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Plenarprotokoll 17/45

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

45. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1 Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4522 D
Befragung der Bundesregierung: Ergebnisse
der Klausurtagung der Bundesregierung Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
über den Haushalt 2011 und den Finanz- BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4522 D
plan 2010 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4517 A Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4523 C
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4517 B BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4523 C
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4524 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4518 C
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4524 B
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4518 D
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 4519 B
Tagesordnungspunkt 2:
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4519 C Fragestunde
(Drucksachen 17/1917, 17/1951) . . . . . . . . . . 4524 C
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4520 A
Dringliche Frage 1
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Elvira Drobinski-Weiß (SPD)
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4520 A
Konsequenzen aus Verunreinigungen und
Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4520 B Ausbringung von mit NK603 verunreinig-
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister tem Saatgut in sieben Bundesländern
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4520 C Antwort
Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4521 A Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4524 C
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
Zusatzfragen
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4521 B
Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . 4525 A
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . 4521 D Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . 4525 C
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4526 A
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4522 A Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4526 D
Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4522 B Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4527 C
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4522 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4528 A
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ Antwort


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4528 B Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4528 C BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4531 C
Zusatzfragen
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4531 C
Mündliche Frage 6 Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4532 A
DIE GRÜNEN)
Abwehr des drohenden Vertragsverletzungs-
verfahrens wegen mangelnder Umsetzung Mündliche Frage 10
der 3. EU-Geldwäscherichtlinie Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Antwort
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär Position der Bundesministerin für Justiz in
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4529 C der Frage etwaiger Laufzeitverlängerun-
gen für Atomkraftwerke
Zusatzfrage
Antwort
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4529 D BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4532 C
Zusatzfragen
Mündliche Frage 7 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4533 A
DIE GRÜNEN) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4534 A
Maßnahmen der Bundesregierung zur Kon- Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/
trolle in der 3. EU-Geldwäscherichtlinie ge- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4534 B
nannten Berufsgruppen Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4534 D
Antwort Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4535 A
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4530 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4535 B
Zusatzfragen
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4535 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4530 C
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4530 C
Mündliche Frage 11
Sonja Steffen (SPD)
Mündliche Frage 8 Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Ände-
Lars Klingbeil (SPD) rung des § 522 der Zivilprozessordnung
Nicht zeitnah erfolgte Löschungen von In- Antwort
ternetseiten mit kinderpornografischen In- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
halten seit Inkrafttreten des Zugangser- BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4536 A
schwerungsgesetzes
Zusatzfrage
Antwort Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4536 B
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4530 D
Mündliche Frage 12
Zusatzfrage Sonja Steffen (SPD)
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4531 A
Vorlage der angekündigten Regelung zum
Schutz von Immobiliendarlehen bei Abtre-
tung oder Übertragung
Mündliche Frage 9
Lars Klingbeil (SPD) Antwort
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
Vorlage des angekündigten Löschgesetzes BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4536 D
zur Aufhebung des Gesetzes zur Bekämp-
fung der Kinderpornografie in Kommuni- Zusatzfrage
kationsnetzen Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4537 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 III

Mündliche Frage 13 Mündliche Frage 27


Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Stand des Ermittlungsverfahrens zur Tö-
tung eines Hamas-Führers am 20. Januar Vorgaben des BMWi zur Kraft-Wärme-
2010 in Dubai unter mutmaßlicher Beteili- Kopplung im Rahmen der Erstellung der
gung des Mossad Energieszenarien

Antwort Antwort
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4543 C
4537 B
Zusatzfragen
Zusatzfragen Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4537 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4543 D
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4544 A
Mündliche Frage 22 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4544 D
DIE GRÜNEN)
Vorgaben des BMWi zum Ausbau der Off- Mündliche Frage 28
shorewindkraft im Rahmen der Erstellung Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
der Energieszenarien DIE GRÜNEN)
Antwort Vorgaben des BMWi zu den spezifischen
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär CO2-Vermeidungskosten verschiedener Tech-
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4538 B nologien an die Gutachter
Zusatzfragen Antwort
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4538 C BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4545 B
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Zusatzfrage
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4539 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4545 D
Mündliche Fragen 23 und 24
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ Zusatztagesordnungspunkt 1:
DIE GRÜNEN)
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
Vorgaben für die Ausbauziele der Fotovol- SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ab-
taik sowie Berücksichtigung der Ziele der bau der Neuverschuldung durch sozial
Gasnetzzugangsverordnung in den zu er- gerechte Belastung auch der starken Schul-
stellenden Gutachten für die Energieszena- tern statt massiver Kürzungen bei Arbeits-
rien losen und jungen Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . 4546 A
Antwort Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 4546 A
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4547 C
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4539 B
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
Zusatzfragen DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4549 A
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4539 D Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . 4550 C
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 4551 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4540 B
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4541 A BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4553 A
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 4555 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4541 B
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4556 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4541 C Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4558 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4542 D
Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4543 A (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4559 B
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4560 C Anlage 5


Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4561 C Mündliche Frage 4
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4562 D DIE GRÜNEN)
Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4564 A Personelle Mindeststärke für den Einsatz
eines Police Mentoring Teams im Rahmen
des bilateralen Polizeiprojekts in Afghanis-
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4565 C tan
Antwort
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
Anlage 1 BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4568 B

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4567 A


Anlage 6
Mündliche Frage 5
Anlage 2 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Mündliche Frage 1
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ Begleitung des bilateralen Polizeiprojekts
DIE GRÜNEN) in Afghanistan durch das BMI
Bedeutung der im Rahmen der Islam-Kon- Antwort
ferenz erhobenen Forderung nach Anpas- Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
sung der Zuwanderer an die auf Geschichte BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4568 B
und Kultur Deutschlands beruhenden Orien-
tierungen
Anlage 7
Antwort Mündliche Frage 14
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär René Röspel (SPD)
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4567 C
Einführung einer steuerlichen Förderung
von Forschung und Entwicklung sowie
Anlage 3 Kompensation der Steuerausfälle
Antwort
Mündliche Frage 2 Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4568 C
DIE GRÜNEN)
Vereinbarkeit der im Rahmen der Islam-
Anlage 8
Konferenz aufgestellten Forderungen mit
dem Grundgesetz Mündliche Frage 15
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4567 D Bedeutung ökologischer Aspekte bei der
Auswahl der Abschaffung von Steuerver-
günstigungen im Zuge der geplanten Spar-
maßnahmen
Anlage 4 Antwort
Mündliche Frage 3 Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4568 D
DIE GRÜNEN)
Konsequenzen aus dem Amnesty-Interna- Anlage 9
tional-Jahresbericht zur Menschenrechts- Mündliche Frage 16
lage in Deutschland, insbesondere hinsicht- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
lich Abschiebungen in Folterstaaten
Schlussfolgerungen aus der Einleitung ei-
Antwort nes Verfahrens nach Art. 108 Abs. 2 des
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär Vertrages über die Arbeitsweise der Euro-
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4568 A päischen Union bezüglich der Sanierungs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 V

regel nach § 8 c Abs. 1 a des Körperschaft- Anlage 14


steuergesetzes
Mündliche Fragen 25 und 26
Antwort Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN)
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4569 A Vorgaben und Ziele zur Verringerung des
Energieverbrauchs sowie zur Steigerung
der Energieproduktivität in den zu erstel-
Anlage 10 lenden Gutachten für die Energieszenarien
Mündliche Frage 17 Antwort
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Schlussfolgerungen aus dem Urteil des BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4570 C
Bundesfinanzhofes hinsichtlich einer syste-
matischen Neuordnung der steuerlichen
Berücksichtigung von Ausbildungskosten Anlage 15

Antwort Mündliche Frage 29


Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4569 B DIE GRÜNEN)
Vorgaben des BMWi zu den erforderlichen
Sicherheitsnachrüstungskosten im Falle
Anlage 11 von Laufzeitverlängerungen für Atom-
kraftwerke im Rahmen der Erstellung der
Mündliche Frage 18 Energieszenarien
Dagmar Ziegler (SPD)
Antwort
Beteiligung des Bundes an den Kosten der Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
notwendigen Neuanschaffungen drahtlo- BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4570 D
ser Produktionsmittel im Rahmen der Än-
derung der Frequenzbereichszuweisungs-
planverordnung Anlage 16
Antwort Mündliche Fragen 30 und 31
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4569 C DIE GRÜNEN)
Vorgaben des BMWi zur Besteuerung von
Anlage 12 Brennelementen und zur Entwicklung des
Stromverbrauchs bis 2020 und 2030 im
Mündliche Frage 19 Rahmen der Erstellung der Energieszena-
Hans-Joachim Hacker (SPD) rien
Wirtschaftliche Auswirkungen der Ergeb- Antwort
nisse des Wettbewerbs „Deutschland – Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Land der Ideen“ für den Tourismusstand- BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4571 A
ort Deutschland
Antwort Anlage 17
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4569 C Mündliche Fragen 32 und 33
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 13 Vorgaben des BMWi zur Endlagerung
Mündliche Fragen 20 und 21 hochradioaktiver Abfälle und zur Übertra-
Gabriele Hiller-Ohm (SPD) gung der Kosten für die Sanierung der
Asse auf die Atomkraftwerksbetreiber für
Maßnahmen zur Stärkung des Messe- und die Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit
Geschäftsreisetourismus und Ergebnisse des Weiterbetriebs der Atomkraftwerke im
der Studie „Meeting- & Event Barometer Rahmen der Erstellung der Energieszena-
2010“ rien
Antwort Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4570 B BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4571 B
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Anlage 18 Anlage 22
Mündliche Fragen 34 und 35 Mündliche Frage 47
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Katja Mast (SPD)
DIE GRÜNEN) Sparmaßnahmen im Haushalt des BMAS
Vorgaben für die Weiterentwicklung des und Konsequenzen für die zukünftige Ar-
beitsmarktpolitik
Erneuerbare-Energien-Gesetzes sowie für
den Emissionshandel in den zu erstellenden Antwort
Gutachten für die Energieszenarien Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4572 D
Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4571 C Anlage 23
Mündliche Fragen 48 und 49
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
Anlage 19 DIE GRÜNEN)

Mündliche Fragen 36 und 37 Etwaige Pauschalierung der Kosten der


Unterkunft für ALG-II-Empfänger unter
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)
Beachtung der Vorgaben des Bundesver-
Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz in fassungsgerichts zur Gewährleistung des
Spanien, finanzielle Unterstützung sowie Existenzminimums
Ausschluss der Presse und der Öffentlich- Antwort
keit Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4573 A
Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4571 D
Anlage 24
Mündliche Frage 50
Hubertus Heil (Peine) (SPD)
Anlage 20
Medienberichte über zusätzliche Ausgaben
Mündliche Frage 38 des BMAS im Bereich Öffentlichkeitsar-
Anette Kramme (SPD) beit
Antwort
Zahl der befristet Beschäftigten in Arbeits-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
gemeinschaften, Arbeitsagenturen in ge-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4573 C
trennter Aufgabenwahrnehmung und Kom-
munen; Zeitpunkt der Entfristung der
entsprechenden Stellen
Anlage 25
Antwort Mündliche Fragen 51 und 52
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Hilde Mattheis (SPD)
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4572 A
Fehlende Weitergabe gesunkener Sozial-
versicherungsbeiträge und Steuern an Al-
tersteilzeitbeschäftigte durch die bisher
Anlage 21 nicht erfolgte Aktualisierung der Mindest-
nettobeträge
Mündliche Frage 39
Antwort
Anette Kramme (SPD)
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Mitgliedschaft von Vertretern der Beteilig- BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4573 D
ten des örtlichen Arbeitsmarktes im Beirat
nach § 18 d des Gesetzentwurfs zur Weiter-
entwicklung der Organisation der Grund- Anlage 26
sicherung für Arbeitsuchende Mündliche Frage 53
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD)
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Angleichung der Rentensysteme in Ost und
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4572 C West
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 VII

Antwort Anlage 31
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4574 A Mündliche Frage 59
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Medienberichte über die Unterstützung ei-
Anlage 27 nes US-Marine-Kampfverbandes durch die
Mündliche Frage 54 Bundesmarine vor der Küste Irans unter
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) US-Kommando; drohende Verwicklung in
einen Krieg mit dem Iran
Einrichtung von „Focal Points“ in den
Bundesministerien im Sinne der UN-Be- Antwort
hindertenrechtskonvention; Abstimmung Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
der Handlungsfelder und Querschnittsthe- BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4575 C
men
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Anlage 32
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4574 B Mündliche Frage 60
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)

Anlage 28 Mitwirkung der Bundeswehr oder anderer


deutscher Stellen in Afghanistan bei der
Mündliche Fragen 55 und 56 Erstellung von ISAF-Listen wie der soge-
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) nannten Joint Effects List
Barrierefreier Zugang zu Informationen Antwort
im Internet sowie von Bundesbehörden seit
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
Inkrafttreten der UN-Behindertenrechts-
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4576 A
konvention in „leichter“ Sprache herausge-
gebene Publikationen
Antwort Anlage 33
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4574 C Mündliche Fragen 61 und 62
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Unterstützung des bilateralen Polizeipro-
Anlage 29
jekts zur Ausbildung afghanischer Sicher-
Mündliche Fragen 57 heitskräfte durch die Bundeswehr in den
Heinz Paula (SPD) Jahren 2010 bis 2012
Einführung einheitlicher Gütesiegel für Antwort
Restaurants Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4576 C
Antwort
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4575 A
Anlage 34
Mündliche Frage 63
Anlage 30 Katja Dörner (BÜNDNIS 90/
Mündliche Fragen 58 DIE GRÜNEN)
Heinz Paula (SPD) Einsparungen beim Elterngeld durch Kür-
Ausdehnung der erfolgreichen Kampagne zung oder vollständigen Wegfall des Eltern-
gegen Schmuddellokale in Berlin-Pankow geldes bei Transferempfängern oder Stu-
auf Bundesebene dierenden
Antwort Antwort
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4575 B BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4576 C
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Anlage 35 Anlage 39
Mündliche Fragen 64 und 65 Mündliche Frage 70
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ Dr. Marlies Volkmer (SPD)
DIE GRÜNEN)
Verhinderung der Aufweichung des Nacht-
Belastungen für gesetzlich Krankenversi- flugverbots bei Umsetzung der im Koali-
cherte mit niedrigem Einkommen und Ver- tionsvertrag erhobenen Forderungen zur
fahren zum Nachweis der Bedürftigkeit bei Sicherstellung wettbewerbsfähiger Betriebs-
Umsetzung der Pläne zur Erhebung einer zeiten an deutschen Flughäfen
Pauschale von durchschnittlich 30 Euro
Antwort
Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4577 D
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4576 D

Anlage 40
Anlage 36 Mündliche Frage 71
Mündliche Frage 66 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN) Fehlende Berücksichtigung eines Prüfver-
Finanzierung der auf Antrag und nach fahrens zur Verhinderung von Treibreak-
Prüfung zu gewährenden Beitragssatzsen- tionsschäden bei der Verwendung von Fest-
kung für gesetzlich Krankenversicherte bei gesteinen in der 1996 überarbeiteten
der Gesundheitsprämie Alkali-Richtlinie

Antwort Antwort
Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4577 A BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4578 B

Anlage 37 Anlage 41
Mündliche Fragen 67 und 68 Mündliche Frage 72
Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Zusammensetzung der Regierungskom- Änderung der Vorschriften für die Ver-
mission zur nachhaltigen und sozial ausge- wendung von Straßenbaumaterialien vor
wogenen Finanzierung des Gesundheitswe- dem Hintergrund von Baumängeln an der
sens; Anzahl der Sitzungen; Einbeziehung Bundesstraße 6 n sowie Kostenübernahme
in die Entscheidungsfindung bei der Erar- für die entsprechende Sanierung
beitung eines Konzeptes zur Einführung ei-
ner Kopfpauschale Antwort
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
Antwort
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4578 C
Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4577 B

Anlage 42
Anlage 38 Mündliche Frage 73
Mündliche Frage 69 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
Harald Weinberg (DIE LINKE) DIE GRÜNEN)

Deckung der Fehlbeträge und Ausgaben- Ausnahmen für das Befahren von Binnen-
zuwächse in der gesetzlichen Krankenver- wasserstraßen des Bundes der Kategorie IV
sicherung mit Schubverbänden
Antwort Antwort
Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4577 D BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4579 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 IX

Anlage 43 Anlage 47
Mündliche Fragen 74 und 75 Mündliche Frage 79
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Deutscher CO2-Reduktionsanteil bei Erhö- Bewertung der Bundesregierung zur wis-
hung des EU-Reduktionsziels von 20 auf senschaftlichen Einschätzung des Sachver-
30 Prozent bis 2020 sowie zuständiger Bun- ständigenrates für Umweltfragen betref-
desminister in Brüssel fend die Umstellung auf eine zu 100 Prozent
aus erneuerbaren Energien bestehende
Antwort Stromversorgung bis 2050
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4579 B Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4580 A

Anlage 44
Mündliche Frage 76
Anlage 48
Garrelt Duin (SPD)
Bewertung des Vorschlags für eine EU-Ver- Mündliche Frage 80
ordnung zur Festsetzung von Emissions- René Röspel (SPD)
normen für neue leichte Nutzfahrzeuge im Deutsche Vertretung in der vom europäi-
Rahmen der Gesamtstrategie der Gemein- schen Wettbewerbsrat beschlossenen Task
schaft zur Minderung der CO2-Emissionen Force ITER sowie Befugnis für finanzielle
von leichten Nutzfahrzeugen und Pkw Zusagen
Antwort Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4579 C BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4580 B

Anlage 45
Mündliche Frage 77 Anlage 49
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 81
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Änderungswünsche seitens der Bundeslän- DIE GRÜNEN)
der zu den vom BMU veröffentlichten Si-
cherheitsanforderungen an die Endlage- Entlastung des Landes Schleswig-Holstein
rung wärmeentwickelnder radioaktiver im Bereich der Bildungsinvestitionen durch
Abfälle sowie auf BMU-Leitungsebene vor- Bundesmittel
gesehene Änderungen
Antwort
Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4580 B
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4579 D

Anlage 50
Anlage 46
Mündliche Frage 82
Mündliche Frage 78 Karin Roth (Esslingen) (SPD)
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Bedingungen für die Zustimmung des
BMZ zur Kapitalerhöhung der Afrikani-
Eckpunkte für Nachrüstungsanforderun- sche Entwicklungsbank und konkrete Um-
gen für Atomkraftwerke setzungsvorschläge
Antwort Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4579 D BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4580 C
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Anlage 51 Anlage 55
Mündliche Frage 83 Mündliche Frage 89
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Begründung des Einsatzes der Bundeswehr
Bewertung des Angriffs israelischer Mari-
in Afghanistan vor dem Hintergrund der neeinheiten auf die Schiffe der Solidaritäts-
jüngsten Debatten flotte „Free Gaza“ aus völkerrechtlicher
Antwort Sicht
Cornelia Pieper, Staatsministerin Antwort
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4581 A Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4582 C

Anlage 52 Anlage 56
Mündliche Frage 84 Mündliche Frage 90
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN)
Einhaltung der in Deutschland gültigen
Befürwortung von Beitrittsverhandlungen Menschenrechtsbestimmungen auch bei der
mit Island auf dem kommenden Europäi- Verfolgung mutmaßlicher Piraten im Rah-
schen Rat am 17./18. Juni 2010 men der Mission Atalanta
Antwort
Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4582 D
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4581 B

Anlage 57
Anlage 53
Mündliche Frage 91
Mündliche Fragen 85 und 86 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Heike Hänsel (DIE LINKE) DIE GRÜNEN)

Völkerrechtliche Bewertung des israeli- Stellenwert von Menschenrechten in Russ-


schen Angriffs auf die Free-Gaza-Schiffe; land im Rahmen der Modernisierungspart-
Auswirkungen auf das EU-Assoziierungs- nerschaft von Guido Westerwelle und
abkommen sowie Forderung nach einem Sergej Lawrow
Stopp aller Rüstungsexporte Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
Antwort AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4583 A
Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4581 C
Anlage 58
Mündliche Frage 92
Anlage 54
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
Mündliche Fragen 87 und 88 DIE GRÜNEN)
Annette Groth (DIE LINKE) Bewertung der Umsetzung des Rechts auf
Versammlungsfreiheit in Russland und
Aufhebung der Blockade des Gazastreifens Thematisierung dieser Bewertung gegen-
und Freilassung der inhaftierten palästi- über Russland im Rahmen binationaler
nensischen Teilnehmer der Hilfsflotte Beziehungen und auf EU-Ebene
Antwort Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4582 B AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4583 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4517

(A) (C)

Redetext

45. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: duzierung des strukturellen Defizits im Bundeshaushalt


Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- nicht die Sollzahlen des Haushalts 2010 zugrunde – so
zung ist eröffnet. wie der Bundeshaushalt vom Parlament aufgestellt und
verabschiedet worden ist –, sondern im Lichte der Ent-
Bei unserer heutigen Sitzung begrüße ich gerne Gäste
wicklungen, die seitdem im Vollzug des Jahres 2010
aus der Zentralafrikanischen Republik, die an der
stattgefunden haben, die gesichert zu erwartenden Ent-
15. Internationalen Berliner Begegnung teilnehmen.
lastungen. Diese beruhen im Wesentlichen auf den Ein-
Herzlich willkommen hier im Hohen Haus!
nahmen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen so-
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: wie auf einer weniger ungünstigen Entwicklung bei
Steuereinnahmen und am Arbeitsmarkt, als wir sie bei
Befragung der Bundesregierung
der Aufstellung des Haushalts zugrunde gelegt haben.
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Ergebnisse der Klausur- Das führt dazu, dass wir in diesem Jahr damit rechnen
(B)
tagung der Bundesregierung über den Haushalt 2011 können, dass wir anstelle der noch im Haushaltsentwurf (D)
und den Finanzplan 2010 bis 2014. vorgesehenen Neuverschuldung von knapp 80 Milliar-
den Euro am Ende des Jahres mit einer tatsächlichen
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht Nettokreditaufnahme in der Größenordnung von etwa
hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Wolfgang 65 Milliarden Euro – knapp darüber – zurande kommen
Schäuble. werden. Das hat für die Rückführung der Neuverschul-
dung, des strukturellen Defizits, für die sogenannte
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- Schuldenbremse, folgende Konsequenz: Die Zahlen im
zen: Haushalt beinhalteten ein strukturelles Defizit von
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- 66,6 Milliarden Euro; wir gehen davon aus, dass wir bei
gen! Die Bundesregierung hat sich auf ihrer Klausur- der positiveren Entwicklung, die wir bis zur Mitte dieses
tagung am vergangenen Sonntag und Montag zum einen Jahres als gesichert unterstellen können, mit einem
mit den Eckwerten bzw. dem Rahmen für die Aufstel- strukturellen Defizit von etwa 53,2 Milliarden Euro im
lung des Bundeshaushalts 2011, dessen Entwurf wir in Jahr 2010 rechnen können. Das heißt: Damit können wir
der Kabinettssitzung am 7. Juli beschließen wollen, zum die Abbauschritte bis zum Jahr 2016 – bis dann müssen
anderen mit der Fortschreibung der mittelfristigen Fi- wir die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben auf
nanzplanung befasst. Wir haben, indem wir zunächst 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückführen – in
einmal den Rahmen vorgeben, eine Art vorgezogenes etwas kleineren Stufen vollziehen. Allerdings ist damit
Top-down-Verfahren angewendet. Sie wissen, dass wir der Konsolidierungsbedarf gegenüber den Zahlen der
uns im Rahmen des Koalitionsvertrags vorgenommen mittelfristigen Finanzplanung in all den Jahren erheblich
haben, in Zukunft bei der Haushaltsaufstellung ein sol- höher. Deswegen haben wir uns entschlossen, dass wir
ches Top-down-Verfahren einzuführen. Dazu müssen das Defizit entsprechend der Schuldenbremse des
wir allerdings zunächst die Steuerschätztermine verän- Grundgesetzes im Jahre 2011 um 11,1 Milliarden Euro
dern, sodass wir das Verfahren in diesem Jahr noch nicht gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung zurückfüh-
anwenden konnten. ren, im Jahre 2012 um 17,1 Milliarden Euro, im Jahre
Die erste Entscheidung, die wir für die Aufstellung 2013 um 25,7 Milliarden Euro und im Jahre 2014 gegen-
des Haushalts 2011 und die Fortschreibung der mittel- über der sich aus der mittelfristigen Finanzplanung erge-
fristigen Finanzplanung und damit für die Umsetzung benden Entwicklung – für 2014 haben wir in der mittel-
der Schuldenbremse unseres Grundgesetzes getroffen fristigen Finanzplanung noch keine Zahlen – um
haben, lautet: Wir legen als Ausgangspunkt für die Re- 32,4 Milliarden Euro.
4518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Mit den Beschlüssen vom vergangenen Wochenende funden. Er ist ehrgeizig. Aber er ist im Vergleich zu den (C)
haben wir diesen Konsolidierungsbedarf erfüllt, wobei Maßnahmen, die andere europäische Länder und auch
wir, was ich von vornherein für vertretbar gehalten habe, Länder außerhalb Europas ergreifen müssen, nicht dra-
für das Jahr 2014, in dem die Ausgangslage für die Fort- matisch. Im Übrigen ist er unvermeidbar, wenn wir uns
schreibung der mittelfristigen Finanzplanung nicht so daran erinnern, dass die Hauptursache der Krisen, die
präzise ist, vorläufig mit einer sehr begrenzten globalen wir in den letzten Jahren zunehmend erlitten haben und
Minderausgabe in der Größenordnung von etwa 5 Mil- mit denen wir uns auseinandersetzen, zu hohe öffentli-
liarden Euro operieren. Für die Jahre bis 2013 verzichten che Defizite sind. Angesichts des Europäischen Stabili-
wir zur Unterlegung der Rückführung des Defizits auf täts- und Wachstumspaktes muss Deutschland seine
jede globale Minderausgabe. übernommenen Pflichten genauso erfüllen wie alle ande-
ren Länder.
Wir haben dazu Maßnahmen getroffen. Sie sind Ihnen
im Wesentlichen bekannt. Ich möchte sie in der Größen- Die genannten Maßnahmen hat die Bundesregierung
ordnung noch einmal darstellen. Wir haben uns um eine beschlossen. Auf der Grundlage dieser Eckwerte können
ausgewogene Verteilung der Maßnahmen bemüht. Im wir nun den Haushalt 2011 aufstellen und die mittelfris-
Jahre 2011 werden wir die Konsolidierung in der Grö- tige Finanzplanung bis zum 7. Juli entsprechend fort-
ßenordnung von 11,1 Milliarden Euro dadurch errei- schreiben.
chen, dass wir für den Subventionsabbau und die ökolo- Vielen Dank.
gische Neujustierung einschließlich der Beteiligung von
Unternehmen insgesamt 4,8 Milliarden Euro angesetzt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
haben; das sage ich für diejenigen, die sich mit der Aus-
gewogenheit unserer Planungen beschäftigen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Zur Neujustierung von Sozialgesetzen: Man muss Die erste Frage stellt der Abgeordnete Bonde.
hinzufügen, dass wir für das Jahr 2011 gegenüber der
mittelfristigen Finanzplanung einmalig einen zusätzli- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
chen Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung in Herr Finanzminister, bei der Priorisierung, die Sie auf
Höhe von 2 Milliarden Euro vorsehen müssen – und wir der Klausurtagung getroffen haben, fällt auf, dass in der
haben uns dafür entschieden –, sodass wir insgesamt auf Krise einige Punkte von Ihnen offensichtlich für so prio-
5 Milliarden Euro kommen. Davon gehen 2 Milliarden ritär gehalten wurden, dass sie in Ihr Sparpaket nicht
Euro in den zusätzlichen Steuerzuschuss für die gesetzli- Eingang gefunden haben. Ich frage Sie: Aus welchen
che Krankenversicherung. Gründen spielt der Subventionsabbau beispielsweise bei
(B) der Mehrwertsteuer – ich denke an den ermäßigten Steu- (D)
Wir haben im Verwaltungsbereich bei den flexibili- ersatz für nicht dem täglichen Gebrauch zugeordnete
sierten und den disponiblen Ausgaben – von den dispo- Produkte, Hotelübernachtungen, Rennpferde, Überra-
niblen Ausgaben hat im Übrigen der Verteidigungsetat schungseier, Schnittblumen und ähnliche Dinge – über-
gut die Hälfte der Reduzierungen zu tragen – insgesamt, haupt keine Rolle? Vor welchem Hintergrund wurde all
einschließlich der Anpassung der Verwaltungsausgaben, das nicht angegangen und gegenüber anderen Dingen
der Nichterhöhung des Weihnachtsgeldes für Beamte, mit einer offensichtlich wesentlich höheren Priorität sei-
der Festlegung, dass in den Einzelplänen etwaige Besol- tens der Bundesregierung versehen?
dungserhöhungen aufgefangen werden müssen, verein-
bart, dass es keine Steigerung der sachlichen Verwal-
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
tungsausgaben gibt und dass wir im Übrigen das
zen:
Fiskusprivileg im Insolvenzverfahren wieder einführen
wollen, weil es sich seit seiner Abschaffung im Wesent- Herr Kollege Bonde, mein Rat ist, dass Sie sich für
lichen in Richtung einer Begünstigung der Banken und den Rest der Legislaturperiode vielleicht nicht aus-
der Kreditinstitute ausgewirkt hat. Das halten wir ange- schließlich auf die umstrittene Einführung eines ermä-
sichts der Notwendigkeiten des Fiskus für nicht ange- ßigten Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungsleistun-
messen. Damit kommen wir etwa auf 2,8 Milliarden gen konzentrieren. Vier Jahre lang trägt dieses Argument
Euro. Wir haben die Planungen für den Aufbau des Ber- als kritischer Einwand gegen alle Entscheidungen nicht.
liner Schlosses verschoben, und wir können durch eine Das war aber nur ein Rat.
geringere Neuverschuldung bei vorsichtiger, konservati- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ver Planung eine Zinsersparnis unterstellen. Das alles NEN]: So lange dauert Ihre Regierung nicht!
zusammen ergibt noch einmal 0,6 Milliarden Euro. Sie Da besteht keine Gefahr! Arroganz kommt vor
sehen, dass es sich um ein ehrgeiziges, ausgewogenes dem Fall! – Gegenruf des Abg. Christoph
Programm handelt. Poland [CDU/CSU]: Da würde ich mich an die
eigene Nase fassen!)
Zur öffentlichen Kritik: Die einen sagen, es seien
reine Luftbuchungen. Gegen Luftbuchungen muss man – Frau Kollegin Künast, das ist aber jetzt nicht Gegen-
übrigens keine Demonstration ankündigen. Dann de- stand der Berichterstattung aus der Kabinettssitzung. –
monstriert man gegen den Wind. Die anderen sagen, das Mit dem Einwand haben wir gerechnet. Aber die er-
würde das Wachstum abwürgen. Die Dritten sagen dies, wähnte Entscheidung haben wir im vergangenen Jahr
und die Vierten sagen jenes. Ich glaube, wir haben einen getroffen. Sie war umstritten. Ich respektiere die Ge-
ausgewogenen, abgestimmten, ausbalancierten Pfad ge- genargumente. Aber diese Entscheidung ist gefallen. Die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4519
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) Bundesregierung macht doch nicht alle paar Monate das Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- (C)
Gegenteil von dem, was sie gerade entschieden hat. zen:
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des Herr Kollege Schneider, die Antwort meines Hauses
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian auf die Kleine Anfrage war, wie Sie wissen, eine kor-
Lange [Backnang] [SPD]: Das macht sie doch rekte Interpretation des Gesetzes. Deswegen habe ich bei
sonst immer! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ meiner Berichterstattung relativ ausführlich gesagt, dass
DIE GRÜNEN]: Was? Gut, dass das im Proto- die Bundesregierung angesichts der doch beachtlichen
koll festgehalten wird! Das ist jetzt das Neu- Mehreinnahmen im Vollzug als Erstes entschieden hat,
este!) die zum Zeitpunkt der Haushaltsaufstellung, also Mitte
des Jahres, tatsächlich absehbare Entwicklung der Netto-
Darüber hinaus haben wir uns den Katalog der Leis-
kreditaufnahmen und insbesondere die Entwicklung des
tungen, die einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unter-
strukturellen Defizits zugrunde zu legen. Auch das ist
liegen, sehr genau angeschaut. Ich will Ihnen sagen:
Wenn Sie alle Leistungen, die dem ermäßigten Mehr- eine rechtlich mögliche Interpretation, die dazu führt,
wertsteuersatz unterliegen, mit dem Regelsteuersatz be- wie ich Ihnen dargelegt habe, dass der Konsolidierungs-
steuern wollten, hätten Sie bei der Mehrwertsteuer ein bedarf gegenüber den Zahlen der mittelfristigen Finanz-
Mehraufkommen von etwa 23 Milliarden Euro. Aber der planung erheblich größer geworden ist.
Hauptposten mit 17 Milliarden Euro sind Nahrungsmit- Um es einmal für das Jahr 2011 zu sagen – ich habe
tel, einschließlich Trinkwasser. Die Bundesregierung
nicht alle Zahlen präzise im Kopf; wenn Sie wünschen,
war bei ihrer Kabinettsklausur der festen Überzeugung,
kann ich sie in der Sitzung des Haushaltsausschusses oder
dass wir den Mehrwertsteuersatz für Nahrungsmittel und
zur Aktuellen Stunde nachreichen –: Das strukturelle De-
auch für Trinkwasser nicht anheben sollten.
fizit wird im Jahr 2010 – gemessen an der tatsächlichen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Entwicklung – niedriger sein, als es nach den Sollzahlen
neten der FDP) der mittelfristigen Finanzplanung im Jahr 2011 sein
Damit ist der weitere Spielraum sehr begrenzt. Übrigens sollte.
ist der zweitgrößte Posten, wenn ich es richtig im Ge- Nun fragen Sie sich selbst, wie Ihre Reaktion gewe-
dächtnis behalten habe, die sogenannten kulturellen sen wäre, wenn ich heute mit der Botschaft gekommen
Leistungen, zu denen auch Zeitungen gehören. Sie wis-
wäre, dass die Bundesregierung die Schuldenbremse
sen um die Schwierigkeiten des Zeitungsmarktes, auch
ganz ernst nimmt, dass jetzt ganz ernsthaft gespart wird,
infolge der neuen Medien. Daher haben wir gesagt: Eine
wir aber, weil wir in diesem Jahr eine günstige Entwick-
Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes macht keinen rech-
(B)
ten Sinn. – Deswegen sind wir bei dem geblieben, was lung haben, im nächsten Jahr überhaupt nicht zu konsoli- (D)
wir im Koalitionsvertrag verabredet haben. Wir werden dieren brauchen. Ich glaube, wir stimmen darin überein,
uns mit den Ländern gemeinsam den Katalog der Leis- dass unser Vorgehen eine seriösere, realistischere und
tungen, die einem unterschiedlichen Mehrwertsteuer- damit vertrauenswürdigere und nachhaltigere Umset-
satz unterliegen, anschauen. Aber ich warne vor jeder zung der Schuldenbremse des Grundgesetzes bedeutet.
Illusion: Solange es unterschiedliche Mehrwertsteuer- Wir haben es uns nicht leicht, sondern schwer gemacht.
sätze gibt, wird es bei der Abgrenzung im Einzelnen im- Ich habe im Vorfeld immer gesagt: Wir werden keine
mer Widersprüche geben. Die Bundesregierung ist aber Tricks anwenden, sondern wir werden die notwendigen
nicht der Meinung, dass wir den ermäßigten Mehrwert- Reduzierungen des Defizits auf seriöse Weise und
steuersatz abschaffen sollten, insbesondere wegen der Schritt für Schritt vornehmen.
Bedeutung für Grundnahrungsmittel und auch wegen der
sozialen Konsequenzen, die sich aus einer Abschaffung (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 2011! Ha-
ergeben würden. ben Sie die Zahlen?)
– 2011 wäre das strukturelle Defizit ohne die Verände-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: rungen in diesem Jahr höher gewesen. Ich werde die
Herr Schneider, bitte. Zahlen hoffentlich irgendwo finden. Das können wir
jetzt rechnen: 2010 haben wir mit einem strukturellen
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Defizit von 66 Milliarden Euro gerechnet. Ich rechne
Herr Minister, ich würde gern zur Frage der Berech- das jetzt überschlägig, aber wir beide können ja Kopf-
nung des strukturellen Defizits kommen. In der Antwort rechnen. 2016 müssen wir auf etwa 10 Milliarden Euro
auf eine Kleine Anfrage, die ich gestellt habe, hat Ihr kommen. 56 Milliarden Euro geteilt durch 6 sind unge-
Haus vor nicht einmal einem Monat mitgeteilt: Das fähr 9 Milliarden Euro. Das heißt, wir hätten 2011 ein
Haushaltssoll 2010 ist Grundlage für die Berechnung des strukturelles Defizit von 57 oder 56 Milliarden Euro ge-
strukturellen Defizits. – Sie haben hier vorgetragen, dass habt. Jetzt rechnen wir für 2010 aber mit einem struktu-
Sie jetzt ein anderes Verfahren wählen. Die Frage ist: rellen Defizit von 53 Milliarden Euro. Daher hätten wir
Wie hat sich durch die Zugrundelegung anderer Annah- im nächsten Jahr keinen Konsolidierungsbedarf beim
men die Einsparnotwendigkeit für die Jahre 2011, 2012, strukturellen Defizit gehabt. Das schien uns nicht verant-
2013 und 2014 verändert, und was wären die exakten wortbar zu sein.
Zahlen bei Zugrundelegung der anderen Annahme ge-
wesen? (Beifall bei der CDU/CSU)
4520 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: stellt, dass Ihre Pläne unausgegoren sind. Der CDU- (C)
Herr Kollege Fischer, bitte. Wirtschaftsrat hat den Vorschlag eingebracht, den Spit-
zensteuersatz zu erhöhen, um möglicherweise eine Ge-
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): genfinanzierung für den Abbau des Mittelstandsbauches
Herr Minister, die vorgelegten Eckwerte scheinen zu haben. War das im Kabinett ein Thema, und hat man
eine gute Arbeitsgrundlage für die Aufstellung des sich mit dieser Entscheidung von einer Finanztransak-
Haushalts zu sein. tionssteuer verabschiedet?
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
NEN]: Eine Fangfrage!)
zen:
Ich habe eine Frage an Sie: Können Sie uns sagen, Herr Kollege Ulrich, ich werde im Anschluss an diese
wie hoch der Anteil des Haushalts für Arbeit und Sozia- Regierungsbefragung beim CDU-Wirtschaftsrat spre-
les am Gesamthaushalt ist und wie groß das Einsparvo- chen. Es würde mir ein gewisses Vergnügen bereiten,
lumen des Bereichs Arbeit und Soziales am Gesamtein- wenn Sie mich begleiten würden, damit mein Freund
sparvolumen ist? Kurt Lauk, der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates,
(Elke Ferner [SPD]: Da steckt die Rente noch einmal sieht, welche Verbündete er bei seinen öffentli-
irgendwo drin!) chen Äußerungen gelegentlich hat. Darüber kann er gar
nicht glücklich genug sein.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
zen: Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP] – Joachim
Der Anteil des Haushalts für Arbeit und Soziales am Poß [SPD]: Das ist aber noch kein Argument!)
Gesamthaushalt – die Zahl kenne ich ganz genau – be- – Nein, Herr Kollege Poß. Aber Sie wissen, was ich seit
trägt ungefähr 50 Prozent. Dabei darf man allerdings Beginn dieser Legislaturperiode gesagt habe. Sie haben
nicht vergessen, dass der größte Teil des Haushalts des mich immer nach den Steuerentlastungen gefragt, die
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit annä- wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Ich habe im-
hernd 80 Milliarden Euro der Zuschuss zur gesetzlichen mer gesagt: Wir werden den Haushalt aufstellen, sehen,
Rentenversicherung ist. Der Anteil der Einsparungen im welchen Handlungsspielraum es gibt, und dann die not-
Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia- wendigen Entscheidungen treffen.
les an den geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt
2011 von 11 Milliarden Euro beträgt – wenn ich das al- Ich habe heute eine Stellungnahme des Präsidenten
les addiere – knapp über 4 Milliarden Euro. Das ist also des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gelesen.
(B) (D)
ein wesentlich geringerer Anteil als der Anteil, den das Er hat gesagt, dass wir aufpassen müssten, die Wachs-
Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Gesamt- tumskräfte nicht zu gefährden. Ich bin überzeugt, dass
haushalt ausmacht. wir dieser Mahnung schon im Voraus Rechnung getra-
gen haben, weil wir die investiven Ausgaben im Bundes-
Im Übrigen haben wir uns im Hinblick auf die Maß- haushalt in einem gegenüber früheren Sparaktionen ganz
nahmen, die den Haushalt des Bundesministeriums für ungewohnten Maße geschont haben. Außerdem haben
Arbeit und Soziales betreffen, gezielt auf die Bereiche wir Fragen der sozialen Symmetrie und Ausgewogenheit
konzentriert, die im Zusammenhang mit Anreizen positi- diskutiert. Was hätten wir auch zwei Tage lang machen
ver und negativer Art zur Aufnahme regulärer Arbeit sollen, als uns ernsthaft mit allen Fragen zu beschäfti-
stehen, während wir die Bereiche, die sich auf Menschen gen?
beziehen, die im regulären Arbeitsmarkt keine Chance
mehr haben, praktisch unberührt gelassen haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sich beschimpfen zum Beispiel!)
In internationalen Debatten ist mir gelegentlich vor-
gehalten worden – auch von manchen Teilnehmern des Wir sind schließlich zu den Entscheidungen gekom-
G-20-Gipfels der Finanzminister in Busan in Südkorea men, die ich eben vorgetragen habe. Wir haben Maßnah-
am vergangenen Wochenende –, dass wir bei der Redu- men verabschiedet, die sehr gezielt Ausnahmen bei
zierung unserer Defizite langsamer vorgehen und eher Energiebesteuerung und Subventionen betreffen. Außer-
die Wachstumskräfte stärken sollten. Daraufhin habe ich dem haben wir uns auf Maßnahmen geeinigt, die den Fi-
immer gesagt, dass im Hinblick auf die demografische nanzsektor zusätzlich zu der in den Grundzügen schon
Entwicklung Deutschlands die Steigerung der Aus- beschlossenen Bankenabgabe betreffen sollen. Es wird
schöpfung des Arbeitskräftepotenzials das wichtigste übrigens nicht ganz einfach sein, das umzusetzen; da-
Wachstumspotenzial ist. Darauf konzentrieren wir uns rüber werden wir bei Gelegenheit noch miteinander zu
auch bei der Adjustierung unserer sozialen Leistungen. diskutieren haben. Aber ich bin fest entschlossen, dies zu
erreichen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Außerdem glaube ich, dass wir auch mit den Anreizen
Herr Kollege Ulrich. zur Aufnahme regulärer Arbeit die Balance gewahrt ha-
ben. Es geht darum, zu konsolidieren und gleichzeitig
Alexander Ulrich (DIE LINKE): Zukunft zu gestalten. Deswegen haben wir alle Maßnah-
Herr Finanzminister, meine Frage bezieht sich auf die men für Bildung und Forschung von jeder Kürzung aus-
soziale Schieflage. Der CDU-Wirtschaftsrat hat festge- geschlossen. Das gilt auch für die Maßnahmen zur früh-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4521
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) kindlichen Integration; die Ausgaben dafür wollen wir Die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts 2010 be- (C)
steigern. tragen 319,5 Milliarden Euro. Davon sind allein
173,07 Milliarden Euro Sozialausgaben. Hinzu kom-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da
men 36,81 Milliarden Euro Zinsausgaben; das zeigt die
höre ich aus den Ländern anderes!)
Notwendigkeit der Konsolidierung. Wenn man die Per-
– Ach, Herr Kollege Trittin, wir haben das 12-Milliar- sonalausgaben aus den einzelnen Etats zusammenrech-
den-Euro-Programm, durch das die Ausgaben für Bil- net, dann kommt man auf 27 Milliarden Euro Personal-
dung und Forschung in dieser Legislaturperiode erhöht ausgaben. Das muss man im Auge haben.
werden, völlig unangetastet gelassen. Wir haben die In-
(Joachim Poß [SPD]: Ich habe nach der Aus-
vestitionshaushalte weitestgehend unangetastet gelassen.
gewogenheit gefragt!)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn Sie nun das Defizit reduzieren wollen – dieser
NEN]: Die Länder sind pleite!) Aufgabe fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet,
Ich glaube, dass wir insgesamt die richtigen Entschei- nämlich zu konsolidieren und Wachstumskräfte zu stär-
dungen getroffen haben. Aber ich war nicht überrascht, ken; denn die Stärkung von Wachstumskräften ist das
dass manche gesagt haben, sie hätten sich anderes vor- beste politische Instrument, das eine soziale Nachhaltig-
stellen können. Solche Kritik höre ich auch aus den Rei- keit von Regelungen gewährleistet –, dann können Sie
hen meiner eigenen Partei. Das zeigt nur, dass wir eine das im Wesentlichen nicht durch Maßnahmen auf der
große, umfassende Volkspartei sind. Einnahmeseite erreichen, sondern Sie müssen zu einem
großen Teil auf der Ausgabenseite ansetzen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dies können Sie nur in einem sehr begrenzten Maße
Herr Kollege Poß. sozial ausgewogen machen, weil Sozialleistungen in
Höhe von 173 Milliarden Euro bei einem Gesamthaus-
Joachim Poß (SPD): halt von nicht ganz 320 Milliarden Euro nicht allen Tei-
Herr Minister, ist es nicht Augenwischerei, wenn Sie len der Bevölkerung unabhängig von Einkommen und
bei der Bewertung der sozialen Ausgewogenheit den von Vermögen in gleichem Maße zugutekommen. Deswegen
Sozialkürzungen Betroffenen die Unternehmen – unab- müssen Sie bei der Neuadjustierung im Bereich der So-
hängig vom Aufkommen und der Wahrscheinlichkeit zialleistungen schauen, wie Sie die Wachstumskräfte
des zukünftigen Aufkommens – gegenüberstellen und stärken und wie Sie diejenigen, die keine Chance haben,
nicht die Vermögenden und Spitzenverdiener? Es geht durch eine Veränderung des eigenen Verhaltens ihre Le-
um die Frage der Individuen. Das ist doch eine vollkom- benssituation zu verbessern, möglichst unberührt von
(B) men schräge Bewertung, die Sie hinsichtlich der Ausge- den Maßnahmen lassen. Genau das war die Zielrichtung, (D)
wogenheit – nicht nur Sie persönlich, sondern auch an- der sich die Bundesregierung bei diesen Maßnahmen
dere Vertreter der Koalition – hier in die Debatte verschrieben hat. Das halten wir insgesamt für eine rich-
einführen. Deswegen ist die Frage nach dem Spitzen- tige, ausgewogene Strategie, um Konsolidierung und
steuersatz berechtigt. Stärkung der Wachstumskräfte zu erreichen.

