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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
30. Sitzung
Inhalt:
9 Einzelplan 04 10 Einzelplan 05
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Auswärtiges Amt
(Drucksachen 17/604, 17/623) . . . . . . . . . 2705 B (Drucksachen 17/605, 17/623) . . . . . . . . . 2749 C
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . 2705 D Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2749 C
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 2711 A Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 B
2720 A
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2756 C
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2725 A
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . 2758 B
Renate Künast (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2730 B Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2759 A
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2734 C Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2759 B
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2734 D Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2761 A
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2735 B
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . 2761 C
Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . 2736 B
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2763 D
Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2739 A
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . 2740 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2764 B
Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2743 B Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . 2764 C
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2819 B Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2827 C
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . 2820 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2828 B
Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2820 C Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2828 D
Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2821 D Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2823 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2829 B
Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2823 C Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . 2829 D
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 2823 D
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2830 D
Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2825 A
Dirk Niebel, Bundesminister
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2826 A Anlage
Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2826 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2831 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2705
(A) (C)
Redetext
30. Sitzung
Präsident Dr. Norbert Lammert: Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion Die
Die Sitzung ist eröffnet. Linke zu diesem Einzelplan, über den wir später nament-
lich abstimmen.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nehmen Sie bitte Platz. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord- dazu Einwände? – Das ist offenkundig nicht der Fall.
nungspunkt I – fort: Dann ist das so beschlossen.
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die nächst dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das die SPD-Fraktion.
Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010)
(Beifall bei der SPD)
(B) – Drucksachen 17/200, 17/201 – (D)
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
tung durch die Bundesregierung Herren! Frau Bundeskanzlerin, wir haben nicht nur Ver-
ständnis für die Abwesenheit des Bundesfinanzminis-
Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013 ters, sondern wir wünschen ihm auch raschen Fortschritt
– Drucksachen 16/13601, 17/626 – beim Heilungsprozess. Gute Besserung, Herr Schäuble,
wünscht Ihnen die gesamte SPD-Fraktion!
Berichterstattung:
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
Abgeordnete Norbert Barthle
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
Carsten Schneider (Erfurt)
bei Abgeordneten der LINKEN)
Otto Fricke
Roland Claus Haushaltsdebatten sind besondere Debatten, selten in
Alexander Bonde Moll geführt und nie nur Debatten über Zahlenkolonnen.
Da steht die Regierung auf dem Prüfstand, und das tut
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.9 auf: not, weil – mit Blick auf das, was wir in den nächsten
Einzelplan 04 Jahren zu bestehen haben – die Herausforderungen in
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt der Tat gewaltig sind. Die Zweifel der Menschen in
Deutschland, dass wir das schaffen, wachsen doch täg-
– Drucksachen 17/604, 17/623 – lich; das ist doch zu spüren. Wir stecken in der tiefsten
Berichterstattung: Wirtschaftskrise seit 1949. Das Wirtschaftswachstum
Abgeordnete Norbert Barthle verlagert sich in andere Teile der Welt, nach Asien etwa,
Rüdiger Kruse weit weg von Europa und von Deutschland. Das Ge-
Petra Merkel (Berlin) wicht Europas in der Welt wird kleiner, und hier wach-
Dr. h. c. Jürgen Koppelin sen sogar die Gegensätze zwischen den Eurostaaten.
Dr. Gesine Lötzsch Viele Menschen in Deutschland fragen sich mittlerweile,
Priska Hinz (Herborn) ob der Wohlstand hier wohl erhalten bleibt. Das alles ist
schlimm genug. Aber noch schlimmer ist: Ausgerechnet
Dazu liegen Ihnen die Beschlussempfehlungen des jetzt, wo Politik vorangehen müsste, wo Politik Ver-
Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 17/604 und trauen schaffen müsste, da hat Deutschland eine Regie-
17/623 vor. rung, die nicht regiert, die keine gemeinsame Idee und
2706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) (Caren Marks [SPD]: Nichts! Wie immer!)
(B) (D)
Diese schwarz-gelbe Regierung hat kein einziges ge- Nichts. Dann haben wir über die Börsen- und Finanz-
meinsames Projekt, das überzeugt. marktabgabe diskutiert. Was passierte? Weit weggescho-
ben in die Prüfungsschleifen der G-20-Welt, vertagt – so
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ würde man sagen – ad calendas graecas. Aber ich gebe
DIE GRÜNEN) zu: Das geht in diesen Tagen schwer über die Lippen.
Die Union beschimpft die Liberalen als Traumtänzer. Banken und Hedgefonds haben den griechischen
Die FDP erwidert der Union: Wenn ihr heimlich weiter Staat mit spekulativen Kreditausfallversicherungen fast
Große Koalition macht, was wollt ihr dann mit uns? – in den Ruin getrieben. Das hat Griechenland und – wer
Frau Merkel, was soll denn daraus werden? Wenn sogar weiß – am Ende vielleicht auch den Steuerzahler in Eu-
die Beteiligten dieser Koalition die Koalition für einen ropa Hunderte von Millionen Euro gekostet. Was sagt
Irrtum halten, dann ist das eben ein schrecklicher Irrtum diese Regierung? Was sagt die Bundeskanzlerin? Das
für Deutschland. muss man untersuchen. – Nein, Frau Merkel, Taten sind
jetzt gefragt. Die Krise geht weiter, solange es keine
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten gibt.
DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]:
Legen Sie deshalb die Hedgefonds an die Kette! Bringen
Das für einen Irrtum zu halten, ist ein Irrtum,
Sie Ratingagenturen unter Aufsicht! Verbieten Sie Leer-
genau!)
verkäufe und den spekulativen Handel mit Kreditausfall-
Jetzt diskutieren wir einen Haushalt mit über versicherungen! Das muss mindestens sein in dieser Si-
80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Jeder dritte Euro tuation.
dieses Haushaltes ist schuldenfinanziert. Das ist einsa-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
mer Rekord. Das ist natürlich auch eine Folge der Fi-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
nanzkrise. Das – jetzt hören Sie zu – legen wir nicht vor-
dergründig Ihnen oder dem Finanzminister Herrn Der Steuerzahler jedenfalls – darüber müssen wir uns
Schäuble zur Last. Aber die ganze Wahrheit ist doch: in diesem Haus einig sein – darf nicht weiter die Zeche
Die Steuerzahler werden jetzt für die Gier von Banken für Zocker und Spekulanten zahlen. Dafür zu sorgen, ist
und Hedgefonds zur Kasse gebeten, jeder in Deutsch- jetzt Aufgabe dieser Regierung. Wenn Sie dafür keine
land mit mindestens 2 500 Euro. Mehrheit in der Koalition haben: Ich bin mir sicher, in
diesem Hause haben Sie sie, Frau Merkel.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben es
doch eingeführt!) (Beifall bei der SPD)
2708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Wenn wir über unseren Tellerrand blicken, dann se- Ich schaue auf Peer Steinbrück: Auch der Finanz-
hen wir, dass sich Nordamerika erholt und Asien wächst. minister – das ist ja keine Selbstverständlichkeit – war
China ist Exportweltmeister. Deutschland und Europa damals dieser Meinung. Wir haben beide gesehen: Das
fallen zurück. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns der ist nicht irgendetwas. Das sind die Lebensadern einer in-
Boden unter den Füßen weggezogen, und dann haben dustriell geprägten Volkswirtschaft, über die wir da re-
unsere Kinder nicht dieselben Chancen wie wir. Das, den, und die dürfen wir nicht einfach irgendwelchen in-
meine Damen und Herren, Frau Merkel, ist das zentrale ternationalen Finanzmarktinvestoren überlassen.
Problem. Kümmern Sie sich in dieser Regierung endlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
darum! Legen Sie eine Innovationsstrategie vor, eine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Strategie für die Leit- und Zukunftsbranchen dieses Lan-
des, eine Strategie, wie Arbeit von morgen entsteht, eine Die Energiepolitiker unter Ihnen wissen das doch:
Energiestrategie, mit der Sie sich nicht zum Handlanger Wenn die Integration der erneuerbaren Energien in das
der Atomwirtschaft in diesem Land machen, Leitungsnetz wirklich gelingen soll, dann brauchen wir
dort Investitionen, und wir brauchen den Antrieb von In-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genieuren, um den Übergang von den bestehenden Net-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zen zu intelligenten Netzen, zu Smart Grids der nächsten
Generation, wirklich zu schaffen. In der Großen Koali-
eine Strategie, die den Ausbau der erneuerbaren Ener-
tion war die Union dagegen. In dieser Koalition herrscht
gien beschleunigt statt zu gefährden. Das müssen die
Prioritäten dieser Regierung sein. bei dem Thema „deutsche Netzgesellschaft“ gemein-
schaftliches Desinteresse. Ich sage Ihnen: Auch Unter-
Ich füge hinzu: Rufen Sie bitte auch Ihren Wirtschafts- lassen gestaltet Wirklichkeit neu. Sie werden das am
minister Herrn Brüderle zur Ordnung, der in Zeiten Ende bitter bereuen. Eines wissen Sie doch ganz genau:
höchster Not – ich habe eben die Gründe beschrieben – Irgendwelche Finanzinvestoren aus dem Vereinigten Kö-
mit einem Entflechtungsgesetz durchs Land zieht. Das nigreich, aus den USA oder aus Singapur werden sich
ist gut und schön, aber was das Gesetz angeht, so verrät nicht um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Energie-
er keinem, auch nicht auf Nachfrage, was und vor allem netzes kümmern. Das glauben Sie doch selbst nicht. Sie
(B) wer gemeint ist. Herr Brüderle, wenn Sie die Post mei- tun nichts. Vom Schulterzucken müssten Sie inzwischen (D)
nen, dann lassen Sie uns in diesem Haus doch über die Muskelkater haben, Herr Brüderle.
Zukunft der Post streiten, aber laufen Sie nicht mit Über-
(Beifall bei der SPD)
schriften von Gesetzgebungsvorhaben durch die Ge-
gend; denn keiner weiß, was die Anstrengung in diesem Das, was Deutschland jetzt braucht, ist eine kraftvolle
Bereich im Augenblick soll. Regierung, die dieses Land erneuert, deren wirtschafts-
politische Fantasie zu mehr reicht als nur dazu, zu sagen:
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/
Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen.
CSU]: Wir wollen die Sozis und die Linken
Deutschland braucht eine Regierung, die Investitionen
entflechten!)
organisiert, die Zukunft baut, eine Regierung, die die
– Herr Kauder, wissen Sie, wenn Sie das karikieren, ganze Gesellschaft im Blick hat und nicht nur die eigene
dann frage ich mich: Warum treibt es Sie eigentlich nicht Klientel. Davon ist diese schwarz-gelbe Regierung mei-
um – das werden Sie wie ich am Wochenende in den lenweit entfernt. Das ist das Verhängnis dieser Zeit.
Zeitungen gelesen haben –, dass Vattenfall sein Energie- (Beifall bei der SPD)
netz, sein Leitungsnetz verkaufen will? Warum treibt Sie
das nicht um? Ich sage es Ihnen: Weil Sie nicht sehen, Ich komme zum Schluss und sage: Frau Merkel, Herr
dass wir mit solchen Entscheidungen einzelner Unter- Westerwelle, ich bin mir inzwischen ganz sicher, dass
nehmen ein gutes Stück Zukunft in diesem Lande verlie- die Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt: Diese
ren. Regierung hat Deutschland nicht gewollt. Und ich sage:
Eine solche Regierung hat Deutschland auch nicht ver-
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ dient.
CSU]: Weil die EU es verlangt hat!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ich habe mir in der Großen Koalition manchmal den DIE GRÜNEN)
Mund fusselig geredet – Sie wissen das, Sie können sich
erinnern –, dass wir den Verkauf der Energienetze nicht Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich Ihre Pflicht! Brin-
einfach tatenlos hinnehmen dürfen, gen Sie Ordnung in den Laden! Nehmen Sie endlich Ihre
Verantwortung wahr! Es ist jetzt wirklich Ihre Verant-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch wortung, Frau Merkel.
zugestimmt in Europa als Außenminister!
Also, so ein Unsinn!) Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2711
Dr. Frank-Walter Steinmeier
(A) (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Genau! (C)
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Erklären Sie das mal!)
GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit
Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu entschlos-
fünf Jahren schon!)
sen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten der Koali-
tionsfraktionen ganz besonders bedanken, dass sie das
Präsident Dr. Norbert Lammert: mitgetragen haben, sodass wir heute in den Grundzügen
Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin. den Haushalt so verabschieden, wie ihn die Regierung
vorgelegt hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haushalt
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: wird gegenüber dem Haushalt, den wir damals in der
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Großen Koalition beraten haben, drei Monate früher be-
Steinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Opposition raten. Das zeigt, wie handlungsfähig diese Regierung
und speziell die SPD könnte dem gesellschaftlichen und diese christlich-liberale Koalition in einer schwieri-
Klima im Lande einen guten Dienst erweisen – vielleicht gen Situation sind.
könnten Sie ganz persönlich dafür sorgen –, wenn unse- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
rem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der not- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wendige Respekt entgegengebracht wird. Das fordern NEN]: Rekordverschuldung Handlungsfähig-
wir. keit zu nennen, ist schon frech!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes an-
Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Neu- schauen – auch da will ich gar nicht drum herumreden –,
verschuldung des Bundes in der 60-jährigen Geschichte dann sehen wir, dass dieser Haushalt über 9 Prozent grö-
der Bundesrepublik Deutschland aufweist. 80,2 Milliar- ßer ist, als es in normalen Zeiten der Fall wäre. Etwa
den Euro Schulden bei einem Gesamtumfang des Bun- 54 Prozent dieses Haushaltes sind Sozialausgaben. Er-
deshaushaltes von knapp 320 Milliarden Euro, innern wir uns: 1980 wurden 16 Prozent des Bundes-
haushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, im
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Pro-
NEN]: Plus Ihre Schattenhaushalte! 130 Mil- zent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für Rente,
liarden!) 40 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und – wir
haben etwas ganz Besonderes gemacht; das weist schon
das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, jeder darauf hin, warum wir einen solchen Haushalt verab-
(B) vierte Euro, den wir in diesem Jahr ausgeben, ist nicht (D)
schieden – auch immense Zuschüsse an die Bundesagen-
durch die Einnahmen gedeckt. tur für Arbeit und an den Gesundheitsfonds; diese führen
(Zuruf von der SPD: Ihr macht noch mehr uns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt ver-
Schulden!) abschieden.
Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das Dop- Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur aus ei-
pelte der bisher höchsten Neuverschuldung des Bundes ner einzigen Tatsache heraus: In diesem Jahr müssen wir
aus dem Jahre 1996 infolge der deutschen Einheit. Da- weiter eine Krise bekämpfen, die uns im vergangenen
mals waren es 40 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro Jahr einen Wirtschaftseinbruch von 5 Prozent gebracht
Schulden, das bedeutet 1 000 Euro pro Einwohner der hat. Das sind 88 Milliarden Euro weniger Produktion in
Bundesrepublik Deutschland; hinzu kommen 460 Euro Deutschland, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen sol-
Zinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes, chen Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollen
ungefähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszahlun- Fehler aus der Geschichte nicht wiederholen und ver-
gen aufgebracht werden. nünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder in
Gang kommen kann. Das ist die tiefere Ursache dieses
Ich sage ganz deutlich – genauso wie der Finanz- Haushaltes. Dazu stehen wir aus voller Überzeugung,
minister gestern –: Mit Recht machen sich die Menschen weil es für die Menschen in diesem Lande richtig ist.
Gedanken über die Verschuldung. Mit Recht fragen sie
uns alle, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind: Was (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
wird daraus? Wie werdet ihr das lösen? Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!)
(Christoph Strässer [SPD]: Ja, wie? –
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dra-
NEN]: Das fragen wir uns auch!) matischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat vor 18 Mo-
naten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers
Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was uns nicht begonnen. Wir können heute sagen, dass wir in diesen
eint und worüber wir ja heute sprechen 18 Monaten Wichtiges geschafft haben. Wir haben die
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Banken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mit
DIE GRÜNEN) den 400 Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliar-
den Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heute
– bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen –, sind die haben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquiditäts-
Fragen: Was tun wir, und wie tun wir es? garantien – bei den Garantien gab es übrigens keine Aus-
2712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all den Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit.
Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in den letzten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste war: dass die
Menschen gezeigt haben, was in diesem Lande steckt, Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie aus den
dass Unternehmer genauso wie Arbeitnehmerinnen und Konjunkturprogrammen, die wir aufgelegt haben. Wir
Arbeitnehmer Verantwortung gezeigt, die Maßnahmen müssen in den nächsten Jahren – auch wegen der Schul-
der Regierung angenommen und selbst Lohnzurückhal- denbremse, die Deutschland als weltweit einziges Land
tung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibili- eingeführt hat, mitten in der Krise – auf Konsolidie-
sierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten und rungskurs gehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2713
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) (Bettina Hagedorn [SPD]: Davon merken wir (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das (C)
nichts! – Thomas Oppermann [SPD]: Mit dem stimmt!)
Liberalen Sparbuch!)
Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie haben Re-
Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor uns. Ein formen durchgeführt; wir haben diese Reformen im Bun-
strukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden Euro wird desrat unterstützt. Diese Reformen haben, zusammen mit
in den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen sein, damit die anderen Reformen, dazu geführt, dass die Zahl der
Neuverschuldung im Bundeshaushalt ab 2016 bei höchs- Arbeitslosen in den Jahren darauf unter 3 Millionen ge-
tens 10 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir müssen pro fallen ist.
Jahr ein Defizit von 10 Milliarden Euro abbauen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Erläutern Sie Armut! Mehr befristete Beschäftigung! Mehr
einmal in Ihrem Wahlkreis, wie Sie das ma- Leiharbeit!)
chen wollen!) Sie haben sich nie überlegt, warum das so gekommen ist.
Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und ich Ihre Wahrnehmung war immer geteilt:
sage dem Bundesfinanzminister Unterstützung zu. Wir (Zuruf von der SPD: Was?)
wissen, was das bedeutet. Die Erstanmeldungen für den
Haushalt 2011 sind noch nicht so, dass wir sagen könn- Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslosen
ten: Wir haben es schon geschafft, die 10 Milliarden sank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, wie das
Euro einzusparen. Die Bundesregierung verpflichtet sich kommen konnte.
hier aber gegenüber dem Parlament, ihren Beitrag zu (Thomas Oppermann [SPD]: Durch Ihren Bei-
leisten. trag ganz bestimmt nicht! – Dr. Frank-Walter
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Steinmeier [SPD]: Wenn wir lange überlegt
hätten, wäre das nicht zustande gekommen!)
Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darüber Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
brauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wir hilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maß-
zu der Frage: Wie schaffen wir das? Neben einer klugen nahme natürlich Möglichkeiten geschaffen, dass viele
Exitstrategie brauchen wir eine kluge Wachstumsstrate- Menschen wieder eine Arbeit aufgenommen haben.
gie. Die Erfahrungen der Jahre 2005 bis 2009 zeigen
doch: Die beste Wachstumsstrategie ist, möglichst viele (Zuruf von der SPD: Das war doch unsere
Arbeitsplätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Ar- Idee!)
(B) beit haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten er- (D)
100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der Bun-
klärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärts
deshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. Deshalb gilt
machen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Ar-
es, Arbeit zu schaffen und möglichst viel Beschäftigung
beitslosengeld II bekommen will, braucht keine Vermö-
hinzubekommen. Nicht nur entlastet das den Bundes-
gensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich glaube, da sind
haushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auch
Sie auf einem falschen Trip. Ich zumindest bin davon
Teilhabe und gesellschaftliches Mitbestimmen und ist le-
überzeugt, dass das falsch ist.
benserfüllend.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben
der FDP) es doch durchlöchert!)
Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel qualifizierte – Da nützt auch das Schreien nichts.
Arbeit bereitzustellen, um aus der Arbeitslosigkeit he-
rauszukommen. Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente mit 67
rückgängig machen müssen, weil aufgrund Ihrer fal-
Schauen wir uns die heutige Situation einmal an: schen Konzepte die Möglichkeiten zur Vermittlung von
5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II. älteren Arbeitnehmern schlechter werden.
Das kostet den Bundeshaushalt, wie gesagt, 40 Milliar-
den Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entsteht (Thomas Oppermann [SPD]: Wir regieren
den Kommunen eine Belastung von 11 Milliarden Euro. schon?)
Wenn wir es schaffen, dass mehr und mehr Menschen – Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzulegen.
aus dieser Situation herauskommen, dann haben wir et- Sie hätten ja bei dem bleiben können, was Sie immer ge-
was erreicht. sagt haben.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das schaffen Sie (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
nicht mit Ihrer Politik! – Roland Claus [DIE der FDP)
LINKE]: Warum tun Sie dann nichts?)
Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den heute
– Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschlagen: Die 5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind unge-
sozialdemokratische Fraktion und der ehemalige Kanz- fähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leistungen aus
leramtsminister Steinmeier sind, muss man sagen, in ei- Hartz IV erwerbstätig. Von diesen 1,4 Millionen Men-
nem wundersamen Wandel begriffen. schen befindet sich die übergroße Mehrzahl in Beschäf-
2714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
eine Gruppe zur Zukunft der Kommunalfinanzen, an Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das internatio-
der Sie über Ihre Länder Gott sei Dank mitarbeiten, ein- nal so verabredet haben. Es ergibt nämlich keinen Sinn,
gerichtet hat. Es reicht doch nicht, einen Schutzschirm wenn wir in Deutschland so tun, als könnten wir das
für die Kommunen aufzubauen, wie Sie es fordern. Das irgendwie erreichen. Sie haben heute Herrn Brown zi-
ist vielleicht etwas, das den Kommunen in einer Krise tiert. Ich arbeite gut mit Gordon Brown zusammen, aber
hilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zu- seine einmalige Besteuerung von Boni war nur halb so
stand, wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit be- sinnvoll wie die Hedgefondsregulierungen, die wir ge-
ruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kommunen rade beraten und denen Großbritannien jetzt zustimmen
die Sozialausgaben um 50 Prozent gestiegen und die sollte. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarte
Baukosten um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Weg ich Unterstützung.
muss umgekehrt werden. Da brauchen wir eine Trend-
(B) wende. Ansonsten wird es keine kommunale Politik (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D)
mehr geben, die selbsttätig arbeiten kann und an der sich
die Menschen aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wir Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur
wollen das. Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Man Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euro-
kann nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht geht, Raum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Grie-
sondern man muss überlegen, was geht; denn die Kom- chenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl Nicolas
munen sind die Grundlage des Lebens der Menschen in Sarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, Jean-
diesem Land. Claude Juncker und ich die Kommission aufgefordert
haben – das geht nur europaweit –, die Finanzrichtlinie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) so zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit De-
fault Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschlie-
Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zusam- ßen kann, das man nicht besitzt, verboten werden.
menhalt kümmern, sondern müssen auch zur Kenntnis Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufen
nehmen, dass die Globalisierung fortschreitet und dass gesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen.
wir unsere Art, zu leben, die soziale Marktwirtschaft und Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in de-
ihre Prinzipien, nur durchsetzen können, wenn es uns ge- ren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommis-
lingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Da sion, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig.
sind allen voran die Finanzmarktregeln nach den Exzes-
sen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier in Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die grie-
Erinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat keinen chische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufen
Sinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts geschehen wurde – sie wird durch die Spekulanten verstärkt –, son-
wäre. Wir haben verbesserte Vorschriften über die Ei- dern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabi-
genkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinetts- litäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde.
beschluss zu den Ratingagenturen, der jetzt beraten wird
und mit dem eine europäische Richtlinie umgesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es wird klargestellt, dass Unternehmen nicht mehr Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Herausforde-
gleichzeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; das rung, die er je zu bewältigen hatte.
ist dringend notwendig.
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Karamanlis!)
Wir haben eine neue Bankenaufsicht – die Verhand-
lungen darüber sind in Europa weit fortgeschritten –, mit – Ich kann auch sagen, dass die Regierung Karamanlis
der systemische Risiken europaweit besser überwacht daran beteiligt war. Auch deren Vorgängerregierung war
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2719
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) schon daran beteiligt. Das hilft uns doch jetzt nicht. Wir Heute haben wir eben nicht das richtige Instrumenta- (C)
müssen mit der Sache fertig werden. – rium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euro-Raum
in eine Situation kommen, in der ein Land vielleicht vor
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Zahlungsunfähigkeit steht. Die Antwort hieß damals:
Die schärfste Sanktion ist, dass das Land Geld an die
Die Antwort können wir nur mit Blick auf die langfris- Kommission zahlen muss. Ein Land, das kein Geld hat,
tige Stabilität des Euro finden. Da ist die schnelle Soli- kann auch kein Geld an die Kommission zahlen, oder
daritätsleistung mit Sicherheit nicht die richtige Ant- wir führen die Zahlungsunfähigkeit noch besonders be-
wort, sondern die richtige Antwort heißt, die Sache bei schleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es ist rich-
der Wurzel anzupacken und die Probleme vernünftig zu tig, dass wir darüber hinausdenken und fragen: Wie
lösen. Deshalb gibt es keine Alternative zu dem griechi- müssten wir die Verträge entwickeln, damit man mit ei-
schen Sparprogramm und weiteren Anstrengungen in ner solchen Situation umgehen kann? Auch bei Grie-
den nächsten Jahren. Ich finde es gut und richtig, und die chenland muss jetzt gelten, dass die Stabilitätsgemein-
griechische Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt schaft im Vordergrund steht und dass wir nicht eine
4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, um vorschnelle Hilfe leisten, die uns langfristig überhaupt
das Defizit in einem ersten Schritt zu senken. Die nicht weiterbringt, sondern den Euro immer weiter
Märkte haben das durchaus goutiert. schwächt.
Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa auf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. Deshalb
kann in einem gemeinsamen Währungsraum – das gilt Meine Damen und Herren, Europa gestalten heißt
für alle Mitgliedstaaten, aber für die im Euro-Raum ver- eben auch: Wirtschaftsregierung – ja, und zwar mit an-
sammelten besonders – kein Land völlig alleine gelassen spruchsvollen Zielen und nicht mit der Frage „Wie kön-
werden. Deshalb haben wir auf dem Rat gesagt: Wir ste- nen wir alle gemeinsam diese anspruchsvollen Ziele
hen natürlich insgesamt für die Stabilität des Euro ein. vielleicht nicht durchsetzen?“.
Wir können doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum und
damit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil wer- Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ich
den. Europa ist aber nicht nur eine Friedensgemein- könnte hier viel dazu sagen. In den letzten Monaten hat
schaft, sondern auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Des- der Protektionismus weltweit zugenommen. Wir sind
halb kann es nicht sein, dass wir einfach mit mit der Doha-Runde nicht weitergekommen. Für eine
freundschaftlichen Bekundungen darüber hinweggehen, Exportnation wie Deutschland ist das jedoch zwingend
sondern die Erholung muss, wie ich es schon gesagt notwendig.
(B) habe, von Griechenland ausgehen. Alles, was überhaupt Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisierung (D)
gedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wir
ist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz und müssen
nicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafür
den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass die Dinge
Sorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt.
nicht so sind, dass Menschen auf ihre eigenen Daten gar
Alles andere wäre fatal.
keinen Zugriff haben.
Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In dieser Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische Pro-
Rechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. Deshalb ha- bleme, über die ich heute aus Zeitgründen nicht reden
ben die Finanzminister richtigerweise gesagt, dass alles, kann, in den Griff bekommen.
was wir tun, dem europäischen Recht und – das haben
sie mit Bedacht hinzugefügt – dem nationalen Recht ent- Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine tole-
sprechen muss; denn wir haben ganz klare Gegebenhei- rante, eine offene Gesellschaft. Der Economist – nicht
ten, die festlegen, was man überhaupt in einer Notsitua- gerade eine Zeitung, die Deutschland immer nur in den
tion tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz klar, höchsten Tönen lobt – hat über Deutschland in der ver-
dass nichts gemacht werden kann, was gegen nationales gangenen Woche geschrieben, dass es ein nicht nur le-
Recht verstößt. Da sind uns Grenzen auferlegt. benswertes, sondern auch ein liebenswertes und durch-
aus auch reformfreudiges Land ist.
Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist un-
sere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäuble (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser]
nicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aber [FDP])
Wolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit man
eventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss – Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein können,
was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn man und das ganz besonders mit Blick auf das, was morgen
etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Er hier in diesem Hohen Hause stattfindet, nämlich die Er-
hat Vorschläge gemacht, dass wir für die Zukunft ein innerung an den 20. Jahrestag der ersten freien Wahl
Vertragswerk bekommen, aufgrund dessen es als Ultima zur Volkskammer. Mit diesem Tag, dem 18. März
Ratio sogar möglich ist, ein Land aus dem Euro-Raum 1990, ist der Einigungsprozess sozusagen unumkehrbar
auszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristig geworden. Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehnten
immer wieder nicht erfüllt. Sonst kann man nicht zusam- zum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben da-
menarbeiten. mals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR Ge-
brauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man sich da-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rauf gefreut hat.
2720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei (Beifall bei der LINKEN)
der CDU/CSU) Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später.
Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition befinden Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zu-
sich in keinem guten Zustand. Aber damit meine ich kei- gehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß ge-
nesfalls die Linke. Wir haben zwar auch einige Pro- macht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ich
bleme, aber im Vergleich zu den anderen sind wir doch Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne
topfit. Es ist alles relativ, wie Sie wissen. einmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter Kanzler
Schröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Das
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei hätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verän-
der SPD)
dert.
Die Grünen wechseln gerade in das sogenannte bür- (Beifall bei der LINKEN)
gerliche Lager. Wir haben das in Hamburg erlebt. Wir
haben das im Saarland erlebt. Sie kündigen das schon für Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung.
NRW an. Für die Bundesebene kann man auch damit (Zuruf von der SPD: Ja, wollte ich gerade sa-
rechnen. gen!)
(Widerspruch des Abg. Alexander Bonde Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich zu-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten sagen.
– Hören Sie einmal zu! – Beim Saarland kommt noch Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat Deutschland
eine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch die FDP seine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt an
dazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, finde ich. dritter Stelle weltweit. Mehr Rüstungsgüter verkaufen
nur die USA und Russland. Dann folgt Deutschland.
(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bonde Darf ich daran erinnern, dass der schlimmste Krieg des
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Räumen Sie letzten Jahrhunderts von Deutschland ausging? Was ist
erst einmal mit Ihren schwarzen Kassen auf!) denn eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2721
Dr. Gregor Gysi
(A) Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir wol- Afghanistan einzusetzen. Das sollten Sie endlich einmal (C)
len an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten Rüs- zugeben, und das muss korrigiert werden.
tungsexporte“? Was wäre daran so schlimm?
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenland
Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bundeskanz- gesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen von
lerin, können Sie überhaupt nicht einschätzen, wann und Griechenland einen knallharten Sparkurs, den wir für
wo und wie sie eingesetzt werden. Ich sage Ihnen: Ich Deutschland ablehnen. Denn das ist Brüning’sche Poli-
bin der festen Überzeugung, Kriege hören nicht auf, so- tik, und Sie wissen, dass Reichskanzler Brüning
lange so viel an Kriegen verdient wird. Das muss unter- Deutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Wa-
bunden werden. rum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland?
(Beifall bei der LINKEN) Jetzt gehen die Menschen dort auf die Straße, und zwar,
wie ich finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hin-
Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der auch nehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne usw. ge-
FDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, wie er mit den kürzt werden,
Rollen umgehen soll. Ich lasse jetzt einmal Ihre Be-
schimpfung der Arbeitslosen weg, Herr Westerwelle, zu- (Beifall bei der LINKEN)
mal ich sowieso meine, es gibt keine Arbeitslose und aber die Banker, die die ganze Krise verursacht haben,
keinen Arbeitslosen, die bzw. der je auf die Idee käme, überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da
FDP zu wählen. Aber damit rechnen Sie ja auch nicht. stehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands.
(Zuruf von der FDP: Das ist ein Unsinn!) (Beifall bei der LINKEN)
– Nein, nein, hören Sie zu! – Aber ich sage Ihnen auch: Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zo-
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die FDP cken jetzt schon wieder mit Wetten auf die Schulden
wählen, passen in eine Telefonzelle. Griechenlands. Sie machen schon wieder Leerverkäufe.
Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP versucht Nachdem die Leerverkäufe in Deutschland zwischen-
etwas Neues, nämlich eine Lobbyistenpartei hoffähig zu zeitlich verboten waren, sind sie nun wieder erlaubt.
machen. Was Sie mit den Hoteliers und der Dankesspende Jetzt hat Bundesminister Schäuble gesagt, er will sie
von Mövenpick gemacht haben, was Sie mit den Ge- vielleicht doch wieder verbieten. Machen Sie es doch
schenken an die Pharmaindustrie vorhaben und wie die endlich! Wir brauchen keine Leerverkäufe; das ist nichts
Gästeliste von Bundesaußenminister Westerwelle bei anderes als Spekulation.
(B) seinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass man (Beifall bei der LINKEN) (D)
versucht, eine Lobbyistenpartei salonfähig zu machen.
Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil diese
Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in der direkt und indirekt eine Menge davon hatten, dass der
Regel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen aber, dass Staat Rettungsaktionen gestartet hat. Warum führen Sie
Sie dafür mithaften. die Abgabe nicht ein? Sie sagen heute, Frau Bundes-
(Beifall bei der LINKEN) kanzlerin Merkel, das könne Deutschland nicht allein
machen, sondern nur die EU als Ganzes. Wirklich? Wa-
Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Sie Ih- rum hat Schweden das dann allein gekonnt? Denn
rem Bundesaußenminister die Sache erleichtern, indem Schweden, ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solche
Sie eine kleine Dienstanweisung erlassen, in der steht, Abgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fall
wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie es nicht Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? Im
nicht schaffen, helfe ich Ihnen gerne. Ich will nur sagen: Übrigen plant auch der Präsident der Vereinigten Staaten
Das ist zu leisten. von Amerika, Obama, eine solche Abgabe in den USA.
Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: Wollen (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Plant!)
wir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Deutschland
oder wollen wir die nicht? Wir sind strikt dagegen. Also Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser Frage,
tun Sie etwas dagegen! wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist doch nicht zu
viel verlangt.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst erklärt,
dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz mit vielen Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von
toten Zivilisten, darunter auch vielen Kindern, angemes- 10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja;
sen gewesen sei. Dann hat er seinen Generalinspekteur aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben
und den Staatssekretär entlassen, weil sie ihn falsch in- die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. Wissen
formiert hätten. Dann hat er gesagt, der Angriff sei doch Sie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliar-
nicht angemessen gewesen, sondern unangemessen. denforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insol-
Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz. venz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn
Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen vorgeht, Herr gemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste
zu Guttenberg. Ihnen fehlt eine notwendige Erkenntnis: zu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; das
dass es von Anfang an falsch war, die Bundeswehr in heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die
2722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
– Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, dann (Beifall bei der LINKEN)
glauben Sie es doch wenigstens dem Direktor des arbeit- Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bundespräsi-
gebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael dent hat zwei Gesetze, nämlich das Gesetz zur Privati-
Hüther. Auch er schlägt jetzt einen flächendeckenden sierung der Flugsicherung und das Gesetz zur Reduzie-
gesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei der rung des Verbraucherschutzes, nicht unterzeichnet, weil
Höhe von 10 Euro, die wir vorschlagen, angekommen. sie offensichtlich – nicht nur verdeckt – grundgesetzwid-
Aber abgesehen davon kann man sagen, dass er immer- rig waren.
hin diesen Weg vorschlägt.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was hat
Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewundert, dass das mit dem Verfassungsschutz zu tun?)
Sie von Chancengleichheit geredet haben. – Wo ist sie
eigentlich? Ich sehe, dass sie im Moment ihre Staats- Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometerpau-
sekretäre betreut. Auch das ist nötig. schale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, das ist
grundgesetzwidrig. Sie beide haben uns das selbstver-
(Heiterkeit bei der LINKEN) ständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungs-
Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, Frau gericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie die Ge-
Bundeskanzlerin, von Chancengleichheit in der Bildung setze zum Vertrag von Lissabon gemacht. Wir haben
gesprochen haben. Überall dort, wo die Union regiert, Ihnen gesagt, sie sind grundgesetzwidrig. Sie haben uns
werden die Kinder in der Grundschule nach der vierten das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundes-
Klasse getrennt. Wer Kinder nach der vierten Klasse verfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben
trennt, der macht nichts anderes als soziale Ausgren- Sie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz gemacht. Wir
zung. haben Ihnen gesagt, es ist grundgesetzwidrig. Sie haben
uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bun-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- desverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das Glei-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE che wird übrigens mit dem Internetzensurgesetz passie-
GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP) ren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2723
Dr. Gregor Gysi
(A) Dann haben Sie – Sie von der Union waren nur indi- Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen den öf- (C)
rekt beteiligt – ein Hartz-IV-Gesetz beschlossen. Wir ha- fentlichen Dienst erweitern, und wir brauchen einen öf-
ben Ihnen gleich gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie fentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn in
haben es uns nicht geglaubt. Das Bundesverfassungsge- Berlin gibt und wie er in Brandenburg geplant ist. In
richt hat es bestätigt. Glauben Sie mir: Von den Linken Berlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. Diese
können Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Menge Leute verdienen wieder Geld, sie zahlen wieder Lohn-
lernen. steuer und Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdem
sparen wir auf der anderen Seite die Auszahlung von
(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der
Hartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie machen
CDU/CSU)
etwas Vernünftiges und werden dafür bezahlt. Das ist der
Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. Obwohl richtige Weg und nicht die Bezahlung von Arbeitslosig-
das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, tönt keit. Es gibt doch andere Möglichkeiten.
die FDP, dass sie die Aufhebung des Gesetzes nutzen
will, um die Leistungen für Hartz-IV-Empfängerinnen (Beifall bei der LINKEN)
und Hartz-IV-Empfänger zu kürzen. Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen Fall
(Zuruf von der FDP: Lüge!) eingehen, der mich – und eigentlich auch Sie, Herr
Kauder – seit August 2009 beschäftigt und uns alle dem-
Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ihnen: Das nächst beschäftigen wird. Herr Kauder und ich waren
ist ein Skandal. Es dauert leider lange, bis das Bundes- zusammen mit Herrn Wowereit von der SPD, mit Herrn
verfassungsgericht das aufheben würde. Verabschieden Brüderle von der FDP und mit Herrn Kuhn von den Grü-
Sie kein neues verfassungswidriges Gesetz! Fragen Sie nen bei Hart aber fair. Da trat eine Mutter auf, die sagte,
uns! Wir sagen Ihnen, was im Grundgesetz steht. dass sie nur teilzeitbeschäftigt ist und zusätzlich
(Beifall bei der LINKEN) Hartz IV bezieht. Ihre Tochter hatte in den Ferien gear-
beitet und sich mit dem verdienten Geld einen Traum er-
Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel, füllt und eine Gitarre gekauft. Der Mutter wurde das
sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhöhen. Wissen Sie, Geld dann wieder abgezogen.
was Sie da anrichten? Sie sagen damit doch permanent,
die Leute sollen faktisch unentlohnt für einen kleinen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Zuschuss arbeiten. Davon haben nur die Unternehmen Das haben Sie schon dreimal erzählt!)
etwas. Ich habe Ihnen schon von dem Mann erzählt, der
fünf Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat. Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt
Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen Sie – auch Sie, Herr Kauder –, dass das korrigiert werden
(B)
denn das Lohndumping immer weiter vorantreiben? Wa- muss. Wir haben dann im September, noch in der vori- (D)
rum können wir nicht einmal einen anderen Weg gehen: gen Legislaturperiode, die Korrektur beantragt. Sie,
den Hartz-IV-Regelsatz wenigstens auf 500 Euro erhö- meine Damen und Herren von der SPD, haben diesen
hen, eine Kindergrundsicherung machen und die demüti- Antrag zusammen mit der CDU/CSU abgelehnt.
genden Sanktionen streichen?
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die
Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit statt Ar- Wahrheit!)
beitslosigkeit bezahlen.
Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zugestimmt,
Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und und die FDP hat sich der Stimme enthalten.
Skandinavien haben wir den kleinsten öffentlichen
Dienst. Das spüren übrigens auch die Kommunen; da Jetzt haben Sie von der SPD einen entsprechenden
geht es um Lehrerinnen und Lehrer, um Kindergärtnerin- Antrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, was
nen und Kindergärtner und ganz viel sonstiges Personal. passieren wird: Wir werden zustimmen, die Grünen wer-
Es geht auch um die Justiz und um die Polizei. den zustimmen, die Union wird dagegenstimmen, und
(Widerspruch des Abg. Volker Kauder [CDU/ auch die FDP wird dagegenstimmen. Damit machen Sie
CSU]) Politik unmöglich. Was sagen Sie denn den Leuten? Als
Sie in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie dage-
– Herr Kauder, wenn ich heute beim Verwaltungsgericht gengestimmt. Wenn Sie aber in der Opposition, in der
Berlin-Brandenburg eine Klage einreiche, dann be- Minderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die FDP hat sich in
komme ich den ersten Termin in zwei Jahren. Das finden der Opposition der Stimme enthalten und stimmt in der
Sie normal? Regierung dagegen. Was sollen die Leute damit anfan-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert gen?
denn da?) Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt,
Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftigte; das werde bis Ende des Jahres geregelt werden. Herr
denn die Qualität der Rechtsprechung hängt auch davon Lindner, warum bis Ende des Jahres? Die nächsten Som-
ab, dass sie zügig erfolgt und die Leute relativ schnell merferien kommen im Juli. Lassen Sie uns das doch vor-
wissen, ob sie recht oder unrecht hatten. her regeln, damit die Kinder diesbezüglich vor den Som-
merferien Bescheid wissen.
(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]:
Nur, dass das Ländersache ist!) (Beifall bei der LINKEN)
2724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir haben einen neuen Schwerpunkt bei Bildung
Birgit Homburger (FDP): und Forschung gesetzt. Das wird schon im Haushalt
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir 2010 sichtbar: 750 Millionen Euro zusätzlich für Bil-
beraten in dieser Woche den Bundeshaushalt 2010. Die- dung und Forschung. In Summe haben wir uns vorge-
ser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Handlungsfä- nommen, 12 Milliarden Euro mehr in diesen Bereich zu
higkeit und auch der Entschlossenheit dieser Koalition. investieren. Wir wollen in die Köpfe, in die Chancen der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- jungen Generation investieren. Wir werden noch in die-
chen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sem Jahr den Start des Stipendienprogramms haben. Ich
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sage auch ganz deutlich: Wir werden mehr tun im Be-
NEN]: Unentschlossenheit! – Thomas Oppermann reich Forschung. Das ist dringend notwendig, auch im
[SPD]: 80 Milliarden Schulden!) Hinblick auf die Energiepolitik. Hier ist heute zu Recht
gesagt worden, dass wir das Zeitalter der regenerativen
Wir haben eben von Herrn Steinmeier und Herrn Gysi Energien erreichen wollen. Wir werden alles tun, damit (D)
(B)
gehört, was wir alles falsch machen. Ich möchte Ihnen die notwendige Forschung, beispielsweise im Bereich
von der SPD deutlich machen, was Ihre Politik von un- Speichertechnologien, durchgeführt wird, damit wir die-
serer Politik unterscheidet. ses Ziel erreichen.
(Joachim Poß [SPD]: Ach! Das ist jetzt span- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nend!)
Herr Steinmeier, Sie haben uns vorhin vorgeworfen,
Sie haben einen Rettungsschirm für Banken auf den Weg wir hätten in diesem Haushalt nicht genügend gekürzt.
gebracht. Sie haben Steuergelder für General Motors Unsere Haushaltspolitiker haben in diesem Parlament
ausgegeben, und Sie haben eine Abwrackprämie für alte 310 Kürzungsvorschläge vorgelegt. Wir haben 500 Mil-
Autos eingeführt. Wir spannen jetzt einen Arbeitnehmer- lionen Euro zusätzlich bei der Verwaltung eingespart.
schutzschirm, wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger, Ich möchte Sie an dieser Stelle einfach nur bitten, sich
und wir tätigen mehr Investitionen im Bereich Bildung diesen Haushalt noch einmal genau anzuschauen. Ich
und Forschung. Das ist der Unterschied, der diese Koali- kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Sie hier einen
tion ausmacht. falschen Vorwurf in den Raum stellen wollten, was Sie
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vorhin aber getan haben, als Sie behaupteten, wir wür-
den über 900 zusätzliche Stellen schaffen. In Summe
Auch wenn dieser Haushalt noch ein Stück weit ge- werden wir am Ende des Jahres 2010 – auch das muss
prägt ist von einer Übergangsstruktur, ist es doch so, die Öffentlichkeit erfahren –, weil wir in anderen Berei-
dass man ihm im Kern schon ansieht, dass er eine andere chen Stellen streichen, 581 Stellen weniger haben. Das
Schwerpunktsetzung hat, heißt, wir sparen. Zusätzlich haben wir eine 1-prozentige
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kürzung in diesem Haushalt für die Zukunft beschlos-
NEN]: Mehr Schulden ist euer Schwerpunkt!) sen. Das ist die Wahrheit und nicht das, was von Ihnen,
Herr Steinmeier, erzählt worden ist.
dass für uns die Menschen im Mittelpunkt stehen, Herr
Bonde. Das zeigt sich zunächst an dem, was wir im Ja- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
nuar auf den Weg gebracht haben, am Familienförde- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rungsgesetz, an der Entlastung der Bürgerinnen und Bür- NEN]: Den Struck’schen Bundeswehrabbau
ger, vor allem der Familien in diesem Land. Endlich rechnet ihr euch schön!)
haben die Familien wieder mehr Geld in der Tasche.
Die Nettokreditaufnahme wurde angesprochen. Ja,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die ist verdammt hoch. Auch wir würden uns wünschen,
2726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Birgit Homburger
(A) das wäre anders. Die Bundeskanzlerin hat das Nötige Sie haben elf Jahre lang regiert, Herr Poß – schreien Sie (C)
dazu schon gesagt. Ich möchte aber trotzdem deutlich hier nicht einfach nur dazwischen –, und Sie haben sich
machen, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen überhaupt nicht um die Kommunen gekümmert.
im Vergleich zum ersten Entwurf noch einmal 6 Mil-
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist unglaub-
liarden Euro zusätzlich eingespart haben.
lich! Sie müssen sich der Aufgabe stellen!)
Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die FDP hat Wir haben jetzt eine Regierungskommission eingesetzt
in ihrer Zeit in der Opposition hier im Deutschen Bun- und werden uns dieser Aufgabe stellen.
destag regelmäßig ein Sparbuch vorgelegt. Sie, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Oppo- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sition, haben hier nur Wunschlisten vorgelegt. In Summe der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Un-
haben Sie 56 Milliarden Euro Mehrausgaben beantragt. glaublich!)
Das, was Sie hier vorschlagen, ist keine verantwortliche
Die Sozialstaatsdebatte, die wir auch in diesem Hause
Politik.
führen, geht von einem Urteil des Bundesverfassungsge-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- richts aus.
ruf des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert:
– Lieber Herr Bonde, Sie fordern die Wahrheit ein. Frau Kollegin Homburger, lassen Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Hagedorn zu?
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ja!) Birgit Homburger (FDP):
Die Wahrheit ist, dass die Grünen zusätzliche Ausgaben Ich bin mit meiner Rede schon ein Stück weiter. Ich
in Höhe von 14 Milliarden Euro beantragt haben. Wür- möchte an dieser Stelle meinen Gedanken fortführen.
den wir Ihren Vorschlägen folgen, dann hätten wir am Wie gesagt, wir haben, ausgehend von einem Bundes-
Ende eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro; verfassungsgerichtsurteil, eine Sozialstaatsdebatte ange-
das schlagen Sie vor. stoßen. Jetzt möchte ich Herrn Gysi direkt ansprechen,
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weil er hier Unwahrheiten verbreitet:
NEN]: Unfug! 7,5 Milliarden Euro weniger (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Joachim
Neuverschuldung haben wir euch vorgeschla- Poß [SPD]: Das machen Sie!)
gen!)
(B) Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gespro- (D)
Die Linken haben zusätzliche Ausgaben in Höhe von chen, und es hat mitnichten die Erhöhung der Regelsätze
41 Milliarden Euro beantragt. Ich wiederhole es: 41 Mil- bei Hartz IV gefordert.
liarden Euro. Daneben sehen die zusätzlichen Ausgaben
in Höhe von 840 Millionen Euro, die die SPD beantragt (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hat er
hat, bescheiden aus. Aber das war natürlich vor den nicht behauptet!)
Hartz-IV-Beschlüssen. Verantwortliche Haushaltspolitik Im Gegenteil: Es hat deutlich gesagt, dass das, was dort
machen in diesem Hause genau zwei Fraktionen: die von der Gemeinschaft geleistet wird, nicht evident unzu-
FDP und die CDU/CSU-Fraktion. reichend sei. Allerdings haben die SPD, Sie und auch die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- Grünen sofort – die Begründung in Karlsruhe war noch
ruf von der SPD: Das ist ja unglaublich!) nicht abgeschlossen – höhere Regelsätze bei Hartz IV
gefordert.
Herr Steinmeier, Sie haben hier Krokodilstränen über
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ha-
den Zustand der Finanzen der Kommunen geweint.
ben wir schon vorher gefordert!)
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Im Gegenzug wird uns vorgeworfen – gerade eben
GRÜNEN]: Krokodilstränen?) wieder von Herrn Gysi von diesem Pult aus –, wir woll-
An dieser Stelle möchte ich Ihnen sagen: Das beschäftigt ten eine Senkung der Regelsätze. Ich halte in diesem Ho-
uns alle. Ich unterstelle das jedem in diesem Haus. Aller- hen Hause auch für die Öffentlichkeit fest: Keiner aus
dings wissen wir alle, dass das Problem der kommunalen der FDP-Bundestagsfraktion will eine Absenkung der
Finanzen vor allen Dingen darin liegt, dass sie extrem Regelsätze von Hartz IV. Wir wollen eine neue Balance
konjunkturabhängig sind. des Sozialstaats. Dafür werden wir uns einsetzen.
(Joachim Poß [SPD]: Das ist Quatsch! Wir ha- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ben sie stabiler gemacht!) der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE
LINKE]: Herr Lindner hat in meinem Beisein
Wir haben seit Jahren immer wieder deutlich gemacht, etwas anderes gesagt!)
dass wir hier eine Veränderung, eine Stabilisierung der
Finanzierung der Kommunen brauchen. Wenn die Aussage: „Wer arbeitet, muss mehr haben
als der, der nicht arbeitet“, eine solche Selbstverständ-
(Joachim Poß [SPD]: Sie machen genau das lichkeit ist – so wird es hier immer wieder vorgetragen –,
Gegenteil!) dann frage ich mich, warum so viele Menschen in die-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2727
Birgit Homburger
(A) sem Land denken, dass es richtig ist, dass wir über genau Sehr geehrter Herr Steinmeier, Sie haben vorhin gesagt, (C)
diese Frage diskutieren und Veränderungen herbeiführen wir sollten aufpassen, dass nicht Werte verloren gehen.
wollen. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, Ich glaube, Sie haben allen Grund, in Ihrer Partei aufzu-
dass an dieser Stelle etwas nicht stimmt. passen, dass Sie sich nicht daran beteiligen, dass Werte
in diesem Land verloren gehen.
