr sinn-
rung wichtige Vorhaben voranbringt. volle Maßnahme. In diesem Rahmen sind jährlich 15 Mil-
Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der Debatte lionen Euro für Demonstrationsmaßnahmen vorgesehen.
gerade schon erwähnt wurde: den Schacht Konrad. Er Aber eines sollte man in der gesamten Diskussion,
ist ein ehemaliges Eisenerzbergwerk, das seit 2007 in ein auch in dieser Haushaltsdebatte, nicht vergessen: dass
Endlager für radioaktive Abfälle umgebaut wird, und die oberste Priorität der Koalition die nachhaltige Kon-
zwar für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wär- solidierung des Haushaltes ist;
meentwicklung. Das war ein wichtiger Schritt, den die
Große Koalition gemacht hat; das muss man einmal fest- (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Ach ja?)
halten. Beim Schacht Konrad gehen die Umrüstungsar- das ist doch völlig klar. Es geht um die dauerhafte Si-
beiten weiter. Dabei geht es nicht nur um Planungs- und cherstellung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen
Genehmigungsverfahren, sondern es wird auch gebaut, auch in Deutschland.
zum Beispiel an Gebäudezufahrten, und die Anlage wird
gesichert. Das ist der Grund für die Erhöhung der Mittel (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Von wegen! Höchs-
in diesem Haushalt um 100 Millionen Euro. tens um die der Stromkonzerne!)
Da diese Frage vorhin gestellt wurde – gleich komme Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht in die gleichen
ich auch auf Gorleben zu sprechen –, sage ich: Das sind Schwierigkeiten kommen, wie es anderen Ländern in
refinanzierte Mittel, es ist eine gute Maßnahme, und die Europa passiert ist. Dieser Konsolidierung kann sich na-
Fertigstellung dieses Endlagers ist für 2014 geplant. Das türlich auch das Umweltministerium nicht entziehen; das
ist erfreulich. ist völlig klar.

Für das Projekt Gorleben – Frau Dr. Kofler, Sie hat- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
ten danach gefragt – waren bisher 21 Millionen Euro be- GRÜNEN]: Wieso?)
reitgestellt. Diese Mittel werden auf 47 Millionen Euro Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Der Anteil des Ver-
erhöht. Die Erkundung des Salzstockes soll ergebnisof- waltungshaushalts des Ministeriums am Einzelplan 16
fen fortgesetzt werden. Die Frage in der von Ihnen er- beträgt im Jahre 2011 nur noch 16,7 Prozent. Im Jah-
wähnten E-Mail war: Warum wird das gemacht? re 2005 lag er noch bei 28 Prozent.
(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Es ging nicht um (Michael Kauch [FDP]: Oh! Da hat Herr
Gorleben, sondern um Müll allgemein!) Trittin aber ordentlich verwaltet!)
6006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bernhard Schulte-Drüggelte
(A) Auch das ist eine Leistung, die deutlich macht, wie man (Ulrich Kelber [SPD]: Da müssen Sie ein (C)
vernünftig vorgehen kann. Gesetz machen!)
Es gibt auch andere Bereiche, in denen eine Mittel- zwar auf einem niedrigen Niveau, aber mit einer klaren
verstärkung zu verzeichnen ist, zum Beispiel bei For- Richtung. Jeder Marktbeteiligte kann sich daran ausrich-
schung und Entwicklung. ten, um zu sehen, wie es in Zukunft weitergeht. Das ist
eine sehr gute Entwicklung, der ich klar zugestimmt
Auch bei den erneuerbaren Energien kommt es zu habe.
einer Steigerung. Im Haushalt 2010 werden die Mittel um
10 Millionen Euro und 2011 um weitere 8,5 Millionen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Euro erhöht. Für das kommende Jahr stehen insgesamt Zum Schluss möchte ich sagen, dass die erneuerbaren
129 Millionen Euro zur Verfügung. Das sind Maßnah- Energien durch diesen Haushalt gefördert werden, aber
men, die zeigen, dass ein großes Interesse an erneuerba- – der Minister hat es gerade gesagt – auch außerhalb des
ren Energien besteht und ihr Ausbau eine klare Zielset- Haushaltes. Der Minister hat die Fonds und die KfW an-
zung ist. gesprochen, die das mit unterstützen sollen. Das Ziel,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das wir damit erreichen wollen, nämlich die erneuerba-
ren Energien zu einer tragenden Säule der künftigen
Die Umweltforschungsmittel werden gesteigert. Die Energieversorgung zu machen, kann mit diesem Kon-
Naturschutzforschungsmittel werden ebenfalls gestei- zept erreicht werden.
gert. Minister Röttgen hat es ganz klar auf den Punkt ge-
bracht: Die Forschungsförderung ist der Schlüssel für Herzlichen Dank.
den Markterfolg von morgen. Das zeigt, wie zukunftsge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wandt diese Regierung arbeitet und wie erfolgreich wir
in Zukunft sein werden. Im Energiemix der Zukunft sol- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
len die erneuerbaren Energien die Hauptrolle spielen
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
bzw. den größten Anteil ausmachen.
nicht vor.
Jetzt komme ich zu dem, was vorhin zum Thema Gut- Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bun-
achten gesagt wurde. Herr Fell, es geht nicht nur um desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Gutachten. Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Ilse
GRÜNEN]: Es geht um Ihr Gutachten! – Aigner das Wort.
(B) Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D)
NEN]: Was? Das ist doch die Grundlage!) (Unruhe)
Der Minister hat vorhin ganz klar gesagt: Es geht auch – Ich bitte die Kollegen, die dieser Aussprache nicht bei-
um den politischen Willen, den man hat. Dieser politi- wohnen wollen, den Saal zu verlassen, damit wir zügig
sche Wille ist vorhin ganz eindeutig dargestellt worden: beginnen können; denn viele haben heute Abend noch
vom Minister, von den Kollegen der CDU/CSU und von weitere Termine. – Wenn der Herr Kollege Goldmann
den Kollegen der FDP. Das war ein deutliches Signal. Platz genommen hat, dann können wir anfangen; dann
sitzen die wichtigsten Leute. – Frau Aigner, bitte, Sie ha-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben das Wort.
NEN]: Dann werfen Sie das Gutachten in den
Papierkorb!) Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-
– Nein, du hast es ja gerade gehört. wirtschaft und Verbraucherschutz:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kollegen! Auch mein Haus, das Ministerium für Ernäh-
Aber das ist doch die Grundlage Ihres Konzep- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, leistet sei-
tes!) nen Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes. An der
Ich möchte eben noch einen Punkt ansprechen – ich gemeinsamen Kraftanstrengung arbeiten wir aktiv mit,
habe noch drei Sekunden –, den mein Kollege Haustein weil wir wissen, dass die Schulden und Zinsen von heute
vorhin dargestellt hat, nämlich das Marktanreizpro- die Steuern von morgen sind.
gramm. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Die Opposi-
NEN]: Was ist denn mit den Kürzungen?) tion könnte doch auch einmal mitklatschen!)
Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass wir
Das war 2010 ja auch umstritten. Ich meine, trotz der
mit der Schuldenbremse das richtige Instrument veran-
Absenkung ist es ein Erfolg, und zwar deshalb, weil es
kert haben. Die Neuverschuldung zu reduzieren ist nicht
jetzt losgelöst von den Emissionserlösen ist. Das ist das,
nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern vor allem
was der Kollege Kelber vorher auch immer gefordert hat
auch eine moralische Verpflichtung.
– alle haben das gefordert –: Es soll zu einer Versteti-
gung kommen. Diese Verstetigung ist jetzt für die nächs- Das Prinzip der Nachhaltigkeit kommt, wie Sie viel-
ten Jahre gegeben, leicht wissen, aus der Forstwirtschaft. Deshalb ist es
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6007
Bundesministerin Ilse Aigner
(A) auch nicht verwunderlich, dass gerade mein Haus das 10 Prozent dieses Haushaltes für Forschung, Entwick- (C)
nachhaltige Regierungshandeln ganz extrem unterstützt. lung und Innovation eingeplant. Das ist ungefähr eine
halbe Milliarde Euro in diesem Bereich. Ich sage Ihnen:
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Frau Ministerin, Bei allen Sparanstrengungen im Zuge der Schulden-
wo Sie recht haben, haben Sie recht!) bremse war und ist es mir ein besonderes Anliegen, hier
Der Haushaltsentwurf für 2011 ist mit erheblichen auch künftig Zeichen zu setzen. Die Forschungsausga-
Einsparungen verbunden. Wir haben im Einzelplan 10 ben insgesamt werden von Einsparungen ausgenommen.
Ausgaben in Höhe von 5,48 Milliarden Euro veran- Auch das ist Verlässlichkeit.
schlagt. Das sind 354 Millionen Euro weniger als in die-
sem Jahr. Ich sage ganz offen und ehrlich: Das ist uns (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Georg
nicht leichtgefallen, und das tut natürlich auch weh. Schirmbeck [CDU/CSU]: Sauber!)
Doch zugleich bin ich mir sicher: Wenn wir die richtigen Sogar mehr Forschungsmittel kommen den nach-
Schwerpunkte setzen, dann haben wir weiterhin eine so- wachsenden Rohstoffen und der Innovationsförderung in
lide Basis für eine zuverlässige Ernährungs-, Agrar- und diesem Bereich zugute. Im Haushaltsentwurf haben wir
Verbraucherpolitik. die Mittel dafür erhöht. Das kommt der biobasierten
Ich danke den Koalitionsfraktionen ganz herzlich für Wirtschaft zugute, deren Grundlage die Land- und Forst-
ihre konstruktive Mitarbeit; denn wir sind zu Einsparun- wirtschaft ist. Konzentration auf biobasierte Wirtschaft
gen gezwungen. Dies trifft die Gemeinschaftsaufgabe ist wichtig, um die Klimaschutzziele der Bundesregie-
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut- rung zu erreichen, um erneuerbare Energien voranzu-
zes“ besonders hart, für die im nächsten Jahr 600 Millio- bringen und nicht zuletzt, um dem Nachhaltigkeitsge-
nen Euro veranschlagt sind. Das sind 100 Millionen danken Rechnung zu tragen. Damit ist eines ganz klar:
Euro weniger als 2010. Wir, der Bund und die Länder, Wir sparen nicht an der Zukunft.
stehen nun gemeinsam vor der Herausforderung, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Maßnahmen der GAK zu überdenken, damit wir auch
künftig wichtige Prioritätensetzungen zugunsten einer Im Frühjahr wurde in meinem Haus eine Organisa-
nachhaltigen Bewirtschaftung, einer wettbewerbsfähi- tionsreform durchgeführt. Die Struktur wurde an den
gen Landwirtschaft und zugleich von Arbeitsplätzen im neuen Herausforderungen ausgerichtet. Ich habe extra
ländlichen Raum vornehmen können. eine Abteilung für die biobasierte Wirtschaft etabliert.
Auch andere Bereiche sind leider betroffen, etwa die Außerdem habe ich die Verbraucherpolitik weiter ge-
zinsverbilligten Kredite zur Liquiditätssicherung. Das ist stärkt. Auch das war mir ein persönliches Anliegen;
(B) aber meines Erachtens im Moment vertretbar, weil das denn Politik für die Verbraucher ist Politik unmittelbar (D)
Zinsniveau extrem niedrig ist. für die Bürgerinnen und Bürger. Verbraucherpolitik ist
Mit dem Regierungsentwurf haben wir vieles erreicht. mehr als nur Verbraucherschutz. Verbraucherpolitik be-
Der Koalitionsvertrag hat die Richtung vorgegeben, und deutet auch Information des Verbrauchers – hierzu ist
wir setzen diesen Koalitionsvertrag um, Punkt für Punkt. wissenschaftlicher Sachverstand erforderlich, der das
begleitet – und ebenso Verbraucherbildung. Mit insge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) samt 150 Millionen Euro schafft der Haushalt 2011 da-
für die Voraussetzungen. Damit ist die finanzielle Basis
Vier wesentliche Punkte will ich Ihnen nennen, mit de- stabil. Auch das ist Verlässlichkeit.
nen wir Akzente gesetzt haben:
Erstens. In der Agrarsozialpolitik setzen wir auf Ver- Ich will Verbraucherpolitik gestalten, nicht bevor-
lässlichkeit. Sie ist und bleibt der Schwerpunkt in unse- mundend und nicht überregulierend. Mein Leitsatz ist:
rem Haushalt. Das ist die Unterstützung, die direkt vor Moderne Verbraucherpolitik gewährleistet Sicherheit
Ort bei den Arbeitskräften ankommt. und Selbstbestimmung.

Zweitens: Verlässlichkeit beim Sonderprogramm (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Dann müssen


Landwirtschaft. Der Zuschuss für die landwirtschaftli- Sie das auch umsetzen!)
che Unfallversicherung wird in 2011 noch einmal er- In unserer komplexen Wirtschaftswelt sollen die Ver-
höht, und zwar von 100 auf 200 Millionen Euro. Daran braucherinnen und Verbraucher ihren Konsum eigenver-
wird nicht gerüttelt. Auch das ist Verlässlichkeit. antwortlich gestalten können. Deshalb mache ich mich
Drittens: Verlässlichkeit beim Agrardiesel. Den stark für Sicherheit, für Transparenz und für die Ent-
Selbstbehalt von 350 Euro pro Betrieb und die Ober- scheidungskompetenz der Verbraucherinnen und Ver-
grenze von 10 000 Litern haben wir nun auf Dauer ge- braucher – soweit es geht, im Dialog, und wenn es nicht
strichen; denn unsere Landwirte stehen im Wettbewerb geht, auch mit Druck.
auch über die Grenzen unseres Landes hinweg. Deshalb (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
war dies ein wichtiger Schritt in Richtung Angleichung Zurufe von der SPD: Aha!)
der Wettbewerbsbedingungen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen: Im Rah-
men der Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen bie-
Viertens nenne ich den Bereich Forschung und Inno- ten wir den Verbrauchern nutzvolle Hilfestellungen. Wir
vation. Da wir an die Zukunft denken, sind rund führen einen Dialog mit allen beteiligten Kreisen und er-
6008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Bundesministerin Ilse Aigner