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


zen: Kollege Koppelin.
Herr Kollege Poß, im parlamentarischen Verfahren
– das sage ich aus Respekt vor der parlamentarischen Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Debatte – gibt es keine unberechtigten Fragen. Ich habe Herr Minister, vor der Klausur der Bundesregierung
gar nicht gesagt, dass die Frage nicht berechtigt sei. Ich gab es ja keine Vorschläge seitens der Opposition dazu,
habe sie beantwortet und vorgetragen, warum die Bun- wo man etwas einsparen könnte; mir jedenfalls sind
desregierung sich so entschieden hat. Ich versuche im- keine bekannt. In diesen Tagen allerdings höre ich von
mer, Fragen nicht zu sehr zu qualifizieren. der SPD, sowohl von Herrn Wowereit als auch vom Kol-
legen Oppermann, den Vorschlag, man hätte das Wachs-
Zweite Bemerkung. Die Struktur des Bundeshaus-
tumsbeschleunigungsgesetz zurücknehmen sollen. Sind
halts – das muss man nicht Ihnen, aber gelegentlich in
Sie, Herr Minister, bereit, den Sozialdemokraten zu er-
der Öffentlichkeit und gegenüber ausländischen Partnern
klären, dass die Rücknahme des Wachstumsbeschleuni-
erläutern – ist sehr spezifisch. Ich kann den Bundeshaus-
gungsgesetzes unter anderem eine Reduzierung des Kin-
halt zum Beispiel nicht mit dem französischen Staats-
dergeldes und des Steuerfreibetrages für Kinder
haushalt vergleichen; denn Frankreich ist ein zentralisti-
bedeuten würde, damit auch die Sozialdemokraten das
scher Staat, und wir sind ein Bundesstaat. Wir haben
verstehen?
geringe Personalausgaben. Wir können – im Vergleich
zu Frankreich – unser Defizit nicht über eine Senkung (Joachim Poß [SPD]: Ach, Herr Koppelin!
der Personalausgaben reduzieren. Machen Sie sich um unsere intellektuellen
Aufnahmefähigkeiten mal keine Sorgen! –
(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])
Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Aber bitte in
Denn gemäß Grundgesetz obliegt der Vollzug vieler Ge- einfachen Worten! – Elke Ferner [SPD]: Spen-
setze den Ländern, und somit fallen die wesentlichen dieren Sie erst einmal Ihrem Gesundheits-
Personalkosten auf Länderebene an. minister einen Rechenkurs!)
4522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- gefangen. Sie wissen ja: Wenn die Schwankungsreserve (C)
zen: zu hoch wird, besteht sogar die Notwendigkeit einer Bei-
Die Reaktion, Herr Kollege Koppelin, beweist nur, tragssatzanpassung in die andere Richtung. Sie bewegt
dass es notwendig ist, sich derzeit allerdings in einem konsolidierten Bereich
bzw. im gesicherten Mittelfeld, um einen Begriff zu ver-
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ja! – Heiter- wenden, der im deutschen Sprachgebrauch ab Freitag
keit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der dieser Woche wahrscheinlich eine größere Rolle spielen
FDP) wird.
dieses den Sozialdemokraten gelegentlich zu sagen: Von Die Maßnahme, den Zuschuss zur Rentenversiche-
den insgesamt 5 Milliarden Euro, mit denen das Wachs- rung bei ALG-II-Bezug abzuschaffen, bedeutet für einen
tumsbeschleunigungsgesetz die Haushalte von Bund und Betroffenen eine Minderung seines Rentenanspruchs in
Ländern berührt, sind etwa 4 Milliarden Euro auf die Höhe von etwas mehr als 2 Euro pro Monat. Angesichts
Verbesserung der familienpolitischen Leistungen zu- dieser Dimension haben wir diesen Schritt für richtig ge-
rückzuführen. In vielen öffentlichen Stellungnahmen halten. Denn – darauf habe ich bereits hingewiesen – wir
wird das nicht erwähnt; dort spielen meistens andere As- wollen die Leistungen möglichst so ausgestalten, dass
pekte eine Rolle. Die Bundesregierung hat nun ihren wir die Anreize zur Aufnahme regulärer Arbeit verstär-
Entscheidungen zugrunde gelegt, die familienpolitischen ken. Wir haben die Streichung dieses Zuschusses ange-
Leistungen nicht zu kürzen. sichts der relativ begrenzten Auswirkungen auf die Höhe
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der Rentenansprüche für verantwortbar und vertretbar
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gehalten.
NEN]: Was ist eigentlich mit dem Elterngeld? (Elke Ferner [SPD]: Was ist denn mit den
Ich glaube, ich habe einen Korken im Ohr! – Anwartschaftszeiten?)
Gegenruf des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/
CSU]: Da hilft Ihnen bestimmt die Parla- Die Auswirkungen auf die Rentenversicherung sind
mentsärztin! – Weitere Gegenrufe von der sorgfältig geprüft worden und verantwortbar.
CDU/CSU: Das erzählen wir Ihnen gleich! – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Das können wir Ihnen auch noch mal erklären! neten der FDP)
In einfachen Worten!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Haßelmann.
(B) Herr Schwanitz. (D)

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Rolf Schwanitz (SPD):
Herr Bundesminister, ich möchte bei diesem Thema
Herr Minister, ich möchte zu einem Bestandteil des bleiben. Ich bin überrascht, dass Sie die Kürzung der
Pakets eine konkrete Frage stellen, und zwar zur Ab- Rentenanwartschaften für Bezieherinnen und Bezieher
schaffung des Zuschusses zur Rentenversicherung bei des ALG II ziemlich stark herunterspielen. Sie verlagern
ALG-II-Bezug. Durch diese Entscheidung entziehen Sie hier nämlich ein Problem in die Zukunft und auf die
der gesetzlichen Rentenversicherung Einnahmen in dritte Ebene, die sich an dieser Stelle nicht wehren kann,
Höhe von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr. Mich würde in- nämlich auf die Kommunen. Wenn geringere Beiträge
teressieren, ob im Rahmen der Kabinettsberatungen eine gezahlt werden, produzieren wir aber mehr Altersarmut;
Prognoserechnung im Hinblick auf die Entwicklung des das ist klar.
allgemeinen Rentenversicherungsbeitragssatzes durch-
geführt wurde und wie Sie die Entwicklung des Bei- Deshalb frage ich Sie an dieser Stelle: Welche Aus-
tragssatzes mittel- und langfristig einschätzen. wirkungen hat diese Maßnahme zahlenmäßig auf den
Bezug von Grundsicherung im Alter? Warum teilen Sie
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- an dieser Stelle nicht die Befürchtung der kommunalen
zen: Spitzenverbände, dass das massive Auswirkungen hat,
also nicht nur hinsichtlich der Zahl der von Grundsiche-
Herr Kollege Schwanitz, wir haben die Auswirkun-
rung im Alter Betroffenen, sondern auch hinsichtlich der
gen dieser Maßnahme auf die Rentenversicherung in der
Finanzsituation der Kommunen? Deswegen bitten sie
Tat sehr sorgfältig geprüft. Die Schwankungsreserve der
Sie ja seit vorgestern, seitdem sie von den Plänen wis-
Rentenversicherung – Sie wissen das – bewegt sich der-
sen, darum bzw. fordern die Bundesregierung auf, von
zeit in einem gesicherten Bereich. Diese Maßnahme
dieser Maßnahme abzusehen.
wird nicht dazu führen, dass sich die Schwankungs-
reserve auch nur annähernd einem kritischen Bereich nä-
hert. Mit dieser Maßnahme, die wir aus Gründen, die ich Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
Ihnen gleich erläutern werde, für richtig halten, ist keine zen:
Veränderung des Rentenversicherungsbeitragssatzes in- Frau Kollegin, wie ich eben sagte, erwirbt jemand,
duziert. Die Folgen dieser Maßnahme werden, ohne dass der Leistungen nach dem SGB II bezieht und ein Jahr ar-
eine kritische Entwicklung zu befürchten ist, innerhalb beitslos ist, mit diesen Beiträgen einen zusätzlichen Ren-
des gesicherten Bereichs der Schwankungsreserve auf- tenanspruch von rund 2,20 Euro.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4523
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir reden Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
von ALG II! Der ist länger arbeitslos!) Frau Kollegin Kudla, bitte.
Natürlich nehmen wir alle Einwendungen und An-
Bettina Kudla (CDU/CSU):
merkungen, die zu den Beschlüssen der Bundesregie-
rung geäußert werden, sehr ernst, und wir werden sie Herr Bundesfinanzminister, im Konsolidierungskon-
auch weiter prüfen. Gegenstand heute ist aber zunächst zept ist dargelegt, dass eine Zinsersparnis durch eine ge-
einmal, dass ich Ihnen hier darüber berichte, welche Ent- ringere Nettokreditaufnahme in Höhe von bis zu
scheidungen wir getroffen haben und warum. Die An- 2 Milliarden Euro bis zum Jahre 2014 vorgesehen ist.
merkungen dazu sollten notwendigerweise erst nach der Können Sie sagen, ob damit eine Trendwende erreicht
Entscheidung der Bundesregierung gemacht werden. wird, also der Bürger zukünftig zumindest nicht mehr
Das heißt, das sollten wir im weiteren Verfahren ein durch einen Zinsanstieg zusätzlich belastet wird, und
Stück weit betrachten. können Sie ferner darlegen, inwieweit der Handlungs-
spielraum im Bundeshaushalt hinsichtlich der Einzel-
Ich bitte aber doch, mit in die Betrachtung aufzuneh- etats durch die Zinszahlungen eingeschränkt wird?
men, dass wir in unserem Koalitionsvertrag – das hat
nicht jedes Mitglied des Hauses in gleicher Weise ge- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
freut, aber ich habe gelegentlich darauf hingewiesen – zen:
der Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen Frau Kollegin Kudla, ich hatte eben schon gesagt,
eine sehr prioritäre Bedeutung eingeräumt haben. welch großen Anteil die Zinsausgaben schon heute am
Bundeshaushalt haben. Das ist einer der größten Ausga-
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- benblöcke; ich glaube, der zweitgrößte unmittelbar nach
NEN]: „Aufkommensneutral“ steht im Be- dem Sozialetat. Auch deswegen ist es richtig, dass wir
schluss!) uns mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes um eine
– Wir haben eine Kommission aus Vertretern des Bun- Reduzierung der Neuverschuldung bemühen; das haben
des, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände wir als Verfassungsgesetzgeber in der vergangenen Le-
eingesetzt, die sich dieser Frage widmet und mit Hoch- gislaturperiode beschlossen. Nur so können wir verhin-
druck arbeitet. Diese Kommission soll bis zur Jahres- dern, dass das Problem immer weniger beherrschbar
mitte – legen Sie mich jetzt nicht genau fest – entspre- wird.
chende Vorschläge erarbeiten. Ich habe immer gesagt: Wenn wir in den nächsten vier Jahren die Neuver-
Das hat für mich prioritäre Bedeutung. schuldung kumulativ in einer Größenordnung von etwas
(B) über 80 Milliarden Euro reduzieren, hat das selbstver- (D)
In diesem Rahmen werden wir natürlich auch die ständlich auch Auswirkungen auf die Zinsbelastungen
Frage betrachten, ob das Auswirkungen auf die Altersar- der künftigen Haushalte. Wenn die Nettokreditaufnahme
mut hat. Ich glaube, dass Auswirkungen in Höhe von in diesem Jahr, wie ich einleitend sagte, glücklicher-
2,20 Euro relativ begrenzt sind, es sei denn, Sie unter- weise nicht 80 Milliarden Euro beträgt, sondern circa
stellen, dass die Leute dauerhaft Leistungen nach dem 65 Milliarden Euro, dann hat das unter anderem die er-
SGB II beziehen. Genau das wollen wir nicht; denn wir freuliche Folge, dass wir schon im nächsten Jahr mit
wollen das Anreizsystem ja so überprüfen und überar- nicht ganz so hohen Steigerungen bei den Zinsbelastun-
beiten, dass die Anreize verstärkt werden, nicht dauer- gen rechnen müssen. Wir haben dabei – das kann ich Ih-
haft im Bezug solcher Leistungen zu verbleiben. nen versichern – übrigens sehr konservativ gerechnet.
Wir wissen, dass wir hier noch eine Menge Hand- Das heißt, wir haben nicht etwa ein sinkendes Zinsni-
lungsspielraum, aber auch Handlungsbedarf haben. So veau oder dergleichen mehr unterstellt.
steht eine Neuordnung von Hinzuverdienstregelungen (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
und Ähnlichem mehr ja noch bevor. NEN]: Das ist ja auch kaum noch möglich!)
(Elke Ferner [SPD]: Aber auch ein Verfas- – Herr Kollege Bonde, Sie wissen, das wir immer vor-
sungsgerichtsurteil zu den Regelsätzen!) sichtig sind. – Wir haben den gegebenen vorsichtigen
Annahmen lediglich die Auswirkungen einer höheren
Dabei muss man aber auch auf das Lohnabstandsgebot Verschuldung gegenübergestellt. Das ist völlig seriös
achten, also darauf, dass die Aufnahme einer regulären und ergibt eine Reduzierung des strukturellen Defizits
Tätigkeit für die einzelnen Mitbürgerinnen und Mitbür- im Sinne der Zahlen.
ger nicht dadurch weniger attraktiv wird, dass der Ver-
zicht auf Sozialleistungen stärker wiegt als die Verbesse- Den Bürgerinnen und Bürgern können wir sagen: Wir
rungen aufgrund regulärer Entlohnung. machen das alles nicht, um die Menschen zu quälen, wie
es so oder ähnlich in den Medien dargestellt wird, son-
In diesem schwierigen Bereich müssen wir uns klug dern wir machen es, um der dringendsten Sorge der
bewegen, aber eben immer auch das Ziel vor Augen ha- meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger gerecht
ben, unser Arbeitskräftepotenzial möglichst vollständig zu werden, die wie wir sagen: Wir dürfen die öffentli-
auszuschöpfen. Das ist das eigentlich Entscheidende, chen Schulden nicht immer weiter ansteigen lassen.
wenn dieses Land mit seiner demografischen Entwick- Wenn wir davon überzeugt sind, dass sie zurückgeführt
lung den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden werden müssen, dann müssen wir jetzt damit anfangen,
will. statt es auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.
4524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Genau das ist der Inhalt dessen, was wir entschieden ha- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
ben. Theoretisch gäbe es die Möglichkeit, weitere Fragen
an die Bundesregierung zu stellen. Praktisch ist das lei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der nicht möglich, weil die dafür vorgesehene Zeit abge-
laufen ist. Ich beende deshalb die Befragung zum The-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: menbereich der heutigen Kabinettssitzung.
Frau Kollegin Ferner, bitte. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Elke Ferner (SPD):
Herr Minister Schäuble, Sie haben eben in Ihrer Ein- – Drucksachen 17/1917, 17/1951 -
führung gesagt, dass Sie im Kabinett beschlossen haben, Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
im nächsten Jahr noch einmal einen Zuschuss von Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche
2 Milliarden Euro zur Stabilisierung der gesetzlichen Frage auf Drucksache 17/1951 der Abgeordneten Elvira
Krankenversicherung zu zahlen. Ich schließe daraus, Drobinski-Weiß zum Geschäftsbereich des Bundes-
dass diese 2 Milliarden Euro nicht für einen wie auch ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
immer gearteten Sozialausgleich genutzt werden kön- braucherschutz auf:
nen, sondern lediglich zur Reduzierung des Defizits bei-
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus Ver-
tragen sollen. unreinigungen und Ausbringung von mit NK603 verunreinig-
tem Saatgut in sieben Bundesländern, bzw. wie will die Bun-
Das Defizit wird aber im nächsten Jahr etwa desregierung für den Schutz der gentechnikfreien
10 Milliarden bis 15 Milliarden Euro betragen. Mit dem Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft und eine effektive
von Ihnen erwähnten Zuschuss von 2 Milliarden Euro Überwachung sorgen?
würde das Defizit in der GKV also auf etwa 8 Milliarden
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
bis 13 Milliarden Euro reduziert. Inwieweit soll dieses
sekretär Gerd Müller zur Verfügung.
verbleibende Defizit von 8 Milliarden bis 13 Milliarden
Euro über Einsparungen gedeckt werden? Beitrags- Bitte, Herr Staatssekretär.
satzerhöhungen werden schließlich zumindest von Tei-
len der Koalition ausgeschlossen. Können Sie außerdem Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ausschließen, dass diese Einsparungen zu Kürzungen im ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung cherschutz:
führen?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für (D)
(B)
mein Ministerium darf ich zum inhaltlichen Sachstand
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- und zur Frage Folgendes darlegen: Frau Drobinski-
zen: Weiß, am 30. April 2010 hat Niedersachsen das BMELV
Frau Präsidentin, ich bin davon ausgegangen, dass ich und die anderen Länder darüber informiert, dass zwei
über den Inhalt der Kabinettsberatungen am Sonntag und Maissaatgutchargen, bei denen im Rahmen der routine-
Montag unterrichten soll. mäßigen Gentechniksaatgutbeprobung das Event NK603
festgestellt wurde, zur Aussaat gekommen sind, weil
(Elke Ferner [SPD]: Ja! Die zwei Milliarden dieser Fund offenbar aufgrund eines Versehens der zu-
Euro!) ständigen Vollzugsbehörde in Niedersachsen nicht recht-
zeitig gemeldet wurde. Nach den dem BMELV vorlie-
Wir haben in der Kabinettssitzung nicht über die Reform
genden Informationen ist das Maissaatgut bis zu
der gesetzlichen Krankenversicherung beraten. Ich habe
0,1 Prozent mit dem gentechnisch veränderten Mais
vielmehr zur Kenntnis gegeben, dass wir bis 2011 über
NK603, der nicht für den Anbau zugelassen ist, verun-
die mittelfristige Finanzplanung hinaus einen Zuschuss
reinigt. Es geht also darum – ich sage es noch einmal mit
zur gesetzlichen Krankenversicherung – in diesem Jahr
eigenen Worten –: Bei den Beprobungen wurde festge-
beträgt er einmalig 3,9 Milliarden Euro – in Höhe von
stellt, dass von 1 000 Körnern 1 Korn von einem Mais-
2 Milliarden Euro vorsehen.
saatgut stammte, das in Deutschland als Lebens- und
Weitergehende Fragen müssten Sie an meinen Kolle- Futtermittel zugelassen ist – man kann es also essen –,
gen Rösler richten, der Ihnen vermutlich aber auch sagen aber nicht für die Aussaat genehmigt ist. Der Verunreini-
wird, dass wir darüber nicht entschieden haben, sondern gungsgrad des Saatgutes liegt also bei 1 Korn von
uns vorgenommen haben, in den nächsten Wochen zu 1 000 Körnern. Darüber diskutieren wir nun, und da-
Entscheidungen zu kommen. So werden Sie noch ein rüber wollen Sie Aufklärung. Ich sage das, damit wir den
bisschen Geduld aufbringen müssen, wenn Sie uns nicht Gesamtzusammenhang und die Dimension dieser Pro-
unterstellen wollen, was wir angeblich alles falsch oder blematik richtig sehen.
richtig machen. Ich möchte ganz klar feststellen, dass es selbstver-
(Zuruf von der CDU/CSU: Vorschläge ma- ständlich nicht zulässig war, dieses Maissaatgut auszu-
chen!) bringen. Es ist nach derzeitigen Informationen auf einer
Fläche von insgesamt 2 000 bis 3 000 Hektar ausgesät
Ich kann Ihnen im Rahmen der Befragung der Bundes- worden. Neben Niedersachsen wurde das Saatgut auch
regierung Ihre Frage nicht beantworten. in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklen-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4525
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller
(A) burg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): (C)
Holstein verwendet. Zurzeit wird ermittelt, welche Flä- Herr Kollege, meine Vorrednerin hat von der Gefahr
chen betroffen sind. Wir sind mit den Ländern, die heute gesprochen, die davon ausgehen könnte, dass 1 Mais-
tagen, im Gespräch über Konsequenzen und Maßnah- korn von 1 000 Maiskörnern verunreinigt ist. Ich bitte
men. Sie, mir die Frage zu beantworten, welche Auswirkun-
gen 1 gv-positives Samenkorn unter 1 000 Samenkör-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nern auf die Qualität des geernteten Mais hat? Dabei ist
festzuhalten – Sie haben es dargestellt –, dass diese
Eine Nachfrage.
Maissorte in der Europäischen Union als Ernährungs-
und Futtermittel zugelassen ist.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich habe den Ein- Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
druck, dass Sie mit dem Hinweis darauf, dass nur 1 Korn ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
von 1 000 Körnern betroffen ist, versuchen, die Gefahr cherschutz:
zu relativieren, und so tun, als könnte das nichts ausma-
Frau Kollegin, ich möchte auch in dieser Debatte kei-
chen. Ich sehe das ganz und gar nicht so. Ich sehe sehr
nen Zweifel daran lassen: Rechtlich ist der Anbau dieser
wohl die Gefahr, die auch von diesem einen Korn ausge- Maissorte nicht zulässig. Bei Saatgut gilt in diesem Land
hen kann. eine Verunreinigungsschwelle von 0,0 Prozent. Länder-
Mich interessiert Folgendes: Sie haben geschildert, behörden sind für die Überwachung zuständig. Die Län-
auf welchen Flächen das Saatgut ausgebracht wurde. der beraten heute darüber, welche rechtlichen Konse-
Verfügt die Bundesregierung über Zahlen, die in etwa quenzen sie daraus ziehen, dass bestimmtes Saatgut
den Schaden beziffern? unzulässigerweise ausgebracht worden ist. Aus meiner
Sicht hat Bayern recht, wenn es als eines der sieben be-
troffenen Bundesländer als Konsequenz ankündigt, un-
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- terzupflügen.
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz:
Die betroffenen Länder wurden genannt. Ich möchte Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
im Übrigen verdeutlichen, dass ausschließlich die Über- Frau Happach-Kasan hat das Wort zu einer Nach-
wachungsbehörden der Länder für die Saatgutkontrolle frage.
zuständig sind. Die Haftungsfrage ist geregelt. Die Saat-
gutvertreiber werden dafür in Haftung genommen wer- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
(B) den. Über die Höhe des Schadens kann ich derzeit keine Vielen Dank für diese rechtliche Bewertung. Ich hatte (D)
Aussage machen. allerdings nach einer Qualitätsbewertung gefragt. Ich
glaube schon, dass wir unser Handeln auch daran mes-
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): sen müssen, welche Auswirkungen ein gv-positives Sa-
Vielen Dank. – Es handelt sich bei NK603 ja um ein menkorn beispielsweise auf die Qualität dieses Maises
Konstrukt, das auf EU-Ebene nicht zugelassen ist. Da hätte, wenn er geerntet würde. Deswegen habe ich da-
ein Antrag auf Zulassung innerhalb der EU vorliegt, in- nach gefragt. Sie wollten meine Frage aber offensicht-
teressiert mich, wie sich die Bundesregierung positio- lich nicht beantworten.
niert, wenn über die Zulassung von NK603 entschieden Ich darf deswegen eine weitere Nachfrage an Sie rich-
wird. ten. Mir ist die Nulltoleranzregelung, die nach wie vor in
der EU gilt, bekannt. Mir ist aber auch bekannt, dass es
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- bei solch geringfügigen Beimengungen oft zu Proben
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- kommt, die einmal positiv und einmal negativ sind. Wie
cherschutz: bewerten Sie vor dem Hintergrund des Gebotes der
Frau Kollegin, ich darf ergänzen: Die Maissorte Rechtssicherheit eine solche Nulltoleranzregelung? Kein
NK603 ist seit 2004 in der EU zugelassen, und zwar als Unternehmen, das zehnmal negativ getestet wurde, kann
Lebens- und Futtermittel. Theoretisch und praktisch sicher sein, dass die elfte Probe nicht doch positiv ist.
könnten sowohl Sie als auch ich solchen Mais heute früh
mit dem Frühstücksmüsli verzehrt haben und uns den- Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
noch wohlfühlen. Das zeigt das Paradoxe in der Debatte, ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
die wir führen. Ein solches Maiskorn ist in Lebensmit- cherschutz:
teln und in Futtermitteln zugelassen. Nachdem aber die Frau Kollegin, ich habe zur Qualität dieser Maissorte
Zulassungspraxis und das Zulassungsverfahren in Brüs- deutliche Worte gefunden. Die EFSA sagt, dass es keine
sel differenziert worden sind, ist diese Maissorte für den wissenschaftlichen Bedenken gegen die Nutzung dieser
Anbau in Deutschland derzeit noch nicht zugelassen. Maissorte als Lebens- und Futtermittel gibt. Das heißt,
Dieses Zulassungsverfahren läuft derzeit. wenn Sie mir jetzt zehn Maiskörner der Sorte NK603
bringen, dann nehme ich sie zu mir – unbedenklich. So
ist die Situation.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich gebe das Wort zu einer weiteren Frage jetzt der (Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: So sehen
Kollegin Happach-Kasan. Sie auch schon aus!)
4526 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller


(A) Wenn aber ein Landwirt 1 Korn dieser Maissorte unter Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
1 000 anderen Maiskörnern aussät, dann ist dies derzeit NEN):
rechtlich nicht zulässig. Es ist für den Normalbürger Das bringt mich zu der folgenden Nachfrage, Herr
kaum nachvollziehbar, dass ein Saatgut, das von der Staatssekretär: 10 Prozent des Maissaatgutes, wenn wir
EFSA als unbedenkliches Lebensmittel eingestuft ist, in es richtig wissen, werden heute in Deutschland auf gen-
Deutschland nicht ausgesät bzw. angebaut werden darf. technische Verunreinigung getestet. Heute Morgen
(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Ich will es wurde im Ausschuss davon gesprochen, dass 7 Prozent
nicht!) – Sie sagen: 6 Prozent – dieser zu 10 Prozent genomme-
nen Proben gentechnisch verunreinigt gewesen sind.
Das Ganze ist ein Ergebnis der Splittung des Zulas-
sungsverfahrens in Brüssel. Wir diskutieren ja darüber. Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung
zu tun, damit auch die anderen 90 Prozent getestet wer-
Ich möchte noch einmal ganz klar und unmissverständ- den? Ich denke, der Bürger hat einen Anspruch darauf,
lich darlegen: Rechtlich gilt für den Anbau derzeit eine dass 100 Prozent untersucht werden und auch diese
Verunreinigungsschwelle von 0,0 Prozent. Das heißt na- möglicherweise ebenfalls zu 7 Prozent verunreinigten
türlich auch, dass dann, wenn 1 Korn von 1 000 Körnern Proben – schlimm genug – aus dem Verkehr gezogen
verunreinigt ist, eine Verunreinigung vorliegt. Die werden.
Rechtsposition ist eindeutig: Dieses Saatgut darf weder
in den Verkehr gebracht noch ausgesät werden. Die Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Landwirte müssen darauf vertrauen können, dass sie rei- ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
nes Saatgut bekommen. Eine mögliche Weiterentwick- cherschutz:
lung dieser 0,0-Prozent-Grenze wird in Brüssel derzeit
Herr Kollege, ich möchte noch einmal ganz eindeutig
diskutiert.
klarstellen: Diese Maissorte ist für den Lebensmittel-
und Futtermittelbereich zugelassen, allerdings nicht für
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: den Anbau in Deutschland. Wir diskutieren ja gemein-
Herr Ostendorff. sam über die Frage der Zulassungsverfahren in den
27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, weil einiges
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sicherlich nicht nachvollziehbar ist. Sie als Vertreter der
NEN): grünen Partei erinnere ich an die EG-Öko-Audit-Veror-
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht so recht, wie ich dung. Als Lebens- und Futtermittel ist das zugelassen;
meine Frage anfangen soll, weil ich spüre, dass Sie ein denn dort gelten andere Schwellen. Bei Saatgut gilt der-
(B) bisschen der Gefahr der Verharmlosung erliegen. 1 Korn zeit aber eine 0,0-Prozent-Grenze. Deshalb diskutieren (D)
pro 1 000 – das scheint so harmlos zu sein: 0,1 Prozent. wir darüber, was für die Zukunft Sinn macht.
Meine Frage ist: Geben Sie mir recht darin, dass wir bei Nun zu den Konsequenzen: Damit keine Rechtsunsi-
vielen Wirkstoffen heute über 1 Korn pro 1 Million, cherheit entsteht, will ich noch einmal betonen: Die Län-
sprich: parts per million, ppm, reden und Grenzwerte der, nicht der Bund, sind für die Kontrollen vollkommen
festgelegt haben, die im Bereich von ppm und noch da- selbstständig zuständig, und sie tagen heute. Es gab eine
runter liegen? Unzulänglichkeit. Niedersachsen hat dies offengelegt.
Transparenz und Offenheit bei der Weitergabe der Infor-
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- mationen sind ja auch wichtig. Die Kontrollen haben
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- aber funktioniert: Wenn es bei der Weitergabe der Infor-
cherschutz: mation nicht zu der – ich sage mal – menschlich beding-
Herr Ostendorff, ich habe das für den Bürger, glaube ten Verzögerung gekommen wäre, wäre es nicht zur
ich, sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar dargestellt. Aussaat gekommen; aber dort, wo ausgesät wurde, kann
Eine große deutsche Tageszeitung hat geschrieben: Hat jetzt reagiert werden. Der Mais ist nicht aufgegangen. In
Deutschland keine anderen Probleme? Bayern wird die Aussaat umgepflügt. Die anderen sechs
Bundesländer haben zu entscheiden, ob sie spritzen oder
(Widerspruch bei der SPD – Dr. Christel Happach-
etwas anderes machen. Damit ist, glaube ich, das Pro-
Kasan [FDP]: Sehr richtig!)
blem nicht nur beherrschbar, sondern begrenzt.
Es geht um dieses eine Maiskorn einer in Deutschland
für den Anbau nicht zugelassenen Sorte; Verunreini- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gung: 0,1 Prozent bei 6 Prozent der Proben. Frau Tack, bitte.
Dieses eine Korn, woraus Sie die große Gefahr kon-
struieren – andere haben von „Skandal“ gesprochen –, Kerstin Tack (SPD):
wird Ihnen aber als Lebensmittel serviert. In dem Be- Herr Staatssekretär, Sie stellen zwar auf der einen
reich ist es zugelassen. Das ist die Situation. Diese kann Seite richtig dar, dass es hier um einen Rechtsverstoß
jeder, der sich diesen Sachverhalt einmal klarmacht, sel- geht, erwähnen aber auf der anderen Seite in einem Ne-
ber bewerten. bensatz immer mit, dass das eigentlich absolut unbe-
denklich ist. Ich glaube, diese Betrachtungsweise birgt
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: eine ganz große Gefahr; denn es handelt sich um einen
Sie haben eine Nachfrage, Herr Ostendorff. Bitte sehr. rechtswidrigen Zustand. Hier ist in sieben Bundeslän-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4527
Kerstin Tack
(A) dern etwas passiert, was nicht rechtens ist. In etwa der Sie müssten sich fairerweise hinstellen und sagen: Ich (C)
Hälfte aller Bundesländer haben wir verändertes Mais- bin bei allen Produkten im Lebensmittelbereich – auch
gut festgestellt, obwohl das gesetzlich untersagt ist. bei Ökoprodukten – für 0,0 Prozent.
Diese Dimension muss man in dieser Debatte deutlich
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
machen. Aus meiner Sicht kann man nicht ständig sa-
NEN]: Aber wir reden doch über ein Gesetz!)
gen: Aber das macht eigentlich nichts; denn der Verzehr
ist unbedenklich. Entscheidend für den Bürger draußen ist, dass die unab-
hängige europäische Behörde EFSA festgestellt hat, dass
Diesen Umstand, dass es sich um einen rechtswidri- es keine wissenschaftlichen Bedenken gegen diese spe-
gen Zustand handelt, muss man ernster nehmen, als es zifische Maissorte als Futter- und Lebensmittel gibt. Die
die Bundesregierung scheinbar macht. Deshalb reicht es 0,0 Prozent bei der Aussaat sind rechtlich unstrittig. Ich
aus meiner Sicht auch nicht aus, zu sagen: Heute tagen habe dargestellt, dass die Länder hier handeln müssen
die Bundesländer, die sollen mal gucken, ob sie mit- und dass der derzeitige Zustand rechtlich nicht zulässig
einander eine Regelung hinkriegen. Der Bund hält sich ist.
da komplett raus. Die Bundesregierung findet das für ihr
eigenes Handeln nicht weiter relevant. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Deshalb frage ich: Welche Kontrollen – insbesondere Es gibt noch vier Fragesteller. Ich werde jeweils noch
auch eigene Kontrollen der Anbieter – wollen Sie in An- eine Frage ohne Nachfrage zulassen, damit wir dann zu
betracht der gegebenen Situation verschärfen und ergän- den anderen Fragen kommen können, und gebe der Kol-
zen, um solche Situationen in Zukunft zu verhindern? legin Behm das Wort.

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Herr Staatssekretär, es freut mich, dass Sie geltendes
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- EU-Recht und in Deutschland geltendes Recht anerken-
cherschutz: nen und dass Sie akzeptieren, dass es für nicht zugelas-
Die Zuständigkeit für die Kontrollen liegt bei den sene Konstrukte die Nulltoleranz gibt. Die Nulltoleranz
Ländern. Es ist vollkommen klar, dass Transparenz not- ist ja keine spinnerte Idee irgendwelcher grünen Politi-
wendig ist. Wir appellieren selbstverständlich an die ker;
Länder, die Kontrolldichte und die Kontrollergebnisse
offenzulegen. Die Kontrolllinie hat in diesem Fall auch (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Doch!)
funktioniert, nicht funktioniert hat die Weitergabe der In- vielmehr hat man sich auch seitens der Wirtschaft Ge-
(B) formationen. Deshalb muss dort jetzt reagiert werden. danken darüber gemacht. Sie wissen alle, dass wir uns (D)
Das Saatgut, das ausgebracht ist, darf nicht aufgehen. hier um Wahlfreiheit und eine friedliche Koexistenz gen-
Das ist die rechtliche Situation, die bestimmt, wie die technisch veränderter und unveränderter Konstrukte be-
Bundesländer jetzt zu handeln haben. mühen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen das Recht
haben, gentechnisch unveränderte Produkte zu kaufen.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal sagen: Die In dem Rahmen spielt die Nulltoleranz eine ganz beson-
Probeentnahme wurde – auch in Niedersachsen – früh- dere Rolle; denn sie soll verhindern, dass andere Pro-
zeitig vorgenommen. Die Aussaat hätte verhindert wer- dukte ungewollt in den deutschen Markt einwandern.
den können. Es kann nie ausgeschlossen werden – so ist
es dort passiert –, dass ein Beamter so etwas drei oder Schauen Sie sich einmal einen Maiskolben an. Eine
vier Tage lang nicht weitermeldet. Wichtig war, dass die Maispflanze wächst aus einem einzigen gentechnisch
Behörden entschieden gehandelt und den Saatgutherstel- veränderten Korn, und sie hat mehrere Kolben. Unter
ler nicht nur ausfindig gemacht, sondern auch die Ver- günstigen Bedingungen fruchtet dieser Mais, und die
triebswege offengelegt haben. Alle weiteren Lieferungen Maiskörner verbreiten sich. Dadurch könnte der hier
wurden überprüft. Ich glaube, das ist sehr wichtig. nicht für den Anbau zugelassene Mais – oder auch der
Reis, der vor kurzem einen Skandal verursacht hat
Ich stelle noch einmal abschließend fest: Wir sollten (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Reis
die Kirche im Dorf lassen, wenn wir über dieses Pro- wächst bei uns aber nicht! – Gegenruf der
blem diskutieren. Wir diskutieren hier über diese eine Abg. Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Noch
Maissorte, deren Körner Sie Zuhause mit dem Müslibrei nicht!)
zu sich nehmen und die jetzt in Bezug auf die Frage der
Aussaat problematisiert wird. und zu Recht hier nicht zugelassen wird – schleichend
einwandern. In diesem Fall könnten wir weder die fried-
Rechtlich ist das klar. Ich möchte aber an der Stelle liche Koexistenz noch die Wahlfreiheit, die wir den Ver-
darauf hinweisen: Bei Lebensmitteln mit einem Anteil braucherinnen und Verbrauchern garantieren, sicherstel-
der Spuren von gentechnisch veränderten Organismen len.
von über 0,9 Prozent muss entsprechend gekennzeichnet
Ich denke, Sie sind ein verantwortlich handelndes
werden. Auch bei Futtermitteln und Ökoprodukten ha-
Mitglied dieser Bundesregierung.
ben wir – Sie wissen das – eine Toleranzgrenze. Beim
Saatgut liegt diese Grenze bei 0,0 Prozent. Darüber wird (Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Das ist ja
diskutiert. eine Vorlesung!)
4528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Cornelia Behm
(A) Deswegen frage ich Sie: Was wollen Sie als verantwort- pommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Hol- (C)
lich handelndes Regierungsmitglied tun, damit diese stein – geliefert. Es ist nicht in allen Bundesländern aus-
Nulltoleranz ohne Fehl und Tadel eingehalten wird, um gesät worden. Ich kann aus dem Stand heraus nicht
das schleichende Unterwandern der deutschen Agrarpro- sagen – dies ist noch ein offener Punkt –, wie die Lage in
duktion mit nichtzugelassenen Konstrukten, sei es Mais NRW ist. Sie bekommen dazu noch alle Informationen
oder irgendetwas anderes, zu verhindern? geliefert. Die Behörden arbeiten sehr gründlich.
Ich muss Ihre Bemerkung, die ich mit Erstaunen ge-
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- hört habe, zurückweisen. Die Rechtslage ist eindeutig
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- und wurde von mir klar dargestellt. Es gibt keine Kom-
cherschutz: promisslinie. Derzeit gilt die Grenze von 0,0. Wer ausge-
Es muss für alle im Lande klar sein, dass Sicherheit sät hat, hat also gegen geltendes Recht verstoßen. Dieser
für Mensch, Gesundheit und Umwelt das absolute Maß Verstoß kann nur durch Haftung und aus meiner Sicht
ist. Das ist durch die derzeitige Gesetzgebung der Euro- durch Umpflügen – es gibt auch andere Methoden – ge-
päischen Union und der Mitgliedstaaten gewährleistet. heilt werden. Dies wird auch von den Bundesländern so
gesehen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die nächste Fragestellerin ist Frau Höhn. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die letzte Frage stellt der Kollege Paula.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, Heinz Paula (SPD):
dass wir bei Saatgut besonders sensibel sein müssen, Herr Staatssekretär, Sie, die Frau Ministerin und ich
weil aus einem Saatkorn eine erhebliche Ernte entstehen selbst kommen aus Bayern, dem Bundesland, welches
kann, und muss ich Ihre relativierenden Aussagen zur sich mit größtem Nachdruck gegen jegliches Ausbringen
Nulltoleranz so verstehen, dass Sie versuchen, den Wert von genverändertem Saatgut ausspricht. Sie haben der
von 0,0 bei nichtzugelassenem Saatgut aufzuweichen, Presse entnommen, dass der Präsident des Deutschen
also den Grenzwert, der jetzt rechtlich gilt, eigentlich Bauernverbandes, Herr Sonnleitner, von einem Vorgang
nicht akzeptieren wollen? spricht, auf den er nur noch mit Entsetzen reagieren
kann. Auch ich reagiere etwas mit Entsetzen darauf, wie
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Sie versuchen, das Ganze nach dem Motto „Ein Korn
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- von Tausend“ zu relativieren, und auf die Länderzustän-
(B) cherschutz: digkeit verweisen. (D)
Die Antwort auf Ihre erste Frage lautet ja, die Ant- Sie sind sicherlich mit mir der Meinung, dass es hier
wort auf Ihre zweite Frage nein. ein eklatantes Kommunikationsversagen gegeben hat.
Meine Frage an Sie: Wann geht die Bundesregierung in
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die Offensive und versucht, diesen Informations-GAU
Herr Ott. durch eine qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit zu erset-
zen? In diesem Zusammenhang müssen folgende Fragen
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beantwortet werden: Welche Flächen sind betroffen?
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich Was wird unternommen? Wie werden die entsprechen-
muss gestehen, ich empfinde es als merkwürdig und Ih- den Schäden beseitigt? Es handelt sich nämlich um er-
rer Rolle nicht angemessen, wie Sie hier mit geltendem hebliche Schäden. In Bayern sind 800 Hektar betroffen.
Recht umgehen. Da sitzt Ihr Kollege Stadler; vielleicht Das ist eine unvorstellbar große Zahl. Sehen Sie also
können Sie sich von ihm in Bezug auf Recht und Gesetz nicht auch die Notwendigkeit, dass in Anbetracht eines
ein bisschen Nachhilfe geben lassen; denn wir haben die solchen GAUs eine zentrale Stelle die Informationen
Nulltoleranzgrenze gesetzlich festgelegt. qualifiziert und rechtzeitig liefert?

Vielleicht können Sie Folgendes aufklären: Ihr Kol- (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Ist der
lege Uhlenberg bestreitet, dass in NRW ausgesät worden Begriff GAU nicht ein bisschen übertrieben,
sein soll. Auf der Liste, die Sie gerade genannt haben, Herr Kollege?)
steht meines Wissens aber auch NRW.
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Richtig!) ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz:
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Ich will es für diejenigen Verbraucherinnen und Ver-
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- braucher, die sich für dieses Thema interessieren, noch
cherschutz: einmal deutlich machen. Es geht um eine Maislinie, die
Das lässt sich aufklären. Auf der Liste stehen sieben für Lebensmittel zugelassen ist. Es besteht aus dieser
Bundesländer. Es heißt hier: Nach vorliegenden Infor- Sicht keine Gefährdung für Mensch und Tier. Das müs-
mationen wurde die positiv beprobte Saatgutpartie an sen wir einmal klarstellen. Die Rechtslage in Bezug auf
Landwirte in sieben Ländern – Niedersachsen, Baden- das Saatgut ist eindeutig. Alle Informationen werden in
Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vor- voller Offenheit und Transparenz dargelegt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4529
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller
(A) Der Saatguthersteller ist öffentlich bekannt. Alle Ver- Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim (C)
triebswege in die Bundesländer hinein sind kontrolliert Bundesminister des Innern:
worden. Die Flächen sind bekannt. Bayern hat sehr ent- Herr Kollege Montag, zur Abwehr eines drohenden
schieden, schnell und richtig gehandelt. Die betroffenen Vertragsverletzungsverfahrens, wonach Sie fragen, ist es
Flächen werden umgepflügt. Damit dürfte das Problem erforderlich, dass die Länder baldmöglichst die in ihrer
für den Anbauer behoben sein. Daneben stellen sich na- Zuständigkeit liegenden Aufsichtsbehörden nach § 16
türlich Haftungsfragen an den Saatgutvertreiber. Abs. 2 Nr. 9 des Geldwäschegesetzes vollständig benen-
Es gibt noch eine andere Frage, die Sie richtigerweise nen.
ansprechen: Woher kommt das Saatgut, und wo ist die Der Bund hat die 3. EG-Geldwäscherichtlinie mit
Stelle der Verunreinigung? Auch eine Verunreinigung Inkraftsetzen des Gesetzes zur Ergänzung der Bekämp-
mit einem Anteil von 0,1 Prozent ist nicht tolerabel. Dies fung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung,
gilt vor allen Dingen für den Landwirt. Eine entspre- des Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetzes, am
chende Frage meinerseits konnte heute früh nicht präzise 21. August 2008 umgesetzt. Anhaltspunkte, dass das Ge-
beantwortet werden. Die betroffene Firma hat sich bis
setz den Anforderungen der 3. EG-Geldwäscherichtlinie
jetzt nicht eindeutig dazu geäußert. 70 bis 75 Prozent des
nicht genüge, gibt es nicht. Das Geldwäschegesetz ent-
Saatgutes werden aus dem Ausland importiert. Bei der
betroffenen Linie handelt es sich offensichtlich um eine hält in § 16 Abs. 2 Nr. 9 einen beanstandungsfreien Ver-
Linie aus Ungarn. Man wird natürlich bis zum Produ- weis auf die jeweils nach Landesrecht zuständigen Lan-
zenten zurückgehen müssen. desbehörden.