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Richtig! Die
Löhne sind zu niedrig!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich frage Sie: Wenn es eine solche Selbstverständlichkeit Wer mit einer Partei koaliert, die in einigen Ländern
ist, warum gibt es dann diese massiven Angriffe? Herr und auch im Bund vom Verfassungsschutz überwacht
Steinmeier, Sie sind beispielsweise in einer Meldung der wird,
dpa zitiert worden, laut der Sie gesagt haben:
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Was ein
Westerwelle verfalle immer stärker in einen „ag- großer Skandal ist! – Jörg van Essen [FDP]:
gressiven Rechtspopulismus“, … Aus gutem Grunde! – Joachim Poß [SPD]:
Wovon reden Sie denn da?)
Ich kann Ihnen, lieber Herr Steinmeier, nur sagen:
Wenn Sie da richtig zitiert worden sind – das ist ein Zitat und wer zukünftig offensichtlich auch in Nordrhein-
vom 23. Februar dieses Jahres aus einer Meldung der Westfalen eine solche Koalition anbahnen will – das ist
dpa –, wenn die SPD Leistungsgerechtigkeit inzwischen ja im Augenblick zu beobachten –,
als Rechtspopulismus betrachtet, dann sind Sie ver-
dammt weit von den Menschen entfernt und vor allen (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Stuss!)
Dingen auf dem Weg weit nach links. der sollte einer Partei, die unzweifelhaft auf dem Boden
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des Grundgesetzes steht,
der CDU/CSU) (Joachim Poß [SPD]: Das gilt aber nicht für
Ich will eine Bemerkung zu dem Vorwurf der Ver- jede Äußerung!)
fassungsfeindlichkeit machen, der von mehreren ge- einer Partei, die die Bundesjustizministerin stellt, einer
genüber der FDP erhoben worden ist. Partei, die beim Bundesverfassungsgericht gerade meh-
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: In wel- rere Klagen gewonnen und recht bekommen hat, nicht
chem Zusammenhang?) unterstellen, sie sei verfassungsfeindlich. Ich fordere Sie
auf, zur sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren.
– Vor allen Dingen im Zusammenhang mit Hartz IV und
(B) mit den Aussagen von Herrn Westerwelle. – Dazu hat (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (D)
sich auch Herr Gabriel geäußert. Joachim Poß [SPD]: Sie haben ein gestörtes
Verhältnis zum Sozialstaat!)
(Jörg van Essen [FDP]: Wo ist er eigentlich?)
Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang. Ich
Herr Steinmeier, vielleicht können Sie einmal erklären, war entsetzt, als ich feststellen musste, was alles in die-
wo Herr Gabriel ist. Auf allen Kanälen pöbelt er durch sem Land inzwischen ohne öffentlichen Aufschrei hin-
die Gegend, seine Präsenz hier im Parlament: Fehlan- genommen wird.
zeige. Ich frage mich: Hängt das mit dem Verhältnis zwi-
schen Ihnen beiden zusammen, oder ist das schlicht (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Missachtung des Parlaments, was Herr Gabriel da be- NEN]: Das sehen wir bei der Neuverschul-
treibt? dung auch so!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- Auf einer Veranstaltung ist eine Laudatio auf eine Jour-
ruf von der LINKEN: Gabriel ist wenigstens nalistin gehalten worden. In dieser Laudatio wurde der
nicht verfassungsfeindlich!) Satz gesagt – ich zitiere –:
Herr Gabriel hat am 9. März im WDR, damit Sie Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im
gleich nicht nachfragen müssen, Herr Steinmeier, erklärt Nadelstreifen, die Sarrazins, die Westerwelles …
– ich zitiere –:
(Jörg van Essen [FDP]: Unglaublich! –
Herr Westerwelle handelt verfassungswidrig, ja Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
verfassungsfeindlich. GRÜNEN]: Wer hat denn das gesagt?)
Zitat Ende. Weiterhin hat er über die FDP gesagt – in ei- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss
nem Wortlautinterview in der Leipziger Volkszeitung Ihnen ganz ehrlich sagen: Dass ein solches Zitat in einer
nachzulesen –: öffentlichen Veranstaltung ungerügt bleibt, dass es auch
noch in einer Zeitung abgedruckt wird, das geht gegen
… die sind jung, … gnadenlos, … und sie sind
jegliches Gefühl der Demokratie.
verfassungsfeindlich …
Zitat Ende. (Joachim Poß [SPD]: Worüber reden Sie denn
jetzt? – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND-
(Jörg van Essen [FDP]: Pfui! – Weitere Zurufe NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das ge-
von der FDP: Unglaublich! – Unerhört!) sagt?)
2728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Birgit Homburger
(A) Ich erwarte, dass wir von der persönlichen Diffamierung mit diesen Ideen nicht im letzten Jahr gekommen, als Sie (C)
wegkommen, dass wir die politische Kultur in diesem als Bundesarbeitsminister Verantwortung für diesen Be-
Lande gemeinsam bewahren, reich getragen haben? Wenn man erkannt hat, dass man
etwas ändern muss, muss man die Änderungen auf den
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wer hat das gesagt, Weg bringen, wenn man Verantwortung hat. Das haben
Frau Homburger?) Sie nicht getan. Was Sie jetzt vorschlagen, ist eine Gene-
dass es in einem solchen Fall einen Aufschrei der Demo- ralrevision der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik.
kraten gibt und wir gemeinsam die Verfassung verteidi-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt ja gar nicht!
gen.
Das ist absurd, was Sie da erzählen!)
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wer hat das denn gesagt?) Sie wollen rückwärts in die Zukunft gehen. Sie schla-
gen unter anderem vor, staatlich finanziert einen zweiten
Das erwarte ich von allen Mitgliedern dieses Hauses. Ich Arbeitsmarkt von 200 000 Arbeitsplätzen aufzubauen.
erwarte, dass auch Sie dagegen aufstehen. Das würde nichts anderes bedeuten, als dass Sie zusätzli-
che Kosten von über 3 Milliarden Euro irgendwo im
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Haushalt unterbringen müssten.
Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- (Bettina Hagedorn [SPD]: In einem zweiten
frage) Arbeitsmarkt ist das Geld besser angelegt als
Ich mache noch einige wenige Bemerkungen zum bei den Hoteliers!)
Thema Hartz IV; dieses Thema wurde schon angespro- Damit verbunden ist ein Zweites: Sie haben die Men-
chen. schen offensichtlich aufgegeben. Eine solche Politik ma-
chen wir nicht mit. Wir wollen eine Politik, die den
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Menschen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt, auf so-
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des zialversicherungspflichtige Beschäftigung eröffnet.
Kollegen Beck? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Birgit Homburger (FDP):
Nein, Herr Kollege. Ich würde gerne weitermachen. Sie wollen, dass nicht für 12, sondern für 24 Monate
Arbeitslosengeld I gezahlt wird. Sie lassen unbeantwor-
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE tet, wie Sie die damit einhergehende Erhöhung der Zu-
(B) GRÜNEN]: Wir wollen wissen, von wem das satzkosten in der Arbeitslosenversicherung finanzieren (D)
Zitat ist! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- wollen. Ihr Vorschlag hätte nichts anderes zur Folge, als
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie doch dass Arbeit wieder teurer würde. Eine Politik für Arbeit-
endlich mal, wer das gesagt hat! – Joachim nehmerinnen und Arbeitnehmer sieht anders aus als das,
Poß [SPD]: Sie müssen Ross und Reiter nen- was Sie vorschlagen, meine sehr verehrten Damen und
nen! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Herren. Was Sie zu Hartz IV vorschlagen, das ist kein
GRÜNEN]: Sagen Sie uns doch, von wem das sozialpolitisches Konzept, das ist eine koalitionspoliti-
Zitat ist!) sche Offenbarung.
– Ja, das werde ich gerne tun. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU)
GRÜNEN]: Na los! Das ist ja wohl ein Ham- Für uns stehen bei der Neuregelung von Hartz IV die
mer! – Joachim Poß [SPD]: Ross und Reiter Kinder im Mittelpunkt.
nennen! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie
kaufen uns den Schneid nicht ab! – Beifall bei (Bettina Hagedorn [SPD]: Ach!)
Abgeordneten der SPD)
– Frau Kollegin, die FDP hat schon in den letzten Jahren
Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der Hartz-IV- gesagt, dass der Satz für Kinder nicht vom Regelsatz für
Debatte machen, die wir in diesem Hause geführt haben Erwachsene abgeleitet werden kann. Kinder sind eigene
und die wir weiterhin führen müssen. Ich sage zunächst Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen. Das Bundes-
einmal: Wir haben zwischenzeitlich umgesetzt, was wir verfassungsgericht hat das noch einmal deutlich ge-
angekündigt haben: Wir haben dafür gesorgt, dass derje- macht. Es hat uns den Auftrag gegeben, das neu zu re-
nige, der Hartz IV bezieht und mehr tut, auch mehr Geld geln. Diese Neuregelung ist notwendig, weil Ihr Gesetz
behalten darf. Wir haben das Schonvermögen von nicht bestehen konnte. Wir werden diese Neuregelung
250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. Wir vornehmen. Es geht uns darum, mehr Chancengerechtig-
wollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern. keit am Start zu erreichen. Bildung ist nun einmal der
Wir wollen, dass die Sozialversicherungsbeiträge im un- Schlüssel zu sozialem Aufstieg. Wir wollen Hartz-IV-
teren Einkommensbereich nur langsam ansteigen. Damit Karrieren vermeiden.
tun wir etwas für diese Menschen.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Und das wollen Sie
Herr Scholz hat am Montag dieser Woche das Kon- machen, indem Sie 900 Millionen Euro für
zept der SPD vorgestellt. Herr Scholz, warum sind Sie Eingliederungsmaßnahmen sperren?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2729
Birgit Homburger
(A) Wir wollen alles dafür tun, dass die Hilfe für Kinder krise abzumildern, andererseits aber auch dazu beizutra- (C)
auch bei den Kindern ankommt. Deshalb wollen wir gen, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Jetzt ist
nicht nur Geld, sondern auch Sachleistungen wie Bil- die Frage: Wie kann man das aufarbeiten? In Düsseldorf
dungsgutscheine geben. beginnt – das ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbe-
achtet geblieben – der erste Prozess gegen den Manager
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
einer Bank. Wenn jemand schuldhaft gehandelt hat, dann
der CDU/CSU)
soll Schadensersatz geltend gemacht werden können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Natür-
(Joachim Poß [SPD]: Das gibt das geltende
lich bleibt die Entlastung der Mittelschicht auf der
Recht her! Das geht schon nach geltendem
Agenda. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das eine ge-
Recht!)
hört zum anderen: Denen zu helfen, die Hilfe benötigen,
gehört genauso auf die Agenda, wie denen zu helfen, die Deswegen überlegen wir, beispielsweise die zivilrechtli-
das erwirtschaften, was dann verteilt wird. Deswegen che Verjährungsfrist zu verlängern, weil wir mehr Zeit
wollen wir gerade für die Mittelschicht Entlastungen auf brauchen, um eine entsprechende Prüfung vornehmen zu
den Weg bringen. können.
(Joachim Poß [SPD]: Genau genommen für (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
den Schweizer Mittelstand!) der CDU/CSU)
Wir haben uns vorgenommen, das Steuerrecht zu ver- Wir wollen diejenigen zur Verantwortung ziehen, die
einfachen. Das ist ein zentrales Anliegen vieler Bürge- tatsächlich Verantwortung getragen haben. Das ist der
rinnen und Bürger. Wir wollen, dass die Steuern bei un- Kern der Sache. Herr Steinmeier, wenn Sie sich hier hin-
teren und mittleren Einkommen weiter gesenkt werden. stellen und sagen, wir sollen Hedgefonds verbieten und
Wir werden uns die Spielräume dafür im nächsten Haus- Ratingagenturen an die Kette legen, dann nehmen wir
halt hart erarbeiten müssen. Aber wir wollen Impulse ge- das zur Kenntnis. Aber wer hat denn elf Jahre lang den
ben gegen Schwarzarbeit, Impulse für mehr Leistungs- Bundesfinanzminister gestellt? Wer hat denn die Hedge-
gerechtigkeit und nicht zuletzt für mehr Fairness des fonds eingeführt? Sie waren das; Ihre Regierung war
Staates im Umgang mit seinen Bürgerinnen und Bür- das, Herr Steinmeier.
gern.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier
CDU/CSU) [SPD]: Wir sollen die Ratingagenturen einge-
führt haben? Das ist doch gaga! – Joachim Poß
Herr Steinmeier, wenn Sie die Gesundheitsreform
(B) [SPD]: Sie waren doch mehr dafür als wir!) (D)
kritisieren, dann will ich Ihnen deutlich sagen: Sie haben
unser Modell in keiner Weise verstanden. Sie haben das zugelassen. Sie hätten das, was Sie jetzt
aus der Opposition heraus fordern, in den letzten Jahren
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie ha-
korrigieren können, wenn Sie es denn angegangen wä-
ben doch noch gar nichts vorgelegt! – Renate
ren.
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich
denke, Sie machen eine Kommission!) Der Kern des Problems ist, dass wir Verantwortung
und Haftung zusammenbringen müssen. Das bedeutet,
Wir wollen Politik für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
dass wir dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns wieder
beitnehmer machen. Deswegen haben wir vorgeschla-
Geltung verschaffen müssen. Wir als FDP und ebenso
gen, dass ein einkommensunabhängiger Arbeitnehmer-
die CDU/CSU haben uns über viele Jahre immer wieder
beitrag erhoben wird – mit einem sozialen Ausgleich.
für die Familienunternehmen in diesem Land eingesetzt,
Wir wollen, dass die Lohnzusatzkosten nicht weiter stei- weil wir wissen, dass dort Haftung und Verantwortung,
gen. Das, was Sie in der Vergangenheit vorgeschlagen das Tragen des Risikos in einer Hand liegen und dass
haben, hat zu mehr Bürokratie geführt. Es hat zu Ein- man hier mit Risiken anders umgeht als in anderen Be-
schränkungen der Wahlfreiheit geführt. Es hat das Arzt- reichen.
Patienten-Verhältnis belastet. Das, was diese Koalition
jetzt macht, sehr verehrter Herr Steinmeier, bedeutet (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
mehr Solidarität und auch mehr Gerechtigkeit, CDU/CSU)
(Widerspruch bei der SPD) Wir wollen hier Änderungen. Managerboni müssen
sich stärker an der langfristigen Entwicklung orientieren.
weil nach unserer Auffassung Gerechtigkeit nicht an der Die Vergütung muss vor allen Dingen so gestaltet sein,
Beitragsbemessungsgrenze aufhört, sondern alle umfas- dass es im Verlustfall auch Abzüge gibt, nicht nur Boni.
sen muss. Deshalb wollen wir den Sozialausgleich über Wir wollen mehr Transparenz und Verständlichkeit der
das Steuersystem. Finanzprodukte. Wir wollen, dass Regeln endlich einge-
halten werden. Es ist nicht so, dass es für den Finanz-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
markt keine Regeln gibt. Es ist jedoch so, dass Sie die
der CDU/CSU)
Aufsicht zersplittert haben. Wir haben jetzt gemeinsam
Natürlich beschäftigt sich diese Koalition in erhebli- beschlossen, dass die Bankenaufsicht in einer Hand zu-
cher Art und Weise auch mit der Finanzmarktkrise. sammengeführt wird: bei der unabhängigen Bundes-
Wir versuchen, einerseits die Folgen der Finanzmarkt- bank.
2730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Birgit Homburger
(A) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
NEN]: Die Banker können es ja nicht gewesen Nein, sie redet da hinten mit Ramsauer!)
sein, oder?)
– Es wäre ja auch nicht schlecht, wenn sie auf der Regie-
Damit garantieren wir, dass Regeln zukünftig eingehal- rungsbank sitzen würde.
ten werden und dass jemand darüber wacht, der davon
Ahnung hat. Das ist das Ziel dieser Koalition. (Joachim Poß [SPD]: Ramsauer ist in Sonder-
behandlung!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Das ist der erste Haushalt einer neuen Bundesregierung,
und an dieser Stelle schauen wir einmal ganz genau, was
Wir werden in diesem Hause weiter über das Thema dieser Haushalt bringt und ob Sie den Mut und die Kraft
Bürgerrechte zu sprechen haben. Das Bundesverfas- haben, die Ziele zu zeigen, also zu zeigen, wo der Weg
sungsgericht hat uns gerade einen weiteren Auftrag zum in Deutschland hinführen soll. Das wäre ja eigentlich
Thema Vorratsdatenspeicherung erteilt. Es hat nämlich Ihre Aufgabe, Frau Merkel.
festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung in der Art
und Weise, wie sie vorgenommen wurde, verfassungs- Nachdem ich hineingeschaut und Ihre Rede heute ge-
widrig und nichtig ist, dass die Datensammelwut unver- hört habe, sage ich Ihnen ganz klar: Sie haben in Ihrer
hältnismäßig ist. Es waren erneut Liberale, die den Erklärung vorhin erneut nicht begründet, was den Sinn
Schutz der Freiheit und der Bürgerrechte beim Bundes- Ihrer Kanzlerschaft ausmachen soll.
verfassungsgericht erstritten haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: und bei der SPD)
Steuer-CD!) Sie reden über neues Denken, aber welches neue Denken
Es ist festzuhalten, dass es keinen Sicherheitsgewinn soll das denn eigentlich sein? Welches Ziel und welche
geben wird, wenn man die Daten von 80 Millionen Leitbilder haben Sie?
Deutschen systematisch zu erfassen gedenkt, allerdings Sie wollten hier zum Sozialen reden. Das haben wir
dabei den Blick für konkrete Gefahren verliert. Die Be- nicht vergessen, Frau Merkel, weil wir ja nicht an retro-
drohung der Freiheit ist durch die Einschränkung der grader Amnesie leiden. Sie haben vor Wochen, als Ihr
Freiheit nicht zu bewältigen. Deshalb werden wir ge- Vizekanzler mit der Sozialhetzedebatte begonnen hat,
meinsam in dieser Koalition für Deutschland eine neue gesagt, diese Debatte werde hier im März bei der Haus-
Balance zwischen Freiheit und Sicherheit finden. haltsberatung geführt. Sie haben an dieser Stelle aber
(B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten faktisch kein einziges Wort der Klarheit und der Stel- (D)
der CDU/CSU) lungnahme dazu gesagt.
Wir wollen eine Politik für die Bürger machen. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wollen einen fairen Umgang des Staates mit den Bür- und bei der SPD)
gern. Wir setzen dabei auf den mündigen Bürger und Da hat einer suggeriert, er habe Tabus brechen wol-
wollen eben keinen Vormundschaftsstaat mit Rundum- len, obwohl man wirklich sagen muss: Seit Jahren disku-
betreuung. Wir wollen mehr Chancen auf Bildung und tiert fast das ganze Land über die Frage, wie der Sozial-
Aufstieg, und wir wollen die Kraft der Freiheit zum staat am besten organisiert werden soll – nur eben noch
Wohle dieses Landes nutzen. nicht auf dem Niveau von Guido Westerwelle.
Wir arbeiten an einem neuen Aufbruch für Deutsch-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
land, und egal, ob Sie mitmachen oder sich dagegenstel-
und bei der SPD)
len: Wir werden es für unser Land schaffen.
Wo waren Ihre Aussagen dazu, wie es denn nun gehen
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei
soll? Sie schweigen weiter.
der CDU/CSU)
Wo waren Ihre Klarheit hinsichtlich der Reisetätigkeit
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: des Bundesaußenministers und Ihre Aussage dazu? Es
hat mich schon verwundert, dass Sie an dieser Stelle, da
Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktion
Sie doch über neues Denken reden, nichts dazu sagen,
Bündnis 90/Die Grünen.
was eigentlich die kulturelle Anmutung einer Regie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rungstätigkeit sein soll. Ist es okay, dass jemand wie
Herr Lindner sagt, Spitzenpolitiker hätten halt Netz-
werke, die sie pflegen? Warum haben Sie an der Stelle
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
nicht klar gesagt: Das können Sie gerne tun, aber nicht
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt, hier als Mitglied dieser Bundesregierung, und hier haben Sie
und heute sollte es eigentlich um die Zukunft der Men- sich aus den Netzwerken Ihrer Finanzbeschaffungspartei
schen in diesem Land und um die Zukunft Deutschlands herauszuhalten?
gehen. Das ist Ihr erster Haushalt in einer schwarz-gel-
ben Regierung, Frau Bundeskanzlerin. – Wahrscheinlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
hat sie schon das Weite gesucht. und bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2731
Renate Künast
(A) Es ist atemberaubend, wie er sein Parteibüro leerge- haupten, die Kommunen hätten genug Geld, um ihren (C)
fegt, Staatsposten besetzt und vermehrt und Reisegrup- Aufgaben in der Daseinsvorsorge nachzukommen. Das
pen zusammengestellt hat. Am Ende war ich einen Au- passt nicht zusammen. Wo war hier das klare Wort der
genblick lang gewillt, zu glauben, er habe Brasilien Bundeskanzlerin?
entdeckt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ sowie bei Abgeordneten der SPD)
DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Es kam gar nichts, und ich weiß auch, warum. Sie haben
Das hat er aber nicht. Man hätte jedoch den Eindruck ha- mal wieder einen Arbeitskreis gegründet, in dem es
ben können, als habe es die WTO-Gespräche usw. gar – mal wieder – um die FDP geht, die die Gewerbesteuer
nicht gegeben. Ich kann Ihnen aber versichern – ich habe und damit die Finanzgrundlagen für die Kommunen ei-
es nachgesehen –: Es war ein Portugiese, der 1500 süd- gentlich abschaffen will.
lich von Salvador da Bahia als erster Ausländer brasilia-
nischen Boden betrat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Da wir schon bei dieser Geschichte sind: Sie haben sowie bei Abgeordneten der SPD)
kein Wort dazu gesagt, was eine ordentliche rechtliche Zum Thema Gesundheit. Frau Merkel, Sie haben uns
Kultur ist, Frau Merkel. Wie stellt man Delegationen zu- ein paar Anpassungsprobleme erklärt. Das Anpassungs-
sammen? Wie vertritt man die Interessen Deutschlands? problem ist heute aber schon so groß – so hat es die
Stattdessen hat gestern Herr Brüderle angekündigt – für AOK gestern mitgeteilt –, dass wir im nächsten Jahr zu-
die, die es nicht wissen: Er ist Bundeswirtschaftsminister –, sätzliche Probleme im Umfang von 11,6 Milliarden Euro
eine Außenwirtschaftsoffensive zu starten. Dies wolle er bekommen werden. Sie haben über Anpassung geredet,
vornehmlich mit Delegationsreisen tun. Ich sehe nicht aber nicht über die Grundstruktur. Die Zukunft dieses
ein, warum wir das Gleiche zweimal bezahlen sollen. Landes wird jetzt organisiert, Frau Merkel. Man muss
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jetzt sagen, wo es langgehen soll und wie die Leitbilder
und bei der SPD) aussehen sollen.
Wie wäre es denn gewesen, wenn an der Stelle der Sie haben ebenfalls nicht gesagt, ob es die Bürgerver-
Bundesaußenminister etwas gegen die Zunahme von sicherung, die solidarische Versicherung oder wirklich
Rüstungsexporten und gegen die Konzentration auf das eine Kopfpauschale geben wird. An dieser Stelle haben
Wirtschaftliche statt auf das Ethische bei den Rüstungs- Sie keine Klarheit geschaffen. Frau Homburger, das
exporten gesagt und getan hätte? glaubt kein Mensch: Angesichts eines so verschuldeten
(B) Haushalts wollen Sie mit einer Kopfpauschale – ob sie (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klein ist oder später immer größer wird – alle Probleme
Wie wäre es denn gewesen, Herr Westerwelle, statt aus dem Bundeshaushalt heraus lösen. Mit einem so ver-
Zusagen nicht einzuhalten – ich will nur die 420 Millio- schuldeten Haushalt geht das aber nicht. Sie müssen ran
nen Euro, die in Kopenhagen zusätzlich versprochen an Ihre Klientel und Ihre Lobbyisten. Sie müssen Men-
wurden, erwähnen –, wenn Sie dafür gekämpft hätten, schen haben, die sich für andere Menschen einsetzen.
dass das in diesem Haushalt umgesetzt wird? Dann hätte Das Problem ist doch: Wer soll das bezahlen?
man klar sagen können: Jetzt geht es los. Auf diese
Weise wären Sie vielleicht Ihrem Ziel und unser aller (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ziel näher gekommen, einen Sitz für Deutschland im sowie bei Abgeordneten der SPD)
UN-Sicherheitsrat zu erhalten. Sie bekommen dafür Sie reden über Schulden im Haushalt, und zwar nach
doch keine Unterstützung, wenn Sie Zusagen nicht ein- dem Motto: Wenn es wieder zu mehr Wachstum kommt,
halten. dann wird es schon gehen. So viel können wir aber nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wachsen, wie es nötig wäre, damit sich wieder etwas tut.
sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben einen Haushalt mit einer Neuverschuldung
von 130 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen? Sie ha-
Wie wäre es mit weiteren Aktivitäten in Bezug auf die ben mit diesem Haushalt eine Neuverschuldung ohne
UN und Afghanistan? Wie wäre es mit ein bisschen Eu- jegliche Rendite für die Zukunft organisiert. Wer soll das
ropapolitik? Wie wäre es mit Aussagen dazu, wie wir bezahlen, Frau Merkel? Darüber haben Sie kein Wort
mit einem EU-Währungsfonds umgehen? Was sagen wir verloren.
zu Griechenland? Frau Merkel, ich habe mich wirklich
gefragt: Ist es schon so weit gekommen, dass Sie sich Sie sagen, dass wir mehr Wachstum und mehr qualifi-
nicht einmal mehr trauen, ein klares Wort zu Ihrem Vize- zierte Leute brauchen. In diesem Land haben wir aber
kanzler und seiner Politik zu sprechen? einen Mangel an Fachkräften. Dies ist nicht nur auf
fehlende Qualifizierung, sondern auch darauf zurückzu-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
führen, dass durch den Geburtenrückgang immer weni-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
ger Jugendliche einen Schulabschluss machen. Diese
Sie haben auch nicht gesagt, wie es mit dem Thema wenigen Schulabgänger bekommen dann aber nur Pre-
Steuersenkungen weitergehen soll. Sie reden hier über kariatsjobs. Das soll Ihre Neuverschuldung bezahlen?
kommunale Finanzen. Klar ist aber: Beides geht nicht. Das funktioniert doch nicht, schon gar nicht mit Ihrer be-
Man kann nicht die Steuern senken und gleichzeitig be- absichtigten Steuersenkung.
2732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Renate Künast
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Sie sprachen über Wissen und Bildung. Wie wollen
Sie das aber finanzieren, Frau Merkel? Das sind ein paar Weil Frau Merkel gestern den Papst gelobt hat, will
Brosamen in diesem Haushalt, mehr aber auch nicht. ich auch sagen: Es sind die Kinder, die den besonderen
Schutz der Gesellschaft brauchen, und nicht der Papst.
Zu den Konsequenzen aus Kopenhagen haben Sie
– so mein Eindruck – ebenfalls kein Wort gesagt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN-
Sprechen wir doch einmal über das Problem, das uns KEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es wird ja
derzeit beschäftigt: Herrn Minister Guttenberg und immer dümmer!)
Afghanistan. Auch dazu haben Sie kein Wort gesagt. Wir
haben einen Verteidigungsminister. Das ist ein nicht un- – Ich weiß, was Ihnen unter den Stühlen brennt. Ich kann
wichtiges Ressort; man denkt zwar immer, man könne es es gerne wiederholen: Es sind die Kinder und nicht der
an die Seite schieben, es gibt aber schon Gründe dafür, Papst. Denn es kommt jetzt nicht darauf an, ihn zu loben,
ein Verteidigungsministerium zu haben. Dieser Minister dass er etwas richtig gemacht habe. Selbst der Bund der
schritt richtig schneidig ins Ministerium hinein. Jetzt Deutschen Katholischen Jugend spricht von der schwers-
aber sehen wir einen Hochdekorierten nach dem anderen ten Krise der katholischen Kirche. Wieso loben wir jetzt
wieder herausschreiten. Ich formuliere das auf nette den Papst?
Weise und erwähne den neuesten Vorfall gar nicht erst. Fangen wir besser an, das zu machen, was Aufgabe
Ich frage aber: Ist das motivierende Politik? Selbst wenn einer Bundesregierung ist, nämlich dafür Sorge zu tra-
sich der Brigadegeneral im Ton vergriffen hat, fragt man gen, dass es Entschuldigungen gibt, dass eine unabhän-
sich trotzdem langsam: Hält Herr Guttenberg die Truppe gige Untersuchung durchgeführt wird und dass auch bei
im Ernstfall eigentlich noch zusammen? Sie wundern verjährten Fällen öffentlich wird, was war. Das sind wir
sich vielleicht, warum jemand von den Grünen diese den Opfern, die heute noch leiden, schuldig.
Frage stellt. An Ihrem Schweigen merke ich aber, dass
Sie es sich auch fragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Sorgen wir dafür, dass es einen Fonds gibt, aus dem man
Kauder [CDU/CSU]: Bei manchen Aussagen eine Entschädigung für die Vorfälle in der Vergangenheit
ist man einfach sprachlos!) oder eine finanzielle Unterstützung erhalten kann.
(B) (D)
Ein anderes sehr ernstes Thema – Sie haben es ange- Das sind einige Punkte, die Sie heute nicht angespro-
sprochen, Frau Merkel – ist der Missbrauch von Kin- chen haben, Frau Merkel, oder die Sie aus meiner Sicht
dern in katholischen Einrichtungen, in einem Chor, in zumindest unbefriedigend oder ein bisschen halbgar an-
staatlichen Schulen und in privaten Schulen. Ich muss gegangen sind. Das ganze Durcheinander in dieser Bun-
ehrlich sagen, dass ich entgeistert war, wie spät diese desregierung haben Sie, Frau Merkel, zu verantworten.
Regierung reagiert hat, und ich war und bin entgeistert Man kann in diesem Lande kaum erklären, wofür diese
darüber, dass sich unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, drei Regierung eigentlich steht. Ich weiß aber eines: Sie ma-
Ministerinnen über runde Tische gestritten haben. Das chen Ihre Hausaufgaben nicht, was die zentralen Aufga-
ist der Verletztheit der betroffenen Menschen nicht ange- ben angeht. Auf dieser Regierung liegt ein dunkler
messen. Schatten von Ideenlosigkeit und Klientelpolitik.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Hier und heute müsste dieser Haushalt zeigen, wohin
Ich glaube, dass der CDU das C im Wege steht, viel-
die Reise in Zukunft gehen sollte. Er müsste zeigen, dass
leicht auch manche Auseinandersetzung, die Sie in der
wir uns anstrengen, jetzt wirklich etwas anders zu ma-
Vergangenheit mit der katholischen Kirche hatten, zum
chen. Aber Sie können und wollen das nicht.
Beispiel über die Stammzellenforschung, oder die öf-
fentlich geäußerte Kritik auf einer Pressekonferenz von Jetzt wären die richtigen ökologischen Weichenstel-
Frau Merkel. lungen notwendig, statt die Kosten den nachfolgenden
Generationen oder anderen Menschen auf diesem Glo-
Wir wollen wissen, wer in dieser Regierung die Auf- bus zuzuschieben. Jetzt geht es darum, die blockierte
gabe übernimmt, sich rückhaltlos für die Schutzbefohle- Gesellschaft aufzulösen und die soziale Spaltung unseres
nen, für die Kinder in diesem Lande, einzusetzen. Wer Landes zu bekämpfen, statt für Mövenpick den Haushalt
sorgt dafür, dass es eine unabhängige Aufklärung durch auszuwringen und Steuersenkungen für Reiche durchzu-
Dritte gibt? Man darf sich nicht auf den Föderalismus führen.
beziehen und auf die Länder verweisen, die für die Schu-
len zuständig sind. Ich will nicht hören, dass das Staats- Jetzt ginge es darum, eine vernünftige Energiepolitik
kirchenrecht uns irgendwelche Probleme bereitet. Ein zu machen und einen richtigen Innovationsschub auszu-
Kind muss ohne Wenn und Aber den Schutz der gesam- lösen, statt Investoren, Industrie und Mittelstand erst ein-
ten Gesellschaft erfahren. mal wieder monatelang hängen zu lassen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2733
Renate Künast
(A) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ men und gleichzeitig sozial und ökologisch intelligente (C)
DIE GRÜNEN und der SPD) Investitionen tätigen. Das tun Sie nicht. Sie haben mit
dem vorliegenden Haushalt vielmehr einen Verschiebe-
Jetzt ginge es darum, die Endlagerfrage, die sich nun bahnhof für alte Lobby- und Klientelinteressen geschaf-
einmal stellt, offen, transparent und vergleichend zu lö- fen.
sen, statt sie, wie es Herr Röttgen macht, nach altem
Recht zu regeln. Sie kommen mit dem Bergrecht von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
1983. Wenn ich in der Universität fragen würde, ob die sowie bei Abgeordneten der SPD)
Studenten noch nach diesem Recht studieren, dann wür-
Frau Homburger, wir haben uns der Mühe unterzo-
den sie mich entgeistert angucken und mir erklären: Es
gen, alles durchzurechnen. Diejenigen, die rechnen kön-
gibt eine Regelung von 1990. Wir studieren das neue
nen, kommen zu dem Ergebnis, dass unser Vorschlag im
Recht, nicht das alte. – Aber der Bundesumweltminister
Vergleich zu Ihrem Haushaltsentwurf zu einer um
verwendet das alte Recht, weil es die geringste Bürger-
7,5 Milliarden Euro geringeren Verschuldung führte. So
beteiligung vorsieht. Das ist im Jahr 2010 nicht würdig.
viel Zeit muss sein. Ich weiß nicht, ob Herr Koppelin Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer falsch informiert. Das mag sein.
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Gorleben war ein Ort schwarz-gelber Willkür unter SES 90/DIE GRÜNEN)
der Regierung Kohl in der Frage, wie entschieden und Schauen wir uns die drei Bereiche Einsparen, Einnah-
was umgesetzt wurde. Gorleben ist politisch für ein End- men und Ausgaben an. Was hieße es, wenn wir eine Re-
lager verbrannt. Wir brauchen endlich eine offene und gierung hätten, die wirklich Mut hätte und sich nicht un-
vergleichende Suche mit einer ordentlichen Bürgerbetei- tereinander kloppte und nicht das Theaterstück „Kasper
ligung. und das Krokodil“ aufführte? Ich weiß nicht, wer wer ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber diese ewige Klopperei hinter dem Vorhang sieht
sowie bei Abgeordneten der SPD) man schon.
Jetzt ginge es um Dinge, die Kosten und Gesundheits- Schauen wir uns an, wie Einsparungen vorgenom-
schäden auslösen. Ein Beispiel sind die Laufzeiten der men werden könnten. Denken Sie an Generationenge-
AKWs. Man sollte nicht über Laufzeitverlängerung re- rechtigkeit! Denken Sie an das Klima, über das Sie so oft
den. Herr Röttgen, Sie haben hier schon schöne, grüne reden! Warum, bitte schön, fangen wir nicht mit dem
Reden gehalten. Sie wurden immer wohlklingender. Bei Umbau hin zu einer ökologischen Dienstwagensteuer an,
Ihnen fällt mir der Satz mit dem Bettvorleger ein, Herr die dazu führt, dass nicht jedes Auto steuerlich voll ab-
(B) Röttgen: Als grüner Tiger gestartet, als schwarzer Bett- gesetzt werden kann, statt tonnenschwere Dienstwagen (D)
vorleger gelandet. – Das ist die Wahrheit Ihrer Energie- zu subventionieren? Oder die Ökosteuer. Warum gibt es
und Klimapolitik. Ausnahmen für die Zementindustrie? Zement ist kein
global gehandeltes Produkt. Solche unsinnigen Ausnah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men wollen wir streichen.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt müsste es darum gehen, eine gute Verkehrspoli-
tik für Stadt und Land zu machen. Das Wettrennen um Oder die Kohlesubventionen. Wir dürfen nicht länger
die Neuerfindung des Autos ist eröffnet. Frau Merkel klimaschädliche Technologien mit Milliarden fördern.
macht sicherlich irgendwann wieder einmal einen run- Oder die in die Milliarden gehenden Forschungsgelder
den Tisch oder führt ein Gespräch. Aber wo ist das Kon- für die Raumfahrt. Was wollen wir eigentlich auf dem
zept, das einen Stundentakt für den öffentlichen Verkehr Mond? Ich sage Ihnen ganz klar: Auch dieses Programm
vorsieht und ihm Vorrang einräumt, und zwar hier in können Sie streichen. Wir Deutsche wollen nicht die
Deutschland und nicht irgendwo anders? Wo ist das Letzten auf dem Mond, sondern die Ersten sein, die mit
Konzept, das das Auto in modernster Form durch An- einem Elektroauto von Berlin nach München fahren,
reizprogramme im Haushalt oder eine andere Kfz-Steuer ohne zwischendurch Strom zu tanken. Das wäre die
fördert? Sie organisieren in diesem Haushalt keine Zu- technologische Entwicklung.
kunft. Sie führen nur hin und wieder Gespräche, damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie schöne Zeitungsfotos bekommen. Das ist aber für die
Zukunft dieses Landes nicht genug. Schauen wir uns das Thema Einnahmen genau an.
Sie sind für eine Rekordverschuldung verantwortlich
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und machen sich nicht die Mühe, die Stärkeren mehr
Sie machen 130 Milliarden Euro neue Schulden ohne ir- Lasten tragen zu lassen und diejenigen, die an den
gendeine Rendite auf die Zukunft. Finanzmärkten profitiert haben, ein Stück weit zahlen zu
lassen; denn Sie haben kein Leitbild und wissen nicht,
Ich will Ihnen sagen, was man eigentlich machen wie Sie sich die Zukunft dieses Landes vorzustellen ha-
müsste. Man müsste mit Mut und Visionen losgehen, ben. Dazu haben Sie keinen Mut. Sie müssen den Spit-
Entscheidungen gegen alte Lobbys treffen und sozusa- zensteuersatz auf 45 Prozent anheben. Sie brauchen eine
gen durch Mauern laufen. Man wird das sicherlich nicht Vermögensabgabe zur Deckung der Schulden aus der
mit ein, zwei Maßnahmen erreichen. Aber man müsste Finanzkrise. Es muss Schluss mit dem Gehälterwahn-
gezielt vorgehen und Einsparungen im Haushalt vorneh- sinn sein. Man muss den Unternehmen sagen: Nur bis
2734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Renate Künast
(A) 500 000 Euro darfst du das Gehalt von deinen Betriebs- wachsenen dieses Landes ist Schwarz-Gelb eine Politik (C)
kosten abziehen. Ansonsten musst du dich vor deinen der leeren Hände.
Aktionären rechtfertigen, dass die Ausschüttungen ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ringer sind. Du kannst nicht auf Kosten des Steuerzah-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
lers leben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege
Volker Beck.
Wie wäre es zum Beispiel mit einer Finanzumsatz-
steuer?
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Eines muss ich Ihnen, Frau Merkel, wirklich ankrei- Frau Kollegin Homburger, Sie haben vorhin ein Zitat
den. Sie enttäuschen mich, weil Sie in der letzten Legis- verwendet, in dem Herr Sarrazin und Herr Westerwelle
laturperiode mit einem roten Anorak vor einem Glet- als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet werden. Das ist
scher gestanden und gesagt haben, jetzt gehe es um das eine Formulierung, die natürlich völlig inakzeptabel ist.
Klima. Wo sind eigentlich die Investitionen in das Öko- Sie haben dabei den Eindruck erweckt, als ob irgendje-
logische? Wo zeigt sich an diesem Haushalt Jahre nach mand auf dieser Seite des Hauses die Verantwortung für
Ihren Aussagen eigentlich, wie man in Zukunft wirklich diese Aussage zu tragen hätte. So können wir miteinan-
gute Klimaschutzpolitik macht und ökologische Inves- der nicht umgehen. Sie haben keine Zwischenfrage zu-
titionen tätigt? Wir schlagen einen Klimaschutzfinanz- gelassen, obwohl viele Kollegen wissen wollten, von
plan vor; das heißt neue Jobs durch Investitionen in wem das Zitat eigentlich stammt. Deshalb stelle ich Ih-
Höhe von zusätzlich 4 Milliarden Euro, einen Energie- nen jetzt die Frage: Wer aus diesem Hohen Hause hat
sparfonds und ein Anreizprogramm für Elektroautos. diese Aussage getätigt? Oder: Von wem haben Sie dieses
Wir schlagen enorme Investitionen in moderne Energie- Zitat? Es ist inakzeptabel – darüber sind wir uns einig –;
netze vor. Es reicht doch nicht, hier darüber zu schwa- aber Sie sollten nicht den Eindruck erwecken, so etwas
dronieren, dass man irgendwann im Zeitalter der erneu- sei hier von Kolleginnen und Kollegen gesagt worden,
erbaren Energien ankommen sollte, sondern man muss wenn Sie das nicht belegen können.
in diesem Haushalt die Weichen dafür stellen, und die
Weichen stellt man mit Geld für das Neue und nicht für (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])
alte Privilegien. Ich habe den Verdacht, dass es die Argumentations-
strategie Ihrer Partei in den letzten Tagen ist, gegen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Popanze zu argumentieren, um berechtigte Kritik an an- (D)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
deren Dingen abzuwehren. Jetzt wird so getan, als ob die
Sie haben keinerlei gezielte Investitionen für neue politische Kultur von der Opposition dadurch beschädigt
Jobs und Maßnahmen zur Schaffung von sozialer wird, dass sie berechtigte Fragen hinsichtlich des Amts-
Gerechtigkeit vorgeschlagen. Dabei sagen Sie selber: verständnisses des Bundesaußenministers und anderer
Bildung ist der Rohstoff der Zukunft. – Wir wollen mehr Kabinettsmitglieder hat. Das reiht sich in die Aussage
Betreuungsplätze. Wir müssen die Kommunen finanziell des Kollegen Altmaier von heute Morgen in Phoenix
entlasten, damit sie ihren Aufgaben im sozialen Bereich ein, der Minister sei nicht kriminell. Auch das hat nie-
nachkommen können. Deshalb fordern wir, einen höhe- mand behauptet. Herr Westerwelle verteidigt sich selber
ren Anteil an den Kosten für die Unterkunft zu überneh- mit dem Hinweis, er werde auch in Zukunft Wirtschafts-
men und die Kommunen dadurch zu entlasten. Zum So- vertreter auf seine Auslandsreisen mitnehmen. Niemand
zialen gehört auch Würde, und das heißt, die Hartz-IV- hat bestritten, dass das jeder Außenminister der Bundes-
Sätze auf 420 Euro anzuheben, damit man davon leben republik Deutschland tun kann.
kann. Einer der Kerngedanken, neben der Bildung und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
dem sozialen Bereich, ist: gute Löhne, damit sich Arbeit SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
wieder lohnt, nicht Zuverdienst, damit man in den Grau-
zonen bleiben kann. – Wir brauchen gute Mindestlöhne, Nennen Sie hier bitte Ross und Reiter! Sagen Sie, wo-
wir brauchen Zuschüsse für die Lohnnebenkosten der her Sie dieses Zitat haben, oder korrigieren Sie den Ein-
Geringverdiener, und wir brauchen Qualifizierung, aber druck, vonseiten der Opposition sei jemals eine solche
keinen Zuverdienst. Äußerung über den Bundesaußenminister gefallen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Schon gar nicht brauchen wir Ihre Sperre an dieser Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Stelle, die dazu führt, dass viele Langzeitarbeitslose mit Kollegin Homburger, bitte.
multiplen Problemen auf der Straße bleiben.
Elf Jahre haben Sie sich auf diese Regierung vorbe- Birgit Homburger (FDP):
reitet. Das Fazit ist: Schwarz-Gelb ist nicht die Zukunft Herr Kollege Beck, ich habe hier im Zusammenhang
dieses Landes. Schwarz-Gelb ist immer nur für einige mit den Vorwürfen zum Thema Verfassungsfeindlichkeit
Auserwählte; aber für die Mehrheit der Kinder und Er- eine grundsätzliche Bemerkung über politische Werte in
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2735
Birgit Homburger
(A) diesem Land gemacht. Ich habe an keiner Stelle behaup- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C)
tet, dass ein Kollege dieses Hauses das gesagt habe. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Umetikettieren nützt nichts!)
(Joachim Poß [SPD]: Sie haben den Eindruck
erweckt!) Das ist die Zukunft in unserem Land. Wir machen eine
Politik, die von Werten geleitet ist, und deswegen reden
– Herr Poß, ich habe nicht den Eindruck erweckt, dass wir von „christlich“ und „liberal“, Frau Künast. Wir las-
ein Mitglied dieses Hauses das gesagt habe. sen uns nicht in irgendein Farbgemenge einbinden, von
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Natürlich!) dem Sie glauben, es uns aufmalen zu können.
Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass in der Op-
Es ist im Zusammenhang mit einer Laudatio auf eine
position ganz bewusst bestimmte Dinge betrieben wer-
Journalistin bei der Verleihung eines Kultur- und Frie-
den. Die Menschen in diesem Land haben Sorgen. Sie
denspreises von einem Ex-Stern-Journalisten, von Herrn
fragen: Wie geht es weiter?
Kromschröder, genau dieser Satz gesagt worden:
(Zuruf von der SPD: Ja, mit dieser Regierung!)
Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im
Nadelstreifen, die Sarrazins und Westerwelles … In meine Sprechstunde kommen Menschen, die wissen
wollen: Wird aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit, oder wird
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aus Kurzarbeit Arbeit? Darauf hat die Bundeskanzlerin
NEN]: Was haben wir damit zu tun?) heute in ihrer Regierungserklärung klare Antworten ge-
– Herr Beck, dem ist in dieser Veranstaltung offensicht- geben.
lich nicht widersprochen worden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der FDP)
NEN]: Wären Sie mal hingegangen zu dieser Da wurde das christlich-liberale Konzept dieser Koali-
Veranstaltung!) tion deutlich.
Der Weser-Kurier hat das einfach so übernommen und (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
unwidersprochen abgedruckt. NEN]: Das Konzept war: mehr Schulden! Au-
ßer „mehr Schulden“ habt ihr nichts gesagt!)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Pressefreiheit!) Anstatt darauf zu reagieren, erlebe ich bei Ihnen Dinge,
die ich nur als schäbig bezeichnen kann.
Ich habe nur auf Folgendes aufmerksam gemacht:
(B) Wenn Demokraten solchen Sätzen in solchen Reden und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D)
solchen Veröffentlichungen nicht gemeinsam widerspre- Lassen Sie den Bundespräsidenten aus der Tagespolitik
chen, heraus! Es ist schäbig, ihn aufzufordern, sich für die An-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liegen der Opposition einzusetzen. Gott sei Dank macht
NEN]: Sind Sie empfindlich!) er dies nicht.
dann ist das ein Verlust der politischen Kultur in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutschland. Dabei bleibe ich. Frau Künast, wir alle wissen, dass es eines der
schlimmsten Verbrechen ist, wenn Kinder missbraucht
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
werden, vor allem in Einrichtungen, in die Eltern und
Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Kinder besonderes Vertrauen haben, dass sie geschützt
GRÜNEN]: Frau Homburger, unanständig!) sind. Es ist richtig, dass die Geschehnisse der Vergan-
genheit aufgeklärt werden, und es ist auch richtig, dass
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: überlegt wird, was gemacht werden kann, damit dies in
Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSU- Zukunft nicht mehr passiert. Aber was mich schon be-
Fraktion. troffen gemacht hat – Frau Künast, ich dürfte erwarten,
dass Sie mir nicht den Rücken zukehren, wenn es um
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- solche Sachen geht –, war, dass es offensichtlich einigen
neten der FDP) von Ihnen nicht um diese Frage geht, sondern um eine
Abrechnung mit der Kirche. Dies werden wir nicht zu-
Volker Kauder (CDU/CSU): lassen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herren! Frau Künast, was Schwarz-Gelb macht, was
Schwarz-Gelb will, das weiß ich auch nicht. Ich bekomme Berichte, auch aus meiner Heimat, dass
es in katholischen, in evangelischen, in freien Einrich-
(Lachen und Beifall bei der SPD und dem tungen so etwas gegeben hat. Ich frage mich nicht, wo es
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- war, sondern ich sage: Jeder Einzelfall ist furchtbar. Wir
geordneten der LINKEN) müssen aufklären. Die Wahrheit muss auf den Tisch,
aber nicht um der Anklage willen, sondern um in Zu-
– Bleiben Sie mal ganz ruhig! – Aber ich weiß, dass kunft so etwas zu verhindern.
Christlich-Liberal für dieses Land etwas Richtiges
macht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Volker Kauder
(A) Das ist es, was die Menschen erwarten: Antworten auf dass Menschen in Arbeit bleiben können. Dafür werden (C)
die konkreten Herausforderungen 13 Milliarden Euro ausgegeben. In diesem Bundeshaus-
halt werden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen,
(Zuruf von der SPD: Genau!)
dass ein entsprechender Bundeszuschuss im Gesund-
und nicht ideologische Auseinandersetzungen. heitsbereich geleistet wird. Die Beiträge bei der Arbeits-
losenversicherung bleiben in diesem Nochkrisenjahr bei
Die Antwort dieser Regierungskoalition auf die
2,8 Prozent. Das entlastet Arbeitnehmerinnen und Ar-
Frage, wie es weitergeht in unserem Land, damit Per-
beitnehmer und eröffnet der Wirtschaft Chancen. Dies
spektiven eröffnet werden, ist ganz klar: Wir müssen da-
ist eben nur durch diesen Bundeshaushalt und durch die
für sorgen, dass es Wachstum in unserem Land gibt.
Politik dieser Regierungskoalition möglich geworden.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
NEN]: Wie viel haben Sie denn?)
Wachstum in unserem Land heißt: neue Chancen. Es ist Wir eröffnen natürlich auch Perspektiven für diejeni-
unbestritten, wie mir auch aus der Opposition gesagt gen, die Löhne und Gehälter im unteren oder mittleren
wurde, dass wir nicht auf dem aktuellen Niveau bleiben Einkommensbereich beziehen, und vor allem für unsere
können und wollen, sondern dass wir, wenn wir wieder Familien. Ich muss Ihnen eines sagen: Es war immer
in die Situation des Jahres 2008 kommen wollen, Politik christlich-demokratischer und christlich-sozialer
Wachstum brauchen. Ohne Wachstum werden wir aus Demokraten, vielfach in Koalition mit der FDP, sich um
Kurzarbeitern keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- die zu kümmern, die Hilfe brauchen bzw. sich aus eige-
mer machen, die eine Perspektive haben. Deshalb ist es ner Kraft nicht helfen können. Die allermeisten sozialen
notwendig, alles dafür zu tun und dafür zu sorgen – dies Gesetze sind unter der Regierungsverantwortung der
wird mit diesem Bundeshaushalt auch gemacht –, dass Union in diesem Land entstanden, nicht unter der der
Wachstum möglich wird. Grünen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Die Menschen fragen mich doch nicht: Was tut ihr da-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: für, dass es mir mit Hartz IV möglichst gut geht? Sie
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der fragen vielmehr: Was tut ihr dafür, damit ich aus
Kollegin Hendricks? Hartz IV wieder in normale Arbeit hineinkommen kann? –
Dafür müssen wir etwas tun.
Volker Kauder (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Bitte.