(A) arbeiten Lösungen, die wir Schritt für Schritt umsetzen. Das ist nur ein Auszug aus meinem Programm für die (C)
Wir sind mittendrin. Verbraucherinnen und Verbraucher. Zu meinem Pro-
gramm zählt aber ebenso, die Gemeinsame Agrarpoli-
Zweitens. Wir stärken auch die Rechte der Verbrau- tik nach 2013 zu verhandeln. Wir arbeiten an einem Ge-
cher im Internet. Dabei gilt es, die richtige Balance samtkonzept. Ich habe deshalb sehr viele konstruktive
zwischen den neuen Technologien einerseits, die auch Gespräche gesucht und geführt. Das erste Ergebnis
vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern nutzen, und stimmt: Bund und Länder sprechen mit einer Stimme
dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen andererseits Richtung Brüssel. Das ist ein entscheidender Vorteil.
zu finden. Das betrifft auch, aber eben nicht nur Google
Street View. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Georg Schirmbeck [CDU/
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wie CSU]: Das ist eine große Leistung! Das ist
lange müssen wir darauf noch warten?) schon übernatürlich!)
Deshalb werden wir die Diskussion über notwendige Ganz oben auf unserer Liste steht, dass wir auf der ei-
Rechtsänderungen bei den Geodaten in einem größeren nen Seite den Markt im Blick haben, aber auf der ande-
Zusammenhang führen müssen, als es der Bundesrat zu- ren Seite auch die Ressourcen schonen. Außerdem ha-
letzt vorgeschlagen hat. ben wir drei klare Ziele im Blick:
(Ulrich Kelber [SPD]: Dann legen Sie doch Erstens. Unsere Landwirte stehen im Wettbewerb.
bitte mal was vor!) Wenn wir mehr von ihnen verlangen als international üb-
lich, dann brauchen sie auch Unterstützung. Wir wollen
Drittens. Zum Schutz vor Kostenfallen im Internet
eine angemessene finanzielle Ausstattung, die die Leis-
brauchen wir eine europäische Regelung. Vor Abschluss
tungen widerspiegelt, die unsere Landwirte für uns er-
eines Vertrages muss über einen Button deutlich auf den
bringen.
Preis hingewiesen werden.
Zweitens. Bis 2013 werden bei uns die letzten Prä-
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) mien komplett von der Produktion entkoppelt sein. Wir
Wenn die EU nicht, wie angekündigt, handelt, werden sind damit Vorreiter, und wir erwarten, dass unsere Part-
wir auch hier national tätig werden. Aber erst einmal ner in Europa auch die Zielsetzung aus 2003 jetzt umset-
werden wir auf europäischer Ebene darauf drängen. zen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
neten der FDP) der FDP)
(B) (D)
Viertens. Wir werden das Problem der belästigenden Drittens. Wir wollen sicherstellen, dass Landwirt-
und unerlaubten Telefonwerbung angehen. Die im letz- schaft bei uns auch künftig flächendeckend betrieben
ten Jahr in Kraft getretenen Verbesserungen werden wir werden kann, nicht nur auf Gunstlagen.
bis zum Ende dieses Jahres evaluieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein deutscher Al-
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: leingang in den Verhandlungen – das weiß jeder – kann
Schlimm genug! Und die Verbraucher werden nicht erfolgreich sein. Ich bin deshalb ständig in Gesprä-
weiter abgezockt!) chen. Ich besuche gerade in diesem Jahr viele der kleine-
ren Mitgliedstaaten. Es ist aber auch wichtig, den Schul-
Wenn sich daraus Nachbesserungsbedarf ergibt, werden terschluss zwischen Deutschland und Frankreich zu
wir auch handeln. suchen. Wir sind uns einig: Wir brauchen eine starke Ge-
meinsame Agrarpolitik. Genau vor zwei Stunden haben
Fünftens. Die Evaluierung des Verbraucherinforma- wir dazu eine gemeinsame Position der deutschen und
tionsgesetzes werden wir zum Abschluss bringen. Die französischen Regierung unterzeichnet.
derzeit laufende Anhörung wird intensiv genutzt. Es sind
schon viele konstruktive Vorschläge bei uns eingegan- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
gen. der FDP)
(Caren Lay [DIE LINKE]: Von der Linken Differenzierte Direktzahlungen und die ländliche Ent-
zum Beispiel!) wicklung müssen zentrale Elemente der europäischen
Agrarpolitik bleiben, und das alles, nebenbei bemerkt, in
Im Winter werden wir Vorschläge zu einer Verbesserung Verbindung mit der Daueraufgabe Bürokratieabbau.
der Verbraucherinformation in Deutschland vorlegen.
Darüber hinaus teilen Deutschland und Frankreich die
Sechstens. Ich werde im Frühjahr eine Initiative Sorge um Lebensmittelspekulationen. Dabei wollen wir
„Klarheit und Wahrheit“ starten. Damit will ich das Ver- nicht zu den alten Marktregulierungen zurückkehren;
ständnis und die Verständlichkeit der Kennzeichnung aber es geht auch nicht an, dass Nahrungsmittel zu rei-
und Aufmachung von Lebensmitteln weiter fördern. nen Spekulationsobjekten werden, während 1 Milliarde
Kern ist, den Dialog zwischen Verbraucherinnen und Menschen auf der Welt hungern.
Verbrauchern und der Wirtschaft zu fördern und dort, wo
es nötig ist, Verbesserungen durchzusetzen. Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2011 macht deut-
lich: Wir übernehmen Verantwortung und erbringen un-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) seren Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts. Wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6009
Bundesministerin Ilse Aigner
(A) übernehmen Verantwortung und stehen unseren Land- mit der Landwirtschaft bergauf. Das zeigt: Sie kommen (C)
wirten verlässlich zur Seite. Wir übernehmen Verantwor- mit diesem Programm genau zum falschen Zeitpunkt. Es
tung und bieten den Verbraucherinnen und Verbrauchern verhält sich damit wie bei der Ernte: Wenn es regnet, ist
wichtige Orientierung. Schließlich übernehmen wir Ver- das Mist. Was Sie in Ihrem Haushalt eingeplant haben,
antwortung und investieren weiter in die Forschung und ist nichts anderes. Angesichts der aufgrund der jetzigen
die Zukunft. Wir stehen in den nächsten Jahren vor gro- Preisentwicklung wahrscheinlich weiter steigenden Ein-
ßen Herausforderungen. Wir werden uns nach der Decke kommen in der Landwirtschaft werden Ihre Hilfen, die
strecken müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Wer einkommens- und steuerwirksam sind, genau dann in
hoch hinauswill, braucht immer ein festes Fundament. den Betrieben eintreffen, wenn Sie unter Umständen die
Aber ich bin mir sicher: Mit diesem Haushaltsentwurf Steuerlast erhöhen.
haben wir ein gutes Fundament.
Für die an sich berechtigte Forderung der betroffenen
Herzlichen Dank. Landwirte nach einer steuerfreien Ausgleichsrücklage,
um das Einkommen in krisenhaften Situationen, mit de-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nen wir auch in Zukunft zu rechnen haben, zu glätten, ist
nach Auskunft der Ministerin offensichtlich kein Geld
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: da. Geld für eine Anschubfinanzierung wäre da gewe-
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm sen, wenn man den Haushalt ordentlich aufgestellt und
Priesmeier von der SPD-Fraktion. die Ressourcen dafür eingeplant hätte.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Das kann man aber nicht, wenn man das in 2010 ent-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und fachte Strohfeuer mit neuen, in die gleiche Richtung zie-
Herren! Verehrte Frau Ministerin, im Haushalt ist ein lenden Mitteln weiter anheizt, die die Betriebe zum ge-
wenig Licht, aber auch viel Schatten. Selbstlob ist nicht genwärtigen Zeitpunkt gar nicht mehr brauchen. Es ist
immer angezeigt. Zu loben ist: Sie bekennen sich zum absehbar, dass das kein vernünftiger, tragfähiger Ansatz
Bestand der agrarsozialen Sicherung, genauso wie wir. für die Zukunft ist.
Das ist immer ein Kernthema der deutschen Agrarpolitik Wir Sozialdemokraten waren nie besondere Freunde
gewesen. Ich glaube, in diesem Bereich gibt es keine an- der Agrardieselsubvention. Aber in diesem Zusammen-
dere Themensetzung. Die entscheidende Frage ist aber, hang muss man sich fragen, ob wir, wenn unsere Land-
ob das, was Sie der Unfallversicherung zuführen, wirk- wirtschaft bereits wettbewerbsfähig ist, die Entfristung
lich so nachhaltig ist. Ich glaube, das Heulen und Zähne- in Gänze brauchen und ob dort nicht Haushaltsmittel (D)
(B)
klappern kommt spätestens 2012, wenn die Bescheide gebunden werden, die Sie vielleicht für die nächsten
auf dem Tisch liegen. Sparhaushalte, die Sie in 2012 und 2013 vorzulegen ha-
Ich freue mich über die positive wirtschaftliche Ent- ben, noch bitter gebrauchen können. Auch da wird finan-
wicklung unserer Agrar- und Landwirtschaft. Die deut- zieller Spielraum verschenkt, der im Sinne einer struktu-
schen Agrarexporte boomen wieder. Im ersten Halbjahr rierten Agrarpolitik vielleicht besser angelegt worden
hatten sie ein Volumen von insgesamt 24,5 Milliarden wäre.
Euro. Wenn das so weitergeht, werden wir vermutlich Die Verteilungswirkung dieser Subvention ist äu-
2010 das bisherige Spitzenjahr 2008 übertreffen. ßerst fragwürdig. Die flächenstarken Agrar- und Acker-
(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann baubetriebe profitieren davon. Was hat der bayrische
[FDP] – Peter Bleser [CDU/CSU]: Wer hat es Durchschnittsmilchbetrieb davon? Relativ wenig.
beflügelt?) (Zuruf des Abg. Norbert Schindler [CDU/
– Das ist mit Sicherheit die Leistung all derer, die im CSU])
landwirtschaftlichen Bereich tätig sind, also der vielen – Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? – Nicht?
Bauern und Bäuerinnen, und weniger die Leistung dieser
Bundesregierung. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Der Durch-
schnittsbetrieb hat 16 000 Liter Diesel ver-
(Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck braucht!)
[CDU/CSU]: Ein bisschen großzügiger! –
Peter Bleser [CDU/CSU]: Ein bisschen mehr – Ja, der Durchschnittsbetrieb hat 16 000 Liter Diesel
Anerkennung!) verbraucht. In diesem Zusammenhang hat aber der grö-
ßere Agrar- und Ackerbaubetrieb erheblich mehr von
Ich kann eher eine rückwärtsgewandte als eine vor- dieser Subvention als der kleine Milchviehbetrieb. Dem
wärtsgewandte, an der Zukunft orientierte Politik erken- werden Sie doch wohl nicht widersprechen. Ich will jetzt
nen. Das Instrumentarium, das im letzten Haushalt aus nicht den größeren Betrieb in den neuen Bundesländern
der Mottenkiste der Agrarpolitik aus den 60er-Jahren des als Beispiel nehmen. Ein Betrieb mit 1 000 Hektar hat
letzten Jahrhunderts geholt wurde, nämlich schuldenfi- ungefähr 20 000 Euro mehr. Okay, ich gönne es ihm. Ob
nanzierte Zahlungen und Subventionen, wird weiter an- das aber zielgerichtet ist, stelle ich hier sehr infrage.
gewendet. Nichts anderes steckt hinter dem 750-Milli-
onen-Euro-Paket. Das kommt bisher nur in Teilen an. (Zuruf von der CDU/CSU: Kein Bauer hat
Ein großer Teil ist noch gar nicht da. Trotzdem geht es mehr als 10 Hektar!)
6010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) Ebenso stelle ich infrage, ob das Strukturen sind, die wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
in der gegenwärtigen Situation, in der die Agrarrohstoff- Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Haustein von der
preise steigen, in besonderer Weise durch entsprechende FDP-Fraktion.
Förderungen zu unterstützen haben. Sie müssen einmal
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
klar und deutlich sagen, wie Sie das dem deutschen
Steuerbürger vermitteln wollen.
Heinz-Peter Haustein (FDP):
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Mein Damen und Herren! In wenigen Wochen werden wir das
Gott!) Erntedankfest feiern. In den Kirchen wird gesungen
Als teilweise Gegenfinanzierung brechen Sie aus der „Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land“.
Gemeinschaftsaufgabe 100 Millionen Euro hinaus. Das Dann freuen wir uns, wenn die Früchte auf dem Tisch
ist keine Heldentat, das ist ein Armutszeugnis. liegen. Wir können glücklich sein, wenn es genug zu es-
sen und zu trinken gibt. Das ist nicht so selbstverständ-
(Beifall des Abg. Heinz Paula [SPD]) lich, wie allgemein angenommen wird.
In diesem Zusammenhang bleiben all die Bekenntnisse (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
zum ländlichen Raum Lippenbekenntnisse. Den Bundes-
Ich bin Haushälter, und ich bedanke mich bei meinen
wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ – das ist ein schö-
Kollegen im Haushaltsausschuss, besonders bei meinem
ner Wettbewerb – haben Sie damit eröffnet, dass das Le-
Freund Georg Schirmbeck, dafür, dass es uns gelungen
ben auf dem Dorf nicht rückständig sei und schon gar
ist, ein so solides Zahlenwerk aufzustellen. Ehe ich aber
nicht konventionell. Darin kann ich Ihnen zustimmen. zu diesen Zahlen komme, möchte ich grundsätzlich die
Sie präsentieren sich als Sachwalterin des ländlichen neue Richtung unserer Finanzpolitik klarstellen. Wir als
Raumes, aber letztendlich bleiben das Lippenbekennt- christlich-liberale Koalition schlagen einen neuen Weg
nisse; dafür sorgen Sie durch die entscheidende Schwä- ein: Wir senken die Schulden; wir kürzen dort, wo es
chung der GAK und auch durch andere Maßnahmen in geht, zwangsläufig auch die Ausgaben und belasten da-
diesem Haushalt. Die Städtebauförderung wird gekürzt; mit die zukünftigen Generationen nicht mehr so stark.
auch das wirkt sich unmittelbar auf den ländlichen Raum
aus. Sie beginnen eine Diskussion über die Frage der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Gewerbesteuer; auch das wirkt sich nicht positiv auf den Niemand, der einzelne Punkte herausgreift und kriti-
ländlichen Raum aus. All das sind Faktoren, die letzt- siert, dass wir hier und da etwas gekürzt haben, spricht
endlich die Politik für den ländlichen Raum mitbestim- davon, wie im anderen Fall gegenfinanziert werden soll.
men und die man mitberücksichtigen müsste. Normaler- Deshalb ist die solide Politik, die wir als christlich-libe- (D)
(B)
weise müssten Sie am Kabinettstisch sofort Ihr Veto für rale Koalition machen, recht und billig. Natürlich ist das
den ländlichen Raum einlegen; aber das tun Sie nicht. ein Paradigmenwechsel. Manche müssen sich erst daran
(Beifall bei der SPD) gewöhnen. Ich merke ganz deutlich, dass die linke Ecke
des Saales einfach nicht begreifen will, dass wir nicht so
In dem Brief, den der Kommissar Ciolos zusammen wie Nordrhein-Westfalen handeln: einfach 9 Milliarden
mit drei anderen Kommissaren an Herrn Barroso ge- Euro Schulden machen, aber nicht fragen, wer das zu-
schrieben hat, wird deutlich, welche Strukturveränderun- rückzahlen soll. Das machen wir nicht mit.
gen in den großen Töpfen im Bereich der Agrar-, der Re-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
gional- und der Kohäsionspolitik demnächst anstehen.
Dort wird ganz klar gesagt, dass man diese Töpfe in ei- Nun hat sich ein Haushälter um die Zahlen zu küm-
nen gemeinsamen strategischen Rahmen einbinden will. mern. Das werde ich jetzt tun. Der Haushalt umfasst
Machen Sie doch endlich den Versuch, aus der GAK 5,4 Milliarden Euro. Das ist eine Absenkung um
eine Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum zu 355 Millionen Euro. Das war ein harter Kampf, aber wir
entwickeln! Das wäre ein positiver Ansatz, der auch haben die Eckwerte erhalten. Ein Großteil, nämlich
dazu dienen würde, dieser Politik das notwendige Kofi- 3,74 Milliarden Euro, geht dabei in den sozialen Teil des
nanzierungsinstrument zu geben. Ich fordere Sie dazu Haushalts. Für die Alterssicherung für Landwirte stehen
auf. Unsere Unterstützung dafür haben Sie. 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung, die Unfallkassen
werden mit 200 Millionen Euro bezuschusst, die Renten
Ich glaube, dass wir auch in anderen Bereichen ent- der Kleinlandwirte mit 42 Millionen Euro, der Zuschuss
sprechende Regionalisierungen und Kofinanzierungsins- für die Krankenkassen beträgt 1,25 Milliarden Euro und
trumente schaffen müssen. Dafür muss die Gemein- der Zuschuss zur Zusatzaltersversorgung für Arbeitneh-
schaftsaufgabe „Ländlicher Raum“ nach den Vorstellun- mer 24 Millionen Euro. 68 Prozent des Haushalts entfal-
gen der Sozialdemokraten und nach meinen Vorstellun- len auf den Bereich Soziales.
gen die entsprechenden Kofinanzierungsinstrumente lie-
fern. Dadurch wird eine Agrarpolitik der Zukunft unter- Der Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Sozia-
stützt. In diesem Sinne kann ich Sie nur auffordern: les umfasst 143 Milliarden Euro. Rechnet man den An-
Handeln Sie, und erweisen Sie der deutschen Landwirt- teil des Sozialen an allen Haushalten zusammen, dann
schaft keinen Bärendienst wie mit diesem Haushalt! kommt man auf einen Betrag von 777 Milliarden Euro.
Daran sehen Sie, wie sozial dieses Land ist, wie sozial
Vielen Dank. diese Regierung denkt und handelt.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6011
Heinz-Peter Haustein
(A) Es ist nicht recht, immer nur über Hartz-IV-Sätze zu Soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung (C)
sprechen. Man muss auch einmal fragen, woher das Geld gegenüber Erzeugern und Verbraucherinnen und Ver-
kommen soll. brauchern ist unsere Richtschnur.
Von diesen 5,4 Milliarden Euro entfallen 74,5 Millio- Wenn man Ihren Etat, Frau Ministerin, an diesem
nen Euro auf die Verwaltung. Es bleiben nur 1,66 Mil- Maßstab misst, dann ist er nichts als eine Enttäuschung.
liarden Euro für die Gestaltung, für Programme. Es be- Der Etat des Bundesministeriums – den Sozialanteil ein-
darf schon einer dynamischen Ministerin, einer guten mal herausgerechnet – macht etwa ein halbes Prozent
Regierung und einer ordentlichen Koalition, um aus die- des gesamten Bundesetats aus. Aber, so wird uns gesagt,
sen 1,66 Milliarden Euro etwas zu machen. Wir tun es. 40 Prozent der Ausgaben der Europäischen Union gehen
in die Landwirtschaft. Auch wenn man das einmal um-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – rechnet, vor allem deshalb, weil den Landwirten mitun-
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das kann ter vorgehalten wird, sie würden immer nur mit der offe-
nicht jeder!) nen Hand dastehen, kommt heraus, dass wir nur
Ich möchte einige wenige Beispiele herausgreifen. 1 Prozent der öffentlichen Haushalte in der gesamten
Ich freue mich ganz besonders, dass es uns gelungen ist, Europäischen Union für die Landwirtschaft einsetzen.
den Zuschuss für den Agrardiesel zu erhalten. Deshalb geht der Vorwurf der Subventionierung der
Landwirtschaft fehl.
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das
sollte doch nur übergangsweise sein!) (Beifall bei der LINKEN)