Für die Saatgutfirmen ist entscheidend, mit welcher Die Wahrnehmung der Zuständigkeiten für die Auf-
Präzision und Seriosität sie dieses Thema behandeln. Für sicht über Kasinos sowie sonstige zu beaufsichtigende
die betroffene Firma wird es – Stichwort Haftung – Berufsgruppen, namentlich Güterhändler, Immobilien-
enorme Auswirkungen haben. Die Behörden, die Betrof- makler und Versicherungsvermittler, fällt in die aus-
fenen und alle Bundesländer haben eindeutig dargelegt schließliche Regelungskompetenz der Länder. Während
– ich denke, das ist mehr als nur ein Signal an die Saat- die Zuständigkeiten für die Aufsicht über Kasinos voll-
guthersteller –, dass diese Firmen in Bezug auf den An- ständig benannt sind, stehen Benennungen von Auf-
bau in europäischen und außereuropäischen Ländern ihr sichtsbehörden für die sogenannten sonstigen Berufs-
Kontrollsystem und ihr Qualitätssicherungssystem we- gruppen, also Güterhändler, Immobilienmakler und
sentlich verbessern müssen. Versicherungsvermittler, teilweise in den Ländern noch
aus.
Das Zweite ist – Herr Ostendorff, das nehmen wir na-
türlich für die Bundesländer auf –: Genügt eine Testung
(B) von 10 Prozent des Maissaatgutes? Testet jedes Bundes- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
land 10 Prozent? Ist die Risikokontrolle ausreichend? Eine Nachfrage, Herr Montag? – Bitte.
Mit einer Verunreinigung von 7 oder 6 Prozent dieser
10 Prozent können wir nicht zufrieden sein; das ist Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
selbstverständlich. Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich
Das sind die Themen, die heute Nachmittag mit den danke Ihnen für Ihre Antwort. Meine Nachfrage bezieht
Ländern besprochen werden. sich auf eine Veröffentlichung im Handelsblatt vom
1. Juni dieses Jahres. In diesem Artikel des Handels-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: blatts zu dem Thema, über das wir gerade reden, wird
Nachdem die Dringliche Frage aufgerufen und aus- das Bundesinnenministerium mit der Behauptung zitiert
führlich beantwortet und diskutiert worden ist, rufe ich – ich zitiere wörtlich –:
jetzt die Fragen auf Drucksache 17/1917 in der üblichen Das Bundesinnenministerium sei nicht der richtige
Reihenfolge auf. Adressat, hieß es gestern zu den Vorwürfen in der
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Berliner Behörde. Ein „blauer Brief aus Brüssel“
Bundesministeriums des Innern. Hier steht zur Beant- müsste an die zuständigen Bundesländer weiterge-
wortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph leitet werden.
Bergner zur Verfügung. Ich frage Sie: Sind Sie der Auffassung, dass sich in all
Schriftlich beantwortet werden die Fragen 1 und 2 des den Fällen, in denen der Bundesgesetzgeber wie in § 16
Kollegen Kilic, die Frage 3 des Kollegen Volker Beck Abs. 2 GwG Aufgaben an die Bundesländer delegiert
sowie die Fragen 4 und 5 des Kollegen Nouripour. hat, die Europäische Kommission direkt an die deut-
schen Bundesländer zu halten habe, und zwar ohne Ein-
Damit kommen wir zur Frage 6 des Kollegen schaltung der Bundesregierung und der Bundesebene?
Montag: Sind Sie der Auffassung, dass Sie, das Bundesinnen-
Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesre- ministerium als Behörde, in diesem Fall nicht zuständig
gierung erforderlich, um ein drohendes Vertragsverletzungs- für das Anliegen der Kommission sind?
verfahren der EU-Kommission mit einer Geldstrafe von min-
destens 12,7 Millionen Euro gegen Deutschland wegen Meine zweite Nachfrage auf Ihre Antwort lautet:
mangelhafter Umsetzung der 3. EU-Geldwäscherichtlinie, Wenn dem so ist, dass die Bundesländer zum Teil noch
2005/60/EG, abzuwehren?
nicht vollständig Benennungen von Aufsichtsbehörden
Bitte schön, Herr Staatssekretär. geliefert haben, was haben Sie dann unternommen, um
4530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Jerzy Montag
(A) die Länder dazu zu bringen? Immerhin heißt es in dem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
Artikel im Handelsblatt, dass die Kommission es abge- Bitte schön.
lehnt habe, Ihnen eine Fristverlängerung zu gewähren,
mit der Erklärung, Deutschland habe bereits mehrere Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Monate zur Übermittlung vollständiger Informationen Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf die Zuständig-
zur Verfügung gehabt und die Kommission sehe nicht keit der Länder verweisen und sagen, dass Sie nicht
ein, warum sie länger zuwarten solle. müde werden, die Länder zu bitten, doch zu liefern, habe
ich an Sie die Frage: Können Sie mir sagen, welche Bun-
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim desländer ihre Verpflichtungen in dieser Hinsicht erfüllt
Bundesminister des Innern: haben? Bei welchen Ländern haben Sie bisher keinen
Herr Kollege Montag, ich will zunächst einmal fest- Erfolg gehabt?
halten, dass es im Interesse des Bundesinnenministe-
riums ist, dass die einschlägige EU-Richtlinie tatsächlich Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
umgesetzt wird. Wir haben es hier allerdings mit einer Bundesminister des Innern:
Situation zu tun, die aus unserer Sicht auch europarecht- Herr Kollege Montag, wenn Sie einverstanden sind,
lich hinreichend definiert ist: Wenn die entsprechende würde ich Ihnen die Auskunft hierzu gern schriftlich ge-
Zuständigkeit bei den Ländern liegt, muss auch die Ver- ben. Da ich davon ausgehen muss, dass die Dinge im
pflichtung von den Ländern wahrgenommen werden. Fluss sind, will ich jetzt keinen Stand wiedergeben, der
nicht mehr aktuell ist.
Wir haben uns auf unterschiedlichen Wegen bemüht,
die Länder auf diese Verantwortung hinzuweisen, und
müssen bedauerlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
die Angelegenheit im Hinblick auf die Ressortzuständig- Der Kollege Ströbele hat sich zu einer Nachfrage ge-
keit – im Regelfall ist der Innenminister oder der Wirt- meldet. Bitte schön.
schaftsminister zuständig – zu einem Streitfall geworden
ist. Das äußert sich unter anderem darin, dass die Innen- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
ministerkonferenz und die Wirtschaftsministerkon- GRÜNEN):
ferenz der Länder jeweils einstimmig einander aus- Herr Staatssekretär, wer soll Ihrer Meinung nach die
schließende Beschlüsse gefasst haben. Vor diesem drohende Geldstrafe in Höhe von 12,7 Millionen Euro
Hintergrund bitte ich um Verständnis, dass wir in diesem bezahlen: der Bund, welche Länder, mit welcher Be-
Punkt die Verantwortung für die erforderliche Umset- schlusslage?
(B) zung der Richtlinie, die wir für außerordentlich wichtig (D)
halten, bei den Ländern suchen. Die föderale Zuständig- Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
keit würde aus meiner Sicht falsch verstanden, wenn wir Bundesminister des Innern:
die Verantwortung nicht so eindeutig benennen würden. Herr Kollege Ströbele, ich verweise auf das Gesetz
zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Ver-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: letzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Ver-
Dann kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Montag pflichtungen, wo es in § 1 – Grundsätze der Lasten-
zum gleichen Thema: tragung – aus unserer Sicht eindeutig geregelt ist, dass
hierfür die entsprechenden Länder aufkommen müssen.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit die in
§ 16 des Geldwäschegesetzes genannten Aufsichtsbehörden (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
der Kontrolle der in der Richtlinie genannten Berufsgruppen GRÜNEN]: „Die entsprechenden“!)
– unter anderem Steuerberater, Versicherungsvermittler, Im-
mobilienmakler, Kasinobetreiber, Gold- und Devisenhändler,
Juweliere – in ausreichendem Maße nachkommen – verglei- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
che Handelsblatt vom 31. Mai 2010? Dann kommen wir jetzt zur Frage 8 des Abgeordne-
ten Lars Klingbeil:
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim In wie vielen Fällen konnte seit Inkrafttreten des Zugangs-
Bundesminister des Innern: erschwerungsgesetzes bei einem vom Bundeskriminalamt
Die Bundesregierung wird die Länder wie bisher bei oder von anderen Einrichtungen wie Inhope beanstandeten
Angebot mit kinderpornografischen Inhalten eine Löschung
ihren Bemühungen um die Benennung der zuständigen nicht zeitnah erreicht werden, und welche Erkenntnisse liegen
Aufsichtsbehörden unterstützen und die Thematik wei- der Bundesregierung hierzu zu den Serverstandorten und den
terhin in den geeigneten Bund-Länder-Gremien zur Gründen dazu vor?
Sprache bringen. – Dies ist im Wesentlichen das, was ich
schon auf Ihre Nachfrage zu antworten versucht habe. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister des Innern:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Klingbeil, alle dem Bundeskriminalamt
Gibt es noch eine weitere Nachfrage, Herr Montag? bekannt werdenden Hinweise auf kinderpornografische
Webseiten werden durch das Bundeskriminalamt über-
prüft. Bei Feststellung von auf ausländischen Servern
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gehosteten kinderpornografischen Inhalten werden diese
Ja. auf dem Interpol-Weg unmittelbar an den betreffenden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4531
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
(A) Staat gemeldet. Dabei wird um zeitnahe Löschung, Iden- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- (C)
tifizierung der Verantwortlichen sowie um Rückmeldung ministerin der Justiz:
zu den veranlassten Maßnahmen gebeten. In den Mona- Herr Kollege Klingbeil, wie Sie gerade selbst erwähnt
ten nach Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgeset- haben, ist im Koalitionsvertrag selbstverständlich festge-
zes, also März und April 2010, konnte in Bezug auf ge- halten, dass es notwendig ist, gegen kinderpornografi-
meldete Inhalte – insgesamt wurden in diesem Zeitraum sche Angebote im Internet intensiv vorzugehen und
304 Fälle gemeldet – in 174 Fällen festgestellt werden, diese schnellstmöglich zu löschen, statt sie zu sperren.
dass diese eine Woche nach erfolgter Meldung weiterhin Sie haben zu Recht erwähnt, dass für ein Jahr kinderpor-
verfügbar waren. nografische Inhalte auf der Grundlage des Zugangs-
erschwerungsgesetzes nicht gesperrt werden. Stattdessen
Die Zahlen für den Mai 2010 liegen derzeit noch
betreiben die Polizeibehörden in enger Zusammenarbeit
nicht vor. Mehrheitlich betrafen die im März und April
mit den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft
2010 bekannt gewordenen Fälle Server aus den USA,
die Löschung kinderpornografischer Seiten. Bei der Be-
Russland und den Niederlanden, ich füge hinzu: ohne
antwortung der vorherigen Frage ist bereits deutlich ge-
dass bereits jetzt eine belastbare Grundlage für eine ab-
worden, dass diese Bemühungen nach einem Jahr in
schließende Analyse gegeben wäre. In welchem Umfang
Hinblick auf Erfolg und Wirksamkeit evaluiert werden
die Arbeit der im Inhope-Netzwerk zusammengeschlos-
und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse eine ergeb-
senen weltweiten Beschwerdestellen zum Löschen von
nisoffene Neubewertung vorgenommen werden soll. Das
kinderpornografischen Inhalten geführt hat, ist der Bun-
ist der Stand der Dinge.
desregierung gegenwärtig nicht bekannt.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Klingbeil?
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Klingbeil?

Lars Klingbeil (SPD):


Lars Klingbeil (SPD):
Vielen Dank für die Antwort. – Teilen Sie die Ein-
Zunächst vielen Dank für die Antwort, Herr Staats-
schätzung namhafter Rechtsexperten, die sagen, dass wir
sekretär. – Sie haben im Koalitionsvertrag vereinbart,
kein Löschgesetz, wie von der Regierung angekündigt,
dass zunächst ein Jahr lang auf Grundlage des Zugangs-
brauchen, weil wir keine rechtlichen Lücken haben, son-
erschwerungsgesetzes nicht gesperrt wird. Vielmehr soll
dern Lücken bei der Durchsetzung von bestehenden
das Löschen intensiviert werden. Es wird darauf gesetzt,
Rechten? Meine zweite Frage schließt sich daran an:
(B) dass es nach einem Jahr eine Evaluierung gibt und die Falls Sie das anders sehen, würde ich gerne wissen, wo (D)
Wirksamkeit und die Erfolge des Löschens geprüft wer-
Sie gesetzgeberische Lücken, die mit dem Löschgesetz
den. Ich habe folgende Frage: Wann ist das Jahr vorbei
geschlossen werden müssen, sehen.
bzw. wann hat es begonnen? Hat es mit der Vereinba-
rung des Koalitionsvertrages begonnen? Hat es mit der
Einsetzung des Zugangserschwerungsgesetzes begon- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
nen? Infolgedessen stellt sich die Frage: Wann haben wir ministerin der Justiz:
mit der Evaluierung zu rechnen? Tatsache ist, dass wir ein Gesetz vorgefunden haben,
das noch von der alten Bundesregierung und der damali-
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim gen Koalitionsmehrheit kurz vor der Bundestagswahl
Bundesminister des Innern: gegen den Widerstand aller Oppositionsfraktionen be-
schlossen worden ist. Es sollte mit der sogenannten
Nach meinem Verständnis hat es mit dem Inkrafttre-
Sperrung der Zugang zu kinderpornografischen Inhalten
ten des Zugangserschwerungsgesetzes und der damit erschwert werden. In Wahrheit ist das aber keine echte
beim Bundeskriminalamt auflaufenden Daten begonnen. Sperrung. Deswegen haben wir in der neuen Koalition
Diese – ich habe Ihnen die Vorabmeldung für die Mo- vereinbart, uns auf das Wesentliche, Erfolgverspre-
nate März und April gegeben – werden dort in angemes- chende und Notwendige zu konzentrieren, nämlich die
sener Zeit ausgewertet. Löschung vorzunehmen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts sind
Maßnahmen zur Durchsetzung dieses Vorhabens, also
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- zur Löschung solcher Inhalte, ins Werk gesetzt worden.
ministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Par- Der Kollege vom Innenministerium hatte gerade nicht
lamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfü- erwähnt, dass am 19. Februar 2010 ein Anwendungser-
gung. lass des Bundesinnenministeriums an das Bundeskrimi-
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Lars Klingbeil auf: nalamt gegangen ist, mit dem sichergestellt wurde, dass
die kritisierte sogenannte Sperrinfrastruktur nicht ins
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, das bei der Ein- Werk gesetzt wird. Seither wird auf der Grundlage der
bringung der Gesetzentwürfe zur Aufhebung des Gesetzes zur
Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnet-
bestehenden Gesetze das Löschen vorgenommen. Die
zen im Februar 2010 angekündigte Löschgesetz vorzulegen, Zahlen dazu wurden gerade von Herrn Bergner vorgetra-
und was soll konkret in diesem Gesetz geregelt werden? gen.
4532 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler


(A) Es ist aber vielleicht noch zu ergänzen, dass mit den hat übrigens genauso wie ich verstanden, dass Sie gesagt (C)
Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft gerade haben: Wir evaluieren, und am Ende steht die Frage:
kürzlich vereinbart worden ist, die Zusammenarbeit mit Brauchen wir überhaupt ein Löschgesetz?
dem Bundeskriminalamt noch zu verstärken. Insbeson-
dere das Bundeskriminalamt – das ist eine wichtige In- Zwischendurch gab es Pressemeldungen, in denen
formation – hat etwa seit Mai die Zusammenarbeit mit verbreitet wurde, der Entwurf für ein Löschgesetz sei
den USA deutlich verstärkt; denn aus den vorgetragenen jetzt fertig und werde zwischen den Ministerien abge-
Zahlen ist hervorgegangen, dass von dort besonders stimmt. Meine kurze Frage ist: Stimmen diese Pressear-
viele solcher Inhalte ins Netz gestellt werden. tikel also nicht, dass an einem solchen Gesetzentwurf
bereits gearbeitet wird?
Dies geschieht in der Tat alles, ohne dass dafür eine
neue gesetzliche Grundlage geschaffen worden wäre.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Nach Ablauf von einem Jahr wird dann zu evaluieren
ministerin der Justiz:
sein, ob diese Maßnahmen ausreichen. Abschließend be-
werten – da schließe ich mich Herrn Kollegen Bergner Noch einmal, Herr Kollege Klingbeil: Nach Ablauf
an – kann man das aufgrund der jetzt vorliegenden Zah- des einen Jahres – ich habe es präzisiert – wird entschie-
len noch nicht. Wir glauben, dass die Zahl der Lösch- den, wie weiter verfahren wird. Dass es innerhalb der
erfolge steigen wird. Bundesregierung schon jetzt Überlegungen gibt, dem
Bundestag einen eigenen Gesetzentwurf für ein Lösch-
gesetz vorzulegen, haben Sie den Pressemeldungen rich-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tig entnommen. Diese Überlegungen sind aber noch
Eine weitere Nachfrage kommt vom Kollegen nicht zu einem Ergebnis gekommen, sodass Ihnen bisher
Montag. ein solcher Gesetzentwurf, wie Sie unschwer feststellen
konnten, noch nicht vorgelegt worden ist.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Frau Präsidentin. – Ihre Erklärung, Herr
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Staatssekretär, veranlasst mich dazu, kurz nachzufragen.
Habe ich Ihre letzten Ausführungen so zu verstehen, Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Höhn auf:
dass die Frage, ob es überhaupt ein Löschgesetz geben Kann die Bundesministerin der Justiz in der Frage etwai-
wird, offen ist? Ist also gar nicht sichergestellt, dass Sie ger Verlängerungen der Laufzeit von Atomkraftwerken ein
Vorgehen mittragen, das nach gutachterlicher Einschätzung
einen Entwurf für ein Löschgesetz vorlegen werden, ihres eigenen Hauses „mit einem nicht unerheblichen verfas-
sondern ist es so, dass Sie erst abwarten, wie die Praxis sungsrechtlichen Risiko verbunden wäre“, weil „nicht sicher
(B) funktioniert, und erst danach entscheiden wollen, ob Sie davon ausgegangen werden“ kann, „dass das Bundesverfas- (D)
überhaupt einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen sungsgericht im Streitfall die Zustimmungsbedürftigkeit ver-
wollen? neint“ (vergleiche Gutachten zur Zustimmungsbedürftigkeit
einer Änderung des Atomgesetzes zur Verlängerung der Lauf-
zeit von Kernkraftwerken vom 1. Juni 2010)?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz: Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Sie haben es nicht ganz genau so verstanden, wie ich ministerin der Justiz:
es gemeint habe, oder ich habe es nicht präzise genug
Frau Kollegin Höhn, wie Sie wissen, ist die politische
ausgedrückt. Klar ist, dass nach einem Jahr evaluiert
Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung über
wird, wie man weiter vorgeht, insbesondere ob es bei
eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in
dem von der neuen Bundesregierung favorisierten
Deutschland und gegebenenfalls deren Ausgestaltung
Grundsatz „Löschen statt Sperren“ bleibt oder ob es zu
noch nicht abgeschlossen. Das in Ihrer Frage zitierte ge-
einer Rückkehr zu den Zugangserschwernisregelungen
meinsame Gutachten des Bundesministeriums der Justiz
der früheren Koalition aus CDU/CSU und SPD kommen
und des Bundesinnenministeriums zur Frage der Zustim-
wird. Das war damit gemeint.
mungsbedürftigkeit einer etwaigen Änderung des Atom-
Sie haben meinen Ausführungen entnommen, dass gesetzes zur Verlängerung der Laufzeit wird natürlich in
dem Bundestag von der Bundesregierung derzeit kein den Meinungsbildungsprozess der Bundesregierung ein-
Entwurf für ein eigenes Löschgesetz vorgelegt worden fließen und berücksichtigt werden.
ist. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage: Darüber
gibt es interne Gespräche, die aber bisher nicht zu dem Das Gutachten kommt zu einer differenzierten Be-
Ergebnis geführt haben, dass wir Ihnen einen solchen trachtung. Es stellt fest, dass eine zustimmungsfreie
Gesetzentwurf hätten vorlegen können. Ausgestaltung eines solchen Gesetzes unter bestimmten
Bedingungen noch vertretbar erscheint, sieht aber ein
nicht unerhebliches verfassungsrechtliches Risiko als
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gegeben an, weil die Prüfung der Zustimmungsbedürf-
Dann kann jetzt der Kollege Klingbeil seine zweite tigkeit sich in dieser Frage auf rechtlichem Neuland be-
Nachfrage stellen. Es gab hier gerade etwas Konfusion. wegt. Verfassungsgerichtliche Entscheidungen zur Fra-
gestellung gibt es bisher nämlich noch nicht. Es liegen
Lars Klingbeil (SPD): mehrere Rechtsgutachten vor, die aber zu unterschiedli-
Vielen Dank. – Ich wollte genau den Punkt aufgrei- chen, konträren Ergebnissen kommen. Eine endgültige
fen, den auch der Kollege Montag angesprochen hat. Er verfassungsrechtliche Bewertung der Frage der Zustim-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4533
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
(A) mungsbedürftigkeit ist erst nach Vorlage eines ausfor- wie das Gesetz ausgestaltet ist, kann diese Vorausset- (C)
mulierten Gesetzentwurfs möglich. zung erfüllt sein oder auch nicht.
Ich bitte daher noch einmal um Verständnis, wenn ich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: hier vortrage, dass für uns beide Möglichkeiten rechtlich
Frau Höhn, bitte. denkbar sind. Auf das Risiko, das damit zusammen-
hängt, dass bisher keine Entscheidung zu Art. 87 c des
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Grundgesetzes vorliegt, habe ich hingewiesen. Es gibt
eine Entscheidung – 48. Band – zu einer Parallelvor-
Herr Staatssekretär, heute Mittag, 11.46 Uhr, ist über
schrift – Art. 87 b Grundgesetz –, der wir bei unserem
Reuters die Meldung verbreitet worden, dass eine Vor-
Gutachten den Prüfungsmaßstab entnommen haben.
entscheidung gefallen sei und der Bundesrat bei der Ver-
längerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke kein Veto-
recht haben solle. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Höhn.
Der Weg über ein zustimmungsfreies Gesetz werde
von allen maßgeblichen Personen in der Regierung
und den Regierungsfraktionen bis auf Umwelt- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
minister Norbert Röttgen favorisiert. Heißt das, dass die Meldung von Reuters nicht stimmt
und dass Sie sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht im
Zu den Befürwortern eines zustimmungsfreien Gesetzes Sinne einer Zustimmungsfreiheit des Gesetzes entschie-
„gehörten das Kanzleramt, Innen-, Finanz- und Justiz- den haben? So interpretiere ich Ihre Antwort einmal,
ministerium“ und die beiden Koalitionsfraktionen. Kön- denn ich wollte ja keine juristische Antwort haben.
nen Sie bestätigen, dass Sie zu den nicht unerheblichen
Befürwortern gehören, die der Meinung sind, dass man
ein Gesetz machen soll, das der Zustimmung des Bun- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
desrates nicht bedarf, obwohl Ihnen ein Gutachten vom ministerin der Justiz:
Anfang dieses Monats vorliegt, das also noch sehr jung Frau Höhn, ich habe mich am heutigen Vormittag in
ist, nach dem nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Gremien des Deutschen Bundestages bewegt und diese
Risiken damit verbunden sind und man nicht sicher da- Meldung von Reuters jetzt erstmals zur Kenntnis ge-
von ausgehen kann, dass das Bundesverfassungsgericht nommen.
im Streitfall die Zustimmungsbedürftigkeit verneint?
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(B) Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Okay, danke schön. Ich dachte nur, dass Sie als (D)
ministerin der Justiz: Staatssekretär eine solche Meldung, die von Ihrem
Frau Höhn, wie ich in der Antwort auf Ihre schriftli- Ministerium ausgeht, auch kennen.
che Frage schon ausgeführt habe, ist die Frage der Zu-
stimmungsbedürftigkeit erst dann endgültig zu beant- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
worten, wenn ein ausformulierter Gesetzentwurf ministerin der Justiz:
vorliegt, sodass dessen Inhalt bewertet werden kann. Ich Ich weiß nicht, ob sie von unserem Ministerium aus-
glaube, ich habe deutlich genug vorgetragen, dass es geht; das hatten Sie vorhin nicht so vorgetragen.
Ausgestaltungen eines solchen Gesetzes gibt, die nach
der im Gutachten von BMJ und BMI vertretenen Auffas-
sung zustimmungsfrei sind, es aber auch andere Ausge- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
staltungen eines solchen Gesetzes geben kann, die der Doch, hatte ich schon. Ich dachte nur, dass Sie über
Zustimmung bedürfen. Leider ist es in der Juristerei oft die Entscheidung Ihres Ministeriums informiert sind.
so, dass man eine Frage nicht einfach mit Ja oder Nein Aber gut.
beantworten kann, sondern mit dem berühmten Juristen-
satz „Es kommt darauf an …“ beantworten muss. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Vielleicht darf ich das verfassungsrechtliche Problem ministerin der Justiz:
ganz kurz erläutern. Es handelt sich um Art. 87 c des Frau Kollegin Höhn, das bin ich durchaus, und die
Grundgesetzes. Nach dieser Vorschrift können Gesetze Entscheidung unseres Ministeriums lautet folgenderma-
– ich verkürze einmal –, die die friedliche Nutzung der ßen: Man kann eine endgültige verfassungsrechtliche
Kernenergie betreffen, wofür der Bund die ausschließli- Bewertung der Frage, ob dieser Vorgang im Bundesrat
che Gesetzgebungskompetenz besitzt, „mit Zustim- zustimmungsbedürftig ist, erst dann abgeben, wenn der
mung des Bundesrates bestimmen, dass sie von den Län- Gesetzestext ausformuliert vorliegt.
dern im Auftrag des Bundes ausgeführt werden.“ Das
Gutachten, das BMJ und BMI vorgelegt haben, geht da- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
von aus, dass der Maßstab für die Anwendung des So, jetzt meine zweite Nachfrage.
Art. 87 c Grundgesetz ist, ob in einer Laufzeitverlänge-
rung eine neue Übertragung dieser Aufgabe an die Län-
der als Bundesauftragsverwaltung liegen würde oder Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nicht. Das ist der entscheidende Maßstab. Je nachdem, Das war schon die zweite Nachfrage.
4534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- (C)
Nein, ich habe doch gar keine Frage gestellt. ministerin der Justiz:
Frau Kollegin, wie ich schon bei meiner allerersten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Antwort ausgeführt habe, nehmen wir die Gutachten, die
Sie sagten, Sie dachten, dass diese Meldung vom es zu dieser nicht einfachen Thematik gibt, selbstver-
Ministerium ausging, und der Herr Staatssekretär hat da- ständlich alle sehr ernst. Gerade weil es unterschiedliche
rauf geantwortet. Deswegen würde ich jetzt gern Herrn Gutachten durchaus beachtlichen Inhalts gibt, ist eine
Montag die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage ge- eindeutige Vorhersage, wie das Bundesverfassungsge-
ben. richt, das diese Frage bisher noch nicht entschieden hat,
in einem etwaigen Streitfalle entscheiden würde, unserer
Ansicht nach derzeit schwer möglich.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär Sie haben eine spezielle Frage gestellt, die ich nur in
Stadler, Sie haben schön geantwortet, und die von Ihnen abstrakter Form beantworten kann. Diesbezüglich ist die
zitierte Verfassungslage ist mir bekannt. Aber ich will Rechtslage allerdings völlig klar. Entgegen Auffassun-
noch einmal hinsichtlich des politischen Inhalts Ihrer gen, die in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland
Antwort nachfassen. in der Kommentarliteratur vertreten worden sind, ist seit
langem völlig eindeutig geklärt, dass eine Aufspaltung
Habe ich diese so zu verstehen, dass das Bundesjus- von Gesetzen in einen zustimmungsfreien Inhalt und in
tizministerium ein Laufzeitenverlängerungsgesetz für einen zustimmungspflichtigen Inhalt möglich ist. Ich
verfassungsrechtlich unbedenklich halten würde, wenn möchte jetzt nicht bewerten, ob dies in der von Ihnen ge-
den Bundesländern in diesem Gesetz die Verwaltungs- schilderten konkreten Konstellation der Fall ist. Dazu
kompetenz für den Atombereich genommen und die müsste man einen ausformulierten Gesetzesvorschlag
gesamte Verwaltung der Atomkraftwerke in die Zustän- kennen.
digkeit des Bundes überführt würde? Ist das die Quintes-
senz Ihrer Antwort? Ich sage damit auch nicht – ich betone das, damit ich
nicht missverstanden werde –, dass eine Entscheidung
getroffen ist, eine solche Aufspaltung vorzunehmen. Ich
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
sage nur: Sie ist in früheren Fällen vorgenommen und
ministerin der Justiz:
nicht beanstandet worden. Ich möchte also nur abstrakt
Nicht ganz, Herr Kollege Montag. Sie haben ein Sze- auf die Frage nach der Rechtslage antworten, die Sie
nario formuliert, bei dem der Art. 87 c Grundgesetz tat- aufgeworfen haben.
sächlich nicht einschlägig wäre und sich demgemäß
(B) keine Zustimmungsbedürftigkeit nach dieser Vorschrift (D)
ergeben würde. Mir ist allerdings bisher nicht bekannt, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
dass das möglicherweise beabsichtigte Gesetz diesen Eine Nachfrage des Kollegen Ott.
Weg gehen soll.
Wenn es bei der bisherigen Rechtslage, dass nämlich Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
das Atomgesetz von den Ländern in Auftragsverwaltung Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich mache mir
des Bundes vollzogen wird, bleibt, dann kommt es da- langsam Sorgen um den Zustand des Konservatismus in
rauf an, ob mit der Gesetzesänderung eine neue Auf- Deutschland. Konservative Spitzenpolitiker – meistens
tragsverwaltung geschaffen wird – dann wäre der fangen ihre Namen mit K an – pfeifen auf die Pflichter-
Art. 87 c Grundgesetz einschlägig – oder ob dies nicht füllung, die wesentlicher Bestandteil konservativen Den-
der Fall ist. Dies wiederum hängt davon ab, welchen In- kens und konservativer Ethik ist. Jetzt bringen Sie etwas
halt das Gesetz haben wird. auf den Weg, bei dem ich mich frage, wann es so etwas
zum letzten Mal gegeben hat. Wann hat die Bundesregie-
Sie haben ein Szenario beschrieben, das man theore- rung ein Gesetz auf den Weg gebracht, bei dem das Bun-
tisch betrachten kann, das uns praktisch aber in dieser desjustizministerium nicht unbedeutende verfassungs-
Form nicht vorgelegt worden ist. rechtliche Risiken gesehen hat? Wie vereinbaren Sie das
mit Ihrem Job als Staatssekretär im Verfassungsschutz-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ministerium?
Frau Steiner.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ministerin der Justiz:
Herr Staatssekretär, es gibt ein Rechtsgutachten des Ich will jetzt nicht oberlehrerhaft sein, aber ich
Landes Schleswig-Holstein, das zu dem Ergebnis glaube, dass die Frage nach dem Zustand des Konserva-
kommt, dass die Aufspaltung der geplanten Atomrechts- tismus – ich bevorzuge das Wort Konservativismus; aber
änderungen in ein Gesetz, das die Laufzeiten verlängert, das ist nur eine semantische Kleinigkeit am Rande –
und in ein Gesetz, das Sicherheitsbestimmungen enthält, (Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
im Lichte der staatlichen Schutzpflichten gemäß Art. 1 NEN]: Sehr interessant!)
und 2 Grundgesetz verfassungswidrig sein könnte. Ist
dies auch aus Sicht des Bundesministeriums der Justiz nicht ausgerechnet von mir als liberalem Politiker hier in
eine ernst zu nehmende rechtliche Argumentation? der Fragestunde zu beantworten ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4535
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
(A) Ich habe, glaube ich, als Parlamentarischer Staats- keiner Zustimmung der Länderkammer, also des Bun- (C)
sekretär auch keinen Job, sondern eine Aufgabe. Diese desrates, bedarf? Wenn ja, ist der Staatssekretär bereit,
Aufgabe nehmen wir als Bundesjustizministerium in der uns diese Formulierung mitzuteilen?
Weise wahr, dass wir die bestehende Rechtslage darge-
stellt haben. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Ich darf versuchen, ein Missverständnis, das in Ihrer ministerin der Justiz:
Frage durchzuklingen schien, auszuräumen. Ich habe Herr Kollege Ströbele, vorhin habe ich auf eine an-
nicht gesagt, dass ein Gesetz zur Laufzeitverlängerung dere Frage geantwortet, dass ich das eine oder andere in
zustimmungsfrei ist. Ich habe gesagt, dass Gestaltungen der Fragestunde von der Regierungsbank aus nicht tun
denkbar sind, in denen es zustimmungsfrei ist, dass aber darf. Vermutlich darf ich Ihnen auch nicht zu Ihrem Ge-
auch andere Gestaltungen denkbar sind, in denen es burtstag gratulieren, den Sie in dieser Woche feiern
– nach unserem Maßstab, den wir einer Parallelentschei- konnten.
dung des Bundesverfassungsgerichts gemeinsam mit (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
dem Innenministerium entnehmen – zustimmungspflich- Doch! Das dürfen Sie!)
tig ist. Insofern war in Ihrer Frage eine Annahme ent-
halten, die nicht zutrifft. Wir können eine endgültige Ich beschränke mich daher auf die Beantwortung Ih-
Bewertung nur vornehmen, wenn ein konkreter Geset- rer Frage und sage: Einen solchen Gesetzestext kenne
zestext vorliegt. ich bisher nicht, weil unserem Haus noch kein Gesetzes-
text vorgelegt worden ist. Ich habe abstrakt dargestellt,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: was aufgrund einer Entscheidung, die das Bundesverfas-
Die nächste Frage stellt der Kollege Krischer. sungsgericht zu einer anderen Vorschrift gefällt hat, der
Prüfungsmaßstab sein wird.
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich darf wiederholen: Die entscheidende Frage ist, ob
Danke schön. – Meine Frage zielt in die Richtung, ob in einer Laufzeitverlängerung die Übertragung einer
Ihr Ministerium ein Gesetz auf den Weg bringen wird, neuen Aufgabe liegt. Die Laufzeitverlängerung als sol-
auch wenn es Gutachten, Expertisen namhafter Experten che ist keine verfahrensrechtliche Vorschrift, die die
geben wird, die von einem Scheitern vor dem Bundes- Länder betreffen würde, sondern eine materiell-rechtli-
verfassungsgericht ausgehen. Wird Ihr Haus, wird das che. Dennoch ist die Fragestellung richtig.
Justizministerium, ein Gesetz mittragen, auch wenn es Um vollständig vorzutragen, nehme ich Ihre Frage
deutliche Anhaltspunkte für ein Scheitern vor dem Bun- zum Anlass, noch etwas anderes deutlich zu machen
(B) desverfassungsgericht – Stichwort Zustimmungspflich- – vielleicht wollte Frau Höhn mich danach fragen; dann (D)
tigkeit – gibt? kann ich ihre Frage beantworten, ohne dass sie mich ge-
fragt hat –: In anderen Rechtsgutachten gibt es bekannt-
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- lich andere Ansatzpunkte. All dies wird bei der endgülti-
ministerin der Justiz: gen Bewertung zu berücksichtigen sein.
Die erste Frage kann ich mit einem klaren Nein beant-
worten. Unser Ministerium wird ein solches Gesetz Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
überhaupt nicht auf den Weg bringen; denn es ist nicht Eine weitere Frage, diesmal von der Kollegin
federführend zuständig. Wenn, dann bringt die Bundes- Herlitzius.
regierung das Gesetz auf den Weg.
Inhaltlich bezog sich Ihre Frage auf verfassungsrecht- Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
liche Bedenken. Das Bundesjustizministerium und das Danke. – Auch ich habe eine Frage, Herr Staatssekre-
Bundesinnenministerium sind um eine gutachterliche tär. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Horst Meierhofer
Stellungnahme zur Verfassungsrechtslage gebeten wor- hat erklärt, um eine Laufzeitverlängerung durchzufüh-
den. Diese haben wir abgegeben. Ich glaube, es ist ren, müsse diese – jetzt folgt das Zitat – „rechtlich was-
selbstverständlich, dass das Gutachten in die weitere serdicht sein.“ Teilen Sie diese Auffassung?
Meinungsbildung der Bundesregierung einfließt. Diese
ist, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich teile in der Regel alle Auffassungen meines ge-
Herr Ströbele. schätzten Kollegen Horst Meierhofer aus Regenburg.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
NEN]: Wow!)
GRÜNEN):
Danke. – Herr Kollege Stadler, kennt der Staatssekre- Ich habe deutlich gemacht, dass das Bundesinnen-
tär im Justizministerium oder das Justizministerium oder ministerium und das Bundesjustizministerium gemein-
kennen beide eine Gesetzesformulierung zur Verlänge- sam auf verfassungsrechtliche Risiken bei bestimmten
rung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, in der keine Ausgestaltungen eines etwaigen Gesetzes hingewiesen
neue Auftragsverwaltung vorgesehen ist und die deshalb haben. Dies wird sicherlich in die Meinungsbildung der
nach Auffassung des Bundesjustizministeriums auch Bundesregierung einfließen.
4536 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lung sein Anliegen persönlich vorzutragen. Deswegen (C)
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesminis- habe ich die Punkte dargelegt, bei denen wir Änderun-
teriums der Justiz und kommen zur Frage 11 der Abge- gen ins Auge fassen.
ordneten Sonja Steffen:
Wir gehen in unseren Überlegungen allerdings nicht
Wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Ände- so weit, die Vorschrift gänzlich abzuschaffen. Dazu
rung des § 522 der Zivilprozessordnung vorlegen?
muss man vielleicht erläutern, dass dem Zurückwei-
sungsbeschluss eine begründete Darlegung des Gerichts
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- vorausgeht, warum eine Berufung nicht für aussichts-
ministerin der Justiz: reich gehalten wird. Zumindest von Teilen der Anwalt-
Frau Kollegin Steffen, vielleicht darf ich kurz erläu- schaft wird gesagt, solche Hinweise seien durchaus nütz-
tern, dass es bei § 522 Abs. 2 ZPO darum geht, dass Be- lich, um die Prozessrisiken und die Chancen eines
rufungen in Zivilsachen per Beschluss verworfen wer- Rechtsmittels einschätzen zu können. Diese Hinweise
den können, ohne mündliche Verhandlung, allerdings führen dann vielleicht auch dazu, dass eben doch eine
nach einem Hinweis des Gerichts. An dieser Regelung Reihe von Fällen auf diesem schnelleren und kosten-
wird in der Praxis vielfach Kritik geübt. Deswegen sollte günstigeren Weg erledigt werden kann. Diese Möglich-
diese Vorschrift so geändert werden, dass bei ihrer An- keit wollen wir eben nicht völlig abschneiden, aber wir
wendung insbesondere eine einheitliche Rechtspre- haben Änderungen ins Auge gefasst, die ich Ihnen ge-
chungspraxis erreicht wird. Zu diesem Zweck ist insbe- schildert habe.
sondere die Einführung eines Rechtsmittels gegen den
Zurückweisungsbeschluss ins Auge zu fassen. Man Ein hauptsächliches Gegenargument ist in der Tat,
muss auch darüber nachdenken, die mündliche Verhand- dass man die finanziellen Auswirkungen noch genau un-
lung wieder zu stärken oder vielleicht die tatbestandli- tersuchen muss. Danach müssen wir eine Entscheidung
chen Voraussetzungen für einen solchen Zurückwei- treffen, die wir Ihnen vorlegen, und dann werden wir se-
sungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verschärfen. hen, wie Sie dazu stehen.
Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite ist in die Überlegungen aller- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
dings auch einzubeziehen, welche Folgen dies für die Haben Sie eine zweite Nachfrage? – Das ist nicht der
Justiz und insbesondere welche finanziellen Auswirkun- Fall.
gen eine Gesetzesänderung auf die Haushalte von Bund Ich rufe die Frage 12 auf:
und Ländern hätte. Insofern handelt es sich um keine Wann wird die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag
ganz einfache Thematik. Auch hier ist die Meinungsbil- zwischen CDU, CSU und FDP angekündigte Regelung, zum
(B) dung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abge- Schutz von Immobiliendarlehen eine Abtretung der Darle- (D)
schlossen. hensforderung oder die Übertragung des Kreditverhältnisses
an ein Unternehmen ohne Banklizenz zukünftig von der Ge-
nehmigung des Darlehensnehmers abhängig zu machen, vor-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: legen, und auf welcher Daten- oder Faktengrundlage beruht
Eine Nachfrage? – Bitte schön. der Regelungsentwurf?

Sonja Steffen (SPD): Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Vielen Dank. – Ich möchte Sie an den Gesetzentwurf ministerin der Justiz:
erinnern, der 2008 seitens der FDP-Fraktion eingebracht Frau Kollegin Steffen, Ihre Frage beruht darauf, dass
worden ist. Sie werden wissen, dass die gesamte Anwalt- es in der Vergangenheit Berichterstattungen darüber ge-
schaft im Grunde genommen dafür plädiert, dass § 522 geben hat, dass etwa bei Baudarlehen der Gläubiger ge-
Abs. 2 ZPO abgeschafft wird. Ich hätte gerne gewusst: wechselt hat und sich jemand, der sein Darlehen völlig
Sprechen tatsächlich nur finanzielle Gründe dagegen? korrekt bedient und die Monatsraten bezahlt hat, plötz-
Denn ich glaube, jeder Jurist plädiert dafür, diese Vor- lich womöglich sogar einer Zwangsvollstreckung gegen-
schrift abzuschaffen; es sei denn, er ist Richter und hat übersah.
aus dieser Perspektive damit zu tun. Aus meiner Sicht Aus diesem Grund werden innerhalb der Bundes-
stellt sie einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip regierung verschiedene Möglichkeiten geprüft, wie man
dar. hier Abhilfe schaffen kann. Das Bundesministerium der
Justiz geht davon aus, dass noch im Jahre 2010 ein erster
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Regelungsentwurf zur Umsetzung dessen, was in der
ministerin der Justiz: Koalitionsvereinbarung dazu ohnehin vorgesehen ist,
Frau Kollegin Steffen, Sie haben zu Recht Kritik aus vorgelegt wird.
der Anwaltschaft an dieser Vorschrift zitiert, aber es gibt
auch eine erhebliche Kritik von Bürgerinnen und Bür- Sie haben auch danach gefragt, welches Daten- und
gern, die persönlich davon betroffen gewesen sind. Ihre Faktenmaterial vorliegt. Das wird dann im Zusammen-
Kritik geht vor allem dahin, dass man auch bei bedeutsa- hang mit diesem Regelungsentwurf von uns dargestellt
men Rechtstreitigkeiten und durchaus erheblichen Streit- werden.
werten keine weitere Instanz zur Verfügung hat und dass
es im Falle eines solchen Zurückweisungsbeschlusses Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nicht möglich ist, dem Gericht in mündlicher Verhand- Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4537

(A) Sonja Steffen (SPD): wäre – das ist offenbar nicht der Fall –, wenn das Tat- (C)
Wie wird man mit Unternehmen umgehen, die, wie opfer deutscher Staatsangehöriger wäre oder wenn es
beispielsweise Lone Star, über eigene Banken verfügen? sonst Bezüge zu Deutschland gäbe, wenn ich es einmal
Im Koalitionsvertrag steht ja, dass es bei dem Schutz, so allgemein formulieren darf. Eine Zuständigkeit des
den Sie gewährleisten wollen, hauptsächlich um Unter- Generalbundesanwalts würde sich daraus jedenfalls
nehmen geht, die die Forderung übernehmen, ohne eine nicht ergeben.
Banklizenz zu haben. Wie geht man dann also mit Unter-
nehmen um, die sich ein bisschen trickreich einer eige- Der Generalbundesanwalt führt jedoch in diesem
nen Bank bedienen? Zusammenhang ein anderes Ermittlungsverfahren, näm-
lich wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agen-
tentätigkeit in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkun-
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- dung. Diesem Verfahren liegt zugrunde, dass sich ein
ministerin der Justiz: unbekannter Tatverdächtiger unter dem Namen Michael
Sie haben zu Recht aus dem Koalitionsvertrag zitiert, Bodenheimer eines deutschen Reisepasses bedient hat,
in dem gewissermaßen ein Teilausschnitt der Problema- welcher möglicherweise durch eine nachrichtendienstli-
tik angesprochen wird. Wir sind dabei, das Thema um- che Beschaffungsoperation erlangt wurde. Die Ermitt-
fassender zu diskutieren. lungen dauern noch an.
Es gehört allerdings auch dazu, dass man die Refinan-
zierungsmöglichkeiten der Banken nicht abschneiden Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU):
darf; auch das muss man im Auge behalten. Das Ziel ist Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
aber, insbesondere Schuldner, die sich selber vertragsge-
mäß verhalten, davor zu schützen, dass sie plötzlich ei-
nem anderen Vertragspartner gegenüberstehen, der das Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Recht hat, Verträge zu ändern oder eine Zwangsvollstre- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Staatssekre-
ckung durchführen zu lassen, obwohl es dafür keinen tär Stadler, inwieweit ist der Bundesregierung bekannt,
Anlass gibt, den der Schuldner zu vertreten hat. dass Ermittlungsverfahren in Großbritannien und Aus-
tralien zu dem Ergebnis geführt haben, dass die original-
Auch diese Materie ist insgesamt etwas komplizierter, getreue Fälschung der im Zusammenhang mit dem An-
als es vielleicht auf den ersten Blick aussieht. Deswegen schlag in dem Hotel in Dubai verwendeten britischen
dauern die Arbeiten bei uns im Haus noch an. Wir wer- und australischen Pässe – es waren mehrere Pässe im
den im Laufe des Jahres mit einem Regelungsentwurf Spiel – auf eine Verwicklung des israelischen Geheim-
auf Sie zukommen. dienstes Mossad hindeutet, und deshalb jeweils ein is-
(B) raelischer Diplomat aus Großbritannien und Australien (D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ausgewiesen wurde? Inwieweit ist Ihnen das bekannt?
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Nein. Sie haben ausgeführt, dass der Generalbundesanwalt und
die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen führen. Inwie-
Ich rufe Frage 13 auf: weit werden in diesem Zusammenhang seitens der Bun-
Inwieweit ist das Ermittlungsverfahren hinsichtlich der desregierung auch politische Maßnahmen unternom-
Tötung eines Hamas-Führers am 20. Januar 2010 in einem men?
Luxushotel in Dubai abgeschlossen, bei dem über den be-
schuldigten israelischen Geheimdienst Mossad mehr als
20 Verdächtige für den Anschlag mit Pässen westlicher Staa- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ten nach Dubai eingereist sein sollen, von denen zwölf von ih-
nen über britische, vier über französische Pässe und einer über
ministerin der Justiz:
einen deutschen Pass verfügt haben sollen, und, wenn es ab- Frau Kollegin Dağdelen, ich schlage vor, dass wir die
geschlossen ist, zu welchem Ergebnis ist die Bundesregierung Ermittlungen des Generalbundesanwalts abwarten. Erst
hinsichtlich der Beteiligung des Mossad bzw. anderer israeli- wenn Ermittlungsergebnisse vorliegen, kann man die
scher Stellen an der Fälschung deutscher Pässe im Zusam-
menhang mit der Tötung gekommen? Entscheidung treffen, ob bzw. welche Konsequenzen zu
ziehen sind.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin Dağdelen, der Generalbundesanwalt Haben Sie eine weitere Nachfrage?
führt hinsichtlich der Tötung des Hamas-Funktionärs
Mahmud al-Mabhuh am 20. Januar 2010 in einem Hotel Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
in Dubai kein Ermittlungsverfahren. Eine Bundeszustän-
digkeit zur Verfolgung dieser Tat ergibt sich aus dem Ich habe noch eine weitere Nachfrage, aber meine
Gerichtsverfassungsgesetz nicht. Vielmehr werden die erste Nachfrage, inwieweit der Bundesregierung die Er-
Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Köln geführt. gebnisse der Ermittlungen in Australien und Großbritan-
nien bekannt sind, wurde nicht beantwortet. In diesem
Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang da- Zusammenhang wiederhole ich meine erste Nachfrage
rauf hinweisen, dass sorgfältig zu prüfen sein dürfte, ob und verbinde sie mit der weiteren Frage, inwieweit der
es überhaupt eine Zuständigkeit für eine Strafverfolgung Bundesregierung bekannt ist, ob die Ermittlungsverfah-
in Deutschland gibt. Eine solche Zuständigkeit gäbe es ren in Frankreich und Österreich abgeschlossen sind,
dann, wenn die Tat in Deutschland begangen worden und, sofern dies der Fall ist, mit welchem Ergebnis.
4538 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- So weit das Zitat aus den Vorgaben. (C)
ministerin der Justiz:
Frau Kollegin Dağdelen, ich gehe davon aus, dass der Die Gutachter wurden im Rahmen eines Ausschrei-
Generalbundesanwalt, soweit er ein Ermittlungsverfah- bungsverfahrens – so ist es üblich – ausgewählt. Die Be-
ren führt – ich habe den eingeschränkten Gegenstand des werber um diesen Forschungsauftrag sollten – so die
Verfahrens bereits dargestellt –, alle Erkenntnisse, auch Vorgabe – umfangreiche Erfahrungen mit komplexen
solche, die sich aus Ermittlungen in anderen Ländern er- energiewirtschaftlichen und klimapolitischen Szenarien-
geben, einbeziehen und ein Ergebnis vorlegen wird, über rechnungen nachweisen können sowie ein hohes Maß an
das dann diskutiert werden kann. wissenschaftlicher Reputation genießen. Um die Konsis-
tenz der Modellergebnisse nicht zu gefährden, hat die
Bundesregierung zwar die oben genannten Ziele vorge-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: geben, aber auf eine umfassende Vorgabe von Annah-
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. men bewusst verzichtet. Demgemäß wurden auch Ziele
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwor- zum Ausbau der Offshorewindkraft bis 2020 und 2030
tung der Fragen. den Gutachtern nicht vorgegeben.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Die Frage 14 des Kollegen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
René Röspel wird schriftlich beantwortet. Die Frage 15 Ihre Nachfrage, bitte.
der Kollegin Lisa Paus wird gemäß Nr. 2 Abs. 2 der
Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Barbara Höll Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwor-
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- tung meiner Frage, obwohl ich natürlich nicht ganz
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur glücklich bin, keine Zahl gehört zu haben. – Sie haben
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische die Auftragserteilung angesprochen. Es war vereinbart,
Staatssekretär Hans-Joachim Otto zur Verfügung. dass der Zwischenbericht zu den Energieszenarien ur-
sprünglich Mitte Mai bzw. dann Ende Mai fertiggestellt
Hier werden die Frage 18 der Kollegin Dagmar werden sollte. Ich frage Sie: Ist der Zwischenbericht
Ziegler, die Frage 19 des Kollegen Hans-Joachim mittlerweile bei der Bundesregierung eingegangen?
Hacker sowie die Fragen 20 und 21 der Kollegin
Gabriele Hiller-Ohm schriftlich beantwortet.
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
(B) Wir kommen damit zur Frage 22 der Kollegin desminister für Wirtschaft und Technologie: (D)
Cornelia Behm: Frau Kollegin Behm, ich kann Ihnen mitteilen, dass
Welche Ziele zum Ausbau der Offshorewindkraft bis 2020 die Gutachter am 27. Mai einen ausdrücklich als vorläu-
und 2030 wurden den Gutachtern, die die Energieszenarien fig gekennzeichneten Zwischenbericht vorgelegt haben.
der Bundesregierung erstellen, vom Bundesministerium für Die Gutachter haben hierin die bisher vorgelegten Er-
Wirtschaft und Technologie vorgegeben?
gebnisse ausdrücklich als noch nicht endgültig abge-
Herr Staatssekretär, bitte. stimmte Werte charakterisiert und den vorläufigen Cha-
rakter ihrer Ergebnisse – das Ganze geschieht unter
einem hohen Zeitdruck, wie wir alle wissen – betont.
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Der Hauptbericht der Gutachter soll nach derzeitiger
desminister für Wirtschaft und Technologie: Planung Ende Juli 2010 fertiggestellt werden. Erst der
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Hauptbericht wird wirklich konsistente Ergebnisse und
Kollegin Behm, Grundlage der Energieszenarien ist, Annahmen enthalten. Deswegen hat die Bundesregie-
dass die in der Koalitionsvereinbarung formulierten rung entschieden – damit die Konsistenz gewahrt ist und
Zielsetzungen der Bundesregierung für die Jahre 2020 nicht irgendwelche Zwischenergebnisse, die dann mögli-
und 2050 erfüllt werden. Demgemäß wurden dem Auf- cherweise zu korrigieren sind, veröffentlich werden –,
tragnehmer der Studie folgende Vorgaben gemacht – ich auf eine Veröffentlichung dieses ausdrücklich als vorläu-
zitiere –: fig gekennzeichneten Zwischenberichts zu verzichten.
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom-
versorgung erreicht im Jahr 2020 mindestens Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
30 Prozent und am Bruttoendenergieverbrauch … Eine weitere Nachfrage.
mindestens 18 Prozent. Die Treibhausgasemissio-
nen werden bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent und
bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert. Die Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
erneuerbaren Energien sollen den Hauptanteil an Da die Ergebnisse noch so unsicher sind, gehe ich da-
der Energieversorgung übernehmen. Dabei sollen von aus, dass Sie jetzt nicht unbedingt etwas zu den Er-
in einem dynamischen Energiemix und unter Be- gebnissen sagen wollen. – Sie nicken. Dann formuliere
rücksichtigung von Energieeffizienzsteigerungen ich meine zweite Nachfrage wie folgt: Wie viel Geld be-
die konventionellen Energieträger kontinuierlich kommen die Gutachter für die Erhebung der Daten bzw.
durch alternative Energien ersetzt werden. das Erstellen der Szenarien?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4539