Es gehört zum christlich-liberalen Denken, dass man sel-
(B) ber für sich sorgen kann, dass man nicht auf die Hilfe (D)
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
von Ämtern angewiesen ist, dass man nicht als Bittstel-
Herr Kollege Kauder, ich bitte um Entschuldigung, ler auftreten muss; denn das hat etwas mit der Würde des
Sie sind jetzt schon bei einem anderen Thema angelangt. Einzelnen zu tun. Deswegen reden wir darüber, was wir
Ich will noch einmal auf den vorherigen Punkt zurück- tun können, damit an der Schnittstelle von Hartz IV und
kommen: Worin liegt eigentlich der wesentliche Unter- normaler Arbeit immer häufiger Menschen ihrer Würde
schied, wenn einerseits der Kollege Oppermann den entsprechend wieder in Arbeit kommen und nicht in
Bundespräsidenten um etwas bittet und andererseits die Hartz IV bleiben müssen.
Frau Bundeskanzlerin den Papst um etwas bittet?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Volker Kauder (CDU/CSU): Bettina Hagedorn [SPD]: Deswegen die
Wenn Sie diesen Unterschied nicht verstehen, dann 900-Millionen-Euro-Sperre!)
sollten Sie wirklich einmal zu mir zur Nachhilfe kom- Deswegen werden wir natürlich auch über die Frage re-
men. Diese Nachhilfe will ich Ihnen gerne geben. den: Wie kann Hinzuverdienst neu organisiert werden?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist die falsche
Es ist ganz klar und deutlich festgelegt, welche Rolle der Frage!)
Bundespräsident in unserem Land hat. Er hat nicht die Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Es geht nämlich nicht
Aufgabe, Helfer der Opposition in tagespolitischen Aus- ausschließlich darum, ob den Menschen statt 100 Euro
einandersetzungen zu sein. Das ist der Unterschied zwi- 150 Euro bleiben; denn dann werden die Arbeitsverhält-
schen dem, was Frau Merkel und Herr Oppermann ge- nisse danach organisiert. Vielmehr ist die Frage zu stel-
macht haben. len: Wie kann der Anreiz größer werden? Darauf werden
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir eine Antwort geben.
Wir waren bei dem Thema, wie wir Wachstum her- In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Gysi, haben
vorrufen. Wachstum wird dadurch erreicht, dass wir Ar- wir auch Fälle wie den des Mädchens, den Sie angespro-
beitsplätze schaffen und erhalten. Dafür wird mit diesem chen haben, im Auge. In ordnungspolitischer Hinsicht ist
Bundeshaushalt die Voraussetzung geschaffen. Es wird es außerordentlich problematisch, hier einen Hinzuver-
ein Zuschuss an die Bundesagentur gegeben, der es er- dienst in einer bestimmten Größenordnung für zulässig
möglicht, die Beiträge, die wiederum der Bundesagentur zu erklären, in anderen Fällen aber nicht. Ich möchte,
zugutekommen, stabil zu halten. Damit sorgen wir dafür, dass ein junger Mensch, der in einer Familie lebt, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2737
Volker Kauder
(A) Hartz IV bekommt, und der nichts dafür kann, dass es so Wenn wir über die Entwicklung unseres Landes re- (C)
ist, die Erfahrung machen kann, dass es sich lohnt, zu ar- den, dann schauen wir einen Tag vor dem 20. Jahrestag
beiten. der ersten freien Volkskammerwahlen natürlich auch auf
die Entwicklung in den neuen Ländern. Wir sehen,
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Dann dass sich dort unheimlich viel getan hat. In einer groß-
mach! Mach! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE artigen Gemeinschaftsleistung von West und Ost bzw.
LINKE]: Dann muss man doch was tun!) von Ost und West haben wir in den vergangenen 20 Jah-
Hinter dem Ziel, jungen Menschen eine solche positive ren dafür gesorgt, dass dieses Land zusammenwächst.
Erfahrung zu ermöglichen, muss die Ordnungspolitik Da ist noch einiges zu tun – überhaupt keine Frage. Es
zurücktreten. Wir werden noch vor der nächsten Som- geht natürlich darum, durch Arbeitsplätze Chancen zu
merpause dazu eine Regelung finden. schaffen. Es geht auch darum, entsprechende Prozesse
voranzutreiben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Dagmar Ich bin froh über diese gute Entwicklung. Sie hat na-
Enkelmann [DIE LINKE]: Wir nehmen Sie türlich auch etwas mit uns, mit der Union, zu tun. Unser
beim Wort!) Wahlbündnis hat damals 48 Prozent der Stimmen be-
kommen. Die Menschen haben sich dann für die deut-
In diesem Haushalt bildet sich auch an einem anderen sche Einheit entschieden. Sie haben sich auch deswegen
Thema eine neue Politik ab, nämlich am Thema Afgha- für die deutsche Einheit entschieden, weil einer ihr Ver-
nistan. Wir machen Politik in Verantwortung für die trauen gewonnen hat. Deswegen will ich heute sagen:
Entwicklung in Afghanistan. Das hat wieder etwas mit Herzlichen Dank, Helmut Kohl, dem Kanzler der Ein-
dem christlich-liberalen Wertekorsett zu tun. Wir wollen heit, der bald seinen 80. Geburtstag feiert.
mit unserer Arbeit in Afghanistan dafür sorgen, dass die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Menschen in Frieden und Freiheit leben können und dass
sie nicht von Terroristen unterdrückt werden. Die Frei- Wir haben in den neuen Ländern neue Entwicklungen
heit, sich selber um seine Anliegen kümmern zu können, vorangebracht, und das wird auch in Zukunft der Fall
ist ein wesentliches Element der Würde des Einzelnen, sein. Das Deutsche BiomasseForschungsZentrum ist in
die wir in Afghanistan für alle Afghaninnen und Afgha- Leipzig, also in den neuen Ländern, angesiedelt. Wir
nen durchsetzen wollen. sorgen dafür, dass die Energiegewinnung aus Kohle in
den neuen Ländern durch moderne Technologien wie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das CCS-Verfahren möglich wird.
Deswegen sind wir dort aktiv. Wir wollen noch mehr da- Wir haben gesagt, wir steigen in das Zeitalter der (D)
(B) für tun, dass die afghanische Regierung in eigener Ver-
erneuerbaren Energien ein. Das machen wir. Das be-
antwortung die Sicherheit in diesem Land gewährleisten deutet aber, dass das Geld, das wir von den Menschen
kann. Dabei hat die Entwicklungszusammenarbeit eine – dieses Geld kommt nicht vom Staat – zur Förderung
besondere Bedeutung. Ich bin dankbar dafür, dass darauf erneuerbarer Energien verlangen, in einem ausgewoge-
ein Schwerpunkt gelegt worden ist. Aber eines ist auch nen Verhältnis zum Ergebnis stehen muss.
klar – das muss immer wieder gesagt werden –: Ohne
die Sicherheit durch die Bundeswehr und andere Ein- (Beifall bei der CDU/CSU)
richtungen wäre die von uns gewünschte Entwicklung in
Deshalb ordnen wir die Solarförderung neu. Wenn ich
diesem Umfang gar nicht möglich. Entwicklung und
durch das Land fahre, habe ich manchmal den Eindruck,
neue Chancen in Afghanistan und das Sicherheitsgerüst
dass die Meinung vorherrscht, die Bundesregierung und
durch die Bundeswehr sind zwei Seiten derselben Me-
diese Koalition wolle die Solarförderung auf null setzen.
daille.
Absoluter Quatsch! Wir wollen nur, dass nicht 80 Pro-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zent der Förderung in eine Energie gehen, die nur einen
neten der FDP) Anteil von 1 oder 2 Prozent hat. Wir müssen bei der
Energieversorgung breit aufgestellt sein; dafür sorgen
Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen. wir. Die Solarenergie wird sich auch in Zukunft rechnen.
Ich habe vor zwei Monaten an diesem Platz davon ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sprochen, dass zur Entwicklungszusammenarbeit und neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Er lobt
zur Außen- und Sicherheitspolitik auch das Thema Reli- gar nicht den Umweltminister!)
gionsfreiheit gehört. Wir machen uns Sorgen darüber,
dass die Christen die am stärksten verfolgte Glaubens- Frau Künast, ich finde es ein bisschen billig, dass Sie
gruppe sind. Ich bin außerordentlich dankbar, dass der hier nur fordern, die Entwicklung bei den erneuerbaren
Bundesaußenminister vor dem Menschenrechtsrat in Energien solle vorangehen. Selbst wenn in einigen Jah-
Genf vor einigen Tagen genau diesen Punkt aufgegriffen ren die erneuerbaren Energien einen Anteil von 40 Pro-
und erklärt hat, dass Religionsfreiheit ein Teil unserer zent haben – was mehr als eine Verdopplung bedeutet –,
wertegeleiteten Politik ist. Er hat in diesem Zusammen- ist unbestritten, dass noch eine Lücke in der Versorgung
hang auf die Lage der Christen hingewiesen. Das verste- der Menschen und der Wirtschaft mit Strom bleibt. Es ist
hen wir unter einer wertegeleiteten Außenpolitik. doch richtig, ja notwendig, dass die Bundesregierung ein
Szenarium rechnen lässt, das aufzeigt, wie es weitergeht,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wenn die erneuerbaren Energien einen bestimmten Anteil
2738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Volker Kauder
(A) – das können beispielsweise 40 Prozent sein – haben. Es Wenn wir bei abgeschalteten Kameras beieinanderste- (C)
gehört zur Wahrhaftigkeit, zu sagen: Wir werden noch hen, höre ich aus allen Fraktionen, aus allen Parteien die
auf absehbare Zeit auf einen Energiemix angewiesen Klage darüber, welches Bild wir in der Öffentlichkeit ab-
sein. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Ge- geben und wie die Menschen über uns reden.
nauso brauchen wir noch die Kohlekraftwerke. Wie lang
die Brücke wird, hängt von den verschiedenen Szenarien (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ab. Aber in der Auseinandersetzung so zu tun, als ob NEN]: Eben! Genau!)
man auf absehbare Zeit auf Kohle und Kernenergie ver-
zichten kann, ist unwahrhaftig und nicht anständig. Wenn wir aber nicht mit etwas mehr Respekt übereinan-
der und über unsere Arbeit hier im Bundestag reden,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- braucht sich niemand zu wundern, wenn die Menschen
derspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg] so über uns reden.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Sie können sich hier nicht einfach hinstellen und so Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Haltet
tun, als wenn Sie das, was in der Endlagerfrage jetzt ge- den Dieb!)
macht wird, nichts angehe.
Deswegen erwarte ich ein bisschen mehr Grips und In-
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE telligenz.
GRÜNEN]: Bitte?)
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
Ich kann nur sagen: Was Rot und Grün gemacht haben,
ist verantwortungslos. Sie haben immer gegen jede Form GRÜNEN]: Aber dafür müsste man ein biss-
von Endlagerung polemisiert. Aber wer aus der Kern- chen Intelligenz haben!)
kraft aussteigen will, der braucht ein Endlager. Sie tun Es darf nicht nach dem Motto gehen: Die absolute
so, als wäre die Beantwortung dieser Frage bei dem von Frechheit siegt. – Das gilt für diejenigen auf der linken
Ihnen geforderten Ausstieg aus der Kernenergie nicht Seite dieses Hauses in besonderer Weise, damit das auch
mehr notwendig. Sie ist aber zwingend nötig. Bei Ihnen einmal ausgesprochen ist.
gibt es in der Energiefrage nur Ideologie und keine wirk-
liche Erkenntnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bun-
Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE desregierung zeigt mit dem vorliegenden Bundeshaus-
GRÜNEN]: Und das ist christlich? – Renate halt, dass sie den Menschen auf ihre konkreten Fragen (D)
(B)
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lasst Antworten gibt, dass sie ihre Sorgen und Ängste ernst
uns doch einfach in Baden-Württemberg nimmt. Wir sorgen dafür, dass es in diesem Land voran-
Standorte untersuchen!) geht. Wir wissen, dass die Bewältigung der Krise nicht
Wir werden uns dieser schwierigen Aufgabe stellen. in einem Jahr möglich ist. Wir wissen, dass wir dafür ei-
nen längeren Atem brauchen. Diesen Atem haben wir.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Mit diesem Haushalt müssen wir noch einmal auf die Fi-
noch etwas anderes sagen. Mir macht die Art und Weise nanz- und Wirtschaftskrise reagieren.
des Umgangs miteinander Sorge. Ich bin wirklich nicht
zart besaitet. Ab dem nächsten Haushalt müssen wir die Schulden-
bremse berücksichtigen. Dann wird es im Hinblick auf
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Beiträge der Opposition in der Haushaltsdebatte
NEN]: Das stimmt! Da hat er recht!) hochinteressant werden, zu sehen, ob Sie wissen, dass
Ich bin nicht zart besaitet; das weiß jeder. die Schuldenbremse bedeutet, dass wir nicht Milliarden
mehr, sondern mindestens 10 Milliarden Euro weniger
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- als in diesem Haushalt ausgeben können.
NEN]: Stimmt auch in der Wiederholung!)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Ich selbst war über ein Jahrzehnt lang Generalsekretär NEN]: Aber erst noch mal Schulden machen!
und habe ausgeteilt und hingenommen. Aber ich sage Ih-
Wir sollen dann Ihr Neuschuldenproblem lö-
nen: Das hat alles irgendwo eine Grenze.
sen!)
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das stimmt!)
Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Verantwor-
Ich bin sehr dafür, dass man auch einmal pointiert for- tung ernst. Das, was ich von Ihnen gehört habe, lässt
muliert. Ich bin sehr dafür, dass man in der Sache hart mich aber daran zweifeln, dass Sie diesen Weg mit uns
miteinander umgeht. Aber was ich in den letzten Tagen mitgehen.
an Attacken auf Außenminister Guido Westerwelle er-
lebt habe, ist nicht akzeptabel. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer hat Bettina Hagedorn [SPD]: Und das machen Sie
denn angefangen?) mit Steuersenkungen?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2739
(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Es ist ein vernichtendes Urteil, das die Presse und die (C)
Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Scheelen Menschen in Deutschland über Sie gefällt haben.
für die SPD-Fraktion.
Betrachtet man die ersten 140 Tage schwarz-gelbes
Kabinett Merkel, dann stellt man sich die Frage: Was ist
Bernd Scheelen (SPD): in den 140 Tagen passiert? Was haben Sie bisher bewegt?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Was haben Sie auf die Schiene gesetzt? Immerhin sind
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier eine 15 Minister am Werke und etliche Dutzend Staatssekre-
Einladung für den 22. April 2010. An diesem Tag wird täre. Was ist in diesem Hohen Hause in den 140 Tagen he-
dem Kollegen Kauder der Titel des Botschafters des Bie- rausgekommen? Ganze zwei Gesetze. Was für ein Auf-
res 2010 zuerkannt. Es ist eben deutlich geworden, wa- wand für zwei Gesetze! Hinzu kommt, dass das zwei
rum Sie diesen Titel verdient haben, Herr Kollege Gesetze sind, die Sie besser hätten sein lassen. Das wäre
Kauder. für die Republik deutlich besser gewesen;
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD)
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN) denn mit diesen Gesetzen verteilen Sie Steuergeschenke
auf Pump und treiben damit die Schuldenstände auf neue
Das deutsche Bier unterliegt dem Reinheitsgebot. Ich Rekordhöhen.
fände es besser, wenn auch Sie Ihre Reden vorher einem
Reinheitsgebot unterziehen würden; denn ich finde es Gestern hatte Kollege Barthle – er telefoniert gerade –
unverschämt und frech von Ihnen, zu behaupten, die Op- auch noch die Frechheit, sich hier hinzustellen und das
position in ihrer Gänze würde die Kirchen bekämpfen. Ganze als ein Gesamtkunstwerk zu preisen. Er sagte:
Für die SPD-Fraktion weise ich diesen Vorwurf ent- Der Haushalt sei ein Gesamtkunstwerk.
schieden zurück.
(Lachen bei der SPD – Nicolette Kressl [SPD]:
(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ Das war peinlich!)
CSU]: Das hat er gar nicht gesagt! – Volker
Kauder [CDU/CSU]: Ich habe Frau Künast an- Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und im Brock-
gesprochen!) haus nachgeschlagen, was ein Gesamtkunstwerk ist. Da-
rüber gibt es lange Abhandlungen. Ein Beispiel wurde
– Sie haben die Opposition in Gänze angesprochen. Für genannt: Eine politische Utopie könne ein Gesamtkunst-
die SPD-Fraktion habe ich diesen Vorwurf zurückgewie- werk sein. Der Haushalt, den Sie vorlegen, ist keine poli-
sen. Wir wissen um die Bedeutung der Kirchen, aber tische Utopie, sondern eine politische Bankrotterklä-
(B) man wird über Strukturen in Kirchen und weltlichen rung. (D)
Einrichtungen doch wohl noch diskutieren dürfen.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kauder, ich habe volles Verständnis dafür, dass
Sie das Thema Schwarz-Gelb so vehement in den Vor- Sie treiben mit diesem Haushalt nicht nur die Bundes-
dergrund stellen; denn schwarz-gelb ist die Farbkombi- schulden in die Höhe, Sie ruinieren gleichzeitig auch
nation der Giftfässer mit Atommüll. noch die Länderhaushalte und vor allen Dingen die
Kommunalhaushalte. Die Städte und Gemeinden sind
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – in einer schwierigen Situation. Das wird von Dr. Gerd
Lars Lindemann [FDP]: Wissen Sie, dass da- Landsberg – er ist der Hauptgeschäftsführer des Deut-
rauf alles Rot geschrieben wird?) schen Städte- und Gemeindebundes – wie folgt zusam-
Dass Sie damit nicht in einen Topf geworfen werden mengefasst: Die Lage der Kommunen ist nicht schlecht;
wollen, kann ich verstehen, aber Ihr verzweifelter Ver- sie ist katastrophal. Er hat recht. Christian Ude, der
such, schwarz-gelb durch die Formulierung christlich-li- Oberbürgermeister von München, sagt: Unsere Städte
beral zu ersetzen, wird nicht funktionieren. bluten aus. Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main
und Präsidentin des Deutschen Städtetages sagt: Die
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Städte liegen auf der Intensivstation. Das sind Äußerun-
GRÜNEN]: Das stimmt!) gen von wichtigen Kommunalpolitikern, nachdem die
beiden Gesetze von Ihnen mit schwarz-gelber Mehrheit
Es hat sich bei den Menschen festgesetzt: Schwarz-gelb durch den Bundestag gebracht wurden, die dazu führen,
ist mittlerweile ein Etikett für Pleiten, Pech und Pannen. dass den Kommunen in diesem Jahr und auch in den
(Beifall bei der SPD) kommenden Jahren deutlich weniger Geld zur Verfü-
gung steht.
Es geht heute darum, nach 140 Tagen Schwarz-Gelb
Bilanz zu ziehen. Die 100-Tage-Bilanz ist noch nicht so Zum sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
lange her. Deswegen darf ich Ihnen ein Zitat der Leipzi- Die Kanzlerin hat vorhin ausgeführt, dieses Gesetz würde
ger Volkszeitung vortragen, die zur 100-Tage-Bilanz von den Namen zu Recht tragen. Das Gesetz trägt den Namen
Schwarz-Gelb geschrieben hat: Die Bilanz hat „Stärken nicht zu Recht. Das Einzige, was beschleunigt wird, ist
und Schwächen“. Sie führt weiter aus: „Schwarz-Gelb das Wachstum der Schulden. Es ist ein Schuldenwachs-
hat schwach angefangen und dann stark nachgelassen.“ tumsbeschleunigungsgesetz.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
2740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Bernd Scheelen
(A) Das sind für die Kommunen jedes Jahr 1,6 Milliarden Rathaus gegeben. 3 500 Euro sind aus der Rathauskasse (C)
Euro an Mindereinnahmen. Wenn man davon ausgeht, gestohlen worden. Jetzt ist auch diese Gemeinde pleite.
dass die Länder ihren Anteil an den Defiziten ebenfalls
(Birgit Homburger [FDP]: Wir waren es
weitergeben, dann sind es 2,5 Milliarden Euro. Dasselbe
nicht!)
gilt für das Gesetz, das Sie zur Entlastung von Unterneh-
men gemacht haben, damit diese ihre Gewinne nun Die Kommunen, meine sehr geehrten Damen und
leichter ins Ausland verlagern können. Hier geht es um Herren, sind das Fundament der Demokratie und nicht
weitere 700 Millionen Euro minus. Das macht unter dem das Kellergeschoss. Wenn das Fundament Risse be-
Strich 2,5 bis 3 Milliarden Euro, die die Kommunen al- kommt, dann bekommt auch das Haus Risse, und die
lein durch Ihre aktuelle Gesetzgebung weniger zur Ver- Menschen, die darin wohnen, bekommen Angst.
fügung haben, und das in einer Situation, in der es den
(Lars Lindemann [FDP]: Mein Gott! Wie ver-
Kommunen eh schlecht geht; denn sie leiden natürlich
zweifelt muss man in Ihrer Fraktion sein!)
wie alle staatlichen Ebenen unter der Finanz- und Wirt-
schaftskrise. Das, was weniger zu Buche schlägt, sorgt Die Bundeskanzlerin hat die Vertreter der kommunalen
dafür, dass aus dem positiven Saldo der Kommunen von Spitzenverbände zu sich ins Kanzleramt gebeten. Nach-
knapp 8 Milliarden Euro in 2008 in diesem Jahr ein De- her war zu lesen, es sei ein anregender Gedankenaus-
fizit von 12 Milliarden Euro wird. Das ist nur zur Hälfte tausch gewesen. Das ist nicht das, was die Kommunen
der wirtschaftlichen Situation geschuldet. Der Rest ist brauchen. Die Kommunen brauchen Hilfe. Sie brauchen
durch Gesetzgebung staatlich verordnet. Daran müssen keine Kaffeekränzchen.
wir arbeiten. Da muss angesetzt werden. Da müssen wir
(Beifall bei der SPD)
den Kommunen Beistand leisten.
Ein letztes Wort zu Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und
(Beifall bei der SPD) zur Gewerbesteuer, die Sie abschaffen wollen. Das ist
Statt 8,5 Milliarden Euro für das sogenannte Wachs- Ihr ganz persönlicher Wortbruch. Sie haben vor dem
tumsbeschleunigungsgesetz auszugeben, hätten Sie bes- Deutschen Städtetag in Bochum und anschließend vor
ser ein Konjunkturpaket III aufgelegt und damit das dem Kongress der deutschen Kommunen Folgendes ge-
fortgesetzt, was wir mit dem Konjunkturpaket II begon- sagt – das darf ich noch eben verlesen –:
nen haben. Geben Sie das Geld den Kommunen. Die le- Das, was ich Ihnen heute zusagen kann, ist, dass
gen es sinnvoll an. Die sorgen für Wachstum vor Ort. wir keinem Druck nachgeben werden, wenn es um
Die sorgen dafür, dass Kindertagesstätten gebaut werden die Frage geht, ob wir an die Gewerbesteuereinnah-
können, dass Schulen und Hochschulen energetisch sa- men herangehen werden.
(B) niert werden können. Da ist das Geld deutlich besser an- Das war in Bochum, am 13. Mai 2009. Am 26. Mai
(D)
gelegt als auf den Konten von Hotelbesitzern und rei-
chen Erben. 2009 haben Sie in Berlin gesagt:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich habe auf dem Deutschen Städtetag eine Zusage
der LINKEN) gemacht, die wir auch halten werden. Die Gewerbe-
steuer bleibt unangetastet.
Die Geschenke, die Sie verteilen, müssen die Men- Das ist Wortbruch. Über Ihrer Koalitionsvereinbarung
schen in Städten, Gemeinden und Kreisen bezahlen. Das sollte nicht wie im ersten Satz des Johannesevangeliums
ist die große Ungerechtigkeit. Wenn demnächst, in Berg- „Am Anfang war das Wort“, sondern „Am Anfang war
kamen zum Beispiel, die Menschen in ihr Schwimmbad der Wortbruch“ stehen.
gehen, werden sie zwar froh sein, dass sie noch eines ha-
ben, aber sie werden, da die Wassertemperatur deutlich Herzlichen Dank.
abgesenkt ist, hautnah spüren, wie kalt Ihre Politik den (Beifall bei der SPD)
Kommunen gegenüber ist.
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
CSU]: Es soll doch gar nicht geheizt werden! Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich für die CDU/
Wegen Öko!) CSU-Fraktion.
In Oberhausen werden die jungen Menschen verstehen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
was für eine Politik Sie betreiben, wenn die Stadtverwal- der FDP)
tung ihnen sagt: Wir können euch nicht mehr ausbilden.
Das ist uns verboten worden, weil wir pleite sind. – In Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Wuppertal wird das Schauspielhaus sehr wahrscheinlich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
geschlossen. Das Wuppertaler Schauspiel hat Weltruhm Herren! Die christlich-liberale Koalition legt in der
erlangt durch Namen wie Pina Bausch. Der kulturelle schwersten Krise, die die globalisierte Weltwirtschaft
Abstieg in Wuppertal ist Folge Ihrer Politik. bisher mitgemacht hat, einen Haushaltsentwurf vor.
Aber ich habe auch ein positives Beispiel gefunden: Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Men-
In der Gemeinde Güntersleben – das ist eine kleine Ge- schen in diesem Lande machen sich Sorgen, viele um ih-
meinde mit etwa 4 000 Einwohnern in der Nähe von ren Arbeitsplatz, viele um die Zukunft ihrer Kinder. Ich
Würzburg – hat es am Wochenende einen Einbruch ins glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe in diesem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2741
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
(A) Hause, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen der Men- 80 Milliarden Euro Neuverschuldung, das sind im- (C)
schen in unser wirtschaftliches und politisches System merhin 5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes, also
sowie in die Handlungsfähigkeit all derjenigen, die sich all dessen, was in diesem Land produziert wird. Das ist
im politischen Bereich bemühen, erhalten bleibt. Deswe- nicht wenig und vor allem mehr als das,
gen fordere ich Sie von der Opposition auf, persönliche
(Joachim Poß [SPD]: Wir sind doch hier nicht
Diffamierungen gegenüber Mitgliedern der Bundesre-
bei Seehofer!)
gierung zu unterlassen.
was im Stabilitätspakt der Länder, die der Eurozone an-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gehören, vorgesehen ist.
Es besteht kein Zweifel: Wir hatten vor einigen Jah- (Joachim Poß [SPD]: Wir sind hier nicht bei
ren noch die Hoffnung, dass wir im Jahr 2011, vielleicht Seehofer!)
sogar im Jahr 2010, einen ausgeglichenen Haushalt er-
reichen könnten. Wir hatten in der Föderalismuskom- Ein Blick auf unsere internationalen Partner und Freunde
mission – Herr Kollege Poß, die FDP war beteiligt – da- zeigt, dass es den anderen noch schlechter geht: Netto-
mals diese Vorstellung. 2008 wurde durch die Krise neuverschuldung in Frankreich 8,2 Prozent, in Großbri-
alles anders. Alles war Makulatur. Die Zahlen haben tannien 12,9 Prozent und in den USA 13 Prozent – in
nicht mehr gestimmt; denn die Steuereinnahmen sind Deutschland 5 Prozent.
eingebrochen, die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sind
(Ute Kumpf [SPD]: Wir hatten gute Konjunk-
gestiegen, und Konjunkturpakete und Wachstumsbe-
turpakete! – Joachim Poß [SPD]: Ja, Große
schleunigungsgesetze mussten finanziert werden.
Koalition! Konjunkturpakete!)
In dieser Situation stellt sich die Frage nach unseren So schlecht stehen wir also nicht da.
Grundsätzen. Unsere Grundsätze, mit denen wir Politik
gestalten wollen, um das Land aus der Krise zu führen, Die wichtigste Botschaft für die Menschen ist, dass
heißen: Wir wollen das Potenzial unseres Volkes aus- der Arbeitsmarkt stabil bleibt.
schöpfen. Wir wollen das Potenzial unserer Wirtschaft
(Joachim Poß [SPD]: Kurzarbeitergeld!)
nutzen. Wir wollen die Substanz erhalten. Wir wollen
die Menschen dazu ermutigen, gemeinsam anzupacken, Ich möchte an dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank
um aus dieser Krise herauszukommen. an die Tarifpartner richten, die bisher verhandelt haben
und deutlich gemacht haben: Die Sicherung von Be-
Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der eine Balance schäftigung und Arbeitsplätzen steht jetzt an allererster
schafft zwischen einer Entlastung der Bürger – erste Steu- Stelle vor allen anderen Forderungen.
(B) ersenkungen haben wir zu Beginn dieses Jahres durchge- (D)
führt; insgesamt sollen die Bürger fast 25 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Euro mehr in den Taschen haben – und der Möglichkeit neten der FDP und des Abg. Joachim Poß
für öffentliche Investitionen. Auch das ist in diesem [SPD])
Haushalt realisiert worden. Im Übrigen, Herr Kollege
Aber, meine Damen und Herren, die Krise ist nicht
Scheelen, sind wir mit den Kommunen im Gespräch.
vorbei. Eines steht schon heute fest: Wir werden Jahre
Wir haben eine Kommission für eine Gemeindefinanzre-
brauchen, um auf das Produktionsniveau von 2007, also
form eingesetzt, weil wir die schwierige Situation unse-
der Zeit vor der Krise, zurückzukommen. Das RWI hat
rer Kommunen sehen und diese Schwierigkeiten ge-
heute Vormittag die jüngsten Konjunkturprognosen nach
meinsam mit den Kommunen lösen wollen.
unten korrigiert. Es wird nicht einfach werden. Deswe-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen ist es wichtig, dass wir die Leitlinien der christlich-
der FDP – Joachim Poß [SPD]: Da muss man liberalen Politik noch einmal deutlich machen.
helfen und nicht noch verschärfen!) Erstens. Die Kraft dieses Volkes und dieser Wirtschaft
Ich danke den Haushältern dafür, dass sie einen wei- liegt im Mittelstand. Wir unterscheiden uns in dieser
teren wichtigen Schwerpunkt in diesem Haushalt gesetzt Frage von einigen anderen Ländern, zum Beispiel von
haben. Sie haben klargemacht: Wir wollen und werden unseren Freunden in Frankreich, die auf Großstrukturen,
sparen. Vielen Dank den Haushältern für die Arbeit, die auf Großindustrie setzen. Deswegen sind wir sehr skep-
sie in den letzten Wochen oft in nächtelanger Arbeit leis- tisch, wenn es darum geht, eine Wirtschaftsregierung auf
ten mussten! europäischer Ebene zu installieren. Wir sagen: Wir las-
sen uns von europäischer Ebene nicht die Großstruktu-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Aber unterhalb ih- ren der anderen Länder aufdrücken. Wir in Deutschland
rer Möglichkeiten geblieben!) sind seit vielen Jahrzehnten mit unserer Struktur erfolg-
Das hebt sich von den vielen unrealistischen Forderun- reich und brauchen keine Belehrung von anderen.
gen in Milliardenhöhe, die von roter und grüner Seite ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß
stellt werden, wohltuend ab. [SPD]: Auch richtig!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß Ich will die Bundesregierung in ihrer Ablehnung und
[SPD]: So ein Quatsch! Stimmt überhaupt kritischen Haltung gegenüber der EU-Strategie 2020 be-
nicht! – Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind so- stärken, die ebenfalls darauf abzielt, wirtschaftspoliti-
lider als Sie!) sche, finanzpolitische, bildungspolitische und sozialpoli-
2742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Herr Staatsminister, ich möchte Sie bitten, den Wirt- Seit der Schaffung des Grundgesetzes vor 60 Jahren
schaftsminister davon zu überzeugen, dass er Fördergel- nach einer menschenverachtenden NS-Diktatur prakti-
der aus seinem Etat bereitstellt. Das wäre eine wahre zieren wir in Deutschland-West ein Kulturverständnis
Mittelstandsförderung und wäre in dieser gemeinsamen mit den Elementen Freiheit, Vitalität und Vielfalt. Seit
Konstellation eine sinnvolle Aktion. jetzt 20 Jahren gilt diese Ausrichtung auch für Deutsch-
land-Ost. In den 40 Jahren DDR war es anders. Da galt
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Weisung Otto Grotewohls, der auf den Tag genau vor
59 Jahren, am 17. März 1951, erklärte:
Die Fraktion der SPD wird in Kürze einen Antrag in die-
ser Richtung vorlegen. Literatur und bildende Künste sind der Politik
untergeordnet … Die Idee der Kunst muss der
Zum Schluss möchte ich für eine gute konstruktive Marschrichtung des politischen Kampfes folgen.
Zusammenarbeit ganz herzlichen Dank sagen. Bei uns
allen gibt es unterschiedliche Ansätze, aber im Kulturbe- Diese Art von Bevormundung gibt es nicht mehr, und sie
reich funktioniert die Zusammenarbeit in der Regel noch darf es in Zukunft auch nicht mehr geben.
immer gut.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herzlichen Dank.
Die letzten fünf Jahre waren mit die besten Kultur-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten jahre für Deutschland. Daran haben alle Fraktionen ihren
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Anteil. Fast 6 Milliarden Euro sind durch den Bund ini-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2745
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
(A) tiiert worden. Allein 2010 werden es 1,2 Milliarden Euro Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): (C)
sein. So hoch war der Etat noch nie. Das bedeutet eine Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Steigerung in fünf Jahren um über 12 Prozent und ist Lieber Herr Kollege Börnsen, ja, das ist weiß Gott die
eine Erfolgsgeschichte, an der einer unserer Kollegen ei- Parole der Stunde: die Kultur jetzt stärken. – Wie sieht
nen besonders hohen Anteil hat, nämlich Staatsminister aber die Umsetzung dieser Parole in der Wirklichkeit un-
Bernd Neumann, ein Christdemokrat. seres Landes im Moment eigentlich aus?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wegsehen und Weghören: Das sind Haltungen, durch
neten der FDP – Wolfgang Wieland [BÜND- die einer demokratischen Gesellschaft ein schwerer
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass er es dazu- Schaden zugefügt wird. Auf Regierungsebene und auf
sagt!) nationaler Ebene wird in Sachen Kultur im Moment aber
weggesehen und weggehört, und das, obwohl uns jeden
Doch auch Kürzungen hat der Haushaltsausschuss Tag neue Hilferufe aus den Kommunen erreichen: Re-
vorgenommen, so unter anderem bei der Kulturstiftung korddefizite, Schulden, Sparpläne und die Folgen für die
und bei der Deutschen Welle – mit Skepsis in Bezug auf Kultur. Vorgestern ging es um die Theaterschließungen
deren Ausgabenpolitik. So geht das nicht. Im Fachaus- im Ruhrgebiet, gestern um das Verschwinden kleiner Bi-
schuss müssen wir uns damit dringend auseinanderset- bliotheken und heute um Museen, die ihre Öffnungszei-
zen. ten verkürzen müssen.
Bei der Kulturförderung durch private Hände liegt Was macht die Regierung? Die Regierung hat eine
Deutschland gemeinsam mit der Schweiz an der Spitze. Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neu-
Allein Unternehmen bei uns geben jährlich 350 Millionen ordnung der Gemeindefinanzierung eingesetzt – der
Euro für das Kultursponsoring aus. Die christlichen Kir- Kollege Börnsen hat sie uns gerade in warmen Worten
chen sind mit 3 Milliarden Euro dabei, und 16 000 Stif- geschildert –: die Gemeindefinanzkommission. Was
tungen sorgen mit Fördergeldern in Höhe von 4 Milliar- wird dieser Kommission von vornherein aufgetragen?
den Euro auch für die Kultur. Das sind Beiträge, die Ihre Aufgabe ist es,
Ausdruck eines vorbildlichen Bürgerengagements sind. … darauf zu achten, Aufkommens- und Lastenver-
Wir sollten das im besten Sinne unterstützen. schiebungen insbesondere zwischen dem Bund auf
der einen und Ländern und Kommunen auf der an-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie deren Seite zu vermeiden.
des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]) Das heißt aber, dass alles bleibt, wie es ist. Es wird also
(B) weggesehen und weggehört. Wer die Finanzgrundlagen (D)
Erfolgversprechend ist auch die Kultur- und Kreativ- der Kommunen prinzipiell verändern will – das wollen
wirtschaft, die mit 830 000 Arbeitsplätzen ein Arbeits- zum Beispiel wir von der Linksfraktion –,
und Wachstumsmotor ersten Ranges ist. Wir werden ihr
weiter eine Zukunft geben. (Beifall bei der LINKEN)
darf auf die Ergebnisse dieser Gemeindekommission
Das gilt auch für die Breitenkultur. Wir als Union
nicht warten und muss einen anderen Weg einschlagen.
wollen Kultur für alle und Kultur von allen gefördert
Für wen die Kultur in einem umfassenden Sinn zur
wissen. Hoch-, Breiten- und Soziokultur: Alle drei ha-
Daseinsvorsorge gehört – dazu gehören wir auch –, darf
ben einen Anspruch auf Anerkennung und Förderung.
erst recht nicht auf diese Kommission setzen. Wer jetzt
Die Kultur gibt es nicht nur in den großen Häusern. nicht wegsehen und weghören will, muss etwas anderes
Auch alle nicht professionellen Initiativen – Kultur auf tun und jetzt helfen.
dem Lande, die kulturelle Bildung – dürfen nicht zu kurz (Beifall bei der LINKEN)
kommen. Sie alle sind im Kulturhaushalt berücksichtigt;
er ist entsprechend ausgerichtet. So muss es auch blei- Im Art. 104 b des Grundgesetzes heißt es, der Bund
ben. kann … im Falle von Naturkatastrophen oder au-
Wir sind in Europa mit Gesamtausgaben von 12 Mil- ßergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kon-
liarden Euro an der Spitze bei den Investitionen in die trolle des Staates entziehen und die staatliche
Kultur. Das ist ein Wort. Wir sind ein Kulturland, und Finanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohne
wir wollen das auch in Zukunft bleiben. Gesetzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren.
Von dieser außergewöhnlichen Notsituation ausgehend
Herzlichen Dank. fordert die Fraktion Die Linke ein Sofortprogramm des
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bundes in Höhe von 1 Milliarde Euro für den Erhalt un-
serer kulturellen Infrastruktur.
Tabea Rößner
(A) Sie nicht einmal, sehr geehrte Damen und Herren von Nun hat Kollege Siegmund Ehrmann als letzter Red- (C)
der Koalition, ob Sie es denn überhaupt noch wollen. ner in dieser Debatte das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Selbst wenn es diesen Verlegerschutz geben sollte, wird Siegmund Ehrmann (SPD):
er die Presse nicht retten. Nicht ein Tropfen und auch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
nicht ein Tröpfchen, sondern höchstens ein Nanotröpf- der Tat gibt es im Bereich der Kultur- und Medienpolitik
chen auf den heißen Stein wäre das. Die Presse stirbt, zwischen den Fraktionen große Schnittmengen. So be-
und Sie schauen zu. grüßen wir ausdrücklich, dass sich eine Enquete-Kom-
mission – deren Einrichtung haben wir mitgetragen –,
Unsere Demokratie braucht starke, unabhängige Me- mit Fragen des Internets und der digitalen Welt aus-
dien. Sie informieren, sie kritisieren, und sie tragen zur einandersetzen wird. Nun kann man sicherlich noch ei-
gesellschaftlichen Debatte bei. Unabhängige Medien nige Zeit auf Handlungsempfehlungen warten. Es gibt
sind kein Luxus, den wir uns leisten. Sie sind geistiges aber schon heute in einigen Punkten insbesondere kul-
und gesellschaftliches Grundnahrungsmittel. Ihre Glaub- turpolitische Herausforderungen, zum Beispiel wie die
würdigkeit ist das Fundament, auf das sie bauen. Dieses kulturelle Vielfalt im Internet und der freie Zugang zu
Fundament dürfen wir nicht unterhöhlen, wie es im Fall den Informationen gesichert werden können.
Brender beim ZDF geschehen ist.
Eine Antwort, die wir im Bereich der Kulturpolitik
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geben, ist die Deutsche Digitale Bibliothek. Obwohl
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ende des Jahres ein Verwaltungsabkommen zwischen
Mit dieser Personalentscheidung wurde offensichtlich, dem Bund und den Ländern abgeschlossen wurde, wo-
dass der Staat hier auch auf das Programm zugreift. Das nach bis zum Jahr 2013 erhebliche Mittel, etwa 10 Mil-
aber widerspricht der Rundfunkfreiheit, die im Grundge- lionen Euro, dort eingebracht werden sollen, habe ich er-
setz verankert ist, fundamental. hebliche Kritik an den Strukturen, in denen dieser
Prozess abläuft. Es gibt keine eindeutig geklärten Ver-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ antwortlichkeiten, es gibt keine klare Steuerung dieses
DIE GRÜNEN) Prozesses, es gibt kein Konzept, in dem Prioritäten oder
Was haben Ministerpräsidenten, Staatssekretäre und Ver- Finanzierungsbedarfe dargestellt worden sind. Das ist
treter der Bundesregierung im Fernsehrat des ZDF zu ein erheblicher Mangel. Nun mag man wie die Linken
suchen? Ich meine: nichts. beantragen, zusätzliches Geld dort hineinzupumpen,
(B) aber Voraussetzung für uns ist, dass wir zunächst die (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ziele und die Schwerpunkte eindeutig definieren.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Herr Neumann, wenn Sie schon als Regierungsvertreter
Mitglied im Verwaltungsrat sind, dann schauen Sie nicht Deshalb fordern wir, dass die Gremien klare Verant-
tatenlos zu, wenn ein unabhängiger Journalist gegangen wortungsstrukturen erhalten und ein nationaler Digitali-
wird. sierungsrat eingerichtet wird, der eine steuernde Funk-
tion und die Aufgabe haben muss, eine nationale
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Digitalisierungsstrategie zu entwickeln.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das zweite Thema ist hier schon von anderen ange-
Auch wenn der Rundfunk Ländersache ist, stehen wir sprochen worden. Ich will auf die kommunale Finanz-
Bundestagsabgeordnete hier in der Pflicht, und zwar in krise und insbesondere auf deren Auswirkungen auf die
der Pflicht, die Verfassung zu wahren. Wir haben die Kulturpolitik eingehen. Der Bund trägt etwa 10 Prozent
Möglichkeit, einen Normenkontrollantrag zu stellen. der öffentlichen Kulturausgaben, die Länder tragen ge-
Wir Grüne wollen, dass der ZDF-Staatsvertrag durch meinsam mit den Kommunen 90 Prozent. In Nordrhein-
das Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Jeder von Westfalen tragen die Kommunen aus traditionellen
Ihnen kann sich diesem Antrag anschließen und zeigen, Gründen allein 80 Prozent der Ausgaben. Insofern sind
dass ihm die Unabhängigkeit der Medien etwas wert ist. die Auswirkungen der abenteuerlichen Steuerpolitik ne-
Ich lade Sie alle ein, den Antrag zu unterschreiben. So ben den ohnehin zu bewältigenden Auswirkungen der
senden wir gemeinsam ein starkes Signal nach draußen, Finanzkrise gerade für die Kommunen in Nordrhein-
für einen starken und für einen unabhängigen Rundfunk. Westfalen, aber nicht nur dort, gravierend.
Vielen Dank. Was kann der Bund tun? Wir haben den Antrag ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt – eine schmale Idee, die aber immerhin gute Ef-
fekte hat –, die Bundeskulturstiftung mit mehr Mitteln
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: auszustatten. Darüber ist berichtet worden. Ein weiterer
Punkt ist – das ist ein Ansatz vorausschauender und ge-
Frau Kollegin Rößner, das war Ihre erste Rede im
staltender Kulturpolitik –, Erfahrungen, die wir mit der
Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und
öffentlichen Kulturförderung durch den Bund in Ost-
alle guten Wünsche für die weitere Arbeit!
deutschland gemacht haben, auf Westdeutschland zu
(Beifall) übertragen. Im Osten unseres Landes haben wir mit dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2749
Siegmund Ehrmann
(A) Blaubuch ein Instrument, mit dem wir gemeinsam mit Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, (C)
allen Akteuren die Projekte von nationaler Bedeutung Platz zu nehmen, damit wir uns auf die weiteren Bera-
identifiziert haben. Muss denn erst in Köln das Stadtar- tungen konzentrieren können. Ich bitte Sie, die Gesprä-
chiv zusammenbrechen, damit wir erkennen, dass dieses che einzustellen oder sie vor dem Saal zu führen.
Archiv in Köln ebenfalls ein besonderes nationales kul-
turelles Erbe ist? Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 05
(Beifall bei der SPD)
Auswärtiges Amt
Nun haben wir uns als Bund gemeinsam mit der Kom- – Drucksachen 17/605, 17/623 –
mune Gott sei Dank in die Stiftung eingebracht. Der Mi-
nisterpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat ex- Berichterstattung:
trem lange gebraucht, ebenfalls Verantwortung zu Abgeordnete Herbert Frankenhauser
übernehmen. Aus diesem Beispiel leiten wir die Forde- Klaus Brandner
rung ab, die Kulturförderpolitik des Bundes weiterzuent- Dr. h. c. Jürgen Koppelin
wickeln und die Idee des Blaubuches nicht auf Ost- Michael Leutert
deutschland zu beschränken, sondern die Identifikation Sven-Christian Kindler
besonders förderwürdiger kultureller Güter auch in den
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
westdeutschen Ländern vorzunehmen. Dies wäre eine
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich sehe,
Möglichkeit, die Kommunen zu entlasten.
Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so ver-
(Beifall bei der SPD) fahren.
Im Ergebnis heißt das: Sowohl bei der Digitalisie- Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erstem
rungspolitik als auch bei der Weiterentwicklung der Kul- Redner in dieser Debatte das Wort dem Kollegen Klaus
turförderung durch den Bund vermisse ich die Gestal- Brandner, SPD-Fraktion.
tungsverantwortung dieser Regierungskoalition und des (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Staatsministers. Wir haben Anregungen gegeben. Wir
erwarten, dass Sie sich mit diesen qualifiziert auseinan-
dersetzen. Klaus Brandner (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Danke schön. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten
heute mit dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes einen
(Beifall bei der SPD) Haushalt, in dem es zumeist nicht um die ganz großen
(B) (D)
Zahlen geht. Mit seinen rund 3,2 Milliarden Euro macht
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dieser Etat 1 Prozent des Gesamthaushalts aus. Doch die
Ich schließe die Aussprache. Ausgaben, die mit diesem 1 Prozent bestritten werden
können und müssen, haben es in sich.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Bevor ich zu den Einzelheiten komme, möchte ich
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der mich bei den Mitberichterstattern der einzelnen Fraktio-
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der nen ganz herzlich bedanken. Die Zusammenarbeit war
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. insbesondere für jemanden, der zum ersten Mal diese
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf Aufgabe wahrgenommen hat, sehr angenehm. Ich
Drucksache 17/1023? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- möchte auch meinen Dank gegenüber dem Auswärtigen
tungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Amt für zuverlässige, konstruktive und offene Zusam-
Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge- menarbeit aussprechen. Ich denke, Herr Minister, Sie
lehnt. werden das Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus-
richten.
Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung
über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
sehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den GRÜNEN)
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Nun zurück zum Haushalt: Angesichts zahlreicher in-
Abstimmung. ternationaler und immer differenzierterer Entwicklungen
sieht sich das Auswärtige Amt großen Herausforderun-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gen und einer wachsenden Verantwortung gegenüber.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Unter Herausforderungen verstehe ich nach wie vor die
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Auswirkungen der Globalisierung in all ihren positiven,
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- aber auch negativen Facetten. Besorgniserregend sind
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu auch die Entwicklungen im Bereich der zerfallenden
Staaten. Ich denke dabei zum Beispiel konkret an Soma-
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
lia, Sudan und die Elfenbeinküste, in denen Unsicher-
später bekannt gegeben.1) heit, Gewalt, Willkür und Hunger herrschen und in de-
nen sich die besten Bedingungen für internationalen
1) Ergebnis Seite 2752 C Terrorismus und für organisierte Kriminalität finden.
2750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Klaus Brandner
(A) Gerade in den letzten Wochen und Monaten haben Ich begrüße auch, dass die angekündigten Pläne zur (C)
Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tropenstürme, Un- Kürzung von Mitteln zur Abrüstung, Rüstungskon-
wetter und Überschwemmungen viele Tote gefordert trolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit nicht in
und verheerende Zerstörungen verursacht. Da können die Tat umgesetzt werden. Stattdessen sind Sie auch hier
wir, meine Damen und Herren, nicht am Fernseher taten- den Leitlinien der Vorgängerregierung gefolgt und blei-
los zusehen. Da sind wir, die wohlhabenden Industrie- ben bei den 8,5 Millionen Euro Aufwuchs, die bereits im
staaten, gefordert. Auch hier trägt das Auswärtige Amt ersten Regierungsentwurf enthalten waren. Das ist ein
Verantwortung und hat diese, wie ich meine, vorbildlich gutes Zeichen angesichts der enormen Herausforderun-
wahrgenommen. gen, denen wir uns auf internationaler Ebene stellen
müssen.
(Beifall bei der SPD)
Selbstverständlich kann ich in einer Rede zum Haus-
Wenn ich an all diese Herausforderungen denke, mit
halt des Auswärtigen Amtes nicht unsere wichtige Auf-
denen das Auswärtige Amt konfrontiert ist, dann beru-
gabe und schwierige Verantwortung in Afghanistan und
higt mich, dass sich der Regierungsentwurf für den
für die afghanische Bevölkerung außen vor lassen. Ich
Haushalt dieses Jahres im Großen und Ganzen an den
begrüße daher ausdrücklich die zusätzlichen Mittel, die
bewährten Leitlinien, die der damalige Außenminister
im Zuge der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zur
Frank-Walter Steinmeier aufgestellt hat, orientiert.
Verfügung gestellt wurden. Das hatten wir zur Bedin-
Kontinuität in der Außenpolitik – das bedeutet für uns gung für unsere Zustimmung gemacht; denn auch ange-
Sozialdemokraten vorausschauende Friedenspolitik. sichts der Situation in Afghanistan darf sich der Haushalt
Dazu gehören vor allem eine wirksame zivile Friedens- des Auswärtigen Amtes nicht ausschließlich auf ein
prävention und ein effektives ziviles Konfliktmanage- Thema oder eine Region konzentrieren; vielmehr muss
ment auf internationaler Ebene. Das war stets der Dreh- auch im Haushalt Sorge dafür getragen werden, dass wir
und Angelpunkt guter deutscher Außenpolitik. weiterhin weltweit handlungsfähig sind. Das wäre ohne
die zusätzlichen Mittel nicht möglich gewesen. Uns war
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sven- es wichtig, dass die für Afghanistan notwendigen zusätz-
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lichen Mittel nicht zulasten anderer Haushaltstitel gin-
NEN]: Das wird aber jetzt um 10 Prozent ge- gen. Das ist gelungen, meine Damen und Herren.
kürzt!)