Agrardiesel ist der Treibstoff, den die Landwirte und Die Wahrheit sind niedrige Löhne und Selbstausbeutung
Forstleute für ihre Arbeit brauchen. Wir haben den Zu- in kleinen Unternehmen. Deshalb wäre auch hier ein ge-
schuss von 21,48 Cent pro Liter erhalten; denn ein Land- setzlicher Mindestlohn eine wirkliche Hilfe.
wirt ist auch Unternehmer, der sich dem Wettbewerb (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei
stellen muss, und das weltweit. Wir haben mit den Zu- der CDU/CSU)
schüssen zu den Sozialsystemen die Lohnnebenkosten
konstant gehalten und den Agrardiesel bezuschusst, da- Die Frau Ministerin hat in ihrer Rede Probleme weit-
mit die Landwirte wettbewerbsfähig bleiben. gehend ausgeblendet. Deshalb muss ich einige hier nen-
nen:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen
Ein weiterer kleiner Beitrag: Dieses Jahr ist das von Union ab 2013. Die Haltung der Bundesregierung ist
(B) der UNESCO proklamierte Jahr des Waldes. Für die trotz der Beschwörungen, zu Lösungen kommen zu wol- (D)
Wälder stellen wir 2 Millionen Euro zur Verfügung. Auf len, eine völlig diffuse. Sie sondern ständig widersprüch-
den Ökolandbau entfallen 16 Millionen Euro, auf die liche Nachrichten ab, und das bringt keine Zukunftssi-
Exportförderung 5 Millionen Euro. Sie sehen: In die Be- cherheit für Agrarunternehmen.
reiche, auf die es ankommt, stecken wir Geld hinein. Es
ist ein guter Haushalt, der solide finanziert ist. Die Linke wird ein eigenes Konzept zur Gemein-
samen Agrarpolitik vorlegen und demnächst hier im
Liebe Freunde, die Landwirte sind bei unserer Koali- Bundestag vorstellen. Der Kerngedanke ist dabei die
tion gut aufgehoben; Bindung der Fördermittelzahlungen an soziale und öko-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) logische Kriterien.

denn Bauernstand ist Ehrenstand. (Beifall bei der LINKEN)

In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erz- Wir haben diesen Ansatz im Juni bei einer umfangrei-
gebirge. chen Agrartour in Thüringen und Sachsen-Anhalt einmal
getestet. Wir waren durchaus auf Widerspruch gefasst,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) aber wir können sagen: Dieser Ansatz hat den Praxistest
bei den Genossenschaften und den anderen Agrarbetrie-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ben bestanden.
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus von der Das nächste Problem: Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
Fraktion Die Linke. besserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-
zes“, 100 Millionen Euro weniger als in diesem Haus-
(Beifall bei der LINKEN)
haltsjahr. Das ist die falsche Politik. Das sind keine
Wege aus der Krise, zumal im nächsten Jahr die Sonder-
Roland Claus (DIE LINKE): programme auslaufen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke
steht für eine Agrar- und Verbraucherschutzpolitik, die Sie können mir nicht dauernd damit kommen, das sei
den Konsumenten eine gesunde und bezahlbare Ernäh- ein Beitrag zur Konsolidierung, und Sie würden die
rung und den Produzenten ein nachhaltiges und angst- Schulden bremsen. Herrgott noch mal, mit diesem Haus-
freies Wirtschaften sichert. halt sparen Sie etwas über 10 Milliarden Euro. Am
Freitag der vergangenen Woche haben Sie 40 Milliarden
(Beifall bei der LINKEN) Euro an Garantien für die kaputte HRE nachgeschossen,
6012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Roland Claus
(A) übrigens auch zum Entsetzen der Kolleginnen und Kol- Zum Schluss, Frau Ministerin, will ich Sie noch mit (C)
legen aus der Union. einem letzten Problem konfrontieren. Sie haben noch
immer ein zweigeteiltes Ministerium mit einem Stand-
Ich will ein Wort zu den Agrarbetrieben im Osten sa- ort in Bonn und einem Standort in Berlin. Sie kennen un-
gen, und das im 20. Jahr der deutschen Einheit, weil es seren Vorschlag der Wiedervereinigung der Bundesre-
nur wenige wirtschaftliche Sektoren in der Bundesrepu- gierung hier in Berlin. Packen Sie es an! Es sind viele
blik gibt, wo die Art des Wirtschaftens in Ost und West Probleme zu lösen. Über all diese ungelösten Probleme
noch so unterschiedlich ist. Jetzt kann man darüber kla- ist von Ihnen hier nicht geredet worden; im Haushalt ist
gen oder irgendwelche Angleichungen versuchen; unser auch keine Vorsorge dafür getroffen worden. Ihr Haus-
Ansatz ist ein anderer. Wir meinen: Die Agrarunterneh- halt braucht eine soziale und ökologische Neuorientie-
men im Osten haben inzwischen einen Erfahrungsvor- rung. Daran würde die Linke gern mitwirken, aber nicht
sprung bei der Bewältigung wirtschaftlicher und gesell- an einem Weiter-so.
schaftlicher Umbrüche. Wenn wir in dieser Republik
etwas Gescheites machen wollen, dann nutzen wir die- (Beifall bei der LINKEN)
sen Erfahrungsvorsprung bundesweit, um die Landwirt-
schaft zukunftsfähiger zu machen. Das wäre ein Weg, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. von den Grünen.
Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Nächstes Problem: weitergehende Verkäufe von Bo- NEN):
den und Seen im Osten. Nun haben Sie mit den Ländern Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Ko-
gewissermaßen einen Kompromiss geschlossen und alition hat in einem Jahr schwarz-gelber Agrarpolitik
diese einigermaßen ruhiggestellt, aber das Grundpro- nichts zustande gebracht.
blem bleibt. Die Linke will langfristige Pachtverträge
statt weiterer Privatisierung. Privatisierung brauchen wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
überhaupt nicht. Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wo
(Beifall bei der LINKEN) lebst du denn?)
Nächstes Problem. Uns wird seit langem vorgeschla- Zum Glück möchte man sagen, angesichts des ideologi-
gen, eine steuerfreie Risikorücklage für Agrarbetriebe schen Eifers, mit dem einige von Ihnen an die Agrarpolitik
einzuführen. herangegangen sind: Deutschland als Billigfleischwelt-
(B) (D)
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Kuba macht meister und die gentechnische Zwangsbeglückung der
das jetzt aber anders!) immer noch uneinsichtigen Deutschen – so lautet Ihr
ganzes Programm.
Das ist eine Forderung des Bauernverbandes, die Sie alle
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kennen. Das wäre ein Weg in eine zukunftssichere und
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
angstfreie Unternehmensentwicklung. Warum setzt sich
KEN)
die Ministerin nicht dafür ein?
Zum Glück hat Sie Ihre eigene Regierungsunfähigkeit
Das nächste Problem: die Exportorientierung, die bislang davon abgehalten, das in die Tat umzusetzen.
Sie hier zum Teil abfeiern. Ich will mich nicht damit ab- Aber angesichts der Lage der Bäuerinnen und Bauern,
finden, der Ernährung, des Klimas und der natürlichen Umwelt
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Weil Sie keine ist Ihr Nichtstun unverantwortlich und sind Ihre privaten
Ahnung haben!) Google-Scheingefechte zu wenig, Frau Aigner.
dass Schweine nach Asien verkauft werden, die vorher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
in Deutschland mit amerikanischem Futter gemästet Haben Sie eigentlich noch mehr zum Klimaschutz
wurden. Das ist antiökologisch. Das ist antisozial. Das auf Lager als die stereotype Verweigerungshaltung,
ist einfach Unsinn, den wir überwinden müssen. wenn es um den Beitrag der Landwirtschaft geht? Wo
(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abge- bleiben zum Beispiel Ihre Maßnahmen zur Verbesserung
ordneten der CDU/CSU) der Humusbilanz wie die Festmistwirtschaft?