(A) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Welche Ziele für den Ausbau der Fotovoltaik bis 2030 und (C)
desminister für Wirtschaft und Technologie: 2050 sollen die Gutachter den Energieszenarien nach den Vor-
gaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technolo-
Frau Kollegin Behm, ich bin mir gar nicht bewusst, gie zugrunde legen?
ob ich Ihnen darauf eine Antwort geben darf. Möglicher-
weise gibt es rechtliche Gründe, die eine Antwort ver-
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
bieten. Ich werde dies klären lassen. Wenn die Zulässig-
desminister für Wirtschaft und Technologie:
keit der Antwort auf die Frage nach der Vergütung der
Gutachter Diese Vorgaben wurden ausdrücklich deswegen nicht
gemacht, weil die Bundesregierung der Auffassung war,
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass man das Urteil der Gutachter nicht präjudizieren
NEN]: Der beauftragten Institute!) sollte. Entscheidend ist das Ergebnis, das hinten heraus-
kommt; das ist ja ein Zitat eines großen deutschen Bun-
– ja, das ist klar – bejaht wird, werden Sie die Antwort
deskanzlers. Dies ist die Haltung der Bundesregierung.
unverzüglich schriftlich bekommen.
Wir wollten die Gutachter nicht determinieren, damit sie
innerhalb der verschiedenen Felder nicht eingeengt sind.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir wollten ihnen in Bezug auf die einzelnen Energieträ-
Eine Zusatzfrage hat Frau Kollegin Höhn. ger keinerlei Leitplanken geben. Das war, ist und bleibt
die grundsätzliche Ausrichtung der Bundesregierung.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Ostendorff, ich muss Ihnen mitteilen, dass
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass der Zwi- wir hier Vorgaben weder zum Biomethananteil am Gas-
schenbericht mittlerweile vorliegt. Wurde dieser Zwi- verbrauch noch bezüglich anderer Punkte gemacht ha-
schenbericht von der Bundesregierung schon abgenom- ben. Das sage ich all denen, die mich womöglich fragen
men? möchten, welche sonstigen Vorgaben die Bundesregie-
rung gemacht hat.
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Allzu überraschend kann es für Sie nicht sein, Herr
desminister für Wirtschaft und Technologie: Kollege Ostendorff. Es gibt seit Wochen und Monaten
Nein. Dieser Zwischenbericht ist von den Gutachtern einen Kommunikationsprozess zwischen Ihnen, vielen
ausdrücklich als vorläufig gekennzeichnet. Es gibt wäh- Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion und meinem
rend der gesamten Zeit der Beauftragung eine ständige Hause. Ihnen wurde in Antworten auf Kleine Anfragen
Kommunikation zwischen verschiedenen Häusern der und ähnlichen Reaktionen schon mehrfach erläutert,
Regierung und den Gutachtern. Es gibt keine Veranlas- dass wir bewusst darauf verzichtet haben, solche präzi-
(B) sung, einen vorläufigen Zwischenbericht abzunehmen. sen Vorgaben zu machen. (D)
Dieser Zwischenbericht ist eine vorläufige Information
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
an die Bundesregierung, auf deren Grundlage die bereits
NEN]: Wir glauben das bloß nicht!)
begonnene Kommunikation mit den Gutachtern intensi-
viert werden kann.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort zu einer Nachfrage hat Herr Kollege
Zum selben Sachverhalt rufe ich nun die Frage 23 des Ostendorff.
Kollegen Friedrich Ostendorff auf:
Hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo- Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gie den Gutachtern, die die Energieszenarien der Bundesre- NEN):
gierung erstellen, das Ziel der Gasnetzzugangsverordnung zur Schönen Dank, Herr Staatssekretär. – Sie haben deut-
Vorgabe gemacht, bis 2020 6 Milliarden Kubikmeter Biome- lich gemacht, dass, was die Ergebnisse angeht, keine
thananteil am Gasverbrauch zu erreichen und 10 Milliarden
Kubikmeter im Jahr 2030? Vorgaben gemacht worden sind.
Ich möchte zu den Grundlagen nachfragen. Mich inte-
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- ressiert, auf der Grundlage welcher Annahmen hier vor-
desminister für Wirtschaft und Technologie: gegangen worden ist. Man muss das Wirtschaftswachs-
Herr Kollege Ostendorff, es wird Sie nach der Ant- tum, die Ölpreisentwicklung und möglicherweise andere
wort, die ich eben der Kollegin Behm gegeben habe, Vorgaben berücksichtigen, um zu gesicherten Ergebnis-
nicht überraschen, dass ich Ihnen mitteile, dass eine Vor- sen zu kommen. Können Sie uns Aussagen dazu ma-
gabe, bis 2020 6 Milliarden Kubikmeter Biomethanan- chen, welche Annahmen dort getroffen worden sind?
teil am Gasverbrauch und 10 Milliarden Kubikmeter im
Jahre 2030 zu erreichen, nicht gemacht wurde, und zwar Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
bewusst. Frau Präsidentin, damit gehe ich indirekt schon desminister für Wirtschaft und Technologie:
auf die folgenden Fragen ein, in denen es jeweils um de- Herr Kollege Ostendorff, die einzigen Vorgaben, die
taillierte Vorgaben geht. gemacht worden sind – es sind verbindliche Vorgaben
und keine Annahmen –, sind diejenigen, die ich der Kol-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: legin Behm eben in der Beantwortung der Frage 22 ge-
Herr Otto, mit Ihrem Einverständnis rufe ich dann nannt habe. Weder die Bundesregierung noch Sie noch
auch Frage 24 auf: die Gutachter können nämlich mit Sicherheit davon aus-
4540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto


(A) gehen, wie sich beispielsweise die wirtschaftliche Ent- 2020, 40 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 und 80 Prozent (C)
wicklung in Deutschland in den nächsten Jahren dar- CO2-Reduktion bis 2050. Nun spukt immer herum – –
stellen wird. Vorgegeben sind nur die Ziele. Die
Wissenschaftler der beauftragten Institute sind frei darin, Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
auf Grundlage der unterschiedlichen Annahmen, die sie desminister für Wirtschaft und Technologie:
selbst für realistisch halten, Szenarien zu entwickeln. Es Nicht ganz, Frau Kollegin. Ich sage es noch einmal:
ist auch durchaus nachvollziehbar und plausibel, dass Die erneuerbaren Energien sollen den Hauptanteil an der
man Wissenschaftlern, wenn man schon welche beauf- Energieversorgung übernehmen. Dabei sollen in einem
tragt, eine möglichst große wissenschaftliche Freiheit dynamischen Energiemix und unter Berücksichtigung
gibt, die Szenarien durchzurechnen. Je mehr Vorgaben von Energieeffizienzsteigerungen die konventionellen
wir machen, desto mehr engen wir die Wissenschaftler Energieträger kontinuierlich durch alternative Energien
bei der Erstellung ihrer Gutachten ein. Wir haben da- ersetzt werden.
rüber diskutiert – das ist kein Geheimnis –, und es wurde
abgewogen, ob man präzisere, weitergehende Vorgaben Ich sage das noch einmal ausdrücklich, weil manche
macht. Wir haben schließlich bewusst – auch in Überein- der Vorgaben, nach denen Sie jetzt fragen, immerhin in
stimmung mit dem BMU, mit dem Bundesministerium einer Zielbeschreibung enthalten sind. Es ist also nicht
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – auf so, dass wir nur die reinen Zahlen – 30 Prozent, 40 Pro-
solche Vorgaben verzichtet. zent und 80 Prozent – vorgegeben haben, sondern wir
haben schon eine gewisse Richtung vorgezeichnet. Die
beauftragten Institute werden das bei der Errechnung der
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Szenarien sicherlich einbeziehen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin, darf ich jetzt zu meiner Frage kom-
Ja, ich habe noch eine kurze weitere Nachfrage, da men? Er hat mich einfach unterbrochen. Es war sehr
lieb, dass ich die Auskunft bekommen habe. Aber darf
Sie die Frage zur Fotovoltaik ja mitbeantwortet haben:
ich ihm auch noch eine Frage stellen?
Ist das Ziel, das Bundesminister Röttgen vorgegeben hat,
nämlich den Anteil der Fotovoltaik bis 2020 auf 5 Pro-
zent zu steigern, in den Energieszenarien berücksichtigt Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
worden? Wenn Sie es kurz machen.

(B) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D)
desminister für Wirtschaft und Technologie: Das mache ich doch.
Herr Kollege Ostendorff, ich wiederhole mich. Es
sind den Gutachtern jedenfalls keine weitergehenden
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Vorgaben gemacht worden als diejenigen, die ich Ihnen
eben mitgeteilt habe. Den Gutachtern ist es natürlich un- Auf Kosten der anderen gestatte ich es.
benommen, bei der Erstellung der Szenarien zu berück-
sichtigen, welche Zielvorstellungen die Bundesregie- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
rung hat. Sie können sie berücksichtigen. Sie können Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Auskunft. Ich
Alternativvorschläge machen. Aber wir haben bewusst habe dreimal eine Frage gestellt und nie eine Auskunft
darauf verzichtet, innerhalb des bewusst sehr knapp ge- bekommen. Es ist schon mal ein erster Schritt, dass Sie
haltenen Rahmenwerks noch weitere Vorgaben zu ma- wenigstens Kleinigkeiten sagen.
chen.
Nun geistert ja immer herum, dass diese Bundesregie-
Mir ist bewusst, Herr Kollege Ostendorff, dass Sie rung Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke will.
eher dazu tendiert hätten und es eher befürwortet hätten, Haben Sie bei den Energieszenarien, die Sie in Auftrag
solche weiteren Vorgaben zu machen; das kommt durch gegeben haben, keinerlei Vorgaben über Laufzeitverlän-
die Vielzahl Ihrer Fragen zum Ausdruck. Ich möchte Ih- gerungen für Atomkraftwerke gemacht?
nen jedoch entgegenhalten, dass wir uns nach reiflicher
Überlegung, auch in Abstimmung mit den anderen betei-
ligten Ressorts, insbesondere mit dem BMU, dazu ent- Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
schlossen haben, den Gutachtern die Freiheit zu lassen desminister für Wirtschaft und Technologie:
und ihnen bis auf den wirklichen Kernrahmen keine wei- Ich kann diese Frage mit einem klaren Nein beant-
teren Vorgaben zu machen. worten.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:


Frau Kollegin Höhn, bitte. Sehen Sie, es geht doch flott.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein guter Staatssekretär!)
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, die alleini-
gen Vorgaben seien gewesen: 30 Prozent Erneuerbare bis Die nächste Frage stellt die Frau Steiner.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4541

(A) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sprachen eben von einem Hauptanteil erneuerba- (C)
Herr Staatssekretär, ich komme auf die Offenheit der rer Energien. Was habe ich mir unter einem „Hauptanteil
Vorgaben zurück. Das hört sich ja fast so an wie: Wir ha- erneuerbarer Energien“ im Strom- bzw. Wärmebereich
ben ganz lose, weiträumig formulierte Ziele, und jetzt vorzustellen? Um welche Spannbreite von Prozenten
entwickeln Sie mal ein, zwei, drei bzw. viele Energiesze- geht es? Was habe ich mir darunter vorzustellen? Ist ein
narien; mal gucken, was rauskommt. – Ich kann mir Anteil von über 50 Prozent ein Hauptanteil? Ich möchte
nicht vorstellen, dass Sie das so gemacht haben; denn ein Gefühl für diesen Begriff bekommen. Insofern
daraus kann überhaupt kein solides und gutes Konzept würde mich eine Erläuterung Ihrerseits interessieren,
entwickelt werden. was Sie mit einer solchen Vokabel meinen.
Kann es denn sein, dass Sie den Gutachtern nicht in
irgendeiner Weise vorgegeben haben, die Verringerung Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
des Energie- bzw. des Stromverbrauchs mit einem nen- desminister für Wirtschaft und Technologie:
nenswerten Anteil zu berücksichtigen? Wenn das Gut- Herr Kollege Krischer, zunächst einmal heißt „Haupt-
achten dies nicht beinhalten würde, wäre es nur halb so anteil“ von der Logik her und in Bezug auf das, was Ih-
viel wert. Haben Sie dazu Vorgaben gemacht? Oder ha- nen jeder sagen wird, dass der Anteil der erneuerbaren
ben Sie nicht einmal das hineingeschrieben? Energien größer als jeder Anteil anderer Energieträger
bzw. Energieträgerstoffe sein muss. Der Anteil muss
nicht unbedingt über 50 Prozent sein, aber er muss grö-
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
ßer sein als jeder andere Anteil von Energieträgern, die
desminister für Wirtschaft und Technologie:
an der Endenergieerzeugung beteiligt sind.
Frau Kollegin, ich hatte Ihnen die kompletten Vorga-
ben mitgeteilt. Daraus ergibt sich, dass es weitere Vorga- Wenn Sie behaupten, dass das völlig ungewöhnlich
ben nicht gibt. Ich kann Ihnen aber verraten, dass die Er- ist, muss ich Ihnen sagen: Wir haben ein sehr ambitio-
stellung der Szenarien in den Gutachten im Rahmen niertes Vorhaben in Auftrag gegeben. Sicherlich muss
eines kontinuierlichen Kommunikationsprozesses statt- man manchmal auch Neuland betreten. Es geht hier
findet. Es ist völlig klar, dass die Gutachter – auch wenn nicht um eine Detailfrage, wie sie manchmal in Gutach-
wir keine verbindlichen Vorgaben gemacht haben – mut- ten mit sehr engen Vorgaben zu berücksichtigen ist.
maßlich auch die politische Landschaft berücksichtigen.
Ich nehme zur Kenntnis, dass offensichtlich jedenfalls
Sie haben nach Energieeffizienzen gefragt. Die sind die Kolleginnen und Kollegen, die diese Fragen gestellt
ausdrücklich angesprochen worden, aber nicht im Sinne haben, befürwortet hätten, nähere Vorgaben zu machen.
einer verbindlichen Vorgabe, sondern einer Zielbeschrei- Das nehme ich zur Kenntnis. Ich möchte Sie darum bit-
(B) bung. Deswegen dürfen Sie – ohne dass ich dem Ergeb- ten, die wenigen Wochen – es ist ja nicht mehr lange hin (D)
nis vorgreife – davon ausgehen, dass das endgültige Gut- bis zum Juli – abzuwarten, bis die Ergebnisse vorliegen.
achten, das im Juli vorgelegt und dann selbstverständlich Sie sind dann immer noch in der Lage, Herr Kollege
auch mit Ihnen diskutiert wird, verschiedene Alterna- Krischer, zu sagen: Das ist alles Mist, was da gemacht
tivszenarien enthält, die nicht wirklichkeitsfremd sind. worden ist. Oder Sie sagen: Es war doch ein angemesse-
Das heißt, die Gutachter, die in einem sorgfältigen Ver- ner Weg. – Der Kritik, wie diese Gutachten, die errech-
gabeverfahren ausgesucht worden sind, werden die poli- neten Szenarien letztendlich zu bewerten sind, haben wir
tischen Realitäten, die Sie eben zum Teil beschrieben ha- uns ohnehin zu stellen.
ben, mit einbeziehen. Wir haben nur darauf verzichtet,
sie als verbindliche Vorgaben für das Gutachten zu for- Ich gestehe Ihnen zu, dass man das auch hätte anders
mulieren. Trotzdem befinden sich die Institute nicht in machen können. Sicherlich wären auch präzise Vorgaben
einem politikfreien Raum. Die Gutachter werden selbst- möglich gewesen. Aber der Weg, den wir gewählt haben,
verständlich die Diskussionen und Überlegungen sowie lässt immerhin – das mögen Sie doch bitte anerkennen –
auch viele der Vorgaben, die Sie in Ihren Fragen formu- den Instituten einen gewissen Spielraum. Die Politik hat
liert haben, mit berücksichtigen. bewusst darauf verzichtet, den beauftragten Instituten zu
enge Grenzen zu setzen. Ich glaube, dass wir alle davon
profitieren, nicht zuletzt die Fraktion von Bündnis 90/
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Grünen, die sich besonders gerne um umweltpoliti-
Herr Kollege Krischer, bitte. sche Ziele kümmert.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
gibt das zumindest vor!)
Herr Staatssekretär, ich bin einigermaßen überrascht.
Ein solches Verfahren zur Erstellung von Energieszena- Das lässt uns später einen größeren Spielraum, die Dinge
rien – in dem man Dinge, die politischen Entschei- zu bewerten.
dungen unterliegen, der Wissenschaft nach dem Motto
Sie stehen dieser Regierung ja ohnehin kritisch ge-
überlässt: Die sollen sich mal was überlegen – dürfte si-
genüber. Wenn wir zu viele Vorgaben gemacht hätten,
cherlich sehr ungewöhnlich sein.
hätten Sie, Frau Kollegin Höhn, wahrscheinlich gesagt,
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Da diese Vorgaben seien Ihnen nicht ambitioniert genug, sie
haben Sie recht! Bei Ihnen gibt es immer nur reichten Ihnen nicht. Wir haben das offengelassen. Wir
feste Vorgaben! Das habe ich in Niedersachsen haben das vorgegeben, was wir im Koalitionsvertrag
erlebt! Das habe ich bei Herrn Trittin erlebt!) vereinbart haben, woran wir uns messen lassen müssen
4542 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto


(A) und wozu wir uns zum Teil auch auf europäischer Ebene unser Energiesystem 2050 diese und jene Anforderun- (C)
verpflichtet haben. Ob die von Ihnen genannten Vorga- gen erfüllen soll, dann könnten Sie den Wissenschaftlern
ben in den Teilbereichen realistisch sind oder ob sie viel- sagen: Packen Sie das in Ihre Computermodelle und sa-
leicht nicht ambitioniert genug sind, wird später mögli- gen Sie uns, wie wir das erreichen können! – Das ist Ihre
cherweise auch anhand des Gutachtens zu beurteilen Aufgabe. Die Aufgabe ist nicht, der Wissenschaft die
sein. Frage zu stellen, wie ein Energiesystem im Jahr 2050
aussehen könnte. Vielmehr ist Ihre Aufgabe, bei aller
Wenn ich Oppositionsabgeordneter wäre, hielte ich es Unsicherheit festzulegen, wie dieses Energiesystem aus-
für eine zu akzeptierende Maßnahme, dass die Bundes- sehen soll, und dann die Wissenschaftler zu fragen, wie
regierung darauf verzichtet hat, den Gutachtern einen das erreicht werden kann.
allzu engen Rahmen vorzugeben. Wir haben die wissen-
schaftliche Freiheit, die Freiheit der Institute höher ein- Sie haben ja anscheinend einige Vorgaben gemacht,
geschätzt als politische Vorgaben. Wenn wir zu viele zumindest was die Laufzeiten der Atomkraftwerke be-
politische Vorgaben gemacht hätten, hätten Sie das trifft. Deshalb empfinde ich das, was Sie hier sagen, als
wahrscheinlich kritisiert und gesagt: Ihr müsst die mal Nebelkerzenwerferei.
rechnen lassen. – Jetzt machen wir das so, Herr Krischer,
und wir werden am Ende sehen, ob die Ergebnisse aus-
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
sagefähig sind, ob wir auf der Basis weiterkommen.
desminister für Wirtschaft und Technologie:
Wenn die Ergebnisse nicht tragfähig sind, wird entspre-
chende Kritik von Ihnen kommen, und die müssen wir Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben mir Filibusterei
dann aushalten. vorgeworfen und mich gebeten, präzise zu antworten.
Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Ich kann Ihre Frage
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht erkennen. Ich weise auch den Vorwurf der Filibus-
NEN]: Wir glauben das nicht, dass Sie das so terei zurück. Ich habe Ihnen genau gesagt, was ist. Es
machen!) mag Ihnen nicht gefallen. Ich habe Ihnen die Vorgaben
vorgelesen und habe Ihnen klar gesagt, dass es darüber
– Das mag sein, dass Sie das nicht glauben.
hinaus keine weiteren Vorgaben gibt. Präziser kann ich
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Da nicht sein, und präziser waren Sie, mit Verlaub, auch
spricht sie aus Erfahrung!) nicht.
Aber wir sind hier nicht in der Kirche. Wir haben nach (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
sorgfältiger Prüfung entschieden, wie wir vorgehen. Ich Setzen! Fünf!)
habe Ihnen auch die Hintergründe erläutert. Nach der
(B) (D)
Veröffentlichung, die ja schon in relativ kurzer Zeit an- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
steht, werden wir uns in diesem Hohen Hause sicherlich
darüber unterhalten, ob die Grundlage für die Vergabe Frau Paus, bitte.
der Gutachten und die Errechnung der Szenarien sinn-
voll war. Ich ahne, dass Sie damit nicht zufrieden sein Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
werden. Aber dann werden wir darüber diskutieren. Je- Herr Staatssekretär, Sie haben noch einmal deutlich
denfalls: Sie mögen so viel fragen, wie Sie wollen, wir gemacht, wie Sie dieses Gutachten vergeben haben. Sie
werden den Weg nicht mehr ändern können. Die Gutach- sind der Vertreter des Wirtschaftsministeriums und ha-
ter sind an der Arbeit. Lassen Sie uns die Ergebnisse ab- ben in dieser Funktion dargestellt, dass das, was Sie in
warten! Ich freue mich auf die weitere Diskussion mit Auftrag gegeben haben, eigentlich eine technische
Ihnen spätestens ab Juli. Machbarkeitsstudie mit nur sehr wenigen Vorgaben ist.
Darüber haben wir schon intensiv gesprochen. Sie haben
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: bewusst auf wirtschaftspolitische, auf makroökonomi-
Nächster Fragesteller ist der Kollege Dr. Ott. sche Annahmen verzichtet.
Meine Frage ist: Warum hat das Wirtschaftsministe-
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rium die Federführung bei diesem Gutachten, das offen-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, das ist bar eine reine Machbarkeitsstudie ist und damit in die
offensichtlich Filibustern, was Sie hier machen. Ich bitte Zuständigkeit des Umweltministeriums fallen würde?
Sie, meine nächste Frage kurz zu beantworten, damit Worin liegt der Beitrag des Wirtschaftsministeriums zu
noch mehr Fragen gestellt werden können. diesem Gutachten?
Ihre Reaktion provoziert folgende Nachfrage: Das,
was Sie unter Freiheit der Wissenschaft verstehen, ist Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
doch nicht der Kern der Sache; vielmehr geht es darum, desminister für Wirtschaft und Technologie:
dass die Politik den Wissenschaftlern Vorgaben für die Frau Kollegin, ich darf Sie darauf hinweisen, dass das
Berechnung der Szenarien machen muss. Es geht nicht Bundeswirtschaftsministerium federführend bei Ener-
darum, die Wissenschaft zu beschneiden, sondern es giefragen ist. Dass wir uns in dieser Frage mit dem Um-
geht darum, zu sagen: Wo geht es hin? Das ist der Man- weltministerium abstimmen, ist völlig klar. Die Zusam-
gel Ihrer Regierung, dass Sie keinen Plan haben, wo Sie menarbeit klappt besser, als es manchmal in der
hinwollen. Wenn Sie zum Beispiel den Plan hätten, dass Öffentlichkeit dargestellt wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4543
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(A) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
NEN]: Klar! Das Umweltministerium macht desminister für Wirtschaft und Technologie:
das, was Sie sagen!) Liebe Frau Kollegin Herlitzius, ich werde Sie jetzt
Aber da seit Jahrzehnten das BMWi das Energieministe- nicht überraschen können, wenn ich Ihnen mitteile, dass
rium ist, ist es nahe liegend, dass das Energieministe- die Gutachter keine explizite Vorgabe zur Verdoppelung
rium die Federführung in dieser Angelegenheit hat. des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahre
2020 auf 25 Prozent haben. Ich füge aber hinzu, dass den
Gutachtern durchaus bewusst ist – so weit kann ich mich
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
schon jetzt äußern –, dass der Anteil der Kraft-Wärme-
Die nächste Frage stellt die Frau Kollegin Wagner. Kopplung ein Bestandteil des Integrierten Energie- und
Klimaprogramms der Bundesregierung ist, das nach wie
Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vor gilt. Gehen Sie also davon aus, dass den Gutachtern
Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, dass solche und den Instituten die Vorgaben des IEKP bestens be-
Szenarien nicht ganz fern von Politik entworfen würden. kannt sind.
Deswegen lautet meine Frage: Wird die von der Bundes-
regierung nunmehr geplante Brennelementesteuer in die
Berechnungen von EWI/Prognos zur Wirtschaftlichkeit Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
der Atomkraft einbezogen? Ihre Nachfrage, bitte.

Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
desminister für Wirtschaft und Technologie: Haben Sie bei Ihrem Gutachten berücksichtigt, dass
Frau Kollegin Wagner, nicht im Sinne von Vorgaben. gerade in den letzten Jahren die Fotovoltaik ganz beson-
Aber dass die Institute zur Kenntnis nehmen, dass es am ders stark ausgebaut worden ist, woraus sich natürlich
vergangenen Wochenende Überlegungen in Richtung ei- Auswirkungen auf ein Energieszenarium ergeben?
ner Brennelementesteuer gegeben hat, ist doch klar.
Diese Steuer haben wir aber noch längst nicht. Es wur- Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
den noch keine Details geklärt. desminister für Wirtschaft und Technologie:
Wenn die Institute gut arbeiten, dann werden sie die Der Bundesregierung ist nicht zuletzt durch die Dis-
politische und gesellschaftliche Realität im Auge behal- kussionen, die wir ganz aktuell über die Senkung der
ten. Ob die Brennelementesteuer überhaupt zu einer Ver- EEG-Abgabe führen, bestens bekannt, dass die Nutzung
änderung der Annahmen, die den Szenarienberechnun- der Fotovoltaik in den letzten Jahren sehr viel stärker als
gen zugrunde liegen, führt und in welchem Umfang sich erwartet gestiegen ist. Das hat aber nicht nur die Bundes-
(B) (D)
diese ergeben, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich regierung zu berücksichtigen. Sie können mit Sicherheit
gehe davon aus, dass die Institute nicht in einem abge- davon ausgehen, dass das natürlich auch die Institute, die
schlossenen Raum arbeiten, sondern dass sie die Be- das Gutachten erstellen, zur Kenntnis nehmen. Wir er-
schlüsse, die in der Klausurtagung der Bundesregierung stellen ja nicht das Gutachten, sondern wir haben die In-
am vergangenen Wochenende getroffen wurden, zur stitute mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt. Es
Kenntnis genommen haben und dass sie sich überlegen, wäre sicherlich kein mangelfreies Gutachten, wenn die
inwieweit diese Beschlüsse bei den Berechnungen ein- Entwicklung, die Sie eben zu Recht beschrieben haben,
zubeziehen sind. in dem Gutachten nicht berücksichtigt würde.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:


Die Fragen 25 und 26 der Kollegin Ingrid Nestle wer- Ihre zweite Nachfrage.
den schriftlich beantwortet.
Es liegt zu demselben Sachverhalt noch eine Reihe Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
von Fragen vor. Da der Herr Staatssekretär schon viele Danke schön. – Haben Sie überhaupt eine Vorgabe
Fragen beantwortet hat, frage ich Sie, ob Sie noch Wert bezüglich der Kraft-Wärme-Kopplung gemacht?
auf die Beantwortung dieser Fragen legen.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Er
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hat doch alles vorgelesen! Sie sind Schnarch-
Doch, das wäre schon schön! Wir können dann nasen!)
noch Nachfragen stellen! Wir haben ja noch
welche!) Dasselbe gilt natürlich für die Fotovoltaik.
– Sie legen also Wert auf eine Beantwortung.
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Ich rufe somit die Frage 27 der Kollegin Herlitzius desminister für Wirtschaft und Technologie:
auf: Sie mögen mich noch ein paar Mal fragen, und ich
Hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo- werde das, was ich am Anfang gesagt habe, immer wie-
gie den Gutachtern, die die Energieszenarien der Bundesre-
gierung erstellen, die Erreichung des Ziels der Bundesregie-
der sagen. Das ist die komplette verbindliche Vorgabe.
rung, den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung bis 2020 auf Frau Kollegin Herlitzius, das bedeutet nicht, dass die
25 Prozent zu verdoppeln, zur Vorgabe gemacht?
Gutachter bzw. die Institute im luftleeren Raum arbeiten.
Bitte schön, Herr Staatssekretär. Ihnen sind erstens die wirtschaftlichen Gegebenheiten,
4544 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto


(A) zum Beispiel die Entwicklung im Bereich der Fotovol- Drittens möchte ich Ihnen sagen: Nicht nur als Mit- (C)
taik, und zweitens das Integrierte Energie- und Klima- glied dieser Bundesregierung, sondern auch stellvertre-
programm der Bundesregierung und einige andere Dinge tend für die beteiligten Institute würde ich es weit von
bekannt. Wir haben nur darauf verzichtet – um das noch mir weisen, wenn Sie den Eindruck zu erwecken ver-
einmal zu präzisieren –, dies zur zwingenden Vorgabe suchten, dass die Gespräche zwischen dem Auftraggeber
für das Gutachten zu machen. Aber dass das Tatsachen und dem Beauftragten, die völlig üblich sind, nur dazu
sind – wir Juristen sprechen von Rechtstatsachen –, die dienten, ein von der Bundesregierung sozusagen erwar-
die Gutachter tunlichst berücksichtigen sollten, ist völlig tetes, erkauftes oder abhängiges Ergebnis herbeizufüh-
klar. ren. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben den Instituten
mehr Freiheit gelassen, als das den Grünen recht ist.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir werden hier
Frau Kollegin Höhn, bitte. noch stundenlang diskutieren können. Selbst wenn Sie
mich überzeugt hätten – das haben Sie nicht –, könnte
ich den Prozess nicht mehr ändern und keine Vorgaben
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mehr machen. Warten Sie doch ab, bis das Ergebnis im
Herr Staatssekretär, ich war lange an der Universität. Juli vorliegt. Dann werden wir in den Ausschüssen dezi-
diert über die Szenarien und die politischen Schlussfol-
(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin gerungen diskutieren, die daraus zu ziehen sind.
[FDP])
Ihre Kaskade von Fragen könnte ich besser verstehen,
wenn wir noch sechs oder acht Monate Zeit hätten, bis
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- das Gutachten erstellt ist. Da wir aber kurz vor der Ab-
desminister für Wirtschaft und Technologie: lieferung des Gutachtens im Juli sind,
Schön.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Die Frage haben wir doch schon vor drei Mo-
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): naten gestellt! Sie beantworten sie ja nicht!)
Deshalb kenne ich mich relativ gut darin aus, wie
Gutachten erstellt werden. Ich selber habe auch eine bin ich doch überrascht, mit welcher Hartnäckigkeit Sie
Menge Gutachten in Auftrag gegeben. Das heißt, zum hier fragen, zumal Sie, liebe Frau Kollegin Höhn, wissen
einen war ich auf der Seite derjenigen, die sich mit Gut- – ich will Ihre wissenschaftliche Erfahrung ausdrücklich
achten beschäftigen mussten, und zum anderen war ich anerkennen –, dass man mitten im Strom nicht mehr die
(B)
auf der Seite derjenigen, die Vorgaben gemacht haben. Pferde wechseln kann. Es wäre auf keinen Fall möglich, (D)
Normalerweise macht man Vorgaben und legt Rahmen- jetzt noch irgendwelche verbindlichen Vorgaben zu ma-
bedingungen fest, und dann wird ein Endergebnis er- chen. Die Fragekaskade mag berechtigt sein; aber sie ist
rechnet. Sie wählen jetzt ein ganz seltsames Verfahren. nicht sehr sinnvoll, weil sie nichts mehr am Ergebnis än-
Sie geben bestimmte Rahmenbedingungen vor. Die ha- dern kann.
ben Sie genannt; es sind sehr wenige. Jetzt verfahren Sie
so, dass Sie sich immer wieder mit den Gutachtern ab- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
sprechen, wie die Rahmenbedingungen und die Vorga- Herr Kollege Krischer.
ben noch geändert werden sollen. Dadurch wird doch of-
fenkundig, dass Sie das Ergebnis des Gutachtens
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
beeinflussen. Wie wollen Sie dem Eindruck entgegentre-
ten, dass Sie mit diesem ungewöhnlichen Verfahren in Herr Staatssekretär, Sie werfen uns jetzt vor, –
Bezug auf das Gutachten, das Sie in Auftrag gegeben ha-
ben, das Ergebnis dieses Gutachtens kontrollieren und Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
am Ende ein bestimmtes Ergebnis herbeiführen? desminister für Wirtschaft und Technologie:
Ich werfe Ihnen gar nichts vor.
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie: Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Liebe Frau Kollegin Höhn, erstens möchte ich Ihnen – dass hier kurz vor Ende der Erstellung des Gutach-
mitteilen, dass auch ich einige Jahre an der Universität tens Fragen gestellt werden. Ich darf Sie fragen: Haben
gearbeitet und Gutachten erstellt habe. Auch mir liegt Sie zur Kenntnis genommen, dass wir diese Fragen über
das nicht fern. Monate hinweg gestellt haben und die Bundesregierung
sie über Monate hinweg nicht beantwortet hat? Sie kom-
Zweitens verstehe ich nicht, dass Sie der Bundesre- men erst heute in dieser Deutlichkeit mit diesen Informa-
gierung, der Sie als Opposition gegenüberstehen, vor- tionen. Deshalb die Frage: Warum haben Sie diese Infor-
werfen, dass sie den Instituten nicht präzisere Vorgaben mationen nicht früher dem Parlament zur Verfügung
macht. Es müsste doch ganz im Sinne der Opposition gestellt?
sein, dass die Regierung auf ihre politischen Möglich-
keiten verzichtet, den Gutachtern präzisere Vorgaben als (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
bisher zu machen. DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4545

(A) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
desminister für Wirtschaft und Technologie: desminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Kollege, erstens mache ich darauf aufmerksam, Nein, haben wir nicht.
dass ich überhaupt nichts vorgeworfen habe. Ich habe
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es völlig legitim Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ist, wenn Sie fragen. Eine andere Frage ist, ob das sinn- – und hoffen, dass es ein schönes Gutachten wird. Wir
voll ist. lassen uns von den Zahlen überraschen. Für die Zukunft
fordern wir mehr Transparenz; denn es ist die Aufgabe
Zweitens. Ihr Kollege hat mir vorhin Filibusterei vor-
der Regierung, uns, das Parlament, an der entsprechen-
geworfen. Sie sagen, ich sei der Erste, der präzise Ant-
den Stelle richtig zu informieren. Das Gutachten ist nicht
worten gebe. Vielleicht stimmen Sie sich einmal in Ihrer billig – auch das haben wir heute schon gehört –, also
Fraktion ab. muss es auch von Qualität sein.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Drittens. Es hilft nichts: Die Verantwortung liegt bei
Sie haben also keine Nachfrage?
der Bundesregierung. Wir werden uns den kritischen
Fragen von Ihnen, Ihrer Fraktion und den anderen Frak-
tionen stellen, wenn das Gutachten vorliegt. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein.
Mir ist bekannt, dass Sie seit Monaten danach fragen.
Mir ist übrigens nicht bekannt, dass Ihnen das, was ich
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
jetzt gesagt habe, nicht schon längst bekannt ist.
desminister für Wirtschaft und Technologie:
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Kollegin Herlitzius, ich nehme den Wunsch
Eben nicht!) nach erhöhter Transparenz zur Kenntnis, ohne das zu
kommentieren. Ich lasse aber Ihre Bemerkung, wir hät-
– Dann bin ich glücklich, dass ich nun eine präzise Ant- ten keine Vorgaben gemacht, nicht stehen. Ich habe
wort filibustert habe. Ich habe Ihnen ganz präzise gesagt, Ihnen die Vorgaben vorgelesen. Diese Vorgaben sind
worum es geht. präzise und entsprechen der Zielsetzung der Bundesre-
Noch einmal: Da wir uns in einer fortgeschrittenen gierung. Ich möchte nicht im Raum stehen lassen, dass
das Gutachten völlig frei vergeben worden sei. Wir ha-
Phase des Verfahrens befinden – das räumen Sie selbst
ben uns mit den Vorgaben viel Mühe gemacht. Sie sind
ein –, kann ich Ihnen heute die klare Antwort geben,
so formuliert, wie ich es Ihnen vorgelesen habe. Ich
(B) welche Vorgaben gemacht worden sind und welche möchte Sie bitten, dass Sie zukünftig, wenn Sie Vor- (D)
nicht. Wir alle hoffen, dass wir noch im Monat Juli die würfe erheben, meine Ausführungen korrekt wiederge-
endgültigen Berechnungen erhalten. Angesichts der Zeit ben und nicht behaupten, das Gutachten sei völlig frei
und der Tatsache, dass hier noch andere Kollegen Fragen vergeben worden.
stellen wollen, schlage ich vor: Setzen wir die Diskus-
sion fort, sobald uns die Ergebnisse der Institute vorlie-
gen! Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin Höhn hat eine Nachfrage.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir sind immer noch beim Themenkomplex „Vorga-
Ich habe eine letzte Nachfrage. Können Sie, nachdem
ben für die Gutachter“. Dazu rufe ich nun die Frage 28
Sie jetzt alles so präzise beantwortet haben, auch präzise
der Kollegin Herlitzius auf: sagen: Bis wann muss dieses Gutachten abgegeben wer-
Welche Vorgaben zu den spezifischen CO2-Vermeidungs- den? Wann ist der Abgabetermin? Wann können wir da-
kosten verschiedener Technologien – Windkraft, CCS, Atom- mit rechnen? Bisher haben Sie von Juli gesprochen; das
kraft etc. – hat es bisher seitens des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie an die Gutachter gegeben? ist sehr vage.

Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie: desminister für Wirtschaft und Technologie:
Mit den Instituten ist der Abgabetermin für Mitte bis
Frau Herlitzius, komplette Überraschung: Die Gut-
Ende Juli vereinbart. Ein genaues Datum, zum Beispiel
achter haben keine Vorgaben zu den spezifischen CO2-
31. Juli, wurde nicht vereinbart.
Vermeidungskosten verschiedener Technologien erhal-
ten. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nehmen Sie den 25. Juli! Da habe ich
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Geburtstag!)
Frau Kollegin, haben Sie dazu eine Nachfrage? Die bisherigen Absprachen mit den Instituten laufen da-
rauf hinaus, dass das Gutachten noch im Juli vorgelegt
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wird.
Nein, ich denke, das ist umfassend beantwortet. Das (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
heißt, Sie haben das Gutachten frei vergeben – NEN]: 2010?)
4546 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto


(A) – Ja, 2010. Ich bin präzise. wir in der vergangenen Legislaturperiode unter Feder- (C)
führung von Peer Steinbrück die Schuldenbremse im
(Zuruf von der CDU/CSU: Es wird immer Grundgesetz verankert. Das war richtig. Nun stellt sich
lächerlicher!) die Frage: Wie schließt man die Lücke?

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ja!)


Damit haben wir den zeitlichen Rahmen der Frage- Ich glaube, dass man sich vor allem die Frage stellen
stunde ausgeschöpft. Herr Staatssekretär, ich bedanke muss: Wer hat eigentlich dafür gesorgt, dass wir ein so
mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen. hohes Defizit haben, und wer trägt das Risiko dafür?
Die Fragen 40 bis 46 wurden zurückgezogen. Die auf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
grund des Zeitablaufs der Fragestunde nicht beantworte- der LINKEN)
ten Fragen werden, wie in unserer Geschäftsordnung
vorgesehen, schriftlich beantwortet. Wenn ich diese Frage mit der Antwort, die Sie vorlegen,
vergleiche, dann kann ich nur sagen: Es waren nicht die
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf: Arbeitslosen, die spekuliert haben. Es waren nicht die
Aktuelle Stunde jungen Eltern, die weiterhin Elterngeld bekommen soll-
auf Verlangen der Fraktionen SPD und ten, die dafür gesorgt haben, dass wir eine Wirtschafts-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Finanzkrise haben. Im Gegenteil: Es waren die Spe-
kulanten. Sie geben keine Antwort darauf, wie diejeni-
Abbau der Neuverschuldung durch sozial ge- gen, die viel Geld haben, die Reichen und Wohlhaben-
rechte Belastung auch der starken Schultern den in unserem Lande, zu diesem Paket beitragen
statt massiver Kürzungen bei Arbeitslosen können.
und jungen Eltern
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
ner das Wort dem Kollegen Carsten Schneider für die GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]:
SPD-Fraktion. Das ist unter Ihrem Niveau! Das ist Volksver-
dummung!)
(Beifall bei der SPD)
Man muss immer überlegen, ob es ökonomisch sinn-
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): voll ist, in der jetzigen Situation zu sparen; das ist die
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kernfrage. Ich glaube: ja. Es wurden 2 Prozent Wachs-
(B) Mit großen Worten haben die Bundeskanzlerin und der tum prognostiziert; es ist also der richtige Zeitpunkt. (D)
Bundesaußenminister am Montag ein angeblich histori- Aber die Frage ist: Darf man nur die Ausgabenseite he-
sches Sparpaket vorgelegt. Als geneigter Beobachter ranziehen? Das betrifft natürlich immer den Sozialhaus-
fragt man sich: Warum erst jetzt? Sind die Defizite der halt, weil 50 Prozent der Staatsausgaben Sozialausgaben
öffentlichen Haushalte erst seit dem vergangenen Wo- sind. Genau das tun Sie aber. Im Sozialbereich verwen-
chenende bekannt? Ich frage Sie das so offen. Oder ha- den Sie keine Nagelschere, wie Herr Westerwelle es
ben Sie die Finanzplanung des Bundesfinanzministeri- genannt hat, sondern veranstalten fast ein Kettensägen-
ums bzw. des Kabinetts nicht gelesen, bevor Sie den massaker.
Koalitionsvertrag geschlossen haben, der noch von Steu- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der
ersenkungsutopien ausgegangen ist? Ich muss sagen: FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das
Entweder Sie wollten die Realität nicht akzeptieren, oder kommt noch! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
Sie haben bewusst gewartet, bis die Wahl in Nordrhein- DIE GRÜNEN]: Der Kollege hat gesagt, das
Westfalen vorbei ist, um erst danach die Karten offen auf komme noch, das Massaker! Das ist interes-
den Tisch zu legen. sant!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Kürzungen betreffen fast nur den Sozialbereich: Ar-
der LINKEN) beitslose, zukünftige Rentner, junge Familien. Sie zeigen
Das ist Wahlbetrug und Volksverdummung, zumindest jetzt Ihr wahres Gesicht.
der Versuch der Volksverdummung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
der LINKEN) Aber das ist okay; damit kann man umgehen.
Das Ergebnis in NRW hat gezeigt: So dumm ist das Volk Sie wollen zum Beispiel den Rentenanspruch, den
nicht. Langzeitarbeitslose erwerben und den Sie als Bund bis-
Man fragt sich: Ist das, was Sie mit diesen Entwürfen her zahlen, streichen. Was hat das für Auswirkungen? Es
vorgelegt haben – vieles ist noch unklar –, eine ange- sind drei.
messene Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise? Erstens. Sie plündern die Rentenkasse.
Man muss sich auch die Frage stellen: Ist das gerecht?
Wir als SPD sind der Auffassung: Wir müssen die Schul- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
den, das Defizit deutlich reduzieren. Deswegen haben der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Ach!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4547
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) – Natürlich. Der Rentenkasse werden etwa 2 Milliarden Zuchtmeister auftritt, kann sich vor Ort nicht wie eine (C)
Euro fehlen. Das ist Fakt. Schulklasse außer Rand und Band aufführen. Sie haben
sich diese Woche schon selbst richtig beschrieben: Wild-
Zweitens. Den Langzeitarbeitslosen, die bisher durch
säue treffen auf Gurkentruppe. Herzlichen Glückwunsch
die Rentenbeitragszahlungen des Bundes einen Renten-
für diese Koalition!
anspruch hatten
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
(Otto Fricke [FDP]: Wie viel?)
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
– er war nicht hoch, das ist keine Frage; aber sie hatten GRÜNEN)
wenigstens einen –, wird dieser Anspruch vollkommen
gestrichen. Er ist komplett weg. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Drittens. Was passiert denn dann mit diesen Men- Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle für
schen? Sie rutschen gnadenlos in die Grundsicherung. die CDU/CSU-Fraktion.
Das heißt, die Kommunen werden letztendlich dafür blu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ten, dass Sie sich als Bund sanieren und die Rentenkasse neten der FDP)
plündern. Das bewirkt, was Sie als Entwurf vorgelegt
haben.
Norbert Barthle (CDU/CSU):
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sachlich Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
falsch! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE Herren! Solide Staatsfinanzen, das ist und bleibt ein
LINKE]: Das ist eine Sauerei!) Markenzeichen der christlich-liberalen Koalition.
– Ja, Frau Enkelmann, das kann man schon als „Sauerei“ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
bezeichnen. der FDP – Lachen bei der SPD, der LINKEN
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jetzt nehmen Sie
schon die Stichworte der Roten auf!) Daran führt kein Weg vorbei. Deshalb unternehmen wir
alle Anstrengungen, um dies möglichst schnell wieder
Vor allen Dingen aber ist dieses Paket unausgewogen.
zu erreichen. Konsolidierte Staatshaushalte sind die
Sie belasten in keiner Art und Weise die Besserverdie-
Grundlage für eine Zukunft in unserem Lande, für er-
nenden. Die Bevölkerung ist durchaus bereit, zu sparen,
folgreiches Wirtschaften, für Sicherheit. Deshalb ist das
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sparpaket, das die Bundesregierung vorgelegt hat, eine
Zuruf von der FDP: Wo denn?) große, um nicht zu sagen: wirklich historische Leistung.
(B) (D)
aber es muss gerecht zugehen. Nirgendwo werde bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
spielsweise ich belastet oder werden wir alle belastet, die chen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
wir alle einigermaßen gut verdienen. Nichts, aber auch DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜND-
gar nichts! Keine Belastung! Keine höhere Steuer! Kein NIS 90/DIE GRÜNEN]: Historisch schlecht!)
Verzicht! Null! Das ist einfach nicht akzeptabel. Das ist
Das ist eine große Leistung, weil mit diesem Paket klipp
sozial ungerecht.
und klar zum Ausdruck kommt,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Das ist ja nicht einmal ein Päckchen!)
GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]:
Wir wollten eigentlich übers Sparen reden!) dass wir gewillt sind, mit einem ausgewogenen, fairen
Vorgehen
Hinzu kommt, dass in Ihrem Paket sehr viele Luft-
buchungen enthalten sind. Haushalterisch werden Sie (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Faires Vor-
dem Ganzen nicht gerecht. Das Haushaltsjahr 2011 gehen?)
schaffen Sie so gerade. Aber das, was Sie zu den Jahren
ernsthaft zu sparen, um diesen Staat wieder auf solide
2013 und 2014 vorgelegt haben, besteht zu 50 Prozent
Grundlagen zu stellen.
aus Luftbuchungen. Ich nenne hier nur als Stichworte
die Globale Minderausgabe von 5 Milliarden Euro und (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
die Finanztransaktionsteuer, die Sie angeblich gar nicht NEN]: Das müssen Sie aber am Sonntag
einführen wollten, nun aber doch einführen wollen, für beichten, was Sie hier erzählen!)
die Sie 6 Milliarden Euro eingerechnet haben. Das, was
Herr Kollege Schneider, nicht die Griechenland-Krise
Sie bisher im Regierungsentwurf vorgesehen haben, ist
oder die Euro-Krise sind die Ursachen. Ursache ist die
jedoch eine Abgabe, und diese Abgabe ist nicht für den
exorbitant hohe Staatsverschuldung.
Bundeshaushalt bestimmt. Die Streitkräftereform soll
4 Milliarden Euro einsparen; aber dieser Idee liegt kein (Zuruf von der SPD: Nur woher?)
Konzept zugrunde. – All diese Luftbuchungen summie-
Die exorbitant hohe Staatsverschuldung hat diese Koali-
ren sich auf etwa 40 Milliarden Euro.
tion von der Großen Koalition übernommen. Ihr Finanz-
Sie werden der Aufgabe, die Deutschland als Kern- minister Peer Steinbrück hätte die Möglichkeit gehabt,
land im Euro-Raum gerade im Bereich der Stabilisierung umzusetzen, was Sie vorschlagen. Hat er es denn ge-
zukommt, überhaupt nicht gerecht. Wer in Europa als macht? Ich jedenfalls habe nichts Derartiges gesehen.
4548 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Norbert Barthle
(A) Sie geißeln uns für etwas, was Sie versäumt haben. So Das ist auch das Entscheidende bei den Einsparungen im (C)
geht das nicht. Sozialbereich. Wir tun alles, damit diejenigen, die ar-
beitslos sind, wieder in Lohn und Brot kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Deshalb kürzen
Sie die Maßnahmen! Das passt ja super!)
Das ist Fundamentalopposition der billigsten Natur.
Schauen Sie sich die Maßnahmen genau an. Dann stellen
Setzen Sie sich mit dem Konzept ernsthaft auseinan- Sie das sehr schnell fest.
der. Dann werden Sie feststellen: Die Bundesregierung
gibt mit diesem Paket ein klares Bekenntnis zum Stabili- Ich will ein Beispiel herausgreifen, und zwar die
tätspakt, zu den Maastricht-Kriterien und zur Schulden- Streichung des Elterngeldes für ALG-II-Empfänger.
bremse ab. Man muss sich klar vor Augen führen, dass Leistungen
nach dem SGB II dazu dienen, das Existenzminimum
(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- abzusichern. Zusätzliche Einkünfte werden angerechnet.
NIS 90/DIE GRÜNEN]) In dieser Systematik ist das Elterngeld ein zusätzliches
Dieses Bekenntnis ist mehr als klar. Daran ändert auch Einkommen. Deshalb ist es absolut systemgerecht, die
Ihr Lachen nichts, Herr Trittin. Die Schuldenbremse Gewährung dieser Leistung wieder zurückzunehmen.
wird von dieser Bundesregierung sogar übererfüllt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Durch die Tatsache, dass man nicht vom Sollansatz, son- NEN]: Und jetzt mal zu den Hausfrauen! Die
dern vom Istansatz ausgegangen ist, übererfüllen wir die brauchen auch keine Ersatzleistungen!)
Anforderungen der Schuldenbremse. Das ist eine große
Leistung dieser Regierung. Dazu gehört viel Mut. Dieser Im Übrigen kommt ein Paar mit zwei Kindern, das
Leistung zolle ich hohen Respekt. ALG II bezieht, mit 300 Euro Elterngeld zusätzlich pro
Kind auf ein monatliches Haushaltseinkommen von sage
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und schreibe 1 885 Euro netto. Sagen Sie das einmal ei-
neten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: nem Handwerker, einem Arbeiter, der morgens aufsteht
Mut, bei den Schwächsten zu sparen!) und abends nach Hause kommt, der für sein Einkommen
arbeitet.
Jetzt kommen wir zum Vorwurf der sozialen Unaus-
gewogenheit. Das Paket – schauen Sie es sich genau an – (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ist in drei gleiche Teile aufgeteilt: Ein Drittel betrifft die NEN]: Alle anderen stehen auch morgens auf!
Unternehmen und die Subventionen, ein Drittel den so- Sie sind ein Demagoge! Die bleiben doch
zialen Bereich und ein Drittel uns selbst. nicht bis mittags im Bett liegen!)
(B) (D)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bei Ihnen Wir sorgen dafür, dass das Lohnabstandsgebot gewahrt
selbst? Was zahlen Sie denn? – Bettina bleibt, dass ein Anreiz besteht, Arbeit aufzunehmen, und
Hagedorn [SPD]: Alles Luftbuchungen! – dafür, dass diejenigen, die arbeiten, tatsächlich ein klei-
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nes bisschen mehr in der Tasche haben als diejenigen,
NEN]: 100 Prozent Luft!) die nicht arbeiten. Das ist für uns eine wichtige Devise.