(Beifall bei der SPD)
Dazu gehören aber auch Abrüstung, Rüstungskontrolle
und Zusammenarbeit beim Thema Nichtverbreitung – Bis dahin zeichnet sich der Haushaltsentwurf durch
(B) Themen, die angesichts der aktuellen Herausforderun- eine große Kontinuität aus. Doch wo angesichts der zen- (D)
gen immer wichtiger werden. Nicht zuletzt brauchen wir tralen Aufgaben, die ich vorhin angesprochen habe,
auch verlässliche Partner, die uns bei unseren Aufgaben ebenfalls Kontinuität notwendig gewesen wäre, setzen
vor Ort helfen, die uns bei dem Aufbau von Strukturen, Sie den Rotstift an. Die Fraktionen der CDU/CSU und
dem Erstellen von Expertisen und dem Vorantreiben von der FDP schleifen die Mittel für zivile Krisenpräven-
gesellschaftlichen Maßnahmen unterstützen. Das sind tion und ziviles Konfliktmanagement sowie für das
zum Beispiel das Zentrum für Internationale Frie- Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Sie
denseinsätze und die politischen Stiftungen. wollen mit diesen Mitteln, so sagen Sie, unter anderem
Für mich ist es deshalb unverständlich, dass in all die- die Unterhaltung der Seemannsmissionen sowie die
sen Themenbereichen Mittelkürzungen geplant oder vor- Kriegsgräberfürsorge, -pflege und -instandhaltung unter-
gesehen waren. Heute bin ich dankbar, dass es in weiten stützen. Das alles ist löblich, und dagegen kann man im
Teilen nicht dazu gekommen ist. Ich freue mich, dass Kern nichts haben. Aber ich meine, genau an dieser
alle Fraktionen des Deutschen Bundestages von ihrem Stelle hätten Sie das liberale Sparbuch zücken sollen,
Budgetrecht Gebrauch gemacht haben, um gemeinsam statt es nach der Wahl sang- und klanglos in Aktenber-
eine Absenkung des Etats für die politischen Stiftungen gen verschwinden zu lassen. Sie hätten es genau hier gut
zu verhindern. Ihre Arbeit ist uns wichtig. Wir wollen sie einsetzen können, um für dieses wichtige Themenfeld
anerkennen. Es war wichtig und gut, dass wir gemein- ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
sam so entschieden haben. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Sparen ja, aber nicht zulasten wichtiger Maßnahmen
Mit der Rücknahme der Kürzungen ist es unserer für den Friedenserhalt; das ist aus meiner Sicht und aus
Auffassung nach auf lange Sicht aber nicht getan. Wir Sicht unserer Fraktion ein wichtiges Anliegen.
sind der Meinung, dass eine Verstetigung dieses Ansat-
zes erforderlich ist. Die Unsicherheit bei den Stiftungen Zur Arbeit des Auswärtigen Amtes gehört auch die
muss reduziert werden. Ich werbe dafür, dass dieser An- Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Auch in die-
satz in unser aller Interesse in der mittelfristigen Finanz- sem Punkt setzt die jetzige Regierung im Großen und
planung des Auswärtigen Amtes verstetigt wird, um das Ganzen auf Kontinuität und den von Frank-Walter
Auf und Ab und damit die Unsicherheit endlich zu been- Steinmeier eingeschlagenen Weg, der fortgesetzt werden
den. soll. Ich beziehe mich dabei unter anderem auf Aussagen
von Staatsminister Hoyer, der erst kürzlich hier im Bun-
(Beifall bei der SPD) destag sagte:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2751
Klaus Brandner
(A) Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns Meine Damen und Herren, was wir vor uns liegen ha- (C)
somit in der langfristigen Perspektive, wichtige au- ben, ist ein Übergangshaushalt, der auf der einen Seite
ßenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen von sinnvollen Elementen der Vorgängerregierung und
Krisenprävention durch das Schlagen von Brücken auf der anderen Seite von nicht schlüssigen Einsparun-
zwischen Kulturen und Zivilisationen, die Stärkung gen geprägt ist. Der Haushalt hat noch kein klares Profil.
der Menschenrechte, die Förderung von Freiheit Daher kann ich es gut verstehen, wenn der Bundesau-
und Rechtsstaat sowie eine erfolgreiche Außenwirt- ßenminister auf der Suche nach einem eigenen Profil die
schaftspolitik. Welt bereist. Auf Ihren Reisen, Herr Bundesaußenminis-
ter, hört man, dass Sie in vielen Fällen einen Strategie-
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Da hat er wechsel anstreben, dass Sie Neuanfänge initiieren und
recht, der Herr Hoyer!) gemeinsame Werte neu entdecken wollen. Nach meinem
Eindruck ist dies eine große Ankündigung, die bisher
Ich möchte mich diesen Worten gerne anschließen. mit noch wenig Gehalt versehen worden ist. Sie werden
Obwohl der Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bil- nachher dazu noch Stellung nehmen können.
dungspolitik auch im heute zu beratenden Haushalt wie-
der 22,6 Prozent des gesamten Einzelplans ausmacht, Ich möchte beispielsweise an Ihre Brasilienreise er-
wird an einer empfindlichen Stelle deutlich gekürzt. Zu- innern. Es wurde der Eindruck vermittelt, es sei ein ver-
erst will ich aber die positiven Aspekte nennen: die Me- nachlässigtes Land; es sei ein Land, das mehr Zuwen-
dienförderung, um zum Beispiel die Aktivitäten der dung braucht und mit dem wir eine gemeinsame
Deutschen Welle zu unterstützen, „kulturweit“, den Frei- Strategie verabreden müssten. Ich finde, das war viel
willigendienst, der das bürgerschaftliche Engagement Ankündigung. Wenn man sich die Berichte des Auswär-
unterstützt, die PASCH-Initiative – Schulen: Partner der tigen Amtes anschaut – das gilt auch für den aktuellsten
Zukunft –, also den Austausch der Schulen, sowie die aus dem Februar 2010 –, dann sieht man, dass die bilate-
Programmarbeit, mit der unter anderem die Fortsetzung ralen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien
der Filmfestspiele in Oberhausen und der Literaturwerk- auf einem ganz hervorragenden Stand sind.
statt in Berlin finanziert werden kann. All das gibt der
jetzige Haushalt her. Brasilien ist Deutschlands einziger bilateraler strate-
gischer Partner in Südamerika und damit für uns das
Zurück zu den Kürzungen. Ich spreche konkret von wichtigste Land in dieser Region. In dem Bericht heißt
den Kürzungen bei den Stipendien, bei Austauschmaß- es dazu:
nahmen und bei Beihilfen für Nachwuchswissenschaft-
Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind poli-
ler, für Studierende und Hochschulpraktikanten aus dem
tisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell und
(B) Ausland. Hier sollen beinahe 10 Prozent – oder um es in gesellschaftlich breit verankert. Mit keinem ande- (D)
absoluten Zahlen auszudrücken: circa 13 Millionen Euro –
ren lateinamerikanischen Land pflegt Deutschland
eingespart werden. Das halten wir nicht für richtig.
eine so breite und tiefe Kooperation.
Wir sind im Übrigen mit der Staatsministerin Pieper Ich selbst habe dieses Land in anderer Funktion mehr-
einer Meinung, die erst vor kurzem in der FAZ erklärt fach bereist. Ich weiß von der dichten Frequenz der Be-
hat: suche hochrangiger deutscher Politiker in den letzten
Bildung ist eine der mächtigsten Abwehrkräfte ge- Jahren: Bundespräsident Köhler im März 2007 und Bun-
gen den Terrorismus der Fundamentalisten. … deskanzlerin Merkel im Jahr 2008. Im letzten Jahr war
Denn nur wer internationale Wissensstandards teilt, Staatspräsident Lula da Silva im Rahmen eines Staatsbe-
hat auch Zugang zu weltweiten politischen und suchs in Deutschland. Es ist also ein Land, mit dem wir
wirtschaftlichen Entwicklungen und zu der Vielfalt engste Beziehungen haben und zu dem man die Bezie-
von Kunst und Kultur. Nur wer mehrdimensionales hungen weiter pflegen sollte. Man sollte aber nicht den
Wissen besitzt und über den Tellerrand schaut, kann Eindruck vermitteln, als gebe es hier einen riesigen
sein Land nach außen öffnen und nach innen einen. Nachholbedarf.
Insofern bedarf es auch keiner neuen Strategie und kei-
Das ist gut gesagt. „Gut gebrüllt, Löwe!“, möchte man
ner neuen Aktivität. Die Rede war Ausdruck einer ge-
sagen. Doch leider wurde es nicht umgesetzt. Den mäch-
wissen Ankündigungsaktivität, aber der Inhalt fehlt
tigen und gewichtigen Worten sind leider nur schlanke,
noch. Daran müssen Sie aus meiner Sicht noch arbeiten.
unterernährte Taten gefolgt. Das ist aus unserer Sicht ein
großer Fehler, der hier begangen wird. Ich meine, er (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth
müsste dringend korrigiert werden. [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Lieber Herr Koppelin, Sie setzen sich ansonsten so Im Übrigen halte ich die Aktivitäten, die Sie mit der
engagiert für dieses Thema ein. An dieser Stelle wäre Außenwirtschaftspolitik verbinden, grundsätzlich für
das Liberale Sparbuch eine gute Sache gewesen. Eine richtig. Aber ich frage mich, was eigentlich neu daran
Aussage Ihrerseits, wie man das, was man im Wahl- ist. Sie kündigen nicht nur etwas Neues an, dessen Inhalt
kampf versprochen hat, auch tatsächlich umsetzt, wäre noch völlig unbekannt ist. Ich vermisse auch, dass Sie
wünschenswert. Man hätte eingesparte Mittel nutzen bei Ihren jetzigen Reisen Zeichen setzen, dass Sie nicht
können, um diesem wichtigen Themenbereich die ihm nur als Unterstützer ökonomischer Interessen unterwegs
angemessene Bedeutung zu geben. sind, sondern auch die soziale Dimension der Globalisie-
2752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Klaus Brandner
(A) rung und ihre ökologischen Herausforderungen im Blick würden, dass wir mehr Sozialreferentinnen und Sozialre- (C)
haben. ferenten an den Botschaften etablieren können,
(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])
Deshalb wäre es gut, wenn Sie auf solchen Reisen damit diese Themen auch institutionell eine bessere Un-
auch den Personenkreis berücksichtigen würden, der für terstützung erfahren.
solche Themen spricht. Wo sind in der Wirtschaftsdele-
gation zum Beispiel die Arbeitnehmervertreter? Aus Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
meiner Sicht gehören Arbeitnehmervertreter genauso (Beifall bei der SPD)
dazu wie Unternehmensvertreter. Wo sind auf solchen
Reisen die Vertreter des typischen Mittelstands?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei der SPD) Ich komme zunächst zum Einzelplan 04 zurück und
Gerade die Handwerker brauchen unsere Unterstützung, gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift-
um im Ausland tätig werden zu können. Wo bleiben die führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
Umweltorganisationen und die Menschenrechtsaktivis- mung über den Einzelplan 04, den Haushalt der Bundes-
ten? kanzlerin und des Bundeskanzleramtes, bekannt:
abgegebene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 322,
Um diesem Thema auch inhaltlich eine größere Be- mit Nein haben gestimmt 268, keine Enthaltungen. Der
deutung beizumessen, wäre es gut, wenn Sie mithelfen Einzelplan 04 ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis Marie-Luise Dött Dr. Matthias Heider Dr. Martina Krogmann
Abgegebene Stimmen: 589; Dr. Thomas Feist Mechthild Heil Rüdiger Kruse
davon Enak Ferlemann Frank Heinrich Bettina Kudla
Ingrid Fischbach Rudolf Henke Dr. Hermann Kues
ja: 322
Hartwig Fischer (Göttingen) Michael Hennrich Günter Lach
nein: 267 Dirk Fischer (Hamburg) Jürgen Herrmann Dr. Karl A. Lamers
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Ansgar Heveling (Heidelberg)
Ja Land) Ernst Hinsken Andreas G. Lämmel
(B) Dr. Maria Flachsbarth Peter Hintze Dr. Norbert Lammert (D)
CDU/CSU Klaus-Peter Flosbach Christian Hirte Katharina Landgraf
Herbert Frankenhauser Robert Hochbaum Ulrich Lange
Ilse Aigner Dr. Hans-Peter Friedrich Karl Holmeier Dr. Max Lehmer
Peter Altmaier (Hof) Franz-Josef Holzenkamp Paul Lehrieder
Peter Aumer Michael Frieser Joachim Hörster Dr. Ursula von der Leyen
Dorothee Bär Erich G. Fritz Anette Hübinger Ingbert Liebing
Thomas Bareiß Dr. Michael Fuchs Thomas Jarzombek Matthias Lietz
Norbert Barthle Hans-Joachim Fuchtel Dr. Dieter Jasper Dr. Carsten Linnemann
Günter Baumann Alexander Funk Dr. Franz Josef Jung Patricia Lips
Ernst-Reinhard Beck Ingo Gädechens Andreas Jung (Konstanz) Dr. Jan-Marco Luczak
(Reutlingen) Dr. Peter Gauweiler Dr. Egon Jüttner Dr. Michael Luther
Manfred Behrens (Börde) Dr. Thomas Gebhart Bartholomäus Kalb Karin Maag
Dr. Christoph Bergner Norbert Geis Steffen Kampeter Dr. Thomas de Maizière
Peter Beyer Alois Gerig Alois Karl Hans-Georg von der Marwitz
Steffen Bilger Eberhard Gienger Bernhard Kaster Andreas Mattfeldt
Clemens Binninger Michael Glos Volker Kauder Stephan Mayer (Altötting)
Peter Bleser Josef Göppel Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Michael Meister
Dr. Maria Böhmer Ute Granold Schwenningen) Dr. Angela Merkel
Wolfgang Börnsen Reinhard Grindel Dr. Stefan Kaufmann Maria Michalk
(Bönstrup) Hermann Gröhe Roderich Kiesewetter Dr. h. c. Hans Michelbach
Wolfgang Bosbach Michael Grosse-Brömer Eckart von Klaeden Dr. Mathias Middelberg
Norbert Brackmann Astrid Grotelüschen Volkmar Klein Philipp Mißfelder
Klaus Brähmig Markus Grübel Jürgen Klimke Dietrich Monstadt
Michael Brand Manfred Grund Julia Klöckner Marlene Mortler
Dr. Reinhard Brandl Monika Grütters Axel Knoerig Dr. Gerd Müller
Helmut Brandt Dr. Karl-Theodor Freiherr Jens Koeppen Stefan Müller (Erlangen)
Dr. Ralf Brauksiepe zu Guttenberg Manfred Kolbe Nadine Müller (St. Wendel)
Dr. Helge Braun Olav Gutting Dr. Rolf Koschorrek Dr. Philipp Murmann
Heike Brehmer Florian Hahn Hartmut Koschyk Bernd Neumann (Bremen)
Gitta Connemann Holger Haibach Thomas Kossendey Michaela Noll
Leo Dautzenberg Dr. Stephan Harbarth Michael Kretschmer Dr. Georg Nüßlein
Alexander Dobrindt Jürgen Hardt Gunther Krichbaum Franz Obermeier
Thomas Dörflinger Gerda Hasselfeldt Dr. Günter Krings Eduard Oswald
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2753
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Henning Otte Marco Wanderwitz Sabine Leutheusser- Marco Bülow (C)
Dr. Michael Paul Kai Wegner Schnarrenberger Martin Burkert
Rita Pawelski Marcus Weinberg (Hamburg) Lars Lindemann Petra Crone
Ulrich Petzold Peter Weiß (Emmendingen) Christian Lindner Dr. Peter Danckert
Dr. Joachim Pfeiffer Sabine Weiss (Wesel I) Michael Link (Heilbronn) Martin Dörmann
Sibylle Pfeiffer Ingo Wellenreuther Dr. Erwin Lotter Elvira Drobinski-Weiß
Beatrix Philipp Karl-Georg Wellmann Oliver Luksic Garrelt Duin
Ronald Pofalla Peter Wichtel Horst Meierhofer Sebastian Edathy
Christoph Poland Annette Widmann-Mauz Patrick Meinhardt Siegmund Ehrmann
Ruprecht Polenz Klaus-Peter Willsch Gabriele Molitor Dr. h. c. Gernot Erler
Eckhard Pols Elisabeth Winkelmeier- Jan Mücke Petra Ernstberger
Lucia Puttrich Becker Petra Müller (Aachen) Karin Evers-Meyer
Daniela Raab Dagmar Wöhrl Burkhardt Müller-Sönksen Elke Ferner
Thomas Rachel Dr. Matthias Zimmer Dr. Martin Neumann Gabriele Fograscher
Dr. Peter Ramsauer Wolfgang Zöller (Lausitz) Dr. Edgar Franke
Eckhardt Rehberg Willi Zylajew Dirk Niebel Dagmar Freitag
Katherina Reiche (Potsdam) Hans-Joachim Otto Peter Friedrich
Lothar Riebsamen FDP (Frankfurt) Michael Gerdes
Josef Rief Cornelia Pieper Martin Gerster
Klaus Riegert Christian Ahrendt Gisela Piltz Iris Gleicke
Dr. Heinz Riesenhuber Christine Aschenberg- Dr. Birgit Reinemund Günter Gloser
Johannes Röring Dugnus Dr. Peter Röhlinger Ulrike Gottschalck
Dr. Norbert Röttgen Daniel Bahr (Münster) Dr. Stefan Ruppert Angelika Graf (Rosenheim)
Dr. Christian Ruck Florian Bernschneider Björn Sänger Michael Groschek
Erwin Rüddel Sebastian Blumenthal Frank Schäffler Michael Groß
Albert Rupprecht (Weiden) Claudia Bögel Christoph Schnurr Wolfgang Gunkel
Anita Schäfer (Saalstadt) Nicole Bracht-Bendt Jimmy Schulz Hans-Joachim Hacker
Dr. Annette Schavan Klaus Breil Marina Schuster Bettina Hagedorn
Dr. Andreas Scheuer Rainer Brüderle Dr. Erik Schweickert Klaus Hagemann
Karl Schiewerling Angelika Brunkhorst Werner Simmling Michael Hartmann
Norbert Schindler Ernst Burgbacher Judith Skudelny (Wackernheim)
Tankred Schipanski Marco Buschmann Dr. Hermann Otto Solms Hubertus Heil (Peine)
Sylvia Canel Joachim Spatz Rolf Hempelmann
Georg Schirmbeck
Helga Daub Dr. Max Stadler Dr. Barbara Hendricks
Christian Schmidt (Fürth)
Reiner Deutschmann Torsten Heiko Staffeldt
(B) Patrick Schnieder Gustav Herzog (D)
Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Rainer Stinner
Dr. Andreas Schockenhoff Gabriele Hiller-Ohm
Patrick Döring Carl-Ludwig Thiele
Dr. Ole Schröder Petra Hinz (Essen)
Mechthild Dyckmans Stephan Thomae
Dr. Kristina Schröder Frank Hofmann (Volkach)
Rainer Erdel Florian Toncar
(Wiesbaden) Dr. Eva Högl
Jörg van Essen Serkan Tören
Bernhard Schulte-Drüggelte Christel Humme
Ulrike Flach Johannes Vogel
Uwe Schummer Josip Juratovic
Otto Fricke (Lüdenscheid)
Armin Schuster (Weil am Dr. Daniel Volk Oliver Kaczmarek
Rhein) Paul K. Friedhoff Johannes Kahrs
Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Guido Westerwelle
Detlef Seif Dr. Claudia Winterstein Dr. h. c. Susanne Kastner
Johannes Selle Dr. Wolfgang Gerhardt Ulrich Kelber
Hans-Michael Goldmann Dr. Volker Wissing
Reinhold Sendker Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Lars Klingbeil
Dr. Patrick Sensburg Heinz Golombeck Hans-Ulrich Klose
Thomas Silberhorn Miriam Gruß Dr. Bärbel Kofler
Johannes Singhammer Joachim Günther (Plauen) Nein Daniela Kolbe (Leipzig)
Jens Spahn Dr. Christel Happach-Kasan Nicolette Kressl
Carola Stauche Heinz-Peter Haustein SPD Angelika Krüger-Leißner
Erika Steinbach Manuel Höferlin Ingrid Arndt-Brauer Ute Kumpf
Dieter Stier Elke Hoff Rainer Arnold Christine Lambrecht
Gero Storjohann Birgit Homburger Doris Barnett Christian Lange (Backnang)
Stephan Stracke Dr. Werner Hoyer Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Karl Lauterbach
Max Straubinger Heiner Kamp Klaus Barthel Steffen-Claudio Lemme
Karin Strenz Michael Kauch Sören Bartol Burkhard Lischka
Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Lutz Knopek Bärbel Bas Gabriele Lösekrug-Möller
Lena Strothmann Pascal Kober Sabine Bätzing Kirsten Lühmann
Michael Stübgen Dr. Heinrich L. Kolb Dirk Becker Caren Marks
Dr. Peter Tauber Hellmut Königshaus Uwe Beckmeyer Katja Mast
Antje Tillmann Gudrun Kopp Lothar Binding (Heidelberg) Hilde Mattheis
Dr. Hans-Peter Uhl Dr. h. c. Jürgen Koppelin Gerd Bollmann Petra Merkel (Berlin)
Arnold Vaatz Sebastian Körber Klaus Brandner Ullrich Meßmer
Volkmar Vogel (Kleinsaara) Patrick Kurth (Kyffhäuser) Willi Brase Dr. Matthias Miersch
Stefanie Vogelsang Heinz Lanfermann Bernhard Brinkmann Franz Müntefering
Andrea Astrid Voßhoff Sibylle Laurischk (Hildesheim) Dr. Rolf Mützenich
Dr. Johann Wadephul Harald Leibrecht Edelgard Bulmahn Andrea Nahles
2754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Nun hat Herr Bundesminister Dr. Guido Westerwelle Erstens möchte ich mich bei den Berichterstattern und
das Wort. bei dem gesamten Haushaltsausschuss sehr herzlich be-
danken. Ich danke Ihnen, Herr Frankenhauser, Herr
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Brandner, Herr Koppelin, Herr Kindler und Herr Leutert.
Ich möchte mich ausdrücklich auch im Namen des ge-
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- samten Auswärtigen Amtes für die vorzügliche Zusam-
wärtigen: menarbeit bedanken.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Zweitens, Frau Kollegin Künast, habe ich heute Mor-
Herren! In der letzten Lesung soll zunächst und haupt- gen Ihre Rede – wie die gesamte Debatte – aufmerksam
sächlich das Parlament zu Wort kommen, daher stehen verfolgt. Sie haben uns als neue Bundesregierung und
mir nur wenige Minuten zu. Bevor ich zu der Friedens- auch mich mit kritischem Unterton aufgefordert, mich
politik und einem wichtigen Anliegen komme, das uns mehr um den skandalösen Anstieg der deutschen Rüs-
alle hier in diesem Hause noch beschäftigen wird, will tungsexporte zu kümmern. Ich möchte zunächst einmal
ich aber drei Vorbemerkungen machen. wiedergeben, was am 15. März 2010 von dem Institut
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2755
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
(A) SIPRI in Stockholm, das das herausgefunden und kriti- gislaturperiode tun – immer wieder ausdrücklich gewür- (C)
siert hat, dazu gesagt worden ist, weil hier der Eindruck digt, dass insbesondere unter Bundesaußenminister
erweckt wird, als hätte diese neue Bundesregierung in Steinmeier ein Aufwuchs in der Auswärtigen Kultur-
den letzten Wochen ganz schnell noch ein paar U-Boote und Bildungspolitik möglich geworden ist.
gebaut und in die Welt exportiert. Ich zitiere aus einer
(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine]
Meldung dazu:
[SPD])
Wenig Verständnis zeigte der Brite für die Kritik
Davon werde ich nichts zurückzunehmen. Ich habe die
von Grünen-Chefin Claudia Roth am Anstieg der
Absicht, diese Politik fortzusetzen. Ich bitte Sie – bei al-
deutschen Rüstungsexporte:
ler Kritik in anderen Bereichen – um Ihre Unterstützung,
– Jetzt kommt das wörtliche Zitat. – weil die Stunde kommen wird, in der ich im Haushalts-
ausschuss um die Auswärtige Kultur- und Bildungspoli-
„Die meisten Verträge, die diese Verdoppelung be- tik werde ringen müssen.
wirkt haben, wurden ja während der rot-grünen Re-
gierungszeit abgeschlossen.“ (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Das ist
wahr!)
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der Das sage ich an die Adresse aller, weil ich glaube, dass
LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE es die beste Visitenkarte für unser Land ist, wenn wir
GRÜNEN]: Und was tun Sie nun?) Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik fördern.
Drittens, Frau Kollegin Künast, haben Sie mir vorge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
worfen, ich hätte Brasilien nicht entdeckt. der CDU/CSU)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist keine Attacke, sondern es ist ein Angebot, das
NEN]: Das war kein Vorwurf! Das war eine ich Ihnen unterbreiten möchte, weil ich glaube, dass ein
Feststellung!) überparteiliches Interesse daran in diesem Hohen Hause
vorhanden ist.
– Dann haben Sie es eben festgestellt. Ich glaube, das ist
eine historische Tatsache, auf die wir uns zwanglos ver- Schließlich möchte ich einige Bemerkungen zu einem
ständigen können. Kernanliegen machen. Es gibt noch vieles zu bespre-
chen. Vieles haben wir bereits im Auswärtigen Aus-
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der schuss besprochen. Wir werden in der nächsten Woche
CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ über den Europäischen Auswärtigen Dienst sprechen,
(B) DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal was!) der aufgebaut werden muss. Sie wissen, dass noch eine (D)
Ich möchte Ihnen Folgendes dazu sagen: Brasilien Menge zu tun ist, damit in diesem Bereich die deutschen
wurde vom Portugiesen Cabral entdeckt. Er reiste mit Interessen wahrgenommen werden können und vor allen
13 Schiffen. Man wusste in Portugal also schon vor Dingen dafür gesorgt wird, dass wir einen guten, schlag-
500 Jahren, dass Delegationen zur Wahrnehmung der ei- kräftigen und handlungsfähigen Europäischen Auswärti-
genen Landesinteressen gelegentlich hilfreich sind. gen Dienst bekommen. Ich kann Ihnen ankündigen: Da
gibt es noch manches zu tun.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Es gibt Bereiche der Wirtschaftsförderung, über die
DIE GRÜNEN]: Das waren Versorgungs- wir hier im Hohen Hause noch kontrovers diskutieren
schiffe und keine Delegationen!) werden. Ich hoffe allerdings, dass wir in einem Bereich
eine Gemeinsamkeit haben. Bisher war es ein Kernbe-
standteil deutscher Außenpolitik, dass deutsche Außen-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
politik Friedenspolitik ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Werden
muss!)
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- – Ich sage: Friedenspolitik ist. Ich glaube, anders als Sie,
wärtigen: Herr Kollege Gehrcke: Wenn deutsche Außenpolitik in
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. den vergangenen Jahrzehnten keine Friedenspolitik ge-
wesen wäre, dann hätten wir das Glück der deutschen
Ich komme zu einem vierten Punkt, auf den ich in-
Einheit niemals erlebt. Davon bin ich fest überzeugt.
haltlich eingehen möchte. Zunächst zu Ihnen, Herr Kol-
lege Brandner. Sie haben völlig zu Recht darauf hinge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
wiesen, dass die auswärtige Politik und auch dieser
Haushalt wesentlich von Kontinuität geprägt sind. Dabei Es geht nicht darum, wer was gemacht hat: Willy
Brandt, Walter Scheel, Helmut Kohl oder Hans-Dietrich
bleibt es auch.
Genscher. Das ist eine gemeinsame Auffassung.
(Ute Kumpf [SPD]: Mister Ellenbogen!)
Ich möchte Sie warnen: Wenn wir nicht aufpassen,
Es geht hierbei nicht um einen Übergangsetat, sondern werden wir ein Jahrzehnt bekommen, das nicht ein Jahr-
ich habe bereits in der letzten Legislaturperiode – ich zehnt der Abrüstung wird, sondern ein Jahrzehnt der
werde das als Bundesminister künftig auch in dieser Le- Aufrüstung werden kann.
2756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Wolfgang Gehrcke
(A) (Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär: Da hat Bereich des Auswärtigen Amtes. Ich habe viele Außen- (C)
er aber Glück gehabt!) minister sozusagen haushalterisch begleiten dürfen. An
diesem reichhaltigen Fundus, was Amtsausstattung, Rei-
– Hier wird gesagt, da habe er Glück gehabt. Wenn Sie sen und Delegationen anbelangt, und zwar in Bezug auf
möchten, werfe ich Ihnen das auch vor; aber lassen wir Außenminister jedweder Couleur, würde ich gerne alle
das. Ich werfe Ihnen das nicht vor. Kolleginnen und Kollegen teilhaben lassen. Ich stehe bei
Ich möchte gern wissen: Was machen Sie in Bezug Bedarf immer gerne zu detaillierten Auskünften bereit.
auf Länder wie Syrien? Syrien ist ein Schlüsselland, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
wenn man den Nahostkonflikt lösen möchte. der FDP)
(Zuruf von der CDU/CSU: Ach nee!) Ich bedanke mich zunächst bei Herrn Dr. Morhard
– Ja, das wissen auch Sie. – Welche Politik betreiben Sie und seinen Mitarbeitern aus dem Auswärtigen Amt für
in der Auseinandersetzung mit der israelischen Regie- die hervorragende Unterstützung, nicht nur während der
rung? Ich habe vernommen, dass Sie den Siedlungsbau Haushaltswochen, sondern auch über das ganze Jahr hin-
kritisiert haben. Man muss klipp und klar sagen: Wer weg. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und
den Siedlungsbau fortsetzt, dem darf man keine Waffen Kollegen für die sehr harmonische Zusammenarbeit in
liefern. den Berichterstattergesprächen. Ich bedanke mich auch
bei Ihnen, Herr Minister, dass Sie in Bezug auf das Mit-
(Beifall bei der LINKEN) arbeiterbeurteilungssystem bereits erste Schritte ein-
Sie bilden deutsche Bundeswehrpiloten in Israel an geleitet haben – das ist den Mitarbeitern im Auswärtigen
Amt ein sehr wichtiges Anliegen – und dass Sie Ihre Be-
Drohnen aus, die in Afghanistan eingesetzt werden sol-
reitschaft erklärt haben, sich für mehr Gegenseitigkeits-
len. So einen Schwachsinn kann doch keiner ernsthaft
abkommen mit anderen Staaten hinsichtlich der Berufs-
als Politik bezeichnen. Es wäre richtig, zu sagen: Wir tätigkeit von Partnerinnen und Partnern, die im
liefern in ein Land, das eine solche Politik betreibt, nicht auswärtigen Dienst tätig sind, einzusetzen.
weiter Waffen. Das hätte politische Wirksamkeit.
Der Staatshaushalt
(Beifall bei der LINKEN)
– so sagte es der berühmte Kabarettist Werner Finck –
Herr Außenminister, ich möchte gerne, dass man
nicht nur, wie es im Koalitionsvertrag steht, Außenpoli- ist ein Haushalt, in dem alle essen möchten, aber
tik macht, um Deutschlands Platz auf dem Weltmarkt zu niemand das Geschirr spülen will.
verbessern. Ich möchte vier Eckpfeiler verankert sehen:
Das ist wohl richtig. Trotzdem haben wir unsere Arbeit
(B) erstens sich konsequent für das Völkerrecht einzusetzen, erledigt. Der erste Regierungsentwurf war schon ganz (D)
also eine Völkerrechtspartei zu sein, zweitens weltweit
eine Partei der sozialen Gerechtigkeit zu werden, drit- ordentlich, Herr Kollege Brandner. Der zweite war ei-
tens auf Abrüstung zu setzen – hier haben Sie recht – gentlich ganz gut. Aber den Feinschliff haben die parla-
mentarischen Beratungen gebracht, wobei sich die Op-
und viertens mehr Demokratie in die Außenpolitik zu
position nicht so sehr mit Ruhm bekleckert hat.
bringen. Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik
werden. Das ist die Zielrichtung der Partei und Fraktion Herr Kollege Brandner, ich wusste nicht: Ist Ihre
Die Linke. Rede mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung? Wenn
wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, hätten wir noch
Herzlichen Dank.
eine Unterdeckung in Höhe von 2,362 Millionen Euro
(Beifall bei der LINKEN) zu verzeichnen. Bis jetzt ist unbekannt, woher dieser Be-
trag kommen soll. Auch wir könnten umfangreiche
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wünsche äußern. Ein Außenminister namens Joschka
Fischer hat einmal gesagt: Ohne Moos nichts los.
Nun hat das Wort der Kollege Herbert Frankenhauser
für die CDU/CSU-Fraktion. Ganz abenteuerlich wird es bei den Grünen. Die Grü-
nen haben einen Wunschkatalog aufgestellt, der sage
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
und schreibe 283 Millionen Euro erfordern würde. Sie
neten der FDP)
haben aber keinen einzigen Vorschlag gemacht, woher
dieses Geld kommen soll.
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
und Kollegen! Ich möchte ein Angebot wiederholen, das GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Wir haben eine
ich bereits im Haushaltsausschuss gemacht habe. Vorab Gegenfinanzierung!)
möchte ich allerdings feststellen: Man hat nicht den Ein- – Die ist nirgendwo gestanden, jedenfalls nicht in den
druck, hier in der Haushaltsdebatte zu sein – ich bitte Änderungsanträgen, die Sie in den Haushaltsausschuss
deswegen, nicht zu erschrecken, wenn ich als Haushälter eingebracht haben. Vielleicht haben Sie die in einem
hernach etwas detaillierter über den Haushalt sprechen Rucksack mit sich herumgetragen;
werde –, sondern ich habe eher den Eindruck, hier han-
delt es sich um eine Reisedebatte. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
Ich wiederhole, wie gesagt, mein Angebot. Ich
glaube, ich bin der dienstälteste Berichterstatter für den das mag sein. Bei uns ist jedenfalls nichts angekommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2759
(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: von dem Willen geprägt waren, Einvernehmen zu erzie- (C)
Herr Kollege Frankenhauser, gestatten Sie denn eine len.
Zwischenfrage des Kollegen Kindler?
Bezüglich der Datenlage, wie Sie sie dargestellt ha-
ben – dass bei der Gegenfinanzierung, wenn ich das
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): richtig gehört habe, 2,3 Millionen Euro fehlen würden –,
Bitte. vermute ich, dass Sie oder Ihr Büro oder Ihre Aktenlage
nicht alles ganz richtig erfasst haben.
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/
NEN):
CSU]: Ist das jetzt die Frage?)
Kollege Frankenhauser, würden Sie mir zustimmen,
dass man im Haushalt Prioritäten setzen kann, dass Wir haben mehr als eine einzelne Gegenfinanzierung
man gerade bei ziviler Krisenprävention, bei den Mitteln vorgeschlagen. Ich kann Ihnen das gerne noch einmal
für Afghanistan und bei anderen Punkten, wo wir deut- unterlegen.
sche Friedenspolitik umsetzen wollen, Aufwüchse vor-
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/
sehen kann, auch um die ODA-Quote zu erfüllen?
CSU]: Kommt jetzt noch die Frage?)
Wir Grünen schlagen als Gegenfinanzierung vor
– Es ist schon wichtig, dass, wenn hier etwas festgestellt
– ich habe das im Haushaltsausschuss gesagt; Sie erinnern
wird, darauf geantwortet wird. Wenn Sie das beunruhigt,
sich vielleicht an die Debatte mit Jürgen Koppelin –, auf
können wir das auch auf andere Art und Weise machen.
Flugtickets eine Abgabe zu erheben, wie es in Frank-
reich gemacht wird, wie es in Großbritannien gemacht Es liegt mir daran, dass deutlich wird: Bei diesen Be-
wird, wie es in den Niederlanden gemacht wird. Das ratungen ist es der SPD-Fraktion darum gegangen, eine
würde über 2 Milliarden Euro im Jahr einbringen; das Unterfinanzierung zu verhindern und eine sachlich bezo-
wäre eine ausreichende Gegenfinanzierung. Stimmen gene Gegenfinanzierung der Forderungen vorzuschla-
Sie mir zu, dass diese Debatte im Haushaltsausschuss so gen. Ich bin gerne bereit, die entsprechenden Unterlagen
war und dass wir damit eine solide Gegenfinanzierung vorzulegen.
vorgestellt haben?
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]:
Die Frage ist, ob das sachlich war!)
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):
Ich stimme Ihnen zu, dass wir eine Debatte hatten. Ob
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):
die solide war, will ich bezweifeln.
Ich werte das als wohlgemeinte Frage und bin gerne
(B) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU (D)
bereit, Ihnen Ihre Absicht zu bestätigen. Alles andere
und der FDP) können wir gerne noch persönlich klären, Kollege
Gehen Sie einmal zum Bäcker, verlangen Sie fünf Brandner.
Semmeln und sagen: Ich habe eine gute Idee; ich komme Jetzt weise ich noch auf ein paar wesentliche Verän-
in zwei Jahren vorbei und bezahle sie Ihnen. Ich will da- derungen hin, die wir im Rahmen der Haushaltsberatun-
mit sagen: Das ist ja alles wunderschön; aber man muss gen vorgenommen haben: Wir haben zum Beispiel die
im Haushalt konkrete Deckungsvorschläge machen, man Mittel für die Programmarbeit, also für Kulturpolitik, um
kann nicht mit theoretischen Zahlen hantieren. 2,48 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für den
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stabilitätspakt für Afghanistan um 90 Millionen Euro er-
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE höht, den Titel für Menschenrechte um 1,5 Millionen
GRÜNEN]: Haben wir gemacht!) Euro und die Mittel für Minenräumung um 1 Millionen
Euro. Wir haben den Titel für den Volksbund Deutsche
So kann man keine solide Haushaltspolitik machen. Kriegsgräberfürsorge noch einmal um 300 000 Euro ver-
stärkt, die dafür gedacht sind, dass wir gemeinsam mit
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dem VDK beginnen, den Opfern nationalsozialistischer
Kollege Frankenhauser, es gibt eine weitere Bitte Gewalttaten, zum Beispiel in der Ukraine, eine letzte,
nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Herrn Kolle- würdige Ruhestätte zu verschaffen. Ich halte das für
gen Brandner. dringend geboten. Wir wollen diese Aufgabe jetzt in An-
griff nehmen.
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Bitte, gerne, immer. der FDP)
Wir haben den Titel für Schulen im Ausland um
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: 5 Millionen Euro erhöht, weil wir darin, unsere Schulen
Herr Kollege Brandner, bitte. im Ausland zu verstärken, eine ganz wichtige Aufgabe
sehen.
Klaus Brandner (SPD):
(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])
Sehr geehrter Herr Kollege Frankenhauser, zuallererst
möchte ich bestätigen, dass die Beratungen, wie ich Bei dieser Gelegenheit begrüße ich die zahlreich anwe-
schon angesprochen habe, wirklich sehr harmonisch und senden Vertreter des Bundesrates.
2760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Herbert Frankenhauser
(A) (Auf der Bundesratsbank ist niemand zugegen – unterrichten müssen. Ich möchte anmahnen, dass sich (C)
Heiterkeit und Beifall) die Bundesregierung auf ein vernünftiges und personal-
sparendes Verfahren einigt, in dem der Bundestag aus-
Ich möchte noch einmal den Appell an die Bundesländer
reichend informiert wird.
richten – ich bitte auch die Bundesregierung, die ja mit
den Bundesländern ständig Gespräche führt, noch ein- Ein besonderes Anliegen ist auch immer die Haus-
mal darauf hinzuwirken –, bei der bisherigen Regelung, haltsführung und die Mittelverwendung der Europäi-
dass die Lehrer an Auslandsschulen kofinanziert wer- schen Union. Es beginnt damit, dass zurzeit der Posten
den, zu bleiben. Würde die Kofinanzierung abgeschafft, des Generaldirektors bei der Antibetrugsbehörde
müssten wir circa 200 Lehrkräfte aus dem Ausland ab- OLAF anscheinend nicht rechtmäßig besetzt ist. Deswe-
ziehen, weil wir sie mit den bisherigen Mitteln nicht fi- gen sind mehrere hundert Betrugsverfahren in Gefahr, zu
nanzieren könnten. Ich denke, alle Kolleginnen und Kol- kippen. Ich denke, bei den Milliardenbeträgen, die in der
legen, quer durch alle Fraktionen, wären gut beraten, EU rechtswidrig erschlichen werden, überwiegend durch
dieses Ansinnen zu unterstützen und bei ihrem jeweili- mehr oder weniger angesehene Mitgliedstaaten, muss
gen Landeskulturminister vorstellig zu werden, dass er eine funktionierende Antibetrugsbehörde vorhanden
es bei der bisherigen Regelung, die sich bewährt hat, be- sein.
lassen möge.
Es geht zum Beispiel nicht an, dass etwa die EU der
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Türkei 700 Millionen Euro jährlich zur Vorbereitung der
der FDP) Aufnahme in die EU zukommen lässt, aber der Europäi-
Wir haben den Titel „Afghanistan“ um 90 Millionen sche Rechnungshof erklärt, dass bei über der Hälfte des
Euro auf nunmehr 180,7 Millionen Euro im Bereich des Geldes nicht nachkontrolliert werden kann, wo es gelan-
Auswärtigen Amtes erhöht. Davon gehen 35 Millionen det ist. Wir sind es auch den deutschen Steuerzahlern
Euro in die Verstärkung des Polizeiaufbaus, 35 Millio- schuldig, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass mit
nen Euro in schnell wirkende Stabilisierungsprojekte im dem Geld der Steuerzahler auch auf europäischer Ebene
Norden Afghanistans, 10 Millionen Euro in eine Beteili- sorgfältig umgegangen wird.
gung am Reintegrationsfonds und 10 Millionen Euro in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
den Verwaltungs- und Justizaufbau. neten der FDP)
Ich nehme immer gern die Gelegenheit wahr, Herr Eine besondere Blüte scheint sich bei dem neuen
Außenminister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Europäischen Auswärtigen Dienst zu ergeben. So wie
paar kritische Worte zum Thema Europa zu sagen. Ich es aussieht, ist eine geschätzte Baroness dabei, einen Be-
möchte als Erstes wiederholen, was ich leider schon ver- hördenapparat mit 7 000 bis 8 000 Mitarbeitern aufzu- (D)
(B)
gebens angesprochen habe. Ich denke, man muss über bauen. Es ist aber noch nicht geregelt, welche Kompe-
die Visumpraxis, wie wir sie handhaben, noch einmal tenz die Behörde der Baroness als solche haben wird. Es
intensiv nachdenken. Es kann meines Erachtens nicht gibt auch noch keinen Organisationsplan. Man weiß ei-
angehen, dass unser Konsulat in Sankt Petersburg etwa gentlich gar nicht, was diese 7 000 bis 8 000 Mitarbeiter
40 000 Visa im Jahr ausstellt, die Finnen – übrigens ein tun sollen. Ich könnte es mir als zweckmäßig vorstellen,
Schengen-Staat – etwa 150 000 Visa. dass man diese offenen Fragen klärt, bevor man nun ei-
Ich als Haushälter sehe einfach nicht den sicherheits- nen zweiten Riesenapparat in Brüssel aufbaut.
politischen Sinn – oder mir fehlt die Erkenntnis –, was es Ich erwarte zu gegebener Zeit auch eine Äußerung
bringen soll, wenn Russen oder Esten mit einem finni- von Ihnen, verehrter Herr Außenminister, dahin gehend,
schen Visum in Deutschland einreisen, aber das deutsche dass es nicht eine reine Parallelinstitution geben wird. Es
Konsulat ein Visum nur in einem sehr langwierigen Pro- gibt schon erste Stimmen, die sagen: Gerade weil der
zess ausstellen kann. Wenn das nicht EU-weit geregelt Europäische Auswärtige Dienst so stark und so bedeu-
werden kann, was offensichtlich der Fall ist, sollten wir tend werden soll, müssen die nationalen Auswärtigen
uns national etwas überlegen, damit nicht Geschäftsleute Dienste zusätzlich gestärkt werden. Ich glaube also, auch
– natürlich finde ich es gut, wenn diese nach Deutsch- im Hinblick auf die noch anstehenden Konsolidierungen
land reisen – zuerst zu den Finnen gehen müssen, damit unserer öffentlichen Haushalte muss hier eine Doppel-
sie etwas unkomplizierter zu einem Visum kommen. funktion vermieden werden.
(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Recht (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.
hat er!) Ulrike Flach [FDP])
Dann habe ich bislang immer gehört, mit dem Ver- Zum Schluss habe ich noch eine Bitte bzw. Anregung,
trag von Lissabon, der nun beschlossen ist, werde alles Herr Außenminister. Mir fällt auf, dass wir weltweit Jahr
viel besser und einfacher werden. Die erste Erkenntnis, für Jahr leider sehr viele Katastrophenfälle zu beklagen
die ich inzwischen gewonnen habe, ist, dass allerorten haben. Wir basteln uns jetzt einen Europäischen Aus-
nach mehr Personal gerufen wird. Als Begründung wird wärtigen Dienst, haben x Kommissionen und was weiß
der Vertrag von Lissabon genannt. Wir haben zwar über ich noch alles. Mir fehlt ein europäischer Katastro-
den Einzelplan 05 gesprochen, aber es zieht sich durch phenhilfsdienst.
alle Einzelpläne. Alle Ministerien erklären: Wegen des
Vertrags von Lissabon brauchen wir mehr Personal, (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Genau das
nicht zuletzt deswegen, weil wir den Bundestag besser machen wir!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2761
Herbert Frankenhauser
(A) Ich halte es für ein humanistisches, zivilisiertes Mittel- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
europa für nicht hinnehmbar, dass zuerst einmal 10 oder Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischen-
14 Tage vergehen, bis sich irgendein Mitgliedstaat da- frage des Kollegen Koppelin?
rauf besinnt, dass man nach Erdbeben möglicherweise
schweres Gerät braucht, er aber nicht weiß, wie man das Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dorthin bringen kann. NEN):
(Beifall der Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin Bitte schön.
[FDP] und Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ (Ute Kumpf [SPD]: Wenn es sein muss!)
DIE GRÜNEN])
Ich denke, es wäre eine wirklich lohnenswerte Auf- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
gabe – auch für die Europäische Union –, eine zivile Danke, Frau Kollegin. – Da Sie gerade so schön in
Hilfsorganisation zu gründen und einen zivilen Einsatz- Fahrt sind, darf ich Sie einmal etwas fragen. Ich habe
plan zu erstellen, um bei solchen Katastrophen den be- hier ein Programm, wonach Ihr Parteivorsitzender, Herr
troffenen Menschen schneller helfen zu können. Özdemir, in Begleitung von Frau Vollmer und anderen
gestern in China gewesen ist. In der Zeit von 15 Uhr bis
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit. 17 Uhr war gestern ein Gespräch in der internationalen
Abteilung beim Zentralkomitee der Kommunistischen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Partei Chinas vorgesehen, und das Arbeitsgespräch lief
unter dem Motto „Zusammenarbeit zwischen den beiden
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Parteien“.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für Ich darf einmal fragen: Ist das Ihre Richtung? Ist da-
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. bei schon etwas herausgekommen?
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Westerwelle, Sie sind jetzt seit fünf Monaten im Amt des NEN):
Außenministers, wenn ich richtig gerechnet habe, und Ich weiß jetzt nicht, was daran lustig ist; ich kann Ih-
meines Erachtens ist noch immer völlig unklar, wohin nen dazu nichts sagen.
die deutsche Außenpolitik steuert. Auch in Ihrem Bei- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
(B) trag heute haben Sie meines Erachtens nichts Vorwärts- (D)
weisendes dazu beigetragen. Ich finde es völlig normal, dass man solche Gespräche
führt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sowie des Abg. Michael Roth [Heringen]
NEN]: Ja, natürlich gibt es Gespräche!)
[SPD])
Sie brauchen uns in der Debatte jetzt auch nicht mit Zwi-
Ich will heute hier darüber reden; denn bei der Haus- schenfragen zu nerven, mit denen Sie ablenken, und mit
haltsdebatte geht es auch um eine Generaldebatte über dieser Frage wollten Sie ablenken.
die deutsche Außenpolitik und darum, wohin sie steuert.
(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND-
Es wird viel über Sie persönlich geschrieben und viel NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der
über Sie geredet. Das haben Sie mit Ihren – ich möchte FDP: Das war zum Thema! – Wir stellen auch
sagen – diffamierenden Sprüchen zu Hartz IV erreicht. weiterhin Zwischenfragen!)
Das sieht die Kanzlerin ja wohl auch so.
– Ich habe nichts dagegen, und Sie werden das auch tun.
Was aber ist Ihre Linie in der Außenpolitik? Das ist
bis heute nicht erkennbar. Wie denn auch? Sie verzetteln Es wird erwartet, dass der Außenminister Deutsch-
sich in diversen Rollen als Parteivorsitzender, als eifriger lands Rolle in der Welt definiert: in Afghanistan, im
Nahen Osten, im Iran, in Europa und in Amerika. Zu al-
Spendensammler, als hartzpolitischer Sprecher der Frak-
ledem sagen Sie nichts, oder es kommen nur dünne
tion, und Sie tanzen auf vielen Hochzeiten. Dabei bleibt
Schlagworte.
die Außenpolitik eben auf der Strecke.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte einmal einige Überschriften zitieren: „Der
Ich sage: Sie haben bis heute keinen Kompass; Sie Mann ohne Antworten“, „Minister für Freundschaft“,
wissen nicht, was Sie mit diesem Amt wollen. Da Sie „Westerwelles Stilbrüche“. Heute titelt die FTD, die nun
Ihre Rolle als Außenminister bis heute nicht gefunden wirklich nicht ein linksliberales Blatt ist – ich möchte
haben, frage ich mich wirklich: Wie wollen Sie denn nicht den ganzen Kommentar vorlesen; am Ende ist er
dann Deutschlands Rolle in der Welt bestimmen? Das nämlich wirklich vernichtend –: „Möllemann der
wird nicht gehen. Zweite“.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Pfui!)
2762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: So ist und bei der SPD)
es!) Fragen, mit Verlaub, sind keine Majestätsbeleidigung,
sondern das gute Recht des Parlamentes. Das Interpella-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tionsrecht und das Haushaltsrecht sind unsere höchsten
Normalerweise antwortet auf die Kurzintervention Güter. Sie machen viel von dem aus, was das Parlament
der Redner. Nachdem Sie aber persönlich auf Einlassun- leisten kann.
2768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Deswegen wäre ich Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
Manns genug wären, diese Diskussion auch auf die euro- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
päische und die NATO-Ebene zu verlagern. Ich möchte in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen,
auf ein paar grundsätzliche Fragen der Außenpolitik ein-
Der zweite Punkt im Zusammenhang mit Abrüstung
zugehen. Es geht in diesem Zusammenhang auch um die
und Rüstungskontrolle betrifft den immer noch ausste-
Frage, mit welcher Zielsetzung wir Außenpolitik für un-
henden Vertrag zwischen den USA und Russland über
ser Land betreiben.
den Abbau strategischer Atomwaffen. Ich glaube, die
brauchen ein bisschen Feuer bei dieser Diskussion bzw. Die Außenpolitik muss erstens den Interessen der
Unterstützung. Ich sage Ihnen: Wir bauen ein riesengro- Menschen in unserem Land dienen. Sie muss zweitens
ßes Problem auf, wenn wir die Raketenabwehr nicht mit die europäische Dimension bei allen Fragen umfassen.
