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Plenarprotokoll 17/30

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

30. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Inhalt:

Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) 2744 C


a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . 2745 C
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 2746 B
zes über die Feststellung des Bundes-
haushaltsplans für das Haushaltsjahr Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/
2010 (Haushaltsgesetz 2010) DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2747 C
(Drucksachen 17/200, 17/201) . . . . . . . . . 2705 A
Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2748 C
b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus-
schusses zu der Unterrichtung durch die
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 2749 B
Bundesregierung: Finanzplan des Bundes
2009 bis 2013
(Drucksachen 16/13601, 17/626) . . . . . . . 2705 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2752 C

9 Einzelplan 04 10 Einzelplan 05
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Auswärtiges Amt
(Drucksachen 17/604, 17/623) . . . . . . . . . 2705 B (Drucksachen 17/605, 17/623) . . . . . . . . . 2749 C
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . 2705 D Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2749 C
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 2711 A Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 B
2720 A
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2756 C
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2725 A
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . 2758 B
Renate Künast (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2730 B Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2759 A
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2734 C Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2759 B
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2734 D Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2761 A
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2735 B
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . 2761 C
Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . 2736 B
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2763 D
Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2739 A
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . 2740 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2764 B
Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2743 B Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . 2764 C
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt III:


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2764 D
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2765 C zes zur Abschaffung des Finanzpla-
nungsrates
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . 2767 A (Drucksache 17/983) . . . . . . . . . . . . . . . . 2803 D
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Men-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2767 C schenrechte in Kolumbien auf die Agenda
Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2768 A setzen – Freihandelsabkommen EU-Ko-
lumbien stoppen
Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2769 C (Drucksache 17/1015) . . . . . . . . . . . . . . . 2803 D
Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE) . . . . 2771 B c) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Den Schie-
nenverkehr als sichere Verkehrsform er-
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ halten und stärken
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2772 D (Drucksache 17/1016) . . . . . . . . . . . . . . . 2804 A
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . 2773 B
Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2774 C Tagesordnungspunkt IV:
Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . 2775 C a) Erste Beschlussempfehlung des Wahlprü-
Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2777 A fungsausschusses: zu Einsprüchen ge-
gen die Gültigkeit der Wahl der Abge-
Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 2778 D ordneten des Europäischen Parlaments
aus der Bundesrepublik Deutschland
Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2780 B am 7. Juni 2009
(Drucksache 17/1000) . . . . . . . . . . . . . . . 2804 A
11 Einzelplan 14 b) – l)
Bundesministerium der Verteidigung Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
(Drucksachen 17/613, 17/623) . . . . . . . . . 2781 A schusses: Sammelübersichten 50, 51, 52,
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . 2781 B 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59 und 60 zu Peti-
tionen
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2783 A (Drucksachen 17/909, 17/910, 17/911,
17/912, 17/913, 17/914, 17/915, 17/916,
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2784 B 17/917, 17/918, 17/919) . . . . . . . . . . . . . . 2804 B
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2785 D
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2786 C 12 Einzelplan 23

Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 2786 C Bundesministerium für wirtschaftliche


Zusammenarbeit und Entwicklung
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . 2788 C (Drucksachen 17/619, 17/623) . . . . . . . . . 2805 B
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2805 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2789 B
Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2807 B
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2808 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2791 D
Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2809 D
Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2793 A
Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2810 D
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2794 D
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . 2811 B
Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2795 B
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2795 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2812 B
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . 2796 A Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2814 B
Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2796 D Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2816 A
Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2798 C Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . 2818 A
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2818 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2800 C
Dirk Niebel, Bundesminister
Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2801 D BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2818 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 III

Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2819 B Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2827 C
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . 2820 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2828 B
Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2820 C Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2828 D
Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2821 D Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2823 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2829 B
Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2823 C Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . 2829 D
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 2823 D
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2830 D
Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2825 A
Dirk Niebel, Bundesminister
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2826 A Anlage
Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2826 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2831 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2705

(A) (C)

Redetext

30. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion Die
Die Sitzung ist eröffnet. Linke zu diesem Einzelplan, über den wir später nament-
lich abstimmen.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nehmen Sie bitte Platz. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord- dazu Einwände? – Das ist offenkundig nicht der Fall.
nungspunkt I – fort: Dann ist das so beschlossen.
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die nächst dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das die SPD-Fraktion.
Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010)
(Beifall bei der SPD)
(B) – Drucksachen 17/200, 17/201 – (D)
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
tung durch die Bundesregierung Herren! Frau Bundeskanzlerin, wir haben nicht nur Ver-
ständnis für die Abwesenheit des Bundesfinanzminis-
Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013 ters, sondern wir wünschen ihm auch raschen Fortschritt
– Drucksachen 16/13601, 17/626 – beim Heilungsprozess. Gute Besserung, Herr Schäuble,
wünscht Ihnen die gesamte SPD-Fraktion!
Berichterstattung:
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
Abgeordnete Norbert Barthle
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
Carsten Schneider (Erfurt)
bei Abgeordneten der LINKEN)
Otto Fricke
Roland Claus Haushaltsdebatten sind besondere Debatten, selten in
Alexander Bonde Moll geführt und nie nur Debatten über Zahlenkolonnen.
Da steht die Regierung auf dem Prüfstand, und das tut
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.9 auf: not, weil – mit Blick auf das, was wir in den nächsten
Einzelplan 04 Jahren zu bestehen haben – die Herausforderungen in
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt der Tat gewaltig sind. Die Zweifel der Menschen in
Deutschland, dass wir das schaffen, wachsen doch täg-
– Drucksachen 17/604, 17/623 – lich; das ist doch zu spüren. Wir stecken in der tiefsten
Berichterstattung: Wirtschaftskrise seit 1949. Das Wirtschaftswachstum
Abgeordnete Norbert Barthle verlagert sich in andere Teile der Welt, nach Asien etwa,
Rüdiger Kruse weit weg von Europa und von Deutschland. Das Ge-
Petra Merkel (Berlin) wicht Europas in der Welt wird kleiner, und hier wach-
Dr. h. c. Jürgen Koppelin sen sogar die Gegensätze zwischen den Eurostaaten.
Dr. Gesine Lötzsch Viele Menschen in Deutschland fragen sich mittlerweile,
Priska Hinz (Herborn) ob der Wohlstand hier wohl erhalten bleibt. Das alles ist
schlimm genug. Aber noch schlimmer ist: Ausgerechnet
Dazu liegen Ihnen die Beschlussempfehlungen des jetzt, wo Politik vorangehen müsste, wo Politik Ver-
Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 17/604 und trauen schaffen müsste, da hat Deutschland eine Regie-
17/623 vor. rung, die nicht regiert, die keine gemeinsame Idee und
2706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) keinen gemeinsamen Willen hat. Jeder kämpft gegen je- ist. Da kommt ein bisschen mehr als nur Vertrauen in die (C)
den in dieser Regierung. Sie streiten sich wie die Kessel- Regierung ins Rutschen.
flicker. Es gibt keinen, der Ordnung schafft. So schlecht
wurde Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert. Wir Viele sagen doch: Die Orientierung fehlt, Werte sind
verlieren Tag für Tag an Boden. verloren gegangen. Wenn da etwas dran ist, meine Da-
men und Herren, dann sind diese Werte vermutlich nicht
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in der Wohnküche von Arbeitslosen verloren gegangen.
DIE GRÜNEN) Werte erodieren nicht von unten, sondern sie erodieren
meistens von oben. Das war schon im späten Rom so,
Viele, die Sie gewählt haben, sind nicht nur enttäuscht Herr Westerwelle. Dekadenz war leistungsloser Wohl-
– diese Briefe bekommen nicht nur wir von der SPD- stand saturierter Oberschichten. So war das.
Fraktion –, sondern auch entsetzt. Nach 140 Tagen Re-
gierung haben Sie doch im Grunde genommen Ihren (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Vertrauensvorschuss schon verspielt. Das kleinkarierte DIE GRÜNEN)
Gezänk, das wir jeden Tag hören, geht den Menschen
doch auf die Nerven. Die Menschen in Deutschland wis- Nun weiß auch ich, nicht alles, was hinkt, ist ein Ver-
sen schon jetzt, nach 140 Tagen, nicht, wovor sie eigent- gleich, Herr Westerwelle. Aber wenn ich schon Verglei-
lich Angst haben sollen: dass diese Regierung sich auf- che anstelle, dann hätte ich an Ihrer Stelle in den Ver-
löst oder dass sie im Amt bleibt. Das Schlimmste ist: gleich Gier, Unvernunft, Verantwortungslosigkeit und
Selbst das ist den Menschen schon egal. Leichtfertigkeit einiger internationaler Finanzmanager in
den Topetagen einbezogen. Je skrupelloser, je erfolgrei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten cher – das war doch die Maxime, die einige vorgelebt
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben. Das zerstört Werte. Das zerstört Vertrauen. Wenn
das Vertrauen in die Gültigkeit von Regeln, wenn das
Jetzt sehr ernsthaft: Glauben Sie nicht, dass Sie mit Vertrauen in die Gültigkeit von Standards verloren geht,
der SPD eine Oppositionsfraktion haben, die da scha- wenn da einige glauben, sich über andere stellen zu kön-
denfroh in der Ecke steht – nicht, wenn es um die Zu- nen, dann sinkt eben auch das Vertrauen in Politik. Dann
kunft des größten Landes in Europa geht. Wir wissen, sinkt das Vertrauen in Demokratie. Das geht nicht nur
Deutschland regieren, das ist kein Spiel, der Kabinetts- die Regierung an. Darum kümmern auch wir uns, meine
saal ist kein Abenteuerspielplatz, eine Regierung ist Damen und Herren.
keine Selbsterfahrungsgruppe. Spielen Sie nicht mit der
Verantwortung, die Sie für dieses Land übernommen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
haben! Nehmen Sie diese Verantwortung endlich an! des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(B) (D)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben jedenfalls un-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sere Verantwortung angenommen mit einer kritischen
und – das gebe ich zu –, wo nötig, auch scharfen Opposi-
So wie bisher, Frau Merkel, schafft diese Regierung
tionsarbeit. Wir haben die Verantwortung aus den elf
kein Vertrauen, sie zerstört Vertrauen. So kann das
Jahren, an denen wir an der Regierung in diesem Land
nicht weitergehen. Wer soll denn in Deutschland an die
beteiligt waren, nicht vergessen. Wir haben das gezeigt,
Regierung glauben, wenn sie nach 140 Tagen ein so
etwa bei der Debatte und bei der Abstimmung über den
schwaches Bild abgibt? Wer soll denn glauben, dass
Afghanistaneinsatz. Wir zeigen das bei den Gesprächen,
diese Regierung in der Lage ist, die Macht von Banken
die wir zurzeit über die Zukunft der Jobcenter führen.
und Börsen tatsächlich einzuschränken? Wer soll denn
Wir haben Verantwortung gezeigt. Aber, Frau Merkel,
glauben, dass diese Regierung Wege aus der Krise be-
ich frage Sie nach Ihrer Verantwortung. Sie sind verant-
schreibt? Wer soll denn glauben, dass diese Regierung
wortlich dafür, dass die Regierung ihre Aufgaben zum
Zukunft gestaltet angesichts des schwierigen Jahrzehnts,
überwiegenden Teil nicht erfüllt. Es ist kaum zu ertra-
das auf uns zukommt?
gen, dass Sie den Eindruck erwecken, als hätten Sie da-
(Beifall bei der SPD) mit nichts zu tun, als wäre Ihnen auch manches peinlich,
was der eine oder andere Minister da öffentlich äußert.
Meine Damen und Herren, Sie regieren noch kein hal-
bes Jahr, und niemand glaubt Ihnen das, nicht einmal die (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
eigene Wählerschaft. Das kann Sie doch nicht kaltlassen. GRÜNEN]: Dafür muss man Verständnis ha-
Darüber kann man doch nicht mit Schulterzucken hin- ben!)
weggehen. Das geht einfach nicht. So kann das nicht
weitergehen! Diese schwarz-gelbe Koalition, Frau Merkel, ist Ihre
Koalition. Sie haben diese Koalition gewollt. Das war
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vor sechs Monaten Ihre Liebesheirat. Wir sagen Ihnen
DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten heute: Sie stehen vor den Trümmern einer zerrütteten
der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder Ehe. Das ist die ganze Wahrheit. Jeder sieht das.
[CDU/CSU]: Wir sind hier doch nicht im Box-
klub!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La-
– Seien Sie vorsichtig, es geht hier nicht nur um Regie- chen bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
rung, sondern es ist ein bisschen mehr, was da bedroht CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2707
Dr. Frank-Walter Steinmeier
(A) Wenn ich mit dem einen oder anderen von Ihnen über Das ist das himmelschreiend Ungerechte. Wenn Politik (C)
die Flure gehe, dann sagt mir mancher: Herr Steinmeier, verlorenes Vertrauen wirklich wieder zurückholen will
Sie hatten doch damals bei Rot-Grün 1998 auch – das ist auch Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren –,
schlechte Presse. – Ich erinnere mich sehr gut: Ja, auch dann müssen Sie eben jetzt als Regierung handeln. Stop-
wir hatten schlechte Presse. Aber ich würde nie sagen, pen Sie das Tun der Finanzjongleure, die sich ein ums
dass schlechte oder gute Presse der Maßstab von Poli- andere Mal auf Kosten des Gemeinwohls bereichern!
tik sein darf. Rot-Grün wurde 1998 kritisiert, weil sie
sich zu viel vorgenommen haben, zu schnell vorgenom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
men haben, gleichzeitig gehandelt haben. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sorgen Sie dafür, dass das internationale Börsenkasino
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
nicht weitermacht wie bisher! Sorgen Sie dafür, dass die
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La-
Banken das billige Geld aus den Rettungspaketen an un-
chen bei der CDU/CSU und der FDP – Volker
sere Mittelständler geben und nicht schon wieder für
Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein Traumtän-
Zockereien missbrauchen!
zer!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– Passen Sie auf! – Vieles haben Sie jetzt übernommen.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich erinnere an den Streit um die Energiewende. Wo
Frau Merkel, Sie haben viel geredet, aber geändert hat
standen Sie bei der Einführung der Ökosteuer? Wo stan-
sich nichts. Das ist das, was zu beklagen ist. In der Gro-
den Sie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz? Wo standen
ßen Koalition haben wir, haben Sozialdemokraten Sie
Sie beim Ausstieg aus der Atomenergie?
bei der Regulierung der Finanzmärkte gedrängt. Die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Union hat damals auf der Bremse gestanden, und mit der
DIE GRÜNEN) FDP steht jetzt die gesamte Regierungsbank auf der
Bremse. Die Banken und die Finanzmarktlobby – wir
Das alles fand im ersten Jahr statt, begleitet durch die hören das bis nach Berlin – atmen erleichtert auf in die-
Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes und durch sen Tagen. Warum das so ist, haben wir in den letzten
Initiativen zur Veränderung im Verhältnis der Ge- Monaten oft genug gesehen: Da entwirft Gordon Brown
schlechter. in Großbritannien den Vorschlag, die Hälfte der Banker-
Dieses Problem haben Sie nicht: zu viel, zu schnell boni als Steuern abzukassieren, was Frau Merkel für
und gleichzeitig. Sie haben ein anderes Problem: eine „charmante Idee“ hält. Aber was passiert dann?

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) (Caren Marks [SPD]: Nichts! Wie immer!)
(B) (D)
Diese schwarz-gelbe Regierung hat kein einziges ge- Nichts. Dann haben wir über die Börsen- und Finanz-
meinsames Projekt, das überzeugt. marktabgabe diskutiert. Was passierte? Weit weggescho-
ben in die Prüfungsschleifen der G-20-Welt, vertagt – so
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ würde man sagen – ad calendas graecas. Aber ich gebe
DIE GRÜNEN) zu: Das geht in diesen Tagen schwer über die Lippen.
Die Union beschimpft die Liberalen als Traumtänzer. Banken und Hedgefonds haben den griechischen
Die FDP erwidert der Union: Wenn ihr heimlich weiter Staat mit spekulativen Kreditausfallversicherungen fast
Große Koalition macht, was wollt ihr dann mit uns? – in den Ruin getrieben. Das hat Griechenland und – wer
Frau Merkel, was soll denn daraus werden? Wenn sogar weiß – am Ende vielleicht auch den Steuerzahler in Eu-
die Beteiligten dieser Koalition die Koalition für einen ropa Hunderte von Millionen Euro gekostet. Was sagt
Irrtum halten, dann ist das eben ein schrecklicher Irrtum diese Regierung? Was sagt die Bundeskanzlerin? Das
für Deutschland. muss man untersuchen. – Nein, Frau Merkel, Taten sind
jetzt gefragt. Die Krise geht weiter, solange es keine
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten gibt.
DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]:
Legen Sie deshalb die Hedgefonds an die Kette! Bringen
Das für einen Irrtum zu halten, ist ein Irrtum,
Sie Ratingagenturen unter Aufsicht! Verbieten Sie Leer-
genau!)
verkäufe und den spekulativen Handel mit Kreditausfall-
Jetzt diskutieren wir einen Haushalt mit über versicherungen! Das muss mindestens sein in dieser Si-
80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Jeder dritte Euro tuation.
dieses Haushaltes ist schuldenfinanziert. Das ist einsa-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
mer Rekord. Das ist natürlich auch eine Folge der Fi-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
nanzkrise. Das – jetzt hören Sie zu – legen wir nicht vor-
dergründig Ihnen oder dem Finanzminister Herrn Der Steuerzahler jedenfalls – darüber müssen wir uns
Schäuble zur Last. Aber die ganze Wahrheit ist doch: in diesem Haus einig sein – darf nicht weiter die Zeche
Die Steuerzahler werden jetzt für die Gier von Banken für Zocker und Spekulanten zahlen. Dafür zu sorgen, ist
und Hedgefonds zur Kasse gebeten, jeder in Deutsch- jetzt Aufgabe dieser Regierung. Wenn Sie dafür keine
land mit mindestens 2 500 Euro. Mehrheit in der Koalition haben: Ich bin mir sicher, in
diesem Hause haben Sie sie, Frau Merkel.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben es
doch eingeführt!) (Beifall bei der SPD)
2708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) Ich spreche über Vertrauen. Wer Vertrauen zurückho- dig. Ich habe es im Koalitionsvertrag gelesen. Da sagen (C)
len will, der muss mit Blick auf diesen Haushalt und mit Sie: Sittenwidrige Löhne sind die Untergrenze. Sie wis-
Blick auf eine Rekordverschuldung von 80 Milliarden sen, was das im Klartext nach der geltenden Rechtspre-
Euro beim Sparen bei sich selbst anfangen. Diese Regie- chung bedeutet. Das bedeutet 4 Euro die Stunde, und das
rung macht das Gegenteil. Herr Fricke, Sie haben ges- bedeutet weiterhin, dass der Rest bis zur Grundsicherung
tern hier gesprochen. Ich habe in früheren Jahren viele vom Steuerzahler draufgelegt werden muss. Das ist Ihre
Gespräche mit Herrn Koppelin, dem für mich damals zu- Politik. Das bedeutet für die Menschen: den ganzen Tag
ständigen Haushälter, und mit Herrn Westerwelle ge- arbeiten und am Ende doch keine Chance haben, aus der
führt. Wie haben Sie sich über jede neue Stelle aufge- Abhängigkeit herauszukommen, also keine Unabhängig-
regt, als Sie noch in der Opposition waren. Wie oft keit vom staatlichen Tropf. Sie reden über den Preis der
haben Sie von diesem Pult aus mit Ihrem dickleibigen Arbeit, und wir reden über den Wert von Arbeit.
liberalen Sparbuch gewedelt. 400 Sparvorschläge ha-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ben Sie uns von diesem Rednerpult aus angekündigt.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das war Ihr gutes Recht. Womit Sie nicht gerechnet ha-
ben: Das weckt Erwartungen. Jetzt sind Sie an der Re- Wer den Wert von Arbeit nicht respektiert, wer ihn miss-
gierung und nichts davon ist verwirklicht. achtet, der greift das Wertegerüst einer auf Arbeit ge-
gründeten Gesellschaft an. Deshalb war das Wort von
(Widerspruch bei der FDP – Jörg van Essen
der römischen Dekadenz, das Sie, Herr Westerwelle, den
[FDP]: Stimmt gar nicht! Das ist doch Un-
Arbeitslosen hinterhergerufen haben, nicht nur zynisch,
sinn!)
sondern auch leichtfertig und gefährlich. Und ich be-
Stattdessen 985 neue Beamtenstellen. haupte, Sie wissen das.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/ DIE GRÜNEN – Burkhardt Müller-Sönksen
CSU]: Das ist falsch! Das stimmt nicht! Wir [FDP]: Ach! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/
bauen Stellen ab! Sie sollten in den Haushalt DIE GRÜNEN]: Deshalb macht er es ja!)
hineinschauen! Lesen macht schlauer!) Wenn Ihnen an Aufstieg durch Arbeit oder Aufstieg
Sie suchen offenbar noch nach einer Überschrift für das durch Leistung wirklich etwas liegt, dann schaffen Sie
schwarz-gelbe Projekt. Mir fällt nur eine Überschrift für die Voraussetzungen dafür, dass in diesem Lande endlich
dieses Projekt ein, eine Überschrift, die sich aufdrängt. Mindestlöhne eingeführt werden und dass wir mehr Ar-
Sie lautet „Mehr Bürokratie wagen“. Das ist Ihre Parole. beitsvermittler bei den Arbeitsagenturen bekommen.
Schaffen Sie Perspektiven und Beschäftigungsmöglich-
(B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D)
keiten für Langzeitarbeitslose, statt sie zu beschimpfen.
DIE GRÜNEN) Deutschland muss kein Land der Billiglöhne bleiben und
Der Finanzminister hat 417 neue Stellen. Herr werden. Dafür werden wir kämpfen, und zwar auch in
Röttgen lässt für 2 Millionen Euro seine neue Chefetage der Kommission für Mindestlöhne.
planen, so habe ich gelesen. Gleichzeitig sperrt diese Re- (Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann
gierung 900 Millionen Euro für die Qualifizierung von [DIE LINKE]: Das hätten Sie machen sollen,
Arbeitslosen. Sie predigen öffentlich Wasser und trinken als Sie an der Regierung waren!)
heimlich Wein. Sie aasen und denen, die Arbeit suchen,
nehmen Sie das Geld weg. Das sind die Prioritäten die- Wir alle wollen, dass Arbeit sich lohnt, dass Leistung
ser Regierung. sich lohnt, aber eben nicht nur für Hotelbesitzer und an-
dere, sondern auch für diejenigen, die wirklich zu den
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Leistungsträgern in diesem Lande gehören, zum Beispiel
DIE GRÜNEN) für die Pflegekräfte, die schwer arbeiten müssen und oft
Herr Westerwelle, ich habe Sie auf dem Parteitag der sittenwidrig schlecht bezahlt werden. Sie haben mindes-
FDP in Siegen beobachtet. Ich habe auf der großen Lein- tens den Mindestlohn verdient, diesen aber ganz be-
wand im Hintergrund den Slogan gesehen „Aufstieg stimmt. Da sind Union und FDP merkwürdig zurückhal-
durch Leistung“. Aufstieg durch Arbeit, Aufstieg durch tend, da eiern sie herum. Sie haben diese Aufgabe an
Bildung und Aufstieg durch Leistung: Das sagen wir So- eine Kommission weitergegeben und schauen mit ver-
zialdemokraten nicht nur, dafür machen wir seit 150 Jah- schränkten Armen zu, wie die Sache zurzeit nicht voran-
ren Politik. kommt.
Frau Merkel, Frau von der Leyen, Frau Schröder, tun
(Beifall bei der SPD)
Sie das Nötige, damit sich Leistung für diejenigen wie-
Wir ziehen daraus möglicherweise sehr unterschiedliche der lohnt, die die wirklichen Leistungsträger unseres
Schlussfolgerungen. Wir sagen nämlich zusätzlich: Je- Landes sind, die jeden Tag Alte und Kranke füttern, wa-
der, der jeden Tag zur Arbeit geht, muss von seinem schen und ihnen Zuwendung geben.
Lohn verdammt noch mal auch leben und seine Familie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ernähren können. Er muss herauskommen aus Armut
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und aus der Abhängigkeit vom Staat. Sie von der FDP
und auch Teile der Union finden sich eben mit Billiglöh- Sie sollten den Mut haben, zu sagen: Es geht nicht, diese
nen ab. Der eine oder andere hält sie sogar für notwen- Menschen mit einem Stundenlohn von 4 Euro abzuspei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2709
Dr. Frank-Walter Steinmeier
(A) sen, und wenn die Kommission anders entscheiden wird, schen in den Sozialausgleich schicken, 30 Millionen (C)
dann nehmen wir das nicht hin. Krankenversicherte zu Bittstellern machen, mit umfang-
reichen Fragenkatalogen, Formularen und – wer hätte es
Sie appellieren alle an das Gute im Menschen, an die gedacht – mit noch mehr Bürokratie.
menschliche Gesellschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
GRÜNEN]: Das tut die FDP wirklich nicht!)
Ich verspreche Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen.
Dagegen habe ich wirklich nichts; viele tun das zu Der Protest ist gewaltig, und wir haben die Bürger auf
Recht. Aber das Missverständnis in dieser Regierung ist: unserer Seite. Wir werden das verhindern.
Sie haben nicht zu appellieren, Sie haben zu entscheiden.
Das tun Sie seit Wochen nicht, auch hier nicht, und des- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine
halb sind Sie die größte Nichtregierungsorganisation falsche Behauptung!)
dieses Landes!
Die Regierung hat nicht nur keine Antworten. Da, wo
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sie Antworten gibt, hat sie falsche Antworten. Sie ver-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weigert sich den wirklich wichtigen Fragen. Die Men-
schen stellen sich nicht die Frage: Kommen die mit-
Genauso halten Sie es in der Gesundheitspolitik. Je-
einander klar? Das interessiert die Menschen nicht. Die
der darf sich da im Augenblick einmal mit neuen Ideen
Menschen interessiert die Frage: Woher kommt in
ausprobieren, als hätten wir gerade in diesem Bereich
Deutschland der Wohlstand von morgen? Dazu habe ich
nichts zu verlieren. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass
von dieser Regierung noch kein vernünftiges Wort ge-
wir im europäischen Vergleich immer noch die beste me-
hört, geschweige denn ein durchdachtes Konzept gese-
dizinische Versorgung in diesem Land haben. Wir haben
hen. Das, was ich gesehen habe, ist ein Gesetz, das einen
das Vertrauen der Menschen darauf, dass jeder Zugang
falschen Namen trägt. Mit dem Wachstumsbeschleuni-
zu dieser medizinischen Versorgung hat. Wir haben Ver-
gungsgesetz wächst nichts, außer den Schulden. Sie hö-
trauen darauf, dass in Deutschland die Kosten für eine
ren doch die Hilferufe der Bürgermeister und Oberbür-
hochklassige medizinische Versorgung fair verteilt wer-
germeister. Sie haben das zur Kenntnis genommen und
den. Das ist nicht wenig. Aber als wäre das nichts, darf
– wie ich den Zeitungen entnommen habe – mit Betrof-
jeder in der Regierung in diesem Bereich herumdilettie-
fenheit quittiert, mehr aber auch nicht. Zu den Einnah-
ren. Mit solch einer Politik untergraben Sie das Ver-
meverlusten, die die Städte und Gemeinden haben – in
trauen der deutschen Bevölkerung.
diesem Jahr sind es bereits mehr als 10 Milliarden Euro –,
(B) Wer in einer solchen Situation auf nichts anderes legen Sie noch eins obendrauf. Sie helfen ihnen nicht. Im (D)
kommt, als vorzuschlagen, die Beiträge der Arbeitgeber Gegenteil: Sie nehmen ihnen noch einmal etwas weg:
einzufrieren, der weiß ganz genau, was er tut. Das heißt 1,6 Milliarden Euro allein durch das Wachstumsbe-
nämlich, dass alle Kostensteigerungen infolge des medi- schleunigungsgesetz und zusätzlich durch die veränderte
zinischen Fortschritts, neuer Behandlungsmethoden und steuerliche Berechnung bei Leasing und Funktions-
steigender Medikamentenpreise in Zukunft einseitig auf verlagerung ins Ausland. Bei zukünftigen Einkommen-
den Schultern der Versicherten ruhen. Das bricht mit steuersenkungen können noch weitere Einnahmeverluste
dem Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen. in Milliardenhöhe hinzukommen. Das geht so nicht! So
können wir die Kommunen in Deutschland nicht alleine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lassen. Mit uns geht das nicht.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg
van Essen [FDP]: Nichts verstanden! – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Quatsch!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was ist mit dem
– Sie wissen das. – Das bricht mit dem guten Prinzip Bürgerentlastungsgesetz?)
„Menschen für Menschen“, das uns in 60 Jahren Nach-
kriegszeit in der Gesundheitspolitik stark gemacht hat. Was ich nun sage, Frau Merkel, meine ich in der Tat
Sie opfern das einem Wahlversprechen. So darf man in sehr ernst:
Deutschland nicht Politik machen, vor allem nicht in
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt wird es
diesem sensibelsten Bereich der Gesellschaft.
endlich spannend! – Hermann Gröhe [CDU/
(Beifall bei der SPD) CSU]: Sie meinen mal etwas ernst?!)
Ich bin nicht an der Regierung, ich darf appellieren, Hören Sie genau zu. Wenn das so weitergeht – Sie ahnen
und ich appelliere an Sie: Behalten Sie erstens die Ar- das doch selbst auf der Seite der Opposition –,
beitgeber in der Verantwortung
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zuruf: Opposition?)
und fahren Sie zweitens das Gesundheitssystem durch dann sind wir dabei, unsere Zukunft zu verlieren. Die In-
die Einführung der Kopfpauschale nicht gegen die vestitionen rutschen ab und der private Konsum stag-
Wand. Dieses System ist ungerecht, das wissen Sie, und niert. Im letzten Aufschwung waren wir in Deutschland
der Sozialausgleich ist unfinanzierbar. Aber was noch die Lokomotive in Europa. Wir haben den Zug in
viel schlimmer ist: Sie wollen bis zu 30 Millionen Men- Europa gezogen, andere folgten dem. Jetzt fallen wir
2710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) aus. So sehr berechtigt es ist, dass wir sorgenvoll nach dass wir sie in einer deutschen Netzgesellschaft unter (C)
Griechenland blicken, so wissen wir auch, dass das, was Beteiligung des Bundes bündeln müssen.
sich in diesem Lande tut, für das Wachstum in Europa
viel wichtiger ist als die Haushaltskrise und die Schwä- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
che Griechenlands. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir über unseren Tellerrand blicken, dann se- Ich schaue auf Peer Steinbrück: Auch der Finanz-
hen wir, dass sich Nordamerika erholt und Asien wächst. minister – das ist ja keine Selbstverständlichkeit – war
China ist Exportweltmeister. Deutschland und Europa damals dieser Meinung. Wir haben beide gesehen: Das
fallen zurück. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns der ist nicht irgendetwas. Das sind die Lebensadern einer in-
Boden unter den Füßen weggezogen, und dann haben dustriell geprägten Volkswirtschaft, über die wir da re-
unsere Kinder nicht dieselben Chancen wie wir. Das, den, und die dürfen wir nicht einfach irgendwelchen in-
meine Damen und Herren, Frau Merkel, ist das zentrale ternationalen Finanzmarktinvestoren überlassen.
Problem. Kümmern Sie sich in dieser Regierung endlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
darum! Legen Sie eine Innovationsstrategie vor, eine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Strategie für die Leit- und Zukunftsbranchen dieses Lan-
des, eine Strategie, wie Arbeit von morgen entsteht, eine Die Energiepolitiker unter Ihnen wissen das doch:
Energiestrategie, mit der Sie sich nicht zum Handlanger Wenn die Integration der erneuerbaren Energien in das
der Atomwirtschaft in diesem Land machen, Leitungsnetz wirklich gelingen soll, dann brauchen wir
dort Investitionen, und wir brauchen den Antrieb von In-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genieuren, um den Übergang von den bestehenden Net-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zen zu intelligenten Netzen, zu Smart Grids der nächsten
Generation, wirklich zu schaffen. In der Großen Koali-
eine Strategie, die den Ausbau der erneuerbaren Ener-
tion war die Union dagegen. In dieser Koalition herrscht
gien beschleunigt statt zu gefährden. Das müssen die
Prioritäten dieser Regierung sein. bei dem Thema „deutsche Netzgesellschaft“ gemein-
schaftliches Desinteresse. Ich sage Ihnen: Auch Unter-
Ich füge hinzu: Rufen Sie bitte auch Ihren Wirtschafts- lassen gestaltet Wirklichkeit neu. Sie werden das am
minister Herrn Brüderle zur Ordnung, der in Zeiten Ende bitter bereuen. Eines wissen Sie doch ganz genau:
höchster Not – ich habe eben die Gründe beschrieben – Irgendwelche Finanzinvestoren aus dem Vereinigten Kö-
mit einem Entflechtungsgesetz durchs Land zieht. Das nigreich, aus den USA oder aus Singapur werden sich
ist gut und schön, aber was das Gesetz angeht, so verrät nicht um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Energie-
er keinem, auch nicht auf Nachfrage, was und vor allem netzes kümmern. Das glauben Sie doch selbst nicht. Sie
(B) wer gemeint ist. Herr Brüderle, wenn Sie die Post mei- tun nichts. Vom Schulterzucken müssten Sie inzwischen (D)
nen, dann lassen Sie uns in diesem Haus doch über die Muskelkater haben, Herr Brüderle.
Zukunft der Post streiten, aber laufen Sie nicht mit Über-
(Beifall bei der SPD)
schriften von Gesetzgebungsvorhaben durch die Ge-
gend; denn keiner weiß, was die Anstrengung in diesem Das, was Deutschland jetzt braucht, ist eine kraftvolle
Bereich im Augenblick soll. Regierung, die dieses Land erneuert, deren wirtschafts-
politische Fantasie zu mehr reicht als nur dazu, zu sagen:
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/
Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen.
CSU]: Wir wollen die Sozis und die Linken
Deutschland braucht eine Regierung, die Investitionen
entflechten!)
organisiert, die Zukunft baut, eine Regierung, die die
– Herr Kauder, wissen Sie, wenn Sie das karikieren, ganze Gesellschaft im Blick hat und nicht nur die eigene
dann frage ich mich: Warum treibt es Sie eigentlich nicht Klientel. Davon ist diese schwarz-gelbe Regierung mei-
um – das werden Sie wie ich am Wochenende in den lenweit entfernt. Das ist das Verhängnis dieser Zeit.
Zeitungen gelesen haben –, dass Vattenfall sein Energie- (Beifall bei der SPD)
netz, sein Leitungsnetz verkaufen will? Warum treibt Sie
das nicht um? Ich sage es Ihnen: Weil Sie nicht sehen, Ich komme zum Schluss und sage: Frau Merkel, Herr
dass wir mit solchen Entscheidungen einzelner Unter- Westerwelle, ich bin mir inzwischen ganz sicher, dass
nehmen ein gutes Stück Zukunft in diesem Lande verlie- die Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt: Diese
ren. Regierung hat Deutschland nicht gewollt. Und ich sage:
Eine solche Regierung hat Deutschland auch nicht ver-
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ dient.
CSU]: Weil die EU es verlangt hat!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ich habe mir in der Großen Koalition manchmal den DIE GRÜNEN)
Mund fusselig geredet – Sie wissen das, Sie können sich
erinnern –, dass wir den Verkauf der Energienetze nicht Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich Ihre Pflicht! Brin-
einfach tatenlos hinnehmen dürfen, gen Sie Ordnung in den Laden! Nehmen Sie endlich Ihre
Verantwortung wahr! Es ist jetzt wirklich Ihre Verant-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch wortung, Frau Merkel.
zugestimmt in Europa als Außenminister!
Also, so ein Unsinn!) Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2711
Dr. Frank-Walter Steinmeier
(A) (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Genau! (C)
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Erklären Sie das mal!)
GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit
Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu entschlos-
fünf Jahren schon!)
sen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten der Koali-
tionsfraktionen ganz besonders bedanken, dass sie das
Präsident Dr. Norbert Lammert: mitgetragen haben, sodass wir heute in den Grundzügen
Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin. den Haushalt so verabschieden, wie ihn die Regierung
vorgelegt hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haushalt
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: wird gegenüber dem Haushalt, den wir damals in der
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Großen Koalition beraten haben, drei Monate früher be-
Steinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Opposition raten. Das zeigt, wie handlungsfähig diese Regierung
und speziell die SPD könnte dem gesellschaftlichen und diese christlich-liberale Koalition in einer schwieri-
Klima im Lande einen guten Dienst erweisen – vielleicht gen Situation sind.
könnten Sie ganz persönlich dafür sorgen –, wenn unse- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
rem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der not- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wendige Respekt entgegengebracht wird. Das fordern NEN]: Rekordverschuldung Handlungsfähig-
wir. keit zu nennen, ist schon frech!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes an-
Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Neu- schauen – auch da will ich gar nicht drum herumreden –,
verschuldung des Bundes in der 60-jährigen Geschichte dann sehen wir, dass dieser Haushalt über 9 Prozent grö-
der Bundesrepublik Deutschland aufweist. 80,2 Milliar- ßer ist, als es in normalen Zeiten der Fall wäre. Etwa
den Euro Schulden bei einem Gesamtumfang des Bun- 54 Prozent dieses Haushaltes sind Sozialausgaben. Er-
deshaushaltes von knapp 320 Milliarden Euro, innern wir uns: 1980 wurden 16 Prozent des Bundes-
haushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, im
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Pro-
NEN]: Plus Ihre Schattenhaushalte! 130 Mil- zent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für Rente,
liarden!) 40 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und – wir
haben etwas ganz Besonderes gemacht; das weist schon
das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, jeder darauf hin, warum wir einen solchen Haushalt verab-
(B) vierte Euro, den wir in diesem Jahr ausgeben, ist nicht (D)
schieden – auch immense Zuschüsse an die Bundesagen-
durch die Einnahmen gedeckt. tur für Arbeit und an den Gesundheitsfonds; diese führen
(Zuruf von der SPD: Ihr macht noch mehr uns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt ver-
Schulden!) abschieden.
Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das Dop- Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur aus ei-
pelte der bisher höchsten Neuverschuldung des Bundes ner einzigen Tatsache heraus: In diesem Jahr müssen wir
aus dem Jahre 1996 infolge der deutschen Einheit. Da- weiter eine Krise bekämpfen, die uns im vergangenen
mals waren es 40 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro Jahr einen Wirtschaftseinbruch von 5 Prozent gebracht
Schulden, das bedeutet 1 000 Euro pro Einwohner der hat. Das sind 88 Milliarden Euro weniger Produktion in
Bundesrepublik Deutschland; hinzu kommen 460 Euro Deutschland, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen sol-
Zinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes, chen Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollen
ungefähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszahlun- Fehler aus der Geschichte nicht wiederholen und ver-
gen aufgebracht werden. nünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder in
Gang kommen kann. Das ist die tiefere Ursache dieses
Ich sage ganz deutlich – genauso wie der Finanz- Haushaltes. Dazu stehen wir aus voller Überzeugung,
minister gestern –: Mit Recht machen sich die Menschen weil es für die Menschen in diesem Lande richtig ist.
Gedanken über die Verschuldung. Mit Recht fragen sie
uns alle, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind: Was (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
wird daraus? Wie werdet ihr das lösen? Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!)
(Christoph Strässer [SPD]: Ja, wie? –
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dra-
NEN]: Das fragen wir uns auch!) matischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat vor 18 Mo-
naten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers
Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was uns nicht begonnen. Wir können heute sagen, dass wir in diesen
eint und worüber wir ja heute sprechen 18 Monaten Wichtiges geschafft haben. Wir haben die
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Banken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mit
DIE GRÜNEN) den 400 Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliar-
den Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heute
– bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen –, sind die haben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquiditäts-
Fragen: Was tun wir, und wie tun wir es? garantien – bei den Garantien gab es übrigens keine Aus-
2712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) fälle –, und wir haben 28 Milliarden Euro Eigenkapital- vielem anderen gesorgt haben; von all diesen Instrumen- (C)
hilfen. ten wurde Gebrauch gemacht. Wir haben deshalb die
Kurzarbeit aus voller Überzeugung bis 2011 verlängert.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sagen: Wir müssen in dieser Situation zusammenste-
NEN]: Und 32 Milliarden Euro Schulden aus hen. Das zeigen die moderaten Tarifabschlüsse, das zei-
der Rettung, die Sie nicht erwähnen!) gen unsere Maßnahmen, und so werden wir auch weiter
Das wird sich noch lange in die Zukunft ziehen, so durch diese Krise gehen.
lange, bis wir absehen können, was für einen Verlust das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
für den Steuerzahler bedeutet. Die Hilfen sind gut ange-
nommen worden, und sie sind weltweit koordiniert ge- Das hat Wirkung gezeigt. Wenn wir uns einmal an-
geben worden. Das hat zu einer Stabilisierung geführt. schauen, wie sich die Arbeitslosigkeit im europäischen
Vergleich entwickelt hat, so sehen wir, dass die Arbeits-
Mindestens genauso wichtig: Der Einbruch der Real-
losigkeit bei uns im Jahre 2009 gegenüber 2008 um
wirtschaft ist durch das, was wir machen, in seinen
4,4 Prozent gestiegen ist, im EU-Durchschnitt allerdings
Auswirkungen gedämpft worden, nämlich durch das
um 36 Prozent. In Frankreich zum Beispiel ist sie um
100-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket für 2009 und
30 Prozent gestiegen, in den Vereinigten Staaten von
2010 und ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das
Amerika um 70 Prozent.
seinen Namen zu Recht hat,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Das vielleicht Schönste ist, dass die Jugendarbeitslo-
chen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN sigkeit bei uns um 11 Prozent gesunken ist, während sie
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – im Mittel der Europäischen Union um 28 Prozent gestie-
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen ist, in Spanien zum Beispiel um 86 Prozent. Das ist
NEN]: Schuldenbeschleunigungsgesetz!) nichts, worauf man sich ausruhen kann. Aber das ist
schon etwas, worauf man auch ein Stück stolz sein kann,
mit 8,5 Milliarden Euro Entlastung für Familien und vie- und zwar wir alle gemeinsam.
les andere.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Außer Schulden nichts verschuldet!) Wir haben wieder leichte Wachstumsraten. Der Bin-
nenkonsum ist im letzten Jahr nicht eingebrochen: plus
Die Steuersenkungen haben wir zum Teil gemein- 0,2 Prozent.
sam und zum Teil nach kontroversen Diskussionen be-
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Auf das
(B) schlossen. Wir haben für eine Entlastung von über vergangene Jahr sind wir auch stolz!) (D)
20 Milliarden Euro gesorgt. Wir wissen aus den Erfah-
rungen: 90 Prozent davon gehen in den Konsum der In diesem Jahr sehen wir einen leichten Einbruch. War-
Menschen, und das ist genau der Beitrag, den wir leisten, ten wir aber erst einmal ab. Den Prognosen kann man ja
um die Binnenwirtschaft nicht einbrechen zu lassen. auch nicht so richtig trauen. Wir konnten bislang Insol-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) venzen vermeiden. Es wird nicht einfach; aber es ist
richtig, diesen Kurs weiter zu verfolgen.
Wir machen das, was uns die Ökonomen sagen: Wir
lassen die automatischen Stabilisatoren wirken – das In den nächsten Jahren kommt eine riesige Aufgabe
heißt auf gut Deutsch, die Lohnzusatzkosten steigen auf uns zu, eine Herkulesaufgabe. Wir müssen eigentlich
nicht an –, und wir haben die Darlehen sowohl für das Unvereinbares zusammenbringen: den Haushalt konsoli-
Gesundheitssystem als auch für die Bundesagentur in dieren, aber zugleich Wachstum schaffen, und das Ganze
Zuschüsse umgewandelt, was uns ein besseres Funda- in dem Umfeld einer Gesellschaft, deren Altersaufbau
ment im Hinblick auf die weitere Beitragsentwicklung sich dramatisch verändert.
gibt. Wir haben, damals noch gemeinsam, auch die Ren-
tengarantie beschlossen, eine wichtige Maßnahme, wie Wir brauchen neues Denken, um diese großen He-
rausforderungen bewältigen zu können.
sich jetzt herausstellt. Denn zum ersten Mal in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland sind die Brut- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
tolöhne im letzten Jahr gesunken. SES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augs-
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Woran burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine
das wohl liegt?) geistig-moralische Wende, neues Denken, ja!)

Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all den Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit.
Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in den letzten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste war: dass die
Menschen gezeigt haben, was in diesem Lande steckt, Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie aus den
dass Unternehmer genauso wie Arbeitnehmerinnen und Konjunkturprogrammen, die wir aufgelegt haben. Wir
Arbeitnehmer Verantwortung gezeigt, die Maßnahmen müssen in den nächsten Jahren – auch wegen der Schul-
der Regierung angenommen und selbst Lohnzurückhal- denbremse, die Deutschland als weltweit einziges Land
tung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibili- eingeführt hat, mitten in der Krise – auf Konsolidie-
sierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten und rungskurs gehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2713
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) (Bettina Hagedorn [SPD]: Davon merken wir (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das (C)
nichts! – Thomas Oppermann [SPD]: Mit dem stimmt!)
Liberalen Sparbuch!)
Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie haben Re-
Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor uns. Ein formen durchgeführt; wir haben diese Reformen im Bun-
strukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden Euro wird desrat unterstützt. Diese Reformen haben, zusammen mit
in den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen sein, damit die anderen Reformen, dazu geführt, dass die Zahl der
Neuverschuldung im Bundeshaushalt ab 2016 bei höchs- Arbeitslosen in den Jahren darauf unter 3 Millionen ge-
tens 10 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir müssen pro fallen ist.
Jahr ein Defizit von 10 Milliarden Euro abbauen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Erläutern Sie Armut! Mehr befristete Beschäftigung! Mehr
einmal in Ihrem Wahlkreis, wie Sie das ma- Leiharbeit!)
chen wollen!) Sie haben sich nie überlegt, warum das so gekommen ist.
Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und ich Ihre Wahrnehmung war immer geteilt:
sage dem Bundesfinanzminister Unterstützung zu. Wir (Zuruf von der SPD: Was?)
wissen, was das bedeutet. Die Erstanmeldungen für den
Haushalt 2011 sind noch nicht so, dass wir sagen könn- Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslosen
ten: Wir haben es schon geschafft, die 10 Milliarden sank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, wie das
Euro einzusparen. Die Bundesregierung verpflichtet sich kommen konnte.
hier aber gegenüber dem Parlament, ihren Beitrag zu (Thomas Oppermann [SPD]: Durch Ihren Bei-
leisten. trag ganz bestimmt nicht! – Dr. Frank-Walter
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Steinmeier [SPD]: Wenn wir lange überlegt
hätten, wäre das nicht zustande gekommen!)
Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darüber Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
brauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wir hilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maß-
zu der Frage: Wie schaffen wir das? Neben einer klugen nahme natürlich Möglichkeiten geschaffen, dass viele
Exitstrategie brauchen wir eine kluge Wachstumsstrate- Menschen wieder eine Arbeit aufgenommen haben.
gie. Die Erfahrungen der Jahre 2005 bis 2009 zeigen
doch: Die beste Wachstumsstrategie ist, möglichst viele (Zuruf von der SPD: Das war doch unsere
Arbeitsplätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Ar- Idee!)
(B) beit haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten er- (D)
100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der Bun-
klärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärts
deshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. Deshalb gilt
machen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Ar-
es, Arbeit zu schaffen und möglichst viel Beschäftigung
beitslosengeld II bekommen will, braucht keine Vermö-
hinzubekommen. Nicht nur entlastet das den Bundes-
gensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich glaube, da sind
haushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auch
Sie auf einem falschen Trip. Ich zumindest bin davon
Teilhabe und gesellschaftliches Mitbestimmen und ist le-
überzeugt, dass das falsch ist.
benserfüllend.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben
der FDP) es doch durchlöchert!)
Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel qualifizierte – Da nützt auch das Schreien nichts.
Arbeit bereitzustellen, um aus der Arbeitslosigkeit he-
rauszukommen. Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente mit 67
rückgängig machen müssen, weil aufgrund Ihrer fal-
Schauen wir uns die heutige Situation einmal an: schen Konzepte die Möglichkeiten zur Vermittlung von
5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II. älteren Arbeitnehmern schlechter werden.
Das kostet den Bundeshaushalt, wie gesagt, 40 Milliar-
den Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entsteht (Thomas Oppermann [SPD]: Wir regieren
den Kommunen eine Belastung von 11 Milliarden Euro. schon?)
Wenn wir es schaffen, dass mehr und mehr Menschen – Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzulegen.
aus dieser Situation herauskommen, dann haben wir et- Sie hätten ja bei dem bleiben können, was Sie immer ge-
was erreicht. sagt haben.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das schaffen Sie (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
nicht mit Ihrer Politik! – Roland Claus [DIE der FDP)
LINKE]: Warum tun Sie dann nichts?)
Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den heute
– Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschlagen: Die 5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind unge-
sozialdemokratische Fraktion und der ehemalige Kanz- fähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leistungen aus
leramtsminister Steinmeier sind, muss man sagen, in ei- Hartz IV erwerbstätig. Von diesen 1,4 Millionen Men-
nem wundersamen Wandel begriffen. schen befindet sich die übergroße Mehrzahl in Beschäf-
2714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) tigungsverhältnissen unter oder bis 200 Euro. Die Zahl Ich spreche darüber so ausführlich, weil sich genau (C)
derer, die darüber hinaus dazuverdienen, wird immer ge- hier unterschiedliches Denken im Hause manifestiert.
ringer. Das heißt doch nichts anderes, als dass es eine
Barriere beim Hinzuverdienst gibt. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das
stimmt! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dum-
(Zuruf von der SPD: Wir sind doch nicht in der pinglohn! – Joachim Poß [SPD]: Miss Dum-
Schule!) pinglohn!)
Am Anfang ist die Abzugsrate gleich null; man kann Wenn wir die Struktur dieses Bundeshaushaltes mittel-
hinzuverdienen. Über diesen Betrag von 200 Euro hi- fristig ändern, wird das dazu führen, dass wir die Ren-
naus ist die Abzugsrate so hoch, dass es bei Verdiensten tenzuschüsse und die Gesundheitskosten, die wir als
über 150 Euro praktisch überhaupt keinen Unterschied Steuermittel im Wesentlichen für die Kinder in das Ge-
mehr macht, sundheitssystem gegeben haben, nicht kürzen.
(Thomas Oppermann [SPD]: Sind Sie sicher, (Thomas Oppermann [SPD]: In die Kopf-
dass Ihnen Ihre Leute folgen können?) pauschale! Nicht für die Kinder!)
insbesondere bei Familien mit mehreren Kindern, ob sie Dann werden wir sehen, dass mehr Menschen in Arbeit
etwas verdienen oder ob sie nichts verdienen und kommen und von diesem Block der 40 Milliarden Euro
Hartz IV bekommen. weniger ausgegeben werden muss, weil diese Menschen
wieder Arbeit haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben Ihre (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Leute nicht überzeugt!)
Auf diesem Feld können wir etwas tun. Im Übrigen
Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen die Hinzuver- freuen sich darüber auch die Kommunen; denn sie ge-
dienstgrenzen verändern, und zwar so, dass sie einen ben 11 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft
Anreiz bieten, in Arbeit zu kommen. Wir sind der Mei- aus. Jeder Euro, den sie nicht ausgeben, ist für sie eine
nung: Diejenigen, die sowohl Arbeitslosengeld II bezie- massive Entlastung.
hen als auch etwas hinzuverdienen, sind auf einem bes- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
seren Weg, eine Arbeit zu finden, als die, die gar nichts Joachim Poß [SPD]: Das war die Erklärung
hinzuverdienen. Das ist unser Ansatz.
von Miss Dumpinglohn!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wenn Menschen arbeiten, dann geht es darum, dass
(B) Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie ver- sich Leistung lohnt. (D)
stehen es nicht!)
Deshalb ist unser Ansatz, bei dem sogenannten Mittel-
Man kann den Unterschied ganz klar benennen. Wir standsbauch, also bei der stärksten Steigerung der Pro-
wollen den Menschen helfen. Dafür sind die Eingliede- gression, und bei der kalten Progression im steuerlichen
rungstitel und viele andere Instrumente in der Bundes- Bereich für eine Entlastung zu sorgen. Es wird einfacher,
agentur geschaffen worden. niedriger und vor allen Dingen gerechter, damit sich
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Leistung in diesem Lande lohnt.
NEN]: Die Sie sperren!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
– Sie sagen wenigstens „sperren“. Joachim Poß [SPD]: Sie haben noch gar nicht
gesagt, was Sie wollen! Wann kommt denn da
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- was?)
NEN]: 900 Millionen!)
Es geht natürlich um qualifizierte Arbeitsplätze. Des-
Manch einer sagt einfach nur „kürzen“. halb haben wir in der Koalition – das spiegelt sich ja im
Haushalt wider – einen Schwerpunkt bei Forschung und
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bildung gesetzt, weil das die Zukunft ist. Deshalb sagen
NEN]: Sperre plus Zeit ist Kürzung!) wir: Wir werden die Elektromobilität fördern. Am
Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird ein 3. Mai 2010 wird der Kongress mit allen Akteuren statt-
Programm vorlegen. Dann werden die Mittel entsperrt finden, damit wir eine Chance für den Technologiestand-
und stehen zur Verfügung. Das ist überhaupt kein Pro- ort Deutschland entwickeln.
blem. Wir müssen dafür sorgen, dass mit dem Geld, das (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ein Kongress! –
wir für die ausgeben, die Arbeitslosengeld II beziehen, Thomas Oppermann [SPD]: Ein Kongress!
und sie in Beschäftigung bringen soll, wirkliche Folge- Ein Zwischengipfel! Ein Arbeitskreis! –
beschäftigung entsteht, anstatt einen öffentlichen Ar- Joachim Poß [SPD]: Nur Kommissionen, kein
beitsmarkt zu manifestieren und zu zementieren, der uns Regieren!)
am Schluss nur etwas kostet und nichts bringt. Es ist der
Mühe wert, dass man das versucht. Deshalb werden wir auch ein neues Energiekonzept
entwickeln.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der
FDP) (Joachim Poß [SPD]: „Wir kündigen an“!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2715
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) Wir sind in dieser Frage einer Meinung darin, dass es da- (Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch gar (C)
rum geht, ein Zeitalter der regenerativen Energien zu nichts gesagt jetzt!)
erreichen. Eigentlich müssten wir aber auch einer
– Nein, nein, Sie müssen einfach einmal in die Reihe
Meinung darüber sein, dass wir den Industriestandort
hinter sich schauen. Es sind nicht alle so vernünftig wie
Deutschland erhalten wollen, und das heißt immer Dreier-
Sie, Herr Poß.
lei: Energie muss bezahlbar sein, Energie muss sicher
sein, und Energie muss umweltverträglich sein. Das wer- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
den wir zusammenbringen.
Ich verstehe Sie ja. Das ist ein Zentrum in Bonn und des-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) halb in Nordrhein-Westfalen. – Wir brauchen also
Leuchttürme, mit denen den Menschen gezeigt wird,
Deshalb sagen wir: Die Kernenergie ist eine Brücken-
wofür Forschung und Entwicklung gut sind, und bei ei-
technologie, aber die Länge der Brücke richtet sich da-
ner alternden Gesellschaft ist es allemal gut, wenn
nach, dass wir diese drei Dinge miteinander verbinden
Deutschland im Gesundheitsbereich eine Spitzenposi-
können.
tion auf der Welt hat. Wir haben auch das Zeug dazu,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und die Bundesregierung fördert das.
der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herr Steinmeier, ich bin schon ein bisschen erstaunt.
Natürlich ist es wichtig, dass unsere Unternehmen mit
Die deutschen Stromversorgungsnetze haben sich nun
Krediten versorgt werden – insbesondere der Mittel-
60 Jahre lang in privater Hand befunden. Jetzt ist es so,
stand. Deshalb gibt es die Kreditversorgung über den
dass das Eigentum auch aufgrund von Anordnungen der
Wirtschaftsfonds, und deshalb haben wir auch – der
Europäischen Union von Vattenfall, einem Unterneh-
Bundeswirtschaftsminister hat das getan – einen Kredit-
men, das schwedischer Natur ist, hin zu einem belgi-
mediator eingesetzt, der seine Arbeit aufgenommen hat.
schen Unternehmen wandert, das schon eine Vielzahl
von Stromnetzen betreibt und von dem nichts Ehrenrüh- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
riges bekannt ist. Das ist genauso wie bei anderen, die NEN]: Ein schönes Pöstchen!)
ihr Elektronetz an ein niederländisches Staatsunterneh-
– Sie wissen, dass bei solchen Dingen gilt: Wenn Sie sie
men verkauft haben. Sind wir nun in einem europäischen
gemacht hätten, dann fänden Sie es ganz toll, weil wir
Binnenmarkt, oder sind wir es nicht? Polemisieren wir
sie machen, finden Sie es einfach nicht toll. Der Kredit-
gegen belgische Firmen, nur weil sie keine deutschen
mediator wird seine Arbeit machen, der Mittelstand wird
sind, oder machen wir das nicht?
es ihm danken.
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (D)
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Thomas Oppermann [SPD]: Darum geht es
NEN]: Der Steuerzahler auch, der es finanzie-
doch nicht!)
ren soll!)
Von der Idee einer Reverstaatlichung des deutschen
Wir sprechen wieder darüber, wenn sich die Sache gut
Stromnetzes halte ich ehrlich gesagt gar nichts. Wir müs-
entwickelt hat.
sen natürlich vernünftige Ausbaubedingungen erreichen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Thomas Oppermann [SPD]: Klingt nicht sehr
Dafür müssen wir vernünftige Investitionsbedingungen überzeugend!)
schaffen und dafür sorgen, dass man eine Hochspan-
Ich sage Ihnen auch: Wir werden eine Politik fördern,
nungsleitung bauen kann, ohne dass das Genehmigen
mit der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt
zehn Jahre dauert und ohne dass die Erdkabel so viel
Geld verschlingen, dass man überhaupt nicht mehr zu wird. Ich glaube nicht, dass wir in der Europäischen
Potte kommt. Union, wenn wir über eine Wirtschaftsregierung reden,
was ich für richtig halte, die Diskussion so führen soll-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten, dass man sich danach richtet, wer am langsamsten
ist, sondern beim Benchmarking muss geschaut werden,
Das sind die wichtigen Aufgaben, aber das hängt nun
wer am schnellsten und am besten ist.
wirklich nicht davon ab, ob das Unternehmen schwe-
disch oder belgisch ist, sondern das hängt von ganz an- Ich sage auch ganz deutlich, wo Deutschland Schwä-
deren Dingen ab. chen hat. Wir haben von der OECD eine hohe Abgaben-
last im Niedriglohnbereich attestiert bekommen. Da ha-
Wir werden die Gesundheitsforschung weiter nach
ben wir Schwächen. Darüber müssen wir nachdenken.
vorne bringen. Wir haben bereits ein Zentrum für De-
Aber wir werden unsere Stärken nicht aufgeben, weil
menzkranke in Bonn gegründet. Eine wissenschaftliche
von unseren Exportgütern mehr gekauft wird als von de-
Bündelung aller – –
nen anderer Länder. Das wäre die falsche europäische
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Konti-
LINKEN) nents.
– Ich weiß nicht, ob Herr Müntefering da ist. Er hatte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
wenigstens, als wir noch gemeinsam regiert haben, so Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
viel Vernunft, zu sagen, dass wir Leuchttürme brauchen. NEN]: Lieber handeln statt diskutieren!)
2716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) Sicherlich ist die schwierigste Herausforderung, vor Mit diesen drei Prioritäten – Arbeitsmarkt, Grund- (C)
der wir stehen, die Veränderung des Altersaufbaus. Am sicherung und Bildung – reagiert die christlich-liberale
Ende des Jahrzehnts, das jetzt begonnen hat, wird es Koalition also ganz gezielt auf die Wünsche der Men-
3 Millionen mehr ältere Beschäftigte geben. Die Zahl schen. Daran werden wir weiter arbeiten. Das ist es, was
der Beschäftigten im Verhältnis zu Rentnern und Kin- uns interessiert.
dern wird sich dramatisch verändern, und zwar von
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
heute 65 Rentnern und Kindern im Verhältnis zu 100 Be-
Joachim Poß [SPD]: Lohndumper!)
schäftigten auf 84 Rentner und Kinder im Verhältnis zu
100 Beschäftigten. Das alles muss erarbeitet werden. Wir werden natürlich auch das Bundesverfassungs-
Außerdem wird die Zahl der Schulabgänger sinken. Des- gerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen umsetzen. Da-
halb ist es so wichtig, dass das Thema des Zusammen- rüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen.
halts unserer Gesellschaft ganz oben auf der Tagesord-
(Widerspruch bei der LINKEN)
nung steht.
Das ist einfach nicht möglich, weil die Statistiken noch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
nicht ausgewertet sind. Ich möchte wiederholen, was die
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Bundesministerin gesagt hat: Klar ist schon heute, dass
NEN]: Das macht ja den Schuldenberg so ge-
wir für die Bildung der Kinder mehr Geld ausgeben wer-
fährlich!)
den. Wir werden es aber so tun, dass es bei den Kindern
Ich habe mir im Allensbacher Jahrbuch angesehen, ankommt. Sachleistungen sind also nicht ausgeschlos-
was die Menschen auf die Frage, was sie unter einer sen. Denn wir wollen, dass das Geld den Kindern zugu-
gerechten Gesellschaft verstehen – wir sind uns, glaube tekommt. Genau darauf werden wir hinarbeiten.
ich, einig, dass Gerechtigkeit die Voraussetzung für den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zusammenhalt ist – und ob es ihrer Meinung nach in der
Wirtschaft gerecht zugeht, antworten. In den letzten Jah- Um das 7-Prozent-Ziel für die Bildung zu erreichen,
ren ist eine erschütternde Entwicklung zu erkennen. In haben wir den Ländern bereits in Aussicht gestellt, dass
den neuen Bundesländern war es leider immer so, dass wir seitens des Bundes bis 2015 die Lücke von mindes-
eine übergroße Mehrheit gesagt hat: In der Wirtschaft tens 13 Milliarden Euro mit einer Quote von 40 Prozent
geht es nicht gerecht zu. füllen werden; normalerweise geben wir 10 Prozent da-
für aus. Wir sagen aber: Es ist ein so wichtiges gesamt-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das gesellschaftliches Anliegen, dass der Bund bereit ist,
ist Erfahrung!) sich an dieser Stelle mehr zu engagieren und die Bil-
Das hat sich in 20 Jahren eigentlich nicht geändert. In dungspolitik im ganzen Land dadurch zu verbessern.
(B) (D)
den alten Bundesländern gab es über viele Jahrzehnte ein (Zuruf von der SPD: Wie denn konkret?)
Auf und Ab. Es herrschte aber immer ein ungefährer
Gleichstand zwischen „gerecht“ und „nicht gerecht“. Wir werden den Nationalen Integrationsplan weiter-
entwickeln. Wir haben bereits gezeigt, dass wir für die
Seit den Jahren 2004 bzw. 2005 und ganz besonders Familien etwas tun. Der Ausbau der Kleinkinderbetreu-
seit der Finanzkrise hat sich der Abstand zwischen den- ung wird weitergehen. Das Kindergeld und die Kinder-
jenigen, die sagen, dass es in der Wirtschaft gerecht zu- freibeträge sind erhöht worden. Deshalb ist das eine ver-
geht, und denjenigen, die sagen, es gehe ungerecht zu, nünftige Sache.
auf 58 Prozent vergrößert. Wenn die Akzeptanz der so-
zialen Marktwirtschaft erhalten werden soll, dann muss Außerdem werden wir auch über die Vorschläge der
diese Lücke wieder geschlossen werden, sowohl in Ost- Bundesfamilienministerin zu reden haben, was Pflegezeit
deutschland als auch in Westdeutschland. Das ist meine anbelangt. Denn das Thema Pflege wird uns in der nächs-
feste Überzeugung. ten Zeit in besonderer Weise beschäftigen. Es ist etwas,
was die Menschen zutiefst bewegt. Ich sage Ihnen – ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) habe darüber auch mit den Arbeitgebern gesprochen –:
Wenn man die Menschen fragt, was sie für gerecht hal- Wir sollten hier wirklich neues Denken anwenden. Es
ten, dann sagen sie als Erstes – und zwar mit weitem Ab- wird in Zukunft schwierig sein, qualifizierte Arbeitskräfte
stand; es sind insgesamt 83 Prozent –: gleiche Chancen zu bekommen. Das wird sich über die nächsten Jahre in
für gute Schulbildung. Die Bildung ist das Thema, das ganz anderer Weise entwickeln. Die Bereitschaft der Un-
die Menschen am meisten berührt. Als Zweites, auch das ternehmen, freiwillig etwas zu tun, wird an vielen Stellen
ist interessant, sagen sie – zu etwas über 60 Prozent –: wachsen, weil man Beruf und Familien viel besser ver-
binden muss.
(Joachim Poß [SPD]: Da ist Lohndumping die
richtige Frage!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
dass der Staat für ein Existenzminimum sorgt und nie-
mand in Not gerät. Ungefähr genauso viele Menschen Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu den
sind der Meinung, dass Leistung sich lohnen muss. Das schrecklichen Fällen von sexuellem Missbrauch sagen,
heißt: Wer mehr leistet, muss auch mehr davon haben. von denen wir jeden Tag hören und von denen wir erfah-
Das sind die zwei Seiten der Medaille. ren. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Sexueller Miss-
brauch an Kindern und an Schutzbefohlenen ist ein ver-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) abscheuungswürdiges Verbrechen. Es gibt nur eine
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2717
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällen Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden uns auch (C)
klarkommt: Das ist Wahrheit und Klarheit über alles, melden, wenn Unternehmensführer sich in einer solchen
was passiert ist. Zeit zum Teil in absurder Art Gehaltssteigerungen gön-
nen, die von keinem anderen in dieser Gesellschaft nach-
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der vollzogen werden können.
SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Ich glaube, jedem ist bewusst, dass das Leben der
Menschen, die so etwas erlebt haben, anders verläuft, als Deshalb ist vielleicht der Gesundheitsbereich derje-
wenn sie das in jungen Jahren nicht erlebt hätten. Das nige, in dem die meiste Arbeit zu leisten ist. Ich habe ei-
begleitet sie ein ganzes Leben. Völlige Wiedergutma- gentlich nur eine Bitte, nämlich dass Sie von der Opposi-
chung wird und kann es nicht geben. Es hat keinen Sinn, tion wenigstens nicht dauernd Dinge behaupten, die
es auf eine Gruppe zu beschränken, auch wenn uns die einfach nicht stimmen.
ersten Fälle sozusagen aus dem katholischen Bereich zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Ohren gekommen sind. Es ist etwas, das sich in vielen der FDP)
Bereichen der Gesellschaft ereignet hat, und es ist vor al-
len Dingen auch etwas, das sich heute teilweise in ande- Es ist nicht fair, einfach irgendetwas zu behaupten.
rer Form, aber mit gleichen Folgen weiter ereignet.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Was denn?)
Deshalb bin ich froh, dass die drei Ministerinnen Frau Die kostenlose Mitversicherung der Ehepartner wird
Leutheusser-Schnarrenberger, Kristina Schröder und weiter gewährleistet sein. Die Versicherung der Kinder
Annette Schavan gemeinsam ein Gesprächsforum mit wird, wenn Sie es so rechnen, inzwischen im Wesentli-
den Betroffenen bilden, mit denjenigen, von denen diese chen aus dem Steuertopf bezahlt. Wir waren uns doch ei-
Fälle bekannt werden, und dass man sowohl in die Ver- nig, dass der steuerliche Ausgleich gerechter ist als der
gangenheit als auch in die Zukunft blickt. soziale Ausgleich über Beiträge. Das wissen Sie doch al-
Aber lassen Sie uns die Sache nicht zu einfach ma- les.
chen. Man muss über Verjährung sprechen. Man kann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
über Entschädigung sprechen.
Warum soll für einen Erwachsenen falsch sein, was für
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein Kind richtig ist?
NEN]: Man kann über Entschuldigung spre-
chen! Mit dem Papst zum Beispiel!) Gerade die SPD müsste doch sagen: Diejenigen, die
(B) viel verdienen, müssen das meiste zum Sozialausgleich (D)
Aber insgesamt kommt es darauf an – das ist eine Be- in einem so sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswe-
währungsprobe für unsere ganze Gesellschaft –, dass sen beitragen. Das tun Sie aber nicht.
Menschen, die so etwas erfahren haben, sich in dieser
Gesellschaft wieder anerkannt und aufgehoben fühlen (Widerspruch bei der SPD)
und wenigstens das Stück Wiedergutmachung bekom- Sie fangen an, auf eine ganz unverantwortliche Weise ir-
men, was man im Nachhinein noch schaffen kann. gendetwas zu behaupten, was überhaupt nicht stimmt. Es
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie gibt heute einen Sozialausgleich im Gesundheitssystem,
bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und und der erfolgt automatisch. Es wird auch später einen
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sozialausgleich im Gesundheitssystem geben. Es geht
im Augenblick nur um die Aufwüchse.
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Verän-
derung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft sprechen, (Zurufe von der SPD)
dann sind die sozialen Sicherungssysteme sicherlich der – Hören Sie zu! – In jeder Legislaturperiode – das war
Punkt, an dem die größte politische Arbeit zu leisten ist. bei Ihnen so, das war bei uns so, und das wird auch wei-
Mit der Rente haben wir Zukunftsvorsorge getroffen. Da ter so sein – steigen die Beiträge, wenn wir es geschickt
wird die politische Kraft darin bestehen, alle Faktoren, machen, um ungefähr 1 Prozentpunkt und sonst um
die die demografische Veränderung widerspiegeln, auch 1,5 Prozentpunkte. Sie haben keine Antwort auf die
in den nächsten Jahren umzusetzen. Es ist nicht einfach, Frage, was man tun kann, um fortwährend steigende
wenn die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr eine Lohnzusatzkosten zu vermeiden.
Nullrunde haben.
(Thomas Oppermann [SPD]: Bürgerversiche-
(Zuruf von der LINKEN: Wohl wahr!) rung! Ist doch klar!)
Das trifft die Menschen zwar nicht einfach so – eigent- – Herr Oppermann, Sie sind viel zu intelligent, um nicht
lich wäre es weniger gewesen –, aber trotzdem ist auch zu wissen, dass auch eine Bürgerversicherung einen Ar-
eine Nullrunde nicht einfach. Umso zufriedener bin ich, beitgeberanteil benötigt, der dann dauernd steigt und die
dass auch die Tarifabschlüsse moderat waren, weil wir Lohnzusatzkosten erhöht.
daran sehen, dass es insgesamt eine schwierige Zeit ist.
Wenn Sie nicht wollen, dass über den Druck der Wirt-
(Joachim Poß [SPD]: Das ist aber eine krause schaftlichkeit – weil die Gesundheitskosten an die Ar-
Logik!) beitskosten gekoppelt sind – nicht mehr jeder Mensch
2718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) die Gesundheitsversorgung bekommt, die er eigentlich werden können. Wir werden im Sommer einen Vor- (C)
bekommen müsste, dann müssen Sie eine Entkopplung schlag vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Aufsichts-
von den Lohnkosten für die Aufwüchse, die sich im Ge- funktionen in Deutschland gebündelt werden können.
sundheitswesen ergeben, hinbekommen. Ich sage: für Wir wissen heute, dass es wichtig ist, dass Emittenten
die Aufwüchse! bei besonders riskanten Produkten, zum Beispiel bei
Verbriefungen, einen Teil des Risikos in der eigenen Bi-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lanz behalten müssen. Wir haben auch für die Entloh-
Es ist immer schade, wenn sich Illusionen zerstreuen. nung von Bankern neue Regeln aufgestellt, die dem-
Auf jeden Fall wird es dann genauso einen sozialen Aus- nächst im Kabinett beraten werden. Wir werden in
gleich geben. Die Aufwüchse werden von den Arbeits- baldiger Zukunft einen Kabinettsbeschluss fassen, aus
kosten entkoppelt. Das ist ein richtiger Schritt dieser Ko- dem hervorgeht, wie wir es schaffen, die Abwicklung
alition. Dabei werden wir den Gesundheitsminister und Restrukturierung von Banken sicherzustellen, damit
unterstützen, sofern er überhaupt Unterstützung braucht. nicht wieder der Effekt eintritt, dass der Staat die Banken
Er ist ja in seinen eigenen Aussagen ganz selbstständig. retten muss, wenn sie in eine Krise geraten. Die Banken
sollen das selbst tun. BMJ und BMF arbeiten daran. Wir
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und werden – das wurde in der G-20-Gruppe verabredet – im
der FDP) Juni Vorschläge vom IWF zur Beantwortung der Frage
Es ist richtig, dass die Gesundheitskommission heute bekommen, wie man die Banken besser an den Kosten,
ihre Arbeit aufnimmt. die sie verursacht haben, beteiligen kann.

Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
eine Gruppe zur Zukunft der Kommunalfinanzen, an Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das internatio-
der Sie über Ihre Länder Gott sei Dank mitarbeiten, ein- nal so verabredet haben. Es ergibt nämlich keinen Sinn,
gerichtet hat. Es reicht doch nicht, einen Schutzschirm wenn wir in Deutschland so tun, als könnten wir das
für die Kommunen aufzubauen, wie Sie es fordern. Das irgendwie erreichen. Sie haben heute Herrn Brown zi-
ist vielleicht etwas, das den Kommunen in einer Krise tiert. Ich arbeite gut mit Gordon Brown zusammen, aber
hilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zu- seine einmalige Besteuerung von Boni war nur halb so
stand, wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit be- sinnvoll wie die Hedgefondsregulierungen, die wir ge-
ruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kommunen rade beraten und denen Großbritannien jetzt zustimmen
die Sozialausgaben um 50 Prozent gestiegen und die sollte. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarte
Baukosten um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Weg ich Unterstützung.
muss umgekehrt werden. Da brauchen wir eine Trend-
(B) wende. Ansonsten wird es keine kommunale Politik (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D)
mehr geben, die selbsttätig arbeiten kann und an der sich
die Menschen aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wir Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur
wollen das. Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Man Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euro-
kann nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht geht, Raum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Grie-
sondern man muss überlegen, was geht; denn die Kom- chenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl Nicolas
munen sind die Grundlage des Lebens der Menschen in Sarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, Jean-
diesem Land. Claude Juncker und ich die Kommission aufgefordert
haben – das geht nur europaweit –, die Finanzrichtlinie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) so zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit De-
fault Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschlie-
Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zusam- ßen kann, das man nicht besitzt, verboten werden.
menhalt kümmern, sondern müssen auch zur Kenntnis Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufen
nehmen, dass die Globalisierung fortschreitet und dass gesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen.
wir unsere Art, zu leben, die soziale Marktwirtschaft und Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in de-
ihre Prinzipien, nur durchsetzen können, wenn es uns ge- ren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommis-
lingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Da sion, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig.
sind allen voran die Finanzmarktregeln nach den Exzes-
sen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier in Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die grie-
Erinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat keinen chische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufen
Sinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts geschehen wurde – sie wird durch die Spekulanten verstärkt –, son-
wäre. Wir haben verbesserte Vorschriften über die Ei- dern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabi-
genkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinetts- litäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde.
beschluss zu den Ratingagenturen, der jetzt beraten wird
und mit dem eine europäische Richtlinie umgesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es wird klargestellt, dass Unternehmen nicht mehr Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Herausforde-
gleichzeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; das rung, die er je zu bewältigen hatte.
ist dringend notwendig.
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Karamanlis!)
Wir haben eine neue Bankenaufsicht – die Verhand-
lungen darüber sind in Europa weit fortgeschritten –, mit – Ich kann auch sagen, dass die Regierung Karamanlis
der systemische Risiken europaweit besser überwacht daran beteiligt war. Auch deren Vorgängerregierung war
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2719
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) schon daran beteiligt. Das hilft uns doch jetzt nicht. Wir Heute haben wir eben nicht das richtige Instrumenta- (C)
müssen mit der Sache fertig werden. – rium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euro-Raum
in eine Situation kommen, in der ein Land vielleicht vor
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Zahlungsunfähigkeit steht. Die Antwort hieß damals:
Die schärfste Sanktion ist, dass das Land Geld an die
Die Antwort können wir nur mit Blick auf die langfris- Kommission zahlen muss. Ein Land, das kein Geld hat,
tige Stabilität des Euro finden. Da ist die schnelle Soli- kann auch kein Geld an die Kommission zahlen, oder
daritätsleistung mit Sicherheit nicht die richtige Ant- wir führen die Zahlungsunfähigkeit noch besonders be-
wort, sondern die richtige Antwort heißt, die Sache bei schleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es ist rich-
der Wurzel anzupacken und die Probleme vernünftig zu tig, dass wir darüber hinausdenken und fragen: Wie
lösen. Deshalb gibt es keine Alternative zu dem griechi- müssten wir die Verträge entwickeln, damit man mit ei-
schen Sparprogramm und weiteren Anstrengungen in ner solchen Situation umgehen kann? Auch bei Grie-
den nächsten Jahren. Ich finde es gut und richtig, und die chenland muss jetzt gelten, dass die Stabilitätsgemein-
griechische Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt schaft im Vordergrund steht und dass wir nicht eine
4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, um vorschnelle Hilfe leisten, die uns langfristig überhaupt
das Defizit in einem ersten Schritt zu senken. Die nicht weiterbringt, sondern den Euro immer weiter
Märkte haben das durchaus goutiert. schwächt.
Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa auf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. Deshalb
kann in einem gemeinsamen Währungsraum – das gilt Meine Damen und Herren, Europa gestalten heißt
für alle Mitgliedstaaten, aber für die im Euro-Raum ver- eben auch: Wirtschaftsregierung – ja, und zwar mit an-
sammelten besonders – kein Land völlig alleine gelassen spruchsvollen Zielen und nicht mit der Frage „Wie kön-
werden. Deshalb haben wir auf dem Rat gesagt: Wir ste- nen wir alle gemeinsam diese anspruchsvollen Ziele
hen natürlich insgesamt für die Stabilität des Euro ein. vielleicht nicht durchsetzen?“.
Wir können doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum und
damit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil wer- Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ich
den. Europa ist aber nicht nur eine Friedensgemein- könnte hier viel dazu sagen. In den letzten Monaten hat
schaft, sondern auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Des- der Protektionismus weltweit zugenommen. Wir sind
halb kann es nicht sein, dass wir einfach mit mit der Doha-Runde nicht weitergekommen. Für eine
freundschaftlichen Bekundungen darüber hinweggehen, Exportnation wie Deutschland ist das jedoch zwingend
sondern die Erholung muss, wie ich es schon gesagt notwendig.
(B) habe, von Griechenland ausgehen. Alles, was überhaupt Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisierung (D)
gedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wir
ist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz und müssen
nicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafür
den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass die Dinge
Sorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt.
nicht so sind, dass Menschen auf ihre eigenen Daten gar
Alles andere wäre fatal.
keinen Zugriff haben.
Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In dieser Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische Pro-
Rechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. Deshalb ha- bleme, über die ich heute aus Zeitgründen nicht reden
ben die Finanzminister richtigerweise gesagt, dass alles, kann, in den Griff bekommen.
was wir tun, dem europäischen Recht und – das haben
sie mit Bedacht hinzugefügt – dem nationalen Recht ent- Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine tole-
sprechen muss; denn wir haben ganz klare Gegebenhei- rante, eine offene Gesellschaft. Der Economist – nicht
ten, die festlegen, was man überhaupt in einer Notsitua- gerade eine Zeitung, die Deutschland immer nur in den
tion tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz klar, höchsten Tönen lobt – hat über Deutschland in der ver-
dass nichts gemacht werden kann, was gegen nationales gangenen Woche geschrieben, dass es ein nicht nur le-
Recht verstößt. Da sind uns Grenzen auferlegt. benswertes, sondern auch ein liebenswertes und durch-
aus auch reformfreudiges Land ist.
Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist un-
sere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäuble (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser]
nicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aber [FDP])
Wolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit man
eventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss – Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein können,
was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn man und das ganz besonders mit Blick auf das, was morgen
etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Er hier in diesem Hohen Hause stattfindet, nämlich die Er-
hat Vorschläge gemacht, dass wir für die Zukunft ein innerung an den 20. Jahrestag der ersten freien Wahl
Vertragswerk bekommen, aufgrund dessen es als Ultima zur Volkskammer. Mit diesem Tag, dem 18. März
Ratio sogar möglich ist, ein Land aus dem Euro-Raum 1990, ist der Einigungsprozess sozusagen unumkehrbar
auszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristig geworden. Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehnten
immer wieder nicht erfüllt. Sonst kann man nicht zusam- zum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben da-
menarbeiten. mals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR Ge-
brauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man sich da-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rauf gefreut hat.
2720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) Meine Damen und Herren, aufgrund dieser Erfahrung Die SPD ist dabei, ihren Standort zu suchen. Sie hat (C)
der letzten 20 Jahre bin ich optimistisch, dass wir es ihn noch nicht gefunden. Immerhin beginnen Sie von der
schaffen können, die Etappe, die jetzt Ost und West, das SPD jetzt damit, Hartz IV zu überwinden. Sie kritisieren
ganze Deutschland, gemeinsam in einem vereinten Eu- jetzt prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nur muss man
ropa zu gehen haben, zu einem Erfolg zu machen, über hinzufügen: Hartz IV ist vollständig und die prekäre Be-
den unsere Enkel eines Tages einmal sagen: Mensch, das schäftigung in diesem Umfang durch eine Bundesregie-
haben die in schwieriger Zeit gut gemacht. Aber wenn rung von SPD und Grünen eingeführt worden, also zu
wir nicht zu einem Punkt kommen, an dem es uns ge- Ihrer Regierungszeit. Das heißt, bei SPD und Grünen er-
lingt, über notwendige Veränderungen und Weiterent- leben wir Folgendes: Sie leiten unsoziale Prozesse als
wicklungen in diesem Land so zu sprechen, wie es die Regierung ein, um danach zu sich selbst in Opposition
Verantwortung gebietet, dann werden wir das nicht zu treten. Das ist gar kein so seltener Vorgang. Trotzdem
schaffen. Ich sage Ihnen: Die christlich-liberale Koali- muss die SPD – das will ich gerne animierend sagen –
tion ist zu dieser verantwortlichen Diskussion bereit. diesen Weg weiter gehen.
(Thomas Oppermann [SPD]: Seit wann?) (Beifall bei der LINKEN)
Wir gehen mit Mut an die Arbeit. Sozialdemokratische Politik bedeutet meines Erach-
tens, dass Hartz IV überwunden wird, dass prekäre Be-
Herzlichen Dank. schäftigung überwunden wird, dass man dagegen ist,
Rente erst ab 67 Jahren zu zahlen, dass man endlich da-
(Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU
für eintritt, die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanis-
und der FDP)
tan abzuziehen. Sozialdemokratische Politiker müssten
für Steuergerechtigkeit streiten, das heißt auch für eine
Präsident Dr. Norbert Lammert: Millionärssteuer, für eine Börsenumsatzsteuer, für einen
Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die höheren Spitzensteuersatz. Aber von alledem ist die SPD
Fraktion Die Linke. doch noch meilenweit entfernt. Ich wünsche Ihnen je-
doch Erfolg auf diesem Weg, wenn Sie ihn denn gehen
(Beifall bei der LINKEN) wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Bundestagspräsident! Meine sehr verehrten Da- Frau Kraft in NRW scheint allerdings einen anderen
men und Herren! Ich habe bei Ihrer Rede sehr genau zu- Weg zu gehen. Sie hat ja nun den Vorschlag erfunden,
dass Langzeitarbeitslose ehrenamtlich tätig sein sollen.
(B) gehört, Frau Bundeskanzlerin Merkel, aber alles, was (D)
Sie gesagt haben, ändert nichts daran, dass sich Ihre Ich frage mich: Warum immer diese Hartz-IV-Logik?
Bundesregierung doch in einem ziemlich erbärmlichen Warum kann man Arbeit nicht einfach bezahlen? Warum
Zustand befindet, wie ich versuchen werde, Ihnen zu zei- muss man die Leute so demütigen? Ich kann das über-
gen. haupt nicht nachvollziehen, was dort passiert.