Schauen Sie sich das an. Schon deshalb ist dieses Paket (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
ausgewogen. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warum sind Sie
dann gegen den Mindestlohn?)
Ich will noch etwas hervorheben – das ist etwas, das
bisher noch keine Regierung geleistet hat –: Wir sparen Lassen Sie mich abschließend ein zweites Beispiel
nicht bei den Investitionen. Ich nehme das Prestigepro- benennen, den Heizkostenzuschuss für Wohngeldbezie-
jekt „Berliner Schloss“ aus; ansonsten wird nicht bei den her. Was soll daran falsch sein, wenn man eine Unter-
Investitionen gespart, sondern einzig und allein im kon- stützungsleistung, die eingeführt wurde, als der Heizöl-
sumtiven Bereich. Das ist ein großartiger Schritt. Wir preis mehr als doppelt so hoch war wie heute, wieder
wissen doch alle, wohin sich dieser Sozialstaat ent- einsammelt, sobald die Berechtigungsgrundlage entfal-
wickelt hat. Noch vor zehn Jahren hatten die Sozialaus- len ist? Wohin führt es, wenn wir diesen Mut nicht auf-
gaben einen Anteil am Bundeshaushalt von etwa 35 Pro- bringen können? Hätten wir diesen Heizkostenzuschuss
zent. Die Investitionen lagen bei knapp 13 Prozent. für alle eingeführt, also auch für die Arbeitnehmerinnen
Heute haben wir gerade noch 8 Prozent Investitionen und Arbeitnehmer, die ihre Unterkunft selbst bezahlen
und einen Anteil der Sozialausgaben von rund 54 Pro- müssen, dann hätten wir ihn auch bei allen wieder ein-
zent. Wenn wir nicht den Mut haben, das in ein ausgegli- sammeln müssen. So sammeln wir ihn nur bei denen ein,
chenes Verhältnis zu bringen, dann fahren wir diesen denen wir den Zuschuss in einer besonderen Situation
Staat, um es mit den Worten von Kollege Westerwelle zu gewährt haben.
sagen, an die Wand. Das dürfen wir nicht zulassen; das (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie ein-
Gegenteil muss passieren. Wir handeln verantwortungs- mal etwas zu den Hotels!)
voll für die Menschen, die in Lohn und Brot sind, und
für diejenigen, die wir wieder in Lohn und Brot bringen Wenn die Situation nicht mehr so schlimm ist, muss man
wollen. das auch wieder beenden können. Nichts anderes ma-
chen wir.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus
Heil [Peine] [SPD]: Wie denn?) Danke.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4549
Norbert Barthle
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kommt völlig ungeschoren davon. Das Einzige, was Sie (C)
machen, ist, dass Sie sich mit präzisen Beiträgen an den-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: jenigen schadlos halten, die sich nicht wehren können,
Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die nämlich den sozial Schwächsten.
Grünen der Kollege Jürgen Trittin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): LINKEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Da werden 30 Milliarden Euro bei den sozial Schwächs-
Kollege Barthle, wenn Ihnen die Arbeitnehmer mit ge- ten gekürzt. Dies begleitet der Fünf-Prozent-Herr-
ringen Gehältern ein wirkliches Anliegen wären, dann Westerwelle mit der Ansage, alles andere wäre Freibier
müssten Sie hier eigentlich lautstark für einen Mindest- für alle. Nun will ich nicht bestreiten, dass Herr
lohn streiten und dürften nicht Arbeitslose gegen Arbei- Westerwelle sich mit Freibier auskennt. Allerdings gilt
tende ausspielen. das nicht für Freibier für alle. Er war es doch, der zu Be-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ginn dieses Jahres Freibier für die Mövenpicks dieser
bei der SPD und der LINKEN – Axel E. Republik durchgesetzt hat.
Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: So ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Blödsinn! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
habt nicht einen Mindestlohn eingeführt, als LINKEN)
ihr regiert habt! Das ist Realität!)
Jede seriöse Haushaltssanierung in diesem Lande be-
Meine Damen und Herren, Sie bezeichnen sich selber ginnt mit einem ganz einfachen Schritt: Beenden Sie die
als „bürgerliche Koalition“. Werfen wir doch einmal ei- Subvention bei der Mehrwertsteuer für die Mövenpicks!
nen Blick auf die bürgerlichen Umgangsformen dieser Das bringt 1 Milliarde Euro in den Haushalt zurück, und
Tage – Frau Präsidentin, ich entschuldige mich, weil ich das ist ein vernünftiger und seriöser Beitrag zu einer Sa-
das zitiere –: Da laufen „kleine Kinder“, von „Gurken- nierung der Haushalte.
truppen“ bedrängt, ein „Rumpelstilzchen“ springt her-
vor, und plötzlich droht ein Überfall von „Wildsäuen“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Es
Wie war das mit „Horst Lübke“?) ist nur eine halbe Milliarde! Wenn schon, dann
Das ist der Ton dieser angeblich bürgerlichen Koalition. nennen Sie die richtige Zahl!)
(B) Lieber Herr Schäuble, nach dieser Logik wären Sie der (D)
Sie sagen, dass Sie jetzt versuchen wollen, Mitnah-
Schatzmeister einer „Gurkentruppe“. Dagegen würde
meeffekte zu verhindern. Mitnahmeeffekte zu bekämp-
ich mich an Ihrer Stelle wehren. Das sollte Ihnen als se-
fen ist aber das alltägliche Geschäft jeder vernünftigen
riösem Politiker zu weit gehen.
Regierung. Das können Sie sich nicht als besondere
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Leistung anrechnen lassen.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg.
Beim Subventionsabbau aber kneifen Sie.
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])
(Ulrike Flach [FDP]: Das stimmt doch gar
Der bürgerliche Diskurs ist bei Schwarz-Gelb schlicht
nicht!)
und ergreifend zum Türsteherjargon verkommen. Sie be-
nehmen sich wie eine Koalition der Kesselflicker. Eine Das Umweltbundesamt hat die Summe der ökologisch
Koalition der Kesselflicker ist aber nicht in der Lage, die kontraproduktiven Subventionen auf 48 Milliarden Euro
öffentlichen Haushalte zu sanieren. taxiert. Durch die Abschaffung der Ausnahmen bei der
Ökosteuer könnten Sie relativ schnell 5 bis 7 Milliarden
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Euro einsparen. Das wäre ein Signal für eine Beteiligung
Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sagen Sie
der Wirtschaft und für den Willen gewesen, diese Gesell-
doch einmal etwas zur Sache!)
schaft auf einen ökologischen Modernisierungskurs zu
– Das ist genau zur Sache. – Eine Koalition, die sich so bringen.
aufführt, wird niemanden in diesem Lande davon über-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zeugen können, dass es seriöser Anstrengungen bedarf,
sowie bei Abgeordneten der SPD)
um die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen.
Wer selber nicht seriös ist, kann keine seriöse Haushalts- Schließlich tischen Sie uns ein Linsengericht auf und
politik machen. wollen sich für die Laufzeitverlängerung der störanfäl-
ligsten Pannen- und Altreaktoren dieser Republik bezah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
len lassen.
und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Dagmar
Enkelmann [DIE LINKE] – Hartwig Fischer (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ablasshandel!)
[Göttingen] [CDU/CSU]: Dann dürften Sie da
Sie müssen sich einmal die Dimensionen vor Augen hal-
gar nicht stehen!)
ten: Die Landesbank Baden-Württemberg, nicht die Grü-
Wie unseriös Sie sind, das können Sie in Ihrem eige- nen, hat ausgerechnet, dass eine Laufzeitverlängerung
nen Katalog nachlesen. Ihre gesamte eigene Klientel um 25 Jahre bis zu 230 Milliarden Euro zusätzliche Pro-
4550 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Jürgen Trittin
(A) fite in die Kassen der Energiekonzerne bringt. Das be- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): (C)
haupten nicht die Grünen, sondern das behauptet die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Landesbank Ihres Heimatlandes, Herr Barthle. Lieber Kollege Trittin, Sie haben Ihre Rede mit Zitaten
begonnen, die auch ich nicht so witzig finde. Darüber
Sie kommen uns jetzt mit 2,3 Milliarden Euro pro kann man streiten. Aber ich muss Ihnen eines sagen
Jahr. Damit bieten Sie uns aber nichts anderes als einen – Frau Künast hört vielleicht auch zu –: Von Ihnen las-
Ablasshandel zulasten der Sicherheit der Bevölkerung sen wir uns solche Zitate hier nicht bieten. Für jemanden
an. wie Sie, der einen amtierenden Bundespräsidenten derart
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angepöbelt hat, verbietet es sich, uns hier so zu zitieren.
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu-
LINKEN) rufe von der SPD: Oh! – Jürgen Trittin
Mit der Bankenabgabe wollen Sie 1 Milliarde Euro [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie merken,
einnehmen. Hätten Sie das Modell von Obama übernom- das hat richtig wehgetan!)
men, hätten Sie das Zehnfache eingenommen. Sie sind in diesen Dingen kein Schulmeister für uns. Ich
nehme gerne Rat entgegen, aber in Fragen von Anstand
So geht das durch die Bank. Ich stehe mit meiner Auf- und Stil nicht von Ihnen, Herr Trittin.
fassung in dieser Frage nicht alleine da. Schauen Sie sich
einmal, was Herr Laumann und was Peter Müller sagen: Lieber Carsten Schneider, nun auch ein Wort zu dir.
Dieses Paket hat eine soziale Schieflage, weil Sie es ver- Von Volksverdummung vor der Wahl in NRW zu reden,
säumen, die Menschen mit starken Schultern einzubezie- das kann man in der politischen Auseinandersetzung ma-
hen. Sie machen nichts beim Ehegattensplitting. Sie füh- chen, aber ich denke, die Sozialdemokraten sollten die
ren keine Vermögensabgabe zum Abbau der Altschulden letzten Jahre ihrer Geschichte, als sie an der Regierung
ein. Sie tasten noch nicht einmal das Steuerprivileg für waren, nicht vergessen. Ich erinnere mich an Sozialde-
schwere Dienstwagen an; das würde übrigens auch mokraten, die im Wahlkampf sagten, mit ihnen gebe es
1 Milliarde Euro bringen. Anders, als Herr Laumann und keine Mehrwertsteuererhöhung, und anschließend mach-
Herr Müller es gesagt haben, gehen Sie nicht an den ten sie die größte Steuererhöhung, die wir je in Deutsch-
Spitzensteuersatz heran. land hatten.
(Otto Fricke [FDP]: Wohl wahr!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das war sicherlich ehrliche Politik und keine Volksver-
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
dummung, oder? Das war totale Volksverdummung.
(B) Auch so etwas lassen wir uns von euch nicht vorhalten. (D)
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Meine Damen und Herren, dieses Paket besteht aus der CDU/CSU)
Feigheit und sozialem Zynismus.
Ich bin froh, dass es nach vielen Jahren endlich eine
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung gibt, die sich den Bundshaushalt vor-
und bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wie war genommen hat und auf die Ausgabenseite schaut. Da
das mit der Wortwahl?) mag man durchaus das eine oder andere kritisieren, aber
die Richtung insgesamt stimmt. Ich fordere jeden auf,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der Kritik daran übt, sich zu beteiligen und Vorschläge
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit. zu machen, wo wir Ausgaben kürzen können.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gerne!)
Ich sage Ihnen: Die Bürgerinnen und Bürger haben Wobei ich als Haushälter sage, dass dies für mich kein
von Feigheit und Zynismus die Nase voll. Sparprogramm ist. Vielmehr versuchen wir mit aller
Macht, die Schulden, die wir aufnehmen müssen, zu re-
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: duzieren, damit wir endlich zu einem ausgeglichenen
Seelenloser Technokrat!) Haushalt kommen.
Sie wollen Verantwortung und Gerechtigkeit. Das übri- (Bettina Hagedorn [SPD]: So ein Quatsch!)
gens sind bürgerliche Tugenden.
Diese Schulden – das kann ich für die FDP sagen – ha-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben doch nicht wir gemacht, die haben überwiegend Sie
und bei der SPD) gemacht.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da lachen wir
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: uns tot!)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Koppelin
für die FDP-Fraktion. Sie haben in Ihrer Regierungszeit pro Jahr 50 Milliarden
Euro mehr eingenommen und trotzdem mehr Schulden
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gemacht. Wo haben Sie denn das Geld gelassen?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4551
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schen Bundestages. Ich habe nichts dagegen, wenn sich (C)
der CDU/CSU) auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu-
künftig beteiligen, indem wir vielleicht unsere Büropau-
Der Kollege Carsten Schneider sprach von den Spe- schale etwas senken, indem wir das eine oder andere
kulanten. Das ist wunderbar, darüber können wir uns un- kürzen, vielleicht Baumaßnahmen genauso verschieben
terhalten. Zu den Spekulanten haben auch die Sozialde- wie das Schloss. Ich bin dabei. Machen Sie mit! Ich lade
mokraten und teilweise die Grünen, Herr Trittin, gehört, Sie ganz herzlich dazu ein.
die uns an die IKB verkauft haben. Anschließend haben
die Steuerzahler ordentlich blechen müssen. Die Speku- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
lationen bei der IKB haben CDU/CSU und FDP massiv Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
abgelehnt. Das ist dem deutschen Steuerzahler teuer zu NEN]: Präsidentenpension kürzen!)
stehen gekommen. Das waren allein Ihre Spekulationen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
der CDU/CSU) Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke.
Es gibt tolle Ideen. Man muss ja die Opposition auf-
fordern, Alternativen vorzulegen. Plötzlich lese ich, dass (Beifall bei der LINKEN)
Herr Wowereit und Kollege Oppermann, den ich jetzt
herzlich begrüße, sagen, man müsste das Wachstumsbe- Klaus Ernst (DIE LINKE):
schleunigungsgesetz zurücknehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LIN- wir in dem von der Bundesregierung vorgelegten Kon-
KEN – Zuruf von der SPD: Gute Idee!) zept erkennen, ist ein Schutzschirm, aber ein Schutz-
schirm für die Reichen. Das haben wir offensichtlich Ih-
– Ich höre gerade: „Gute Idee!“ Daraufhin würde ich als nen von der FDP zu verdanken. Ich möchte Ihnen eines
Journalist – so etwas habe ich früher einmal beruflich sagen: Inzwischen läuft Ihnen Ihre eigene Klientel da-
gemacht – heute oder morgen schreiben: Die Linken und von. Es gibt fast keinen Menschen mehr, der die Politik,
auch die Sozialdemokraten wollen das Kindergeld redu- die Sie machen, noch will.
zieren. Das wollen Sie doch; denn im Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz haben wir etwas für die Kinder ge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tan: 20 Euro pro Kind mehr. Das wollen Sie anscheinend NEN]: Doch! 5 Prozent!)
reduzieren. Sogar der Vorsitzende des Wirtschaftsrates der CDU hat
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erklärt,
(B) (D)
Wir haben die Steuerfreibeträge angehoben; das wol- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber
len Sie anscheinend reduzieren. 4,6 Milliarden Euro nicht die FDP-Klientel!)
mehr für Familien und Kinder haben wir Anfang des er sei für eine Senkung des Spitzensteuersatzes.
Jahres beschlossen. Wollen Sie das reduzieren, ja oder
nein? Stellen Sie sich hin und sagen Sie, was sie wollen, (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wie bitte?)
aber kommen Sie nicht mit so einem Gerede, Sie wollten
das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zurückziehen. Aber in dem gesamten Programm, das Sie uns vorlegen,
ist kein einziger Punkt enthalten, durch den diejenigen
Für uns ist wichtig – das ist das Entscheidende –: Sie belastet werden, die in den letzten Jahren ganz besonders
wollen nur Arbeitslosigkeit verwalten, wir wollen Ar- viel verdient haben. Das, was Sie vorgelegt haben, ist
beitsplätze schaffen und sichern, damit die Menschen, schofelig, meine Damen und Herren.
die keine Arbeit haben, endlich wieder Lohn und Brot
bekommen. Das ist unsere Politik. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L.
Kolb [FDP]: Sie sollten sich den Vorschlag des
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) CDU-Wirtschaftsrates noch einmal ganz ge-
nau angucken! Da steht nämlich etwas ganz
Natürlich kann man das, was die Bundesregierung ge-
anderes! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]:
macht hat, noch ergänzen.
Sagten Sie gerade „Senkung des Spitzensteu-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ersatzes“?)
Wo schaffen Sie denn Arbeitsplätze?)
– Ich meinte die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Das
– Frau Künast, ich habe gesagt, das ist unsere Aufgabe. wäre allerdings eine Forderung, die Sie einmal ernst
Hören Sie doch zu, statt Kaugummi im Parlament zu nehmen sollten.
kauen!
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Damit be-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der lasten Sie den Facharbeiter! Der zahlt nämlich
CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ schon den Spitzensteuersatz! – Andreas
DIE GRÜNEN]: Das ist ein Eisbonbon!) Mattfeldt [CDU/CSU]: Das war eine gute Vor-
lage!)
Jetzt sage ich Ihnen Folgendes. Sie alle können sich
beteiligen. Ich mache Ihnen Vorschläge. Ich bin zum – Meine Damen und Herren, Sie können dazwischenru-
Beispiel Hauptberichterstatter für den Etat des Deut- fen, bis Sie schwarz werden.
4552 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Klaus Ernst
(A) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das sind sie Leiharbeit beschäftigt sind, über ihre Verhältnisse ge- (C)
schon! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE lebt? Ich sage Ihnen, wer über seine Verhältnisse gelebt
GRÜNEN]: Die sind schon schwarz! – Heiter- hat.
keit)
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Die
– Ja, das sind sie schon. Porschefahrer!)
Ich sage Ihnen: Die Bürger haben das Gefühl, dass Über ihre Verhältnisse haben diejenigen gelebt, die in
Sie Ihre Finger inzwischen bis zum Anschlag in ihren den letzten Jahren abgezockt und an der Börse Geld ver-
Geldbeuteln haben, und zwar vor allem bei denen, die spekuliert haben. In Ihrem Konzept sehe ich nichts, wo-
schon fast nichts mehr haben. Dass Sie ausgerechnet bei durch die Verursacher dieser Krise zur Kasse gebeten
den Kindern von Hartz-IV-Empfängern sparen wollen werden. Sie liefern hierzu keinen einzigen vernünftigen
– hier wollen Sie 300 Euro pro Monat einsparen –, Vorschlag.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Regelsätze (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
werden doch erst im zweiten Halbjahr neu ge- neten der SPD und des Abg. Jürgen Trittin
fasst! Sie können doch jetzt noch gar nicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
wissen, was genau dabei herauskommt!)
Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Es ist
zeigt eindeutig: Sie behandeln die Kinder in diesem absolut unakzeptabel, was Sie uns vorlegen.
Lande nach ganz unterschiedlichen Maßstäben.
Ich habe das Argument gehört, Ihre Vorschläge seien
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ach was! Wir ganz besonders mutig. Wissen Sie, in der Schule gab es
sparen doch nicht bei den Kindern!) früher immer den einen oder anderen ganz Großen. Ich
habe damals auch die Erfahrung gemacht, mit wem sich
Wenn die Leute Ihre Vorschläge hören, halten sie ihre die Großen am liebsten angelegt haben: mit den Kleinen,
Geldbörse fest. Das ist inzwischen die Realität. die sich nicht wehren konnten. Andere sind dann dazwi-
(Beifall bei der LINKEN) schengegangen. Das, was Sie machen, ist nicht mutig.
Sie haben nämlich nicht den Mut, Ihre eigene Klientel
Diejenigen, die eigentlich zur Kasse gebeten werden und diejenigen zur Kasse zu bitten, die eigentlich zur
müssten, werden aber nicht zur Kasse gebeten. Kasse gebeten werden müssten. Deshalb ist das, was Sie
dem Deutschen Bundestag vorlegen, nicht mutig, son-
Von wegen „ausgewogenes Konzept“. Meine Damen dern äußerst feige.
(B) und Herren, wenn ich die Zahlen lese, die Sie uns vorle- (D)
gen, dann stelle ich fest, dass im Jahr 2011 bei Unterneh- (Beifall bei der LINKEN)
men 3,3 Milliarden Euro eingesammelt werden sollen.
2,3 Milliarden Euro davon sind aber ein steuerlicher Sie können natürlich so weitermachen und sagen: Wir
Ausgleich der Kernenergiewirtschaft. Das heißt, dieses wollen weiterhin eine Steueroase für Reiche sein, die die
Geld gibt es nur, wenn wir eine längere Laufzeit von Bundesrepublik ja schon darstellt. Es wäre allerdings
Kernkraftwerken akzeptieren. Wo kommen wir denn da sinnvoll, stattdessen zu überlegen: Was ist eigentlich in
hin? Das sind doch Luftnummern, die Sie uns hier vorle- den letzten Jahren passiert? Allein seit dem Jahr 2000
gen! summieren sich die Steuerausfälle aufgrund der Steuer-
senkungen bei Bund, Ländern und Gemeinden auf
Bei der Neujustierung von Sozialgesetzen rechnen 300 Milliarden Euro. Hätten wir diese Steuersenkungen
Sie im Jahr 2011 mit einer Zwischensumme von in diesem Bereich nicht, dann hätten wir jetzt überhaupt
3 Milliarden Euro, weil Sie von einem zusätzlichen nicht das Problem, über ein solches Sparpaket diskutie-
Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung ren zu müssen.
in Höhe von 2 Milliarden Euro ausgehen. Das, was Sie
uns hier vorlegen, ist eine Rosstäuscherei, die nicht zu Nehmen Sie doch bitte einfach einmal das zurück,
überbieten ist. Glauben Sie ernsthaft, dass die Bürger was die Leute, denen Sie es geben, teilweise gar nicht
dieses Landes sagen: „Das ist sozial ausgewogen“? wollen, und nehmen Sie vor allem das zurück, worüber
Glauben Sie ernsthaft, dass die Bürger nicht merken, sich die Bürger dieses Landes nach wie vor berechtigt
was Sie hier treiben? aufregen. Ihre Klientel, die Hoteliers, behält das, was sie
vom Steuerzahler bekommen hat. Gleichzeitig holen Sie
Wir hatten einen sogenannten Aufschwung. Daran sich das Geld bei denen, die sich wirklich nicht mehr
waren die Rentner nicht beteiligt, daran waren die Ar- wehren können. Das, was Sie hier treiben, ist – damit
beitnehmer nicht beteiligt, und die Menschen, die Ar- höre ich auf – absolut schofelig.
beitslosengeld II beziehen, waren daran sowieso nicht
beteiligt. Jetzt sagt uns die Kanzlerin: Wir haben alle (Beifall bei der LINKEN)
über unsere Verhältnisse gelebt. – Ich frage Sie: Wer
denn? Waren es die Arbeitnehmer, die über ihre Verhält- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nisse gelebt haben? Hat der Hartz-IV-Bezieher über Nun hat der Bundesminister der Finanzen,
seine Verhältnisse gelebt? Haben möglicherweise die, Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort.
die im Niedriglohnbereich beschäftigt sind, über ihre
Verhältnisse gelebt? Haben all die Menschen, die in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4553

(A) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- zent, aber nicht mehr, und das weiß die Bevölkerung. (C)
zen: Deswegen müssen wir diesen Weg gehen. Das besorgt
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und die Menschen, aber es führt kein Weg daran vorbei.
Kollegen! Herr Trittin hat ja gemeint, wir sollten eine
Nun sage ich Ihnen: Angesichts der prekären wirt-
seriöse Debatte führen.
schaftlichen Lage ist es bei solchen Defiziten klar – wir
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stehen international eher in der Kritik, dass wir zu viel
NEN]: Tja!) und zu schnell als zu wenig sparen, was ich für falsch
halte; ich habe gerade versucht, das anzudeuten –, dass
Ich bin wirklich dafür, wir tun es. Deswegen will ich der ein ganz wesentlicher Teil unserer Operationen auf der
Versuchung widerstehen, auf alles einzugehen, was hier Ausgabenseite des Bundeshaushaltes, der seine ganz ei-
unsachlich gesagt worden ist. gene Struktur hat, erfolgen muss.
Meine Damen und Herren, machen Sie sich keine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Illusionen: Die große Mehrzahl unserer Bürgerinnen und
Bürger ist von einer wachsenden Besorgnis erfüllt, ob Deswegen ist es wichtig, dass wir uns darauf konzentrie-
wir, die politische Klasse, in der Lage sind, die wachsen- ren, die Dinge zu stärken, die bei diesen begrenzenden
den Defizite der öffentlichen Haushalte noch zu beherr- Rahmenbedingungen dazu beitragen, unsere Wettbe-
schen und zurückzuführen und auch vor dem Hinter- werbsfähigkeit zu steigern und unsere Perspektiven zu
grund unserer demografischen Entwicklung eine verbessern, auch in Zukunft zu wachsen.
Perspektive aufzuzeigen, dass wir diese hohe Verschul-
Aus diesem Grund haben wir die Ausgaben für Bil-
dung irgendwann wieder zurückführen.
dung und Forschung überhaupt nicht angefasst, sondern
Man muss hinzufügen – das wird vergessen –: Nach wir haben gesagt: Nein, diese Priorität bleibt.
der mittelfristigen Finanzplanung vor der Finanz- und
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Bankenkrise hätten wir 2011 im Bundeshaushalt eine
der FDP)
Nullverschuldung ausgewiesen.
Wir haben gesagt – das sage ich wieder und wieder –:
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wohl wahr! –
Aufgrund unserer demografischen Entwicklung müssen
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Peer
wir alle Menschen so gut wie möglich ausbilden und für
Steinbrück!)
den Arbeitsmarkt gewinnen. Die Partizipationsrate muss
– Herr Heil, wenn der Herr Steinbrück dafür verantwort- gesteigert werden. Darauf konzentrieren sich die Maß-
lich ist, dann ist er auch für die Bankenkrise verantwort- nahmen.
(B) lich. Das ist ein so unsinniger Zwischenruf. Lassen Sie (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die machen Sie mit (D)
es doch einfach!
Ihren Maßnahmen kaputt, Herr Schäuble!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
– Nein, überhaupt nicht.
Wir haben das einfach gemeinsam gemacht, aber die
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Natürlich!)
Krise ist über uns gekommen. Es war auch eine richtige
Entscheidung, in dieser dramatischen Krise nicht pro- – Herr Kollege Heil, wenn Sie etwas genauer hin-
zyklisch zu reagieren, schauen, dann werden Sie sehen, dass an den Maßnah-
men im Bereich des Ministeriums für Arbeit und Sozia-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie das
les bei der relativen Bedeutung dieses Einzeletats
einmal der FDP! – Gegenruf des Abg.
gemessen am Gesamthaushalt kein Weg vorbeiführt.
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wir haben
Frau von der Leyen hat selbst darauf hingewiesen, dass
das doch mitgemacht!)
ihr Etat mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts aus-
sondern die automatischen Stabilisatoren wirken zu las- macht, aber nur zu knapp einem Drittel an den Maßnah-
sen. Ich habe das bei der Präsentation des Entwurfs für men beteiligt ist. Das heißt, dieser Bereich ist wesentlich
den Haushalt 2010 gesagt. weniger stark betroffen.
Damit ist aber unausweichlich die Notwendigkeit ver- (Lachen des Abg. Hubertus Heil [Peine]
bunden, die Defizite zurückzuführen, sobald wir das [SPD] – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Zah-
Gröbste hinter uns haben und bevor die nächste Krise len sind Zahlen, Herr Heil!)
kommt. Es gibt darüber auch eine internationale Debatte, – Mit Lachen können Sie die Zahlen nicht ändern. Herr
die sehr kompliziert ist. Ich habe meinem amerikani- Heil, so wie Sie sich aufführen, würden Sie wahrschein-
schen Kollegen gesagt: Es mag sein, dass ihr glaubt, ihr lich noch lachen, wenn man sagt: Zwei plus zwei ist vier.
könntet eure Defizite, die ja viel höher als unsere sind, in Damit kann man Sie leicht in Freude versetzen. Aber
den kommenden Jahren über Wachstum reduzieren. Bei bleiben Sie doch ernst.
der Dynamik der Vereinigten Staaten von Amerika und
der ganz anderen demografischen Entwicklung mag das (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
so sein. Wir in Kontinentaleuropa und wir in Deutsch- NEN]: Wir sind doch ernst! Was soll das ei-
land können es nicht. gentlich?)
Deswegen müssen wir realistisch sein. Wir haben ein Wir haben die Maßnahmen in diesem Bereich sehr
längerfristiges Potenzialwachstum von anderthalb Pro- genau überprüft und erarbeitet. Die Debatten gehen im
4554 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Übrigen weiter. Die Bundesregierung hat die Rahmenbe- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: FDP, klat- (C)
dingungen beschlossen. Sie wird in diesem Rahmen den schen!)
Haushaltsentwurf erarbeiten, und dann wird das Parla-
ment ausführlich beraten und entscheiden. – Ja, das ist in der Koalition verabredet.

Unser Leitmaßstab dabei war, alles außen vor zu las- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sen, was Menschen betrifft, die nicht mehr für den Ar- Ich nenne auch gleich den nächsten Schritt. Er wird
beitsmarkt zur Verfügung stehen können. Bei den Hinzu- noch schwieriger, und es wird vor allem schwierig, euro-
verdienstregelungen gehört es aber zur Ehrlichkeit dazu, paweit einen Konsens hinzukriegen. Selbstverständlich
zu sagen, dass manche konkrete Einzelheit unserer Pro- wäre es besser, wenn alle Europäer mitmachen, auch UK
gramme im Bereich des Bundesministeriums für Finan- und die Schweiz. Für den Fall aber, dass nicht alle in Eu-
zen wie auch beim Bundesministerium für Arbeit und ropa mitmachen sollten, würde ich auch dafür werben,
Soziales dazu führt, dass das Lohnabstandsgebot nicht dass wir das zur Not im europäischen Währungsverbund
eingehalten wird und die Anreize für die Aufnahme ei- machen. Deswegen war ich bereit, die 2 Milliarden Euro
ner regulären Tätigkeit schwach sind. einzusetzen. Wenn es mehr werden, Herr Poß: à la bonne
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Weil ihr den Min- heure!
destlohn nicht einführt! Führen Sie den Min- Bisher würde ich eher sagen: Ich wäre froh, wenn wir
destlohn ein! Dann stimmt der Abstand!) sie schon hätten. Denn ich brauche auch dafür einen Be-
– Es ist klar: Wenn Sie meinen, das Geld kommt irgend- schluss innerhalb der Euro-Zone. Alleine, auf nationaler
wie von oben, und wir müssen nur über die Verteilung Ebene, können wir das nicht machen.
reden, dann haben Sie kein Problem. Wir haben auch geprüft, ob wir die Börsenumsatz-
(Zuruf von der LINKEN: Reden Sie zum steuer wieder einführen sollen. Aber das würden sicher-
Thema!) lich auch Sie nicht empfehlen; denn Sie wissen, dass die
Voraussetzung für die Börsenumsatzsteuer seinerzeit
– Ich rede schon zum Thema. – Wir haben nicht nur war, dass wir eine eigene Währung hatten. Da wir inzwi-
Konsolidierungsbedarf, sondern auch die Aufgabe, die schen Teil einer Währungsgemeinschaft sind, wären die
Voraussetzungen so zu gestalten, dass wir auch in der Ausweicheffekte so groß, dass wir allenfalls eine Lach-
Zukunft wettbewerbsfähig sind und eine maßvoll wach- nummer bieten würden. Deswegen haben wir uns für
sende Wirtschaft haben. Dazu müssen wir diesen Weg diesen Weg entschieden. Er ist ehrgeizig.
gehen.
Frau Kollegin Künast, zu Ihrem Zwischenruf: Was
(B) Ich möchte noch zwei Bemerkungen zu Punkten ma- das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger angeht, besteht (D)
chen, die erwähnt worden sind, weil es dazu vielleicht ein Unterschied zu den Hausfrauen darin, dass Hartz-IV-
noch Informationsbedarf gibt. Wir bleiben bei der Ban- Empfängern ihr Existenzminimum garantiert wird. Sie
kenabgabe. haben einen Rechtsanspruch darauf; das ist unser Sozial-
staat. Die Hausfrau bekommt nichts. Deswegen ist die
(Zuruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] Gleichsetzung von Hausfrauen und Hartz-IV-Empfän-
[SPD]) gern völlig falsch. Das genaue Gegenteil ist richtig.
– Langsam. Damit das völlig klar ist, Herr Kollege (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Schneider: Was wir vorgesehen haben, ist nicht alterna-
tiv geplant, sondern zusätzlich. – Darüber werden wir Das muss man sehen. Das Prinzip von Hartz IV ist die
morgen früh im Bundestag diskutieren, wenn die Bun- Existenzsicherung. Das wirkt sich vor allen Dingen bei
desregierung ihren Gesetzesentwurf einbringt. Wohngeld und Kosten der Unterkunft in einem dramati-
schen Maße aus; das alles muss man im Auge haben.
(Joachim Poß [SPD]: Warum 2 Milliarden und
nicht 5 Milliarden Euro?) Unsere Entscheidungen sind maßvoll. Sie sind sozial
verantwortbar. Sie stärken unsere Chancen auf künftiges
– Darüber können wir diskutieren, Herr Kollege Poß. – Wachstum. Wir sparen nicht kaputt. Aber wir führen die
Aber zunächst einmal will ich dem Kollegen Schneider Defizite zurück. Damit legen wir die Grundlagen dafür,
sagen, dass das, was wir vorhaben, nicht alternativ, son- dass das Vertrauen unserer Bevölkerung in die Nachhal-
dern zusätzlich ist. Wir müssen ein insolvenzähnliches tigkeit unseres demokratischen, wirtschaftlichen und so-
Verfahren für Banken schaffen. Dafür brauchen wir ei- zialen Systems auch in Zukunft erhalten und weiter ge-
nen Restrukturierungsfonds und eine Abgabe, die ihn stärkt werden kann.
allmählich und maßvoll speist.
Herzlichen Dank.
Die Chancen, dass wir global zu einer Finanztrans-
aktionsteuer kommen, sind sehr gering. Das habe ich an (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dieser Stelle schon ein paar Mal gesagt. Ich habe in
Pusan beim Treffen der Finanzminister zumindest da- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
rüber Klarheit gefordert, dass sie auf absehbare Zeit Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die
nicht eingeführt wird. Dann werde ich mit aller Kraft da- SPD-Fraktion.
für eintreten, dass wir zu einer europäischen Lösung
kommen. (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4555

(A) Hubertus Heil (Peine) (SPD): lungsoffensive sprechen, wenn Sie keine Maßnahmen (C)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und zur Qualifizierung und Eingliederung von Langzeitar-
Herren! Sehr geehrter Herr Schäuble, bei Bildung woll- beitslosen ergreifen. Es ist hirnlos, bei Bildung und Qua-
ten Sie nicht sparen, haben Sie gesagt. Das ist auch die lifikation zu kürzen. Hinzu kommt, dass das, was Sie
Parole der letzten Tage gewesen. Ich sage Ihnen: Sie machen, herzlos ist. Sie kürzen nämlich bei den
sparen bei Bildung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum Schwächsten. Da Sie sich das von Herrn Trittin nicht an-
einen haben Sie vor Weihnachten durch das sogenannte hören wollen, sage ich Ihnen: Die Art und Weise, wie
Wachstumsbeschleunigungsgesetz Löcher in die Haus- Sie diejenigen schonen, die breite Schultern haben und
halte von Kommunen und Ländern gerissen, was zulas- mehr schultern könnten, und sich an den Schwächsten
ten der Schulpolitik geht. Zum anderen verstehen Sie of- vergreifen, kann nur als feige bezeichnet werden. Damit
fenbar nur Schulpolitik als Bildung. Sie haben von der hat Jürgen Trittin vollkommen recht.
demografischen Entwicklung gesprochen. In Deutsch-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
land verlassen Jahr für Jahr 60 000 junge Menschen un-
DIE GRÜNEN)
sere Schulen ohne Schulabschluss. Jeder Mensch weiß,
wie schwierig es heute im Gegensatz zu früher ist, mit Da Sie, Herr Schäuble, dazu aufgefordert haben, an-
einem einfachen Hauptschulabschluss eine Ausbildungs- dere Vorschläge zu machen, präsentiere ich Ihnen ein
stelle zu finden. Man weiß, dass es fast unmöglich ist, paar:
ohne Schulabschluss Zugang zu Ausbildung und gere-
Fangen wir an, einmal darüber zu reden – die FDP
gelter Arbeit zu finden. Hier geht es um Bildung und
schweigt dazu inzwischen; die CDU auch; Sie auch, weil
Qualifizierung. Diesen jungen Menschen rauben Sie
es Ihnen vielleicht ein bisschen peinlich ist –, was Sie für
durch den Kahlschlag in der aktiven Arbeitsmarktpolitik
Geschenke ausgegeben haben. Herr Koppelin, das, was
die Chancen. Am Ende wird es für den Staat teurer, weil
Sie uns unterstellt haben, stimmt übrigens nicht. Aus den
diese jungen Menschen die Arbeitslosen und die Lang-
5,6 Milliarden Euro, die dem Staatshaushalt aufgrund
zeitarbeitslosen von morgen sind. Sie versündigen sich
Ihres sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
an den jungen Leuten und ihren Chancen, Herr
fehlen – von diesem Geld reden wir; wir wollen, dass der
Schäuble.
Staat es zurückbekommt –, sind das Kindergeld und an-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dere Leistungen im Bereich Familien herausgerechnet.
DIE GRÜNEN)
(Florian Toncar [FDP]: Das stimmt doch nicht! –
Schauen wir uns die Zahlen einmal an. Sie können Otto Fricke [FDP]: Das ist falsch!)
uns doch nicht erzählen, das alles bleibe ohne Effekte für
– Herr Fricke, Sie haben gleich die Gelegenheit, hier das
den Bereich des Förderns. „Fordern und fördern“ ist ein-
(B) zu sagen, was Sie in Talkshows hin und wieder kokett (D)
mal das Prinzip der Arbeitsmarktpolitik gewesen. Sie
angedeutet haben.
wollen im Jahre 2011 Einschnitte mit einem Volumen
von 2 Milliarden Euro im Bereich der aktiven Arbeits- Nehmen Sie den reduzierten Mehrwertsteuersatz zu-
marktpolitik vornehmen. Im Jahre 2012 sollen es 4 Mil- gunsten von Hoteliers zurück! Allein durch diese Maß-
liarden Euro sein. Ab 2013 sollen es jährlich 5 Milliar- nahme hätten wir über 1,6 Milliarden Euro mehr zur
den Euro sein. Das heißt, allein bis 2014 wollen Sie Verfügung. Dann müssten wir nicht zulasten von Fami-
16 Milliarden Euro im Bereich der aktiven Arbeits- lien, von älteren Langzeitarbeitslosen und von Jugendli-
marktpolitik einsparen. Wer hier kurzfristig spart, wird chen sparen. Das wäre mutig: sich selbst zu korrigieren
langfristig die Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land und auch Ihre Klientel zu belasten und heranzuziehen.
verfestigen. Das kostet die Gesellschaft Geld und zer- Ihr Vorgehen untergräbt das Vertrauen von Menschen in
stört die Chancen von Menschen auf ein selbstbestimm- demokratische Politik, weil die Gerechtigkeit fehlt. Das
tes Leben durch Erwerbsarbeit. Das ist das, was Sie ma- ist Ihr Problem.
chen.
(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/
(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Auch diese Zahl stimmt nicht, Herr
CSU]: Das ist Rosstäuscherei, die Sie da be- Heil!)
treiben! Sie hatten 5 Millionen Arbeitslose!)
Ich sage Ihnen noch etwas: Wir könnten durch den
– Herr Barthle, da Sie so lautstark dazwischenrufen: Abbau umweltschädlicher Subventionen, durch den Ab-
Wenn Sie zuhören, können Sie vielleicht etwas lernen. bau von Privilegien der Atomwirtschaft, etwa durch ei-
Wenn Sie so schreien, bekommt der Begriff „Primat der nen Verzicht auf die Verlängerung der Restlaufzeiten,
Politik“ eine ganz neue Bedeutung. Was Sie hier auffüh- und die Einführung einer Brennelementesteuer das Geld
ren, ist tatsächlich erstaunlich. einnehmen, das wir brauchen, um die Asse in Nieder-
sachsen zu sanieren. Das ist notwendig; denn es kostet
Ihre Kürzungen im Bereich der Qualifizierung und
über 1,5 Milliarden Euro, diesen abgesoffenen Atomtopf
insbesondere Ihr Kahlschlag bei den Weiterbildungs-
in Ordnung zu bringen. Daran müssen Sie die Atomwirt-
maßnahmen gehen zulasten junger Menschen, die Quali-
schaft beteiligen. Das tun Sie aber nicht, indem Sie ihr
fikation brauchen, zulasten alleinerziehender Langzeit-
etwas schenken, nämlich längere Restlaufzeiten und da-
arbeitsloser und zulasten älterer Langzeitarbeitsloser.
mit größere Profite.
Das ist nicht nur unfair gegenüber den betroffenen Men-
schen. Es ist auch ökonomischer Unfug. Sie können Sie lehnen den Mindestlohn ab, Herr Schäuble. Beim
nicht – wie Frau von der Leyen – von einer Vermitt- Mindestlohn geht es nicht um Geld von oben, wie Sie
4556 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Hubertus Heil (Peine)