Abrüstung und Rüstungskontrolle verbinden. Dies zu Drittens muss deutsche Außenpolitik – das hat der Bun-
tun, ist eine ganz wichtige Aufgabe. Die Frage, wie man desaußenminister bei jeder sich bietenden Gelegenheit in
das erreichen kann, beantworten Sie in Ihrer Funktion vorzüglicher Weise deutlich gemacht – auch Friedenspo-
als deutscher Außenminister aber nicht. litik sein. Dieser Grundsatz bestimmt das Handeln der
bürgerlichen Koalition. Es ist wichtig, dies noch deutli-
Der letzte Punkt. Die konventionelle Abrüstung und
cher herauszustellen. Wir sollten uns daher diesen Debat-
Rüstungskontrolle stehen vor einer großen Herausforde-
ten am heutigen Tage stellen und uns nicht in Nebenge-
rung. Wir von der SPD haben Ihnen angeboten, den ange-
fechten verzetteln, was der Bedeutung der Außenpolitik
passten Vertrag im Deutschen Bundestag sofort zu ratifi-
in keiner Weise angemessen wäre.
zieren, wenn Sie ihn vorlegen. Dadurch könnte man zu
einer weiterführenden Diskussion kommen. Diese Auf- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gabe haben Sie zu erfüllen. Auch die Fragen zu der
deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft schreien Der Kollege Frankenhauser hat bereits darauf hinge-
danach, dass sich der Außenminister damit beschäftigt. wiesen, dass es sich mit 3,2 Milliarden Euro Ausgaben
um einen sehr großen Etat handelt. Das Durchschnitts-
Ich glaube, Ihr Problem ist, dass Sie nach 140 Tagen einkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland beträgt
noch immer nicht im Amt angekommen sind. Ihr Augen- rund 3 000 Euro brutto. Der Etat entspricht also umge-
2770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Philipp Mißfelder
(A) rechnet einer Arbeitsleistung von 1 064 605 Monaten. um die zukünftige Sicherheitsarchitektur in Europa und (C)
Wenn man für ein Erwerbsleben 35 Jahre veranschlagt, um die Zukunft der NATO. Ich möchte noch einmal die
dann kann man sagen, dass das gesamte Erwerbsleben Ausgabe des Spiegel, der aus bekannten Gründen nicht
von rund 2 500 Arbeitnehmern benötigt wird, um diesen meine Lieblingszeitschrift ist, aus der vergangenen Wo-
Etat zu erwirtschaften. Die Bürgerinnen und Bürger fra- che heranziehen. Volker Rühe, Klaus Naumann, Frank
gen sich also zu Recht, wie wir dieses Geld für die Inte- Elbe und Ulrich Weisser haben in einem Spiegel-Aufsatz
ressenvertretung unseres Landes im Ausland ausgeben sehr deutlich Position dazu bezogen, was die Zukunft
und für welche Ziele wir im Ausland einstehen. der NATO ist und was die – ich sage das sehr bewusst –
Nachbarschaftspolitik gegenüber Russland in den nächs-
Deshalb muss jeder Cent des Haushaltes, über den wir ten Jahren dominieren soll. Unsere Aufgabe, die des Par-
heute beraten, begründet werden. Die Ausgaben werden laments und insbesondere die der Koalitionsfraktionen,
durch die Professionalität des Dienstes, die unser Aus- muss es sein, sich der Frage nach der Zukunft der NATO
wärtiges Amt auszeichnet, und durch die weltweit er- auch unter dem Gesichtspunkt zu stellen, inwiefern wir
brachten Serviceleistungen gerechtfertigt. Dazu zählen dazu beitragen können, dass die Tür zwischen der
Reisehinweise, die Hilfe beim Verlust des Passes oder NATO und Russland etwas weiter geöffnet werden
die extrem professionelle und weltweit gerühmte Arbeit kann, als es momentan der Fall ist.
des Krisenstabes im Auswärtigen Amt, der immer dann,
wenn Deutsche im Ausland in Gefahr sind, sehr gute Ar- Wie dringend das ist, zeigen die außenpolitischen
beit leistet. Diskussionen, die in den vergangenen Monaten unseren
Alltag geprägt haben, die Themen, die wir hier allwö-
Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass es chentlich diskutieren. Es geht dabei zum Beispiel um die
neben dieser professionellen tagtäglichen Arbeit große Sicherheit in Afghanistan, wo wir dringend auf die Ko-
Linien gibt, die von dieser Regierung verfolgt werden operation Russlands angewiesen sind. Natürlich gilt das
und die wir hier im Parlament politisch unterstützen, nicht im militärischen Sinne, weil es naheliegt, dass sich
heute durch unsere Zustimmung zum Haushalt. Dazu ge- Russland in dieser Hinsicht nicht engagieren will und
hört zum Beispiel die Außenwirtschaft. Wenn man sieht, dies auch zukünftig nicht tun wird. Vielmehr geht es,
dass in den vergangenen Jahren nahezu jeder fünfte Ar- wenn man politische Lösungen in dieser Region errei-
beitsplatz in Deutschland vom Export abhängig gewesen chen will, um die Frage, wie es gelingen kann, Russland
ist, dann liegt es doch auf der Hand, dass sich der Außen- bzw. die sich verändernde russische Politik stärker ein-
minister für die deutsche Wirtschaft im Ausland stark- zubeziehen. Insofern schlage ich vor, dass wir alle uns
macht und damit unsere außenwirtschaftliche Position dieser Frage deutlich intensiver zuwenden und den
stärkt. Ich glaube, man kann schon nach dieser kurzen Re- NATO-Reformprozess unter diesem Gesichtspunkt stär-
(B) gierungszeit sagen, dass dies bislang ein voller Erfolg ist. ker in den Blick nehmen. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun möchte ich Russland und China nicht in einem
Vor diesem Hintergrund möchte ich dem Außenminis- Atemzug nennen; denn die Länder sind so unterschied-
ter ausdrücklich zu seiner Südamerikareise gratulieren. lich, wie sie nur sein können, obwohl sie direkt nebenei-
Wir können uns nun dem zuwenden, was auf dieser Reise nanderliegen. Bei all den Fragen, die uns in den nächsten
passiert ist. Wenige Stunden vor Abreise veröffentlichte Monaten beschäftigen werden, müssen wir aber Folgen-
das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen des sehen: Wenn es uns nicht gelingt, Russland und China
Artikel, in dem die Position Deutschlands in Brasilien gemeinsam international stärker in die Verantwortung zu
massiv kritisiert worden ist. Die beiden Autoren kamen nehmen, wird uns weder eine Lösung für Afghanistan
zu dem Ergebnis, dass uns andere europäische Länder den leichtfallen noch werden wir die Probleme mit dem Iran
Rang in Brasilien schon längst abgelaufen hätten. Allein lösen können. Deshalb muss aus dem Parlament der nach-
durch Ihre Reisetätigkeit in Südamerika haben wir diesen drückliche Appell kommen, mit China, was die Sicher-
Wettbewerbsnachteil wieder aufgeholt, und das wird all- heitsstrukturen im Nahen Osten, aber auch was die
seits gerühmt. Deshalb danke ich Ihnen für Ihr Engage- konkrete Situation im Iran angeht, stärker zusammenzu-
ment in Brasilien, um dieses wichtige Land ganz aus- arbeiten, als das bisher der Fall war. Ich sehe gute Chan-
drücklich zu nennen. cen. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, wenn wir alle
zur Verfügung stehenden Gesprächskanäle nutzen und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) versuchen, mit denjenigen in China ins Gespräch zu kom-
men, die dort Politik gestalten. Das wird in groben Zügen
Uns geht es bei der Beschreibung unserer politischen von allen Parteien so gesehen. Ich glaube, dass uns gerade
Linien in den nächsten Monaten darum, uns den drän- unser großes Ansehen, das wir durch unser dauerhaftes
genden politischen Fragen zu stellen. Der Außenminister Engagement in China genießen, nutzen kann und wir das
hat sehr nachdrücklich unterstrichen, welche Themen stärker ausspielen müssen.
ihm wichtig sind. Ich möchte für unsere Fraktion ein
paar Ergänzungen vornehmen, die in unserem besonde- In den nächsten Jahren der Regierungszeit sollte un-
ren Interesse, aber auch in dem unseres Koalitionspart- sere Position sein, dass die beiden Schwerpunkte – das
ners liegen. Verhältnis zu Russland und das Verhältnis zu China –
eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jah-
Wir haben uns in gemeinsamen Gesprächen darum ren. Vor allem muss das unter einem eher politischen
bemüht, die drängenden Fragen auch von parlamentari- Gesichtspunkt betrachtet werden, als das früher unter
scher Seite her zu begleiten. Dabei geht es uns besonders Gerhard Schröder der Fall war, bei dem der Verdacht na-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2771
Philipp Mißfelder
(A) helag, dass eine Anschlussverwendung vielleicht eine Ich werde überwiegend zur Europapolitik sprechen. (C)
größere Rolle gespielt hat als die politische Zielsetzung. Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die wir als Linke
mit großer Sorge und auch kritisch sehen. Zum einen
Ich glaube, die Prognose wagen zu können, dass das
Verhältnis zwischen den USA und China, das als G-2- wäre der Umgang mit Griechenland zu nennen. Des
Prozess beschrieben wird, schon in den nächsten drei Weiteren wäre das Stockholmer Programm zu nennen,
Jahren in eine entscheidende Phase kommen wird. Man das die innere Aufrüstung der Europäischen Union vo-
muss in diesem Zusammenhang fragen, welche Rolle rantreibt. Es wäre der Europäische Auswärtige Dienst zu
Deutschland in diesem Prozess spielen soll und wie es nennen, der heute bereits angesprochen wurde. Das Be-
vor dem Hintergrund der europäischen Dimension unter sondere an diesem Dienst ist, dass verschiedene Berei-
Hinzuziehung der Deutschen und insbesondere der che, die in Deutschland aus gutem Grund getrennt sind
Europäer insgesamt gelingen kann, einen besseren Aus- – Entwicklungshilfe, auswärtige Politik, Militär- und Si-
gleich zwischen diesen beiden Polen zu schaffen und zu cherheitspolitik –, in einem mächtigen Apparat mit
erreichen, dass europäische Politik, europäische Maß- 8 000 Beschäftigten zusammengefasst werden. Damit
stäbe und letztendlich auch europäische Interessen stär- soll – so sagen Sie, Herr Westerwelle – ein schlagkräfti-
ker berücksichtigt werden. ger Auswärtiger Dienst errichtet werden. Ich frage mich:
Wer soll da geschlagen werden?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Beifall bei der LINKEN)
Die besondere Rolle Europas kommt dabei nicht nur Ich werde jetzt überwiegend über Island sprechen.
bei Themen wie Klimaschutz – das ist offensichtlich – Demnächst laufen wahrscheinlich die Beitrittsverhand-
oder internationale Finanzpolitik – darüber diskutieren lungen an. Ich war in der letzten Woche mit einer Dele-
wir derzeit sehr intensiv –, bei denen das Verhältnis zwi- gation des EU-Ausschusses in Island, in Reykjavik. Vor
schen China und den USA von Bedeutung ist, zum Aus- wenigen Tagen haben in Island fast 94 Prozent der Be-
druck, sondern betrifft auch Teile der Außenpolitik, die völkerung in einem Referendum einen Gesetzentwurf ab-
in unseren alltäglichen Debatten unterrepräsentiert sind. gelehnt, der die Übernahme der Schulden der privaten
Ich möchte einen Kollegen ganz ausdrücklich nament- Icesave-Bank durch die öffentlichen Haushalte vorsieht.
lich erwähnen, der gestern bei uns in der Fraktion mit Un- Das Gesetz hätte jede isländische Familie mit 48 000 Euro
terstützung unserer Fraktionsführung und auch mit Unter- belastet. Die Isländerinnen und Isländer haben sehr deut-
stützung des Bundesentwicklungsministers eine sehr gute lich zum Ausdruck gebracht: Wir zahlen nicht für diese
Veranstaltung durchgeführt hat: Kollege Hartwig Fischer Krise. Wir zahlen nicht für die Krise der Banken und
hat gestern dafür gesorgt, dass Afrika unter einem be- Spekulanten. Wir Linke begrüßen das außerordentlich.
sonderen Gesichtspunkt betrachtet wurde, nämlich nicht
(B) nur als Zuwendungsempfänger, nicht nur als ein Konti- (Beifall bei der LINKEN – Herbert (D)
nent, der Hilfe braucht, sondern auch als realer Partner, Frankenhauser [CDU/CSU]: Da sind aber An-
den man bei wirtschaftlichen Fragen und der zukünfti- leger auch betroffen!)
gen wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen kann.
Lieber Kollege Fischer, der gestrige Abend war ein vol- Da fragt man sich doch: Wieso gibt es in Deutschland
ler Erfolg. eigentlich nicht wie in Island Referenden über grundle-
gende Fragen, zum Beispiel über das Bankenrettungs-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und paket, das die öffentlichen Haushalte auf Jahre mit
der FDP) 500 Milliarden Euro belasten wird?
Selbst wenn das kein Thema ist, das hier alle in Aufre- (Beifall bei der LINKEN – Sven-Christian
gung versetzt, glaube ich, dass, wenn wir über die Inte-
Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil
ressen Europas – gerade auch im Wettlauf mit China – in
wir keinen Volksentscheid in Deutschland ha-
Afrika diskutieren, die wirtschaftliche Zusammenarbeit
ben!)
mit Afrika eine zentrale Rolle spielt.
Herzlichen Dank. Diese Belastung werden Sie der Bevölkerung wahr-
scheinlich erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) präsentieren. Deshalb rufe ich dazu auf und unterstütze
es, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen, in Essen,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: am kommenden Samstag auf die Straße gehen unter dem
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol- Motto: Wir zahlen nicht für eure Krise!
lege Andrej Hunko.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Island hat im Juli letzten Jahres einen Antrag auf Bei-
tritt in die Europäische Union gestellt. Am 24. Februar
Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE): hat die Europäische Kommission der Aufnahme von
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Eine mögliche Be-
meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich schlussfassung des Rates am 25. März soll jetzt verzö-
muss sagen: Herr Westerwelle, ich bin konsterniert, wie gert werden, weil die britische und die niederländische
wenig inhaltliche Anknüpfungspunkte Ihr Redebeitrag Regierung die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen als
lieferte.
Hebel für die Verhandlungen über die Icesave-Schulden
(Beifall bei der LINKEN) benutzen möchten. In der Delegation waren wir uns in
2772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
die Offenlegung a) seiner Begleiter bei Auslandsreisen (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Tiefer geht
und b) von Einladungen zu Treffen, die er als Außen- es vom Niveau her wirklich nicht!)
minister zum Beispiel in der Villa Borsig veranstaltet Das alles ist Ihnen offensichtlich total egal und zeugt
hat, einem Mitglied des Haushaltsausschusses komplett von einer wirtschaftsfreundlichen Atomaußenpolitik.
verweigert hat?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
(Zurufe von der FDP: Aha!) Norbert Barthle [CDU/CSU]: Mein Gott!)
Sie haben angedeutet, wie gefährlich angeblich eine
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
linke Mehrheit für die politische Kultur in Deutschland
NEN):
sei. Wir wissen nun, wie gefährlich eine schwarz-gelbe
Das Haushaltsrecht gilt für alle Außenminister. Wir Mehrheit für Mensch und Natur weltweit ist.
als Parlamentarier müssen uns konsequent dafür einset-
zen, dass unsere Rechte gewahrt werden. Das gilt für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Außenminister Fischer, für Außenminister Steinmeier, sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
aber auch für Sie, Herr Außenminister Westerwelle. KEN – Zurufe von der FDP: Oh! Oh!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Man muss sich einmal klarmachen: Sie fordern, dass
bei der SPD und der LINKEN – Claudia Roth in Deutschland stationierte Atomwaffen abgezogen wer-
2774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Sven-Christian Kindler
(A) den, und im gleichen Atemzug fordern Sie, Atomkraft- Das ist Ihre Art, Außenpolitik zu machen, Herr (C)
werke in einem Erdbebengebiet in Brasilien zu bauen, in Westerwelle: Internationale Zusagen werden gebrochen,
einem Land, das das Zusatzprotokoll zum Atomwaffen- die Mittel für Zukunftsinvestitionen wie Krisenpräven-
sperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Ich finde, das ist tion werden gekürzt, und das Auswärtige Amt wird zum
eine schizophrene Haltung. Ministerium für auswärtige Atompolitik umfunktioniert.
Vizepräsidentin Petra Pau: Der Euro hat sich in den letzten Jahren zu einer stabi-
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege len Währung entwickelt. Er war einer der Ursachen für
Michael Stübgen. das europaweite Wachstum in der Mitte dieses Jahr-
zehnts. Wir müssen aber auch feststellen, dass der Euro
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in seiner jetzigen Struktur nicht ausreichend krisenfest
neten der FDP) ist. Man kann sagen, dass er bei gutem Wetter funktio-
niert, wenn also die Weltfinanzmärkte funktionieren, es
Michael Stübgen (CDU/CSU): zu Wachstum kommt und sich Wechselkursschwankun-
gen in Grenzen halten. Kommt es aber zu einer solchen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
(B) Herren! Nein, ich werde nicht groß auf die Rede von Weltfinanzkrise, wie wir sie jetzt haben, kommt der (D)
Euro-Raum ins Trudeln.
Herrn Kollegen Roth eingehen; denn ich möchte etwas
zu Europa sagen. Warum ist das so? Was Griechenland und auch wei-
tere Länder betrifft, ist es leider Tatsache, dass in der
Ich möchte aber an etwas erinnern: Es scheint leider
sehr lange her zu sein, dass ich zu einer Zeit, als es einen Europäischen Union alle Kontrollgremien und Kontroll-
Außenminister gab, der Joseph Fischer hieß, strukturen über viele Jahre hinweg versagt haben. Dies
gilt sowohl für die Europäische Kommission als auch für
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Räte, die Euro-Gruppe, Eurostat, die Europäische
NEN]: Guter Mann!) Zentralbank und auch die nationalen Parlamente. Es kam
nicht deswegen zur Krise, weil die Kontrollregeln nicht
in diesem Hause geredet habe und wir die grundlegen- ausreichen. Das Hauptproblem ist vielmehr, dass die Re-
den Linien der Europapolitik nach innen und nach außen geln, die wir uns im Stabilitäts- und Wachstumspakt be-
gemeinsam getragen haben. Sie sollten sich überlegen, wusst auferlegt haben, nicht rechtzeitig und nicht nach-
ob es dem Einfluss Deutschlands in der Europäischen haltig angewandt worden sind.
Union dienlich ist, wenn wir damit anfangen, uns hier in
der Art und Weise zu verhalten, wie Sie das getan haben, Wo sind in dieser Situation die Lösungsansätze zu su-
nämlich mit persönlichen Angriffen gegen den Außen- chen? Was müssen wir auf langfristige Sicht tun? Eines
minister vorzugehen, mit dessen Haltung und Einstel- ist überdeutlich: Wir müssen in den Mitgliedsländern der
lung man nicht in jedem Fall einverstanden sein muss. Europäischen Union und zuvörderst in den Ländern der
Wenn Sie glauben, dass uns das hilft, dann sind Sie auf Euro-Gruppe die Budgetdisziplin herstellen. Nach dem,
dem Holzweg. Die Koalition wird auf dem richtigen was wir jetzt wissen, geht es nicht einfach um die Wie-
Weg bleiben. derherstellung der Budgetdisziplin. Wir müssen sie viel-
mehr herstellen. Dazu gibt es keine Alternative.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Michael Roth [Heringen] [SPD]: Dürfen wir (Beifall bei der CDU/CSU)
jetzt noch nicht mal mehr im Bundestag Kritik
an einem Minister üben?) Es ist nicht so – das höre ich gelegentlich –, dass
der Maastricht-Stabilitätspakt und die dazugehörigen
Ich möchte darauf eingehen, dass wir in der Europäi- Maastricht-Stabilitätskriterien die Ursache für die Krise
schen Union zurzeit eine sehr große Unruhe haben. Wir sind. Es ist dagegen so, dass nachhaltiges Verstoßen ge-
befinden uns – das muss man leider feststellen – in der gen diese Kriterien die Krise heraufbeschworen hat. Es
schwersten Krise seit Bestehen der Europäischen Wäh- ist schon jetzt überdeutlich: Länder mit einer nachhaltig
2778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Michael Stübgen
(A) orientierten Haushaltspolitik meistern die jetzige Krise Lösungsansatz ist, um zukünftige Krisen zu verhindern (C)
besser als andere. oder besser meistern zu können.
Welches Krisenmanagement könnte aktuell am besten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
funktionieren? Ein kurzer Blick in die Geschichte kann Ich sehe das Hauptproblem nicht darin, dass eine weitere
an dieser Stelle hilfreich sein. Vor gut eineinhalb Jahren, Vertragsreform von allen Mitgliedsländern ratifiziert
im Herbst 2008, hatten wir diese Situation schon einmal werden muss und deshalb etwas länger dauern würde.
– es handelte sich damals aber nicht um Euro-Länder –, Wenn der Vertrag geändert werden muss, dann müssen
als Lettland, Ungarn und Rumänien kurz vor der Zah- wir das eben angehen. Ich kann mir aber derzeit keine
lungsunfähigkeit standen. Damals konnte kurzfristig und Struktur eines europäischen Währungsfonds vorstellen,
sehr schnell ein kombiniertes Unterstützungspaket vom die weiterhin sicherstellen würde, dass die absolute Un-
Internationalen Währungsfonds, von der Europäischen abhängigkeit der Europäischen Zentralbank in ihrer
Investitionsbank und der Europäischen Entwicklungs- Zins- und Wechselkurspolitik nicht, wenn auch mögli-
bank geschnürt werden. Mit diesem Maßnahmenpaket cherweise nur indirekt, geschwächt würde.
konnte die Zahlungsunfähigkeit in allen drei Ländern ab-
gewendet werden. Bis heute sind diese Maßnahmen er- Frankreich hat für solch einen Weg traditionell viel
folgreich. übrig. Wir wissen eindeutig, dass ein Eingriff in die Un-
abhängigkeit der Wechselkurspolitik einen Holzweg dar-
Es ist aber wichtig, Folgendes festzustellen: Es funktio- stellt. Deswegen werden wir uns immer gegen eine sol-
niert nur deshalb, weil die betroffenen Länder nachhaltige che Gefährdung stemmen.
Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Haushaltspolitik,
Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zu reformieren. Für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
die Euro-Länder sind vergleichbare Maßnahmen nicht der FDP)
möglich. Ob es sich nun um Euro-Länder oder Mit- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube – das
gliedsländer der Europäischen Union handelt: Die kann man jetzt noch nicht endgültig feststellen –, es wird
Nothilfe als Ultima Ratio für ein Mitgliedsland der für die nächsten Jahren weniger notwendig sein, Rege-
Europäischen Union zählt für mich zum Besitzstand der lungen und europäische Verträge zu ändern. Was wir än-
Europäischen Union. Ich betone aber: Es ist eine Ultima dern müssen, ist der Umgang mit den vorhandenen Re-
Ratio, die nur anzuwenden ist, wenn alle anderen Maß- gelungen und Gremien.
nahmen mindestens kurzfristig versagt haben.
Ich möchte versuchen, als Schlusssatz frei nach Kant
Ich halte es für absolut richtig, wie sich die Bundes- zu formulieren, wie er es in seiner Schrift Beantwortung
(B) regierung in dieser Frage verhält; das ist auch der einzig der Frage: Was ist Aufklärung? gut ausgedrückt hat: (D)
mögliche Weg. Griechenland muss die eingeleiteten (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Über-
Reformen umsetzen. Es können der Internationale Wäh- nehmen Sie sich nicht!)
rungsfonds und die Mitgliedsländer der EU nur bei dro-
hender Zahlungsunfähigkeit helfen, und auch dann nur Die Ursache unserer Krise ist nicht der Mangel an Re-
als Not- und Übergangshilfe. Selbst dann muss absolut geln, sondern der Mangel an Mut, sie anzuwenden. Das
gesichert sein, dass Griechenland weiterhin Anstrengun- muss sich in der Europäischen Union in Zukunft ändern.
gen unternimmt, um die Versäumnisse der letzten Jahr- Dann werden wir solche Krisen nicht mehr zu beklagen
zehnte aufzuarbeiten. haben.
Es ist kein Zufall, dass Deutschland in dieser Krise Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
bisher halbwegs klargekommen ist. Wir wissen – gerade (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
bei diesem Haushalt bzw. seiner Verschuldung haben wir neten der FDP – Dr. Angelica Schwall-Düren
die Debatte gehabt –: Das ist alles nicht üppig, auch wir [SPD]: Das reicht nicht, Herr Stübgen! Wir
verletzen das Maastricht-Kriterium. Aber im europäi- brauchen neue Regeln! – Wolfgang Gehrcke
schen Vergleich kommen wir verhältnismäßig gut klar. [DIE LINKE]: Ich sagte: Übernehmen Sie sich
nicht!)
Ich sehe den Grund darin, dass die Bundesrepublik
Deutschland in den letzten zehn Jahren angefangen hat,
schwierige Reformen im Sozialbereich, bei den Renten, Vizepräsidentin Petra Pau:
den Steuern etc. umzusetzen. Fast alle Fraktionen in die- Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die
sem Haus haben eine lebhafte Erinnerung daran. Denn Unionsfraktion.
diese Reformen waren zum einen extrem schwierig und (Beifall bei der CDU/CSU)
zum anderen extrem unpopulär. Es gibt aber keinen ver-
antwortungsvollen Weg, der daran vorbeiführen könnte,
für kein Land. Das muss man auch Griechenland, Portu- Ute Granold (CDU/CSU):
gal, Spanien und Großbritannien deutlich sagen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich heute als Mitglied des Ausschusses für
Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass ich – das will Menschenrechte und humanitäre Hilfe den Akzent auf
ich unumwunden zugeben – zurzeit noch nicht vollstän- den Bereich der Menschenrechte in der deutschen Au-
dig davon überzeugt bin, dass die Einrichtung eines ßenpolitik setzen. Deutsche Außenpolitik ist neben der
europäischen Währungsfonds langfristig der richtige Friedenspolitik das Politikfeld für den Einsatz für Men-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2779
Ute Granold
(A) schenrechte. Das haben wir im Koalitionsvertrag ganz den und deren Menschenrechte mit Füßen getreten wer- (C)
klar festgelegt und geregelt. Insofern gibt es sowohl ei- den.
nen Kompass als auch ein Steuern auf ein bestimmtes
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ziel hin.
Ein anderes Beispiel ist die Türkei; sie wurde eben-
Die Bundeskanzlerin hat in der letzten Legislatur- falls bereits in einem anderen Kontext angesprochen.
periode die wertegebundene Außenpolitik als Akzent ge- Derzeit wird in der Türkei über einen neuen Verfas-
setzt. Das wird jetzt kontinuierlich fortgesetzt. Dafür sungsentwurf debattiert. Bürgerrechte und Grundfreihei-
sind wir sehr dankbar. Deutschland genießt diesbezüg- ten sollen gestärkt werden. Die Menschenwürde soll als
lich ein großes Ansehen in der Welt. Kernbegriff Eingang in die Verfassung finden. Die inter-
nationalen Menschenrechtskonventionen sollen Vorrang
Herr Minister, Sie waren vor zwei Wochen beim
vor den türkischen Gesetzen haben. Nun ist in der Türkei
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf und
ein heftiger Streit entbrannt. Auf der einen Seite gibt es
haben dort für Deutschland gesprochen. Sie haben für
die Tendenz hin zur Säkularisierung, auf der anderen
diese Rede über den Kurs der deutschen Außenpolitik
Seite die Tendenz hin zur Islamisierung mit der Gefahr,
zugunsten der Menschenrechtspolitik großes Lob erfah-
dass die Scharia Einzug in die Gesetzgebung hält. Die
ren. Sie haben viele Gespräche geführt. Eine Delegation
jüngsten EU-Fortschrittsberichte bezüglich der Türkei
aus dem Menschenrechtsausschuss war eine Woche spä-
stimmen einen zurückhaltend, wenn man sich nur die
ter in Genf und hat davon erfahren. Wir sind sehr dank-
Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei an-
bar für diese klare Position und die nochmalige Beto-
schaut. Darum ist es nicht zum Besten bestellt. Ich
nung des Auftrags zur Förderung der Menschenrechte.
möchte als Beispiel das Kloster Mor Gabriel nennen. Es
Wir haben für den Einsatz, aber auch für die finanzielle
ist mit rund 1 600 Jahren eines der ältesten Klöster der
Unterstützung Deutschlands für die Einhaltung und För-
Christenheit. Nun droht die Enteignung. Erzbischof Ak-
derung der Menschenrechte in der Welt Anerkennung er-
tas ist zurzeit in Deutschland und hat gesagt, bis zum
fahren. Dafür sind wir dankbar.
letzten Atemzug werde diese Wiege der Christenheit
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verteidigt, und wir alle sollten an seiner Seite stehen.
der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)
Die Menschenrechte sind universell, unteilbar und An dieser Stelle möchte ich auch die Pauluskirche in
unveräußerlich. Sie sind Ausdruck der unantastbaren Tarsus und das Priesterseminar auf Chalki, das seit 30
Würde der Menschen. Auf dieser Grundüberzeugung ba- Jahren geschlossen ist – das macht es unmöglich, Nach-
siert unser politisches Handeln in Deutschland und in der wuchs auszubilden –, in Erinnerung rufen.
(B) (D)
Welt. Wir sehen es als eine Verpflichtung an, Menschen-
Die Religionsfreiheit ist für uns ein sehr hohes Gut.
rechtsverletzungen über Ländergrenzen hinweg anzu-
Sie ist für uns in Deutschland selbstverständlich, viel-
sprechen und deren Einhaltung einzufordern. Es reicht
leicht zu selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen,
nicht aus, dass in manchen Staaten dieser Welt die Men-
dass es in vielen Teilen der Welt keine Religionsfreiheit
schenrechte zwar in der Verfassung und den Gesetzen
gibt und die Menschen wegen ihrer Religion verfolgt
verankert sind, sie aber nur auf dem Papier stehen und
und auch getötet werden. Das dürfen wir nicht schwei-
nicht geachtet werden.
gend hinnehmen. Es gibt insgesamt 2,1 Milliarden
Lassen Sie mich als Beispiele den Iran und – für den Christen auf der Welt. 80 Prozent der religiös Verfolgten
Bereich der Religionsfreiheit – die Türkei nennen. Herr weltweit sind Christen. Sie werden misshandelt und ge-
Minister, Sie haben den Iran bereits angesprochen, al- tötet; ihre Häuser werden zerstört. Der sogenannte
lerdings in einem ganz anderen Kontext. Ich möchte auf Open-Doors-Weltverfolgungsindex führt die Länder auf,
die Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte zu sprechen in denen die Menschen am schlimmsten verfolgt wer-
kommen. Auf den ersten Blick könnte man sich mit den den. Darunter sind Nordkorea, der Iran, Saudi-Arabien,
dortigen Regelungen einverstanden erklären, da die Frei- Somalia, Ägypten und der Irak. Auf die Situation in den
heits- und Bürgerrechte in der iranischen Verfassung letzten beiden Ländern möchte ich genauer eingehen.
verankert sind. Der erste Blick täuscht aber. Auf den In Ägypten wurden Anfang Januar sechs Christen
zweiten Blick liest man den Satz: Alle Gesetze, auch die und ein muslimischer Wachmann während eines Gottes-
Verfassung, müssen im Einklang mit den islamischen dienstes in einer Kirche ermordet. In diesem Land wer-
Prinzipien stehen. – Das heißt konkret Folter, Todes- den seit vielen Jahren schwerste Delikte gegen Christen
strafe, Misshandlung und Steinigung, auch von Minder- begangen.
jährigen. In diesem Staat herrscht großes Elend, auch
wenn es um die Gleichberechtigung geht. Im Vorfeld der Wahlen im Irak wurden Christen um-
gebracht, Häuser von Christen in Brand gesteckt und
Die Menschenrechte dürfen aber nicht relativiert wer- Bomben gelegt. Die dort lebenden Christen fordern Soli-
den, auch nicht wegen vermeintlich religiöser oder kul- darität. Das sollte für uns eine Selbstverständlichkeit
tureller Besonderheiten. Wir sind der Bundesregierung sein; denn auch dort liegen die Wurzeln unseres Glau-
dankbar, dass sie nun entschieden hat, im Rahmen einer bens. Wenn hier Solidarität eingefordert wird, müssen
Einzelfallprüfung iranische Dissidenten aufzunehmen. wir sie auch zeigen. Die Bundesregierung hat in der letz-
Sie gibt damit der iranischen Opposition das Zeichen, ten Wahlperiode dank der Initiative der Menschenrecht-
dass wir auf der Seite derer stehen, die unterdrückt wer- ler entschieden, irakische Flüchtlinge aufzunehmen.
2780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Ute Granold
(A) Letztendlich handelte es sich um eine europäische Soli- Ich frage gerne Besuchergruppen, wie hoch der Anteil (C)
daritätsaktion. Wir Deutsche haben unsere Hausaufga- der Mittel für Kultur im Haushalt der Bundesrepublik
ben gemacht und 2 500 irakische Flüchtlinge, davon ist. Die Schätzungen liegen regelmäßig bei etwa
1 100 Christen, aufgenommen. Unser Fraktionsvorsit- 20 Prozent. Diese Zahl ist richtig, wenn das Aufregungs-
zender Volker Kauder hat angekündigt, die Aufnahme potenzial, das Kultur hat, gemeint ist; aber der finan-
weiterer Flüchtlinge zu prüfen, da die Integration der zielle Anteil beträgt 0,4 Prozent. Über Kultur kann man
hier Aufgenommenen sehr gut verläuft. Sehr viele wunderbar streiten, und Kultur regt zum Nachdenken an.
Flüchtlinge befinden sich noch in Syrien und Jordanien. Man kann sich fragen, was eine Ausstellung meinethal-
Diesen Menschen muss Beistand geleistet werden. ben in China mit Bildern aus der Zeit der europäischen
Aufklärung nützt. Sie regt zum Nachdenken an. Kunst
(Beifall bei der CDU/CSU) begeistert, irritiert, oder sie provoziert. Das liegt im
Wie zerstörerisch religiöser Fanatismus sein kann, Auge des Betrachters. Das heißt, wir setzen etwas in Be-
sieht man in Nigeria. Das gilt auch für die Situation der wegung, und gleichzeitig machen wir neugierig auf das
Christen und übrigens auch der Muslime in Indien, wo Land, aus dem die Kunst kommt. Das ist unsere Visiten-
Religionsfreiheit zwar im Gesetz steht, aber nicht geach- karte; das ist, wenn man so will, der Trailer zu einem
tet wird. Film. Wenn der Trailer gut ist, dann schaue ich mir auch
den ganzen Film Deutschland an, und wenn er richtig
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die Koali- gut ist, auch den zweiten und dritten Teil. Wir interessie-
tion den Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“ ren mit ganz wenig Aufwand Menschen für unser Land.
eingebracht hat, über den wir nächste Woche in diesem Das ist für mich sehr wichtig. Es ist schön, wenn jemand
Hause debattieren werden. Für uns steht immer auf der sagt, dass Deutschland für den schicken ICE oder auch
Agenda, dass wir uns für die Menschenrechte einsetzen. für Windräder steht, oder wenn jemand die guten deut-
Dazu gehört auch die Situation in China und in anderen schen Autos anführt. Aber viel interessanter und blei-
Regionen der Welt. Für uns ist die Religionsfreiheit ein bender ist die Wirkung, die wir durch Kultur erzielen.
ganz wichtiges Menschenrecht, und deshalb habe ich
meinen Fokus daraufgelegt. Nun kann man im Ausland natürlich nicht für eine Sa-
che werben, die es im Inland gar nicht mehr gibt. Dann
Ich danke dem Außenminister und der Bundesregie- könnten höchstens kulturelle Ruinen besucht werden.
rung für die wertegebundene Außenpolitik, für ihren Deswegen korrespondiert der Kulturanteil im Haushalt
Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte und für die des auswärtigen Bereichs mit dem Kulturanteil im Haus-
Friedenspolitik. halt des innerdeutschen Bereichs. Mit diesem vorgeleg-
ten Haushalt sind wir nicht der Versuchung erlegen, ei-
(B) Vielen Dank. nem allgemeinen Trend entsprechend Kultur als Luxus, (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der in der Krise verzichtbar ist, zu kennzeichnen, son-
dern wir haben ganz klar gesagt, dass wir die Weiterent-
wicklung von Kultur fortschreiben wollen. Das machen
Vizepräsidentin Petra Pau: wir auch im Haushalt deutlich. Wir haben nicht brutal
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die Uni- gekürzt. Dieser Versuchung sind wir nicht erlegen. Ich
onsfraktion. glaube, das ist wichtig. Im Zusammenhang mit dem
Einzelplan 04 sind die Kommunen angesprochen wor-
(Beifall bei der CDU/CSU) den. Gerade in diesen Bereichen darf man nicht sparen.
Es lohnt sich unwahrscheinlich, Investitionen in Kultur
Rüdiger Kruse (CDU/CSU): zu tätigen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Ich bin sehr froh, dass die Themen „kulturelle Ent-
Herren! Der Kollege von den Linken hatte vorhin die wicklung“ und „kulturelle Botschaft im Ausland“ vom
langen Linien vermisst. Lange Linien sind meistens Auswärtigen Amt, das jetzt unter einer anderen Führung
nicht so spannend, weil sie nicht diese Ausschläge ha- steht – offensichtlich gibt es jetzt jemanden, der nicht
ben. Natürlich gibt es diese langen Linien. Außer den in- nur kellnern will, sondern auch einmal kocht –, aufrecht-
ternationalen Missionen, an denen wir beteiligt sind und erhalten und ganz bewusst gesetzt werden.Vor dem Hin-
die meistens mit Afghanistan oder Fragen finanzpoliti- tergrund der fortschreitenden Integration dieser Welt, der
scher Art verbunden sind, gibt es auch unsere Präsenz im fortschreitenden Globalisierung werden wir in den
Ausland, die der Kulturpolitik zuzuordnen ist. Das ist so nächsten Jahren wesentliche Beiträge über kulturelle Im-
eine lange Linie. Um an das anzuschließen, was meine pulse leisten können. Das sind Dinge, die die Menschen
Vorrednerin zum Thema Menschenrechte gesagt hat: Es der verschiedenen Länder einander näherbringen. Auch
gibt auch ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe. Es wenn es ein bisschen abgegrast klingt: Wenn man ein
liegt oberhalb der Menschenrechte, für deren Einhaltung Land näher kennengelernt hat, dann ist es viel schwieri-
wir meistens kämpfen müssen, aber es ist ein sehr wich- ger, in einen Konflikt mit diesem Land zu kommen. –
tiges. In sehr vielen Ländern stillt unser Beitrag, den wir Das zu erkennen, ist die Aufgabe. Ich hoffe, Herr Minis-
zum Beispiel über das Goethe-Institut und andere Ein- ter, dass Sie sich dieser Aufgabe mit viel Macht und In-
richtungen leisten, einen Hunger, der hier in Deutsch- tensität – dies lässt der Haushaltsentwurf erkennen –
land vielleicht gar nicht mehr so groß ist. Es ist ein Hun- stellen.
ger auf andere Kulturen, auf Anregungen, auf etwas, was
neugierig macht. Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2781
Rüdiger Kruse
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (C)
neten der FDP und des Abg. Johannes Kahrs BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander
[SPD]) Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im
Schützengraben!)
Vizepräsidentin Petra Pau: Man kann nur spekulieren – vielleicht wird diese Speku-
Ich schließe die Aussprache. lation im Laufe der Debatte aufgehoben –: Darf er nicht?
Will er nicht? Möchte er nicht? – Schauen wir einmal,
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
was die Koalition zu dieser Angelegenheit sagen wird.
Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfas-
sung. – Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Aus- Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist deutlich ge-
schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält worden, dass 90 Prozent des investiven Anteils durch
sich? – Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Uni- Großvorhaben über Jahre gebunden sind, sodass für die
onsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen nächsten Jahre finanzielle Handlungsspielräume für
der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak- Neues so gut wie nicht mehr vorhanden sind. Das un-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. fassbare Durcheinander bei der Beschaffung des Flug-
zeugs A400M erreicht heute durch einen kurzfristig ein-
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf: gereichten Antrag der Koalition anscheinend eine neue
Einzelplan 14 Größenordnung, man könnte fast sagen: den absoluten
Bundesministerium der Verteidigung Höhepunkt. Man muss sich einmal vor Augen führen,
wie die Koalition in dieser Frage in der Bereinigungssit-
– Drucksachen 17/613, 17/623 – zung mit Ihnen, Herr Minister, umgegangen ist – ich will
Berichterstattung: ganz deutlich sagen, dass die Bundeswehr dieses Flug-
Abgeordnete Bartholomäus Kalb zeug braucht; die SPD-Fraktion steht nach wie vor zu
Klaus-Peter Willsch diesem Beschaffungsvorhaben –; das schreit zum Him-
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) mel.
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde Da wird über Nacht ein Kürzungsvorschlag in Höhe
von 100 Millionen Euro durchgesetzt – ohne Begrün-
Zum Einzelplan 14 liegen zwei Änderungsanträge der dung –, obwohl jeder wusste, dass in 2010 aufgrund des
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Ab- bestehenden Vertrages selbst vor der jüngst erfolgten Ei-
(B) geordneten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen nigung mit EADS 250 Millionen Euro fällig geworden (D)
Koppelin vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag wären. Damit das geheilt und das Projekt insgesamt ge-
der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag rettet werden kann, herrschte hier gestern hektische Be-
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. triebsamkeit. Der Kollege Willsch, der Kollege Kalb und
der Kollege Koppelin waren mehrfach mit dem Minister
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für im Plenarbereich unterwegs.
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So
was!)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion. Andere wurden nicht dazugebeten, obwohl es eine
durchaus übliche und sehr faire Praxis ist, dass alle Be-
(Beifall bei der SPD) richterstatter des Einzelplans über Veränderungen infor-
miert werden. Aber nun kommt es: Kurz vor der ab-
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): schließenden Beratung legt die Koalition einen Antrag
vor – dass darüber abgestimmt wird, hat die Frau Präsi-
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- dentin eben angekündigt – über eine Verpflichtungser-
legen! Bei der ersten Lesung des Einzelplans 14 am mächtigung für den A400M in Höhe von 500 Millionen
20. Januar 2010 habe ich von gleicher Stelle ausgeführt, Euro. Wie sieht es da mit dem Einhalten des hehren
dass der Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts Grundsatzes eines jeden Haushälters der Haushaltswahr-
auf den ersten Blick stabil und solide erscheint. Nach heit und -klarheit aus, Herr Minister? Die Koalitions-
den Beratungen im Ausschuss und den Ergebnissen aus fraktionen – das sage ich in aller Deutlichkeit – tanzen
der Bereinigungssitzung kann man das allerdings nicht Ihnen auf der Nase herum. Sie haben letztendlich durch
mehr behaupten. In zu vielen Punkten bleibt der oberste diese Vorgehensweise wie bei vielen anderen Einzelplä-
Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit leider auf nen auch mehr als deutlich gemacht, dass diese Koali-
der Strecke. tion nicht regierungsfähig ist.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]:
Angesichts der Rednerliste sei mir ein kurzer Einwurf
Das ist aber ein Trugschluss!)
gestattet: Ich vermisse auf der Rednerliste den Namen
des Ministers der Verteidigung, Herrn Freiherr zu Die SPD-Fraktion steht mit dieser Äußerung zur Re-
Guttenberg. gierungsfähigkeit nicht alleine da. Ich gehe einmal da-
2782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Klaus-Peter Willsch
(A) schon jetzt zur Verfügung stellen, damit die Zahlen nicht dass es nicht auf die Streichungen in Höhe von 1 Mil- (C)
schlechter aussehen, als sie in Wirklichkeit sind. lion, 2 Millionen oder 5 Millionen Euro, die Sie eben ge-
nannt haben, ankommt. Ich würde es begrüßen, wenn
Wir haben im Einzelplan 14 einen Bereich mit einem
Sie einmal die Streichung von 200 Millionen Euro im
Volumen von 56,3 Millionen Euro, der streitig gestellt
investiven Bereich begründen würden. 100 Millionen
ist, weil das BMZ sagt, dass es sich nicht um ODA-Mit-
Euro beim A400M, NH-90, Tiger, Quartiermeistermate-
tel handelt. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir zu
rial und alles, was dazugehört, die globale Minderaus-
Neubewertungen kommen und müssen deutlich machen,
gabe von 200 Millionen Euro, die 57 Millionen Euro fle-
dass das, was wir in diesem Bereich tun, der Entwick-
xibilisierte Mittel: Ich würde einfach gerne einmal die
lung Afghanistans dient. Es geht mir nicht darum, hier
Begründung dafür hören.
billigen Beifall für die damit erreichte Verbesserung bei
der Quotenerfüllung zu bekommen, sondern es geht mir (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hat er doch
um die Anerkennung der Soldaten, die dort ihren Dienst gemacht!)
tun. Sie sollen entsprechende öffentliche Wertschätzung
erfahren, indem ihnen sozusagen testiert wird, dass sie Im Ausschuss selbst wollten Sie die Begründung
einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Landes nicht geben. Ihr Minister konnte sie nicht geben, weil er
leisten. erst Stunden vorher erfahren hat, was Sie gestrichen ha-
ben. Ihr Staatssekretär muss jetzt 450 Millionen Euro in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf einem Haushalt, der bereits läuft, zusammensuchen. Das
von der CDU/CSU: Sehr guter Vorschlag!) heißt, dass große Sparmaßnahmen auf die Truppe zu-
kommen. Neben all den netten Dingen, die Sie bisher er-
Da wir beim Thema Quote sind: Häufig wird über
wähnt haben, könnten Sie auch einmal zum Kern kom-
Quoten bei der Entwicklungszusammenarbeit und über
men und dies begründen.
das 10-Prozent-Ziel bei den Bildungs- und Forschungs-
ausgaben gesprochen. Quotale Bindungen sind Haushäl-
tern ein Graus. Aber wenn wir schon über quotale Bin- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
dungen reden, dann müssen wir das auch vollständig tun. Lieber Kollege Kahrs, ich bedanke mich für die lo-
In der NATO ist man schon vor mehreren Jahren über- benden Worte bezüglich meines Beitrags. Die Fachdis-
eingekommen, einen Anteil der Verteidigungsausga- kussion werden wir jetzt sicherlich nicht mehr im Detail
ben am BIP von 2 Prozent anzustreben. Das erreichen nachholen können. Wir haben uns die einzelnen Be-
wir nicht; wir sind in einem Bereich von 1,3 Prozent bis schaffungsmaßnahmen angeschaut und uns überlegt, wo
1,4 Prozent. Die einzigen, die dieses Ziel erreichen, sind wir parlamentarisch nachsteuern können – ich erinnere
die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen, die Sie an unseren Antrag in Sachen MEADS –, indem wir
(B) sogar darüber liegen. uns in Betracht kommende Alternativen anschauen, die (D)
den gleichen Zweck erfüllen können und bei denen wir
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Auffassung sind, dass noch genügend Zeit ist. Das
NEN]: Und die Griechen! Und da sehen Sie haben wir gemacht. Das ist ein verantwortlicher Um-
mal, wozu das führt!) gang mit dem Haushalt.
– Stimmt, das waren Einmalerscheinungen. Ob das bei Hinsichtlich des A400M bin ich Ihnen in der Tat noch
den Griechen allerdings nur auf Sollzahlen beruht oder eine Begründung unseres Antrags schuldig; auch der
ob das Geld wirklich schon geflossen ist, ist aber frag- Kollege Brinkmann hat danach gefragt. Diese will ich
lich. Darüber kennen wir ja auch Geschichten. jetzt gerne nachtragen. Ich will Ihnen aber nicht zumu-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten, die ganze Zeit stehen zu müssen, wenn ich jetzt
NEN]: Seit zehn Jahren kontinuierlich über noch einmal zum A400M komme.
4 Prozent!) (Abg. Johannes Kahrs [SPD] nimmt Platz)
Das ist eine beachtliche Quote, wenn wir uns als Indus- Die Beratung über den A400M ist mit Blick auf die
triestaaten miteinander vergleichen und überlegen, wel- Technik der Haushaltsaufstellung nach der Bereini-
cher Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP sinnvoll gungssitzung in ein Stadium gekommen, in dem wir, um
und notwendig ist. Das müssen wir mit im Blick behal- den Kredit über die KfW ausreichen zu können, eine Er-
ten. mächtigung im Haushalt brauchen; das wissen Sie, Herr
Kollege Brinkmann. Deshalb haben wir nach einem Weg
Vizepräsidentin Petra Pau: gesucht und haben das mit dem gemeinsamen Antrag
Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage meines Kollegen Dr. Koppelin und mir als Verpflich-
des Kollegen Kahrs? tungsermächtigung noch in den Haushalt 2010 hineinge-
bracht.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Zur Erläuterung: Mit den 2 Milliarden Euro haben wir
Natürlich. überhaupt nichts zu tun; das wissen Sie alle.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Johannes Kahrs (SPD):
NEN]: Da bin ich mal gespannt!)
Herr Kollege, ich höre Ihre Rede, und Sie sagen viele
gefällige Dinge. Aber wenn man sich anschaut, was Sie Dafür erwarten wir eine Lösung, die nicht haushalts-
im Verteidigungshaushalt gemacht haben, wird deutlich, wirksam wird. Wir haben darüber hinaus die 1,5 Milliar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2785
Klaus-Peter Willsch
(A) den Euro, die die sieben Bestellernationen dem Herstel- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, Krieg (C)
ler als Kreditmittel zur Verfügung stellen sollen. Unser führen!)
Anteil daran beträgt 500 Millionen Euro. Diese soll die
Wenn das die Bundeswehr allein machen soll, dann wer-
KfW verzinst und rückzahlbar ausreichen. Weil jetzt
den wir sozusagen als industriepolitischer Einzelplan
aber noch kein Vertrag da ist und die Konditionen noch
missbraucht. Als wichtiger Punkt ist festzuhalten: Wir
nicht ausgehandelt sind und feststehen, war das BMF der
können mit diesen Gütern auch dafür sorgen, dass Hoch-
Auffassung, wir müssten den vollen Betrag ansetzen.
technologieunternehmen im Bereich Luft- und Raum-
Wir sind der festen Überzeugung, dass das nicht fällig
fahrt in unserem Land eine gute Zukunft haben und nicht
werden wird.
nur uns, sondern auch Partnern ihre hervorragenden Pro-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dukte zur Verfügung stellen können.
NEN]: Das sieht Ihr Finanzminister anders! – (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]:
Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Sie Darum habt ihr 100 Millionen gekürzt! Un-
hätten ganz in Ruhe beraten können!) glaublich!)
Das Ganze wurde in hervorragender Weise ausgehan- Lassen Sie mich schließen, indem ich bekenne: Das,
delt. Viele hatten einen schlimmeren Ausgang dieser was wir mit der Fassung in der Nacht der Bereinigungs-
Verhandlungen erwartet. sitzung beschlossen haben, hat schon Auswirkungen ge-
zeigt. Sie alle kennen die Aussagen des Inspekteurs des
Vizepräsidentin Petra Pau: Heeres. Das betrifft auch mich persönlich: Ich bin Flak-
Kollege Willsch, der Kollege Kahrs hat offensichtlich panzerkommandant.
noch eine Nachfrage. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das merkt
man!)