Was die Spekulation mit Nahrungsgütern anbetrifft, Ist von Ihnen bei der anstehenden Reform der ge-
Frau Ministerin, reicht es nicht aus, hier – folgenlos – zu meinsamen EU-Agrarpolitik noch etwas Schlaueres zu
klagen. Es muss etwas getan werden, um diese Spekula- erwarten als Ihre derzeitige Wir-machen-einfach-gar-
tion zu unterbinden. Hier wirken die internationalen nichts-Strategie?
Agrarrohstoffbörsen in den ärmsten Ländern der Welt (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Stimmt doch gar
wirklich lebensbedrohend. Ich finde das pervers. Das ist nicht!)
ein Zustand, den sich diese Welt nicht leisten sollte.
Geben Sie doch endlich zu, was in den Nonpapers Ihres
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Hauses längst überall zu lesen ist: Der einzige Ausweg,
Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) das Agrarbudget zu halten, ist die ökologische Qualifi-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6013
Friedrich Ostendorff
(A) zierung der Zahlungen. – Wer sich diesem Schritt ver- Geld zwischen Peking und Berlin hin- und herreist, um (C)
weigert, wird den harten Kampf um die EU-Gelder ver- den Schweineexport anzukurbeln, auf mehrfache Nach-
lieren. fragen hier im Parlament aber nicht einmal eine grobe
Einschätzung der ungefähr zu erwartenden Exportmen-
Haben Sie, Frau Ministerin, zu dem heftigen Wider-
gen geben kann.
stand der ländlichen Bevölkerung gegen immer größere
Massentierhaltungsanlagen mit Millionen gequälter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kreaturen noch mehr beizutragen als das, was Sie uns sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
schriftlich mitgeteilt haben, nämlich dass Sie auf diese
Ich nenne es peinlich dünn und eine Frechheit gegenüber
Entwicklungen keinen Einfluss nehmen wollen?
dem Parlament, was Sie hier vorgelegt haben, Herr
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Müller.
Da ist Ihre niedersächsische Kollegin Grotelüschen we- (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Das
niger zurückhaltend, die in dem Geschäft ja bekannter- heißt „Herr Staatssekretär“!)
weise kräftig mitmischt, auch wenn sie das eine oder an- Entweder reisen Sie auf blauen Dunst durch die Welt
dere Detail schon mal vergisst. oder Sie verheimlichen uns die Zahlen. Herr
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist eine Dr. Exportbeauftragter, Sie wollen von uns als Parlament
Beleidigung einer ehemaligen Kollegin! So Steuergelder für ein Fleischexportprogramm genehmigt
geht es nicht! Sie sollten sich entschuldigen!) haben, sind aber nicht einmal in der Lage, uns mitzutei-
len, welche wirtschaftspolitische Logik Sie damit verfol-
Frau Ministerin, haben Sie eigentlich vor, im derzeiti- gen, einen boomenden Markt mit Steuergeldern weiter
gen Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt wirk- anzuheizen.
same Maßnahmen zu ergreifen, um das Artensterben zu
stoppen, oder wollen Sie es bei ein paar Broschüren be- (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Wenn
wenden lassen? man es nicht versteht, stimmt das!)
Selbst die Initiative zur Eindämmung der exzessiven Es ist ja putzig, zu erfahren, dass Sie in den Ferien im
Spekulationen an den Agrarmärkten kam wieder einmal Rahmen des Projektes „Deutsche Küche in Indien“ in
nicht aus Berlin, sondern aus Paris. Wo sind denn Ihre Neu Delhi aufgetreten sind; aber wir hätten doch gerne
konkreten Vorschläge für mehr Transparenz, die klaren Fakten statt Anekdoten, Herr Staatssekretär.
Regeln für Warenterminmärkte, Frau Aigner? Wo sind Es ist auch keine Strategie, wenn man einerseits den
sie? Export und damit die Produktion von Fleisch bei uns an-
(B) Sind Sie wirklich der Meinung, Frau Aigner, dass die kurbeln will, auf der anderen Seite aber schon jetzt nicht (D)
bäuerliche Milcherzeugung in Deutschland gerettet sein weiß, wie man ein EU-Vertragsverletzungsverfahren we-
wird, nachdem Sie Ihr letztes Strohfeuer gezündet und gen Überschreitung der Ammoniakemissionen aus der
den Rest der Kuhschwanzprämie verjubelt haben? Tierhaltung verhindern soll, Frau Ministerin. Was wollen
Sie denn Ende dieses Monats der Kommission in Brüssel
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf den blauen Brief antworten, der ja schon lange bei
und bei der SPD) Ihnen auf dem Tisch liegt und den Sie uns hier im Parla-
Kommt noch irgendetwas von Ihnen, um die Pioniere ment verheimlicht haben? Stehen Sie doch endlich zu
unter den BDM-Milchbäuerinnen und -Milchbauern zu den Konsequenzen dieser Politik. Sagen Sie den Men-
unterstützen, die sich mit ihrer fairen Milch einen Markt schen auf dem Land, wie viele zusätzliche Mastfabriken,
aufbauen wollen? wie viele Gülleseen, welche Emissionen und wie viele
zusammengepferchte Tiere Ihre Exportstrategie nach
(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: sich zieht.
Lobbyist!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zu all dem kommt von Ihnen bisher herzlich wenig,
und das ist ein Skandal, Frau Ministerin. Im Einzel- Während Sie noch „Unser-Dorf-hat-Zukunft“-Wettbe-
plan 10 müssen wir schon lange suchen, bis man An- werbe ausrufen, läuft doch längst der von Ihrem Staats-
sätze von Aktivität findet. sekretär angeführte Wettbewerb „Wie versauen wir un-
sere Dörfer am schnellsten“.
Wenn man den Verlautbarungen des Ministeriums
folgt, dann ist das wichtigste Vorhaben derzeit die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Exportstrategie, sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider-
spruch bei der CDU/CSU und der FDP)
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)
Der Haushalt ist der Spiegel des Gestaltungswillens
vom eigens ernannten Exportbeauftragten betrieben und einer Regierung. Wer wie Sie es fertigbringt, ausgerech-
im Haushalt 2011 mit immerhin 5 Millionen Euro ausge- net sein wichtigstes Gestaltungsinstrument, die GAK,
stattet. um 100 Millionen Euro zu kürzen, nur um den Agrardie-
selverbrauch weiter zu subventionieren, hat keinen Ge-
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist schlau!)
staltungswillen. Wir könnten ja über sinnvolle Einspa-
Man kann doch nicht ernsthaft von einer Strategie spre- rungen bei der GAK sprechen, Frau Aigner. Zum
chen, wenn Staatssekretär Müller monatelang für viel Beispiel könnten wir über die überfällige Streichung der
6014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Friedrich Ostendorff
(A) Investitionszuschüsse von bis zu 40 Prozent aus Steuer- (Zurufe von der SPD: Oh!) (C)
mitteln für Großstallbauten reden. So ließe sich in der
GAK viel Geld sparen und gleichzeitig Tierschutz be- Haushaltsdebatte heißt Generaldebatte, Situationsbe-
treiben. schreibung und das Aufzeigen von Linien in die Zu-
kunft. Zu dieser Situationsbeschreibung gehört auch,
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Du sägst den dass wir die Landwirtschaft, die in und mit der Natur ar-
Ast ab, auf dem du selbst sitzt!) beitet, in diesem Jahr einmal besonders betrachten. Wir
haben eine lange Trockenphase erlebt. Ein Großteil der
Diese Fehlinvestitionen wollen Sie sogar noch verstär- Ernte ist verdorrt. Es gibt Ertragsrückgänge von
ken und stellen sich damit wieder auf die Seite der 12 Prozent, in einigen Regionen sogar bis zu einem Drit-
Agrarindustrie und gegen die bäuerliche Landwirtschaft. tel. Dann ist durch eine lange Regenperiode auch noch
Sie haben in Brüssel bei der High Level Group on vieles auf den Feldern verfault. Ich habe heute Morgen
Milk für die eigenen Milchbauern nichts erreicht und gehört, dass in Brandenburg noch Getreide auf dem
sind mit leeren Händen nach Hause gekommen, wollen Acker steht, das vor den Augen der Bauern verrottet. Ich
aber 2011 erneut mit vollen Händen 200 Millionen Euro möchte den Betroffenen mein Mitgefühl aussprechen;
Kuhschwanzprämie ausschütten. Dumm zahlen statt denn es ist schon eine besonders schwierige Situation,
klug verhandeln: Das ist das Motto Ihrer Agrarpolitik. mitzuerleben, wie ein ganzer Jahresertrag vernichtet
wird.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es ist an der Zeit, Frau Ministerin, Farbe zu beken- Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns auf die
nen, Antworten zu geben, Verantwortung zu überneh- Märkte konzentrieren, Frau Ministerin Aigner. Es ist in
men. Weisen Sie Ihren gelben Koalitionspartner in die Ordnung, dass die Preise für landwirtschaftliche Pro-
Schranken. Verhindern Sie, dass Herr Bleser wie im letz- dukte wie Getreide gestiegen sind. Sie sind übrigens
ten Jahr wieder versucht, das Bundesprogramm Ökolo- heute nicht höher als 1982. Es ist auch in Ordnung, dass
gischer Landbau zu schleifen, um die globale Minder- man über die Warenterminbörse Preise und Erträge ab-
ausgabe von 50 Millionen Euro zusammenzukriegen. sichern kann. Aber – da sind wir einer Meinung – Spe-
Hören Sie auf mit den halben Sachen und vertreten Sie kulanten, die nur Finanzgeschäfte machen und auf sin-
endlich konsequent in Berlin das, was Sie in Bayern so kende bzw. steigende Kurse wetten, müssen wir genauso
lauthals verkünden: keine Gentechnik in der Landwirt- wie Spekulanten in den übrigen Märkten bekämpfen.
schaft, Erhalt und Förderung der bäuerlichen Landwirt- Das wird auch geschehen.
schaft, Unterstützung von Regionalität und Qualität, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(B) Schluss mit der Tierquälerei in der Massentierhaltung. (D)
Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann
Schönen Dank. machen Sie doch mal was!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Haushaltsdebatte ist für uns natürlich auch ein
sowie bei Abgeordneten der SPD – Marlene Spiegelbild der an unseren Werten und unserem Men-
Mortler [CDU/CSU]: Schäm dich!) schenbild orientierten langfristigen Strategie in der
Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer hat
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser von der Ihnen diesen Satz aufgeschrieben?)
CDU/CSU-Fraktion.
– Ich habe mir Mühe gegeben, und es ist mir gelungen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir haben in den letzten Jahren zwei Grundsätze im-
mer als unabdingbar angesehen. Das ist erstens die Stär-
Peter Bleser (CDU/CSU): kung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe und
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fü- zweitens die wissenschaftsbasierte Bewertung neuer in-
gung hat es gewollt, dass ich nach Friedrich Ostendorff novativer Technologien. Das hört sich banal an. Aber
sprechen darf. Es ist kein krasserer Gegensatz möglich. nur dann, wenn wir diese beiden Grundsätze beherzigen,
Ich kann nur sagen: Lieber Kollege, was Sie hier gebo- werden wir in der Lage sein, nach unseren Vorstellungen
ten haben, ist rückwärtsgerichtet, wirklichkeitsfremd gesunde Lebensmittel zu erzeugen; wir haben eine ei-
und Nostalgie. gene Produktion, die dort auch die Maßstäbe setzen
kann. Nur dann, wenn wir die Wirtschaftlichkeit in Zu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kunft erhalten und verbessern, werden wir die von uns
Herr Kollege, Sie verkennen die Wirklichkeit. Sie le- gewünschten Tierschutz- und Umweltstandards und un-
ben in einer agrarpolitischen Traumwelt, die in der Re- sere Wünsche in Bezug auf die Kulturlandschaft in der
alität nirgendwo vermittelbar ist. Mich wundert es, dass Realität umsetzen können.
die Fraktionen auf der linken Seite dieses Hauses immer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wieder versuchen, sich an Sie anzudocken. Das hilft den
Grünen, aber nicht den anderen Fraktionen. Das sollten Nur dann, wenn wir die Wirtschaftlichkeit erhalten
Sie, lieber Herr Kollege Priesmeier, auch einmal beden- und stärken, werden wir auch einen Beitrag zum Klima-
ken. schutz und zur Welternährung leisten können. Ohne
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6015
Peter Bleser
(A) diese Basis, Herr Kollege Ostendorff, werden wir auf setzten weiteren Verbilligung des Agrardiesels finanzie- (C)
Dauer keinen Erfolg haben können; denn die Gesell- ren können.
schaft wird nicht bereit sein, auf Dauer immer höhere
Subventionen zum Erhalt der Landwirtschaft aufzubrin- Da wir angesichts der notwendigen Haushaltssanie-
gen. Das ist eine Realität, die wir nicht aus den Augen rung in unserem Fachbereich einen sehr harten Kampf
verlieren dürfen. führen mussten, um Verlässlichkeit zu zeigen und unsere
Koalitionsaussage und die Aussage in unserem Wahlpro-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gramm umzusetzen, will ich neben unserer Ministerin
unsere Bundeskanzlerin und auch Herrn Westerwelle
Deswegen wollen wir nicht beim Status quo stehen blei-
nennen, die sich in dieser Frage am Schluss für Verläss-
ben, sondern die Landwirtschaft stärken und die Ernäh-
lichkeit und Vertrauensschutz ausgesprochen haben.
rungswirtschaft insgesamt nach vorne bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine Damen und Herren, ich muss hier noch einmal
feststellen: Wir haben vor einem Jahr, vor zwei Jahren Auch das ist in der heutigen Zeit noch möglich. In der
Kurs gehalten, als wir uns in der Weltfinanz- und Wirt- Landwirtschaft ist damit endlich wenigstens ein Teil der
schaftskrise hier in diesem Raum Zweifel an der sozialen Wettbewerbsgleichheit erreicht, was jedoch längst nicht
Marktwirtschaft anhören mussten. Da haben wir gestan- ausreicht.
den bei stürmischer See und im harten Wind. Wir haben
uns nicht den Versuchungen derjenigen hingegeben, die Es wurde von dir, lieber Wilhelm Priesmeier, die Ex-
meinten, man müsse eine staatliche Regulierung, insbe- portförderung beanstandet. Herr Ostendorff hat sie ins
sondere im Milchmarkt, auf den Weg bringen. Wir sind Lächerliche gezogen.
gegen härtesten Widerstand draußen bei unserer Position (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ich habe nicht
geblieben. kritisiert!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Du hast sie nicht kritisiert, Entschuldigung. Du hast sie
Deswegen – da bin ich sehr froh – können wir heute sogar als Erfolg dargestellt; das ist korrekt.
auch den Erfolg für uns in Anspruch nehmen. Wir haben (Zurufe von der LINKEN: Wir waren das! Wir
Gott sei Dank wieder einen Milchpreis, der die 30-Cent- sind schuldig!)
Grenze übersteigt. Das ist nicht unser Verdienst.
Wir haben sie zusammen auf den Weg gebracht: 2005
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ach, haben wir die Exportinitiative ergriffen; wir führen sie
ich dachte schon!) jetzt verstärkt fort.
(B) Es ist das Verdienst der Bauern, der am Milchmarkt Be- Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir in der (D)
teiligten und auch der Marktsituation. Wir können aber Wirtschaftskrise beim Export im Agrarbereich am aller-
für uns in Anspruch nehmen, dass wir die Produktion in wenigsten zurückgefallen sind. Deshalb ist der relative
Deutschland nicht zurückgefahren haben, wie viele es Anstieg im ersten Halbjahr um 7 Prozent noch bedeuten-
wollten. der, als er im Verhältnis zu anderen Branchen erscheint.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist ein Riesenerfolg. Die Ursache dafür liegt in unse-
rer verstärkten Wettbewerbsfähigkeit, vor allem aber
Die Wertschöpfung ist so wesentlich höher. Es waren auch, liebe Frau Ministerin, in den großen Aktivitäten
neidvolle Blicke aus den mit uns befreundeten europäi- des Staatssekretärs Dr. Müller, der sich hier für unsere
schen Staaten auf uns gerichtet, die unseren Produk- Landwirtschaft verdient macht. Das will ich hier in aller
tionsanstieg in einer Zeit, in der andere zurückgefallen Deutlichkeit sagen.
sind, gerne auch für sich gesehen hätten. Das ist ein Er-
folg unserer Politik. Deswegen, Frau Ministerin, können (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wir uns glücklich schätzen, dass wir auf einem guten Ich will das Verbraucherschutzthema nicht zu kurz
Weg sind. Wir sind noch längst nicht am Ziel. Ich sage kommen lassen. Vorher noch einige Sätze zu den Tier-
allen in der Koalition ein Dankeschön, dass wir hier in schützern. Lieber Kollege Ostendorff, es gibt solche
schwieriger Zeit zusammengestanden haben. Wir haben und solche Tierschutzverbände. Ich möchte den Deut-
die Betroffenen in dieser schwierigen Zeit nicht im Stich schen Tierschutzbund und die Stiftung Vier Pfoten aus-
gelassen; denn wir haben mit dem Milchhilfsfonds, der drücklich ausnehmen. Es gibt aber einen Verband, der
nicht nur für die Milcherzeuger gegolten hat, in der bei der Wahl seiner Mittel vor nichts zurückscheut.
schwierigen Zeit ein Zeichen der Solidarität dieser Ge-
sellschaft gesetzt. Das hat seine Wirkung gehabt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will das hier in aller Deutlichkeit ansprechen: Die
Landwirtschaft lebt mit den Tieren und von den Tieren.
Man kann auch ruhig zugeben, dass die Liquiditäts- Uns braucht niemand zu erklären, was Tierschutz ist.
hilfe in Höhe von 25 Millionen Euro nicht die Ziel- Gerade die Investitionen der letzten Jahre in neue Stall-
genauigkeit erreicht hat, die wir erreichen wollten. Des- anlagen haben hier eine erhebliche Verbesserung ge-
wegen ist es auch keine Schande einzugestehen, dass wir bracht.
die zweite Tranche gestoppt haben, weil die Notwendig-
keit dafür einfach nicht mehr gegeben war. Wir haben (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sie wol-
damit auch einen Teil der von uns doch noch durchge- len doch nicht infrage stellen, dass die industri-
6016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Peter Bleser
(A) elle Geflügelhaltung nicht von Bauern gemacht 2010 insgesamt 400 Millionen Euro Agrarsubventionen (C)
wird!) zusätzlich in den Bundeshaushalt eingestellt.
Das, was dort einige zur Requirierung von Spenden auf- Nun, im Haushalt 2011, wird im Ministerium quasi die
bieten, ist für diese Gesellschaft nicht hinnehmbar. Ich zweite Stufe der Subventionsrakete gezündet. Es kom-
bitte uns alle, gemeinsam dagegen anzugehen. men noch einmal 300 Millionen Euro für die Klientel der
Mitglieder des Bauernverbandes obendrauf: 200 Millio-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen Euro über das Grünlandmilchprogramm – die be-
Herr Präsident, das Blinklicht leuchtet schon wieder. rühmte Kuhschwanzprämie ist schon angesprochen
Ich hätte noch viel zu sagen. Ich will aber nur einige worden –, zusätzlich 100 Millionen Euro für die landwirt-
Sätze zum Verbraucherschutz loswerden. Frau Aigner schaftliche Unfallversicherung.
hat es zu Recht angesprochen: Wir werden dafür sorgen (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist doch
– das ist nur ein Aspekt –, dass wir wieder ein sauberes nicht zu viel, oder?)
Telefon bekommen.
Erneut gibt es hier eine Gießkannenförderung, anstatt
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wann dort, wo Hilfen notwendig sind, gezielt und problembe-
denn?) zogen unter die Arme zu greifen. Erneut wird der Markt-
Ich werde mit meinen Kollegen dafür kämpfen, dass die entwicklung, die sich heute anders als noch vor einem
Abzocke am Telefon endlich beendet wird. Jahr darstellt, rein konsumtiv und passiv hinterhersub-
ventioniert, und das im Jahr der allgemeinen Kürzungen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Das erreicht man nicht Es handelt sich um Mehrausgaben für ein Weiter-so, an-
mit Pressemitteilungen! – Waltraud Wolff statt gezielte Programme für eine nachhaltige Landwirt-
[Wolmirstedt] [SPD]: Wann denn?) schaft aufzulegen. Das ist ein schweres Versäumnis in
– Frau Kollegin Wolff, dazu nur ein Satz: Wir hätten diesem Einzelplan.
beim Telefonwerbeverbot gern die schriftliche Bestäti- (Beifall bei der SPD)
gung als eine Regelung ins Gesetz aufgenommen, Sie
von der SPD haben das damals verhindert. Damit natürlich nicht genug: Zu den 300 Millionen
Euro sollen ab 2011 neue Dauersubventionen hinzukom-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- men. Es geht um die bisher befristeten Erleichterungen
ruf von der SPD: Das ist billig! – Gegenruf des im Bereich Agrardiesel, die in diesem Einzelplan ab
Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Das ist nicht billig! 2011 zur Dauersubvention werden.
Das ist gelogen!)
(B) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt (D)
Wir werden es jetzt verbessern. doch gar nicht!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das sind 260 Millionen Euro – man darf das noch ein-
mal sagen –, die erneut mit der Gießkanne ausgeteilt
Ich will zum Schluss kommen. Die Koalition hat gute werden. Alles in allem werden 560 Millionen Euro an
Arbeit geleistet. Die Kritik der Opposition ist pflichtge- Agrarsubventionen auf diesen Einzelhaushalt obendrauf
mäß; sie ist eine Bestätigung. gepackt.
Herzlichen Dank. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Früher waren
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Sozialdemokraten noch nationale Patrioten!
Jetzt verraten Sie das bäuerliche Volk! Es ist
unglaublich, was Sie da machen!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz von der – Ich weiß, es tut weh, und das in einer Zeit, in der
SPD-Fraktion. Schwarz-Gelb in diesem Bundeshaushalt an anderer
Stelle die schwersten Belastungen austeilt, zulasten von
(Beifall bei der SPD) Familien, Kindern und Arbeitslosen. Das ist ein Miss-
verhältnis, das man der Öffentlichkeit mitteilen muss.
Rolf Schwanitz (SPD):
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/
Herren! Ich möchte mich bei meiner Rede in der ersten
CSU]: Die Bauern haben im Durchschnitt dop-
Lesung auf die nach meinem Empfinden drei größten
pelt so viele Kinder wie andere Bürger! Wo
Schwachstellen im Einzelplan 10, dem Haushalt des
sind denn die Kinder? Im ländlichen Raum!)
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, konzentrieren. Dass die Bauern das differenziert sehen, ist übrigens
nachzulesen. In der letzten Woche hat der Chef des Bun-
Die erste Schwachstelle dieses Einzelplanes: Der Ein- desverbandes Deutscher Milchviehhalter klargemacht
zelplan 10 mutiert unter Frau Ministerin Aigner immer – ich zitiere –: „Das ist viel Geld … Aber es war das völ-
mehr zu einem Haushalt dauerhafter Subventionen. Ich lig falsche Signal.“ Recht hat der Mann.
erinnere mich noch sehr gut – ich denke, viele andere
auch – an die Debatte zum Haushalt 2010. Dort wurden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
unter Hinweis auf die Krisenhilfe für die Milchbauern in DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6017
Rolf Schwanitz
(A) Die zweite große Schwachstelle dieser Subventions- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
strategie ist, dass sie in Wahrheit den Interessen der Herr Kollege Schwanitz, erlauben Sie eine Zwischen-
Landwirtschaft und der Bauern zuwiderläuft. Sie dient frage der Kollegin Happach-Kasan?
nicht deren Interessen, das sieht man nicht zuletzt an der
Gegenfinanzierung, die vorgenommen werden muss. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Christel,
Das ist verschiedentlich angesprochen worden; denn die nicht so spät!)
260 Millionen Euro, die im Bereich Agrardiesel zusätz-
lich vorgesehen sind, gibt es nicht zum Nulltarif. Viel- Rolf Schwanitz (SPD):
mehr erwartet das Bundesministerium der Finanzen da-
für Kürzungen im Einzelplan 10 in der Größenordnung Frau Kollegin, ich würde gerne zum Schluss kom-
von 170 Millionen Euro. Frau Aigner kürzt die Ausga- men. – Dort ist nichts von einer Stiftung für unabhän-
ben für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und gige Verbraucherarbeit zu finden. Dort ist nichts zu
Küstenschutz um 100 Millionen Euro, und sie streicht finden von einer Stiftung, die sich verursachergemäß aus
das Liquiditätshilfeprogramm in Höhe von 25 Millionen den zusätzlichen Belastungen finanziert, die das Bundes-
Euro. Das war übrigens das Einzige, was in seiner kartellamt bei der Industrie einsammelt. Das war übri-
Grundstruktur wirklich problemorientiert gewesen ist. gens einmal Ihr Vorschlag.
Es wird eine globale Minderausgabe in der Größenord- (Ulrich Kelber [SPD]: Das war eine Schlag-
nung von 50 Millionen Euro in den Einzelplan einge- zeile, kein Vorschlag!)
stellt, um dann beim Haushaltsvollzug am Parlament
vorbei, also ohne parlamentarische Kontrolle, die 50 Mil- Es würde mich interessieren, ob Sie das bei der Haus-
lionen Euro nach Hause zu bringen. haltsaufstellung gegenüber dem Finanzminister nicht
vorgeschlagen oder nicht durchgebracht haben. Es wäre
(Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck
einfach wichtig, das zu hören.
[CDU/CSU]: Wir sind bei der ersten Beratung!
Warten Sie mal ab!) Auch die Erhöhung des Stiftungskapitals der Stiftung
Ich erinnere mich: Als Sie vor sechs Monaten ange- Warentest entpuppt sich nach nur einem Jahr als Kür-
fangen haben, den Umfang der Gemeinschaftsaufgabe zung des Bundeszuschusses. Wir haben damals immer
Agrarstruktur und Küstenschutz zu kürzen, haben Sie – leider als einzige Fraktion – davor gewarnt. Nun
gesagt: Das alles ist nicht so schlimm, es ist eine große kommt an dieser Stelle eine klare Kürzung. Das ist et-
Nichtausschöpfung der Mittel beim Titelansatz vorgese- was, was man in der Verbraucherpolitik normalerweise
hen. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen: Was Sie schlicht und einfach als Mogelpackung bezeichnet. Dies
jetzt machen, bewegt sich insbesondere im Investitions- ist allerdings keine Mogelpackung der Industrie, sondern
(B)
bereich tief unter dem Niveau der Ist-Zahlen des Jahres der Verbraucherschutzministerin selbst. Darüber und (D)
2009. Diese Begründung können Sie also nicht mehr über vieles andere mehr werden wir in den Ausschüssen
bringen. Damit schlagen Sie, Frau Ministerin Aigner, Ih- intensiv zu reden haben.
ren Kollegen Agrarministern der 16 Bundesländer die Herzlichen Dank.
Füße weg; denn dass sie in den Haushaltsberatungen ih-
rer Landeshaushalte keine Argumente mehr haben, wenn (Beifall bei der SPD)
der Bund die Kofinanzierung streicht, ist völlig klar.
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Keine Ah- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
nung von den Zusammenhängen!) Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Dr. Erik
Die Mittelkürzung, die bei der Gemeinschaftsaufgabe Schweickert von der FDP-Fraktion.
Agrar- und Küstenschutz vorgesehen ist, macht 100 Mil-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
lionen Euro aus, dazu kommt die Kürzung bei den Lan-
desmitteln in Höhe von 65 Millionen. Wir reden also
von Kürzungen in Höhe von 165 Millionen Euro. Dr. Erik Schweickert (FDP):
Im Rahmenplan sind Maßnahmen für den Bereich des Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Küstenschutzes in Höhe von 123 Millionen Euro vorge- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich,
sehen. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass im Sie alle nach der Sommerpause hier wieder frisch und
Paul-Löbe-Haus eine wunderbare Ausstellung zu dem munter zu sehen. Wir widmen uns einer wichtigen Sa-
Thema Klimaschutz und Ozeane zu sehen ist. Frau che, nämlich dem Haushalt für Ernährung, Landwirt-
Aigner, ich weiß nicht, ob Sie die Ausstellung schon be- schaft und Verbraucherschutz. Wir alle wissen, dass wir
sucht haben. Ich kann sie nur empfehlen. Es ist eine sehr in fast jeder Lebenssituation Verbraucher sind. Uns Li-
gute Ausstellung. Wenn sie sich der eine oder andere beralen ist klar: Verbraucherschutz ist Bürgerrecht.
einmal anschauen würde, würden vielleicht auch andere Deshalb hat die Verbraucherpolitik bei uns einen sehr
Vorschläge gemacht werden. hohen Stellenwert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
DIE GRÜNEN) der CDU/CSU)
Zum Schluss möchte ich zwei Bemerkungen zur Ver- Dieser Stellenwert wird auch im Haushalt deutlich,
braucherpolitik machen. und zwar, indem wir sinnvoll sparen;
6018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Dr. Erik Schweickert