(A) gesagt haben, sondern um Geld von unten, um es einmal Kenntnis nehmen –: Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz (C)
klar zu sagen. Das Bundesarbeitsministerium, das im Hotelbereich bedeutet eine gesamtstaatliche Belas-
BMAS, hat die Aussage getroffen: Durch die Einfüh- tung von 800 Millionen Euro.
rung eines flächendeckenden Mindestlohns könnten im
Bundeshaushalt Ausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden (Joachim Poß [SPD]: Es gibt auch andere
Euro eingespart werden, weil die Aufstockergelder dann Zahlen!)
unnötig wären. Im Moment muss Steuergeld ausgegeben 3 Prozent dieser Belastung entfallen auf die Kommunen.
werden, weil Dumpinglöhne gezahlt werden. Nutzen Sie Das heißt, die Kommunen in Deutschland haben da-
diese Gelegenheit, um diese Ausgaben einzusparen. durch insgesamt eine Belastung von 24 Millionen Euro
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zu verkraften. Auf den Bund entfällt eine Belastung von
GRÜNEN und der LINKEN) 400 Millionen Euro. Ihr Vorschlag, diese Maßnahme
rückgängig zu machen, brächte also 400 Millionen Euro
Last, but not least geht es darum, diejenigen, die diese mehr für den Bundeshaushalt, und das bei einem Ein-
Krise verursacht haben, und auch die mit den breiteren sparbedarf allein in diesem Jahr von 12 Milliarden Euro.
Schultern stärker zu beteiligen. Ich sage Ihnen: Die
Selbsttitulierung dieser Koalition von „Gurkentruppe“ (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und die
über „Wildsau“ und all das, was man noch so hört, Erben?)
spricht für sich selbst. Es wäre nicht schlimm, wenn es Herr Heil, daran wird der Unterschied zwischen Ihnen
nicht die Zukunftsfähigkeit dieses Landes gefährden und uns klar: Sie versuchen, einen Popanz aufzubauen,
würde. und sehen nicht, wie die Zahlen sind.
Sie sparen nicht wirklich, sondern Sie kürzen kurz- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Den Popanz ha-
fristig. Langfristig werden diese Gesellschaft, der Staat, ben Sie eingeführt! – Thomas Oppermann
unsere Demokratie die Zeche zahlen. Deshalb kann ich [SPD]: Sie wollen doch nur Mövenpick schüt-
Ihnen nur eines sagen: Sie müssen umkehren. Wenn Sie zen!)
es nicht freiwillig tun, dann werden wir nicht nur in die-
sem Hause, sondern zusammen mit Gewerkschaften, mit Das ist Ihr eigentliches Problem in der Opposition:
klugen Unternehmerinnen und Unternehmern und mit Wenn Sie verantwortungsvoll agieren wollen,
gesellschaftlichen Gruppen Widerstand gegen das orga- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nisieren, was Sie da machen. Wir werden nicht zulassen,
dass Sie das Vertrauen der Menschen in den sozialen und müssen Sie die Macht der Zahlen einfach irgendwann
demokratischen Rechtsstaat durch eine irregeleitete einmal akzeptieren.
(B) Klientelpolitik, von der diese schwarz-gelbe Regierung (D)
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Macht des
offensichtlich geleitet ist, untergraben.
Geldes!)
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie spalten die
Ich kann Ihnen wirklich nur anraten: Machen Sie ei-
Gesellschaft!)
nen Gegenhaushalt auf, und zwar so konkret und nachre-
chenbar wie der Haushalt, der am 7. Juli vom Kabinett
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: beschlossen wird.
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit.
(Thomas Oppermann [SPD]: Luftbuchungen
sind das! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE
Hubertus Heil (Peine) (SPD): GRÜNEN)
Sie machen eine Politik, die würdelos ist, die herzlos
ist und feige. Sie müssen damit aufhören. Wir werden – Ich weiß, getroffene Hunde bellen.
Ihnen das deutlich machen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Herzlichen Dank. Sagen Sie jetzt „Hunde“ zu uns?)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will Ihnen noch eine zweite Zahl nennen. Sie sa-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen, Sie wollen im Jahre 2013 einen Schuldenabbau in
Höhe von 24 Milliarden Euro möglichst durch Steuer-
einnahmen finanzieren. Ich weiß genau, woran Sie dabei
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
denken. Wenn Sie Schulden in Höhe von 24 Milliarden
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die Euro abbauen wollen, dann müssen Sie als Sozialdemo-
FDP-Fraktion. kraten – die Grünen müssten das gegebenenfalls mitma-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten chen – genau das machen, was Sie zu Beginn der Großen
der CDU/CSU) Koalition getan haben: einfach nur die Mehrwertsteuer
um 3 Prozentpunkte erhöhen. Das brächte Mehreinnah-
men in Höhe von 24 Milliarden Euro. Ich glaube, das ist
Otto Fricke (FDP):
das, was Sie tief in Ihrem Innern wollen und was Herr
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Ernst „Abkassieren“ nennt.
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heil, auch mit
Blick auf den Kollegen Trittin möchte ich kurz die Zah- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bettina
len klären – es geht nur darum, dass Sie das einmal zur Hagedorn [SPD]: So ein Kokolores!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4557
Otto Fricke
(A) Meine Damen und Herren, warum machen wir es so, Wenn Sie meinen, man könnte Einzelne ausnehmen und (C)
dass wir an die Ausgaben herangehen? Sie sagen, wir könnte das vielleicht nur auf eine kleine Gruppe bezie-
seien feige, oder Ähnliches mehr. Was von Ihnen hen, halte ich Ihnen entgegen: Ich bin gespannt, wie Sie
kommt, Herr Kollege Trittin – im Ton vergriffen, in der mit Ihrem Vorschlag einer Reichensteuer 11 Milliarden
Zahlenwahl vergriffen –, was auch vonseiten der Linken Euro in diesem Jahr oder 24 Milliarden Euro im nächs-
kommt – in anderen Dingen sowieso vergriffen –, ist et- ten Jahr erwirtschaften wollen. Das können Sie gar
was ganz anderes. Sie versuchen, genau hier den Angriff nicht! Aber bitte! Ich freue mich sehr, wenn Sie diese
zu starten, und sagen, Sie hätten es gern anders. Rechnung aufmachen können. Allen Bürgern, die den
Spitzensteuersatz zahlen, also 53 000 Euro brutto haben,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)
kann ich nur empfehlen: Fragt euch mal, was die wohl
Wir stellen uns aber dem Konflikt, Herr Kollege Heil, mit euch beim Thema Steuererhöhungen machen!
weil wir davon überzeugt sind, dass das, was wir vorle-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
gen, ausgeglichen ist,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Junge Familien, Dann kam der Vorwurf, es sei unsozial. Woran kann
Arbeitslose! Das ist total ausgeglichen! Un- man eigentlich merken, wie sozial eine Bundesregierung
glaublich!) ist?

weil es berücksichtigt, wer in welchem Maße Geld aus (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dem Haushalt bekommt, und weil wir immer noch in Er- NEN]: Ganz einfach: Wenn die FDP dabei ist,
innerung haben, wer zu wie viel Prozent die Steuern ist sie nicht sozial! Wo Geld draufsteht, ist
zahlt, die wir für den Haushalt brauchen, damit der Staat Geld drin!)
seinen sozialstaatlichen Aufgaben gerecht werden kann. Das kann man nicht an absoluten Zahlen festmachen,
Das, Herr Heil, ist der Grund dafür, dass wir hier mutig sondern man kann es feststellen, indem man prüft – der
sind. Kollege Barthle hat es gesagt –:
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mutig gegen (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ob Menschen Le-
Schwache!) benschancen bekommen, das ist die Frage!)
Sie haben das in der Vergangenheit anders gemacht. Wie viel Prozent der Ausgaben des Haushalts entfallen
Sie haben immer wieder festgestellt: „Wir müssen hier auf den Bereich „Arbeit und Soziales“? 2002, am Ende
eine Ausgabe erhöhen, wir müssen dort eine Ausgabe er- von Rot-Grün, die angeblich so sozial waren, waren es
höhen“, und nach vier Jahren haben Sie gesagt: Es tut nach den Zahlen des Rechnungshofs 44,9 Prozent. Der
uns leid, liebe Bürger; wir müssen die Steuern erhöhen. – Haushalt 2010 der christlich-liberalen Regierung weist (D)
(B)
Dieses Prinzip durchbricht diese Koalition. Es ist das aus: 54 Prozent, also 10 Prozentpunkte mehr.
erste Mal seit Jahrzehnten, dass einer Koalition das ge-
lingt. Ich bin froh darüber, dass das Kabinett das bei aller (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
Schwere der Arbeit geschafft hat. CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE],
an die CDU/CSU gewandt: Ihr seid weder
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – christlich noch sozial!)
Klaus Ernst [DIE LINKE]: Selbst Ihre eigenen
Leute sagen etwas dagegen!) Wer da behauptet, Rot-Grün sei sozial – Frau Kollegin
Hagedorn, Zwischenfrage ist nicht! –, verweigert sich
Sie hatten in elf Jahren sozialdemokratischer Regie- erneut der Macht der Zahlen.
rungsbeteiligung nie den Mut, diese Arbeit zu machen.
Unseren Mut kann man beschimpfen, aber er wird am Sie können nicht nach dem Motto verfahren: Haupt-
Ende belohnt werden. sache, man schreit am lautesten. – Wir sind nicht beim
Fußball, wo das mit den Vuvuzelas geht. Da gilt das
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Motto: Wer am lautesten ist, hat gewonnen. – Wir aber
NEN]: Warten wir mal den Herrn Laumann sind bei den Zahlen. Wir sind beim Haushalt.
und den Herrn Müller ab!)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wenn wir im November den Haushalt beschließen wer-
NEN]: Bei Frickes Märchenstunde!)
den, sicherlich noch mit Veränderungen, dann werden
Sie diejenigen sein, die an dieser Stelle blank dastehen; Sie müssen diese Zahlen erst liefern; denn – das ist der
es sei denn, Sie kommen jetzt wirklich mal mit konkre- letzte Satz – das Unsozialste, was wir machen können,
ten Einsparvorschlägen rüber statt mit falschen Zahlen. ist die Verschiebung von Schuldenbergen, auf denen
Kinder, wie wir alle wissen, weder spielen noch lernen
(Zuruf von der LINKEN)
können.
– Ich weiß, Sie wollen das immer nur über Einnahmen
machen. Ich kann den Bürgern draußen nur sagen: Jeder Herzlichen Dank.
Politiker, der Ihnen erzählt, er wolle mehr Einnahmen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
will am Ende an alle Leute ran.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt ja gar Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nicht! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun das
GRÜNEN]: Und Sie wollen an die Ärmsten!) Wort der Kollege Alexander Bonde.
4558 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tut Ihnen von der FDP weh; ich verstehe das. Aber (C)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re- da kneifen Sie. Sie stellen sich nicht der Frage: Was ist
den hier über ein Sparpaket in einer schwierigen Situa- eigentlich in solch einer Krise wirklich wichtig, und wo
tion. Das billige ich Ihnen als Bundeskabinett, die Sie müssen wir die Gelder einsetzen, die wir haben?
das verabschiedet haben, ausdrücklich zu. Sie versu-
Damit sind wir bei der Mehrwertsteuer. In der Frage
chen, hier aufzuzeigen, Sie seien die Einzigen, denen das
des ermäßigten Satzes geht es darum, den täglichen
Thema „Haushalt und Generationengerechtigkeit“ ein
Grundbedarf aus einer sozialen Verantwortung heraus
Anliegen ist. Das ist aber nicht richtig. Im Kern streiten
kostengünstiger zu halten. Was haben die Hotelüber-
wir hier nicht über die Frage des Ob, sondern über die
nachtung, das Rennpferd, die Schnittblume, die Überra-
Frage des Wie, und dieser Auseinandersetzung müssen
schungseier und die Skilifte mit der Frage des täglichen
Sie sich mit Ihrem Paket stellen.
Bedarfs zu tun? In dieser Frage kneifen Sie. Das hat
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nichts mit einem mutigen Akt zu tun.
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Herr Schäuble, Sie haben einen sehr bemerkenswer- sowie bei Abgeordneten der SPD)
ten Satz gesagt, den wir alle uns merken müssen, weil er Ich rede jetzt einmal über Ihre Zahlen. Sie haben sich
richtig ist. Nämlich: Wir können in Deutschland die Pro- hier hingestellt und gesagt, dieses Paket sei ausgewogen,
bleme nicht über Wachstum lösen. – Sie haben zu Recht weil der Anteil des Haushalts des Arbeits- und Sozial-
darauf hingewiesen, wo das deutsche Potenzialwachs- ministeriums am Gesamthaushalt größer sei als der An-
tum in den nächsten Jahren liegt. Ich halte es für wichtig, teil seiner Einsparungen in Bezug auf die Einsparungen
dass diese Bundesregierung endlich bei der Erkenntnis im Gesamthaushalt. Der Minister hat in der Regierungs-
angekommen ist, dass Wachstumsträumereien die Pro- befragung heute Mittag ehrlicher argumentiert. Er hat
bleme nicht lösen. nämlich gesagt, eigentlich müsse man den Anteil der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rente – 80 Milliarden Euro, das ist der größte Einzeltitel –
sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE herausrechnen. Wenn Sie die Rente herausrechnen, be-
LINKE]) trägt der Anteil des Arbeits- und Sozialministeriums
20 Prozent des Bundeshaushalts. Bei Ihren Ausgaben-
Ihre Erklärung steht dem diametral entgegen, was uns kürzungen aber macht der Bereich Arbeit und Soziales
bisher als Regierungserklärung der Kanzlerin entgegen- 60 Prozent aus. Das ist mehr als eine Schieflage. Es ist
gehalten worden ist und bis vor kurzem die Linie in Sa- völlig klar, wer da das Ziel Ihrer einseitigen Einsparun-
chen „Finanzierung von Steuersenkungen“ war. Das will gen ist.
(B) ich in dieser Debatte noch einmal mit aller Ernsthaftig- (D)
keit, die sie verdient, festhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie reden hier immer über ein „mutiges Paket“. Ich
frage mich schon, worin der Mut besteht, wenn Sie im- Es gibt keinen Beitrag der Besserverdienenden.
mer dort zugreifen, wo Sie wissen, dass es einem als Ko- Starke Schultern tragen zu diesem von Ihnen als histo-
alition am wenigsten schadet. Sie haben in Bezug auf risch erklärten Sanierungsprojekt nichts bei, nicht einen
dieses Paket massiv Chancen verpasst. Die gesamte Cent. Das macht überhaupt keinen Sinn. Es ist eine ver-
Frage des Subventionsabbaus – insbesondere die Frage gebene Chance. Wenn man Konsolidierung ernst nimmt
des Abbaus ökologisch schädlicher Subventionen – ist und diesen Haushalt wirklich sanieren will, braucht man
von Ihnen nicht angegangen worden. eine faire Verteilung der Lasten. Dann müssen auch die-
jenigen in diesem Land, die es können, einen Beitrag
(Ulrike Flach [FDP]: Das stimmt doch gar dazu leisten. Auch diese Chance haben Sie fahrlässig
nicht! Das ist unwahr!) verpasst.
Das findet sich im Prosatext Ihrer Koalitionserklärung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wieder. Es gibt 48 Milliarden Euro umweltschädlicher sowie bei Abgeordneten der SPD)
Subventionen im Bundeshaushalt; an 1 Milliarde Euro
wollen Sie jetzt herangehen. In der Regierungspressekonferenz wurde die Kanzle-
rin gefragt, weshalb das denn sozial ausgewogen sei. Da-
(Otto Fricke [FDP]: Es sind 2 Milliarden!) rauf hat sie geantwortet: Weil sich auch die Wirtschaft
Kollege Fricke, wenn Sie ausmisten wollen, sind Sie mit der Brennelementesteuer beteiligt. Man muss der
nicht glaubwürdig, wenn Sie mit der Pinzette daherkom- Kanzlerin lassen, dass sie da viel Humor gezeigt hat. Die
men. Das ist das, was Sie hinsichtlich der ökologisch Brennelementesteuer ist in Kombination mit dem Ver-
schädlichen Subventionen machen. sprechen der Laufzeitverlängerung zu sehen. Diese Art
Belastung, wo jemandem Milliarden geschenkt werden,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist, mit Verlaub, nichts, womit eine soziale Symmetrie in
sowie bei Abgeordneten der SPD) so einem Paket begründet werden kann.
Sie sind nicht mutig in der Frage des Subventionsab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
baus. sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Ulrike Flach [FDP]: Wie viel haben Sie Sie richten mit diesem Haushalt Verschiebebahnhöfe
eigentlich abgebaut?) ein. Damit, dass keine Rentenversicherungsbeiträge für
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4559
Alexander Bonde
(A) die Arbeitslosengeld-II-Empfänger eingezahlt werden, passt, die die Aktiven, Kreativen und Fleißigen im (C)
verschieben Sie bewusst Kosten in die Zukunft. Und Sie Lande belastet, lähmt und ihre Entwicklung und Entfal-
verschieben bewusst Kosten auf die Träger der Grund- tung hemmt? Diese Frage kann jeder für sich selbst be-
sicherung im Alter, also die Kommunen. antworten.
Das ist die Art von Tricks, die uns allen gemeinsam Der Erfindungsreichtum in Bezug auf die Erschlie-
nicht weiterhilft, den Haushalt ehrlich auf die Schiene zu ßung neuer Staatseinkünfte war schon immer groß. Sex-
bringen. Es bringt nichts, sich auf Kosten der Kommu- steuer, Solidaritätszuschlag, ein höherer Spitzensteuer-
nen gesundstoßen zu wollen. Lassen Sie es doch einfach, satz oder Brennelementesteuer sind heute aber nicht
solche Pakete zu schaffen, mit denen Sie es sich einfach unser Thema. Es geht beim Sparen nämlich in erster
machen, bei denen Sie keinen Mut haben, an Subventio- Linie darum, weniger Geld auszugeben. Seit Jahrzehnten
nen heranzugehen, die nur zulasten sozial Schwacher ge- ist es doch immer dasselbe Spiel: Sparen und Schul-
hen und die dort, wo es ernst wird, im Vagen bleiben. denabbau ja; aber wenn es konkret wird, ist das unsozial,
und dann soll bei anderen der Gürtel enger geschnallt
Nichts von dem, was Sie hier vorgeschlagen haben, werden. Am Ende trifft es häufig die Millionen fleißigen
ist schon Gesetz. Wir werden Sie im Herbst in den Aus- Facharbeiter, Angestellten, Handwerker, Lehrer und
schüssen zwingen, Flagge zu zeigen. Es gibt viele kluge viele mehr, die stärker belastet werden und unseren So-
Vorschläge aus der Koalition, wie das Paket sozialer und zialstaat im Wesentlichen tragen.
ökologischer gemacht werden kann. Wenn es darum
geht, sind wir dabei. Aber wenn mit dem Paket nur auf Hieran wollen wir etwas ändern. Wir wollen einen
billige Weise versucht werden soll, auf Kosten der finanziell gesunden Staat. Angesichts verwendeter
Ärmsten und der Umwelt eine Pseudokonsolidierung zu Schlagworte vonseiten interessierter Verbände, aber
machen, dann können Sie zu Recht harten Widerstand auch Vertretern vermeintlich honoriger Parteien könnte
von uns und der restlichen Opposition erwarten. man aber den Eindruck gewinnen, Bedürftige oder
Hartz-IV-Empfänger hätten zukünftig nicht mehr genug
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu essen, müssten im Winter frieren und würden jetzt
und bei der SPD) von Staats wegen von allen Bildungschancen abgekop-
pelt. Würde man Sie ernst nehmen, könnte man meinen,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Familien und ihre Kinder müssten zukünftig am Rande
der Gesellschaft perspektiv- und mittellos und ohne Zu-
Nächster Redner ist der Kollege Axel Fischer für die
kunftschancen verkümmern.
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Genau das
ist es!)
(B) [Peine] [SPD]: Jetzt muss er sich erst mal be- (D)
danken!) Diese Zerrbilder entsprechen jedoch keinesfalls der
Realität. Sie belegen nur das Ausmaß an Verantwor-
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): tungslosigkeit, mit der Sie Ängste schüren, um auf Kos-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ten der Schwachen Ihr politisches Süppchen zu kochen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Forderung (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Fragen Sie
nach einer stärkeren Belastung sogenannter starker Ihre eigene Familienministerin! Die bestätigt
Schultern zum Tragen der Soziallast in unserem Land ist es Ihnen!)
nicht neu und auch wenig originell oder zukunftswei-
send. Das ist unverantwortlich.
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber richtig! – Als konkretes Beispiel nenne ich die Kritik an der
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hartz-IV-Regelung. Was wollen wir? Wir wollen, dass
Das ist von Herrn Lammert! Ist der in Ihrer die staatlichen Mittel zum Beispiel für die Qualifikation
Partei oder bei uns?) von Hartz-IV-Empfängern und deren Eingliederung in
den Arbeitsmarkt genau für diese Zwecke und auch und
Aber sie wird nach wie vor von vielen sehr gerne gehört. vor allem erfolgreich verwendet werden.
Sie klingt nämlich in den Ohren derjenigen gut, die von
der umfassenden Umverteilung über den Sozialstaat in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
unserem Land profitieren oder sogar leben. Unser Ziel ist es, Arbeitsuchende wieder in den Arbeits-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- markt zu integrieren.
NEN]: Herr Lammert zum Beispiel und Herr (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Deshalb kürzen
Laumann und Herr Müller!) Sie die Chancen!)
Doch welches Bild haben wir von unserem Sozial- Dazu brauchen wir sinnvolle Maßnahmen, die den Ar-
staat, der von starken Schultern getragen wird? Ist dieser beitsuchenden mit seiner individuellen Persönlichkeit,
unser Sozialstaat ein Schmuckstück gelebter gesell- Schaffenskraft und Qualifikation in den Arbeitsmarkt
schaftlicher Solidarität, die wie ein diamantenbesetzter vor Ort mit dessen einzigartiger Wirtschaftsstruktur inte-
Gelbgoldanhänger an einer goldenen Kette um den Hals grieren.
getragen wird? Oder haben wir bei mehr als 50 Prozent
staatlicher Umverteilung einen Punkt erreicht, an dem (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das kostet
eher das Bild einer Bleikugel an einer eisernen Fußkette aber Geld!)
4560 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)


(A) Weil die Mitarbeiter in der Arbeitsverwaltung vor Ort Bettina Hagedorn (SPD): (C)
das beste Bild von beidem haben, wollen wir dorthin Herr Kollege Fischer, mit Ihrem Urteil, dass das vor-
auch die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis be- gelegte Sparpaket in die richtige Richtung zeigt, stehen
züglich der Auswahl und Durchführung der eigenen Sie relativ alleine da. Dies ist nicht nur die Auffassung
Maßnahmen verlagern. der Opposition. Ein Blick auf die aktuellen Schlagzeilen
zeigt Ihnen, dass jeder in der Republik dieser Meinung
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber kein ist. Dazu zählen die großen Verbände und auch die gro-
Geld! – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Aber ßen Wohlfahrtsverbände. Sie müssen also nicht auf das
nicht das Geld!) hören, was die Gewerkschaften sagen.
Damit setzen wir die knappen Steuermittel zielgerichtet Sie haben gesagt, das Ungerechteste sei der große
ein und vermeiden zugleich die erheblichen Mitnahme- Schuldenberg und darum müsse man daran. Das ist ja
effekte, die unter anderem im Existenzgründungsbereich unbestritten.
in der Vergangenheit aufgetreten sind.
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ach!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was?)
Dem hat hier niemand widersprochen. Der Kollege
Wer sich – wie Sie, Herr Heil – dafür einsetzt, dass wei- Bonde hat zu Recht gesagt, es gehe nicht darum, dass
terhin und in verstärktem Umfang Steuermittel für Maß- gespart wird, sondern darum, wie gespart wird. Es geht
nahmen verwendet werden, die den Arbeitsuchenden außerdem um die soziale Schieflage, die Ihr Paket auf-
überhaupt nicht weiterhelfen, der muss darlegen, wen er weist.
mit diesen Mitteln eigentlich beglücken möchte.
Sie haben bestritten, dass man auch einmal auf die
Weil es darum geht, den Staatshaushalt in verantwort- Einnahmeseite schauen muss – Sie lehnen dies ab –,
licher Weise wieder ins Lot zu bringen, ist es richtig und wenn man über Ausgaben und Einnahmen spricht.
wichtig, dass die Rentner von Einsparungen ausgenom-
men werden. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sie schauen
doch nur auf die Einnahmeseite!)
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Alles andere wäre
– Nicht nur auf die Einnahmeseite, aber auch. Sie
ja noch dreister!)
schauen überhaupt nicht darauf.
Es wäre nicht richtig, die Renten für notwendige Rück- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schnitte im Sozialstaat haftbar zu machen. Die solidari- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sche Finanzierung des Alterslohns bleibt daher unange-
(B) tastet. Gleichwohl wird die Rentenversicherung einen Wir haben heute im Rahmen eines Berichterstatterge- (D)
Solidarbeitrag zur Einsparung leisten. sprächs mit dem Bundesarbeits- und Sozialministerium
über diese Fragen gesprochen. Da hieß es, man denke
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Ihr organi- jetzt nicht über die Einnahmeseite nach, weil man nicht
siert Altersarmut!) wisse, wie sich die Länder verhielten, die ja mitmachen
Mit Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für müssten. Ich als Schleswig-Holsteinerin habe mich vor-
Hartz-IV-Empfänger wird eine erhebliche Einsparung hin mit anderen Kollegen mit dem Ministerpräsidenten
im Bundeshaushalt möglich. von Schleswig-Holstein getroffen, wo jetzt ebenfalls ein
Sparpaket auf den Weg gebracht worden ist, das zum
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Zulasten der Beispiel dazu führt, dass das beitragsfreie Kindergarten-
Kommunen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ jahr abgeschafft wird. Ich habe den Ministerpräsidenten
DIE GRÜNEN]: Wer bezahlt das denn?) nach der Einnahmeseite gefragt. Er sagte dazu, dass die
Bundesländer entsprechende Maßnahmen alleine nicht
Der Verlust von Rentenansprüchen in Höhe von etwa initiieren könnten, weil man dabei auf den Bund ange-
2 Euro erscheint im Gegenzug individuell zumutbar. wiesen sei. Ich sage Ihnen: Solange Schwarz-Gelb im
Meine Damen und Herren, wir sehen, die Bundes- Bund und in den Ländern mit diesem Schwarze-Peter-
regierung hat Eckpunkte vorgelegt, die in die richtige Spiel, mit diesem Hin und Her versucht, die Menschen
Richtung zeigen. Es ist unsere Aufgabe als Parlamenta- und die Opposition an der Nase herumzuführen – denn
rier, in den nächsten Monaten in den Debatten und in den an notwendige Steuererhöhungen da, wo sie sozial ver-
Haushaltsberatungen das auf einen guten Weg zu brin- träglich sind, wollen Sie nicht heran, und Sie wollen die
gen. Hoteliersteuer nicht rückgängig machen, mit der Sie
dem Staat in die Tasche fassen –, so lange wird Ihr Paket
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn sozial unausgewogen bleiben.
Wunderlich [DIE LINKE]: Da müsst ihr aber
noch eine Menge tun!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Andreas
Mattfeldt [CDU/CSU]: Solange man nur über
Steuererhöhungen redet, kommt man nicht
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: zum Sparen!)
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Bettina Hagedorn. Ich komme zum Thema Sparen. Sie sagen, dass Sie
sparen wollen. Aber auch das ist Trickserei. Denn in
(Beifall bei der SPD) weiten Bereichen verschieben Sie Dinge lediglich in die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4561
Bettina Hagedorn
(A) Zukunft. Ich nenne als Beispiel den Zuschuss an die Max Straubinger (CDU/CSU): (C)
Rentenversicherung für die Arbeitslosengeld-II-Empfän- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
ger in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Was bedeutet das? Kollegin Hagedorn und auch Kollege Bonde haben
Was weniger an Zuschüssen fließt, fehlt doch im Etat der heute verdeutlicht, dass es nicht darum geht, ob Defizite
Rentenversicherung. Die Schwankungsreserve, die wir reduziert werden, sondern wie Defizite reduziert werden.
gemeinsam mit ungefähr 16 Milliarden Euro auf eine Dies wird auch deutlich, wenn man sich den Titel der
stabile Grundlage gestellt haben, wird von Ihnen ange- heutigen Aktuellen Stunde, beantragt von SPD und
fasst. Wozu wird das in der Zukunft führen? Natürlich zu Bündnis 90/Die Grünen, zu Gemüte führt. Er lautet näm-
einer Erhöhung der Beiträge. Das wiederum ist Gift für lich: „Abbau der Neuverschuldung durch sozial gerechte
die Konjunktur und außerdem unsozial. Das ist kein Belastung auch der starken Schultern statt massiver Kür-
Sparen. zungen bei Arbeitslosen und jungen Eltern“. Das zeigt
sehr deutlich: Sie wollen nicht sparen, sondern
(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ Bündnis 90/Die Grünen und die linke Seite in unserem
CSU]: Wie hoch waren die Beiträge unter Rot- Haus wollen nur Belastungen der Bürgerinnen und Bür-
Grün?) ger, und das lehnen wir ab.
Es gibt Aussagen von Herrn Weise im Haushaltsaus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
schuss zu der Frage, wie hoch der erforderliche Arbeits- neten der FDP – Widerspruch bei der SPD)
losenversicherungsbeitrag sei. Herr Weise hat im De- Wir lehnen dies deshalb ab, weil dies nicht zielführend
zember letzten Jahres gesagt, der Beitragssatz im Jahre für den wirtschaftlichen Aufwuchs in unserem Land ist,
2010 müsse bei 4,8 Prozent liegen, wenn man das Defi- der letztendlich die Grundlage für die Gewährung sozia-
zit allein decken wolle. Dabei ist also der Zuschuss aus ler Leistungen für in Not geratene bzw. hilfebedürftige
Steuermitteln herausgerechnet, den die Bundesagentur Menschen ist.
für Arbeit in diesem Jahr erhält.
Heute wurde fabuliert, dass die starken Schultern zu
Nun sagen Sie aber, ab 2011 solle die Bundesagentur gering belastet werden. Dazu möchte anfügen: 8 Prozent
für Arbeit ohne Zuschuss und ohne Darlehen auskom- der Steuerzahler in unserem Land erbringen 50 Prozent
men. Aktuell ist für 2011 ein Beitragssatz von 3 Prozent des Aufkommens aus der Einkommensteuer. Ich glaube,
vorgesehen. Was bedeutet das Ganze denn? Das bedeutet das ist genug. Auch die damalige rot-grüne Bundesregie-
im Endeffekt, dass Sie den Beitragssatz für die Arbeits- rung unter Kanzler Schröder, Außenminister Fischer und
losenversicherung wieder werden anheben müssen. Es Bundesumweltminister Trittin hatte dies erkannt. Sie hat
gibt nur noch eine Möglichkeit, wie Sie das eventuell den Spitzensteuersatz von 53 auf 45 Prozent gesenkt, um
(B) vermeiden könnten; dann müssten Sie allerdings bei der die wirtschaftlichen Kräfte in unserem Land zu stärken. (D)
aktiven Arbeitsmarktpolitik einen wirklichen Kahlschlag (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
vornehmen. Ansätze dazu gibt es bereits. Da machen Sie neten der FDP – Steffen Bockhahn [DIE
nämlich das, was Sie vorgeben nicht zu tun. Sie sparen LINKE]: Falsch war das!)
bei der Bildung. Sie sparen nicht nur beim Hauptschul-
abschluss, sondern auch bei weiteren Qualifizierungen. – Das war nicht falsch, verehrte Kolleginnen und Kolle-
Sie sparen bei den Integrationschancen von jungen Men- gen von der Linken; denn damit ist bei Eintritt der CDU/
schen, Frauen, Behinderten und Migranten. Damit pro- CSU in die Bundesregierung wirtschaftlicher Fortschritt
duzieren Sie das, was das Gegenteil von vernünftig ist: ermöglicht worden. Damit sind 1,2 Millionen mehr so-
Sie verlagern die Kosten lediglich in die Zukunft und zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
rauben den Menschen Chancen. geschaffen worden und ist eine Rücklage in der gesetzli-
chen Rentenversicherung erwirtschaftet worden.
Für das vermeintliche Sparpaket, das Sie vorgelegt Heute wurde viel über Ausfälle bei der Rentenversi-
haben, sollten Sie sich schämen. Von der FDP habe ich cherung fabuliert. Dazu möchte ich anfügen, dass zum
nichts anderes erwartet. Ende der Regierungszeit von Rot-Grün nicht einmal eine
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir erwarten gar Rücklage von 1 Cent in der gesetzlichen Rentenver-
nichts von Ihnen!) sicherung zu verzeichnen war.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)
Aber dass die Partei mit dem „C“ in ihrem Namen das
mitmacht, das ist furchtbar. Erst mit Bundeskanzlerin Merkel an der Spitze ist es ge-
lungen, eine Rücklage von knapp einer Monatsausgabe
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu erwirtschaften.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Diese Erfolge haben wir zwar unter der Großen Koali-
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für tion erzielt. Aber diese Erfolge werden wir mit der FDP
die CDU/CSU-Fraktion. in der bürgerlich-liberalen Koalition nicht nur fortsetzen,
sondern auch verstärken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
4562 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Max Straubinger
(A) Wir verstärken sie, weil wir sozial ausgewogen sparen, werke abgeschaltet werden und dann der Strom aus dem (C)
möglicherweise nicht so sicheren Kernkraftwerk in Te-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sieht Herr
melin nach Bayern geliefert wird, weil der Strom aus
Lammert anders!)
Offshoreanlagen in Schleswig-Holstein nicht nach Bay-
und zwar dahin gehend, dass wir die wirtschaftlichen ern transportiert werden kann.
Kräfte sowie Bildung und Forschung in unserem Land (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
stärken. Das ist letztendlich die Grundlage für zukunfts-
orientierte Produkte aus unserem Land. Hier geht es letztendlich um die wirtschaftlichen Grund-
lagen, die es zu stärken gilt. Wenn wir für die Verlänge-
Wir sorgen dafür, dass es bei der Bildung nicht wie rung der Laufzeiten von Atomkraftwerken eintreten,
unter dem linken Senat in Berlin zugeht: Der Senat kann dann ist das auch ein Beitrag zur Sicherung der Arbeits-
nicht einmal genügend Plätze an den Gymnasien anbie- plätze und damit des Wohlstandes der Menschen in un-
ten. Damit werden die Chancen der jungen Menschen in serem Land.
Berlin zerstört; denn sie müssen sich einem Losverfah-
ren unterziehen, um überhaupt zum Abitur gelangen zu (Beifall bei der CDU/CSU)
können. Sie alle sind aufgefordert, bei den kommenden Bera-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tungen nützliche Vorschläge zu machen. Darauf sind wir
gespannt. Die Vorschläge dürfen sich nicht nur darin er-
Das ist das Ergebnis linker Politik hier in Berlin. schöpfen, weitere Belastungen für die Bürgerinnen und
Es ist entscheidend, dass Investitionen gestärkt wer- Bürger zu fordern, die tagtäglich frühmorgens aufstehen
den. Deshalb sind Investitionen von den Maßnahmen und den ganzen Tag arbeiten. Herr Kollege Heil, Sie
dieses Sparpakets ausgenommen. Wir investieren wei- wollen diese Bürger belasten; wir werden sie entlasten,
terhin in die Infrastruktur unseres Landes, darüber hi- damit es in Deutschland wirtschaftlich aufwärts geht.
naus in die Bildung und damit in die Zukunft. Das be- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
deutet auch: Wir schaffen weiterhin die Grundlage für
eine starke und gute Sozialpolitik, die Grundlage für den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wohlstand der Menschen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber nicht
Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Marks für
für Familien!)
die SPD-Fraktion.
Heute wurde nebenbei vielfältig kritisiert, dass mit
(Beifall bei der SPD)
(B) dem Sparpaket der Beschluss der Koalitionsfraktionen (D)
verbunden ist, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu
verlängern. Es ist richtig und wichtig, die Laufzeiten zu Caren Marks (SPD):
verlängern. Ich möchte es am Beispiel Bayerns darstel- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
len: 60 Prozent der Stromproduktion in Bayern stammen Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt, erst recht nach
aus Kernkraftwerken, und zwar aus sicheren Kernkraft- all Ihren Reden, wissen wir, wie die angeblich moderne
werken. Familienpolitik der schwarz-gelben Regierung wirklich
aussieht: alles Fassade. Es ist eine Fassade, bei der der
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber den Müll Putz in wirklich großen Stücken von der Wand fällt. Es
wollen Sie nicht!) ist reine Fassade, weil Sie das Elterngeld, ein Konzept
Die Kernkraftwerke haben aufgrund der niedrigen der SPD, das Sie damals gemeinsam mit uns als großen
Stromkosten die Grundlage dafür geschaffen, dass es Erfolg gefeiert haben, nun demontieren und dadurch
überhaupt einen industriellen, wirtschaftlichen Auf- eine soziale Schieflage schaffen.
schwung in Bayern gab. Die Sparvorschläge in der Familienpolitik bedeuten
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber der Müll definitiv weniger Geld für junge Familien.
soll nach Niedersachsen! – Weiterer Zuruf des (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Die krasseste Kürzung nimmt Schwarz-Gelb bei denje-
– Gerade Herr Ernst, der Betriebsrat ist, sollte an die Ar- nigen vor, die am wenigsten haben: bei den Empfänge-
beitsplätze auch in diesen Kraftwerken denken, rinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II.
(Beifall des Abg. Paul Lehrieder (CDU/CSU) (Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig! Genau so
anstatt dagegen zu polemisieren und damit letztendlich ist es!)
die Arbeitsplätze der Bediensteten zu gefährden. Das ist alles andere als christlich und liberal.
(Widerspruch bei der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
– Wenn man ein richtiger Arbeitnehmervertreter ist,
muss man für Arbeitsplätze kämpfen. Die bayerischen Ich möchte insbesondere die Kollegen von der Union da-
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Kraft- ran erinnern: Das Elterngeld ist entweder eine Einkom-
werken haben nichts davon, wenn unsere Kernkraft- mensersatzleistung oder ein Mindestelterngeld.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4563
Caren Marks
(A) (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ein Ersatz! (Beifall bei der SPD) (C)
Eine Ersatzleistung!)
Die Kürzungen beim Elterngeld werden sich auch bei
– Auch wenn Sie damals noch nicht dabei waren: Lesen Eltern mit kleinem und mittlerem Einkommen auswir-
lohnt sich manchmal! – Das Elterngeld ist eine Einkom- ken; denn es wird künftig nur noch 65 Prozent statt bis-
mensersatzleistung oder ein Mindestelterngeld von her 67 Prozent des Nettoerwerbseinkommens betragen.
300 Euro für alle, die kein Einkommen haben. Dazu ge- Die spürbaren Einbußen bewegen sich je nach Einkom-
hören Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger, Schü- men zwischen 25 und 54 Euro im Monat. Die jüngste
lerinnen und Schüler, Studierende sowie Hausfrauen und Kindergelderhöhung ist für diese Familien damit sogar
Hausmänner. aufgebraucht. Auch das sollten Sie wissen. Es ist klar,
dass entgegen den Aussagen der Regierung auch Fami-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hausfrauen lien mit kleinem Einkommen, die auf jeden Euro ange-
auch!) wiesen sind, von den Kürzungen des Elterngeldes be-
Ich möchte auch daran erinnern, dass es insbesondere troffen sind. Für Eltern mit Einkommen über 2 700 Euro
die Union war, die darauf Wert gelegt hat, dass das Min- netto ändert sich allerdings nichts, der Höchstbetrag von
destelterngeld eine Anerkennung für die Erziehungsleis- 1 800 Euro Elterngeld wird nicht angetastet. Beim Griff
tung im ersten Jahr darstellt. Den Hartz-IV-Beziehern ins Elternportemonnaie ist nichts sozial ausgewogen.
werden als einziger Gruppe die 300 Euro Mindesteltern- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
geld ersatzlos gestrichen. Deren Erziehungsleistung wird bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
von Schwarz-Gelb also nicht mehr anerkannt. Das ist GRÜNEN)
mehr als interessant.
Die Kürzungen beim Elterngeld sind auch kontrapro-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem duktiv für mehr gelebte Partnerschaft von Müttern und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörn Vätern; denn gerade für viele Väter wird der Bezug von
Wunderlich [DIE LINKE]: Riesenschweine- Elterngeld unattraktiver werden, da sie häufig das hö-
rei!) here Einkommen beziehen. Die von der Ministerin ange-
Rund 130 000 Familien sind davon betroffen, darun- kündigte Weiterentwicklung des Elterngeldes mit mehr
ter viele Alleinerziehende, die Frau Schröder und auch Partnermonaten war reine Fassade, geschehen wird
Frau von der Leyen angeblich so sehr am Herzen liegen. nichts. Sie haben die Familien getäuscht und im Stich
Hier werden die sozial Schwächsten am stärksten be- gelassen. Das werden die Familien im Gedächtnis behal-
nachteiligt, Kinderarmut wird verfestigt. ten.

(Ulrike Flach [FDP]: Ich denke, Sie sind gegen Schwarz-Gelb hat kein Konzept, um die Rahmenbe-
(B) (D)
das Betreuungsgeld!) dingungen für Familien wirklich zu verbessern, und un-
ternimmt nichts, um die frühkindliche Bildung und Be-
Ich finde, dass die heute bei uns im Ausschuss von Frau treuung voranzubringen. Dass sich Ministerin Schröder
Ministerin Schröder vorgetragene Begründung, dass bei in einer Pressemitteilung selbst dafür lobt, dass das Son-
Eltern im ALG-II-Bezug der Grundbedarf bereits ge- dervermögen im Zusammenhang mit dem Betreuungs-
sichert sei, mehr als zynisch ist. ausbau und dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz
nicht angetastet wird, ist ein Armutszeugnis. Das infrage
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) zu stellen, wäre dreist, ein bildungspolitischer Offenba-
Das sieht insbesondere im ersten Lebensjahr eines Kin- rungseid und gegen die Absprachen mit Ländern und
des wirklich anders aus. Vielleicht schauen Sie sich in Kommunen.
unserer Republik etwas um. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) LINKEN – Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
Das Mindestelterngeld von Hausfrauen hingegen, die Sie lobt sich – das muss man der Ministerin sagen, auch
mit Spitzenverdienern verheiratet sind, lassen Sie unan- wenn sie leider nicht da ist – für Selbstverständlichkei-
getastet. ten.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Unglaublich!) Das Sparpaket richtet sich nicht gegen die Verursa-
cher der Finanzkrise, sondern vor allem gegen sozial
Hier passiert nichts. Es wird deutlich, dass die Ministerin schwache Familien.
entgegen einer Pressemitteilung weder intelligent noch
sozial ausgewogen spart. (Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)
Sie streichen Hartz-IV-Empfängern das Mindesteltern-
(Beifall bei der SPD)
geld, Wohngeldempfängern die Heizkostenzuschüsse
Das ist nicht nur die Meinung der SPD, sondern einer und begründen dies damit, dass keiner länger über seine
großen Mehrheit von Gewerkschaften, Verbänden und Verhältnisse leben dürfe.
der Gesellschaft. Der Familienbund der Katholiken hat
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist eine Unver-
die Vorschläge, das Elterngeld zu kürzen, als „Schwar-
schämtheit!)
zen Montag“ für Familien bezeichnet, und auch Bundes-
tagspräsident Professor Lammert kritisiert die soziale Nicht in Sozialwohnungen wurde über die Verhältnisse
Schieflage Ihrer Sparvorschläge. gelebt. Vielmehr haben viele Banker und Finanzjongleure
4564 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

Caren Marks
(A) auf den Finanzmärkten über ihre Verhältnisse gelebt. Ich sage deutlich: Wenn wir die Chance, den Staats- (C)
Hier gilt es zu handeln, und man darf nicht bei Ankündi- haushalt zu konsolidieren, jetzt nicht nutzen, hinterlas-
gungen stehenbleiben. sen wir unseren Kindern ein verdammt schweres Erbe.
Unsere Kinder werden, wenn wir wie bisher weiterma-
Wir, die SPD, sagen den Familien: Allein die Rück- chen, keinerlei Perspektive haben und nicht mehr tun
nahme der Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelüber- können, als die Schulden, die wir ihnen aufgebürdet ha-
nachtungen, beschlossen von der Regierung Anfang die- ben, abzubezahlen. Das ist mit mir nicht zu machen.
ses Jahres, würde all die Sparvorschläge und die Politik,
die auf dem Rücken der Familien ausgetragen wird, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Superman!)
überflüssig machen. Wir konsolidieren in allen Bereichen, damit unsere Kin-
(Beifall bei der SPD) der ihre Zukunft gestalten können. Mit soliden Staats-
finanzen tun wir unseren Kindern einen größeren Gefal-
Doch es wird deutlich, meine Damen und Herren von len als mit dem einen oder anderen Euro, den wir dem
Schwarz-Gelb: Dieser Regierung sind Hoteliers deutlich Einzelnen zum Beispiel beim Elterngeld geben.
mehr wert als Familien in unserem Land.
Als Berichterstatter für den Etat des Bundesfamilien-
Herzlichen Dank. ministeriums fällt es mir zugegebenermaßen nicht leicht,
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven- im eigenen Etat Einsparungen vorzunehmen. Dem Fami-
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lienvater, der morgens um 5 Uhr aufsteht und dann
NEN]) 100 Kilometer zur Arbeit fährt, kann ich aber beim bes-
ten Willen nicht erklären, dass sein langzeitarbeitsloser
Nachbar genau dasselbe bekommt wie er, zum Teil sogar
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: noch 300 Euro Elterngeld obendrauf erhält. Das ist nicht
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege zu erklären. Das funktioniert nicht, und das hat mit Ge-
Andreas Mattfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. rechtigkeit überhaupt nichts zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Demagogie, was
Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Sie machen! Unanständig! Unchristlich!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und – Ihre populistischen Schreie zeigen mir, dass Sie von
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Populismus eine ganze Menge verstehen. Von Finanzpo-
erleben hier und heute Debattenbeiträge der Opposition litik verstehen Sie aber überhaupt nichts.
(B) zum Thema Sparpaket, wie ich sie erwartet habe. Ich bin (D)
sicher, selbst wenn wir die Überschriften der Parteipro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
gramme der Linken, der Grünen und der SPD zitiert hät- derspruch bei der SPD – Hubertus Heil [Peine]
ten, hätten wir dasselbe Gezeter gehört. [SPD]: Sie wollen christlich sein?)