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Es nimmt einen schon mit, wenn man liest, dass der Ge-
Lassen Sie mich das bitte im Zusammenhang darstel- pard außer Dienst gestellt wird; aber es zeigt zugleich,
len. – Sie haben schon bei der ersten Lesung gesagt, dass dass wir mit solchen Vorgaben das Problem in die
wir auf jeden Fall weitermachen müssen, und damit die Truppe verlegen, wenn wir fragen: Wo könnt ihr mithel-
Verhandlungsposition nicht gerade erleichtert. Dass wir fen, dass wir diese haushaltspolitisch schwierigen Zeiten
dieses gute Ergebnis erreichen können, indem die KfW meistern?
angewiesen werden kann, diesen Kredit auszureichen, ist
Gegenstand und Notwendigkeit des Antrags, den ich
Vizepräsidentin Petra Pau:
(B) hier einbringe und den ich Ihrer Zustimmung empfehle. Kollege Willsch, ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Sie (D)
haben gleich die Möglichkeit, weiter zu reden, da es
Vizepräsidentin Petra Pau: nach Ihrer Rede eine Kurzintervention gibt. Aber jetzt
Herr Kollege Willsch, können Sie mir bitte sagen, ob bitte ich Sie, mein Signal zu beachten, und Ihre Rede zu
Sie die Frage noch zulassen oder nicht; denn ich kann beenden.
diese Zeit nicht an Ihre Redezeit hängen.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Hausrecht
Ich möchte meinen Gedanken im Zusammenhang
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
ausführen. Ich bitte um Verständnis.
und schließe mit folgendem Satz ab: Die Bundeswehr,
Vizepräsidentin Petra Pau: das Verteidigungsministerium und die Truppe können
sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen. Wir werden
Gut.
im Haushaltsausschuss für die Truppe möglich machen,
was geht.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Danke schön.
Das Thema A400M macht zugleich deutlich, dass im
Einzelplan 14 Belastungen vorgesehen sind, die nicht al- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
lein verteidigungspolitisch motiviert sind. Keiner hat
dieses Thema rein militärisch diskutiert, es wurde auch Vizepräsidentin Petra Pau:
immer industriepolitisch diskutiert. Das gibt es auch in Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs das
anderen Bereichen. Der Bericht von SIPRI über unsere Wort.
Erfolge an der Exportfront ist schon mehrfach angespro-
chen worden. Wir können stolz darauf sein, weil unsere
Spitzentechnologie weltweit, gerade bei unseren NATO- Johannes Kahrs (SPD):
Partnern, nachgefragt wird. Das sichert 77 000 Arbeits- Herr Kollege Willsch, Sie haben eben davon gespro-
plätze in diesem Bereich. chen, dass Sie es bedauern, was der Inspekteur Heer ver-
fügt hat, nämlich dass die Geparden, Marder und viele
Wenn technologische Fähigkeiten der Ingenieurs- andere Fahrzeuge stillgelegt worden sind. Das liegt da-
kunst erhalten werden sollen, dann muss es Aufträge ge- ran, dass Sie die Politik machen, die Sie machen. Wenn
ben. man den Haushalt betrachtet, muss man feststellen, dass
2786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Johannes Kahrs
(A) Sie über 450 Millionen Euro aus einem laufenden Etat Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): (C)
gestrichen haben, die in diesem Jahr eingespart werden Herr Kollege Kahrs, es ist Ihnen sicher nicht entgan-
müssen. Von den 250 Millionen Euro, die in diesem Jahr gen, dass wir für den einsatzbedingten Mehrbedarf für
für den A400M vorgesehen waren, haben Sie 100 Mil- Afghanistan 437 Millionen Euro zusätzlich zur Verfü-
lionen Euro gestrichen. Es gibt aber eine vertragliche gung gestellt haben. Sie versuchen, aus dem Thema Ho-
Bindung, das heißt, die Mittel werden anderswo im nig zu saugen und einen anderen Eindruck zu vermitteln;
Haushalt erwirtschaftet werden müssen. Sie haben aber Sie wissen natürlich, dass für sehr viele Mittel im
30 Millionen Euro beim Tiger eingespart. Auch hier gibt Einzelplan 14 gegenseitige Deckungsfähigkeiten beste-
es vertragliche Verpflichtungen, sodass die Mittel wo- hen, sodass es bei der Truppe bleibt, die Vorgaben, die
anders eingespart werden müssen. Beim NH-90 gilt das der Haushaltsausschuss gemacht hat, zu realisieren.
Gleiche: Sie werden die Mittel im laufenden Etat einspa-
ren müssen. Ich betone einmal mehr: Der optimale Schutz und die
optimale Ausrüstung der Truppe im Einsatz bleiben für
Das ist in keiner Sitzung des Verteidigungsausschus- uns im Fokus. Wenn wir bei langfristigen Beschaffungs-
ses, bei keinem Berichterstattergespräch und auch vorher vorhaben auf die Bremse treten oder sagen: „Das muss
nie diskutiert worden. Das heißt, auch Ihr Minister hat anders gemacht werden“, dann hat das mit dem Einsatz
erst Stunden vorher erfahren, was Sie in jener Nacht von unmittelbar nichts zu tun.
Mittwoch auf Donnerstag ausgeheckt haben. Die Truppe
wird das jetzt im laufenden Jahr erdulden müssen. Kein (Rainer Arnold [SPD]: Da gibt es doch Ver-
anderer Etat ist so geschröpft worden wie der Verteidi- träge, die gelten!)
gungsetat. Das heißt, auf der einen Seite schicken wir
Soldaten nach Afghanistan, auf der anderen Seite wird Vizepräsidentin Petra Pau:
der Etat brutal zusammengestrichen. Wir alle kennen die Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Mängel bei der Bundeswehr. Wir wissen um die Pro- Die Linke.
bleme bei Infrastruktur und Beschaffung. Als schwarz-
gelbe Koalition streichen Sie Ihrem Minister 450 Millio- (Beifall bei der LINKEN)
nen Euro aus dem laufenden Haushalt und begründen
das hier nicht einmal. Inge Höger (DIE LINKE):
Sie haben über den A400M und die 500 Millionen Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen und
Euro VE gesprochen. Hier geht es aber um die 450 Mil- Herren! Das Geschäft mit der Rüstung blüht. Die Zahlen
lionen Euro, die Sie real gestrichen haben. Dafür habe des Friedensforschungsinstituts SIPRI wurden heute ver-
(B) ich keine Begründung gehört. Glauben Sie, dass Sie die schiedentlich genannt. SIPRI warnt ganz entschieden (D)
30 Millionen Euro für den Tiger nicht brauchen? Glau- vor weltweitem Wettrüsten. Deutschland ist zum dritt-
ben Sie, dass Sie die 100 Millionen Euro für den größten Rüstungsexporteur aufgestiegen. Rot-Grün hat
A400M, die vertraglich gebunden sind, nicht brauchen? die Türen geöffnet, aber unter der Großen Koalition ha-
ben sich die Rüstungsexporte nahezu verdoppelt.
Es wäre schön, wenn einer die Streichung einmal be-
gründen würde, damit die Truppe weiß, warum sie im Mit den Ausgaben für das eigene Militär liegt
laufenden Jahr das Geld nicht hat. Der Haushalt ist groß Deutschland auf Platz 6 weltweit, also in den Topten.
– das wissen wir alle –, aber der disponible Teil ist sehr Deutsche Waffen in alle Welt, das scheint die Devise der
klein. Sie werden dieses Geld bei der Truppe im laufen- hiesigen Rüstungsindustrie zu sein. Nicht nur die Bun-
den Jahr – wir haben ja schon März – zusammensparen deswehr wird aufgerüstet. Auch NATO-Länder und EU-
müssen. Verbündete werden mit Waffen beliefert. Die meisten
dieser Länder sind in Kriege verwickelt. Selbst arme
Die Auswirkungen werden jeden Soldaten treffen, Länder in Afrika, Lateinamerika oder Asien dürfen sich
werden die Truppe generell treffen. Das sind die Solda- immer wieder über Rüstungslieferungen aus Deutsch-
ten, über die wir große Reden gehalten haben, die Sie land freuen.
nach Afghanistan schicken. Das sind die Soldaten, auf
die Sie immer wieder Lobeshymnen singen. Deren Geld In ihrem Koalitionsvertrag behauptet die schwarz-
wird jetzt von Schwarz-Gelb gegen den Willen des Mi- gelbe Regierung – Herr Westerwelle hat das heute auch
nisters und des Ministeriums zusammengestrichen. Da- noch einmal betont –, die Koalition wolle Frieden in der
für stehen Sie als Berichterstatter. Ich finde, man könnte Welt schaffen und dazu beitragen. Wie soll das aber mit
das hier, vor dem Parlament, zumindest einmal begrün- immer mehr Waffen und immer neuen Rüstungsexporten
den. Das gebietet der Anstand. Wir Sozialdemokraten gehen?
haben diese Kürzung abgelehnt. Wir halten das für unan- (Beifall bei der LINKEN)
ständig und falsch.
Frieden schaffen kann man nur ohne Waffen. Auch
Vielen Dank. wenn immer wieder versucht wird, den Eindruck von
(Beifall bei der SPD) Einsparungen beim Militär zu suggerieren, kann hier
nicht von einem Sparhaushalt die Rede sein. Oberfläch-
lich betrachtet haben Sie den Verteidigungshaushalt um
Vizepräsidentin Petra Pau: klägliche 0,1 Prozent gekürzt. Die Linke sieht wesent-
Kollege Willsch, möchten Sie antworten? – Bitte. lich mehr Einsparmöglichkeiten. Vorschläge für die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2787
Inge Höger
(A) Kürzung um insgesamt 4 Milliarden Euro haben wir in Lieferverzögerung Strafzahlungen an die Bundesregie- (C)
unserem Antrag aufgelistet. rung leisten; aber Sie verzichten auf Ihre Ansprüche.
Weitere Zahlungen wurden zugesagt. Die verschiedenen
Doch diese Regierung hat offensichtlich kein Inte- Bestellerländer haben sich bereit erklärt, insgesamt
resse daran, beim Militär zu sparen. 3,5 Milliarden Euro zusätzlich zu zahlen; 1,5 Milliarden
(Beifall bei der LINKEN) Euro davon gibt es eventuell zurück. Wann? Wenn sich
der Airbus als Exportschlager herausstellt. Das ist aus
Selbst bei den behaupteten Sparbemühungen im Promil- Sicht der Linken pervers.
lebereich wird die Öffentlichkeit getäuscht; denn nicht
alle Militärausgaben sind tatsächlich im Einzelplan 14 (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen
aufgelistet. Ein treffenderes Bild bekommt man, wenn Koppelin [FDP]: Das ist ein Transportflug-
man sich die Meldung an die NATO-Verbündeten an- zeug!)
schaut. Nach NATO-Kriterien planen Sie Militärausga-
ben in Höhe von 34 Milliarden Euro. Das ist gegenüber Die Firma Airbus rechnet damit, auf dem Weltmarkt
2009 ein Anstieg um 600 Millionen Euro. Das wird ge- bis zu 500 dieser Militärflugzeuge verkaufen zu können.
genüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ver- Um die Aufrüstung der deutschen und französischen Ar-
schleiert. Hören Sie auf mit diesen Täuschungsmanö- mee mit Transportflugzeugen irgendwie finanzierbar zu
vern, und beginnen Sie mit wirklicher Abrüstung. Da halten, wird die weltweite Aufrüstung bewusst vorange-
lassen sich Milliarden sparen. trieben. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Die Bun-
desregierung hat aufgrund der Lieferverzögerungen
(Beifall bei der LINKEN) Kündigungsrecht. Sie könnten also ganz einfach aus die-
Unter Sparen versteht die Linke keine Umschichtung sem Vertrag aussteigen. Dann wäre das Projekt zwar
im Militärhaushalt, wie dies in den letzten Jahren ge- wahrscheinlich am Ende, aber das wäre auch gut so. Be-
macht wurde. Durch Standortschließungen und den Ab- enden Sie diesen Wahnsinn. Deutschland braucht den
bau der Zahl ziviler Beschäftigter wurde an einzelnen A400M nicht.
Stellen Geld gespart, aber die frei werdenden Mittel
wurden dann in die Aufrüstung und Umstrukturierung (Beifall bei der LINKEN)
der Bundeswehr investiert. Die Umschichtungen dienten Gleiches gilt für viele andere Rüstungsvorhaben.
und dienen dem Umbau der Bundeswehr von einer Ver- Auch der neue Schützenpanzer Puma soll zu einem
teidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz. Der Ver- Exportschlager werden wie das Vorgängermodell Leo-
teidigungshaushalt ist der drittgrößte Einzelhaushalt. pard 2, das bereits in alle Welt verkauft wurde. Der Ein-
Statt abzurüsten, rüsten Sie die Bundeswehr für welt- kauf von 410 Hightechschützenpanzern Puma wird ein- (D)
(B) weite Kriegs- und Besatzungseinsätze auf. Das geht
schließlich der Bewaffnung etwa 5 Milliarden Euro
nicht zum Nulltarif. kosten. Diese 5 Milliarden Euro würden reichen, um al-
(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte len Menschen in Afghanistan fünf Jahre lang eine medi-
[CDU/CSU]: Humanitäre Hilfe!) zinische Grundversorgung zukommen zu lassen. Auch
dieser große Auftrag reicht den Produzenten Rheinme-
Genau diese Bundeswehr als Interventions- und Besat- tall und Krauss-Maffei Wegmann nicht. Der Auftrag der
zungsarmee sollte Deutschland sich sparen. Die Linke Bundeswehr ist lediglich ein Türöffner für den lukrati-
vertritt einen strikten Antikriegskurs. Auslandseinsätze ven Weltmarkt. In fast allen Fällen gibt es einen Zusam-
können wir sowohl den Menschen in den betroffenen menhang zwischen der Rüstungsproduktion für die Bun-
Regionen als auch den Bundeswehrsoldaten ersparen. deswehr und der Rüstungsproduktion für den Export.
(Beifall bei der LINKEN) Hohe Stückzahlen machen die Produktion von Panzern
und U-Booten lukrativer. Hier komme ich auf die bereits
Hören Sie endlich auf, Deutschland am Hindukusch erwähnte Warnung von SIPRI vor einem neuen weltwei-
oder am Horn von Afrika zu verteidigen. Nehmen Sie ten Wettrüsten zurück. Die neue Aufrüstungsspirale dreht
das Grundgesetz ernst. Reduzieren Sie die Aufgaben der sich bereits.
Bundeswehr auf einen strikt territorial definierten Vertei-
digungsbegriff. Dann können Sie wirklich sparen. Mit diesem Haushalt wird die Grundlage für Aus-
landseinsätze der Bundeswehr gelegt. Wir haben es hier
(Beifall bei der LINKEN) mit einer Mogelpackung zu tun. Allein der ISAF-Einsatz
Wenn die Bundeswehr nicht mehr weltweit zum Ein- in Afghanistan wird im laufenden Jahr mehr als 1 Milliar-
satz kommen soll, braucht sie auch keine teuren Trans- de Euro verschlingen. Im Haushalt wird aber so getan, als
portflugzeuge. Die Bundesregierung könnte sich das ob alle Auslandseinsätze zusammen, ob auf dem Balkan,
ganze Dilemma um den Pannenflieger Airbus A400M in Afghanistan und am Horn von Afrika, nur 600 Millio-
sparen. Bereits jetzt sind für die Beschaffung dieses Mi- nen Euro kosten würden. Auch hier gibt es natürlich eine
litärtransporters etwa 10 Milliarden Euro eingeplant. sehr einfache Möglichkeit, mit diesem Geld auszukom-
Das entspricht etwa dem deutschen Entwicklungshilfe- men: Verzichten Sie auf die Aufstockung des ISAF-Man-
etat der letzten beiden Jahre zusammen. Doch das Flug- dates. Schicken Sie keine weiteren Soldatinnen und Sol-
zeug wird die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahr- daten nach Afghanistan. Lassen Sie die Soldaten, die vor
scheinlich noch deutlich teurer zu stehen kommen. Ei- Ort sind, ihre Koffer packen. Beenden Sie den Einsatz der
gentlich müsste die Firma EADS aufgrund der starken Bundeswehr in Afghanistan.
2788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Inge Höger
(A) (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte die Linke kann und wird diesem Aufrüstungs- und (C)
[CDU/CSU]: Dann ermöglichen Sie ein Mas- Kriegshaushalt nicht zustimmen. Wir sagen Nein.
saker!)
(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen
Die NATO, mit ihr auch die Bundeswehr, kann und Koppelin [FDP]: Wer hat Ihnen diesen Unsinn
wird diesen Krieg nicht gewinnen; immer mehr Militärs bloß aufgeschrieben?)
sagen Ihnen das. Das Militär trägt nur zur Eskalation der
Situation bei. Ziehen Sie deshalb den längst fälligen Vizepräsidentin Petra Pau:
Schlussstrich unter diese unrühmliche Geschichte und Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege
holen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan heraus. Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP)
Völlig pervers ist auch die Tatsache, dass Kriegsein-
sätze inzwischen zu einem Verkaufsargument für deut- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
sche Rüstungsgüter geworden sind. Was sich im Einsatz Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
bewährt hat, verkauft sich auf den internationalen Rüs- Man muss wirklich geduldig sein, um so eine Rede wie
tungsmärkten offensichtlich besser. Während die Zivil- eben ertragen zu können.
bevölkerung und auch die Soldatinnen und Soldaten den
(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist wahr! –
Preis für Kriege bezahlen müssen, profitiert die Rüs-
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was mei-
tungsindustrie gleich doppelt: von der Nachfrage der
nen Sie, was wir für Geduld mitbringen müs-
Bundeswehr und von besseren Exportchancen. Diese
sen!)
Form der Exportförderung muss sofort aufhören.
Ich will dazu nur Folgendes sagen: Eine Feuerversiche-
(Beifall bei der LINKEN) rung kündigt man auch nicht, nur weil es seit Jahren
Das Geschäft mit dem Krieg läuft gut. Die Rüstungs- nicht gebrannt hat;
industrie ist kaum von der Krise bedroht. Die Verträge (Inge Höger [DIE LINKE]: Sie könnten damit
sind langfristig, und Krieg hat offensichtlich wieder viel Geld sparen!)
Konjunktur. Zusätzlich profitiert die Rüstungsindustrie
auch vom Konjunkturpaket. Im laufenden Jahr werden das sei Ihnen ins Stammbuch geschrieben. In Anbetracht
neben Kasernensanierung und militärischer EDV bei- Ihres Verhältnisses zur Bundeswehr rate ich Ihnen: Be-
nahe 200 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket für suchen Sie unsere Soldatinnen und Soldaten einmal und
Rüstung zur Verfügung stehen, und das zusätzlich zum reden Sie mit ihnen.
(B) Verteidigungshaushalt. Profiteure dieses makabren Kon- (D)
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das haben
junkturpaketes aus Panzern und Maschinenpistolen sind wir ja gerade gemacht!)
unter anderem Heckler & Koch, EADS, Krauss-Maffei
Wegmann und Rheinmetall. Ich glaube, dann kommen Sie zu anderen Erkenntnissen.
Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Arbeits- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
platzargument. Wollen Sie wirklich das Sterben von der CDU/CSU)
Menschen in anderen Teilen der Welt mit dem Erhalt Lassen Sie mich als Hauptberichterstatter erst einmal
von Arbeitsplätzen in unserem Land rechtfertigen? etwas Positives sagen. Hier werden die unterschiedli-
(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Nein! Na- chen Auffassungen der Fraktionen vorgetragen; das ist
türlich nicht! – Weiterer Zuruf von der CDU/ in einer solchen Debatte völlig in Ordnung.
CSU: Das ist einfach unanständig!) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das nennt man
Außerdem sind Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie Demokratie!)
hoch subventioniert. Mit dem finanziellen Aufwand für Insgesamt ist allerdings festzustellen – das wurde in den
einen Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie könnten Sie Berichterstattergesprächen, bei denen Sie ja nicht dabei
vier bis fünf gut bezahlte Arbeitsplätze im Bildungswe- waren, deutlich –, dass alle Fraktionen zur Bundeswehr
sen oder im Gesundheitsbereich finanzieren. stehen und der Auffassung sind: Wir brauchen eine
(Beifall bei der LINKEN) moderne und leistungsfähige Bundeswehr. Ich finde,
das sollten unsere Soldaten wissen; denn das ist trotz al-
Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge sind auf ler Unterschiede, die es gibt, ausgesprochen positiv.
jeden Fall sinnvoller und in diesem Land notwendiger. Dass wir über einzelne Details streiten, hat also nichts
mit unseren Soldatinnen und Soldaten oder mit der Bun-
Schon die rot-grüne Bundesregierung erklärte vor ei- deswehr zu tun.
nigen Jahren stolz, der Einzelplan 14 sei zu einem Ein-
satzhaushalt geworden. Schwarz-Gelb hat diese unsägli- Alle Fraktionen – natürlich außer den Linken – wis-
che Tradition mit dem vorliegenden Haushalt fortgesetzt. sen, dass wir unsere Bundeswehr immer wieder befähi-
Aber eine Frage bleibt noch offen. Da diese Regierung gen müssen, in Krisensituationen für die Friedenssiche-
nun zugibt, sich in Afghanistan im Krieg zu befinden, rung und im Sinne der Humanität eingesetzt zu werden,
frage ich Sie: Warum nennen Sie diesen Haushalt nicht auch im Interesse und im Auftrag der Völkergemein-
ganz offen und ehrlich einen Kriegshaushalt? Oder ist das schaft; diesen Aspekt haben Sie in Ihrem Redebeitrag
für Sie zu viel Klartext? Doch egal wie Sie ihn nennen, vergessen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2789
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(A) Auch ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnen Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): (C)
und Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, unseren Re- Ich glaube, dass Sie diese Frage nicht bei der Debatte
spekt bekunden für ihren Einsatz, der nicht einfach ist. über den Etat des Verteidigungsministers, sondern bei
der Debatte über den Etat des Deutschen Bundestages
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ hätten stellen sollen; denn der Wehrbeauftragte gehört
CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE zum Deutschen Bundestag, er untersteht dem Bundes-
GRÜNEN) tagspräsidenten. Da hätte Ihre Frage hingehört.
Wir müssen – ich sage das wie meine Vorredner, außer (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
natürlich denen von den Linken – diesen Respekt immer NEN]: Dann hätte auch Ihr Lob dorthin ge-
wieder bekunden; denn die Soldatinnen und Soldaten hört!)
sind draußen im Einsatz, weil wir hier im Deutschen
Sie sollten sich ein Vorbild nehmen am amtierenden
Bundestag das so entschieden haben.
Wehrbeauftragten, der das in einer entsprechenden
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil Sie keine Weise honorig kommentiert hat; vielleicht lernen Sie
Friedenspolitik machen können!) von ihm noch etwas.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Daher verfolgen wir sehr intensiv, wie es unseren Solda-
der CDU/CSU)
tinnen und Soldaten geht, auch menschlich; ich komme
gleich noch darauf zurück. Wir haben in unserem Berichterstattergespräch auch
die Mängel im Sanitätswesen angesprochen. Da ist et-
Ich möchte auch den Bundeswehrangehörigen im In- was, was einen bei der Bundeswehr, egal wer Minister ist,
land, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Zivil- sehr ärgert – das muss ich hier einmal deutlich sagen –: Es
angehörigen, unseren Dank aussprechen. wird oft sehr spät gehandelt, und viele Probleme – das hat
auch der Wehrbeauftragte so gesehen – werden schönge-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/
redet. Man muss sich einmal die Frage stellen: Warum
CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
wird bei der Bundeswehr – wir haben das bei unseren Be-
GRÜNEN)
richterstattergesprächen gemerkt – so vieles schöngere-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns bei det? Jeder meldet nach oben: Es ist alles bestens. – Die
den Haushaltsberatungen intensiv mit der Situation der Soldaten haben anscheinend den Eindruck: Wer sich die-
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr – im Ausland sem System nicht anpasst, muss eventuell mit Schwierig-
wie im Inland – beschäftigt. Ich finde es nicht nur inte- keiten rechnen; vielleicht fällt sogar die Beurteilung et-
was schlechter aus.
(B) ressant und völlig in Ordnung, sondern auch sehr richtig, (D)
dass der Wehrbeauftragte für unsere Soldaten in Aus- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
landseinsätzen mehr menschliche Unterstützung einge- NEN]: Das sind ja Zustände fast wie in der
fordert hat. Nach den Berichterstattergesprächen kann FDP!)
ich nur sagen: Alle Fraktionen hier – außer den Linken;
die haben sich daran nicht beteiligt – sind der Auffas- Herr Bundesverteidigungsminister, ich kann Sie nur
sung: Wir müssen da etwas tun. Vor allem müssen wir bitten: Sagen Sie der Truppe sehr deutlich: Jeder Soldat
uns um die Soldatinnen und Soldaten kümmern, die vom muss die Möglichkeit haben, Mängel beim Namen zu
Auslandseinsatz zurückkehren. Einen Einsatz in Afgha- nennen und dies weiterzugeben.
nistan steckt man nicht so einfach weg, der bleibt man- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
chen präsent, sodass sie Betreuung benötigen.
Ohne ins Detail zu gehen, Herr Minister, sage ich
auch: Jeder Soldat sollte nicht nur die Möglichkeit ha-
Vizepräsidentin Petra Pau: ben, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden, sondern
Kollege Koppelin, gestatten Sie dem Kollegen auch direkt an Sie.
Nouripour eine Frage?
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Alexander Bonde
(A) nämlich dass die Bundesregierung in der Schlussbera- von 500 Millionen Euro. An dieser Stelle ist es spannend, (C)
tung eines Haushaltes kneift. dass das Bundesfinanzministerium, vertreten durch den
Staatssekretär, schreibt, es
(Iris Gleicke [SPD]: Sie hat nichts zu sagen!)
sehe … eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der
Die Bundesregierung ergreift das Wort nicht und äußert Bund bei Absicherung eines bedingt rückzahlbaren
sich nicht zu Veränderungen in ihrem Haushalt, und das Kredits in Anspruch genommen wird.
in der außergewöhnlichen Situation, dass es in diesem
Haushalt durch den Antrag der Koalitionsfraktionen um Das heißt, nach Einschätzung der Bundesregierung ge-
kurz vor zwölf zu einer Veränderung bei den Ver- hen Sie mit diesen 500 Millionen Euro ein massives Ri-
pflichtungsermächtigungen im Umfang von 500 Mil- siko für den Bundeshaushalt ein. Gleichzeitig erklären
lionen Euro gekommen ist. Sie uns aber seit Wochen, dass das alles schon irgendwie
Herr Minister, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie zu kostenneutral zu machen sei. Jetzt, wo die Mehrkosten
diesem Haushalt Stellung! Stellen Sie sich hier vorne hin für die Steuerzahler auf dem Tisch liegen, sitzen Sie dort
und erklären Sie dem Parlament und den Steuerzahlerin- hinten und trauen sich nicht, nach vorne zu treten und
nen und Steuerzahlern, welche Veränderungen in diesem uns zu sagen, dass Sie dem Unternehmen bewusst Sub-
Einzelplan Sie aufgrund Ihrer Verhandlungen mit Airbus ventionen zahlen und die Steuerzahlerinnen und Steuer-
über den A400M last minute zu verantworten haben. zahler wieder einmal das Säckel aufmachen müssen,
ohne etwas dafür zu bekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Es geht nicht, hinten auf der Bank zu sitzen und zu sowie bei Abgeordneten der SPD)
schweigen. Das, was hier als Verbeugung vor dem Parla-
ment bezeichnet wird, ist kein Verbeugen, sondern ein Es geht noch weiter. Sie sagen nämlich auch nicht,
Wegducken. Das ist Ihnen nicht angemessen, Herr Mi- dass Sie auf milliardenschwere Vertragsstrafen verzich-
nister. ten, die Deutschland aufgrund des wasserdichten Ver-
trags zustünden, den Sie jetzt ohne Not ändern. Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklären nicht, dass die sogenannte Preisgleitklausel ge-
und bei der SPD) ändert wird, dass also die Firma aufgrund Ihrer neuen
Vereinbarung in den künftigen Jahren zusätzliche Preis-
Wir reden hier über einen Haushalt, der sehr durch
steigerungen auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
unterschiedliche Entscheidungen geprägt ist. Dieser
A400M ist eines der großen Rüstungsprojekte. Hinsicht- abwälzen kann.
(B) lich dieses Projekts hat Herr Koppelin hier eine interes- (D)
Sie ziehen außerdem Vorauszahlungen vor. Das be-
sante Geschichtsklitterung versucht. Das ist ein Projekt, deutet, dass der Bund zusätzlich millionenschwere Zins-
für das es einen klaren Vertrag gibt und das in der Amts- verluste erleidet, wobei die Sanktionsmöglichkeiten im
zeit des Vorgängers von Herrn zu Guttenberg aus dem Zuge der nächsten Fehl- oder Schlechtleistungen noch
Ruder gelaufen ist. Das kreide ich Herrn zu Guttenberg geringer sind. Sie müssten sich dann erneut von der
nicht an. Industrie erpressen lassen. Ich finde, dass das ein
Obwohl es einen klaren Vertrag, klare Leistungsbe- ordnungspolitisches Versagen ist. Der Ordnungspolitiker
schreibungen und einen klaren Preis gab, sagt das Unter- Guttenberg duckt sich nach einem solchen Verhand-
nehmen jetzt: Es ist jetzt irgendwie nicht so, dass wir lie- lungsergebnis zu Recht. Er sagt nichts dazu, weil das mit
fern können. – Es hält die Hand auf und sagt: Kohle her! Ihrer wirtschaftspolitischen Ansage überhaupt nichts
mehr zu tun hat.
Man könnte denken, dass die Bundesregierung sagt:
Vertrag ist Vertrag. – Das ist aber eine Bundesregierung Es hat auch mit der Ansage der Bundesregierung an
– und das liegt jetzt im Verantwortungsbereich des Mi- die Vereinigten Staaten in Sachen WTO und unfairen
nisters –, die sich auf Verhandlungen eingelassen hat – Subventionen der amerikanischen Luftfahrtfahrtindus-
und die der Industrie, die ausweislich der Gutachten, die trie gegenüber der europäischen Luftfahrtindustrie nichts
der Minister selber in Auftrag hat geben lassen, ge- zu tun. Sie vollziehen hier genau dasselbe!
pfuscht hat und alleine verantwortlich ist für massive
Kostensteigerung und für ein Fehlmanagement im ge- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
samten Projekt, jetzt zusätzliche Milliarden Euro hinter- NEN]: So ist es!)
herwirft. Ich finde schon, dass Sie das erklären müssen.
Es spricht auch nicht für die handwerklichen Fähig-
Man kann nicht einfach schweigend auf der Bank sitzen.
keiten der Bundesregierung, dass Sie wochenlang nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einmal gemerkt haben, dass Sie Verpflichtungsermächti-
sowie bei Abgeordneten der SPD) gungen brauchen. Dieses ganze Schauspiel hat deutlich
gemacht, dass diese Regierung sich nicht traut, den Leu-
Ich möchte einmal erwähnen, was Sie alles verabredet ten reinen Wein einzuschenken. Herr Minister, Sie sind
haben: Zusatzkosten bzw. Minderleistungen von 2 Mil- Teil dieses Problems.
liarden Euro bedeuten für Deutschland Kosten in Höhe
von 667 Millionen Euro. Ein Exportkredit über 1,5 Mil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
liarden Euro bedeutet für Deutschland Kosten in Höhe sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2793
Henning Otte
(A) lands gewährleistet, kostet Geld. Sie ist nicht zum Null- und gefährlichen Dienst zum Wohle Deutschlands. Sie (C)
tarif zu bekommen. verdienen den Rückhalt des gesamten Deutschen Bun-
destages.
Die Ausführungen von Frau Höger von der Fraktion
Die Linke finde ich sehr erschreckend. Mit Ihrer Einstel- Vielen Dank.
lung, Frau Höger, und Ihrem Selbstverständnis, auch un-
serer Bundeswehr gegenüber, sollten Sie sich fragen, ob (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses überhaupt
dem Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten dienen kön- Vizepräsidentin Petra Pau:
nen. Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention erteile,
möchte ich aus § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
zitieren, damit wir dann eine Verabredung für den weite-
neten der FDP – Widerspruch bei der LIN-
ren Verlauf unserer Debatte haben:
KEN)
Im Anschluss an einen Debattenbeitrag kann der
Nach Art. 87 a Grundgesetz ergeben sich die Stärke
Präsident
und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte aus
dem Haushaltsplan. Daraus ergibt sich die Verpflich- – ich füge hinzu: die Präsidentin –
tung, die Streitkräfte so auszurüsten, dass sie ihre Pflich-
ten effektiv wahrnehmen können. das Wort zu einer Zwischenbemerkung von höchs-
tens drei Minuten erteilen; der Redner darf hierauf
Als Reaktion auf die aktuelle fiskalische Lage hat der noch einmal antworten.
Inspekteur des Heeres das System Gepard aus der Ver-
wendung genommen. Kollege Willsch hat darauf hinge- Das heißt – das entspricht auch unserer Praxis und Ver-
wiesen. Flugstundenobergrenzen wurden abgesenkt. Da- abredung –, es gibt kein Grundrecht auf Kurzinterventio-
mit wird deutlich, dass unsere Bundeswehr zielgerichtet nen, wenn Zwischenfragen durch den Redner nicht er-
einen Beitrag zur Einsparung vornimmt. laubt werden.
Es wird aber auch deutlich, dass wesentliche Einspa- Kollege Kahrs, ich erteile Ihnen daher heute das letzte
rungen im Verteidigungsetat nur noch dann möglich sind, Mal das Wort zu einer Kurzintervention im Verlauf die-
wenn wir in die Substanz eingreifen. Als Parlament müs- ser Debatte.
sen wir sicherstellen, dass unsere Bundeswehr erstens ih- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Die SPD
ren verteidigungspolitischen Auftrag erfüllen kann, muss ihm doch den Etat zurückgeben!)
(B) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Am Hindu- (D)
kusch?) Johannes Kahrs (SPD):
– auch am Hindukusch –, zweitens die Verpflichtungen Man muss zumindest darauf erwidern, wenn hier ein
im Bündnis wahrnehmen kann, drittens den Transforma- bisschen geschwindelt wird. – Den Kollegen Jürgen
tionsprozess fortführen kann, viertens den besten Schutz Koppelin lasse ich dabei heute einmal aus, auch wenn er
für Leib und Leben unserer Soldaten insbesondere im der Schuldige ist.
Einsatz zur Verfügung hat und fünftens weiterhin ein at- Der Kollege von der CDU/CSU hat gesagt – jeden-
traktiver Arbeitgeber für Wehrdienstleistende, Zeit- und falls habe ich ihn so verstanden –, man habe nur um
Berufssoldaten und zivile Mitarbeiter bleibt. 23 Millionen Euro abgesenkt, und das sei halb so
Unter Berücksichtigung dieser Aufgaben stelle ich schlimm. Wir haben in diesem Parlament 226 Millionen
zusammenfassend fest: Die im Haushalt 2010 der Bun- Euro im Einzelplan on top für den Afghanistan-Einsatz
deswehr zur Verfügung gestellten Mittel können nur als beschlossen. Dann hat die Koalition, und zwar die Haus-
knapp bezeichnet werden. Sie verpflichten das Bundes- hälter, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne Wissen
ministerium der Verteidigung und die Politik zu einer des Ministeriums, des Ministers, des Staatssekretärs und
klaren Priorisierung der Projekte. Von höchster Priori- der Berichterstatter im Verteidigungsausschuss beschlos-
tät sind dabei die einsatzrelevanten Belange. Ich erwarte, sen, diese Summe zu streichen, und hat das in der Berei-
dass das Ministerium den Konsolidierungsbeitrag so um- nigungssitzung gegen die Stimmen der SPD zulasten der
setzt, dass die Einsparungen auf keinen Fall die sich im Truppe durchgesetzt. Dass Sie das eine mit dem anderen
Einsatz befindenden Soldaten treffen. Sie brauchen die verrechnen, ist ein bisschen unredlich. Die Truppe hätte
gesamtverfügbare Unterstützung des BMVg und dieses auf jeden Fall die Gelder, die für den Einsatz in Afgha-
Hauses. Wer Soldaten in den Einsatz entsendet, muss ih- nistan bestimmt waren, bekommen.
nen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Sie haben die 450 Millionen Euro herausgenommen,
Das ist eine klare Haltung der CDU/CSU-Bundestags- die der Minister bzw. der Staatssekretär aus dem laufen-
fraktion. den Haushalt einsparen muss. Sie sollten als Haushälter
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dann zumindest das, was Sie gegen die eigenen Fachpo-
litiker von CDU/CSU und FDP beschlossen haben, ehr-
Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Minister zu lich eingestehen. Hier sind gegen jede Gepflogenheit
Guttenberg, sehr dankbar dafür, dass Sie als Verteidi- 450 Millionen Euro aus dem laufenden Etat des Bundes-
gungsminister zu jeder Zeit hinter unseren Soldaten ste- ministeriums der Verteidigung gestrichen worden. Der
hen. Unsere Soldaten leisten täglich einen schwierigen Minister konnte dazu gar nicht Stellung nehmen, weil er
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2795
Johannes Kahrs
(A) nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Er kann (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
schließlich nicht in laufende Verträge eingreifen. NEN]: Jetzt kann man „Klartext schweigen“
hinzufügen!)
Herr Otte hat eben beklagt, dass Fahrzeuge vom Typ
Gepard und Marder stillgelegt werden müssen. Das ist Es gäbe viele Themen, die schwierig und ernst sind
wirklich nicht schön. Aber das hat damit gar nichts zu – Wehrpflicht, Haushalt, Bericht des Wehrbeauftragten
tun. Die 450 Millionen Euro kommen nun on top. Das, und manches andere mehr –, über die Sie heute reden
was da gewesen ist, ist noch gar nichts im Vergleich zu könnten. Immer wenn es ernst und schwierig ist, wenn es
dem, was jetzt kommt. Herr Otte, Sie haben das nicht zu nicht darum geht, Überschriften zu produzieren, sondern
verantworten, wohl aber die Kollegen im Haushaltsaus- darum, substanzielle Debatten zu führen, dann tauchen
schuss, die das unabgestimmt beschlossen haben. Ich Sie ab. Das tun Sie auch heute Nachmittag. Das finde ich
finde, man muss deshalb zumindest im Parlament sagen, deshalb sehr schlimm, weil wir spüren – der Bericht des
warum man Geld aus laufenden Verträgen streicht, wohl Wehrbeauftragten sagt das deutlich –, dass die Fragen in
wissend, dass es nicht geht. der Truppe sehr ernsthafte und drängende sind. Es gibt
auch Verunsicherungen in der Truppe. Die Bundes-
Wir alle haben doch den Wehrbeauftragten gehört.
wehr bräuchte jetzt einen Minister, der in einer solchen
Wir wissen um die Mängel bei der Sanitätstruppe. Wie
Situation auch vor diesem Haus Orientierung gibt, statt zu
sollen die behoben werden, wenn nicht durch Geld? Das
irritieren. Das ist das Problem im Augenblick. Es ist nicht
Geld ist gestrichen worden, die Bundeswehr ist ge-
in Ordnung, dass Sie, Herr Minister, heute kneifen. So
schröpft worden, das Elend in diesem Jahr wird groß,
muss das zwangsläufig interpretiert werden.
und Sie werden das erklären müssen, obwohl ich zugebe,
dass die Kollegen im Verteidigungsausschuss dafür nicht Lassen Sie mich zum ersten ernsten Thema kommen:
zuständig waren und es nicht zu verantworten haben. zum Haushalt. Dazu wurde schon viel gesagt. Herr Kol-
Trotzdem werden Sie das in Ihrer Partei und Ihrer Koali- lege Otte, ich erinnere mich noch gut an Rot-Grün und
tion klären müssen. So kann man weder mit der Opposi- Ihre Kritik daran, wie knapp der Bundeswehretat ist. Wir
tion noch mit der Bundeswehr umgehen, vor allen Din- haben zusammen vier Jahre Verantwortung getragen,
gen nicht, wenn man ständig die Soldaten und ihren und wir waren uns immer einig: Dieser Bundeswehretat
Einsatz lobt. Wenn man ihnen gleichzeitig das Geld ist auf Kante genäht. Das heißt, sobald man hier weitere
wegnimmt, das notwendig wäre, damit sie ihren Einsatz Stellschrauben anzieht, geht es an die Substanz.
vernünftig durchführen können, ist das unredlich.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wieso hat denn
(Beifall bei der SPD) die SPD Kürzungsanträge eingebracht?)
Wir waren uns einig in den letzten Jahren, dass das nicht
(B) Vizepräsidentin Petra Pau: (D)
solide sein kann.
Bitte.
Wir erinnern uns, wie Peter Struck mit solchen The-
men umgegangen ist. Ich bekenne mich ausdrücklich
Henning Otte (CDU/CSU):
dazu. Bei knappen Kassen werden die Bäume sicherlich
Kollege Kahrs, ich verwahre mich gegen den Vor-
nicht in den Himmel wachsen. Das gilt auch für den
wurf, geschwindelt zu haben. Ich glaube, ich habe sehr
Bundeswehretat. Dass aber in einer Nacht-und-Nebel-
offen gesagt, dass Einsparungen vollzogen worden sind
Aktion, ohne Absprache mit den Fachpolitikern
und dass diese uns Verteidigungspolitikern das Leben
nicht leichter machen. Ich weise aber auch darauf hin, (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]:
dass Verteidigungspolitik insbesondere im Selbstver- Genau das ist der Punkt!)
ständnis des Verteidigungsausschusses eine gemeinsame
Aufgabe ist. Ich habe ganz klar gesagt, dass wir eine und ohne dass der Minister einbezogen wird, 456 Millio-
nen Euro bei einer Armee im Einsatz einfach ratzfatz
Priorisierung verlangen und dass die einsatzrelevanten
weggestrichen werden, dass Verpflichtungsermächtigun-
Belange zuallererst zufriedengestellt werden müssen.
Die zusätzlichen 437 Millionen Euro für den einsatzbe- gen erst vor wenigen Stunden nach einem mehr oder we-
niger giftigen Schriftverkehr zwischen zwei Staatssekre-
dingten Sofortbedarf sind ein Ausdruck davon.
tären geklärt wurden und die jetzt auch noch auf den
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einzelplan 14 gelegt wurden, das hätten unsere Haushäl-
ter – das sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
Vizepräsidentin Petra Pau: vor allem von der CDU – mit uns Fachpolitikern nicht
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPD- gemacht, weil wir anders miteinander umgehen, und
Fraktion. auch mit Minister Struck hätte das kein Parlamentarier
gemacht.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Rainer Arnold (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun werden hier merkwürdige Beispiele genannt.
Bisher haben alle Minister und Ministerinnen der Bun- Das finde ich schon bemerkenswert. Herr Koppelin, Sie
desregierung hier in den Haushaltsberatungen das Wort sagen, für Herkules gebe es nicht mehr Geld, aber Sie
ergriffen. Sie, Herr Minister zu Guttenberg, pflegen das wollten, dass die Soldaten alles haben, was sie brauchen.
Image, jemand zu sein, der gern Klartext redet. Wenn Sie Herkules nicht seriös aufs Gleis setzen, dann
2796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Rainer Arnold
(A) gehen Sie zu den Soldaten und sagen ihnen, dass sie kein Übungsmöglichkeiten für Piloten gibt es keinen Spiel- (C)
Telefon, keinen Computer und kein Netzwerk mehr ha- raum nach unten mehr; schließlich geht es um eine Ar-
ben! Das ist die Konsequenz. Dass Herkules mehr Geld mee im Einsatz, die in Kunduz mit ihren Hubschraubern
braucht, hat – das werden Sie feststellen, wenn Sie sich im Staub landen muss und mehr üben müsste als in der
wirklich damit befassen – in erster Linie etwas damit zu Vergangenheit. Ihre Auffassung kann also wirklich nicht
tun, dass es bei der Bundeswehr eine desolate Infrastruk- richtig sein.
tur gab – das ist unstrittig –, die Rot-Grün übernommen
hat, ja dass nicht einmal geklärt werden konnte, welche Was wir bei dieser Kürzungsorgie erleben, ist ein Vor-
technische Infrastruktur im EDV-Bereich bei der Bun- geschmack auf die FDP-Ideologie – das wird in den
deswehr vorhanden ist. Das stellt man erst jetzt peu à nächsten Jahren noch deutlicher werden –: Steuersen-
peu fest. Dies ist die Wahrheit; dies sind die Fakten. kungen zugunsten weniger – das ist klar –, ein schwa-
cher Staat. Das bedeutet weniger Kitaplätze und weniger
Polizisten auf den Straßen. Die Soldaten in der Bundes-
Vizepräsidentin Petra Pau: wehr wissen natürlich, dass schwacher Staat darüber hi-
Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des naus bedeutet: weniger Verantwortung für die Frauen
Kollegen Koppelin? und Männer, die bei der Bundeswehr ihren Dienst tun.
(Beifall bei der SPD)
Rainer Arnold (SPD):
Sehr gerne. Eines ist klar: Mit diesem Haushalt, Herr Minister,
übernehmen Sie die Verantwortung für Mängel wie die
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): fehlenden geschützten Fahrzeuge, die fehlenden War-
Herr Kollege Arnold, ist Ihnen der Beschluss aus der tungsstunden, die fehlenden Flugstunden, die fehlenden
Zeit der Großen Koalition bekannt? Initiator war der Übungsmöglichkeiten. Dies muss man ganz deutlich sa-
Kollege Kahrs; alle Fraktionen im Haushaltsausschuss gen.
haben zugestimmt. Es ging um die Bonizahlungen bei Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen. Es
Herkules und um ein paar andere Punkte. Im Haushalts- ist eine Debatte über die Wehrpflicht aufgeflammt. Der
ausschuss wurde der Beschluss gefasst: Wenn die Dinge Minister hat die Randbemerkung gemacht, dass die Ver-
nicht geklärt werden, steigen wir aus Herkules aus. Da- kürzung der Wehrpflicht rückwirkend ab Oktober gelten
ran halte ich mich nur. soll. Eine Debatte darüber, was das wirklich bedeutet,
wird aber nicht geführt, weder hier noch im Verteidi-
Rainer Arnold (SPD): gungsausschuss. So dürfen wir mit diesem Thema nicht
(B) Diese Bonizahlungen sind geklärt. umgehen. (D)
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Nein, sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
sind nicht geklärt!)
– Langsam. – Wo der Kollege Kahrs recht hat, hat er Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
recht. Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Otte zulassen?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ein Management muss eigentlich daran gemessen Rainer Arnold (SPD):
werden, ob die Telefone und die Computer an den Ar- Gerne.
beitsplätzen möglichst gut funktionieren. Dafür sollen
Manager Boni bekommen und nicht für einen betriebs- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wirtschaftlichen Ertrag, der umso höher ist, je weniger Bitte schön.
sie liefern. Kahrs hat recht: Diese Art Bonizahlungen ist
völlig inakzeptabel.
Henning Otte (CDU/CSU):
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Einstim- Lieber Kollege Arnold, Sie haben den Brief des In-
mig!) spekteurs des Heeres gelesen. Stimmen Sie mit mir über-
Das habe ich als Verteidigungspolitiker übrigens erst vor ein, dass sich die Flugstunden auf die BO und auf die
wenigen Tagen wieder mit Vertretern des Managements Bell, die nicht im Einsatz sind, und nicht auf die CH be-
besprochen. Sie sagten: Es gibt nicht mehr Geld. Ich zogen haben?
sage Ihnen: Ohne mehr Geld im IT-Bereich – egal wohin
es fließt – werden die Soldaten nicht das haben, was sie Rainer Arnold (SPD):
brauchen. Es gilt für alle Flugzeugtypen, Herr Kollege, dass sie
sich nach NATO-Standards im Grenzbereich befinden.
(Beifall bei der SPD)
Das gilt für die CH-53, für die BO und für die Bell. Es
Herr Kollege Otte – Sie sind doch Fachpolitiker –, die gilt für die geflügelten Flugzeuge. Es ist ganz klar: Die
Reduzierung der Flugstunden als ruhmreiche Einspa- Reduzierung des Haushalts – der größte Teil entfällt auf
rung zu bezeichnen, ist abenteuerlich. Nach NATO-Stan- Personalkosten; man ist an laufende Verträge gebunden –
dards sind wir schon jetzt zahlenmäßig an der Grenze. geht zwangsläufig zulasten der Betriebskosten, und die
Im Hinblick auf einen verantwortbaren Umfang an Flugstunden sind ein wichtiger Faktor bei den Betriebs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2797
Rainer Arnold
(A) kosten. 456 Millionen Euro weniger nehmen den Piloten dort gerne ihren Dienst leisten. Wenn wir das gut ma- (C)
zusätzliche Möglichkeiten, schränken sie also ein. Ich chen, wird das auch gelingen.
bitte Sie, das Problem nicht schönzureden. Das ist ein
ernstes Problem. Schließlich verspielen Sie auch eine Chance. Ich
glaube, die Wehrpflicht braucht einen breiten gesell-
(Beifall bei der SPD) schaftlichen Konsens. Das ist ganz wichtig. Deshalb
möchte ich Ihnen dringend raten: Bevor Sie diesen
Lassen Sie mich auf die Wehrpflicht zurückkommen. Murks, der auf die Kappe der FDP geht, jetzt auch noch
Herr Minister zu Guttenberg sagte dazu, die Opposition öffentlich verteidigen und als gut darstellen, gehen Sie
habe kein Konzept. lieber auf die Opposition, vor allen Dingen auf die So-
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da hat er zialdemokraten, die eine ernsthafte Alternative ent-
recht!) wickelt haben, zu und lassen Sie uns nach einem Weg
suchen, der die gute Idee der Wehrpflicht mit den Anfor-
Ich möchte auf drei Probleme hinweisen: derungen aufgrund der Veränderungen in der Sicher-
heitspolitik kompatibel macht. Wir sind dazu bereit.
Erstens. Mit Ihrem Ansatz, die Wehrpflicht auf sechs
Monate zu reduzieren und eine achtwöchige Schnell- (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.
bleiche durchzuführen, lösen Sie keines der Probleme, Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
die mit der Wehrpflicht verbunden sind. Ein einfaches NEN])
Weiter-so bei der Wehrpflicht ist nicht angesagt. Dann
gäbe es Probleme, zum Beispiel mit der Dienstgerechtig- Das nächste ernsthafte Thema, bei dem ich eigentlich
keit. Minister Jung hatte zu Recht Angst vor dem Verfas- gehofft hatte, heute etwas dazu zu hören, ist nach wie
sungsgericht und hat deshalb viel mehr Wehrpflichtige vor das Thema Kunduz. Wir wollen das hier nicht ver-
eingezogen, als eigentlich geplant war. Sie erhöhen diese tiefen. Aber eines möchte ich schon noch einmal in Erin-
Zahl gar nicht signifikant. Dieses Problem lösen Sie also nerung rufen, Herr Minister. Die Kanzlerin hat in ihrer
nicht wirklich. Regierungserklärung gesagt:
Zweitens. Natürlich empfinden die jungen Menschen Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls … ist für
– ihre Lebenswelt hat sich stark verändert, was Ausbil- mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der
dungs- und Studienplätze sowie die Berufswelt insge- Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit
samt angeht – die Einzugspraxis als nicht gerecht, son- allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu
dern als eher zufällig. Das ist ein ernsthaftes Problem. beitragen.