(A) (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten munikationsgesetz novellieren. Wir machen Gesetze, (C)
der LINKEN – Caren Lay [DIE LINKE]: Der wenn sie notwendig sind, und führen nicht populistische
war nicht schlecht!) politische Scheingefechte.
denn auf dem Schuldenberg, den wir aufhäufen, werden (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
die Kinder nicht spielen können.
Wir werden weiterhin die Gesundheit unserer Kinder
(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es! – Zuruf schützen, indem wir uns auf europäischer Ebene dafür
von der SPD) einsetzen, dass die Grenzwerte für gefährliche Chemika-
lien und krebserregende Weichmacher abgesenkt wer-
– Hören Sie genau zu! – Wir sparen nicht bei der Ver-
den. Da bin ich mir auch mit Bundeswirtschaftsminister
braucherpolitik. Wir setzen ganz klare Schwerpunkte.
Rainer Brüderle einig. Wir werden die Außenkontrollen
Trotz einer schwierigen Finanzlage haben wir die Mittel
und die Marktaufsicht verbessern, um auf dem Markt für
in diesem Bereich erhöht, weil wir uns sicher sind, dass
mehr Transparenz zu sorgen und den Eltern Sicherheit
diese Mittel gut angelegt sind.
zu geben. Wir werden beim Kinderspielzeug vorankom-
(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE men. Das ist mehr, als Sie in elf Jahren hinbekommen
GRÜNEN]: Ja, für den Agrardiesel! Ein guter haben.
Verbraucherschutz ist das, den Agrardiesel zu
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
subventionieren!)
Zum Schluss: der Anlegerschutz. Wir waren es, die
Statt eine Politik zu betreiben, bei der das Geld mit dem
die Qualifikation der Berater vorangebracht haben. Wir
Füllhorn ausgeschüttet wird, wie die rot-grüne Landes-
werden den grauen Kapitalmarkt regulieren und unter
regierung in Nordrhein-Westfalen das macht, setzen wir
die Regelungen des Wertpapierhandelsgesetzes bringen.
ganz klare Akzente und hinterlassen keine Schulden-
Wir sprechen auch offen aus, wenn etwas nicht funktio-
berge.
niert.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich möchte zu einem ganz aktuellen Thema kommen:
Wir leisten uns mehr, zum Beispiel mehr Sicherheit 20 Prozent Dispozinsen sind in meinen Augen ein Un-
für die Verbraucher durch erhöhte Zuweisungen an das ding. Das hat zum Beispiel die Verbraucherzentrale Bre-
Bundesinstitut für Risikobewertung. Wir schaffen auch men aufgedeckt. Es kann nicht sein, dass die Banken auf
mehr Transparenz und Information, indem wir das Stif- der einen Seite den Verbraucher abzocken und sich auf
tungskapital der Stiftung Warentest erhöhen, Kollege der anderen Seite fast „für umme“ refinanzieren. Aber
Schwanitz. Wenn wir sagen, dass wir eine unabhängige der Oberhammer in dem Bereich ist: Die Commerzbank
(B) Institution wollen, die den Finger in die Wunde legt, ist da ganz vorne mit dabei. Man kommt schon ins Über- (D)
dann müssen wir sie auch unabhängig machen. Aus die- legen, ob die 18,2 Milliarden Euro, die der SoFFin ge-
sem Grund haben wir das Stiftungskapital erhöht. Dass braucht hat, um die Commerzbank zu retten, richtig an-
sie danach nicht länger am Tropf des Staates hängen soll, gelegt waren. Deswegen ist es richtig, dass wir sagen:
war abgemacht. Das war das Ziel. Wir verfolgen strin- Der Staat ist nicht der bessere Banker.
gent diesen Weg. Ich bin mir sicher, dass er in anderen
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Dann muss
Bereichen genauso richtig wäre.
man mehr als 25 Prozent als öffentliche Hand
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – halten!)
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist es! Das
Hier müssen wir herausgehen. Dann wird auch diese
verstehen Sozialdemokraten nicht!)
Marktverzerrung abgebaut werden.
Nur ein informierter Verbraucher kann seine Rechte
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wahrnehmen. Ich bin mir sicher, dass wir die richtigen
der CDU/CSU)
Eckpunkte setzen, auch ohne dass es viel Geld kostet.
Das haben wir bereits bewiesen, auch wenn es der Oppo- Sie sehen, die christlich-liberale Koalition bringt den
sition vielleicht wehtut, dass die christlich-liberale Ko- Verbraucherschutz voran. Wir machen das mit mehr
alition bei diesem Thema nicht streitet, sondern an ei- Schutz, mit mehr Rechten, ohne den Verbraucher dabei
nem Strang zieht. zu bevormunden oder mit Bürokratie zu überfrachten.
Sie sehen also: Christlich-liberale Verbraucherpolitik ist
(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ausnahms-
effiziente Verbraucherpolitik.
weise da nicht!)
(Zuruf des Abg. Alexander Bonde [BÜND-
Wir haben klar gezeigt, wo der Hase läuft.
NIS 90/DIE GRÜNEN])
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Von daher freue ich mich auf die Debatten mit Ihnen in
Bezüglich der Abzocke mit den Telefonwarteschlei- den Ausschüssen und auf den Kampf um die beste Ver-
fen möchte ich das, was Kollege Bleser gesagt hat, er- braucherpolitik für Deutschland, für die uns so wichtige
gänzen: Wir werden verhindern, dass in Zukunft weiter Klientel, die Verbraucher, die uns allen am Herzen lie-
mit Telefonwarteschleifen abgezockt wird. Die Antwort gen sollten.
auf die Frage der Kollegin Wolff, die uns leider schon ver-
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
lassen hat – ich hätte ihr die Antwort gerne gegeben –, ist
ganz einfach: Wir machen das, indem wir das Telekom- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6019