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Weil Sie es anscheinend vergessen haben, möchte ich
an die Grundkonstruktion des Elterngeldes erinnern: Das
Das passt absolut zu dem, was ich in den letzten Wo- Elterngeld wurde als Lohnersatzleistung konzipiert.
chen von Ihnen in diesem Haus gesehen habe. Das hat
mit einer verantwortungsvollen und zukunftsorientierten (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie Frau
Oppositionsarbeit überhaupt nichts zu tun. Das ist eine Marks nicht zugehört?)
populistische Show. Wie ernst gerade die Grünen diese – Herr Heil, bitte beantworten Sie mir die Frage: Wie
Show nehmen, sehen wir daran, dass ihre Spitze den rechtfertigen Sie vor dem Hintergrund des Lohnersatzes
Raum nach kurzer Zeit schon wieder verlassen hat. eine pauschale Zahlung von 300 Euro an den Langzeit-
arbeitslosen, der keinen Lohn, sondern Leistung vom
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Staat empfängt?
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist denn die
Merkel geblieben? – Widerspruch beim (Caren Marks [SPD]: Herr Kollege, hätten Sie
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mal zugehört! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]:
Aber die Hausfrauen!)
Es ist immer einfach, zu sagen, wo überall nicht ge-
spart werden soll. Ich höre das immer wieder von unter- Wir wollen hier auch einmal ganz deutlich der Legen-
schiedlichen Seiten, da die Interessen verschieden sind: denbildung vorbeugen: Der Grundbedarf der Empfänger
Bei den Familien, bei den Arbeitslosen, in den Bereichen von SGB-II-Leistungen wird bereits durch die Regel-
Gesundheit, Verteidigung oder auch Wirtschaft, nir- sätze und durch die entsprechenden Zusatzleistungen,
gendwo darf gespart werden. Diese Liste lässt sich un- die gerade für Kinder gewährt werden, gesichert.
endlich fortführen. Wir verfahren in diesem Haus seit
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Rufen Sie doch
Jahren nach der Devise: Mir ist kein Opfer, das mein
einmal Frau von der Leyen an!)
Nachbar für mich erbringen kann, zu groß. Deshalb erin-
nere ich gerade Sie, lieber Kollege Hubertus Heil, daran, Das Existenzminimum der Familien wird weiterhin gesi-
dass Sie mit uns gemeinsam die Schuldenbremse verab- chert sein. Auch für das Neugeborene erhalten die Eltern
schiedet haben, auch wenn Sie das heute nicht mehr wis- den Regelsatz. Eine Gewährung von Elterngeld in Höhe
sen wollen. von 300 Euro zusätzlich zum SGB-II-Leistungsbezug
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4565
Andreas Mattfeldt
(A) verringert für mich seit dessen Einführung zu sehr den Arbeiten Sie konstruktiv daran mit und unterlassen Sie (C)
Abstand zwischen dem, der arbeitet, und dem, der keiner Veranstaltungen wie die heutige populistische Show!
Arbeit nachgeht. Das ist den Fleißigen in unserer Gesell-
Herzlichen Dank.
schaft nicht zu vermitteln. Wer morgens früh aufsteht
und arbeiten geht, der darf dafür nicht bestraft werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn
Wunderlich [DIE LINKE]: Zusammenstrei-
(Beifall bei der CDU/CSU) chen bei den Ärmsten! Bekennen Sie sich
Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Damit das auch doch dazu! Heute nur schöne Worte! Das ist
so bleibt und damit das Elterngeld vor allen Dingen doch zum Verrücktwerden! Demagogie hoch
langfristig finanzierbar ist, müssen wir, auch wenn es drei!)
schwerfällt, eine weitere Veränderung in diesem Bereich
vornehmen. Wir tun dies, um die zukünftige Finanzie- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
rung des Elterngeldes zu sichern. Deshalb ist es notwen- Die Aktuelle Stunde ist beendet.
dig, die Lohnersatzrate bei einem Nettoeinkommen von Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
über 1 240 Euro im Monat moderat von 67 Prozent auf ordnung.
65 Prozent abzusenken. Damit ist auch langfristig die
Unterstützung von Erwerbstätigen im unteren und mitt- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
leren Einkommensbereich gewährleistet. destages auf morgen, Donnerstag, 10. Juni 2010, 9 Uhr,
ein.
Es geht in diesen Tagen nicht um Gezeter, sondern um
die Zukunft unseres Landes und um die Zukunft unserer Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.
Kinder. Ich schließe die Sitzung.
(Zuruf von der LINKEN: Wie pathetisch!) (Schluss: 17.16 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4567

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2
Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort

des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die


entschuldigt bis Frage des Abgeordneten Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
Abgeordnete(r) einschließlich
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 1):
Was ist konkret mit der im Rahmen der Deutschen Islam-
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 09.06.2010 Konferenz aufgestellten Forderung gemeint, Zuwanderer
DIE GRÜNEN müssten sich an die auf Geschichte und Kultur Deutschlands
beruhenden Orientierungen anpassen?
Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 09.06.2010
DIE GRÜNEN Die zitierte Aussage findet sich in den Thesen der Ar-
beitsgruppe 1 „Deutsche Gesellschaftsordnung und Wer-
Canel, Sylvia FDP 09.06.2010 tekonsens“ der Deutschen Islam Konferenz, DIK, zum
Muslimischen Leben in der Deutschen Gesellschaftsord-
Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/ 09.06.2010 nung, die im Zwischenresümee der Arbeitsgruppen und
DIE GRÜNEN des Gesprächskreises der DIK am 13. März 2008 dem
3. Plenum der DIK vorgelegt wurde. Sie ist Teil einer ge-
Goldmann, Hans- FDP 09.06.2010 meinsamen faktischen Beschreibung von Integration als
Michael Prozess durch die Teilnehmer der DIK und postuliert
keine eigenen Forderungen.
Hempelmann, Rolf SPD 09.06.2010
Integration wird dabei beschrieben als Prozess, der
Juratovic, Josip SPD 09.06.2010 „grundsätzlich beide Seiten [verändert], die Mehrheits-
gesellschaft wie auch die Zuwanderer“. Die zitierte Aus-
Kolbe, Manfred CDU/CSU 09.06.2010 sage, Integration verlange Zuwanderern dabei ein höhe-
Kopp, Gudrun FDP 09.06.2010 res Maß an Anpassung ab, wird anschließend wie folgt
konkretisiert: „Das Bekenntnis zur deutschen Rechts-
(B) Dr. Lauterbach, Karl SPD 09.06.2010 und Werteordnung und die Bereitschaft zu Erwerb und (D)
Gebrauch der deutschen Sprache bilden den Weg zum
Dr. Lotter, Erwin FDP 09.06.2010 Verständnis und zur Teilhabe an ihr.“

Maurer, Ulrich DIE LINKE 09.06.2010

Menzner, Dorothée DIE LINKE 09.06.2010 Anlage 3

Möller, Kornelia DIE LINKE 09.06.2010 Antwort

Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ 09.06.2010 des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die
DIE GRÜNEN Frage des Abgeordneten Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 2):
Özoğuz, Aydan SPD 09.06.2010 Inwiefern sind solche Forderungen mit unserem Grundge-
setz vereinbar?
Ploetz, Yvonne DIE LINKE 09.06.2010
Die zitierte Aussage ist keine Forderung, sondern eine
Rachel, Thomas CDU/CSU 09.06.2010 faktische Beschreibung des Integrationsprozesses. Es
liegt auf der Hand und entspricht praktischer Erfahrung,
Remmers, Ingrid DIE LINKE 09.06.2010 dass Integration den Zuwanderern ein höheres Maß an
Liselotte Anpassung abverlangt als der Mehrheitsgesellschaft.
Beispielsweise sind Zuwanderer regelmäßig darauf
Dr. Scheer, Hermann SPD 09.06.2010
angewiesen, eine ihnen fremde Sprache erlernen zu
Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 09.06.2010 müssen, während diese den Angehörigen der Mehrheits-
gesellschaft von Kindheit an vertraut ist. Verfassungs-
Scholz, Olaf SPD 09.06.2010 rechtliche Bedenken gegen diese rein praktischen
Notwendigkeiten sind nicht ersichtlich. § 43 Aufent-
Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 09.06.2010 haltsgesetz, der die Integration von rechtmäßig auf
Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das
Wicklein, Andrea SPD 09.06.2010 wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in
Deutschland fordert, wurde von den mit der Vorschrift
Zapf, Uta SPD 09.06.2010 befassten Gerichte bisher ausnahmslos bestätigt.
4568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Anlage 4 Das Deutsche Polizei Projektteam, GPPT, ist direkt an (C)
das Bundesministerium des Innern, BMI, angegliedert.
Antwort
Der Leiter des GPPT ist als Leitender Polizeiberater an
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die die Deutsche Botschaft Kabul entsandt. Die Fachauf-
Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- sicht über das GPPT wird durch das zuständige Referat
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 3): in der Abteilung Bundespolizei ausgeübt. Das Bundes-
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem ministerium des Innern erarbeitet die strategischen Ziele
Amnesty-International-Jahresbericht 2009 zur Menschen- zur Aufgabenwahrnehmung des GPPT. Die inhaltliche
rechtslage in Deutschland, in dem die Bundesrepublik Ausgestaltung zur Zielerreichung wird eng mit der Pro-
Deutschland dafür kritisiert wird, dass sie das absolute Folter- jektleitung vor Ort und darüber hinaus auf ministerieller
verbot bei Abschiebungen in „Folterstaaten“ – zum Beispiel
Tunesien und Syrien – nicht ausreichend ernst nimmt? Ebene im Ressortkreis, BMI, Auswärtiges Amt, Bundes-
ministerium der Verteidigung, Bundesministerium für
Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung des ab- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, abge-
soluten Folterverbots im Zusammenhang mit Abschie- stimmt.
bungen in Drittstaaten vollständig bewusst. Sie hält die
diesbezügliche, im Jahresbericht 2009 von Amnesty
International enthaltene Kritik für unbegründet. Anlage 7
Soweit im Herkunftsstaat die konkrete Gefahr besteht, Antwort
der Folter oder einer sonstigen menschenrechtswidrigen
Behandlung unterworfen zu werden, greifen Abschie- des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die
bungsverbote (vergleiche § 60 Abs. 2, § 60 Abs. 5 Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Druck-
AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK), das heißt der Betref- sache 17/1917, Frage 14):
fende kann nicht abgeschoben werden. Diese Abschie- Plant die Bundesregierung immer noch die von ihr ange-
bungsverbote sind stets von den zuständigen Behörden kündigte Einführung einer steuerlichen Förderung von For-
schung und Entwicklung, und, wenn ja, wie sollen die steuer-
im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Art und Umfang der lichen Einnahmeausfälle kompensiert werden?
Prüfung richten sich nach dem Vorbringen des Auslän-
ders und sonstigen Anhaltspunkten für das Vorliegen ei- Derzeit ist noch keine Entscheidung über eine steuer-
nes Abschiebungsverbots. Die Entscheidung erfolgt auf liche Förderung von Forschung und Entwicklung gefal-
der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse, die ent- len.
weder im Bundesgebiet oder, soweit es im Einzelfall er- Mit Blick auf die jüngste Entwicklung ist auf die ak-
forderlich ist, den deutschen Auslandsvertretungen zu- tuelle Steuerschätzung, die für den Bund in den Jahren
(B) gänglich sind. 2011 ff. mit erheblichen Steuermindereinnahmen ver- (D)
bunden ist, und die Situation an den Finanzmärkten hin-
zuweisen. Inwieweit eine steuerliche Förderung von
Anlage 5 Forschung und Entwicklung mit dem erforderlichen
Antwort Konsolidierungskurs vereinbar ist, wird im Rahmen der
weiteren Debatte zum Bundeshaushalt 2011 und der mit-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die telfristigen Finanzplanung zu entscheiden sein.
Frage des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 4):
Ab welcher personellen Mindeststärke – jeweils Feldjäger, Anlage 8
Polizeiausbilder, Übersetzer – wird ein Police Mentoring
Team, PMT, im Rahmen des bilateralen Polizeiprojektes in Antwort
Afghanistan eingesetzt?
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
Ein Police Mentoring Team, PMT, besteht aus maxi- der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
mal vier Polizeibeamten, vier Feldjägern sowie zwei NEN) (Drucksache 17/1917, Frage 15):
Sprachmittlern mit Orts-/Personenkenntnis. Die Festle- Welche Steuervergünstigungen will die Bundesregierung
gung der jeweiligen aktuellen Stärke erfolgt lagebezo- im Zuge ihrer geplanten Sparmaßnahmen abschaffen, und
gen; eine Mindeststärke ist insofern nicht festgelegt. welche Rolle spielen ökologische Aspekte bei der Auswahl
der abzuschaffenden Steuervergünstigungen?
Die Bundesregierung hat in der Kabinettklausur vom
Anlage 6 6. und 7. Juni 2010 beschlossen, die Steuerbegünstigun-
Antwort gen für die Unternehmen des Produzierenden Gewerbes
bei der Energie- und Stromsteuer zielgerichteter auszu-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die gestalten, damit sie vornehmlich denjenigen Unterneh-
Frage des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜND- men zugute kommen, die tatsächlich im internationalen
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 5): Wettbewerb stehen und energieintensiv produzieren.
Inwieweit war das Bundesministerium des Innern, BMI, in Durch diese Maßnahme wird der Lenkungseffekt der
der Phase der strategischen Planung und inhaltlichen Ausge- ökologischen Steuerreform erhöht. Dies wird insbeson-
staltung des bilateralen Polizeiprojekts zur Ausbildung afgha-
nischer Sicherheitskräfte eingebunden, und inwiefern beglei-
dere die angestrebte weitere Steigerung der Energieeffi-
tet das BMI die operative Umsetzung des bilateralen zienz unterstützen. Die weiteren Einzelheiten sind noch
Polizeiprojekts in Afghanistan? im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu klären.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4569

(A) Anlage 9 Inwiefern wird sich der Bund an den Kosten der notwendi- (C)
gen Neuanschaffungen drahtloser Produktionsmittel im Rah-
Antwort men der Änderung der Frequenzbereichszuweisungsplanver-
ordnung beteiligen?
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Im Rahmen der Zustimmung des Bundesrates zum
(Drucksache 17/1917, Frage 16): Verordnungstext hat die Bundesregierung die Zusage ge-
geben, dass der Bund „die Kosten, die sich nachweislich
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Einlei-
tung eines Verfahrens nach Art. 108 Abs. 2 des Vertrags über die aus notwendigen Umstellungen bis Ende des Jahres
Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV (Az. C 7/2010), 2015 bei denjenigen ergeben, die die Frequenzen … bis-
im Hinblick auf § 8 c Abs. 1 a des Körperschaftsteuergeset- her nutzen, Rundfunksendeunternehmen und Sekundär-
zes, KStG, und sieht die Bundesregierung hier Handlungsbe-
darf, die sogenannte Sanierungsregel nach § 8 c Abs. 1 a KStG
nutzer, insbesondere Kultur- und Bildungseinrichtungen,
umzugestalten, sodass keine Bedenken gegen eine mit EU- in angemessener Form tragen“ wird. Im Bundesministe-
Recht konforme Regelung entstehen? rium der Finanzen und im Bundeswirtschaftsministe-
Aus dem Verfahren ergeben sich folgende Auswirkun- rium wurde zwischenzeitlich eine Arbeitsgruppe gebil-
gen, über die die obersten Finanzbehörden der Länder mit det. Diese entwickelt zurzeit eine Verwaltungsvorschrift
BMF-Schreiben vom 30. April 2010 informiert wurden: mit dem Ziel, die Höhe der anrechenbaren Kosten sowie
das Verfahren zur Abwicklung festzulegen.
1. Die Sanierungsklausel ist bis zu einem abschlie-
ßenden Beschluss der Kommission nicht mehr anzuwen-
den (Durchführungsverbot). Anlage 12
2. Alle potenziellen Beihilfeempfänger werden durch Antwort
die Finanzbehörden über die Eröffnung des förmlichen
Prüfverfahrens durch Übermittlung einer Kopie des des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Schreibens der Kommission vom 24. Februar 2010 in- Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)
formiert. (Drucksache 17/1917, Frage 19):
Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass bei Welche Ergebnisse wurden bisher bei dem Wettbewerb
der Sanierungsklausel des § 8 c KStG keine Form der „Deutschland – Land der Ideen“ hinsichtlich der wirtschaftli-
chen Wirkungen für den Tourismusstandort Deutschland er-
Beihilfe vorliegt und hat gegenüber der Europäischen reicht?
Kommission entsprechend Stellung genommen. Es be-
steht daher gegenwärtig kein Bedarf für eine gesetzliche „Deutschland – Land der Ideen“ ist kein Wettbewerb,
Änderung. sondern die Standortinitiative der Bundesrepublik
(B) Deutschland. Die Initiative wurde im Jahr 2005 von der (D)
Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft gegrün-
Anlage 10 det. Sie wird getragen durch Beiträge von Unternehmen
und Ministerien und geführt vom Bundesverband der
Antwort Deutschen Industrie, BDI.
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage „Deutschland – Land der Ideen“ macht technologi-
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) sche Innovationen sichtbar, setzt kreative, kulturelle Im-
(Drucksache 17/1917, Frage 17): pulse und unterstützt wissenschaftlichen Forschergeist.
Welche konkreten Schlussfolgerungen hat die Bundesre- Diese Absendermarke hat mit dazu beigetragen, dass
gierung seit meiner diesbezüglichen mündlichen Frage vom
25. Novembver 2009 (Plenarprotokoll 17/6, Seite 338 C) aus
Deutschland an der Spitze der beliebtesten Nationen der
dem Urteil des Bundesfinanzhofes VI R 14/07 hinsichtlich ei- Welt steht. 2005 belegte Deutschland noch Platz sieben
ner systematischen Neuordnung der steuerlichen Berücksich- im Nation Brand Index *, bis 2008 verteidigte die Bun-
tigung von Ausbildungskosten gezogen, und wird die Bundes- desrepublik drei Jahre in Folge Platz eins des internatio-
regierung zeitnah eine systematische Neuordnung hinsichtlich
des Themenkomplexes einer einheitlichen steuerlichen Be- nalen Rankings. Im Jahr 2009 belegte Deutschland Rang
handlung der Ausbildungskosten vorlegen? drei.
Die obersten Finanzbehörden der Länder sind mit Die Initiative verfolgt keine Gewinnerzielungsabsich-
dem Bund übereingekommen, die allgemeinen Grund- ten. Vielmehr hat sie zum Ziel, Deutschland im nationa-
sätze aus dem von Ihnen genannten Urteil über den ent- len und internationalen Umfeld als „Land der Ideen“ zu
schiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden. Dies erfolgt präsentieren und so ein modernes Deutschlandbild zu
unabhängig von einem Konzept zur „Neuordnung der vermitteln: zum Beispiel auf dem EU-Gipfel, auf dem
steuerlichen Abziehbarkeit der Berufsausbildungskos- G-8-Gipfel, auf Investorenveranstaltungen, mit Wissen-
ten“, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. schafts- und Kulturprojekten in Deutschland und aller
Welt. Die Schirmherrschaft der Initiative hatte der Bun-
despräsident.
Anlage 11
Die Förderung des Tourismus ist kein Primärziel der
Antwort Initiative „Deutschland – Land der Ideen“.
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Derzeit läuft wieder der Wettbewerb „365 Orte im
Frage der Abgeordneten Dagmar Ziegler (SPD) (Druck- Land der Ideen“ im fünften Jahr. Die Initiative richtet
sache 17/1917, Frage 18): diesen Wettbewerb in Kooperation mit der Deutschen
4570 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Bank aus. Von einer unabhängigen Jury werden insge- nach der Senkung der MWSt-Sätze für das Beherber- (C)
samt 365 „Ausgewählte Orte“ gekürt, die sich jeweils an gungsgewerbe weiter an einer Verbesserung der Rah-
einem Tag im Jahr der Öffentlichkeit mit ihrer Idee prä- menbedingungen für den Geschäftsreisetourismus arbei-
sentieren. Orte im Land der Ideen sind keine Städte und ten, wozu insbesondere die Verkehrsinfrastruktur, das
Gemeinden im geografischen oder politischen Sinne. Sie hohe Sicherheitsniveau in den Städten und das gute
finden sich überall dort, wo Ideen entstehen, entwickelt Preis-Leistungs-Verhältnis in der Hotellerie gehört. Au-
und gefördert werden oder die Erinnerung an große Er- ßerdem wird die Bundesregierung im Rahmen ihres
findungen und Ideen bewahrt wird. Auslandsmarketings durch die Deutsche Zentrale für
Tourismus weiter die hervorragenden Standortqualitäten
Im Rahmen dieses Wettbewerbs „365 Orte im Land
Deutschlands als Messe-, Tagungs- und Kongressstand-
der Ideen“ wurden in den vergangenen fünf Jahren
ort herausstellen.
96 „Ausgewählte Orte“ mit touristischem Hintergrund
öffentlich ausgezeichnet.
Anlage 14
Anlage 13 Antwort
Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra-
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra- gen der Abgeordneten Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE
gen der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD) GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 25 und 26):
(Drucksache 17/1917, Fragen 20 und 21): Welche Vorgaben bezüglich zusätzlicher politischer Maß-
nahmen zur Verringerung des Energieverbrauchs und insbe-
Welche Maßnahmen wurden seit der Beschlussfassung des sondere des Stromverbrauchs hat das Bundesministerium für
Antrags „Messen und Geschäftsreisen als Chance für den Tou- Wirtschaft und Technologie den Gutachtern gemacht, die die
rismusstandort Deutschland“ (Bundestagsdrucksachen 16/5958, Energieszenarien der Bundesregierung erstellen?
16/9255; vergleiche Plenarprotokoll 16/179, Seite 19107 C)
durch die Bundesregierung umgesetzt, und welche weiteren Welche Ziele zur Steigerung der Energieproduktivität hat
Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zur Stärkung das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie den
des Messe- und Geschäftsreisetourismus in Deutschland um- Gutachtern für die Energieszenarien vorgegeben?
zusetzen?
Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der ak- Zu Frage 25:
tuellen Studie „Meeting- & Event Barometer 2010“, die auf
der Fachmesse IMEX in Frankfurt (Main) vorgestellt wurde, Den Gutachtern wurden keine Vorgaben für zusätzli-
und welche Handlungsoptionen zur Unterstützung des Ta- che Maßnahmen zur Verringerung des Energieverbrauchs
gungs- und Veranstaltungsstandorts Deutschland leitet sie dar- und keine Vorgaben zur Verringerung des Stromver-
(B) aus ab? brauchs gemacht. (D)

Zu Frage 20: Zu Frage 26:


Die Bundesregierung misst dem Geschäftsreisetouris- Die Gutachter analysieren vier Zielszenarien mit dem
mus eine hohe Bedeutung zu. Deshalb nimmt die Zeithorizont 2050, die alle vier auf eine Minderung ener-
Vermarktung der Stärken Deutschlands als Messe-, giebedingter THG-Emissionen von 85 Prozent im Jahre
Tagungs- und Kongressstandort im Rahmen des Aus- 2050, gemessen an 1990, ausgerichtet sind. Für die Sze-
landsmarketings der Deutschen Zentrale für Tourismus, narien II und III ist eine durchschnittliche jährliche Stei-
DZT, einen großen Raum ein. So ist die DZT nicht nur gerung der Energieeffizienz von 2,3 bis 2,5 Prozent vor-
auf der jährlichen Fachmesse IMEX vertreten, sondern gegeben. Die Steigerung der Energieeffizienz in den
ist auch Mitinitiator der Expertenbefragung „Meeting- Szenarien I und IV wird endogen, das heißt aus der Mo-
und Eventbarometer“. 2012 wird der „Geschäftsreise- dellrechnung heraus ermittelt.
standort Deutschland“ Schwerpunktthema der DZT sein.
Um die Chancen der deutschen Hotellerie im internatio-
nalen Wettbewerb zu erhöhen, hat die Bundesregierung
Anlage 15
zu Jahresbeginn 2010 die MWSt-Sätze für Beherber-
gungsleistungen gesenkt. Davon profitiert insbesondere Antwort
die Tagungs- und Kongresshotellerie. Außerdem arbeitet
die Bundesregierung unter anderem in den Bereichen des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Verkehrsinfrastruktur, Barrierefreiheit, Bürokratieabbau Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
und Visaerteilung für Aussteller und Geschäftsreisende DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 29):
an der Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Welche Vorgaben hat das Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie den Gutachtern, die die Energieszena-
Geschäftsreisetourismus. rien der Bundesregierung erstellen, zu den Kosten der im Fall
einer Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken erfor-
Zu Frage 21: derlichen Sicherheitsnachrüstungen gemacht?

Die Bundesregierung teilt die Einschätzung des Wie bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage
„Meeting- & Event Barometer 2010“, dass nach der star- Nr. 17/1365 erläutert, sind Bundesregierung und beauf-
ken Betroffenheit des Geschäftsreisesegments durch die tragte Institute in einem fortlaufenden Austausch über
Finanz- und Wirtschaftskrise 2010 mit einer Erholung die zugrunde liegenden Annahmen. Dabei geht es vor al-
der Branche zu rechnen ist. Die Bundesregierung wird lem um die Konsistenz von Annahmen zur realistischen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4571

(A) Abbildung zielorientierter Entwicklungspfade. Ange- Anlage 18 (C)


sichts der Vorläufigkeit der Annahmen wird die Bundes-
regierung im Hinblick auf den laufenden Arbeitsprozess Antwort
zu vorläufigen Annahmen und Ergebnissen nicht Stel- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra-
lung nehmen. Die Bundesregierung wird nach Abschluss gen des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
der Berechnungen und Vorliegen belastbarer Ergebnisse DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 34 und 35):
die Fraktionen mit einem Bericht über die Energieszena- Welche Vorgaben hat das Bundesministerium für Wirt-
rien informieren. schaft und Technologie den Gutachtern, die die Energieszena-
rien der Bundesregierung erarbeiten, hinsichtlich der Weiter-
entwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, und
insbesondere zur geplanten EEG-Novelle für das Jahr 2012
Anlage 16 gemacht?
Antwort Welche Annahmen zum Umfang der Versteigerung von
Emissionszertifikaten im Rahmen des europäischen Emis-
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra- sionshandels sollen die Gutachter nach den Vorgaben des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie für 2020
gen der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ und 2030 zugrunde legen?
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 30 und 31):
Welche Vorgaben zur Besteuerung von Brennelementen Zu Frage 34:
hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
den Gutachtern, die die Energieszenarien der Bundesregie- Den Gutachtern wurden keine Vorgaben zur Weiter-
rung erstellen, als Grundlage für ihre Berechnungen zur Wirt- entwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG,
schaftlichkeit der Atomkraft gemacht?
und zur Novelle des EEG gemacht.
Welche Ziele und Annahmen zur Entwicklung des Strom-
verbrauchs bis 2020 und 2030 hat das Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie den Gutachtern vorgegeben?
Zu Frage 35:
Den Gutachtern wurden keine Vorgaben zum Umfang
Zu Frage 30: der Versteigerung von Emissionszertifikaten im Rahmen
des Europäischen Emissionshandels gegeben.
Die Gutachter haben keine Vorgabe zur Besteuerung
von Brennelementen erhalten.
Anlage 19
Zu Frage 31:
Antwort
(B) Den Gutachtern wurden keine Vorgaben zur Entwick- (D)
lung des Stromverbrauchs bis zum Jahr 2020 und bis des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra-
zum Jahr 2030 gemacht. gen der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE
LINKE) (Drucksache 17/1917, Fragen 36 und 37):
Welche Mitglieder der Bundesregierung oder Vertreter der
Anlage 17 Bundesregierung nehmen an der Bilderberg-Konferenz in
Spanien teil, und fließen deutsche Steuergelder in die Vorbe-
Antwort reitung und Durchführung dieser Geheimkonferenz?
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra- Öffentlichkeit von dieser Konferenz ausgeschlossen ist und
gen der Abgeordneten Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ dass Journalisten, die Aufnahmen von Besuchern machen
wollen, zum Löschen der Bilder aufgefordert werden und,
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 32 und 33): wenn sie sich weigern, mit 32 Stunden Arrest bedroht werden,
Welche Vorgaben bezüglich der Endlagerung hochradio- und wird die Bundesregierung sich gegenüber der spanischen
aktiver Abfälle hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Regierung dafür einsetzen, dass die Pressefreiheit auch wäh-
Technologie im Rahmen der Erstellung der Energieszenarien rend der Konferenz gewahrt bleibt?
der Bundesregierung den Gutachtern von EWI und Prognos
gemacht? Die Bilderberg-Konferenz ist ein informelles, nicht
Welche Vorgaben zur Überwälzung der Kosten für die Sa-
offizielles Treffen. Die Bilderberg-Konferenz in Spanien
nierung der Schachtanlage Asse auf die Atomkraftwerks- ist am 6. Juni 2010 zu Ende gegangen.
betreiber hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-
nologie den Gutachtern für deren Berechnungen zur Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über
Wirtschaftlichkeit des Weiterbetriebs der Atomkraftwerke ge- Teilnehmer der Bundesregierung an der Bilderberg-Kon-
macht? ferenz 2010 in Spanien oder deren Finanzierung vor.
Mitglieder der Bundesregierung hätten bei einer Teil-
Zu Frage 32: nahme an einer Bilderberg-Konferenz als Privatperson
und nicht in ihrer offiziellen Funktion teilgenommen.
Den Gutachtern wurden keine Vorgaben zur Endlage- Eine Teilnehmerliste der Bilderberg-Konferenz 2010
rung hochradioaktiver Abfälle gemacht. kann im Internet auf der Homepage der Bilderberg-Kon-
ferenz, www.bilderbergmeetings.org, eingesehen wer-
Zu Frage 33: den.
Den Gutachtern wurden keine Vorgaben zur Überwäl- Entscheidungen über den Einsatz der spanischen Poli-
zung der Kosten für die Sanierung der Asse gemacht. zei unterliegen den dortigen Behörden.
4572 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Anlage 20 Wenn die Aufhebung der Sperre nicht erfolgt, können (C)
rund 900 Amtshilfekräfte und rund 2 300 befristet Be-
Antwort
schäftigte nicht auf Dauer übernommen werden.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD)
(Drucksache 17/1917, Frage 38): Anlage 21
Wie hat sich jeweils die Zahl der befristet Beschäftigten in Antwort
Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsagenturen in getrennter Auf-
gabenwahrnehmung und Kommunen bzw. ihr Anteil an der des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
Gesamtpersonalkapazität von 2005 bis heute entwickelt, und
bis wann ist mit der im Rahmen der Verhandlungen zum
Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD)
Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsi- (Drucksache 17/1917, Frage 39):
cherung für Arbeitsuchende vereinbarten Entfristung von Ist die Formulierung „Vertreter von Beteiligten des örtli-
3 200 Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit zu rechnen, chen Arbeitsmarktes, die Eingliederungsleistungen nach die-
bzw. welche Auswirkungen ergäben sich, wenn diese nicht er- sem Buch anbieten, dürfen nicht Mitglied des Beirates sein“
folgen würde? in § 18 d (Örtlicher Beirat) des Zweiten Buches Sozialgesetz-
buch in dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung
Die erbetenen Angaben liegen für die befristet Be- der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende so
schäftigten der Bundesagentur in den Arbeitsgemein- zu verstehen, dass zum Beispiel ein Wohlfahrtsverband, eine
schaften und Arbeitsagenturen in getrennter Aufgaben- Gewerkschaft oder ein Arbeitgeberverband nicht Mitglied des
wahrnehmung erst ab dem Jahr 2006, für die Beirates sein darf, wenn ein Träger, der Mitglied eines sol-
chen Verbandes ist, Eingliederungsleistungen vor Ort anbie-
Beschäftigten der Kommunen erst ab Ende 2008 vor. tet?
Die Zahl der befristet Beschäftigten der Bundesagentur
hat sich danach wie folgt entwickelt: Grundsätzlich soll die Besetzung der Örtlichen Bei-
räte, die die Grundsicherungsstelle bei der Auswahl und
im Januar 2006 rund 8 500 Gestaltung von Eingliederungsinstrumenten beraten, den
verantwortlichen Trägern vor Ort obliegen. Dabei sollen
im Dezember 2006 rund 13 100 Interessenkonflikte vermieden werden. Beteiligte des
örtlichen Arbeitsmarktes, die selbst Eingliederungsleis-
im Dezember 2007 rund 13 500 tungen erbringen, sollen nicht zugleich Mitglieder des
Örtlichen Beirats sein. Wann ein Interessenkonflikt ge-
im Dezember 2008 rund 14 000
geben ist, hängt von den Gegebenheiten vor Ort ab. Es
im Dezember 2009 rund 9 700 ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass Wohlfahrts-
verbände, Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände, in
(B) im April 2010 rund 10 700 denen Erbringer von Eingliederungsleistungen Mitglie- (D)
der sind, in den Örtlichen Beirat berufen werden. Ob in
Die Zahl der befristet Beschäftigten der Kommunen diesen Fällen ein Interessenkonflikt vorliegt, ist eine
entwickelte sich wie folgt: Entscheidung des Einzelfalls, die vor Ort zu treffen ist.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass dies verant-
im Dezember 2008 rund 4 300 wortungsbewusst gehandhabt wird.

im Dezember 2009 rund 4 600


Anlage 22
im April 2010 rund 4 700
Antwort
Der Anteil der befristet Beschäftigten der Bundes-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
agentur für Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften und Ar-
Frage der Abgeordneten Katja Mast (SPD) (Druck-
beitsagenturen in getrennter Aufgabenwahrnehmung im
sache 17/1917, Frage 47):
Verhältnis zum Personal der Bundesagentur in diesen
Einrichtungen insgesamt ging seit dem Jahr 2006 konti- Welche konkreten Sparmaßnahmen im Haushalt des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales wurden bei der Haus-
nuierlich von rund 40 Prozent auf derzeit rund 26 Pro- haltsklausur der Bundesregierung beschlossen, und welche
zent zurück. Konsequenzen haben diese Festlegungen für die zukünftige
Arbeitsmarktpolitik?
Der Anteil der befristet Beschäftigten der Kommu-
nen, die in den Arbeitsgemeinschaften tätig sind, im Ver- Das Bundeskabinett hat sich in seiner Haushaltsklau-
hältnis zum Personal der Kommunen insgesamt stieg surtagung auf folgende Sparmaßnahmen im Einzelplan
leicht von rund 18 Prozent im Dezember 2008 auf rund des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verstän-
20 Prozent im Dezember 2009 an. digt:
Bei der Beratung des Haushalts der Bundesagentur – Wegfall der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträ-
für Arbeit 2010 durch den Haushaltsausschuss am 2. De- gen für Bezieher von Arbeitslosengeld II
zember 2009 hat dieser die Bundesregierung aufge-
– Wegfall des befristeten Zuschlages nach Bezug von
fordert, die Sperre über die 3 200 Stellen erst nach vor-
Arbeitslosengeld
heriger Einwilligung durch den Haushaltsausschuss
aufzuheben. Der Haushaltsausschuss hat bisher hierzu – Absenkung des Gesamtbudgets für Eingliederungs-
noch keine Entscheidung getroffen. leistungen und Verwaltungskosten für die Durchfüh-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4573

(A) rung der Grundsicherung für Arbeitsuchende länger- regulären Etat für Öffentlichkeitsarbeit –, externe Beratungs- (C)
fristig auf das Niveau des Jahres 2006 leistungen für Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und
Imagepflege in Höhe von 1,6 Millionen Euro zu vergeben?
– Wegfall der Erstattung einigungsbedingter Leistungen
in der Rentenversicherung Entsprechende Medienberichte sind nicht zutreffend.

– Einsparungen im Haushalt der Bundesagentur für Ar- Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
beit durch die Umwandlung von Pflichtleistungen der BMAS, beabsichtigt nicht, zusätzlich zum regulären Etat
aktiven Arbeitsförderung in Ermessensleistungen so- für Öffentlichkeitsarbeit externe Beratungsleistungen für
wie einen zielbewussteren Einsatz der arbeitsmarkt- Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Imagepflege
politischen Instrumente zu vergeben.
Richtig ist, dass im Rahmen der Ressortforschung des
BMAS eine öffentliche Ausschreibung geplant ist für
Anlage 23 wissenschaftliche Expertisen und sozialpolitische For-
Antwort schung. Es geht darum, der Wissenschaft gezielt Fragen
zu stellen und Daten zu generieren, die sowohl für die
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra- fachliche Arbeit im Ministerium als auch für die Diskus-
gen des Abgeordneten Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ sion sozialpolitischer Themen in der erweiterten Fach-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 48 und 49): öffentlichkeit wichtig sind.
Gedenkt die Bundesregierung, die Kosten der Unterkunft
für ALG-II-Empfänger – ALG: Arbeitslosengeld – künftig zu
pauschalieren, und, wenn ja, wie gedenkt die Bundesregie-
rung die Pauschalierung regionalspezifisch auszugestalten? Anlage 25
Wie gedenkt die Bundesregierung angesichts der Tatsache,
dass am 9. Februar 2010 das Bundesverfassungsgericht eine
Antwort
den Bedarf deckende transparente Ermittlung des ALG-II-Re-
gelsatzes angemahnt hat, die nicht „ins Blaue hinein“ geschätzt
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra-
ist, sicherzustellen, dass nicht durch eine eventuell geplante gen der Abgeordneten Hilde Mattheis (SPD) (Drucksa-
Pauschalierung der Kosten der Unterkunft das Existenzmini- che 17/1917, Fragen 51 und 52):
mum unterschritten wird?
Wie steht die Bundesregierung zu dem Sachverhalt, dass
in vielen Tarifverträgen Aufstockungsregelungen vereinbart
Zu Frage 48: sind, die auf die Mindestnettobeträge nach der Mindestnetto-
betrags-Verordnung Bezug nehmen – trotz der seit 1. Juli
Derzeit werden durch das federführende Bundesmi- 2004 möglichen Bruttoaufstockung und unabhängig von der
(B) nisterium für Arbeit und Soziales entsprechend dem Ko- geförderten Altersteilzeit –, und dass die davon betroffenen (D)
alitionsvertrag der Regierungsfraktionen Vorschläge zur Altersteilzeitbeschäftigten – die bis zum 31. Dezember 2009
rechtssicheren und transparenten Ausgestaltung der Altersteilzeitverträge abgeschlossen haben – durch die unter-
lassene Aktualisierung und Anpassung der Mindestnettobe-
Leistungen für Unterkunft und Heizung geprüft. Zusätz- trags-Verordnung nicht von den finanziellen Vorteilen durch
lich hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gesunkene Sozialversicherungsbeiträge und Steuern profitie-
aus dem Koalitionsvertrag den Auftrag, Möglichkeiten ren?
der Pauschalierung der Leistungen für Unterkunft und Warum nimmt die Bundesregierung keine Aktualisierung
Heizung zu prüfen. Die Prüfung erfolgt im Rahmen ei- der Mindestnettobeträge vor, damit alle Altersteilzeitbeschäf-
ner ressortübergreifenden Arbeitsgruppe und ist noch tigten von den Senkungen bei Steuern und Sozialversiche-
nicht abgeschlossen. rungsbeiträgen profitieren, also auch diejenigen, deren Ver-
träge – unabhängig ob vor oder nach dem 31. Dezember 2009
abgeschlossen – eine Inbezugnahme auf die Mindestnetto-
Zu Frage 49: beträge beinhalten?
Das Arbeitslosengeld II – dazu gehören auch die
Leistungen für Unterkunft und Heizung – sichert das so- Zu Frage 51:
ziokulturelle Existenzminimum. Die Leistungen für Die gesetzlichen Mindestnettobeträge gelten lediglich
Unterkunft und Heizung sichern in diesem Zusammen- noch für Altersteilzeitverhältnisse, die vor dem 1. Juli
hang das Grundbedürfnis „Wohnen“. Auch bei einer re- 2004 begonnen wurden. Da die maximale Förderdauer
gionalspezifischen Pauschalierung der Leistungen für sechs Jahre beträgt, läuft die Förderung dieser Altfälle
Unterkunft und Heizung müsste nach Ansicht der Bun- grundsätzlich spätestens zum 30. Juni 2010 aus. Insofern
desregierung das soziokulturelle Existenzminimum im ist eine Aktualisierung der Mindestnettobetrags-Verord-
Einzelfall sichergestellt sein. nung entbehrlich.
Auf die inhaltlichen Abschlüsse in Tarifverträgen hat
Anlage 24 die Bundesregierung aufgrund der Tarifautonomie kei-
nen Einfluss. Die Bundesregierung kann lediglich an alle
Antwort Betriebspartner und (Tarif-)Vertragsparteien eindringlich
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die appellieren, bei ihren Vereinbarungen zur Altersteilzeit
Frage des Abgeordneten Hubertus Heil (Peine) (SPD) die vom Gesetzgeber im Jahr 2003 vorgenommene Um-
(Drucksache 17/1917, Frage 50): stellung auf Bruttoaufstockungen nachzuvollziehen und
Sind Medienberichte zutreffend, dass das Bundesministe- so alle Personen in Altersteilzeit an Steuer- und Bei-
rium für Arbeit und Soziales beabsichtigt – zusätzlich zum tragssenkungen teilhaben zu lassen.
4574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Zu Frage 52: Im Rahmen der Erarbeitung des Aktionsplanes zur (C)
Umsetzung der Behindertenrechtskonvention hat das
Die Festlegung von Mindestnettobetragstabellen zur Bundesministerium für Arbeit und Soziales gemeinsam
Bildung eines Bezugspunktes für entsprechende Tarif- mit den Verbänden von und für Menschen mit Behinde-
verträge ist nicht Inhalt der Verordnungsermächtigung rung die Handlungsfelder und Querschnittsthemen für
nach § 15 Altersteilzeitgesetz. den Aktionsplan identifiziert. Diese werden ebenso wie
die konkreten Inhalte und Projekte des Aktionsplans mit
allen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt. An-
Anlage 26 schließend wird der Aktionsplan dem Bundeskabinett
zur Beschlussfassung vorgelegt.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) Anlage 28
(SPD) (Drucksache 17/1917, Frage 53): Antwort
Wie wird die Bundesregierung die Zusage des Koalitions-
vertrages zur Angleichung der Rentensysteme in Ost und des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra-
West umsetzen, und für wann ist die Berichterstattung an das gen des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Parlament bzw. die Vorlage einer Gesetzesinitiative geplant? (Drucksache 17/1917, Fragen 55 und 56):
Welche privaten Rechtsträger, die, einschließlich durch
Die Regierungsfraktion hat in ihrem Koalitionsver- das Internet, Dienste für die Allgemeinheit anbieten, hat die
trag vereinbart, die noch bestehenden Unterschiede bei Bundesregierung seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechts-
der Rentenberechnung in den Rechtskreisen Ost und konvention in Deutschland dringend aufgefordert, Informatio-
West zu überwinden und in dieser Legislaturperiode ein nen und Dienstleistungen in Formaten zur Verfügung zu stel-
einheitliches Rentensystem einzuführen. Die Aufgabe ist len, die für Menschen mit Behinderungen barrierefrei
zugänglich und nutzbar sind (siehe Art. 21 Buchstabe c der
allerdings sehr komplex. So müssen beispielsweise die UN-Behindertenrechtskonvention)?
Auswirkungen auf die heute noch geltende rentenrechtli- Wie viele Publikationen hat die Bundesregierung seit In-
che Hochwertung der Löhne in den neuen Ländern oder krafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im März
die unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrenzen be- 2009 herausgegeben, und welche davon stehen auch in „leich-
achtet werden. Im Ergebnis sind nicht nur die Rentnerin- ter“ Sprache zur Verfügung bzw. sind als Gebärdensprach-
nen und Rentner, sondern – je nach Ausgestaltung – video auf der jeweiligen Webseite der Bundesbehörde – bitte
nach Bundesbehörden aufschlüsseln – vorhanden?
auch die Versicherten und Steuerzahler in Ost- und
Westdeutschland betroffen.
Zu Frage 55:
(B) (D)
Eine gerechte Lösung im Sinne aller Beteiligten er- Die Bundesregierung steht bei der Entwicklung eines
fordert Sorgfalt und Sensibilität, um die Interessen aller Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der
Beteiligten angemessen zu berücksichtigen und ein Er- UN-Behindertenrechtskonvention in engem Kontakt zu
gebnis zu finden, das insgesamt akzeptiert werden kann. privaten Rechtsträgern und regt dabei auch immer an, ei-
Ergebnisse dieser Prüfung liegen jedoch noch nicht vor gene Aktionspläne zur Umsetzung der Konvention zu
und sind vor dem Hintergrund der vielschichtigen und initiieren, die den Aktionsplan der Bundesregierung er-
komplizierten Regelungsmaterie kurzfristig auch nicht gänzen.
zu erwarten.
Der Bundesregierung geht es bei der Entwicklung
von Aktionsplänen auf den verschiedenen Ebenen vor
Anlage 27 allem darum, das Leitbild der inklusiven Gesellschaft in
der Lebenswirklichkeit zu verankern. Hierfür brauchen
Antwort wir eine übergreifende gesellschaftspolitische Diskus-
sion und eine Kultur des Denkens in gemeinsamer Ver-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die antwortung vonseiten aller Akteure.
Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben)
(SPD) (Drucksache 17/1917, Frage 54): Zu Frage 56:
Wurden in allen Ressorts der Bundesregierung „Focal
Points“ im Sinne des Art. 33 der Behindertenrechtskonven- Die Bundesregierung hat seit März 2009 eine Viel-
tion, BRK, eingerichtet, und wie werden die mit den Verbänden zahl an Broschüren veröffentlicht oder neu aufgelegt.
von und für Menschen mit Behinderung für den Aktionsplan Die genaue Anzahl der Publikationen war in der Kürze
zur Umsetzung der UN-BRK definierten Handlungsfelder und der Zeit nicht ermittelbar. Behinderte Menschen sollen
Querschnittsthemen innerhalb der Ressorts der Bundesregie-
rung abgestimmt?
an der Informationsgesellschaft teilhaben. Das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales und der Beauftragte
Der „Focal Point“ der Bundesregierung zur Umset- der Bundesregierung für die Belange behinderter Men-
zung der UN-Behindertenrechtskonvention ist im Bun- schen legen Wert darauf, dass Informationen des Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales angesiedelt. Das des, die sie betreffen, auch für Menschen mit Behinde-
Bundesministerium für Arbeit und Soziales steht bei der rung verständlich sind. So haben beispielsweise das
Entwicklung des Aktionsplans der Bundesregierung zur Bundesministerium für Arbeit und Soziales seit März
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in en- 2009 vier Publikationen in leichter Sprache und zwei
gem Kontakt zu den anderen Ressorts. Publikationen in Gebärdensprache und die Bundeszen-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4575

(A) trale für gesundheitliche Aufklärung vier Publikationen Hinsichtlich der Kontrollfrequenzen hat sich die Pro- (C)
zum Thema Sexualaufklärung, Verhütung und Familien- jektgruppe in ihrer 1. Sitzung am 26. Mai 2010 darauf
planung in leichter Sprache veröffentlicht. Darüber hi- verständigt, dass sich das System zur Transparentma-
naus finden sich weitere Informationen in leichter Spra- chung von Kontrollergebnissen in die Kontrollroutine
che und Gebärdensprache auch auf dem barrierefreien der Länder einfügt. Die Vergabe von Gütesiegeln oder
Webportal www.einfach-teilhaben.de, das ständig weiter anderen Kennzeichnungselementen soll nicht dazu füh-
ausgebaut wird. ren, die amtliche Kontrolle zu lenken.

Anlage 29 Anlage 31
Antwort Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
17/1917, Frage 57): NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 59):
Setzt sich die Bundesregierung für ein einheitliches Güte- Bestätigt die Bundesregierung Medienberichte, dass die
siegel für Restaurants, zum Beispiel orientiert am dänischen Fregatte der Bundesmarine „Hessen“ zur Unterstützung eines
System, ein, damit jeder Besucher auf einen Blick sieht, was US-Marine-Kampfverbandes um den Flugzeugträger „USS
die Behörden von dem Restaurant halten? Harry S. Truman“ und um weitere Kriegsschiffe abkomman-
diert sein soll, der auf dem Weg zu der US-Navy-Flotte mit
Die Bundesregierung befürwortet ein hohes Maß an dem US-Flugzeugträger „USS Dwight D. Eisenhower“ ist, die
Transparenz in der Lebensmittelüberwachung. Sie be- bereits vor der Küste des Iran im Arabischen Meer stationiert
ist, und dass die deutsche Fregatte dem US-Kommando unter-
grüßt daher den Beschluss der einschlägigen Fachgruppe stellt werden soll, und, wenn ja, wie rechtfertigt die Bundes-
der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz, LAV- regierung dies angesichts der Gefahr, dass das deutsche
ALB, vom 25. und 26. März 2010, Kontrollergebnisse Kriegsschiff in einen drohenden Krieg mit dem Iran ver-
umfassend und auf bundeseinheitlicher Grundlage trans- wickelt wird?
parent zu machen. Der Beschluss spiegelt das Bestreben Die Fregatte „Hessen“ ist gegenwärtig als erstes
der Länder wider, nach anfänglichen Alleingängen nun- Schiff der Deutschen Marine in einen amerikanischen
mehr ein bundeseinheitliches Vorgehen zu favorisieren. Marineverband um den Flugzeugträger „USS Harry S.
Die Umsetzung des Beschlusses findet in einer Projekt- Truman“ integriert und begleitet diesen auf der Fahrt
gruppe statt, an der der Bund mit Gastrecht, BMELV durch das Mittelmeer in den Indischen Ozean. Von dort
und das BVL, mitwirkt. Ob es im Ergebnis zu einem Gü- wird sie den Flugzeugträger „USS Eisenhower“ auf sei-
(B) tesiegel nach dänischem Vorbild oder einem anderen ner Rückverlegung aus dem Einsatz in das Mittelmeer (D)
Modell zur Transparentmachung der Kontrollergebnisse begleiten und dann die Heimreise nach Wilhelmshaven
in Deutschland kommen wird, bleibt der Meinungsbil- antreten. Die Fregatte „Hessen“ wird nicht in die Opera-
dung der Projektgruppe respektive der Länder vorbe- tionsgebiete der US-Marine im Persischen Golf verle-
halten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es zu einem gen.
angemessenen Interessenausgleich einerseits der grund-
gesetzlich geschützten Rechte, Schutz vor Geschäftsge- Einheiten der Deutschen Marine nehmen ausschließ-
heimnissen, Datenschutz, Verfahrensrechte, der betroffenen lich im Rahmen der vom Deutschen Bundestag man-
Unternehmen und andererseits der Informationsinteres- datierten Einsätze teil. Die Integration der Fregatte
sen der Verbraucher kommt. „Hessen“ in einen amerikanischen Marineverband hat
einen reinen Ausbildungs- und Übungscharakter. Ein
Herauslösen aus dem Verband ist durch die deutsche
Anlage 30 Seite jederzeit möglich.