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei (Beifall bei der LINKEN)
der CDU/CSU) Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später.
Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition befinden Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zu-
sich in keinem guten Zustand. Aber damit meine ich kei- gehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß ge-
nesfalls die Linke. Wir haben zwar auch einige Pro- macht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ich
bleme, aber im Vergleich zu den anderen sind wir doch Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne
topfit. Es ist alles relativ, wie Sie wissen. einmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter Kanzler
Schröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Das
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei hätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verän-
der SPD)
dert.
Die Grünen wechseln gerade in das sogenannte bür- (Beifall bei der LINKEN)
gerliche Lager. Wir haben das in Hamburg erlebt. Wir
haben das im Saarland erlebt. Sie kündigen das schon für Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung.
NRW an. Für die Bundesebene kann man auch damit (Zuruf von der SPD: Ja, wollte ich gerade sa-
rechnen. gen!)
(Widerspruch des Abg. Alexander Bonde Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich zu-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten sagen.
– Hören Sie einmal zu! – Beim Saarland kommt noch Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat Deutschland
eine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch die FDP seine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt an
dazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, finde ich. dritter Stelle weltweit. Mehr Rüstungsgüter verkaufen
nur die USA und Russland. Dann folgt Deutschland.
(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bonde Darf ich daran erinnern, dass der schlimmste Krieg des
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Räumen Sie letzten Jahrhunderts von Deutschland ausging? Was ist
erst einmal mit Ihren schwarzen Kassen auf!) denn eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2721
Dr. Gregor Gysi
(A) Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir wol- Afghanistan einzusetzen. Das sollten Sie endlich einmal (C)
len an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten Rüs- zugeben, und das muss korrigiert werden.
tungsexporte“? Was wäre daran so schlimm?
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenland
Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bundeskanz- gesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen von
lerin, können Sie überhaupt nicht einschätzen, wann und Griechenland einen knallharten Sparkurs, den wir für
wo und wie sie eingesetzt werden. Ich sage Ihnen: Ich Deutschland ablehnen. Denn das ist Brüning’sche Poli-
bin der festen Überzeugung, Kriege hören nicht auf, so- tik, und Sie wissen, dass Reichskanzler Brüning
lange so viel an Kriegen verdient wird. Das muss unter- Deutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Wa-
bunden werden. rum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland?
(Beifall bei der LINKEN) Jetzt gehen die Menschen dort auf die Straße, und zwar,
wie ich finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hin-
Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der auch nehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne usw. ge-
FDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, wie er mit den kürzt werden,
Rollen umgehen soll. Ich lasse jetzt einmal Ihre Be-
schimpfung der Arbeitslosen weg, Herr Westerwelle, zu- (Beifall bei der LINKEN)
mal ich sowieso meine, es gibt keine Arbeitslose und aber die Banker, die die ganze Krise verursacht haben,
keinen Arbeitslosen, die bzw. der je auf die Idee käme, überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da
FDP zu wählen. Aber damit rechnen Sie ja auch nicht. stehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands.
(Zuruf von der FDP: Das ist ein Unsinn!) (Beifall bei der LINKEN)
– Nein, nein, hören Sie zu! – Aber ich sage Ihnen auch: Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zo-
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die FDP cken jetzt schon wieder mit Wetten auf die Schulden
wählen, passen in eine Telefonzelle. Griechenlands. Sie machen schon wieder Leerverkäufe.
Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP versucht Nachdem die Leerverkäufe in Deutschland zwischen-
etwas Neues, nämlich eine Lobbyistenpartei hoffähig zu zeitlich verboten waren, sind sie nun wieder erlaubt.
machen. Was Sie mit den Hoteliers und der Dankesspende Jetzt hat Bundesminister Schäuble gesagt, er will sie
von Mövenpick gemacht haben, was Sie mit den Ge- vielleicht doch wieder verbieten. Machen Sie es doch
schenken an die Pharmaindustrie vorhaben und wie die endlich! Wir brauchen keine Leerverkäufe; das ist nichts
Gästeliste von Bundesaußenminister Westerwelle bei anderes als Spekulation.
(B) seinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass man (Beifall bei der LINKEN) (D)
versucht, eine Lobbyistenpartei salonfähig zu machen.
Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil diese
Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in der direkt und indirekt eine Menge davon hatten, dass der
Regel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen aber, dass Staat Rettungsaktionen gestartet hat. Warum führen Sie
Sie dafür mithaften. die Abgabe nicht ein? Sie sagen heute, Frau Bundes-
(Beifall bei der LINKEN) kanzlerin Merkel, das könne Deutschland nicht allein
machen, sondern nur die EU als Ganzes. Wirklich? Wa-
Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Sie Ih- rum hat Schweden das dann allein gekonnt? Denn
rem Bundesaußenminister die Sache erleichtern, indem Schweden, ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solche
Sie eine kleine Dienstanweisung erlassen, in der steht, Abgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fall
wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie es nicht Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? Im
nicht schaffen, helfe ich Ihnen gerne. Ich will nur sagen: Übrigen plant auch der Präsident der Vereinigten Staaten
Das ist zu leisten. von Amerika, Obama, eine solche Abgabe in den USA.
Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: Wollen (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Plant!)
wir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Deutschland
oder wollen wir die nicht? Wir sind strikt dagegen. Also Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser Frage,
tun Sie etwas dagegen! wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist doch nicht zu
viel verlangt.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst erklärt,
dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz mit vielen Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von
toten Zivilisten, darunter auch vielen Kindern, angemes- 10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja;
sen gewesen sei. Dann hat er seinen Generalinspekteur aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben
und den Staatssekretär entlassen, weil sie ihn falsch in- die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. Wissen
formiert hätten. Dann hat er gesagt, der Angriff sei doch Sie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliar-
nicht angemessen gewesen, sondern unangemessen. denforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insol-
Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz. venz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn
Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen vorgeht, Herr gemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste
zu Guttenberg. Ihnen fehlt eine notwendige Erkenntnis: zu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; das
dass es von Anfang an falsch war, die Bundeswehr in heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die
2722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Gregor Gysi


(A) Forderung übernommen und an die Deutsche Bank ge- – Einen Moment, Herr Lindner. Hören Sie zu! Frau (C)
zahlt. Davon bekommt Ackermann jetzt 10 Millionen Merkel und ich sind auf eine Gemeinschaftsschule ge-
Euro, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber gangen. Ganz so blöde sind wir beide doch nicht gewor-
nichts. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir kritisieren den. Oder wollen Sie das Gegenteil behaupten?
und gegen die Sie nichts machen.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie
(Beifall bei der LINKEN) bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hans-Peter
Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Man kann nur
Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- und sehen, wie sich das unterschiedlich auswirkt!)
Dumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertel
der Beschäftigten, sagt das Statistische Bundesamt, ar- Ihre Position kann ich überhaupt nicht akzeptieren.
beitet in Deutschland zu Niedriglohn. Damit hängt zu-
Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob nun
sammen, dass unsere Exporte billiger sind und die grie-
SPD oder die Union regiert, es ist immer dasselbe:
chischen teurer. Jetzt gibt es zwei Wege: Der eine Weg
Meine Partei wird vom Bundesamt für Verfassungs-
ist, dass die Griechen ihre Löhne noch weiter senken,
schutz beobachtet.
und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist bei
(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Ihnen auch nötig!)
Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als ob die Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt daran,
Gesellschaft unterginge, wenn wir das machten, was dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom Grundgesetz
schon 20 Mitgliedsländer der Europäischen Union getan keine Ahnung haben.
haben, nämlich einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn einzuführen. Genau den brauchen wir (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder
aber. [CDU/CSU]: Das ist ja vergleichsweise harm-
los zu dem, was die Bunte macht!)
(Beifall bei der LINKEN)
Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann versuche
Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Grie- ich, denen das Grundgesetz beizubringen. Wenn diese
chen, sondern auch unsere Beschäftigten etwas. Davon das Grundgesetz endlich verstehen würden, dann müss-
hätten auch – deshalb verstehe ich die FDP nicht – das ten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern.
Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen
etwas, die von der Binnenwirtschaft leben. Sie brauchen (Beifall bei der LINKEN)
eine erhöhte Kaufkraft. Aber Sie verhindern dies.
(B) Eigentlich sind wir die Partei der kleinen und mittleren Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der Großen (D)
Koalition sind so viele verfassungswidrige Gesetze
Unternehmen und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob.
verabschiedet worden wie noch nie zuvor in der Ge-
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des schichte der Bundesrepublik Deutschland. Dazu haben
Abg. Jörg van Essen [FDP]) Sie einen Hang.

– Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, dann (Beifall bei der LINKEN)
glauben Sie es doch wenigstens dem Direktor des arbeit- Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bundespräsi-
gebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael dent hat zwei Gesetze, nämlich das Gesetz zur Privati-
Hüther. Auch er schlägt jetzt einen flächendeckenden sierung der Flugsicherung und das Gesetz zur Reduzie-
gesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei der rung des Verbraucherschutzes, nicht unterzeichnet, weil
Höhe von 10 Euro, die wir vorschlagen, angekommen. sie offensichtlich – nicht nur verdeckt – grundgesetzwid-
Aber abgesehen davon kann man sagen, dass er immer- rig waren.
hin diesen Weg vorschlägt.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was hat
Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewundert, dass das mit dem Verfassungsschutz zu tun?)
Sie von Chancengleichheit geredet haben. – Wo ist sie
eigentlich? Ich sehe, dass sie im Moment ihre Staats- Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometerpau-
sekretäre betreut. Auch das ist nötig. schale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, das ist
grundgesetzwidrig. Sie beide haben uns das selbstver-
(Heiterkeit bei der LINKEN) ständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungs-
Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, Frau gericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie die Ge-
Bundeskanzlerin, von Chancengleichheit in der Bildung setze zum Vertrag von Lissabon gemacht. Wir haben
gesprochen haben. Überall dort, wo die Union regiert, Ihnen gesagt, sie sind grundgesetzwidrig. Sie haben uns
werden die Kinder in der Grundschule nach der vierten das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundes-
Klasse getrennt. Wer Kinder nach der vierten Klasse verfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben
trennt, der macht nichts anderes als soziale Ausgren- Sie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz gemacht. Wir
zung. haben Ihnen gesagt, es ist grundgesetzwidrig. Sie haben
uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bun-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- desverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das Glei-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE che wird übrigens mit dem Internetzensurgesetz passie-
GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP) ren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2723
Dr. Gregor Gysi
(A) Dann haben Sie – Sie von der Union waren nur indi- Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen den öf- (C)
rekt beteiligt – ein Hartz-IV-Gesetz beschlossen. Wir ha- fentlichen Dienst erweitern, und wir brauchen einen öf-
ben Ihnen gleich gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie fentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn in
haben es uns nicht geglaubt. Das Bundesverfassungsge- Berlin gibt und wie er in Brandenburg geplant ist. In
richt hat es bestätigt. Glauben Sie mir: Von den Linken Berlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. Diese
können Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Menge Leute verdienen wieder Geld, sie zahlen wieder Lohn-
lernen. steuer und Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdem
sparen wir auf der anderen Seite die Auszahlung von
(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der
Hartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie machen
CDU/CSU)
etwas Vernünftiges und werden dafür bezahlt. Das ist der
Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. Obwohl richtige Weg und nicht die Bezahlung von Arbeitslosig-
das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, tönt keit. Es gibt doch andere Möglichkeiten.
die FDP, dass sie die Aufhebung des Gesetzes nutzen
will, um die Leistungen für Hartz-IV-Empfängerinnen (Beifall bei der LINKEN)
und Hartz-IV-Empfänger zu kürzen. Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen Fall
(Zuruf von der FDP: Lüge!) eingehen, der mich – und eigentlich auch Sie, Herr
Kauder – seit August 2009 beschäftigt und uns alle dem-
Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ihnen: Das nächst beschäftigen wird. Herr Kauder und ich waren
ist ein Skandal. Es dauert leider lange, bis das Bundes- zusammen mit Herrn Wowereit von der SPD, mit Herrn
verfassungsgericht das aufheben würde. Verabschieden Brüderle von der FDP und mit Herrn Kuhn von den Grü-
Sie kein neues verfassungswidriges Gesetz! Fragen Sie nen bei Hart aber fair. Da trat eine Mutter auf, die sagte,
uns! Wir sagen Ihnen, was im Grundgesetz steht. dass sie nur teilzeitbeschäftigt ist und zusätzlich
(Beifall bei der LINKEN) Hartz IV bezieht. Ihre Tochter hatte in den Ferien gear-
beitet und sich mit dem verdienten Geld einen Traum er-
Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel, füllt und eine Gitarre gekauft. Der Mutter wurde das
sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhöhen. Wissen Sie, Geld dann wieder abgezogen.
was Sie da anrichten? Sie sagen damit doch permanent,
die Leute sollen faktisch unentlohnt für einen kleinen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Zuschuss arbeiten. Davon haben nur die Unternehmen Das haben Sie schon dreimal erzählt!)
etwas. Ich habe Ihnen schon von dem Mann erzählt, der
fünf Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat. Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt
Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen Sie – auch Sie, Herr Kauder –, dass das korrigiert werden
(B)
denn das Lohndumping immer weiter vorantreiben? Wa- muss. Wir haben dann im September, noch in der vori- (D)
rum können wir nicht einmal einen anderen Weg gehen: gen Legislaturperiode, die Korrektur beantragt. Sie,
den Hartz-IV-Regelsatz wenigstens auf 500 Euro erhö- meine Damen und Herren von der SPD, haben diesen
hen, eine Kindergrundsicherung machen und die demüti- Antrag zusammen mit der CDU/CSU abgelehnt.
genden Sanktionen streichen?
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die
Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit statt Ar- Wahrheit!)
beitslosigkeit bezahlen.
Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zugestimmt,
Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und und die FDP hat sich der Stimme enthalten.
Skandinavien haben wir den kleinsten öffentlichen
Dienst. Das spüren übrigens auch die Kommunen; da Jetzt haben Sie von der SPD einen entsprechenden
geht es um Lehrerinnen und Lehrer, um Kindergärtnerin- Antrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, was
nen und Kindergärtner und ganz viel sonstiges Personal. passieren wird: Wir werden zustimmen, die Grünen wer-
Es geht auch um die Justiz und um die Polizei. den zustimmen, die Union wird dagegenstimmen, und
(Widerspruch des Abg. Volker Kauder [CDU/ auch die FDP wird dagegenstimmen. Damit machen Sie
CSU]) Politik unmöglich. Was sagen Sie denn den Leuten? Als
Sie in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie dage-
– Herr Kauder, wenn ich heute beim Verwaltungsgericht gengestimmt. Wenn Sie aber in der Opposition, in der
Berlin-Brandenburg eine Klage einreiche, dann be- Minderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die FDP hat sich in
komme ich den ersten Termin in zwei Jahren. Das finden der Opposition der Stimme enthalten und stimmt in der
Sie normal? Regierung dagegen. Was sollen die Leute damit anfan-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert gen?
denn da?) Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt,
Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftigte; das werde bis Ende des Jahres geregelt werden. Herr
denn die Qualität der Rechtsprechung hängt auch davon Lindner, warum bis Ende des Jahres? Die nächsten Som-
ab, dass sie zügig erfolgt und die Leute relativ schnell merferien kommen im Juli. Lassen Sie uns das doch vor-
wissen, ob sie recht oder unrecht hatten. her regeln, damit die Kinder diesbezüglich vor den Som-
merferien Bescheid wissen.
(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]:
Nur, dass das Ländersache ist!) (Beifall bei der LINKEN)
2724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Gregor Gysi


(A) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es sei Ihnen Umverteilung von unten nach oben organisiert. Etwas (C)
gelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie hätten anderes kennen Sie nicht.
aber auch sagen müssen, wodurch. Es ist geschehen, in-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
dem die prekäre Beschäftigung in einem Maße ausge-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
baut worden ist, das für diese Gesellschaft von größtem
GRÜNEN)
Nachteil ist. Bei der Vollzeitbeschäftigung gibt es
1,4 Millionen Stellen weniger. Bei der Teilzeitbeschäfti- Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung. Mir ist es
gung gibt es inzwischen 5 Millionen Stellen, bei Mini- wichtig, hinzuzufügen: Natürlich brauchen wir eine Bür-
jobs 7,1 Millionen. Die Mehrfachbeschäftigung hat sich gerversicherung, weil dann jede und jeder seinem Ein-
verdoppelt, und die Zahl befristeter Beschäftigungsver- kommen entsprechend herangezogen wird. Nur das ist
hältnisse ist – das wurde gestern in der Tagesschau ge- gerecht und nichts anderes.
meldet – auf 2,7 Millionen gestiegen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Dann gibt es noch die Aufstockerinnen und Aufsto- neten der SPD)
cker, die Sie alle loben. Aufstockung ist doch aber eine
Zumutung. Da arbeitet jemand Vollzeit, verdient aber so Herr Bundesminister Rösler, zu Ihrem Vorhaben, die
wenig, dass er nicht davon leben kann, und dann kommt Arzneimittelpreise zu senken: Sie wissen doch selbst,
der Staat und übernimmt den Rest. Das ist ein Skandal. dass das ein Schuss nach hinten ist; das kann nicht funk-
Wenn der Staat den Rest übernimmt, verführt das die tionieren. Warum organisieren Sie nicht einfach eine
Unternehmen doch dazu, ganz niedrige Löhne zu zahlen. Preiskontrolle und eine Festlegung der Preise durch den
Staat, damit die Konzerne zwar einen angemessenen Ge-
(Beifall bei der LINKEN) winn erzielen, aber keine riesigen Profite machen kön-
Wenn jemand vollzeitbeschäftigt ist, dann hat er An- nen? Was wäre daran so schlimm? Jetzt sagen Sie, die
spruch auf einen Lohn, von dem er in Würde leben kann. gesetzlichen Krankenkassen sollen im Nachhinein mit
Das ist unser Standpunkt. der Pharmaindustrie verhandeln. Dabei sind die Kran-
kenkassen in einer viel schwächeren Position als die
Wir haben, wie Sie gesagt haben, mit über 80 Milliar- Pharmaindustrie, sodass nichts dabei herauskommt, au-
den Euro die höchste Neuverschuldung, die es je gab. ßer dass die Pharmaindustrie nach wie vor die vollstän-
Sie haben 900 Millionen Euro für die Bundesagentur für dige Preisdominanz hat.
Arbeit erst einmal gesperrt. Jetzt sagen Sie, diese Mittel
würden wieder zur Verfügung gestellt. Aber erst einmal (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
sind sie gesperrt. Wenn sie gesperrt blieben, hieße das, Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen,
dass ein Drittel der Jobcenter handlungsunfähig wäre dass sich morgen der 18. März 1990 zum 20. Mal jährt. (D)
(B)
und 10 000 Leute entlassen werden müssten. Was sind Das stimmt.
da Ihre Pläne?
(Heiterkeit bei der LINKEN)
Herr Bundesminister Rösler will jetzt zusätzlich eine
Kopfpauschale von 29 Euro einführen. Ich habe ein paar Fragen an Sie: Frau Bundeskanzlerin,
wann bekommen die Rentnerinnen und Rentner im Os-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch ten endlich für die gleiche Lebensleistung die gleiche
nicht!) Rente wie die Rentnerinnen und Rentner im Westen?
Sie behaupten im Ernst, das Ganze sei aufgrund eines Wann beantworten Sie uns diese Frage?
Steuerzuschusses sozial gerecht, wobei ich jetzt gar (Beifall bei der LINKEN)
nichts dazu sagen möchte, dass Sie den Spitzensteuer-
satz ständig senken. Aber ernsthaft zu glauben, dass eine Wann, Frau Bundeskanzlerin, bekommt man im Osten
Friseuse und Herr Ackermann das Gleiche für die Ge- den gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die gleiche Ar-
sundheit bezahlen sollten, ist völlig absurd. beitszeit? Wann beantworten Sie uns diese Frage?
(Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ (Beifall bei der LINKEN)
CSU])
Wann, Frau Bundeskanzlerin, ist die Arbeitslosigkeit im
– Ja, das ist Ihre Idee. Für mich ist es aber ein völlig ab- Osten nicht mehr doppelt so hoch wie im Westen? Wann,
surder Gedanke. Frau Bundeskanzlerin, verhindern wir, dass der Osten
den Westen nach unten zieht, wie das heute der Fall sein
(Beifall bei der LINKEN) soll? Wann hört es auf, dass der Osten die Begründung
Nun machen Sie mit der geplanten Einführung einer – dies ist eine falsche Begründung – für den Sozialabbau
Pauschale von monatlich 29 Euro einen ersten Schritt. im Westen ist? Wer ein vereintes Deutschland will, muss
Aber bitte fügen Sie hinzu, dass Sie den Arbeitnehmer- gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herstellen
beitrag für Zahnersatz und Krankenhauskosten in Höhe und aufhören, Ost und West gegeneinander auszuspie-
von 0,9 Prozent des Einkommens streichen wollen. len.
Stattdessen wollen Sie die 29 Euro kassieren. Das be-
(Beifall bei der LINKEN)
deutet für jemanden, der 1 500 Euro im Monat verdient,
dass er rund 10 Euro mehr zahlen muss. Jemand, der Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn wir in dieser Ge-
3 700 Euro im Monat verdient, muss 5 Euro weniger sellschaft soziale Gerechtigkeit wollen, kommen wir um
zahlen. Es ist die alte Leier: Immer wieder wird eine Steuergerechtigkeit nicht umhin. Wer nicht den Mut hat,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2725
Dr. Gregor Gysi
(A) Steuergerechtigkeit herzustellen, der wird niemals in der Herr Bonde, wir haben Impulse für mehr Wachs- (C)
Lage sein, soziale Gerechtigkeit herzustellen, sondern er tum und Beschäftigung gegeben, indem wir Fehler bei
wird immer nur begründen, weshalb dies nicht gehe und der Gewerbesteuer und der Erbschaftsteuer korrigiert ha-
was alles dagegenspreche, und das zerstört diese Gesell- ben. Ich sage Ihnen eines: Das Sozialste, was man über-
schaft. Es gab noch nie so viele Außenstehende wie jetzt. haupt tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass Menschen eine
Es gab noch nie so viel Armut in Deutschland wie jetzt. Chance auf Arbeit haben. Wenn wir das wollen, dann
Wenn Sie daran weiter arbeiten, dann zerstören Sie die müssen wir auch dafür sorgen, dass die Entlastungen, die
eigenen Grundlagen, auf die Sie bauen. wir im steuerlichen Bereich vorgenommen haben, nicht
durch höhere Beiträge zu den Sozialversicherungen wie-
Frau Bundeskanzlerin, Sie werden verstehen: Wir
der aufgefressen werden. Deshalb haben wir den Zu-
können dem Etat Ihres Bundeskanzleramts beim besten
schuss zur Krankenversicherung erhöht und einen Zu-
Willen nicht zustimmen. Ich kann es nicht ändern.
schuss zur Arbeitslosenversicherung vorgesehen. Das
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN) alles bedeutet nichts anderes, als dass wir die Lohnzu-
satzkosten stabil halten. Das ist ein Schutzschirm für die
Präsident Dr. Norbert Lammert: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bedeutet ein
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit Mehr an Chancen auf Arbeitsplätze in diesem Land. Das
Homburger. haben wir hier im Deutschen Bundestag verabschiedet.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir haben einen neuen Schwerpunkt bei Bildung
Birgit Homburger (FDP): und Forschung gesetzt. Das wird schon im Haushalt
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir 2010 sichtbar: 750 Millionen Euro zusätzlich für Bil-
beraten in dieser Woche den Bundeshaushalt 2010. Die- dung und Forschung. In Summe haben wir uns vorge-
ser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Handlungsfä- nommen, 12 Milliarden Euro mehr in diesen Bereich zu
higkeit und auch der Entschlossenheit dieser Koalition. investieren. Wir wollen in die Köpfe, in die Chancen der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- jungen Generation investieren. Wir werden noch in die-
chen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sem Jahr den Start des Stipendienprogramms haben. Ich
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sage auch ganz deutlich: Wir werden mehr tun im Be-
NEN]: Unentschlossenheit! – Thomas Oppermann reich Forschung. Das ist dringend notwendig, auch im
[SPD]: 80 Milliarden Schulden!) Hinblick auf die Energiepolitik. Hier ist heute zu Recht
gesagt worden, dass wir das Zeitalter der regenerativen
Wir haben eben von Herrn Steinmeier und Herrn Gysi Energien erreichen wollen. Wir werden alles tun, damit (D)
(B)
gehört, was wir alles falsch machen. Ich möchte Ihnen die notwendige Forschung, beispielsweise im Bereich
von der SPD deutlich machen, was Ihre Politik von un- Speichertechnologien, durchgeführt wird, damit wir die-
serer Politik unterscheidet. ses Ziel erreichen.
(Joachim Poß [SPD]: Ach! Das ist jetzt span- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nend!)
Herr Steinmeier, Sie haben uns vorhin vorgeworfen,
Sie haben einen Rettungsschirm für Banken auf den Weg wir hätten in diesem Haushalt nicht genügend gekürzt.
gebracht. Sie haben Steuergelder für General Motors Unsere Haushaltspolitiker haben in diesem Parlament
ausgegeben, und Sie haben eine Abwrackprämie für alte 310 Kürzungsvorschläge vorgelegt. Wir haben 500 Mil-
Autos eingeführt. Wir spannen jetzt einen Arbeitnehmer- lionen Euro zusätzlich bei der Verwaltung eingespart.
schutzschirm, wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger, Ich möchte Sie an dieser Stelle einfach nur bitten, sich
und wir tätigen mehr Investitionen im Bereich Bildung diesen Haushalt noch einmal genau anzuschauen. Ich
und Forschung. Das ist der Unterschied, der diese Koali- kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Sie hier einen
tion ausmacht. falschen Vorwurf in den Raum stellen wollten, was Sie
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vorhin aber getan haben, als Sie behaupteten, wir wür-
den über 900 zusätzliche Stellen schaffen. In Summe
Auch wenn dieser Haushalt noch ein Stück weit ge- werden wir am Ende des Jahres 2010 – auch das muss
prägt ist von einer Übergangsstruktur, ist es doch so, die Öffentlichkeit erfahren –, weil wir in anderen Berei-
dass man ihm im Kern schon ansieht, dass er eine andere chen Stellen streichen, 581 Stellen weniger haben. Das
Schwerpunktsetzung hat, heißt, wir sparen. Zusätzlich haben wir eine 1-prozentige
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kürzung in diesem Haushalt für die Zukunft beschlos-
NEN]: Mehr Schulden ist euer Schwerpunkt!) sen. Das ist die Wahrheit und nicht das, was von Ihnen,
Herr Steinmeier, erzählt worden ist.
dass für uns die Menschen im Mittelpunkt stehen, Herr
Bonde. Das zeigt sich zunächst an dem, was wir im Ja- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
nuar auf den Weg gebracht haben, am Familienförde- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rungsgesetz, an der Entlastung der Bürgerinnen und Bür- NEN]: Den Struck’schen Bundeswehrabbau
ger, vor allem der Familien in diesem Land. Endlich rechnet ihr euch schön!)
haben die Familien wieder mehr Geld in der Tasche.
Die Nettokreditaufnahme wurde angesprochen. Ja,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die ist verdammt hoch. Auch wir würden uns wünschen,
2726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Birgit Homburger
(A) das wäre anders. Die Bundeskanzlerin hat das Nötige Sie haben elf Jahre lang regiert, Herr Poß – schreien Sie (C)
dazu schon gesagt. Ich möchte aber trotzdem deutlich hier nicht einfach nur dazwischen –, und Sie haben sich
machen, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen überhaupt nicht um die Kommunen gekümmert.
im Vergleich zum ersten Entwurf noch einmal 6 Mil-
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist unglaub-
liarden Euro zusätzlich eingespart haben.
lich! Sie müssen sich der Aufgabe stellen!)
Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die FDP hat Wir haben jetzt eine Regierungskommission eingesetzt
in ihrer Zeit in der Opposition hier im Deutschen Bun- und werden uns dieser Aufgabe stellen.
destag regelmäßig ein Sparbuch vorgelegt. Sie, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Oppo- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sition, haben hier nur Wunschlisten vorgelegt. In Summe der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Un-
haben Sie 56 Milliarden Euro Mehrausgaben beantragt. glaublich!)
Das, was Sie hier vorschlagen, ist keine verantwortliche
Die Sozialstaatsdebatte, die wir auch in diesem Hause
Politik.
führen, geht von einem Urteil des Bundesverfassungsge-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- richts aus.
ruf des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert:
– Lieber Herr Bonde, Sie fordern die Wahrheit ein. Frau Kollegin Homburger, lassen Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Hagedorn zu?
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ja!) Birgit Homburger (FDP):
Die Wahrheit ist, dass die Grünen zusätzliche Ausgaben Ich bin mit meiner Rede schon ein Stück weiter. Ich
in Höhe von 14 Milliarden Euro beantragt haben. Wür- möchte an dieser Stelle meinen Gedanken fortführen.
den wir Ihren Vorschlägen folgen, dann hätten wir am Wie gesagt, wir haben, ausgehend von einem Bundes-
Ende eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro; verfassungsgerichtsurteil, eine Sozialstaatsdebatte ange-
das schlagen Sie vor. stoßen. Jetzt möchte ich Herrn Gysi direkt ansprechen,
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weil er hier Unwahrheiten verbreitet:
NEN]: Unfug! 7,5 Milliarden Euro weniger (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Joachim
Neuverschuldung haben wir euch vorgeschla- Poß [SPD]: Das machen Sie!)
gen!)
(B) Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gespro- (D)
Die Linken haben zusätzliche Ausgaben in Höhe von chen, und es hat mitnichten die Erhöhung der Regelsätze
41 Milliarden Euro beantragt. Ich wiederhole es: 41 Mil- bei Hartz IV gefordert.
liarden Euro. Daneben sehen die zusätzlichen Ausgaben
in Höhe von 840 Millionen Euro, die die SPD beantragt (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hat er
hat, bescheiden aus. Aber das war natürlich vor den nicht behauptet!)
Hartz-IV-Beschlüssen. Verantwortliche Haushaltspolitik Im Gegenteil: Es hat deutlich gesagt, dass das, was dort
machen in diesem Hause genau zwei Fraktionen: die von der Gemeinschaft geleistet wird, nicht evident unzu-
FDP und die CDU/CSU-Fraktion. reichend sei. Allerdings haben die SPD, Sie und auch die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- Grünen sofort – die Begründung in Karlsruhe war noch
ruf von der SPD: Das ist ja unglaublich!) nicht abgeschlossen – höhere Regelsätze bei Hartz IV
gefordert.
Herr Steinmeier, Sie haben hier Krokodilstränen über
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ha-
den Zustand der Finanzen der Kommunen geweint.
ben wir schon vorher gefordert!)
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Im Gegenzug wird uns vorgeworfen – gerade eben
GRÜNEN]: Krokodilstränen?) wieder von Herrn Gysi von diesem Pult aus –, wir woll-
An dieser Stelle möchte ich Ihnen sagen: Das beschäftigt ten eine Senkung der Regelsätze. Ich halte in diesem Ho-
uns alle. Ich unterstelle das jedem in diesem Haus. Aller- hen Hause auch für die Öffentlichkeit fest: Keiner aus
dings wissen wir alle, dass das Problem der kommunalen der FDP-Bundestagsfraktion will eine Absenkung der
Finanzen vor allen Dingen darin liegt, dass sie extrem Regelsätze von Hartz IV. Wir wollen eine neue Balance
konjunkturabhängig sind. des Sozialstaats. Dafür werden wir uns einsetzen.

(Joachim Poß [SPD]: Das ist Quatsch! Wir ha- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ben sie stabiler gemacht!) der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE
LINKE]: Herr Lindner hat in meinem Beisein
Wir haben seit Jahren immer wieder deutlich gemacht, etwas anderes gesagt!)
dass wir hier eine Veränderung, eine Stabilisierung der
Finanzierung der Kommunen brauchen. Wenn die Aussage: „Wer arbeitet, muss mehr haben
als der, der nicht arbeitet“, eine solche Selbstverständ-
(Joachim Poß [SPD]: Sie machen genau das lichkeit ist – so wird es hier immer wieder vorgetragen –,
Gegenteil!) dann frage ich mich, warum so viele Menschen in die-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2727
Birgit Homburger
(A) sem Land denken, dass es richtig ist, dass wir über genau Sehr geehrter Herr Steinmeier, Sie haben vorhin gesagt, (C)
diese Frage diskutieren und Veränderungen herbeiführen wir sollten aufpassen, dass nicht Werte verloren gehen.
wollen. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, Ich glaube, Sie haben allen Grund, in Ihrer Partei aufzu-
dass an dieser Stelle etwas nicht stimmt. passen, dass Sie sich nicht daran beteiligen, dass Werte
in diesem Land verloren gehen.
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Richtig! Die
Löhne sind zu niedrig!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich frage Sie: Wenn es eine solche Selbstverständlichkeit Wer mit einer Partei koaliert, die in einigen Ländern
ist, warum gibt es dann diese massiven Angriffe? Herr und auch im Bund vom Verfassungsschutz überwacht
Steinmeier, Sie sind beispielsweise in einer Meldung der wird,
dpa zitiert worden, laut der Sie gesagt haben:
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Was ein
Westerwelle verfalle immer stärker in einen „ag- großer Skandal ist! – Jörg van Essen [FDP]:
gressiven Rechtspopulismus“, … Aus gutem Grunde! – Joachim Poß [SPD]:
Wovon reden Sie denn da?)
Ich kann Ihnen, lieber Herr Steinmeier, nur sagen:
Wenn Sie da richtig zitiert worden sind – das ist ein Zitat und wer zukünftig offensichtlich auch in Nordrhein-
vom 23. Februar dieses Jahres aus einer Meldung der Westfalen eine solche Koalition anbahnen will – das ist
dpa –, wenn die SPD Leistungsgerechtigkeit inzwischen ja im Augenblick zu beobachten –,
als Rechtspopulismus betrachtet, dann sind Sie ver-
dammt weit von den Menschen entfernt und vor allen (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Stuss!)
Dingen auf dem Weg weit nach links. der sollte einer Partei, die unzweifelhaft auf dem Boden
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des Grundgesetzes steht,
der CDU/CSU) (Joachim Poß [SPD]: Das gilt aber nicht für
Ich will eine Bemerkung zu dem Vorwurf der Ver- jede Äußerung!)
fassungsfeindlichkeit machen, der von mehreren ge- einer Partei, die die Bundesjustizministerin stellt, einer
genüber der FDP erhoben worden ist. Partei, die beim Bundesverfassungsgericht gerade meh-
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: In wel- rere Klagen gewonnen und recht bekommen hat, nicht
chem Zusammenhang?) unterstellen, sie sei verfassungsfeindlich. Ich fordere Sie
auf, zur sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren.
– Vor allen Dingen im Zusammenhang mit Hartz IV und
(B) mit den Aussagen von Herrn Westerwelle. – Dazu hat (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (D)
sich auch Herr Gabriel geäußert. Joachim Poß [SPD]: Sie haben ein gestörtes
Verhältnis zum Sozialstaat!)
(Jörg van Essen [FDP]: Wo ist er eigentlich?)
Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang. Ich
Herr Steinmeier, vielleicht können Sie einmal erklären, war entsetzt, als ich feststellen musste, was alles in die-
wo Herr Gabriel ist. Auf allen Kanälen pöbelt er durch sem Land inzwischen ohne öffentlichen Aufschrei hin-
die Gegend, seine Präsenz hier im Parlament: Fehlan- genommen wird.
zeige. Ich frage mich: Hängt das mit dem Verhältnis zwi-
schen Ihnen beiden zusammen, oder ist das schlicht (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Missachtung des Parlaments, was Herr Gabriel da be- NEN]: Das sehen wir bei der Neuverschul-
treibt? dung auch so!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- Auf einer Veranstaltung ist eine Laudatio auf eine Jour-
ruf von der LINKEN: Gabriel ist wenigstens nalistin gehalten worden. In dieser Laudatio wurde der
nicht verfassungsfeindlich!) Satz gesagt – ich zitiere –:
Herr Gabriel hat am 9. März im WDR, damit Sie Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im
gleich nicht nachfragen müssen, Herr Steinmeier, erklärt Nadelstreifen, die Sarrazins, die Westerwelles …
– ich zitiere –:
(Jörg van Essen [FDP]: Unglaublich! –
Herr Westerwelle handelt verfassungswidrig, ja Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
verfassungsfeindlich. GRÜNEN]: Wer hat denn das gesagt?)
Zitat Ende. Weiterhin hat er über die FDP gesagt – in ei- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss
nem Wortlautinterview in der Leipziger Volkszeitung Ihnen ganz ehrlich sagen: Dass ein solches Zitat in einer
nachzulesen –: öffentlichen Veranstaltung ungerügt bleibt, dass es auch
noch in einer Zeitung abgedruckt wird, das geht gegen
… die sind jung, … gnadenlos, … und sie sind
jegliches Gefühl der Demokratie.
verfassungsfeindlich …
Zitat Ende. (Joachim Poß [SPD]: Worüber reden Sie denn
jetzt? – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND-
(Jörg van Essen [FDP]: Pfui! – Weitere Zurufe NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das ge-
von der FDP: Unglaublich! – Unerhört!) sagt?)
2728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Birgit Homburger
(A) Ich erwarte, dass wir von der persönlichen Diffamierung mit diesen Ideen nicht im letzten Jahr gekommen, als Sie (C)
wegkommen, dass wir die politische Kultur in diesem als Bundesarbeitsminister Verantwortung für diesen Be-
Lande gemeinsam bewahren, reich getragen haben? Wenn man erkannt hat, dass man
etwas ändern muss, muss man die Änderungen auf den
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wer hat das gesagt, Weg bringen, wenn man Verantwortung hat. Das haben
Frau Homburger?) Sie nicht getan. Was Sie jetzt vorschlagen, ist eine Gene-
dass es in einem solchen Fall einen Aufschrei der Demo- ralrevision der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik.
kraten gibt und wir gemeinsam die Verfassung verteidi-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt ja gar nicht!
gen.
Das ist absurd, was Sie da erzählen!)
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wer hat das denn gesagt?) Sie wollen rückwärts in die Zukunft gehen. Sie schla-
gen unter anderem vor, staatlich finanziert einen zweiten
Das erwarte ich von allen Mitgliedern dieses Hauses. Ich Arbeitsmarkt von 200 000 Arbeitsplätzen aufzubauen.
erwarte, dass auch Sie dagegen aufstehen. Das würde nichts anderes bedeuten, als dass Sie zusätzli-
che Kosten von über 3 Milliarden Euro irgendwo im
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Haushalt unterbringen müssten.
Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- (Bettina Hagedorn [SPD]: In einem zweiten
frage) Arbeitsmarkt ist das Geld besser angelegt als
Ich mache noch einige wenige Bemerkungen zum bei den Hoteliers!)
Thema Hartz IV; dieses Thema wurde schon angespro- Damit verbunden ist ein Zweites: Sie haben die Men-
chen. schen offensichtlich aufgegeben. Eine solche Politik ma-
chen wir nicht mit. Wir wollen eine Politik, die den
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Menschen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt, auf so-
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des zialversicherungspflichtige Beschäftigung eröffnet.
Kollegen Beck? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Birgit Homburger (FDP):
Nein, Herr Kollege. Ich würde gerne weitermachen. Sie wollen, dass nicht für 12, sondern für 24 Monate
Arbeitslosengeld I gezahlt wird. Sie lassen unbeantwor-
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE tet, wie Sie die damit einhergehende Erhöhung der Zu-
(B) GRÜNEN]: Wir wollen wissen, von wem das satzkosten in der Arbeitslosenversicherung finanzieren (D)
Zitat ist! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- wollen. Ihr Vorschlag hätte nichts anderes zur Folge, als
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie doch dass Arbeit wieder teurer würde. Eine Politik für Arbeit-
endlich mal, wer das gesagt hat! – Joachim nehmerinnen und Arbeitnehmer sieht anders aus als das,
Poß [SPD]: Sie müssen Ross und Reiter nen- was Sie vorschlagen, meine sehr verehrten Damen und
nen! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Herren. Was Sie zu Hartz IV vorschlagen, das ist kein
GRÜNEN]: Sagen Sie uns doch, von wem das sozialpolitisches Konzept, das ist eine koalitionspoliti-
Zitat ist!) sche Offenbarung.
– Ja, das werde ich gerne tun. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU)
GRÜNEN]: Na los! Das ist ja wohl ein Ham- Für uns stehen bei der Neuregelung von Hartz IV die
mer! – Joachim Poß [SPD]: Ross und Reiter Kinder im Mittelpunkt.
nennen! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie
kaufen uns den Schneid nicht ab! – Beifall bei (Bettina Hagedorn [SPD]: Ach!)
Abgeordneten der SPD)
– Frau Kollegin, die FDP hat schon in den letzten Jahren
Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der Hartz-IV- gesagt, dass der Satz für Kinder nicht vom Regelsatz für
Debatte machen, die wir in diesem Hause geführt haben Erwachsene abgeleitet werden kann. Kinder sind eigene
und die wir weiterhin führen müssen. Ich sage zunächst Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen. Das Bundes-
einmal: Wir haben zwischenzeitlich umgesetzt, was wir verfassungsgericht hat das noch einmal deutlich ge-
angekündigt haben: Wir haben dafür gesorgt, dass derje- macht. Es hat uns den Auftrag gegeben, das neu zu re-
nige, der Hartz IV bezieht und mehr tut, auch mehr Geld geln. Diese Neuregelung ist notwendig, weil Ihr Gesetz
behalten darf. Wir haben das Schonvermögen von nicht bestehen konnte. Wir werden diese Neuregelung
250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. Wir vornehmen. Es geht uns darum, mehr Chancengerechtig-
wollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern. keit am Start zu erreichen. Bildung ist nun einmal der
Wir wollen, dass die Sozialversicherungsbeiträge im un- Schlüssel zu sozialem Aufstieg. Wir wollen Hartz-IV-
teren Einkommensbereich nur langsam ansteigen. Damit Karrieren vermeiden.
tun wir etwas für diese Menschen.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Und das wollen Sie
Herr Scholz hat am Montag dieser Woche das Kon- machen, indem Sie 900 Millionen Euro für
zept der SPD vorgestellt. Herr Scholz, warum sind Sie Eingliederungsmaßnahmen sperren?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2729
Birgit Homburger
(A) Wir wollen alles dafür tun, dass die Hilfe für Kinder krise abzumildern, andererseits aber auch dazu beizutra- (C)
auch bei den Kindern ankommt. Deshalb wollen wir gen, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Jetzt ist
nicht nur Geld, sondern auch Sachleistungen wie Bil- die Frage: Wie kann man das aufarbeiten? In Düsseldorf
dungsgutscheine geben. beginnt – das ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbe-
achtet geblieben – der erste Prozess gegen den Manager
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
einer Bank. Wenn jemand schuldhaft gehandelt hat, dann
der CDU/CSU)
soll Schadensersatz geltend gemacht werden können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Natür-
(Joachim Poß [SPD]: Das gibt das geltende
lich bleibt die Entlastung der Mittelschicht auf der
Recht her! Das geht schon nach geltendem
Agenda. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das eine ge-
Recht!)
hört zum anderen: Denen zu helfen, die Hilfe benötigen,
gehört genauso auf die Agenda, wie denen zu helfen, die Deswegen überlegen wir, beispielsweise die zivilrechtli-
das erwirtschaften, was dann verteilt wird. Deswegen che Verjährungsfrist zu verlängern, weil wir mehr Zeit
wollen wir gerade für die Mittelschicht Entlastungen auf brauchen, um eine entsprechende Prüfung vornehmen zu
den Weg bringen. können.
(Joachim Poß [SPD]: Genau genommen für (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
den Schweizer Mittelstand!) der CDU/CSU)
Wir haben uns vorgenommen, das Steuerrecht zu ver- Wir wollen diejenigen zur Verantwortung ziehen, die
einfachen. Das ist ein zentrales Anliegen vieler Bürge- tatsächlich Verantwortung getragen haben. Das ist der
rinnen und Bürger. Wir wollen, dass die Steuern bei un- Kern der Sache. Herr Steinmeier, wenn Sie sich hier hin-
teren und mittleren Einkommen weiter gesenkt werden. stellen und sagen, wir sollen Hedgefonds verbieten und
Wir werden uns die Spielräume dafür im nächsten Haus- Ratingagenturen an die Kette legen, dann nehmen wir
halt hart erarbeiten müssen. Aber wir wollen Impulse ge- das zur Kenntnis. Aber wer hat denn elf Jahre lang den
ben gegen Schwarzarbeit, Impulse für mehr Leistungs- Bundesfinanzminister gestellt? Wer hat denn die Hedge-
gerechtigkeit und nicht zuletzt für mehr Fairness des fonds eingeführt? Sie waren das; Ihre Regierung war
Staates im Umgang mit seinen Bürgerinnen und Bür- das, Herr Steinmeier.
gern.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier
CDU/CSU) [SPD]: Wir sollen die Ratingagenturen einge-
führt haben? Das ist doch gaga! – Joachim Poß
Herr Steinmeier, wenn Sie die Gesundheitsreform
(B) [SPD]: Sie waren doch mehr dafür als wir!) (D)
kritisieren, dann will ich Ihnen deutlich sagen: Sie haben
unser Modell in keiner Weise verstanden. Sie haben das zugelassen. Sie hätten das, was Sie jetzt
aus der Opposition heraus fordern, in den letzten Jahren
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie ha-
korrigieren können, wenn Sie es denn angegangen wä-
ben doch noch gar nichts vorgelegt! – Renate
ren.
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich
denke, Sie machen eine Kommission!) Der Kern des Problems ist, dass wir Verantwortung
und Haftung zusammenbringen müssen. Das bedeutet,
Wir wollen Politik für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
dass wir dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns wieder
beitnehmer machen. Deswegen haben wir vorgeschla-
Geltung verschaffen müssen. Wir als FDP und ebenso
gen, dass ein einkommensunabhängiger Arbeitnehmer-
die CDU/CSU haben uns über viele Jahre immer wieder
beitrag erhoben wird – mit einem sozialen Ausgleich.
für die Familienunternehmen in diesem Land eingesetzt,
Wir wollen, dass die Lohnzusatzkosten nicht weiter stei- weil wir wissen, dass dort Haftung und Verantwortung,
gen. Das, was Sie in der Vergangenheit vorgeschlagen das Tragen des Risikos in einer Hand liegen und dass
haben, hat zu mehr Bürokratie geführt. Es hat zu Ein- man hier mit Risiken anders umgeht als in anderen Be-
schränkungen der Wahlfreiheit geführt. Es hat das Arzt- reichen.
Patienten-Verhältnis belastet. Das, was diese Koalition
jetzt macht, sehr verehrter Herr Steinmeier, bedeutet (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
mehr Solidarität und auch mehr Gerechtigkeit, CDU/CSU)

(Widerspruch bei der SPD) Wir wollen hier Änderungen. Managerboni müssen
sich stärker an der langfristigen Entwicklung orientieren.
weil nach unserer Auffassung Gerechtigkeit nicht an der Die Vergütung muss vor allen Dingen so gestaltet sein,
Beitragsbemessungsgrenze aufhört, sondern alle umfas- dass es im Verlustfall auch Abzüge gibt, nicht nur Boni.
sen muss. Deshalb wollen wir den Sozialausgleich über Wir wollen mehr Transparenz und Verständlichkeit der
das Steuersystem. Finanzprodukte. Wir wollen, dass Regeln endlich einge-
halten werden. Es ist nicht so, dass es für den Finanz-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
markt keine Regeln gibt. Es ist jedoch so, dass Sie die
der CDU/CSU)
Aufsicht zersplittert haben. Wir haben jetzt gemeinsam
Natürlich beschäftigt sich diese Koalition in erhebli- beschlossen, dass die Bankenaufsicht in einer Hand zu-
cher Art und Weise auch mit der Finanzmarktkrise. sammengeführt wird: bei der unabhängigen Bundes-
Wir versuchen, einerseits die Folgen der Finanzmarkt- bank.
2730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Birgit Homburger
(A) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
NEN]: Die Banker können es ja nicht gewesen Nein, sie redet da hinten mit Ramsauer!)
sein, oder?)
– Es wäre ja auch nicht schlecht, wenn sie auf der Regie-
Damit garantieren wir, dass Regeln zukünftig eingehal- rungsbank sitzen würde.
ten werden und dass jemand darüber wacht, der davon
Ahnung hat. Das ist das Ziel dieser Koalition. (Joachim Poß [SPD]: Ramsauer ist in Sonder-
behandlung!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Das ist der erste Haushalt einer neuen Bundesregierung,
und an dieser Stelle schauen wir einmal ganz genau, was
Wir werden in diesem Hause weiter über das Thema dieser Haushalt bringt und ob Sie den Mut und die Kraft
Bürgerrechte zu sprechen haben. Das Bundesverfas- haben, die Ziele zu zeigen, also zu zeigen, wo der Weg
sungsgericht hat uns gerade einen weiteren Auftrag zum in Deutschland hinführen soll. Das wäre ja eigentlich
Thema Vorratsdatenspeicherung erteilt. Es hat nämlich Ihre Aufgabe, Frau Merkel.
festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung in der Art
und Weise, wie sie vorgenommen wurde, verfassungs- Nachdem ich hineingeschaut und Ihre Rede heute ge-
widrig und nichtig ist, dass die Datensammelwut unver- hört habe, sage ich Ihnen ganz klar: Sie haben in Ihrer
hältnismäßig ist. Es waren erneut Liberale, die den Erklärung vorhin erneut nicht begründet, was den Sinn
Schutz der Freiheit und der Bürgerrechte beim Bundes- Ihrer Kanzlerschaft ausmachen soll.
verfassungsgericht erstritten haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: und bei der SPD)
Steuer-CD!) Sie reden über neues Denken, aber welches neue Denken
Es ist festzuhalten, dass es keinen Sicherheitsgewinn soll das denn eigentlich sein? Welches Ziel und welche
geben wird, wenn man die Daten von 80 Millionen Leitbilder haben Sie?
Deutschen systematisch zu erfassen gedenkt, allerdings Sie wollten hier zum Sozialen reden. Das haben wir
dabei den Blick für konkrete Gefahren verliert. Die Be- nicht vergessen, Frau Merkel, weil wir ja nicht an retro-
drohung der Freiheit ist durch die Einschränkung der grader Amnesie leiden. Sie haben vor Wochen, als Ihr
Freiheit nicht zu bewältigen. Deshalb werden wir ge- Vizekanzler mit der Sozialhetzedebatte begonnen hat,
meinsam in dieser Koalition für Deutschland eine neue gesagt, diese Debatte werde hier im März bei der Haus-
Balance zwischen Freiheit und Sicherheit finden. haltsberatung geführt. Sie haben an dieser Stelle aber
(B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten faktisch kein einziges Wort der Klarheit und der Stel- (D)
der CDU/CSU) lungnahme dazu gesagt.

Wir wollen eine Politik für die Bürger machen. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wollen einen fairen Umgang des Staates mit den Bür- und bei der SPD)
gern. Wir setzen dabei auf den mündigen Bürger und Da hat einer suggeriert, er habe Tabus brechen wol-
wollen eben keinen Vormundschaftsstaat mit Rundum- len, obwohl man wirklich sagen muss: Seit Jahren disku-
betreuung. Wir wollen mehr Chancen auf Bildung und tiert fast das ganze Land über die Frage, wie der Sozial-
Aufstieg, und wir wollen die Kraft der Freiheit zum staat am besten organisiert werden soll – nur eben noch
Wohle dieses Landes nutzen. nicht auf dem Niveau von Guido Westerwelle.
Wir arbeiten an einem neuen Aufbruch für Deutsch-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
land, und egal, ob Sie mitmachen oder sich dagegenstel-
und bei der SPD)
len: Wir werden es für unser Land schaffen.
Wo waren Ihre Aussagen dazu, wie es denn nun gehen
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei
soll? Sie schweigen weiter.
der CDU/CSU)
Wo waren Ihre Klarheit hinsichtlich der Reisetätigkeit
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: des Bundesaußenministers und Ihre Aussage dazu? Es
hat mich schon verwundert, dass Sie an dieser Stelle, da
Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktion
Sie doch über neues Denken reden, nichts dazu sagen,
Bündnis 90/Die Grünen.
was eigentlich die kulturelle Anmutung einer Regie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rungstätigkeit sein soll. Ist es okay, dass jemand wie
Herr Lindner sagt, Spitzenpolitiker hätten halt Netz-
werke, die sie pflegen? Warum haben Sie an der Stelle
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
nicht klar gesagt: Das können Sie gerne tun, aber nicht
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt, hier als Mitglied dieser Bundesregierung, und hier haben Sie
und heute sollte es eigentlich um die Zukunft der Men- sich aus den Netzwerken Ihrer Finanzbeschaffungspartei
schen in diesem Land und um die Zukunft Deutschlands herauszuhalten?
gehen. Das ist Ihr erster Haushalt in einer schwarz-gel-
ben Regierung, Frau Bundeskanzlerin. – Wahrscheinlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
hat sie schon das Weite gesucht. und bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2731
Renate Künast
(A) Es ist atemberaubend, wie er sein Parteibüro leerge- haupten, die Kommunen hätten genug Geld, um ihren (C)
fegt, Staatsposten besetzt und vermehrt und Reisegrup- Aufgaben in der Daseinsvorsorge nachzukommen. Das
pen zusammengestellt hat. Am Ende war ich einen Au- passt nicht zusammen. Wo war hier das klare Wort der
genblick lang gewillt, zu glauben, er habe Brasilien Bundeskanzlerin?
entdeckt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ sowie bei Abgeordneten der SPD)
DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Es kam gar nichts, und ich weiß auch, warum. Sie haben
Das hat er aber nicht. Man hätte jedoch den Eindruck ha- mal wieder einen Arbeitskreis gegründet, in dem es
ben können, als habe es die WTO-Gespräche usw. gar – mal wieder – um die FDP geht, die die Gewerbesteuer
nicht gegeben. Ich kann Ihnen aber versichern – ich habe und damit die Finanzgrundlagen für die Kommunen ei-
es nachgesehen –: Es war ein Portugiese, der 1500 süd- gentlich abschaffen will.
lich von Salvador da Bahia als erster Ausländer brasilia-
nischen Boden betrat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Da wir schon bei dieser Geschichte sind: Sie haben sowie bei Abgeordneten der SPD)
kein Wort dazu gesagt, was eine ordentliche rechtliche Zum Thema Gesundheit. Frau Merkel, Sie haben uns
Kultur ist, Frau Merkel. Wie stellt man Delegationen zu- ein paar Anpassungsprobleme erklärt. Das Anpassungs-
sammen? Wie vertritt man die Interessen Deutschlands? problem ist heute aber schon so groß – so hat es die
Stattdessen hat gestern Herr Brüderle angekündigt – für AOK gestern mitgeteilt –, dass wir im nächsten Jahr zu-
die, die es nicht wissen: Er ist Bundeswirtschaftsminister –, sätzliche Probleme im Umfang von 11,6 Milliarden Euro
eine Außenwirtschaftsoffensive zu starten. Dies wolle er bekommen werden. Sie haben über Anpassung geredet,
vornehmlich mit Delegationsreisen tun. Ich sehe nicht aber nicht über die Grundstruktur. Die Zukunft dieses
ein, warum wir das Gleiche zweimal bezahlen sollen. Landes wird jetzt organisiert, Frau Merkel. Man muss
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jetzt sagen, wo es langgehen soll und wie die Leitbilder
und bei der SPD) aussehen sollen.
Wie wäre es denn gewesen, wenn an der Stelle der Sie haben ebenfalls nicht gesagt, ob es die Bürgerver-
Bundesaußenminister etwas gegen die Zunahme von sicherung, die solidarische Versicherung oder wirklich
Rüstungsexporten und gegen die Konzentration auf das eine Kopfpauschale geben wird. An dieser Stelle haben
Wirtschaftliche statt auf das Ethische bei den Rüstungs- Sie keine Klarheit geschaffen. Frau Homburger, das
exporten gesagt und getan hätte? glaubt kein Mensch: Angesichts eines so verschuldeten
(B) Haushalts wollen Sie mit einer Kopfpauschale – ob sie (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klein ist oder später immer größer wird – alle Probleme
Wie wäre es denn gewesen, Herr Westerwelle, statt aus dem Bundeshaushalt heraus lösen. Mit einem so ver-
Zusagen nicht einzuhalten – ich will nur die 420 Millio- schuldeten Haushalt geht das aber nicht. Sie müssen ran
nen Euro, die in Kopenhagen zusätzlich versprochen an Ihre Klientel und Ihre Lobbyisten. Sie müssen Men-
wurden, erwähnen –, wenn Sie dafür gekämpft hätten, schen haben, die sich für andere Menschen einsetzen.
dass das in diesem Haushalt umgesetzt wird? Dann hätte Das Problem ist doch: Wer soll das bezahlen?
man klar sagen können: Jetzt geht es los. Auf diese
Weise wären Sie vielleicht Ihrem Ziel und unser aller (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ziel näher gekommen, einen Sitz für Deutschland im sowie bei Abgeordneten der SPD)
UN-Sicherheitsrat zu erhalten. Sie bekommen dafür Sie reden über Schulden im Haushalt, und zwar nach
doch keine Unterstützung, wenn Sie Zusagen nicht ein- dem Motto: Wenn es wieder zu mehr Wachstum kommt,
halten. dann wird es schon gehen. So viel können wir aber nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wachsen, wie es nötig wäre, damit sich wieder etwas tut.
sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben einen Haushalt mit einer Neuverschuldung
von 130 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen? Sie ha-
Wie wäre es mit weiteren Aktivitäten in Bezug auf die ben mit diesem Haushalt eine Neuverschuldung ohne
UN und Afghanistan? Wie wäre es mit ein bisschen Eu- jegliche Rendite für die Zukunft organisiert. Wer soll das
ropapolitik? Wie wäre es mit Aussagen dazu, wie wir bezahlen, Frau Merkel? Darüber haben Sie kein Wort
mit einem EU-Währungsfonds umgehen? Was sagen wir verloren.
zu Griechenland? Frau Merkel, ich habe mich wirklich
gefragt: Ist es schon so weit gekommen, dass Sie sich Sie sagen, dass wir mehr Wachstum und mehr qualifi-
nicht einmal mehr trauen, ein klares Wort zu Ihrem Vize- zierte Leute brauchen. In diesem Land haben wir aber
kanzler und seiner Politik zu sprechen? einen Mangel an Fachkräften. Dies ist nicht nur auf
fehlende Qualifizierung, sondern auch darauf zurückzu-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
führen, dass durch den Geburtenrückgang immer weni-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
ger Jugendliche einen Schulabschluss machen. Diese
Sie haben auch nicht gesagt, wie es mit dem Thema wenigen Schulabgänger bekommen dann aber nur Pre-
Steuersenkungen weitergehen soll. Sie reden hier über kariatsjobs. Das soll Ihre Neuverschuldung bezahlen?
kommunale Finanzen. Klar ist aber: Beides geht nicht. Das funktioniert doch nicht, schon gar nicht mit Ihrer be-
Man kann nicht die Steuern senken und gleichzeitig be- absichtigten Steuersenkung.
2732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Renate Künast
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Sie sprachen über Wissen und Bildung. Wie wollen
Sie das aber finanzieren, Frau Merkel? Das sind ein paar Weil Frau Merkel gestern den Papst gelobt hat, will
Brosamen in diesem Haushalt, mehr aber auch nicht. ich auch sagen: Es sind die Kinder, die den besonderen
Schutz der Gesellschaft brauchen, und nicht der Papst.
Zu den Konsequenzen aus Kopenhagen haben Sie
– so mein Eindruck – ebenfalls kein Wort gesagt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN-
Sprechen wir doch einmal über das Problem, das uns KEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es wird ja
derzeit beschäftigt: Herrn Minister Guttenberg und immer dümmer!)
Afghanistan. Auch dazu haben Sie kein Wort gesagt. Wir
haben einen Verteidigungsminister. Das ist ein nicht un- – Ich weiß, was Ihnen unter den Stühlen brennt. Ich kann
wichtiges Ressort; man denkt zwar immer, man könne es es gerne wiederholen: Es sind die Kinder und nicht der
an die Seite schieben, es gibt aber schon Gründe dafür, Papst. Denn es kommt jetzt nicht darauf an, ihn zu loben,
ein Verteidigungsministerium zu haben. Dieser Minister dass er etwas richtig gemacht habe. Selbst der Bund der
schritt richtig schneidig ins Ministerium hinein. Jetzt Deutschen Katholischen Jugend spricht von der schwers-
aber sehen wir einen Hochdekorierten nach dem anderen ten Krise der katholischen Kirche. Wieso loben wir jetzt
wieder herausschreiten. Ich formuliere das auf nette den Papst?
Weise und erwähne den neuesten Vorfall gar nicht erst. Fangen wir besser an, das zu machen, was Aufgabe
Ich frage aber: Ist das motivierende Politik? Selbst wenn einer Bundesregierung ist, nämlich dafür Sorge zu tra-
sich der Brigadegeneral im Ton vergriffen hat, fragt man gen, dass es Entschuldigungen gibt, dass eine unabhän-
sich trotzdem langsam: Hält Herr Guttenberg die Truppe gige Untersuchung durchgeführt wird und dass auch bei
im Ernstfall eigentlich noch zusammen? Sie wundern verjährten Fällen öffentlich wird, was war. Das sind wir
sich vielleicht, warum jemand von den Grünen diese den Opfern, die heute noch leiden, schuldig.
Frage stellt. An Ihrem Schweigen merke ich aber, dass
Sie es sich auch fragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Sorgen wir dafür, dass es einen Fonds gibt, aus dem man
Kauder [CDU/CSU]: Bei manchen Aussagen eine Entschädigung für die Vorfälle in der Vergangenheit
ist man einfach sprachlos!) oder eine finanzielle Unterstützung erhalten kann.
(B) (D)
Ein anderes sehr ernstes Thema – Sie haben es ange- Das sind einige Punkte, die Sie heute nicht angespro-
sprochen, Frau Merkel – ist der Missbrauch von Kin- chen haben, Frau Merkel, oder die Sie aus meiner Sicht
dern in katholischen Einrichtungen, in einem Chor, in zumindest unbefriedigend oder ein bisschen halbgar an-
staatlichen Schulen und in privaten Schulen. Ich muss gegangen sind. Das ganze Durcheinander in dieser Bun-
ehrlich sagen, dass ich entgeistert war, wie spät diese desregierung haben Sie, Frau Merkel, zu verantworten.
Regierung reagiert hat, und ich war und bin entgeistert Man kann in diesem Lande kaum erklären, wofür diese
darüber, dass sich unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, drei Regierung eigentlich steht. Ich weiß aber eines: Sie ma-
Ministerinnen über runde Tische gestritten haben. Das chen Ihre Hausaufgaben nicht, was die zentralen Aufga-
ist der Verletztheit der betroffenen Menschen nicht ange- ben angeht. Auf dieser Regierung liegt ein dunkler
messen. Schatten von Ideenlosigkeit und Klientelpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Hier und heute müsste dieser Haushalt zeigen, wohin
Ich glaube, dass der CDU das C im Wege steht, viel-
die Reise in Zukunft gehen sollte. Er müsste zeigen, dass
leicht auch manche Auseinandersetzung, die Sie in der
wir uns anstrengen, jetzt wirklich etwas anders zu ma-
Vergangenheit mit der katholischen Kirche hatten, zum
chen. Aber Sie können und wollen das nicht.
Beispiel über die Stammzellenforschung, oder die öf-
fentlich geäußerte Kritik auf einer Pressekonferenz von Jetzt wären die richtigen ökologischen Weichenstel-
Frau Merkel. lungen notwendig, statt die Kosten den nachfolgenden
Generationen oder anderen Menschen auf diesem Glo-
Wir wollen wissen, wer in dieser Regierung die Auf- bus zuzuschieben. Jetzt geht es darum, die blockierte
gabe übernimmt, sich rückhaltlos für die Schutzbefohle- Gesellschaft aufzulösen und die soziale Spaltung unseres
nen, für die Kinder in diesem Lande, einzusetzen. Wer Landes zu bekämpfen, statt für Mövenpick den Haushalt
sorgt dafür, dass es eine unabhängige Aufklärung durch auszuwringen und Steuersenkungen für Reiche durchzu-
Dritte gibt? Man darf sich nicht auf den Föderalismus führen.
beziehen und auf die Länder verweisen, die für die Schu-
len zuständig sind. Ich will nicht hören, dass das Staats- Jetzt ginge es darum, eine vernünftige Energiepolitik
kirchenrecht uns irgendwelche Probleme bereitet. Ein zu machen und einen richtigen Innovationsschub auszu-
Kind muss ohne Wenn und Aber den Schutz der gesam- lösen, statt Investoren, Industrie und Mittelstand erst ein-
ten Gesellschaft erfahren. mal wieder monatelang hängen zu lassen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2733
Renate Künast
(A) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ men und gleichzeitig sozial und ökologisch intelligente (C)
DIE GRÜNEN und der SPD) Investitionen tätigen. Das tun Sie nicht. Sie haben mit
dem vorliegenden Haushalt vielmehr einen Verschiebe-
Jetzt ginge es darum, die Endlagerfrage, die sich nun bahnhof für alte Lobby- und Klientelinteressen geschaf-
einmal stellt, offen, transparent und vergleichend zu lö- fen.
sen, statt sie, wie es Herr Röttgen macht, nach altem
Recht zu regeln. Sie kommen mit dem Bergrecht von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
1983. Wenn ich in der Universität fragen würde, ob die sowie bei Abgeordneten der SPD)
Studenten noch nach diesem Recht studieren, dann wür-
Frau Homburger, wir haben uns der Mühe unterzo-
den sie mich entgeistert angucken und mir erklären: Es
gen, alles durchzurechnen. Diejenigen, die rechnen kön-
gibt eine Regelung von 1990. Wir studieren das neue
nen, kommen zu dem Ergebnis, dass unser Vorschlag im
Recht, nicht das alte. – Aber der Bundesumweltminister
Vergleich zu Ihrem Haushaltsentwurf zu einer um
verwendet das alte Recht, weil es die geringste Bürger-
7,5 Milliarden Euro geringeren Verschuldung führte. So
beteiligung vorsieht. Das ist im Jahr 2010 nicht würdig.
viel Zeit muss sein. Ich weiß nicht, ob Herr Koppelin Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer falsch informiert. Das mag sein.
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Gorleben war ein Ort schwarz-gelber Willkür unter SES 90/DIE GRÜNEN)
der Regierung Kohl in der Frage, wie entschieden und Schauen wir uns die drei Bereiche Einsparen, Einnah-
was umgesetzt wurde. Gorleben ist politisch für ein End- men und Ausgaben an. Was hieße es, wenn wir eine Re-
lager verbrannt. Wir brauchen endlich eine offene und gierung hätten, die wirklich Mut hätte und sich nicht un-
vergleichende Suche mit einer ordentlichen Bürgerbetei- tereinander kloppte und nicht das Theaterstück „Kasper
ligung. und das Krokodil“ aufführte? Ich weiß nicht, wer wer ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber diese ewige Klopperei hinter dem Vorhang sieht
sowie bei Abgeordneten der SPD) man schon.
Jetzt ginge es um Dinge, die Kosten und Gesundheits- Schauen wir uns an, wie Einsparungen vorgenom-
schäden auslösen. Ein Beispiel sind die Laufzeiten der men werden könnten. Denken Sie an Generationenge-
AKWs. Man sollte nicht über Laufzeitverlängerung re- rechtigkeit! Denken Sie an das Klima, über das Sie so oft
den. Herr Röttgen, Sie haben hier schon schöne, grüne reden! Warum, bitte schön, fangen wir nicht mit dem
Reden gehalten. Sie wurden immer wohlklingender. Bei Umbau hin zu einer ökologischen Dienstwagensteuer an,
Ihnen fällt mir der Satz mit dem Bettvorleger ein, Herr die dazu führt, dass nicht jedes Auto steuerlich voll ab-
(B) Röttgen: Als grüner Tiger gestartet, als schwarzer Bett- gesetzt werden kann, statt tonnenschwere Dienstwagen (D)
vorleger gelandet. – Das ist die Wahrheit Ihrer Energie- zu subventionieren? Oder die Ökosteuer. Warum gibt es
und Klimapolitik. Ausnahmen für die Zementindustrie? Zement ist kein
global gehandeltes Produkt. Solche unsinnigen Ausnah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men wollen wir streichen.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt müsste es darum gehen, eine gute Verkehrspoli-
tik für Stadt und Land zu machen. Das Wettrennen um Oder die Kohlesubventionen. Wir dürfen nicht länger
die Neuerfindung des Autos ist eröffnet. Frau Merkel klimaschädliche Technologien mit Milliarden fördern.
macht sicherlich irgendwann wieder einmal einen run- Oder die in die Milliarden gehenden Forschungsgelder
den Tisch oder führt ein Gespräch. Aber wo ist das Kon- für die Raumfahrt. Was wollen wir eigentlich auf dem
zept, das einen Stundentakt für den öffentlichen Verkehr Mond? Ich sage Ihnen ganz klar: Auch dieses Programm
vorsieht und ihm Vorrang einräumt, und zwar hier in können Sie streichen. Wir Deutsche wollen nicht die
Deutschland und nicht irgendwo anders? Wo ist das Letzten auf dem Mond, sondern die Ersten sein, die mit
Konzept, das das Auto in modernster Form durch An- einem Elektroauto von Berlin nach München fahren,
reizprogramme im Haushalt oder eine andere Kfz-Steuer ohne zwischendurch Strom zu tanken. Das wäre die
fördert? Sie organisieren in diesem Haushalt keine Zu- technologische Entwicklung.
kunft. Sie führen nur hin und wieder Gespräche, damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie schöne Zeitungsfotos bekommen. Das ist aber für die
Zukunft dieses Landes nicht genug. Schauen wir uns das Thema Einnahmen genau an.
Sie sind für eine Rekordverschuldung verantwortlich
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und machen sich nicht die Mühe, die Stärkeren mehr
Sie machen 130 Milliarden Euro neue Schulden ohne ir- Lasten tragen zu lassen und diejenigen, die an den
gendeine Rendite auf die Zukunft. Finanzmärkten profitiert haben, ein Stück weit zahlen zu
lassen; denn Sie haben kein Leitbild und wissen nicht,
Ich will Ihnen sagen, was man eigentlich machen wie Sie sich die Zukunft dieses Landes vorzustellen ha-
müsste. Man müsste mit Mut und Visionen losgehen, ben. Dazu haben Sie keinen Mut. Sie müssen den Spit-
Entscheidungen gegen alte Lobbys treffen und sozusa- zensteuersatz auf 45 Prozent anheben. Sie brauchen eine
gen durch Mauern laufen. Man wird das sicherlich nicht Vermögensabgabe zur Deckung der Schulden aus der
mit ein, zwei Maßnahmen erreichen. Aber man müsste Finanzkrise. Es muss Schluss mit dem Gehälterwahn-
gezielt vorgehen und Einsparungen im Haushalt vorneh- sinn sein. Man muss den Unternehmen sagen: Nur bis
2734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Renate Künast
(A) 500 000 Euro darfst du das Gehalt von deinen Betriebs- wachsenen dieses Landes ist Schwarz-Gelb eine Politik (C)
kosten abziehen. Ansonsten musst du dich vor deinen der leeren Hände.
Aktionären rechtfertigen, dass die Ausschüttungen ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ringer sind. Du kannst nicht auf Kosten des Steuerzah-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
lers leben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege
Volker Beck.
Wie wäre es zum Beispiel mit einer Finanzumsatz-
steuer?
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Eines muss ich Ihnen, Frau Merkel, wirklich ankrei- Frau Kollegin Homburger, Sie haben vorhin ein Zitat
den. Sie enttäuschen mich, weil Sie in der letzten Legis- verwendet, in dem Herr Sarrazin und Herr Westerwelle
laturperiode mit einem roten Anorak vor einem Glet- als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet werden. Das ist
scher gestanden und gesagt haben, jetzt gehe es um das eine Formulierung, die natürlich völlig inakzeptabel ist.
Klima. Wo sind eigentlich die Investitionen in das Öko- Sie haben dabei den Eindruck erweckt, als ob irgendje-
logische? Wo zeigt sich an diesem Haushalt Jahre nach mand auf dieser Seite des Hauses die Verantwortung für
Ihren Aussagen eigentlich, wie man in Zukunft wirklich diese Aussage zu tragen hätte. So können wir miteinan-
gute Klimaschutzpolitik macht und ökologische Inves- der nicht umgehen. Sie haben keine Zwischenfrage zu-
titionen tätigt? Wir schlagen einen Klimaschutzfinanz- gelassen, obwohl viele Kollegen wissen wollten, von
plan vor; das heißt neue Jobs durch Investitionen in wem das Zitat eigentlich stammt. Deshalb stelle ich Ih-
Höhe von zusätzlich 4 Milliarden Euro, einen Energie- nen jetzt die Frage: Wer aus diesem Hohen Hause hat
sparfonds und ein Anreizprogramm für Elektroautos. diese Aussage getätigt? Oder: Von wem haben Sie dieses
Wir schlagen enorme Investitionen in moderne Energie- Zitat? Es ist inakzeptabel – darüber sind wir uns einig –;
netze vor. Es reicht doch nicht, hier darüber zu schwa- aber Sie sollten nicht den Eindruck erwecken, so etwas
dronieren, dass man irgendwann im Zeitalter der erneu- sei hier von Kolleginnen und Kollegen gesagt worden,
erbaren Energien ankommen sollte, sondern man muss wenn Sie das nicht belegen können.
in diesem Haushalt die Weichen dafür stellen, und die
Weichen stellt man mit Geld für das Neue und nicht für (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])
alte Privilegien. Ich habe den Verdacht, dass es die Argumentations-
strategie Ihrer Partei in den letzten Tagen ist, gegen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Popanze zu argumentieren, um berechtigte Kritik an an- (D)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
deren Dingen abzuwehren. Jetzt wird so getan, als ob die
Sie haben keinerlei gezielte Investitionen für neue politische Kultur von der Opposition dadurch beschädigt
Jobs und Maßnahmen zur Schaffung von sozialer wird, dass sie berechtigte Fragen hinsichtlich des Amts-
Gerechtigkeit vorgeschlagen. Dabei sagen Sie selber: verständnisses des Bundesaußenministers und anderer
Bildung ist der Rohstoff der Zukunft. – Wir wollen mehr Kabinettsmitglieder hat. Das reiht sich in die Aussage
Betreuungsplätze. Wir müssen die Kommunen finanziell des Kollegen Altmaier von heute Morgen in Phoenix
entlasten, damit sie ihren Aufgaben im sozialen Bereich ein, der Minister sei nicht kriminell. Auch das hat nie-
nachkommen können. Deshalb fordern wir, einen höhe- mand behauptet. Herr Westerwelle verteidigt sich selber
ren Anteil an den Kosten für die Unterkunft zu überneh- mit dem Hinweis, er werde auch in Zukunft Wirtschafts-
men und die Kommunen dadurch zu entlasten. Zum So- vertreter auf seine Auslandsreisen mitnehmen. Niemand
zialen gehört auch Würde, und das heißt, die Hartz-IV- hat bestritten, dass das jeder Außenminister der Bundes-
Sätze auf 420 Euro anzuheben, damit man davon leben republik Deutschland tun kann.
kann. Einer der Kerngedanken, neben der Bildung und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
dem sozialen Bereich, ist: gute Löhne, damit sich Arbeit SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
wieder lohnt, nicht Zuverdienst, damit man in den Grau-
zonen bleiben kann. – Wir brauchen gute Mindestlöhne, Nennen Sie hier bitte Ross und Reiter! Sagen Sie, wo-
wir brauchen Zuschüsse für die Lohnnebenkosten der her Sie dieses Zitat haben, oder korrigieren Sie den Ein-
Geringverdiener, und wir brauchen Qualifizierung, aber druck, vonseiten der Opposition sei jemals eine solche
keinen Zuverdienst. Äußerung über den Bundesaußenminister gefallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schon gar nicht brauchen wir Ihre Sperre an dieser Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Stelle, die dazu führt, dass viele Langzeitarbeitslose mit Kollegin Homburger, bitte.
multiplen Problemen auf der Straße bleiben.
Elf Jahre haben Sie sich auf diese Regierung vorbe- Birgit Homburger (FDP):
reitet. Das Fazit ist: Schwarz-Gelb ist nicht die Zukunft Herr Kollege Beck, ich habe hier im Zusammenhang
dieses Landes. Schwarz-Gelb ist immer nur für einige mit den Vorwürfen zum Thema Verfassungsfeindlichkeit
Auserwählte; aber für die Mehrheit der Kinder und Er- eine grundsätzliche Bemerkung über politische Werte in
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2735
Birgit Homburger
(A) diesem Land gemacht. Ich habe an keiner Stelle behaup- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C)
tet, dass ein Kollege dieses Hauses das gesagt habe. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Umetikettieren nützt nichts!)
(Joachim Poß [SPD]: Sie haben den Eindruck
erweckt!) Das ist die Zukunft in unserem Land. Wir machen eine
Politik, die von Werten geleitet ist, und deswegen reden
– Herr Poß, ich habe nicht den Eindruck erweckt, dass wir von „christlich“ und „liberal“, Frau Künast. Wir las-
ein Mitglied dieses Hauses das gesagt habe. sen uns nicht in irgendein Farbgemenge einbinden, von
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Natürlich!) dem Sie glauben, es uns aufmalen zu können.
Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass in der Op-
Es ist im Zusammenhang mit einer Laudatio auf eine
position ganz bewusst bestimmte Dinge betrieben wer-
Journalistin bei der Verleihung eines Kultur- und Frie-
den. Die Menschen in diesem Land haben Sorgen. Sie
denspreises von einem Ex-Stern-Journalisten, von Herrn
fragen: Wie geht es weiter?
Kromschröder, genau dieser Satz gesagt worden:
(Zuruf von der SPD: Ja, mit dieser Regierung!)
Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im
Nadelstreifen, die Sarrazins und Westerwelles … In meine Sprechstunde kommen Menschen, die wissen
wollen: Wird aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit, oder wird
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aus Kurzarbeit Arbeit? Darauf hat die Bundeskanzlerin
NEN]: Was haben wir damit zu tun?) heute in ihrer Regierungserklärung klare Antworten ge-
– Herr Beck, dem ist in dieser Veranstaltung offensicht- geben.
lich nicht widersprochen worden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der FDP)
NEN]: Wären Sie mal hingegangen zu dieser Da wurde das christlich-liberale Konzept dieser Koali-
Veranstaltung!) tion deutlich.
Der Weser-Kurier hat das einfach so übernommen und (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
unwidersprochen abgedruckt. NEN]: Das Konzept war: mehr Schulden! Au-
ßer „mehr Schulden“ habt ihr nichts gesagt!)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Pressefreiheit!) Anstatt darauf zu reagieren, erlebe ich bei Ihnen Dinge,
die ich nur als schäbig bezeichnen kann.
Ich habe nur auf Folgendes aufmerksam gemacht:
(B) Wenn Demokraten solchen Sätzen in solchen Reden und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D)
solchen Veröffentlichungen nicht gemeinsam widerspre- Lassen Sie den Bundespräsidenten aus der Tagespolitik
chen, heraus! Es ist schäbig, ihn aufzufordern, sich für die An-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liegen der Opposition einzusetzen. Gott sei Dank macht
NEN]: Sind Sie empfindlich!) er dies nicht.

dann ist das ein Verlust der politischen Kultur in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutschland. Dabei bleibe ich. Frau Künast, wir alle wissen, dass es eines der
schlimmsten Verbrechen ist, wenn Kinder missbraucht
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
werden, vor allem in Einrichtungen, in die Eltern und
Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Kinder besonderes Vertrauen haben, dass sie geschützt
GRÜNEN]: Frau Homburger, unanständig!) sind. Es ist richtig, dass die Geschehnisse der Vergan-
genheit aufgeklärt werden, und es ist auch richtig, dass
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: überlegt wird, was gemacht werden kann, damit dies in
Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSU- Zukunft nicht mehr passiert. Aber was mich schon be-
Fraktion. troffen gemacht hat – Frau Künast, ich dürfte erwarten,
dass Sie mir nicht den Rücken zukehren, wenn es um
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- solche Sachen geht –, war, dass es offensichtlich einigen
neten der FDP) von Ihnen nicht um diese Frage geht, sondern um eine
Abrechnung mit der Kirche. Dies werden wir nicht zu-
Volker Kauder (CDU/CSU): lassen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herren! Frau Künast, was Schwarz-Gelb macht, was
Schwarz-Gelb will, das weiß ich auch nicht. Ich bekomme Berichte, auch aus meiner Heimat, dass
es in katholischen, in evangelischen, in freien Einrich-
(Lachen und Beifall bei der SPD und dem tungen so etwas gegeben hat. Ich frage mich nicht, wo es
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- war, sondern ich sage: Jeder Einzelfall ist furchtbar. Wir
geordneten der LINKEN) müssen aufklären. Die Wahrheit muss auf den Tisch,
aber nicht um der Anklage willen, sondern um in Zu-
– Bleiben Sie mal ganz ruhig! – Aber ich weiß, dass kunft so etwas zu verhindern.
Christlich-Liberal für dieses Land etwas Richtiges
macht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Volker Kauder
(A) Das ist es, was die Menschen erwarten: Antworten auf dass Menschen in Arbeit bleiben können. Dafür werden (C)
die konkreten Herausforderungen 13 Milliarden Euro ausgegeben. In diesem Bundeshaus-
halt werden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen,
(Zuruf von der SPD: Genau!)
dass ein entsprechender Bundeszuschuss im Gesund-
und nicht ideologische Auseinandersetzungen. heitsbereich geleistet wird. Die Beiträge bei der Arbeits-
losenversicherung bleiben in diesem Nochkrisenjahr bei
Die Antwort dieser Regierungskoalition auf die
2,8 Prozent. Das entlastet Arbeitnehmerinnen und Ar-
Frage, wie es weitergeht in unserem Land, damit Per-
beitnehmer und eröffnet der Wirtschaft Chancen. Dies
spektiven eröffnet werden, ist ganz klar: Wir müssen da-
ist eben nur durch diesen Bundeshaushalt und durch die
für sorgen, dass es Wachstum in unserem Land gibt.
Politik dieser Regierungskoalition möglich geworden.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
NEN]: Wie viel haben Sie denn?)
Wachstum in unserem Land heißt: neue Chancen. Es ist Wir eröffnen natürlich auch Perspektiven für diejeni-
unbestritten, wie mir auch aus der Opposition gesagt gen, die Löhne und Gehälter im unteren oder mittleren
wurde, dass wir nicht auf dem aktuellen Niveau bleiben Einkommensbereich beziehen, und vor allem für unsere
können und wollen, sondern dass wir, wenn wir wieder Familien. Ich muss Ihnen eines sagen: Es war immer
in die Situation des Jahres 2008 kommen wollen, Politik christlich-demokratischer und christlich-sozialer
Wachstum brauchen. Ohne Wachstum werden wir aus Demokraten, vielfach in Koalition mit der FDP, sich um
Kurzarbeitern keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- die zu kümmern, die Hilfe brauchen bzw. sich aus eige-
mer machen, die eine Perspektive haben. Deshalb ist es ner Kraft nicht helfen können. Die allermeisten sozialen
notwendig, alles dafür zu tun und dafür zu sorgen – dies Gesetze sind unter der Regierungsverantwortung der
wird mit diesem Bundeshaushalt auch gemacht –, dass Union in diesem Land entstanden, nicht unter der der
Wachstum möglich wird. Grünen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Die Menschen fragen mich doch nicht: Was tut ihr da-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: für, dass es mir mit Hartz IV möglichst gut geht? Sie
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der fragen vielmehr: Was tut ihr dafür, damit ich aus
Kollegin Hendricks? Hartz IV wieder in normale Arbeit hineinkommen kann? –
Dafür müssen wir etwas tun.
Volker Kauder (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Bitte.
Es gehört zum christlich-liberalen Denken, dass man sel-
(B) ber für sich sorgen kann, dass man nicht auf die Hilfe (D)
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
von Ämtern angewiesen ist, dass man nicht als Bittstel-
Herr Kollege Kauder, ich bitte um Entschuldigung, ler auftreten muss; denn das hat etwas mit der Würde des
Sie sind jetzt schon bei einem anderen Thema angelangt. Einzelnen zu tun. Deswegen reden wir darüber, was wir
Ich will noch einmal auf den vorherigen Punkt zurück- tun können, damit an der Schnittstelle von Hartz IV und
kommen: Worin liegt eigentlich der wesentliche Unter- normaler Arbeit immer häufiger Menschen ihrer Würde
schied, wenn einerseits der Kollege Oppermann den entsprechend wieder in Arbeit kommen und nicht in
Bundespräsidenten um etwas bittet und andererseits die Hartz IV bleiben müssen.
Frau Bundeskanzlerin den Papst um etwas bittet?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Volker Kauder (CDU/CSU): Bettina Hagedorn [SPD]: Deswegen die
Wenn Sie diesen Unterschied nicht verstehen, dann 900-Millionen-Euro-Sperre!)
sollten Sie wirklich einmal zu mir zur Nachhilfe kom- Deswegen werden wir natürlich auch über die Frage re-
men. Diese Nachhilfe will ich Ihnen gerne geben. den: Wie kann Hinzuverdienst neu organisiert werden?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist die falsche
Es ist ganz klar und deutlich festgelegt, welche Rolle der Frage!)
Bundespräsident in unserem Land hat. Er hat nicht die Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Es geht nämlich nicht
Aufgabe, Helfer der Opposition in tagespolitischen Aus- ausschließlich darum, ob den Menschen statt 100 Euro
einandersetzungen zu sein. Das ist der Unterschied zwi- 150 Euro bleiben; denn dann werden die Arbeitsverhält-
schen dem, was Frau Merkel und Herr Oppermann ge- nisse danach organisiert. Vielmehr ist die Frage zu stel-
macht haben. len: Wie kann der Anreiz größer werden? Darauf werden
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir eine Antwort geben.
Wir waren bei dem Thema, wie wir Wachstum her- In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Gysi, haben
vorrufen. Wachstum wird dadurch erreicht, dass wir Ar- wir auch Fälle wie den des Mädchens, den Sie angespro-
beitsplätze schaffen und erhalten. Dafür wird mit diesem chen haben, im Auge. In ordnungspolitischer Hinsicht ist
Bundeshaushalt die Voraussetzung geschaffen. Es wird es außerordentlich problematisch, hier einen Hinzuver-
ein Zuschuss an die Bundesagentur gegeben, der es er- dienst in einer bestimmten Größenordnung für zulässig
möglicht, die Beiträge, die wiederum der Bundesagentur zu erklären, in anderen Fällen aber nicht. Ich möchte,
zugutekommen, stabil zu halten. Damit sorgen wir dafür, dass ein junger Mensch, der in einer Familie lebt, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2737
Volker Kauder
(A) Hartz IV bekommt, und der nichts dafür kann, dass es so Wenn wir über die Entwicklung unseres Landes re- (C)
ist, die Erfahrung machen kann, dass es sich lohnt, zu ar- den, dann schauen wir einen Tag vor dem 20. Jahrestag
beiten. der ersten freien Volkskammerwahlen natürlich auch auf
die Entwicklung in den neuen Ländern. Wir sehen,
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Dann dass sich dort unheimlich viel getan hat. In einer groß-
mach! Mach! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE artigen Gemeinschaftsleistung von West und Ost bzw.
LINKE]: Dann muss man doch was tun!) von Ost und West haben wir in den vergangenen 20 Jah-
Hinter dem Ziel, jungen Menschen eine solche positive ren dafür gesorgt, dass dieses Land zusammenwächst.
Erfahrung zu ermöglichen, muss die Ordnungspolitik Da ist noch einiges zu tun – überhaupt keine Frage. Es
zurücktreten. Wir werden noch vor der nächsten Som- geht natürlich darum, durch Arbeitsplätze Chancen zu
merpause dazu eine Regelung finden. schaffen. Es geht auch darum, entsprechende Prozesse
voranzutreiben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Dagmar Ich bin froh über diese gute Entwicklung. Sie hat na-
Enkelmann [DIE LINKE]: Wir nehmen Sie türlich auch etwas mit uns, mit der Union, zu tun. Unser
beim Wort!) Wahlbündnis hat damals 48 Prozent der Stimmen be-
kommen. Die Menschen haben sich dann für die deut-
In diesem Haushalt bildet sich auch an einem anderen sche Einheit entschieden. Sie haben sich auch deswegen
Thema eine neue Politik ab, nämlich am Thema Afgha- für die deutsche Einheit entschieden, weil einer ihr Ver-
nistan. Wir machen Politik in Verantwortung für die trauen gewonnen hat. Deswegen will ich heute sagen:
Entwicklung in Afghanistan. Das hat wieder etwas mit Herzlichen Dank, Helmut Kohl, dem Kanzler der Ein-
dem christlich-liberalen Wertekorsett zu tun. Wir wollen heit, der bald seinen 80. Geburtstag feiert.
mit unserer Arbeit in Afghanistan dafür sorgen, dass die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Menschen in Frieden und Freiheit leben können und dass
sie nicht von Terroristen unterdrückt werden. Die Frei- Wir haben in den neuen Ländern neue Entwicklungen
heit, sich selber um seine Anliegen kümmern zu können, vorangebracht, und das wird auch in Zukunft der Fall
ist ein wesentliches Element der Würde des Einzelnen, sein. Das Deutsche BiomasseForschungsZentrum ist in
die wir in Afghanistan für alle Afghaninnen und Afgha- Leipzig, also in den neuen Ländern, angesiedelt. Wir
nen durchsetzen wollen. sorgen dafür, dass die Energiegewinnung aus Kohle in
den neuen Ländern durch moderne Technologien wie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das CCS-Verfahren möglich wird.
Deswegen sind wir dort aktiv. Wir wollen noch mehr da- Wir haben gesagt, wir steigen in das Zeitalter der (D)
(B) für tun, dass die afghanische Regierung in eigener Ver-
erneuerbaren Energien ein. Das machen wir. Das be-
antwortung die Sicherheit in diesem Land gewährleisten deutet aber, dass das Geld, das wir von den Menschen
kann. Dabei hat die Entwicklungszusammenarbeit eine – dieses Geld kommt nicht vom Staat – zur Förderung
besondere Bedeutung. Ich bin dankbar dafür, dass darauf erneuerbarer Energien verlangen, in einem ausgewoge-
ein Schwerpunkt gelegt worden ist. Aber eines ist auch nen Verhältnis zum Ergebnis stehen muss.
klar – das muss immer wieder gesagt werden –: Ohne
die Sicherheit durch die Bundeswehr und andere Ein- (Beifall bei der CDU/CSU)
richtungen wäre die von uns gewünschte Entwicklung in
Deshalb ordnen wir die Solarförderung neu. Wenn ich
diesem Umfang gar nicht möglich. Entwicklung und
durch das Land fahre, habe ich manchmal den Eindruck,
neue Chancen in Afghanistan und das Sicherheitsgerüst
dass die Meinung vorherrscht, die Bundesregierung und
durch die Bundeswehr sind zwei Seiten derselben Me-
diese Koalition wolle die Solarförderung auf null setzen.
daille.
Absoluter Quatsch! Wir wollen nur, dass nicht 80 Pro-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zent der Förderung in eine Energie gehen, die nur einen
neten der FDP) Anteil von 1 oder 2 Prozent hat. Wir müssen bei der
Energieversorgung breit aufgestellt sein; dafür sorgen
Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen. wir. Die Solarenergie wird sich auch in Zukunft rechnen.
Ich habe vor zwei Monaten an diesem Platz davon ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sprochen, dass zur Entwicklungszusammenarbeit und neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Er lobt
zur Außen- und Sicherheitspolitik auch das Thema Reli- gar nicht den Umweltminister!)
gionsfreiheit gehört. Wir machen uns Sorgen darüber,
dass die Christen die am stärksten verfolgte Glaubens- Frau Künast, ich finde es ein bisschen billig, dass Sie
gruppe sind. Ich bin außerordentlich dankbar, dass der hier nur fordern, die Entwicklung bei den erneuerbaren
Bundesaußenminister vor dem Menschenrechtsrat in Energien solle vorangehen. Selbst wenn in einigen Jah-
Genf vor einigen Tagen genau diesen Punkt aufgegriffen ren die erneuerbaren Energien einen Anteil von 40 Pro-
und erklärt hat, dass Religionsfreiheit ein Teil unserer zent haben – was mehr als eine Verdopplung bedeutet –,
wertegeleiteten Politik ist. Er hat in diesem Zusammen- ist unbestritten, dass noch eine Lücke in der Versorgung
hang auf die Lage der Christen hingewiesen. Das verste- der Menschen und der Wirtschaft mit Strom bleibt. Es ist
hen wir unter einer wertegeleiteten Außenpolitik. doch richtig, ja notwendig, dass die Bundesregierung ein
Szenarium rechnen lässt, das aufzeigt, wie es weitergeht,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wenn die erneuerbaren Energien einen bestimmten Anteil
2738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Volker Kauder
(A) – das können beispielsweise 40 Prozent sein – haben. Es Wenn wir bei abgeschalteten Kameras beieinanderste- (C)
gehört zur Wahrhaftigkeit, zu sagen: Wir werden noch hen, höre ich aus allen Fraktionen, aus allen Parteien die
auf absehbare Zeit auf einen Energiemix angewiesen Klage darüber, welches Bild wir in der Öffentlichkeit ab-
sein. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Ge- geben und wie die Menschen über uns reden.
nauso brauchen wir noch die Kohlekraftwerke. Wie lang
die Brücke wird, hängt von den verschiedenen Szenarien (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ab. Aber in der Auseinandersetzung so zu tun, als ob NEN]: Eben! Genau!)
man auf absehbare Zeit auf Kohle und Kernenergie ver-
zichten kann, ist unwahrhaftig und nicht anständig. Wenn wir aber nicht mit etwas mehr Respekt übereinan-
der und über unsere Arbeit hier im Bundestag reden,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- braucht sich niemand zu wundern, wenn die Menschen
derspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg] so über uns reden.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Sie können sich hier nicht einfach hinstellen und so Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Haltet
tun, als wenn Sie das, was in der Endlagerfrage jetzt ge- den Dieb!)
macht wird, nichts angehe.
Deswegen erwarte ich ein bisschen mehr Grips und In-
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE telligenz.
GRÜNEN]: Bitte?)
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
Ich kann nur sagen: Was Rot und Grün gemacht haben,
ist verantwortungslos. Sie haben immer gegen jede Form GRÜNEN]: Aber dafür müsste man ein biss-
von Endlagerung polemisiert. Aber wer aus der Kern- chen Intelligenz haben!)
kraft aussteigen will, der braucht ein Endlager. Sie tun Es darf nicht nach dem Motto gehen: Die absolute
so, als wäre die Beantwortung dieser Frage bei dem von Frechheit siegt. – Das gilt für diejenigen auf der linken
Ihnen geforderten Ausstieg aus der Kernenergie nicht Seite dieses Hauses in besonderer Weise, damit das auch
mehr notwendig. Sie ist aber zwingend nötig. Bei Ihnen einmal ausgesprochen ist.
gibt es in der Energiefrage nur Ideologie und keine wirk-
liche Erkenntnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bun-
Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE desregierung zeigt mit dem vorliegenden Bundeshaus-
GRÜNEN]: Und das ist christlich? – Renate halt, dass sie den Menschen auf ihre konkreten Fragen (D)
(B)
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lasst Antworten gibt, dass sie ihre Sorgen und Ängste ernst
uns doch einfach in Baden-Württemberg nimmt. Wir sorgen dafür, dass es in diesem Land voran-
Standorte untersuchen!) geht. Wir wissen, dass die Bewältigung der Krise nicht
Wir werden uns dieser schwierigen Aufgabe stellen. in einem Jahr möglich ist. Wir wissen, dass wir dafür ei-
nen längeren Atem brauchen. Diesen Atem haben wir.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Mit diesem Haushalt müssen wir noch einmal auf die Fi-
noch etwas anderes sagen. Mir macht die Art und Weise nanz- und Wirtschaftskrise reagieren.
des Umgangs miteinander Sorge. Ich bin wirklich nicht
zart besaitet. Ab dem nächsten Haushalt müssen wir die Schulden-
bremse berücksichtigen. Dann wird es im Hinblick auf
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Beiträge der Opposition in der Haushaltsdebatte
NEN]: Das stimmt! Da hat er recht!) hochinteressant werden, zu sehen, ob Sie wissen, dass
Ich bin nicht zart besaitet; das weiß jeder. die Schuldenbremse bedeutet, dass wir nicht Milliarden
mehr, sondern mindestens 10 Milliarden Euro weniger
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- als in diesem Haushalt ausgeben können.
NEN]: Stimmt auch in der Wiederholung!)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Ich selbst war über ein Jahrzehnt lang Generalsekretär NEN]: Aber erst noch mal Schulden machen!
und habe ausgeteilt und hingenommen. Aber ich sage Ih-
Wir sollen dann Ihr Neuschuldenproblem lö-
nen: Das hat alles irgendwo eine Grenze.
sen!)
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das stimmt!)
Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Verantwor-
Ich bin sehr dafür, dass man auch einmal pointiert for- tung ernst. Das, was ich von Ihnen gehört habe, lässt
muliert. Ich bin sehr dafür, dass man in der Sache hart mich aber daran zweifeln, dass Sie diesen Weg mit uns
miteinander umgeht. Aber was ich in den letzten Tagen mitgehen.
an Attacken auf Außenminister Guido Westerwelle er-
lebt habe, ist nicht akzeptabel. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer hat Bettina Hagedorn [SPD]: Und das machen Sie
denn angefangen?) mit Steuersenkungen?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2739