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dung da ist! Sie wollten doch Beispiele für (C)
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Verschuldung haben! Das ist lächerlich, was
Kollegen Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion. Sie da machen! – Weitere Zurufe)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das fehlt
auch noch! Der Abend hat so schön angefan- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
gen, und jetzt kommt Kelber!) Entschuldigen Sie. – Das Wort hat jetzt – –
(Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Ulrich Kelber (SPD):
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Lay von der
Man muss als Redner aufpassen, wenn man aus Ba- Fraktion Die Linke.
den-Württemberg kommt und versucht, Geschichtsklit-
terung über Nordrhein-Westfalen zu machen. Sie haben (Beifall bei der LINKEN – Ulrich Kelber
ja von einigen Ihrer Kollegen die Aussage abgeschrie- [SPD]: Plappern! Plappern ohne Ahnung war
ben, die böse rot-grüne Minderheitsregierung in Nord- das! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael
rhein-Westfalen würde das Gegenteil von Sparen, würde Goldmann [FDP]: Nee, Sie wollten ein Bei-
neue Schulden machen. Seien Sie doch so freundlich, spiel genannt haben! Das ist doch dummes
wenn Sie das öffentlich im Plenum sagen, jetzt in Ihrer Zeug im Bundestag! – Zuruf von der LIN-
Erwiderung auf meine Kurzintervention ein Beispiel aus KEN: Jetzt hört doch einmal zu! Jetzt kommt
dem Nachtragshaushalt 2010 zu nennen, der auf eine Ini- sachliche Kritik! – Ulrich Kelber [SPD]: Mein
tiative von Rot-Grün zurückgeht und nicht die Finanzie- Gott, ist das peinlich!)
rung von Projekten ist, die die schwarz-gelbe Landesre- Das Wort hat jetzt die Kollegin Lay. Bitte schön.
gierung begonnen hat, für die sie aber nicht genug Geld
in den Haushalt eingestellt hat, zum Beispiel die Sanie-
rung der WestLB. Ein Beispiel reicht mir. Haben Sie ei- Caren Lay (DIE LINKE):
nes? Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Den überaus geringen Stellenwert,
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Was hast du ge- den die Verbraucherpolitik bei der Koalition hat, kön-
meint? – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir nen wir sehr schön an dieser Debatte ablesen.
sind hier beim Landwirtschaftshaushalt!
Einzelplan 10!) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das dürfen
Sie so nicht sagen!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Kollege Bleser von der CDU/CSU-Fraktion spricht
(B) Zur Erwiderung, Herr Schweickert. neun Minuten zur Landwirtschaft und sagt dann, nach- (D)
dem die Redezeit abgelaufen ist, zur Verbraucherpolitik
Dr. Erik Schweickert (FDP): noch wenige Sätze.
Herr Kollege, ich finde es schon interessant, dass Sie (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Meine Rede
sich als Mitglied einer Partei, die sich nicht innerhalb kommt gleich noch! Wir haben noch etwas in
weniger Wochen, sondern innerhalb weniger Tage aus Reserve!)
der Regierungsverantwortung verabschiedet hat und mit
– Ich bin sehr gespannt, ob noch etwas nachkommt. Das
alledem, was sie vorher beschlossen hat, nichts mehr zu
wäre ja auch notwendig, auch beim Haushalt.
tun haben wollte,
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie können
(Zuruf von der SPD: Ihr habt euch aus der
die Bewertung erst am Ende der Debatte ma-
politischen Landschaft verabschiedet!)
chen!)
hier hinstellen und sagen, wie es in dem Einzelplan eines
Dieser Ansatz hat sich beim Haushalt – über diesen
Landes aussieht. Kommen Sie her, und wir zeigen Ihnen,
sprechen wir heute – durchgesetzt. Von dem Gesamtvo-
was Sie vorgelegt haben und was wir jetzt für Sie ausba-
lumen, das wir im Haushalt dieses Ministeriums haben,
den müssen. Dann können wir die Diskussion hier im
sind gerade einmal 3 Prozent für die Verbraucherpolitik
Bundestag führen. Wir sollten sie aber nicht über das
vorgesehen.
führen, was im Landtag in Nordrhein-Westfalen in Ein-
zelplänen steht. Das Wichtige ist, dass wir hier im Deut- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind
schen Bundestag dafür sorgen, dass der Schuldenberg doch sonst für Sozialpolitik!)
verringert wird. Hier kann ich damit anfangen. Ich finde
Wenn wir berücksichtigen, dass ein Großteil der Mittel
es falsch, dass im Land Nordrhein-Westfalen der andere
im Grunde für Bundeseinrichtungen fest gebunden ist,
Weg gegangen wird.
dann bleibt gerade einmal 1 Prozent übrig, das für die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – unmittelbare Verbraucherarbeit ausgegeben werden
Ulrich Kelber [SPD]: Das heißt, Sie haben da kann.
vorne etwas gesagt, aber überhaupt nichts ge-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie wollen
wusst! Sie haben überhaupt nicht gewusst, wo-
also die Agrarsozialmittel streichen?)
von Sie reden! – Gegenruf des Abg. Hans-
Michael Goldmann [FDP]: Kelber, Sie haben Die FDP hat sich offensichtlich zum Ziel gesetzt: Ver-
doch gar nicht bestritten, dass die Verschul- braucherpolitik ist gut, darf aber nichts kosten. Sie ist
6020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Caren Lay
(A) dann effektiv, wenn die Mittel dafür besonders gering Viele Menschen fragen sich nach einem Jahr (C)
sind. schwarz-gelber Koalition, was diese Regierung zusam-
menhält. Mir fällt nur eine Antwort dazu ein, nämlich
(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Es muss nichts eine konsequente Klientel- und Lobbypolitik. Das zeigt
kosten! Sie müssen zuhören!) sich auch in diesem Haushalt, und das zeigt sich in der
– So habe ich Sie verstanden. – Damit haben Sie sich im Verbraucherpolitik. Selbst im Verbraucherschutzministe-
Prinzip durchgesetzt; denn es bleiben gerade einmal rium macht sich offensichtlich regelmäßig die Industrie-
schlappe 50 Millionen Euro für verbraucherpolitische lobby stark, anstatt dass die Interessen der Verbrauche-
Maßnahmen und die Förderung der Verbraucherorgani- rinnen und Verbraucher konsequent verfolgt werden.
sationen. 50 Millionen Euro stehen in gar keinem Ver- Ein prominentes Beispiel ist die Nährwertampel bei
hältnis zu den Milliarden, die Sie ganz schnell lockerma- Lebensmitteln. Das ist eine wichtige Maßnahme, um das
chen können, wenn es darum geht, Bürgschaften zur Problem des Übergewichts bei Kindern zu bekämpfen.
Bankenrettung auszusprechen.
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das geht ja auf den
(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann Tinnitus!)
[FDP])
Die Expertinnen und Experten sind dafür. Auch die
Ich sage Ihnen ganz klar: Das ist ein Missverhältnis. Das Kinderärzte haben sich dafür ausgesprochen. Die Indus-
wollen wir angehen. Das können wir als Linke so auch trie möchte das aber nicht. Deswegen macht es Schwarz-
nicht stehen lassen. Jeder Euro, den Sie an der falschen Gelb nicht.
Stelle sparen, müssen die Verbraucherinnen und Ver-
braucher in Milliardenhöhe bezahlen. Nehmen wir als ein weiteres Beispiel das Verbraucher-
informationsgesetz. Auch in diesem Fall liegt ein Miss-
Die Verbraucherinnen und Verbraucher verlieren pro verhältnis vor. Dieses Gesetz schützt letztendlich an vie-
Jahr 20 bis 30 Milliarden Euro alleine durch Falschbera- len Stellen eher die Industrie vor den Nachfragen der
tung in der Geldanlage. Das sollte für uns Anlass sein, Bürgerinnen und Bürger, als dass es Nachfragen ermög-
endlich für eine bessere Finanzberatung einzutreten. Wir licht. Ich bin sehr gespannt, wann Sie einen entsprechen-
als Linke fordern seit langem Mittel für den Ausbau der den Gesetzentwurf hierzu vorlegen und ob Sie den Mut
finanziellen Verbraucherberatung. Das ist in der Tat haben, das endlich umzukehren. Die Vorlage des Haus-
notwendig, und das wäre auch gut eingesetztes Geld. halts hätte die Möglichkeit geboten, eine entsprechende
(Beifall bei der LINKEN) Informationskampagne durchzuführen.

Frau Ministerin Aigner, ich muss Ihnen leider sagen: Medienpräsenz allein macht noch keine gute Politik.
(B) Ihren Ruf als Ankündigungsministerin werden Sie mit Es wäre wichtig gewesen, auch die Themen, Frau Minis- (D)
dieser Rede und auch mit diesem Haushalt leider nicht terin, die Ihnen offensichtlich am Herzen liegen
loswerden. – Google Street View, Facebook etc. –, in diesem Haus-
halt zu verankern. Ein entsprechender Gesetzentwurf
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Falsch!) hierzu ist notwendig. Wenn man sich das nicht traut, so
ist zumindest eine Aufklärungskampagne geboten, damit
Die Frage ist, wann Ihren ganzen Ankündigungen, Ih-
junge und alte Internetnutzer lernen können, wie sie sich
ren ganzen Sprechblasen nun endlich Taten folgen wer-
und ihre Daten bei Facebook und Co. schützen können.
den. Sie wollten beispielsweise die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht zur Verbraucherschutzbe- Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
hörde ausbauen. Verbraucherpolitik können wir nicht nur im Interesse der
Wohlhabenden machen. Wir sollten insbesondere dieje-
(Ulrich Kelber [SPD]: Nur eine Schlagzeile!)
nigen in den Blick nehmen, die sich keinen Anwalt leis-
Damit haben Sie sogar Wahlkampf gemacht. Das ist üb- ten können und für die beispielsweise eine unabhängige
rigens eine Forderung, der wir uns als Linke anschließen und kostenfreie Beratung viel wert ist.
können. Es müsste aber irgendwann auch etwas daraus
(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Verbraucher-
werden. Zwei Jahre nach der Lehman-Pleite kann man
politik ist keine Sozialpolitik!)
doch wohl erwarten, dass endlich die Finanzmärkte im
Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher regu- Wenn jeder Haushalt nur ein einziges Mal eine fi-
liert werden. nanzpolitische Beratung in den Verbraucherzentralen in
Anspruch nehmen wollte, würde es nach der bisherigen
Ein anderes Beispiel. Sie wollten durch die Verhän-
Finanzausstattung 30 Jahre dauern, bis er an die Reihe
gung von Kartellstrafen vereinnahmte Mittel für den
kommt. Das ist eine Situation, die wir nicht länger
Aufbau einer Stiftung für Verbraucherarbeit verwenden. akzeptieren können. In diesem Bereich müssen wir drin-
Im März stimmte jedoch im Haushaltsausschuss Ihre ei- gend nachbessern. Wir brauchen mehr Geld für die Ver-
gene Partei dagegen. Da fragt man sich natürlich, ob die braucherpolitik und insbesondere auch für den finanziel-
Kolleginnen und Kollegen der CDU die Pressemitteilun- len Verbraucherschutz. Das werden wir im Ausschuss
gen der eigenen Ministerin lesen. Ansonsten könnte man diskutieren. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich dazu ver-
sich nämlich diesen Widerspruch in der Tat nicht erklä- halten werden.
ren.
Vielen Dank.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Vielleicht
sprechen die sogar miteinander!) (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6021