Antwort Mit dem Vorhaben soll in erster Linie die technische


und organisatorische Zusammenarbeit weiter verbessert
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage des werden. Die Deutsche Marine sieht darin einen signifi-
Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/1917, kanten Erfahrungs- und Fähigkeitsgewinn. Der Einsatz
Frage 58): der Fregatte „Hessen“ ist Ausdruck der engen und ver-
Wird die Bundesregierung in Anlehnung an die erfolgrei- trauensvollen Zusammenarbeit zwischen der deutschen
che Kampagne gegen „Schmuddellokale“ in Berlin-Pankow und amerikanischen Marine.
und das Vorhaben des Bezirksamtes, im Abstand von einem
halben bis zu zwei Jahren Hygienekontrolleure zu beauftra-
gen, eine bundesweite Kampagne starten und, wenn nein, wa-
rum nicht? Anlage 32

Die Antwort auf diese Frage schließt an die vorherige Antwort


an. Die Bundesregierung begrüßt die Erarbeitung bundes- des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
einheitlicher Grundsätze zur Transparentmachung von des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
Betriebskontrollergebnissen. Sie zieht einen solchen bun- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 60):
deseinheitlichen Ansatz einer Kampagne, die sich ledig- Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Men-
lich auf das in Berlin-Pankow praktizierte Modellsystem schen, die seit Juni 2009 auf Initiative oder unter Mitwirkung
stützt, vor. der Bundeswehr oder anderer deutscher Stellen in Afghanis-
4576 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) tan in ISAF-Listen wie JEL – Joint Effects List – mit oder Die Bundeswehr unterstützt das bilaterale Polizeiprojekt (C)
ohne Zusätze wie „capture or kill“ aufgenommen wurden, zur Polizeiausbildungsunterstützung der afghanischen
über deren Festsetzung und ihr weiteres Schicksal oder ihre
Tötung, und wie viele Angehörige oder andere Menschen ka- Polizei im Rahmen des Focused District Development
men bei Operationen gegen die Gelisteten ums Leben? Programms im Kern mit dem Feldjägerausbildungskom-
mando ANP.
Die Beteiligung der Bundeswehr an der International
Security Assistance Force, ISAF, in Afghanistan schließt Darüber hinaus unterstützt die Bundeswehr in der
auch die nationale Teilhabe am Verfahren des sogenann- Trainingsphase im deutschen Polizeitrainingszentrum im
ten Targeting ein. Die Mitwirkung am Targeting-Prozess Rahmen der Sanitätsausbildung durch Sanitätskräfte und
und dessen Durchführung richten sich nach den einschlä- der „IED-awareness“ durch Fachpersonal und bei Ein-
gigen Verfahrensregeln der ISAF sowie nach der gelten- satz in den Distrikten durch Kräfte zum Schutz der Police
den nationalen und NATO-Befehls- und Weisungslage. Mentoring Teams.
Die Fortsetzung dieser nationalen Unterstützungsleis-
Der Targeting-Prozess umfasst zunächst die Identifi-
tungen im laufenden Jahr sowie in den Jahren 2011 und
zierung und die Auswahl potenzieller militärischer Ziele,
2012 ist vorgesehen.
gegen die im Sinne des Auftrages eine beabsichtigte Wir-
kung erzielt werden soll. Die Wirkungsempfehlungen des
Targeting umfassen dabei die gesamte Bandbreite des mi-
Anlage 34
litärischen Handelns vor Ort und beschränken sich nicht
ausschließlich auf die Anwendung militärischer Gewalt. Antwort
Ziele, deren Verfolgung mit militärischen und nicht- des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die
militärischen Mitteln gebilligt ist, werden auf der soge- Frage der Abgeordneten Katja Dörner (BÜNDNIS 90/
nannten Joint Prioritized Effects List, JPEL, aufgeführt. DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 63):
Geplanten militärischen Maßnahmen gegen Einzelperso- Beabsichtigt die Bundesregierung, Einsparungen beim El-
nen geht dabei eine eingehende Prüfung und Bewertung terngeld darüber zu realisieren, dass das Elterngeld für Trans-
ferempfänger oder Studierende gekürzt wird oder vollständig
sowie ein komplexes Abstimmungs- und Genehmi- wegfällt, und, wenn ja, wie hoch werden die dadurch erzielten
gungsverfahren voraus. Einsparungen nach Ansicht der Bundesregierung sein?

Zielnominierungen und Zugriffsoperationen, bei denen Am 7. Juni 2010 hat die Bundesregierung ihre Klau-
deutsche Kräfte die Verantwortung für die Anwendung mi- sursitzung zum Bundeshaushalt durchgeführt. Auf dieser
litärischer Gewalt haben, die Ausführung übernehmen Sitzung wurden auch Einsparungen beim Elterngeld be-
oder sich daran beteiligen, erfolgen ausschließlich mit schlossen. Das Einsparvolumen durch den Verzicht auf
(B) dem Ziel, die Zielperson festzusetzen. (D)
die doppelte Leistung von Elterngeld und Arbeitslosen-
geld II beläuft sich auf rund 400 Millionen Euro. Dage-
Seit Juni 2009 wurden von deutscher Seite insgesamt gen sind etwa Studierende, die Leistungen nach dem
acht Personen, denen nach vorliegender Erweislage ein BAföG beziehen, von den Einsparungen nicht betroffen.
konkretes Gefährdungspotenzial gegenüber ISAF und
den afghanischen Sicherheitskräften zugeordnet werden
konnte, über den Befehlshaber im ISAF Regionalkom- Anlage 35
mando Nord als zuständiger Instanz zur Nominierung
auf der JPEL vorgeschlagen. Von diesen Personen, ihren Antwort
Angehörigen und anderen Menschen in unmittelbarer des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Fragen der
Umgebung konnte in Verantwortung oder unter Beteili- Abgeordneten Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE
gung von Kräften der Bundeswehr bisher niemand fest- GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 64 und 65):
gesetzt werden.
Welche Belastungen – absolut und prozentual – entstehen
für gesetzlich Krankenversicherte mit Erwerbseinkommen
zwischen 500 und 700 Euro, wenn, wie in der Presse berich-
Anlage 33 tet, die Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit, eine
Pauschale von durchschnittlich 30 Euro einzuführen, umge-
setzt würden und ein auf Antrag abgesenkter Beitragssatz von
Antwort minimal 5 Prozent gilt?
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fra- Wie stellt sich die Bundesregierung das Verfahren zum
Nachweis der Bedürftigkeit aufgrund eines geringen Gesamt-
gen des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE einkommens vor, das zu einer Ermäßigung des Beitragssatzes
GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 61 und 62): führen soll, und teilt sie die Einschätzung, dass für ein solches
Inwiefern wird die Bundeswehr auch in den Jahren 2011 Verfahren – laut einer Studie im Auftrag der Hans-Böckler-
und 2012 das bilaterale Polizeiprojekt zur Ausbildung afgha- Stiftung – jährlich mindestens 250 Millionen Euro Bürokra-
nischer Sicherheitskräfte mit dem Feldjägerausbildungskom- tiekosten entstehen?
mando Afghan National Police, ANP, wie zurzeit in einer
durchhaltefähigen Stärke von 45 Feldjägern unterstützen, und Zu Frage 64:
inwieweit ist ein personeller Aufwuchs geplant?
Das Bundesministerium für Gesundheit will eine
Wird die Bundeswehr das bilaterale Polizeiprojekt zur
Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte in den Jahren
Mehrbelastung durch die Systemumstellung im unteren
2010, 2011 und 2012 ausschließlich durch Feldjäger unter- Einkommensbereich vermeiden. Dies muss bei einer
stützen? konkreten Umsetzung sichergestellt werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4577

(A) Zu Frage 65: Fraktionen von CDU/CSU und FDP waren als Gäste zu (C)
den Sitzungen der Regierungskommission geladen.
Nach den vorgelegten Überlegungen des Bundes-
ministeriums für Gesundheit kann im Einführungsjahr Zu Frage 68:
die Einstufung in Beitragssatzklassen automatisch durch
die Arbeitgeber und Träger erfolgen. Ab dem zweiten Die Regierungskommission zur nachhaltigen und so-
Jahr erfolgt die Einstufung in eine abgesenkte Beitrags- zial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens
satzklasse anhand des Gesamteinkommens durch die ge- hat den Auftrag, Vorschläge zur konkreten Umsetzung
setzlichen Krankenkassen, ähnlich wie das bei der heuti- des Koalitionsvertrages zu erarbeiten. Die bisherigen
gen Regelung in § 62 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, Beratungen der Regierungskommission haben entschei-
SGB V, zur Überprüfung des Erreichens der Belastungs- dend dazu beigetragen, sozial ausgewogene Eckpunkte
grenze vorgesehen ist. zu entwickeln. Das Vorhaben, den Sozialausgleich bei
den gesetzlichen Krankenkassen durchzuführen, basiert
auf der Arbeit einer durch die Regierungskommission
Anlage 36 gebildeten Arbeitsgruppe.

Antwort
Anlage 38
des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Frage der
Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Antwort
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 66):
des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Frage des
Auf welchem Weg – zum Beispiel Steuererhöhung – will Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE) (Druck-
die Bundesregierung die in den Eckpunkten des Bundesminis-
teriums für Gesundheit für eine Gesundheitsprämie mit sozial
sache 17/1917, Frage 69):
gestaffelten Beiträgen genannten zusätzlichen 6 Milliarden Euro Ist es richtig, dass zur Deckung der Fehlbeträge und Aus-
zur Finanzierung der auf Antrag und nach Prüfung zu gewäh- gabenzuwächse in der gesetzlichen Krankenversicherung nun
renden Beitragssatzsenkung für gesetzlich Krankenversicherte weder der Arbeitgeberbeitrag angehoben noch die Beitragsbe-
erzielen, und wie verhält sich dies zum ursprünglichen Ziel messungsgrenze erhöht werden soll noch ein steuerfinanzier-
der Bundesregierung, die Steuern zu senken? ter Sozialausgleich den geplanten Pauschalbetrag bei Gering-
verdienenden ausgleichen soll, und welche Maßnahmen sind
Das vom Bundesministerium für Gesundheit vorge- stattdessen zu erwarten, damit – abgesehen von Sparmaßnah-
schlagene Modell einer Gesundheitsprämie mit sozial men bei den Leistungserbringern – diese Kosten nicht allein
gestaffelten Beiträgen ist so ausgestaltet, dass ein Sozial- von den Versicherten und den Patienten bzw. Gering- und
Durchschnittsverdienenden getragen werden müssen?
ausgleich im Jahr 2011 aus den nach geltendem Recht
(B) zur Verfügung stehenden Bundesmitteln finanziert wer- Die gesetzliche Krankenversicherung soll im Jahr (D)
den kann. 2011 mit zusätzlichen Bundesmitteln in Höhe von 2 Mil-
liarden Euro unterstützt werden. Der Bundeszuschuss
wird 2011 insgesamt 15,3 Milliarden Euro betragen.
Anlage 37 Mit dieser Maßnahme werden die Versicherten und
Antwort damit auch die Patienten deutlich entlastet. Eine sozial
ausgewogene Ausgestaltung wird bei den weiteren
des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Fragen der Überlegungen zur Neuordnung der Finanzierung des Ge-
Abgeordneten Maria Anna Klein-Schmeink (BÜND- sundheitswesens eine zentrale Rolle spielen.
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fra-
gen 67 und 68):
Wie oft und in welcher Zusammensetzung hat die zur Er- Anlage 39
arbeitung des Konzeptes der Einführung einer sogenannten
Kopfpauschale von der Bundesregierung eingesetzte Regie-
Antwort
rungskommission zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der
Finanzierung des Gesundheitswesens getagt?
Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer (SPD) (Drucksa-
Hat die Kommission zur nachhaltigen und sozial ausge- che 17/1917, Frage 70):
wogenen Finanzierung des Gesundheitswesens, bestehend aus
acht Bundesministern der CDU, CSU und FDP, das nun in der Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die im Ko-
Presse dargelegte Konzept des Bundesministeriums für Ge- alitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP von 2009 ver-
sundheit erarbeitet, bzw. wie war die Kommission in die Ent- einbarte Sicherstellung international wettbewerbsfähiger Be-
scheidungsfindung einbezogen? triebszeiten deutscher Flughäfen durch eine „erforderliche
Präzisierung im Luftverkehrsgesetz“ dazu führt, das Nacht-
flugverbot aufzuweichen und den Anwohnern mehr Nacht-
Zu Frage 67: flüge zuzumuten?

Die Bundesregierung hatte am 24. Februar 2010 die Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Bundes-
Einrichtung einer Regierungskommission zur nachhalti- regierung auf „international wettbewerbsfähige Be-
gen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesund- triebszeiten“ hinwirkt. Die Bundesregierung tritt für eine
heitswesens beschlossen. Diese hat am 17. März 2010 ausgewogene Abwägung zwischen betrieblichen und
und 12. Mai 2010 auf Ministerebene sowie am 20. April wirtschaftlichen Interessen auf der einen Seite und den
auf der Ebene der Staatssekretäre getagt. Das Bundes- Belangen des Lärm- und Umweltschutzes auf der ande-
kanzleramt sowie die die Bundesregierung tragenden ren Seite ein. Dabei sind volkswirtschaftliche Belange
4578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) und der Schutz der Nachtruhe zu berücksichtigen. Vor Quarzporphyr und anderer alkaliempfindlicher Gesteine (C)
diesem Hintergrund ist bei allen Entscheidungen über im Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau ARS Nr. 15/
die Zulassung von Nachtflügen auf einem Flughafen 2005 geregelt. Durch die Straßenbauverwaltungen der
auch das öffentliche Interesse zu prüfen. Insbesondere Länder wurden die Regelungen teilweise aus eigenen Er-
die volkswirtschaftlichen Faktoren und die konkrete fahrungen und mit Bezug auf die regionale Situation er-
wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens für die Region gänzt.
können nicht außer Acht gelassen werden. Die Schaf-
fung wettbewerbsfähiger Betriebszeiten auf deutschen
Flughäfen kann jedoch nur dann ein gesellschaftspoliti- Anlage 41
sches Anliegen darstellen und letztlich im gesamtstaatli-
Antwort
chen Interesse liegen, wenn dabei sichergestellt ist, dass
sich die durch Fluglärm hervorgerufene Belastung der des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des
Bevölkerung auf ein unvermeidbares Mindestmaß be- Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE
schränkt und gesundheitliche Schäden ausgeschlossen GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 72):
sind. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Aus-
sage des Verkehrsministers von Sachsen-Anhalt, Karl-Heinz
Daehre, vor dem Hintergrund der Baumängel an der Bundes-
straße 6 n, dass Vorschriften für die Verwendung von Straßen-
Anlage 40 baumaterialien (vergleiche Volksstimme vom 7. Mai 2010) ge-
Antwort ändert werden müssen, und aus welchen Bundes- oder/und
Landesmitteln wird nach aktuellem Kenntnisstand die Sanie-
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des rung der Bundesstraße 6 n bestritten?
Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE Zunächst ist festzuhalten: Das Regelwerk für den
GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 71): Straßenbau wird von der Forschungsgesellschaft für das
Wie ist es zu erklären, dass in der Antwort der Bundesre- Straßen- und Verkehrswesen erarbeitet, stetig fortge-
gierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die schrieben und für die Anwendung bei den Auftragsver-
Grünen auf Bundestagsdrucksache 16/12210 von ihr behaup- waltungen vom BMVBS vorgegeben. Neue Erkennt-
tet wird, dass zum Zeitpunkt der 1996 in Überarbeitung be- nisse aus Forschung, Entwicklung und der Anwendung
findlichen Alkali-Richtlinie des Deutschen Ausschusses für
Stahlbeton noch nicht bekannt war, dass es auch durch die
des Regelwerks, insbesondere aus Schadensfällen, wer-
Verwendung von Festgesteinen – hier: Quarzporphyr – zu den von der zuständigen Arbeitsgruppe ausgewertet und
Treibreaktionsschäden kommen kann, wenn eine bestimmte im Zuge der Überarbeitung in das Regelwerk eingearbei-
zuschlagkritische Alkalikonzentration gegeben ist, obwohl tet.
dies bereits 1990 in der Veröffentlichung eines Prüfungsver-
(B) fahrens (Report on the 2nd International Aggregates Sympo- Diese grundsätzliche bewährte Vorgehensweise wird (D)
sium, Erlangen, October 22-27, 1990, pp. 305) betont worden auch hier in Zusammenarbeit von BMVBS, Land und
war sowie von Sachverständigen der Materialforschungs- und der Forschungsgesellschaft beschritten werden.
-prüfanstalt Weimar, MFPA – unter anderem Dr. Gerhard
Hempel –, die Anwendung dieses Prüfverfahrens wiederholt Laut Angaben in dem Presseartikel soll das frühzei-
angemahnt wurde, und kann davon ausgegangen werden, dass tige Versagen der sogenannten Binderschicht, eine der
mit der Anwendung dieses Prüfverfahrens alle Treibreaktions- oberen Schichten aus Asphaltmischgut in der Straßen-
schäden nach 1996 hätten vermieden werden können?
konstruktion, Anlass für die Instandsetzungsmaßnahme
Zum Zeitpunkt der 1996 in Überarbeitung befindli- sein. Ursache für das Versagen soll laut dem Artikel der
chen Alkali-Richtlinie des Deutschen Ausschusses für in der Binderschicht eingearbeitete Anteil aus wieder
Stahlbeton, DAfStB, „Vorbeugende Maßnahmen gegen verwendetem Asphaltmaterial aus Straßen der ehemali-
schädigende Alkalireaktion im Beton“ wurde in Fach- gen DDR in Sachsen-Anhalt mit dem damals eingesetz-
kreisen Quarzporphyr als nicht alkaliempfindlich einge- ten Bitumen sein.
stuft und fand somit auch nicht Eingang in die Richtlinie Bestätigen sich diese Aussagen, wird das BMVBS ge-
des DAfStB. meinsam mit dem Land dafür Sorge tragen, dass der
Der DAfStB hat auch festgelegt, welche Prüfverfah- Schadensfall analysiert wird. Dies wird ergeben, wie ge-
ren für alkaliempfindliche Gesteinskörnungen geeignet gebenenfalls das Regelwerk geändert werden muss, um
sind, und hat diese in dieser Richtlinie festgelegt. Die auch die Wiederverwendung dieser Materialien ohne
Frage, ob durch die Anwendung anderer als in der Al- Schadensfolge sicherzustellen.
kali-Richtlinie anerkannten Prüfverfahren Schäden Ziel der Bundesregierung ist es allerdings unverän-
durch Alkali-Kieselsäure-Reaktionen hätte ausgeschlos- dert, das aus den Straßen bei Instandsetzungsmaßnah-
sen werden können, ist spekulativ und kann nicht beant- men anfallende Asphaltmischgut möglichst vollständig
wortet werden. und möglichst hochwertig wiederzuverwenden.
Die Alkali-Richtlinie des DAfStB wurde am 8. Okto- Die Instandsetzung der Bundesstraße 6 n ist vom
ber 1998 durch Allgemeine Rundschreiben Straßenbau Bund als Straßenbaulastträger der Bundesfernstraßen zu
38/1998 vom damaligen BMV für Betonfahrbahndecken tragen. Diese wird aus den Haushaltsmitteln finanziert,
eingeführt. die der Bund dem Land als Auftragsverwaltung des Bun-
des für die Erhaltung der Bundesfernstraßen zur Verfü-
Nach Bekanntwerden erster Schäden im Fahrbahnde- gung stellt. Die damit in Zusammenhang stehenden Ver-
ckenbereich, ursächlich durch das Verwenden von waltungskosten, zum Beispiel die Personalkosten für die
Quarzporphyr, wurde eine weitere Verwendung von Ausschreibung und Vergabe der Instandsetzungsarbei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4579

(A) ten, muss das Land tragen. Grundlage sind die finanzver- Wie ist die Position der Bundesregierung zum Vorschlag (C)
fassungsrechtlichen Regelungen im Grundgesetz. für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des
Rates zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue leichte
Nutzfahrzeuge im Rahmen der Gesamtstrategie der Gemein-
schaft zur Minderung der CO2-Emissionen von leichten Nutz-
Anlage 42 fahrzeugen und Pkw vom 28. Oktober 2009, und wie ist die
weitere zeitliche Planung für die Entscheidungsfindung zwi-
Antwort schen den beteiligten Bundesministern für den Fall, dass eine
Position der Bundesregierung hierzu noch nicht feststehen
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der sollte?
Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 73): Die Ressortabstimmung zum Kommissionsvorschlag
ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Es finden intensive
Unter welchen Voraussetzungen werden für Binnenwas-
serstraßen des Bundes, die der Wasserstraßenkategorie IV Gespräche zwischen den beteiligten Ressorts statt. Eine
– Europawasserstraße – zugeordnet und damit für das Befah- abgestimmte Position wird baldmöglichst angestrebt. Im
ren mit Europaschiffen mit den maximalen Abmessungen von Rahmen der Verhandlungen zu diesem Dossier in Brüs-
85 Meter in der Länge, 9,90 Meter in der Breite und einem sel sind noch keine Entscheidungen gefallen. Es ist zu
Tiefgang von 2,50 bis 3 Meter zugelassen sind, Ausnahmen
für das Befahren mit Schubverbänden erteilt, und welche Ab-
erwarten, dass die Verhandlungen im Rat und EP im
messungen dürfen diese Schubverbände gegebenenfalls auf- 2. Halbjahr 2010 intensiviert werden.
weisen?

In der Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung sind die


Anlage 45
Höchstabmessungen für Fahrzeuge und Schubverbände
gewässerspezifisch geregelt. Allgemeine Ausnahmevor- Antwort
schriften für Schubverbände sind in der Binnenschiff-
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
fahrtsstraßen-Ordnung nicht vorgesehen. Für einige
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
Wasserstraßen der Kategorie IV ist vorgesehen, dass
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 77):
Schubverbände, die die vorgeschriebenen Abmessungen
überschreiten, diese Wasserstraße nur befahren dürfen, Welche aktuellen wesentlichen Änderungswünsche an der
vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak-
wenn sie mit einer aktiven Bugsteuereinrichtung oder ei- torsicherheit, BMU, im Juli 2009 veröffentlichten Endfassung
nem Zweischraubenantrieb und gegebenenfalls einer der Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeent-
Sprechverbindung zwischen Steuerstand und Spitze des wickelnder radioaktiver Abfälle liegen dem BMU vonseiten
Fahrzeugs oder Schubverbandes ausgerüstet sind. der Bundesländer vor – bitte mit länderspezifischer Angabe –,
und welche wesentlichen Änderungsvorschläge für die Si-
cherheitsanforderungen sind auf BMU-Leitungsebene vorge-
(B) sehen? (D)
Anlage 43
Die Sicherheitsanforderungen des BMU von Juli
Antwort 2009 sind noch nicht innerhalb der Bundesregierung ab-
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fragen gestimmt und wurden insofern nicht im Bundesanzeiger
des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE im Sinne einer Endfassung veröffentlicht. Zurzeit findet
GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Fragen 74 und 75): eine vertiefte fachliche Diskussion mit den Bundeslän-
dern über die Sicherheitsanforderungen statt. Entschei-
Welchem deutschen CO2-Reduktionsanteil – in Prozent –
würde eine Erhöhung des EU-Reduktionszieles von 20 Pro-
dungen zur abschließenden Formulierung der Sicher-
zent auf 30 Prozent bis 2020 entsprechen? heitsanforderungen sind noch nicht getroffen.
Welcher Bundesminister vertritt dazu in Brüssel die Mei-
nung der Bundesregierung?
Anlage 46
Anlässlich der Veröffentlichung der Mitteilung der
EU-Kommission vom 26. Mai mit dem Titel „Analysis Antwort
of options to move beyond 20% greenhouse gas emis- der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
sion reductions and assessing the risk of carbon leakage“ der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
befasst sich die Bundesregierung mit der von der EU- DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 78):
Kommission vorgelegten Analyse. Die Verteilung eines
Auf welche Eckpunkte für Nachrüstanforderungen für
30-Prozent-Minderungsziels auf EU-Ebene auf die ein- Atomkraftwerke haben sich BMU, Kanzleramt und Bundes-
zelnen Mitgliedstaaten ist noch nicht entschieden. Die ministerium für Wirtschaft und Technologie auf Leitungsebene
Bundesregierung bekräftigt das Ziel, in Deutschland die bereits geeinigt, und welcher weitere Zeitplan – bitte insbeson-
Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent ge- dere mit Angabe bereits anberaumter Bund-Länder-Termine –
genüber 1990 zu senken. ist für die Festlegung der Nachrüstanforderungen vorgesehen?

Zur Frage atomrechtlicher Regelungen zu den Kern-


kraftwerken sind innerhalb der Bundesregierung noch
Anlage 44 keine Entscheidungen getroffen worden. Im Hinblick auf
Bund-Länder-Gespräche auf Arbeitsebene zu fachlich-
Antwort
technischen Fragen wird auf die Antwort der Bundesre-
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die gierung vom 7. Mai 2010 auf Ihre Schriftliche Frage 5/18
Frage des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Druck- verwiesen. Ein weiteres Gespräch hat am 7./8. Juni 2010
sache 17/1917, Frage 76): stattgefunden.
4580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Anlage 47 16. Dezember 2009 festgestellt, dass zur Erreichung des (C)
10-Prozent-Ziels im Zieljahr 2015 rechnerisch ein zu-
Antwort
sätzlicher Betrag von mindestens 13 Milliarden Euro für
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage Bildungsmaßnahmen erforderlich ist. Die Bundeskanz-
des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE lerin hat den Ländern angeboten, sich mit Blick auf diese
GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 79): zusätzlichen Aufwendungen mit einer Quote von 40 Pro-
Wie bewertet die Bundesregierung die wissenschaftliche zent dauerhaft zu beteiligen. Dies entspricht einem Be-
Einschätzung des Sachverständigenrates für Umweltfragen trag von 5,2 Milliarden Euro für das Jahr 2015. Die Be-
und dessen Feststellung, dass die Umstellung auf 100 Prozent teiligung des Bundes soll aus einer Vielzahl von
Stromversorgung durch erneuerbare Energien bis 2050 klima- Maßnahmen bestehen, deren finanzielle Auswirkungen
verträglich, sicher und bezahlbar sei und für die Übergangs-
zeit weder Verlängerungen der Laufzeit von Atomkraftwerken auf einzelne Länder zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht
noch neue Kohlekraftwerke erforderlich seien? abzusehen sind.
Die Bundesregierung hat ein Forschungskonsortium
beauftragt, Energieszenarien zu berechnen, die der Bun-
desregierung als Grundlage für das Energiekonzept die- Anlage 50
nen sollen. Die Stellungnahme des Sachverständigenrats Antwort
für Umweltfragen wird wie andere aktuelle und mit den
Energieszenarien vergleichbare Studien bei den Arbeiten der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage der
zum Energiekonzept angemessen berücksichtigt werden. Abgeordneten Karin Roth (Esslingen) (SPD) (Druck-
sache 17/1917, Frage 82):
An welche konkreten Reformen – zum Beispiel Energie-
Anlage 48 politik, Budgethilfe, Überarbeitung der Sozial- und Umweltstan-
dards, interne Governance-Strukturen – hat das Bundesministe-
Antwort rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
BMZ, die Zustimmung zur Kapitalerhöhung der Afrikani-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage schen Entwicklungsbank, AfDB, im Rahmen der Jahresta-
des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache gung der AfDB vom 25. bis 28. Mai 2010 geknüpft (siehe
17/1917, Frage 80): BMZ-Pressemitteilung vom 25. Mai 2010), und welche kon-
Wer wird als hochrangiger Vertreter Deutschlands in die kreten Umsetzungsvorschläge wird das BMZ in den entspre-
vom europäischen Wettbewerbsrat beschlossene Task Force chenden Governor's Dialogue einbringen?
ITER entsandt, und bis zu welcher Summe darf dieser Vertre-
ter finanzielle Zusagen für Deutschland machen? In Vorverhandlungen hat Deutschland die Aktualisie-
rung mehrerer Strategien bzw. die Ausdehnung einiger
(B) In ihren Schlussfolgerungen zum Wettbewerbsfähig- Förderbereiche gefordert. Dabei trifft zu, dass die AfDB (D)
keitsrat am 26. Mai 2010 hat die spanische Ratspräsi- bereits allgemein über eine gute konzeptionelle Basis
dentschaft die Einsetzung einer Task Force zu ITER vor- verfügt, zum Beispiel Mittelfriststrategie 2008 bis 2012,
geschlagen, in der die Finanzsituation des Projektes Sektorpolitiken, sodass es sich überwiegend um Anpas-
analysiert und nach tragbaren Lösungen gesucht werden sungen und Optimierungen bestehender Ansätze, im Un-
soll. Diese Task Force ist kein formelles Beschlussorgan, terschied zur Schaffung neuer Grundlagen, handelt.
sondern soll in Vorbereitung des Wettbewerbsfähigkeits- Wichtige Eckpunkte sind:
rats Vorschläge erarbeiten. Da die Task Force selbst
keine Entscheidungen trifft, benötigt der deutsche Ver- – Energiepolitik: Weitere operationale Verbesserung
treter auch kein Mandat, finanzielle Zusagen für und Erhöhung des Anteils von Fördermaßnahmen im
Deutschland zu treffen. Als deutscher Vertreter ist Bereich Umwelt und Energie. Bereits erfolgt ist die
Staatssekretär Dr. Georg Schütte benannt. Schaffung einer neuen Energieabteilung in der AfDB.
Weitere Maßnahmen sind die Erarbeitung einer aktu-
ellen Energiestrategie, unter anderem Förderung er-
Anlage 49 neuerbarer Energien, Politikberatung, internationale
Zusammenarbeit zu Klimainvestitionen.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage – Budgethilfe: Erarbeitung einer Strategie, welche die
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn) (BÜND- systematische Verbindung von „Policy Based Loans“
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 81): mit – weiterer – Verstärkung von nationalen Manage-
mentkapazitäten im Bereich Finanzmanagement und
Stimmt es, dass die Bundesregierung dem Land Schles-
wig-Holstein zugesagt hat, nach Abschluss des Bildungsgip-
Finanzkontrolle vorsieht.
fels das Land „allein im Bereich der Bildungsinvestitionen
mit über 100 Mio. Euro p. a. aus Bundesmitteln dauerhaft zu – Richtlinien im Umgang mit „political challenges“:
entlasten“ (Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache Erarbeitung von Leitlinien, wie die AfDB mit geplan-
17/240), und um wie viel kleiner oder größer ist diese Summe ten Finanzierungen in Ländern umgeht, in denen sich
als der Betrag, der Schleswig-Holstein zugutekommen würde, ein plötzlicher, nicht verfassungsgemäßer Wandel er-
wenn der Bund seine Zusage einhält, 40 Prozent der notwen-
digen Mittel für die zusätzlichen Bildungsausgaben aufzu-
eignet hat, zum Beispiel bei Putschen, „de facto go-
bringen, um das 7-Prozent-Ziel 2015 zu erreichen? vernments“.
Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefin und – Interne Governance-Strukturen: Beobachtung und
Regierungschefs der Länder haben bei ihrem Treffen am Kontrolle der (Verwaltungs-)Kosten des 20-köpfigen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4581

(A) Exekutivrates, ab Juli 2010, mit dem Ziel, die not- Sie unterstützt einen Beschluss des Europäischen (C)
wendigen Kosten zu minimieren. Rats zur Verleihung des Kandidatenstatus und zur Auf-
nahme von Beitrittsverhandlungen mit Island.
– Überarbeitung der Sozial- und Umweltstandards:
Systematische Zusammenführung und Aktualisierung
einer Reihe bestehender Richtlinien und Qualitäts-
Anlage 53
sicherungsverfahren, so dass Sozial- und Umweltas-
pekte in den Fördermaßnahmen der AfDB entspre- Antwort
chend internationaler Standards berücksichtigt
werden. der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der
Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksa-
In dem Governors’ Dialogue, der als Forum für einen che 17/1917, Fragen 85 und 86):
unmittelbaren Gedankenaustausch der Gouverneure un- Wie beurteilt es die Bundesregierung, dass auch zwölf
tereinander und mit dem Management konzipiert war, Stunden nach dem Überfall der israelischen Armee auf die
wurde vor allem die sektorale Ausrichtung der Bank the- Free-Gaza-Schiffe die deutsche Botschaft keinerlei Kontakt
matisiert. Ich habe auch in diesem Rahmen mit großem zu den entführten Aktivisten und Abgeordneten aufnehmen
konnte, und sieht sie dies, wie den brutalen Angriff auf die hu-
Nachdruck effiziente Verwaltungsstrukturen in der manitäre Flottille in internationalen Gewässern, nicht als
AfDB, insbesondere mit Bezug auf das Exekutivdirekto- Bruch des Völkerrechts, insbesondere des Wiener Überein-
rium, gefordert. kommens über konsularische Beziehungen?
Wie bewertet die Bundesregierung angesichts des Angriffs
auf die Free-Gaza-Schiffe mit mindestens neun Toten das EU-
Anlage 51 Assoziierungsabkommen mit Israel, und teilt sie die Forde-
rung von Menschenrechtsexperten nach einem sofortigen
Antwort Stopp aller Rüstungsexporte nach Israel und einer Aussetzung
des Assoziierungsabkommens aufgrund massiver Menschen-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der rechtsverletzungen?
Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)
(Drucksache 17/1917, Frage 83): Zu Frage 85:
Wie begründet die Bundesregierung angesichts der jüngs- Die Bundesregierung ist bestürzt über die Ereignisse
ten Debatten den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan? im östlichen Mittelmeer und bedauert zutiefst, dass es
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan begrün- dabei Tote und Verletzte gegeben hat. Sowohl Bundes-
det sich unverändert wie im Antrag der Bundesregierung kanzlerin Dr. Angela Merkel als auch der Bundesminis-
vom 9. Februar 2010, Bundestagsdrucksache 17/654, auf ter des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, haben
(B) Verlängerung des Mandats der Internationalen Sicher- umgehend mit der israelischen Regierung Kontakt auf- (D)
heitsunterstützungstruppe, ISAF, des Deutschen Bundes- genommen und eine umfassende, transparente und neu-
trale Aufklärung der Ereignisse gefordert, falls erforder-
tags dargelegt.
lich unter Einbindung internationaler Beobachter.
Wie der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Das Auswärtige Amt und die Deutsche Botschaft in
Westerwelle, in der ersten Lesung zur Beratung dieses Tel Aviv haben sich unmittelbar nach den bestürzenden
Antrags am 10. Februar 2010 hier im Deutschen Bundes- Ereignissen intensiv um Kontakt und Zugang zu den be-
tag erläutert hat, dient der Einsatz vor allem dem Ziel, un- troffenen deutschen Staatsangehörigen bemüht.
sere eigene Sicherheit zu schützen. Afghanistan darf nie
wieder Rückzugsort und Hort des Terrors werden. Vertreter der Deutschen Botschaft standen am 31. Mai
2010 bereits ab 5.00 Uhr in kontinuierlichem Kontakt
Wir sind zudem auch aus humanitären Gründen dort. mit den israelischen Stellen. Das Auswärtige Amt trug
die deutschen Anliegen umgehend der Israelischen Bot-
schaft in Berlin vor. Für das in Art. 36 des Wiener Über-
Anlage 52 einkommens über konsularische Beziehungen festge-
legte Recht der Konsularbeamten, Angehörige des
Antwort Entsendestaates aufzusuchen, ist keine bestimmte Frist
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des festgesetzt.
Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE Auch unterliegt die Ausübung dieses Rechts gemäß
GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 84): Absatz 2 den Rechtsvorschriften des Empfangsstaats. Al-
Wie positioniert sich die Bundesregierung hinsichtlich der lerdings müssen diese die vollständige Verwirklichung der
Frage, ob die politische Einigung über die Eröffnung von Bei- mit dem Recht angestrebten Zwecke ermöglichen. Dabei
trittsverhandlungen mit Island auf dem kommenden Europäi- müssen die konkreten Umstände berücksichtigt werden,
schen Rat am 17./18. Juni 2010 auf die Tagesordnung gesetzt
wird, und wird die Bundesregierung dem in der Plenardebatte hier insbesondere der Tatsache, dass die deutschen Staats-
am 22. April 2010 von allen Fraktionen geäußerten Wunsch angehörigen auf Schiffen in größerer Entfernung vor der
der Übereinkunft über die Eröffnung von Beitrittsverhandlun- Küste in israelischen Gewahrsam genommen wurden und
gen Ausdruck verleihen? anschließend an Land gebracht wurden.
Die Bundesregierung befürwortet, dass die Aufnahme Unter diesen Umständen kann in der Zeitspanne, die
von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Island auf bis zur konsularischen Kontaktaufnahme verstrichen ist,
die Tagesordnung des Europäischen Rats am 17. Juni keine Verletzung des Wiener Übereinkommens über
2010 gesetzt wird. konsularische Beziehungen gesehen werden.
4582 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010

(A) Zu Frage 86: Anlage 55 (C)


Die Bundesregierung verfolgt gegenüber Drittstaaten Antwort
eine restriktive Rüstungsexportkontrollpolitik auf Basis der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
ihrer „politischen Grundsätze für den Export von Kriegs- Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
waffen und sonstigen Rüstungsgütern“ sowie des „Ge- DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 89):
meinsamen Standpunkts des Rats betreffend gemein-
Wie bewertet die Bundesregierung den Angriff israeli-
same Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von scher Marineeinheiten auf die Schiffe der Solidaritätsflotte
Militärtechnologie und Militärgütern vom 08. Dezember „Free Gaza“ aus völkerrechtlicher Sicht?
2008“. Dabei gilt das Prinzip der Einzelfallentscheidung.
Eine seriöse völkerrechtliche Bewertung kann erst er-
Rüstungsexportkontrollentscheidungen zu Israel be- folgen, wenn umfassend und gesichert bekannt ist, was
rücksichtigen neben den historischen Sonderbeziehun- genau am frühen Morgen des 31. Mai 2010 geschehen
gen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem ist. Das ist bisher nicht der Fall.
Staat Israel aber auch die Lage in der Region.
Genau deshalb setzt sich die Bundesregierung, wie
Die Beschlusslage der EU zu den EU-Israel-Bezie- viele ihrer Partner, für eine umfassende und transparente
hungen ist seit dem 8. Dezember 2008 unverändert. Untersuchung der Ereignisse ein.
Nach Auffassung der EU muss der Prozess zur Vertie-
fung der Beziehungen stets im Kontext der gemeinsa-
men Interessen und Ziele betrachtet werden. Anlage 56
Antwort
Anlage 54 der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck-
Antwort sache 17/1917, Frage 90):
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der Finden nach Auffassung der Bundesregierung die in
Deutschland gültigen Menschenrechtsbestimmungen auch bei
Abgeordneten Annette Groth (DIE LINKE) (Druck- der Verfolgung von Schiffen Anwendung, von denen aus mut-
sache 17/1917, Fragen 87 und 88): maßlich oder tatsächlich Akte der Piraterie begangen wurden,
Wie will die Bundesregierung ihre Forderung, die Blo- oder finden diese, erst nachdem diese Schiffe von deutschen
ckade des Gazastreifens aufzuheben, umsetzen? Soldaten betreten wurden, Anwendung, und besteht hinsicht-
lich der Gültigkeit von Menschenrechtsbestimmungen bei der
Wie setzt sich die Bundesregierung konkret für die Frei- Verfolgung und Verhaftung Piraterieverdächtiger Konsens un-
(B) lassung der weiterhin inhaftierten palästinensischen Teilneh- ter den an der Mission Atalanta beteiligten Staaten? (D)
mer der Hilfsflotte ein?
Die Anwendbarkeit der Europäischen Konvention für
Zu Frage 87: Menschenrechte, EMRK, setzt nach ihrem Art. 1 voraus,
dass die betreffende Person der „Hoheitsgewalt“ eines
Die Ereignisse vom 31. Mai 2010 verdeutlichen er- Vertragsstaates der Konvention untersteht. Außerhalb
neut die Notwendigkeit einer Zugangsregelung für Wa- des Staatsgebietes der Vertragsstaaten kann dies nach der
ren und Personen in den Gazastreifen. Die derzeitige Si- einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Ge-
tuation ist – wie bereits in den Ratsschlussfolgerungen richtshofes für Menschenrechte dann der Fall sein, wenn
vom 8. Dezember 2009 niedergelegt – politisch kontra- der Vertragsstaat „effektive Kontrolle“ über die betrof-
produktiv. fene Person ausübt.
Die Bundesregierung drängt zusammen mit ihren eu- Auch auf Schiffen, die unter der Flagge eines Ver-
ropäischen Partnern gegenüber den israelischen Stellen tragsstaates fahren, übt dieser Staat kraft Völkergewohn-
auf die vollständige Umsetzung der Sicherheitsresolu- heitsrecht Herrschaftsgewalt aus.
tion der Vereinten Nationen 1860 (2009), das heißt auf Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die die
eine geregelte Öffnung der Übergänge für humanitäre Operation Atalanta durchführen, sind auch Vertragsstaa-
Güter, Personen und Waren. ten der Europäischen Menschenrechtskonvention und
Die Umsetzung der Resolution schließt auch die Ein- daher in gleichem Maße an deren Vorschriften gebun-
stellung aller Angriffe aus dem Gaza-Streifen und eine den.
Unterbindung des Waffenschmuggels ein.

Zu Frage 88: Anlage 57

Bei den zeitweise in Haft befindlichen „palästinensi- Antwort


schen“ Personen handelt es sich nach Kenntnis der Bun- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
desregierung um israelische Staatsangehörige. Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 91):
Diese wurden am 3. Juni 2010 gegen Kaution in Höhe
Welchen Stellenwert haben Menschenrechte wie Ver-
von 150 000 NIS, New Israeli Sheqel, (circa 30 000 Euro) sammlungsfreiheit bei Demonstrationen zum 31. eines Mo-
freigelassen und für fünf Tage unter Hausarrest gestellt. nats in Russland (siehe www.dw-world.de) oder der Moskauer
Sie unterliegen einem Ausreiseverbot für 45 Tage. Gay Pride (www.gayrussia.ru), das Recht auf ein faires Ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Juni 2010 4583

(A) richtsverfahren (siehe www.spiegel.de) und die Straflosigkeit Wie bewertet die Bundesregierung die Umsetzung des (C)
bei gewalttätigen Übergriffen auf Personen und das Ver- Rechts auf Versammlungsfreiheit in Russland, insbesondere
schwindenlassen von Menschen, zum Beispiel im Nordkauka- vor dem Hintergrund der regelmäßigen Niederschlagung von
sus, im Rahmen der Modernisierungspartnerschaft von Demonstrationen, die Menschenrechtler und Oppositionelle
Dr. Guido Westerwelle und Sergej Lawrow (siehe Frankfurter zur Durchsetzung des Rechts auf Versammlungsfreiheit je-
Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2010)? weils am 31. eines Monats durchführen, und wie thematisiert
die Bundesregierung diese Bewertung gegenüber Russland im
Der gemeinsame Namensartikel des Bundesministers Rahmen bilateraler Beziehungen sowie auf der EU-Ebene?
des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, und seines rus-
sischen Amtskollegen Sergej Lawrow in der Frankfurter Die Bundesregierung beobachtet die Situation der
Allgemeinen Zeitung vom 31. Mai 2010 nimmt Bezug Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit in Russland
auf die seit 2008 bestehende Modernisierungspartner- mit Sorge. Grundsätzlich ist die Versammlungsfreiheit in
schaft zwischen Deutschland und Russland sowie auf die Russland rechtlich gewährleistet. Alle Demonstrationen
beim EU-Russland-Gipfel am 31. Mai/1. Juni 2010 in müssen mit einem Vorlauf von drei Tagen angekündigt
Rostow am Don vereinbarte Modernisierungspartner- werden. Allerdings verbleibt den Behörden ein Ermes-
schaft zwischen der EU und Russland. sensspielraum für das Verbot oder die vorzeitige Been-
dung von Versammlungen. Die Entscheidungspraxis in
Ziel beider Partnerschaften ist es, gemeinsame Pro- Einzelfällen ist nicht immer transparent und aus Sicht
jekte in Bereichen strategischer Bedeutung zu identifi- der Bundesregierung auch nicht immer nachvollziehbar.
zieren und umzusetzen, die nicht nur die wirtschaftliche
Modernisierung, sondern auch Aspekte der politischen, Die Russische Föderation hat sich auch als Mitglied
zivilgesellschaftlichen und rechtsstaatlichen Modernisie- der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit
rung umfassen. Darauf nimmt die Gemeinsame Erklärung und Zusammenarbeit in Europa und des Europarats ver-
von EU und Russland von Rostow auch ausdrücklich Be- pflichtet, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu
zug, ebenso wie der oben erwähnte Namensartikel. achten. Derzeit gibt es deutliche Defizite in der Verwirk-
lichung.
Präsident Dmitrij Medwedjew misst der umfassenden
Modernisierung Russlands eine zentrale Bedeutung zu. Die Beachtung der Menschenrechte, einschließlich
Die Bundesregierung und die Europäische Union sehen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wird von der
daher in der Modernisierungspartnerschaft ein ergänzen- Bundesregierung regelmäßig sowohl bilateral, als auch
des und potenziell sehr nützliches Instrument, um auch in internationalen Foren – etwa im Rahmen des Men-
schwierige Fragen, wie die Ihrerseits erwähnten Defizite schenrechtsdialogs zwischen der EU und Russland – ge-
gegenüber Russland, zur Sprache zu bringen und die rus- genüber der russischen Regierung angesprochen. Die
sischen Behörden in einem kooperativen Geist bei der Bundesregierung wird Defizite in diesen Bereichen auch
weiterhin kontinuierlich thematisieren.
(B) Abhilfe zu unterstützen. (D)
Im Rahmen der Modernisierungspartnerschaft im bi-
lateralen Verhältnis wie auch zwischen der EU und
Anlage 58 Russland sind Fragen der Rechtsstaatlichkeit und insge-
samt der gesellschaftlichen Modernisierung erklärterma-
Antwort
ßen Gegenstand der Zusammenarbeit. Auch in diesem
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Ab- Rahmen setzen sich die Bundesregierung und die EU
geordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ weiterhin für nachhaltige Verbesserungen bei der Beach-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1917, Frage 92): tung der Menschenrechte in Russland ein.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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