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Es ist ein vernichtendes Urteil, das die Presse und die (C)
Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Scheelen Menschen in Deutschland über Sie gefällt haben.
für die SPD-Fraktion.
Betrachtet man die ersten 140 Tage schwarz-gelbes
Kabinett Merkel, dann stellt man sich die Frage: Was ist
Bernd Scheelen (SPD): in den 140 Tagen passiert? Was haben Sie bisher bewegt?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Was haben Sie auf die Schiene gesetzt? Immerhin sind
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier eine 15 Minister am Werke und etliche Dutzend Staatssekre-
Einladung für den 22. April 2010. An diesem Tag wird täre. Was ist in diesem Hohen Hause in den 140 Tagen he-
dem Kollegen Kauder der Titel des Botschafters des Bie- rausgekommen? Ganze zwei Gesetze. Was für ein Auf-
res 2010 zuerkannt. Es ist eben deutlich geworden, wa- wand für zwei Gesetze! Hinzu kommt, dass das zwei
rum Sie diesen Titel verdient haben, Herr Kollege Gesetze sind, die Sie besser hätten sein lassen. Das wäre
Kauder. für die Republik deutlich besser gewesen;
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD)
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN) denn mit diesen Gesetzen verteilen Sie Steuergeschenke
auf Pump und treiben damit die Schuldenstände auf neue
Das deutsche Bier unterliegt dem Reinheitsgebot. Ich Rekordhöhen.
fände es besser, wenn auch Sie Ihre Reden vorher einem
Reinheitsgebot unterziehen würden; denn ich finde es Gestern hatte Kollege Barthle – er telefoniert gerade –
unverschämt und frech von Ihnen, zu behaupten, die Op- auch noch die Frechheit, sich hier hinzustellen und das
position in ihrer Gänze würde die Kirchen bekämpfen. Ganze als ein Gesamtkunstwerk zu preisen. Er sagte:
Für die SPD-Fraktion weise ich diesen Vorwurf ent- Der Haushalt sei ein Gesamtkunstwerk.
schieden zurück.
(Lachen bei der SPD – Nicolette Kressl [SPD]:
(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ Das war peinlich!)
CSU]: Das hat er gar nicht gesagt! – Volker
Kauder [CDU/CSU]: Ich habe Frau Künast an- Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und im Brock-
gesprochen!) haus nachgeschlagen, was ein Gesamtkunstwerk ist. Da-
rüber gibt es lange Abhandlungen. Ein Beispiel wurde
– Sie haben die Opposition in Gänze angesprochen. Für genannt: Eine politische Utopie könne ein Gesamtkunst-
die SPD-Fraktion habe ich diesen Vorwurf zurückgewie- werk sein. Der Haushalt, den Sie vorlegen, ist keine poli-
sen. Wir wissen um die Bedeutung der Kirchen, aber tische Utopie, sondern eine politische Bankrotterklä-
(B) man wird über Strukturen in Kirchen und weltlichen rung. (D)
Einrichtungen doch wohl noch diskutieren dürfen.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kauder, ich habe volles Verständnis dafür, dass
Sie das Thema Schwarz-Gelb so vehement in den Vor- Sie treiben mit diesem Haushalt nicht nur die Bundes-
dergrund stellen; denn schwarz-gelb ist die Farbkombi- schulden in die Höhe, Sie ruinieren gleichzeitig auch
nation der Giftfässer mit Atommüll. noch die Länderhaushalte und vor allen Dingen die
Kommunalhaushalte. Die Städte und Gemeinden sind
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – in einer schwierigen Situation. Das wird von Dr. Gerd
Lars Lindemann [FDP]: Wissen Sie, dass da- Landsberg – er ist der Hauptgeschäftsführer des Deut-
rauf alles Rot geschrieben wird?) schen Städte- und Gemeindebundes – wie folgt zusam-
Dass Sie damit nicht in einen Topf geworfen werden mengefasst: Die Lage der Kommunen ist nicht schlecht;
wollen, kann ich verstehen, aber Ihr verzweifelter Ver- sie ist katastrophal. Er hat recht. Christian Ude, der
such, schwarz-gelb durch die Formulierung christlich-li- Oberbürgermeister von München, sagt: Unsere Städte
beral zu ersetzen, wird nicht funktionieren. bluten aus. Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main
und Präsidentin des Deutschen Städtetages sagt: Die
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Städte liegen auf der Intensivstation. Das sind Äußerun-
GRÜNEN]: Das stimmt!) gen von wichtigen Kommunalpolitikern, nachdem die
beiden Gesetze von Ihnen mit schwarz-gelber Mehrheit
Es hat sich bei den Menschen festgesetzt: Schwarz-gelb durch den Bundestag gebracht wurden, die dazu führen,
ist mittlerweile ein Etikett für Pleiten, Pech und Pannen. dass den Kommunen in diesem Jahr und auch in den
(Beifall bei der SPD) kommenden Jahren deutlich weniger Geld zur Verfü-
gung steht.
Es geht heute darum, nach 140 Tagen Schwarz-Gelb
Bilanz zu ziehen. Die 100-Tage-Bilanz ist noch nicht so Zum sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
lange her. Deswegen darf ich Ihnen ein Zitat der Leipzi- Die Kanzlerin hat vorhin ausgeführt, dieses Gesetz würde
ger Volkszeitung vortragen, die zur 100-Tage-Bilanz von den Namen zu Recht tragen. Das Gesetz trägt den Namen
Schwarz-Gelb geschrieben hat: Die Bilanz hat „Stärken nicht zu Recht. Das Einzige, was beschleunigt wird, ist
und Schwächen“. Sie führt weiter aus: „Schwarz-Gelb das Wachstum der Schulden. Es ist ein Schuldenwachs-
hat schwach angefangen und dann stark nachgelassen.“ tumsbeschleunigungsgesetz.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
2740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bernd Scheelen
(A) Das sind für die Kommunen jedes Jahr 1,6 Milliarden Rathaus gegeben. 3 500 Euro sind aus der Rathauskasse (C)
Euro an Mindereinnahmen. Wenn man davon ausgeht, gestohlen worden. Jetzt ist auch diese Gemeinde pleite.
dass die Länder ihren Anteil an den Defiziten ebenfalls
(Birgit Homburger [FDP]: Wir waren es
weitergeben, dann sind es 2,5 Milliarden Euro. Dasselbe
nicht!)
gilt für das Gesetz, das Sie zur Entlastung von Unterneh-
men gemacht haben, damit diese ihre Gewinne nun Die Kommunen, meine sehr geehrten Damen und
leichter ins Ausland verlagern können. Hier geht es um Herren, sind das Fundament der Demokratie und nicht
weitere 700 Millionen Euro minus. Das macht unter dem das Kellergeschoss. Wenn das Fundament Risse be-
Strich 2,5 bis 3 Milliarden Euro, die die Kommunen al- kommt, dann bekommt auch das Haus Risse, und die
lein durch Ihre aktuelle Gesetzgebung weniger zur Ver- Menschen, die darin wohnen, bekommen Angst.
fügung haben, und das in einer Situation, in der es den
(Lars Lindemann [FDP]: Mein Gott! Wie ver-
Kommunen eh schlecht geht; denn sie leiden natürlich
zweifelt muss man in Ihrer Fraktion sein!)
wie alle staatlichen Ebenen unter der Finanz- und Wirt-
schaftskrise. Das, was weniger zu Buche schlägt, sorgt Die Bundeskanzlerin hat die Vertreter der kommunalen
dafür, dass aus dem positiven Saldo der Kommunen von Spitzenverbände zu sich ins Kanzleramt gebeten. Nach-
knapp 8 Milliarden Euro in 2008 in diesem Jahr ein De- her war zu lesen, es sei ein anregender Gedankenaus-
fizit von 12 Milliarden Euro wird. Das ist nur zur Hälfte tausch gewesen. Das ist nicht das, was die Kommunen
der wirtschaftlichen Situation geschuldet. Der Rest ist brauchen. Die Kommunen brauchen Hilfe. Sie brauchen
durch Gesetzgebung staatlich verordnet. Daran müssen keine Kaffeekränzchen.
wir arbeiten. Da muss angesetzt werden. Da müssen wir
(Beifall bei der SPD)
den Kommunen Beistand leisten.
Ein letztes Wort zu Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und
(Beifall bei der SPD) zur Gewerbesteuer, die Sie abschaffen wollen. Das ist
Statt 8,5 Milliarden Euro für das sogenannte Wachs- Ihr ganz persönlicher Wortbruch. Sie haben vor dem
tumsbeschleunigungsgesetz auszugeben, hätten Sie bes- Deutschen Städtetag in Bochum und anschließend vor
ser ein Konjunkturpaket III aufgelegt und damit das dem Kongress der deutschen Kommunen Folgendes ge-
fortgesetzt, was wir mit dem Konjunkturpaket II begon- sagt – das darf ich noch eben verlesen –:
nen haben. Geben Sie das Geld den Kommunen. Die le- Das, was ich Ihnen heute zusagen kann, ist, dass
gen es sinnvoll an. Die sorgen für Wachstum vor Ort. wir keinem Druck nachgeben werden, wenn es um
Die sorgen dafür, dass Kindertagesstätten gebaut werden die Frage geht, ob wir an die Gewerbesteuereinnah-
können, dass Schulen und Hochschulen energetisch sa- men herangehen werden.
(B) niert werden können. Da ist das Geld deutlich besser an- Das war in Bochum, am 13. Mai 2009. Am 26. Mai
(D)
gelegt als auf den Konten von Hotelbesitzern und rei-
chen Erben. 2009 haben Sie in Berlin gesagt:

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich habe auf dem Deutschen Städtetag eine Zusage
der LINKEN) gemacht, die wir auch halten werden. Die Gewerbe-
steuer bleibt unangetastet.
Die Geschenke, die Sie verteilen, müssen die Men- Das ist Wortbruch. Über Ihrer Koalitionsvereinbarung
schen in Städten, Gemeinden und Kreisen bezahlen. Das sollte nicht wie im ersten Satz des Johannesevangeliums
ist die große Ungerechtigkeit. Wenn demnächst, in Berg- „Am Anfang war das Wort“, sondern „Am Anfang war
kamen zum Beispiel, die Menschen in ihr Schwimmbad der Wortbruch“ stehen.
gehen, werden sie zwar froh sein, dass sie noch eines ha-
ben, aber sie werden, da die Wassertemperatur deutlich Herzlichen Dank.
abgesenkt ist, hautnah spüren, wie kalt Ihre Politik den (Beifall bei der SPD)
Kommunen gegenüber ist.
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
CSU]: Es soll doch gar nicht geheizt werden! Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich für die CDU/
Wegen Öko!) CSU-Fraktion.
In Oberhausen werden die jungen Menschen verstehen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
was für eine Politik Sie betreiben, wenn die Stadtverwal- der FDP)
tung ihnen sagt: Wir können euch nicht mehr ausbilden.
Das ist uns verboten worden, weil wir pleite sind. – In Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Wuppertal wird das Schauspielhaus sehr wahrscheinlich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
geschlossen. Das Wuppertaler Schauspiel hat Weltruhm Herren! Die christlich-liberale Koalition legt in der
erlangt durch Namen wie Pina Bausch. Der kulturelle schwersten Krise, die die globalisierte Weltwirtschaft
Abstieg in Wuppertal ist Folge Ihrer Politik. bisher mitgemacht hat, einen Haushaltsentwurf vor.
Aber ich habe auch ein positives Beispiel gefunden: Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Men-
In der Gemeinde Güntersleben – das ist eine kleine Ge- schen in diesem Lande machen sich Sorgen, viele um ih-
meinde mit etwa 4 000 Einwohnern in der Nähe von ren Arbeitsplatz, viele um die Zukunft ihrer Kinder. Ich
Würzburg – hat es am Wochenende einen Einbruch ins glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe in diesem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2741
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
(A) Hause, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen der Men- 80 Milliarden Euro Neuverschuldung, das sind im- (C)
schen in unser wirtschaftliches und politisches System merhin 5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes, also
sowie in die Handlungsfähigkeit all derjenigen, die sich all dessen, was in diesem Land produziert wird. Das ist
im politischen Bereich bemühen, erhalten bleibt. Deswe- nicht wenig und vor allem mehr als das,
gen fordere ich Sie von der Opposition auf, persönliche
(Joachim Poß [SPD]: Wir sind doch hier nicht
Diffamierungen gegenüber Mitgliedern der Bundesre-
bei Seehofer!)
gierung zu unterlassen.
was im Stabilitätspakt der Länder, die der Eurozone an-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gehören, vorgesehen ist.
Es besteht kein Zweifel: Wir hatten vor einigen Jah- (Joachim Poß [SPD]: Wir sind hier nicht bei
ren noch die Hoffnung, dass wir im Jahr 2011, vielleicht Seehofer!)
sogar im Jahr 2010, einen ausgeglichenen Haushalt er-
reichen könnten. Wir hatten in der Föderalismuskom- Ein Blick auf unsere internationalen Partner und Freunde
mission – Herr Kollege Poß, die FDP war beteiligt – da- zeigt, dass es den anderen noch schlechter geht: Netto-
mals diese Vorstellung. 2008 wurde durch die Krise neuverschuldung in Frankreich 8,2 Prozent, in Großbri-
alles anders. Alles war Makulatur. Die Zahlen haben tannien 12,9 Prozent und in den USA 13 Prozent – in
nicht mehr gestimmt; denn die Steuereinnahmen sind Deutschland 5 Prozent.
eingebrochen, die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sind
(Ute Kumpf [SPD]: Wir hatten gute Konjunk-
gestiegen, und Konjunkturpakete und Wachstumsbe-
turpakete! – Joachim Poß [SPD]: Ja, Große
schleunigungsgesetze mussten finanziert werden.
Koalition! Konjunkturpakete!)
In dieser Situation stellt sich die Frage nach unseren So schlecht stehen wir also nicht da.
Grundsätzen. Unsere Grundsätze, mit denen wir Politik
gestalten wollen, um das Land aus der Krise zu führen, Die wichtigste Botschaft für die Menschen ist, dass
heißen: Wir wollen das Potenzial unseres Volkes aus- der Arbeitsmarkt stabil bleibt.
schöpfen. Wir wollen das Potenzial unserer Wirtschaft
(Joachim Poß [SPD]: Kurzarbeitergeld!)
nutzen. Wir wollen die Substanz erhalten. Wir wollen
die Menschen dazu ermutigen, gemeinsam anzupacken, Ich möchte an dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank
um aus dieser Krise herauszukommen. an die Tarifpartner richten, die bisher verhandelt haben
und deutlich gemacht haben: Die Sicherung von Be-
Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der eine Balance schäftigung und Arbeitsplätzen steht jetzt an allererster
schafft zwischen einer Entlastung der Bürger – erste Steu- Stelle vor allen anderen Forderungen.
(B) ersenkungen haben wir zu Beginn dieses Jahres durchge- (D)
führt; insgesamt sollen die Bürger fast 25 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Euro mehr in den Taschen haben – und der Möglichkeit neten der FDP und des Abg. Joachim Poß
für öffentliche Investitionen. Auch das ist in diesem [SPD])
Haushalt realisiert worden. Im Übrigen, Herr Kollege
Aber, meine Damen und Herren, die Krise ist nicht
Scheelen, sind wir mit den Kommunen im Gespräch.
vorbei. Eines steht schon heute fest: Wir werden Jahre
Wir haben eine Kommission für eine Gemeindefinanzre-
brauchen, um auf das Produktionsniveau von 2007, also
form eingesetzt, weil wir die schwierige Situation unse-
der Zeit vor der Krise, zurückzukommen. Das RWI hat
rer Kommunen sehen und diese Schwierigkeiten ge-
heute Vormittag die jüngsten Konjunkturprognosen nach
meinsam mit den Kommunen lösen wollen.
unten korrigiert. Es wird nicht einfach werden. Deswe-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen ist es wichtig, dass wir die Leitlinien der christlich-
der FDP – Joachim Poß [SPD]: Da muss man liberalen Politik noch einmal deutlich machen.
helfen und nicht noch verschärfen!) Erstens. Die Kraft dieses Volkes und dieser Wirtschaft
Ich danke den Haushältern dafür, dass sie einen wei- liegt im Mittelstand. Wir unterscheiden uns in dieser
teren wichtigen Schwerpunkt in diesem Haushalt gesetzt Frage von einigen anderen Ländern, zum Beispiel von
haben. Sie haben klargemacht: Wir wollen und werden unseren Freunden in Frankreich, die auf Großstrukturen,
sparen. Vielen Dank den Haushältern für die Arbeit, die auf Großindustrie setzen. Deswegen sind wir sehr skep-
sie in den letzten Wochen oft in nächtelanger Arbeit leis- tisch, wenn es darum geht, eine Wirtschaftsregierung auf
ten mussten! europäischer Ebene zu installieren. Wir sagen: Wir las-
sen uns von europäischer Ebene nicht die Großstruktu-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Aber unterhalb ih- ren der anderen Länder aufdrücken. Wir in Deutschland
rer Möglichkeiten geblieben!) sind seit vielen Jahrzehnten mit unserer Struktur erfolg-
Das hebt sich von den vielen unrealistischen Forderun- reich und brauchen keine Belehrung von anderen.
gen in Milliardenhöhe, die von roter und grüner Seite ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß
stellt werden, wohltuend ab. [SPD]: Auch richtig!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß Ich will die Bundesregierung in ihrer Ablehnung und
[SPD]: So ein Quatsch! Stimmt überhaupt kritischen Haltung gegenüber der EU-Strategie 2020 be-
nicht! – Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind so- stärken, die ebenfalls darauf abzielt, wirtschaftspoliti-
lider als Sie!) sche, finanzpolitische, bildungspolitische und sozialpoli-
2742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)


(A) tische Gleichmacherei in Europa zu betreiben. Unser nämlich so, dass ein Hartz-IV-Empfänger die volle De- (C)
Widerstand dagegen ist sicher, und wir unterstützen die ckung des Bedarfs seines Kindes aus staatlichen Mitteln
Bundesregierung in ihren Bemühungen. bekommt, während derjenige, der arbeiten geht, nur ei-
nen Zuschuss in Form von Kindergeld bekommt.
Die zweite Leitlinie, die für uns von größter Bedeu-
tung ist: Die Menschen haben auch deswegen Vertrauen (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
in diesen Staat und in dieses Land, weil sie Vertrauen in Bundesverfassungsgericht hat doch gesagt,
die Stabilität unserer Währung haben. Das ist die zen- dass das so nicht ist! Was Sie sagen, stimmt
trale Herausforderung, der wir uns stellen: die Stabilität doch gar nicht!)
unserer Währung aufrechtzuerhalten. Denn ein schwa- Meine Damen und Herren, je mehr Kinder in einer
cher Euro hilft nicht, vor allem führt er nicht zu mehr Familie sind, desto weiter entwickelt sich dieser Abstand
Wettbewerbsfähigkeit. beim Einkommen auseinander, und zwar zulasten derje-
Wer auch immer das Märchen erzählt, die Schwäche nigen, die arbeiten, bzw. zugunsten derjenigen, die nicht
des Euro gegenüber dem Dollar sei gar nicht so schlecht, arbeiten.
weil sie zu Konjunkturimpulsen führe, dem sage ich: Ja, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
das ist richtig, aber nur für eine sehr kurze Frist. Auf Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil die
Dauer schadet das der Wettbewerbsfähigkeit, weil nur Löhne zu niedrig sind!)
wenig später Öl und alle anderen Rohstoffe, die wir für
die Produktion brauchen, teurer werden und letzten En- Um aus dieser Situation herauszukommen, gibt es nur
des eine Spirale der Inflation, auch im Innern, in Gang eine einzige Möglichkeit – sie ist heute schon angespro-
gesetzt wird. Diese Inflation zu verhindern und sie schon chen worden –:
im Ansatz zu bekämpfen, das ist für uns das wichtigste (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Min-
Thema. Denn Inflation bedeutet Enteignung unserer destlohn!)
Bürger, und dabei werden wir nicht mitmachen.
Wir müssen mehr Leistungen für alle Kinder, vor al-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lem im Bildungsbereich, zur Verfügung stellen. Wir wol-
Unsere dritte Leitlinie lautet schließlich: Die Sozial- len nicht nur über die Kinder von Hartz-IV-Empfängern
abgaben auf Löhne und Gehälter in diesem Land dürfen reden, sondern wir müssen über alle Kinder reden.
nicht steigen. Wir haben mit dem Sozialversicherungs- (Joachim Poß [SPD]: Machen wir doch!)
Stabilisierungsgesetz in der vorletzten Woche eine wich-
tige Weichenstellung vorgenommen. Ich denke, die Leit- Wir sind es allen Kindern schuldig, optimale Vorausset-
zungen für Bildung zu schaffen.
(B) linien für die nächsten Jahre müssen lauten: keine Erhö- (D)
hung der Sozialabgaben zulasten der Bevölkerung, mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Netto vom Brutto – das lässt sich an genau dieser Stelle
realisieren – und keine Erhöhung der Lohnnebenkosten Dazu gehört, dass die Kinder eine ordentliche Ernäh-
zulasten von Beschäftigung in diesem Land. Es kann rung bekommen, dass sie sich bewegen, dass sie eine
und darf nicht sein, dass in jeder für die Sozialsysteme musikalische Ausbildung angeboten bekommen und
schwierigen Situation Beschäftigung vernichtet und eine dass sie individuell gefördert werden. Wenn wir es
Spirale nach unten, zulasten der Arbeitnehmerinnen und schaffen, an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen Bil-
Arbeitnehmer sowie der Wirtschaft, in Gang gesetzt dungspolitik – in Klammern: Ländersache – und Sozial-
wird. und Gesellschaftspolitik – in Klammern: Aufgabe des
Bundes – ein wichtiges Zeichen zu setzen, indem wir
Die vierte wichtige Leitlinie: Wir bekennen uns zur mehr Geld für unsere Kinder, und zwar für alle Kinder,
sozialen Marktwirtschaft als der Wirtschaftsordnung der zur Verfügung stellen, wird es uns auch gelingen, das
Freiheit. In diesem Zusammenhang ist der Fokus nicht Problem des Lohnabstands bzw. des Abstands zwischen
nur auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu legen, den Sätzen für Kinder aus Hartz-IV-Familien und den
sondern auch auf die soziale Verantwortung. Die Sozial- Zuschüssen für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien zu
staatsdebatte wurde in den letzten Wochen und Monaten verringern. Mir scheint, das ist ein entscheidender Punkt,
eröffnet, nicht zuletzt auch durch das Urteil des Bundes- über den wir in den nächsten Monaten diskutieren müs-
verfassungsgerichts zu Hartz IV. sen.
Wir haben aufgrund dieses Urteils ein Problem, das Meine Damen und Herren, wenn Sie gestern einen
uns immer wieder, auch in der Sozialstaatsdebatte, be- Blick in die Zeitungen geworfen haben, mussten Sie ver-
gegnet. Ich hoffe, dass sich alle Fraktionen dieses Hau- muten, sich in einer verkehrten Welt zu befinden:
ses einig sind, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben Deutschland wird beschuldigt, an der Schuldenkrise in
muss als derjenige, der nicht arbeitet; ich hoffe, dass we- Europa schuld zu sein, weil die Deutschen mehr arbei-
nigstens in diesem Punkt Konsens besteht. ten, fleißiger sind, weniger ausgeben, mehr sparen.
(Joachim Poß [SPD]: Eine Banalität! – (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo
Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben Sie denn das gelesen? – Joachim Poß
NEN]: Das ist schon heute Gesetz!) [SPD]: Kein Anlass zu Chauvinismus!)
Wenn das so selbstverständlich ist, sehen wir an dieser Europa insgesamt wird nicht wettbewerbsfähiger, Eu-
Stelle ein großes Dilemma, in dem wir stehen. Es ist ropa insgesamt steht nicht besser da, wenn den Stärks-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2743
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
(A) ten, nämlich den Deutschen, verordnet wird: Ihr dürft Die SPD-Fraktion hat sich überlegt, wie man von der (C)
nicht mehr fleißig sein, ihr dürft nicht mehr sparsam Bundesebene Kommunen unterstützen kann. Ich habe
sein. Deswegen rufen wir den Europäern zu, dass wir die im Haushaltsausschuss den Antrag gestellt, die Mittel
Linie, die wir in Deutschland fahren, unsere erfolgreiche für die Kulturstiftung des Bundes um 2 Millionen Euro
Politik, auch in dieser Frage fortsetzen werden. zu erhöhen, um kleine Projekte in der Fläche zu organi-
sieren. Dadurch würden die Kommunen unterstützt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Diese Chance wurde vertan, weil die Regierungsfraktio-
neten der FDP) nen, Schwarz-Gelb, Nein gesagt haben. Das ist schade;
denn das wäre ein Ansatz gewesen, wie wir ein wenig
Lassen Sie mich ein letztes Wort zu all denen sagen,
hätten unterstützen können.
die auf schamlose Weise in den Wohlstand der Men-
schen in ganz Europa hineingegriffen haben, nämlich zu Einige der Ideen, die die schwarz-gelbe Koalition ein-
den Finanzspekulanten an den Märkten. gebracht hat, haben wir zum Teil unterstützt. Die Ideen
sind da; allerdings fehlen häufig entsprechende Konzep-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tionen. Ich will das Zeitzeugenbüro und die Begeg-
nungsstätte der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
SED-Diktatur, ein Projekt von 600 000 Euro, anspre-
chen. Das ist eine gute Idee; aber das Konzept muss
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): nachgeliefert werden. Hier wäre eine Sperre angebracht
Ich komme zum Ende. – Wir werden uns von den Lob- gewesen, wie sie in einem anderen Haushalt – bei Arbeit
byisten der Finanzbranche – europa- und weltweit – und Soziales – verhängt worden ist. Hier ist wegen der
nicht in die Knie zwingen lassen. schwarz-gelben Politikerinnen und Politiker eine solche
Sperre gar nicht erst eingerichtet worden. Wir brauchen
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann aber, wie gesagt, ein Konzept für dieses Projekt, bevor
müsst ihr etwas mehr tun!) Geld fließt.
Wir sagen den Lobbyisten: Wir werden all denen Fesseln Ebenso ist es bei der kulturellen Vermittlung: Der
anlegen, die in der Vergangenheit zulasten der Bevölke- Ansatz ist gut; aber es fehlt auch hier ein klares Konzept.
rung in Europa und in der Welt geaast haben. Notfalls Das ist schade; denn das hätten wir gut hinbekommen
werden wir auch nicht davor zurückschrecken, die soge- können.
nannten innovativen Produkte, die letzten Endes nur zur
Spekulation und zum Zocken dienen, Ich will zu einem Punkt kommen, der uns von der Op-
position geärgert hat. Nicht nur mich, sondern auch
(Joachim Poß [SPD]: Ja!) Staatsminister Neumann hat der Vorstoß seiner Partei- (D)
(B)
oder Parlamentskollegen überrascht, ja, überfahren, die
zu verbieten. Mittel für die Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH,
(Joachim Poß [SPD]: Sie sind doch nicht einer roc, zu kürzen. Das haben wir durch eine vereinte Ak-
Meinung mit der FDP! Was sagt denn Herr tion im Ausschuss verhindern können. Es war schließ-
Westerwelle dazu? – Dr. Axel Troost [DIE lich gerade ein gutes Verhandlungsergebnis mit einer
LINKE]: Wir werden Sie an Ihren Taten mes- leichten Erhöhung der Mittel für die roc erreicht worden.
sen!) Dadurch konnte etwas befriedet werden, was jahrelang
schwierig war. Da rumst es jetzt. Wir waren alle ziem-
Meine Damen und Herren, diese Regierung sieht die lich unglücklich, auch Staatsminister Neumann. We-
großen Herausforderungen, und sie packt diese Heraus- nigstens konnten wir verhindern, dass die schwarz-gelbe
forderungen an. Der Haushalt, der vorgelegt wurde, be- Koalition die Mittel kürzt. Stattdessen ist erst einmal
weist das. eine Sperre verhängt worden. Jetzt sind Sie an der Reihe,
Herr Staatsminister. Sie müssen klarstellen, wie es mit
Vielen Dank. der roc weitergehen soll. Sie müssen klarstellen, ob die
Existenz der Orchester aufs Spiel gesetzt werden soll
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
und die Chöre den Bach heruntergehen sollen. Ich sage
neten der FDP)
Ihnen: Das wäre ein Armutszeugnis. Viele haben mir zu-
gestimmt.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Petra Merkel für die SPD-Fraktion. Ja, die roc ist eine ungewöhnliche Konstruktion, si-
cherlich auch dem Mauerfall geschuldet. Sie ist ein Teil
(Beifall bei der SPD) der Geschichte dieser Stadt und dieses Landes. Aller-
dings sind Veränderungen nicht tabu; das haben wir auch
in vorherigen Zeiten immer gesagt. Ich finde aber, es
Petra Merkel (Berlin) (SPD):
muss jetzt politisch klargestellt werden, was passieren
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! soll. Deswegen erwarte ich von Ihnen, Herr Staatsminis-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist nicht alles; ter Neumann, dass Sie sich vehement gegen die unsinni-
aber ohne Kultur ist alles nichts – das merken im Augen- gen Pläne stellen, mit der die vier Klangkörper in ihrer
blick viele Kommunen, deren Steuereinnahmen dras- Existenz gefährdet werden. Dabei haben Sie unsere Un-
tisch zurückgehen. Wir aus dem Kulturbereich haben terstützung.
den Eindruck, dass in erster Linie sofort an der Kultur
gespart wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
2744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Petra Merkel (Berlin)


(A) Ich komme zu einem anderen Thema. Ein großes Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
Potenzial in der Bundesrepublik hat der Bereich der Das Wort hat nun Wolfgang Börnsen für die CDU/
Filmförderung. Immerhin umfasst dieser Bereich über CSU-Fraktion.
100 Millionen Euro. Die Filmförderung hat viele Im-
pulse gesetzt. Es wird immer deutlicher, dass viele wich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
tige internationale und nationale Produktionen und Ko- der FDP)
produktionen in Deutschland entstehen. Dadurch werden
Arbeitsplätze geschaffen und Impulse gesetzt. Es trans- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):
portiert auch ein positives Bild von Deutschland nach Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
außen. Nach Ihrer Rede, Frau Merkel, glaube ich schon, dass
wir diese Dinge gemeinsam voranbringen. Kultur schafft
Die Berlinale zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass Gla-
Lebensfreude. Sie ist sinnerfüllend. Kultur brauchen wir.
mour in der Hauptstadt Berlin eine Sogwirkung hat, aber
Auch in dieser Legislaturperiode gehören Kultur und
nicht nur für die Stadt, sondern auch für die Bundesrepu-
Medien weiter zum Etat des Bundeskanzleramtes. Sie
blik insgesamt; denn der rote Teppich, auf dem sich die
sind damit Chefsache. So sollte es bleiben.
Schauspielerinnen und Schauspieler, die Producer, die
Regisseure und die Drehbuchautoren bewegen, die Sto- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
rys, die die Illustrierten schreiben, sind eben nur ein Teil.
Die Filmförderung bedeutet auch Arbeitsplätze für Weniger Wachstum, weniger Steuern und weniger
Deutschland. Die Filmwirtschaft ist ein großer wichtiger freie öffentliche Mittel bedeuten auch für die Kultur
Teil der Kreativwirtschaft und ständig im Wachsen be- neue Herausforderungen. Nicht Klagen helfen, sondern
griffen. Die Mittel hierfür sind gut angelegtes Geld. neue Konzepte! Die Finanznot ist besonders bei den
Städten und Gemeinden dramatisch groß. Die von der
Wir haben auch einen neuen Schwerpunkt unterstützt. Bundesregierung jetzt beschlossene Gemeindefinanz-
Er betrifft viele von uns, auch Sie, liebe Kolleginnen und kommission will eine grundlegende Verbesserung der
Kollegen: In den Wahlkreisen gibt es viele kleine Kinos. kommunalen Haushalte erreichen. Das hilft der Daseins-
Ihnen steht die Digitalisierung ins Haus. Sie können sie vorsorge vor Ort und gewährt gleichzeitig Mittel für
aber nicht umsetzen, weil dafür einfach die Mittel feh- Kultur und Bildung. Diese Regierungsentscheidung ver-
len. Es ist gelungen, für dieses Jahr 4 Millionen Euro dient die Unterstützung des gesamten Parlamentes, weil
und noch einmal 2,5 Millionen Euro für die beiden sie Investitionen für die Kultur ebenso gewährleistet wie
nächsten Jahre einzustellen. Wir hätten uns zwar 7 Mil- Arbeitsplatzsicherheit für Kulturschaffende.
lionen Euro gewünscht, aber sei es drum. Richtig ist: Es
wird mit der Digitalisierung begonnen werden können. Mit dem Wissen um diese Reformperspektive appel-
(B) liere ich an alle Verantwortlichen von Flensburg bis (D)
Allerdings fehlt auch dort ein Konzept. Dazu brau- Konstanz, bei der Kultur jetzt nicht zu kürzen. Wer nicht
chen wir den Bund. In dem entsprechenden Haushalt will, dass aus der wirtschaftlichen eine gesellschaftliche
sind dafür die Mittel eingestellt. Hinzu müssen ein Bei- Krise wird, der muss das Gegenteil tun, nämlich die Kul-
trag der Länder und ein Beitrag der Branche kommen. tur jetzt stärken.
Das würde die kleinen Kinos wirklich unterstützen. Kino-
ketten können die Digitalisierung alleine finanzieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Kleine Kinos, Programmkinos brauchen hier unsere Un- der FDP)
terstützung. In einer Epoche zunehmender Globalisierung wird durch
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sie Orientierung für den Menschen und ein Zusammen-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) halt unserer Bürgergesellschaft gestiftet.

Herr Staatsminister, ich möchte Sie bitten, den Wirt- Seit der Schaffung des Grundgesetzes vor 60 Jahren
schaftsminister davon zu überzeugen, dass er Fördergel- nach einer menschenverachtenden NS-Diktatur prakti-
der aus seinem Etat bereitstellt. Das wäre eine wahre zieren wir in Deutschland-West ein Kulturverständnis
Mittelstandsförderung und wäre in dieser gemeinsamen mit den Elementen Freiheit, Vitalität und Vielfalt. Seit
Konstellation eine sinnvolle Aktion. jetzt 20 Jahren gilt diese Ausrichtung auch für Deutsch-
land-Ost. In den 40 Jahren DDR war es anders. Da galt
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Weisung Otto Grotewohls, der auf den Tag genau vor
59 Jahren, am 17. März 1951, erklärte:
Die Fraktion der SPD wird in Kürze einen Antrag in die-
ser Richtung vorlegen. Literatur und bildende Künste sind der Politik
untergeordnet … Die Idee der Kunst muss der
Zum Schluss möchte ich für eine gute konstruktive Marschrichtung des politischen Kampfes folgen.
Zusammenarbeit ganz herzlichen Dank sagen. Bei uns
allen gibt es unterschiedliche Ansätze, aber im Kulturbe- Diese Art von Bevormundung gibt es nicht mehr, und sie
reich funktioniert die Zusammenarbeit in der Regel noch darf es in Zukunft auch nicht mehr geben.
immer gut.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herzlichen Dank.
Die letzten fünf Jahre waren mit die besten Kultur-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten jahre für Deutschland. Daran haben alle Fraktionen ihren
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Anteil. Fast 6 Milliarden Euro sind durch den Bund ini-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2745
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
(A) tiiert worden. Allein 2010 werden es 1,2 Milliarden Euro Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): (C)
sein. So hoch war der Etat noch nie. Das bedeutet eine Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Steigerung in fünf Jahren um über 12 Prozent und ist Lieber Herr Kollege Börnsen, ja, das ist weiß Gott die
eine Erfolgsgeschichte, an der einer unserer Kollegen ei- Parole der Stunde: die Kultur jetzt stärken. – Wie sieht
nen besonders hohen Anteil hat, nämlich Staatsminister aber die Umsetzung dieser Parole in der Wirklichkeit un-
Bernd Neumann, ein Christdemokrat. seres Landes im Moment eigentlich aus?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wegsehen und Weghören: Das sind Haltungen, durch
neten der FDP – Wolfgang Wieland [BÜND- die einer demokratischen Gesellschaft ein schwerer
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass er es dazu- Schaden zugefügt wird. Auf Regierungsebene und auf
sagt!) nationaler Ebene wird in Sachen Kultur im Moment aber
weggesehen und weggehört, und das, obwohl uns jeden
Doch auch Kürzungen hat der Haushaltsausschuss Tag neue Hilferufe aus den Kommunen erreichen: Re-
vorgenommen, so unter anderem bei der Kulturstiftung korddefizite, Schulden, Sparpläne und die Folgen für die
und bei der Deutschen Welle – mit Skepsis in Bezug auf Kultur. Vorgestern ging es um die Theaterschließungen
deren Ausgabenpolitik. So geht das nicht. Im Fachaus- im Ruhrgebiet, gestern um das Verschwinden kleiner Bi-
schuss müssen wir uns damit dringend auseinanderset- bliotheken und heute um Museen, die ihre Öffnungszei-
zen. ten verkürzen müssen.

Bei der Kulturförderung durch private Hände liegt Was macht die Regierung? Die Regierung hat eine
Deutschland gemeinsam mit der Schweiz an der Spitze. Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neu-
Allein Unternehmen bei uns geben jährlich 350 Millionen ordnung der Gemeindefinanzierung eingesetzt – der
Euro für das Kultursponsoring aus. Die christlichen Kir- Kollege Börnsen hat sie uns gerade in warmen Worten
chen sind mit 3 Milliarden Euro dabei, und 16 000 Stif- geschildert –: die Gemeindefinanzkommission. Was
tungen sorgen mit Fördergeldern in Höhe von 4 Milliar- wird dieser Kommission von vornherein aufgetragen?
den Euro auch für die Kultur. Das sind Beiträge, die Ihre Aufgabe ist es,
Ausdruck eines vorbildlichen Bürgerengagements sind. … darauf zu achten, Aufkommens- und Lastenver-
Wir sollten das im besten Sinne unterstützen. schiebungen insbesondere zwischen dem Bund auf
der einen und Ländern und Kommunen auf der an-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie deren Seite zu vermeiden.
des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]) Das heißt aber, dass alles bleibt, wie es ist. Es wird also
(B) weggesehen und weggehört. Wer die Finanzgrundlagen (D)
Erfolgversprechend ist auch die Kultur- und Kreativ- der Kommunen prinzipiell verändern will – das wollen
wirtschaft, die mit 830 000 Arbeitsplätzen ein Arbeits- zum Beispiel wir von der Linksfraktion –,
und Wachstumsmotor ersten Ranges ist. Wir werden ihr
weiter eine Zukunft geben. (Beifall bei der LINKEN)
darf auf die Ergebnisse dieser Gemeindekommission
Das gilt auch für die Breitenkultur. Wir als Union
nicht warten und muss einen anderen Weg einschlagen.
wollen Kultur für alle und Kultur von allen gefördert
Für wen die Kultur in einem umfassenden Sinn zur
wissen. Hoch-, Breiten- und Soziokultur: Alle drei ha-
Daseinsvorsorge gehört – dazu gehören wir auch –, darf
ben einen Anspruch auf Anerkennung und Förderung.
erst recht nicht auf diese Kommission setzen. Wer jetzt
Die Kultur gibt es nicht nur in den großen Häusern. nicht wegsehen und weghören will, muss etwas anderes
Auch alle nicht professionellen Initiativen – Kultur auf tun und jetzt helfen.
dem Lande, die kulturelle Bildung – dürfen nicht zu kurz (Beifall bei der LINKEN)
kommen. Sie alle sind im Kulturhaushalt berücksichtigt;
er ist entsprechend ausgerichtet. So muss es auch blei- Im Art. 104 b des Grundgesetzes heißt es, der Bund
ben. kann … im Falle von Naturkatastrophen oder au-
Wir sind in Europa mit Gesamtausgaben von 12 Mil- ßergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kon-
liarden Euro an der Spitze bei den Investitionen in die trolle des Staates entziehen und die staatliche
Kultur. Das ist ein Wort. Wir sind ein Kulturland, und Finanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohne
wir wollen das auch in Zukunft bleiben. Gesetzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren.
Von dieser außergewöhnlichen Notsituation ausgehend
Herzlichen Dank. fordert die Fraktion Die Linke ein Sofortprogramm des
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bundes in Höhe von 1 Milliarde Euro für den Erhalt un-
serer kulturellen Infrastruktur.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der LINKEN)


Jetzt hat Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Frak- Allen Kritikern halte ich entgegen: Wenn Sie diesen
tion Die Linke das Wort. Weg für nicht gangbar halten, dann machen Sie etwas
Besseres. Aber machen Sie etwas! Sagen Sie nicht im-
(Beifall bei der LINKEN) mer nur, was Sie nicht können, sondern fangen Sie end-
2746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) lich an, mit Ländern und Kommunen darüber zu verhan- Wer die Axt an die Wurzeln der Kultur anlegt, riskiert (C)
deln, was möglich ist. Irgendetwas muss schließlich dauerhafte Schäden für unsere gesellschaftliche und
möglich sein. Denn wir müssen aus dieser Situation he- wirtschaftliche Entwicklung. Ich bin deshalb froh, dass
rauskommen. Speisen Sie die Bürgerinnen und Bürger, es der Koalition gelungen ist, einen soliden und verläss-
die um ihre Theater, Museen, Büchereien, Mal- und Mu- lichen Bundeskulturetat vorzulegen.
sikschulen kämpfen, nicht einfach mit Hinweisen auf in-
vestive Maßnahmen ab. Neue Theater und neue Museen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sind schön, aber lebendige Kultur sind sie nur dann, der CDU/CSU)
wenn Menschen in ihnen Kultur für Alt und Jung, für Der Etat des BKM steigt in diesem Jahr noch einmal
Arm und Reich schaffen können. Dies zu gewährleisten, deutlich, und das, obwohl wir uns in einer der stärksten
verlangt wirkliche Investition. Wirtschaftskrisen befinden, die unser Land in den letzten
(Beifall bei der LINKEN) 60 Jahren bewältigen musste.
Die Linksfraktion fordert eine grundlegend verän- Dieser Etat ist ein starkes Signal an die Kulturschaf-
derte Finanzierung unserer ausgeraubten Kommunen. fenden sowie an alle Bürgerinnen und Bürger. Auch in
Wir brauchen außerdem Überlegungen dazu, was eigent- Zeiten knapper Kassen erweist sich der Bund als verläss-
lich zu den Pflichtaufgaben und zu den freiwilligen licher Partner. Kulturförderung hat für uns Liberale
Aufgaben einer Kommune gehört. Wieso gehören höchste Priorität.
Bibliotheken nicht zu den Pflichtaufgaben einer Kom- (Beifall bei der FDP)
mune? Diese Frage konnte mir noch nie jemand wirklich
beantworten. Aus diesem Grund sind wir besonders stolz, dass es uns
quasi in letzter Minute gelungen ist, zusätzlich rund
(Beifall bei der LINKEN)
5 Millionen Euro bereitzustellen. Damit wächst der Kul-
Wir plädieren an dieser Stelle im Übrigen für mehr di- turetat gegenüber dem Vorjahr um insgesamt 22 Millio-
rekte Demokratie und wirkliche Selbstverwaltung in nen Euro. Das entspricht einer Steigerung von 2 Prozent.
den Kommunen. Durch Bürgerbefragung und Bürgerbe-
teiligung sollen Bürger mitentscheiden können, was im Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsver-
Dorf, in der Kleinstadt oder im Stadtteil gebraucht wird. trag haben Union und FDP die Aufarbeitung der SED-
Überall vor Ort mehren sich die Proteste gegen den Kul- Diktatur zu einem Aufgabenschwerpunkt der 17. Wahl-
turabbau. Überall erkennen die Menschen – gerade in Zei- periode gemacht. Gerade im 20. Jubiläumsjahr der fried-
ten des derzeit drohenden Verlusts –, wie wichtig Kultur lichen Revolution und des Mauerfalls dürfen die Folgen
für sie und ihre Kinder ist. Es waren verschiedene Bun- der SED-Diktatur nicht verharmlost oder vergessen wer-
den.
(B) desregierungen, die die Kommunen in diese Not ge- (D)
bracht haben. Insofern ist nun der Bund in der Verant- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wortung. Er darf die Kultur insgesamt nicht durch der CDU/CSU)
einfaches Wegsehen und Weghören beliebig zur Disposi-
tion stellen. Mit der Einrichtung eines Zeitzeugenbüros und einer
Begegnungsstätte zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur
Danke schön. setzt die Koalition diese Vorgabe gleich mit dem ersten
(Beifall bei der LINKEN) Haushalt dieser Legislaturperiode um.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
In beiden Einrichtungen investieren wir 600 000 Euro.
Das Wort hat nun Reiner Deutschmann für die FDP-
Fraktion. Das ist gut angelegtes Geld. Gerade für junge Leute ist
es wichtig, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen.
(Beifall bei der FDP) Das ist effizienter als vier Wochen Geschichtsunterricht
im Klassenzimmer.
Reiner Deutschmann (FDP): Auch die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefäng-
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten nis in Berlin-Hohenschönhausen erhält in diesem Jahr
Damen und Herren! Altbundespräsident Richard von eine höhere Zuwendung, um ihre hervorragende Arbeit
Weizsäcker hat über die Kultur gesagt: noch besser fortführen zu können.
Unsere Kultur ist gewachsen wie ein kräftiger, viel- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
gestaltiger Mischwald. Er leistet seinen Beitrag zur der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang
lebensnotwendigen Frischluft. Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Damit spricht er aus, was für uns alle eigentlich selbst- „Kein Geschichtsbuch der Welt hätte uns so viel zeigen
verständlich sein sollte. Leider muss aber gerade die können wie Sie in diesen zwei Stunden“, schreiben
Kultur immer wieder um ihre Finanzierungsgrundlagen Schüler aus Baden-Württemberg. Die Mitarbeiter der
kämpfen. Sie muss gestärkt werden. Deshalb sollte die Gedenkstätte beweisen seit Jahren, wie Öffentlichkeits-
Kultur zur Pflichtaufgabe der Länder und Kommu-
arbeit erfolgreich betrieben werden kann. Ehemalige
nen werden, wie es in Sachsen der Fall ist.
Häftlinge führen die Besucher durch die Gedenkstätte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dieser Kontakt am Originalschauplatz lässt die Besucher
der CDU/CSU) nicht kalt. Die Förderung solcher Einrichtungen wie der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2747
Reiner Deutschmann
(A) in Hohenschönhausen ist ein wichtiger Punkt, um etwas (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C)
gegen gefährliches Halbwissen und Ostalgiewellen zu der CDU/CSU)
tun.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
der CDU/CSU) Das Wort hat nun Tabea Rößner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere
Denkmäler brauchen unsere Unterstützung. Trotz gro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ßer Anstrengungen von Kommunen, Ländern und Bund
sind viele bauliche Zeugnisse der Geschichte vom Ver- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
fall bedroht. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da
dass die Mittel für die Restaurierung von unbeweglichen wir hier die ganze Woche über Zahlen diskutieren, habe
Kulturdenkmälern von nationaler Bedeutung um auch ich eine mitgebracht: 15. 15 Pressemitteilungen ha-
3 Millionen Euro auf 17,3 Millionen Euro erhöht wer- ben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP gestern ver-
den. Damit leistet der Bund einen wichtigen Beitrag zur sandt. Insgesamt 2 054 waren es im vergangenen Jahr.
Sanierung und Substanzerhaltung von Baudenkmälern Offensichtlich haben Sie ein großes Vertrauen in die Me-
wie auch von historischen Parks und Gärten. dien und darin, dass diese Ihre Botschaften an die Bürge-
rinnen und Bürger weitertragen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/
CSU und der SPD) (Zuruf von der FDP: Ja!)
Gerade kleine und finanzschwache Kommunen können Umso erstaunlicher ist es, dass Ihnen die Medien jenseits
durch diese Mittel das eine oder andere Kleinod vor dem Ihrer Pressearbeit so wenige Anstrengungen wert sind.
völligen Verfall retten. Aufgrund der nationalen Bedeu- Die Heimat all Ihrer Pressemitteilungen ist in Not, und
tung unterstützt die Koalition auch den Wiederaufbau Sie schauen tatenlos zu.
des Kölner Stadtarchivs mit 1 Million Euro. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir brauchen aber ein breites Angebot an unabhän-
der CDU/CSU) gigen Medien; denn dies ist ein wesentlicher Grundpfei-
Ebenso liegt uns die freie Theaterszene sehr am Her- ler unserer Demokratie. Wir Grüne wollen mündige Bür-
zen. Freie Theater setzen neue Maßstäbe und halten mit gerinnen und Bürger, die teilhaben können an dieser
Demokratie.
(B) ihrer Experimentierfreude den kulturellen Nährboden (D)
fruchtbar. Sie sind ein besonderer Hort kreativer Kraft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und nutzen die Sprache jüngerer Menschen, die wir ge-
rade im Rahmen der kulturellen Bildung für Kunst und Auch deshalb brauchen wir einen leichten Zugang zu In-
Kultur interessieren wollen. Diese Theater haben aber formationen, ohne Einschränkungen oder Barrieren, on-
gewöhnlich eine äußerst dünne Finanzdecke und werden line wie offline. Der schnelle Zugang oder überhaupt ein
hauptsächlich von ehrenamtlichem Engagement getra- Zugang zum Internet fehlt aber in ganzen Landstri-
gen. chen. Wenn Sie, Herr Brüderle, die Verlegung moderner
Kabelleitungen feiern, bringt das nur wenig, wenn die
Allein in Niedersachsen bieten die freien Theater Leitungen nicht bis an die Häuser reichen. Das ist dann
etwa viermal so viele Aufführungen für Kinder und Ju- so wie eine ICE-Strecke ohne Bahnhöfe: Man kann nicht
gendliche pro Jahr an wie die Stadt- und Staatstheater und zusteigen und verpasst den Anschluss.
erreichen doppelt so viele Zuschauer. Deswegen ist es nur
konsequent, wenn der Bundesverband Freier Theater (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
erstmalig Gelder für seine Arbeit erhält. Ein weiteres zentrales Anliegen muss uns die
Medienkompetenz sein. Da müssen wir bei Kindern
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
und Jugendlichen anfangen. Zwar finden sich über den
der CDU/CSU)
Haushalt verteilt einige Projekte zur Medienkompetenz,
Auch die uns sehr wichtige Initiative Kultur- und Krea- die gefördert werden. Aber das sind zumeist nur große
tivwirtschaft erhält einen höheren Zuschuss. Deutsch- Vorzeigeprojekte. Das ist uns zu wenig. Wo bleibt die
land begreift sich als Kulturnation. Auch im Ausland Förderung von kleinen Initiativen, die Kindern, Jugend-
werden wir gerade wegen unserer Kulturdichte ge- lichen und Erwachsenen die digitale Welt erklären? Wir
schätzt. Jeder in die Kultur investierte Euro zahlt sich haben verstärkte Maßnahmen unter einem solchen
auf anderen Ebenen doppelt und dreifach aus. Unser Haushaltstitel gefordert, aber ohne Erfolg. Obwohl der
christlich-liberaler Kulturhaushalt trägt dieser Tatsache Medienbereich sowieso schon mit einem sehr schmalen
Rechnung. Budget ausgestattet ist, wird ausgerechnet hier noch wei-
ter gespart.
Ich danke insbesondere Herrn Staatsminister
Neumann und allen, die positiv an diesem Haushalt mit- Kreativität fehlt Ihnen auch bei der Lösung der Pres-
gewirkt haben. sekrise. Die Verlegerlobby hat Ihnen das Leistungs-
schutzrecht in den Koalitionsvertrag diktiert. Doch wie
Vielen Dank. es aussehen soll, weiß keiner so genau. Offenbar wissen
2748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Tabea Rößner
(A) Sie nicht einmal, sehr geehrte Damen und Herren von Nun hat Kollege Siegmund Ehrmann als letzter Red- (C)
der Koalition, ob Sie es denn überhaupt noch wollen. ner in dieser Debatte das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Selbst wenn es diesen Verlegerschutz geben sollte, wird Siegmund Ehrmann (SPD):
er die Presse nicht retten. Nicht ein Tropfen und auch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
nicht ein Tröpfchen, sondern höchstens ein Nanotröpf- der Tat gibt es im Bereich der Kultur- und Medienpolitik
chen auf den heißen Stein wäre das. Die Presse stirbt, zwischen den Fraktionen große Schnittmengen. So be-
und Sie schauen zu. grüßen wir ausdrücklich, dass sich eine Enquete-Kom-
mission – deren Einrichtung haben wir mitgetragen –,
Unsere Demokratie braucht starke, unabhängige Me- mit Fragen des Internets und der digitalen Welt aus-
dien. Sie informieren, sie kritisieren, und sie tragen zur einandersetzen wird. Nun kann man sicherlich noch ei-
gesellschaftlichen Debatte bei. Unabhängige Medien nige Zeit auf Handlungsempfehlungen warten. Es gibt
sind kein Luxus, den wir uns leisten. Sie sind geistiges aber schon heute in einigen Punkten insbesondere kul-
und gesellschaftliches Grundnahrungsmittel. Ihre Glaub- turpolitische Herausforderungen, zum Beispiel wie die
würdigkeit ist das Fundament, auf das sie bauen. Dieses kulturelle Vielfalt im Internet und der freie Zugang zu
Fundament dürfen wir nicht unterhöhlen, wie es im Fall den Informationen gesichert werden können.
Brender beim ZDF geschehen ist.
Eine Antwort, die wir im Bereich der Kulturpolitik
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geben, ist die Deutsche Digitale Bibliothek. Obwohl
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ende des Jahres ein Verwaltungsabkommen zwischen
Mit dieser Personalentscheidung wurde offensichtlich, dem Bund und den Ländern abgeschlossen wurde, wo-
dass der Staat hier auch auf das Programm zugreift. Das nach bis zum Jahr 2013 erhebliche Mittel, etwa 10 Mil-
aber widerspricht der Rundfunkfreiheit, die im Grundge- lionen Euro, dort eingebracht werden sollen, habe ich er-
setz verankert ist, fundamental. hebliche Kritik an den Strukturen, in denen dieser
Prozess abläuft. Es gibt keine eindeutig geklärten Ver-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ antwortlichkeiten, es gibt keine klare Steuerung dieses
DIE GRÜNEN) Prozesses, es gibt kein Konzept, in dem Prioritäten oder
Was haben Ministerpräsidenten, Staatssekretäre und Ver- Finanzierungsbedarfe dargestellt worden sind. Das ist
treter der Bundesregierung im Fernsehrat des ZDF zu ein erheblicher Mangel. Nun mag man wie die Linken
suchen? Ich meine: nichts. beantragen, zusätzliches Geld dort hineinzupumpen,
(B) aber Voraussetzung für uns ist, dass wir zunächst die (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ziele und die Schwerpunkte eindeutig definieren.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Herr Neumann, wenn Sie schon als Regierungsvertreter
Mitglied im Verwaltungsrat sind, dann schauen Sie nicht Deshalb fordern wir, dass die Gremien klare Verant-
tatenlos zu, wenn ein unabhängiger Journalist gegangen wortungsstrukturen erhalten und ein nationaler Digitali-
wird. sierungsrat eingerichtet wird, der eine steuernde Funk-
tion und die Aufgabe haben muss, eine nationale
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Digitalisierungsstrategie zu entwickeln.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das zweite Thema ist hier schon von anderen ange-
Auch wenn der Rundfunk Ländersache ist, stehen wir sprochen worden. Ich will auf die kommunale Finanz-
Bundestagsabgeordnete hier in der Pflicht, und zwar in krise und insbesondere auf deren Auswirkungen auf die
der Pflicht, die Verfassung zu wahren. Wir haben die Kulturpolitik eingehen. Der Bund trägt etwa 10 Prozent
Möglichkeit, einen Normenkontrollantrag zu stellen. der öffentlichen Kulturausgaben, die Länder tragen ge-
Wir Grüne wollen, dass der ZDF-Staatsvertrag durch meinsam mit den Kommunen 90 Prozent. In Nordrhein-
das Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Jeder von Westfalen tragen die Kommunen aus traditionellen
Ihnen kann sich diesem Antrag anschließen und zeigen, Gründen allein 80 Prozent der Ausgaben. Insofern sind
dass ihm die Unabhängigkeit der Medien etwas wert ist. die Auswirkungen der abenteuerlichen Steuerpolitik ne-
Ich lade Sie alle ein, den Antrag zu unterschreiben. So ben den ohnehin zu bewältigenden Auswirkungen der
senden wir gemeinsam ein starkes Signal nach draußen, Finanzkrise gerade für die Kommunen in Nordrhein-
für einen starken und für einen unabhängigen Rundfunk. Westfalen, aber nicht nur dort, gravierend.
Vielen Dank. Was kann der Bund tun? Wir haben den Antrag ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt – eine schmale Idee, die aber immerhin gute Ef-
fekte hat –, die Bundeskulturstiftung mit mehr Mitteln
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: auszustatten. Darüber ist berichtet worden. Ein weiterer
Punkt ist – das ist ein Ansatz vorausschauender und ge-
Frau Kollegin Rößner, das war Ihre erste Rede im
staltender Kulturpolitik –, Erfahrungen, die wir mit der
Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und
öffentlichen Kulturförderung durch den Bund in Ost-
alle guten Wünsche für die weitere Arbeit!
deutschland gemacht haben, auf Westdeutschland zu
(Beifall) übertragen. Im Osten unseres Landes haben wir mit dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2749
Siegmund Ehrmann
(A) Blaubuch ein Instrument, mit dem wir gemeinsam mit Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, (C)
allen Akteuren die Projekte von nationaler Bedeutung Platz zu nehmen, damit wir uns auf die weiteren Bera-
identifiziert haben. Muss denn erst in Köln das Stadtar- tungen konzentrieren können. Ich bitte Sie, die Gesprä-
chiv zusammenbrechen, damit wir erkennen, dass dieses che einzustellen oder sie vor dem Saal zu führen.
Archiv in Köln ebenfalls ein besonderes nationales kul-
turelles Erbe ist? Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 05
(Beifall bei der SPD)
Auswärtiges Amt
Nun haben wir uns als Bund gemeinsam mit der Kom- – Drucksachen 17/605, 17/623 –
mune Gott sei Dank in die Stiftung eingebracht. Der Mi-
nisterpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat ex- Berichterstattung:
trem lange gebraucht, ebenfalls Verantwortung zu Abgeordnete Herbert Frankenhauser
übernehmen. Aus diesem Beispiel leiten wir die Forde- Klaus Brandner
rung ab, die Kulturförderpolitik des Bundes weiterzuent- Dr. h. c. Jürgen Koppelin
wickeln und die Idee des Blaubuches nicht auf Ost- Michael Leutert
deutschland zu beschränken, sondern die Identifikation Sven-Christian Kindler
besonders förderwürdiger kultureller Güter auch in den
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
westdeutschen Ländern vorzunehmen. Dies wäre eine
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich sehe,
Möglichkeit, die Kommunen zu entlasten.
Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so ver-
(Beifall bei der SPD) fahren.
Im Ergebnis heißt das: Sowohl bei der Digitalisie- Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erstem
rungspolitik als auch bei der Weiterentwicklung der Kul- Redner in dieser Debatte das Wort dem Kollegen Klaus
turförderung durch den Bund vermisse ich die Gestal- Brandner, SPD-Fraktion.
tungsverantwortung dieser Regierungskoalition und des (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Staatsministers. Wir haben Anregungen gegeben. Wir
erwarten, dass Sie sich mit diesen qualifiziert auseinan-
dersetzen. Klaus Brandner (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Danke schön. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten
heute mit dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes einen
(Beifall bei der SPD) Haushalt, in dem es zumeist nicht um die ganz großen
(B) (D)
Zahlen geht. Mit seinen rund 3,2 Milliarden Euro macht
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dieser Etat 1 Prozent des Gesamthaushalts aus. Doch die
Ich schließe die Aussprache. Ausgaben, die mit diesem 1 Prozent bestritten werden
können und müssen, haben es in sich.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Bevor ich zu den Einzelheiten komme, möchte ich
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der mich bei den Mitberichterstattern der einzelnen Fraktio-
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der nen ganz herzlich bedanken. Die Zusammenarbeit war
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. insbesondere für jemanden, der zum ersten Mal diese
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf Aufgabe wahrgenommen hat, sehr angenehm. Ich
Drucksache 17/1023? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- möchte auch meinen Dank gegenüber dem Auswärtigen
tungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Amt für zuverlässige, konstruktive und offene Zusam-
Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge- menarbeit aussprechen. Ich denke, Herr Minister, Sie
lehnt. werden das Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus-
richten.
Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung
über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
sehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den GRÜNEN)
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Nun zurück zum Haushalt: Angesichts zahlreicher in-
Abstimmung. ternationaler und immer differenzierterer Entwicklungen
sieht sich das Auswärtige Amt großen Herausforderun-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gen und einer wachsenden Verantwortung gegenüber.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Unter Herausforderungen verstehe ich nach wie vor die
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Auswirkungen der Globalisierung in all ihren positiven,
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- aber auch negativen Facetten. Besorgniserregend sind
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu auch die Entwicklungen im Bereich der zerfallenden
Staaten. Ich denke dabei zum Beispiel konkret an Soma-
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
lia, Sudan und die Elfenbeinküste, in denen Unsicher-
später bekannt gegeben.1) heit, Gewalt, Willkür und Hunger herrschen und in de-
nen sich die besten Bedingungen für internationalen
1) Ergebnis Seite 2752 C Terrorismus und für organisierte Kriminalität finden.
2750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Klaus Brandner
(A) Gerade in den letzten Wochen und Monaten haben Ich begrüße auch, dass die angekündigten Pläne zur (C)
Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tropenstürme, Un- Kürzung von Mitteln zur Abrüstung, Rüstungskon-
wetter und Überschwemmungen viele Tote gefordert trolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit nicht in
und verheerende Zerstörungen verursacht. Da können die Tat umgesetzt werden. Stattdessen sind Sie auch hier
wir, meine Damen und Herren, nicht am Fernseher taten- den Leitlinien der Vorgängerregierung gefolgt und blei-
los zusehen. Da sind wir, die wohlhabenden Industrie- ben bei den 8,5 Millionen Euro Aufwuchs, die bereits im
staaten, gefordert. Auch hier trägt das Auswärtige Amt ersten Regierungsentwurf enthalten waren. Das ist ein
Verantwortung und hat diese, wie ich meine, vorbildlich gutes Zeichen angesichts der enormen Herausforderun-
wahrgenommen. gen, denen wir uns auf internationaler Ebene stellen
müssen.
(Beifall bei der SPD)
Selbstverständlich kann ich in einer Rede zum Haus-
Wenn ich an all diese Herausforderungen denke, mit
halt des Auswärtigen Amtes nicht unsere wichtige Auf-
denen das Auswärtige Amt konfrontiert ist, dann beru-
gabe und schwierige Verantwortung in Afghanistan und
higt mich, dass sich der Regierungsentwurf für den
für die afghanische Bevölkerung außen vor lassen. Ich
Haushalt dieses Jahres im Großen und Ganzen an den
begrüße daher ausdrücklich die zusätzlichen Mittel, die
bewährten Leitlinien, die der damalige Außenminister
im Zuge der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zur
Frank-Walter Steinmeier aufgestellt hat, orientiert.
Verfügung gestellt wurden. Das hatten wir zur Bedin-
Kontinuität in der Außenpolitik – das bedeutet für uns gung für unsere Zustimmung gemacht; denn auch ange-
Sozialdemokraten vorausschauende Friedenspolitik. sichts der Situation in Afghanistan darf sich der Haushalt
Dazu gehören vor allem eine wirksame zivile Friedens- des Auswärtigen Amtes nicht ausschließlich auf ein
prävention und ein effektives ziviles Konfliktmanage- Thema oder eine Region konzentrieren; vielmehr muss
ment auf internationaler Ebene. Das war stets der Dreh- auch im Haushalt Sorge dafür getragen werden, dass wir
und Angelpunkt guter deutscher Außenpolitik. weiterhin weltweit handlungsfähig sind. Das wäre ohne
die zusätzlichen Mittel nicht möglich gewesen. Uns war
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sven- es wichtig, dass die für Afghanistan notwendigen zusätz-
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lichen Mittel nicht zulasten anderer Haushaltstitel gin-
NEN]: Das wird aber jetzt um 10 Prozent ge- gen. Das ist gelungen, meine Damen und Herren.
kürzt!)
(Beifall bei der SPD)
Dazu gehören aber auch Abrüstung, Rüstungskontrolle
und Zusammenarbeit beim Thema Nichtverbreitung – Bis dahin zeichnet sich der Haushaltsentwurf durch
(B) Themen, die angesichts der aktuellen Herausforderun- eine große Kontinuität aus. Doch wo angesichts der zen- (D)
gen immer wichtiger werden. Nicht zuletzt brauchen wir tralen Aufgaben, die ich vorhin angesprochen habe,
auch verlässliche Partner, die uns bei unseren Aufgaben ebenfalls Kontinuität notwendig gewesen wäre, setzen
vor Ort helfen, die uns bei dem Aufbau von Strukturen, Sie den Rotstift an. Die Fraktionen der CDU/CSU und
dem Erstellen von Expertisen und dem Vorantreiben von der FDP schleifen die Mittel für zivile Krisenpräven-
gesellschaftlichen Maßnahmen unterstützen. Das sind tion und ziviles Konfliktmanagement sowie für das
zum Beispiel das Zentrum für Internationale Frie- Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Sie
denseinsätze und die politischen Stiftungen. wollen mit diesen Mitteln, so sagen Sie, unter anderem
Für mich ist es deshalb unverständlich, dass in all die- die Unterhaltung der Seemannsmissionen sowie die
sen Themenbereichen Mittelkürzungen geplant oder vor- Kriegsgräberfürsorge, -pflege und -instandhaltung unter-
gesehen waren. Heute bin ich dankbar, dass es in weiten stützen. Das alles ist löblich, und dagegen kann man im
Teilen nicht dazu gekommen ist. Ich freue mich, dass Kern nichts haben. Aber ich meine, genau an dieser
alle Fraktionen des Deutschen Bundestages von ihrem Stelle hätten Sie das liberale Sparbuch zücken sollen,
Budgetrecht Gebrauch gemacht haben, um gemeinsam statt es nach der Wahl sang- und klanglos in Aktenber-
eine Absenkung des Etats für die politischen Stiftungen gen verschwinden zu lassen. Sie hätten es genau hier gut
zu verhindern. Ihre Arbeit ist uns wichtig. Wir wollen sie einsetzen können, um für dieses wichtige Themenfeld
anerkennen. Es war wichtig und gut, dass wir gemein- ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
sam so entschieden haben. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Sparen ja, aber nicht zulasten wichtiger Maßnahmen
Mit der Rücknahme der Kürzungen ist es unserer für den Friedenserhalt; das ist aus meiner Sicht und aus
Auffassung nach auf lange Sicht aber nicht getan. Wir Sicht unserer Fraktion ein wichtiges Anliegen.
sind der Meinung, dass eine Verstetigung dieses Ansat-
zes erforderlich ist. Die Unsicherheit bei den Stiftungen Zur Arbeit des Auswärtigen Amtes gehört auch die
muss reduziert werden. Ich werbe dafür, dass dieser An- Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Auch in die-
satz in unser aller Interesse in der mittelfristigen Finanz- sem Punkt setzt die jetzige Regierung im Großen und
planung des Auswärtigen Amtes verstetigt wird, um das Ganzen auf Kontinuität und den von Frank-Walter
Auf und Ab und damit die Unsicherheit endlich zu been- Steinmeier eingeschlagenen Weg, der fortgesetzt werden
den. soll. Ich beziehe mich dabei unter anderem auf Aussagen
von Staatsminister Hoyer, der erst kürzlich hier im Bun-
(Beifall bei der SPD) destag sagte:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2751
Klaus Brandner
(A) Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns Meine Damen und Herren, was wir vor uns liegen ha- (C)
somit in der langfristigen Perspektive, wichtige au- ben, ist ein Übergangshaushalt, der auf der einen Seite
ßenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen von sinnvollen Elementen der Vorgängerregierung und
Krisenprävention durch das Schlagen von Brücken auf der anderen Seite von nicht schlüssigen Einsparun-
zwischen Kulturen und Zivilisationen, die Stärkung gen geprägt ist. Der Haushalt hat noch kein klares Profil.
der Menschenrechte, die Förderung von Freiheit Daher kann ich es gut verstehen, wenn der Bundesau-
und Rechtsstaat sowie eine erfolgreiche Außenwirt- ßenminister auf der Suche nach einem eigenen Profil die
schaftspolitik. Welt bereist. Auf Ihren Reisen, Herr Bundesaußenminis-
ter, hört man, dass Sie in vielen Fällen einen Strategie-
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Da hat er wechsel anstreben, dass Sie Neuanfänge initiieren und
recht, der Herr Hoyer!) gemeinsame Werte neu entdecken wollen. Nach meinem
Eindruck ist dies eine große Ankündigung, die bisher
Ich möchte mich diesen Worten gerne anschließen. mit noch wenig Gehalt versehen worden ist. Sie werden
Obwohl der Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bil- nachher dazu noch Stellung nehmen können.
dungspolitik auch im heute zu beratenden Haushalt wie-
der 22,6 Prozent des gesamten Einzelplans ausmacht, Ich möchte beispielsweise an Ihre Brasilienreise er-
wird an einer empfindlichen Stelle deutlich gekürzt. Zu- innern. Es wurde der Eindruck vermittelt, es sei ein ver-
erst will ich aber die positiven Aspekte nennen: die Me- nachlässigtes Land; es sei ein Land, das mehr Zuwen-
dienförderung, um zum Beispiel die Aktivitäten der dung braucht und mit dem wir eine gemeinsame
Deutschen Welle zu unterstützen, „kulturweit“, den Frei- Strategie verabreden müssten. Ich finde, das war viel
willigendienst, der das bürgerschaftliche Engagement Ankündigung. Wenn man sich die Berichte des Auswär-
unterstützt, die PASCH-Initiative – Schulen: Partner der tigen Amtes anschaut – das gilt auch für den aktuellsten
Zukunft –, also den Austausch der Schulen, sowie die aus dem Februar 2010 –, dann sieht man, dass die bilate-
Programmarbeit, mit der unter anderem die Fortsetzung ralen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien
der Filmfestspiele in Oberhausen und der Literaturwerk- auf einem ganz hervorragenden Stand sind.
statt in Berlin finanziert werden kann. All das gibt der
jetzige Haushalt her. Brasilien ist Deutschlands einziger bilateraler strate-
gischer Partner in Südamerika und damit für uns das
Zurück zu den Kürzungen. Ich spreche konkret von wichtigste Land in dieser Region. In dem Bericht heißt
den Kürzungen bei den Stipendien, bei Austauschmaß- es dazu:
nahmen und bei Beihilfen für Nachwuchswissenschaft-
Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind poli-
ler, für Studierende und Hochschulpraktikanten aus dem
tisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell und
(B) Ausland. Hier sollen beinahe 10 Prozent – oder um es in gesellschaftlich breit verankert. Mit keinem ande- (D)
absoluten Zahlen auszudrücken: circa 13 Millionen Euro –
ren lateinamerikanischen Land pflegt Deutschland
eingespart werden. Das halten wir nicht für richtig.
eine so breite und tiefe Kooperation.
Wir sind im Übrigen mit der Staatsministerin Pieper Ich selbst habe dieses Land in anderer Funktion mehr-
einer Meinung, die erst vor kurzem in der FAZ erklärt fach bereist. Ich weiß von der dichten Frequenz der Be-
hat: suche hochrangiger deutscher Politiker in den letzten
Bildung ist eine der mächtigsten Abwehrkräfte ge- Jahren: Bundespräsident Köhler im März 2007 und Bun-
gen den Terrorismus der Fundamentalisten. … deskanzlerin Merkel im Jahr 2008. Im letzten Jahr war
Denn nur wer internationale Wissensstandards teilt, Staatspräsident Lula da Silva im Rahmen eines Staatsbe-
hat auch Zugang zu weltweiten politischen und suchs in Deutschland. Es ist also ein Land, mit dem wir
wirtschaftlichen Entwicklungen und zu der Vielfalt engste Beziehungen haben und zu dem man die Bezie-
von Kunst und Kultur. Nur wer mehrdimensionales hungen weiter pflegen sollte. Man sollte aber nicht den
Wissen besitzt und über den Tellerrand schaut, kann Eindruck vermitteln, als gebe es hier einen riesigen
sein Land nach außen öffnen und nach innen einen. Nachholbedarf.
Insofern bedarf es auch keiner neuen Strategie und kei-
Das ist gut gesagt. „Gut gebrüllt, Löwe!“, möchte man
ner neuen Aktivität. Die Rede war Ausdruck einer ge-
sagen. Doch leider wurde es nicht umgesetzt. Den mäch-
wissen Ankündigungsaktivität, aber der Inhalt fehlt
tigen und gewichtigen Worten sind leider nur schlanke,
noch. Daran müssen Sie aus meiner Sicht noch arbeiten.
unterernährte Taten gefolgt. Das ist aus unserer Sicht ein
großer Fehler, der hier begangen wird. Ich meine, er (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth
müsste dringend korrigiert werden. [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Lieber Herr Koppelin, Sie setzen sich ansonsten so Im Übrigen halte ich die Aktivitäten, die Sie mit der
engagiert für dieses Thema ein. An dieser Stelle wäre Außenwirtschaftspolitik verbinden, grundsätzlich für
das Liberale Sparbuch eine gute Sache gewesen. Eine richtig. Aber ich frage mich, was eigentlich neu daran
Aussage Ihrerseits, wie man das, was man im Wahl- ist. Sie kündigen nicht nur etwas Neues an, dessen Inhalt
kampf versprochen hat, auch tatsächlich umsetzt, wäre noch völlig unbekannt ist. Ich vermisse auch, dass Sie
wünschenswert. Man hätte eingesparte Mittel nutzen bei Ihren jetzigen Reisen Zeichen setzen, dass Sie nicht
können, um diesem wichtigen Themenbereich die ihm nur als Unterstützer ökonomischer Interessen unterwegs
angemessene Bedeutung zu geben. sind, sondern auch die soziale Dimension der Globalisie-
2752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Klaus Brandner
(A) rung und ihre ökologischen Herausforderungen im Blick würden, dass wir mehr Sozialreferentinnen und Sozialre- (C)
haben. ferenten an den Botschaften etablieren können,
(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])
Deshalb wäre es gut, wenn Sie auf solchen Reisen damit diese Themen auch institutionell eine bessere Un-
auch den Personenkreis berücksichtigen würden, der für terstützung erfahren.
solche Themen spricht. Wo sind in der Wirtschaftsdele-
gation zum Beispiel die Arbeitnehmervertreter? Aus Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
meiner Sicht gehören Arbeitnehmervertreter genauso (Beifall bei der SPD)
dazu wie Unternehmensvertreter. Wo sind auf solchen
Reisen die Vertreter des typischen Mittelstands?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei der SPD) Ich komme zunächst zum Einzelplan 04 zurück und
Gerade die Handwerker brauchen unsere Unterstützung, gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift-
um im Ausland tätig werden zu können. Wo bleiben die führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
Umweltorganisationen und die Menschenrechtsaktivis- mung über den Einzelplan 04, den Haushalt der Bundes-
ten? kanzlerin und des Bundeskanzleramtes, bekannt:
abgegebene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 322,
Um diesem Thema auch inhaltlich eine größere Be- mit Nein haben gestimmt 268, keine Enthaltungen. Der
deutung beizumessen, wäre es gut, wenn Sie mithelfen Einzelplan 04 ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Marie-Luise Dött Dr. Matthias Heider Dr. Martina Krogmann
Abgegebene Stimmen: 589; Dr. Thomas Feist Mechthild Heil Rüdiger Kruse
davon Enak Ferlemann Frank Heinrich Bettina Kudla
Ingrid Fischbach Rudolf Henke Dr. Hermann Kues
ja: 322
Hartwig Fischer (Göttingen) Michael Hennrich Günter Lach
nein: 267 Dirk Fischer (Hamburg) Jürgen Herrmann Dr. Karl A. Lamers
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Ansgar Heveling (Heidelberg)
Ja Land) Ernst Hinsken Andreas G. Lämmel
(B) Dr. Maria Flachsbarth Peter Hintze Dr. Norbert Lammert (D)
CDU/CSU Klaus-Peter Flosbach Christian Hirte Katharina Landgraf
Herbert Frankenhauser Robert Hochbaum Ulrich Lange
Ilse Aigner Dr. Hans-Peter Friedrich Karl Holmeier Dr. Max Lehmer
Peter Altmaier (Hof) Franz-Josef Holzenkamp Paul Lehrieder
Peter Aumer Michael Frieser Joachim Hörster Dr. Ursula von der Leyen
Dorothee Bär Erich G. Fritz Anette Hübinger Ingbert Liebing
Thomas Bareiß Dr. Michael Fuchs Thomas Jarzombek Matthias Lietz
Norbert Barthle Hans-Joachim Fuchtel Dr. Dieter Jasper Dr. Carsten Linnemann
Günter Baumann Alexander Funk Dr. Franz Josef Jung Patricia Lips
Ernst-Reinhard Beck Ingo Gädechens Andreas Jung (Konstanz) Dr. Jan-Marco Luczak
(Reutlingen) Dr. Peter Gauweiler Dr. Egon Jüttner Dr. Michael Luther
Manfred Behrens (Börde) Dr. Thomas Gebhart Bartholomäus Kalb Karin Maag
Dr. Christoph Bergner Norbert Geis Steffen Kampeter Dr. Thomas de Maizière
Peter Beyer Alois Gerig Alois Karl Hans-Georg von der Marwitz
Steffen Bilger Eberhard Gienger Bernhard Kaster Andreas Mattfeldt
Clemens Binninger Michael Glos Volker Kauder Stephan Mayer (Altötting)
Peter Bleser Josef Göppel Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Michael Meister
Dr. Maria Böhmer Ute Granold Schwenningen) Dr. Angela Merkel
Wolfgang Börnsen Reinhard Grindel Dr. Stefan Kaufmann Maria Michalk
(Bönstrup) Hermann Gröhe Roderich Kiesewetter Dr. h. c. Hans Michelbach
Wolfgang Bosbach Michael Grosse-Brömer Eckart von Klaeden Dr. Mathias Middelberg
Norbert Brackmann Astrid Grotelüschen Volkmar Klein Philipp Mißfelder
Klaus Brähmig Markus Grübel Jürgen Klimke Dietrich Monstadt
Michael Brand Manfred Grund Julia Klöckner Marlene Mortler
Dr. Reinhard Brandl Monika Grütters Axel Knoerig Dr. Gerd Müller
Helmut Brandt Dr. Karl-Theodor Freiherr Jens Koeppen Stefan Müller (Erlangen)
Dr. Ralf Brauksiepe zu Guttenberg Manfred Kolbe Nadine Müller (St. Wendel)
Dr. Helge Braun Olav Gutting Dr. Rolf Koschorrek Dr. Philipp Murmann
Heike Brehmer Florian Hahn Hartmut Koschyk Bernd Neumann (Bremen)
Gitta Connemann Holger Haibach Thomas Kossendey Michaela Noll
Leo Dautzenberg Dr. Stephan Harbarth Michael Kretschmer Dr. Georg Nüßlein
Alexander Dobrindt Jürgen Hardt Gunther Krichbaum Franz Obermeier
Thomas Dörflinger Gerda Hasselfeldt Dr. Günter Krings Eduard Oswald
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2753
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Henning Otte Marco Wanderwitz Sabine Leutheusser- Marco Bülow (C)
Dr. Michael Paul Kai Wegner Schnarrenberger Martin Burkert
Rita Pawelski Marcus Weinberg (Hamburg) Lars Lindemann Petra Crone
Ulrich Petzold Peter Weiß (Emmendingen) Christian Lindner Dr. Peter Danckert
Dr. Joachim Pfeiffer Sabine Weiss (Wesel I) Michael Link (Heilbronn) Martin Dörmann
Sibylle Pfeiffer Ingo Wellenreuther Dr. Erwin Lotter Elvira Drobinski-Weiß
Beatrix Philipp Karl-Georg Wellmann Oliver Luksic Garrelt Duin
Ronald Pofalla Peter Wichtel Horst Meierhofer Sebastian Edathy
Christoph Poland Annette Widmann-Mauz Patrick Meinhardt Siegmund Ehrmann
Ruprecht Polenz Klaus-Peter Willsch Gabriele Molitor Dr. h. c. Gernot Erler
Eckhard Pols Elisabeth Winkelmeier- Jan Mücke Petra Ernstberger
Lucia Puttrich Becker Petra Müller (Aachen) Karin Evers-Meyer
Daniela Raab Dagmar Wöhrl Burkhardt Müller-Sönksen Elke Ferner
Thomas Rachel Dr. Matthias Zimmer Dr. Martin Neumann Gabriele Fograscher
Dr. Peter Ramsauer Wolfgang Zöller (Lausitz) Dr. Edgar Franke
Eckhardt Rehberg Willi Zylajew Dirk Niebel Dagmar Freitag
Katherina Reiche (Potsdam) Hans-Joachim Otto Peter Friedrich
Lothar Riebsamen FDP (Frankfurt) Michael Gerdes
Josef Rief Cornelia Pieper Martin Gerster
Klaus Riegert Christian Ahrendt Gisela Piltz Iris Gleicke
Dr. Heinz Riesenhuber Christine Aschenberg- Dr. Birgit Reinemund Günter Gloser
Johannes Röring Dugnus Dr. Peter Röhlinger Ulrike Gottschalck
Dr. Norbert Röttgen Daniel Bahr (Münster) Dr. Stefan Ruppert Angelika Graf (Rosenheim)
Dr. Christian Ruck Florian Bernschneider Björn Sänger Michael Groschek
Erwin Rüddel Sebastian Blumenthal Frank Schäffler Michael Groß
Albert Rupprecht (Weiden) Claudia Bögel Christoph Schnurr Wolfgang Gunkel
Anita Schäfer (Saalstadt) Nicole Bracht-Bendt Jimmy Schulz Hans-Joachim Hacker
Dr. Annette Schavan Klaus Breil Marina Schuster Bettina Hagedorn
Dr. Andreas Scheuer Rainer Brüderle Dr. Erik Schweickert Klaus Hagemann
Karl Schiewerling Angelika Brunkhorst Werner Simmling Michael Hartmann
Norbert Schindler Ernst Burgbacher Judith Skudelny (Wackernheim)
Tankred Schipanski Marco Buschmann Dr. Hermann Otto Solms Hubertus Heil (Peine)
Sylvia Canel Joachim Spatz Rolf Hempelmann
Georg Schirmbeck
Helga Daub Dr. Max Stadler Dr. Barbara Hendricks
Christian Schmidt (Fürth)
Reiner Deutschmann Torsten Heiko Staffeldt
(B) Patrick Schnieder Gustav Herzog (D)
Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Rainer Stinner
Dr. Andreas Schockenhoff Gabriele Hiller-Ohm
Patrick Döring Carl-Ludwig Thiele
Dr. Ole Schröder Petra Hinz (Essen)
Mechthild Dyckmans Stephan Thomae
Dr. Kristina Schröder Frank Hofmann (Volkach)
Rainer Erdel Florian Toncar
(Wiesbaden) Dr. Eva Högl
Jörg van Essen Serkan Tören
Bernhard Schulte-Drüggelte Christel Humme
Ulrike Flach Johannes Vogel
Uwe Schummer Josip Juratovic
Otto Fricke (Lüdenscheid)
Armin Schuster (Weil am Dr. Daniel Volk Oliver Kaczmarek
Rhein) Paul K. Friedhoff Johannes Kahrs
Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Guido Westerwelle
Detlef Seif Dr. Claudia Winterstein Dr. h. c. Susanne Kastner
Johannes Selle Dr. Wolfgang Gerhardt Ulrich Kelber
Hans-Michael Goldmann Dr. Volker Wissing
Reinhold Sendker Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Lars Klingbeil
Dr. Patrick Sensburg Heinz Golombeck Hans-Ulrich Klose
Thomas Silberhorn Miriam Gruß Dr. Bärbel Kofler
Johannes Singhammer Joachim Günther (Plauen) Nein Daniela Kolbe (Leipzig)
Jens Spahn Dr. Christel Happach-Kasan Nicolette Kressl
Carola Stauche Heinz-Peter Haustein SPD Angelika Krüger-Leißner
Erika Steinbach Manuel Höferlin Ingrid Arndt-Brauer Ute Kumpf
Dieter Stier Elke Hoff Rainer Arnold Christine Lambrecht
Gero Storjohann Birgit Homburger Doris Barnett Christian Lange (Backnang)
Stephan Stracke Dr. Werner Hoyer Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Karl Lauterbach
Max Straubinger Heiner Kamp Klaus Barthel Steffen-Claudio Lemme
Karin Strenz Michael Kauch Sören Bartol Burkhard Lischka
Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Lutz Knopek Bärbel Bas Gabriele Lösekrug-Möller
Lena Strothmann Pascal Kober Sabine Bätzing Kirsten Lühmann
Michael Stübgen Dr. Heinrich L. Kolb Dirk Becker Caren Marks
Dr. Peter Tauber Hellmut Königshaus Uwe Beckmeyer Katja Mast
Antje Tillmann Gudrun Kopp Lothar Binding (Heidelberg) Hilde Mattheis
Dr. Hans-Peter Uhl Dr. h. c. Jürgen Koppelin Gerd Bollmann Petra Merkel (Berlin)
Arnold Vaatz Sebastian Körber Klaus Brandner Ullrich Meßmer
Volkmar Vogel (Kleinsaara) Patrick Kurth (Kyffhäuser) Willi Brase Dr. Matthias Miersch
Stefanie Vogelsang Heinz Lanfermann Bernhard Brinkmann Franz Müntefering
Andrea Astrid Voßhoff Sibylle Laurischk (Hildesheim) Dr. Rolf Mützenich
Dr. Johann Wadephul Harald Leibrecht Edelgard Bulmahn Andrea Nahles
2754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Dietmar Nietan Waltraud Wolff Ulrich Maurer Winfried Hermann (C)
Manfred Nink (Wolmirstedt) Dorothée Menzner Priska Hinz (Herborn)
Thomas Oppermann Uta Zapf Cornelia Möhring Ulrike Höfken
Holger Ortel Dagmar Ziegler Niema Movassat Bärbel Höhn
Aydan Özoğuz Manfred Zöllmer Wolfgang Nešković Ingrid Hönlinger
Heinz Paula Brigitte Zypries Thomas Nord Uwe Kekeritz
Joachim Poß Petra Pau Katja Keul
Dr. Wilhelm Priesmeier DIE LINKE Jens Petermann Memet Kilic
Florian Pronold Richard Pitterle Sven-Christian Kindler
Jan van Aken
Dr. Sascha Raabe Yvonne Ploetz Maria Anna Klein-Schmeink
Agnes Alpers
Mechthild Rawert Ingrid Remmers Ute Koczy
Dr. Dietmar Bartsch
Gerold Reichenbach Paul Schäfer (Köln) Tom Koenigs
Herbert Behrens
Dr. Carola Reimann Michael Schlecht Sylvia Kotting-Uhl
Karin Binder
Sönke Rix Dr. Herbert Schui Oliver Krischer
Matthias W. Birkwald
René Röspel Dr. Ilja Seifert Agnes Krumwiede
Heidrun Bluhm
Dr. Ernst Dieter Rossmann Kathrin Senger-Schäfer Fritz Kuhn
Steffen Bockhahn
Michael Roth (Heringen) Raju Sharma Stephan Kühn
Christine Buchholz
Anton Schaaf Dr. Petra Sitte Renate Künast
Eva Bulling-Schröter
Bernd Scheelen Kersten Steinke Markus Kurth
Dr. Martina Bunge
Marianne Schieder Sabine Stüber Monika Lazar
Roland Claus
(Schwandorf) Alexander Süßmair Nicole Maisch
Sevim Dağdelen
Werner Schieder (Weiden) Dr. Kirsten Tackmann Agnes Malczak
Dr. Diether Dehm
Ulla Schmidt (Aachen) Frank Tempel Jerzy Montag
Heidrun Dittrich
Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Axel Troost Kerstin Müller (Köln)
Werner Dreibus
Carsten Schneider (Erfurt) Alexander Ulrich Beate Müller-Gemmeke
Dr. Dagmar Enkelmann
Olaf Scholz Kathrin Vogler Ingrid Nestle
Klaus Ernst
Ottmar Schreiner Sahra Wagenknecht Dr. Konstantin von Notz
Wolfgang Gehrcke
Swen Schulz (Spandau) Halina Wawzyniak Omid Nouripour
Nicole Gohlke
Ewald Schurer Harald Weinberg Friedrich Ostendorff
Annette Groth
Frank Schwabe Jörn Wunderlich Dr. Hermann Ott
Dr. Gregor Gysi
Dr. Angelica Schwall-Düren Sabine Zimmermann Lisa Paus
Heike Hänsel
Dr. Martin Schwanholz Dr. Rosemarie Hein Brigitte Pothmer
Rolf Schwanitz BÜNDNIS 90/ Tabea Rößner
Inge Höger
Stefan Schwartze DIE GRÜNEN Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Barbara Höll
(B) Dr. Carsten Sieling Andrej Konstantin Hunko Kerstin Andreae Krista Sager (D)
Sonja Steffen Ulla Jelpke Marieluise Beck (Bremen) Manuel Sarrazin
Peer Steinbrück Dr. Lukrezia Jochimsen Volker Beck (Köln) Christine Scheel
Dr. Frank-Walter Steinmeier Katja Kipping Cornelia Behm Dr. Frithjof Schmidt
Christoph Strässer Jan Korte Birgitt Bender Dorothea Steiner
Kerstin Tack Katrin Kunert Alexander Bonde Dr. Wolfgang Strengmann-
Dr. h. c. Wolfgang Thierse Caren Lay Ekin Deligöz Kuhn
Franz Thönnes Sabine Leidig Katja Dörner Hans-Christian Ströbele
Wolfgang Tiefensee Ralph Lenkert Hans-Josef Fell Dr. Harald Terpe
Rüdiger Veit Michael Leutert Dr. Thomas Gambke Markus Tressel
Ute Vogt Stefan Liebich Kai Gehring Daniela Wagner
Dr. Marlies Volkmer Ulla Lötzer Katrin Göring-Eckardt Wolfgang Wieland
Andrea Wicklein Dr. Gesine Lötzsch Britta Haßelmann Dr. Valerie Wilms
Heidemarie Wieczorek-Zeul Thomas Lutze Bettina Herlitzius Josef Philip Winkler