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: scher Seite vergessen. Wir sagen: Fair Trade, nachhaltige (C)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Maisch von Geldanlagen, ökologische Nahrungsmittelproduktion ver-
den Grünen. dienen es, politisch flankiert zu werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Marlene Mortler [CDU/CSU]: Sie haben doch
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sieben Jahre Zeit gehabt, um die Welt besser
Haushalt 2011 bietet in Sachen Verbraucherschutz leider zu machen!)
wenig Neues. Wie schon in den vergangenen Jahren ver-
harren die Mittel auf niedrigem Niveau. Wenn man sich Aber dafür braucht man die notwendigen Mittel im
den Gesamtetat von über 5 Milliarden Euro anschaut, Haushalt und auch Leidenschaft für das Thema. Bei Ih-
dann muss man sagen: 150 Millionen Euro für die Ver- nen bleibt neben dem zusammengestrichenen Haushalts-
braucherarbeit sind doch recht wenig. titel leider nur die Überschrift. Unter dieser Überschrift
steht nämlich kein einziges Projekt, keine einzige Kam-
(Zuruf von der CDU/CSU: Was? Eine Menge pagne.
Geld ist das!)
Zur Ausstattung der Verbraucherarbeit. Hier vermis-
Während im Landwirtschaftsbereich genug Mittel für sen wir zum Beispiel eine Erhöhung der Mittel für die
Wohltaten zugunsten der konventionellen Agrarlobby Verbrauchervertretungen auf europäischer Ebene. Wir
vorhanden sind, denken, dass das meiste bzw. sehr viel von dem, was wir
in Deutschland an Verbraucherpolitik machen, auf euro-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich dachte päischer Ebene vorbestimmt oder mitbestimmt wird.
immer, das wären Bauern!) Deshalb ist es wichtig, dass die deutschen Verbraucher
hinkt die Verbraucherpolitik insbesondere beim wichti- auch auf europäischer Ebene präsent sind.
gen wirtschaftlichen Verbraucherschutz immer noch (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stellen Sie
hinterher. Dabei besteht gerade hier großer Handlungs- doch einen Antrag!)
bedarf. Herr Schweickert hat darauf hingewiesen: Auf
den Finanzmärkten werden die Kunden immer noch ab- Meine Damen und Herren, viele Probleme im Ver-
gezockt. Mit überhöhten Dispozinsen, mit unpassenden braucherschutz lassen sich ohne Geld lösen, durch ver-
Finanzprodukten, mit überhöhten EC-Karten-Abhebege- nünftige Regulierungen und durch hartes Durchgreifen
bühren werden sie über den Tisch gezogen. Wir finden, gegenüber schwarzen Schafen. Aber dazu müssten Sie
dass hier dringend Maßnahmen notwendig sind. Ihren Ankündigungen auch Taten folgen lassen. Presse-
mitteilungen sind zwar preisgünstig, aber keine beson-
(B) (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja! Kartellamt!) ders effektiven Mittel des Verbraucherschutzes. (D)
Trotzdem sind für diesen Bereich des Verbraucherschut- Man muss auch wissen: Aufklärung, Information und
zes nur 5,1 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Beratungsangebote gibt es nicht zum Nulltarif. In den
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das besonders deut- Haushaltsberatungen können Sie jetzt zeigen, dass Sie
lich zeigt, wie das Missverhältnis zwischen Lobbybedie- mehr können, als Lobbyinteressen zu bedienen, und dass
nung und Verbraucherarbeit ist. Der Bereich Finanzdienst- Ihnen auch gut funktionierende Märkte und starke Ver-
leistungen ist Ihnen 200 000 Euro wert, die Ausrichtung braucherinnen und Verbraucher wichtig sind.
der Welt-Schweinefleisch-Konferenz 400 000 Euro. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
finde, wem die Wohlfahrt des deutschen Koteletts so viel sowie bei Abgeordneten der SPD)
wert ist, der sollte auch bei den Anlegerinnen und Anle-
gern etwas zubuttern. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner von
und bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/ der CDU/CSU-Fraktion.
CSU]: So ein ordentliches Stück Fleisch hat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schon was!)
Im Ernährungsbereich fördern Sie eine Reihe teurer Julia Klöckner (CDU/CSU):
Programme. Einige davon sind sicher sinnvoll. Aber wir Herr Präsident! Verehrte Ministerin! Kollege Gerd
fordern schon seit langer Zeit auch ein Bundesprogramm Müller! Liebe Kolleginnen und Kollegen und alle, die
zur finanziellen Verbraucherbildung. uns heute zuschauen und Gäste sind! Es ist sehr einfach,
Geld auszugeben. Deshalb macht die Opposition nur
Genauso wie im letzten Jahr stagnieren die Mittel für
Vorschläge, wie man Geld ausgeben kann.
die Förderung des nachhaltigen Konsums. Gerade noch
eine halbe Million Euro ist Ihnen dieses Thema wert. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Unter Rot-Grün waren es noch 2,75 Millionen Euro. NEN]: Nein! – Friedrich Ostendorff [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!
In der Umweltdebatte haben wir vorhin sehr viel von
Wir haben bisher noch keine Rede gehalten,
Nachhaltigkeit gehört. Ohne die Nachfragemacht der
wo Geld ausgegeben werden sollte!)
Verbraucherinnen und Verbraucher werden die Märkte
nicht ökologischer und gerechter. Ohne die Konsumenten Es ist schwieriger – hier geht es auch darum, wer die Re-
können Sie jede Nachhaltigkeitsstrategie von politi- gierungsverantwortung hat –, Geld einzusparen und ein
6022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Julia Klöckner
(A) solides Konzept vorzulegen; denn es geht um die Zu- habe mir einmal angeschaut, wie das unter Rot-Grün (C)
kunft. war, unter Ihrer großen
(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Superminis-
GRÜNEN]: Deswegen machen Sie die Welt- terin!)
Schweinefleisch-Konferenz!)
Superministerin Frau Künast. Sie hat das Ganze ohne Fi-
Es geht nicht nur um unsere Zukunft, sondern es geht nanzkrise auf 615 Millionen Euro gekürzt. Wir haben
auch um die Zukunft unserer Kinder und um die Nach- das danach sofort erhöht. Dafür haben wir keine Glück-
haltigkeit unseres Landes. Das kann man letztlich auch wunschschreiben von Ihnen bekommen. Sie suchen sich
als Schöpfungsbewahrung oder Landbewirtschaftung halt nur das heraus, was Sie gerade brauchen.
bezeichnen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Ich wundere mich sehr, liebe Frau Lay, dass Sie dem der FDP)
Kollegen Bleser vorgeworfen haben, seine Rede sei un-
Zur Ehrlichkeit gehört dazu, zu sagen: Wir haben die
ausgewogen gewesen und er habe nur über Landwirt-
Landwirtschaft und den ländlichen Raum erst wieder ge-
schaft und nicht über Verbraucherschutz geredet. Er zu-
stärkt. Er wurde unter Rot-Grün ausgetrocknet.
mindest hat über Verbraucherschutz geredet. Aber Sie
haben nicht ein einziges Wort zum Thema Landwirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schaft gesagt. Ihnen sind die Bauern in Deutschland
Lassen Sie mich noch eines sagen: Auch beim Thema
nämlich gar nichts wert.
biologische Vielfalt wurden wir hier kritisiert. Ich greife
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das deshalb auf, weil das auch ein Schlag ins Gesicht der
vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns im
Ich möchte die vielen redlich wirtschaftenden Land-
Haus, im BMELV, ist. Sie arbeiten redlich und mit guten
wirte, Bauern und Winzer vor diesen pauschalen Be-
Ansätzen, guten Ideen und guten Ergebnissen. Wenn Sie
schimpfungen der Opposition in Schutz nehmen, wo-
behaupten, die biologische Vielfalt würde bei uns keine
nach das alles eine geldgierige Agrarlobby sei. Wir sind
Rolle spielen, dann schauen Sie bitte einmal in den
an der Seite der bäuerlichen Landwirtschaft, das heißt
Haushaltsplan. Weil wir hier vorangehen und Vorbild
redlich wirtschaftender Familien in verschiedenen Re-
sind, haben wir über 2 Millionen Euro für ein Modell-
gionen in Deutschland. Sie sind für unsere Kulturland-
projekt ausgegeben, das andere Länder kopieren, weil es
schaft zuständig.
so gut ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir sind für die biologische Vielfalt. Wir in unserem
(B) Ich lasse nicht zu, dass diejenigen, die nicht Ihrem Haus und CDU, CSU und auch FDP legen Wert darauf, (D)
Bild oder Ihren Lobbyinteressen entsprechen, hier be- dass bei den Themen „Bewahrung der Schöpfung“ und
schimpft werden. Sie sorgen für unsere täglichen Nah- „Biopatente“ ganz klar ist: Die Natur, die Schöpfung,
rungsmittel, für gesunde Nahrungsmittel und für eine gehört allen Menschen, Tieren und Pflanzen. – Auf diese
verlässliche Produktion. Sie haben die Unterstützung der achten wir, sodass Biopatente auf europäischer Ebene
CDU, der CSU und der FDP auf ihrer Seite – auch in Zu- nicht für Individualinteressen verramscht und verscher-
kunft. Das heißt Nachhaltigkeit. belt werden. Dazu habe ich von Ihnen kein einziges Wort
gehört.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ei-
nes noch einmal verdeutlichen: Es geht in solchen De- Zum Thema Telefonwerbung. Die Kollegin von der
batten natürlich immer heiß her. Es ist klar, dass Opposi- SPD hat einige Zwischenrufe gemacht. Ich weiß, es tut
tion und Koalition unterschiedliche Standpunkte haben, weh. Deshalb sind gerade von der SPD – und übrigens
aber man sollte schon zumindest bei den Fakten bleiben, auch von den Grünen – viele über dieses Thema hinweg-
wenn man Zwischenrufe macht oder versucht, die Re- gehuscht.
gierung zu attackieren. Ich helfe Ihnen ja auch gerne und
(Ulrich Kelber [SPD]: Jetzt ganz vorsichtig
nenne noch einmal zwei, drei Punkte.
mit der Wahrheit!)
Stichwort GAK-Mittel. Von der SPD wurde hier
– Herr Kelber, das ist nicht ganz gut für den Blutdruck.
mehrfach kritisiert, dass die GAK-Mittel gekürzt wür-
Vielleicht ärgert es Sie noch immer, dass Sie kein Minis-
den. Jetzt schaue ich mir das kurz an und frage mich,
ter in Nordrhein-Westfalen geworden sind; in Rhein-
warum Rot-Rot in Brandenburg über 20 Millionen Euro
land-Pfalz werden Sie es wahrscheinlich auch nicht.
an GAK-Mitteln nicht abgerufen hat.
(Zurufe von der SPD: Oh! – Ulrich Kelber
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Warum
[SPD]: Sie werden auch keine Ministerin oder
wohl? – Alexander Süßmair [DIE LINKE]:
Ministerpräsidentin!)
Weil den Ländern das Geld fehlt!)
Das ärgert ihn wahrscheinlich, und deshalb bekommt er
Es scheint denen auch nicht wehzutun.
Temperatur, wenn es um NRW geht.
Als Nächstes schaue ich mir Rot-Grün an. Der Kol-
Lieber Herr Kelber, Sie selber waren mit dabei,
lege von den Grünen sagte uns gerade, wir würden das
Ganze dramatisch auf 600 Millionen Euro kürzen. Ich (Ulrich Kelber [SPD]: Genau!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6023
Julia Klöckner
(A) und viele andere waren auch mit dabei. schließen, aber auch wenn es darum geht, ältere (C)
Menschen zu begleiten und sie eben nicht als Verbrau-
(Ulrich Kelber [SPD]: Ja!)
cherinnen und Verbraucher links oder rechts liegen zu
Sie und ich wissen, dass die Bestätigungslösung hin- lassen. Wir haben dort nicht gekürzt. Wir haben uns da-
sichtlich der Telefonwerbung damals an Ihrer Ministe- rum gekümmert, dass letztlich auch das Thema Pflege
rin, Frau Zypries, gescheitert ist, und zwar mit dem ba- endlich in den Bereich des Verbraucherschutzes kom-
nalen Argument, sonst müsse sie ja, wenn sie sich eine men konnte.
Pizza bestellt, vorher schriftlich unterschreiben.
Lieber Herr Kollege Kelber und auch alle anderen
(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine unver- Kollegen, ich bin der Ministerin sehr dankbar dafür, dass
schämte Verdrehung! – Gegenruf des Abg. sie zusammen mit anderen Experten etwas auf den Weg
Heinz-Peter Haustein [FDP]: Nein, das stimmt!) gebracht hat, was es vorher so noch nie gegeben hat.
Es war die SPD, die das verhindert hat, und Sie selbst (Ulrich Kelber [SPD]: Wissen Sie, was die Ex-
wissen auch: Die Telekom sitzt bei Frau Zypries in perten dazu sagen? Die lachen sich schlapp!)
Darmstadt, und das war nicht ganz hilfreich, weil die Te-
Wir haben Pflegeheime auf der Internetseite www.heim
lekom gegen eine Bestätigungslösung war. Auch das ge-
verzeichnis.de nach Lebensqualität bewertet. Uns geht
hört zur Wahrheit. Wir setzen uns für saubere Telefone
es nicht darum, populistische Forderungen zu stellen,
ein.
sondern wir wollen das Leben lebenswert machen und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – den Bürgerinnen und Bürgern nicht Angst machen, sie
Ulrich Kelber [SPD]: Was habt ihr denn vorher würden ständig vergiftet oder über den Tisch gezogen.
gefordert?) Die Mehrheit der Deutschen lebt gerne in unserem Land.
Dieses Gefühl will ich ihnen nicht nehmen. Ich will eine
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: flächendeckende Landwirtschaft.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kelber? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Klöckner, bitte kommen Sie zum Schluss.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Ja, auch wenn das wahrscheinlich eher ein Zwischen- Julia Klöckner (CDU/CSU):
schrei wird, aber bitte. Ich möchte zufriedene, souveräne Verbraucherinnen
und Verbraucher und keine Hetze der Opposition.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) (D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ulrich Kelber (SPD):
Machen wir doch eine kurze Frage und eine kurze Frau Klöckner.
Antwort: Können Sie bestätigen, dass der Wirtschafts-
flügel der CDU jede Form einer Bestätigungslösung ab- Julia Klöckner (CDU/CSU):
gelehnt hat und Sie damit zu mir gekommen sind? Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir das gemein-
sam geschafft haben.
Julia Klöckner (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das kann ich nicht bestätigen. Ich kann Ihnen aller-
dings bestätigen, dass Ihre Ministerin, Frau Zypries, als
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
ich zusammen mit Frau Aigner und dem agrarpolitischen
Das Wort hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß von
Sprecher, Herrn Bleser, bei ihr war, ganz klar gesagt hat,
der SPD-Fraktion.
sie mache es nicht. Das kann ich Ihnen bestätigen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Ich habe zu Ihrer Partei (Beifall bei der SPD)
gefragt!)
Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
– Ich habe Ihnen gerade eine Antwort zu Ihrer Partei ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
geben. Kollegen! Ich meine, das Wahlkampfgetöse sollten wir
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) jetzt beiseiteschieben und wieder sachlicher werden.
Lassen Sie mich noch auf zwei, drei Aspekte einge- In der letzten Woche hat der Bioökonomierat sein
hen, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher wich- Gutachten zur künftigen Agrarforschung vorgelegt.
tig sind: In den Supermarktregalen in Stadt und Land (Zuruf)
gibt es eine große Auswahl. Die Herausforderung ist
aber, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher bei ih- – Nein, der war noch nicht dran. – Es soll die Grundlage
rer Auswahl und bei der Möglichkeit begleiten, sich sou- bilden für eine neue Forschungsstrategie der Bundesre-
verän zu verhalten. Deshalb werden wir – lassen Sie gierung. Es ist abzusehen, dass sowohl das BMBF als
mich das abschließend sagen – ganz klar beim Daten- auch Frau Ministerin Aigner in Zukunft noch mehr Geld
schutz, bei der Verbraucherbildung und bei der Souverä- – Sie werden es ahnen – in die Gentechnik stecken wol-
nität Flagge zeigen, wenn es darum geht, Verträge abzu- len.
6024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Elvira Drobinski-Weiß
(A) (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Zur Be- Empirische Untersuchungen zeigen, dass Verbraucher (C)
wahrung der Schöpfung!) oft mehr für Produkte ausgeben, als nötig ist, und dass
sie die Produkte oft gar nicht brauchen.
Hunger und Klimawandel sind keine rein technologi-
schen Probleme, sondern haben mit vielen verschiede- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das mache ich ge-
nen Faktoren zu tun, nämlich mit der Verteilungsunge- nau, wie ich will!)
rechtigkeit, mit dem verschwenderischen Umgang mit
Sie sind von dem vielfältigen Angebot überfordert und
natürlichen Ressourcen, mit dem Lebensstil in den In-
treffen aus dieser Überforderung heraus auch oft gar
dustrienationen und mit Landnutzungskonflikten.
keine Entscheidungen, zum Beispiel wenn es darum
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich endlich geht, ausreichend für ihr Alter vorzusorgen.
von rein technologiefixierten Ansätzen zu verabschieden Die Verbraucherpolitik der Bundesregierung ist nicht
und Forschung und Förderung auf Lösungen auszurich- an der Realität der Verbraucher ausgerichtet, auch wenn
ten. Wir fordern stattdessen die Bereitstellung von Mit- das heute schon mehrfach gesagt wurde. Sie reagiert auf
teln für die Fortführung des Weltagrarberichts. Probleme wie die Marktstörungen im Bereich der Geld-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem anlage meist nur mit zusätzlichen Informationsangebo-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten. Aber sind die zur Verfügung gestellten Informa-
tionen überhaupt verständlich? Verstehen das die
Ich weiß, dass das hier etlichen nicht passt, dennoch for- Verbraucherinnen und Verbraucher? Haben sie die Zeit,
dere ich es; denn gerade der Weltagrarbericht sucht auf die Informationsflut zu verarbeiten? Woran orientieren
breiter gesellschaftlicher Basis unter Einbeziehung der sich Verbraucherinnen und Verbraucher bei ihren Ent-
Betroffenen in einem transparenten und nicht an der Ge- scheidungen tatsächlich? Bisher bleiben solche Fragen
winnoptimierung Einzelner orientierten Prozess nach bei den Vorhaben der Bundesregierung völlig unberück-
Lösungen. sichtigt.
Noch einmal zur Agrogentechnik. Frau Aigner, wir Wenn sich Informationspflichten nicht an den Bedürf-
fordern, dass die zugesagte Informationskampagne zur nissen der Verbraucher orientieren, wird die Wirtschaft
Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung endlich realisiert wird möglicherweise mit Verpflichtungen belastet, die Ver-
und die entsprechenden Mittel bereitgestellt werden. brauchern gar nicht helfen. Wenn aber die Nachfrage-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem seite in einer Volkswirtschaft nicht funktioniert, kann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das ganze System Schaden nehmen. Die Finanzkrise, die
im Kern mit einer unverantwortlichen Kreditvergabe an
Immer wieder betreiben gerade auch die Mitglieder der US-Verbraucher begonnen hat, hat das deutlich gezeigt.
(B) Koalitionsfraktionen gezielte Desinformation. Die Bun- (D)
desregierung steht hier im Wort und in der Verantwor- Die SPD fordert daher den Ausbau der verbrau-
tung. cherbezogenen Forschung. Unsere Fraktion hat dazu
bereits im Juli einen Antrag verabschiedet. Wenn wir
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das war früher!) gute Gesetze machen wollen, brauchen wir mehr empiri-
In den nächsten Jahren wird die Bundesregierung die sches Wissen über das tatsächliche Verhalten der Ver-
Ausgaben für Forschung und Bildung stark ausweiten. braucher. Die Verhaltensökonomie hat gezeigt, dass sie
In 2012 sollen hierfür zusätzlich 22 Millionen Euro im hierzu einen Beitrag leisten kann. Wir fordern die Ein-
Einzelplan 10 ausgegeben werden. Das hört sich gut an. führung eines wissenschaftsbasierten Verbraucherchecks
Wir, die SPD, wollen, dass auch die Verbraucherpolitik bei der Gesetzgebung. Davon würden nicht nur Verbrau-
davon profitiert. Wir fordern ein Gesamtkonzept – ich cher profitieren, sondern auch Regulierungen würden
betone: ein Gesamtkonzept – zum Ausbau der modernen insgesamt effektiver werden.
verbraucherbezogenen Forschung. Neue wissenschaftli- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
che Ansätze in der Verhaltensökonomik sollten aufge- DIE GRÜNEN)
griffen werden. Es sollte systematisch erforscht werden,
wie das tatsächliche Verhalten von Verbrauchern durch Wir wollen Informationen und Kennzeichnungen, die
gesetzliche Regelungen beeinflusst wird. alltagstauglich sind und Verbrauchern wirklich nutzen.
Wir wollen zum Beispiel die Smiley-Kennzeichnung
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wir wissen das für Gastronomie und Lebensmittelbetriebe, die Ver-
durch unsere Erfahrungen!) braucher auf einen Blick und vor Ort zeigen, wo Hy-
giene stattfindet und wo nicht.
Denn durch die Liberalisierung von Märkten, den tech-
nologischen Fortschritt und eine zunehmende Innova- (Ulrich Kelber [SPD]: Erzählen Sie das mal
tionsgeschwindigkeit hat sich die Verbraucherwelt stark der Ministerin!)
verändert. Die Wahlmöglichkeiten haben zugenommen.
Bei CDU/CSU stieß dies bisher auf taube Ohren. Nun si-
Gleichzeitig sind Tarifstrukturen und Angebotsbedin-
gnalisieren einige Offenheit,
gungen komplexer und schier unüberschaubar gewor-
den. Möglicherweise versteht das der Herr Kollege (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Schon länger!)
Bleser nicht; deswegen muss er quatschen. Ich will es
ihm gerne in einem Privatissimum erklären. und Frau Ministerin Aigner kündigt in den Medien an,
dass sie sich für eine Smiley-Kennzeichnung einsetzen
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Gerne!) will. Wir sind da misstrauisch. Zu oft haben wir Frau
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6025
Elvira Drobinski-Weiß
(A) Ministerin Aigner als Ankündigungsministerin erlebt: schung – und ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Unsere (C)
viel versprochen, nichts erreicht. Landwirtschaft in Deutschland braucht Nachhaltigkeit.
Wo sind die Mittel für die Deutsche Stiftung Ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
braucherschutz? Danach wurde heute schon einmal ge-
fragt. Angekündigt hatte Frau Aigner hierfür die Ver- Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit der deut-
wendung von Kartellbußgeldern; Kollege Schwanitz hat schen Landwirtschaft, indem wir auf eine Besteuerung
darauf hingewiesen. Wir fordern Finanzmittel für die von Diesel verzichten. Wir gehen nicht mit der Gieß-
Stiftung und für einen Marktwächter Finanzen. kanne über das Land, Herr Schwanitz, und verteilen
Subventionen. Da Sie die Steuerermäßigungen beim
Ein anderes Beispiel ist die Stiftung Warentest. Frau Agrardiesel angesprochen haben, verweise ich darauf,
Aigner lässt sich für zusätzliches Stiftungskapital feiern; dass es andere Bereiche gibt, in denen ähnlich agiert
auch darauf hat Herr Schwanitz hingewiesen. Tatsäch- wird. Ich nenne als Beispiele nur die Binnenschifffahrt
lich stehen der Stiftung aber in diesem Haushaltsjahr real und die Transportfahrzeuge für Container in unseren
weniger Mittel zur Verfügung. Containerhäfen. Auch dort geht es um die Wettbewerbs-
Eine schwache Leistung sind auch die Beipackzettel fähigkeit innerhalb Europas.
für Finanzprodukte. Ein verbindliches Muster, das die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Angebote unterschiedlicher Kreditinstitute für den Ver-
braucher vergleichbar macht, fehlt. Es gilt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft
zu erhalten.
Zum Schutz von Verbraucherdaten hatte Frau
Aigner vor der Sommerpause ein Eckpunktepapier ange- Wir werden seitens der liberalen Agrarpolitiker im
kündigt. Leider Fehlanzeige, da von Minister de Maizière Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit aber auch ein
ausgebremst. sehr waches Auge auf all das haben, was in nächster Zeit
aus Brüssel kommt. Wir stellen eine überbordende Büro-
Den Referentenentwurf zum Telekommunika-
kratie fest. Wenn mich Landwirte anrufen und mir er-
tionsgesetz hatte Frau Aigner wiederum bis zur Som-
zählen, dass sie zum Ausfüllen eines siebenseitigen An-
merpause angekündigt; das scheint ein beliebter Zeit-
trags eine vierseitige, eng beschriebene Ausfüllanleitung
punkt zu sein. – Ich komme zum Schluss, Herr
bekommen, in der auch noch auf Paragrafen im Einkom-
Präsident. – Warteschleifen endlich kostenlos und eine
mensteuergesetz, im Energiesteuergesetz und in irgend-
Preisansagepflicht bei Call-by-call-Anrufen, aber wann
welchen EU-Abgabeverordnungen verwiesen wird, dann
bitte kommt der Entwurf? Vielleicht zur nächsten Som-
muss ich sagen, dass wir eine bestimmte Schwelle über-
merpause?
schritten haben. Hier besteht Nachsteuerungsbedarf.
(B) (D)
Genug der Beispiele! Genug des Wartens! Wir for-
dern Taten statt Worte. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vielen Dank. Wir haben beim Einzelplan 16 sehr viel über Energie
und insbesondere über erneuerbare Energien gespro-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen. Zu den erneuerbaren Energien gehören nicht nur
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sonne, Wind und Wasser, sondern auch der grüne Riese.
Ich meine damit nicht Politiker einer bestimmten Partei,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das sind
Jetzt hat das Wort der Kollege Rainer Erdel von der
auch nur grüne Zwerge!)
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sondern die Biomasse. Da sie zum landwirtschaftlichen
Bereich gehört, fordern wir liberale Agrarpolitiker einen
Anteil aus dem Fonds, der nun aufgrund des neuen Atom-
Rainer Erdel (FDP): gesetzes aus den Erlösen gebildet wird, für die Erfor-
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau schung und die Förderung der erneuerbaren Energien;
Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp denn mit den nachwachsenden Rohstoffen in der Land-
einem Jahr haben wir über den Haushalt 2010 beraten. wirtschaft wird es uns gelingen, eine zusätzliche Ein-
Damals hatten wir ganz andere Ausgangsvoraussetzun- kommensmöglichkeit für unsere deutsche Landwirtschaft
gen. Wir waren damit befasst, über eine Krise hinwegzu- zu schaffen.
kommen. Deswegen haben wir damals das Sofortpro-
gramm „Landwirtschaft“ beschlossen. Es hat Wirkung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
gezeigt.
Heute stehen wir vor einer anderen Herausforderung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Heute sind wir gefordert, den Haushalt zu konsolidieren Herr Erdel, kommen Sie bitte zum Schluss.
und zu sparen. Ich bedanke mich ganz besonders bei
Ihnen, Frau Ministerin, für den Entwurf des Einzel- Rainer Erdel (FDP):
plans 10; denn Ihnen ist es gelungen, ein intelligente Lö- Ja, vielen Dank, Herr Präsident.
sung zu entwickeln, aufbauend auf dem Spardruck. Sie
ist sozial ausgewogen, richtungsweisend – ich verweise Heute wurde schon vieles gesagt, nur noch nicht von
nur auf die Mittel für Bildung, Innovation und For- jedem.
6026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010