(B) Das dritte Problem ist die Frage der Legitimität der Wenige Tage nach diesem Abwurf der Bomben hat die (D)
Wehrpflicht. Sie begründet sich laut unserer Verfassung Bundesregierung die interne Aufklärung des Vorfalls ge-
ausschließlich aus der Verteidigung des Landes, zwar stoppt unter Berufung auf die Argumentation, es gebe ja
nicht unbedingt an den Grenzen, aber es muss sich eben die NATO- und ISAF-Untersuchungen. Diese ISAF-Un-
um Verteidigung des Landes handeln. Davon ist doch tersuchung liegt jetzt seit viereinhalb Monaten auf dem
stringent abzuleiten, dass es bei dem, was Wehrpflich- Tisch. Sie haben weder weitere eigene nationale Unter-
tige bei der Bundeswehr in der Grundausbildung lernen suchungen in Auftrag gegeben, noch hat die Bundes-
und was sie da nachher tun, um soldatische Fähigkeiten regierung den Vorfall so aufgearbeitet, dass sie der deut-
und Fertigkeiten im engeren Sinne gehen muss. Jetzt er- schen Öffentlichkeit sagen kann, wie sie ihn nun
zählen Sie mir einmal, wie diese in acht Wochen vermit- bewertet. Das ist ein schweres Versäumnis. Sie halten
telt werden sollen. Es wird vielmehr so sein, dass die die Zusage, dass das aufgeklärt wird, nicht ein.
jungen Männer nachher in die Schreibstuben geschickt
werden, um Fotokopierer und Laptops zu bedienen, oder (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-
als Pkw-Fahrer den Oberst durchs Gelände fahren oder Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
im Lager als Logistiker arbeiten. Das werden deren Auf- NEN])
gaben sein. Das heißt, Sie nehmen, wenn Sie diesen Weg Die Erfüllung dieser Zusage kann man nicht einfach dem
einschlagen, den Menschen, die die Wehrpflicht aus gu- Untersuchungsausschuss übertragen.
ten Gründen für angesagt und richtig halten, gute Argu-
mente weg. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer wollte den
denn?)
Sie sagen, es gebe keine Alternative. Sozialdemokra-
ten haben eine Alternative vorgelegt. Wir wollen bei der Das ist nicht die Aufgabe des Ausschusses. Er hat die
gesellschaftlich richtigen Ansage bleiben: Man kann Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Diese Aufgabe
nicht alles kaufen, und die Wahrnehmung von Verant- nehmen wir im Ausschuss sehr ernst. Darüber werden
wortung für Sicherheit in unserem Land ist eine gemein- wir im Ausschuss miteinander noch spannende Gesprä-
schaftliche Aufgabe. Deshalb halte ich die Wehrpflicht che führen.
für richtig. Lassen Sie uns zugleich jedoch die Freiwilli-
gendienste insgesamt in allen Bereichen so attraktiv ge- Die Bundesregierung muss der deutschen Öffentlich-
stalten, dass auch die Bundeswehr genügend junge Men- keit sagen, was richtig gelaufen ist, was falsch gelaufen
schen findet, die bereit sind, neun, zwölf oder wie viele ist, und vor allen Dingen, welche Konsequenzen daraus
Monate auch immer zur Bundeswehr zu kommen, und gezogen werden.
2798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Rainer Arnold
(A) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Kollege!
NEN])
Was um Himmels willen lernt man daraus, wenn so et- Rainer Arnold (SPD):
was Tragisches passiert? Solange Sie keine Antworten – ja, ich bin fertig –,
auf diese Fragen geben, müssen wir doch davon ausge-
hen, dass solche tragischen Ereignisse immer wieder Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
passieren können. Deshalb bitten wir Sie dringend: Klä- Gut.
ren Sie hier auf!
Lassen Sie mich am Ende noch einmal den Wehrbe- Rainer Arnold (SPD):
auftragten erwähnen. Es gibt, wie ich glaube, zunächst – indem man ihnen sagt: Eurer Arbeit gebühren unser
einmal wirklich keinen Grund, jetzt einen neuen Wehr- Dank und unsere Anerkennung.
beauftragten zu berufen. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Parlament hat in den letzten Jahren diesem Wehrbe-
auftragten vertraut; das ist überhaupt keine Frage. Er hat Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
in seinem letzten Jahresbericht auf etwas Wichtiges hin- Michael Brand ist der nächste Redner für die Unions-
gewiesen, nämlich darauf, dass der Beruf des Soldaten fraktion.
kein Job und kein Beruf wie jeder andere ist und dass die
Soldaten Respekt und Anerkennung verdienen. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
überhaupt kein Thema. Ich glaube, wir Parlamentarier neten der FDP)
müssen alle miteinander aufpassen, dass wir diese Ver-
unsicherung bei der Truppe, die daher kommt, dass sie Michael Brand (CDU/CSU):
das Gefühl hat, sie würde nicht genügend Anerkennung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
finden, nicht noch durch unsere eigene Argumentation Kollegen! Es ist jedem hier im Haus wie auch allen, die
verstärken. Wir sollten auch nicht immer gleich der uns zuschauen, sehr bewusst, dass der Haushalt 2010 ein
Presse auf den Leim gehen, die entsprechende Artikel besonders schwieriger in einem besonders schwierigen
schreiben will. Fakt ist: Die Verunsicherung in der Bun- Jahr ist. Ich sage das auch im Hinblick auf manche Zwi-
deswehr ist da, und wir dürfen sie nicht negieren. schenfragen, Kurzinterventionen und sonstige Äußerun-
(B) gen hier im Plenum: Der Haushalt erfüllt die Grund- (D)
Wir müssen aber auch den Soldaten ein paar Dinge pflicht, die Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln
sagen. Das Erste ist: Kritik am Minister, an der politi- auszustatten, und zwar im Sinne der Sicherheit unserer
schen Verantwortlichkeit, ist weder Majestätsbeleidi- Soldatinnen und Soldaten und im Übrigen auch der Si-
gung noch Kritik an den Soldaten. cherheit unseres Landes.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Lieber Herr Kollege Arnold, lieber Herr Kollege
DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Kahrs, ich sage Ihnen sehr klar: Unterlassen Sie Ihre
Wer sagt denn das?) Krokodilstränen! Denn eins ist wahr: Das Geld ist
knapp. Die SPD hat selbst Einsparungen gefordert.
Das Zweite ist ebenso wichtig: Wenn in Deutschland
viele Menschen den Einsatz in Afghanistan kritisch be- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es! Da-
werten, ist das ein Zeichen von demokratischer Kultur. rüber schweigen die!)
Das heißt noch lange nicht, dass die Menschen der Bun-
Lieber Herr Kollege Arnold, das, was Sie gerade über
deswehr nicht vertrauen. Sie vertrauen ihr trotzdem. Alle Verunsicherungen gesagt haben, will ich Ihnen gerne zu-
Umfragen bestätigen dies. Bundeswehr, Polizei und Feu- rückgeben. Sie versuchen hier, Verunsicherung zu schü-
erwehr genießen die höchste Anerkennung in der deut- ren, indem Sie erstens dem Minister unterstellen, er
schen Gesellschaft, und das ist gut so. Darauf können die wolle sich wegducken. Zweitens war Ihre Strategie in
Soldaten und auch das deutsche Parlament stolz sein. den vergangenen Wochen im Untersuchungsausschuss,
einen Minister, der erfolgreich ist, der nah bei den Solda-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ten ist, verantwortlich zu machen für Ereignisse, die vor
Herr Kollege! seiner Amtszeit lagen. Hören Sie damit auf, denn damit
verunsichern Sie Soldaten!
Rainer Arnold (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ich komme zum Ende. – Ich füge als Randbemerkung Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
hinzu: Journalisten und Parlamentarier liegen in diesem NEN]: Das kann er doch auch selber sagen!)
Ranking ganz weit hinten. Das ist sicherlich nicht immer
gerecht. Zu den generellen Rahmenbedingungen ist bereits
viel gesagt worden. Zum Verteidigungshaushalt bleibt
Meine Bitte ist also: Wir müssen mithelfen, die Zwei- als zentrale Botschaft festzuhalten: Der Verteidigungs-
fel, die Verunsicherungen bei den Bundeswehrsoldaten etat ist so sparsam wie möglich und stellt Mittel bereit,
zu zerstreuen – wo es nötig ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2799
Michael Brand
(A) Ich würde in den nächsten Minuten gerne auf einige schaffung möglich ist, die auch wünschenswert wäre. (C)
Punkte eingehen, an denen der Minister in den letzten Allerdings – auch das gehört dazu – gilt nach wie vor der
Tagen und Wochen erfolgreich gearbeitet und bei denen Grundsatz: Was die Bundeswehr im Einsatz braucht, das
er gute Ergebnisse erzielt hat. Beim Haushalt 2010 geht muss sie und das wird sie auch weiterhin erhalten. Dass
es natürlich auch um die Frage: Wie wird eigentlich der wir durch vordringliche Beschaffungsmaßnahmen die
nächste Haushalt, der Haushalt 2011, in schwieriger Zeit passive Schutzfähigkeit unserer Truppe in Afghanistan
aussehen? Deswegen müssen Prioritäten gesetzt werden, – Stichwort ist hier der Dingo; der Wehrbeauftragte hat
wie Kollege Otte zu Recht gesagt hat. dazu einiges in seinem Bericht gesagt – während des lau-
fenden Einsatzes kontinuierlich steigern, ist dabei eine
Der erste Punkt ist die Transformation einer Armee
unabdingbare Notwendigkeit.
im Einsatz. Die Bundeswehr ist seit langem eine Armee
im Einsatz und im Umbruch. Die Transformation der Ich will zum vierten Punkt, zum Thema Afghanistan
Bundeswehr bleibt ein komplexer Prozess. Wir als CDU/ kommen. Lassen Sie mich wegen der Bedeutung dieses
CSU begrüßen nachdrücklich, dass der Bundesverteidi- Themas einige Anmerkungen machen.
gungsminister die Diskussion über die zukünftige Struk-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tur der deutschen Streitkräfte eingeleitet hat, um Effi-
NEN]: Es ist so bedeutend, dass die Kanzlerin
zienz und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die
heute Morgen kein Wort dazu gesagt hat!)
Zukunft zu sichern. Wir wissen um die Bedeutung der
eingesetzten Strukturkommission, und wir bleiben als Ich möchte zunächst festhalten: Wir tragen als CDU/
CDU/CSU, Kollege Nouripour, offen für eine sehr inten- CSU gemeinsam mit der großen Mehrheit des Hauses
sive Erörterung der Struktur mit allen, die sich der Si- die Londoner Strategie der Verstärkung militärischer und
cherheit des Landes und der Einsatzfähigkeit der Bun- ziviler Anstrengungen in Afghanistan voll mit. Dazu
deswehr verpflichtet fühlen. – lieber Herr Kollege Kahrs, nicht umdrehen und rufen,
sondern zuhören – zählt auch der zusätzliche Kostenan-
(Johannes Kahrs [SPD]: Aber kürzen bei den
teil, den die Aufstockung unserer Maßnahmen im Vertei-
Soldaten um 450 Millionen! Unsäglich!)
digungsetat ausmacht.
– Herr Kollege Kahrs, manchmal nutzt es auch, zuzuhö-
ren statt nur zu rufen. (Johannes Kahrs [SPD]: Dem haben wir zuge-
stimmt!)
(Karin Strenz [CDU/CSU]: Das nützt bei dem
nichts mehr!) Hier verwenden wir Steuergelder dazu, den Frieden in
Afghanistan zu erreichen und die Übergabe der Verant-
Der zweite Punkt ist die Wehrpflicht als Anker. Bei wortung für Afghanistan an die Afghanen abzusichern.
(B) der Umsetzung der sechsmonatigen Wehrpflicht können Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir nach (D)
wir erste Vorschläge verzeichnen – einige waren ja ges- dieser Übergabe unsere Truppen endlich abziehen kön-
tern Abend beim Reservistenverband –, was wir sehr be- nen. Diesen Abzug wollen wir allerdings nicht über-
grüßen. Wehrpflichtige sollen eine moderne, intensive stürzt, sondern koordiniert und ehrenhaft vollziehen. Das
und in einem guten Sinne spannende, das heißt inhalts- heißt, wir wollen die Sicherheit der afghanischen Zivil-
reiche, Grundausbildung durchlaufen. bevölkerung in den Händen gut ausgebildeter afghani-
scher Sicherheitskräfte wissen.
(Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate sind zu
kurz!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
eine weitere offene Bemerkung zu diesem nach wie vor
Skeptikern, Herr Kahrs, kann mitgeteilt werden: Das hat
sehr wichtigen Thema deutscher Sicherheitspolitik ma-
nichts mit Intensivpraktikum oder Abenteuer zu tun,
sondern mit einer intensiven und fordernden Grundaus- chen. Dass der Afghanistaneinsatz in vieler Hinsicht
bildung für einen sehr verantwortlichen Dienst. mehr Opfer gekostet hat, als dies zu Beginn abzusehen
war, ist inzwischen allen klar geworden. Das gilt es, of-
(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist einfach zu fen anzusprechen. Ich sage dies auch als Abgeordneter
kurz und unsinnig! Unverantwortlich!) aus einem Wahlkreis, der zu Hause mit den Eltern von
Verwundeten und Gefallenen dieses Einsatzes gespro-
Zehntausende junger Menschen, denen dieser Dienst je-
chen hat. Dass die Menschen in unserem Land die Lage
des Jahr abverlangt wird, können sich sicher sein, dass
in Afghanistan als Krieg empfinden, kann ich gut nach-
sie mit ihrem Dienst und mit dieser Ausbildung einen
vollziehen. Wenn hier jetzt ein völkerrechtlich anderer
sehr wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes
Begriff verwendet wird, ändert dies an der Einschätzung
leisten. Wir als CDU/CSU bleiben dabei: An der Wehr-
der Menschen nichts. Wenn es also so ist, dass die Men-
pflicht wird nicht gerüttelt. Sie ist und bleibt ein legiti-
schen die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg sehen,
mer und moderner Anker der Bundeswehr in der Bevöl-
wie sie es sagen, dann hat dies für uns klare Konsequen-
kerung.
zen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Eine Konsequenz ist, dass wir den Bürgern die
neten der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Das
Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes und das
ist doch Unsinn!)
Interesse unseres eigenen Landes an diesem Einsatz
Der dritte Punkt ist das Thema Beschaffung. Zu die- überzeugend erklären müssen. Ich bin dem Bundesver-
sem Themenbereich ist festzuhalten, dass wir natürlich teidigungsminister sehr dankbar, dass er diese Aufgabe
wissen, dass in Zeiten knapper Kassen nicht jede Be- in vorderster Front übernimmt. Aber es ist auch die Auf-
2800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Michael Brand
(A) gabe des Parlamentes. Es geht für uns nicht nur darum, In diesem Sinne wünsche ich den Soldatinnen und Sol- (C)
die Herzen und Köpfe der Afghanen vor Ort zu gewin- daten allzeit gute Hand, Sicherheit im Einsatz und im-
nen, wie es die Strategie der Londoner Konferenz und mer eine gesunde Rückkehr.
der ISAF vor Ort ist. Es geht auch jeden Tag darum, die
Zustimmung der Menschen hier zu Hause für einen Ein- Vielen Dank.
satz und zur Rückenstärkung für unsere Soldaten zu ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
winnen. Auch ist die Initiative des Bundestages zur
Nachbetreuung von kriegstraumatisierten Angehörigen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
der Bundeswehr ein klares Indiz dafür, dass wir längst
Omid Nouripour ist der nächste Redner für Bünd-
bei einer realistischen Bewertung dessen angekommen
nis 90/Die Grünen.
sind, was sich in Afghanistan abspielt.
Thomas Silberhorn
(A) kehrt. Anders würden wir unserer Verantwortung als von neun auf sechs Monate ist ein zentrales Vorhaben (C)
Parlamentarier für die Soldatinnen und Soldaten im Aus- aus unserem Koalitionsvertrag. Wir halten an der allge-
landseinsatz nicht gerecht. meinen Wehrpflicht fest, weil sie die gesellschaftliche
Verankerung der Bundeswehr sicherstellt und weil es so
Eine Lehre aus den bisherigen Auslandseinsätzen der gelingt, qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr
Bundeswehr ist, dass die Aufgabe, in instabilen Regio- zu gewinnen. Bereits heute werden über 40 Prozent der
nen selbsttragende Sicherheitsstrukturen zu schaffen,
Berufs- und Zeitsoldaten durch den Wehrdienst für die
an Bedeutung gewinnt. Das gilt für die Piratenbekämp- Bundeswehr gewonnen. Das streben wir auch für den
fung am Horn von Afrika und ebenso für Afghanistan. sechsmonatigen Wehrdienst an.
Ich meine, dass wir eine echte Fähigkeitslücke haben.
Die Ausbildung lokaler Polizeikräfte vor Ort gehört (Johannes Kahrs [SPD]: Wie ist das mit der
nicht zu den Kernkompetenzen der Feldjäger der Bun- verfassungsmäßigen Grundlage? Hat nichts
deswehr, und internationale Polizeieinheiten sind oft damit zu tun?)
nicht robust genug ausgestattet, um gegen Aufständische
und Terroristen vorzugehen. Wir werden hinsichtlich der Wehrgerechtigkeit übri-
gens eine spürbar bessere Situation bekommen; denn wir
Viele unserer Partnerstaaten in der Europäischen werden mit W6 mehr Wehrpflichtige einziehen können.
Union lösen diese Aufgabe mit Gendarmerieeinheiten. Auch die demografische Entwicklung wird die Situation
Nicht, dass ich danach rufen wollte, aber wir müssen bei der Wehrgerechtigkeit deutlich verbessern. Ziel muss
ernsthaft überlegen, Fähigkeiten vorzuhalten, um Aufga- es sein, den Wehrdienst so auszugestalten, dass er für die
ben einer Gendarmerie erfüllen zu können. Ob das eine Bundeswehr, aber auch für die Wehrpflichtigen ein ech-
Spezialeinheit der Bundespolizei sein sollte oder ob man ter Gewinn ist. Ich möchte einige Kriterien dafür nen-
die Funktion der Feldjäger erweitern sollte, mag dahin- nen.
gestellt sein. Wir müssen uns der Aufgabe als solcher an-
nehmen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jede Ent- Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, dass dieser
sendung von Militär und von Polizei ins Ausland durch Wehrdienst in der Truppe stattfindet und nicht in sepa-
den Deutschen Bundestag mandatiert werden sollte. raten Einheiten. Wir müssen nach der Grundausbildung
Auch darüber sollten wir nochmals nachdenken. dafür sorgen, dass die Wehrdienstleistenden in einer
Funktion bei der Truppe eingesetzt werden.
Ich begrüße es, dass die Bundesanwaltschaft vor we-
nigen Tagen zu dem Zwischenergebnis gelangt ist, dass (Johannes Kahrs [SPD]: In sechs Monaten!
es sich in Afghanistan um einen nicht internationalen be- Hurra!)
waffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetz- Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, mehr berufs-
(B) buches handelt. Die Generalbundesanwaltschaft teilt da- relevante Elemente in die Ausbildung zu übernehmen. (D)
mit die Bewertung, die bereits Bundesminister zu
Guttenberg und die Bundesregierung vorgenommen ha- (Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate!)
ben. Damit müssen Angehörige der Bundeswehr, die im Ich rege an – ich bitte die Kolleginnen und Kollegen
Auslandseinsatz unsere Aufträge ausführen, nicht länger aus meiner Fraktion um Nachsicht, weil das eine sehr
befürchten, dass ihr Verhalten in bewaffneten Konflikten persönliche Bemerkung ist, die nicht abgestimmt ist –,
auf der Grundlage des deutschen Strafgesetzbuches be- die Situation der Wehrdienstleistenden, die zum 1. Juli
urteilt wird. Für genau diesen Zweck gibt es das Völker- eines Jahres eingezogen werden, nochmals zu überden-
strafgesetzbuch. Es ist gut, dass es jetzt zur Anwendung ken. Nach sechs Monaten beenden sie ihren Wehrdienst,
kommen kann. also zum Ende des Jahres, und haben dann gegebenen-
Ich glaube auch, dass es ein wichtiger Fortschritt falls, wenn sie erst zum Wintersemester ein Studium
wäre, wenn wir unseren Koalitionsauftrag dahin gehend aufnehmen können, eine neunmonatige Wartezeit zu
erfüllen würden, eine zentrale Zuständigkeit der Justiz überbrücken. Natürlich kann man denen anbieten, frei-
zu schaffen, um Straftaten von Soldaten im Auslandsein- willig länger zu dienen. Ich glaube aber, dass es eine
satz zu verfolgen. Das müssen wir zeitnah angehen. Es sinnvolle Lösung wäre – das würde ich bevorzugen –, in
kann nicht angehen, dass bei Ermittlungen gegen Solda- diesen Fällen den Wehrdienst zu splitten: im ersten Jahr
ten viel Zeit verstreicht und sich Strafverfolgungsbehör- eine dreimonatige Grundausbildung,
den monatelang in komplizierte militärische Sach-
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
verhalte einarbeiten müssen. Ich weise darauf hin, dass
NEN]: Aber er ist dann doch nur zwei Mo-
Bayern diesbezüglich vorangegangen ist
nate!)
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
die die Aufnahme des Studiums noch im gleichen Jahr
NEN]: Das ist einer der Gründe, warum wir
ermöglicht, und in den Semesterferien des nächsten Jah-
dagegen sind!)
res die zweite Hälfte.
und zum 1. März dieses Jahres die Staatsanwaltschaft in
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Kempten mit der Wahrnehmung aller Strafverfolgungs-
Johannes Kahrs [SPD]: Dann schafft sie doch
verfahren gegen Soldaten im Auslandseinsatz beauftragt
ab! Dann schafft den ganzen Krempel doch ab!
worden ist. Nachahmung ist empfohlen.
Das ist ja unglaublich! Wir brauchen mindes-
Lassen Sie mich zur Debatte über die Wehrpflicht tens neun Monate! Sonst macht das doch kei-
Stellung nehmen. Die Verkürzung der Wehrdienstzeit nen Sinn! Das ist doch langsam absurd!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2803
Thomas Silberhorn
(A) Wenn wir mehr Flexibilität im Interesse der Wehr- (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt zerschießt schon (C)
dienstleistenden schaffen können, dann sollten wir auch die CSU das Konzept vom CSU-Minister!)
den Mut aufbringen, mehr Flexibilität für die Zivil-
dienstleistenden zu schaffen; denn es liegt im Interesse Ich freue mich, dass der Bundesminister die nötigen Ini-
der Zivildienstleistenden, die den Wehrdienst nicht ab- tiativen ergriffen hat, um zügig zu Lösungen zu kom-
leisten wollen, angemessene Beschäftigungsverhält- men, die im Interesse der Zivil- und Wehrdienstleisten-
nisse zu bekommen. Deswegen plädiere ich dafür, dass den liegen.
wir die Option schaffen, den Zivildienst auf zwölf Mo- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
nate zu verlängern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist kein Wunschkon-
zert! Das ist Bundeswehr! Wehrpflicht!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wenn wir bedenken, dass wir viele Freiwilligen- Ich schließe die Aussprache.
dienste haben, bei denen junge Leute von sich aus ein
Jahr im Freiwilligen Sozialen Jahr oder im Freiwilligen Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14,
Ökologischen Jahr verbringen, dann ist es, glaube ich, Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss-
angebracht, diese Freiwilligendienste besser auf den zi- fassung.
vilen Ersatzdienst anzurechnen. Hierzu liegen Änderungsanträge vor. Über diese stim-
(Johannes Kahrs [SPD], an die CDU/CSU ge- men wir zuerst ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag
wandt: Der soll Zivildienstbeauftragter wer- der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1024? – Wer
den!) stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende
Ich denke insbesondere an unser Programm „weltwärts“ Fraktion. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich
auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit. enthalten. Alle anderen haben dagegen gestimmt.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
NEN]: Da habt ihr doch gerade gekürzt!) Die Linke auf Drucksache 17/1025? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Dieser Änderungsantrag ist
Wenn man ein weitgefasstes Sicherheitsverständnis ver- ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende
tritt, dann ist auch eine Tätigkeit in der Entwicklungs- Fraktion. Alle übrigen haben dagegen gestimmt. Enthal-
politik in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Des- tungen gab es keine.
wegen plädiere ich dafür, diese Dienste beim Zivildienst,
(B) beim Wehrdienst besser als bisher anzuerkennen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordne- (D)
ten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen Koppelin auf
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Drucksache 17/1076? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Zuruf von der LINKEN: Deshalb kürzen Sie tungen? – Damit ist der Änderungsantrag angenommen
jetzt die Mittel? – Omid Nouripour [BÜND- bei Zustimmung durch den größten Teil der Koalitions-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habt ihr das Pro- fraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionen
gramm gekürzt! Was ist eigentlich Sache? – gestimmt. Es gab eine Enthaltung.
Johannes Kahrs [SPD], an die CDU/CSU ge-
wandt: Erkläre ihm doch mal einer die Wehr- Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss-
pflicht!) fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ein-
Herr Bundesminister, wenn es gelingt, dass die Neu- zelplan 14 angenommen bei Zustimmung durch die Ko-
ordnung, die Umstellung auf einen sechsmonatigen alitionsfraktionen und Ablehnung durch die Opposi-
Wehrdienst, zeitgleich vonstatten gehen kann mit der tionsfraktionen.
Wehrstrukturkommission, die jetzt ihre Arbeit aufnimmt
und bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegen soll, dann Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III a bis c auf:
wird ein stimmiges Konzept daraus,
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
(Johannes Kahrs [SPD]: Was sagt der General- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
inspekteur zu so einem Unsinn?) Abschaffung des Finanzplanungsrates
Harald Leibrecht (FDP): (Beifall bei der FDP – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Liebe Kol-
leginnen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Land muss zunächst in die Lage versetzt werden,
Wenn wir heute abschließend über den Einzelplan 23 de- die internationale Hilfe, die von allen Seiten kommt, zu
battieren, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir in absorbieren. Dabei geht es gerade in einem Not leiden-
diesem Jahr in der Tat noch in wirtschaftlich schwieriger den Land wie Haiti darum, die zahlreichen internationa-
Situation sind und uns in einer Übergangsphase befin- len Hilfsprojekte und -initiativen aufeinander abzustim-
den. Wir alle wünschen uns mehr Geld für die Entwick- men.
lungspolitik – ohne Frage –, aber wir dürfen diese ge-
samtwirtschaftlichen Realitäten nicht aus den Augen Es können nicht einfach nur pauschal Geldsummen
verlieren. eingefordert werden, bevor klar ist, welche Wiederauf-
bauhilfe und -maßnahmen in den nächsten Monaten dort
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: notwendig sein werden. Diese Maßnahmen müssen dann
Innovative Finanzierungsinstrumente!) auch, wie gesagt, richtig koordiniert werden. Dies gehört
auch zu einer seriösen Entwicklungs- und Haushaltspoli-
Trotz der angespannten Haushaltslage konnten wir das
tik, der wir uns natürlich verpflichtet fühlen.
Volumen des Einzelplans 23 im Vergleich zu 2009 um
immerhin 250 Millionen Euro auf insgesamt 6,1 Milliar- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
den Euro erhöhen. Das, Frau Kofler, ist keine beschä- der CDU/CSU)
mende Zahl. Es ist sehr viel Geld, das wir für diesen Be-
Mit Blick auf die heutige Debatte habe ich mir die
reich einsetzen. Es ist vor allem Geld des Steuerzahlers,
BMZ-Haushalte der letzten Jahre wieder einmal angese-
und das sollten wir sehr viel mehr respektieren.
hen. Wir hören derzeit ja viel davon, dass Deutschland
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten seine Verpflichtungen zur Erfüllung der ODA-Quote un-
der CDU/CSU) ter der neuen Bundesregierung nun ignorieren würde.
Das möchte ich an dieser Stelle auch direkt einmal Vor fünf Jahren lag die ODA-Quote bei 0,35 Prozent,
betonen: Ich bin froh darüber, dass der Haushalt des wofür sich Frau Wieczorek-Zeul ja gerne immer loben
BMZ auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wächst. ließ. In den Folgejahren wurde es gerade einmal ge-
2808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Harald Leibrecht
(A) schafft, die Quote ein bisschen auf 0,38 Prozent zu erhö- des Bruttonationalprodukts – das ist die sogenannte (C)
hen. Dass dem neuen Minister jetzt vorgeworfen wird, ODA-Quote – zu erhöhen.
dass er das 0,51-Prozent-Ziel verfehlt, finde ich eine ver-
(Harald Leibrecht [FDP]: Das habe ich ja ge-
fehlte Argumentation der Opposition.
sagt!)
(Beifall bei der FDP – Priska Hinz [Herborn]
Es wäre finanziell aber durchaus möglich,
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben
gezeigt, wie es geht!) (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ja, aber mit
3 Milliarden Euro!)
Wir hätten den Etat des BMZ in diesem Jahr um über
3 Milliarden Euro, also um rund 50 Prozent, erhöhen und das können Sie, Herr Leibrecht, in einem sehr guten
müssen, um diese 0,51 Prozent zu erreichen. Antrag der Linksfraktion nachlesen.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Es gibt keine
GRÜNEN]: Quatsch! – Dr. Bärbel Kofler guten Anträge der Linksfraktion!)
[SPD]: Nein, nicht den Etat des BMZ! Das Wir zeigen Ihnen, dass es finanziell möglich ist, die
wissen Sie auch! – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ ODA-Quote in diesem Haushalt zu erreichen.
DIE GRÜNEN]: Sie können nicht rechnen!
2,2 hätten es auch getan!) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Indem Sie die
Bundeswehr totsparen!)
Doch elf Jahre Entwicklungspolitik der SPD haben die-
ses Ziel in weite Ferne rücken lassen, und das ist der ei- Ihnen fehlt aber der politische Wille dazu, und das ist das
gentliche Skandal. Entscheidende.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding
der CDU/CSU) [Heidelberg] [SPD]: Sie können auch den
SPD-Antrag nehmen! Der ist auch gut!)
In der letzten Legislaturperiode waren das BMZ und
das Finanzministerium ja SPD-geführt. Die ODA-Quote Sie sind nicht bereit, 2 Milliarden Euro mehr für die
droht seitdem fast zu stagnieren. In Ihrem Haushaltsent- weltweite Entwicklungshilfe auszugeben, aber Sie sind
wurf vom letzten Herbst wurden gerade einmal 23 Mil- jederzeit bereit, in diesen Haushalt zum Beispiel mehr
lionen Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit vor- als 7 Milliarden Euro für neue Rüstungsprojekte einzu-
gesehen. Mit dem jetzt beschlossenen Haushalt übertref- stellen.
fen wir Ihren Haushalt immerhin um 230 Millionen (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das sind auch
(B) Euro. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Arbeitsplätze!) (D)
Entscheidend ist letztlich aber, dass die Gelder auch Damit steht diese Ausgabenpolitik der Bundesregie-
Früchte tragen, und dies wird nur geschehen, wenn sie rung auch im krassen Widerspruch zur Bevölkerung. Die
richtig verwendet werden. Daher muss das BMZ so auf- Menschen in diesem Land sind nämlich viel mehr dazu
gestellt werden, dass eine verstärkte bilaterale, zielge- bereit, Geld für Entwicklungshilfe auszugeben. Das ha-
richtete Entwicklungszusammenarbeit möglich ist. ben sie durch Spenden in dreistelliger Millionenhöhe
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir es bei den Spendensammlungen für die Tsunamiopfer und
uns eben nicht erlauben, die Kontrolle über einen Groß- auch jetzt wieder bei den Spenden für die Hilfe der Erd-
teil der Gelder, die wir in die Entwicklungszusammenar- bebenopfer in Haiti eindrücklich gezeigt.
beit fließen lassen, aus der Hand zu geben. Das sind wir In meinem Wahlkreis Tübingen sammeln zum Bei-
dem Steuerzahler schuldig, aber vor allem auch den spiel Künstlergruppen und Schulklassen mühsam für
Menschen in den Entwicklungsländern, die auf eine effi- Haiti,
ziente Unterstützung von unserer Seite hoffen.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nicht nur in Ih-
Ich danke Ihnen. rem Wahlkreis!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten währenddessen die Bundesregierung nicht bereit ist, ei-
der CDU/CSU – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Sie nen Sondertitel für die mittelfristige Hilfe für Haiti ein-
verabschieden sich von der Internationalität in zustellen. Das sind nicht nur Forderungen der Opposition,
der Entwicklungszusammenarbeit!) sondern die Vereinten Nationen haben die Industriestaa-
ten aufgefordert, deutlich mehr Geld als bisher für Haiti
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zur Verfügung zu stellen.
Heike Hänsel hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Harald Leibrecht [FDP]: Da kommt doch
(Beifall bei der LINKEN) Geld!)
Sie ignorieren diese Aufforderungen.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Leibrecht, die Bundesregierung erreicht mit diesem Ich halte es übrigens für ein persönliches Armuts-
Haushalt nicht das für 2010 vorgegebene Zwischenziel, zeugnis des Ministers, dass er diese Forderungen gegen-
die Ausgaben für Entwicklungshilfe auf 0,51 Prozent über seinen Haushältern nicht hat durchsetzen können.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2809
Heike Hänsel
(A) Damit komme ich zu Ihrer Hauptbotschaft, die Sie, Klein an die Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras (C)
Herr Niebel, recht häufig zum Besten geben. Sie sagen, weitergeleitet wurden.
dass Ihre Entwicklungshilfe werteorientiert und interes-
sengeleitet sei. Ich frage mich allerdings, von welchen (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist
Werten und welchen Interessen Sie sprechen. Mit diesem niveaulos, was Sie hier machen!)
Haushalt zeigt die Bundesregierung nämlich, dass Frie- Sollte diesen beiden mutigen Menschenrechtsaktivisten
denspolitik, weltweite Armutsbekämpfung, Klima- etwas zustoßen, werde ich auch die FDP dafür verant-
schutz, soziale Entwicklung, globale Gerechtigkeit und wortlich machen.
somit der Wert der menschlichen Solidarität nicht
oberste Priorität Ihrer Politik sind. Stattdessen geht es (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
Ihnen ganz offensichtlich um deutsche Wirtschaftsinte- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
ressen, die Sie möglichst ungehindert durchsetzen wol- Ich möchte noch eine zweite Personalie ansprechen.
len. Sie propagieren – so habe ich es auch auf der letzten Diese betrifft ebenfalls einen Abteilungsleiter, und zwar
Reise nach Vietnam erleben können – die freie Markt- den ehemaligen Oberst Herrn Eggelmeyer.
wirtschaft als Grundlage freier Gesellschaften. Sie wol-
len also Freiheit für Konzerne, Freihandel und Markt- (Harald Leibrecht [FDP]: Auch ein guter
liberalisierung. All das hat allerdings in vielen Ländern Mann! – Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]:
des Südens nicht zu mehr sozialer Entwicklung geführt, Mann, Mann, Mann!)
sondern – ganz im Gegenteil – zu mehr Armut, mehr
Hunger und mehr Umweltzerstörung. Da frage ich mich: Ich frage mich, was ein Oberst im Ministerium für
Ist das Ihre Vorstellung von freien Gesellschaften? Entwicklungszusammenarbeit verloren hat. In meinen
Augen hat er dort gar nichts verloren. Das führt zu einer
(Beifall bei der LINKEN – Harald Leibrecht strukturellen Militarisierung der Entwicklungszusam-
[FDP]: Wir haben das Ministerium die letzten menarbeit. Sie wollen die zivil-militärische Zusam-
elf Jahre nicht geführt!) menarbeit ausbauen, Herr Niebel. Dazu kann ich Ihnen
nur sagen: Es gibt immer mehr Hilfsorganisationen, die
Bezüglich Ihrer Werte, Herr Niebel, möchte ich auf das kritisieren. Ich möchte aus der heutigen Pressemit-
Ihre jüngst stark kritisierte Personalpolitik eingehen. teilung der Organisation Ärzte ohne Grenzen zitieren, in
Dabei geht es mir jetzt allerdings weniger um die Klien- der steht:
telpolitik nach dem FDP-Parteibuch. Die Einstellung
nach Parteibuch haben Rot-Grün und Schwarz-Rot Die internationale humanitäre Hilfsorganisation
schließlich genauso betrieben. Mir geht es vielmehr um ÄRZTE OHNE GRENZEN weist die Äußerung des
(B) die inhaltliche Ausrichtung einiger Personalentscheidun- NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen (D)
gen. Konkret betrifft das Ihre neuen Abteilungsleiter im aufs Schärfste zurück, wonach Nichtregierungsor-
Ministerium. Als Erstes möchte ich Herrn Harald Klein ganisationen die weiche Komponente militärischer
nennen, Strategien darstellen sollten … Äußerungen wie
diese kreieren ein zusätzliches Risiko für unsere Pa-
(Harald Leibrecht [FDP]: Sehr guter Mann!) tienten und unsere Mitarbeiter …
der lange Zeit bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann- (Beifall bei der LINKEN)
Stiftung gearbeitet hat. Dieser hat im letzten Jahr den
Wir schließen uns dieser Kritik vorbehaltlos an und
Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten
lehnen eine zivil-militärische Zusammenarbeit ab. Wir
Zelaya gerechtfertigt und die damit einhergehenden
sehen, dass Sie, Herr Niebel, das Entwicklungsministe-
Menschenrechtsverletzungen mehr als verharmlost.
rium für die systematische Begleitung der wirtschaftli-
Soviel zu Ihren Wertevorstellungen von Demokratie,
chen und militärischen deutschen Expansion umbauen
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.
wollen. Sie können mit unserem massiven Widerstand
Ich halte es ebenfalls für einen Skandal, dass Harald rechnen.
Klein jetzt Ansprechpartner für internationale Beziehun- (Beifall bei der LINKEN)
gen und für Menschenrechtsfragen ist. Vor zehn Tagen
haben wir Menschenrechtsaktivisten aus Honduras nach
Berlin eingeladen. Sie haben sich auch mit dem BMZ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
getroffen und im Ministerium ebendiesem Harald Klein Volkmar Klein hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
über aktuelle politische Morde, Folterungen und Verhaf- tion.
tungen berichtet. Diese Aktivisten sind ein enormes
(Beifall bei der CDU/CSU)
Risiko eingegangen, indem sie hierher gekommen sind
und davon berichtet haben. Trotzdem wurden sie aber
von einem Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung Volkmar Klein (CDU/CSU):
namentlich in einer Zeitung in Honduras genannt und Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
denunziert, sie würden die jetzige sogenannte gewählte Herren! Als Allererstes möchte ich betonen, dass die
Regierung schlechtmachen. Das ist eine konkrete Ge- Wortwahl und der Inhalt dessen, was wir gerade gehört
fährdung von Menschenrechtsaktivisten. Herr Niebel, haben, einem Parlament nicht angemessen sind. Es ist
ich möchte von Ihnen die Auskunft bekommen, ob kon- eine Schande, so mit dem Minister und dem Ministerium
krete Informationen aus dem Ministerium von Harald umzugehen.
2810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Volkmar Klein
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Auch als Bundesrepublik Deutschland ist es richtig, (C)
Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der sich mit sei- sich massiv – stärker, als ursprünglich von der Regie-
nem Militärkäppi in Afrika zeigt! Toller Mi- rung geplant – einzubringen, weil auch dies im deut-
nister!) schen Interesse ist. Hilfestellungen, aus der Armut he-
rauszukommen, schaffen in den betreffenden Ländern
Wenn ich gewusst hätte, was Frau Kofler eben sagen Stabilität, von der auch wir am Ende etwas haben. Das
wollte, dann hätte ich sie vielleicht eingeladen, die reduziert Migrationsdruck und Sicherheitsprobleme.
Plenardebatte gestern aufmerksam zu verfolgen. Da wa-
ren nämlich von der Opposition ganz andere Töne zu hö- Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt einen Haushalt
ren. Die Opposition hat über die massive Neuverschul- beschließen wollen und auch werden, der mit fast
dung geschimpft. Der Kollege Bonde hat sogar von 6,1 Milliarden Euro so groß ist wie noch nie. Er weist
blinder Schuldenmacherei gesprochen. 256 Millionen Euro mehr auf als im Haushalt 2009. Das
ist vor allem auch deutlich mehr, als ursprünglich im Re-
Deswegen hatte ich ein flaues Gefühl, heute Abend gierungsentwurf geplant war.
ausgerechnet den Einzelplan 23 zu vertreten, dessen
Mittel im Rahmen der Haushaltsplanberatungen sogar Ich will noch einmal die Relationen in Erinnerung
noch deutlich erhöht werden konnten und der somit mit- rufen. Wir haben aus guten Gründen im Gesamthaushalt
ten im Zentrum der beißenden Kritik des gestrigen Tages 5,9 Milliarden Euro gespart und Ausgaben gekürzt. Das
steht. werden wir jetzt beschließen.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Sie haben Kon-
Aber wir stehen dazu. Der Haushalt mit einer Neuver- junkturverbesserungen eingeplant! Das ist et-
schuldung von 80,2 Milliarden Euro ist leider alternativ- was ganz anderes!)
los. Wir haben die Ausgaben gegenüber dem Entwurf Wir haben trotz dieser Kürzung um 5,9 Milliarden Euro
deutlich gekürzt, aber trotz aller Kritik an der Neuver- insgesamt einen Aufwuchs um 189 Millionen Euro im
schuldung sind weitere Einsparungen nicht möglich. Einzelplan 23.
Sonst würden wir die wirtschaftliche Entwicklung wie-
der abwürgen. Deswegen ist dieser Haushalt die richtige (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Antwort auf die aktuellen Probleme. der FDP)
Ich will eine weitere Zahl, die dem einen oder ande-
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ren mit Sicherheit auch nicht gefallen wird, in Erinne-
Was sagen die Entwicklungsländer?)
rung rufen. Es gab schon einmal einen Haushaltsentwurf (D)
(B)
Die im Einzelplan 23 – Bundesministerium für wirt- der Bundesregierung für das Jahr 2010. Er stammt aus
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – vorge- dem Sommer des letzten Jahres. Damals hieß die Minis-
sehene Ausgabensteigerung ist trotz des generell von uns terin Wieczorek-Zeul. Im Vergleich zum Haushalt 2009
gemeinsam so empfundenen Sparzwanges die richtige – Frau Wieczorek-Zeul, das können Sie sicherlich bestä-
Antwort auf die aktuellen Fragen im Sinne der Zukunft tigen – war damals ebenfalls ein Aufwuchs geplant, und
unseres Landes. Wir werden mit diesem Haushalt unse- zwar in Höhe von etwas über 20 Millionen Euro. Das
rer internationalen Verantwortung gerecht. sah der Regierungsentwurf aus dem letzten Jahr vor.
Nun haben wir einen Aufwuchs in Höhe von
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 256 Millionen Euro. Das ist elfmal mehr als von der ehe-
Nein! Ganz klar nein!) maligen Ministerin geplant. Deshalb habe ich überhaupt
kein Verständnis für den Protest der SPD.
Erstens – das scheint mir entscheidend zu sein – tun wir
etwas. Wir geben viel Geld aus, und zwar mehr Geld, als (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ursprünglich von der Regierung geplant, weil dies auch
ethisch geboten ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Entschuldigung, Herr Kollege, möchten Sie eine Zwi-
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Al-
schenfrage von Herrn Movassat zulassen?
mosen sind das! Nichts mit Gerechtigkeit!)
Es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, sich für an- Volkmar Klein (CDU/CSU):
dere Menschen einzusetzen. Unsere Verantwortung en- Bitte schön.
det nicht an den Grenzen.
Zweitens finde ich es ausgesprochen schön, dass in Niema Movassat (DIE LINKE):
unserem Land sehr viele Menschen genau das zu ihrem Herr Willsch, Sie haben darauf verwiesen, dass wir in
persönlichen Anliegen machen und sich in Kirchen, Ini- einer Wirtschafts- und Finanzkrise sind und Haushalts-
tiativen und Verbänden für Menschen in der Dritten Welt probleme haben.
engagieren. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herz- (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist
lich für ihr vorbildliches Engagement danken, auf das Herr Klein!)
wir stolz sein können.
– Entschuldigung, Herr Klein, mir lag die falsche Liste
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vor.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2811
Niema Movassat
(A) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Groß- und das noch nicht einmal vollständig – der Steuernach- (C)
britannien trotz Schuldenproblematik und Finanzkrise lass für Hotelkonzerne in einer Größenordnung von
es geschafft hat, mit seinem aktuellen Haushalt das Zwi- 500 Millionen Euro.
schenziel von 0,56 Prozent zu übertreffen? Wie stehen
Sie dazu? (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
– Sie können ruhig Buch führen. Dieser Vorschlag ist se-
Volkmar Klein (CDU/CSU): riös gedeckt. Weil Sie ihn immer abgelehnt haben, ist er
Lieber Herr Kollege, Ihre Desorientierung zeigt sich als Deckung noch vorhanden und seriös durchgerechnet.
schon daran, dass Sie mich nicht mit meinem Namen an- Wir können Ihnen das jederzeit zur Verfügung stellen.
gesprochen haben. Weil Sie sehr ernsthaft gesagt haben, Ihnen gehe es
(Zurufe von der LINKEN: Falsche Antwort!) um die Sache, lautet meine Frage: Ist es Ihnen bei der
Priorisierung tatsächlich wichtiger, einem Hotelkonzern
– Ich glaube, das ist als Antwort ausreichend; denn wir Steuern zu erlassen, als die eben von mir vorgetragenen
reden hier über Deutschland. Ich habe gerade gesagt, Maßnahmen in der Entwicklungspolitik voranzubrin-
was eine Regierung damals vorgelegt hat – die ehemali- gen?
gen Regierungsmitglieder sitzen nun ganz still und wer-
den sich wohl auch nicht zu Wort melden – und dass wir
Volkmar Klein (CDU/CSU):
einen elfmal höheren Aufwuchs beschließen.
Lieber Kollege Binding, Sie können sich sicherlich
Ich möchte unterstreichen – das mag dem einen oder noch ganz genau an die umfangreichen Diskussionen
anderen als Petitesse erscheinen –, dass wir an der Sache über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erinnern.
interessiert sind und mehr Geld für wichtige Projekte Wie Sie wissen, ist das nur einer von vielen Punkten, der
ausgeben wollen – deswegen dieser erhebliche Auf- dazu beiträgt, die wirtschaftliche Belebung in unserem
wuchs –, während wir gleichzeitig im Vergleich zum Land nach vorne zu bringen.
Entwurf der Regierung die Mittel für die Öffentlichkeits-
arbeit um 2 Prozent reduziert haben. Uns geht es um die Das, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, un-
Sache und nicht um Schaufensterdekoration. terstreicht den Erfolg dieser Strategie. Insofern muss ich
den Vorschlag, den wir im Haushaltsausschuss diskutiert
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und haben, eher unter der Rubrik „Mut nach Kassenschluss“
der FDP) einsortieren. Es bleibt dabei, was ich eben gesagt habe:
Im letzten Jahr, als die frühere Ministerin die Möglich-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: keit hatte, wurde nichts getan, aber jetzt werden große
(B) Forderungen erhoben. Das ist nicht glaubwürdig. (D)
Herr Kollege, auch Herr Binding will Ihnen eine Zwi-
schenfrage stellen. Wollen Sie diese auch noch zulassen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie wis-
Volkmar Klein (CDU/CSU): sen, dass das falsch ist, was Sie sagen!)
Ja, das ist ein vernünftiger Kollege. Jetzt möchte ich zu meinem Konzept zurückkommen.
Ich will vier Punkte, die uns wichtig sind, nennen. Ers-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tens. Für das Klima wird natürlich sehr viel getan. Ich
Bitte. meine nicht nur die 35 Millionen Euro, die im Laufe der
Beratungen zusätzlich hinzugekommen sind, sondern
auch der bereits bestehende Titel „Entwicklungswichtige
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz, zur
Lieber Kollege Klein, du hast vorhin die SPD ange- Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz“ ist
griffen und behauptet, wir hätten zuerst gesagt, keine nicht nur ein bisschen aufgestockt worden, sondern mit
Neuverschuldung, und nun sähen wir das ganz anders; zusätzlichen 78 Millionen Euro mehr als verdoppelt
das sei ein gewisser Widerspruch. Des Weiteren hast du worden. Darüber hinaus – das wissen wir doch alle – ist
gesagt, der jetzigen Regierung und Koalition gehe es nur in den TZ- und FZ-Titeln einiges für den Klimaschutz
um die Sache. Ein sehr umfänglicher Antrag der SPD- enthalten. So zu tun, als ob das Umweltministerium gar
Fraktion sieht Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden keine Rolle spielen würde, geht nun völlig an der Sache
Euro für ganz wichtige Bereiche wie den Friedensdienst, vorbei.
die Sozialstruktur, politische Stiftungen, das Welternäh-
rungsprogramm usw. vor. Nun kommt das Interessante: Ich finde es wichtig – das ist der zweite Punkt –, dass
Es ist uns gelungen, diesen Vorschlag seriös zu decken, wir mit 120 Millionen Euro zusätzlich für die Entwick-
und zwar mit Mitteln aus nur zwei Titeln. Es besteht also lungszusammenarbeit mit Afghanistan dokumentieren,
nicht die Notwendigkeit Schulden zu machen oder neue dass es eben nicht unser Anliegen ist, militärisch für eine
Steuern einzuführen. Das eine ist § 1 des Außensteuer- Lösung in Afghanistan zu sorgen, sondern dass wir na-
gesetzes; darüber haben wir lang geredet. Es geht hier türlich wissen und auch untermauern, dass wir eine sich
um die Funktionsverlagerung, die ökonomisch äußerst selbst tragende Sicherheit brauchen. Dafür sind derartige
problematische Folgen für die Steuereinnahmen in Projekte der Kern. Deswegen ist es richtig, dort
Deutschland hat. Das andere ist – das ist ein bisschen un- 120 Millionen Euro zusätzlich neben allen anderen Ein-
ser Dauerbrenner; es handelt sich um einen seriösen Vor- zelplänen hineinzupacken. Das haben wir mit einem
schlag, weil die Mittel nur einmal verwendet werden, separaten Antrag getan und intensiv diskutiert.
2812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Volkmar Klein
(A) Drittens. Noch ein Satz zu Haiti. Es wird hier so ge- Verpflichtungen besinnt, die die Regierung eingegangen (C)
tan, als ob für Haiti kein Geld da wäre. Es gibt aber im ist. Wir hatten Hoffnung, dass sie sich an die Koalitions-
Haushaltsplan den Haushaltstitel „Entwicklungsorien- vereinbarung hält und dass sie in dem Punkt, dass das
tierte Not- und Übergangshilfe“. Der ist mit 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden muss, kein Papiertiger
129 Millionen Euro ausgestattet und ganz anders als die bleibt. Natürlich hatten wir die Hoffnung, dass die Zusa-
meisten anderen Titel im Einzelplan 23 nicht durch Ver- gen von Kopenhagen eingehalten werden. Jetzt, bei der
pflichtungsermächtigungen vorbelastet. Vielmehr ma- Verabschiedung dieses Einzelplans, müssen wir feststel-
chen Verpflichtungsermächtigungen an diesen 129 Mil- len: Alle Zusagen sind gebrochen worden. Sie begehen
lionen Euro im Haushaltsjahr 2010 nur 22,5 Millionen damit einen Wortbruch, dass Sie das 0,51-Prozent-Ziel
Euro aus. Der Rest ist natürlich für derartige Katastro- schlicht und einfach nicht erreichen.
phen verfügbar. Das haben wir unterstrichen. Um trotz-
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
dem Bedenken zu zerstreuen, ob das Geld am Ende
So ist es!)
reicht, haben wir einseitige Verstärkungsvermerke durch
FZ und TZ ausgebracht. Das wird sicher alle Zweifel, Schwarz-Gelb wird laut Ministerium von Herrn Niebel
die bestehen könnten, beseitigen. mit diesem Haushalt höchstens 0,40 Prozent des Brutto-
Der vierte Punkt, der mir wichtig ist: Träger wie Kir- inlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgeben. Herr
chen, Stiftungen, Genossenschaften und andere private Klein, wir sind damit im unteren Drittel der DAC-Län-
Träger stellen die Pluralität und den Reichtum unserer der Europas –
Gesellschaft dar. Deswegen ist es richtig, diese Träger in (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie weit war
der Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Diese denn Rot-Grün?)
wollen wir weiter fördern, und das haben wir durch er-
höhte Verpflichtungsermächtigungen im Laufe der vielleicht wussten Sie das eben nicht; wahrscheinlich ha-
Haushaltsberatungen für diesen Bereich getan. ben Sie deswegen die Frage nicht beantworten können –,
und das, obwohl die anderen Länder von der Wirt-
Der Einzelplan 23 umfasst also 6,1 Milliarden Euro. schaftskrise genauso betroffen sind wie Deutschland.