Nun hat Herr Bundesminister Dr. Guido Westerwelle Erstens möchte ich mich bei den Berichterstattern und
das Wort. bei dem gesamten Haushaltsausschuss sehr herzlich be-
danken. Ich danke Ihnen, Herr Frankenhauser, Herr
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Brandner, Herr Koppelin, Herr Kindler und Herr Leutert.
Ich möchte mich ausdrücklich auch im Namen des ge-
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- samten Auswärtigen Amtes für die vorzügliche Zusam-
wärtigen: menarbeit bedanken.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Zweitens, Frau Kollegin Künast, habe ich heute Mor-
Herren! In der letzten Lesung soll zunächst und haupt- gen Ihre Rede – wie die gesamte Debatte – aufmerksam
sächlich das Parlament zu Wort kommen, daher stehen verfolgt. Sie haben uns als neue Bundesregierung und
mir nur wenige Minuten zu. Bevor ich zu der Friedens- auch mich mit kritischem Unterton aufgefordert, mich
politik und einem wichtigen Anliegen komme, das uns mehr um den skandalösen Anstieg der deutschen Rüs-
alle hier in diesem Hause noch beschäftigen wird, will tungsexporte zu kümmern. Ich möchte zunächst einmal
ich aber drei Vorbemerkungen machen. wiedergeben, was am 15. März 2010 von dem Institut
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2755
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
(A) SIPRI in Stockholm, das das herausgefunden und kriti- gislaturperiode tun – immer wieder ausdrücklich gewür- (C)
siert hat, dazu gesagt worden ist, weil hier der Eindruck digt, dass insbesondere unter Bundesaußenminister
erweckt wird, als hätte diese neue Bundesregierung in Steinmeier ein Aufwuchs in der Auswärtigen Kultur-
den letzten Wochen ganz schnell noch ein paar U-Boote und Bildungspolitik möglich geworden ist.
gebaut und in die Welt exportiert. Ich zitiere aus einer
(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine]
Meldung dazu:
[SPD])
Wenig Verständnis zeigte der Brite für die Kritik
Davon werde ich nichts zurückzunehmen. Ich habe die
von Grünen-Chefin Claudia Roth am Anstieg der
Absicht, diese Politik fortzusetzen. Ich bitte Sie – bei al-
deutschen Rüstungsexporte:
ler Kritik in anderen Bereichen – um Ihre Unterstützung,
– Jetzt kommt das wörtliche Zitat. – weil die Stunde kommen wird, in der ich im Haushalts-
ausschuss um die Auswärtige Kultur- und Bildungspoli-
„Die meisten Verträge, die diese Verdoppelung be- tik werde ringen müssen.
wirkt haben, wurden ja während der rot-grünen Re-
gierungszeit abgeschlossen.“ (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Das ist
wahr!)
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der Das sage ich an die Adresse aller, weil ich glaube, dass
LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE es die beste Visitenkarte für unser Land ist, wenn wir
GRÜNEN]: Und was tun Sie nun?) Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik fördern.
Drittens, Frau Kollegin Künast, haben Sie mir vorge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
worfen, ich hätte Brasilien nicht entdeckt. der CDU/CSU)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist keine Attacke, sondern es ist ein Angebot, das
NEN]: Das war kein Vorwurf! Das war eine ich Ihnen unterbreiten möchte, weil ich glaube, dass ein
Feststellung!) überparteiliches Interesse daran in diesem Hohen Hause
vorhanden ist.
– Dann haben Sie es eben festgestellt. Ich glaube, das ist
eine historische Tatsache, auf die wir uns zwanglos ver- Schließlich möchte ich einige Bemerkungen zu einem
ständigen können. Kernanliegen machen. Es gibt noch vieles zu bespre-
chen. Vieles haben wir bereits im Auswärtigen Aus-
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der schuss besprochen. Wir werden in der nächsten Woche
CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ über den Europäischen Auswärtigen Dienst sprechen,
(B) DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal was!) der aufgebaut werden muss. Sie wissen, dass noch eine (D)
Ich möchte Ihnen Folgendes dazu sagen: Brasilien Menge zu tun ist, damit in diesem Bereich die deutschen
wurde vom Portugiesen Cabral entdeckt. Er reiste mit Interessen wahrgenommen werden können und vor allen
13 Schiffen. Man wusste in Portugal also schon vor Dingen dafür gesorgt wird, dass wir einen guten, schlag-
500 Jahren, dass Delegationen zur Wahrnehmung der ei- kräftigen und handlungsfähigen Europäischen Auswärti-
genen Landesinteressen gelegentlich hilfreich sind. gen Dienst bekommen. Ich kann Ihnen ankündigen: Da
gibt es noch manches zu tun.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Es gibt Bereiche der Wirtschaftsförderung, über die
DIE GRÜNEN]: Das waren Versorgungs- wir hier im Hohen Hause noch kontrovers diskutieren
schiffe und keine Delegationen!) werden. Ich hoffe allerdings, dass wir in einem Bereich
eine Gemeinsamkeit haben. Bisher war es ein Kernbe-
standteil deutscher Außenpolitik, dass deutsche Außen-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
politik Friedenspolitik ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Werden
muss!)
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- – Ich sage: Friedenspolitik ist. Ich glaube, anders als Sie,
wärtigen: Herr Kollege Gehrcke: Wenn deutsche Außenpolitik in
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. den vergangenen Jahrzehnten keine Friedenspolitik ge-
wesen wäre, dann hätten wir das Glück der deutschen
Ich komme zu einem vierten Punkt, auf den ich in-
Einheit niemals erlebt. Davon bin ich fest überzeugt.
haltlich eingehen möchte. Zunächst zu Ihnen, Herr Kol-
lege Brandner. Sie haben völlig zu Recht darauf hinge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
wiesen, dass die auswärtige Politik und auch dieser
Haushalt wesentlich von Kontinuität geprägt sind. Dabei Es geht nicht darum, wer was gemacht hat: Willy
Brandt, Walter Scheel, Helmut Kohl oder Hans-Dietrich
bleibt es auch.
Genscher. Das ist eine gemeinsame Auffassung.
(Ute Kumpf [SPD]: Mister Ellenbogen!)
Ich möchte Sie warnen: Wenn wir nicht aufpassen,
Es geht hierbei nicht um einen Übergangsetat, sondern werden wir ein Jahrzehnt bekommen, das nicht ein Jahr-
ich habe bereits in der letzten Legislaturperiode – ich zehnt der Abrüstung wird, sondern ein Jahrzehnt der
werde das als Bundesminister künftig auch in dieser Le- Aufrüstung werden kann.
2756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE denspolitik. Das wollte ich zu dieser Generaldebatte (C)
GRÜNEN]: Genau!) heute beitragen.
Ich glaube, dass wir uns über dieses Problem in diesem Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Hause – nicht heute, aber in vielen Fachdebatten – noch (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
detailliert unterhalten müssen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da hat er Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
recht!) Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
Das ist in Wahrheit die Gefahr, die vor uns liegt, nämlich
dass wir nicht ein Jahrzehnt der Abrüstung erleben wer- (Beifall bei der LINKEN)
den – wie es durch eine bemerkenswerte, hoffnungsvolle
Rede von Präsident Obama in Prag eigentlich ermöglicht Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
worden wäre –, sondern dass wir in diesem Jahrzehnt er- Danke sehr. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
leben, dass durch Staaten, die wir nicht auf dem Schirm und Kollegen! Ich will den Ball, den der Außenminister
hatten, plötzlich die nukleare Verbreitung die Regel gespielt hat, gleich aufnehmen: Wir lehnen den Haushalt
wird. des Auswärtigen Amtes ab, weil wir als Linke nie einem
Wir reden zu Recht über Menschenrechte. Das habe Haushalt zustimmen werden, der Kriegspolitik beinhal-
ich getan, und das wissen Sie und Ihre Kollegen, die bei tet.
den Reisen dabei gewesen sind. Wir reden beispiels- (Beifall bei der LINKEN)
weise über die Menschenrechtslage im Iran. Ich möchte
Sie darum bitten, dass wir uns alle gemeinsam an den Wir werden uns an keiner Koalition beteiligen, die das
Kern des Problems erinnern. Es geht beim Thema Iran zu tun beabsichtigt, und wir werden einem solchen
– ich sage das deshalb, weil das derzeit in New York bei Haushalt nicht zustimmen. Das ist eben die Differenz.
den Vereinten Nationen verhandelt wird – um das zen- Ich hätte mich gefreut, wenn in Ihrem Koalitionsvertrag
trale Problem: Wenn wir es zulassen, dass sich ein Staat der Satz gestanden hätte: Deutsche Außenpolitik muss
die Option der atomaren Bewaffnung verschafft, nicht Friedenspolitik werden. Sie ist es nicht. Sie ist es struk-
mit der Völkergemeinschaft kooperiert und nicht für turell und faktisch nicht. Wir befinden uns in Afghanis-
Transparenz sorgt, dann ist es eine Frage der Zeit, bis tan in einem Krieg. Das wird keiner hier ableugnen kön-
sich noch mehrere andere Staaten dieser Region – ich nen. Das tut nicht einmal mehr zu Guttenberg.
sage Ihnen voraus: mehrere andere Staaten in der Welt – (Beifall bei der LINKEN)
(B) in den nächsten zehn Jahren atomar bewaffnen werden. (D)
Wir befanden uns, was die Geschichte angeht, auch in
Nukleare Nichtverbreitung hat schon immer zwei Jugoslawien im Krieg – auch das darf hier nicht verges-
Komponenten gehabt. Zum einen galt es, diejenigen, die sen werden –, und wir haben zumindest indirekt den
Atomwaffen haben wollen, davon abzubringen, dass sie Krieg der USA im Irak mit vielem gefördert, was nicht
sich diese illegal beschaffen. Zum anderen gibt es eine unserer Verfassung entspricht. Deutsche Außenpolitik
Verpflichtung der Atomstaaten, abzurüsten, übrigens muss Friedenspolitik werden. Das muss auch das Credo
ohne dass konventionelle Kriege leichter geführt werden dieses Parlamentes sein.
können. Ich sage Ihnen voraus: Das wird – hoffentlich –
jenseits der ganzen tagespolitischen Hektik und jenseits (Beifall bei der LINKEN)
all dessen, was man in einer Demokratie kontrovers be- Ich will hinzufügen: Wir stimmen auch deshalb nicht
raten muss, ein gemeinsames Kernanliegen sein. Da- zu, weil die ganze Richtung der Außenpolitik aus unse-
rüber mache ich mir große Sorgen. Da gibt es Rück- rer Sicht falsch ist. Ich will Ihnen das an einigen Beispie-
schritte, die man sehen muss, und zwar, was den Iran len deutlich machen. Ich finde, das ist eine eigenartige
angeht, sehr sorgenvoll, was die Frage des Nahen Ostens Mischung von Kollegen, die in der Bundesregierung die
angeht, sehr sorgenvoll, vor allem wenn man sich an- internationale Politik dominieren oder bestimmen:
sieht, dass jüngst, in der letzten Woche, die Siedlungs-
politik mal eben fortgesetzt wurde. Es hat keinen Sinn, Wir haben einen Entwicklungshilfeminister, Fall-
darum herumzureden – jeder weiß, dass wir Freunde Is- schirmspringer, der eigentlich furchtbar gerne Verteidi-
raels sind –: Wer zu einem Friedensprozess kommen gungsminister werden möchte
möchte, muss auch bereit sein, die internationale Forde- (Ute Kumpf [SPD]: Vielleicht wird er das ja
rung nach einem Stopp der Siedlungspolitik zu erfüllen. noch!)
Das ist die Voraussetzung dafür, dass das gelingen kann.
Ich sage das beiden Seiten. Das ist die neue Dimension. und deswegen Entwicklungspolitik und Bundeswehrpo-
litik noch enger verbinden will – zulasten der Entwick-
Das ist immer unsere Maßgabe gewesen: Wenn man lungspolitik.
in diesem Hohen Hause etwas anspricht, ist das nicht im-
(Beifall bei der LINKEN)
mer Kritik am Vorgänger oder gleich eine Attacke ge-
genüber jemandem, der das bisher vielleicht nicht ge- Wir haben einen Verteidigungsminister, Gebirgsjä-
macht hat. Nein, die Herausforderung, die auf der ger, der furchtbar gerne Außenminister werden möchte.
Tagesordnung steht, ist neu. Ich glaube, deutsche Au- Er darf sich jetzt nicht zu viel zur Außenpolitik äußern,
ßenpolitik hat zwei Markenzeichen: Abrüstung und Frie- weil er den Untersuchungsausschuss zu Kunduz am Hals
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2757
Wolfgang Gehrcke
(A) hat. Er versucht aber immer wieder, zu dokumentieren macht Westerwelle nicht. Er geht zu VW und signiert ei- (C)
– jetzt ist er gerade nicht anwesend –, dass er eigentlich nen Pick-up. Wir hatten einen Autokanzler, jetzt haben
der bessere Außenminister wäre. wir einen Autoaußenminister. Das macht die Sache nicht
besser. Ich finde, es entspricht nicht der Würde dieses
(Ute Kumpf [SPD]: Vielleicht wird er das auch
Hauses und der deutschen Außenpolitik, sich für die
noch!)
Verkaufsstrategie der deutschen Industrie zur Verfügung
Wir haben einen Außenminister, FDP-Vorsitzender, zu stellen.
der die gesellschaftliche Stabilität im eigenen Land
durch leichtfertige Reden und durch eine falsche Politik (Beifall bei der LINKEN)
gefährdet. Ich möchte etwas anderes. Ich nenne Ihnen jetzt ei-
(Beifall bei der LINKEN) nige Beispiele. Bis zur Londoner Konferenz war Afgha-
nistan Ihr Hitthema. Danach habe ich Sie nicht mehr
Wer die gesellschaftliche Stabilität in Deutschland ge- über Afghanistan und den Friedensprozess reden hören.
fährdet, kann international nicht glaubwürdig für globale Schnelle Mark, schnelles Thema, Thema war abgehakt.
soziale Gerechtigkeit eintreten. Das ist einfach so. Das Aber die Politik ist nicht zu Ende. Wir müssten jetzt den
fällt auf einen zurück, Herr Westerwelle. Frieden afghanisieren und nicht die Afghanisierung des
(Beifall bei der LINKEN) Krieges fortsetzen.
Gestatten Sie, dass ich ein sehr persönliches Wort (Beifall bei der LINKEN)
dazu sage: Sie sind ein Politiker des raschen Erfolges,
Sie haben hier Rot-Grün und Frau Künast – das hat
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: mir Spaß gemacht – bei der Frage der Rüstungsexporte
Elf Jahre!) kritisiert. Aber wissen Sie, Herr Westerwelle, es macht
des schnellen Wortes. die heutige Situation nicht besser, dass auch Rot-Grün
und Schwarz-Rot diese verhängnisvolle Politik eingelei-
(Ute Kumpf [SPD]: Des Ellenbogens!) tet, durchgesetzt und möglich gemacht haben. Das macht
Manchmal gefällt es einem, manchmal nicht. Sie sind es nicht besser. Diese Politik bleibt falsch und schlecht.
ein Politiker, der nicht in langen Wellen, nicht in langen (Beifall bei der LINKEN)
Linien denkt.
Wenn Sie bei der Frage der Rüstungsexporte im Prinzip
(Ute Kumpf [SPD]: Nur an sich denkt!) sagen, dass Sie eine falsche Politik fortgesetzt haben, hat
Ein Außenminister muss eigentlich in langen politischen das keinen Sinn. Sie hätten diese falsche Politik korrigie-
(B)
Linien denken und auf das Geschäft des Tages zugunsten ren müssen. Man hätte von diesem Pult aus deutlich ma- (D)
der Außenpolitik verzichten. chen müssen: Wir wollen raus aus dem Geschäft mit
dem Tode.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Sie sollten darüber nachdenken, ob wir uns auf Dauer
GRÜNEN) diese doppelten Standards in der Politik leisten kön-
nen. Ein bisschen salopp gesagt: Wer Krümmel nicht
Das schlägt irgendwann durch.
vom Netz nehmen will, wird anderen bei der Frage der
Sie haben hier als Beispiel genannt, wer Brasilien Nutzung der Atomenergie schlecht Ratschläge geben
entdeckt hat. Sie haben sich mit Delegation in diese Tra- können. Deutschland brilliert in der Welt mit doppelten
dition gestellt. Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich in die Standards; aber dies schadet uns irgendwann.
Tradition der kolonialen Ausbeutung und Unterdrü-
ckung gestellt haben? Ich möchte stattdessen eine beharrliche, langfristige,
durchdachte, gründliche und auf Diplomatie setzende
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Außenpolitik. Ich möchte gern, dass Sie verstehen, dass
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es keinen Sinn hat, gegenüber dem Iran weiter auf
Das kommt davon, wenn man nicht nachdenkt. Schnel- Sanktionen zu setzen. Das sagen Ihnen alle Leute, die
les Wort, schnelle Mark, um ein Geschäft zu machen. sich dort auskennen. Man muss den Iran, gerade wenn
man verhindern will, dass er sich Atomwaffen zulegt,
(Ute Kumpf [SPD]: Falsche Bilder!) beharrlich in die Staatengemeinschaft zurückführen. Das
Ich sage das ganz absichtlich hier so, auch vor dem Hin- heißt, man sollte nicht auf Sanktionen setzen, sondern
tergrund Ihrer Reise. Ich habe mich oftmals wie auf ei- auf Diplomatie, auf Debatten und auf Auseinanderset-
ner Tupperparty gefühlt, zungen bauen. Sie verlieren einen Partner nach dem an-
deren, wenn Sie nur auf Sanktionen setzen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
auf der die deutsche Industrie ihre Produkte anpreist und
dafür die Vermittlung des Bundesaußenministers be- Ich finde, langfristig gesehen kann man im Nahost-
nutzt. Den SPD-Kollegen möchte ich sagen, dass es bei konflikt nur durch ganz konsequente Diplomatie etwas
Steinmeier auch so war. Ich habe mich geschämt, den bewegen. Sie sind viel herumgereist in der Welt. Das
Außenminister und seine Begleitung in Vietnam mit Re- werfe ich Ihnen gar nicht vor; das ist Ihre Aufgabe als
klametüten von METRO herumlaufen zu sehen. Das Außenminister.
2758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Wolfgang Gehrcke
(A) (Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär: Da hat Bereich des Auswärtigen Amtes. Ich habe viele Außen- (C)
er aber Glück gehabt!) minister sozusagen haushalterisch begleiten dürfen. An
diesem reichhaltigen Fundus, was Amtsausstattung, Rei-
– Hier wird gesagt, da habe er Glück gehabt. Wenn Sie sen und Delegationen anbelangt, und zwar in Bezug auf
möchten, werfe ich Ihnen das auch vor; aber lassen wir Außenminister jedweder Couleur, würde ich gerne alle
das. Ich werfe Ihnen das nicht vor. Kolleginnen und Kollegen teilhaben lassen. Ich stehe bei
Ich möchte gern wissen: Was machen Sie in Bezug Bedarf immer gerne zu detaillierten Auskünften bereit.
auf Länder wie Syrien? Syrien ist ein Schlüsselland, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
wenn man den Nahostkonflikt lösen möchte. der FDP)
(Zuruf von der CDU/CSU: Ach nee!) Ich bedanke mich zunächst bei Herrn Dr. Morhard
– Ja, das wissen auch Sie. – Welche Politik betreiben Sie und seinen Mitarbeitern aus dem Auswärtigen Amt für
in der Auseinandersetzung mit der israelischen Regie- die hervorragende Unterstützung, nicht nur während der
rung? Ich habe vernommen, dass Sie den Siedlungsbau Haushaltswochen, sondern auch über das ganze Jahr hin-
kritisiert haben. Man muss klipp und klar sagen: Wer weg. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und
den Siedlungsbau fortsetzt, dem darf man keine Waffen Kollegen für die sehr harmonische Zusammenarbeit in
liefern. den Berichterstattergesprächen. Ich bedanke mich auch
bei Ihnen, Herr Minister, dass Sie in Bezug auf das Mit-
(Beifall bei der LINKEN) arbeiterbeurteilungssystem bereits erste Schritte ein-
Sie bilden deutsche Bundeswehrpiloten in Israel an geleitet haben – das ist den Mitarbeitern im Auswärtigen
Amt ein sehr wichtiges Anliegen – und dass Sie Ihre Be-
Drohnen aus, die in Afghanistan eingesetzt werden sol-
reitschaft erklärt haben, sich für mehr Gegenseitigkeits-
len. So einen Schwachsinn kann doch keiner ernsthaft
abkommen mit anderen Staaten hinsichtlich der Berufs-
als Politik bezeichnen. Es wäre richtig, zu sagen: Wir tätigkeit von Partnerinnen und Partnern, die im
liefern in ein Land, das eine solche Politik betreibt, nicht auswärtigen Dienst tätig sind, einzusetzen.
weiter Waffen. Das hätte politische Wirksamkeit.
Der Staatshaushalt
(Beifall bei der LINKEN)
– so sagte es der berühmte Kabarettist Werner Finck –
Herr Außenminister, ich möchte gerne, dass man
nicht nur, wie es im Koalitionsvertrag steht, Außenpoli- ist ein Haushalt, in dem alle essen möchten, aber
tik macht, um Deutschlands Platz auf dem Weltmarkt zu niemand das Geschirr spülen will.
verbessern. Ich möchte vier Eckpfeiler verankert sehen:
Das ist wohl richtig. Trotzdem haben wir unsere Arbeit
(B) erstens sich konsequent für das Völkerrecht einzusetzen, erledigt. Der erste Regierungsentwurf war schon ganz (D)
also eine Völkerrechtspartei zu sein, zweitens weltweit
eine Partei der sozialen Gerechtigkeit zu werden, drit- ordentlich, Herr Kollege Brandner. Der zweite war ei-
tens auf Abrüstung zu setzen – hier haben Sie recht – gentlich ganz gut. Aber den Feinschliff haben die parla-
mentarischen Beratungen gebracht, wobei sich die Op-
und viertens mehr Demokratie in die Außenpolitik zu
position nicht so sehr mit Ruhm bekleckert hat.
bringen. Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik
werden. Das ist die Zielrichtung der Partei und Fraktion Herr Kollege Brandner, ich wusste nicht: Ist Ihre
Die Linke. Rede mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung? Wenn
wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, hätten wir noch
Herzlichen Dank.
eine Unterdeckung in Höhe von 2,362 Millionen Euro
(Beifall bei der LINKEN) zu verzeichnen. Bis jetzt ist unbekannt, woher dieser Be-
trag kommen soll. Auch wir könnten umfangreiche
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wünsche äußern. Ein Außenminister namens Joschka
Fischer hat einmal gesagt: Ohne Moos nichts los.
Nun hat das Wort der Kollege Herbert Frankenhauser
für die CDU/CSU-Fraktion. Ganz abenteuerlich wird es bei den Grünen. Die Grü-
nen haben einen Wunschkatalog aufgestellt, der sage
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
und schreibe 283 Millionen Euro erfordern würde. Sie
neten der FDP)
haben aber keinen einzigen Vorschlag gemacht, woher
dieses Geld kommen soll.
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
und Kollegen! Ich möchte ein Angebot wiederholen, das GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Wir haben eine
ich bereits im Haushaltsausschuss gemacht habe. Vorab Gegenfinanzierung!)
möchte ich allerdings feststellen: Man hat nicht den Ein- – Die ist nirgendwo gestanden, jedenfalls nicht in den
druck, hier in der Haushaltsdebatte zu sein – ich bitte Änderungsanträgen, die Sie in den Haushaltsausschuss
deswegen, nicht zu erschrecken, wenn ich als Haushälter eingebracht haben. Vielleicht haben Sie die in einem
hernach etwas detaillierter über den Haushalt sprechen Rucksack mit sich herumgetragen;
werde –, sondern ich habe eher den Eindruck, hier han-
delt es sich um eine Reisedebatte. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
Ich wiederhole, wie gesagt, mein Angebot. Ich
glaube, ich bin der dienstälteste Berichterstatter für den das mag sein. Bei uns ist jedenfalls nichts angekommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2759

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: von dem Willen geprägt waren, Einvernehmen zu erzie- (C)
Herr Kollege Frankenhauser, gestatten Sie denn eine len.
Zwischenfrage des Kollegen Kindler?
Bezüglich der Datenlage, wie Sie sie dargestellt ha-
ben – dass bei der Gegenfinanzierung, wenn ich das
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): richtig gehört habe, 2,3 Millionen Euro fehlen würden –,
Bitte. vermute ich, dass Sie oder Ihr Büro oder Ihre Aktenlage
nicht alles ganz richtig erfasst haben.
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/
NEN):
CSU]: Ist das jetzt die Frage?)
Kollege Frankenhauser, würden Sie mir zustimmen,
dass man im Haushalt Prioritäten setzen kann, dass Wir haben mehr als eine einzelne Gegenfinanzierung
man gerade bei ziviler Krisenprävention, bei den Mitteln vorgeschlagen. Ich kann Ihnen das gerne noch einmal
für Afghanistan und bei anderen Punkten, wo wir deut- unterlegen.
sche Friedenspolitik umsetzen wollen, Aufwüchse vor-
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/
sehen kann, auch um die ODA-Quote zu erfüllen?
CSU]: Kommt jetzt noch die Frage?)
Wir Grünen schlagen als Gegenfinanzierung vor
– Es ist schon wichtig, dass, wenn hier etwas festgestellt
– ich habe das im Haushaltsausschuss gesagt; Sie erinnern
wird, darauf geantwortet wird. Wenn Sie das beunruhigt,
sich vielleicht an die Debatte mit Jürgen Koppelin –, auf
können wir das auch auf andere Art und Weise machen.
Flugtickets eine Abgabe zu erheben, wie es in Frank-
reich gemacht wird, wie es in Großbritannien gemacht Es liegt mir daran, dass deutlich wird: Bei diesen Be-
wird, wie es in den Niederlanden gemacht wird. Das ratungen ist es der SPD-Fraktion darum gegangen, eine
würde über 2 Milliarden Euro im Jahr einbringen; das Unterfinanzierung zu verhindern und eine sachlich bezo-
wäre eine ausreichende Gegenfinanzierung. Stimmen gene Gegenfinanzierung der Forderungen vorzuschla-
Sie mir zu, dass diese Debatte im Haushaltsausschuss so gen. Ich bin gerne bereit, die entsprechenden Unterlagen
war und dass wir damit eine solide Gegenfinanzierung vorzulegen.
vorgestellt haben?
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]:
Die Frage ist, ob das sachlich war!)
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):
Ich stimme Ihnen zu, dass wir eine Debatte hatten. Ob
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):
die solide war, will ich bezweifeln.
Ich werte das als wohlgemeinte Frage und bin gerne
(B) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU (D)
bereit, Ihnen Ihre Absicht zu bestätigen. Alles andere
und der FDP) können wir gerne noch persönlich klären, Kollege
Gehen Sie einmal zum Bäcker, verlangen Sie fünf Brandner.
Semmeln und sagen: Ich habe eine gute Idee; ich komme Jetzt weise ich noch auf ein paar wesentliche Verän-
in zwei Jahren vorbei und bezahle sie Ihnen. Ich will da- derungen hin, die wir im Rahmen der Haushaltsberatun-
mit sagen: Das ist ja alles wunderschön; aber man muss gen vorgenommen haben: Wir haben zum Beispiel die
im Haushalt konkrete Deckungsvorschläge machen, man Mittel für die Programmarbeit, also für Kulturpolitik, um
kann nicht mit theoretischen Zahlen hantieren. 2,48 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für den
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stabilitätspakt für Afghanistan um 90 Millionen Euro er-
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE höht, den Titel für Menschenrechte um 1,5 Millionen
GRÜNEN]: Haben wir gemacht!) Euro und die Mittel für Minenräumung um 1 Millionen
Euro. Wir haben den Titel für den Volksbund Deutsche
So kann man keine solide Haushaltspolitik machen. Kriegsgräberfürsorge noch einmal um 300 000 Euro ver-
stärkt, die dafür gedacht sind, dass wir gemeinsam mit
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dem VDK beginnen, den Opfern nationalsozialistischer
Kollege Frankenhauser, es gibt eine weitere Bitte Gewalttaten, zum Beispiel in der Ukraine, eine letzte,
nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Herrn Kolle- würdige Ruhestätte zu verschaffen. Ich halte das für
gen Brandner. dringend geboten. Wir wollen diese Aufgabe jetzt in An-
griff nehmen.
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Bitte, gerne, immer. der FDP)
Wir haben den Titel für Schulen im Ausland um
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: 5 Millionen Euro erhöht, weil wir darin, unsere Schulen
Herr Kollege Brandner, bitte. im Ausland zu verstärken, eine ganz wichtige Aufgabe
sehen.
Klaus Brandner (SPD):
(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])
Sehr geehrter Herr Kollege Frankenhauser, zuallererst
möchte ich bestätigen, dass die Beratungen, wie ich Bei dieser Gelegenheit begrüße ich die zahlreich anwe-
schon angesprochen habe, wirklich sehr harmonisch und senden Vertreter des Bundesrates.
2760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Herbert Frankenhauser
(A) (Auf der Bundesratsbank ist niemand zugegen – unterrichten müssen. Ich möchte anmahnen, dass sich (C)
Heiterkeit und Beifall) die Bundesregierung auf ein vernünftiges und personal-
sparendes Verfahren einigt, in dem der Bundestag aus-
Ich möchte noch einmal den Appell an die Bundesländer
reichend informiert wird.
richten – ich bitte auch die Bundesregierung, die ja mit
den Bundesländern ständig Gespräche führt, noch ein- Ein besonderes Anliegen ist auch immer die Haus-
mal darauf hinzuwirken –, bei der bisherigen Regelung, haltsführung und die Mittelverwendung der Europäi-
dass die Lehrer an Auslandsschulen kofinanziert wer- schen Union. Es beginnt damit, dass zurzeit der Posten
den, zu bleiben. Würde die Kofinanzierung abgeschafft, des Generaldirektors bei der Antibetrugsbehörde
müssten wir circa 200 Lehrkräfte aus dem Ausland ab- OLAF anscheinend nicht rechtmäßig besetzt ist. Deswe-
ziehen, weil wir sie mit den bisherigen Mitteln nicht fi- gen sind mehrere hundert Betrugsverfahren in Gefahr, zu
nanzieren könnten. Ich denke, alle Kolleginnen und Kol- kippen. Ich denke, bei den Milliardenbeträgen, die in der
legen, quer durch alle Fraktionen, wären gut beraten, EU rechtswidrig erschlichen werden, überwiegend durch
dieses Ansinnen zu unterstützen und bei ihrem jeweili- mehr oder weniger angesehene Mitgliedstaaten, muss
gen Landeskulturminister vorstellig zu werden, dass er eine funktionierende Antibetrugsbehörde vorhanden
es bei der bisherigen Regelung, die sich bewährt hat, be- sein.
lassen möge.
Es geht zum Beispiel nicht an, dass etwa die EU der
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Türkei 700 Millionen Euro jährlich zur Vorbereitung der
der FDP) Aufnahme in die EU zukommen lässt, aber der Europäi-
Wir haben den Titel „Afghanistan“ um 90 Millionen sche Rechnungshof erklärt, dass bei über der Hälfte des
Euro auf nunmehr 180,7 Millionen Euro im Bereich des Geldes nicht nachkontrolliert werden kann, wo es gelan-
Auswärtigen Amtes erhöht. Davon gehen 35 Millionen det ist. Wir sind es auch den deutschen Steuerzahlern
Euro in die Verstärkung des Polizeiaufbaus, 35 Millio- schuldig, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass mit
nen Euro in schnell wirkende Stabilisierungsprojekte im dem Geld der Steuerzahler auch auf europäischer Ebene
Norden Afghanistans, 10 Millionen Euro in eine Beteili- sorgfältig umgegangen wird.
gung am Reintegrationsfonds und 10 Millionen Euro in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
den Verwaltungs- und Justizaufbau. neten der FDP)
Ich nehme immer gern die Gelegenheit wahr, Herr Eine besondere Blüte scheint sich bei dem neuen
Außenminister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Europäischen Auswärtigen Dienst zu ergeben. So wie
paar kritische Worte zum Thema Europa zu sagen. Ich es aussieht, ist eine geschätzte Baroness dabei, einen Be-
möchte als Erstes wiederholen, was ich leider schon ver- hördenapparat mit 7 000 bis 8 000 Mitarbeitern aufzu- (D)
(B)
gebens angesprochen habe. Ich denke, man muss über bauen. Es ist aber noch nicht geregelt, welche Kompe-
die Visumpraxis, wie wir sie handhaben, noch einmal tenz die Behörde der Baroness als solche haben wird. Es
intensiv nachdenken. Es kann meines Erachtens nicht gibt auch noch keinen Organisationsplan. Man weiß ei-
angehen, dass unser Konsulat in Sankt Petersburg etwa gentlich gar nicht, was diese 7 000 bis 8 000 Mitarbeiter
40 000 Visa im Jahr ausstellt, die Finnen – übrigens ein tun sollen. Ich könnte es mir als zweckmäßig vorstellen,
Schengen-Staat – etwa 150 000 Visa. dass man diese offenen Fragen klärt, bevor man nun ei-
Ich als Haushälter sehe einfach nicht den sicherheits- nen zweiten Riesenapparat in Brüssel aufbaut.
politischen Sinn – oder mir fehlt die Erkenntnis –, was es Ich erwarte zu gegebener Zeit auch eine Äußerung
bringen soll, wenn Russen oder Esten mit einem finni- von Ihnen, verehrter Herr Außenminister, dahin gehend,
schen Visum in Deutschland einreisen, aber das deutsche dass es nicht eine reine Parallelinstitution geben wird. Es
Konsulat ein Visum nur in einem sehr langwierigen Pro- gibt schon erste Stimmen, die sagen: Gerade weil der
zess ausstellen kann. Wenn das nicht EU-weit geregelt Europäische Auswärtige Dienst so stark und so bedeu-
werden kann, was offensichtlich der Fall ist, sollten wir tend werden soll, müssen die nationalen Auswärtigen
uns national etwas überlegen, damit nicht Geschäftsleute Dienste zusätzlich gestärkt werden. Ich glaube also, auch
– natürlich finde ich es gut, wenn diese nach Deutsch- im Hinblick auf die noch anstehenden Konsolidierungen
land reisen – zuerst zu den Finnen gehen müssen, damit unserer öffentlichen Haushalte muss hier eine Doppel-
sie etwas unkomplizierter zu einem Visum kommen. funktion vermieden werden.
(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Recht (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.
hat er!) Ulrike Flach [FDP])
Dann habe ich bislang immer gehört, mit dem Ver- Zum Schluss habe ich noch eine Bitte bzw. Anregung,
trag von Lissabon, der nun beschlossen ist, werde alles Herr Außenminister. Mir fällt auf, dass wir weltweit Jahr
viel besser und einfacher werden. Die erste Erkenntnis, für Jahr leider sehr viele Katastrophenfälle zu beklagen
die ich inzwischen gewonnen habe, ist, dass allerorten haben. Wir basteln uns jetzt einen Europäischen Aus-
nach mehr Personal gerufen wird. Als Begründung wird wärtigen Dienst, haben x Kommissionen und was weiß
der Vertrag von Lissabon genannt. Wir haben zwar über ich noch alles. Mir fehlt ein europäischer Katastro-
den Einzelplan 05 gesprochen, aber es zieht sich durch phenhilfsdienst.
alle Einzelpläne. Alle Ministerien erklären: Wegen des
Vertrags von Lissabon brauchen wir mehr Personal, (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Genau das
nicht zuletzt deswegen, weil wir den Bundestag besser machen wir!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2761
Herbert Frankenhauser
(A) Ich halte es für ein humanistisches, zivilisiertes Mittel- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
europa für nicht hinnehmbar, dass zuerst einmal 10 oder Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischen-
14 Tage vergehen, bis sich irgendein Mitgliedstaat da- frage des Kollegen Koppelin?
rauf besinnt, dass man nach Erdbeben möglicherweise
schweres Gerät braucht, er aber nicht weiß, wie man das Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dorthin bringen kann. NEN):
(Beifall der Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin Bitte schön.
[FDP] und Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ (Ute Kumpf [SPD]: Wenn es sein muss!)
DIE GRÜNEN])
Ich denke, es wäre eine wirklich lohnenswerte Auf- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
gabe – auch für die Europäische Union –, eine zivile Danke, Frau Kollegin. – Da Sie gerade so schön in
Hilfsorganisation zu gründen und einen zivilen Einsatz- Fahrt sind, darf ich Sie einmal etwas fragen. Ich habe
plan zu erstellen, um bei solchen Katastrophen den be- hier ein Programm, wonach Ihr Parteivorsitzender, Herr
troffenen Menschen schneller helfen zu können. Özdemir, in Begleitung von Frau Vollmer und anderen
gestern in China gewesen ist. In der Zeit von 15 Uhr bis
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit. 17 Uhr war gestern ein Gespräch in der internationalen
Abteilung beim Zentralkomitee der Kommunistischen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Partei Chinas vorgesehen, und das Arbeitsgespräch lief
unter dem Motto „Zusammenarbeit zwischen den beiden
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Parteien“.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für Ich darf einmal fragen: Ist das Ihre Richtung? Ist da-
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. bei schon etwas herausgekommen?
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Westerwelle, Sie sind jetzt seit fünf Monaten im Amt des NEN):
Außenministers, wenn ich richtig gerechnet habe, und Ich weiß jetzt nicht, was daran lustig ist; ich kann Ih-
meines Erachtens ist noch immer völlig unklar, wohin nen dazu nichts sagen.
die deutsche Außenpolitik steuert. Auch in Ihrem Bei- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
(B) trag heute haben Sie meines Erachtens nichts Vorwärts- (D)
weisendes dazu beigetragen. Ich finde es völlig normal, dass man solche Gespräche
führt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sowie des Abg. Michael Roth [Heringen]
NEN]: Ja, natürlich gibt es Gespräche!)
[SPD])
Sie brauchen uns in der Debatte jetzt auch nicht mit Zwi-
Ich will heute hier darüber reden; denn bei der Haus- schenfragen zu nerven, mit denen Sie ablenken, und mit
haltsdebatte geht es auch um eine Generaldebatte über dieser Frage wollten Sie ablenken.
die deutsche Außenpolitik und darum, wohin sie steuert.
(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND-
Es wird viel über Sie persönlich geschrieben und viel NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der
über Sie geredet. Das haben Sie mit Ihren – ich möchte FDP: Das war zum Thema! – Wir stellen auch
sagen – diffamierenden Sprüchen zu Hartz IV erreicht. weiterhin Zwischenfragen!)
Das sieht die Kanzlerin ja wohl auch so.
– Ich habe nichts dagegen, und Sie werden das auch tun.
Was aber ist Ihre Linie in der Außenpolitik? Das ist
bis heute nicht erkennbar. Wie denn auch? Sie verzetteln Es wird erwartet, dass der Außenminister Deutsch-
sich in diversen Rollen als Parteivorsitzender, als eifriger lands Rolle in der Welt definiert: in Afghanistan, im
Nahen Osten, im Iran, in Europa und in Amerika. Zu al-
Spendensammler, als hartzpolitischer Sprecher der Frak-
ledem sagen Sie nichts, oder es kommen nur dünne
tion, und Sie tanzen auf vielen Hochzeiten. Dabei bleibt
Schlagworte.
die Außenpolitik eben auf der Strecke.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte einmal einige Überschriften zitieren: „Der
Ich sage: Sie haben bis heute keinen Kompass; Sie Mann ohne Antworten“, „Minister für Freundschaft“,
wissen nicht, was Sie mit diesem Amt wollen. Da Sie „Westerwelles Stilbrüche“. Heute titelt die FTD, die nun
Ihre Rolle als Außenminister bis heute nicht gefunden wirklich nicht ein linksliberales Blatt ist – ich möchte
haben, frage ich mich wirklich: Wie wollen Sie denn nicht den ganzen Kommentar vorlesen; am Ende ist er
dann Deutschlands Rolle in der Welt bestimmen? Das nämlich wirklich vernichtend –: „Möllemann der
wird nicht gehen. Zweite“.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Pfui!)
2762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Kerstin Müller (Köln)


(A) Soll ich vorlesen, was dort steht? ternehmen mit Sitz in der Schweiz hat, das in Deutsch- (C)
land bis heute keinen Euro Steuern bezahlt hat? Wieso
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nimmt man ihn mit? Weil er ein guter Freund des Herrn
NEN]: Ja!) Westerwelle ist? Welche großen deutschen Interessen
Fragen Sie lieber nicht. vertritt eine Frau Schlinkert,
Sie empören sich darüber, dass sich die Öffentlichkeit (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nur noch für die Reisebegleitung und nicht mehr für die NEN]: Wer ist das eigentlich?)
Inhalte interessiert. Sie sagen: Das ist eine Kampagne
ihres Zeichens Mitglied im Kulturausschuss der Stadt
der Opposition. Die FDP stellt sich hier heute Morgen
Bonn? Warum wurde sie mitgenommen? Man wird be-
als Opfer hin. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Bürge-
stimmt nichts zu ihr finden, das belegt, dass sie etwas
rinnen und Bürger stellen diese Fragen nämlich auch.
mit deutscher Außenpolitik zu tun hat oder ihre Mit-
Das ist an den Umfragewerten zu erkennen. Ich bin
nahme von deutschem außenpolitischen Interesse war.
jetzt seit 15 Jahren in diesem Parlament. Es hat immer
Sie behaupten aber, dass Sie die Leute deshalb mitneh-
Schwierigkeiten gegeben, manchmal auch bei den Au-
men. Hier haben Sie wohl eher ein persönliches Verspre-
ßenministern. Aber noch nie ist ein Außenminister im
chen auf Staatskosten eingelöst, oder nicht?
ersten halben Jahr seiner Amtszeit in den Umfragewer-
ten so abgestürzt. Ich werde jetzt nicht auf Ihre Zustim- Ich sage Ihnen, Herr Außenminister: Sie allein haben
mungsquote eingehen. es in der Hand, dem Deutschen Bundestag und der Öf-
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das bringt fentlichkeit darzulegen, was die Kriterien für die Mit-
doch inhaltlich gar nichts!) nahme auf eine solche Reise sind. Sie haben es in der
Hand, zu erklären, dass diese Reisen keine FDP-Be-
– Hören Sie mir bitte zu. Nur noch 26 Prozent der be- triebsausflüge sind und nicht FDP-Spender bevorzugt
fragten Bürger sind der Ansicht, dass Herr Westerwelle eingeladen werden oder gar Vertreter bestimmter Fir-
Deutschland als Außenminister gut vertritt. 77 Prozent men, weil Ihr Bruder an einer dieser Firmen Anteile hat.
– dazu gehören auch die Anhänger der FDP – sind der Wir und die Öffentlichkeit erwarten, dass diese Fragen
Meinung, dass Joschka Fischer seine Sache gut gemacht beantwortet werden. Sie allein tragen die Verantwortung.
hat. 70 Prozent sind der Ansicht, dass Herr Steinmeier es Schieben Sie sie nicht auf andere. Sie haben es in der
gut gemacht hat. Das ist der Unterschied. Sie stürzen ab. Hand, dass dieses Amt nicht weiter beschädigt, sondern
in Würde ausgeführt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Man traut Ihnen nicht mehr zu, dass Sie das Amt des Au- sowie bei Abgeordneten der SPD – (D)
Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Wirres Zeug
ßenministers seriös ausüben.
reden Sie hier!)
Hören Sie auf, das Ganze als Majestätsbeleidigung zu
Jetzt komme ich zur Außenpolitik.
sehen.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Es geht um (Beifall bei der FDP)
die rote Linie!) Ich möchte vor allem auf die Lateinamerikareise zu
– Es geht sehr wohl um Inhalte. Es geht nämlich um sprechen kommen. Das war ein großartiger Erfolg. Soll
das Amt des Außenministers, das von Herrn Westerwelle ich Ihnen einmal erzählen, wie die Journalisten das se-
beschädigt wird. Es geht darum, dass das die Mehrheit hen? Ich habe wirklich versucht, herauszufinden, wie die
der Deutschen so sieht. Es geht darum, dass Herr Bilanz dieser wichtigen Lateinamerikareise aussah. Herr
Westerwelle nicht in der Lage ist, Deutschlands Rolle in Westerwelle fand alles „ganz außerordentlich“. Er fand
der Welt zu bestimmen, es „sehr schön“, und er fand es „enorm“. Er fand, dass es
von „großer strategischer Bedeutung“ war. Aber selbst
(Widerspruch bei der FDP) den Gastgebern soll wohl schleierhaft geblieben sein,
worin denn der deutsche Außenminister ihre strategische
weil er sich mit Parteispenden, parteitaktischen Ge-
Bedeutung sieht.
schichten und in seinen Rollen hier zu Hause verzettelt
hat und weil er nicht zwischen persönlichen, dienstli- Ich zitiere einmal die mitfahrenden Journalisten, die
chen und parteitaktischen Dingen trennen kann. sich mit den Inhalten dieser Reise beschäftigt haben. Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen, dass Herr Westerwelle „in immer gleichen Wor-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ten so gut wie nichts sagt“ – dies stammt aus der Süd-
deutschen Zeitung –, dass die „Pose das Programm er-
Niemand hat etwas dagegen, dass Außenpolitik auch setzt hat“ und dass „der Meister der Schlagworte“
Außenwirtschaftspolitik ist. Alle vorherigen Außenmi- unterwegs gewesen ist. Das ist die Bilanz Ihrer Latein-
nister haben Delegationen auf ihre Reisen mitgenom- amerikareise. Ich finde nicht, dass man darauf unbedingt
men; das gilt auch für andere Minister. Darum geht es stolz sein kann. Das ist auch nicht verwunderlich. Über
aber nicht. Es geht vielmehr um die Kriterien für die ein- Ihr Amtsverständnis konnte man in einem Interview in
zelnen Teilnehmer an den Delegationen. Wieso liegt es der BamS nachlesen, in dem Sie gesagt haben: „Ich will
zum Beispiel im deutschen Interesse, den Unternehmer mir nicht ein paar schöne Jahre im Auswärtigen Amt
Boersch auf eine Dienstreise mitzunehmen, der ein Un- machen und die Welt kennenlernen.“ – Ich finde, genau
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2763
Kerstin Müller (Köln)
(A) das spiegelt Ihr Verständnis von Außenpolitik wider. Sie Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
verstehen Außenpolitik eher als Touristikunternehmen Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie
oder sehen sich bestenfalls als Handlungsreisender, ist überschritten.
wenn Sie zum Beispiel die Interessen der deutschen
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Atomindustrie in Brasilien vertreten. Ich meine: Das ist
definitiv zu wenig.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Oh!) NEN):
Ich komme zum Schluss. – Was macht der deutsche
Ein deutscher Außenminister ist kein Handlungsreisen- Außenminister? In der erwähnten Pressemitteilung äu-
der. Sie aber haben eine Hermesbürgschaft für Angra 3 ßert er sich gar nicht zu diesem Thema. Auch heute war
in Aussicht gestellt, obwohl das AKW in einem Erdbe- nichts dazu zu hören. Liegt das daran, dass Sie in partei-
bengebiet gebaut werden soll und obwohl Brasilien nicht politische Debatten verstrickt sind, und warum haben
bereit ist, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrver- Sie das Ganze nicht schon in der letzten Diskussion um
trag zu unterzeichnen, UNIFIL abgeräumt? Deswegen sind Sie nicht sprachfä-
hig, und die Kanzlerin bestimmt die Politik.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Hört! Hört!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
wofür wir aber dem Iran gegenüber massiv eintreten. Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Das ist außenpolitisch unverantwortlich und enthält we- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
nig Substanz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sowie bei Abgeordneten der SPD) NEN):
Jetzt komme ich zum Schluss. – Sie haben es in der
Ich kann andere Themen nennen, zum Beispiel das Hand. Schaffen Sie hier Klarheit! Wenn Sie das nicht tun
Thema Nahost, das für die deutsche Außenpolitik von und kein Interesse haben, dann sind Sie dieses Amtes
zentraler Bedeutung ist. Man spricht von der schlimms- nicht würdig.
ten Krise in den Beziehungen zwischen Israel und den
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
USA. Das kann ich verstehen; denn das, was die israeli- sowie bei Abgeordneten der SPD)
sche Regierung gemacht hat, ist ein Affront. Die neuen
(B) Siedlungen in Ostjerusalem sind ein Hindernis für den (D)
Frieden. Israel muss diesen neuen Siedlungsbau zurück- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nehmen. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner
für die FDP-Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Ich frage mich allerdings, wo der deutsche Außenmi- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
nister bei diesem zentralen Thema ist. Ich habe recher- Die Haushaltsdebatte ist traditionell eine Debatte über
chiert: Es gibt nichts außer einer dürftigen Pressemittei- die Grundzüge der Außenpolitik. Das sollte sie auch
lung. Stattdessen wird die Kanzlerin zitiert. Die sein.
Kanzlerin und der Verteidigungsminister – das sehen die Der Außenminister hat in wenigen Worten einige we-
Bürgerinnen und Bürger übrigens in Umfragen sentliche außenpolitische Leitlinien dargelegt. Aber er
genauso – machen Außenpolitik. Sie bestimmen, was in hat auch schon in den fünf Monaten seit seinem Amtsan-
Afghanistan, im Iran, in Nahost und im Libanon passiert. tritt deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Die Opposi-
tion hat Kritik geäußert. Das ist ihr gutes Recht.
Ein anderes Beispiel: Gerade war der libanesische
Ministerpräsident Hariri in Deutschland. Wir haben ihn Herr Brandner, Ihre Rede würde ich eher als Kompli-
gestern getroffen. Die Kanzlerin hat sehr klar gesagt, ment an die Bundesregierung verstehen. Sie haben ge-
dass sie alles dafür tun wird, damit die UNIFIL-Mission sagt, dass alles in die richtige Richtung gehe, und zwei
fortgesetzt wird. Auf meine Frage nach den Folgen unse- oder drei Kritikpunkte angeführt. Das mussten Sie für
res möglichen Rückzugs – das ist die Position der FDP – Ihre sozialdemokratischen Seelen tun. Das verstehe ich.
hat Ministerpräsident Hariri sehr deutlich gesagt, dass Aber im Wesentlichen haben Sie die Bundesregierung
dies ein sehr negatives Signal wäre; denn die UNIFIL- unterstützt.
Mission hat den Libanon in die stabilste Situation seit Herr Gehrcke, Sie haben sich am Außenminister ab-
40 Jahren gebracht. Wenn gerade die Deutschen ausstei- gearbeitet und vor allen Dingen die langen Linien ver-
gen, die den stärksten Beitrag unter den Europäern lie- misst. Ich kann Ihnen nur gratulieren; denn Sie zeigen
fern, wäre dies ein negatives Signal. Sie würden sich da- überdeutlich, wohin lange Linien führen. Sie sind seit
mit quasi von den P5-plus-1 verabschieden und ihre 40 bis 50 Jahren konsequent auf der falschen Seite deut-
entscheidende Rolle im Nahen Osten verlieren. scher Politik. Das ist konsequent.
2764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Rainer Stinner


(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wer welche Reisebegleiter in den letzten Jahren mitge- (C)
der CDU/CSU) nommen hat. Das betrifft sowohl den Außenminister der
Grünen als auch der SPD. Ich könnte Ihnen die Namen
Sie haben eine lange Linie langfristig verfolgt. Das ist
nennen. Aber wollen wir uns angesichts der Probleme
allerdings richtig.
auf der Welt allen Ernstes auf ein solches Niveau in der
Frau Müller hat den Anschein erweckt, als würde sie Haushaltsdebatte begeben? Wenn Sie das wollen: Ich bin
über Inhalte sprechen, konnte aber der übergroßen Ver- bereit dazu, halte es aber für außerordentlich schädlich
suchung nicht widerstehen. Sehr geehrte Frau Müller, und dumm, so etwas zu tun.
Sie haben sich dann doch wieder in eine Schlamm-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
schlacht hineinbegeben.
Ich habe heute ziemlich viel Papier dabei. Ich habe Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
eine Auflistung sämtlicher Reisen von Außenminister Herr Kollege, mir liegen noch zwei Bitten nach einer
Fischer und Außenminister Steinmeier sowie sämtlicher Zwischenfrage vor, und zwar vom Kollegen Koppelin
Spender dabei, die ich im Einzelnen vortragen könnte. und vom Kollegen Ströbele. Wollen Sie beide Zwischen-
Das mache ich aber nicht, sondern beschränke mich auf fragen zulassen?
den Hinweis, dass 2004 Herr Fischer einen Unternehmer
mitgenommen hat, der vorher eine Spende gezahlt hat.
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Ich nenne den Namen ausdrücklich nicht, weil ich Spen-
den nicht für falsch halte. Sie haben das auch gemacht, Ja. Wenn ich die Zwischenfrage von Herrn Koppelin
und es ist völliger Unsinn, uns das vorzuwerfen. zulasse, dann muss ich auch Herrn Ströbele die Chance
geben, eine zu stellen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Koppelin, bitte sehr.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Stinner, gestatten Sie eine Zwischen- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
frage von Herrn Nouripour? Es passt vielleicht ganz gut, dass der Kollege Ströbele
nach mir eine Zwischenfrage stellt.
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Von Herrn Nouripour? Das ist gut. Herr Stinner, können Sie sich daran erinnern – da es
aktuell um Personalien geht –, dass in den Planungsstab
(B) des Auswärtigen Amtes, als Joschka Fischer Außenmi- (D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nister wurde, ein Herr Schmierer kam, der Pol Pot und
Herr Kollege Nouripour. die Roten Khmer, die für die massenhafte Tötung von
Kambodschanern verantwortlich sind, bejubelt hat, und
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wissen Sie noch, dass wir das kritisiert haben und die
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Grünen das trotzdem akzeptiert haben?
Stinner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
nicht nur die Grünen Kritik äußern? Sie kennen be- Dr. Rainer Stinner (FDP):
stimmt den Vizeministerpräsidenten des Landes Hessen, Herr Koppelin, ich kann mich daran erinnern, insbe-
Jörg-Uwe Hahn. sondere daran, dass wir das damals nachhaltig kritisiert
Er ist Parteivorsitzender der FDP in Hessen. Er hat ges- haben, und zwar völlig zu Recht. Ich bleibe bei dieser
tern – das ist heute in der Frankfurter Rundschau nach- Kritik noch heute.
zulesen – auf die Nachfrage einer Zehntklässlerin: „Was (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
würden Sie tun, Herr Hahn, wenn Sie Guido der CDU/CSU)
Westerwelle wären?“ geantwortet: „Ich würde mich zu-
rückziehen, mir selbst eine Auszeit geben.“ Sind Sie
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nicht stolz darauf, dass Sie noch solch weise Mitglieder
Herr Ströbele.
in Ihrer Partei haben?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Stinner, Außenminister Westerwelle hat eine
Nein, darauf bin ich gar nicht stolz. Ich kann mir nicht Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die aus Ihren Rei-
vorstellen, dass der stellvertretende Ministerpräsident ei- hen kommt. Sie heißt Cornelia Pieper. Wir hatten vor ein
nes Bundeslandes allen Ernstes erwartet, dass der Bun- paar Tagen das Vergnügen einer öffentlichen Diskussion
desaußenminister 14 Tage lang nichts tut. Ich glaube über die Reisen des Außenministers und die Auswahl
daher nicht, dass gemeint war, dass der Bundesaußenmi- seiner Reisebegleiter. Sie hat in ihrer Not – so bewerte
nister sein Amt nicht mehr ausüben soll. So können Sie ich das – gesagt, dass ich die Einzelheiten am Mittwoch
uns nicht kommen. Ich weiß, dass nicht nur die Grünen, in der Debatte im Deutschen Bundestag erfahren werde,
sondern auch andere Kritik geübt haben. Ich weiß aber dann werde der Außenminister selber dazu Stellung neh-
auch – ich kann Ihnen eine entsprechende Liste vorlegen –, men, insbesondere zu den Kriterien der Auswahl seiner
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2765
Hans-Christian Ströbele
(A) Reisebegleiter. – Nun bin ich heute Morgen früh aufge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
standen und hierher gekommen Herr Kollege Stinner, Herr Beck möchte eine Zwi-
schenfrage stellen.
(Lachen bei der FDP)
und warte schon den ganzen Vormittag, ob die Bundes- Dr. Rainer Stinner (FDP):
kanzlerin oder Herr Westerwelle mir Aufklärung gibt. Sie wollen noch mehr haben? Sie können noch mehr
Ich hätte gerne Aufklärung darüber – das ist eine nor- bekommen, bitte schön.
male Frage eines Oppositionsabgeordneten –: Nach wel-
chen Kriterien wählt der Außenminister seine Begleiter Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
aus, und spielen dabei insbesondere persönliche Kon- Herr Kollege, Sie scheinen zumindest dem Begehren
takte, Freundschaften, Spenden oder was auch immer der Transparenz nicht völlig fernzustehen. Das ist auch
eine Rolle? Sind Sie bereit, das zu beantworten oder Ih- gut. Wir Parlamentarier sollten, egal welche Farbe die
ren Außenminister aufzufordern, das zu tun? Regierung hat, gemeinsam auf unsere Kontrollrechte
achten. Nun gibt es nicht nur Fragen zu den Delegations-
Dr. Rainer Stinner (FDP): reisen, sondern auch Fragen zu den Berliner Abenden
Herr Ströbele, ich benötige jetzt mein Papier mit den des Auswärtigen Amtes in der Villa Borsig.
Namen der Reisebegleiter ehemaliger Außenminister (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr gute
tatsächlich, obwohl ich das nicht wollte. Aber Sie als Frage!)
Opposition zwingen mich dazu. Ich kann Ihnen bestäti-
gen, sehr geehrter Herr Ströbele, dass Außenminister – Darf ich meine Frage stellen? – Der Außenminister hat
Steinmeier elfmal – ich betone: elfmal – von einem sich meines Wissens auf Nachfragen im Haushaltsaus-
SPD-nahen Verleger begleitet worden ist. schuss geweigert, die Gäste zu nennen. Ich will gar nicht
sagen, dass da irgendetwas schiefläuft, aber ich kann das
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE nicht nachprüfen, wenn man dem Parlament die Aus-
GRÜNEN]: Er hat nach Westerwelle gefragt!) kunft verweigert.
– Ich möchte die Frage so beantworten, wie ich es will. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt
Falls Sie von Ihrer Fraktion einmal Redezeit bekämen, aber nicht!)
könnten Sie hier vorne auch so agieren, wie Sie wollten. Ich fand die Begründung, dass die Privatsphäre der
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gäste berührt sei, wenn man offenlegt, wer an einer offi-
der CDU/CSU) ziellen Veranstaltung des Auswärtigen Amtes teilnimmt,
(B) (D)
besonders beeindruckend. Nun ist das Auswärtige Amt
Sehr geehrter Herr Ströbele, ich kann Ihnen bestäti- bekanntermaßen kein Geheimdienst, und es gab wahr-
gen, dass Außenminister Steinmeier elfmal den SPD-na- scheinlich auch keine vertraulichen Gespräche mit ande-
hen Unternehmer P. mitgenommen hat und zu diesem ren Regierungen. Ich hätte Verständnis dafür, dass man
Unternehmer private Beziehungen pflegt; denn die bei- über solche Gespräche nicht alles sagen kann. Unterstüt-
den bilden eine Wohngemeinschaft. Man könnte also zen Sie das Anliegen unserer Fraktion, dass diese Gäste-
flapsig sagen: Wohngemeinschafts-Buddys wurden mit listen offengelegt werden und dabei transparent gemacht
auf Auslandsreisen genommen. Darüber können wir wird,
noch detailliert diskutieren. Ich kann Ihnen jetzt nur sa- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Haben sie
gen, dass das Auswärtige Amt sehr sorgfältig und sauber doch!)
plant, wie solche Reisen zusammengestellt werden. Das
war bei Herrn Fischer und Herrn Steinmeier so, und das ob die Gäste Förderer und Spender der FDP oder Perso-
wird auch bei Herrn Westerwelle so sein. nen mit einem außenpolitischen Zusammenhang sind,
bei denen es einen Sinn ergibt, dass sie an den Berliner
Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Ströbele, auch sa- Abenden des Auswärtigen Amtes teilnehmen?
gen, dass bei der Reise nach Tokio und Peking, an der
neben Kollegen Ihrer Fraktion auch ich teilgenommen
Dr. Rainer Stinner (FDP):
habe, ein Herr dabei gewesen war, der in den letzten Jah-
ren der SPD und der CDU, nicht aber der FDP gespendet Sehr geehrter Herr Kollege Beck, zunächst einmal
hat. Auch das nur zur Information. Das heißt, dass hier zeigen Sie und Ihre Kollegen, die dieses Thema hochzie-
nicht nach solchen Kriterien ausgesucht worden ist. hen, was von den ersten Kollegen, die hier gesprochen
Vielmehr legt das Auswärtige Amt eine Liste vor, aus haben, nicht gemacht worden ist, dass Sie offensichtlich
der ausgewählt wird. Das war bei Fischer so, das wird inhaltlich an der Politik des Außenministers nichts aus-
bei Steinmeier so gewesen sein, und das ist bei Herrn zusetzen haben. Das nehme ich als großes Kompliment
Westerwelle ganz genauso. Diese Praxis wird das Au- für die Außenpolitik. Herzlichen Dank dafür. Das zeigt,
ßenministerium fortsetzen. Sie können sicher sein, dass dass Sie inhaltlich nichts auf der Pfanne haben.
dabei die verschiedenen Interessen ausgewogen zur Gel- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
tung kommen.
Wenn Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer einer
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fraktion, die auch schon einige Jahre Regierungsverant-
der CDU/CSU) wortung getragen hat – hoffentlich so bald nicht wieder –,
2766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Rainer Stinner


(A) hier bemängeln, dass der Außenminister und Vizekanz- dass sie sehr beeindruckend fanden, wie sich der Minis- (C)
ler der Bundesrepublik Deutschland auch eine gesell- ter präsentiert hat. Wenn der Minister so weitermache,
schaftliche Funktion wahrnimmt, indem er gesellschaft- dann werde das eine ganz hervorragende Amtszeit. Ich
lich relevante Personen aus allen Kreisen einlädt, wiederhole: Das haben Oppositionsabgeordnete gesagt.
Ich nenne keine Namen, um keine Parteiausschlüsse zu
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
provozieren; schließlich sind einige unserer Parteien im-
GRÜNEN]: Warum kann man sich nicht offen
mer sehr schnell damit.
dazu bekennen?)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Sven-
und das kritisieren, dann haben Sie ein Verständnis von
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
repräsentativer Demokratie, das ich in keiner Weise
NEN]: So etwas kann sich jeder ausdenken!)
nachvollziehen kann.
Frau Müller, ich habe nicht das geringste Verständnis
Herzlichen Dank.
dafür, dass Sie sagen: Auch beim Thema Afghanistan
(Beifall bei der FDP) hat der Außenminister nichts Neues eingebracht. Die
vorherigen Regierungen haben nach bestem Wissen und
Ich bin gerne bereit, weitere Mitreisende von SPD- Gewissen etwas Gutes und Richtiges versucht. Die Vor-
Ministern und Ministern der Grünen zu nennen. Falls Sie gängerregierung hat das Thema „vernetzte Sicherheit“
aber keine weiteren Zwischenfragen haben, würde ich in wie eine Monstranz vor sich her getragen. Unter der jet-
den restlichen Minuten gerne einiges zum Inhalt sagen; zigen Regierung mit diesem Außenminister ist es erst-
denn das sollte der Kern unserer Debatte sein. Wenn Sie mals gelungen, dass Deutschland international Akzente
das nicht wollen, dann zeigen Sie, dass Sie inhaltlich setzt – das haben wir immer gefordert –: Die Konferenz
kein Interesse haben. in London ist von Deutschland angeschoben, moderiert
Der Außenminister hat zu Beginn seiner Amtszeit und getrieben worden; das war deutsche Außenpolitik.
sehr deutlich gemacht, dass er sich einerseits in der Kon- Auch das Ergebnis kann sich sehen lassen; das werden
tinuität deutscher Außenpolitik sieht und andererseits Sie gar nicht abstreiten können. Damit sind die Probleme
eigene Akzente setzen wird. Wir brechen uns keinen Za- Afghanistans zwar nicht auf einen Schlag gelöst, aber es
cken aus der Krone, wenn wir uns zu der Kontinuität der ist eine bestimmte Richtung eingeschlagen worden: Erst-
deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bekennen. mals hat die NATO eine gemeinsame Strategie verabre-
Dazu gehören viele FDP-Minister, zu der gehören aber det, und gleichzeitig ist ein Weg aufgezeigt worden, wie
auch andere Minister wie Herr Fischer und auch Herr wir das Land eines Tages verlassen werden können. Das
Steinmeier. Herr Westerwelle stellt sich ausdrücklich in ist neu.
diese Kontinuität. Wir haben auch an dem Haushalt ge- Ich bezweifele gar nicht, dass Sie das Gleiche woll- (D)
(B)
sehen, sehr geehrter Herr Brandner, dass Kontinuität ten. Nur, meine Damen und Herren, der beste Beweis für
herrscht. Das haben Sie uns bestätigt. Herzlichen Dank das Wollen ist das Tun – und Sie haben das Notwendige
für die große Übereinstimmung, die wir hier haben. nicht getan, während es die neue Bundesregierung unter
Herr Westerwelle hat aber auch gesagt, dass er eigene Führung des Außenministers getan hat. Das ist ein nach-
Akzente setzt, wie es jeder Minister tut. Er hat damit haltiger neuer Akzent. Man kann gar nicht energisch ge-
sehr früh angefangen und in den ersten Tagen seiner nug darauf hinweisen, dass es eine neue Qualität deut-
Amtszeit zuerst eine Reise nach Polen und dann eine scher Außenpolitik ist.
nach Brüssel zur nationalen Regierung angetreten. Die (Beifall bei der FDP)
Regierung in Brüssel hat neun Jahre lang keinen lebendi-
gen deutschen Außenminister mehr gesehen. Er hat da- Ich komme auf das Thema Abrüstung zu sprechen.
mit dokumentiert, dass wir das, was wir sagen, ernst Frau Müller, auch beim schlechtesten Willen – den ich
nehmen, dass wir zwar zu den Großen in Europa gehö- Ihnen sonst nicht unterstelle; aber Ihre heutige Rede deu-
ren, aber mit den kleinen und mittleren Staaten auf Au- tet darauf hin, dass Sie vielleicht auch da ein bisschen
genhöhe verhandeln. Es war ein deutliches Zeichen, das abgerutscht sind – können Sie nicht bezweifeln, dass der
er hier gesetzt hat. Außenminister bezüglich der Abrüstung neue, energi-
sche Akzente gesetzt hat. Auf dieses wichtige Thema hat
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
er auch heute trotz seiner kurzen Redezeit ausdrücklich
der CDU/CSU)
hingewiesen. Es ist eine glückliche Fügung, dass wir
Ferner hat er die beiden Begriffe Werte und Interes- jetzt im Einklang mit unseren amerikanischen Verbünde-
sen in einer neuen Weise intoniert. Wie Kollegen von Ih- ten sind. Die Bundesregierung wird dieses Thema unter
nen habe ich an der Reise nach Peking und Tokio teilge- Führung des Außenministers weiterhin energisch behan-
nommen. Die nicht verletzende, aber sehr offene und deln. Er hat dabei unsere große Unterstützung.
deutliche Weise, in der der Minister in Peking sowohl
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
die Menschenrechtsproblematik in China angesprochen
hat als auch für die deutschen wirtschaftlichen Interessen Ihre Kritik war nicht inhaltlicher Art. Auf die von
und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen in Herrn Gehrcke skizzierten langen Linien bin ich einge-
Deutschland eingetreten ist, hat auch anderen Respekt gangen. Frau Müller, Sie haben der Versuchung nicht
abgerungen. Nach Abschluss der Reise haben mir Kolle- widerstanden, hier auf die Pauke zu hauen. Ihre Kritik ist
gen der Oppositionsfraktionen – um niemandem zu inhaltlich nicht fundiert. Die Außenpolitik hat nach
schaden, möchte ich jetzt keine Namen nennen – gesagt, 140 Tagen Fahrt aufgenommen. Die Leitlinien sind ge-
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Dr. Rainer Stinner
(A) setzt. Diese Bundesregierung unter Führung des Außen- gen in Ihrer Zwischenfrage angesprochen wurden, gebe (C)
ministers wird sich auf die Koalitionsfraktionen – auf je- ich Ihnen das Wort, Herr Beck.
den Fall auf meine Fraktion, aber, wie ich weiß, auch auf
die Unionsfraktion – stützen können, sodass wir diese Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
sachorientierte, wertegeleitete, interessengeleitete deut- Unsere Anfrage an diese Listen verbindet sich mit
sche Außenpolitik erfolgreich fortsetzen werden. Dafür keiner Bewertung, sondern es geht hier um Transpa-
werden wir sorgen. Egal was für einen Tanz Sie anstel- renz.
len: Sie werden uns von diesem richtigen Weg nicht ab-
bringen. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Gäste
abqualifizieren!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler – Ja, es geht hier um Transparenz.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie mauern
doch bei den Informationen!) Natürlich kann Transparenz dazu führen, dass die Öf-
fentlichkeit kontrovers über Dinge, die bekannt werden,
diskutiert. Ich meine, dass es auch völlig in Ordnung
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: geht, dass darüber geredet wird, wer bei solchen Veran-
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun staltungen eingeladen wird. Hier handelt eine Regie-
dem Kollegen Koppelin. rungsstelle als Exekutive. Es wäre nicht in Ordnung,
wenn darüber geredet würde, wer sich mit wem auf pri-
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): vaten Partys des Außenministers oder welcher Person
Der Kollege Volker Beck hat in einer Zwischenfrage auch immer trifft. Aber wenn etwas vom Steuerzahler
behauptet, der Bundesaußenminister habe sich im Haus- bezahlt wird, wenn es um die offiziellen Kontakte des
haltsausschuss geweigert, zu ermöglichen, dass Listen Auswärtigen Amtes geht, dann hat die Öffentlichkeit
eingesehen werden, aus denen hervorgeht, wer Gast in auch einen Anspruch.
der Villa Borsig gewesen ist. Der Sachverhalt ist fol-
gendermaßen – ich bin Mitglied im Haushaltsausschuss, (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
Sie nicht, Herr Kollege Beck –: Zwei Kollegen aus dem Der Rechnungshof prüft! – Dr. h. c. Jürgen
Haushaltsausschuss – einer ist Mitglied Ihrer Fraktion – Koppelin [FDP]: Rechnungshof!)
haben entsprechende Listen eingesehen Es reicht nicht, dass diskrete Einsichtnahme gewährt
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: wird; vielmehr kann man sich dazu bekennen. Ich sage
Eine einzige Liste!) gar nicht, dass da irgendetwas schief ist; aber wir haben
(B) das Recht, so etwas zu erfahren und dann zu bewerten, (D)
– meinetwegen haben sie nur eine Liste eingesehen; da- ob das in Ordnung ist oder nicht.
rüber streite ich mich mit Ihnen gar nicht –, auf denen
steht, wer in die Villa Borsig eingeladen war. Diese Liste Ich maße mir kein Urteil an, wenn ich die entspre-
hat sich anschließend in den Medien wiedergefunden, chenden Informationen nicht habe. Aber es gibt eben
mit Namensnennung und Abqualifizierung dieser Gäste. entsprechende Berichte, bei denen man das Gefühl hat,
Es wurde zum Beispiel geschrieben, das seien B-Promis die Zusammenstellung sei in besonderer Weise und viel-
gewesen. Unter den Gästen waren Botschafter. In den leicht nicht ganz sachgerecht mit Blick auf das Auswär-
Medien sind übrigens auch Botschafter genannt worden, tige Amt erfolgt. Es mag so sein, es mag sich auch ganz
die gar nicht dabei waren; auch das muss man einmal zur anders verhalten. Wissen und beurteilen kann man das
Kenntnis nehmen. nur, wenn man die Informationen offenlegt. Deshalb for-
dere ich den Außenminister auf, hier Transparenz walten
Wenn der Bundesaußenminister Gäste einlädt, dann zu lassen und uns auch zu sagen, wer welche Leute für
kann es nicht angehen, dass diese anschließend in den Delegationsreisen vorgeschlagen hat und welches Bera-
Medien persönlich abqualifiziert werden, weil Kollegen tungsergebnis am Ende für die Zusammenstellung der
aus dem Ausschuss eine entsprechende Liste einsehen Delegation herausgekommen ist. Diese Vorgänge müs-
konnten. Insofern unterstütze ich, dass der Bundes- sen transparent gemacht werden.
außenminister gesagt hat: Zukünftig gibt es keine Ein-
sicht mehr in eine solche Liste. In diesem Fall hat es aber Sie, Herr Außenminister, haben sich beschwert, dass
Einsicht gegeben; er hat sich dem vorher nicht verwei- angeblich eine Kampagne gegen Sie laufe. Ich glaube,
gert. Das sei zur Klarstellung gesagt. Diejenigen, die das die Kampagne hat nur ein Feuer: Das ist die mangelnde
in die Medien getragen haben und die Gäste abqualifi- Transparenz des Auswärtigen Amtes bei diesen Vorgän-
ziert haben, haben selber Schuld, wenn sie zukünftig gen und nicht der böse Wille von Leuten, die Fragen ha-
diese Listen nicht mehr einsehen können. ben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: So ist und bei der SPD)
es!) Fragen, mit Verlaub, sind keine Majestätsbeleidigung,
sondern das gute Recht des Parlamentes. Das Interpella-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tionsrecht und das Haushaltsrecht sind unsere höchsten
Normalerweise antwortet auf die Kurzintervention Güter. Sie machen viel von dem aus, was das Parlament
der Redner. Nachdem Sie aber persönlich auf Einlassun- leisten kann.
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Volker Beck (Köln)


(A) (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Gäste alles schade der Demokratie bzw. der politischen Kultur. (C)
abqualifizieren!) Aber, Herr Außenminister, wo kommen wir hin, wenn
Sie die Ordnung des Staates so mit Ihrer Person identifi-
Diese Aufgabe werden wir auch weiter wahrnehmen und zieren, dass Sie auch die Kritik, die an Ihnen persönlich
uns da, mit Verlaub, den Schneid nicht abkaufen lassen. geübt wird, mit Ihrem Amt verbinden?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
und bei der SPD – Dr. Rainer Stinner [FDP]: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte gerne antworten!)
Ich muss Ihnen sagen: Wenn etwas der Demokratie ge-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: schadet hat, dann waren es die Parteispenden und eine
Wir fahren in der Debatte nun fort. Ich erteile das Haushaltspolitik, die sich möglicherweise von diesen
Wort dem Kollegen Rolf Mützenich für die SPD-Frak- Parteispenden abgeleitet hat. Das müssen Sie verantwor-
tion. ten. Ich finde, das schadet der Demokratie mehr als die
Frage nach Aufklärung und Transparenz in diesem Bun-
(Beifall bei der SPD) destag.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Dr. Rolf Mützenich (SPD): DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! LINKEN)
Die eine oder andere Diskussion, die wir hier gerade ge-
führt haben, entspricht nicht meiner Debattenkultur. Herr Außenminister, ich hatte Ihnen in der Debatte,
die wir anlässlich der Einbringung des Haushalts geführt
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der haben, Kooperation angeboten. Das finde ich auch wei-
FDP) terhin richtig. Wir haben dies auch im Falle Afghanis-
Zugleich finde ich aber auch, dass Sie, Herr Außen- tans getan. Es wird in den nächsten Wochen und Mona-
minister, heute eine Chance verpasst haben. Sie hätten ten sicherlich genügend Themen geben, bei denen die
auf die Nachfragen, die in den letzten Tagen gestellt Opposition, zumindest die SPD-Fraktion, mit Ihnen in
worden sind, durchaus antworten können. Sie hätten ein Gespräch inhaltlicher Art eintreten will. Aber dazu
auch genug Redezeit gehabt, insbesondere weil ich möchten wir wissen: Wo wollen Sie eigentlich hin mit
glaube, dass die drei Punkte, die Sie angeführt haben, dieser Außenpolitik? Eine Antwort auf diese Frage hat in
Sie nicht so stark bedrängt haben, dass Sie nicht auf die den letzten 140 Tagen gefehlt.
drängenden Fragen, die in den letzten Tagen immer wie- Ich war zum Beispiel wirklich enttäuscht, dass Sie es
(B) der gestellt worden sind, hätten antworten können. nicht geschafft haben, der neuen europäischen Außen- (D)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ministerin – Herr Stinner und Herr Frankenhauser, Sie
haben eben darüber gesprochen – einmal beizuspringen.
Ich fand auch manches bizarr, insbesondere, dass Sie Was macht diese Kollegin in den letzten Tagen durch?
am Sonntag gesagt haben, Ihnen werde man den Schneid Sie wird auf europäischer Ebene sozusagen gemobbt,
nicht abkaufen. Ich will Ihnen den Schneid nicht abkau- weil sie es beispielsweise nicht schafft, am Wochenende
fen. Darauf kommt es gar nicht an. Ich hätte auch diesen drei Termine wahrzunehmen, und stattdessen bei ihrer
Duktus nicht gewählt. Der entscheidende Punkt ist doch Familie sein will. Ich finde, es gehört, auch innerhalb
einfach, dass in den letzten Wochen und Monaten so Europas, zum guten Ton, sich vor diese Institution zu
viele unterschiedliche Fragen mit Ihnen, aber auch mit stellen und den Europäischen Auswärtigen Dienst zu un-
dem Amt in Verbindung gebracht worden sind, dass terstützen.
diese Diskussion notwendig gewesen ist und die offenen
Fragen sozusagen nach Antworten schreien. Ich glaube, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Sie hätten heute antworten sollen. Ich habe das erwartet. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich hätte es auch deswegen besser gefunden, weil ich Ein anderer Punkt ist von Kollegin Müller angespro-
glaube, dass diese Empörungsrituale, die Sie in den letz- chen worden. Ich finde es erschreckend, dass Sie, der Sie
ten Tagen immer wieder aufzuführen versucht haben, sich damals in der Opposition gegen UNIFIL ausgespro-
letztendlich wieder auf Sie zurückfallen werden. chen haben, es heute nicht schaffen, über Ihren Schatten
zu springen und in der Funktion des Außenministers
Sie haben sich darüber beschwert, dass die Opposi-
dem libanesischen Ministerpräsidenten gegenüberzutre-
tion eine entsprechende Debatte geführt hat, als Sie im
ten und ihm zu sagen, dass wir darüber noch einmal
Ausland gewesen sind. Ich hätte mich zuerst einmal an
nachdenken und unter Umständen nach der Sommer-
meinen Koalitionspartner gewandt und gefragt, was
pause ein erneutes Mandat dafür einbringen. Denn der li-
denn in den Generalsekretär Dobrindt gefahren sei, als er
banesische Ministerpräsident hat doch, als er hier zu Be-
über die „Abwrackprämie für Taliban“ gesprochen hat,
such war, händeringend darum gefleht, dass Deutschland
als es um die Afghanistanstrategie ging, als er Sie in die
sich nicht aus dem Mandat verabschiedet, weil er Angst
Türkei begleitet hat und Aussagen getätigt hat, die von
hat, dass dann der Nahostprozess, von dem man nicht
uns mit Sicherheit niemals gekommen wären. Ich wäre
mehr wirklich sprechen kann, nicht mehr für Libanon
also vorsichtig bei diesen Fragen.
gilt. Auch das haben Sie nicht getan. Ich würde mir wün-
Nun wollen zum Beispiel Herr Lindner und Ihre Frak- schen, Sie wären an dieser Stelle wirklich Außenminis-
tionsvorsitzende Ihnen beispringen, indem sie sagen, das ter.
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Dr. Rolf Mützenich
(A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ merk gilt zuerst Ihnen selbst und dann der Außenpolitik. (C)
DIE GRÜNEN) Ich glaube, das ist die falsche Reihenfolge.
Sie haben es der Kanzlerin überlassen, den Siedlungs- Vielen Dank.
bau zu kritisieren. Ich fand das, was Sie heute hierzu ge-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
sagt haben, wachswindelweich; das sage ich an beide
DIE GRÜNEN)
Parteien gerichtet. Ich meine, man muss ganz offen ge-
genüber der israelischen Regierung zum Ausdruck brin-
gen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde nir- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gendwo baut, sondern im Grunde genommen daran Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder für
gehindert wird, ihre Arbeit zu tun. Das sind Dinge, die die CDU/CSU-Fraktion.
ein deutscher Außenminister ansprechen muss und auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
darf, insbesondere in der konkreten Verantwortung ge-
genüber Israel. Auch dazu habe ich heute kein Wort ge-
hört. Philipp Mißfelder (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in dieser De-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) batte die Gelegenheit nutzen, mich bei denjenigen zu be-
Dann rühmen Sie sich immer, Sie wären sozusagen danken, die neben dem Bundesaußenminister und neben
der Erfinder von Abrüstung und Rüstungskontrolle. den Abgeordneten die Außenpolitik Deutschlands reprä-
Herr Außenminister, Sie wissen, dass wir zurzeit über ei- sentieren. Das sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
nen gemeinsamen Antrag zu Abrüstung und Rüstungs- ter im diplomatischen Korps und unsere vielen Ortskräfte,
kontrolle verhandeln, weil uns viel daran liegt, dass die die wir weltweit beschäftigen. Insgesamt repräsentieren
Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in 12 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bundesrepu-
New York ein Erfolg wird. Ich finde es richtig, dass der blik Deutschland in der Welt. Ihnen spreche ich meinen
Bundestag sich hierzu zusammensetzt. Aber ich sage Ih- herzlichen Dank für ihre vorzügliche Arbeit aus, die sie in
nen: Es ist zu wenig, zum Beispiel nur den Abzug der schwierigen Situationen wie in Chile, Haiti, Afghanistan
taktischen Atomwaffen zu fordern, wenn man nicht und anderswo, aber auch auf Positionen, wo deutsche In-
gleichzeitig mit seinen europäischen Kollegen darüber teressen gewahrt werden müssen, wie zum Beispiel in
spricht. Denn sonst sagen vielleicht plötzlich andere Re- Nachbarländern, leisten.
gierungen: Wenn die Atomwaffen aus Deutschland ver- Mein Dank geht auch an diejenigen, die sie dabei be-
schwinden, nehmen wir die ganz gerne. – Das gehört gleiten: an die Ehemänner und Ehefrauen, an die Partne-
(B) nicht zu einer klugen Abrüstung und Rüstungskontrolle, rinnen und Partner. Sie alle tragen dazu bei, dass das An- (D)
sondern das verlagert nur das Problem. sehen Deutschlands überall in der Welt sehr gut ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch dafür einen herzlichen Dank.