Rainer Erdel
(A) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Deshalb Beratung zum Einzelplan 10 des Bundeshaushalts 2010 (C)
komme ich jetzt!) gesagt haben. Ich habe beispielsweise angekündigt, dass
es unwahrscheinlich ist, dass wir die Ansätze für die
Deshalb gebe ich jetzt dem Kollegen Schirmbeck das
GAK an der einen oder anderen Stelle halten können,
Wort.
weil wir wussten, welche haushaltspolitische Herausfor-
(Heiterkeit) derung auf uns zukommt. Ich habe aber auch gesagt,
dass für das Grünlandmilchprogramm die zweite Rate
Sie sehen an meinen Äußerungen, dass wir in der Koali-
kommt; die zweite Rate ist jetzt im Entwurf des Bundes-
tion sehr eng zusammenarbeiten.
haushalts enthalten, und sie wird dort bleiben. Wir halten
Vielen Dank. Wort. Das, was wir hier sagen, das gilt. Wir sprechen
nicht irgendetwas aus, von dem wir wissen, dass es nicht
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
eingehalten wird.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich erteile dem Kollegen Georg Schirmbeck von der Ich sage Ihnen ganz deutlich: Als wir den Einzel-
CDU/CSU-Fraktion das Wort. plan 10 in der Nachfolge der rot-grünen Regierung über-
Ich will nur den Kollegen Erdel darauf hinweisen, nommen haben, hatten wir die Idee, das eine oder andere
dass der Präsident das Wort erteilt und nicht der Vorred- mit dem zu finanzieren, was in den schönen bunten Do-
ner. sen drin ist, die uns Frau Künast gezeigt hat. Als wir sel-
ber in die Küche konnten und die Dosen aufgemacht ha-
(Heiterkeit – Rainer Erdel [FDP]: Ich ent- ben, da war nicht einmal heiße Luft drin. Wenn Sie also
schuldige mich!) heute unsere Ansätze, beispielsweise bei der GAK, kriti-
Bitte schön, Herr Schirmbeck. sieren, dann schauen Sie einmal, welche Ansätze Sie da-
mals hatten. Da brauchen wir uns überhaupt nicht zu
schämen.
Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ren! Als Nachhut in der heutigen Debatte habe ich es
ganz gut. Es kann einem nicht mehr widersprochen wer- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines sa-
den; man kann fast alles behaupten. gen: Ich bin wirklich kein Verbraucherschutzpolitiker.

(Zuruf von der FDP: Wir haben noch die Kurz- (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE
intervention!) GRÜNEN]: Das stimmt! Das glauben wir so-
(B) fort!) (D)
Ich finde es gut, dass hier heute so große Tafeln sind.
Wir sollten in Zukunft weitere Tafeln hinzufügen. Wenn Aber was habe ich da eben gehört? Verehrte Kollegin
jemand spricht, dann sollten wir immer deutlich machen, Drobinski-Weiß, Sie sind ja ansonsten eine sehr ange-
welcher Lobbyist oder Oberlobbyist gerade spricht. nehme Frau.
Wenn Herr Kelber spricht, sollte man auch noch die (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Vielen Dank!)
Euro-Beträge dazuschreiben.
Aber welches Menschenbild haben Sie eigentlich? Sie
(Zuruf von der FDP: 100 000 Euro!) wollen den Verbraucher erforschen. Was wollen Sie be-
Ich betrachte mich als Anwalt oder, wenn Sie so wollen, wirken? Soll der Bürger bei den unterschiedlichen Infor-
als Lobbyist des ländlichen Raumes, aber ich habe dafür mationen, die er hat, selber entscheiden können?
noch keinen Euro bekommen, auch nicht 100 000 Euro (Zuruf von der FDP: Google Street View!)
von der Solarindustrie. Andere hier als Lobbyisten abzu-
qualifizieren, selber aber still und heimlich zu kassieren, Wir haben heute doch nicht zu wenig Informationen. Wir
ist zumindest unredlich. Wenn die FDP und andere im- haben eine Informationsflut. Es ist die Pflicht eines je-
mer beschimpft werden, dann darf man das in diese den Bürgers, sich zu informieren und sich zu entschei-
Richtung auch einmal sagen. den. Das kann der Staat doch nicht vorgeben. Was wol-
len Sie mit diesem Bürger machen?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf
Viel nicht vorhandenes Geld auf Kosten zukünftiger
von der FDP: Das ist Kommunismus!)
Generationen mit vollen Händen wenig zielgerichtet
ausgeben, das kann jeder. Das vorhandene Geld zu- Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind auf
kunftsgerichtet für zukünftige Generationen ausgeben, dem richtigen Weg, und wir werden uns auch nicht beir-
das können nur wenige. Deshalb hat das Volk gesagt: ren lassen. Politik fängt im Übrigen dort an, wo wir über
Wir sind die Regierung, und ihr seid die Opposition. die Wirklichkeit reden. Ich habe gesagt, dass ich Abge-
ordneter des ländlichen Raums bin. Wenn ich durch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
meine Dörfer gehe, dann sehe ich blitzblanke Dörfer. In
Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE
unserem Bereich wird investiert wie niemals vorher; der
GRÜNEN]: Das warten wir mal ab!)
Kollege Holzenkamp wird das bestätigen. Dort gibt es
Sie können es nachlesen, oder vielleicht haben Sie unternehmerische Landwirtschaft, und unternehmeri-
auch in Erinnerung, was wir bei der zweiten und dritten sche Landwirtschaft etwas unternehmen zu lassen und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6027
Georg Schirmbeck
(A) nicht zu gängeln, ist Aufgabe des Deutschen Bundesta- chenbekämpfung. Davon spricht hier keiner, aber das (C)
ges. dient der Sicherung der Zukunft jedes einzelnen Be-
triebs. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist auch für die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Gesundheit unserer Bevölkerung von ganz entscheiden-
Frau Ministerin, ich möchte mich ganz herzlich bei der Bedeutung.
Ihnen dafür bedanken, dass Sie sich zusammen mit Ih-
Sie hingegen sprechen von peb, Plattform Ernährung
rem Staatssekretär Dr. Gerd Müller um die Absatzför-
und Bewegung. Jeder weiß, dass man weniger essen und
derung kümmern. Ich bin der Letzte, der alles nur
trinken und sich mehr bewegen soll. Braucht man dafür
schwarz oder weiß malt. Ich sehe auch die Schwachstel-
Geld? Wir müssen dem Bürger sagen, dass wir nicht für
len einer gewissen Entwicklung. Wir haben ein Urteil
alles zuständig sind und dass der Bürger Eigenverant-
des Bundesverfassungsgerichts, das ich jetzt scharf kriti-
wortung hat. Wenn er sich vor den Spiegel stellt und
sieren könnte, was die Situation aber nicht ändern
Mängel bei sich feststellt, dann möge er diese Mängel
würde. Es verbietet zukünftig eine gesetzliche Absatz-
abstellen.
förderung. Das heißt, dass für die Absatzförderung deut-
scher Produkte aus Land- und Forstwirtschaft oder dem (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
Gartenbau – wie immer Sie wollen – keine Mittel mehr
Gehen Sie davon aus, dass wir die Mittel für das, was
zur Verfügung stehen. Eigentlich ist die Wirtschaft auf-
für den ländlichen Raum notwendig ist, was den ländli-
gefordert, hier ein eigenes System aufzubauen.
chen Raum zukunftsfähig macht, was im ländlichen
Wir stellen aber fest, dass die Egoismen in der Wirt- Raum Wertschöpfung schafft und was das Leben im
schaft – die sind einfach vorhanden, und über die muss ländlichen Raum lebenswert macht, zur Verfügung stel-
man sprechen – eine Lösung in nennenswerter Größen- len. Wir werden das wenige Geld, das wir zur Verfügung
ordnung verhindern. Ich kann an dieser Stelle die Wirt- haben, sinnvoll ausgeben. Unsere Aufgabe ist es, zu-
schaft nur auffordern, ihre Pflicht zu tun und ihrer Ver- kunftsfähige Investitionen zu tätigen. Mein lieber Peter,
antwortung gerecht zu werden. Wenn sie das aber trotz ich bin ganz sicher, dass wir mit Unterstützung der zu-
aller Appelle nicht tut, dann müssen wir uns fragen, ob ständigen Leute aus dem Haushaltsausschuss und dem
wir als Staat nicht eine Gesamtverantwortung haben. Ministerium in der zweiten und dritten Lesung einen or-
Herr Staatssekretär Müller, die Absatzförderung, für die dentlichen Einzelplan vorlegen werden.
Sie sich persönlich engagieren, ist unterstützenswert.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-
Wir werden diese Unterstützung im Haushalt mit Zahlen
ren, ich entschuldige mich dafür, dass ich Ihre Abendzeit
dokumentieren. Wir müssen diese Absatzförderung ge-
etwas gestört habe. Ich wünsche uns allen einen schönen
gebenenfalls weiter ausbauen. Wenn ein Betrieb aus
Abend, vielleicht auf der Geburtstagsfeier eines FDP-
(B) Russland bei uns 1 000 schwarzbunte Kühe kauft oder (D)
Kollegen.
sonstige Betriebe in der Welt bei uns Nahrungsmittel
kaufen, dann kann man davon ausgehen, dass in diesen Herzlichen Dank.
Produkten eine hohe Wertschöpfung ist. Diese Wert-
schöpfung kommt dem ländlichen Raum zugute. Daher (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ist es von zentraler Bedeutung, dass Wirtschaft und Poli-
tik in Zukunft für eine neue Absatzförderung sorgen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das war die letzte Rede zu diesem Einzelplan.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
Eines ist hier noch nicht angesprochen worden, wo- ordnung.
rüber ich mich wundere. Man darf doch hier auch über
Dinge sprechen, bei denen wir weltklasse sind. Ich Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
nenne die Lebensmittelkontrolle und die Tiergesund- destages auf morgen, Mittwoch, den 15. September
heitsforschung. Was wir auf der Insel Riems machen, 2010, 9 Uhr, ein.
ist absolut klasse. Die ganze Welt staunt über das, was
Die Sitzung ist geschlossen.
wir dort machen. Dafür nehmen wir 300 Millionen Euro
in die Hand. Diese Insel ist quasi der Olymp der Seu- (Schluss: 20.18 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. September 2010 6029

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bartol, Sören SPD 14.09.2010 Dr. Steinmeier, Frank- SPD 14.09.2010


Walter
Bernschneider, Florian FDP 14.09.2010
Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 14.09.2010
Binder, Karin DIE LINKE 14.09.2010 DIE GRÜNEN

Oswald, Eduard CDU/CSU 14.09.2010 Ulrich, Alexander DIE LINKE 14.09.2010


Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 14.09.2010 Weinberg (Hamburg), CDU/CSU 14.09.2010
Andreas Marcus

Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 14.09.2010 Widmann-Mauz, CDU/CSU 14.09.2010


Annette
Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 14.09.2010

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

Das könnte Ihnen auch gefallen