Das ist der höchste Betrag, den es je gab. Ich denke, dass
wir diesen hohen Betrag guten Gewissens vertreten kön- (Harald Leibrecht [FDP]: Eben nicht!)
nen, trotz der berechtigten Kritik der Opposition an der Deutschland ist immer noch ein finanz- und wirtschafts-
Gesamtverschuldung. Aber die Kritik – das hören wir starkes Land; deswegen ist das Verfehlen dieses Ziels ein
jetzt – zielt nicht nur auf die Gesamtverschuldung und Armutszeugnis für diese Regierung.
die Neuverschuldung, sondern auch auf die angeblich zu
niedrigen Ausgaben für diesen Etat. Das eine passt mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) dem anderen nicht ganz zusammen. Wer auf der einen sowie bei Abgeordneten der SPD) (D)
Seite Kritik an der Verschuldung übt, aber auf der ande- Jetzt ist schon fast erklärt, warum sich Herr Niebel so
ren Seite die Ausgaben erhöhen will, befindet sich in ei- langsam aus der Verantwortung stiehlt. Nur so ist das
nem Widerspruch. Das sollte man normalerweise bereits Gerede zu verstehen, der effiziente Mitteleinsatz sei
als Kind gelernt haben, das mit dem Taschengeld umzu- wichtiger, als irgendeine Quote zu erreichen.
gehen hat. Dieses Versäumnis müsste nachgeholt wer-
den. Sich über beides aufzuregen, hat mit Entwicklungs- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
politik nichts zu tun. Das ist eher Entrüstungspolitik. Wer oder was hindert Sie eigentlich daran, viel Geld in
Wenn sich der eine oder andere als entrüstungspoliti- die Hand zu nehmen und dieses Geld effektiv und sinn-
scher Sprecher seiner Fraktion hier bewerben will, dann voll auszugeben?
kann er das tun.
(Harald Leibrecht [FDP]: Das machen wir
Ich habe den Eindruck, dass wir mit diesem Haus- doch jetzt!)
haltsplan ein Dokument deutscher Zukunftsverantwor-
tung vorgelegt haben. Das sollten wir nicht kritisieren, Niemand, also wir jedenfalls nicht!
und darüber sollten wir nicht lamentieren. Wir sollten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
das eher feiern. Herr Minister Niebel macht gute Arbeit,
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
und er verdient die breite Unterstützung eigentlich des
KEN)
gesamten Hauses.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Gegenteil: Wir haben entsprechende Vorschläge ge-
macht. Sie haben es geschafft, den Haushaltstitel „Be-
obachtung und Überprüfung der deutschen entwick-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lungspolitischen Zusammenarbeit“ um die Hälfte zu
Das Wort hat jetzt Priska Hinz für Bündnis 90/ kürzen. Sie wollen anscheinend gar nicht wissen, wie ef-
Die Grünen. fektiv Ihre Mittel eingesetzt werden. Das ist ein zweites
Armutszeugnis.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
NEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Be- Hinter Ihren Ausflüchten steckt etwas anderes. Sie
ginn der Haushaltsberatungen konnte man noch darauf wissen schon jetzt: Das 0,7-Prozent-Ziel können Sie
hoffen, dass sich die Koalition auf die internationalen nicht erreichen. Deswegen muss man schon einmal an-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2813
Priska Hinz (Herborn)
(A) fangen, das Ganze schönzureden. Das ist das Problem. glaube, das ist wahrscheinlich dieser langjährigen Forde- (C)
2015 – wahrscheinlich werden Sie dann nicht mehr re- rung, das Entwicklungsministerium abzuschaffen, ge-
gieren; wir arbeiten jedenfalls darauf hin – geht es nach schuldet. Weder ist Ihr Wunsch aufgenommen worden,
dem Motto: Nach mir die Sintflut; die neue Regierung einen eigenständigen Haushaltstitel für Haiti einzurich-
soll doch sehen, wo sie bleibt. Herr Klein, das dient we- ten,
der den internationalen noch den deutschen Interessen –
(Helga Daub [FDP]: Man braucht doch nicht
ich erinnere an die globalen Verpflichtungen, die wir
immer einen eigenständigen Titel!)
eingegangen sind und die Sie hier vorhin so schön zitiert
haben –, im Gegenteil. Es hilft weder Deutschland noch noch ist Ihrem Wunsch entsprochen worden, die Unter-
der Welt insgesamt, wenn wir unsere Verpflichtungen stützung für UN-Programme nicht zu kürzen. Hier gab
nicht einhalten und nicht global dafür sorgen, dass Ar- es ja den ausdrücklichen Hinweis: Das gibt Probleme im
mut erfolgreich bekämpft wird, dass es mehr Sicherheit Hinblick auf einen eigenen Sitz im Sicherheitsrat. Sie
gibt und dass der Klimaschutz verbessert wird. können sich nicht durchsetzen, nicht einmal bei Ihren ei-
genen Leuten. Wie soll das denn erst werden, wenn Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
diese Aufgabe auf dem internationalen Parkett wahrneh-
Zum zweiten Wortbruch. Bundeskanzlerin Merkel hat men sollen?
in Kopenhagen jährlich 420 Millionen Euro zugesagt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
70 Millionen Euro sind in diesen Haushalt eingestellt;
SES 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht
35 Millionen Euro entfallen auf den Haushalt des BMU
[FDP]: Das wird er gut machen!)
und 35 Millionen Euro auf den Haushalt des BMZ. Na-
türlich wurde erst einmal versucht, diese Mittel dadurch Ich sage Ihnen: So wird das nichts mit Ansehen und
aufzubringen, dass man in einem anderen Topf streicht, Glaubwürdigkeit im Amt und der Durchsetzung der Ent-
dass man also einfach umschichtet. Daraufhin musste es wicklungsinteressen.
im Haushaltsausschuss eine Krisensitzung geben,
Wenn Sie schon keine Steigerung der Barmittel errei-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer redet denn von chen konnten, dann hätten Sie sich wenigstens um inno-
Krisensitzung? Sie haben eine Krise!) vative Finanzierungsinstrumente kümmern sollen, wie
wir sie unter anderem vorgeschlagen haben, und dann
weil wir Ihnen diese Peinlichkeit vor Augen geführt ha-
sollten Sie sich auch nicht gegen eine Finanztransak-
ben, in die Frau Merkel und ihre Regierung kommen,
tionsteuer aussprechen, wie unter anderem wir sie zur
wenn sie diese Zusage noch nicht einmal in Ansätzen
Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit einfüh-
einhalten.
ren wollen.
(B) In diesem Haushalt werden also 70 Millionen Euro (D)
(Harald Leibrecht [FDP]: Den Bürger noch
bereitgestellt; aber das wird Ihnen nicht helfen. Auf dem
mehr belasten!)
internationalen Parkett ist Bundeskanzlerin Merkel mit
ihrer Koalition im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und Herr Klein, uns können Sie nicht vorwerfen, dass wir
Ansehen gesunken, und das, wie ich finde, zu Recht. nur vom Sparen reden, aber in Wirklichkeit mehr ausge-
ben wollten. Wenn man unsere Vorschläge verwirklichen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
würde, bliebe man 7 Milliarden Euro unter dem Neuver-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
schuldungsbetrag, mit dem die Regierung plant und den
Stichwort: Glaubwürdigkeit, Ansehen und Durch- die Koalitionsfraktionen beschließen wollen. Zugleich
setzungsfähigkeit des neuen Entwicklungshilfeminis- haben wir Vorschläge gemacht, wie wir 2,2 Milliarden
ters. Euro in Form von Barmitteln und zinsvergünstigten Kre-
diten für die Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg
(Harald Leibrecht [FDP]: Ohne „-hilfe-“!)
bringen können.
– Entwicklungsminister. Danke schön! –
(Harald Leibrecht [FDP]: Alles Luftbuchun-
Zu Recht leidet Ihr Ansehen darunter, dass Ihre Partei gen!)
das Ressort abschaffen wollte.
Das ist der richtige Weg; denn so könnten wir das 0,51-
(Zuruf von der FDP: Stimmt ja gar nicht!) Prozent-Ziel in diesem Jahr tatsächlich erreichen.
– Das müssen Sie sich schon anhören! – Statt peinliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Personalpolitik zu betreiben, müssten Sie, Herr Minister, sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider-
da Sie ja unter besonderer kritischer Beobachtung ste- spruch des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU])
hen, jetzt sehr viel Elan dahin gehend entwickeln, das
Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen kom-
0,7-Prozent-Ziel on the long way zu erreichen,
men: In den ganzen Diskussionen um den Haushalt des
(Harald Leibrecht [FDP]: Long run!) BMZ, bei denen Sie ja immer von einem angeblich so
riesengroßen Aufwuchs sprechen,
und sich kräftig dafür einsetzen, dass ein entsprechen-
der Aufwuchs bei diesem Haushalt in Höhe von über (Volkmar Klein [CDU/CSU]: Der ist wirklich
2 Milliarden Euro geschieht. so groß!)
Was machen Sie? Sie besitzen noch nicht einmal wurde überhaupt nicht bemerkt, dass Sie die Verpflich-
Durchsetzungsfähigkeit in Ihren eigenen Reihen. Ich tungsermächtigungen um 10 Prozent kürzen. Das
2814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
(Helga Daub [FDP]: Sprechen Sie zum Haus- (Beifall bei der SPD)
halt! – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Zum
Thema Entwicklungshilfe haben Sie nichts zu Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sagen?) Zu einer Kurzintervention Barbara Hendricks.
2818 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
(A) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Wir setzen ganz bewusst auf eine Stärkung der (C)
Herr Kollege, Sie haben darüber gesprochen, wie man Zivilgesellschaft. Wir stärken die Kirchen, die Nicht-
an Termine für ein Gespräch mit einem Ministerpräsi- regierungsorganisationen und – das sage ich ganz aus-
denten kommt. Ich darf Sie kurz darauf aufmerksam ma- drücklich – alle politischen Stiftungen, weil wir der fes-
chen, dass zum Beispiel der Ministerpräsident des Lan- ten Überzeugung sind, dass in vielen Ländern, in denen
des Rheinland-Pfalz, Herr Kurt Beck, alle vier Wochen man aus guten Gründen vielleicht nicht auf bilateraler
eine Bürgersprechstunde abhält, zu der jeder hinkommen Ebene arbeiten sollte, die politischen Stiftungen, die Kir-
kann. chen, aber auch NGOs Zugänge haben und Strukturen
schaffen können, die in der Zeit nach einer Diktatur viel-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Holger leicht dazu beitragen können, dass sich die Gesellschaft
Haibach [CDU/CSU]: Das ist eine entwick- weiterentwickeln kann. Auch das ist ein Grund, warum
lungspolitisch maßgebliche Aussage! Leute!) gerade hier ein Aufwuchs stattfinden soll. Dieses Instru-
ment sollte man intensiver nutzen.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Frau Kollegin, nur ganz kurz: Sie wissen natürlich,
dass ich den Ministerpräsidenten von Nordrhein-West- Diese Bundesregierung stärkt ausdrücklich auch die
falen, Herrn Rüttgers, gemeint habe. Als Sozialdemokrat Zusammenarbeit mit der mittelständischen deutschen
kann ich sagen, dass wir da ein anderes Verständnis ha- Wirtschaft, in diesem Fall mit zusätzlich 10 Millionen
ben. Ich war einmal Bürgermeister, und auch ich habe Euro.
eine offene Sprechstunde angeboten. Ich glaube, das ist
der richtige Weg. Ich werde meinem kambodschani- (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
schen Parlamentskollegen sagen, dass wir Politiker auch – Sie können gerne Zwischenfragen stellen, insbeson-
ohne Parteispenden gerne für Gespräche mit Bürgern, dere zum Personal. Ich habe die Lebensläufe der Mit-
mit Menschenrechtlern und selbstverständlich auch mit arbeiter dabei, die Sie hier so schändlich angegriffen ha-
Unternehmern zur Verfügung stehen. ben, ohne dass sie sich verteidigen konnten, meine liebe
(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Und auf diese Frau Kollegin.
billige Show sind Sie jetzt auch noch stolz! – (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Norbert Barthle [CDU/CSU]: Peinlich! Pein-
lich!) Wir setzen ausdrücklich auch auf das Engagement der
deutschen Wirtschaft, weil es unser Ziel ist, unsere Part-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nerländer dahin gehend zu entwickeln, dass sie im Ideal-
(B) fall nicht mehr auf unsere Hilfe angewiesen sind. Das (D)
Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel. heißt, wir verlagern den Schwerpunkt in Richtung der
(Beifall bei der FDP) Förderung des Wirtschaftswachstums in unseren Part-
nerländern, damit sich dort eine eigenständige Wirt-
schaft entwickeln kann. Die Chance auf ein eigenes
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
Einkommen ist ein wesentlich besserer Beitrag zur Ar-
sammenarbeit und Entwicklung:
mutsbekämpfung als jede noch so gut gemeinte Hilfe-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und leistung durch das Verteilen von irgendwelchen Wohl-
Herren! Zuallererst möchte ich den Kolleginnen und taten.
Kollegen des Haushaltsausschusses, insbesondere Frau
Hinz, Herrn Klein, Herrn Binding, Herrn Koppelin und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nicht zuletzt Herrn Bartsch, danken für die kooperative
Zusammenarbeit und für das Verständnis, das dafür Wir wollen, dass unsere Entwicklungspolitik weltweit
sorgte, dass es in der Bereinigungssitzung insbesondere sichtbarer wird, nicht nur, weil wir glauben, dass unsere
zu früher Morgenstunde noch bestimmte, wichtige Ent- Bürgerinnen und Bürger, die unser Engagement durch
scheidungen gegeben hat. Allerdings würde ich mir Steuern zu finanzieren haben, einen Anspruch darauf ha-
wünschen, dass die Erinnerung an die Zeit in politischen ben, dass man unser Engagement nachvollziehen kann,
Jugendorganisationen, wo die wichtigsten Entscheidun- sondern auch, weil wir wissen, dass wir durch Wirksam-
gen auch immer erst morgens getroffen wurden, in Zu- keit und Sichtbarkeit immer wieder die Zustimmung der
kunft aus dem Haushaltsausschuss verbannt wird. Wir Menschen in unserem Land gewinnen müssen, damit wir
könnten eigentlich schon drei Stunden früher fertig wer- viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investie-
den, wenn ich das so ehrlich sagen darf. ren können. Nicht jeder erkennt sofort, dass vieles auch
im deutschen Interesse ist.
(Beifall bei der FDP)
Ich wundere mich über manche Diskussionsbeiträge,
Nichtsdestotrotz waren die letzten Entscheidungen die hier geboten wurden, insbesondere von Ihnen, Herr
die besten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich in die- Raabe. Sie waren einmal Bürgermeister. Gehen Sie ein-
sem Haushalt ein Politikwechsel in der Entwicklungs- mal in eine Gemeinde, einen Kreis, eine Stadt und erzäh-
politik widerspiegelt. Es ist der ausdrückliche Anspruch len Sie dort von diesem vermeintlich schändlichen, ge-
dieser neuen Bundesregierung, Dinge anders zu machen. ringen Aufwuchs von 256 Millionen Euro. Erzählen Sie
Wir setzen andere Schwerpunkte. Dies können Sie in das einmal einem Kommunalpolitiker, der nicht weiß,
diesem Haushalt erkennen. wie er die Löcher zu Hause schließen soll.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2819
Bundesminister Dirk Niebel
(A) (Holger Haibach [CDU/CSU]: Der erzählt Weil manche nicht lesen können oder wollen, möchte (C)
noch ganz andere Sachen!) ich aus dem Hamburger Abendblatt vom 6. März dieses
Jahres zitieren. Die Frage des Abendblattes an mich lau-
Wir müssen wirksam, sichtbar, erfolgreich und effizient tete:
sein, damit uns die Bürgerinnen und Bürger immer wie-
der ihr Vertrauen geben, wenn wir zusätzliche Steuermit- Rücken Sie langsam vom 0,7-Prozent-Ziel ab?
tel im Bereich der Entwicklungspolitik einsetzen.
Meine Antwort war:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Bundesregierung hält ausdrücklich an diesem
Ziel fest. Es wird nur sehr sportlich, es zu erreichen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Niebel, möchten Sie eine Zwischenfrage des Wer die Daten kennt, weiß, dass das stimmt. Wir hal-
Kollegen Raabe zulassen? ten an dem Ziel fest. Es steht im Koalitionsvertrag, und
die Bundeskanzlerin hat es in der Regierungserklärung
gesagt. Aber es wird sportlich, es zu erreichen. 2008 lag
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
die ODA-Quote bei 0,38 Prozent. Wir haben jetzt der
sammenarbeit und Entwicklung:
OECD den vorläufigen Wert für 2009 gemeldet. Die
Ja, aber selbstverständlich. ODA-Quote ist auf 0,35 Prozent gesunken. Das habe
nicht ich in den zwei Monaten meiner Amtszeit erreicht;
Dr. Sascha Raabe (SPD): da können Sie sicher sein.
Herr Niebel, nur ganz kurz, weil Sie sagten, dass ich
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
als Bürgermeister wissen müsste, was 256 Millionen
CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel
Euro bedeuten: Sie werden bitte zur Kenntnis nehmen,
[DIE LINKE])
dass ich Bürgermeister einer Gemeinde mit 12 000 Ein-
wohnern gewesen bin. Es gibt auf der Welt 3 Milliarden – Nein, so gut bin ich nicht, dass ich so etwas in zwei
hungernde Menschen: 2 Milliarden leben von weniger Monaten erreiche, nicht einmal wenn es mein Ziel wäre;
als 2 Dollar und 1 Milliarde von weniger als 1 Dollar pro aber dies ist ausdrücklich nicht mein Ziel.
Tag. 256 Millionen Euro, bezogen auf 3 Milliarden Men-
schen, bedeutet etwas anderes, als dies für 12 000 Ein- Wir werden mit diesem Haushalt, der hier heute vor-
wohner der Fall wäre. Wenn Sie aber meiner Heimat- liegt, in diesem Jahr eine Quote von ungefähr 0,4 Pro-
gemeinde 256 Millionen Euro zur Verfügung stellen, zent, vielleicht 0,41 Prozent, erreichen. Das ist vor dem
nehme ich diese sehr gerne an. Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Situation
(B) eine enorme Leistung. (D)
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sammenarbeit und Entwicklung: Das ist ein gebrochenes Versprechen!)
Lieber Kollege Raabe, würde ich nur 256 Millionen
Auch aus diesem Grund danke ich dem Haushaltsaus-
Euro im Haushalt des Bundesministeriums für wirt-
schuss für das Entgegenkommen bei den Beratungen.
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben,
würde ich Ihnen voll und ganz zustimmen. Sie überse- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hen, dass dieser Haushalt das erste Mal in der Ge-
schichte der Bundesrepublik bei 6,1 Milliarden Euro an- Der Etat spiegelt eine Strategieänderung in Bezug auf
gelangt ist. Das ist ein Erfolgsergebnis, das es hier noch Afghanistan wider. Wir verlagern den Schwerpunkt in
nie gegeben hat. – Vielen Dank. Afghanistan ausdrücklich und eindeutig auf den zivilen
Aufbau.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]
Daran kann ich nahtlos anschließen. Kollege Ruck hat meldet sich zu einer Zwischenfrage)
es angesprochen: Unabhängig von unserem Haushalt,
unabhängig von der ODA-Quote und Sonstigem muss – Kollege Binding hat eine Frage.
man zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesrepublik
Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
zweitgrößte Zahler weltweit ist. Wir sind stolz darauf, Möchten Sie diese zulassen?
dass wir diese Leistung erbringen können.
(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:
Betrachtet man zusätzlich die Hilfen der Europäischen
Ja, natürlich. Wenn Sie die Uhr wieder anhalten, Frau
Union – von all dem, was dort finanziert wird, zahlen
Präsidentin, sogar sehr gerne.
wir gute 20 Prozent –, sind wir sogar der weltgrößte
Zahler in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist eine
hervorragende Leistung der Bürgerinnen und Bürger der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bundesrepublik Deutschland, auf die sie stolz sein kön- Ich bin da sehr zuvorkommend.
nen.
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist immer so, Herr Niebel!)
2820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
(A) Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- merke endgültig gestrichen worden sind. Das tut dem (C)
sammenarbeit und Entwicklung: Haus gut. Weil das dem Haus guttut, wundere ich mich
Nicht immer, manchmal läuft die Uhr ein bisschen sehr, dass mich nach allen öffentlichen, auch hier geführ-
weiter, Frau Koczy. ten Angriffen kein Vertreter der Opposition auf die Le-
bensläufe meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ange-
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): sprochen hat. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind nämlich hochkompetent und haben es nicht nötig,
Ich habe eine Frage zu der jetzt überraschend niedri-
hier beschimpft und erniedrigt zu werden.
ger als bisher geschätzt ausgefallenen ODA-Quote. Ich
wollte fragen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)
den möglicherweise zeitlich anders strukturierten Vor-
finanzierungen seitens der KfW und den Verzögerungen Meine Redezeit ist vorbei. Sie haben jetzt die letzte Ge-
bei den Schuldenerlassen für Länder in Afrika. Hätte legenheit, dazu eine Zwischenfrage zu stellen. Ich habe
man diese beiden Aufgaben, die ich jetzt angesprochen die Lebensläufe hier. Es handelt sich, wie gesagt, um
habe, wie sonst üblich noch im letzten Jahr vollzogen hochkompetente Leute, hervorragend motiviert und üb-
– das war am Anfang Ihrer Amtszeit –, würde die ODA- rigens längst nicht alle Mitglied der FDP. Wenn Sie aber
Quote dann anders aussehen? weiterhin so argumentieren, werden sich viele von ihnen
überlegen, ob sie zu uns kommen.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- Vielen Dank.
sammenarbeit und Entwicklung:
Es ist richtig, dass der IWF-Schuldenerlass für Libe- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
ria, den übrigens nicht mein Haus verhandelt, sondern CDU/CSU)
das Finanzministerium – ich sage das der guten Ordnung
halber, weil in der Frage ein leiser Vorwurf lag –, ins Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Stocken geraten ist und nicht planmäßig vorangekom- Der Kollege Niema Movassat hat jetzt für die Frak-
men ist. Wenn das alles planmäßig hätte durchgeführt tion Die Linke das Wort.
werden können, wären wir wahrscheinlich auf dem glei-
chen Niveau wie 2008, also bei 0,38 Prozent. Fakt ist, (Beifall bei der LINKEN)
dass die erste Meldung an die OECD – es wird natürlich
noch eine abschließende geben, die alle Details enthält – Niema Movassat (DIE LINKE):
0,35 Prozent lautet. Das ist ein Absinken gegenüber dem
Vorjahr. Das ist keine gute Entwicklung. Ich sage noch Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
(B) einmal ausdrücklich: Bei allem, was Sie mir zutrauen „Dabei sein ist alles“ scheint das Motto des Entwick- (D)
– das meiste schätze ich als positiv ein –: Das habe ich in lungshaushaltes zu sein, jedenfalls dann, wenn man sich,
zwei Monaten wirklich nicht geschafft, selbst wenn ich wie Minister Niebel, der Freizeitsprache bedient und das
es gewollt hätte, und ich habe es ausdrücklich nicht ge- Ziel, die Ausgaben für Entwicklungshilfe bis 2015 auf
wollt. 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern,
als „sehr sportlich“ bezeichnet. Das Thema ist viel zu
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – ernst für eine solch saloppe Wortwahl.
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vielen
Dank für die Antwort! – Ute Koczy [BÜND- (Beifall bei der LINKEN)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht!) Rund 1 Milliarde Menschen weltweit hungern, fast
Dieser Haushalt spiegelt eine Strategieänderung in 5 Millionen sterben jährlich an Malaria und Tuberku-
Bezug auf Afghanistan wider. Das Schwergewicht wird lose. Die 0,7 Prozent sind ein Mindestversprechen an die
auf den zivilen Aufbau gelegt. Ärmsten der Armen. Wenn man bedenkt, dass täglich
8 000 Kinder unter fünf Jahren verhungern, ist es gera-
Wir haben durch die Bereitstellung von zusätzlich dezu kriminell, diese Zusage nicht einzuhalten.
70 Millionen Euro – 35 Millionen Euro beim BMU und
35 Millionen Euro beim BMZ – unsere Verpflichtungen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
die sich aus der Konferenz von Kopenhagen ergeben, er- neten der SPD)
füllt. Mit den bereits vorher im Regierungsentwurf ein-
Andere Länder sind verantwortungsvoller. So über-
gestellten 350 Millionen Euro in den Einzelplänen der
treffen Schweden, Dänemark und die Niederlande dieses
beiden Ressorts werden die vorgesehenen 420 Millionen
Ziel schon jetzt. Doch Deutschland ist Meister der An-
Euro erreicht.
kündigungen, nicht der Taten. So wird mit diesem Haus-
Ich bin ausdrücklich stolz darauf, dass in diesem halt nicht einmal die 0,51-Prozent-Marke für 2010 als
Haushalt netto 15,5 neue Stellen geschaffen worden Zwischenziel erreicht, sondern es sind nur etwa 0,4 Pro-
sind. Denn das war lange überfällig, nachdem in den ver- zent. Dies hat die OECD jüngst kritisiert. Das ist eine
gangenen Jahren immer nur Geld in diesen Etat gepumpt Schande für CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP; denn kei-
wurde, aber nicht die Fähigkeit vorhanden war, dieses ner von Ihnen hat sich in Regierungsverantwortung um
Geld bilateral einzusetzen. Dies ist jetzt möglich. die versprochene Steigerung der Entwicklungshilfe ge-
schert.
Besonders freue ich mich, dass bei den vier Stellen im
einfachen Dienst morgens kurz nach 2 Uhr die kw-Ver- (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2821
Niema Movassat
(A) Aber es kommt noch dicker. Selbst die mageren Entwicklungspolitik soll also noch mehr zum Türöff- (C)
0,4 Prozent werden nicht nur für Entwicklungsprojekte ner für Interessen der deutschen Wirtschaft werden. Ar-
ausgegeben. Ein Unding ist die Anrechnung der Klima- mutsbekämpfung sieht anders aus: Sie orientiert sich an
schutzmaßnahmen. Der Klimawandel liegt vor allem in den Bedürfnissen der Menschen in den Partnerländern,
der Verantwortung der Industrienationen. Klimagelder nicht an den Bedürfnissen des Gebers. Unter Ihnen, Herr
sind Wiedergutmachung, keine Entwicklungshilfe. Niebel, steht die deutsche Entwicklungspolitik heute
Kopf.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Aber auch damit nicht genug. Entschuldung, Kosten
für Abschiebungen und für die Unterkünfte der Soldaten Im Rahmen der Neuausrichtung des Ministeriums er-
in Afghanistan, all dies verkaufen Sie den Menschen als leben wir ferner eine strukturelle Militarisierung der
Entwicklungshilfe und hübschen somit Ihre Bilanz auf. Entwicklungspolitik.
Dabei ist das 0,7-Prozent-Ziel ohne Zahlentricks erreich- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
bar. Wer Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden Euro Oh! – Harald Leibrecht [FDP]: Immer die glei-
für Banken aufbringt und 10 Milliarden Euro in den Kauf che Leier!)
von A400M-Militärtransportern investiert, der kann sich
auch mehr Entwicklungshilfe leisten. Allein mit den Ein- – Das müssen Sie sich schon anhören! – Ein Oberst der
nahmen aus einer Finanztransaktionsteuer und einer Bundeswehr wird in die Führung des Hauses berufen.
Flugticketabgabe, deren Einführung wir hier beantragt Jetzt sollen Nichtregierungsorganisationen in Afghanis-
haben, wäre die Finanzierung möglich. tan nur dann Geld erhalten, wenn sie bereit sind, mit der
Bundeswehr zusammenzuarbeiten, um sie – Zitat Minis-
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. ter Niebel – zivil zu flankieren.
Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])
Ein aktuelles Thema ist die Reform der Institutionen
Herr Minister, wir können gerne über Volumen und/oder der Entwicklungszusammenarbeit. Für die Linke macht
Wirksamkeit der Entwicklungshilfe diskutieren. Für die sich die Handlungsfähigkeit der deutschen Entwick-
Linke ist klar: Wir brauchen eine Steigerung bei beidem. lungspolitik nicht an Institutionen fest. Wir brauchen
Was denn sonst? eine neue politische Ausrichtung, statt dass nur über das
Wie der Fusion diskutiert wird. Vor allem müssen wir
Nötiger ist indes eine Diskussion über die neue Marsch- basisorientierte Projekte, die eine nachhaltige Entwick-
richtung im Ministerium. Diese lautet nämlich, dass lung ermöglichen, stärken.
sich der Einsatz in Entwicklungsländern vor allem für
(B) deutsche Unternehmen lohnen soll. So wollen Sie, Herr Ich komme zum Schluss. Sie, Herr Niebel, degradie- (D)
Niebel, den Etat Ihres Hauses künftig weniger über in- ren das Entwicklungsministerium zum international
ternationale Organisationen als vielmehr über nationale agierenden Lobbyverein für Interessen der deutschen
Projekte steuern. Wirtschaft und zur zivilen Begleithilfe für Bundeswehr-
einsätze. Das wird die Linke nicht akzeptieren.
(Harald Leibrecht [FDP]: Richtig!)
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Dabei geht es letztlich darum, deutsche Firmen stärker (Beifall bei der LINKEN)
am Entwicklungsgeschäft teilhaben zu lassen.
(Harald Leibrecht [FDP]: Genau! Was ist da- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ran schlimm?) Für die Unionsfraktion spricht der Kollege Holger
Haibach.
Kompetenz und Effektivität spielen eine untergeordnete
Rolle. Das Hissen der deutschen Fahne oder aber die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Nähe zur FDP sind maßgeblich. der FDP)
Ein Beispiel gibt der Spiegel. Die Consultingfirma
Holger Haibach (CDU/CSU):
TellSell, die FDP-Großveranstaltungen mitfinanziert und
in deren Beirat Herr Koppelin, stellvertretender Vorsit- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
zender der FDP-Fraktion, sitzt, will Beratungsaufträge legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe
von der GTZ ergattern. Das wird nicht allzu schwer wer- mir heute Morgen überlegt, was man nach einer so lan-
den, da Herr Koppelin gleichzeitig im Aufsichtsrat der gen Debatte noch sieben Minuten lang sagen soll. Inzwi-
GTZ sitzt. Zudem hat an dem Gespräch zwischen Tell- schen frage ich mich, ob sieben Minuten ausreichen, um
Sell und der GTZ Herr Beerfeltz, FDP-Staatssekretär im den hanebüchenen Unsinn, der hier erzählt worden ist,
Entwicklungsministerium, teilgenommen. Hier soll also auszumerzen.
ein Unternehmen, welches mit der FDP personell und fi- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
nanziell verbandelt ist, ein Stück vom Kuchen abbekom- GRÜNEN]: Aber jetzt meinen Sie nicht
men. Dabei wird es anscheinend auch von Ihrem Minis- mich!)
terium unterstützt. So bleibt alles in der FDP-Familie.
All diejenigen, die hier markige Worte gefunden ha-
(Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE ben, sollten sich einmal überlegen, ob sie unserem
LINKE]: Skandal!) Thema, das ein wichtiges Thema ist, mit markigen Wor-
2822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Holger Haibach
(A) ten einen Gefallen tun. Ich glaube, wir alle – nicht nur hochinteressant, und jeder – ob er in der Opposition ist (C)
wir, die wir die Regierung tragen, sondern auch die Op- oder in der Regierung sitzt – stellt sie an; aber man muss
position – haben eine Verantwortung dafür, ob unser doch zugeben: Vieles kann man auf die eine oder auf die
Politikfeld ernst genommen wird. Das dokumentiert sich andere Weise interpretieren.
auch in der Sprache. Da haben Sie unserer Sache garan-
tiert keinen Gefallen getan. Mich stört, dass der Aspekt, dass es bei der Verwen-
dung der Mittel auch um Effizienz geht – der Minister
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hat darauf hingewiesen, und auch viele von uns haben
der FDP) das angesprochen –, nonchalant als Ausweichdiskussion
Herr Movassat und die Kollegin Hänsel haben vor dargestellt worden ist, dass man gesagt hat: Das spielt ja
mir gesprochen; daher fange ich bei der Linksfraktion eigentlich keine Rolle.
an. Sie haben die saloppe Wortwahl des Ministers, das Gerade wenn ich mir Afghanistan anschaue – um nur
Ziel, auf eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP zu ein Beispiel zu nehmen –, dann komme ich zu dem
kommen, sei ein sehr sportliches Ziel, kritisiert. Ich Schluss, dass Effizienz von höchster Wichtigkeit ist.
finde es interessant, mit welcher Wortwahl Sie hier ange- Wenn wir die Mittel für Afghanistan verdoppeln, ist es
treten sind. Was musste ich da alles hören: militärische doch in hohem Maße notwendig, auch für die Legitima-
Expansionspolitik, tion von Entwicklungszusammenarbeit in unserem eige-
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! – Beifall nen Land, dafür zu sorgen, dass die Mittel tatsächlich ab-
der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) fließen, dass sie sinnvoll verwendet werden und in
Afghanistan die Friedensdividende bewirken, die wir
wirtschaftliche Expansionspolitik, brauchen. Dafür bedarf es der richtigen Maßnahmen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Deshalb ist Effizienzkontrolle gerade an einem solchen
Punkt extrem wichtig. Man darf das nicht einfach beisei-
Interessenvertretungsverein deutscher Wirtschaft. Ja, meine teschieben.
Herren! Sie sind rhetorisch in einer Zeit stehen geblieben,
die länger vorbei ist als der Fall der Mauer. Sie sollten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sich einmal überlegen, ob Sie, gerade was die Entwick-
lungspolitik angeht, weiter bei Marx und Lenin bleiben Genau das Gleiche ließe sich mit großer Berechtigung
oder endlich in der Realität ankommen wollen. Viel Spaß auch über die Mittel für Klimaschutz und für andere Be-
dabei! reiche sagen. Der Kollege Ruck hat zu Recht auf das
Beispiel Haiti hingewiesen. Es bedarf wirklich eines
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) längerfristigen Ansatzes, wenn wir auf Haiti erfolgreich
(B) sein wollen. Der Unterschied zwischen der Katastrophe (D)
Inhaltlich haben Sie, außer dass Sie Mitarbeiter des
auf Haiti und anderen Katastrophen ist nun einmal der,
BMZ beschimpft haben, und abgesehen davon, dass Sie
dass der Staat Haiti schon vorher kaum vorhanden war,
den Minister kritisiert haben, nichts, aber auch gar nichts
dass es nach der Katastrophe keine UN-Mission mehr
Konstruktives zur Debatte beigetragen. Es hätte genü-
gab und dass der Staat quasi keine funktionierenden
gend Gründe gegeben, etwas Konstruktives dazu beizu-
Strukturen mehr hatte. Dort geht es also um „build back
tragen.
better“, also darum, diesem Staat so zu helfen, dass er
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nach dem Wiederaufbau besser als vorher ist. Dabei
Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) spielt Geld eine wichtige Rolle, aber Strukturen sind
mindestens genauso wichtig: Wie stellt man einen Be-
Sie wollen – das gilt für manche andere in diesem bauungsplan so auf, dass die Gebäude dann auch eini-
Haus auch – nicht einsehen, dass man, wenn man Ent- germaßen erdbebensicher sind? Man kann Katastrophen
wicklungspolitik richtig machen will, einen ganzheitli- nicht verhindern, aber dafür sorgen, dass die Dinge ins-
chen Ansatz braucht. So schrecklich Sie die Wirtschaft gesamt besser gemacht werden. Da haben wir eine große
finden mögen, am Ende werden Sie einsehen müssen, Expertise. Das ist unabhängig von Geld. Das ist eine
dass man die Wirtschaft braucht. Eine Zusammenarbeit ganz wichtige Aufgabe, die wir an der Stelle haben.
mit der Wirtschaft bietet genauso wie eine Zusammenar-
beit mit Nichtregierungsorganisationen, genauso wie Ich will noch etwas dazu sagen, dass wir – angeblich –
eine Zusammenarbeit mit Stiftungen, genauso wie eine zwiespältig reden, was die Freiwilligendienste betrifft;
Zusammenarbeit mit staatlichen Entwicklungsorganisa- Frau Kofler hat das erwähnt. Manchmal hilft ja Nachfra-
tionen, genauso wie eine Zusammenarbeit mit den Kir- gen beim Herausfinden der Wahrheit, Frau Kollegin. Wir
chen einen Zugang, den die Politik allein nicht bieten haben das getan, und ich finde das Ergebnis ganz span-
kann. Das müssten Sie endlich anerkennen! Aber dazu nend. Der Mittelabfluss bei „weltwärts“ betrug im letzten
sind Sie offensichtlich nicht willens oder in der Lage. Jahr 27 Millionen Euro. Wir stellen nach dem vorliegen-
Anders kann ich die Aussagen, die hier getroffen worden den Haushaltsentwurf 29 Millionen Euro zur Verfügung.
sind, jedenfalls nicht verstehen. Das heißt, die Mittel werden vermutlich ausreichen. Wie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das im nächsten Jahr aussieht, werden wir uns in Ruhe an-
schauen müssen. Es geht also gar nicht darum, dass ir-
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Hier ist viel gendjemand „weltwärts“ nicht schätzt – ich halte das
darüber diskutiert worden, welche Zahlen zu welchem durchaus für ein vernünftiges und gutes Projekt –, aber
Etat richtig gewesen sind. Solche Zahlenspiele sind wir müssen die Mittel ein bisschen an dem orientieren,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2823
Holger Haibach
(A) was tatsächlich notwendig ist und was tatsächlich abge- auf dem Kirchentag versprochen. Sie hat das im Bundes- (C)
flossen ist. tag vor uns allen versprochen. Ich kann fünf oder sechs
Passagen vortragen, in denen die Kanzlerin gesagt hat:
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ich weiß ganz genau, was es bedeutet, wenn ich sage,
die Evaluation soll Ende 2010 laufen!) dass ich verspreche, dass ich im Jahr 2010 0,51 Prozent
Damit bin ich beim allerletzten Punkt, den ich gern für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen
noch ansprechen würde, nämlich bei dem Moralapostel will. – Deshalb muss man weiterhin den Finger in diese
der SPD, dem heiligen Sascha Raabe, Wunde legen. Das ist ein Skandal, und dabei bleibe ich.
(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Danke schön!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
der die Moral wie eine Monstranz vor sich her getragen Herr Haibach.
hat. Man fragt sich, ob der Kollege katholisch ist und
gern an Prozessionen teilnimmt. Es war wirklich ganz Holger Haibach (CDU/CSU):
interessant. Er hat auch Pinocchio bemüht und was da al- Herr Kollege Raabe, ich bin ja nur Altphilologe und
les war. Ich stimme ihm darin zu, dass Glaubwürdigkeit Historiker und kein Mathematiker, aber ein Aufwuchs
in der Politik ein hohes Gut ist. Aber dann, lieber Herr von 256 Millionen Euro bleibt ein Aufwuchs von
Kollege Raabe, muss man bei sich selber anfangen. 256 Millionen Euro. Da können Sie so lange irgendwel-
Der Kollege Raabe hat, wie viele von uns das ab und che Dinge bemühen, wie Sie sie gerade eben bemüht ha-
zu tun, in seinem Wahlkreis eine Schule besucht und ben, aber es bleibt ein Aufwuchs. Deswegen ist die Aus-
sage, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
über Entwicklungspolitik gesprochen. Der Hanauer An-
seien als Ganzes gekürzt worden, einfach nicht richtig.
zeiger vom 25. Februar 2010, aus dem ich mit Genehmi-
gung der Frau Präsidentin gern zitieren möchte, berichtet Sie zitieren auch oft genug aus Zeitungen, ohne hin-
über einige sehr interessante Aussagen des Kollegen terher klar sagen zu können: Das ist tatsächlich alles so
Raabe. Der Kollege Raabe erzählt also etwas über seine gesagt worden; das ist tatsächlich alles so gewesen. – Ich
Arbeit als entwicklungspolitischer Sprecher. Er sagt, was verlasse mich erst einmal darauf, dass die Presse in
alles notwendig ist, dass es genügend Reichtum und Le- Deutschland das Richtige berichtet, und ich verlasse
bensmittel gibt, dass kein Kind auf dieser Erde verhun- mich darauf, dass Sie das so gesagt haben. Sie haben es
gern muss usw. usf. Dann heißt es: jetzt richtiggestellt.
Besonders hart kritisierte der Bundestagsabgeord- Das macht die Tatsache, dass Sie etwas behaupten,
nete in diesem Zusammenhang die neue Bundesre- was nicht stimmt, an und für sich aber nicht besser.
gierung, die ganz entgegen ihres Versprechens die 256 Millionen Euro Aufwuchs bleiben 256 Millionen
(B)
Entwicklungshilfe gekürzt hatte. Euro Aufwuchs. Da nützt auch keine – wie soll ich das (D)
sagen? – intelligente und fantasiereiche Mathematik. Ich
Das behauptet nicht mal Ihre eigene Truppe, Herr Kol- glaube, hier müssen wir schon bei der Wahrheit bleiben.
lege! Kein Mensch behauptet heute, dass wir die Ent-
wicklungshilfe gekürzt haben. Damit haben Sie der (Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])
Glaubwürdigkeit von Politik insgesamt und auch dem Ich denke, es ist richtig, dass man das an dieser Stelle
Politikfeld keinen Gefallen getan. Wenn Sie ein anstän- sagt; denn es geht darum, dass wir in den Wahlkreisen
diger Mensch wären, würden Sie das zurücknehmen. genauso glaubwürdig bleiben, wie wir das auch in Berlin
sein sollten, da Glaubwürdigkeit – darin sind wir uns ja
Herzlichen Dank.
wohl einig – das größte Gut ist, das wir in der Politik ha-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der CDU/CSU)
Zu einer Kurzintervention der angesprochene Kollege
Raabe. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die
Dr. Sascha Raabe (SPD): SPD-Fraktion.
Nur ganz kurz. Herr Kollege Haibach, ich habe das in
der Schule so gesagt, wie ich es auch hier gesagt habe, Lothar Binding (Heidelberg) (SPD):
und dazu stehe ich. Versprochen waren im Prinzip plus Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1,7 Milliarden Euro im Einzelplan 23, 3 Milliarden Euro Sehr verehrte Damen und Herren! Erste Vorbemerkung.
insgesamt, um auf 0,51 Prozent zu kommen. Ich habe da Auch ich möchte zunächst meinen Dank zum Ausdruck
gesagt, dass es schäbig ist, dass dieses Versprechen ge- bringen. Priska Hinz hat unsere Berichterstattergesprä-
brochen wurde. Wenn ein Journalist dort das etwas ver- che sehr gut organisiert. Ich möchte mich auch beim
kürzt, darf man, so glaube ich, einem Kollegen in diesem BMZ für die stets gute Information bedanken.
Hause das nicht vorwerfen.
Vielleicht kann ich das Lob auch ein bisschen mit ei-
Ich glaube aber schon, dass man Folgendes sagen ner subtilen Kritik verknüpfen. Wenn die Politik so gut
kann: 256 Millionen Euro sollen am Ende ein Aufwuchs wäre wie die Atmosphäre in den Gesprächen und die In-
sein. Dabei hat die Kanzlerin doch 1,7 Milliarden Euro formation aus dem BMZ, dann wäre das eine super Poli-
versprochen. Sie hat das noch im Wahlkampf 2009 und tik. Das muss ich wirklich sagen.
2824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Dirk Niebel
(A) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein! Als Jürgen Klimke (CDU/CSU): (C)
Putschunterstützer, als Putschverharmloser! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Darum ging es, nicht um ihre Kompetenz!) Herr Minister, herzlichen Dank für die eindrucksvollen
Einblicke in die Lebensläufe Ihrer neuen Mitarbeiter.
Aber wenn es Ihnen lieber ist, Frau Präsidentin, dann
Das war unter dem Gesichtspunkt „Erfahrung und Kom-
werde ich meine Tätigkeit als Vertreter der Bürger, für
petenz“ sehr bemerkenswert.
die ich hier spreche, einstellen und als Regierungsmit-
glied das Wort ergreifen. Das verlängert die Debatte. Bemerkenswert finde ich vor allen Dingen, wie Sie
Falls die anderen daran Freude haben, mache ich das für Ihre Mitarbeiter kämpfen und sich vor sie stellen.
gerne. Herzlichen Dank dafür!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der CDU/CSU)
Das können Sie gerne machen. Wenn Sie als Minister
das Wort ergreifen wollen, dann können Sie das jederzeit Weniger bemerkenswert als orientierungslos fand ich
tun. das, was wir in den letzten Wochen lesen konnten und
teilweise auch heute gehört haben. Lassen Sie mich zi-
tieren: „Entwicklungspolitik mit der Abrissbirne“, „Ver-
Dirk Niebel (FDP):
sorgung von Parteisoldaten“,
Ja, dann melde ich mich eben zu Wort, Frau Präsiden-
tin. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist doch so! Sind das nicht
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Soldaten?)
Bitte schön. „Entmachtung der GTZ“ oder das leidige Zitat von der
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Abschaffung des Ministeriums durch den jetzigen Mi-
der CDU/CSU – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ nister. Meine Damen und Herren von der Opposition,
DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Geschäftsord- diese Platte hat nicht einen kleinen, sondern einen ganz
nung wäre nicht schlecht, Herr Minister!) dicken Sprung. Sie schaden damit nicht nur sich selbst,
sondern vor allen Dingen dem Ansehen der Entwick-
lungspolitik und den Menschen, die von der Zusammen-
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- arbeit mit uns, mit Deutschland, profitieren und in dieser
sammenarbeit und Entwicklung: Zusammenarbeit teilweise die einzige Perspektive und
Vorhin hätte ich Fragen zugelassen, die aber nicht ge- Hilfestellung sehen. Das können wir überhaupt nicht ak-
(B) stellt wurden. Deswegen kann ich relativ zügig zum Ab- zeptieren. (D)
schluss kommen. Es fehlen nur noch zwei Personen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ein weiterer Abteilungsleiter, der angeblich inkompe-
tent ist, arbeitet seit 1989 beim BMZ in allen möglichen Im Übrigen sehen dies auch wirklich profilierte Ent-
Referaten und ist jetzt Leiter der neu gegründeten Abtei- wicklungspolitiker in Deutschland so, die an einer ehrli-
lung geworden. chen Weiterentwicklung dieses Feldes interessiert sind.
Ich darf die ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin
Der Letzte, der vermeintlich militaristische Oberst im Uschi Eid von den Grünen zitieren, die anscheinend die
Generalstab außer Diensten, war die letzten zwölf Jahre Einzige ist, die den Mut hat, der Ideenlosigkeit der Op-
lang außen- und sicherheitspolitischer Berater der FDP- position zu widersprechen:
Bundestagsfraktion, in seiner aktiven Dienstzeit abge-
ordnet zu internationalen Stäben, unter anderem in den Es gefällt mir einfach nicht, wenn alle auf Niebel
Vereinten Nationen. Er diente drei Jahre lang im Pla- eindreschen und dabei unterschlagen wird, dass der
nungsstab des Auswärtigen Amtes und zwischenzeitlich Mann entschlossen etwas anpackt, was wir schon
mehrere Jahre im Bundesministerium der Verteidigung 1998 unter Rot-Grün und später in der Großen Ko-
in den verschiedensten Verwendungen. alition wollten, aber nie geschafft haben.
Wenn das Inkompetenz ist, dann würde ich mir wün- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schen, dass mehr dieser inkompetenten Menschen in vie- Ich kann Uschi Eid nur unterstützen. Gleiches gilt für
len Verwaltungen tätig sind. ihre Aussage, dass die Besetzung des Ministerpostens
Vielen Dank. keine skandalöse Fehlbesetzung ist. Für sie ist dieser
Vorwurf einfach Unfug. Ich empfehle den Grünen, sich
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei in stärkerem Maße der Entwicklungskompetenz von
Abgeordneten der CDU/CSU – Hans- Uschi Eid zu bedienen und sich darauf zu besinnen.
Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie haben eine gute Kameradschaft (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
da!) Die Regierungskoalition jedenfalls legt – wir haben
das heute schon mehrfach gehört – die Hände nicht in
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: den Schoß, sondern nimmt den Gestaltungsauftrag an.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die Ziel ist, unsere Entwicklungsinstrumente in den Organi-
CDU/CSU-Fraktion. sationen, was Effektivität, Koordination und Kohärenz
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2827
Jürgen Klimke
(A) angeht, so einzusetzen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe in Jürgen Klimke (CDU/CSU): (C)
unseren Partnerländern besser gelingen kann. Dieser An- Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass die
satz wird auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Ich bin Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
dem Minister dankbar, dass er mit viel Reformeifer im Bereich des 0,7-Prozent-Ziels völlig richtig ist. Wir
– auch gegen Widerstände – Neues beginnt. Wir betreten brauchen aber auch mehr Gelder für die öffentliche Ent-
effiziente, kohärente Wege im Rahmen der Vorfeldorga- wicklungshilfe, wir brauchen vor allen Dingen eine stra-
nisationen, bei dem Vorhaben, das BMZ gegenüber an- tegische Weiterentwicklung. Diese Weiterentwicklung
deren Bundesministerien zu stärken, im Rahmen der ist Minister Niebel hervorragend angegangen.
konditionierten Budgethilfe und der Spezialisierung auf
die Kernsektoren zur Erreichung der Millenniumsziele Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
und bei der Verstärkung der Kohärenz zwischen Bundes- Herr Kollege!
regierung, Bundesländern und der EU, aber auch bei der
Erklärung der Sinnhaftigkeit von Entwicklungspolitik Jürgen Klimke (CDU/CSU):
gegenüber den Bürgern und den Steuerzahlern gerade in Wir danken ihm dafür. Er hat die Unterstützung der
einer Zeit der wirtschaftlichen Krise sowie bei der För- CDU/CSU-Fraktion.
derung der lokalen Wirtschaft in unseren Partnerländern Herzlichen Dank.
durch deutsches Mittelstands-Know-how, das dorthin
übertragen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 17.03.2010 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 17.03.2010
DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN
(B) (D)
Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2010
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ISSN 0722-7980