Deswegen wäre ich Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
Manns genug wären, diese Diskussion auch auf die euro- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
päische und die NATO-Ebene zu verlagern. Ich möchte in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen,
auf ein paar grundsätzliche Fragen der Außenpolitik ein-
Der zweite Punkt im Zusammenhang mit Abrüstung
zugehen. Es geht in diesem Zusammenhang auch um die
und Rüstungskontrolle betrifft den immer noch ausste-
Frage, mit welcher Zielsetzung wir Außenpolitik für un-
henden Vertrag zwischen den USA und Russland über
ser Land betreiben.
den Abbau strategischer Atomwaffen. Ich glaube, die
brauchen ein bisschen Feuer bei dieser Diskussion bzw. Die Außenpolitik muss erstens den Interessen der
Unterstützung. Ich sage Ihnen: Wir bauen ein riesengro- Menschen in unserem Land dienen. Sie muss zweitens
ßes Problem auf, wenn wir die Raketenabwehr nicht mit die europäische Dimension bei allen Fragen umfassen.
Abrüstung und Rüstungskontrolle verbinden. Dies zu Drittens muss deutsche Außenpolitik – das hat der Bun-
tun, ist eine ganz wichtige Aufgabe. Die Frage, wie man desaußenminister bei jeder sich bietenden Gelegenheit in
das erreichen kann, beantworten Sie in Ihrer Funktion vorzüglicher Weise deutlich gemacht – auch Friedenspo-
als deutscher Außenminister aber nicht. litik sein. Dieser Grundsatz bestimmt das Handeln der
bürgerlichen Koalition. Es ist wichtig, dies noch deutli-
Der letzte Punkt. Die konventionelle Abrüstung und
cher herauszustellen. Wir sollten uns daher diesen Debat-
Rüstungskontrolle stehen vor einer großen Herausforde-
ten am heutigen Tage stellen und uns nicht in Nebenge-
rung. Wir von der SPD haben Ihnen angeboten, den ange-
fechten verzetteln, was der Bedeutung der Außenpolitik
passten Vertrag im Deutschen Bundestag sofort zu ratifi-
in keiner Weise angemessen wäre.
zieren, wenn Sie ihn vorlegen. Dadurch könnte man zu
einer weiterführenden Diskussion kommen. Diese Auf- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gabe haben Sie zu erfüllen. Auch die Fragen zu der
deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft schreien Der Kollege Frankenhauser hat bereits darauf hinge-
danach, dass sich der Außenminister damit beschäftigt. wiesen, dass es sich mit 3,2 Milliarden Euro Ausgaben
um einen sehr großen Etat handelt. Das Durchschnitts-
Ich glaube, Ihr Problem ist, dass Sie nach 140 Tagen einkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland beträgt
noch immer nicht im Amt angekommen sind. Ihr Augen- rund 3 000 Euro brutto. Der Etat entspricht also umge-
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Philipp Mißfelder
(A) rechnet einer Arbeitsleistung von 1 064 605 Monaten. um die zukünftige Sicherheitsarchitektur in Europa und (C)
Wenn man für ein Erwerbsleben 35 Jahre veranschlagt, um die Zukunft der NATO. Ich möchte noch einmal die
dann kann man sagen, dass das gesamte Erwerbsleben Ausgabe des Spiegel, der aus bekannten Gründen nicht
von rund 2 500 Arbeitnehmern benötigt wird, um diesen meine Lieblingszeitschrift ist, aus der vergangenen Wo-
Etat zu erwirtschaften. Die Bürgerinnen und Bürger fra- che heranziehen. Volker Rühe, Klaus Naumann, Frank
gen sich also zu Recht, wie wir dieses Geld für die Inte- Elbe und Ulrich Weisser haben in einem Spiegel-Aufsatz
ressenvertretung unseres Landes im Ausland ausgeben sehr deutlich Position dazu bezogen, was die Zukunft
und für welche Ziele wir im Ausland einstehen. der NATO ist und was die – ich sage das sehr bewusst –
Nachbarschaftspolitik gegenüber Russland in den nächs-
Deshalb muss jeder Cent des Haushaltes, über den wir ten Jahren dominieren soll. Unsere Aufgabe, die des Par-
heute beraten, begründet werden. Die Ausgaben werden laments und insbesondere die der Koalitionsfraktionen,
durch die Professionalität des Dienstes, die unser Aus- muss es sein, sich der Frage nach der Zukunft der NATO
wärtiges Amt auszeichnet, und durch die weltweit er- auch unter dem Gesichtspunkt zu stellen, inwiefern wir
brachten Serviceleistungen gerechtfertigt. Dazu zählen dazu beitragen können, dass die Tür zwischen der
Reisehinweise, die Hilfe beim Verlust des Passes oder NATO und Russland etwas weiter geöffnet werden
die extrem professionelle und weltweit gerühmte Arbeit kann, als es momentan der Fall ist.
des Krisenstabes im Auswärtigen Amt, der immer dann,
wenn Deutsche im Ausland in Gefahr sind, sehr gute Ar- Wie dringend das ist, zeigen die außenpolitischen
beit leistet. Diskussionen, die in den vergangenen Monaten unseren
Alltag geprägt haben, die Themen, die wir hier allwö-
Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass es chentlich diskutieren. Es geht dabei zum Beispiel um die
neben dieser professionellen tagtäglichen Arbeit große Sicherheit in Afghanistan, wo wir dringend auf die Ko-
Linien gibt, die von dieser Regierung verfolgt werden operation Russlands angewiesen sind. Natürlich gilt das
und die wir hier im Parlament politisch unterstützen, nicht im militärischen Sinne, weil es naheliegt, dass sich
heute durch unsere Zustimmung zum Haushalt. Dazu ge- Russland in dieser Hinsicht nicht engagieren will und
hört zum Beispiel die Außenwirtschaft. Wenn man sieht, dies auch zukünftig nicht tun wird. Vielmehr geht es,
dass in den vergangenen Jahren nahezu jeder fünfte Ar- wenn man politische Lösungen in dieser Region errei-
beitsplatz in Deutschland vom Export abhängig gewesen chen will, um die Frage, wie es gelingen kann, Russland
ist, dann liegt es doch auf der Hand, dass sich der Außen- bzw. die sich verändernde russische Politik stärker ein-
minister für die deutsche Wirtschaft im Ausland stark- zubeziehen. Insofern schlage ich vor, dass wir alle uns
macht und damit unsere außenwirtschaftliche Position dieser Frage deutlich intensiver zuwenden und den
stärkt. Ich glaube, man kann schon nach dieser kurzen Re- NATO-Reformprozess unter diesem Gesichtspunkt stär-
(B) gierungszeit sagen, dass dies bislang ein voller Erfolg ist. ker in den Blick nehmen. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun möchte ich Russland und China nicht in einem
Vor diesem Hintergrund möchte ich dem Außenminis- Atemzug nennen; denn die Länder sind so unterschied-
ter ausdrücklich zu seiner Südamerikareise gratulieren. lich, wie sie nur sein können, obwohl sie direkt nebenei-
Wir können uns nun dem zuwenden, was auf dieser Reise nanderliegen. Bei all den Fragen, die uns in den nächsten
passiert ist. Wenige Stunden vor Abreise veröffentlichte Monaten beschäftigen werden, müssen wir aber Folgen-
das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen des sehen: Wenn es uns nicht gelingt, Russland und China
Artikel, in dem die Position Deutschlands in Brasilien gemeinsam international stärker in die Verantwortung zu
massiv kritisiert worden ist. Die beiden Autoren kamen nehmen, wird uns weder eine Lösung für Afghanistan
zu dem Ergebnis, dass uns andere europäische Länder den leichtfallen noch werden wir die Probleme mit dem Iran
Rang in Brasilien schon längst abgelaufen hätten. Allein lösen können. Deshalb muss aus dem Parlament der nach-
durch Ihre Reisetätigkeit in Südamerika haben wir diesen drückliche Appell kommen, mit China, was die Sicher-
Wettbewerbsnachteil wieder aufgeholt, und das wird all- heitsstrukturen im Nahen Osten, aber auch was die
seits gerühmt. Deshalb danke ich Ihnen für Ihr Engage- konkrete Situation im Iran angeht, stärker zusammenzu-
ment in Brasilien, um dieses wichtige Land ganz aus- arbeiten, als das bisher der Fall war. Ich sehe gute Chan-
drücklich zu nennen. cen. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, wenn wir alle
zur Verfügung stehenden Gesprächskanäle nutzen und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) versuchen, mit denjenigen in China ins Gespräch zu kom-
men, die dort Politik gestalten. Das wird in groben Zügen
Uns geht es bei der Beschreibung unserer politischen von allen Parteien so gesehen. Ich glaube, dass uns gerade
Linien in den nächsten Monaten darum, uns den drän- unser großes Ansehen, das wir durch unser dauerhaftes
genden politischen Fragen zu stellen. Der Außenminister Engagement in China genießen, nutzen kann und wir das
hat sehr nachdrücklich unterstrichen, welche Themen stärker ausspielen müssen.
ihm wichtig sind. Ich möchte für unsere Fraktion ein
paar Ergänzungen vornehmen, die in unserem besonde- In den nächsten Jahren der Regierungszeit sollte un-
ren Interesse, aber auch in dem unseres Koalitionspart- sere Position sein, dass die beiden Schwerpunkte – das
ners liegen. Verhältnis zu Russland und das Verhältnis zu China –
eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jah-
Wir haben uns in gemeinsamen Gesprächen darum ren. Vor allem muss das unter einem eher politischen
bemüht, die drängenden Fragen auch von parlamentari- Gesichtspunkt betrachtet werden, als das früher unter
scher Seite her zu begleiten. Dabei geht es uns besonders Gerhard Schröder der Fall war, bei dem der Verdacht na-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2771
Philipp Mißfelder
(A) helag, dass eine Anschlussverwendung vielleicht eine Ich werde überwiegend zur Europapolitik sprechen. (C)
größere Rolle gespielt hat als die politische Zielsetzung. Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die wir als Linke
mit großer Sorge und auch kritisch sehen. Zum einen
Ich glaube, die Prognose wagen zu können, dass das
Verhältnis zwischen den USA und China, das als G-2- wäre der Umgang mit Griechenland zu nennen. Des
Prozess beschrieben wird, schon in den nächsten drei Weiteren wäre das Stockholmer Programm zu nennen,
Jahren in eine entscheidende Phase kommen wird. Man das die innere Aufrüstung der Europäischen Union vo-
muss in diesem Zusammenhang fragen, welche Rolle rantreibt. Es wäre der Europäische Auswärtige Dienst zu
Deutschland in diesem Prozess spielen soll und wie es nennen, der heute bereits angesprochen wurde. Das Be-
vor dem Hintergrund der europäischen Dimension unter sondere an diesem Dienst ist, dass verschiedene Berei-
Hinzuziehung der Deutschen und insbesondere der che, die in Deutschland aus gutem Grund getrennt sind
Europäer insgesamt gelingen kann, einen besseren Aus- – Entwicklungshilfe, auswärtige Politik, Militär- und Si-
gleich zwischen diesen beiden Polen zu schaffen und zu cherheitspolitik –, in einem mächtigen Apparat mit
erreichen, dass europäische Politik, europäische Maß- 8 000 Beschäftigten zusammengefasst werden. Damit
stäbe und letztendlich auch europäische Interessen stär- soll – so sagen Sie, Herr Westerwelle – ein schlagkräfti-
ker berücksichtigt werden. ger Auswärtiger Dienst errichtet werden. Ich frage mich:
Wer soll da geschlagen werden?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Beifall bei der LINKEN)
Die besondere Rolle Europas kommt dabei nicht nur Ich werde jetzt überwiegend über Island sprechen.
bei Themen wie Klimaschutz – das ist offensichtlich – Demnächst laufen wahrscheinlich die Beitrittsverhand-
oder internationale Finanzpolitik – darüber diskutieren lungen an. Ich war in der letzten Woche mit einer Dele-
wir derzeit sehr intensiv –, bei denen das Verhältnis zwi- gation des EU-Ausschusses in Island, in Reykjavik. Vor
schen China und den USA von Bedeutung ist, zum Aus- wenigen Tagen haben in Island fast 94 Prozent der Be-
druck, sondern betrifft auch Teile der Außenpolitik, die völkerung in einem Referendum einen Gesetzentwurf ab-
in unseren alltäglichen Debatten unterrepräsentiert sind. gelehnt, der die Übernahme der Schulden der privaten
Ich möchte einen Kollegen ganz ausdrücklich nament- Icesave-Bank durch die öffentlichen Haushalte vorsieht.
lich erwähnen, der gestern bei uns in der Fraktion mit Un- Das Gesetz hätte jede isländische Familie mit 48 000 Euro
terstützung unserer Fraktionsführung und auch mit Unter- belastet. Die Isländerinnen und Isländer haben sehr deut-
stützung des Bundesentwicklungsministers eine sehr gute lich zum Ausdruck gebracht: Wir zahlen nicht für diese
Veranstaltung durchgeführt hat: Kollege Hartwig Fischer Krise. Wir zahlen nicht für die Krise der Banken und
hat gestern dafür gesorgt, dass Afrika unter einem be- Spekulanten. Wir Linke begrüßen das außerordentlich.
sonderen Gesichtspunkt betrachtet wurde, nämlich nicht
(B) nur als Zuwendungsempfänger, nicht nur als ein Konti- (Beifall bei der LINKEN – Herbert (D)
nent, der Hilfe braucht, sondern auch als realer Partner, Frankenhauser [CDU/CSU]: Da sind aber An-
den man bei wirtschaftlichen Fragen und der zukünfti- leger auch betroffen!)
gen wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen kann.
Lieber Kollege Fischer, der gestrige Abend war ein vol- Da fragt man sich doch: Wieso gibt es in Deutschland
ler Erfolg. eigentlich nicht wie in Island Referenden über grundle-
gende Fragen, zum Beispiel über das Bankenrettungs-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und paket, das die öffentlichen Haushalte auf Jahre mit
der FDP) 500 Milliarden Euro belasten wird?
Selbst wenn das kein Thema ist, das hier alle in Aufre- (Beifall bei der LINKEN – Sven-Christian
gung versetzt, glaube ich, dass, wenn wir über die Inte-
Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil
ressen Europas – gerade auch im Wettlauf mit China – in
wir keinen Volksentscheid in Deutschland ha-
Afrika diskutieren, die wirtschaftliche Zusammenarbeit
ben!)
mit Afrika eine zentrale Rolle spielt.
Herzlichen Dank. Diese Belastung werden Sie der Bevölkerung wahr-
scheinlich erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) präsentieren. Deshalb rufe ich dazu auf und unterstütze
es, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen, in Essen,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: am kommenden Samstag auf die Straße gehen unter dem
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol- Motto: Wir zahlen nicht für eure Krise!
lege Andrej Hunko.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Island hat im Juli letzten Jahres einen Antrag auf Bei-
tritt in die Europäische Union gestellt. Am 24. Februar
Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE): hat die Europäische Kommission der Aufnahme von
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Eine mögliche Be-
meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich schlussfassung des Rates am 25. März soll jetzt verzö-
muss sagen: Herr Westerwelle, ich bin konsterniert, wie gert werden, weil die britische und die niederländische
wenig inhaltliche Anknüpfungspunkte Ihr Redebeitrag Regierung die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen als
lieferte.
Hebel für die Verhandlungen über die Icesave-Schulden
(Beifall bei der LINKEN) benutzen möchten. In der Delegation waren wir uns in
2772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Andrej Konstantin Hunko


(A) Island parteiübergreifend einig, dass die Icesave-Frage Island zusammen mit al-Qaida und anderen auf die Ter- (C)
von der Frage der Beitrittsperspektive zu trennen ist, rorliste gesetzt hat, um die isländischen Vermögen ein-
dass die Icesave-Frage eine bilaterale bzw. trilaterale zufrieren. Das muss man sich einmal vorstellen.
Frage ist. Deshalb ist es für mich völlig unverständlich,
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja!)
warum die Regierungsfraktionen den Beitritt jetzt offen-
sichtlich doch verzögern wollen, wie gestern im EU- Das ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie beliebig
Ausschuss deutlich wurde. Das riecht doch sehr danach, die sogenannten Antiterrorgesetze eingesetzt werden
dass ein entsprechender Druck aufgebaut worden ist. können. So etwas darf nicht sein.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Linke hat Die isländische Regierung hat nach dem Finanzcrash
durch die Klage gegen den Lissabon-Vertrag vor dem im September 2008 rigide Kapitalverkehrskontrollen
Bundesverfassungsgericht erwirkt, dass der Bundestag eingeführt. Das hatte zwar positive Auswirkungen auf
in EU-Fragen gestärkt wurde und bei wichtigen Ent- die Wirtschaft. Jetzt sollen sie aber im Zusammenhang
scheidungen beteiligt werden muss. Die Bundesregie- mit den Beitrittsverhandlungen aufgehoben werden. Ich
rung muss ihre Verpflichtungen endlich ernst nehmen zitiere aus dem Kommissionsbericht:
und ein Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Es Hier muss Island durch Liberalisierungsmaßnah-
ist aber nicht hinnehmbar – das passiert gerade –, wenn men die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des
die gestärkten parlamentarischen Rechte als Vorwand freien Kapitalverkehrs gewährleisten.
genommen werden, um die Aufnahme von Beitrittsver-
handlungen zu verzögern. Es ist möglich, unter Einhal- Es kann doch nicht sein, dass Kapitalverkehrskontrol-
tung aller parlamentarischen Spielregeln bis zum len im Zuge von Beitrittsverhandlungen mit dem Hin-
25. März 2010, also bis zum nächsten EU-Ratsgipfel, zu weis auf den Lissabon-Vertrag oder die daraus folgenden
einer Entscheidung zu kommen. Ich fordere Sie auf, dies Grundlagenverträge wieder aufgehoben werden müssen
zu tun. und der Zustand, wie er vor der Krise war, wiederherge-
stellt wird. Wenn eine sinnvolle Beschränkung des Kapi-
(Beifall bei der LINKEN) talverkehrs im Widerspruch zum Lissabon-Vertrag steht,
Im Zusammenhang mit Island stimmt mich eines be- dann muss der Vertrag geändert werden.
denklich: Da ist die Rede von geostrategischen Interes- (Beifall bei der LINKEN)
sen der Europäischen Union in der Arktis. Die EU wolle
bei dem großen Spiel dabei sein, wie es der schwedische Ich komme zum Schluss. Die Stimmung in der islän-
dischen Bevölkerung im Hinblick auf einen Beitritt zur
(B) Außenminister Carl Bildt in Brüssel formulierte. Auch (D)
der SPD-Antrag geht leider in diese Richtung. Die Mit- EU war lange positiv. In den letzten Monaten ist diese
gliedschaft Islands soll der EU das Tor zur Arktis öffnen. Stimmung dramatisch umgeschlagen. Zurzeit lehnen
Wir wissen, dass in der Arktis die größten unberührten mehr als zwei Drittel einen Beitritt ab. Die Gründe habe
Öl- und Gasreserven lagern. Wir jedoch wollen nicht, ich angedeutet; ich will sie nicht noch einmal aufführen.
dass sich die EU an einem imperialen Wettlauf um die Die Linke begrüßt die Aufnahme von Beitrittsverhand-
letzten Öl- und Gasvorkommen der Welt beteiligt. Es lungen. Mein Eindruck ist jedoch, dass sich hier nicht
müssen endlich einmal andere Wege gegangen werden nur Island, zum Beispiel in der Walfangpolitik, ändern
als bei den großen rohstoffreichen Gebieten im 19. und muss, sondern vor allen Dingen auch die Politik der
20. Jahrhundert. Europäischen Union. Die letzte Entscheidung – das kön-
nen wir von Island lernen – trifft in Island der Souverän,
(Beifall bei der LINKEN) die Bevölkerung.
Deshalb sind wir für ein Moratorium bezüglich der Res- Danke.
sourcenausbeutung der Arktis. Es ist wichtig, endlich
vollständig von der Abhängigkeit fossiler Energieträger (Beifall bei der LINKEN)
wegzukommen und vollständig auf erneuerbare Ener-
gien umzustellen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Hunko, das war Ihre erste Rede im
(Beifall bei der LINKEN) Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch dazu,
Die Krise in Island ist nur eine besonders kon- verbunden mit den besten Wünschen.
zentrierte Form der allgemeinen Krise des finanzmarkt- (Beifall)
getriebenen Kapitalismus. Die Kontrolle über die
Finanzmärkte ist überall ausgehebelt worden, in Island, Das Wort hat nun der Kollege Sven-Christian Kindler
in Deutschland, in den USA, in der EU, und zwar maß- für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
geblich in den 1990er- und 2000er-Jahren. Es kann aber
nicht sein, dass jetzt ein kleines Land über Gebühr belas- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tet wird. NEN):
Völlig unerträglich ist, dass Großbritannien – übri- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
gens unter sozialdemokratischer Regierung – und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich
zum Außenetat komme, möchte ich kurz auf die aktuelle
(Zuruf von der SPD: Das musste jetzt sein!) Debatte eingehen, weil ich glaube, dass es wichtig ist,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2773
Sven-Christian Kindler
(A) dass in diesem Hohen Hause darüber diskutiert wird. [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
Herr Außenminister, Sie werfen den Medien und Oppo- Übrigens auch bei den Rüstungsexporten, Herr
sitionsparteien unappetitliche Angriffe und Diffamie- Westerwelle!)
rung vor. Aber dass die politische Debatte jetzt an einem
Im Übrigen betrifft das ein Recht, von dem Sie hier und
Tiefpunkt angekommen ist, ist meiner Ansicht nach
da in den vergangenen Jahren regen Gebrauch gemacht
größtenteils Ihrem Handeln geschuldet; darauf komme
haben. Wenn wir die Regierung in ihrer Amtsführung
ich jetzt zu sprechen. Ich halte es für einen Tiefpunkt der
aus Rücksicht auf die Demokratie nicht mehr hinterfra-
politischen Kultur, wenn der FDP-Generalsekretär und
gen dürfen, dann sieht es für unsere Demokratie dunkel
die Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag Nach-
aus.
fragen und berechtigte Kritik von Oppositionsparteien
und Medien als demokratieschädlich darstellen, (Christian Lindner [FDP]: Das ist doch
Unsinn!)
(Christian Lindner [FDP]: Das war nicht so!)
Wenn Sie, Herr Westerwelle, dies wirklich fordern, sind
während Sie sich weiterhin weigern, nach Haushalts-
Sie im Ausland dann noch ein Vertreter eines freien Lan-
recht Auskünfte zum Beispiel dazuzugeben, wann Sie
des, einer lebendigen Demokratie mit einer vitalen Op-
wen in der Villa Borsig auf Staatskosten getroffen bzw.
position?
mit wem sie dort gefeiert haben.
(Christian Lindner [FDP]: Das ist absurd!)
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des
Auswärtigen: „Gefeiert haben“! – Dr. h. c. Jürgen Das müssen Sie sich fragen.
Koppelin [FDP]: „Gefeiert“!)
Nun beklagen Sie sich, dass die Erfolge Ihrer Süd-
Dieses Recht auf kritische Nachfrage ist ein demokrati- amerikareise aufgrund der angeblich ungerechtfertigten
sches Recht, auf das wir stolz sein sollten. Kritik in Deutschland gar nicht deutlich wurden. Wir
können ja einmal über die Südamerikareise reden und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
darüber, was dabei herausgekommen ist. Ich nehme an,
Christian Lindner [FDP]: Sie fragen nicht,
die Umbenennung des AA in „Ministerium für auswär-
sondern Sie unterstellen!)
tige Atompolitik“ steht kurz bevor.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Kollegen Frankenhauser? KEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und
bei der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]:
(B) Blöder geht es nicht!) (D)
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Sehen wir uns doch einmal an, was in Brasilien pas-
Gerne. siert ist. Das Atomkraftwerk Angra 3 wird weitergebaut.
Herr Westerwelle hat eine Hermesbürgschaft zugesagt,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
Bitte. GRÜNEN]: So ist es nämlich!)
unabhängig davon, dass das AKW in einem Erdbeben-
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): gebiet gebaut wird, unabhängig davon, dass Brasilien
Herr Kollege, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass keine unabhängige Atomaufsicht hat, unabhängig davon,
ein ehemaliger Außenminister namens Fischer dass Brasilien nicht das Zusatzprotokoll zum Atomwaf-
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Joseph!) fensperrvertrag unterzeichnet hat.

die Offenlegung a) seiner Begleiter bei Auslandsreisen (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Tiefer geht
und b) von Einladungen zu Treffen, die er als Außen- es vom Niveau her wirklich nicht!)
minister zum Beispiel in der Villa Borsig veranstaltet Das alles ist Ihnen offensichtlich total egal und zeugt
hat, einem Mitglied des Haushaltsausschusses komplett von einer wirtschaftsfreundlichen Atomaußenpolitik.
verweigert hat?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
(Zurufe von der FDP: Aha!) Norbert Barthle [CDU/CSU]: Mein Gott!)
Sie haben angedeutet, wie gefährlich angeblich eine
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
linke Mehrheit für die politische Kultur in Deutschland
NEN):
sei. Wir wissen nun, wie gefährlich eine schwarz-gelbe
Das Haushaltsrecht gilt für alle Außenminister. Wir Mehrheit für Mensch und Natur weltweit ist.
als Parlamentarier müssen uns konsequent dafür einset-
zen, dass unsere Rechte gewahrt werden. Das gilt für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Außenminister Fischer, für Außenminister Steinmeier, sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
aber auch für Sie, Herr Außenminister Westerwelle. KEN – Zurufe von der FDP: Oh! Oh!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Man muss sich einmal klarmachen: Sie fordern, dass
bei der SPD und der LINKEN – Claudia Roth in Deutschland stationierte Atomwaffen abgezogen wer-
2774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Sven-Christian Kindler
(A) den, und im gleichen Atemzug fordern Sie, Atomkraft- Das ist Ihre Art, Außenpolitik zu machen, Herr (C)
werke in einem Erdbebengebiet in Brasilien zu bauen, in Westerwelle: Internationale Zusagen werden gebrochen,
einem Land, das das Zusatzprotokoll zum Atomwaffen- die Mittel für Zukunftsinvestitionen wie Krisenpräven-
sperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Ich finde, das ist tion werden gekürzt, und das Auswärtige Amt wird zum
eine schizophrene Haltung. Ministerium für auswärtige Atompolitik umfunktioniert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank.


sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
KEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- sowie bei Abgeordneten der SPD –
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist nicht Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das waren
glaubwürdig!) aber schwere Geschütze, Herr Kollege! Meine
Güte!)
Die Inkonsequenz und Inkonsistenz Ihrer Politik
schlägt sich auch im Haushalt nieder. Nehmen wir zum
Beispiel die Mittel für die Entwicklungszusammen- Vizepräsidentin Petra Pau:
arbeit. Deutschland hat sich verpflichtet, die ODA- Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster für die
Quote einzuhalten, in diesem Jahr also mindestens FDP-Fraktion.
0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die interna- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tionale Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. der CDU/CSU)
Dieses Versprechen findet weder in Ihrem Etat noch in
anderen Etats seinen Niederschlag. Hier wird internatio-
nale Solidarität gepredigt, aber in spätrömischer Deka- Marina Schuster (FDP):
denz gelebt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich zum Haushalt komme, muss ich etwas zur Süd-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN amerikareise sagen, und zwar zu ihrem Inhalt. Auch ich
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gehörte der Delegation an. Deswegen kann ich ganz
KEN) sachlich und ruhig über die Ergebnisse dieser Reise be-
richten.
Das wird auch deutlich, wenn man sich den Haushalt
des Auswärtigen Amtes ansieht. Die Floskeln zur ver- Zunächst einmal möchte ich feststellen: Es gab an-
netzten Sicherheit aus dem Koalitionsvertrag bleiben scheinend zwei Reisen, nämlich eine Reise, die in den
eine Worthülse. Anstatt die zivilen Handlungsfelder aus- Medien und in Berlin stattgefunden hat, und die Reise,
die tatsächlich stattgefunden hat. Frau Kollegin Müller,
(B) zubauen und den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, ich fände es sehr gut, wenn Sie sich nicht nur auf Presse- (D)
Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ weiter aus-
zubauen, werden die Mittel um fast 10 Prozent gesenkt. berichte oder -kommentare berufen würden, sondern
Damit wird eindeutig demonstriert, dass die zivile Säule auch das Gespräch mit dem Kollegen Josef Winkler, der
weiterhin die entscheidende Schwachstelle der interna- ebenfalls Teil dieser Delegation war, suchen würden.
tionalen Friedensbemühungen Deutschlands ist. Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
leisten uns immer noch einen Verteidigungshaushalt mit der CDU/CSU – Dr. h. c. Jürgen Koppelin
einem Volumen von über 30 Milliarden Euro, aber für [FDP]: Hört! Hört!)
zivile Maßnahmen zur Krisenprävention sind uns schon
130 Millionen Euro zu viel. Damit muss Schluss sein. Er könnte Ihnen nämlich berichten, welche Gespräche
Der Fokus deutscher Außenpolitik muss auf ziviler Kri- wir Parlamentarier geführt haben und welche Ergebnisse
senprävention und Friedenssicherung und darf nicht auf dabei herausgekommen sind.
Militärfixierung liegen. Der Kollege Gehrcke, der auch mit dabei war, hat kri-
tisiert, dass wir Volkswagen besucht haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich habe
KEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Bla- die Show von Westerwelle kritisiert!)
bla!)
Herr Gehrcke, Volkswagen ist dort der größte Arbeitge-
Es ist aber nicht so, dass Sie nur die ODA-Quote nicht ber und hat den UN Global Compact unterzeichnet. Ich
erfüllen. Die Bundesregierung kommt auch weiteren in- denke, ein Arbeitgeber, der den UN Global Compact un-
ternationalen Verpflichtungen nicht nach. Die Bundesre- terzeichnet hat und anwendet, kann eine Vorbildfunktion
gierung hält nicht einmal die bescheidenen Zusagen von für die Region haben. Das sollte auch in Ihrem Interesse
Kopenhagen ein. Sie haben versprochen, für den interna- liegen.
tionalen Klimaschutz 420 Millionen Euro zur Verfügung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
zu stellen, stellen jetzt aber nur 70 Millionen Euro zu-
sätzlich bereit. Das sind billige Taschenspielertricks. Das In Argentinien ist nicht nur das VW-Werk besichtigt
ist ein klarer Bruch des Kopenhagen-Versprechens, und worden. Nein, es wurde auch ein Wissenschaftstunnel
das ist eine Blamage für die Bundesrepublik auf dem in- eingeweiht. Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, hier auf
ternationalen Klimaparkett. eine Wissenschaftskooperation mit dem Max-Planck-In-
stitut zu setzen. Davon profitieren beide Seiten. Gerade
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in Argentinien gibt es sehr viele Nobelpreisträger.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2775
Marina Schuster
(A) Herr Kindler, Sie haben Brasilien angesprochen. In Mein letzter Punkt. Ich bin auch Mitglied der Parla- (C)
Brasilien hatten wir ein Gespräch mit Stiftungsvertre- mentarischen Versammlung des Europarates. Was uns
tern. Bei diesem Gespräch sind zum Beispiel die Stau- besonders am Herzen liegt, ist, den Schutz der Men-
dammprojekte von Herrn Lula angesprochen worden. schenrechte in internationalen Systemen zu stärken. Ein
Die Grünen können gegen Atomkraft sein; aber dann wesentlicher Anker ist der Europäische Gerichtshof
müssen sie auch erklären, wie man die Rechte der indi- für Menschenrechte. Ich freue mich, dass Frau
genen Völker und die Natur schützen kann, wenn so Leutheusser-Schnarrenberger mit ihren Vorschlägen die
viele neue Staudämme gebaut werden. Das gehört zu Reform des EGMR vorantreibt. Denn wir sehen, dass die
dieser Debatte dazu. Zunahme der Zahl der eingereichten Beschwerden eine
starke Überlastung des EGMR verursacht hat. Diese Zu-
(Beifall bei der FDP – Sven-Christian Kindler nahme ist einerseits ein Ausdruck der Akzeptanz des
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon mal EGMR bei der europäischen Bevölkerung; andererseits
was von erneuerbaren Energien gehört? Erneu- macht diese Zunahme es notwendig, dass wir den
erbare Energien kann man auch in Brasilien EGMR wieder arbeitsfähig machen. Ich freue mich, dass
fördern!) die Ministerin persönlich diese Vorschläge unterstützt.
Wenn Sie sich mit dem Kollegen Winkler zusammenset- Ich denke, wir haben einen Haushalt vorgelegt, der
zen würden, würden Sie auch erfahren, wie vielfältig die auch im Interesse der Opposition ist. Ich werbe sehr
Projekte in den Bereichen der erneuerbaren Energien, herzlich um Zustimmung.
der Biodiversität und des Klimawandels sind. Da sind
unsere Durchführungsorganisationen der GTZ schon tä- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tig, und das begrüßen wir; denn auch das liegt in unse- der CDU/CSU)
rem gemeinsamen Interesse.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Wenn ich noch auf einen Punkt der Reise kommen
Das Wort hat der Kollege Michael Roth für die SPD-
darf, der heute noch gar nicht angesprochen worden ist: Fraktion.
Uruguay. In Uruguay war das letzte Mal vor 25 Jahren
ein deutscher Außenminister zu Gast. Vielleicht können (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie sich ja darüber freuen, dass die Initiative ergriffen
worden ist, Lateinamerika wieder ganz oben auf die
Michael Roth (Heringen) (SPD):
Agenda zu setzen. Wir achten bei unserer neuen Latein-
amerika-Strategie darauf, nicht nur auf die Großen zu Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Westerwelle, bei Ihrem Amtsantritt haben
(B) schauen, sondern auch vermeintlich kleinen Ländern mit (D)
Respekt gegenüberzutreten. Sie erklärt, Ihr Anspruch sei, nicht nur Bundesminister
des Auswärtigen zu sein, sondern ebenso Bundesminis-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ter für Europa. Das haben Sie in der Ihnen eigenen laut-
der CDU/CSU) sprecherischen Attitüde vorgetragen. An diesen Ansprü-
chen, an diesen Worten, sehr geehrter Herr Minister,
Ich möchte noch zwei konkrete Punkte zum Haushalt müssen Sie sich nun vor dem Parlament messen lassen,
anbringen; beide betreffen den Bereich Menschen- müssen Rechenschaft ablegen.
rechte. Ich freue mich als mittelfränkische Abgeordnete
ganz besonders, dass es gelungen ist, im Haushalt Ich kann für meine Fraktion nach 140 Tagen nur fest-
500 000 Euro für die Einrichtung eines Instituts zur stellen: Ihre bisherige Europapolitik ist ideenlos, und sie
Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völker- ist konzeptlos. Ich kenne kein Projekt – – Ach ja, doch,
strafrecht bereitzustellen. Das ist eine sehr gute Nach- ein Projekt fällt mir ein: die Förderung der deutschen
richt. Wir haben im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, Sprache, Motto „Deutsch – Sprache der Ideen“.
dass wir dieses Institut einrichten wollen, das mit seiner (Zuruf von der FDP: Ja!)
Expertise viel zur Weiterentwicklung des Völkerstraf-
rechts beitragen kann. Ich denke, das ist ein Anliegen, Gegen dieses Motto spricht überhaupt nichts. Aber auch
das wir alle unterstützen können. die schönste Sprache hilft nichts, lieber Herr Minister,
wenn es an den entsprechenden Ideen gebricht. Gehen
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Sie hier bitte, Herr Westerwelle, mit gutem Beispiel vo-
CDU/CSU) ran.
Der zweite Punkt. Es ist uns trotz der angespannten Was mich aber viel mehr stört, ist diese Attitüde, so-
Haushaltslage gelungen, die Mittel zur Förderung der wohl global als auch auf europäischer Ebene im deut-
Menschenrechte im Vergleich zum Vorjahr um schen Interesse auftreten zu wollen. Es ist noch gar nicht
1,5 Millionen Euro zu erhöhen. Das fällt unter den Haus- so lange her, dass ein Bundeskanzler und ein Bundes-
haltsposten Demokratisierungshilfe. Dass wir konkret außenminister formuliert haben: Das, was im guten eu-
Mittel im Haushalt bereitstellen – dafür bin ich den ropäischen Interesse ist, was Europa insgesamt voran-
Haushaltspolitikern beider Koalitionsfraktionen dank- bringt, das bringt auch Deutschland voran und ist gut für
bar –, ist ein wichtiges Signal, dass es uns nicht nur bei Deutschland. – Diese Sätze eines Bundeskanzlers, der
Besuchen und in Reden darum geht, die Menschenrechte nicht unbedingt der SPD angehört hat, der aber sicher-
zum Thema zu machen. lich Europa maßgeblich mitgestaltet hat, würde ich mir
2776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Michael Roth (Heringen)


(A) auch von Ihnen einmal wünschen, Herr Minister Finanzkrise in Griechenland. Hier ist Häme völlig fehl (C)
Westerwelle. am Platze. Wir sitzen nämlich alle in einem Boot.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Was hat Ihre bisherige Amtszeit in der Europapolitik Was will die Bundesregierung? Was wollen Sie, Herr
geprägt? Kompetenzgerangel zwischen Bundeskanzler- Minister? Sie hatten heute Gelegenheit, auch hierzu ein
amt und Auswärtigem Amt. Wer hat hier eigentlich die paar Ausführungen zu machen. Ich habe dazu klare Aus-
Hosen an? sagen genauso vermisst wie bei Ihrem Antrittsbesuch
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: beim Europaausschuss. Außer wolkigen Bemerkungen,
Wirklich beide!) da müsse man etwas tun, das sei ganz schwierig, habe
ich von Ihnen nichts vernommen.
Wer hat das maßgebliche Wort zu sprechen? Ich möchte
Ihnen empfehlen, Herr Westerwelle, einfach einmal Was mich daran ärgert, ist, dass nur wenige Tage spä-
selbstbewusst mit Ideen und konkreten Vorschlägen in ter ein Rat in Brüssel weitreichende Maßnahmen gegen-
die Debatte einzutreten und nicht kleinkariert irgendwel- über Griechenland beschlossen hat. Ich erwarte von Ih-
che Kompetenzdiskussionen zu führen. nen als Europaminister der Bundesregierung, dass Sie
auch den Kolleginnen und Kollegen im Europaaus-
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie
schuss, wenn konkrete Fragen gestellt werden, entspre-
verschleudern Ihre Redezeit!)
chende Auskünfte erteilen: Mit welchen Erwartungen,
Ein anderer Punkt sind die Kontroversen. Es geht bei mit welchen Forderungen, mit welchen Maßnahmen und
Ihnen in jedem Politikbereich wie bei den Kesselflickern mit welchen Ideen geht die Bundesregierung in eine
zu. Sie streiten sich wie ein wild gewordener Hühner- Ratssitzung? Hier haben Sie, Herr Minister Westerwelle,
haufen. Ihre Hausaufgaben bislang nicht erledigt.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sa- (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE
gen Sie doch mal was zum Thema!) LINKE]: Er wusste es nicht!)
Das ist auch bei der Frage des Türkeibeitritts so. Ich Wir müssen aus dieser schweren Krise, die nicht nur
darf Sie, Herr Minister, mit Genehmigung der Präsiden- Griechenland alleine betrifft, lernen. Wir müssen jetzt
tin zitieren: endlich entscheiden und handeln. Wenn Solidarität in der
Ich sage es Ihnen ganz klar: Was die EU und die Europäischen Union nicht nur etwas für Sonntagsreden,
Türkei vereinbart haben, gilt. Es gilt auch für diese sondern auch etwas für konkretes Handeln im politi-
(B)
Bundesregierung. Dafür stehe ich ein. … Ich bin schen Alltag ist, dann erwarte ich jetzt von Ihnen ent- (D)
hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sprechende Ideen und Konzepte, wie Sie verhindern
sondern als deutscher Außenminister. Das, was ich wollen, dass aus dem griechischen Flächenbrand ein eu-
sage, zählt. ropäischer Flächenbrand wird. Wir brauchen nicht mehr
Renationalisierung, sondern wir brauchen eine gemein-
Wir alle wissen: Die CSU ist gegen eine Vollmitglied- same Wirtschaftspolitik. Wir haben einen gemeinsa-
schaft der Türkei. Die CDU will eine sogenannte strate- men Währungsraum. Aber das, was schon seit dem Ver-
gische Partnerschaft. Der schon eben genannte General- trag von Maastricht in den maßgeblichen Verträgen
sekretär der CSU, Dobrindt, hat erklärt, dass das, was steht, nämlich eine Europäische Wirtschafts- und Wäh-
Außenminister Westerwelle in der Türkei gesagt habe, rungsunion, ist bislang überhaupt nicht mit Leben erfüllt
nicht den Positionen der Koalition entspreche. Darauf worden. Wir brauchen mehr Abstimmung, wir brauchen
hat wiederum Ihr Staatsminister gesagt, das Maß des Er- mehr Verbindlichkeit. Aber auch hier gebricht es der Ko-
träglichen beim Generalsekretär sei deutlich überschrit- alition ja an jeder klaren Position.
ten, CSU-Chef Horst Westerwelle – Entschuldigung,
Horst Seehofer – Finanzminister Schäuble hat den, wie ich finde, prü-
fenswerten Vorschlag unterbreitet, einen europäischen
(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
Währungsfonds zu etablieren. Dazu hört man von Ih-
müsse seine Mannschaft endlich zur Ordnung rufen. nen überhaupt nichts, und die Union erklärt gleich, das
sei ein Vorschlag, der mit ihr nicht abgesprochen sei, und
Herr Minister Westerwelle, Sie mögen keine kurzen sie würde ihn ablehnen. Zumindest hat das Herr Kauder,
Hosen tragen. Sie tragen vielleicht auch keine langen der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, so erklärt,
Hosen. Sie haben in der Europapolitik einfach nicht die wenn denn das, was heute Morgen in den Medien stand,
Hosen an. Sie müssen einmal innerhalb der Koalitions- wirklich stimmt.
fraktionen, aber auch innerhalb der Regierung einen
Klärungsprozess herbeiführen. So kann man Europapolitik nicht gestalten. Man muss
(Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Haben auch einmal eine Idee mutig nach vorne bringen, man
Sie ihn schon ohne Hosen gesehen?) muss sich um Bündnispartnerinnen und Bündnispartner
in der Europäischen Union bemühen, und man darf
Ich habe heute nur wenig zu den Themen gehört, die keine Eitelkeiten pflegen. Hier erwarte ich von der
Europa zurzeit bewegen. Vor allem ein Thema ist ent- Union und von der FDP, aber vor allem auch von der
scheidend: die Bewältigung der Wirtschafts- und Bundesregierung klare Aussagen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2777
Michael Roth (Heringen)
(A) Wir brauchen eine Wirtschafts-, Fiskal- und Lohn- rungsunion überhaupt. Diese Krise hat mittlerweile ein (C)
politik, durch die auch die Beschäftigung in den Blick besorgniserregendes Ausmaß angenommen.
genommen wird. Es gibt hier doch durchaus Ansätze auf
europäischer Ebene, aufgrund deren wir sagen können: In dieser Krise merken wir auch, dass man viele Äu-
Wir wollen und können voneinander lernen. – Einer die- ßerungen und Vorschläge – manchmal ist das gut – nicht
ser Beiträge wären Mindestlöhne. Mindestlöhne werden allzu ernst nehmen sollte, auch wenn sie von einer fran-
von vielen gefordert. Mindestlöhne wären eine nationale zösischen Finanzministerin kommen. Man sollte hinhö-
Lösung für ein europäisches Problem, aber auch hier ren, was sie gesagt hat, aber auch zur Kenntnis nehmen,
gibt es überhaupt keinen klaren Ansatz von Ihnen. dass einen Tag später sie ja auch gesagt hat, sie habe es
nicht so gemeint.
(Beifall bei der SPD)
Der öffentliche Fokus und der mediale Fokus richten
Insofern erwarte ich von Ihnen nicht nur flotte Sprü- sich vor allem auf Griechenland. Allerdings wird durch
che. Ich erwarte von Ihnen konkrete Taten; das hat die diese Fokussierung sowohl das Ausmaß der Krise, in der
Europäische Union bitter nötig. Sie sind weit hinter den wir uns befinden, als auch deren komplexe Ursachen-
Möglichkeiten in Bezug auf die Europapolitik der Bun- struktur verkannt.
desrepublik Deutschland zurückgeblieben. Hier sollten
Sie einmal ein bisschen Tempo vorgeben. Sie haben die Ich möchte einige der wesentlichen Ursachen für
Möglichkeiten dazu. Bitte nutzen Sie sie auch! diese Krise benennen und vorweg eindeutig sagen: Nach
meiner festen Überzeugung war die Europäische Wirt-
Danke schön. schafts- und Währungsunion und war die Einführung
des Euro richtig, und dieses Projekt ist auch weiterhin
(Beifall bei der SPD) richtig.

Vizepräsidentin Petra Pau: Der Euro hat sich in den letzten Jahren zu einer stabi-
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege len Währung entwickelt. Er war einer der Ursachen für
Michael Stübgen. das europaweite Wachstum in der Mitte dieses Jahr-
zehnts. Wir müssen aber auch feststellen, dass der Euro
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in seiner jetzigen Struktur nicht ausreichend krisenfest
neten der FDP) ist. Man kann sagen, dass er bei gutem Wetter funktio-
niert, wenn also die Weltfinanzmärkte funktionieren, es
Michael Stübgen (CDU/CSU): zu Wachstum kommt und sich Wechselkursschwankun-
gen in Grenzen halten. Kommt es aber zu einer solchen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
(B) Herren! Nein, ich werde nicht groß auf die Rede von Weltfinanzkrise, wie wir sie jetzt haben, kommt der (D)
Euro-Raum ins Trudeln.
Herrn Kollegen Roth eingehen; denn ich möchte etwas
zu Europa sagen. Warum ist das so? Was Griechenland und auch wei-
tere Länder betrifft, ist es leider Tatsache, dass in der
Ich möchte aber an etwas erinnern: Es scheint leider
sehr lange her zu sein, dass ich zu einer Zeit, als es einen Europäischen Union alle Kontrollgremien und Kontroll-
Außenminister gab, der Joseph Fischer hieß, strukturen über viele Jahre hinweg versagt haben. Dies
gilt sowohl für die Europäische Kommission als auch für
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Räte, die Euro-Gruppe, Eurostat, die Europäische
NEN]: Guter Mann!) Zentralbank und auch die nationalen Parlamente. Es kam
nicht deswegen zur Krise, weil die Kontrollregeln nicht
in diesem Hause geredet habe und wir die grundlegen- ausreichen. Das Hauptproblem ist vielmehr, dass die Re-
den Linien der Europapolitik nach innen und nach außen geln, die wir uns im Stabilitäts- und Wachstumspakt be-
gemeinsam getragen haben. Sie sollten sich überlegen, wusst auferlegt haben, nicht rechtzeitig und nicht nach-
ob es dem Einfluss Deutschlands in der Europäischen haltig angewandt worden sind.
Union dienlich ist, wenn wir damit anfangen, uns hier in
der Art und Weise zu verhalten, wie Sie das getan haben, Wo sind in dieser Situation die Lösungsansätze zu su-
nämlich mit persönlichen Angriffen gegen den Außen- chen? Was müssen wir auf langfristige Sicht tun? Eines
minister vorzugehen, mit dessen Haltung und Einstel- ist überdeutlich: Wir müssen in den Mitgliedsländern der
lung man nicht in jedem Fall einverstanden sein muss. Europäischen Union und zuvörderst in den Ländern der
Wenn Sie glauben, dass uns das hilft, dann sind Sie auf Euro-Gruppe die Budgetdisziplin herstellen. Nach dem,
dem Holzweg. Die Koalition wird auf dem richtigen was wir jetzt wissen, geht es nicht einfach um die Wie-
Weg bleiben. derherstellung der Budgetdisziplin. Wir müssen sie viel-
mehr herstellen. Dazu gibt es keine Alternative.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Michael Roth [Heringen] [SPD]: Dürfen wir (Beifall bei der CDU/CSU)
jetzt noch nicht mal mehr im Bundestag Kritik
an einem Minister üben?) Es ist nicht so – das höre ich gelegentlich –, dass
der Maastricht-Stabilitätspakt und die dazugehörigen
Ich möchte darauf eingehen, dass wir in der Europäi- Maastricht-Stabilitätskriterien die Ursache für die Krise
schen Union zurzeit eine sehr große Unruhe haben. Wir sind. Es ist dagegen so, dass nachhaltiges Verstoßen ge-
befinden uns – das muss man leider feststellen – in der gen diese Kriterien die Krise heraufbeschworen hat. Es
schwersten Krise seit Bestehen der Europäischen Wäh- ist schon jetzt überdeutlich: Länder mit einer nachhaltig
2778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Michael Stübgen
(A) orientierten Haushaltspolitik meistern die jetzige Krise Lösungsansatz ist, um zukünftige Krisen zu verhindern (C)
besser als andere. oder besser meistern zu können.
Welches Krisenmanagement könnte aktuell am besten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
funktionieren? Ein kurzer Blick in die Geschichte kann Ich sehe das Hauptproblem nicht darin, dass eine weitere
an dieser Stelle hilfreich sein. Vor gut eineinhalb Jahren, Vertragsreform von allen Mitgliedsländern ratifiziert
im Herbst 2008, hatten wir diese Situation schon einmal werden muss und deshalb etwas länger dauern würde.
– es handelte sich damals aber nicht um Euro-Länder –, Wenn der Vertrag geändert werden muss, dann müssen
als Lettland, Ungarn und Rumänien kurz vor der Zah- wir das eben angehen. Ich kann mir aber derzeit keine
lungsunfähigkeit standen. Damals konnte kurzfristig und Struktur eines europäischen Währungsfonds vorstellen,
sehr schnell ein kombiniertes Unterstützungspaket vom die weiterhin sicherstellen würde, dass die absolute Un-
Internationalen Währungsfonds, von der Europäischen abhängigkeit der Europäischen Zentralbank in ihrer
Investitionsbank und der Europäischen Entwicklungs- Zins- und Wechselkurspolitik nicht, wenn auch mögli-
bank geschnürt werden. Mit diesem Maßnahmenpaket cherweise nur indirekt, geschwächt würde.
konnte die Zahlungsunfähigkeit in allen drei Ländern ab-
gewendet werden. Bis heute sind diese Maßnahmen er- Frankreich hat für solch einen Weg traditionell viel
folgreich. übrig. Wir wissen eindeutig, dass ein Eingriff in die Un-
abhängigkeit der Wechselkurspolitik einen Holzweg dar-
Es ist aber wichtig, Folgendes festzustellen: Es funktio- stellt. Deswegen werden wir uns immer gegen eine sol-
niert nur deshalb, weil die betroffenen Länder nachhaltige che Gefährdung stemmen.
Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Haushaltspolitik,
Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zu reformieren. Für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
die Euro-Länder sind vergleichbare Maßnahmen nicht der FDP)
möglich. Ob es sich nun um Euro-Länder oder Mit- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube – das
gliedsländer der Europäischen Union handelt: Die kann man jetzt noch nicht endgültig feststellen –, es wird
Nothilfe als Ultima Ratio für ein Mitgliedsland der für die nächsten Jahren weniger notwendig sein, Rege-
Europäischen Union zählt für mich zum Besitzstand der lungen und europäische Verträge zu ändern. Was wir än-
Europäischen Union. Ich betone aber: Es ist eine Ultima dern müssen, ist der Umgang mit den vorhandenen Re-
Ratio, die nur anzuwenden ist, wenn alle anderen Maß- gelungen und Gremien.
nahmen mindestens kurzfristig versagt haben.
Ich möchte versuchen, als Schlusssatz frei nach Kant
Ich halte es für absolut richtig, wie sich die Bundes- zu formulieren, wie er es in seiner Schrift Beantwortung
(B) regierung in dieser Frage verhält; das ist auch der einzig der Frage: Was ist Aufklärung? gut ausgedrückt hat: (D)
mögliche Weg. Griechenland muss die eingeleiteten (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Über-
Reformen umsetzen. Es können der Internationale Wäh- nehmen Sie sich nicht!)
rungsfonds und die Mitgliedsländer der EU nur bei dro-
hender Zahlungsunfähigkeit helfen, und auch dann nur Die Ursache unserer Krise ist nicht der Mangel an Re-
als Not- und Übergangshilfe. Selbst dann muss absolut geln, sondern der Mangel an Mut, sie anzuwenden. Das
gesichert sein, dass Griechenland weiterhin Anstrengun- muss sich in der Europäischen Union in Zukunft ändern.
gen unternimmt, um die Versäumnisse der letzten Jahr- Dann werden wir solche Krisen nicht mehr zu beklagen
zehnte aufzuarbeiten. haben.
Es ist kein Zufall, dass Deutschland in dieser Krise Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
bisher halbwegs klargekommen ist. Wir wissen – gerade (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
bei diesem Haushalt bzw. seiner Verschuldung haben wir neten der FDP – Dr. Angelica Schwall-Düren
die Debatte gehabt –: Das ist alles nicht üppig, auch wir [SPD]: Das reicht nicht, Herr Stübgen! Wir
verletzen das Maastricht-Kriterium. Aber im europäi- brauchen neue Regeln! – Wolfgang Gehrcke
schen Vergleich kommen wir verhältnismäßig gut klar. [DIE LINKE]: Ich sagte: Übernehmen Sie sich
nicht!)
Ich sehe den Grund darin, dass die Bundesrepublik
Deutschland in den letzten zehn Jahren angefangen hat,
schwierige Reformen im Sozialbereich, bei den Renten, Vizepräsidentin Petra Pau:
den Steuern etc. umzusetzen. Fast alle Fraktionen in die- Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die
sem Haus haben eine lebhafte Erinnerung daran. Denn Unionsfraktion.
diese Reformen waren zum einen extrem schwierig und (Beifall bei der CDU/CSU)
zum anderen extrem unpopulär. Es gibt aber keinen ver-
antwortungsvollen Weg, der daran vorbeiführen könnte,
für kein Land. Das muss man auch Griechenland, Portu- Ute Granold (CDU/CSU):
gal, Spanien und Großbritannien deutlich sagen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich heute als Mitglied des Ausschusses für
Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass ich – das will Menschenrechte und humanitäre Hilfe den Akzent auf
ich unumwunden zugeben – zurzeit noch nicht vollstän- den Bereich der Menschenrechte in der deutschen Au-
dig davon überzeugt bin, dass die Einrichtung eines ßenpolitik setzen. Deutsche Außenpolitik ist neben der
europäischen Währungsfonds langfristig der richtige Friedenspolitik das Politikfeld für den Einsatz für Men-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2779
Ute Granold
(A) schenrechte. Das haben wir im Koalitionsvertrag ganz den und deren Menschenrechte mit Füßen getreten wer- (C)
klar festgelegt und geregelt. Insofern gibt es sowohl ei- den.
nen Kompass als auch ein Steuern auf ein bestimmtes
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ziel hin.
Ein anderes Beispiel ist die Türkei; sie wurde eben-
Die Bundeskanzlerin hat in der letzten Legislatur- falls bereits in einem anderen Kontext angesprochen.
periode die wertegebundene Außenpolitik als Akzent ge- Derzeit wird in der Türkei über einen neuen Verfas-
setzt. Das wird jetzt kontinuierlich fortgesetzt. Dafür sungsentwurf debattiert. Bürgerrechte und Grundfreihei-
sind wir sehr dankbar. Deutschland genießt diesbezüg- ten sollen gestärkt werden. Die Menschenwürde soll als
lich ein großes Ansehen in der Welt. Kernbegriff Eingang in die Verfassung finden. Die inter-
nationalen Menschenrechtskonventionen sollen Vorrang
Herr Minister, Sie waren vor zwei Wochen beim
vor den türkischen Gesetzen haben. Nun ist in der Türkei
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf und
ein heftiger Streit entbrannt. Auf der einen Seite gibt es
haben dort für Deutschland gesprochen. Sie haben für
die Tendenz hin zur Säkularisierung, auf der anderen
diese Rede über den Kurs der deutschen Außenpolitik
Seite die Tendenz hin zur Islamisierung mit der Gefahr,
zugunsten der Menschenrechtspolitik großes Lob erfah-
dass die Scharia Einzug in die Gesetzgebung hält. Die
ren. Sie haben viele Gespräche geführt. Eine Delegation
jüngsten EU-Fortschrittsberichte bezüglich der Türkei
aus dem Menschenrechtsausschuss war eine Woche spä-
stimmen einen zurückhaltend, wenn man sich nur die
ter in Genf und hat davon erfahren. Wir sind sehr dank-
Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei an-
bar für diese klare Position und die nochmalige Beto-
schaut. Darum ist es nicht zum Besten bestellt. Ich
nung des Auftrags zur Förderung der Menschenrechte.
möchte als Beispiel das Kloster Mor Gabriel nennen. Es
Wir haben für den Einsatz, aber auch für die finanzielle
ist mit rund 1 600 Jahren eines der ältesten Klöster der
Unterstützung Deutschlands für die Einhaltung und För-
Christenheit. Nun droht die Enteignung. Erzbischof Ak-
derung der Menschenrechte in der Welt Anerkennung er-
tas ist zurzeit in Deutschland und hat gesagt, bis zum
fahren. Dafür sind wir dankbar.
letzten Atemzug werde diese Wiege der Christenheit
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verteidigt, und wir alle sollten an seiner Seite stehen.
der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)
Die Menschenrechte sind universell, unteilbar und An dieser Stelle möchte ich auch die Pauluskirche in
unveräußerlich. Sie sind Ausdruck der unantastbaren Tarsus und das Priesterseminar auf Chalki, das seit 30
Würde der Menschen. Auf dieser Grundüberzeugung ba- Jahren geschlossen ist – das macht es unmöglich, Nach-
siert unser politisches Handeln in Deutschland und in der wuchs auszubilden –, in Erinnerung rufen.
(B) (D)
Welt. Wir sehen es als eine Verpflichtung an, Menschen-
Die Religionsfreiheit ist für uns ein sehr hohes Gut.
rechtsverletzungen über Ländergrenzen hinweg anzu-
Sie ist für uns in Deutschland selbstverständlich, viel-
sprechen und deren Einhaltung einzufordern. Es reicht
leicht zu selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen,
nicht aus, dass in manchen Staaten dieser Welt die Men-
dass es in vielen Teilen der Welt keine Religionsfreiheit
schenrechte zwar in der Verfassung und den Gesetzen
gibt und die Menschen wegen ihrer Religion verfolgt
verankert sind, sie aber nur auf dem Papier stehen und
und auch getötet werden. Das dürfen wir nicht schwei-
nicht geachtet werden.
gend hinnehmen. Es gibt insgesamt 2,1 Milliarden
Lassen Sie mich als Beispiele den Iran und – für den Christen auf der Welt. 80 Prozent der religiös Verfolgten
Bereich der Religionsfreiheit – die Türkei nennen. Herr weltweit sind Christen. Sie werden misshandelt und ge-
Minister, Sie haben den Iran bereits angesprochen, al- tötet; ihre Häuser werden zerstört. Der sogenannte
lerdings in einem ganz anderen Kontext. Ich möchte auf Open-Doors-Weltverfolgungsindex führt die Länder auf,
die Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte zu sprechen in denen die Menschen am schlimmsten verfolgt wer-
kommen. Auf den ersten Blick könnte man sich mit den den. Darunter sind Nordkorea, der Iran, Saudi-Arabien,
dortigen Regelungen einverstanden erklären, da die Frei- Somalia, Ägypten und der Irak. Auf die Situation in den
heits- und Bürgerrechte in der iranischen Verfassung letzten beiden Ländern möchte ich genauer eingehen.
verankert sind. Der erste Blick täuscht aber. Auf den In Ägypten wurden Anfang Januar sechs Christen
zweiten Blick liest man den Satz: Alle Gesetze, auch die und ein muslimischer Wachmann während eines Gottes-
Verfassung, müssen im Einklang mit den islamischen dienstes in einer Kirche ermordet. In diesem Land wer-
Prinzipien stehen. – Das heißt konkret Folter, Todes- den seit vielen Jahren schwerste Delikte gegen Christen
strafe, Misshandlung und Steinigung, auch von Minder- begangen.
jährigen. In diesem Staat herrscht großes Elend, auch
wenn es um die Gleichberechtigung geht. Im Vorfeld der Wahlen im Irak wurden Christen um-
gebracht, Häuser von Christen in Brand gesteckt und
Die Menschenrechte dürfen aber nicht relativiert wer- Bomben gelegt. Die dort lebenden Christen fordern Soli-
den, auch nicht wegen vermeintlich religiöser oder kul- darität. Das sollte für uns eine Selbstverständlichkeit
tureller Besonderheiten. Wir sind der Bundesregierung sein; denn auch dort liegen die Wurzeln unseres Glau-
dankbar, dass sie nun entschieden hat, im Rahmen einer bens. Wenn hier Solidarität eingefordert wird, müssen
Einzelfallprüfung iranische Dissidenten aufzunehmen. wir sie auch zeigen. Die Bundesregierung hat in der letz-
Sie gibt damit der iranischen Opposition das Zeichen, ten Wahlperiode dank der Initiative der Menschenrecht-
dass wir auf der Seite derer stehen, die unterdrückt wer- ler entschieden, irakische Flüchtlinge aufzunehmen.
2780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Ute Granold
(A) Letztendlich handelte es sich um eine europäische Soli- Ich frage gerne Besuchergruppen, wie hoch der Anteil (C)
daritätsaktion. Wir Deutsche haben unsere Hausaufga- der Mittel für Kultur im Haushalt der Bundesrepublik
ben gemacht und 2 500 irakische Flüchtlinge, davon ist. Die Schätzungen liegen regelmäßig bei etwa
1 100 Christen, aufgenommen. Unser Fraktionsvorsit- 20 Prozent. Diese Zahl ist richtig, wenn das Aufregungs-
zender Volker Kauder hat angekündigt, die Aufnahme potenzial, das Kultur hat, gemeint ist; aber der finan-
weiterer Flüchtlinge zu prüfen, da die Integration der zielle Anteil beträgt 0,4 Prozent. Über Kultur kann man
hier Aufgenommenen sehr gut verläuft. Sehr viele wunderbar streiten, und Kultur regt zum Nachdenken an.
Flüchtlinge befinden sich noch in Syrien und Jordanien. Man kann sich fragen, was eine Ausstellung meinethal-
Diesen Menschen muss Beistand geleistet werden. ben in China mit Bildern aus der Zeit der europäischen
Aufklärung nützt. Sie regt zum Nachdenken an. Kunst
(Beifall bei der CDU/CSU) begeistert, irritiert, oder sie provoziert. Das liegt im
Wie zerstörerisch religiöser Fanatismus sein kann, Auge des Betrachters. Das heißt, wir setzen etwas in Be-
sieht man in Nigeria. Das gilt auch für die Situation der wegung, und gleichzeitig machen wir neugierig auf das
Christen und übrigens auch der Muslime in Indien, wo Land, aus dem die Kunst kommt. Das ist unsere Visiten-
Religionsfreiheit zwar im Gesetz steht, aber nicht geach- karte; das ist, wenn man so will, der Trailer zu einem
tet wird. Film. Wenn der Trailer gut ist, dann schaue ich mir auch
den ganzen Film Deutschland an, und wenn er richtig
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die Koali- gut ist, auch den zweiten und dritten Teil. Wir interessie-
tion den Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“ ren mit ganz wenig Aufwand Menschen für unser Land.
eingebracht hat, über den wir nächste Woche in diesem Das ist für mich sehr wichtig. Es ist schön, wenn jemand
Hause debattieren werden. Für uns steht immer auf der sagt, dass Deutschland für den schicken ICE oder auch
Agenda, dass wir uns für die Menschenrechte einsetzen. für Windräder steht, oder wenn jemand die guten deut-
Dazu gehört auch die Situation in China und in anderen schen Autos anführt. Aber viel interessanter und blei-
Regionen der Welt. Für uns ist die Religionsfreiheit ein bender ist die Wirkung, die wir durch Kultur erzielen.
ganz wichtiges Menschenrecht, und deshalb habe ich
meinen Fokus daraufgelegt. Nun kann man im Ausland natürlich nicht für eine Sa-
che werben, die es im Inland gar nicht mehr gibt. Dann
Ich danke dem Außenminister und der Bundesregie- könnten höchstens kulturelle Ruinen besucht werden.
rung für die wertegebundene Außenpolitik, für ihren Deswegen korrespondiert der Kulturanteil im Haushalt
Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte und für die des auswärtigen Bereichs mit dem Kulturanteil im Haus-
Friedenspolitik. halt des innerdeutschen Bereichs. Mit diesem vorgeleg-
ten Haushalt sind wir nicht der Versuchung erlegen, ei-
(B) Vielen Dank. nem allgemeinen Trend entsprechend Kultur als Luxus, (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der in der Krise verzichtbar ist, zu kennzeichnen, son-
dern wir haben ganz klar gesagt, dass wir die Weiterent-
wicklung von Kultur fortschreiben wollen. Das machen
Vizepräsidentin Petra Pau: wir auch im Haushalt deutlich. Wir haben nicht brutal
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die Uni- gekürzt. Dieser Versuchung sind wir nicht erlegen. Ich
onsfraktion. glaube, das ist wichtig. Im Zusammenhang mit dem
Einzelplan 04 sind die Kommunen angesprochen wor-
(Beifall bei der CDU/CSU) den. Gerade in diesen Bereichen darf man nicht sparen.
Es lohnt sich unwahrscheinlich, Investitionen in Kultur
Rüdiger Kruse (CDU/CSU): zu tätigen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Ich bin sehr froh, dass die Themen „kulturelle Ent-
Herren! Der Kollege von den Linken hatte vorhin die wicklung“ und „kulturelle Botschaft im Ausland“ vom
langen Linien vermisst. Lange Linien sind meistens Auswärtigen Amt, das jetzt unter einer anderen Führung
nicht so spannend, weil sie nicht diese Ausschläge ha- steht – offensichtlich gibt es jetzt jemanden, der nicht
ben. Natürlich gibt es diese langen Linien. Außer den in- nur kellnern will, sondern auch einmal kocht –, aufrecht-
ternationalen Missionen, an denen wir beteiligt sind und erhalten und ganz bewusst gesetzt werden.Vor dem Hin-
die meistens mit Afghanistan oder Fragen finanzpoliti- tergrund der fortschreitenden Integration dieser Welt, der
scher Art verbunden sind, gibt es auch unsere Präsenz im fortschreitenden Globalisierung werden wir in den
Ausland, die der Kulturpolitik zuzuordnen ist. Das ist so nächsten Jahren wesentliche Beiträge über kulturelle Im-
eine lange Linie. Um an das anzuschließen, was meine pulse leisten können. Das sind Dinge, die die Menschen
Vorrednerin zum Thema Menschenrechte gesagt hat: Es der verschiedenen Länder einander näherbringen. Auch
gibt auch ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe. Es wenn es ein bisschen abgegrast klingt: Wenn man ein
liegt oberhalb der Menschenrechte, für deren Einhaltung Land näher kennengelernt hat, dann ist es viel schwieri-
wir meistens kämpfen müssen, aber es ist ein sehr wich- ger, in einen Konflikt mit diesem Land zu kommen. –
tiges. In sehr vielen Ländern stillt unser Beitrag, den wir Das zu erkennen, ist die Aufgabe. Ich hoffe, Herr Minis-
zum Beispiel über das Goethe-Institut und andere Ein- ter, dass Sie sich dieser Aufgabe mit viel Macht und In-
richtungen leisten, einen Hunger, der hier in Deutsch- tensität – dies lässt der Haushaltsentwurf erkennen –
land vielleicht gar nicht mehr so groß ist. Es ist ein Hun- stellen.
ger auf andere Kulturen, auf Anregungen, auf etwas, was
neugierig macht. Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2781
Rüdiger Kruse
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (C)
neten der FDP und des Abg. Johannes Kahrs BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander
[SPD]) Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im
Schützengraben!)
Vizepräsidentin Petra Pau: Man kann nur spekulieren – vielleicht wird diese Speku-
Ich schließe die Aussprache. lation im Laufe der Debatte aufgehoben –: Darf er nicht?
Will er nicht? Möchte er nicht? – Schauen wir einmal,
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
was die Koalition zu dieser Angelegenheit sagen wird.
Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfas-
sung. – Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Aus- Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist deutlich ge-
schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält worden, dass 90 Prozent des investiven Anteils durch
sich? – Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Uni- Großvorhaben über Jahre gebunden sind, sodass für die
onsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen nächsten Jahre finanzielle Handlungsspielräume für
der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak- Neues so gut wie nicht mehr vorhanden sind. Das un-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. fassbare Durcheinander bei der Beschaffung des Flug-
zeugs A400M erreicht heute durch einen kurzfristig ein-
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf: gereichten Antrag der Koalition anscheinend eine neue
Einzelplan 14 Größenordnung, man könnte fast sagen: den absoluten
Bundesministerium der Verteidigung Höhepunkt. Man muss sich einmal vor Augen führen,
wie die Koalition in dieser Frage in der Bereinigungssit-
– Drucksachen 17/613, 17/623 – zung mit Ihnen, Herr Minister, umgegangen ist – ich will
Berichterstattung: ganz deutlich sagen, dass die Bundeswehr dieses Flug-
Abgeordnete Bartholomäus Kalb zeug braucht; die SPD-Fraktion steht nach wie vor zu
Klaus-Peter Willsch diesem Beschaffungsvorhaben –; das schreit zum Him-
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) mel.
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde Da wird über Nacht ein Kürzungsvorschlag in Höhe
von 100 Millionen Euro durchgesetzt – ohne Begrün-
Zum Einzelplan 14 liegen zwei Änderungsanträge der dung –, obwohl jeder wusste, dass in 2010 aufgrund des
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Ab- bestehenden Vertrages selbst vor der jüngst erfolgten Ei-
(B) geordneten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen nigung mit EADS 250 Millionen Euro fällig geworden (D)
Koppelin vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag wären. Damit das geheilt und das Projekt insgesamt ge-
der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag rettet werden kann, herrschte hier gestern hektische Be-
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. triebsamkeit. Der Kollege Willsch, der Kollege Kalb und
der Kollege Koppelin waren mehrfach mit dem Minister
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für im Plenarbereich unterwegs.
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So
was!)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion. Andere wurden nicht dazugebeten, obwohl es eine
durchaus übliche und sehr faire Praxis ist, dass alle Be-
(Beifall bei der SPD) richterstatter des Einzelplans über Veränderungen infor-
miert werden. Aber nun kommt es: Kurz vor der ab-
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): schließenden Beratung legt die Koalition einen Antrag
vor – dass darüber abgestimmt wird, hat die Frau Präsi-
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- dentin eben angekündigt – über eine Verpflichtungser-
legen! Bei der ersten Lesung des Einzelplans 14 am mächtigung für den A400M in Höhe von 500 Millionen
20. Januar 2010 habe ich von gleicher Stelle ausgeführt, Euro. Wie sieht es da mit dem Einhalten des hehren
dass der Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts Grundsatzes eines jeden Haushälters der Haushaltswahr-
auf den ersten Blick stabil und solide erscheint. Nach heit und -klarheit aus, Herr Minister? Die Koalitions-
den Beratungen im Ausschuss und den Ergebnissen aus fraktionen – das sage ich in aller Deutlichkeit – tanzen
der Bereinigungssitzung kann man das allerdings nicht Ihnen auf der Nase herum. Sie haben letztendlich durch
mehr behaupten. In zu vielen Punkten bleibt der oberste diese Vorgehensweise wie bei vielen anderen Einzelplä-
Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit leider auf nen auch mehr als deutlich gemacht, dass diese Koali-
der Strecke. tion nicht regierungsfähig ist.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]:
Angesichts der Rednerliste sei mir ein kurzer Einwurf
Das ist aber ein Trugschluss!)
gestattet: Ich vermisse auf der Rednerliste den Namen
des Ministers der Verteidigung, Herrn Freiherr zu Die SPD-Fraktion steht mit dieser Äußerung zur Re-
Guttenberg. gierungsfähigkeit nicht alleine da. Ich gehe einmal da-
2782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Bernhard Brinkmann (Hildesheim)


(A) von aus, dass auch Sie sich Umfragen und Bewertungen nanzieren wollen. Bei der von Ihnen vorgesehenen Ver- (C)
anschauen. Über 70 Prozent der deutschen Bevölkerung kürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate wird der Auf-
– das ist eine deutliche Mehrheit – sind ebenfalls dieser wand für die Ausbildung von Personal, für Material und
Auffassung; sie sagen: Die können das nicht. – Das ist Infrastruktur in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis
auch so; aber Sie sind nicht bereit, den ersten Schritt zu stehen. Ich habe bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts
tun, um das zu verändern. dazu von Ihnen gehört, Herr Minister, wie Sie das in der
künftigen Haushaltsplanung darstellen wollen und wie
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie ist es bei Sie das finanzieren wollen.
euch? Abgewählt!)
Lassen Sie mich noch ein paar kurze Anmerkungen
Einsicht wäre der erste Schritt auf dem Weg der Besse- zu Lagerhaltung, ÖPP und Privatisierung machen.
rung. Sie aber halten an diesem totalen Durcheinander
fest. (Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt kommt er
mal zum Thema!)
Es kommt aber noch schlimmer.
Ich sage für die SPD-Fraktion ganz deutlich, dass die im
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Noch
Ministerium zurzeit angestellten Vergleichsberechnun-
schlimmer?)
gen transparent erfolgen müssen und dass man auch die
Der Kollege Kahrs hat in der Bereinigungssitzung den berechtigten Sorgen und Nöte der Beschäftigten ernst
Minister und den Staatssekretär gefragt, wie sie diese nehmen muss. Private Dienstleister sind nämlich nicht
über Nacht ausgeheckten Kürzungen bewerten. Antwort generell besser und kostengünstiger. Stichworte wie
des Ministers darauf: Dazu bin ich nicht in der Lage. – Bundeswehr-Fuhrpark, BWI oder auch Entwicklungen
Wie sollen dann aber Haushälter eine Entscheidung hin- in anderen von PPP geprägten Bereichen sind der beste
sichtlich von Beschaffungsmaßnahmen für den Schutz Beweis dafür.
unserer Soldatinnen und Soldaten und auch für die ge-
Es gibt natürlich nicht nur Kritik, sondern durchaus
fährlichen Auslandseinsätze treffen? Weder die Verteidi-
auch erfreuliche Dinge, die ich kurz erwähnen möchte,
gungspolitiker noch die zuständigen Berichterstatter der
nämlich die Baumaßnahmen im Rahmen des Konjunk-
Opposition wurden über diese – ich muss es wiederholen
turpakets II und das Zentrum für die Traumabehandlung
und möchte es deutlich betonen – über Nacht ausgeheck-
der vom Einsatz zurückkehrenden Soldatinnen und Sol-
ten Kürzungen informiert.
daten, das übrigens auf einen Antrag der Arbeitsgruppe
So geht man im parlamentarischen Beratungsverfah- „Sicherheit“ der SPD-Fraktion zurückgeht.
ren nicht miteinander um. So ist man auch nach 1998
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
(B) nicht mit den Berichterstattern des Einzelplans 14 und CSU) (D)
aller anderen Einzelpläne umgegangen. Das ist unfair
und macht nur ganz deutlich, dass die FDP wieder ein- Wir brauchen weiterhin eine junge, leistungsstarke
mal versucht, ein bisschen Profil zu gewinnen und eine Armee. Diese muss, um eine gewisse Attraktivität zu
Gegenfinanzierung für die 1 Milliarde Euro hinzube- entfalten, gut ausgerüstet sein. Hierzu hat der Wehrbe-
kommen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus auftragte in seinem Bericht sehr viele, durchaus nach-
dem Hotelfenster geworfen haben. Wie durchsichtig das vollziehbare und kritische Anmerkungen gemacht, die
ist, wird daran deutlich, dass die DEHOGA heute erklärt wir in unseren weiteren Beratungen berücksichtigen
hat, dass ihre Mitgliedsunternehmen bereit sind, im Ge- müssen.
genzug für dieses Steuergeschenk in Höhe von 1 Mil-
liarde Euro vielleicht 400 Millionen Euro zu investieren. Zum Schluss meiner Ausführungen darf ich allen Sol-
Wo bleiben die anderen 600 Millionen Euro? Sie sind datinnen und Soldaten und dem zivilen Personal den
wohl als reines Klientelgeschenk der Regierung und der Dank, die Anerkennung und den Respekt der SPD-Frak-
Koalitionsfraktionen anzusehen. tion aussprechen. Das gilt insbesondere für die Teile der
Bundeswehr, die einen gefährlichen und schwierigen
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Ko- Auslandseinsatz zu bewältigen haben. Herzlichen Dank
alition, Sie müssen den Soldatinnen und Soldaten erklä- auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Minis-
ren, warum ab dem Haushaltsjahr 2010 – in den Folge- teriums, die uns bei den Berichterstattergesprächen stets
jahren wird der Spielraum ja noch enger – die unbedingt die gewünschten Informationen zur Verfügung gestellt
notwendigen Finanzmittel für Schutz und Ausrüstung haben. Die Zusammenarbeit hat sich bisher ausgespro-
nicht mehr zur Verfügung stehen. chen angenehm dargestellt.
Gestatten Sie mir noch zwei kurze Anmerkungen. Wir lehnen den Einzelplan 14 ab und werden auch der
Gestern Abend war die Jubiläumsfeier des Verbandes heute Mittag kurzfristig von Ihnen eingereichten Ver-
der Reservisten. Dort gab der Minister bekannt, dass er pflichtungsermächtigung über 500 Millionen Euro un-
die im Koalitionsvertrag festgelegte Verkürzung des sere Zustimmung nicht geben.
Wehrdienstes auf den 1. Oktober vorziehen will. Damit
werden Sie bestimmten Fragen nicht gerecht und verab- (Henning Otte [CDU/CSU]: Kein Geld für die
schieden Sie sich endgültig von einer sicherheitspoliti- Soldaten! So stellen Sie sich das vor!)
schen Begründung für die Aufrechterhaltung der Wehr- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
pflicht. Sie sagen auch nicht, wie Sie die in vielen
Bereichen daraus resultierenden Herausforderungen fi- (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2783

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: verteidigungspolitisches Meinungsklima in der Bundes- (C)


Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von republik Deutschland“, die im Januar veröffentlicht
der Unionsfraktion. wurde. Das ist ein gutes Zeugnis für unsere Bundeswehr.
Wir sollten unseren Soldaten im Einsatz, aber auch den
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Mitarbeitern der Bundeswehr auf allen anderen Dienst-
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr verehr- posten für den aufopferungsvollen und schweren Dienst
ten Damen und Herren! Herr Minister! Zunächst einmal, danken, den sie für unser Land leisten.
Kollege Brinkmann, finde ich, dass der Ton, den Sie in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
diese Debatte, die wir gemeinsam führen, hineingebracht
haben, Ich habe bereits bei der ersten Lesung im Januar zum
Ausdruck gebracht:
(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Der
Ton war sehr sachlich, Herr Kollege!) Wenn wir Soldaten in Einsätze schicken, dann müs-
sen wir sie so ausrüsten, dass sie unter größtmögli-
der Debatte nicht gerecht wird. chem Schutz und mit höchstmöglicher Wirksamkeit
(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: ihren gefährlichen Auftrag erfüllen können.
Wenn es so ruhig bleibt, können Sie zufrieden
Das ist die Verantwortung des Parlaments, und zu dieser
sein!)
Verantwortung stehen wir. Das haben wir auch bei die-
Ich finde es auch nicht schön, dass Sie einvernehmlich sen Haushaltsberatungen unter Beweis gestellt. Der
beschlossene Maßnahmen – unterstützt von einer breiten Bundeshaushalt steht unter einem gewaltigen Spardruck.
Fachpolitik, auch aus der CDU/CSU – wie das Zentrum, Wir alle wissen das. Trotzdem ist es uns gelungen
das sich um posttraumatische Belastungsstörungen küm- – wenn auch nicht völlig unbeschadet –, mit Einsparun-
mern soll, mit einem Parteilabel zu versehen versuchen. gen von lediglich 32 Millionen Euro unterm Strich he-
Das halte ich nicht für sehr anständig; denn dieser Be- rauszukommen. Es ist notwendig, der Öffentlichkeit zu
schluss entsprach dem Anliegen all derer, die verant- sagen, dass Sicherheit und Freiheit ihren Preis haben.
wortlich mit der Bundeswehr umgehen.
Ich will gleichwohl kurz illustrieren, bei welchen
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Maßnahmen wir Kürzungen vorgenommen haben. Wir
meinen, dass wir bei der Nachwuchswerbung mit
Das sollte hier auch so gesagt werden. Wir sollten die
10 Millionen Euro weniger auskommen. Wir als Abge-
Soldaten gerade bei diesem Thema nicht politisch einsei-
ordnete können in unseren Wahlkreisen für den zivilen
tig instrumentalisieren.
Arbeitgeber Bundeswehr Werbung machen. Wir sind,
(B) (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weil in der Fläche breit aufgestellt, am besten dafür ge-
eignet, unserem Minister zivile Mitarbeiter zuzuführen.
Der Minister ist der Meinung, dass die Haushaltsbera-
Wir glauben, dass man bei Baumaßnahmen, bei ver-
tungen die Stunde des Parlaments sind. Er hatte bei Ein-
mischten Verwaltungsausgaben, bei Mieten und Pachten
bringung des Haushalts die Gelegenheit genutzt, zum
mit 15,2 Millionen Euro weniger auskommt. Ohne die
Haushalt seines Ministeriums zu sprechen. Ich bin dem
weitere Ausrüstung mit dem Eurofighter infrage zu stel-
Minister dankbar, dass er in dieser Debatte meiner Frak-
len, glauben wir, dass wir bei der Waffenentwicklung
tion seine Redezeit zur Verfügung gestellt hat. Das ist
mit 5 Millionen Euro weniger auskommen. – Das alles
eine Reverenz gegenüber dem Parlament.
sind Kürzungen, die die christlich-liberale Koalition un-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ter Beachtung ihrer Verantwortung für den Gesamthaus-
NEN]: Na ja! Das gab es noch nie, dass da ei- halt vorgenommen hat. Natürlich wissen wir, dass sich
ner kneift! Das hat mit Reverenz nichts zu tun! das Ministerium über diese Kürzungen nicht freut. Wer
Das ist eine Brüskierung des Parlaments!) freut sich schon, wenn in seinem Bereich Mittel gekürzt
werden? Wir glauben aber, dass das Haus diese Vorga-
Ich möchte mich aber nicht nur dafür, sondern auch für ben wird umsetzen können.
die angenehme und zufriedenstellende Zusammenarbeit
mit dem Verteidigungsministerium bedanken. Es gab mit Lassen Sie mich noch zu dem Thema „öffentliche
den Staatssekretären und den Mitarbeitern des Hauses Entwicklungszusammenarbeit und ODA-Mittel“ im Be-
eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Rahmen der reich des Einzelplans 14 einige Bemerkungen machen.
Haushaltsberatungen. 2008 war das letzte abgerechnete Jahr. In dem Jahr
haben wir aus dem Einzelplan 14 lediglich 8,2 Millionen
Etwa jeder zweite Bundesbürger spricht sich für
Euro ODA-fähige Mittel erbracht. Das sind Mittel, die
eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik aus …
zwar aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden, die
Das Vertrauen in die Bundeswehr ist außerordent-
aber als Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit ge-
lich groß … Die Bundesbürger vertrauen der Bun-
wertet werden. Wenn wir uns die Zahlen für 2010 an-
deswehr, weil sie davon überzeugt sind, dass die
schauen, so kommen wir auf einen Betrag von 12,8 Mil-
Streitkräfte dazu beitragen, Frieden, Schutz und
lionen Euro. Sie wissen alle – die ODA-Quote ist schon
Freiheit für Deutschland zu wahren.
mehrfach angesprochen worden –, dass das, was dort für
Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern das ist das einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird, heute
Ergebnis einer Studie des Sozialwissenschaftlichen In- noch nicht erreicht wird. Wir sollten aber wenigstens die
stituts der Bundeswehr zum Thema „Sicherheits- und Mittel zusammenrechnen, die wir für diesen Bereich
2784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Klaus-Peter Willsch
(A) schon jetzt zur Verfügung stellen, damit die Zahlen nicht dass es nicht auf die Streichungen in Höhe von 1 Mil- (C)
schlechter aussehen, als sie in Wirklichkeit sind. lion, 2 Millionen oder 5 Millionen Euro, die Sie eben ge-
nannt haben, ankommt. Ich würde es begrüßen, wenn
Wir haben im Einzelplan 14 einen Bereich mit einem
Sie einmal die Streichung von 200 Millionen Euro im
Volumen von 56,3 Millionen Euro, der streitig gestellt
investiven Bereich begründen würden. 100 Millionen
ist, weil das BMZ sagt, dass es sich nicht um ODA-Mit-
Euro beim A400M, NH-90, Tiger, Quartiermeistermate-
tel handelt. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir zu
rial und alles, was dazugehört, die globale Minderaus-
Neubewertungen kommen und müssen deutlich machen,
gabe von 200 Millionen Euro, die 57 Millionen Euro fle-
dass das, was wir in diesem Bereich tun, der Entwick-
xibilisierte Mittel: Ich würde einfach gerne einmal die
lung Afghanistans dient. Es geht mir nicht darum, hier
Begründung dafür hören.
billigen Beifall für die damit erreichte Verbesserung bei
der Quotenerfüllung zu bekommen, sondern es geht mir (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hat er doch
um die Anerkennung der Soldaten, die dort ihren Dienst gemacht!)
tun. Sie sollen entsprechende öffentliche Wertschätzung
erfahren, indem ihnen sozusagen testiert wird, dass sie Im Ausschuss selbst wollten Sie die Begründung
einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Landes nicht geben. Ihr Minister konnte sie nicht geben, weil er
leisten. erst Stunden vorher erfahren hat, was Sie gestrichen ha-
ben. Ihr Staatssekretär muss jetzt 450 Millionen Euro in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf einem Haushalt, der bereits läuft, zusammensuchen. Das
von der CDU/CSU: Sehr guter Vorschlag!) heißt, dass große Sparmaßnahmen auf die Truppe zu-
kommen. Neben all den netten Dingen, die Sie bisher er-
Da wir beim Thema Quote sind: Häufig wird über
wähnt haben, könnten Sie auch einmal zum Kern kom-
Quoten bei der Entwicklungszusammenarbeit und über
men und dies begründen.
das 10-Prozent-Ziel bei den Bildungs- und Forschungs-
ausgaben gesprochen. Quotale Bindungen sind Haushäl-
tern ein Graus. Aber wenn wir schon über quotale Bin- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
dungen reden, dann müssen wir das auch vollständig tun. Lieber Kollege Kahrs, ich bedanke mich für die lo-
In der NATO ist man schon vor mehreren Jahren über- benden Worte bezüglich meines Beitrags. Die Fachdis-
eingekommen, einen Anteil der Verteidigungsausga- kussion werden wir jetzt sicherlich nicht mehr im Detail
ben am BIP von 2 Prozent anzustreben. Das erreichen nachholen können. Wir haben uns die einzelnen Be-
wir nicht; wir sind in einem Bereich von 1,3 Prozent bis schaffungsmaßnahmen angeschaut und uns überlegt, wo
1,4 Prozent. Die einzigen, die dieses Ziel erreichen, sind wir parlamentarisch nachsteuern können – ich erinnere
die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen, die Sie an unseren Antrag in Sachen MEADS –, indem wir
(B) sogar darüber liegen. uns in Betracht kommende Alternativen anschauen, die (D)
den gleichen Zweck erfüllen können und bei denen wir
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Auffassung sind, dass noch genügend Zeit ist. Das
NEN]: Und die Griechen! Und da sehen Sie haben wir gemacht. Das ist ein verantwortlicher Um-
mal, wozu das führt!) gang mit dem Haushalt.
– Stimmt, das waren Einmalerscheinungen. Ob das bei Hinsichtlich des A400M bin ich Ihnen in der Tat noch
den Griechen allerdings nur auf Sollzahlen beruht oder eine Begründung unseres Antrags schuldig; auch der
ob das Geld wirklich schon geflossen ist, ist aber frag- Kollege Brinkmann hat danach gefragt. Diese will ich
lich. Darüber kennen wir ja auch Geschichten. jetzt gerne nachtragen. Ich will Ihnen aber nicht zumu-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten, die ganze Zeit stehen zu müssen, wenn ich jetzt
NEN]: Seit zehn Jahren kontinuierlich über noch einmal zum A400M komme.
4 Prozent!) (Abg. Johannes Kahrs [SPD] nimmt Platz)
Das ist eine beachtliche Quote, wenn wir uns als Indus- Die Beratung über den A400M ist mit Blick auf die
triestaaten miteinander vergleichen und überlegen, wel- Technik der Haushaltsaufstellung nach der Bereini-
cher Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP sinnvoll gungssitzung in ein Stadium gekommen, in dem wir, um
und notwendig ist. Das müssen wir mit im Blick behal- den Kredit über die KfW ausreichen zu können, eine Er-
ten. mächtigung im Haushalt brauchen; das wissen Sie, Herr
Kollege Brinkmann. Deshalb haben wir nach einem Weg
Vizepräsidentin Petra Pau: gesucht und haben das mit dem gemeinsamen Antrag
Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage meines Kollegen Dr. Koppelin und mir als Verpflich-
des Kollegen Kahrs? tungsermächtigung noch in den Haushalt 2010 hineinge-
bracht.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Zur Erläuterung: Mit den 2 Milliarden Euro haben wir
Natürlich. überhaupt nichts zu tun; das wissen Sie alle.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Johannes Kahrs (SPD):
NEN]: Da bin ich mal gespannt!)
Herr Kollege, ich höre Ihre Rede, und Sie sagen viele
gefällige Dinge. Aber wenn man sich anschaut, was Sie Dafür erwarten wir eine Lösung, die nicht haushalts-
im Verteidigungshaushalt gemacht haben, wird deutlich, wirksam wird. Wir haben darüber hinaus die 1,5 Milliar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2785
Klaus-Peter Willsch
(A) den Euro, die die sieben Bestellernationen dem Herstel- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, Krieg (C)
ler als Kreditmittel zur Verfügung stellen sollen. Unser führen!)
Anteil daran beträgt 500 Millionen Euro. Diese soll die
Wenn das die Bundeswehr allein machen soll, dann wer-
KfW verzinst und rückzahlbar ausreichen. Weil jetzt
den wir sozusagen als industriepolitischer Einzelplan
aber noch kein Vertrag da ist und die Konditionen noch
missbraucht. Als wichtiger Punkt ist festzuhalten: Wir
nicht ausgehandelt sind und feststehen, war das BMF der
können mit diesen Gütern auch dafür sorgen, dass Hoch-
Auffassung, wir müssten den vollen Betrag ansetzen.
technologieunternehmen im Bereich Luft- und Raum-
Wir sind der festen Überzeugung, dass das nicht fällig
fahrt in unserem Land eine gute Zukunft haben und nicht
werden wird.
nur uns, sondern auch Partnern ihre hervorragenden Pro-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dukte zur Verfügung stellen können.
NEN]: Das sieht Ihr Finanzminister anders! – (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]:
Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Sie Darum habt ihr 100 Millionen gekürzt! Un-
hätten ganz in Ruhe beraten können!) glaublich!)
Das Ganze wurde in hervorragender Weise ausgehan- Lassen Sie mich schließen, indem ich bekenne: Das,
delt. Viele hatten einen schlimmeren Ausgang dieser was wir mit der Fassung in der Nacht der Bereinigungs-
Verhandlungen erwartet. sitzung beschlossen haben, hat schon Auswirkungen ge-
zeigt. Sie alle kennen die Aussagen des Inspekteurs des
Vizepräsidentin Petra Pau: Heeres. Das betrifft auch mich persönlich: Ich bin Flak-
Kollege Willsch, der Kollege Kahrs hat offensichtlich panzerkommandant.
noch eine Nachfrage. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das merkt
man!)
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Es nimmt einen schon mit, wenn man liest, dass der Ge-
Lassen Sie mich das bitte im Zusammenhang darstel- pard außer Dienst gestellt wird; aber es zeigt zugleich,
len. – Sie haben schon bei der ersten Lesung gesagt, dass dass wir mit solchen Vorgaben das Problem in die
wir auf jeden Fall weitermachen müssen, und damit die Truppe verlegen, wenn wir fragen: Wo könnt ihr mithel-
Verhandlungsposition nicht gerade erleichtert. Dass wir fen, dass wir diese haushaltspolitisch schwierigen Zeiten
dieses gute Ergebnis erreichen können, indem die KfW meistern?
angewiesen werden kann, diesen Kredit auszureichen, ist
Gegenstand und Notwendigkeit des Antrags, den ich
Vizepräsidentin Petra Pau:
(B) hier einbringe und den ich Ihrer Zustimmung empfehle. Kollege Willsch, ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Sie (D)
haben gleich die Möglichkeit, weiter zu reden, da es
Vizepräsidentin Petra Pau: nach Ihrer Rede eine Kurzintervention gibt. Aber jetzt
Herr Kollege Willsch, können Sie mir bitte sagen, ob bitte ich Sie, mein Signal zu beachten, und Ihre Rede zu
Sie die Frage noch zulassen oder nicht; denn ich kann beenden.
diese Zeit nicht an Ihre Redezeit hängen.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Hausrecht
Ich möchte meinen Gedanken im Zusammenhang
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
ausführen. Ich bitte um Verständnis.
und schließe mit folgendem Satz ab: Die Bundeswehr,
Vizepräsidentin Petra Pau: das Verteidigungsministerium und die Truppe können
sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen. Wir werden
Gut.
im Haushaltsausschuss für die Truppe möglich machen,
was geht.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Danke schön.
Das Thema A400M macht zugleich deutlich, dass im
Einzelplan 14 Belastungen vorgesehen sind, die nicht al- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
lein verteidigungspolitisch motiviert sind. Keiner hat
dieses Thema rein militärisch diskutiert, es wurde auch Vizepräsidentin Petra Pau:
immer industriepolitisch diskutiert. Das gibt es auch in Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs das
anderen Bereichen. Der Bericht von SIPRI über unsere Wort.
Erfolge an der Exportfront ist schon mehrfach angespro-
chen worden. Wir können stolz darauf sein, weil unsere
Spitzentechnologie weltweit, gerade bei unseren NATO- Johannes Kahrs (SPD):
Partnern, nachgefragt wird. Das sichert 77 000 Arbeits- Herr Kollege Willsch, Sie haben eben davon gespro-
plätze in diesem Bereich. chen, dass Sie es bedauern, was der Inspekteur Heer ver-
fügt hat, nämlich dass die Geparden, Marder und viele
Wenn technologische Fähigkeiten der Ingenieurs- andere Fahrzeuge stillgelegt worden sind. Das liegt da-
kunst erhalten werden sollen, dann muss es Aufträge ge- ran, dass Sie die Politik machen, die Sie machen. Wenn
ben. man den Haushalt betrachtet, muss man feststellen, dass
2786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Johannes Kahrs
(A) Sie über 450 Millionen Euro aus einem laufenden Etat Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): (C)
gestrichen haben, die in diesem Jahr eingespart werden Herr Kollege Kahrs, es ist Ihnen sicher nicht entgan-
müssen. Von den 250 Millionen Euro, die in diesem Jahr gen, dass wir für den einsatzbedingten Mehrbedarf für
für den A400M vorgesehen waren, haben Sie 100 Mil- Afghanistan 437 Millionen Euro zusätzlich zur Verfü-
lionen Euro gestrichen. Es gibt aber eine vertragliche gung gestellt haben. Sie versuchen, aus dem Thema Ho-
Bindung, das heißt, die Mittel werden anderswo im nig zu saugen und einen anderen Eindruck zu vermitteln;
Haushalt erwirtschaftet werden müssen. Sie haben aber Sie wissen natürlich, dass für sehr viele Mittel im
30 Millionen Euro beim Tiger eingespart. Auch hier gibt Einzelplan 14 gegenseitige Deckungsfähigkeiten beste-
es vertragliche Verpflichtungen, sodass die Mittel wo- hen, sodass es bei der Truppe bleibt, die Vorgaben, die
anders eingespart werden müssen. Beim NH-90 gilt das der Haushaltsausschuss gemacht hat, zu realisieren.
Gleiche: Sie werden die Mittel im laufenden Etat einspa-
ren müssen. Ich betone einmal mehr: Der optimale Schutz und die
optimale Ausrüstung der Truppe im Einsatz bleiben für
Das ist in keiner Sitzung des Verteidigungsausschus- uns im Fokus. Wenn wir bei langfristigen Beschaffungs-
ses, bei keinem Berichterstattergespräch und auch vorher vorhaben auf die Bremse treten oder sagen: „Das muss
nie diskutiert worden. Das heißt, auch Ihr Minister hat anders gemacht werden“, dann hat das mit dem Einsatz
erst Stunden vorher erfahren, was Sie in jener Nacht von unmittelbar nichts zu tun.
Mittwoch auf Donnerstag ausgeheckt haben. Die Truppe
wird das jetzt im laufenden Jahr erdulden müssen. Kein (Rainer Arnold [SPD]: Da gibt es doch Ver-
anderer Etat ist so geschröpft worden wie der Verteidi- träge, die gelten!)
gungsetat. Das heißt, auf der einen Seite schicken wir
Soldaten nach Afghanistan, auf der anderen Seite wird Vizepräsidentin Petra Pau:
der Etat brutal zusammengestrichen. Wir alle kennen die Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Mängel bei der Bundeswehr. Wir wissen um die Pro- Die Linke.
bleme bei Infrastruktur und Beschaffung. Als schwarz-
gelbe Koalition streichen Sie Ihrem Minister 450 Millio- (Beifall bei der LINKEN)
nen Euro aus dem laufenden Haushalt und begründen
das hier nicht einmal. Inge Höger (DIE LINKE):
Sie haben über den A400M und die 500 Millionen Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen und
Euro VE gesprochen. Hier geht es aber um die 450 Mil- Herren! Das Geschäft mit der Rüstung blüht. Die Zahlen
lionen Euro, die Sie real gestrichen haben. Dafür habe des Friedensforschungsinstituts SIPRI wurden heute ver-
(B) ich keine Begründung gehört. Glauben Sie, dass Sie die schiedentlich genannt. SIPRI warnt ganz entschieden (D)
30 Millionen Euro für den Tiger nicht brauchen? Glau- vor weltweitem Wettrüsten. Deutschland ist zum dritt-
ben Sie, dass Sie die 100 Millionen Euro für den größten Rüstungsexporteur aufgestiegen. Rot-Grün hat
A400M, die vertraglich gebunden sind, nicht brauchen? die Türen geöffnet, aber unter der Großen Koalition ha-
ben sich die Rüstungsexporte nahezu verdoppelt.
Es wäre schön, wenn einer die Streichung einmal be-
gründen würde, damit die Truppe weiß, warum sie im Mit den Ausgaben für das eigene Militär liegt
laufenden Jahr das Geld nicht hat. Der Haushalt ist groß Deutschland auf Platz 6 weltweit, also in den Topten.
– das wissen wir alle –, aber der disponible Teil ist sehr Deutsche Waffen in alle Welt, das scheint die Devise der
klein. Sie werden dieses Geld bei der Truppe im laufen- hiesigen Rüstungsindustrie zu sein. Nicht nur die Bun-
den Jahr – wir haben ja schon März – zusammensparen deswehr wird aufgerüstet. Auch NATO-Länder und EU-
müssen. Verbündete werden mit Waffen beliefert. Die meisten
dieser Länder sind in Kriege verwickelt. Selbst arme
Die Auswirkungen werden jeden Soldaten treffen, Länder in Afrika, Lateinamerika oder Asien dürfen sich
werden die Truppe generell treffen. Das sind die Solda- immer wieder über Rüstungslieferungen aus Deutsch-
ten, über die wir große Reden gehalten haben, die Sie land freuen.
nach Afghanistan schicken. Das sind die Soldaten, auf
die Sie immer wieder Lobeshymnen singen. Deren Geld In ihrem Koalitionsvertrag behauptet die schwarz-
wird jetzt von Schwarz-Gelb gegen den Willen des Mi- gelbe Regierung – Herr Westerwelle hat das heute auch
nisters und des Ministeriums zusammengestrichen. Da- noch einmal betont –, die Koalition wolle Frieden in der
für stehen Sie als Berichterstatter. Ich finde, man könnte Welt schaffen und dazu beitragen. Wie soll das aber mit
das hier, vor dem Parlament, zumindest einmal begrün- immer mehr Waffen und immer neuen Rüstungsexporten
den. Das gebietet der Anstand. Wir Sozialdemokraten gehen?
haben diese Kürzung abgelehnt. Wir halten das für unan- (Beifall bei der LINKEN)
ständig und falsch.
Frieden schaffen kann man nur ohne Waffen. Auch
Vielen Dank. wenn immer wieder versucht wird, den Eindruck von
(Beifall bei der SPD) Einsparungen beim Militär zu suggerieren, kann hier
nicht von einem Sparhaushalt die Rede sein. Oberfläch-
lich betrachtet haben Sie den Verteidigungshaushalt um
Vizepräsidentin Petra Pau: klägliche 0,1 Prozent gekürzt. Die Linke sieht wesent-
Kollege Willsch, möchten Sie antworten? – Bitte. lich mehr Einsparmöglichkeiten. Vorschläge für die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2787
Inge Höger
(A) Kürzung um insgesamt 4 Milliarden Euro haben wir in Lieferverzögerung Strafzahlungen an die Bundesregie- (C)
unserem Antrag aufgelistet. rung leisten; aber Sie verzichten auf Ihre Ansprüche.
Weitere Zahlungen wurden zugesagt. Die verschiedenen
Doch diese Regierung hat offensichtlich kein Inte- Bestellerländer haben sich bereit erklärt, insgesamt
resse daran, beim Militär zu sparen. 3,5 Milliarden Euro zusätzlich zu zahlen; 1,5 Milliarden
(Beifall bei der LINKEN) Euro davon gibt es eventuell zurück. Wann? Wenn sich
der Airbus als Exportschlager herausstellt. Das ist aus
Selbst bei den behaupteten Sparbemühungen im Promil- Sicht der Linken pervers.
lebereich wird die Öffentlichkeit getäuscht; denn nicht
alle Militärausgaben sind tatsächlich im Einzelplan 14 (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen
aufgelistet. Ein treffenderes Bild bekommt man, wenn Koppelin [FDP]: Das ist ein Transportflug-
man sich die Meldung an die NATO-Verbündeten an- zeug!)
schaut. Nach NATO-Kriterien planen Sie Militärausga-
ben in Höhe von 34 Milliarden Euro. Das ist gegenüber Die Firma Airbus rechnet damit, auf dem Weltmarkt
2009 ein Anstieg um 600 Millionen Euro. Das wird ge- bis zu 500 dieser Militärflugzeuge verkaufen zu können.
genüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ver- Um die Aufrüstung der deutschen und französischen Ar-
schleiert. Hören Sie auf mit diesen Täuschungsmanö- mee mit Transportflugzeugen irgendwie finanzierbar zu
vern, und beginnen Sie mit wirklicher Abrüstung. Da halten, wird die weltweite Aufrüstung bewusst vorange-
lassen sich Milliarden sparen. trieben. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Die Bun-
desregierung hat aufgrund der Lieferverzögerungen
(Beifall bei der LINKEN) Kündigungsrecht. Sie könnten also ganz einfach aus die-
Unter Sparen versteht die Linke keine Umschichtung sem Vertrag aussteigen. Dann wäre das Projekt zwar
im Militärhaushalt, wie dies in den letzten Jahren ge- wahrscheinlich am Ende, aber das wäre auch gut so. Be-
macht wurde. Durch Standortschließungen und den Ab- enden Sie diesen Wahnsinn. Deutschland braucht den
bau der Zahl ziviler Beschäftigter wurde an einzelnen A400M nicht.
Stellen Geld gespart, aber die frei werdenden Mittel
wurden dann in die Aufrüstung und Umstrukturierung (Beifall bei der LINKEN)
der Bundeswehr investiert. Die Umschichtungen dienten Gleiches gilt für viele andere Rüstungsvorhaben.
und dienen dem Umbau der Bundeswehr von einer Ver- Auch der neue Schützenpanzer Puma soll zu einem
teidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz. Der Ver- Exportschlager werden wie das Vorgängermodell Leo-
teidigungshaushalt ist der drittgrößte Einzelhaushalt. pard 2, das bereits in alle Welt verkauft wurde. Der Ein-
Statt abzurüsten, rüsten Sie die Bundeswehr für welt- kauf von 410 Hightechschützenpanzern Puma wird ein- (D)
(B) weite Kriegs- und Besatzungseinsätze auf. Das geht
schließlich der Bewaffnung etwa 5 Milliarden Euro
nicht zum Nulltarif. kosten. Diese 5 Milliarden Euro würden reichen, um al-
(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte len Menschen in Afghanistan fünf Jahre lang eine medi-
[CDU/CSU]: Humanitäre Hilfe!) zinische Grundversorgung zukommen zu lassen. Auch
dieser große Auftrag reicht den Produzenten Rheinme-
Genau diese Bundeswehr als Interventions- und Besat- tall und Krauss-Maffei Wegmann nicht. Der Auftrag der
zungsarmee sollte Deutschland sich sparen. Die Linke Bundeswehr ist lediglich ein Türöffner für den lukrati-
vertritt einen strikten Antikriegskurs. Auslandseinsätze ven Weltmarkt. In fast allen Fällen gibt es einen Zusam-
können wir sowohl den Menschen in den betroffenen menhang zwischen der Rüstungsproduktion für die Bun-
Regionen als auch den Bundeswehrsoldaten ersparen. deswehr und der Rüstungsproduktion für den Export.
(Beifall bei der LINKEN) Hohe Stückzahlen machen die Produktion von Panzern
und U-Booten lukrativer. Hier komme ich auf die bereits
Hören Sie endlich auf, Deutschland am Hindukusch erwähnte Warnung von SIPRI vor einem neuen weltwei-
oder am Horn von Afrika zu verteidigen. Nehmen Sie ten Wettrüsten zurück. Die neue Aufrüstungsspirale dreht
das Grundgesetz ernst. Reduzieren Sie die Aufgaben der sich bereits.
Bundeswehr auf einen strikt territorial definierten Vertei-
digungsbegriff. Dann können Sie wirklich sparen. Mit diesem Haushalt wird die Grundlage für Aus-
landseinsätze der Bundeswehr gelegt. Wir haben es hier
(Beifall bei der LINKEN) mit einer Mogelpackung zu tun. Allein der ISAF-Einsatz
Wenn die Bundeswehr nicht mehr weltweit zum Ein- in Afghanistan wird im laufenden Jahr mehr als 1 Milliar-
satz kommen soll, braucht sie auch keine teuren Trans- de Euro verschlingen. Im Haushalt wird aber so getan, als
portflugzeuge. Die Bundesregierung könnte sich das ob alle Auslandseinsätze zusammen, ob auf dem Balkan,
ganze Dilemma um den Pannenflieger Airbus A400M in Afghanistan und am Horn von Afrika, nur 600 Millio-
sparen. Bereits jetzt sind für die Beschaffung dieses Mi- nen Euro kosten würden. Auch hier gibt es natürlich eine
litärtransporters etwa 10 Milliarden Euro eingeplant. sehr einfache Möglichkeit, mit diesem Geld auszukom-
Das entspricht etwa dem deutschen Entwicklungshilfe- men: Verzichten Sie auf die Aufstockung des ISAF-Man-
etat der letzten beiden Jahre zusammen. Doch das Flug- dates. Schicken Sie keine weiteren Soldatinnen und Sol-
zeug wird die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahr- daten nach Afghanistan. Lassen Sie die Soldaten, die vor
scheinlich noch deutlich teurer zu stehen kommen. Ei- Ort sind, ihre Koffer packen. Beenden Sie den Einsatz der
gentlich müsste die Firma EADS aufgrund der starken Bundeswehr in Afghanistan.
2788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Inge Höger
(A) (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte die Linke kann und wird diesem Aufrüstungs- und (C)
[CDU/CSU]: Dann ermöglichen Sie ein Mas- Kriegshaushalt nicht zustimmen. Wir sagen Nein.
saker!)
(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen
Die NATO, mit ihr auch die Bundeswehr, kann und Koppelin [FDP]: Wer hat Ihnen diesen Unsinn
wird diesen Krieg nicht gewinnen; immer mehr Militärs bloß aufgeschrieben?)
sagen Ihnen das. Das Militär trägt nur zur Eskalation der
Situation bei. Ziehen Sie deshalb den längst fälligen Vizepräsidentin Petra Pau:
Schlussstrich unter diese unrühmliche Geschichte und Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege
holen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan heraus. Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP)
Völlig pervers ist auch die Tatsache, dass Kriegsein-
sätze inzwischen zu einem Verkaufsargument für deut- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
sche Rüstungsgüter geworden sind. Was sich im Einsatz Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
bewährt hat, verkauft sich auf den internationalen Rüs- Man muss wirklich geduldig sein, um so eine Rede wie
tungsmärkten offensichtlich besser. Während die Zivil- eben ertragen zu können.
bevölkerung und auch die Soldatinnen und Soldaten den
(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist wahr! –
Preis für Kriege bezahlen müssen, profitiert die Rüs-
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was mei-
tungsindustrie gleich doppelt: von der Nachfrage der
nen Sie, was wir für Geduld mitbringen müs-
Bundeswehr und von besseren Exportchancen. Diese
sen!)
Form der Exportförderung muss sofort aufhören.
Ich will dazu nur Folgendes sagen: Eine Feuerversiche-
(Beifall bei der LINKEN) rung kündigt man auch nicht, nur weil es seit Jahren
Das Geschäft mit dem Krieg läuft gut. Die Rüstungs- nicht gebrannt hat;
industrie ist kaum von der Krise bedroht. Die Verträge (Inge Höger [DIE LINKE]: Sie könnten damit
sind langfristig, und Krieg hat offensichtlich wieder viel Geld sparen!)
Konjunktur. Zusätzlich profitiert die Rüstungsindustrie
auch vom Konjunkturpaket. Im laufenden Jahr werden das sei Ihnen ins Stammbuch geschrieben. In Anbetracht
neben Kasernensanierung und militärischer EDV bei- Ihres Verhältnisses zur Bundeswehr rate ich Ihnen: Be-
nahe 200 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket für suchen Sie unsere Soldatinnen und Soldaten einmal und
Rüstung zur Verfügung stehen, und das zusätzlich zum reden Sie mit ihnen.
(B) Verteidigungshaushalt. Profiteure dieses makabren Kon- (D)
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das haben
junkturpaketes aus Panzern und Maschinenpistolen sind wir ja gerade gemacht!)
unter anderem Heckler & Koch, EADS, Krauss-Maffei
Wegmann und Rheinmetall. Ich glaube, dann kommen Sie zu anderen Erkenntnissen.
Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Arbeits- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
platzargument. Wollen Sie wirklich das Sterben von der CDU/CSU)
Menschen in anderen Teilen der Welt mit dem Erhalt Lassen Sie mich als Hauptberichterstatter erst einmal
von Arbeitsplätzen in unserem Land rechtfertigen? etwas Positives sagen. Hier werden die unterschiedli-
(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Nein! Na- chen Auffassungen der Fraktionen vorgetragen; das ist
türlich nicht! – Weiterer Zuruf von der CDU/ in einer solchen Debatte völlig in Ordnung.
CSU: Das ist einfach unanständig!) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das nennt man
Außerdem sind Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie Demokratie!)
hoch subventioniert. Mit dem finanziellen Aufwand für Insgesamt ist allerdings festzustellen – das wurde in den
einen Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie könnten Sie Berichterstattergesprächen, bei denen Sie ja nicht dabei
vier bis fünf gut bezahlte Arbeitsplätze im Bildungswe- waren, deutlich –, dass alle Fraktionen zur Bundeswehr
sen oder im Gesundheitsbereich finanzieren. stehen und der Auffassung sind: Wir brauchen eine
(Beifall bei der LINKEN) moderne und leistungsfähige Bundeswehr. Ich finde,
das sollten unsere Soldaten wissen; denn das ist trotz al-
Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge sind auf ler Unterschiede, die es gibt, ausgesprochen positiv.
jeden Fall sinnvoller und in diesem Land notwendiger. Dass wir über einzelne Details streiten, hat also nichts
mit unseren Soldatinnen und Soldaten oder mit der Bun-
Schon die rot-grüne Bundesregierung erklärte vor ei- deswehr zu tun.
nigen Jahren stolz, der Einzelplan 14 sei zu einem Ein-
satzhaushalt geworden. Schwarz-Gelb hat diese unsägli- Alle Fraktionen – natürlich außer den Linken – wis-
che Tradition mit dem vorliegenden Haushalt fortgesetzt. sen, dass wir unsere Bundeswehr immer wieder befähi-
Aber eine Frage bleibt noch offen. Da diese Regierung gen müssen, in Krisensituationen für die Friedenssiche-
nun zugibt, sich in Afghanistan im Krieg zu befinden, rung und im Sinne der Humanität eingesetzt zu werden,
frage ich Sie: Warum nennen Sie diesen Haushalt nicht auch im Interesse und im Auftrag der Völkergemein-
ganz offen und ehrlich einen Kriegshaushalt? Oder ist das schaft; diesen Aspekt haben Sie in Ihrem Redebeitrag
für Sie zu viel Klartext? Doch egal wie Sie ihn nennen, vergessen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2789
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(A) Auch ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnen Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): (C)
und Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, unseren Re- Ich glaube, dass Sie diese Frage nicht bei der Debatte
spekt bekunden für ihren Einsatz, der nicht einfach ist. über den Etat des Verteidigungsministers, sondern bei
der Debatte über den Etat des Deutschen Bundestages
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ hätten stellen sollen; denn der Wehrbeauftragte gehört
CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE zum Deutschen Bundestag, er untersteht dem Bundes-
GRÜNEN) tagspräsidenten. Da hätte Ihre Frage hingehört.
Wir müssen – ich sage das wie meine Vorredner, außer (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
natürlich denen von den Linken – diesen Respekt immer NEN]: Dann hätte auch Ihr Lob dorthin ge-
wieder bekunden; denn die Soldatinnen und Soldaten hört!)
sind draußen im Einsatz, weil wir hier im Deutschen
Sie sollten sich ein Vorbild nehmen am amtierenden
Bundestag das so entschieden haben.
Wehrbeauftragten, der das in einer entsprechenden
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil Sie keine Weise honorig kommentiert hat; vielleicht lernen Sie
Friedenspolitik machen können!) von ihm noch etwas.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Daher verfolgen wir sehr intensiv, wie es unseren Solda-
der CDU/CSU)
tinnen und Soldaten geht, auch menschlich; ich komme
gleich noch darauf zurück. Wir haben in unserem Berichterstattergespräch auch
die Mängel im Sanitätswesen angesprochen. Da ist et-
Ich möchte auch den Bundeswehrangehörigen im In- was, was einen bei der Bundeswehr, egal wer Minister ist,
land, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Zivil- sehr ärgert – das muss ich hier einmal deutlich sagen –: Es
angehörigen, unseren Dank aussprechen. wird oft sehr spät gehandelt, und viele Probleme – das hat
auch der Wehrbeauftragte so gesehen – werden schönge-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/
redet. Man muss sich einmal die Frage stellen: Warum
CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
wird bei der Bundeswehr – wir haben das bei unseren Be-
GRÜNEN)
richterstattergesprächen gemerkt – so vieles schöngere-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns bei det? Jeder meldet nach oben: Es ist alles bestens. – Die
den Haushaltsberatungen intensiv mit der Situation der Soldaten haben anscheinend den Eindruck: Wer sich die-
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr – im Ausland sem System nicht anpasst, muss eventuell mit Schwierig-
wie im Inland – beschäftigt. Ich finde es nicht nur inte- keiten rechnen; vielleicht fällt sogar die Beurteilung et-
was schlechter aus.
(B) ressant und völlig in Ordnung, sondern auch sehr richtig, (D)
dass der Wehrbeauftragte für unsere Soldaten in Aus- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
landseinsätzen mehr menschliche Unterstützung einge- NEN]: Das sind ja Zustände fast wie in der
fordert hat. Nach den Berichterstattergesprächen kann FDP!)
ich nur sagen: Alle Fraktionen hier – außer den Linken;
die haben sich daran nicht beteiligt – sind der Auffas- Herr Bundesverteidigungsminister, ich kann Sie nur
sung: Wir müssen da etwas tun. Vor allem müssen wir bitten: Sagen Sie der Truppe sehr deutlich: Jeder Soldat
uns um die Soldatinnen und Soldaten kümmern, die vom muss die Möglichkeit haben, Mängel beim Namen zu
Auslandseinsatz zurückkehren. Einen Einsatz in Afgha- nennen und dies weiterzugeben.
nistan steckt man nicht so einfach weg, der bleibt man- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
chen präsent, sodass sie Betreuung benötigen.
Ohne ins Detail zu gehen, Herr Minister, sage ich
auch: Jeder Soldat sollte nicht nur die Möglichkeit ha-
Vizepräsidentin Petra Pau: ben, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden, sondern
Kollege Koppelin, gestatten Sie dem Kollegen auch direkt an Sie.
Nouripour eine Frage?
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):


Wenn ich schon dabei bin, Herr Minister: Vielleicht
gilt das auch für Truppenbesuche. Ich weiß, wie so et-
Ja, selbstverständlich. was abläuft; ich habe schon an solchen Veranstaltungen
teilgenommen. Es sollte nicht nur alles positiv, im
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): NATO-olivgrünen Bereich gesehen werden – vor allem
wenn man mit Pressetrupp da ist, kommt kaum Kritik –,
Herr Kollege Koppelin, wir schließen uns Ihren lo-
man sollte auch einmal hinter die Kulissen schauen.
benden Worten für den Wehrbeauftragten ausdrücklich
an. Wir müssen anerkennen, dass der Kollege Polenz Ich muss einen Punkt ansprechen, der mich immer
diese Worte längst aufgegriffen hat. Auch er hat den wieder ärgert – ich spreche diesen Punkt seit Jahren an;
Wehrbeauftragten gelobt und dafür plädiert, dass Herr ich mache diesen Etat ja nun schon seit vielen Jahren –:
Robbe wegen seiner Kompetenz und wegen der Leis- In Zeitschriften wie Bundeswehr aktuell wird immer al-
tung, die er erbracht hat – alle Fraktionen sehen das –, les positiv dargestellt. Auch in der Ausgabe vom 22. Fe-
doch im Amt bleiben möge. Könnten Sie uns erklären, bruar über das Sanitätswesen ist alles nur positiv darge-
warum Ihre Fraktion das anders sieht? stellt. Wer den Bericht des Wehrbeauftragten liest, weiß,
2790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) dass es tatsächlich etwas anders ist. Vielleicht sollte so den Scharping ablöste und sagte: Das können wir gar (C)
eine Zeitschrift, die an die Soldatinnen und Soldaten ver- nicht bezahlen.
teilt wird, auch einmal kritische Dinge aufgreifen. Ich
glaube, dass täte unseren Soldatinnen und Soldaten gut. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das wäre mein Wunsch an Ihr Haus, Herr Minister: dass NEN]: Eben! Sehen Sie!)
diese Zeitung nicht nur mit Fotos des Ministers oder der Da kam es zur Bestellung von 60 Flugzeugen. Wir als
Staatssekretäre dekoriert wird. FDP haben immer gesagt, dass 50 völlig reichen. Der
Rechnungshof hat 40 Stück für völlig ausreichend gehal-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des
ten.
Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]) Wir wollen das Transportflugzeug, aber den Schla-
massel, den wir jetzt damit haben, haben Sie uns einge-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsbera- brockt.
tungen haben gezeigt, dass die Koalitionsfraktionen die
Beschaffungsmaßnahmen wie angekündigt auf den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Prüfstand stellen. Die meisten Beschaffungsmaßnah- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
men, über die wir reden und mit denen wir uns teilweise NEN]: Das ist doch Quatsch! Sie lassen sich
herumschleppen und bei denen wir Mühe haben, die Fi- doch Geld aus der Nase ziehen, und zwar ohne
nanzierung sicherzustellen, kommen noch aus rot-grüner vertragliche Grundlage!)
Zeit. Ich nenne einige Beispiele:
Wir versuchen jetzt, den Schaden zu begrenzen, auch für
Da gibt es das MEADS, das taktische Luftverteidi- den deutschen Steuerzahler. Hier wurde kritisiert, dass
gungssystem. Damit plagen wir uns seit Jahren herum. wir, der Kollege Willsch und ich, heute einen Ände-
Das war ein Produkt aus rot-grüner Regierungszeit. Ich rungsantrag dazu eingebracht haben. Das hat mit Haus-
weiß allerdings, dass damals die Haushaltspolitiker und haltswahrheit und -klarheit zu tun. Deswegen mussten
die Verteidigungspolitiker der Grünen gegen dieses Pro- wir diesen Änderungsantrag einbringen. Das werden Sie
jekt waren. Wir haben hier Debatten gehabt. Wir als FDP vielleicht nicht verstehen, weil Sie sich nicht mehr so in-
haben auch Anträge gestellt. Ich muss dem einen oder tensiv damit beschäftigen; Sie sind eben nicht mehr in
anderen, der neu im Parlament ist, vielleicht einmal sa- der Regierung, und das ist auch okay so. Wir mussten so
gen, wie das damals ablief. Die Abgeordneten waren da- vorgehen. Das hat mit Haushaltswahrheit und -klarheit
gegen. Dann gab es einen Rüffel von Gerhard Schröder, zu tun.
und es tagte der Parteirat in der Besetzung Roth, Höhn,
Ich nenne das nächste Projekt, das IT-Projekt Herku-
Bütikofer, Volker Beck und Trittin. Es wurde beschlos-
(B) sen: MEADS wird angeschafft. Das machen wir. – So ist les, ebenfalls ein großes Projekt aus rot-grüner Regie- (D)
rungszeit, ein Milliardenprojekt, das kaum noch in den
das damals gelaufen. Heute plagen wir uns damit herum.
Griff zu bekommen ist. Ich sage hier klar: Auch das hat
Wir wollen aus MEADS aussteigen. Ich freue mich, uns Rot-Grün in dieser Form eingebrockt. Milliarden hat
dass ich hier sagen kann: Auch der Bundesminister der das schon gekostet. Ich sage für die FDP: Mehr Geld
Verteidigung, der Herr zu Guttenberg, sieht dieses Pro- gibt es dafür nicht. Wir haben schon so viel Geld hinein-
jekt kritisch. Wir wollen daraus aussteigen. Vielleicht gesteckt; mehr gibt es nicht.
freut das die Grünen, dass es nach so vielen Jahren dazu So sind wir weiter bereit, alles auf den Prüfstand zu
kommt. Allerdings ist viel Geld verbrannt worden. stellen. Es geht immer nach folgenden Kriterien: Was ist
Das Transportflugzeug A400M ist ebenfalls ein Pro- das Beste für unsere Soldaten? Brauchen wir das für den
dukt aus rot-grüner Regierungszeit, mit dem wir uns Einsatz der Bundeswehr? Danach geht es. Alles andere
jetzt beschäftigen müssen. Hätten Sie die Verträge doch zählt nicht.
bloß besser formuliert! Die Zwischenfragen des Kollegen Kahrs haben mich
(Beifall bei der FDP – Alexander Bonde nun wirklich gewundert; er weiß es ja besser. Im Haus-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vertrag haltsausschuss lobt er die FDP sogar und sagt: Was ihr
war gut!) alles von eurem Liberalen Sparbuch durchgesetzt habt!
– Das ist auch so; das kann man nachlesen. Es kam nicht
Ich erinnere mich an heftigste Debatten hier im Parla- überraschend. Kollege Kahrs, Sie zitieren doch sonst im-
ment. Ich bin von Anfang an dabei gewesen. Kollege mer das Liberale Sparbuch. Darin standen all die An-
Bonde, da waren Sie noch gar nicht im Parlament. CDU/ träge. Nun haben wir das umgesetzt, und nun jammern
CSU und FDP gingen sogar zum Verfassungsgericht, Sie. – Nein, Kollege Kahrs; Sie haben genug gefragt.
weil dieser Vertrag Mist war. Jetzt plagen wir uns immer Auch im Ausschuss haben Sie lange gesprochen. Damit
noch damit herum. machen wir heute ausnahmsweise einmal Schluss.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir wollen Folgendes: Unsere Soldaten bekommen
NEN]: Der Haushalt von Scharping war Mist! alles, was für den Einsatz notwendig ist. Dafür wollen
Deshalb haben die Grünen mitgeklagt!) wir die finanziellen Mittel effektiv einsetzen.
Das ist die Krux. Sie haben am Anfang 90 Flugzeuge be- Ich sage zum Schluss, auch als Hauptberichterstatter:
stellt; die Grünen haben die Hand dafür gehoben. Dann Mein Eindruck war, dass alle Fraktionen das Beste für
kam Gott sei Dank der Verteidigungsminister Struck, der unsere Soldatinnen und Soldaten wollen. Darauf bin ich,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2791
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(A) auch als Demokrat in diesem Parlament, trotz aller Kon- schafft gehört. Die Wehrpflicht hat ausgedient. Hier ha- (C)
troversen stolz. ben wir uns in der Koalition nicht durchgesetzt. Jetzt
gibt es den W6-Kompromiss.
(Beifall bei der FDP)
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Nun wäre meine Redezeit eigentlich fast zu Ende,
aber ich habe noch etwas zu sagen. Meine Kollegin Elke NEN]: Alles teurer und schlechter!)
Hoff ist heute Morgen erkrankt. Ich wünsche ihr von hier Im Interesse der Wehrpflichtigen und der Bundeswehr
aus alles Gute und übermittle die besten Genesungswün- wollen wir das nun so sinnvoll wie möglich ausgestalten.
sche. Sie hat mir ihren Redeentwurf gegeben. Ich hoffe,
dass ich noch ein bisschen daraus vortragen kann. Es ist, Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage an dieser
wie gesagt, jetzt also nicht meine Rede, sondern die der Stelle – das ist auch immer das Anliegen meiner Kolle-
Kollegin Elke Hoff. gin Hoff gewesen, und das bleibt es auch weiterhin –:
Vorrang haben die Soldatinnen und Soldaten, die Ange-
(Heiterkeit – Bernhard Brinkmann [Hildes- hörigen der Bundeswehr, auch die Zivilangehörigen, ob
heim] [SPD]: Gib die Rede zu Protokoll! Das sie hier im Inland sind, oder ob sie im Ausland sind.
ist besser!)
Ich kann aus Zeitgründen nicht mehr alles vortragen,
– Nein. Wenn eine Kollegin kurzfristig wirklich schwer was mir die Kollegin Hoff in ihrer Rede vorgelegt hat,
erkrankt ist und ihren Redeentwurf weitergibt, dann
sollte man so fair sein, zu akzeptieren, dass das jemand (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der
vorträgt. CDU/CSU – Bernhard Brinkmann [Hildes-
heim] [SPD]: Da steht alles drin!)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Bernhard
Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Ich habe ja aber es ist vielleicht eine ganz gute Gelegenheit, meiner
nur einen Vorschlag gemacht! Du musst den Kollegin Hoff einmal ganz herzlich für ihren Einsatz für
Vorschlag ja nicht annehmen!) die Bundeswehr zu danken. Sie ist eine unglaublich
engagierte Anwältin für unsere Bundeswehr, und dafür
Die Kollegin Elke Hoff begrüßt ausdrücklich, dass es
hat sie unseren großen Dank verdient.
Umschichtungen im Haushalt gegeben hat. Sie hat sich
intensiv mit dem Thema der posttraumatischen Belas- Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
tungsstörungen unserer Soldaten befasst. Wir sollten
endlich ein echtes Behandlungszentrum bekommen. Das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit gewesen. Ich kann nur
sagen: Alle Achtung! Wir bekommen das jetzt hin. Die Vizepräsidentin Petra Pau:
(B) (D)
Kollegin Hoff hat sich genauso intensiv für die Sonder- Kollege Koppelin, ich habe mir fest vorgenommen,
programme zur Kasernensanierung West eingesetzt. Die nachzuforschen, ob es das schon einmal gegeben hat,
Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst dass zwei Reden in einer Rede gehalten wurden.
war ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit meiner Kolle-
gin. Ich kann nur sagen: Wir haben das mit dem Haus- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
halt durchgesetzt, und ich bin sehr froh darüber. und der FDP)
Genauso froh bin ich darüber, dass sich im Haushalt Jetzt hat der Kollege Alexander Bonde für die Frak-
die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
wiederfindet. Das hat mir in der außenpolitischen De- (Zuruf von der SPD: Auf sie mit Gebrüll!)
batte heute, in der in Bezug auf den Außenminister he-
rumgenölt wurde, wie der Norddeutsche sagt, ein biss-
chen gefehlt; das sage ich ganz offen. Endlich gibt es im Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bereich Afghanistan neue Aktivitäten. Andere Regie- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
rungen vor uns haben das nicht geschafft. Das hat der Ich darf der Kollegin Hoff im Namen meiner Fraktion
Außenminister gemacht, und das macht diese Regierung. ganz herzliche Gesundheitswünsche ausrichten. Richten
Darauf bin ich als jemand, der den Einsatz sonst immer Sie ihr aus: Ihre Reden gefallen uns allerdings besser,
sehr kritisch gesehen hat, ein bisschen stolz. wenn sie sie vorträgt, als wenn der Kollege Koppelin aus
ihnen zitiert.
Genauso stolz bin ich darauf, dass uns jetzt ein At-
traktivitätskonzept vorgelegt wurde; auch das finde ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
in Ordnung. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der SPD – Dr. h. c. Jürgen
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Koppelin [FDP]: Kein Widerspruch! –
NEN]: Sagt das Frau Hoff?) Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]:
Herr Minister, wir verlangen und wünschen, dass das zü- Wenn wir uns auf „Genesungswünsche“ ver-
gig umgesetzt wird. Auch das ist ein Wunsch meiner ständigen können, schließen wir uns dem un-
Kollegin Elke Hoff. eingeschränkt an!)
Ich komme zu W6. Sie kennen die Vorstellung der Ich will vorneweg sagen, dass ich irritiert darüber bin,
Freien Demokraten. Wir sind der Meinung – daran hal- dass wir in dieser Debatte eine Besonderheit erleben, die
ten wir politisch auch fest –, dass die Wehrpflicht abge- ich bei Haushaltsberatungen noch nicht erlebt habe,
2792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Alexander Bonde
(A) nämlich dass die Bundesregierung in der Schlussbera- von 500 Millionen Euro. An dieser Stelle ist es spannend, (C)
tung eines Haushaltes kneift. dass das Bundesfinanzministerium, vertreten durch den
Staatssekretär, schreibt, es
(Iris Gleicke [SPD]: Sie hat nichts zu sagen!)
sehe … eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der
Die Bundesregierung ergreift das Wort nicht und äußert Bund bei Absicherung eines bedingt rückzahlbaren
sich nicht zu Veränderungen in ihrem Haushalt, und das Kredits in Anspruch genommen wird.
in der außergewöhnlichen Situation, dass es in diesem
Haushalt durch den Antrag der Koalitionsfraktionen um Das heißt, nach Einschätzung der Bundesregierung ge-
kurz vor zwölf zu einer Veränderung bei den Ver- hen Sie mit diesen 500 Millionen Euro ein massives Ri-
pflichtungsermächtigungen im Umfang von 500 Mil- siko für den Bundeshaushalt ein. Gleichzeitig erklären
lionen Euro gekommen ist. Sie uns aber seit Wochen, dass das alles schon irgendwie
Herr Minister, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie zu kostenneutral zu machen sei. Jetzt, wo die Mehrkosten
diesem Haushalt Stellung! Stellen Sie sich hier vorne hin für die Steuerzahler auf dem Tisch liegen, sitzen Sie dort
und erklären Sie dem Parlament und den Steuerzahlerin- hinten und trauen sich nicht, nach vorne zu treten und
nen und Steuerzahlern, welche Veränderungen in diesem uns zu sagen, dass Sie dem Unternehmen bewusst Sub-
Einzelplan Sie aufgrund Ihrer Verhandlungen mit Airbus ventionen zahlen und die Steuerzahlerinnen und Steuer-
über den A400M last minute zu verantworten haben. zahler wieder einmal das Säckel aufmachen müssen,
ohne etwas dafür zu bekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Es geht nicht, hinten auf der Bank zu sitzen und zu sowie bei Abgeordneten der SPD)
schweigen. Das, was hier als Verbeugung vor dem Parla-
ment bezeichnet wird, ist kein Verbeugen, sondern ein Es geht noch weiter. Sie sagen nämlich auch nicht,
Wegducken. Das ist Ihnen nicht angemessen, Herr Mi- dass Sie auf milliardenschwere Vertragsstrafen verzich-
nister. ten, die Deutschland aufgrund des wasserdichten Ver-
trags zustünden, den Sie jetzt ohne Not ändern. Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklären nicht, dass die sogenannte Preisgleitklausel ge-
und bei der SPD) ändert wird, dass also die Firma aufgrund Ihrer neuen
Vereinbarung in den künftigen Jahren zusätzliche Preis-
Wir reden hier über einen Haushalt, der sehr durch
steigerungen auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
unterschiedliche Entscheidungen geprägt ist. Dieser
A400M ist eines der großen Rüstungsprojekte. Hinsicht- abwälzen kann.
(B) lich dieses Projekts hat Herr Koppelin hier eine interes- (D)
Sie ziehen außerdem Vorauszahlungen vor. Das be-
sante Geschichtsklitterung versucht. Das ist ein Projekt, deutet, dass der Bund zusätzlich millionenschwere Zins-
für das es einen klaren Vertrag gibt und das in der Amts- verluste erleidet, wobei die Sanktionsmöglichkeiten im
zeit des Vorgängers von Herrn zu Guttenberg aus dem Zuge der nächsten Fehl- oder Schlechtleistungen noch
Ruder gelaufen ist. Das kreide ich Herrn zu Guttenberg geringer sind. Sie müssten sich dann erneut von der
nicht an. Industrie erpressen lassen. Ich finde, dass das ein
Obwohl es einen klaren Vertrag, klare Leistungsbe- ordnungspolitisches Versagen ist. Der Ordnungspolitiker
schreibungen und einen klaren Preis gab, sagt das Unter- Guttenberg duckt sich nach einem solchen Verhand-
nehmen jetzt: Es ist jetzt irgendwie nicht so, dass wir lie- lungsergebnis zu Recht. Er sagt nichts dazu, weil das mit
fern können. – Es hält die Hand auf und sagt: Kohle her! Ihrer wirtschaftspolitischen Ansage überhaupt nichts
mehr zu tun hat.
Man könnte denken, dass die Bundesregierung sagt:
Vertrag ist Vertrag. – Das ist aber eine Bundesregierung Es hat auch mit der Ansage der Bundesregierung an
– und das liegt jetzt im Verantwortungsbereich des Mi- die Vereinigten Staaten in Sachen WTO und unfairen
nisters –, die sich auf Verhandlungen eingelassen hat – Subventionen der amerikanischen Luftfahrtfahrtindus-
und die der Industrie, die ausweislich der Gutachten, die trie gegenüber der europäischen Luftfahrtindustrie nichts
der Minister selber in Auftrag hat geben lassen, ge- zu tun. Sie vollziehen hier genau dasselbe!
pfuscht hat und alleine verantwortlich ist für massive
Kostensteigerung und für ein Fehlmanagement im ge- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
samten Projekt, jetzt zusätzliche Milliarden Euro hinter- NEN]: So ist es!)
herwirft. Ich finde schon, dass Sie das erklären müssen.
Es spricht auch nicht für die handwerklichen Fähig-
Man kann nicht einfach schweigend auf der Bank sitzen.
keiten der Bundesregierung, dass Sie wochenlang nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einmal gemerkt haben, dass Sie Verpflichtungsermächti-
sowie bei Abgeordneten der SPD) gungen brauchen. Dieses ganze Schauspiel hat deutlich
gemacht, dass diese Regierung sich nicht traut, den Leu-
Ich möchte einmal erwähnen, was Sie alles verabredet ten reinen Wein einzuschenken. Herr Minister, Sie sind
haben: Zusatzkosten bzw. Minderleistungen von 2 Mil- Teil dieses Problems.
liarden Euro bedeuten für Deutschland Kosten in Höhe
von 667 Millionen Euro. Ein Exportkredit über 1,5 Mil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
liarden Euro bedeutet für Deutschland Kosten in Höhe sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2793

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Verpflichtungsermächtigungen, die Sie nicht (C)


Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die gegeben haben! Was erzählen Sie eigentlich?)
Unionsfraktion.
Wesentliche Großprojekte, die Sie vertraglich abge-
schlossen haben, binden uns und erschweren unsere
Henning Otte (CDU/CSU): Haushaltsfindung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2010 stellt eine finanzpolitische Herausforderung dar.
Das gilt insbesondere für den Einzelplan 14, also den 15 Milliarden Euro fließen insgesamt als Aufträge in die
Verteidigungshaushalt. Dieser Haushalt steht im Be- Industrie. 75 Prozent davon werden an mittelständische
wusstsein der Auswirkungen der internationalen Wirt- Unternehmen weitergereicht. Auch dies ist ein Beitrag
schafts- und Finanzkrise, der notwendigen Haushalts- zur Stabilisierung und Sicherung von Arbeitsplätzen in
konsolidierung und der anstehenden Schuldenbremse. Er Deutschland.
steht aber vor allem in dem Bewusstsein, unseren Solda- Für die CDU/CSU als Mittelstandspartei ist dies von
tinnen und Soldaten alle notwendigen Mittel und Leis- besonderer Bedeutung. Die Wirtschaft muss jedoch alles
tungen zur Verfügung zu stellen, die sie zur Erfüllung ih- daransetzen, dass die Auslieferungen zeitgemäß erfolgen
res Auftrages benötigen. Diese Verpflichtung ist für die und ein verzögerter Zulauf wie beim NH90 unterbleibt.
christlich-liberale Koalition eine Selbstverständlichkeit. Verträge müssen eingehalten werden. Unsere Truppe
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- braucht die neuen Systeme, und unsere Industriepartner
neten der FDP) müssen in der Lage sein, diese Systeme zu liefern. Wir
werden als CDU/CSU-Fraktion nicht nachlassen, die
Trotz der Einsparungen in Höhe von 32 Millionen Auslieferung der Systeme und damit auch die Vertrags-
Euro gegenüber dem Regierungsentwurf ist es der Re- erfüllung einzufordern.
gierungskoalition gelungen, die notwendigen Investitio-
nen und Versorgungsleistungen für unsere Bundeswehr Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Vertreter eines
sicherzustellen und zu verbessern. Wir sind überzeugt, Wahlkreises mit mehreren Bundeswehrstandorten weiß
dass unsere Bundeswehr ein verlässlicher und attraktiver ich sehr genau um die Empfindungen, Sorgen und Nöte
Arbeitgeber bleiben muss. Für die CDU/CSU-Fraktion unserer Soldaten. Meiner Fraktion war es daher sehr
steht das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten sowie wichtig, dass der Problematik der posttraumatischen
der zivilen Mitarbeiter, denen wir für ihren Dienst und Belastungsstörung endlich konkret mit der Einrichtung
Einsatz im Inland und Ausland danken, im Zentrum ih- eines Zentrums für PTBS begegnet wird. Wir sehen das
(B) rer Verteidigungspolitik. auch als Ausdruck von Fürsorge und Verantwortung ge- (D)
genüber unseren Einsatzkräften.
Vizepräsidentin Petra Pau: Verehrter Kollege Brinkmann, lassen Sie sich von Ih-
Kollege Otte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ren Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss aufklären:
Kollegen Kahrs? Dies war ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen. Es
ist nicht angemessen, das jetzt parteipolitisch aus-
Henning Otte (CDU/CSU): schlachten zu wollen.
Nein. Ich möchte erst einmal fortfahren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Mit der richtigen Schwerpunktbildung der Mittelver- der FDP – Bernhard Brinkmann [Hildesheim]
wendung in Höhe von 31,1 Milliarden Euro werden die [SPD]: Das habe ich auch nicht getan, Herr
wichtigsten Zukunftsprojekte bei Personal, Ausrüstung Otte! Da müssen Sie etwas Falsches gehört ha-
und Unterbringung realisiert. Mit dem neuen Schützen- ben! Das ist Ihre Interpretation, und die ist
panzer Puma, der erstmalig in diesem Etat veranschlagt falsch! Das Zuhören müssen Sie noch ein biss-
wurde, verfügt das Heer in der Zukunft über ein leis- chen üben!)
tungsfähiges und hochgeschütztes Gefechtsfahrzeug für
den Einsatz in allen denkbaren Szenarien. Wir müssen die Bundeswehr in die Lage versetzen,
eine moderne und familiengerechte Arbeitswelt zu schaf-
Mit dem A400M steht unserer Armee zukünftig ein fen. Auch die Bundeswehr muss die Vereinbarkeit von
neues Transportflugzeug zur Verfügung. Es war richtig, Dienst und Familie so gestalten, dass sie als Arbeitgeber
dass wir auf der Erfüllung dieses Vertrages bestanden ha- insbesondere für junge Menschen attraktiv bleibt. Die
ben. Ich verstehe die Aufregung insbesondere der Frak- Nachwuchsgewinnung insbesondere unter Berücksich-
tion der Grünen nicht. Alle Daten sind zeitgerecht in den tigung der Umgestaltung auf W6 ist ein Schlüsselaspekt
Haushalt eingebracht. Haushaltsklarheit und -wahrheit für die Zukunft unserer Truppe.
sind gegeben, was von besonderer Bedeutung ist, wenn
man den Haushalt mit den Haushaltsberatungen unter Der Antrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion auf
Rot-Grün und Minister Eichel vergleicht. Erarbeitung einer Organisationsstruktur ist ein weiterer
richtiger Baustein zur stetigen Modernisierung und Effi-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zienzsteigerung unserer Bundeswehr.
der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sie haben 100 Millionen Eine verlässliche Verteidigungs- und Sicherheitspoli-
Kürzungen erklärt, und jetzt wächst alles auf! tik, welche die innere und äußere Sicherheit Deutsch-
2794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Henning Otte
(A) lands gewährleistet, kostet Geld. Sie ist nicht zum Null- und gefährlichen Dienst zum Wohle Deutschlands. Sie (C)
tarif zu bekommen. verdienen den Rückhalt des gesamten Deutschen Bun-
destages.
Die Ausführungen von Frau Höger von der Fraktion
Die Linke finde ich sehr erschreckend. Mit Ihrer Einstel- Vielen Dank.
lung, Frau Höger, und Ihrem Selbstverständnis, auch un-
serer Bundeswehr gegenüber, sollten Sie sich fragen, ob (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses überhaupt
dem Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten dienen kön- Vizepräsidentin Petra Pau:
nen. Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention erteile,
möchte ich aus § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
zitieren, damit wir dann eine Verabredung für den weite-
neten der FDP – Widerspruch bei der LIN-
ren Verlauf unserer Debatte haben:
KEN)
Im Anschluss an einen Debattenbeitrag kann der
Nach Art. 87 a Grundgesetz ergeben sich die Stärke
Präsident
und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte aus
dem Haushaltsplan. Daraus ergibt sich die Verpflich- – ich füge hinzu: die Präsidentin –
tung, die Streitkräfte so auszurüsten, dass sie ihre Pflich-
ten effektiv wahrnehmen können. das Wort zu einer Zwischenbemerkung von höchs-
tens drei Minuten erteilen; der Redner darf hierauf
Als Reaktion auf die aktuelle fiskalische Lage hat der noch einmal antworten.
Inspekteur des Heeres das System Gepard aus der Ver-
wendung genommen. Kollege Willsch hat darauf hinge- Das heißt – das entspricht auch unserer Praxis und Ver-
wiesen. Flugstundenobergrenzen wurden abgesenkt. Da- abredung –, es gibt kein Grundrecht auf Kurzinterventio-
mit wird deutlich, dass unsere Bundeswehr zielgerichtet nen, wenn Zwischenfragen durch den Redner nicht er-
einen Beitrag zur Einsparung vornimmt. laubt werden.

Es wird aber auch deutlich, dass wesentliche Einspa- Kollege Kahrs, ich erteile Ihnen daher heute das letzte
rungen im Verteidigungsetat nur noch dann möglich sind, Mal das Wort zu einer Kurzintervention im Verlauf die-
wenn wir in die Substanz eingreifen. Als Parlament müs- ser Debatte.
sen wir sicherstellen, dass unsere Bundeswehr erstens ih- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Die SPD
ren verteidigungspolitischen Auftrag erfüllen kann, muss ihm doch den Etat zurückgeben!)
(B) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Am Hindu- (D)
kusch?) Johannes Kahrs (SPD):
– auch am Hindukusch –, zweitens die Verpflichtungen Man muss zumindest darauf erwidern, wenn hier ein
im Bündnis wahrnehmen kann, drittens den Transforma- bisschen geschwindelt wird. – Den Kollegen Jürgen
tionsprozess fortführen kann, viertens den besten Schutz Koppelin lasse ich dabei heute einmal aus, auch wenn er
für Leib und Leben unserer Soldaten insbesondere im der Schuldige ist.
Einsatz zur Verfügung hat und fünftens weiterhin ein at- Der Kollege von der CDU/CSU hat gesagt – jeden-
traktiver Arbeitgeber für Wehrdienstleistende, Zeit- und falls habe ich ihn so verstanden –, man habe nur um
Berufssoldaten und zivile Mitarbeiter bleibt. 23 Millionen Euro abgesenkt, und das sei halb so
Unter Berücksichtigung dieser Aufgaben stelle ich schlimm. Wir haben in diesem Parlament 226 Millionen
zusammenfassend fest: Die im Haushalt 2010 der Bun- Euro im Einzelplan on top für den Afghanistan-Einsatz
deswehr zur Verfügung gestellten Mittel können nur als beschlossen. Dann hat die Koalition, und zwar die Haus-
knapp bezeichnet werden. Sie verpflichten das Bundes- hälter, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne Wissen
ministerium der Verteidigung und die Politik zu einer des Ministeriums, des Ministers, des Staatssekretärs und
klaren Priorisierung der Projekte. Von höchster Priori- der Berichterstatter im Verteidigungsausschuss beschlos-
tät sind dabei die einsatzrelevanten Belange. Ich erwarte, sen, diese Summe zu streichen, und hat das in der Berei-
dass das Ministerium den Konsolidierungsbeitrag so um- nigungssitzung gegen die Stimmen der SPD zulasten der
setzt, dass die Einsparungen auf keinen Fall die sich im Truppe durchgesetzt. Dass Sie das eine mit dem anderen
Einsatz befindenden Soldaten treffen. Sie brauchen die verrechnen, ist ein bisschen unredlich. Die Truppe hätte
gesamtverfügbare Unterstützung des BMVg und dieses auf jeden Fall die Gelder, die für den Einsatz in Afgha-
Hauses. Wer Soldaten in den Einsatz entsendet, muss ih- nistan bestimmt waren, bekommen.
nen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Sie haben die 450 Millionen Euro herausgenommen,
Das ist eine klare Haltung der CDU/CSU-Bundestags- die der Minister bzw. der Staatssekretär aus dem laufen-
fraktion. den Haushalt einsparen muss. Sie sollten als Haushälter
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dann zumindest das, was Sie gegen die eigenen Fachpo-
litiker von CDU/CSU und FDP beschlossen haben, ehr-
Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Minister zu lich eingestehen. Hier sind gegen jede Gepflogenheit
Guttenberg, sehr dankbar dafür, dass Sie als Verteidi- 450 Millionen Euro aus dem laufenden Etat des Bundes-
gungsminister zu jeder Zeit hinter unseren Soldaten ste- ministeriums der Verteidigung gestrichen worden. Der
hen. Unsere Soldaten leisten täglich einen schwierigen Minister konnte dazu gar nicht Stellung nehmen, weil er
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2795
Johannes Kahrs
(A) nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Er kann (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
schließlich nicht in laufende Verträge eingreifen. NEN]: Jetzt kann man „Klartext schweigen“
hinzufügen!)
Herr Otte hat eben beklagt, dass Fahrzeuge vom Typ
Gepard und Marder stillgelegt werden müssen. Das ist Es gäbe viele Themen, die schwierig und ernst sind
wirklich nicht schön. Aber das hat damit gar nichts zu – Wehrpflicht, Haushalt, Bericht des Wehrbeauftragten
tun. Die 450 Millionen Euro kommen nun on top. Das, und manches andere mehr –, über die Sie heute reden
was da gewesen ist, ist noch gar nichts im Vergleich zu könnten. Immer wenn es ernst und schwierig ist, wenn es
dem, was jetzt kommt. Herr Otte, Sie haben das nicht zu nicht darum geht, Überschriften zu produzieren, sondern
verantworten, wohl aber die Kollegen im Haushaltsaus- darum, substanzielle Debatten zu führen, dann tauchen
schuss, die das unabgestimmt beschlossen haben. Ich Sie ab. Das tun Sie auch heute Nachmittag. Das finde ich
finde, man muss deshalb zumindest im Parlament sagen, deshalb sehr schlimm, weil wir spüren – der Bericht des
warum man Geld aus laufenden Verträgen streicht, wohl Wehrbeauftragten sagt das deutlich –, dass die Fragen in
wissend, dass es nicht geht. der Truppe sehr ernsthafte und drängende sind. Es gibt
auch Verunsicherungen in der Truppe. Die Bundes-
Wir alle haben doch den Wehrbeauftragten gehört.
wehr bräuchte jetzt einen Minister, der in einer solchen
Wir wissen um die Mängel bei der Sanitätstruppe. Wie
Situation auch vor diesem Haus Orientierung gibt, statt zu
sollen die behoben werden, wenn nicht durch Geld? Das
irritieren. Das ist das Problem im Augenblick. Es ist nicht
Geld ist gestrichen worden, die Bundeswehr ist ge-
in Ordnung, dass Sie, Herr Minister, heute kneifen. So
schröpft worden, das Elend in diesem Jahr wird groß,
muss das zwangsläufig interpretiert werden.
und Sie werden das erklären müssen, obwohl ich zugebe,
dass die Kollegen im Verteidigungsausschuss dafür nicht Lassen Sie mich zum ersten ernsten Thema kommen:
zuständig waren und es nicht zu verantworten haben. zum Haushalt. Dazu wurde schon viel gesagt. Herr Kol-
Trotzdem werden Sie das in Ihrer Partei und Ihrer Koali- lege Otte, ich erinnere mich noch gut an Rot-Grün und
tion klären müssen. So kann man weder mit der Opposi- Ihre Kritik daran, wie knapp der Bundeswehretat ist. Wir
tion noch mit der Bundeswehr umgehen, vor allen Din- haben zusammen vier Jahre Verantwortung getragen,
gen nicht, wenn man ständig die Soldaten und ihren und wir waren uns immer einig: Dieser Bundeswehretat
Einsatz lobt. Wenn man ihnen gleichzeitig das Geld ist auf Kante genäht. Das heißt, sobald man hier weitere
wegnimmt, das notwendig wäre, damit sie ihren Einsatz Stellschrauben anzieht, geht es an die Substanz.
vernünftig durchführen können, ist das unredlich.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wieso hat denn
(Beifall bei der SPD) die SPD Kürzungsanträge eingebracht?)
Wir waren uns einig in den letzten Jahren, dass das nicht
(B) Vizepräsidentin Petra Pau: (D)
solide sein kann.
Bitte.
Wir erinnern uns, wie Peter Struck mit solchen The-
men umgegangen ist. Ich bekenne mich ausdrücklich
Henning Otte (CDU/CSU):
dazu. Bei knappen Kassen werden die Bäume sicherlich
Kollege Kahrs, ich verwahre mich gegen den Vor-
nicht in den Himmel wachsen. Das gilt auch für den
wurf, geschwindelt zu haben. Ich glaube, ich habe sehr
Bundeswehretat. Dass aber in einer Nacht-und-Nebel-
offen gesagt, dass Einsparungen vollzogen worden sind
Aktion, ohne Absprache mit den Fachpolitikern
und dass diese uns Verteidigungspolitikern das Leben
nicht leichter machen. Ich weise aber auch darauf hin, (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]:
dass Verteidigungspolitik insbesondere im Selbstver- Genau das ist der Punkt!)
ständnis des Verteidigungsausschusses eine gemeinsame
Aufgabe ist. Ich habe ganz klar gesagt, dass wir eine und ohne dass der Minister einbezogen wird, 456 Millio-
nen Euro bei einer Armee im Einsatz einfach ratzfatz
Priorisierung verlangen und dass die einsatzrelevanten
weggestrichen werden, dass Verpflichtungsermächtigun-
Belange zuallererst zufriedengestellt werden müssen.
Die zusätzlichen 437 Millionen Euro für den einsatzbe- gen erst vor wenigen Stunden nach einem mehr oder we-
niger giftigen Schriftverkehr zwischen zwei Staatssekre-
dingten Sofortbedarf sind ein Ausdruck davon.
tären geklärt wurden und die jetzt auch noch auf den
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einzelplan 14 gelegt wurden, das hätten unsere Haushäl-
ter – das sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
Vizepräsidentin Petra Pau: vor allem von der CDU – mit uns Fachpolitikern nicht
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPD- gemacht, weil wir anders miteinander umgehen, und
Fraktion. auch mit Minister Struck hätte das kein Parlamentarier
gemacht.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Rainer Arnold (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun werden hier merkwürdige Beispiele genannt.
Bisher haben alle Minister und Ministerinnen der Bun- Das finde ich schon bemerkenswert. Herr Koppelin, Sie
desregierung hier in den Haushaltsberatungen das Wort sagen, für Herkules gebe es nicht mehr Geld, aber Sie
ergriffen. Sie, Herr Minister zu Guttenberg, pflegen das wollten, dass die Soldaten alles haben, was sie brauchen.
Image, jemand zu sein, der gern Klartext redet. Wenn Sie Herkules nicht seriös aufs Gleis setzen, dann
2796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Rainer Arnold
(A) gehen Sie zu den Soldaten und sagen ihnen, dass sie kein Übungsmöglichkeiten für Piloten gibt es keinen Spiel- (C)
Telefon, keinen Computer und kein Netzwerk mehr ha- raum nach unten mehr; schließlich geht es um eine Ar-
ben! Das ist die Konsequenz. Dass Herkules mehr Geld mee im Einsatz, die in Kunduz mit ihren Hubschraubern
braucht, hat – das werden Sie feststellen, wenn Sie sich im Staub landen muss und mehr üben müsste als in der
wirklich damit befassen – in erster Linie etwas damit zu Vergangenheit. Ihre Auffassung kann also wirklich nicht
tun, dass es bei der Bundeswehr eine desolate Infrastruk- richtig sein.
tur gab – das ist unstrittig –, die Rot-Grün übernommen
hat, ja dass nicht einmal geklärt werden konnte, welche Was wir bei dieser Kürzungsorgie erleben, ist ein Vor-
technische Infrastruktur im EDV-Bereich bei der Bun- geschmack auf die FDP-Ideologie – das wird in den
deswehr vorhanden ist. Das stellt man erst jetzt peu à nächsten Jahren noch deutlicher werden –: Steuersen-
peu fest. Dies ist die Wahrheit; dies sind die Fakten. kungen zugunsten weniger – das ist klar –, ein schwa-
cher Staat. Das bedeutet weniger Kitaplätze und weniger
Polizisten auf den Straßen. Die Soldaten in der Bundes-
Vizepräsidentin Petra Pau: wehr wissen natürlich, dass schwacher Staat darüber hi-
Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des naus bedeutet: weniger Verantwortung für die Frauen
Kollegen Koppelin? und Männer, die bei der Bundeswehr ihren Dienst tun.
(Beifall bei der SPD)
Rainer Arnold (SPD):
Sehr gerne. Eines ist klar: Mit diesem Haushalt, Herr Minister,
übernehmen Sie die Verantwortung für Mängel wie die
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): fehlenden geschützten Fahrzeuge, die fehlenden War-
Herr Kollege Arnold, ist Ihnen der Beschluss aus der tungsstunden, die fehlenden Flugstunden, die fehlenden
Zeit der Großen Koalition bekannt? Initiator war der Übungsmöglichkeiten. Dies muss man ganz deutlich sa-
Kollege Kahrs; alle Fraktionen im Haushaltsausschuss gen.
haben zugestimmt. Es ging um die Bonizahlungen bei Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen. Es
Herkules und um ein paar andere Punkte. Im Haushalts- ist eine Debatte über die Wehrpflicht aufgeflammt. Der
ausschuss wurde der Beschluss gefasst: Wenn die Dinge Minister hat die Randbemerkung gemacht, dass die Ver-
nicht geklärt werden, steigen wir aus Herkules aus. Da- kürzung der Wehrpflicht rückwirkend ab Oktober gelten
ran halte ich mich nur. soll. Eine Debatte darüber, was das wirklich bedeutet,
wird aber nicht geführt, weder hier noch im Verteidi-
Rainer Arnold (SPD): gungsausschuss. So dürfen wir mit diesem Thema nicht
(B) Diese Bonizahlungen sind geklärt. umgehen. (D)
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Nein, sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
sind nicht geklärt!)
– Langsam. – Wo der Kollege Kahrs recht hat, hat er Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
recht. Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Otte zulassen?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ein Management muss eigentlich daran gemessen Rainer Arnold (SPD):
werden, ob die Telefone und die Computer an den Ar- Gerne.
beitsplätzen möglichst gut funktionieren. Dafür sollen
Manager Boni bekommen und nicht für einen betriebs- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wirtschaftlichen Ertrag, der umso höher ist, je weniger Bitte schön.
sie liefern. Kahrs hat recht: Diese Art Bonizahlungen ist
völlig inakzeptabel.
Henning Otte (CDU/CSU):
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Einstim- Lieber Kollege Arnold, Sie haben den Brief des In-
mig!) spekteurs des Heeres gelesen. Stimmen Sie mit mir über-
Das habe ich als Verteidigungspolitiker übrigens erst vor ein, dass sich die Flugstunden auf die BO und auf die
wenigen Tagen wieder mit Vertretern des Managements Bell, die nicht im Einsatz sind, und nicht auf die CH be-
besprochen. Sie sagten: Es gibt nicht mehr Geld. Ich zogen haben?
sage Ihnen: Ohne mehr Geld im IT-Bereich – egal wohin
es fließt – werden die Soldaten nicht das haben, was sie Rainer Arnold (SPD):
brauchen. Es gilt für alle Flugzeugtypen, Herr Kollege, dass sie
sich nach NATO-Standards im Grenzbereich befinden.
(Beifall bei der SPD)
Das gilt für die CH-53, für die BO und für die Bell. Es
Herr Kollege Otte – Sie sind doch Fachpolitiker –, die gilt für die geflügelten Flugzeuge. Es ist ganz klar: Die
Reduzierung der Flugstunden als ruhmreiche Einspa- Reduzierung des Haushalts – der größte Teil entfällt auf
rung zu bezeichnen, ist abenteuerlich. Nach NATO-Stan- Personalkosten; man ist an laufende Verträge gebunden –
dards sind wir schon jetzt zahlenmäßig an der Grenze. geht zwangsläufig zulasten der Betriebskosten, und die
Im Hinblick auf einen verantwortbaren Umfang an Flugstunden sind ein wichtiger Faktor bei den Betriebs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2797
Rainer Arnold
(A) kosten. 456 Millionen Euro weniger nehmen den Piloten dort gerne ihren Dienst leisten. Wenn wir das gut ma- (C)
zusätzliche Möglichkeiten, schränken sie also ein. Ich chen, wird das auch gelingen.
bitte Sie, das Problem nicht schönzureden. Das ist ein
ernstes Problem. Schließlich verspielen Sie auch eine Chance. Ich
glaube, die Wehrpflicht braucht einen breiten gesell-
(Beifall bei der SPD) schaftlichen Konsens. Das ist ganz wichtig. Deshalb
möchte ich Ihnen dringend raten: Bevor Sie diesen
Lassen Sie mich auf die Wehrpflicht zurückkommen. Murks, der auf die Kappe der FDP geht, jetzt auch noch
Herr Minister zu Guttenberg sagte dazu, die Opposition öffentlich verteidigen und als gut darstellen, gehen Sie
habe kein Konzept. lieber auf die Opposition, vor allen Dingen auf die So-
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da hat er zialdemokraten, die eine ernsthafte Alternative ent-
recht!) wickelt haben, zu und lassen Sie uns nach einem Weg
suchen, der die gute Idee der Wehrpflicht mit den Anfor-
Ich möchte auf drei Probleme hinweisen: derungen aufgrund der Veränderungen in der Sicher-
heitspolitik kompatibel macht. Wir sind dazu bereit.
Erstens. Mit Ihrem Ansatz, die Wehrpflicht auf sechs
Monate zu reduzieren und eine achtwöchige Schnell- (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.
bleiche durchzuführen, lösen Sie keines der Probleme, Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
die mit der Wehrpflicht verbunden sind. Ein einfaches NEN])
Weiter-so bei der Wehrpflicht ist nicht angesagt. Dann
gäbe es Probleme, zum Beispiel mit der Dienstgerechtig- Das nächste ernsthafte Thema, bei dem ich eigentlich
keit. Minister Jung hatte zu Recht Angst vor dem Verfas- gehofft hatte, heute etwas dazu zu hören, ist nach wie
sungsgericht und hat deshalb viel mehr Wehrpflichtige vor das Thema Kunduz. Wir wollen das hier nicht ver-
eingezogen, als eigentlich geplant war. Sie erhöhen diese tiefen. Aber eines möchte ich schon noch einmal in Erin-
Zahl gar nicht signifikant. Dieses Problem lösen Sie also nerung rufen, Herr Minister. Die Kanzlerin hat in ihrer
nicht wirklich. Regierungserklärung gesagt:

Zweitens. Natürlich empfinden die jungen Menschen Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls … ist für
– ihre Lebenswelt hat sich stark verändert, was Ausbil- mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der
dungs- und Studienplätze sowie die Berufswelt insge- Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit
samt angeht – die Einzugspraxis als nicht gerecht, son- allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu
dern als eher zufällig. Das ist ein ernsthaftes Problem. beitragen.
(B) Das dritte Problem ist die Frage der Legitimität der Wenige Tage nach diesem Abwurf der Bomben hat die (D)
Wehrpflicht. Sie begründet sich laut unserer Verfassung Bundesregierung die interne Aufklärung des Vorfalls ge-
ausschließlich aus der Verteidigung des Landes, zwar stoppt unter Berufung auf die Argumentation, es gebe ja
nicht unbedingt an den Grenzen, aber es muss sich eben die NATO- und ISAF-Untersuchungen. Diese ISAF-Un-
um Verteidigung des Landes handeln. Davon ist doch tersuchung liegt jetzt seit viereinhalb Monaten auf dem
stringent abzuleiten, dass es bei dem, was Wehrpflich- Tisch. Sie haben weder weitere eigene nationale Unter-
tige bei der Bundeswehr in der Grundausbildung lernen suchungen in Auftrag gegeben, noch hat die Bundes-
und was sie da nachher tun, um soldatische Fähigkeiten regierung den Vorfall so aufgearbeitet, dass sie der deut-
und Fertigkeiten im engeren Sinne gehen muss. Jetzt er- schen Öffentlichkeit sagen kann, wie sie ihn nun
zählen Sie mir einmal, wie diese in acht Wochen vermit- bewertet. Das ist ein schweres Versäumnis. Sie halten
telt werden sollen. Es wird vielmehr so sein, dass die die Zusage, dass das aufgeklärt wird, nicht ein.
jungen Männer nachher in die Schreibstuben geschickt
werden, um Fotokopierer und Laptops zu bedienen, oder (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-
als Pkw-Fahrer den Oberst durchs Gelände fahren oder Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
im Lager als Logistiker arbeiten. Das werden deren Auf- NEN])
gaben sein. Das heißt, Sie nehmen, wenn Sie diesen Weg Die Erfüllung dieser Zusage kann man nicht einfach dem
einschlagen, den Menschen, die die Wehrpflicht aus gu- Untersuchungsausschuss übertragen.
ten Gründen für angesagt und richtig halten, gute Argu-
mente weg. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer wollte den
denn?)
Sie sagen, es gebe keine Alternative. Sozialdemokra-
ten haben eine Alternative vorgelegt. Wir wollen bei der Das ist nicht die Aufgabe des Ausschusses. Er hat die
gesellschaftlich richtigen Ansage bleiben: Man kann Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Diese Aufgabe
nicht alles kaufen, und die Wahrnehmung von Verant- nehmen wir im Ausschuss sehr ernst. Darüber werden
wortung für Sicherheit in unserem Land ist eine gemein- wir im Ausschuss miteinander noch spannende Gesprä-
schaftliche Aufgabe. Deshalb halte ich die Wehrpflicht che führen.
für richtig. Lassen Sie uns zugleich jedoch die Freiwilli-
gendienste insgesamt in allen Bereichen so attraktiv ge- Die Bundesregierung muss der deutschen Öffentlich-
stalten, dass auch die Bundeswehr genügend junge Men- keit sagen, was richtig gelaufen ist, was falsch gelaufen
schen findet, die bereit sind, neun, zwölf oder wie viele ist, und vor allen Dingen, welche Konsequenzen daraus
Monate auch immer zur Bundeswehr zu kommen, und gezogen werden.
2798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Rainer Arnold
(A) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Kollege!
NEN])
Was um Himmels willen lernt man daraus, wenn so et- Rainer Arnold (SPD):
was Tragisches passiert? Solange Sie keine Antworten – ja, ich bin fertig –,
auf diese Fragen geben, müssen wir doch davon ausge-
hen, dass solche tragischen Ereignisse immer wieder Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
passieren können. Deshalb bitten wir Sie dringend: Klä- Gut.
ren Sie hier auf!
Lassen Sie mich am Ende noch einmal den Wehrbe- Rainer Arnold (SPD):
auftragten erwähnen. Es gibt, wie ich glaube, zunächst – indem man ihnen sagt: Eurer Arbeit gebühren unser
einmal wirklich keinen Grund, jetzt einen neuen Wehr- Dank und unsere Anerkennung.
beauftragten zu berufen. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Parlament hat in den letzten Jahren diesem Wehrbe-
auftragten vertraut; das ist überhaupt keine Frage. Er hat Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
in seinem letzten Jahresbericht auf etwas Wichtiges hin- Michael Brand ist der nächste Redner für die Unions-
gewiesen, nämlich darauf, dass der Beruf des Soldaten fraktion.
kein Job und kein Beruf wie jeder andere ist und dass die
Soldaten Respekt und Anerkennung verdienen. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
überhaupt kein Thema. Ich glaube, wir Parlamentarier neten der FDP)
müssen alle miteinander aufpassen, dass wir diese Ver-
unsicherung bei der Truppe, die daher kommt, dass sie Michael Brand (CDU/CSU):
das Gefühl hat, sie würde nicht genügend Anerkennung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
finden, nicht noch durch unsere eigene Argumentation Kollegen! Es ist jedem hier im Haus wie auch allen, die
verstärken. Wir sollten auch nicht immer gleich der uns zuschauen, sehr bewusst, dass der Haushalt 2010 ein
Presse auf den Leim gehen, die entsprechende Artikel besonders schwieriger in einem besonders schwierigen
schreiben will. Fakt ist: Die Verunsicherung in der Bun- Jahr ist. Ich sage das auch im Hinblick auf manche Zwi-
deswehr ist da, und wir dürfen sie nicht negieren. schenfragen, Kurzinterventionen und sonstige Äußerun-
(B) gen hier im Plenum: Der Haushalt erfüllt die Grund- (D)
Wir müssen aber auch den Soldaten ein paar Dinge pflicht, die Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln
sagen. Das Erste ist: Kritik am Minister, an der politi- auszustatten, und zwar im Sinne der Sicherheit unserer
schen Verantwortlichkeit, ist weder Majestätsbeleidi- Soldatinnen und Soldaten und im Übrigen auch der Si-
gung noch Kritik an den Soldaten. cherheit unseres Landes.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Lieber Herr Kollege Arnold, lieber Herr Kollege
DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Kahrs, ich sage Ihnen sehr klar: Unterlassen Sie Ihre
Wer sagt denn das?) Krokodilstränen! Denn eins ist wahr: Das Geld ist
knapp. Die SPD hat selbst Einsparungen gefordert.
Das Zweite ist ebenso wichtig: Wenn in Deutschland
viele Menschen den Einsatz in Afghanistan kritisch be- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es! Da-
werten, ist das ein Zeichen von demokratischer Kultur. rüber schweigen die!)
Das heißt noch lange nicht, dass die Menschen der Bun-
Lieber Herr Kollege Arnold, das, was Sie gerade über
deswehr nicht vertrauen. Sie vertrauen ihr trotzdem. Alle Verunsicherungen gesagt haben, will ich Ihnen gerne zu-
Umfragen bestätigen dies. Bundeswehr, Polizei und Feu- rückgeben. Sie versuchen hier, Verunsicherung zu schü-
erwehr genießen die höchste Anerkennung in der deut- ren, indem Sie erstens dem Minister unterstellen, er
schen Gesellschaft, und das ist gut so. Darauf können die wolle sich wegducken. Zweitens war Ihre Strategie in
Soldaten und auch das deutsche Parlament stolz sein. den vergangenen Wochen im Untersuchungsausschuss,
einen Minister, der erfolgreich ist, der nah bei den Solda-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ten ist, verantwortlich zu machen für Ereignisse, die vor
Herr Kollege! seiner Amtszeit lagen. Hören Sie damit auf, denn damit
verunsichern Sie Soldaten!
Rainer Arnold (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ich komme zum Ende. – Ich füge als Randbemerkung Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
hinzu: Journalisten und Parlamentarier liegen in diesem NEN]: Das kann er doch auch selber sagen!)
Ranking ganz weit hinten. Das ist sicherlich nicht immer
gerecht. Zu den generellen Rahmenbedingungen ist bereits
viel gesagt worden. Zum Verteidigungshaushalt bleibt
Meine Bitte ist also: Wir müssen mithelfen, die Zwei- als zentrale Botschaft festzuhalten: Der Verteidigungs-
fel, die Verunsicherungen bei den Bundeswehrsoldaten etat ist so sparsam wie möglich und stellt Mittel bereit,
zu zerstreuen – wo es nötig ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2799
Michael Brand
(A) Ich würde in den nächsten Minuten gerne auf einige schaffung möglich ist, die auch wünschenswert wäre. (C)
Punkte eingehen, an denen der Minister in den letzten Allerdings – auch das gehört dazu – gilt nach wie vor der
Tagen und Wochen erfolgreich gearbeitet und bei denen Grundsatz: Was die Bundeswehr im Einsatz braucht, das
er gute Ergebnisse erzielt hat. Beim Haushalt 2010 geht muss sie und das wird sie auch weiterhin erhalten. Dass
es natürlich auch um die Frage: Wie wird eigentlich der wir durch vordringliche Beschaffungsmaßnahmen die
nächste Haushalt, der Haushalt 2011, in schwieriger Zeit passive Schutzfähigkeit unserer Truppe in Afghanistan
aussehen? Deswegen müssen Prioritäten gesetzt werden, – Stichwort ist hier der Dingo; der Wehrbeauftragte hat
wie Kollege Otte zu Recht gesagt hat. dazu einiges in seinem Bericht gesagt – während des lau-
fenden Einsatzes kontinuierlich steigern, ist dabei eine
Der erste Punkt ist die Transformation einer Armee
unabdingbare Notwendigkeit.
im Einsatz. Die Bundeswehr ist seit langem eine Armee
im Einsatz und im Umbruch. Die Transformation der Ich will zum vierten Punkt, zum Thema Afghanistan
Bundeswehr bleibt ein komplexer Prozess. Wir als CDU/ kommen. Lassen Sie mich wegen der Bedeutung dieses
CSU begrüßen nachdrücklich, dass der Bundesverteidi- Themas einige Anmerkungen machen.
gungsminister die Diskussion über die zukünftige Struk-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tur der deutschen Streitkräfte eingeleitet hat, um Effi-
NEN]: Es ist so bedeutend, dass die Kanzlerin
zienz und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die
heute Morgen kein Wort dazu gesagt hat!)
Zukunft zu sichern. Wir wissen um die Bedeutung der
eingesetzten Strukturkommission, und wir bleiben als Ich möchte zunächst festhalten: Wir tragen als CDU/
CDU/CSU, Kollege Nouripour, offen für eine sehr inten- CSU gemeinsam mit der großen Mehrheit des Hauses
sive Erörterung der Struktur mit allen, die sich der Si- die Londoner Strategie der Verstärkung militärischer und
cherheit des Landes und der Einsatzfähigkeit der Bun- ziviler Anstrengungen in Afghanistan voll mit. Dazu
deswehr verpflichtet fühlen. – lieber Herr Kollege Kahrs, nicht umdrehen und rufen,
sondern zuhören – zählt auch der zusätzliche Kostenan-
(Johannes Kahrs [SPD]: Aber kürzen bei den
teil, den die Aufstockung unserer Maßnahmen im Vertei-
Soldaten um 450 Millionen! Unsäglich!)
digungsetat ausmacht.
– Herr Kollege Kahrs, manchmal nutzt es auch, zuzuhö-
ren statt nur zu rufen. (Johannes Kahrs [SPD]: Dem haben wir zuge-
stimmt!)
(Karin Strenz [CDU/CSU]: Das nützt bei dem
nichts mehr!) Hier verwenden wir Steuergelder dazu, den Frieden in
Afghanistan zu erreichen und die Übergabe der Verant-
Der zweite Punkt ist die Wehrpflicht als Anker. Bei wortung für Afghanistan an die Afghanen abzusichern.
(B) der Umsetzung der sechsmonatigen Wehrpflicht können Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir nach (D)
wir erste Vorschläge verzeichnen – einige waren ja ges- dieser Übergabe unsere Truppen endlich abziehen kön-
tern Abend beim Reservistenverband –, was wir sehr be- nen. Diesen Abzug wollen wir allerdings nicht über-
grüßen. Wehrpflichtige sollen eine moderne, intensive stürzt, sondern koordiniert und ehrenhaft vollziehen. Das
und in einem guten Sinne spannende, das heißt inhalts- heißt, wir wollen die Sicherheit der afghanischen Zivil-
reiche, Grundausbildung durchlaufen. bevölkerung in den Händen gut ausgebildeter afghani-
scher Sicherheitskräfte wissen.
(Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate sind zu
kurz!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
eine weitere offene Bemerkung zu diesem nach wie vor
Skeptikern, Herr Kahrs, kann mitgeteilt werden: Das hat
sehr wichtigen Thema deutscher Sicherheitspolitik ma-
nichts mit Intensivpraktikum oder Abenteuer zu tun,
sondern mit einer intensiven und fordernden Grundaus- chen. Dass der Afghanistaneinsatz in vieler Hinsicht
bildung für einen sehr verantwortlichen Dienst. mehr Opfer gekostet hat, als dies zu Beginn abzusehen
war, ist inzwischen allen klar geworden. Das gilt es, of-
(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist einfach zu fen anzusprechen. Ich sage dies auch als Abgeordneter
kurz und unsinnig! Unverantwortlich!) aus einem Wahlkreis, der zu Hause mit den Eltern von
Verwundeten und Gefallenen dieses Einsatzes gespro-
Zehntausende junger Menschen, denen dieser Dienst je-
chen hat. Dass die Menschen in unserem Land die Lage
des Jahr abverlangt wird, können sich sicher sein, dass
in Afghanistan als Krieg empfinden, kann ich gut nach-
sie mit ihrem Dienst und mit dieser Ausbildung einen
vollziehen. Wenn hier jetzt ein völkerrechtlich anderer
sehr wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes
Begriff verwendet wird, ändert dies an der Einschätzung
leisten. Wir als CDU/CSU bleiben dabei: An der Wehr-
der Menschen nichts. Wenn es also so ist, dass die Men-
pflicht wird nicht gerüttelt. Sie ist und bleibt ein legiti-
schen die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg sehen,
mer und moderner Anker der Bundeswehr in der Bevöl-
wie sie es sagen, dann hat dies für uns klare Konsequen-
kerung.
zen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Eine Konsequenz ist, dass wir den Bürgern die
neten der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Das
Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes und das
ist doch Unsinn!)
Interesse unseres eigenen Landes an diesem Einsatz
Der dritte Punkt ist das Thema Beschaffung. Zu die- überzeugend erklären müssen. Ich bin dem Bundesver-
sem Themenbereich ist festzuhalten, dass wir natürlich teidigungsminister sehr dankbar, dass er diese Aufgabe
wissen, dass in Zeiten knapper Kassen nicht jede Be- in vorderster Front übernimmt. Aber es ist auch die Auf-
2800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Michael Brand
(A) gabe des Parlamentes. Es geht für uns nicht nur darum, In diesem Sinne wünsche ich den Soldatinnen und Sol- (C)
die Herzen und Köpfe der Afghanen vor Ort zu gewin- daten allzeit gute Hand, Sicherheit im Einsatz und im-
nen, wie es die Strategie der Londoner Konferenz und mer eine gesunde Rückkehr.
der ISAF vor Ort ist. Es geht auch jeden Tag darum, die
Zustimmung der Menschen hier zu Hause für einen Ein- Vielen Dank.
satz und zur Rückenstärkung für unsere Soldaten zu ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
winnen. Auch ist die Initiative des Bundestages zur
Nachbetreuung von kriegstraumatisierten Angehörigen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
der Bundeswehr ein klares Indiz dafür, dass wir längst
Omid Nouripour ist der nächste Redner für Bünd-
bei einer realistischen Bewertung dessen angekommen
nis 90/Die Grünen.
sind, was sich in Afghanistan abspielt.

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir füh-
Herr Brand, möchten Sie eine Zwischenfrage von ren in dieser Woche eine relativ deprimierende Diskus-
Herrn Nouripour zulassen? sion; es geht um den Haushaltsentwurf. Da erfreut man
sich natürlich an jeder guten Nachricht, und eine gute
Michael Brand (CDU/CSU): Nachricht, die mich wirklich sehr gefreut hat, habe ich
Zu ihm will ich jetzt kommen. Deswegen muss er lei- tatsächlich im Einzelplan 14 gefunden. Wir hatten im
der zuhören. Er hat vorhin den Wehrbeauftragten ange- Verteidigungsausschuss die seltene Situation, dass alle
sprochen. In diesem Zusammenhang will ich sehr deut- Fraktionen Anträge zu posttraumatischen Belastungs-
lich machen, dass alle Fraktionen diesen Weg nicht nur störungen eingebracht haben. Ich bin sehr froh und
beschritten haben, sondern stark unterstützen. Das gilt glücklich und werte es als Zeichen des Dankes und der
auch für den Wehrbeauftragten. Anerkennung für die Arbeit, die die Soldatinnen und
Soldaten leisten, dass alle Fraktionen allen Anträgen zu-
Lieber Kollege Nouripour, wir sollten nicht das kleine gestimmt haben. Das ist ein sehr richtiges Signal. Möge
Karo ins Spiel bringen, wenn es um das Amt des Wehr- das so weitergehen.
beauftragten geht. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich
sagen, dass der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
tages, Herr Robbe, seinen Job ordentlich und gut ge- der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
macht hat. Ich denke, das kann man unumwunden so sa- Allerdings habe ich eine zweite Stelle im Einzel-
gen. Lieber Herr Robbe, ich bin Ihnen sehr dankbar für plan 14, bei der ich mich hätte freuen können, nicht ge-
(B) das, was Sie in den letzten Jahren geleistet haben und funden. Wir haben jetzt eine neue Koalition, die am An- (D)
was Sie in dieser Woche angesprochen haben. fang große Versprechungen gemacht hat, insbesondere
der Minister. Die Stichworte sind bekannt: große Bun-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
deswehrreform, Verkürzung des Wehrdienstes, bessere
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Ausstattung – das ist schon mehrfach genannt worden –,
Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Transparenz und eine klare Sprache. Es ist aber nur eines
NEN]: Aber?)
klar: Das alles gibt es zumindest derzeit noch nicht. Herr
– Nur die Schlussfolgerungen, Herr Kollege Nouripour, Minister, Sie wissen, dass wir keine Probleme damit ha-
sind andere. ben, Sie zu loben, wenn Sie Gutes tun. Aber bisher
kenne ich nur Ankündigungen. Sie sind der Ankündi-
gungsminister in diesem Kabinett. Konkretes gibt es bis-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: her nicht viel.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN)
Michael Brand (CDU/CSU):
Ich komme zum Schluss. Beispiel Bundeswehrreform. Im Koalitionsvertrag
steht, dass es Strukturveränderungen in Organisation,
Es geht um das Thema Afghanistan. Der Deutsche Führung und Verwaltung geben wird; das ist recht um-
Bundestag insgesamt ist stolz auf die Frauen und Män- fangreich. Sie haben gesagt, dass es keine Tabus geben
ner, die in den Dörfern und Städten Afghanistans den zi- wird. Im Koalitionsvertrag steht, dass Vorschläge dazu
vilen Kräften mit ihrem Einsatz Schutz bieten und damit bis Ende 2010 kommen werden. Ich habe im Februar
die zivile Entwicklung überhaupt erst möglich machen. nachgefragt, wie es denn aussieht. Die Antwort des Hau-
Ich empfehle den Linken, bei dieser Passage besonders ses entsprach dem Text aus dem Koalitionsvertrag, nur
gut zuzuhören. Wir stehen hinter jedem Euro, den wir ein bisschen umgeschrieben. Wenn Sie Ihren Zeitplan
für die Frauen und Männer in diesem schweren und ver- tatsächlich einhalten wollen, werden Sie Ende dieses
antwortungsvollen Einsatz bereitstellen. Das wird auch Jahres erheblich ins Schwitzen kommen und noch eini-
unter schwierigen Rahmenbedingungen für den Haushalt ges an Tempo zulegen müssen, Herr Minister.
2011 gelten.
Beispiel Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Mo-
(Johannes Kahrs [SPD]: Vielleicht kürzen Sie nate. Das ist besonders spannend, und zwar nicht nur,
dann nicht ganz so viel Geld!) weil wir Grüne der Meinung sind, dass die Wehrpflicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2801
Omid Nouripour
(A) abgeschafft gehört, weil sie mit den Sicherheitsanforde- worden sind, weil die Mittel fehlen. Jetzt überlegen Sie (C)
rungen des 21. Jahrhunderts und mit Wehrgerechtigkeit einmal, wie viele Hundert Dingos man von den Zusatz-
überhaupt nichts mehr zu tun hat, sondern vor allem des- kosten, die für den A400M ausgegeben worden sind,
wegen, weil das so, wie Sie es machen wollen, über- hätte beschaffen können. Was derzeit passiert, hat mit
haupt keinen Sinn ergibt. dem Konzept „Vom Einsatz her denken“, mit einer ange-
messenen Beschaffung von Material für Soldatinnen und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Soldaten und deren Schutz nichts zu tun.
Frau Hoff hat in einer Diskussion sinngemäß erklärt:
(Zuruf von der FDP: Wollt ihr den Transpor-
Ihr müsst das verstehen. Wir konnten uns nicht durchset-
ter?)
zen. Also haben wir das Modell gewählt, das am ehesten
dazu führt, dass die Union begreift, dass die Wehrpflicht Herr Robbe hat einen Bericht vorgelegt, in dem er
keinen Sinn mehr hat. Dann wird sie am Ende ohnehin viele Mängel genannt hat. Einige Mängel liegen schon
abgeschafft werden. – Das ist Subversion, und Subver- länger vor – das ist bedauerlich –, aber ich bin sehr froh,
sion gehört nicht auf die Regierungsbank. dass Sie beharrlich geblieben sind und nicht aufgegeben
haben. Es fehlen Ärzte und Piloten. Es gibt einiges zu
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
tun. Herr Minister, wir würden uns wahnsinnig freuen,
des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
und wir versprechen weiterhin jede Unterstützung, wenn
Herr Minister, Sie haben am Anfang dieser Woche an- Sie sich dieser Themen annehmen. Wenn Sie nicht nur
gekündigt, das Konzept sei fertig und werde kommen. Ankündigungen machen, sondern auch konkrete Schritte
Heute haben Sie gesagt, die Einführung von W6 werde vornehmen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Sonst
auf Oktober vorgezogen. Um 14.30 Uhr hat der Presse- können wir nur feststellen, dass es bei Ankündigungen
sprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren, bleibt. Das hat mit Klarheit und Transparenz nichts zu
Frauen und Jugend gesagt, das sei nicht abgesprochen tun.
und noch nicht ausgemacht.
Herzlichen Dank.
Sie haben nebenbei außerdem erklärt, das Konzept
komme aus Ihrem Hause und Sie seien enttäuscht, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Bundestagsfraktionen nicht daran mitgearbeitet hät- und bei der SPD)
ten. Ein paar Tage vorher haben Sie das Angebot ge-
macht, dass wir uns mit dem Generalinspekteur über ge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nau diese Frage unterhalten können. Wir haben dieses Thomas Silberhorn hat das Wort für die CDU/CSU-
Angebot dankend angenommen. Das Gespräch fand ges- Fraktion.
(B) tern statt und war sehr offen und konstruktiv. Herzlichen (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dank dafür. Ich weiß nicht, wann wir das hätten einbrin-
gen sollen, was Sie von uns eingefordert haben. Sie ha-
ben quasi zeitgleich gesagt: Bringt euch ein! Das Kon- Thomas Silberhorn (CDU/CSU):
zept ist fertig. Ihr habt euch nicht eingebracht. Das Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Konzept kommt. Herren! Der Verteidigungshaushalt bestimmt maßgeb-
lich mit, wie wirksam wir unseren internationalen Ver-
Das Konzept ist nicht da. Ich habe das Konzept nicht, pflichtungen nachkommen können. Die Bundeswehr
das Parlament hat das Konzept nicht, und ich bin sehr kann nur so leistungsfähig sein, wie es der Haushalt zu-
gespannt, wie Sie das mit dem 1. Oktober 2010 hinbe- lässt. Der Haushalt 2010 ist absolut auf Kante genäht.
kommen wollen. Jedenfalls hat das mit Transparenz und
Klarheit nichts zu tun. (Johannes Kahrs [SPD]: Von euch selber!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir sind mittlerweile an einem kritischen Punkt ange-
und bei der SPD) langt, an dem wir uns ernsthaft die grundsätzliche Frage
stellen müssen, welche verteidigungspolitischen Ziele
Es hat auch nichts mit Informationspolitik zu tun, wir künftig verfolgen wollen und welche Streitkräfte wir
wenn es in Afghanistan eine Task Force 47 gibt, von der dazu brauchen.
wir aus der Presse erfahren, es dann eine Unterrichtung
gibt, in der uns erläutert wird, was dort eigentlich ge- Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Jedem
schieht, dann über die Presse neue Details bekannt wer- dieser Auslandseinsätze liegt ein Mandat des Deutschen
den und es eine neue Unterrichtung gibt, in der uns be- Bundestages zugrunde. Die Soldatinnen und Soldaten
stätigt wird, was in der Presse steht. Es ist eigentlich nur sind deshalb in den Einsätzen, weil wir sie dorthin ent-
ein hinter den Ankündigungen in der Presse Herrennen. senden. Deswegen ist es unsere Verantwortung, dafür zu
Auch das hat mit Transparenz und Klarheit nichts mehr sorgen, dass sie bestmöglich ausgerüstet und ausgestattet
zu tun. sind.
Zur Beschaffung hat Kollege Bonde einiges gesagt. Nicht nur mit Blick auf den vorliegenden Haushalt
Herr Kollege Brand, Ihr Hinweis, dass wir alles für die stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung hin zu einer
Soldatinnen und Soldaten tun müssen, damit diese effi- Armee im Einsatz mit all den damit verbundenen Konse-
zient arbeiten können, ist richtig. Ich will nur darauf hin- quenzen tatsächlich schon vollzogen worden ist. Ausrüs-
weisen, dass die knapp 40 ausgemusterten Schutzfahr- tung und Ausstattung der Bundeswehr müssen sich an
zeuge vom Typ Dingo in Afghanistan bisher nicht ersetzt den Einsatzerfordernissen orientieren und nicht umge-
2802 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Thomas Silberhorn
(A) kehrt. Anders würden wir unserer Verantwortung als von neun auf sechs Monate ist ein zentrales Vorhaben (C)
Parlamentarier für die Soldatinnen und Soldaten im Aus- aus unserem Koalitionsvertrag. Wir halten an der allge-
landseinsatz nicht gerecht. meinen Wehrpflicht fest, weil sie die gesellschaftliche
Verankerung der Bundeswehr sicherstellt und weil es so
Eine Lehre aus den bisherigen Auslandseinsätzen der gelingt, qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr
Bundeswehr ist, dass die Aufgabe, in instabilen Regio- zu gewinnen. Bereits heute werden über 40 Prozent der
nen selbsttragende Sicherheitsstrukturen zu schaffen,
Berufs- und Zeitsoldaten durch den Wehrdienst für die
an Bedeutung gewinnt. Das gilt für die Piratenbekämp- Bundeswehr gewonnen. Das streben wir auch für den
fung am Horn von Afrika und ebenso für Afghanistan. sechsmonatigen Wehrdienst an.
Ich meine, dass wir eine echte Fähigkeitslücke haben.
Die Ausbildung lokaler Polizeikräfte vor Ort gehört (Johannes Kahrs [SPD]: Wie ist das mit der
nicht zu den Kernkompetenzen der Feldjäger der Bun- verfassungsmäßigen Grundlage? Hat nichts
deswehr, und internationale Polizeieinheiten sind oft damit zu tun?)
nicht robust genug ausgestattet, um gegen Aufständische
und Terroristen vorzugehen. Wir werden hinsichtlich der Wehrgerechtigkeit übri-
gens eine spürbar bessere Situation bekommen; denn wir
Viele unserer Partnerstaaten in der Europäischen werden mit W6 mehr Wehrpflichtige einziehen können.
Union lösen diese Aufgabe mit Gendarmerieeinheiten. Auch die demografische Entwicklung wird die Situation
Nicht, dass ich danach rufen wollte, aber wir müssen bei der Wehrgerechtigkeit deutlich verbessern. Ziel muss
ernsthaft überlegen, Fähigkeiten vorzuhalten, um Aufga- es sein, den Wehrdienst so auszugestalten, dass er für die
ben einer Gendarmerie erfüllen zu können. Ob das eine Bundeswehr, aber auch für die Wehrpflichtigen ein ech-
Spezialeinheit der Bundespolizei sein sollte oder ob man ter Gewinn ist. Ich möchte einige Kriterien dafür nen-
die Funktion der Feldjäger erweitern sollte, mag dahin- nen.
gestellt sein. Wir müssen uns der Aufgabe als solcher an-
nehmen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jede Ent- Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, dass dieser
sendung von Militär und von Polizei ins Ausland durch Wehrdienst in der Truppe stattfindet und nicht in sepa-
den Deutschen Bundestag mandatiert werden sollte. raten Einheiten. Wir müssen nach der Grundausbildung
Auch darüber sollten wir nochmals nachdenken. dafür sorgen, dass die Wehrdienstleistenden in einer
Funktion bei der Truppe eingesetzt werden.
Ich begrüße es, dass die Bundesanwaltschaft vor we-
nigen Tagen zu dem Zwischenergebnis gelangt ist, dass (Johannes Kahrs [SPD]: In sechs Monaten!
es sich in Afghanistan um einen nicht internationalen be- Hurra!)
waffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetz- Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, mehr berufs-
(B) buches handelt. Die Generalbundesanwaltschaft teilt da- relevante Elemente in die Ausbildung zu übernehmen. (D)
mit die Bewertung, die bereits Bundesminister zu
Guttenberg und die Bundesregierung vorgenommen ha- (Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate!)
ben. Damit müssen Angehörige der Bundeswehr, die im Ich rege an – ich bitte die Kolleginnen und Kollegen
Auslandseinsatz unsere Aufträge ausführen, nicht länger aus meiner Fraktion um Nachsicht, weil das eine sehr
befürchten, dass ihr Verhalten in bewaffneten Konflikten persönliche Bemerkung ist, die nicht abgestimmt ist –,
auf der Grundlage des deutschen Strafgesetzbuches be- die Situation der Wehrdienstleistenden, die zum 1. Juli
urteilt wird. Für genau diesen Zweck gibt es das Völker- eines Jahres eingezogen werden, nochmals zu überden-
strafgesetzbuch. Es ist gut, dass es jetzt zur Anwendung ken. Nach sechs Monaten beenden sie ihren Wehrdienst,
kommen kann. also zum Ende des Jahres, und haben dann gegebenen-
Ich glaube auch, dass es ein wichtiger Fortschritt falls, wenn sie erst zum Wintersemester ein Studium
wäre, wenn wir unseren Koalitionsauftrag dahin gehend aufnehmen können, eine neunmonatige Wartezeit zu
erfüllen würden, eine zentrale Zuständigkeit der Justiz überbrücken. Natürlich kann man denen anbieten, frei-
zu schaffen, um Straftaten von Soldaten im Auslandsein- willig länger zu dienen. Ich glaube aber, dass es eine
satz zu verfolgen. Das müssen wir zeitnah angehen. Es sinnvolle Lösung wäre – das würde ich bevorzugen –, in
kann nicht angehen, dass bei Ermittlungen gegen Solda- diesen Fällen den Wehrdienst zu splitten: im ersten Jahr
ten viel Zeit verstreicht und sich Strafverfolgungsbehör- eine dreimonatige Grundausbildung,
den monatelang in komplizierte militärische Sach-
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
verhalte einarbeiten müssen. Ich weise darauf hin, dass
NEN]: Aber er ist dann doch nur zwei Mo-
Bayern diesbezüglich vorangegangen ist
nate!)
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
die die Aufnahme des Studiums noch im gleichen Jahr
NEN]: Das ist einer der Gründe, warum wir
ermöglicht, und in den Semesterferien des nächsten Jah-
dagegen sind!)
res die zweite Hälfte.
und zum 1. März dieses Jahres die Staatsanwaltschaft in
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Kempten mit der Wahrnehmung aller Strafverfolgungs-
Johannes Kahrs [SPD]: Dann schafft sie doch
verfahren gegen Soldaten im Auslandseinsatz beauftragt
ab! Dann schafft den ganzen Krempel doch ab!
worden ist. Nachahmung ist empfohlen.
Das ist ja unglaublich! Wir brauchen mindes-
Lassen Sie mich zur Debatte über die Wehrpflicht tens neun Monate! Sonst macht das doch kei-
Stellung nehmen. Die Verkürzung der Wehrdienstzeit nen Sinn! Das ist doch langsam absurd!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2803
Thomas Silberhorn
(A) Wenn wir mehr Flexibilität im Interesse der Wehr- (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt zerschießt schon (C)
dienstleistenden schaffen können, dann sollten wir auch die CSU das Konzept vom CSU-Minister!)
den Mut aufbringen, mehr Flexibilität für die Zivil-
dienstleistenden zu schaffen; denn es liegt im Interesse Ich freue mich, dass der Bundesminister die nötigen Ini-
der Zivildienstleistenden, die den Wehrdienst nicht ab- tiativen ergriffen hat, um zügig zu Lösungen zu kom-
leisten wollen, angemessene Beschäftigungsverhält- men, die im Interesse der Zivil- und Wehrdienstleisten-
nisse zu bekommen. Deswegen plädiere ich dafür, dass den liegen.
wir die Option schaffen, den Zivildienst auf zwölf Mo- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
nate zu verlängern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist kein Wunschkon-
zert! Das ist Bundeswehr! Wehrpflicht!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wenn wir bedenken, dass wir viele Freiwilligen- Ich schließe die Aussprache.
dienste haben, bei denen junge Leute von sich aus ein
Jahr im Freiwilligen Sozialen Jahr oder im Freiwilligen Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14,
Ökologischen Jahr verbringen, dann ist es, glaube ich, Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss-
angebracht, diese Freiwilligendienste besser auf den zi- fassung.
vilen Ersatzdienst anzurechnen. Hierzu liegen Änderungsanträge vor. Über diese stim-
(Johannes Kahrs [SPD], an die CDU/CSU ge- men wir zuerst ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag
wandt: Der soll Zivildienstbeauftragter wer- der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1024? – Wer
den!) stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende
Ich denke insbesondere an unser Programm „weltwärts“ Fraktion. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich
auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit. enthalten. Alle anderen haben dagegen gestimmt.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
NEN]: Da habt ihr doch gerade gekürzt!) Die Linke auf Drucksache 17/1025? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Dieser Änderungsantrag ist
Wenn man ein weitgefasstes Sicherheitsverständnis ver- ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende
tritt, dann ist auch eine Tätigkeit in der Entwicklungs- Fraktion. Alle übrigen haben dagegen gestimmt. Enthal-
politik in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Des- tungen gab es keine.
wegen plädiere ich dafür, diese Dienste beim Zivildienst,
(B) beim Wehrdienst besser als bisher anzuerkennen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordne- (D)
ten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen Koppelin auf
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Drucksache 17/1076? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Zuruf von der LINKEN: Deshalb kürzen Sie tungen? – Damit ist der Änderungsantrag angenommen
jetzt die Mittel? – Omid Nouripour [BÜND- bei Zustimmung durch den größten Teil der Koalitions-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habt ihr das Pro- fraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionen
gramm gekürzt! Was ist eigentlich Sache? – gestimmt. Es gab eine Enthaltung.
Johannes Kahrs [SPD], an die CDU/CSU ge-
wandt: Erkläre ihm doch mal einer die Wehr- Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss-
pflicht!) fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ein-
Herr Bundesminister, wenn es gelingt, dass die Neu- zelplan 14 angenommen bei Zustimmung durch die Ko-
ordnung, die Umstellung auf einen sechsmonatigen alitionsfraktionen und Ablehnung durch die Opposi-
Wehrdienst, zeitgleich vonstatten gehen kann mit der tionsfraktionen.
Wehrstrukturkommission, die jetzt ihre Arbeit aufnimmt
und bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegen soll, dann Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III a bis c auf:
wird ein stimmiges Konzept daraus,
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
(Johannes Kahrs [SPD]: Was sagt der General- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
inspekteur zu so einem Unsinn?) Abschaffung des Finanzplanungsrates

an dessen Umsetzung man sich zu Beginn des nächsten – Drucksache 17/983 –


Jahres machen kann. Also zeitgleich: Wehrstrukturkom- Überweisungsvorschlag:
mission und sechsmonatiger Wehrdienst. Ich glaube, das Haushaltsausschuss (f)
wäre der richtige Weg. Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
NEN]: Wenn Sie weiter daran herumstümpern,
bringt es auch nichts!) Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda
setzen – Freihandelsabkommen EU-Kolum-
Wir haben noch einige Wochen darüber zu diskutie- bien stoppen
ren. Aber ich glaube, wir werden sehr zügig zu Lösun-
gen kommen. – Drucksache 17/1015 –
2804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Überweisungsvorschlag: Sammelübersicht 51 zu Petitionen (C)
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss – Drucksache 17/910 –
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union tungen? – Die Sammelübersicht 51 ist ebenfalls einstim-
c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE mig angenommen.

Den Schienenverkehr als sichere Verkehrs- Tagesordnungspunkt IV d:


form erhalten und stärken Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
– Drucksache 17/1016 – ausschusses (2. Ausschuss)
Überweisungsvorschlag: Sammelübersicht 52 zu Petitionen
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Rechtsausschuss – Drucksache 17/911 –
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Hierbei handelt es sich um Überweisungen im ver- tungen? – Die Sammelübersicht 52 ist angenommen bei
einfachten Verfahren ohne Debatte. Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegen
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Bündnis 90/Die
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Grünen haben sich enthalten.
überweisen. Damit sind Sie einverstanden? – Dann sind Tagesordnungspunkt IV e:
die Überweisungen so beschlossen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte IV a bis l auf. ausschusses (2. Ausschuss)
Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist. Sammelübersicht 53 zu Petitionen
Tagesordnungspunkt IV a: – Drucksache 17/912 –
Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Wahlprüfungsausschusses tungen? – Die Sammelübersicht 53 ist einstimmig ange-
nommen.
zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl
der Abgeordneten des Europäischen Parla- Tagesordnungspunkt IV f:
ments aus der Bundesrepublik Deutschland
am 7. Juni 2009 Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
(B) (D)
ausschusses (2. Ausschuss)
– Drucksache 17/1000 –
Sammelübersicht 54 zu Petitionen
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer – Drucksache 17/913 –
Bernhard Kaster Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Michaela Noll tungen? – Die Sammelübersicht 54 ist angenommen bei
Michael Hartmann (Wackernheim) Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Bünd-
Christian Lange (Backnang) nis 90/Die Grünen stimmten dagegen. Die Linke hat sich
Stephan Thomae
enthalten.
Dr. Dagmar Enkelmann
Ingrid Hönlinger Tagesordnungspunkt IV g:
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- ausschusses (2. Ausschuss)
lung ist einstimmig angenommen.
Sammelübersicht 55 zu Petitionen
Tagesordnungspunkte IV b bis l. Wir kommen zu den
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. – Drucksache 17/914 –
Tagesordnungspunkt IV b: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
stimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD und die Linke.
ausschusses (2. Ausschuss)
Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt.
Sammelübersicht 50 zu Petitionen
Tagesordnungspunkt IV h:
– Drucksache 17/909 –
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- ausschusses (2. Ausschuss)
tungen? – Die Sammelübersicht 50 ist einstimmig ange-
nommen. Sammelübersicht 56 zu Petitionen
Tagesordnungspunkt IV c: – Drucksache 17/915 –
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
ausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2805
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) stimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Dr. h. c. Jürgen Koppelin (C)
Grünen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt. Dr. Dietmar Bartsch
Priska Hinz (Herborn)
Tagesordnungspunkt IV i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Die
ausschusses (2. Ausschuss) Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Au-
ßerdem liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Sammelübersicht 57 zu Petitionen Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor;
darüber werden wir am Freitag nach der Schlussabstim-
– Drucksache 17/916 –
mung befinden.
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu- Es ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu debat-
stimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Dagegen ha- tieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
ben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke gestimmt. so beschlossen.
Enthaltungen gab es keine. Ich gebe das Wort der Kollegin Bärbel Kofler für die
Tagesordnungspunkt IV j: SPD-Fraktion.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- (Beifall bei der SPD)
ausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 58 zu Petitionen Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
– Drucksache 17/917 – Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst ein
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- positives Moment: Das Volumen dieses Haushalts, den
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu- wir in zweiter und dritter Lesung beraten, ist immerhin
stimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke. um 180 Millionen Euro größer als das Volumen der be-
Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben dagegen ge- schämenden Vorlage, die wir im Januar dieses Jahres
stimmt. vom Kabinett erhalten haben. Trotzdem ist das kein Er-
folg für die Entwicklungszusammenarbeit als Ganzes.
Tagesordnungspunkt IV k: Ich höre schon jetzt die Töne, die später kommen wer-
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- den: Aufgrund der Finanzkrise war leider nicht mehr
ausschusses (2. Ausschuss) möglich und leider nicht mehr drin.
(B) Sammelübersicht 59 zu Petitionen Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, (D)
dass die Finanzkrise bei den Haushaltsberatungen im
– Drucksache 17/918 – letzten Jahr bereits in vollem Gange war. Damals ist es
Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die uns immerhin gelungen, für diesen Haushalt einen Auf-
Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung wuchs in Höhe von 600 Millionen Euro zu erreichen;
durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegen haben die das ist dreimal so viel wie das, was uns jetzt vorliegt. Vor
Linke und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Enthaltun- diesem Hintergrund finde ich das Gesamtergebnis der
gen gab es keine. Beratungen und die Zahlen, mit denen wir es zu tun ha-
ben, traurig und bescheiden.
Tagesordnungspunkt IV l:
(Beifall bei der SPD)
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss) Dieser Haushalt, der ja wahrscheinlich von der Mehr-
heit des Hauses verabschiedet werden wird, belegt eines:
Sammelübersicht 60 zu Petitionen
Deutschland verabschiedet sich aus der Rolle eines
– Drucksache 17/919 – zuverlässigen Partners in der Entwicklungszusammen-
arbeit, aber auch darüber hinaus. Wir sind internationale
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Verpflichtungen eingegangen. Vom 0,51-Prozent-Ziel
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
redet schon niemand mehr. Der Minister hat davon so-
stimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegen-
wieso nie geredet.
stimmen durch die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen
gab es keine. Wir als SPD-Fraktion haben Vorschläge gemacht, wie
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt I.12 auf: man dieses Ziel erreichen kann. Wir haben auch Gegen-
finanzierungsvorschläge vorgelegt. Es wurde eine sinn-
Einzelplan 23 lose Debatte vom Zaun gebrochen, ob im Jahre 2015 das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden könnte. Auch wenn
sammenarbeit und Entwicklung vonseiten des Ministeriums noch eine PM nachgeschickt
und zu erklären versucht wurde, das alles sei nicht so ge-
– Drucksachen 17/619, 17/623 –
meint gewesen, wie es im Interview gestanden habe,
Berichterstattung: sage ich Ihnen: Das verunsichert Partner und trägt nicht
Abgeordnete Volkmar Klein dazu bei, dass andere Länder uns weiter als Vorreiter und
Lothar Binding (Heidelberg) als verlässlichen Partner ansehen.
2806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Bärbel Kofler


(A) Ein Auf und Ab gab es auch beim Global Fund. Wir dafür ist „alter Wein in neuen Schläuchen“ ja noch billig (C)
erinnern uns: Ursprünglich wollte die Regierung, wollte gesagt. Das sind buchhalterische Taschenspielertricks,
Minister Niebel dort kürzen. Auf Druck der Opposition, die eines transparenten Haushalts nicht würdig sind.
insbesondere auf Druck der Kollegin Karin Roth aus
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
meiner Fraktion, und auf Druck aus der Öffentlichkeit
DIE GRÜNEN)
wurde diese Kürzung zurückgenommen. Gott sei Dank;
das ist gut. Aber was soll dieses Hin und Her, was soll Was Transparenz im Haushalt angeht, muss man sich
diese Verunsicherung internationaler Partner und inter- auch den Umgang mit dem Thema Haiti anschauen.
nationaler Institutionen? Wir, aber auch die Haushälter der SPD-Fraktion haben
im Ausschuss gefordert, einen Sondertitel für den Wie-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
deraufbau Haitis aufzulegen. Wie man der Presse ent-
Hinzu kommt das Drama um die Mittel für den Klima- nehmen konnte, fand auch der Minister diese Idee nicht
schutz. Die Kanzlerin hat im Dezember letzten Jahres schlecht. Das Spannende ist nur, dass im Haushaltsaus-
– zu diesem Zeitpunkt hätte man über die Finanzkrise schuss die Haushälter der Koalitionsfraktionen nichts
schon nachdenken können – in Kopenhagen zugesagt, in dergleichen unternommen haben. Auch hier wird wieder
diesem Jahr für internationalen Klimaschutz 420 Millio- versucht, ein bisschen zu tricksen: Da gibt es die Not-
nen Euro bereitzustellen. Das ist zwar eine bescheidene und Übergangshilfe. Sie wird zwar nicht mit mehr Geld
Zusage; aber es wäre ein wichtiger Beitrag gewesen. Wer ausgestattet; aber es dürfen Mittel davon für Haiti ver-
sich diesen Haushalt daraufhin anschaute, musste im wendet werden. Man darf auch Mittel verrechnen mit
Einzelplan 23 – wirtschaftliche Zusammenarbeit – wie im der finanziellen Zusammenarbeit. Die bekommt aber
Einzelplan 16 – Umwelt – lange suchen. Kurz vor knapp, auch nicht die entsprechenden Mittel, vor allem be-
kurz vor der Bereinigungssitzung, findet sich plötzlich ein kommt sie keine Planungssicherheit für den Aufwuchs
neuer Titel Klimaschutzmaßnahmen in den Entwick- der nächsten Jahre, nein, da werden bei den Verpflich-
lungsländern. tungsermächtigungen, die ja die eigentliche Planung dar-
stellen, noch 40 Millionen gestrichen.
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: So sind wir!)
Was Ende März bei der Geberkonferenz für Haiti he-
Nur stehen da nicht 420 Millionen Euro, wie es die
rauskommen wird, kann man nur vermuten. Das bishe-
Kanzlerin im Dezember versprochen hat. In den beiden
rige Gebaren bei der Einhaltung internationaler Zusagen
genannten Etats finden sich jeweils nur 35 Millionen
lässt nichts Gutes erahnen. Auch hier wurde viel ange-
Euro, und es ist nur den Haushältern von SPD und
kündigt, aber nur wenig umgesetzt, und das Wenige ist
Bündnis 90/Grüne zu verdanken – sie haben in der Be-
völlig intransparent.
reinigungssitzung einen gemeinsamen Entschließungs-
(B) (D)
antrag eingebracht –, dass nicht auch hier Taschenspie- Ich habe vorhin bei der Debatte über den Verteidi-
lertricks versucht worden sind und diese 35 Millionen gungshaushalt zugehört. Der letzte Redner der Union hat
Euro für den Umweltetat gerettet werden konnten und noch einmal die Bedeutung der Freiwilligendienste he-
damit auch, gleichgezogen, für das BMZ eingestellt wer- rausgestellt. Dem kann man sich nur anschließen. Aber
den mussten. warum werden in diesem Haushalt dann gerade im Ein-
zelplan 23 die Mittel für den Freiwilligendienst „welt-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
wärts“ gekürzt? Warum werden verlässliche Zusagen,
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard
die man jungen Menschen gegeben hat, die sich engagie-
Oswald [CDU/CSU]: So ein Unfug! – Volkmar
ren wollen, nicht eingehalten? Warum schürt man auch
Klein [CDU/CSU]: Sind wir in einer Karne-
hier Misstrauen bei den Partnern, mit denen man zusam-
valssitzung?)
menarbeitet und auf deren Entgegenkommen man ange-
Ich kann mir schon vorstellen, was uns der Minister wiesen ist? Hier gilt wieder: keine Verlässlichkeit, keine
erzählen wird: Für den internationalen Klimaschutz Ruhe in der Planung, keine Solidität.
seien noch ganz viele Mittel in anderen Titeln des Ein-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zelplans 23 versteckt.
DIE GRÜNEN – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Und im Einzel- DIE GRÜNEN]: Ein großes Rätsel! Inkonsis-
plan 16!) tente Politik ist das!)
Man könnte das überschreiben mit dem schönen Sprich- Wir als Sozialdemokraten haben Anträge gestellt,
wort: Alter Wein in neuen Schläuchen. Natürlich enthält nämlich für einen vernünftigen Aufwuchs, um das
der Einzelplan 23 seit Jahren viele klimarelevante Ti- 0,51-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben Gegenfinan-
tel. Man denke zum Beispiel an die Sonderfazilität „Ini- zierungsvorschläge gemacht. Darauf wird der Kollege
tiative Klima- und Umweltschutz“: Bis 2011 sollen für Binding sicherlich eingehen.
2,4 Milliarden Euro zinsverbilligte Darlehen ausgegeben
Einen Satz zur Finanztransaktionsteuer muss ich an
werden. Oder man denke an die 4E-Fazilität, die Sonder-
dieser Stelle schon noch loswerden. Wenn fast 70 000
fazilität für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Bürger eine Steuer gegen Armut für ein richtiges Kon-
All diese Titel wurden über Jahre hinweg im Haushalt zept halten, dann vergeben wir hier eine Chance, wenn
aufgebaut. Hier zu versuchen, Mittel aus der finanziellen wir nicht auf eine Finanztransaktionsteuer im internatio-
Zusammenarbeit oder aus der technischen Zusammenar- nalen Rahmen drängen. Dazu ist von diesem Minister
beit zu Mitteln für den Klimaschutz umzuetikettieren, leider nichts zu erwarten. Dazu ist auch von dieser Re-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2807
Dr. Bärbel Kofler
(A) gierung nichts zu erwarten. Deshalb ist eine Finanzie- Wir alle wissen, denke ich, dass noch mehr Anstrengun- (C)
rung für eine moderne Entwicklungspolitik, die Struk- gen nötig sein werden, um den Entwicklungsländern
turpolitik ist und deshalb entsprechende Mittel braucht, eine Perspektive zu geben. Diese Anstrengungen sollten
nicht zu sehen. vor allem Wirksamkeit zeigen, damit wir ihnen langfris-
tige und nachhaltige Perspektiven bieten können.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich möchte auch direkt auf das eingehen, was im
Frau Kollegin, ich möchte Ihnen nur sagen, dass die Laufe unserer Haushaltsberatungen von der Opposition
Redezeit bereits abgelaufen ist. an zum Teil fast schon populistischen und aus meiner
Sicht teilweise unseriösen Forderungen nach mehr und
Dr. Bärbel Kofler (SPD): immer noch mehr Geld vorgetragen wurde. Nehmen wir
Ich komme zu meinem letzten Satz. – Was nicht pas- doch gerade einmal das Beispiel Haiti, Frau Kofler. Die
siert, ist Strukturpolitik in der Entwicklungspolitik. Sie 15 Millionen Euro Soforthilfe wurden von der Opposi-
haben sich von allen inhaltlichen Themen, die wir in der tion beinahe ignoriert, fast schon schlechtgeredet.
Großen Koalition gesetzt haben, verabschiedet. Ein Bei- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
spiel: soziale Sicherungssysteme in den Entwicklungs- GRÜNEN]: Ach was! Es hat doch mit
ländern: abgelehnt von den Haushältern, auch denen der Schlechtreden nichts zu tun, wenn es einfach
CDU/CSU. nicht reicht!)
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Wir haben halt Dass zu einem späteren Zeitpunkt mehr Geld zur Verfü-
Verantwortung!) gung gestellt werden würde, war von Anfang an klar. Da
Dieser Haushalt ist kein Haushalt der Nachhaltigkeit, wird auch noch einiges geschehen.
kein Haushalt der internationalen Verlässlichkeit. Was (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Sie hier in den letzten sechs Monaten abgeliefert haben, der CDU/CSU)
ist für Deutschlands Auftreten im internationalen Rah-
men beschämend. Hier erwarten wir deutlich mehr. Ohne jeglichen Anhaltspunkt wurden von der Opposi-
tionsseite irgendwelche Zahlen in den Raum geworfen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Immer mehr sollte es sein. Dass es aber nach der ersten
DIE GRÜNEN) Nothilfe im Sinne einer wirkungsvollen Wiederaufbau-
und Entwicklungszusammenarbeit erst einmal notwendig
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ist, eine entsprechende Bestandsaufnahme zu machen,
Harald Leibrecht hat das Wort für die FDP-Fraktion. wurde im Wettlauf um die höchsten Geldforderungen hier
(B) völlig ausgeblendet. Ich empfand diese Zahlenspiele als (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten in höchstem Maße unseriös und gegenüber den Menschen
der CDU/CSU) in Haiti unverantwortlich.

Harald Leibrecht (FDP): (Beifall bei der FDP – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Liebe Kol-
leginnen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Land muss zunächst in die Lage versetzt werden,
Wenn wir heute abschließend über den Einzelplan 23 de- die internationale Hilfe, die von allen Seiten kommt, zu
battieren, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir in absorbieren. Dabei geht es gerade in einem Not leiden-
diesem Jahr in der Tat noch in wirtschaftlich schwieriger den Land wie Haiti darum, die zahlreichen internationa-
Situation sind und uns in einer Übergangsphase befin- len Hilfsprojekte und -initiativen aufeinander abzustim-
den. Wir alle wünschen uns mehr Geld für die Entwick- men.
lungspolitik – ohne Frage –, aber wir dürfen diese ge-
samtwirtschaftlichen Realitäten nicht aus den Augen Es können nicht einfach nur pauschal Geldsummen
verlieren. eingefordert werden, bevor klar ist, welche Wiederauf-
bauhilfe und -maßnahmen in den nächsten Monaten dort
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: notwendig sein werden. Diese Maßnahmen müssen dann
Innovative Finanzierungsinstrumente!) auch, wie gesagt, richtig koordiniert werden. Dies gehört
auch zu einer seriösen Entwicklungs- und Haushaltspoli-
Trotz der angespannten Haushaltslage konnten wir das
tik, der wir uns natürlich verpflichtet fühlen.
Volumen des Einzelplans 23 im Vergleich zu 2009 um
immerhin 250 Millionen Euro auf insgesamt 6,1 Milliar- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
den Euro erhöhen. Das, Frau Kofler, ist keine beschä- der CDU/CSU)
mende Zahl. Es ist sehr viel Geld, das wir für diesen Be-
Mit Blick auf die heutige Debatte habe ich mir die
reich einsetzen. Es ist vor allem Geld des Steuerzahlers,
BMZ-Haushalte der letzten Jahre wieder einmal angese-
und das sollten wir sehr viel mehr respektieren.
hen. Wir hören derzeit ja viel davon, dass Deutschland
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten seine Verpflichtungen zur Erfüllung der ODA-Quote un-
der CDU/CSU) ter der neuen Bundesregierung nun ignorieren würde.
Das möchte ich an dieser Stelle auch direkt einmal Vor fünf Jahren lag die ODA-Quote bei 0,35 Prozent,
betonen: Ich bin froh darüber, dass der Haushalt des wofür sich Frau Wieczorek-Zeul ja gerne immer loben
BMZ auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wächst. ließ. In den Folgejahren wurde es gerade einmal ge-
2808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Harald Leibrecht
(A) schafft, die Quote ein bisschen auf 0,38 Prozent zu erhö- des Bruttonationalprodukts – das ist die sogenannte (C)
hen. Dass dem neuen Minister jetzt vorgeworfen wird, ODA-Quote – zu erhöhen.
dass er das 0,51-Prozent-Ziel verfehlt, finde ich eine ver-
(Harald Leibrecht [FDP]: Das habe ich ja ge-
fehlte Argumentation der Opposition.
sagt!)
(Beifall bei der FDP – Priska Hinz [Herborn]
Es wäre finanziell aber durchaus möglich,
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben
gezeigt, wie es geht!) (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ja, aber mit
3 Milliarden Euro!)
Wir hätten den Etat des BMZ in diesem Jahr um über
3 Milliarden Euro, also um rund 50 Prozent, erhöhen und das können Sie, Herr Leibrecht, in einem sehr guten
müssen, um diese 0,51 Prozent zu erreichen. Antrag der Linksfraktion nachlesen.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Es gibt keine
GRÜNEN]: Quatsch! – Dr. Bärbel Kofler guten Anträge der Linksfraktion!)
[SPD]: Nein, nicht den Etat des BMZ! Das Wir zeigen Ihnen, dass es finanziell möglich ist, die
wissen Sie auch! – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ ODA-Quote in diesem Haushalt zu erreichen.
DIE GRÜNEN]: Sie können nicht rechnen!
2,2 hätten es auch getan!) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Indem Sie die
Bundeswehr totsparen!)
Doch elf Jahre Entwicklungspolitik der SPD haben die-
ses Ziel in weite Ferne rücken lassen, und das ist der ei- Ihnen fehlt aber der politische Wille dazu, und das ist das
gentliche Skandal. Entscheidende.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding
der CDU/CSU) [Heidelberg] [SPD]: Sie können auch den
SPD-Antrag nehmen! Der ist auch gut!)
In der letzten Legislaturperiode waren das BMZ und
das Finanzministerium ja SPD-geführt. Die ODA-Quote Sie sind nicht bereit, 2 Milliarden Euro mehr für die
droht seitdem fast zu stagnieren. In Ihrem Haushaltsent- weltweite Entwicklungshilfe auszugeben, aber Sie sind
wurf vom letzten Herbst wurden gerade einmal 23 Mil- jederzeit bereit, in diesen Haushalt zum Beispiel mehr
lionen Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit vor- als 7 Milliarden Euro für neue Rüstungsprojekte einzu-
gesehen. Mit dem jetzt beschlossenen Haushalt übertref- stellen.
fen wir Ihren Haushalt immerhin um 230 Millionen (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das sind auch
(B) Euro. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Arbeitsplätze!) (D)
Entscheidend ist letztlich aber, dass die Gelder auch Damit steht diese Ausgabenpolitik der Bundesregie-
Früchte tragen, und dies wird nur geschehen, wenn sie rung auch im krassen Widerspruch zur Bevölkerung. Die
richtig verwendet werden. Daher muss das BMZ so auf- Menschen in diesem Land sind nämlich viel mehr dazu
gestellt werden, dass eine verstärkte bilaterale, zielge- bereit, Geld für Entwicklungshilfe auszugeben. Das ha-
richtete Entwicklungszusammenarbeit möglich ist. ben sie durch Spenden in dreistelliger Millionenhöhe
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir es bei den Spendensammlungen für die Tsunamiopfer und
uns eben nicht erlauben, die Kontrolle über einen Groß- auch jetzt wieder bei den Spenden für die Hilfe der Erd-
teil der Gelder, die wir in die Entwicklungszusammenar- bebenopfer in Haiti eindrücklich gezeigt.
beit fließen lassen, aus der Hand zu geben. Das sind wir In meinem Wahlkreis Tübingen sammeln zum Bei-
dem Steuerzahler schuldig, aber vor allem auch den spiel Künstlergruppen und Schulklassen mühsam für
Menschen in den Entwicklungsländern, die auf eine effi- Haiti,
ziente Unterstützung von unserer Seite hoffen.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nicht nur in Ih-
Ich danke Ihnen. rem Wahlkreis!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten währenddessen die Bundesregierung nicht bereit ist, ei-
der CDU/CSU – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Sie nen Sondertitel für die mittelfristige Hilfe für Haiti ein-
verabschieden sich von der Internationalität in zustellen. Das sind nicht nur Forderungen der Opposition,
der Entwicklungszusammenarbeit!) sondern die Vereinten Nationen haben die Industriestaa-
ten aufgefordert, deutlich mehr Geld als bisher für Haiti
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zur Verfügung zu stellen.
Heike Hänsel hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Harald Leibrecht [FDP]: Da kommt doch
(Beifall bei der LINKEN) Geld!)
Sie ignorieren diese Aufforderungen.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Leibrecht, die Bundesregierung erreicht mit diesem Ich halte es übrigens für ein persönliches Armuts-
Haushalt nicht das für 2010 vorgegebene Zwischenziel, zeugnis des Ministers, dass er diese Forderungen gegen-
die Ausgaben für Entwicklungshilfe auf 0,51 Prozent über seinen Haushältern nicht hat durchsetzen können.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2809
Heike Hänsel
(A) Damit komme ich zu Ihrer Hauptbotschaft, die Sie, Klein an die Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras (C)
Herr Niebel, recht häufig zum Besten geben. Sie sagen, weitergeleitet wurden.
dass Ihre Entwicklungshilfe werteorientiert und interes-
sengeleitet sei. Ich frage mich allerdings, von welchen (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist
Werten und welchen Interessen Sie sprechen. Mit diesem niveaulos, was Sie hier machen!)
Haushalt zeigt die Bundesregierung nämlich, dass Frie- Sollte diesen beiden mutigen Menschenrechtsaktivisten
denspolitik, weltweite Armutsbekämpfung, Klima- etwas zustoßen, werde ich auch die FDP dafür verant-
schutz, soziale Entwicklung, globale Gerechtigkeit und wortlich machen.
somit der Wert der menschlichen Solidarität nicht
oberste Priorität Ihrer Politik sind. Stattdessen geht es (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
Ihnen ganz offensichtlich um deutsche Wirtschaftsinte- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
ressen, die Sie möglichst ungehindert durchsetzen wol- Ich möchte noch eine zweite Personalie ansprechen.
len. Sie propagieren – so habe ich es auch auf der letzten Diese betrifft ebenfalls einen Abteilungsleiter, und zwar
Reise nach Vietnam erleben können – die freie Markt- den ehemaligen Oberst Herrn Eggelmeyer.
wirtschaft als Grundlage freier Gesellschaften. Sie wol-
len also Freiheit für Konzerne, Freihandel und Markt- (Harald Leibrecht [FDP]: Auch ein guter
liberalisierung. All das hat allerdings in vielen Ländern Mann! – Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]:
des Südens nicht zu mehr sozialer Entwicklung geführt, Mann, Mann, Mann!)
sondern – ganz im Gegenteil – zu mehr Armut, mehr
Hunger und mehr Umweltzerstörung. Da frage ich mich: Ich frage mich, was ein Oberst im Ministerium für
Ist das Ihre Vorstellung von freien Gesellschaften? Entwicklungszusammenarbeit verloren hat. In meinen
Augen hat er dort gar nichts verloren. Das führt zu einer
(Beifall bei der LINKEN – Harald Leibrecht strukturellen Militarisierung der Entwicklungszusam-
[FDP]: Wir haben das Ministerium die letzten menarbeit. Sie wollen die zivil-militärische Zusam-
elf Jahre nicht geführt!) menarbeit ausbauen, Herr Niebel. Dazu kann ich Ihnen
nur sagen: Es gibt immer mehr Hilfsorganisationen, die
Bezüglich Ihrer Werte, Herr Niebel, möchte ich auf das kritisieren. Ich möchte aus der heutigen Pressemit-
Ihre jüngst stark kritisierte Personalpolitik eingehen. teilung der Organisation Ärzte ohne Grenzen zitieren, in
Dabei geht es mir jetzt allerdings weniger um die Klien- der steht:
telpolitik nach dem FDP-Parteibuch. Die Einstellung
nach Parteibuch haben Rot-Grün und Schwarz-Rot Die internationale humanitäre Hilfsorganisation
schließlich genauso betrieben. Mir geht es vielmehr um ÄRZTE OHNE GRENZEN weist die Äußerung des
(B) die inhaltliche Ausrichtung einiger Personalentscheidun- NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen (D)
gen. Konkret betrifft das Ihre neuen Abteilungsleiter im aufs Schärfste zurück, wonach Nichtregierungsor-
Ministerium. Als Erstes möchte ich Herrn Harald Klein ganisationen die weiche Komponente militärischer
nennen, Strategien darstellen sollten … Äußerungen wie
diese kreieren ein zusätzliches Risiko für unsere Pa-
(Harald Leibrecht [FDP]: Sehr guter Mann!) tienten und unsere Mitarbeiter …
der lange Zeit bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann- (Beifall bei der LINKEN)
Stiftung gearbeitet hat. Dieser hat im letzten Jahr den
Wir schließen uns dieser Kritik vorbehaltlos an und
Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten
lehnen eine zivil-militärische Zusammenarbeit ab. Wir
Zelaya gerechtfertigt und die damit einhergehenden
sehen, dass Sie, Herr Niebel, das Entwicklungsministe-
Menschenrechtsverletzungen mehr als verharmlost.
rium für die systematische Begleitung der wirtschaftli-
Soviel zu Ihren Wertevorstellungen von Demokratie,
chen und militärischen deutschen Expansion umbauen
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.
wollen. Sie können mit unserem massiven Widerstand
Ich halte es ebenfalls für einen Skandal, dass Harald rechnen.
Klein jetzt Ansprechpartner für internationale Beziehun- (Beifall bei der LINKEN)
gen und für Menschenrechtsfragen ist. Vor zehn Tagen
haben wir Menschenrechtsaktivisten aus Honduras nach
Berlin eingeladen. Sie haben sich auch mit dem BMZ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
getroffen und im Ministerium ebendiesem Harald Klein Volkmar Klein hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
über aktuelle politische Morde, Folterungen und Verhaf- tion.
tungen berichtet. Diese Aktivisten sind ein enormes
(Beifall bei der CDU/CSU)
Risiko eingegangen, indem sie hierher gekommen sind
und davon berichtet haben. Trotzdem wurden sie aber
von einem Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung Volkmar Klein (CDU/CSU):
namentlich in einer Zeitung in Honduras genannt und Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
denunziert, sie würden die jetzige sogenannte gewählte Herren! Als Allererstes möchte ich betonen, dass die
Regierung schlechtmachen. Das ist eine konkrete Ge- Wortwahl und der Inhalt dessen, was wir gerade gehört
fährdung von Menschenrechtsaktivisten. Herr Niebel, haben, einem Parlament nicht angemessen sind. Es ist
ich möchte von Ihnen die Auskunft bekommen, ob kon- eine Schande, so mit dem Minister und dem Ministerium
krete Informationen aus dem Ministerium von Harald umzugehen.
2810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Volkmar Klein
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Auch als Bundesrepublik Deutschland ist es richtig, (C)
Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der sich mit sei- sich massiv – stärker, als ursprünglich von der Regie-
nem Militärkäppi in Afrika zeigt! Toller Mi- rung geplant – einzubringen, weil auch dies im deut-
nister!) schen Interesse ist. Hilfestellungen, aus der Armut he-
rauszukommen, schaffen in den betreffenden Ländern
Wenn ich gewusst hätte, was Frau Kofler eben sagen Stabilität, von der auch wir am Ende etwas haben. Das
wollte, dann hätte ich sie vielleicht eingeladen, die reduziert Migrationsdruck und Sicherheitsprobleme.
Plenardebatte gestern aufmerksam zu verfolgen. Da wa-
ren nämlich von der Opposition ganz andere Töne zu hö- Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt einen Haushalt
ren. Die Opposition hat über die massive Neuverschul- beschließen wollen und auch werden, der mit fast
dung geschimpft. Der Kollege Bonde hat sogar von 6,1 Milliarden Euro so groß ist wie noch nie. Er weist
blinder Schuldenmacherei gesprochen. 256 Millionen Euro mehr auf als im Haushalt 2009. Das
ist vor allem auch deutlich mehr, als ursprünglich im Re-
Deswegen hatte ich ein flaues Gefühl, heute Abend gierungsentwurf geplant war.
ausgerechnet den Einzelplan 23 zu vertreten, dessen
Mittel im Rahmen der Haushaltsplanberatungen sogar Ich will noch einmal die Relationen in Erinnerung
noch deutlich erhöht werden konnten und der somit mit- rufen. Wir haben aus guten Gründen im Gesamthaushalt
ten im Zentrum der beißenden Kritik des gestrigen Tages 5,9 Milliarden Euro gespart und Ausgaben gekürzt. Das
steht. werden wir jetzt beschließen.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Sie haben Kon-
Aber wir stehen dazu. Der Haushalt mit einer Neuver- junkturverbesserungen eingeplant! Das ist et-
schuldung von 80,2 Milliarden Euro ist leider alternativ- was ganz anderes!)
los. Wir haben die Ausgaben gegenüber dem Entwurf Wir haben trotz dieser Kürzung um 5,9 Milliarden Euro
deutlich gekürzt, aber trotz aller Kritik an der Neuver- insgesamt einen Aufwuchs um 189 Millionen Euro im
schuldung sind weitere Einsparungen nicht möglich. Einzelplan 23.
Sonst würden wir die wirtschaftliche Entwicklung wie-
der abwürgen. Deswegen ist dieser Haushalt die richtige (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Antwort auf die aktuellen Probleme. der FDP)
Ich will eine weitere Zahl, die dem einen oder ande-
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ren mit Sicherheit auch nicht gefallen wird, in Erinne-
Was sagen die Entwicklungsländer?)
rung rufen. Es gab schon einmal einen Haushaltsentwurf (D)
(B)
Die im Einzelplan 23 – Bundesministerium für wirt- der Bundesregierung für das Jahr 2010. Er stammt aus
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – vorge- dem Sommer des letzten Jahres. Damals hieß die Minis-
sehene Ausgabensteigerung ist trotz des generell von uns terin Wieczorek-Zeul. Im Vergleich zum Haushalt 2009
gemeinsam so empfundenen Sparzwanges die richtige – Frau Wieczorek-Zeul, das können Sie sicherlich bestä-
Antwort auf die aktuellen Fragen im Sinne der Zukunft tigen – war damals ebenfalls ein Aufwuchs geplant, und
unseres Landes. Wir werden mit diesem Haushalt unse- zwar in Höhe von etwas über 20 Millionen Euro. Das
rer internationalen Verantwortung gerecht. sah der Regierungsentwurf aus dem letzten Jahr vor.
Nun haben wir einen Aufwuchs in Höhe von
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 256 Millionen Euro. Das ist elfmal mehr als von der ehe-
Nein! Ganz klar nein!) maligen Ministerin geplant. Deshalb habe ich überhaupt
kein Verständnis für den Protest der SPD.
Erstens – das scheint mir entscheidend zu sein – tun wir
etwas. Wir geben viel Geld aus, und zwar mehr Geld, als (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ursprünglich von der Regierung geplant, weil dies auch
ethisch geboten ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Entschuldigung, Herr Kollege, möchten Sie eine Zwi-
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Al-
schenfrage von Herrn Movassat zulassen?
mosen sind das! Nichts mit Gerechtigkeit!)
Es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, sich für an- Volkmar Klein (CDU/CSU):
dere Menschen einzusetzen. Unsere Verantwortung en- Bitte schön.
det nicht an den Grenzen.
Zweitens finde ich es ausgesprochen schön, dass in Niema Movassat (DIE LINKE):
unserem Land sehr viele Menschen genau das zu ihrem Herr Willsch, Sie haben darauf verwiesen, dass wir in
persönlichen Anliegen machen und sich in Kirchen, Ini- einer Wirtschafts- und Finanzkrise sind und Haushalts-
tiativen und Verbänden für Menschen in der Dritten Welt probleme haben.
engagieren. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herz- (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist
lich für ihr vorbildliches Engagement danken, auf das Herr Klein!)
wir stolz sein können.
– Entschuldigung, Herr Klein, mir lag die falsche Liste
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vor.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2811
Niema Movassat
(A) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Groß- und das noch nicht einmal vollständig – der Steuernach- (C)
britannien trotz Schuldenproblematik und Finanzkrise lass für Hotelkonzerne in einer Größenordnung von
es geschafft hat, mit seinem aktuellen Haushalt das Zwi- 500 Millionen Euro.
schenziel von 0,56 Prozent zu übertreffen? Wie stehen
Sie dazu? (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
– Sie können ruhig Buch führen. Dieser Vorschlag ist se-
Volkmar Klein (CDU/CSU): riös gedeckt. Weil Sie ihn immer abgelehnt haben, ist er
Lieber Herr Kollege, Ihre Desorientierung zeigt sich als Deckung noch vorhanden und seriös durchgerechnet.
schon daran, dass Sie mich nicht mit meinem Namen an- Wir können Ihnen das jederzeit zur Verfügung stellen.
gesprochen haben. Weil Sie sehr ernsthaft gesagt haben, Ihnen gehe es
(Zurufe von der LINKEN: Falsche Antwort!) um die Sache, lautet meine Frage: Ist es Ihnen bei der
Priorisierung tatsächlich wichtiger, einem Hotelkonzern
– Ich glaube, das ist als Antwort ausreichend; denn wir Steuern zu erlassen, als die eben von mir vorgetragenen
reden hier über Deutschland. Ich habe gerade gesagt, Maßnahmen in der Entwicklungspolitik voranzubrin-
was eine Regierung damals vorgelegt hat – die ehemali- gen?
gen Regierungsmitglieder sitzen nun ganz still und wer-
den sich wohl auch nicht zu Wort melden – und dass wir
Volkmar Klein (CDU/CSU):
einen elfmal höheren Aufwuchs beschließen.
Lieber Kollege Binding, Sie können sich sicherlich
Ich möchte unterstreichen – das mag dem einen oder noch ganz genau an die umfangreichen Diskussionen
anderen als Petitesse erscheinen –, dass wir an der Sache über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erinnern.
interessiert sind und mehr Geld für wichtige Projekte Wie Sie wissen, ist das nur einer von vielen Punkten, der
ausgeben wollen – deswegen dieser erhebliche Auf- dazu beiträgt, die wirtschaftliche Belebung in unserem
wuchs –, während wir gleichzeitig im Vergleich zum Land nach vorne zu bringen.
Entwurf der Regierung die Mittel für die Öffentlichkeits-
arbeit um 2 Prozent reduziert haben. Uns geht es um die Das, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, un-
Sache und nicht um Schaufensterdekoration. terstreicht den Erfolg dieser Strategie. Insofern muss ich
den Vorschlag, den wir im Haushaltsausschuss diskutiert
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und haben, eher unter der Rubrik „Mut nach Kassenschluss“
der FDP) einsortieren. Es bleibt dabei, was ich eben gesagt habe:
Im letzten Jahr, als die frühere Ministerin die Möglich-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: keit hatte, wurde nichts getan, aber jetzt werden große
(B) Forderungen erhoben. Das ist nicht glaubwürdig. (D)
Herr Kollege, auch Herr Binding will Ihnen eine Zwi-
schenfrage stellen. Wollen Sie diese auch noch zulassen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie wis-
Volkmar Klein (CDU/CSU): sen, dass das falsch ist, was Sie sagen!)
Ja, das ist ein vernünftiger Kollege. Jetzt möchte ich zu meinem Konzept zurückkommen.
Ich will vier Punkte, die uns wichtig sind, nennen. Ers-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tens. Für das Klima wird natürlich sehr viel getan. Ich
Bitte. meine nicht nur die 35 Millionen Euro, die im Laufe der
Beratungen zusätzlich hinzugekommen sind, sondern
auch der bereits bestehende Titel „Entwicklungswichtige
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz, zur
Lieber Kollege Klein, du hast vorhin die SPD ange- Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz“ ist
griffen und behauptet, wir hätten zuerst gesagt, keine nicht nur ein bisschen aufgestockt worden, sondern mit
Neuverschuldung, und nun sähen wir das ganz anders; zusätzlichen 78 Millionen Euro mehr als verdoppelt
das sei ein gewisser Widerspruch. Des Weiteren hast du worden. Darüber hinaus – das wissen wir doch alle – ist
gesagt, der jetzigen Regierung und Koalition gehe es nur in den TZ- und FZ-Titeln einiges für den Klimaschutz
um die Sache. Ein sehr umfänglicher Antrag der SPD- enthalten. So zu tun, als ob das Umweltministerium gar
Fraktion sieht Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden keine Rolle spielen würde, geht nun völlig an der Sache
Euro für ganz wichtige Bereiche wie den Friedensdienst, vorbei.
die Sozialstruktur, politische Stiftungen, das Welternäh-
rungsprogramm usw. vor. Nun kommt das Interessante: Ich finde es wichtig – das ist der zweite Punkt –, dass
Es ist uns gelungen, diesen Vorschlag seriös zu decken, wir mit 120 Millionen Euro zusätzlich für die Entwick-
und zwar mit Mitteln aus nur zwei Titeln. Es besteht also lungszusammenarbeit mit Afghanistan dokumentieren,
nicht die Notwendigkeit Schulden zu machen oder neue dass es eben nicht unser Anliegen ist, militärisch für eine
Steuern einzuführen. Das eine ist § 1 des Außensteuer- Lösung in Afghanistan zu sorgen, sondern dass wir na-
gesetzes; darüber haben wir lang geredet. Es geht hier türlich wissen und auch untermauern, dass wir eine sich
um die Funktionsverlagerung, die ökonomisch äußerst selbst tragende Sicherheit brauchen. Dafür sind derartige
problematische Folgen für die Steuereinnahmen in Projekte der Kern. Deswegen ist es richtig, dort
Deutschland hat. Das andere ist – das ist ein bisschen un- 120 Millionen Euro zusätzlich neben allen anderen Ein-
ser Dauerbrenner; es handelt sich um einen seriösen Vor- zelplänen hineinzupacken. Das haben wir mit einem
schlag, weil die Mittel nur einmal verwendet werden, separaten Antrag getan und intensiv diskutiert.
2812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Volkmar Klein
(A) Drittens. Noch ein Satz zu Haiti. Es wird hier so ge- Verpflichtungen besinnt, die die Regierung eingegangen (C)
tan, als ob für Haiti kein Geld da wäre. Es gibt aber im ist. Wir hatten Hoffnung, dass sie sich an die Koalitions-
Haushaltsplan den Haushaltstitel „Entwicklungsorien- vereinbarung hält und dass sie in dem Punkt, dass das
tierte Not- und Übergangshilfe“. Der ist mit 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden muss, kein Papiertiger
129 Millionen Euro ausgestattet und ganz anders als die bleibt. Natürlich hatten wir die Hoffnung, dass die Zusa-
meisten anderen Titel im Einzelplan 23 nicht durch Ver- gen von Kopenhagen eingehalten werden. Jetzt, bei der
pflichtungsermächtigungen vorbelastet. Vielmehr ma- Verabschiedung dieses Einzelplans, müssen wir feststel-
chen Verpflichtungsermächtigungen an diesen 129 Mil- len: Alle Zusagen sind gebrochen worden. Sie begehen
lionen Euro im Haushaltsjahr 2010 nur 22,5 Millionen damit einen Wortbruch, dass Sie das 0,51-Prozent-Ziel
Euro aus. Der Rest ist natürlich für derartige Katastro- schlicht und einfach nicht erreichen.
phen verfügbar. Das haben wir unterstrichen. Um trotz-
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
dem Bedenken zu zerstreuen, ob das Geld am Ende
So ist es!)
reicht, haben wir einseitige Verstärkungsvermerke durch
FZ und TZ ausgebracht. Das wird sicher alle Zweifel, Schwarz-Gelb wird laut Ministerium von Herrn Niebel
die bestehen könnten, beseitigen. mit diesem Haushalt höchstens 0,40 Prozent des Brutto-
Der vierte Punkt, der mir wichtig ist: Träger wie Kir- inlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgeben. Herr
chen, Stiftungen, Genossenschaften und andere private Klein, wir sind damit im unteren Drittel der DAC-Län-
Träger stellen die Pluralität und den Reichtum unserer der Europas –
Gesellschaft dar. Deswegen ist es richtig, diese Träger in (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie weit war
der Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Diese denn Rot-Grün?)
wollen wir weiter fördern, und das haben wir durch er-
höhte Verpflichtungsermächtigungen im Laufe der vielleicht wussten Sie das eben nicht; wahrscheinlich ha-
Haushaltsberatungen für diesen Bereich getan. ben Sie deswegen die Frage nicht beantworten können –,
und das, obwohl die anderen Länder von der Wirt-
Der Einzelplan 23 umfasst also 6,1 Milliarden Euro. schaftskrise genauso betroffen sind wie Deutschland.
Das ist der höchste Betrag, den es je gab. Ich denke, dass
wir diesen hohen Betrag guten Gewissens vertreten kön- (Harald Leibrecht [FDP]: Eben nicht!)
nen, trotz der berechtigten Kritik der Opposition an der Deutschland ist immer noch ein finanz- und wirtschafts-
Gesamtverschuldung. Aber die Kritik – das hören wir starkes Land; deswegen ist das Verfehlen dieses Ziels ein
jetzt – zielt nicht nur auf die Gesamtverschuldung und Armutszeugnis für diese Regierung.
die Neuverschuldung, sondern auch auf die angeblich zu
niedrigen Ausgaben für diesen Etat. Das eine passt mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) dem anderen nicht ganz zusammen. Wer auf der einen sowie bei Abgeordneten der SPD) (D)
Seite Kritik an der Verschuldung übt, aber auf der ande- Jetzt ist schon fast erklärt, warum sich Herr Niebel so
ren Seite die Ausgaben erhöhen will, befindet sich in ei- langsam aus der Verantwortung stiehlt. Nur so ist das
nem Widerspruch. Das sollte man normalerweise bereits Gerede zu verstehen, der effiziente Mitteleinsatz sei
als Kind gelernt haben, das mit dem Taschengeld umzu- wichtiger, als irgendeine Quote zu erreichen.
gehen hat. Dieses Versäumnis müsste nachgeholt wer-
den. Sich über beides aufzuregen, hat mit Entwicklungs- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
politik nichts zu tun. Das ist eher Entrüstungspolitik. Wer oder was hindert Sie eigentlich daran, viel Geld in
Wenn sich der eine oder andere als entrüstungspoliti- die Hand zu nehmen und dieses Geld effektiv und sinn-
scher Sprecher seiner Fraktion hier bewerben will, dann voll auszugeben?
kann er das tun.
(Harald Leibrecht [FDP]: Das machen wir
Ich habe den Eindruck, dass wir mit diesem Haus- doch jetzt!)
haltsplan ein Dokument deutscher Zukunftsverantwor-
tung vorgelegt haben. Das sollten wir nicht kritisieren, Niemand, also wir jedenfalls nicht!
und darüber sollten wir nicht lamentieren. Wir sollten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
das eher feiern. Herr Minister Niebel macht gute Arbeit,
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
und er verdient die breite Unterstützung eigentlich des
KEN)
gesamten Hauses.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Gegenteil: Wir haben entsprechende Vorschläge ge-
macht. Sie haben es geschafft, den Haushaltstitel „Be-
obachtung und Überprüfung der deutschen entwick-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lungspolitischen Zusammenarbeit“ um die Hälfte zu
Das Wort hat jetzt Priska Hinz für Bündnis 90/ kürzen. Sie wollen anscheinend gar nicht wissen, wie ef-
Die Grünen. fektiv Ihre Mittel eingesetzt werden. Das ist ein zweites
Armutszeugnis.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
NEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Be- Hinter Ihren Ausflüchten steckt etwas anderes. Sie
ginn der Haushaltsberatungen konnte man noch darauf wissen schon jetzt: Das 0,7-Prozent-Ziel können Sie
hoffen, dass sich die Koalition auf die internationalen nicht erreichen. Deswegen muss man schon einmal an-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2813
Priska Hinz (Herborn)
(A) fangen, das Ganze schönzureden. Das ist das Problem. glaube, das ist wahrscheinlich dieser langjährigen Forde- (C)
2015 – wahrscheinlich werden Sie dann nicht mehr re- rung, das Entwicklungsministerium abzuschaffen, ge-
gieren; wir arbeiten jedenfalls darauf hin – geht es nach schuldet. Weder ist Ihr Wunsch aufgenommen worden,
dem Motto: Nach mir die Sintflut; die neue Regierung einen eigenständigen Haushaltstitel für Haiti einzurich-
soll doch sehen, wo sie bleibt. Herr Klein, das dient we- ten,
der den internationalen noch den deutschen Interessen –
(Helga Daub [FDP]: Man braucht doch nicht
ich erinnere an die globalen Verpflichtungen, die wir
immer einen eigenständigen Titel!)
eingegangen sind und die Sie hier vorhin so schön zitiert
haben –, im Gegenteil. Es hilft weder Deutschland noch noch ist Ihrem Wunsch entsprochen worden, die Unter-
der Welt insgesamt, wenn wir unsere Verpflichtungen stützung für UN-Programme nicht zu kürzen. Hier gab
nicht einhalten und nicht global dafür sorgen, dass Ar- es ja den ausdrücklichen Hinweis: Das gibt Probleme im
mut erfolgreich bekämpft wird, dass es mehr Sicherheit Hinblick auf einen eigenen Sitz im Sicherheitsrat. Sie
gibt und dass der Klimaschutz verbessert wird. können sich nicht durchsetzen, nicht einmal bei Ihren ei-
genen Leuten. Wie soll das denn erst werden, wenn Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
diese Aufgabe auf dem internationalen Parkett wahrneh-
Zum zweiten Wortbruch. Bundeskanzlerin Merkel hat men sollen?
in Kopenhagen jährlich 420 Millionen Euro zugesagt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
70 Millionen Euro sind in diesen Haushalt eingestellt;
SES 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht
35 Millionen Euro entfallen auf den Haushalt des BMU
[FDP]: Das wird er gut machen!)
und 35 Millionen Euro auf den Haushalt des BMZ. Na-
türlich wurde erst einmal versucht, diese Mittel dadurch Ich sage Ihnen: So wird das nichts mit Ansehen und
aufzubringen, dass man in einem anderen Topf streicht, Glaubwürdigkeit im Amt und der Durchsetzung der Ent-
dass man also einfach umschichtet. Daraufhin musste es wicklungsinteressen.
im Haushaltsausschuss eine Krisensitzung geben,
Wenn Sie schon keine Steigerung der Barmittel errei-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer redet denn von chen konnten, dann hätten Sie sich wenigstens um inno-
Krisensitzung? Sie haben eine Krise!) vative Finanzierungsinstrumente kümmern sollen, wie
wir sie unter anderem vorgeschlagen haben, und dann
weil wir Ihnen diese Peinlichkeit vor Augen geführt ha-
sollten Sie sich auch nicht gegen eine Finanztransak-
ben, in die Frau Merkel und ihre Regierung kommen,
tionsteuer aussprechen, wie unter anderem wir sie zur
wenn sie diese Zusage noch nicht einmal in Ansätzen
Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit einfüh-
einhalten.
ren wollen.
(B) In diesem Haushalt werden also 70 Millionen Euro (D)
(Harald Leibrecht [FDP]: Den Bürger noch
bereitgestellt; aber das wird Ihnen nicht helfen. Auf dem
mehr belasten!)
internationalen Parkett ist Bundeskanzlerin Merkel mit
ihrer Koalition im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und Herr Klein, uns können Sie nicht vorwerfen, dass wir
Ansehen gesunken, und das, wie ich finde, zu Recht. nur vom Sparen reden, aber in Wirklichkeit mehr ausge-
ben wollten. Wenn man unsere Vorschläge verwirklichen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
würde, bliebe man 7 Milliarden Euro unter dem Neuver-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
schuldungsbetrag, mit dem die Regierung plant und den
Stichwort: Glaubwürdigkeit, Ansehen und Durch- die Koalitionsfraktionen beschließen wollen. Zugleich
setzungsfähigkeit des neuen Entwicklungshilfeminis- haben wir Vorschläge gemacht, wie wir 2,2 Milliarden
ters. Euro in Form von Barmitteln und zinsvergünstigten Kre-
diten für die Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg
(Harald Leibrecht [FDP]: Ohne „-hilfe-“!)
bringen können.
– Entwicklungsminister. Danke schön! –
(Harald Leibrecht [FDP]: Alles Luftbuchun-
Zu Recht leidet Ihr Ansehen darunter, dass Ihre Partei gen!)
das Ressort abschaffen wollte.
Das ist der richtige Weg; denn so könnten wir das 0,51-
(Zuruf von der FDP: Stimmt ja gar nicht!) Prozent-Ziel in diesem Jahr tatsächlich erreichen.
– Das müssen Sie sich schon anhören! – Statt peinliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Personalpolitik zu betreiben, müssten Sie, Herr Minister, sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider-
da Sie ja unter besonderer kritischer Beobachtung ste- spruch des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU])
hen, jetzt sehr viel Elan dahin gehend entwickeln, das
Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen kom-
0,7-Prozent-Ziel on the long way zu erreichen,
men: In den ganzen Diskussionen um den Haushalt des
(Harald Leibrecht [FDP]: Long run!) BMZ, bei denen Sie ja immer von einem angeblich so
riesengroßen Aufwuchs sprechen,
und sich kräftig dafür einsetzen, dass ein entsprechen-
der Aufwuchs bei diesem Haushalt in Höhe von über (Volkmar Klein [CDU/CSU]: Der ist wirklich
2 Milliarden Euro geschieht. so groß!)
Was machen Sie? Sie besitzen noch nicht einmal wurde überhaupt nicht bemerkt, dass Sie die Verpflich-
Durchsetzungsfähigkeit in Ihren eigenen Reihen. Ich tungsermächtigungen um 10 Prozent kürzen. Das
2814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Priska Hinz (Herborn)


(A) heißt, Verpflichtungen in Höhe von 400 Millionen Euro Wir müssen allerdings auch immer wieder betonen: (C)
können nicht rechtlich bindend eingegangen werden. Entwicklungspolitik ist nicht nur im Interesse unserer
Diese Kürzung ist insgesamt größer als der Aufwuchs in Partner, sondern auch im vitalen deutschen Interesse,
Höhe von 189 Millionen Euro, den Sie hier immer so und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen. Vielmehr ist
preisen. Deswegen ist festzuhalten: Es handelt sich ein- der BMZ-Haushalt der zweitgrößte Investitionshaushalt
mal mehr nicht um ein Nullsummenspiel, sondern um ei- der Bundesrepublik Deutschland und sichert mehrere
nen Rückgang der Mittel für die Entwicklungszusam- Hunderttausend Arbeitsplätze in unserem eigenen Land.
menarbeit. Das sollten Sie sich hinter die Ohren Deswegen ist der Haushalt des BMZ auch ein wichtiges
schreiben. Das ist ein Armutszeugnis für diese Koalition. Instrument bei der Bekämpfung der derzeitigen globalen
Krise, und zwar sowohl in Deutschland als auch interna-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – tional.
Norbert Barthle [CDU/CSU]: Machen Sie
keine Milchmädchenrechnung auf! Sie verun- Zur Kritik der Opposition möchte ich eines sagen
sichern die Menschen! Das ist doch unred- – ich sage das immer wieder mit Freude und auch im In-
lich!) teresse unseres ehemaligen Koalitionspartners, der sich
nicht immer von seinen eigenen Erfolgen distanzieren
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ha- sollte –: Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der
ben einen Haushalt mit Rekordverschuldung vorgelegt. Entwicklungshaushalt in den letzten vier Jahren um
Sie schaffen es aber nicht, zwei zentrale internationale 50 Prozent angewachsen, und die Ausgaben für Klima-
Zusagen Deutschlands einzuhalten. Das ist bitter für die schutz, Hungerbekämpfung und die Bewahrung der
Entwicklungsländer, bitter für den Klimaschutz, bitter Schöpfung sind stets gestiegen.
für das Ansehen und das Gewicht Deutschlands auf der (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sagen Sie das dem
internationalen Bühne. Meine Damen und Herren von Herrn Klein mal!)
Schwarz-Gelb, Sie können es einfach nicht!
Eine Steigerung um 50 Prozent hat nie ein anderer Haus-
Danke schön. halt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschafft. Deswegen, Frau Wieczorek-Zeul, habe ich Ih-
nen immer unterstellt, dass Sie sehr froh waren – zu
sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei
Recht –, als Bundeskanzler Schröder endlich durch Bun-
Abgeordneten der CDU/CSU – Harald
deskanzlerin Angela Merkel ersetzt worden ist.
Leibrecht [FDP]: Und ihr dürft es nicht!)
(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Und wo ist sie
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: jetzt?)
(B) Der Kollege Dr. Christian Ruck hat jetzt das Wort für Die christlich-liberale Koalition hat dafür gesorgt, (D)
die CDU/CSU-Fraktion. dass – das ist schon angesprochen worden – 2010 ein
Entwurf des Haushalts vorgelegt wurde, der eine Steige-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und rung von 256 Millionen Euro gegenüber dem Haushalt
der FDP – Holger Haibach [CDU/CSU]: End- 2009 aufweist. Ich verstehe eines nicht, Frau Kofler: Sie
lich einer, der etwas von der Sache versteht!) müssen doch, wenn Sie mit den Zahlen spielen, erken-
nen, wie groß der Aufwuchs gegenüber dem letzten Ent-
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): wurf unserer gemeinsamen Regierung war. Unser letzter
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- gemeinsamer Haushalt hat einen Aufwuchs von genau
legen! Ich beginne mit dem, was uns alle eint: Für uns 23 Millionen Euro vorgesehen. Jetzt ist die Steigerung
alle ist Entwicklungspolitik ein zentrales Element für die elfmal so hoch. Deswegen fassen Sie sich am besten an
Zukunftssicherung auf unserem Planeten. Deswegen ist Ihre eigene Nase. Wir sind jedenfalls ohne Sie um das
unser Entwicklungshaushalt auch ein Kernelement für Elffache weitergekommen, als wir es mit Ihnen wären.
Deutschlands globale Verantwortung in der Welt. Wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
man so will, ist der Entwicklungshaushalt das Aushän- Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man soll
geschild dafür, wie unser Land Solidarität und Verant- nur Vergleichbares miteinander vergleichen!
wortung in der Welt ausübt. Diese globale Verantwor- Sie haben schon von einem überrollten Haus-
tung besteht zum Beispiel in der Prävention von Krisen, halt gehört? Das ist nicht seriös, was Sie ge-
in der Prävention von Migration, in der Bekämpfung von rade machen!)
Armut und Unterdrückung und in der Sicherung des bio- – Herr Binding, ich bin Ihrer Meinung: Wir sollten seriös
logischen und kulturellen Erbes der Welt. bleiben. Ich gehe davon aus, dass wir auf diese 23 Mil-
Ich möchte zu den Zahlenspielereien eines ganz klar lionen Euro noch etwas draufgesattelt hätten. Aber trotz-
sagen: Wir sind inzwischen der zweitgrößte Geber von dem verwahre ich mich gegen die ungerechtfertigte Kri-
Entwicklungshilfe in der ganzen Welt. Das ist eine Leis- tik, dass wir in dieser schwierigen Lage überhaupt nichts
tung, die wir von niemandem kleinreden lassen werden. geleistet hätten. Ich verwahre mich auch gegen die Be-
hauptung, dass der letzte Haushalt so toll gewesen wäre.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, unsere Haushälter und unsere Arbeitsgrup-
pen haben hier ganze Arbeit geleistet. Das ist ein guter
Als zweitgrößter Geber tragen wir öffentlich Verantwor- Start für die neue Koalition.
tung und sind öffentlich der Solidarität verpflichtet. Das
wird auch in den kommenden Jahren so bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2815
Dr. Christian Ruck
(A) Eines muss man doch auch einmal sagen: Erst mit lich erhöht. Wir haben die Mittel für Bildung und Aus- (C)
dem Amtsantritt der Kanzlerin haben die vitalen Zu- bildung und für die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
kunftsfragen der Menschheit, nämlich Klima, Umwelt ebenfalls deutlich erhöht. Wir unterstützen mehr denn je
und Entwicklungspolitik, auch international wieder den die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, der Kir-
nötigen Rückenwind bekommen, Frau Koczy. Jeder chen und Stiftungen. Vor allem fördern wir – dieses
sieht doch, wie riskant zum Beispiel Ankündigungen vor Thema liegt mir sehr am Herzen – die Biodiversität und
oder nach Kopenhagen sind. Ebenso sieht jeder, dass es den Klimaschutz.
sehr riskant ist, auf internationalem Parkett mit einer sol-
chen Vorlage aufzutreten, wie es die Kanzlerin und diese Für die ländliche Entwicklung haben wir 500 Millio-
Bundesregierung getan haben. Wenn man aber nicht al- nen Euro veranschlagt. Bei der Bildung als Schlüssel zur
les erfüllt, dann schreit die Opposition sofort, dass man Selbstbestimmung wurden die Mittel auf 200 Millionen
hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Euro fast verdoppelt. Bei der nachhaltigen Wirtschafts-
entwicklung ist es ganz wichtig – auch das war einmal
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE ein gemeinsames Anliegen –, dass wir den Aufbau des
GRÜNEN]: Sie sind nicht hinter unseren Er- privaten Sektors und des Mittelstandes tatkräftig unter-
wartungen, sondern hinter Ihren Zusagen zu- stützen. Das kann zum Beispiel durch Mikrofinanzierun-
rückgeblieben! Das ist absurd!) gen, aber auch durch umfangreiche Infrastrukturmaß-
nahmen, die für den Aufbau der Privatwirtschaft
Deshalb frage ich Sie: Welche Erwartungen hatten Sie genauso wichtig sind, geschehen.
früher? Was Sie von den Grünen damals im BMZ zur
Zeit der rot-grünen Regierung gemacht haben, war alles Hinsichtlich des Umwelt- und Ressourcenschutzes
andere als grüne Politik. Sie haben vielmehr eine mick- gibt es ja die tollsten Kapriolen. Als damals die Grünen
rige Leistung abgeliefert. die Regierungsverantwortung verloren hatten und wir in
die Regierung eingetreten sind, waren gerade einmal
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 25 Millionen Euro für die Erhaltung der Schöpfung, also
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich für die Biodiversität, im Haushalt eingestellt. Frau
möchte auf Ihren Fraktionsvorsitzenden Steinmeier zu- Wieczorek-Zeul, ich weiß das deswegen noch so genau,
rückkommen. Zwar will ich seine Rede nicht in Gänze weil wir uns damals gefragt haben, was wir mit diesem
kommentieren, aber ich finde, dass er an einer Stelle et- Plafond bewirken können. Jetzt wird in diesem Haushalt
was sehr Wichtiges gesagt hat. Er hat nämlich gesagt, mehr als das Zehnfache dafür eingestellt.
dass auch die Sozialdemokraten nicht so tun, als befän- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den wir uns nicht in der schwersten Krise seit Bestehen
(B) der Bundesrepublik Deutschland. Ich möchte Sie daher fragen: Was haben Sie während Ih- (D)
rer Regierungszeit in diesem Bereich zustande gebracht?
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber die Ent-
wicklungsländer auch!) (Holger Haibach [CDU/CSU]: Da gibt es
keine Zwischenrufe!)
Ich sage ganz ehrlich, dass es überhaupt nichts schönzu-
reden gibt. Wir werden Schwierigkeiten haben, in den Wir haben für Umwelt- und Ressourcenschutz fast
nächsten Jahren unsere selbst gesteckten Ziele zu errei- 1 Milliarde Euro im BMZ-Haushalt eingestellt. Wir ha-
chen, weil uns die Krise unsere eigenen Pläne ziemlich ben zum Beispiel auch die Mittel, die wir für die Global
verhagelt hat. Environmental Facility bereitstellen, um fast 100 Pro-
zent erhöht, Frau Koczy. Es macht nichts, wenn Sie das
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es lei- eine oder andere nicht mitbekommen haben. Darum sage
der!) ich es hier. Aber ich bitte darum, dass Sie das entspre-
Ich sage an dieser Stelle aber auch: Wir werden diese chend würdigen.
Pläne nicht aufgeben. Sie stehen im Koalitionsvertrag. Anhand dieser Zahlen sieht man: Wir halten unser
Wir werden versuchen, durch mehr Fantasie die notwen- Wort in Bezug auf die Fast-Start-Initiative, die in Kopen-
digen Mittel aufzubringen. Das ist weiterhin unser Ziel hagen verabredet worden ist. Es sind genau 350 Mil-
für 2015. lionen Euro dafür eingestellt, die schon veranschlagt
Ich möchte noch ein paar strukturelle Dinge zur Dis- worden waren. Obendrauf kommen noch einmal 70 Mil-
kussion stellen. Es war uns ein großes Anliegen, dass wir lionen Euro.
in diesem Haushalt neue Akzente bzw. Akzente – das Lassen Sie mich noch etwas zu einem sehr aktuellen
sage ich an die Adresse unseres ehemaligen Koalitions- Thema sagen, nämlich zu Haiti. Man kann sicher da-
partners –, die wir uns damals gemeinsam vorgenommen rüber diskutieren, ob man hier oder da noch mehr hätte
hatten, setzen. Ich verstehe die diesbezüglich geäußerte machen können. Aber die entscheidende Frage ist doch
Kritik nicht. Ich halte es nicht für besonders gelungen, eine andere: Es gibt Situationen, in denen mehr Hilfe
dass man nach vier Jahren guter Zusammenarbeit inner- keinen Sinn hat. Wir müssen vielmehr längerfristiger
halb von drei Monaten alles vergisst, was man einmal denken.
gemeinsam machen wollte.
(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Im Haushalt der neuen Koalition ist eine neue Ent-
wicklungsoffensive zu Afghanistan gestartet worden. – Genau. – Wir müssen uns fragen, warum Haiti in ei-
Wir haben die Mittel für die ländliche Entwicklung deut- nem so katastrophalen Zustand war, dass es mit dieser
2816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Christian Ruck


(A) Krise überhaupt nicht zurechtgekommen ist. Das führt ber deutsche Lehrer einstellen. Von Ihnen habe ich gar (C)
mich wieder zu einer Steigerung, und zwar der Steige- nicht erwartet, dass Sie für einen großen Etat kämpfen.
rung der Mittel zum Beispiel für Stiftungen und Kirchen
Aber dass sich die Bundeskanzlerin, die sich bei je-
um 63 Millionen Euro. Wir müssen uns im Zusammen- dem Kirchentag und bei jedem internationalen Auftritt
hang mit den entwicklungspolitischen Mitteln auch mit mit Künstlern wie Bono immer wieder hat feiern lassen
fragilen Staaten, mit Staaten, die am Rande des Zusam- und gesagt hat, sie stehe zu dem Ziel der ODA-Quote
menbruchs stehen und weiße Flecken der Ordnung auf von 0,51 Prozent im Jahre 2010, jetzt klammheimlich
diesem Planeten sind, stärker auseinandersetzen. Das ist aus der Verantwortung davongestohlen hat, ist unerhört.
vor allem eine Aufgabe für die Stiftungen und die Kir- Sie hat schon in Kopenhagen in Bezug auf den Klima-
chen, die auch in einem Terrain arbeiten können, in dem schutz Ankündigungen gemacht, die sie nicht hält, und
die bilaterale Zusammenarbeit nicht funktionieren kann, jetzt geschieht das Gleiche bei der Entwicklungszusam-
weil es keinen demokratisch legitimierten Ansprechpart- menarbeit. Das ist Kontinuität in der Lüge. Wenn
ner gibt. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, da Pinocchio eine Schwester hätte, dann würde sie Angela
einige entscheidende Weichen zu stellen. heißen.
Wir werden die Entwicklungspolitik auch in den (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der
nächsten Jahren sowohl qualitativ als auch quantitativ CDU/CSU und der FDP)
voranbringen. Wir werden das Schritt für Schritt und mit
Wenn wir wollen, dass die Entwicklungsländer uns
Fantasie tun. Nur so werden wir die globalen Herausfor- beim Klimaschutz und bei internationalen Verhandlun-
derungen meistern können. gen vertrauen, dann müssen wir ihnen die Mittel zur Ver-
Vielen Dank. fügung stellen, die wir ihnen zum Teil schon seit den
70er-Jahren versprochen haben. Nichts davon ist zu se-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hen. Was 2015 angesichts dessen, dass der Entwick-
lungsminister die Finanztransaktionsteuer ablehnt,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Harald Leibrecht [FDP]: Sehr vernünftig!)
Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat das Wort für die
Fraktion der SPD. geschehen soll, ist mir schleierhaft.
Herr Minister Niebel, jetzt komme ich zu Ihnen. Wir
Dr. Sascha Raabe (SPD): waren letzte Woche gemeinsam auf Dienstreise in Viet-
nam und Kambodscha. Vielleicht sagen Sie im An-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen schluss in Ihrer Rede auch noch etwas dazu. Ich will
und Kollegen! Lieber Herr Ruck, lieber Herr Klein, Sie aber schon einmal den ersten Teil des Reiseberichts lie- (D)
(B) versuchen hier, den kümmerlichen Aufwuchs dieses
fern. Der Fairness halber ist zu sagen: Die Länder und
Haushaltes die Programmpunkte waren gut ausgewählt. Wir haben
(Helga Daub [FDP]: Aufwuchs! Aufwuchs!) uns vom zivilen Friedensdienst über die Förderung der
ländlichen Entwicklung, eine nachhaltige Wirtschafts-
mit einem vermeintlichen Entwurf aus dem letzten Jahr entwicklung und die Gesundheit bis hin zu den Frauen-
zu vergleichen, der nie in das Parlament – dann können rechten vieles angeschaut; das alles war in Ordnung.
wir das Parlament auch auflösen – eingebracht worden Auch die Gespräche mit den politischen Entscheidungs-
ist. Man kann aber nur das vergleichen, was vergleichbar trägern von Regierung und Parlament waren gut. Sie ha-
ist. Das war ein überrollter Haushalt, der vor der Bun- ben in Ihren einleitenden Sätzen durchaus die richtigen
destagswahl nicht mehr in das Parlament eingebracht Worte gewählt. Sie haben immer darauf hingewiesen,
wurde. dass gute Regierungsführung in den Partnerländern
wichtig ist, und das unterstütze ich. Die Themen Men-
Fakt ist, dass wir in den letzten beiden Jahren einen schenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und der
Aufwuchs von über 14 Prozent hatten. Jetzt kommen Sie Kampf gegen die Korruption haben wir zu Recht ge-
mit nur knapp 4 Prozent daher und wollen kaschieren, meinsam angesprochen; denn die Mittel aus der Ent-
dass der Entwicklungsminister und die Kanzlerin ein wicklungszusammenarbeit sollen bei den Ärmsten an-
Versprechen bzw. eine Zusage an die ärmsten Menschen kommen und nicht in den Taschen der Regierenden und
dieser Welt nicht eingehalten haben. Das werden wir Eliten landen.
nicht durchgehen lassen. Dieser Haushalt ist und bleibt Sie haben ausgeführt, dass Sie das in Kambodscha
eine Schande für Deutschlands Ansehen in der Welt und noch prominenter als in Vietnam angesprochen haben,
ein Schlag ins Gesicht der Ärmsten der Armen. weil sich Kambodscha als Demokratie versteht. Sie be-
(Beifall bei der SPD – Harald Leibrecht [FDP]: Sie gründen das damit, dass Kambodscha einen höheren
sprechen hier von Steuergeldern!) Anspruch als Vietnam habe, das sowieso nur ein Einpar-
teiensystem habe und in dem keine freien Wahlen statt-
Ich kritisiere jetzt bewusst die Kanzlerin. Von Ihnen, finden würden. Man kann dieser Logik folgen. Wenn
Herr Entwicklungsminister – das habe ich schon bei der man ihr aber folgt, dann muss man auch berücksichtigen,
Einbringung des Haushalts gesagt –, bin ich nicht ent- dass es in Kambodscha nach dem Terror der Roten
täuscht; denn von Ihnen habe ich nichts anderes erwar- Khmer und der Besetzung durch Vietnam erst seit 1993
tet. Sie wollten das Ministerium abschaffen. Sie haben freie Wahlen gibt. Es ist eine sehr junge Demokratie, die
noch vor einem Jahr gesagt, Entwicklungshilfe für sich erst in der 4. Legislaturperiode befindet. Wir haben
Afrika sei verpulvertes Steuergeld, dafür solle man lie- zu Recht trotzdem gemahnt und den Finger gehoben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2817
Dr. Sascha Raabe
(A) Allerdings frage ich mich, was passiert, wenn unsere Ich möchte nicht missverstanden werden: Natürlich (C)
Gesprächspartner, die wir zu einem Gegenbesuch einge- sind die Zustände in Kambodscha mit denen in Deutsch-
laden haben, nach Deutschland kommen und zu Recht land nicht vergleichbar.
die Erwartungshaltung haben, dass ein demokratischer
Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, die seit 1949 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
besteht und sich in der 17. Legislaturperiode befindet,
Herr Raabe.
eine lupenreine Demokratie mit guter Regierungsfüh-
rung sein müsste. Herr Niebel, Sie werden mir zustim-
men, dass in Deutschland, in einem etablierten, jahr- Dr. Sascha Raabe (SPD):
zehntelang währenden demokratischen Staat und einer Aber wir müssen einen höheren Maßstab an uns anle-
reichen Nation, die sich einen öffentlichen Dienst etc. gen. Wenn wir gegenüber unseren Partnerländern glaub-
leisten kann, ein höherer Maßstab als in Kambodscha würdig sein wollen und dort eine gute Regierungsfüh-
angelegt werden muss. Wenn das aber so ist, wie soll ich rung einfordern, –
dann meinem kambodschanischen Parlamentskollegen
erklären, warum unser Entwicklungsminister Niebel in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
seinem Ministerium fast alle wichtigen Leitungsfunktio-
Herr Raabe!
nen mit Parteifreunden besetzt hat und sogar extra eine
neue Abteilung zur Versorgung von FDP-Parteifunktio-
nären geschaffen hat? Dr. Sascha Raabe (SPD):
– dann müssen wir vor unserer eigenen Haustür kehren.
(Helga Daub [FDP]: Das kennen wir schon! –
Holger Haibach [CDU/CSU]: Die SPD hat das (Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet
nie gemacht! – Hartwig Fischer [Göttingen] sich zu einer Zwischenfrage)
[CDU/CSU]: Bei Ihnen hat es das nie gege- Mein letzter Satz konkret zum Haushalt. Wir befinden
ben!)
über den Personalplan und die Finanzierung der Stellen
Was soll ich meinem kambodschanischen Parlaments- im Ministerium.
kollegen erklären, wenn er mich fragt, welche Einflüsse (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
in Deutschland von außen auf die Gesetzgebung möglich Ein Raabe macht noch keine Demokratie! –
sind und wie sich die Parteien finanzieren?
Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
(Harald Leibrecht [FDP]: Da lachen ja die und der FDP)
Hühner!)
(B) Wie soll ich ihm erklären, dass die Regierungspartei Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
FDP 1,1 Millionen Euro von der Hotellobby gespendet Herr Raabe, wenn Sie noch innerhalb Ihrer Redezeit
bekommen hat – die höchste Spende ihrer Geschichte – gewesen wären, dann hätte ich Sie gefragt, ob Sie eine
und CDU und CSU zusammen 800 000 Euro bekommen Zwischenfrage zulassen wollen. Sie sind aber so weit au-
haben und sie danach ein Gesetz auf den Weg gebracht ßerhalb Ihrer Redezeit, dass ich das nicht mehr fragen
haben, mit dem den Hotellobbyisten über 1 Milliarde kann. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Euro geschenkt wurde? Ich kann es nicht erklären.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
(Harald Leibrecht [FDP]: Das müssen Sie Ich komme zum Ende. – Damit kein falscher Ein-
auch nicht!)
druck entsteht: Ich würde gerne den Mitteln für den Per-
Ich kann dies vor allen Dingen nicht mit guter Regie- sonaletat des Ministeriums zustimmen, weil es dort viele
rungsführung erklären. In jedem anderen Land der Welt gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Aber was die
würde man ein solches Vorgehen in die Nähe von Kor- unzähligen Versorgungsposten für Parteifreunde auf Lei-
ruption rücken. tungsebene angeht, sage ich: Wir machen da nicht mit.
Der Fisch stinkt vom Kopf her. Schon allein deshalb
Wenn mich mein kambodschanischer Kollege fragt, werden wir dem Haushalt nicht zustimmen. In diesem
was man denn in Deutschland tun muss, um als Unter- Sinne können Sie auf unsere Ablehnung zählen.
nehmer einem Ministerpräsidenten ein wichtiges Anlie-
gen vorzutragen, dann kann ich ihm sagen: Du hast zwei Ich würde mir wünschen, Herr Minister, dass wir in
Möglichkeiten. Du kannst entweder beim Büro des Mi- Deutschland dafür sorgen, dass gute Voraussetzungen
nisters um einen Termin bitten. Vielleicht hast du Glück bezüglich unserer Glaubwürdigkeit herrschen, bevor wir
und kannst einen Staatssekretär sprechen. Wenn du ganz das nächste Mal zusammen ins Ausland reisen. Wir in
viel Glück hast, kannst du nach vielen Monaten auch den Deutschland müssen mit gutem Beispiel vorangehen und
Ministerpräsidenten sprechen. Oder du zahlst 6 000 Euro für eine saubere Trennung von Partei- und Regierungs-
an die Parteikasse der CDU, dann bekommst du spätes- ämtern sorgen.
tens beim nächsten Parteitag ganz sicher die Möglichkeit
zu einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. Vielen Dank.

(Helga Daub [FDP]: Sprechen Sie zum Haus- (Beifall bei der SPD)
halt! – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Zum
Thema Entwicklungshilfe haben Sie nichts zu Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sagen?) Zu einer Kurzintervention Barbara Hendricks.
2818 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(A) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Wir setzen ganz bewusst auf eine Stärkung der (C)
Herr Kollege, Sie haben darüber gesprochen, wie man Zivilgesellschaft. Wir stärken die Kirchen, die Nicht-
an Termine für ein Gespräch mit einem Ministerpräsi- regierungsorganisationen und – das sage ich ganz aus-
denten kommt. Ich darf Sie kurz darauf aufmerksam ma- drücklich – alle politischen Stiftungen, weil wir der fes-
chen, dass zum Beispiel der Ministerpräsident des Lan- ten Überzeugung sind, dass in vielen Ländern, in denen
des Rheinland-Pfalz, Herr Kurt Beck, alle vier Wochen man aus guten Gründen vielleicht nicht auf bilateraler
eine Bürgersprechstunde abhält, zu der jeder hinkommen Ebene arbeiten sollte, die politischen Stiftungen, die Kir-
kann. chen, aber auch NGOs Zugänge haben und Strukturen
schaffen können, die in der Zeit nach einer Diktatur viel-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Holger leicht dazu beitragen können, dass sich die Gesellschaft
Haibach [CDU/CSU]: Das ist eine entwick- weiterentwickeln kann. Auch das ist ein Grund, warum
lungspolitisch maßgebliche Aussage! Leute!) gerade hier ein Aufwuchs stattfinden soll. Dieses Instru-
ment sollte man intensiver nutzen.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Frau Kollegin, nur ganz kurz: Sie wissen natürlich,
dass ich den Ministerpräsidenten von Nordrhein-West- Diese Bundesregierung stärkt ausdrücklich auch die
falen, Herrn Rüttgers, gemeint habe. Als Sozialdemokrat Zusammenarbeit mit der mittelständischen deutschen
kann ich sagen, dass wir da ein anderes Verständnis ha- Wirtschaft, in diesem Fall mit zusätzlich 10 Millionen
ben. Ich war einmal Bürgermeister, und auch ich habe Euro.
eine offene Sprechstunde angeboten. Ich glaube, das ist
der richtige Weg. Ich werde meinem kambodschani- (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
schen Parlamentskollegen sagen, dass wir Politiker auch – Sie können gerne Zwischenfragen stellen, insbeson-
ohne Parteispenden gerne für Gespräche mit Bürgern, dere zum Personal. Ich habe die Lebensläufe der Mit-
mit Menschenrechtlern und selbstverständlich auch mit arbeiter dabei, die Sie hier so schändlich angegriffen ha-
Unternehmern zur Verfügung stehen. ben, ohne dass sie sich verteidigen konnten, meine liebe
(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Und auf diese Frau Kollegin.
billige Show sind Sie jetzt auch noch stolz! – (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Norbert Barthle [CDU/CSU]: Peinlich! Pein-
lich!) Wir setzen ausdrücklich auch auf das Engagement der
deutschen Wirtschaft, weil es unser Ziel ist, unsere Part-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nerländer dahin gehend zu entwickeln, dass sie im Ideal-
(B) fall nicht mehr auf unsere Hilfe angewiesen sind. Das (D)
Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel. heißt, wir verlagern den Schwerpunkt in Richtung der
(Beifall bei der FDP) Förderung des Wirtschaftswachstums in unseren Part-
nerländern, damit sich dort eine eigenständige Wirt-
schaft entwickeln kann. Die Chance auf ein eigenes
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
Einkommen ist ein wesentlich besserer Beitrag zur Ar-
sammenarbeit und Entwicklung:
mutsbekämpfung als jede noch so gut gemeinte Hilfe-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und leistung durch das Verteilen von irgendwelchen Wohl-
Herren! Zuallererst möchte ich den Kolleginnen und taten.
Kollegen des Haushaltsausschusses, insbesondere Frau
Hinz, Herrn Klein, Herrn Binding, Herrn Koppelin und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nicht zuletzt Herrn Bartsch, danken für die kooperative
Zusammenarbeit und für das Verständnis, das dafür Wir wollen, dass unsere Entwicklungspolitik weltweit
sorgte, dass es in der Bereinigungssitzung insbesondere sichtbarer wird, nicht nur, weil wir glauben, dass unsere
zu früher Morgenstunde noch bestimmte, wichtige Ent- Bürgerinnen und Bürger, die unser Engagement durch
scheidungen gegeben hat. Allerdings würde ich mir Steuern zu finanzieren haben, einen Anspruch darauf ha-
wünschen, dass die Erinnerung an die Zeit in politischen ben, dass man unser Engagement nachvollziehen kann,
Jugendorganisationen, wo die wichtigsten Entscheidun- sondern auch, weil wir wissen, dass wir durch Wirksam-
gen auch immer erst morgens getroffen wurden, in Zu- keit und Sichtbarkeit immer wieder die Zustimmung der
kunft aus dem Haushaltsausschuss verbannt wird. Wir Menschen in unserem Land gewinnen müssen, damit wir
könnten eigentlich schon drei Stunden früher fertig wer- viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investie-
den, wenn ich das so ehrlich sagen darf. ren können. Nicht jeder erkennt sofort, dass vieles auch
im deutschen Interesse ist.
(Beifall bei der FDP)
Ich wundere mich über manche Diskussionsbeiträge,
Nichtsdestotrotz waren die letzten Entscheidungen die hier geboten wurden, insbesondere von Ihnen, Herr
die besten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich in die- Raabe. Sie waren einmal Bürgermeister. Gehen Sie ein-
sem Haushalt ein Politikwechsel in der Entwicklungs- mal in eine Gemeinde, einen Kreis, eine Stadt und erzäh-
politik widerspiegelt. Es ist der ausdrückliche Anspruch len Sie dort von diesem vermeintlich schändlichen, ge-
dieser neuen Bundesregierung, Dinge anders zu machen. ringen Aufwuchs von 256 Millionen Euro. Erzählen Sie
Wir setzen andere Schwerpunkte. Dies können Sie in das einmal einem Kommunalpolitiker, der nicht weiß,
diesem Haushalt erkennen. wie er die Löcher zu Hause schließen soll.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2819
Bundesminister Dirk Niebel
(A) (Holger Haibach [CDU/CSU]: Der erzählt Weil manche nicht lesen können oder wollen, möchte (C)
noch ganz andere Sachen!) ich aus dem Hamburger Abendblatt vom 6. März dieses
Jahres zitieren. Die Frage des Abendblattes an mich lau-
Wir müssen wirksam, sichtbar, erfolgreich und effizient tete:
sein, damit uns die Bürgerinnen und Bürger immer wie-
der ihr Vertrauen geben, wenn wir zusätzliche Steuermit- Rücken Sie langsam vom 0,7-Prozent-Ziel ab?
tel im Bereich der Entwicklungspolitik einsetzen.
Meine Antwort war:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Bundesregierung hält ausdrücklich an diesem
Ziel fest. Es wird nur sehr sportlich, es zu erreichen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Niebel, möchten Sie eine Zwischenfrage des Wer die Daten kennt, weiß, dass das stimmt. Wir hal-
Kollegen Raabe zulassen? ten an dem Ziel fest. Es steht im Koalitionsvertrag, und
die Bundeskanzlerin hat es in der Regierungserklärung
gesagt. Aber es wird sportlich, es zu erreichen. 2008 lag
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
die ODA-Quote bei 0,38 Prozent. Wir haben jetzt der
sammenarbeit und Entwicklung:
OECD den vorläufigen Wert für 2009 gemeldet. Die
Ja, aber selbstverständlich. ODA-Quote ist auf 0,35 Prozent gesunken. Das habe
nicht ich in den zwei Monaten meiner Amtszeit erreicht;
Dr. Sascha Raabe (SPD): da können Sie sicher sein.
Herr Niebel, nur ganz kurz, weil Sie sagten, dass ich
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
als Bürgermeister wissen müsste, was 256 Millionen
CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel
Euro bedeuten: Sie werden bitte zur Kenntnis nehmen,
[DIE LINKE])
dass ich Bürgermeister einer Gemeinde mit 12 000 Ein-
wohnern gewesen bin. Es gibt auf der Welt 3 Milliarden – Nein, so gut bin ich nicht, dass ich so etwas in zwei
hungernde Menschen: 2 Milliarden leben von weniger Monaten erreiche, nicht einmal wenn es mein Ziel wäre;
als 2 Dollar und 1 Milliarde von weniger als 1 Dollar pro aber dies ist ausdrücklich nicht mein Ziel.
Tag. 256 Millionen Euro, bezogen auf 3 Milliarden Men-
schen, bedeutet etwas anderes, als dies für 12 000 Ein- Wir werden mit diesem Haushalt, der hier heute vor-
wohner der Fall wäre. Wenn Sie aber meiner Heimat- liegt, in diesem Jahr eine Quote von ungefähr 0,4 Pro-
gemeinde 256 Millionen Euro zur Verfügung stellen, zent, vielleicht 0,41 Prozent, erreichen. Das ist vor dem
nehme ich diese sehr gerne an. Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Situation
(B) eine enorme Leistung. (D)
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sammenarbeit und Entwicklung: Das ist ein gebrochenes Versprechen!)
Lieber Kollege Raabe, würde ich nur 256 Millionen
Auch aus diesem Grund danke ich dem Haushaltsaus-
Euro im Haushalt des Bundesministeriums für wirt-
schuss für das Entgegenkommen bei den Beratungen.
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben,
würde ich Ihnen voll und ganz zustimmen. Sie überse- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hen, dass dieser Haushalt das erste Mal in der Ge-
schichte der Bundesrepublik bei 6,1 Milliarden Euro an- Der Etat spiegelt eine Strategieänderung in Bezug auf
gelangt ist. Das ist ein Erfolgsergebnis, das es hier noch Afghanistan wider. Wir verlagern den Schwerpunkt in
nie gegeben hat. – Vielen Dank. Afghanistan ausdrücklich und eindeutig auf den zivilen
Aufbau.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]
Daran kann ich nahtlos anschließen. Kollege Ruck hat meldet sich zu einer Zwischenfrage)
es angesprochen: Unabhängig von unserem Haushalt,
unabhängig von der ODA-Quote und Sonstigem muss – Kollege Binding hat eine Frage.
man zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesrepublik
Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
zweitgrößte Zahler weltweit ist. Wir sind stolz darauf, Möchten Sie diese zulassen?
dass wir diese Leistung erbringen können.
(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:
Betrachtet man zusätzlich die Hilfen der Europäischen
Ja, natürlich. Wenn Sie die Uhr wieder anhalten, Frau
Union – von all dem, was dort finanziert wird, zahlen
Präsidentin, sogar sehr gerne.
wir gute 20 Prozent –, sind wir sogar der weltgrößte
Zahler in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist eine
hervorragende Leistung der Bürgerinnen und Bürger der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bundesrepublik Deutschland, auf die sie stolz sein kön- Ich bin da sehr zuvorkommend.
nen.
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist immer so, Herr Niebel!)
2820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(A) Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- merke endgültig gestrichen worden sind. Das tut dem (C)
sammenarbeit und Entwicklung: Haus gut. Weil das dem Haus guttut, wundere ich mich
Nicht immer, manchmal läuft die Uhr ein bisschen sehr, dass mich nach allen öffentlichen, auch hier geführ-
weiter, Frau Koczy. ten Angriffen kein Vertreter der Opposition auf die Le-
bensläufe meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ange-
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): sprochen hat. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind nämlich hochkompetent und haben es nicht nötig,
Ich habe eine Frage zu der jetzt überraschend niedri-
hier beschimpft und erniedrigt zu werden.
ger als bisher geschätzt ausgefallenen ODA-Quote. Ich
wollte fragen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)
den möglicherweise zeitlich anders strukturierten Vor-
finanzierungen seitens der KfW und den Verzögerungen Meine Redezeit ist vorbei. Sie haben jetzt die letzte Ge-
bei den Schuldenerlassen für Länder in Afrika. Hätte legenheit, dazu eine Zwischenfrage zu stellen. Ich habe
man diese beiden Aufgaben, die ich jetzt angesprochen die Lebensläufe hier. Es handelt sich, wie gesagt, um
habe, wie sonst üblich noch im letzten Jahr vollzogen hochkompetente Leute, hervorragend motiviert und üb-
– das war am Anfang Ihrer Amtszeit –, würde die ODA- rigens längst nicht alle Mitglied der FDP. Wenn Sie aber
Quote dann anders aussehen? weiterhin so argumentieren, werden sich viele von ihnen
überlegen, ob sie zu uns kommen.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- Vielen Dank.
sammenarbeit und Entwicklung:
Es ist richtig, dass der IWF-Schuldenerlass für Libe- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
ria, den übrigens nicht mein Haus verhandelt, sondern CDU/CSU)
das Finanzministerium – ich sage das der guten Ordnung
halber, weil in der Frage ein leiser Vorwurf lag –, ins Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Stocken geraten ist und nicht planmäßig vorangekom- Der Kollege Niema Movassat hat jetzt für die Frak-
men ist. Wenn das alles planmäßig hätte durchgeführt tion Die Linke das Wort.
werden können, wären wir wahrscheinlich auf dem glei-
chen Niveau wie 2008, also bei 0,38 Prozent. Fakt ist, (Beifall bei der LINKEN)
dass die erste Meldung an die OECD – es wird natürlich
noch eine abschließende geben, die alle Details enthält – Niema Movassat (DIE LINKE):
0,35 Prozent lautet. Das ist ein Absinken gegenüber dem
Vorjahr. Das ist keine gute Entwicklung. Ich sage noch Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
(B) einmal ausdrücklich: Bei allem, was Sie mir zutrauen „Dabei sein ist alles“ scheint das Motto des Entwick- (D)
– das meiste schätze ich als positiv ein –: Das habe ich in lungshaushaltes zu sein, jedenfalls dann, wenn man sich,
zwei Monaten wirklich nicht geschafft, selbst wenn ich wie Minister Niebel, der Freizeitsprache bedient und das
es gewollt hätte, und ich habe es ausdrücklich nicht ge- Ziel, die Ausgaben für Entwicklungshilfe bis 2015 auf
wollt. 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern,
als „sehr sportlich“ bezeichnet. Das Thema ist viel zu
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – ernst für eine solch saloppe Wortwahl.
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vielen
Dank für die Antwort! – Ute Koczy [BÜND- (Beifall bei der LINKEN)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht!) Rund 1 Milliarde Menschen weltweit hungern, fast
Dieser Haushalt spiegelt eine Strategieänderung in 5 Millionen sterben jährlich an Malaria und Tuberku-
Bezug auf Afghanistan wider. Das Schwergewicht wird lose. Die 0,7 Prozent sind ein Mindestversprechen an die
auf den zivilen Aufbau gelegt. Ärmsten der Armen. Wenn man bedenkt, dass täglich
8 000 Kinder unter fünf Jahren verhungern, ist es gera-
Wir haben durch die Bereitstellung von zusätzlich dezu kriminell, diese Zusage nicht einzuhalten.
70 Millionen Euro – 35 Millionen Euro beim BMU und
35 Millionen Euro beim BMZ – unsere Verpflichtungen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
die sich aus der Konferenz von Kopenhagen ergeben, er- neten der SPD)
füllt. Mit den bereits vorher im Regierungsentwurf ein-
Andere Länder sind verantwortungsvoller. So über-
gestellten 350 Millionen Euro in den Einzelplänen der
treffen Schweden, Dänemark und die Niederlande dieses
beiden Ressorts werden die vorgesehenen 420 Millionen
Ziel schon jetzt. Doch Deutschland ist Meister der An-
Euro erreicht.
kündigungen, nicht der Taten. So wird mit diesem Haus-
Ich bin ausdrücklich stolz darauf, dass in diesem halt nicht einmal die 0,51-Prozent-Marke für 2010 als
Haushalt netto 15,5 neue Stellen geschaffen worden Zwischenziel erreicht, sondern es sind nur etwa 0,4 Pro-
sind. Denn das war lange überfällig, nachdem in den ver- zent. Dies hat die OECD jüngst kritisiert. Das ist eine
gangenen Jahren immer nur Geld in diesen Etat gepumpt Schande für CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP; denn kei-
wurde, aber nicht die Fähigkeit vorhanden war, dieses ner von Ihnen hat sich in Regierungsverantwortung um
Geld bilateral einzusetzen. Dies ist jetzt möglich. die versprochene Steigerung der Entwicklungshilfe ge-
schert.
Besonders freue ich mich, dass bei den vier Stellen im
einfachen Dienst morgens kurz nach 2 Uhr die kw-Ver- (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2821
Niema Movassat
(A) Aber es kommt noch dicker. Selbst die mageren Entwicklungspolitik soll also noch mehr zum Türöff- (C)
0,4 Prozent werden nicht nur für Entwicklungsprojekte ner für Interessen der deutschen Wirtschaft werden. Ar-
ausgegeben. Ein Unding ist die Anrechnung der Klima- mutsbekämpfung sieht anders aus: Sie orientiert sich an
schutzmaßnahmen. Der Klimawandel liegt vor allem in den Bedürfnissen der Menschen in den Partnerländern,
der Verantwortung der Industrienationen. Klimagelder nicht an den Bedürfnissen des Gebers. Unter Ihnen, Herr
sind Wiedergutmachung, keine Entwicklungshilfe. Niebel, steht die deutsche Entwicklungspolitik heute
Kopf.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Aber auch damit nicht genug. Entschuldung, Kosten
für Abschiebungen und für die Unterkünfte der Soldaten Im Rahmen der Neuausrichtung des Ministeriums er-
in Afghanistan, all dies verkaufen Sie den Menschen als leben wir ferner eine strukturelle Militarisierung der
Entwicklungshilfe und hübschen somit Ihre Bilanz auf. Entwicklungspolitik.
Dabei ist das 0,7-Prozent-Ziel ohne Zahlentricks erreich- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
bar. Wer Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden Euro Oh! – Harald Leibrecht [FDP]: Immer die glei-
für Banken aufbringt und 10 Milliarden Euro in den Kauf che Leier!)
von A400M-Militärtransportern investiert, der kann sich
auch mehr Entwicklungshilfe leisten. Allein mit den Ein- – Das müssen Sie sich schon anhören! – Ein Oberst der
nahmen aus einer Finanztransaktionsteuer und einer Bundeswehr wird in die Führung des Hauses berufen.
Flugticketabgabe, deren Einführung wir hier beantragt Jetzt sollen Nichtregierungsorganisationen in Afghanis-
haben, wäre die Finanzierung möglich. tan nur dann Geld erhalten, wenn sie bereit sind, mit der
Bundeswehr zusammenzuarbeiten, um sie – Zitat Minis-
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. ter Niebel – zivil zu flankieren.
Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])
Ein aktuelles Thema ist die Reform der Institutionen
Herr Minister, wir können gerne über Volumen und/oder der Entwicklungszusammenarbeit. Für die Linke macht
Wirksamkeit der Entwicklungshilfe diskutieren. Für die sich die Handlungsfähigkeit der deutschen Entwick-
Linke ist klar: Wir brauchen eine Steigerung bei beidem. lungspolitik nicht an Institutionen fest. Wir brauchen
Was denn sonst? eine neue politische Ausrichtung, statt dass nur über das
Wie der Fusion diskutiert wird. Vor allem müssen wir
Nötiger ist indes eine Diskussion über die neue Marsch- basisorientierte Projekte, die eine nachhaltige Entwick-
richtung im Ministerium. Diese lautet nämlich, dass lung ermöglichen, stärken.
sich der Einsatz in Entwicklungsländern vor allem für
(B) deutsche Unternehmen lohnen soll. So wollen Sie, Herr Ich komme zum Schluss. Sie, Herr Niebel, degradie- (D)
Niebel, den Etat Ihres Hauses künftig weniger über in- ren das Entwicklungsministerium zum international
ternationale Organisationen als vielmehr über nationale agierenden Lobbyverein für Interessen der deutschen
Projekte steuern. Wirtschaft und zur zivilen Begleithilfe für Bundeswehr-
einsätze. Das wird die Linke nicht akzeptieren.
(Harald Leibrecht [FDP]: Richtig!)
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Dabei geht es letztlich darum, deutsche Firmen stärker (Beifall bei der LINKEN)
am Entwicklungsgeschäft teilhaben zu lassen.
(Harald Leibrecht [FDP]: Genau! Was ist da- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ran schlimm?) Für die Unionsfraktion spricht der Kollege Holger
Haibach.
Kompetenz und Effektivität spielen eine untergeordnete
Rolle. Das Hissen der deutschen Fahne oder aber die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Nähe zur FDP sind maßgeblich. der FDP)
Ein Beispiel gibt der Spiegel. Die Consultingfirma
Holger Haibach (CDU/CSU):
TellSell, die FDP-Großveranstaltungen mitfinanziert und
in deren Beirat Herr Koppelin, stellvertretender Vorsit- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
zender der FDP-Fraktion, sitzt, will Beratungsaufträge legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe
von der GTZ ergattern. Das wird nicht allzu schwer wer- mir heute Morgen überlegt, was man nach einer so lan-
den, da Herr Koppelin gleichzeitig im Aufsichtsrat der gen Debatte noch sieben Minuten lang sagen soll. Inzwi-
GTZ sitzt. Zudem hat an dem Gespräch zwischen Tell- schen frage ich mich, ob sieben Minuten ausreichen, um
Sell und der GTZ Herr Beerfeltz, FDP-Staatssekretär im den hanebüchenen Unsinn, der hier erzählt worden ist,
Entwicklungsministerium, teilgenommen. Hier soll also auszumerzen.
ein Unternehmen, welches mit der FDP personell und fi- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
nanziell verbandelt ist, ein Stück vom Kuchen abbekom- GRÜNEN]: Aber jetzt meinen Sie nicht
men. Dabei wird es anscheinend auch von Ihrem Minis- mich!)
terium unterstützt. So bleibt alles in der FDP-Familie.
All diejenigen, die hier markige Worte gefunden ha-
(Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE ben, sollten sich einmal überlegen, ob sie unserem
LINKE]: Skandal!) Thema, das ein wichtiges Thema ist, mit markigen Wor-
2822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Holger Haibach
(A) ten einen Gefallen tun. Ich glaube, wir alle – nicht nur hochinteressant, und jeder – ob er in der Opposition ist (C)
wir, die wir die Regierung tragen, sondern auch die Op- oder in der Regierung sitzt – stellt sie an; aber man muss
position – haben eine Verantwortung dafür, ob unser doch zugeben: Vieles kann man auf die eine oder auf die
Politikfeld ernst genommen wird. Das dokumentiert sich andere Weise interpretieren.
auch in der Sprache. Da haben Sie unserer Sache garan-
tiert keinen Gefallen getan. Mich stört, dass der Aspekt, dass es bei der Verwen-
dung der Mittel auch um Effizienz geht – der Minister
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hat darauf hingewiesen, und auch viele von uns haben
der FDP) das angesprochen –, nonchalant als Ausweichdiskussion
Herr Movassat und die Kollegin Hänsel haben vor dargestellt worden ist, dass man gesagt hat: Das spielt ja
mir gesprochen; daher fange ich bei der Linksfraktion eigentlich keine Rolle.
an. Sie haben die saloppe Wortwahl des Ministers, das Gerade wenn ich mir Afghanistan anschaue – um nur
Ziel, auf eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP zu ein Beispiel zu nehmen –, dann komme ich zu dem
kommen, sei ein sehr sportliches Ziel, kritisiert. Ich Schluss, dass Effizienz von höchster Wichtigkeit ist.
finde es interessant, mit welcher Wortwahl Sie hier ange- Wenn wir die Mittel für Afghanistan verdoppeln, ist es
treten sind. Was musste ich da alles hören: militärische doch in hohem Maße notwendig, auch für die Legitima-
Expansionspolitik, tion von Entwicklungszusammenarbeit in unserem eige-
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! – Beifall nen Land, dafür zu sorgen, dass die Mittel tatsächlich ab-
der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) fließen, dass sie sinnvoll verwendet werden und in
Afghanistan die Friedensdividende bewirken, die wir
wirtschaftliche Expansionspolitik, brauchen. Dafür bedarf es der richtigen Maßnahmen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Deshalb ist Effizienzkontrolle gerade an einem solchen
Punkt extrem wichtig. Man darf das nicht einfach beisei-
Interessenvertretungsverein deutscher Wirtschaft. Ja, meine teschieben.
Herren! Sie sind rhetorisch in einer Zeit stehen geblieben,
die länger vorbei ist als der Fall der Mauer. Sie sollten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sich einmal überlegen, ob Sie, gerade was die Entwick-
lungspolitik angeht, weiter bei Marx und Lenin bleiben Genau das Gleiche ließe sich mit großer Berechtigung
oder endlich in der Realität ankommen wollen. Viel Spaß auch über die Mittel für Klimaschutz und für andere Be-
dabei! reiche sagen. Der Kollege Ruck hat zu Recht auf das
Beispiel Haiti hingewiesen. Es bedarf wirklich eines
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) längerfristigen Ansatzes, wenn wir auf Haiti erfolgreich
(B) sein wollen. Der Unterschied zwischen der Katastrophe (D)
Inhaltlich haben Sie, außer dass Sie Mitarbeiter des
auf Haiti und anderen Katastrophen ist nun einmal der,
BMZ beschimpft haben, und abgesehen davon, dass Sie
dass der Staat Haiti schon vorher kaum vorhanden war,
den Minister kritisiert haben, nichts, aber auch gar nichts
dass es nach der Katastrophe keine UN-Mission mehr
Konstruktives zur Debatte beigetragen. Es hätte genü-
gab und dass der Staat quasi keine funktionierenden
gend Gründe gegeben, etwas Konstruktives dazu beizu-
Strukturen mehr hatte. Dort geht es also um „build back
tragen.
better“, also darum, diesem Staat so zu helfen, dass er
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nach dem Wiederaufbau besser als vorher ist. Dabei
Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) spielt Geld eine wichtige Rolle, aber Strukturen sind
mindestens genauso wichtig: Wie stellt man einen Be-
Sie wollen – das gilt für manche andere in diesem bauungsplan so auf, dass die Gebäude dann auch eini-
Haus auch – nicht einsehen, dass man, wenn man Ent- germaßen erdbebensicher sind? Man kann Katastrophen
wicklungspolitik richtig machen will, einen ganzheitli- nicht verhindern, aber dafür sorgen, dass die Dinge ins-
chen Ansatz braucht. So schrecklich Sie die Wirtschaft gesamt besser gemacht werden. Da haben wir eine große
finden mögen, am Ende werden Sie einsehen müssen, Expertise. Das ist unabhängig von Geld. Das ist eine
dass man die Wirtschaft braucht. Eine Zusammenarbeit ganz wichtige Aufgabe, die wir an der Stelle haben.
mit der Wirtschaft bietet genauso wie eine Zusammenar-
beit mit Nichtregierungsorganisationen, genauso wie Ich will noch etwas dazu sagen, dass wir – angeblich –
eine Zusammenarbeit mit Stiftungen, genauso wie eine zwiespältig reden, was die Freiwilligendienste betrifft;
Zusammenarbeit mit staatlichen Entwicklungsorganisa- Frau Kofler hat das erwähnt. Manchmal hilft ja Nachfra-
tionen, genauso wie eine Zusammenarbeit mit den Kir- gen beim Herausfinden der Wahrheit, Frau Kollegin. Wir
chen einen Zugang, den die Politik allein nicht bieten haben das getan, und ich finde das Ergebnis ganz span-
kann. Das müssten Sie endlich anerkennen! Aber dazu nend. Der Mittelabfluss bei „weltwärts“ betrug im letzten
sind Sie offensichtlich nicht willens oder in der Lage. Jahr 27 Millionen Euro. Wir stellen nach dem vorliegen-
Anders kann ich die Aussagen, die hier getroffen worden den Haushaltsentwurf 29 Millionen Euro zur Verfügung.
sind, jedenfalls nicht verstehen. Das heißt, die Mittel werden vermutlich ausreichen. Wie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das im nächsten Jahr aussieht, werden wir uns in Ruhe an-
schauen müssen. Es geht also gar nicht darum, dass ir-
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Hier ist viel gendjemand „weltwärts“ nicht schätzt – ich halte das
darüber diskutiert worden, welche Zahlen zu welchem durchaus für ein vernünftiges und gutes Projekt –, aber
Etat richtig gewesen sind. Solche Zahlenspiele sind wir müssen die Mittel ein bisschen an dem orientieren,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2823
Holger Haibach
(A) was tatsächlich notwendig ist und was tatsächlich abge- auf dem Kirchentag versprochen. Sie hat das im Bundes- (C)
flossen ist. tag vor uns allen versprochen. Ich kann fünf oder sechs
Passagen vortragen, in denen die Kanzlerin gesagt hat:
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ich weiß ganz genau, was es bedeutet, wenn ich sage,
die Evaluation soll Ende 2010 laufen!) dass ich verspreche, dass ich im Jahr 2010 0,51 Prozent
Damit bin ich beim allerletzten Punkt, den ich gern für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen
noch ansprechen würde, nämlich bei dem Moralapostel will. – Deshalb muss man weiterhin den Finger in diese
der SPD, dem heiligen Sascha Raabe, Wunde legen. Das ist ein Skandal, und dabei bleibe ich.
(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Danke schön!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
der die Moral wie eine Monstranz vor sich her getragen Herr Haibach.
hat. Man fragt sich, ob der Kollege katholisch ist und
gern an Prozessionen teilnimmt. Es war wirklich ganz Holger Haibach (CDU/CSU):
interessant. Er hat auch Pinocchio bemüht und was da al- Herr Kollege Raabe, ich bin ja nur Altphilologe und
les war. Ich stimme ihm darin zu, dass Glaubwürdigkeit Historiker und kein Mathematiker, aber ein Aufwuchs
in der Politik ein hohes Gut ist. Aber dann, lieber Herr von 256 Millionen Euro bleibt ein Aufwuchs von
Kollege Raabe, muss man bei sich selber anfangen. 256 Millionen Euro. Da können Sie so lange irgendwel-
Der Kollege Raabe hat, wie viele von uns das ab und che Dinge bemühen, wie Sie sie gerade eben bemüht ha-
zu tun, in seinem Wahlkreis eine Schule besucht und ben, aber es bleibt ein Aufwuchs. Deswegen ist die Aus-
sage, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
über Entwicklungspolitik gesprochen. Der Hanauer An-
seien als Ganzes gekürzt worden, einfach nicht richtig.
zeiger vom 25. Februar 2010, aus dem ich mit Genehmi-
gung der Frau Präsidentin gern zitieren möchte, berichtet Sie zitieren auch oft genug aus Zeitungen, ohne hin-
über einige sehr interessante Aussagen des Kollegen terher klar sagen zu können: Das ist tatsächlich alles so
Raabe. Der Kollege Raabe erzählt also etwas über seine gesagt worden; das ist tatsächlich alles so gewesen. – Ich
Arbeit als entwicklungspolitischer Sprecher. Er sagt, was verlasse mich erst einmal darauf, dass die Presse in
alles notwendig ist, dass es genügend Reichtum und Le- Deutschland das Richtige berichtet, und ich verlasse
bensmittel gibt, dass kein Kind auf dieser Erde verhun- mich darauf, dass Sie das so gesagt haben. Sie haben es
gern muss usw. usf. Dann heißt es: jetzt richtiggestellt.
Besonders hart kritisierte der Bundestagsabgeord- Das macht die Tatsache, dass Sie etwas behaupten,
nete in diesem Zusammenhang die neue Bundesre- was nicht stimmt, an und für sich aber nicht besser.
gierung, die ganz entgegen ihres Versprechens die 256 Millionen Euro Aufwuchs bleiben 256 Millionen
(B)
Entwicklungshilfe gekürzt hatte. Euro Aufwuchs. Da nützt auch keine – wie soll ich das (D)
sagen? – intelligente und fantasiereiche Mathematik. Ich
Das behauptet nicht mal Ihre eigene Truppe, Herr Kol- glaube, hier müssen wir schon bei der Wahrheit bleiben.
lege! Kein Mensch behauptet heute, dass wir die Ent-
wicklungshilfe gekürzt haben. Damit haben Sie der (Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])
Glaubwürdigkeit von Politik insgesamt und auch dem Ich denke, es ist richtig, dass man das an dieser Stelle
Politikfeld keinen Gefallen getan. Wenn Sie ein anstän- sagt; denn es geht darum, dass wir in den Wahlkreisen
diger Mensch wären, würden Sie das zurücknehmen. genauso glaubwürdig bleiben, wie wir das auch in Berlin
sein sollten, da Glaubwürdigkeit – darin sind wir uns ja
Herzlichen Dank.
wohl einig – das größte Gut ist, das wir in der Politik ha-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der CDU/CSU)
Zu einer Kurzintervention der angesprochene Kollege
Raabe. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die
Dr. Sascha Raabe (SPD): SPD-Fraktion.
Nur ganz kurz. Herr Kollege Haibach, ich habe das in
der Schule so gesagt, wie ich es auch hier gesagt habe, Lothar Binding (Heidelberg) (SPD):
und dazu stehe ich. Versprochen waren im Prinzip plus Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1,7 Milliarden Euro im Einzelplan 23, 3 Milliarden Euro Sehr verehrte Damen und Herren! Erste Vorbemerkung.
insgesamt, um auf 0,51 Prozent zu kommen. Ich habe da Auch ich möchte zunächst meinen Dank zum Ausdruck
gesagt, dass es schäbig ist, dass dieses Versprechen ge- bringen. Priska Hinz hat unsere Berichterstattergesprä-
brochen wurde. Wenn ein Journalist dort das etwas ver- che sehr gut organisiert. Ich möchte mich auch beim
kürzt, darf man, so glaube ich, einem Kollegen in diesem BMZ für die stets gute Information bedanken.
Hause das nicht vorwerfen.
Vielleicht kann ich das Lob auch ein bisschen mit ei-
Ich glaube aber schon, dass man Folgendes sagen ner subtilen Kritik verknüpfen. Wenn die Politik so gut
kann: 256 Millionen Euro sollen am Ende ein Aufwuchs wäre wie die Atmosphäre in den Gesprächen und die In-
sein. Dabei hat die Kanzlerin doch 1,7 Milliarden Euro formation aus dem BMZ, dann wäre das eine super Poli-
versprochen. Sie hat das noch im Wahlkampf 2009 und tik. Das muss ich wirklich sagen.
2824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Lothar Binding (Heidelberg)


(A) (Harald Leibrecht [FDP]: Das war eine gute Länder ausgeben, können wir ökologisch viel mehr er- (C)
Verbesserung!) reichen als mit der gleichen Summe in Deutschland. Das
ist also ein sehr gutes Versprechen. Enttäuschung gab es
Zweite Vorbemerkung. Vorhin hat jemand gesagt: Wir
aber dennoch. Denn was soll das Ausland von uns den-
haben einen guten Ruf in der Welt im Hinblick auf un-
ken, wenn die Kanzlerin selbstsicher auftritt und etwas
sere Entwicklungszusammenarbeit. – Das stimmt. Wenn
vertritt, was im Haushalt dann aber plötzlich nicht mehr
wir ganz ehrlich sind, dann wissen wir: Ein guter Ruf ist
abgebildet wird? Das halte ich für sehr gefährlich.
meistens dem Blick zurück geschuldet. – Die Leute fra-
gen: Wie war das eigentlich bisher? – Deshalb kann man (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wirklich sagen: Wir haben einen sehr guten Ruf. Unsere DIE GRÜNEN)
Sorge ist aber ein klein wenig, dass der Ruf möglicher-
Jetzt möchte ich eine Sache ansprechen, die zu einem
weise nicht so bleiben wird, wenn wir nicht sehr aufpas-
Dauerstreit zwischen Dirk Niebel und mir geworden ist,
sen.
und zwar meine ich die Privatisierung von Minister-
(Harald Leibrecht [FDP]: Ach nein!) ämtern. Herr Westerwelle privatisiert sein Ministeramt
und vernachlässigt seine gesellschaftlichen Aufgaben.
Meine letzte Vorbemerkung mache ich zum Stichwort
Nachdem ich den Witz mit der Mütze gemacht habe
„Effizienz“. Natürlich ist ein effizienter Einsatz der Mit-
– ich habe es gar nicht lange ausgehalten –,
tel immer gut, aber Sie müssen mir zugestehen, dass ein
effizienter Einsatz von mehr Mitteln besser ist als ein (Harald Leibrecht [FDP]: Das war wirklich ein
effizienter Einsatz von weniger Mitteln, und wir sind da- Witz!)
für, mehr Mittel effizient einzusetzen.
hat Dirk Niebel mir erklärt, dass es erstens der falsche
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Typ war und er sie zweitens wieder tragen wird. Ich sage
aber: Das darf nicht seine private Entscheidung sein.
Dirk Niebel sagt oft, Zahlen spielten nicht die große
Dirk, du hast uns in Afrika mit einer Brille und einem
Rolle, und die ODA-Quote sei vielleicht nicht das Ent-
Hut repräsentiert, der aus einer Szene stammt, von der
scheidende. Dem stimme ich zu, und ich frage: Was ist
ich nicht möchte, dass sie uns im Ausland vertritt. Das
eigentlich das Entscheidende? Mit Blick auf die Regie-
ist keine persönliche Sache. Es stellt sich nämlich die
rung möchte ich diesem Parlament sagen, dass die Kanz-
Frage, mit welcher Reputation du uns auf internationaler
lerin, der Außenminister, der Minister für wirtschaftliche
Ebene vertrittst. Es ist irgendwie sehr merkwürdig, wenn
Zusammenarbeit und Entwicklung und auch der Vertei-
mich jemand anspricht und sagt: Dein Minister hat eine
digungsminister das Bild Deutschlands in der Welt be-
verspiegelte Brille. Das tragen bei uns Leute in ganz an-
stimmen. Ich finde, darauf müssen wir ein bisschen ge-
deren Vierteln. – Ich möchte so nicht vertreten werden
(B) nauer gucken. (D)
und kenne viele Deutsche, die das auch nicht möchten.
Welchen Eindruck können die Menschen anderer
(Beifall bei der SPD)
Länder von Deutschland haben, wenn dieser Eindruck
maßgeblich durch das Verhalten dieser Regierungsmit- Ich möchte noch eine Sache zur Harmonisierung und
glieder dominiert und definiert wird? Um nur ein paar Koordination der Geberländer sagen; das ist nämlich
charakteristische Dinge als Beispiele zu nennen: Wel- sehr wichtig. Ich finde es sehr gut, dass jetzt der Versuch
ches Bild haben andere Menschen von unserer Kultur? gemacht wird, die GTZ, InWEnt und den DED zu inte-
Ist sie anspruchsvoll? Ist sie ansprechend? Welchen Ein- grieren. Das halte ich für einen sehr guten Weg. Man
druck haben sie von unseren demokratischen Grundprin- muss vielleicht noch einmal daran erinnern, dass die
zipien? Funktioniert das hier? Haben wir einen guten SPD-Fraktion 2007 auf einem sehr guten Weg war, diese
Parlamentarismus? Wie geht unser Volk zum Beispiel Integration auf diesem Gebiet, der TZ, unter Einschluss
mit der Not, dem Hunger und den Krankheiten anderer der finanziellen Zusammenarbeit voranzutreiben, sie
Völker um? Wie hält unser Volk die Versprechen, die es aber leider durch andere im Parlament blockiert wurde.
macht? – Ich glaube, unser Bild jenseits der Zahlen ist
im Moment eher verheerend. Die meisten können sich erinnern, wie die Situation in
der Koalition damals war. Wir glauben trotzdem, dass
(Harald Leibrecht [FDP]: Stimmt doch gar diese kleine Lösung heute besser ist, als gar keine Lö-
nicht!) sung anzustreben. Vielleicht wäre es eine gute Idee, die
Länder zu fragen. Denn der Kollegen Laschet von der
Wir haben einen Außenminister, der im Grunde nicht
CDU sagt: Minister Niebel soll sich nicht so weit vorwa-
erklären kann, wen er warum mit auf Reisen nimmt – mög-
gen. – Es ist interessant, die Länder zu fragen, da sechs
licherweise auch seinen Freund, der sich aber nicht im
von ihnen an InWEnt beteiligt sind. Das ist eine kompli-
Rahmen des Beiprogramms betätigt und Deutschland re-
zierte Sache.
präsentiert, sondern eigenen Geschäften nachgeht.
Um es nicht selber sagen zu müssen, möchte ich nun
Oder schauen wir auf die Kanzlerin.
etwas zitieren; das ist mein letzter kleiner Block. Es geht
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie macht um das Personal. Professor Rauch, Professor für Geogra-
das doch wirklich gut!) fie an der FU in Berlin, sagt:
Sie verspricht international 420 Millionen Euro. Das Das Fatale an dem radikalen Personalwechsel an
fand ich sehr gut, weil das ein absolut gutes Versprechen der Spitze des BMZ ist, dass unter der neuen Füh-
ist. Denn mit 420 Millionen Euro, die wir für andere rungsriege keine kompetenten und engagierten An-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2825
Lothar Binding (Heidelberg)
(A) wälte des entwicklungspolitischen Anliegens mehr Dirk Niebel (FDP): (C)
sind. Von einem aufgeklärten Eigeninteresse an ei- Frau Präsidentin, als Abgeordneter ist es meine Auf-
ner gerechteren Welt ist nichts mehr zu spüren. gabe, dafür zu sorgen, dass unbescholtene Menschen in
diesem Haus nicht ohne Widerspruch beschimpft wer-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) den.
Deshalb habe ich den Minister nach seiner Personal- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
entwicklung gefragt. Er hat zunächst ein bisschen falsch der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]:
verstanden, was ich damit meine, und deshalb drei Ein- Aber diese Daten kennt nur der Minister! Was
stellungsvoraussetzungen genannt. Dazu möchte ich sa- ist denn das für ein Datenschutzverständnis?)
gen: Erfahrung beim Militär, guter Freund und FDP-Af-
finität waren nicht dabei. Als Abgeordneter ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen,
dass Bürgerinnen und Bürger, wenn sie in diesem Haus
Vielen Dank. um ihre Rechte gebracht, erniedrigt und gedemütigt wer-
den, einen Fürsprecher haben. Dieser Fürsprecher bin
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des
ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der CDU/CSU)
Der Abgeordnete Niebel erhält das Wort zu einer Kurz-
intervention. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Niebel, da Sie in dieser Debatte als Mi-
nister Redezeit hatten, hätten Sie das selbstverständlich
Dirk Niebel (FDP): tun können. Insofern habe ich den Eindruck, dem ich
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da hier mehrfach gerne Ausdruck verleihen möchte, dass Sie möglicher-
die entwicklungspolitische Kompetenz der von mir ein- weise hier nicht als Abgeordneter, sondern als Minister
gestellten Kolleginnen und Kollegen bestritten worden sprechen, zumal Sie von den „von mir eingestellten Kol-
ist, möchte ich einige wenige Daten aus deren Lebens- legen“ gesprochen haben. Insofern habe ich den Ein-
läufen zum Besten geben: druck, dass Ihre Kurzintervention eher in Ihrer Funktion
Derjenige, der die Einheit für die Durchführung der als Minister getätigt wird –
Organisationsreform leitet, war von 2004 bis 2010
selbstständiger Berater bei InWEnt, CIM, GTZ und Dirk Niebel (FDP):
(B) sonstigen. Von 2006 bis 2010 war er Trainer bei InWEnt. Frau Präsidentin, ich könnte als Minister das Wort er- (D)
Von 1998 bis 2003 war er Regierungsberater für Politik- greifen.
und Verwaltungsreformprozesse in Äthiopien. Von 1993
bis 1996 war er Regierungsberater für Politik und Ver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
waltungsreformprozesse in Ecuador. – darf ich ausreden? – als in Ihrer Funktion als Abge-
Der völlig unbekannte und entwicklungspolitisch un- ordneter. Sie können als Minister jederzeit das Wort er-
bedarfte Abteilungsleiter 2 war nicht nur Mitarbeiter des greifen. Im Moment sind Sie aber bei der Kurzinterven-
Instituts für Entwicklungspolitik und Entwicklungsfor- tion eines Abgeordneten. Diese können Sie auch gerne
schung der Universität Bochum, sondern ab 1988 auch in der einen Minute zu Ende bringen.
entsandter Projektleiter einer politischen Stiftung, zu-
nächst in Peru, dann in Kolumbien. Er war auch für wei- Dirk Niebel (FDP):
tere Länder zuständig. Ab 1996 war er Leiter des Regio- Das werde ich auch tun, zumal Ihr Eindruck trügt,
nalbüros Mittel-, Südost- und Osteuropa. Von 2002 bis Frau Präsidentin.
2007 war er Leiter der Programme in Lateinamerika.
Der Abteilungsleiter 1 war Leiter der Grundsatzabtei-
Danach war er in der Zentrale der Stiftung für das ge-
lung eines Landeswirtschaftsministeriums, Leiter der
samte Auslandsportfolio zuständig.
Zentralabteilung und Abteilungsleiter Mittelstand.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Herr Kollege Niebel! Dann muss ich Sie unterbrechen, wenn Sie weiter
fortfahren mit der Verlesung der Personalentwicklung
Dirk Niebel (FDP): von Kolleginnen und Kollegen, die Sie in Ihrem Minis-
Ich habe noch eine Minute, Frau Präsidentin. terium eingestellt haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zuruf von der FDP: Das wurde doch hinter-
Nein, Herr Kollege Niebel. Ich muss Sie deswegen fragt!)
unterbrechen, weil ich Ihnen als Abgeordneten das Wort
zu einer Kurzintervention erteilen kann. Was Sie aber Dirk Niebel (FDP):
jetzt machen, ist, Personalbögen des Ministeriums zu Das wurde doch hinterfragt. Die Menschen sind ja
verlesen. hier als inkompetent beschimpft worden.
2826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dirk Niebel
(A) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein! Als Jürgen Klimke (CDU/CSU): (C)
Putschunterstützer, als Putschverharmloser! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Darum ging es, nicht um ihre Kompetenz!) Herr Minister, herzlichen Dank für die eindrucksvollen
Einblicke in die Lebensläufe Ihrer neuen Mitarbeiter.
Aber wenn es Ihnen lieber ist, Frau Präsidentin, dann
Das war unter dem Gesichtspunkt „Erfahrung und Kom-
werde ich meine Tätigkeit als Vertreter der Bürger, für
petenz“ sehr bemerkenswert.
die ich hier spreche, einstellen und als Regierungsmit-
glied das Wort ergreifen. Das verlängert die Debatte. Bemerkenswert finde ich vor allen Dingen, wie Sie
Falls die anderen daran Freude haben, mache ich das für Ihre Mitarbeiter kämpfen und sich vor sie stellen.
gerne. Herzlichen Dank dafür!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der CDU/CSU)
Das können Sie gerne machen. Wenn Sie als Minister
das Wort ergreifen wollen, dann können Sie das jederzeit Weniger bemerkenswert als orientierungslos fand ich
tun. das, was wir in den letzten Wochen lesen konnten und
teilweise auch heute gehört haben. Lassen Sie mich zi-
tieren: „Entwicklungspolitik mit der Abrissbirne“, „Ver-
Dirk Niebel (FDP):
sorgung von Parteisoldaten“,
Ja, dann melde ich mich eben zu Wort, Frau Präsiden-
tin. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist doch so! Sind das nicht
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Soldaten?)
Bitte schön. „Entmachtung der GTZ“ oder das leidige Zitat von der
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Abschaffung des Ministeriums durch den jetzigen Mi-
der CDU/CSU – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ nister. Meine Damen und Herren von der Opposition,
DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Geschäftsord- diese Platte hat nicht einen kleinen, sondern einen ganz
nung wäre nicht schlecht, Herr Minister!) dicken Sprung. Sie schaden damit nicht nur sich selbst,
sondern vor allen Dingen dem Ansehen der Entwick-
lungspolitik und den Menschen, die von der Zusammen-
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- arbeit mit uns, mit Deutschland, profitieren und in dieser
sammenarbeit und Entwicklung: Zusammenarbeit teilweise die einzige Perspektive und
Vorhin hätte ich Fragen zugelassen, die aber nicht ge- Hilfestellung sehen. Das können wir überhaupt nicht ak-
(B) stellt wurden. Deswegen kann ich relativ zügig zum Ab- zeptieren. (D)
schluss kommen. Es fehlen nur noch zwei Personen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ein weiterer Abteilungsleiter, der angeblich inkompe-
tent ist, arbeitet seit 1989 beim BMZ in allen möglichen Im Übrigen sehen dies auch wirklich profilierte Ent-
Referaten und ist jetzt Leiter der neu gegründeten Abtei- wicklungspolitiker in Deutschland so, die an einer ehrli-
lung geworden. chen Weiterentwicklung dieses Feldes interessiert sind.
Ich darf die ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin
Der Letzte, der vermeintlich militaristische Oberst im Uschi Eid von den Grünen zitieren, die anscheinend die
Generalstab außer Diensten, war die letzten zwölf Jahre Einzige ist, die den Mut hat, der Ideenlosigkeit der Op-
lang außen- und sicherheitspolitischer Berater der FDP- position zu widersprechen:
Bundestagsfraktion, in seiner aktiven Dienstzeit abge-
ordnet zu internationalen Stäben, unter anderem in den Es gefällt mir einfach nicht, wenn alle auf Niebel
Vereinten Nationen. Er diente drei Jahre lang im Pla- eindreschen und dabei unterschlagen wird, dass der
nungsstab des Auswärtigen Amtes und zwischenzeitlich Mann entschlossen etwas anpackt, was wir schon
mehrere Jahre im Bundesministerium der Verteidigung 1998 unter Rot-Grün und später in der Großen Ko-
in den verschiedensten Verwendungen. alition wollten, aber nie geschafft haben.
Wenn das Inkompetenz ist, dann würde ich mir wün- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schen, dass mehr dieser inkompetenten Menschen in vie- Ich kann Uschi Eid nur unterstützen. Gleiches gilt für
len Verwaltungen tätig sind. ihre Aussage, dass die Besetzung des Ministerpostens
Vielen Dank. keine skandalöse Fehlbesetzung ist. Für sie ist dieser
Vorwurf einfach Unfug. Ich empfehle den Grünen, sich
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei in stärkerem Maße der Entwicklungskompetenz von
Abgeordneten der CDU/CSU – Hans- Uschi Eid zu bedienen und sich darauf zu besinnen.
Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie haben eine gute Kameradschaft (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
da!) Die Regierungskoalition jedenfalls legt – wir haben
das heute schon mehrfach gehört – die Hände nicht in
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: den Schoß, sondern nimmt den Gestaltungsauftrag an.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die Ziel ist, unsere Entwicklungsinstrumente in den Organi-
CDU/CSU-Fraktion. sationen, was Effektivität, Koordination und Kohärenz
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2827
Jürgen Klimke
(A) angeht, so einzusetzen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe in Jürgen Klimke (CDU/CSU): (C)
unseren Partnerländern besser gelingen kann. Dieser An- Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass die
satz wird auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Ich bin Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
dem Minister dankbar, dass er mit viel Reformeifer im Bereich des 0,7-Prozent-Ziels völlig richtig ist. Wir
– auch gegen Widerstände – Neues beginnt. Wir betreten brauchen aber auch mehr Gelder für die öffentliche Ent-
effiziente, kohärente Wege im Rahmen der Vorfeldorga- wicklungshilfe, wir brauchen vor allen Dingen eine stra-
nisationen, bei dem Vorhaben, das BMZ gegenüber an- tegische Weiterentwicklung. Diese Weiterentwicklung
deren Bundesministerien zu stärken, im Rahmen der ist Minister Niebel hervorragend angegangen.
konditionierten Budgethilfe und der Spezialisierung auf
die Kernsektoren zur Erreichung der Millenniumsziele Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
und bei der Verstärkung der Kohärenz zwischen Bundes- Herr Kollege!
regierung, Bundesländern und der EU, aber auch bei der
Erklärung der Sinnhaftigkeit von Entwicklungspolitik Jürgen Klimke (CDU/CSU):
gegenüber den Bürgern und den Steuerzahlern gerade in Wir danken ihm dafür. Er hat die Unterstützung der
einer Zeit der wirtschaftlichen Krise sowie bei der För- CDU/CSU-Fraktion.
derung der lokalen Wirtschaft in unseren Partnerländern Herzlichen Dank.
durch deutsches Mittelstands-Know-how, das dorthin
übertragen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Weg, der derzeit in den Vorfeldorganisationen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


beschritten wird, ist richtig. Endlich wird hier die Lei- Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe für die SPD-
tungsfunktion des BMZ gestärkt. Die drei zusammenzu- Fraktion.
legenden Vorfeldorganisationen InWEnt, GTZ und DED
werden gleichberechtigt in die Fusionsprozesse einbe- Dr. Sascha Raabe (SPD):
zogen. Der geplante Umbau wird endlich die Doppel- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
strukturen abbauen und dem deutschen Entwicklungs- Herr Minister, ich glaube, es ist mehr als gerechtfertigt,
auftritt im Ausland unter dem Slogan „One face to the dass sich das Parlament, das über den Haushalt und
customer“ gerecht werden. Dabei ist es angemessen, damit über die Mittel für das Personal entscheiden muss,
dass das Ministerium künftig die Qualität der GTZ-Ar- darüber Gedanken macht, wie Spitzenpositionen im
beit kontrolliert. Die neue technische Durchführungsor- Haus besetzt werden. Weil Sie aus den Lebensläufen von
ganisation muss zuvorderst den entwicklungspolitischen Mitarbeitern des Ministeriums zitiert haben, will ich aus (D)
(B)
Leitlinien der Bundesregierung und somit auch der Füh- dem Brief des Personalrats des Bundesministeriums
rung des BMZ unterliegen. Diesem Ziel fühlt sich die für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
Unionsfraktion verpflichtet. lung vom 11. Januar 2010 zitieren. Da heißt es:
Die Vorhaben des BMZ, die sich aus der Paris-Dekla- Leider müssen wir feststellen, dass Schlüsselposi-
ration oder aus den Beschlüssen in Akkra ergeben, dür- tionen im Hause, die für die künftige Gestaltung der
fen nicht von anderen Bundesministerien unterlaufen deutschen Entwicklungspolitik von strategischer
werden. Das BMZ hat sich im Namen der gesamten Bedeutung sind, zunehmend handverlesen extern
besetzt werden. Wir halten bei nunmehr zehn exter-
Bundesregierung verpflichtet. Dies gilt somit auch für
nen Besetzungen in wenigen Wochen die Grenze
die anderen Ministerien. Daher ist es gut, dass Minister
für erreicht.
Niebel hier anpackt und sicherstellen will, dass die Län-
derliste, die das BMZ beschlossen hat, auch für die ande- Weiter heißt es:
ren Ministerien Gültigkeit hat. Wir haben in mehreren Externe Besetzungen ganz ohne Ausschreibung
Fällen festgestellt, dass das bislang nicht funktioniert. Es oder interne Besetzungen ohne Berücksichtigung
funktioniert wunderbar in Indonesien; aber auf den Phi- qualifizierter Bewerbungen widersprechen dem
lippinen macht das Umweltministerium eine sehr viel ei- Grundsatz der Besetzung öffentlicher Ämter nach
genständigere Politik, als dies gemäß der Zusammen- Leistung, Eignung und Befähigung und gefährden
arbeit innerhalb der Ministerien „erlaubt“ ist. Wir sagen daher auch die selbstgesteckten Ziele der Leitung,
eindeutig: Diese Entwicklung muss gestoppt werden, da die anstehenden großen entwicklungspolitischen
sie die Axt an die Existenzberechtigung des BMZ legt. Herausforderungen erfolgreich anzugehen.
Ich denke, dass hier nicht nur eine Pflicht der anderen
Herr Minister, ich schließe mich der Kritik des Personal-
Ministerien zur Information des BMZ über ihre Arbeit
rats vollumfänglich an.
im Ausland notwendig ist, sondern dass auch die Leit-
linie der Länderliste anerkannt werden muss. Vor allen In Kambodscha haben Sie ein bisschen ironisch ge-
Dingen muss sehr viel mehr Kohärenz und Zusammen- sagt, als uns einer der Minister gegenübersaß: So viele
arbeit erfolgen. Staatssekretäre wie Sie hätte ich auch gerne. – Sie haben
sogar eine neue Abteilung gegründet. Sie blähen den
Apparat auf, um Parteifreunde zu versorgen. Sie haben
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: aus dem Lebenslauf von Oberst Eggelmeyer zitiert. Es
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. ist keine Parteipolitik, wenn ich den Entwicklungsexper-
2828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Dr. Sascha Raabe


(A) ten Franz Nuscheler, den wir alle hier seit Jahrzehnten Harald Klein, der sich in Publikationen der Friedrich- (C)
kennen, zitiere. Er kritisiert, dass Minister Niebel eine Naumann-Stiftung, also öffentlich, dezidiert über den
zunehmende Militarisierung der Entwicklungspolitik Putsch in Honduras geäußert hat. Er hat diesen Putsch
nun auch personell vollendet. indirekt gerechtfertigt, und er hat die Kritik an den Men-
schenrechtsverletzungen der jetzigen Regierung ver-
(Widerspruch bei der FDP) harmlost.
Der Professor sagt, er sei einfach entsetzt über den Fall.
Wie fatal das ist, zeigt folgender Vorgang: Zwei Men-
Mit dieser Entscheidung verliere die Entwicklungspoli-
schenrechtsaktivisten aus Honduras sind hierher gekom-
tik den Rückhalt in der Zivilbevölkerung. Dies sei ein
men – sie sind ein Risiko eingegangen –, um Kritik an
immenser Kollateralschaden. Vorhin hat der Kollege
der dortigen Regierung zu üben. Sie sind ausgerechnet
Binding Professor Rauch zitiert. Das sind keine eingetra-
an Ihren Abteilungsleiter Klein geraten, um mit ihm über
genen Parteigenossen;
die Situation in Honduras zu sprechen. Noch nicht ein-
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Vielleicht mal eine Woche nach diesem Gespräch hat Herr Lüth
doch!) – ein Kollege von Herrn Klein, mit dem er zusammen
bei der Friedrich-Naumann-Stiftung publiziert hat – ge-
das sind objektive Vertreter der Zivilgesellschaft und der genüber einer Tageszeitung in Honduras diese beiden
Wissenschaft. Menschenrechtsaktivisten namentlich genannt und er-
Sie haben den Mitarbeiter Tom Pätz genannt. Ich klärt, sie reisten durch die Welt und diskreditierten die
kann mir nur ein Bild über die Mitarbeiter, die Sie einge- jetzige Regierung. Das gefährdet diese beiden Aktivis-
stellt haben, machen, die ich im Ausschuss kennenge- ten. Das finde ich unverantwortlich. Da frage ich mich
lernt habe. Sie haben den Lebenslauf zitiert. In dem natürlich: Welche Rolle spielt dabei Herr Klein?
Lebenslauf steht nicht, dass dieser Kollege jemals eine Ich halte es nicht für akzeptabel, im Entwicklungs-
Fusion verantwortlich geleitet hat und dass er sich damit ministerium einen Oberst einzustellen; dabei ist es egal,
auskennt. Das ist jemand, der in Bonn auf lokaler Ebene dass er vorher im Auswärtigen Amt beschäftigt war. Ich
Agenda-21-Prozesse moderiert hat. halte das für falsch. Ich bin für eine strikte Trennung
(Harald Leibrecht [FDP]: Stimmt doch gar zwischen Zivilem und Militärischem. Eine militärische
nicht! Sie wissen doch, dass er hochqualifiziert Ausbildung ist etwas anderes als eine zivile Ausbildung;
ist!) das geht in eine ganz andere Richtung. Die Einstellung
dieses Obersts lehne ich inhaltlich ab. Insofern finde ich
Er hat uns im Ausschuss gesagt, es tue ihm leid, dass er es nicht in Ordnung, wenn Sie hier die Biografien Ihrer
unsere Fragen nicht beantworten könne, weil er erst seit Mitarbeiter – ich denke dabei auch an den Datenschutz – (D)
(B) wenigen Wochen diese Aufgabe habe. Er hat gesagt, er
in die Öffentlichkeit zerren. Es geht um die politische
spreche jetzt zum ersten Mal mit dem Personalrat. Meis- Einstellung Ihrer Mitarbeiter, nicht um detaillierte bio-
tens hat er um Verständnis gebeten, weil er erst seit we- grafische Daten.
nigen Wochen mit dieser Aufgabe betraut sei.
(Beifall bei der LINKEN)
Für ein so großes Projekt brauchen Sie erfahrene
Leute. Wir haben den Mut gehabt, auch wenn es am
Ende aus Gründen, die wir nicht zu verantworten haben, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nicht geklappt hat. Sie müssen die finanzielle und die Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein.
technische Zusammenarbeit zusammenlegen, aber sie
dürfen nicht eine Minireform im technischen Bereich Volkmar Klein (CDU/CSU):
mit jemandem an der Spitze durchführen, der in erster Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Linie das FDP-Parteibuch hat, der aber keinerlei Qualifi- Herren! In der Sache ist an sich längst alles gesagt. Ich
kation oder Erfahrung hat, eine so große Herausforde- muss ehrlich sagen: Ich bin über diese Debatte ein biss-
rung zu stemmen. In diesem Sinne bleiben wir bei unse- chen irritiert. Obwohl hier und da aufgeregte Worte ge-
rer Kritik. Wir wollen, dass Qualifikation vor Parteibuch fallen sind und es zu Konfrontationen gekommen ist,
geht. hatte ich den Eindruck, dass uns die gemeinsame Moti-
(Beifall bei der SPD) vation und das gemeinsame Ziel einen. Insofern hätten
versöhnlichere Töne die Diskussion prägen können. Es
tut mir ein bisschen leid, dass wir in diesen persönlich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: geprägten Diskussionsstil verfallen sind, zumal uns eben
Die Kollegin Heike Hänsel hat das Wort. gesagt worden ist – das ist für diejenigen wichtig, die
sich vorher vielleicht nicht ausreichend informieren
Heike Hänsel (DIE LINKE): konnten oder wollten –, dass qualifizierte Personen vor-
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- handen sind.
legen! Herr Minister Niebel, ich möchte gern kurz auf Zurückweisen möchte ich den zuletzt vorgetragenen
Ihren Einwurf reagieren. Ich habe nicht die Inkompetenz Anwurf bezüglich eines Obersts im Ministerium. Ich
Ihrer Mitarbeiter kritisiert. Meine Kritik bezog sich auch glaube, wir können hier nicht den Stab über irgendwel-
nicht auf deren Parteibuch. Meine Kritik bezieht sich che Lebensläufe brechen.
vielmehr auf Ihre Personalpolitik. Ich kritisiere vor al-
lem die zweifelhafte Kompetenz Ihres Abteilungsleiters (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2829
Volkmar Klein
(A) Wir sollten nicht plötzlich so tun, als wären Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
aufgrund eines vorher ausgeübten Berufes für andere sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aufgaben disqualifiziert. Wenn ich es richtig verstanden
habe, ist diese Person nicht als Oberst, sondern als Mit- Es sind viele daran beteiligt gewesen, dass wir hier nicht
arbeiter im Ministerium beschäftigt. Wir sollten allge- günstig dabei weggekommen sind.
mein etwas abrüsten; das ist vielleicht das richtige Stich- (Harald Leibrecht [FDP]: Dann hören Sie end-
wort. lich auf, die Mitarbeiter zu diskreditieren!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich fand es, ehrlich gesagt, nicht in Ordnung, dass die
Frau Präsidentin deutlich machen musste, dass sich doch
Ganz abgesehen davon habe ich mitbekommen, dass bitte alle an die Art der Geschäftsführung, die es hier im
es in diesem Ministerium schon in der Vergangenheit Parlament gibt, halten sollten, nämlich zum Kern der
Differenzen mit dem Personalrat über die persönliche Debatte zu reden, statt sich auf Nebengleise zu begeben
Qualifikation neuer Mitarbeiter gegeben hat; der Fall und dies dann auch noch zu vertiefen.
Mikota wurde schon genannt. Ich glaube, dass es das im-
mer wieder geben wird, aber dass es einfach unangemes- (Helga Daub [FDP]: Das gilt aber für alle! –
sen ist, die Lebensgeschichte dieser Menschen im Ple- Weiterer Zuruf von der FDP: Ach was!)
num des Deutschen Bundestages schon ein bisschen in
den Schmutz zu ziehen. Das hat letztlich dazu beigetragen, dass das Thema ver-
fehlt wurde.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich würde mir wünschen, dass wir das in Zukunft unter-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
lassen.
und bei der SPD)
Die Auffassung, dass es eine weitere Strukturreform
auch im Ministerium geben muss bzw. geben sollte, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
scheint mir bisher Allgemeingut bei allen hier gewesen Der Kollege Michael Link hat das Wort für die FDP-
zu sein. Von diesem Plan sollte sich der Minister durch Fraktion.
diese Diskussion nicht abbringen lassen.
(Beifall bei der FDP)
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Michael Link (Heilbronn) (FDP):
(B) Frau Präsidentin! Ich gebe der Kollegin recht: Die in- (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: haltliche Debatte ist hier ohne Zweifel insgesamt die we-
sentlich wichtigere; denn für die inhaltliche Debatte sind
Die Kollegin Ute Koczy hat das Wort. wir auch gewählt. Diese Regierung und gerade dieser
Minister vertreten inhaltlich genau das, wofür wir im
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): letzten September gewählt wurden. Wenn aber in den
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und letzten Wochen die ganze Debatte eine für die jetzt ein-
Kollegen! Ich wünschte mir, wir hätten diese neue gestellten Mitarbeiter wirklich diffamierende und belei-
Runde nicht eröffnen müssen. Es hätte doch sicherlich digende Tonart angenommen hat, dann ist es doch mehr
elegantere Methoden gegeben, um eine solche Debatte als verständlich, wenn der Kollege Niebel das richtig-
zu führen. stellen möchte.
Ich bin der Meinung, dass es, Herr Minister, vielleicht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nicht ganz so hilfreich war, die Rollen zu wechseln und Es sind im Übrigen die gerade erwähnten Mitarbeiter
etwas vorzulesen, was vielleicht in eine etwas kleinere vorher gefragt worden, ob sie einverstanden sind, dass,
Runde gehört hätte. Vielleicht hätten Sie anbieten kön- wenn auch hier im Plenum weiterhin Kritik geübt wird,
nen – das wäre mein Vorschlag gewesen –, in einer klei- weitere Sachinformationen über ihre Personen gegeben
neren Runde mit den Obleuten und den Haushaltsbe- werden. Ich glaube, es ist sehr beruhigend, vor der Öf-
richterstattern, wenn es gewünscht worden wäre, ein fentlichkeit feststellen zu können, dass hier hochkompe-
Gespräch zu führen, als hier diese Debatte in diese Rich- tente, leistungsfähige und eben nicht nach Parteibuch
tung zu lenken. ausgesuchte Mitarbeiter eingestellt worden sind.
(Harald Leibrecht [FDP]: Sie wissen ja, wie es (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
im Ausschuss gelaufen ist!)
Dass Handlungsbedarf auf der Leitungsebene des
– Ich meinte jetzt nicht den Ausschuss, Herr Leibrecht. Ministeriums bestand, ist wohl klar. Ich möchte nur die
(Harald Leibrecht [FDP]: Aber Sie wissen, wie Kollegen von der SPD daran erinnern, dass nach meiner
es dort gelaufen ist!) Information Ministerin Wieczorek-Zeul, als sie ihr Amt
antrat, außer einem einzigen alle Abteilungsleiter in den
– Herr Kollege! – Ich bin der Meinung, dass eine solche einstweiligen Ruhestand versetzt hat. Das zeigt doch
Debatte über Personal und über Personalführung nicht auch, in welch unterschiedlicher Art und Weise man in
in dieser Form hier ausgebreitet werden sollte. einer solchen Situation vorgehen kann.
2830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Michael Link (Heilbronn)


(A) (Zuruf von der FDP: Ja oder nein, Frau Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 23, (C)
Wieczorek-Zeul? – Widerspruch der Abg. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) und Entwicklung, in der Ausschussfassung. Hierzu lie-
gen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst ab-
Ich stelle fest: Es handelt sich hier um hochqualifi-
stimmen.
zierte, über jeden Verdacht erhabene Mitarbeiter.
(Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Mein lieber Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Gott!) Die Linke auf Drucksache 17/1026? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsan-
Wenn wir so weit kommen, dass es jemandem, der ein- trag abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende
mal als Zeitsoldat bei der Bundeswehr gedient hat – wir Fraktion. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen ge-
haben gerade den Einzelplan 14 behandelt –, zum Be- stimmt, die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen
rufsverbot beim BMZ gereicht, dann ist etwas falsch in haben sich enthalten.
unserem Land.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1030? – Wer
Ich bitte die Opposition, sich nicht auf der einen Seite stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ände-
in Krokodilstränen und Bemerkungen über den Dienst rungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch Bünd-
unserer Soldaten, den wir sonst bei jeder Gelegenheit be- nis 90/Die Grünen, SPD und die Fraktion Die Linke.
klatschen, zu ergehen, dann aber, wenn sie nach ihrer Abgelehnt haben ihn die Koalitionsfraktionen.
Dienstzeit in anderen Bereichen der Wirtschaft oder Ver-
waltung Dienst tun wollen, so zu tun, als ob das nicht Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 23 in der Aus-
mehr aller Ehren wert sei. schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Einzelplan angenommen bei Zustimmung
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE durch die Koalitionsfraktionen und Ablehnung durch die
GRÜNEN]: Beschimpfen Sie nicht die ge- Oppositionsfraktionen.
samte Opposition! Ein bisschen mehr Diffe-
renzierung ist angesagt!) Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Wir als FDP-Fraktion danken der Bundesregierung und
insbesondere Bundesminister Niebel für die Arbeit, die Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
er im Ministerium macht, und wir vertrauen voll und destages auf morgen, Donnerstag, den 18. März 2010,
ganz auf seine Personalauswahl. 9 Uhr, ein.
(B) (D)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den
restlichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Damit schließe ich die Aussprache. (Schluss: 19.51 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2831

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Barchmann, Heinz- SPD 17.03.2010 Körper, Fritz Rudolf SPD 17.03.2010


Joachim
Kramme, Anette SPD 17.03.2010
Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.03.2010
Möller, Kornelia DIE LINKE 17.03.2010
Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 17.03.2010
Pflug, Johannes SPD 17.03.2010
Burchardt, Ulla SPD 17.03.2010
Roth (Esslingen), SPD 17.03.2010
Cramon-Taubadel, BÜNDNIS 90/ 17.03.2010 Karin
Viola von DIE GRÜNEN
Schäfer (Bochum), Axel SPD 17.03.2010
Götz, Peter CDU/CSU 17.03.2010
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010
Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010
Scharfenberg, BÜNDNIS 90/ 17.03.2010
Golze, Diana DIE LINKE 17.03.2010 Elisabeth DIE GRÜNEN

Hempelmann, Rolf SPD 17.03.2010 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 17.03.2010

Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 17.03.2010 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 17.03.2010
DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN
(B) (D)
Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2010
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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